Handbuch Niederländisch: Sprache und Sprachkultur von 1800 bis heute 3534259831, 9783534259830

Dieses konkurrenzlose Handbuch bietet erstmals eine fundierte Gesamtdarstellung der Entstehung, Herausbildung und Etabli

115 95 28MB

German Pages 508 [513] Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Hinweise
Abkürzungen
Geografische Bezeichnungen
1. Einführung
1.1. Zur geschichtlichen Beschreibung jüngerer niederländischer Sprache und Sprachkultur
1.1.1. Die Frage einer begrifflichen Bestimmung des Niederländischen
1.1.2. Methodische Vorüberlegungen
1.2. Vorläufer und Varietäten des Allgemeinen Niederländischen vor dem 19. Jahrhundert
1.2.1. Altniederländisch und Mittelniederländisch als Vorstufen des Neuniederländischen
1.2.2. Entstehung und Verbreitung des überregionalen Neuniederländischen
2. Das Niederländische in der französischen Zeit und während der Epoche des Vereinten Königreichs der Niederlande
2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen
2.1.1. Staatsreformen in den Niederlanden (1795–1813)
2.1.2. Einheit und Verschiedenheit des überregionalen Niederländischen
2.1.3. Voraussetzungen für die Verbreitung des Allgemeinen
Niederländischen
2.1.3.1. Private und staatliche Bemühungen um die Pflege der Muttersprache
2.1.3.2. Vermittlung des Niederländischen durch Medien
2.1.3.2.1. Presse
2.1.3.2.2. Theater
2.1.3.2.3. Veröffentlichungen in Buchform
2.1.3.3. Erneuerung des Bildungswesens, zunehmende Alphabetisierung im Norden
2.1.3.4. Missglückte Schulreformen und Analphabetismus in den südlichen Niederlanden
2.1.3.5. Staatliches Eingreifen in die Sprachkultur des Südens
2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen
2.2.1. Erste verbindliche orthografische Regeln des Niederländischen
2.2.2. Versuche zur Reglementierung der Grammatik der niederländischen Schriftsprache
2.2.3. Beispiele normativer Merkmale grammatikalischer Beschreibungen im frühen 19. Jahrhundert
2.2.3.1. Genus
2.2.3.2. Kasus
2.2.3.3. Personalpronomina
2.2.4. Bestrebungen zur Inventarisierung des Lexikons
2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813
2.3.1. Presse
2.3.1.1. Die Schiesspulverkatastrophe zu Leiden
2.3.1.2. Ankunft des künftigen Königs auf dem Strand Scheveningens
2.3.2. Belletristik
2.3.2.1. Jacobus Bellamy, Proeven voor het verstand, den smaak en het hart
2.3.2.2. Rhijnvis Feith, Het leven
2.3.3. Briefe
2.3.3.1. Brief von Catharina Rebecca Bilderdijk-Woesthoven
2.3.3.2. Flämischer Soldatenbrief aus der napoleonischen Zeit
2.3.4. Sonstige Texte
2.3.4.1. Kundgabe Gelijkheid, vrijheid, broederschap
2.3.4.2. Kundgabe Oranje boven!
2.4. Niederländisch im Zeitalter des Vereinten Königreichs der Niederlande (1813–1830)
2.4.1. Festigung des Königreichs der Niederlande
2.4.2. Förderung des Niederländischen als Landessprache
2.4.3. Entfaltung der akademischen Philologie des Niederländischen
2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831
2.5.1. Presse
2.5.1.1. Huldigung Wilhelms I
2.5.1.2. Ende des Feldzuges gegen die aufständischen Belgier, 1831
2.5.2. Lyrik
2.5.2.1. Hendrik Tollens, Volkslied
2.5.2.2. Anthony Christiaan Winand Staring, Epigramme
2.5.3. Diverse Prosa
2.5.3.1. Kundgabe des Prinzen Wilhelm Friedrich, 1813
3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen in den Niederlanden und in Belgien im Laufe des 19. Jahrhunderts
3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen
3.1.1. Gesellschaftliche und politische Erneuerungen in den Niederlanden (1830–1900)
3.1.2. Entfaltung der überregionalen niederländischen Kommunikationsgemeinschaft
3.1.2.1. Belang der Erneuerung des niederländischen Bildungswesens für die überregionale Sprache
3.1.2.2. Zunehmende Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen durch Medien
3.1.2.2.1. Presse
3.1.2.2.2. Theater
3.1.2.2.3. Rezeption von Büchern
3.1.2.2.4. Literarische Werke
3.1.2.2.5. Post, Telegramm, Telefon
3.1.2.3. Bedeutung des zunehmenden Personenverkehrs für die Kommunikation
3.1.2.4. Kultivierung eines ‚zivilisierten‘ Niederländisch
3.1.2.5. Niederländisch in überseeischen Gebieten
3.1.2.5.1. Die Stellung des Niederländischen in Ostindien
3.1.2.5.2. Niederländisch und Afrikaans in Südafrika
3.1.2.5.3. Niederländisch in Amerika
3.2. Weitere Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im Laufe des 19. Jahrhunderts
3.2.1. Anpassungen der Orthografie
3.2.1.1. De Vries und Te Winkel
3.2.1.2. Kollewijn und seine Mitkämpfer
3.2.2. Grammatikalische Beschreibungen des Niederländischen
3.2.3. Beschreibungen des niederländischen Wortmaterials
3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden
3.3.1. Literarische Textbeispiele der älteren Generation
3.3.1.1. Everhardus Johannes Potgieter, Holland
3.3.1.2. Hildebrand, Varen en rijden
3.3.1.3. Nicolaas Beets, De moerbeitoppen ruischten
3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat
3.4.1. Gründung und Festigung des belgischen Staates (1830–1914)
3.4.2. Die Stellung des Niederländischen im Belgien des 19. Jahrhunderts
3.4.2.1. Entfaltung des belgischen Bildungswesens
3.4.2.2. Überregionaler Integrationismus trotz flämischem Partikularismus
3.5. Textbeispiele aus Belgien
3.5.1. Belletristik
3.5.1.1. Hendrik Conscience, De leeuw van Vlaanderen
3.5.1.2. Guido Gezelle, Tale
3.5.1.3. Jan Frans Willems, Ode op de herstelling der Nederduytsche tael
3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch
3.6.1. Schriftsteller als Erneuerer des geschriebenen Niederländischen
3.6.1.1. Multatuli
3.6.1.2. Die Achtziger
3.6.2. Reformversuche gegen Ende des 19. Jahrhunderts
3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert
3.7.1. Presse
3.7.1.1. Alexandrine Tinnes Suche nach den Nil-Quellen
3.7.1.2. Die Jahrhundertwende
3.7.2. Belletristik
3.7.2.1. Multatuli, Max Havelaar
3.7.2.2. Lodewijk van Deyssel, Nieuw Holland
3.7.2.3. Albert Verwey, Stefan George
3.7.3. Briefe
3.7.3.1. Brief von Vincent van Gogh
3.7.3.2. Brief von Herman Gorter an Willem Kloos
4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts
4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen
4.1.1. Die Niederlande bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1900–1945)
4.1.2. Zunehmende Verwendung des Allgemeinen Niederländischen
4.1.2.1. Obligatorischer Unterricht
4.1.2.2. Bedeutung der Binnenmigration für das AN im Norden
4.1.2.3. Entwicklung der Massenmedien
4.1.2.3.1. Presse
4.1.2.3.2. Rezeption von Büchern
4.1.2.3.3. Produktion von Belletristik
4.1.2.3.4. Bühnenkunst
4.1.2.3.5. Film
4.1.2.3.6. Hörfunk
4.1.2.4. Personenverkehr
4.1.2.5. Post, Telegraf, Telefon
4.1.3. Dichter und Schriftsteller als Spracherneuerer
4.1.4. Modernisierung der niederländischen Orthografie
4.1.5. Belgien bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1914–1945)
4.1.6. Weiterführung des Sprachstreites in Belgien
4.1.7. Territoriale Einsprachigkeit in Belgien
4.1.8. Niederländisch im ehemaligen Niederländisch-Ostindien
4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
4.2.1. Presse
4.2.1.1. Die Schlacht um Löwen
4.2.1.2. Vrij Nederland
4.2.2. Belletristik
4.2.2.1. Herman Heijermans, De vis wordt duur betaald
4.2.2.2. Paul van Ostaijen, Melopee
4.2.2.3. Martinus Nijhoff , De moeder de vrouw
4.2.2.4. H. Marsman, Herinnering aan Holland
4.2.3. Tagebücher
4.2.3.1. Anne Frank, Het Achterhuis
4.2.4. Sonstige Prosatexte
4.2.4.1. Felix Timmermans, Ansprache
4.2.4.2. Albert Verwey, Holland en de oorlog
4.2.4.3. Johan Huizinga, De wording van onze nationaliteit
4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit
4.3.1. Die Niederlande seit dem Zweiten Weltkrieg (1945 – heute)
4.3.2. Niederländisch in der neu gegründeten Republik Surinam
4.3.3. Niederländisch auf den autonomen Niederländischen Antillen
4.3.4. Dominanz des Allgemeinen Niederländischen
4.3.4.1. Bedeutung der Binnenmigration und Immigration für das Allgemeine Niederländisch
4.3.4.2. Medien als Vermittler des Allgemeinen Niederländischen
4.3.4.2.1. Presse
4.3.4.2.2. Bücher
4.3.4.2.3. Ästhetische Texte
4.3.4.2.4. Bühne
4.3.4.2.5. Funk und Kabel
4.3.4.3. Zunehmende Mobilität
4.3.5. Sprachliche Experimente in literarischen Texten
4.3.6. Anpassungen der niederländischen Orthografie nach dem Zweiten Weltkrieg
4.3.7. Belgien seit dem Zweiten Weltkrieg (1945 – heute)
4.3.8. Das überregionale Niederländisch in Belgien
4.3.8.1. Konsolidierung des Allgemeinen Niederländischen im Süden
4.3.8.2. Einige Besonderheiten des südlichen Allgemeinen Niederländischen
4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit
4.4.1. Presse
4.4.1.1. Sieg der Alliierten, 1. Mai 1945
4.4.1.2. Die ‚Königsfrage‘ in Belgien
4.4.1.3. Flutkatastrophe, 1. Februar 1953
4.4.1.4. Provo
4.4.1.5. Die Jahrtausendwende
4.4.2. Belletristik, Kabaretttexte
4.4.2.1. Lucebert, Lyrik
4.4.2.2. Simon Carmiggelt, Het woord
4.4.2.3. Louis Paul Boon, Over alles een groot kruis
4.4.2.4. Marga Minco, De mannen
4.4.2.5. Lyrik von Bühnenkünstlern
4.4.2.6. Ramsey Nasr, mi have een droom
4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen
4.5.1. Phonemik
4.5.2. Syntax und Morphologie
4.5.2.1. Strukturen nominaler Gruppen
4.5.2.1.1. Titel und Funkton in Attributen
4.5.2.1.2. Position von zo u.ä. in nominalen Gruppen
4.5.2.1.3. Vorangehende Adverbien bei Linksattributen
4.5.2.1.4. Mehrgliedrige attributive Adjektiv-, Infinitiv- und Partizip-Strukturen
4.5.2.1.5. Adverbiale Bestimmungen bei sekundären Linksattributen
4.5.2.1.6. Stellung des attributiven Genitivs
4.5.2.1.7. Postnominale Phrasen
4.5.2.2. Strukturen verbaler Gruppen
4.5.2.2.1. Vf2
4.5.2.2.2. Vf1
4.5.2.2.3. Vfn, rote und grüne Wortfolge
4.5.3. Lexik
4.5.3.1. Neubildungen
4.5.3.2. Entlehnungen
5. Schlussbetrachtung
5.1. Vom überregionalen Niederländisch zur allgemeinen niederländischen Schriftsprache
5.2. Vom ‚zivilisierten‘ Niederländisch der Elite zum Allgemeinen Niederländisch der breiten Bevölkerung
5.3. Die Stellung des Allgemeinen Niederländischen heute
5.4. Ausblick
Einführungen und Hilfsmittel in Auswahl
Bibliografie
Register
Abbildung Vorsatz: Multatuli, Manuskript Max Havelaar
Abbildung Nachsatz: Gerrit Kouwenaar, Constant, Goedemorgen haan, 1949
Back Cover
Recommend Papers

Handbuch Niederländisch: Sprache und Sprachkultur von 1800 bis heute
 3534259831, 9783534259830

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Jelle Stegeman

Handbuch Niederländisch Sprache und Sprachkultur von 1800 bis heute

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Lambert Schneider Verlag ist ein Imprint der WBG © 2016 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: PTP-Berlin, Protago TEX-Production GmbH (www.ptp-berlin.de) Umschlagabbildung: Pieter Bruegel d. Ä.: Turmbau zu Babel, 1563. Wien, Kunsthistorisches Museum (Ausschnitt). © akg-images/Erich-Lessing Abbildung Vorsatz: Multatuli, Manuskript Max Havelaar, Bijzonderer Collecties, Universiteitsbibliotheek Amsterdam. Abbildung Nachsatz: Gerrit Kouwenaar, Constant, Goedemorgen haan, 1949. Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Gedruckt auf säurefreies und alterungsbeständiges Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25983-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74167-0 eBook (epub): 978-3-534-74168-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geografische Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 15 17 21

1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Zur geschichtlichen Beschreibung jüngerer niederländischer Sprache und Sprachkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1. Die Frage einer begrifflichen Bestimmung des Niederländischen . . . . . 1.1.2. Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Vorläufer und Varietäten des Allgemeinen Niederländischen vor dem . . . . 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Altniederländisch und Mittelniederländisch als Vorstufen des . . . . . . . Neuniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Entstehung und Verbreitung des überregionalen Neuniederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

2. Das Niederländische in der französischen Zeit und während der Epoche des Vereinten Königreichs der Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Staatsreformen in den Niederlanden (1795–1813) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Einheit und Verschiedenheit des überregionalen Niederländischen . . . 2.1.3. Voraussetzungen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.1. Private und staatliche Bemühungen um die Pflege der Muttersprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2. Vermittlung des Niederländischen durch Medien . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2.2. Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2.3. Veröffentlichungen in Buchform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.3. Erneuerung des Bildungswesens, zunehmende Alphabetisierung im Norden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.4. Missglückte Schulreformen und Analphabetismus in den südlichen Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.5. Staatliches Eingreifen in die Sprachkultur des Südens . . . . . . . . . .

23 24 26 27 28 33

41 42 42 50 55 55 58 59 62 65 67 69 71

6

Inhaltsverzeichnis

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Erste verbindliche orthografische Regeln des Niederländischen . . . . . . 2.2.2. Versuche zur Reglementierung der Grammatik der niederländischen Schriftsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Beispiele normativer Merkmale grammatikalischer Beschreibungen im frühen 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1. Genus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.2. Kasus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.3. Personalpronomina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Bestrebungen zur Inventarisierung des Lexikons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813 . . . . . . . . 2.3.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1. Die Schiesspulverkatastrophe zu Leiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2. Ankunft des künftigen Königs auf dem Strand Scheveningens . . . 2.3.2. Belletristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1. Jacobus Bellamy, Proeven voor het verstand, den smaak en het hart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2. Rhijnvis Feith, Het leven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1. Brief von Catharina Rebecca Bilderdijk-Woesthoven . . . . . . . . . . . 2.3.3.2. Flämischer Soldatenbrief aus der napoleonischen Zeit . . . . . . . . . . 2.3.4. Sonstige Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4.1. Kundgabe Gelijkheid, vrijheid, broederschap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4.2. Kundgabe Oranje boven! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Niederländisch im Zeitalter des Vereinten Königreichs der Niederlande (1813–1830) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Festigung des Königreichs der Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Förderung des Niederländischen als Landessprache . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Entfaltung der akademischen Philologie des Niederländischen . . . . . . . 2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831 . . . . . . . . 2.5.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1.1. Huldigung Wilhelms I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1.2. Ende des Feldzuges gegen die aufständischen Belgier, 1831 . . . . . 2.5.2. Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2.1. Hendrik Tollens, Volkslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2.2. Anthony Christiaan Winand Staring, Epigramme . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3. Diverse Prosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3.1. Kundgabe des Prinzen Wilhelm Friedrich, 1813 . . . . . . . . . . . . . . .

73 76 81 83 84 85 87 89 90 90 90 93 94 94 97 99 99 101 103 103 108 110 110 112 115 117 117 117 119 122 122 125 126 126

Inhaltsverzeichnis

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen in den Niederlanden und in Belgien im Laufe des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Gesellschaftliche und politische Erneuerungen in den Niederlanden (1830–1900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Entfaltung der überregionalen niederländischen Kommunikationsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1. Belang der Erneuerung des niederländischen Bildungswesens für die überregionale Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2. Zunehmende Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen durch Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2.2. Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2.3. Rezeption von Büchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2.4. Literarische Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2.5. Post, Telegramm, Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3. Bedeutung des zunehmenden Personenverkehrs für die Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.4. Kultivierung eines ‚zivilisierten‘ Niederländisch . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.5. Niederländisch in überseeischen Gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.5.1. Die Stellung des Niederländischen in Ostindien . . . . . . . . . 3.1.2.5.2. Niederländisch und Afrikaans in Südafrika . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.5.3. Niederländisch in Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Weitere Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im Laufe des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Anpassungen der Orthografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1. De Vries und Te Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2. Kollewijn und seine Mitkämpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Grammatikalische Beschreibungen des Niederländischen. . . . . . . . . . . . 3.2.3. Beschreibungen des niederländischen Wortmaterials . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Literarische Textbeispiele der älteren Generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1. Everhardus Johannes Potgieter, Holland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2. Hildebrand, Varen en rijden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.3. Nicolaas Beets, De moerbeitoppen ruischten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat . . . . . . . . 3.4.1. Gründung und Festigung des belgischen Staates (1830–1914) . . . . . . . . 3.4.2. Die Stellung des Niederländischen im Belgien des 19. Jahrhunderts . . . 3.4.2.1. Entfaltung des belgischen Bildungswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

129 129 129 134 135 136 136 139 145 147 153 153 154 157 158 158 160 162 162 162 166 171 179 182 182 182 183 193 195 195 198 204

8

Inhaltsverzeichnis

3.4.2.2. Überregionaler Integrationismus trotz flämischem Partikularismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Textbeispiele aus Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1. Belletristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.1. Hendrik Conscience, De leeuw van Vlaanderen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.2. Guido Gezelle, Tale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1.3. Jan Frans Willems, Ode op de herstelling der Nederduytsche tael . . 3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1. Schriftsteller als Erneuerer des geschriebenen Niederländischen . . . . . . 3.6.1.1. Multatuli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1.2. Die Achtziger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2. Reformversuche gegen Ende des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1.1. Alexandrine Tinnes Suche nach den Nil-Quellen . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1.2. Die Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2. Belletristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2.1. Multatuli, Max Havelaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2.2. Lodewijk van Deyssel, Nieuw Holland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2.3. Albert Verwey, Stefan George . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3.1. Brief von Vincent van Gogh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.3.2. Brief von Herman Gorter an Willem Kloos . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204 208 208 208 212 214 216 216 219 228 234 236 236 236 238 241 241 250 252 255 255 258

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . 4.1.1. Die Niederlande bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1900–1945) . . 4.1.2. Zunehmende Verwendung des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . 4.1.2.1. Obligatorischer Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.2. Bedeutung der Binnenmigration für das AN im Norden . . . . . . . . . 4.1.2.3. Entwicklung der Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3.2. Rezeption von Büchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3.3. Produktion von Belletristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3.4. Bühnenkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3.5. Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3.6. Hörfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.4. Personenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.5. Post, Telegraf, Telefon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Dichter und Schriftsteller als Spracherneuerer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259 260 260 264 267 268 269 269 273 273 281 284 287 289 291 291

Inhaltsverzeichnis

4.1.4. Modernisierung der niederländischen Orthografie . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5. Belgien bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1914–1945) . . . . . . . . . . 4.1.6. Weiterführung des Sprachstreites in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.7. Territoriale Einsprachigkeit in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.8. Niederländisch im ehemaligen Niederländisch-Ostindien . . . . . . . . . . . 4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.1. Die Schlacht um Löwen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.2. Vrij Nederland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Belletristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1. Herman Heijermans, De vis wordt duur betaald . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2. Paul van Ostaijen, Melopee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.3. Martinus Nijhoff, De moeder de vrouw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.4. H. Marsman, Herinnering aan Holland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Tagebücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1. Anne Frank, Het Achterhuis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Sonstige Prosatexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.1. Felix Timmermans, Ansprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.2. Albert Verwey, Holland en de oorlog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.3. Johan Huizinga, De wording van onze nationaliteit . . . . . . . . . . . . . 4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Die Niederlande seit dem Zweiten Weltkrieg (1945 – heute) . . . . . . . . . 4.3.2. Niederländisch in der neu gegründeten Republik Surinam . . . . . . . . . . . 4.3.3. Niederländisch auf den autonomen Niederländischen Antillen . . . . . . . 4.3.4. Dominanz des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.1. Bedeutung der Binnenmigration und Immigration für das Allgemeine Niederländisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2. Medien als Vermittler des Allgemeinen Niederländischen . . . . . . 4.3.4.2.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2.2. Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2.3. Ästhetische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2.4. Bühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2.5. Funk und Kabel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.3. Zunehmende Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5. Sprachliche Experimente in literarischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6. Anpassungen der niederländischen Orthografie nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.7. Belgien seit dem Zweiten Weltkrieg (1945 – heute) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.8. Das überregionale Niederländisch in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

300 303 306 308 309 311 311 311 312 315 315 317 318 319 320 320 322 322 326 328 333 334 338 343 345 347 352 353 354 355 363 366 368 368 381 391 394

10

Inhaltsverzeichnis

4.3.8.1. Konsolidierung des Allgemeinen Niederländischen im Süden . . . 4.3.8.2. Einige Besonderheiten des südlichen Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.1. Sieg der Alliierten, 1. Mai 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.2. Die ‚Königsfrage‘ in Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.3. Flutkatastrophe, 1. Februar 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.4. Provo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.5. Die Jahrtausendwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2. Belletristik, Kabaretttexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.1. Lucebert, Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.2. Simon Carmiggelt, Het woord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.3. Louis Paul Boon, Over alles een groot kruis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.4. Marga Minco, De mannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.5. Lyrik von Bühnenkünstlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2.6. Ramsey Nasr, mi have een droom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen . . . . . . . . 4.5.1. Phonemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2. Syntax und Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.1. Strukturen nominaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.1.1. Titel und Funkton in Attributen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.1.2. Position von zo u.ä. in nominalen Gruppen . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.1.3. Vorangehende Adverbien bei Linksattributen . . . . . . . . . . . 4.5.2.1.4. Mehrgliedrige attributive Adjektiv-, Infinitiv- und Partizip-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.1.5. Adverbiale Bestimmungen bei sekundären Linksattributen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.1.6. Stellung des attributiven Genitivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.1.7. Postnominale Phrasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.2. Strukturen verbaler Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.2.1. Vf2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.2.2. Vf1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.2.3. Vfn, rote und grüne Wortfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3. Lexik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3.1. Neubildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3.2. Entlehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395 401 404 404 404 405 406 411 412 415 415 420 422 424 428 431 433 433 436 436 437 438 439 439 440 441 442 443 443 445 447 448 448 450

Inhaltsverzeichnis

11

5. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Vom überregionalen Niederländisch zur allgemeinen niederländischen Schriftsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Vom ‚zivilisierten‘ Niederländisch der Elite zum Allgemeinen Niederländisch der breiten Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Die Stellung des Allgemeinen Niederländischen heute . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

453

455 459 461

Einführungen und Hilfsmittel in Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

465 469 489

454

Vorwort

Das vorliegende Buch umfasst den Bericht zur letzten Etappe meiner langjährigen Forschungsreise durch die Geschichte und Kultur meiner Muttersprache. Sie führte vom Utrechter Taufgelöbnis ec gelôbo in got alamehtigan fadaer (‚ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater‘) aus dem 8. Jahrhundert bis zu Ramsey Nasrs mi have een droom 2059. Für die Unterstützung, die ich bei diesem für mich so fesselnden Unternehmen erhielt, bin ich Margot, Hugo, Freunden und Fachkollegen zutiefst dankbar. Insbesondere danke ich Margot für die umfangreiche Mitarbeit. Beatrice Schenk bin ich für die Übersetzung und Korrektur mehrerer primärer Quellen dankbar. Den emeritierten Professoren Cor van Bree, Stefan Sonderegger und Henri Schoenmakers bin ich für die zahlreichen Anregungen, Ergänzungen und Korrekturen zu grossem Dank verpflichtet. Ebenso gebührt Dr. Jan Noordegraaf mein Dank für die vielen Korrekturen und wertvollen Hinweise. Sodann danke ich Vanessa Konrad, Mareike Natelberg und Laura Wiederkehr für die Übersetzungen verschiedener niederländischer Texte. Für ihre ständige Unterstützung und selbstlose Mitarbeit bin ich Helga Odermatt-Keinert sehr verbunden. Dass sie trotz anderer Verpflichtungen bis zuletzt bereit war, die Texte zu überprüfen, hat zur Vollendung der vorliegenden Monografie entscheidend beigetragen. Jelle Stegeman

Hinweise

Aufbau des vorliegenden Buches Die Einführung des vorliegenden Buches umfasst eine knappe Zusammenfassung der Entstehung und Etablierung des überregionalen Niederländischen, das die Grundlage des modernen Niederländischen bildet. Die darauf folgenden Kapitel thematisieren die Herausbildung des Allgemeinen Niederländischen seit 1800. Nach den Einführungen kommen jeweils zuerst die politischen, sozialökonomischen und kulturellen Entwicklungen in den niederländischsprachigen Gebieten der betreffenden Epoche ausführlich zur Sprache. Sie stellen den Rahmen der Erneuerungen der überregionalen niederländischen Sprache des betreffenden Zeitabschnittes dar, die anschliessend zur Diskussion stehen. Die Kapitel schliessen mit Textbeispielen und entsprechenden deutschen Übersetzungen ab, die die Ausführungen näher illustrieren. Die Schlussbetrachtung fasst aktuelle Erkenntnisse zu bedeutenden Entwicklungstendenzen des heutigen Niederländischen zusammen.

Zitate, Quellenangaben Die Darlegungen basieren auf einer grossen Zahl primärer und sekundärer Texte, die regelmässig mittelbar oder unmittelbar zitiert werden. Die Quellen grösserer niederländischer Zitate sind jeweils mit den Abkürzungen der unten stehenden Liste oder mit bibliografischen Hinweisen vermerkt. Bei Zitaten aus Wörterbüchern ist, wo möglich, das Jahr der angeführten Stelle vermerkt; so bedeutet WNT 1810: ‚aus dem Woordenboek der Nederlandsche Taal, das Zitat stammt von 1810‘. Quellen werden unmittelbar im Haupttext erwähnt. Sodann lassen sich bibliografische Daten in den Literaturangaben finden, welche die einzelnen Abschnitte der Kapitel abschliessen.

Abkürzungen

Quellen AGN ANS CBSP EWND FEC GNS HGW HNA JBP KLL MHC

MHT

MKB MOZ MSR NBS OHC PRO SGC SMB SPK TOL TPO

Blok, D.P./W. Prevenier/D.J. Roorda (Hg.), Algemene geschiedenis der Nederlanden. 15 Bd. Haarlem 1977/83. W. Haeseryn/K. Romijn/G. Geerts/J. de Rooij/M.C. van den Toorn, Algemene Nederlandse Spraakkunst. 2. Aufl. Groningen/Deurne 1997. Centraal Bureau voor de Statistiek www.cbs/statline-professionele podiumkunsten De elektronische woordenbank van de Nederlandse dialecten. feiten-en-cijfers/kerncijfers (www.kvb.nl). J.M. van der Horst, Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis. 2 Bände. Leuven 2008. Huldigung Wilhelm I., ʼs Gravenhaagsche Courant, 17, 5. Dezember 1813. J. Stegeman, Handbuch Niederländisch. Sprache und Sprachkultur von den Anfängen bis 1800. Darmstadt 2014. Jacobus Bellamy, Proeven voor het verstand, den smaak en het hart. Dordrecht 1790. koop-, leen- en leesgedrag in Vlaanderen, www.vlaanderen.be/nl/publicaties. Multatuli, Max Havelaar of de koffiveilingen der Nederlandsche Handelmaatschappy. Historisch-kritische uitgave door A. Kets-Vree. Deel 2. Apparaat en commentaar. Assen/Maastricht 1992. Multatuli, Max Havelaar of de koffiveilingen der Nederlandsche Handelmaatschappy. Historisch-kritische uitgave door A. Kets-Vree. Deel 1. Tekst. Assen/ Maastricht 1992. Meertens Kaartenbank (www.meertens.knaw.nl/kaartenbank/bank/). Mediaonderzoek nl (www.mediaonderzoek.nl.) Matthijs Siegenbeek, Redevoering over het openbaar onderwijs in de Nederduitsche welsprekendheid (hg. von K. Korevaart). Hilversum 1997. Beets, N., Varen en rijden. In: N. Beets, Camera Obscura . Hg. von W. van den Berg/ H. Eijssens/ J. Kloek/P. van Zonneveld. Amsterdam 1998, 106–115. Opregte Haarlemsche Courant, 18. August 1831. Proclamatie Gelijkheid, vrijheid, broederschap, 23. März 1798. ’s Gravenhaagsche Courant, 5. Dezember 1813. Stichting Marktonderzoek Boekenvak Schiesspulverkatastrophe, Haagsche Courant, 16. Januar 1807. H. Tollens, Gezamenlijke dichtwerken. Bd. III. 5. Aufl. Leeuwarden 1831, 184–187. Taalpeilonderzoek, www.taaluniversum.org/taalpeil.

18

Abkürzungen

VWM Multatuli, Volledige werken. 25 Bd. Amsterdam 1950/95. WDL 1954 Woordenlijst van de Nederlandse taal. Samengesteld in opdracht van de Nederlandse en de Belgische regering. Den Haag 1954. WND De woordenbank van de Nederlandse dialecten. WNT Woordenboek der Nederlandsche Taal WVN Wat vinden Nederlanders van elkaars accent? www.ru.nl/over-ons/overradboud/ change-perspective/2015-2016/vinden-nederlanders-elkaars-accent/.

Sprachen (adjektivisch kleingeschrieben) Afk. Agl. Afz. AN Anl. Ahd. BN Dts. Eng. Fri. Frz. Ger.

Afrikaans Altenglisch Altfranzösisch Allgemein Niederländisch Altniederländisch Althochdeutsch Belgisch Niederländisch Deutsch Englisch Friesisch Französisch Germanisch

Gri. Hds. Idg. Lat. Mnl. Ndl. Nhd. Nnl. Pgm. Sgm. Ugm. Wgm.

Griechisch Hochdeutsch Indogermanisch Lateinisch Mittelniederländisch Niederländisch Neuhochdeutsch Neuniederländisch Protogermanisch Südgermanisch Urgermanisch Westgermanisch

Nom. Perf. Pers. Plur. Präs. Prät. Sing.

Nominativ Perfekt Person Plural Präsens Präteritum Singular

Sprachwissenschaftliche Begriffe Adj. Adv. Akk. Fem. Gen. Dat. Mask. Neutr.

Adjektiv Adverb Akkusativ Femininum Genitiv Dativ Maskulinum Neutrum

Phonetische und phonologische Zeichen phonetisches Zeichen [ʔ] [h]

Beispiel/Erklärung Glottisschlag [ha.k] haak (‚Haken‘)

phonologisches Zeichen /h/

19

Abkürzungen

phonetisches Zeichen [p] [b] [m] [w] [ṷ] [f] [v] [t] [d] [n] [l] [r] [R] [s] [z] [ʃ] [Ʒ] [j] [į] [ñ] [k] [g] [ϒ] [x] [ƞ] [ɪ] [i:] [ü] [ü:] [u] [u:] [ι] [e.] [ʌ] [ʌ:] [ö.] [ò] [o.] [ǝ] [є]

Beispiel/Erklärung [pa.l] paal (‚Pfahl‘) [bur] boer (‚Bauer‘) [me.l] meel(‚Mehl‘) [wa.n] waan (‚Wahn‘) [n'iṷə] nieuwe (‚neue‘) [fɔp] fop (‚Foppen‘) [ve.n] veen (‚Moor‘) [te.n] teen (‚Zeh‘) [dαl] dal (‚Tal‘) [na.m] naam (‚Name‘) [la.n] laan (‚Allee‘) [ro.k] rook (‚Rauch‘) uvulares, frikatives r [sαp] sap (‚Saft‘) [ze.p] zeep (‚Seife‘) [k'αʃǝ] kastje (‚Schränkchen‘) [r'o.Ʒǝ] roosje (‚Röslein‘) [jαk] jak (‚Jacke‘) [dra.į] draai (‚Drehung‘) [o.r'αñǝ] oranje (‚orange‘) [ko.l] kool (‚Kohle‘) [z'αgduk] zakdoek (‚Taschentuch‘) [z'єϒǝ] zeggen (‚sagen‘) [l'αxǝ] lachen (‚lachen‘) [bαƞ] bang (‚bange‘) [dɪt] dit (‚dieses‘, ‚das‘) [di:p] diep (‚tief‘) [füt] fuut (‚Tüt‘) [dü:r] duur (‚teuer‘) [duk] doek (‚Tuch‘) [vu:r] voer (‚Futter‘) [wιt] wit (‚weiss‘) [ge.st] geest (‚Geist‘) [bʌs] bus (‚Omnibus‘) [fr'ʌ:lǝ] freule (‚Komtess‘) [hö.s] heus (,wirklich‘) [bòm] bom (‚Bombe‘) [do.k] dook (‚tauchte‘) [dǝ] de (‚der‘, ‚die‘) [bєt] bed (‚Bett‘)

phonologisches Zeichen /p/ /b/ /m/ /w/ /w/ /f/ /v/ /t/ /d/ /n/ /l/ /r/ /s/ /z/ /sj/ /zj/ /j/ /j/ /nj/ /k/ /k/ /ϒ/ /x/ /ƞ/ /ɪ/ /i/ /ü/ /ü/ /u/ /u/ /ι/ /e/ /ʌ/ /ʌ:/ /ö/ /ò/ /o/ /ǝ/ /є/

20

phonetisches Zeichen [є:] [ɔ] [ɔ:] [α] [a.] [єi] [˄ü] [ɔu]

Abkürzungen

Beispiel/Erklärung [miz'є:rǝ] misère (‚Misere‘) [lɔt] lot (‚Los‘) [trɔmbɔ:nǝ] trombone (‚Posaune‘) [kan] kan (‚kann‘) [ba.] baan (‚Stelle‘) [єik] ijk (‚Eiche‘) [l˄üs] luis (‚Laus‘) [vrɔu] vrouw (‚Frau‘)

phonologisches Zeichen /є:/ /ɔ/ /ɔ:/ /α/ /a/ /єi/ /˄ü/ /ɔu/

Geografische Bezeichnungen

In der Fachliteratur finden Ausdrücke wie noorden (‚Norden‘), zuiden (‚Süden‘) und westen (‚Westen‘) unterschiedlich Anwendung. Für eine richtige Deutung solcher geografischer Begriffe ist daher der jeweilige Kontext entscheidend. So bezeichnet man mit zuiden einmal sämtliche niederländischsprachigen Gegenden südlich des Rheins beziehungsweise der Maas, ein andermal deutet der Ausdruck die niederländischsprachigen Gebiete in Belgien an. Auch kann er beispielsweise zwischen 1815 und 1830 die südlichen Provinzen oder, allerdings später, den belgischen Staat nennen. Ebenso kann noorden sich auf die Niederlande, d. h. das Gebiet nördlich der niederländisch-belgischen Staatsgrenze beziehen, aber auch das Gebiet nördlich der Maas und des Rheins. Sodann kommt noorden als Bezeichnung für den Norden der Niederlande oder für die nördlichen Provinzen beziehungsweise Groningen und Umgebung vor. Mit dem Ausdruck westen wird häufig ein Sprachgebiet im zentralen Westen der Niederlande, d. h. Südholland und angrenzende Gebiete gemeint. Der Ausdruck kann, beispielsweise in dialekthistorischen Veröffentlichungen, aber auch den westlichen Teil des gesamten niederländischen Sprachgebietes von Dünkirchen bis Delfzijl andeuten. Mit Vlaanderen meint man häufig die belgischen Provinzen Ost- und Westflandern, der Ausdruck erscheint aber auch als Bezeichnung für die niederländischsprachigen Gebiete Belgiens. Zudem kann Flandern sich auf die Region Flandern als eines der Hoheitsgebiete der belgischen Föderation beziehen. Der Name Randstad deutet das urbanisierte Ballungsgebiet im zentralen Westen der Niederlande an, das die Städte Amsterdam, Haarlem, Leiden, Den Haag, Delft, Rotterdam, Dordrecht, Gouda, Utrecht, Hilversum und Almere, und je nach Definition auch Alkmaar, Hoorn und Lelystad umfasst. Diese kreisförmige Agglomeration liegt um das ‚grüne Herz‘ Hollands, ein Landwirtschaftsgebiet. In der Randstad wohnen zirka acht Millionen Menschen, d. h. mehr als 40 % der niederländischen Bevölkerung.

1. Einführung

1.1. Zur geschichtlichen Beschreibung jüngerer niederländischer Sprache und Sprachkultur Wie verbreitete und entwickelte sich das Allgemeine Niederländisch (AN) in der neuesten Zeit? Und inwiefern kam es zu einer Vereinheitlichung der drittgrössten germanischen Sprache? Zur Erörterung solcher und ähnlicher Fragestellungen werden im vorliegenden Buch unter Berücksichtigung der einschlägigen Fachliteratur bedeutsame Erneuerungen des modernen Niederländischen in seinem politischen, sozialökonomischen und kulturellen Kontext seit 1800 dargestellt. In dieser Betrachtungsweise des sozio- und dialektfreien Niederländischen steht die allgemeine Sprache, welche die Sprecher in sekundärer Kommunikation (vgl. 1.2.) verwenden, im Mittelpunkt. Erneuerungen der Schriftsprache, die sich bereits in der frühen Neuzeit etabliert hatte, sowie die Ausprägung und zunehmende Verwendung des gesprochenen AN erhalten dabei besondere Aufmerksamkeit. Dieses kultivierte Niederländisch, das sich als gesprochene Form im 19. Jh. zuerst zögerlich durchsetzte, festigte sich im 20. Jh. als dominierende Varietät in den Niederlanden, Belgien, Surinam und auf den ehemaligen niederländischen Antillen. Sprachliche Varietäten, die man als die Soziolekte und Dialekte des Niederländischen zusammenfassen kann, kommen im Folgenden somit nur unmittelbar zur Sprache. So wird zum Beispiel bei einer Besprechung der Bedeutung der Bühnenkunst für die Verbreitung des AN wohl festgehalten, dass eine Mehrheit der Schauspieler im 19. Jh. hemmungslos sowohl Mundarten als auch Gassensprache verwendete. Auf eine systematische Beschreibung solcher Varietäten wird in diesem Kontext aber verzichtet. Ein dazu notwendiger Versuch, die ‚sprachliche Wirklichkeit‘ der unterschiedlichen sozialen Schichten in den verschiedenen Regionen historisch umfassend darzustellen, würde über die oben formulierten Fragestellungen hinausgehen. Zwar legt die hier gewählte Arbeitsweise, die in der Geschichtsschreibung europäischer Sprachen eine längere Tradition kennt (vgl. u. a. Elspass 2007), somit das Hauptgewicht auf das Niederländische einer zuerst kleinen Gruppe von gebildeten Sprachteilnehmern, das sich später zur dominanten Sprachvarietät herausbilden sollte. Trotzdem ist ein solches Vorgehen in diesem Rahmen nicht zwangsläufig als einseitig (vgl. Watts et al. 2002) einzustufen, da das vorliegende Buch die Herausbildung und Kultivierung der allgemeinen Sprache des niederländischen Sprachgebietes zum Gegenstand hat. Neuere Forschung anderer Sprachvarietäten des Niederländischen der vergangenen Jahrhunderte, so beispielsweise zu Ego-Dokumenten aus dem 17. und 18. Jh. (vgl. Van der Wal et al. 2010), zur Geschichte von Dialekten (Van Bree [2014]) oder zu Texten lokaler Behörden in den südlichen Niederlanden (Willemyns et al. 2000) ergänzt zunehmend das Bild der ‚sprachlichen Wirklichkeit‘ in früheren Zeiten. Sie wäre für

24

1. Einführung

deutschsprachige Leser separat in einem Handbuch zu einer soziolinguistischen Geschichte der niederländischen Sprachlandschaften darzustellen. Private und staatliche Bemühungen begünstigten im 19. Jh. die Vereinheitlichung des überregionalen Niederländischen, das sich in der frühen Neuzeit herausgebildet hatte (vgl. 1.2.). Gesellschaftliche Erneuerungen wie Bildungsreformen, die Entstehung von Massenmedien, das Aufkommen des Personenverkehrs, die Erfindung und Anwendung neuer Kommunikationsmittel sowie die zunehmende Binnenmigration beschleunigten die Verbreitung des AN während den letzten zwei Jahrhunderten. Daher erhalten die Umstände, welche die Ausdehnung des AN förderten, in der vorliegenden Monografie besondere Aufmerksamkeit. Neben solchen äusseren Grössen der sprachlichen Entwicklung des AN stehen sprachimmanente Erneuerungen des Niederländischen zur Diskussion. Diese internen Grössen umfassen namentlich Änderungen der Laute, der Syntax und der Morphologie sowie die Erweiterung des Lexikons. Änderungen der niederländischen Sprache und Sprachkultur des 19. Jh. werden im 2. und 3. Kapitel in Einzelheiten dargestellt. Dazu werden einige eingreifende gesellschaftliche Erneuerungen, die in dieser Zeit die Verbreitung des überregionalen Niederländischen förderten, näher beleuchtet. Wie das AN im 20. Jh. zur dominanten Sprachvarietät heranwuchs, kommt im 4. Kapitel zur Sprache. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern das AN als Standardsprache im gesamten niederländischen Sprachgebiet einzustufen ist. Die Festigung und Ausdehnung des AN beruht auf komplexen Vorgängen, die sich durch eine weitere Kodifizierung und Kultivierung der vorhandenen Schriftsprache seit napoleonischer Zeit und eine zuerst langsame, dann immer schneller fortschreitende Vereinheitlichung gesprochener Formen des sozio- und dialektfreien Niederländischen kennzeichnen. Für eine Erörterung dieser sprachgeschichtlichen Entwicklungen ist das moderne Niederländische zuerst begrifflich näher zu bestimmen, vgl. 1.1.1. Sodann sind die sprachimmanenten Erneuerungen sowie die externen Bedingungen der sprachlichen Änderungen als konstante und inkonstante Grössen zu definieren, vgl. 1.1.2. Die Ursprünge des modernen Niederländischen sind in einer altniederländischen Schreibtradition zu finden, die in der zweiten Hälfte des ersten Millenniums entstand. Sie bildete eine der Voraussetzungen für die Etablierung der mittelniederländischen Verkehrs-, Literatur- und Verwaltungssprache im Maas-Schelde-Rhein-Delta (vgl. 1.2.1.). Daraus bildete sich in der frühen Neuzeit das Neuniederländisch als Kultursprache heraus, die im Handel, im Verkehr, in der Verwaltung, in der Literatur und sogar in der Religion und der Wissenschaft ihre Anwendung fand (vgl. 1.2.2.). Diese zunehmend kodifizierte und reglementierte niederländische Schriftsprache sollte mit der gesprochenen Sprache der gebildeten Bürger der holländischen Städte das AN prägen.

1.1.1. Die Frage einer begrifflichen Bestimmung des Niederländischen Was unter AN zu verstehen ist und was zu seinen Wesensmerkmalen zählt, kommt in den folgenden Kapiteln ausführlich zur Sprache; eine umfassende Erläuterung des Begriffes erübrigt sich daher an dieser Stelle. Wohl ist AN hier begrifflich näher abzugrenzen und sind sonstige Bezeichnungen für Formen des Niederländischen kurz zu erklären.

1.1. Zur geschichtlichen Beschreibung

25

Im niederländischen Sprachgebiet verwendet ein Grossteil der Sprecher eine sozio- und dialektfreie Sprache, die sie gemeinhin als Nederlands (‚Niederländisch‘) oder weniger genau auch als Hollands (‚Holländisch‘) bezeichnen. Darunter ist die Sprache zu verstehen, die Angehörige der niederländischen Sprachgemeinschaft in sekundärer Kommunikation, d. h. in Kontakten mit fremden Personen verwenden (vgl. ANS 1984, 12 ff); sie wird im vorliegenden Buch mit AN bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine überregionale Varietät der niederländischen Muttersprache von gegen 24 Millionen Menschen in den Niederlanden, Belgien, Surinam, auf den Inseln mit kommunalem Sonderstatus Bonaire, Saba und Sint Eustatius sowie auf Aruba, Curaçao und Sint Maarten. Das AN umfasst somit jene Sprachformen, die im gesamten niederländischen Sprachgebiet eine allgemeine Anwendung finden. Grundsätzlich zählen Äusserungen, die ausschliesslich in einem Dialekt oder in einem Soziolekt vorkommen, nicht dazu. Daher wird im Folgenden beispielsweise auf eine systematische Besprechung westflämischer Konjugationen wie die -en-Endung in k werken (‚ich arbeiten [arbeite]‘) verzichtet. Ebenso werden spezifische Äusserungen, deren sich Jugendliche gleicher Herkunft untereinander bedienen wie ga loezoe an Stelle von ga weg (‚gehe weg‘) nicht weiter erörtert. Für das sozio- und dialektfreie Niederländisch bestehen in sprachwissenschaftlichen Veröffentlichungen unterschiedliche Ausdrücke, wie u. a. Algemeen beschaafd Nederlands (‚Allgemein zivilisiertes Niederländisch‘, abgekürzt: ABN), Algemeen Beschaafd (‚Allgemein Zivilisiertes‘, abgekürzt AB), Algemeen Nederlands (‚Allgemeines Niederländisch‘, abgekürzt: AN), Standaard (‚Standard‘) oder Standaardnederlands (‚Standardniederländisch‘). Die Geschichte solcher Bezeichnungen des Niederländischen, die später kurz zur Sprache kommt (vgl. 3.2., 3.6.), soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Dass man in der Fachliteratur seit längerer Zeit auf die Verwendung des früher geläufigen Ausdrucks ABN verzichtet, ist auf das mit B angedeutete Adjektiv beschaafd zurückzuführen. Linguistisch lässt sich nämlich nicht begründen, dass eine Sprachvarietät ‚zivilisiert‘ wäre. Falls man mit ABN die Sprache der beschaafden (‚zivilisierten Menschen‘) meinte, so stellt sich die Frage, wie eine solche Kategorie von Sprechern zu definieren ist und von wem. Wohl sind die Termini Standaard beziehungsweise Standaardnederlands in der niederländischen Sprachwissenschaft gebräuchlich. Allerdings ist ein Ausdruck wie Standaard nicht unproblematisch: ist damit die sozio- und dialektfreie Sprache in den Niederlanden beziehungsweise der Randstad gemeint? Oder bezeichnet Standaardnederlands auch das überregionale Niederländisch im gesamten Sprachgebiet? Sprecher des Niederländischen verwenden Ausdrücke wie Hollands (‚Holländisch‘) oder Vlaams (‚Flämisch‘) unterschiedlich. So kann sich Hollands auf das allgemeine Niederländische beziehen, der Ausdruck bezeichnet aber auch die Sprache der Einwohner der Provinzen Nord- und Südholland. Mit Vlaams kann man das Niederländisch in Belgien meinen, der Terminus lässt sich aber auch als Sammelbegriff der flämischen Dialekte in Zeeuws-Vlaanderen (‚niederländisch Flandern in der Provinz Seeland‘), Belgien und Nord-Frankreich deuten. Der Kontext macht im vorliegenden Buch deutlich, wie die unterschiedlichen Sprachbezeichnungen jeweils zu verstehen sind.

26

1. Einführung

1.1.2. Methodische Vorüberlegungen Das AN ist im Folgenden als neueste Form des Neuniederländischen zu begreifen, stellt allerdings nicht eine separate Sprachstufe in der Geschichte des Niederländischen dar. Es lassen sich nämlich keine sprachlichen Erneuerungen im Niederländischen der letzten zwei Jahrhunderte feststellen, die sich systematisch von früheren Änderungen im Neuniederländischen unterscheiden, vgl. 1.2. So stellt sich die Frage einer weiteren Periodisierung des AN grundsätzlich nicht. Zu den universalen Merkmalen von Sprache zählt, dass sie sich dauernd ändert. Sprachliche Änderungen erfolgen in einer Gesellschaft, die sich ebenfalls ständig erneuert. Daher ist auch bei der Beschreibung des modernen Niederländischen sowohl sprachinternen als auch externen Phänomenen Rechnung zu tragen. Die Vielzahl der sprachhistorischen Daten, die in einer Darstellung des jüngsten Niederländischen zu verarbeiten sind, werden im vorliegenden Buch im Sinne von Sondereggers Theorie der sprachlichen Konstanten und Inkonstanten (vgl. Sonderegger 1979, 195ff) als innere und äussere sprachliche Grössen in die Beschreibungen aufgenommen. Eine systematische Anwendung wohldefinierter Grössen dieser Art erleichtert die Einordnung der so ungleichartigen Daten, die für die jüngere Geschichte der niederländischen Sprache und Sprachkultur von Bedeutung sind. Unveränderliche Grössen bilden die Voraussetzung des Bestehens einer niederländischen Sprache und Sprachkultur in jeder historischen Sprachstufe. Sie umfassen äussere Bedingungen, so das Vorhandensein einer Gruppe Menschen, die gemeinsam Niederländisch als Muttersprache anwenden. Dass sich die Mitglieder der niederländischen Sprachgemeinschaft dessen bewusst sind, gehört ebenfalls zu den externen sprachlichen Konstanten. Die Selbstbezeichnung des überregionalen Niederländischen, die überregionale Sprachgeltung des Niederländischen und die zunehmende Möglichkeit der Mitglieder der niederländischen Sprachgemeinschaft, an Kommunikation im überregionalen Niederländischen teilzunehmen, sind ebenfalls zu den unveränderlichen äusseren Grössen zu rechnen. Die inkonstanten äusseren Grössen umfassen zufällige, nicht vorhersagbare Änderungen der Bedingungen, die für die Entwicklung der Sprache von Bedeutung sind. So stellen die niederländischen Rundfunkübertragungen ab 1919 (vgl. 4.1.2.3.6.) eine zufällige externe Gegebenheit dar, welche die Verbreitung des AN stark beschleunigen sollte. Systematische Entwicklungen der Laute, der Morphematik, der Wortbildung und der Syntax zählen zu den unveränderlichen inneren Grössen des Niederländischen. Es betrifft somit diachrone Erneuerungen der niederländischen Grammatik, die gesetzmässig ablaufen. Als Beispiel einer solchen Änderung ist die übergreifende Tendenz zu vokalischen und konsonantischen Verkürzungen im Niederländischen zu nennen. Sie führt zur Abschwächung und Ausstossung von Nebensilben und zur Reduktion der Flexion. Dementsprechend dürften die Kasus, die in neuniederländischen Texten, wenn auch wenig systematisch noch vorkommen, in der gesprochenen Sprache einer Mehrheit der Bevölkerung im Laufe mehrerer Jahrhunderte teilweise oder vollständig weggefallen sein. Zwar unterscheiden normative Grammatiken des 19. Jh. vier Kasus in der Schriftsprache (vgl. 2.2.3., 3.2.2.), sie entsprachen allerdings laut einem zeitgenössischen Grammatiker wie Roorda der Sprachpraxis von damals keineswegs (vgl. 3.2.2.): die

1.2. Vorläufer und Varietäten

27

Reduktion der entsprechenden Flexion war in der mündlichen Kommunikation bereits weiter fortgeschritten. Bezeichnenderweise sucht man in der erstmals 1984 veröffentlichten ANS, einer eher deskriptiven Standardgrammatik des Niederländischen, eine systematische Darstellung der Kasus vergeblich. Nicht vorhersagbare Erneuerungen, die im Sprachsystem des Niederländischen auftreten, werden hier als veränderliche innere Grössen begriffen. Als Beispiel einer solchen Erneuerung ist eine kürzlich eingetretene Änderung in der Aussprache der niederländischen Laute /ei/, /ui/ und /ou/ zu nennen, die im letzten Viertel des 20. Jh. bei einem Teil der Sprecher im Westen der Niederlande festzustellen ist (vgl. Jacobi 2009, Stroop 1998). Sie führte zu den Aussprachevarianten /aai/, /ou/ und /aau/, die eine eigene Systematik aufweisen. Solche Aussprachevarianten wurden bereits im 16. und 17. Jh. u. a. von den Verfassern der Twe-spraack beschrieben, konnten sich aber im überregionalen Niederländischen nicht durchsetzen (vgl. HNA 347). Dass sie überraschenderweise seit einigen Jahrzehnten in der Sprache eines Teils der Sprecher des Niederländischen vorkommen, ist als zufällige sprachinterne Entwicklung einzustufen. Sie zählt somit zu den veränderlichen inneren Grössen des Niederländischen. Auch bei der Beschreibung des jüngeren Niederländischen ist das Zusammenspiel unveränderlicher und veränderlicher, äusserer und innerer Grössen zu berücksichtigen. Die Gewichtung dieser sprachlichen Grössen bestimmt die Darstellung der niederländischen Sprache und Sprachkultur der letzten zwei Jahrhunderte. Im Weiteren werden sprachwissenschaftliche Ausdrücke verwendet, wie dies in der einschlägigen Fachliteratur üblich ist. Zwar ist zu bedenken, dass Fachausdrücke nicht selten auf unterschiedliche Art und Weise Verwendung finden. Allerdings wird ihre Bedeutung in der vorliegenden Monografie jeweils vom Kontext näher bestimmt. Bei der Beschreibung syntaktischer Strukturen wurde eine Unterteilung in ‚nominale‘ und ‚verbale‘ Wortgruppen vorgenommen. Sie schliesst an die gebräuchliche Einteilung neuerer Grammatiken an, die sich auch in der komplexeren Struktur der ANS wiederfindet. Literatur zu 1.1.: Bartsch et al. 1982; Van Bree 2014 (a); Coseriu 1974; Elspass 2007; Elspass 2012; Elspass et al. 2007; Gardt et al. 1995; Harris et al. 1989; Hinskens et al. 2013; Hüning 1993; Jankowsky 1995; Keller 1990; Nevalainen et al. 2012; Roelcke 1995; Roelcke 2003; Rutten et al. 2014; Sanders 1999; Schmidt 1980; Schoonenboom 2000; Sonderegger 1979; Stegeman 2014 (b); Van der Wal 1988; Van der Wal 2010; Watts et al. 2002; Willemyns 1995; Willemyns et al. 2000.

1.2. Vorläufer und Varietäten des Allgemeinen Niederländischen vor dem 19. Jahrhundert Wie in der Geschichte anderer germanischer Sprachen lassen sich aufgrund sprachlicher Entwicklungen im Werdegang des Niederländischen drei Phasen unterscheiden, und zwar eine alt-, eine mittel- und eine neuniederländische Epoche (vgl. HNA 1.2.1.). Eine solche Periodisierung

28

1. Einführung

berücksichtigt namentlich den Fortschritt der Mutation des Niederländischen von einer synthetischen in eine analytische Sprache. Sie schliesst u. a. einen fortschreitenden Flexionsverlust ein, welcher die sprachimmanenten Erneuerungen des Niederländischen mitbestimmt. Zwar ist Allgemein Niederländisch sprachhistorisch nicht als separate Stufe des Neuniederländischen aufzufassen. Dennoch rechtfertigt sich eine gesonderte Beschreibung des neuesten Niederländischen, da sich seit 1800 nicht nur eine vermehrt kodifizierte und normierte niederländische Schriftsprache etablierte, sondern sich auch eine vereinheitlichte allgemeine gesprochene Form der Nachbarsprache festigte. Die sprachlichen Entwicklungen, die sich vor dem 19. Jh. vollzogen, prägen in hohem Masse das AN. Einige bedeutende historische Erneuerungen sollen daher im Folgenden knapp zusammengefasst werden.

1.2.1. Altniederländisch und Mittelniederländisch als Vorstufen des Neuniederländischen Frühe Belege weisen aus, dass vor mehr als 1200 Jahren im Rhein-Maas-Schelde-Delta eine Schreibtradition entstand, die sich von benachbarten Schreibkulturen im südgermanischen Sprachgebiet abhob. In der Rückblende sind solche Zeugnisse, wie beispielsweise die Utrechtse doopbelofte (‚Utrechter Taufgelübde‘) oder die Wachtendonckse Psalmen (‚Wachtendoncker Psalmensammlung‘), als altniederländisch einzustufen. Die Ausdifferenzierung des Niederländischen innerhalb des Germanischen ist wohl in der zweiten Hälfte des ersten Millenniums anzusetzen (vgl. HNA Kap. 2, 3). Die Bevölkerung des Deltas sprach ursprünglich eine süd- beziehungsweise westgermanische Sprache, geprägt vom sich ausbreitenden Nordseegermanischen oder Ingwäonischen. Im Zeitalter der zunehmenden Macht und des kulturellen Einflusses der Karolinger wurde die Ausdehnung des Nordseegermanischen auf dem Kontinent allerdings gebremst, jüngere Ingwäonismen lassen sich in den Niederlanden nur noch an der Küste belegen. Einwanderer, die sich im Osten und im Süden des Deltas niedergelassen hatten, sprachen eine abweichende, gemeinhin als Fränkisch bezeichnete Sprache. Anzunehmen ist, dass sie mit Ausnahme der Friesen während der merowingisch-karolingischen Zeit im Zeitraum mehrerer Generationen die in höherem Ansehen stehende Sprache der ansässigen Bevölkerung übernahmen. Während in diesem Fränkischen die Sekundärumlaute erst eine allophonische Phase kannten, war in der Sprache der Küstenbewohner der Primärumlaut von sgm. a, der die sprachlichen Entwicklungen im Westen bestimmen sollte, phonemisiert. Da im Westen somit an weiteren Phonemisierungen kein Bedarf bestand, wurden fränkische Sekundärumlaute nicht übernommen. Daher kennen Vorläufer und Varietäten des Niederländischen eine süd- beziehungsweise westgermanische ingwäonische Artikulationsgrundlage mit einem überlagerten, reduzierten fränkischen phonologischen beziehungsweise morphologischen System. Als die westliche Bevölkerung später zur vorherrschenden Gruppe wurde, drangen Sprachformen ihrer vom entstehenden Niederländischen geprägten Sprache in die benachbarten Sprachvarietäten ein, es etablierte sich ein niederländischer Sprachraum.

1.2. Vorläufer und Varietäten

29

Im Altniederländischen blieb das südgermanische Konsonantensystem weitgehend erhalten: (1) t wie im anl. ten, dagegen im Ahd. t > tz wie zehan (‚zehn‘); (2) p wie im anl. thorpe, vergleiche thorpe-falthio (‚Überfall auf Hof‘), aber im Ahd. p > pf, ff, f, so im ahd. dorf (‚Dorf‘, ‚Landgut‘); (3) k, so im anl. buoke (‚grosses Dokument‘), dagegen im Ahd. k > kX, ch wie in buoh (‚Buchstabe‘, ‚Buch‘); (4) d wie im anl. dohteron (Dat. Plur. von ‚Tochter‘), dafür im Ahd. d > t wie in tohter; (5) th wie im anl. thankis (Gen. Sing. von ‚Dank‘), im Ahd. jedoch þ (th) > d wie in danc. Auch ger. /e/ und /o/ wurden im Altniederländischen bewahrt, vgl. /o/ im anl. Blome (‚Blume‘) im Namen Balduino Blome neben bluom (vgl. HNA 3.2.1.). Neu in den ersten Formen des Niederländischen ist die nordseegermanische Monophthongierung von ger. ai, so im anl. sten in stenbuk (‚Steinbock‘), vergleiche ahd. stein, die allerdings nicht erfolgt vor z, x , w oder im Auslaut, wenn in der folgenden Silbe i oder j auftritt. Sodann wurde ger. au zu /o/, /a/ beziehungsweise ea, vgl. anl. dof und ahd. toub (‚taub‘). Weiter sind konsonantische Einflüsse auf einfache Vokale wie Nasalierungen, Brechungen und Palatalisierungen festzustellen, zum Beispiel anl. old (‚alt‘) im Ortsnamen Oldenzaal. Vereinzelt fand der Schwund von m und n vor Reibelaut mit Ersatzdehnung des vorausgehenden Vokals statt wie in muiden (‚Mündung‘), dem zweiten Teil des Ortsnamen IJmuiden (in der Bedeutung ‚IJ-Mündung‘). Kennzeichnend für Altniederländisch sind zudem die Ausgleichstendenzen in den Kasusformen der Substantive, der Schwund von Doppelformen der Adjektive, die weitgehende Aufgabe der Genus-Unterschiede im Plural der Pronomina und die Entstehung eines verbalen Einheitsplurals (vgl. HNA 3.4.). Auch in den ältesten Formen des Niederländischen sind lautgesetzlich bedingte Änderungen der Stammsilbenvokale festzustellen, die durch den assimilierenden Einfluss folgender Laute entstanden und ebenfalls zu analogen, nicht-systematischen lautlichen Änderungen führten, vgl. anl. mitdon, ahd. mitti (‚mitten‘) mit dem aus e entstandenen i vor i oder j, vgl. pgm. midjō und lat. medius. Übrigens haben primäre Vollumlaute wie e aus a in den germanischen Sprachen, so auch im Niederländischen in unterschiedlichem Ausmass zur Entstehung neuer Phoneme beziehungsweise Morpheme geführt, die mit bestehenden Vokalen zusammenfielen. So unterscheidet sich das e im anl. heuon (‚heben‘), das aus Umlaut entstand, vgl. pgm. *hafjan graphematisch nicht vom ursprünglich vorhandenen e wie im anl. uelli (‚Fell‘), vgl. pgm. *fella Obschon ein variiertes Vorkommen von Umlauten im niederländischen Sprachgebiet festzustellen ist, lassen sich diesbezüglich dennoch systematische Unterschiede zwischen dem westlichen und östlichen Teil des Deltas feststellen, welche die Entstehung der Vorläufer des Niederländischen mit begründen. Für mehrere umlautfähige Bildungen besteht, wie bei ä, ein Gegensatz zwischen dem westlichen und östlichen Teil des niederländischen Sprachraumes, der für das entstehende Niederländische von wesentlicher Bedeutung ist. So wurden die sgm. langen Vokale und Diphthonge â, ô, û und au/ou und û im Westen des Deltas, d. h. im heutigen Flandern, Seeland und Holland westlich etwa von einer Linie, die bei Geraardsbergen beginnt und nördlich von Hilversum an der Küste des heutigen IJsselmeers endet, tendenziell nicht umgelautet. In den Wachtendonckse Psalmen kommen zwar umgelautete Formen wie feret (‚fährt‘) als 3. Pers. Sing. Ind. des Verbs faran (‚fahren‘) vor, das Mittelniederländische kennt aber neben vert nicht-umgelautete Formen wie uart oder vaert mit e als Verlängerungszeichen, das Neunie-

30

1. Einführung

derländische kennt nur das nicht umgelautete vaart. Im Westen des heutigen niederländischen Sprachgebietes, der Wiege des entstehenden überregionalen Niederländischen, entwickelte sich im Gegensatz zu den östlichen Gebieten kein sekundärer, phonemisierter Umlaut der langen sgm. Vokale und Diphthonge. Dies sollte die Morphologie des entstehenden Niederländischen und damit auch die syntaktischen Strukturen bestimmen. Im Zeitalter der Ausdifferenzierung der germanischen Sprachen hatten sich vermutlich Wortfolge-Muster mit spezifischen syntaktischen und morphologischen Merkmalen entwickelt. So kommt bereits im Altniederländischen die Wortfolge Artikel, Demonstrativum, Possessivum oder Adjektiv vor dem Substantiv in Strukturen nominaler Gruppen vor. Weiter entstanden Phrasen mit einem finiten Verb an zweiter Stelle (Vf2). Sodann wurden im Altniederländischen Kasus und Genus nur noch beschränkt von distinktiven morphologischen Merkmalen ausgedrückt. Das altniederländische Lexikon umfasste neben ‚einheimischen‘, germanischen Wörtern Ingwäonismen und sonstige Substrat- beziehungsweise Lehnwörter. Der Anteil der Lehnwörter betrug wohl weniger als 10 % des altniederländischen Wortschatzes, in späteren Phasen des Niederländischen nahm ihre Zahl stark zu. Die hier in Auswahl genannten Entwicklungen prägten die ältesten Formen der Sprache Flanderns, Seelands und Hollands. Sie sollten dem entstehenden Niederländischen seine Wesensart verleihen. Seit der zweiten Hälfte des ersten Millenniums drangen Sprachformen, die in der Rückblende als altniederländisch einzustufen sind, vom Westen aus in die östlichen wie auch in die südwestlichen Sprachvarietäten ein oder überlagerten sie. Es entstand ein niederländisches Sprachgebiet, das vom Altsächsischen im Osten, vom Ripuarischen im Südosten, von romanischen Dialekten im Süden, vom Altenglischen mit der natürlichen Grenze der Nordsee im Südwesten und Westen sowie vom Altfriesischen in den weiter nördlich beziehungsweise nordöstlich gelegenen Küstengegenden eingekreist wurde (vgl. HNA 3.2.). Das Deltagebiet war in karolingischer Zeit dünn besiedelt, die Christianisierung begann hier verhältnismässig spät. So erklärt sich, dass vom Altniederländischen bedeutend weniger Texte als vom Althochdeutschen oder Altenglischen überliefert wurden. Die ältesten niederländische Sätze enthalten die Malbergse Glossen aus dem 6. Jh. und die Utrechtse doopbelofte (‚Utrechter Taufgelübde‘) aus dem 8. Jh. Als wichtige Quelle des Altniederländischen gelten die Wachtendonckse Psalmen, Psalter, die durch spätere Abschriften überliefert wurden. Eine weitere, umfangreiche altniederländische Quelle ist der Egmondse Williram, auch Leidse Williram oder Leidener Williram genannt. Der noch aus dem 11. Jh. stammende Text ist eine Bearbeitung der hds. Glossen, die Williram, Abt des bayrischen Klosters Ebersberg, zwischen 1059 und 1065 neben seiner in Latein gedichteten Version des Hoheliedes niedergeschrieben hatte. Der häufig zitierte Satz Hebban olla uogala nestas hagunnan hinase hi enda thu uu …unbida…e nu (wahrscheinlich zu übersetzen als ‚haben alle Vögel angefangen Nester [zu bauen] ausser ich und du, was erwarten wir nun‘), der wahrscheinlich als altniederländisch zu betrachten ist, datiert ebenfalls aus dem letzten Viertel des 11. Jh. Sodann enthält die Middelfrankische Rijmbijbel von Anfang des 12. Jh. neben mittelfränkischem auch altniederländisches Sprachmaterial. Als letzter Zeuge der ersten Phase des Niederländischen gilt die Inskription Tesi samanunga was edele unde scona (‚Diese [Kloster-]Gemeinschaft war edel und schön‘) aus dem Jahre 1130 (vgl. HNA 3.2.3.).

1.2. Vorläufer und Varietäten

31

Zu Beginn des zweiten Millenniums hatten sich in den Lehen des Rhein-Maas-Schelde-Deltas Machthaber durchgesetzt, die vermehrt eine selbstständige Politik verfolgten. So strebten westfriesische Grafen und Utrechter Bischöfe nach Gebietserweiterungen, flämische Grafen widersetzten sich der französischen Krone. Die Höfe, die sich inzwischen im Deltagebiet gefestigt hatten, stellten ein günstiges Umfeld für die Entwicklung einer mittelniederländischen Schreibkultur dar. Auch die sich entfaltende städtische Kultur kam der Verbreitung von schriftlichen Formen des Mittelniederländischen zugute. Zudem verfassten nach wie vor Geistliche neben lateinischen Texten auch Werke in der Muttersprache. So sind seit Mitte des 12 Jh. umfangreichere mittelniederländische Texte überliefert. Allmählich erhielt die Volkssprache neben dem Latein als Sprache der Kirche und der Wissenschaft in der sich erneuernden Gesellschaft weitere Anwendungsbereiche. Grössere mittelniederländische Werke dienten u. a. der Vermittlung von Wissen, der Erbauung und der Unterhaltung; erste amtliche Dokumente wurden im 13. Jh. in der Muttersprache verfasst. Der Ausdruck Middelnederlands (‚Mittelniederländisch‘) ist als Andeutung für Formen des Niederländischen aus der Zeit des späten 12. Jh. bis zum 16. Jh. zu verstehen. Er kann das Niederländische dieser Zeit als Gesamtes oder, je nach Kontext, auch die im Deltagebiet vorhandene dialektische Varietät bezeichnen. Zwar hatte das Mittelniederländische als Verkehrs-, Verwaltungs- und Literatursprache überregionale Geltung, von einer ‚vereinheitlichten‘, standardisierten Form des Niederländischen kann im Mittelalter jedoch nicht die Rede sein. Verglichen mit dem Altniederländischen fällt das Mittelniederländische u. a. durch die Reduktion der Vokale in unbetonten Silben auf, vgl. mnl. hebben (‚haben‘), anl. hebban oder mnl. voghele (‚Vögel‘) neben voghelen, anl. uogala. Zudem konnten unbetonte Silben wegfallen, vgl. die Synkope im mnl. vogle. Häufig führten diese lautlichen Erneuerungen zu einem Verlust grammatischer Informationen. Da Deklination und Konjugation zu den Sprachelementen zu rechnen sind, die Zusammenhänge zwischen Wörtern beziehungsweise Wortgruppen zum Ausdruck bringen, ist verallgemeinernd festzuhalten, dass Flexionsverlust die Struktur des Niederländischen auch in dieser Epoche in mehreren Hinsichten änderte. So werden Genus und Kasus im Mittelniederländischen nur beschränkt von distinktiven morphologischen Merkmalen markiert. In der Folge setzen Sprecher vermehrt andere sprachliche Mittel ein wie die Wahl einer bestimmten Wortfolge oder die Verwendung von Präpositionen, um syntaktische Zusammenhänge auszudrücken. Von den zahlreichen lautlichen Erneuerungen im Mittelniederländischen ist die Entwicklung von ger. /χs/ zu /ss/ zu nennen, wo im Dts. /ks/ entstand, vgl. mnl. osse (‚Ochsen‘), anl. Akk. Plur. ohsson, nnl. os. Sodann zählt die Entstehung der Konsonantenverbindung -cht- aus ger. -ft- zu den Eigenarten des Mnl., vgl. mnl. gracht (‚Kanal‘) neben gract, graht oder graft, anl. graft. Weiter kann in Clustern mit Kurzvokal und Dental die Metathese des /r/ auftreten, vgl. mnl. derde (‚dritte‘), anl. dridte, nnl. derde (vgl. HNA 203). Die Auslautverschärfung, die schon in der Zeit des Altniederländischen einsetzte, betrifft stimmhafte Okklusive und Frikative, die stimmlos wurden, wie die folgenden Beispiele zeigen: (1) /b/ > /p/, vgl. anl. dumba und mnl. domme (‚dumme‘) neben mnl. dompe; (2) /Ь/ > /f/, vgl. anl. 3. Pers. Sing. Prät. gaf neben anl. 3. Pers. Plur. Prät. gavon und mnl. gaf ; (3) /d/ > /t/, vgl.

32

1. Einführung

anl. anl. [hella]hunt neben anl. Gen. Plur. hundo und mnl. hont (‚Hund‘); (4) /g/ > /k/ und /k/ nach /ŋ/, vgl. anl. ganc neben anl. Nom. Plur. ganga und mnl. ganc (‚das Gehen‘) neben mnl. ganghe; (5) /g/ > /X/, vgl. anl. heilig neben anl. heiligo und mnl. heilech (‚heilig‘). Die alten kurzen stimmlosen Frikative /f/, /s/ und /t/ wurden zudem intervokalisch, inlautend stimmhaft. Dies war der Fall nach sonoren Konsonanten vor Vokal, vgl. hoven (‚Höfe‘) und hof (vgl. HNA 203). Durch den Erhalt einer grossen Zahl mittelniederländischer Dokumente insbesondere aus dem 13. Jh. ist die Menge der zum ersten Mal überlieferten mittelniederländischen lexikalischen Elemente aus dieser Zeit auffällig umfangreich. Über die Hälfte der erstmalig belegten mittelniederländischen Wörter sind als sog. indogermanische und germanische Erbwörter einzustufen. Diese ‚einheimischen‘ Wörter haben mehrheitlich eine flämische beziehungsweise brabantische Ausprägung, was die vorherrschende Rolle Flanderns und Brabants in der mittelniederländischen Schreibkultur dieser Zeit unterstreicht. Erst im späten Mittelalter gewann die holländische Schreibkultur zunehmend an Bedeutung. Während in der altniederländischen Periode wohl nur vereinzelte Gebildete Texte in der Muttersprache niederschrieben und lasen, so nahm im mittelniederländischen Zeitalter die Zahl der Teilnehmer an der schriftlichen Kommunikation in der eigenen Schriftsprache erheblich zu. Nur schon aus dem 13. Jh. sind zirka zweitausend mittelniederländische Dokumente überliefert, was, verglichen mit den zirka viertausend Texten jener Zeit, die aus dem bedeutend umfangreicheren deutschen Sprachgebiet stammen, bemerkenswert ist. Troubadours trugen zur Unterhaltung lyrische Werke an den Höfen vor, wie beispielsweise aus der Haager Liederhandschrift hervorgeht. Gelehrte wie Jacob van Maerlant (zirka 1230-zirka 1296) verbreiteten Wissen in mittelniederländischer Sprache über die Natur, so in seinem Der Naturen Bloeme oder Weltgeschichte, vgl. sein Spiegel Historiael (‚Spiegel der Geschichte‘). Nicht nur in Latein, sondern auch in der Muttersprache wurden religiöse Texte verfasst. Van Maerlant dichtete eine Historienbibel, die Rijmbijbel, die Begine Hadewych schrieb um 1240 Visioenen (‚Visionen‘), Briefe und mystische Lyrik, Jan van Ruusbroec (1293–1381) verfasste mystische Prosa. Neben geistlichem Theater führte man später, im 14. Jh. weltliche Theaterstücke wie abele spelen (‚schöne, ernste Theaterstücke‘) oder sotternien (‚Schwänke‘) auf, man sang religiöse Texte in der Muttersprache, weltliche Lieder waren bei der Hochzeit und in der Herberge beliebt, Balladen, die mündlich weitergegeben wurden, boten Zerstreuung. Rederijkerskamers (‚Rhetoriker-Kammern‘), die wie Zünfte organisiert waren, boten den Bürgern die Gelegenheit, wie die Meistersinger Lyrik und Theater herzustellen. Wettbewerbe auf dem Gebiet der Dichtung in der Muttersprache zwischen den Rhetoriker-Kammern wurden im späten Mittelalter zu städtischen Grossveranstaltungen. Für Einführungen in die alt- und mittelniederländische Literatur sei auf Grüttemeier 2006, Van Oostrom 2006, Van Oostrom 2013 und Pleij 2007 verwiesen. Die im hohen und späten Mittelalter entstandene mittelniederländische Verkehrs-, Verwaltungs- und Literatursprache sollte die Grundlage für die Etablierung des Neuniederländischen in der frühen Neuzeit bilden.

1.2. Vorläufer und Varietäten

33

1.2.2. Entstehung und Verbreitung des überregionalen Neuniederländischen In der frühen Neuzeit festigte sich das Neuniederländische als überregionale Kultursprache der Niederlande. Einschneidende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Änderungen bestimmten die Entwicklung der Nachbarsprache mit. In den Jahren 1555 bis 1648 etablierte sich während der Auflehnung der Niederlande gegen die zentralistische Machtausübung Habsburgs die Republik der Vereinten Niederlande. Der Tachtigjarige oorlog (‚Achtzigjährige Krieg‘) hatte aber auch die Abspaltung der südlichen Provinzen im letzten Viertel des 16. Jh. zur Folge. Sie sollte sich auf die Stellung des Niederländischen in diesem Gebiet nachteilig auswirken. Eine beispiellose wirtschaftliche Tätigkeit, angekurbelt durch Seefahrt und Eroberungen überseeischer Gebiete, brachte der jungen Republik eine bis dahin nicht da gewesene Prosperität. Gleichzeitig förderte eine humanistische Geisteshaltung die Entfaltung der Wissenschaften sowie die Emanzipation der namentlich protestantischen Christen. Das Zeitalter Rembrandts kennzeichnete sich zudem durch eine bisher ungekannte Blütezeit der Künste und der Literatur. So begünstigten während des ‚Goldenen Jahrhunderts‘ äussere Bedingungen die Kultivierung des Neuniederländischen. Als neu ist im 16. und 17. Jh. die Pflege der Muttersprache durch Humanisten, Grammatiker und Schriftsteller zu begreifen. Ab Mitte des 16. Jh. strebten Dutzende Gelehrte und Autoren des schöngeistigen Schrifttums nach einer verheerlijking, zuivering en opbouw van het Nederlands (‚Verherrlichung, Säuberung und Aufbau des Niederländischen‘, vgl. Van den Branden 1967). Bereits 1555 veröffentlichte der Genter Drucker Joos Lambrecht (1491–1557?) seine Nederlandsche Spellijnghe, das erste Buch zur Orthografie des überregionalen Niederländischen. Sodann publizierten 1584 Mitglieder der Amsterdamer Rhetoriker-Kammer De Eglantier unter Federführung Hendrik Laurensz. Spiegels (1549–1612) die erste Grammatik des Niederländischen, die Twe-spraack vande Nederduitsche letterkunst (‚Zwiegespräch zur niederländischen Grammatik‘). Ebenfalls noch in der zweiten Hälfte des 16. Jh. erschienen beim Verleger und Drucker Christoffel Plantijn verschiedene Wörterbücher, die Umschreibungen des niederländischen Wortschatzes umfassten. Sein Mitarbeiter Cornelis Kiliaan (Cornelis Kiel, geboren Cornelis Abte) inventarisierte den Wortschatz der überregionalen niederländischen Sprache in seinem Dictionarium Teutonico-Latinum, das 1574 erschien und 1588 neu aufgelegt wurde. Kiliaans bahnbrechende Wörterbücher prägten die niederländische Lexikografie bis ins 19. Jh. Aus einer Vielzahl von Veröffentlichungen, die in der Neuzeit zur Muttersprache erschienen, geht hervor, wie sehr Gelehrte und Schriftsteller sich bereits im 16. und 17. Jh. um eine Vereinheitlichung des Niederländischen bemühten, vgl. HNA 5.2.2. So versuchten Juristen wie Antonius Sexagius (1535?–1585) und Pontus de Heuiter (1535–1602) die Schreibweise niederländischer Laute derjenigen der lateinischen Sprache anzupassen. Dabei warb De Heuiter für eine niederländische Sprache ohne Fremdwörter, die es gestattete‚ ,mit wenigen Worten Gedanken wiederzugeben‘. Diese laut ihm ‚gemischte‘ Sprache hätte ‚die besten‘ orthografischen und lautlichen Elemente der bestehenden Sprachvarietäten zu umfassen. Der Jurist Anthonis de Hubert

34

1. Einführung

(1583–1645?) traf mit den Schriftstellern Pieter Cornelisz. Hooft (1581–1647), Joost van den Vondel (1587–1679) und dem Politiker beziehungsweise Admiral Laurens Reaal (1583–1637) in den Jahren 1622 und 1623 einige Male zusammen, um Regeln zu Orthografie, Genus und Kasus des Niederländischen genauer festzulegen und künftig auf die gleiche Art und Weise anzuwenden. Auch die Übersetzer und Lektoren der Statenvertaling, 1637, eines Werkes, das die weitere Entwicklung des Niederländischen mitbestimmte, strebten in ihren eher feierlich formulierten Texten eine einheitliche Verwendung grammatikalischer und orthografischer Regeln an. So bildete sich das Neuniederländische im ersten Viertel des 17. Jh. zu einer überregionalen kultivierten Schriftsprache heraus, wie aus den vielen Dutzenden niederländischen wissenschaftlichen und literarischen Werken dieser Zeit hervorgeht. Bezeichnenderweise hält der Mathematiker Christiaen van Heule (?–1655) 1625 fest, dass die Rechtschreibung des Niederländischen, die damals grosse Aufmerksamkeit erhielt, bereits ‚ausführlich‘ von Gelehrten beschrieben war und ‚im Alltag einwandfrei‘ gebraucht wurde (HNA 269 ff). In sämtlichen Sprachbereichen kam das Neuniederländische in der Neuzeit zur Anwendung. So wurde Niederländisch neben Latein und Französisch zur Wissenschaftssprache. In den unterschiedlichsten Fachgebieten erschienen Werke in der Muttersprache, wie die folgende sehr beschränkte Auswahl an Beispielen zeigt. So veröffentlichte der international angesehene Mediziner und Kräuterspezialist Rembert Dodoens (1517–1585), Leibarzt des deutschen Kaisers Maximilian II. und Professor für innere Medizin an der Universität Leiden, 1554 sein Cruydeboeck (‚Kräuterbuch‘) auf Niederländisch. Eine lateinische Ausgabe des Buches, die 1583 nach der französischen (1557) und englischen (1578) Ausgabe mit Fachausdrücken in acht Sprachen erschien, machte das Werk international für Anderssprachige zugänglich. Zu den über 1000 Namen von Pflanzen, von denen mehrere zum ersten Mal schriftlich belegt sind, zählen Entlehnungen wie citroen (‚Zitrone‘) und ereprijs (‚Ehrenpreis‘), aber auch neue Zusammensetzungen, so madelief (‚Gänseblümchen‘). Mediziner wie Jan Wouters (1539–1598) oder Johan van Beverwijck (1594–1647) veröffentlichten Werke über Krankheiten und Heilmittel. Der Mathematiker Simon Stevin (1548–1620), Mitgründer der Ingenieurschule in Leiden (1600), verfasste in seiner Muttersprache Werke über Zinsrechnung, Dialektik, Technik, Physik und Mathematik. Als Purist trug er wie mehrere seiner Zeitgenossen mit Neologismen und niederländischen Übersetzungen von Fachausdrücken zur Erweiterung des niederländischen Wortschatzes bei. Bis heute werden von ihm stammende Wörter wie meetkunde (‚Geometrie‘) neben geometrie oder stof (‚Materie‘) neben materie verwendet. Während die Generalstaaten 1582 beschlossen hatten, ihre Dokumente auf Niederländisch statt auf Französisch zu verfassen, veröffentlichten auch Juristen, so Pullus Merula (1558–1607), Werke in der Muttersprache. Der Universalgelehrte Hugo de Groot (1583–1645) erachtete wie Stevin seine Muttersprache als den klassischen Sprachen gleichwertig. Dennoch verfasste er seine Arbeiten, z. B. De iure belli ac pacis über internationales Recht, meistens in Latein. Sein Handbuch zum niederländischen bürgerlichen Recht, Inleiding tot de Hollandsche rechts-geleerdheyd (‚Einführung in die holländische Rechtswissenschaft‘) 1631 schrieb er allerdings auf Niederländisch, die üblichen juristischen Lehnwörter ersetzte er durch ‚gute niederländische‘ Entsprechungen.

1.2. Vorläufer und Varietäten

35

Sodann wurde Niederländisch in den protestantischen Kirchen gebraucht. Psalter-Übersetzungen von zum Beispiel Petrus Datheen (zirka 1531–1588) oder niederländische Liederbücher, so von Adrianus Valerius (1570?–1625) waren gefragt, an Bibelübersetzungen wie die Statenvertaling bestand Bedarf. Für das Prestige und die Verbreitung des Neuniederländischen ist der niederländischen Literatur, die im 16. und 17. Jh. eine einzigartige Blütezeit erlebte, besondere Bedeutung beizumessen, vgl. HNA 5.2.3.4. Vor allem sollten Lyriker, Prosaschriftsteller und Theatermacher, die im letzten Viertel des 16. Jh. geboren waren, vermehrt zur Pflege und Verfeinerung ihrer Muttersprache beitragen. Der in seiner Zeit viel gelesene Seeländer Jacob Cats (1577–1660) bereicherte beispielsweise mit seinen Emblemen, moralistischen Versen und romantischen Kurzgeschichten das Niederländische mit Sprüchen und Volksweisheiten. Der Holländer Pieter Cornelisz. Hooft, der in Italien persönlich die Kunst der Renaissance kennengelernt hatte, wusste die Muttersprache nicht nur in gehobener Lyrik und Dramatik, sondern auch in einem witzigen Lustspiel, in eleganten Privatbriefen sowie in vornehmer historischer Prosa kunstvoll einzusetzen. Sodann gelang es dem Amsterdamer Gerbrand Adriaensz. Bredero (1585–1618), in seinen volksnahen Liedern, Gedichten und Bühnenstücken auf verspielte Weise Varietäten des Niederländischen anzuwenden. Die Texte des gefeierten Lyrikers und Schöpfers von Theaterstücken Joost van den Vondel, dessen Eltern aus Brabant stammten, trugen ebenfalls zur Kultivierung des Niederländischen bei. Der in Den Haag geborene Constantijn Huygens (1596–1687), Sekretär von drei Prinzen von Oranien, wusste die Möglichkeiten seiner Muttersprache in anspruchsvoller Dichtung, stilistisch gewandten Briefen, aber auch in einem volksnahen Bühnenstück voll auszuschöpfen. Für Einführungen in die Literatur dieser Epoche sei auf Grüttemeier et al. 2006 und Porteman et al. 2008 verwiesen. Als ars bene loquendi atque scribendi oder Kunst des richtigen Sprechens und Schreibens umfasste die Orthografie in der Entstehungszeit des Neuniederländischen nicht nur Regeln für die Rechtschreibung, sondern auch für die Aussprache, für Einzelheiten vgl. HNA 5.4. Dabei ging Pontus de Heuiter wohl als erster Grammatiker 1581 von einer allgemeinen niederländische Sprache, opreht Nederlants (‚aufrichtiges Niederländisch‘) aus, einer Mischsprache (een gemeingelde Tale) der vorhandenen Mundarten (van alle lants spraken). Nach fünfundzwanzigjähriger Arbeit habe er diese überregionale Sprachvarietät aus Brabantisch, Flämisch, Holländisch und den Sprachen von Gelre und Cleve zusammengestellt, wobei ihm die Entstehung des Griechischen als Beispiel diente: ’t Nederlants een gemeingelde Tale makende, volg ʼic die nature van alle lants spraken (…) Mede heb ic exempel ande Grieken genomen (…) aldus heb ic mijn Nederlants over vijf en twintih jaren gesmeet uit Brabants, Flaems, Hollants, Gelders, en Cleefs. (,Während ich das Niederländisch zu einer allgemein gültigen Sprache mache, folge ich dem Charakter aller Sprachen des Landes (…). Zudem habe ich die Griechen zum Beispiel genommen (…) so habe ich das Niederländisch aus Brabantisch, Flämisch, Holländisch und den Sprachen Gelderns sowie Kleves geschmiedet‘ HNA 5.4.1.2.). Übrigens sollte die Sprache von Immigranten aus den südlichen Niederlanden und aus Deutschland die Erneuerungen des Niederländischen mitprägen.

36

1. Einführung

Während Verfasser von Veröffentlichungen zum Niederländischen sich mehrheitlich gegen die Verwendung von Wörtern romanischen beziehungsweise lateinischen Ursprungs wehrten, schmückten sie die Sprache ihrer Werke andererseits morphologisch und syntaktisch gerade nach lateinischem Muster aus. Somit gewann die Hochsprache in den Augen der Intellektuellen jener Zeit an Glanz. Obschon im Niederländischen ein Genus commune entstand, versuchten Grammatiker ‚Regeln‘ zur Klassifizierung von Substantiven als Fem. und Mask. festzuschreiben. Ebenfalls waren sie bemüht, detaillierte Kasussysteme für die Muttersprache zu entwerfen, obschon durch Flexionsverlust von einer systematischen Kasusdifferenzierung in der frühen Neuzeit schon längst nicht mehr die Rede sein konnte. Bis zum ersten Viertel des 20. Jh. sollte man sich immer wieder mit Vorschriften zum Wortgeschlecht und zu den Fällen befassen, ohne den Erneuerungen der lebendigen Sprache genügend Rechnung zu tragen. Erst die deskriptiven Grammatiken und Wörterbücher, die im Laufe des 20. Jh. vermehrt erschienen, berücksichtigen zunehmend die sprachimmanenten Entwicklungen des Niederländischen. Das Lexikon des Niederländischen dehnte sich in der Neuzeit durch Bedeutungswandel, Neuschöpfung und Entlehnung erheblich aus. Diese Entwicklung ist der Verwendung der Muttersprache in sämtlichen Sprachdomänen zuzuschreiben. In der sich rasch ändernden Gesellschaft der frühen Neuzeit nahm das Benennungsbedürfnis stark zu. Neue lexikalische Elemente konnten nach bestehendem Muster entstehen. Dies gilt zum Beispiel für Neuschöpfungen durch Kompositionen aus bestehenden Substantiven vom Typus manwijf (‚Mannweib‘, 1599). Zu den vielen neuen Wortbildungsverfahren zählt u. a. die Bildung eines neuen Substantivs aus einem Verbteil mit dem Suffix -er wie uitgever (‚Herausgeber‘, 1566). Sodann dehnte sich das Lexikon u. a. durch Entlehnung beziehungsweise Angleichung aus, vgl. couragie (‚Mut‘). Auch durch Umschreibung, vgl. klinkdicht (‚Sonett‘) aus klinken (‚klingen‘) und dicht (‚Gedicht‘), entstanden neue Wörter. Weiter ergaben Übersetzungen niederländische Neuschöpfungen, vgl. das heute übliche deelwoord für das lateinische participium (‚Partizip‘). Für detaillierte Angaben zur Erweiterung des Lexikons und zu Typen von Neuschöpfungen vgl. HNA 5.4.3. Die Bemühungen um das überregionale Neuniederländische im 18. Jh. kennzeichnen sich durch eine weitere Kodifizierung und Reglementierung der Muttersprache. Es zeichnete sich eine fortschreitende Vereinheitlichung der Schriftsprache ab. Für das Sprechen in der Öffentlichkeit war zudem die weitere Normierung einer gepflegten überregionalen Sprache erwünscht. In den von Österreich regierten südlichen Niederlanden, wo die Rhetoriker nach wie vor die lokale Sprachkultur prägten, war inzwischen eine niederländische Schreibtradition entstanden. Für die weitere Reglementierung des Niederländischen gingen die Gelehrten und Schriftsteller zwar von der Sprache Hollands aus, über die Norm waren sie sich nicht einig. So galt für Arnold Moonen (1644–1711), Verfasser der bedeutenden niederländischen Grammatik Nederduitsche spraekkunst 1706, die Sprache der grossen niederländischen Schriftsteller des 17. Jh. als Richtlinie. In diesem Standardwerk, das 1719, 1740, 1751 und noch einmal ohne Angabe des Jahres neu aufgelegt wurde, berücksichtigte der Verfasser insbesondere die Sprache der Werke des ‚genauen‘ Vondels. Die lateinische und griechische Grammatik sowie Schottels Grammatik dienten ihm in seinen Beschreibungen als theoretischer Rahmen. Auch der Dichter und Sprachgelehrte David van Hoogstraten (1658–1724), der Pfarrer und Dicher Joannes Vollenhove

1.2. Vorläufer und Varietäten

37

(1631–1708), der Schriftsteller und Lexikograf Willem Séwel (1654–1720) oder der Regent und Dichter Balthazar Huydecoper (1695–1778) wählten die Sprache der niederländischen Renaissance-Dichter als Vorbild. Sie folgten damit der lateinischen Tradition, die Sprache der grossen Autoren als Richtlinie zu bestimmen. So galt die Sprachverwendung der grossen Renaissance-Dichter, het achtbare gebruik (‚die achtenswerte Verwendung‘) als Sprachnorm. Dies war allerdings nicht unproblematisch, da Dichter wie Cats, Hooft, Bredero oder Vondel zum Beispiel Regeln der Rechtschreibung nicht konsequent befolgten. Auch die Markierung von Genus und Kasus handhabten sie unterschiedlich. Die Autoren des 17. Jh. wandten Orthografie- und Grammatikregeln zudem innerhalb ihrer eigenen Werke nicht grundsatztreu an. Kein Wunder, dass beispielsweise Van Hoogstraten mit Andries Pels (1631–1681) bedauert, dass diese ‚begabten‘ Menschen gelegentlich Fehler machten, die man übrigens nicht nachahmen sollte: Het moeitme in ’t hart, als Hooft en Vondel zomtyts missen (‚Es schmerzt mich, wenn Hooft und Vondel gelegentlich Fehler machen‘ HNA 6.2.2.). Dagegen hielt der Kaufmann, Philosoph und Gelehrte Adriaen Verwer (zirka 1655–1717) die ciertaal (‚geschmückte Sprache‘) der Schriftsteller als ‚dialectus poetica‘ mit ihren dichterischen Freiheiten für weniger geeignet zur Bestimmung einer Sprachnorm. Wohl würde die ‚meist vollkommene allgemeine Sprache‘ der Statenvertaling sich für die Herleitung von Sprachregeln eignen. Moderner aus heutiger Sicht scheint Verwers Schüler Lambert ten Kate Hermansz.ʼ (1674–1731) Ansatz zu sein, Sprachregeln im Gemeenlandsche Dialect (in der ‚allgemeinen Sprache‘) zu suchen. Der Verfasser des wegweisenden Werkes Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake (1723) vermutet aber, dass es den Sprachverwendern an Kenntnissen sprachlicher Gesetzmässigkeiten mangelt. Daher beachtet Ten Kate bei der Formulierung sprachlicher Regeln nicht nur die ‚allgemeine Sprache‘, sondern er beruft sich auch auf historische Vergleiche der Dialekte. Der Historiker und Sprachwissenschaftler Balthazar Huydecoper nahm anders als Ten Kate die Sprache der ouden (‚Alten‘) als Massstab für die Reglementierung seiner Muttersprache. Da frühere Stufen des Niederländischen nach seiner Meinung eine regelmässige reine Sprache kannten, seien diese in der Reglementierung des Niederländischen zu berücksichtigen. Wie unterschiedlich die Ansätze zu einer weiteren Reglementierung des Niederländischen im 18. Jh. auch waren, die Werke waren naturgemäss normativ, wie sich beispielsweise in Erläuterungen zum Genus und Kasus zeigt. Bezeichnenderweise erschienen von Van Hoogstratens 1700 veröffentlichten Aenmerkingen mit Angaben zum Wortgeschlecht mehrere Auflagen. Inzwischen hatte sich die niederländische Schriftsprache weitgehend konsolidiert, syntaktische Strukturen hatten sich grösstenteils gefestigt. Sie hatte sich allmählich zu einer feierlichen Sprachvarietät des Niederländischen entwickelt, die vermehrt von Formen der gesprochenen Sprache abwich. Dies zeigt sich nicht nur in der Morphologie und Syntax, sondern auch in der Lexik, wie die wenigen hier angeführten Beispiele zeigen. Da die Grammatiker Entwicklungen der lebendigen Sprache nur beschränkt in ihren Darstellungen berücksichtigten, standen Fragen zum Wortgeschlecht und Kasus nach wie vor im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen über die niederländische Sprache. Auffällig für die Schriftsprache des 18. Jh. ist die Kasusmarkierung von Pronomina. So weist die Schriftsprache im

38

1. Einführung

18. Jh. bei Interrogativpronomina Formen für Mask., Fem., Neutr. und Plur. auf, die zum Teil Fälle bezeichnen, vgl. die folgenden Formen von wie (‚wer‘): (1) Mask. Sing. Gen. wiens, Mask. Dat. und Akk. wien; (2) Gen. Fem. wier; (3) Gen. Plur. wier, Dat. Plur. wien (HNA 6.4.2.2.). Das Interrogativpronomen welk (,welches‘), das sich zu einem Relativpronomen entwickelt hatte, kannte flektierte, gern gebrauchte Formen wie dewelke, hetwelke, welkers, dewelken oder welks (HNA 6.4.2.2.). Weiter ist für die Schriftsprache der mittleren Neuzeit die häufige Verwendung von aus Latein entliehenen Partizipialkonstruktionen, die ein Partizip mit Verbalaussage enthalten charakteristisch. So sind absolute Partizipialkonstruktionen zu unterscheiden, die ein Subjekt umfassen, das keine Funktion in der restlichen Struktur erfüllt, wie Al ’t kooren op zynde, werd het voeder beesten (…) menschenkost (‚Alles Getreide ausgegangen seiende [während das Getreide ausgegangen war] wurde das Futter der Tiere zur Kost des Menschen‘, Van der Wal et al. 2008, 272). Als weiteres Beispiel sind verbundene Partizipialkonstruktionen mit einem Subjekt für die ganze Konstruktion zu nennen, vgl. De Spanjaards, ondertusschen, ’t water ziende wassen, begeeven zig op de vlugt (‚Als die Spanier indessen das Wasser heranwachsen sahen, begaben sie sich auf die Flucht‘) mit De Spanjaards als Subjekt zu ziende und begeeven, vgl. HNA 6.4.2.5. In der mittleren Neuzeit wächst der niederländische Wortschatz insbesondere durch die Einbürgerung von Lehnwörtern. Französisch ist nach wie vor die weitaus wichtigste Quelle neuer Entlehnungen. Archaische lexikalische Elemente weisen wohl unter Einfluss der Statenvertaling und der feierlichen Psalm-Übertragungen eine lange Lebensdauer auf. Auch im 18. Jh. kam das Niederländische in allen Sprachdomänen zur Anwendung. In der Zeit des Rationalismus und der Aufklärung erschien weiterhin auf den unterschiedlichsten Fachgebieten eine zunehmende Zahl von niederländischsprachigen Veröffentlichungen. Die Literatur trug mit Trauer- und Lustspielen, Emblem-Literatur, Lyrik sowie Epik weiterhin erheblich zur Verbreitung des kultivierten Niederländischen bei. Neu sind Gedichte für Kinder, die Hieronymus van Alphen (1746–1803) 1778, in Nachfolge von Christian Felix Weisse und Gottlob Wilhelm Burmann, in seiner Proeve van kleine gedigten voor kinderen (‚Eine Probe kleiner Gedichte für Kinder‘) veröffentlichte. So machte die jüngste Generation mit der niederländischen Schriftsprache Bekanntschaft durch Mittel von Versen wie Jantje zag eens pruimen hangen (‚Karl sah schöne Pflaumen hangen‘ in der Übersetzung Gittermanns von 1838, HNA 6.3.1.2.). Sodann verfassten Betje Wolff (Elizabeth Wolff-Bekker 1738–1804) und Aagje Deken (Agatha Deken 1741–1804) 1782 zusammen den ersten ‚nicht-übersetzten‘ niederländischen Roman, das zweibändige Werk Sara Burgerhart (‚Die Geschichte von Fräulein Sara Burgerhart‘). Mit diesem Buch und ihren weiteren Werken vermittelten sie einem grösseren Leserpublikum Formen eines kultivierten Niederländischen, das sich u. a. durch lebhafte Dialoge auszeichnet. Für Einführungen in die Literatur dieser Epoche sei auf Grüttemeier et al. 2006 und Leemans et al. 2013 verwiesen. Beliebt bei Leserinnen und Lesern waren wie auch in anderen Ländern die Moralischen Wochenschriften. So kamen in den Niederlanden schätzungsweise 70 Moralische Wochenschriften mit Abhandlungen, Leserbriefen und Erzählungen auf den Markt, die in der Regel aufklärerische Auffassungen verbreiteten (vgl. HNA 6.1.3.1). Zu den bekanntesten Herausgebern solcher

1.2. Vorläufer und Varietäten

39

Veröffentlichungen zählt Justus van Effen (1684–1735), der neben französischen Blättern auch die niederländischsprachige De Hollandsche Spectator (1731–1735) herausgab. Über die Post wurden die Wochenschriften an Buchhandlungen in der ganzen Republik verschickt, gebildete Bürger, die zum middelbare staat (‚Mittelstand‘) gehörten, lasen einander laut Van Effen im Kaffeehaus aus den Heften vor und diskutierten über die behandelten Themen. Zudem beschäftigten sich vermehrt auch Frauen mit den spectatoriale geschriften. Während Teegesellschaften besprachen auch sie die Inhalte der Hefte, vgl. HNA 6.1.3.1. Solche Zusammenkünfte, aber auch die Tätigkeit zahlreicher literarischer Gesellschaften oder Genossenschaften, die beispielsweise danach strebten, Bildungsideale zu verwirklichen oder die gemeinnützige Ziele verfolgten, förderten nach M.-T. Leuker einen sozialen Austausch (Leuker in: Grüttemeier et al. 2006, 124 ff). So zeichnete sich im 18. Jh. die Entstehung einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft ab, in der künftig das Allgemeine Niederländische gedeihen sollte. Literatur zu 1.2.: Blancquaert et al. 1925/82; Blom et al. 2014; Blonk et al. 1960/62; Bosatlas 2011; Van Bree 1987; Van Bree 1996; Van Bree 2014 (a); Bundschuh-Van Duikeren 2014; Cajot et al. 1995; Dongelmans 1982; Geerts 1966; Goossens 1974; Goossens 1984; Goossens 1985; Goossens 1996; De Gooyer 1962; Gysseling 1976; Haeseryn et al. 1997; Hagen 1995; Van Heule 1953; Janssens et al. 2005; Ten Kate 2001; Kloeke 1927; Leemans et al. 2013; Van Loon 1986; Noordegraaf 1996; Van Oostrom 2006; Van Oostrom 2013; Porteman et al. 2008; Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Van der Sijs 2004; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs 2005 (b); Van der Sijs et al. 2009; Stegeman 2014 (a); Van den Toorn et al. 1997; Vekeman et al. 1993; De Vooys 1952; J.W. de Vries et al. 1994; Van der Wal 1995; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2003.

2. Das Niederländische in der französischen Zeit und während der Epoche des Vereinten Königreichs der Niederlande Politische und gesellschaftliche Erneuerungen sowie Änderungen staatlicher Strukturen bestimmten im ausgehenden 18. Jh. und während den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jh. die Geschicke des Niederländischen massgeblich. Äussere Grössen der Entwicklungen des AN in diesem Zeitalter stehen im Folgenden denn auch im Vordergrund. Die in der französischen Zeit zentralisierte Verwaltung der nördlichen Niederlande förderte die Pflege des überregionalen Niederländischen (vgl. 2.1.), Napoleon Bonapartes Bruder Ludwig trug als König von ‚Holland‘ mit seiner Anteilnahme an der Kultur und Sprache seiner Untertanen während seiner vierjährigen Amtszeit dazu bei. Dagegen betrachteten die neuen Machthaber der von Frankreich annektierten Österreichischen Niederlande die Verwendung von Niederländisch beziehungsweise Flämisch durch einen Grossteil der ansässigen Bevölkerung als ein Hindernis für die Verwirklichung von Idealen wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Französisch wurde als einzige Sprache zugelassen, das Niederländische erlitt in diesem Gebiet vorübergehend erhebliche Funktionsverluste. Schriftsteller und Gelehrte, darunter Humanisten, Grammatiker und Bibelübersetzer, hatten im 16., 17. und 18. Jh. durch die Ausarbeitung beziehungsweise Anwendung orthografischer und grammatikalischer Regeln sowie durch ihr Bemühen um das Lexikon die Vereinheitlichung des geschriebenen Neuniederländischen vorangetrieben. Dank staatlichen und privaten Initiativen erschienen nun zu Anfang des 19. Jh. im Norden eine Grammatik und eine Orthografie, die zum ersten Mal in der Geschichte der Kultivierung des Niederländischen verbindliche Regeln umfassten, vgl. 2.2. So entwarf Matthijs Siegenbeek (1774–1854) eine Orthografie, die 1804 von der Obrigkeit eingeführt wurde, ein Jahr später erschien Petrus Weilands Standardwerk zur Grammatik der niederländischen Schriftsprache. Beispiele von niederländischen Texten aus der französischen Zeit finden sich im Abschnitt 2.3. Nach dem Abzug der französischen Truppen förderte die Regierung des neuen Vereinten Königreichs der Niederlande das Niederländische als Nationalsprache, vgl. 2.4. Wilhelm I. führte per königlichen Erlass Niederländisch in sämtlichen niederländischsprachigen Gebieten des neuen Staates als Landessprache ein, eine Massnahme, die nicht nur die Verwendung und Vereinheitlichung des überregionalen Niederländischen begünstigte, sondern insbesondere auch die Stellung des Niederländischen in Flandern verstärkte. Die Texte in 2.5. vermitteln einen Eindruck von der fortschreitenden Standardisierung des Niederländischen in der Epoche des Vereinten Königreichs.

42

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen Zuerst werden politische, gesellschaftliche und staatliche Änderungen erörtert, welche die Festigung des AN in der französischen Zeit mitbestimmten. Danach stellt sich die Frage, inwiefern das Niederländische dieses Zeitalters als einheitliche Sprache zu betrachten ist. Weiter werden sowohl private als auch staatliche Bemühungen, um das überregionale Niederländische zu vereinheitlichen, näher beleuchtet. Sodann steht zur Diskussion, welche Bedeutung den Medien bei der Verbreitung des Niederländischen während den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. beizumessen ist. Schliesslich wird im Hinblick auf die Festigung des AN auf das Bestehen von Schreibtraditionen, auf die Schulung jüngerer Generationen sowie auf den Rückgang des Analphabetismus in den Niederlanden eingegangen.

2.1.1. Staatsreformen in den Niederlanden (1795–1813) Politische Änderungen, welche die Festigung des Allgemeinen Niederländischen begünstigten, kündigten sich im 18. Jh. an. Wie in vielen europäischen Ländern hatte die Unzufriedenheit in der Republik der Vereinten Niederlande während den letzten Jahrzehnten des 18. Jh. zugenommen. Die sogenannten patriotten (‚Patrioten‘), die Anhänger sowohl unter dem Adel als auch unter den Patriziern, den Bürgern und dem Volk hatten, strebten nach Wiederherstellung der internationalen Machtposition des Landes, nach Mitsprache in der Verwaltung und Wiederbelebung einer aufgeklärten, vaterländischen Rechtschaffenheit. Anfänglich gelang es den Patrioten, die Macht des wankelmütigen, konservativen Statthalters des Hauses Oranien, Wilhelm V., einzuschränken. Sie modernisierten einige lokale Behörden und gründeten mehrere Volksmilizen. Als aber das preussische Heer von Wilhelms Schwiegervater 1787 die Gewalt des Statthalters wiederherstellte, übernahmen Anhänger der Partei der Oranier die Ämter der Patrioten. Terror und Plünderungen veranlassten daraufhin Tausende von ihnen, in die südlichen Niederlande oder nach Frankreich zu flüchten. Zwar konnten sich die alten Machthaber mit Hilfe Englands und Preussens noch behaupten, die Überzeugungen der Patrioten verbreiteten sich weiterhin, so beispielsweise während Zusammenkünften aufklärerischer Lesegesellschaften. Die Verwaltung der südlichen Provinzen hatten die österreichischen Habsburger nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg (1740–1748) Generalgouverneuren anvertraut. Zu ihnen zählte Prinz Karl Alexander von Lothringen und Bar, der während vier Jahrzehnten Handel, Industrie und Künste in den südlichen Provinzen erfolgreich förderte. Versuche Joseph II., die Brüsseler Staatsgewalt zu zentralisieren und von Wien aus zu lenken, lösten in den Achtzigerjahren Proteste aus, die kaiserliche revolutie van bovenaf (‚Revolution von oben herab‘) führte zu Widerstand, die Stände Brabants forderten die Einhaltung der Konstitution. Während der darauf folgenden Revolution Brabants, vorbereitet von Widerstandskreisen rund um die Brüsseler Anwälte Jan Frans Vonck und Jan Baptist Chrysostomus Verlooy, vertrieben die Aufständischen 1789 die österreichischen Truppen. Ein Jahr später eroberte der neue Kaiser Leopold II. nach Abschluss des Vertrages von Reichenbach die südlichen Provinzen jedoch zurück.

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

Abb. 1: Die Niederlande um 1780 (vgl. Bosatlas 297).

43

44

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Nachdem die französische Nationalversammlung 1792 dem konservativen Bündnis europäischer Staaten den Krieg erklärt hatte, gelang es französischen Truppen, eine österreichisch-preussische Invasion abzuwehren. Daraufhin griffen sie Deutschland an, besetzten Savoyen sowie Nizza und eroberten nach dem Sieg bei Jemappes am 6. November 1792 die Österreichischen Niederlande. Geflohene Aufständische, die das Comité des Belges et Liégeots unis (‚Komitee der vereinten Belgier und Einwohner Lüttichs‘) gegründet hatten, kehrten mit den französischen Truppen des Generals Dumouriez in die Heimat zurück. Sie versuchten die lokale Verwaltung zu übernehmen und einen Anschluss an Frankreich zu bewirken. Siege der Österreicher bei Lüttich und Aachen, die Aufhebung der Belagerung Maastrichts sowie der gewonnene Kampf der Koalition bei Neerwinden am 18. März 1793 zwangen die französischen Truppen aber zum Rückzug. Die Hinrichtung Ludwigs XVI. 1793 veranlasste den Statthalter Wilhelm und mehrere europäische Staatsoberhäupter, sich der Koalition gegen Frankreich anzuschliessen. In der Folge erklärte Frankreich der Republik den Krieg. Ein Jahr später marschierten französische Truppen in den Norden und vertrieben die kaiserlichen Truppen definitiv aus den Österreichischen Niederlanden. Adlige, Geistliche und wohlhabende Bürger flüchteten vorübergehend in den Osten, nur eine Minderheit der Bevölkerung war zur Zusammenarbeit mit den neuen Herrschern bereit. Frankreich verleibte sich 1795 das heimgesuchte Gebiet ein und verwaltete fortan von Brüssel aus die neuen Departemente Meuse-Inférieure (das heutige belgische und niederländische Limburg), Dyle (flämisches Brabant, Brüssel, wallonisches Brabant), Jemappes (Hennegau), Lys (West-Flandern), Ourthe (Lüttich), Sambre-et-Meuse (Namen), Escaut (Ost-Flandern und seeländisches Flandern), Deux-Nèthes (Antwerpen), Forêts (Provinz Luxemburg, Fürstentum Luxemburg und Bitburg), Ardennes (Teile von Namen) und ab 1798 Roer (Teile des niederländischen Limburg, Gennep, Tegelen und Sittard). Die neuen Behörden führten Gesetze der französischen Republik ein, hoben Klöster und Abteien auf und organisierten allgemeine Wahlen, an denen sich Steuerpflichtige beteiligen konnten. Die gewählten, mehrheitlich antifranzösischen Kandidaten, die die Wiederherstellung alter Rechte sowie eine Widerrufung der antiklerikalen Gesetze anstrebten, wurden allerdings nach dem Staatsstreich von 1797 durch das zweite Directoire ausgegrenzt. Der Unmut unter der Bevölkerung wuchs. Während die ländliche Bevölkerung und die Arbeiter weiterhin ihre lokalen Varianten des Niederländischen verwendeten, kommunizierten die Bürger in den niederländischsprachigen Provinzen des heutigen Belgiens im Laufe des 18. Jh. vermehrt in französischer Sprache. Die neuen Herrscher griffen allerdings in diesen spontanen Prozess ein, als sie ab 1794 das Gebiet gezielt französierten, vgl. 2.1.3.5. Inzwischen war das französische Heer auch in die Republik eingefallen. Beteiligt war auch die ‚Bataver-Legion‘ unter Anführung von Herman Willem Daendels, die aus nach Frankreich ausgewichenen Patrioten bestand. General Pichegru’s Armee überquerte Ende 1794 die Maas, Anfang 1795 die Waal und die zugefrorene holländische Wasserlinie. Die geläufige rhetorische Frage Wat nu? zei Pichegru (‚Was nun, sagte Pichegru‘) erinnert noch heute an dieses Unternehmen. Die Staaten Utrechts ergaben sich ohne Gegenwehr, die holländischen Staaten folgten, Wilhelm flüchtete mit seiner Familie nach England. Die Patrioten, die einen Grossteil der Bevölkerung bildeten, feierten die Ereignisse mit Tanzen um Freiheitsbäume, die mit der phrygischen Mütze, dem jakobinischen Symbol der Freiheit, geschmückt waren.

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

45

Landauf, landab wurden die Rechte des Menschen und des Staatsbürgers verkündet, als die Patrioten die so ersehnte ‚eigene Befreiung der Bataver‘ (zur Bezeichnung Bataaf vgl. HNA 32, 33) dank des Einmarsches der Franzosen nun verwirklicht hatten. Unter dem gemässigten Einfluss des französischen Directoire, das revolutionären Ausschreitungen entgegenwirkte, führten die neuen Machthaber Staatsreformen durch, Vertreter der Bürger ersetzten die Mitglieder der vroedschappen (‚Stadtmagistraten‘), Abgeordnete des Volkes setzten sich in den Staaten der Provinzen auf die Sessel der Adligen. Die nun mündigen Staatsbürger führten als Abgeordnete der Städte die Abstimmungen in den staatlichen Gremien in eigenem Namen durch. Ständevertretungen wurden ebenso abgeschafft wie die Ämter des Statthalters, des Ratspensionärs und des Kapitäns General. Dass die Mitglieder der Generalstaaten, die nach wie vor die nationalen Geschäfte behandelten, nicht länger nach einer festen Formel aus Vertretungen der Provinzen gewählt wurden, kündigte die Zentralisierung der Gewalten und Ansätze zur Demokratisierung in den Niederlanden an. Die revolutionären Änderungen erfolgten ohne Gewalt. Lange hielt die revolutionäre Begeisterung jedoch nicht an, wirtschaftliche und finanzielle Nöte machten die Bürger politisch gleichgültig, als Handel und Gewerbe einbrachen. Zudem erwarteten die Provinzen als Verbündete Frankreichs Auseinandersetzungen mit England. Hinzu kam, dass Wilhelm von seinem britischen Exil aus die Gouverneure der Kolonien ermächtigte, ihre Gebiete den Engländern abzutreten, nur Java blieb bis 1811 noch in niederländischen Händen. Dass die Niederlande laut Haager Vertrag von 1795 die Zeche für die französische Unterstützung zu zahlen hatten, setzte der Wirtschaft weiter zu. Die Unitarissen (‚Unionisten‘), eine Mehrheit der neuen, 1796 demokratisch gewählten Nationale Vergadering (‚Nationalen Versammlung‘), die die Generalstaaten ersetzte, wollten die Einheit der Republik in der Verfassung festschreiben. Dagegen bevorzugten die Federalisten (‚Anhänger der Föderation‘) einen Staatenbund. Eine Zwischenlösung suchten die Moderaten. Nach jahrelangen, ergebnislosen Verhandlungen führten zwei Staatsstreiche Daendels‘ zur zentralistischen Staatsregelung der Bataafse Republiek, die neue Verfassung von 1798 legte zum ersten Mal die Einheit der Niederlande als Staat fest. Nachdem Daendels eine englische Invasion letztendlich mit Hilfe der französischen Truppen abzuwehren vermochte, begannen alte Gruppierungen wie Orangisten, Anhänger des Statthalters und Regenten sich wieder zu rühren. Auf Drängen des ungeduldigen Napoleon, der im Norden stabile Verhältnisse verlangte, wurde dann 1801 auf wenig demokratische Art und Weise eine neue Staatsregelung eingeführt, die die Parteien versöhnen sollte – bei diesem Verfahren schlug man die Nicht-Stimmer im Einklang mit der Redensart Wie zwijgt, stemt toe (‚Wer schweigt, stimmt zu‘) zur Minderheit der Befürworter. Obschon die Bataafse Republiek dank des Friedens von Amiens 1802 die Kolonien mit Ausnahme von Ceylon zurückerhielt und die Wirtschaft kurz anzog, war ihr kein langes Leben beschert. Auf Verlangen des Kaisers verfasste der gemässigte ehemalige Patriot Rutger Jan Schimmelpenninck ein neues Grundgesetz für das Staatsbewind (‚Staatsverwaltung‘), übernahm als Ratspensionär neuen Stiles die Staatsführung, versuchte mit gerechteren, direkten Steuern einen Staatsbankrott zu verhindern und begann, das Schulwesen zu erneuern. Indem Napoleon nach dem Untergang der französischen Flotte bei Trafalgar 1805 England wirtschaftlich mittels des kontinentalen Systems mit einer Blockade zu besiegen versuchte, hatte die Republik unter

46

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Abb. 2: Königreich Holland 1806–1810 (vgl. Bosatlas 301).

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

47

dem darauffolgenden Einbruch des internationalen Handels schwer zu leiden. Ob die Republik unter diesen Umständen bereit war, Frankreich dauerhaft zu unterstützen? Vorsorglich ernannte der französische Kaiser seinen jüngsten Bruder Ludwig, Vater des späteren Kaisers Napoleon III., zum König der Niederlande. Abgeordnete der Niederlande fühlten sich mit Ausnahme von Schimmelpenninck verpflichtet, 1806 die entsprechende neue, von Talleyrand aufgestellte Verfassung zu unterschreiben, das Königreich Holland war entstanden. Ludwig Napoleon Bonaparte kümmerte sich stark um seine niederländischen Untertanen. Er besuchte sowohl Städte als auch entlegene Ecken seines Landes und zeigte seine Anteilnahme bei Katastrophen. Als erster König der Niederländer bestimmte der Franzose das Niederländische als Verwaltungssprache. Wie ernst er die Sprache seiner neuen Heimat nahm, zeigt sich in seinem Bestreben, mit Hilfe des Professors David Jacob van Lennep (1802–1868) und des Dichters Willem Bilderdijk (1756–1831) Niederländisch zu lernen. Dass man zu Recht oder zu Unrecht gutmütig spottete, der König habe sich während offizieller Ansprachen in Amsterdam und Deventer für konijn van Olland (‚Kaninchen von Olland‘) statt koning van Holland (‚König von Holland‘) ausgegeben, zeigt eine gewisse Anerkennung der Bevölkerung für Ludwigs Bemühungen. Die Korrespondenz des Königs bestätigt seine beharrlichen, aber weniger erfolgreichen Versuche, die niederländische Sprache zu meistern. Die königlichen Briefe waren gekennzeichnet durch kaum verständliche Sätze voller Sprachfehler wie Gij ga moë wrouwen zien en die vie is moiste en aimableste. Nu gij zal meer galant vorden, maar niet meer bevrindt van uw wriende (‚Du wirst schöne Frauen sehen und das Leben [?] ist am schönsten [?] und angenehmsten [?]. Nun Du wirst mehr galant werden, aber nicht mehr befreundet von deinen Freunden [?].ʼ). Nicht selten verteidigte der König entgegen den Anordnungen seines Bruders niederländische Interessen. So weigerte er sich, die von Paris verlangten niederländischen Soldaten für das Heer des Kaisers zur Verfügung zu stellen, die gewünschte Einführung der Wehrpflicht lehnte er ab, das kontinentale System handhabte er halbherzig. Sodann liess er gegen die Wünsche von Paris eine von niederländischen Juristen begrüsste Kodifikation ausarbeiten, die den niederländischen Verhältnissen Rechnung trug, durch die politischen Entwicklungen jedoch nicht mehr eingeführt wurde. Trotz Ludwigs Einsprüchen während längerer Auseinandersetzungen mit seinem Bruder nahm Kaiser Napoleon die niederländischen Gebiete südlich der Flüsse ein. Als 1810 französische ‚Beobachtungstruppen‘ in den Norden aufrückten, dankte der erste, beim Volk beliebte König der Niederlande ab; Frankreich verleibte sich das ganze Gebiet ein. Die neue staatliche Einteilung in Departemente mit französischen Namen wie Yssel-Supérier (Gelderland östlich der Waal), Frise (Friesland), Bouches-de-la-Meuse (Süd-Holland), Bouches-de-l’Yssel (Overijssel), Ems-Occidental (Groningen, Drenthe) und Zuyderzée (Nord-Holland, Utrecht) nach französischem Beispiel machte die jahrhundertealten Strukturen der Provinzen zunichte. Sie löste unter der Bevölkerung nationale Gefühle aus, Zeilen wie Ja! ’k blijf, ô Vaderland! tot aan het uur des doods, Als Nederlander op dien schoonen eernaam grootsch.(‚Ja, ich bleibe, o Vaterland, bis zur Stunde meines Todes als Niederländer stolz auf diesen Ehrennamen‘) aus Jan Frederik Helmers (1767–1813) De Hollandsche Natie 1812 (‚Die Holländische Nation‘) bringen dies zum Ausdruck. Der Inhalt des bereits zensurierten Textes veranlasste die Polizei übrigens, den Verfasser festzunehmen, der war aber Stunden zuvor verschieden.

48

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Abb. 3: König Ludwig Napoleon von Holland.

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

49

Die französische Herrschaft brachte nicht nur einen zentralistisch verwalteten Staat, sondern auch gleiche Rechte für seine Bürger, Religionsfreiheit, verbesserte Personenstandsregister, eine nationale Post, bessere in Klassen unterteilte Schulen und eine Gesetzgebung, die auf dem Code Napoléon basierte. Trotz vieler solcher eingreifender Erneuerungen, welche die Herausbildung des niederländischen Staates prägen sollten, musste die Bevölkerung viel ertragen. Die strenge Handhabung des kontinentalen Systems lähmte Handel und Gewerbe, Zinssätze der staatlichen Schuldbriefe setzte die Obrigkeit herab und Männer wurden zum französischen Heeresdienst einberufen. Nur allein 1812 hatten in der Folge 15.000 Niederländer mit der Grande Armée in Russland zu kämpfen, die wenigsten von ihnen kamen heil in die Heimat zurück. Sodann mussten fortan, um die Zensur zu erleichtern, Zeitungen auf Niederländisch und Französisch erscheinen. Es durften nur noch drei von den Behörden begutachtete wissenschaftliche Zeitschriften erscheinen, Pfarrer hatten ihre Predigten dem Zensor vorzulegen. In den südlichen Niederlanden löste die Konskription eine Rebellion unter der unzufriedenen Bevölkerung aus, welche die neuen Herrscher erbarmungslos zerschlugen. Erst nach 1797 brachte das Konsulat Ordnung in die Verwaltung Frankreichs, allmählich gelang es Bonaparte, die wohlhabenden Bürger und einen Teil des Adels für sich zu gewinnen. Sodann trug das Konkordat, das der erste Konsul 1801 mit dem Heiligen Stuhl schloss, dazu bei, dass sich auch die Einwohner der neu geschaffenen Departemente im Norden Frankreichs vorläufig mit der politischen Realität versöhnten. Bergbau und Industrie, so die Minen in Hennegau oder die Textilfabriken in Gent und Verviers, wurden gefördert. Sodann kümmerten sich die Behörden vermehrt um Bildung, Wissenschaft und Kultur. Inzwischen forderte die erzwungene Beteiligung von Soldaten an Napoleons Kriegen immer mehr Menschenleben. Der Unfriede stieg denn auch an, insbesondere unter der besitzlosen Klasse der Flamen. Auch im Klerus nahm der Unmut zu, als Napoleon nach der Festnahme des Papstes der französischen Kirche die Gelegenheit bot, sich neu zu organisieren. Die Bischöfe von Tournai und Gent, die Widerstand leisteten, wurden abgesetzt, zahllose Geistliche verhaftet, verbannt oder in die Armee eingezogen. Nur noch mit polizeilicher Unterdrückung und strenger Zensur konnte der Kaiser die französischen Departemente in den südlichen Niederlanden vorübergehend beibehalten. In den nördlichen Niederlanden kündigte sich Widerstand gegen die französische Herrschaft an in Kreisen angesehener Persönlichkeiten wie Van Hogendorp, Van der Duyn van Maasdam und Van Limburg Stirum. Die Mehrheit der Bevölkerung bekundete jedoch wenig politische Anteilnahme. Erst nach Napoleons folgenschwerer Niederlage1813 bei Leipzig und den weiteren Erfolgen der antifranzösischen Koalition in den Befreiungskriegen entstanden mit dem Einmarsch russischer Kosaken in Groningen vereinzelt Krawalle, so in Utrecht. Als mit dem Scheitern Napoleons die französische Garnison Den Haag verliess, wurde der Prinz von Oranien zur ‚hohen Autorität‘ ausgerufen. Van Hogendorp übernahm vorübergehend die Führung des Landes, bis der künftige König am Strand Scheveningens eingetroffen war. Kurz darauf eroberten die Kosaken Amsterdam, im Osten vertrieben die Preussen die feindlichen Truppen. Die Proklamation Oranje Boven. Holland is Vrij (‚Oranien über Alles. Holland ist frei‘, vgl. 2.3.4.2.) verkündete den Machtwechsel. Die bekannte erste, von vielen Niederländern geliebte Zeile lebt

50

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

weiter im vermutlich um 1890 bei der Krönung Emmas entstandenen Volksliedes Oranje boven, leve de koning(in) (‚Oranien über Alles, es lebe die Königin/der König‘). Nach Napoleons Niederlagen 1813 und 1814 und der Vertreibung seiner Truppen aus den nördlichen Niederlanden zogen die Franzosen auch aus den südlichen Provinzen ab, überwiegend preussische Soldaten und russische Kosaken nahmen das Gebiet ein. Provisorische Verwaltungen übernahmen hier vorübergehend die Herrschaft über eine gespaltene, verunsicherte Bevölkerung.

2.1.2. Einheit und Verschiedenheit des überregionalen Niederländischen In der Neuzeit hatte die Standardisierung des gesprochenen Niederländischen, die auf der Sprache der angesehenen Bürger der holländischen Städte basierte, zögerlich eingesetzt. Von einer allgemeinen einheitlichen gesprochenen Sprache ohne dialektische beziehungsweise gruppenspezifische Eigenheiten konnte zu Anfang des 19. Jh. allerdings weder in den nördlichen noch in den niederländischsprachigen südlichen Provinzen die Rede sein. Da das vorliegende Buch die Etablierung des Allgemeinen Standardniederländischen zum Gegenstand hat, wird hier nicht versucht, historische Entwicklungen niederländischer Dialekte und Soziolekte darzustellen. Neuere Forschungsergebnisse dazu, so beispielsweise von M. van der Wal zum Sprachgebrauch von Seeleuten und ihren Adressaten in Briefen, werden daher nur nebenbei erwähnt. In diesem Rahmen stellt sich vorrangig die Frage, wie sich trotz der sowohl lokal als auch sozial so unterschiedlichen Herkunft der Sprecher das überregionale gesprochene Niederländische festigen konnte. Wohl hatte sich seit dem 16. Jh. das überregionale Niederländische zu einer allgemeinen Schriftsprache herausgebildet, Orthografie und Grammatikregeln waren dennoch weiter auszuarbeiten und festzulegen. In den nördlichen Niederlanden kümmerten sich sowohl Sprachgesellschaften als auch der Staat um die niederländische Schriftsprache (vgl. 2.1.3.). In den südlichen Provinzen, wo nicht nur die Obrigkeit, sondern auch mancher gebildete Flame die Pflege des Niederländischen vernachlässigten, bemühten sich vereinzelte Bürger um die Muttersprache. So setzte ein Grammatiker wie Des Roches sich für eine Reglementierung des überregionalen Niederländischen ein, vgl. 2.1.3.1. Neben einer nördlichen Schreibtradition, die sich auf das Holländische ausrichtete, ist, wie u. a. G. Rutten dargelegt hat, die Entstehung einer südlichen Schreibtradition zu beobachten, die auf dem Brabantischen basierte. Sie sollte während der Epoche des Vereinten Königreichs allerdings von der nördlichen Varietät abgelöst werden, als König Wilhelm I. das Niederländische in seinem Reich persönlich als Landessprache stark förderte. Übrigens befassten sich weder der Monarch noch seine Diener mit der Frage, welche Sprachvarietäten als ‚korrekt‘ einzustufen oder zu bevorzugen wären. So konnten Beamte in Flandern ohne Bedenken südliche Sprachvarianten verwenden. Auch wenn die gepflegte Sprache der vornehmen Bürger der holländischen Städte für manchen Sprecher seit der frühen Neuzeit eine Vorbildfunktion hatte, so deuten Aussagen von Zeitzeugen darauf hin, dass man bei der Kommunikation mit Sprechern anderer Gegenden wohl eine

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

51

dialektisch gefärbte Form des Niederländischen gebrauchte. Welche dialektische Varietät zu unterscheiden ist, lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen. Zwar stammen erste Beschreibungen niederländischer Dialekte aus der Mitte des 19. Jh., die überlieferten Daten vermitteln jedoch nicht ein zuverlässiges Bild der vorhandenen Mundarten. So lassen sich aus den 186 ‚Übersetzungen‘ des Gleichnisses vom verlorenen Sohn in niederländische und friesische Dialekte des Arztes Johan Winkler (1840–1916) die dialektischen Verhältnisse jener Zeit nicht eindeutig herleiten. Winkler hatte sie 1874 in einem Friesisch-Niederländischen zweibändigen ‚Dialektikon‘ veröffentlicht. Die ersten systematischen Untersuchungen von Dialektmaterial, die die Maatschappij der Nederlandse Letterkunde 1852 und 1857 mit Hilfe von Fragebögen durchführte, sind wegen der angewandten Untersuchungsmethode als unzuverlässig einzustufen. Erst um die Jahrhundertwende konnten die ersten Dialektgeografen neuere Daten zu lokalen Sprachvarianten, welche die Aardrijkskundig Genootschap (‚Geografische Genossenschaft‘) Amsterdam 1879 gesammelt hatte, in Karten verarbeiten. Jan te Winkel gelang es zwischen 1899 und 1901, Karten zur Aussprache von Vokalen in unterschiedlichen Dialekten herauszugeben. Die möglichen Einteilungen von niederländischen Dialekten und ihr Verhältnis zum AN kommen in 4.1.2. näher zur Sprache. Für die weiteren Erörterungen zur Etablierung des AN genügt es hier festzuhalten, dass die Mehrheit der Gesellschaft im 19. Jh. im mündlichen Sprachgebrauch Sprachvarietäten verwendete, die sich von Ort zu Ort und von Region zu Region in geringerem oder grösserem Mass lautlich, lexikalisch, morphologisch beziehungsweise syntaktisch voneinander abhoben. Wie sehr sich das Niederländische der Sprecher aus den diversen Regionen voneinander unterschied, konnten beispielsweise aufmerksame Anwesende der nun öffentlichen Sitzungen der Nationalen Sammlung 1796 feststellen. Als Bürgervertreter aus den verschiedenen Regionen das Wort ergriffen, waren die dialektischen und soziolektischen Eigenheiten ihrer Sprache nicht zu überhören. Sie sollen manchen Bürgern, namentlich jenen aus der Provinz Holland, spassig oder gar grob vorgekommen sein, wie laut J.W. Muller der Sprachhistoriker und Hochschullehrer Matthias de Vries (1820–1892) in seinen Vorlesungen hervorzuheben pflegte. So ist belegt, dass sie sich auch mit Einwohnern anderer Gegenden in ihrer eigenen Mundart unterhielten. Der vornehme Dichter Rhijnvis Feith (1753–1824, vgl. 2.3.2.2.), der aus Zwolle stammte, verwendete beispielsweise ohne Bedenken eine östliche Variante des Niederländischen, auch in Gesprächen mit dem berühmten Amsterdamer Gelehrten und Dichter Willem Bilderdijk. Laut diesem angesehenen Holländer benutzte Feith zum Beispiel den Monophthong [i:] statt den Diphthong [єi] in den Adjektiven onbegriepelijk (‚unbegreiflich‘) und begriepelijk (‚begreiflich‘) wenn er my altijd op zijn Overijselsch zei, ‚dat ik een (…) „onbegriepelijk“ mensch was, en ik hem in antwoord, dat hy al te „begriepelijk“ was‘ (‚mir immer im Dialekt der Provinz Overijssel sagte, dass ich ein „unbegreiflicher“ Mensch sei und ich ihm antwortete, dass er allzu „begreiflich“ wäre‘ vgl. Kloek et al. 2001, 430). Eine allgemein anerkannte Sprachnorm des überregionalen gesprochenen Niederländischen lag demzufolge namentlich bei der Aussprache noch nicht fest: während für Bilderdijk ein gepflegtes Holländisch offensichtlich als Richtschnur diente, blieb Feith bei seiner östlichen Sprachvariante, auch in der Kommunikation mit Sprechern aus dem Westen. Bilderdijks ironische Bemerkung scheint übrigens darauf zu deuten, dass er als Amsterdamer im Gegensatz zum Patrizier aus einer östlichen Provinz auf jene dialektischen Varianten

52

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

herabsah, die von seiner Sprache abwichen. Übrigens beurteilen Sprecher des AN regionale Sprachvarianten beziehungsweise Provinzialismen bis zum heutigen Tag unterschiedlich (vgl. 4.1.2., 5.3.). Obschon die angesehenen Bürger somit solche unterschiedliche Sprachvarietäten unter sich verwendeten, so ist sich mancher in der napoleonischen Zeit einer allmählichen Standardisierung der gesprochenen Sprache bewusst. Der aus der Provinz Gelderland stammende Dichter Anthoni Christiaan Staring (1767–1840, vgl. 2.5.2.2.) bezeichnet das Holländische beispielsweise 1800 als ons Parijsch Dialect (‚unser Pariser Dialekt‘) und het Dialect van de Schrijvers, die door de geheele Republiek willen gelezen en verstaan worden (‚der Dialekt der Schriftsteller, die von der gesamten Republik gelesen und verstanden werden möchten‘). Sodann hielt der Schriftsteller Johannes Kinker (1764–1845) 1810 fest, dass die ‚ehrbaren‘ Menschen seiner Zeit sich einer überwiegend einheitlichen Aussprache bedienten: het fatsoenlijke gedeelte der Natie heeft uitspraak gedaan (‚der anständige Teil der Nation hat sich [diesbezüglich] festgelegt‘, vgl. De Vooys 1915). Die Sprachnorm sei laut ihm das Holländische, das Schauspieler und öffentliche Redner verwendeten. Die Einhaltung dieser Norm betrachtet er offenbar als anständig (fatsoenlijk), eine Auffassung, die später auch die Bezeichnung Algemeen Beschaafd Nederlands (‚Allgemein zivilisiertes Niederländisch‘) für die niederländische Hochsprache zum Ausdruck brachte, vgl. 3.6. Dass Dichter wie Staring und Kinker es überhaupt für nötig hielten, die Entstehung eines einheitlichen gesprochenen Niederländisch zu erwähnen, bestätigt, dass eine gesprochene Standardsprache noch kein Gemeingut war. Ihre Äusserungen zeigen darüber hinaus ein Bewusstsein des Standardisierungsprozesses bei gebildeten Bürgern. Zudem deuten Starings und Kinkers Aussagen darauf hin, dass sie eine höhere Wertschätzung für das entstehende allgemeine Niederländische als für die gepflegten lokalen Varianten der gesprochenen Sprache hatten. Inwiefern Dialektsprecher tatsächlich bereit und imstande waren, sich einer überregionalen Sprachnorm anzupassen, lässt sich nicht überprüfen. Ebenso wenig ist klar, wie Kinker dialektische Varianten von Sprechern einschätzte, werden doch die gleichen dialektischen Varianten von verschiedenen Beobachtern auch heute unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Vermutlich fielen Kinker die Übereinstimmungen im Sprachgebrauch von Sprechern aus den verschiedenen Gegenden mehr auf als die Unterschiede, obschon auch vornehme Bürger wie der erwähnte Feith nach wie vor die dialektisch gefärbte Sprache ihrer Städte beziehungsweise Regionen benutzen. Im Einklang mit Starings und Kinkers Beobachtungen steht die Feststellung des Kirchenhistorikers Annaeus Ypeij, dass die dialektische Varietät in der mündlichen Kommunikation rasch abnahm, eine Entwicklung, die sich im Laufe der Zeit verstärken sollte. Er schreibt diese Erscheinung dem Einfluss des geschriebenen Niederländischen sowie der Sprache der Pfarrer und den öffentlichen Ansprachen von Gelehrten zu: De spraak des volks, in zoo vele ontelbare dialekten verdeeld, is langzamerhand meer gewijzigd geworden naar de algemeene landtaal, die door geleerden, zoo in de openbare redevoeringen, bijzonderlijk op den kerkkansel, als in door den druk uitgegeven schriften gebezigd werd. Voor honderd, zelfs voor vijftig jaren, spraken in de onderscheiden gewesten

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

53

onzes lands de beschaafde lieden nog meestäl het volksdialekt. Dan van lieverlede hebben zij hunne spraak meer naar de taal der geleerden ingerigt. En dit weder had natuurlijk eenen niet geringen invloed op de spraak van het gemeene volk, dat zich, zonder er in te denken, naar lieden van den fatsoenlijken stand schikt. (Ypeij 1812/32, vgl. Kloek et al. 2001, 431) (‚Die Sprache des Volkes, in so vielen unzählbaren Dialekten verteilt, hat sich allmählich in eine allgemeine Landessprache geändert, die von Gelehrten, so während öffentlichen Ansprachen, insbesondere von der Kirchenkanzel, wie auch in Druck herausgegebenen Schriften verwendet wurde. Vor hundert, sogar vor fünfzig Jahren sprachen die zivilisierten Menschen unseres Landes in den verschiedenen Landstrichen noch zumeist Volksdialekt. Dann haben sie ihre Sprache langsam und stetig nach der Sprache der Gelehrten ausgerichtet. Und dies hatte natürlich wiederum einen nicht geringen Einfluss auf die Sprache des gemeinen Volkes, das sich, ohne sich dies weiter zu überlegen, an den Leuten des anständigen Standes orientiert.‘) So förderten in den Augen eines Zeitzeugen die Schriftsprache sowie das gepflegte gesprochene Niederländische die fortschreitende Standardisierung des überregionalen Niederländischen, das mit seinem Prestige offenbar schon in dieser Zeit sämtliche Bevölkerungsschichten als nachahmenswert betrachteten. Dass sich die gesprochene gepflegte Sprache tatsächlich auf Kosten dialektischer Varietät, allerdings zuerst zögerlich, dann immer schneller verbreitete, ist insbesondere der zunehmenden interregionalen Kommunikation zuzuschreiben, vgl. 3.1.2. und 4.1.2. Ypeijs Beobachtungen gehen Hand in Hand mit Bestrebungen von Gelehrten, das öffentliche Reden zu verbessern. So hatte sich schon im 18. Jh. der Amsterdamer Professor für Rhetorik, Jurisprudenz und Griechisch Petrus Francius (1645–1704) um gepflegtes Sprechen in der Öffentlichkeit gekümmert: (…) alle menschen kunnen, en behooren, goed Duitsch te spreeken, die inboorelingen deezer landen zijn. In den gemeenen ommegang kan men hier niet altoos op letten, en het riekt eenigsins naar neuswysheidt; maar wat onachtzaamheidt is het, als men in ’t openbaar of schryven, of spreeken wil, hier geen acht op te slaan? (Bakker et al. 1977, 70) (‚alle Menschen, die Einheimische dieser Länder sind, können und müssen gutes Niederländisch reden. Im alltäglichen Verkehr kann man dies nicht immer beachten, und es sieht ein wenig rechthaberisch aus; aber wie unachtsam wäre es, wenn man öffentlich schreiben oder sprechen möchte, dies nicht zu beachten?‘). Die unterschiedliche Verwendung von Sprachregistern des Niederländischen, die Francius hier anspricht, hatte der Sprachhistoriker Lambert ten Kate übrigens bereits beschrieben. So unterschied er eine hoogdravende of verhevene (‚feierliche‘) Sprachebene, die ruhmreiche Texte der

54

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Vorfahren kennzeichnete und von weniger Gebildeten möglichweise verstanden, aber nicht verwendet wurde. Daneben bestand die deftige oder statige (‚vornehme‘) Sprache der wohlhabenden Bürger, die in formalen Situationen zur Anwendung kam und grammatikalische Regeln, soweit vorhanden, berücksichtigte. Mit der gemeenzame stijl (‚gewöhnlichen Sprache‘), die ihre Verwendung im alltäglichen Sprachgebrauch fand, bezeichnete Ten Kate eine grammatikalisch und stilistisch weniger ausgefeilte Sprachebene. Mit der platte spreek- en straet-tael deutete er schliesslich das ungepflegte Niederländische des gemeinen Volkes an. Ein besserer Unterricht des Niederländischen sollte, neben der zunehmenden interregionalen Kommunikation, zur Verbreitung der Standardsprache beitragen. Bis dahin hatte der mangelhafte Unterricht der Muttersprache durch wenig kompetente Schulmeister an der Grundschule eine Vereinheitlichung des geschriebenen Niederländischen ebenso wenig gefördert wie die vereinzelten, wenig systematischen Niederländisch-Lektionen an der Mittelschule, vgl. 2.1.3. Demzufolge waren Absolventen der Mittelschule wohl eher imstande, eine Sprache mit einer festgelegten Rechtschreibung und Grammatik wie Französisch zu verwenden, als die eigene Sprache zu benutzen. Bezeichnenderweise bemerkt der Jurist Boudewijn Donker Curtius, dass er Französisch und Latein nach seinem Schulabschluss gut beherrschte, jedoch nie die Regeln des Niederländischen gelernt hatte. Latein war nach wie vor die bedeutendste Sprache der Wissenschaft und in vornehmen Kreisen zählte es zur Gepflogenheit, nicht nur in niederländischer, sondern auch in französischer Sprache zu korrespondieren. Möglicherweise glaubten die Korrespondenten, sich auf Französisch genauer und grammatikalisch korrekter ausdrücken zu können als in der nicht standardisierten Muttersprache, die in ihren Augen vielleicht auch noch unbeholfen wirkte. Zudem konnten sie die damals so modische Kultursprache schriftlich üben, wenn sie Verwandten und Freunden französische Briefe schickten. Für die Pflege und Standardisierung des Niederländischen war es ohnehin wenig förderlich, dass bei grösseren Bevölkerungsschichten die französische Sprache und die Lektüre ausländischer Texte anscheinend mehr Prestige hatten als die Muttersprache und die niederländische Belletristik. Ob die nördlichen Provinzen um 1800 französierten, ist nicht sicher, bestimmt waren die Lektüre französischer Texte und die Verwendung des Französischen aber Mode. Nicht ohne Grund ironisieren Betje Wolff und Aagje Deken, Verfasserinnen des ersten modernen niederländischen Romans, die übermässige Verwendung französischer Wörter. Wenn sie betonen, dass es sich für junge holländische Frauen lohne, niederländische Literatur an Stelle ausländischer romantischer Geschichten zu lesen, heisst es im programmatischen Vorwort ihrer Historie van mejuffrouw Sara Burgerhart 1782 diesbezüglich: Maar, my dunkt, ik hoor hier en daar een jong Juffertje, dat niets meer van ons land overheeft, dan met negotie gewonnen schatten, en eenen ouden deftigen Hollandschen naam, met een opgeschort neusje, dus spreken: ‚Een Hollandsche Roman! Hede, ma chere, wel hoe vindt gy dat?‘ (En ma chere vindt het even ridicul als ons Juffertje.) ‚Ik lees geen Hollandsch; ik geloof ook niet, dat ik het zou kunnen lezen, maar ik ben toch nog al benieuwt; willen wy er nu en dan eens een verlegen uur aan geven? (Wolff et al. 1980, XI)

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

55

(‚Aber, mir scheint, ich höre hie und da ein junges Fräulein, das nichts mehr für unser Land übrig hat als mit Geschäften erworbene Schätze, und einen alten, vornehmen holländischen Namen, mit einem verschobenen Näschen, sagen: ‚Ein holländischer Roman! Meine Güte, ma chere, wie findest du das?‘ [Und ma chere findet es gleich ridicul wie unser Fräulein.] Ich lese kein Holländisch; ich glaube auch nicht, dass ich es lesen könnte, aber ich bin trotzdem neugierig; wollen wir hie und da eine schüchterne Stunde dafür aufwenden?‘) Immerhin hatte sich im Gegensatz zum gesprochenen Niederländischen die geschriebene Sprache weitgehend konsolidiert. Eine nähere Auslese sprachlicher Varianten auf Mikro-Ebene stand allerdings laut u. a. Van der Wal und Van Bree noch bevor. So versteht sich, dass sich die Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde 1775 mit Fragen zum Entwurf einer Sprachregelung an ihre Mitglieder richtete: Inwiefern habe man beim Versuch, die Schriftsprache weiter zu vereinheitlichen, die ‚alten‘ Regeln zu berücksichtigen und welche Bedeutung sei dem geläufigen Sprachgebrauch dazu beizumessen? Müssten Merkmale verwandter Dialekte in einer Neuregelung einbezogen werden, welche Rolle dürfte der gesunde Menschenverstand dabei spielen? Die Revolution von 1795 (vgl. 2.1.1.) brachte ein vermehrtes Interesse sowohl für Erziehung und Bildung als auch für die Pflege der Muttersprache mit sich. So befürwortete die niederländische Nationalsammlung eine nationale Bildungsreform, die auch einer besseren Beherrschung des Niederländischen durch die Schüler zugutekommen sollte. Zum ersten Mal wurde in der Zeit, in der sich die Provinzen zu einem Staat, dem Bataafse Republiek vereinten, die Nationalsprache zum Gegenstand staatlicher Bemühungen.

2.1.3. Voraussetzungen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen Unterschiedliche gesellschaftliche Erneuerungen schufen vermehrt ein günstiges Umfeld für die Verbreitung des AN in den nördlichen Niederlanden. So sind zum ersten Mal neben privaten auch staatliche Anstrengungen zur Förderung und Kultivierung der Muttersprache zu verzeichnen. Sodann machten gedruckte Medien die niederländische Schriftsprache mehr und mehr unter der Bevölkerung bekannt, Formen eines überregionalen Niederländischen fanden ihre Anwendung in Kirche, Theater und während Zusammenkünften kultureller Vereine und Bibelgesellschaften. Bildungsreformen boten den Schülern in den nördlichen Niederlanden die Gelegenheit, ihre Kenntnisse des Niederländischen zu verbessern. In den südlichen Niederlanden nahm der Analphabetismus dagegen zu, während der französischen Zeit geriet das Niederländische in Bedrängnis. 2.1.3.1. Private und staatliche Bemühungen um die Pflege der Muttersprache Obschon sich sowohl in den nördlichen als auch in den südlichen Niederlanden einander ähnelnde Schreibtraditionen gefestigt hatten, empfand mancher gebildete Bürger das Fehlen allgemeingültiger Regeln zur Verwendung der Schriftsprache als Mangel. So beklagt sich Siegenbeek 1804, dass es schwierig sei, zwei einigermassen bedeutende Schrifststeller zu finden,

56

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

die in der Orthografie völlig übereinstimmten, trotz der Arbeit, die viele vorzügliche Männer zur Kultivierung des Niederländischen im vergangenen Jahrhundert geleistet hätten. Ähnlich hatte Verlooy 1788 zur Schriftsprache im Süden festgestellt, dass man so viele unterschiedliche Rechtschreibungen finden konnte, wie es Schriftsteller gab. Jan Frans Willems, ‚der Vater der flämischen Bewegung‘, bezeichnete 1819 die Verwendung der Orthografie im Süden gar als Anarchie. Dennoch hatte sich laut u. a. R. Vosters, G. Rutten und M. van der Wal gerade in den südlichen Niederlanden während der zweiten Hälfte des 18. Jh. eine normative orthografische Tradition sowie eine als ‚kohärent‘ zu bezeichnende Rechtschreibpraxis etabliert. Offenbar klaffte ein Widerspruch zwischen dem Wunsch, eine uniforme Orthografie zu besitzen, und einer nach wie vor bestehenden Varietät in der Rechtschreibpraxis, die aus heutiger Sicht zunehmend standardisierte. Tatsächlich bestand in manchem Bereich der Gesellschaft Bedarf an einer vereinheitlichten, verbindlichen Orthografie sowie einer deutlich formulierten Grammatik der Muttersprache. So war es für eine Verbesserung der laut H.J. de Vos bedenklichen Qualität des Sprachunterrichts unabdingbar, dass Schulmeister über eindeutige Rechtschreibregeln und klare grammatische Richtlinien verfügten. Es fehlte in den Niederlanden eine Institution wie die Académie française, der es gelingen könnte, die Muttersprache als eine nationale Kultursprache zu standardisieren. In der alten dezentral organisierten Republik hatte die nationale Obrigkeit sich nicht um die Pflege der Sprache gekümmert. Wohl beschäftigten sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jh. einige Vereine zur Förderung der Forschung der niederländischen Geschichte, Literatur und Sprache mit der Kultivierung der Muttersprache, sie entbehrten jedoch der Autorität, um Sprachregeln vorzuschreiben. Im Gegensatz zu den Universitäten boten diese Sprachgesellschaften ihren Angehörigen die Gelegenheit, sich mit der eigenen Sprache und Sprachkultur auseinanderzusetzen sowie Veröffentlichungen u. a. zur niederländischen Sprache herauszugeben. So gründeten Mitglieder des Leidener Studentenvereins Linguaque animoque fideles 1758 die Zeitschrift Tael- en dichtkundige bydragen (‚Sprach- und Literaturwissenschaftliche Beiträge‘). Zudem publizierten sie acht Lieferungen der Zeitschrift Nieuwe bydragen tot opbouw der vaderlandsche letterkunde (‚Neue Beiträge zum Aufbau der vaterländischen Philologie‘). Meinard Tydeman, Mitglied des Utrechter Vereins Dulces ante omnia musae, gab 1775 den Sammelband Proeve van oudheid-, taal- en dichtkunde (‚Abhandlung zur Altertumskunde und Philologie‘) heraus, 1782 besorgte er einen zweiten Band. Sodann ist der 1766 nach dem Beispiel der Académie française und der Royal Society gegründeten Maetschappije der Nederlandsche Lettterkunde te Leyden (‚Gesellschaft der niederländischen Philologie zu Leiden‘, auch als ‚Maatschappij‘ bezeichnet) grosse Bedeutung u. a. für die Forschung als auch die Kultivierung des Niederländischen beizumessen. Dieser älteste noch bestehende Verein der Niederlande veröffentlichte von 1772 bis 1788 beispielsweise Forschungsergebnisse in den sieben Bänden der Reihe Werken (‚Werke‘). Zudem gibt die Maatschappij seit 1881 die auch für die niederländische Sprachwissenschaft bedeutsame Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde (‚Zeitschrift für niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft‘) heraus, seit 1983 publiziert die Gesellschaft zudem das Nieuw Letterkundig Magazijn (‚Neues literarisches Magazin‘). Mitglieder der Maatschappij trugen nach dem

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

57

Machtwechsel von 1795 (vgl. 2.1.1.) wesentlich zu den Bestrebungen der Behörden bei, das Niederländische zu reglementieren. Wie in Frankreich, wo die Revolutionäre namentlich die ‚Gleichheit‘ zu einem der Glaubenssätze der Gesellschaft ausgerufen hatten, bevorzugte die neue Obrigkeit in der nun vereinten, unteilbaren niederländischen Nation eine vereinheitlichte allgemeine niederländische Sprache für alle ihre Bürger. Sie sollte einen vermeintlichen Mischmasch sprachlicher Varianten in den Regionen ersetzen. Übrigens lehnte mancher gebildete Bürger, so Bilderdijk, eine eenparigheid (‚Gleichförmigkeit‘) der Orthografie als Manifestation der Revolution ab. Dank Vermittlung des Erziehungsministers Johannes van der Palm erhielt der Pfarrer Petrus Weiland (1754–1842), Verfasser des elfbändigen Wörterbuches Nederduitsch taalkundig woordenboek (‚Niederländisches sprachwissenschaftliches Wörterbuch‘, 1799–1811) 1801 den Auftrag, eine niederländische Grammatik zu verfassen. Weiter entwarf Matthijs Siegenbeek auf Gesuch der Behörden eine Reglementierung der Orthografie. Weilands und Siegenbeeks Vorschläge wurden 1804 von der Bataafsche Maatschappij van Taal- en Dichtkunde, von der Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde sowie von der Obrigkeit gutgeheissen. Noch im gleichen Jahr lag Siegenbeeks Verhandeling over de Nederduitsche spelling, ter bevordering van eenparigheid in dezelve (‚Abhandlung über die niederländische Orthografie zur Förderung deren einheitlicher Wiedergabe der Laute‘) vor (vgl. 2.2.2.). Weilands Nederduitsche Spraakkunst (‚Niederländische Grammatik‘) erschien ein Jahr später (vgl. 2.2.3.). In den südlichen Niederlanden wurden immer wieder Grammatik- und Sprachbücher aufgelegt, so von Gillis De Witte (1648–1721) oder Andries Stéven (1676–1747), die von einem Bemühen um systematische, normative Regeln für die Schreibsprache zeugen. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. erschienen im Süden vermehrt Sprachbücher mit Regeln zur Orthografie und Aussprache sowie mit Angaben zum Lexikon des Niederländischen. Indem die Verfasser solcher Grammatiken und Schulbücher ihre Werke gegenseitig kritisierten und Neuauflagen überarbeiteten, entstanden allmählich vereinheitlichte grammatikalische Vorschriften für das Niederländische. So legten laut G. Rutten und R. Vosters namentlich Antwerpener Schulmeister in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die Grundlage einer südlichen normativen Schreibtradition. Zu ihnen zählten Jan Domien Verpoorten (1706–1773) mit seinem Woôrden-schat, oft letter-konst (‚Wortschatz oder Grammatik‘, 1752) und ein gewisser ‚P.B.‘, der 1757 sein Fondamenten ofte grond-regels der Nederduytsche spel-konst (‚Fundament oder Grundregeln der niederländischen Kunst der Orthografie‘) veröffentlichte. Sodann publizierte der aus Den Haag stammende Antwerpener Grundschullehrer Jan Des Roches (zirka 1735–1787) 1761 eine Nieuwe Nederduytsche spraek-konst (‚Neue niederländische Grammatik‘). Diese vollständige Grammatik, die mehrfach neu aufgelegt wurde, kann als eine Kodifizierung der Sprachregeln im Süden aufgefasst werden. Trotzdem bestand auch in den Österreichischen Niederlanden offenbar Bedarf an einer Einführung beziehungsweise weiteren Standardisierung grammatikalischer und orthografischer Regeln. So hält Verlooy mehr als zwei Jahrzehnte später fest: onze schryfwys‘ is nog niet gevestigt (‚unsere Art und Weise zu schreiben ist noch nicht festgelegt‘). Dabei wünschte man sich Sprachormen für das gesamte Gebiet, wie dies auch Verlooy ausdrücklich verlangte:

58

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Laet ons gezamentlyke Nederlanders, schoon wy van staet geschyden zyn, ons ten minsten in de Nederlandsche konsten aenzien als gevaderlanders en gebroeders. […] Begin-maer, doe-maer iet, hoe wynig het ook zy, doe-maer zien dat Gy verlangt, ook onze tael geëert te zien: en zy zal ’t wezen. (Verhandeling op d’onacht der moederlyke tael in de Nederlanden, Anonym, 1788; Verlooy 1979) (,Lasst uns gemeinsame Niederländer, obschon wir staatlich getrennt sind, uns wenigstens in den niederländischen Künsten als Vaterländer und Brüder betrachten. […]. Fang nur an, tue halt etwas, wie wenig es auch sein mag, zeige doch, dass Du Dich danach sehnst, dass unsere Sprache geehrt wird: und sie wird das sein‘) Diese Bereitschaft im Süden, sich bei der Kultivierung der Standardsprache dem Norden anzuschliessen, findet sich später im 19. Jh. bei den Anhängern des Integrationismus wieder (vgl. 3.4.2.2.). und mündete in eine Zusammenarbeit der nördlichen und südlichen Niederlande bei der Festlegung orthografischer Regeln des AN seit dem ersten Nederlandsche Taal- en Letterkundige Congres (‚Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Kongress‘) von 1849. Gegen Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jh. erschienen in den südlichen Niederlanden weitere Dutzende Veröffentlichungen zur Grammatik sowie Übungsbücher zum Lesen beziehungsweise Schreiben. Auch solche Werke, die die meisten Grundschulen besassen, zeigen ein Bemühen um die Muttersprache im Süden. 2.1.3.2. Vermittlung des Niederländischen durch Medien Zu den Medien, die zur Verbreitung des AN beitragen konnten, zählen vorrangig die Bibel und sonstige religiöse Texte, weiter auch politische Traktate, Pamphlete, Bekanntmachungen, Liederbücher, Schulbücher, literarische beziehungsweise nicht-literarische Werke, Korrespondenzen, Zeitungen, Almanache und Hefte. Darüber hinaus war im Freien einiges zu lesen, so Aushängeschilder, Plakate, Aushänge an Ladenfronten oder Fahrpläne von Kutschen und Treckschuten. Man kaufte oder lieh sich Zeitungen und Bücher, sang bei Festen, zu Hause und im Wirtshaus, nahm an Veranstaltungen kultureller Gesellschaften und Bibelvereinen teil oder besuchte Theatervorstellungen. Formen des AN hörten die Kirchgänger während der Gottesdienste, wenn aus der Bibel vorgelesen und gepredigt wurde. Der 1637 veröffentlichten Statenbijbel, die auch zu Hause gelesen wurde, ist denn auch besondere Bedeutung für die Verbreitung des AN beizumessen. Die Gläubigen sangen Lieder, die in die Schriftsprache übersetzt waren, sie hörten Mitteilungen über Geburten, Eheschliessungen, Steuern oder Wehrdienst, die nach dem Gottesdienst vorgelesen wurden. Erst im Laufe des 19. Jh. übernahmen Zeitungen die Aufgabe, Nachrichten unter grösseren Bevölkerungsschichten zu verbreiten. Lesen gewann nur langsam auf Kosten des Hörens an Bedeutung. Es stellt sich nun die Frage, inwiefern Medien wie die Presse, das Theater oder das Buch die Festigung des AN fördern konnten.

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

59

2.1.3.2.1. Presse Es war nicht unüblich, dass Nachbarn gemeinsam die teuren Zeitungen abonnierten. Übrigens wurden Zeitungen und Flugschriften häufig noch vorgelesen. So ist bekannt, dass die neuesten Nachrichten aus der Bredasche Courant (‚Zeitung von Breda‘) zum Verlauf des belgischen Aufstandes 1830 in Kaffeehäusern und Sozietäten von einem der Anwesenden vorgelesen wurden, der dazu auf einem Stuhl oder einem Tisch stand, vgl. Lintsen 1993. In der gleichen Zeit lasen Pfarrer in der Provinz Brabant nach der Messe im Wirtshaus aus dem geliebten, 1829 gegründeten Noord-Brabander (‚Zeitung von Nord-Brabant‘) vor. Der Sozialdemokrat Troelstra berichtet, dass sein Vater in den Siebzigerjahren Arbeitern Nachrichten über den Deutsch-Französischen Krieg vorlas. Bereits im 16. Jh. wurden in den Niederlanden Flugblätter gedruckt, die lokale, vorzugsweise aufsehenerregende Neuigkeiten festhielten. So berichtet eine Flugschrift von 1579 beispielsweise über ein ungeheures Gewitter in Gent; zu den zahllosen Veröffentlichungen dieser Art zählt auch das bekannte, detailliert illustrierte Blatt zur Enthauptung des Staatsmannes Johan van Oldenbarnevelt von 1619. Das älteste überlieferte niederländische Nachrichtenblatt, die Courante uyt Italien, Duytslandt, &c. (‚Aktuelle Nachrichten aus Italien, Deutschland etc.‘), das vermutlich von Caspar van Hilten in Amsterdam herausgegeben wurde, datiert von 1618. Zwei Jahre später erschienen in Amsterdam zwei Zeitungen, deren französische und englische Bearbeitungen als älteste Zeitungen in diesen Sprachen gelten. In Antwerpen begann der Verleger Abraham Verhoeven (1575–1652) 1620, seine mit Holzschnitten illustrierten Nieuwe Tijdinghen (‚Neue Nachrichten‘) zu veröffentlichen. Bald erschienen in weiteren holländischen Städten Veröffentlichungen mit Nachrichten wie beispielsweise die Post-Tydingen uyt ’s Graven-Hage (‚Postnachrichten aus Den Haag‘) oder die von Abraham Casteleyn ab 1656 publizierte Weeckelijcke Courante van Europa (‚Wöchentliche Zeitung Europas‘). Die Haerlemse saturdaeghse Courant (‚Haarlemer Samstagszeitung‘, ab 1658) beziehungsweise Haerlemse Dinsdaeghse Courant (‚Haarlemer Dienstagszeitung‘) erschien ab 1664 zwei Mal pro Woche als Opregte Haarlemsche Courant (‚Echte Haarlemer Zeitung‘). Auch im Süden wurden im Laufe des 17. Jh. vermehrt niederländischsprachige kranten (‚Zeitungen‘; krant Verkürzung von courant vgl. fra. courier) publiziert, so in Antwerpen, Brügge, Brüssel und Gent. Bald kamen zudem französische Editionen dieser Blätter in den Handel, in Antwerpen war zum Beispiel ab 1635 neben Den Ordinarissen Postilioen auch die französische Version Le Postillon Ordinaire erhältlich. Durch eine angepasste Lizenzpolitik verdrängte in den südlichen Niederlanden die französischsprachige Presse die niederländischsprachigen Zeitungen während der österreichischen Zeit. Anfänglich berichtete die Presse vornehmlich über Militär, Politik und Wirtschaft. Nach Napoleons endgültiger Niederlage nahm die Berichterstattung zu militärischen Ereignissen ab und die Zeitungen befassten sich vorzugsweise mit ökonomischen und gesellschaftlichen Themen. So veröffentlichten sie gesetzliche Bestimmungen, Ausschreibungen, Ernennungen und Entlassungen. Sie enthielten Mitteilungen zur Wehrpflicht und schrieben über Angelegenheiten inländischer und ausländischer prominenter Persönlichkeiten wie Geburtstagsfeste, Hochzeiten, Bootsfahrten oder Reittouren. Zudem sind nach der französischen Zeit bereits kritische Stellung-

60

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

nahmen in Leserbriefen und in Buchbesprechungen zu finden, erste Beispiele literarischer Kritik durch Journalisten stammen von 1814. Bis zur ersten Hälfte des 19. Jh. mussten die Herausgeber von Zeitungen behördliche Vorschriften strikt beachten. Immerhin hatten sich die courantiers (‚Journalisten‘) in der Republik, wo ein wirksamer nationaler Regierungsapparat fehlte, mehr Freiheiten erlaubt als ihre Kollegen im Ausland, wie Klagen europäischer Grossmächte über die holländische Presse belegen. Indem die städtischen Behörden Lizenzen zur Herausgabe von Zeitungen erteilten und sie mit dem dagbladzegel (‚Zeitungsstempel‘) besteuerten, hielten die Herrschenden die Presse dennoch in Schach. Eine zusätzliche Besteuerung von Papier bewirkte eine weitere Einschränkung der journalistischen Arbeit. Trotzdem begann mancher Journalist im letzten Viertel des 18. Jh., Standpunkte zu formulieren und gar die Bevölkerung gegen den Statthalter aufzustacheln, so im ersten niederländischen opinieblad (‚Meinungsbildende Zeitschrift‘) De Post van den Neder-Rhijn. Dieses patriotische Wochenblatt, an dem auch der Dichter Jacobus Bellamy (1757–1786, vgl. 2.3.2.1.) mitwirkte, wurde aber nach der Wiederherstellung der Macht Wilhelms V. 1787 verboten. Drei Jahre nach der Revolution nahm die Nationalversammlung am 18. März 1798 ein Grundgesetz an, das die Pressefreiheit in der neuen Republik theoretisch garantierte, 1791 wurde sie durch eine staatliche Regelung bekräftigt. Da aber die Obrigkeit bald gegen Journalisten einschritt, die nach ihrer Auffassung dieses Grundrecht missbrauchten, beseitigte sie in der Praxis die ‚heilig‘ erklärte Pressefreiheit. Während Ludwig Napoleons Herrschaft durften die Zeitungen keine politischen Aufsätze mehr veröffentlichen, nach der Einverleibung des Nordens beherrschten die neuen Machthaber die Presse vollständig. In den zentral regierten südlichen Niederlanden mussten die gazettiers ihre Texte vor der Veröffentlichung dem offiziellen Zensor vorlegen. Dennoch ist auch hier eine gewisse Pressefreiheit im letzten Viertel des 18. Jh. festzustellen, als Joseph II. versuchte, die zentralistische Macht zu verstärken (vgl. 2.1.1.). Die Revolution Brabants 1789 bewirkte aber, dass nur noch konservative Zeitungen erscheinen konnten. Nach dem Einmarsch der Revolutionäre lösten 1792 revolutionäre Blätter die kaisertreuen Zeitungen im Süden ab. Sie sollten sich nach dem kurzen Zwischenspiel der österreichischen Restauration erneut behaupten, als Frankreich die südlichen Provinzen 1795 annektierte. Nun machten die provinziellen Pressemonopole einer strengen Zensur Platz, mehrere Zeitungen machten Bankrott. Als Oppositionelle in der französischen Zeit anfingen, ihre Auffassungen in meistens anonymen Pamphleten zu verkünden, schritten die Behörden ein. Fortan überwachte die Polizei Drucker und Presse scharf, über zwanzig Zeitungen erhielten ein Publikationsverbot, mehrere Journalisten wurden festgesetzt oder gar deportiert. Niederländischsprachige Zeitungen durften nur noch mit französischen Übersetzungen erscheinen, in der Folge nahm die Zahl der Abonnenten sofort ab. Zwar konnten sich die lokalen Zeitungen im Süden dank einer Lockerung der Massnahmen im ersten Jahrzehnt des 19. Jh. vorübergehend erholen, ab 1810 beaufsichtigten die Behörden die Presse mit äusserster Strenge. Erneut brauchten politische Gegner Pamphlete als Ventil, um ihre Standpunkte kundzutun. Die Eroberung der ehemaligen VOC-Niederlassung am Kap der Guten Hoffnung durch die Briten 1795 erleichterte die Entstehung der Presse im Süden Afrikas. Als ein Jahr später die erste

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

61

Druckpresse eingeführt war, konnte der deutsche Buchbinder J.C. Ritter mit dem Drucken von Texten beginnen. Zwar wurde Englisch vorübergehend die offizielle Sprache der bunten Gesellschaft im Süden Afrikas, das Niederländisch ging allerdings nicht verloren, wie O. Praamstra darlegt. Die Einwohner, die u. a. aus den Niederlanden, Frankreich und Deutschland stammten, sprachen nach wie vor ein kreolisiertes Niederländisch, das zuerst Afrikaans-Hollands (‚Afrikaans Holländisch‘), später Afrikaans (‚Afrikaans‘) hiess. 1800 erschien als erste Zeitung in Kapstadt die zweisprachige The Cape Town Gazette and African Advertiser / Kaapsche Stads Courant en Afrikaansche Berigter (‚Kapstad-Zeitung und afrikanischer Anzeiger‘). Als das Gebiet von 1803 bis 1806 der Bataafse Republiek gehörte, wurde die Zeitung unter der Bezeichnung Kaapsche Courant veröffentlicht, danach hatte sie während der englischen Besatzung wieder den früheren Namen. Die Entfaltung der Presse und der Literatur am Kap gingen Hand in Hand, wie O. Praamstra festhält. Bezeichnenderweise warb die Kaapsche Courant, die sich stark auf das von den Franzosen besetzte Vaterland ausrichtete, in Gedichtform um finanzielle Unterstützung der Bewohner der heruntergewirtschafteten Republik: Komt, Edele Zuid-Africaanen! Komt, toont uw’ edelmoedigheid, Helpt ook het lot van hun verlichten, Wier bitt’re nood om bijstand schreit … Het Moederland zo fel geteisterd, Door bange Krijg, bij keer op keer, Vindt onder Africa’s banieren, Gewis haar eigen kind’ren weêr! (E. Conradie 1934, 225) (Kommt, Edle Süd-Afrikaner / Kommt, Zeigt Euere Grossherzigkeit, / Helft auch das Los von jenen zu erleichtern, / deren bittere Not weinend um Unterstützung fleht…/ Das Mutterland das immer wieder so stark / vom fürchterlichen Krieg heimgesucht wird, / findet unter Afrikas Bannern, / bestimmt seine eigenen Kinder wieder!/) Ab 1826 erschien die Kaapsche Courant nur noch englischsprachig als The Cape of Good Hope Government Gazette. Im gleichen Jahr gründete Joseph Suasso de Lima die niederländische Wochenzeitung Cultureel Weekblad De Verzamelaar (‚Kulturelles Wochenblatt Der Sammler‘), die später den Namen Kaapsche Courant, Afrikaansche Berigter of De Verzamelaar (‚Zeitung des Kaps, Afrikanischer Anzeiger oder Der Versammler‘) erhielt. In den niederländischen Zeitungen sind nach der französischen Zeit erste kritische Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Fragen zu finden, zudem ergaben sich Auseinandersetzungen zwischen Journalisten und Behörden. Sie kündigen die Emanzipation der Bürger an, die eine Entstehung politischer Gruppierungen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ermöglichte. Anfänglich hatten

62

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Journalisten aber noch immer mit einer kontrollierenden Obrigkeit zu rechnen, umso mehr als Wilhelm I., Herrscher des neuen Königreichs, Kritik an seiner Politik nur schwer ertrug. Als aufgeklärter Despot verstand er die Presse höchstens als doelmatig middel tot uitbreiding van kennis en voortgang van verlichting (‚zweckmässiges Mittel zur Erweiterung von Wissen und zum Fortgang der Aufklärung‘, vgl. Schneider 1979, 122), wie es im neuen Grundgesetz hiess. Nach Auffassung der Behörden missbrauchten liberale und römisch-katholische Zeitungen somit die Meinungsfreiheit, als sie sich in den Zwanzigerjahren der lokalen oder nationalen Politik widersetzten. Der Justizminister C. F. van Maanen schritt denn auch ein, Joachim le Sage ten Broek, Nestor der römisch-katholischen Presse in den Niederlanden und Verfechter der Pressefreiheit, liess er gar einsperren. Aus unterschiedlichen Gründen ist anzunehmen, dass die gegängelte Presse nur eine bescheidene Rolle bei der Verbreitung des AN während der französischen Zeit wie auch im Zeitalter des Vereinten Königreichs spielte. So konnten sich lediglich begüterte Bürger Zeitungen leisten, die durch die 1812 eingeführte Zeitungssteuer noch kostspieliger wurden. Auch wenn die courantiers durch die Herausgabe von lilliputterkranten, kleinformatigen Zeitungen, versuchten die Stempelsteuer zu umgehen, so kann die Zeitungspresse in dieser Zeit nicht als ein Medium eingestuft werden, das die Verwendung der Schriftsprache durch die breite Masse bewirkte. Ohnehin las eine grosse Mehrheit der Bevölkerung wohl kaum, sieht man vom Lesen aus der Bibel ab. Bezeichnenderweise missbilligten sowohl protestantische als auch römisch-katholische Geistliche einen nutzlosen Zeitvertreib wie Lesen: es machte die Leute faul und brachte sie nur auf dumme Gedanken, vgl. u. a. M. Mathijsen 1996. Somit dürften die Zeitungen wie auch die Flugblätter mit ihren eher knappen Texten für die Festigung des AN von geringerer Bedeutung gewesen sein. Erst am Ende der Zwanzigerjahre des 19. Jh. zeichneten sich eingreifende Änderungen im Zeitungswesen ab. Es liess sich nun, wie R. de Graaf festhält, eine politische und gesellschaftliche Bewusstwerdung in der Berichterstattung feststellen, oppositionelle Zeitungen kamen auf. Sie kündigten die Entstehung der Massenpresse an, die mit neuen Inhalten das traditionelle Muster herkömmlicher Stadtzeitungen durchbrach. Die Zeitungen übernahmen nun neue Funktionen, sie fingen an, kritische Analysen zu veröffentlichen und sich an ein breiteres Publikum zu richten. So sollte die Presse grössere Bevölkerungsschichten mit dem AN vertraut machten, vgl. 3.1.2.2.1. 2.1.3.2.2. Theater Zwei Tage nach dem Einmarsch der französischen Truppen öffnete die Amsterdamsche Nationaale Schouwburg 1795 wieder ihre Pforten, wie H.J.J. de Leeuwe notiert. Dieses ‚Amsterdamer Nationale Schauspielhaus‘ bot den Zuschauern anfänglich vor allem niederländischsprachige Dramen, die das Vaterland, die Freiheit oder den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verherrlichten. Auf dem Spielplan standen bald auch Theaterstücke, die, nicht selten in Prosa verfasst, solche Stoffe wie Ehebruch, weiblichen Leichtsinn oder Spielleidenschaft thematisierten. Ballette und humorvolle Zwischenspiele boten dem Publikum zusätzliche Zerstreuung. In der 1804 neu eingerichteten Nieuwe Haagsche Schouwburg wurden neben französischen Opern und Dramen ebenfalls niederländische Bühnenstücke aufgeführt. Als sich nach der anfänglichen

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

63

Begeisterung über die Revolution allmählich eine Abkehr gegen die Machthaber abzeichnete, wurde die von König Ludwig Napoleon eingeführte Zensur des Theaters wohl verschärft. Jedenfalls erhielten die Verwalter der Schauspielhäuser 1813 eine offizielle Liste mit verbotenen Dramen (vgl. Ruitenbeek 1996). Übrigens erlangten mehrere niederländische Schauspieler und Schauspielerinnen der neuen Generation international Ruhm. So war Kaiser Napoleon, der 1811 Racines Phèdre in Amsterdam sah, voller Lob über die schauspielerischen Leistungen Johanna Cornelia Zieseni-Wattiers. Bemerkenswert ist, dass man in solchen Vorstellungen simultan neben französischen auch niederländische Rollen spielte. In den von Frankreich annektierten südlichen Niederlanden setzten die Behörden das Theater für die französische Kulturpolitik ein, die Theatermacher warben für republikanische Bürgertugenden. Bezeichnenderweise spielte man sowohl vor, während und nach den in französischer Sprache aufgeführten Dramen patriotische Musik, wie J. Roegiers (AGN 11) darlegt. Das Theater französierte vollständig in den ehemaligen Österreichischen Niederlanden, der Präfekt des Schelde-Departements liess in der Folge 1807 sämtliche niederländischsprachigen Theater schliessen. Falls ein Ensemble überhaupt die Bewilligung erhielt, ein niederländisches Bühnenstück zu spielen, musste es dies mit einer französischen Darbietung einhergehen lassen. So benutzte die Obrigkeit das Theater nicht nur als Instrument, um das Bürgertum des heutigen Belgien vermehrt für sich zu gewinnen, sondern auch um das Gedankengut beziehungsweise die Sprache der neuen Machthaber auf Kosten der niederländischen Sprache und Kultur zu fördern. Nach Abzug der Franzosen bestand im neu gegründeten niederländischen Königreich vorübergehend Bedarf an Theaterstücken, die von der Liebe zum Vaterland zeugten, Texte in ‚reinem Niederländisch‘ (vgl. Ruitenbeek 1996, 376) zu Heldentaten aus der nationalen Geschichte waren gefragt. Welches ‚reine‘ Niederländisch die Theatermacher in der Praxis bevorzugten, lässt sich allerdings nicht ohne Weiteres bestimmen, wie nachher erörtert wird. Wohl ist festzustellen, dass sich im Schauspielhaus die unterschiedlichsten Zuschauer, Handwerker und Dienstboten im Juchhe, wohlhabende Bürger auf dem Parkett oder die vornehmen Leute in den Logen mit Formen des gesprochenen Niederländischen vertraut machten. Sowohl die nationalen Schauspielhäuser wie auch das Amateurtheater trugen so zur Verbreitung des gesprochenen Niederländischen unter Menschen unterschiedlicher sozialer Klassen bei. König Wilhelm I. interessierte sich vor allem für das Theater der Haager Residenz, er unterstützte hier das Nederduytsch Theater (‚Niederländisches Theater‘) jährlich mit 10.000 Gulden, das ansässige Theatre Français, das ein vornehmeres Publikum anlockte und auch Opern aufführte, erhielt zudem bedeutend höhere königliche Zuschüsse. Das Königliche Theater in Brüssel kümmerte den Monarchen dagegen weniger, der Versuch, 1823 mit finanzieller Unterstützung in dieser zweiten Residenz ein niederländisches Theaterensemble zu gründen, misslang. Bald standen vor allem übersetzte Bühnenstücke auf den Spielplänen. So waren von den zirka 1200 Dramen, die zwischen 1819 und 1867 im Haager Schauspielhaus zu sehen waren, 700 von französischem, 300 von deutschem und nur 150 von niederländischem Ursprung. Das Haager Theater sollte während des 19. Jh. zweisprachig Französisch und Niederländisch bleiben, niederländischsprachige Vorstellungen galten hier als zweitrangig. Niederländischsprachige Aufführungen anderer Schauspielhäuser fanden ebenfalls nur wenig Anklang bei den gebildeten

64

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Bürgern. In der Regel entsprachen sie nicht den Anforderungen der Rezensenten, die statt Übersetzungen ursprünglich niederländische Bühnenstücke wünschten, die eine ‚Bildung von Herz und Verstand‘ förderten. Sie verlangten Theater, das für Tugenden wie Treue, Bescheidenheit oder Sparsamkeit werben konnte. Dass die Theatermacher dagegen die ‚Nachbarn nachäfften‘ und vorzugsweise übersetzte, volkstümliche Bühnenstücke aufführten, stiess bei den Kritikern folglich auf wenig Gegenliebe. Im Laufe des 19. Jh. wurde das ‚holländische‘ Theater immer mehr zu einem Ort weniger Privilegierter, die sich mit Melodramen und Spektakelstücken amüsierten. Die häufig schlecht artikulierenden Akteure benutzten ohne Bedenken wenig kultivierte Formen des Niederländischen. Bereits 1805 bemängelt A.L. Barbaz während einer Zusammenkunft der Gesellschaft Felix Meritis in Amsterdam, dass Amateurschauspieler weder lesen noch sprechen könnten, ‚wie es sich gehört‘: Elk wil zich, als akteur, met eene rol bedeelen, Schoon hy zyne eigen rol, als mensch, niet weet te speelen; Wie zelfs niet lezen kan, of spreken zo ’t behoort, Wil dat een ieder door zyn gaven zy bekoord. (Ruitenbeek 2002, 88–89) (‚Jeder möchte sich eine Rolle als Akteur zuteilen, Obschon er seine eigene Rolle als Mensch nicht zu spielen weiss; Wer nicht Mal Lesen oder Sprechen kann wie es sich gehört, möchte, dass jeder von seinen Gaben entzückt wird.‘) Mit dem Ausdruck spreken zo ’t behoort (‚Sprechen wie es sich gehört‘) setzt der Kritiker eine Norm für anständig gesprochenes, überregionales Niederländisch voraus, das auf der Bühne anzuwenden wäre. Das bestätigt, dass sich die Gebildeten in den Niederlanden einer solchen gepflegten Sprachvarietät bewusst waren (vgl. 2.1.2). Anscheinend hatten Schauspieler, die einem derartigen angenommenen Standard des Niederländischen nicht genügten, mit dem Spott entwickelter Bürger zu rechnen. Wie diese Norm für das gepflegte Niederländisch genauer festzulegen war, stand gerade im ersten Jahrzehnt des 19. Jh. zur Diskussion, als Behörden und Gelehrte eine verbindliche Kodifizierung des AN anstrebten, vgl. 2.1.3.1. Auch Aufführungen professioneller Ensembles gaben Anlass, den Sprachgebrauch im Theater zu bemängeln. So beanstandet 1828 ein Rezensent, die Schauspielerin Van Velsen Greeven habe als Amateurin zu lange für ein wenig gesittetes Publikum gespielt. Nun verwende sie im Amsterdamer Schauspielhaus eine ausserordentlich ungepflegte Mundart: Hare stem is door het schreeuwen valsch geworden hare oogen draaijen als die eener verliefde schelvisch; haar tongval is bijzonder plat; (Ruitenbeek 2002, 88) (‚Ihre Stimme ist durch das Schreien falsch geworden, ihre Augen drehen als jene eines verliebten Schellfisches; ihre Mundart ist ausserordentlich ungepflegt;‘)

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

65

Auch später sollten Theaterrezensenten immer wieder die schlechte Artikulation der Schauspieler und ihre Verwendung von Dialekt an den Pranger stellen, vgl. 3.1.2.2.2. Die 1821 in Amsterdam gegründete Ausbildungsanstalt für Schauspieler, Fonds ter Opleiding en Onderrigting van Tooneel-Kunstenaars aan den Stads Schouwburg te Amsterdam, hat dies nicht verhindern können. Dies ist nicht verwunderlich, denn der Schauspieler-Maler Johannes Jelgerhuis (vgl. Abb. I) und seine Kollegen unterrichteten an diesem Institut, das nur einige Jahre bestand, vor allem die Körperhaltung und Bewegung der Akteure sowie die historische Richtigkeit von Kostümen, Texte behandelten sie nicht. Somit hat das Theater in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. zwar zur Verbreitung von Formen des gesprochenen Niederländischen unter verschiedenen Bevölkerungsgruppen beigetragen, als Medium zur Vermittlung eines allgemeinen kultivierten Niederländisch ist dem Schauspielhaus in dieser Zeit nur eine bescheidene Rolle zuzusprechen. 2.1.3.2.3. Veröffentlichungen in Buchform Wie ist das Buch als Medium für die Verbreitung des AN in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. einzustufen? Mit dieser Frage ist die komplexe Problematik der Rekonstruktion des Leseverhaltens und des Bücherbesitzes der Vorfahren dieses Zeitabschnitts angesprochen, die in diesem Rahmen nicht weiter zu vertiefen ist. Wohl lassen sich einige Forschungsergebnisse anführen, die einen Eindruck von der Vermittlung des AN durch Veröffentlichungen in Buchform geben. So zeigen Inventarlisten von Hausraten, dass Haushalte in der frühmodernen Zeit in der Regel nur wenige Bücher umfassten. In der Mitte des 18. Jh. besassen zum Beispiel 60 % der Haushalte in Paris zwar Schreibsachen, jedoch keine Bücher, in den Niederlanden dürfte dies laut H. Dibbits ähnlich gewesen sein. Bezeichnenderweise bildete gegen Ende des 18. Jh. der Verkauf von Papier und Schreibwaren die wichtigste Einnahmequelle eines Bücherbetriebs in Zwolle. Allerdings wurden in den niederländischen Hinterlassenschaften häufig eine Bibel, ein Testament, nicht selten auch ein Psalter und Traktate mit Bibelerklärungen angetroffen. Für die Vermittlung des AN sind daher auch in diesem Zeitalter religiöse Texte, insbesondere die ins Niederländische übersetzten Bibeln von Bedeutung. Die Protestanten, die eine Mehrheit der Bevölkerung bildeten, lasen nicht nur eine andere Übersetzung als die Katholiken, sondern sie nahmen das boek der boeken (‚Buch der Bücher‘) auch mehr zur Kenntnis als ihre Widersacher. Aus einer Volkszählung von 1809 geht laut E. Beukers (Bosatlas 318 ff) hervor, dass in grösseren Teilen der Niederlande 75 % der Bevölkerung kalvinistisch war, in südlichen Gebieten wie Brabant und Limburg dagegen hingen etwa drei Viertel der Bewohner dem römisch-katholischen Glauben an. Übrigens war der Anteil der Römisch-Katholischen zwischen 1813 und 1830 vorübergehend bedeutend höher, als das heutige Belgien zum Vereinten Königreich gehörte. Seit Anfang der Kontrareformation benutzten die Katholiken Nicolaas van Winghes von der Kirche zugelassene Übersetzung, die Bartholomeüs van Grave 1548 herausgegeben hatte. Sie war allerdings unter den katholischen Gläubigen weniger verbreitet als die Statenvertaling unter den Protestanten. Dieser von Theologen und Philologen in Auftrag der Generalstaaten hergestellte Text, der 1637 erschien, sollte bis ins 19. Jh. die Reglementierung der Schriftsprache mitbestimmen. Dank verbesserter Drucktechniken wurden im 19. Jh. mehr religiöse Texte als je zuvor herausgegeben. Sie waren gefragt. So lasen und zitierten Mitglieder der vielerorts entstandenen

66

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

und bei der Bevölkerung so beliebten bijbelgenootschappen (‚Bibelvereine‘) immer häufiger in AN formulierte Bibeltexte und Traktate. Auch auf diese Weise fand das AN bei den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten Anwendung. Zu den Psalterbüchern, welche die Gläubigen besassen, zählt die von Johannes Eusebius Voet bearbeitete Ausgabe von 1763. Weiter sangen die Kalvinisten aus der von den Generalstaaten in Auftrag gegebenen Ausgabe der Psalmen von 1773. Diese immer wieder neu aufgelegte und viel gebrauchte Übertragung hatte übrigens 1775/76 zu einem psalmenoproer (‚Psalm-Aufruhr‘) in orthodoxen Gemeinden geführt, die nach wie vor die archaischen Wörter von Petrus Datheens (zirka 1531–1588) Übersetzung bevorzugten. So haben nicht nur neuere, sondern auch ältere Psalterübersetzungen weiterhin zur Verbreitung eines überregionalen Niederländischen beigetragen. Schliesslich erwähnen Inventarlisten des öfteren Volksbüchlein, deren Titel in der Regel nicht aufgelistet sind. Diese bunte Lektüre, zumeist abenteuerliche Geschichten und unwahrscheinliche Erzählungen, kannte wohl eine weitere Verbreitung unter der Bevölkerung als die Belletristik. Wer sich aber mit vaterländischer Literatur befasste, machte mit Erneuerungen des niederländischen schöngeistigen Schrifttums Bekannschaft. So hatten Betje Wolff und Aagje Deken 1782, angeregt von der Prosa Samuel Richardsons (1689–1761) den ersten niederländischen Roman in Briefform, De Historie van Mejuffrouw Sara Burgerhart (1796 als ‚Sara Reinert, eine Geschichte in Briefen, dem schönen Geschlechte in Deutschland gewidmet‘ in Berlin herausgegeben) veröffentlicht. Es folgten in den letzten Jahrzehnten des 18. Jh. mehrere solcher umfangreicher neuartiger Prosawerke, sowohl von den beiden Herzensfreundinnen als auch von der Schriftstellerin Elisabeth Maria Post (1755–1812). Weiter erschienen nun sentimentele Romane, so zum Beispiel Julia (1783) von Rhijnvis Feith (vgl. 2.3.2.2.) oder Een fragment van eene sentimenteele historie (‚Ein Fragment einer sentimentalen Geschichte‘ 1784) von Jacobus Bellamy (vgl. 2.3.2.1.). Es handelte sich dabei um ‚radikal empfindsame‘ (Leuker in Grüttemeier 2006, 141) Prosatexte, die in den Niederlanden kurz Mode wurden, als zwischen 1776 und 1793 mehrere Übersetzungen von Goethes Werther in den Handel kamen. Die ‚sentimentalen‘ niederländischen Werke zeichnen sich laut M.-T. Leuker durch eine besondere Intensität des Erlebens und Darstellens subjektiver Gefühle aus. Bald aber kritisierten zeitgenössische Literaturliebhaber diese ausgefallene Prosa, so prangerte bereits Johannes Kinker sie in seiner 1788 gegründeten Zeitschrift De Post van den Helicon (‚Die Post des Helikons‘) an. Dichterische Werke waren zudem in Hülle und Fülle erhältlich, so beispielsweise von Willem Bilderdijk. Zu seinem umfangreichen Œuvre zählen nicht nur Balladen wie u. a. Graaf Floris de Vierde (‚Graf Floris IV.‘) 1803, sondern auch das unvollendete Epos De ondergang der eerste wareld (‚Der Untergang der ersten Welt‘) sowie mehrere Bände Lyrik, mit Texten wie Ode aan Napoleon (‚Ode an Napoleon‘) 1806, Afscheid (‚Abschied‘) 1810 oder Boetzang (‚Busssang‘) 1826. Johannes Kinker veröffentlichte drei Bände mit eher philosophischen Gedichten (‚Gedichte‘ 1819–1821) und einige längere, von Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759–1805) beeinflusste Dichtungen wie Het Alleven of de Wereldziel (‚Das unendliche Leben der unsterblichen Nautur oder die Weltseele‘). Anthony Christiaan Winand Staring liess

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

67

u. a. treffende, lyrisch ausgefeilte Gedichten (‚Gedichte‘) 1820 und Winterloof (‚Winterlaub‘) 1832 in Druck geben, verfasste aber auch epische Werke wie den Jaromir-Zyklus. Die Prosa von Adriaan Loosjes gilt als Vorbote des im 19. Jh. beliebten historischen Romans. Jan Frederik Helmers’ (1767–1813) Veröffentlichung des umfangreichen Werks De Hollandsche Natie (‚Die holländische Nation‘) 1812 während der französischen Zeit zeugt von Mut und Vaterlandsliebe, seine Rhetorik dürfte den heutigen Leser weniger überzeugen. Das gilt auch für die Lyrik seines Schwagers Cornelis Loots (1765–1834). Mehr noch als Helmers und Loots feierten die Literaturliebhaber Hendrik Tollens (1780–1856, vgl. 2.5.2.1.). Als traditioneller Dichter verherrlichte er das häusliche Glück, das ländliche Leben und die vaterländische Geschichte. Dagegen sind der Leidener Bibliothekar und Ordinarius Jacob Geel (1789–1862) und der zum Kalvinismus bekehrte Jurist Isaac da Costa (1798–1860) als Verfasser kritischer Prosa einzustufen, die sich mit pointierten, scharfen Formulierungen gegen de geest der eeuw (‚den Geist des Jahrhunderts‘) wehrten. Übrigens kennen Leser der Gegenwart niederländische Schriftsteller dieses Zeitalters kaum, sieht man von Studenten, Spezialisten und vereinzelten Liebhabern ab. Für Einführungen in die Literatur dieser Epoche vgl. Grüttemeier et al. 2006 und Van den Berg et al. 2016. Obschon die angeführten Dichter und Schriftsteller in ihrer Zeit nationalen Ruhm erlangten, ist die Verbreitung ihrer Werke wohl als bescheiden einzuschätzen. So zeigen Untersuchungen von Archiven einiger Buchhandlungen, dass nicht mehr als sechs Prozent der Haushalte regelmässig Bücher anschafften, wovon nur ein Teil belletristisch war. Es kam somit nur eine geringere Anzahl der literarischen Neuerscheinungen in den Besitz von Haushalten. Folglich kann in dieser Zeit nicht von einer durch Schriftsteller ausgelösten ‚Leserevolution‘ unter der Bevölkerung die Rede sein. Damit hielt sich die Bedeutung von literarischen wie übrigens auch von nicht-literarischen Büchern für die Verbreitung der Schriftsprache, abgesehen von religiösen Texten, in Grenzen. Wohl kam die regelmässige Beschaffung von Veröffentlichungen in Buchform in allen Bevölkerungsschichten vor. Unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse besorgten sich die Kunden der Buchhandlungen (vgl. Abb. I) laut H. Brouwer meistens mehr oder weniger gleiche Bücher. Beruf oder gesellschaftliche Stellung scheinen das Verhalten der Käufer beziehungsweise der Leser weniger bestimmt zu haben als ihr persönliches Interesse. So konnte ein Bauer oder ein Bäcker eine beachtliche Büchersammlung besitzen, während mancher entwickelte, wohlgestellte Bürger kaum Lesenswertes besass. Die gebildeten, gut situierten Bürger dieser Epoche sind denn auch nicht als Bahnbrecher des intellektuellen Lebens respektive als Förderer des AN einzustufen. 2.1.3.3. Erneuerung des Bildungswesens, zunehmende Alphabetisierung im Norden Die von den neuen Machthabern in die Wege geleiteten Bildungsreformen brachten in den nördlichen Niederlanden als bedeutendste Massnahme die Einführung des Klassenunterrichts an der Grundschule. Bislang sammelten die in der Regel unzureichend ausgebildeten Lehrpersonen möglichst viele Kinder unterschiedlicher Altersstufen bei sich zu Hause, um sie gegen ein bescheidenes Entgelt ohne eingehende Behandlung des Stoffes lesen, schreiben und rechnen zu lassen. Während die Schulmeister am Pult sitzend versuchten, Disziplin zu halten, mussten sie im gemeinsamen Raum so gut es eben ging die Fortschritte einzelner Schüler überprüfen. Der

68

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

neuzeitliche Klassenunterricht gestattete es dem Grundschulpersonal nun, Kindern der gleichen Lernstufe an einer Wandtafel den Stoff zu vermitteln und sie üben zu lassen. Diese fortschrittliche Arbeitsweise verlangte geeignete Schulgebäude und neue Schulbücher. Die Grundschullehrer, die fortan Prüfungen abzulegen hatten, bevor sie unterrichten durften, mussten höhere Anforderungen erfüllen. Ihre Ausbildung konnte ab den Achtzigerjahren des 18. Jh. an kweekscholen‚ Instituten zur Ausbildung von Grundschulpersonal, erfolgen. Diese hatte die Gesellschaft De Maatschappij tot Nut van ’t Algemeen (‚Die Gemeinnützige Stiftung‘) bereits vor der Einführung des ersten Schulgesetzes von 1801 in Haarlem, Amsterdam, Groningen und Leiden ins Leben gerufen. Somit entstand denn auch Bedarf an Studienbüchern für die jeweiligen Fachgebiete, so an Veröffentlichungen zur Orthografie und Grammatik der Muttersprache. Eine Schulinspektion achtete auf die Einhaltung der neuen Unterrichtsgesetze, die der Leidener Professor J.H. van der Palm als agent van nationale opvoeding (‚Minister von nationaler Erziehung‘) und seine Nachfolger entworfen hatten und die u. a. den Lehrstoff und die Schulzeiten festlegten. Zudem förderten im Laufe des 19. Jh. die Inspektoren insbesondere in Zusammenarbeit mit der Maatschappij tot Nut van ’t Algemeen Erneuerungen der Bildung und der Lehrmittel. Im Niederländisch-Unterricht wurden dazu neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Orthografie und Grammatik berücksichtigt. Zu welchen ausführlichen Beschreibungen des Niederländischen dies schliesslich führte, geht beispielsweise aus Den Hertogs Grammatik hervor, die 1892/96 erschien, vgl. 3.2.2. Obschon eine Regierungskommission auch Massnahmen zur Verbesserung des Unterrichtes an den Lateinischen Schulen anregte, die u. a. die Einführung von modernen Sprachen, darunter Niederländisch beinhalteten, blieben diese ausser Kraft. Demzufolge stellten französische Sachverständige in der napoleonischen Zeit fest, dass sich an diesen Schulen, die auf eine akademische Ausbildung vorbereiteten, seit dem im 16. Jh. angefangenen Achtzigjährigen Krieg nichts geändert habe. Ebenso wenig gelang es, die Lateinische Schule als Sekundarunterricht in einem dreistufigen Bildungssystem nach französischem Muster zu integrieren. Die französischen Schulen, die vor allem von Kindern wohlhabender Bürger besucht wurden, boten in der Regel nicht mehr als Grundschulunterricht mit zusätzlichen Abschlussklassen an für diejenigen, die nicht an die Lateinschule gingen. Die unterschiedliche Qualität der einzelnen Mittelschulen hing vom jeweiligen Schulleiter ab. Eine Reform der Mittelschule, die auch zum besseren Niederländisch-Unterricht führte, setzte in den Niederlanden erst 1863 mit dem ersten Gesetz zum Mittelschulunterricht ein, vgl. 3.1.2.1. Bis dahin wurde dem Unterricht des Niederländischen an der Mittelschule nur wenig Zeit eingeräumt. So widmete man der Muttersprache an der Lateinischen Schule nur in der unteren Stufe vereinzelte Stunden, an der französischen Schule lernten die Schüler planlos unzusammenhängende Regeln des Niederländischen, ohne diese weiter zu vertiefen und zu üben. Trotz Versuchen, die Alma Mater von Leiden zur einzigen nationalen Universität der Niederlande auszubauen, behaupteten sich die Universität Groningen und die auf Anordnung der Behörden vorübergehend geschlossene Utrechter Hochschule. Dagegen wurden die Universitäten Franeker und Harderwijk 1811 aufgehoben. Athenea (‚akademische Institute‘) gab es zudem in Amsterdam und Deventer und Franeker, die allerdings kein Examens- oder Promotionsrecht hatten. In der Zeit des Vereinten Königreichs ist die Zahl der Studierenden und der Hochschul-

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

69

absolventen als niedrig einzustufen. So studierten 1830 nur zirka 500 Studenten in Leiden, rund 30 Professoren lehrten und forschten an der ältesten Universität der Niederlande. Die Zahl der Bildungsbürger betrug in dieser Epoche lediglich 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Übrigens schuf die Berufung von Matthijs Siegenbeek zuerst zum Extraordinarius 1797, später zum Ordinarius der Niederländischen Sprach- und Literaturgeschichte, Rhetorik und nachher auch Vaterländischen Geschichte an der Universität Leiden die Voraussetzungen für die Entfaltung der niederländischen Philologie. Bald sollte Siegenbeek zu den von den Behörden angeregten Reglementierungen der niederländischen Schriftsprache beitragen. Laut O. Boonstra ist nicht auszuschliessen, dass die neuen Schulgesetze und damit wohl auch die Erneuerungen im Schulwesen zu einer markanten Abnahme des Analphabetismus während den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. in den nördlichen Niederlanden geführt haben. Es wurde nachgewiesen, dass von den 1775 geborenen Buben später 75 % lesen und schreiben konnten, 1830 beherrschten 90 % der männlichen Bevölkerung diese Fähigkeiten. Immer mehr Niederländer lernten die Schriftsprache lesen und schreiben, was eine Verbreitung des Standardniederländischen erleichtern sollte. 2.1.3.4. Missglückte Schulreformen und Analphabetismus in den südlichen Niederlanden Die Ausbildung von Jungen und Mädchen, soweit sie überhaupt in die Schule gingen, fand in den Österreichischen Niederlanden an kleine scholen (‚kleinen Schulen‘) oder lagere scholen (‚Grundschulen‘) statt. Die Schulkinder erhielten hier hauptsächlich Religionsunterricht als Vorbereitung auf die erste Kommunion, zusätzlich lernten sie Lesen, gelegentlich auch etwas Schreiben, seltener noch Rechnen. Oft erteilten Geistliche den Unterricht, namentlich in Brabant und in Flandern, aber auch Küster, Landwirte und Handwerker wirkten nebenberuflich als Primarlehrer. Kirchliche Autoritäten wie Dekane und Pfarrer überwachten den Unterricht, der in der Regel nur im Winter erfolgte. Die Eltern entrichteten Schulgeld, die Spesen der Mittellosen konnte, je nach örtlichen Umständen, die Armenfürsorge übernehmen, manchmal trug auch eine Kommune zu den Kosten einer Schule bei. Versuche der Obrigkeit, das Bildungswesen gefügig zu machen beziehungsweise die Schulpflicht einzuführen, schlugen fehl, Kaiserin Maria Thereses ordonnantie (‚Verfügung‘) von 1774 griff diesbezüglich in den südlichen Niederlanden nicht. Die colleges (‚Lateinschulen‘) und privaten Pensionate bereiteten in einer christlich-humanistischen Tradition Jungen auf eine akademische Ausbildung oder auf das Priestertum vor. Mädchen konnten beschränkt Mittelschulunterricht an von Geistlichen geführten Institutionen erhalten. Unklar ist, wie die Berufsausbildung stattfand. Zwar versuchte die Obrigkeit, auch die Mittelschule in den Siebzigerjahren des 18. Jh. unter Einfluss aufklärerischer Erziehungsideale zu reformieren, allerdings mit beschränktem Erfolg. So behielten die in der Folge entstandenen koninklijke colleges (‚königlichen Mittelschulen‘) auch nach der Aufhebung der Jesuiten-Orden 1773 ihren konfessionellen Charakter. Übrigens wurden nach der Brabanter Revolution die Massnahmen zur Bildungsreform aufgehoben. Nach der Annexion der südlichen Niederlande durch Frankreich versuchten die republikanischen Herrscher in den Départements Réunis (‚die mit Frankreich vereinten südlichen Niederlande‘), das Schulwesen des Ancien Régime laut dem Gesetz vom 3 brumaire IV, d. h. 25.

70

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Oktober des vierten Jahres nach der Revolution, 1795, durch ein staatliches Schulsystem zu ersetzen, das auf den Idealen der Französischen Revolution basierte. Dazu zerstörten sie in den Jahren 1796 bis 1798 die bestehenden Bildungsstrukturen und gründeten in jedem Kanton écoles primaires (‚Grundschulen‘). Fortan wurde der Grundschulunterricht in französischer Sprache erteilt. Die Weiterbildung erfolgte an den écoles centrales, während die Hochschulausbildung an einigen écoles spéciales stattfand. Es wurde die republikanische Moral gelehrt, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte gehörte zum Lernstoff. Schwerpunkt der säkularisierten Erziehung, die drei Phasen kannte, bildeten die Naturwissenschaften, es wurde vor allem enzyklopädisches Wissen vermittelt. Die jüngeren Schüler der niederländischsprachigen Provinzen beherrschten Französisch in der Regel zu wenig gut, um ein solches Lehrangebot mit frei zu wählenden Fächerkombinationen genügend auszuschöpfen. Die lokalen Behörden befolgten die auferlegten strengen Bestimmungen, die zur Entlassung von geistlichen Lehrern und Lehrerinnen geführt hatten, nur teilweise. Immerhin erhielten nun in Städten, wo Adlige und vornehme Bürger Französisch beherrschten, weitere Bevölkerungsschichten Zugang zum Unterricht auf Französisch. In ländlichen Gegenden, wo der Grossteil der Bevölkerung das Französische nicht beherrschte, missglückten allerdings Versuche, an der Grundschule diesen Unterricht durchzuführen. Ohnehin wurden die staatlichen Grundschulen schlecht besucht, hatten doch viele Eltern ein Misstrauen einer Obrigkeit gegenüber, die Geistliche, darunter Erzieher verfolgte. Trotz des Konkordats von 1801 (vgl. 2.1.1.) gelang es der Kirche nur zum Teil, im Bildungswesen wieder Fuss zu fassen. Lyzeen und Privatinstitute, die neben Laien auch Priester einstellten, ersetzten im Süden während der napoleonischen Kaiserzeit nun die nicht mehr erwünschten republikanischen Zentralschulen. Der Unterricht, der nach wie vor auf Französisch erteilt wurde, umfasste vermehrt klassische Sprachen, zudem drillten Instruktoren die Schüler der ‚Lyzeen‘ während ihrer sechsjährigen Ausbildung militärisch. Spitäler in Brüssel, Gent und Antwerpen führten nach kaiserlichem Dekret Hochschulkurse auf dem Gebiet der Medizin ein, in Lüttich entstand eine Schule für Mediziner und in Brüssel wurde eine Schule für Rechtswissenschaft gegründet, die 1810 mit den Fakultäten für Philologie und Wissenschaft die Universität zu Brüssel bildete. Die Erziehung an der Grundschule verbesserte sich indessen nicht, da die Kommunen während der napoleonischen Zeit, aber auch danach das frühere, von der römisch-katholischen Kirche gelenkte Bildungssystem nur dürftig ersetzen konnten. Vermehrt versuchten Unausgebildete als Lehrer ihr Glück an der Grundschule, wo der Unterricht von grösseren Gruppen Jugendlicher unterschiedlicher Lehrstufen dem Klassenunterricht noch nicht Platz gemacht hatte. Zudem waren die Lehrmittel wenig brauchbar. Hinzu kam, dass die Schüler den Unterricht unregelmässig oder gar nicht besuchten. In der Folge nahm der Analphabetismus in den südlichen Niederlanden trotz der neuen Gesetze, die auf aufklärerischen Überzeugungen gründeten, in der französischen Zeit zu. Von den Männern dürften in Flandern 50 %, von den Frauen 70 % Analphabeten gewesen sein. Nach der Vereinigung der nördlichen und südlichen Provinzen stellten Beamte, die das Schulwesen untersuchten, 1816 fest, dass sich die Grundschule im Süden in einer erbärmlichen Lage befand. Eine Bildungsreform, wie sie im Norden bereits Anfang des 19. Jh. durchgeführt wurde, war angesagt, vgl. 2.3.4.

2.1. Festigung des Allgemeinen Niederländischen

71

2.1.3.5. Staatliches Eingreifen in die Sprachkultur des Südens Die von Frankreich 1795 annektierten südlichen Niederlande (vgl. 2.1.1.) bildeten ein mehrsprachiges Gebiet mit vermutlich etwas mehr als zwei Millionen Seelen. Es umfasste neben deutschsprachigen Gegenden im Osten des heutigen Belgiens und in Luxemburg das einsprachige französische Wallonien und die nördlich davon gelegenen Provinzen der heutigen Region Flandern, wo die grosse Mehrheit der Einwohner südliche Varianten des Niederländischen sprachen. Gebildete Schichten der Bevölkerung benutzten hier zudem vermehrt Französisch als Kultursprache. Anders als im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war im Süden die ländliche Bevölkerung im 18. Jh. gewachsen, während die Einwohnerzahlen der Städte abgenommen hatten. So zählte Gent um 1740 zirka 38.000 Einwohner gegen 52.000 im Jahre 1690, von den 600.000 Einwohnern der Provinz Brabant wohnten in den letzten Jahrzehnten des 18. Jh. nur etwa ein Viertel in Städten, Brüssel war mit seinen 74.000 Einwohnern halb so gross wie Amsterdam. Französisch hatte bereits in den Österreichischen Niederlanden unter den vornehmen Bürgern an Ansehen gewonnen, in der heutigen Region Flandern waren sie wohl bilingual. Die weniger entwickelten Städter und der grösste Anteil der ländlichen Bevölkerung Flanderns beherrschten diese Sprache allerdings nicht, sie waren einsprachig. Da genaue Zahlen zu den damaligen demografischen Entwicklungen in den südlichen Niederlanden fehlen, lässt sich nicht bestimmen, wie gross der niederländischsprachige Bevölkerungsanteil des Gebietes am Anfang der französischen Zeit war. Trotz der zunehmenden Bedeutung des Französischen als Kultursprache in den südlichen Niederlanden hatte das Niederländische bis anhin in den meisten Sektoren der Gesellschaft Anwendung gefunden. So erfolgte der Unterricht an der Grundschule bis zur französischen Zeit auf Niederländisch, weiter verwendeten die lokalen Behörden nach wie vor die Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung. An der Universität Löwen korrespondierte man nach der Revolution Brabants (vgl. 2.1.1.) sogar auf Niederländisch statt auf Lateinisch oder Französisch. Zudem war die Muttersprache immer wieder in der Kirche zu hören, die Pfarrer predigten in Flandern und in Brüssel ausschliesslich auf Niederländisch. Inzwischen war in den südlichen Niederlanden eine kohärente Schreibtradition entstanden, die jener des Nordens bezüglich der normativen Regeln und ihrer Anwendung ähnelte. Sodann bestand im Süden eine jahrhundertealte niederländischsprachige Literatur- und Bühnenkultur. So führten die Rhetoriker niederländische Theaterstücke auf, im Laufe des 18. Jh. hatte die Zahl ihrer Vorstellungen noch zugenommen. Dass die Bürger der südlichen Niederlande Bücher in der Muttersprache, darunter auch Veröffentlichungen von Schriftstellern aus dem Norden besassen beziehungsweise lasen, bestätigen Versteigerungskataloge. Zudem las man im Süden niederländischsprachige Blätter mit Nachrichten, so die 1695 gegründete Antwerpsche Post-Tydinge (‚Antwerpener Postnachrichten‘), den Wekelyks Bericht (‚Wöchentlicher Bericht‘) von 1773 aus Mecheln oder die Wochenzeitung Wekelyks Nieuws uyt Loven aus Löwen, wo in den Achtzigerjahren auch das kaiserfreundliche Algemeyn Nieuwsblad (‚Allgemeines Nachrichtenblatt‘) gedruckt wurde, wie Smeyers darlegt. Zudem kamen nach der Brabanter Auflehnung gegen die Österreicher zum ersten Mal niederländischsprachige Blätter in Brüssel in den Handel, während die ‚Zeitung der Verfassung‘, Journael der constitutie, nun in zwei Sprachen erschien. Laut der

72

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Redaktion wäre es nämlich ‚einer der schlimmsten Fehler der modernen Erziehung, von den Pflichten und Rechten des Volkes zu reden in einer Sprache, die es nicht versteht‘: une faute des plus graves de l’éducation moderne, c’est de parler au peuple de ses devoirs et de ses droits dans une langue qu’il ne comprend pas. Auch wenn die Oberschicht und die Obrigkeit in den Österreichischen Niederlanden neben Französisch weiterhin Niederländisch im Gebiet der gegenwärtigen Flämischen Region verwendeten, kümmerten sie sich nur wenig um die Muttersprache der Bevölkerung. In seinen Abhandlungen Oordeelkundige Verhandelingen op de noodzaekelijkheijd van het behouden der nederduijtsche taele, en de noodige hervormingen in de schoolen (‚Vernünftige Abhandlungen zur Notwendigkeit des Beibehaltens der niederländischen Sprache und die notwendigen Reformen in den Schulen‘) kritisiert der Kaufmann Willem Verhoeven aus Mecheln 1780 diese gleichgültige Haltung der österreichischen Behörden und der vornehmen Bürger dem Niederländischen gegenüber. Sodann tadelt der von den Österreichern streng überwachte Jurist und Politiker Jan Baptist Chrysostomus Verlooy diese Gesinnung in seiner 1780 verfassten, erst 1788 anonym erschienenen Verhandeling op d’onacht der moederlyke tael in de Nederlanden (‚Abhandlung zur Gleichgültigkeit gegenüber der Muttersprache in den Niederlanden‘): Nooit is onze tael eenig aendagt verleent van ’t hooggezag. Nog hoogschool van Loven nog onze Brusselsche Academi’ hebben haer ooit meer gedaen, als niet verworpen (‚Nie wurde unserer Sprache einige Aufmerksamkeit von der höchsten Autorität gewidmet. Weder die Hochschule Löwen noch die Brüsseler Akademie haben je mehr für sie getan als sie nicht zu verwerfen‘). Die Verwendung des Französischen auf Kosten des verachteten Niederländischen, die Franschdolheyd (‚Frankomanie‘), stellt er an den Pranger. Ähnlich wie Siegenbeek, Weiland, Bilderdijk und ihre Geistesverwandten im Norden befürworteten Verhoeven und Verlooy eine Kultivierung des überregionalen Niederländischen, und zwar ‚als die Sprache des gleichen Volkes‘, wie Verlooy dies formuliert: het zelve volk, ’t zelve in tael, imborst, zeden en gebruyken. Laet ons gezamender-hand ons gevoegzaem Nederduytsch handhaven, eeren en versieren (‚dasselbe Volk, gleich in Sprache, Gemüt, Sitten und Bräuchen. Lasst uns gemeinsam unser fügsames Niederländisch beibehalten, wertschätzen und schmücken‘). Nach der Einverleibung durch Frankreich französierten die südlichen Provinzen dann jedoch rasch, das Niederländische erlitt hier bald erhebliche Funktionsverluste. Gut situierte Bürger, so Beamte, Geschäftsleute und Unternehmer, orientierten sich vermehrt an der französischen Kultur, wodurch sie sich von den weniger Privilegierten unterscheiden konnten. Die neuen Machthaber, die für ‚Gleichheit‘ warben und Dialekte als Überbleibsel des Ancien Régime betrachteten, förderten nun die Verwendung des Standardfranzösischen. Da dies in den Österreichischen Niederlanden neben dem Niederländischen ohnehin bereits als Sprache der Verwaltung, Wissenschaft und Kultur diente, stiessen die neuen Vorschriften zur Verwendung des Französischen auf wenig Widerstand. Allerdings beherrschte die grosse Mehrheit der Flamen die Sprache der neuen Herrscher nach wie vor nicht, so dürften von den Westflamen weniger als 15 % Französisch verstanden haben. Trotzdem schrieb die Obrigkeit Französisch als Unterrichtssprache an sämtlichen Schulen (vgl. 2.1.3.4.) und als einzige Sprache der Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung vor.

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

73

Zivile Gerichtsverhandlungen hatten ab 1794 auf Französisch zu erfolgen, ab 1803 waren Urkunden auf Französisch zu verfassen. Strassen erhielten in den flämischen Kommunen fortan neben niederländischen auch französische Namen, niederländische Bücher erschienen kaum, es wurden keine niederländischsprachigen Zeitungen mehr herausgegeben. In Antwerpen untersagte der Präfekt 1810 sogar den Druck niederländischer Texte jeglicher Art. Innerhalb von nur wenigen Jahren hatte das Niederländische in den südlichen Provinzen so erheblich an Bedeutung und Ansehen verloren. Die niederländischen Dialekte dienten hier nur noch als Verständigungsmittel der weniger gebildeten, zum Teil analphabetischen Flamen, die kein Französisch beherrschten. Die durch die politischen Entwicklungen verursachten Funktionsverluste und das verloren gegangene Prestige des Niederländischen im Süden sollten nach der Vereinigung der südlichen und nördlichen Niederlande 1813 die Bemühungen der Flamen um ihre Sprache (vgl. 3.4.) erschweren. Literatur zu 2.1.: Amsenga et al. 2004; N. Bakker et al. 2006; De Bens 1997; L.Ph.C. van den Bergh 1840; Blok et al. 1977/83; Blom et al. 2014; Blonk et al. 1960/62; Bosatlas 2011; Brouwer 1995; Bundschuh-Van Duikeren 2014; Daan 1966; Daan 1995; Daan et al. 1972/77; Van Deelen 1996; Dibbits 2001; Erenstein 1996; Geyl 1948/59; De Graaf 2010; Grüttemeier et al. 2006; Haeseryn et al. 1997; Hammacher 1976; Hogendoorn 1993; Janssens et al. 2005; Jensen 2013; Ten Kate 2001; Kloek et al. 2001; De Leeuwe 1996 (a); Mathijsen 1996; Post 1996; Ruitenbeek 1996; Ruitenbeek 2002; Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Schneider 1979; Simons 2013; Sjoer 1996; Smeyers 1987; Stilma 2002; Van den Toorn et al. 1997; Vekeman et al. 1993; Verlooy 1979; De Vooys 1952; De Vos 1939; Vosters et al. 2010; B. de Vries 2009; J.W. de Vries et al. 1994; Van der Wal 2006; Van der Wal 2010; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2003; Te Winkel 1899/1901; Winkler 1874; Wolff et al. 1980; De Wulf et al. 1998/2005; Ypeij 1812/32.

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen Durch die Kultivierung des geschriebenen Niederländischen entstand in der frühen Neuzeit eine Schriftsprache, die sich grammatikalisch und lexikalisch von der gesprochenen Sprache abhob. Wer Texte verfasste, achtete auf Wortwahl und versuchte grammatikalische Regeln zu berücksichtigen. So etablierte sich ein mehr oder weniger einheitliches geschriebenes Niederländisch, das sich vom gesprochenen Niederländischen unterschied, wie beispielsweise der Grammatiker Christiaen van Heule bereits 1625 feststellt: De Nederlanders hebben (in het gemeyn) in haere schriften ende boucken / by nae eenderley Tale / gelijck men noch in de gemeyne bouken ziet / als Bybels / Historien / ook in veel schriften van Hoven ofte Steden / maer om dat het eygen gebruyk / onder yder volk / zomtijts veel verscheelt (…) (Van Heule 1971, 91)

74

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

(‚Die Niederländer haben [im Allgemeinen] in ihren Schriften und Büchern beinahe eine einheitliche Sprache wie man dies in allgemeinen Büchern wie Bibeln, Geschichtsbüchern so wie in vielen Schriften von Höfen oder Städten sieht, aber die sich manchmal stark vom Gebrauch der einzelnen Bevölkerungsgruppen unterscheidet […]) Noch bestimmter ist der Verfasser in der Neuauflage seiner Grammatik 1633, wenn er in het gemeyn (‚im Allgemeinen‘) weglässt und ‚beinahe eine einheitliche Sprache‘ durch ‚eine einheitliche Sprache‘ ersetzt, wenn er folgert: De Neder-landers hebben in hare gemeyne bouken / alle eenderleye sprake (‚Die Niederländer haben in ihren gemeinsamen Büchern alle eine einheitliche Sprache‘). Inzwischen wies die Schriftsprache namentlich in der Wortwahl und im Bereich der Morphologie archaische Charakterzüge auf. Im Vergleich zum spontan gesprochenen Niederländischen machte die geschriebene Varietät einen feierlichen Eindruck. Da das Lexikon der Schriftsprache insbesondere südliche Elemente aufwies, wich sie hinsichtlich der Wortwahl im Norden stärker vom mündlichen Sprachgebrauch ab als im Süden. Dennoch war im gesamten Gebiet der Niederlande ein Zustand der Diglossie entstanden: die gebildeten Bürger differenzierten zwischen der gepflegten überregionalen niederländischen Schriftsprache und der gesprochenen lokalen Varietät. Die archaische, feierliche Wesensart der niederländischen Schriftsprache vergangener Jahrhunderte ist wohl auf die Nachahmung der bewunderten Sprache niederländischer Schriftsteller und Historiker der Renaissance und ihrer Nachfolger wie Pieter Cornelisz. Hooft, Joost van den Vondel, Joannes Antonides van der Goes (1647–1684) oder Jan Wagenaar (1709–1773) zurückzuführen. Auch die stattlichen Texte der Statenvertaling 1637, der in Auftrag der niederländischen Generalstaaten übersetzten Bibel, die die Protestanten nicht selten täglich lasen beziehungsweise hörten, trugen zur Entwicklung des erhabenen Charakters der Schriftsprache bei. Weiter steuerten die Grammatiker insbesondere mit ihren Vorschriften zur Flexion zur vornehmen, unnatürlichen Beschaffenheit der Schriftsprache bei. Lexikalisch kennzeichnete sich das geschriebene Niederländisch insbesondere durch aus dem Süden stammende Wörter wie gaarne für graag (‚gerne‘), gelijk für zoals (‚wie‘), heden für vandaag (‚heute‘), heffen für tillen (‚aufheben‘), lieden für lui (‚Leute‘), nu für nou (‚jetzt‘), spoedig für gauw (‚bald‘), reeds für al (‚bereits‘), schoon für mooi (‚schön‘), wenen für huilen (‚weinen‘), werpen für gooien (‚werfen‘) oder zenden für sturen (‚schicken‘). Es handelt sich dabei namentlich um lexikalische Varianten brabantischen, aber auch flämischen Ursprungs, die wohl zunehmend in die Schriftsprache aufgenommen wurden, als Immigranten aus dem Süden zur Kultivierung des Niederländischen beitrugen, vgl. 1.2.2. Die Arbeit von Bibelübersetzern, Schriftstellern und Grammatikern, die sich an der Grammatik klassischer Sprachen orientierten, hatte zudem zu grammatikalischen Unterscheidungen geführt, die im spontanen mündlichen Sprachgebrauch des 19. Jh. kaum oder gar nicht vorkamen. So versuchte man beim Schreiben Kasusregeln nach lateinischem Muster zu beachten, die im gesprochenen Niederländischen zum grössten Teil unbekannt waren oder abweichend vorkamen. Willkürlich gewählte Zeitungsausschnitte zum Empfang des neuen Königs Wilhelm in Den Haag 1813 (SGC, vgl. 2.5.1.1.) oder zum Rückzug des niederländischen Heeres aus Bel-

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

75

gien 1831 (OHC, vgl. 2.5.1.2.) enthalten beispielsweise Genitivformen wie dezer plaats (‚dieses Ortes‘), belang der Natie (‚Interesse der Nation‘), Departement der Monden van de Maas (‚Departement der Maas-Mündungen‘), het verlangen des volks (‚der Wunsch des Volkes‘), zyner te lang verlorene vryheid (‚seiner zu lange verlorenen Freiheit‘), in de nabijheid des vijands (‚in der Nähe des Feindes‘) oder vreugdegevoel der ingezetenen (‚Freudegefühl der Eingesessenen‘). Im gesprochenen Niederländischen hätten die Sprecher in der Regel Umschreibungen mit der Präposition van gewählt, wie in van deze plaats (‚von diesem Ort‘). Kennzeichnend für die Schriftsprache sind auch Dativmarkierungen wie den in de hoge autoriteiten van den Staat (‚die hohe Autorität des Staates‘) oder luider in met luider stemme (‚mit lauter Stimme‘) an Stelle von met luide stem, so auch die Akkusativmarkierung den in den 5 december (‚den 5. Dezember‘) statt 5 december und den für de in ontvingen aldaar den Vorst (‚empfingen dort den Fürsten‘) oder den für de in heeft de prins […] den aftogt verordend (‚hat der Prinz […] den Rückzug angeordnet‘). Auch die Pluralmarkierungen der Possessiva hun und eigen in hunne eigene gevoelens (‚ihre eigenen Gefühle‘) wirken weihevoll, ebenso Formen des Puralgenitivs wie onzer wapenen in De zege onzer wapenen is volkomen (‚Der Sieg unserer Waffen ist vollkommen‘) oder der Bataafsche Burgeren in achtbaar gedeelte der Bataafsche Burgeren. Dies trifft auch für Konstruktionen wie uwer Kinderen toekomstig lot (‚das künftige Los Euerer Kinder‘) zu mit einem dem Substantiv vorangestellten Adjektiv im Genitiv Plural an Stelle von het toekomstige lot van uw kinderen. Das Unnatürliche der Schriftsprache wurde von flektierten Demonstrativen wie dezelve (‚der gleiche‘, ‚die gleiche‘) oder hetzelfe (‚das gleiche‘) beziehungsweise Reflexiven wie welke (‚welche‘, ‚welcher‘), hetwelk (‚welches‘) und dewelke (‚der jeweilige‘, ‚die jeweilige‘) verstärkt. Wie ihre Zeitgenossen brauchten die Verfasser der oben erwähnten Zeitungsberichte solche Formen mit Vorliebe, vgl. dit verlangen, het welk (…) (‚dieser Wunsch, der […]‘), Deze optogt welke (…) (‚Dieser Aufzug, der […]‘), Deze dag, welke (‚Dieser Tag, der […]‘), een stamhuis, aan ’t welk (…) (‚ein Stammhaus, dem […]‘) oder een veldtogt, in welken (‚ein Feldzug, in dem‘); bei Verlooy heisst es het zelve volk (‚dieses Volk‘). Das im gesprochenen Niederländischen der nördlichen Provinzen ungebräuchliche Personalpronomen der 2. Pers. Sing. und Plur. gij oder gy, unbetont ge (‚Du‘ beziehungweise ‚Ihr‘) mit den entsprechenden Konjugationen des Verbs wirkte im Norden ebenfalls archaisch, so zwoert gij und wildet in Dit slaavenjuk eindelijk moede, zwoert gij Philips van Spanjen af, en wildet eene republikeinsche Constitutie. (‚Als Ihr dieses Sklaven-Jochs endlich müde wart, schwort Ihr Philipp II. ab und wünschtet eine republikanische Konstitution.‘ PRO, vgl. 2.3.4.1.). Ebenso sind gy und die Konjugation des Verbs ademen (‚atmen‘) an Stelle von u ademde in Uwe keetenen vielen af; gij ademdet in de zalige lucht der Vrijheid. (‚Deine Ketten fielen herab, Du atmetest in der himmlischen Luft der Freiheit.‘ PRO, vgl. 2.3.4.1.) als archaisch einzustufen. Zwar war im Süden die Anrede gy oder gij beziehungsweise ge (‚Du‘, ‚Ihr‘) neben dialektischen Varianten sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Sprache gebräuchlich, im Norden hatte sich in der mündlichen Sprachverwendung jij unbetont je mit dem Objekt jou beziehungsweise je als Pronomen 2. Pers. Sing. herausgebildet. Weiter war die Anrede uwe beziehungsweise u (‚Sie‘) aus der in Briefen üblichen Abkürzung UE (Uwe Edelheid, ‚Euere Vor-

76

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

trefflichkeit‘) entstanden. Daneben entwickelte sich jelui beziehungsweise jullie (‚Ihr‘, ‚Euch‘) als Subjekt- beziehungsweise Objektform der 2. Pers. Plur. aus je lui (‚Ihr Leute‘). Auch unpersönliche Konstruktionen verliehen dem geschriebenen Niederländischen des 19. Jh. nach wie vor archaische Züge. Wohl waren infolge des fortschreitenden Flektionsverlustes des Niederländischen die Dativ- und Akkusativmarkierungen grösstenteils weggefallen, wodurch die unpersönliche Konstruktion ihre instrumentale Funktion verlor. Die Verwendung von Impersonalia war laut Van der Horst denn auch stark zurückgegangen. Dennoch kommen mehrere Verben, so vergeten (‚vergessen‘), lusten (‚belieben‘), falen (‚fehlen‘) oder walgen (‚sich ekeln‘) noch vielfach als Impersonalia in der Schriftsprache vor, vgl. wiens naam mij vergeten is (‚wessen Namen mir entfallen ist‘) in Het huisgezin van den Kommandant, wiens naam mij vergeten is, bestond uit zijne vrouw en drie reeds huwbare dochters. (‚Die Familie des Kommandanten, wessen Namen mir entfallen ist, bestand aus seiner Frau und drei bereits heiratsfähigen Töchtern.‘, WNT 1810). An Stelle eines Teilsatzes wie wiens naam ik vergeten ben (‚wessen Namen ich vergessen habe‘) mit dem Subjekt ik (‚ich‘) enthält der zitierte Satz eine archaische unpersönliche Konstruktion mit dem Datvivobjekt mij (‚mir‘). Sodann ist die häufige Verwendung von Konjunktivformen in der Schriftsprache, die keineswegs dem mündlichen Gebrauch der Sprache entsprach, als feierlich einzuordnen. Zu den Beispielen dieser feierlichen Formulierungen in den zitierten Texten zählt zoude (‚würde‘) in dat de Vorst (…) plegtig als Souverein van Nederland zoude worden uitgeroepen (‚dass der Fürst feierlich als Souverän der Niederlände ausgerufen werden würde‘, (HGW, 1. Abs., 2.5.1.1.). Feierlich wirken auch Konjunktivformen wie Verheff‘ (Kürzung von verheffe ‚erhebe‘) und stell (Kürzung von stelle ‚stimme‘) in: Wien Neerlandsch bloed in de aders vloeit, (…) Verheff’ den zang als wij: Hij stell’ met ons (…) Het godgevallig feestlied in (…) (‚Wem niederländisches Blut in den Adern fliesst […] erhebe den Gesang wie wir: er stimme mit uns […] das gottgefällige Festlied an […], TOL 1. Strophe, 2.5.2.1.).

2.2.1. Erste verbindliche orthografische Regeln des Niederländischen Zwar erschienen separate Veröffentlichungen zu orthografischen und grammatikalischen Merkmalen der Sprache, sie sind dennoch als Bestandteile einer gesamten Sprachlehre zu verstehen. Diese umfasste in der Tradition des 16., 17. und 18. Jh. die Orthografie, die Etymologie, die Syntax und die Prosodie, wie dies beispielsweise Jan van Belle (1690–1754) 1755 festhielt mit den Ausdrücken de Spelkonst (Orthographie;) de Woordoorsprongkonst (Etymologia;) de Woordschikkingkonst (Syntaxis;) en de Maatklankkonst (Prosodia.). Den Stoff verteilten die Verfasser von Grammatiken laut u. a. J. Knol zumeist in einer Abteilung Etymologie, die Orthografie, Deklination und Konjugation beinhaltete, sowie in einer Abteilung Syntax, die Kongruenz und Rektion umfasste; zur Prosodie erschienen separat Einführungen. Die Orthografie bildete im 19. Jh. somit einen Teil der Grammatik des Niederländischen. Orthografische Regeln stützen sich denn auch nicht selten auf sprachhistorische, etymologische Überlegungen. Siegenbeeks von der Obrigkeit in Auftrag gegebene Verhandeling over de Nederduitsche spelling, ter bevordering van eenparigheid in dezelve (‚Abhandlung zur niederländischen Or-

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

77

thografie zur Förderung von deren Gleichförmigkeit‘‚ 1804) stellt die erste verbindliche Orthografie des Niederländischen dar. Der Verfasser, vom Historiker L.J. Rogier als Diktiermaschine und Schulfuchs abgetan, hält eine Regelung der Rechtschreibung für erforderlich, da es nicht nur Ungebildeten, sondern auch Liebhabern der Wissenschaften an Kenntnissen sprachlicher Grundregeln mangele: Dan zou hiertoe die mate van taalkennis voldoende wezen, welke door het dagelijksch gebruik en eene niet geheel onöplettende lezing van Nederduitsche schrijveren allen eenigszins geöefenden eigen is? Ik behoef, ter wederlegging hiervan, mij alleen op de ervarenis te beroepen. Deze toch leert ons door vele voorbeelden, dat eene schandelijke onkunde aan de eerste grondregelen, maar vooral aan de kracht en uitgebreidheid onzer tale niet alleen bij ongeletterden, maar ook bij beminnaars der wetenschappen heerscht (...) (MSR, 24) (‚Denn, reicht [zum einigermassen glanzvollen Sprechen oder Schreiben] jene Kenntnis der Sprache, die jeder ziemlich Geübte besitzt dank der alltäglichen Verwendung [der Sprache] und durch das nicht ganz ohne Aufmerksamkeit Lesen von niederländischen Schriftstellern? Zum Widerlegen dieser Behauptung brauche ich mich nur auf die Erfahrung zu berufen. Diese lehrt uns doch durch viele Beispiele, dass eine schändliche Unkenntnis der ersten Grundregeln und vor allem Unwissenheit der Kraft und des Umfangs unserer Sprache nicht nur bei Ungebildeten, sondern auch bei Liebhabern der Wissenschaft vorherrscht‘) Die Regierung führte die neue Rechtschreibregelung am 18. Dezembetr 1804 ein und wies sämtliche Behörden an, sie ebenfalls zu verwenden. Sodann sei sie in neuen Schulbüchern zu berücksichtigen, Schulinspektoren hätten auf ihre Verwendung in der Schule zu achten. Die Verhandeling steht in einer jahrhundertelangen Tradition von Veröffentlichungen zur Grammatik der Muttersprache, wie beispielsweise die Ausgangspunkte dieser Regelung der Rechtschreibung zeigen. So berücksichtigt Siegenbeek das Prinzip der einheitlichen Wiedergabe der Laute und beachtet eine folgerichtige Buchstabierung von Ableitungen, die er mit Beispielen wie die Wahl des im Substantiv klagt (‚Klage‘) wegen der Schreibung des Verbs klagen (‚klagen‘) darlegt. Ähnliche Ausgangspunkte finden sich bereits in der ältesten gedruckten Grammatik des Niederländischen, der Twe-spraack (vgl. 1.2.2.). So befürworten die Verfasser dieser Veröffentlichung eine einheitliche Schreibweise flektierter Formen mit ihrer Regel der ghelyckformicheyd. Die von ihnen angestrebte eenpaarticheyd zielt auf die einheitliche Wiedergabe der Laute, namentlich der ‚langen‘ Vokale ab. In der Verhandlung setzt Siegenbeek sich zur Begründung seiner Vorschläge mit mehreren neueren und älteren sprachwissenschaftlichen Quellen auseinander. Die allgemeinen Prinzipien der Rechtschreibung gründet er namentlich auf die Arbeit von Johann Christoph Adelung (1732– 1806) und Adriaan Kluit (1735–1807). Der Leidener Ordinarius Kluit hatte bereits 1763 eine Abhandlung zur Rechtschreibung von Vokalen veröffentlicht, 1777 gefolgt von einem Aufsatz zur Schreibung von Konsonanten. Damit hatte dieser Professor für Geschichte die Grundlagen einer

78

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Reglementierung der niederländischen Orthografie des 19. Jh. geschaffen. Weiter berücksichtigt Siegenbeek neuere Publikationen von u. a. Lambertus van Bolhuis (1741–1826) oder Nicolaas Hinlopen (1724–1792), aber auch Werke früherer Grammatiker wie Frans van Lelyveld (1740– 1785), Balthasar Huydecoper, Lambert ten Kate, Jacobus Nyloë (1670–1714), Willem Séwel, Adriaen Verwer und Arnold Moonen. Zudem bringt der Verfasser die Anwendung von Grammatikbeziehungsweise Orthografieregeln früherer Schriftsteller und Historiker wie u. a. Jan Wagenaar, Geeraert Brandt (1626–1685), Pieter Cornelisz. Hooft, Melis Stoke (1235 – zirka 1305) und Jacob van Maerlant (zirka 1230– zirka 1300) zur Sprache. In seinen Darlegungen zitiert er sogar einen der ältesten überlieferten niederländischen Texte, den Leidener Williram, vgl. 1.2.1. Siegenbeeks Berücksichtigung historischer Gegebenheiten in seiner Abhandlung hatte Tradition. Schon im 16. und 17. Jh. versuchten die Grammatiker, als sie sich um die Kultivierung der Hochsprache bemühten, älteren Sprachstufen ihrer Muttersprache gerecht zu werden. So weisen frühe Veröffentlichungen zur Orthografie Regeln auf, die nicht nur eine systematische, die Morpheme berücksichtigende Arbeitsweise verraten, sondern darüber hinaus etymologische Annahmen beachten. Auch eine Rücksichtnahme auf die bestehende Schreibpraxis hatte während der Aufbauphase der Hochsprache eine Beachtung historischer Entwicklungen verlangt: allzu grosse Abweichungen von älteren Schreibweisen seien in einer Neuregelung der Rechtschreibung allenfalls zu vermeiden. In der Folge liessen bereits in der frühen Neuzeit die meisten der Orthografie-Reformer Vorsicht walten, indem sie vermieden, historisch gewachsene Schreibgewohnheiten mit ihren Erneuerungsvorschlägen allzu sehr zu strapazieren. Bezeichnenderweise entschuldigen sich die Verfasser der Twe-spraack, dass die von ihnen vorgeschlagene Rechtschreibung ‚mit der gewöhnlichen nicht volkommen übereinstimmend‘ (met de ghewoonlyke niet heel ghelyckstemmigh) sei. Jahrhunderte später setzt sich Siegenbeek ebenfalls mit der gewachsenen Schreibpraxis auseinander. Wie früher schon Lambert ten Kate benutzt Siegenbeek nur 22 Buchstaben, da er , , und als nicht einheimisch betrachtet. Wo der Sprachgebrauch die Struktur des Wortes verhüllt, passt der Verfasser die Rechtschreibung an. Im Einklang mit Adelungs Auffassungen zur Rechtschreibung des Deutschen formuliert Siegenbeek als ‚Hauptregel‘ der Orthografie Schrijf zoo als gij spreekt, bei Adelung hiess dies 1788 genau so: ‚Schreib wie du sprichst‘. Da aber in dieser Zeit ein einheitliches gesprochenes Niederländisch nicht bestand (vgl. 2.1.2.), lässt sich dieses ‚Naturgesetz‘, natuurwet, schwierig deuten: wer ist beispielsweise mit gij gemeint, wie ist das Gesprochene schriftlich wiederzugeben? Während laut C. Noack bei Adelungs gesprochener Form der Sprache von einer ‚Schnittmenge aller positiven Eigenschaften der deutschen Dialekte‘ auszugehen ist, hat Siegenbeek wahrscheinlich das gesprochene Niederländische des gebildeten Bürgertums der holländischen Städte gemeint. Offenbar gaben die Werke von vorbildlichen Schreibern in den Augen Siegenbeeks diese gesprochene Sprache preis. Dies erklärt die Paradoxie, dass er seine Darlegungen trotz seiner Ausgangsstellung nicht auf die Sprache, die er hörte, sondern auf die, die er las, so von Autoren wie u. a. des Amsterdamer Historikers Jan Wagenaar gründet. Wohl beachtet Siegenbeek die gesprochene Sprache bei der Rechtschreibung vereinzelter Laute. So behält er beispielsweise d in kelder (‚Keller‘) bei, obschon das Substantiv aus dem lat. cella ohne stimmhaften Dental entstanden war.

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

79

Im Vordergrund von Siegenbeeks Ausführungen steht die Vereinheitlichung der Rechtschreibung der Vokale, die er als één der moeijelijkste en belangrijkste onderwerpen (‚eines der schwierigsten und wichtigsten Themen‘) seiner Abhandlung betrachtet. Ähnlich hatte Weiland bereits 1799 gefolgert, dass über kein Thema der niederländischen Orthografie derart gestritten wurde und wird wie über die verlenging, verdubbeling, of zamenvoeging (‚Verlängerung, Verdoppelung oder Zusammenfügung‘) der Vokale. Siegenbeeks entsprechende Vorschläge, die sich Kluits Darlegungen zur Rechtschreibung von Vokalen in offenen und geschlossenen Silben anschliessen, lassen sich bis in die heutige Orthografie des Niederländischen verfolgen. Die Hauptregel zur Rechtschreibung der Vokale, die allerdings noch etymologisch bedingte Ausnahmen kennt, lautet: Bedien u in de lettergrepen, niet op eenen medeklinker sluitende, ter aanwijzing van den langen klank, altijd van eenen enkelen klinker, met uitzondering slechts van die woorden, welke volgens hunne oorspronkelijke eigenschap, de harde lange e of o, met de ei of au vermaagschapt, hebben, en dus eene verdubbeling der vokaal vereischen. (Siegenbeek, 1804, 134) (‚Verwende in Silben, die nicht mit einem Mitlaut abschliessen, zur Kennzeichnung eines langen Lautes immer einen einzigen Vokal, mit Ausnahme von lediglich jenen Wörtern, die laut ihren ursprünglichen Eigenschaften lange [aus germ. ai beziehungsweise au monophthongierte, J.S.] e- oder o-Laute enthalten, welche mit ei oder au verwandt sind und folglich eine Verdoppelung des Vokals verlangen‘) Laut dieser Regel ist beispielsweise der Plural von daad (‚Tat‘) als daden zu buchstabieren. In geschlossenen Silben war somit , in offenen zu schreiben, vgl. taal (‚Sprache‘) und ma-te (‚Mass‘) in Dan zou hiertoe die mate van taalkennis voldoende wezen (‚Denn würde dazu das Mass von Sprachkenntnis ausreichen‘ MSR 24). Ältere Verlängerungszeichen wie lehnt Siegenbeek ab: statt maet (,Mass‘) oder schaep (‚Schaf‘) soll man maat und schaap schreiben. Wohl unterscheidet der Verfasser in der Rechtschreibung die harde (sog. ‚harten‘) Monophthonge e und o, die aus ger. ai beziehungsweise au entstanden waren, von zachte (sog. ‚sanften‘) in offenen Silben gedehnten e und o, eine Unterscheidung, die übrigens im Deutschen nicht vorkommt. Bei den ‚Amstellanderen‘, den Einwohnern in und um Amsterdam, waren diese Typen e beziehungsweise o lautlich zusammengefallen. Dass die Unterschiede in anderen Gegenden, auch im heutigen Belgien allerdings hörbar waren, veranlasste Siegenbeek, die zwei Typen Vokale unterschiedlich zu schreiben. So war aus ger. ai entstandenes e mit zu buchstabieren, vgl. heelen (‚heilen‘), gedehntes e aber mit , vgl. helen (‚verstecken‘, ‚hehlen‘). Ebenso war in hoopen (‚anhäufen‘) zu schreiben, während hopen (‚hoffen‘) ein erhielt. Auch Te Winkel und De Vries sollten später in ihrer Orthografie diese Unterschiede berücksichtigen, vgl. 3.2.1.1. Zur Förderung der eenparigheid van spelling (‚einheitlichen Rechtschreibung‘) veröffentlichte Siegenbeek 1805 ein Woordenboek voor de Nederduitsche spelling (‚Wörterbuch der

80

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

niederländischen Orthografie‘). Wie A. Neijt darlegt, enthält diese Wörterliste diverse neue Schreibweisen wie mooijer (‚schöner‘) als Steigerung von mooi (‚schön‘), mogelijk (‚möglich‘) mit für den Svarabhaktivokal /ǝ/ und dem wohl etymologisch begründeten , obschon das Wort von anderen, so von Betje Wolff und Aagje Deken auch als mooglyk oder von Rhijnvis Feith als mooglijk buchstabiert wurde, vgl. auch die Orthografie vom oben zitierten moeijelijkste (‚schwierigste‘).

Abb. 4: Matthijs Siegenbeek.

Abb. 5: Willem Bilderdijk.

Obschon Siegenbeeks Regeln staatlich eingeführt und von vielen beachtet wurden, stiessen sie nicht bei jedem auf Gegenliebe. So waren die Meinungen der Schriftsteller zur neuen Rechtschreibregelung geteilt, literarische Werke weisen folglich in dieser Zeit nach wie vor orthografische Varianten auf. Der konservative Willem Bilderdijk hielt beispielsweise wenig von behördlich auferlegten Regeln, die ‚Gleichheit‘ als revolutionäres Prinzip lehnte er auch in der Sprache ab. So nahm er sich beispielsweise die Freiheit, strooien (‚strohern‘) an Stelle von strooijen, vgl. mooijer (‚schöner‘) im vorigen Abschnitt, zu schreiben, regelmässig benutzte er statt , so in Personalpronomina wie wy (‚wir‘). In gehässigen Aufsätzen warf Bilderdijk seinem früheren Freund Siegenbeek vor, er bediene sich als ‚Hauptmann blinder Buchstabierer‘ widersprüchlicher Regeln, statt das ‚wahre orhografische Prinzip‘ eines Adelung zu beachten. Sodann verstehe Siegenbeek die Rechtschreibung der ouden (‚alten‘, d. h. früheren

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

81

Schriftsteller) falsch, zum Beispiel wenn er die Schreibung nochtans (‚dennoch‘) an Stelle von nogthans oder nogthands empfiehlt. Mancher Schrifsteller aus der Zeit der Romantik, so der beliebte Nicolaas Beets (1814–1903, vgl. 3.3.1.2., 3.3.1.3.) ging mit Bilderdijk einig. Andere wendeten Siegenbeeks Orthografie an, auch ein kritischer Geist wie Everhardus Johannes Potgieter (1808–1875). Übrigens verteidigte sich Siegenbeek 1827 gegen seine Kritiker in seinen Taalkundige bedenkingen, voornamelijk betreffende het verschil tusschen de aangenomene spelling en die van Mr. W. Bilderdijk (‚Sprachwissenschaftliche Überlegungen, vor allem bezüglich des Unterschieds zwischen der eingeführten Orthografie und jener vom Iur. W. Bilderdijk‘). Seit der Einführung von Siegenbeeks Rechtschreibregeln sollten sich immer wieder bis zum heutigen Tag nicht nur Sachverständige, sondern auch Laien mit den unterschiedlichsten Begründungen beteiligen, vgl. 3.2.1., 4.1.4. und 4.3.6.

2.2.2. Versuche zur Reglementierung der Grammatik der niederländischen Schriftsprache Neben Veröffentlichungen zur Orthografie erschienen separate Werke zur Grammatik des Niederländischen, die der Tradition folgend kategoriale und etymologische Merkmale des Wortes sowie die Syntax zum Gegenstand hatten. Dementsprechend hatte früher bereits Arnold Moonen den Stoff seines einflussreichen Standardwerks Nederduitsche Spraekkunst (‚Niederländische Grammatik‘ 1706) in Woortgronding (‚Etymologie‘) und Woortvoeging (‚Syntax‘) gegliedert. Ähnlich unterscheidet Petrus Weiland in der über 190 Seiten zählenden Einführung seines 1799–1811 erschienenen Nederduitsch taalkundig Woordenboek (‚Niederländisches Sprachwissenschaftliches Wörterbuch‘) zwei ‚Hauptsachen‘ in der Grammatik: de woorden opzich zelven (‚die Wörter an sich‘) sowie derzelver zamenvoeging (‚ihrer Zusammenfügung‘). Da sich das AN über die Schriftsprache herausbildete, ist zu erwarten, dass Grammatiker ihre Beschreibungen und Regeln auf dem geschriebenen Niederländischen basierten. Dies trifft für Weiland und die zeitgenössischen Sprachtheoretiker zu. Weiland ist der Auffassung, dass eine Grammatik die im Laufe der Zeit ‚von der Nation‘ festgelegten Sprachgesetze umfassen sollte, die aus der Arbeit von vorbildlichen Schriftstellern abzuleiten sind. Sie soll ‚der Nation‘ zudem zeigen, wo man ‚die eigenen Gesetze‘ verletzt. Die Grammatiken von Weiland und seinen Zeitgenossen sind in der Folge sowohl als deskriptiv insbesondere hinsichtlich der Schriftsprache als auch als normativ einzustufen. Die Anfänge der Sprache schreibt Weiland pleonastisch und wenig spezifisch de eerste uitvinders der taal (‚den ersten Erfindern der Sprache‘) zu. Damit spricht er die komplexe sprachhistorische beziehungsweise philosophische Problematik des Ursprungs und der Erklärung des Phänomens Sprache an. Sie beschäftigte Grammatiker und Denker immer wieder, wie beispielsweise hervorgeht aus der Arbeit von Gabriel Girard (1677–1748), Hugh Blair (1718–1800), Adam Smith (1723–1790), Johann Gottfried Herder (1744–1803), Johann Georg Hamann (1730–1788), Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel (1772–1829) oder Wilhelm von Humboldt (1767–1835). Es stand zur Diskussion, ob Sprache als Offenbarung der göttlichen Kraft zu erklären wäre und sich

82

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

auf die göttliche Schöpfung zurückführen liesse. Ist der Mensch bei der Verwendung von Sprache als Nachahmer der Sprache Gottes, Dominae auctae linguae imitator (Bakker 1977, 117 ff) zu betrachten? Oder ist Sprache als Ausdruck und Organ des Verstandes, als Werkzeug der Vernunft zu verstehen? Die Sprachkompetenz wäre nach dieser Auffassung ein Bestandteil der Natur des Menschen, die Entstehung von Sprache wäre organisch nach den Gesetzen des Denkens, der Natur beziehungsweise des Geistes erfolgt, und zwar aus ‚klarste[r] und innigste[r] Besonnenheit‘, wie Schlegel dies formuliert. Denken würde somit Sprache voraussetzen. Solche hier willkürlich herausgegriffene Problemkreise betreffen philosophische und psycholinguistische Konzepte, die in diesem Rahmen nicht weiter zu vertiefen sind. Festzuhalten ist, dass der Theologe Weiland Auffassungen vom göttlichen Ursprung der Sprache nicht ausarbeitet. Die Entwicklung von Sprache beruhe laut ihm auf Nachahmung: anfänglich habe jedes Substantiv als ‚bedeutendster Teil der Sprache‘ ein hörbares Merkmal einer ‚körperlichen Selbstständigkeit‘ zum Ausdruck gebracht. So seien Eigennamen entstanden. Die ‚Erfindung‘ von Sprache bedingte folglich das Bestehen einer ligchaamlijke wereld, von Adelung zuvor schon als ‚Körperwelt‘ bezeichnet. Die Annahme, dass die Herausbildung von Sprache durch Nachahmung erfolge, war übrigens im 18. Jh. allgemein verbreitet, wie beispielsweise aus der Arbeit von Herder oder Adelung hervorgeht. Wie Adelung unterscheidet Weiland eine erste Phase in der Entstehung der Sprache, die er wohl der ersten Stufe des Spracherwerbs eines Kindes gleichsetzt. Ähnlich wie beim heranwachsenden Kind hätte der Ausbau der Sprache in einer folgenden zweiten Phase stattgefunden. Ein derartiger spekulativer Erklärungsversuch der Entstehung der Sprache ist im 18. Jh. laut J. Noordegraaf nicht ungebräuchlich. Wertvoller in Weilands Darlegungen ist aus heutiger Sicht seine Erkenntnis des Sprachwandels. Sprachliche Veränderungen betrachtet er wie Adelung gar als Fortschritt, namentlich wenn die Sprache an Systematik gewinnt. In früheren Zeiten waren Gelehrte wie Dirk Volkertsz. Coornhert (1522–1590) oder Hendrick Laurensz. Spiegel in ihren Bestrebungen, die Muttersprache zu kultivieren, in der Regel vom Gegenteil überzeugt gewesen. Bezeichnenderweise versuchten Grammatiker und Schriftsteller seit der frühen Neuzeit die in ihren Augen zum Teil verkommene Muttersprache aufzupolieren. Nicht nur bekämpften viele von ihnen, so Spiegel, Coornhert, Hooft und Simon Stevin, die Verwendung von insbesondere lateinischen und französischen Lehnwörtern, sondern Schriftsteller und Dichter begannen zudem die Syntax möglichst nach lateinischem Muster zu modellieren, was zum Beispiel die Prosa von Hooft auffällig zeigt. Grammatiker versuchten morphologische Unterscheidungen zur Reglementierung des Kasus wie im Latein einzuführen, obschon das flexionsarme Neuniederländische sich von einer synthetischen zu einer analytischen Sprache entwickelte. So enthält die Twe-spraack Regeln für sechs Vallen (‚Fälle‘), Christiaen van Heule legt 1625 zuerst fünf Buyginge (‚Beugungen‘) fest, beschränkt sich aber später, 1633, auf vier, Petrus Leupenius (1607–1660) begnügt sich 1653 mit drei Kasus, dagegen unterscheidet Arnold Moonen 1706 neben drei verbuigingen (‚Beugungen‘) auch sechs Kasus. Im Hinblick auf die im 19. Jh. entstehende Diskussion zum Missverhältnis zwischen der kultivierten, feierlich anmutenden Schriftsprache und dem spontanen, gesprochenen Niederländischen wäre Weilands Beachtung des Sprachwandels und folglich des Sprachgebrauchs von wesentlicher Bedeutung auch

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

83

hinsichtlich der Frage des Kasus. Allerdings verzichtet er in seiner präskriptiven Grammatik nicht auf Regeln für immerhin noch vier Kasus, siehe 2.2.3.2. Neben der Orthografie, die sich an Siegenbeeks Regeln anschliesst und vor allem auf die Arbeit von einem Grammatiker wie Lambert ten Kate zurückgeht, behandelt Weiland in der Einführung des Nederduitsch taalkundig woordenboek und später im ersten Teil seiner Nederduitsche spraakkunst die Wortarten des Niederländischen. Dabei lässt er sich so sehr von Adelungs Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache, zur Erläuterung der deutschen Sprachlehre für Schulen (1782) anregen, dass der Luxemburger J.F.X. Würth, Verfasser einer der ersten Geschichten der niederländischen Literatur, ihn des Plagiates beschuldigte. Wie J. Noordegraaf darlegt, übersetzt Weiland tatsächlich grössere Abschnitte aus der deutschen Vorlage, Beispiele übernimmt er ebenfalls. Allerdings bezeichnet Weiland sich ausdrücklich als Schüler von Adelung und nennt seine Quelle regelmässig in seinen Ausführungen. Allerdings ist für Weilands grammatikalische und lexikografische Arbeit Lambert ten Kate wohl von grösserer Bedeutung gewesen. Nicht ohne Grund nennt Weiland ihn denn auch in der Einführung seiner Grammatik. Im Gegensatz zu früheren Grammatikern, die sich mit acht oder neun Wortkategorien begnügten, unterscheidet Weiland zehn Wortarten. Diese Einteilung des Sprachmaterials war fortan in Grammatiken des AN, so auch im modernen Standardwerk Algemene Nederlandse Spraakkunst (‚Allgemeine niederländische Grammatik‘, ANS) gebräuchlich. Wie Adelung beginnt Weiland die Wortlehre in seiner Nederduitsche spraakkunst (‚Niederländische Grammatik‘ 1805) mit dem gewigtigste deel der rede, bei Adelung ‚wichtigster Redetheil‘, dem Substantiv. Sprachtheoretisch nicht unproblematisch unterscheidet der Verfasser zwischen eigene zelfstandige naamwoorden, d. h. Eigennamen und gemeene Substantiven, die wohl Gattungs- beziehungsweise Stoffnamen bezeichnen. Sodann behandelt er Diminutivbildungen sowie Pluralformen. Ausführlich kommen Genus und Kasus zur Sprache, Sprachmerkmale, die Grammatiken des AN auch im 19. Jh. unterschiedlich beschreiben und reglementieren. Dass man beim Schreiben versuchte, entsprechende Vorschriften zu befolgen, vertiefte die Kluft zwischen der unnatürlichen Schriftsprache und dem flexionsarmen gesprochenen Niederländischen. Normative Merkmale grammatikalischer Beschreibungen dieser Zeit sind daher näher zu erörtern.

2.2.3. Beispiele normativer Merkmale grammatikalischer Beschreibungen im frühen 19. Jahrhundert Veröffentlichungen von Grammatikern wie Weiland enthalten nicht nur Beschreibungen des Niederländischen seiner Zeit, sondern häufig auch Vorschriften, und zwar insbesondere bezüglich Genus, Kasus und der Verwendung einiger Subjekt- beziehungsweise Objektformen des Personalpronomens. Auch die Behandlung einiger reflexiver und demonstrativer Pronomina oder der Konjunktionen im Komparativ ist als präskriptiv einzustufen. Die folgenden Abschnitte lassen die normative Haltung der Verfasser von Grammatiken jener Zeit erkennen. Zudem zeigen sie, welche Problemkreise bei der ersten verbindlichen Reglementierung der Schriftsprache im Vordergrund standen. Es handelt sich dabei mehrheitlich um Themen, die in Grammatiken des AN auch später im 19. und 20. Jh. immer wieder auftauchen.

84

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

2.2.3.1. Genus Bereits im 19. Jh. vermuteten Sprachhistoriker, dass Flexionsverlust insbesondere im Norden zur Verwirrung über Genuszuweisung geführt hatte. Im gesprochenen Holländischen kamen het (‚das‘) und de (‚die‘, ‚der‘) als bestimmte Artikel zu den entsprechenden Substantiven zur Anwendung. Durch n-Apokope war eine im Mnl. noch öfters vorkommende Markierung des maskulinen Genus sowohl im Akkusativ als manchmal auch im Nominativ mit dem flektierten den weggefallen. In der Folge waren Unterschiede zwischen Maskulinum und Femininum namentlich im Norden gelegentlich höchstens noch im Genitiv hörbar, soweit er nicht mit dem Pronomen van (‚von‘) umschrieben wurde. So hatte sich in der gesprochenen Sprache neben dem Neutrum ein Genus commune für einen Grossteil der Substantive der de-Klasse herausgebildet. Trotzdem versuchten Sprachkundler seit der frühen Neuzeit, Regeln für drei Genera, nämlich Neutrum, Maskulinum und Femininum festzulegen. Angaben zum Wortgeschlecht waren nicht nur gefragt, um in der Schriftsprache den erwünschten Kasus zu markieren, sondern auch um die Pronominalbezeichnung zu wählen: musste man sich beispielsweise mit hij (‚er‘) oder mit zij (‚sie‘) auf ein Substanstiv wie wereld (‚Welt‘) beziehen, wenn die Genuszuweisung von ‚de‘ wereld umstritten war? Ebenso war unklar, ob das Possessiv zijn (‚sein‘) oder haar (‚ihr‘) in Bezug auf wereld zu wählen war: zijn schepper (‚sein Schöpfer‘) oder haar schepper (‚ihr Schöpfer‘)? Da die in der frühen Neuzeit aufgestellten Vorschriften nicht ausreichten, um für jedes Substantiv der de-Klasse den Genus zu bestimmen, veröffentlichten Grammatiker, so Christiaan van Heule bereits 1625, immer wieder Wörterlisten mit Angaben zum Genus. Wie sehr das als Problem empfundene Wortgeschlecht die Benützer der Schriftsprache beschäftigte, zeigt die Nachfrage nach David van Hoogstratens Aenmerkingen over de geslachten der zelfstandige naemwoorden (‚Bemerkungen zum Geschlecht der Hauptwörter‘, 1700). Diese 200 Wörter zählende Liste von Substantiven mit Angaben zum Wortgeschlecht wurde im 18. Jh. sechs Mal neu aufgelegt. In seiner immerhin verbindlichen Grammatik basiert Weiland 1805 die Hauptregel zum Wortgeschlecht auf der problematischen Annahme, dass Begriffe, die Grösse, Kraft, Wirksamkeit und Schrecken einschliessen, männlich seien; weiblich wäre alles, was schwach, sanft, fruchtbar, schön beziehungsweise angenehm ist oder Leid erduldet; alles was die erwähnten Eigenschaften entbehrt oder sich nicht eindeutig bestimmen lässt, wäre Neutrum. Für Muttersprachler war die letzte Regel übrigens überflüssig: es war nie problematisch gewesen, die Klasse der Neutra mit dem dazu passenden Artikel het zu erkennen. Zur Einteilung der Kategorien Maskulinum und Femininum räumt der Verfasser ein, dass es trotz der Hauptregel bei vielen einzelnen Wörtern sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sei zu erklären, welches Wortgeschlecht sie besitzen. In der Folge stellt er sage und schreibe weitere vierzig Regeln auf, die es dem Sprachbenutzer ermöglichen sollen, das Genus eines Substantivs festzustellen. Inzwischen hatte Bilderdijk eine Verhandeling over de geslachten der naemwoorden in de Nederduitsche taal (‚Abhandlung zu den Geschlechtern der Nomina in der niederländischen Sprache‘, 1804) veröffentlicht. Er lehnt die Arbeitsweise Van Hoogstratens ab, der sich an der Verwendung des Genus durch bedeutende Schriftsteller wie Pieter Cornelisz. Hooft und Joost van den Vondel orientiert hatte. Nicht zu Unrecht stellt Bilderdijk fest, dass diese Autoren in der

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

85

Handhabung des Wortgeschlechtes unzuverlässig waren. Dafür geht er bei der Bestimmung des Genus von der Wortform aus. So wären Substantive, ‚die sich aus einem Adjektiv oder einem Partizip‘ entwickelt hätten, feminin, denn sie seien als Eigenschaftswörter von einer Selbstständigkeit abhängig und in der Folge weiblich. Aus einem Verb entstandene Wörter seien maskulin, während aus einem Infinitiv hervorgegangene Substantive sächlich wären. Weiter berücksichtigte Bilderdijk Suffixe wie -heid (‚-heit‘), um das Genus zu bestimmen. Öfters lässt er beim Genus commune offen, ob das betreffende Wort maskulin oder feminin ist, da er auch den Sprachgebrauch beachtet, der oft widersprüchlich ist. Bilderdijks auf diesen Ausgangspunkten beruhende zweibändige Geslachtslijst der Nederduitsche Naamwoorden (‚Geschlechtsliste der niederländischen Nomina‘ 1822) trug, wie u. a. Van der Wal und Van Bree mit Recht bemerken, nur zur Verwirrung des Wortgeschlechtes in der Schriftsprache bei, statt sie zu lösen. Mancher Zeitgenosse kritisierte Bilderdijks Genuszuweisung denn auch. So bezeichnete der in Düsseldorf geborene Jurist Laurens Philippe Charles van den Bergh, Bibliothekar der Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, Bilderdijks Lehre des Wortgeschlechtes als ein Luftschloss, das sich nachteilig auf weitere Forschung auswirke. Trotzdem sollten später erschienene Listen bezüglich Wortgeschlecht, so die 1866 veröffentlichte Woordenlijst (‚Wörterliste‘) von De Vries und Te Winkel (vgl. 3.2.1.), nicht stark von Bilderdijks Geslachtslijst abweichen. 2.2.3.2. Kasus Zwar versucht Weiland Grammatikregeln ‚aus der Sprache‘ abzuleiten, er unterscheidet dennoch neben dem Nominativ drei Kasus, die er u. a. mit den folgenden Paradigmen zusammenfasst: Sing. Mask. (‚Das schöne Tintenfass‘) 1. De schoone inktkoker, 2. Des schoonen inktkokers 3. Den schoonen inktkoker 4. Den schoonen inktkoker.

Fem. (‚Die breite Tür‘) De breede deur, Der breede deur, De, der breede deur, De breede deur.

Neutr. (‚Das dicke Buch‘) Het dikke boek, Des dikken boeks, Den dikken boeke, het dikke boek, Het dikke boek.

Plur. Mask. 1. De schoone inktkokers, 2. Der schoone inktkokers 3. Den schoonen inktkokers, 4. De schoone inktkokers.

Fem. De breede deuren, De breede deuren, De, der breede deuren, De breede deuren.

Neutr. De dikke boeken, Der dikke boeken, Den dikken boeken, De dikke boeken.

Sing. Mask. (‚Ein hoher Berg‘) 1. Een hooge berg,

Fem. (‚Eine klare Wahrheit‘) Eene klare waarheid,

Neutr. (‚Ein klares Licht‘) Een helder licht,

86

2. Eens hoogen bergs, 3. Eenen hoogen berg, 4. Eenen hoogen berg,

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Eener klare waarheid, Eens helderen lichts, Eener, eene klare waarheid, Eenen helderen lichte, een helder licht Eene klare waarheid, Een helder licht,

Die Ausführungen zum Kasus sind wohl als Wiedergabe von, in Weilands Worten, früher ‚festgelegten‘, d. h. vermeintlich systeminhärenten Sprachgesetzen zu deuten. Sie stehen somit im Spannungsfeld der gegensätzlichen aufeinander einwirkenden Kräfte des angenommenen Sprachsystems der Schriftsprache und dem natürlichen Sprachgebrauch. Wie zuvor schon Lambert ten Kate 1723 berücksichtigt Weiland in seiner Darstellung des Kasus zudem die Stilebene, ein nicht unproblematisches Konzept, das hier nicht weiter zu erörtern ist. So könne man im ‚gewöhnlichen Schreibstil‘ die Präposition van (‚von‘) an Stelle eines Genitivs verwenden, so van in eene teekening van Rubbens (‚eine Zeichnung von Rubens‘). Im ‚gehobenen Stil‘ hingegen sagt man Davids psalmen (‚die Psalmen Davids‘). Sodann könne man sich mit Hilfe des Kasus kürzer und treffender ausdrücken: an Stelle von de zoon, dien de veldoverste geteeld heeft (‚der Sohn, den der Oberstleutnant gezeugt hat‘) reiche es de zoon des veldoversten (‚der Sohn des Oberstleutnants‘) zu schreiben; eine solche Beweisführung überzeugt übrigens nicht, denn auch die fast gleich kurze Wortgruppe de zoon van de veldoverste wäre möglich. Nicht nur Schriftsteller, sondern auch Verfasser von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Zeitungsaufsätzen, amtlichen Stücken, Briefen und Vorlagen für Predigten oder öffentliche Ansprachen verwendeten mit Vorliebe feierliche Genitivformen. Zu den unzählbaren Beispielen dieses Genitivs in belletristischen Texten gehören De hitte des vuurs (‚die Hitze des Feuers‘) und het tedere hart des vaders (‚das zarte Herz des Vaters‘) in Jacobus Bellamys zitierter Kurzgeschichte (2.3.2.1.). Beispiele der Verwendung dieses gravitätischen Genitivs durch einen Journalisten sind der verdedigers und des vaderlands in de krijgsdeugd der verdedigers des vaderlands (‚die Kriegstugend der Verteidiger des Vaterlandes‘ OHC). Allerdings meidet der Verfasser im gleichen Text Umschreibungen mit Präposition nicht, vgl. van (‚von‘) in den moed van den prins van Oranje (‚den Mut des Prinzen von Oranien‘ OHC). Die im gleichen Artikel zitierte Rede des Prinzen (OHC) zeugt von der Verwendung des Genitivs in feierlichen Ansprachen, vgl. des vijands in de nabijheid des vijands (‚die Nähe des Feindes‘), afstands in op twee uren afstands van Brussel (‚in einer Distanz von zwei Stunden von Brüssel‘) oder zijner in den intogt zijner hoofdstad (‚den Einmarsch in seine Hauptstadt‘). Bezeichnenderweise enthält der zitierte Brief eines flämischen Soldaten (vgl. 2.3.3.2.) dagegen keine einzige Genitivform. Im ‚vornehmen Stil‘ rät Weiland zur Verwendung von Reflexivpronomina wie dewelk (‚welcher‘), hetwelk (‚welches‘) und welk (‚welch‘) an Stelle vom ‚gemeinen‘ die (‚der‘, ‚die‘) oder dat (‚das‘). Von der Beliebheit dieser von vielen Grammatikern empfohlenen, aber unnatürlichen, häufig auch flektierten Pronomina zeugt ein willkürlich ausgewählter Zeitungsartikel zur Huldigung König Wilhelms I. (vgl. 2.5.1.1.). Der Text enthält die Reflexiva het welk in dit verlangen, het welk (‚diese Sehnsucht, welche‘) sowie welke in Deze optogt welke (‚Dieser Festzug, welcher‘) und in Deze dag, welke (‚Dieser Tag, welcher‘). Die im gesprochenen Nie-

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

87

derländischen gebräuchlichen, nicht deklinierten Reflexiva die und wie, die sich auf Substantive des Genus commune Sing. oder Plur. sowie dat und wat, die sich auf Neutra beziehen, sucht man in diesem kleinen Aufsatz vergeblich. Um Doppeldeutigkeiten zu vermeiden, befürwortet Weiland den Gebrauch von flektierten Pronomina wie deszelfs (‚dessen‘), derzelven (‚deren‘). u. ä., die dem jeweiligen Kasus entsprechen. Als eines der Beispiele dazu führt er den Satz De krijgsoversten gaven den soldaten vrijheid, derzelver vrouwen mede te voeren, (niet hunne) an (‚Die Generäle erlaubten den Soldaten die ihrigen Frauen mitzuführen, [nicht ihre]‘); derzelver vrouwen bezeichnet die Frauen der Soldaten und nicht die der Generäle. Ähnlich wäre deszelfs nötig, um Ambuguität zu vermeiden im Satz hij, die God lief heeft, houdt deszelfs geboden (‚er, der Gott lieb hat, beachtet dessen Gebote‘), denn zijne (‚seine‘) hätte man auf das Subjekt hij (‚er‘) beziehen können. Dass die Beachtung des Kontextes ausreicht, um derartigen Missverständnissen zuvorzukommen, überlegt sich der Verfasser nicht. Ausgefallene Empfehlungen wie Weilands Bemerkungen zu hetwelk, dewelke, derzelven, deszelfs u. ä. förderten die vielfache Verwendung archaischer Reflexiva und Pronomina in der Schriftsprache, die Kluft zum spontan gesprochenen Niederländischen vertiefte sich. 2.2.3.3. Personalpronomina Dass Weiland sich auch bei der Besprechung der Personalpronomina nach der Schriftsprache richtet, zeigt sich namentlich bei der 2. Pers. Sing. gij (‚Du‘, ‚Sie‘) und Plur. (‚Ihr‘, ‚Sie‘), bei Genitivformen wie mijns (‚meines‘), uws (‚Ihres‘), onzer (‚unseres‘), Uwer (‚Ihrer‘), zijns (‚seines‘), harer (‚ihres‘), hunner (‚ihrer‘) sowie bei den Regeln zur Verwendung von Objektformen wie hun und hen (‚ihm‘, ‚ihn‘, ‚ihnen‘, ‚sie‘). Schematisch fasst er die Personalpronomina wie unten zusammen: Sing. 1. Pers. 1. ik, 2. Mijns (van mij), 3. Mij (aan mij), 4. Mij.

2. Pers. Gij, Uws (van u), U (aan u), U.

Plur. 1. Wij, 2. Onzer (van ons), 3. Ons (aan ons), 4. Ons

Gij, Uwer (van u), U (aan u), U.

3. Pers. Mask. 1. Hij,

Fem. Zij,

Neutr. Het,

88

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

2. Zijns (van hem), 3. Hem (aan hem), 4. Hem.

Harer (van haar) Haar (aan haar), Haar.

Van het, Het (aan het), Het.

Plur. Mask. 1. Zij, 2. Hunner (van hen) 3. Hun (aan hen) 4. Hen.

Fem. Zij, Harer (van haar), Haar (aan haar), Haar.

Neutr. Zij, Hunner (van hen), Hun (aan hen), Hen.

Es fällt auf, dass Weiland das damals schon längst bekannte und heute in der Randstad, aber auch in anderen Regionen gebräuchliche Pronomen 2. Pers. Sing. jij (‚Du‘), unbetont je nicht erwähnt. Immerhin ist es mit den entsprechenden Objektformen jou (‚Dich‘, ‚Dir‘) und je bereits seit dem 17. Jh. belegt und auch in literarischen Quellen des ‚goldenen Jahrhunderts‘ zu finden. So reden beispielsweise Bauern und Bürger einander in Bühnenstücken von Gerbrand Adriaensz. Bredero oder Samuel Coster (1579–1665) mit jy an. In dem allegorischen Gedicht Scheepspraet (1625) des Renaissance-Schriftstellers par excellence Constantijn Huygens richten Matrosen sich gar mit je an ihren ‚Kapitän‘, d. h. den verstorbenen Statthalter Moritz. Sodann erwähnt Joannes Ruëll in seiner 1699 verfassten und 1708 veröffentlichten Grammatik des Singalesischen, Grammatica of Singaleesche Taal-kunst (‚Grammatik oder singalesische Sprachlehre‘) jeij als Pron. 2. Pers. Sing. Laut ihm richtet man sich an Frauen mit einer Variante: jij tegen een vrouwmensch (‚ „jij“ zu einem Fraumensch‘). Sodann nennt er für die 2. Pers. Plur. Jeij Luij (‚Ihr Leute‘). Auch später ist jij mit den entsprechenden Varianten in literarischen Texten zu finden, sogar in der Verwendung von Schriftsprache innerhalb der Schriftsprache: Briefe im Roman Sara Burgerhart (1782) von Betje Wolff und Aagje Deken enthalten dieses Personalpronomen. Indem Weiland jij, je, jou und jouw überhaupt nicht erwähnt, lehnt er implizit die Verwendung dieser Formen des Pronomens ab. Offenbar gehörten sie für ihn nicht zur gepflegten Sprache, eine Auffassung, die früher schon Willem Séwel und Lambert ten Kate vertraten. Sie hatten jij und jou, die sie zur Gassensprache rechneten, ausdrücklich als vulgär eingestuft. So sollte gy sich weiterhin in der Schriftsprache als Pronomen 2. Pers. Sing. halten, obschon sich jij als typisch holländische Form in der gesprochenen Sprache des Nordens durchsetzte. Erst gegen Ende des 19. Jh. sollten Grammatiker die Verwendung von jij, je und jou in ihren Veröffentlichungen berücksichtigen. Weiter fällt ins Auge, dass Weiland als Subjektform der 2. Pers. Plur. ausschliesslich gij nennt. Mit Recht bemerkt er dazu, dass gij ursprünglich die 2. Pers. Plur. (‚Ihr‘, ‚Sie‘) bezeichnete, dann aber auch als Höflichkeitsform 2. Pers. Sing. (‚Sie‘) Verwendung fand. Dies lässt sich tatsächlich bereits im 13. Jh. im Süden belegen. Allmählich ersetzte es das im Mnl. gebräuchliche du (‚Du‘), das im Laufe der Zeit als ungepflegt oder gar als Beschimpfung empfunden wurde, obwohl mancher Grammatiker im 17. Jh., so Van Heule, den Gebrauch von du empfahl. Um Verwirrung zwischen gij Sing. und gij Plur. zu vermeiden, fügte man laut Weiland im Plur. manchmal lieden (‚Leute‘) hinzu, wie in gijlieden (‚Ihr Leute‘) und ulieden (‚Sie Leute‘), ob-

2.2. Schriftsprache als Norm des Allgemeinen Niederländischen

89

schon dies nicht nötig wäre. Von u als Subjekt ist nicht die Rede. Nicht erwähnt Weiland das Pronomen jelui (‚Ihr‘) mit den Varianten jijlui und joului (‚Ihr‘), das als 2. Pers. Plur. auch in der Schriftsprache vermehrt Verwendung fand. Dieses Pronomen findet sich beispielsweise in Briefromanen von Wolff und Deken, vgl. jelui im Satz Of ik jelui zo eens de metten zal voorleezen, of ik jelui… (‚Ob ich Euch mal einen Denkzettel verpassen soll, ob ich Euch…‘ 1785, WNT). Obschon jelui, das sich zum Pronomen jullie entwickelte, immer mehr als Subjekt- und Objektform 2. Pers. Plur. gebraucht wurde, fehlt es in Weilands Grammatik. Offenbar galt für ihn die Regel, dass in der Schriftsprache ausschliesslich gij zu wählen sei. Wie u. a. N. van der Sijs ausführt, kamen hen, hun und haar (‚ihnen‘, ‚sie‘) ursprünglich nebeneinander als Objektformen der 3. Pers. Plur. vor; gelegentlich wurden sie von -lieden (‚-Leute‘) ergänzt, vgl. henliede(n) und hunliede(n). Indem die Grammatiker in der frühen Neuzeit danach strebten, Regeln zum Kasus einzuführen, benutzten sie bestehende Varianten der Objektformen des Personalpronomens zur Markierung des Dativs und Akkusativs. So legte Christiaen van Heule 1625 hun (‚ihnen‘) für den Dativ und hen für den Akkusativ 3. Pers. Plur. fest. Einige zeitgenössische Schriftsteller, so Hooft, Vondel und Vollenhove übernahmen diese Regel, dagegen berücksichtigten die Übersetzer der viel gelesenen Statenvertaling diese Vorschrift nicht. Die Wahl zwischen Pronomina wie hen und hun, die für die spontane, gesprochene Sprache als synonym einzustufen sind, bereitet manchem Schreiber des AN bis heute denn auch Mühe.

2.2.4. Bestrebungen zur Inventarisierung des Lexikons Die in Kreisen der Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde (vgl. 2.1.1.3) entstandenen Entwürfe eines Wörterbuchs des Niederländischen mündeten 1787 in eine Alphabetische woordenlijst uit de voorhanden zijnde excerpten (‚Alphabetische Liste aus den vorhandenen Exzerpten‘), die allerdings nur halbwegs bis zum Buchstaben h publiziert wurde. Diesen ‚vaterländischen Plan‘ griff Petrus Weiland 1796 wieder auf. Er verarbeitete die vorhandenen Materialien in seinem elfbändigen Werk Nederduitsch taalkundig woordenboek (‚Niederländisches sprachwissenschaftliches Wörterbuch, 1799–1811, vgl. De Tollenaere 1977). Für dieses mit stalen volharding (‚stählerner Beharrlichkeit‘) verfasste Werk hatte er Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart (1775–1786) als Beispiel genommen. Da Weilands Werk dem Bedürfnis nach einem ‚vollkommenen umschreibenden Wörterbuch des Niederländischen‘ nicht entsprach, bestand nach wie vor der Wunsch nach einem neuen Wörterbuch. Ludwig Napoleon erteilte, wohlgemerkt als französischer König von Holland, 1808 dem von ihm gegründeten Koninklijk Instituut (‚Königlichen Institut‘) den Auftrag, ein ‚holländisches‘ Wörterbuch zu verfassen. Die verantwortliche Kommission, der u. a. Siegenbeek, Bilderdijk und Weiland angehörten, scheiterte allerdings. Erst in der Mitte des 19. Jh. versuchten Sprachgelehrte erneut, das Lexikon des Niederländischen in einem historischen Rahmen umfassend darzustellen, vgl. 3.2.3. Literatur zu 2.2.: Adelung 1978; Bakker et al. 1977; Bakker in: Van den Toorn et al. 1997; Behaegel 1817; Betz 2009; Van den Bergh 1840; Blok et al. Bd. 9, 10, 11, 1977/83; De Bonth et al. 1996; Boonstra et al. 2009;

90

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich Deneckere 1954; Geerts 1966; Van Ginneken 1913; Hammacher1976; Haeseryn et al. 1997; Herder 1970; Von Humboldt 1972; Janssens et al. 2005; Kalmthout et al. 2015; Kloek et al. 2001; Knol in: Bakker et al. 1977; Kossmann 1986; Muller 1891; Neijt 1991; Noack 2001; Noordegraaf 1994; Rutten 2009; Rutten 2011; Schlegel 1808; Siegenbeek 1804; Siegenbeek 1805; Siegenbeek 1827; Siegenbeek 1846; Siegenbeek 1997; Van der Sijs 2004; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs et al. 2009; Smeyers 1987; Stegeman 2014; De Tollenaere in: D.M. Bakker et al. 1977; Van den Toorn et al. 1997; Vandenbussche 2002; Vanhecke et al. 2007; Vekeman et al. 1993; De Vooys 1905; De Vooys 1952; De Vos 1939; Vosters et al. 2010; J.W. de Vries et al. 1994; Van der Wal et al. 2008; Weiss 1990; Willems 1819/24; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2003; Wils 1977; Wils 2001, Witte et al. 1998 (a); Witte et al. 1998 (b); Würth 1823.

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813 2.3.1. Presse 2.3.1.1. Die Schiesspulverkatastrophe zu Leiden Am 12. Januar 1807 explodierte in Leiden aus ungeklärter Ursache ein Schiff, das 37.000 holländische Pfund, d. h. 17.760 kg Schiesspulver geladen hatte. Es waren mehr als 150 Tote und Tausende Verletzte zu beklagen. Auch Prof. Adriaan Kluit (vgl. 2.2.1.) kam dabei um. Die Explosion, die bis in Den Haag zu hören war, verursachte grossen Schaden im Stadtzentrum Leiden. König Ludwig Napoleon, der innerhalb fünf Stunden anwesend war, bot sofort Hilfe. Im frühen 19. Jh. berichtete die Presse hauptsächlich über politische, wirtschaftliche und militärische Angelegenheiten, inländische, lokale Themen kamen kaum zur Sprache, wie R. de Graafs Untersuchungen bestätigen. Es fällt denn auch auf, dass die Haagsche Courant am 16. Januar 1807 den folgenden Bericht zur Leidener Schiesspulverkatastrophe veröffentlichte. A0. 1807 HAAGSCHE COURANT Vrydag den 16 January. Holland Haarlem, den 14 January. Onze Stads-Courant behelst heden de volledigste beschryving, die men tot nog toe heeft van het droevig ongeluk, het welk de stad Leyden getroffen heeft, zynde van den volgenden inhoud: „Op Maandag den 12 dezer, ’s namiddags tusschen vier en vyf uur trof de stad Leyden een allergedugtste ramp. Een schip, met 150 vaten Buskruit, liggende in het Rapenburg, tusschen de Koepoorts- en St. Jacobs- Gragt, sprong in de lugt en veroorzaakte zulk eenen geweldigen schok en eene zo verre zig uitstrekkende uiteenzetting en verplaatsing der lugt, dat, niet alleen de huizen aan beide zyden van het Rapenburg, tusschen de Nieuwsteeg en de Saay-Hal, en tusschen de Koepoortsgragt en de Voldersteeg, byna allen plotsling geheel instortten, maar ook een zeer groot aantal anderen zo op de Garenmarkt, als in de Raamstegen, en aan den

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

91

anderen kant van de stad op de Breestraat, en in de straten en stegen, welke dezelve met het Rapenburg verbinden, of geheel invielen, of zeer aanmerklyk beschadigd werden. De gansche stad door, maar inzonderheid Zuid-Oostlyk van de plaats, waar het ongeluk is voorgevallen, heeft men overal aan daken, raamen, deuren, vengsters, en zelfs aan binnenmuren enz. zeer veel schade. De Akademie, de Saay-Hal, het Stadhuis, de Pieterskerk, enz. hebben ook geleden, zynde van het Stadhuis een gedeelte der Voorpuye ingestort.“ „Hoe onberekenbaar ook de schade zy, zo voor een groot aantal meer en min gegoede Inwoners, welke van huis en have beroofd, by Vrienden en Bekenden eene naauwlyks veilige schuilplaats vinden, of in half verwoeste woningen in koude en kommer hunnen berooiden staat beschreijen; hoe onnoemlyk veel de verarmde stad en voor het tegenwoordige en voor het vervolg door dezen ramp verliezen; niets haalt by de smart van zo veele Egtgenooten, Vaders, Moeders, Bloedverwanten en Vrienden, welke in den diepsten rouw gedompeld zyn, door de treurige zekerheid van den dood hunner dierbaarste Panden; of nog steeds het oogenblik te gemoet zien, waarop dezelve van onder de puinhoopen zullen te voorschyn komen.“ „Ofschoon veele bewoners der ingestorte huizen nog gelukkig zyn behouden gebleven, zyn er toch een aantal verpletterd of verstikt; hetzelve juist op te geven, is voor als nog ondoenlyk, en men wagt liever egte Lysten af, dan voor als nog naamen te noemen of in verdere byzonderheden te treden. Eene egter treft elk gevoelig hart te zeer, om dezelve te kunnen verzwygen. In twee zeer drok bezogte Scholen, (die van het Departement Tot Nut van ’t Algemeen en die van de Weduwe Schreitker,) zyn veele Kinderen jammerlyk omgekomen) in weerwil der pogingen, ter redding aangewend.“ „Ofschoon men deze zo veel mogelyk vermenigvuldigde, werd egter het aanbrengen van dadelyke hulp door de ont ze tende hoogte der Puinhoopen ten uiterste bezwaard, en de verwarring en radeloosheid te grooter, daar er zo ter weerzyde van het Rapenburg als op verscheiden andere plaatsen brand ontstond; en de rasch invallende donkere avond slegts door flambouwen enz. flauwelyk te verlichten was.“ „Op last van Z.M. den Koning werd, op het bekomen berigt van de noodlottige omstandigheden, waarin Leyden zig bevond, een aantal troupen uit de Residentie gekommandeerd, derwaard te marscheren, welke Z. Maj. zelve in persoon gevolgd is. De Koning heeft met de meeste deelneming en yverigste medewerking zelf den ellendigen, die onder de puinhoopen begraven waren hulp geboden, en door het aanbieden van Goud, en het aanmoedigen der krygsmagt hulp doen aanbrengen; de Regering der Stad, de Studenten der Hooge School, de Gewapende Burgermagt hebben yverig het hunne toegebragt ter redding der Ongelukkigen; ter bewaring der Orde; ter beveiliging der Goederen enz. Z.M. de Koning heeft alle mogelyke hulp beloofd, en zyne tegenwoordigheid werd weder in de Stad verwagt.“ „Het tooneel van verwoesting, te zien van de Koepoortsbrug aan beide zyden van het Rapenburg, is allerakeligst, en vervult het hart van den ongevoeligsten zelven met smart. De verslagenheid is algemeen, en, by aldien er van alle kanten geen kragtdadige bystand word toegebragt, welken de menschlykheid gebied, en de Christlyke liefde tot eenen streelenden pligt maakt, is er voor het ongelukkig Leyden geen herstel te wagten.“ Delpher, Haagsche Courant, 16/1/1807.

92

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Übersetzung: A01. 1807 HAAGSCHE COURANT Freitag den 16. Januar. Holland Haarlem, den 14. Januar. Unsere Stadtzeitung umfasst heute die vollständige zur Verfügung stehende Beschreibung von dem traurigen Unglück, welches die Stadt Leiden getroffen hat, mit dem folgenden Inhalt: „Am Montag dem 12. dieses Monats, nachmittags zwischen vier und fünf Uhr traf die Stadt Leiden eine furchtbare Katastrophe. Ein Schiff, mit 150 Fässern Schiesspulver, liegend am Rapenburg-Kai, zwischen der Koepoort- und der St. Jacobs Gracht, flog in die Luft und verursachte solch eine gewaltige Erschütterung und eine sich so weit ausdehnende Auseinandersetzung und Verlagerung der Luft dass nicht nur die Häuser auf beiden Seiten von der Rapenburg, zwischen dem Nieuwsteeg und dem Saay-Hal, und zwischen der Koepoortgracht und der Voldergasse, beinahe alle plötzlich vollständig einstürzten, aber auch eine sehr grosse Anzahl andere [Häuser] so auf dem Garenmarkt, wie auch in den Raamgassen, und auf der anderen Seite der Stadt an der Breestrasse, und in den Strassen und Gassen, welche dieselbe mit der Rapenburg verbinden, welche entweder ganz einstürzten, oder sehr beträchtlich beschädigt wurden. Die ganze Stadt hindurch, aber insbesondere südöstlich von dem Platz, wo das Unglück statt gefunden, hat man überall an Dächern, Rahmen, Türen, Fenstern, und selbst an Innenmauern usw. sehr viel Schaden. Die Akademie, die Saay-Hal, das Stadthaus, die Peterskirche usw. haben auch gelitten, vom Stadthaus ist ein Teil der Fassade eingestürzt.“ „Wie unermesslich der Schaden auch sein mag, so für eine grosse Anzahl mehr oder weniger wohlhabende Einwohner, welche von Haus und Besitz beraubt, bei Freunden und Bekannten einen kaum sicheren Unterschlupf finden, oder in halb verwüsteten Wohnungen in Kälte und Kummer ihren mittellosen Staat beweinen; wie unsagbar viel die verarmte Stadt sowie für das Derzeitige als auch für das Folgende durch diese Katastrophe verliert; nichts kommt an den Schmerz heran von so vielen Ehegatten, Vätern, Müttern, Blutsverwandten und Freunden, welche in die tiefste Trauer versetzt wurden, durch die traurige Sicherheit vom Tod ihrer Geliebten; oder noch immer dem Augenblick entgegen sehen, worauf dieselben unter den Trümmern zum Vorschein kommen sollen.“ „Obschon viele Bewohner der eingestürzten Häuser glücklicherweise noch unversehrt geblieben sind, sind da doch eine Anzahl zerschmettert oder erstickt; dementsprechende Angaben zu machen ist vorläufig unmöglich, und man wartet lieber echte Listen ab, als bereits jetzt Namen zu nennen oder in weitere Einzelheiten zu treten. Eine allein trifft jedes sensible Herz zu sehr, um dasselbe verschweigen zu können. In zwei sehr stark besuchten Schulen, (die vom Departement Vom Nutzen der Allgemeinheit und die von der Witwe Schreitker), sind viele Kinder kläglich umgekommen trotz der Versuche sie zu retten.“

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

93

„Obschon man sich möglichst anstrengt, wird dennoch das Anbringen von sofortiger Hilfe durch die unglaubliche Höhe der Trümmerhaufen auf das Äusserste erschwert, und die Verwirrung und Ratlosigkeit noch grösser, da so auf beiden Seiten der Rapenburg sowie auf verschiedenen anderen Plätzen Feuer ausbrach; und der schnell einfallende dunkle Abend nur durch Fackeln usw. mässig zu erhellen war.“ „Im Auftrag von S.M. dem König wird, aufgrund des erhaltenen Berichts von den verhängnisvollen Umständen, worin Leiden sich befand, eine Anzahl Truppen aus der Residenz abkommandiert, dorthin zu marschieren, welcher S. Maj. Selbst persönlich gefolgt ist. Der König hat mit der grössten Anteilnahme und eifrigster Mitwirkung selbst den Elenden, die unter den Trümmerhaufen begraben waren Hilfe angeboten, und durch das Anbieten von Gold, und die Ermutigung der Kriegsmacht Hilfe angebracht; die Regierung der Stadt, die Studenten der Hochschule, die bewaffnete Bürgermacht haben eifrig das Ihrige beigetragen zur Rettung der Unglücklichen; zur Bewahrung der Ordnung; zum Schutz der Güter usw. S.M. der König hat alle mögliche Hilfe zugesichert, und seine Anwesenheit wird wieder in der Stadt erwartet.“ „Das Bild der Verwüstung, zu sehen von der Koepoortsbrücke auf beiden Seiten von der Rapenburg, ist schrecklich, und erfüllt das Herz von den Unsensibelsten mit Schmerz. Die Niedergeschlagenheit ist überall, und wenn von allen Seiten kein tatkräftiger Beistand entgegengebracht wird, welche die Menschlichkeit gebietet, und die christliche Liebe zu einer strahlenden Pflicht macht, ist für das unglückliche Leiden keine Erholung zu erwarten.“ 2.3.1.2. Ankunft des künftigen Königs auf dem Strand Scheveningens Als die französischen Truppen sich aus Den Haag zurückgezogen hatten, wurde Wilhelm Friedrich, Sohn des letzten Statthalters der Niederlande, 1813 zu ‚hoher Autorität‘ ausgerufen. Am 30. November setzte eine englische Fregatte den künftigen König der Niederlande am Strand von Scheveningen ab. Dazu veröffentlichte die ’s-Gravenhaagsche Courant den folgenden Text: A0 1813. NO. 14. ’S GRAVENHAAGSCHE COURANT donderdag, den 2 december. ’s Gravenhage, den 30 novomber. Dezen voormiddag wierden van Scheveningen twee groote schepen gezien, die echter door den wind belet wierden, vroeger dan omstreeks vier uren het land te naderen. Dadelyk verspreidde zich het gerucht, dat Prins WILLEM DE VI, aan boord van één derzelve was. De toeloop naar den Scheveningsche weg was daarop zeer groot, en het vreugde gejuich der menigte onbeschryvelyk. Een weinig voor vyf uren kwam de Prins in den Haag aan. Zyne Hoogheid was gezeten in een open rytuig met den graaf van Limburg Stirum, in wiens hotel, in het Groote Voorhout Hoogstdezelve is afgestapt. In het gevolg bevinden zich de heeren de Perpóncher, W. Fagel en Ragay. Ook is Lord Clanbury, als minister van Groot-Brittanje, mede gekomen. Naar men verneemt, zal Z.H. in het huis van den heer Collot d’Escury op den

94

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Kneuterdyk logeeren. Op dit oogenblik is de geheele stad algemeen verlicht, zonder echter, dat er by het onverwachte dezer even blyde als belangryke gebeurtenis, eenige aanzegging of waarschouming had kunnen plaats hebben. Hoogstdezelve, die reeds voorleden Vrydag uit Engeland vertrokken was, geniet eenen volmaakten welstand. Delpher, ’s Gravenhaagsche Courant , 14, 2/12/1813. Übersetzung: ‘S GRAVENHAAGSCHE COURANT Donnerstag, den 2. Dezember. ʼs Gravenhage, den 30. November. An diesem Vormittag wurden in Scheveningen zwei grosse Schiffe gesichtet, die aber durch den Wind gehindert wurden, sich früher als ungefähr um vier Uhr dem Land zu nähern. Sofort verbreitete sich das Gerücht, dass Prinz Willem VI. an Bord von einem derselben war. Der Zulauf zur Scheveningschen Strasse war darauf sehr gross, und das Freudengejubel der Menge unbeschreiblich. Kurz vor fünf Uhr kam der Prinz in Den Haag an. Seine Hoheit sass in einem offenen Wagen mit den Grafen von Limburg Stirum, in dessen Hotel, am Groote Voorhout Höchstselbst abgestiegen ist. Im Gefolge befinden sich die Herren de Perponcher, W. Fagel und Ragay. Auch Lord Clanbury, als Minister von Grossbritannien, ist mitgekommen. Wie man vernimmt, soll. S.M. im Haus von Herrn Collot d’Escury am Kneuterdijk logieren. In diesem Augenblick ist die gesamte Stadt allgemein erleichtert, ohne aber, dass es von diesem sowohl erfreulichen als auch wichtigen Ereignis, einige Ankündigungen oder Warnungen gegeben hat. S.M., der schon vergangenen Freitag aus England abgereist war, geniesst höchstselbst eine vollkommene Gesundheit.

2.3.2. Belletristik 2.3.2.1. Jacobus Bellamy, Proeven voor het verstand, den smaak en het hart Fragment van eene sentimenteele historie. Daar waren dan eens twee broeders, zeer verschillend van aart, zoo als het meer onder broeders is. Zij woonden zamen op een aangenaam landgoed, en vermaakten zich ieder op zijne wijze. De eene, Willem, was, zoo als men het noemt, zeer sentimenteel; wanneer hij ’s avonds in de maaneschijn wandelde, stortte hij op ieder grasje een traan, en hieldt dan heele lange alleenspraken van O! en ACH! – Hij maakte ook wel vaerzen, waarin hij geduurig zeide, dat hij schreide; maar dat zeide hij dan zoo maar; en de liefde haalde hij zoo dikwijls over, dat zij in aether wegvloog. Dit hadt hij uit verscheiden boeken geleerd; doch sommigen hadt hij niet regt begrepen. Hendrik was niet sentimenteel, zoo als Willem dat woord gebruikte; hij las geschiedenissen, maakte ook wel gedichten, doch van een ander soort; wandelde ’s morgends en ’s avonds

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

95

door boschen en velden, en was dan regt vrolijk; dan kwam er ook wel eens een traan in zijn oogen, doch die vaagde hij schielijk weg, en zeide niets. Eens op een’ morgen werd het klokje, op een nabuurig landhuis, schriklijk geluid; de nieuwsgierigheid dreef de broeders naar buiten, om te zien, wat de reden van deze beweging was. Zij waren naauwlijks buiten, of zij zagen een zwaren rook van het nabuurig landhuis opgaan. – Brand! riep Hendrik; daar moeten wij heen! wij moeten die arme menschen bijspringen! – o Hemel! zeide Willen, is deze waereld dan altijd een toonneel van verdriet? – moet een gevoelig hart dan overal rampen ontmoeten? – Hendrik ging vast voord, en Willem volgde hem. Toen zij nabij kwamen sloeg de vlam het dak uit. Groote God! riep Hendrik, help ons! – Willem stonde stil – haalde een zwaare zugt uit zijn borst – sloeg zijn oogen ten hemel, en zijn handen zaamen, en stondt nog stil – Alles was in beweeging. De boeren droegen water, en Hendrik hielp hen. – De eigenaar van het huis liep wanhopend rond, en riep: alles is niets! – alles is gered! – maar, mijn lieve dochter! – zij zal moeten verbranden! – zij kan niet gered worden! – Vrienden! redt mijn dochter! – Willem gild[d]e, en vloog eenige stappen te rug. – Waar is uwe dochter? riep Hendrik, waar is zij? – ‚Op die kamer, daar de vlam daar uit het vengster staat!‘ – Hendrik gloeidde – stondt een oogenblik stil – en vloog heenen. Willem Hendrik o Hemel! zal zulk een schoone bloem, in den Maakt plaats! maakt plaats! ik wil de dochter morgen van hare ontluiking, reeds verzengd redden! maakt plaats! – waar is de trap? (De boeren maaken ruimte, en zien den jongeling worden? ………. – … – … Hevige vlammen! Jeugd met verwondering en medelijden aan. Henen schoonheid zijn even weinig veilig voor drik vliegt in huis en dringt, door een dikken uwe woede, als de verdroogde elk in het rook, den trap op)- - - - - - - - - - - - - - - - - ------bosch! De hitte des vuurs doet de traanen, op mijne - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - wangen verdroogen! – Lief meisje! hoe dik- Waar zijt gij, meisje? – waar zijt gij? ik zal u wijls zag de Maan u hier, op deze graszoden helpen! – (Geheele stukken van het huis vienederzitten! toen rolden traanen van het fijn- len reeds naar beneden, de vonkende trapste gevoel uit uwe hemelsche oogen! – en pen kraakten onder zijne voeten. Hij zal er nu!……. Ach! is dan alles op den gevoeligen nooit weder uitkomen! zeiden de boeren, ’t mensch gebeten?…… Rampzalige aarde!…. was te laat!! [)]- - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - o! hoe veel lijdt thans mijn hart!…….. On- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - gevoelige Hendrik! zonder dat uw hart een Zij is gered! – zij is gered! – oude man! waar zugt loosde – zonder dat een traan aan uw zijt gij? – hier is uwe dogter! zij leeft! – (de oog ontviel, vraagt gij den bedroefden vader: kleederen des jongelings stonden in volle ‚waar is uwe dogter?!!…‘ Hoe moest deze vlam; hij voelde niets: de dogter was gered [)]. vraag het tedere hart des vaders niet grieven! – Jacobus Bellamy, Proeven voor het verstand, den smaak en het hart. Dordrecht 1790, 155–158.

96

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Übersetzung: Jacobus Bellamy, Abhandlungen zum Verstand, zum Geschmack und zum Herz Fragment einer sentimentalen Geschichte. Da waren einst zwei Brüder, sehr verschieden in der Art, so wie es oft unter Brüdern ist. Sie wohnten zusammen auf einem angenehmen Landgut, und vergnügten sich jeder auf seine Weise. Der eine, Willem, war, so wie man es nennt, sehr sentimental; wenn er abends im Mondschein wanderte, vergoss er auf jedem Gräschen eine Träne und hielt dann sehr lange Selbstgespräche von Oh! und Ach! – Er machte gelegentlich auch Gedichte, worin er dauernd sagte, dass er weinte; aber das sagte er dann nur so; und die Liebe zog er so häufig heran, dass sie im Äther wegflog. Das hatte er aus verschiedenen Büchern gelernt; doch manche hatte er nicht richtig begriffen. Hendrik war nicht sentimental, so wie Willem das Wort gebrauchte; er las Geschichten, machte auch Gedichte, doch von einer anderen Sorte; wanderte morgens und abends durch Wälder und Felder und war dann recht fröhlich; dann kam auch mal eine Träne in seine Augen, doch diese wischte er hastig weg, und sagte nichts. Eines Morgens wurde die Glocke auf einem benachbarten Landhaus schrecklich geläutet; die Neugier trieb die Brüder nach draussen, um zu sehen, was der Grund für diese Bewegung war. Sie waren kaum draussen, als sie starken Rauch aus dem benachbarten Landhaus aufsteigen sahen. – Brand!, rief Hendrik; Da müssen wir hin! Wir müssen den armen Menschen beistehen! – Oh, Himmel!, sagte Willem, Ist diese Welt denn immer ein Bild von Trauer? – Muss ein sensibles Herz denn überall Katastrophen antreffen? – Hendrik ging schnell fort, und Willem folgte ihm. Als sie in die Nähe kamen, schlug die Flamme aus dem Dach. Grosser Gott!, rief Hendrik, Hilf uns! Willem stand still- seufzte schwer – richtete seine Augen gegen den Himmel, und faltete seine Hände und stand weiterhin still. – Alles war in Bewegung. Die Bauern trugen Wasser und Hendrik half ihnen – Der Eigentümer des Hauses lief verzweifelt umher und rief: Alles ist nichts! Alles ist gerettet! – Aber meine liebe Tochter – Sie muss verbrennen! – Sie kann nicht gerettet werden! – Freunde! Rettet meine Tochter! Willem schrie und rutschte einige Schritte zurück. – Wo ist eure Tochter?, rief Hendrik Wo ist sie? Im Zimmer, wo die Flamme aus dem Fenster kommt! Hendrik glühte – stand einen Augenblick still – und rannte hinein. Willem Oh Himmel! Soll solch eine schöne Blume, in den Stunden ihrer Entfaltung, schon versengt werden? Heftige Flammen! Jugend und Schönheit sind genauso wenig sicher vor eurer Wut, wie die verdorrte Eiche im Wald!

Hendrik Macht Platz! Macht Platz! Ich will die Tochter retten! Macht Platz! Wo ist die Treppe? (Die Bauern machen Platz und sehen den Jüngling mit Verwunderung und Mitleid an. Hendrik fliegt in das Haus und dringt, durch einen dicken Rauch, die Treppe hinauf [)]

I Johannes Jelgerhuis (1770–1836), Die Buchhandlung Pieter Meijer Warnars am Vijgendam Amsterdam, 1820, Rijksmuseum Amsterdam.

II Felix de Vigne (1806–1862), Jan Frans Willems, 1846, Liberaal Archief Gent.

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

Die Hitze des Feuers lässt die Tränen auf meinen Wangen vertrocknen! Liebes Mädchen! Wie oft sah der Mond euch hier, auf dieser Grassode sitzen! Dann rollten Tränen von feinstem Gefühl aus euren himmlischen Augen! Und nun Ach! Ist denn alles voller Hass dem sensiblen Menschen gegenüber? Unheilvolle Erde! Oh! Wie viel Leid ist in meinem Herzen! Unsensibler Hendrik! Ohne dass euer Herz traurig war – ohne dass eine Träne aus eurem Auge fiel, fragtst Du den betrübten Vater ‚Wo ist eure Tochter?!!‘ Wie muss diese Frage das zarte Herz des Vaters nicht kränken! – 2.3.2.2. Rhijnvis Feith, Het leven Het leven Ach! hoe snelt ons leven, Als een stroom gedreven, Die van rotsen schiet! Blijde en droeve jaren Vlugten met de baren, En zij keeren niet! Kindscheid ijlt als ’t krieken, Jonglingschap heeft wieken, Kommer zweept den man, Grijsheid maant tot scheiden Zweeft er tussen beiden Wel eene enkle span? Onder min en kozen Welken aardsche rozen, Worden Tempe’s duin; Onder spel en dansen Vlecht de grijsheid kransen Om de kale kruin.

97

Wo seid ihr, Mädchen? Wo seid ihr? Ich werde euch helfen! (Ganze Teile des Hauses fielen schon nach unten, die funkenden Stufen krächzten unter seinen Füssen. Er wird nie wieder rauskommen! Sagten die Bauern. Es war zu spät![)] Sie ist gerettet! Sie ist gerettet! Alter Mann! Wo seid ihr? Hier ist eure Tochter! Sie lebt! (Die Kleider des Jünglings standen in vollen Flammen; er fühlte nichts: Die Tochter war gerettet.[)]

98

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

’t Glinstrend smalt der weide Wordt een vale heide Voor den ouderdom; ’t Koor der Filomeelen, Hoe ze om bloeitijd kwelen, Blijft voor ’t harte stom. ’t Mondje, toovrend blode Dat tot kusjes noodde, Wekt geen wenschje meer. ’t Oog, dat lustjes teelde, Vochtig eens van weelde, Zinkt verlaten neêr. Of de beekjes stollen, Of haar golfjes rollen, Winter sneeuwe in ’t hart. Bij den druk der jaren Rekken al de snaren Van de vreugde en smart. Alles, wat wij minden, Werd een spel der winden, Of omsluit een graf. Stomp en afgesleten, Eenzaam en vergeten, Zinkt ons de eeuwgeest af. Wie zou ’t leven dragen Met zijn heil en plagen, Met zijn lang verdriet, Zwol, na zoveel kommer, In een dal vol lommer ’t Zachtste rustbed niet? Alles is verschijning, Alles is verdwijning, Op den levensstroom. Niets kan ’t rustpunt raken – Sterven is ontwaken Uit eenʾ bange droom. Rhijnvis Feith, Oden en Gedichten. 3. Bd. Zwolle 1824, 15–17.

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

99

(Worterklärungen: snelt = ‚eilt‘; stroom = ‚Fluss‘; rotsen = ‚Felsen‘; blijde = ‚frohe‘; vluchten = ‚fliehen‘; baren = ‚Wellen‘; kindsheid = ‚Kinderjahre‘; krieken = ‚dämmern‘; wieken = ‚Flügel‘; zweept = ‚peitscht‘; span = ‚Distanz zwischen Daumen und kleinem Finger‘; min = ‚Liebe‘; Tempe = ‚herrlicher Ort‘; kruin = ‚Wirbel‘; glinsterend = ‚flimmernd‘; smalt = ‚Königsblau‘; vale = ‚fahle‘; Filomelen = ‚Nachtigallen‘; toverend = ‚Zaubernd‘; lustjes = ‚Gelüste‘; teelde = ‚züchtete‘; stollen = ‚gerinnen‘; sneeuwt = ‚schneit‘; vreugde = ‚Freude‘; smart = ‚Schmerzen‘; lommer = ‚Schatten‘; zachtste = ‚sanfteste‘; verschijning = ‚Erscheinen‘; verdwijning = ‚Verschwinden‘; ontwaken = ‚erwachen‘; droom= ‚Traum‘)

2.3.3. Briefe 2.3.3.1. Brief von Catharina Rebecca Bilderdijk-Woesthoven Im unten stehenden, unvollständig überlieferten Brief an ihren Ehemann beschwert Catharina Rebecca Bilderdijk-Woesthoven sich über Geldmangel. Sie klagt, dass sie für die Einquartierung eines Offiziers die Rechnung eines Gasthauses zahlen musste, da er wegen des schlechten Essens und Trinkens sowie der in ihrem Haus herrschenden Krankheiten nicht bei ihr beherbergt wurde. 321 C.R. Bilderdijk-Woesthoven aan Bilderdijk ’s-Gravenhage, begin oktober 1797 weder eenigsins in staat tot schryven zynde, vat[t]e ik zelve de pen op. Uit een brief van gautier zult gy reeds hebben kunnen begrypen, dat er heel veele ongelukkige omstandigheden by my, sints myn laatst schryven aan u, zyn voorgevallen. ik heb Neef by my zynde, eenige opgenoemt, en zal er u ook eenige melden; of, liefst maar één. de rest kan Neef u meededeelen. ik heb dan zonder eenige korting moeten betaalen aan een logementhouder, genaamt Bultos, op order van de municipalityd voor inquartiering van een offizier, die zy daar op myn naam, en volgens hun biljet, dat aan my gelde, om ’t slegt Eeten, drinke, en ziekten, die in myn huis waren, voor myn kosten agt weken gelogeerd hadden, en, nu daar men myn vertrek uit den haag vernam, dierekt om betaaling aanmaanden, ik heb echter alles wat moogelyk was aangewend, om daar af, of vermindering van de zom te krygen: want dien heer heeft daar vier gulden daags voor myn rekening verteerd, en ik heb om in geen ongeleegenheid te geraaken, myn vriend Gautier de zom laaten afbetaalen. het zal onnoodig zyn, u te beschryven, hoe veele traanen my dit onverwagt toeval uit de oogen geperst heeft. zoo het leed vermindert word, door te zien, dat ook een ander gevoelig hart met ons in droefheid deeld, zo mooge ik my van gautier beroemen, en daarom konde ik hem gerust tot het schryven van brieven gebruiken, daar anders myn fatsoen by geleeden zoude hebben: buiten dit onverwagte heb ik ook moeten betaalen onder anderen de doodschulden van ons laatste zoontje, dat ook maar weer 70 gulden bedroeg. die lieden waren niet in ’t ackoord, en ik schaamde my om er hun van te spreeken, ik heb dit dus ook betaald. dus 320 guldens aan geld minder, dat met zo veele moeiten en onthouding van ’t noodige zelve bespaard was. myne ziekte heeft dit nog moeten verzwaaren. Elius heeft ook een stoot weder gehad. Kortom al zulke zaaken hebben my berooft van ’t geene, dat ik zoo zeer noodig heb, en door verscheiden dingen daar ik door zwakheid van myn hooft niet op gereekend had,

100

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

nog merkelyk het weinige, dat ik nog meende te hebben, en te behouden verminderen zal. ik behoef u dus niet verder te beschryven, de omstandigheden waarin my den hooge eisch van Neef, om maar 233 guldens van my, buiten het reisgeld dat louïze tot Emmerik noodig had, te vorderen. ik was zoo van de schrik bevangen, toen ik zyn brief las, dat ik van my zelve viel. ik reekende volgens uwe genereuse weigering van het weinige, dat ik, toen ik u dat aanbood, nog scheen te kunnen missen, niet anders dan op een kleinigheid, zo hy iets te kort mogte in zyn reis geld komen: ik was dus zeer verleegen, hoe my te redden, myn kind door al die overhaasting waar mede Neef dien brief, en een ander van dezelve inhoud, my op één, en dezelve dag zond, zag ik, na haar byzyn twee dagen genooten te hebben, haar van myn hart gescheurd, met al ’t geld dat ik by elkaar konde brengen, dat ik ’t kind met haar reisgenoot mede gaf. voor Neef 154 gulde en voor de reis tot Emmerik 33 gul; dog de man had nog een 10 guld van hem zelve by zich, welke hy na zijn te rug komst ook verteerd heeft, en nu moet ik nog een presentje […] Mr. W. Bilderdijk’s briefwisseling 1795–1797. Hg. von J. Bosch/H.W. Groenevelt/M. van Hattum. Utrecht 1988, 412–413. Übersetzung: da ich einigermassen wieder im Stande bin zu schreiben, nehm‘ ich den Stift wieder in die Hand. Aus einem Brief von Gautier werden Sie bereits erfahren haben, dass viele unglückliche Umstände vorgefallen sind seit meinem letzten Schreiben an Sie. Ich habe meinem Neffen einiges erzählt, als er bei mir war und werde Ihnen dann auch einiges berichten; oder am ehesten nur eine Sache. Den Rest kann mein Neffe berichten. Ich musste dann ohne jegliche Ermässigung an einen Gasthofbesitzer, genannt Bultos, im Auftrag der Gemeinde für die Einquartierung eines Offiziers bezahlen, der, auf meinen Namen und folglich auf eine Rechnung, die auf mich ausgestellt ist, wegen dem schlechten Essen, dem Trinken, den Krankheiten, die in meinem Haus waren, acht Wochen auf meine Kosten logiert hatte, und nun, da man meine Abreise von Den Haag vernommen hat, hat man von mir eine direkte Zahlung gefordert, ich hab wirklich alles unternommen, um eine Ermässigung der Summe zu erhalten, denn dieser Herr hat dort täglich vier Gulden auf meine Rechnung verzehrt und ich habe, um in keine Unannehmlichkeit zu geraten, meinen Freund, Gautier, die Summe bezahlen lassen. Es wird nicht nötig sein, Ihnen zu schreiben, wie viele Tränen mir dieser unerwartete Zufall in die Augen getrieben hat. Falls das Leiden verringert wird, wenn man sieht, dass auch ein anderes einfühlsames Herz mit uns den Kummer teilt, so darf ich Gautier rühmen, und darum konnte ich ihn ruhig zum Schreiben von Briefen gebrauchen, da sonst mein Anstand darunter gelitten hätte: neben diesem Unerwarteten musste ich unter anderem auch die Schulden von unserem jüngsten Sohn bezahlen, was auch wieder 70 Gulden betrug. Die Leute waren damit nicht einverstanden und ich schämte mich, mit ihnen darüber zu sprechen, ich habe dies denn auch bezahlt. Deshalb 320 Gulden weniger vom Geld, das ich mit so viel Mühe und Verzicht auf das Notwendige gespart hatte.

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

101

Meine Krankheit hat dies noch erschwert. Elius hat auch wieder eine Menge abgekriegt. Kurzum, all jene Dinge haben mich von dem, was ich so sehr brauche, beraubt. Wegen verschiedenen Dingen sollte das Wenige, das ich noch zu haben und zu behalten meinte, sich verringern. Auch durch die Schwäche meines Kopfes hatte ich damit nicht gerechnet. Ich brauche Ihnen deshalb nicht weiter über die Umstände zu schreiben, in denen unser Neffe an mich die hohe Forderung von 233 Gulden stellt, noch abgesehen vom Reisegeld, das Louise bis Emmerich braucht. Ich war so von Schrecken befangen, als ich seinen Brief las, dass ich ohnmächtig wurde. Nach Euerer generösen Ablehnung von dem Wenigen, das ich Ihnen anbot, rechnete ich nur mit einer Kleinigkeit, die ich noch entbehren konnte, falls er etwas zu kurz kommt für sein Reisegeld: Ich war darum sehr befangen, wie mich daraus retten zu können. Während unser Neffe diesen Brief, und einen anderen mit demselben Inhalt, an ein und demselben Tag geschickt hatte, sah ich mein Kind, nachdem ich zwei Tage von seinem Aufenthalt genossen hatte, von meinem Herzen gerissen. All das Geld, das ich zusammenbringen konnte, gab ich dem Kinde und Reisegefährten mit. Für unsern Neffen 154 Gulden und für die Reise nach Emmerich 33 Gulden; doch der Mann hatte noch 10 Gulden selber dabei, welche er nach seiner Rückreise verbraucht hat, und nun muss ich noch ein kleines Geschenk […] 2.3.3.2. Flämischer Soldatenbrief aus der napoleonischen Zeit Nachdem Frankreich sich 1797 die südlichen Provinzen einverleibt hatte, galt auch für flämische Männer die Konskription. Leistete ein Bruder des Wehrpflichtigen bereits Dienst in der Armee, so wurde man erst mit der letzten Gruppe Wehrpflichtigen einberufen. Wenn das verlangte Zertifikat betr. Bruderdienst fehlte oder ungültig war, diente ein Brief wie der unten stehende von Emanuel Clarijsse als Beweis, dass bereits ein Bruder diente. Von derartigen erhaltenen Briefen ist es häufig unsicher, ob der Absender den Brief selbst geschrieben hatte oder ob er von einem Schreiber verfasst worden war. A Monsieur M* Baudewijn Pauwels timmerman a Derlijk arondisemen de cortraij Dpt de la lijs Derlijk a vlandre Verronne den 21 Januarij 1807 seer Beminde Moeder susters en broeders ik ben Geheel verwondert als dat ik geen andtwoorde meer en kreijge het schijnt dat alle beijde dood zijt of dat gulder mij niet en wilt schreijven ik hebbe al 6 brieven geschreven en ik en hebbe nog maer Eenen ontfangen waer uijt ik verstaen hebbe dat ge nog alle beijde Een goede gesondheijd waerd en het heeft mij veel plaisier gedaen als dat mijnen broeder voor mij naer alle geweest gij hebt mij ook gevrogt naer Gregorius van den broeke waer af ik niet en wete ook Eusenius de vlammink den zoonne van den baillu tot derlijk is dood in het hospitael tot alexandrie ook petrus tavernier die gecomdennert was voor 10 Jaeren in d’ijzers die is ook dood in het selve hospitael wij zijn uijt alexandrie vertrokken en wij Liggen tegen-

102

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

woordig in Verronne tot voorder horders wij verwagten alle dagen van te moeten gaen vegten ik ben nog Een volle gesondheijd en hope van Ul: het selve want dat het anders waere het soude mij veele pijne doen wij zijn meer als vier honderd uren van huijs en ik verhope van nog naer huijs te komen het nieuws in jatalien en is niet gemeen het is ’er alles om te dierder en het zijn al bergen en Leegden ik hebbe op Eenen berg geweest die vier mael zoo hooge was als den torre van cortrijk daer hebbe ik fontijnen zien spruijten van boven op dien berg dat het waeter van vier honderd voeten rer*ver quam geloopen en daer waeren veel wilde dieren ik hebbe Eenen wolf met Een sch(aap) wig zien Loopen ook Eenen beir gesie(n) die 3 kenders op geheten had waer wij alle maele achter hebben moeten Jaegen wij hebben Eenen dag En Eenen nagt achter die beir gesenten Eerst wij hem ter dood gekregen hebben en tons hebbe wij Elk Een pinte wijn gehad van de boeren om dat wij dien beir gedood hadden dat was Een Leelelijke beeste […] jtalien is ons lange verleet zij zeggen als dat wij naer duijdsland zullen moeten komen het zoud ons veel plaisier doen dat wij daer moesten komen men zegt hier als dat het jaer 16 moeten lotten en dat de cardemoublle moet op trekken ik versoeke om te weeten het nieuws dat ’er al op derlijk is en zijt zoo goed van mij sietoe te schrijve en veel nieuws ik blijve in afwagtinge Baudewijn pauwels zijt zoo goed van aen mijn moeder te Bestellen Emanuel Clarijsse dit is mijn adres a Monsieur Monsieur Emanel clarijsse soldaet au 56 re 2 batil 3 compag a verronne Dpt de la Dies J. van Bakel (Hg.), Vlaamse soldatenbrieven uit de napoleontische tijd. Met medew. van P.C. Rolf. Nijmegen, 1977, 266–267. Übersetzung: Sehr geliebte Mutter, Schwester, Brüder, ich bin ganz verwundert dass ich keine Antwort mehr kriege es scheint dass beide tot sind oder dass ihr mir nicht schreiben wollt ich habe schon 6 Briefe geschrieben und ich habe nur Einen empfangen woraus ich verstanden habe dass ihr beide noch in einer guten Gesundheit wart und es macht mir viel Vergnügen, dass mein Bruder für mich zu allen gegangen ist ihr habt mich auch nach Gregorius van den broeke gefragt von wem ich nichts weiss auch Euasenius de vlammink den Sohn des Vogtes der jämmerlich tot im Spital von Alexandria ist auch petzrus tavernier der zu 10 Jahren in den Fesseln verurteilt war ist auch im gleichen Spital tot wir sind aus Alexandra weggezogen und liegen gegenwärtig in Verona bis weitere Befehle wir erwarten alle Tage kämpfen zu müssen ich bin noch bei voller Gesundheit und hoffe ihr auch denn sonst würde es mir sehr weh tun wir sind mehr als vier Hundert Stunden von zu Hause und ich hoffe noch nach Hause zu kommen die Nachrichten in Italien sind nicht bekannt das eine ist noch teuerer als das andere und es sind alles Berge und Tiefebene ich bin auf einem Berg gewesen der vier mal höher war als der Turm von Kortrijk dort habe

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

103

ich Springbrunnen spritzen sehen von oben auf dem Berg herunter dass das Wasser vier Hundert Fuss herunter lief und dort waren auch viele Bestien ich habe einen Wulf und ein Schaf davon laufen sehen auch einen Bär gesehen der 3 Kinder gefressen hat den wir alle haben jagen müssen und wir haben den Bär einen Tag und eine Nacht verfolgt Zuerst haben wir ihn tot gekriegt und dann haben wir je einen Krug Wein von den Bauern gehabt weil wir den Bär getötet hatten und das war eine hässliche Bestie […] Italien ist uns längst verleidet sie sagen dass wir nach Deutschland kommen müssen es würde uns viel Vergnügen bereiten wenn wir da kämen man sagt hier dass der Jahrgang 16 wegen dem Wehrdienst losen muss und dass die mobile Brigade aufmarschieren muss ich ersuche um Nachrichten dazu und seid so gut, schaut dass ihr mir schreibt und viele Nachrichten ich verbleibe, abwartend Baudewijn pauwels seid so gut den Brief bei meiner Mutter abzuliefern. Emanuel Clarijsse dies ist meine Adresse a Monsieur Monsieur Emanel clarijsse soldaet au 56 re 2 batil 3 compag a verronne Dpt de la Dies

2.3.4. Sonstige Texte 2.3.4.1. Kundgabe Gelijkheid, vrijheid, broederschap PROCLAMATIE De Constitueerende Vergadering, representeerende het Bataafsche Volk, aan hetzelve Volk. BATAVEN! Deze naam, welke u uwen oorsprong herinnert uit dat aêloud Volk van helden, hetgeen, reeds in Europa’s kindsheid, wist vrij te zijn, en zijne vrijheid tegen de tirannen te verdedigen: deze naam, welke het verlichte menschdom met vermaak doet denken aan eene Natie, die, door alle eeuwen heen, haare vrijheid-zucht, haare dapperheid, en haare deugd deed uitblinken; deze naam alleen is genoeg, om uw gevoel van eigen waarde tot die edele hoogte optevoeren, waarop een Volk moet geplaatst zijn, wanneer het zijne oppermagtige regten ten vollen gaat uitoefenen. Eeuwen van barbaarschheid en geweldenarij hadden u verdrongen uit het dierbaar bezit uwer vrijheid, uwer onafhanglijke oppermagt, en van den u verschuldigden rang onder de Souveraine Volken der waereld. Dit slaavenjuk eindelijk moede, zwoert gij Philips van Spanjen af, en wildet eene republikeinsche Constitutie. Men gaf ’er u de schaduw van, en de Graaflijke Keetenen, met een weinig verguldsel van vrijheid belegd, gingen over in de handen van listige Stadhouders en regeerzuchtige Geslachten, die u dezelven beurtlings om de lendenen smeedden. Na een verloop van twee eeuwen, liep dit rijk van Aristocratie en Despotismus ten einde: – de banieren der Fransche Vrijheid drongen door tot aan de uitgangen van den

104

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Rhijn. Uwe keetenen vielen af; gij ademdet in de zalige lucht der Vrijheid. – Dan, naauwlijks waren uwe eerste verrukkingen daarover voorbij, of een nieuw onweder van staatsrampen pakte zig boven uwe hoofden te zamen. De helsche staatkunde der Britten, in zamenzweering met de heerschzucht en de verdeelde belangen van eenige weinige ontaarde Patriotten, vergiftigde uwe heilrijke Revolutie van 1795, onthieldt u, drie jaaren lang, de schoone vruchten, die gij ’er van hadt moeten plukken, bragt uwe Republiek tot eenen staat van volkomen verlamming, deedt haar aanzien bij alle de Volken tot in het niet wegzinken, en bereidde de zekerste maatregelen, om u weldra in denzelfden staat, welken gij verlaten hadt, terug te brengen, ofwel de prooi te doen worden van eene onherstelbaare verwoesting. Dan, uw Beschermgeest waakte over den vaderlandschen grond, en boezemde aan uwe getrouw gebleven Vertegenwoordigers dien republikeinschen moed in, waarvan de groote gebeurtenissen, op en na den 22 January l.l., de onmiddelijke uitvloeisels zijn geweest, en waarvan het Bataafsche Volk, reeds nu, de gezegende vruchten plukt; gebeurdtenissen, toegejuicht door geheel Europa, door onzen getrouwen en grooten Bondgenoot, ja door u zelven, waardige Bataven. ’Er was reeds veel gedaan, maar nog veel meer bleef ’er te verrigten overig. De Zegepraal van 22 January l.l. kon u uit een doodlijk gevaar redden; zij moest u uwen moed, uwe vrijheid wedergeven; maar, zij kan u die vrijheid, en het geluk, daaruit geboren, niet duurzaam verzekeren, zonder de invoering eener vaste orde van zaken, door eene wijze, democratisch-republikeinsche Constitutie gevestigd. Was men toen op zijne lauren gaan slapen, weldra zouden uwe Vijanden, die voor het oogenblik door den slag bedwelmd nederlagen, het misdaadig hoofd opgestoken, den Burgeroorlog geörganiseerd. met de partij der Anglomanen zaamgespannen, en u gedompeld hebben in eenen toestand, erger nog, dan dien, waarin gij u voor dezen bevondt. Maar, zo zij immer deze schandelijke hoop een oogenblik durfden koesteren, dat zij dezelve thands voor eeuwig opgeven, Uwe Vertegenwoordigers, terwijl zij de eene hand nog houden uitgestrekt, om de tegenstreevers van uw geluk te beteugelen, bieden U op dit oogenblik, met de andere hand, een Ontwerp van Staatsregeling aan, hetgeen zij geschikt achten, om de Bataafsche Republiek, door eene Staatsform, die onder den onmiddelijken heilvollen invloed des Volks staat, vrijheid, rust, en welvaren naar binnen, onafhanglijkheid, magt, aanzien en luister naar buiten, in eene grooter maate te bezorgen, dan dezelve tot hier toe immer genoten heeft; eene Staatsregeling, gebouwd op die groote beginselen, welken Gijl. zelven na den 25 January in zoo grooten getale verklaard hebt aantekleeven, en met goed en bloed te willen verdedigen. Thands, oppermagtige, vrije Bataven! thands treedt gij volkomen terug in de uitöefening uwer onvervreemdbaare en onverdeelbaare regten. Gij gaat uitspraak doen over uw eigen en uwer Kinderen toekomstig lot. Gij gaat aan uwe Bondgenooten, aan het geheel op U staarend Europa, het zeldzaam en schitterendst voorbeeld geven van een Volk, dat, door zijne onoverwinlijke Vrijheid-liefde, allen tegenstand van vereeuwde tirannij en heerschzucht weet te vernietigen, en zig vrij te maaken, niet alleen, maar dat tevens, door

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

105

zijne wijsheid, door zijne zagtheid van aard, en deugdzame beginselen, dien grooten stap weet te doen, zonder zig te bezoedelen met de ijslijkheden eener bloedstorting, noch met de ongeregeldheden eener burgerlijke beroerte. Bataven! wijs en voorzigtig in het oordeelen, beminnaars van orde, ondergeschikt aan de wet in uwe handelingen, en bezield met het volle gevoel uwer eigen waarde, wanneer gij in uwe verhevene oppermagt beslist over de Staatsregeling, over het lot uwer Republiek, zult gij ook zonder onze herïnnering, vóór, op, en na den 23 April eerstkomende, doen zien, dat gij waardig en in staat zijt, om uwe oppermagt volkomen uitteöefenen, om uw Vaderland door uwe beslissende stem gelukkig en vrij te maaken, en om de laatste misdaadige hoop dier ellendigen, die zig nog altijd met eene instorting van het tegenwoordig Staatsgebouw hebben durven vleiën, op éénmaal voor altijd te veriedelen. Laat dan, Bataven! uwe oppermagtige uitspraak, op dien dag, grootsch, eenparig, geregeld, de vrucht van een welberaden overleg, door warme vaderlandsliefde ingeboezemd, en den Zoonen der aêloude brave Batavieren volkomen waardig zijn! – Laat de dag van 23 April het heil van den 22 Januarij laatstleden voltooijen, uwen roem bij de Volken vereeuwigen, en uw toekomstig geluk, nevens dat uwer Kinderen, verzekeren! Schaart U, als een éénig Man, hand aan hand, rondom het Altaar des Vaderlands, en zweert, op het Wetboek der Constitutie, aan hetzelve eeuwige verkleefdheid, onveranderlijke trouw! – En Gij, brave Krijgslieden, zoo ter Zee, als te Lande, achtbaar gedeelte der Bataafsche Burgeren, die getoond hebt, door uwe gedrag op en na den 22 Januarij laatstleden, dat gij de dierbaare Vrijheid, voor welker verdediging gij de waapenen draagt, in uwe eigen harten voedt en bemindt: gij, die tot hier toe, niet alomme, in de gelegenheid gesteld waart, om medetewerken, zoo meenigmaal de Bataafsche Burgerschaar de volheid zijner Volksregten uitoefende, treedt gij ook terug in den kring, waaruit gij te lang verdrongen zijt geweest; verbroedert U met uwe Medeburgeren, voegt uwe stemmen bij de hunnen, en betoont, dat gij, als egte Vrijheids-zoonen, de getrouwe aankleevers, zoowel als de heldhaftige verdedigers der Republiek zijt, en blijven zult. Ter bereiking van deze heilzaame en voor het Vaderland zoo belangrijke oogmerken, hebben wij, Bataafsche Medeburgers! nodig geöordeeld, voorlopig vasttestellen, en aan Ul. bij dezen bekend te maaken, dat het door ons aangenomen Ontwerp van Staatsregeling, in genoegzaamen aantal van Exemplaaren, gelijktijdig, door de geheele Republiek verspreid, alomme voor iedereen verkrijgbaar gemaakt, en op den vijftienden dag na deszelfs distributie, zullende zijn Maandag den 23 April eerstkomende, door het geheele Bataafsche Volk in de Grond-Vergaderingen zal worden bestemd, en met Ja of Neen goed- of afgekeurd, hebbende wij, al verder, ten einde aan onze welmeenende bedoeling in dezen met zekerheid alomme worde voldaan, goedgevonden, ten aanzien der stembevoegdheid, der stemming zelve, en van den uitslag derzelve, vasttestellen en te decreteeren de Reglementaire Schikkingen, die reeds aan Ul. bij openbaare afkondiging zijn bekend geworden. Aldus gedaan en gearresteerd ter bovengemelde Vergadering, in den Hage den 23 Maart 1798, het vierde jaar der Bataafsche Vrijheid.

106

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

(Was geparapheerd) H. QUESNEL Vt. Ter ordonnantie van dezelve, (Was geteekend) ADS PLOOS VAN AMSTEL. Ontwerp van Staatsregeling voor het Bataafsche volk. Dordrecht, 1798, 53–57. Übersetzung: Die konstituierende Versammlung, die das Volk der Bataver repräsentiert, an dasselbige Volk: BATAVER! Dieser Name, dessen Ursprung Euch an das alte Volk der Helden erinnert, das es bereits in Europas Jugendzeit verstand, frei zu sein und seine Freiheit gegen Tyrannen zu verteidigen: dieser Name, der die aufgeklärte Menschheit mit Freude an eine Nation denken lässt, die sich die Jahrhunderte hindurch mit ihrem Freiheitssinn, ihrer Tapferkeit und ihrer Tugend herausnahm; dieser Name allein genügt, um das Gefühl des Eigenwertes zu jener noblen Höhe zu steigern, die ein Volk erreichen muss, wenn es anfängt, seine allmächtigen Rechte vollständig auszuüben. Jahrhunderte der Barbarei und Gewaltsamkeit hatten Euch den Besitz Euerer Freiheit, Euerer unabhängigen Allmacht und den Euch verschuldeten Rang unter den souveränen Völkern der Welt genommen. Als Ihr dieses Sklaven-Jochs endlich müde wart, schwort Ihr Philipp II. ab und wünschtet eine republikanische Konstitution. Man gab Euch davon einen Schatten und die gräflichen Fesseln, geschmückt mit einer Vergoldung der Freiheit, kamen in die Hände hinterlistiger Statthalter und machtversessener Geschlechter, die Euch diese Ketten um die Lenden schmiedeten. Nach zwei Jahrhunderten ging dieses Reich von Aristokratie und Despotismus seinem Ende entgegen: die Banner der französischen Freiheit drängten bis zu den Mündungen des Rheins durch. Euere Ketten fielen herab, Ihr atmetet in der himmlischen Luft der Freiheit. Dann, kaum war Euer erstes Entzücken darüber vorbei, zog sich ein neues Gewitter von staatlichen Katastrophen über Eueren Köpfen zusammen. Die höllische Staatskunst der Britten, in einer Verschwörung mit der Herrschsucht und den unterschiedlichen Interessen einiger weniger entarteten Patrioten vergiftete Euere segenreiche Revolution von 1795. Sie verwehrte Euch drei Jahre lang ihre schönen Früchte, die Ihr hätten pflücken müssen, brachte Euere Republik in einen Zustand der vollkommenen Lähmung, machte ihr Ansehen bei allen Völkern zunichte und bereitete die sichersten Massnahmen vor, um Euch bald in den gleichen Zustand, den ihr verlassen hattet, zu versetzen oder um Euch einer nicht wiederherstellbaren Zerstörung zur Beute fallen zu lassen. Denn Euer Schutzgeist wachte über dem väterländischen Boden und flösste Deinen treugebliebenen Vertretern den republikanischen Mut ein, der die grossen Ereignisse am und

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

107

nach dem 22. Januar 11. unmittelbar ermöglichte und wovon das Volk der Bataver bereits jetzt die gesegneten Früchte pflückt; Ereignisse, denen von ganz Europa, von unserem getreuen und grossen Bundesgenossen, ja von Euch selber, werte Bataver, zugejubelt werden. Bereits viel war getan, aber es blieb noch viel mehr zu verrichten übrig. Der Triumph des 22. Januar 11. konnte Euch aus einer tödlichen Gefahr retten: er musste Euch Eueren Mut, Euere Freiheit zurückgeben, aber er kann Euch die Freiheit und das Glück, die daraus geboren wurden, nicht nachhaltig sichern ohne die Einführung einer festen Ordnung der Geschäfte, etabliert von einer demokratisch-republikanischen Konstitution. Hätte man sich damals auf seinen Lorbeeren ausgeruht, hätten Euere Feinde, die durch den Schlag vorübergehend in Ohnmacht gefallen waren, bald ihre verbrecherischen Köpfe erhoben, den Bürgerkrieg organisiert, mit der Partei der Anglophilen zusammengespannt und Euch in einen Zustand gestürzt, der noch schlimmer wäre als die Lage, worin Ihr Euch vorher befandet. Aber, wie sie immer diese schändliche Hoffnung einen Augenblick lang zu pflegen wagten, dass sie diesselbe dann für immer aufgeben, Eure Vertreter, während sie die eine Hand noch ausgestreckt halten, um die Gegner von Ihrem Glück fernzuhalten, bieten sie im selben Augenblick, mit der anderen Hand, einen Entwurf von Staatsregelung an, den sie für geeignet halten, um die batavische Republik durch eine Staatsform, die unter unmittelbarem gesegnetem Einfluss des Volkes steht, Freiheit, Frieden und innerer Wohlstand, Unabhängigkeit, Macht, Ansehen und Gehör nach aussen, in einem grösseren Masse zu schenken, als bis anhin; eine Staatsregelung, gegründet auf den grossen Grundsätzen, welche Ihr selbst nach dem 25. Januar in so grosser Zahl erklärt habt anzuhängen und mit Recht und Blut verteidigen zu wollen. Heute, übermächtige, freie Bataver! Heute kehrt Ihr vollkommen zurück in die Ausübung Eurer unentfremdbaren und unteilbaren Rechte. Ihr werdet Urteile fällen über Euer zukünftiges Los und das Eurer Kinder. Ihr werdet Euren Verbündeten, dem gesamten auf Euch gerichteten Europa, das seltenste und grossartigste Vorbild geben von einem Volk, das, durch seine unüberwindbare Freiheitsliebe, jeden Widerstand von jahrhundertelanger Tyrannei und Herrschsucht zu vernichten weiss, und sich frei zu machen, nicht allein, aber ebenfalls durch seine Weisheit, durch seine sanfte Art und tugendhaften Grundsätze, den grossen Schritt zu tun weiss, sich weder mit der Eisigkeit eines Blutvergiessens zu besudeln noch mit den Tumulten einer bürgerlichen Unruhe. Bataver! Weise und vorsichtig im Urteil, Ordnungsliebhaber, Eure Handlungen den Gesetzen untergeordnet, und beseelt mit dem vollen Gefühl Eures eigenen Wertes, wenn Ihr in Eurer erhabenen Übermacht über die Staatsregelung beschliesst, über das Los Eurer Republik, sollt Ihr auch ohne unsere Erinnerung, vor, am und nach dem kommenden 23. April, zu sehen sein, dass Ihr wert und im Stand seid, um Eure Oberherrschaft vollkommen auszuüben, um Euer Vaterland durch Eure entschlossene Stimme glücklich und frei zu machen, und um die letzte verbrecherische Hoffnung der Elendigen, die sich noch immer mit einem Sturz des gegenwärtigen Staatsgefüges schmeicheln durften, auf einmal für immer zu vereiteln. Lasst dann, Bataver! Euer übermächtiges Urteil, an diesem Tag, gross, einstimmig, geregelt, die Frucht einer wohlüberlegten Beratung, durch warme Vaterlandsliebe eingeflösst,

108

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

und die Söhne der alten, mutigen Bataver vollkommen wert sein! Lasst den Tag vom 23. April den Segen vom vergangenen 22. Januar vollenden, Euren Ruhm beim Volke verewigen, und Euer zukünftiges Glück, nebst dem Eurer Kinder, versichern! Schart Euch, als ein einiges Volk, Hand in Hand, um den Altar des Vaterlands, und schwört auf das Gesetzbuch der Konstitution, an dasselbe ewige Loyalität, unveränderliche Treue! – Und Ihr, mutige Krieger, auf See sowie auf dem Lande, ehrbarer Teil der batavischen Bürger, die gezeigt habt, durch Euer Verhalten am und nach dem vergangenen 22. Januar, dass Ihr die liebe Freiheit, zu derer Verteidigung Ihr die Waffen tragt, in Euren Herzen nährt und liebt; Ihr, die bis hierher nicht die Gelegenheit hattet, um mitzuwirken, so oft die batavischen Bürger die Ganzheit ihrer Volksrechte ausübten, tretet Ihr auch zurück in den Kreis, woraus Ihr zu lange verdrängt worden seid: verbrüdert Euch mit Euren Mitbürgern, fügt Eure Stimmen bei den Ihrigen, und betont, dass Ihr, als echte Söhne der Freiheit, die treuen Loyalen, als auch die heldenhaften Verteidiger der Republik seid, und bleiben sollt. Zur Erreichung dieser seligen und für das Vaterland so wichtigen Ziele haben wir, die batavischen Mitbürger! es für nötig geurteilt, vorläufig festzustellen und Euch hiermit bekannt zu machen, dass der durch uns angenommene Entwurf der Staatsregelung in einer genügenden Anzahl Exemplaren, gleichzeitig durch die gesamte Republik verbreitet, für jeden erreichbar gemacht wird. Am fünfzehnten Tag nach der Verteilung, soll sein der kommende Montag 23. April, wird er durch das gesamte batavische Volk in der Grundversammlung mit Ja oder Nein gutgeheissen oder abgelehnt. Damit unserer wohlgemeinten Absicht mit Sicherheit Genüge getan wird, dekretieren und stellen wir die Vorschriftsmässigen Verfügungen fest, die Euch schon bei öffentlichen Kundmachungen bekannt gemacht wurden. Sie betreffen die Stimmbefugnis, die Abstimmung selbst, und das Resultat derselben. Folgendermassen getan und genehmigt bei obengenannter Versammlung in Den Haag am 23. März 1798, im vierten Jahr der batavischen Freiheit. (War abgezeichnet) H. QUESNEL vt. (Dementsprechend verfügt) (War unterschrieben) ADS PLOOS VAN AMSTEL. 2.3.4.2. Kundgabe Oranje boven! Am 17. November 1813 las Leopold van Limburg Stirum, geschmückt mit einer orangefarbenen Kokarde, der Bevölkerung Den Haags die Kundgabe vor, die Gijsbert Karel van Hogendorp verfasst hatte. Nach Jahren schärfster staatlicher Überwachung der Presse in der französischen Zeit (vgl. 2.1.4.) wagte es die Haagsche Courant, den Text zwei Tage später zu veröffentlichen: Oranje Boven! Holland is vry. De Bondgenooten trekken op Utrecht.

2.3. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1790 bis 1813

De Engelschen worden geroepen. De Franschen vlugten aan alle kanten. De zee is open. De koophandel herleeft. Alle partyschap heeft opgehouden, Al het geledene is vergeten En vergeven. Alle de aanzienlyken komen in de regering. De regering roept den Prins uit Tot hooge Overheid. Wy voegen ons by de Bondgenooten, En dwingen den vyand tot vrede. Het volk krygt eenʼ vrolyken dag Op gemeene kosten. Zonder plundering noch mishandeling. Elk dankt God. De oude tyden komen wederom. Oranje Boven! Delpher, Haagsche Courant,19/11/1813. deutsche Paraphrase: Oranje über alles! Holland ist frei. Die Verbündeten ziehen nach Utrecht. Die Engländer werden gerufen. Die Franzosen flüchten in alle Ecken. Das Meer ist offen. Der Kaufhandel lebt wieder auf. Das ganze Parteiwesen hat aufgehört. Wenn das Leiden vergessen ist. Und verziehen. Alle vornehmen Bürger kommen in die Regierung. Die Regierung ruft den Prinzen aus Zur hohen Obrigkeit. Wir schliessen uns den Verbündeten an Und zwingen den Feind zum Frieden. Das Volk bekommt einen fröhlichen Tag Auf gemeinsame Kosten Ohne Plünderung oder Misshandlung. Jeder dankt Gott. Die alten Zeiten kommen wieder. Oranje über alles!

109

110

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

2.4. Niederländisch im Zeitalter des Vereinten Königreichs der Niederlande (1813–1830) 2.4.1. Festigung des Königreichs der Niederlande Zwar versicherte der aus England zurückgekehrte Wilhelm Friedrich, Sohn des Statthalters Wilhelm V., er werde als König die Freiheit der Bürger schützen, die neue Verfassung verstärkte dennoch die Stellung der alten Stände, die Regenten erhielten auf Kosten der Bürger mehr Macht, zudem lenkte Wilhelm die Staatsfinanzen persönlich. Napoleons Putsch 1815 veranlasste den Oranier, sich in der Nieuwe Kerk (‚Neue Kirche‘) zu Amsterdam als König der Niederlande inklusive der südlichen Provinzen huldigen zu lassen. Die ihm vom Wiener Kongress zugesagten Österreichischen Niederlande, die nun mit dem Norden einen Puffer gegen Frankreich bilden sollten, hatte er bereits im Stillen eingenommen. Obschon sein Sohn, der spätere König Wilhelm II., mit der Verteidigung der Stellungen bei Quatre-Bras wesentlich zum Sieg über Napoleon bei Waterloo beitrug, erhielt Preussen und nicht Wilhelm die wegen der vorhandenen Rohstoffe so bedeutende Rheinprovinz. Der neue König setzte die zentral geführte Verwaltung fort, abwechselnd residierte die Regierung in Den Haag und Brüssel. Gesetze wurden in Niederländisch und Französisch verkündet. Während man sich am Hof vorzugsweise auf Französisch unterhielt, bestimmte Wilhelm 1823 Niederländisch als Sprache der Untertanen, nur Wallonien wurde zweisprachig. Der koopman-koning (‚Kaufmann-König‘) ergriff zahlreiche Initiativen, um der Gesellschaft neue Impulse zu geben und die Wirtschaft anzukurbeln. Es wurde die Nederlandsche Bank (‚Niederländische Bank‘) gegründet, die Rijksmunt führte nationale Zahlungsmittel ein. Sodann gründete der König die Generale Maatschappij (‚Generelle Gesellschaft‘), er zeichnete als Erster für vier Millionen Gulden Aktien der neuen Nederlandsche Handel-Maatschappij, die das Geschäft mit den Kolonien aufbaute, zudem garantierte er persönlich die Auszahlung von Dividenden, um weitere Geldgeber zu locken. Wilhelm trieb die Verbesserung der Infrastruktur voran, was die Verbreitung des überregionalen Niederländischen fördern sollte. Neue Strassen entstanden, wovon Firmen wie Van Gend en Loos, 1809 gegründet, mit einem Netzwerk von Diligence-Diensten profitierten, es wurden Kanäle gegraben mit Namen wie Willemsvaart, eine erste Eisenbahn verband 1839 Amsterdam mit Haarlem. Sodann zeigte Wilhelm Interesse an der Wohltätigkeitsgesellschaft, die sich um Besitzlose kümmerte, Willemsoord, eine Landwirtschaftskolonie für Mittellose, zeugt davon. Immerhin lebten, im Gegensatz zum vermögenden König, viele Niederländer, nur schon ein Drittel der Einwohner Amsterdams, in grösster Armut. Trotz Wilhelms Tatendrang gelang es ihm nicht, das Vereinte Königreich zu einer ‚union intime et complète‘ auszubauen, die Trennung der nördlichen und südlichen Niederlande im Jahre 1579 hatte wohl zu lange gedauert. Zudem benachteiligten die nördlichen Machthaber den Süden. So erhielten die südlichen Provinzen, obschon sie über den grössten Bevölkerungsanteil verfügten, nicht mehr Abgeordnete in der zweiten Kammer als der Norden. Sodann wurde die fast siebzigfach grössere Staatsschuld des Nordens mit jener des Südens zusammengelegt und belastete in der Folge alle Einwohner in gleichem Masse. Weiter ernannte die Obrigkeit beträchtlich mehr nördliche als südliche Kandidaten in die führenden Stellen der Verwaltung und des Heeres. Zudem brachte der

2.4. Niederländisch im Zeitalter des Vereinten Königreichs der Niederlande (1813–1830)

Abb. 6: Königreich der Niederlande 1815–1830/39 (vgl. Bosatlas 310) .

111

112

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

König das mehrheitlich französischsprachige Grossbürgertum im Süden, Flandern eingeschlossen, gegen sich auf, als er 1823 per Dekret Niederländisch zur offiziellen Sprache sämtlicher Provinzen erklärte und nur in Wallonien Französisch neben Niederländisch zuliess. Als der katholische Klerus im Süden die Gleichstellung der Religionen unter der Herrschaft eines protestantischen Königs nicht ohne Garantien annahm, griff Wilhelm im Gegenzug in die Ausbildung der Priester ein. Die Beilegung des Streites mit einem Konkordat, das nun bei den Liberalen auf Unverständnis stiess, konnte nicht verhindern, dass die Geistlichkeit sich ihm entfremdete. In den Niederlanden verstärkte sich der Unmut über Wilhelms Regierungsstil, denn der besluiten-koning (‚Dekreten-König‘) bevorzugte es, mittels königlicher Dekrete ohne Einflussnahme des Parlaments Entscheidungen zu treffen. Sodann wurde die in der Verfassung festgeschriebene Pressefreiheit unter seiner Regierung arg eingeschränkt. Auch die Einmischung des Königs bei Wahlen weckte Ärger. Dass er zudem den Kammern die Kontrolle über die Finanzen entzog, schürte die Unzufriedenheit weiter. Die unterschiedlichsten Gegner des Königs, gebildete Bürger, Geistliche wie Adlige, schlossen sich im Süden zum monsterverbond (‚Ungeheuer-Bündnis‘) zusammen, was von Wilhelm als infaam (‚infam‘) abgetan wurde. Die Anhänger der darauf gebildeten Gruppe fidèle jusquʼà l’infamie (‚treu nur der Infamie‘) organisierten sich trotzdem. Dass 1830, im Jahr der Pariser Juli-Revolte, der Haushaltsetat für das nächste Jahrzehnt verworfen wurde, verhiess wenig Gutes für den Monarchen.

2.4.2. Förderung des Niederländischen als Landessprache Bereits in der Ansprache im Parlament anlässlich seines Amtsantritts am 16. März 1815 betonte der neue König die Bedeutung der niederländischen Sprache für das Vereinte Königreich, indem er sagte: Een geheel volk, reeds vooraf door zijn zeden, taal en nijverheid en door zijn herinneringen met ons verbroederd, komt ons tegemoet (‚Ein ganzes Volk, das bereits durch seine Sitten, Sprache und Gewerbe mit uns brüderlich verbunden ist, kommt zu uns‘, vgl. Willemyns 2013). So hob Wilhelm namentlich auch die gemeinsame niederländische Sprache als Merkmal der Verwandtschaft zwischen den Menschen im Norden und im Süden hervor. Hatten zuvor die Machthaber versucht, die französische Sprache in den Jahren der Revolution auch in den annektierten südlichen Niederlanden als Bindemittel der Grande Nation zu fördern, so betrachtete die Obrigkeit in der Zeit der Restauration die niederländische landstaal (‚Landessprache‘) nun als geeignetes Mittel, um die Einheit des Vereinten Königreichs zu stärken. Weitaus die meisten der Untertanen, etwa drei Viertel der gesamten Bevölkerung, hatten Niederländisch als Muttersprache, und zwar nach Einschätzung von Willemyns zirka 2.314.000 im Norden und 2.351.000 im Süden. Von einer einzigen niederländischen Landessprache konnte im neuen Königreich aber nicht die Rede sein, sprach doch die Bevölkerung in den wallonischen Provinzen Französisch, in östlichen Gebieten wie in Teilen Limburgs sowie Luxemburgs auch Deutsch und in der Provinz Friesland Friesisch. Sodann war das Niederländische wenig einheitlich, sieht man von der geschriebenen Sprache ab, bestanden doch im gesamten Sprachgebiet eine Vielzahl Varietäten der gesprochenen Sprache, vgl. 2.1.2. Diskussionen zu Unterschieden zwischen südlichen ‚flä-

2.4. Niederländisch im Zeitalter des Vereinten Königreichs der Niederlande (1813–1830)

113

mischen‘ und nördlichen ‚holländischen‘ Varietäten (vgl. 3.4.2.2.) sollten nach der Vereinigung von Nord und Süd zudem die Uneinheitlichkeit der Landessprache betonen. Trotzdem erliess der König 1819 ein Sprachdekret, das die Verwendung der niederländischen Sprache in der Verwaltung und bei der Rechtsprechung nach einer Übergangsperiode von drei Jahren in West- und Ostflandern, Antwerpen und Limburg vorschrieb. Bald galten die Vorschriften ebenfalls für die Verwaltungsbezirke Löwens und Brüssels. Zur Verstärkung der Stellung der Muttersprache förderte Wilhelm den niederländischsprachigen Unterricht in Flandern, eine Politik, die den Bestrebungen der flämischen Bewegung später zugutekommen sollte. In den französischsprachigen Gebieten führte der König die niederländische Sprache zwar nicht ein, doch hatten Lehrer hier das Niederländische zu propagieren. Laut u. a. Janssens zeichnete sich hier dann ein Anfang einer Statusverbesserung des Niederländischen ab. In der Folge erschienen diverse niederländische Grammatiken, Wörterbücher, Sprachbücher, Literaturgeschichten und zweisprachige Anthologien für die französischsprachigen Mitbürger.

Abb. 7: König Wilhelm I.

114

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Die neue Sprachpolitik Wilhelms, der sich mit den vornehmen Bürgern übrigens auf Französisch unterhielt, fand nicht bei allen Flamen Beifall. So fragten sich Anwälte, ob sich die lokale Umgangssprache für die Jurisprudenz eigne: müsste man nicht erst die niederländische Schriftsprache lernen, bevor man die Landessprache bei der Arbeit verwendete? Stellt man einen nicht unproblematischen Vergleich mit den Sprachverhältnissen in der Schweiz an, so würde hier eine ähnliche Frage lauten, inwiefern Juristen Varianten des Schweizerdeutschen in ihren Akten und während Verhandlungen verwenden sollten, bis sie die deutsche Hochsprache beherrschten. Weiter war unklar, wie Gerichte vorgehen sollten, die Kollegien mit wallonischen Mitgliedern kannten. Sodann stellte sich die Frage, wie die Beamten die französierte Verwaltung auf die neue Landessprache umstellen müssten. Auch stiess Wilhelms Sprachpolitik auf wenig Gegenliebe bei Adligen und angesehenen Bürgern in den flämischen Provinzen, die das Französische als Kultursprache hoch schätzten und benutzten. Laut u. a. Janssens empfanden sie die Einführung des Niederländischen in sämtlichen Sektoren der Gesellschaft als Zwang, der ihre bürgerliche Freiheit eingrenzte. Sodann befürchteten die römisch-katholischen Geistlichen mit der Einführung der niederländischen Schriftsprache auf Kosten der eigenen Dialekte einen zunehmenden Einfluss des kalvinistischen Nordens in Flandern. Schliesslich erfuhr die herrschende Klasse in den französischsprachigen Provinzen die königliche Sprachpolitik als Bedrohung der Stellung des Französischen in Wallonien. Dennoch wurden die Massnahmen des Königs innerhalb kürzerer Zeit erfolgreich umgesetzt, wie u. a. Vanhecke dargelegt hat. Bald erhielt das Niederländische in den niederländischsprachigen Provinzen des Südens die während der französischen Zeit verlorenen Funktionen (vgl. 2.1.3.5.) zurück. Die Umschaltung von Französisch auf Niederländisch in der Verwaltung und bei der Rechtsprechung verlief trotz aller Befürchtungen zumeist reibungslos, sieht man vom zweisprachigen Brüssel ab. Dass mancher Beamte bereits vor der Inkraftsetzung der Vorschriften die Muttersprache bei der Arbeit einsetzen wollte, deutet auf eine Bereitschaft, auf die eigene Sprache umzustellen. Sodann verlangte die Obrigkeit nur, dass ihre Angestellten Niederländisch verwendeten, sie kümmerte sich aber nicht um den Gebrauch dialektischer Varietäten; auch dies begünstigte eine rasche Einführung der Landessprache. Die nach wie vor lebendige Schreibtradition im Süden kam dem Gebrauch der Muttersprache in der Verwaltung zudem zugute. Staatsangestellte meisterten allmählich die Schriftsprache, von einer chaotischen Anwendung orthografischer und grammatikalischer Regeln in untersuchten Dokumenten jener Zeit, die aus dem Süden stammen, war denn auch nicht die Rede, wie u. a. Vosters dargelegt hat. Wohl lässt sich eine schrittweise Anpassung der in der südlichen Verwaltung angewandten Orthografie an die Schreibpraxis des Nordens feststellen. Schliesslich förderte eine geschickte Personalpolitik mit Versetzungen französischsprachiger Staatsdiener nach Wallonien den Prozess. Alles in allem gelang die Umstellung auf Niederländisch in der Verwaltung und bei der Rechtsprechung leichter als erwartet. Grosse Bedeutung für die Stellung des Niederländischen in den südlichen Niederlanden ist zudem der hier von Wilhelm eingesetzten Bildungsreform beizumessen. Diese sollte auch später entscheidend zu den erfolgreichen Bemühungen um die Muttersprache in Flandern beitragen. In einer von aufklärerischen Erziehungsidealen geprägten Zeit gründete die Obrigkeit unverzüglich Grundschulen im Süden. Sie führte den modernen Klassenunterricht ein, baute eine Inspektion auf und förderte die Ausbildung von Lehrkräften. Bereits 1816 rief der König dazu die Normaalschool

2.4. Niederländisch im Zeitalter des Vereinten Königreichs der Niederlande (1813–1830)

115

van Lier (‚Pädagogische Lehranstalt Lier‘) ins Leben, ein Institut, das Grundschullehrer schulte. So stieg auch in den südlichen Provinzen die Qualität des Unterrichts an, die Zahl der zur Schule gehenden Kinder nahm zu, trotz des Argwohns, den mancher weniger privilegierte römisch-katholische Arbeiter, Bauer oder Handwerker der neumodischen Ausbildung gegenüber hegte. In den niederländischsprachigen Gebieten war Niederländisch fortan die einzige Unterrichtssprache an Grund- und Mittelschulen. Zudem hatte jede Mittelschule einen Lehrer anzustellen, der Niederländisch als Fach unterrichtete. Sodann nahmen die Universitäten von Gent und Löwen Lehrveranstaltungen zur niederländischen Sprache und Literatur ins Programm auf, die neue wallonische Universität von Lüttich schuf eine Professur für niederländische Sprache, Literatur und Eloquenz. Von 1817 bis zur belgischen Auflehnung 1830 hatte der aus dem Norden stammende Dichter, Philosoph und Anwalt Johannes Kinker, der für die Einheit der nördlichen und südlichen Niederlande eintrat, diesen Lehrstuhl inne. Dank einer schrittweisen Einführung des Niederländischen an der Mittelschule, die in den untersten Klassen begann, vollendeten bereits nach einem halben Dutzend Jahre die ersten Generationen Schüler ihre Ausbildung vollständig auf Niederländisch. Viele von diesen nun in der Muttersprache ausgebildeten jungen Menschen sollten sich nach dem Aufstand der Belgier 1830 als herausgehobene Vertreter der flämischen Bewegung für ihre Sprache stark machen. Bald galt auch unter den privilegierten Flamen Niederländisch als nationale Sprache. Auch wenn Französisch für die Wohlhabenden weiterhin ein beliebtes Kommunikationsmittel blieb, so war ihnen laut Van Goethem die Bedeutung des Niederländischen für das Berufsleben bewusst. Die Unzufriedenheit über Wilhelms Staatskunst hatte im Laufe der Zwanzigerjahre sowohl in den nördlichen als auch in den südlichen Niederlanden zugenommen. So stiess seine Bildungspolitik auf erbitterten Widerstand im Süden, als 1825 nicht staatlich anerkannte private Ausbildungsinstitute und römisch-katholische Kleinseminare schliessen mussten. Der zunehmende Missmut im Süden betraf vor allem die Einschränkungen der Bildungs-, Religions- und Pressefreiheit. Auch wenn französierte Bürger und römisch-katholische Geistliche den zunehmenden Einfluss des Niederländischen mit Argwohn verfolgten, so erregte Wilhelms Sprachpolitik wenig Widerstand. Bezeichnenderweise verlangten von den eingereichten Petitionen nur 10 Prozent Sprache-Freiheit, wie François dargelegt hat. Dennoch erliess der König 1829 und 1830 Dekrete, welche die Möglichkeiten der Verwendung des Französischen erweiterten. Demzufolge wurde in den niederländischsprachigen Provinzen des Südens auch Französisch in der Verwaltung und bei der Rechtsprechung zugelassen. Laut Willemyns löste diese angepasste Sprachpolitik in Flandern jedoch kaum Reaktionen aus. Auch wenn privilegierte Bürger hier weiterhin neben der Muttersprache auch Französisch verwendeten, so galt doch das Niederländische bei der Bevölkerung als Landessprache.

2.4.3. Entfaltung der akademischen Philologie des Niederländischen Im 18. Jh. hatte der Patriotismus in den Niederlanden das Interesse für die eigene Kultur unter den Bürgern angeregt. Mitglieder von Lesegesellschaften diskutierten über gesellschaftliche und

116

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

kulturelle Fragen, es fanden erste Lehrveranstaltungen zur niederländischen Literatur und Sprache an Universitäten statt. Zwar hatte bereits Meinard Tydeman (1741–1825) Mitte der Sechzigerjahre die Absicht, an der Universität Hardewijk Vorlesungen zur niederländischen Sprache zu halten, er wurde aber 1766 an die Universität Utrecht berufen. Sein Nachfolger, Herman Tollius (1742– 1822), konnte dann 1773 in Hardewijk mit Bewilligung der Universitätsverwaltung Kurse zur zuiverheid (‚Reinheit‘) der niederländischen Sprache auf Niederländisch durchführen. Dazu entwarf er eine Schetze ener Nederduitsche Spraakkunst (‚Skizze einer niederländischen Grammatik‘), die in seiner Zeit aber unveröffentlicht blieb, schliesslich 2007 von R. de Bonth herausgegeben wurde. Während der zweiten Hälfte des 18. Jh. boten mehrere Hochschulen Vorlesungen zur eigenen Sprache und Literatur an. So hielten der Pfarrer und Sprachwissenschafter Lambertus Bolhuis wie auch Johannes Ruardi, Ordinarius für Rhetorik und klassische Sprachen, in Groningen Kollegs zum Niederländischen ab. Übrigens verfasste Bolhuis 1793 eine Grammatik für Grundschullehrer. Sodann lehrte Everwinus Wassenbergh (1742–1826), Ordinarius für Griechisch, im letzten Jahrzehnt des 18. Jh. auch Niederländisch an der Universität Franeker. Dabei benutzte er Bolhuis’ Grammatik als Lehrmittel. Als die Bataafse Republiek 1795 entstand, erachtete die Hochschulleitung die Förderung des Niederländischen als ein wirksames Mittel, um die Auffassungen der Aufklärung und die republikanischen Ideale voranzutreiben. Wassenbergh wurde 1797 in der Folge auch zum linguae belgicae professor ordinarius, Professor der niederländischen Sprache, in dieser friesischen Stadt ernannt. Für die Etablierung der niederländischen Philologie als Universitätsfach war aber die Berufung des Pfarrers Matthijs Siegenbeek zum professor eloquentiae Hollandicae extraordinarius, Extraordinarius für niederländische Rhetorik entscheidend. In seiner Antrittsrede 1797 unterstrich er die Bedeutung der akademischen Lehre und Forschung des Niederländischen. Zwei Jahre danach wurde dieser Sohn eines deutschen Kleidermachers Ordinarius, später erhielt er auch Lehraufträge für vaterländische Geschichte. Die Universitätsleitung hatte den Lehrstuhl für niederländische Rhetorik ins Leben gerufen, weil sie der Auffassung war, dass eine gute Beherrschung der Sprache unabdingbar für jeden war, ‚der die Interessen des Volkes auf würdige Weise wahren würde‘. Der Unterricht der Muttersprache und der Rhetorik würde ‚der nationalen Einheit‘ und der ‚Selbstständigkeit des Volkes‘ zugutekommen. Mit seiner Literatur-Anthologie Proeven van Nederduitsche welsprekendheid (‚Auswahl von Texten zur niederländischen Rhetorik‘, 1799–1809) stellte Siegenbeek seinen Studenten Studienmaterialien zum Niederländischen zur Verfügung. Als Inspektor machte er sich zudem um die Verbesserung der Schulausbildung verdient. Sodann stimulierte der Leidener Hochschullehrer als langjähriger Vorsitzender der Maatschappij die wissenschaftliche Betätigung der niederländischen Sprache und Literatur seiner Zeit. Mit seinem Entwurf von 1804 prägte Siegenbeek die erste offizielle Reglementierung der niederländischen Orthografie. Wohl aus nationalem Interesse förderte die zentralistische Verwaltung des Königreichs der Niederlande gezielt Lehre und Forschung des Niederländischen. Ab 1815 bestanden an sämtlichen Universitäten Lehrstühle für niederländische Philologie. Weiter wurden an den ‚Athenäen‘ niederländische Rhetorikveranstaltungen durchgeführt (vgl. E. Sjoer 1996). Jahrzehnte früher als beispielsweise in Deutschland wurde die Muttersprache so unter gesellschaftlich-politischem Druck Gegenstand der Forschung und Lehre, auch wenn die niederländische Sprach- und Litera-

2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831

117

turwissenschaft anfänglich als Fach nicht klar abgegrenzt war und es zentraler wissenschaftlicher Fragestellungen entbehrte. Die niederländische Philologie sollte sich allerdings wissenschaftlich und gesellschaftlich behaupten. Sie erhielt bald Bedeutung für die Literatur und Literaturkritik, trug namentlich mit der Erschliessung alter Quellen zur Geschichte der niederländischen Literatur und Sprache bei und bot einen akademischen Rahmen für die Diskussion über die Standardisierung des Niederländischen, so zum Beispiel während des ersten Nederlandsche taal- en letterkundig congres 1849. Das neue akademische Fach wurde zudem für die Didaktik, so für die Ausbildung der Gymnasial- und HBS-Lehrer (vgl. 3.1.2.1.) unentbehrlich. Für nährere Angaben zur Geschichte der neerlandistiek als wissenschaftliche Disziplin, die hier nicht weiter zu erörtern ist, siehe Van Haeringen 1960, Bakker et al. 1977, Spies 1984, Noordegraaf 1985 und Van Driel 2007. Literatur zu 2.4.: Van Driel 2007; François 1992; Van Goethem 1990; Janssens et al. 2005; Janssens et al. 2008; Johannes 2011; De Jonghe 1967; Kalmthout et al. 2015; Karsten 1949; Neijt 1991; Noack 2001; Vandenbussche 2002; Vanhecke 2007; Vanhecke et al. 2007; Vosters 2011; Vosters et al. 2009; Vosters et al. 2011; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2006.

2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831 2.5.1. Presse 2.5.1.1. Huldigung Wilhelms I. Die ’s Gravenhaagsche Courant hatte nur kurz berichtet, dass Prinz Wilhelm VI. am 30. November 1813 per Schiff in Scheveningen eingetroffen war (vgl. 2.3.1.2.). Am 5. Dezember schrieb die Zeitung zur Huldigung König Wilhelms I.: A0. 1813. N0. 17. ‘S GRAVENHAAGSCHE COURANT zondag, den 5 december. VEREENIGDE NEDERLANDEN. ’s Gravenhage, den 4 December. Naauwlijks ontving met de zekere tyding dat ZYNE DOORLUCHTIGE HOOGHEID de Heer PRINCE VAN ORANJE, in den namiddag van Amsterdam stond terug te keeren; of ’t volk schaarde zig in menigte van alle kanten, en gaf het verlangen te kennen, dat de Vorst ook alhier, even als te Amsterdam plegtig als Souverein van Nederland zoude worden uitgeroepen; dit verlangen, het welk even zeer door alle de autoriteiten ingestemd, als door het blykbaar belang der Natie gebillykt wierd, werd dan ook dadelyk ingewilligd, en alleen by eene publicatie door de regering dezer plaats vermaand om de hartelyke vreugde met orde te

118

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

paaren; de hoge autoriteiten van den Staat, de gouverneur-generaal van den Haag, het Algemeen Bestuur der Vereenigde Nederlanden, de commissarissen generaal tot de binnenlandsche zaken, en van de politie; de commissaris-generaal van het Departement der Monden van de Maas, en de regering van ’s Gravenhage begaven zich naar het Huis ten Bosch, ontvingen aldaar den Vorst, gaven kennis van het verlangen des volks, boezemden hunne eigene gevoelens uit, en begeleiden den PRINS tot aan zyn verblyf in de hofplaats. Deze optogt welke door het losbranden van het geschut, luiden en speelen der klokken, werd aangekondigd, was overal door het algemeen vreugdegevoel der ingezetenen begeleid; alles vloeide van alle zyden te zamen, en alle standen paarden harten en stemmen te zamen, om dankbare vreugde allomme te verbreiden: de Vorst in huis gekomen, vertoonde zich een oogenblik daarna op het balkon aan de ontelbare schare, en werd met de volste blyken van vurige liefde begroet. Men riep om stilte, en ’t volk gehoorzaamde; alles was in een oogenblik aandagt en eerbied, toen de Heer Slicher, Burgemeester van den Haag, uit aller naam aan ZYNE DOORLUCHTIGE HOOGHEID, met luider stemme, het hier onderstaande stuk voordroeg; dan naauwlyks had deze eerwaardige grysaart, de woorden ,,Souverein Vorst van Nederland“ uitgesproken, of ’t volk kon ’t gevoel van ’t hart niet meer bedwingen, en de verbazende toejuichingen van alle zyden deden de volkstem zoo ongekunsteld te voorschyn komen, dat alle de omstanders en de Vorst zelfs diep getroffen werden; de Burgemeester las eindelyk het stuk uit. De Vorst verklaarde zeer bewogen, God Almachtig om de noodige krachten te bidden, ten einde aan het verlangen der natie te kunnen beantwoorden, en hare belangen tot het geheele rigtsnoer zyner daden te stellen. Deze dag, welke in de gedenkboeken van Nederland zoo gewigtig blyven zal, vereenigde alhier alle harten rondom een stamhuis, aan ’t welk Nederland voor ruim twee honderd jaren zyn aanwezen, en thans de herleving zyner te lang verlorene vryheid en onafhankelykheid te danken heeft. […] Delpher, ’s Gravenhaagsche Courant 17, 5/12/1813. Übersetzung: ’S GRAVENHAAGSCHE COURANT Sonntag, der 5. Dezember VEREINIGTE NEDERLANDE. ’s Gravenhage, der 4. Dezember. Kaum empfing man mit sicherer Nachricht, dass SEINE DURCHLAUCHTE HOHEIT, der PRINZ VON ORANJE dabei war, am Nachmittag aus Amsterdam zurückzukehren, als das Volk sich in Mengen von allen Seiten scharte und den Wunsch zu erkennen gab, dass der Fürst auch hier, genau wie in Amsterdam feierlich als Souverän der Niederlande ausgerufen werden sollte. Diesem Wunsch dem eben sehr durch alle Autoritäten zugestimmt wurde und durch den offensichtlichen Belang der Nation gebilligt wird, wurde dann auch unmittelbar eingewilligt. Allerdings wurde das Volk durch eine Publikation gemahnt, die

2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831

119

herzliche Freude mit Ordnung zu paaren; die hohen Autoritäten des Staates, der Gouverneur-General von Den Haag, die allgemeine Verwaltung der Vereinigten Niederlande, die Generalkommissare des Inlandministeriums und von der Polizei, der Generalkommissar des Ministeriums „Monden van de Maas“ und die Regierung von Den Haag begaben sich zum Haus Ten Bosch. Dort empfingen sie den Fürsten und gaben Auskunft über den Wunsch des Volkes, brachten ihre eigenen Gefühle zum Ausdruck und begleiteten den PRINZEN bis zur Unterkunft am Hofplatz. Dieser Aufzug, welcher durch das Losbrennen des Geschützes, Läuten und Spielen der Glocken angekündigt wurde, wurde überall durch das allgemeine Freudegefühl der Einwohner begleitet; alles floss von allen Seiten zusammen, und alle Stände paarten Herz und Stimme, um überall dankbare Freude zu verbreiten: einen Augenblick danach zeigte sich der Fürst, der ins Haus gekommen war, der unzählbaren Schar auf dem Balkon und wurde mit den vollsten Beweisen feuriger Liebe begrüsst. Man rief um Stille und das Volk gehorchte. Alle waren in einem Augenblick aufmerksam und voller Ehrfurcht, als der Herr Slicher, Bürgermeister von Den Haag, in aller Namen an SEINE DURCHLAUCHTE HOHEIT, mit lauter Stimme das hier nachstehende Stück vortrug; dann, kaum hatte dieser ehrwürdige Greis die Worte „Souverän Fürst der Niederlande“ ausgesprochen, konnte das Volk das Gefühl des Herzens nicht mehr bezwingen und der erstaunliche Beifall von allen Seiten liess die Volksstimme so ungekünstelt zum Vorschein kommen, dass alle, die Anwesenden und selbst der Fürst, tief getroffen wurden; der Bürgermeister las schließlich das Stück zu Ende vor. Der Fürst erklärte sehr bewegt, Gott, den Allmächtigen, um die nötige Kraft zu bitten, um das Verlangen der Nation erwidern zu können und ihre Interessen zur vollumfänglichen Richtlinie seiner Taten zu machen. Dieser Tag, welcher in den Gedenkbüchern der Niederlande so wichtig bleiben wird, vereinigte hier alle Herzen rund um das Stammhaus, dem die Niederlande vor rund 200 Jahren sein Anwesen und heute das Wiederaufleben seiner zu lang verlorenen Freiheit und Unabhängigkeit zu danken hat. […] 2.5.1.2. Ende des Feldzuges gegen die aufständischen Belgier, 1831 A0. 1831. N0.99. Opregte HAARLEMSCHE COURANT Donderdagsche Van 18 Augustus HAARLEM, 17 Augustus […] Met het bezetten van Leuven is, door den drang der omstandigheden, een einde gemaakt aan een veldtogt, in welken, door het beleid en den moed van den prins van Oranje en de volharding en krijgsdeugd der verdedigers des vaderlands, de eer en het gezag van het vrije Nederland is hersteld, en de overmoed en hoovaardij van naburen, welke zich ten

120

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

aanzien van dat Nederland het schandelijkst verraad hadden veroorloofd, op ’t gevoeligst is vernederd. Zoo als te wachten was, heeft de prins, bij de onmiddelijke nabijheid van het fransche leger, dadelijk den aftogt verordend van het leger. Dezelve is den 14den begonnen. De troepen hebben zich dien dag in de positien van Tirlemont, de dorpen voor Leuven en Diest vereenigd. Z.K.H. de prins van Oranje heeft te dezer gelegenheid den 13den de navolgende merkwaardige dagorder uitgevaardigd: ,,Wapenbroeders! Gij hebt aan mijne verwachting voldaan. Ik vertrouwde op uwe dapperheid en onwankelbaren moed. Ik waardeer de lijdzaamheid, waarmede gij al de vermoeijenissen hebt doorgestaan, en u al dat gemis hebt getroost, dat de krijgsmarschen in de nabijheid des vijands altijd vergezelt. ,,Groot is uwe belooning. De zege onzer wapenen is volkomen. ,,Na eenen veldtogt van naauwlijks tien dagen staan wij in het hart van Belgie. ,,Tweemalen ontmoetten wij den vijand, eerst te Hasselt, toen bij Leuven, en dat was genoeg, om de twee Belgische legers uiteen te slaan en in wanorde op de vlugt te jagen. ,,Gisteren en heden stonden onze voorposten op twee uren afstands van Brussel, en geen belgisch leger is ’er meer, om den intogt zijner hoofdstad te beletten. ,,De Koning, mijn vader, heeft onze behaalde overwinning bij Hasselt met blijdschap vernomen. Door mij betuigt hij zijne innige tevredenheid aan u, en al de troepen van alle wapenen, die aan deze en de vorige gevechten deel nemen, en hunne pogingen vereenigden, om dat leger te vernietigen, dat, onder de naam van de Maas, zich onverwinnelijk waande. ,,Wij hebben nu onze taak volbragt. Wij hebben gedaan, wat Koning en Vaderland van ons eischten. Wij hebben gezegenvierd over den vijand, tegen wien wij ten strijde zijn gegaan. ,,Met eere keeren wij ter[u]g naar onze oude grenzen. Een talrijk leger uit Frankrijk rukt Belgie in. Zijne voorposten raken de onze. ,,Wij keeren terug, ten gevolge van eene schikking, die onze Souverein heeft gemaakt met den Koning der Franschen.“ Het leger trekt vooreerst naar de grenzen van Noord-Braband terug, en wel, zoo het zich laat aanzien, grootendeels langs den weg van Hasselt. Delpher, Opregte Haarlemsche Courant 99, 18/8/1831. Übersetzung: Opregte Haarlemsche Courant, 1831 A0. 1831. N0.99. Opregte HAARLEMSCHE COURANT Donderdagsche Van 18 Augustus Haarlem, 17. August (…) Mit dem Besetzen von Löwen ist, durch den Drang der Umstände, dem Feldzug ein Ende gemacht worden, in welchem durch die Politik und den Mut des Prinzen von Oranien

2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831

121

und die Ausdauer und die Kriegstugend der Verteidiger des Vaterlandes und die Ehre und die Autorität der freien Niederlande wieder hergestellt worden. Der Übermut und die Hochmütigkeit der Nachbarn, welche sich bezüglich der Niederlande einen schändlichen Verrat erlaubt hatten, wurden aufs empfindlichste erniedrigt. So wie zu erwarten war, hat der Prinz, bei der unmittelbaren Nähe der französischen Armee, unmittelbar den Abzug der Armee verordnet. Dieser erfolgte am 14. Die Truppen haben sich an diesem Tag in die Positionen von Tirlemont, die Dörfer vor Löwen und Diest vereinigt. Seine Hoheit der Prinz von Oranien hat bei dieser Gelegenheit am 13. den nachfolgenden, bemerkenswerten Tagesbefehl erteilt: „Waffenbrüder! Ihr habt meine Erwartungen erfüllt. Ich vertraute auf eure Tapferkeit und unerschütterlichen Mut. Ich schätze die Gelassenheit, womit ihr all die Erschöpfung durchgestanden habt und dass ihr all den Verlust hingenommen habt, der den Kriegsmarsch in der Nachbarschaft des Feindes immer begleitet. „Gross ist eure Belohnung. Der Sieg unserer Waffen ist vollkommen. „Nach einem Feldzug von kaum zehn Tagen stehen wir im Herzen Belgiens. „Zweimal begegneten wir dem Feind, erst in Hasselt, danach bei Löwen und das war dann genug, um die zwei belgischen Armeen zu zerschlagen und im Wirrwarr auf die Flucht zu jagen. „Gestern und heute standen unsere Vorposten auf zwei Stunden Abstand zu Brüssel und kein belgisches Heer ist mehr da, um den Einzug in die Hauptstadt zu verhindern. „Der König, mein Vater, hat unseren Sieg bei Hasselt mit Freude vernommen. Durch mich beteuert er seine innige Zufriedenheit an euch und all die Truppen von allen Waffen, die an diesen und den vorherigen Kämpfen teilnehmen und ihre Anstrengungen vereinigten, um das Heer zu vernichten, das sich, unter dem Namen Maas, als unbezwingbar wähnte. „Wir haben nun unsere Aufgabe vollbracht. Wir haben getan, was König und Vaterland von uns verlangten. Wir haben über den Feind gesiegt, gegen den wir den Kampf aufgenommen hatten. „Mit Ehre kehren wir zurück zu unseren alten Grenzen. Ein grosses Heer aus Frankreich zieht nach Belgien. Seine Vorposten berühren die unseren. „Wir kehren zurück infolge eines Abkommens, das unser Souverän mit dem König der Franzosen gemacht hat.“ Das Heer zieht sich vorerst zu den Grenzen von Noord-Braband zurück und wohl, wie es aussieht, grösstenteils entlang des Weges von Hasselt.

122

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

2.5.2. Lyrik 2.5.2.1. Hendrik Tollens, Volkslied VOLKSLIED Wien Neerlandsch bloed in de aders vloeit, Van vreemde smetten vrij, Wiens hart voor land en koning gloeit, Verheff’ den zang als wij: Hij stell’ met ons, vereend van zin, Met onbeklemde borst, Het godgevallig feestlied in Voor vaderland en vorst. De Godheid, op haar hemeltroon, Bezongen en vereerd, Houdt gunstig ook naar onzen toon Het heilig oor gekeerd: Zij geeft het eerst, na ’t zalig koor, Dat hooger snaren spant, Het rond en hartig lied gehoor Voor vorst en vaderland. Stort uit dan, broeders, eens van zin, Dien hoogverhoorden kreet; Hij telt bij God een deugd te min, Die land en vorst vergeet; Hij gloeit voor mensch en broeder niet In de onbewogen borst, Die koel blijft bij gebed en lied Voor vaderland en vorst. Ons klopt het hart, ons zwelt het bloed, Bij ’t rijzen van dien toon: Geen ander klinkt ons vol gemoed, Ons kloppend hart zoo schoon: Hier smelt het eerst, het dierst belang Van allen staat en stand Tot één gevoel in d’eigen zang Voor vorst en vaderland.

2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831

Bescherm, o God! bewaak den grond, Waarop onze adem gaat; De plek, waar onze wieg op stond, Waar eens ons graf op staat. Wij smeeken van uw vaderhand, Met diep geroerde borst, Behoud voor ’t lieve vaderland, Voor vaderland en vorst. Bescherm hem, God! bewaak zijn troon, Op duurzaam regt gebouwd; Blink’ altoos in ons oog zijn kroon Nog meer door deugd dan goud! Steun Gij den scepter, dien hij torscht, Bestier hem in zijn hand; Beziel, o God! bewaar den vorst, Den vorst en ’t vaderland. Van hier, van hier wat wenschen smeedt Voor een van beide alleen: Voor ons gevoel, in lief en leed, Zijn land en koning één. Verhoor, o God! zijn aanroep niet, Wie ooit hen scheiden dorst, Maar hoor het één, het eigen lied Voor vaderland en vorst. Dring’ luid, van uit ons feestgedruisch, Die beê uw hemel in: Bewaar den vorst, bewaar zijn huis En ons, zijn huisgezin. Doe nog ons laatst, ons jongst gezang Dien eigen wensch gestand: Bewaar, o God! den koning lang En ’t lieve vaderland. H. Tollens, Gezamenlijke dichtwerken. Bd, 3. 6. Aufl. Leeuwarden 1855, 184–187. deutsche Paraphrase: VOLKSLIED In wem niederländisches Blut durch die Adern fliesst, von fremden Flecken frei, Wessen Herz für Land und König glüht, erhebe die Stimme wie wir:

123

124

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

Er stimme als Gesinnungsgenosse vereint mit uns, Mit unbedrängter Brust, das fromme Festlied an Für Vaterland und Fürst. Die Gottheit auf ihrem Himmelsthron, besungen und verehrt, hält gnädig auch nach unserem Klang ihr heiliges Ohr uns hin: Sie schenkt erst, nachdem der herrliche Chor die hohen Saiten bespannt, dem klaren aus dem Herzen kommenden Lied Gehör für Fürst und Vaterland. Stosst aus, Brüder, eines Sinnes den laut vernommenen Schrei; Wer Land und Fürst vergisst verliert bei Gott eine seiner Tugenden, Er glüht für Mensch und Bruder nicht in der unbewegten Brust, der kühl bleibt beim Gebet und Gesang Für Vaterland und Fürst. Uns klopft das Herz, uns schwillt das Blut an beim Emporsteigen dieses Klanges: Kein anderes klingt in unserem Gemüt, in unserm klopfenden Herzen so schön: Hier schmilzt der teuerste Belang Von jedem Stand Zu einem Gefühl in dem eigenen Gesang Für Fürst und Vaterland. Beschirme, o Gott! Bewache den Grund, Auf dem unser Atem geht; Den Ort, auf dem unsere Wiege stand, Wo einst unser Grab stehen wird. Wir flehen um deine Vaterhand, Mit tief gerührter Brust, Bewahre unser liebes Vaterland, Für Vaterland und Fürst. Beschirme ihn, Gott! Bewache seinen Thron, auf fortwährendem Recht gebaut; Möge seine Krone ewig in unseren Augen funkeln Noch mehr durch Tugend als durch Gold!

2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831

125

Stütze, o Gott, das Zepter, das er trägt, Führ ihn bei seinem Handeln; Belebe ihn, o Gott! Bewahr‘ den Fürst, Den Fürst und das Vaterland. Von hier, von hier, was Wünsche schmieden Nur für einen der beiden: Für unser Gefühl, in Liebe und Leid, Sind Land und König eins. Erhör, o Gott! sein Anflehen nicht, der es je wagt, sie zu trennen, Aber hör das eine, das eine Lied Für Vaterland und Fürst. Dränge laut von unserem Festgelärme aus das Flehen in deinen Himmel: Bewahr‘ den Fürst, bewahr‘ sein Haus Und uns, seine Familie. Erfülle noch den eigenen Wunsch unseres letzten, unseres jüngsten Gesangs: Bewahr’, o Gott! den König lange Und das liebe Vaterland.

2.5.2.2. Anthony Christiaan Winand Staring, Epigramme Wie Constantijn Huygens im ‚Goldenen Jahrhundert‘ dichtete Staring im Zeitalter der Romantik Epigramme: Aan a.b.c. enz. Hebt gij een vaderland, zo kleef niet aan een ander! Wees Gal noch Brit – wees Nederlander. deutsche Paraphrase: Ab a.b.c. usw. Wenn du ein Vaterland hast so klebe nicht an einem anderen Land. Sei weder Franzose noch Brite, sondern sei Niederländer. Kennis en wijsheid ’t Is naarstigheid die vroege kennis gaart; ervaring is ’t die spade wijsheid baart.

126

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

deutsche Paraphrase: Kenntnis und Weisheit Es ist Fleiss der Kenntnis sammelt, Erfahrung gebärt die späte Weisheit. Dagelijks doen De rijpe kennis hoort, de onrijpe neemt het woord. deutsche Paraphrase: Täglich tun Die reife Kenntnis hört, die unreife ergreift das Wort. Meester en leerling De meester in zijn wijsheid gist. De leerling in zijn waan beslist. deutsche Paraphrase: Meister und Schüler Der Meister überlegt sich in seiner Weisheit, der Schüler entscheidet in seinem Wahn.

A.C.W. Staring, Ruisend valt het graan. Hg. von J. Stouten. Amsterdam 1995, 95, 99–100.

2.5.3. Diverse Prosa 2.5.3.1. Kundgabe des Prinzen Wilhelm Friedrich, 1813 Die folgende Kundgabe des künftigen Königs Wilhelm I. stammt vom 30. November 1813: PROCLAMATIE van Z.H. WILLEM FREDERIK, PRINCE VAN ORANJE-NASSAU ENZ. ENZ. ENZ., te kennen gevende Hoogstdeszelfs bereidwilligheid zoo om de Ingezetenen in vorige onafhankelijkheid en welvaart te helpen herstellen, als om het verledene te vergeven en te vergeten, enz. enz. enz. Van den 30. November 1813. WILLEM FREDERIK, Bij de gratie GODS, Prinse van Oranje-Nassau, enz. enz. enz., Allen den genen, die dezen zullen zien of horen lezen, salut! WAARDE LANDGENOOTEN!

2.5. Textbeispiele des Niederländischen aus den Jahren 1813 bis 1831

127

Na eene scheiding van negentien jaren, en na zoo vele rampen, heb ik het onuitsprekelijk genoegen, dat ik door u zelve eenstemmig in uw midden worde terug geroepen. Ziet mij hier aangekomen en gereed, om, onder den Goddelijken bijstand, u in het genot van uwe vorige onäfhankelijkheid en welvaart te helpen herstellen. Dit is mijn eenig doelwit en het opregt en vurig verlangen van mijn hart. Ik kan u de stellige verzekering geven, dat het insgelijks het oogmerk is van de Bondgenooten. Het is, in het bijzonder, de wensch van Z.K.H. den Prins-Regent van het vereenigd Koningrijk van Groot-Brittanniën en Ierland. Hiervan zult gijlieden overtuigd worden door den grootmoedigen bijstand van dat magtig Rijk, die nl. onmiddelijk staat gegeven te worden, en die den grondslag zal leggen van de hernieuwing dier oude en naauwe betrekkingen van vriendschap en alliäntie, die zoo lang het geluk gemaakt hebben van beide Staten. Ik ben bereid en heb vastelijk besloten, al het verledene te vergeven en te vergeten. Ons gemeen en eenig doeleinde moet zijn, de wonden van ons dierbaar vaderland te heelen en hetzelve in zijn’ vorigen luister en aanzien onder de volkeren te herstellen. De herleefde koophandel zal, zoo ik vertrouwe, een der eerste en onmiddelijkste gevolgen zijn van mijn aankomst. Alle partijschap moet voor altoos van onder ons gebannen zijn. Geene pogingen zullen van mijn’ kant, en van die van de mijnen, onbeproefd gelaten worden, om uwe onafhankelijkheid, uw geluk en voorspoed te verzekeren en te bevestigen. Mijn oudste zoon, die, onder den onsterfelijken Lord Wellington, zich den roem zijner voorouders niet onwaardig getoond heeft, staat mij binnen kort te volgen. Vereenigt u dan, waarde Landgenooten, met hart en ziel met mij, en ons gemeene Vaderland is gered: de oude tijden zullen weldra herleven; en wij zullen aan onze kinderen de dierbare panden kunnen overmaken, die wij van onze voorouders ontvangen hebben. Aldus gedaan, den 30sten November 1813, en uitgegeven onder mijne handteekening en bijgedrukt zegel. (L.S.) (was geteekend) W.F.PR. van ORANJE STAATS-COURANT D’Ao. 1813 No. 2 Übersetzung: Verehrte Landsmänner! Nach einer Trennung von neunzehn Jahren und nach so vielen Katastrophen habe ich das unsagbare Vergnügen dass ich dank Eurer eigenen Zustimmung zurückgerufen werde. Seht, wie ich eingetroffen bin, bereit um mit göttlicher Unterstützung Ihnen zu helfen, die frühere Unabhängigkeit und das Wohlergehen wieder instandzusetzen. Dies ist mein einziges Ziel und der aufrichtige, feuerige Wunsch meines Herzens. Ich kann Ihnen absolut zusichern, dass dies gleichfalls der Wunsch der Verbündeten ist. Es ist insbesondere der Wunsch des Prinz-Regenten des Vereinten Königreichs von Britanien und Ierland. Davon werden Sie überzeugt werden durch die grosszügige Unterstützung dieses mächtigen Reiches, die bevor steht und die die Grundlage bilden wird der erneuten

128

2. Französische Zeit und Vereintes Königreich

alten und neuen Beziehungen von Freundschaft und Allianz, die so lange Teil des Glückes der beiden Staaten bildeten. Ich bin bereit und fest entschlossen, alles was in der Vergangenheit passierte, zu verzeihen und zu vergessen. Unser gemeinsames und einziges Ziel muss es sein, die Wunden unseres lieben Vaterlandes zu heilen und es in seiner ehemaligen Glorie unter den Völkern wieder herzustellen. Der wiederbelebte Handel wird, wie ich traue, eine der ersten und direkten Folgen von meinem Eintreffen sein. Sämtliche Zwietracht ist für immer zu verbannen. Keine Versuche von mir und von meiner Familie, um Glück und Wohlfahrt zu versichern und zu bestätigen, werden unterlassen bleiben. Mein ältester Sohn, der unter Führung des unsterblichen Lord Wellington sich des Ruhmes seiner Vorfahren nicht unwürdig gezeigt hat, wird mir in Kurzem nachfolgen. Vereint Euch werte Landesmänner mit Herz und Seelen mit mir, so ist unser gemeinsames Vaterland gerettet: die alten Zeiten werden bald wieder aufleben; wir werden unseren Kindern die teueren Pfänder weitergeben, die wir von unseren Vorfahren empfangen haben. Dementsprechend ausgeführt am 30. November 1813, und veröffentlicht mit meinem Unterschrift und Siegel LS W.F. PR. van Oranje

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen in den Niederlanden und in Belgien im Laufe des 19. Jahrhunderts Nach dem Zeitalter des Vereinten Niederländischen Königreichs bildeten sich die Niederlande und Belgien als zwei unabhängige Staaten heraus, wie in 3.1. erörtert wird. Trotzdem führten gemeinsame Anstrengungen niederländischer und belgischer Schriftsteller und Philologen zu einer weiteren einheitlichen Kodifizierung des AN im gesamten niederländischsprachigen Gebiet, vgl. 3.2. Die Textbeispiele in 3.3. vermitteln einen Eindruck von der niederländischen Schriftsprache dieser Zeit. Anfänglich bestand in Belgien Uneinigkeit über die Stellung des Algemeen Nederlands als überregionale Sprache neben den lokalen Sprachvarietäten, die gemeinhin mit dem Ausdruck Vlaams (‚Flämisch‘) zusammengefasst werden. Zudem entfachte sich im neuen Staat ein Streit zwischen den Förderern des Niederländischen und ihren französischsprachigen Widersachern, wie in 3.4. näher ausgeführt wird. Die Textbeispiele in 3.5. stammen von Belgiern, die sich für die Muttersprache einsetzten. Die jahrhundertelange Kultivierung des Niederländischen hatte zu einer überregionalen Schriftsprache geführt, die nun vermehrt als Norm für die gehobene gesprochene Sprache diente. Befürworter eines natürlichen gesprochenen Niederländischen sollten sich immer mehr gegen dieses feierliche Niederländische wehren, vgl. 3.6. Die Texte in 3.7. zeugen von ihren Bestrebungen, ein lebendiges Niederländisch zu schreiben. Die Voraussetzungen für eine Verbreitung eines allgemeinen gesprochenen Standardniederländischen verbessersten sich im 19. Jh. zwar rasch, erst im 20. Jh. setzte sich das Algemeen Nederlands auf Kosten der lokalen und sozialen Sprachvarietäten unter stets grösseren Bevölkerungsschichten in sämtlichen Regionen durch, vgl. Kapitel 4.

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen 3.1.1. Gesellschaftliche und politische Erneuerungen in den Niederlanden (1830–1900) König Wilhelms I. Zögern, mit Belgien ein Friedensabkommen abzuschliessen, verlangte in den Dreissigerjahren nicht nur finanzielle Opfer, sondern schadete auch seiner Beliebtheit. Erst 1839 kam der Vertrag zustande, Leopold verzichtete auf seine Ansprüche auf Teile Zeeuws-Vlaanderens und Limburgs, erhielt dafür den Westen Luxemburgs, der deutsche Bund bekam als Ausgleich den Osten Limburgs, Venlo und Maastricht blieben niederländisch.

130

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Abb. 8: Die Niederlande, Belgien und Luxemburg im Jahre 1840 (vgl. Bosatlas, 311).

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

131

Die Niederlande, die einst eine führende Rolle in der Welt gespielt hatten, waren zu einem europäischen Kleinstaat geworden, auch wenn sie noch über ansehnliche koloniale Besitzungen verfügten. Indem man fortan Abstand zur internationalen Politik bewahrte, entwickelte sich eine Neutralitätspolitik, die bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs standhielt. So verzichtete die niederländische Regierung Ende des 19. Jh. auf eine Unterstützung der ‚stammverwandten‘ Buren in Afrika trotz der Begeisterung der niederländischen Bevölkerung für ihren Kampf gegen die Engländer. Ebenso wenig setzten sich die Niederlande trotz gemeinsamer kultureller Interessen für den politischen Kampf der flämischen Bewegung ein. Inzwischen forderten konfessionelle und politische Gruppierungen wie die Katholiken oder die Liberalen Bildungsfreiheit, Pressefreiheit und die Aufhebung des Rechtes des Königs, päpstliche Entscheidungen zu genehmigen. Der König war schliesslich nicht nur von der politischen Lage und von der schlechten Finanzlage, sondern auch vom mangelnden Unternehmungsgeist enttäuscht. So kam beispielsweise der Ausbau des Eisenbahnnetzes nicht voran. Zudem verbitterte ihn der Widerstand gegen seine Ehe mit der katholischen belgischen Gräfin Henriëtte d’Oultremont, von den Untertanen spöttisch Jetje Dondermond (‚Jettchen Donnermund‘) genannt. So verzichtete Wilhelm I. 1840 zugunsten seines Sohnes auf den Thron. In einem Land ohne Bodenschätze entwickelte sich die Industrie nur zögerlich, die Wirtschaft lebte vom Gewerbe und vom Bauernbetrieb, Erträge aus dem Handel mit kolonialen Erzeugnissen trugen wesentlich zum Ausgleich des Staatshaushaltes bei. Zur Steigerung der Gewinne hatte Generalgouverneur J. van der Bosch 1830 auf Java das cultuurstelsel eingeführt, das den Einheimischen auferlegte, zwanzig Prozent der von ihnen angebauten Produkte dem Kolonialherrn als Pacht abzutreten oder ansonsten Herrendienste zu leisten. So konnte die Nederlandsche Handel-Maatschappij Erzeugnisse wie Indigo, Tee, Zucker oder Kaffee mit Gewinn auf dem europäischen Markt absetzen. Zudem führte die Gesellschaft auch Waren nach Übersee aus, namentlich Erzeugnisse der Textilindustrie, die sich während der französischen Zeit im Süden entwickelt hatte. Zum Kolonialgeschäft trugen insbesondere die international bekannten Amsterdamer Kaffeeversteigerungen bei, worauf sich Multatuli in seinem 1860 erschienenen Max Havelaar im Untertitel of de Koffij-veilingen der Nederlandsche Handel-Maatschappij (‚oder die Kaffeeversteigerungen der Niederländischen Handelsgesellschaft‘) bezieht. Das Werk, das die Ausbeutung der Javaner an den Pranger stellt, zeugt von ersten Protesten gegen das cultuurstelsel in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Auch liberale Politiker forderten die Abschaffung dieses Systems. 1870 machte es nach längeren politischen Auseinandersetzungen für die Bewirtschaftung durch Privatunternehmen Platz. Nach wie vor waren die Niederlande ein agrarisches Gebiet mit einer städtischen Tradition. Die Gesellschaft setzte sich aus Nachkömmlingen der Regenten, vermögenden Bürgern, Gebildeten, Mittelstand, Bauern, Grossgrundbesitzern und einigen wenigen Adligen zusammen, die Mehrheit der Bevölkerung lebte aber unter erbärmlichen Bedingungen. Viele wohnten ungesund, so hausten acht Prozent der Amsterdamer in Kellern. Es herrschte eine grosse Arbeitslosigkeit, in Leiden lebten über die Hälfte der Arbeiter beispielsweise von der Armenfürsorge, in der Mitte des Jahrhunderts starb eines von vier Kindern. Die Lebenserwartung der Männer lag unter,

132

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

die der Frauen knapp über fünfunddreissig Jahre. Versuche, den Kindern der Armen wenigstens ein Handwerk beizubringen, führten zu einer Zunahme der Kinderarbeit. Zwar wurden vereinzelte Proteste, so in Leserbriefen anlässlich der Hungeraufstände der Vierzigerjahre, gegen die Missstände laut, dennoch begnügten die Verantwortlichen sich mit der Förderung der gut organisierten umfangreichen Wohltätigkeit. Gesellschaftskritische Stimmen richteten sich hingegen gegen den geest der tijd (‚Zeitgeist‘). So tadelt E.J. Potgieter in seinem Jan, Jannetje en hun jongste kind 1842 die Mentalität seiner Zeitgenossen: die Allegorie verherrlicht die in diesem Zeitraum der Romantik von John Bull, England, Hans Moff, Deutschland und Monsieur, Frankreich beneidete ruhmreiche Vergangenheit Hollands in der Beschreibung von Jans Jugend. Sie verurteilt dagegen den nun empfundenen Niedergang der Niederlande im 18. und 19. Jh. in der Person des jüngsten, verweichlichten und energielosen Kindes Jan Salie, das im Überfluss aufwächst. Noch immer gilt Jan Salie in der niederländischen Sprache als die Verkörperung einer trägen, saumseligen Mentalität. Auch eine Zeitschrift wie De Gids, die liberale Auffassungen verbreitete, rügte die vorherrschende Mentalität. Kritisch der eigenen Zeit gegenüber war ebenfalls die orthodoxe religiöse Bewegung het Reveil (‚die Reveille‘); ihre Vertreter, so Willem Bilderdijk und sein Schüler Isaäc Da Costa strebten eine vom christlichen Glauben und Handeln geleitete Gesellschaft an. Andere Gruppen enttäuschter Protestanten, die sich vermehrt auf die Glaubenssätze besannen, traten 1834 aus der 1816 vom König neu organisierten Nederlands Hervormde Kerk (‚Niederländisch reformierte Kirche‘) aus. 1886 kam es zu einer weiteren Kirchenspaltung, die meisten der ausgetretenen orthodoxen Christen vereinten sich 1892 in den Gereformeerde Kerken in Nederland. Solche und ähnliche Entwicklungen läuteten einen vom Protestantismus, Katholizismus und Sozialismus geprägten konfessionellen, sozialen und kulturellen Partikularismus ein, der die Gesellschaft und Politik der Niederlande bis in die Sechzigerjahre des 20. Jh. kennzeichnete. Nachdem 1848 in Frankreich und Deutschland Aufstände ausgebrochen waren, dann auch in Wien Unruhen entstanden, wovon liberale Zeitungen wie die Arnhemsche Courant, das Handelsblad oder die Nieuwe Rotterdamsche Courant ausführlich, manchmal in vier Editionen pro Tag berichteten, war Wilhelm II. schliesslich bereit, die von Liberalen wie dem Leidener Professor J.R. Thorbecke gewünschten Anpassungen des Grundgesetzes zuzulassen. Eine Kommission unter Federführung Thorbeckes überarbeitete die Verfassung von Grund auf, sie hielt nun u. a. den Status des Königs, die Verantwortlichkeiten der Minister und die Rechte der beiden Kammern fest, gewährleistete Grundrechte wie Pressefreiheit, Religionsfreiheit oder Ausbildungsfreiheit und schrieb die geheime Direktwahl der Mitglieder der zweiten Kammer vor. Der König, der angeblich laut einer selbstironischen Äusserung innert vierundzwanzig Stunden von einem Konservativen zu einem Liberalen geworden war, verlor so seine Macht an wohlhabende beziehungsweise gebildete Bürger, die dank dem Zensuswahlrecht mehrere Jahrzehnte die Politik bestimmen sollten. Dass sie sich nicht um die Interessen der weniger Begüterten und der Arbeiter kümmerten, trieb erst im letzten Viertel des Jahrhunderts die Entstehung sozialistischer Organisationen voran. Von den vielen Gesetzen, die Thorbecke mit seinen Ministern einführte, ist hier das Post- und das Telegrafengesetz zu nennen, das die schriftliche Verständigung zwischen den Menschen stark förderte, sowie das Enteignungsgesetz, das einen raschen Ausbau des

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

133

Eisenbahnnetzes ermöglichte und so auch die mündliche Kommunikation zwischen Bürgern der verschiedensten Gegenden immer mehr förderte. Die Liberalen, welche die Erneuerungen der Verfassung umzusetzen versuchten, warben für die Freiheit des Individuums ohne staatliche Einmischung. Sie befürworteten Privatinitiative auch in den Kolonien und eine Bildungspolitik, die eine öffentliche Grundschule für Schüler aller Konfessionen förderte. Dagegen wollten die Konservativen, zumeist Adlige, wohlhabende Bürger und höhere Beamte, die bestehende Ordnung und die Macht des Königs möglichst beibehalten. Wilhelm III., der seinem Vater 1849 nachgefolgt war, bekundete öfter Mühe mit der bescheidenen Rolle eines konstitutionellen Monarchen, so während der Aprilbewegung 1853. Als die katholische Kirche sich durch die nun gesetzlich festgeschriebene Trennung von Kirche und Staat mit der Einführung von fünf Bistümern neu organisierte, zeigte er trotz des neutralen Regierungsstandpunktes Sympathie für die Proteste der Reformierten. Rücktritt der Regierung und Neuwahlen waren die Folge. Auch in den Sechzigerjahren versuchte der König persönlich in die Politik einzugreifen, richtete sich sogar mit einem Manifest an die Bevölkerung, musste sich schliesslich aber erneut dem Willen der Volksvertreter beugen. An Stelle der während der Bataafse Republiek eingeführten konfessionsneutralen Ausbildung, die lediglich christliche Tugenden im Allgemeinen zu fördern hatte, befürworteten orthodoxe Protestanten entgegen den Auffassungen der Liberalen einen von Glaubenssätzen geprägten Unterricht, zudem forderten die Bischöfe eigene katholische Schulen. Es entfachte sich ein Schulstreit, der schliesslich nicht nur zur Gründung konfessioneller Schulen neben öffentlichen Lehranstalten führte, sondern auch die Bildung gesellschaftlicher und politischer Organisationen in den Siebzigerjahren anregte. Ihre Mitglieder kümmerten sich vermehrt um gesellschaftliche Fragen. So ergriff der liberale Volksvertreter S. van Houten 1874 die Initiative zu einem Gesetz, das Kinderarbeit verbot. Im Gegensatz zur Landwirtschaft, die u. a. durch die Einfuhr amerikanischen Getreides ab 1880 in Bedrängnis geriet, hatte die Industrie im letzten Viertel des 19. Jh. stark an Bedeutung zugenommen. Dank des technischen Fortschritts war in Twenthe, De Achterhoek und Nord-Brabant die Textilindustrie zur Entwicklung gekommen, im Landstrich De Langstraat entstanden Schuhfabriken, Philips begann 1891 zehn Jahre nach Edisons Erfindung Glühbirnen in Eindhoven herzustellen, Reeder bestellten vermehrt auch bei niederländischen Werften wie Feyenoord oder De Schelde motorisierte Schiffe, die Metallindustrie entwickelte sich auch durch die Nachfrage der Eisenbahnunternehmen. Immer häufiger liessen sich Menschen aus ländlichen Gegenden in den Städten nieder, so siedelten tausende Migranten aus Süd-Holland, Seeland, Nord-Brabant und Gelderland beispielsweise nach Rotterdam um. Durch die Verbesserung der Lebensumstände und der Gesundheitspflege erhöhte sich die Lebenserwartung gegen Ende des Jahrhunderts für Frauen auf 54, für Männer auf 51 Jahre, die Bevölkerung wuchs bis fünf Millionen im Jahre 1900 und bis fast sechs Millionen im Jahre 1910 an, wodurch insbesondere die Einwohnerzahlen von Amsterdam, Rotterdam und Den Haag stark anstiegen. Mit der schrittweisen Industrialisierung kam die Arbeiterbewegung auf, Typografen gründeten 1866 eine erste Gewerkschaft, 1869 entstand der, übrigens nicht sozialistische, Nederlandsch Werkliedenverbond (‚Niederländischer Arbeiterverband‘), reformierte und römisch-katholische

134

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Arbeiter riefen eigene Verbände ins Leben. 1878 entstand der sozialistische Sociaal-Democratische Vereniging, der sich als SDB unter Leitung von F. Domela Nieuwenhuis radikalisierte. Eine weitere sozialistische Partei, die 1894 gegründete SDAP, vertrat ebenfalls das marxistische Gedankengut, anerkannte aber die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie. So gewannen sowohl die Anhänger konfessioneller Gruppierungen als auch Sozialdemokraten am Ende des Jahrhunderts mehr Einfluss. Dank Anpassungen des Wahlgesetzes durften immer mehr Männer wählen, weitere Schichten der Bevölkerung wurden mündig. Dies zeigte sich auch, als 1903 das Eisenbahnpersonal aus Solidarität mit den Amsterdamer Hafenarbeitern den Betrieb bestreikte. Zwar konnten die Arbeitnehmer ihre Forderungen durchsetzen, die Regierung Kuypers verbot aber im Gegenzug das Streikrecht für staatliche Angestellte. Mittlerweile war eine Gesellschaft entstanden, die sich durch aus lebensanschaulichen Überzeugungen gewachsene Strukturen kennzeichnete. Einzelne Gruppierungen wie die Liberalen, die Reformierten, die Katholiken oder die Sozialisten verfügten über eigene Vereine, eigene politische Parteien und eigene Zeitungen. Es waren verschiedene Arbeitnehmerverbände nebeneinander entstanden, mehrere Gruppierungen, auch abgespaltene Kirchen betreuten eigene Schulen, die verzuiling im Sinne einer Herausbildung erstarrender gesellschaftlicher Säulen schritt fort.

3.1.2. Entfaltung der überregionalen niederländischen Kommunikationsgemeinschaft Zu den Organisationsformen, die im 18. Jh. eine nationale Kommunikationsgesellschaft eingeläutet hatten, sind genootschappen (‚Genossenschaften‘) zu rechnen, die häufig ein patriotisches Gepräge besassen, wie literarische und wissenschaftliche Vereine. Mit Vorliebe befassten sich ihre Mitglieder mit der vaterländischen Geschichte, dem schöngeistigen Schrifttum oder mit der Pflege der Muttersprache. Sie lasen einander im Kaffeehaus oder während Teekränzchen aus Moralischen Wochenzeitschriften vor und diskutierten über gesellschaftliche Fragen, Literatur und Sprache. Durch die Benützung besserer Verkehrsverbindungen kamen Menschen aus den verschiedenen Regionen des niederländischen Sprachgebietes immer leichter miteinander in Kontakt. Das 19. Jh. zeigt eine ‚Verdichtung der öffentlichen Kommunikation‘ (Leuker in Grüttemeier 2006, 148), die eine weitere Verbreitung des AN begünstigte. Schule, Kirche, Theater und Medien wie Flugschriften, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Briefe sowie Telegramme boten Bürgern der Niederlande und Belgiens immer mehr Gelegenheit, ein vereinheitlichtes überregionales Niederländisch sowohl zu lesen, zu hören und zu schreiben als auch zu sprechen beziehungsweise zu singen. Wie viel im 19. Jh. gelesen wurde, lässt sich nicht bestimmen. Wohl darf man annehmen, dass im Laufe des Jahrhunderts immer mehr Bürger immer mehr lasen. Zeitungen und Almanache wurden allmählich preisgünstiger, die Presse sollte sich im 19. Jh. nach und nach zu einem Massenmedium entwickeln. Auch für Veröffentlichungen in Buchform wuchs das Leserpublikum, Bücher waren dank neu gegründeten Bibliotheken und einer wachsenden Zahl von Buchverkäufern ständig leichter erhältlich. Es ist vielsagend, dass ein Haager Buchhändler, K. Fuhri, 1846

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

135

eine toenemende leeslust onder alle klassen der maatschappij (,zunehmende Lust zum Lesen unter allen Klassen der Gesellschaft‘, Huisman 2008, 44) feststellt. Zudem setzten sich Mitglieder von Gesellschaften und Vereinen mit gedruckten Texten im AN auseinander. So lasen und besprachen Angehörige der im 19. Jh. so beliebten Bibelvereine religiöse in der Schriftsprache verfasste Texte. Wissenschaftliche Gesellschaften organisierten Vorträge, schrieben Preisfragen aus und veröffentlichten Publikationen zu Geschichte, Literatur und Sprache. So verbesserten sich im Laufe des 19. Jh. die Voraussetzungen für die Verbreitung des überregionalen Niederländischen rasch, wie im Weiteren erörtert wird. 3.1.2.1. Belang der Erneuerung des niederländischen Bildungswesens für die überregionale Sprache Für den Unterricht in der Muttersprache, der eine wesentliche Voraussetzung für die Verbreitung des AN darstellt, ist nicht nur die planmässige Neugestaltung der Grundschule in den nördlichen Niederlanden während der französischen Zeit von Bedeutung (vgl. 2.1.3.3.), sondern auch die Entstehung neuer Typen der Mittelschule in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Ob in dieser Zeit, als die Schule nach wie vor die christlichen und gesellschaftlichen Tugenden predigte, von einer Bildungsreform die Rede sein darf, sei dahingestellt. Immerhin strebten die Liberalen danach, die Schule zur Förderung der sozialen Mobilität einzusetzen. Zudem ermöglichten eine zunehmende Zahl Bildungsstätten es Schülern, sich auf ihr Berufsleben vorzubereiten. Dies gilt nicht nur für die 1861 entstandene ambachtsschool (‚Gewerbeschule‘), die Jugendliche zu Handwerkern ausbildete, sondern auch für die 1863 ins Leben gerufene Hogere Burgerschool oder HBS. Sie bereitete mit einem dreijährigen Programm Jugendliche gutsituierter Bürger auf höhere Stellen im Handel und in der Industrie vor und vermittelte das Grundwissen für die Weiterbildung an Landwirtschaftsschulen. Bald wurde diese Form der Ausbildung von der vierbeziehungsweise dreijährigen MULO (‚Hauptschule‘) fast ganz verdrängt. Die ab 1864 vom Staat geförderte HBS mit fünfjährigem Lehrgang diente nicht nur als Vorstufe für das Studium an der polytechnischen Hochschule Delft, sondern auch als Vorbereitung für weitere Universitätsausbildungen. Hauptfächer dieser Mittelschule waren moderne Sprachen und exakte Wissenschaften. Von den neuen Ausbildungsmöglichkeiten machte anfänglich eine bescheidene Zahl von Adoleszenten Gebrauch. So folgten 1900 4 % der Jugendlichen im Alter von zwölf bis neunzehn einer Form der Weiterbildung. Nur 0,4 % der jungen Menschen im Alter von achtzehn bis fünfundzwanzig waren in diesem Jahr an einer Hochschule eingeschrieben. Dennoch sind die Schulreformen des 19. Jh. für die Verbreitung des AN entscheidend. Sie ermöglichten es, dass mehr und mehr Jugendliche nach der Grundschule eine Ausbildung erhielten, die Unterricht im AN einschloss. Zudem besuchten mehrere Schriftsteller und Dichter, die im letzten Viertel des 19. Jh. die niederländische Literatur und Sprache neu belebten, einen der neuen Schultypen. So hatte der von Willem Kloos als ‚Johannes Baptista der modernen Literatur‘ bezeichnete Marcellus Emants (1848–1923), Verfasser naturalistischer Prosa, eine HBS absolviert. Auch einige Dichter der Gruppe der Achtziger, die wesentlich zur Erneuerung der Schriftsprache beitragen sollten (vgl. 3.6.1.2.), erhielten ihre Schulausbildung an einer HBS. Jacques Perk (1859–

136

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

1881), ‚Herold‘ der Achtziger Bewegung, hatte beispielsweise die HBS an der Keizersgracht in Amsterdam besucht. An dieser Schule erteilte ihm Dr. Willem Doorenbos (1820–1906), der mit seinem unabhängigen Geist jüngere Generationen für Erneuerungen begeisterte, Niederländisch-Unterricht. Auch Van der Goes (1859–1939), Gründer der literarischen Gesellschaft Flanor, Willem Kloos (1859–1938), führende Persönlichkeit der Achtziger, und Albert Verwey (1865–1937, vgl. 3.7.2.3., 4.2.4.2.), Lyriker, Schriftsteller und späterer Ordinarius der niederländischen Literaturwissenschaft an der Universität Leiden, zählten zu seinen Schülern. An der aus dem Mittelalter stammenden Lateinischen Schule entstanden im 19. Jh. Abteilungen, die neben Griechisch und Latein auch Fächer wie Naturwissenschaften und moderne Sprachen, wozu Niederländisch zählte, in den Lehrplan aufnahmen. Status und Struktur dieser gymnasia (‚Gymnasien‘) wurden erst 1876 gesetzlich festgelegt. Der Achtziger Frederik van Eeden (1860–1932) hatte nach zwei Jahren HBS in Haarlem noch die Lateinische Schule besucht. Herman Gorter (1864–1927), der als Achtziger mit seinem Gedicht Mei (‚Mai‘, 1889, vgl. 3.7.3.2.) einen ‚neuen Frühling‘ sowie einen ‚neuen Klang‘ een nieuwe lente en een nieuw geluid in der niederländischen Lyrik bewirken sollte, war Schüler des städtischen Gymnasiums Amsterdams. Hier erhielt er Niederländisch-Unterricht von Willem Jacobsz. Hofdijk (1816–1888), Verfasser von u. a. romantischen Balladen. Im Übrigen hat der junge Dichter von seinem Lehrer vermutlich exotische Wörter und ausgefallene, elegante Namen wie diaphaan (‚durchscheinend‘) oder Nijlflamingo (‚Nil-Flamingo‘) kennengelernt, die er in Mei, einem der Hauptwerke der Achtziger, verwendet. Die Wortwahl und die Schöpfung neuer Wörter der an HBS oder Gymnasium in der Muttersprache geschulten Achtziger sollte die Entwicklung der niederländischen Schriftsprache mit prägen, vgl. 3.6.1.2. 3.1.2.2. Zunehmende Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen durch Medien 3.1.2.2.1. Presse Nach wie vor waren im 19. Jh. pamfletten (‚Flugschriften‘) bei grösseren Bevölkerungsgruppen beliebt. In den relativ toleranten Niederlanden zeigten Drucker sich immer wieder bereit, Blätter mit kritischen Texten, auch von umstrittenen ausländischen Verfassern, herzustellen. Jährlich erschienen einige Tausende pamfletten mit Inhalten, die die Leser informieren, überzeugen beziehungsweise amüsieren sollten. Sie vermittelten Nachrichten in Dicht- und Liedform, die man sich dank dem Reim leicht merken konnte, enthielten Proklamationen der Behörden, Berichte, Abhandlungen, Vorträge und Leserbriefe mit unverkennbaren Meinungen oder auch Gedichte und fiktive Dialoge. Neben Information und Unterhaltung konnten die Texte, die an öffentlichen Stellen vorgelesen wurden, redaktionelle Stellungnahmen umfassen. So sind die bunten Blätter mit ihrer Fülle an Textgattungen und mit den oft kritischen Beiträgen als Vorreiter einer Erneuerung der journalistischen Tätigkeit im 19. Jh. zu betrachten, wie R. de Graaf darlegt. Diese sollte bald auch international, namentlich in der englischsprachigen Welt mit dem new journalism die Modernisierung der Presse einläuten. Da Flugblatt-Texte durch die Bevölkerung gerne gelesen, gesungen, vorgelesen beziehungsweise gehört wurden, stellten sie ein viel verwendetes Medium in der regionalen und überregionalen Kommunikation dar.

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

137

Dagegen richtete sich eine Zeitschrift wie der 1837 gegründete De Gids (‚Der Leitfaden‘) mit den Redakteuren Everhardus Johannes Potgieter und Reinier Bakhuizen van den Brink (1810– 1865) an eine geistige Elite. Diese noch immer bestehende literarische und allgemein kulturelle Zeitschrift gehört zu den ältesten Publikationen dieser Art in der Welt. Übrigens erhielt De Gids, der anfänglich mit einem blauen Umschlag erschien, wegen seiner kritischen Beiträge den Spitznamen de blauwe beul (‚der blaue Henker‘). Mit ihren ausgefeilten Aufsätzen namentlich zu Literatur und Kultur trugen die Mitarbeiter, zu denen auch Conrad Busken Huet (1826–1886) zählte, zur Kultivierung der niederländischen Schriftsprache bei. Anders als ein Schriftsteller wie Multatuli unterschieden sie zwischen dieser gepflegten Schriftsprache, die auch als Medium für Predigten und Vorträge diente, und der ‚gemeenzame spreek-taal‘ (‚gemeinsame gesprochene Sprache‘). Eine entgegengesetzte Haltung zur Sprache vertraten die Achtziger, die ab 1885 über eine eigene Zeitschrift mit dem programmatischen Titel De Nieuwe Gids (‚Der neue Leitfaden‘) verfügten. Die jungen Lyriker und Schriftsteller dieser Generation wehrten sich vehement gegen die gekünstelte Sprache und Literatur ihrer älteren Zeitgenossen, mit der gängigen literarischen Kritik rechneten sie ab, vgl. 3.7.2.2. Bezeichnenderweise ist für Albert Verwey der grösste Ehrgeiz zóó te schrijven dat het is alsof ik sprak (‚so zu schreiben, dass es ist als ob ich sprach‘). In Flandern trugen Pol de Mont (1857–1931), Förderer der flämischen Kultur und Wegbereiter der VanNu-en-Straks-beweging (‚Von-jetzt-und-nachher-Bewegung‘) und Prosper van Langendonck (1862–1920), Mitgründer der Zeitschrift Van Nu en Straks (1. Reihe 1893–1894, 2. Reihe 1896– 1901) ähnlich zu den Erneuerungen der Literatur und Sprache bei. Zwar sind diese Zeitschrift und De Nieuwe Gids ebenso wenig wie De Gids als Massenmedium einzustufen, sie wirkten aber dank den Auffassungen der jungen Dichter-Generation nachhaltig auf die Entwicklung des Niederländischen zu einer natürlichen Sprache. Die Zusammenarbeit zwischen Persönlichkeiten wie Frederik van Eeden, Frank van der Goes, Willem Kloos, Albert Verwey oder Willem Paap gelang nur einige Jahre, in den Neunzigerjahren verlor ihre Zeitschrift an Bedeutung. Vor allem dank der Pressefreiheit ist in Belgien schon früh eine zunehmende, allerdings eher auf Frankreich orientierte kulturelle Aktivität zu verzeichnen, die aber auch die Perspektiven des Niederländischen verbessern konnte. Bald druckten Firmen im Süden, was in der Heimat ausländischer Verfasser verboten war. Laut J. Art (AGN 11, 150) zählte 1815 nur schon Brüssel 20 Drucker, 1838 waren dies bereits 53, die mehr als 800 Typografen beschäftigten. Für zirka 30 der im Süden erscheinenden Blätter musste 1828 Stempelgeld entrichtet werden. Zwanzig Jahre später betrug die Zahl solcher zeitungsähnlichen Veröffentlichungen 202, wovon 52 niederländischsprachig waren, die Gesamtzahl der Abonnenten von Periodika betrug über 60.000. Nach wie vor leisteten sich im neuen niederländischen Staat wegen der sehr hohen Stempelsteuer, sie betrug 1832 beispielsweise 2,5 Cent pro Exemplar, nur wohlhabende Bürger Zeitungen. Die Leser hatten die Wahl aus einer grösseren Zahl Stadtzeitungen, wozu auch die 1752 gegründete Leeuwarder Courant (‚Leeuwarder Zeitung‘) gehört, die bis heute erscheint. Die Herausgeber waren bestrebt, den Absatz zu steigern und breitere Leserschichten für ihre Veröffentlichungen zu gewinnen. Dazu erhöhten sie die Preise für Inserate, verbilligten die Zeitungen und steigerten die Erscheinungsfrequenzen. Als erste niederländische Zeitung erschien 1830 das Algemeen Handelsblad (‚Allgemeines Handelsblatt‘) täglich. Anfänglich berichteten die Jour-

138

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

nalisten über internationale Ereignisse und Geschehnisse, die für Kaufleute von Interesse waren, nun veröffentlichten sie auch nationale Nachrichten. Zudem erhielten im Laufe des Jahrhunderts lokale Neuigkeiten vermehrt Aufmerksamkeit. Auch für die politische Auseinandersetzung räumten die Redaktionen seit den Dreissigerjahren Platz ein, weiter schrieben die Journalisten über solche unterschiedliche Themen wie Religion, Kultur, Landwirtschaft, Kriminalität oder Katastrophen. Dafür gerieten die internationalen Neuigkeiten zunehmend in den Hintergrund. Inzwischen nahm die Konkurrenz auf dem Zeitungsmarkt zu, mit Geschenken und Prämien warben die Herausgeber um Abonnenten. Allmählich entstanden Massenzeitungen, wie R. de Graaf ausführt, so in Groningen zum Beispiel die 1829 gegründete Veendammer Courant (‚Veendamer Zeitung‘). Nach dem Rücktritt Wilhelms I. schritten die Behörden zwar weniger gegen die Presse ein, aber erst das Grundgesetz von 1848 brachte die Pressefreiheit. Allerdings bedeutete die Stempelsteuer, die ab 1845 auch für Blätter kleinerer Formate wie die lilliputter-Zeitungen (vgl. 2.1.3.2.1.) und die Flugschriften galt, ein Hemmnis für die Entwicklung des Zeitungswesens. Die Unzufriedenheit über diese Abgabe wuchs, 1867 wurde gar ein Bund gegen Stempelsteuer gegründet. Trotz Widerstand König Wilhelms III., der politische Hetzerei befürchtete, beseitigte das Parlament zwei Jahre später das Stempelrecht auf Drucksachen und Inseraten. Die Presse konnte sich nun frei entfalten, neue Zeitungen ersetzten die traditionellen Stadtblätter, bestehende kranten erhielten einen grösseren Umfang, die Zahl der Artikel pro Ausgabe stieg im Durchschnitt mit 20 %. Diente die Presse anfänglich als Sprachrohr der Behörden, so entwickelte sie sich nun zu einer kontrollierenden Instanz in der Gesellschaft, manche Zeitung wurde laut R. de Graaf zum Wachhund. Als im Süden Afrikas Joseph Suasso de Lima (vgl. 2.1.3.2.1.) Bankrott machte, gründete 1830 sein ehemaliger Freund Charles Etienne Boniface das Nachrichtenblatt De Zuid-Afrikaan. (‚Der Südafrikaner‘). Diese Zeitung, die anfänglich ein Mal pro Woche erschien, war englischund niederländischsprachig. Ein Jahrhundert lang bekämpfte diese pro-afrikaanse Zeitung die Staatskunst der Briten, die englische Sprachpolitik in Afrika lehnte sie ab. Inzwischen wurde Niederländisch die offzielle Sprache der von den Briten 1852 beziehungsweise 1854 anerkannten Bure-Republiken Transvaal und Oranje Vrijstaat. Nicht nur in diesen Staaten, sondern auch in den von den Briten verwalteten Gebieten sollte sich die niederländische Sprache behaupten, vgl. 3.1.2.5.2. So wurden im Laufe des 19. Jh. immer wieder neue niederländischsprachige Zeitungen im südlichen Afrika herausgegeben. In Grahamstad erschien beispielsweise ab 1844 Het Kaapsche Grensblad, Natal kannte die De Natalsche en Pietermaritzburgsche Trouwe Aanteekenaar, in Pretoria erschien 1895 eine erste niederländische Tageszeitung. Zwar kamen im Süden Afrikas viele Dutzende niederländische Blätter in den Handel, die Bedeutung der afrikanischen Presse für die Vermittlung der niederländischen Schriftsprache ist aber nicht zu überschätzen. So waren die Stückzahlen der Blätter recht bescheiden: einige Zeitungen erschienen in einer Auflage von 2000 Exemplaren, von anderen wurden jeweils nur 150 Exemplare gedruckt. Der von den Protestanten gebrauchten niederländischen Bibel, der Statenvertaling, ist daher wohl mehr Gewicht für die Verbreitung und die Erhaltung des Niederländischen im Süden Afrikas zuzuschreiben als der Presse. Bauern, die nach Südafrika emigrierten, nahmen ihre Bibel mit, die Statenvertaling wirkte bis Ende des 19. Jh. als Richtschnur im Leben der Buren.

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

139

In den Niederlanden gründeten im letzten Viertel des 19. Jh. diverse gesellschaftliche Gruppierungen eigene Presseorgane. So verfügte Abraham Kuyper, geistlicher Leiter der kleine luyden (‚kleine, einfache Leute‘) ab 1872 über eine eigene Tageszeitung, De Standaard. Seine Anhänger, orthodoxe Christen, waren 1834 aus der Nederlandsche Hervormde Kerk ausgetreten und hatten sich 1892 mehrheitlich den Gereformeerde Kerken in Nederland angeschlossen. Die Sozialdemokraten veröffentlichten von 1879 bis 1900 Recht voor allen (‚Recht für Alle‘). Das von Ferdinand Domela Nieuwenhuis herausgegebene Blatt, das öfter wöchentlich herauskam und einige Zeit als Tageszeitung mit Auflagen von 30.000 Exemplaren erschien, wurde auf der Strasse angeboten. Während die Bedeutung des Flugblattes als journalistisches Medium im letzten Viertel des 19. Jh. rasch abnahm, entfaltete sich das Zeitungswesen. Bald hielten Reportage, Interview, Feuilleton und redaktioneller Kommentar ihren Einzug in die Zeitung. So wurde sie für immer mehr Leser attraktiv. Die Zeitung wuchs zum bedeutendsten Massenmedium im ersten Viertel des 20. Jh. an und trug auf eine bis dahin ungekannte Weise zur Verbreitung des AN bei. 3.1.2.2.2. Theater In der Zeit des belgischen Aufstandes schaute sich das Theaterpublikum im Norden gerne Bühnenstücke mit nationalen Helden wie Wilhelm von Oranien oder den Admiralen Michiel de Ruyter und Maarten Tromp an. Beliebt waren auch Aufführungen, welche die Zeitgeschichte thematisierten oder ihren Spott mit den Belgiern trieben wie Jacob van Lenneps Komödien Het dorp aan de grenzen 1830 (‚Das Dorf an den Grenzen‘) und Het dorp over de grenzen 1831 (‚Das Dorf über den Grenzen‘). So amüsierten sich die Zuschauer mit Texten wie: Wat is een Belgisch dagblad toch? Een mengelmoes van snood bedrog, Van logentaal en zotternij, Van lastering en huichlarij. Waar ’t schelden moet de plaats bekleên, Van wijze en weldoordachte reên. Een warboêl, die ons alles biedt, Alleen de waarheid niet. (Van Lennep 1831, 2) (‚Was ist doch eine belgische Tageszeitung? Ein Sammelsurium von schnödem Betrug. Von lügenhafter Sprache und Verrücktheit, von Lästerung und Heuchelei. Wo das Schimpfen den Platz von weisen und gut überlegten Argumenten einnehmen muss. Ein Wirrwarr, der uns alles bietet, nur die Wahrheit nicht‘) Zudem wurden weiterhin Renaissancedramen, klassizistische Trauerspiele und bürgerliche Komödien aufgeführt. In Städten wie Den Haag und Amsterdam fanden sowohl französische wie auch niederländische Theater- und Opernvorstellungen statt. Neue Dramen waren vor allem bei

140

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

den mittleren und oberen Bevölkerungsschichten beliebt. In Amsterdam waren sie beispielsweise mehrheitlich im französischen und hochdeutschen Theater anzutreffen. Das Amsterdamer Schauspielhaus zeigte zur Enttäuschung manchen gebildeten Zuschauers immer mehr Melodrama und Veaudeville für ein breiteres Publikum. In populären kleineren Theatern konnte man sowohl hochwertige Opern wie auch Vorführungen geschickter Zauberer geniessen. Nach den Vorstellungen verwandelte sich manches Theater in eine Tanzhalle. Für das niederländischsprachige Theater interessierten sich im 19. Jh. hauptsächlich die weniger Privilegierten und der Mittelstand, auch die Schauspieler gehörten zu diesen sozialen Klassen. Nicht jedem Theaterliebhaber gefiel das damalige Theater, der Literatur- und Theaterhistoriker J.A. Worp bezeichnet in seiner Geschichte des Amsterdamer Schauspielhauses die Periode 1820 bis 1872 gar als eine Zeit des Zerfalls. Zahllose Äusserungen belegen, dass die damalige kulturelle Elite die ‚holländische‘ Unterhaltung auf der Bühne gering schätzte. Kritiker tadelten neben dem Repertoire und der Qualität der Akteure auch den Sprachgebrauch. So bezeichnet Klikspaan (Pseudonym von Johannes Kneppelhout, 1814–1885) die Sprache einer Schauspielerin als een astmatisch gebalk (‚ein asthmatisches Iahen‘, vgl. Van Deelen 1996). Die Schauspieler arbeiteten gar fleissig am Zerfall der Muttersprache und ihrer Aussprache: [zij arbeiden ijverig tot] het verval der moedertaal en ook tot het verval harer uitspraak, van welke laatste inzonderheid de tooneelspeler de groote wetgever behoorde te wezen. Maar zij kennen niet eens de taal, welke zij uitspreken. Kom maar eens mede, zoo gij moed hebt, en luister naar onze misselijke zoogenaamde Nastukken, toonbeelden van wat het Hollandsch oor al niet geleerd heeft te verdragen en het Hollandsch oor zelfs niet zou behooren te verstaan. (Kneppelhout 1885, 93) (‚ [sie arbeiten fleissig am] Zerfall der Muttersprache und auch am Zerfall ihrer Aussprache; von letzterer insbesondere gehörten sie der grosse Gesetzgeber zu sein. Aber sie kennen die Sprache nicht Mal die sie sprechen. Komm Mal mit, wenn Du Mut hast, und lausche die widerlichen sogannten Zugaben, Musterbeispiele von allem dem was das holländische Ohr hat lernen müssen zu ertragen; es gehörte sich selbst nicht, dass das holländische Ohr das verstehen würde.‘) Zur Aussprache der Akteure meint Kneppelhout: Nu de uitspraak van die taal ! Algemeene regel en waarschuwing : wilt gij weten, hoe het Hollandsch niet behoort te worden gesproken, zoo ga en zet u neder in den Amsterdamschen, in den ’s-Gravenhaagschen schouwburg, luister en ijs ! Allerlei tongvallen, allerlei kruiwagentaal. Hier plat Rotterdamsch, daar plat Haagsch, ginds plat Amsterdamsch. Dan weder werktuiglijke gebreken : eene dikke tong, een korte adem, eene heesche, onbuigzame, houten keel, een broddelbek, waarin de lettergrepen onverstaanbaar in elkander vloeien, als woorden op vochtig papier, eene punch-, eene jeneverstem, eene stem, noch door studie geleid, noch door vlijtige oefening gekneed; nergens eene stem, die, liefelijk gebogen, aangenaam klinkt ; alles op een

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

141

zeker vast deuntje, even belachelijk als zelfbehaaglijk en aanmatigend opgedreund, voor geen halven cent natuur, taalfouten, waarvoor een schooljongen op de billen zou krijgen, bij het mud, en de verzen, zoo zij er zich aan bezondigen, naar willekeur verkort en verlengd, wemelen van hiaten en verkeerde klemtonen. (Kneppelhout 1885, 93–94) (‚Jetzt die Aussprache dieser Sprache! Allgemeine Regel und Warnung: möchtest Du wissen wollen, wie das Holländische nicht ausgesprochen werden soll, so geht ins Amsterdamer, ins Haager Schauspielhaus, setz Dich, lausche und schaudre! Alle mögliche Mundarten, alle mögliche Handwerkersprache. Hier vulgäre Rotterdamer Mundart, da gemeiner Haager und dort primitiver Amsterdamer Dialekt. Dann wieder technische Mängel: eine dicke Zunge, Kurzatmigkeit, eine heisse, unbiegsame, hölzerne Kehle, ein Pfuschmaul worin die Silben unverständlich ineinander zusammenfliessen wie Wörter auf feuchtem Papier, eine Punsch- eine Schnapsstimme, die, wenn sie lieblich angewandt würde, angenehm tönte; alles abgedroschen, genauso lächerlich wie selbstherrlich und überheblich aufgesagt, keinen roten Heller Natur, Sprachfehler für die ein Schuljunge reichlich Prügel bekäme, und die Verse, wenn sie sich schon daran schuldig machen, willkürlich eingekürzt und verlängert, wimmeln von Hiaten und falschen Betonungen.‘) Die jährliche stattfindende Aufführung von Vondels Tragödie Gysbreght van Aemstel 1841 empfindet ein Rezensent als ein Martyrium, die Aussprache des Schauspielers Jan Hendrik Hoedt tut er laut B. Albach als hortend vaersgekrasch en jankend regelsbraken (‚holperndes Verse-Gekrätze und heulendes Erbrechen von Zeilen‘) ab. In Belgien, wo 1840 mit der Genter Gesellschaft IJver doet Leren (‚Fleiss fördert das Lernen‘) eine flämische Schauspieltradition entstand, lernten die ‚begabten Amateure‘ nur mangelhaft Niederländisch, wie Willem Rogghé (1824–1896), selbst Verfasser einiger romantischer Schauspiele und Übersetzer von Theaterstücken aus dem Französischen, beanstandet: Men sprak er Nederlansch op zijn Fransch; niemand hield rekening van de eischen en den geest onzer taal, men aapte geheel en al den redeneertrant der Fransche tooneelisten na. (Demedts 1996, 408–409) (‚Man sprach Niederländisch auf französische Art und Weise; niemand beachtete die Anforderungen und den Geist unserer Sprache, man äffte gänzlich die Redekunst der französischen Schauspieler nach.‘) Die Zuschauer hörten zudem nicht selten Mundart, so Genter Dialekt, sogar aus dem Mund Karel Ondereets, der 1860 der erste Lehrer für Vortragskunst am Konservatorium wurde. Folglich trug auch im Süden das Theater wohl kaum zur Vermittlung einer gepflegten überregionalen Sprache bei. Für die Stellung des Niederländischen in Belgien ist das Theater allerdings von nicht zu unterschätzender Bedeutung, vgl. 3.4.

142

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Im Sommer zählten belgische Theatergruppen zu den gern gesehenen Gästen in den Niederlanden, der flämische Schauspieler Victor Driessens war im Norden ebenso beliebt wie seine Schülerin Catharina Beersmans. Zum Direktor des wieder aufgebauten Amsterdamer Schauspielhauses brachte Driessens es 1873 allerdings nicht, wohl weil die Presse laut F. Peeters fürchtete, dass seine flämische Sprache sich auf der niederländischen Bühne einbürgern könne. Übrigens hielt der Schriftsteller, Journalist und Kritiker Josephus Albertus Alberdingk Thijm (1820–1889), Gründer und Besitzer der katholischen kulturellen Zeitschrift Dietsche Warande, die von den flämischen Schauspielern verwendete ‚durchschnittliche‘ Mundart für bedeutend weniger störend als die Sprache vieler ‚holländischer‘ Akteure. Letztere seien Menschen einer Sorte, (…) die niet eens hare taal verstaat, maar in plaats daarvan gemeen Jordaansch, of gemeen Leegerfsch of Langelijnstraatsch spreekt; (Jonckbloet 1892, 269–270) (‚[…] die nicht mal ihre eigene Sprache versteht, dafür aber die gemeine Sprache gewisser Stadtbezirke und bestimmer Strassen, so des Jordaan-Viertels oder der Langelijnstrasse spricht oder gemeines Leegerfsch verwendet;‘) In einem Empfangszimmer machten Grafen, ausgestattet mit Hutten, laut Alberdingk Thijm in gemeiner Amsterdamer Mundart Baroninnen den Hof, die in gemeiner Rotterdamer Mundart schwatzten: graven met de hoeden op, maakten in een salon in plat Amsterdamsch het hof aan plat Rotterdamsch keuvelende baronessen! (Worp 1920, 267) Der Sprachgebrauch manchen belgischen Schauspielers störte laut dem gleichen Kritiker weniger als het plat-Haags, Haarlemmerdijks of Jodenbreestraats van vele Hollandsche spelers (‚der gemeine Haager Stadtdialekt oder die Gassensprache von [den Bewohnern von Amsterdamer Strassen wie] Haarlemmerdijk oder Jodenbreestraat [ungepflegte Sprachvarietäten], die viele holländische Schauspieler verwenden‘). Allerdings stiess die Sprache flämischer Akteure bei anderen Journalisten, insbesondere in Belgien auf Ablehnung. So schreibt 1859 ein Rezensent in der flämischen Zeitung De Eendragt (‚Die Eintracht‘): Sedert vijf jaar, gelijkt ons Nationael Tooneel zeer veel op den toren van babel en zelfs wel wat op de ark van Noë. Behalve dat de tooneelisten zich moeilijk door het publiek doen verstaan, zijn ze soms voor elkaar nog duister op vele plaatsen, waaruit niet zelden de ongerijmdste antwoorden voortkomen. (Peeters 1996 [a], 437)

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

143

(‚Seit fünf Jahren ähnelt unser Nationael Toneel sehr stark dem Turm Babels oder gar der Arche Noahs. Nicht nur können sich die Schauspieler schwierig beim Publikum verständlich machen, sie begreifen einander an vielen Stellen nicht einmal, ungereimte Antworten sind die Folge.‘) Dass Akteure auch später nicht auf Dialekt verzichteten, geht u. a. aus dem Bericht des Preisgerichtes eines Wettbewerbs in Redegewandtheit 1871 hervor. Die Preisrichter stellten namentlich den dialektischen Sprachgebrauch der Teilnehmer, wozu auch Mitglieder des Nationael Toneel zählten, an den Pranger, wie F. Peeters festhält. Kommerzielle Überlegungen hatten bewirkt, dass ab den Vierzigerjahren das Schauspielhaus in den Niederlanden vermehrt zu einem Ort der Belustigung des Publikums wurde. Spektakel und Melodramatik waren angesagt, übersetzte Dramen von Autoren wie August Wilhelm Iffland (1759–1814) oder August von Kotzebue (1761–1819) standen auf dem Spielplan. Befürworter eines nationalen Theaters in den Niederlanden missbilligten derartige volkstümliche Vorführungen. Alberdingk Thijm hielt die Bühnenkultur seiner Zeit gar für einen ‚dampfenden Schlammtümpel‘. Aufführungen realistischer Dramen durch Rotterdamer Schauspieltruppen dürften denn auch erfrischend gewirkt haben. Als Beispiel der Verwendung der Sprache auf der niederländischen Bühne während der zweiten Hälfte des 19. Jh. ist die Schauspielkunst von einem Akteur wie Louis Jacques Veltman (1817–1907) zu nennen. Laut B. Albach bescheinigt der Theaterkritiker Rössing ihm in seiner Rolle von Gysbreght einen Sprachgebrauch mit archaischem Charakter: seine Stimme töne eigenartig, als ob sie aus früherer Zeit, aus dem Mittelalter käme. So erhält Vondels Schriftsprache des 17. Jh. auf der Bühne des 19. Jh. altertümliche, angeblich mittelalterliche Züge der Sprache des 14. Jh. Rhetorikervereine, die ihre Blütezeit im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit gekannt hatten, erlebten seit der Mitte des 19. Jh. eine Renaissance. Ende der Fünfzigerjahre gab es 70 solcher Vereine, zwanzig Jahre später hatte sich diese Zahl verdreifacht. Insgesamt haben im 19. Jh. über 900 Rhetoriker-Kammern, Vortragsinstitute beziehungsweise Deklamations-Vereine bestanden. Ein Rhetorikerverein verfügte in der Regel über ein Dutzend werkende leden, d. h. aktive Mitglieder, die sich um Texte und Aufführungen kümmerten. Einige Male pro Jahr veranstalteten sie Vorstellungen für die Hunderte kunstlievende leden (‚kunstliebende Mitglieder‘) ihrer Vereine. Die Amateurschauspieler dieser Gesellschaften, die sich in den Grossstädten genauso wie in den kleinsten Dörfern niedergelassen hatten, boten anspruchslose Unterhaltung. Kein Wunder, dass die Gesellschaft Nut van ’t Algemeen (‚Gemeinnützige Stiftung‘), die sich für die geistige Entwicklung des Volkes einsetzte, versuchte, das Niveau des Theaters zu heben. Dazu eröffnete sie 1868 eine Theaterschule, die 1874 als Toneelschool in Amsterdam vom vier Jahre zuvor gegründeten Nederlandsch Tooneelverbond (‚Niederländischen Theaterverband‘) betreut wurde. Dieser Verein mit seinem energischen Vorsitzenden Hendrik Jan Schimmel (1823–1906), Verfasser von feierlich formulierten vaterländischen Dramen wie Joan Wouters 1847 oder Oranje en Nederland 1849 (‚Oranien und die Niederlande‘), versuchte ebenfalls das Niveau der Bühnenkunst anzuheben. Anfänglich förderten die Abteilungen des Ver-

144

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

bandes in den Niederlanden und Belgien das Theater erfolgreich, bald aber enttäuschte er die Erwartungen. So fürchteten die belgischen Mitglieder, dass der Verband die Schauspielkunst zu wenig für den Kampf der flämischen Bewegung einsetzen würde. Bald übernahmen junge, ausgebildete Schauspieler, die die Amsterdamer Theaterschule besucht hatten, die Initiative zur Erneuerung des Theaters. Auch wenn schliesslich dank solcher Anstrengungen und Initiativen die Schauspieler vermehrt AN sprachen, so dürften sie nicht selten ein unnatürliches, feierliches Niederländisch benutzt haben. Auch in der Kirche und während öffentlichen Vorträgen, beispielsweise von Multatuli waren derartige gesprochene Formen der Schriftsprache zu hören. Theatermacher meinten, die Schauspielkunst verlange eine gehobene Sprache, wie R.H. Leek darlegt. Bezeichnenderweise orientierten sich die Übersetzer, die ihre Texte für Leser statt für Akteure verfassten, an der feierlich wirkenden Schriftsprache. So ist zu verstehen, dass ein Kritiker Leendert Burgersdijk (1828–1900) vorwarf, er befolge in seinen Shakespeare-Übersetzungen die Grammatikregeln des Niederländischen zu halsstarrig statt die gesprochene Sprache in seinen Texten zu verarbeiten. Übrigens sollten die niederländischen Versionen von Werken des englischen Dichters noch längere Zeit einen feierlichen Charakter behalten. Erst einem Lyriker wie Martinus Nijhoff (1894–1953) gelang es in den Dreissigerjahren des 20. Jh., die ursprünglichen Texte ins natürliche Niederländische seiner Zeit umzusetzen. Im letzten Viertel des 19. Jh. waren die Theatermacher folglich vermehrt bestrebt, auf der Bühne ein beschaafd (‚zivilisiertes‘), gepflegtes Niederländisch zu verwenden. Sie förderten so die Festigung des AN sowohl bei den Tausenden Amateur- und Hunderten Berufsakteuren als auch bei ihrem Publikum. Weiter hielt mit dem naturalistischen Drama die natürlich gesprochene Sprache am Ende des 19. Jh. ihren Einzug ins Theater. So war während den Aufführungen von Schauspielen des erfolgreichen Theatererneuerers Herman Heijermans (1864–1924) die lebendige Sprache von Vertretern der unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten wie beispielsweise von Reedern, Fischern (vgl. 4.2.2.1.) oder Kumpeln im Schauspielhaus zu hören. Das Theater konnte so auch zur Verbreitung von gesprochenen Formen des AN mitwirken. Die hier zitierten Äusserungen von Zeitzeugen deuten darauf hin, dass sich die grosse Mehrheit der Schauspieler bis zu den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. weder in den Niederlanden noch in Belgien eines gepflegten, überregionalen Niederländischen bediente. Vielmehr ist die Rede von einer bedenklichen Artikulation und der Verwendung der unterschiedlichsten Sprachvarietäten, die sich ein Mal durch Merkmale flämischer Dialekte, dann wieder durch die Eigenheiten Haager, Rotterdamer beziehungsweise Amsterdamer Sprachformen oder durch jiddische Charakteristika kennzeichneten. In den Niederlanden bemängeln die Rezensenten insbesondere die Verwendung von gemeinen Sprachformen, die in gewissen Bezirken holländischer Grossstädte vorkommen, wie beispielsweise plat Haags oder Jordaans. Übrigens hielten die gebildeten Bürger bereits in früheren Zeiten die Sprache städtischer Volksviertel anders als regionale Dialekte für ungepflegt. Bezeichnenderweise bezweifelt im 18. Jh. der Grammatiker Willem Séwel, dass die Merkmale gemeiner städtischer Varietäten, die einer regionalen Geltung entbehren, als ‚gutes‘ Niederländisch einzustufen wären. Auch heute lässt sich ein Unterschied in der Wertschätzung von städtischen und regionalen Dialekten in den Niederlanden feststellen: Stadtdialekte

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

145

wie u. a. Amsterdamer, Rotterdamer, Haager oder Utrechter Varietäten des Niederländischen gelten bei einem Grossteil der Bevölkerung als unkultiviert. Sodann beanstanden im 19. Jh. die Theaterkritiker in Belgien nicht nur, dass Akteure Dialekt sprechen, sondern auch dass sie auf der Bühne ihre Mundarten durcheinander verwenden, einander nicht verstehen und für das Publikum unverständlich sind. Offenbar waren sich die Theaterrezensenten wie auch die Förderer eines anspruchsvollen Theaters in den Niederlanden und Belgien im 19. Jh. des Bestehens eines gepflegten, dialektfrei gesprochenen Niederländisch bewusst. Sie wünschten sich jedenfalls den Gebrauch des AN im Schauspielhaus, dialektische Sprachvarietäten während den Vorstellungen lehnten sie ab. Andererseits scheinen sich weder die Akteure noch das Publikum während melodramatischen Vorstellungen und Aufführungen von Spektakelstücken ernsthaft um die Sprache gekümmert zu haben. Anscheinend störten die dialektischen Varietäten nicht oder sie fielen den in der Regel nur wenig gebildeten Darstellern und Zuschauern gar nicht auf. Es dürfte einleuchten, dass weder in den Niederlanden noch in Belgien ein ‚Bühnenniederländisch‘ bestand, das eine Vorbildfunktion bei der Etablierung des gesprochenen AN erfüllte – die niederländische Sprache kennt den Begriff nicht einmal. Wohl bot die Theater- und Deklamationskultur des 19. Jh. im gesamten Sprachgebiet vielen Tausenden Menschen, so Schauspielern, Zuschauern und Mitgliedern von Rhetorikervereinen, Vortragsinstituten und -Vereinen die Gelegenheit, sich in verschiedenen Formen eines gesprochenen Niederländischen und mit in der Schriftsprache verfassten Texten zu befassen. Erst durch die Erneuerungen des Theaters und die Ausbildung von Akteuren im letzten Viertel des 19. Jh. wurde die Verwendung der Schriftsprache auf der Bühne zur Selbstverständlichkeit. Sodann förderten naturalistische Dramen den Gebrauch des lebendigen, gesprochenen Niederländischen im Schauspielhaus. Der flämischen Theaterkultur kam zudem die Stellung des Niederländischen in Belgien zugute. 3.1.2.2.3. Rezeption von Büchern Sodann stellt sich die Frage, inwiefern Bücher die Verbreitung des AN im Laufe des 19. Jh. fördern konnten. Nahmen literarische Werke eine besondere Stellung bei der Vermittlung einer dialekt- und soziolektneutralen Sprache ein? Für die Vermittlung der niederländischen Schriftsprache im 19. Jh. ist die Bibel weiterhin als wichtigste Veröffentlichung in Buchform zu betrachten, vgl. 2.1.3.2.3. Auch sonstige religiöse Werke trugen zur Verbreitung des Niederländischen unter allen Bevölkerungsschichten bei. Ansonsten konsumierte die Mehrheit der Bevölkerung aber nur schüchtern Bücher. Zwar versuchten Vereine wie die Maatschappij tot Nut van het Algemeen (‚Gemeinnützige Stiftung‘) das Lesen ‚guter Bücher‘ namentlich bei weniger Gebildeten zu fördern; allerdings machten diese anfänglich nur bescheiden von den Bibliotheken der Maatschappij Gebrauch. Ohnehin bestand noch immer Furcht vor dem schädlichen Einfluss des Lesens. So bekämpfte die katholische Kirche die von ihr verbotenen Bücher, Werke von Multatuli durften Katholiken beispielsweise nicht lesen, sozialistische Zeitungen waren tabu. Verwalter von katholischen Bibliotheken hielten namentlich Veröffentlichungen mit vermeintlich unsittlichen Inhalten, mit sozialistischen Sympathien oder mit Kritik an der Kirche von ihren Kollektionen fern. Protestan-

146

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

ten sorgten sich ebenfalls um das Leseverhalten der Bevölkerung. Auch bei ihnen waren Bücher, die zu Unsittlichkeit anstifteten, sozialistische Ideale verkündeten oder den wahren Glauben in Frage stellten, verpönt. Die vornehmen Verwalter von Volksbibliotheken und Vorstandsmitglieder von Lesegesellschaften verzichteten genauso auf die Beschaffung von Büchern, die sie als unerwünscht für die einfachen Leute betrachteten. Gleichwohl besassen sie selbst nicht selten Werke von Schriftstellern wie beispielsweise Émile Zola, die sie in den Bibliotheken nicht zuliessen. Sodann lasen insbesondere Männer der oberen Schichten pikante Bücher vorzugsweise auf Französisch. Die Herstellung und der Vertrieb von Büchern steigerten sich im 19. Jh. signifikant. So existierten im 19. Jh. in den Niederlanden zirka 1900 Buchhandlungen. Wie sehr sich das Lesen im Laufe des 19. Jh. unter allen Bevölkerungsschichten einbürgerte, zeigt das willkürlich gewählte Beispiel der 1896 gegründeten Bibliothek der Gewerkschaft der Diamantarbeiter in Amsterdam. Diese boekerij (‚Bücherei‘) erfreute sich bereits um die Jahrhundertwende einer beachtlichen Nachfrage. Aus den Archiven der ANDB-Bibliotheek geht hervor, dass damals schon 679 Mitglieder dieser Gewerkschaft, davon 167 Frauen, regelmässig ein Buch bezogen, und zwar im Durchschnitt 34 Bücher pro Person und Jahr. Obschon das Angebot der 1900 noch bescheidenen Bibliothek nur zu 45 % aus Belletristik bestand, zählten 70 % der ausgeliehenen Werke zu dieser Kategorie. Bald wurde jährlich über 23.000 Mal ein Band von den Gewerkschaftmitgliedern, gratis, geliehen. Zu den bei den Diamantarbeitern beliebtesten Büchern gehören ‚sozial-realistische‘ Romane von Émile Zola, Justus van Maurik, Multatuli und Charles Dickens, sodann die ‚Klassiker‘ von Bosboom-Toussaint, Van Lennep und Hildebrand, schliesslich auch unterhaltsame Lektüre von heute vergessenen Autoren (Van der Zwan 2006). Gegen Ende des 19. Jh. gehörte Lesen zunehmend zum Alltag der Bevölkerung, auch wenn mancher es noch für gefährlich hielt, dass Frauen und Mädchen mit ihren leicht beeinflussbaren Seelen sich mit Lektüre abgaben. Kommerzielle Bibliotheken verbuchten immer mehr Erfolge, für wenig Geld konnten die Kunden sich ein Buch leihen. Bücher aller Art wurden so für jeden zugänglich, literarische Werke waren genauso erhältlich wie Sachbücher oder gar prickelnder Lesestoff, der in pseudo-medizinischen oder sogenannten historischen Veröffentlichungen zu finden war. So umfasste beispielsweise die Reihe Van Klaveren’s Realistische Bibliotheek Titel vom Typus Liefde eener gevallen Vrouw (‚Liebe einer gefallenen Frau‘), Meisjesoffers (‚Mädchenopfer‘) oder Hercules Eros. Zur Wahl eines unbedenklichen Buches konnten für die weniger gebildeten Leser Empfehlungen von Pfarrern, Buchbesprechungen und Ratschläge in Zeitschriften für Zielgruppen wie junge Frauen oder christliche Familien hilfreich sein. Zudem bot die Auswahl einer Veröffentlichung aus einer gutbekannt bestehenden Bücherreihe einem verunsicherten Interessenten die Gewissheit, ohne Risiko die richtige, nicht-schädliche Lektüre zu leihen oder zu kaufen. So entwickelte sich das Buch allmählich zu einem Massenmedium, das vermehrt zur Vermittlung des AN beitrug. Immer mehr Leser der unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen nahmen dank Veröffentlichungen in Buchform zunehmend Kenntnis von in der Schriftsprache verfassten literarischen und nicht-literarischen Texten. Mancher von ihnen machte zudem mit Formen der natürlicheren Sprache Multatulis Bekanntschaft, beschäftigte sich mit den Sprachexperimenten

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

147

der Achtziger, lernte neuere Prosa der Naturalisten kennen oder las das lebendige Niederländisch von Schriftstellern und Theaterdichtern wie Herman Heijermans, das auch im Schauspielhaus zu hören war. 3.1.2.2.4. Literarische Werke Dass mehrere beliebte Schriftsteller und Dichter des 19. Jh. Pfarrer waren, dürfte manchen Leser und manche Leserin beruhigt haben. So hatte der Verfasser des viel gelesenen Bandes mit moralisierend-satirischen Charakterskizzen Camera Obscura (‚Lochkamera‘, 1839, vgl. 3.3.1.2.) Nicolaas Beets Theologie studiert. Zu den Schriftstellern und Lyrikern, die ebenfalls ein Theologiestudium absolviert hatten, zählen neben Johannes Kneppelhout, Johannes Petrus Hasebroek (1812–1896) und Cornelis Eliza van Koetsveld (1807–1893) ebenfalls Aarnout Drost (1810–1834), Verfasser des historischen, in einer feierlichen, fast biblischen Sprache formulierten Ideenromans Hermingard van de Eikenterpen 1832 (‚Hermingard von Eikenterpen‘, 1840) und Gründer der kritischen Zeitschrift De Muzen (‚Die Musen‘). So kennzeichnet sich Drosts Sprache beispielsweise durch lange, komplexe Sätze, er wählt feierliche Ausdrücke, so zum Beispiel derzelver und derhalve, braucht förmliche Kasusmarkierungen, vgl. onzen in van onzen leeftijd, den in den roman oder in met den edelen Southey und in den tijd oder harer in harer dochter und darüber hinaus altmodische Konjugationen, so de in verachtede und ontzeide: De dichterlijke letterkunde van onzen leeftijd levert onwedersprekelijk talrijke voortbrengselen van zeer hoge verdiensten; niemand die hier licht aan achteruitgang zou kunnen denken. Nergens echter treedt derzelver voortreffelijkheid helderder en kenmerkender in het licht dan in den roman, vroeger – en dikwijls te recht – als schadelijk en vergiftig onkruid op het veld der fraaie letteren beschouwd en, vóór den tijd van Richardson, gewoonlijk aan onderwerpen toegewijd, welke men, met den edelen Southey, ‚themes that pollute the pencil‘ moet noemen. Wijzen verachteden derhalve den roman, de brave huisvader misprees denzelven en de moeder ontzeide harer dochter, het onwaardig en nutteloos boek te lezen. (Drost 1939, 1) (‚Die Dichtung unserer Zeit liefert unwiderlegbar zahlreiche Erzeugnisse von sehr hohem Verdienst; niemand der diesbezüglich an Rückschritt denken könnte. Nirgends aber tritt ihre Vortrefflichkeit klarer und kennzeichnender zu Tage als im Roman, früher – und oft mit Recht – als schädlich und als giftiges Unkraut auf dem Feld betrachtet und, vor der Zeit von Richardson, gewöhnlich Themen gewidmet, welche man mit dem edlen Sothey, „themes that pollute the pencil“ nennen muss. Weise verachteten deshalb den Roman, der brave Hausvater missbilligte ihn und die Mutter verweigerte ihrer Tochter, das unwerte und nutzlose Buch zu lesen.‘) Theologen waren auch der Essayist und Literaturkritiker Bakhuizen van den Brink und Petrus Augustus de Genestet (1829–1861), Lyriker und Verfasser romantischer Erzählungen, sodann

148

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

der Essayist Allard Pierson (1831–1896) und Jan ten Brink (1834–1901), Autor von Romanen und Studien zur Literatur. Ohnehin warb die niederländische Literatur des 19. Jh. für eine tugendhafte, arbeitsame und zufriedene Lebenshaltung. Die Lyriker bevorzugten anfänglich Themen, die sich mit den Begriffen God, Oranje en het vaderland zusammenfassen lassen: Frömmigkeit, Königshaus und Vaterland. Zu den beliebtesten Vertretern dieser vaterländischen und häuslichen Dichtung zählen Rhijnvis Feith (vgl. 2.3.2.2.), Willem Bilderdijk und Hendrik Tollens (vgl. 2.5.2.1.). Andersartige Werke, die von einer kreativen Einbildungskraft der Dichter zeugten, hielten die Literaturkritiker für bedenklich, die Zeitschrift Vaderlandsche Letter-Oefeningen (‚Aufsätze zur vaterländischen Literatur‘) tadelte Romantiker wie Victor Hugo, Walter Scott oder Lord Byron. Der vielseitige Willem Bilderdijk unterscheidet sich denn auch von anderen europäischen Romantikern, wenn er betont, dass das Gefühl die Quelle der dichterischen Kreativität sei. Diese Überzeugung veranlasst ihn sogar, das Kochen eines Eis in seiner Lyrik zu verewigen mit Zeilen wie Daar wiegele in den plasch het scheppings-al van ’t kuiken, Dat in zijn zilvren lucht een gouden aardbol sluit; (Bilderdijk 1859, 241) (‚Da wiege sich in der Pfütze das Schöpfungs-All des Kükens, das in seiner silbernen Luft eine goldene Erdkugel in sich schliesst;‘) In seinem Gesprek op de Drachenfels (‚Gespräch auf dem Drachenfels‘) nimmt Jacob Geel 1835 Stellung im poetologischen Diskurs seiner Zeit. Auf dem Gipfel des Felsens angekommen, weisen die fiktiven Bergwanderer in ihrem Gespräch zum schöngeistigen Schrifttum die von Subjektivität geprägte deutsche romantische Literatur genauso zurück wie die französische Romantik mit den Beschreibungen des Banalen und Unsittlichen, wie u. a. M.-T. Leuker darlegt. Dagegen müssten niederländische Schriftsteller den gesunden Menschenverstand walten lassen, Einfachheit und Häuslichkeit seien zu thematisieren. Allerdings verwerfen Kritiker wie Potgieter und seine Mitkämpfer die Gelegenheitspoesie ihrer Zeit, die keineswegs dem Anspruch einer von ihnen verlangten gehobenen universalen Kunst standhielt. Sodann bekämpfen die Gids-Redakteure in scharfen Essays niederländische Byron-Nachahmungen, die mit unwahrscheinlichen, disharmonischen Inhalten ihren philosophisch-ästhetischen Idealen in keiner Weise entsprachen. Nach Potgieters Auffassung bot die Prosa bessere Chancen für eine zeitgemässe literarische Kunst. Schon seit den Zwanzigerjahren begeisterten Übersetzungen historischer Romane, namentlich Walter Scotts, manchen niederländischen Leser. Auch Jacob van Lenneps Romane fanden grosse Beachtung, so seine im 14. Jh. spielende Roos van Dekema 1836 (,Die Rose von Dekema‘, 1837) oder die im 17. Jh. situierten Romane De Pleegzoon 1833 (,Der Pflegesohn‘, 1835) und Ferdinand Huyck 1840 (‚Ferdinand Huyck‘, 1841). Allerdings bemängelten die Literaturkritiker die schwachen Charakterzeichnungen der Romanfiguren. Sie verlangten zudem, dass die Autoren ein nationales Selbstbewusstsein beim Leser förderten. Stoffe, welche die Auflehnung der Niederlande gegen Spanien und das ‚goldene‘ 17. Jh. thematisierten, eigneten sich dazu am

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

149

ehesten. Sie finden sich in einem historischen Abenteuerroman wie Het slot Loevestein in 1570 1834 (‚Das Schloss Loevestein im Jahre 1570‘, 1841) von Jan Frederik Oltmans (1806–1854), der vier Jahre später De schaapherder (‚Der Schafhirt: historischer Roman aus den Zeiten der Utrechter Stiftsfehde, 1481 bis 1483‘ 1840/41) veröffentlichte. Die beliebteste niederländische Schriftstellerin des 19. Jh., Anna Louisa Geertruyda Bosboom-Toussaint (1812–1886), situierte ihren ersten Roman De graaf van Devonshire 1838 (‚Der Graf von Devonshire‘) allerdings im England des 16. Jh. Ihr nächstes Buch, Het huis Lauernesse 1840 (‚Das Haus Lauernesse‘, 1847) spielt sich, dem literarischen Geschmack der Rezensenten eher entsprechend, in der eigenen Nation ab, und zwar während der Zeit der Reformation. Ihr Roman Majoor Frans 1875 (‚Major Franz‘, 1880), der die Zähmung einer widerspenstigen jungen adligen Waise durch ihren künftigen Ehemann zum Thema hat, spielt in der eigenen Zeit. Die von ihren Zeitgenossen so geschätzte Autorin vertritt laut M.-T. Leuker übrigens eine auf männliche Leser ausgerichtete Autorschaft just während der Entstehung der feministischen Bewegung in den Niederlanden. Anders als Drost oder Bosboom-Toussaint strebten Dichter und Schriftsteller wie Bilderdijk, De Genestet, Hildebrand, Klikspaan, Van Lennep oder Paaltjens eine weniger formelle Sprache in ihren Werken an, vgl. 3.6.1. Mehr noch als in den Niederlanden stärkte der historische Roman im jungen belgischen Staat die eigene Identität. Hendrik Consciences (1812–1883) De leeuw van Vlaanderen of de Slag der Gulden Sporen 1838 (‚Der Löwe von Flandern oder die Schlacht der goldenen Sporen‘, 1846, vgl. 3.5.1.1.) wurde zum Inbegriff des flämischen Selbstbewusstseins. Conscience, der ursprünglich französischsprachig war, verwendete für seine fantasievolle Darstellung eines Sieges der Flamen gegen das französische Ritterheer 1302 ein schwerfälliges, ausgefallenes Niederländisch, wie das folgende Zitat zeigt. Der Verfasser braucht beispielsweise in der amtlichen Sprache beliebte Partizipial- und Infinitivkonstruktionen, so beispielweise overtuigd dat… in Overtuigd dat moed en onversaegdheid hen niet meer helpen kon, gaven de ridders; weiter auch bleef (…) te bevechten in: Nu bleef er geen enkele vyand meer op het slagveld te bevechten. Sodann verwendet er derzelve, das zur Kanzleisprache zu rechnen ist, und die feierlich wirkenden Genitivformen dezer und wier in dezer edele krygsgevangenen, wier getal. Zudem verzichtet er nicht auf in der lebendigen Sprache verschwundene Kasusmarkierungen wie e in zyne und n in hoogen: Overtuigd dat moed en onversaegdheid hen niet meer helpen kon, gaven de ridders zich over en werden ontwapend; Jan Borluut kreeg dezelve onder zyne wacht. De voornaemste dezer edele krygsgevangenen, wier getal tot by de zestig beliep, was Thibaud II, namaels Hertog van Lotharingen; de overigen waren allen van hoogen stam, en als dappere krygers befaemd. Nu bleef er geen enkele vyand meer op het slagveld te bevechten; maer in alle de richtingen zag men de vluchtelingen zich voortspoeden om het gevaer te ontkomen. (3.5.1.1.) (‚Da sie einsahen, daß Mut und Tapferkeit ihnen nichts mehr helfen konnten, ergaben sich die Ritter und wurden entwaffnet. Sie wurden Jan Borluuts Obhut anvertraut. Der vornehmste

150

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

dieser edlen Kriegsgefangenen (im ganzen waren es etwa sechzig) war Thibaut II., nachmals Herzog von Lothringen; auch die übrigen waren von hoher Geburt und als tapfere Ritter berühmt. Jetzt blieb kein einziger Feind mehr auf dem Schlachtfeld; aber nach allen Richtungen sah man sie entfliehen.‘) Conscienses vaterländischer Heldenroman, den man heute nicht mehr kennt (Vermoortel 2013), wurde dennoch zum Epos der Flamen schlechthin. Er förderte so nicht nur das Selbstbewusstsein der flämischen Bevölkerung, sondern der Mann, der ‚sein Volk lesen lehrte‘, trug darüber hinaus zur Verbreitung der niederländischen Sprache und Literatur im Süden bei. So begünstigten im Laufe des 19. Jh. nicht nur religiöse Werke die Verbreitung eines feierlichen überregionalen Niederländischen, sondern auch manches belletristische Werk. Allerdings begannen sich vereinzelte Schriftsteller nach der gesprochenen Sprache zu richten. Ausdrücklich versuchte Multatuli dies, als er probierte, mit der Tradition der boekentaal (‚Kanzleisprache‘) in literarischen Werken zu brechen. Später sollten auch die Dichter, die zu den Achtzigern gerechnet werden, Amtssprache in ihren Werken meiden, als sie die Verwendung ursprünglicher Sprachformen in der Dichtung verlangten. Multatuli (lat. für ‚ich habe viel gelitten‘, Pseudonym von Eduard Douwes Dekker) strebte die Verwendung eines natürlichen Niederländischen an, vgl. 3.6.1.1., so in seinem Max Havelaar of de koffiveilingen der Nederlandsche Handelmaatschappy (‚Max Havelaar oder die Kaffeeversteigerungen der niederländischen Handelsgesellschaft‘) 1860. Dies zeigt sich beispielsweise am Schluss des Buches, wenn der Erzähler sich im sog. Pamphlet in unverblümter Sprache unmittelbar an den Leser wendet: Ja, ik zal gelezen worden! Als dit doel bereikt wordt, zal ik tevreden zyn. Want het was me niet te doen om goed te schryven… ik wilde zóó schryven dat het gehoord werd. En, even als iemand die roept: ‚houdt den dief!‘ zich weinig bekommert over den styl zyner geïmprovizeerde toespraak aan ’t publiek, is ’t ook my geheel om ’t even hoe men de wyze zal beoordeelen waarop ik myn ‚houdt den dief‘ heb uitgeschreeuwd. ‚Het boek is bont… er is geen geleidelykheid in… jacht op effekt… de styl is slecht… de schryver is onbedreven… geen talent… geen methode… Goed, goed, alles goed! Maar… DE JAVAAN WORDT MISHANDELD! Want: wederlegging der HOOFDSTREKKING van myn werk is onmogelyk! (Multatuli 1881, 336) (‚ja, man wird mich lesen! Wenn dieses Ziel erreicht ist, werde ich zufrieden sein. Denn es ging mir nicht darum, gut zu schreiben… ich wollte so schreiben, auf dass es gehört werde. Und, genau wie jemand, der ruft: „Haltet den Dieb!“ sich wenig um den Stil seiner improvisierten Ansprache an das Publikum kümmert, so ist es auch mir völlig gleichgültig, wie man die Art und Weise beurteilen wird, in der ich mein „Haltet den Dieb!“ hinausgeschrien habe. „Das Buch ist bunt… es ist kein sinnvoller Aufbau enthalten… Effekthascherei… schlechter

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

151

Stil… der Autor ist ungeübt… kein Talent… keine Methode…“ Gut, gut, alles gut! Aber… DER JAVANER WIRD MISSHANDELT! Denn: die Widerlegung der HAUPTBEDEUTUNG meines Werkes ist unmöglich! Multatuli 1993, 454) Dass auch Multatuli es nicht vermochte, sich mit einem Schlag dem Einfluss der Schriftsprache, die weiterhin in literarischen Werken geläufig war, völlig zu entziehen, geht hier aus Genusmarkierungen wie zyner in zyner geïmprovizeerde toespraak oder den in houdt den dief hervor, vgl. 3.6.1.1. Das Werk, das übrigens die literarischen Konventionen seiner Zeit durchbrach (vgl. u. a. A.L. Sötemann 1981), war zuerst kaum erhältlich. Da der Verfasser die Untaten der niederländischen Kolonialherren in Niederländisch Ostindien an den Pranger stellt, fürchtete der Herausgeber, Jacob van Lennep, dass die Massen Max Havelaar lesen und sich erheben würden. Daher veröffentlichte er das erste literarische Werk, das für die Opfer der Kolonialpolitik eintrat, als teuren Band in einer kleinen Auflage. Zudem hatte er die Namen der angegriffenen Beamten und Politiker sowie Angaben zu Orten und Daten der verbrecherischen Handlungen gestrichen. Trotzdem verursachte Max Havelaar, das zum meistverkauften und am häufigsten übersetzten Werk der niederländischen Literatur wurde, bald grosses Aufheben. Es dauerte nicht lange, bis das Buch, das sowohl auf völlige Ablehnung als auch auf begeisterte Zustimmung stiess, zu weltweiter Bekanntheit gelangte. Max Havelaar wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt, nur schon in Deutsch bestehen acht verschiedene Übersetzungen, es wurde zwanzig Mal in dieser Sprache neu aufgelegt. Auch die Veröffentlichungen der Achtziger erreichten anfänglich wohl nur einen kleineren Kreis von Literaturliebhabern, die sich die Beschaffung von belletrischen Werken leisteten. Sie machten Bekanntschaft mit einer jüngeren Generation von Lyrikern und Schriftstellern, die sich als Erneuerer der niederländischen Lyrik und Prosa proklamierten. Auch wenn sie im europäischen Kontext nicht ohne Weiteres als modern einzustufen sind (Grüttemeier et al. 2006, 184 ff), so brachen die Achtziger jedenfalls mit der häuslichen, moralisierenden und feierlich formulierten einheimischen Literatur der älteren Generation. Stattdessen hingen sie einer Kunstauffassung an, die auf dem Grundsatz l’art pour l’art basiert, denn Kunst genüge sich selbst. Sie führte zu einem Schönheitskult, wie dies bereits Jacques Perk mit den Worten des Vater unser lyrisch ausdrückte: Schoonheid, o Gij, Wier naam geheiligd zij, Uw wil geschiede; kóme Uw heerschappij: Naast U aanbidde de aard geen andren god! (‚Schönheit, o Du, deren Name geheiligt werde, Dein Wille geschehe; Deine Herrschaft komme, möge die Erde keinen anderen Gott neben Dir anbeten!ʼ)

152

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Willem Kloos legt die neue Poetik 1881 rhetorisch gewandt im Vorwort des Bandes Gedichten (‚Gedichte‘) von der Hand des jung gestorbenen Jacques Perk dar. Er propagiert eine individuelle Gestaltung der Gefühle in der Poesie, die de allerindividueelste expressie van de allerindividueelste emotie (‚der allerindividuellste Ausdruck der allerindividuellsten Emotion‘) zu verkörpern habe, wie er später anlässlich der Veröffentlichung von Herman Gorters Verzen (‚Verse‘) 1890 begeistert schreibt. Die Wiedergabe des inneren Erlebens des Dichters fordere daher eine dessen Eigenart entsprechende Gestaltung, die eine ursprüngliche, neuartige Anwendung der Spache mit sich bringt, auf eine Formel gebracht: vorm en inhoud zijn één (‚Form und Inhalt sind eins‘). Lyriker und Schriftsteller wie Willem Kloos, Albert Verwey, Herman Gorter, Lodewijk van Deyssel und Frederik van Eeden experimentieren denn auch mit der Sprache, vgl. 3.6.1.2. Zu den Werken der Achtziger, die sie zum Teil auch in ihrer von Van Eeden, Kloos, Van der Goes, Verwey und Paap gegründeten Zeitschrift De Nieuwe Gids veröffentlichten, zählt Herman Gorters über 4300 Verse umfassendes Epos Mei (‚Mai‘, 1909 in der Übertragung von Max Koblinsky in Leipzig erschienen) 1889, das mit den folgenden, auch heute noch allgemein bekannten Zeilen anfängt: Een nieuwe lente en een nieuw geluid: Ik wil dat dit lied klinkt als het gefluit, Dat ik vaak hoorde voor een zomernacht In een oud stadje, langs de watergracht – (Gorter 1889, 1) (‚Ein neuer Frühling und ein neuer Sang: / Ich will, dass dies Lied töne wie der Klang, / Den ich einst hört’ im Sommer vor der Nacht / In einem alten Städtchen an der Gracht –‘) Ein Jahr später erschien Verzen (‚Verse‘), das ebenfalls von Gorters Experimentieren mit der Sprache zeugt, vgl. 3.6.1.2. Willem Kloos publizierte u. a. Sonette und Het Boek van Kind en God (‚Das Buch vom Kind und Gott‘) 1888. Albert Verwey liess 1885 den lyrischen Band Persephone en andere gedichten (‚Persephone und andere Gedichte‘) sowie 1889 die gesammelten Gedichte Verzamelde gedichten erscheinen. Weiter veröffentlichte Frederik Willem van Eeden Aufsätze zu gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und literaturtheoretischen Themen. Ab 1885 erschien in De Nieuwe Gids sein De kleine Johannes (‚Der kleine Johannes‘) als Fortsetzungsgeschichte, die in der Form eines Märchens die geistigen Entwicklungen eines jungen Menschen erkundet. Lodewijk van Deyssel (Pseudonym von Karel Joan Lodewijk Alberdingk Thijm 1864–1952) verfasste manchmal beissende (vgl. 3.7.2.2.), manchmal bewunderende Aufsätze zur Literatur, sodann veröffentlichte er naturalistische Romane und experimentierte mit sogenannten Prosa-Gedichten (vgl. 3.6.1.2). Für Einführungen in die Literatur des 19. Jh. vgl. Grüttemeier et al. 2006, Anbeek 1999 (b) und Van den Berg et al. 2016.

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

153

3.1.2.2.5. Post, Telegramm, Telefon Dank des Postgesetzes und der Einführung erschwinglicher Briefmarken hatte der Briefverkehr seit der Mitte des 19. Jh. stark zugenommen. 1850 wurden zirka fünf Millionen Poststücke, darunter eine wachsende Zahl von Briefkarten, versandt, am Ende des Jahrhunderts waren es zirka 120 Millionen. Auch der Telegrammverkehr kam rasch auf, nach Annahme des Telegrafgesetzes 1853 stieg die Zahl der versandten Telegramme innerhalb eines Jahres von 1300 auf 45.000. 1860 wurden laut E. Beukers (Bosatlas 346) 200.000 inländische Telegramme verschickt, 1880 zwei Millionen. So intensivierte sich die Kommunikation in der Schriftsprache, das geschriebene überregionale Niederländische war gefragt. Dagegen entwickelte sich der Telefonverkehr, der 1881 mit einem Netzwerk der Nederlandsche Bell Telephoon Maatschappij in Amsterdam einsetzte, nur zögerlich. Gut zehn Jahre später leisteten sich erst 4000 Personen ein Telefonabonnement. Sie führten dann pro Jahr zirka 72.000 interlokale Gespräche. Nachdem der Staat den interlokalen und internationalen Telefonverkehr von den Privatfirmen übernommen hatte, stieg die Verwendung dieses Mediums. So wurden 1902, als die niederländische Bevölkerung fünf Millionen betrug, zum ersten Mal über eine Million Telefongespräche geführt. Das neue Medium förderte nun vermehrt die mündliche Kommunikation, namentlich auch zwischen Sprechern unterschiedlicher Regionen. Dazu sollte der zunehmende Personenverkehr ebenfalls beitragen. 3.1.2.3. Bedeutung des zunehmenden Personenverkehrs für die Kommunikation Neue Verkehrsmittel ergaben im 19. Jh. mehr Möglichkeiten, mit Bürgern anderer Gegenden mündlich zu kommunizieren. Die Niederlande verfügten längst über eine einzigartige Infrastruktur von Treckschuten, die mit einer Geschwindigkeit von zirka 6 km pro Stunde über Flüsse und Kanäle fuhren. An vielen Orten konnten die Passagiere mit Kutschen, die Anschluss auf die Boote hatten, ihre Reise fortsetzen. Bereits im 17. Jh. fuhren nur schon aus Amsterdam jede Woche 800 Treckschuten zu 36 Zielorten. In jener Zeit reisten laut E. Beukers jährlich zirka 300.000 Menschen, die mehrheitlich in der Provinz Holland unterwegs waren, per Treckschute. Zudem kannte die Republik beurtvaart: so verkehrten Segelschiffe, die den Zuiderzee, das heutige IJsselmeer überquerten, beispielsweise im Takt zwischen dem Westen und den östlichen sowie den nördlichen Provinzen. Auch zwischen den Inseln und dem Festland im Südwesten und im Norden bestanden Schiffslinien. Die Inlandreisen beanspruchten aus heutiger Sicht allerdings viel Zeit: 1817 betrug die Reisezeit von Amsterdam nach Utrecht 8 Stunden, nach Rotterdam und Den Haag 14 Stunden, nach Antwerpen 30 Stunden, nach Brüssel 38 Stunden, nach Groningen 44 Stunden und nach Luxemburg 73 Stunden. Sodann besorgten Segelschiffe der VOC, der WIC und der Nördlichen Compagnie bis Ende des 18. Jh. den Transport von Personen und Gütern zwischen dem Mutterland und den überseeischen Gebieten. Um die Wirtschaft anzukurbeln und die Industrialisierung voranzutreiben, förderte König Wilhelm I. die Verbesserung der Infrastruktur. Bald verbanden neue Kanäle Städte wie Charleroi und Brüssel, Gent und Terneuzen, Gorkum und Den Helder, Maastricht und ’s-Hertogenbosch sowie Zwolle und Apeldoorn. Mit dem Aufkommen der Dampfschiffe verkürzten sich die Reisezeiten erheblich, zudem nahm das Platzangebot in den Transportmitteln stark zu. In der Mitte

154

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

des Jahrhunderts bedienten zirka 75 Dampfschiffe 40 Linien, 1880 versorgten 300 motorisierte Schiffe den Personenverkehr, nur schon von Rotterdam aus gab es 49 Schiffslinien. So machten inländische Dampfschifflinien der Diligence und dem Schleppkahn Konkurrenz, der Aktionsradius der Bürger steigerte sich schnell. An zusätzlichen Eisenbahnverbindungen bestand im Norden anfänglich denn auch wenig Bedarf, der Transport über Wasser bot im letzten Viertel des 19. Jh. fünfzehnmal mehr Platz für Passagiere als die Verkehrsmittel über Land. Dennoch liess der König trotz Widerständen im Parlament den Bau von Eisenbahnen in Angriff nehmen. Am 20. September 1839 fuhr der erste niederländische Zug von Amsterdam nach Haarlem. Schneller als in den Niederlanden wurde das feinmaschige Schienennetz in Belgien ausgebaut und vollendet. Im Norden waren in den Achtzigerjahren erst drei Viertel der geplanten Bahnlinien angelegt, 1930 betrachtete man den Ausbau des Streckennetzes als vollendet. Zudem wurden die Tram- und Strassenbahnnetze in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. ausgebaut, 1900 war zirka die Hälfte der geplanten Linien fertiggestellt. Reisen zwischen Städten wie Amsterdam, Haarlem, Leiden, Den Haag, Rotterdam, Utrecht, ’s-Hertogenbosch, Arnhem und Zwolle nahmen dank den modernen Transportmitteln 1870 weniger als 2,5 Stunden in Anspruch. Sodann machte das im letzten Viertel des 19. Jh. erfundene Fahrrad es leichter, Bewohner anderer Städte, Dörfer und Weiler zu treffen. Es sollte allerdings einige Jahrzehnte dauern, bis die grosse Masse sich ein fiets leisten konnte. Über die Menge der Personen, die die verbesserte Infrastruktur benützten, kann man nur mutmassen. Überblickt man aber die Zahl und die Frequenzen der Verkehrsverbindungen per Bahn und Schiff sowie das Platzangebot für Reisende, so ist zu folgern, dass sich die Mobilität der Bürger in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stark gesteigert hat. Nie zuvor konnten sich so viele Menschen aus so vielen Orten und Regionen unterwegs und am Reiseziel miteinander unterhalten. Es stellt sich die Frage, ob nun die Verwendung einer sozio- und dialektneutralen gesprochenen Standardsprache entsprechend der nie dagewesenen Steigerung der Kontaktmöglichkeiten der Sprecher des Niederländischen zunahm. 3.1.2.4. Kultivierung eines ‚zivilisierten‘ Niederländisch Die Voraussetzungen für die Verbreitung des AN hatten sich während des 19. Jh. somit in einem bis dahin ungekannten Ausmass verbessert. Der niederländischen Kommunikationsgesellschaft, die sich seit dem 18. Jh. etabliert hatte, stand eine kultivierte Schriftsprache zur Verfügung, die allerdings weiterhin durch feierliche, archaische Merkmale geprägt war. Sie sind nicht nur in literarischen Texten zu finden, sondern auch in Zeitungstexten und gar in persönlichen Korrespondenzen. Die schriftliche Kommunikation nahm dank dem Aufkommen von Brief und Telegramm stark zu, zudem brachten der stark gewachsene Personenverkehr und später auch das Telefon immer mehr Sprecher unterschiedlicher Regionen miteinander in Kontakt. Mit Erfolg setzte die Schule die von der Obrigkeit vorgeschriebenen Regelungen zur Orthografie und Grammtik um, die Schriftsprache wies allmählich eine Uniformität auf, die der gesprochenen Sprache nach wie vor fehlte. Wohl waren Formen des überregionalen Niederländischen in der Kirche oder während Vorträgen und öffentlichen Veranstaltungen zu hören. Allerdings kamen Dialekte und Soziolekte weiterhin zu Hause, bei der Arbeit und auch im Verlauf von offiziellen Anlässen wie Gemeinderatssitzun-

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

155

gen zur Anwendung. Die in 3.1.2.2.2. zitierten Aussagen von Zeitzeugen zum Sprachgebrauch im Theater mögen zwar die Sprachverhältnisse nicht zuverlässig widerspiegeln, dennoch gestatten sie einen Einblick in die alltägliche Verwendung sprachlicher Varietäten. Sie deuten darauf hin, dass grössere Bevölkerungsschichten mündlich freimütig im Dialekt kommunizierten. Wer dagegen nach hochstehender Kunst auf der Bühne strebte, griff auf die feierliche Schriftsprache zurück. Ein natürliches gesprochenes Niederländisch war erst gegen Ende des 19. Jh. im Schauspielhaus zu hören. Gerade dann stellten zeitgenössische Sprachhistoriker die Etablierung einer allgemeinen beschaafde, gepflegten, gesprochenen Sprache fest, die entsprechende Bezeichnung ABN kam in den Neunzigerjahren in Schwang, wie nachher erörtert wird. Dieses sozio- beziehungsweise dialektneutrale AN setzte sich nur zögerlich durch. So stellen beispielsweise die Sprachwissenschaftler De Vries und Te Winkel in den Sechzigerjahren fest, dass bei beschaafde lieden (‚kultivierten Menschen‘) die spezifischen Merkmale ihrer Mundarten sich ‚weniger scharf‘ offenbarten. Dies heisst dennoch, dass sie in der zweiten Hälfte des 19. Jh. weiterhin auch bei den Privilegierten während der mündlichen Kommunikation im AN hörbar waren. Es bildete sich laut De Vries und Te Winkel aber eine ‚neue‘ Sprachform heraus, die sie mit dem nicht unproblematischen Ausdruck de beschaafde uitspraak (‚der zivilisierten Aussprache‘) andeuten: Beschaafde lieden, die eene meer zorgvuldige opvoeding hebben genoten, wier gehoor meer verfijnd, wier spraakorganen meer geoefend zijn, spreken doorgaans zachter en lieflijker dan de minder bevoorrechte standen. Daardoor komt bij hen het eigenaardige, dat den tongval van de plaats hunner inwoning kenmerkt, minder scherp uit, zoodat het verschil der dialecten grootendeels wegvalt. Op die wijze ontstaat er eene zoogenaamde algemeene beschaafde uitspraak, die het gansche land door, naast de gewestelijke, min of meer heerschende is. En doordien beschaafde lieden, vooral in geschrifte, zich ten behoeve der duidelijkheid doorgaans onthouden van woorden, die uitsluitend in hunne woonplaats in gebruik en elders onbekend zijn, vormt zich nevens de taal des volks een nieuwe taalvorm, waarin de beschaafde uitspraak heerscht, en die als een afzonderlijk dialect, dat der beschaafde standen, te beschouwen is. (Te Winkel 1884, 4) (‚Zivilisierte Menschen, die eine sorgfältigere Erziehung genossen haben, die über ein verfeinertes Gehör und mehr geübte Sprachorgane verfügen, sprechen zumeist sanfter und lieblicher als die weniger privilegierten Stände. Dadurch kommen bei ihnen die spezifischen Merkmale der Mundart ihres Wohnorts weniger scharf zum Ausdruck, wodurch der Unterschied zwischen den Dialekten grösstenteils wegfällt. Auf diese Art und Weise entsteht eine sogenannte allgemeine, zivilisierte Aussprache, die im ganzen Land neben der regionalen mehr oder weniger vorherrscht. Und indem zivilisierte Leute vor allem wenn sie schreiben, sich zu Gunsten der Deutlichkeit auf die Verwendung von Wörtern, die ausschliesslich in ihrem Wohnort gebräuchlich und anderswo unbekannt sind, verzichten, bildet sich neben der Sprache des Volks eine neue Sprachform heraus, worin die zivilisierte Aussprache herrscht und die als ein separater Dialekt, der der zivilisierten Stände zu betrachten ist.‘)

156

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Folglich suchen einflussreiche Sprachwissenschaftler des 19. Jh. die Norm der gepflegten gesprochenen Sprache in der mündlichen Kommunikation der Privilegierten. Zudem stufen sie die Schreibpraxis der Gebildeten als einen massgebenden Umstand für die Entstehung einer beschaafde uitspraak (‚zivilisierten Aussprache‘) ein: wer schreibt, meidet dialektische Wörter. Weiter gilt in Veröffentlichungen zum ‚zivilisierten‘ Niederländisch die Sprache von vorbildlichen Schriftstellern aus früheren Zeiten als Leitfaden für die gesprochene Sprache. Auch war man der Überzeugung, dass das Lesen von Texten – gemeint ist wohl das laute Lesen –, die eine vereinheitlichte Orthografie aufwiesen, eine gepflegte Aussprache förderte, da man mehr oder weniger wie das Geschriebene sprach: Daar men onder het lezen altijd min of meer overeenkomstig het geschrevene uitspreekt, bevordert eene eenparige spelling, die met de beschaafde uitspraak in overeenstemming is, noodwendig de eenheid in spreken en de uitbreiding der beschaafde uitspraak onder de mindere standen. (Te Winkel et al. 1863, 4) (‚Da man beim Lesen [die Wörter] immer mehr oder weniger im Einklang mit dem Geschriebenen ausspricht, fördert eine einheitliche Orthografie, die mit der zivilisierten Aussprache übereinstimmt, notwendigerweise die Vereinheitlichung des Sprechens und die Verbreitung der zivilisierten Aussprache unter die tieferen Stände.‘) Zwar anerkannten Gelehrte wie De Vries oder W.G. Brill (1811–1896) die Vorrangstellung der mündlichen Sprache in sprachwissenschaftlichen Veröffentlichungen, dennoch wäre laut ihnen die veränderliche Volkssprache dem Niveau der standfesten Schriftsprache, die sie als Mittler der Kultur sahen, anzuheben. Dagegen hatte Taco Roorda (1801–1874) bereits 1855 darauf hingewiesen, dass die artifizielle, geschriebene Sprache nicht die Beschaffenheit des lebendigen Niederländisch der mündlichen Kommunikation widerspiegle, sie könne somit nicht als Muster für das gepflegte Sprechen dienen. Stattdessen sei von één algemeene spreektaal van de beschaafde stand (‚einer einzigen allgemeinen gesprochenen Sprache des zivilisierten Standes‘, Roorda 1858) auszugehen, die im ‚eigentlichen Holland‘ und in den nahe gelegenen Provinzen vorhanden war. Die Schriftsprache sei diesem Niederländischen anzupassen und nicht umgekehrt. Wie auch immer die Sprachgelehrten die Bedeutung der Schriftsprache für das AN einstuften, einig waren sie sich, dass sich allmählich eine gepflegte, gesprochene Form des AN herausgebildet hatte. Dieses von Roorda als Algemeen Beschaafd benannte Niederländisch habe sich laut Äusserungen von Sachverständigen aus dem letzten Jahrzehnt des 19. Jh. definitiv gefestigt (vgl. Noordegraaf 1991). So schreibt J.W. Muller 1891 zum gesprochenen AN seiner Zeit: De onmisbare eenheid van taal is voorgoed gevestigd en wordt door allen gewaardeerd (…) (‚Die unabkömmliche Einheit der Sprache hat sich für immer gefestigt und wird von allen geschätzt […]‘, Muller 1891, 228). Ebenso bestätigt J.M. Hoogvliet 1894 das Bestehen der gepflegten gesprochenen Sprache:

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

157

Er bestaat een gemeenschappelijke, beschaafde Nederlandsche spreektaal, zie daar mijn vaste onwrikbare overtuiging. ’t Is de vraag maar, wie haar al / Wie haar niet kan vinden. (Hoogvliet 1894, 342) (‚Es besteht eine gemeinsame, zivilisierte gesprochene niederländische Sprache, siehe da meine feste, unerschütterliche Überzeugung. Es ist nur die Frage, wer sie / Finden kann oder nicht.‘) Dass Muller und Hoogvliet es für nötig hielten, so ausdrücklich das Existieren eines ‚gemeinsamen zivilisierten gesprochenen Niederländischen‘ zu erwähnen, deutet an, dass es sich für ihre Leser um eine bemerkenswerte Erscheinung handeln musste. Offenbar waren die Mitmenschen noch vom Bestehen des gepflegten gesprochenen Niederländischen zu überzeugen, wie aus Hoogvliets Ausdrucksweise mijn vaste onwrikbare overtuiging (‚meine feste, unerschütterliche Überzeugung‘) hervorgeht. Man müsse diese beschaafde Nederlandsche spreektaal laut Hoogvliet ‚finden‘, folglich hatte sich das AN zwar gefestigt, es war aber noch keineswegs Gemeingut geworden. Auch wenn Gebildete sich namentlich in den holländischen Städten wohl seit längerer Zeit in einer gepflegten Sprache, die mehr oder weniger frei von lokalen Eigenheiten war, ausdrücken konnten, so scheint das Bewusstsein des Bestehens eines kultivierten überregionalen gesprochenen Niederländisch sich denn auch erst später, gegen Ende des 19. Jh. vermehrt durchzusetzen. Bezeichnenderweise tritt gerade in dieser Zeit ein Ausdruck wie Algemeen Beschaafd Nederlands als Bezeichnung für das sozio- beziehungsweise dialektfreie gesprochene Niederländisch auf. Möglicherweise verwendete F. Buitenrust Hettema 1896 als Erster diesen Ausdruck, der bis heute noch unter der Bevölkerung als ABN fortlebt. Einige Jahrzehnte später sollte dann eine Diskussion über den Ausdruck beschaafd (eigentlich ‚gehobelt‘, d. h. ‚zivilisiert‘) entbrennen: kann eine Sprache ‚zivilisiert‘ sein, oder sind es die Sprecher? Falls dies überhaupt zutreffe, was wäre dann unter ‚zivilisiert‘ zu verstehen und wer kann dies bestimmen? Als die Sprache gebildeter jüngerer Generationen, die namentlich aus den urbanisierten Gebieten stammten, zunehmend eine Vorbildfunktion übernahm, erlitten andere Sprachvarietäten Funktionsverluste. Das AN wurde im 20. Jh. zur dominierenden Sprache in grossen Teilen des niederländischen Sprachgebiets, vgl. 4.1.2. 3.1.2.5. Niederländisch in überseeischen Gebieten Die Niederländer hatten in ihren Kolonien vor allem wirtschaftliche Ziele verfolgt. Dagegen stellte sich die Sprachpolitik in den von ihnen verwalteten Gebieten als wenig eindeutig und wechselhaft heraus (vgl. HNA 5.1.5.2., 6.1.1.1., 6.1.1.2., 6.1.2.2.). So ist dem Niederländischen in Niederländisch-Ostindien denn auch een relatief bescheiden rol (‚eine relativ bescheidene Rolle‘, Groeneboer 1994) zu bescheinigen. Im Süden Afrikas sollte sich Afrikaans als Verkehrsund Kultursprache der niederländischstämmigen Kolonisten durchsetzen. Dagegen handhabte sich das Niederländisch auf den ehemaligen niederländischen Antillen und in Surinam.

158

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

3.1.2.5.1. Die Stellung des Niederländischen in Ostindien Nach der Wiederherstellung der niederländischen Herrschaft in Ostindien 1816 (vgl. 2.4.1.) strebte die neue koloniale Verwaltung anfänglich eine Verstärkung des niederländischen Anteils in der bestehenden, alles beherrschenden mestiezencultuur an. Diese kennzeichnete sich durch ein Mischmasch unterschiedlichster Kulturen der Nachkömmlinge europäischer Väter und asiatischer Mütter. Zugleich sollte diese Politik die Loyalität der ostindischen Bevölkerung europäischer Herkunft mit den Kolonialherren fördern. Dazu baute die Obrigkeit die europäischen Schulen aus. Im letzten Viertel des 19. Jh. dürften zwischen 20 und 30 % der im Archipel wohnhaften Europäer Niederländisch gesprochen haben, um die Jahrhundertwende etwa 40 %, weitere 30 % konnten Niederländisch lesen und verstehen. Die Zunahme der Beherrschung des Niederländischen bei dieser Bevölkerungsgruppe erklärt sich nicht nur durch die behördlichen Massnahmen und die Verbesserung des Schulunterrichts, sondern auch durch die wachsende Zahl von Einwohnern, die in den Niederlanden geboren waren, den grösseren Anteil niederländischer Frauen und schnellere, kürzere Verbindungen mit der Heimat. Ausführliche Diskussionen zur sprachlichen Situation in Niederländisch-Ostindien führten 1864 zu einer Politik, die einerseits die Einführung des Niederländischen als allgemeine Verkehrssprache ablehnte, andererseits die Kenntnisse des Niederländischen bei den ‚Eliten‘ der ursprünglichen Bevölkerung förderte. Vermehrt erhielten Einheimische dadurch ‚Zugang zum Westen‘ (vgl. Groeneboer 1993). Ihre so ermöglichte abendländische Ausbildung sollte später den Weg in die Unabhängigkeit erleichtern. 3.1.2.5.2. Niederländisch und Afrikaans in Südafrika Das Gebiet des Kaps der Guten Hoffnung war 1806 nach der Schlacht von Blaauwberg in den Besitz der Briten gekommen. Die neuen Machthaber versuchten das von einem Grossteil der Bevölkerung verwendete Niederländisch durch Englisch zu ersetzen. So verordnete Gouverneur John Francis Cradock, dass alle niederländischstämmigen Kolonisten Englisch zu lernen hatten. Dazu liess er Pfarrer und Grundschullehrer aus seiner Heimat holen, die der ansässigen Bevölkerung Englisch beizubringen hatten. Ihren Anstrengungen blieb der erhoffte Erfolg allerdings versagt. Um den englischen Einfluss dennoch zu vergrössern, wurden ab den Zwanzigerjahren vermehrt Briten in Südafrika angesiedelt. Zudem verbot die Regierung 1822 die Verwendung des Niederländischen in der Verwaltung und beim Gericht. Mit der Gründung der kweekschool (‚pädagogischen Hochschule‘) 1824 in Stellenbosch versuchten die boeren (‚Buren‘, [‚Bauern‘]) die Stellung ihrer Sprache zu verteidigen und die niederländischsprachige Ausbildung von Pfarrern sicherzustellen. Trotz dieses Institutes, das dem Nederduits Gereformeerde Kerk (‚Niederländischen Reformierten Kirche‘) gehörte, war das Niederländisch am Kap gefährdet. Gesellschaftlich fühlte sich die niederländischsprachige Bevölkerung benachteiligt mit der Folge, dass niederländischstämmige Kolonisten wegzogen. Während des Grote Trek (‚Grossen Trecks‘) flohen zwischen 1835 und 1841 über 14.000 Buren ins Hinterland. Die von ihnen gegründete Republik Natalia wurde 1841 von den Briten besetzt, dagegen boten die Burenrepubliken Oranje-Freistaat und Zuid-Afrikaansche Republiek (‚Transvaal‘) den geflüchteten Kolonisten Unterschlupf. Niederländisch war in diesen von den Briten anerkannten

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

159

Republiken Landessprache. Nach dem Zweiten Burenkrieg (1899–1902) wurden diese Gebiete in die Südafrikanische Union einverleibt. Die niederländischstämmigen Kolonisten, die im Kapgebiet zurückgeblieben waren, bemühten sich weiter um die Position ihrer Sprache. Anfänglich verbuchten sie keine Erfolge wegen der rigorosen Sprachpolitik der Engländer. Nachdem die Briten 1854 dem neu gegründeten Parlament am Kap die Macht übertragen hatten, begannen Förderer des in formeller Kommunikation verwendeten Niederländisch und des informellen Afrikaans für die Anerkennung ihrer Sprache zu kämpfen. Schliesslich ersuchten Mitglieder des Zuid-Afrikaansche Boeren-Beschermingsvereeniging (‚Südafrikaanse Buren-Schutz-Vereins‘) 1878 die Kapregierung, Niederländisch neben Englisch anzuerkennen. Die Bittschrift, die von 5000 Bürgern unterschrieben wurde, bewirkte 1882 die Annahme eines Gesetzes zur Anerkennung des Niederländischen neben dem Englischen. Während einer Festrede anlässlich dieses Durchbruches in der reformierten Kirche zu Burgersdorp ermutigte Jotham Joubert seine Zuhörer, sich dafür einzusetzen, dass Niederländisch zudem am Gericht zugelassen wurde. Sodann sammelte er Geld zur Errichtung eines Denkmals für die niederländische Sprache, das 1893 eingeweiht wurde. Es besteht aus einer Frau auf einem Sockel, die auf ein Buch zeigt mit dem Text De Overwinning der Hollandsche Taal (‚Der Sieg der holländischen Sprache‘) Tausende Anwesende feierten dieses denkwürdige Ereignis. Onze Jan (‚unser Jan‘), der beliebte Jan Hofmeyr, Gründer des Zuidafrikaansche Boeren Beschermings-Vereeniging brachte den Trinkspruch Lang blijve de taal bestaan (‚Lange bleibe die Sprache bestehen‘) aus. Mehr noch als in den Niederlanden klaffte eine Lücke zwischen der Schriftsprache, welche die niederländischstämmigen Kolonisten insbesondere von der Statenbijbel kannten, und afrikaanse Formen des Niederländischen, die sie in der alltäglichen Kommunikation verwendeten. Bereits 1861 hatte der Schriftsteller Louis Henri Meurant (Pseudonym von Klaas Waarzegger 1811?– 1893) diesbezüglich bemerkt, dass die Buren im Ostkap leichter Afrikaans als Niederländisch verstanden. Sein Zamenspraak tusschen Klaas Waarzegger en Jan Twyfelaar, over het onderwerp van afscheiding tusschen de Oostelyke en Westelyke Provincie (‚ Ein Zwiegespräch zwischen Klaas Waarzegger [Wahrsager] und Jan Twyfelaar [Zweifler] über das Thema der Trennung der östlichen und westlichen Kapprovinz‘) 1861 wird wohl als erste, nicht ironisch gemeinte Veröffentlichung in Afrikaans bezeichnet. Mitglieder der 1875 entstandenen Genootskap van Regte Afrikaners (‚Genossenschaft der rechtschaffenen Afrikaner‘), die die erste ‚afrikaanse Bewegung‘ in Gang brachte, setzten sich für eine Erhebung des Afrikaans, auch als Schriftsprache ein. Man verlangte wie der Grundschullehrer und Mitgründer der Genossenschaft Arnoldus Pannevis, dass die Bibel für die Einheimischen ins Afrikaans übersetzt würde. Dies zeigt, dass Afrikaans bereits den Status einer Sprache erhielt, welche die Sprecher in mehreren Domänen auch in der Ausübung der Religion verwenden konnten. Dass der in den Niederlanden geborene C.P. Hoogenhout (1843–1922) 1878 das Markus-Evange-

160

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

lium ins Afrikaans übersetzte, macht deutlich, dass die Bemühungen der Afrikaner um ihre Sprache ernst zu nehmen waren. Übrigens wurde Hoogenhouts Text nicht veröffentlicht, erst 1933 erschien eine afrikaanse Bibel. Wie sehr die Verfechter des Afrikaans sich andererseits gegen die Sprache der britischen Machthaber wehrten, geht aus den folgenden Versen Hoogenhouts, erster Vorsitzender der Genootskap hervor: Engels, Engels, alles Engels! Engels wat jy sien en hoor; In ons skole, in ons kerke word ons moedertaal vermoor. … Wie hom nie laat anglisere, word geskolde en gesmaad; Tot in Vrystaat en Transvaal al, oweral dieselfde kwaad. (Francken 2002, 348) (‚Englisch, Englisch, alles Englisch! Englisch was man sieht und hört; In unseren Schulen, in unserer Kirche wird unsere Muttersprache ermordet; … Wer sich nicht anglisieren lässt, wird beschimpft und geschmäht; bis in Oranje-Freistaat und Transvaal, überall das gleiche Übel.‘) Zwar verloren die Buren den Zweiten Burenkrieg (1899–1902), der Kampf hatte ihr Selbstbewusstsein und den afrikanischen Nationalismus gestärkt. Obschon die Burenrepubliken laut dem Friedensvertrag von Vereeniging 1902 dem britischen Empire eingegliedert wurden, bestimmte man Afrikaans in diesen Gebieten zur Amtssprache. Als die Sieger erneut eine Politik verfolgten, die eine Verenglischung Südafrikas bezweckte, setzten sich die Buren erneut für ihre Sprache ein. Diese zweite ‚afrikaanse Bewegung‘ stärkte die Stellung des Afrikaans erheblich. Die ehemaligen Burenrepubliken erhielten 1907 Selbstverwaltung, ab 1910 bildeten sie mit der Kapkolonie und Natal das Dominion Südafrikanische Union. Ehemalige Generäle der besiegten Burenarmee wie Louis Botha, Jan Christaan Smuts und Barry Hertzog sollten es zum Premierminister der Union bringen. Bei der Gründung der Union wurde die Gleichberechtigung der Sprache der Buren festgeschrieben, die in der Praxis sowohl dem Afrikaans wie dem Niederländischen galt. An ‚holländischen‘ Schulen wurde Afrikaans 1925 die Unterrichtssprache. Im gleichen Jahr erhielt Afrikaans den Status einer Amtssprache. Es ist Muttersprache von fast sieben Millionen Menschen in Südafrika, weitere 660.000 Einwohner der Republik beherrschen Afrikaans als zweite Sprache. 3.1.2.5.3. Niederländisch in Amerika An der amerikanischen Ostküste wurde auch im 19. Jh. Low Dutch oder Leeg Duits gesprochen. Es war bis ins 20. Jh. noch in einigen Regionen New Jerseys und New Yorks zu hören. Durch die Handelskontakte zwischen Europäern und Indianern waren während des 17. Jh. in Nordamerika verschiedene Pidgin-Sprachen entstanden, so beispielsweise das Delaware-Pidgin. Diese Sprachvarietät, die eine grössere Zahl niederländische Lehnwörter kannte, ist inzwischen ausgestorben. Auf den ehemaligen niederländischen Antillen wird seit den Dreissigerjahren des 17. Jh. Niederländisch gesprochen. Zudem entstand auf den Inseln unter dem Winde Bonaire und Curaçao Papiamentu, auf Aruba die Varietät Papiamento. Diese Pidgin-Sprache geht möglicherweise auf eine

3.1. Zunehmende Chancen für die Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen

161

afrikanisch-portugiesische Kreolsprache zurück. Sie weist sowohl spanische und indianische wie auch englische, französische und niederländische Merkmale auf. So kennt das Papiamento beziehungsweise Papiamentu über 2000 niederländische Lehnwörter. Dazu zählen Wörter wie eigenlijk (‚eigentlich‘), pòstkantor (nl. postkantoor, ,Postamt‘), telefòn (nl. telefoon, ‚Telefon‘) und dòkter di kas (nl. huisarts, ‚Hausarzt‘) sowie Ausdrücke für Nahrungsmittel wie zuurkool (‚Sauerkraut‘) oder Tiernamen wie duif (‚Taube‘), vgl. HNA 6.1.2.2. 1838 verboten die Behörden papiaments als Unterrichtssprache. Im 18. und 19. Jh. verstärkte sich die Stellung des Niederländischen auf den ABC-Inseln sowie auf Saba und Sint-Eustatius, so ist Niederländisch seit 1819 neben anderen Sprachen wie Spanisch und Französisch hier Unterrichtssprache. Herrnhuter aus Mähren hatten 1730 festgestellt, dass Einwohner der Jungferninseln Niederländisch sowie eine niederländische Mischsprache verwendeten. Die Missionare nannten sie cariolise oder creolisch und sollten so den Ausdruck ‚Kreolisch‘ prägen. Die 80.000 Sklaven, die die dänischen Kolonialherren im Laufe der Zeit von der afrikanischen Goldküste auf die Inseln verschleppten, übernahmen in der Neuen Welt dieses Kreolisch, das die Bezeichnung Negerholländisch erhielt. Im 19. Jh. verdrängte eine englische Kreolsprache diese niederländische Sprachvarietät. Bereits im 17. Jh. wurde Niederländisch zur Verkehrssprache Surinams trotz der Anwesenheit der unterschiedlichsten Ethnien. Dazu gehören auch Nachkommen der aus Afrika eingeführten Sklaven, die die kreolische Sprache Sranantongo sprechen. Dieses Sranan weist neben niederländischen auch englische, afrikanische und portugiesische Merkmale auf. Es ist seit 1871 belegt dank einem von den Herrnhutern veröffentlichten Gesangbuch, dem Singi Buku, und einem Neuen Testament, dem Nyun Testamenti. Im Laufe des 19. Jh. diente das Niederländisch immer mehr als Kommunikationsmittel zwischen den niederländischen Machthabern, der Lokalbevölkerung und den Sklaven in Surinam. Nach der Abschaffung der Sklaverei 1863 übernahmen gegen Ende des 19. Jh. Hindustanen und Javaner die Arbeit auf den Plantagen. Diese Kontraktarbeiter, die gegen Ende des 19. Jh. mit losen Versprechungen nach Surinam gelockt wurden, machten sich Niederländisch ebenfalls zu eigen. Niederländisch wurde 1876 zudem als Schulsprache in Surinam eingeführt. Literatur zu 3.1.: Albach 1937; De Bens 1997; Van den Berg et al. 2016; Blok et al. 1977/83; Blom et al. 2014; Blonk et al. 1960/62; Bosatlas 2011; Brouwer 1995; Bundschuh-Van Duikeren 2014; Conradie 1934; Cornelissen 2001; Van Deelen 1996; Demedts 1996; Emmer 2000; Endt 1986; Erenstein 1996; Francken 2002; Geyl 1948/59; Van Ginneken 1913; De Gooyer 1962; De Graaf 2010; Groeneboer 1993; Groeneboer 1994 (b); Grüttemeier et al. 2006; Haeseryn et al. 1997; Hammacher 1976; Heeroma 1935; Hogendoorn 1993; Hoogvliet 1894; Janssens et al. 2005; Johannes 1992; Jonckbloet 1892; Kamerbeek 1966; Kloeke 1939/72; Korthals Altes et al. 2000; Kossmann 1986; Leek 1996; Van Lennep 1831; Martin 1971; Mathijsen 1996; Mathijsen 2004; Van der Meulen 2002; Muller 1891; Musschoot 1982; Noordegraaf 1991; Peeters 1996 (a); Ponelis 1993; Post 1996; Praamstra 2011; Roorda 1858; Ruitenbeek 2002; Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Schneider 1979; Van Schoor 1996 (a); Van der Sijs 2005 (a); Sötemann 1981; Stegeman 1991; Stegeman 2010; Stilma 2002; Stuiveling 1935; Termorshuizen 2009; Du Toit 1891; Van den Toorn et al. 1997; Vekeman et al. 1993; De Vooys 1952; De Vos 1939; Vosters et al. 2010; B. de Vries 2009; M. de Vries et al. 1866; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 2013; Van der Zwan 2006.

162

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

3.2. Weitere Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im Laufe des 19. Jahrhunderts Auch später im 19. Jh. bildete die Schriftsprache als Produkt einer jahrhundertelangen Kultivierung noch immer die Grundlage von Beschreibungen und Reglementierungen des Niederländischen. Wohl berücksichtigten Sprachwissenschaftler, so eine Autorität wie Matthias de Vries in ihren Beschreibungen und historischen Erklärungen auch das lebendige, gesprochene Niederländisch. Trotzdem galt für ihn und für viele seiner Fachgenossen die Schriftsprache als ‚zivilisierte Form‘ der Muttersprache. Laut ihnen sei dieses Niederländisch zu pflegen, das ‚zivilisierte‘ gesprochene Niederländisch habe sich auf die Schriftsprache auszurichten trotz Bedenken mancher Schriftsteller und Grammatiker, die eine entgegengesetzte Auffassung vertraten (vgl. 3.6.). Im Laufe des Jahrhunderts trugen neue Generationen Grammatiker und Sprachhistoriker mit ihren Veröffentlichungen zur Orthografie, Grammatik und zum Lexikon erheblich zur weiteren Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen bei. Matthias de Vries und Lammert Allard te Winkel modifizierten die bestehende Orthografie, vgl. 3.2.1.1 Zudem begannen sie als Redakteure des Woordenboek der Nederlandsche taal (‚Wörterbuch der niederländischen Sprache‘, abgekürzt als ‚WNT‘) den niederländischen Wortschatz zu inventarisieren, vgl. 3.2.3. Sodann erschienen ab den Vierzigerjahren ausführliche grammatikalische Beschreibungen des Niederländischen, u. a. von Willem Gerard Brill, die insbesondere auf der neuesten, historisch vergleichenden Sprachforschung gründeten, vgl. 3.2.2.

3.2.1. Anpassungen der Orthografie Bereits 1824 hatte Jan Frans Willems (1793–1846, vgl. Abb. III) in seiner Abhandlung Over de Hollandsche en Vlaemsche schryfwyzen van het Nederduitsch (‚Über die holländischen und flämischen Schreibarten des Niederländischen‘) eine eigene flämische Orthografie, die auf Des Roches basierte, abgelehnt. Er befürwortete eine einheitliche Rechtschreibung für das gesamte niederländische Sprachgebiet. Seine Vorschläge schlossen sich grösstenteils Siegenbeeks Regeln (vgl. 2.2.1.) an. Während eines Sprachkongresses wurden die von einer Regierungskommission vorgeschlagenen, zum Teil umstrittenen Regeln ausgearbeitet und 1841 in Belgien eingeführt. Bald übernahmen Schriftsteller und Journalisten diese Orthografieregelung im Süden. So befolgte man für die Rechtschreibung fortan überall im gesamten Sprachgebiet fast gleiche Regeln, die auf Siegenbeek zurückgingen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts stieg einerseits namentlich bei Sprachhistorikern der Bedarf an weiteren, genaueren Rechtschreibvorschriften, andererseits machte sich u. a. unter Pädagogen der Wunsch nach einer Vereinfachung der Orthografie breit. 3.2.1.1. De Vries und Te Winkel Um ein umfassendes Wörterbuch der niederländischen Sprache verfassen zu können, hielten die Redakteure Matthias de Vries und Lammert Allard te Winkel es für notwendig, vor Beginn ihrer

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

163

Arbeit die Orthografie des Werkes genauer festzulegen. Die Grundsätze ihrer Rechtschreibung veröffentlichten sie 1863 in ihren Grondbeginselen der Nederlandsche spelling (‚Grundsätze der niederländischen Orthografie‘). Belgien führte diese bereits 1864 ein, die niederländische Grundschule nahm sie sechs Jahre später in Gebrauch. Allmählich galt auch im Norden die De Vries-Te Winkel-Orthografie als die übliche Rechtschreibung. De Vries und Te Winkel berücksichtigten nicht nur die gesprochene Sprache, sondern auch die jahrhundertelange Rechtschreibtradition sowie sprachhistorische, etymologische Gegebenheiten, ähnlich wie Jacob Grimm und Karl Gotthelf Jacob Weinhold (1823–1901) dies für eine Vereinheitlichung der deutschen Orthografie befürwortet hatten. Die deutschen Rechtschreibregeln des 19. Jh. sind dementsprechend zum Teil historisch begründet, später aber sollten u. a. durch das Wirken des Lexikografen Konrad Alexander Duden (1829–1911) phonetische beziehungsweise phonologische Eigenschaften der Sprache vermehrt beachtet werden. Die Regeln der niederländischen Orthografie hingegen basieren nach wie vor teilweise auf etymologischen Grundsätzen, die bis heute Anlass zu Auseinandersetzungen geben, vgl. 4.1.4., 4.3.6. Nicht zu Unrecht halten die Verfasser der Grondbeginselen fest, [dat] in het geheele Nederlandsche taalgebied eene tot dusverre ongekende eenparigheid is gevestigd (, [dass] sich im gesamten niederländischen Sprachgebiet eine bis jetzt ungekannte Uniformität [der Orthografie] gefestigt hat‘, De Vries et al. 1863, VI), die andere Sprachen, wie das Englische oder das Deutsche, entbehrten. Diesbezüglich zitieren sie eine Autorität wie Jacob Grimm, der die Orthografie des Niederländischen viel günstiger als die des Deutschen beurteile: Over de Nederlandsche spelling velt hij een veel gunstiger oordeel. Dennoch bestanden weiterhin diverse Varianten in der Rechtschreibung. Obwohl Siegenbeeks Orthografie allgemein gebräuchlich war, bevorzugte mancher Schriftsteller, so der viel gelesene Beets, abweichende Regeln von Bilderdijk. De Vries und Te Winkel möchten die bestehende Rechtschreibung lediglich weiter vereinheitlichen beziehungsweise ergänzen, wie sie in ihrem Vorwort schreiben. Sie schliessen sich in der Folge der Orthografie Siegenbeeks (vgl. 2.2.1.) an, für bis dahin ungeklärte Probleme der Rechtschreibung formulieren sie weitere Regeln wie u. a. für die Worttrennung. Die neue Regelung, die grösstenteils von Te Winkel stammt, sollte somit die bestehende Einheit der Orthografie in den Niederlanden und Flandern nicht gefährden. Wie Siegenbeek gründeten De Vries und Te Winkel ihre Regeln auf Ausgangspunkte, die frühere Grammatiker in den Niederlanden wiederholt berücksichtigt hatten. Ähnlich wie die Twe-spraack dies mit der Regel der ghelyckformicheyd bereits 1584 gefordert hatte, wünschten sie Wörter und Wortteile möglichst identisch zu schreiben: Geef, zooveel de uitspraak toelaat, aan een zelfde woord en aan ieder deel, waaruit het bestaat, steeds denzelfden vorm. (‚Gib, soweit die Aussprache dies zulässt, jedem gleichen Wort und jedem Teil, woraus es besteht, stets die gleiche Form‘). So solle man glad, gladde, gladder, gladst (‚glatt, glatte, glatter, am glattesten‘) schreiben und nicht glat oder glatst. Der Rechtschreibung der Derivata und Komposita müsse jene der jeweiligen Grundformen entsprechen, ähnlich wie die Twe-spraack dies mit dem Prinzip der eenpaarticheyd verlangt hatte. Man schreibe daher raadzaam (‚ratsam‘) wegen raad (‚Rat‘) und zaam (‚sam‘) oder hoofddeel (‚Hauptteil‘) wegen hoofd (‚Haupt‘) und deel (‚Teil‘). Falsch wären folglich die Schreibungen raatsaam und hoofdeel.

164

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Sodann bestimmen De Vries und Te Winkel die Schreibweise diverser unterschiedlich geschriebener Wörter, die in einigen Fällen zu Auseinandersetzungen zwischen Bilderdijk und Siegenbeek geführt hatten. Häufig wählen sie Siegenbeeks Orthografie, wie beispielsweise statt , so in bij (‚bei‘). Manchmal lehnen sie die 1804 festgelegten Schreibweisen aber ab, beispielsweise in Substantiven wie vlugt (‚Flucht‘), gezigt (‚Gesicht‘), togt (‚Zugluft‘, ‚Tour‘), da die Ableitung solcher Wörter unsicher sei und der Aussprache nicht gerecht werde. Auch Siegenbeeks und werden ersetzt, und zwar durch und wie in blauw (‚blau‘) und vleien (‚schmeicheln‘). In anderen Fällen berücksichtigen die Verfasser in ihren Rechtschreibregeln sprachhistorische Überlegungen: sie verlangen ähnlich wie Siegenbeek unterschiedliche Schreibweisen von Lauten, die sich im Ursprung voneinander unterscheiden, aber inzwischen zusammengefallen waren wie und oder und ; ebenso unterscheiden sie und . Dazu verwenden De Vries und Te Winkel die Regel der afleiding (‚Ableitung‘), die sie zwar als ‚willkürlich‘ einstufen, dennoch für notwendig halten‚ um ‚Inkonsequenzen‘ zu vermeiden. Ihre diskutable Begründung dieser Vorgehensweise formulieren sie im Abschnitt (61) ihrer Grondbeginselen umständlich mit doppelten Verneinungen und abstrakten Begriffen wie één beginsel (‚ein Grundsatz‘) beziehungsweise hoogeren regel (‚höhere Regel‘) sowie einer teleologischen Ausdrucksweise wie moet worden geëerbiedigd (‚muss respektiert werden‘): 61. Ook de voorschriften, welke niet in een onmiddellijk verband staan met de algemeene regels, kunnen hier niet ter sprake komen, dan voor zoo verre zij door één beginsel, door een hoogeren regel, beheerscht worden, die wel is waar evenzeer als de bijzondere regels willekeurig is aangenomen, doch moet worden geëerbiedigd, indien men de spelling tegen stelselloosheid en tallooze inconsequenties behoeden wil. Die voorschriften betreffen de keus uit de paren van gelijkluidende letterteekens bij het schrijven van grondwoorden. (Te Winkel et al. 1863, 14) (‚61. Auch die Vorschriften, die nicht unmittelbar in Beziehung zu den allgemeinen Regeln stehen, können hier nicht zur Sprache kommen, ausser sie werden von einem Grundsatz, von einer höheren Regel beherrscht, die zwar genauso wie die besonderen Regeln willkürlich angenommen ist, doch respektiert werden muss, falls man die Orthografie gegen Systemlosigkeit und zahllose Inkonsequenzen schützen möchte. Die Vorschriften betreffen die Wahl aus Paaren von Graphemen mit gleichen Lauten beim Schreiben von Wurzelwörtern.‘) Als zusätzlichen Vorteil dieser Regel, die bis heute, allerdings in abgeschwächter Form, in der niederländischen Orthografie zur Anwendung kommt, betrachten die Verfasser die Vermeidung von Homographen, eine nicht unumstrittene Überlegung: Het bestaan van gelijkluidende letterteekens stelt dikwijls in staat om homoniemen door de spelling te onderscheiden; men denke aan ‚weken‘, mv. van ‚week‘, en ‚weeken‘, ww., aan ‚kolen‘ en ‚koolen‘, ‚lijden‘ en ‚leiden‘. (‚Das Vorkommen von unterschiedlichen Schriftzeichen für gleiche Laute ermöglicht es oft, Homonyme durch die Orthografie zu unterscheiden; man denke an ‚weken‘ Plur. von ‚week‘ [Woche]

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

165

und ‚weeken‘, Verb [(auf)weichen], ‚kolen‘ [Plur. von (Stein-) Kohle] und ‚koolenʻ [Plur. von (Gemüse-)Kohl]‚ lijden‘ [erleiden] und ‚leiden‘ [führen].). Gegner der Regel der Ableitung hielten eine solche Argumentation für unzulässig, namentlich weil der Kontext die Entstehung von Doppeldeutigkeiten, verursacht durch Homonymie verhindere, wie in der gesprochenen Sprache. Die Anwendung der Regel der Ableitung hatte zur Folge, dass Generationen von Schülern Schreibweisen wie statt (‚Mensch‘) zu lernen hatten, obschon diese Kategorie Substantive mit [s] im Auslaut ausgesprochen wurden und werden; mancher versuchte beim Sprechen sogar die -Schreibweise durch eine hyperkorrekte Aussprache mit [x] im Auslaut hören zu lassen. Auch heute noch hat man zu lernen, ob oder zu schreiben ist, obwohl die von den Graphemen angedeuteten Laute längst als [ɔu] zusammengefallen sind; das gleiche gilt den unterschiedlichen Schreibweisen und für den Diphthong [єi]. In bastaardwoorden, d. h. eingebürgerten Lehnwörtern, die fremdartige Merkmale aufweisen wie bureau (‚Geschäftsstelle‘, ‚Büro‘) behalten De Vries und Te Winkel wie zuvor auch Siegenbeek die ursprüngliche Orthografie möglichst bei. Diese Rechtschreibregel, die bestätigt, wie wichtig die Etymologie für sie war, gehört zu den Vorschriften, die immer wieder Kritik auslösten und auch heute noch zu Diskussionen führen. Als willkürliches Beispiel der vielen kritischen Besprechungen dieser und anderer neuer Vorschriften sind J. Alberdingk Thijms Äusserungen zur Rechtschreibung der Lehnwörter zu betrachten. Bereits 1843 hatte er in seinem Over de spelling van de bastaardwoorden in ʾt Nederduitsch (‚Über die Orthografie der Lehnwörter im Niederländischen‘) die Beibehaltung der ursprünglicher Orthografie in Lehnwörtern abgelehnt. Dass Siegenbeek und seine Anhänger nur den ‚Schluss‘ der Lehnwörter an die niederländische Orthografie anpassen wollten, hält Alberdingk Thijm für unverständlich: „Ja wel,“ merkt een bescheiden Siegenbeker aan, „wij hebben dan ook altijd gezegd, dat we wel aan den staart, maar niet aan den kop der woorden het burgerrecht wilden toekennen.“ In spectakel nemen zij den takel van ons over, op het gevaar af van er zich aan te vergapen; maar het spek – daar durft hunne tong niet aan. Zij komen met hunne toegeeflijkheid voor de staarten (bij pruiken verklaarbaar) ook niet zeer ver: want bureau en paletot mogen nóg zoo dikwijls gebruikt moeten worden – zij durven het eau en ot niet verwerpen. (Alberdingk Thijm 1865, 417) (‚„Ja wohl,“ wendet ein bescheidener Siegenbeker ein, „wir haben denn auch immer gesagt, dass wir wohl dem Schwanz, aber nicht dem Kopf der Wörter Bürgerrecht verleihen wollten.“ In spectakel [‚Spektakel‘] übernehmen sie von uns den takel [‚das Takel‘] auf die Gefahr hin, sich davon blenden zu lassen; aber het spek [‚dem Speck‘] – daran wagt ihre Zunge sich nicht. Sie kommen mit ihrer Nachgiebigkeit den Schwänzen gegenüber (bei Perücken verständlich) auch nicht sehr weit: denn bureau [‚Büro‘] und paletot [‚Paletot‘] dürfen noch so oft gebraucht werden – sie wagen es nicht das eau und ot zu verwerfen.‘) Anlässlich der Veröffentlichung der ersten Lieferung des WNT tadelt Alberdingk Thijm 1865 u. a. die nach seiner Auffassung willkürliche Schreibweise des /k/-Phonems durch De Vries und

166

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Te Winkel mit den Graphemen und in Lehnwörtern wie kapitein (‚Kapitän‘), kapitaal (‚Kapital‘), contant (‚bar‘), kantoor (‚Büro‘), oder in secundo (‚zweitens‘) und sekonde (‚Sekunde‘), courant (‚Zeitung‘) und koerier (‚Kurier‘), commissaris (‚Kommissar‘) und kommies (‚Beamter des mittleren Dienstes‘), kruis (‚Kreuz‘) und crucifix (‚Kruzifix‘). Das Genus der Substantive legen De Vries und Te Winkel in ihrer Woordenlijst voor de spelling der Nederlandsche taal (‚Wörterliste für die Rechtschreibung der niederländischen Sprache‘) 1866 fest. Sie halten, wie so viele ihrer Vorgänger, die Bestimmung des Wortgeschlechtes, namentlich der Substantive des Genus commune für nicht unproblematisch, wie aus der Einführung ihrer Liste hervorgeht: [Er zijn woorden] aangaande wier geslacht volstrekt niets bekend is, en andere, waarvan men slechts weet dat zij niet onzijdig zijn, zoodat men tusschen manlijk en vrouwelijk te beslissen heeft. Slechts van de woorden, die aangetroffen worden in geschriften uit den tijd, toen zij nog in het gesprek verbogen werden, kent men het geslacht met zekerheid. Aan vele, die niet tot deze categorie behooren, hebben woordenboekschrijvers, niet zelden geheel willekeurig en vandaar soms uiteenloopend, een geslacht toegekend. (De Vries et al. 1866, XI, XII) (‚[Es gibt Wörter] von denen absolut nichts bekannt ist, soweit es das Wortgeschlecht betrifft, und andere, von denen man nur weiss, dass sie nicht sächlich sind, so dass man zwischen männlich und weiblich zu entscheiden hat. Nur von den Wörtern, die in Schriften angetroffen werden aus einer Zeit, als sie noch im Gespräch flektiert wurden, kennt man das Geschlecht mit Sicherheit. Vielen, die nicht zu dieser Kategorie gehören, haben Schreiber von Wörterbüchern nicht selten ein ganz willkürliches und daher manchmal unterschiedliches Genus zugesprochen.‘) Befürworter der De Vries-Te Winkel-Orthografie und der Festschreibung des Wortgeschlechtes begrüssten die neuen Regeln als eine Chance, um die gepflegte Schriftsprache unter Berücksichtigung ihrer Ursprünge weiter zu vereinheitlichen und zu kultivieren. Belgien führte De Vries-Te Winkel 1864 ein, die niederländischen Grundschulen folgten bald. Sodann schrieb die niederländische Regierung 1883 De Vries-Te Winkel für amtliche Stücke vor, 1886 passte De Vries gar die Rechtschreibung des Strafgesetzbuches den neuen Regeln an. Es wurde allerdings auch vermehrt Unmut über die neuen Rechtschreibregeln laut. Nicht nur Sprachwissenschaftler und Schriftsteller, sondern auch Erzieher erhoben Einwände gegen die De Vries-Te Winkel-Orthografie, die nun allgemein in Gebrauch kam. 3.2.1.2. Kollewijn und seine Mitkämpfer Zu den Gegnern der De Vries-Te Winkel-Orthografie zählt der Sprachwissenschaftler Roeland Anthonie Kollewijn (1857–1942), Lehrer an einer Amsterdamer HBS (vgl. 3.1.2.1.), der die Nachteile der neuen Regelung namentlich auch für den Sprachunterricht betonte. In seinem Aufsatz Onze lastige spelling. Een voorstel tot vereenvoudiging. (‚Unsere lästige Orthografie. Ein

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

167

Vorschlag zur Vereinfachung.‘ 1891) legt er dar, wie viel Zeit Lehrer und Schüler an der Grundund Mittelschule mit dem Unterricht der tirannieke, onverdraagzame, dikwijls onberekenbare Nederlandsche spelling (‚tyrannischen, unduldsamen, oft unberechenbaren niederländischen Orthografie‘) vergeuden würden. Dabei zitiert er den Germanisten, Erzieher und Mitherausgeber des Grimmschen Wörterbuchs Rudolf Hildebrand (1824–1894) u. a. mit den Sätzen: Wie viel edle Zeit und Mühe, und wie viel Pflichtgefühl wird bei der lieben Orthographie nutzlos verthan ! auch bei an sich gleichgültigen Dingen! Und von der ganzen Schulzeit nimmt das einen guten Theil für sich allein in Anspruch! (Kollewijn 1891, 5, 6) Kollewijn beanstandet namentlich die Markierung von Fem. und Mask. der Substantive in der Schriftsprache, die in der lebendigen, gesprochenen Sprache der Niederlande mit dem Genus commune grösstenteils weggefallen war. Er zeigt dies anhand des Substantives koe (‚kuh‘) und der gebräuchlichen Pronominalbezeichnung hij (‚er‘): von einer Kuh sage man hij wordt morgen geslacht (‚er wird morgen geschlachtet‘). Der Verfasser hält es für unerträglich, dass sogar Absolventen eines Gymnasiums in De Vries-Te Winkel das Geschlecht von ‚Brille‘ oder ‚Kuss‘ nachschlagen müssten: Allen schrijven zij brieven; en allen weten, vermoeden althans, dat er taalfouten in hunne brieven staan! Natuurlijk! Verbeeld u, dat iemand schrijft aan zijn moeder, aan zijn vriend, aan zijn meisje en iets heeft te vertellen van een bril, een sok, een paal of een zoen – zou het niet onuitstaanbaar zijn, als hij eerst in de woordenlijst van de Vries en te Winkel ging opzoeken of het moet wezen den bril, of de bril? den zoen of de zoen? (Kollewijn 1891, 7) (‚Alle schreiben sie Briefe; und alle wissen, vermuten wenigstens, dass ihre Briefe Sprachfehler enthalten! Natürlich! Stellen Sie sich vor, jemand schreibt seiner Mutter, seinem Freund, seinem Mädchen und er hat etwas zu erzählen über eine Brille, Socke, über einen Pfahl oder einen Kuss – wäre es nicht unerträglich, wenn er zuerst in der Wörterliste von De Vries und Te Winkel aufsuchte ob es ‚den bril‘ oder ‚de bril‘, ‚den zoen‘ oder ‚de zoen‘ sein müsste?‘) Offensichtlich gründet Kollewijn seine Darlegungen auf das gepflegte gesprochene Niederländisch im Westen der Niederlande, Markierungen des Wortgeschlechtes, die im Süden vorkamen, lässt er ausser Acht. Weiter möchte er Vokale wie /o/ in offener Position mit nur einem Graphem wiedergeben, so beispielsweise in hoge (‚hohe‘). Sodann sei im Einklang mit dem gesprochenen AN auf Kasusmarkierungen in Artikeln und Adjektiven zu verzichten. Zwar könne man ohne diese artifiziellen Flexionsendungen Sätze wie Den zoon slaat de vader (‚Den Sohn schlägt der Vater‘) nicht mehr bilden, aber diese kämen in der gesprochenen Sprache schon längst nicht mehr vor. Zudem könne man den in der geschriebenen Sprache zulassen, falls diese Form nötig sei. Folglich lehnt Kollewijn es ab, Unterschiede in der Orthografie beizubehalten, die in

168

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

der gesprochenen Sprache nicht existieren. Er befürwortet die Tilgung von Merkmalen in der Schriftsprache, die im lebendigen Niederländisch ausgestorben waren. Kollewijns Aufsatz, der vielerorts Beachtung fand, führte 1893 zur Gründung der Gesellschaft Vereniging tot vereenvoudiging van onze spelling en schrijftaal (‚Verein zur Vereinfachung unserer Orthografie und Schriftsprache‘), später umgetauft auf Vereniging tot Vereenvoudiging van de Schrijftaal und 1925 auf Vereniging tot Vereenvoudiging van onze Spelling. Viele aus den Bereichen des Bildungswesens, der Wissenschaft und der Belletristik traten dem Verein bei. Die Mitglieder, die sich u. a. gegen die Anwendung der Regel der Ableitung wehrten, einigten sich 1902 zu Vereinfachungen wie: (a) keine Verdoppelung des in offener Posistion wie in delen (‚teilen‘) ausser am Schluss des Wortes, vgl. zee (‚Meer‘); (b) keine Verdoppelung des in offener Position, so in hoge (‚hohe‘); (c) statt in einheimischen Wörtern wie in biezonder (‚besonders‘); (d) statt für die Wiedergabe des Schwas, vgl. duidelik (‚deutlich‘); (e) im Einklang mit der Aussprache statt in Wörtern wie mens (‚Mensch‘); (f) Fugenlaute wie [n] oder [s] sind nur zu schreiben, wenn sie ausgesprochen werden, daher grotendeels (‚grösstenteils‘) mit , aber hondehok ‚Hundehütte‘) ohne ; (g) eingebürgerte Lehnwörter sind nach den Regeln der niederländischen Orthografie zu schreiben, so kontributie (‚Kontribution‘) mit statt mit und alfabet (‚Alphabet‘) mit statt mit , für /i/ wird allerdings an Stelle von in Lehnwörtern beibehalten; (h) Eigennamen behalten die ursprüngliche Schreibweise, vgl. Aerdenhout mit statt ; (i) die Rechtschreibung von Artikeln, Adjektiven und Pronomina basiert auf der gepflegten Aussprache, vgl. Zet die stoel in de hoek (‚Stelle den Stuhl in die Ecke‘) statt Zet dien stoel in den hoek. Bald wandten die Anhänger Kollewijns solche Vereinachungen in ihrer Schreibpraxis an. Kollewijns Auffassungen lösten ihrerseits, wie zuvor die Rechtschreibvorschriften von Siegenbeek oder die Anpassungen der Orthografie durch De Vries und Te Winkel, zahllose Reaktionen aus. Mehrere Schriftsteller, so Frederik van Eeden, lehnten die Reformvorschläge Kollewijns ab. Auch ein Pädagoge wie Cornelis Herman den Hertog (1846–1902) hatte seine Bedenken. Er hebt ‚das Gemeinsame‘ der Sprache hervor und verlangt sowohl die Pflege der gesprochenen wie auch der geschriebenen Sprache. Wie verschiedenartig und zudem leidenschaftlich Sprachwissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten, Pädadogen und weitere Interessenten in der Regel Fragen der Orthografie behandelten, zeigt eine willkürlich gewählte Stellungnahme zu Kollewijns Vorschlägen von der Hand eines flämischen Nationalisten wie A. Prayon-van Zuylen (1848–1916). Er führt in seinem Bericht zu Kollewijns Rechtschreibung, den er im Auftrag der Koninklijk Vlaamse Academie voor Taal- en Letterkunde (‚Königlichen Flämischen Akademie für Sprach- und Literaturwissenschaft‘) 1900 verfasste, nicht nur ästhetische, linguistische, historische und pädagogische, sondern auch politische Überlegungen ins Feld (vgl. Prayon-van Zuylen 1900). Prayon-van Zuylens vehementer Protest gegen Kollewijns Orthografiereform zeigt zudem, dass er wie viele seiner Zeitgenossen eine Änderung der Orthografie als eine – nachteilige – Änderung der Sprache erfuhr; ein Irrtum, dem man in Diskussionen über die Rechtschreibung bis heute begegnet. Prayon-van Zuylen ist der Meinung, dass die niederländische Schriftsprache vorzüglich sei, man dürfe sie daher nicht dem ‚holländischen Dialekt‘ anpassen. Gerade die Merkmale der

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

169

literarischen Sprache, die sich vom gesprochenen Niederländischen der kultivierten Holländer abhebe, seien in der Rechtschreibung zu berücksichtigen. Neben solchen ästhetischen Erwägungen, die auf subjektiven Bewertungen sprachlicher Varianten beruhen, erwähnt Prayon-van Zuylen die Erziehung: man könne, aber man wolle nicht korrekt schreiben. Dass es Mühe kostet, die Orthografie zu lernen, sei nicht schlimm: auch Deutsche, Franzosen und Engländer hätten sich anzustrengen, um die Rechtschreibung ihrer Sprache zu lernen, obschon die jeweiligen Regeln komplexer seien als jene der De Vries-Te Winkel-Orthografie. Dabei lässt er Rudolf Hildebrands vorher zitierte Kritik am zeitraubenden Erlernen der deutschen Rechtschreibung unerwähnt. Sodann meint Prayon-van Zuylen, der als Jurist offenbar wenig von Sprachgeschichte verstand, dass man im ‚holländischen Dialekt‘ Beugungsendungen ‚weglasse‘, die in südlichen Dialekten vorhanden seien. Somit übersieht er, dass sich das Niederländische als germanische Sprache in seiner jahrhundertelangen Entwicklung gerade durch einen Prozess des Flexionsverlustes von einer synthetischen zu einer analytischen Sprache herausbildet. Im AN des Nordens sind um 1900 Kasus- und Genusmarkierung denn auch grösstenteils verschwunden, in Dialekten, namentlich im Süden kommen sie unterschiedlich und zum Teil wenig systematisch vor. Zur sprachlichen Situation hält der Verfasser fest: In het Zuiden, waar ’t verschil tusschen tongval en letterkundige taal nog al groot is, poogt men ten minste deze aan te leeren. Vlaamsche sprekers en schrijvers, al hebben zij ongelijk bij voortduring in den vriendenkring dialect te praten, beijveren zich, wanneer zij in ’t openbaar optreden, om zich in de ‚boekentaal‘ uit te drukken. Mogelijk klinkt hun Nederlandsch ietwat academisch en dus min of meer gemaakt en stijf; ook wordt het hier en daar door gallicismen ontsierd; maar toch is het grammaticaal zuiverder dan de lossere en, zoo men wil, sierlijkere taal, welke men benoorden den Moerdijk hoort. In Holland immers springt het verschil tusschen dialect en schrijftaal niet zoo zeer in het oog, inzonderheid wat de beschaafde uitspraak aangaat, die meer en meer de Hollandsche wordt. (Prayon-van Zuylen 1900, 156–157) (‚Im Süden, wo der Unterschied zwischen Mundart und literarischer Sprache ziemlich gross ist, versucht man wenigstens diese zu erlernen. Flämische Redner und Schreiber, auch wenn sie unrecht haben, wenn sie im Freundeskreis dauernd Dialekt reden, befleissigen sich, wenn sie öffentlich auftreten, sich in „feierlicher Literatursprache“ auszudrücken. Möglicherweise tönt ihr Niederländisch ein wenig akademisch und folglich mehr oder weniger artifiziell und amtlich; auch wird es hier und da von französischen Lehnwörtern verunstaltet; dennoch ist es aber grammatikalisch reiner als die lockere, wenn man möchte elegantere Sprache, die man nördlich der grossen Flüsse hört. In Holland springt der Unterschied zwischen Dialekt und Schriftsprache nicht zu sehr ins Auge, insbesondere soweit es die kultivierte Aussprache betrifft, die mehr und mehr holländisch wird.‘) Gemäss diesem Zitat ist im Süden folglich die Rede von Diglossi: während die Bürger Flanderns im Alltag Mundart sprechen, versuchen sie bei offiziellen Anlässen eine mehr oder

170

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

weniger künstliche Schriftsprache zu reden. In ‚Holland‘ dagegen fallen laut dem Verfasser Unterschiede zwischen der lockeren und möglichweise eleganteren Sprache und ihrer schriftlichen Wiedergabe weniger auf. Die Folgerung müsste lauten, dass geschriebene Sprache im Süden als ein eher artifizielles überregionales Kommunikationsmittel funktionierte, im Norden dagegen als schriftliche Wiedergabe des gepflegten AN. Statt die Entwicklung und Vereinheitlichung des dialektfreien, lebendigen AN im Norden zu würdigen, verteidigt Prayon-van Zuylen die unnatürliche Schriftsprache als Norm für das gesprochene Niederländisch. Die von Kollewijn vorgeschlagenen Vereinfachungen der Orthografie empfindet er, wie mancher seiner Gesinnungsgenossen im Süden daher als Gefährdung der Stellung des Niederländischen: sie könnten die angelernte überregionale Form ihrer Muttersprache bedrohen. Ein flämischer Nationalist wie Prayon-van Zuylen lehnte eine Anpassung der Rechtschreibung denn auch aus politischen Gründen ab. Die Sprache werde als de laatste band, die de verdeelde Nederlanden aan elkaar hecht (‚das letzte Band, das die verteilten Niederlande zusammen heftet‘) einen ‚Schild der Nationalität‘ bilden. Welche Nationalität hier gemeint wird, sei dahingestellt. Der Berichterstatter der Akademie folgert, dass Flandern die Kollewijn-Rechtschreibung, welche die Sprache derart gefährde, bestimmt nicht einführen werde. Daher passe es der Koninklijke Vlaamsche Academie als höchster zuständiger Instanz für niederländische Sprache und Literatur in Belgien einen jeden, der an der Einheit des Niederländischen im Norden und im Süden hängt, vor Reformversuchen zu warnen, die unwiderruflich zum Zwiespalt führten. Dennoch sollten im Laufe des 20. Jh. gemeinsame Anstrengungen zur Vereinfachung der Orthografie im gesamten Sprachgebiet führen. Zuspruch erfuhren Kollewijns Vorschläge im Süden Afrikas. Die Teilnehmer der Tagung Congres ter Vereenvoudiging der Nederlandsche Taal, die 1897 in Kapstadt stattfand, beschlossen die Kollewijn-Orthografie einzuführen, wenn die Niederlande und Belgien sich ebenfalls dafür entschieden. Daraufhin arbeitete der Zuid-Afrikaansche Taalbond (‚Südafrikanische Sprachverband‘) entsprechende allgemeine Grundsätze für die Vereinfachung der niederländischen Schriftsprache in Südafrika aus. Während einer Sitzung der Maatschappij der Nederlandse letterkunde hielten Vertreter aus den Niederlanden, Belgien und Südafrika 1903 fest, dass die Vorschläge des Zuid-Afrikaansche Taalbond nicht gegen den Charakter und die Regeln des Niederländischen verstossen würden. Auch würden sie die ‚höhere Einheit‘ der niederländischen Sprache nicht gefährden. So erhielt der Verband grünes Licht, um ein Jahr später die neuen Rechtschreibregeln bekannt zu geben, 1906 wurden sie an der Universität Kapstadt eingeführt und im gleichen Jahr vom Erziehungsministerium als offzielle Orthografie bezeichnet. Viele Zeitungen wie De Burger (‚Der Bürger‘), De Huisgenoot (‚Der Hausgenosse‘) oder Volksblad (‚Volksblatt‘) führten die vereinfachte Orthografie ein. Immer wieder sollten Anhänger und Gegner von Orthografiereformen sich oft leidenschaftlich zur Rechtschreibung des AN äussern. Die Diskussionen blieben nicht ohne Folge, so wurden im Laufe des 20. Jh. mehrere von Kollewijns Vorschlägen, namentlich zur Beseitigung von Genus- und Kasusmarkierungen umgesetzt, vgl. 4.1.4.

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

171

3.2.2. Grammatikalische Beschreibungen des Niederländischen Es erschienen im 19. Jh. zunehmend Grammatiken des Niederländischen, die für die Lehrerausbildung und die Schule bestimmt waren. Neu war, dass einige den Satzbau als Ausgangspunkt hatten. Dies gilt bereits für Siegensbeeks Syntaxis of woordvoeging der Nederduitsche taal (‚Syntax oder Anordnung der Wörter der niederländischen Sprache‘) 1810, die 1846 neu aufgelegt wurde, und seine Grammatica of Nederduitsche Spraakkunst (‚Niederländische Grammatik‘) 1814, die zwei Mal neu gedruckt wurde. Auch ein Schulbuch wie Nederduitsche spraakkunst voor eerstbeginnenden (‚Niederländische Grammatik für Anfänger‘) 1814 vom Haarlemer Schulmeister Nicolaas Anslijn (1777–1838) ist dem Satzbau gewidmet. Dieses Buch läutete die bis heute anhaltende Tradition ein, Satzzergliederung beim Sprachunterricht an der Schule zu behandeln. Anslijn basierte sein Werk nicht nur auf der Arbeit von Grammatikern wie Adelung, Weiland (vgl. 2.2.2.) und Abbé Sicard (Roch-Ambroise Cucurron Sicard, 1742–1822), sondern er liess sich auch vom Volksschullehrer Johann Christian Dolz (1769–1843) anregen. Weiter veröffentlichte der Schulmeister und Grundschuldirektor Johannes van Schreven 1832 eine Korte handleiding tot het redekundig ontleden van voorstellen en volzinnen (‚Kurzer Leitfaden zur Zergliederung von Propositionen und Vollsätzen‘). Von Jan Baptist David (1801–1866) ist die zweibändige Grammatik Nederduytsche Spraekkunst (‚Niederländische Grammatik‘) 1833/35 zu nennen, die das nördliche Niederländisch als Norm für die Sprache der Flamen befürwortet, und zwar weil die Niederländer im Gegensatz zu den Belgiern ihre Sprache gepflegt hätten, wie der Verfasser schreibt: Zy alleen hebben hunne tael, die allezins de onze is, vlytig beoefend; terwyl de Belgen, al te zeer op het naburige Fransch verzot, verre ten achter zyn gebleven; en in datgene, wat zeer naeuw met hunne nationaliteyt verknocht is, hunne taek deerlyk verwaerloosd hebben. Het is niet dat ik immer hollandsch wil spreken of schryven; maer hetgene wat de eerste tot volmaking der nederduytsche spraekkunst, na grondig onderzoek, wysselyk hebben ingevoerd, zoude ik geerne op belgischen bodem zien overgebragt worden, om niet altoos in het voetspoor onzer voorgangers blindelyk en zonder aenwinst voort te gaen. (David 1834, VI) (‚Sie allein haben ihre Sprache, die in jeder Hinsicht die unsere ist, fleissig gepflegt; während die Belgier, die sich zu sehr ins Französische vernarrt haben, sehr zurückliegen und demjenigen gegenüber, das sehr eng an ihrer Nationalität hängt, ihre Aufgabe jämmerlich vernachlässigt haben. Es ist nicht so, dass ich immer Holländisch sprechen oder schreiben möchte; aber das was die ersten zur Vollendung der niederländischen Grammatik nach gründlichen Nachforschungen wohlweislich eingeführt haben, würde ich gerne auf belgischen Boden hinüber befördert haben, um nicht immer blindlings und ohne Gwinn in den Fussstapfen unserer Vorgänger fortzufahren.‘)

172

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Wie David hielten viele flämische Schriftsteller und Sprachgelehrte die gepflegte Sprache der Niederlande für nachahmenswürdig. Sie galt als mustergültig für die Befürworter des sprachlichen Integrationismus, vgl. 3.4.2.2. Diente im 17. und 18. Jh. die französische grammaire générale als Richtlinie für die Verfasser von Grammatiken für den Sprachunterricht, so berücksichtigten sie im 19. Jh. immer häufiger die deutsche universelle, allgemeine Grammatik. Insbesondere Karl Ferdinand Beckers (1775–1849) Auffassungen zur Systematik der Sprache und seine Versuche, syntaktische Strukturen als Ausdruck logischer Argumente darzustellen, fanden in den Niederlanden Nachahmung. So lässt sich ihr Einfluss in der Nederlandsche spraakleer; een vervolg op de Nederlandsche spraakkunst voor schoolgebruik (‚Niederländische Sprachlehre; eine Fortsetzung der Niederländischen Sprachlehre für die Schule‘) wiederfinden, die der Grundschullehrer Gerard Christiaan Mulder (1810–1859) aus Nijmegen 1852 veröffentlichte. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gründen Grammatiker ihre Beschreibungen des Niederländischen zunehmend auf Erkenntnissen der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft. Der Sprachgelehrte Willem Gerard Brill, Verfasser von Grammatiken mehrerer moderner Sprachen und Autor eines Standardwerkes über das Niederländische, ist beispielsweise von Jacob Grimm beeinflusst. Auch wenn er sich mit seinen normativen Betrachtungen der Sprache an Grammatiker wie Becker und Heyse (1764–1829) anschliesst, so beschreibt er das Niederländische doch in einem sprachhistorischen Zusammenhang. Bezeichnenderweise beruft er sich bei der Erklärung von Merkmalen seiner Muttersprache regelmässig auf Sprachen wie Sanskrit, Hebräisch, Gotisch, Griechisch oder Latein und auf ältere Stufen des Niederländischen. Zudem zitiert er immer wieder ältere Grammatiken des Niederländischen und führt die Schreibpraxis vergangener Jahrhunderte an. Seine Hollandsche Spraakleer (‚Die holländische Sprachlehre‘) 1846 weist eine ähnliche Einteilung auf wie Johann Christian August Heyses Theoretisch-praktische deutsche Grammatik oder Lehrbuch zum reinen und richtigen Sprechen, Lesen und Schreiben der deutschen Sprache. Für den Schul- und Hausgebrauch bearbeitet, 1814, das Heyses Sohn Karl Wilhelm Ludwig bearbeitete und 1838–1849 als Ausführliches Lehrbuch der deutschen Sprache neu herausgab. J.H. Behrns, Dozent am Franeker Atheneum, hatte Heyses Grammatik übrigens 1832 in einer niederländischen Bearbeitung veröffentlicht. Nach einer Besprechung der letteren, die hier Laute bezeichnen – bei Heyse: von den Buchstaben und deren richtiger Aussprache - behandelt Brill wie sein Vorbild die Wortarten und ihre Beugung; eine Syntax fehlt. Diese veröffentlicht Brill 1852 als separaten Band mit dem Titel Nederlandsche spraakleer (‚Niederländische Sprachlehre‘); ‚holländische‘ hatte im Titel für ‚niederländische‘ Platz gemacht. Vier Jahre später folgt ein Band über Stilistik. Nun umfasste Brills umfangreiches Standardwerk zur niederländischen Sprache, das einige Neuauflagen erlebte, drei Bände. Es ersetzte als Nachschlagewerk Weilands Grammatik (vgl. 2.2.2.), die bis dahin die massgebende Sprachlehre des Niederländischen war. Brills Beschreibungen der zehn Wortarten umfassen ausführliche Angaben zur Wortbildung, zur starken und schwachen Konjugation wie auch zur Deklination. Bezeichnenderweise geht seine bis heute in niederländischen Grammatiken gebräuchliche Einteilung der starken Verben auf Grimm zurück. In seiner Syntax geht der Verfasser vom Verb aus und kennzeichnet die semantisch-syntaktischen Beziehungen zwischen Subjekt, Prädikat, Substantiv und Adjektiv

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

173

mit der Lehre der Dependenz, Inhärenz und Zusammenfügung: Dus laat zich de woordvoeging verdeelen in de leer van de Regering, in die van de Congruentie of Overeenkomst, en in die van de Zamenschikking (Brill 1863, Bd. 2, 33). Die Dependenzverhältnisse zeigen sich im Kasus. Der Nominativ ist als ‚unabhängiger‘ Kasus ‚die Form‘ des Subjekts, das sich auf das Prädikat bezieht. Die ‚abhängigen‘ Kasus sind der Akkusativ als Obkjekt der Handlung, der Genitiv, der ein Objekt als Ursprung der Handlung bezeichnet, und schliesslich der Dativ, der ein Objekt, das an der Handlung teilnimmt, nennt. Inhärenz wird durch Kongruenzformen zum Ausdruck gebracht. So zeigt die Konjugation des finiten Verbs die Beziehung zum Subjekt, die Deklination des Adjektivs macht die Verknüpfung mit dem Substantiv klar. Schliesslich können die bepalingen (‚Bestimmungen‘) untergeordnete, nicht-verknüpfte oder nebengeordnete ‚Zusammenfügungen‘ sein. Zwar befasst sich Brill mit dem door de beschaafden gesproken en geschreven Nederduitsch (‚von Zivilisierten gesprochenen und geschriebenen Niederländisch‘, Brill 1871, 3), seine Beschreibung richtet sich dennoch stark auf die Schriftsprache, wie beispielsweise die ausführliche, über achtzig Seiten zählende Darstellung des Kasus zeigt. In der gesprochenen Sprache der Niederlande war Kasusmarkierung eine Seltenheit, sieht man von bestimmen, neueren Genitivformen wie vaders zoon (‚Vaters Sohn‘), festen Ausdrücken wie de dag des Heren (‚der Tag des Herrn‘) oder von Klitisierung beziehungsweise Fusion wie in zondags (‚am Sonntag‘) ab. Syntaktische Zusammenhänge wurden in der gesprochenen Sprache vor allem von Präpositionen beziehungsweise durch Wortfolge zum Ausdruck gebracht. Nach Brill weisen Substantive nur noch Markierungen des Genitivs und Dativs Mask. beziehungsweise Neutr. auf, Kasus werde aber durch Präpositionen und die Beugung des ‚determinitiven‘ Wortes ausgedrückt. Diese Flexion, die im spontanen gesprochenen Niederländisch des Nordens wohl kaum vorkam, erläutert er u. a. mit folgenden Beispielen: Enkelvoud, (‚Sing.‘) Mannelijk. (‚Mask.‘) Nomin. De goede man, (‚Der gute Mann‘) Genit. Des goeden mans, Datief Den goeden man (voor: manne), (‚für: manne‘) Accus. Den goeden man. Meervoud (‚Plur.‘) in alle geslachten gelijk, (‚in allen Geschlechtern gleich‘), Nomin. De goede mannen, Genit. Der goede mannen, Datief Den goeden mannen, Accus. De goede mannen.

Vrouwelijk. (‚Fem.‘) De goede vrouw, (‚Die gute Frau‘) Der goede vrouw, Der goede vrouw, De goede vrouw.

Onzijdig. (‚Neutr.‘) Het goede kind, (‚Das gute Kind‘) Des goeden kinds, Den goeden kinde (verouderd) (‚veraltet‘), Het goede kind.

174

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Unter Berücksichtigung der Sprachgeschichte behandelt Brill in fünf Teilkapiteln und Dutzenden Paragraphen die Fälle detailliert, den für das gesprochene Niederländisch so kennzeichnenden Flexionsverlust erwähnt der Verfasser in diesem Zusammenhang nur beiläufig. So heisst es lediglich, dass die Beugungsform des Nominativs thans afgesleten (‚heute verschliessen‘, Brill 1863, 34) sei. Zum Akkusativ bemerkt Brill nebenbei, dass dieser Kasus gelegentlich vorkomme, wo sich Nominativ ‚gehört‘. Dazu zitiert er aus der Statenvertaling den Satz want den hemel is droevig rood (‚denn der Himmel ist betrübt rot‘, Brill 1863, 36) mit dem Subjekt den hemel, das laut Brill die Form eines Akkusativs hat. Übrigens konnte den namentlich in südlichen Varianten des Niederländischen ebenfalls Nom. Mask. Sing. markieren. Auch bei der Behandlung des Dativs kommt der Flexionsschwund nur indirekt zur Sprache. So wurde angeblich im Mittelniederländischen bei bestimmten Verben das indirekte Objekt ‚genauer‘ mit dem Dativ gekennzeichnet, als in seiner Zeit der Fall sei mit der Verwendung eines Akkusativs oder einer Präposition: Verscheidene werkwoorden, bij welke de vermelding eens persoons te pas komt, wien de handeling aangaat of ten wiens behoeve zij geschiedt, hadden in het Middennederlandsch, (…) veelal den datief bij zich: naauwkeuriger dan tegenwoordig, nu zij den naam diens persoons in dén accus. of, door eenig voorzetsel voorafgegaan, bij zich bekomen (Brill 1863, 42). Übrigens stimmte nicht jeder einer derartigen Beschreibung des Kasus im Niederländischen zu. So bezeichnete Taco Roorda, seit 1842 Ordinarius für javanische Sprache an der Hochschule Delft (vgl. Noordegraaf 1985) in einem Vortrag vor der Akademie van Wetenschappen (‚Akademie der Wissenschaften‘) 1855 die ‚importierte‘ Kasusflexion als unnatürlich. Eine derartige als Provokation empfundene Auffassung, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von weiteren Grammatikern und Schriftstellern vertreten wurde (vgl. 3.6.1.), stiess bei Sprachhistorikern wie Brill und De Vries auf Unverständnis. Zum Wortgeschlecht des Substantivs hält Brill fest, dass durch den Verschleiss der Beugungsformen das Mittel verloren ging, um das Genus von Sachbezeichnungen zu bestimmen. Nur der Artikel het (‚das‘) verblieb als eindeutiges Indiz dafür, dass ein Nomen Neutrum sei. Für die übrigen Substantive, gemeint sind die der de-Klasse, gelte, dass man sie in der gesprochenen Sprache mit dem Mask. Pronomen hij (‚er‘) bezeichnet: wij [wenden] in de gemeene spreektaal, ter aanduiding van voorwerpen, onverschillig of zij mannelijke of vrouwelijke namen hebben, het persoonlijke voornaamwoord van het mannelijk geslacht [aan] (Brill 1871, 146) (‚wir [verwenden] in der gemeinen gesprochenen Sprache zur Bezeichnung von Gegenständen, gleichgültig ob sie männliche oder weibliche Namen haben, das persönliche Fürwort des männlichen Geschlechts‘) Dennoch umfasst Brills Darstellung des Wortgeschlechts mehr als sechzig Regeln, zahllose Anmerkungen und Hunderte Beispiele, die eine Bestimmung des Genus gestatten sollen. Die zum

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

175

Teil spekulativen Ausführungen, die auf so unterschiedlichen Kriterien wie Wortbedeutung und Etymologie gründen, schliessen sich an David van Hoogstratens Lyst der gebruikelykste zelfstandige naamwoorden (‚Liste der gebräuchlichsten Substantive‘) 1723 an, die von Kluit revidiert wurde. Wer sich der von Brill erwähnten Sprachpraxis, sich mit dem Pronomen hij (‚er‘) auf ein Substantiv der Klasse Genus commune zu beziehen, entziehen wollte, sollte folglich viele Regeln beherrschen. Ansonsten wäre in einer Wörterliste nachzuschauen, um festzustellen, ob ein Nomen Fem. oder Mask. war. Anders als Brill richtete Roorda sich als Untersucher von nicht-europäischen Sprachen nach einer allgemeinen Sprachtheorie, die sich u. a. auf Beckers Auffassungen zur Sprache als Organismus stützte. Letztere beruhten auf Annahmen zu logischen Funktionen und Bedeutungen der Sprache, welche die Entfaltung der sogenannten traditionellen Grammatik des Niederländischen mitbestimmen sollten. Mancher Sprachhistoriker, der immerhin in der Lage war, sprachliche Erscheinungen in ihrer historischen Entwicklung aufgrund neu entdeckter Gesetzmässigkeiten theoretisch abgesichert zu erklären, konnte eine derartige funktionale Betrachtung der Sprache wissenschaftlich nicht ernst nehmen. Dagegen meinte ein Sprachgelehrter wie der einflussreiche Te Winkel, dass historische und philosophische Sprachanalysen einander ergänzen konnten. In den letzten vier Jahrzehnten des 19. Jh. erschienen derweil mehrere Sprachlehren, die auf funktional-semantischen Analysen des Niederländischen gründeten und auch in Schulbüchern angewandt wurden. Zur systematischen Beschreibung der Sazteile benutzten Grammatiker und Sprachlehrer Begriffe, die zum Teil auf die Antike zurückgingen. Sie schufen aber auch diverse neue Ausdrücke, so beispielsweise gezegde (‚Prädikat‘) oder lijdend voorwerp (‚direktes Objekt‘). Das Konzept einer funktional-semantischen Analyse der Muttersprache mit Hilfe derartiger deskriptiver Ausdrücke stellte fortan die Grundlage der ‚traditionellen‘ Grammatik oder schoolgrammatica des Niederländischen dar. Zu den Grammatikern, die das Niederländische in diesem Rahmen näher beschrieben, zählen Jan Hendrik van Dale (1828–1872), Dirk de Groot (1825–1895), Tijs Terwey (1845–1893) und Cornelis Herman den Hertog. Kritische Betrachtungen mancher grammatikalischer Vorschrift enthält De vermakelijke Spraakkunst (‚Die amüsante Grammatik‘), die ‚ein Mitglied‘ der Koninklijke Nederlandse Akademie (‚Königliche Niederländische Akademie‘) 1865 veröffentlichte. Der Verfasser, Jacob van Lennep, der auf humorvolle Weise unnatürliche Merkmale der Schriftsprache hervorhebt, stimmt beispielsweise Roordas Ablehnung des unbestimmten Artikels eene (‚eine‘) als Fem. Bildung zu: De oude spraakkunstenaars geven twee soorten van lidwoorden op, t.w. Bepalend: de in ’t mann. en vr.: – het in ’t onz. Onbepalend: een in ’t mann. en onz.: – eene in ’t vr. Prof. Roorda heeft onwederlegbaar aangetoond, dat het laatste (eene) niet bestaat of althans alleen t’huis behoort in het voorzangers-Nederduitsch (…) (Van Lennep 1985, 68)

176

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

(‚Die alten Grammatikkünstler verzeichnen zwei Arten von Artikeln, und zwar bestimmte: de [der/die] bei Mask. und Fem.: – het [das] bei Neutr. unbestimmte: een [ein] bei Mask. und Neutr.: – eene [eine] bei Fem. Prof. Roorda hat unwiderlegbar nachgewiesen, dass das letzte [eene] nicht existiert oder ansonsten nur im Vorsänger-Niederländisch zu Hause ist […]‘) Als Pronominalbezeichnungen befürwortet Van Lennep wie Brill die Mask. Formen hij (‚er‘) als Subjekt und hem (‚ihm‘, ‚ihn‘) als Objekt, wenn sie sich auf Substantive der Klasse Genus commune beziehen. Zur Begründung berücksichtigt er diesbezüglich die gesprochene Sprache: (…) zoowel in ’t meer- als enkelvoud geeft men, waar ’t geen personen, maar zaken geldt, geen sikkepietje om de geslachten, zoo als Prof. Roorda ’t zeer grondig heeft aangetoond. Kat en pijp zijn vrouwelijk, en toch zal ieder, die geen voorzangers-Nederduitsch spreekt, zeggen: ‚die drommelsche kat! daar is hij met het spek op de loop. – Die pijp begon te snorken; ik heb hem weggegooid. (Van Lennep 1985, 61) (‚[…] sowohl in der Mehr- als auch in der Einzahl kümmert man sich, so weit es keine Personen sondern Sachen betrifft, keinen Deut um die Wortgeschlechte, wie Prof. Roorda sehr gründlich gezeigt hat. Katze und Pfeife sind weiblich, und dennoch wird jeder, der kein Vorsänger-Niederländisch spricht, sagen: „diese verflixte Katze! da hat er sich mit dem Speck davongemacht. – Die Pfeife begann zu „snarchen“; ich habe ihn weggeworfen.‘) Übrigens ringt bis heute mancher Sprachteilhaber mit der Frage, ob man beim Schreiben in solchen Fällen die im gesprochenen Niederländischen üblichen Mask. Formen verwenden soll. Dass sich Van Lennep in den Sechzigerjahren des 19. Jh. in seiner Besprechung der Pronominalbezeichnungen auf das gesprochene Niederländisch bezieht, ist denn auch als fortschrittlich einzustufen. In seinen Darlegungen zum Personalpronomen 2. Pers. zeigt er sich dagegen eher konservativ. Hier differenziert er gleichwohl zwischen gesprochenem und geschriebenem Niederländisch: das von Multatuli so verabscheute gij (vgl. 3.6.1.1.) lehnt er nicht ab: Gij is de tweede persoon, en wordt gemeenlijk jij of je uitgesproken: ook wel you, t.w. bij de Friezen, die ’t Noordduitsch zoo wat op zijn Engelsch uitspreken, en niet zoo scherp, hard en rochelend als hun landgenooten. Zij, die voor vijftig jaren fatsoendelijk Nederduitsch spraken, plachten, voor gij, te zeggen uwee: dát is nu uit de mode, behalve bij sommige kindermeisjes, en in de plaats daarvan is in zwang gekomen u. De uitvinding van dat u (in ‚u zegt, u weet,‘ enz.) wordt tcn onrechte toegeschreven aan Prof. Brill. Men heeft haar te danken aan fatsoendelijke novellen-schrijvers, die ’t woord reeds bezigden lang voor dat de ‚Spraakleer‘ van den heer Brill in ’t licht kwam. (Van Lennep 1985, 57–58)

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

177

(‚Gij ist die zweite Person und wird gemeinhin als jij oder je ausgesprochen: auch als you, und zwar von den Friesen, die das Nordniederländische fast auf englische Art aussprechen, und nicht so scharf, hart und röchelnd wie ihre Landsmänner. Sie, die vor fünfzig Jahren anständiges Niederländisch sprachen, pflegten an Stelle von gij zu sagen uwee: das ist jetzt aus der Mode gekommen, ausser bei manchen Kindermädchen, und an seiner Stelle ist jetzt u in Schwang gekommen. Die Erfindung dieses u – in „u zegt, u weet“ [Sie sagen, Sie wissen], usw. – wird Prof. Brill zu Unrecht zugeschrieben. Man hat die den anständigen Verfassern von Novellen zu verdanken, die das Wort schon längst verwendeten, bevor die „Grammatik“ des Herrn Brill in den Handel kam.‘) So wurden neue linguistische Ansichten, namentlich Taco Roordas Auffassungen, die auf der gesprochenen Sprache beruhten, durch Van Lenneps verspielte Ausführungen allgemeiner bekannt. Sie dürften auch den nach Südafrika emigrierten Arnoldus Pannevis und seinen Studenten S.J. du Toit beeinflusst haben bei ihren Bestrebungen, gesprochene afrikaanse Formen des Niederländischen am Kap als Standardsprache zu propagieren. In Nachfolge von Roorda nimmt Du Toit das gesprochene Afrikaans als Grundlage für den Aufbau einer kultivierten Schriftsprache, wie er in seinem Afrikaans, ons Volkstaal (‚Afrikaans, unsere Volkssprache‘) 1891 darlegt. Ähnliche Auffassungen über Sprache verbreitete der nach Südafrika emigrierte Johannes Brill, der zudem unter dem Einfluss Max Müllers stand. Die Diskussionen über den Status des Afrikaans wurden somit insbesondere von Veröffentlichungen niederländischer Sprachwissenschaftler wie Roorda geprägt. Sie dürften dazu beigetragen haben, dass im 19. Jh. Afrikaans statt Englisch oder Niederländisch als Landessprache am Kap kultiviert wurde. 1876 erschien die erste Grammatik des Afrikaans, nachher wurde es in der Schule eingeführt. Am 5. Mai 1925 schaffte die Südafrikanische Union Niederländisch ab und anerkannte Afrikaans neben Englisch als Staatssprache. Den Hertog, Lehrer an einer Bildungsanstalt, macht eklektisch von älteren und neueren Sprachtheorien Gebrauch, um das Niederländische zu beschreiben: er berücksichtigt nicht nur logisch-semantische Ausgangspunkte sowie Beckers Betrachtungsweise der Sprache, sondern auch Quellen wie Franz Kerns (1830–1894) Die deutsche Satzlehre (1883) oder Hermann Otto Theodor Pauls (1846–1921) Prinzipien der Sprachgeschichte (1880). Zudem ist Den Hertog bewusst, dass Sprache ein Produkt historischer Entwicklungen ist, was ihm die Gelegenheit bietet, wo nötig sprachhistorische Erklärungen in seine Grammatik einzubeziehen. Seine viel beachtete dreibändige Nederlandsche spraakkunst (‚Niederländische Grammatik‘) 1892–1896 zählt zu den bedeutendsten traditionellen Grammatiken des 19. Jh. und wird auch heute von Linguisten geschätzt. Den Hertogs Arbeit zeigt, wie sehr sich die traditionellen Beschreibungen des Niederländischen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. verfeinert hatten. Bereits Anslijn hatte eine Erweiterung beziehungsweise Differenzierung der bis dahin gebräuchlichen grammatikalischen Kategorien in seinen Beschreibungen des Niederländischen vorgenommen (Elffers 2013). In seiner Syntax erweiterte er die drei von Dolz in der Satzzergliederung verwendeten Kategorien durch die Begriffe bepaling (‚Bestimmung‘) und voorwerp (‚Objekt‘). Beschränkte Anslijn sich in der Satzanalyse somit auf die Anwendung

178

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

von fünf Entitäten, unterschied Den Hertog fast achtzig Jahre später 22 Typen von Satzteilen. Zudem differenzierte er diese in weiteren Subkategorien. Namentlich die Arbeit von Becker hatte niederländische Grammtiker dazu angeregt, ihre Beschreibungsmodelle weiter zu differenzieren. Dies zeigt sich beispielsweise in Mulders Nederlandsche spraakkunst voor schoolgebruik (‚Niederländische Grammatik für den Schulgebrauch‘) 1848, die einen Unterschied zwischen ergänzenden und nicht-ergänzenden Bestimmungen vorgenommen hatte. Weiter ist Dirk de Groot, Mitarbeiter einer pädagogischen Hochschule, zu nennen, der in seiner viel gebrauchten Nederlandsche spraakleer (‚Niederländische Sprachlehre‘) 1868 zum ersten Mal vier Typen Objekte unterscheidet: Genitiv-, Dativ- beziehungsweise Akkusativobjekte und Präpositionalobjekte. Übrigens stimmte nicht jeder Linguist solchen Differenzierungen zu. Te Winkel hält sie beispielsweise für eine falsche, von deutschen Grammatikern übernommene Gewohnheit. Wer solche Kritik verallgemeinert, muss wohl einen Grossteil der Kategorisierungen in der traditionellen Grammatik als problematisch einstufen. Häufig bleiben jedenfalls die Art, die Gewichtung, die Hierarchie und der gegenseitige Zusammenhang der berücksichtigten syntaktischen, logischen und semantischen Grössen ungeklärt. Dies zeigt sich etwa im hier willkürlich gewählten Beispiel der Behandlung des Adverbs durch Den Hertog. Aufgrund eines syntaktisch-semantischen Kriteriums unterscheidet er die Adverbien als Kategorie: sie erwähnen Besonderheiten der vom Prädikat zum Ausdruck gebrachten Handlung, Zustand oder Eigenschaft. Sodann berücksichtigt er die Bedeutung der Adverbien, wenn er diese Kategorie in vier Typen unterteilt: vier ‚Besonderheiten‘ können die vom Prädikat ausgedrückte Handlung oder den betreffenden Zustand spezifizieren, und zwar Raum, Zeit, Ursache und Art oder Umfang. Eine weitere Spezifikation dieser Typen erfolgt aufgrund ähnlicher Kriterien. So differenziert Den Hertog die Adverbien der Katergorie ‚Raum‘ in weitere drei Sondertypen: (a) op welke plaats een werking geschiedt (‚an welcher Stelle eine Handlung geschieht‘); (b) in welke richting […] de werking plaats heeft (‚in welche Richtung die Handlung stattfindet‘); (c) welk deel van de ruimte bij de werking doorlopen wordt (‚welcher Teil des Raumes während der Wirkung durchlaufen wird‘). Die Kriterien für die Annahme einer Katerorie ‚Raum‘ oder für die Unterteilung in drei Sondertypen erörtert der Verfasser aber nicht. Trotzdem umfasst Den Hertogs eingehende Beschreibung der Adverbien schliesslich insgesamt fünf Typen und zehn Sondertypen. Andererseits unifizieren Grammatiker Unterscheidungen, die Verfasser früherer Sprachbücher eingeführt hatten. So machte Brill einen Unterschied zwischen prädikativen Atributen, die eine Eigenschaft des Subjekts nennen, und solchen, die sich auf das Akk.-Objekt beziehen (vgl. u.a. Van Driel 1982). Terwey fasst diese zwei Typen Attribute dank einer allgemeineren semantischen Definition zusammen in der Kategorie bepaling van gesteldheid. Dennoch kam es vor, dass spätere Grammatiker, so Den Hertog, solche Vereinheitlichungen rückgängig machten. Letzterer unterscheidet nämlich prädikative Attribute der eerste en der tweede soort (‚der ersten und der zweiten Sorte‘). Übrigens behandelt die ANS diese Attribute wie Terwey wieder als eine Kategorie.

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

179

3.2.3. Beschreibungen des niederländischen Wortmaterials Bald nach der Veröffentlichung von Weilands Nederduitsch taalkundig woordenboek (‚Niederländisches sprachwissenschaftliches Wörterbuch‘, vgl. 2.2.4.) hielt mancher Philologe es für dringend erwünscht, das Lexikon des Niederländischen neu zu beschreiben. Dazu förderte namentlich Matthias de Vries die Zusammenarbeit niederländischer und belgischer Philologen, die seit 1849 während taal- en letterkundige congressen (‚Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Kongressen‘) regelmässig tagten. In diesem Rahmen wurde 1851 sein Vorschlag gutgeheissen, ein Wörterbuch zu verfassen, das ein ‚Museum des Niederländischen‘ des gesamten Sprachgebietes werden musste. Es sollte die Einheit des Niederländischen auch durch die Zusammenarbeit von Philologen aus dem Norden und aus dem Süden verkörpern. Zusammen mit seinem Mitredaktor Allard te Winkel begann De Vries daraufhin, im Büro des Wörterbuches – 1969 in das belgisch-niederländische Instituut voor Nederlandse Lexicologie (‚Institut für niederländische Lexikologie‘) umgewandelt - in Leiden Wortmaterial zu inventarisieren. Auf Karteikarten legte die Redaktion, die immer wieder von Korrespondenten aus dem ganzen Sprachgebiet zusätzliches Material erhielt, vom jeweiligen Wort die Bedeutung, die Etymologie beziehungsweise die Geschichte fest; Zitate und Quellenangaben vervollständigten die Beschreibung. Allmählich erschienen detaillierte Zusammenfassungen der Daten des betreffenden Wortes, buchstabiert in der Orthografie De Vries-Te Winkel (vgl. 3.2.1.1.), im Druck. Die erste Lieferung wurde 1864 veröffentlicht, der erste Band des WNT, der den Buchstaben a bis zum Wort ajuin (‚Zwiebel‘) umfasste, erschien 1882. Wem die veröffentlichten Informationen nicht genügten, konnte sich in Leiden weitere Angaben in den Karteikästen des WNT beschaffen. Anfänglich sollte das WNT den Wortschatz des Neuniederländischen ab 1637, dem Erscheinungsjahr der Statenbijbel umfassen. Ältere Wörter und Wortbedeutungen wurden nur berücksichtigt, wenn die Beschreibung eines modernen Wortes dies erforderte. Bald benutzte De Vries aber auch ältere Quellen bis 1580, das Jahr der herbeleving onzer letteren (‚des Aufblühens unserer Literatur‘). Spätere Redakteure bestimmten schliesslich 1500 als äusserste Grenze der bouwstoffen (‚Grundlagen der Beschreibungen‘). Da die Redaktion keine Dialektwörter aufnahm, repräsentiert das WNT lexikografisch das überregionale Niederländisch der Neuzeit und der neuesten Zeit. De Vries ging als ein nationalistischer, normativer Beschreiber des niederländischen Wortschatzes vor. Neben dem ‚einheimischen‘ lexikalischen Material liess er nur eingebürgerte Lehnwörter in den von ihm geschriebenen Teilen des Wörterbuches zu. Gallizismen, Germanismen oder Anglizismen lehnte er als Fremdelemente des Lexikons ab. Das WNT habe laut der Einleitung die Verwendung von zuiver Nederlandsch (‚reinem Niederländisch‘) zu fördern – was immer darunter zu verstehen ist. Lexikalische Elemente, die De Vries als Fremdwörter einstufte und die das Niederländische ‚bedrohen‘ könnten, seien zu vermeiden. Dass De Vries immerhin ‚unanständige‘ Wörter aufnahm, geschah auf Ratschlag von Jacob Grimm; das Deutsche Wörterbuch der Grimms war immerhin Vorbild für De Vries und Te Winkel. Dass nicht jeder Zeitgenosse vom Nutzen und vom erfolgreichen Abschluss des Unternehmens überzeugt war, geht aus den folgenden spöttischen Versen von Van Vloten hervor:

180

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

O, luid weerklink de lofbazuin! Het Woordenboek kwam tot ajuin In dertig jaren al; dat heet Zijn tijd voorzeker welbesteed! ’t Duurt nu geen dertig jaar gewis Eer ’t tot azijn genaderd is; Stel voor elk verdre letter maar Tweederde van die dertig jaar, Dan staat al na een eeuw of vier ’t Geheel gedrukt reeds op papier! (Willemyns 2013, 124) (‚Ach, laut töne der Lobgesang / Das Wörterbuch kam bis ajuin [Zwiebel] / Bereits in dreissig Jahren, das heisst / seine Zeit sicherlich wohl benutzt! / Es dauert jetzt gewiss keine dreissig Jahre / bis es azijn [Essig] genähert ist; / nehm für jede weitere Buchstabe Mal / zwei Drittel von diesen dreissig Jahren, / dann steht bereits nach etwa vier Jahrhunderten / das Ganze gedruckt auf Papier!‘) In seiner Einführung des ersten Bandes des WNT schreibt De Vries: Wij zijn ons bewust, overal naar de meestmogelijke beknoptheid te hebben gestreefd: de aandachtige lezer zal er overal de bewijzen van vinden (‚Wir sind uns dessen bewusst, überall die grösstmögliche Kürze angestrebt zu haben: der aufmerksame Leser wird überall die Beweise davon finden‘, WNT Bd. 1, 2). Trotzdem dehnte sich das WNT in mehr als 135 Jahren zum grössten Wörterbuch der Welt aus. Insgesamt fünf Generationen von Redakteuren haben von den Sechzigerjahren des 19. Jh. bis 1998 das 29 delen (‚Teile‘) beziehungsweise insgesamt 40 Bände umfassende WNT veröffentlicht. Die zirka 150 Spezialisten, die im Laufe der Zeit am WNT arbeiteten, benutzten mehr als 10.000 Quellen und überprüften gegen drei Millionen Zitate. Drei Jahre nach Vollendung des WNT erfolgte die Publikation von drei weiteren Bänden mit Ergänzungen, die das Wörterbuch auf den Stand von 1976 brachte. Das Werk zählt über 49.000 Seiten, beschreibt zirka 400.000 Lemmata und enthält ungefähr 1.700.000 Zitate. In Anbetracht seiner Geschichte versteht es sich, dass das WNT einen heterogenen Charakter besitzt. So enthalten die Bände der ersten Buchstaben grössere Zitate als spätere, da die Redakteure, als sie noch pro Seite bezahlt wurden, anfänglich gerne ausführlich Quellen übernahmen. Sodann zeigten sich spätere Redakteure weniger normativ als De Vries. Zudem vergrösserte sich der Gegenstand der lexikalischen Beschreibungen im Laufe der Jahre. Man berücksichtigte nicht nur immer ältere Quellen, bis 1500 die Grenze wurde, sondern für die Beschreibungen der Wörter der letzten Buchstaben benutzten die Redakteure jüngeres Wortmaterial aus der Zeit bis 1921. Neuere Wörter aus der Zeit bis 1976 wurden weniger ausführlich in den Ergänzungen beschrieben, wie beispielsweise das Substantiv atoombom (‚Atombombe‘), das man im 1882 erschienenen Band I selbstverständlich vergeblich sucht. Wörter, die beim Erscheinen der ersten Lieferung des WNT 1864 nicht bestanden, kommen in später veröffentlichten Bänden mit

3.2. Kodifizierung und Inventarisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

181

Beschreibungen der letzten Buchstaben des Alphabetes vor. So enthält die 1996 veröffentlichte Lieferung 2 von Teil 29 eine Beschreibung des Begriffs zuivelfabriek (‚industrielle Molkerei‘); dieses Wort wurde erstmalig 1892 belegt, 28 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Lieferung des WNT. Weiter ist der Umfang der Behandlung der Buchstaben unterschiedlich. So wird mancher Buchstabe ausführlicher und offenbar mit mehr Zeitaufwand behandelt als ein anderer. Für das V räumt das WNT zirka 20 % des ganzen Wörterbuches ein, das Standardwerk von Van Dale dagegen benutzt 6,5 % der gesamten Seitenzahl für den gleichen Buchstaben. Es brauchte 29 Jahre, bis die Beschreibungen der Wörter mit V veröffentlicht waren, das ist ein Fünftel des Zeitaufwands für die Publikation des gesamten WNT. Ein Supplement zu einem Teil des Buchstabens A sowie die später erschienenen Ergänzungen gleichen die Unterschiede zwischen früher und später veröffentlichten Bänden immerhin zu einem beachtlichen Teil aus. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. standen vom WNT erst einige Teile zur Verfügung, der 1898 erschienene Band II, Teil 1 und 2 behandelt das Lexikon nur bis zum Wort bluten (‚Tropf‘). Die wenigsten Privatpersonen hatten das Werk, das in Lieferungen in einer Auflage von 800 Exemplaren erschien, abonniert. Folglich bestand Bedarf an anderen lexikologischen Hilfsmitteln. Die Woordenlijst (‚Wörterliste‘) von De Vries und Te Winkel mit Angaben zur Orthografie des AN und zum Wortgeschlecht der Substantive wurde bis 1904 denn auch sechs Mal neu aufgelegt. Darüber hinaus gab es einen Markt für das Standardwörterbuch des Niederländischen, das die Neffen und Schwager Isaac Marcus Calisch (1808–1884) und Nathan Salomon Calisch (1819–1891, vgl. Posthumus 2009, Beelen 2013) auf Gesuch des Verlages Campagne in Tiel 1864 veröffentlichten. Ihr Nieuw Woordenboek der Nederlandsche taal (‚Neues Wörterbuch der niederländischen Sprache‘) basierte auf den von S.J.M. van Moock stark erweiterten Neuauflagen des zweisprachigen niederländisch-französischen Wörterbuches von Pierre Marin von 1701 und seinem französisch-niederländischen Gegenstück, das François Halma 1710 herausgegeben hatte. Auf Bitte der Verleger Martinus Nijhoff Den Haag, A.W. Sijthoff Leiden und D.A. Thieme Arnhem übernahm Jan Hendrik van Dale, Grundschullehrer und Archivar von Sluis, die Aufgabe, das Wörterbuch der Calischs zu überarbeiten. Nach Van Dales Ableben vollendete Jan Manhave diese Arbeit. Laut dem Vorwort betrachtete Van Dale die Überarbeitung des Wörterbuches, das 1872 erschien, als Neuauflage der Calisch-Ausgabe. Dennoch ist sie als erste Auflage des Van-Dale-Wörterbuches in die Geschichte eingegangen. Es zählte mehr als 1300 Seiten und beschrieb über 100.000 Lemmata. Vermutlich erhielt das Wörterbuch nach dem Erscheinen der 8. Auflage 1950 den Kosenamen dikke Van Dale (‚dicker Van Dale‘). Bei einem Umfang von 24 mal 16 cm war es fast 10 cm dick und behandelte zirka 155.000 Lemmata. Das ursprünglich stark normative Standardwerk, das seit 1898 den Titel Groot Woordenboek der Nederlands(ch)e Taal trägt, gilt bis heute als Vademekum für den Sprachgebraucher. Bei Unsicherheit über die Richtigkeit einer sprachlichen Äusserung zieht man vorzugsweise Van Dale als Schiedsrichter heran. 2015 erschien die 15. Auflage des Standardwerkes, das drei Bände und 4775 Seiten umfasst. Das von M.J. Koenen, Lehrer an der Maastrichter Bildungsanstalt, 1897 veröffentlichte Verklarend handwoordenboek der Nederlandsche taal (‚Erklärendes Handwörterbuch der niederländischen Sprache‘) vermittelt ebenfalls ein Bild des Lexikons des AN des 19. Jh. Es wurde

182

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

zu einem viel gebrauchten Handwörterbuch des AN, das J. Endepols für die 13. Auflage 1920 eingreifend bearbeitete. R.Verdeyen ergänzte das Werk für den 17. Druck von 1931 mit lexikalischem Material, das insbesondere im AN des Südens vorkommt. Auch das illustrierte Wörterbuch, Verklarend woordenboek met platen voor België en Nederland (‚Erklärendes Wörterbuch mit Abbildungen für Belgien und die Niederlande‘) von J. Bal 1893 enthält weitere Angaben zum Lexikon des AN im 19. Jh. Literatur zu 3.2.; Alberdingk Thijm 1865; Bakker et al. 1977; Beelen 2013; Behaegel 1817; Van de Bilt 2000; Van Driel 2003; Van Driel 2007; Van Driel et al. 1998; Van Driel et al. 2008; Elffers 2013; Haeseryn et al. 1997; Vor der Hake 1911; Den Hertog 1973; Huisman 2008; Janssens et al. 2005; Kloeke 1939/72; Kollewijn 1907; Kollewijn 1916; Mulder 1852; Neijt 1991; Noordegraaf 1994; Noordegraaf 1996; Parqui 2014; Posthumus 2015; Rutten 2009; Siegenbeek 1804; Van der Sijs 2004; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs et al. 2009; Sterkenburg 1984; Van den Toorn et al. 1997; Vandenbussche 2002; Vekeman et al. 1993; De Vooys 1952; M. de Vries et al. 1866; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 2013.

3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden 3.3.1. Literarische Textbeispiele der älteren Generation 3.3.1.1. Everhardus Johannes Potgieter, Holland Potgieters Holland bringt den Stolz auf den Kampf gegen das Wasser und gegen den spanischen König Philipp II. zum Ausdruck, Freiheit, Toleranz und die Bütezeit der Republik werden gerühmt: XXV Holland Graauw is uw hemel en stormig uw strand, Naakt zijn uw duinen en effen uw velden, U schiep natuur met een stiefmoeders hand, Toch heb ik innig u lief, o mijn Land! Al wat gij zijt, is der Vaderen werk; Uit een moeras wrocht de vlijt van die helden, Beide de zee en den dwing’land te sterk, Vrijheid een’ tempel en Godsvrucht een kerk. Blijf, wat gij waart, toen ge blonkt als een bloem: Zorg, dat Europa den zetel der orde, Dat de verdrukte zijn wijkplaats u noem’, Land mijner Vad’ren, mijn lust en mijn roem!

3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden

183

En wat de donkere toekomst bewaart, Wat uit haar zwangere wolken ook worde, Lauw’ren behooren aan ’t vleklooze zwaard, Land, eens het vrijst’ en gezegendst’ der aard’. In Zweden, 1832. E.J. Potgieter, De werken. Deel 11. Verspreide en nagelaten poëzy. Deel 1. Hg. von Johan Carl Zimmerman, 2. Aufl. Haarlem 1896, 88. deutsche Paraphrase: Holland Grau ist Dein Himmel, stürmisch Dein Strand. Nackt sind Deine Dünen und eben Deine Felder, Dich schuf die Natur mit Stiefmutters Hand. Trotzdem habe ich Dich innig lieb, O mein Land! Alles, was Du bist, ist das Werk der Vorfahren; Aus einem Sumpf erschaffte der Eifer der Helden, die stärker als das Meer und der Tyrann waren, für die Freiheit einen Tempel und für die Gottesfurcht eine Kirche. Bleibe, was Du warst, als Du leuchtetest wie eine Blume: Sorge dafür, dass Europa Dich als den Platz der Ordnung bezeichnet, Dass der Unterdrückte Dich seinen Zufluchtsort nennt, Land meiner Väter, meine Lust und mein Ruhm! Und was die dunkle Zukunft bereithält, Was aus ihren schwangeren Wolken auch werde, Lorbeeren gehören an das fleckenlose Schwert, Land, einst das freieste und gesegnetste der Erde. In Schweden, 1832. 3.3.1.2. Hildebrand, Varen en rijden Nicht ohne Humor beschreibt Hildebrand (Pseudonym von Nicolaas Beets) in seiner Camera Obscura (‚Lochkamera‘) 1839 detailliert das Alltagsleben seiner Zeit. Das später noch ergänzte Werk wurde immer wieder neu aufgelegt und zählt zu den beliebtesten literarischen Werken des 19. Jh. In Varen en rijden beschreibt Hildebrand die Vorzüge der Eisenbahn als ideales Transportmittel:

184

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Varen en rijden Men is bezig in mijn vaderland spoorwegen aan te leggen. Het heeft lang geduurd eer men er toe komen kon. De plannen varen bij ons te lande altijd nog met de trekschuit; de lijn breekt wel zesmaal eer zij hunne bestemming bereiken: eindelijk komen zij er toch; maar hemel! wat duurt het lang eer de bagage aan wal en te huis is; eer de koperen stoof en de schanslooper en de parapluie aan den kruier zijn terhandgesteld. Wat mij betreft, ik ben een Hollander van ouder tot ouder, maar ik heb, bij andere onvaderlandsche ondeugden, een recht onhollandsch ongeduld; schoon ik mijzelven het recht moet doen te verklaren dat er niemand zijn kan, die met meer kalmte dan ik een lieve vrouw een streng breikatoen of zijde helpt uit de war maken. Trouwens, dat is ook geheel iets anders. Voor al wat doen is heb ik het meestmogelijke geduld; voor langzaamdoen heb ik eerbied; maar nietdoen verveelt mij verschrikkelijk; ik kan niet wachten; geen lijdelijkheid! Het leven is er te kort en mijn bloed te gauw voor. ‚Festina lente!‘ Recte, sed festina! – Wat in ’t bijzonder de spoorwegen aangaat: ik zit er sedert jaren pal op te wachten; niet omdat ik er een commerciëel of financiëel belang bij heb; niet omdat ik er een weddenschap over heb aangegaan; maar alleen omdat er tot nog toe geen middel van vervoer bestaat, dat mij bevalt, zoo niet eigen rijtuig en postpaarden, waar ik, om voor mij zeer gewichtige redenen, slechts zelden gebruik van kan maken. Voor zoover de trekschuit aanbelangt, heb ik mijn gevoelen reeds lang verraden. ’t Is waar, men kan er in lezen, domino spelen, dammen en, zoo de schipper inkt aan boord heeft en gij eene pen hebt medegebracht (want de zijne is tot boven toe zwart) zelfs schrijven; ofschoon op te merken valt dat het tafeltje in de roef daartoe wat te ver van de zitplaats verwijderd is. Maar met dat al: zoo gij beweert dat gij er op uw gemak zijt, houd ik u (met uw verlof) voor een mismaakt schepsel, voor een kleinen krates, niet hooger dan mijn knie; althans zeker niet voor een kerel van vijf voet zeven duim, als uw onderdanige dienaar. Dan is er iets weeheidaanbrengends in de beweging der schuit, dat uw belangrijkst boek vervelend maakt, en uw esprit de jeu verflauwen doet, – maar vooral is er in de trekschuiten een praatgenius van een ellendig soort. De schuitpraatjes bestaan geregeld uit dezelfde ingrediënten en vallen eenstemmig in denzelfden toon. Schuitanecdoten zijn volkomen onverdragelijk; en dan dat afgrijselijk dikwijls herhaald gevraag: ‚Hoe ver zijn we al, schippertje?‘ en het eeuwige: ‚Dat betalen moest je afschaffen,‘ als de man om zijn geld komt! – Veroordeel de passagiers niet te lichtvaardig, zoo zij tot zulk eene laagte van geest afdalen. Neem zelf een ‚plaats in ’t roefje‘, en gij zult zien dat gij onwillekeurig even diep kunt zinken. Zoodra men de trekschuit binnenstapt en het deurtje doorgekropen is, en zijn muts opgezet, en zijn hoekje gekozen heeft, is het alsof er vanzelf een geest van bekrompenheid, van kleinheid op ons valt. […] Over het algemeen is de roef alleen geschikt voor de lieden, die er voornamelijk het personeel van uitmaken, als daar zijn ‚fatsoendelijke‘ handwerkslieden die een teutig bedrijf hebben, zooals ivoordraaiers en horlogemakers; goede luidjes die een erfenis gaan halen, de vrouw met een broodjen in den breizak, de man met een snuifdoos met speelwerk; jeugdige koekebakkers, die niet weten willen dat zij ’t zijn, met een soort van constellatie op de borst,

3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden

185

bestaande uit drie bewerkte koperen overhemdsknoopen en een schitterende doekspeld met een gelen steen à facettes geslepen, veel te groot om echt te wezen; kleine renteniertjes van vijftig tot zestig jaar, die zilveren pijpedoppen in palmhouten akertjes bij zich hebben; eerlijke boekhouders, die vijf en twintig jaar op een zelfde kantoor hebben gediend, en ten bewijze van dien een zilveren tabaksdoos toonen met inscriptie; moeders met slapende kinderen, en die er ‘eentje t’huis gelaten hebben, dat nog maar acht jaar oud is, en al Fransch kan’; breiende huishoudsters, die ‚uwé‘ en ‚ik heeft‘ zeggen; kameniers, die voor hare mevrouwen door willen gaan en van ons Buiten spreken, waaraan zij bij een of andere brug moeten worden afgezet, en waar, tot haar groote beschaming, een tuinmansknecht ze met een zoen ontvangt; halve zieken, die een ‚profester‘ gaan raadplegen; juffrouwen, die de vracht met een dertiend’half en een pietje passen; grappenmakers, die de geestigheid hebben over de verschrikkelijke gevaren te spreken, die de reis in trekschuiten inheeft; en ongelukkigen, die niet onder dak kunnen komen, tenzij ze aan een volgend veer ‚de schuit van achten nog halen kunnen‘; om niet te spreken van de ‚groenen‘, een soort van schuwe insecten, die in de maand September alle de vaarten, die op akademiesteden uitloopen, vergiftigt. ––––––––––––––– Het personeel der diligence heeft een geheel ander karakter; over ’t algemeen staat het meer op de hoogte van zijn eeuw. Il a plus d’actualité. Maar tevens is er meer verscheidenheid. Op de diligence reist gij met officieren in politiek; met studenten; met heeren die naar een audiëntie gaan; met schoolopzieners en leden van provinciale commissiën; met mannen van de beurs; met paardekoopers en aannemers in wijde blauwlakensche cloaks; met handelreizigers, schitterende door een breeden ring aan den voorsten vinger (meestal met een amethist); zij rijden achteruit, zijn zeer familiaar met de conducteurs, kennen de paarden bij naam en vergelijken voor u de betrekkelijke verdiensten der verschillende postwagenondernemingen; met dichters, die een lezing gaan doen; met fiere dames, die ’t half beneden haar stand rekenen in diligences te reizen en zich door stuurschheid van dien hoon wreken; met jonge meisjes, die verlegen worden en ’t half kwalijk nemen als een vreemd heer beleefd jegens haar is; met weldadige tantes, die aan de plaats harer bestemming door een half dozijn kinderen, die zij sinds jaren bederven, worden opgewacht; met koopvaardij-kapiteins met lange Curaçaosche sigaren; met jagers, die meer bezorgdheid voor hun geweer dan voor uwe teenen koesteren; met woelwaters, die eeuwig tusschen de wielen zitten en u opsommen hoeveel land zij in ééne week gezien hebben; met een nauwgezetten heer, die uit gehoorzaamheid aan zijn lootje op nummer 1 moet zitten; met een dikken, aamborstigen heer, die alles open wil hebben, en met een dunnen, spichtigen heer, die den kraag van zijn jas opslaat, diep in een bouffante kruipt, van ’t ‚méchante weer‘ spreekt, en u wil laten stikken; met individu’s, die zichzelven voor bemind vleesch houden en overal kennissen aantreffen; met ontevredenen, die over alles knorren; dikwijls met een kind, dat een halve plaats beslaat, of een hond waarvoor gij bang zijt, te veel, en dikwijls, o! zeer dikwijls! met een beleefd mensch te weinig. – Ziedaar den gewonen inhoud eener diligence! […]

186

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Stooten en rammelen! o Dat men in een land als het onze, waar de straatwegen zoo uitmuntend zijn, zulke slechte diligences maakt en gedoogt! Doch hier breng ik u de eer, die u toekomt, edele Van Gend en Loos, Veldhorst en Van Koppen, warme menschenvrienden! In uwe wagens zit men op breede banken; de plaatsen zijn ruim; de kussens en rugstukken welgevuld; de bakken diep; de veeren buigzaam; de wielen breed; de portieren niet tochtig; de raampjes bescheidenlijk zwijgende; uwe vier paarden altijd in geregelden draf. Maar velen uwer collegae zetten ons in een schokkende, nauwe, dreunende, vuile, tochtige, harde, tuitelige doos, een soort van groote rammelende builkist op vier wielen; in de eene, hebben wij geen plaats voor onze dijen, in de andere, geen ruimte voor onze knieën; uit deze komen wij met bevroren reenen, uit gene met een stijven nek; wij rijden ons ziek, wij rijden ons hoofdpijn, wij rijden ons dóór; wij meenen gek te worden van het gesnor aan onze ooren en ’t gedender aan onze voeten; en dikwijls denken wij er, onder het dooreenwerpen onzer ingewanden, met bekommering aan, wat gelukkiger zijn zou, dood of levend er uit te komen! […] ––––––––––––––– De stoomboot, zeide ik tot mij-zelven, en ik nam een plaats van Rotterdam tot Nijmegen, zal alles verbeteren en overtreffen; zij zal mij met de middelen van vervoer en met het reizen en trekken verzoenen; de snelle, de ruime, de gemakkelijke, de sierlijke, de gezellige, de rijke stoomboot! Is zij niet een vlottend eiland van genoeglijkheden, een betooverd stroompaleis, een hemel te water? Nu ja: het is een drijvend koffiehuis, zegt men wel. Voor kleine afstanden niets gelukkiger dan een stoomboot. Maar het is voor de groote, dat men haar noodig heeft. Zeg niet: men is er zoo goed als tehuis. ’t Is waar, men zit er op breede banken met zachte kussens, aan gladde tafels, men kan er alles krijgen wat men verlangt, al doen wat men begeert. Maar dien korten schok, als van een paard dat hoog draaft, dien gemengden stank van olie en steenkolen, de duurte der verkwikkingsmiddelen, de aanmatigingen van den hofmeester, het slechte eten en de verveling: dit alles heeft men tehuis niet. Ik zei verveling – want waar ter wereld ontmoet men meer menschen, die voor hun pleizier reizen, dan op een stoomboot? en wat is vervelender dan hun gezelschap? Reizen voor pleizier! o Droombeeld! o Hersenschim! Weten dan zoo weinig menschen dat reizen zoo moeielijk pleizierig zijn kan! Neen; de mensch is geen trekvogel; hij is een huisdier; en de natuurlijke kring zijner genoeglijke gewaarwordingen strekt zich niet verder uit dan zijne voeten hem brengen kunnen. In beweging en onrust, in zich verwijderen van den grond daar hij aan gehecht, de betrekkingen daar hij aan gewoon of verknocht is, kan geen geluk zijn. […] Eerst gaat het goed. Men komt vroolijk en luchtig, lustig, frisch en vatbaar voor allerlei soort van genoegens aan boord. Men blijft op het dek totdat de stad waar men afvoer uit het gezicht verdwijnt. Men vindt het genoeglijk naar den linker of rechter oever uit te kijken. Dan gaat men tevreden naar beneden en vindt de kajuit heel mooi, heel gemakkelijk, de sofa alleruitmuntendst; het is een heele aardigheid zich op een vouwstoeltje te zetten. Men schikt zich in gezellige groepen; men bestelt ontbijt; men praat, men lacht, men heeft anecdoten,

3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden

187

stads- en staatsnieuws; men speelt met belangstelling een partij schaak; men is op zijn gemak. Zoo is het begin. Maar een uur later, en gij ziet van tijd tot tijd dan dezen, dan dien het hoofd uit het luik steken en op dek komen, dit is de verveling nog niet; ’t is de ongedurigheid die haar voorafgaat. […] De uren worden hoe langer hoe slepender. De horloges komen elk oogenblik te voorschijn; en de berekening: ‚hoe veel uren nog‘ wordt gedurig gemaakt. Zoo slijt men een langen dag, waarin het etensuur alleen eenige tijdkorting geeft. Maar de gerechten zijn meestal slecht. Om kort te gaan, en opdat gij u niet evenzeer zoudt vervelen als onze reizigers: een goed halfuur voordat de boot aankomt, als de plaats harer bestemming maar even in ’t gezicht is, kunt gij zeker zijn alle menschen met jassen en mantels en pakkage klaar te zien staan, om toch vooral bijtijds gereed te zijn tot het verlaten van het hooggeloofd vaartuig. En dat te vroeg is de laatste, niet de minste marteling voor den ongeduldigen geest. Zoodat een stoomboot ook al meer belooft dan zij geeft. ––––––––––––––– Maar nu houdt gij mij (ik zie het wel) na de lezing van dit alles, voor een ontevreden, knorrig, ongemakkelijk mensch, voor een ellendig pessimist, daar geen spit mee te winnen is, voor een akeligen Smelfungus, die niet reist dan met het land en de geelzucht, waardoor elk voorwerp dat hij ontmoet, miskleurd en verwrongen wordt! – Ik moet zoo billijk jegens mijzelven zijn van te verklaren, dat ik een geheel ander karakter heb. Integendeel, ik behoor tot de opgeruimde, vroolijke, zich vermakende naturen; ik schik mij in alles, mits ik aan alles een belachelijken kant mag zoeken, en daarover uitvaren en schertsen. Ik ga verder. Ik kan u betuigen dat ik een paar malen alleraangenaamst in een trekschuit heb gesmousjast; dat er omstandigheden zijn waaronder, en gedachten en vooruitzichten waarmede ik zeer gaarne in de diligence (ook in de allerslechtste, dat meestal mijn geval is) zitten wil; dat ik mij meermalen alleruitmuntendst op een stoomboot heb vermaakt, onder anderen ook, door al mijn reisgenooten uit te teekenen; dat ik dikwijls met veel, zeer veel genoegen gereisd heb; ja, dat ik, zooals ik hier zit, in mijn ruimen lederen leunstoel, in mijn wijde kamerjapon, bij mijn lustigen haard, in vrede en eensgezindheid met de geheele wereld, mij sterk gevoel om alle schippers, alle conducteurs en de geheele stoomboot-maatschappij recht hartelijk de hand te drukken; – dat eindelijk het gegronde vooruitzicht op de spoorwegen mij zoodanig verheugt en streelt en opwindt, dat ik, bij voorbaat reeds gelukkig, alle vaar- en rij-jammeren geduldig dragen wil en zonder morren uitstaan. Spoorwegen! heerlijke spoorwegen! op u zal niet gerookt worden; want daar is geen adem! Op u zal niet geslapen worden; want daar is geen rust! Op u zal niet worden gebabbeld; want daar is geen tijd! Zoo daar op u ook onaangenaamheden en jammeren zijn, zij zullen den tijd niet hebben ons te bereiken, wij, geen gelegenheid om ze gewaar te worden! Maar komt! komt, heerlijke spoorwegen! Daalt als een tralie-net neder op onze provinciën! Vernietigers aller groote afstanden! versmaadt de kleine afstanden van ons koninkrijkje niet!

188

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Ja; laten de zangen onzer dichters het weldra in verrukte tonen uitgalmen: ‚De spoorweg kwam, de spoorweg kwam!‘ Laten de zakdoeken onzer schoonen u toegewuifd worden, de eere- en gedenkpenningen onzer Munt u tegenrollen! Dan eerst als de Nederlandsche natie, langs uwe gladde banen, dagelijks door elkander zal geschoten worden als een partij weversspoelen, zal er welvaart en bloei en leven en spoed in ons dierbaar vaderland heersenen! November 1837 (Beets 1998, 106–115) Im Wasser und an Land fahren Man ist in meinem Vaterland damit beschäftigt, Eisenbahnen zu bauen. Es hat lange gedauert, bis man dazu kommen konnte. Die Pläne fahren hierzulande noch immer mit der Treckschute; die Linie bricht schon sechsmal, bevor sie ihr Ziel erreichen: endlich kommen sie doch; aber Himmel! was dauert es lange, ehe das Gepäck an Land und zuhause ist; ehe der kupferne Ofen und der Mantel und der Regenschirm dem Gepäckträger übergeben sind.1 Was mich betrifft, ich bin ein alteingesessener Holländer, aber ich habe, neben anderen unpatriotischen Untugenden, eine recht unholländische Ungeduld; obschon ich, wenn ich mir selbst gerecht werden will, erläutern muss, dass es niemanden geben kann, der mit mehr Ruhe als ich einer lieben Frau hilft, einen Strang Strick- oder Seidengarn zu entwirren. Übrigens, das ist auch etwas ganz anderes. Vor alledem, was mit Tätigkeit zu tun hat, habe ich die erdenklichste Geduld; vor Langsam-Tun habe ich Ehrfurcht; aber Nichts-Tun langweilt mich entsetzlich; ich kann nicht warten; keine Untätigkeit! Das Leben ist zu kurz und mein Blut zu schnell dafür. ‚Festina lente!‘ Recte, sed festina!2 – Was insbesondere die Eisenbahn angeht: ich warte seit Jahren ununterbrochen darauf; nicht, weil ich ein kommerzielles oder finanzielles Interesse verfolge; nicht, weil ich diesbezüglich eine Wette abgeschlossen habe; sondern lediglich, weil bisher kein Verkehrsmittel existiert, das mir zusagt, mit Ausnahme von eigener Kutsche und Postpferden, wovon ich, wegen für mich sehr gewichtigen Gründen, nur selten Gebrauch machen kann. Was die Treckschute anbelangt, so habe ich meine Gefühle schon längst verraten. Es ist wahr, man kann darin lesen, Domino und Dame spielen, wenn der Schiffer Tinte an Bord hat und du eine Feder mitgebracht hast (denn seine ist bis oben hin schwarz), sogar schreiben; obwohl es anzumerken gilt, dass das Tischchen dazu in der Kajüte etwas weit vom Sitzplatz entfernt ist. Aber nichtsdestotrotz: wenn Sie behaupten, dass Sie sich dort wohl fühlen, halte ich Sie (mit Verlaub) für ein verunstaltetes Wesen, für einen kleinen missgebildeten Zwerg, nicht höher als mein Knie; jedenfalls sicher nicht für einen Kerl von 1 m 70 cm, wie Ihr untertäniger Diener.3 Dann ist etwas Übelkeitsverursachendes in der Bewegung des Kahnes, die Ihnen Ihr wichtigstes Buch verleidet und Ihren Sinn zu spielen verringert – aber vor allem existiert in den Treckschuten der Schutzgeist des Geschwätzes einer elenden Sorte. Die

3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden

189

Kahn-Plaudereien bestehen durchgängig aus denselben Zutaten und fallen einstimmig im selben Tonfall aus. Kahn-Anekdoten sind vollkommen unerträglich; und dann dieses grauenhafte, oftmals wiederholte Gefrage: ‚Wie weit sind wir schon, Schiffer?‘ und das ewige ‚Dieses Bezahlen müsste man abschaffen‘, wenn der Mann wegen seines Geldes kommt! – Verurteile die Passagiere nicht zu leichtfertig, wenn sie zu so einer Tiefe des Geistes abtauchen. Nehmen Sie selbst einmal ‚Platz in der Kajüte‘, und Sie werden sehen, dass Sie unwillkürlich genauso tief sinken können. Sobald man in die Treckschute einsteigt und durch dieses Türchen gekrochen ist, und seine Mütze aufgesetzt und seine Ecke ausgewählt hat, ist es, als ob von selbst ein Geist von Engstirnigkeit, von Beschränktheit auf uns fällt. […] Im Allgemeinen ist die Kajüte nur geeignet für die Leute, die hauptsächlich die gesamten Personen ausmachen, als da sind die ‚anständigen‘ Handwerker, die ein arbeitsintensives Gewerbe haben, wie Elfenbeindrechsler und Uhrmacher; gute Leute, die eine Erbschaft machen werden, die Frau mit einem Brötchen im Strickbeutel, der Mann mit einer Schnupftabaksdose mit integrierter Spieldose; jugendliche Stümper, die nicht wissen wollen, dass sie es sind, mit einer Art von Sternenbild auf der Brust, bestehend aus drei verzierten kupfernen Oberhemdknöpfen, und einer grossartigen Gewandspange mit einem gelben Stein in rautenförmige Flächen geschliffen, viel zu gross, um echt zu sein; kleine Rentner von 50 bis 60 Jahre, die silberne Pfeifendeckel in palmhölzernen, eichelförmigen Schächtelchen bei sich haben; ehrliche Buchhalter, die 25 Jahre in ein und demselben Büro gearbeitet haben, und zum Beweis dafür eine silberne Tabaksdose mit Inschrift vorzeigen; Mütter mit schlafenden Kindern, und die noch ‚eins zuhause gelassen haben, das erst acht Jahre alt ist und schon Französisch kann‘; strickende Haushälterinnen, die ‚Sie‘ und ‚ich habe‘4 sagen; Kammerzofen, die für ihre Herrinnen gehalten werden wollen und von unserem Landhaus sprechen, an welchem sie bei der ein oder anderen Brücke abgesetzt werden müssen, und wo, zu ihrer grossen Beschämung, ein Gärtnersknecht sie mit einem Kuss empfängt; halb Kranke, die einen ‚Professor‘5 konsultieren gehen; Fräuleins, die die Fracht mit 13,5 Silbermünzen passend genau bezahlen; Spassvögel, die den Witz haben und über die schrecklichen Gefahren sprechen, welche die Reise in Treckschuten birgt; und Unglückliche, die nicht nach Hause kommen können, es sei denn, sie können an der nächsten Anlegestelle ‚den Kahn von hinten noch einholen‘; um nicht zu sprechen von den ‚Grünen‘6, eine Sorte von scheuen Insekten, die im Monat September alle Kanäle, die in akademischen Städten enden, vergiften. ––––––––––––––– Die Personen der Postkutschen haben einen ganz anderen Charakter; im Allgemeinen sind sie mehr auf der Höhe ihres Jahrhunderts. Sie sind zeitgemässer. Aber zugleich gibt es dort mehr Vielfalt. In der Postkutsche reisen Sie mit Offizieren in Zivil; mit Studenten; mit Herren, die zu einer Audienz gehen; mit Schulaufsehern und Mitgliedern von Prüfungskommissionen; mit Börsenmaklern; mit Pferdehändlern und Bauunternehmern in weiten, blaugrauen Jacken; mit Handelsreisenden, wunderschön durch einen breiten Ring an den vorderen Fingern (meistens mit einem Amethisten); sie fahren rückwärts, gehen sehr ungezwungen

190

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

mit den Schaffnern um, kennen die Pferde mit Namen und vergleichen für Sie die relativen Verdienste der verschiedenen Postwagenunternehmen; mit Dichtern, die eine Lesung halten; mit stolzen Damen, die es als halb unter ihrer Würde sehen, in Postkutschen zu reisen und sich durch Unfreundlichkeit von solchem Hohn rächen; mit jungen Mädchen, die verlegen werden und es halb übel nehmen, wenn ein fremder Herr höflich zu ihnen ist; mit angenehmen Tanten, die an ihrem Zielort von einem halben Dutzend Kinder, die sie schon seit Jahren verziehen, erwartet werden; mit Handelsmarine-Kapitänen mit langen Curaçao-Zigarren; mit Jägern, die ihr Gewehr mit mehr Sorgfalt als ihre Zähne pflegen; mit unruhigen Menschen, die immer zwischen den Rädern sitzen und dir aufzählen, wie viel Land sie in einer einzigen Woche gesehen haben; mit einem gewissenhaften Herrn, der aus Gehorsamkeit an sein Los auf der Nummer 1 sitzen muss; mit einem dicken, kurzatmigen Herrn, der alles offen haben will, und mit einem dünnen, hageren Herrn, der den Kragen seiner Jacke hochschlägt, tief in einen gestrickten Wollschal kriecht, vom ‚boshaften Wetter‘ spricht, und Sie ersticken lassen will; mit Individuen, die sich selbst für eine beliebte Person halten und überall Bekannte antreffen; mit Unzufriedenen, die an allem herumnörgeln; häufig mit einem Kind, das einen halben Platz einnimmt, oder einem Hund, vor welchem Sie Angst haben, zu viel, und häufig, oh! sehr häufig! mit einem höflichen Menschen zu wenig. – Siehe da, der gewöhnliche Inhalt einer Postkutsche! […] Stossen und rütteln! oh, dass man in einem Land wie dem unseren, wo die Strassen so ausgezeichnet sind, solche schlechten Postkutschen macht und duldet! Doch hier bringe ich Ihnen die Ehre, die Ihnen zukommt, edler Van Gend und Loos, Veldhorst und Van Koppen7, warme Menschenfreunde! In Ihren Wagen sitzt man auf breiten Bänken; die Plätze sind geräumig; die Kissen und Rückseiten gut gepolstert; die Karosserie tief; die Federn biegsam; die Räder breit; es zieht nicht durch die Türen hinein; die Fenster bescheiden schweigend; Ihre vier Pferde immer in durchgängigem Trab. Aber viele Ihrer Kollegen setzen uns in eine schockierende, enge, dröhnende, schmutzige, zugige, laute, lotterige Kiste, eine Art grosse, scheppernde Siebkiste8 auf vier Rädern; in der einen haben wir keinen Platz für unsere Oberschenkel, in der anderen keinen Platz für unsere Knie; aus diesen steigen wir mit gefrorenen Zähnen, aus jenen mit einem steifen Nacken aus; wir fahren uns krank, wir fahren uns Kopfschmerzen, wir fahren uns durch; wir glauben verrückt zu werden durch das Surren in unseren Ohren und durch das Gedröhne zu unseren Füssen; und oftmals denken wir, unter dem Durcheinanderwerfen unserer Eingeweide, mit Bekümmerung, was erfreulicher wäre, tot oder lebend da rauszukommen! […] ––––––––––––––– Das Dampfschiff, sagte ich zu mir selbst, und ich nahm einen Platz von Rotterdam nach Nijmegen, wird alles verbessern und übertreffen; es wird mich mit den Verkehrsmitteln und mit dem Reisen und Herumreisen versöhnen; das schnelle, das geräumige, das bequeme, das elegante, das gemütliche, das reiche Dampfschiff! Ist es nicht eine vorankommende Insel der Vergnügtheit, ein verzauberter Flusspalast, ein Himmel zu Wasser? Nun ja: es ist ein schwim-

3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden

191

mendes Café, so sagt man schon. Für kurze Distanzen nichts Besseres als ein Dampfschiff. Aber es ist für die längeren, dass man sie benötigt. Sag nicht: man fühlt sich dort wie zuhause. Es ist wahr, man sitzt dort auf breiten Bänken und weichen Kissen, an glatten Tischen, man kann dort alles bekommen, was man wünscht, alles tun, was man begehrt. Aber dessen kurze Erschütterung, wie von einem Pferd, das hoch trabt, dessen gemischter Gestank aus Öl und Steinkohlen, die stolzen Preise der Erfrischungsgetränke, die Überheblichkeit des Stewards, das schlechte Essen und die Langeweile: dies alles hat man zuhause nicht. Ich sagte Langeweile – denn wo auf der Welt begegnet man mehr Menschen, die zu ihrem Vergnügen reisen, als auf einem Dampfschiff? und was ist langweiliger als ihre Gesellschaft? Reisen zum Vergnügen! oh Utopie! oh Hirngespinst! Wissen denn so wenige Menschen, dass reisen so schwer vergnüglich sein kann! Nein; der Mensch ist kein Zugvogel; er ist ein Haustier; und der natürliche Kreis seiner vergnügten Wahrnehmungen erstreckt sich nicht weiter, als seine Füsse ihn tragen können. In Bewegung und Unruhe, im sich Entfernen von dem Boden, an den er gebunden ist, die Beschäftigungen, an die er gewohnt und mit denen er verbunden ist, dies kann kein Glück sein. […] Zunächst geht es gut. Man kommt fröhlich und unbesorgt, lustig, frisch und empfänglich für allerlei Arten von Vergnügungen an Bord. Man bleibt an Deck, bis die Stadt, in welcher man abgelegt hatte, aus dem Blickfeld verschwindet. Man findet es vergnüglich, nach dem linken oder dem rechten Ufer Ausschau zu halten. Dann geht man zufrieden nach unten und findet die Kajüte sehr schön, sehr bequem, das Sofa allervorzüglichst; es ist ein rechter Spass, sich auf ein Klappstühlchen zu setzen. Man fügt sich in unterhaltsame Gruppen ein, man bestellt Frühstück; man redet, man lacht, man erzählt Anekdoten, Städte- und Staatsneuigkeiten; man spielt mit Interesse eine Partie Schach; man fühlt sich in seinem Element. So ist der Beginn. Aber eine Stunde später, und Sie sehen von Zeit zu Zeit diesen, dann jenen seinen Kopf aus der Luke stecken und an Deck kommen, dies ist noch nicht die Langeweile; es ist die Unruhe, die ihr vorangeht. […] Die Stunden werden je länger, je schleppender. Die Uhren kommen immer wieder zum Vorschein; und die Berechnung: ‚wie viele Stunden noch‘ wird ständig gemacht. So verbringt man einen langen Tag, in welchem die Essensstunde lediglich einigen Zeitvertreib bietet. Aber die Gerichte sind meistens schlecht. Um es kurz zu machen, und damit Sie sich nicht genauso langweilen werden wie unsere Reisenden: eine gute halbe Stunde, bevor das Boot ankommt, wenn der Zielort gerade so im Blickfeld ist, können Sie sicher gehen, dass Sie alle Menschen mit Jacken und Mänteln und Gepäck bereitstehen sehen, um doch vor allem rechtzeitig parat zu sein, um das hochgelobte Schiff zu verlassen. Und dieses zu früh ist die letzte, nicht die geringste Qual für den ungeduldigen Geist. Sodass ein Dampfschiff auch mehr verspricht, als es hält. ––––––––––––––– Aber nun halten Sie mich (ich sehe es schon) nach dem Lesen von alledem für einen unzufriedenen, mürrischen, lästigen Menschen, vor allem für einen elenden Pessimisten, mit dem es sich nicht reden lässt, für einen ekelhaften Smelfungus9, der nur mit Widerwille reist, und

192

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

die Gelbsucht, durch die jedes Objekt, dem er begegnet, fehlfarben und verzerrt wird! – Ich muss mir selbst gegenüber so gerecht sein und erklären, dass ich einen ganz anderen Charakter habe. Im Gegenteil, ich gehöre zu den heiteren, fröhlichen, sich amüsierenden Naturen; ich schicke mich in alles, vorausgesetzt, dass ich in allem eine lächerliche Seite suchen darf, und darüber wettern und scherzen. Ich gehe noch weiter. Ich kann Ihnen bezeugen, dass ich ein paar Mal allerumgänglichst in einer Treckschute Karten gespielt habe; dass es Umstände gibt, unter denen, und Gedanken und Aussichten, mit denen ich sehr gerne in der Postkutsche (auch in der allerschlechtesten, was meistens bei mir der Fall ist) sitzen will; dass ich mich mehrmals allervorzüglichst auf einem Dampfschiff amüsiert habe, unter anderem auch dadurch, alle meine Reisegefährten zu zeichnen; dass ich oftmals mit viel, sehr viel Vergnügen gereist bin; ja, dass ich, so wie ich hier sitze, in meinem weiten, ledernen Lehnstuhl, in meinem weiten Hausmantel, an meinem gemütlichen Kamin, in Frieden und Einträchtigkeit mit der ganzen Welt, mich stark fühle, um allen Schiffern, allen Schaffnern und der ganzen Dampfschiffs-Gesellschaft recht herzlich die Hand zu drücken, – dass eigentlich die begründete Zukunftsaussicht auf die Eisenbahn mich derartig erfreut und liebkost und erregt, dass ich, im Voraus schon glücklich, alles Wasser-und-Land-fahr-Jammern geduldig ertragen und ohne Murren ausstehen will. Eisenbahn! herrliche Eisenbahn! auf dir wird nicht geraucht werden; denn dort gibt es keinen Atem!10 Auf dir wird nicht geschlafen werden; denn dort ist keine Ruhe! Auf dir wird nicht geplaudert werden; denn dort ist keine Zeit! Sollten dort auf dir auch Unannehmlichkeiten und Jammern sein, sie werden die Zeit nicht haben, uns zu erreichen, uns, die wir keine Gelegenheit haben, um sie zu bemerken! Doch kommt! kommt, herrliche Eisenbahnen! Sinkt wie ein Gitternetz nieder auf unsere Provinzen! Vernichter aller grossen Distanzen! verschmäht die kleinen Distanzen unseres Königreiches nicht! Ja; lasst die Gesänge unserer Dichter es bald in begeisterten Tönen schallen: ‚Die Eisenbahn kam, die Eisenbahn kam!‘ Lasst die Taschentücher unserer schönen Frauen dir zuwinken, die Ehren- und Gedenkpfennige unserer Münzprägeanstalten dir entgegenrollen! Denn erst, wenn die Niederländische Nation, entlang deiner glatten Bahnen, täglich durcheinander geschossen wird wie eine Anzahl von Weberschiffchen, wird Wohlstand und Aufschwung und Leben und Eile in unserem teuren Vaterland herrschen! November 1837 1

Die in den Niederlanden erfundenen Treckschuten wurden vom Ufer aus von Menschen oder von Zugtieren über Wasserwege gezogen. Hildebrand nutzte die bildliche Ausdrucksweise einerseits dazu, um Kritik an der Regierung zu äussern, die ewig brauchte, bis sie den Beschluss

3.3. Frühere Textbeispiele aus den Niederlanden

193

fasste, Eisenbahnen zu bauen. Andererseits beinhaltet die Bildsprache auch Kritik an der langsamen, Hildebrands Meinung nach unzeitgemässen Treckschute. 2 Eile mit Weile, richtig, aber eile! geht auf Festina lente zurück, einen mit Vorliebe vom römischen Kaiser Augustus verwendeten Ausdruck. 3 Gemeint ist damit der Schreiber selbst. 4 Im niederländischen Original heisst es uwé und ik heeft: Zwei vornehm gemeinte, jedoch inkorrekte Formen von u und ik heb, mit denen sich die Haushälterinnen lächerlich machen. 5 Die halb Kranken verhaspeln sich wenn sie profester statt professor sagen. 6 Gemeint sind Erstsemester, die noch ‚grün hinter den Ohren‘ sind. Die älteren Studierenden lassen sie während einigen Monaten die studentischen Inkorporationsrituale durchlaufen. 7 Namen von führenden Postkutschenunternehmen. 8Grosse, längliche Kiste aus Holz, in der sich ein Sieb dreht; sie wurde in Bäckereien, Brauereien und Mühlen verwendet. 9 Smelfungus ist ein Name, den der Autor Laurence Sterne dem Poeten Tobias Smollett in seinem Buch A Sentimental Journey (1767) gab. Tobias Smollett, der verschiedene Länder bereist hatte und davon in Travels through France and Italy (1766) berichtete, wurde von ihm als Miesepeter dargestellt. 10 Gegner der Eisenbahn führten als Argument an, dass die Reisenden an Erstickungstod sterben werden, weil durch die Schnelligkeit des Zuges die Luftzufuhr nicht gewährleisten werden könne. 3.3.1.3. Nicolaas Beets, De moerbeitoppen ruischten Die lyrischen Qualitäten Nicolaas Beets‘ zeigen sich in einem Gedicht wie De moerbeitoppen ruischten: DE MOERBEITOPPEN RUISCHTEN. „De moerbeitoppen ruischten;“ God ging voorbij; Neen, niet voorbij, hij toefde; Hij wist wat ik behoefde, En sprak tot mij; Sprak tot mij in den stillen, Den stillen nacht; Gedachten, die mij kwelden, Vervolgden en ontstelden, Verdreef hij zacht.

194

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Hij liet zijn vrede dalen Op ziel en zin; ’k Voelde in zijn vaderarmen Mij koestren en beschermen, En sluimerde in. Den morgen, die mij wekte Begroette ik blij. Ik had zoo zacht geslapen, En Gij, mijn Schild en Wapen, Waart nog nabij. Nicolaas Beets, Dennenaalden, Laatste dichtbundel, 1892–1900. Leiden, 76. Übersetzung: DIE MAULBEERSPITZEN RAUSCHTEN „Die Maulbeerspitzen rauschten;“ Gott ging vorbei; Nein, nicht vorbei, er blieb stehen. Er wusste, was ich brauchte, Und sprach zu mir; Sprach zu mir in der stillen, der stillen Nacht; Gedanken, die mich quälten, Verfolgten und erschreckten, Vertrieb er sanft. Er liess seinen Frieden senken auf Seele und Gemüt, Ich fühlte in seinen Vaterarmen mich umsorgt und beschützt, und schlummerte ein. Den Morgen, der mich weckte, begrüsste ich froh. Ich hatte so sanft geschlafen, Und Du, mein Schild und meine Waffe, warst noch nahe.

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat

195

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat 3.4.1. Gründung und Festigung des belgischen Staates (1830–1914) Am 25. August 1830, dem Geburtstag des Königs, entfachten die aufständischen Texte von Aubers in Brüssel aufgeführter Oper La Muette de Portici eine Revolte unter den französischsprachigen Bürgern. Verhandlungen zwischen den Aufständischen und dem Kronprinzen, der mit Truppen nach Brüssel vorgerückt war, sahen eine Trennung in eine nördliche und eine südliche Verwaltung vor. Die unerwartete Einnahme und spätere Räumung eines Teils von Brüssel durch das Heer durchkreuzten diese Lösung jedoch, auch gemässigte Bürger verloren nun ihre Zuversicht, die Auflehnung liess sich nicht mehr aufhalten. Der Versuch einiger Getreuer im Süden, den Prinzen zum Generalgouverneur auszurufen, scheiterte endgültig, als nach Übergriffen auf niederländische Soldaten Antwerpen bombardiert wurde. Statt sein Schiff den Aufständischen zu überlassen, habe Kapitän Van Speijk laut einer hartnäckigen Überlieferung die legendären, in seiner Korrespondenz belegten Sätze en een infame Brabander worden? Dan liever de lucht in (‚ein infamer Brabanter werden? Dann lieber in die Luft‘) ausgerufen und sein Kanonenboot gesprengt. Eine vorläufige Verwaltung rief am 4. Oktober 1830 die belgische Unabhängigkeit aus, der danach zusammengerufene Nationaal Congres (‚Nationale Kongress‘) bestimmte eine konstitutionelle Monarchie als Regierungsform und wählte 1831 Leopold von Sachsen-Coburg, der in erster Ehe mit dem englischen und in zweiter Ehe mit dem französischen Königshaus verwandt war, zum König. Wilhelm, der die Bedingungen zur Trennung des Südens ablehnte, setzte erneut die Armee ein. Zwar schlug sein Sohn während des ‚Zehntägigen Feldzuges‘, Tiendaagse Veldtocht 1831 das Heer des neuen belgischen Königs bei Hasselt, der Kronprinz musste sich aber zurückziehen, als Frankreich dem neuen Staat zu Hilfe eilte. Trotz besserer Bedingungen für die Trennung zwischen Nord und Süd, Wilhelm wurden Limburg und Luxemburg zugesprochen, lehnte der Oranier erneut eine definitive Regelung ab. Der Einmarsch französischer Truppen mit der Einnahme Antwerpens 1832 führte im nächsten Jahr lediglich zu einem Waffenstillstand. Um sich zwischen den Grossmächten behaupten zu können, führte Belgien einerseits eine Neutralitätspolitik, verstärkte andererseits seine Armee, was zu inländischen Spannungen zwischen u. a. Monarchisten und antimilitaristischen Wählern ländlicher Gegenden führte. Die Beziehungen mit den Niederlanden verbesserten sich im Laufe des Jahrhunderts zwar, die von Belgien gewünschte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den nördlichen Nachbarn kam u. a. wegen gegenseitiger wirtschaftlicher und verkehrspolitischer Interessen nicht zustande. Der Nationaal Congres entwarf ein Grundgesetz für die belgische parlamentarische Monarchie, das die Macht des Königs zwar einschränkte und den lokalen Verwaltungen mehr Befugnisse zuteilte, dennoch die republikanischen Überzeugungen der Aufständischen wenig berücksichtigte. In den fortschrittlichen Gesetzen des neuen Staates wurden die Rechte der Bürger, wie die Freiheit der Meinungsäusserung, der Religion, der Erziehung oder der Gründung von Vereinen, festgeschrieben, eine unabhängige richterliche Gewalt gewährleistete die Einhaltung dieser Rechte der Menschen. Sodann wurde die Kammer der Volksvertreter direkt von der männ-

196

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

lichen Bevölkerung gewählt, allerdings hatte die Anwendung des Zensuswahlrechtes zur Folge, dass anfänglich weniger als zwei Prozent der Belgier ihr Wahlrecht ausüben konnten. Unter dem Druck der Sozialisten erhielten 1893 Männer über fünfundzwanzig abhängig von Einkommen und Ausbildung eine oder mehrere Stimmen. Allgemeines Wahlrecht für Männer wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Der Senat, der aus Vertretern der Aristokratie bestand, die durch ein Sonderverfahren gewählt wurden, sollte oftmals demokratische und soziale Entwicklungen bremsen. Bis zur internationalen Anerkennung des belgischen Staates hielt eine Zusammenarbeit zwischen Liberalen und Katholiken stand, das Parlament unterstützte die unionistische Regierungspolitik dieser Gruppierungen, die vermehrt von Leopold I. gelenkt wurde. Um den Einfluss der liberalen Katholiken einzuschränken, bewegte der König den konservativen Papst Gregorius XVI. dazu, konservative Bischöfe in seinem Land zu ernennen, welche die unionistischen Regierungen unterstützten. So vermischten sich allmählich kirchliche und staatliche Interessen. In den ersten Jahren förderten die belgischen Regierungen Industrie und Verkehr, später berücksichtigte die Obrigkeit eher die Interessen der Landwirtschaft und des Gewerbes. Zudem unterstützte sie die Kirche, die in der Gesellschaft vermehrt Aufgaben übernahm, so in der Wohltätigkeit und im Schulwesen. Nachdem die Unabhängigkeit Belgiens 1839 durch ein Statut international festgeschrieben war, fingen Unzufriedene an, sich gegen die konservative Politik zu wehren. Antiklerikale Liberale, sozial-progressive Radikale, ehemalige Anhänger des niederländischen Königshauses, Freimaurer, deren Vereine übrigens zuerst verboten waren, aber auch liberale Aristokraten begannen die Interessen der Bürger gegen die Macht der Kirche und des Adels zu unterstützen. Die Teilnehmer des liberalen Kongresses, der 1846 in Brüssel stattfand, verlangten eine von der Kirche unabhängige staatliche Gewalt, Ausdehnung des Wahlrechtes und eine Verbesserung der Lebensumstände der Arbeiter. Es gelang liberalen Regierungen dann ab 1847, Erneuerungen durchzusetzen, die insbesondere der städtischen Bevölkerung zugutekamen. So wurde Belgien 1848 von den in Europa umgreifenden Revolten verschont, das Verhältnis zwischen den Liberalen und dem König verbesserte sich in der Folge. Dank u. a. antiklerikaler Freidenker, die eigene kulturelle Vereine gründeten und eine liberale Presse förderten, entwickelte sich eine liberale fortschrittliche Tradition, wovon laut Historikern wie E. Lamberts in der Literatur zum Beispiel Charles de Costers La légende et les Aventures héroiques, joyeuses et glorieuses d’Ulenspiegel et de Lamme Goedzak au pays de Flandres et ailleurs (‚Die Legende und die heroischen, fröhlichen und ruhmreichen Abenteuer des Til Eulenspiegel und des Lahmen Gutmütigen Trottels im Lande Flanderns und sonst wo‘) 1867 zeugt, Geschichten, die in der Tradition von Texten aus dem 16. Jh., wie Herman Botes deutschem Dyl Ulenspeghel und dem niederländischen von Michiel van Hoochstraten in Antwerpen Anfang des 16. Jh. herausgegebenen Ulenspieghel stehen. Inzwischen zeichneten sich soziale und wirtschaftliche Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen Belgiens ab. In Flandern kämpfte die Baumwollindustrie mit Absatzschwierigkeiten nach dem Wegfall der Ausfuhr in die niederländischen Kolonien, der Absatz von Flachs und Leinen, traditionell in Heimarbeit hergestellt, litt unter der mechanischen Textilproduktion in England. In der Folge gingen Arbeitsplätze verloren, missglückte Ernten verursachten Hunger und Epidemien, Flamen siedelten nach Wallonien und Nordfrankreich um. Anders als in Flan-

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat

197

dern kamen Verbesserungen der Infrastruktur, wie der Ausbau des Eisenbahnnetzes, vermehrte, auch vom König angeregte Investierungen namentlich in die Schwerindustrie, eine allmähliche Erweiterung des internationalen Freihandels und ein Aufleben der Weltwirtschaft vor allem der Wirtschaft Walloniens zugute. Das liberale Bürgertum bestimmte die Geschicke der wallonischen Provinzen, Grossgrundbesitzer und Kirche beherrschten die konservativen agrarischen flämischen Provinzen. Die Arbeitsbedingungen sowohl der Land- als der Fabrikarbeiter waren auch in Belgien elend, 14-stündige Arbeitstage auch für Frauen und Kinder, die noch weniger als die Männer verdienten, waren keine Ausnahmen. Viele der Arbeiter in Fabriken und Minen sahen nur selten das Tageslicht, die Kindersterblichkeit war hoch. In den Achtzigerjahren sollten Getreideimporte der Landwirtschaft Flanderns und eine Krise in der Eisenproduktion der Industrie Walloniens zusetzen und soziale Unruhen auslösen. Die Wirtschaftsprobleme trugen dazu bei, dass die Konservativen zuerst auf dem Lande und in den Kleinstädten, später auch in den grossen Städten an Einfluss gewannen. Sie prägten Jahrzehnte die belgische Innenpolitik, indem sie die Bedeutung der Familie für die Gesellschaft hervorhoben, die Stellung der Kirche stärkten und lokalen Verwaltungen mehr Befugnisse erteilten. Die katholische Kirche konnte sich dadurch vermehrt an gesellschaftlichen Organisationen beteiligen, sie kümmerte sich zuerst um das mittelständische Bürgertum, später auch um die Arbeiter, es entstanden konfessionelle Volksbewegungen. Katholiken bevorzugten es, gesellschaftliche Aufgaben möglichst mit eigenen Organisationen ohne staatliche Einmischung zu erfüllen. Auch die Liberalen und Sozialisten bauten ihre Parteien und Vereine aus. Bereits Mitte des 19. Jh. entstanden aus Arbeitervereinen wie jenem der Genter Textilarbeiter erste Gewerkschaften in Belgien. Nachdem eine Revolte bürgerlicher Sozialisten 1848 scheiterte, schritten die Machthaber hart gegen sie ein. Im letzten Viertel des Jahrhunderts übernahmen die belgischen Sozialisten Auffassungen zur Sozialdemokratie, die sich namentlich in Deutschland entwickelt hatten. Erst nach der Erweiterung des Stimmrechts 1885 organisierten sich Arbeitervereine und Gewerkschaften aber politisch. Die BWP, Belgische Werklieden Partij, setzte sich als Dachorganisation der Sozialisten nun für allgemeines Stimmrecht, Schulpflicht, soziale Gesetze sowie eine Trennung der Macht des Staates und der Kirche ein. Christlich-sozialistische Vereine schlossen sich dem Belgische Volksbond an, kooperative Organisationen von Landwirten vereinten sich im Belgische Boerenbond. So etablierte sich eine Gesellschaft, die sich nach weltanschaulichen Auffassungen richtete. Neben dem Staatsnationalismus, der zur Gründung Belgiens geführt hatte, verstärkte sich ein flämischer Volksnationalismus, der sich gegen die französisch-kulturellen Eigenheiten Belgiens zu wehren begann. Das Ringen der Flämisch-Gesinnten um politische Anerkennung einer dualistischen Sprach- und Volksgesellschaft sollte die Zukunft Belgiens, das übrigens auch eine deutschsprachige Gemeinschaft kennt, bestimmen. Nach der Ablehnung der Bittschrift zur Zulassung des Niederländischen neben dem Französischen an der Schule, der Verwaltung und am Gericht in Flandern 1840 verstärkten Befürworter der flämischen Volksgesellschaft 1848 ihre Forderungen. Es entwickelte sich eine ausserparlamentarische, aktionistische Bewegung, die durch das mangelnde Verständnis der Regierungsparteien die flämischen Interessen über die nationalen Belange stellte. Später kamen dank Gesinnungsgenossen in den gut organisierten grossen politi-

198

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

schen Parteien und durch die Wirkung starker Studentenorganisationen Gesetze zustande, die das Niederländische im Gericht während Strafprozessen, in den Kommunal- und Provinzverwaltungen sowie mit Einschränkungen an den Athenäen zuliessen. Die Zweisprachigkeit Flanderns wurde gesetzlich verankert, der flämische Nationalismus hatte sich gleichzeitig verstärkt. Während der letzten Jahrzehnte des 19. Jh. führten die sozialen Missstände zu Revolten in Wallonien. Erst die vom Staat getroffenen sozialen Massnahmen und die Verbesserung der Konjunktur bewirkten allmählich eine Beruhigung der angespannten Lage. Technische Erneuerungen, so die Entwicklung und Anwendung der Elektrizität in der Industrie, Verbesserungen der Infrastruktur, namentlich der Eisenbahnen und der Wasserstrassen, und eine Steigerung der Ausfuhr verbesserten die sozialökonomischen Lebensumstände. Zudem trug die von Leopold II. geförderte wirtschaftliche Aktivität in Zentralafrika zum Aufschwung bei. Nachdem der König 1884 die Souveränität über Kongo erlangt hatte, erzielten Besatzung und Exploitation der Kronkolonie allmählich Gewinne. Nach langwierigen Verhandlungen übernahm 1908 der belgische Staat die Verwaltung der Kolonie, dennoch nahm Leopold II. anfänglich unmittelbar Einfluss auf die zentralistisch gestaltete Kolonialpolitik. Das so am Anfang des 20. Jh. entstandene wirtschaftliche Wachstum Belgiens wirkte sich insbesondere auf die Entwicklung Walloniens günstig aus. Der Aufschwung nutzte aber auch den Häfen Gent, Seebrügge und Antwerpen, die Einfuhr kurbelte zudem die Verarbeitungsindustrie, besonders in Antwerpen und Umgebung an. Ausserdem bot der technische Fortschritt der flämischen Flachs- und Textilindustrie neue Chancen, die Kohlenindustrie bewirkte gegen Ende des Ersten Weltkriegs wirtschaftlichen Fortschritt in Limburg. So sollte Belgien im ersten Viertel des 20. Jh. zu einer mittelgrossen Industriemacht anwachsen, welche die Niederlande wirtschaftlich überholte.

3.4.2. Die Stellung des Niederländischen im Belgien des 19. Jahrhunderts Die im Königreich der Niederlande eingeführte Sprachpolitik, die das Niederländische als nationale Sprache förderte (vgl. 2.4.2.), wurde im neuen belgischen Staat von einer Politik der Sprachfreiheit abgelöst. Dies hatte zur Folge, dass das Französische als überregionales, standardisiertes Kommunikationsmittel das Niederländische als Kultursprache in Flandern zu verdrängen drohte. Ähnlich wie Wilhelm I. zuvor nach einer Nation mit einer Sprache, dem Niederländischen gestrebt hatte, bemühten sich die neuen Machthaber Belgiens ebenfalls um einen Staat mit einer Sprache, nun allerdings mit Französisch. Verwaltung, Kirche, Armee, Gerichte, weiterführende und höhere Ausbildungsstätten, Sektoren wie Handel, Verkehr oder Kultur bedienten sich vorzugsweise oder ausschliesslich der französischen Sprache. So wurde sie wie in habsburgischen und napoleonischen Zeiten wieder zur Sprache des öffentlichen Lebens und schwächte die Stellung des Niederländischen im Süden, und zwar eingreifender als je zuvor. Die Mehrheit der flämischen Bevölkerung kümmerte dies anfänglich wenig; vereinzelte Flamen, insbesondere einige, die ihre Schulausbildung während der Epoche des Vereinten Königreichs vollständig auf Niederländisch erhalten hatten (vgl. 2.4.2.), sollten sich allerdings für die Förderung der eigenen Kultur und Sprache einsetzen. Niederländisch war immerhin die Sprache einer Mehrheit der Belgier.

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat

199

Zu den Wegbereitern dieser Bewegung zur Förderung der eigenen Sprache zählen namentlich Philip Blommaert (1809–1871), Privatgelehrter und Freund Hendrik Consciences, der Historiker, Philologe und Hochschullehrer Jan Baptist David, Jan Jacob Alfried de Laet (1815–1891), Dichter und Volksvertreter, der Historiker und Bibliophile Constant Serrure (1805–1872), der Arzt Ferdinand Augustijn Snellaert (1809–1872), Schriftsteller und Gründer der Maetschappy van Vlaemsche Letteroefening, De Tael is gantsch het Volk (‚Flämische Literaturgesellschaft, Die Sprache ist ganz das Volk‘) sowie der Willemsfonds (‚Willems-Stiftung‘), der Dichter Prudens van Duyse (1804–1859), Stadtarchivar von Gent und der liberale Dichter Jan Frans Willems, vader der Vlaamse beweging (‚Vater der flämischen Bewegung‘). Bereits vor der Gründung Belgiens hatte Jan Frans Willems sich u. a. durch Mitwirkung an der Herausgabe vaterländischer Chroniken und Schriften um die Kultur der Niederlande bemüht. Er bedauerte als ‚Orangist‘, Anhänger des niederländischen Königshauses, die Abspaltung Belgiens 1830. Nun versuchte er mit Gesinnungsgenossen in Antwerpen, Gent und Löwen die flämische Bevölkerung für die eigene Sprachkultur zu begeistern. Abhandlungen zur eigenen Sprache, Geschichte und Literatur erschienen, man veröffentlichte ältere niederländische Dichtung und förderte das Theater in der Muttersprache. Als flämischer Volksdichter trug Theodoor van Rijswijck (1811–1849) in den Vierzigerjahren mit seinen Spottversen zur Bewegung bei. Auch rief er zum Kampf auf, so beispielsweise in seinem Wapenkreet aen de Vlaemsche Dichters (‚Kampfruf an die flämischen Dichter‘): Grypt aen ’t geweer! ’t is meer dan tyd, Op, op! te wapen, op! Gy dichters, die nog mannen zyt Met hersens in den kop. Toont dat ge uw zending waerdig wordt, En trekt vereend te veld; Met moed in ’s vyands drom gestort, Trots weêrstand en geweld. (Van Rijswijck 1884, 301) (‚Greift das Gewehr! Die Zeit ist mehr als fällig, / Los, Los, zu den Waffen! / Ihr Dichter, die noch Männer seid / Mit Gehirn im Kopf. / Zeigt, dass ihr Euerer Mission würdig seid, / und zieht vereint ins Feld / Mit Mut in die Scharen der Feinde gestürzt, / trotz Widerstand und Gewalt./‘) Als einer der wenigen niederländischsprachigen Adligen in Belgien setzte sich auch Blommaert für seine Muttersprache ein. Bereits drei Jahre nach der Gründung Belgiens hielt er in einem Pamphlet fest:

200

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Niets staet zoo naeuw met de eigene grondbeginselen eener natie in verband, als de volkstael. Het is de tael, die dezelfde denkwyzen door al de rangen der maetschappy verspreidt; die de verscheidenheid der volken doet onderkennen, en gevolgenlyk de nationaliteit vormt. Derhalve is het aen een vaderlandsch Bestuer, als plicht, opgelegd, de volkstael byzonderlyk voor te staen. (Blommaert 1834, 11) (‚Nichts hängt so unmittelbar mit den Grundsätzen einer Nation zusammen wie die Volkssprache. Es ist die Sprache, die das gleiche Denken durch alle gesellschaftlichen Ränge hindurch verbreitet; die die Unterschiedlichkeit der Völker erkennen lässt und folglich die Nationalität festigt. Deswegen hat die vaterländische Verwaltung die Pflicht, die Volkssprache inbesondere zu fördern.‘) Am Schluss des Textes ruft Blommaert jeden ‚aufrichtigen‘ Belgier dazu auf, die Tugenden der Vorfahren in Ehren zu halten und das Einheimische über das Fremde siegen zu lassen. Zum Bewusstsein der Sprache und Kultur der Flamen trug Hendrik Consciences Veröffentlichung De Leeuw van Vlaanderen (vgl. 3.5.1.1.) 1838 entscheidend bei. Die Art und Weise, wie Felix Timmermans fast hundert Jahre später die Bedeutung des ursprünglich französischsprachigen Schriftstellers würdigt, spricht für sich: Toen het Vlaamsche volk uit zijnen eeuwen-langen slaap ontwaakte, en het daar onmondig, onbeholpen en verlegen in de wereld stond, zond de Voorzienigheid een man, die dit volk moest toonen, wat het geweest was, van waar het kwam en welke innerlijke waarde het bezat, voor nu en voor de toekomst. Die man was Hendrik Conscience. (…) Een heel volk stond sidderend recht om te luisteren. Trotsch, fier, verbaasd en bewonderend. Het was of van alle torens de zegeklokken luidden, en er muziek tot in de hoogste wolken hing. Dat was het réveil van ons Volk. Hij scheurde de nevelen van ons verleden uiteen. Hij riep de geest der helden uit het graf, en een schaar van groote mannen rezen voor ons op: Gij Jan Hyoens! Gij Artevelde. En weer spraken en zongen onze torens, de oude steden herleefden, de juweelige huizen waren weer bezield, de gildenhuizen vlagden, en de heele geschiedenis wandelde als een levende fresco voor ons oogen. Wij voelden ons weer een volk, wij waren iets geweest, wij konden weer iets worden. Dit innerlijk bevrijdingsmuziek klonk tot in de harten der eenzaamste boeren, bij de nederigsten, bij de kinderen, bij de burgers, overal. (Timmermans, vgl. 4.2.4.1.)

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat

Abb. 9: Hendrik Conscience.

201

Abb. 10: Guido Gezelle.

(‚Als das flämische Volk aus seinem jahrhundertelangen Schlaf erwachte und unmündig, unbeholfen und verlegen dastand, sandte die Vorsehung einen Mann, der diesem Volk zeigen musste, was es gewesen war, von wo es kam und welche inneren Werte es besass, für jetzt und für die Zukunft. Dieser Mann war Hendrik Conscience. […]. Ein ganzes Volk stand zitternd recht um zu lauschen. Stolz, hochmütig, überrascht und bewundernd. Es war, wie wenn von allen Türmen die Segenglocken läuteten und die Musik bis in die höchsten Wolken hing. Das war die Erweckung unseres Volkes. Er riss die Nebel unserer Vergangenheit auseinander. Er rief den Geist der Helden aus dem Grab, und eine Schar von grossen Männern stiegen vor uns auf: Du Jan Hyoens! Du Artevelde. Und wieder sprachen und sangen unsere Türme, die alten Städte lebten auf, die hübschen Häuser waren wieder beseelt, die Zunfthäuser flaggten, und die ganze Geschichte wanderte wie ein lebendes Fresko vor unseren Augen. Wir fühlten uns wieder ein Volk, wir waren etwas gewesen, wir konnten wieder etwas werden. Diese innerliche Befreiungsmusik klang bis in die Herzen der einsamsten Bauern, der Niedrigsten, der Kinder, der Bürger, überall.‘) Eine flämische Theatertradition, die die Stellung der Muttersprache verstärkte, entstand 1840 mit der Genter Gesellschaft IJver doet Leren (‚Fleiss fördert das Lernen‘). Sodann trug das 1847 gegründete Minard-Schauspielhaus in Gent entscheidend zur Förderung der flämischen Kultur bei, vgl. 3.1.2.2. Es wurde zum Zentrum des flämischen Geisteslebens. Ein Singspiel wie Hippo-

202

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

liet van Peenes (1811–1864) Brigitta of de twee vondelingen (‚Brigitte oder die zwei Findlinge‘, vgl. J. van Schoor 1996) löste eine derartige Begeisterung aus, dass auch König Leopold eine Vorstellung besuchte und der Theatergesellschaft den Titel ‚königlich‘ verlieh. Sieben Jahre später wohnte er als Ehrengast dem Groot Vlaemsch Gala-Feest (‚Grossen flämischen Gala-Fest‘) anlässlich des silbernen Jubiläums der Dynastie bei. Die Anerkennung des Staatsoberhauptes bestätigt, dass in Belgien in der Mitte des 19. Jh. eine niederländischsprachige nationale, d. h. flämische Theaterkultur entstanden war. Sie gab der flämischen Theaterdichtkunst einen unvergleichlichen Auftrieb (vgl. Van Schoor 1996 [a]). Gesellschaften wie das Nationael Tooneel van Antwerpen (‚Nationales Theater Antwerpens‘), das Nationael Tooneel van Oost-Vlaanderen (‚Nationales Theater Ostflanderns‘) oder das Nationael Tooneel van West-Vlaanderen (‚Nationales Theater Westflanderns‘) förderten die Dichtung niederländischsprachiger Dramen ebenso wie das 1860 eingeführte Prämiensystem zur Unterstützung von Verfassern niederländischer Theaterliteratur. Nach dem Bau des Nederlandse Schouwburg (‚Niederländischen Schauspielhauses‘) 1874 in Antwerpen erneuerte sich das niederländische Theater in Belgien. Neben den Melodramen, die vor allem Spektakel boten, standen nun auch realistischere Stücke auf dem Spielplan, die dem Geschmack und den moralischen Auffassungen des kleinbürgerlichen Publikums entsprachen. Dagegen verlief die Etablierung eines niederländischsprachigen Berufstheaters in Gent und Brüssel anfänglich weniger erfolgreich wegen der feindseligen Haltung der Behörden dem Flämischen gegenüber. Ab 1875 verzeichnete das flämische Theater in Brüssel allerdings aufsehenerregende Erfolge (vgl. Van Schoor 1996 [a]). 1887 öffnete die Vlaamse Schouwburg (das ‚Flämische Schauspielhaus‘) hier seine Pforten. Dass König Leopold II. bei der Eröffnung zum ersten Mal auf Niederländisch eine Ansprache hielt, belohnten die begeisterten Zuschauer mit donnerndem Beifall. Der Chefredakteur des Blattes Flandria schrieb dazu: Gewichtige datum, die van donderdag 11., dag waarop Z.M., voor de eerste maal sinds zijne regeering, het Vlaamsch gebruikte in het openbaar. Zulks is de erkenning én van het rechtmatige van onzen taalstrijd én van het officieel karaker der Nederlandsche taal in België. (Erenstein 1996, 494) (‚Wichtiges Datum, jenes von Donnerstag dem 11., Tag an dem Seine Majestät zum ersten Mal seiner Regierung in der Öffentlichkeit Flämisch benutzte. So etwas ist die Anerkennung von sowohl der Rechtmässigkeit unseres Sprachenkampfes als auch vom offiziellen Charakter der niederländischen Sprache in Belgien.‘) So hatte der Antrieb der Förderer des Flämischen, die man gemeinhin mit dem Ausdruck Vlaamse Beweging zusammenfasst, anfänglich vor allem einen kulturellen Ursprung. Die erfolgreiche Tätigkeit flämischer Schriftsteller und Theatermacher konnte allerdings nicht verhindern, dass die vom belgischen Staat festgelegte Sprachfreiheit die Flamen gesellschaftlich und wirtschaftlich hart bedrängte. So waren französischsprachige Richter der

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat

203

Sprache der Flamen, die vor dem Gericht erschienen, nicht mächtig. Französischsprachige Beamte, die die Sprache der lokalen Bewohner nicht beherrschten, bevölkerten die Verwaltung Flanderns. Französisch war auch die Sprache des belgischen Heeres. Sodann erfolgte die Weiterausbildung jüngerer Generationen von Flamen fortan in einer Sprache, die viele von ihnen nicht oder ungenügend konnten. Wer Französisch nicht meisterte, konnte sich weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich behaupten. Die Befürworter der Vlaamse beweging hatten folglich neben kulturellen auch dringende gesellschaftliche Gründe, sich für die Stellung des Niederländischen in Belgien und seine Sprecher einzusetzen. Zu den Förderern des Flämischen, die die Bewegung politisierten, gehört De Laet, der übrigens anfänglich auf Französisch publiziert hatte. Er unterstützte wie auch Jan Frans Willems und Ferdinand August Snellaert eine von 13.000 Befürwortern unterschriebene Bittschrift, das Vlaams petitionnement, die 1840 eine gesetzliche Anerkennung des Niederländischen als Landessprache verlangte. Die Abgeordneten, die sich als Vertreter der gebildeten Bürger ohne Bedenken des Französischen bedienten, wiesen sie jedoch zurück. Die Ablehnung drückte wohl ihre noch immer vorhandene Missbilligung der früheren Sprachpolitik Wilhelms I. aus. De Laet wurde Mitglied des Nederduitsche Bond (‚Niederländischen Bundes‘), die als flämische Gruppierung in der Meetingpartij die Interessen des Hafens von Antwerpen gegen die Regierung verteidigte. Als Vertreter dieser Partei legte er 1863 als erster neu gewählter Parlamentarier Belgiens den Eid in niederländischer Sprache ab. Es vergingen noch 25 Jahre, bis ein Abgeordneter im belgischen Parlament eine Ansprache auf Niederländisch hielt. Dank De Laets Initiative wurde 1876 ein zweites Sprachgesetz, de wet-De Laet (‚das DeLaet-Gesetz‘), verabschiedet, das die Einführung des Niederländischen in der Verwaltung ermöglichte. Drei Jahre zuvor hatten die Abgeordneten gesetzlich sichergestellt, dass Niederländisch bei juristischen Handlungen, so beim Gericht, als Amtssprache zugelassen wurde. Sodann wurde die Verwendung des Niederländischen 1878 im Heer gestattet. Auch durften ab 1883 einige Fächer der Mittelschule in der Muttersprache der Flamen unterrichtet werden. Die Volksvertretung verabschiedete 1898 ein Gelijkheidswet (‚Gleichheitsgesetz‘), das vorschrieb, dass alle Gesetze und königlichen Beschlüsse fortan sowohl auf Französisch als auch auf Niederländisch zu formulieren waren; sie besassen zudem die gleiche Rechtskraft. So wurde Flandern zweisprachig, während Wallonien einsprachig französisch blieb. Gesetze zur Beseitigung der Diskriminierung der Flamen wurden allerdings oft halbherzig umgesetzt. Inzwischen französierten diverse gesellschaftliche Sektoren Flanderns weiter, Adel, Grossbürgertum und Klerus verwendeten vorzugsweise Französisch. Wer einen gesellschaftlichen Aufstieg anstrebte, musste Französisch, die Sprache mit dem höchsten Prestige beherrschen. So blieb die soziale Sprachgrenze weiterhin bestehen. Um den Flamen bessere soziale und wirtschaftliche Aussichten zu gewährleisten, hielt die flämische Bewegung es daher für dringend erforderlich, dass Flandern einsprachig Niederländisch wurde. Die Bewegung, die bei stets breiteren Bevölkerungsschichten Rückhalt fand, forderte daher gegen Ende des 19. Jh., dass Niederländisch zur einzigen offziellen Sprache von Flandern wurde. Eine Festlegung der niederländischsprachigen Gebiete sollte aufgrund des territorialiteitsbeginsel (‚Grundsatz der Territorialität‘) erfolgen: das Hoheitsgebiet und nicht der individuelle Bürger

204

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

sollte ausschlaggebend bei der Festlegung der offiziellen Sprache sein. Somit kämpfte die Vlaamse beweging während der ersten Jahrzehnte des 20. Jh. dafür, dass das Niederländische zur einzigen – ‚autochthonen‘ – Sprache Flanderns wurde (vgl. 4.1.6.). Von der Bevölkerung dieses Gebietes waren immerhin zu 97 % niederländischsprachig. 3.4.2.1. Entfaltung des belgischen Bildungswesens Da das belgische Grundgesetz eine absolute Bildungsfreiheit gewährleistete, gründeten die Katholiken konfessionelle Bildungseinrichtungen. Daneben entstanden kommunale Grundschulen, die aber auf Drängen der Bischöfe römisch-katholische Grundsätze zu berücksichtigen hatten. Die Reichsschulen für den weiterführenden Unterricht hingegen blieben neutral. Es gelang den Liberalen während der zweiten Hälfte des 19. Jh., die kirchliche Einflussnahme an den Athenäen zurückzudrängen, Religion wurde ein Wahlfach. Der dadurch entfachte Schulstreit führte zu einem Rückgang der kirchlichen Einflussnahme im Bildungswesen. Als die Liberalen 1878 erneut regierten, verboten sie Religionsunterricht an der öffentlichen Schule, ein neuer Schulstreit entbrannte, die Katholiken konnten nun einen fakultativen Religionsunterricht durchsetzen. Die politischen Auseinandersetzungen förderten eine Konkurrenz zwischen öffentlichen und konfessionellen Bildungsstätten, wodurch sich die Ausbildungsmöglichkeiten erweitern konnten. Wie E. Lamberts darlegt, ging der Analphabetismus nun rasch zurück: 1860 konnten über 50 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben, 1880 waren dies weniger als 30 Prozent. Weitere Schulreformen kamen einerseits dem Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen zugute, andererseits erhielten freie Schulen mehr Subventionen, so nahm der Analphabetismus ab. Schulpflicht, Inspektion und staatlich festgelegte Lehrpläne bewirkten zudem eine Verbesserung des Unterrichts. Durch königliche Beschlüsse Wilhelms I. wurden 1817 die Reichsuniversitäten Lüttich, Löwen und Gent gegründet. Mit der Université de Liège erhielt Wallonien somit eine staatliche Hochschule. Nach dem Aufstand machte die Rijksuniversiteit Leuven auf Initiative der belgischen Bischofskonferenz 1834 Platz für die Katholische Universität Löwen, die im 20. Jh. nicht nur von verhängnisvollen Geschehnissen während der Weltkriege heimgesucht wurde, sondern auch einen langjährigen Streit zwischen niederländisch- und französischsprachigen Interessengruppen auszutragen hatte. Nach dem belgischen Aufstand löste an der Universität Gent Französisch das Latein als Sprache der Wissenschaft ab. Die Hochschule, die übrigens 1882 die erste Studentin zuliess, erstarkte erst langsam. 3.4.2.2. Überregionaler Integrationismus trotz flämischem Partikularismus Anfänglich hatten auch Flamen, die später zu den sogenannten Partikularisten zu rechnen sind, nach dem Abzug der französischen Truppen König Wilhelms Politik zur Förderung des überregionalen Niederländischen begrüsst. Der Priester und Verleger Leo de Foere (1787–1851) verlangte beispielsweise in seinem einflussreichen römisch-katholischen Le Spectateur Belge die Wiedereinführung des Niederländischen in den Schulen und in der Verwaltung Flanderns. Voller Anerkennung zitierte er 1815 in einem Almanach Jan Frans Willems’ Ode op de herstelling der Nederduytsche tael (für den vollständigen Text vgl. 3.5.1.3.), die den Triumph des Niederländischen über das Französische bejubelt:

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat

205

Triomf! – onz’ Nederduitsche taal Is van het Fransche juk ontheven, En zal, hoezeer den nijd ook smaal’, Haar ouden luister doen herleven. (Willems 1873, 7) (‚Triumph! das französische Joch wurde von unserer niederländischen Sprache abgeschüttelt / wie sehr die Eifersucht auch schmäht / seine alte Pracht herleben lassen.‘) Kurz nach der Wiedervereinigung der Niederlande zeugen De Foeres Veröffentlichungen denn auch vom Bewusstsein einer kulturellen und sprachlichen Einheit der nördlichen und südlichen Provinzen. Wesentliche Unterschiede zwischen Holländisch, Flämisch und Brabantisch bestünden laut ihm nicht: Eenige nederlanders, zonder dat men mag wéeten waerom, maeken, in hunne redevoeringen, geduerig onderscheyd, tusschen hollandsch en vlaemsch of brabandsch; weynige, geen wezenlyke maer toevallige verscheydenheden, en daer by maer in de spelling, konnen, buyten twyffel, het hollandsch en het vlaemsch voor twee wezenlyk verscheyde taelen niet doen aenzien. (Le Spectateur Belge 1815, vol. 2, 75–76) (‚Einige Niederländer, ohne dass man wissen darf warum, unterscheiden in ihren Ansprachen immer wieder zwischen Holländisch und Flämisch oder Brabantisch; wenige zufällige, jedoch nicht wesentliche Unterschiede, dazu nur in der Orthografie lassen das Holländisch und das Flämisch zweifelsohne nicht als unterschiedliche Sprachen erkennen.‘) Ebenso rief Pieter Behaegel (1783–1857), Verfasser der dreibändigen Nederduytsche Spraekkunst (‚Niederländische Grammatik‘) zuerst dazu auf, eine Einheit der Sprache im gesamten niederländischen Sprachgebiet zu verwirklichen. Wohl meinte er, dass ‚die Holländer‘ seit dem 17. Jh. ihre Sprache ‚verformt‘ hätten, Siegenbeeks Orthografie und Weilands Grammatik (vgl. 2.2.1., 2.2.2.) könnten daher nur in abgeänderter Form im Süden eingeführt werden. Eine gemeinsame Kommission zur Neuregelung der Orthografie müsste nach seiner Meinung sowohl der Auffassungen der ‚holländischen Sprachlehrer‘ wie den Eigenheiten des ‚flämischen Dialektes‘ Rechnung tragen. Trotzdem übernahm Behaegel nicht selten die in den Niederlanden eingeführten sprachlichen Regelungen. So ersetzt er in seiner Grammatik die flämische Schreibweise von /a/ als durch Siegenbeeks (vgl. Vosters et al. 2011). Allerdings verteidigte er die Kultivierung einiger sprachlicher Merkmale, die im Flämischen vorkommen, wie den statt de als bestimmten Artikel Nom. Mask. Sing. Auch behielt er Substantive wie peirden (‚Pferde‘) und steirten (‚Schwänze‘) an Stelle der nordniederländischen Bildungen paarden und staarten bei, die er übrigens wohl als Alternative zuliess. Solche an sich keineswegs grundlegende sprach-

206

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

liche Unterschiede dienten konservativen Flamen bald als Begründung für ihre Ablehnung des AN, das sich seit dem 16. Jh. im Norden gefestigt hatte. Immer mehr verstanden sie als Partikularisten die Volkssprache als Teil ihres nationalen katholischen Erbgutes, der Oberherrschaft des protestantischen Nordens misstrauten sie. So wehrte sich De Foere bereits nach dem Antritt Wilhelms I. in seinen Veröffentlichungen gegen die neuen zentralistischen Machtstrukturen und rief dazu auf, den Eid auf die Verfasssung des Königreichs nicht zu leisten. Dafür erhielt er nicht nur zwei Monate Gefängnisstrafe, sondern darüber hinaus wurden seine Gesinnungsgenossen und er fortan aus den öffentlichen Ämtern und aus der Verwaltung verbannt. So versäumte der König es, einen Teil der traditionalistischen flämischen Bevölkerung für seine Sprachpolitik (vgl. 2.4.2.) zu gewinnen. Wilhelm I. rechnete wohl damit, diese ohnehin durchsetzen zu können. In der Folge empfanden die Partikularisten nicht nur das aufgeklärte Frankreich und seine Sprache als Bedrohung ihrer flämischen Sprachkultur, sondern nun auch die zentralistischen Machtbestrebungen des protestantischen Nordens und die dazu gehörende ‚holländische‘ Sprache. Dagegen wünschte ein Integrationist wie Willems, der zur Vereinheitlichung der Sprache aufrief, Zugeständnisse von Nord und Süd. Er befürwortete beispielsweise die Siegenbeek-Orthografie, so bevorzugte er als Schreibweise von /a/, liess aber die im Süden gebräuchliche Schreibweise zu. Andererseits lehnte er Siegenbeeks Schreibweise für [єi] ab. Eigenheiten der eigenen Sprache, die den toets der deugdelykheid (Willems 1819/24, 383)‚ die Tauglichkeitsprüfung‘ nicht bestanden, sollte man auf dem ‚Altar der brüderlichen Wiedervereinigung opfern‘. Künftig gelte es nicht flämisch und nicht holländisch, sondern niederländisch zu schreiben. Welche Norm zur Abklärung der ‚Tauglichkeit‘ dienen sollte, erklärt Willems übrigens nicht. Wohl schlägt er u. a. vor, in der Schriftsprache die Kasusmarkierung Nom. und Akk. Mask. Sing. mit den Artikeln de (‚der‘) und den (‚den‘) beizubehalten; auf die im Flämischen vorkommende Genusmarkierung von Mask. Sing. sowohl im Nom. als auch im Akk. mit den wäre somit zu verzichten. Eine entgegengesetzte Überzeugung vertrat ein Partikularist wie Behaegel, der die Kultivierung der regionalen Sprache verlangte. Gerade den als Genusmarkierung Mask. Sing. müsse man auch in der Schriftsprache beibehalten und wer daden (‚Taten‘) an Stelle von daeden schriebe, sei kein wahrer Belgier. So kämpften im Laufe des 19. Jh. Partikularisten für eine eigene Standardsprache, die auf dem Westflämischen gründete. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts setzte sich namentlich der Priester Guido Gezelle (1830–1899), Lyriker par excellence, mit unermüdlichem Fleiss für seine Muttersprache ein. Das Westflämische seiner Zeit war nach seiner Meinung zu ‚säubern‘, in alten Quellen sammelte er dazu ‚ursprüngliche‘ Wörter und Ausdrücke, für Lehnwörter suchte er Purismen oder schöpfte Neologismen. Er ersann beispielsweise ziedhuis (‚Siedhaus‘) für ‚Küche‘, ein ‚Foto‘ wurde zu lichtdrukmaal (‚Lichtpausedruck‘) und ‚intelligent‘ ersetzte er durch bevattig (‚erfassend‘). Zanters (‚Korrespondenten‘) schickten ihm lexikologische Angaben; sogar während der Beichte notierte sich der Geistliche flämische Wörter, die Gemeindemitglieder verwendeten. Der Nachlass Gezelles umfasst u. a. ein woordentas (‚Haufen von Wörtern‘) von zirka 150.000 Karteikarten mit gesammelten flämischen Wörtern und Neologismen. Gezelle erhoffte sich mit dem Wortmaterial, das er virtuos in seiner Dichtung gebrauchte, einmal

3.4. Bemühungen um das Niederländische im neuen belgischen Staat

207

ein flämisches Wörterbuch zusammenstellen zu können. Schliesslich stellte er jedoch dem Gelehrten Willem de Vreese seine lexikologische Sammlung für das WNT zu Verfügung. In Zeitschriften wie ’t Jaer 30 (‚das Jahr 30‘), Rond den Heerd (‚Rund um dem Herd‘) oder Biekorf (‚Bienenkorb‘) warb Gezelle für die Pflege der eigenen, vom Katholizismus geprägten Kultur und die Kultivierung einer westflämischen Schriftsprache, die einer Verbreitung der ketzerischen niederländischen Standardsprache des protestantischen Nordens Einhalt gebot. Ebenso kämpfte der Priester Leonard Lodewijk de Bo (1826–1885) für die Kultivierung der Kultur und Sprache Westflanderns. Wie Gezelle befasste er sich eingehend mit seiner Muttersprache. Seine Nachforschungen führten 1870/73 zur Veröffentlichung eines westflämischen Idiotikons mit zirka 28.000 Lemmata. Nachdem Willems 1839 eine Neuregelung der Rechtschreibung veröffentlicht hatte, die der Siegenbeek-Orthografie ziemlich ähnelte, entflammte ein Orthografiestreit. Für die Entwicklung einer gemeinsamen Sprachpolitik war es denn auch erforderlich, dass Philologen, Sprachgelehrte und Schriftsteller aus den Niederlanden und aus Belgien gemeinsam über neue Sprachregelungen für das ganze Gebiet diskutierten. Dazu erhielten sie 1849 während dem ersten Kongress zu niederländischer Sprache und Literatur in Gent die Gelegenheit. Die Teilnehmer tauschten Ansichten über Sprachpartikularismus, die Aussprache des Niederländischen, die Orthografie und den Unterricht im Niederländischen aus. Zudem besprachen sie die Möglichkeiten, ein umfassendes Wörterbuch zu verfassen, vgl. 3.2.3. Bis 1912 sollten zweiunddreissig derartige Nederlandsche Taal- en Letterkundige Congressen (‚niederländische sprach- und literaturwissenschaftliche Kongresse‘) abwechselnd in den Niederlanden und Belgien stattfinden. Sie gewährten ein gemeinsames Vorgehen in Sprachangelegenheiten. Allmählich setzte sich die überregionale Sprache im gesamten Gebiet durch. Künftig sollte das AN in formellen und informellen Kommunikationssituationen je nach Region stets oder gelegentlich zur Anwendung kommen. Als sich die Stellung des Niederländischen in Belgien in der zweiten Hälfte des 19. Jh. namentlich dank den Anstrengungen der flämischen Bewegung verbesserte, eröffneten sich für Flamen, die Französisch ungenügend beherrschten, bessere gesellschaftliche und berufliche Aussichten. Die sich emanzipierenden Bürger Flanderns waren für einen sozialen Aufstieg allerdings auf eine Sprache mit Prestige angewiesen, die mit der Sprache der auf Französisch kommunizierenden Bourgeoisie in Belgien mithalten konnte. Es bestand somit Bedarf an einer Sprache mit einer reichen Kultur und Geschichte, die sich abhob von einer flämischen ‚Volkssprache‘, die mancher nicht-flämische Belgier gering schätzte. So begünstigten in Belgien gesellschaftliche Entwicklungen die Verwendung des AN nicht nur als Schriftsprache, sondern auch als mündliches Kommunikationsmittel beim formellen Sprachgebrauch. In der Folge erzielten die Bestrebungen der Integrationisten trotz des Widerstandes der Partikularisten Erfolg. Neben dem informellen Gebrauch von Dialekt fand die Verwendung eines überregionalen Niederländischen, das auf der Sprache des Nordens gründete, Akzeptanz in der Bevölkerung Flanderns. Früher als die Niederlande hatte Belgien denn auch die De Vries-Te Winkel-Orthografie (vgl. 3.2.1.1.) 1864 offiziell genehmigt. Flämische Schulen führten Schulbücher mit im AN formulierten, korrekt buchstabierten Texten ein, Obrigkeit und Verwaltung förderten die Verwendung des AN als überregionales Kommunikationsmittel bei formellem Sprachgebrauch. Während

208

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Erzieher, Schriftsteller und Sprachwissenschaftler Dialektismen, archaische Ausdrucksweisen oder Gallizismen im überregionalen Niederländischen des Südens bekämpften, verbreitete sich das AN in Belgien durch die Schule, die Medien und den Verkehr. Literatur zu 3.4.: Adelung 1978; Bakker et al. 2006; Blok et al. 1977/83; Blom et al. 2014; Blommaert 1834; Blonk et al. 1960/62; De Bo 1892; Bosatlas 2011; Van Goethem 1990; Haeseryn et al. 1997; Janssens et al. 2005; Stilma 2002; Vanhecke 2007; Vanhecke et al. 2007; Vekeman et al. 1993; Vermoortel 2013; De Vooys 1952; De Vos 1939; Vosters et al. 2010; M. de Vries et al. 1866; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 1992; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2003; Wils 1977; Wils 2001; Witte et al. 1997; Witte et al. 1998 (a); Witte et al. 1998 (b).

3.5. Textbeispiele aus Belgien 3.5.1. Belletristik 3.5.1.1. Hendrik Conscience, De leeuw van Vlaanderen Die Flamen haben die Schlacht um Kortrijk bereits gewonnen. Dennoch kämpfen einige Franzosen weiter, obschon sie einsehen, dass der Kampf verloren ist. Um sich zu retten, rufen sie den flämischen Schrei Vlaenderen den Leeuw! Heil, Heil Vlaenderen! (‚Flandern der Löwe! Heil, heil Flandern!‘). Die Flamen verlangen nun, dass man die Wörter schild (‚Schild‘) und vriend (‚Freund‘) ausspricht. Wer das nicht kann, ist ein französicher Feind und wird angegriffen. […] De woorden van den Deken der beenhouwers hadden de redevoering van Deconinck onderbroken. Deze vreezende dat de tyd om hun de noodige onderrichtingen te geven mocht verloopen, hernam: ‚Ziet hier wat gy te doen hebt: – zoodra drie uren op de klok van Sinte Kruis slaen zullen, zult gy uwe mannen doen opstaen, in gelederen scharen en tegen de baen brengen. Ik zal met eenige gezellen tot by de stadsmuren gaen; eenige oogenblikken daer na, de poort door de Klaeuwaerts, die ik in de stad gelaten heb, geopend zynde, zult gy allen stilzwygend binnentrekken en de volgende richting nemen: meester Breydel met de beenhouwers zal de Speypoort innemen, dezelve doen bewaren en dan met zyne mannen in alle de straten rond de Snaggaertsbrugge gaen: meester Lindens neem gy de Cathelyne poort en zend uwe mannen in alle de straten tot by de Vrouwekerk. Het leêrtouwers en schoenmakers ambacht zal de Gendpoorte tot aen den Steen en de Burcht bezetten: de andere ambachten onder den Deken der metselaers zullen de Dammepoort innemen en rondom de St. Donaeskerk zich verspreiden: ik met myne twee duizend mannen zal my naer de Boverie poorte begeven, het gansche kwartier van daer tot aen de Ezelpoorte en groote Markt zal door myne gezellen omringd worden. Wanneer gy nu in dier wyze de wachten der poorten zult hebben overrompeld, blyft dan zoo stil mogelyk in de straten staen, want wy mogen de Wallen niet wekken voor dat alles bereid zy. Luistert wel: zoodra gy den vaderlandschen kreet Vlaenderen den Leeuw! zult hooren, herhaelt hem dan te gelyk, dit zal het teeken zyn, en kan u onderling in de duisternis doen herkennen. Voorders zult gy de deuren der huizen, waer de Franschen

III Willem Linnig I. (1819–1885), Schule, 1875, KMSK Antwerpen.

IV Mattheus Bernard Hoogeveen (1863–1941), aap, noot, mies, bebilderte und beschriftete Holzplatte, die an der Grundschule als Unterrichtshilfe bei der Ganzwortmethode diente.

3.5. Textbeispiele aus Belgien

209

geherbergd zyn, openloopen en alles vermoorden.‘ ‚Ja maer, meester‘ bemerkte een der aenleiders ‚wy zullen de Franschen niet van onze stadgenoten kunnen onderscheiden, dewyl wy ze meest tebedde en ontkleed zullen vinden.‘ ‚Er is een gemakkelyk middel om alle misgreep hier in te ontwyken: hoort wat gy te doen hebt. Indien gy met den eersten oogslag niet zien kunt of het een Franschman of een Vlaming is die gy aentreft, beveelt hem dan dat hy zegge Schild en vriend! Al wie deze woorden niet kan uitspreken heeft eene fransche tong, men slae hem dood.‘ De klok van Sinte Kruis zond hare galmen driemael over het bosch. ‚Nog iets!‘ sprak Deconinck met haest. ‚Weet dat ik het huis van Mynheer De Mortenay onder myne bescherming genomen heb; hetzelve zy door u niet geschonden, noch besprongen: niemand zette zynen voet over den dorpel der wooning van dien edelen vyand. Gaet nu ras tot uwe mannen, deelt hun myne bevelen mede, en doet zoo als ik u gezegd heb. Maekt spoed! Niet veel geruchts, ik bid u.‘ […] Hendrik Conscience, De leeuw van Vlaenderen. Tweede Deel. Antwerpen 1838, 153–155. […] Op het slagveld was de stryd nog niet ten einde: omtrent duizend ruiters verdedigden zich nog in eenen hoop, en vochten als leeuwen, niettegenstaende dat zy met wonden overdekt waren; onder hen waren meer dan honderd edele ridders, welke deze nederlaeg niet wilden overleven en met eene dolle woede onder de Vlamingen hakten. Allengskens werden zy onder de wallen der stad in den Bittermeersch, gedreven. Hier vielen hunne peerden omverre in de Ronduitebeek of zonken op derzelver boorden in de aerde; de ridders konden zich niet meer met hunne peerden behelpen, zy sprongen de eene na den anderen op den grond en zich weder in eenen kring geschaerd hebbende vochten zy te voet en sloegen menigen Vlaming dood, terwyl er nog meer ridderen in het slyk geraekten. De Bittermeersch was slechts één plas bloed, waer in de voeten der strydenden zich verborgen. Hoofden, armen, beenen, het lag er al met helmen en gebroken zweerden verward. Eenige Leliaerts, waer onder Jan van Gistel met een getal Brabanders was, ziende dat er geen uitkomen meer aen was kwamen te midden der Vlamingen geloopen, roepende: ‚Vlaenderen den Leeuw! Heil, Heil Vlaenderen!‘. Zy meenden zich daerdoor te redden; maer er kwam dadelyk een wever uit de menigte tot by Jan van Gistel geloopen, en gaf hem zulken zwaren slag op het hoofd dat hy hem den schedel aen stukken brak; de wever morde met doffe stem: ‚Myn vader heeft het u gezegd dat gy op uw bed niet sterven zoudt, verrader!‘ De anderen werden aen hunne wapenen herkend en als bastaerden neêrgehakt en doorkorven. De jonge Gwyde kreeg medelyden met de nog overblyvende ridders, welke zich zoo moedig verweerden; hy riep tot hen dat zy zich gevangen geven zouden, opdat het leven hun bewaerd wierde. Overtuigd dat moed en onversaegdheid hen niet meer helpen kon, gaven de ridders zich over en werden ontwapend; Jan Borluut kreeg dezelve onder zyne wacht. De voornaemste dezer edele krygsgevangenen, wier getal tot by de zestig beliep, was Thibaud II, namaels Hertog van Lotharingen; de overigen waren allen van hoogen stam, en als dappere krygers befaemd. Nu bleef er geen enkele vyand meer op het slagveld te bevechten; maer in alle de richtingen zag men de vluchtelingen zich voortspoeden om het gevaer te ontkomen. De Vlamingen, heel verwonderd dat zy niet meer te stryden hadden, en nog gansch door de drift vervoerd, liepen by hoopen door de velden om

210

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

de gevluchtten te vervolgen; by Sinte Magdalena’s pesthuizen achterhaelden zy eene bende van St-Pols lieden en sloegen ze allen dood; een weinig verder vonden zy Mynheer Willem van Mosschere, den Leliaert, die met nog eenige anderen uit den stryd ontloopen was. Zich omringd ziende, bad hy om genade, en beloofde dat hy Robrecht van Bethune als een getrouwe onderdaen zou dienen; maer er werd niet naer geluisterd, de bylen der beenhouwers benamen hem de spraek en het leven. Dit duerde den ganschen dag, tot dat er geen enkele Franschman of franschgezinde meer te vinden was. Hendrik Conscience, De leeuw van Vlaenderen. Derde Deel. Antwerpen 1838, 137–139. Übersetzung: […] Breydel hatte De Coninck unterbrochen. Der fürchtete, die Zeit, um ihnen die nötigen Anweisungen zu geben, könnte zu kurz werden, und fuhr fort: ‚Hört zu, was ihr zu tun habt: sobald die Glocke von Saint-Kruis drei schlägt, laßt eure Leute aufstehen, sich gliedern und auf die Stadt zurücken. Ich werde mich mit einigen Gesellen an die Stadtmauern begeben; und wird gleich danach das Tor durch die Klauwaerts geöffnet, die ich in der Stadt gelassen habe, so ziehet schweigend in die Stadt ein und nehmt folgende Richtung: Meister Breydel mit den Fleischern wird das Speitor besetzen und sich dann mit seinen Leuten in alle Straßen nächst der Snaggaartsbrücke verteilen. Meister Lindens, Ihr nehmt das Kathelinentor und schickt Eure Leute in alle Straßen bei der Frauenkirche. Die Zunft der Gerber und Schuster soll das Genter Tor bis an den Stein und die Burg besetzen; die anderen Zünfte unter dem Obmann der Maurer sollen das Dammtor nehmen und sich im Umkreis der Saint-Donatuskirche ausbreiten; ich mit meinen zweitausend Leuten werde mich zum Boverietor begeben, und meine Gesellen werden das ganze Viertel von dort bis ans Eselstor und den großen Markt einkreisen. Habt ihr solcherart die Wachen der Tore überfallen, so bleibt möglichst still in den Straßen stehen; denn wir wollen die Franzosen erst wecken, wenn alles bereit ist. Merket wohl! Sobald ihr den vaterländischen Ruf hört: Flandern der Löwe! ruft ihn alle mit; der soll als Zeichen dienen, und ihr könnt euch dadurch in der Finsternis wiedererkennen. Stürmt dann die Türen der Häuser ein, wo die Franzosen untergebracht sind, und macht alles nieder.‘ ‚Meister,‘ meinte einer der Anführer, ‚wir werden doch aber die Franzosen nicht von unseren Mitbürgern unterscheiden können, denn meist werden wir sie zu Bett und entkleidet antreffen.‘ ‚Da gibt es ein leichtes Mittel, jeden Mißgriff zu vermeiden. Hört, was ihr zu tun habt. Könnt ihr auf den ersten Blick nicht sehen, ob ihr auf einen Franzosen oder Vlaemen trefft, dann heißt ihm: Schild en vriend! zu sagen. Wer diese Worte nicht aussprechen kann, hat eine französische Zunge, und den macht nieder.‘ Eben schlug es drei Uhr auf dem Turme zu Saint-Kruis. ‚Noch etwas!‘ sagte De Coninck hastig. ‚Ich habe das Haus des Herrn von Montenay unter meinen Schutz gestellt; es darf also von euch weder zerstört noch angegriffen werden; niemand soll einen Fuß über die Schwelle dieses edelen Feindes setzen. Nun rasch zu euren

3.5. Textbeispiele aus Belgien

211

Leuten! Teilt ihnen meine Befehle mit und tut, wie befohlen. Macht rasch! Und bitte, kein Geräusch!‘ […] […] Auf dem Schlachtfeld war der Kampf noch nicht beendet. Ein Haufe von etwa tausend Reitern verteidigte sich noch; sie kämpften wie die Löwen, trotzdem sie bereits über und über mit Wunden bedeckt waren. Darunter befanden sich mehr als hundert edle Ritter, die diese Niederlage nicht überleben wollten und mit rasender Wut auf die Vlaemen einhieben. Allmählich wurden sie unter die Wälle der Stadt, in die Bittermeersch, getrieben. Hier stürzten die Pferde in den Ronduitebach oder versanken an den Ufern. Die Ritter konnten sich nicht mehr auf ihren Pferden halten; deshalb sprang einer nach dem anderen aus dem Sattel, sie scharten sich wieder zu einem Kreise, kämpften weiter zu Fuß und schlugen noch gar manchen Vlaemen tot. Die Bittermeersch war zu einem Blutsee geworden; die Kämpfenden standen bis über die Knöchel im Blute. Köpfe, Arme, Beine, alles lag hier mit zerbrochenen Helmen und Schwertern durcheinander. Einige Leliaerts, darunter Jan van Gistel und eine Anzahl Brabanter, sahen, daß an Entkommen nicht mehr zu denken war. Deshalb liefen sie mitten unter die Vlaemen und riefen: ‚Vlaenderen den Leeuw! Heil, Heil Flandern!‘ Sie glaubten sich hierdurch zu retten; aber gleich kam ein Weber auf Jan van Gistel zugelaufen und versetzte ihm einen so furchtbaren Schlag auf den Kopf, daß sein Schädel zerschmettert wurde. Der Weber murmelte mit unterdrückter Stimme: ‚Mein Vater hat Euch gesagt, daß Ihr nicht auf dem Bette sterben würdet, Ihr Verräter!‘ Die anderen wurden an ihren Wappen erkannt und als Verräter niedergemacht und durchbohrt. Der junge Gwijde empfand Mitleid mit den noch verbliebenen Rittern, die sich so mutig verteidigten, und rief ihnen zu, sie sollten sich gefangen geben, damit ihr Leben erhalten bliebe. Da sie einsahen, daß Mut und Tapferkeit ihnen nichts mehr helfen konnten, ergaben sich die Ritter und wurden entwaffnet. Sie wurden Jan Borluuts Obhut anvertraut. Der vornehmste dieser edlen Kriegsgefangenen (im ganzen waren es etwa sechzig) war Thibaut II., nachmals Herzog von Lothringen; auch die übrigen waren von hoher Geburt und als tapfere Ritter berühmt. Jetzt blieb kein einziger Feind mehr auf dem Schlachtfeld; aber nach allen Richtungen sah man sie entfliehen. Die Flamen waren ganz verwundert, daß sie nichts mehr zu bekämpfen hatten, und glühten noch von Kampfbegier. So liefen sie scharenweise durch die Felder, um die Fliehenden zu verfolgen; beim St. Magdalenen-Hospital holten sie eine Abteilung von Saint-Pols Leuten ein und erschlugen sie alle; etwas weiter fanden sie Willem van Mosschere, den Leliaert, der sich mit einigen anderen aus dem Gefecht entfernt hatte. Als er sich umringt sah, bat er um Gnade und gelobte, Robrecht van Bethune als ein treuer Untertan zu dienen. Aber sie hörten ihn nicht an, und die Beile der Fleischer raubten ihm Sprache und Leben. So ging es den ganzen Tag fort, bis nicht ein einziger Franzose oder französisch Gesinnter mehr zu finden war.

212

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

3.5.1.2. Guido Gezelle, Tale Wie sehr sich Guido Gezelle um die Sprache sorgte, geht aus dem folgenden Text hervor. Tale Verre het meeste getal van ons allen die heden daags min of meer onderwezen zijn, hebben op schole eene dagelijksche bewerking ondergaan waarbij wij geleerd hebben onze kindergedachten, die wij in het Vlaamsch eerst uitspraken, in eenen Franschen vorm over gieten; daarbij hebben wij een zeker getal gedachten en wetendheden aangeworven die wij in Fransche woorden eerst ontvangen en sedert dien in Fransche woorden bewaard en onthouden hebben. Als wij nu begeren of genoodzaakt zijn onze eerste gedachten voor Vlamingen verstaanbaar uit te spreken dan moeten wij die ontkleeden en wederom het oud vergeten Vlaamsch kleed zien aan te passen; onze andere, die ʼk mag heeten onze Fransche gedachten, als ’t is dat wij die nog los kunnen krijgen uit het kleed waarin zij de onze geworden zijn, hebben wij te bergen onder dien bitter kleenen voorraed eigen Vlaamsche gedachtvorms, die ons nog overblijven van in vroegere jaren. En zoo krasselen wij! Vlaamsch spreken, dat, voor den Vlaming van eender tale, een lustig spel moet zijn en een soort van vermaak, gelijk aan het schuifelen, voor de vogels, wordt voor ons een lastig in- en uitkruipen, een pijnelijk over end weder dwingen van ’t gedacht in tweederlei stellen van taalvormen, woorden en wendingen, die ons de eene vreemd geworden, de andere altijd vreemd geweest zijn. Die niet oplettend van geest is, of door oefening oplettend geworden op zaken die tale aangaan, laat alle zorge varen en spreekt zonder achterdenken of wel Vlaamsche gedachten in Fransche woordenkleeding, of wel Fransche gedachten vermomd en vermaskerd in het Vlaamsch. De eene zeggen: ‚ʼk en hê geen benauw‘, en de andere: ‚je ne suis pas peur‘, om twee, en maar twee van de groefste voorbeelden aan te halen. Zoo, ten besten genomen, voor die oplet en wel wil spreken is ’t een gedurig wisselen, een nimmer vast staan noch zeker zijn van ’t last en grepe, en, zoodanig zijn wij die onvastheid van taalgebruik gewend, dat, bij velen, de oneigenheid zelve alleen nog eigen blijft. Wat een verschil als men bij iemand komt wiens eene en eigene tale Engelsch, Duitsch, Fransch of Hollandsch is! Wat een gemak en wat sierlijkheid in ’t spreken, wat eene veerdigheid om alles te zeggen, en zoo te zeggen, dat de aangewende sprake net op de aangeduide zake past, en dat het woord, de weerprinte en de weerklank van ’t gedacht, den hoorder als in de alomtegenwoordigheid stelt van gansch datgene dat in den geest des sprekers omgaat en aanwezig is. Men moet zulks gehoord en ondervonden hebben om gewaar te worden hoe gebrekkig wijlieden zijn, niet in het recht spellen of in het wel uitspreken, niet in het weten van woorden ofte in het wisselen van de gedaanten daarvan, neen, dat leert men in boeken en met tijd van jaren, maar in het spreken -die edele dicht- en schilderkonst, die tot zulke wonderlijke volmaaktheid groeit, bij lieden die, op de natuurlijke wijze die God beschikt, onverweets en onverwachts, kunstenaars geworden zijn uit eigen begaafdheid en door den omgang met anderen van eender tale. Dit en leert men in de boeken niet! Guido Gezelle, Poëzie en proza. Hg. P. von Couttenier und A. De Vos. Amsterdam 2002, 297–298.

3.5. Textbeispiele aus Belgien

213

Übersetzung: Sprache Weitaus die meisten von uns allen, die heutzutage mehr oder weniger unterrichtet wurden, wurden in der Schule einer täglichen Bearbeitung unterworfen, wobei wir gelernt haben, unsere Kindergedanken, die wir zuerst im Flämischen aussprachen, in eine französische Form umzugiessen; dabei haben wir eine gewisse Anzahl von Gedanken und Fakten erworben, die wir zuerst in französischen Worten empfingen und dann in französischen Worten abgespeichert und behalten haben. Wenn wir nun wünschen oder genötigt sind, unsere ersten Gedanken für Flamen verständlich auszusprechen, dann müssen wir diese entkleiden und wiederum versuchen, ihnen das alte, vergessene flämische Kleid wieder anzuprobieren; unsere anderen, die ich unsere französischen Gedanken nennen darf, wenn es noch möglich ist, diese loszulösen aus dem Kleid, in dem sie sich gebildet haben, müssen wir aufbewahren unter dem bitter kleinen Vorrat eigener flämischer Gedanken, die uns noch aus früheren Jahren übergeblieben sind. Und so mühen wir uns ab. Flämisch sprechen, was für den Flamen der gleichen Sprache ein lustiges Spiel sein muss und eine Art Spass, ähnlich wie das Herumspazieren für die Vögel, wird es für uns ein schwieriges Rein- und Rauskriechen, ein peinliches Wiederherstellen von dem, was wir dachten in zweierlei Art von Sprachformen, Wörtern und Redewendungen, die einen, die uns fremd wurden, die anderen, die uns immer fremd gewesen sind. Wer nicht aufmerksam im Geist ist, oder aus Übung aufmerksam auf die Sprache wurde, lässt alle Sorgen fahren und spricht ohne Hintergedanken, entweder flämische Gedanken in französischem Wortkleid oder französische Gedanken vermummt und maskiert im Flämischen. Die einen sagen: ‚‘k en hê geen benauw‘, [ich habe keine Angst] und die anderen: ‚je ne suis pas peur‘, um zwei und nur zwei der stärksten Beispiele heranzuziehen. So, im günstigsten Fall, für denjenigen, der aufpasst und immerhin sprechen möchte, ist es ein ständiges Wechseln, eine dauernde Ungewissheit, in einem derartigen Ausmass, dass für uns, an die Instabilität der Sprachverwendung gewöhnt, der Mangel einer sprachlichen Eigenheit die Eigenheit darstellt. Welch ein Unterschied, wenn man zu jemandem kommt, dessen einzige und eigene Sprache Englisch, Deutsch, Französisch oder Holländisch ist! Was für eine Leichtigkeit und was für eine Eleganz im Sprechen, was für eine Fertigkeit, um alles zu sagen, dass die angewandte Sprache gerade auf den angedeuteten Sachverhalt passt und dass das Wort als Wiedergabe und Wiederklang des Gedachten beim Hörer alles vergegenwärtigt, was im Geist des Sprechers vorgeht und gegenwärtig ist. Man muss solches gehört und erfahren haben, um gewahr zu werden, wie gebrechlich wir sind: nicht richtig buchstabieren können oder richtig aussprechen, Wörter nicht kennen, nicht die passenden Wortformen kennen, nein, das lernt man in Büchern und im Laufe der Jahre, aber beim Sprechen – der edlen Dicht- und Malkunst, die zu einer solchen wunderbaren Vollkommenheit wächst, bei Leuten, die auf die natürliche Weise, die Gott bestimmt, unbewusst und unerwartet, Künstler geworden sind aus eigener Begabung und durch den Umgang mit anderen Menschen, die die gleiche Sprache sprechen. Dies lernt man in den Büchern nicht!

214

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

3.5.1.3. Jan Frans Willems, Ode op de herstelling der Nederduytsche tael Grosse Erwartungen bezüglich der Entfaltung des Niederländischen mit dem Antritt König Wilhelms I. 1814 sprechen aus Ode op de herstelling der Nederduytsche tael von Jan Frans Willems: Ode op de herstelling der Nederduitsche taal door Willem I, prins van Oranje-Nassau, in 1814. Triomf! – onz’ Nederduitsche taal Is van het Fransche juk ontheven, En zal, hoezeer den nijd ook smaal’, Haar ouden luister doen herleven. ’t Is Frankrijks dwingland niet gelukt Om ooit haar glorie te verduistren. Dus kan men deugd, hoezeer verdrukt, Nooit van haar heldren glans ontluistren. Dus schiet, wen ’t onweer is gedaan, De zon nog schooner stralen neder, En dus volgt, na de felste orkaan, Een zoet en kalm en lieflijk weder. Reeds zijn, op Vorst Oranje’s wenk, De wetenschappen aan ’t herleven. Hoe dierbaar, Willem! is ’t geschenk, Dat ge aan uw vaderland komt geven. Op uw bevelen zal, wel ras, Des grooten Vondels taal herbloeien, En doen, op Nederlands Parnas, Weer puik van nieuwe lauwren groeien. Want veel te lang zweeg reeds de rei Van onze wakkre dichtrenkoren, En kon, beklemd door dwinglandij, Haar vrije zangen niet doen hooren.

3.5. Textbeispiele aus Belgien

215

Doch op uw stem ontwaakt het al, De dichtkunst doet, gekroond met palmen, Bij ʼt vroolijk juichend feestgeschal, Haar danklied, en uw lof, weergalmen. Onzʼ taal is van den dwang ontdaan, Waarmee haar Frankrijks taal dorst knellen; Deezʼ beedlaresse zal, voortaan, Haar niet meer moeten vergezellen. O neen! zij zal weer, vrij en vrank, Al haar voortreflijkheid doen blijken, En toonen dat ze in kracht en klank – Ook voor de Fransche – nooit moet wijken. Dan sta er weer een Vondel op! Dan vloeien Neerlands hypokrenen! – En Pegasus, op Parnasʼ top, Briesche op den spoorslag der Maecenen ! Triomf! – onzʼ Nederduitsche taal, Is van het Fransche juk ontheven, En zal, hoezeer de nijd ook smaalʼ, Haar ouden luister doen herleven! (Willems 1873, 7–8)

deutsche Paraphrase: Triumph! unsere niederländische Sprache hat das französische Joch abgeschüttelt; ihre alte Glorie wird, wie sehr Neider auch schmähen neu aufblühen; Dem französischen Tyrannen ist es nicht gelungen, ihren Glanz zu trüben; so kann man der Tugend nie ihren Glanz wegnehmen; So schiesst die Sonne nach dem Gewitter ihre Strahlen noch schöner herunter; so folgt auf den stärksten Orkan ein süsses, ruhiges und liebliches Wetter; Bereits blühen auf einen Wink des Fürsten von Oranien die Wissenschaften; wie teuer Wilhelm! ist das Geschenk, das Sie dem Vaterland schenken;

216

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Auf Ihren Befehl wird Vondels Sprache bald wieder blühen und auf dem niederländischen Parnass wird wieder eine Auslese neuer Lorbeeren wachsen; Denn viel zu lange schwieg bereits der Sang der Dichterchöre; und konnte, bedrückt von der Tyrannei, ihre freien Gesänge nicht hören lassen. Doch Eure Stimme weckt alles; die Dichtung lässt von Palmen gekrönt beim ausgelassenen Festtrubel ihr Danklied und Euer Lob klingen. Unsere Sprache hat sich von Frankreichs Zwang befreit. Diese Bettlerin wird sie künftig nicht mehr begleiten müssen. O nein! Sie wird wieder frei und ungehemmt ihre Vorzüglichkeit offenbaren und zeigen, dass sie in Kraft und Klang nie weichen muss – nicht mal wegen dem Französischen. Dann möge wieder ein Vondel aufstehen! Dann fliessen die Hippokrenen der Niederlande und Pegasus auf dem Gipfel des Parnassus möge schnauben auf dem Spornstreich der Mäzene! Triumph! unsere niederländische Sprache hat das französische Joch abgeschüttelt; ihre alte Glorie wird, wie sehr Neider auch schmähen, neu aufblühen!

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch 3.6.1. Schriftsteller als Erneuerer des geschriebenen Niederländischen Zwar gelang es im Laufe des 19. Jh., die Schriftsprache im gesamten niederländischen Sprachgebiet weiter zu reglementieren und zu vereinheitlichen. Diese kultivierte, feierliche Form des Niederländischen unterschied sich aber syntaktisch, morphologisch und lexikalisch immer mehr vom gesprochenen, bis anhin ungleichartigen Niederländischen. So ist es nicht erstaunlich, dass ein kritischer Geist wie Potgieter die ‚hässliche‘ Schriftsprache durch das natürliche, gesprochene Niederländisch ersetzen möchte. Seine literarischen und journalistischen Texte kennzeichnen sich trotzdem durch Merkmale der archaischen Schriftsprache: Het Rijks-Museum te Amsterdam. I. Er was een tijd, waarin de weegschaal der volkeren van Europa door hare vorsten niet ter hand werd genomen, of de Hollandsche Maagd, aan hunne zijde op het regtsgestoelte gezeten, wierp er mede haar oorlogszwaard of haren olijftak in, en deed door deze bijwijlen den evenaar overhellen; – gij, die het leest, als ik, die het schrijf, wij waren er getuigen van, hoe zij, vóór luttel jaren, met hare partij voor de vijfschaar gedaagd, vonnis ontving van wie

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

217

haars gelijken, hare minderen zijn geweest. – Er was een tijd, dat de Hollandsche vlag werd begroet als de meesteresse der zee, waar ook ochtend- of middag- of avondlicht de oceanen van beide wereldhalfronden verguldde; een tijd, waarin hare vlootvoogden den bezem op den mast mogten voeren, dewijl zij, naar de krachtige uitdrukking dier dagen, de zee hadden schoongeveegd van gespuis; – in eene der jongste vergaderingen Hunner Edel-Mogenden, hebben welsprekende stemmen de roemlooze ruste van JANMAAT beklaagd. (…) E.J. Potgieter, Het Rijks-Museum. In: De Gids 8, 1844, 17. (‚Das Reichsmuseum von Amsterdam, I. Es gab eine Zeit, in der die Waagschale der europäischen Völker durch ihre Fürsten nicht in die Hand genommen wurde, ohne dass die holländische Jungfrau, an ihrer Seite auf dem Richterstuhl gesessen, ihr Kriegsschwert oder ihren Ölzweig in die Schale warf, und so den Äquator ab und zu aus dem Gleichgewicht brachte; – du, der es liest, wie ich, der es schreibt, wir waren Zeugen davon, wie sie, vor einigen Jahren, als sie mit ihrer Partei vor dem Tribunal getagt, von denen abgeurteilt wurden, die ihre Gleichen, ihre Unterwürfigen gewesen waren. – Es gab eine Zeit, in der die holländische Flagge als die Herrin des Meeres begrüsst wurde, wo auch Morgen- oder Mittag- oder Abendlicht die Ozeane der beiden Welthalbkugeln vergoldete; eine Zeit, in der ihre Flottenkapitäne mit dem Besen auf dem Mast fahren durften, weil sie, nach dem kräftigen Ausdruck jener Tage, das Meer von Schund gereinigt hatten; – in einer der jüngsten Zusammenkünfte ihrer edlen Grossmächtigen, haben wohlsprechende Stimmen die erfolgslose Ruhe vom „KUMPEL JAN“ [die kraftlose Mentalität des 19. Jh.] beklagt.[…]‘) Zu den feierlichen Merkmalen in Potgieters Text zählen die in der gesprochenen Sprache seiner Zeit fast völlig verschwundenen Kasusmarkierungen wie Akk. Plur. hare in hare vorsten (‚ihre Fürsten‘), Dat. Mask./Fem. hunne in hunne zijde (‚ihrer Seite‘), Akk. Mask. haren in haren olijftak (‚ihren Ölzweig‘), Akk. Mask. den in den evenaar (‚den Äquator‘), Dat. Fem. hare in hare partij (‚ihrer Partei‘), Gen Plur. haars (‚ihrer‘), Nom. Plur. hare in hare minderen (‚ihre Untergebene‘), Gen. Mask./Fem. in der in der zee (‚des Meeres‘), Nom. Plur. hare in hare vlootvoogden (‚ihre Admirale‘), Akk. Mask. den in den bezem (‚den Besen‘), Gen. Plur. dier in dier dagen (‚jener Tage‘), Dat. Fem. eene in in eene (‚in einer‘), Gen. Plur. der in der jongste (‚der jüngsten‘), Gen. Plur. Hunner in Hunner Edel-Mogenden (‚ihrer edlen Grossmächtigen‘). Als gehoben ist sodann regtsgestoelte als Bezeichnung für ‚Gericht‘ einzustufen. Die Kanzleisprache zu Potgieters Zeit kennzeichnete sich zudem durch Partizipialkonstruktionen wie op het regtsgestoelte gezeten (‚auf dem Richterstuhl gesessen‘). Weiter stellt vijfschaar eine Variante des gehobenen Ausdruckes vierschaar als Bezeichnung für ‚Tribunal‘ dar. Wie Potgieter bemängelten auch andere Dichter und Schriftsteller im Laufe des Jahrhunderts den feierlichen Charakter der Schriftsprache. Der Lyriker Petrus Augustus de Genestet, der in seiner Dichtung zu ‚Natur und Wahrheit‘ zurückkehren möchte, seufzt denn auch:

218

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

LX. Leekegebedje. Verlos ons van den preektoon, Heer! Geef ons natuur en waarheid weêr! (De Genestet 1869, LX) (‚LX. Gebet eines Laien. / Erlöse uns vom Kanzelton, O Herr! / Gib uns Natur und Wahrheit zurück!‘) Ebenso versuchten u. a. Bilderdijk, Beets, Van Lennep, Klikspaan und Piet Paaltjens (François Haverschmidt, 1835–1894), ihrer Sprache natürlichere Züge zu verleihen, was ihnen allerdings nur in beschränktem Ausmass gelang. Im folgenden Dialog vermittelt Beets beispielsweise die lebendige Sprache des mittellosen, älteren Mannes Kees, der in einem Heim lebt. Die Ausdrucksweise des gebildeten Studenten Hildebrands schliesst sich dagegen an die in der Literatur gängige, feierliche Schriftsprache an: ‚KEES!‘ zei ik: ‚je bent te oud om verdriet te hebben. Is er iets aan te doen, vrind?‘ De oude man zag vreemd op bij het hooren van het woord „vrind.“ Helaas, misschien was ’t hem op zijn negenenzestigste jaar nog geheel nieuw. Een zenuwachtige glimlach, die iets verschrikkelijks had, kwam over zijn mager gezicht: zijne grijze oogen luisterden eerst op, werden toen weer dof, en schoten vol tranen. Zijn gansche gelaat zeide: ik zal u vertrouwen. Zijn lippen zeiden: ‚Hoor reis, meheer! Kent uwe Klein KLAASJE? (…) Heeft meheer PIETER hem uwe dan niet gewezen! De heele stad kent Klein KLAASJE. Hij krijgt centen genoeg:‘ ging KEESJE voort. (Beets 1871, 51) (‚Kees!‘, sagte ich ‚du bist zu alt, um Kummer zu haben. Kann daran etwas getan werden, Freund?‘ Der alte Mann sah seltsam auf, als er das Wort „Freund“ hörte. Leider, vielleicht war es ihm mit seinen neunundsechzig Jahren noch ganz neu. Ein nervöses Lächeln, das etwas Schreckliches hatte, kam über sein mageres Gesicht: seine grauen Augen hörten zuerst zu, wurden dann wieder dumpf und schossen voll mit Tränen. Sein ganzes Antlitz sagte: Ich werde Ihnen vertrauen. Seine Lippen sagten: ‚Hören Sie mal, mein Herr, Kennen Sie Kleinen Klaasje? (…) Hat Herr Pieter Ihnen ihn nicht gezeigt! Die ganze Stadt kennt Klein Klaasje. Er bekommt genug Pfennige‘, sagte Keesje weiter.) Hildebrands sorgfältige Verwendung einer ausgefeilten Form der Schriftsprache zeigt sich nicht nur im abwechslungsreichen, präzisen Satzbau, sondern ebenso in der Wortwahl, Morphologie und Stilistik, vgl. das alliterierende gansche gelaat (‚ganzes Antlitz‘), die Synästhesie zijne grijze oogen luisterden und die feierliche de-Konjugation in zeide. Dagegen scheint der von Kees gesprochene Text die lebendige Sprache einer Klasse weniger gebildeter Menschen zu

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

219

repräsentieren. Seine einfach formulierte Antwort enthält die Plattitude Hoor reis mit dem verkürzten, weniger gepflegten reis an Stelle von eens. Sodann wird mijnheer zum gutmütigen meheer. Weiter verwendet der Sprecher das einfältige uwe statt u als Subjekt 2. Pers. Sing. An Stelle von hij krijgt geld wählt er das kindlich wirkende hij krijgt centen. Auch einem beliebten Schriftsteller wie Jan Jacob Cremer (1827–1880) gelang es bereits in der Mitte des Jahrhunderts, die gesprochene Sprache seiner Zeit in seinen Kurzgeschichten zu verarbeiten. Die Dialoge kenzeichnen sich durch spezifische sprachliche Merkmale von Sprechern, die aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten wie dem Grossbürgertum oder der Bauernbevölkerung stammen. Justus van Maurik (1846–1904) verwendete in seinen humorvollen Geschichten, die sich in Amsterdamer Volksvierteln abspielen, ebenfalls das gesprochene Niederländisch seiner Protagonisten. Trotz derartigen Versuchen einzelner Autoren, eine natürliche Sprache in ihren Texten zu verarbeiten, sind die literarischen Texte des 19. Jh. überwiegend durch die feierlichen, archaischen Merkmale der Schriftsprache gekennzeichnet. So erklärt sich, dass Multatuli so ausdrücklich die Berücksichtigung der gesprochenen Sprache verlangte. Er zählt, wie später auch die Achtziger, zu den Erneuerern des AN. 3.6.1.1. Multatuli Öfter äussert Multatuli den Wunsch, beim Schreiben die ‚lebendige Sprache‘ zu ihrem Recht kommen zu lassen. Totes Material sei aus der Schriftsprache wegzuschneiden: In elke levende taal is ’n gedeelte dood. ‚Die vrouw heeft ’n vlek op haar neus.‘ Haar neus leeft. ‚Waar moet ik die tafel zetten? Zet haar in den hoek.‘ Haar is dood.* Zoo is er veel dat ik wou uitknippen als dorre takken. ’t Geeft ruimte, licht, leven, aan de groene. Multatuli, Ideën. BD. 1, 6. Aufl. Amsterdam. 1879, Idee 40. (‚Jede lebendige Sprache kennt einen toten Teil. „Die Frau hat einen Flecken auf ihrer Nase.“ Ihre Nase lebt. „Wo soll ich die Tafel [eigentlich den Tisch] hinstellen? Stelle sie dort in die Ecke.“ Sie ist tot.*. So gibt es vieles was ich wie dürre Äste wegschneiden möchte. Es gibt dem Grünen Raum, Licht, Leben.‘) Diesbezüglich hält der Verfasser in der zugefügten Anmerkung zur Verwendung von Pronominalbezeichnungen fest, dass für ‚leblose Sachen‘ im ‚Holländischen‘ kein Wortgeschlecht besteht: *Wy hebben nu eenmaal in ’t hollandsch geen vrouwelyk geslacht voor levenlooze zaken. Waartoe dan dit altyd voorgewend in ons schryven? ’t Is onwaarheid, als ’n auteur iemand, van de zon sprekende, zeggen laat: zy gaat op.

220

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

(‚*Wir haben nun einmal im Holländischen kein weibliches Wortgeschlecht für leblose Sachen. Wozu dies dann immer vortäuschen beim Schreiben? Es ist die Unwahrheit, wenn ein Autor vom Mond** spricht, jemanden sagen lässt: sie geht auf.‘ [**um das angesprochene Problem zu veranschaulichen, wurde hier „von der Sonne“ durch „vom Mond“ ersetzt, J.S.]) Im Niederländischen zählen Nomina wie zon und maan (‚Mond‘) zu der umfangreichen Kategorie de-Substantive, die einen Genus commune haben, vgl. 2.2.3.1. In grossen Teilen des Sprachgebietes beziehen sich die Sprecher in der Regel mit der Pronominalbezeichnung hij (‚er‘) auf ein Substantiv dieser Klasse. Daher lehnt Multatuli zij in diesem Fall ab. Allerdings macht sich die bestehende Unsicherheit über Genusmarkierung in der Schriftsprache (vgl. 3.2.1.) in Multatulis Texten nach wie vor bemerkbar. Obschon meisje (‚Mädchen‘) Neutr. ist, ändert der Verfasser beispielsweise Neutr. wiens (‚wessen‘) zum Fem. wier (MHC 186), vgl. Een meisje wiens vader bankroet maakte (‚Ein Mädchen dessen Vater Bankrott machte‘) und Een meisje wier vader bankroet maakte (MHT 5); die gesprochene Sprache kennt dagegen Umschreibungen wie een meisje van wie de vader und een meisje wie haar vader. Im Allgemeinen sucht Multatuli aber immer wieder das ‚lebendige‘ Niederländisch in der gesprochenen Sprache. Wie bedeutsam diese für ihn war, bezeugt eine Aussage wie: Als ik doof was zou ’k niet kunnen schryven. Multatuli, Ideën. Bd. 1, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 37. (‚Wenn ich taub wäre, könnte ich nicht schreiben.‘) Offensichtlich hatte Multatuli ein gutes Ohr für die gesprochene Sprache. So beobachtet er beispielsweise, dass Matrosen einen /n/-Laut im Ausdruck den ouwe (‚der Alte‘) aussprechen. Es handelt sich dabei um Hiat Tilgung, die einen Glottisschlag zuvorkommt, wenn /ǝ/ und /ɔu/ bei der Aussprache von de oude aufeinandertreffen würden: De matrozen weten ’t wel. Zy zeggen ‚den ouwe‘ – juister en griekscher: de-n-ouwe – als ze spreken van den meest nominatieven scheepskapitein. Daarby is geen kwestie van akkusatief of deklinatie. ’t Is ’n zaak van gehoor. Multatuli, Ideën. Bd. 1, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 36. (‚Die Matrosen wissen es schon. Sie sagen „den ouwe“ – richtiger und griechischer: de-nouwe – wenn sie von dem meist nominativen Schiffskapitän reden. Dabei ist es keine Frage des Akkusativs oder der Deklination. Es ist eine Sache des Gehörs.‘) Mit Recht weist Multatuli darauf hin, dass das /n/ in den hier keineswegs eine Markierung des Nominativs darstellt, die übrigens im überregionalen Niederländisch so nicht vorkommt, vgl. 2.2.3., sondern ein Merkmal der gesprochenen, lebendigen Sprache darstellt. Eine derartige

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

221

lautliche Erscheinung, die bereits von griechischen Grammatikern beschrieben wurde (vgl. Balk-Smit Duyzentkunst 1984), fand bezeichnenderweise keine Beachtung in niederländischen Grammatiken; wohlgemerkt basierten diese gerade auf der von Multatuli kritisierten Schriftsprache. In seinem Max Havelaar bemängelt Multatuli, dass die Einfügung von Lauten im gesprochenen Niederländisch nicht in Grammatiken reglementiert werde, wie aus dem im Buch zitierten Aufsatztitel Over het gebrek aan ephelkustiek in onze taalregels. (‚Über den Mangel an Regeln zur Einfügung von Lauten zum Wohlklang in unserer Sprache‘, MHT 25) hervorgeht. Allerdings wäre den Grammatikern eher vorzuwerfen, dass sie es vernachlässigen diese Erscheinung zu beschreiben statt sie zu reglementieren. Sodann tadelt Multatuli die Art und Weise, wie Schulmeister die Sprache lehren. Da gerade die Bildungsreformen im 19. Jh. die Voraussetzungen für eine Verbreitung des AN verbesserten (vgl. 2.1.3.3., 3.1.2.1.), sind Multatulis entsprechende Überlegungen ernst zu nehmen. Von Lehrern verlangt er, dass sie die geschriebene und gesprochene Sprache des Volkes kritisch wertend in ihren Unterricht einbeziehen: Een individu leert veelal zyn taal van ’n schoolmeester, dat jammer genoeg is. Maar schoolmeesters moeten de taal niet maken. Zyzelf behooren die te leeren van ’t Volk dat die taal spreekt en schryft. En weer moeten de schoolmeesters niet alles goedvinden wat dat Volk schryft en spreekt. Zy moeten ziften en kiezen, dat is: ze moeten geen schoolmeesters zyn. Multatuli, Ideën. Bd. 1, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 38. (‚Ein Individuum lernt seine Sprache meistens von einem Schulmeister, so schade das auch ist. Aber die Schulmeister sollten die Sprache nicht selbst herstellen. Sie selber sollten sie vom Volk lernen, das sie spricht und schreibt. Und wiederum müssen die Schulmeister nicht alles gutheissen, was das Volk schreibt und spricht. Sie müssen sieben und wählen, das heisst: sie müssen keine Schulmeister sein.‘) So bestätigt Multatuli nicht nur die Bedeutung der Erziehung für die Verbreitung des AN, sondern er spricht auch die Suche nach einer Norm für das AN an, vgl. 2.2. und 3.1.2.4. Welche Norm die Erzieher beim ‚Sieben‘ anzuwenden hätten, erklärt der Verfasser jedoch nicht. Wohl wirft er den Schulmeistern im Allgemeinen vor, die ‚tote‘ Schriftsprache auf Kosten der gesprochenen Sprache zu fördern: Zoo werd het levende door ’t doode verdrongen. Weldra schreef men niet wat er gesproken werd, de schoolmeesters eischten dat men spreken zou zooals zy verkozen te schryven. En dat zou voortaan „beschaving“ heeten. Dit is alzoo gebleven tot op dezen dag. Multatuli, Ideën. Bd. V, 2. Aufl. Amsterdam 1877, Idee 1047a.

222

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

(‚So wurde das Lebendige vom Tode verdrängt. Bald schrieb man nicht mehr, was gesprochen wurde, die Schulmeister verlangten, dass man sprechen würde, wie sie es für gut hielten, um zu schreiben. Und das sollte fortan „Zivilisation“ heissen. Dies ist bis zum heutigen Tag so geblieben.‘)

Abb. 11: Johan Braakensiek: Conrad Busken Huet (l) und Multatuli (r).

Laut Multatuli, der gerne Sprachwissenschaft studiert hätte (vgl. Noordegraaf 1979), beschäftigten sich die Sprachwissenschaftler ebenso wenig mit der eigentlichen Sprache wie die Schulmeister. Sie würden sich lediglich um Themen wie das Wortgeschlecht und die Orthografie zanken: Zoolang de hoogleeraren in dit vak zich bezighouden met kibbelen over de geslachten der woorden, over letters en spelwyze – altemaal zaken waarmee ’t begrip: Taal evenmin te maken heeft, als wiskunde met de stof waaruit men passers en linealen vervaardigt – zóó lang is hierin geen verbetering te wachten. En dit is wel jammer! Multatuli, Ideën. Bd. V, 2. Aufl. Amsterdam 1877, Idee 1047a. (‚Solange Hochschullehrer dieses Faches sich mit der Zänkerei um die Geschlechter der Wörter, um Lettern und Schreibweise befassen – alles Sachen, die so wenig mit Sprache zu tun haben als das Material woraus man Zirkel und Lineale herstellt mit Mathematik – solange ist diesbezüglich keine Verbesserung zu erwarten. Und das ist schade!‘)

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

223

Tatsächlich stand die Orthografie in Diskussionen zum AN im 19. Jh. häufig im Vordergrund, Rechtschreibreformen lösten immer wieder heftige Auseinandersetzungen aus. Nicht nur Laien, sondern auch Spezialisten verwechselten dabei ‚Sprache‘ gerne mit deren schriftlicher Wiedergabe. Eine Modernisierung der Rechtschreibung empfand man nicht selten gar als Angriff auf die kultivierte Sprache, vgl. 3.2.1. Trotz seiner oft wegweisenden Äusserungen zum AN gelang es Multatuli nur teilweise, seine Auffassungen in der Schreibpraxis umzusetzen, wie die folgenden, willkürlich gewählten Beispiele veranschaulichen dürften. So fehlen ihm manchmal die sprachlichen Mittel, um archaische Elemente der Schriftsprache zu ersetzen. Dies zeigt sich beispielsweise in seinen Darlegungen zum Personalpronomen der 2. Pers.: Ik bied ’n vel druks voor ’n goed voornaamwoord van de tweede persoon. Maar er mag geen g in komen. Ook geen ij, noch y. Ook geen ou. U is goed als akkusatief. Maar als nominatief is ’t een leelyk woord, en verraadt z’n possessieven oorsprong. U is, beduidt: de Edelheid van U is, uwe Edelheid is, U.E.D. is, U.E. is, uwee is. Ja, voor ’n goed nominatief pronomen, tweede persoon, geef ik ’n vel druks, en wel twee. En, als men er op staat, zonder één g er in, die zoo leelyk is in ons schoon hollandsch. Ik durf nog niet schryven ‚hollans‘ maar er zal ’n tyd komen dat ik het durf. Hij of hy is ook niet mooi, tenzy er ’n klemtoon op valt. Melis Stoke en ik vinden ‚zegti‘ en ‚doeti‘ goed. Komaan, laat ons dat doen… we winnen daardoor kracht in hy: Neen, zegt-i snel, wat-i wil, wil-izelf omdat hy dat begeerd heeft. Wat-i denkt, wat-i zegt, wat-i doet, werd in zyn ziel geboren… doet Hy! Multatuli, Ideën. Bd. I, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 47. (‚Ich biete eine Seite mit gedrucktem Text für ein gutes Pronomen der 2. Pers. Aber es darf kein g enthalten. Auch kein ij noch ein y. Auch kein ou. U ist gut als Akkusativ. Aber als Nominativ ist es ein hässliches Wort und verrät seinen possessiven Ursprung. U is bedeutet: „die Vortrefflichkeit von Ihnen ist“, „Euer Hochwohlgeboren ist“, „U.E.D. ist“, „U.E. ist“, „Euer ist“. Ja, für ein gutes Pronomen, zweite Person, verschenke ich eine Seite mit gedrucktem Text und auch wohl zwei. Und wenn man darauf besteht, ohne ein einziges g das so hässlich in unserem schönen Holländischen ist. Ich wage es noch nicht „hollans“ zu schreiben aber einst kommt die Zeit das ich es wage. Hij oder hy sind auch nicht schön, ausser wenn sie betont sind. Melis Stoke und ich halten „zegti“ [„sagt er“] und „doeti“ [„tut er“] für gut. Los, lassen wir das tun … wir gewinnen dadurch ein kräftigeres hy: Nein, sagt er schnell, was er will, will er selber / weil er das begehrt hat. / Was er denkt, was er sagt, was er tut / wird in seiner Seele geboren… tut er!‘).

224

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

In der gesprochenen Sprache waren die Subjektformen jij und je als Personalpronomen 2. Pers. Sing. sowie jullie als Pluralformen in grossen Teilen des niederländischen Sprachraums eingebürgert. Dies gilt nicht für u als Subjekt. Die Personalpronomina gij und ge fanden lediglich in verschiedenen der südlichen Regionen in der mündlichen Kommunikation Verwendung. Weiter wurden sie in der schriftlichen Kommunikation im gesamten Sprachgebiet verwendet. Sodann war jou neben je als Objektform 2. Pers. Sing. gebräuchlich geworden. Die Formen gij und ge, die beispielsweise in den von Protestanten viel gelesenen und zitierten archaischen Texten der Statenvertaling von 1637 vorkamen, wirkten für die Mehrheit der Sprecher als veraltet und wurden im Norden höchstens im formellen Sprachgebrauch verwendet. Diese Sachlage bereitete sogar einem liberalen Geist wie Multatuli Mühe. Laut dem oben stehenden Zitat traute er sich anfänglich offenbar noch nicht zu, die vermutlich als allzu banal empfundenen Subjektformen des Personalpronomens jij oder je aus dem gesprochenen Niederländischen des Alltags in literarische Texte zu verarbeiten. Trotzdem sollte er diese Subjektformen vermehrt gebrauchen, in Neuauflagen des Max Havelaar bevorzugte er sie des Öfteren. Da Multatuli im genannten Zitat ‚hässliche‘ Pronomina mit g zurückweist, hält er somit die in der Schriftsprache seiner Zeit üblichen Personalpronomina gy und ge für unästhetisch und gar unerwünscht. Auch lehnt er Pronomina mit ij, y und ou ab. Dies bedeutet, dass sich die in der gesprochenen Sprache vorkommende Objektform des Pronomens 2. Pers. Sing. jou ebenso wenig eignen würde wie die Subjektform jij. Sie zählen wohl wie gy und U im Nom. zu den ‚hässlichen Wörtern‘. Nicht ohne Ironie folgert der Verfasser denn auch, dass das Fehlen eines ‚brauchbaren‘ Personalpronomens 2. Pers. eine der Schwierigkeiten darstellt, um ein ‚gutes holländisches‘ Drama zu schreiben: In ’t gemis aan ’n bruikbaar voornaamwoord voor de tweede persoon, meen ik een der by-oorzaken te vinden van de moeielykheid om ’n goed hollandsch drama te schryven. Multatuli, Ideën. Bd. I, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 47. Die oben stehenden Zitate zeigen, wie sehr Multatuli ringt mit dem Missverhältnis zwischen gesprochenem und geschriebenem Niederländisch. Dies gilt auch einer Erscheinung wie der Assimilation in der Aussprache von hollands. Das Assimilans /s/ bewirkt, dass das Wort durch Koartikulation in der Regel als hollans ausgesprochen wird. Der Verfasser wagt es aber noch nicht, demensprechend zu buchstabieren: Ik durf nog niet schryven ‚hollans‘ maar er zal ’n tyd komen dat ik het durf. Multatuli, Ideën. Bd. I, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 47. (‚Ich wage es noch nicht, “hollans“ zu schreiben, aber es wird eine Zeit kommen, dass ich es wage.‘) Vielsagend ist auch, dass Multatuli die Verwendung des unbetonten Personalpronomens hy bei Inversion ablehnt: laut dem zitierten Idee 47 spricht man zegti, schreibt aber zegt hij (‚sagt er‘);

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

225

dies ist übrigens bis heute der Fall. Den Vorschlag, künftig im Einklang mit der Aussprache in solchen Fällen zu schreiben, findet man später bei den Verteidigern der Kollewijn-Orthografie wieder (vgl. 3.2.1.2.). Mehrere Schriftsteller, die versuchten, ein natürliches Niederländisch in ihren Werken zu verwenden, sollten später die Schreibweise für hij übernehmen, so Nescio (Pseudonym von Jan Hendrik Frederik Grönloh, 1882–1961): Z’n naam was Japi. Z’n achternaam heb ik nooit geweten. Bavink kwam met hem aanzetten toen-i uit Veere terugkwam. (Nescio 1911, 45) (‚Sein Name war Japi. Seinen Familiennamen habe ich nie gewusst. Bavink erschien mit ihm, als er aus Veere zurückkam.‘) Häufig kritisiert Multatuli die Orthografie des Niederländischen. Er möchte beispielsweise auf überflüssige Graphen wie in mensch oder hollandsch, die keine Laute mehr repräsentieren, verzichten: De tyd waarin we ‚mens‘ en ‚hollans‘ (zonder staart) mogen schryven, is gekomen, en – wat my betreft – reeds voorby. Multatuli, Ideën. Bd. I, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 47. (‚Die Zeit, in der wir „mens“ und „hollands“ [ohne Schwanz] schreiben dürfen, ist gekommen und – für mich – schon vorbei‘.) Dennoch lässt Multatuli bei der Anpassung der Orthografie in seinen Texten Vorsicht walten, denn seine Werke sähen laut ihm merkwürdig aus, wenn er alles änderte. So enthält das Adjektiv Nederlandsche im Untertitel des Max Havelaar auch in späteren vom Autor korrigierten Drucken nach wie vor . Diese behutsame Vorgehensweise steht in einer niederländischen Tradition: bereits Joos Lambrecht berücksichtigte 1550 tlanghe ghebruuc (‚die langzeitige Verwendung‘, HNA 339). Multatuli ändert die Orthografie in Neuauflagen seiner Werke denn auch in einem beschränkten Ausmass: By de korrektie dezer uitgaaf veroorloof ik me weinig afwykingen. Ik heb zeer veel op de tegenwoordige spelling aantemerken, maar indien ik alles veranderde wat me niet goed voorkomt, zou m'n werk er vreemd uitzien. Dit vreemde zou misschien sommigen afschrikken, en daaraan mag ik de verspreiding myner IDEEN niet opofferen. Dus: vroolyk… godbetert! Multatuli, Ideën. Bd. I, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 47. (‚Bei der Korrektur dieser Ausgabe erlaube ich mir nur wenige Abweichungen. Ich habe Vieles an der gegenwärtigen Orthografie auszusetzen, aber wenn ich Alles ändern würde, was mir nicht richtig scheint, so würde meine Arbeit merkwürdig aussehen. Dieses merkwürdige

226

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Aussehen würde Manchen abschrecken und dafür möchte ich die Verbreitung meiner Ideen nicht opfern. Daher: vroolyk [‚fröhlich‘ mit oo]… in Gottes Namen!‘) In der Folge modernisierte Multatuli die Rechtschreibung in Neuauflagen seiner Werke nur gelegentlich. So verwendete er zur Wiedergabe des /X/-Phonems das Graphem an Stelle von in terugbracht, vgl. die hem my terugbracht (‚den [Hut den] er mir zurückbrachte‘, MHT, 5) an Stelle von terugbragt (MHC 499). Wohl passte der Verfasser seine Texte dem gesprochenen Niederländischen öfter an. Vergleicht man das Manuskript (‚M‘) des Max Havelaar mit dem 4. (‚D4‘) und dem 5. Druck (‚D5‘), die Multatuli selbst korrigiert hat, so lässt sich eine vorsichtige Modernisierung der von ihm verwendeten Sprachformen erkennen. Häufig beseitigt er archaisch wirkende Kasusmarkierungen: hunne zaken (‚ihre Geschäfte‘, M; MMC 495) wird zu hun zaken (D4, D5), liefde is eene zaligheid (‚Liebe ist eine Seligkeit‘, M) zu liefde is een zaligheid (D4, D5, MMC 496), opzich zelven (‚an sich‘, M) zu op-zichzelf (D4, D5). Obschon Multatuli die von ihm verabscheuten Formen gy und ge (‚Du‘, ‚Sie‘) weiterhin als Pronomina der Schriftsprache verwendet, ersetzt er sie in den letzten Editionen regelmässig durch je. Auch diese Modernisierung erfolgt schrittweise. So wird gij zijt in der Wortgruppe omdat gij zoveel ouder zijt (M) zuerst je zijt (D4) und dann erst je bent (D5, MHC 105). Weiter ersetzt er das Possessiv 2. Pers. Sing. Uw’ (M) durch je (M4, M5, MHC 206). Auch in anderen Fällen passt Multatuli die neueste Version des Max Havelaar an die gesprochene Sprache an. So ersetzt er den Artikel het (‚es‘) regelmässig durch ’t, vgl. ’t in Daar gaat hy dan aan ’t knoeien (‚Da fängt er dann an zu pfuschen‘, D4 D5, MMC 498) und Daar gaat hy dan aan het knoeijen (M). In diesem Satz modernisierte er zudem die Orthografie von knoeien. Ebenso wechselt Multatuli sehr häufig das von ihm als hässlich bezeichnete ij durch e in Personalpronomina aus. So ändert er bereits auf der ersten Seite des Max Havelaar im Satz Man, Gij moet hangen! (‚Mann, Du sollst hängen!‘, M, MHT 2) Gij in Ge (D4) beziehungsweise ge (D5). Weiter wird mij häufig zu me (MHC 493), wij zu we (MHC 495) und zij zu ze (MHC 495). Dass Multatuli seine Texte nur zögerlich dem gesprochenen Niederländisch anpasst, ist wohl auf den besonderen Status der Schriftsprache für die schöngeistige Literatur seiner Zeit zurückzuführen. Offenbar hat seine Schulausbildung ihm nicht die notwendigen Entscheidungsgrundlagen vermittelt, um eine Wahl zwischen eher natürlichen, alltäglichen Formen des Niederländischen und einer schriftsprachlichen, ‚literarischen‘ Ausdrucksweise zu ermöglichen. So erklärt sich sein oft zitierter Satz: Ik leg me toe op ’t schryven van levend hollandsch. Maar ik heb schoolgegaan. Multatuli, Ideën. Bd. I, 6. Aufl. Amsterdam 1879, Idee 41. (‚Ich verlege mich auf das Schreiben von lebendigem Holländisch. Aber ich habe die Schule besucht.‘)

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

227

Mitkämpfer wie auch Gegner Multatulis haben immer wieder die besonderen Qualitäten seiner Sprache hervorgehoben. Allerdings lösten seine sprachlichen Erneuerungen auch Beanstandungen aus. So tadelt der anonyme Verfasser eines Leserbriefes im Algemeen Handelsblad vom 16. Februar 1863 Multatulis Versuche, die gesprochene Sprache zu berücksichtigen. Er fragt sich nicht zu Unrecht, warum Multatuli an Stelle von menschen (‚Menschen‘) und wenschen (‚Wünsche‘) mensen und wensen schreibt, während man mense und wense ohne /n/ spricht. Zudem rügt der Briefschreiber die Verwendung von Germanismen durch Multatuli. Zwar beantwortete dieser den Brief nicht, er sollte aber in seinem De school des levens (‚Schule des Lebens‘) einige der vom Briefschreiber erwähnten Germanismen ersetzen (vgl. Van der Meulen 2002, 476/77). Abgesehen von solchen kritischen Bemerkungen ist festzuhalten, dass Multatuli immer wieder als Erneuerer des Niederländischen gerühmt wird. Vermutlich hat seine Rhetorik dies mehr noch als die von ihm vorgenommenen Modernisierungen seiner Texte bewirkt. So lassen ihn die rhetorischen Merkmale seiner ironischen Kritik an unwahrhaftiger Literatur im folgenden Beispiel wohl mehr als Erneuerer in Erscheinung treten als die Morphologie und Syntax: En nog meer leugens op het tooneel. Als de held met zyn styven komediestap weggaat om ’t verdrukte vaderland te redden, waarom gaat dan de dubbele achterdeur altyd vanzelf open? En verder, hoe kan de persoon die in verzen spreekt, voorzien wat de ander te antwoorden heeft, om hem ’t rym gemakkelyk te maken? Als de veldheer tot de prinses zegt: ‚mevrouw, het is te laat, de poorten zyn gesloten‘ hoe kan hy dan vooruit weten, dat zy zeggen wil: ‚welaan dan, onversaagd, men doe het zwaard ontblooten‘? Want als zy nu eens, hoorende dat de poort toe was, antwoordde dat ze dan wat wachten zou tot er geopend werd, of dat zy een andermaal eens terug zou komen, waar bleef dan maat en rym? Is het dus niet een pure leugen, als de veldheer de prinses vragend aanziet, om te weten wat ze doen wil na ’t poortsluiten? Nog-eens: als ’t mensch nu eens lust had gehad te gaan slapen, in plaats van iets te ontblooten? Alles leugens! (MHT 6) (‚Und noch mehr Lügen auf der Bühne. Wenn der Held mit seinen steifen Schauspielschritten abtritt, um das unterdrückte Vaterland zu retten, warum öffnet sich dann die doppelte Hintertür von selbst? Und weiter, wie kann die Person, die in Versen spricht, vorhersehen, was der andere als Antwort gibt, damit es sich reimt? Wenn der Feldherr zur Prinzessin sagt: „Gnädige Frau, es ist zu spät, die Tore sind geschlossen“, wie kann er dann im voraus wissen, dass sie sagen will: „Wohlan denn, unverzagt, man soll das Schwert entblössen “? Denn wenn sie nun, da sie hört, dass die Tore geschlossen seien, antwortete, dass sie dann warten möchte, bis sie geöffnet würden, oder dass sie ein anderes Mal wiederkommen wollte, wo blieben dann Versmass und Reim? Ist es also nicht reine Lüge, wenn der Feldherr die Prinzessin fragend anblickt, um zu erfahren, was sie nach dem Schliessen der Tore tun will? Noch einmal: wenn die gute Frau nun Lust gehabt hätte, sich schlafen zu legen, anstatt etwas zu entblössen? Alles Lügen!‘, Multatuli 1993, 15) Neben einer Modernisierung wie ’t in ’t verdrukte vaderland enthält dieser Text immerhin eine veraltete Kasusmarkierung wie styven an Stelle von stijve in zyn styven komediestap und eine

228

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

feierliche Konstruktion mit dem Partizip Präsens hoorende in als zy nu eens, hoorende dat de poort toe was, antwoordde. Trotzdem dürften die ironischen und rhetorischen Merkmale eines solchen kritischen Textes Multatuli bei seinen Lesern als Erneuerer erscheinen lassen. Weiter ist zu erwähnen, dass Multatuli in den Schilderungen seiner Protagonisten offensichtlich versucht, ihre Sprache naturgetreu wiederzugeben. Dies gilt genauso für die Äusserungen des vorher zitierten Kaffeemaklers Droogstoppel wie für die salbungsvolle Predigt des Pfarrers Wavelaar, Max Havelaars feierliche Ansprache zu den Lebakschen Häuptern oder den Erzähler der Parabel des japanischen Steinmetzes mit einer Ausdruckweise, die an die Sprache der neutestamentlichen Gleichnisse erinnert, vgl. 3.7.2.1. Multatulis Versuche, die Schriftsprache zu erneuern, haben Grammatiker und Bildungsreformer angeregt, die Schriftsprache unter Berücksichtigung des gesprochenen Niederländischen zu modernisieren, vgl. 3.6.2. Multatulis Beitrag zur Festigung des AN ist auch in dieser Hinsicht besondere Bedeutung beizumessen. 3.6.1.2. Die Achtziger Wie Multatuli haben auch die Achtziger (vgl. 3.1.2.2.4.) bis heute den Ruf, das Niederländisch erneuert zu haben. Vielsagend ist diesbezüglich die Erkärung des Dichters Ramsey Nasr: Ik heb ook een gedicht geschreven over de Tachtigers, die ik enorm bewonder. Wat zij met taal deden – zij het op een andere manier – is voor mij van eenzelfde orde als die straattaal. Gorter vernieuwde met zijn sensitivisme de taal door nieuwe woorden toe te kennen aan klanken en kleuren. (Van Veelen 2010, 205) (‚Ich habe auch ein Gedicht über die Achtziger geschrieben, die ich enorm bewundere. Was sie mit der Sprache machten – sei es auf eine andere Art und Weise -, ist für mich von der gleichen Grösse wie die Gassensprache. Gorter erneuerte mit seiner Poetik der Empfindsamkeit die Sprache, durch Klänge und Farben neue Wörter hinzuzufügen.‘) Als Erneuerer tadelten die Achtziger nicht nur die Thematik und Poetik der Literatur ihrer Zeit, sondern auch die in der Dichtung verwendete Sprache. In ihren hier zitierten essayistischen Ausführungen dazu verwenden sie wenig genaue Ausdrücke wie ‚manieriert‘, ‚denkbare Sprache‘, ‚Urmensch‘, ‚Gesetze der Prosodik und Grammatik‘ und ähnliche, die eine Deutung erschweren, in diesem Rahmen aber nicht weiter hinterfragt werden. Laut Willem Kloos habe eine neue Generation Dichter und Schriftsteller die Aufgabe, die Sprache ihrer Vorgänger von einer klischeehaften, manierierten indirekten Ausdrucksweise zu befreien: te ontdoen van al het stereotiepe, gemaniëreerde en indirekte. (Kloos 1885/86, 489, Anbeek 1999). Erst ein taalschat (‚Wortschatz‘), der zu den einfachsten Elementen zurückgeführt wird, lieferte nach seiner Meinung die Grundbestandteile für die Schöpfung eines ‚persönlichen Ausdrucks‘ des ‚eigenen persönlichen Seelenlebens‘. Für den Dichter wäre die Sprache teilweise noch immer das, was jede denkbare Sprache im Stadium ihrer Geburt war:

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

Abb. 12: Jacques Perk.

229

Abb. 13: Herman Gorter.

(…) de taal is voor hem bovendien nog gedeeltelijk gebleven wat alle denkbare taal in haar aller-aller-eerste geboren-worden is. (Kloos 1890/91, 139) (‚[…] die Sprache ist für ihn [den Dichter] ausserdem noch teilweise geblieben, was alle denkbare Sprache in ihrem allerallerersten Zur–Welt–Kommen ist‘.) Zwar habe der Urmensch sich noch mit Hilfe lyrischer, spontaner Laute geäussert. Als aber die Menschen begannen, gleiche Wörter für gleiche Sachverhalte zu verwenden, verlor die Sprache ihre individuelle Spontanität. So wurde das Abstraktionsvermögen zum Wesen der Sprache. In der Folge sei der Mensch nicht imstande, persönliche Vorstellungen und Emotionen in Wörter zu fassen. Menschen würden daher über unterschiedliche Sachen reden, auch wenn sie die gleichen Wörter benützen. Hinzu käme, dass die Grammatik die menschlichen Äusserungen zusätzlich abstrahiere: En dan de grammatica, die abstractie der abstractie! De taal dwingt u om de tallooze individueele momenten van uw lichaams- en ziele-leven saam te vatten onder groote rubrieken, met een etiket er boven op; de grammatica beveelt u zelfs hoe gij voelen en denken moet. De grammatica wijst u hoe gij al wat er in u omgaat,al wat er in u opkomt uit den duistren chaos uwer diepste ikheid, netjes moet laten loopen langs de vaste lijnen, getrokken door menschen van een vroeger geslacht. (Kloos 1890/91, 140–141)

230

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

(‚Und dann die Grammatik, die Abstraktion der Abstraktion! Die Sprache zwingt Sie, zahllose individuelle Momente Ihres Körper- und Seelenlebens in grossen Rubriken etikettiert zusammenzufassen; die Grammatik befiehlt Ihnen sogar, wie Sie fühlen und denken müssen. Die Grammatik zeigt Ihnen, wie Sie gezwungen sind, alles was Sie berührt, alles was in Ihnen aufkommt aus dem düsteren Chaos Ihres tiefsten Ichs, ordentlich entlang fester Linien verlaufen zu lassen, die Menschen eines früheren Geschlechtes gezogen haben.‘) So wäre der Mensch ein Gefangener seiner eigenen Sprache, der Dichter könne dies allerdings nicht hinnehmen. Für den Dichter sei die Sprache nicht lediglich ein ‚Mittel zu etwas anderem‘, sondern mehr: die Wörter wären ‚wertvolle Individuen‘, die er kennt und liebt. Durch ein subtiles Kombinieren ihrer Laute sei der Dichter imstande, im Moment des Gerührtseins das wiederzugeben, was er hört und sieht. So stehe er näher beim Urmenschen, der sich spontan äussert. Daher kann der Dichter versuchen, Wörtern eine neue Frische zu verleihen, auch wenn sie abstrakt blieben und an die abstrakten Regeln der Grammatik gebunden wären. Nach Kloos gelingt es namentlich Herman Gorter, trotzdem ‚weiter zu gehen‘: [hij] combineert zijne woorden zooals niemand vóór dezen, hij verwaarloost de wetten van prosodie en grammatica, en zijn beeldspraak is zoo vreemd dat men er blind voor blijft. (Kloos 1890/91, 143) (‚[er] kombiniert seine Wörter wie keiner vor ihm, er vernachlässigt die Gesetze der Prosodik und Grammatik und seine Bildersprache ist so fremd, dass man blind für sie bleibt‘) Die von Kloos angedeuteten sprachlichen Erneuerungen sollen hier anhand einiger weniger Beispiele veranschaulicht werden. Im Vordergrund steht das Bemühen einzelner Achtziger, Wörter und Grammatik auf eine ursprüngliche Art und Weise in ihrer Dichtung zu verarbeiten. Im Einklang mit Kloosʾ Auffassungen zur Literatur kennzeichnen die Texte der Achtziger sich idiomatisch u. a. durch das Vorhandensein von Neologismen. Die Schöpfung solcher Wörter ist zwar an grammatikalische Regeln und Konventionen der Wortbildung gebunden, Sprachteilhaber können sich diesen Regeln aber entziehen oder sie neu anwenden. So sind sie fähig, lexikalische Neubildungen zu schöpfen, genau so wie sie imstande sind, mit einer beschränkten Zahl grammatikalischer Regeln eine unbeschränkte Zahl ursprünglicher syntaktischer Strukturen herzustellen. In ihrem Bestreben, sich möglichst ursprünglich in der Sprache auszudrücken, verwendeten die Achtziger mit Vorliebe solche lexikalische Neuschöpfungen. Ihre Literatur wurde daher von manchen Literaturkritikern als woordkunst (‚Wortkunst‘) eingestuft. Der Ausdruck, den Van Eeden in seiner kritischen Betrachtung der Achtziger 1903 prägte, zeugt einmal von Ablehnung wie beispielsweise bei P.N. van Eyck in seiner Beurteilung von H. Marsmans Lyrik (4.2.2.4.), ein anderes Mal von Bewunderung wie bei Paul van Ostaijen (vgl. 4.2.2.2.). Übrigens findet der Begriff in der Regel nur noch Verwendung als Bezeichnung der écriture artiste der Achtziger. Bei den nachher zitierten Neubildungen der Achtziger handelt es sich um

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

231

lexikalisches Material, das in der Zeit vor der jeweiligen Neuschöpfung des Wortes durch den Dichter nicht belegt ist. Die Sprache von Herman Gorters Gedichtepos Mei (‚Mai‘) 1889, das zu den bedeutendsten Werken der Achtziger zählt, ist u. a. durch lexikalische Neubildungen gekennzeichnet. Das dreiteilige, 4381 Verse umfassende Werk enthält über 450 Lexeme, die vor der Veröffentlichung von Gorters Debutwerk nicht belegt sind. Statistische Untersuchungen untermauern die Annahme, dass die häufige Verwendung solcher Neologismen als spezifisches poetisches Merkmal von Gorters Werk einzustufen ist (Martin 1971). Die Verteilung der Neologismen über das ganze Werk würde die klassische Struktur dieses Epos betonen, da der überschwängliche zweite Teil des Mei, der die stilistische und inhaltliche Klimax des Werkes darstellt, die meisten Neubildungen aufweist. Zu Gorters Neologismen zählen u. a. aus drei Substantiven bestehende Kompositionen wie bloemhoningharten (‚Blumenhonigherzen‘). Sodann enthält sein Text neu gebildete Synästhesien wie muziekwolken (‚Musikwolken‘) und Neubildungen, die aus einem Substantiv mit einem substantivierten Partizip Perfekt bestehen wie wraakgerochel (‚Rachegeröchel‘) oder die ein Substantiv in der Form eines Partizips Präsens wie heimweeënd (‚heimwehende‘) enthalten. Andere Neubildungen bestehen aus einem Substantiv mit einem prädikativen Attribut wie badkoud (‚badkalt‘) beziehungsweise mit einem Partizip Perfekt und Präposition wie beekdooraderde (‚von einem Bach wie einer Ader durchwachsen‘). Weiter weisen manche neue Wörter ein aus einem Substantiv gebildetes Partizip mit Adverb auf wie in zwaargestamde (‚schwer von Stämmen [geprägte]‘) oder Verben mit abweichenden Präfixen wie toedeinen (‚zuschaukeln‘) und versneeuwen (‚zerschneien‘). Zahllose, manchmal komplexe lexikalische Neubildungen lassen sich auch in Texten von Lodewijk van Deyssel finden, die wohl als Beispiele der woordkunst einzustufen sind, so in seinem proza-gedicht (‚Prosa-Gedicht‘) Menschen en Bergen (‚Menschen und Berge‘). Das Werk stelle laut literaturwissenschaftlichen Studien einen Übergang vom Naturalismus zum Symbolismus im Schaffen Van Deyssels dar (vgl. E. Leijnse). Inwiefern sich Entwicklungen in Van Deyssels literarischer Arbeit mit solchen schwer zu deutenden Begriffen (vgl. T. Anbeek) beschreiben lassen, ist hier nicht weiter zu vertiefen. Wohl ist zum Sprachgebrauch der ‚naturalistischen‘ Schriftsteller festzuhalten, dass sie laut T. Anbeek einerseits nach einer naturgetreuen Sprache in Dialogen streben, andererseits in ihren Beschreibungen sich mit Vorliebe der écriture artiste bedienen, wie das folgende Zitat zeigt. Die Hauptperson wird im zitierten Text mit der Bezeichnung roerloos levend mannenlijf (‚regungsloser Männerkörper‘) wie ein Gegenstand eingeführt (Vlierhuis 2010). Dass an Stelle von hij (‚er‘) ein hoofd (‚Kopf‘) durch das Fenster guckt, unterstreicht diese distanzierte Darstellung des Protagonisten. Während die Beschreibung der Hauptperson mit Hilfe einer Schilderung der Farben ihrer Kleidung erfolgt, scheint das Innere der Kutsche durch die Grossschreibung von Binnen als Name personifiziert zu werden: Mul klefferig en lam-gekookt moê binnen de verflensende bruin-grijs-wemelende jasjen en broek, zat het roerloos levend mannenlijf over een afgekrabbeld zwart leêren kussen in het zwarte Binnen van den voortwaggelenden wagen, de voet-blokjes op het over het vloertje

232

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

genestte geel-stralerige stroo, het stofferige, klammerige bleeke hoofd door een vies-vaal raampje kijkend uit de witte flets-bruin-doorknikkerde oogovaaltjes, zoo als een stuk porceleinwerk door een glázen-kast kijkt. Lodewijk van Deyssel, Menschen en Bergen.In: De Nieuwe Gids, 4, 1889, 397. (Paraphrase: ‚Lose, klebrig-feucht, schlapp und erschöpft, [gehüllt] in einen verwelkten Sakko und Hose, die wimmeln von braun-grauen [Farbtönen], sass der regungslose lebende Männerkörper auf einem schwarzen Lederkissen voller Kratzer im schwarzen Inneren des immer weiter wackelnden Wagens, die Fussbänklein auf dem Boden mit dem gelb-strahlenden eingenisteten Stroh, der staubige, klamme bleiche Kopf durch das schmutzig fahle Fenster guckend aus den weissen matt-braunen Murmel-ähnlichen Ovalen der Augen, wie ein Stück Porzellan durch einen Glasschrank schaut.‘) Neologismen wie klefferig, lam-gekookt, verflensende, bruin-grijs-wemelende, afgekrabbeld, voortwaggelenden, genestte, geel-stralerige, stofferige, klammerige, viesvaal, flets-bruin-doorknikkerde und oogovaaltjes prägen diese sprachliche Entität. Sie zeugen von Van Deyssels Bemühen, die Schriftsprache zu erneuern. Nimmt man das Vorkommen grammatikalisierter Verbindungen von prädikativen Einheiten als Kriterium der Komplexität komplexer syntaktischer Phrasen, so ist die zitierte Äusserung Van Deyssels als einfache syntaktische Struktur einzustufen: obschon sie 65 Wörter zählt, kennt sie nur eine prädikative Einheit. Nach einem prädikativen Attribut folgt das finitite Verb zat, das in Kongruenz zum anschliessenden Subjekt steht; enumerierte adverbiale Konstituenten, die keine Prädikate aufweisen, schliessen die Struktur ab. Mit seinem Verzicht auf die Verwendung komplexer syntaktischer Strukturen scheint Van Deyssel sich so dem von Kloos beschriebenen grammatikalischen Zwang zu entziehen. Auch Herman Gorter meidet offensichtlich syntaktisch komplexe Strukturen in den von Ramsey Nasr erwähnten Verzen: mehrere Strophen von Gedichten aus diesem 1890 erschienenen Band bestehen aus Enumerationen ohne Prädikate: De stille weg de maannachtlichte weg – de boomen de zoo stil oudgeworden boomen – het water het zachtbespannen tevreeë water. En daar achter in ’t ver de neergezonken hemel met ’t sterrengefemel. (Gorter 1948, 21)

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

233

(Paraphrase: ‚Der stille Weg / der mond-nächtliche Weg – / die Bäume / die so still alt gewordenen Bäume – / das Wasser / das sanft bespannte zufriedene Wasser. / Und dort hinten in der Ferne der heruntergesunkene Himmel / mit dem Flüstern der Sterne. /‘) Dieses Gedicht ist wiederum durch Neubildungen gekennzeichnet: maannachtlichte, zachtbespannen und sterrengefemel. Weiter weist es die Personifikation tevreeë water auf. Sodann widerspiegelt die Schreibweise das lebendige gesprochene Niederländisch. Festzuhalten ist, dass die Achtziger die Verwendung des Niederländischen in ästhetischen Texten nachhaltig erneuert haben. Dennoch sind ihre Neuschöpfungen nur zum Teil in der Sprache der Gegenwart erhalten geblieben. Obschon die Redaktion des WNT mehrere Neologismen der Achtziger ins Wörterbuch aufnahm, finden sie, anders als viele Dutzende Neubildungen aus der Zeit der Renaissance (vgl. HNA 279 ff), selten oder nie Anwendung, wenn Sprachteilnehmer im AN kommunizieren. Die von den Achtzigern kreierten Neubildungen, die oft als Hapaxe zu klassifizieren sind, haben folglich hauptsächlich eine kommunikative Funktion bei der Rezeption literarischer Texte. Soweit Dichter wie Ramsey Nasr sich von den Achtzigern anregen lassen, können ihre Erneuerungen zudem die Produktion literarischer Texte mitbestimmen. Dies zeigt sich beispielsweise in der Art und Weise, wie Hafid Bouazza in seinem Momo die Geräusche des Windes in den Bäumen beschreibt (vgl. Louwerse 2008): lommerruis, loverruisel, nat gebruisel, lomerritsel, lofgeruis (Paraphrase: ‚Schatten-Säuseln, Laub-Gesäusel, feuchtes Gesprudel, träges Rascheln, Lobgeräusch‘, Bouazza 1998, 41). Ähnlich hatte Gorter bereits in seinen Verzen Bäume gegen den Hintergrund eines Wolkenhimmels mit Hilfe mehrerer Neologismen beschrieben: en de boomen hooren, de hooge trilboomen, / en de hooge luchten, de hemelluchten, / de tintellichtluchten, de blauwenwitluchten, / trilluchten. (Paraphrase: ‚und die Bäume hören, die hohen Zitterbäume, / und die hohen Lüfte, die Himmellüfte, / die Funkellichtlüfte, die Blauenweisslüfte, / Zitterlüfte.‘ Gorter 1987, 47). Manchmal stellen sich die Achtziger als konservativ heraus, wenn sie Kasusmarkierungen verwenden, die im gesprochenen Niederländischen nicht mehr vorkamen, vgl. den in Van Deyssels van den voortwaggelenden wagen. Diesbezüglich macht sich der Einfluss der traditionellen Schriftsprache in ihren Werken nach wie vor bemerkbar. Dies gilt auch für die Orthografie: die Achtziger halten oft die gängige Regel ein, vgl. das bereits von Multatuli beanstandete in offenen Silben (vgl. 3.6.1.1.), so in boomen und zoo. Trotzdem ist die Bedeutung der Achtziger für die Entfaltung des AN nicht zu unterschätzen. Mit ihren sprachlichen Experimenten zeigten sie ihren Lesern, wie anders sie die Schriftsprache verwenden konnten, als man gewohnt war. Sie durchbrachen Schreibkonventionen, lenkten die Aufmerksamkeit auf die Sprache an sich und machten klar, wie sehr sich die Schriftsprache nach persönlichem Bedarf modellieren liess. Kein Wunder, dass Dichter sich bis heute von den Achtzigern anregen lassen. Anzunehmen ist, dass Leser der unterschiedlichsten sozialen Klassen Kenntnis von den Sprachexperimenten der Achtziger nahmen, wie beispielsweise die Untersuchungen der Bibliothek der Amsterdamer Diamantarbeiter belegen, vgl. 3.1.2.2.3. Pädagogen und Grammatiker beriefen sich zur Begründung ihrer erfolgreichen Versuche, die Schriftsprache vermehrt auf das gesprochene Niederländisch abzustimmen, namentlich auf die Achtziger.

234

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

In diesem Sinn ist den Achtzigern eine nachhaltige Einwirkung auf die Entfaltung des AN zu bescheinigen.

3.6.2. Reformversuche gegen Ende des 19. Jahrhunderts So trugen Dichter und Schriftsteller als Vorreiter der Modernisierung der Schriftsprache zur Erneuerung des AN bei. Auch im 20. Jh. sollten Lyriker und Verfasser von Prosatexten die Möglichkeiten und Grenzen des Niederländischen mit ihrer schöpferischen Arbeit erkunden, vgl. 4.1.3. und 4.3.5. Sie nehmen daher immer wieder eine besondere Stellung in der niederländischen Sprachkultur ein. Mittlerweile setzten sich namentlich Pädagogen und Grammatiker wie F. Buitenrust Hettema, J.H. van den Bosch, R.A. Kollewijn oder J. Koopmans für eine Vereinfachung der Schriftsprache ein. Diese Bildungsreformer und Linguisten, die über eine eigene Zeitschrift, Taal en Letteren (‚Sprache und Literatur‘, 1891–1906) verfügten, liessen sich dabei nicht nur von einem Grammatiker wie Roorda anregen, sondern auch von Multatuli und den Achtzigern. Ihre Modernisierungsvorschläge gründeten die Reformer u. a. auf Erkenntnissen der Junggrammatiker. So bezieht sich Kollewijn in seinen Veröffentlichungen zur Gegenwartssprache öfters auf Hermann Pauls Prinzipien der Sprachgeschichte. Nicht der Geschichte sprachlicher Merkmale oder der Rekonstruktion älterer Sprachformen galt die Aufmerksamkeit der Reformer, sondern bei ihnen stand die Gegenwartssprache als Ergebnis historischer Erneuerungen des Niederländischen im Vordergrund. Deshalb stellte die gepflegte gesprochene Sprache den Gegenstand ihrer Veröffentlichungen dar. Dies zeigt sich nicht nur in Kollewijns Vorschlägen zur Orthografie (vgl. 3.2.1.2.), sondern auch im Sprachunterricht. So betont der Pädagoge J.H. van den Bosch (1862–1941) die Bedeutung der individuellen Entwicklung des Kindes, das lernen muss, die gesprochene Sprache analytisch zu beobachten. Statt die Regeln der traditionellen Schriftsprache zu lernen, müsse es sich der Grammatik der lebendigen Sprache bewusst werden. Als Grundlage sollte nicht nur für linguistische Analysen, sondern auch für den Schulunterricht die Sprache der beschaafden (‚zivilisierten Menschen‘) dienen, die man als Algemeen Beschaafd Nederlands (‚Allgemeines Zivilisiertes Niederländisch‘) oder ABN bezeichnete: En nu in òns Land heb-je dìt nog: de Beschaafden, over ons hèèle land, erkennen dat bijzondere spreken dat ik en gij allen in den regel dòèn en dat in de provincie Holland eigenlijk ontstaan is en dus oorspronkelijk een strèèkspraak was, – over ons hèèle land, zeide ik, erkennen de Beschaafden die zèkere manier van spreken als de eigenlijke Beschaafde: er is bij ons een Algemeene Beschaafde Spreektaal. (Van den Bosch 1895, 198–199) (‚Und dann hat man in unserem ganzen Land noch Folgendes: die zivilisierten Menschen im ganzen Land anerkennen die besondere Art von Sprechen, wie Sie und ich dies in der Regel reden und das eigentlich in der Provinz Holland entstanden ist und folglich eine regionale Sprache war, – in unserem ganzen Land, sagte ich, anerkennen die zivilisierten Menschen

3.6. Geschriebenes versus gesprochenes Niederländisch

235

die sichere Art des Sprechens als das eigentlich Zivilisierte: es gibt bei uns eine Allgemeine Zivilisierte Gesprochene Sprache.‘) Dem gepflegten gesprochenen Niederländisch käme denn auch eine Vorrangstellung im Unterricht zu. Änderungen, die sich in der Geschichte des Niederländischen vollzogen hatten, wie der fortschreitende Flexionsverlust, bewerteten die Reformer nicht negativ. Im Gegenteil, den fast totalen Wegfall der Kasusmarkierung im AN hielten sie für einen Fortschritt. In der Schriftsprache sei denn auch auf die Wiedergabe von Unterscheidungen zu verzichten, die im ABN nicht mehr vorkamen. Dementsprechend warb Kollewijn in seinen Vorschlägen zur Modernisierung der Orthografie für einen Verzicht auf eine Markierung des Kasus. Zudem wäre eine Markierung von Mask. und Fem. bei Substantiven mit Genus commune, soweit sie im gesprochenen ABN nicht mehr unterschieden wurden, in der Schriftsprache zu unterlassen. Die von den Reformern verteidigten Auffassungen sollten noch Jahrzehnte Anlass zu Auseinandersetzungen geben. Erst langsam setzte sich eine Modernisierung der Schriftsprache in der ersten Hälfte des 20. Jh. durch. Dies ist einerseits dem Wirken von Schriftstellern wie die Achtziger und den Anstrengungen der Reformer zu verdanken. Andererseits begünstigte eine gegenseitige Einwirkung von geschriebenen und gesprochenen Formen des gepflegten Niederländisch die Modernisierungen. Zu bedenken ist, dass bei der Vereinheitlichung des gesprochenen Niederländisch sich Formen der Schriftsprache im ABN behaupteten. Das gepflegte AN kennt beispielsweise von der Schriftsprache geprägte Bildungen wie zeiden (‚sagten‘), kopje (‚Tässchen‘) oder goede (‚gute‘), obschon Formen wie zeejen, koppie oder goeie nicht unüblich waren. Da sich das ABN so der Schriftsprache annäherte, wurde es leichter, diese dem gepflegten gesprochenen Niederländisch anzupassen. Weil durch die Einführung der Schulpflicht Kinder aller sozialen Klassen die Schriftsprache zu lernen hatten, lag es zudem aus pädagogischen Überlegungen auf der Hand, die Schriftsprache auf das ABN abzustimmen. Allmählich sollte das geschriebene Niederländisch im 20. Jh. vermehrt das AN widerspiegeln. Literatur zu 3.6.: Van Bree et al. 1996; Cornelissen 2001; Endt 1986; Haeseryn et al. 1997; Janssens et al. 2005; Kloeke 1939/72; Kollewijn 1907; Kollewijn 1916; Martin 1971; Muller 1891; Noordegraaf 1979; Rutten 2009; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs 2005 (b); Sötemann 1981; Stegeman 1991; Stegeman 2010; Van den Toorn et al. 1997; Vekeman et al. 1993; De Vooys 1952; M. de Vries et al.1866; Van der Wal et al. 2008; Willemyns 2013.

236

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert 3.7.1. Presse 3.7.1.1. Alexandrine Tinnes Suche nach den Nil-Quellen Von Alexandrine Tinnes Suche nach den Nil-Quellen berichtete die Rotterdamsche courant: Men leest in den Stoompost: In november van het vorige jaar bevatte de Londensche Times een verhaal, onder het opschrift: Lady Travellers on the White Nile, waarin melding werd gemaakt van het onderzoek, door drie ladies ingesteld, die op een met dat doel uitgerust stoomvaartuig op den witten Nijl aan gene zijde van Gondokoro, in Centraal-Afrika, ongeveer 1000 Engelsche mijlen hooger dan Chartum, bijna tot den vierden graad Noordelijke breedte van den Aequator doorgedrongen waren. Eerst nu zijn de namen dezer moedvolle reizigsters bekend geworden. De oudsten, mevrouw Tinne en hare zuster, baronesse van Cappellen, zijn dochters van den beroemden Nederlandschen admiraal van der Cappellen, die lord Exmouth bij de bekende verovering van Algiers, in het jaar 1816, ter zijde stond. De jongste dezer drie dames is miss Alexandrine Tinne, een geboren Engelsche, die zich reeds vroeger eens heeft bekend gemaakt door de bevrijding eener negerfamilie, die tot eene lading slaven behoorde en aan haar Vaderland ontrukt was. Deze dames zijn van hare reis behouden naar Chartum teruggekeerd, en mevrouw Tinne spreekt in haren laatsten brief op de volgende wijze over de omstreken van Gondokoro: ‚Ik heb u niet verhaald dat het ons (de ziekte van Alexandrine uitgezonderd) in Gondokoro zeer goed bevallen is.Wij vonden daar een zeer schoon terras, tot het huis behoorende, door de Tiroler-missionarissen gebouwd. Welke schoone citroen- en tamerindeboomen! Vóór dat Alexandrine ongesteld werd, maakten wij eenen uitstap van vier uren lang naar den berg Ballaria, zoo als de inboorlingen hem noemen, over eene rijke vlakte, met fraaije boomen beplant, met talrijke kudden koeijen, schapen en geiten, en vele dorpen met negers, die, zoo lang hunne mais duurt, dag en nacht zingen. Zij vieren in ieder van deze dorpen, op de rij af, feest. Het is een schoon en krijgszuchtig ras, maar wat al te strijdlustig. Wij maakten ook eenen kleinen uitstap met het stoomvaartuig, om te zien of het waar is, dat de vloed boven Gondokoro niet meer bevaarbaar is. Wij voeren per stoomboot ongeveer vijf uren ver, maar toen werd het water te ondiep en drassig, zoodat wij moesten terugkeeren. Wat het zoeken naar de bron van den Nijl betreft, hiermede spotten de inboorlingen. Is men slechts de rivier Sobat voorbij, dan storten zich honderde kleine beekjes in den Nijl. In Gondokoro regent het jaalijks 6 a 8 maanden lang, ofschoon dan wel niet onafgebroken, maar met zulke stortbuijen, dat er wel geene andere bron voor den Nijl noodig is. Wat de bergen betreft, wij zagen er verderop eenigen, die echter niets opmerkelijks vertoonden, niets althans wat naar eene groote Europesche bergketen gelijkt.‘

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

237

De Royal Geographical Society te Londen, aan wie deze brieven, naar men zegt, door eenen bloedverwant dezer dames, tevens medelid dezer Maatschappij, den heer John A. Tinne, zijn medegedeeld, zal er in hare berigten later publiciteit aan geven. Delpher, Rotterdamsche courant, 2/4/1863. Übersetzung: Man liest in der Dampfschiffpost: Im November des vorherigen Jahres veröffentlichte die London Times eine Geschichte, mit der Überschrift: Lady Travellers on the White Nile, in der über ein Forschungsprojekt berichtet wurde, das drei Frauen initiiert hatten, die mit einem dazu ausgerüsteten Dampfschiff auf dem Weissen Nil an der Seite von Gondokoro, in Zentralafrika, ungefähr 1000 englische Meilen höher als Chartum, fast bis zum vierten Grad nördlicher Breite des Äquators vorgedrungen waren. Erst jetzt sind die Namen dieser mutigen Reisenden bekannt geworden. Die ältesten, Frau Tinne und ihre Schwester, Baronin von Cappellen, sind Töchter des berühmten niederländischen Admirals Van der Capellen, der Lord Exmouth bei der bekannten Eroberung von Algier, im Jahr 1816, zur Seite stand. Die jüngste dieser drei Damen ist Miss Alexandrine Tinne, eine geborene Engländerin, die bereits früher einmal bekannt geworden war durch die Befreiung einer Negerfamilie, die einer Ladung Sklaven angehörte und aus ihrem Vaterland verschleppt wurde. Diese Damen sind wohlbehalten von ihrer Reise nach Chartum zurückgekehrt und Frau Tinne spricht in ihrem letzten Brief auf die folgende Weise über die Umgebung von Gondokoro: ‚Ich habe Ihnen nicht erzählt, dass es uns (die Krankheit von Alexandrine ausgenommen) in Gondokoro sehr gut gefallen hat. Wir fanden dort eine sehr schöne Terrasse, die zum Haus gehörte und durch die Tiroler Missionarinnen gebaut war. Was für schöne Zitronen- und Tamarindenbäume! Bevor Alexandrine krank wurde, unternahmen wir einen vierstündigen Ausflug zum Berg Ballaria, wie die Eingeborenen ihn nannten, über eine reiche Ebene, mit wunderschönen Bäumen bepflanzt, mit zahlreichen Kuhherden, Schafen und Ziegen und vielen Dörfern mit Negern, die so lang wie ihr Mais wächst, Tag und Nacht singen. Sie feiern in jedem dieser Dörfer der Reihe nach Feste. Es ist eine schöne und kriegssüchtige Rasse, aber schon etwas zu streitlustig. Wir unternahmen auch einen kleinen Ausflug mit dem Dampfschiff, um zu sehen, ob es wahr ist, dass der Fluss oberhalb von Gondokoro nicht mehr befahrbar ist. Wir fuhren mit dem Dampfschiff ungefähr fünf Stunden weit, bis das Wasser zu niedrig und sumpfig wurde, sodass wir umkehren mussten. Was das Suchen nach der Quelle des Nils betrifft, hierüber machen sich die Eingeborenen lustig. Ist man nur am Fluss Sobat vorbei, dann stürzen sich hunderte kleine Bäche in den Nil. In Gondokoro regnet es jährlich 6 bis 8 Monate lang, wenngleich dann nicht ununterbrochen, aber mit solchen Platzregen, dass wohl keine andere Quelle für den Nil notwendig ist. Bezüglich der Berge: wir sahen weiter weg einige, die allerdings nichts Bemerkenswertes darstellten, nichts zumindest was einer großen Europäischen Bergkette ähnelte.‘

238

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Die königliche Geographische Gesellschaft von London, an die diese Briefe durch den Herrn John A. Tinne, einen Blutsverwandten dieser Damen gerichtet waren, ebenfalls Mitglied dieser Gesellschaft, wird sie später in ihren Berichten publizieren. 3.7.1.2. Die Jahrhundertwende Mit Begeisterung berichtete das Algemeen Handelsblad am 1. Januar 1900 von der Geburt des neuen Jahrhunderts. Mancher Philosoph und Dichter erwarte das Unbekannte voller Hoffnung: Algemeen Handelsblad Maandag 1 Januari 1900. OCHTENDBLAD Van dag tot dag. 1900. ’t Is één Januari 1900…het jubeljaar begint, de nieuwe eeuw wordt geboren. Geen rekenkunstige les zeggen wij op…wij houden ons aan ’t oude spraakgebruik…het cijfer van een nieuwe eeuw staat boven aan ons blad…’t is één Januari 1900. En wat doet het er toe of wij op onze vingers narekenen of ’t niet eigenlijk het laatste jaar der 19de eeuw is. We hooren den donder der branding van de nieuwe zee, waarop de menschheid nu haar reis in ’t onbekende voortzet. Die nieuwe eeuw, die nieuwe zee! Van het land, waarheen we over die zee stevenen, heeft menig denker, menig wijsgeer en dichter, ’t hart vol hoop en idealen, reeds een soort van voorgevoel. Gebeeldhouwd hout, lang zeegras, takken van ons onbekende boomen, brengt het vloedtij op het strand ons aan. Misschien tot de besten van ons behooren de edelmoedige droomers, die een nieuwe maatschappij, een jonge gemeenschap, een Staat, die enkel door volkomen onzelfzuchtigheid bestaan kan, zien oprijzen uit het breed zwalpende, onbegrensde water vóór ons. Laat ieder onzer streven naar het land van ons verlangen, van onze hoop en verwachting! Maar laat ons allen er voor waken niet vaag en onbestemd te zijn, maar wel zich voor te stellen wat men wenscht. Gevaarlijker is er bijna niets voor hen, die als hervormers leiden willen, dan ’t onbestemde, dan nevelachtige algemeenheden, van groote woorden met een zwaren klank, die weinig zeggen. Wat mij aangaat ik kan al mijn hopen en mijn wenschen voor de twintigste eeuw saâmtrekken in één enkele conservatieve wensch en beê: het huwelijk blijve en worde telkens meer geheiligd. Ik hoop, dat alle wetten en gebruiken, dat elke godsdienst, elke leer die geestdrift wekt, in deze eeuw steeds strekken mogen om het huwelijk, het gezin, als grondslag van den vrijen staat, te stutten, te bevestigen, meer en meer wijding te geven.

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

239

Ik vrees geen theorieën en beginselen, hoe revolutionair ze ook klinken mogen…. ik vrees geen oorlog, ja geen onrecht – ook al mocht het tijdelijk triomfeeren – zoolang in dit moeielijk leven sterke, teedere liefde van man en vrouw, die elkander trouw zijn, die hun gezin te zamen opvoeden, door ’t heilig huwelijk gewijd en gezegend, de drijfkracht en de kern blijft van den Staat. Er zijn twee vijanden, die steeds de maatschappij bedreigen. Dat zijn de dwang, die individualiteit vermoordt en zelfzucht. Soms, als de zelfzucht al te wreed en te veeleischend wordt, gelooft de moede menschheid – steeds terugverlangend naar den ouden dwang der kinderjaren, toen zij enkel te gehoorzamen had- dat enkel een harde meester, een ruwe hand, die ons dwingt om voor de gemeenschap gansch te leven, de maatschappij kan redden. En als die harde meester won, zou vrijheid, vruchtbare vrijheid, worden gedood en de persoonlijkheid, de individualiteit zou verloren gaan, gelijk gelukkige woningen en kerken bij een overstrooming. Wie individualiteit verzwakt, verknoeit de levenskracht van ons ras. Maar zoolang het huwelijk blijft geheiligd en geeerd… zoolang het gezin de cel blijft waaruit de maatschappij wordt opgetrokken, kan niets ons deren. Het hoofd van elk gezin waar liefde heerscht…waar man en vrouw trouw hand aan hand door ’t leven gaan en in hun kinderen te gelijk beweegkracht en belooning vinden…. beseft, schier onbewust, dat het juist geheel in het collectieve belang, in het belang der gemeenschap is, dat elke ware man zijn eigen levensbelang heeft, in zijn eigen cel koning is. En tot bestrijding van de zelfzucht – den grooten, zwarten, dreigenden vijand, dien ieder op zijn levenspad te overwinnen heeft, – is er ook geen krachtiger wapen, dan de groote liefde, die het gezin te zamen houdt, een liefde zoo groot, dat men zich zijn God niet anders kan voorstellen, zelfs in het uur der diepste emotie, dan als zijn Vader in de hemelen. De broederschap met alle menschen vloeit uit dat heilige bewustzijn voort. We zien de levenskracht van het ouderwetsche gezin op het oogenblik in de Hollandsche republieken van Zuid-Afrika. Welk een wondere energie en heldenmoed toont die bond van huisgezinnen, die keurbende van huisvaders, wier liefde voor het tehuis zich uitbreidde tot liefde voor hun land en hun vrijheid! Het gezin, kern van den staat, toont zijn heerlijkheid in ’t laatste jaar der eeuw. Daarom ook zeggen wij: Eert het huwelijk, heiligt het huwelijk en laat geen ondergeschikt belang ooit iets vermogen om dat hoofdbelang der menschheid te verminderen of te krenken. Dit zij één doel voor het streven van ons volk in de 20ste eeuw. Delpher, Algemeen Handelsblad, 73, Nr. 22494, 1/1/1900.

240

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Übersetzung: ALGEMEEN HANDELSBLAD Montag 1. Januar 1900. OCHTENDBLAD Von Tag zu Tag Es ist der 1. Januar 1900… das Jubeljahr beginnt, das neue Jahrhundert wird geboren. Wir machen keine Rechen-Lektion… wir halten uns an den alten Sprachgebrauch… die Zahl des neuen Jahrhunderts steht oben auf unserem Blatt… es ist der 1. Januar 1900. Und was macht es aus, wenn wir mit unseren Fingern nachrechnen, ob es nicht eigentlich das letzte Jahr des 19. Jahrhunderts ist. Wir hören den Donner der Brandung des neuen Meeres, worauf die Menschheit nun ihre Reise in das Unbekannte fortsetzt. Das neue Jahrhundert, das neue Meer! Von dem Land, wohin wir über das Meer steuern, hat so mancher Denker, so mancher Philosoph und Dichter das Herz voller Hoffnung und Ideale, bereits eine Art von Vorahnung. Geschnitztes Holz, langes Seegras, Zweige von für uns unbekannten Bäumen spült die Flut uns an den Strand. Vielleicht gehören zu den besten von uns jene edelmütigen Träumer, die eine neue Gesellschaft, eine junge Gemeinschaft, einen Staat, der ausschliesslich durch vollkommene Uneigensüchtigkeit bestehen kann, aufsteigen sehen aus dem breiten, schwappenden, unbegrenzten Wasser, das vor uns liegt. Lasst jeden von uns nach dem Land unseres Verlangens, von unserer Hoffnung und Erwartung streben. Aber lasst uns alle darauf achten, nicht vage und unbestimmt zu sein, aber sich schon vorzustellen, was man sich wünscht. Gefährlicher ist für sie beinah nichts, die als Reformer leiten wollen, als das Unbestimmte, als nebelartige Allgemeinheiten, grosse Worte mit einem schweren Klang, die wenig sagen. Was mich betrifft, kann ich all meine Hoffnungen und meine Wünsche für das zwanzigste Jahrhundert zusammenfassen in einen einzelnen konservativen Wunsch und Gebet: Die Ehe bleibe und werde fortwährend mehr geheiligt. Ich hoffe, dass alle Gesetze und Bräuche, dass jeder Gottesdienst, jede Lehre die Begeisterung weckt, in diesem Jahrhundert stets darauf ausgerichtet ist, um die Ehe, die Familie, als Grundlage des freien Staates, zu stützen, zu bestätigen, ihr mehr und mehr Aufmerksamkeit zu geben. Ich fürchte keine Theorien und Prinzipien, wie revolutionär sie auch klingen mögen… Ich fürchte keinen Krieg, ja kein Unrecht – auch wenn es zeitweise siegen durfte – solange in diesem schwierigen Leben die zarte Liebe von Mann und Frau, die einander treu sind, die ihre Familie zusammen grossziehen, durch die heilige Ehe geweiht und gesegnet, die Triebkraft und der Kern des Staates bleibt.

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

241

Es gibt zwei Feinde, die ständig die Gesellschaft bedrohen. Zum einen der Zwang, der Individualität ermordet, und Selbstsucht. Manchmal, wenn die Selbstsucht zu grausam und zu anspruchsvoll wird, glaubte die müde Menschheit – immer zurückverlangend nach dem alten Zwang der Kinderjahre, als jeder zu gehorchen hatte – dass jeder strenge Meister, eine grobe Hand, die uns zwingt, um ganz für die Gemeinschaft zu leben, die Gesellschaft retten kann. Und wenn der strenge Meister gewänne, würde Freiheit, fruchtbare Freiheit, getötet werden und die Persönlichkeit, die Individualität würde verloren gehen, wie auch glückliche Wohnungen und Kirchen durch eine Überflutung. Wer Individualität schwächt, verdirbt die Lebenskraft unserer Rasse. Aber solange die Ehe heilig und geehrt bleibt… solange die Familie die Zelle bleibt, aus der die Gesellschaft aufgezogen wird, kann uns nichts schaden. Der Kopf jeder Familie, wo Liebe herrscht… wo Mann und Frau treu Hand in Hand durch das Leben gehen und in ihren Kindern zugleich Kraft, um sich zu entfalten und Belohnung finden… erkennt, fast unbewusst, dass es gerade ganz im kollektiven Interesse, im Interesse der Gemeinschaft ist, dass jeder Mann sein eigenes Lebensinteresse hat, König in seiner eigenen Zelle ist. Und zur Bekämpfung der Selbstsucht – des großen, schwarzen, drohenden Feindes, den jeder auf seinem Lebensweg zu überwinden hat, – gibt es keine stärkere Waffe, als die grosse Liebe, die die Familie zusammenhält, eine Liebe, die so gross ist, dass man sich seinen Gott nicht anders vorstellen kann, selbst in der Stunde der tiefsten Gefühle, als seinen Vater im Himmel. Die Brüderschaft aller Menschen entsteht, fliesst aus diesem heiligen Bewusstsein. Wir sehen die Lebenskraft der altmodischen Familie in diesem Augenblick in den holländischen Republiken Südafrikas. Was für eine wunderbare Energie und Heldenmut zeigt der Bund von Familien, die Auslese von Hausvätern, deren Liebe für die Familie sich zu Liebe für ihr Land und ihre Freiheit ausbreitete. Die Familie, Kern des Staates, zeigt ihre Herrlichkeit im letzten Jahr des Jahrhunderts. Auch deswegen sagen wir: Ehrt die Ehe, heiligt die Ehe und lasst kein unterlegenes Interesse jemals im Stande sein, das Hauptinteresse der Menschheit zu vermindern oder ihm zu schaden. Dies sei das eine einige Ziel für das Streben unseres Volkes im 20sten Jahrhundert.

3.7.2. Belletristik 3.7.2.1. Multatuli, Max Havelaar In seinem Max Havelaar of de koffij-veilingen der Nederlandsche Handel-Maatschappij (1860) stellt Multatuli, Pseudonym von Eduard Douwes Dekker (1820–1887), Missstände in den niederländischen Kolonien an den Pranger. Dieses meistverkaufte und übersetzte niederländische literarische Werk wurde zwischen 1875 und 1993 acht Mal von verschiedenen Übersetzern ins Deutsche übertragen und erlebte insgesamt 23 deutsche Drucke beziehungsweise Neuauflagen.

242

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Wie unzufrieden Multatuli über die erste deutsche Übersetzung eines ‚gewissen Herren Stromer‘ war, hält die folgende Anmerkung aus der 5. Auflage des niederländischen Havelaar fest: 3) ‚Dass er – de jonge Stern – bei uns speisen kann.‘ Aldus heeft zekere Herr Stromer, in z’n zoogenaamde vertaling van den Havelaar deze woorden overgezet. Wanneer men nu nog daarby verneemt dat die snuggere letterman blyk geeft geen verschil te kennen tusschen de woorden pantalon en pantoffel, dat hy ‚witte mieren‘ verandert in schweinsnieren enz. enz. zal men de waarde van z’n werk kunnen beoordeelen. Hy heeft bovendien omstreeks 2/5 van ’t boek mir nichts dir nichts doodeenvoudig weggelaten, en alzoo ’t heele boek tot onzin gemaakt. Ik stel voor, hem tot beroemde buitenlandsche schryver te benoemen. Ook de fransche vertaling van Nieuwenhuis en Crisafulli laat zeer veel te wenschen over, maar zóó slecht als de duitsche kon ze nu eenmaal niet worden. Onbereikbaar! De engelsche bewerking van myn nobelen Alphons Nahuys daarentegen is goed, en wordt ook in Engeland geprezen. (Multatuli 1881, 351) (Wort-Erklärungen: vertaling = ‚Übersetzung‘; snugger = ‚klug‘; verschil = ‚Unterschied‘; pantalon = ‚Hose‘; mier = ‚Ameise‘; waarde = ‚Wert‘; bovendien = ‚ausserdem‘; stel voor = ‚schlage vor‘) Mit seinen Zitaten aus der Predigt des Pfarrers Wawelaar persifliert Multatuli die feierliche Sprache der Geistlichen seiner Zeit: ‚Zóó, myn geliefden, was de heerlyke roeping van Israel – hy bedoelde het uitroeien der bewoners van Kanaän – en zóó is de roeping van Nederland! Neen, er zal niet gezegd worden dat het licht dat ons bestraalt, wordt weggezet onder de korenmaat, en niet ook dat wy gierig zyn in het meedeelen van het brood des eeuwigen levens! Slaat het oog op de eilanden des Indischen Oceaans, bewoond door millioenen en millioenen kinderen des verstooten zoons – en des te-recht verstooten zoons – van den edelen Godgevalligen Noach! Dáár kruipen zy rond in de walgelyke slangenholen van heidensche onkunde, daar buigen zy het zwarte kroesharige hoofd onder het juk van eigenbelangzuchtige priesters! Daar aanbidden zy God onder aanroeping van een valschen profeet, die een gruwel is voor de oogen des Heeren! En, geliefden, zelfs zyn er die, als ware het niet genoeg een valschen profeet te gehoorzamen, zelfs zyn er die een anderen God, wat zeg ik, die goden aanbidden, goden van hout of steen, die zyzelf gemaakt hebben naar hun beeld, zwart, afschuwelyk, met platte neuzen en duivelachtig! Ja, geliefden, byna beletten my de tranen hier voorttegaan, nog dieper is de verdorvenheid van Cham’s geslachte! Er zyn er onder hen, die geen God kennen, onder welken naam ook! Die meenen dat het voldoende is, de wetten te gehoorzamen der burgerlyke maatschappy! Die een oogstlied, waarin ze hun vreugde uitdrukken over het welslagen van hunnen arbeid,

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

243

beschouwen als voldoenden dank aan het Opperwezen dat dien oogst rypen liet! Er leven daar verdoolden, myne geliefden – wanneer zulk een gruwelyk bestaan den naam van leven dragen mag! – daar vindt men wezens die beweren dat het voldoende is, vrouw en kind lieftehebben en van hunnen naaste niet te nemen wat hun niet behoort, om ’s avends gerust het hoofd te kunnen nederleggen ter-slape! Yst ge niet by dit tafereel? Krimpt uw hart niet in-een by het bedenken wat het lot wezen zal van al die dwazen, zoodra de bazuine schallen zal, die de dooden oproept ter scheiding van rechtvaardigen en onrechtvaardigen? Hoort ge niet – ja, gy hoort het, want uit de voorgelezen tekstwoorden hebt gy gezien dat uw God is een machtig God, en een God der gerechte wrake – ja, gy hoort het gekraak der beenderen en het geknetter der vlammen in het eeuwig Gehenna waar weeninge is, en tandengeknars! Dáár, dáár branden zy, en vergaan niet, want eeuwig is de straffe! Dáár lekt de vlam met nooit voldane tong aan de gillende slachtoffers van het ongeloof! Dáár sterft de worm niet, die hunne harten dóór en dóór knaagt, zonder ooit die te vernietigen, opdat er steeds een hart te knagen overblyve in de borst van den Godverzaker! Ziet, hoe men het zwarte vel afstroopt van het ongedoopte kind dat, nauwelyks geboren, werd weggeslingerd van de borst der moeder, in den poel der eeuwige verdoemenis… Toen viel er een juffrouw flauw. ‚Maar, geliefden, ging dominee Wawelaar voort, God is een God van liefde! Hy wil niet dat de zondaar verloren ga, maar dat hy zalig worde met de genade, in Christus, door het geloof! En daarom is Nederland uitverkoren om van die rampzaligen te redden wat er van te redden is! Dáártoe heeft Hy in Zyn onnaspeurlyke Wysheid aan een land, klein van omvang, maar groot en sterk door de kennisse Gods, macht gegeven over de bewoners dier gewesten, opdat zy door het heilig nooit volprezen Euangelium worden gered van de straffen der helle! De schepen van Nederland bevaren de groote wateren, en brengen beschaving, godsdienst, Christendom, aan den verdoolden Javaan! Neen, ons gelukkig Nederland begeert niet voor zich alleen de zaligheid: wy willen die ook mededeelen aan de ongelukkige schepselen op verre stranden, die daar gebonden liggen in de kluisters van ongeloof, bygeloof en zedeloosheid! Het beschouwen van de plichten die ten-dezen op ons rusten, zal het zevende deel myner rede uitmaken.‘ (Multatuli 1992, 98–99) Übersetzung: ‚So, meine liebe Gemeinde, war die herrliche Berufung von Israel‘ – er meinte die Ausmerzung der Bewohner Kanaans – ‚ und so ist die Berufung der Niederlande! Nein, ich werde nicht sagen, dass das Licht, das uns bestrahlt, unter den Scheffel gestellt wird, und auch nicht, dass wir begierig sind auf das Austeilen des Brotes des ewigen Lebens! Richtet den Blick auf die Inseln des Indischen Ozeans, bewohnt von Millionen und Abermillionen von Kindern des verstossenen Sohnes – und des zu Recht verstossenen Sohnes – des edlen, gottgefälligen Noah! Dort

244

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

kriechen sie umher in den widerlichen Schlangenhöhlen der heidnischen Unwissenheit, dort beugen sie den schwarzen, kraushaarigen Kopf unter dem Joch von eigennützigen Priestern! Dort beten sie zu Gott unter Anrufung eines falschen Propheten, der für die Augen des Herrn ein Greuel ist! Und, liebe Gemeinde, es gibt sogar solche, die einen anderen Gott, was sage ich, die Götter verehren, Götter aus Holz oder Stein, die sie selbst gemacht haben nach ihrem Vorbild, schwarz, abscheulich, mit flachen Nasen, mit einem Wort teuflisch! Ja, liebe Gemeinde, fast hindern mich Tränen daran, hier fortzufahren, noch tiefer ist die Verderbtheit von Hams Geslecht! Es gibt sogar solche unter ihnen, die keinen Gott kennen, unter welchem Namen auch immer! Diese meinen, es sei ausreichend, den Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft zu gehorchen! Die ein Erntelied, in dem sie ihre Freude über das Wohlgeraten ihrer Arbeit ausdrücken, als ausreichenden Dank an das Überwesen, das die Ernte heranreifen liess, betrachten! Es leben dort Verirrte, meine liebe Gemeinde – wenn solch ein schreckliches Dasein den Namen Leben überhaupt tragen darf! – dort findet man Wesen, die behaupten, es reiche aus, Frau und Kind liebzuhaben und von ihren Nächsten nichts zu nehmen, was ihnen nicht gehört, um abends mit reinem Gewissen das Haupt zur Ruhe zu betten! Erschaudert ihr nicht bei dieser Vorstellung? Zieht sich euer Herz nicht zusammen, wenn ihr euch vorstellt, wie das Schicksal all dieser Irrenden sein wird, sobald die Posaune erschalle, die die Toten erwecken wird zur Trennung der Gerechten von den Ungerechten? Hört ihr nicht – ja, ihr hört es, denn aus den vorgelesenen Bibelworten habt ihr gesehen, dass euer Gott ein mächtiger Gott ist, und ein Gott der gerechten Rache – ja, ihr hört das Krachen der Gebeine und das Prasseln des Feuers in der ewigen Hölle, wo Heulen sein wird, und Zähneknirschen! Dort, ja dort brennen sie, und vergehen dennoch nicht, denn ewig ist die Strafe! Dort leckt die Flamme mit nie befriedigter Zunge an den schreienden Opfern des Unglaubens! Dort stirbt der Wurm nicht, der sich durch ihre Herzen nagt, ohne sie jemals zu vernichten, auf dass immer ein Herz zum Nagen übrig bleibe in der Brust des Gottesleugners! Seht, wie man die schwarze Haut abstreift von dem ungetauften Kind, das, kaum geboren, von der Brust der Mutter weggeschleudert wurde, in den Pfuhl der ewigen Verdammnis…..‘ Hier wurde ein Fräulein ohnmächtig. ‚Aber, liebe Gemeinde‘, fuhr Pastor Wawelaar fort, ‚Gott ist ein Gott der Liebe! Er will nicht, dass der Sünder verloren sei, sondern dass er selig werde mit der Gnade, in Jesus Christus, durch den Glauben! Und deshalb sind die Niederlande dazu auserkoren, von diesen Unseligen zu retten, was zu retten ist! Dazu hat Er in Seiner unergründlichen Weisheit einem Land, klein im Umfang, doch gross und stark durch die Kenntnis Gottes, die Macht gegeben über die Bewohner seiner Provinzen, auf dass sie durch das heilige nie genug gepriesene Evangelium vor den Strafen der Hölle errettet werden! Die Schiffe der Niederlande befahren grosse Gewässer und bringen dem verirrten Javaner Kultur, Religion, Christentum! Nein, unsere glücklichen Niederlande begehren nicht für sich allein die Seligkeit, wir wollen sie auch den unglücklichen Geschöpfen bringen, die da gefesselt liegen in den Ketten des Unglaubens,

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

245

Aberglaubens und der Sittenlosigkeit! Die Betrachtung der Pflichten, die diesbezüglich auf uns ruhen, wird den siebenten Teil meiner Predigt ausmachen.‘ (Multatuli 1993, 190–192) Wie sorgfältig ein höherer Kolonialbeamter auf Java seine Worte wählte, wenn er einheimischen Häuptern in ihrer Sprache zusprach, gibt Multatuli auf Niederländisch wie folgt wieder: – Mynheer de Radhen Adhipatti, Regent van Bantan-Kidoel, en gy, Radhens Dhemang die Hoofden zyt der distrikten in deze Afdeeling, en gy, Radhen Djaksa die de justitie tot uw ambt hebt, en ook gy, Radhen Kliwon die gezag voert op de hoofdplaats, en gy Radhens, Mantries, en allen die Hoofden zyt in de afdeeling Bantan-Kidoel, ik groet u! En ik zeg u dat ik vreugde voel in myn hart, nu ik hier u allen vergaderd zie, luisterende naar de woorden van myn mond. Ik weet dat er onder ulieden zyn, die uitsteken in kennis en in braafheid van hart: ik hoop myn kennis door de uwe te vermeerderen, want zy is niet zoo groot als ik wenschte. En ik heb wel de braafheid lief, maar dikwyls bespeur ik dat er in myn gemoed fouten zyn, die de braafheid overschaduwen en daaraan den groei benemen… gy allen weet hoe de groote boom den kleinen verdringt en doodt. Daarom zal ik letten op degenen onder u, die uitstekend zyn in deugd, om te trachten beter te worden dan ik ben. Ik groet u allen zeer. Toen de Gouverneur-generaal my gelastte tot u te gaan om adsisten-resident te zyn in deze afdeeling, was myn hart verheugd. Het kan u bekend zyn dat ik nooit Bantan-Kidoel had betreden. Ik liet my dus geschriften geven, die over uwe afdeeling handelen, en heb gezien dat er veel goeds is in Bantan-Kidoel. Uw volk bezit rystvelden in de dalen, en er zyn rystvelden op de bergen. En ge wenscht in vrede te leven, en ge begeert niet te wonen in de landstreken die bewoond worden door anderen. Ja, ik weet dat er veel goeds is in Bantan-Kidoel! Maar niet hierom alleen was myn hart verheugd. Want ook in andere streken zou ik veel goeds gevonden hebben. Doch ik ontwaarde dat uwe bevolking arm is, en hierover was ik blyde in het binnenste myner ziel. Want ik weet dat Allah den arme liefheeft, en dat Hy rykdom geeft aan wien hy beproeven wil. Maar tot de armen zendt Hy wie zyn woord spreekt, opdat zy zich oprichten in hun ellende. Geeft Hy niet regen waar de halm verdort, en een dauwdrup in den bloemkelk die dorst heeft? En is het niet schoon, te worden uitgezonden om de vermoeiden te zoeken, die achterbleven na den arbeid en neerzonken langs den weg, daar hun knieën niet sterk meer waren om optegaan naar de plaats van het loon? Zou ik niet verheugd wezen de hand te mogen reiken aan wie in de groeve viel, en een staf te geven aan wien de bergen beklimt? Zou niet myn hart opspringen als het ziet gekozen te zyn onder velen, om van klagen een gebed te maken en dankzegging van geween?

246

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Ja, ik ben zeer blyde geroepen te zyn in Bantan-Kidoel! Ik heb gezegd tot de vrouw die myne zorgen deelt en myn geluk grooter maakt: ‚verheug u, want ik zie dat Allah zegen geeft op het hoofd van ons kind! Hy heeft my gezonden naar een oord waar niet alle arbeid is afgeloopen, en Hy keurde my waardig daar te zyn vóór den tyd van den oogst.‘ Want niet in het snyden der padie is de vreugde: de vreugde is in het snyden der padie die men geplant heeft. En de ziel des menschen groeit niet van het loon, maar van den arbeid die het loon verdient. En ik zeide tot haar: ‚Allah heeft ons een kind gegeven, dat eenmaal zeggen zal: ‚weet ge dat ik zyn zoon ben?‘ En dan zullen er wezen in het land, die hem groeten met liefde, en die de hand zullen leggen op zyn hoofd, en zeggen zullen: ‚zet u neder aan ons maal, en bewoon ons huis, en neem uw deel aan wat wy hebben, want ik heb uwen vader gekend.‘ Hoofden van Lebak, er is veel te arbeiden in uwe landstreek! (Multatuli 1992, 79–80) Übersetzung: „Herr Radhen Adhipatti, Regent von Bantan-Kidul, und Ihr, Rhadhens Dhemang, Häupter der Distrikte in dieser Provinz, und Ihr, Radhen Djaksa, der Ihr die Justiz zu Eurem Amt habt, und auch Ihr, Radhens, Mantries und alle Häupter in der Provinz Bantan-Kidul, ich begrüsse Euch! Und ich sage Euch, dass ich Freude in meinem Herzen verspüre, da ich Euch alle hier versammelt sehe, den Worten meines Mundes zu lauschen. Ich weiss, dass es unter Euch einige gibt, die hervorragen in Kenntnis und Aufrichtigkeit des Herzens: ich hoffe, meine Kenntnis durch die Eure zu mehren, denn sie ist nicht so gross, wie ich es mir wünschte. Wohl liebe ich die Aufrichtigkeit, doch oft bemerke ich, dass in meinem Gemüt Fehler sind, welche die Aufrichtigkeit überschatten und ihm danach das Wachstum nehmen… Ihr alle wisst, wie der grosse Baum den kleinen verdrängt und tötet. Darum werde ich achten auf diejenigen unter Euch, die herausragen an Tugend, um zu versuchen, besser zu werden als ich es bin. Ich begrüsse Euch alle sehr herzlich. Als der Generalgouverneur mir auftrug, zu Euch zu gehen, um Resident-Assistent der Provinz zu sein, war mein Herz erfreut. Es mag Euch bekannt sein, dass ich Bantan-Kidul nie zuvor betreten hatte. Ich liess mir also Schriften geben, die von Euer Provinz berichten, und ich habe gesehen, dass viel Gutes in Bantan-Kidul ist. Eurer Volk besitzt Reisfelder in den Tälern, und es gibt Reisfelder in den Bergen. Und Ihr wünscht, in Frieden zu leben, und Ihr begehrt nicht zu wohnen in Gegenden, die von anderen bewohnt werden. Ja, ich weiss, dass viel Gutes in Bantan-Kidul ist! Aber nicht deshalb war mein Herz erfreut. Denn auch in anderen Gegenden hätte ich viel Gutes vorgefunden. Doch ich wurde gewahr, dass Eure Bevölkerung arm ist, und darüber war ich froh im Innersten meiner Seele.

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

247

Denn ich weiss, dass Allah den Armen liebt und dass er jenem Reichtum verleiht, den er prüfen will. Aber den Armen sendet Er den, der Seine Worte spricht, auf dass sie sich aus ihrem Elend erheben. Gibt er nicht Regen, wo der Halm verdorrt, und einen Tautropfen in den Blütenkelch, der dürstet? Und ist es nicht schön, ausgesandt zu werden, um die Erschöpften zu suchen, die nach der Arbeit zurückblieben und niedersanken am Wegesrand, da ihre Knie nicht mehr stark genug waren, um sich aufzumachen zu dem Ort ihres Lohnes? Wäre ich nicht erfreut, jenem die Hand reichen zu dürfen, der in die Grube fiel, und einen Stab zu geben dem, der die Berge erklimmt? Wäre mein Herz nicht fröhlich, wenn es sieht erwählt worden zu sein aus vielen, um aus Klagen ein Gebet zu machen und eine Danksagung aus Weinen? Ja, ich bin sehr glücklich, nach Bantan-Kidul gerufen worden zu sein! Ich habe der Frau, die meine Sorgen teilt und mein Glück vergrössert, gesagt ‚freue Dich, denn ich sehe, dass Allah seinen Segen auf das Haupt unseres Kindes legt! Er hat mich zu einem Ort gesandt, an dem nicht alle Arbeit getan ist, und er hielt mich für würdig dort zu sein noch vor der Erntezeit. Denn nicht im Schneiden der Padie liegt die Freude: die Freude liegt im Schneiden der Padie, die man selbst gepflanzt hat. Und die Seele des Menschen wächst nicht durch den Lohn, sondern durch die Arbeit, die den Lohn verdient.‘ Und ich sagte zu ihr: ‚Allah hat uns ein Kind geschenkt, das einmal sagen wird: ‚wisst ihr, dass ich sein Sohn bin?‘ Und dann wird es solche geben in dem Land, die ihn grüssen mit Liebe, die ihm die Hand auf das Haupt legen und sagen werden: ‚setz Dich nieder zu unserem Mahl, und bewohne unser Haus, und nimm Teil an allem, was wir haben, denn ich habe Deinen Vater gekannt.‘ Häupter von Lebak, es gibt viel zu tun in Eurem Land!“ (Multatuli 1993, 154–156) Multatulis Parabel des japanischen Steinmetzes erinnert sprachlich an die neutestamentlichen Gleichnisse der Statenvertaling: ,Oepi, er was een man die steenen hieuw uit de rots. Zyn arbeid was zeer zwaar, en hy arbeidde veel, doch zyn loon was gering, en tevreden was hy niet. Hy zuchtte omdat zyn arbeid zwaar was. En hy riep: och, dat ik ryk ware, om te rusten op een baleh-baleh met klamboe van roode zyde. En er kwam een engel uit den hemel, die zeide: u zy gelyk gy gezegd hebt. En hy wàs ryk. En hy rustte op een baleh-baleh, en de klamboe was van roode zyde. En de koning des lands toog voorby, met ruiters voor zyn wagen. En ook achter den wagen waren ruiters, en men hield den gouden pajong boven het hoofd van den koning. En toen de ryke man dit zag, verdroot het hem dat er geen gouden pajong werd gehouden boven zyn hoofd. En tevreden was hy niet. Hy zuchtte, en riep: ik wenschte koning te zyn. En er kwam een engel uit den hemel, die zeide: u zy gelyk gy gezegd hebt.

248

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

En hy wàs koning. En voor zyn wagen reden vele ruiters, en ook waren er ruiters achter zyn wagen, en boven zyn hoofd hield men den gouden pajong. En de zon scheen met heete stralen, en verbrandde het aardryk, zoodat de grasscheut dor werd. En de koning klaagde dat de zon hem schroeide in het gelaat, en macht had boven hem. En tevreden was hy niet. Hy zuchtte, en riep: ik wenschte de zon te zyn. En er kwam een engel uit den hemel, die zeide: u zy gelyk gy gezegd hebt. En hy wàs de zon. En hy zond zyn stralen naar boven, en naar beneden, naar de rechterzyde en naar de linkerzyde, en alom. En hy verschroeide den grasscheut op het aardryk, en het gelaat der vorsten die op de aarde waren. En een wolk stelde zich tusschen de aarde en hem, en de stralen van de zon stuitten daarop terug. En hy werd toornig dat zyner macht weerstaan werd, en hy klaagde dat die wolk machtig was boven hem. En tevreden was hy niet. Hy wilde de wolk zyn, die zoo machtig was. En er kwam een engel uit den hemel, die zeide: u zy gelyk gy gezegd hebt. En hy werd een wolk, en plaatste zich tusschen de zon en de aarde, en ving de stralen op, zoodat het gras groen werd. En de wolk regende in groote druppen op het aardryk, en deed de rivieren zwellen, en banjirs voerden de kudden weg. En hy verwoestte door veel waters het veld. En hy viel neer op een rots, die niet week. En hy klaterde in groote stroomen, maar de rots week niet. En hy werd toornig omdat de rots niet wyken wilde, en omdat de sterkte van zyn stroomen ydel was. En tevreden was hy niet. Hy riep: aan die rots is macht gegeven boven my. Ik wenschte die rots te zyn. En er kwam een engel uit den hemel, die zeide: u zy gelyk gy gezegd hebt. En hy wèrd rots, en bewoog niet als de zon scheen, en niet als het regende. En daar kwam een man met houweel, en met puntigen bytel, en met zwaren hamer, die steenen hieuw uit de rots. En de rots zeide: wat is dit, dat die man macht heeft boven my, en steenen houwt uit myn schoot? En tevreden was hy niet. Hy riep: ik ben zwakker dan deze... ik wenschte die man te zyn. En er kwam een engel uit den hemel, die zeide: u zy gelyk gy gezegd hebt. En hy was een steenhouwer. En hy hieuw steenen uit de rots, met zwaren arbeid, en hy arbeidde zeer zwaar voor weinig loons, en hy was tevreden.’ (Multatuli 1992, 117-119)

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

249

Übersetzung: Upi, es war einmal ein Mann, der Steine aus dem Felsen schlug. Seine Arbeit war sehr hart, und er arbeitete viel, doch sein Lohn war gering, und er war nicht zufrieden. Er seufzte, weil seine Arbeit hart war. Und er rief: ach, wenn ich doch reich wäre, um zu ruhen auf einem Baleh-Baleh mit Klambu aus roter Seide. Und es kam ein Engel vom Himmel herab und sagte: Es sei, wie du gesagt hast. Und er war reich. Er ruhte auf einem Baleh-Baleh, und die Klambu war aus roter Seide. Und der König des Landes zog vorbei, mit Reitern vor seinem Wagen. Und auch hinter dem Wagen waren Reiter, und man hielt den goldenen Pajong über den Kopf des Königs. Und als der reiche Mann das sah, machte es ihm Kummer, dass ihm kein goldener Pajong über den Kopf gehalten wurde. Und zufrieden war er nicht. Er seufzte und rief: Ich wünschte, König zu sein. Und es kam ein Engel vom Himmel herab und sagte: Es sei, wie du gesagt hast. Und er war König. Und vor seinem Wagen ritten viele Reiter, und es waren auch Reiter hinter seinem Wagen, und über den Kopf hielt man ihm den goldenen Pajong. Und die Sonne schien mit heissen Strahlen und versengte das Erdreich, so dass der Grashalm verdorrte. Und der König klagte, dass die Sonne das Gesicht versenge, und dass sie Macht über ihn habe. Und zufrieden war er nicht. Er seufzte und rief: Ich wünschte, die Sonne zu sein. Und es kam ein Engel vom Himmel herab und sagte: Es sei, wie du gesagt hast. Und er war die Sonne. Und er sandte seine Strahlen nach oben und nach unten, nach links und nach rechts und nach überall. Und er versengte den Grashalm auf dem Erdreich und das Antlitz der Fürsten, die auf der Erde waren. Und eine Wolke stellte sich zwischen ihn und die Erde, und die Strahlen der Sonne wurden von ihr zurückgeworfen. Und er wurde zornig, dass seiner Macht widerstanden wurde, und er klagte, dass diese Wolke mächtiger war als er. Und zufrieden war er nicht. Er wollte die Wolke sein, die so mächtig war. Und es kam ein Engel vom Himmel herab und sagte: Es sei, wie du gesagt hast. Und er wurde eine Wolke und stellte sich zwischen Sonne und Erde und fing die Strahlen ab, so dass das Gras grün wurde. Und die Wolke regnete in grossen Tropfen auf das Erdreich und liess die Flüsse schwellen, und die Banjirs führten ihre Herden fort. Und er verwüstete durch so viel Wasser das Feld. Und er fiel herab auf einen Felsen, der nicht weichen wollte, und die Kraft seiner Ströme war eitel. Und zufrieden war er nicht. Er rief: Diesem Felsen ist mehr Macht gegeben als mir. Ich wünschte, dieser Felsen zu sein.

250

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Und es kam ein Engel vom Himmel herab und sagte: Es sei, wie du gesagt hast. Und er wurde ein Felsen und regte sich nicht, wenn die Sonne schien, und auch nicht, wenn es regnete. Und dann kam ein Mann mit Spitzhacke, mit scharfem Meissel und mit schwerem Hammer, der die Steine aus dem Felsen hieb. Und der Fels sagte: was ist das, dass dieser Mann Macht über mich hat und Steine haut aus meinem Schoss? Und zufrieden war er nicht. Er rief: Ich bin schwächer als dieser… ich wünschte, dieser Mann zu sein. Und es kam ein Engel vom Himmel herab und sagte: Es sei, wie du gesagt hast. Und er war ein Steinmetz. Und er schlug Steine aus dem Fels, in harter Arbeit, und er arbeitete sehr hart für wenig Lohn, und er war zufrieden. (Multatuli 1993, 228–230) 3.7.2.2. Lodewijk van Deyssel, Nieuw Holland In Nieuw Holland kritisiert Lodewijk van Deyssel die Literatur der älteren Generation: Nieuw Holland Een zekere hoeveelheid burgermenschen hebben in de laatste vijftig jaar in Holland een groote massa volzinnen doen drukken en verspreiden, eenige niet, andere wél rijmend, en hebben hiervan beweerd dat het proza en poëzie was, ofschoon het noch met proza noch met poëzie iets anders te maken heeft, dan dat zij er flauwe parodieën van genoemd kunnen worden. Zij hebben een hoop produkten geleverd, die overal bij de boekhandelaren te krijgen zijn, waarover in de koeranten geschreven wordt, die door de Hollandsche menschen gelezen, overdacht en met ernst en toegenegenheid besproken worden. Dat is een toestand die ergernis en walging verwekt. Het heele leven der thans officiëele Nederlandsche letterkunde is een voortdurende beleediging, der literatuur aangedaan. Daarom wenden wij ons tegen het gantsche vorige literatorengeslacht van Holland, behalve Multatuli en Huet, ook ik zonder die uit, Multatuli, lyriesch kunstenaar door de kracht van zijn mensch-zijn, Huet, wel geen kunstenaar en geen groot kritikus, maar de eenige verstandige letterkundige in een heel gezelschap domme lieden. Maar wat al de overigen betreft, wij schudden de handen van ons af, die zij op onze schouders mochten leggen, en schoppen er tegen zoo zij ze ons wilden reiken en spuwen op hun gedachten en lachen met hun begeestering. Mal volk van vijftigjarige zuigelingen, arme menschen uit een vervaltijdperk, gij, wien nooit éen groot gevoel heeft beheerscht, manken en krommen, die springt in de schichtige dansen van uw glazige zieltjens, vervelende kereltjes van ’t jaar nul, gij liefdelozen, hatelozen, hersen- en hartelozen. Het mooiste is, dat gij volstrekt niets zijt, dat gij volstrekt geen partij of zoo uitmaakt; die tegen u vecht, vecht met recht tegen windmolens, maar waarachtig, ik lach niet met Don Quichotte, wij zijn juist zoo verontwaardigd om dát gij niets zijt, wij willen u vernielen, om dat gij ons land gemaakt hebt tot een dorre hei, tot den spot van het buitenland, tot het ‚Europeesche China‘, en onze literatuur tot een sloot van kalme domheid, tot een riool van vunzige banaliteit.

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

251

Wij willen Holland hoog opstooten midden in de vaart der volken. Ik zeg dit niet zoo maar ‚dichterlijk‘ weg, maar ik zeg het precies zoo als ik het bedoel. Zoo als eens Griekenland was, zoo als Italië in de Renaissance, zoo als wij zelf eenigszins in de zeventiende eeuw, zoo willen wij het kleine land maken. (…). Komt dan op ons af, kudde buffels van de middelmatigheid, eigelijk zijt gij toch geen buffels, gij zijt over rekstokken hangende lappendekens, opgevuld met den wezenlozen wind van uw ‚gevoel van eigenwaarde‘. Wij nemen u en hangen u op aan de touwtjes van onze voorden-gek-houderij. Daar hangt gij dan, vellen zonder leven. Tusschenbeiden als het donker is zien wij u nog aan voor spoken, zoo als wij u daar hebben opgeborgen op de vliering van onzen geest, maar telkens komt de dag weêr, en wij zien, dat wij zonder vrees kunnen zijn. (Van Deyssel 1979, 29–31) Übersetzung: Eine gewisse Menge Bürger hat in den letzten fünfzig Jahren in Holland eine grosse Masse Sätze drucken und verbreiten lassen, einige nicht, andere schon reimend und hat hiervon behauptet, dass es Prosa und Poesie sei, obwohl es weder mit Prosa noch mit Poesie etwas anderes zu tun hat, als dass sie geschmacklose Parodien davon zu nennen sind. Sie haben eine Menge Produkte geliefert, die überall bei den Buchhändlern zu kriegen sind, worüber in den Zeitungen geschrieben wird, die von den holländischen Menschen gelesen, überdacht und mit Ernst und Zuneigung besprochen werden. Dies ist ein Zustand, der Verärgerung und Abscheu erweckt. Das ganze Leben der offiziellen Niederländischen Literaturwissenschaft ist eine fortwährende Beleidigung, die der Literatur angetan wird. Deswegen wenden wir uns gegen das ganze vorherige Geschlecht der Dichter Hollands, ausser Multatuli und Huet, auch ich sondere diese aus, Multatuli, lyrischer Künstler durch die Kraft seines Menschseins, Huet, wohl kein grosser Künstler und kein grosser Kritiker, aber der einzige vernünftige Literaturkenner in einer ganzen Gesellschaft dummer Leute. Aber was all die Übrigen betrifft, wir schütteln die Hände von uns ab, die sie auf unsere Schultern legen dürften und treten ab, sobald sie uns die Hand reichen wollten, und spucken auf ihre Gedanken und lachen mit ihrer Begeisterung. Lächerliches Volk von fünfzigjährigen Säuglingen, arme Menschen aus einer Epoche des Verfalls, ihr, die nie ein grosses Gefühl beherrscht hat, Hinkebeine und Bucklige, die in den scheuen Tänzen von euren glasigen Seelen springen, langweilige Kerle des Jahres null, ihr Lieblosen, Hasslosen, Gehirn- und Herzlosen. Das Schönste ist, dass ihr absolut nicht seid, was gegen euch kämpft, kämpft mit Recht gegen Windmühlen, aber wahrlich, ich lache nicht mit Don Quichotte, wir sind gerade so empört, weil ihr nichts seid, wir wollen euch zerstören, weil ihr unser Land zu einer trockenen Heide gemacht habt, zum Spott des Auslandes, zum ‚europäischen China‘ und unsere Literatur zu einem Graben von ruhiger Dummheit, zu einer Kloake von ekelhafter Banalität. Wir wollen Holland hoch hinaus bringen in den Lauf der Völker. Ich sage dies nicht einfach so ‚lyrisch‘, aber ich sage es genauso, wie ich es meine. So wie einst Griechenland war,

252

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

so wie Italien in der Renaissance, so wie wir selbst einigermassen im siebzehnten Jahrhundert, so wollen wir das kleine Land machen (…). Kommt dann auf uns zu, Herde Büffel der Mittelmässigkeit, eigentlich seid ihr doch keine Büffel, ihr seid über Reckstangen hängende Flickendecken, gefüllt mit dem wesenlosen Wind von eurem Selbstwertgefühl. Wir nehmen euch und hängen euch auf an den Seilen unserer Witze über euch. Dort hängt ihr dann, Felle ohne Leben. Zwischendurch wenn es dunkel ist, halten wir euch noch für Schreckgespenster, so wie wir euch dort aufbewahrt haben, auf dem Dachboden unseres Geistes, aber immer kommt wieder der Tag, und wir sehen, dass wir ohne Furcht sein können. 3.7.2.3. Albert Verwey, Stefan George Der mit Albert Verwey befreundete Stefan George übersetzte mehrere Gedichte des niederländischen Dichters, die 1905 in einem Band Zeitgenössische Dichter I erschienen, vgl. Sonderegger et al. 1985, 127 ff. Albert Verwey Mijn huis en verborgen wegen 2 De stilte die ik om mij voel als de avond Om mij, mijn huis en kalme duinen staat – Daar ’t tikken van de hangklok luider gaat – Dringt in me, heldrer mijn gedachten stavend. De stem van mijn gedachten tokt aldoor, Als ’t boblen door de tuit van ’t borlend water; Als ’t zingen van die onvermoeibre prater Beweegt en spreekt wat ik diep in mij hoor. Dichter, het zijn is schoon maar merk het worden. In u is al wat ge om u heen begeert. De schat die zich in eenzaamheid vermeert Zal op zijn tijd voor andren zichtbaar worden. Wat in uw cel bij ’t gele licht geschiedt Zal eenmaal in de zon zich openbaren. Het hoofd dat buigt over vermolmde blaren Verliest daarmee den lach van ’t leven niet.

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

En als u stemmen uit de doden spreken En gij hun luistrend zelf een dode lijkt, Schrik dan niet zeer als wen de nanacht wijkt Een levenskreet uw lippen uit zal breken. 3 Mijn land heeft meengen dag een grauwe lucht. Ik zit voor ’t raam en zie de neevlen leken. Ik hoor de golven uit hun dampen spreken En zoek ’t ommist geboomt van ʼt naast gehucht. Dan is in mij de nevel ook geboren. Ik zie de vormen die geducht en vaag Het hoofd opsteken, en een zee zwalpt traag, En dof gedreun doet uit haar diep zich horen. Dan, weet ik, is in mij van ’t volk de ziel Dat, lijfsoog altijd tussen neevlen starend, Altoos het geestoog op wat openbarend Uit zieleneevlen raadselt roerloos hiel’. Dat nooit in ’t blauw heelal de klare lijven Zag wandlen, levensblije goden-teelt, Maar steeds uit nevel die zich statig deelt Zijn vissersvolk en -vloot in zee zag drijven. De zon rees traag en scheen door dampen heen, Maar spleet – en in een gouden zee aan ’t gloren Zeilde de vloot tot al haar toebehoren Voor elk die ’t zag groot en verheerlijkt scheen. Zo zag mijn volk. Zo ziet zijn zoon na jaren. Dat is de schoonheid die hij in zich mint. Een gouden aard die zich uit neevlen windt. Een gouden zang uit dreun van donkre baren. (Sonderegger et al. 1985, 178–180)

253

254

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

Übersetzung von Stefan George: Mein Haus II Die stille die ich fühle wenn der abend Um mich mein haus und stille dünen steht Und das getick der hänguhr lauter geht – Dringt in mich, heller meinen geist begabend. Die stimme meines geists tickt ungestört Gleich eines wassers brodelndem gesiede, Gleich dieses nimmermüden plaudrers liede Bewegt und spricht was tief in mir sich hört. Dichter! das Sein ist schön – doch merk aufs Werden! In dir ist alles was du rings begehrt. Der schatz der sich in einsamkeit vermehrt Soll seiner zeit vor andren sichtbar werden. Was deine zelle sieht beim gelben licht Wird einmal sich in offner sonne zeigen. – Das haupt, gebogen auf vermorschten zweigen Verliert damit das frohe leben nicht. Wenn deine stimmen aus den toten sprechen, Wenn dein Selbst lauschend einem toten gleicht: Schrick dann nicht sehr wenn, so die nachnacht weicht, Ein lebensschrei aus deinem mund wird brechen. III Mein land hat manche tage graue luft, Am fenster seh ich wie der nebel schwimme – Aus ihrem dampf hör ich der wogen stimme, Um nahen dorfes bäume braut ein duft. Dann hat in mir der nebel sich gehoben: Es recken formen trüb und ungestalt Das haupt empor und eine see träg wallt – Aus tiefen höre ich ein dumpfes toben.

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

255

Dann ist in mir des volkes seel erregt Das – stets mit leibes-aug durch nebel staunend – Verkündigung aus seelennebeln raunend Im geistes-auge festhält unbewegt, Das nie im blauen All der klaren leiber Der Gottes-schöpfung klaren gang erkennt – Doch stets aus nebel der sich ständig trennt Sein fischervolk und schiff ins meer sah treiben. Die sonne hob sich träg durch dünste hin Die sie zerriss – die flotte in goldnem meer Zog längs der glut bis alles um sie her Dem der es sah gross und verherrlicht schien. So sah mein volk: so sieht sein sohn nach jahren. Das ist die schönheit die er in sich liebt: Ein goldnes land das sich aus nebeln schiebt, Ein goldner sang aus dröhnen dunkler baren. (Sonderegger et al. 1985, 179–181)

3.7.3. Briefe 3.7.3.1. Brief von Vincent van Gogh Kurz vor seinem Ableben schrieb Vincent van Gogh seiner Mutter den folgenden Brief: Saint-Rémy-de-Provence, woensdag 19 februari 1890 Beste Moeder, reeds dagen lang was ik van plan uw brief te beantwoorden maar van schrijven kwam niet door dat ik van s’morgens tot s’avonds zat te schilderen & zoo de tijd verliep. Naar ik me voorstel zult U even als ik ook veel in gedachten bij Jo en Theo zijn, wat was ik blijde toen de tijding kwam het goed was afgeloopen, erg best Wil gebleven was. Veel liever had ik gehad dat hij zijn jongen naar Pa had genoemd, aan wien ik dezer dagen zoo dikwijls dacht, dan naar mij, maar enfin nu het eenmaal zoo is heb ik dadelijk begonnen een schilderij voor hem te maken om in hun slaapkamer te hangen. Groote takken witte amandelbloessem tegen een blaauwe lucht. Ik dank U wel voor de berigten aangaande Cor. U zult wel niet vergeten hem voor mij te groeten als U schrijft. Wat U van Tante Mina schrijft trof mij, dat zij met zooveel geduld haar pijn verdraagt. Nu zult U wel weer in Leiden terug zijn. Deze laatste dagen hadden wij hier nog al triest weer maar vandaag was het een ware lentedag en de velden jong koren met de lilas heuvels in ’t verschiet zoo mooi en de amandel boomen

256

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

beginnen overal te bloeïen. Ik heb nog al erg verwonderd opgekeken van dat artikel dat zij over me geschreven hebben, – Isaäcson wou het in der tijd doen en ik verzocht hem het liever maar in de pen te laten, ik was er bedroefd door toen ik het las omdat het zoo zeer overdreven is; het zit anders in elkaar – wat mij draagt bij het werk is juist het gevoel dat er verscheiden zijn die net ’t zelfde doen als ik en waarom dan een artikel over mij en niet over die 6 of 7 anderen enz. Nu moet ik bekennen dat later toen mijn verwondering wat geweken was ik er bij wijlen erg door opgemonterd me gevoel, gisteren bovendien melde Theo me dat zij een van mijn schilderijen te Brussel verkochten voor 400 francs. In vergelijking van andere prijzen, ook de Hollandsche, is dit weinig maar ik tracht daarom productief te zijn om in de redelijke prijzen te kunnen blijven werken. En als we met onze handen ons brood moeten zoeken te verdienen heb ik heel wat kosten in te halen. Zooeven komt de brief van Wil en U, erg dank er voor. ik had u al eerder moeten schrijven doch zooals gezegd door nog al druk werk stond mijn hoofd zoo weinig naar schrijven. Nu denk ik er sterk over van het buitenkansje van t’verkoopen van dat sch maar te profiteeren om eens naar Parijs te gaan – om Theo eens te bezoeken. En dank zij de dokter hier ga ik in mijn gevoel kalmer & gezonder weg dan ik er kwam.– Eens te probeeren hoe ’t gaat buiten een gesticht is misschien nog al vanzelf sprekend. Het werk zal me mogelijk echter moeielijker vallen als ik weer op vrije voeten me zal bevinden. Enfin we willen ’t beste hopen. Het is wel zonderling dat mijn vriend met wien ik te Arles een tijd zamen werkte lust zou hebben naar Antwerpen te gaan en zoodoende ware ik weer wat digter bij U allen. Maar ik vrees dit is niet geheel uitvoerbaar, ook al omdat ’t meen ik kostbarer ware en als men hier gewend is aan ’t klimaat misschien de gezondheid ook tegen kon vallen, meer in ’t noorden terug. Enfin ik begin met eens een week of wat te Parijs te probeeren.– In gedachten omhelsd door Uw liefh. Vincent. [Vincent van Gogh], De brieven. De volledige, geïllustreerde en geannoteerde uitgave. Bd. 5: Saint-Rémy-de-Provence-Auvers-sur-Oise, 1889-1890. Hg. von L. Jansen/N.Bakker. Den Haag 2009, 202-203. Übersetzung: Saint-Rémy-de-Provence, Mittwoch, 19. Februar 1890 Liebe Mutter, schon einige Tage lang hatte ich vor, Euern Brief zu beantworten, aber zum Schreiben kam es nicht, da ich von morgens bis abends am Malen war und so die Zeit verging. Wie ich mir denke, sind Sie ebenso wie ich auch viel in Gedanken bei Jo und Theo, wie war ich froh, als der Bericht kam, dass es gut ausgegangen ist, sehr gut, dass Wil geblieben war. Viel lieber hätte ich gehabt, dass er seinen Sohn nach Vater genannt hätte, an den ich in diesen Tagen so

3.7. Spätere Textbeispiele aus dem 19. Jahrhundert

257

oft dachte, statt nach mir, aber da es nun mal so ist, hab ich unmittelbar begonnen, ein Bild für ihn zu machen, um es in sein Zimmer zu hängen, grosse Äste, weisse Mandelblüten auf blauem Himmel. Ich danke Ihnen sehr für die Berichte betreffend Cor. Sie werden wohl nicht vergessen ihn von mir zu grüssen, wenn Sie ihm schreiben. Was Sie von Tante Mina geschrieben haben, traf mich, dass sie mit so viel Geduld ihren Schmerz erträgt. Jetzt werden Sie betimmt wieder in Leiden zurück sein. Diese letzten Tage hatten wir hier ziemlich schlechtes Wetter, aber heute war es ein wahrer Frühlingstag und die Kornfelder mit den violetten Hügeln in der Weite so schön und die Mandelbäume beginnen überall zu blühen. Ich war ziemlich verwundert über den Artikel, den sie über mich geschrieben haben, – Isaäcson wollte es damals tun und ich bat ihn es lieber zu lassen, ich war darüber betrübt als ich es las, weil es so sehr übertrieben ist; die Sache liegt anders – was mir hilft beim Arbeiten ist gerade das Gefühl, dass es Verschiedene gibt, die dasselbe tun wie ich und warum dann ein Artikel über mich und nicht über die 6 oder 7 anderen etc. Nun muss ich eingestehen, dass später, als meine Verwunderung etwas vorbei war, ich mich hierdurch sehr ermuntert fühle, gestern berichtete Theo mir ausserdem, dass sie eines meiner Bilder in Brüssel für 400 francs verkauft haben. Im Vergleich zu den anderen Preisen, auch den holländischen, ist das wenig, aber ich bemühe mich deswegen produktiv zu sein, um mit vernünftigen Preisen weiter arbeiten zu können. Und wenn wir mit unseren Händen versuchen, unser Brot zu verdienen, muss ich noch ziemlich viele Kosten begleichen. Soeben kommt der Brief von Wil und Ihnen, vielen Dank dafür. Ich hätte Ihnen schon früher schreiben sollen, aber wie gesagt, durch noch ziemlich viel Arbeit stand mir der Kopf wenig nach Schreiben. Nun denke ich sehr darüber nach, um vom Glücksfall des Gemäldeverkaufs zu profitieren, mal nach Paris zu gehen – um Theo mal zu besuchen. Und dank dem Doktor gehe ich ruhiger und gesünder weg von hier als ich damals herkam. – Einmal versuchen, wie es draussen ausserhalb der Anstalt geht, ist vielleicht ziemlich selbstverständlich. Die Arbeit wird mir wahrscheinlich schwerer fallen, wenn ich mich wieder auf freiem Fuss befinde. Kurzum, wir wollen das Beste hoffen. Es ist wirklich sonderbar, dass mein Freund, mit dem ich in Arles eine Zeit lang arbeitete, nun scheinbar Lust hat, nach Antwerpen zu gehen, und so wäre ich wieder näher bei euch allen. Aber ich fürchte, dass das nicht ganz machbar ist, auch weil es, denke ich, teurer wäre und wenn man sich hier an das Klima gewohnt ist, es für die Gesundheit auch enttäuschend sein könnte, wieder im Norden zurück zu sein. Kurz und gut, ich beginne damit, mal einige Wochen Paris zu versuchen.– In Gedanken umarmt von Ihrem liebhabenden Vincent.

258

3. Fortschreitende Standardisierung des Niederländischen im 19. Jahrhundert

3.7.3.2. Brief von Herman Gorter an Willem Kloos Am 22. November 1888 schrieb Herman Gorter an Willem Kloos, dass er sein Gedicht Mei vollendet hatte: 22 november 1888 Amice! Het gedicht waaraan ik zoo lang bezig geweest ben is af. Nu zou ik het je graag eens laten lezen. Hoe kan dat het best gebeuren, kom je misschien weer eens over, binnen niet al te langen tijd? Het is lang en een groote moeite om over te schrijven, daarom zou ik het je wel liever vóórlezen. Antwoord mij hierop s.v.p. Kan het niet anders dan ik je wel een copie sturen. t.t. Herman Gorter. Enno Endt, Herman Gorter Documentatie, Amsterdam 1964, 158. Übersetzung: Ami! Das Gedicht, womit ich so lange beschäftigt war, ist fertig. Nun möchte ich es dich gerne lesen lassen. Wie geht das am besten, kommst du mich vielleicht demnächst mal besuchen? Es ist lang und es ist viel Arbeit, um es abzuschreiben, deswegen würde ich es dir wohl lieber vorlesen. Beantworte dies bitte. Wenn es nicht anders geht, werde ich dir eine Kopie schicken. Dein Herman Gorter.

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Wie in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt, hatten politische, kulturelle und sozialökonomische Erneuerungen der Gesellschaft im 19. Jh. Voraussetzungen geschaffen, die eine weite Verbreitung des gesprochenen und geschriebenen AN im 20. Jh. begünstigten. Dank der Lehrpflicht lernten fortan ganze Generationen von jüngeren Schülern die Verwendung eines kultivierten überregionalen Niederländisch. Unterrichtet wurden sie von sorgfältig an kweekscholen (‚pädagogischen Hochschulen‘) ausgebildeten Grundschullehrern. Nicht nur Kirche, Vereine oder Theater, sondern insbesondere auch die Massenmedien, namentlich Zeitungen und Veröffentlichungen in Buchform, hatten das AN für alle Bevölkerungsschichten zugänglich gemacht. Der zunehmende Personenverkehr ermöglichte Bürgern, die in weiterer Entfernung voneinander lebten, mehr und mehr zusammen im AN kommunizierten. Neue Kommunikationsmittel förderten zudem zusätzlich den Gebrauch der Schriftsprache. Das anfänglich als ABN bezeichnete ‚zivilisierte‘, gesprochene Niederländisch verbreitete sich im 20. Jh. zuerst langsam (vgl. 4.1.2.), dann nach dem Zweiten Weltkrieg immer rascher im gesamten niederländischen Sprachgebiet. Als allgemein akzeptierte Sprachform fand es neben Dialekten und Soziolekten sowohl in formellen als auch in informellen Kommunikationssituationen immer mehr Verwendung. So ersetzte das AN allmählich andere Sprachvarietäten in grösseren Teilen des niederländischen Sprachgebietes. Nicht nur die zunehmende Binnenmigration (vgl. 4.1.2.2.) und der wachsende Personenverkehr (vgl. 4.1.2.4.), sondern auch neue Medien wie Telefon, Rundfunk und, sei es weniger ausgeprägt, der Film bechleunigten diesen Prozess (vgl. 4.1.2.3.). Dass die Schriftsprache immer mehr ihr unnatürliches Gepräge verlor, zeigen Texte von experimentierfreudigen Schriftstellern und Dichtern, vgl. 4.1.3. Eine weitere Modernisierung der Orthografie, die u. a. die Beseitigung der künstlichen Kasusflexion mit sich brachte, trug dazu bei, vgl. 4.1.4. Flämische Politiker, Journalisten, Schriftsteller und Philologen strebten nach wie vor eine stärkere Stellung der Flamen und des Niederländischen in Belgien an, vgl. 4.1.6. Ihre erfolgreichen Anstrengungen führten zur territorialen Einsprachigkeit in Belgien, vgl. 4.1.7. So konnte sich das Niederländisch weiter als eine der nationalen Sprachen Belgiens etablieren. Zwar förderte die niederländische Verwaltung den Gebrauch des AN in Niederländisch-Ostindien. Die wenig beständige Sprachpolitik auf dem Archipel erzielte allerdings nur beschränkt Erfolg, vgl. 4.1.8. Zuerst sind einige politische und gesellschaftliche Änderungen zu beleuchten, die das Umfeld der Sprecher des Niederländischen mitbestimmten. Anders als Belgien blieben die Niederlande von der Gewalt des Ersten Weltkrieges verschont. Der Zweite Weltkrieg hingegen bedeutete eine Zäsur in der niederländischen Geschichte.

260

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen 4.1.1. Die Niederlande bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1900–1945) Allmählich wurden weitere Schichten der Bevölkerung in den Niederlanden mündig. Dies zeigte sich, als 1903 das Eisenbahnpersonal aus Solidarität mit den Amsterdamer Hafenarbeitern den Betrieb bestreikte. Zwar konnten die Arbeitnehmer ihre Forderungen durchsetzen, die Regierung Kuypers verbot aber im Gegenzug das Streikrecht für staatliche Angestellte. Inzwischen durften dank Anpassungen des Wahlgesetzes immer mehr Männer wählen. Es war eine Gesellschaft entstanden, die sich durch aus lebensanschaulichen Überzeugungen gewachsene Strukturen kennzeichnete. Einzelne Gruppierungen wie die Liberalen, die Reformierten, die Katholiken oder die Sozialisten verfügten über eigene Vereine, eigene politische Parteien und eigene Zeitungen. Verschiedene Arbeitnehmerverbände hatten sich nebeneinander etabliert, mehrere Gruppierungen, so auch abgespaltene Kirchen betreuten eigene Schulen, die verzuiling (‚Entstehung von Säulen‘) im Sinne einer Herausbildung erstarrender gesellschaftlicher Säulen schritt fort. Am 31. Juli 1914 mobilisierten die Niederlande das Heer und die Flotte mit dem Ziel, die Neutralität zu verteidigen. Die Krieg führenden Länder, die bei einem Angriff wenig gewinnen konnten, anerkannten die Neutralität der Niederlande, so wirkte sich der Erste Weltkrieg hier hauptsächlich wirtschaftlich aus. Der internationale Handel brach grösstenteils zusammen, Nahrungsmittelknappheit drohte, Hundertausende Flüchtlinge aus Belgien erhielten vorübergehend Unterkunft. Wohl dank einem in Kriegszeiten gesteigerten nationalen Zusammengehörigkeitsgefühl stimmten die Volksvertreter nun Kompromisslösungen zum Schulstreit und Wahlrecht zu. So wurde gegen die Überzeugungen der christlichen Parteien 1917 das allgemeine Wahlrecht für Männer eingeführt, zudem waren fortan sowohl Männer als auch Frauen wählbar. Trotz früherer Bemühungen der am Ende des 19. Jh. entstandenen, weit verbreiteten feministischen Bewegung erhielten die Frauen erst 1919 Stimmrecht. Um die benötigten Mehrheiten für solche Demokratisierungen im Parlament zu erlangen, mussten die Liberalen und Sozialisten ihrerseits der staatlichen Unterstützung von bijzonder onderwijs (‚Spezialunterricht der privat gegründeten, meistens konfessionellen Schulen‘) zustimmen. Das Kriegsgeschehen, so die Versenkung von Schiffen neutraler Länder durch deutsche U-Boote oder die Beschlagnahmung niederländischer Schiffe durch die Alliierten, stellte die Neutralitätspolitik auf eine harte Probe. Politisch heikel war es auch, dass die Niederlande dem deutschen Kaiser und dem Kronprinzen gegen Kriegsende Asyl gewährten. Dass die Regierung zudem den Durchmarsch von 70.000 entwaffneten deutschen Soldaten durch niederländisches Limburg gestattete, rief scharfe Proteste Belgiens und Frankreichs hervor, Belgien erhob nach dem Krieg gar Anspruch auf niederländische Gebiete. Nachdem Ende Oktober 1918 unter niederländischen Soldaten, die mangelhafte Verpflegung erhielten und deren Urlaub gesperrt wurde, eine Meuterei ausbrach, stiftete Troelstra, wohl durch die Meuterei der deutschen Mat-

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

261

rosen in Kiel inspiriert, zur Revolution an. Sein schlecht vorbereitetes Unternehmen wurde aber weder von der Bevölkerung noch von seiner Partei getragen. Während einer Kundgebung im Haag kehrte das Publikum sich gegen einen Umsturz, jubelte dafür Königin Wilhelmina, die seit 1898 im Amt war, und ihrer Tochter Juliana begeistert zu. Dennoch hatte Troelstras vergissing (‚Troelstras Irrtum‘) zur Folge, dass die Regierung die Einführung sozialer Gesetze, so den achtstündigen Arbeitstag sowie die Alters-, Invaliditäts- und Krankheitsversicherung, beschleunigte. In der Nachkriegszeit erholte sich die Wirtschaft, auch dank der internationalen Nachfrage anfänglich rasch. Der Export von Schiffen stieg an, die Landwirtschaft erzielte mit dem Export ansehnliche Gewinne, das Transportwesen nahm an Bedeutung zu. Niederländische Grossunternehmen, die sich auch international etabliert hatten, vergrösserten ihre Umsätze, Shell produzierte Erdölerzeugnisse, die Algemene Kunstzijde Unie begann synthetische Stoffe herzustellen, Philips fertigte elektronische Geräte an, die Margarine Unie, die 1929 mit Lever Brothers zu Unilever fusionierte, setzte Lebensmittel ab, die Hoogovens erzeugten Stahl. Der Bau des Flughafens Schiphol und die Gründung der KLM 1919 kündigten eine Erweiterung der Verkehrsverbindungen an, der Strassenbau förderte den Personen- und Lastkraftwagenverkehr. Es stellt sich die Frage, wie es um Ausbildung und Beherrschung der Muttersprache der wachsenden Klasse der Arbeitenden in Lohndienst bestellt war, vgl. 4.1.2.1. Die Modernisierung der niederländischen Industrie bewirkte dank der neuen sozialen Gesetzgebung eine Verbesserung der Lebensumstände, politische Gegensätze hatten sich entschärft. Die Migration nahm zu, wer Arbeit suchte, siedelte nach Städten um, wo Personal gefragt wurde. Als Transportmittel für den Arbeitsweg diente neben Tram, Bus und Bahn das Fahrrad. Vermögende Bürger liessen sich in eleganten ländlichen Ortschaften wie Aerdenhout oder in einem Landstrich wie Het Gooi nieder und beschafften sich Autos. Migration und Mobilität begünstigten die Verbreitung des allgemeinen Niederländischen. Sodann intensivierte sich nach der Eröffnung des Suezkanals und dem Einsatz motorisierter Schiffe der Verkehr mit den Kolonien und mit dem Rest der Welt, so durch Schiffslinien wie Stoomvaart Maatschappij Nederland, Vereenigde Nederlandsche Scheepvaartmaatschappij, Holland-Amerika Lijn oder Rotterdamsche Lloyd. Die Infrastruktur in den überseeischen Gebieten wurde zunehmend besser. So kam ein umfangreiches Netz von Schiffslinien zwischen den Inseln in Asien der wirtschaftlichen Aktivität zugute, Waren aus den Kolonien fanden weltweit Absatz. Vermehrt hatten sich internationale Betriebe in den niederländischen Gebieten Asiens niedergelassen, Produkte wie Chinin, Pfeffer, Kapok, Gummi, Zucker, Kaffee oder Erdöl fanden globalen Absatz. Durch die verbesserten Verkehrsverbindungen stieg mit dem ausländischen Anteil der Bevölkerung auch die Zahl der ansässigen Niederländer. So wohnten 1820 nur zirka 2.000 Niederländer in Niederländisch-Ostindien, 1870 waren dies ungefähr 4.000 auf eine Gesamtzahl von 35.500 Europäern, Anfang des 20. Jh. lebten über 90.000 Niederländer im Archipel. Ende der Dreissigerjahre lebten nur schon auf Java und Madura neben den 41 Millionen Einheimischen über 1,5 Millionen Migranten. Sie stammten grösstenteils aus China und Japan, nur zirka 300.000 kamen aus den Niederlanden. Es ist somit nicht verwunderlich, dass das Niederländische, das von den Behörden hier nur in beschränktem Ausmass gefördert wurde, in diesem Teil der Welt eine geringe Rolle spielte, vgl. 4.1.8.

262

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Allmählich konnte mancher Bürger sich den Luxus eines Rundfunkgerätes leisten, die Ausstrahlung regelmässiger Programme hatte bereits 1918 begonnen. Rasch entwickelte sich der Hörfunk zu einem Massenmedium, zwischen 1927 und 1936 verkaufte nur schon die niederländische Industrie eine halbe Million Rundfunkempfänger. Da die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen mit eigenen Rundfunkgesellschaften ihre Programme ausstrahlten, verstärkten sich die von der jeweiligen Lebensanschauung geprägten verzuilde gesellschaftlichen Strukturen. Neben Medien wie Zeitung, Telefon und Telegraf trug der Hörfunk zur Verbreitung des Allgemeinen Niederländischen, insbesondere der gepflegten gesprochenen Sprache bei. Bereits in der Mitte des 19. Jh. hatte der technische Fortschritt es ermöglicht, einen grösseren See wie die Haarlemmermeer (‚Haarlemsee‘) einzudeichen und trockenzulegen. Nach umfangreichen Überflutungen beschleunigte der Staat nun den anspruchsvollen Bau des Afsluitdijk, eines Dammes zwischen Friesland und Nord-Holland, der das Hinterland besser gegen das Meer schützte. In dem 1932 so entstandenen IJsselmeer wurden weitere Gebiete trockengelegt, Bauernfamilien erhielten in dieser Krisenzeit die Chance, Betriebe auf dem Boden der ehemaligen Zuiderzee aufzubauen. Die wachsende Bevölkerung dieser Region, die heute die Provinz Flevoland bildet, setzt sich aus Sprechern unterschiedlicher Gegenden der Niederlande zusammen. Auch in den Niederlanden hatte die weltweite Finanzkrise 1929 den wirtschaftlichen Abschwung eingeläutet. Die in den Dreissigerjahren vom orthodox-christlichen Hendrik Colijn geleiteten Regierungen, die ihre Politik anfänglich auf die Verteidigung des Goldstandards ausrichteten, vermochten keine Abhilfe zu bringen. Von der Regierung durchgeführte Sparmassnahmen brachten nicht nur Kürzungen der Saläre von Beamten und Lehrpersonal, sondern führten auch zum Herabsetzen der Arbeitslosenunterstützung. Schwere Krawalle, die 1934 in Amsterdam ausbrachen, unterstrichen, wie ernst die Lage wurde. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im folgenden Jahr bis zu einer halben Million an. Von der Unzufriedenheit unter der Bevölkerung profitierte der nationalsozialistische NSB kurzfristig: er erhielt bei den Wahlen von 1935 acht Prozent der Stimmen, bei späteren Wahlen halbierte sich diese Zahl jedoch. Nachdem Deutschland 1936 unter Verletzung des Vertrages von Locarno das Rheinland besetzt hatte, veranlassten die zunehmenden internationalen Spannungen Colijn, die niederländische Bevölkerung in einer Radioansprache zu beruhigen. Als nachträglich völlig verfehlt sollte sich der häufig zitierte Schluss seiner Rede herausstellen: Ik verzoek den luisteraars dan ook om wanneer ze straks hunne legersteden opzoeken, even rustig te gaan slapen als ze dat ook andere nachten doen. Er is voorshands nog geen enkele reden om werkelijk ongerust te zijn. (‚Ich bitte die Zuhörer denn auch, wenn sie nachher ihre Lagerstätten aufsuchen, genau so ruhig schlafen zu gehen, wie sie dies auch andere Nächte tun. Vorläufig besteht kein einziger Grund, um sich ernsthaft Sorgen zu machen‘.) Wie während des Ersten Weltkriegs bewirkte die international so bedrohliche Lage einen nationalen Zusammenschluss. Die Massenbewegung Eenheid door Democratie (‚Einheit durch

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

263

Demokratie‘) mobilisierte gegen Faschismus und Kommunismus, das von Menno ter Braak gegründete Comité van waakzaamheid warnte die Bevölkerung ebenfalls vor den Gefahren diktatorischer Regime. Das Zusammengehörigkeitsgefühl äusserte sich auch in Anhänglichkeitsbezeugungen dem Königshaus gegenüber, insbesondere beim Tode der Königinmutter Emma und des Prinzgemahls Hendrik, bei der Heirat von Wilhelminas Tochter Juliana mit Bernhard von Lippe Biesterfeld sowie bei den Geburten der Prinzessinnen Beatrix und Irene. Kurz vor dem deutschen Einmarsch in Polen, als die niederländische Königin Wilhelmina und König Leopold von Belgien noch internationale Vermittlungsgespräche angeboten hatten, verkündete die niederländische Regierung 1939 die allgemeine Mobilmachung. In den folgenden Monaten verlor die Handelsflotte zwei Dutzend Schiffe, die Kriegshandlungen wurden auch für die Niederlande immer bedrohlicher. Trotz offizieller Zusicherungen, die Neutralität zu respektieren, griff Deutschland die Niederlande am 10. Mai 1940 an. Gegen den Blitzkrieg des mit modernen Tanks und Flugzeugen ausgerüsteten deutschen Heeres vermochte die niederländische Armee zu wenig auszurichten. Die Verteidigung strategisch wichtiger Stellungen wie am Afsluitdijk, auf dem Grebbeberg und bei den Moerdijkbrücken veranlassten die Deutschen, Rotterdam zu bombardieren. Der rücksichtslose Vernichtungsangriff auf die Zivilbevölkerung, der Hunderte Menschenleben forderte und das historische Stadtzentrum zerstörte, leitete die Kapitulation am 14. Mai ein. Regierung und königliche Familie setzten sich nach England ab, anders als in Belgien übernahm eine Zivilverwaltung unter Führung eines Reichskommissars, des Österreichers Seyss Inquart, von der Bevölkerung als zes-en-een-kwart (‚sechs und ein Viertel‘) verspottet, die Regierungsgeschäfte. Bald machte sich die Unterdrückung durch die neuen Machthaber bemerkbar. Sie beschlagnahmten Lebensmittel und Güter, hoben politische und gesellschaftliche Organisationen auf, gründeten eine nazistische Kulturkammer und zensurierten Presse sowie Rundfunk. Sodann beförderte die Besatzungsmacht mit der Hilfe von Kollaborateuren des NSB über 400.000 Männer nach Deutschland zur Zwangsarbeit in der Kriegsindustrie. Zu den Bürgern, die sich politisch nicht abseits hielten, gehört der Leidener Professor R.P. Cleveringa, der bereits im Herbst 1940 in einem Vortrag gegen Diskriminierung seiner Mitmenschen protestierte, indem er die von den Behörden angesagte Entlassung jüdischer Kollegen öffentlich ablehnte. Daraufhin bestreikten die Studenten die Universität, die in der Folge geschlossen wurde. Allmählich organisierten sich vereinzelt Widerstandsgruppen, die untergetauchten Mitbürgern halfen und versuchten, die Macht des Feindes zu untergraben. Oft gingen sie aus den alten, von unterschiedlichen Weltanschauungen bestimmten gesellschaftlichen Säulen hervor. Dies zeigt sich bei der Herausgabe von illegalen Blättern, vgl. 4.1.2.3.1., wie dem unabhängigen Vrij Nederland (‚Freie Niederlande‘), dem reformierten Trouw (‚Treue‘), dem sozialdemokratischen Het Parool (‚Die Parole‘) oder dem kommunistischen De Waarheid (‚Die Wahrheit‘). Gewaltakte gegen Niederländer jüdischen Glaubens lösten 1941 in Amsterdam, dann auch in anderen Städten die von Kommunisten organisierten Februar-Streiks aus. Es folgten Jahre des Terrors, über 3000 Bürger wurden standrechtlich erschossen, von den zirka 130.000 in Konzentrationslager verschleppten Niederländern überlebte nur ein Bruchteil. Einige niederländische Bevölkerungsgruppen wurden ausserordentlich schwer getroffen, 80 % sämtli-

264

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

cher Niederländer jüdischer Herkunft, 25 % der Kommunisten, 25 % der Zeugen Jehovas und 5 % der Sinti und Roma wurden umgebracht. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 erklärte auch die niederländische Exilregierung in London Japan den Krieg. Die alliierte Front konnte die Japaner nicht daran hindern, grosse Teile Südostasiens zu erobern, am 10. Januar 1942 griff Japan dann Niederländisch-Ostindien an. Während der Javasee-Schlacht ging die niederländische Flotte unter, die Japaner nahmen den Archipel ein, am 8. März erfolgte die Kapitulation. Über 2500 Seeleute und Soldaten der Kolonialmacht waren gefallen. Kriegsgefangene und europäische Immigranten wurden interniert, viele Tausende liessen ihr Leben im Grauen der Lager. Die neuen Machthaber beuteten die Ressourcen auf Kosten der Bevölkerung aus. Mehrere Hunderttausende Einheimische wurden zur Zwangsarbeit eingezogen, die vermutlich mehr als eine halbe Million Menschenleben forderte. Trotzdem verhielt sich die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung den Japanern gegenüber gleichgültig, nur kleinere Gruppen der Inländer, so die Molukkers (‚Einwohner der Molukken‘), waren pro-niederländisch. Dagegen paktierten Befürworter einer indonesischen Unabhängigkeit, so Sukarno, mit den Japanern. Im Laufe des Jahres 1944 konnten die alliierten Truppen noch den Süden der Niederlande befreien, der gescheiterte Versuch, Anfang September Arnheim und die Rheinbrücke zu erobern, verzögerte allerdings die Einnahme der ‚Festung Holland‘. Die darauffolgende Schreckensherrschaft im Norden forderte weitere Opfer, zudem kamen durch Kälte und Nahrungsmangel während des ‚Hungerwinters‘ über 20.000 Menschen um. Schliesslich befreiten britisch-kanadische, amerikanische und polnische Truppen auch diesen Teil der Niederlande, die deutsche Kapitulation erfolgte am 5. Mai 1945. Erst nach den amerikanischen Atomangriffen kapitulierte Japan am 15. August, zwei Tage später rief Sukarno die Republik Indonesia aus. Bald bekämpfte der niederländische Kolonialherr die Aufständischen während zwei Grosseinsätzen mit schweren militärischen Mitteln. Dagegen begann in der Heimat die Zeit des Wiederaufbaus und der Versöhnung. Internationale Abkommen wie der Benelux- und der EGKS-Vertrag besiegelten bald die freundschaftlichen Beziehungen mit den benachbarten Staaten, vgl. 4.3.1.

4.1.2. Zunehmende Verwendung des Allgemeinen Niederländischen Seit Anfang des 20. Jh. kam eine wachsende Zahl von Angehörigen der niederländischen Sprachgemeinschaft nicht nur mit dem AN in Berührung, sondern eigneten sich diese ‚zivilisierte‘ Form des Niederländischen allmählich neben dialektischen und soziolektischen Sprachvarietäten an. Voraussetzung dazu war, dass das AN zunehmend von immer mehr Sprechern durch Lesen und Hören rezipiert wurde. Nicht nur der Unterricht, sondern auch die Medien erfüllten diesbezüglich eine wichtige Aufgabe. Dialekte und Regiolekte, die man im vom überregionalen Niederländischen überdachten geographischen Dialektkontinuum unterscheidet, verloren als Kommunikationsmittel an Bedeutung. Es handelt sich dabei um holländische, brabantische, ostflämische, westflämische, kleverländische, seeländische und limburgische Sprachvarietäten, die J. Daan in 28 Mundarten unterteilt (Entjes, 1974), vgl. Abb. 14.

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

265

Abb. 14: Dialekte nach Jo Daan.

1 3 5 7 9 11

Südholländisch Waterländisch Westfriesisch-Nordholländisch Seeländisch Westflämisch, Seeländisch-Flämisch Ostflämisch

2 4 6 8 10 12

Kennemerländisch Zaans Utrechts-Alblasserwaards Westhoeks Dialekt zwischen West- und Ostflämisch Dialekt zwischen Ostflämisch und Brabantisch

266

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

13 Südgelderländisch 15 Brabantisch 17 Limburgisch 19 Gelderländisch-Overijssels 21 Twentisch 23 Süddrents 25 Kollumerländisch 27 Friesisch* *als Sprache zu verstehen

14 16 18 20 22 24 26 28

Nordbrabantisch, Nordlimburgisch Dialekt zwischen Brabantisch und Limburgisch Veluws Twentisch-Graafschaps Stellingwerfs Mittedrents Gronings, Norddrents Bildts, Stadtfriesisch, Midsländisch, Ameländisch

Sie lassen sich klassifizieren als: (1) nördliche zentrale Dialekte in den grössten Teilen der Provinzen Nord- und Südholland sowie Utrecht; (2) nordwestliche Dialekte auf den südholländischen Inseln und den nicht-friesischen Watten-Inseln sowie in Nordholland nördlich des IJ-Flusses; (3) südliche zentrale Dialekte in Westflandern, Brüssel, Antwerpen, in einem Teil Ostflanderns, im niederländischen Brabant sowie im südlichen Teil Gelderlands; (4) südwestliche Dialekte in Teilen West- und Ostflanderns und Seelands sowie vom Französischen überdachte südwestliche Varietäten in Französisch-Flandern; (5) nordöstliche Dialekte in Groningen, Drenthe und Overijssel, im nordöstlichen Teil Gelderlands sowie im Südosten Frieslands; (6) südöstliche Dialekte in Limburg und in einigen nordbrabantischen Städten (vgl. Willemyns 2013, 152 ff). Die Problematik der Abgrenzung von Dialekten und Regiolekten soll in diesem Rahmen übrigens nicht näher erörtert werden. In grösseren Teilen des niederländischen Sprachgebietes, namentlich in der Randstad gewöhnten sich die Sprachteilnehmer allmählich daran, in formellen Kommunikationssituationen das ‚gepflegte‘ überregionale Niederländisch zu verwenden. Bald wurden in mehreren Regionen Dialekte weniger oder gar nicht mehr in einer formellen Sprachdomäne gebraucht. Dadurch konnten Soziolekte und Mundarten an Ansehen verlieren. Dies gilt insbesondere für jene Sprachvarietäten, die in Volksvierteln holländischer Grossstädte vorkommen, wie beispielsweise das plat Haags, plat Rotterdams oder plat Amsterdams (‚gemeiner Haager, Rotterdamer‘ beziehungsweise ‚Amsterdamer Stadtdialekt‘). Sprecher anderer Varietäten des Niederländischen missbilligten solche in ihren Augen ‚unzivilisierte‘ Formen des Niederländischen. In der Folge verzichtete eine zunehmende Zahl der Niederländer mehr und mehr auf die Verwendung derartiger lokaler Sprachformen. Ebenfalls mieden sie vermehrt den Gebrauch regionaler Sprachvarietäten, auch wenn die nach wie vor in den jeweiligen Sprachlandschaften Prestige besassen. Die weniger Privilegierten versuchten in ihrem Drang, sozial aufzusteigen, sich der gepflegten Sprache der angesehenen Bürger anzupassen. Dabei galt die Sprache der Gebildeten der Grossstädte Hollands nach wie vor als nachahmungswürdig. Dieser komplexe Prozess, der im 19. Jh. einsetzte, vollzog sich im 20. Jh. zuerst langsam. So war es in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass man in allen Sprachdomänen AN sprach. Mancher hielt sogar das Schauspielhaus für den einzigen Ort, wo ‚reines‘ Niederländisch zu hören war, vgl. 4.1.2.3.4. Die Verwendung des AN wäre denn auch in allen Bereichen der Gesellschaft zu fördern wie ein nationalistischer Verein wie der Dietsche Bond (‚Niederländischer Bund‘) noch Anfang der Dreissigerjahre verlangte:

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

267

Het behoort tot een gezond volksleven, dat niet slechts in het gezin, maar overal, in kerk en school, in schouwburg en inrichting van vermaak, de eigen taal wordt gesproken. (Dibbets 1993 [b], 90) (‚Es gehört zum gesunden Volksleben, dass nicht nur in der Familie, sondern überall, in der Kirche und der Schule, im Schauspielhaus und in Häusern, die Zerstreuung bieten, die eigene Sprache gesprochen wird.‘) Anhänger des Bundes meinten, dass Fremdeinflüsse das Niederländische als ‚Kulturschatz‘ gefährdeten und die ‚Reinheit‘ der eigenen Sprache antasten würden. Die Sorgen um die Muttersprache teilten auch weniger nationalistsch gesinnte Bürger und führten zur Gründung der Genossenschaft Onze Taal (‚Unsere Sprache‘), die für die Interessen des Niederländischen eintrat. Sie begann 1931 die gleichnamige Zeitschrift zu veröffentlichen. Nur wenige Jahrzehnte später hätte eine Aufforderung, möglichst in jeder Situation Niederländisch zu sprechen, Unverständnis ausgelöst, als die Verwendung des AN zur Selbtsverständlichkeit geworden war. In einem Zeitabschnitt von nicht mehr als zwei oder drei aufeinanderfolgenden Generationen verdrängte das gesprochene AN in einer zunehmenden Zahl von niederländischen Familien andere bis dahin unter Verwandten verwendete Sprachvarietäten: Enkelkinder, die in der Mitte des 20. Jh. aufwuchsen, würden dialektische Varietäten ihrer Grosseltern zwar noch verstehen, hingegen sie höchstens der älteren Generation gegenüber noch verwenden. Eine nächste Generation konnte dadurch nicht mehr in der ursprünglichen Sprache der Vorfahren kommunizieren. So wurde AN zur dominanten Sprache in grösseren Teilen des niederländischen Sprachgebietes, namentlich in der Randstad. In anderen Regionen, so beispielsweise im Osten und Süden der Niederlande oder in Flandern, kamen Dialekte durch den zunehmenden Gebrauch der überregionalen Sprache in Bedrängnis. Auch in Friesland verstärkte sich das AN neben der friesischen Sprache. Diese sprachlichen Vorgänge werden von unterschiedlichen, komplex zusammenhängenden, äusseren sprachhistorischen Grössen geprägt. Zwar lassen sie sich einzeln nur schwer gewichten, dennoch darf man für die Stärkung der Stellung des AN der Einführung des obligatorischen Unterrichtes, der Binnenmigration, der Entwicklung der Massenmedien und dem zunehmenden Personenverkehr besondere Bedeutung beimessen. 4.1.2.1. Obligatorischer Unterricht Dank der 1901 in den Niederlanden eingeführten Schulpflicht lernen seit Anfang des 20. Jh. in allen Regionen, auch in Friesland Jugendliche sämtlicher sozialen Klassen im Alter von sechs bis zwölf, das AN besser zu beherrschen. Schreib- und Leseunterricht stehen beim Unterricht des Niederländischen an der Grundschule nach wie vor im Mittelpunkt. So setzen sich seit vielen Generationen auch junge Sprecher von Dialekten täglich mit dem AN als Schulsprache auseinander. Die Schulpflicht wurde 1969 auf insgesamt neun, 1975 auf zehn Jahre verlängert. Zudem müssen Kinder seit 1985 den Unterricht der Grundschule ab fünfjährig besuchen. Ausserdem gilt für junge Menschen ohne Schulabschluss seit 2007 eine Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr. Übrigens ist ein beachtlicher Teil der Bewohner des niederländischen Sprachgebietes laaggelet-

268

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

terd, d. h. dass ihnen Lesen und Schreiben erhebliche Mühe bereitet. Nur schon in den Niederlanden schätzt man, dass heute über eine Million Menschen grössere Schwierigkeiten mit diesen kommunikativen Fertigkeiten haben. In Belgien förderte die Schulung der Jugendlichen die Verbreitung des Niederländischen ebenfalls. Hier besteht seit 1914 für Kinder ab dem sechsten Lebensjahr der obligatorische Unterricht, der in der Schule oder privat stattfinden kann. 1983 wurde diese Verpflichtung verlängert und gilt seither bis zum 18. Lebensjahr. In Flandern müssen seit 2008 Kinder, die Niederländisch ungenügend beherrschen, vor Eintritt in die Grundschule zudem ein Jahr einen niederländischsprachigen Kindergarten besuchen. 4.1.2.2. Bedeutung der Binnenmigration für das AN im Norden Durch Binnenmigration und Ehen zwischen Partnern aus unterschiedlichen Regionen ging der Gebrauch von Dialekten zugunsten der Verwendung des AN zurück. Mit dem Bevölkerungswachstum stieg die inländische Migration, die namentlich durch den zunehmenden Bedarf an Arbeitskräften in der Industrie (vgl. 4.1.1.) stark angekurbelt wurde. So nahm die gemischte Bevölkerung der niederländischen Städte, die ein dialektneutrales Niederländisch sprach, zu. Dagegen schrumpfte die Zahl der Einwohner ländlicher Gegenden, wo nach wie vor auch regionale und lokale Varietäten des Niederländischen gängig waren. Junge Männer, die aus sämtlichen urbanisierten und ländlichen Regionen stammten, kamen übrigens dank der seit der französischen Zeit bestehenden Wehrpflicht, die ab 1898 als persönliche Verpflichtung galt, während einer längeren Zeit mit dem AN in Berührung. In dieser Periode, die nicht selten zwei Jahre dauerte, konnten sie sich an die Kommunikation in Formen des überregionalen Niederländisch gewöhnen. 1997 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Die niederländische Bevölkerung war 1900 auf fünf, 1910 auf fast sechs Millionen gewachsen. Im Vergleich zu 1840 bedeutete dies eine Verdoppelung der Einwohnerzahl. Um die Jahrhundertwende war nur noch ein Drittel aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt, kleine gewerbliche Betriebe gingen zum Teil ein. Dafür nahm die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie, namentlich im Maschinen- und Schiffsbau, in der Elektrotechnik, in Textilfabriken, im Baugewerbe und in den Minen stark zu. In der Folge liessen sich Einwohner der ländlichen Gegenden in industriellen Zentren und in Städten nieder. Wie stark die Zahl der Zuwanderer in den holländischen Grossstädten seit 1900 zunahm, zeigt sich am Beispiel Rotterdam. Hier siedelten sich jährlich bald mehr als 20.000 inländische Migranten an. Sie setzten sich vornehmlich aus Dienstboten, Bauern, Heimarbeitern und arbeitslosen Torfarbeitern zusammen. Die Hälfte dieser Immigranten stammte aus der Provinz Südholland, die übrigen kamen hauptsächlich aus den Provinzen Zeeland, Nordbrabant und Gelderland. Sie und ihre Nachkommen sollten in Formen des Niederländischen kommunizieren, die oft erheblich von den Sprachvarietäten ihrer Vorfahren abwichen. Dies trifft allerdings nicht für die zirka eine Million Belgier zu, die nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in die Niederlande flüchteten. Von ihnen verblieben lediglich zirka 100.000 vorübergehend in Auffanglagern bis zur Rückkehr in die Heimat. Unterdessen wuchs die Bevölkerung stark, in den Dreissigerjahren zählten die Niederlande acht Millionen Einwohner. Das stärkste Wachstum weist in der Zwischenkriegszeit der zentrale

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

269

Westen auf: nur schon Südholland hatte 1930 gegen zwei Millionen Einwohner. Kennzeichnend für diesen Zeitabschnitt ist die stark zunehmende Binnenmigration (vgl. Beukers, Bosatlas 2011, 392). Nach wie vor waren für die Migranten die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen ein Grund umzuziehen. Sie liessen sich nicht nur in den holländischen Grossstädten nieder, sondern auch in städtischen Agglomerationen wie Breda, Tilburg, Eindhoven, Heerlen und Enschede. 4.1.2.3. Entwicklung der Massenmedien Zur Verbreitung und weiteren Vereinheitlichung des AN haben die Massenmedien im 20. Jh. einen entscheidenden Beitrag geliefert. Die Entfaltung der Medien und ihre Bedeutung für das Niederländische sollen hier anhand einiger weniger Beispiele näher erkundet werden. In diesem Rahmen ist allerdings auf eine umfassende Darstellung der Entwicklung der Medien im niederländischen Sprachgebiet zu verzichten. Die erste Hälfte des 20. Jh. darf man als glorietijd van het gedrukte woord (‚Glanzzeit des gedruckten Wortes‘, vgl. J. Bel 2015, 24) bezeichnen. Allmählich wurde es zur Gewohnheit fast der gesamten Bevölkerung, sieht man von den 1,3 % funktionaler Analphabeten ab, gedruckte Medien, seien es Zeitungen, Zeitschriften, oder Bücher zu lesen. Erneuerungen in der Literatur und sprachliche Experimente von Schriftstellern konnten von einer zunehmenden Zahl von Lesern beobachtet werden. Das dialektfreie überregionale gesprochene Niederländisch wurde im 20. Jh. professionell auf der Bühne vermittelt. Hinzu kam, dass in den Zwanziger- und Dreissigerjahren der Rundfunk zu einem Massenmedium heranwuchs. Zur Verbreitung des gesprochenen AN trug er entscheidend bei. Das gilt weniger für den Film: neben niederländischen Filmen waren fremdsprachige Tonfilme beliebt, die aber häufig untertittelt statt synchronisiert wurden. 4.1.2.3.1. Presse Seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. entfaltete sich die niederländischsprachige Presse u. a. dank der Beseitigung der Stempelsteuer 1869 (vgl. 3.1.2.2.1.) und den technischen Verbesserungen der Druckverfahren zu einem Massenmedium. Bald besorgten Zeitungsjungen täglich im ganzen Land die vielen Tausend Blätter, gemietete Exemplare auf Wunsch gar für kürzere Zeit am Tag. Die Zeitung bot einem breiten Publikum Nachrichten und Unterhaltung, Sonntagsblätter versorgten den Leser mit Illustrationen, unterhaltsamen Texten und Sensationen. Neben städtischen und regionalen Blättern entstanden nationale Zeitungen. Es erschienen politisch orientierte, anspruchsvolle Tages- und Wochenzeitungen, sodann boten populäre Presseorgane neben Nachrichten auch Unterhaltung. Bis der Rundfunk aufkam, ist die gedruckte Presse als bedeutendstes Medium für die Verbreitung des AN in den Niederlanden, Belgien und den überseeischen Gebieten einzustufen. Nicht nur Drucker und Verleger, sondern auch gesellschaftliche Gruppierungen gründeten mit Erfolg Zeitungen und Zeitschriften. Solche Veröffentlichungen begünstigten die Herausbildung und Festigung politischer Parteien und Gewerkschaften seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. Die wenigen hier in Auswahl erwähnten niederländischsprachigen Zeitungstitel zeigen, wie divers das umfangreiche Presseangebot wurde.

270

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Die 1845 gegründete De Tijd (‚Die Zeit‘), die sich mitunter mit kulturellen und gesellschaftlichen Themen befasste, entwickelte sich zwar zu einer freisinnigen Zeitung, verteidigte aber die römisch-katholischen Interessen gegen die Liberalen. Konservativ dagegen war die Rotterdamer Wochenzeitschrift De Maasbode (‚Maas-Bote‘), die ab 1885 als Tageszeitung erschien. Dieses römisch-katholische Blatt, das sich beispielsweise gegen die Modernisten in der Kirche aussprach, wurde wegen der wertvollen Beiträge u. a. zur Wirtschaft und Finanz auch von Nicht-Katholiken geschätzt. Auch Het Centrum (‚Das Zentrum‘), das namentlich die fortschrittlichen Auffassungen des sozial engagierten H.J.A.M. Schaepman vertrat, zählte zur katholischen Presse. Weiter verfügten die römisch-katholischen Arbeitervereine über eigene, kleinere Blätter. Zudem erschien ab 1919 De Volkskrant (‚Die Volkszeitung‘) als Zeitung für die katholischen Arbeiter, zwei Jahre später wurde es eine ‚allgemeine, nationale Tageszeitung für das katholische Volk‘. Die Bemühungen der antirevolutionairen, dogmatischen Protestanten, die sich von der reformierten Kirche losgelöst hatten (vgl. 3.1.2.2.), um eine eigene Presse waren anfänglich wenig erfolgreich. Erst der 1872 gegründete De Standaard (‚Der Standard‘), geprägt vom kalvinistischen Anführer und späteren Ministerpräsidenten Abraham Kuyper war lebensfähig: über 3000 kleine luyden (‚kleine Leute‘, d. h. orthodoxe Kleinbürger) hatten ihn abonniert. Wie auch andere Blätter entwickelte sich der protestantische De Rotterdammer (‚Der Rotterdamer‘) in den Dreissigerjahren des 20. Jh. zu einer Zeitung, die vermehrt gesellschaftliche und kulturelle Themen vertiefte. Trotz dem Erfolg der Zeitungen der aufkommenden konfessionellen Parteien gewannen liberale Presseorgane wie das Amsterdamer Algemeen Handelsblad (‚Allgemeines Handelsblatt‘, seit 1830 Tageszeitung) und die Nieuwe Rotterdamsche Courant (‚Neue Rotterdamer Zeitung‘, seit 1844 Tageszeitung) stark an Bedeutung. Noch in den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. begannen die beiden Zeitungen, die einander stark Konkurrenz machten, neben der Abendedition auch eine Morgenausgabe zu veröffentlichen. Viel Erfolg erzielte auch das 1869 gegründete, preisgünstige Amsterdamer Nieuws van de dag (‚Neues des Tages‘). De Kleine Courant (‚Die Kleine Zeitung‘) wie sein Untertitel in Nachfolge des Pariser Le Petit Journal lautete, konnten die Leser gemeinsam abonnieren oder auch für einige Zeit pro Tag mieten. So nahmen am Anfang des 20. Jh. wohl mehr als 150.000 Leser Kenntnis vom Inhalt dieser Zeitung, die in einer Auflage von nur 38.000 Exemplaren erschien. Neben dem konservativen Dagblad van Zuidholland en ʾs Gravenhage (‚Tagesblatt von Südholland und Den Haag‘) erschien in Den Haag das liberale Het Vaderland (‚Das Vaterland‘), das übrigens die flämische Bewegung (vgl. 3.4.3.) ausdrücklich unterstützte. Zur Presse, die sich stark auf eine politische Gruppierung ausrichtete, zählt u. a. das von Domela Nieuwenhuis 1879 gegründete sozialistische Recht voor Allen (‚Recht für Alle‘). Bald erreichte es eine Auflage von 43.000 Exemplaren, die aber zurückging, als die Polizei 1886 nach einem Aufruhr im Amsterdamer Volksviertel de Jordaan gegen den Strassenverkauf einschritt. In mehreren Städten erschienen im letzten Jahrzehnt des 19. Jh. sozialistische Zeitungen. Sodann entstand 1896 als Organ der Soziaaldemokratische Arbeiders Partij in Nederland (‚Sozialdemokratische Arbeiterpartei in den Niederlanden‘) der Sociaaldemokraat (‚Sozialdemokrat‘). Er ist

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

271

der Vorläufer der 1900 gegründeten Zeitung Het Volk (‚Das Volk‘), die anfänglich unter der Leitung von Pieter Jelles Troelstra (vgl. 4.1.1.) für die Interessen der Partei kämpfte. Verglichen mit dem sozialistischen Blatt Voorwaarts (‚Vorwärts‘) aus Rotterdam blieb die Auflage bescheiden. Die sozialistische Partei SDAP und die Gewerkschaft NVV brachten 1929 die beiden Zeitungen mit einer sozialistischen Buchhandlung und dem Verlag Ontwikkeling (‚Entwicklung‘) in der Aktiengesellschaft De Arbeiderspers (‚Die Arbeiterpresse‘) unter. Inzwischen hatte die linke Opposition 1907 die Wochenzeitschrift De Tribune (‚Die Tribüne‘) gegründet, die nach einer Abspaltung der linken Gruppierung aus der SDAP zum Organ der Kommunisten wurde. Politische Unruhen und Streiks in Wallonien während den Achtzigerjahren des 19. Jh. waren der sozialistischen Presse in Belgien zugutegekommen. So konnte sich u. a. das 1890 in Gent gegründete Het Volk (‚Das Volk‘) neben den französischsprachigen Blättern behaupten, Vooruit (‚Voraus‘) aus Gent und der Antwerpener De Werker (‚Der Arbeiter‘) gehörten um die Jahrhundertwende zu den viel gelesenen niederländischsprachigen Blättern in Belgien. Inzwischen hatten von Brüssel aus kommerzielle Interessen die Entwicklung belgischer Zeitungen für das grosse Publikum geprägt. Verleger von Massenzeitungen wurden zu Grossunternehmen. Zu den erfolgreichen niederländischsprachigen Zeitungen dieser Zeit zählen die katholischen Veröffentlichungen De Gentenaar (‚Der Einwohner von Gent‘), der vom Kanoniker J. Verschueren 1879 gegründet wurde und für lediglich 1 Cent erhältlich war, das 1885 in Brüssel gegründete Het Nieuws van den Dag (‚Neues des Tages‘), De Kleine Patriot von 1889 und die 1891 entstandene Gazet van Antwerpen. Der ebenfalls katholische De Landwacht (‚Der Landwächter‘), der seit 1890 in Gent erschien, veröffentlichte insbesondere Artikel für die Bauernbevölkerung. Liberal waren das informative seit 1888 in Brüssel erscheinende Het Laatste Nieuws (‚Die Letzten Neuigkeiten‘) und die 1897 in Antwerpen gegründete De Nieuwe Gazet (‚Die Neue Gazette‘). Bald nach dem Einfall der deutschen Truppen in Belgien 1914 verhängten die belgischen Behörden eine Zensur, um eine Verbreitung strategisch bedeutsamer Nachrichten zu verhindern. Mehrere Zeitungen stellten darauf die Veröffentlichung ein. Während der deutschen Besetzung weigerte sich die Mehrheit der Journalisten zu kollaborieren. Einige Blätter beugten sich allerdings der deutschen Zensur, sodann setzten neue Zeitungen wie De Vlaamsche Post (‚Die Flämische Post‘) oder Het Vlaamse Nieuws (‚Die Flämischen Nachrichten‘) auf eine Zusammenarbeit mit dem Besetzer. Inzwischen wurden nicht-zensurierte Nachrichten mit Hilfe von illegalen Broschüren verbreitet, 1915 entstand in Belgien eine Untergrundpresse. Die illegalen Blätter, die nicht selten auf ironische Weise von der Aktualität berichteten und zudem die Namen von kollaborierenden ehemaligen Kollegen bekannt gaben, fanden unter grösseren Schichten der Bevölkerung Zuspruch. Zu den vielen Dutzenden klandestinen Veröffentlichungen zählt u. a. die niederländischsprachige Vrije Stem (‚Freie Stimme‘). In den Niederlanden kolportierten das 1936 gegründete Het Nationale Dagblad (‚Das nationale Tagblatt‘) und die Wochenzeitschrift Volk en Vaderland (‚Volk und Vaterland‘), die ab 1933 erschien, die Ideologie der Nationalsozialisten. Die Beseitigung der niederländischen Pressefreiheit während des Zweiten Weltkriegs erfolgte unter Regie des im November 1940 gegründeten Departement van Volksvoorlichting en Kunsten (‚Ministerium der Volksaufklärung und Künste‘); der Journalistenbesluit (‚Journalistenbeschluss‘) von 1941 legte die Aufgaben der

272

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Journalisten fest, die zu schreiben hatten, was der Besetzer verlangte. Durch eine sogenannte Reorganisation der Presse gingen 1941 in den Niederlanden 47 Tageszeitungen, 480 Nachrichtenblätter und 2000 Zeitschriften ein. Wegen Papiermangels wurden die Ausgaben der noch bestehenden Zeitungen immer dünner. Da der Besetzer die vertrauten Namen der verbleibenden Zeitungen beibehielt, die Inhalte aber bestimmte und kontrollierte, versuchte er auf durchtriebene Art, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Dies förderte die Herausgabe von zahlreichen illegalen Blättern, die unter lebensgefährlichen Umständen hergestellt und vertrieben wurden. Zu den frühesten gehören die Nieuwsbrief van Pieter ’t Hoen (‚Nachrichtenbriefe von Pieter ’t Hoen‘) von F.J. Goedhart, die schon ab 25. Juli 1940 erschienen, und Vrij Nederland (‚Freie Niederlande‘), ein illegales Blatt, das zum ersten Mal am 31. August 1940 am Geburtstag von Königin Wilhelmina verteilt wurde, vgl. 4.2.1.2. Es sollte sich nach dem Krieg zu einer der grossen opiniebladen, (‚Zeitschriften, die meinungsbildende Artikel mit ausführlichen Hintergrundinformationen veröffentlichen‘) etablieren. Vom kommunistischen Blatt De Waarheid (‚Die Wahrheit‘), das erst nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion 1941 die Seite der Alliierten und des Königshauses wählte, erschienen ebenfalls bereits im ersten Kriegsjahr Exemplare. Die Publikation wurde später zum Blatt der kommunistischen Partei. Bis Ende 1940 trugen Kuriere heimlich bereits zirka 57.000 Exemplare von insgesamt 60 unterschiedlichen Untergrund-Blättern unter der Bevölkerung aus. Die Zusammenarbeit einiger angesehener Sozialdemokraten führte 1941 zur Gründung des Blattes Het Parool, das sich nach 1945 zu einer sozialistischen Nationalzeitung herausbildete. Nach Kriegsende wurde das kalvinistische Blatt Trouw, eine der 150 seit 1943 erschienenen illegalen Veröffentlichungen, ebenfalls eine nationale Zeitung. Im Dezember 1943 betrug die totale Auflage der grossen illegalen Blätter vermutlich 450.000 Exemplare. Nur schon Het Parool, das über siebzig Untergrund-Mitarbeiter im Dienst hatte, erschien 1944 in einer Auflage von 60.000. Infolge der ‚Säuberung‘ der Presse nach der Befreiung wurden in den Niederlanden zirka 700 Journalisten, die für die ‚gleichgeschaltete‘ Presse gearbeitet hatten, mit kürzeren oder längeren Berufsverboten bestraft, zudem erhielt eine Zeitung wegen ihrer Kollaboration ein zeitlich begrenztes Erscheinungsverbot, eine andere durfte den früheren Namen nicht mehr führen. Nach 1945 bot die Presse neben Nachrichten, Kommentaren und Analysen vermehrt Unterhaltung. Das Erscheinungsbild der meisten Blätter gewann an Attraktivität, was zum Teil dem Einfluss von Rundfunk und Fernsehen zuzuschreiben ist mit ihrer eigenen Art, Nachrichten in Verbindung mit Kultur und Unterhaltung zu verbreiten. In Belgien führte der Besetzer 1940 eine präventive Zensur ein, später zensurierte er die Presse erst nach Erscheinen der Zeitungen. Immerhin stand manche katholische, liberale oder unabhängige Zeitung in ihrer anti-kommunistischen Haltung der deutschen Politik nicht unwohlwollend gegenüber. Übrigens hatten angesehene belgische Persönlichkeiten die Journalisten ermutigt, auch unter den geänderten Umständen ihre Arbeit fortzusetzen. 1942 führte die Militärverwaltung die präventive Zensur erneut ein, kontrollierte die Papierverteilung und gründete die von ihr beaufsichtigte Nachrichtenagentur Belgapress, die das Monopol der Informationsbeschaffung erhielt. Eine Zeitung wie Volk en Staat (‚Volk und Staat‘) ist als Sprachrohr der Besatzungsmacht zu bezeichnen, auch neue Blätter wie Het Vlaamsche Land (‚Das Flämi-

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

273

sche Land‘) waren pro-deutsch. Sodann setzten einige Zeitungen, so Het Laatste Nieuws, ohne Einwilligung der Besitzer die Publikation fort. Anfänglich erzielte die gleichgeschaltete Presse einen beachtlichen Absatz, Het Laatste Nieuws erreichte Auflagen von 200.000 Exemplaren pro Tag. Hingegen erschienen bereits 1940 zirka 100 Untergrundblätter, wovon ein Dutzend zweisprachig beziehungsweise niederländischsprachig waren. Im Laufe des Krieges steigerte sich die Herstellung von klandestinen Veröffentlichungen, mehrere hundert illegale Titel kamen heraus. Nach der Befreiung Belgiens waren die meisten Journalisten, die während des Krieges weiter gearbeitet hatten, von eingreifenden Säuberungen betroffen. Dies betraf auch jene, die bereits während des Krieges ihre journalistische Tätigkeit eingestellt hatten. Direktionen von Presseunternehmen wurden jedoch weitgehend geschont (vgl. Van de Vijver 1990). Mehrere Zeitungen erhielten ein Publikationsverbot, De Standaard konnte erst 1947 wieder erscheinen. 4.1.2.3.2. Rezeption von Büchern Dank der Gründung öffentlicher Bibliotheken gegen Ende des 19. Jh. erhielt jeder die Möglichkeit, Bücher zu lesen. Noch heute ist mehr als die Hälfte der Niederländer Mitglied einer Bibliothek, 45 % der Bevölkerung leiht sich häufig oder gelegentlich ein Buch. Zudem wurden Bücher durch u. a. eine verbesserte Technik und dank grösseren Auflagen erschwinglicher, immer leichter konnte man sich im 20. Jh. ein Buch leisten; im 19. Jh. gegründete Vereine, die Bücher beschafften zum Ausleihen an ihre Mitglieder, gingen ein. Lesegesellschaften dagegen sind nach wie vor beliebt: 12 % der Leser gehören noch heute einem solchen Verein an. Von den gelesenen Werken dürfte die grosse Mehrheit niederländischsprachige Bücher sein: sie bilden immerhin 90 % des gesamten Umsatzes von Büchern (vgl. Kerncijfers Koninklijke vereniging van het boekenvak 2015). Die Herausgabe von Taschenbüchern machte es im Laufe des 20. Jh. für wohl alle Bevölkerungsgruppen möglich, sich Bücher zu beschaffen. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg erschienen die kleinformatigen ABC-romans (‚ABC-Romane‘) und die Schijnwerpers (‚Scheinwerfer‘), erst Anfang der Fünfzigerjahre erlebte das Taschenbuch aber einen Durchbruch, namentlich durch die Ausgaben vom Verlag Het Spectrum. Sowohl in Flandern wie in den Niederlanden gehören literarische Werke zu den am häufigsten gelesenen Texten (vgl. 4.3.4.2.2.), ihre Bedeutung für die Festigung des AN ist auch im 20. Jh. nicht zu unterschätzen. Einige Erneuerungen in der Belletristik werden daher im Folgenden knapp zusammengefasst. 4.1.2.3.3. Produktion von Belletristik Zwar ist eine gemeinsame Sprachkultur von Nord und Süd im Mittelalter und während der Renaissance festzustellen, vgl. 1.2. Nach der Trennung der südlichen Provinzen, die während der Auflehnung der Niederlande gegen Spanien erfolgte (1568–1648, vgl. HNA 231 ff), bildeten sich aber historische und kulturelle Unterschiede zwischen den beiden Gebieten heraus. Daher versuchten Schriftsteller, Philologen und Sprachgelehrte immer wieder eine Kluft zwischen Nord und Süd zu überbrücken. So konnte man sich seit dem 19. Jh. stets auf gemeinsame Neureglungen der Orthografie einigen, Wörterbücher wie das WNT und Van Dale beschreiben das Lexikon des gesamten niederländischen Sprachgebietes, vgl. 3.2.3. Literaturwissenschaftler

274

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

behandeln die Belletristik von Nord und Süd aber häufig separat. So widmen Te Winkel, Kalff und Knuvelder in ihren Standardwerken zum niederländischen schöngeistigen Schrifttum der Literatur Flanderns separate Kapitel, T. Anbeek lässt die Literatur des Südens in seiner Geschichte der niederländischen Literatur von 1885 bis 1985 gar weg. Es vertritt die Überzeugung (…) dat de Vlaamse en de ‚Hollandse‘ literatuur aparte grootheden zijn, met een in hoge mate onafhankelijke ontwikkeling en eigen thema’s, een standpunt dat ook door Vlamingen is verdedigd. (Anbeek 1999 [b], 16) (‚[…] dass die flämische und die ‚holländische‘ Literatur separate Grössen sind, mit einer in hohen Massen unabhängigen Entwicklung und eigenen Themen, eine Auffassung die auch von Flamen verteidigt wurde.‘) Andererseits kann man häufig literarische Kunstwerke aus dem Norden und aus dem Süden jeweils einen gemeinsamen Nenner bringen, wenn man sie in einem internationalen Kontext als vergleichbare Erneuerungen der Literatur des gesamten niederländischen Sprachgebietes beschreibt. So sind laut A.J. Gelderblom und A.M. Musschoot Auffassungen des in Utrecht geborenen Dichters und Malers Theo van Doesburg oder I.K. Bonset (beide Pseudonyme von Christian Emil Marie Küpper, 1883–1931) zur nieuwe beelding (‚Neoplastizismus‘) mit Ansichten des aus Antwerpen stammenden Lyrikers Paul van Ostaijen (1883–1931, vgl. 4.2.2.2.) vergleichbar. Eine getrennte Beschreibung der nördlichen und südlichen Literatur würde einer solchen ‚supra-nationalen‘ Betrachtungsweise, die internationalen Kunstströmungen Rechnung trägt, im Wege stehen. Ebenfalls lassen sich beispielsweise Übereinkünfte zwischen der Dichtung des Flamen Karel van de Woestijne (1878–1929), der laut Literaturwissenschaftlern unter dem Einfluss des französischen Symbolismus stand, und der Lyrik der aus dem Norden stammenden Dichter Herman Gorter, J.H. Leopold (1865–1925) oder P.C. Boutens (1870–1943) beschreiben (vgl. Gelderblom et al. 2001). Sogar aus den Werken des flämischen, römisch-katholischen Lyrikers Guido Gezelle und des niederländischen, atheistischen Verfassers von polemischer Prosa Multatuli würde sich Gemeinsames hervorheben lassen. Beide bewirkten eine Erneuerung der niederländischen Literatur, indem sie literarische Konventionen durchbrachen (vgl. Gelderblom et al. 2001). Auch J. Bels neuestes Standardwerk zur niederländischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die gesamte Literatur der Lage Landen, womit sie die Belletristik des gesamten niederländischensprachigen Gebietes des Rhein-Maas-Schelde-Deltas meint, und die Literatur der ehemaligen niederländischen überseeischen Gebiete zum Gegenstand (Bel 2015). Ebenso bespricht H. Brems in seinem Handbuch zur niederländischen Literatur von 1945 bis 2005 die Werke von Dichtern und Schriftstellern des gesamten Sprachgebietes (Brems 2006). Die Frage, ob das niederländische Sprachgebiet eine gemeinsame Literatur hat, ist bei einer Einstufung des AN als mono- beziehungsweise plurizentrische Sprache zu berücksichtigen, vgl. 5.3. Von den Erneuerungen der niederländischen Literatur, welche die Sprachkultur mit bestimmten, können an dieser Stelle lediglich einige Beispiele aufgezählt werden. So ist für die Entfal-

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

275

tung der Lyrik am Anfang des 20. Jahrhunderts insbesondere Albert Verweys Streben nach einer Kunst der Besinnung entscheidend. An Stelle der von den Achtzigern geforderten Kunst um die Kunst (vgl. 3.6.1.2.) befürwortete er eine Poesie des Geistes, neue Strömungen in der Kunst erhielten in der von ihm gegründeten Zeitschrift De Beweging (‚Die Bewegung‘, 1905–1919) besondere Aufmerksamkeit. Individuelle Dichtertalente, die sich nicht in literarischen Moden eingliedern lassen, entfalteten sich. Bis in die Zwanzigerjahre prägten Dichter wie beispielsweise Pieter Cornelis Boutens mit seiner verinnerlichten Poesie und Karel van de Woestijne, der u. a. die Auseinandersetzung zwischen Askese und sinnlichen Trieben thematisiert, die niederländische Lyrik. Letzterer publizierte u. a. in der südniederländischen Zeitschrift Van Nu en Straks, die wie De Nieuwe Gids nach Erneuerungen in der Literatur strebte. Als willkürlich gewähltes Beispiel verinnerlichter Poesie dieser Epoche ist Jan Hendrik Leopolds Een sneeuw ligt in den morgen vroeg einzustufen: Een sneeuw ligt in den morgen vroeg onder de muur aan, moe en goed beschut en een arm kind komt toe en staat en ziet en met zijn voet gaat het dan schrijven over dit prachtige vlak en schuifelt licht bezonnen en loopt door, zijn mond trilt in het donker klein gezicht. (Leopold 1967, 58) (buchstäblich: ‚Ein Schnee liegt am morgen früh / unter der Mauer dagegen, müde und gut / geschützt und ein armes Kind kommt hinzu / und steht und sieht und mit seinem Fuss / /geht es dann über diese / prächtige Fläche schreiben und läuft weiter, sein Mund / bebt im dunklen Gesicht.‘) J.C. Bloems (1887–1966) lyrisches Talent entwickelte sich in einem von Verwey und Boutens geformten literarischen Umfeld. Der Dichter, der mit ‚neoklassizistischen‘ Versen (vgl. Anbeek 1999 [b], 103 ff) zur Tradition zurückkehrt, zeugt nicht nur von Het verlangen (‚Die Sehnsucht‘, 1921), sondern fasst auch melancholische Themen u. a. in Media Vita, 1931) und De nederlaag (1937) in Worte. Martinus Nijhoff, der 1916 mit De wandelaar (‚Der Spaziergänger‘) debutierte, gilt in der Literaturwissenschaft als ein Erneuerer, den man dem Modernismus zuordnen kann. Eigene Wege ging auch A. (Adrianus) Roland Holst (1888–1976) mit einer persönlichen, wenig zugänglichen sprachlichen Ausdrucksweise. So kreiiert er in seinem zyklischen Gedicht Een winter aan zee (‚Ein Winter an der See‘, 1937) eine von Sagen und Mythen durchwobene Traumwelt. Eher nostalgische Verse dichtete der Schiffsarzt Jan Jacob Slauerhoff (1898–1936), der nicht selten das Leben auf See als Ausgangspunkt wählte. Die Poesie von Gerrit Achterberg (1905–1962), der 1931 mit Afvaart (‚Abfahrt‘) debutierte, handelt vornehmlich von Tod und

276

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Liebe, immer wieder versuchen die Protagonisten in beschwörenden Versen die Vergangenheit zum Leben zu erwecken. Andererseits ist eine unmittelbare Rückwirkung des Ersten Weltkrieges in einer flämischen Veröffentlichung wie Liederen van droom en daad (‚Lieder von Traum und Tat‘, 1918) von A. van Cauwelaert (1885–1945) festzustellen. In der Lyrik vieler Dichter, die während den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jh. aufwuchsen, lässt sich der Schock des Krieges nachvollziehen. Ihren Widerstand gegen die Gesellschaft, in der sie lebten, verkörpert namentlich die Antwerpener Zeitschrift Ruimte (‚Raum‘, 1920–1921). Für die jungen Künstler hatten Impressionismus und Individualismus für Gemeinschaftskunst Platz zu machen. Neue Formen von Kunst richteten sich an die gesamte Menschheit. Dies kommt beispielsweise in Paul van Ostaijens als humanitär expressionistisch bezeichneten Gedichten zum Ausdruck, so in Nummer 3 aus Het sienjaal (‚Das Signal‘, 1918): 3 Leed als de golven van de oceaan die baren witte blaân van bloesems. Leed als van blaren aan de bomen. Bomen die kruinen worden, kruinen: der bergen wit gehelmde horden. Het arme leed wanneer het wordt ontzaggelik in het dragen aller leed, wordt scheppend leven weer. Wie al de noodbaren in zich stort, tot een fontein van helder water wordt hij weer. Wie leed als landen torst draagt in zijn flank de vruchtbaarheid van honderdduizend zielen. (Van Ostaijen 1996, 111) (Paraphrase: ‚Leid wie Wellen des Ozeans / die weissen Blätter gebären / / von Blüten. Leid wie von Blättern an / / den Bäumen. Bäume die Wipfel werden / / Wipfel: mit weissen Helmen ausgestattete Horden der Berge / / das arme Leid wenn es ungeheuer wird / beim Ertragen des Leides von allen / wird wieder schöpferisches Leben / wer alle Elendwellen in sich hineinstürtzt / wird wieder zu einer Fontäne von klarem Wasser / wer Leid als Länder mit sich führt / trägt in seiner Seite die Fruchtbarkeit / von hunderttaussend Seelen‘) In den Niederlanden, die nicht unmittelbar unter dem Krieg gelitten hatten, erneuerte sich die Lyrik langsamer. Vereinzelt erschienen in der Zeitschrift Het Getij (‚Die Tideʼ 1916–1924) expressionistische Gedichte, u. a. von Herman van den Bergh (1897–1967). Die Zeitschrift De

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

277

Vrije Bladen (‚Die Freien Blätter‘, als Zeitschrift von 1924 bis 1932 erschienen) stellte vor allem durch die Wirkung Hendrik Marsmans (1899–1940) die Lyrik in den Mittelpunkt. In dieser Zeitschrift sind ebenfalls neue Richtungen der Dichtkunst vertreten, die von Dichtern und Redakteuren mit Ausdrücken wie ‚Expressionismus‘ und ‚Vitalismus‘ angedeutet werden. So gilt Marsmans Berlijn beispielsweise als ‚kosmisch expressionistische‘ Lyrik: Berlijn De morgenlucht is een bezoedeld kleed een bladzij met een ezelsoor een vlek de stad een half ontverfde vrouw maar schokkend steigert zij den hemel in als een blauw paard van Marc in ’t luchtgareel Berlijn de zon is geel (H. Marsman 1941, 23) (Paraphrase: ‚Berlin / der Morgenhimmel ist eine besudelte Decke / eine Seite mit einem Eselsohr / ein Fleck / / die Stadt / eine Frau der halb die Farbe weggekommen ist / aber mit Schocken bäumt sie sich in den Himmel auf / wie ein blaues Pferd vom Marc im Himmel-Kummet / / Berlin / / die Sonne ist gelb‘) Auch in der umfangreichen niederländischen Prosa aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, die sich hier in ihrer Gesamtheit eben sowenig wie die Lyrik darstellen lässt, sind Erneuerungen zu erkennen. So weisen Romane wie Marcellus Emants’ Inwijding (‚Einweihung‘, 1901) oder Eline Vere (1889) und De boeken der kleine zielen (‚Die Bücher der kleinen Seelen‘, 1901–1903) von Louis Marie Anne Couperus (1863–1923) Merkmale auf, die in der Literaturwissenschaft als ‚naturalistisch‘ eingestuft werden. Das Handeln der in der Regel labilen Protagonisten wird von determinerende omstandigheden (‚determinierenden Umständen‘, vgl. Anbeek 1990, 50), d. h. von ihrer Herkunft und von ihrer Umwelt bestimmt; es gelingt ihnen nicht, erfolgreich in den Lauf der Dinge einzugreifen. So haben die in Den Haag situierten Romane von Couperus meistens die perspektivlose Existenz aristokratischer Bürger zum Gegenstand. J. van Oudshoorns (Pseudonym von Jan Koos Feylbrief, 1876–1951) Willem Mertens’ levensspiegel (‚Wilhelm Mertens Lebensspiegel‘, 1914) handelt vom Unvermögen der an Alkoholismus leidenden Hauptperson, um sein Leben zu gestalten. In den naturalistischen Texten des von Émile

278

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Zola beeinflussten Schriftstellers Cyriel Buysse (1859–1932), Redaktor der Zeitschrift Van Nu en Straks, steht das aussichtslose harte ländliche Leben in Flandern zentral. Anders als die naturalistische Prosa spielen die ersten Werke von Arthur van Schendel (1874–1946) sich in früheren Zeiten und fremden Ländern ab. Bücher vom Typus Een zwerver verliefd (‚Ein Streuner verliebt‘, 1904) kennzeichnet man wohl mit dem nicht unumstrittenen Ausdruck ‚neo-romantisch‘ (vgl. u. a. Van Leeuwen 1935). Die von manchem als ‚romantisch‘ eingestuften Erzählungen aus dem Band Aan ’t Minnewater (‚Am Minne-Fluss‘, 1898) situierte Maurits Sabbe (1873–1938) dagegen konkret in seinen Geburtsort Brügge. Zur ‚impressionistischen‘ Literatur rechnet man Werke von einem Schriftsteller und Maler wie Jacobus van Looy (1855–1930) oder von Aart van der Leeuw (1876–1931). Von ungebändigter Lebenslust zeugt Felix Timmermans (1866–1947) erst während des Krieges veröffentlichter Pallieter (1916). Der vielseitige, produktive Couperus verfasste aber auch Prosawerke, die von Sachverständigen als ‚psychologische‘ und ‚historische‘ Romane eingestuft werden. Romane wie De stille kracht (‚Die stille Kraft‘, 1900), über geheimnisvolle, beängstigende Geschehnisse in Niederländisch-Ostindien oder Van oude menschen, de dingen die voorbij gaan (‚Von alten Menschen, die Dinge die vorübergehen‘, 1906) das faszinierend von der mühsamen Vergangenheitsbewältigung betagter Menschen erzählt, finden nach wie vor Leser und liefern bis heute Stoff für erfolgreiche Fernsehfilme. Übrigens handeln Romane, die sich in den Kolonien abspielen, zumeist von dort lebenden Europäern, so in den Büchern von Couperus oder Paul Adriaan Daum (1850–1898). Dies trifft auch für die nostalgischen Jugenderinnerungen in Eddy du Perrons (1899–1940) modernistischem Roman Het land van herkomst (‚Das Land der Herkunft‘, 1935) zu. Dagegen widmet Augusta de Wit (1864–1939) in ihrem Orpheus in de dessa (,Orpheus im javanischen Dorf‘, 1903) der einheimischen Bevölkerung die Aufmerksamkeit. In den Zwanziger- und Dreissigerjahren wurden vereinzelte aus den ehemaligen Kolonien stammende Schriftsteller bekannt, wie beispielsweise der in Paramaribo geborene Albert Helman (Pseudonym von Lodewijk [Lou] Alphonsus Maria Lichtveld 1903–1996) mit seinem De stille plantage (‚Die stille Plantage‘, 1931). Nicolaas (Cola) Debrot (1902–1981) begründete die antillianische Literatur. Vom Leben in Belgisch Kongo erzählt Prosa vom Kolonialbeamten Sylva de Jonghe (1904–1950) oder von René Poortmans. Die sogenannte neue Prosa, die sich durch ‚Sachlichkeit‘ kennzeichnet, ist namentlich in den Werken Ferdinand Bordewijks (1884–1965) zu finden. Seine Prosa entspricht einer von Constant van Wessem 1929 in De Vrije Bladen geforderten knappen, bündigen sprachlichen Ausdrucksweise. Inwiefern er und zeitgenössische Schriftsteller zur nieuwe zakelijkheid (‚neue Sachlichkeit‘) zu rechnen sind, sei übrigens dahingestellt (vgl. Anten 1982, Grüttemeier 1999). Auch Willem Elsschots (Pseudonym von Alfons de Ridder, 1882–1960) zumeist ironische Erzählungen und Romane fallen durch bündige, präzise Sätze auf. Die Prosa Nescios (vgl. 3.6.1.1.) hebt sich vom literarischen Werk seiner Zeit nicht nur durch die Bohemien-Thematik, sondern auch durch die Verwendung der Umgangssprache ab:

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

Abb. 15: Buchdeckel Willem Elsschots Lijmen.

279

280

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Jongens waren we – maar aardige jongens. Al zeg ik ’t zelf. We zijn nu veel wijzer, stakkerig wijs zijn we, behalve Bavink, die mal geworden is. Wat hebben we al niet willen opknappen. We zouden hun wel eens laten zien hoe ’t moest. We, dat waren wij, met z’n vijven. Alle andere menschen waren „ze“. (Nescio 1947, 59) (‚Jungs waren wir – aber nette Jungs. Auch wenn ich das selbst sage. Wir sind jetzt viel weiser, stümperhaft weise sind wir, ausser Bavink, der verrückt geworden ist. Was haben wir nicht alles schmeissen wollen. Wir würden denen mal zeigen, wie es sein sollte. Wir, das waren wir zu fünft. Alle anderen Menschen waren „sie“.ʼ) In ihrer Zeitschrift Forum (1932–1935) nahmen Menno ter Braak (1902–1940) und Eddy du Perron namentlich Stellung gegen die erhabene, ausgefeilte Lyrik von ‚Ewigkeitspoeten‘ wie beispielsweise Leopold. Sie hielten den vent (‚Kerl‘), d. h. die Persönlichkeit des Dichters, der man in der Dichtung begegnet, für bedeutend wichtiger als die vorm (‚Form‘), die formelle Vollkommenheit des Werkes, die sich leicht als Machwerk von Epigonen entlarven liesse. Auf Bitte des Verlags trat bei der Gründung Forums ein Flame, Maurice Roelants, in die Redaktion ein. Das niederländisch-flämische Unternehmen missglückte allerdings, nach einem Jahr gaben eine niederländische und eine flämische Redaktion zwei voneinander unabhängige Teile Forums heraus. Beide Redaktionen stellten die Persönlichkeit des Schriftstellers beziehungsweise die Authentizität der Literatur in den Mittelpunkt. Polemisch gingen sie hart ins Gericht mit der Albernheit der Literatur ihrer Zeit. Missverständnisse und persönliche Konflikte führten trotz der gemeinsamen Ausgangspunkte der Redaktionsmitglieder 1935 zum Untergang der damals wegweisenden Zeitschrift. Abgesehen von zwei Romanen und einem Theaterstück verfasste Ter Braak Essays. Du Perron schrieb nicht nur polemische Aufsätze, sondern auch Lyrik und Romane. Von den Autoren, die in Forum debutierten, ist Simon Vestdijk (1898–1971) zu nennen. Er verfasste Lyrik, Essays, Kurzgeschichten und viele Duzende Romane, so beispielsweise den Anton-Wachter-Zyklus. Von traumatischen Kriegserlebnissen zeugen u. a. Gedichte des im Konzentrationslager Neuengamme umgekommenen Schriftstellers Jan Campert (1902–1943). Anne Frank (1929–1945, vgl. Abb. VI b), die Schriftstellerin werden wollte, hinterliess Tagebücher (vgl. Abb. VI a), die ihr Vater 1947 veröffentlichte. Sie erschienen als Het Achterhuis. Dagboekbrieven van 12 juni 1942–1 augustus 1944 in einer Auflage von 1500 Exemplaren in der Prolog-Reihe. Het Achterhuis sollte durch Theater- und Filmbearbeitungen sowie Übersetzungen in zahlreichen Sprachen weltweit bekannt werden. Die wenigen hier zitierten Beispiele von Dichtern und Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jh. zeugen von einer vielseitigen Produktion ästhetischer Texte, die von einer grossen Mehrheit der niederländischsprachigen Sprachteilhaber rezipiert wurden und ihr Bewusstsein der Möglichkeiten ihrer Sprache (vgl. 4.1.3.) wohl mitgeprägt haben. Ausführliche Einführungen in die Literatur dieser Epoche finden sich in einer von R. Grüttemeier und M.-T. Leuker herausgegebenen deutschsprachigen Literaturgeschichte (Grüttemeier et al. 2006) beziehungsweise in niederländischsprachigen Werken u. a. von T. Anbeek (Anbeek 1999 [b]) oder J. Bel (Bel 2015).

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

281

Die oben skizzenhaft dargestellten Erneuerungen in der Literatur dienen hier als Hintergrundinformation zu einer näheren Erörterung sprachlicher Experimente einiger Schriftsteller aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vgl. 4.1.3. 4.1.2.3.4. Bühnenkunst Sodann ist theatralen Darbietungen auf der Bühne besondere Bedeutung für die niederländische Sprachkultur beizumessen. Sie stehen in einer Tradition, die im Mittelalter mit Aufführungen von sowohl religiösen und weltlichen Dramen als auch mit dem Auftritt von Troubadours einsetzte (vgl. 1.2.1.). In der Neuzeit trugen insbesondere die Theaterstücke der Renaissanceschriftsteller wesentlich zur Kultivierung und Verbreitung des Niederländischen bei, vgl. 1.2.2., HNA 4.2.4., 5.2.3.4. Seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. leistete das Theater nicht nur einen Beitrag zur Verbreitung des gesprochenen AN (vgl. 3.1.2.2.2.), sondern es spielte auch eine spezifische Rolle in der ästhetischen Verwendung der Muttersprache. Für den künstlerischen Gebrauch des Niederländischen und Spielereien mit der Sprache im Theater werden im Folgenden punktuell einige Erneuerungen des niederländischen Theaters und Kabaretts in der ersten Hälfte des 20. Jh. genannt. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. hatte allmählich eine Erneuerung des Theaters eingesetzt. Unter dem Einfluss ausländischer Schriftsteller wie beispielsweise Ibsen, Strindberg, Shaw, Schnitzler oder Tschechow und Theatermacher wie Stanislavski oder Max Reinhardt machten die Spektakelstücke mehr und mehr neuen Formen des Theaters Platz. Als Beispiel einer Theatergesellschaft, die an dieser Entfaltung der niederländischen Bühnenkunst ihren Anteil hatte, ist der Verein Het Nederlandsch Tooneel (‚Das niederländische Theater‘) zu nennen. Diese Gesellschaft, die 1881 von Wilhelm III. das Prädikat koninklijk (‚königlich‘) erhielt, strebte unter Leitung von H.J. Schimmel anspruchsvolle Theaterkunst an. Man spielte nun beispielsweise Shakespeare-Dramen in der Übersetzung von L.A.J. Burgersdijk, ein Akteur wie Louis Bouwmeester feierte nationale Erfolge. Der Schauspieler und Regisseur Eduard Verkade gab der führenden Theatergesellschaft der Niederlande neue Impulse, als er einen Übergang von Akteurszu Regietheater bewirkte. Nach einer Krise versuchte man u. a. mit den Akteuren Albert van Dalsum und Louis Saalborn sowie durch Fusionen mit anderen Truppen den königlichen Verein in den Zwanzigerjahren zu retten. Die Wirtschaftskrise, welche die Zuschauerzahlen stark reduzierte, machte jedoch einen Strich durch die Rechnung, der Verein ging 1932 ein. Auch andere Theatertruppen erlebten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs schwere Zeiten. Gegen Ende des 19. Jh. hatten namentlich die Achtziger die traditionelle Deklamation auf der Bühne kritisiert. Sie lehnten die Gewohnheit der Schauspieler, schallend vorzutragen, ab. Die Kritiker verlangten, dass die Akteure stattdessen die Texte melodisch, mit gedehntem Ton vortrugen, wie dies der französische Dichter Paul Verlaine während seines Besuches in den Niederlanden vorgemacht hatte (De Westenholz 1996, 549 ff). Frans Coenen (1866–1936) meinte gar, man solle Verse überhaupt nicht mehr sprechen, sondern nur lesen. Allmählich setzte sich dann die Mode durch, Texte getragen, fast singend vorzutragen. Zu Beginn des 20. Jh. strebten die Schauspieler aber vermehrt nach einer schlichteren Wiedergabe der Texte, die übrigens bei Theatermachern nach wie vor den wichtigsten Bestandteil ihrer Kunst darstellte. So hält der Schauspieler Willem Royaards fest:

282

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Het hoogste schoon is het woordschoon. (De Leeuwe 1996 [b], 583) (‚Die höchste Schönheit ist die Schönheit des Wortes.‘) Akteure wie u. a. Royaards, der in Berlin mit Otto Brahm und Max Reinhardt zusammengearbeitet hatte, achteten auf eine genaue Artikulation und sorgfältige Diktion (De Leeuwe 1996, 583). So hörte das Publikum im Schauspielhaus ein vorbildliches gesprochenes AN. Anders als im 19. Jh. leistete auch das Theater in den Niederlanden in diesem Sinn einen Beitrag zur Verbreitung eines kultivierten gesprochenen AN. An den Erneuerungen der Theaterkultur im niederländischen Sprachgebiet beteiligten sich auch niederländische Schriftsteller. So widmete Herman Heijermans Puntje (‚Pünktchen‘, 1898) dem Los der sozial benachteiligten Klassen, in Ghetto (‚Getto‘, 1898) kritisiert er das Denken in Etikettierungen und in dem sehr erfolgreichen Het zevende gebod (‚Das siebte Gebot‘, 1899) stellt er die Heuchelei der bürgerlichen Tugendwächter an den Pranger. Die gleichen Themen bilden die Grundlage seines wohl bekanntesten Stückes Op hoop van zegen (‚Die Hoffnung auf Segen‘, 1900, vgl. Van der Zalm 1996), das vom Schicksal rücksichtslos ausgebeuteter Fischer handelt. Linguistisch fallen die Dramen des meistgespielten niederländischen Theaterdichters durch die authentische Verwendung der Sprache auf, vgl. 4.2.2.1. Beeindruckt von Heijermans’ Op hoop van zegen verfasste Cyriel Buysse das in der Regel als ‚naturalistisch‘ eingestufte Stück Het gezin Van Paemel (‚Die Familie Van Paemel‘). Dank Aufführungen durch die Genter Amateurtruppe Multatulikring wurde es 1903 auch über die Grenzen hinweg bekannt. Für die Vorstellung in Amsterdam hielt man es allerdings für notwendig, das flämische Idiom für das holländische Publikum zugänglich zu machen (Musschoot 1996, 542). Weitere internationale Erneuerungen des Theaters hätten jedoch in Flandern keine Auswirkung gehabt, wie der Akteur Herman van Overbeke 1918 seinem Publikum in Gent vorhielt. Er verlangte, dass die französischen Melodramen das Feld räumten für flämisches Theater; sodann sei die flämische Theaterdichtung zu fördern. Solche Forderungen konnten mit der Sympathie der Aktivisten rechnen, die die Unabhängigkeit Flanderns verlangten und die Deutschen als Verbündete sahen (Van Schoor 1996 [b], 576 ff). Nach dem Ersten Weltkrieg wussten diese Theatermacher sich allerdings nicht durchzusetzen. Wohl gelang es dem in Brüssel spielenden Arie vanden Heuvel, Mitkämpfer von Van Overbeke, der einheimischen Theaterdichtung Auftrieb zu geben. Als Verteidiger der Auffassungen der Van Nu en Straks-Dichter fand er Zuspruch bei Schriftstellern wie August Vermeylen, Herman Teirlinck (1879–1967), Alfred Hegenscheidt (1866–1964) oder Karel van de Woestijne. Sehr beliebt bei den flämischen Aktivisten war Jan Oscar de Gruyter, der sich für Het Vlaamse Volkstoneel (‚Das flämische Volkstheater‘, 1920–1924) eingesetzt hatte. Die Vorstellungen im Freien sah man, wie Van de Woestijne dies bezeichnete, als het derde stadium der Vlaamsche beweging: de beschavingsphasis (‚die dritte Stufe der flämischen Bewegung, die Zivilisierungsphase‘, Peeters 1996 [b], 570). De Gruyter kämpfte für ein anspruchsvolles Repertoire, das in allen Ecken Flanderns zu spielen war. Die Verwendung des ABN sollte dabei beson-

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

283

dere Aufmerksamkeit erhalten. In Wirklichkeit fanden Vorstellungen, die solchen Forderungen entsprachen, nur in den belgischen Grossstädten statt, die ländliche Bevölkerung hatte sich mit mässigen schauspielerischen Leistungen von Akteuren zu begnügen, die dialektisch gefärbtes Niederländisch sprachen (vgl. Peeters 1996[c], 635 ff). Weiter ist der Theatererneuerer Herman Teirlinck zu nennen, der noch 1921 ausgerufen hatte: Waar is de Gezelle, waar is de Streuvels van het Vlaamsch theater? (Van Schoor 1996 [c], 602) (‚Wo ist der Gezelle, wo ist der Streuvels des flämischen Theaters?‘) Als bekannter Dichter und Schriftsteller, der die Zeitschrift Van Nu en Straks mit geprägt hatte, suchte er Anschluss bei internationalen Theaterströmungen. So schuf er mit seinem 1922 in Brüssel uraufgeführten Stück De vertraagde film (‚Der Film in Zeitlupe‘) ein Gesamtkunstwerk, das als expressionistisches Drama eingestuft wird (Van Schoor 1996 [c], 602). Auch in den Niederlanden entstanden unter Einfluss deutscher Theaterdichter wie Oskar Kokoschka und Reinhard Johannes Sorge expressionistische Formen des Theaters, allerdings erst in den Zwanzigerjahren. Dieses namentlich vom Schauspieler Albert van Dalsum geförderte Theater kennzeichnete sich u. a. durch ein pfeilschnelles Sprechen, das auf groteske Art und Weise Emotionen zum Ausdruck brachte. Bereits im Mittelalter verstanden es Vortragskünstler, auf Rundreisen ihr Publikum mit Wortspielereien zu überraschen (vgl. HNA 4.3.1.2.), während des Goldenen Jahrhunderts amüsierten Dichter wie u. a. Bredero die Zuschauer im Theater mit der geistreich-witzigen Verwendung der Sprache (vgl. HNA 5.3.1.3.). Für die jüngste Zeit sind diesbezüglich zudem sogenannte Kleinkünstler zu nennen, welche die Möglichkeiten des Niederländischen ausschöpfen, wenn sie die Sprache nicht nur als Mittel, sondern auch als Thema beziehungsweise Gegenstand ihrer Darbietungen wählen. Mehr als in den benachbarten Ländern kennen die Niederlande seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jh. eine vielseitig ausgeprägte Kabarett-Tradition (vgl. Ibo 1981, 22). Als erster Niederländer bot Eduard Jacobs in Nachfolge französischer Kleinkünstler wie Emile Goudeau und Rodolphe Salis Kabarettvorstellungen dar. Jacobs, der zuvor bereits im Pariser Klub Moulin Rouge aufgetreten war, empfing sein Publikum ab 1895 im einfachen Lokal Het Wapen van Habsburg an der Quellijn-Strasse im Volksviertel De Pijp in Amsterdam. Zu den Pionieren der niederländischen Kleinkunst zählt ebenfalls der Dichter Jacobus Hendrikus ‚Koos‘ Speenhoff (1869–1945), der das literarische Kabarett bis in die Zwanzigerjahre förderte. Auch der Journalist, Sänger und Conférencier Jean-Louis Pisuisse gehört zu den Gründern des modernen, unabhängigen Kabaretts. Von den zahlreichen Kleinkünstlern aus der ersten Hälfte des 20. Jh. ist Louis Davids zu nennen, der mit seinen Kabarett- und Revuevorstellungen bei der Bevölkerung beliebt war. Dutzende seiner Kabaretttexte und -lieder wurden auch dank dem Rundfunk populär, so beispielsweise das von Jacques Tol verfasste Lied

284

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

…Wat zeg je nou van Ome Ko, Die heeft ’n antenne met een radio, En wat ze smoezen op de Eiffeltoren Kan j’in de Korte Leidsedwarsstraat horen.., (Ibo 1981, 219) (‚…Was meinst Du jetzt über Onkel Ko, / Er hat eine Antenne mit einem Radio, / Und was die tuscheln auf dem Eiffelturm, / Kannst Du in der Korte-Leidsedwars-Strasse hören…‘) Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg erreichte so das sorgfältig artikulierte AN der Kleinkünstler ein Millionenpublikum. Übrigens boten sie, anders als in der heutigen Zeit, eher harmlose Unterhaltung: in den neutralen Niederlanden waren politische Stellungnahmen von Kabarettisten nicht gefragt. Bühnenkünstler fürchteten nicht nur ihre Arbeitsbewilligung wegen beleidigender Texte zu verlieren, sie mussten zudem dem Geschmack des wenig anspruchsvollen Publikums Rechnung tragen. Zudem verbot eine Kontrollkommission des Rundfunks das Ausstrahlen von Texten und Liedern, welche die Hörer herausforderten. In dieser Zeit waren u. a. das Kurhauscabaret von Louis Davids und das ABC-cabaret von Wim Kan beliebt. Übrigens waren auch deutsche Kabarett-Gesellschaften, die die Heimat verlassen hatten, wie Ping Pong oder das Nelson Cabaret in den Niederlanden populär. Erika Mann feierte hier mit der Pfeffermühle grosse Erfolge, im April 1936 fand die 1000. Vorstellung in den Niederlanden statt. Allerdings verlangte die niederländische Regierung laut Erika Mann, dass ihr Kabarett auf jede, ‚selbst die indirekteste politische Wirkung‘ zu verzichten hatte (Keiser Hayne 129). Die Auftritte der Pfeffermühle, die daraufhin nicht mehr in den Niederlanden spielte, dürften manchen niederländischen Kabarettier nach dem Zweiten Weltkrieg zu gesellschaftskritischen Vorstellungen angeregt haben (vgl. Thissen 1991/92). Louis Davids, der übrigens als Revuekomiker angefangen hatte, engagierte für sein Kabarett regelmässig Kleinkünstler, neben einer Ausländerin wie Dora Paulsen auch niederländische Talente, so zum Beispiel Corry Vonk, Wim Kan oder Wim Sonneveld. Sie machten wie auch die Schriftstellerin Annie M.G. Schmidt nach dem Krieg das bis dahin eher unterhaltsame Kabarett zu einer anspruchsvollen, geistreichen vielseitigen Theaterform, vgl. 4.3.4.2.4. Ihre Lieder, Texte und Wortspielereien, die ein Millionenpublikum erreichten, sollten die ästhetische Verwendung des gesprochenen Niederländischen mitprägen. 4.1.2.3.5. Film Sodann ist der Film als Medium der Verbreitung des gesprochenen Niederländisch zu erwähnen. Der zweite vertonte niederländische Spielfilm, De Jantjes 1934 (internationaler Titel: The tars, ,Die Matrosen‘) mit der beliebten Schauspielerin Heintje Davids in der Hauptrolle war ein Kinoerfolg. Die Verfilmung des gleichnamigen Musicals, vom Film wurden nicht weniger als 16 Kopien hergestellt, sahen sich über 100.000 Zuschauer an. Im gleichen Jahr kam die vertonte Verfilmung von Heijermans’ Op hoop van zegen mit der bekannten Schauspielerin Esther de Boer van Rijk ins Kino. Es war die dritte Verfilmung von Heijermans’ Stück innert zwanzig Jah-

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

285

ren. Allerdings nahm mit der wachsenden Popularität des Tonfilms der Unmut über die Sprache der importierten Filme zu (Dibbets 1993 [a], 96). Der Dietsche Bond beanstandete gar beim Erziehungs- und Kultusminister, dass das Volk im Filmhaus dem schlechten Einfluss fremder Sprachen ausgesetzt werde. Tatsächlich glaubte man, dass die ausländischen, englisch und deutsch gesprochenen Tonfilme das Niederländische bedrohten, wie dies u. a. der Journalist und Theaterdichter Henri van Wermeskerken 1930 in der Zeitung De Telegraaf ausführte. Laut seinem Artikel Onze taal in gevaar (‚Unsere Sprache gefährdet‘) drohte die Muttersprache durch den Tonfilm zu ‚verenglischen‘ oder zu ‚verdeutschen‘. Dabei sei die eigene Sprache de ziel van een volk en de ruggegraat van het nationale bewustzijn (‚die Seele eines Volkes und das Rückgrat des nationalen Bewusstseins‘). Für Van Wermeskerken war das Schauspielhaus nach wie vor der einzige Ort, wo der Niederländer sein eigenes Niederländisch ‚rein‘ hören konnte: Het is de literatuur, die de taal levendig houdt en voedt, maar het is vooral het gesproken woord op het tooneel, dat sterk meewerkt tot het behoud en de verrijking van onze taal. Welnu, dat gesproken Nederlandsche woord dreigt te verstommen, verdrukt te worden door het buitenlandsche, doordat het tooneel (reeds dit jaar ging het overal zeer slecht) plaats moet maken voor de klankfilm. En daarmee is niet alleen het tooneelspel, niet alleen de kunst, maar juist de taal in gevaar. Reeds wordt een volmaakte en uitgegroeide tooneelspelkunst verdrongen door de klankfilm, die nog slechts in de kinderschoenen staat, en over enkele jaren een volmaking bereiken zal, welke wij ons thans nog niet eens kunnen voorstellen. (…) Krachtig en steeds meer volmaakt dringt de klankfilm, met de verduitsching of Amerikaniseering zich op, en verdringt de eenige gelegenheid waar de Nederlander nog zijn eigen Nederlandsch zuiver kan hooren. (Van Wermeskerken 1930) (‚Es ist die Literatur, die die Sprache lebendig hält und nährt, es ist aber vor allem das gesprochene Wort auf der Bühne, das stark an der Erhaltung und Bereicherung unserer Sprache mitwirkt. Wohlan, das gesprochene niederländische Wort droht zu verstummen, vom Ausländischen erdrückt zu werden, indem das Theater (bereits dieses Jahr ging es überall sehr schlecht) dem Tonfilm Platz machen muss. Und damit gerät nicht nur das Theaterspiel, nicht allein die Kunst, aber gerade die Sprache in Gefahr. Bereits wird eine vollkommene und ausgereifte Bühnenkunst vom Tonfilm verdrängt, der noch in den Kinderschuhen steht und in einigen Jahren eine Vollkommenheit erreichen wird, die wir uns heute nicht mal vorstellen können. […]. Kräftig und immer vollkommener drängt sich der Tonfilm mit der Verdeutschung oder Veramerikanisierung auf und verdrängt die einzige Gelegenheit, wo der Niederländer noch sein eigenes Niederländisch rein hören kann.‘)

286

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Van Wermeskerken bestätigt in seinem Artikel, dass man in seiner Zeit, wie weiter oben ausgeführt wurde, die Produktion und Rezeption von Literatur als wesentlichen Bestandteil der Kultivierung der Muttersprache betrachtete. Sodann nennt er ausdrücklich die eingangs erwähnte Bedeutung der Bühnenkünstler für die Verbreitung des gesprochenen AN. Van Wermeskerkens Aufsatz zeigt zudem mit Nachdruck, wie sehr man es in den Dreissigerjahren offenbar für nötig hielt, dem Publikum die Gelegenheit zu bieten, ‚reines Niederländisch‘ zu hören, vgl. 4.1.2. In einer Zeit, als ein beachtlicher Teil der Bevölkerung kein AN sprach, bestand offensichtlich Bedarf an Möglichkeiten, das gepflegte Niederländisch zu rezipieren; das Schauspielhaus erfüllte daher eine besondere Aufgabe. Der Verfasser ahnte wohl nicht, wie sehr der Rundfunk die gepflegte Sprache sehr bald unter sämtlichen Bevölkerungsschichten allgemein bekannt machen sollte. Van Wermeskerkens Widerstand gegen ausländische Tonfilme und sein Bangen um die Muttersprache käme dem heutigen Zeitungsleser unverständlich vor: die unterschiedlichsten Medien konfrontieren ihn Tag und Nacht mit dem gesprochenen AN, das die Mehrheit der Bevölkerung in allen Sprachdomänen verwendet, vgl. 4.1.2. In der NRC hiess es 1930, dass Tonfilme das Niederländisch in Flandern besonders bedrohten, da hier nur französisch gesprochene Streifen gezeigt wurden. Der gemeinsame Kampf für das Niederländisch in Flandern und in den Niederlanden würde durch den Tonfilm daher einen ernsten Rückschlag erleiden: Welke schade dat voor de Vlaamse (Nederlandse) cultuur meebrengt, laat zich denken. Aan het jarenlange ingespannen werk van het Algemeen Nederlands Verbond en andere strijders voor de Groot-Nederlandse gedachte zal er een gevoelige slag door worden toegebracht. (Dibbets 1993 [b], 89) (‚Welchen Schaden das für die flämische [niederländische] Kultur mit sich bringt, lässt sich raten. Der jahrelangen intensiven Arbeit des Allgemeinen Niederländischen Verbandes und anderer Kämpfer des grossniederländischen Gedankens wird ein empfindlicher Schlag zugefügt.‘) Inzwischen traten Stimmen auf, Esperanto als Sprache der internationalen Filme zu wählen. Sodann versuchten vereinzelte Filmemacher, das Sprachproblem mit der Herstellung von Simultanfilmen zu lösen. Sie nahmen die Filmszenen im gleichen Dekor, aber jeweils mit unterschiedlichen Akteuren in verschiedenen Sprachen auf. So entstand 1937 De drie wensen (‚Die drei Wünsche‘) mit einheimischen Schauspielern als niederländische Version des italienischen Films Tre desideri. Schon in den Dreissigerjahren wurde es in den Niederlanden aber zur Gewohnheit der Filmverleihgesellschaften, ausländische Tonfilme auf Niederländisch zu untertiteln. Nur Kinderfilme wurden in der Regel synchronisiert. Aus heutiger Sicht stellt sich die damalige Diskussion über den Tonfilm als überflüssig heraus: der Originalton ausländischer Filme, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Millionen von Zuschauern im Kino hörten, hat den Standardisierungsprozess des gesprochenen Niederländischen nicht im Geringsten aufhalten können. Ergänzend ist noch zu bemerken, dass der Schriftsteller Menno ter Braak und der Filmemacher

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

287

Joris Ivens als Mitgründer der Nederlandschen Filmliga 1929 Interesse an einer anspruchsvollen Filmkunst bekundeten. Ihre Versuche, das Publikum mit avantgardistischen Filmen bekannt zu machen, stehen hier allerdings nicht weiter zu Diskussion. Sodann konnten die Zuschauer ab 1921 regelmässig Nachrichten im Kino verfolgen. Anfänglich wurden die Stummfilme der Firma Polygoon mit niederländischen Zwischentiteln ergänzt, ab den Dreissigerjahren waren wöchentlich in niederländischer Sprache vertonte Nachrichtenfilme im Kino zu sehen. Sie waren beim Publikum beliebt, wohl auch weil die Filmemacher möglichst attraktive Bilder zu den Nachrichten aufnahmen. Bezeichnenderweise zeigen die Filmaufnahmen des deutschen Einmarsches in die Niederlande im Mai 1940 sogar ein Mädchen, das einem Wehrmachtssoldat ein Geschenklein anbietet. Wie Van Wermeskerken befürchtet hatte, machte der Film dem Theater bald Konkurrenz. So bestanden 1916 schon 170 Kinos, 1930 waren dies 300 und 1940 boten über 360 Filmtheater Unterhaltung. Entsprechend nahm die Zahl der Zuschauer zu. So schätzt man, dass 1918 zirka 19 Millionen, 1939 dagegen bereits über 40 Millionen Eintrittskarten verkauft wurden (Dibbets 1993 [a], 244). Dennoch ist der Beitrag des Mediums Film zur weiteren Festigung der gesprochenen gepflegten Sprache zu relativieren. So lockten die niederländischen Spielfilme, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, bedeutend weniger Zuschauer ins Kino als ausländische Streifen, die in der Regel untertitelt waren. Wohl hörte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ein Millionenpublikum im Kino mustergültige Beispiele des gesprochenen AN dank den sorgfältig artikulierten Nachrichtenfilmen des Polygoonjournaal. 4.1.2.3.6. Hörfunk Die niederländischen Rundfunkübertragungen des Ingenieurs H.H. Schotanus à Steringa Idzerda dürften als die ersten regulären Radioprogramme der Welt gelten. Ab 1919 sendete seine Fabrik regelmässig unterhaltende Programme, so entstand radio soirée musicale. Bald spendeten die Zuhörer auf Bitte der Fabrik Beiträge zur Bestreitung der Kosten der Sendungen. Die Programme waren auch unter Radioamateuren in England beliebt, die Daily Mail zählte gar zu den Sponsoren Idzerdas und führte Werbekampagnen für das niederländische Radio durch (Verkijk 1974). Unter der Schirmherrschaft dieser Zeitung sendete die Fabrik darauf bis zu ihrem Bankrott 1923 zusätzlich englische Programme. Unterdessen hatte der Hilversumse Draadloze Omroep (‚Drahtloser Rundfunk Hilversum‘) begonnen, allgemeine Programme in niederländischer Sprache zu senden. Der Rundfunkverein AVRO folgte dieser Organisation 1927 nach. Er sendete unterhaltende und kulturelle Programme in gepflegtem AN. Zu den beliebten Sendungen zählte De bonte dinsdagavondtrein (‚Der bunte Dienstagabendzug‘), ein Unterhaltungsprogramm, das mit einer Unterbrechung während der Kriegsjahre von 1936 bis 1957 zu hören war. An diesen Programmen beteiligten sich bekannte Kabarettisten und Kleinkünstler, so u. a. Toon Hermans und Rudi Carell. Obschon der AVRO sich als nationaler Rundfunk präsentierte, beschloss die Colijn-Regierung, unterstützt von den konfessionellen Parteien 1930 dem katholischen KRO (‚Katholischer Radio-Rundfunk‘), dem orthodox-protestantischen NCRV (‚Niederländisch-Christlicher Radioverein‘) und dem sozialistischen VARA Sendezeit zuzuteilen. Eine vom AVRO organisierte Petition mit über 400.000

288

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Unterschriften konnte die Durchführung dieser Entscheidung so wenig verhindern wie eine in Den Haag organisierte Kundgebung mit zirka 100.000 Teilnehmern. Das überaus grosse Interesse an den Auseinandersetzungen über Senderechte zeigt, wie bereits Anfang der Dreissigerjahre der Rundfunk zu einem Massenmedium herangewachsen war. Die Obrigkeit verteilte die Sendezeit der Radiosender Hilversum 1 und Hilversum 2 1930 unter den Rundfunkvereinen. In den Niederlanden festigte sich so eine öffentlich-rechtliche Rundfunkorganisation, die von Mitgliedern unterschiedlicher Rundfunkvereine getragen wird. Gesellschaftliche Organisationen mit genügend zahlenden Mitgliedern können seither Sendezeit beantragen und die Programmwahl des Rundfunks, später auch des Fernsehens mitbestimmen. Dies gewährt eine einzigartig demokratische Gestaltung der Rundfunk- und Fernsehsendungen. Bereits 1932 lieferte Philips den millionsten Rundfunkempfänger aus. Weniger begüterte Bürger schafften sich preisgünstige, einfach zu montierende Radio-Baukästen an oder mieteten ein Gerät. So verfügte bereits in der Mitte der Dreissigerjahre die Hälfte der niederländischen Haushalte über ein Rundfunkgerät (Beukers in Bosatlas 2011, 403). Vermutlich war Han Hollander (1886–1943) der erste Rundfunk-Berichterstatter der Niederlande. Am 11. März 1928 berichtete er zum ersten Mal im Radio über einen Sportanlass, das Fussballspiel Niederlande-Belgien. Es war dies die erste Gelegenheit, dass die Bevölkerung im ganzen Land über Rundfunk ein überregionales Niederländisch hören konnte, das die Norm der Sprachverwendung im Radio prägen sollte. Dank den Sportreportagen, auch von den Olympischen Spielen in Berlin 1936, war die Stimme Han Hollanders bis Kriegsanfang regelmässig zu hören. Die Sendungen des beliebten Berichterstatters, der 1943 im Konzentrationslager Sobibor umkam, sollten so die Vereinheitlichung der Aussprache des AN mitbestimmen (Smakman 2006, Kommentar zum Umschlag). Die Radiosender Kootwijk in Gelderland und Malabar auf Java ermöglichten ab 1928 die Übermittlung von Rundfunkprogrammen zwischen den Niederlanden und Niederländisch- Ostindien. Bald lauschten in der Kolonie ganze Familien, die sich jeweils um das Rundfunkgerät setzten, niederländische Programme. So hörten sie beispielsweise eine Weihnachtsansprache Königin Wilhelminas oder die Reportagen Han Hollanders von den Fussballspielen der Niederlande und der niederländisch-ostindischen Mannschaft während der Weltmeisterschaften 1938 in Frankreich (vgl. Termorshuizen 2009, 171). Bis 1942 sendete Philips Omroep Holland Indie (‚Philips Rundfunk Holland Niederländisch-Ostindien‘) Radioprogramme von den Niederlanden in die Kolonie. Weiter betreute die Nederlands Indische Radio Omroep Maatschappij (‚Niederländisch-Ostindische Rundfunkgesellschaft‘) ab 1934 westerse (‚abendländische‘) wie oosterse (‚orientalische‘) Programme in Niederländisch-Indien (Van Zutphen 1994, 63 ff). Auch in Flandern beschäftigten sich anfänglich Amateure mit dem Radio. Sie sendeten 1926 zum ersten Mal niederländischsprachige Programme. In den Zwanzigerjahren wuchs der Rundfunk hier ebenfalls zu einem Massenmedium heran. Allmählich wurde er mit der Gründung des INR/NIR (‚Nationales Institut für Radio-Rundfunk‘) 1930 von der Obrigkeit monopolisiert. Inzwischen konnte man zudem Programme von privaten Sendern wie Radio ’t Kerkske (‚Radio das Kirchlein‘) empfangen. Gerade in einer Zeit, in der Sprachgesetze die Stellung des Niederländischen in Belgien verstärkten (vgl. 4.1.6.), konnte das Radio namentlich mit

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

289

dem niederländischsprachigen Sender NIR das überregionale Niederländisch vermehrt unter der Bevölkerung verbreiten. Die mustergültige Verwendung der Sprache im Rundfunk galt als nachahmenswürdig: (…) nu kon de standaardtaal ook rechtstreeks in gesproken vorm tot bij de Vlaamse bevolking gebracht worden. Dat dit geen dode letter bleef, blijkt uit de graad van perfectie op het gebied van Nederlandse uitspraak en taalgebruik die het INR/NIR en later de BRT(N) van zijn radiostemmen eiste. (Siebelink et al. 1994, 239) ([…] jetzt konnte die Standardsprache in gesprochener Form auch unmittelbar unter die flämische Bevölkerung verbreitet werden. Dass dies kein toter Buchstabe blieb, zeigt der Grad der Perfektion auf dem Gebiet der Aussprache und Verwendung des Niederländischen, die das INR/NIR und später die BRT[N] von den Radiostimmen verlangte.‘) Das NIR betreute Nachrichtensendungen wie het gesproken dagblad (‚das gesprochene Tagesblatt‘). Lokale Sender, die eine Mehrheit der Hörerschaft für sich gewinnen konnten, strahlten mit Werbung durchspickte ‚gesprochene Almanache‘ und Unterhaltung aus. Die Wochenzeitschrift Magazine Radio Antwerpen veröffentlichte ab 1933 u. a. die Texte populärer Lieder, die Georges De Caluwés Radio ’t Kerkske sendete. Auch in Belgien wurde der Rundfunk bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zu einem Massenmedium. So besassen 1939 über eine Million Haushalte ein Rundfunkgerät. Zudem bot die Radiodistribution schon in den Dreissigerjahren den Hörern, die nicht über ein Gerät verfügten, die Möglichkeit, drei Sender zu empfangen. Bis heute ist der Rundfunk ein viel beachtetes Medium, vgl. 4.3.4.2. 4.1.2.4. Personenverkehr Auch in den Niederlanden und Belgien beförderten im Laufe des 20. Jh. Eisenbahn, Tram, Fahrrad, Auto, Bus, Schiff, später das Flugzeug stets mehr Bürger. Die stark wachsende Mobilität brachte Einwohner verschiedener Sprachlandschaften zunehmend in Kontakt. Sie boten Sprechern verschiedener niederländischer Sprachvarietäten vermehrt die Gelegenheit, miteinander zu kommunizieren. Während in Belgien bereits im 19. Jh. ein dichtes Schienennetz entstanden war, dauerte es in den Niederlanden bis in die Dreissigerjahre des 20. Jh., bis man den Ausbau der Eisenbahnverbindungen als abgeschlossen betrachtete. Die Fusion einiger Privatunternehmen führte 1938 zur Gründung der nationalen Eisenbahngesellschaft De Nederlandse Spoorwegen. Inzwischen machten Auto und Bus dem Schienenverkehr Konkurrenz, mehrere Tramgesellschaften mussten den Betrieb regionaler Verbindungen noch vor dem Zweiten Weltkrieg einstellen. Schon zu Anfang des 20. Jh. verfügten über 100.000 Niederländer über ein fiets (‚Fahrrad‘, vgl. 4.5.3.1.), 1920 waren dies eine Million, 1940 3,5 Millionen. Das in den Niederlanden so beliebte Transportmittel erweiterte den Aktionsradius der Bevölkerung merklich und brachte Men-

290

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

schen unterschiedlicher Sprachvarietäten zunehmend miteinander in Berührung. Zuvor hatte es Zeit und Mühe gekostet, zu Fuss andere Kommunen zu erreichen. Mancher hörte demzufolge nur selten andere Sprachvarietäten von Mitmenschen, sogar wenn diese in einer Entfernung von nur einigen Kilometern lebten. So blieben beispielsweise auf der Watteninsel Terschelling Sprachvarietäten wie Westers, Midslands und Aasters erhalten, obschon der Abstand zwischen den betreffenden Kommunen nicht mehr als fünf beziehungsweise zehn Kilometer beträgt. Mit dem Fahrrad dagegen gelangte man fortan leicht in weiter entfernte Dörfer und Städte. So lernten immer mehr Menschen sprachliche Eigenheiten benachbarter Kommunen und Regionen kennen, zudem bot sich immer häufiger die Gelegenheit, bei sekundärer Kommunikation das prestigeträchtige AN zu verwenden. Nach 1945 sollte das Moped vielen Bürgern die ländlichen Gegenden vermehrt zugänglich machen. Die Zahl der Personenkraftwagen stieg seit Anfang des 20. Jh. rasch, 1940 besassen über 100.000 Bürger ein Auto. In den Zwanzigerjahren nahm die Obrigkeit auch auf Drängen des Autoklubs KNAC und des Fahrradverbandes ANWB (Van der Horst et al. 1999, 373) die Verbreiterung und den Ausbau von Strassen, die bis dahin auch von Strassenbahnen befahren wurden, in Angriff. Der nationale Strassenplan von 1938 sah den Bau moderner, vierspuriger Autobahnen vor, noch vor 1940 wurden die ersten 100 km solcher Autostrassen fertiggestellt. Die steigende Benutzung des PKWs brachte immer mehr Menschen unterschiedlicher Sprachlandschaften miteinander in Kontakt, auch dank dem Auto wurde es zur Selbstverständlichkeit, dass beispielsweise Einwohner Frieslands mit Limburgern in AN kommunizierten. Auch die inländischen Schiffsverbindungen trugen zum wachsenden Personenverkehr bei. Zudem gewährleisteten Fähren den Transport von Bürgern zwischen den Inseln der Provinz Seelands; die Watteninseln sind noch immer durch Fährboote mit dem Festland verbunden. Nachdem die Bahnlinien Brüssel-Oostende 1838 und danach London-Dover gebaut waren, betreute eine staatliche Gesellschaft ab 1846 den Fährdienst zwischen Belgien und England. Seit 1875, als die Stoomvaart Maatschappij Zeeland (‚Dampffahrt-Gesellschaft Seeland‘) ihren Betrieb aufnahm, bestehen Fährdienste zwischen den Niederlanden und dem Vereinten Königreich. Nach der Eröffnung des Suezkanals 1869 verbesserten sich die Schiffsverbindungen mit Niederländisch-Ostindien stark. Eiserne, später auch stählerne motorisierte Seeschiffe transportierten neben Gütern und Post laufend mehr Beamte, Militär und Geschäftsleute nach Asien und zurück. Auch kamen dank den besseren Schiffen mehr Frauen in die Kolonien. So nahm der Anteil der niederländischsprachigen Europäer während der ersten Hälfte des 20. Jh. in Niederländisch-Ostindien beträchtlich zu, vgl. 4.1.8. Inzwischen wurde das Netz der Schiffsverbindungen im indonesischen Archipel weiter ausgebaut, die Koninklijke Paketvaart Maatschappij hatte dazu 1919 beispielsweise 92 Schiffe im Dienst. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm der Schiffsverkehr zwischen dem Mutterland und den Kolonien weiter zu. Mehrere Reeder unterhielten regelmässige Dienste mit überseeischen Gebieten, so die Stoomvaart Maatschappij Nederland mit 39 Schiffen, die Koninklijke Nederlandsche Stoomboot Maatschappij mit 46 Schiffen, die Rotterdamsche Lloyd mit 31 Schiffen oder die Holland-Amerika Lijn mit 23 Schiffen. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg erhielt die Schifffahrt mit dem Flugzeug einen ernst zu nehmenden Konkurrenten. In den Zwanzigerjahren nahm die Koninklijke Luchtvaartmaatschappij

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

291

(KLM, ‚Königliche Luftfahrtgesellschaft‘) den Linienbetrieb mit Dutzenden europäischen Städten auf. 1924 erreichte eine einmotorige Fokker-Maschine nach 127 Flugstunden Batavia auf Java. Drei Jahre später übernahm die KLM die Flüge dieser damals längsten Luftlinie der Welt. Sodann betreute die 1928 gegründete Koninklijk Nederlandsch-Indische Luchtvaart Maatschappij (‚Königliche niederländisch-indische Luftfahrtgesellschaft‘) den Flugverkehr in Südostasien. 1934 erfolgte der erste transatlantische Flug von Amsterdam nach Curaçao. Bereits in den Dreissigerjahren besorgte die KLM regelmässige Flüge nach Mittelamerika. Die niederländischen Antillen und Surinam waren mit dem Flugzeug erreichbar. Der Post- und Paketverkehr zwischen den Niederlanden und der überseeischen Gebieten wurde dank den Luftlinien zudem bedeutend schneller. 4.1.2.5. Post, Telegraf, Telefon Der wachsende Wohlstand und die zunehmende wirtschaftliche Aktivität brachten eine erhebliche Steigerung der Verwendung von Kommunikationsmitteln während des ersten Viertels des 20. Jh. mit sich. So wurden 1919 sechs Millionen Telegramme verschickt, 1880 waren dies erst zwei Millionen (vgl. Bosatlas 2011, 403). Danach nahm durch die wachsende Zahl von Telefonanschlüssen der Inland-Telegrammverkehr allerdings ab. So wurden 1931 28 Millionen Telefongespräche geführt, dagegen nur noch zwei Millionen Telegramme gesandt. Das Telefon förderte in dieser Zeit denn auch die mündliche Kommunikation zwischen Sprechern des Niederländischen. Auch das Volumen der schriftlichen Kommunikation zwischen Einwohnern des niederländischen Sprachgebiets wuchs vor dem Zweiten Weltkrieg stark. 1900 zählten die Niederlande zum Beispiel 1314 Postämter, es wurden dann 120 Millionen Briefe und Karten verschickt. Dreissig Jahre später betreuten 1947 Postämter den Versand von 346 Millionen Briefen und Karten. Somit wurden in der ersten Hälfte des 20. Jh. nicht nur mehr niederländische Texte als je zuvor gelesen (vgl. 4.1.2.3.1.- 4.1.2.3.3.), sondern auch mehr Bürger schrieben einander. Sie verfassten in einem bis dahin nicht da gewesenen Ausmass Texte in der Schriftsprache. Das AN hatte sich im gesamten Sprachgebiet als Sprachvarietät für sekundäre mündliche Verständigung und für die schriftliche Kommunikation allgemein durchgesetzt.

4.1.3. Dichter und Schriftsteller als Spracherneuerer Es gehört zur schöpferischen Tätigkeit jedes ernst zu nehmenden Schriftstellers und Dichters, ästhetische Texte sprachlich auf individuelle Weise zu gestalten. In diesem Sinn dürften auch die Mehrheit der Verfasserinnen und Verfasser niederländischer Literatur als Erneuerer der Sprache gelten. Sie können hier aus erklärlichen Gründen nicht erschöpfend als Spracherneuerer behandelt werden. Im Folgenden sollen allerdings einige markante Beispiele von besonderer Verwendung des Niederländischen in der Literatur der ersten Hälfte des 20. Jh. kurz beleuchtet werden. Nescio, den Literaturkenner heute als ‚Kultfigur‘ einstufen (Bel 2015, 365), hatte Mühe, seine Novellen herausgeben zu lassen. Sein De uitvreter (‚Der Schnorrer‘) wurde 1911 kaum beachtet, für die Veröffentlichung seiner Geschichte Titaantjes (‚Kleine Titanen‘ Grüttemeier et al. 2006, 230) verlangte die De Gids-Redaktion so viele Änderungen, dass er sie 1915 in Groot Ne-

292

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

derland publizierte. Diese Zeitschrift lehnte jedoch Dichtertje (‚Dichterlein‘) ab; die Geschichte erschien dann drei Jahre später zusammen mit den ersten zwei Erzählungen in einem Band. Die damaligen Kritiker und die Herausgeber von Zeitschriften bevorzugten nach wie vor wohl die écriture artiste (vgl. 3.6.1.2.), Nescios ironisierender Sprachgebrauch und die Verwendung der Umgangssprache waren in literarischen Werken jener Zeit unbekannt. Der lakonische Ton, die scharfen Formulierungen (vgl. Grüttemeier et al. 2006, 230) sowie die scheinbar phonologische Wiedergabe von Gesprächen, die Bohemiens über die von ihnen verachtete ‚bürgerliche Gesellschaft‘ führen, sind denn auch als Erneuerung einzustufen. Das folgende Gespräch zwischen zwei Männern auf einer Fähre scheint die gesprochene Sprache jener Zeit zu widerspiegeln. Bezeichnenderweise wird het (‚es‘) zu ’t gekürzt, hij (‚er‘) wird bei Inversion zu i mit ausdrücklichem Bindestrich: Nog eens keek Japi Bavink met z’n groote blauwe oogen aan en werd plotseling spraakzaam. ‚Ik vind ’t hier verdomd leuk,‘ zei-i, ‚’t is jammer, dat ’t zoo niet altijd blijft.‘ ‚Over een uurtje zijn we aan,‘ zei Bavink. ‚Moet u naar Zierikzee?‘ vroeg Japi. ‚Dat wil zeggen,‘ zei Bavink, ‚ik ga vanavond door naar Veere,‘ ‚Zoo,‘ zei Japi, ‚is u daar gelogeerd?‘ (Nescio 1911, 46) (‚Nochmals schaute Japi Bavink mit seinen grossen blauen Augen an und wurde plötzlich gesprächig. „Ich finde es hier verdammt nett“, sagte er, „schade, dass es nicht immer so bleibt.“ „ In etwa einer Stunde treffen wir ein“, sagte Bavink. „Gehen Sie nach Zierikzee?“ fragte Japi. „Das heisst“, sagte Bavink, „ich gehe heute abend nach Veere,“ „So,“ sagte Japi, „übernachten Sie dort?“) Auch dem bereits von Menno ter Braak so sehr geschätzten Flamen Willem Elsschot gelang es, mit seiner ironischen Wortwahl den konventionellen literarischen Sprachgebrauch der ersten Jahrzehnte des 20. Jh. zu durchbrechen. Der Verfasser lässt seine Protagonisten gerne in hochtrabenden Äusserungen Plattitüden verkünden (vgl. Bel 2015, 374). Elsschots knappe, präzis formulierte Sätze stuft man bisweilen auch als neue Sachlichkeit ein (Grüttemeier et al. 229). Das gilt ebenfalls für Bordewijks Blokken (‚Blöcke‘ 1991) 1931, einen kurzen Roman, der wegen der Depersonalisierung der Protagonisten und der Zukunfstorientierung zudem mit dem Kubismus und Futurismus in Zusammenhang gebracht wird (Grüttemeier et al. 2006, 222). Bordewijk sowie zeitgenössische Kritiker ordneten Knorrende beesten (‚Knurrende Tiere‘) 1933 und Bint 1934 (vgl. Bordewijk 2012) ebenso in die neue Sachlichkeit ein (Bel 2015, 713). Die entsprechende schlichte Schreibweise zeigt sich nicht nur in der Einfachheit des Plots und der Kürze dieser Romane, sondern auch in der straffen, knappen Verwendung der Sprache. Bezeichnenderweise sagt der autoritäre Schuldirektor Bint in der gleichnamigen Erzählung zu einem neuen Mitarbeiter: Ik houd van weinig woorden.... (‚Ich bevorzuge wenige Wörter...‘, Bordewijk

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

293

2000, 78). Nach einer Sitzung mit den Lehrern urteilt er später, dass die Debatte precies, concies (‚präzis, konzis‘, Bordewijk 2000, 106) gewesen war. Weiter meint er: Wij moeten de spreekwoordelijke wijdlopigheid van de Nederlander bekampen, logenstraffen. De taal van de regering, hoog en laag, de taal van de wetten, de taal van de kranten, is mij een gruwel. Ik lees geen kranten meer omdat van de tien woorden er niet één is verantwoord. (Bordewijk 2000, 106 ff) (‚Wir müssen die sprichwörtliche Weitschweifigkeit des Niederländers bekämpfen, Lügen strafen. Die Sprache der Regierung, von oben nach unten, die Sprache der Gesetze, die Sprache der Zeitungen ist mir ein Greuel. Ich lese keine Zeitungen mehr, weil von zehn Wörtern kein einziges fundiert ist.‘) Trotz der kargen, bündigen Sprache weisen die Texte Bordewijks eine auffällige Metaphorik auf. So werden die Schüler einer als hel (‚Hölle‘) bezeichneten Klasse mit sonderbaren Namen wie Van der Karbargenbok, Whimpysinger oder Klotterbooke vom Lehrer öfters mit Tieren verglichen: De roofvogel sloeg een klauw uit. ‚Ja?‘ ‚Meneer, mag de deur dicht!‘ ‚Van der Karbargenbok komt ook zaterdag terug van twee tot zes.‘ (Bordewijk 2000, 82) (‚Der Raubvogel schlug seine Klaue aus. „Ja?“ „Herr De Bree, kann man die Tür schliessen!“ „Van der Karbargenbok muss auch am Samstag von zwei bis sechs nachsitzen.“‘) Einige jüngere belgische und niederländische Lyriker, die im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jh. debütierten, sind zur historischen Avantgarde zu rechnen. In ihrer von der ‚Grande Guerre‘ heimgesuchten Welt zeugen sie in ihrer Dichtung von einer antibürgerlichen Mentalität. Sie lehnen den nach wie vor in der Literatur bestehenden Schönheitskult ab (vgl. 3.6.1.2.), klassische Versformen verwerfen sie. Zwar waren diverse Zeitschriften modernen Strömungen in der Kunst wie Avantgarde, Dadaismus, Konstruktivismus, Futurismus oder Surrealismus gewidmet; dies gilt namentlicht für De Stijl (‚Der Stil‘1917–1931), an der Piet Mondrian mitarbeitete, Arthur Lehnings i 10 (1927–1929), die dadaistische Zeitschrift Mécano (1922–1923), The Next Call (‚Der nächste Ruf‘ 1923–1926) des Groninger Künstlers Hendrik Werkman sowie die flämischen Zeitschriften Het Overzicht (‚Die Übersicht‘ 1921–1925) und Ruimte (‚Raum‘ 1920–1921). Trotzdem ist die sogenannte historische Avantgarde in der niederländischen Literatur als Randerscheinung einzustufen (vgl. Grüttemeier 2006, 209). Auffassungen deutscher Expressionisten, die von Zeitschriften wie Der Sturm (1910– 1932), Die Aktion (1911–1932) oder Die Weissen Blätter (1914–1920) verbreitet wurden, fanden dennoch, sei es mit Verspätung, bei einigen flämischen und niederländischen Autoren

294

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Anklang. So konnte das Streben nach einer besseren Menschheit und die Ablehnung des Individualismus mit Paul van Ostaijens Zuspruch rechnen. Namentlich Van Ostaijen und Theo van Doesburg, aber auch andere avantgardistische Künstler aus dem niederländischen Sprachgebiet stiessen ihrerseits in Deutschland auf Interesse. So veröffentlichte Der Sturm 1924 ein Sonderheft über moderne flämische Kunst (Grüttemeier 2006, 210). Paul van Ostaijen, wohl einer der bedeutendsten avantgardistischen Lyriker der niederländischen Literatur, hatte sein Interesse für die eigene Sprache bereits während seiner Schulzeit am Antwerpener ‚Athenee‘ entwickelt. Dieses öffentliche Atheneum (‚Realgymnasium‘), wo erst seit kürzerer Zeit Niederländisch-Unterricht zugelassen war, galt als Nährboden der flämischen Bewegung. Bald wurde Van Ostaijen zum Mitkämpfer der flämischen Bewegung. Jede Generation kenne laut ihm slechts éen prinsiep (‚nur ein Prinzip): Kijken door het prisma van het flamingantisme. (‚Wahrnehmen durch das Prisma des flämischen Nationalismus‘ Bel 2015, 437). Darüber hinaus verknüpfte Van Ostaijen seinen flämischen Aktivismus mit der internationalen Avantgarde, so erhielt seine Arbeit auch ausserhalb der Landesgrenzen Anerkennung. Ein früheres Werk Van Ostaijens wie Music-Hall 1916 enthält noch traditionelle, alliterierende Verse. Wohl verwendet Van Ostaijen hier zum ersten Mal in der niederländischen Lyrik Wörter wie fiets (‚Fahrrad‘), elektrieke (‚elektrische‘), kinolampen (‚Kinolampen‘), auto (‚PKW‘) oder motorboot (‚Motorschiff‘). Die in Berlin entstandenen Gedichtbände Bezette Stad (‚Besetzte Stadt‘ 1991) 1920 und das 1928 posthum erschienene De Feesten van Angst en Pijn (‚Die Feste der Angst und des Schmerzes‘) überborden von sprachlichen Experimenten. Bezette Stad thematisiert wohl den deutschen Angriff auf Antwerpen am 6. Oktober 1914 sowie die Bombardierung der Stadt durch Zeppeline. Der zersplitterte Text, verfasst in der Kollewijn-Orthografie (vgl. 3.1.1.2.), scheint die Zerstörungen optisch zu reflektieren. In den zerbröckelten Phrasen fehlen nicht nur syntaktische Zusammenhänge, auch die Linearität ist häufig abwesend, Gedichte werden nicht abgegrenzt, Seitenangaben fehlen, vgl. Abb. 16. Die erste Seite des Textes Rouwstad (‚Trauerstadt‘), der vermutlich zehn Seiten umfasst, enthält u. a. mehr oder weniger miteinander zusammenhängende Substantive, Adjektive, Adverbien, finite und infinite Verbformen, Partizipien und Teile von selbstständigen syntaktischen Strukturen. Im Neologismus Rouwstad klingt möglicherweise das Substantiv rouwkaart (‚Todesanzeige‘) mit, der schwarze Rahmen schliesst dies nicht aus. Andererseits erinnern die sprachlichen Elemente innerhalb dieser Umrahmung an den Text eines Plakats mit Anweisungen für die Bevölkerung: bei luchtaanvallen (‚Luftangriffen‘) moeten (‚müssen‘) burgers (‚Bürger‘) 1, 2, 3. Das Partizip verwittigd ist übrigens eine südliche Bezeichnung für ‚verständigt‘. Offen bleibt aber, was die Einwohner zu tun haben. Fehlt die Zeit für die in Panik geratenen Stadtbewohner, um die Vorschriften zu lesen? Oder ist das Plakat bereits zerstört? Weiter stellt sich die Frage, ob Licht in de kamer (‚das Zimmer‘) eindringt, das vielleicht verdunkelt ist. Wem gehört aber ‚das‘ Zimmer, sind die Bewohner geflohen? Oder deuten die Farbbezeichnungen violet (‚violett‘) und Zwart (‚Schwarz‘) auf ihren Tod? So enthält Rouwstad viele Rätsel, die in Zusammenhang mit dem Bombenangriff stehen.

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

Abb. 16: Paul van Ostaijen, Rouwstad.

295

296

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Nicht nur die Strukturierung des sprachlichen Materials, sondern auch die Darstellung der Schriftzeichen bedeuten eine Erneuerung der Verwendung der niederländischen Sprache in einem literarischen Kunstwerk wie Rouwstad. Bemerkenswert ist beispielsweise die Verteilung des sprachlichen Materials über die Seiten, die man wohl als rhythmische Typografie charakterisiert (Bel 2015, 440). Sodann erhalten vereinzelte Grapheme durch ihre Gestaltung eine zusätzliche piktografische Qualität. So bekommt das Wort ZEPPELIN die Form des entsprechenden Luftschiffs:

Mit der Darstellung eines grossen schwarzen Ausrufezeichens als Fliegerbombe scheint gar ein Hilfsgraphem zum Piktogramm zu werden. So verstärken piktografische Eigenschaften der verwendeten sprachlichen Formen in der Lyrik Van Ostaijens den Inhalt der Texte. Der bildende Künstler Theo van Doesburg, der mit seiner Zeitschrift De Stijl die europäische Avantgarde in den Niederlanden weiter bekannt machte, verfasste unter dem Pseudonym I.K. Bonset auch literarische Werke. Anfänglich umfasste seine Lyrik typografisch auffällig dargestellte Reihen von sprachlichen Elementen, teilweise in der Kollewijn-Orthografie, die immerhin noch referentielle Bedeutung besassen. Bonsets 1920 in De Stijl veröffentlichte X-beelden (‚X-Bilder‘), die von der Suche nach einer universalen Harmonie zeugen, weisen optisch Übereinstimmungen mit der von ihm befürworteten Kunst des Konstruktivismus auf. Der Verweis sprachlicher Elemente auf aussersprachliche Sachverhalte wurde zunehmend zu einem Hindernis bei der Schöpfung von Dichtung, Laute beziehungsweise Klänge galten nun als das Wesentliche der ‚reinen‘ Lyrik. Die X-beelden, die noch eine gewisse referentielle Bedeutung aufweisen, kennzeichnen sich durch Klang- und Wortwiederholungen (Bel 2015, 582) sowie typografische Eigenheiten, wie der Anfang des ersten Textes zeigt: hé hé hé hebt gij ’t lichaamlik ervaren hebt gij ’t lichaamlijk ervaren hebt gij ’t li CHAAM lijk er VA ren On (De Stijl 4, 1921, ohne Seitenangabe) In einer Fussnote steht: On: te lezen nuln (einige Wortbedeutungen: hé = ‚ha‘, ‚ach‘; lichaamlik = ‚körperlich‘; ervaren = ‚erlebt‘; te lezen nul = ‚als Null zu lesen‘). .

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

297

Die Grapheme der später erschienenen Letterklankbeelden (‚Buchstaben-Laut-Bilder‘) entbehren einer Bezugnahme auf aussersprachliche Sachverhalte. In Anmerkungen wird angegeben, wie lange man einen Buchstaben beim Lesen anhalten solle, die Texte erhalten so Merkmale, die in einer Partitur zu erwarten sind. So verwischen in Van Doesburgs Werken die Grenzen zwischen Sprache, Musik und bildender Kunst. Das Werk Ruiter (‚Reiter‘, Abb. 17) stellt ein Beispiel eines Piktogramms dar, das aus Graphemen aufgebaut ist.

Abb. 17: Bonset, Ruiter

Als weniger radikal aus heutiger Sicht lassen sich Jan Engelmans sprachliche Experimente in einem Gedicht wie Vera Janacopoulos 1926 einstufen. Der zum Teil ambigue Inhalt des nach einer griechisch-brasilianischen Sängerin genannten Gedichtes weist intakte nominale und verbale Phrasen auf; die lexikalischen Elemente besitzen als sprachliche Zeichen einen semantischen Inhalt: Vera Janacopoulos cantilene Ambrosia, wat vloeit mij aan? uw schedelveld is koeler maan en alle appels blozen de klankgazelle die ik vond hoe zoete zoele kindermond van zeeschuim en van rozen

298

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

o muze in het morgenlicht o minnares en slank gedicht er is een god verscholen violen vlagen op het mos elysium, de vlinders los en duizendjarig dolen (Engelman 1932, 62) (Worterklärungen: aanvloeien = ‚rieselnd sich annähern‘; schedelveld = ‚Schädelstätte‘; maan = ‚Mond‘; blozen = ‚erröten‘; zoete = ‚süsse‘; kindermond = ‚Mund eines Kindes‘; zeeschuim = ‚Gischt‘; rozen = ‚Rosen‘; minnares = ‚Geliebte‘; verscholen = ‚verborgen‘; violen = ‚Veilchen‘, ‚Geigen‘; vlagen = ‚Windstösse‘; mos = ‚Moos‘; vlinders = ‚Schmetterlinge‘; dolen = ‚herumirren‘). Die Bezeichnung des Textes als cantilene verweist wohl auf die cantilène, ein im Hochmittelalter gesungenes französisches Gedicht; diese Überschrift kündigt denn auch einen melodiösen Gesang an. Die Abwechslung von Reimen und Halbreimen, Stabreim und Assonanzen dürfte den Wohlklang des Textes unterstreichen, Wörter wie vloeit (‚fliesst‘), zoete (‚süsse‘) oder los (‚locker‘) würden sich als Anweisungen für Musiker in einer Partitur eignen (Claes 2006). Laut Simon Vestdijk beruht die ‚Musikalität‘ des Gedichtes nicht so sehr auf seinen akustischen Qualitäten, sondern vor allem auch auf der ‚Magie‘ von poëtisch klinkende woorden (‚poetisch tönenden Wörtern‘) wie maan (‚Mond‘), appels (‚Äpfel‘), rozen (‚Rosen‘), zoet (‚süss‘), kindermond (‚Kindermund‘), zeeschuim (‚Gischt‘), blozen (‚erröten‘) oder vlinders (‚Schmetterlinge‘). Mehr als die Laute mache laut Vestdijk die Wortwahl den Text ‚musisch‘. Es sei dahingestellt, ob und wie sich eine solche These empirisch überprüfen lässt. Fest steht, dass ein eruditer Schriftsteller, Dichter, Literaturkenner und Musiker wie Vestdijk in der Beschreibung seiner Rezeption von Engelmans Gedicht, die Sprache Vera Janacopoulos’ nicht nur als ‚musikalisch‘, sondern vor allem auch als ‚musisch‘ einstuft. Er folgert: Inderdaad is Vera Janacopoulos een van de toppen van klankraffinement, waartoe de Nederlandse poëzie in staat is gebleken. (Vestdijk 1950, 125) (‚Tatsächlich offenbart sich Vera Janacopoulos als eines der ultimativen Beispiele des Klangverfeinerns, das in der niederländischen Poesie möglich ist‘). Wie sehr Engelmans Verwendung der Sprache in den Dreissigerjahren als Experiment empfunden wurde, zeigt die heftige Auseinandersetzung anlässlich Vera Janacopoulos über Dichtung, Ästhetik und die Persönlichkeit des Dichters zwischen u. a. Menno ter Braak und Hendrik Marsman (vgl. Ter Braak 1980, 606 ff). Du Perron veröffentlichte gar eine Parodie von Engelmans

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

299

Gedicht in Forum (Vestdijk 1950, 125 ff), um dessen Lyrik als Form der poésie pure zu bekämpfen. Sowohl zeitgenössische Bewunderer als auch Kritiker Engelmans lassen sich in ihrern Beurteilungen von den sprachlichen Experimenten seiner Lyrik leiten; so scheint sich der Dichter in seiner Zeit den Grenzen der poetischen Verwendung des AN zu nähern. Schließlich ist die Anwendung des gesprochenen AN in der Lyrik dieser Zeit zu nennen. Dieser als parlando bezeichnete Gebrauch der Sprache zeigt sich beispielsweise in den folgenden zwei Quartetten von Martinus Nijhoffs Sonett De moeder de vrouw (‚Die Mutter die Frau‘): Ik ging naar Bommel om de brug te zien. Ik zag de nieuwe brug. Twee overzijden die elkaar vroeger schenen te vermijden, worden weer buren. Een minuut of tien dat ik daar lag, in ’t gras, mijn thee gedronken, mijn hoofd vol van het landschap wijd en zijd laat mij daar midden uit de oneindigheid een stem vernemen dat mijn oren klonken. (Nijhoff 1963, 212, vgl. 4.2.2.3.) (Worterklärungen: Bommel = ‚Zaltbommel, Städtchen am südlichen Ufer des Flusses Waal‘; brug = ‚Brücke‘; overzijde = ‚gegenüberliegende Seite‘; vermijden = ‚meiden‘; buren = ‚Nachbarn‘; wijd en zijd = ‚überall‘; oneindigheid = ‚Unendlichkeit‘; stem = ‚Stimme‘; klonken = ‚tönen‘, ‚sich anhören‘) Stellt man die zitierten Zeilen hintereinander dar, so scheint ein Prosa-Text ersichtlich zu werden, der ein Fragment eines Gesprächs beinhaltet. Er kennzeichnet sich durch Merkmale, die im gesprochenen AN gängig sind. So erscheint das Verbum finitum lag in Een minuut of tien dat ik daar lag nicht an zweiter Stelle nach tien wie in Een minuut of tien lag ik daar. Erst in der untergeordneten Struktur dat ik daar lag tritt es auf, wie dies in der mündlichen Verwendung des AN nicht unüblich ist. Weiter fehlt, ähnlich wie dies beim Reden geschehen kann, in mijn thee gedronken ein Verbum finitum, ebenso in mijn hoofd vol van het landschap wijd en zijd. Sodann ist die Stellung des finiten Verbs laat an erster Stelle, als Ausdruck der Überraschung eine Erscheinung, die eher in gesprochenem AN vorkommt. In salopp gesprochenen Wörtern wie Loop ik van-de-week in de Kalverstraat. Kom voorbij juwelier Jos Inden, je weet wel, op nr. 51. Laat-ie nou uitverkopen (‚Gehe ich diese Woche durch die Kalver-Strasse. Komme am Juwelier-Geschäft-Jos-Inden vorbei, Du weisst schon, Nummer 51. Hat er doch Ausverkauf.‘) drückt das an erster Stelle stehende laat ähnlich wie in Nijhoffs Text Überraschung aus. Es handelt sich um eine syntaktische Struktur, die vor allem in der mündlichen Kommunikation anzutreffen ist, vgl. 4.5.2.2.2. Übrigens weisen die anschliessenden Terzette in Nijhoffs Sonett, welche die Erinnerung an die Mutter thematisieren, keine spezifischen Merkmale des alltäglichen gesprochenen Niederländischen auf.

300

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

4.1.4. Modernisierung der niederländischen Orthografie Die Diskussionen über eine Modernisierung der Orthografie, die im letzten Viertel des 19. Jh. verstärkt weitergeführt wurden (vgl. 3.2.1., 3.6.2.), setzten Sprachwissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten und Pädagogen im 20. Jh. nicht selten mit erstaunlicher Leidenschaft fort. Die Obrigkeit hatte 1908 die Einführung der Kollewijn-Orthografie in der Schule verboten, auch in späteren Stellungnahmen lehnte sie diese Rechtschreibung ab. Zeitungen wie die Nieuwe Rotterdamsche Courant oder De Telegraaf wiesen sie ebenfalls zurück, De Telegraaf entliess 1927 gar einen Mitarbeiter, der modern buchstabieren wollte. Dagegen gestatten andere Tageblätter, so De Maasbode und Het Volk ihren Journalisten, eine vereinfachte Rechtschreibung anzuwenden. Inzwischen wurde der Ruf nach einer Rechtschreibreform lauter, bezeichnenderweise wuchs die Mitgliederzahl der Vereniging tot Vereenvoudiging van onze Spelling (‚Vereinigung zur Vereinfachung unserer Orthografie‘, vgl. 3.2.1.) merklich. Es zeichnete sich zunehmend eine Bereitschaft ab, Vorschläge von Kollewijn einzuführen. Bedeutende Linguisten wie Gerlach Royen (1880–1955), der namentlich die Beugung im AN erforschte, Coenraad Bernardus van Haeringen (1892–1983), Ordinarius an der Universität Utrecht, Etsko Kruisinga (1875- 1944), Privatdozent an der Universität Utrecht, und vor allem auch Cornelis Gerrit Nicolaas de Vooys (1873–1955), Ordinarius an der Universität Utrecht, unterstützten Bestrebungen zur Reform der Rechtschreibung. Inzwischen befasste sich ein breiteres Publikum mit der Sprache, die Rechtschreibung bewegte die Gemüter. In Zeitungen und Zeitschriften erschienen Artikel für eine grössere Leserschaft zum vermeintlich richtigen beziehungsweise falschen Gebrauch des ABN und zur Orthografie. So verfasste Gerlach Royen Hunderte populäre Aufsätze zu den unterschiedlichsten Fragen bezüglich der Muttersprache. Die Sprach- und Stilbüchlein des beliebten Charivarius (Pseudonym des Anglisten Gerard Nolst Trenité) fanden grossen Absatz, sein Is dat goed Nederlands? (‚Ist das gutes Niederländisch?‘) wurde bis 1940 elf Mal neu aufgelegt. Vermehrt bereitete die De Vries-Te Winkel-Orthografie, die nach wie vor galt, den Sprachteilnehmern, nicht zuletzt Lehrern und Schülern Mühe. Wie Kollewijn festhielt, war die Regelung derart komplex, dass man bei zahllosen Wörtern nicht vorhersagen konnte, welche Regel für die verlangte Rechtschreibung zu befolgen war. Er forderte, dass man in der Schriftsprache auf Unterscheidungen verzichtete, die in der gesprochenen Sprache fehlten. Zweifelsohne liessen sich zum Beispiel die Kasusmarkierungen in der Schriftsprache, die im lebendigen Niederländischen kaum vorkamen, nur schwer erlernen. Schwierigkeiten verursachte gewiss auch die Berücksichtigung der Etymologie bei der Rechtschreibung von Lauten, die sich in der Aussprache nicht voneinander unterschieden. Die sprachhistorisch bedingten unterschiedlichen Schreibweisen und für den Laut /o/ in Wörtern wie kooper (‚Käufer‘) und koper (‚Kupfer‘) oder und für den Laut /e/, so in lezen (‚lesen‘) und beenen (‚Beine‘), die sich den Schülern wohl kaum erklären liessen, beanspruchten viel Zeit im Unterricht der Muttersprache. Eine 1916 angestellte Kommission erarbeitete einen Kompromiss zwischen der De Vries-Te Winkel- und der Kollewijn-Orthografie. Vier der neun Hauptregeln der Kollewijn-Orthografie übernahm die Kommission vollständig, eine weitere Regel des Reformers wurde nur teilweise berücksichtigt (vgl. A. Neijt 1991, 148).

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

301

Laut der neuen Vorschläge, die in die ‚Marchant-Orthografie‘ mündeten, seien Artikel, Adjektive und Pronomina entsprechend ‚der gepflegten Aussprache des ABN‘ zu schreiben. So sollte man in Ausdrücken wie in den beginne (‚am Anfang‘) den weiterhin mit schreiben, zu verzichten sei aber auf -n-Beugungen, die nicht ausgesprochen wurden. Im Einklang mit der gesprochenen Sprache hatte man beispielsweise in de hoek (‚in der Ecke‘) ohne zu schreiben. Wohl behielt man die -n-Beugung bei Namen männlicher Personen und Tiere bei. So mussten die Kinder der Grundschule immer noch lernen, dass sie ik zie den meester voor de klas (‚ich sehe den Lehrer vor der Klasse‘) oder de poten van den hond (‚Die Pfoten des Hundes‘) zu schreiben hatten, obschon sie nur de meester und de hond in der gesprochenen Sprache kannten. Faktisch schaffte die Kommission die Kasusmarkierung im geschriebenen Niederländisch somit fast vollständig ab. Sie setzte damit einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung über die artifizielle Unterscheidung von Fällen in der Schriftsprache ein Ende. Wie willkürlich die bis dahin geltenden Rechtschreibregeln zum Kasus waren, geht aus vielen Dutzenden Darstellungen der Markierung von Fällen seit dem 16. Jh. hervor. Mehrere Gelehrte und Schriftsteller unterschieden wohlgemerkt sechs Fälle, so die Verfasser der Twe-spraack 1584, oder Christiaen van Heule in seiner Grammatik von 1625. In seiner bearbeiteten Grammatik von 1633 begnügte sich Van Heule dann mit nur noch vier Kasus. Petrus Leupenius beschränkte sich 1653 lediglich auf drei Fälle. Dagegen unterschieden im 18. Jh. Adriaen Verwer 1707, Arnold Moonen 1740 oder Kornelis Elzevier (1717–1761) 1761 wieder sechs Kasus, Weiland 1799 beziehungsweise Weiland 1805 aber nur vier. Während Willem Gerard Brill 1846 ebenfalls vier Kasus für die Schriftsprache festzulegen versuchte, hielt sein Zeitgenosse Taco Roorda eine Kasusmarkierung im Niederländischen hingegen mit Recht für unnatürlich, vgl. 3.2.2. Die verschiedenartige Behandlung des Kasus im Laufe der Jahrhunderte zeigt, wie willkürlich die meisten Verfasser grammatikalischer Veröffentlichungen Regeln für die Markierung vermeintlicher Fälle in der Schriftsprache aufstellten, während eine systematische Kasusmarkierung im gesprochenen Niederländisch durch Flexionsverlust in grossen Teilen des Sprachgebietes seit vielen Jahrhunderten gar nicht mehr vorkam. In dieser Hinsicht ist die Einführung der Marchant-Orthografie als bedeutende Modernisierung der Rechtschreibung zu bewerten, auch wenn die Regierung 1936 die n-Flexion für ‚offensichtlich‘ mask. Nomina wieder vorschrieb. Sodann wären künftig in offenen Silben /e/ und /o/ mit einem Graphem, beziehungsweise zu schreiben: koper (‚Käufer‘, ‚Kupfer‘), weken (‚Wochen‘, ‚aufweichen‘). Am Schluss eines Wortes war /e/ aber mit zwei Graphemen zu buchstabieren, vgl. mee (‚mit‘). Auf eine Wiedergabe des vermutlich schon im Mittelalter aufgelösten postalveolaren Lautes /ch/ am Ende vieler Wörter war künftig zu verzichten. So sollten die Schüler mens (‚Mensch‘) statt mensch schreiben. Das postkonsonantische h in Wörtern wie thee (‚Tee‘) behielt man in einigen eingebürgerten Lehnwörtern bei, vgl. theater (‚Theater‘), katholiek (katholisch‘) oder sympathiek (‚sympathisch‘). In anderen Wörtern, wie atleet (‚Athlet‘), auteur (‚Autor‘) oder retoriek (‚Rhetorik‘) fiel es weg. Schliesslich behielten Namen die ursprüngliche Orthografie, vgl. die Ortsnamen Aerdenhout mit der Schreibweise für den Laut /a/ oder Oirschot mit für /o/.

302

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Dagegen berücksichtigte die Kommission Kollewijns Regel (vgl. 3.2.1.), /i/ in einheimischen Wörtern mit zu schreiben, nicht: so müsste man auch künftig bizonder (‚besonders‘) statt biezonder schreiben. Sodann war Schwa in Wörtern wie duidelijk (‚deutlich‘) nach wie vor mit statt mit wiederzugeben. Die Rechtschreibung von eingebürgerten Lehnwörtern wurde ebenso wenig angepasst: nach wie vor hatte man tram (‚Strassenbahn‘) statt trem, Februari (‚Februar‘) statt Februarie zu schreiben, ebenfalls aether (‚Äther‘) statt ether, locomotief (‚Lokomotive‘) statt lokomotief, alphabet (‚Alphabet‘) statt alfabet oder rhododendron (‚Rhododendron‘) statt rododendron (Neijt 1991). Schliesslich wurde die Wiedergabe des Fugen-n und Fugen-s in Zusammensetzungen nicht der Aussprache angepasst. So war weiterhin zedenleer (‚Sittenlehre‘) statt zedeleer oder oorlogsschip (‚Kriegsschiff‘) statt oorlogschip zu schreiben. Gegner einer Rechtschreibreform befürchteten einen Bruch in der bestehenden, jahrhundertelangen Schreibtradition. Sie warnten davor, dass Texte, die bis dahin in der traditionellen Orthografie veröffentlicht waren, durch eine Modernisierung der Rechtschreibung auf einen Schlag veraltet wären, bald würden Leser sie nicht mehr verstehen. Jedoch wären die in einer neuen Orthografie geschriebenen Texte nur schwer zugänglich, weil sie zu stark vom gewöhnten Schriftbild abwichen. Zudem könne eine neue Rechtschreibung gar die Sprache antasten. Eine Beseitigung von Genus- und Kasusmarkierungen fasste ein Sprachgelehrter wie Jacob Wijbrand Muller (1858–1945), Vorgänger von De Vooys in Utrecht und später Ordinarius an der Universität Leiden, als eine Verarmung und Verflachung der Schriftsprache auf. Jacobus van Ginneken (1877–1945), der zuerst die Reformvorschläge begrüsst hatte, befürwortete die Beibehaltung einer festen, fixierten Verschriftlichung der Sprache. Der politisch nicht unumstrittene Ordinarius an der katholischen Universität Nimwegen bevorzugte eine konventionelle Schriftsprache, die ähnlich wie das Chinesische nicht nur ältere und neuere, sondern auch lokale und regionale Sprachvarietäten überdachte. Jacob Wille (1881–1964), Ordinarius an der protestantisch-reformierten Vrije Universiteit Amsterdam, wehrte sich ebenfalls gegen Modernisierungen der Schriftsprache. Er sah das Gehobene der Schriftsprache auf der Grundlage grammatikalischer Vorschriften als bindende kulturelle Errungenschaft. Eine Theorie der Vereinfachung, die laut dem orthodox-protestantischen Sprachgelehrten auf evolutionistischen Ausgangspunkten basierte, würde zu einer Tyrannei des von der Umgangssprache geprägten Algemeen Beschaafd führen. Er empfand die Marchant-Orthografie gar als Angriff auf die Sprache. Mit der Beseitigung der -n-Beugung wurde nach seiner Auffassung auch das Wortgeschlecht angetastet und damit grundsätzlich die Morphologie und Syntax des Niederländischen. ‚Ungünstigen‘ Entwicklungen der Sprache, die nach seiner Überzeugung ein von Gott geschenktes Instrument sei, müsse man entgegenwirken. Daher wünschte er: Breng ons Taaltucht, geen Taal-Revolutie (‚Bring uns Sprach-Disziplin, keine Sprach-Revolution‘, Bosch 1968, 136). Gewiss spielte bei seiner Ablehnung einer Rechtschreibreform sein Empfinden für die Gläubigen, die an der feierlichen Sprache der Statenvertaling von 1637 hingen, mit. Allerdings fand eine Vereinfachung der Rechtschreibung auch unter den Reformierten, namentlich unter Pädagogen Zuspruch. Die von Willes Schüler J. Karsemeijer veröffentlichte Dissertation aus dem Jahr 1934 kannte gar eine stark vereinfachte Rechtschreibung.

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

303

Mit einem anderen Schüler, H.A. Höweler, rief Wille 1933 das Comité voor Eenheid in de Schrijfwijze van het Nederlandsch (‚Komitee für Einheit in der Schreibweise des Niederländischen‘) ins Leben, dem auch die Ordinarien J.W. Muller, G.S. Overdiep und J. Schrijnen beitraten. Die vom Komitee gegründete Nationale Vereeniging voor Orde en Eenheid in de Schrijftaal (‚Nationaler Verein für Ordnung und Einheit in der Schriftsprache‘) und ihr Blatt Taal en Spelling (‚Sprache und Orthografie‘) vermochten die Modernisierungen allerdings nicht zu verhindern. Der freisinnig-demokratische Erziehungsminister H.P. Marchant führte trotz beachtlicher Widerstände im Parlament die neue Regelung 1934 in den Schulen ein. Nicht ohne Humor verteidigte ‚le tigre neerlandais‘, der übrigens 1919 das Frauenstimmrecht mit einem Initiativgesetz ermöglicht hatte (vgl. 4.1.1.), die neuen Rechtschreibregeln. Als Volksvertreter fragten, warum sie weiterhin zee (‚See‘ in der Bedeutung von ‚Meer‘) mit zwei schreiben sollten, antwortete er, dass er gerne zeesluizen (‚Seeschleuser‘) von zes luizen (‚sechs Läuse‘) unterscheiden wollte, vgl. Van der Wal et al. 2008, 335. Die neue Orthografie widerspiegelte das gesprochene AN besser, liess allerdings einige wichtige Fragen offen, vgl. 4.3.6. Übrigens verwendete der Beamtenapparat weiterhin die De Vries-Te Winkel-Orthografie. Wer die Schule abgeschlossen hatte, musste daher zuerst diese Rechtschreibung lernen, um sich erfolgreich für eine Stelle bei der Obrigkeit bewerben zu können; die Gemeinde Den Haag führte sogar entsprechende Rechtschreibprüfungen für Kandidat-Beamte durch. An einer besseren gesetzlichen Regelung der Rechtschreibung bestand denn auch dringend Bedarf. Vom Erziehungsminister G. Bolkestein, der Mitglied der Vereniging tot Vereenvoudiging van onze Spelling gewesen war, konnte man eine vernünftige Neuregelung der Orthografie erwarten, der Zweite Weltkrieg verhinderte deren Verwirklichung jedoch. Zwar versuchte der ehemalige Ordinarius für Germanische Philologie an der Universität der Gemeinde Amsterdam Jan van Dam (1896–1979) während dem Krieg, eine verbesserte Rechtschreibung allgemein einzuführen. Es gelang dem mit den Deutschen sympathisierenden Generalsekretär des Departement van Opvoeding, Wetenschap en Cultuurbescherming (‚Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Kulturschutz‘, vgl. Van der Stroom 1983) jedoch nicht, sein Vorhaben zu verwirklichen. Erst nach dem Krieg konnten die Niederlande und Belgien gemeinsam eine neue Rechtschreibung einführen, vgl. 4.3.6.

4.1.5. Belgien bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1914–1945) In den Jahren der zunehmenden internationalen Spannungen begann Belgien, trotz der antimilitaristischen Haltung der katholischen Regierungspartei zwar aufzurüsten, die Heeresreformen waren allerdings noch nicht abgeschlossen, als der Erste Weltkrieg am 1. August 1914 begann. Die Regierung verweigerte mit Unterstützung sämtlicher politischen Parteien dem deutschen Heer, das nach dem Schlieffen-Plan Frankreich vom Norden aus einkreisen sollte, den Durchmarsch. Darauf griffen deutsche Truppen Belgien am 4. August an, der deutsche Vormarsch sollte bis 22. November dauern. Die Franzosen, deren Einfluss die Flamen immer wieder bekämpften, wurden nun zu Verbündeten, vgl. dazu Albert Verweys Kommentar (4.2.4.2.). Der bei vielen beliebte Albert I., König von 1909 bis 1934, der während der kriegerischen Ausein-

304

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

andersetzungen bei seinen Soldaten blieb, konnte aber nach der Schlacht an der IJzer (‚Yser‘) nur noch einen Küstenstreifen westlich des Flusses halten. Der Erste Weltkrieg, der über 10.000 belgische Menschenleben forderte, zog auch die Zivilbevölkerung arg in Mitleidenschaft. So wurde Löwen teilweise verwüstet und von deutschen Truppen geplündert. In der Nacht vom 25. auf den 26. August 1914 erlitten die Universitätsgebäude grossen Schaden (vgl. Farbb. VI). Durch die Vernichtung der Tuchhalle verlor die hier untergebrachte Universitätsbibliothek 800 Wiegendrucke und 300.000 Bücher. Die erfolgte deutsche Besetzung des grössten Teils Belgiens löste einen wirtschaftlichen Abschwung aus, der Arbeitslosigkeit sowie Nahrungsmittelknappheit zur Folge hatte; die 1916 von den Deutschen auferlegte Arbeitsdienstpflicht für 120.000 Männer setzte der Wirtschaft zusätzlich zu. Eine insbesondere von vermögenden französischsprachigen Bürgern Brüssels unterstützte Nationalkommission, die in Verbindung mit der belgischen Exilregierung in Le Havre stand, übernahm Verwaltungsaufgaben und kümmerte sich um die Versorgung der Bevölkerung. Die Besatzungsmacht nutzte Belgien einerseits wirtschaftlich für die Kriegsführung aus, suchte andererseits die Unterstützung eines Teiles der Bevölkerung, indem sie die Interessen der flämischen Nationalisten förderte. So ermöglichten die Deutschen 1916 die Verwandlung der Genter Universität in eine niederländischsprachige Hochschule. Weiter führte die Kollaboration flämischer Aktionisten zu mehr Autonomie Flanderns. Die von Berlin gebilligte Einführung eigenständiger flämischer und wallonischer Verwaltungen bedeutete allerdings eine Verletzung der belgischen Souveränität. Der flämische Aktionismus fand auch Anhänger unter jenen Frontsoldaten, die sich von französischsprachigen anti-flämischen Vorgesetzten unehrlich behandelt fühlten. Dies war Anlass für Anhänger der flämischen Bewegung, um ihren Gegnern die Diskriminiering von Flamen in der Armee vorzuwerfen. Nicht nur die flämische Problematik, sondern auch die Frage, ob Belgien entgegen den Auffassungen des Königs die Neutralitätspolitik aufgeben und die Seite der Entente wählen sollte, verunsicherte die belgische Exilregierung. Erst im letzten Kriegsjahr schloss sich Belgien dann den Alliierten an. Nach Kriegsende am 11. November 1918 strebte Belgien eine Gebietserweiterung an. Als Siegermacht forderte es Gebiete der neutral gebliebenen Niederlande, so die Annexion Zeeuws-Vlaanderen und des niederländischen Limburg. Sodann verlangte Belgien die Einverleibung des eher deutsch gesinnten Luxemburgs und eine Ausbreitung des Kolonialbesitzes in Afrika. Schliesslich erhielt Belgien lediglich die deutschsprachige Grenzgegend Eupen-Malmédie, sodann übernahm es die Verwaltung der ehemaligen deutschen Kolonien Rwanda und Burundi. Diese Mandatsgebiete wurden danach als siebte Provinz Belgisch-Kongo angegliedert. Die verwickelten inländischen Geschehnisse während des Interbellums in Belgien, die hier nicht in Einzelheiten darzustellen sind, wurden von parteipolitischen Interessen, parlamentarischen Krisen und einer schwachen Staatsgewalt geprägt. Der mit vielen Emotionen geführte Sprachstreit förderte die Uneinigkeit zwischen den unterschiedlichen Faktionen. Katholische flämische Traditionalisten sahen sich freisinnigen Walloniern gegenübergestellt, das flämische Streben nach einer kulturellen Autonomie löste Abwehrreaktionen bei der französischsprachigen Bevölkerung Brüssels und Walloniens aus. Die Umsetzung eines flämischen Minimalprogramms 1930 und 1932 (vgl. 4.1.6.) brachte keinen Frieden.

V Trümmer der in der Nacht vom 25. auf den 26. August 1914 zerstörten Universitätsbibliothek Löwen, Universiteitsarchief Löwen, Album Arnou.

VIa Tagebuch der Anne Frank.

VIb Anne Frank (1929–1945).

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

305

Nachdem Deutschland bei der Ausrichtung der im Vertrag von Versailles beschlossenen Reparationszahlungen in Rückstand gekommen war, nahm Belgien als Verbündeter Frankreichs 1923 an der Besetzung des Ruhrgebietes teil. Generalstreik und passiver Widerstand der ansässigen Bevölkerung waren die Folge. Zwei Jahre später kam, auch durch die Diplomatie Gustav Stresemanns, ein Ende der Besetzung. Die völkerrechtlichen Vereinbarungen des in Locarno geschlossenen Vertrages hatten fortan die Grenzen zwischen dem Deutschen Reich, Frankreich und Belgien zu garantieren. Die Chance auf bessere Beziehungen zwischen Belgien und dem nördlichen Nachbarn wurde vorläufig vertan, als die niederländische erste Kammer unter Druck von Nationalisten einen für Amsterdam und Rotterdam nachteiligen Vertrag über die Wasserwege ablehnte. Die Einführung eines allgemeinen direkten Stimmrechts für Männer änderte 1919 die Machtverhältnisse in Belgien, die Sozialisten gewannen auf Kosten der katholischen Konservativen an Einfluss. Von nun an sollten in der Regel Koalitionen das Land regieren, die Zugeständnisse der unterschiedlichen politischen Gruppierungen voraussetzten. Finanzreformen, so die Devaluation des belgischen Frankens, die dem Export zugutekam, technischer Fortschritt und eine weitere Industrialisierung Flanderns verbesserten die Lebensbedingungen der Bevölkerung im Laufe der Zwanzigerjahre merklich. Die Weltwirtschaftskrise machte den wirtschaftlichen Aufschwung 1929 aber abrupt zunichte. Die Ausfuhr litt nun unter dem Frankenkurs und dem internationalen Protektionismus. Teile der Industrie und des Bankwesens gerieten in eine Krise, die Zahl der Arbeitslosen stieg innert zwei Jahren um mehr als das Vierfache. Erst die von den Sozialisten angeregte Planwirtschaft und die von der Regierung Van Zeelands verfolgte Politik der staatlichen Intervention brachte Mitte der Dreissigerjahre eine wirtschaftliche Erholung. Die staatliche Förderung der Beschäftigung und die Durchführung sozialer Massnahmen in diesen Jahren sollten auch später Belgiens Politik bestimmen. Obschon den unterschiedlichen politischen und sozialen Gruppierungen nun eine erfolgreiche Zusammenarbeit gelang, fanden faschistische und nazistische Überzeugungen vermehrt Zuspruch, sowohl bei Mitgliedern der französischsprachigen Action française, die zur Gründung des Rexisme führte, als auch bei Anhängern der antidemokratischen flämischen Nieuwe Vlaamse Nationale Partij. Auch konservative Mitglieder anderer Parteien befürworteten eine stark zentralistisch geführte Verwaltung, die wohl auch mit der Unterstützung durch den neuen, politisch interessierten König Leopold III. (1934–1950) rechnen durfte. Belgien beendete die militärische Zusammenarbeit mit dem von einer linken Volksfront regierten Frankreich und setzte 1936 auf eine eigene, unabhängige Verteidigungspolitik. Dies vermochte Deutschland nicht davon abzuhalten, auch Belgien am 10. Mai 1940 anzugreifen. Trotz der deutschen Übermacht konnte Leopold III. die Schelde-Stellung halten, auf Befehl des französischen Oberkommandos musste er sie aber gegen seine Überzeugung aufgeben. Um den Rückzug der britischen Truppen via Dünkirchen zu decken, leistete das belgische Heer weiter Widerstand, die aussichtslose Lage zwang den König aber gegen den Willen der nach Paris geflüchteten Regierung, am 28. Mai zu kapitulieren. Die Kriegshandlungen hatten Belgien erneut unbeschreibliches menschliches Elend beschert, während des achtzehntägigen Feldzuges kamen mehr als 10.000 Belgier ums Leben. Es erstanden zudem erhebliche materielle Schäden. Erneut wurde die Universität Löwen durch Kriegshandlungen im Mai 1940 schwer geschädigt,

306

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

von den 900.000 Büchern der verwüsteten Universitätsbibliothek konnten lediglich 15.000 gerettet werden. Trotz der Zerstörungen setzte Rektor Honoré Van Waeyenbergh den Betrieb fort, wehrte sich gegen deutsche Einflussnahme und widersetzte sich Anordnungen der Besatzungsmacht, Studierende für die Zwangsarbeit zur Verfügung zu stellen. Anfänglich überliess die deutsche Militärverwaltung den bestehenden Instanzen die meisten ihrer Aufgaben. Ein Teil der BWP sowie Gruppierungen wie der VNV und Rex waren zur Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht bereit. Der König, der ein unabhängiges Belgien in einem von Deutschland beherrschten Europa nicht ausschloss und sich zu einer Unterredung dazu mit Adolf Hitler in Berchtesgaden einladen liess, enthielt sich weiter politischer Handlungen. Seine autoritären Auffassungen sollten nach dem Krieg allerdings zu einer Krise der Monarchie führen. Mittlerweile waren mehr als eine halbe Million Menschen arbeitslos geworden, in der Folge entschieden sich im Sommer 1940 über 60.000 Belgier zum Arbeitseinsatz, später sollten über 90.000 Freiwillige in Deutschland arbeiten. Die Zahl verdoppelte sich im nächsten Jahr, als die deutschen Behörden einen obligatorischen Arbeitseinsatz einführten. Diese Massnahme sowie verschärfte antijüdische Dekrete lösten auch seitens des im Schloss Laken internierten Königs Proteste aus, Untergrundbewegungen begannen Widerstand zu leisten, gefährdete Bürger tauchten unter. Trotzdem sind über 25.000 verschleppte Belgier in Konzentrationslagern umgekommen. Sodann liess die Mehrzahl der 20.000 freiwillig an der Ostfront kämpfenden Flamen und Wallonen ihr Leben. Inzwischen hatte sich die Regierung, die nur eine bescheidene internationale Anerkennung erfuhr, in London niedergelassen, Offiziere begannen belgische Truppen zu formieren und einige Kriegsschiffe auszurüsten. Ohne Mitwissen der Exilregierung belieferte die belgische Union Minière von Uganda aus die Amerikaner mit Uran für die Herstellung von Atombomben. Drei Monate nach der Invasion in die Normandie befreiten kanadische, polnische, britische und amerikanische Streitkräfte vom 2. bis 12. September 1944 grosse Teile Belgiens. Der alliierte Aufmarsch wurde aber durch das Misslingen von Market Garden, dem Angriff auf Arnheim (vgl. 4.1.1.), aufgehalten. Der darauffolgende deutsche Gegenangriff in den Ardennen, der auf die Eroberung des Antwerpener Hafens gerichtet war, verzögerte die vollständige Befreiung Belgiens. Von SS-Truppen begangene Gräueltaten in den erneut eroberten Gebieten verschlimmerten das Los der Bevölkerung. Erst der alliierte Angriff, der im Januar einsetzte, führte zur Befreiung des gesamten Gebietes, am 7. Mai 1945 kapitulierte Deutschland.

4.1.6. Weiterführung des Sprachstreites in Belgien Inzwischen setzten die Verteidiger der flämischen Interessen ihren im 19. Jh. angefangenen Kampf für eine gerechtere Stellung der Flamen (vgl. 3.4.2.) und ihrer Sprache fort. Sie hielten es für unabdingbar, dass das Niederländisch vollwertig anerkannt und künftig in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen verwendet würde. Nach ihrer Überzeugung sollte es den Einwohnern Flanderns, die zu über 95 % niederländischsprachig waren, ermöglicht werden, ihre Muttersprache in allen sprachlichen Domänen anzuwenden. Erst dann würden sie sich gesellschaftlich behaupten können. Für das Ansehen und die Förderung ihrer Muttersprache erachteten die Flamen es daher als notwendig, dass Niederländisch an der Universität einen dem Französisch ebenbürtigen Status

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

307

erhielt. Die erwünschte Ausbildung niederländischsprachiger Akademiker setzte das Vorhandensein einer Universität voraus, die Lehre und Forschung in niederländischer Sprache durchführte. Bereits in den Achtzigerjahren des 19. Jh. war eine Kommission ins Leben gerufen worden, um dies an der französischsprachigen Universität Gent vorzubereiten. Allerdings durchkreuzte die deutsche Obrigkeit im Ersten Weltkrieg die entsprechenden Pläne mit der Gründung einer Vlaamsche Hoogeschool (‚Flämische Hochschule‘, vgl. 4.1.5.). Dieses Institut stiess aber auf wenig Gegenliebe unter der flämischen Bevölkerung. Daraufhin strebte die katholisch-liberale Regierung in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Gründung einer niederländischsprachigen Universität an; die Genter Hochschule hätte aber französisch zu bleiben. Als die Studierenden dagegen weiterhin eine bessere Stellung des Niederländischen an ihrer Alma Mater forderten, entschied die Bischofskonferenz, das 1911 eingeführte niederländischsprachige Lehrangebot an der Genter Universität zu vergrössern. Dies genügte den Kämpfern für das Flämische jedoch nicht. Die anhaltenden politischen Spannungen veranlassten darauf die Regierung, 1923 eine komplexe Teil-Verniederländisierung der Universität zu beschliessen. Der Kompromiss konnte aber den Streit zwischen den niederländisch- und den französischsprachigen Betroffenen nicht beenden. Die darauffolgenden Auseinandersetzungen führten 1930 schliesslich dazu, dass die Genter Hochschule 1930 einsprachig niederländisch wurde.

Abb. 18: Eröffnungszeremonie der niederländischsprachigen Genter Universität am 21. Oktober 1930, in der Mitte der neue Rektor August Vermeylen.

308

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Zum neuen Rektor dieser ersten flämischen Universität wurde der Schriftsteller, Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler August Vermeylen ernannt. Der Mitgründer der Zeitschrift Van Nu en Straks und Gründer der progressiven Zeitschrift Nieuw Vlaams Tijdschrift förderte das kulturelle Leben Flanderns in der ersten Hälfte des 20. Jh. Darüber hinaus hatte er schon früh die Bedeutung Europas für die Zukunft Flanderns erkannt. Bereits 1900 hatte Vermeylen dies bündig mit den folgenden Worten klargemacht: En daarom, in twee regels samengevat: om iets te zijn moeten wij Vlamingen zijn. – Wij willen Vlamingen zijn, om Europeërs te worden. (Vermeylen 1951, 170) (‚Und deswegen, in zwei Zeilen zusammengefasst: um etwas zu sein, müssen wir Flamen sein. – Wir wollen Flamen sein, um Europäer zu werden.‘) An der Universität Löwen wurden ab 1911 diverse Lehrveranstaltungen zweisprachig durchgeführt. Zudem war die Wahl der Prüfungssprache gestattet. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten die Studierenden eine Erweiterung des niederländischsprachigen Lehrangebots fordern, vgl. 4.3.8. Sodann machten sich Verteidiger flämischer Interessen bei der IJzerbedevaart zum Gedenken des gefallenen Künstlers Joe English 1920 bemerkbar. Diese erste Pilgerfahrt in Steenkerke am Yser-Fluss schürte wie auch die später jährlich stattfindenden Yser-Wallfahrten die flämischen Sentiments. Die Veranstaltungen, die ab 1925 in Diksmuide stattfanden, wurden von katholischen Prominenten, von anti-militärischen Kreisen, aber auch von radikalen flämischen Gruppierungen unterstützt. Sie wurden zum Symbol des flämischen Aktionismus. Immer mehr Anhänger der ursprünglich fortschrittlichen flämischen Bewegung, die an sich kein Verein war, entpuppten sich als Gesinnungsgenossen nationalistischer, autoritärer Gruppierungen wie Vlaamsch Nationaal Verbond (‚Flämisch Nationaler Verband‘) und Verbond van Dietsche Nationaal Solidaristen (‚Verband niederländischer nationaler Zusammengehöriger‘). Viele Tausende Vertreter des flämischen Aktionismus, welche die deutschen Eroberer als germanische Brüder empfanden, kollaborierten während des Zweiten Weltkriegs mit den neuen Machthabern. Nach dem Krieg wurden über 400.000 Flamen wegen Kollaboration gerichtlich verfolgt, 240 Todestrafen wurden verkündet. Zwar hatte die flämische Bewegung so ihre moralischen Grundlagen verloren, Förderer der eigenen Kultur, die mit Recht die Stellung ihrer Sprache verteidigten, sollten sich aber auch nach 1945 weiterhin um das Niederländisch in ihrer Heimat kümmern.

4.1.7. Territoriale Einsprachigkeit in Belgien Vermehrt forderten Anhänger der flämischen Bewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh., dass Niederländisch als einzige offizielle Sprache in Flandern zugelassen wurde. Massgebend für die Festlegung der offiziellen Stellung der Sprache müsste fortan das Hoheitsgebiet sein,

4.1. Verbreitung und Erneuerung des Allgemeinen Niederländischen

309

unabhängig von der Muttersprache des individuellen Bürgers. Der Slogan streektaal is voertaal (‚die Sprache der Region ist Verkehrssprache‘) bringt dieses territorialiteitsbeginsel (‚Territorial-Prinzip‘) zum Ausdruck. Wallonen, die vermeiden wollten, dass ihre Verwaltung durch die bestehende Sprachfreiheit zweisprachig wurde, befürworteten das Territorial-Prinzip ebenfalls. Ende der Zwanzigerjahre erreichte der Kampf um die Verwirklichung eines flämischen Minimalprogramms seinen Höhepunkt. Während Zwischenwahlen in Antwerpen erhielt die flämische Frontpartij 1928 einen grossen Zulauf; sie gewann auf Kosten der Liberalen und Katholiken an politischem Einfluss. Während konservative Liberale und Katholiken trotzdem ein zweisprachiges Flandern befürworteten, stimmte die sozialistische BWP 1929 dem Compromis des Belges zu. Dieser ‚Kompromiss der Belgier‘ zwischen den flämischen und wallonischen Sozialisten, erarbeitet vom Flamen Camille Huysmans und dem Wallonen Jules Destrée, sah eine territoriale Lösung für den Status der Sprachen vor. In der Folge wurde mit dem allgemeinen Sprachgesetz von 1932 die Verwendung der Sprache in der Verwaltung, beim Unterricht, am Gericht und im Heer gesetzlich festgelegt. Flandern wurde einsprachig Niederländisch, in Wallonien war Französisch künftig die einzig zugelassene Sprache. Brüssel blieb zweisprachig; dies galt ebenfalls für flämische Kommunen mit französischsprachigen Minderheiten von mindestens 30 % der Bevölkerung und umgekehrt. Zudem schrieb das Gesetz alle zehn Jahre Volkszählungen vor, die darüber entscheiden sollten, zum welchen Sprachgebiet solche Kommunen gehörten. Obschon der Prozess der Verniederländischung Flanderns dank den politischen Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit fortschritt, setzten Anhänger der flämischen Bewegung den Kampf fort. Nach ihrer Auffassung assimilierten sich Flamen in Wallonien, dagegen würden Walloner, die in flämischen Gemeinden lebten, auf der Verwendung des Französischen beharren. Zählungen von niederländisch- und französischsprachigen Einwohnern der Kommunen würden daher das Ergebnis von Volkszählungen verzerren und die Stellung des Niederländischen in Flandern schwächen. So wären die Sprachregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg anzupassen, vgl. 4.3.8.

4.1.8. Niederländisch im ehemaligen Niederländisch-Ostindien Der zunehmende Bedarf an gebildeten ansässigen Mitarbeitern in Niederländisch-Ostindien verlangte seit Ende des 19. Jh. eine bessere Ausbildung der Bevölkerung. Einheimische Kinder erhielten nun an diversen Grundschulen Niederländisch-Unterricht. Für ihre Schulung wurden eigene Lehrmittel eingeführt. So verzehnfachte sich im ersten Viertel des 20. Jh. die Zahl der Einheimischen des heutigen Indonesiens, die auch Niederländisch beherrschten. Zudem sprach mittlerweile die grosse Mehrheit der Europäer Niederländisch. Übrigens hatte das Niederländisch unter den aristokratischen einheimischen Familien Ansehen. Von Raden Adjeng Kartini (1879–1904), Verfechterin der Frauenrechte und ‚Heldin von Indonesien‘, stammt der vielsagende Ausspruch De kennis der Nederlandsche taal is voor ons een onuitputtelijke bron van genot; zij ontsloot voor ons zooveel schoons, van welks bestaan wij te voren geen flauw vermoeden hadden. (Groeneboer 1994 [b], 65)

310

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

(‚Die Kenntnis der niederländischen Sprache ist für uns eine unerschöpfliche Quelle des Genusses; sie erschloss so viel Schönes, von dessen Bestehen wir zuvor keine blasse Ahnung hatten.‘) Teilnehmer an Kongressen zur Verkehrssprache des Archipels die 1916, 1918 und 1919 stattfanden, verlangten, Niederländisch solle vorläufig als allgemeine Sprache in Niederländisch-Ostindien eingeführt werden. Zudem seien die einheimischen Sprachen zu ‚entwickeln‘. Dennoch hielten die Behörden es für zu kostspielig, der Nachfrage nach Niederländisch-Unterricht nachzukommen, zudem bestand die Gefahr eines Überschusses niederländischsprachiger Fachleute. Entgegen dem Wunsch der einheimischen Bevölkerung versäumte es die Kolonialverwaltung, die holländisch-indische Schule in den Dreissigerjahren auszubauen mit der Folge, dass private wilde Schulen entstanden. Die Zahl der Einheimischen, die Niederländisch beherrschten, überstieg nun bald diejenige der niederländischsprachigen Europäer. So stellten die Asiaten 1942 zwei Drittel der insgesamt 1,4 Millionen Bewohner des Inselreiches, die Niederländisch sprachen (Groeneboer 1994 [b], 69). Während der japanischen Besetzung, die nach der niederländischen Kapitulation am 8. März 1942 erfolgte, wurde die Verwendung des Niederländischen auf dem Archipel verboten. Noch kurzfristig erhielt die Sprache der ursprünglichen Kolonialherren nach der Kapitulation Japans am 15. August 1945 seinen früheren Status zurück bis zur Übertragung der Souveränität des Gebietes an die Vereinigten Staaten von Indonesien am 27. Dezember 1949. Als Westpapua 1963 die Unabhängigkeit erhielt und zu einer Provinz Indonesiens wurde, verlor Niederländisch endgültig seine Bedeutung als Kommunikationsmittel in Asien. Trotz den verheerenden miltärischen Auseinandersetzungen zwischen der Kolonialmacht und den Aufständischen (vgl. 4.3.1.) beziehungsweise dem folgenden Streit über den Status Papuas hatte das AN bei gebildeten Indonesiern nach wie vor Ansehen. So ist vom ersten Präsidenten Achmed Sukarno bekannt, dass er weiterhin Niederländisch sprach und regelmässig niederländische Bücher las. Er hatte eine niederländischsprachige europäische Grundschule besucht, die HBS (vgl. 3.1.2.1.) absolviert und an der ersten niederländischen Hochschule der Kolonie, der Technische Hoogeschool (‚Technischen Hochschule‘) Bandung studiert. Heute hat das AN als Sprache von Quellen auf dem Gebiet der Geschichte, Sprachwissenschaft, Agrarwissenschaft, Forstwissenschaft, Anthropologie und Jurisprudenz Bedeutung. In vereinzelten Orten wie Depok ist Niederländisch noch die vorherrschende Sprache, weiter ist es lediglich noch in Bandung zu hören. Literatur zu 4.1.: Amsenga et al. 2004; Anbeek 1999 (b); Barbiers et al. 2005/08; Baumann et al. 1998; De Bens 1997; Blok et al. 1977/83, Bd. 7–11; Blom et al. 2014; Blonk et al. 1960/62, Bd 2, 3; Bosatlas 2011; Bundschuh-Van Duikeren 2014; Claes 2006; Cornips 1994; Deneckere 1954; Dibbets 1993 (a); Dibbets 1993 (b); Erenstein 1996; Geerts 1985; Gerritsen 1979; Goeman 1999; Goeman et al. 2005; Goeman et al. 2008; Van Goethem 1990; Goossens 1974; Goossens 1977; Goossens 1984; Goossens 1985; Goossens 1988/2002; Goossens et al. 1998/2005; Groeneboer 1993; Groeneboer 1994 (b); Grootaers et al. 1926; Grüttemeier 1999; Grüttemeier et al. 2006; Gysseling 1972; Haeseryn et al. 1997; Hoppenbrouwers 1990; Hoppenbrouwers et al. 2001; Van der Horst et al. 1999; Van Hout 1989; Janssens et al. 2005; Kloeke 1939/72; Kloeke et al. 1981/88;

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

311

Lamarcq et al. 1996; De Leeuwe 1996 (b); Van Leuvensteijn et al. 1992; Nerbonne et al. 1998; Overdiep 1949; Peeters 1996 (b); Peeters 1996 (c); Rutten 2009; Reyckeboer 2006 (a); Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Schneider 1979; Van Schoor 1996 (b), Van Schoor 1996 (c), De Schutter et al. 2005/08; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs 2011; Van der Sijs et al. 2009; Smits 2007; Spruit 2008; Stilma 2002; Termorshuizen 2009; Termorshuizen 2011; Thissen 1991/92; Van den Toorn et al. 1997; Vekeman et al. 1993; Verhoeven 1985; Van de Vijver 1990; De Vink 2004; De Vooys 1952; De Vos 1939; M. de Vries et al. 1994; Van der Wal et al. 2008; Witte et al. 1997; Weijnen 1941; Weijnen 1966; De Westenholz 1996; Wieling 2012; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2003; Wils 2001; Witte et al. 1997; Witte et al. 1998 (a); Witte et al. 1998 (b); De Wulf et al. 1998/2005; Van Zutphen et al. 1994.

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 4.2.1. Presse 4.2.1.1. Die Schlacht um Löwen Von der Schlacht um Löwen berichtete die Zeitung Vooruit: VOORUIT

Zaterdag 29 Oogst 1914

Orgaan der Belgische Werkliedenpartij. – Verschijnende alle dagen. De slag rond Leuven Eergister nacht deden de belgische troepen eenen aanval tegen het Duitsche leger en sloegen de vijand tot Leuven terug. Bij de aankomst der laatstgenoemden te Leuven meenden de daar verbleven troepen dat de Belgen te Leuven binnen kwamen en schoten op hun eigen volk. Toen de vergissing bemerkt was hebben de Duitschers, om hunne wraak te koelen talrijke openbare gebouwen beschadigd en vernield en de bibliotheek der Universiteit in brand gestoken Van den andere kant zijn kinderen, burgers gebonden in de kerk opgesloten, hen zeggende dat ze ’s anderdaags ’s morgens allen zouden gefussileerd worden. Twee uren later werden twee geestelijken binnen de kerk gebracht om elkeen die het wenschte toe te laten zijne biecht te spreken. ’s Morgens zijn allen in vrijheid gesteld geweest. Vooruit: socialistisch dagblad, www.hetarchief.be Übersetzung: VORWÄRTS

Samstag, 29. August 1914

Mitteilungsblatt der Belgischen Arbeitsmitgliederpartei – Erscheint täglich

312

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Die Schlacht rund um Löwen Vorgestern Nacht unternahmen die belgischen Truppen einen Angriff gegen die deutschen Truppen und drängten den Feind nach Löwen zurück. Nach Ankunft der Letzteren in Löwen meinten die dort verbliebenen Truppen, dass die Belgier nach Löwen hereinmarschierten, und schossen auf ihr eigenes Volk. Als der Irrtum bemerkt wurde, beschädigten und zerstörten die Deutschen, um Rache zu nehmen, zahlreiche öffentliche Gebäude und setzten die Bibliothek der Universität in Brand. Auf der anderen Seite wurden gefangengenommene Kinder und Bürger in der Kirche eingesperrt, wobei ihnen gesagt wurde, dass alle am nächsten Morgen erschossen werden sollten. Zwei Stunden später wurden zwei Geistliche in die Kirche gebracht, damit jeder, der es wünschte, die Beichte ablegen konnte. Am Morgen wurden alle freigelassen. 4.2.1.2. Vrij Nederland Die erste Ausgabe der Widerstandszeitung Vrij Nederland erschien am 31. August 1940. Die Gründer Anne Anton Bosschart, Rudolf Pieter s’Jacob, und Cornelis van der Vegte hielten die anderen niederländischen Zeitungen für zu pro-deutsch, wie sie in der ersten Ausgabe schreiben. Sie haben wie andere Mitarbeiter des Blattes ihren Einsatz mit dem Tod bezahlt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Vrij Nederland (VN) eine Wochenzeitung. VRIJ NEDERLAND 31 aug 1940

No 1

oplage: 1001 ex.

Nederland voor Oranje Je maintiendrai Bij het verschijnen van dit eerste nummer, dat in het teken van Oranje staat, wil ik in enkele woorden het doel van dit blad uiteenzetten. Reeds enige maanden gevoelt de Nederlander behoefte aan een werkelijk Nederlandse krant, daar sedert de bezetting van ons land door den Duitsen overweldiger, het grootste deel van de Nederlandse pers dezen overheerser naar de ogen ziet, hierbij „abusievelijk“ vergetend, dat hij nog immer onze vijand is. De dagbladen publiceren berichten en artikelen, welke hun oorsprong vinden in het filiaal van het propagandistisch leugenministerie van een zekere „Germaanse“ staat. Deze artikelen hebben ten doel de volksmening te vergiftigen en den Nederlander te doen geloven, dat Engeland de bedrieger en Duitschland de bedrogene is. Dit is een van de redenen, die ons ertoe gebracht hebben „VRIJ NEDERLAND“ op te richten, zulks in navolging van het uitkomen van een gelijknamig blad in Engeland, en ter vervanging van de vroegere officiëele Nederlandse uitzendingen via „Radio Paris“ Steunt ons in ons streven de waarheid te verbreiden! U kunt dit doen door „VRIJ NEDERLAND“ zoveel mogelijk ruchtbaarheid te geven!

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

313

ONS LAND ZAL NOOIT EEN DUITSE PROVINCIE WORDEN! LEVE HET VADERLAND LEVE HET KONINKLIJK HUIS LEVE ONZE BONDGENOTEN! Het ondergrondse VRIJ NEDERLAND, Baam 1970, 17. Übersetzung: VRIJ NEDERLAND Nr. 1 Auflage: 1001 ex. Die Niederlande für Oranje Je maintiendrai [Wappenspruch der Niederlande] Beim Erscheinen dieser ersten Ausgabe, die im Zeichen von Oranje steht, möchte ich in einigen Worten die Absicht dieses Blattes erläutern. Schon einige Monate fühlt der Niederländer das Bedürfnis nach einer wirklich niederländischen Zeitung, da seit der Besatzung unseres Landes durch den deutschen Usurpator der grösste Teil der niederländischen Presse gute Miene zum bösen Spiel des deutschen Gewaltherrschers macht. ‚‚Irrtümlicherweise‘ vergisst sie dabei, dass er noch immer unser Feind ist. Die Tagblätter publizieren Berichte und Artikel, die ihren Ursprung in der Filiale des propagandistischen Lügenministeriums eines sicheren „Germanischen“ Staates finden. Diese Artikel haben zum Ziel, die Volksmeinung zu vergiften und die Niederländer glauben zu machen, dass England der Betrüger und Deutschland der Betrogene ist. Dies ist einer der Gründe, die uns dazu gebracht haben, „VRIJ NEDERLAND“ zu gründen, in Anlehnung eines gleichnamigen Blattes in England und zum Ersatz von früheren offiziellen niederländischen Sendungen via „Radio Paris“. Unterstützt uns in unserem Bestreben, die Wahrheit zu verbreiten! Dies können Sie tun, indem Sie „VRIJ NEDERLAND“ so weit wie möglich bekannt machen! UNSER LAND SOLL NIEMALS EINE DEUTSCHE PROVINZ WERDEN! ES LEBE DAS VATERLAND! ES LEBE DAS KÖNIGSHAUS! ES LEBEN UNSERE VERBÜNDETEN!

31. August 1940

VRIJ NEDERLAND Nederland en Oranje 1e Jaargang no 8.

22 Februari 1941.

[…] De laatste weken heeft ook de Pers het weer moeten ontgelden. Terwijl het publiek zich langzamerhand afkeert van vele kranten, die karakterloos de huik naar de wind hebben gehangen, moeten de kranten, die nog een eigen geluid laten horen, de hardheid van den bezetter gevoelen. De Maasbode en Ons Noorden werden zonder vorm van proces verboden.

314

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

De Maasbode, die in de oorlogsdagen bij het bombardement van Rotterdam in enkele uren tijds haar gebouwen en persen verloor, was er juist weer in geslaagd een apparaat op te bouwen. Thans zijn persen en gebouwen verzegeld en is zelfs op de bankrekening beslag gelegd. En om welke reden? Drie redenen zijn liefst opgegeven: 1e. Aan de lopende band gepleegde overtredingen tegen de aanwijzingen van de PresseAbteilung; 2e. Critiek op Duitse maatregelen; 3e. Pro-Engelse tendenzen in de berichtgeving. Bij de waardering van deze drie punten werd dan in rekening gebracht, dat de Maasbode geen Goodwill tegenover Duitsland had uit de dagen van vóór Mei 1940! Men ziet, dat deze drie punten zo vaag mogelijk gehouden zijn. Met deze drie punten in de hand kan men bijna elk blad in Nederland verbieden. Toch volgt men dikwijls een andere weg, een weg, die nog geld in het laadje brengt. Sinds enige tijd kennen wij n.l. het stelsel van boeten. Dit wordt toegepast zelfs tegen bevriende bladen. Dezer dagen zagen „De Tijd“ en „De Nieuwe Dag“ zich elk tot een boete van f. 5000.- veroordeeld, omdat zij het mandement der bisschoppen te woordelijk hadden gepubliceerd. Maar ook „Het Vaderland“ moest er aan geloven. Wegens een hoofdartikel, dat de Duitsers niet zinde, kreeg dit pro-Duitse blad een boete van f. 1000.-. o.z.o Het ondergrondse VRIJ NEDERLAND, Baam 1970, 39–40 Übersetzung: Vrij Nederland Niederlande und Oranje 1. Jahrgang, Nr. 8 22. Februar 1941. […] In den letzten Wochen musste auch die Presse ihren Kopf dafür hinhalten. Während sich das Publikum langsam von den vielen Zeitungen, die charakterlos des anderen Meinung annehmen, abkehrt, müssen die Zeitungen, die noch etwas zu sagen haben, die Härte der Besetzer spüren. Der Maasbode [Maasbote] und die Zeitung Ons Noorden [Unser Norden] werden ohne jegliches Gerichtsverfahren verboten. Dem Maasbode, der während der Kriegstage beim Bombardement Rotterdams in kurzer Zeit die Gebäude und Druckpressen verloren hatte, war es gerade wieder gelungen. einen Apparat aufzubauen. Gegenwärtig sind die Pressen und Gebäude versiegelt und das Bankkonto wurde gesperrt. Und aus welchem Grund? Nicht weniger als drei Gründe wurden angegeben: 1. Am laufenden Band begangene Verstösse gegen die Anweisungen der Presse-Abteilung. 2. Kritik an deutschen Massnahmen; 3. Pro-englische Tendenzen in der Berichterstattung.

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

315

Berücksichtigt wurde zudem, dass der Maasbode keine Sympathie dem Deutschen gegenüber gezeigt hatte in den Tagen vor Mai 1940! Man sieht, dass diese drei Punkte so vage wie möglich gehalten wurden. Mit diesen drei Punkten in der Hand kann man fast jede Zeitung in den Niederlanden verbieten. Trotzdem verfolgt man oft einen anderen Weg, einen Weg, der doch noch etwas Geld einbringt. Seit einiger Zeit kennen wir nämlich das System der Bussen. Dies wird selbst befreundeten Zeitungen gegenüber angewendet. Dieser Tage sahen sich De Tijd [Die Zeit] und De Nieuwe Dag [Der neue Tag] jeder zu einer Busse von f. 5000.– verurteilt, weil sie die Erklärung der Bischöfe zu wörtlich veröffentlicht hatten. Aber auch das Vaderland [Vaterland] musste daran glauben. Wegen eines Leitartikels, der den Deutschen nicht gefiel, erhielt dieses pro-deutsche Blatt eine Busse von f. 1000.–. o.z.o [Oranje zal overwinnen, ‚Oranje wird siegen‘]

4.2.2. Belletristik 4.2.2.1. Herman Heijermans, De vis wordt duur betaald Die bekannte Redewendung De vis wordt duur betaald zum Schicksal der Fischer prägte Heijermans in seinem Theaterstück Op Hoop van Zegen: CLÉMENTINE

Toe vertel jij nou ook is – jij heb zo’n boel ondervonden. KNIERTJE

Vertelle? Ach, juffrouw, ’t leven op zee is geen vertelsel. – Door ’n dúímsplankie zijn ze van de eeuwigheid gescheijen. – De mànne hebbe ’t hard en de vróúwe hebbe ’t hard. – Gisteren ging ’k voorbij het huis van de burgemeester – ze zate net an tafel en ate schelvis waarvan de damp afsloeg – enne de levertjes leien ampart – enne de kindere zatte met gevouwen hande te bidde. Toen dacht ’k in me onnozelheid – as ’t verkeerd was, mag God ’t me vergeven – dat ’t niegoed van de burgemeester was – van de burgemeester niet – en van de andere niet – want de wind woei zo hard, zo hard uit ’t oosten – en de visse komme uit ’t zelfde water waarin onze dooie – hoe mot ’k ’t zegge – waarin onze dooie – u begrijpt me wel – Een stilte. ’t Is dwaas om zulke mallighede te denke – ’t is je bestaan – en tegen je bestaan mag je niet in opstand komme. TRUUS

Ja – zij kan ’r van meeprate… KNIERTJE,

stillekens stoppend: Me man was ’n visser één-uit-de-duzend. Als ’r gelooid wier, proefde-die an ’t zànd waar-ie was. ’s Nachts zei-ie menigmaal we binne op de 56 en dan wàs-ie op de 56. Wat het-ie al niet meegemaakt as matroos! Eens het-ie twee dage en twee nachte met drie andere in de boot rondgezworreve. Dat was toen ze de beug moste inhalen en ’r zo’n mist opsting

316

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

dat ze geen jóón meer konde onderscheijen, laat staan de logger terugvinde. In twee dage en twéé nachte geen ete of drinke. – En later weer toen de schuit verging – dat had u ’m motte hore vertelle – zwom ie met ouwe Dirk na ’n omgeslage roeiboot – daar klom-ie op. Die nacht zei-die vergeet ’k nooit. Ouwe Dirk was te moe of te oud om ’n houvast te krijge. Toen stak me man z’n mes in de boot en Dirk die grijpe wou en haast zonk, greep in ’t mes dat drie van z’n vingers ’r bijhinge – jà, ja, – da’s àllemaal gebeurd – en met gevaar van z’n eigen leven trok-ie ’m op de omgeslagen boot. – Zo dreve ze met ’r tweeën in de nacht – en Dirk – die ouwe Dirk – of ’t van bloedverlies kwam of van angst – Dirk wier gek. Die zat me man maar an te kijke met oge as van ’n kat – die sprak van de duvel die in ’m was – van de satan – en ’t bloed, zei me man, liep over de boot – de golve hadde maar werk om ’t weg te spoelen. Net tegen de morgen glee Dirk na benee – zo uit zich zelf – me man wier opgepikt door ’n vrachtboot die langs voer. ’t Het niet geholpe – drie jaar later – da’s nou twalef jaar gelejen – bleef de Clémentine – die uw vader na u genoemd had – op de Doggersbank mèt me twee oudste. – Van wat ’r met díe gebeurd is, weet ’k niks, helemaal niks. Nooit ’n luik of ’n joon angespoeld – niks meer, niks – Je kan ’t je eerst niet voorstelle – maar na zoveel jare weet je d’r gezichte niegoed meer – en daar dànk je God voor. Want hoe erreg zou ’t niet zijn as je de herinnering hield. Nou heb ’k óók me vertelsel gedaan – elke zeemansvrouw het zo ies in d’r femilie – ’t is geen nieuwigheid – Truus het gelijk: de vis wordt duur betaald… Huil je juffrouw? Herman Heijermans, Toneelwerken I, Amsterdam 1965, 438–440. deutsche Paraphrase: CLÉMENTINE

Na, Du sollst auch mal etwas erzählen – du hast so viel durchgemacht. KNIERTJE

Erzählen? Ach, Fräulien, das Leben auf See ist keine Erzählung – Von einem dünnen Brett sind sie von der Ewigkeit getrennt. – Die Männer haben’s schwer und die Frauen haben’s schwer. – Gestern ging ich am Haus des Bürgermeisters vorbei – sie sassen gerade am Tisch und assen Schellfisch, der noch duftete. Ein Leberchen legten sie auf die Seite und die Kinder sassen mit gefalteten Händen, um zu beten. Da dacht‘ ich in meiner Einfalt – wenn es falsch war, mag Gott es mir es verzeihen – dass es vom Bürgermeister nicht gut war – vom Bürgermeister nicht – und von den anderen auch nicht – denn der Wind wehte so stark, so stark aus dem Osten – und die Fische kommen aus demselben Wasser, worin unsere Toten – wie soll ich es sagen – worin unsere Toten – Sie verstehen mich schon. Stille. Es ist verrückt, sich solche Dummheiten auszudenken – es ist deine Existenz – und gegen deine Existenz kannst du dich nicht auflehnen. TRUUS

Ja – sie kann mitreden…

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts KNIERTJE,

317

weiter am Stopfen: Mein Mann war ein Fischer, einer aus Tausenden. Als gelotet wurde, erkannte er am Sand, wo er war. Nachts, sagte er manchmal, wir sind auf dem 56. [Breitengrad] und dann war er auf dem 56. Was er nicht alles schon durchgemacht hat als Matrose! Einmal irrte er zwei Tage und Nächte mit drei anderen im Boot umher. Das war, als sie die Langleine einholen mussten und dann kam ein solcher Nebel auf, dass sie keine Boje mehr erkennen konnten, geschweige dann den Logger zurückfinden. Während zweier Tage und Nächte kein Essen und Trinken. – Und später wieder, als der Kahn unterging – Sie hätten hören müssen, wie er das erzählte – schwamm er mit dem alten Dirk zu einem umgekippten Ruderboot – auf das er hinaufstieg. Diese Nacht, sagte er, werde ich nie vergessen. Der alte Dirk war zu müde oder zu alt, um sich festzuhalten. Dann stach mein Mann das Messer ins Boot und Dirk, der sich festhalten wollte und beinahe ins Wasser sank, griff direkt ins Messer, sodass drei von seinen Fingern nur noch herunterhingen – ja, ja, – das ist alles geschehen – und in Lebensgefahr zog er ihn auf das umgekippte Boot – So trieben sie zu zweit in der Nacht herum – und Dirk – der alte Dirk – ob es vom Blutverlust oder aus Furcht kam – Dirk wurde verrückt. Er sass da und schaute meinen Mann an mit Augen wie die einer Katze – er sprach vom Teufel, der in ihm war – von Satan – und das Blut, sagte mein Mann, lief über das Boot – die Wellen hatten richtig Arbeit, um es wegzuspülen. Gegen Morgen glitt Dirk in die Tiefe – von alleine – mein Mann wurde von einem Frachtboot, das entlangfuhr, an Bord genommen. Es half nichts – drei Jahre später – das ist nun zwölf Jahre her – blieb die Clémentine – die Ihr Vater nach Ihnen genannt hatte – auf der Doggersbank mit meinen zwei Ältesten – Was mit ihnen geschehen ist, weiss ich nicht, überhaupt nichts. Nie ist eine Luke oder eine Fischerboje herangespült – nichts, nichts. Du kannst es dir erst nicht vorstellen – aber nach so vielen Jahren weisst du nicht mehr, wie ihre Gesichter aussahen – und da dankst du Gott dafür. Denn wie schlimm wäre es, wenn du die Erinnerung daran behalten würdest. Nun habe ich auch meine Geschichte erzählt – jede Seemannsfrau erlebt so etwas in ihrer Familie – es ist nichts Neues – Truus hat Recht: der Fisch wird teuer bezahlt…Weinst du, Fräulein?

4.2.2.2. Paul van Ostaijen, Melopee Aus dem Nachlass von Paul van Ostaijens Dichtung stammt Melopee: MELOPEE Voor Gaston Burssens Onder de maan schuift de lange rivier Over de lange rivier schuift moede de maan Onder de maan op de lange rivier schuift de kano naar zee Langs het hoogriet langs de laagwei schuift de kano naar zee

318

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

schuift met de schuivende maan de kano naar zee Zo zijn ze gezellen naar zee de kano de maan en de man Waarom schuiven de maan en de man getweeën gedwee naar de zee (Van Ostaijen 1996, 477) (Worterklärungen: maan = ‚Mond‘; schuift = ‚schiebt‘; rivier = ‚Fluss‘; moede = ‚müde‘; kano = ‚Kanu‘; zee = ‚[das] Meer‘; riet = ‚Ried‘; laag = ‚tief‘; wie = ‚Weide‘; getweeën = ‚zu zweit‘; gedwee = ‚fügsam‘) 4.2.2.3. Martinus Nijhoff, De moeder de vrouw Das in Nieuwe gedichten (1934) erschienene De moeder de vrouw weist als Sonett einen traditionellen Versbau auf: DE MOEDER DE VROUW Ik ging naar Bommel om de brug te zien. Ik zag de nieuwe brug. Twee overzijden die elkaar vroeger schenen te vermijden, worden weer buren. Een minuut of tien dat ik daar lag, in ’t gras, mijn thee gedronken, mijn hoofd vol van het landschap wijd en zijd – laat mij daar midden uit de oneindigheid een stem vernemen dat mijn oren klonken. Het was een vrouw. Het schip dat zij bevoer kwam langzaam stroomaf door de brug gevaren. Zij was alleen aan dek, zij stond bij ’t roer, en wat zij zong hoorde ik dat psalmen waren. O, dacht ik, o, dat daar mijn moeder voer. Prijs God, zong zij, Zijn hand zal u bewaren. (Nijhoff 1963, 212) (Worterklärungen: Bommel = ‚Zaltbommel‘, Städtchen am südlichen Ufer des Flusses Waal; brug = ‚Brücke‘; overzijde = ‚gegenüberliegende Seite‘; vermijden = ‚meiden‘; buren = ‚Nachbarn‘; wijd en zijd = ‚überall‘; oneindigheid = ‚Unendlichkeit‘; stem = ‚Stimme‘; klonken = ‚tönen‘, ‚sich anhören‘; stroomaf = ‚flussabwärts‘; Prijs = ‚Lob‘).

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

319

4.2.2.4. H. Marsman, Herinnering aan Holland In seinem Herinnering aan Holland besingt Marsman die holländische Landschaft: HERINNERING AAN HOLLAND Denkend aan Holland zie ik breede rivieren traag door oneindig laagland gaan, rijen ondenkbaar ijle populieren als hooge pluimen aan den einder staan; en in de geweldige ruimte verzonken de boerderijen verspreid door het land, boomgroepen, dorpen, geknotte torens, kerken en olmen in een grootsch verband. de lucht hangt er laag en de zon wordt er langzaam in grijze veelkleurige dampen gesmoord, en in alle gewesten wordt de stem van het water met zijn eeuwige rampen gevreesd en gehoord. H. Marsman,Verzamelde gedichten. Amsterdam 1941, 122. (Worterklärungen: brede rivieren = ‚breite Flüsse‘; laagland = ‚tief gelegenes Land‘; ijle = ‚dünne‘; populieren = ‚Pappeln‘; einder = ‚Horizont‘; ruimte = ‚Raum‘; boerderijen = ‚Bauernhöfe‘; geknotte = ‚zurückgeschnittene‘; olmen = ‚Ulmen‘; laag = ‚tief‘; veelkleurige = ‚vielfarbige‘; gesmoord = ‚erstickt‘; gewesten = ‚Provinzen‘; stem = ‚Stimme‘; rampen = ‚Katastrophen‘; gevreesd = ‚gefürchtet‘)

320

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

4.2.3. Tagebücher 4.2.3.1. Anne Frank, Het Achterhuis Die folgende Tagebucheintragung zeugt von Anne Franks Hoffnung, der Krieg möge bald vorbei sein. Vrijdag, 21 Juli 1944 Lieve Kitty, Nu word ik hoopvol, nu eindelijk gaat het goed. Ja heus, het gaat goed! Knalberichten! Er is een moordaanslag op Hitler gepleegd en nu niet eens door Joodse communisten of Engelse kapitalisten, maar door een edel-germaanse Duitse generaal, die graaf en bovendien nog jong is. De Goddelijke voorzienigheid heeft den Führer het leven gered en hij is er jammer genoeg met een paar schrammetjes en wat brandwonden afgekomen. Een paar officieren en generaals uit zijn naaste omgeving zijn gedood of gewond. De hoofddader is gefusilleerd. Het beste bewijs toch wel, dat er veel officieren en generaals zijn die de pé aan de oorlog hebben en Hitler graag in de diepste gewelven zagen afdalen. Hun streven is na Hitlers dood een militaire dictatuur te vestigen, door middel daarvan vrede met de Geallieerden te sluiten, zich opnieuw te bewapenen en na een twintigtal jaren opnieuw een oorlog te beginnen. Misschien heeft de voorzienigheid wel expres nog een beetje gedraald om hem uit de weg te ruimen, want het is voor de Geallieerden veel makkelijker en ook voordeliger als de smetteloze Germanen elkander doodslaan: des te minder werk blijft er over voor de Russen en Engelsen en des te gauwer kunnen ze weer met de opbouw van hun eigen steden beginnen. Maar zo ver zijn we nog niet en ik wil ook volstrekt niet op de glorierijke feiten vooruitlopen. Toch merk je wel dat wat ik nu zeg nuchtere realiteit is, die met de beide benen op de grond staat; bij uitzondering zit ik nu eens niet over hogere idealen te bazelen. Hitler is voorts nog zo vriendelijk geweest aan zijn trouw en aanhankelijk volk mede te delen, dat alle militairen vanaf vandaag de Gestapo te gehoorzamen hebben en dat elke soldaat die weet dat zijn superieur betrokken geweest is bij deze laffe en minderwaardige aanslag, dezen zonder vorm van proces mag neerknallen. Mooie geschiedenis zal dat worden. Pietje Wijs heeft pijnlijke voeten van het lange lopen, zijn baas de officier snauwt hem af. Pietje grijpt zijn geweer, roept: „Jij wou den Führer vermoorden, daar is je loon!“ Een knal en de hoogmoedige chef, die het heeft gewaagd Pietje standjes te geven, is het eeuwige leven (of is het eeuwige dood?) ingegaan. Op het laatst zal het er dan zo uitzien, dat de heren officieren hun broek voldoen van angst als ze een soldaat tegenkomen of ergens leiding moeten geven, omdat de soldaten meer zullen durven zeggen en doen dan zijzelf. Snap je het een beetje, of ben ik weer hakketakkerig geweest? Ik kan er niets aan doen, ben veel te vrolijk om logisch te zijn, bij het vooruitzicht dat ik met October wel weer eens in de schoolbanken zou kunnen zitten! O lala, heb ik niet net nog verteld, dat

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

321

ik niet voorbarig wil zijn? Vergeef me, ik heb niet voor niets de naam een bundeltje tegenspraak te zijn! Je Anne. Anne Frank, Het Achterhuis. Dagboekbrieven van 12 juni 1942–1 augustus 1944. Amsterdam/Antwerpen 1947. Übersetzung: Freitag, 21. Juli 1944 Liebe Kitty! Nun bin ich voller Hoffnung, nun endlich geht es gut! Ja, wirklich, es geht gut! Tolle Berichte! Auf Hitler wurde ein Attentat verübt, nicht einmal von jüdischen Kommunisten oder englischen Kapitalisten, sondern von einem edelgermanischen deutschen General, der Graf ist und zudem noch jung! Die „göttliche Vorsehung“ hat dem Führer das Leben gerettet, und er ist leider, leider mit einigen kleinen Schrammen und ein paar Brandwunden davongekommen. Ein paar Offiziere und Generäle aus seiner direkten Umgebung sind tot oder verletzt. Der Haupttäter wurde erschossen. Es ist wohl der beste Beweis, dass viele Offiziere und Generäle den Krieg bis obenhin satt haben und Hitler gern in die tiefsten Tiefen versenken möchten. Ihr Streben ist, nach Hitlers Tod eine Militärdiktatur zu errichten, dann Friede mit den Alliierten zu schliessen, aufs neue zu rüsten, um nach 20 Jahren einen neuen Krieg zu beginnen. Vielleicht hat die Vorsehung absichtlich noch ein wenig gezögert, ihn aus dem Weg zu räumen, denn es ist für die Alliierten viel bequemer und auch vorteilhafter, wenn die unbefleckten Germanen sich gegenseitig totschlagen; desto weniger Arbeit bleibt für die Russen und Engländer, und um so schneller können sie mit dem Aufbau ihrer eigenen Städte beginnen. Aber so weit sind wir noch nicht, und ich will auch durchaus nicht den glorreichen Tatsachen vorauseilen. Doch Du merkst wohl, dass das, was ich jetzt sage, nüchterne Realität ist, etwas, das mit beiden Füssen auf dem Boden steht; ausnahmsweise fasele ich nun einmal nicht über höhere Ideale. Hitler ist ferner so freundlich gewesen, seinem teuren und ergebenen Volk mitzuteilen, dass von heute an auch das Militär der Gestapo zu gehorchen hat und dass jeder Soldat, der weiss, dass sein Vorgesetzter beteiligt gewesen ist an dem feigen und niedrigen Anschlag, diesen ohne weiteren Prozess niederknallen darf. Das wird eine tolle Geschichte werden. Hans Dampf tun die Füsse weh vom vielen Laufen; sein Chef, der Offizier, schnauzt ihn an. Hans greift zum Gewehr, schreit: „Du wolltest den Führer ermorden, da hast Du Deinen Lohn!“ Ein Knall und der hochmütige Chef, der es gewagt hat, den kleinen Soldaten zu rügen, ist ins ewige Leben eingegangen (oder ist es der ewige Tod?). Zuletzt wird es dann so sein, dass die Herren Offiziere die Hosen voll haben und vor Angst nicht mehr wagen, einem Soldaten etwas zu sagen, weil die Soldaten mehr zu sagen wagen.

322

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Begreifst Du oder habe ich wieder schreib-gestotttert? Dann kann ich auch nichts machen, ich bin viel zu vergnügt, um logisch zu sein bei der Aussicht, dass ich im Oktober wieder auf der Schulbank sitzen werde. Oh, lala, habe ich nicht eben noch gesagt, dass ich nicht voreilig sein will? Verzeih mir, ich habe nicht für nichts den Ruf, ein Bündelchen Widerspruch zu sein.

4.2.4. Sonstige Prosatexte 4.2.4.1. Felix Timmermans, Ansprache Felix Timmermans, bekannt durch sein Werk Pallieter (vgl. 4.1.2.3.3.), war ein Jahr Redakteur der flämisch-nationalistischen Publikation Het Volk und kämpfte als Aktivist für die flämische Unabhängigkeit. In unten stehendem Text rühmt er den Autor Hendrik Conscience (vgl. 3.5.1.1.), der mit seinem erfolgreichen Roman De leeuw van Vlaanderen (1838) zur flämischen Bewusstwerdung im 19. Jahrhundert und zum Wachstum der Flämischen Bewegung bis ins 20. Jahrhundert beigetragen hat. Rede van den Heer Felix Timmermans Toen het Vlaamsche volk uit zijnen eeuwen-langen slaap ontwaakte, en het daar onmondig, onbeholpen en verlegen in de wereld stond, zond de Voorzienigheid een man, die dit volk moest toonen, wat het geweest was, van waar het kwam en welke innerlijke waarde het bezat, voor nu en voor de toekomst. Die man was Hendrik Conscience. De man die zijn roeping als een apostel vervulde, en tot ons kwam als een herder in den morgen. Eeuwen waren donker over ons heengegaan. Wij hadden alle geloof in ons zelf en ons eigen vertrouwen verloren. Wij voelden ons arm, klein, bedelend, en waren niet eens vernederd als we uit vreemde handen ons karig geestesvoedsel moesten ontvangen. We bezaten niets, we waren niets. We hadden zelfs alle hoop verloren dat het ooit zou veranderen. Zonder verleden, zonder toekomst. (…) Als onbezielde dingen, als figuratie, zagen wij de reuzentorens boven onze vervallen steden oprijzen. De oude pracht der huizen, der abdijen en kasteelen spraken niet meer tot ons hart. Het waren enkel steenen. De nederigen lieten hunne geiten het gras grazen langsheen die steenen muziek. De oude schoonheid van het land stond daar verwaarloosd zonder belang alsof we er geen schuld aan hadden, alsof die schoonheid mee uit den grond gegroeid was met de boomen en de savooien. Toen kwam Hendrik Conscience, die de frischheid van den morgen in de plooien van zijn mantel droeg, en de goedheid als een licht op zijn gelaat. Hij kwam vertellen zooals de herders vertellen, zooals de patriarchen en de heiligen vertellen. Niet voor die en gene, voor allen, groot en klein, arm en rijk, vol eenvoud en klaarte. Hij vertelde niet van de landen van overzee, niet van de Belofte- en de Goden-landen uit het

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

323

Zuiden en het Oosten, niet van de heldensagen uit het Noorden. En tot hiertoe hadden wij, helaas, niets anders gehoord. Neen, hij vertelde het sprookje van het Vlaamsche volk. Van onze menschen, ons land, onze natuur en ons bestaan, en in onze taal! Wij waren ons zelf vergeten geraakt, en plots vernamen we door zijn mond dat wij ook menschen waren. Hoe bij ons ook de moeders lijden, hoe er in onze armste hutten ook harten zijn, die den strijd voor het leven hebben te strijden en hoe er ook bij ons liefde, haat, verdriet en verheuging door de menschen waart. Wij hebben ook menschen: een Lambrecht Hensmans, een Arme Edelman, een Sisca van Roozemaal, een Loteling, een Bavo en Lieveken, een Baas Gansendonk. Uit alle standen. Nu zagen wij binnen in de donkere hutten, achter de gordijnen der burgerkamers, in de enge woonplaatsen der werkmenschen, achter de sombere muren der kasteelen, en in de naar spek-geurende pachthoeven. De muren doorheen, de harten binnen. Menschen die het vertellen waard zijn. En we kregen ons menschen lief. Door het vertellen van dezen goeden man vernamen we dat we ook eene natuur om ons heen hadden, eene schoone natuur. Niet alleen boomen en rauwen grond. De schoonheid lag over alle dingen bij ons, zoowel als over de blauwe heuvelen van Italië. Hij toonde ons die schoonheid, de grootschheid der stille Kempen, de plechtigheid der wouden, de liefelijkheid van het heuvelend Brabant, de zee. En al de rijke vergezichten, telkens met een kroon van torens omgeven. Wat een schoon land en we kregen ons land lief! We kregen het lief onder al zijn verschijnselen, als hij, Consciende, vertelde van de luisterrijke morgenden, de edele avonden en van den herfst en de onweders en de sneeuw. Hij leerde ons de natuur bewonderen tot in de kleinste dingen. En bewonderen is danken. Tot hiertoe waren wij niets en wij verwachtten niets, omdat wij niets geweest waren. Wij hadden geen groote daad, we [stondaar] met ledige handen. Zoo meenden wij. Maar hij deed ons staren naar de diepte van ons verleden. En als een schitterend licht, als een ster van Bethleem, deed hij den Leeuw van Vlaanderen uit de donkerte der tijden opflikkeren. Het licht ervan ging door ons hart en ons bloed. Een heel volk stond sidderend recht om te luisteren. Trotsch, fier, verbaasd en bewonderend. Het was of van alle torens de zegeklokken luidden, en er muziek tot in de hoogste wolken hing. Dat was het réveil van ons Volk. Hij scheurde de nevelen van ons verleden uiteen. Hij riep de geest der helden uit het graf, en een schaar van groote mannen rezen voor ons op: Gij Jan Hyoens! Gij Artevelde. En weer spraken en zongen onze torens, de oude steden herleefden, de juweelige huizen waren weer bezield, de gildenhuizen vlagden, en de heele geschiedenis wandelde als een levende fresco voor ons oogen. Wij voelden ons weer een volk, wij waren iets geweest, wij konden weer iets worden. Dit innerlijk bevrijdingsmuziek klonk tot in de harten der eenzaamste boeren, bij de nederigsten, bij de kinderen, bij de burgers, overal. (…)

324

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Wat het volk vroeg heeft hij [Conscience] het volk gegeven en het heeft geluisterd, en het luistert nog even vurig naar hem. Niet alleen hier, ook tot ver over de grenzen. Voor de wereld was hij van belang, voor ons volk was hij een noodzakelijkheid, een hulp en een redding, eene lichtende ster. Zelden kwam er een geschikter man op den geschiksten tijd en op de geschikste plaats als dezen verteller, vader, herder en apostel. Zijne vertellingen zijn het geestelijk koren en brood van ons volk. Bij elke nieuwe generatie wordt er telkens opnieuw van gezaaid, geoogst en gegeten. Ze sterven niet omdat ze de sprookjes van ons volk zijn. Sprookjes sterven niet. De jeugd wordt door zijn vertellingen telkens bezield, bij de ouderen zingt de herinnering terug naar een reinen tijd van droom en vrede. Conscience is een stuk van ons leven geworden. En wij, letterkundigen, zijn erfgenamen, die zijn taak willen voortzetten, ieder volgens zijn gevoel, aard en talenten, wij staan hier vol dank en groote vereering voor dezen vader, die de goudader van onzen rijkdom ontdekte, die het ons gemakkelijk en weelderig gemaakt heeft, daar hij ons weer menschen gaf, ons een luisterrijk verleden terugschonk, een land, een natuur; ons een toekomst toonde en liefde voor ons land verwekte. En vooral: Hij leerde zijn volk lezen, wezen en zijn. Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Taal- en Letterkunde, Gent 1933, 831–835. Übersetzung: Rede des Herrn Felix Timmermans Als das flämische Volk aus seinem jahrhundertelangen Schlaf erwachte und unmündig, unbeholfen und verlegen dastand, sandte die Vorsehung einen Mann, der diesem Volk zeigen musste, was es gewesen war, woher es kam und welche inneren Werte es besass, für jetzt und für die Zukunft. Dieser Mann war Hendrik Conscience. Dieser Mann, der seine Berufung als Apostel erfüllte und zu uns kam als ein Hirte am Morgen. Jahrhunderte waren dunkel über uns hingezogen. Wir hatten allen Glauben in uns selbst und unser eigenes Vertrauen verloren. Wir fühlten uns arm, klein, bettelnd, und waren nicht einmal gedemütigt, als wir aus fremden Händen unsere karge Geistesnahrung empfangen mussten. Wir besassen nichts, wir waren nichts. Wir hatten sogar jede Hoffnung verloren, dass es jemals ändern würde. Ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. (…) Wie unbeseelte Dinge, als Figuration, sahen wir die Riesentürme über unseren heruntergekommenen Städten aufsteigen. Die alte Pracht der Häuser, der Abteien und Schlösser sprachen nicht mehr zu unseren Herzen. Es waren bloss Steine. Die Demütigen liessen

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

325

ihre Ziegen grasen entlang der steinernen Musik. Die alte Schönheit des Landes stand dort verwahrlost ohne Bedeutsamkeit, wie wenn wir keine Schuld daran trugen, wie wenn die Schönheit mit aus dem Boden gewachsen war mit den Bäumen und den Savoyen. Dann kam Hendrik Conscience, der die Frische des Morgens in den Falten seines Mantels trug und die Güte wie ein Licht auf seinem Antlitz. Er kam um zu erzählen, wie die Hirten erzählen, wie die Patriarchen und die Heiligen erzählen. Nicht für den Einzelnen, für alle, Gross und Klein, Arm und Reich, voller Schlichtheit und Klarheit. Er erzählte nicht von den Ländern von Übersee, nicht von den gelobten und göttlichen Ländern im Süden und Osten, nicht von den Heldensagen aus dem Norden. Und bis anhin hatten wir leider nichts anderes gehört. Nein, er erzählte das Märchen des flämischen Volkes. Von unseren Leuten, unserem Land, unserer Natur und unserer Existenz, und in unserer Sprache! Wir hatten uns selber vergessen, und plötzlich vernahmen wir aus seinem Mund, dass auch wir Menschen waren. Wie auch bei uns die Mütter leiden, wie es auch in unseren ärmsten Hütten Herzen gibt, die den Kampf ums Überleben bestreiten müssen und wie es auch bei uns Liebe, Hass, Trauer und Hoffnung in den Menschen gab. Wir haben auch Menschen: einen Lambrecht Hensmans, einen Arme Edelman, einen Sisca van Roozemaal, einen Loteling, einen Bavoen Lieveken, einen Baas Gansendonk. Aus allen Ständen. Jetzt sahen wir in die dunklen Hütten, hinter die Gardinen der Bürgerzimmer, in die unheimlichen Wohnorte der Arbeiter, hinter die trostlosen Mauern der Schlösser, und in die nach Speck riechenden Pachthöfe. Durch die Mauern, in die Herzen. Menschen, die das Erzählen wert sind. Und wir gewannen unsere Menschen lieb. Durch die Erzählungen dieses guten Mannes vernahmen wir auch, dass wir ebenfalls eine Natur um uns herum hatten, eine schöne Natur. Nicht nur Bäume und einen rauen Boden. Die Schönheit lag bei uns über allen Dingen, wie über den blauen Hügeln von Italien. Er zeigte uns diese Schönheit, die Grösse der stillen Kempen, die Feierlichkeit der Wälder, die Lieblichkeit des hügeligen Brabants, das Meer. Und all die reichen Aussichten, jedes Mal mit einer Krone von Türmen umgeben. Welch schönes Land und wir gewannen unser Land lieb! Wir gewannen es lieb unter all seinen Erscheinungen, wenn er, Conscience, von den prunkvollen Morgen, den edlen Abenden und dem Herbst und den Unwettern und dem Schnee erzählte. Er lehrte uns die Natur bis in die kleinsten Dinge bewundern. Und Bewundern ist Danken. Bis hierhin waren wir nichts und erwarteten wir nichts, weil wir nichts gewesen waren. Wir hatten keine gute Tat, wir standen mit leeren Händen da. So dachten wir. Aber er veranlasste uns, in die Tiefe unserer Vergangenheit zu schauen. Und wie ein glitzerndes Licht, wie ein Stern von Betlehem, flammte er den Leeuw van Vlaanderen aus der Dunkelheit der Zeiten auf. Dessen Licht stiess durch unser Herz und unser Blut. Ein ganzes Volk lauschte zitternd. Stolz, hochmütig, überrascht und bewundernd.

326

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Es war, wie wenn von allen Türmen die Segensglocken läuteten und die Musik bis in die höchsten Wolken hing. Das war die Erweckung unseres Volkes. Er riss die Nebel unserer Vergangenheit auseinander. Er rief den Geist der Helden aus dem Grab, und eine Schar von grossen Männern stieg vor uns auf: Du Jan Hyoens! Du Artevelde. Und wieder sprachen und sangen unsere Türme, die alten Städte lebten auf, die hübschen Häuser waren wieder beseelt, die Zunfthäuser flaggten, und die ganze Geschichte wanderte wie ein lebendes Fresko vor unseren Augen. Wir fühlten uns wieder als ein Volk, wir waren etwas gewesen, wir konnten wieder etwas werden. Diese innerliche Befreiungsmusik klang bis in die Herzen der einsamsten Bauern, der Niedrigsten, der Kinder, der Bürger, überall. (...) Was das Volk verlangte, hat er [Conscience] dem Volk gegeben und es hat zugehört und es hört ihm noch gleich sehnsüchtig zu. Nicht nur hier, sondern auch weit über die Grenzen. Für die Welt war er von Wichtigkeit, für unser Volk war er eine Notwendigkeit, eine Hilfe und eine Rettung, ein leuchtender Stern. Selten kam ein geeigneter Mann zu einer geeigneten Zeit an den geeigneten Ort wie dieser Erzähler, Vater, Hirte und Apostel. Seine Erzählungen sind das geistige Korn und Brot unseres Volkes. Bei jeder neuen Generation wird wieder davon gesät, geerntet und gegessen. Sie sterben nicht, weil sie die Märchen unseres Volkes sind. Märchen sterben nicht. Die Jugend wird von seinen Erzählungen jedes Mal wieder beseelt, bei den Älteren singt die Erinnerung zurück nach einer reinen Zeit von Traum und Frieden. Conscience ist ein Teil unseres Lebens geworden. Und wir, Schriftgelehrte, sind Erben, die seine Mission fortsetzen wollen, jeder nach seinem Gefühl, seiner Veranlagung und seinen Talenten, wir stehen hier in vollem Dank und grosser Verehrung für diesen Vater, der die Goldader unseres Reichtums entdeckte, der es uns einfach und üppig gemacht hat, da er uns wieder Menschen gab, uns eine glanzvolle Vergangenheit zurückgab, ein Land, eine Natur; uns eine Zukunft zeigte und Liebe für unser Land erweckte. Und vor allem: Er lehrte unser Volk lesen, existieren, sein. 4.2.4.2. Albert Verwey, Holland en de oorlog Albert Verwey, der als tachtiger zur Erneuerung der niederländischen Literatur und Sprache beigetragen hatte (vgl. 3.6.1.2.), veröffentlichte 1916 seine Beobachtungen der Geschehnisse der ersten Jahre des Ersten Weltkriegs in seinem Holland en de oorlog (‚Holland und der Krieg‘). Im unten stehenden Ausschnitt beschreibt er das Dilemma der Flamen, die nun mit ihren natürlichen Gegnern, den Franzosen als Verbündeten, gegen die Deutschen kämpften, vgl. 4.1.5. Het is voor de Vlamingen een afschuwelijke samenloop van omstandigheden dat België in deze oorlog aan de zijde van Frankrijk staat. Fransche invloeden te bestrijden is hun levenstaak

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

327

en zij maken deel uit van een staat die ze bevordert. Maar voor Nederland is het een zegen dat de duitsche invloeden worden opgewogen door de fransche. Zuid-Nederlanders, in deze oorlog duitsche belangen bevorderend, bevorderen zeker niet die van Nederland in zijn geheel. Hierin ligt voor ons niet een reden om de Vlaamsche strijd af te keuren. Integendeel achten wij hem goed en noodzakelijk, en zijn we van meening dat hij, zoowel tijdens als na de oorlog, zal moeten gevoerd worden. Maar niet door zich te wenden tegen België; niet door dientengevolge steun te verleenen aan Duitschland; niet door de beschavingsbelangen te schaden van Grooter Nederland. Het is voor Nederland van het hoogste belang dat de vrijer geest van Westelijk Europa niet door de duitsche tuchting overvleugeld wordt, dat deze landen aan de zee noch van de latijnsche beschaving worden afgesloten, noch gericht tegen de angelsaksische. Door de gevorderdheid van onze beschaving, door de wijze waarop verschillende buitenlandsche faktoren daarin vervlochten zijn met de inheemsche, door onze overlevering en onze zeden, behooren wij veel meer tot het westelijk volken-geheel dan tot het middeneuropeesche. Ondanks onze liefde voor Duitschland, ondanks de wenschelijkheid dat Vlaanderen vlaamsch en niet waalsch zij, zouden wij het een ramp achten als Duitschland in West-Europa meester werd. Een dichter als Mr. Dr. Labberton1 moge in Pruisen de zedelijke held van zijn droomen zien, – sommige staatslieden mogen, uit vaderlandsche vrees voor het republikeinsche Frankrijk, een vlaamsch bolwerk begeerlijk vinden, – wij deelen noch deze bezorgdheid noch die bewondering. Wij meenen daarenboven – maar hieromtrent het oordeel latend aan de Vlamingen – dat in een hersteld België het aantal Nederlanders groot genoeg zal zijn om zich de behandeling te waarborgen waarop ze recht hebben; dat zij maar weinig gebaat zouden zijn door bij voorbaat afgedwongen beloften; dat de poging om ze af te dwingen even vruchteloos zal blijken als ze gevaarlijk is. Albert Verwey, Holland en de oorlog. Amsterdam o.J., 75–76. Übersetzung: Es ist für die Flamen ein schreckliches Zusammentreffen von Geschehnissen, dass Belgien in diesem Krieg an der Seite Frankreichs steht. Französische Einflüsse zu bekämpfen ist ihre Lebensaufgabe und sie sind Teil eines Staates, der sie fördert. Aber für die Niederlande ist es ein Segen, dass die deutschen Einflüsse durch die französischen neutralisiert werden. Süd-Niederländer, die in diesem Krieg deutsche Interessen fördern, fördern sicher nicht diejenigen der Niederlande als Ganzes. Hierin besteht für uns kein Grund, den flämischen Kampf zu missbilligen. Im Gegenteil, wir erachten ihn als gut und notwendig, und wir denken, dass er sowohl während als auch nach dem Krieg ausgetragen werden muss. Aber wir sollten uns nicht gegen Belgien kehren und so Deutschland unterstützen. Wir sollten den Interessen der Zivilisation der Grösseren Niederlande [des gesamten niederländischen Sprachgebietes] nicht schaden.

328

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Es ist für die Niederlande von grösster Wichtigkeit, dass der freie Geist von Westeuropa durch die deutsche Züchtigung nicht überflügelt wird, dass diese Länder am Meer weder von der lateinischen Zivilisation abgegrenzt noch gegen die angelsächsische gerichtet werden. Durch den Fortschritt unserer Kultur, durch die Art und Weise, wie verschiedene ausländische Faktoren darin mit einheimischen verflochten sind, durch unsere Überlieferung und unsere Bräuche, gehören wir viel mehr zur Gesamtheit der westlichen Völker als zu den mitteleuropäischen. Trotz der Liebe zu Deutschland, trotz dem Wunsch, dass Flandern flämisch und nicht wallonisch sei, würden wir es als eine Katastrophe erachten, wenn Deutschland Herrscher in Westeuropa wird. Ein Dichter wie Mr. Dr. Labberton1 mag Preussen als den sittlichen Helden seiner Träume sehen – einige führende Politiker mögen aus vaterländischer Furcht vor dem republikanischen Frankreich ein flämisches Bollwerk begehrlich finden – wir teilen weder Sorge noch Bewunderung darüber. Ausserdem denken wir – aber wir überlassen den Flamen die Beurteilung darüber, dass in einem wieder hergestellten Belgien die Anzahl Niederländer gross genug sein wird, um die Behandlung zu gewährleisten, worauf sie Recht haben; dass sie nur wenig Nutzen haben von vorab erzwungenen Versprechungen; dass der Versuch sie zu erzwingen sich als ebenso fruchtlos wie gefährlich herausstellen wird. 1 Johan

Hendrik Labberton ist das Pseudonym des niederländischen Juristen, Dichters und Hochschullehrers Dr. Th. Van Ameide (1877–1955), der 1914 über die Verletzung der belgischen Neutralität veröffentlicht hatte. 4.2.4.3. Johan Huizinga, De wording van onze nationaliteit Als Historiker wurde Johan Huizinga u. a. mit seinem Herbst des Mittelalters international bekannt. Es berichtet von Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jh. in Frankreich und den Niederlanden. Wie anspruchsvoll seine Prosa ist, zeigt das folgende Zitat: In den tijd, dat ik in Haarlem woonde, zou ik, door de Zijlstraat komend, nooit nalaten even op te kijken naar het bescheiden huis, welks gevelsteen het opschrift droeg: ‚Int soet Nederlant‘, en ter weerszijden op een zandsteenen band: ‚Ick blyf getrou‘, ‚Ick wyck nyet af‘. Ik weet niet, welke omstandigheden den onbekenden burger van kort na 1600 die zinspreuk voor zijn huis deden kiezen. Het moet voorzeker een zuivere en diepe liefde tot zijn land zijn geweest. Het opschrift dunkt mij als document voor de qualiteit van ons nationaal gevoel in de 17e eeuw even belangrijk als een gedicht van Vondel of een schilderij van Frans Hals of Jan van Goyen. Men kan er, als in deze, zijn eigen Nederlandsch sentiment in terugvinden. Men kan het opnemen als een thema voor de symphonie van eigen land en volk. Een nationaal gevoel, dat zich niet spiegelen kan in de roerloosheid van het verleden, mist den grondslag van zijn wezen. Het leven van een natie is historie, zooals het leven van den enkelen mensch historie is. Op ieder oogenblik, dat men het leeft, heeft het zijn vorm en zijn beteekenis, zijn zin en zijn richting, uit dat deel wat voorbij is. Wie zich afgesneden denkt

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

329

van de herinnering aan zijn herkomst, groei en lotgeval, staat redeloos voor het leven. Elk welbewust volks- en staatsbesef eischt kennis en rekenschap van de historie. Voor den Nederlander moet het bijzonder duidelijk zijn, dat zijn natie een historisch product is. Haar wording als zelfstandige eenheid in de Europeesche volkengemeenschap speelt zich af in een jong verleden, van vier of hoogstens vijf eeuwen. De meeste zusternaties zijn ouder dan wij. Portugeezen, Denen en Polen konden reeds als naties gelden (voorzoover de term op de middeleeuwsche verhoudingen past), toen zelfs de verzamelnaam Nederlanden nog niet in gebruik was. Maar er was toch, zal men zeggen, in de dertiende eeuw reeds een Dietsche taalgemeenschap, die Vlaanderen en Brabant met Holland, Zeeland en Utrecht verbond, en ze zoowel van het Nederduitsche als van het Hoogduitsche gebied onderscheidde. Ongetwijfeld was er een proces van differentieering ten opzichte van het Duitsche Rijk en van integreering onderling gaande. Het betrof niet alleen de taal, maar ook de politieke ontwikkeling en de beschaving, hier te allen tijde aan een aanhoudenden Franschen invloed onderhevig. De Franschen plachten reeds zeker onderscheid te maken tusschen Thiois, dat zijn de bewoners der ‚Dietsche‘ gewesten, en Allemands. In dit alles echter lag een noodwendigheid van uiteindelijke losraking der Nederlanden uit het Duitsche Rijk evenmin opgesloten als die van een politieke conglomeratie onderling van al de gewesten, Waalsche en Vlaamsche, Neder-Frankische, Saksische en Friesche, die eenmaal te zamen den naam Nederlanden zouden dragen. In dat proces van afzondering en samenvoeging verbinden zich, gelijk in elk historisch proces, factoren van algemeenen aard met incidenteele gebeurtenissen. Wie het oog vooral op de eerste richt, en aan de geografische en ethnische voorwaarden een determineerende beteekenis voor de geheele ontwikkeling zou willen toekennen, moge wel bedenken, dat die factoren geheel verschillend zijn voor het Zuiden en voor het Noorden, en binnen het Noorden weer geheel verschillend voor den zeekant en voor den heikant. Wij wijzen zoo gaarne op het water, dat ons heeft opgevoed (let wel, het binnenwater minstens evenzeer als de zee!), opgevoed tot eigen hulp in kleinen kring, tot dijkers en heemraden, kortom tot Verdedigers. Maar is het niet altijd nog iets van den ouden hollandocentrischen zuurdeesem, die daarin spreekt? Een Nederland, enkel op die basis ontstaan, zou met Holland, Zeeland en het Friesche Noorden hoogstens nog de Betuwe hebben omvat. De hydrografische factor kan nooit strekken ter verklaring van den aanvankelijken samengroei van al de Nederlanden, Zuid en Noord te zamen, tot een zekere eenheid. De gelijksoortigheid en samenhang van Vlaanderen, Brabant, Henegouwen, onderling en met de Noordelijke gebieden, heeft in den waterstaat niet haar grond. Men loopt bij het zoeken naar zulke algemeene verklaringsgronden licht gevaar, zich in ijdele bespiegeling te verliezen. De slotsom van alle afweging der beteekenis van de zoogenaamde grondfactoren blijft steeds deze: noch de losmaking van de Nederlandsche gewesten uit het Duitsche Rijk (voor Vlaanderen en Artois: uit het leenverband met Frankrijk), noch de aaneensluiting van al de Nederlanden in één staatsverband, noch de spoedige scheuring in tweeën: het vrije Noorden en het Spaansche Zuiden, zijn in algemeene factoren van welken aard ook gegeven. De feitelijke en nauwkeurig waarneembare oorzaak van dat alles blijft de

330

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

politiek en het lotgeval van het Bourgondisch-Oostenrijksche huis, van den eersten Philips, in het eind der veertiende, tot Karel V en Philips II in de zestiende eeuw. Al kan men op nog zooveel goede gronden betoogen, dat reeds omstreeks 1500 Vlamingen anders waren dan Hollanders, zoo verschillend als Quentyn Metsys van Lucas van Leiden is, het groote feit, dat tusschen 1578 en 1632 de Nederlanden scheurden langs een breuklijn, die een scherf van Vlaanderen en een helft van Brabant afsloeg, met nog een grillig fragment in het land van Overmaze, is het werk geweest van Parma, Maurits en Frederik Hendrik. Van hen alleen? Van hen, zooals hun persoonlijkheid dreef als een blaadje of takje op den eeuwigen en onpeilbaren stroom van het alzijdig gebeuren. Nu het groote feit, waarop het hier aankomt: eerst in het kader van dien nooit vermoeden, als door een reeks van wonderen ontloken en behouden staat der Vereemgde Provinciën heeft het Nederlandsche volk zijn vorm en zijn aard bevestigd, zijn reden en recht van bestaan beproefd. Dit proces van volksvorming kreeg echter geenszins terstond zijn beslag. Zoolang een deel der Republiek als wingewesten werd bestuurd, kon er van algemeene nationale eenheid nauwelijks sprake zijn. Ja, het zou nog bijna de heele negentiende eeuw duren, eer het katholieke volksdeel eindelijk den weg vond tot een hartelijk en volmondig belijden van den Nederlandschen staatswil en het Nederlandsche volksbesef. Ook afgescheiden van het oude contrast tusschen Generaliteitslanden en Zeven Provinciën, dat zoo lang bleef nawerken, is het Nederlandsche volk nooit (gelukkig, mag men zeggen) tot dien staat van gelijkgestemdheid geraakt, waarin alle weerstanden van de peripherie tegen het centrum zouden zijn opgeheven. Hoe kan het anders in een organisme, dat zoo sterk als dat van onzen staat op een tegenstelling van centraal overwicht en gewestelijke zelfstandigheid is opgebouwd? Wij komen hier weer op hetgeen ik reeds eerder het hollandocentrisme heb genoemd. Ik wil er nog het volgende van zeggen. De overmacht van Holland is in onze geschiedenis onvermijdelijk, heilzaam, ja reddend geweest. Zonder Holland geen Nederland. Men kan er al de politieke beeldspraak van hart en hoofd of maag en ledematen, waarmee reeds de oude Romein zijn ontevreden stadgenooten op den Heiligen berg bezwoer, op toepassen. In den tijd van onze Republiek hebben de overige provinciën zich in het staatsleven veelal met de rol van heilzaam tegenwicht, in het volksleven met die van aandachtige toeschouwers moeten vergenoegen. Zoo is het niet meer. De moderne bewerktuiging van een klein land veroorlooft een mate van staatkundige en nationale gelijkwaardigheid, die oude tegenstellingen en minderwaardigheden doet verdwijnen. De uitmiddelpuntigheid van den Groninger, den Limburger, den Zeeuw, is niet grooter meer dan de natuurlijke gesteldheid van Nederland als bewoond gebied meebrengt, en geen beletsel meer voor een volledig deelen in het nationale leven. Indien de volkseenheid enkel van sociaal-geografische voorwaarden afhing, behoefde er aan ons nationaal geluk weinig te ontbreken.

Johan Huizinga, Geschiedwetenschap. Hedendaagsche cultuur. In: Verzamelde werken VII. Haarlem 1950, 280–283.

4.2. Textbeispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

331

Übersetzung: In der Zeit, als ich in Haarlem wohnte, konnte ich es in der Zijlstraat nie unterlassen, zu dem bescheidenen Haus aufzuschauen, welches am Giebel die Aufschrift trug: ‚In den lieben Niederlanden‘; beidseitig stand auf einem sandsteinernen Band: ‚Ich bleibe treu‘, ‚Ich weiche nicht ab‘. Ich weiss nicht, welche Umstände den unbekannten Bürger von kurz nach 1600 bewogen, diesen Sinnspruch zu wählen. Es muss sicher eine reine und tiefe Liebe für sein Vaterland gewesen sein. Die Aufschrift scheint mir als Dokument für die Qualität unseres Nationalgefühls im 17. Jahrhundert genauso wichtig wie ein Gedicht von Vondel oder ein Gemälde von Frans Hals oder Jan van Goyen. Man kann darin, wie in diesem, sein eigenes niederländisches Sentiment wiederfinden. Man kann es als Thema für die Symphonie des eigenen Volks und Landes wählen. Ein Nationalgefühl, das sich nicht in der Bewegungslosigkeit der Vergangenheit spiegeln kann, verfehlt die Grundlage seines Wesens. Das Leben einer Nation ist Geschichte, wie das Leben des einzelnen Menschen Geschichte ist. In jedem Augenblick, den man lebt, hat es seine Form und seine Bedeutung, seinen Sinn und seine Richtung, aus dem Teil, der vorüber ist. Wer sich abgeschnitten sieht von der Erinnerung an seine Herkunft, Wachstum und Schicksal, steht gedankenlos im Leben. Jede bewusste Volks- und Staatsidee fordert Kenntnis und Rechenschaft von der Geschichte. Für den Niederländer muss es besonders deutlich sein, dass seine Nation ein historisches Produkt ist. Ihr Entstehen als eine selbstständige Einheit in der europäischen Volksgemeinschaft spielt sich in einer jüngeren Vergangenheit von vier oder höchstens fünf Jahrhunderten ab. Die meisten Schwesternationen sind älter als wir. Die Portugiesen, Dänen und Polen konnten bereits als Nationen gelten (sofern der Begriff auf die mittelalterlichen Verhältnisse bezogen werden kann), als selbst der Sammelname Niederlande noch nicht in Gebrauch war. Aber es gab doch, so kann man sagen, bereits im 13. Jahrhundert eine niederländische Sprachgemeinschaft, die Flandern und Brabant mit Holland, Seeland und Utrecht verband und sie sowohl von dem niederdeutschen als auch von dem hochdeutschen Gebiet unterschied. Ohne Zweifel war ein Differenzierungsprozess gegenüber dem Deutschen Reich und ein Prozess der gegenseitigen Intergration im Gange. Es betraf nicht nur die Sprache, sondern auch die politische Entwicklung und die Zivilisation, die seit jeher vom anhaltenden französischen Einfluss beeinflusst war. Die Franzosen waren sich bereits gewohnt, einen klaren Unterschied zwischen Thiois, dies waren die Bewohner der niederländischen Provinzen, und den Allemands zu machen. Dies alles schloss jedoch die Notwendigkeit einer letztendlichen Loslösung der Niederlande von dem Deutschen Reich ebensowenig ein wie die eines politischen Zusammengehens aller Provinzen, wallonische und flämische, niederfränkische, sächsische und friesische, die einmal zusammen den Namen Niederlande tragen würden. In diesem Prozess von Absonderung und Zusammenschluss verbinden sich, gleich wie in jedem historischen Prozess, Faktoren von allgemeiner Art mit zufälligen Geschehnissen. Wer das Auge vor allem auf den ersten richtet und den geografischen und ethnischen Bedingungen eine bestimmte Bedeutung für die gesamte Entwicklung zusprechen möchte, soll

332

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

bedenken, dass die Faktoren für den Süden und für den Norden sehr verschieden sind, und innerhalb des Nordens wieder ganz verschieden für die Gebiete an der Meeresküste und für das Landesinnere. Wir verweisen so gerne aufs Wasser, das uns erzogen hat (pass auf, das Binnenwasser mindestens so sehr wie das Meer!), erzogen zur eigenen Hilfe in kleinem Kreis zu Deichen und zu Deichgenossenschaften, kurz zu Verteidigern. Aber ist es nicht immer noch ein alter hollandzentrischer Sauerteig, der daraus spricht? Die Niederlande, nur auf dieser Grundlage entstanden, hätten mit Holland, Seeland und dem friesischen Norden höchstens noch die Betuwe umfasst. Der hydrografische Faktor kann nie ausreichen, um den anfänglichen Zusammenschluss aller Niederlande, Süden und Norden zusammen, zu einer sicheren Einheit zu erklären. Die Gleichartigkeit und der Zusammenhang von Flandern, Brabant, Hennegau und von den nördlichen Gebieten hat seinen Grund nicht im Wasserstaat. Bei solch allgemeinen Erklärungsversuchen läuft man leicht Gefahr, sich in sinnlosen Betrachtungen zu verlieren. Die Folge des Nachdenkens über die Bedeutung dieser sogenannten Grundfaktoren bleibt stets diese: weder die Loslösung der niederländischen Gebiete vom deutschen Reich (für Flandern und Artois: aus dem Lehenbund mit Frankreich) noch der Zusammenschluss von allen Niederlanden in einen Staatsverbund noch die rasche Spaltung der beiden: der freie Norden und der spanische Süden sind gemäss allgemeinen Faktoren eine Gegebenheit. Die wahrnehmbare Ursache von alldem bleibt die Politik und das Schicksal des burgundisch-österreichischen Hauses von Philipp I. am Ende des 14. Jahrhunderts bis zu Karl V. und Philipp II. im 16. Jahrhundert. Auch wenn man mit gutem Recht argumentieren kann, dass bereits um 1500 die Flamen anders waren als die Holländer, so wie sich Quentyn Metsys und Lucas von Leiden voneinander unterscheiden, die grosse Tatsache, dass zwischen 1578 und 1632 die Niederlande getrennt wurden entlang einer Linie, die eine Scherbe von Flandern und eine Hälfte von Brabant abtrennte, und dazu noch ein Fragment vom Landstrich Overmaze, war das Werk von Parma, Moritz und Friedrich Heinrich. Von ihnen allein? Von ihnen, so wie ihre Persönlichkeit, die wie ein Blättlein oder Zweiglein auf einem ewigen und unergründlichen Strom der allgemeinen Ereignisse trieb. Nun zur grossen Tatsache, auf die es hier ankommt: erst im Rahmen des von keinem erahnten, durch eine Reihe von Wundern entstandenen Staates der Vereinten Provinzen, hat das niederländische Volk seine Form und seine Art bestätigt, seine Gründe und sein Recht auf Existenz bewiesen. Dieser Prozess der Bildung eines Volkes erfolgte aber nicht auf einmal. Solange ein Teil der Republik nur zur wirtschaftlichen Ausnützung diente, konnte von einer allgemeinen nationalen Einheit kaum die Rede sein. Ja, es soll noch beinahe das ganze 19. Jahrhundert dauern, bis der katholische Volksteil endlich den Weg zu einem herzlichen und bejahenden Bekenntnis zum niederländischen Staat und zur niederländischen Volkszugehörigkeit fand. Auch abgesehen vom Kontrast zwischen den Generalitätsländern und den Sieben Provinzen, der so lange nachwirkte, ist das niederländische Volk niemals (muss man sagen, glücklicherweise), zu einem Zustand von Gleichgesinnung gelangt, worin alle Widerstände aus der Peripherie gegen das Zentrum aufgehoben wurden. Wie kann es anders sein in einem Organismus, der so stark auf einer Gegenüberstellung von zentraler Übermacht und

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

333

regionaler Selbstständigkeit aufgebaut ist? Hier komm ich wieder auf das zurück, was ich bereits Hollandzentrismus genannt habe. Dazu möchte ich noch das Folgende sagen. Die Übermacht Hollands war in unserer Geschichte unvermeidlich heilsam, ja rettend. Ohne Holland keine Niederlande. Man kann dafür die politische Bildsprache vom Herzen und Kopf oder Magen und Gliedern verwenden, womit bereits die alten Römer ihre unzufriedenen Staatsgenossen auf dem heiligen Berg beschworen. In der Zeit unserer Republik mussten sich die übrigen Provinzen im Staatsleben meistens mit der Rolle von einem heilsamen Ausgleich beziehungsweise mit der Rolle von aufmerksamen Zuschauern begnügen. So ist es nicht mehr. Die moderne Verwaltung eines kleinen Landes erlaubt ein Mass an staatskundiger und nationaler Gleichwertigkeit, die alte Widerstände und Minderwertigkeiten verschwinden lässt. Dass der Groninger, Limburger, der Einwohner Seelands in der Peripherie lebt, entspricht der Geografie der Niederlande als bewohntes Gebiet und stellt kein Hindernis mehr für die vollständige Anteilnahme am nationalen Leben dar. Wenn die Volkseinheit einzig von sozial-geografischen Bedingungen abhinge, würde unser nationales Glück nichs entbehren.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit Nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitete sich das AN immer rascher als mündliches Kommunikationsmittel im gesamten niederländischen Sprachgebiet. Erneut bestimmten in hohem Masse äussere Grössen die Geschicke des AN, vgl. 4.3.1., 4.3.4. So begünstigte der steigende Ausbildungsgrad der Bevölkerung die Verwendung des AN; auch die Binnenmigration, der Bevölkerungszuwachs namentlich in den Ballungszentren und der weiter wachsende Personenverkehr leisteten dem steigenden Gebrauch des AN Vorschub. Besonderes Gewicht ist aber den Medien, insbesondere dem Fernsehen für die Verbreitung des AN zuzuschreiben. In grösseren Teilen des niederländischen Sprachgebietes setzte sich das AN so immer mehr zur dominierenden Sprachvarietät durch. Zwar ist in mehreren Regionen, zum Beispiel in östlichen, südlichen und südwestlichen Gegenden der Niederlande oder in westlichen Gebieten Belgiens bei einem Teil der Bevölkerung nach wie vor Diglossie festzustellen. So koexistieren beispielsweise in Groningen, Twenthe, Limburg, Brabant oder in den flämischen Provinzen Belgiens und der Niederlande der jeweilige Dialekt und das AN. Weiter sind auf den ehemaligen niederländischen Antillen und in Surinam Sprecher des Niederländischen häufig zweioder mehrsprachig. In einigen Regionen, namentlich in Belgien scheint sich zudem eine Zwischensprache zu entwickeln, die sich nicht nur vom AN abhebt, sondern auch vom Dialekt. Ein Grossteil der Bevölkerung, insbesondere in der Randstad verwendet als Muttersprache aber ausschliesslich AN. Nicht nur Schriftsteller und Dichter, sondern auch Bühnenkünstler erweisen sich immer wieder als Schöpfer ästhetischer Texte, die davon zeugen, wie sehr sich mit dem Niederländischen experimentieren lässt. Sprachliche Merkmale einiger Texte solcher Erneuerer des AN werden

334

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

im Folgenden kurz beleuchtet, vgl. 4.3.5. Weitere angeführte Textbeispiele dienen dazu, einen Eindruck des jüngsten Niederländischen zu vermitteln, vgl. 4.4. Auch nach dem Zweiten Welkrieg wurde die Orthografie weiter modernisiert, vgl. 4.3.6. Einige Schreibregeln basieren allerdings noch immer auf etymologischen Grundsätzen, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht kennt. Trotzdem gibt die Schriftsprache auch dank den erfolgten orthografischen Anpassungen das AN bedeutend zuverlässiger wieder als im 19. Jh., vgl. u. a. 2.2.1. Die Auseinandersetzungen zwischen niederländisch- und französischsprachigen Belgiern führten zu einer föderalistischen Struktur ihres Landes. So stärkten grundlegende Änderungen des Staatsgefüges die Stellung des AN in diesem Nachbarland, vgl. 4.3.7. Das überregionale Niederländisch, Ergebnis eines langjährigen Prozesses der Vereinheitlichung, kann übrigens Merkmale aufweisen, die als kennzeichnend für Sprecher einer bestimmten Region gelten. Bezeichnenderweise unterscheiden sich niederländische, belgische oder surinamische Fernsehmoderatoren in der Verwendung des AN, namentlich in der Wahl vereinzelter lexikalischer Elemente und bei der Aussprache einiger weniger Laute. So kann man sich fragen, ob das AN als Standardsprache einzustufen ist, vgl. 5.3. Erneuerungen des AN stehen in 4.5. zur Diskussion. Dabei kommen einige lautliche Entwicklungen zur Sprache, sodann werden morphologische, syntaktische und lexikalische Änderungen im jüngsten Niederländischen erörtert. Zuerst werden einige gesellschaftliche Erneuerungen behandelt, die das Umfeld der Sprecher des Niederländischen prägten. Auch wenn sie Spuren im Lexikon zurückliessen, sie erkären nicht unmittelbar die neuesten Änderungen im AN. Dennoch werden einige Entwicklungen in der jüngsten Geschichte der Länder des niederländischen Sprachraums hier kurz zusammengefasst, da sie den Kontext der Kommunikation in der Muttersprache mitbestimmen. Wo möglich, werden bei den einzelnen lexikalischen Beispielen Jahreszahlen erwähnt (vgl. Van der Sijs 2002), die bezeichnen, wann die betreffenden Wörter zum ersten Mal schriftlich belegt sind.

4.3.1. Die Niederlande seit dem Zweiten Weltkrieg (1945–heute) Nach der Befreiung wurde unter der niederländischen Bevölkerung ein Drang zur Erneuerung der Gesellschaft und zum wederopbouw, d. h. zum Wiederaufbau des Landes stark. Ein doorbraak (‚Durchbruch‘), die Auflösung der erstarrten gesellschaftlichen Strukturen der Vorkriegszeit, fand allerdings wenig Zuspruch. Für eine planmässig sozialistisch aufgebaute Gesellschaft fehlte ebenfalls die Unterstützung durch die Bevölkerung, trotz Gewinnen der Kommunisten bei den Wahlen von 1946. Es galt mit vereinten Kräften Kriegsschäden zu beheben, die Wirtschaft zu beleben und soziale Einrichtungen auszubauen. In den befreiten Niederlanden bestand kein Bedarf an einem sprachlichen Kahlschlag. Die Kriegszeit hinterliess nur einige wenige Ausdrücke. So hiessen die Kollaborateure fout (‚falsch‘), das Akronym Gestapo bezeichnete die Geheime Staatspolizei der Besatzungsmacht.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

335

Der Optimismus nach der Befreiung machte sich durch eine geboortegolf (‚Geburtenwelle‘) bemerkbar. Vorübergehend nahm der Umfang der Familien durchschnittlich um ein Kind zu. In einem halben Jahrhundert hatte sich die Zahl der Niederländer 1950 auf zehn Millionen verdoppelt. Aus Angst vor einer Überbevölkerung förderte die Regierung die Emigration. In der Folge fanden zirka 360.000 Emigranten nach dem Krieg eine neue Heimat u. a. in Kanada, den Vereinigten Staaten, Südafrika, Australien und Neuseeland. Die Mehrheit der nach Indonesien emigrierten ‚indischen‘ Niederländer kehrte später zurück. Es sind dies die spijtoptanten (1958). Auch die Niederlande profitierten von der wirtschaftlichen Unterstützung, die die Vereinigten Staaten dem zerstörten Europa mit dem Marshall-Plan ab 1947 boten. Nach einigen Jahren gelang es den Koalitionsregierungen, die sich auf Mehrheiten der katholischen KVP und der sozialistischen PVDA in der zweiten Kammer stützten, die Finanzen zu sanieren. Industrie und Gewerbe nahmen ihre Tätigkeit wieder auf, die Förderung von Steinkohle in Limburg wurde hochgefahren, bald war der Rotterdamer Hafen wieder voll in Betrieb. Im Krieg zerstörte Städte, so Rotterdam und Arnheim, entstanden wieder, die Obrigkeit trieb den Wohnungsbau voran. Vom Wohlstand, der sich zögerlich bemerkbar machte, zeugen willkürlich gewählte neue Wörter wie ballpoint (1949 ‚Kugelschreiber‘), snackbar (1950 ‚Imbissstube‘), bromfiets (1950 ‚Moped‘, später, 1961 auch als brommer bezeichnet), lp (1950 ‚Langspielplatte‘), diepvriezer (1953 ‚Gefrierapparat‘), loempia (1954 ‚Frühlingsrolle‘), föhn (1955 ‚Föhn‘), jukebox (1955 ‚Musikautomat‘), bandrecorder (1957 ‚Tonbandgerät‘), afwasmachine (1961 ‚Geschirrspülmaschine‘), beeldscherm (1961 ‚Bildschirm‘) oder bermtoerisme (‚Erholung am Rande einer Autostrasse‘). Soziale Gesetze, die namentlich dem Einsatz des Ministers und späteren Ministerpräsidenten Willem Drees zu verdanken sind, regelten fortan die Altersvorsorge sowie die Unterstützung von Arbeitslosen, Invaliden und gesellschaftlich heruntergekommenen Mitbürgern. Das Beziehen finanzieller Unterstützung nannte man trekken van Drees. Der neu gegründete Sociaal Economische Raad, bestehend aus Vertretern der Regierung, der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände, erhielt Befugnisse, kollektive Arbeitsverträge abzuschliessen, die der Wohlfahrt und dem sozialen Frieden zugutekamen. Eine Periode von Hochkonjunktur, die mit einer kürzeren Unterbrechung bis in die Achtzigerjahre andauerte, setzte um 1953 ein. Da die Alliierten auf deutsche Reparationszahlungen verzichtet hatten, beanspruchten die Niederlande Schadenersatz durch Annexion deutscher Hoheitsgebiete. Von dem geforderten Gebiet, das die angrenzenden Bergbaugegenden, das Münsterland und Ostfriesland mit den Städten Aachen, Köln, Münster sowie Emden umfassen sollte, wurden 1948 lediglich Elten, Selfkant und Tüddern mit einer Gesamtoberfläche von 69 km2 niederländisch. Abgesehen von Duivelsberg erhielt die deutsche Bundesrepublik diese Gebiete 1963 gegen Entschädigung zurück. Die Neutralitätspolitik, die 1940 den deutschen Angriff nicht verhindert hatte, machte einer Politik atlantischer und westeuropäischer Allianzen Platz. Die Mitgliedschaft der NATO bezweckte, der von einer Mehrheit der Bevölkerung empfundenen kommunistischen Bedrohung durch die Sowjetunion auf dem europäischen Kontinent standzuhalten. Der Kalte Krieg förderte einen Zusammenhalt der Bevölkerung, welche die bestehenden, von Kirchen und politischen Parteien geprägten gesellschaftlichen Strukturen, der zuilen, stärkte. Das In-Frage-Stellen allgemein akzeptierter Sitten und traditioneller moralischer Auffassungen galt als Provokation. So führte die

336

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Eröffnung der ersten Ausstellung kritischer Maler und Dichter der Cobra-Gruppe 1949 im Stedelijk Museum (‚Städtischen Museum‘) Amsterdam nicht nur zu einem Handgemenge, sondern auch zu Fragen im Parlament. Erst in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre bewirkten Generationenkonflikte, zuerst von einer Bewegung wie Provo angeregt (vgl. 4.4.1.4.), allmählich gesellschaftliche Erneuerungen. Mehrere neue Wörter bezeichnen diverse Typen von Jugendlichen sowie ihre Freizeitbeschäftigungen, zum Beispiel liften (1950 ‚trampen‘), bebop (1954 ‚Bebop‘), teenager (1955 ‚Teenager‘), nozem (1955 ‚Halbstarker‘), diskjockey (1955 ‚Discjockey‘), rock-ʼn-roll (1956 ‚Rock ʼnʼ Roll‘), pil (1964 ‚Antibabypille‘), pop-art (1964 ‚Pop Art‘), LSD (1966 ‚halluzinierendes Mittel‘) oder provo (1965 ‚Mitglied der Provo-Bewegung‘). Inzwischen zielte die Auslandspolitik auf eine vermehrte Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Staaten ab. Nach einer Periode der Irritationen mit Belgien (vgl. 4.1.5.) verbesserten sich die Beziehungen zum südlichen Nachbarn. Der Benelux-Vertrag besiegelte die bereits 1944 von den Exilregierungen vereinbarte Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern und Luxemburg. Sodann schlossen sich die Niederlande mit den Benelux-Partnern 1951 der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Vorläufer der Europäischen Union, an. Als schwieriger stellte sich die Kolonialpolitik heraus. Indonesische Nationalisten begannen nach Abzug der Japaner ihren Kampf für die Unabhängigkeit. Verhandlungen mit Sukarno führten zuerst zum Abschluss des Linggadjati-Abkommens 1946 das indonesische Republiken auf Java und Sumatra als Teil der Vereinten Staaten Indonesiens vorsah. Sie sollten mit den Niederlanden eine Union bilden, Königin Wilhelmina war als Souverän vorgesehen. Bald wünschten die Nationalisten mehr Selbstständigkeit als vereinbart, die Kolonialherren glaubten ihrerseits bereits zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben. Darauf erfolgte 1947 ein Grosseinsatz des niederländischen Kolonialheeres KNIL, den die Autoritäten euphemistisch als politionele actie (,Polizei-Aktion‘) bezeichneten. Er war militärisch erfolgreich, löste aber heftige internationale Kritik aus. Als die vom Sicherheitsrat angeregten Verhandlungen zwischen den verfeindeten Parteien erfolglos blieben, führte das KNIL einen zweiten Grosseinsatz durch. Obschon auch dieser militärisch das erwünschte Ergebnis brachte, musste die niederländische Regierung dem internationalen Druck nachgeben. Am 27. Dezember 1949 erfolgte die Übertragung der Souveränität an die indonesische Republik. Durch die kriegerischen Handlungen und Guerillakämpfe der Aufständischen und das Eingreifen des KNILs waren zirka 150.000 Indonesier und 5.000 niederländische Soldaten umgekommen. Zirka 300.000 Europäer und Indos, Nachkömmlinge niederländischer und indonesischer Eltern, verliessen Indonesien und nahmen Wohnsitz in den Niederlanden. Einfluss der Sprache dieser als repatrianten (‚Heimkehrer‘) bezeichneten Immigranten lässt sich, abgesehen von einigen lexikalischen Besonderheiten, kaum im AN nachweisen, vgl. 4.3.4.1. Übrigens war ein Teil dieser ‚Heimkehrer‘ noch nie in den Niederlanden gewesen. Die indonesischen Machthaber betrachteten von den Molukken stammende Soldaten, die mit dem KNIL mitgekämpft hatten, als Kollaborateure. Zur ihrer Sicherheit wurden sie daher 1951 mit ihren Familien in die Niederlande umgesiedelt. Zur Enttäuschung dieser ehemaligen KNIL-Militärs stellte sich die Gründung einer von den Niederländern versprochenen unabhängigen Molukker-Republik als trügerisch heraus. In der Folge konnten die zirka 12.800 Molukken

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

337

nicht in ihre Heimat zurückkehren. Sie wurden in eigenen Stadtvierteln von Kommunen untergebracht, die sich mehrheitlich ausserhalb der Randstad befinden. Auch sie liessen kaum Spuren im Niederländischen zurück, vgl. 4.3.4.1. Zunehmende Feindseligkeiten zwischen den Niederlanden und Indonesien während den Fünfzigerjahren wegen des Status Neuguineas vergrösserten die Gefahr eines neuen Krieges zwischen den beiden Ländern. Erst nach Vermittlungen der Vereinten Nationen beruhigte sich die Lage, 1962 wurde die Souveränität dieses Gebietes an Indonesien übertragen. So stellt aus heutiger Sicht die Kolonialpolitik keineswegs ein Ruhmesblatt der niederländischen Geschichte dar. Von den eingreifenden Geschehnissen der Nachkriegszeit ist weiter die Flutkatastrophe vom 31. Januar 1953 zu nennen, vgl. 4.4.1.3. Während eines Sturmes wurden grössere Teile Seelands und Südhollands überflutet. Über 1800 Menschen ertranken dabei, weiter entstanden erhebliche Sachschäden. Bald begann die Umsetzung des deltaplan, der in diesem Gebiet zum Abschluss von vier Mündungen mit sicheren Deichen führte. Sodann erhöhte der Bau von Dämmen im IJsselmeer die Sicherheit der angrenzenden, tiefer gelegenen Gebiete. Die hier neu entstandenen Polder kamen nicht nur der Landwirtschaft zugute, sondern boten auch Platz für neue Wohnsiedlungen wie beispielsweise Emmeloord, Almere und Lelystad. Für die Wünsche Surinams, die vollständige Unabhängigkeit zu erlangen, bestand in den Siebzigerjahren durchaus Verständnis. Während diese ehemalige Kolonie 1975 als neue Republik die Souveränität bekam, (vgl. 4.3.2.), änderte sich ebenfalls der Status der ehemaligen niederländischen Antillen, vgl. 4.3.3. Den Molukkern hingegen blieb eine eigene Republik versagt. Umsonst lenkten noch in den Siebzigerjahren Gruppen von Molukkern die Aufmerksamkeit auf ihre nationalistischen Ideale u. a. durch die Zugentführungen bei Wijster 1975 und De Punt 1977. Während Babyboomern in den Sechziger- und Siebzigerjahren die von ihnen als paternalistisch empfundenen Machtverhältnisse widerstrebten, verloren konfessionelle und politische Organisationen, gemeinhin als zuilen (‚Säulen‘) bezeichnet, an Gewicht; die ‚Entsäulung‘ setzte ein. Zwar stiessen an sich friedliche Auftritte einer Gruppierung wie Provo (vgl. 4.4.1.4.) in Amsterdam anfänglich auf Unverständnis. Bald konnten Proteste ausserparlamentarischer Gruppierungen mit einer zunehmenden Unterstützung durch die Bevölkerung rechnen. Es fanden Kundgebungen gegen den Vietnamkrieg statt, Hippies propagierten Flower-Power-Überzeugungen, feministische Gruppierungen wie Dolle Mina (‚verrückte Mina‘) und Baas in eigen buik (‚Boss im eigenen Bauch‘) machten sich stark für die Rechte der Frau, Anhänger der Vredesbeweging (‚Friedens-Bewegung‘) führten Massen-Kundgebungen durch, milieuactivisten machten sich für eine Schonung der Umwelt stark. Die Beschlagnahmung leer stehender Wohnungen durch krakers (‚Hausbesetzer‘) fand anfänglich unter der Bevölkerung Zuspruch, da der Mangel an freien Wohnungen nach wie vor gross war. Durch ihr gewalttätiges Vorgehen verloren die Hausbesetzer allerdings die Sympathie vieler. Proteste von Studierenden sowie Erneuerungen in den Medien, in der Literatur, im Theater und in der Musik zeugen vom gesellschaftlichen Engagement mündiger Bürger. Ein Konkurrent der etablierten Rundfunkgesellschaften wie Radio Veronica erfreute sich schon Anfang der Sechzigerjahre einer bemerkenswerten Beliebtheit unter der Jüngeren, das Blatt Hitweek verbreitete neue Trends. Studenten der Theaterschule provozierten mit der Aktie Tomaat (‚Ak-

338

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

tion Tomate‘) 1969 Publikum und Schauspieler des traditionellen Theaters, als sie während diversen Vorstellungen Akteure mit Tomaten bewarfen. Junge Komponisten wie Mishia Mengelberg, Louis Andriessen oder Peter Schat verlangten mit ihrer Aktie Notenkraker (‚Aktion Nussknacker‘) eine bessere Stellung der modernen klassischen Musik. Studierende, die immer mehr auch aus weniger privilegierten Familien stammten, forderten Mitspracherecht bei akademischen Angelegenheiten. Die Besetzung des Maagdenhuis, des Verwaltungszentrums der Gemeente Universiteit (‚Kommunale Universität Amsterdam‘) 1970 beschleunigte die Umsetzung von Hochschulreformen. So entstanden in mehreren Sektoren der Gesellschaft neue Strukturen. Als schockierendes Ereignis in der jüngsten Geschichte der Niederlande ist der Fall von Srebrenica 1995 zu nennen. Im Rahmen einer Friedensmission waren niederländische Militärs auf dem Balkan eingesetzt. Da ein Bataillon nicht die notwendige Unterstützung bekam, konnte es die Sicherheitszone der Vereinten Nationen nicht halten. Nach dem Fall der Enklave, der sich nicht verhüten liess, ereignete sich das schlimmste Genozid seit dem Zweiten Weltkrieg: mehrere Tausend bosnische Muslime wurden von ihren Gegnern verschleppt und umgebracht. Die Niederlande verfolgen seit 1945 eine pro-europäische Politik. So traten sie dem Schengenabkommen bei, das den freien Verkehr von Personen und Gütern erlaubt. Auch die Einführung des Euros, der 2002 den Gulden ersetzte, erleichterte eine weitere Integration des Landes in Europa. Privatisierung und Globalisierung bestimmten künftig die Geschicke der niederländischen Gesellschaft. Während sich die herkömmlichen von religiösen beziehungsweise weltanschaulichen Gruppierungen geprägten gesellschaftlichen Strukturen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. allmählich auflösten, entstand durch Einwanderung (vgl. 4.3.4.1.) eine multikulturelle Gesellschaft, die Dutzende Ethnien kennt. Sie leben in einem demokratischen Rechtsstaat, welcher die Rechte des Menschen, so het vrije woord, d.h. das Recht auf freie Meinungsäusserung hochhält. Die Morde am Politiker und Soziologen Pim Fortuyn 2002 und am Filmregisseur und Publizisten Theo van Gogh 2004 verletzten die Einwohner der Niederlande denn auch zutiefst.

4.3.2. Niederländisch in der neu gegründeten Republik Surinam Die ehemalige Kolonie Surinam mit der Hauptstadt Paramaribo liegt auf dem südamerikanischen Kontinent und grenzt im Osten an Französisch-Guayana, im Süden an Brasilien und im Westen an Guyana. Das Land zählt über 540.000 Einwohner, sodann leben in den Niederlanden zirka 350.000 Surinamer. Als Surinam 1954 Autonomie erhielt, wurde es ein selbstständiger Teil des Königreichs der Niederlande mit Selbstverwaltung. Die Niederlande blieben für die auswärtige Politik und Verteidigung des Königreichs verantwortlich, zudem unterstützen sie die überseeischen Gebiete finanziell. Die Gesellschaft Surinams setzt sich aus mehreren Ethnien zusammen. Ein Drittel der Bevölkerung ist afrikanischer Herkunft, die Vorfahren eines Viertels der Einwohner Surinams stammen aus Hindustan, vgl. 3.1.2.5.3. Sodann leben Nachkömmlinge von Javanern in diesem Teil Südamerikas sowie Mischlinge, Chinesen und sonstige Ethnien. Nach wie vor ist Niederländisch die Amtssprache der Republik, die Kreolsprache Sranan-Tongo ist aber die Lingua

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

339

franca Surinams. Sodann verwendet die Bevölkerung vermehrt Englisch, daneben spricht man u. a. Sarnami Hindi, eine angepasste Form des Hindi, weiter Javanisch, diverse Kreolsprachen, zudem Formen indigener Sprachen der Ureinwohner Amerikas sowie chinesische, arabische, portugiesische und sephardische Sprachvarietäten. Je nach Definition lassen sich bis zu siebzehn Sprachen unterscheiden, die in der surinamischen Gesellschaft verwendet werden. In den Sechzigerjahren setzte sich die Partij Nationalistische Republiek (‚Partei nationalistische Republik‘) für eine möglichst rasche Unabhängigkeit Surinams ein, die surinamische Regierung bevorzugte dagegen eine schrittweise Änderung des Status ihres Landes. Als die Nationale Partij Suriname (‚Nationale Partei Surinam‘) 1973 jedoch an die Macht gelangte, forderte Premier Henck Arron die Unabhängigkeit Surinams. Die niederländische Regierung Den Uyl, die eine Entkolonisierungspolitik verfolgte, trat auf entsprechende, komplexe Verhandlungen ein. Sie führten am 25. November 1975 zur Gründung der Republik Surinam. Gouverneur Johan Ferrier trat als ihr erster Präsident an. In der folgenden Zeit, gekennzeichnet durch politisch labile Verhältnisse und Korruptionsskandale, nahm der Unmut der Bevölkerung über die politische Führung ihres Landes zu. So konnte der am 25. Februar 1980 von Unteroffizieren ausgeführte Putsch unter Leitung des Oberfeldwebels Desi Bouterse mit der Sympathie vieler seiner Mitbürger rechnen. Premier Arron trat freiwillig zurück, die anstehenden Wahlen wurden abgesagt. Nach der Verhaftung dreier des Verrrats beschuldigter Mitglieder des Militärrats riefen die neuen Machthaber im August den Notstand aus. Der seit 1975 amtierende Präsident Ferrier musste seine Funktion dem Arzt Hendrick Chin A Sen abtreten, die Militärs bestimmten fortan die Geschicke des Landes. Einen weiteren Rückschlag erlitt die Rechtsordnung Surinams, als das Militär am 8. Dezember 1982 im Fort Zeelandia fünfzehn Gegner exekutierte. Einige Jahre später begann Ronnie Brunswijk, ehemaliger Leibwächter Bouterses, einen Guerillakrieg im Dschungel. Die kriegerischen Handlungen zogen bis in die Neunzigerjahre die Zivilbevölkerung arg in Mitleidenschaft. Inzwischen erhielten die politischen Parteien unter Druck des Auslands 1987 die Chance, die Demokratie wieder herzustellen. Dennoch mischen am Militärputsch Beteiligte weiterhin in der Politik Surinams mit. Der obligatorische Unterricht wurde 1876 in Surinam für Schüler von sieben bis zwölf eingeführt. Die Unterweisung erfolgte in Niederländisch, obschon die Mehrheit der Schüler eine andere Muttersprache hatte. Die Sprache der ehemaligen Kolonisten genoss aber mehr Ansehen als beispielsweise Sranan und bot bessere Chancen für einen sozialen Aufstieg. In den Fünfzigerjahren des 20. Jh. untersuchte eine Kommission von Sachverständigen die sprachliche Situation in Surinam (vgl. Hellinga 1955). Die Linguisten stellten fest, dass die Anwesenheit einer kleinen Gruppe Sprecher des Niederländischen eine entscheidende Rolle in der Verbreitung des AN in Surinam spielte. Sodann beobachteten sie die Entstehung einer eigenen surinamischen Varietät des Niederländischen. Sie bestätigten somit entsprechende Wahrnehmungen des bedeutenden surinamischen Schriftstellers Albert Helman, der zum Niederländisch seines Landes zwei Jahre zuvor festgestellt hatte:

340

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Er is in de laatste jaren, vooral in onderwijskringen, nogal wat geharrewar geweest over het al of niet ‚rechtens‘ bestaan van een idiomatisch Surinaams-Nederlands. Zonder op deze kwestie met haar pedagogische impicaties in te gaan, mag veilig worden vastgesteld dat er ‚een‘ Surinaams-Nederlands bestáát. Er is zelfs meer dan één Surinaams-Nederlands want het Nederlands dat in dit land gesproken wordt, is vaak verschillend gekleurd – phonetisch, morphologisch, idiomatisch en syntactisch – al naar de sociale en etnische klasse (die soms samen vallen) waartoe de gebruiker behoort. (Charry et al. 1983, 120) (‚Während den letzten Jahren gab es vor allem in Kreisen des Erziehungswesens ein ziemliches Gezänk über das „von Rechts wegen“ Bestehen eines idiomatischen surinamischen Niederländisch. Ohne auf diese Frage mit ihren pädagogischen Implikationen einzugehen, darf sicher festgestellt werden, dass „ein“ surinamisches Niederländisch besteht. Es gibt sogar mehr als ein surinamisches Niederländisch, denn das Niederländisch, das in diesem Land gesprochen wird, ist öfters unterschiedlich gefärbt – phonetisch, morphologisch, idiomatisch und syntaktisch – je nach sozialer und ethnischer Klasse (die manchmal zusammenfallen), zu der der Sprecher gehört.‘) So können surinamisch-niederländische Sprachvarietäten in mehreren Hinsichten vom AN abweichen, sie werden aber ohne Weiteres von Niederländern und Flamen verstanden. Ebenso verstehen Surinamer Formen des europäischen Niederländisch problemlos. Die surinamischen Autoritäten, die anfänglich ein möglichst europäisches Niederländisch propagierten, begrüssten die von der erwähnten Kommission festgestellte Entwicklung einer eigenen Sprachvarietät keineswegs (vgl. Gobardhan-Rambocus 2007). Auch wehrten sie sich gegen den Vorschlag der Sachverständigen, Schüler in der eigenen Sprache zu unterrichten und Niederländisch als Fremdsprache anzubieten. Dies ist nicht verwunderlich, denn Surinam hatte immer die Tradition der Verwendung von AN an der Schule gekannt. Auch die Journalisten schrieben im AN, sodann strahlte die 1935 gegründete Rundfunkstation AVROS ihre Programme im AN aus. Inzwischen waren sich nicht nur Helman, sondern auch weitere Surinamer des Bestehens einer eigenen Varietät des Niederländischen bewusst. So gebrauchte Wim Bos Verschuur 1936 dieses Niederländisch bereits im Theaterstück Woeker (‚Wucher‘), auch in Erzählungen von Peter Schüngel, in Kees Neers Roman Viottoe 1948, in Albert Helmans Übersetzung von Marc Connellys Grazige weiden (‚Die grasigen Weiden‘) 1954 oder in Wim Salms Sjinnie 1956 findet es Anwendung. Von einer weiteren Kultivierung der eigenen Sprachvarietät zeugt ein Werk wie Bos mi esesi (‚Umarme mich schnell‘) 1965 des Schriftstellers R. Dobru (Pseudonym von Robin Ewald Ravales, 1935–1983). Vor allem bei einem jüngeren Publikum hat die surinamisch-niederländische Prosa Rappas (Pseudonym von Robby Jonathan Parabirsing, geb. 1954) Erfolg. Auch auf der Bühne und im Fernsehen kommt die surinamische Varietät des Niederländischen vermehrt zum Zuge. Beliebt bei einem grösseren Publikum auch in den Niederlanden sind namentlich die Vorstellungen des Kabarettisten Jörgen Henri Raymann, der besonders gern mit

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

341

den Eigenarten des Niederländisch der Surinamer spielt. Sodann scheinen Sprachlehrer der surinamischen Varietät des Niederländischen vermehrt Rechnung zu tragen, wie lästig die Handhabung einer Sprachnorm auch sein mag. Dennoch ist zu bedenken, dass die Surinamer laut neueren Umfragen mehrheitlich die Beibehaltung des AN als offzielle Sprache bevorzugen. Zudem wünschen sie, dass AN die Instruktionssprache für alle Formen der Ausbildung bleibt (vgl. Kroon et al. 2009). Was sprechen Surinamer zu Hause? Laut Umfragen werden 30 % der Erwachsenen in niederländischer Sprache erzogen (TPO 2007). Von Schülern sprechen 17 % zu Hause Niederländisch, 80 % der Schulkinder verwenden zu Hause mehr als eine Sprache. Schüler bezeichnen Niederländisch am häufigsten als eines der wichtigsten Fächer. Eine systematische Beschreibung des surinamischen NL stellt sich grundsätzlich als problematisch heraus. Nicht nur unterscheidet es sich je nach Sprecher in einem geringeren oder grösseren Ausmass vom AN, die Sprache von in den Niederlanden lebenden Surinamern weicht zudem ab vom Niederländisch, das man in Surinam spricht. In diesem Rahmen ist vom Versuch, Formen des surinamischen NL systematisch zu beschreiben, abzusehen. Die folgenden Beispiele dienen lediglich dazu, einige wenige Merkmale zu zeigen, die in der Sprache der Surinamer vorkommen, allerdings unterschiedlich ausgeprägt. Nicht immer sind solche Eigenheiten als ausschliesslich surinamisch einzustufen, manche Erscheinungen finden sich auch in anderen Sprachvarietäten des Niederländischen. In der Aussprache des surinamischen NL fällt häufig die bilabiale Artikulation des /w/, vergleichbar mit dem /w/-Laut in ‚Boa‘ auf. Sie kommt übrigens auch in anderen Varietäten des Niederländischen, so im Flämischen vor. Weiter können Wort- und Satzbetonung vom AN abweichen, die Verwendung von Personalpronomina mit Diphthongen ist auch in unbetonten Äusserungen gängig, vgl. jou in Ik heb dit jou verteld (‚Ich habe es Dir erzählt‘), im AN Ik heb het je verteld. Im AN dagegen werden Varianten des Personalpronomens wie jou oder jij vor allem emphatisch gebraucht. Am stärksten fallen die lexikalischen Unterschiede ins Auge. Das surinamische NL umfasst mehrere Hunderte lexikalische Elemente, die im europäischen NL keine Verwendung haben oder eine andere Bedeutung besitzen, wie die folgende kleine Auslese zeigt. So bezeichnet man kabeljauw (AN; ‚Kabeljau‘) als bakkeljauw und rietje (AN; ‚Trinkhalm‘) als sprietje. Das Subsantiv bout bedeutet im AN ‚Keule‘, im surinamisch NL ‚Oberschenkelknochen‘, baldadig bezeichnet im AN ‚übermütig‘, ‚mutwillig‘, im surinamischen NL ‚fürchterlich‘. Mehrere Ausdrücke, so op iemands hoofd staan (‚jemandem eine Last sein‘) kommen im heutigen AN nicht vor. Das Verb overleven (AN; ‚überleben‘) heisst surviven und die Konjugation trots verwendet man an Stelle von ondanks (AN; ‚trotz[dem]‘); ein Substantiv wie schoonbroer, im AN zwager (‚Schwager‘) kommt übrigens auch in Flandern vor. Eine zwageres (‚Schwägerin‘) wird im europäischen Niederländischen in der Regel mit schoonzus angedeutet. Sodann kennt das surinamische Niederländisch Entlehnungen wie trens (‚Graben‘, vgl. eng. trench), zwamp (‚Moor‘, vgl. engl. swamp) oder Alles a bon? (‚Alles in Ordnung?‘). Ein beliebtes Gericht aus Bohnen und Reis deuten die Surinamer mit Abkürzung BB met R (in AN: bruine bonen met rijst, ‚Kidneybohnen mit Reis‘) an.

342

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Von den grammatikalischen Merkmalen, die vom AN abweichen, ist die Bildung des Futurums mit dem Hilfsverb gaan (‚gehen‘) zu nennen. So markiert ga in Ik ga naar de stad gaan (‚Ich gehe in die Stadt‘ oder ‚Ich werde in die Stadt gehen‘) eine zukünftige Handlung, die in diesem Satz mit gaan (‚gehen‘) bezeichnet wird. Diese Konstruktion kommt übrigens auch in flämischen Dialekten vor. Auch erscheint gaan als Hilfsverb in Phrasen, die im AN passiv sind (vgl. Van der Sijs 2014), vgl. ga in Ik ga morgen operatie doen (‚Ich werde morgen operiert‘), im AN: Ik word morgen geopereerd. Auch das Verb komen (‚kommen‘) unterscheidet sich als Hilfsverb vom AN in Sätzen wie Wanneer regen zich liet komen vallen (‚Als der Regen fiel‘), AN: Toen er regen viel. Im Gegensatz zum AN kennen untergeordnete Phrasen häufig die Wortfolge unabhängiger Strukturen. So kommt in Ik geloof hij hoorde het al (‚Ich glaube, dass er es bereits hörte‘) das finite Verb hoorde an zweiter Stelle, im AN tritt es in solchen Strukturen an letzter Stelle auf: Ik geloof dat hij het al hoorde. Zudem fehlt im surinamischen NL die Konjunktion in solchen Phrasen. Dies gilt auch für vergleichbare Strukturen wie Ik heb gehoord je hebt een vriend daar (‚Ich habe gehört, dass Du dort einen Freund hast‘), die übrigens auch in flämischen Dialekten vorkommen. Im AN steht die Konjunktion dat (‚dass‘) in diesen Strukturen zwischen den beiden verbalen Phrasen, zudem erscheint das Verbum Finitum hebt an letzter Stelle: Ik heb gehoord dat je daar een vriend hebt. Sodann können im AN vorkommende Pronomina, Adverbien und Präpositionen in surinamisch-niederländischen Phrasen fehlen, vgl. Heb je het boek bij? (‚Hast Du das Buch bei Dir?) und die Entsprechung im AN Heb je het boek bij je mit dem Reflexivpronomen je. In der Struktur Waar ga je? kommt das im AN übliche Adverb heen nicht vor, vgl. AN Waar ga je heen? (‚Wohin gehst Du?‘). Bereits 1765 erwähnt Pieter van Dyk diese Erscheinung in seinem Sprachbüchlein Nieuwe en nooit bevoorens geziene Onderwyzinge in het Bastert, of Neeger Engels, zoo als het zelve in de Hollandsze Colonien gebruikt word (‚Neuer und nie zuvor gesehener Unterricht in der Bastardsprache oder Negerholländisch, wie dasselbe in den holländischen Kolonien gebraucht wird‘). Der Verfasser nennt als Beispiel Wanneer heb je gedaan? (‚Wann hast Du [das] getan?‘, vgl. Van der Sijs 2014). Die entsprechende Struktur im AN weist dagegen das Pronomen dat auf: Wanneer heb je dat gedaan? Sodann stehen an Stelle von Artikeln oft Gliedwörter im surinamischen NL, welche die Form eines AN-Demonstrativums haben, vgl. Zet die melk op het vuur (‚Stelle die Milch aufs Feuer‘), im AN: Zet de melk op het vuur. Ob sich die in solchen surinamischen Strukturen eindeutig als Demonstrativ einordnen lässt, ist hier nicht näher zu erörtern. Sodann können Artikel fehlen, wo diese in entsprechenden Strukturen im AN üblich sind, vgl. Nu liep ze huis in (‚Sie ging in das Haus‘), im AN: Nu liep ze het huis in. Weiter entstanden laut N. van der Sijs zwei neue Pronomina im surinamischen NL: dat ding (‚das Ding‘ in der Bedeutung von ‚das‘, ‚es‘), im AN dat oder het sowie die mannen (‚die Männer‘ in der Bedeutung von ‚sie‘), im AN zij oder ze. So entspricht Weet je wat dat ding was? (‚Weisst Du, was das Ding [das] war?‘) im AN Weet je wat dat was? Die Struktur Als die mannen iets vragen (‚Wenn die Männer [sie] etwas fragen‘) entspricht im AN Als ze iets vragen (Van der Sijs 2014). Ein Possessivum wie mijn vgl. AN mijn vrouw (‚meine Frau‘) entspricht im surina-

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

343

mischen NL einem Demonstrativum mit einem postnominalen Personalpronomen, vgl. die und me in die vrouw van me. Tonaufnahmen vom surinamischen Niederländischen sowie von Sranan-Tongo lassen sich über Nederlandse Dialectenbank/Soundbites www.meertens.knaw.nl. abrufen. Zwar kann die surinamische Varietät des Niederländischen mit mehr Anerkennung rechnen als in der ersten Hälfte des 20. Jh., dennoch bevorzugen die Sprecher in formellen Kommunikationssituationen AN. Dies gilt nicht nur für die Sprache offizieller Dokumente und amtlicher Stücke, auch während Interviews im Radio und Fernsehen erhält AN in der Regel den Vorzug. Wie viel Ansehen Niederländisch in diesem Teil der Welt besitzt, zeigte sich, als die surinamischen Autoritäten verlangten, ihre Sprache neben Spanisch, Portugiesisch und Englisch als Arbeitsund Amtssprache der Union Südamerikanischer Nationen zuzulassen (van der Sijs 2014). Der surinamische Präsident Ronald Venetiaan hielt während der Gründungskonferenz der Organisation am 23. Mai 2008 seine Ansprache denn auch in AN.

4.3.3. Niederländisch auf den autonomen Niederländischen Antillen Die ehemaligen Niederländischen Antillen erhielten 1954 politisch Autonomie. Nach Auflösung des Landesverbands der Insel 2010 wurden Curaçao, Aruba und Sint Maarten eigenständige Bundesländer des Königreichs der Niederlande. Saba, Sint Eustatius und Bonaire bilden seither bijzondere gemeenten, d. h. niederländische Kommunen mit einem speziellen Status. Laut der Landsverordening Officiële Talen (‚Landesverordnung Offizielle Sprachen‘) 2007 gelten neben Niederländisch auch Papiamentu oder Papiamento und Englisch als offizielle Sprachen der Insel. Über 80 % der 150.000 Inselbewohner verwenden Papiamentu in informellen Gesprächen gegen 6 % Niederländisch. So hat die Mehrheit der Bevölkerung auf den Inseln unter dem Winde Curaçao, Aruba und Bonaire Papiamentu als Muttersprache. Auch die zirka 140.000 Antillianer, die sich im Laufe der Zeit in den Niederlanden niedergelassen haben, bevorzugen in der informellen Kommunikation Papiamento. Dagegen spricht man auf den Inseln über dem Winde Sint Maarten, Saba und Sint Eustatius mehrheitlich Englisch. Niederländisch war auf sämtlichen Inseln Unterrichtssprache, gegenwärtig erfolgt der Unterricht an Grundschulen zumeist in Papiamentu beziehungsweise Englisch. An der Mittelschule werden die Schüler nach wie vor auf Niederländisch unterrichtet. Sie legen die gleichen Abschlussprüfungen wie in den Niederlanden ab. Im souveränen Staat Curaçao mit der Hauptstadt Willemstad leben zirka 130.000 Menschen. Mit einem Referendum hatte 2005 eine Mehrheit von ihnen für die Unabhängigkeit der Insel gestimmt. Vier Jahre später sprach sich eine knappe Mehrheit der Bürger für den entsprechenden Vertrag aus. Namentlich durch die Verarbeitung von aus Venezuela angeführtem Öl stieg im Laufe des 20. Jh. der Wohlstand auf der Insel. Die ungünstigen Arbeitsbedingungen führten 1969 zu Unruhen unter den Arbeitern der Raffinerie. Während des folgenden Aufruhrs brannten Häuser nieder, der Gewerkschaftsführer Wilson Godett wurde niedergeschossen. Eingeflogene nieder-

344

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

ländische Marinesoldaten stellten die Ordnung wieder her. Künftig erhielten die Inselbewohner mehr Mitsprache in eigenen Angelegenheiten. Anfänglich war Niederländisch die Amtssprache Curaçaos, seit 2007 sind auch Papiamentu und Englisch offizielle Sprachen. Daneben hört man hier weitere Sprachen, so u. a. Spanisch. Wie Curaçao und Bonaire gehört der souveräne Staat Aruba mit der Hauptstadt Oranjestad zu den ABC-Inseln, die nördlich von Venezuela liegen. Von den zirka 100.000 Einwohnern spricht die Mehrheit, und zwar gegen 70 %, Papiamento. Die meisten Zeitungen der Insel erscheinen in dieser Sprache, die Parlamentarier verwenden sie während ihren Sitzungen. Weiter sprechen die Inselbewohner Spanisch und Englisch, nur zirka 6 % der Bevölkerung hat Niederländisch als Muttersprache. Obschon spezialisierte Pädagogen ausdrücklich Papiamento als Unterrichtssprache empfehlen, bevorzugen Laien, besonders auch Eltern von Grundschülern, Unterricht im AN. Sie betrachten die Verwendung des AN während der Ausbildung als Bedingung eines optimalen Schulabschlusses und einer erfolgreichen Zukunft ihrer Kinder (vgl. Kroon et al. 2009). Der Kleinstaat Sint Maarten mit der Hauptstadt Philipsburg misst etwas mehr als 30 km2. Er liegt auf dem Südteil der Insel, die er mit dem französischen St. Martin teilt. Die Hälfte der ungefähr 30.000 Einwohner besassen am Anfang des 21. Jh. die niederländische Nationalität, nur 30 % waren auf der Insel geboren. Obschon die offizielle Sprache des Landes Niederländisch ist, sprechen gegen 70 % der Bevölkerung auch während informeller Kommunikation Englisch, 13 % haben Spanisch als Muttersprache. In Sint Maarten gibt es sowohl niederländisch- als englischsprachige Grundschulen, auch bestehen in beiden Sprachen Ausbildungen für die Reifeprüfung. Auf Bonaire mit der Hauptstadt Kralendijk (‚Korallendeich‘) leben gegen 20.000 Menschen mit mehrheitlich niederländischer Nationalität. Nur 15 % der Einwohner dieser niederländischen Kommune sprechen in informellen Situationen Niederländisch. Dagegen verwenden mehr als die Hälfte der Bevölkerung in allen Kommunikationssituationen Papiamentu. Die Inselverordnung Bonaires kennt übrigens sogar Orthografie-Vorschriften des Papiamentu, das Unterschiede mit dem Papiamento Arubas aufweist. Obschon Niederländisch die offizielle Sprache des südwestlich von Sint Maarten gelegenen Saba ist, verwendet die Grossmehrheit der zirka 1300 Einwohner dieser niederländischen Kommune Englisch in formellen und informellen Kommunikationssituationen. Dies gilt auch für die zirka 3000 Bewohner der Insel Sint Eustatius. Die grosse Mehrheit dieser Inselbewohner besitzt zwar die niederländische Nationaliät, nur einige Prozente von ihnen sprechen Niederländisch. Das Niederländisch der Antillianer weicht je nach Sprecher in geringerem oder grösserem Mass vom AN ab (vgl. u. a. Hinskens 2016, 71 ff). Der Wortschatz umfasst eigene Bezeichnungen u. a. für kulturelle Eigenheiten, Gerichte, Pflanzen und Tiere, so zum Beispiel oppashuis (‚Haus, das während der Abwesenheit der Bewohner zur Sicherheit vorübergehend von Drittpersonen bewohnt wird‘), baaidag (‚Tag am Strand‘) oder dividivi (‚Caesalpinia-coriaria-Baum‘). In der Aussprache fällt wie im surinamischen Niederländisch die bilabiale Artikulation des /w/ auf. Auch die Aussprache einiger anderer Phoneme hat eine spezifische phonetische Ausprägung, vgl. [h] und [ɣ] in hegeuken (AN: geheugen mit [ɣ] im Präfix ge und anschliessend [h]; ‚Gedächtnis‘). Ähnlich spricht ein Schüler in Boeli van Leeuwens Roman Vreemdeling op Aarde (,Fremder auf Erden‘), der ,abscheuliches Niederländisch‘ verwendet, [h] und [ɣ] aus:

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

345

Hij hield graag redevoeringen in execrabel Nederlands: „Het is hegeel aan mijn hegeuken ontschoten, meneer de voorzitter“ (Vervoorn o. J. 22) (‚Er hielt gerne Ansprachen in abscheulichem Niederländisch: „Es ist mir ganz aus dem Gedächtnis entgangen, verehrter Vorsitzender“‘) Auch die Aussprache weiterer Phoneme ist auffallend, vgl. [k] in skaaf (AN: schaaf; ,Hobel‘), [i] in hier (AN: huur mit [ü]; ,Miete‘), [ɪ] oder [є] in bis beziehungsweise bes (AN: bus mit [ʌ]; ‚Omnibus‘), stimmloses [f] in vies (AN: vies häufig mit eher stimmhaftem [v]; ‚schmutzig‘) oder stimmloses [s] in zoet (AN: zoet, häufig mit eher stimmhaftem [z]; ‚süss‘). Sodann kann das Genus von Substantiven im Niederländisch der Antillianer vom Wortgeschlecht im AN abweichen, vgl. Neutr. het in het verkoop (AN: de verkoop mit de als Markierung des genus commune; ‚der Verkauf‘, vgl. Hinskens 2016, 72). Dies zeigt sich auch in der Verwendung von Reflexiven. So bezieht sich die auf ein Substantiv der de-Klasse in een bed die (‚ein Bett das‘), während in der entsprechenden AN-Phrase das Reflexiv dat Neutr. markiert, vgl. een bed dat. Wohl unter Einfluss des Papiamentu, das beispielsweise mit Partikeln statt mit Beugung den Numerus des Verbs markiert, konjugieren Antillianer anders als AN-Sprecher (Hinskens 2016, 72). So kann eine t-Flexion in der 1. Pers. Sing. auftreten, vgl. ik zingt (AN: ik zing; ‚ich singe‘), während in der 3. Pers. Sing. die Flexion fehlt, vgl. hij zing (AN: hij zingt; ‚er singt‘). Bei der Verwendung von Possessiven kann im Niederländisch der Antillianen die Markierung von Mask. und Fem. von jener im AN abweichen. So tritt in der Struktur De vader omheldse haar dochter (‚Der Vater umarmte ihre [seine] Tochter‘) haar Fem. auf. Die entsprechende Phrase im AN enthält dagegen Mask, zijn, vgl. De vader omhelsde zijn dochter. Sodann können Stukturen nominaler und verbaler Phrasen von jenen im AN abweichen, vgl. Ik heb drie (Hinskens 2016, 72; ‚Ich habe drei davon‘), AN Ik heb er drie van. In einer untergeordneten Struktur wie dat het de Hollanders nog steeds zijn tritt das Adverb nog steeds an dritter Stelle nach dem prädikativen Attribut auf, vgl. Maar weldra is het gebleken dat het de Hollanders nog steeds zijn die… (Hinskens 2016, 72; ‚Aber bald hat sich herausgestellt, dass es nicht immer die Holländer sind, die…‘). Im AN dagegen kommt das Adverb nach dem Subjekt, vgl. …dat het nog steeds de Hollanders zijn die…. Von einem Versuch, solche und sonstige spezifische Merkmale antillianischer Sprachvarietäten systematisch darzustellen, ist im Rahmen des vorliegenden Buches weiter abzusehen.

4.3.4. Dominanz des Allgemeinen Niederländischen Nach wie vor trägt die Schulausbildung entscheidend zur Verstärkung der Stellung des AN bei. Im gesamten Sprachgebiet erfolgt der Unterricht jeder neuen Generation tendenziell in einer dialektfreien Sprache. Bezeichnenderweise befürwortet die Mehrheit der Eltern die Verwendung des AN als Instruktionssprache, sogar wenn Pädagogen in bestimmten Gegenden, so auf Aruba

346

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

oder in Surinam, eine andere Unterrichtssprache empfehlen (Kroon et al. 2009). Seit dem 19. Jh. vermitteln geschulte Lehrpersonen die Schulfächer im AN. Der Unterricht der Muttersprache stützte sich auf Grammatiken wie beispielsweise Rijpmas Beknopte Nederlandsche Spraakkunst 1909 oder Tinbergens Nederlandsche Spraakkunst 1919. Übrigens veröffentlichte De Vooys 1947 eine Grammatik des AN, die auch historische Daten berücksichtigt. Andererseits prägten strukturalistische Standardwerke von Linguisten wie A.W. de Groot oder A.J.B.N. Reichling in der Mitte des 20. Jh. die Beschreibungen des AN. Bei der Ausbildung von Mittelschullehrern fanden denn auch strukturalistische Werke, so H.F.A. van der Lubbes Woordvolgorde in het Nederlands 1958 Verwendung. P.C. Paardekooper, Verfasser der umfangreichen Syntax Beknopte ABN-syntaxis 1963, veröffentlichte ebenfalls Grammatiken und Schulbücher. Inwiefern generative oder funktionale Beschreibungen des Niederländischen, so von u.a. A. Kraak, W.G. Klooster, H.J. Verkuyl, J.H.J. Luif oder S. Dik, die Ausbildung von Studierenden der niederländischen Philologie an der Universität prägen, ist hier übrigens nicht weiter zu erörtern (für nähere Angaben zur Geschichte der niederländischen Sprachwissenschaft siehe Bakker et al. 1977 und Van Driel 2007). Die Binnenmigration hat die Bevölkerung in den Niederlanden nach dem Zweiten Weltkrieg weiter vermischt, vgl. 4.3.4.1. Sie ist der Verwendung des AN auch in der mündlichen Kommunikation zugutegekommen. Dass sich die Bewohner des Rhein-Maas-Schelde-Deltas zunehmend in Ballungsgebieten ansiedelten, hat den Gebrauch einer überregionalen Sprache zudem gefördert. Die Sprache von Einwanderern hat diesen Prozess nicht bremsen können. Während AN zur dominierenden Sprachvarietät in den Niederlanden wurde, entstand in Flandern neben dem AN eine von Mundart gefärbte überregionale Sprachvarietät, vgl. 4.3.8. Weiter hat das Fernsehen nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend zur Vereinheitlichung und Verbreitung des gesprochenen Niederländisch beigetragen. Das AN der Fernseh-Moderatoren in den Niederlanden, in Belgien und in den überseeischen Gebieten wird von der grossen Mehrheit der Bevölkerung täglich rezipiert. Nie zuvor konnten Medien das gesprochene AN derart intensiv unter der gesamten Bevölkerung verbreiten, wie dies durch Funk und Kabel geschieht, vgl. 4.3.4.2.5. Zudem vermitteln Bücher und Presse nach wie vor die Schriftsprache, vgl. 4.3.4.2.1., 4.3.4.2.2. Der weiter zunehmende Personenverkehr macht die Kommunikation im AN mit Sprechern anderer Gegenden zur Selbstverständlichkeit, vgl. 4.3.4.3. Schriftsteller und Bühnenkünstler machen einem breiteren Publikum die sprachlichen Möglichkeiten des AN immer wieder bewusst, vgl. 3.4.5. Die Post ermöglichte es, dass immer mehr Sprecher des Niederländischen in der Schriftsprache Texte formulierten, um miteinander zu kommunizieren. Die digitalen Medien haben inzwischen die Schreibgewohnheiten eines grösseren Teils der Bevölkerung grundlegend geändert, vgl. 4.3.4.2.5. Die Vereinheitlichung und Kodifizierung des AN als Schriftsprache hatte sich im Laufe des 19. Jh. vollzogen, die Verbreitung eines gesprochenen Niederländisch ohne sozio- und dialektische Merkmale erfolgte im 20. Jh. In der Mitte des 20. Jh. dürfte die Hälfte der Bewohner des niederländischen Sprachgebietes AN gesprochen haben, heute sind dies eine Mehrheit, die Van der Horst auf 80 % schätzt (Van der Horst et al. 1999, 385). Diese Zahl ist allerdings noch näher

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

347

zu differenzieren, vgl. 4.3.4.1. Dabei sind nicht nur Unterschiede zwischen formeller und informeller Kommunikation zu berücksichtigen, sondern auch zwischen der Sprachverwendung der Niederländer und der Flamen. 4.3.4.1. Bedeutung der Binnenmigration und Immigration für das Allgemeine Niederländisch Die umfangreiche Binnenmigration in einem verhältnismässig kleinen Staat wie den Niederlanden, das Wachstum der Bevölkerung und die hohe Bevölkerungsdichte des Gebietes haben auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Verwendung des AN in der mündlichen Kommunikation begünstigt. Dagegen hat sich die Sprachverwendung anderssprachiger Immigranten nur in einem geringen Ausmass nachhaltig im AN ausgewirkt. Dank dem Geburtenüberschuss, später auch durch Einwanderung wuchs die niederländische Bevölkerung rasch. 1960 betrug die Zahl der Niederländer bereits zwölf Millionen, heute zählen die Niederlande siebzehn Millionen Einwohner. Die Binnenmigration stieg nach dem Zweiten Weltkrieg ‚spektakulär‘ an (Beukers, Bosatlas 2011, 472), insbesondere zogen Einwohner der nördlichen Gegenden in die Randstad. Mehr als 90 % der Bevölkerung wohnen in urbanen Agglomerationen, 40 % der Niederländer leben in der Randstad, die gesellschaftlich und kulturell in manchem Bereich den Ton angibt. Die grosse Mehrheit der Randstad-Bewohner spricht AN, aber auch in ländlichen Gegenden ist die Verwendung von AN üblich, sieht man von informeller Kommunikation zwischen Dialektsprechern ab. In der Schule ist die Benutzung einer sozio- und dialektfreien Sprache in den Niederlanden der Normalfall. Am Arbeitsplatz braucht man je nach beruflicher Tätigkeit AN oder auch Soziolekte beziehungsweise lokale Varietäten des Niederländischen. Während ein Handwerker beispielsweise ein von Mundart gefärbtes Niederländisch sprechen kann, werden Mitarbeiter des Call-Centers eines Grossbetriebes in AN kommunizieren. Mehr noch als in Flandern lässt sich in den Niederlanden feststellen, dass die Verwendung von Formen des überregionalen Niederländisch die Dialekte immer mehr verdrängt. So benutzen in den Niederlanden 80 % der Studenten und der Arbeitnehmer in Gesprächen mit ihren Kollegen AN, in Flandern sind dies etwas mehr als die Hälfte (TPO 2009). Übrigens bezeichnen mehr ältere als jüngere Niederländer AN als Sprachnorm. Jüngere Niederländer wie auch die Flamen über 24 bevorzugen die Verwendung des überrregionalen Niederländisch, dagegen kommunizieren Flamen unter 24 vorzugsweise in Dialekt (TPO 2009). Zu Hause sprechen 38 % der niederländischen Eltern zueinander in Dialekt, dagegen verwenden 34 % der Eltern ihren Kindern gegenüber Dialekt. Bei 25 % der niederländischen Kinder ist zu hören, aus welcher Gegend sie kommen. In Flandern reden noch 70 % der Eltern miteinander Dialekt, 65 % sprechen mit den Kindern Dialekt, dennoch kann man nur noch bei 56 % der flämischen Kinder hören, wo sie aufgewachsen sind (TPO 2009). Zu den Immigranten, die sich nach dem Krieg in den Niederlanden niederliessen, zählen die zirka 12.800 Molukker, die 1951 ihre Insel aus Sicherheitsgründen verliessen, vgl. 4.3.1. Inzwischen dürfte die Molukker-Gemeinschaft über 40.000 Menschen umfassen. Wie bei vielen Sprechern, die aus Niederländisch-Ostindien stammen, fällt in ihrer Aussprache u. a. die stimmlose

348

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Artikulation des /v/ und /z/ und eines bilabial ausgesprochenen /w/ auf. Zudem verwenden sie ein ‚rollendes‘ /r/: bei der Artikulation dieses stimmhaften alveolaren Vibrant schlägt die Zungenspitze mehrfach an den oberen Zahndamm an. Sodann werden die von Molukkern formulierten verbalen Phrasen durch die auch im Malaiischen übliche gerade Wortfolge gekennzeichnet. So steht das Subjekt jij vor dem Verb huilen in waarom jij huilen? (‚Warum Du weinen?‘, vgl. Van der Wal et al. 2008, 366). Weiter ist die Wahl eines Infinitivs wie huilen an Stelle eines finiten Verbs auf die Muttersprache dieser Einwanderer zurückzuführen. Da die Molukker ihr Bleiben in den Niederlanden anfänglich noch als vorübergehend betrachteten, wehrten sie sich gegen eine Integration. Sie liessen denn auch kaum Spuren im Niederländischen zurück. Jüngere, in den Niederlanden geborene Molukker erhielten ihre Ausbildung an niederländischen Schulen, ihr Einfluss auf das AN ist dadurch ebenfalls zu vernachlässigen. Die Sprache vieler der sonstigen Rückkehrer aus Indonesien (vgl. 4.3.1.) kennt eine grosse Verschiedenheit von zum Teil ähnlichen Merkmalen. Zwar sprach ein Teil der 300.000 repatrianten AN, andere verwendeten ‚indisch-niederländische‘ Varietäten oder benutzten Petjo beziehungsweise Pecok. Asiatische Varietäten des Niederländischen, die im Folgenden auch mit dem Ausdruck ‚Indisch-Niederländisch‘ bezeichnet werden, hatten in der ehemaligen Kolonie keinen guten Ruf. Die Entstehung eines allgemeinen asiatischen Niederländisch vergleichbar mit dem Afrikaans in Südafrika ist auch aus diesem Grund nie wahrscheinlich gewesen. Im Gegenteil galt es ‚indische Fehler‘ der Schüler zu bekämpfen. Dazu erschienen gar spezielle Büchlein, so beispielsweise Indische fouten (‚Indische Fehler‘) 1922 des Grundschullehrers A. de Geus mit Beispielsätzen, die von Schülern zu korrigieren waren, wie: Brutale nest jij bent! Ik pas gekomen, de dokter mij gevoeld. Zijn naam wie? Hij woont waar? Jouw buik is nog ziek, of niet? Boos jij maar! De lamp is dood. (Groeneboer 1994 [a], 13) (Worterklärungen: brutale nest = ‚Frechdachs‘; dokter = ‚Arzt‘; buik = ,Bauch‘; ziek = ‚krank‘; boos = ‚erbost‘) Früher passten sich Neuankömmlinge in der Kolonie sprachlich mehr oder weniger der neuen Umgebung an und gebrauchten bald Formen eines Indisch-Niederländisch. Sodann sprachen Europäer in informellen Kommunikationssituationen gerne Javindo, das einen niederländischen Wortschatz besass, dagegen eine javanische Grammatik aufwies. Als mehr Niederländer vor dem Zweiten Weltkrieg nach Niederländisch-Ostindien gingen (vgl. 4.1.8.), machte ihr Sprachgebrauch die Verwendung lokaler Sprachvarietäten sozial immer weniger erwünscht (Groeneboer 1994 [a], 7). Bezeichnenderweise hörte man Pecok allmählich nur noch in der Gasse aus

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

349

dem Mund von Kindern sozial schwächerer Familien (Groeneboer 1994 [a], 15). Diese kromtaal van de speelplaats (‚krumme Sprache des Spielplatzes‘, Hinskens 2016, 59) besass ein hauptsächlich niederländisches Lexikon, die Grammatik dagegen war grösstenteils malaiisch. Niederländische Verbstämme erhielten beispielsweise malaiische Präfixe und Suffixe, so ke- und -en in ketelaaten, vgl. AN veel te laat (‚viel zu spät‘). Von den zum Teil oben bereits genannten Merkmalen asiatischer Varietäten des Niederländischen sollen hier einige wenige zusammengefasst werden. Bei Sprechern des Pecok und des Indisch-Niederländischen ist die von Malaiisch geprägte Aussprache hervorzuheben. So fällt eine vom AN abweichende Betonung der Wörter auf, vgl. wààrfoor (‚wozu‘) an Stelle von waarvòòr. Weiter ist die oben erwähnte bilabiale Aussprache des /w/ bezeichnend für diese Formen des Niederländischen, so beispielsweise in [suwart] (‚schwarz‘) an Stelle von [zwαrt], AN zwart. Sodann werden /v/ und /z/ stimmlos artikuliert, vgl. [s] in so und geséllig im folgenden Textabschnitt: – Já… Constáns… toch so geséllig, dat jij weer hier bén! zei tante energiek, met een stevige Indische nadruk. Voor mama ook so gesellig, kassian! Wáar woon jij nu? (Couperus 1952, Bd. 5, 28) (,– Ja… Constans… doch so gemütlich, dass du wieder hier bist! sagte Tante energisch, mit starkem indischem Nachdruck. Für Mutti auch so gemütlich, die Ärmste! Wo wohnst Du jetzt?‘) Auch /d/ wird häufig stimmlos artikuliert. Weiter fallen im Auslaut /s/ und /t/ öfters weg, vgl. bén an Stelle von bent in dat jij weer hier bén! Die Phoneme /g/ und /h/ werden häufig nicht unterschieden. Dazu hatte Multatuli bereits bemerkt: (…) – wanneer zoo’n Europeaan opmerkt dat de beschaafdste liplap moeite heeft de h en de g uit elkaar te houden, lacht hy over de domheid van den man die niet weet dat er onderscheid is tusschen een gouden hek en een houten gek. (Multatuli 1881, 94) (, … wenn ein solcher Europäer feststellt, dass der meist zivilisierte Schwarze [liplap ist eine diskriminierende Bezeichnung für Neger, womit der Sprecher irrtümlicherweise einen asiatischen Eingeborenen andeutet] Mühe hat, h und g auseinanderzuhalten, lacht er über die Dummheit des Mannes, der nicht weiss, dass es einen Unterschied zwischen einem goldenen Zaum [der einheimische Sprecher meinte houten hek : hölzernen Zaun] und einem hölzernen Verrückten [der einheimische Sprecher meinte oude gek: altem Verrückter] gibt.‘) Wie in der Sprache der Molukker gilt als weiteres Merkmal der indisch-niederländischen Sprecher die oben erwähnte ‚rollende‘ Artikulation des [r], vgl. [brrrʌsǝl] an Stelle von [brʌsǝl] in waarom toch Brrrússel, seg? (‚Warum doch Brüssel?‘ Couperus 1952, 28). Übrigens ist bei

350

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

AN-Sprechern, die aus Indonesien stammen, wohl als Reaktion auf ihre abweichende Aussprache eine hyperkorrekte Artikulation gewisser Laute festzustellen, so [ʃo.ko.la.] (‚Schokolade‘) statt [ʃo.kla.], AN chocolade, vgl. Van den Toorn 1957, 222). Kennzeichnend für ihre Aussprache ist zudem das Vorkommen eines Svarabhakti-Vokals, so die Einschaltung eines [ǝ]-Lautes nach [r] beispielsweise in so errreg (‚so schlimm‘), AN zo erg. Sodann verwenden indische Niederländer asiatische Lehnwörter mit einer niederländischen Flexion wie beispielsweise oelekken (‚fein reiben‘) mit der Infinitiv-Endung -en. Von den Pronomina bevorzugen sie Formen mit Diphthongen wie jij und jou statt je (‚Du‘, ‚dich‘), vgl …jij lacht jou slap! (Couperus 1952, Bd. 5, 28) an Stelle von … je lacht je slap (‚Du kringelst Dich vor Lachen‘). Weiter kann der Genus von Substantiven abweichen, vgl. de kantoor (‚das Büro‘) statt AN het kantoor. Nicht selten verzichten Sprecher Indisch-Niederländischs auf Konstituenten wie ein Prädikat, ein Subjekt oder ein Objekt. So enthält toch so geséllig weder ein Subjekt noch ein Verbum finitum, vgl. …. toch so geséllig, dat jij weer hier bén! (‚Es ist so gemütlich, dass Du wieder hier bist‘, Couperus 1952, Bd. 5, 28). Dies ist auch der Fall in Ach, so gemakkelijk… (‚Ach, das ist so leicht…‘, Couperus 1952, Bd. 5, 28). Auch sonstige Elemente fehlen öfter in nominalen beziehungsweise verbalen Strukturen. So sind beispielsweise weder der Artikel een noch der Infinitiv logeren (‚übernachten‘) anwesend in Zij heeft ghroot huis en zij laat haar kind in ghôtel des Indes. (‚Sie hat ein grosses Haus und lässt ihr Kind im Hotel Des Indes übernachten.‘, Couperus 1952, Bd. 5, 29). Nach der Ankunft in den Niederlanden setzten sich einige Heimkehrer, so Jan Johannes Theodorus Boon (1911–1974), ehemaliger Journalist des Bataviaasch Nieuwsblad (‚Nachrichtenblatt Batavias‘), für die Pflege der ‚niederländisch-indischen‘ Kultur ein. Er kümmerte sich beispielsweise um die jährlich in Den Haag stattfindende Veranstaltung Tong Tong Fair, die vor allem von ‚indischen Niederländern‘ besucht wird. Insbesondere dank Boons Veröffentlichungen, die unter Pseudonymen wie Tjalie Robinson oder Vincent Mahieu erschienen, erlebte das früher in der Kolonie so gering geschätzte Pecok eine Neubewertung in der postkolonialen Zeit. Tonaufnahmen von indisch-niederländischen Sprachvarietäten lassen sich über den Nederlandse Dialectenbank/Soundbites, www.meertens.knaw.nl. abrufen. Zwar verwendet ein Teil der Heimkehrer aus Indonesien nach wie vor indische Varietäten des Niederländischen vermutlich auch, um die indonesische Herkunft zu markieren. Dennoch ist ihre Bedeutung für die Entwicklung des neuesten AN zu vernachlässigen. Wohl hatte sich bereits früher der Besitz von asiatischen Kolonien namentlich im Lexikon des AN bemerkbar gemacht. Von der Sprachverwendung der repatrianten stammen dagegen nur einige wenige lexikalische Elemente. So wurde das niederländische Lexikon nach 1950 vermutlich dank der Heimkehrer aus Indonesien mit einigen wenigen indisch-niederländischen Wörtern erweitert wie pakkie-an (‚Angelegenheit‘ 1950), loempia (‚Frühlingsrolle‘ 1954), betjah (‚Fahrradrikscha‘ 1961), gado-gado (‚indonesischer Salat mit gedämpften Gemüsen und hartgekochten Eiern‘ 1968), wadjan(g) (‚indonesischer Wok‘ 1974), pangolin (‚Schuppentier‘ 1976), babi pangang (‚asiatisches Gericht mit Schweinefleisch‘ 1984), manou (,geschmirgeltes Peddigrohr‘ 1984) oder rendang (,ein dem Curry ähnliches indonesisches Gericht‘, 1992).

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

351

In den Sechzigerjahren setzte die Immigration von Arbeitskräften aus mediterranen Ländern ein. Die ersten gastarbeiders (‚Gastarbeiter‘) kamen vornehmlich aus Italien und Spanien, Anfang der Siebzigerjahre stieg die Zahl der Immigranten aus der Turkei und Marokko in den Niederlanden an. Obschon die niederländische Obrigkeit die Werbung von ausländischen Arbeitskräften 1973 einstellte, dauerte die Immigration aus dem Mittelmeerraum bis Anfang der Neunzigerjahre an. In den Siebzigerjahren immigrierten mehrere Zehntausend Männer insbesondere aus Zentral-Anatolien und aus dem türkischen Küstengebiet des Schwarzen Meeres in die Niederlande. Heute dürften über 400.000 Niederländer türkische Vorfahren haben. Um Kosten zu sparen, blieben Kinder häufig bei ihren Familien in der Türkei zurück, in der Folge bekundeten auch jüngere Generationen türkischer Immigranten Mühe mit der Verwendung des AN. Sodann hatten sich 1980 bereits über 70.000 Marokkaner in den Niederlanden niedergelassen, 1990 waren dies über 160.000 und 2008 dürften über 300.000 Einwohner der Niederlande marokkanische Wurzeln haben. Viele der Immigranten der ersten Generation, die häufig nur bescheiden ausgebildet sind, verwenden zu Hause ihre Muttersprache. Sodann schauen sich Immigrantenfamilien gerne Fernsehprogramme aus der Heimat an. Die Kinder dieser Immigranten weisen denn auch häufig einen Rückstand in ihren Kenntnissen des AN auf. Dass viele von ihnen in niederländischen Schulklassen mit vielen Immigrantenkindern Unterricht erhalten, erschwert für sie das Erlernen des AN. Die Sprache der Nachkömmlinge von Immigranten aus der Türkei und aus Marokko wie auch von anderen Minderheitsgruppen prägt vor allem die straattaal‚ die Umgangssprache junger Menschen allochthoner, aber auch autochthoner Herkunft. Sie setzt sich aus lexikalischen Elementen unterschiedlicher Sprachen zusammen. So kommt doekoe (‚Geld‘) aus Sranan, chillen (‚entspannen‘) aus dem Englischen, hamdoulah (‚Gott sei Dank‘) aus dem Arabischen, com esta? (‚wie geht es?‘) aus dem Spanischen und con ta bai? (‚wie geht es?‘) aus Papiamentu (vgl. Appel 2014, 125, Hinskens 2016, 82 ff). Von R. Appel stammt das Beispiel der Phrase Wahed faja actie (‚eine schreckliche Aktion‘), die sich aus Elementen dreier Sprachen zusammensetzt. So ist wahed eine arabische Form des Artikels een (‚ein‘), das verstärkende Adjektiv faja (‚Feuer‘) ist Sranan-Tongo und hat den englischen Ursprung fire, das Substantiv actie ist Niederländisch. Der folgende Dialog gibt einen Eindruck von Formen der straattaal aus dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts: Fouad: Alles goed? Tarik: Ja, hamdoelah. Fouad: Gisteren was ik terug naar de shoppa, maar je was loesoe, man. Tarik: Ja man, die gozer… eh, het was wahed faja actie van hem. Ik weet niet of je het weet, maar die gozer spoort niet. Fouad: Fatoe, man. (Appel 2014, 124)

352

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

(Worterkärungen: hamdoelah = ‚Gott sei Dank‘; gisteren = ‚gestern‘; shoppa = ‚Coffeeshop‘; loesoe = ‚verschwunden‘; gozer = ‚Typ‘; wahed = ‚eine‘; faja = ‚schlimme‘; weet = ‚weiss‘; spoort niet = ‚verhält sich sonderbar‘; fatoe = ‚Witz‘) Sodann kommen in Sprachvarietäten vieler Jugendlicher Ausdrücke aus der Hip-Hop-Kultur vor, so da bomb (‚super‘). Straattaal enthält weiter Neologismen wie deuzel (‚Idiot‘) oder Damsko (‚Amsterdam‘) und Abkürzungen, so dissen (‚vernichtend kritisieren‘) aus disrespect laten blijken (‚Respektlosigkeit zeigen‘, vgl. Hinskens 2016, Appel 2014). Manche Wörter aus dem AN erhalten eine neue Bedeutung, so wird mit gierig (‚geizig‘) ‚geil‘ gemeint, etsen (‚radieren‘) bedeutet ‚küssen‘. Vereinzelt entstehen Verben aus Substantiven, so alcohollen aus alcohol in der Bedeutung von ‚Alkohol trinken‘. Weiter weicht das Wortgeschlecht vom Genus im AN ab: in der Regel wird das Neutrum nicht unterschieden, vgl. die meisje (‚das Mädchen‘) und AN dat meisje. Verbale Strukturen umfassen häufig das Hilfverb gaan (‚gehen‘), vgl. ik ga je zien (buchstäblich ‚ich gehe Dich sehen‘, d. h. ‚auf Wiedersehen‘), AN tot ziens. In der Aussprache fällt die Dehnung von Phonemen auf, vgl. [r] und den vom bezeichneten Svarabhakti-Vokal in errug (‚sehr gut‘). Sodann wird stimmloses /s/ häufig stimmhaft ausgesprochen, vgl. iz (‚ist‘), AN is. Auch ist die offene Artikulation von Diphthongen auffällig, vgl. [ai] an Stelle von [єi] in warr gha jai? (‚wohin gehst Du?‘), AN waar ga je naar toe? Mit ihrer spezifischen Artikulation können Jugendliche ihre Identität markieren. So unterscheiden sich Marokkaner der zweiten Generation durch eine ausgeprägte stimmhafte Aussprache des /z/, vgl. zzoek zzelf maar uit (‚das kannst Du selbst heraussuchen‘). Weiter schlägt bei der Aussprache des /r/ die Zungenspitze mehrfach an den oberen Zahndamm an wie in errug. In der straattaal kommt die Erlebniswelt Jugendlicher zum Ausdruck. Sie unterscheidet sich von Stadt zu Stadt, gar von Gruppe zu Gruppe. So kommt spitta (‚sehr gut‘) oder menina (‚Mädchen‘), das möglicherweise aus dem Kapverdischen stammt, in Rotterdam vor, zehma (‚als ob‘) stammt aus dem Arabischen und wurde zuerst im westlichen Stadtteil Amsterdams verwendet. Da straattaal als Jugendsprache modeempfindlich ist, ändert sie sich rasch. Die verwendeten lexikalischen Elemente, die in der Regel kurzlebig sind, werden von Menschen anderer Altersstufen oft nicht verstanden. Zwar halten Personen unter 35 die straattaal mehrheitlich für kreativ, dennoch lehnen die meisten Niederländer diese Sprachvarietät ab. Drei Viertel der Bevölkerung möchte, dass die Verwendung von straattaal während des Unterrichts verboten wird, mehr als die Hälfte der Niederländer glaubt, dass diese Jugendsprache eine gute Ausbildung gefährdet (TPO 2010). Übrigens sprechen jüngere Menschen, die gerne in straattaal kommunizieren, nicht selten vorzüglich AN. Da die Verwendung von straattaal zudem altersbedingt scheint, dürfte sie Erneuerungen des AN kaum beeinflussen. 4.3.4.2. Medien als Vermittler des Allgemeinen Niederländischen Auch nach 1945 vermitteln gedruckte Medien massenhaft die Schriftsprache im gesamten niederländischen Sprachraum, vgl. 4.3.4.2.1., 4.3.4.2.2. Ästhetische Texte nehmen in der Rezeption des AN eine Sonderstellung ein: nicht nur Schriftstellern, sondern auch Bühnenkünstlern

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

353

ist besondere Bedeutung für die Verwendung des AN zuzusprechen, vgl. 4.3.4.2.3., 4.3.4.2.4. Täglich strahlen Rundfunk- und Fernsehanstalten Programme im gesprochenen AN aus, das eine Mehrheit des Publikums als mustergültig einstuft. Digitale Kommunikation fördert auch im niederländischen Sprachgebiet die Verwendung neuer Formen der Sprache, vgl. 4.3.4.2.5. 4.3.4.2.1. Presse Sowohl in den Niederlanden als auch in Belgien erfolgte in der Nachkriegszeit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen eine Konzentration in der Presselandschaft. Zudem waren von politischen Ideologien geprägte Zeitungen in einer Gesellschaft, in der die Säulen allmählich wegfielen, weniger gefragt. Sodann machten die elektronischen Medien der Presse immer mehr Konkurrenz. Viele von den Hunderten lokalen, regionalen und nationalen Zeitungen in den Niederlanden und Belgien verschwanden oder waren zur Zusammenarbeit gezwungen. Da öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten einen Teil der Werbeeinnahmen kassierten, erhielt die Presse eine Kompensation (vgl. Van der Chrijs 1977). Dennoch waren Zeitungen aus wirtschaftlichen Gründen zunehmend gezwungen zusammenzuarbeiten (vgl. Bank 1993). So erschienen seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. immer weniger Titel, die Zahl der Zeitungsherausgeber nahm zudem ab. Mehrere lokale und regionale Zeitungen wurden von nationalen Zeitungen übernommen, die Zahl der Städte ohne Lokalzeitung stieg an. Die grösste Tageszeitung der Nachkriegszeit, das sozialistische Het Vrije Volk (‚Das freie Volk‘) war 1972 zu einer regionalen Zeitung für Rotterdam und Umgebung verkommen, 1991 fusionierte es mit dem Rotterdams Nieuwsblad (‚Rotterdamer Nachrichtenblatt‘), so entstand Het Rotterdams Dagblad (‚Rotterdamer Tagblatt‘). Aus der Fusion der Nieuwe Rotterdamse Courant (‚Neue Rotterdamer Zeitung‘) und dem Amsterdamer Het Handelsblad (‚Das Handelsblatt‘) ging 1970 NRC-Handelsblad hervor. Weiter wurde die römisch-katholische Zeitung De Tijd (‚Die Zeit‘) 1984 eine Wochenzeitung, die sechs Jahre später mit dem Wochenblatt Haagse Post fusionierte. Die im Zweiten Weltkrieg entstandene christliche Tageszeitung Trouw (‚Treue‘) wurde mit den lokalen Kwartet-Zeitungen von Rotterdam, Den Haag, Leiden und Dordrecht verschmolzen. Sodann ging die kommunistische De Waarheid (‚Die Wahrheit‘) 1990 ein. Übrigens ist eine vermehrte Zusammenarbeit zwischen Druckern und Herausgebern unterschiedlicher Blätter seit den Siebzigerjahren festzustellen. So entstand 1996 aus der Perscombinatie und der Dagbladunie der Pressekonzern PCM, der fünf der sechs grössten niederländischen Tageszeitungen herausgibt (www.politiekcompendium.nl). Trotz allem zählen die Niederlande immer noch zu den europäischen Ländern mit der höchsten Verbreitung bezahlter Zeitungen. Täglich lesen laut dem Commissariaat voor de media über acht Millionen Niederländer eine Zeitung. Neben einer Gratiszeitung wie Metro gehören De Telegraaf, Algemeen Dagblad, De Volkskrant und NRC-Handelsblad zu den meistgelesenen niederländischen Tagblättern. Der Besuch von Websites nationaler Zeitungen wie De Telegraaf oder Algemeen Dagblad nahm zu, mehr als die Hälfte der Niederländer über 13 Jahre besucht regelmässig solche Sites (vgl. www.mediamonitor.nl 2013). In Belgien fusionierte die liberale De Nieuwe Gazet (‚Die Neue Gazette‘) mit der freisinnigen flämischen Zeitung Het Laatste Nieuws, die mit über einer Million Leser zu den grössten nieder-

354

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

ländischsprachigen Zeitungen Belgiens zählt. Aus der Verschmelzung der sozialistischen Blätter Volksgazet und Vooruit ging 1978 De Morgen (‚Der Morgen‘) hervor. Nach einer von den Lesern unterstützten Rettungsoperation veröffentlicht die liberale Persgroep das Blatt seit 1989. Das 1929 gegründete Het Nieuwsblad (‚Das Nachrichtenblatt‘) übernahm 1959 die ursprünglich vor allem von katholischen Arbeitern gelesene De Gentenaar, 2008 erfolgte die Übernahme des Blattes Het Volk. Der 1918 gegründete De Standaard (‚Der Standard‘), der ursprünglich das katholische Gedankengut Flanderns vertrat, wird von seinen Lesern wegen der journalistisch anspruchsvollen Artikel geschätzt. Nach einem Bankrott übernahm ein neu gegründeter Verlag die Herausgabe, der ebenfalls die Gazet van Antwerpen mit zirka 400.000 Lesern und den kleineren Het belang van Limburg (‚Der Belang Limburgs‘) veröffentlicht. Seit 2000 erscheint Metro als Gratiszeitung. Von den Niederländern im Alter ab 50 lesen 93 % täglich eine Zeitung. Regionale Zeitungen, die 33 % von ihnen lesen, sind am beliebtesten. Dann folgen nationale Zeitungen wie De Telegraaf oder De Volkskrant. Die Leser interessieren sich am meisten für die Nachrichten, gefolgt von Kultur, Wissenschaft und Todesanzeigen. Von den Zeitschriften finden Wochen- und Monatshefte zu Freizeit und Reisen wie De Kampioen sowie Frauenzeitschriften wie Libelle einen grossen Absatz. Im Allgemeinen lesen die Bürger im niederländischen Sprachraum Presseveröffentlichungen, die im eigenen Land beziehungsweise in der eigenen Region erscheinen. So rezipieren sie durch die Presse Formen der niederländischen Schriftsprache, die beispielsweise durch das verwendete Lexikon ihre eigene Gegend markieren. Es handelt sich dabei insbesondere um Bezeichnungen für lokale Sachverhalte. Zu den zahllosen Beispielen zählen Gerichte, vgl. das niederländische snert (‚Erbsensuppe‘), das in Flandern bekannte waterzooi (‚Hühnerbrühe mit Geflügeleinlage‘) oder das surinamische BB met R (‚Kidneybohnen mit Reis‘). So lassen sich lexikalische Unterschiede zwischen der Verwendung der Schriftsprache in den einzelnen Gebieten feststellen (vgl. 4.3.2., 4.3.3, 4.3.8.2.), dennoch schreiben die Journalisten in der Regel in dialektfreien Formen des AN. Somit ist die Presse nach wie vor im gesamten niederländischen Sprachgebiet als bedeutendes Medium für die Kommunikation in der niederländischen Schriftsprache einzustufen. Zeitungsleser sind sich übrigens der Bedeutung der Presse für das Niederländische bewusst. Aus Umfragen geht hervor, dass sie mehrheitlich der Meinung sind, dass die Zeitung sprachlich eine Vorbildfunktion zu erfüllen hat. Über 80 % der Zeitungsleser empfinden von Journalisten gemachte Sprachfehler denn auch als ärgerlich. Allerdings ist eine Mehrheit von 65 % der Auffassung, dass die Zahl der Sprachfehler in Zeitungen vertretbar ist (TPO 2012). 4.3.4.2.2. Bücher Laut eigenen Angaben lasen Niederländer, Flamen und Surinamer 2015 durchschnittlich etwas mehr als vierzehn Bücher im Jahr. Von den Niederländern erklären 35 %, mindestens ein Buch pro Woche zu lesen, das Gleiche sagen 25 % der Flamen und 20 % der Surinamer aus. Übrigens waren diese Zahlen zehn Jahre zuvor höher, vgl. FEC 2015. Verglichen mit anderen Europäern lesen Niederländer überdurchschnittlich viele Bücher: von den über 15-Jährigen lesen beispielsweise 86 % gelegentlich ein Buch, während der europäische Durchschnitt 68 % beträgt, vgl. SMB 2015. Es handelt sich dabei mehrheitlich um nie-

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

355

derländischsprachige Texte. Am beliebtesten sind spannende Geschichten wie Kriminalromane, gefolgt von literarischen Werken. Frauen lesen übrigens mehr und sind häufiger Mitglied einer Bibliothek als Männer, vgl. MOZ 2015. Sodann lesen laut Umfragen 71 % der Flamen pro Jahr mindestens ein Buch. Von ihnen kaufen 65 % jährlich Bücher, 43 % der Bewohner Flanderns leihen sich jedes Jahr wenigstens einen Titel. Auch in diesem Teil des niederländischen Sprachgebietes kaufen und leihen Frauen häufiger Bücher als Männer. Literarische Werke gehören mit 59 % zur beliebtesten Lektüre, gefolgt von inhaltlich spannenden Werken, vgl. KLL 2010. Bei der Rezeption von Texten in Buchform stehen in Flandern literarische Werke folglich an erster, in den Niederlanden an zweiter Stelle. Dazu gehören auch übersetzte literarische Werke, die Leser genauso gern kaufen wie niederländische fiktionale Texte, vgl. Brems 2006, 665. Für die Stellung des AN verdient die Belletristik denn auch spezielle Aufmerksamkeit: die meisten Leser rezipieren regelmässig das Niederländisch von Schriftstellern. Erneuerungen der Schriftsprache durch Verfasserinnen und Verfasser ästhetischer Texte werden somit von der grossen Mehrheit der Bevölkerung zur Kenntnis genommen. Einige wenige der viel gelesenen literarischen Werke sollen aus diesem Grund im Folgenden summarisch beleuchtet werden. 4.3.4.2.3. Ästhetische Texte Auf einen Versuch, sich einen Überblick über die niederländische Literatur nach 1945 zu verschaffen, ist in diesem Rahmen zu verzichten. Für Einführungen in die neueste Literatur sei auf Grüttemeier et al. 2006 und Brems 2006 verwiesen. Wohl scheint es sinnvoll, einige Werke hervorzuheben, denen in der Rezeption der Literatur eine besondere Bedeutung beizumessen ist, auch im Hinblick auf die verwendete Sprache. Verleger und Buchhandlungen regen seit 1932 das vorhandene Interesse für Bücher mit der jährlichen Organisation von boekenweken (‚Bücherwochen‘) an. Während zirka zehn Tagen betreiben sie im Frühling zusätzliche Werbung für das Buch; wer sich in dieser Periode für einen bescheidenen Betrag in der Buchhandlung etwas kauft, erhält gratis das boekenweekgeschenk (‚Geschenk der Bücherwoche‘). Diese Veröffentlichungen, die seit vielen Jahren jeweils gegen 100 Seiten zählen, erscheinen in Auflagen von mehreren Hundertausenden bis manchmal gegen einer Million Exemplaren und werden in der Regel von bekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern verfasst. So erschien Cees Nootebooms Het volgende verhaal (‚Die folgende Geschichte‘) 1991 in den Niederlanden als boekenweekgeschenk. Als die Auswahl der Texte dieser Publikationen noch durch ein Preisausschreiben erfolgte, wurde 1948 allerdings ein Debutwerk, Oeroeg, der Schriftstellerin Hella Haasse (1918–2011) zum Geschenk erkoren. Es handelt von der Freundschaft zwischen einem Holländer und einem Javanen, die während den Einsätzen des niederländischen Militärs in Indonesien (vgl. 4.3.1.) in einem Konflikt endet. Auch später beschäftigte sich die wohl bedeutendste niederländische Schrifstellerin der Nachkriegszeit mit der kolonialen Vergangenheit, so in Heren van de thee (‚Die Teebarone‘ 1995), 1992 und in Sleuteloog (‚Schlüsselauge‘) 2002. Mehrere von Haasses Werken, so die historischen Romane, stützen sich übrigens zum Teil auf dokumentarische Quellen. Haasses vielseitiges Œuvre umfasst 18 Romane und Erzählungen sowie Essays.

356

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Abb. 19: Bert Schierbeek, Gerrit Kouwenaar, Jan G. Elburg, Lucebert (von links).

Mittlerweile hatte sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine junge Generation von Dichtern gegen die herkömmliche Literatur aufgelehnt. Die ‚Fünfziger‘, zu denen u. a. Lucebert (Pseudonym von Lubertus Jacobus Swaanswijk,1924–1994), Gerrit Kouwenaar (1923–2014), Jan G. Elburg (1919–1992) und Hans Andreus (Pseudonym von Johan Wilhelm van der Zant, 1926– 1977) zu rechnen sind, forderten die letterdames en letterheren (‚Buchstabenherren und Buchstabendamen‘) der älteren Generation heraus. Die Dichter, die sich übrigens nicht als Gruppe verstanden, kündigten an, de blote kont der kunst te kussen onder uw sonnetten en balladen (‚den nackten Arsch der Kunst unter eueren Sonetten und Balladen zu küssen‘, vgl. Anbeek 1999 [b], 200 ff). Nicht das Endprodukt ihrer künstlerischen Tätigkeit zählte für sie, sondern die Erfahrung beim Schöpfen ihrer experimentele (‚experimentellen‘) Kunst. So bezieht sich die von den Fünfzigern verwendete Bezeichnung experiment auch auf das englische experience im Sinne von ‚Erfahrung‘. Einige sprachliche Merkmale ihrer Werke stehen in 4.3.5. zur Diskussion. Mit ihrem Auftritt während der ersten Cobra-Ausstellung im Amsterdamer Stedelijk Museum 1949 erlangten sie nationale Bekanntheit, vgl. 4.3.1. Ein kaum verständlicher dadaistischer Vortrag Christian Dotremonts, den mancher der Anwesenden als marxistisch begriff, provozierte das Publikum; die Presse zeigte sich daraufhin entrüstet. Der entstandene Tumult veranlasste die Dichter, mit ihren Gesinnungsgenossen der Künstlergruppe Cobra (‚Cobra‘, Akronym für ‚Copenhague, Bruxelles, Amsterdam‘) zu brechen. Simon Vinkenoog (1928–2009) erfasste mit einer Auswahl aus der Lyrik von vierzehn Dichtern die neue Poesie 1951 programmatisch in

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

357

der Anthologie Atonaal. Sodann gab Kouwenaar 1955 Gedichte der inzwischen von mehreren Literaturkritikern anerkannten Literaturerneuerer in seinem Vijf 5-tigers (‚Fünf 5-ziger‘) heraus. Mit seinem Roman Het boek ik (‚Das Buch ich‘) 1951 durchbrach Bert (Lambertus Roelof) Schierbeek (1918 -1996) bestehende Prosa-Traditionen. Der Text, der einer strukturierten Handlung entbehrt, enthält Wörter, die den Leser zum willkürlichen Assoziieren von Vorstellungen und Gedanken anregen. Obschon mancher Kritiker, so Willem Frederik Hermans (1921–1995), Schierbeeks sprachliche Experimente schätzte, hat er nicht Schule gemacht. Zum nicht unumstrittenen Kanon der niederländischen Literatur, den die Maatschappij der Nederlandse Letterkunde 2002 veröffentlichte, gehören weitere Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die während des ersten Jahrzehnts nach dem Krieg debutierten wie Gerard Kornelis van het Reve (auch Gerard Reve, 1923–2006), Willem Frederik Hermans, Harry Mulisch (1927– 2010), Hugo Claus (1929–2008) und Marga Minco (Pseudonym von Sara Menco, geb. 1920). Sodann erschienen weiterhin literarische Werke von Schriftstellern und Dichtern wie u. a. Simon Vestdijk, Gerrit Achterberg, M. Vasalis (Pseudonym von M. Droogleever Fortuyn-Leenmans, 1909–1998), Anna Blaman (1905–1960), Gerard Walschap (1898–1989), Marnix Gijsen (Pseudonym von J.A. Goris, 1899–1984) oder Herman Teirlinck. Reves Roman De avonden, der mit Zynismus, aber auch mit Humor die Ernüchterung einer jungen Nachkriegsgeneration thematisiert, schockierte 1947 manchen konservativen Liebhaber des schöngeistigen Schrifttums. Der Verfasser, der sich gern, wohl mit einem Augenzwinkern, als volksschrijver (‚Volksdichter‘) bezeichnete, lenkte mit seinen Romanen, Erzählungen, Briefen und Gedichten regelmässig die Aufmerksamkeit auf sich. Stoffe von Reves Werk sind namentlich die Tätigkeit des Schriftstellers, homosexuelle Liebe und Religiösität. Die Art und Weise, wie der Verfasser solche Themen miteinander verknüpft, bezeichnen Literaturwissenschaftler gemeinhin als revisme (vgl. Grüttemeier et al. 300 ff). Es provozierte die konservativen Leser so sehr, dass Van het Reve gar ein Gerichtsverfahren wegen Gotteslästerung zu erdulden hatte. Zu seinen bekannten Werken zählen die Novelle Werther Nieland (1949), die Romane De Taal der Liefde (‚Die Sprache der Liebe‘) 1972 und Het Boek Van Violet En Dood (‚Das Buch Von Violett Und Tod‘) 1996 sowie die Bände mit Briefen und Gedichten Op weg naar het einde (‚Unterwegs zum Ende‘) 1963 und Nader tot u (‚Näher zu Dir‘ 1970) 1966. Wie in Reves frühen Werken kommt ebenfalls in Hermansʾ De tranen der acacia’s (‚Die Tränen der Akazien‘ 1968) 1949 Ernüchterung über das Verhalten und die Motive des Mitmenschen zum Ausdruck. Das gilt beispielsweise für sein De donkere kamer van Damokles (‚Die Dunkelkammer des Damokles‘ 2001) 1958. Sind die Handlungen Henri Osewoudts, des Anti-Helden dieses Romans, als Taten eines Widerstandskämpfers zu deuten oder beweisen sie das Gegenteil? Wie auch in Hermans‘ späterem Werk, so u. a. in Nooit meer slapen (‚Nie mehr schlafen‘ 1982, 2002) 1966 werden die Romanfiguren in einem sadistischen Universum Opfer von Mutwillen und Missverständnissen, wie dies bereits Buchtitel wie Moedwil en misverstand 1948 oder Het sadistische universum 1964 ankündigen. Die Protagonisten, die ihre Mitmenschen grundsätzlich weder kennen noch verstehen können, leben im Chaos, die Folgen der Entscheidungen, die sie zu treffen haben, vermögen sie nicht zu überblicken.

358

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Abb. 20: Braak, Zeitschrift der Fünfziger.

Als Harry Mulisch 1952 mit Archibald Strohalm debutierte, galt er sofort als vielversprechendes Talent. So fand beispielsweise der Band mit Erzählungen De versierde mens (‚Der geschmückte Mensch‘) 1957 viel Beachtung, der 1959 veröffentlichte Roman Het stenen bruidsbed (‚Das steinerne Brautbett‘, zweite deutsche Übersetzung 1995) wurde zum Bestseller. Das Buch handelt vom Besuch des ehemaligen amerikanischen Piloten Corinth in Dresden in der DDR, der sich am 13. und 14. Februar 1945 am alliierten Bombardement der Stadt beteiligt hatte. Wie in anderen Werken von Mulisch, so im Bestseller De aanslag (‚Das Attentat‘ 1986) 1982 stellt sich ähnlich wie in den Werken Hermansʾ die Frage nach den Absichten des Menschen und seiner Schuld an den Folgen seines Handelns. Sie hängen mit Rätseln der menschlichen Existenz zusammen, die Mulisch in seinem umfangreichen, vielseitigen Œuvre nur zu vergrössern scheint. Dass die Menschheit ihre Seele im Tausch für ein aus wissenschaftlich-technologischen Experimenten resultierendes Wissen dem Teufel verkauft habe, ist diesbezüglich eine Komplikation. Laut Sachverständigen zählt diese Annahme zu den zentralen Themen seiner Werke (Grüttemeier 2006, 293). Zur Erarbeitung eines solchen Stoffes scheint Mulisch in seinen Werken einen eigenen Kosmos zu schaffen, was beispielsweise in seinem tausendseitigen De ontdekking van de hemel (‚Die Entdeckung des Himmels‘ 1993) 1992 ersichtlich wird. Dass Louis Paul Boons (1912–1979) De voorstad groeit (‚Die Vorstadt wächst‘) 1942 legal während der deutschen Besatzung Belgiens veröffentlicht wurde, markiert die eigene Stellung der flämischen Literatur. Anders als in den Niederlanden hatten Schriftsteller in Flandern noch eine gewisse Freitheit, ihre Werke zu publizieren. Kollaborierende Kritiker sahen sich allerdings in der vermeintlichen Überwindung von Boons Nihilismus arg getäuscht. In späteren Werken wie auch in seiner journalistischen Arbeit thematisiert der Verfasser die Nutzlosigkeit aller menschlichen Anstrengungen. Dabei steht das Schicksal der Armen und der Ausgestossenen häufig im Vordergrund. Boons Prosaexperimente basieren u. a. auf dem Grundsatz,

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

359

dass der Gegenstand eines Kunstwerks einer inneren Notwendigkeit entspringen müsse. So entstanden Romane und Erzählungen mit wechselnden Erzählperspektiven; sie bestehen aus Montagen diverser Texte und Dokumente oder gar Nachrichtenbalken. Boons Streben nach einer ‚ehrlichen‘ Form brachte zudem die Verwendung von Formen einer flämischen Alltagssprache mit sich, vgl. 4.4.2.3. Erst in den Sechzigerjahren erhielten Romane wie Mijn kleine oorlog (‚Mein kleiner Krieg‘ 1988) 1947, De Kapellekensbaan (‚Der Kapellekensweg‘; letzte deutsche Übersetzung 2002) 1953, Zomer te Ter-Muren (Sommer in Ter-Muren, 1986) 1956 oder Pieter Daans 1971 in den Niederlanden und in Flandern Anerkennung. Zwar erschienen Boons Bücher mehrheitlich in den Niederlanden, das Werk wurde dennoch vor allem in Belgien zur Kenntnis genommen, wo der Verfasser auch dank seinen bodenständigen Äusserungen in Rundfunk und Fernsehen bei seinen Mitbürgern beliebt wurde (vgl. Grüttemeier et al. 2006, 263). Dagegen gehört der Flame Hugo Claus seit den Fünfzigerjahren auch in den Niederlanden zu den viel gelesenen Schriftstellern. Sein umfangreiches Œuvre umfasst Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Filmszenarien und Lyrik. Als Maler war Claus zudem mit den Cobra-Künstlern verbunden. Seine Werke handeln mehrheitlich von Familien- und Generationenkonflikten, sexuellen Beziehungen sowie dem drohenden Untergang der Protagonisten; nicht selten weisen seine Texte Inzest- und Ödipusmotive auf. Zu den viel gelesenen Werken von Claus zählen die Romane De Metsiers 1950, De verwondering (‚Die Verwunderung‘ 1979) 1962 und Omtrent Deedee (‚Das Sakrament‘ 1989) 1963. Sein magnum opus Het verdriet van België (‚Der Kummer von Flandern‘ 1986) 1983 lässt sich nicht nur als Entwicklungsroman eines Schülers, sondern auch als Schelmenroman der flämischen Identitätsdiskurse im Zweiten Weltkrieg lesen (vgl. Grüttemeier 2006, 266). Mit Theaterstücken wie Een bruid in de morgen (‚Die Reise nach England‘ 1960) 1955, Suiker (‚Zucker‘ 1960) 1958, De dans van de reiger (‚Der Tanz der Reiher‘) 1962 und Vrijdag (‚Freitag‘ 1972) 1969 etablierte Claus sich als bedeutendster Theaterdichter der Nachkriegszeit. Wie Reve, Hermans und Claus schockierte auch die von Sartres Existentialismus beeinflusste Schriftstellerin Anna Blaman die konservativen Leser. Im Vordergrund ihrer Romane und Kurzgeschichten stehen hetero- wie homosexuelle Erotik, Liebe sowie zum Scheitern verurteilte Beziehungen. Romane wie Vrouw en vriend (‚Frau und Freund‘) 1941, Eenzaam avontuur (‚Einsames Abenteuer‘ 1988) 1948 oder Op leven en dood (‚Auf Leben und Tod‘ 1990) 1954 lösten in den Fünfzigerjahren moralische Empörung aus. Marga Mincos 1957 erschienenes Het bittere kruid (‚Das bittere Kraut‘ 1985) gilt als constante bestseller (‚dauerhafter Bestseller‘, Anbeek 1985, 79): bezeichnenderweise liest es die grosse Mehrheit jeder neuen Generation der niederländischen Schuljugend nach wie vor. In dieser kleine kroniek (‚kleinen Chronik‘) berichtet die Verfasserin, wie die Familie der Hauptperson während des Krieges verschleppt wird und nicht zurückkehrt. Schlichte Sätze halten das Unsagbare fest, vgl. 4.4.2.4. Andere Werke Mincos wie Het adres (‚Die Adresse‘) 1957 oder De val (der doppeldeutige Titel kann sowohl ‚Fall‘ als auch ‚Falle‘ bezeichnen) 1983 thematisieren ebenfalls vom Krieg verursachte traumatische Erlebnisse.

360

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Dank Veröffentlichungen wie die literaire reuzepockets (‚literarische Riesen-Taschenbücher‘) des Verlages De Bezige Bij (‚Die emsige Biene‘) konnten in den Fünfzigerjahren weniger begüterte Leser sich literarische Werke anschaffen. Der erste Band dieser erfolgreichen Reihe, Nel Noordzijs Bloemlezing van Nederlandse dichteressen na 1900 (‚Anthologie von niederländischen Dichterinnen nach 1900‘) erschien 1956. Bis 1966 veröffentlichte der Verlag in dieser Reihe u. a. Werke der jungen Generation, so Lyrik der ‚Fünfziger‘ und Prosa u. a. von Harry Mulisch, Hugo Claus, Willem Frederik Hermans und Remco Campert (geb. 1929), die die literarischen Entwicklungen der Nachkriegszeit prägen sollten. In der über 140 Titel zählenden Reihe erschienen zudem Werke u. a. von Shakespeare, Racine und Diderot. Auch Veröffentlichungen wie diese Taschenbücher machten grössere Schichten, häufig jüngere Leser, die den unterschiedlichsten sozialen Klassen angehörten, sowohl mit der neuesten niederländischen Literatur als auch mit niederländischen Übersetzungen der ‚Klassiker‘ bekannt. In den Sechzigerjahren erregten nicht nur Werke von Van het Reve oder Claus, sondern auch die freimütigen Veröffentlichungen von Jan Wolkers (1925–2007) und Jan Cremer (geb. 1940) Aufsehen. Ohne Hemmungen thematisiert Wolkers die Sexualität in seinem Romandebut Kort Amerikaans (‚Kurz amerikanisch‘) 1962 oder in den Erzählungen des Bandes Gesponnen suiker (‚Zuckerwatte‘) 1963. In Büchern wie Een roos van vlees (‚Eine Rose von Fleisch‘ 1969) 1963, Terug naar Oegstgeest (‚Zurück nach Oegstgeest‘ 1979) 1965, Turks fruit (‚Türkische Früchte‘ 1975) 1969 oder De doodshoofdvlinder (‚Der Totenkopfschwärmer‘) 1979 stehen Sexualität und Tod im Vordergrund, Auseinandersetzungen mit ihrer kalvinistischen Erziehung bestimmen immer wieder das Handeln der Protagonisten. Die in der Umgangssprache verfassten Texte Wolkers enthalten denn auch eine Fülle an Anleihen und Zitaten aus der Bibel. Auch andere Autoren, so Maarten ʾt Hart sollten sich mit dem Aufwachsen ihrer Protagonisten in reformierten Familien befassen. Wie Wolkers verwendet Jan Cremer die Umgangssprache in seinem Ik Jan Cremer (‚Ich Jan Cremer‘ 1964) 1964, einem Buch, das er bereits auf dem Umschlag der ersten Auflage als onverbiddelijke bestseller (‚unerbittlicher Bestseller‘) anpreist. Der über 50 Mal neu aufgelegte moderne Schelmenroman, der das ungebremste Sexleben der Hauptperson detailliert ausmalt, löste wie die Veröffentlichungen Wolkersʾ Entrüstung und Ablehnung beim konservativen, Bewunderung beim aufgeklärten Leser aus. Inzwischen erzielte Ward Ruyslinck (Pseudonym von Raymond Charles Marie De Belser 1929–2014) namentlich unter Studenten in Flandern Erfolge mit seinem Roman Het reservaat (‚Das Reservat‘) 1964. Das Buch handelt vom vergeblichen Kampf eines integeren Menschen gegen das System einer Phantasie-Gesellschaft, die auf dem Streben nach Eigengewinn gründet. Als Sprachkritik lässt sich die spätere Prosa des flämischen Schrifstellers Ivo Michiels (Pseudonym von Henri Paul René Ceuppens, 1923–2012) lesen. Wie Louis Paul Boon oder Bert Schierbeek scheint Michiels die Grenzen zwischen ästhetischen und nicht-ästhetischen Texten zu durchbrechen: Pamphlete, Tagebücher und unterschiedliche Dokumente reihen sich in seinen Werken aneinander. Bücher wie Het boek Alpha (‚Das Buch Alpha‘ 1965) 1963 oder Exit 1971 zeugen von einer Auseinandersetzung mit der verlotterten Sprache, die dem Ende entgegengeht, vgl. 4.3.5.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

361

Als weniger experimentierfreudig gaben sich Schriftsteller, die in der Mitte der Siebzigerjahre auch dank der 1974 von u. a. Dirk Ayelt Kooiman (geb. 1946) gegründeten Zeitschrift De Revisor bekannt wurden. Kooiman und seine Mitredakteure Frans Kellendonk (1951–1990), Nicolaas Matsier (Pseudonym von Tjit Reinsma, geb. 1945) und Doeschka Meijsing (1947– 2012) bevorzugen in ihren Werken konventionelle Strukturen und eine zugängliche Sprache, welche die Verwendung von Metaphoren und Doppeldeutigkeiten übrigens nicht ausschliesst. Zu ihren Gesinnungsgenossen zählen auch Oek de Jong (geb. 1952), der namentlich durch seine Opwaaiende zomerjurken (‚Aufwirbelnde Sommerkleider‘) 1979 bekannt wurde, und Leon de Winter (geb. 1954), Verfasser von u. a. Kaplan (‚Leo Kaplan‘, 2001) 1986. Weitere bedeutende Schriftsteller wie Thomas Rosenboom (geb. 1956), P.F. Thomése (geb. 1958) und A.F.Th. van der Heijden (geb. 1951) debutierten in De Revisor. Werke Hafid Bouazzas (geb. 1970), so sein Roman Paravion 2003 stehen in der De Revisor-Tradition. Angesehene Kritiker loben die authentische Art und Weise, wie Bouazza wenig gebrauchte beziehungsweise unbekannte Wörter in seinen Texten verarbeitet, vgl. Anbeek 1999, 341. Flämische Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Walter van den Broeck (geb. 1941) oder Monika van Paemel (geb. 1945), Verfasserin von u. a. De vermaledijde vaders (‚Die verdammten Väter‘) 1985 gingen aber eigene Wege. In seinem umfangreichen Zyklus De tandeloze tijd (‚Die zahnlose Zeit‘), den er 1983 zu veröffentlichen begann, verarbeitet Van der Heijden die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit der Niederlande der letzten Jahrzehnte. Seine sorgfältig dokumentierten Beschreibungen hebt A.F.Th. auf ‚ein mythologisches Niveau‘ (Grüttemeier 2006, 284). Ebenso verwischen sich die Unterschiede zwischen ‚Wirklichkeit‘ und ‚Phantasie‘ in Cees Nootebooms (geb. 1933) literarischen Werken, so in Het volgende verhaal (‚Die folgende Geschichte‘) 1991. Die deutsche Übersetzung des als boekenweekgeschenk erschienenen Werks erlangte im deutschen Sprachgebiet auch dank Reich-Ranickis lobender analytischer Besprechung im Fernseh-Programm ‚Das literarische Quartett‘ 1991 grosse Bekanntheit. Das Spiel mit der Wirklichkeit in dieser verschachtelten Geschichte stufen Sachverständige als charakteristisch für Nootebooms Prosa ein. So führt die alltägliche Arbeit des Protagonisten, nämlich das Verfassen von Texten für Reiseführer, in eine phantasierte Schiffsreise von Passagieren, die ihrerseits einander ihre Geschichten erzählen. Themen wie Zeit, Erinnerung und Tod bestimmen das Verhalten der Protagonisten. Da sie darüber auch reflektieren, erhalten die Texte eine weitere Doppelbödigkeit, vgl. Grüttemeier et al. 2006, 285 ff. Zu den weiteren bekannten Werken Nootebooms zählen u. a. Philip en de anderen (‚Das Paradies ist nebenan‘ 1958; in neuer Übersetzung ‚Philip und die anderen‘ 2003) 1955, Rituelen (‚Rituale‘ 1984) 1980, Een lied van schijn en wezen (‚Ein Lied von Schein und Sein‘, 1989) 1981, Berlijnse notities (‚Berliner Notitzen‘ 1991) 1990 und De omweg naar Santiago (‚Der Umweg nach Santiago‘ 1992) 1992. Übrigens finden Nootebooms Werke in Deutschland bei Literaturkritikern und Lesern mehr Beachtung als in den Niederlanden. Bezeichnenderweise hielt Reich-Ranicki Rituelen für nobelpreiswürdig, vgl. Grüttemeier et al. 2006, 287. Die Lyrik der Maximalen (‚Maximale‘), die K. Dalstra (geb. 1950) 1984 mit 200 Thesen als eine neue Avantgarde präsentierte, löste eine Polemik über die moderne niederländische

362

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Literatur aus. So griff Joost Zwagerman (1963–2015) Dichter wie Tom van Deel (geb. 1945) und Wiel Kusters (geb. 1947) an, die in der Tradition Kouwenaars publizierten. Texte der neuen Dichtergruppe gab Arthur Lava 1988 in der Anthologie Maximaal heraus. Die Maximalen trugen dazu bei, dass Lyrik als Podiumskunst vermehrt mitzählte. So konnte auf der Bühne eine Vermischung von elitären und populären Kunstformen einsetzen, die Literaturkenner als Merkmal des Postmodernismus einstufen, vgl. Grüttemeier 2006, 254. In Flandern begannen in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. postmoderne Dicher wie Dirk van Bastelaere (geb. 1960) oder Erik Spinoy (geb. 1960) zu publizieren. Sie debutierten 1987 in der Anthologie Twist met ons (‚Streitet mit uns‘), die auch traditionelle Lyrik von Bernard Dewulf (geb. 1960) und Charles Ducal (geb. 1952) enthielt. Von den jüngeren flämischen Dichtern ist zudem Tom Lanoy (geb. 1958) zu nennen, der auch als Verfasser von Prosa und Theater Erfolge verbucht. Schriftsteller der generatie Nix (‚Generation-nix‘), die sich in den Neunzigerjahren manifestierten, liessen sich u. a. von Douglas Couplands Generation X inspirieren. In ihren von manchem Kritiker als ‚lustlos‘ bezeichneten Büchern stehen Gewalt, trostloser Sex und Drogenkonsum im Vordergrund. Autoren wie Ronald Giphart (geb. 1965), Arnon Grunberg (geb. 1971), aber auch Joost Zwagerman, Verfasser u. a. von Vals licht (‚Falsches Licht‘ 1995) 1991 und De buitenvrouw (‚Die Nebenfrau‘ 2000) 1994 werden wohl mit der generatie Nix in Zusammenhang gebracht. Giphart debutierte 1992 mit Ik ook van jou (‚Ich Dich auch‘), 2003 verfasste er Gala (‚Gala‘) als boekenweekgeschenk. Wegen seiner blasphemischen Sprache weigerten sich übrigens einige christliche Buchhandlungen, den Kunden das Buch zu verschenken. Wie Giphart wurde auch Arnon Grunberg zu einem viel beachteten Schriftsteller. Sein Debut Blauwe maandagen (‚Blauer Montag‘ 1997) 1994 beschreibt trocken, aber witzig in einer Sprache voller Wiederholungen und Trivialitäten das Wohlergehen eines heranwachsenden jüdischen Adoleszenten. Bizarre Sketches und missglückte Dialoge prägen das Werk des Verfassers von Büchern wie Fantoompijn (‚Phantomschmerz‘ 2003) 2000, Gstaad 95–98 (veröffentlicht als Werk des fiktiven Marek van der Jagt) 2002, De Mensheid zij geprezen, Lof der Zotheid (‚Die Menschheit sei gepriesen, Lob der Torheit‘) 2001, De asielzoeker (‚Der Vogel ist krank‘ 2005) 2003 und Tirza (‚Tirza‘ 2008) 2006. Naima El Bezaz (geb. 1974), die wohl zur dritten feministischen Welle in den Niederlanden gerechnet wird, verarbeitet in ihren Romanen, so in De weg naar het noorden (‚Der Weg nach Norden‘) 1995 oder In dienst van de duivel (‚Im Dienste des Teufels‘) 2013, auch Motive aus der marokkanischen Kultur. Dies gilt ebenfalls für den viel beachteten Abdelkader Benali (geb. 1975), der 1996 mit Bruiloft aan zee (‚Hochzeit am Meer‘) debütierte. Man darf seine Sprache laut H. Goedkoop als ein amalgaam van eigen makelij (‚Legierung aus der eigenen Werkstatt‘) bezeichnen, der Verfasser verlustigt zich in zijn botsende taalregisters (‚erfreut sich seiner aufeinanderprallenden Sprachregister‘, Anbeek 1999 [a], 340; vgl. 4.3.5.). Viel eigensinniger als Benali zeigt sich Peter Verhelst (geb. 1962), Verfasser von u. a. Tongkat 1999 in der Verwendung des AN. Er scheint jeweils die Inhaltsseite eines sprachlichen Ausdrucks vom sprachlichen Zeichen zu trennen und die Sprache als Form der Kommunikation zu zerstören, vgl. 4.3.5.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

363

Immer wieder sind literarische Erneuerungen festzustellen, die man als Brüche in der Entwicklung der niederländischsprachigen Literatur verstehen kann und die zudem sprachlich auffallen. Andererseits deuten Literaturkenner die radikalen Änderungen auch als die Kontinuierung einer lebendigen literarischen niederländischen Tradition, die fortlaufend in Bewegung ist (vgl. Brems 2006, 659). Da der Rezeption ästhetischer Texte für die Entfaltung des AN eine besondere Bedeutung zukommt, ist schliesslich die zunehmende Popularisierung der Literatur durch Events zu erwähnen. So präsentiert das Crossing Border Festival Den Haag Literatur in Zusammenhang mit Musik, Film, Tanz und bildenden Künsten. Literatur und Theater stehen auf dem Programm von Veranstaltungen wie Oeral auf Terschelling und Lowlands in Flevoland. Sogenannte mixed media verbreiten neue Formen der Poesie, während poetry slams beteiligen sich Dichter an literarischen Wettbewerben. Flämische Festivals wie das Brüsseler Het Groot Beschrijf oder das Antwerpener Zuiderzinnen organisieren die unterschiedlichsten literarischen Aktivitäten. Sodann finden jährlich gedichtendagen (‚Tage der Gedichte‘) in den Niederlanden und Flandern statt. Seit 2000 besteht das Amt dichter des vaderlands (‚Dichter des Vaterlandes‘), das dem Inhaber die Chance bietet, die Literatur zu propagieren. Auch stadsdichters (‚Stadtdichter‘) machen immer wieder von sich reden, so Ramsey Nasr (geb. 1974), als er 2004 zum Stadtdichter Antwerpens erkoren wurde, vgl. 4.4.2.6. Die Verleihung von Bücherpreisen wie u. a. dem AKO-Literaturpreis kann mit einem Grossaufgebot der Medien rechnen. 4.3.4.2.4. Bühne Da auch in der Nachkriegszeit Bühnenkünstler zur Vermittlung des AN auf eigene Art und Weise beitrugen, sollen hier einige wenige Daten zur Bühnenkunst zusammengefasst werden. Für einen Überblick des neuzeitlichen Theaters im niederländischen Sprachraum sei auf spezialisierte Veröffentlichungen wie beispielsweise Ibo 1982 oder Erenstein (Hg.) 1996 verwiesen. Zwar lässt sich die Bedeutung der Leistungen von Schauspielern und Kabarettisten für die niederländische Sprachkultur nicht in Statistiken ausdrücken, die folgenden Zahlen deuten immerhin den Umfang der ästhetischen Produktion und Rezeption der Muttersprache im Schauspielhaus an. Der Anfang des 21. Jh. zeigt ein zunehmendes Interesse an Bühnenkunst. So steigerte sich in den Niederlanden die Zahl der Theatersäle zwischen 1999 und 2014 von 407 auf 543, die Gesamtkapazität stieg in dieser Periode um 100.000 auf mehr als 265.000 Sitzplätze. Die Anzahl der Besucher von Theater- und Kabarett-Vorstellungen nahm im gleichen Zeitabschnitt über 7,5 % zu und betrug 2014 über 4,3 Millionen (vgl. CBSP, 19.1.2016). Eine gegenwärtig abnehmende staatliche Unterstützung der Kultur in den Niederlanden gefährdet allerdings auch die Bühnenkunst. Von den vielen Dutzenden beliebter Kabarettisten, die seit dem Zweiten Weltkrieg nicht selten in ausverkauften grossen Häusern wie Carré Amsterdam spielten, sind die ‚grossen Drei‘ der Kleinkunst Wim Sonneveld, Toon Hermans und Wim Kan zu nennen. So verzauberte Toon Hermans in der Tradition von Komikern wie Johan Buziau oder Lou Bandy mit humorvollen Texten, mit Wortspielereien und emotionalen Liedern während seinen one-man-shows das Pub-

364

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

likum (Ibo 1982, 107 ff). Wim Kan fesselte mehrere Jahre ein Millionenpublikum mit seinen humorvollen Silvester-Vorstellungen zuerst im Hörfunk, später im Fernsehen (Ibo 1982, 9 ff). In den Sechzigerjahren entstanden zudem eher sozialengagierte Formen des Kabaretts, denen Bühnenkünstler wie u. a. Sieto Hoving oder Jasperina de Jong und der Textschreiber Guus Vleugel in der Regel vor einem kleineren Publikum Gestalt gaben. So setzten sich Produktionen von Kabarett-Gesellschaften wie Tingel-Tangel oder Lurelei ohne Tabus zu berücksichtigen mit gesellschaftlichen Fragen ihrer Zeit auseinander. Andere Kabarettgruppen wie Pepijn mit Liselore Gerritsen und Paul van Vliet, Shaffy Chantant, gegründet vom Chansonnier Ramses Shaffy, oder Herman van Veens Cabaret Chantant Harlekijn (1967) bewegten die Gemüter des Publikums eher mit betont gefühlmässigen Texten und Liedern. Mit seinem künstlerischen Schaffen erlangte Van Veen international Ruhm, so entdeckten Alfred Biolek und Thomas Woitkewitsch ihn 1972 für das deutsche Publikum. Nach seinem Album Ich hab’ ein zärtliches Gefühl (1973) erschienen mehrere deutschsprachige Tonträger von Van Veen, von der deutschen Version des Kulturmagazins Harlekijn, das 1980 in einer Auflage von 80.000 Exemplaren in den Handel kam, erschienen bis 1984 elf deutsche Ausgaben. Die ARD strahlte in den Siebzigerjahren die sechsteilige Serie De wonderlijke avonturen van Herman van Veen (‚Die seltsamen Abenteuer des Herman van Veen‘) aus.

Abb. 21: Van Kooten en De Bie.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

365

An die Leistungen dieser Künstler knüpften mit ihren Conférencen, Kabarett-Vorstellungen und Chansons Dutzende Talente an, so Freek de Jonge und Bram Vermeulen, Frits Lambrechts, Youp van ’t Hek oder Jenny Arean. Gesellschaften wie Don Quishocking, Cabaret Ivo de Wijs, Tektspierement oder Vrouwentheater konnten immer wieder ihr Publikum begeistern. Beliebt sind zudem Kleinkünstler, die mehr oder weniger ausgeprägt regionale Varietäten des Niederländischen in ihren Vorstellungen verwenden. So scheuen Kees van Kooten und Wim de Bie (vgl. Abb. 21) sich nicht, plat Haags zu sprechen. Herman Finkers nutzt in seinen Vorstellungen seine Twentse Herkunft aus, Jörgen Henri Raymann vergnügt die Zuschauer mit Formen eines surinamischen Niederländisch. Zu den zahllosen flämischen Kabarettisten, die ihr Publikum in südniederländischen Sprachvarietäten unterhalten, zählen Philippe Geubels und Wim Helsen. Nach ihrem Rundfunkprogramm de klisjeemannetjes (‚Die Klischeemännlein‘) traten ‚Koot‘ und ‚Bie‘ von 1988 bis 1998 regelmässig im Fernsehen auf. Mit ihren ironischen Sketchen und geistreichen Texten unterhielten auch sie ein Millionenpublikum. Wie mehrere ihrer Kollegen haben sie die niederländische Sprache mit einer Vielzahl von Neologismen und Sprüchen bereichert. Von ihnen stammen u. a. doemdenken (‚schwarzmalen‘), oudere jongere (buchstäblich: ‚ältere jüngere‘, d. h. ‚eine Person mittleren Alters‘), arro (‚arroganter Mensch‘), zwijgstront (‚Schweig-Scheisse‘), krasse knarren (‚rüstige Männer‘) oder dames heren ook (‚meine Damen und Herren‘). Sie schreckten nicht davor zurück, im Fernsehen in einigen Sätzen gegen ein Dutzend wahnwitzige Ausdrücke wie u. a. bonken, de pruimen op sap zetten oder van wippenstein gaan für den Geschlechtsakt zu verwenden, vgl. Sanders 1999. So entwickelte sich das niederländische Kabarett im letzten Viertel des 20. Jh. zu einer vom Kulturliebhaber geschätzten vollwertigen Bühnenkunst, die zu einem erheblichen Teil auf der ästhetischen Verwendung des Niederländischen beruht. Bis ins letzte Viertel des 19. Jh. sprach die Mehrheit der Schauspieler alle möglichen Varietäten des Niederländischen, danach erfüllte das Theater bis zum Aufschwung des Hörfunks in den Zwanzigerjahren des 20. Jh. eine Vorbildfunktion für jene Sprecher, die ‚zivilisiert‘ reden wollten. In der jüngsten Zeit faszinieren Schauspieler und Kabarettisten ihr Publikum vermehrt mit der Kunst, das AN als Mittel der ästhetischen Kommunikation einzusetzen. Sängerinnen und Sänger haben in den Niederlanden und Belgien neben Englisch immer wieder Niederländisch für ihre Songs gewählt. So hatten Ramses Shaffy, Liesbet List, Jaap Fischer oder Boudewijn de Groot in der zweiten Hälfte des 20. Jh. mit niederländischen Songs Erfolg. Auch für niederländische smartlappen (‚Schnulzen‘), so zum Beispiel von De zangeres zonder naam (‚die Sängerin ohne Name‘) oder André Hazes hat stets ein bemerkenswertes Publikumsinteresse bestanden. Weiter ist ein Aufblühen der Popmusik in der Muttersprache im letzten Viertel des 20. Jh. zu verzeichnen. Erfolg erzielten in den Achtzigerjahren Popgruppen wie u. a. Doe Maar oder De Dijk mit niederländischsprachigen Texten. Andere Gruppen wie Normaal benutzten in ihrem boerenrock (‚Bauernrock‘) Dialekt. Die Beliebtheit der Musiker, die in Mundart singen, scheint zu einer steigenden Sympathie für Dialekte in der niederländischen Sprachgemeinschaft zu passen. Schliesslich ist eine zunehmende Popularität niederländischsprachiger nederhop-Musik festzustellen. Eine Rap-Gruppe wie De jeugd van tegenwoordig (‚Die Jugend

366

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

von heute‘) ist sowohl in den Niederlanden wie in Belgien beliebt. So prägen auch Musiker auf äusserst kreative Art und Weise die niederländische Sprachkultur. Für Angaben zur niederländischsprachigen Popkultur sei auf Keunens Standardwerk zur Geschichte der internationalen Pop-Musik verwiesen (Keunen 2015). 4.3.4.2.5. Funk und Kabel 1951 begann die Nederlandse Televisiestichtung (‚Niederländische Fernsehstiftung‘) regelmässig Programme auszustrahlen. Bereits 1960 besassen über eine halbe Million Familien ein Fernsehgerät, das Fernsehen wurde in den Sechzigerjahren zu einem Massenmedium. Als huisbioscoop (‚Hauskino‘) etablierte sich der Fernseher bald zum beliebtesten Medium für die Verbreitung von Nachrichten, Unterhaltung, Kultur und Sport. Die bestehenden Rundfunkgesellschaften (vgl. 4.1.2.3.6.) betreuten zusammen mit einigen anderen Organisationen die Programme der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Pluriformität prägte denn auch den niederländischen Rundfunk (De Leeuw 1995, 19). In Belgien entwickelte sich das Fernsehen ebenfalls in den Sechzigerjahren zu einem Massenmedium. So verfügten 1960 zirka 600.000 Familien über ein Fernsehgerät, 1970 schauten bereits über zwei Millionen Familien fern. Mehr noch als der Hörfunk vermittelt seit den Fünfzigerjahren des 20. Jh. das Fernsehen im gesamten niederländischen Sprachgebiet Formen eines dialektfreien Niederländisch. Die markante Zunahme der AN-Sprecher im niederländischen Sprachraum nach 1945 und der rasche Anstieg der Rezeption von Fernsehprogrammen scheinen parallel zueinander zu verlaufen. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. lässt sich eine gigantisch toename (‚gigantische Zunahme‘, Van der Horst et al. 1999, 385) der Anzahl der AN-Sprecher feststellen, so sprachen gegen Ende des zweiten Millenniums vermutlich bis zu 80 % der niederländischen Bevölkerung AN. In der gleichen Epoche nahm der Besitz von Fernsehgeräten rasant zu, 1985 verfügten 75 % der niederländischen Haushalte über ein Farbfernsehgerät, zehn Jahre später waren dies gegen 100 % (vgl. Beukers, Bosatlas 2011, 534). Ähnlich stieg der Besitz von Fernsehgeräten in Belgien an. Nach wie vor können auch die Rundfunkprogramme mit einem grossen Publikum rechnen. Täglich hören viele Zehntausende Pendler im PKW Radio, DJs erreichen ihre Fans auch via Hörfunk. Neben den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Radio 1, Radio 2, Radio 3 und Radio 4 (heute NPO 1, 2, 3, 4, 5) entstanden kommerzielle Gesellschaften, die sich in der Regel an ein bestimmtes Zielpublikum richten und je nachdem Unterhaltung, Pop, klassische Musik, Diskussionsprogramme beziehungsweise Nachrichten senden. Frühere Diskjockeys, die in den Sechzigerjahren von dem auf der Nordsee liegenden Schiff Veronica kommerzielle Programme in die Niederlande ausgestrahlt hatten, gründeten legale Sender, so Radio 538. Auch Veronica wurde eine offiziell zugelassene kommerzielle Rundfunkgesellschaft. In Belgien erhielt die Vlaamse Radio- en Televisieomroep VRT, die 1991 aus dem BRT entstanden war, zunehmend Konkurrenz von kommerziellen Sendern. So erfreuten sich bereits in den Neunzigerjahren Radio Contact oder C-Dance grosser Beliebtheit. Seit 2002 betreuen JOEfm und Q-music, die der VMMa gehören, nationale kommerzielle Programme. Sodann bestehen lokale Sender, die in Organisationen wie ClubFM oder FamiliyRadio zusammenarbeiten.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

367

Wie die Presse für die Schriftsprache, so erfüllen Radio und Fernsehen eine Vorbildfunktion für das gesprochene AN, das im Fernsehen und Radio stark vertreten ist. Von den Programmen der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind in den Niederlanden zirka 80 %, in Flandern über 60 % niederländischsprachige Produktionen. Dagegen ist weniger als die Hälfte der Programme der kommerziellen Gesellschaften niederländisch. Ein Drittel des Publikums wünscht sich übrigens, dass Fernsehen und Radio mehr niederländischsprachige Programme senden, vgl. TPO 2010. Sowohl für niederländische als auch für flämische Fernsehzuschauer hat die Verwendung des AN durch Nachrichtenpräsentatoren eine Vorbildfunktion. Sie sollen ruhig und verständlich Niederländisch sprechen. Namentlich die Flamen bevorzugen mehrheitlich den Gebrauch eines dialektfreien AN. Vorschläge, eine bescheidene Aussprachevarianz beim Lesen der Nachrichten zu gestatten, lehnt ein Grossteil des Publikums ab, vgl. TPO 2010. Eine Mehrheit der Niederländer, zirka 60 % hingegen hält es für vertretbar, wenn sich in der Aussprache der Moderatoren mundartliche oder ausländische Nuancen bemerkbar machen. An der Verwendung des Niederländischen in den sonstigen Fernsehprogrammen üben die Zuschauer ausgesprochen Kritik. Zwar halten die Niederländer die Sprache dieser Sendungen für flott und zeitgemäss, die Hälfte aber meint, dass sie nicht als Vorbild des gesprochenen AN dienen kann. Dies ist wohl auf Sprachfehler im Fernsehen zurückzuführen, die ein Drittel der Zuschauer beanstanden. Dagegen halten bedeutend weniger Flamen, unter 20 %, die Sprache der Sendungen für nachlässig. Auch stufen weniger Flamen als Niederländer die verwendete Sprache als grob ein. Möglicherweise bemühen sich Personen, die im flämischen Fernsehen auftreten, mehr um eine gepflegte Sprache. Jedenfalls sind 66 % der Flamen der Meinung, dass das im Fernsehen verwendete Niederländisch eine Vorbildfunktion hat, vgl. TPO 2012. Zuschauer beobachten Unterschiede zwischen der Verwendung des AN im niederländischen und flämischen Fernsehen. Niederländer bewerten die Sprache des flämischen Fernsehens als grappig (‚nett‘, ‚süss‘), gemoedelijk (‚freundlich‘) und gezellig (‚gemütlich‘). Ebenso stufen Flamen die Sprache des niederländischen Fernsehens als freundlich und gemütlich ein, mancher Zuschauer empfindet die Sprache der Sendungen aus dem Norden aber als grob und zu schnell gesprochen, vgl. TPO 2012. Übrigens meinen gegen 40 % der Flamen und 50 % der Niederländer, dass im Hörfunk zu schnell gesprochen wird, namentlich von den DJs. Können Niederländer die Sprache der flämischen, Flamen jene der niederländischen Sendungen verstehen? Laut Umfragen haben ein Drittel der Niederländer und Flamen Mühe, das Niederländisch der anderen zu verstehen, vgl. TPO 2010. So versteht sich, dass zirka 40 % der Zuschauer es für sinnvoll halten, dass Programme des benachbarten Landes untertitelt werden. Allerdings finden ebenso viele eine Untertitelung überfüssig. In Surinam besteht ein bemerkenswert grosses Angebot von Fernseh- und Radioprogrammen. So strahlen in Paramaribo mehr als ein Dutzend Rundfunkanstalten Fernsehprogramme aus, über dreissig Sender übermitteln Hörfunkprogramme. Auch im Binnenland und in Grenzgebieten gibt es reichlich Sender. Die meisten Sender, so die staatliche Gesellschaft SRS verwenden AN, einige Funkgesellschaften gestalten ihre Programme in anderen Landessprachen, so in Sranan oder in Sarnami Hindi. Solche Sender benutzen aber auch AN für die Nachrichten.

368

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Sodann kann man in Surinam eine Auswahl an flämischen und niederländischen Programmen dank BVN (‚Das Beste aus Flandern und den Niederlanden‘) empfangen. Der Gebrauch des Internets, das die Niederlande nach den Vereinigten Staaten als zweites Land in der Welt aufbauten, hat sich seit den Achtzigerjahren des 20. Jh. stark gesteigert. Fast jeder Haushalt verfügt über einen Internetzugang, über 95 % der Bevölkerung kommunizieren online, zwei von drei Niederländern sind auf sozialen Medien aktiv. Eine Mehrheit der Bevölkerung, 77 %, ist der Meinung, dass man online weniger sorgfältig schreibt. Gleichzeitig sind noch mehr Benutzer digitaler Medien, 89 %, der Überzeugung, dass sie selbst immerhin sorgfältig formulieren, vgl. TPO 2012. Übrigens halten nur ein Drittel der Benutzer von sozialen Medien dies überhaupt für wichtig. Die Geschwindigkeit der Kommunikation hat für sie grössere Bedeutung. In einigen Jahrzehnten haben sich durch die digitalen Medien Varietäten der niederländischen Schriftsprache entwickelt, die zum Teil von individuellen Merkmalen geprägt sind. Neben der seit zwei Jahrhunderten immer stärker vereinheitlichten niederländischen Schriftsprache entstanden so uneinheitliche schriftliche Formen des AN, die fast die gesamte Bevölkerung benutzt. Die vereinheitlichte Schriftsprache hat mit dazu beigetragen, dass das gesprochene AN zur dominanten Sprachvarietät im niederländischen Sprachraum wurde. Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung die online verwendeten Sprachvarietäten des geschriebenen Niederländisch für die Entwicklung des AN künftig hat, vgl. 5.4. 4.3.4.3. Zunehmende Mobilität Die zunehmende Mobilität der Bürger, die in der Mitte des 19. Jh. eingesetzt hatte, stieg nach dem Zweiten Weltkrieg rasant. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren legten sich immer mehr Niederländer einen PKW zu. Ein preisgünstiges niederländisches Kleinauto, das von der DAF-Fabrik hergestellt wurde, erleichterte manchem die Entscheidung, auf das Auto umzusteigen. 1960 waren eine halbe Million Niederländer mit dem Wagen unterwegs, 2010 besass jeder zweite Niederländer ein Automobil. Auch die Hälfte der Einwohner Belgiens verfügt über einen PKW (www. statbel.fgov.be). Sich in AN mit Mitbürgern anderer Regionen mündlich zu unterhalten, wurde auch durch die zunehmende Mobilität in den Niederlanden und Flandern zum Normalfall. Weiter nahm die Zahl der Zugreisenden seit der Mitte der Achtzigerjahre stark zu, die von Reisenden zurückgelegten Kilometer stiegen in den letzten drei Jahrzehnten um 70 % (vgl. Bos 2011, 545). Immer mehr Sprecher des AN erleben dadurch Situationen, in denen die Verwendung von AN erwünscht ist. Zudem benutzt die grosse Mehrheit der Passagiere die Fahrt, um via soziale Medien in Formen der niederländischen Schriftsprache zu kommunizieren.

4.3.5. Sprachliche Experimente in literarischen Texten Von den zahllosen sprachlichen Experimenten in der modernen niederländischen Literatur sollen hier einige wenige willkürlich gewählte Beispiele angeführt werden. Die kurzen Kommentare zu den unten zitierten Texten sind nicht als linguistische Analysen literarischer Texte zu verstehen. Sie dienen lediglich dazu, um auf einige Besonderheiten hinzuweisen, die die Verwendung des AN durch Dichter und Schriftsteller kennzeichnen.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

369

Texte der Fünfziger zeugen vom Streben nach sprachlichen Erneuerungen in der Lyrik der Nachkriegszeit. Weiter zeigen Zitate aus Gerard Reves Werk, wie sich auch die literarische Prosa in der zweiten Hälfte des 20. Jh. erneuerte. Abschnitte aus der Prosa von Louis Paul Boon und Hugo Claus dürften klar machen, dass sich dialektische Formen des Niederländischen in literarischen Werken funktionell verarbeiten lassen. In den zitierten Texten von Ivo Michiels scheint die Sprache die aktuelle referentielle Funktion im Text zu verlieren, in Verhelsts Prosa ist wohl auf eine Zerstörung der Sprache als Kommunikationsmittel zu schliessen. Anders als bei Dichtern wie Van Ostaijen oder Van Doesburg (vgl. 4.1.3.) wären die Gedichte der Fünfziger als ‚autonome‘ Werke zu verstehen: nicht der Dichter verwendet Wörter, um auf Sachverhalte zu verweisen, sondern die Sprache steuert den Dichter. Kouwenaar erläutert dies wie folgt: Het gedicht drukt dus niet uit, het is geen versierd dwangbuis voor een schone slaapster, geen geïmiteerd stuk realiteit als een portret of een stilleven, maar een in zich zelf besloten stuk actie, een compacte bol vol spanningen, opgewekt door een conglomeraat van oorzaken en gevolgen: klanken, ritmen, beelden, betekenissen en hun als hengelstokken uitschuifbare verlengstukken. (Kouwenaar [1954], 17) (‚Das Gedicht bringt somit nicht etwas zum Ausdruck, es ist keine Zwangsjacke für ein Dornröschen, keine Nachahmung eines Teils der Wirklichkeit oder ein Porträt oder ein Stillleben, sondern eine in sich geschlossene Aktion, eine kompakte Kugel voller Spannungen, erzeugt von einem Konglomerat von Ursachen und Folgen: Klänge, Rhythmen, Bilder, Bedeutungen und ihre wie Angelruten ausziehbaren Verlängerungsstücke.‘) Zwar ist die Erklärung einer solchen metaphorischen Äusserung zur Sprachverwendung der Fünfziger nicht unproblematisch, dennoch scheint sie anzudeuten, dass die Sprache des Gedichtes selbst einen ‚Teil der Wirklichkeit‘ darstellt: Poëzie is realiteit (‚Poesie ist Realität‘, vgl. Brems 2006, 122). Auf der Ebene der Laute liesse sich dies illustrieren mit Jan Hanlos Oote: Oote Oote oote oote Boe Oote oote Oote oote oote boe Oe oe Oe oe oote oote oote A Aaa

370

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Oote a a a Oote oe oe Oe oe oe Oe oe oe oe oe Oe oe oe oe oe Oe oe oe oe oe oe oe Oe oe oe etc. Oote oote oote Eh eh euh Euh euh etc. Oote oote oote boe etc. etc. etc. Hoe boe hoe boe Hoe boe hoe boe B boe Boe oe oe Oe oe (etc.) Oe oe oe oe etc. Eh eh euh euh euh Oo-eh oo-eh o-eh eh eh eh Ah ach ah ach ach ah a a Oh ohh ohh hh hhh (etc.) Hhd d d Hdd D d d d da D dda d dda da D da d da d da d da d da da da Da da demband Demband demband dembrand dembrandt Dembrandt Dembrandt Dembrandt Doe d doe d doe dda doe Da do do do da do do do Do do da do deu d Do do do deu deu doe deu deu Deu deu deu da dd deu Deu deu deu deu ***

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

371

Kneu kneu kneu kneu ote kneu eur Kneu kneu ote kneu eur Kneu ote ote ote ote ote Ote ote oote Ote ote Boe Oote oote oote boe Oote oote boe oote oote oote boe (Jan Hanlo, Oote. In: Roeping 28, 1951/52, 135–136) Die verwendeten Laute und Grapheme würden dem Leser während der Rezeption die ‚Materialität‘ der Sprache bewusst machen (vgl. Brems 2006, 122). Auch eine Orthografie, die möglichst die Phoneme darstellt, sowie die Verwendung von Neologismen förderten dies. Sodann verwenden die Fünfziger mit Vorliebe homonyme lexikalische Elemente und mehrdeutige syntaktische Strukturen, wohl um zu verhindern, dass der Leser die Texte während der Rezeption ‚automatisch‘ auf entsprechende Sachverhalte bezieht. Die so entstandene Mehrdeutigkeit lässt sich anhand von Luceberts Gedicht school der poëzie illustrieren, das zu diesem Zweck immer wieder angeführt wird: ik ben geen lieflijke dichter ik ben de schielijke oplichter der liefde, zie onder haar de haat en daarop een kaaklende daad. (Lucebert 2002, 18, vgl. 4.4.2.1.) (Ich bin kein lieblicher Dichter Ich bin der windige Hochstapler Der Liebe, sehe unter ihr den Hass Und darauf eine gackernde Tat. Lucebert 1972, 23, vgl. 4.4.2.1.) So bezieht sich das Wort oplichter auf einen ‚Gauner‘, der als Betrüger den Ausdruck ‚Liebe‘ wohl zu Unrecht verwendet. Andererseits deutet es auf eine Person, die als oplichter die Liebe ‚aufhebt‘ und sieht, dass sich darunter Hass befindet. Zudem lässt sich oplichter interpretieren als eine Person, die dies alles, die Ambiguität eingeschlossen, ‚aufhellt‘. Zu den zahllosen Fällen syntaktischer Ambiguität in Luceberts Texten zählen die Beispiele in der zweiten Strophe des Gedichtes Levensloop:

372

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

ik hoon verleent de potentaat mij gunst werkt hij met woorden die ik liefheb ik vertaal ze in mijn eigen zetkunst van majuskel tot inktvlek (Lucebert 1959, 31, vgl. 4.4.2.1.) (Ich spotte gewährt der Mächtige mir Gunst Braucht er Worte die ich liebe Ich übersetze sie in meine eigenen Lettern Von der Majuskel bis zum Tintenklecks Lucebert 1972, 52, vgl. 4.4.2.1.) In der zitierten Strophe lässt sich verleent…gunst als konditionelle Struktur interpretieren, die der selbstständigen Struktur ik hoon untergeordnet ist: ‚ich spotte wenn der Mächtige mir Gunst gewährt‘. Möglich ist auch verleent …inktvlek als Objekt in der Struktur ik…zetkunst aufzufassen: ‚Ich spotte: „Wenn…Tintenklecks.“‘ Sodann kann sich van majuskel tot inktvlek als Adverb auf vertaal beziehen: ‚die Tätigkeit des Übersetzens umfasst alles, von der Majuskel bis zum Tintenklecks‘. Die Zeile lässt sich aber auch als Attribut auf zetkunst beziehen: ‚die eigenen Lettern umfassen alles, von der Majuskel bis zum Tintenklecks‘. Dutzende Schriftsteller, Kabarettisten und BN-ers (‚bekannte Niederländer‘) haben nach dem Zweiten Weltkrieg Spuren im AN hintergelassen. So bürgerten sich mehrere Neubildungen aus Marten Toonders Comicheften im niederländischen Lexikon ein, beispielsweise denkraam (‚Fähigkeit des Denkens‘), minkukel (‚Trottel‘) oder kommer en kwel (‚Kummer‘). Simon Carmiggelt, Verfasser von Tausenden Zeitungsglossen, prägte viele Neologismen, vgl. 4.4.2.2. Redewendungen, die vom Fussballspieler Johan Cruijff stammen, wurden zu geflügelten Worten, so zum Beispiel ieder nadeel heb zʾn voordeel (‚jeder Nachteil hat einen Vorteil‘) mit dem fehlerhaft flektierten heb oder voordat ik een fout maak, maak ik die niet (‚bevor ich einen Fehler begehe, begehe ich diesen nicht‘). Idiome der Komiker Kees van Kooten und Wim de Bie sind in das niederländische Lexikon eingegangen, vgl. 4.3.4.2.4. Veröffentlichungen zu solchen Erneuerungen des AN werden nicht selten zu Bestsellern, Linguisten befassen sich regelmässig mit der Sprache bekannter Niederländer. Diese Aufzählung kreativer Menschen, die das AN während den letzten Jahrzehnten bereicherten, lässt sich mühelos mit Dutzenden Namen ergänzen. Zu ihnen zählt auch (Simon) Gerard (Kornelis van het) Reve. Reve erweiterte das niederländische Idiom mit mehreren Aphorismen und Ausdrücken wie beispielsweise het is niet onopgemerkt gebleven (‚es ist nicht unbeachtet geblieben‘), er is niets tegen geoudehoer, zolang er maar Gods zegen op rust (‚gegen Geschwätze ist nichts einzuwenden, solange Gottes Segen darauf ruht‘) oder weer van alle mensen (‚Wetter von allen Menschen‘). Der folgende Abschnitt weist einige charakteristische Merkmale von Reves Sprache auf: In de namiddag van de 6de Februari van dit jaar van Gods Zoon 1967, toen Bullie van der K. uit het naburige P. bij mij langs kwam om mij zes veren te brengen van zijn geslachte gans,

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

373

trof hij mij in de keuken aan, waar ik, na het uit het plaatselijk advertentsieblad wikkelen van zojuist gekocht zeebanket, gebogen over de keukentafel, in doffe haat de met het vet van de „zalm der armen“ doordrenkte variarubriek stond te lezen, die ons voorhield dat het getal drie dikwijls als heilig werd beschouwd, de oude Egyptenaren reeds drop kenden voordat ze met mes en vork gingen eten of hun haar kamden, alle schoenen die per jaar voor het mensdom werden vervaardigd, achter elkaar gezet, bij goed weer 6 ½ maal de afstand naar de Maan zouden kunnen overbruggen, en dat de gemiddelde Nederlander jaarlijks iets meer dan twee liter wijn konsumeerde. „Wat zeg je daarvan, Bul: ruim twee liter per jaar.“ „Je vraagt je af, waar ze het laten.“ We gingen in de salon zitten en keken, over het kerkhof heen, uit over het lege land. Al dagen had ik tal van opmerkelijke gedachten gehad over God en de Dood, maar ze hadden nooit meer opgeleverd dan telkens een halve of ¾ zin, op zichzelf wel goed, maar nooit bruikbaar om er „een blijvend lied“ van te komponeren. Het bestaan was verbrokkeling. (Van het Reve 1967, Anfang des Textes ohne Seitenangaben) (‚Am Nachmittag des 6. Februars im Jahre von Gottes Sohn 1967, als Bullie van der K. aus dem benachbarten P. bei mir vorbeikam um mir sechs Federn zu bringen von seiner geschlachteten Gans, traf er mich in der Küche, wo ich, nachdem ich gerade Seefrüchte aus der hiesigen Reklamezeitung ausgepackt hatte, mich über den Küchentisch beugte und in stillem Hass, die mit dem Fett des „Lachs der Armen“ durchtränkte Rubrik lass, die uns erzählte, dass die Zahl drei oft als heilig angesehen wurde, dass die alten Ägypter schon Lakritz kannten, bevor sie mit Messer und Gabel essen konnten oder sich die Haare kämmten, dass alle Schuhe, die pro Jahr für die Menschheit hergestellt werden, wenn man sie hintereinander stellt, bei gutem Wetter 6 ½ Mal den Abstand zum Mond überbrücken könnten, und dass der durchschnittliche Niederländer jährlich etwas mehr als zwei Liter Wein trank. „Was sagst du dazu, Bul: mehr als zwei Liter pro Jahr. Da fragt man sich doch, wo lassen die das.“ Wir setzten uns in den Salon und guckten über den Friedhof hinweg, über das leere Land. Schon tagelang hatte ich zahlreiche bemerkenswerte Gedanken über Gott und den Tod, aber sie reichten nie für mehr als einen halben oder 3/4 Satz, an sich gar nicht so schlecht, aber doch auch gerade nicht brauchbar genug für die Komposition eines „bleibenden Liedes“. Das Dasein bestand aus Bruchstücken.‘) Die sprachliche Gestaltung dieses Textes scheint auf einem Spiel mit den Lesererwartungen zu beruhen. Der Anfang des Textes mit Zeit- und Ortsangaben erinnert beispielsweise an Formulierungen, die Schriftsteller wie Nicolaas Beets (vgl. 3.3.1.2.) im 19. Jh. wählten, um eine Erzählung zu beginnen. Es folgt jedoch eine Aufzählung von Banalitäten. Auch das Kontrastieren von gehobenen, biblischen Ausdrucksweisen mit dem Trivialen kann überraschend wirken. So enthält die adverbiale Struktur In de namiddag van de 6de Februari van dit jaar van Gods Zoon 1967 feierliche beziehungsweise archaische Elemente wie namiddag statt middag, 6de Februari statt 6 februari oder jaar van Gods Zoon 1967 statt 1967. Dieser gehobene Phrase folgt eine adverbiale Struktur, die Banalitäten enthält: Bullie ist wohl ein unter Bekannten verwendeter,

374

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

abgeänderter Vorname, Abkürzungen wie K. und P. sind üblich in Zeitungsnachrichten über Kriminelle. Nach der ausführlichen, präzisen Zeitangabe scheint es zu überraschen, dass die vollständigen Namen des Besuchers und seines Wohnortes dem Leser vorenthalten werden. Ebenso fehlt nach der genau formulierten Mitteilung om mij zes veren te brengen van zijn geslachte gans eine nähere Erklärung. Stattdessen werden triviale Tatsachen, sinnlose Besonderheiten und absurde Fakten minutiös aufgezählt, vgl. u. a. alle schoenen die per jaar voor het mensdom werden vervaardigd, achter elkaar gezet, bij goed weer 6 ½ maal de afstand naar de Maan zouden kunnen overbruggen. Attributive beziehungsweise adverbiale Ergänzungen wie achter elkaar gezet und bij goed weer, die für den gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbar sind, dürften Rezipienten des Textes als Absurditäten bewerten. Klischees wie zeebanket und zalm der armen wechseln mit Aussagen ab, die sich inhaltlich nicht aufeinander beziehen lassen. Auch die ironische Schlussbemerkung, die aufgrund der vorhergehenden Mitteilungen nicht zu erwarten ist, kann beim Lesen überraschend wirken. Die erste, aus 147 lexikalischen Elementen bestehende Phrase umfasst eine selbstständige Struktur, In de namiddag van de 6de Februari van dit jaar van Gods Zoon 1967 (…) trof hij mij in de keuken aan sowie ein Dutzend untergeordnete Strukturen. Im Kontrast zu diesem komplexen syntaktischen Gefüge steht die unmittelbar folgende, vergleichsweise einfache Phrase, die zehn lexikalische Elemente und lediglich ein finites Verb umfasst. Ebenfalls ist die letzte Phrase mit acht lexikalischen Elementen und zwei finiten Verben weniger komplex als die erste. So dürfte auch die Struktur des Textes während der Rezeption Überraschung auslösen. Reves Lyrik kann ebenfalls eine Abwechslung von profanen Mitteilungen und über alles Irdische erhabenen Äusserungen aufweisen, vgl. das Klischee Altijd wat und das grossgeschriebene Majesteit oder das feierliche hoed an Stelle von bescherm in: ALTIJD WAT Omdat ik niet meer slapen kan, klim ik uit bed. Het is half vier. De dag verheft zich, en ik zie Uw gruwelijke Majesteit. Wanneer ik dood ben, hoed dan Teigetje. Gerard Kornelis van het Reve, Nader tot u. Amsterdam 1966, 129. (Worterklärungen: altijd = ‚immer‘; klim uit = ‚steige aus‘; verheft = ‚erhebt‘; gruwelijke = ‚schauderhafte‘; hoed = ‚hüte‘; Teigetje = ‚Tigerlein‘, Kosename für einen Mann) Nicht ohne Humor ist eine Verknüpfung des Profanen und des Heiligen in der Metonymie God was een Ezel mit grossgeschriebenem Ezel in der naiven Schilderung des Paradieses in:

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

375

PARADIJS Ik was een heel grote beer die toch heel lief was. God was een Ezel en hield van mij. En iedereen was erg gelukkig. Gerard Kornelis van het Reve, Nader tot u. Amsterdam 1966, 132. (Worterklärungen: beer = ‚Bär‘; hield van mij = ‚liebte mich‘; iedereen = ‚jeder‘; erg gelukkig = ‚sehr glücklich‘) Mehr als die niederländischen Schriftsteller verwenden flämische Autoren Dialekt, um der Sprache ihrer Protagonisten gerecht zu werden. Louis Paul Boon, der wenig von der niederländischen Schriftsprache der Schulbücher hielt, benutzt ohne jegliche Hemmung Formen einer flämischen, manchmal archaischen Alltagssprache, die gelegentlich Merkmale des Dialektes von Aalst aufweist. So enthält der folgende Abschnitt Elemente, die charakteristisch sind für südliche Sprachvarietäten des Niederländischen: En als ge de kantieke schoolmeester hoort zwijgen en zijn lippen ziet opeenpersen antwoordt ge: het is mogelijk dat het onmogelijk is om iets nieuwer en juister te zeggen, maar over al het geschrevene daalt het stof der tijden neer, en ik peins daarom dat het goed is als er om de 10 jaar een andere een kruis trekt over al die oude dingen, en de wereld-van-vandaag opnieuw uitspreekt met andere woorden. (Boon 2003, 9) (‚Und wenn Ihr seht, wie der kantike Schulmeister schweigt und wie er die Lippen zusammenpresst, antwortet Ihr: es ist möglich, dass es unmöglich ist, etwas neuer und richtiger zu sagen, doch über alles Geschriebene senkt sich der Staub der Zeiten, und darum glaube ich, dass es gut sei, wenn alle 10 Jahre ein anderer ein Kreuz macht über all die alten Sachen und die Welt-von-heute von neuem ausspricht, mit anderen Worten.‘ Boon 1970, 9–10) Die Verwendung des Pronomens ge (‚Du‘) ist in den meisten südlichen Regionen des Sprachgebietes üblich, das Adjektiv kantieke ist im AN ungebräuchlich. Kantiek bedeutet ‚Lobgesang‘, das aus diesem Substantiv gebildete Adjektiv übersetzt Hans Herrfurth mit ‚kantorale‘ (Boon 1986, 10); möglicherweise hat es hier die Bedeutung ‚besserwissende‘. Auch die syntaktische Struktur als ge (…) zijn lippen ziet opeenpersen macht einen südlichen Eindruck. Im Norden scheint als ge (…) zijn lippen opeen ziet persen üblicher zu sein, vgl. 4.5.2.2.3., 4.5.2.2.4. Schliesslich fällt auf, dass das Verbum finitum peins mit einem direkten Objekt, dat het goed is, vorkommt. Im AN tritt es mit einem Präpositionalobjekt auf: peins erover dat het goed is. Hugo Clausʾ Magnum Opus Het verdriet van België (‚Der Kummer van Flandern‘), das sich in Flandern abspielt, ist tendenziell in AN verfasst. Die Protagonisten sprechen hingegen in einer

376

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

dialektisch gefärbten Sprache. Es handelt sich dabei nicht um eine spezifische Mundart, sondern um einen Mischmasch von westflämischem Sprachmaterial, das sich durch südniederländische Barbarismen, Purismen, Amtssprache, Archaismen und französisches Idiom kennzeichnet (vgl. Geerts 1987, 559). Die Art und Weise, wie die Protagonisten miteinander sprechen, zeigt, wie Flamen in informellen Kommunikationssituationen Formen ihrer Dialekte verwenden können, die sich vom Dialekt des gemeinen Volkes unterscheiden. Während der Erzähler im Roman das AN verwendet, benutzen die handelnden Personen flämisches Idiom, vgl. begrafenis (AN; ‚Beerdigung‘) und begraving (BE), ui (AN; ‚Zwiebel‘) und ajuin (BE), blaffen (AN; ‚bellen‘) und bassen (BE), jam (‚Marmelade‘) und confituur (BE), slager (AN; ‚Fleischer‘) und beenhouwer (BE; ‚Metzger‘). Der folgende Abschnitt enthält Merkmale dieses schoon-Vlaams: De middag verging. Gekabbel over ministeries, over de Boerenbond, over de vrijmetselaars, Polen, Spanje, over Hitler die er met de vuile voeten doorgaat, maar kan hij anders? De Fransen, de Engelsen, de Russen, heel de wereld wil hem wurgen! Toen merkte Tante Mona dat Louis ook bestond, zij vroeg: ‚Content dat ge thuis zijt voor een tijdje?‘ ‚Ja.‘ ‚Zijt ge al in de atelier geweest?‘ ‚Ja.‘ ‚En wat zeiden ze? Dat ge gegroeid waart?‘ ‚De meesten zeiden mij geen goeiendag.‘ ‚Dat hebt ge met werkvolk,‘ zei Mama. Tante Mona lachte, de bobbel in haar keel bewoog alsof er, een knokkel groot, een spartelend kind in zat. ‚Wat dacht ge? Dat zij u gingen ontvangen als een prinses?‘ ‚Nee.‘ Hij kreeg een kleur en stond op, ruimde kopjes en borden op. ‚Gij moet dat verstaan,‘ zei Tante Mona, ‚die jongens zijn er niet meer bij met hun gedachten, zij kunnen elk moment gemobiliseerd worden, zij kunnen elk moment hun werk kwijtspelen. En dat de zoon van de baas er is of niet, daar vagen ze tegenwoordig vierkant hun gat aan. Het is niet meer lijk vroeger toen het werkvolk respect had voor wie hun de week uitbetaalde. Voor de socialisten is alleman gelijk, alleman is de baas. En ʾt werkvolk denkt alleen maar: hoe kan ik de baas een kloot uitdraaien, met permissie gezeid.‘ Hugo Claus, Het verdriet van België. Roman. Amsterdam 1983, 90–91 (‚Der Nachmittag verging. Geplauder über Ministerien, über den Bauernverband, über die Freimaurer, Polen, Spanien, über Hitler, der weiter durch den Dreck marschiert, aber was bleibt ihm sonst übrig? Die Franzosen, die Engländer, die Russen möchten ihn am liebsten erwürgen! Als Tante Mona merkte, dass Louis auch noch existierte, fragte sie: „Bist du froh, eine Zeitlang zuhause zu sein?“ „Ja“. „Bist du schon in der Werkstatt gewesen?“ „Ja.“ „Und was haben sie gesagt? Dass du gewachsen bist?“ „Die meisten haben mir nicht einmal Guten Tag gesagt.“ „So ist das bei Arbeitern“, sagte Mama. Tante Mona lachte, der Knubbel in ihrer Kehle bewegte sich so, als befände sich ein murmelgrosses zappelndes

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

377

Kind darin. „Was hast du denn gedacht? Dass sie dich wie einen Prinzen [eine Prinzessin – J.S.] empfangen würden?“ „Nein.“ Er bekam einen roten Kopf und stand auf, um Tassen und Teller abzuräumen. “Das musst du verstehen“, sagte Tante Mona. „Diese Jungs sind mit ihren Gedanken nicht mehr bei der Sache, sie können jeden Augenblick mobilisiert werden und jeden Augenblick ihre Arbeit verlieren. Und ob nun der Sohn des Chefs da ist oder nicht, darauf scheissen sie, mit Verlaub. Es ist nicht mehr so wie früher, als die Arbeiter Respekt vor demjenigen hatten, der ihnen den Wochenlohn ausbezahlte. Für die Sozialisten sind alle gleich, alle sind der Chef. Und die Arbeiter denken nur: Wie kann ich, mit Verlaub, dem Chef ein Ei ausreissen.‘‘ Hugo Claus, Der Kummer von Flandern: Roman. Stuttgart 1986, 81–82.) Im angeführten Textausschnitt ist das AN der Erzählinstanz übrigens nicht ohne südliche Merkmale. So ist der Ausdruck er met de vuile voeten doorgaan in anderen Teilen des Sprachgebietes nicht gängig. Verschiedene Charakteristika des Dialogs markieren die Sprache der handelnden Personen als südniederländisch, so der mask. Artikel de statt het in de atelier, das Pronomen ge oder das Hilfsverb gingen an Stelle von zouden. Auch verstaan statt begrijpen, kwijtspelen statt kwijtraken und alleman statt iedereen sind als flämisch einzustufen. Wie im Zitat benutzen die Protagonisten im Roman regelmässig das südliche lijk an Stelle von als. Die gleichen Personen wählen allerdings, wie auch im vorliegenden Abschnitt, manchmal ebenfalls das im Norden gängige als. Schliesslich sind Ausdrücke wie daar vagen ze vierkant hun kont aan und een kloot uitdraaien ebenfalls flämisch.

Abb. 22: Paul de Vree.

378

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Ivo Michiels ist mit seinem fünfteiligen Alpha-Zyklus zu den Autoren zu rechnen, die radikal mit der traditionellen Prosa brechen wollten. So würde der Titel des Romans Exit sich auf ein ‚Hinausgehen‘ aus der Sprache beziehen, Stationen der ‚Sprachreinigung‘ enden im Roman auf der letzten weissen Seite mit dem Buschtsaben O (‚Omega‘, vgl. Grüttemeier 2006, 278). Michiels’ Sprache kennzeichnet sich laut Literaturkennern durch Aufzählungen von Litaneien, willkürlich verketteten Assoziationen voller Klischees (Brems 2006, 304): ladingen geluiden die op elkaar werden getast, zonder verpozen, seconden als ladingen geluiden op elkaar getast, uren, dagen, maanden en jaren gestapeld uit niets dan geluiden, tot op een keer die ontzaglijke voorraad uit elkaar zou barsten, neerkomen over hen allen om hen allen te bedelven onder de oorverdovende galm van de eeuwen (Michiels 1980, 191) (Worterklärungen: ladingen = ‚Ladungen‘; geluiden = ‚Laute‘; op elkaar = ‚aufeinander‘; verpozen = ‚ruhen‘; uren = ‚Stunden‘; een keer = ‚ein Mal‘; barsten = ‚bersten‘, ‚springen‘; bedelven = ‚bedecken‘; oorverdovend = ‚betäubend‘; galm = ‚Schall‘; eeuwen = ‚Jahrhunderte‘). Beim ‚Katalogisieren‘ des Buchstaben Z scheint die Sprache durchzudrehen: X ja Y ja Z ja neen ja neen ja neen neen […] neen misschien ja hopla nopla jopla A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Zet zat zit zot ons moeder heeft een kous gebreid ze heeft het spek in ʼt zout geleid wat heb je daar gezeid niks heb ik daar gezeid hollekenbollekeriebesolleke A ja B ja C ja […] Z ja A neen B neen […] Z neen A ja misschien neen B ja misschien neen […] Z ja misschien neen A neen misschien ja B neen misschien ja […] Z neen misschien ja A ja aja haja a aaaa a a a a (Michiels 1980, 289–290) (Worterklärungen: kous = ‚Strumpf‘; zout = ‚Salz‘); geleid = ‚gelegt‘; gezeid = ‚gesagt‘; misschien = ‚vielleicht‘) Abdelkader Benali scheint Sprachmaterial aus diversen Quellen zu mischen, um seine Texte zu gestalten. Fetzen Arabisch, absurde Übersetzungen aus dem Englischen wie bij de weg (= by the way, ‚übrigens‘) oder Internet-Jargon (vgl. Goedkoop 1996) spicken das von ihm verwendete Niederländisch, vgl. den folgenden Abschnitt aus Eet mij op: De notaris kwam ons de wens van papa mondeling overbrengen, maar liet zijn boodschap vergezeld gaan van een brief die hij ons ter plekke overhandigde. Vijfentwintig punten van aandacht, ondertekend, papa. Alle vijfentwintig punten opnoemen zou te ver voeren maar wellicht volstaat een kleine bloemlezing.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

379

Punt 3. Jullie zijn hopelijk bekend met het feit dat je met mes en vork moet eten. Punt 6. Van mijn nieren, gal en klieren mogen jullie afblijven. Punt 14. Ik verwacht jullie alle acht! Punt 16. Niet te kort maar ook niet te lang wachten met het bereiden. Punt 22. Eenmaal ingesmeerd met koriander zal ik vast en zeker niet te versmaden zijn. Punt 25. Het ga jullie goed. Eet smakelijk. Wanneer? Ik zeg, einde van de middag van de veertiende. Hij sliep in na zijn zoveelste copieuze maaltijd te hebben genuttigd en ontwaakte niet meer. Dat zeg ik en zij zeggen dit: zij zeggen schnat en ik zeg schnit. En zo schnitschnatten we elkaar, zo gaan de haren rechtovereind staan, worden wenkbrauwen gefronst en vingers geknakt. Laat ik een poging wagen dit geschnitschnabbel tegenover elkaar te zetten. Zij schnabbelen dat hij in de middag van de vijftiende stierf, rond een uur of twee, meen ik. Ineens was hij bij kennis, gorgelde om een zuster, die op haar beurt de dokter intercomde, waarna de laatste zijn oor tegen papa’s lippen te luisteren legde, die al spuwend iets fulmineerde in de trant van ‚haal die klotenotaris‘, waarna de dokter deed wat hem opgedragen was en de gestudeerde man liet buzzen, die naar vader toe holde, rode stoplichten negeerde en over bejaarde vrouwtjes sprong om het gerochel, gestoggel en gemiggel als van een T-Ford-motor, een verkouden spreeuw, een heuse zwanenzang aan te horen, dit alles aanhoorde, in zich opnam, bij zichzelf overwoog, destilleerde en uiteindelijk in gewone-mensentaal omzette: Vaders Laatste Wens. Die dekselse notaris toch! Zonder hem hadden we geen Wens gehad, geen banket als dit, en nooit dit smerige verhaal (en dat laatste zou helemaal doodzonde zijn: is er ooit iemand slechter geworden van een goed verhaal?). (Benali 1997) (Worterklärungen: notaris = ,Notar‘; mondeling = ‚mündlich‘; boodschap = ‚Nachricht‘; ter plekke = ‚an Ort und Stelle‘; overhandigde = ‚überreichte‘; aandacht = ‚Aufmerksamkeit‘; bloemlezing = ‚Auswahl‘; vork = ‚Gabel‘; klieren = ‚Drüsen‘; ingesmeerd = ‚eingerieben‘; versmaden = ‚verschmähen‘; genuttigd = ‚verzehrt‘; ontwaakte = ‚erwachte‘; schnat, schnit, schnitschnatten = Neologismen wohl in der Bedeutung von ‚Quatsch‘ und ‚quatschen‘; wenkbrauwen = ‚Augenbrauen‘; gefronst = ‚gerunzelt‘; gorgelde = ‚gurgelte‘; zuster = ‚Krankenschwester‘; luisteren = ‚hören‘; klotenotaris = ‚Scheissnotar‘; holde = ‚rannte‘; stoplichten = ‚Ampel‘; bejaarde = ‚betagte‘; gestoggel, gemiggel: Neologismen wohl als Andeutungen von ‚Gestammel‘; verkouden = ‚erkältet‘; spreeuw = ‚Star‘; wens = ‚Wunsch‘; smerig = ‚dreckig‘).

380

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Abb. 23: Herman Damen, Plato.

Von Literaturkennern wird Peter Verhelst wohl als Verfasser des ‚enzyklopädischen und postmodernen historischen Romans‘ bezeichnet (Vervaeck 2010, 7). Die Texte umfassen Wiederholungen, Anagramme oder auch endlose Kombinationen von Buchstaben, die immer wieder andere Inhalte generieren. Referenz und Referenten scheinen voneinander getrennt zu sein, wodurch zahllose neue Bedeutungen entstehen. Zo snel mogelijk. Het duurt e e u w e n. Peter Verhelst, Zwerm. Geschiedenis van de wereld. Amsterdam 2005, 296. (‚So schnell wie möglich. Es dauert Jahrhunderte.‘) „Hai,‟ lispelt Rimbaud verrukt, „haaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaiiiiiiiiiiii.“

Peter Verhelst, Zwerm. Geschiedenis van de wereld. Amsterdam 2005, 379.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

381

Kommunikationssysteme scheinen die ‚Wirklichkeit‘ zu überherrschen: De SWAT rent van station naar metrostation, van locker naar locker. □(□□□((((((((((((((((((((((((( Het Enigma-team, gespecialiseerd in het kraken van codes, probeert een systeem te ontwaren, maar vindt slechts verbindingen die geen logica eerbiedigen, en misschien is dat de logica: het verontrustende besef dat iemand je waanzin oplegt. ÿà ◄◘┌□┐[…] Maar het is geen waanzin. Het is manipulatie, en manipulatie betekent macht. ÿà a┼┌└└┐[…] En je ingebouwde betekeniswil blijft toch alle parameters scannen. Alles wat je weet, breng je in stelling om het systeem te doorgronden, tegen beter weten in, en misschien is die beslissing zelfs metafysisch. De koppigheid om zin te willen vinden in iets wat zo manifest zin afwijst. Peter Verhelst, Zwerm. Geschiedenis van de wereld. Amsterdam 2005, 65. Die Analyse solchen Textmaterials stellt sowohl für Literatur- wie auch für Sprachforscher eine nicht unproblematische Aufgabe dar.

4.3.6. Anpassungen der niederländischen Orthografie nach dem Zweiten Weltkrieg Bereits 1944 hatten die Exilregierungen der Niederlande und Belgiens in London eine Kommission ins Leben gerufen, die eine verbindliche Regelung der Rechtschreibung für das gesamte Sprachgebiet auszuarbeiten hatte. Es galt eine vereinfachte Marchant-Orthografie (vgl. 4.1.4.) für Schule und Verwaltung zu entwerfen. Prüfungen an der Schule und der Universität, Gesetze, Beschlüsse sowie Akten waren entsprechend der neuen Regelung zu buchstabieren. Belgien führte die neue Rechtschreibung 1946, die Niederlande 1947 ein. Die erst 1954 veröffentlichte Woordenlijst van de Nederlandse taal (‚Wörterliste Niederländische Sprache‘) enthält nicht nur eine alphabetische Liste von zirka 65.000 Wörtern, die nach den neuen Vorschriften buchstabiert sind, sondern auch die Regeln dieser gesetzlich festgelegten Orthografie des Niederländischen. Die unter Federführung von Van Haeringen herausgegebene Liste, das sogenannte groene boekje (‚grüne Büchlein‘), stellt eine moderne Version der von De Vries und Te Winkel 1866 veröffentlichten Woordenlijst voor de spelling der Nederlandsche taal (‚Wörterliste der Orthografie der niederländischen Sprache‘, vgl. 3.2.1.1.) dar. Die Rechtschreibregeln der Woordenlijst entsprechen grösstenteils der Marchant-Orthografie. Abgesehen von einigen Ausnahmen sind beispielsweise Vokale wie [a.], [e.], [o.] oder [u.] weiterhin in geschlossenen Silben mit zwei Buchstaben, in offenen mit einem Buchstaben zu schreiben, vgl. raam (‚Fenster‘) und ramen, mees (‚Meise‘) und mezen, kool (‚Kohl‘) und kolen oder fuut (‚Haubentaucher‘) und futen. Sodann ist die Verwendung der -n-Beugung in attributiven Wörtern wie Artikeln oder Adjektiven fakultativ. Künftig brauchten Schüler folglich nicht mehr Regeln zur Kasusmarkierung zu lernen, die ihnen in ihrem gesprochenen Niederländisch unbekannt waren. Wohl behalten oude genitieven (‚alte Genitive‘) die Kasusmarkierung wie -(e) s in de heer des huizes (‚der Herr des Hauses‘). Es wäre übrigens weiterhin gestattet, die -n-Beu-

382

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

gung in attributiven Wörtern zu schreiben, wenn sie sich auf Substantive beziehen, die in der Liste mit m (‚Mask.‘) oder m-v (‚Mask.-Fem.‘) markiert sind. Weibliche Personen bezeichnende Nomina sind davon ausgenommen. In festen Ausdrücken ist die -n-Beugung allerdings weiterhin verbindlich, vgl. ten derden male (‚zum dritten Mal‘). Wörter, die ‚nach ihrer Form‘ laut der Einführung ‚international geworden‘ wären, behielten die ursprüngliche Orthografie, vgl. meeting (‚Meeting‘) oder thriller (‚Thriller‘). Damit erhoffte sich die Kommission, die Verwendung von Lehnwörtern einzudämmen. Ob sie mit dieser Pedanterie Erfolg hatte, ist übrigens zu bezweifeln. Ansonsten liess die Regelung für die Rechtschreibung von Lehnwörtern Spielraum. So gestattete die Kommission in verschiedenen Fällen mehrere Schreibweisen, vgl. kritiseren (‚kritisieren‘), kritizeren und critiseren. Allerdings ist in der Liste jeweils vermerkt, welche Rechtschreibung zu bevorzugen sei, so gilt die Schreibweise kritiseren in den angeführten Verben als voorkeurspelling (‚bevorzugte Rechtschreibung‘). Sodann ersetzt das Konsonantengraphem als Wiedergabe des /f/-Phonems, vgl. fysicus (‚Physiker‘), macht Platz für , vgl. reumatiek (‚Rheumatismus‘). In bestimmten Positionen fällt das postkonsonantische weg, so am Ende des Wortes, vgl. monoliet (‚Monolith‘), vor einem Konsonanten, vgl. ritme (‚Rhythmus‘) oder nach f und ch, vgl. diftong (‚Diphthong‘). In anderen Fällen waren beide Schreibweisen gestattet, vgl. apotheker (‚Apotheker‘) und apoteker. Somit fehlte eine einheitliche Regelung der Rechtschreibung von Lehnwörtern. Um ein Durcheinander zu vermeiden, beschlossen die Regierungen der Niederlande und Belgiens 1955, dass Beamte fortan die voorkeurspelling, die bevorzugte Rechtschreibung, zu verwenden hatten. Zudem wurde diese Orthografie an belgischen Schulen vorgeschrieben, während an niederländischen Schulen auch die von der Wörterliste erwähnten Schreibvarianten erlaubt waren. Die Einführung der Woordenlijst behandelt zudem die Frage des Wortgeschlechtes, die Gelehrte und Schriftsteller seit Jahrhunderten immer wieder beschäftigte. So hatten die Verfasser der Twe-spraack bereits 1584 mit einer fragwürdigen Methode versucht, die Substantive der de (‚die‘, ‚der‘)-Klasse in Maskulinum und Femininum einzuteilen (vgl. HNA 364 ff). In späteren Jahrhunderten veröffentlichten Gelehrte Wörterlisten mit zum Teil spekulativen Angaben zum Wortgeschlecht, das sie mit Hilfe umstrittener Kriterien festzulegen versuchten, so David van Hoogstraten 1700, Bilderdijk 1822 oder De Vries und Te Winkel 1866. Die Unsicherheit über die Genuszuweisung der Nomina hängt mit der Entstehung des Genus commune zusammen, die bereits vor der Herausbildung des Neuniederländischen zu datieren ist, vgl. HNA 212 ff. Demzufolge lassen sich im AN zwei Hauptkategorien von Substantiven unterscheiden: (i) die Klasse der Neutra mit dem dazu passenden Artikel het (‚das‘), vgl. het huis (‚das Haus‘) und (ii) die Klasse des Genus commune mit dem dazugehörenden Artikel de (‚der‘, ‚die‘), vgl. de stoel (‚der Stuhl‘), de deur (‚die Tür‘). Namentlich im Norden bestätigt die Verwendung von Pronominalbezeichnungen im gesprochenen AN diese Kategorisierung in der Regel. So beziehen die Sprachteilnehmer sich mit dem Subjektpronomen het (‚es‘) auf Neutra: Dat is zijn huis. Het is groot. (‚Das ist sein Haus. Es ist gross.‘). Weiter verweisen sie mit der Pronominalbezeichnung hij (‚er‘) auf Substantive der Klasse des Genus commune, vgl. hij in

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

383

Zij heeft deze stoel gekocht. Hij is duur. (‚Sie hat diesen Stuhl gekauft. Er ist teuer.‘) und hij in Is de deur dicht? Nee hij staat open. (‚Ist die Tür geschlossen? Nein, er [sie] steht offen‘). Auch in Bezug auf Abstrakta und Kollektiva sind im Norden die Pronomina hij, hem und zijn üblich, vgl. zijn und hij in De commissie heeft zijn taak niet kunnen voltooien, hij is ontbonden. (‚Die Kommission hat seine [ihre] Aufgabe nicht erledigen können, er [sie] wurde aufgelöst.‘). Allerdings finden in solchen Fällen auch fem. Pronominalbezeichnungen Verwendung, sogar wenn sie sich auf mask. Kollektiva beziehen, vgl. haar in De gemeenteraad heeft dit voorstel in haar zitting van afgelopen maandag besproken. (‚Der Gemeinderat hat diesen Vorschlag in ihrer [seiner] Sitzung vom vergangenen Montag besprochen.‘). Eine kleine, geschlossene Klasse von Substantiven kommt mit zwei Wortgeschlechtern vor, vgl. het schilderij (‚das Gemälde‘) und de schilderij oder het idee (‚die Idee‘) und de idee. Aus der Wahl der Pronominalbezeichnungen geht hervor, dass Sprachteilnehmer in bestimmten Fällen neben Neutrum auch Maskulinum und Femininum unterscheiden, so zum Beispiel in Bezug auf Personen, vgl. Neutr. het in Het kind is slaperig. Het moet naar bed gaan. (‚Das Kind ist schläfrig. Es muss ins Bett gehen.‘), Mask. hij in Vader is thuis. Hij leest de krant. (‚Vater ist zu Hause. Er liest die Zeitung.‘) und Fem. zij in Moeder drinkt thee. Zij heeft dorst. (‚Mutter trinkt Tee. Sie hat Durst.‘). Bezüglich weiblicher Personen werden die fem. Pronomina ze (‚sie‘) und zij als Subjekt und haar (‚sie‘, ‚ihr‘) als Objekt sowie haar (‚ihr‘) als fem. Possessiv verwendet, auch bei Neutra, vgl. haar in Het meisje heeft haar huiswerk af. (‚Das Mädchen hat die Hausaufgaben fertig.‘). Bei Tiernamen hingegen wird das biologische Geschlecht bei der Verwendung von Pronominalbezeichnungen meistens nicht berücksichtigt, vgl. hij in Je moet een kat met rust laten, als hij jongen heeft. (‚Man sollte eine Katze in Ruhe lassen, wenn er [sie] Junge hat.‘) oder hij in: De koe is weer gezond. Hij geeft veel melk. (‚Die Kuh ist wieder gesund. Er [Sie] gibt viel Milch.‘). Die Kommission berücksichtigte beim Zusammenstellen der Woordenlijst, dass Sprachbenutzer südlich der Flüsse Rhein und Maas Pronominalbezeichnungen anders verwenden als ihre nördlichen Nachbarn. Die Einführung der Liste hält dazu fest: In het Zuidnederlands daarentegen leeft het onderscheid tussen masculinum en femininum onverzwakt voort. Niet alleen is het kenbaar aan vele bijvoeglijke woorden, maar ook aan de met betrekking tot de substantieven gebruikte voornaamwoorden. (WDL 1954, X) (‚Im Südniederländischen hingegen lebt der Unterschied zwischen Maskulinum und Femininum ungeschwächt weiter. Nicht nur ist er erkennbar durch viele Attributive, sondern auch durch in Bezug auf Substantive verwendete Pronomina.‘) So verwenden Sprachanwender im Süden die fem. Pronomina ze (‚sie‘) oder zij als Subjekt und haar (‚sie‘, ‚ihr‘) als Objekt in Bezug auf fem. Sach- und Tierbezeichnungen. Sie verweisen beispielsweise mit ze auf das Substantiv tafel (‚Tisch‘), dessen Genus nach Auskunft der Liste v(m) (‚Fem.[Mask.]‘) wäre: schuif ze weg (‚schiebe sie [weg]‘). Im Norden hingegen heisst es:

384

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

schuif hem weg (‚schiebe ihn weg‘). Von einer Maus sagt man im Süden: ze trachtte te ontsnappen, maar de kat kreeg ze te pakken (‚sie versuchte zu entgehen, aber die Katze erwischte sie‘). Dagegen ist im Norden zu hören: hij probeerde te ontkomen, maar de kat kreeg hem te pakken (‚er versuchte zu entkommen, aber die Katze erwischte ihn‘). Andererseits beziehen sich die Sprachteilhaber im Norden häufig mit fem. Pronomina auf Stoffbezeichnungen, vgl. ze in De soep is oneetbaar, ze is veel te zout (‚Die Suppe ist ungeniessbar, sie ist zu salzig‘), obschon die Verwendung von hij auch vorkommt. Dennoch stuften De Vries und Te Winkel Stoffbezeichnungen als Fem. ein, sogar wenn es sich um mask. Substantive handelte, so snoek (‚Hecht‘) oder vis (‚Fisch‘). Gelegentlich verzichteten sie allerdings auf die fem. Genuszuweisung von Stoffbezeichnungen, so bei wijn (‚Wein‘), obschon Sprecher im Norden sich nicht nur mit hij (‚er‘), sondern auch mit zij (‚sie‘) oder ze auf dieses Substantiv beziehen, vgl. ze moet eerst op temperatuur gebracht worden (‚sie [er] muss zuerst auf Temperatur gebracht werden‘). Im Süden dagegen nehmen die Sprachteilnehmer nicht ohne Weiteres mit fem. Pronomina Bezug auf Stoffbezeichnungen. Sie berücksichtigen das Wortgeschlecht des jeweiligen Substantivs, vgl. hij in Geef mij nog wat wijn. Hij smaakt uitstekend. (‚Gib mir noch etwas Wein. Er schmeckt ausgezeichnet.‘) und zij in Dit is nieuwe zeep. Zij ruikt heerlijk. (‚Dies ist neue Seife. Sie riecht herrlich.‘). Da die Schriftsprache solche und ähnliche ‚natürliche‘ Besonderheiten des gesprochenen Niederländischen nicht festhält und daher ‚unnatürlich‘ wäre, konnte man sie nach Auffassung der Kommission ohnehin reglementieren beziehungsweise korrigieren. Daher möchte sie beispielsweise der in der Schriftsprache zunehmenden Verwendung von fem. Pronomina, die neutr. Substantive bezeichnen, entgegenwirken. So wird der Gebrauch von haar in Rotterdam zal haar havens moeten uitbreiden (‚Rotterdam wird ihre [seine] Häfen erweitern müssen‘), der in der mündlichen Kommunikation nicht ungewöhnlich ist, in der Woordenlijst für die Schriftsprache abgelehnt. Für die Verwendung von Objektformen des Personalpronomens 3. Pers. Plur. empfiehlt die Woordenlijst hingegen, die Praxis der mündlichen Kommunikation zu berücksichtigen. So ist laut der neuen Regelung die Objektform ze (‚sie‘, ‚ihnen‘) gestattet, die nicht nur im Norden, sondern auch im Süden vermehrt an Stelle von hun vorkommt, vgl. ze in Je moet ze wat te doen geven (‚Man soll ihnen etwas zu tun geben‘). Die Objektform hun, die namentlich im Süden nicht ungebräuchlich ist, darf man aber ebenfalls schreiben, auch wenn sie auf weibliche Personen bezogen wird, vgl. hun in De verpleegsters geloven niet wat de dokter hun vertelt. (‚Die Krankenschwestern glauben nicht, was der Arzt ihnen erzählt.‘). Weiter kann laut der Einführung hen in Verbindung mit einer Präposition verwendet werden, vgl. hen in Waar ga je naar toe met je vrienden? Ik ga met hen naar de bioscoop. (‚Wohin gehst Du mit Deinen Freunden? Ich gehe mit ihnen ins Kino.‘). Mit der Einführung der Orthografie 1946/1947 war der spellingstrijd (,Rechtschreib-Streit‘), der die Gemüter anderthalb Jahrhunderte bewegt hatte, nicht beigelegt. Im Gegenteil, immer wieder stritten sich sowohl Sachverständige als auch Laien über die Orthografie ihrer Muttersprache, obschon sie mit einer weiteren Kultivierung des AN wenig zu tun hat. So setzte sich die 1963 gegründete Vereniging voor Wetenschappelijke Spelling (‚Vereinigung für wissenschaftliche Orthografie‘, VWS) für die Beseitigung des etymologischen Grundsatzes in der Rechtschreibung

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

385

ein. Nicht zu Unrecht möchten ihre Mitglieder die rein etymologisch begründeten Schreibweisen und des [єi]-Lautes vereinheitlichen, ebenso müssten und für den [ɔu]-Laut durch ein einziges Graphem ersetzt werden. Weiter wäre das Prinzip der Analogie aufzugeben: wo man beispielsweise [t] hört, solle man schreiben. Die vorgeschriebene Rechtschreibung weicht öfters von diesem phonologischen Prinzip ab, u. a. wegen besagter Regel der Analogie. Trotz der stimmlosen Aussprache [t] ist zum Beispiel ein in paard (‚Pferd‘) zu schreiben, analog der Pluralform paarden mit stimmhaftem [d]. Die VWS forderte in solchen Fällen dagegen eine Buchstabierung wie paart mit dem Graphem , das den [t]-Laut repräsentiert. Eine von den Behörden eingesetzte Kommission, der J.H. Wesselings und Willem Pée (1903– 1986, Ordinarius niederländische Sprachwissenschaft an der Universität Gent) angehörten, formulierte daraufhin 1967 weitgehende Reformvorschläge, die gar zu einer Buchstabierung wie hij vind (‚er findet‘) führte oder beispielsweise zur obligatorischen Wahl der von der Woordenlijst erwähnten Schreibweise likwideren (‚liquidieren‘) statt der bevorzugten Buchstabierung liquideren. Diese vermehrt auf phonologischen Ausgangspunkten beruhende odeklonje-spelling (‚Eau-de-Cologne-Orthografie‘) erhielt in den Medien auffällig viel Aufmerksamkeit, das Fernsehen organisierte sogar eine Debatte über die Rechtschreibung. Die neuen Vorschläge stiessen auf beachtlichen Widerstand, u. a. von Schriftstellern wie Remco Campert, Simon Carmiggelt, Willem Frederik Hermans oder Jan Wolkers. Überarbeitungen der Pée-Wesselings-Vorschläge mündeten 1969 in Eindvoorstellen (‚Definitiven Vorschlägen‘) mit u. a. komplexen Neuregelungen für die Rechtschreibung von Fremdwörtern und einer eingreifenden Änderung der Rechtschreibung der Verben. Dass die Obrigkeit die Reform nicht durchführte, ist namentlich Änderungen in der politischen Situation sowie Regierungskrisen in den Niederlanden und Belgien zuzuschreiben. Sie drängten die Problematik der Rechtschreibung in den Hintergrund. Hinzu kam, dass Sachverständige wie der Phonetiker und Utrechter Ordinarius Antonie Cohen (1922–1996) oder der Linguist A. Kraak (1928–2005, Ordinarius an der Universität Nimwegen) es für wünschenswert hielten, die Brauchbarkeit und Lernbarkeit orthografischer Regeln zuerst näher zu erforschen. Zudem bahnte sich mit der Gründung des Vereins Aksiegroep Spellingvereenvoudiging 1972 (‚Aktionsgruppe Vereinfachung der Orthografie 1972‘) eine neue öffentliche Diskussion über die Rechtschreibung an. Weiter stand die Gründung einer supranationalen Behörde, De Nederlandse Taalunie (‚Die niederländische Sprachunion‘) bevor, welche die niederländische Sprache und Kultur zu fördern und auch die Orthografie zu reglementieren hatte. Meinungsunterschiede unter den Mitgliedern der Aksiegroep und ein Verbot der niederländischen Regierung, die von ihr formulierte alternative Orthografie in der Schule anzuwenden, setzten diesen neuen Versuchen, die Rechtschreibung zu vereinfachen, ein Ende. In den immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen über Vereinfachungen der Rechtschreibung führen Linguisten, Journalisten und Schriftsteller die unterschiedlichsten gesellschaftlichen, pädagogischen und sprachwissenschaftlichen Argumente ins Feld, wie der folgenden bescheidenen Auslese aus Stellungnahmen zur Orthografie zu entnehmen ist. Sie stammen aus einer willkürlich gewählten älteren Quelle, einem Heft, das De Gids 1972 zur Rechtschreibung veröffentlichte.

386

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

So stellt Cornelis Ferdinand Petrus Stutterheim (1903–1991, Ordinarius für niederländische Sprachwissenschaft an der Universiteit Leiden) fest, dass man der Frage der Orthografie, die mancher Sachverständige als ‚Scheinproblem‘ abtut (Hamans 1972, 233), zu viel Bedeutung beimisst. Stutterheim hält die Streitereien über Rechtschreibreformen gar für eine Krankheit, orthografitis, die er, verglichen mit den gesellschaftlichen Problemen seiner Zeit als grotesk einstuft (Stutterheim 1972, 193). Ähnlich folgert der Literaturwissenschaftler Garmt Stuiveling (1907–1985, Ordinarius an der Gemeente Universiteit Amsterdam): Een volk dat geen weg weet met problemen als woningnood en milieubederf, moest zich schamen als het zich drukt maakt over een paar lettters min of meer. (Stuiveling 1972, 180) (‚Ein Volk, das keine Lösung für Wohnungsnot oder Umweltzerstörung findet, sollte sich schämen, wenn es sich über die Frage aufregt, ob einige Buchstaben weniger oder mehr zu schreiben sind.‘) Er wehrt sich gegen eine Vereinfachung der Orthografie, weil eine Änderung der konventionellen Orthografie die den Sprachteilnehmern vertrauten Erscheinungsformen der Wörter antasten würde: Het maatschappelijk belang van een vast woordbeeld brengt het eigenmachtig toepassen van de vereenvaudigde spelling in de buurt van asociaal gedrag. (Stuiveling 1972, 180) (‚Das gesellschaftliche Interesse an festen, vertrauten Wortbildern in der Rechtschreibung stempelt eine eigenmächtige Anwendung einer vereinfachten [vereenvaudigde ist vereinfacht mit statt mit buchstabiert] Orthografie fast als eine asoziale Verhaltensweise ab.‘) Wie die Verfasser der Woordenlijst möchte Stuiveling die ‚fremde‘ Rechtschreibung von Lehnwörtern möglichst lange beibehalten, um ihre Verwendung zu erschweren. Schulmeisterhaft rät er davon ab, bastaardwoorden (‚mehr oder weniger ans Niederländische angepasste Fremdwörter‘) zu gebrauchen: Bastaardwoorden moeten zo lang mogelijk vreemd worden gespeld, omdat het stilistisch gewenst is ze zo min mogelijk te gebruiken. (Stuiveling 1972, 180) (‚Fremdwörter müssen möglichst lange fremd buchstabiert werden, weil es stilistisch erwünscht ist, sie möglichst wenig zu gebrauchen.‘)

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

387

Auch der Schriftsteller Willem Frederik Hermans (vgl. 4.1.2.3.3) hält wenig von einer Reform der Rechtschreibung, die Sprachteilhaber ohnehin bereits gelernt haben und offenbar in der Regel mühelos anwenden können (Hermans 1972, 194 ff). Wer alle fünfzehn Jahre die Rechtschreibregeln ändere, mache die einheitliche Orthografie grösstenteils zunnichte. Der Mehrheit der Engländer oder Franzosen würde es denn auch nicht einfallen, die Orthografie ihrer Sprache zu ändern, es wäre dem Entfachen des Louvre oder des Britischen Museums gleichzusetzen: De spelling van het Frans of het Engels veranderen zou net zo iets zijn als het Louvre en het Brits Museum in brand steken. (Hermans 1972, 196) Laut Hermans führen Rechtschreibreformen zur mummificatie (‚Mumifizierung‘) der bestehenden Bücher, sie anzupassen und neu herausgegeben koste Milliarden, die niemand investieren würde. Dennoch erwartet er, dass sich Rechtschreibreformen nicht verhindern lassen. Damit sollte er Recht bekommen, siehe weiter unten. Die Interessen der Schüler haben für die Schriftstellerin und Historikerin Annie Romein-Verschoor (1895–1978) in Diskussionen über die Orthografie den Vorrang (Romein-Verschoor 1972, 204 ff). Es besteht laut ihr ein Bedarf an geschulten Intellektuellen, die Jugend braucht daher eine rationale Rechtschreibung, die von fähigen Philologen und Pädagogen festzulegen ist. Auch die Befürwörter der Aktionsgruppe hatten sich auf pädagogische Motive berufen, um die Orthografie zu vereinfachen. Sie bereite jedem Schüler unnötig Schwierigkeiten, allerdings seien Kinder aus sozial weniger privilegierten Familien davon am meisten betroffen (vgl. Van der Velde 1969/70). Eine Rechtschreibreform würde die Erziehung ‚demokratisieren‘ und Kindern sämtlicher Bevölkerungsgruppen gleiche Chancen auf eine erfolgreiche Ausbildung bieten. Wenn Schüler mit einem geringeren Bildungsstand aber schreiben, wie sie sprechen, ist zu bedenken, dass sich soziale Unterschiede in der Verwendung ihrer Sprache beziehungsweise etwaiige Rückstände in ihrer Ausbildung erst recht zeigen (Hamans 1972, 235). Eine Reform wirke daher zu ihrem Nachteil. Um Diskriminierung zu bekämpfen, sei nicht die Orthografie, sondern die Gesellschaft zu ändern, wie auch Mulisch folgert: Daarom moet niet zozeer de spelling maar de samenleving veranderd worden. (Mulisch 1972, 42) Der viel gelesene Schriftsteller kann der Unklarheit der Orthografieregeln seiner Zeit, mit einerseits bevorzugten, andererseits zugelassenen Schreibweisen immerhin einen Vorteil abgewinnen. Das bestehende ‚orthografische Chaos‘ bedeute nämlich auch Freiheit: Wij bevinden ons in een orthografische chaos. Maar men kan natuurlijk ook zeggen: wij zijn vrij. Mijn voorstel is om de anarchistische spellingsituatie, die wij op het ogenblik hebben, te kontinueren. Geen taal ter wereld kan zich op zoiets beroemen. Wij mogen schrijven

388

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

rhythme, rythme en ritme; enthousiasme, entousiasme, entoesiasme en entoeziasme. Waar vindt men zoiets nog? Laten wij van onze zwakheid onze kracht maken. (Mulisch 1972, 76–77) (‚Wir befinden uns in einem orthografischen Chaos. Aber man kann natürlich auch sagen: wir sind frei. Es ist daher mein Vorschlag, den anarchistischen Zustand der Rechtschreibung, den wir zur Zeit erleben, zu kontinuieren. Keine Sprache in der Welt kann sich mit so etwas brüsten. Wir dürfen schreiben rhythme (‚Rhythmus‘), rythme und ritme; enthousiasme (‚Enthusiasmus‘), entousiasme, entoesiasme und entoeziasme. Wo findet man so etwas noch? Lassen wir aus unserer Schwäche unsere Kraft machen.‘) Mehr als zwei Jahrzehnte später löste die Orthografie erneut heftige öffentliche Diskussionen aus, als durchsickerte, dass Guido Geerts (1935, Ordinarius niederländische Sprachwissenschaft Universität Löwen) im Auftrag der Obrigkeit mit einer Kommission eine Vereinfachung der Rechtschreibung vorbereitete. Diese sah eingreifende Modernisierungen mit beispielsweise Schreibweisen wie sjokolade (‚Schokolade‘) statt chokolade oder ginekoloog (‚Gynäkologe‘) statt gynaecoloog vor. Unter Druck der Öffentlichkeit wiesen die verantwortlichen Minister Flanderns und der Niederlande diese Vorschläge aber hastig zurück. Stattdessen legten sie Leitfäden für eine gemässigte Anpassung der Orthografie fest. Diese führten 1995 zur dritten Rechtschreibreform in der Geschichte des Niederländischen, die ein Jahr später eingeführt wurde. Mit der Veröffentlichung der dazugehörenden neuen Wörterliste entbrannte der Streit über die Orthografie erneut, obschon die Anpassungen nur in geringem Ausmass das vertraute Wortbild der Sprachanwender antasteten. So beseitigt das neue groene boekje zwar die bis dahin erlaubte Wahl aus Schreibweisen von Lehnwörtern, es behält aber abgesehen von einigen Dutzend Ausnahmen die von vielen bereits benutzte voorkeurspelling (‚bevorzugte Orthografie‘) bei. Übrigens bleiben einige Typen von Doppelformen wohl bestehen, vgl. mais (‚Mais‘) und maïs, shockeren (‚schockieren‘) und choqueren oder expliceren (‚explizieren‘) und expliqueren. Viel Aufregung in der Presse verursachte die neue Regelung des Fugen-n, das in der mündlichen Kommunikation häufig nicht ausgesprochen wird. Bis anhin galt als Faustregel, dass in Komposita ein Fugen-n zu schreiben war, wenn der erste Wortteil den Gedanken an eine Mehrzahl aufruft. Deswegen enthält brillenwinkel (‚Brillengeschäft‘) ein Fugen-n im Gegensatz zu brillekoker (‚Brillenetui‘). Sodann war ein Fugen-n vorgeschrieben in Komposita, wenn der erste Teil ein Personenname ist und sich nicht auf eine weibliche Person bezieht, vgl. heldendaad (‚Heldentat‘). Die neuen Regeln für das Fugen-n, die bei den Sprachgebrauchern einige linguistische Kenntnisse voraussetzen, stellen sich als recht kompliziert heraus. Ein ist in Komposita zu schreiben, wenn der erste Teil aus einem Substantiv besteht, das auf -en endet, vgl. keukendeur (‚Küchentür‘). Weiter ist das Fugen-n obligatorisch, wenn der erste Teil einer Zusammensetzung ein Substantiv ist, das als einzige Pluralform eine -en-Beugung kennt, vgl. krantenartikel

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

389

(‚Zeitungsartikel‘). In der Folge ist gemeentepersoneel (‚Gemeindepersonal‘) ohne eingefügtes zu schreiben, weil gemeente im Plur. sowohl mit der Endung -n wie -s vorkommt. In spinnewiel (‚Spinnrad‘) ist ebenfalls auf zu verzichten, weil spinne eine ‚kürzere Form‘ des Verbs spinnen (‚spinnen‘) ist. Fünf Kategorien von Ausnahmen erschweren die Anwendung der angeführten Regeln. So ist beispielsweise zonneschijn (‚Sonnenschein‘) zu schreiben, da die Sonne ,einzig in ihrer Art‘ wäre. Auch in reuzeleuk (buchstäblich ‚Riesen-lustig‘ in der Bedeutung von ‚toll‘) ist auf zu verzichten, da es sich um eine Steigerung eines Adjektivs handelt, die eine Vergleichung einschliessen würde. Dagegen muss man huizenhoog (buchstäblich ‚Häuser-hoch‘ in der Bedeutung von ‚himmelhoch‘) mit schreiben, weil die linke Entität laut der wenig exakten Erklärung een soort eenheid aangeeft: zoveel huizen hoog (‚eine Art Einheit bezeichnet: so viele Häuser hoch‘). Hingegen wird ruggespraak (‚Rücksprache‘) ohne Fugen-n buchstabiert, weil der erste Teil als ‚versteinert‘ einzustufen ist. Übrigens kann rugge in ruggespraak aus terug (‚zurück‘) entstanden sein; in diesem Fall steht die zitierte Regel, die sich auf Substantive bezieht, nicht einmal zur Diskussion. Die wenigen Beispiele zeigen, dass derartige Regeln sich nicht selten schwer interpretieren lassen. Sie machten es den Sprachteilhabern schwer, fehlerfrei zu schreiben, und stiessen bei der Einführung vielerseits auf Ablehnung. Nicht ohne Grund empfanden Kritiker die Rechtschreibung von zielenpiet (‚armer Tropf‘) an Stelle von zielepiet als wirklichkeitsfremd, manchem Journalisten passte es nicht, den geliebten pannekoek (‚Pfannkuchen‘) künftig als pannenkoek schreiben zu müssen. Die erste Auflage der Woordenlijst 1995, die zirka 110.000 Wörter umfasst, wies viele Dutzende Ungenauigkeiten und Inkonsequenzen auf, die in späteren Auflagen grösstenteils behoben wurden (vgl. Daniels et al. 1996). Dennoch kannte die Liste einen bemerkenswerten Absatz, innert einigen Monaten wurden 500.000 Exemplare dieses groene boekje, das immerhin stolze 39,90 Gulden kostete, verkauft. Offenbar möchte man Rechtschreibfehler in der schriftlichen Kommunikation vermeiden. Zudem scheinen nicht wenige Niederländer und Belgier sich für die Orthografie des AN zu interessieren. So schaut sich jeweils ein Millionenpublikum Het Groot Dictee der Nederlandse Taal (‚Das grosse Diktat der niederländischen Sprache‘) an, das das Fernsehen jedes Jahr aus dem Parlamentsgebäude überträgt (vgl. Abb. VIII). Die Taalunie hatte angekündigt, die Wörterliste alle zehn Jahre lediglich zu aktualisieren, ohne die Regeln der Orthografie zu ändern. Dennoch passte sie in der 2005 erschienenen Ausgabe der Woordenlijst Einzelheiten in den Vorschriften zum Fugen-n an und änderte die Regeln zum Zusammenschreiben von Wörtern sowie zur Grossschreibung. So ist Zuidafrikaans (‚Südafrikaans‘) als Zuid-Afrikaans zu schreiben. Mehrere Medien weigerten sich anfänglich, die neuesten Regeln zu befolgen, der Verein Het Genootschap Onze Taal (‚Die Gesellschaft Unsere Sprache‘) veröffentlichte 2006 gar eine eigene Spellingwijzer (‚Handbuch zur Rechtschreibung‘), das sogenannte witte boekje (‚weisse Büchlein‘). Mit u. a. einer lockeren Regelung des Fugen-n wurde sie den sprachlichen Entwicklungen des Niederländischen, die sich durch Verlust von Flexionsmerkmalen kennzeichnen, wohl mehr gerecht als die offizielle Orthografie.

390

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Die 2015 erschienene Woordenlijst, die über 50.000 Wörter umfasst, enthält um die 10.000 neue Wörter, wozu beispielsweise chillen (‚sich entspannen‘) oder selfie (‚Selfie‘) zählen. Sodann stehen in der Liste zirka 2500 Wörter, die in Surinam gebraucht werden, so zum Beispiel okselmouw (‚T-Shirt ohne Ärmel‘) und ungefähr 400 auf den Antillen gebräuchliche Ausdrücke, so dushi (‚süss‘, ‚Schätzchen‘). Die frei zugängliche Online-Version der Liste enthält zirka 180.000 Wörter. Die neue Edition der Woordenlijst ist beim gleichen Verlag wie das Standardwörterbuch Van Dale erschienen, das die offizielle Rechtschreibung der Liste berücksichtigt. Damit wird die einheitliche Anwendung der Rechtschreibregel gefördert. Die vom Verein Onze Taal herausgegebe Spellingwijzer Onze Taal (‚Rechtschreibanleitung Unsere Sprache‘) mit 70.000 Wörtern ersetzt das alternative witte boekje. Sie berücksichtigt ebenfalls die offizielle Orthografie der Woordenlijst, erwähnt aber auch diverse Rechtschreibvarianten wie beispielsweise reïntegratie (‚Reintegration‘) statt re-integratie oder naar hartelust (‚nach Herzenslust‘) an Stelle von naar hartenlust. Der Verein hofft mit der Veröffentlichung der eigenen Anleitung zu bewirken, dass Verfasser künftiger Ausgaben der Woordenlijst mehr Spielraum für Nuancen und Zweifelsfälle erhalten. Es fällt auf, wie sich Schwerpunkte in Neuregelungen der Rechtschreibung jeweils verlagern. So widmen die Verfassser der Woordenlijst 1954 zirka 40 % der Einleitung der Problematik Genus (woordgeslacht): voornaamwoordelijke aanduiding; naamvalsvormen (‚Genus [Wortgeschlecht]: Pronominalbezeichnung; Kasusflexionen‘). Dabei handelt es sich insbesondere um Merkmake der Schriftsprache, die für einen Teil der Sprachteilhaber als unnatürlich empfunden wurden. Die Berücksichtigung dieser Thematik scheint in eine Zeit zu passen, in der Formen des geschriebenen und gesprochenen Niederländisch sich immer mehr annäherten. In der Einführung der Woordenlijst 1995 werden Genus, Kasus und Pronominalbezeichnung dagegen gar nicht mehr erwähnt. Lediglich die Erläuterung zum Gebrauch der Liste hält fest, dass nach einem Substantiv das Genus vermerkt wird. Offenbar galt für die Verfasser dieser Auflage des groene boekje die Wahl einer Pronominalbezeichnung nicht als Frage der Rechtschreibung, eine Begründung für die Bestimmung des Wortgeschlechtes wie in der Auflage 1954 hielten sie anscheinend für überflüssig. Auch die Besprechung der Orthografie von Lehnwörtern fällt recht unterschiedlich aus. Der Erklärung der Rechtschreibung englischer Wörter im Niederländischen räumt die Redaktion 1995 neun Seiten ein, in der Auflage 1954 werden sie nicht separat behandelt. Bemerkenswert aus deutscher Sicht sind die Regelung der Grossschreibung und die Kommaregeln. Die Woordenlijst 1954 braucht lediglich zwei Seiten zur Erklärung der Grossschreibung, die für die Sprachteilhaber wohl kaum problematisch war. Dies dürfte nach wie vor der Fall sein, obschon die Ausgabe von 2005 dem gleichen Thema über 17 Seiten widmet. Regeln zur Kommasetzung fehlen in sämtlichen Ausgaben der Woordenlijst: sie scheinen die Verfasser wie die Sprachbenutzer nicht zu kümmern.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

391

4.3.7. Belgien seit dem Zweiten Weltkrieg (1945 – heute) Wie schon der Erste Weltkrieg, so hatte auch der Zweite Weltkrieg die belgische Vaterlandsliebe angestachelt, demokratische Kräfte verdrängten extrem rechte Gruppierungen. Eine Beseitigung der alten politischen Strukturen, die aus der Zwischenkriegszeit stammten, missglückte in Belgien allerdings ebenso wie in den Niederlanden, vgl. 4.3.1. Wohl gestalteten die politischen Parteien, die sich neue Namen zugelegt hatten, ihre Programme um. So setzte sich die katholische CVP vermehrt für soziale Angelegenheiten ein, die Sozialisten, die während des Krieges Kompromisse eingegangen waren, trennten sich als BSP von Gewerkschaften und Krankenkassen. Anfänglich bekamen die Kommunisten, die sich zuvor stark am Widerstand gegen die Besatzung beteiligt hatten, viele Anhänger, in der Epoche des Kalten Krieges verloren sie jedoch an Bedeutung. Dank dem Marshallplan, einer monetären Sanierung und einer bald wieder funktionierenden Industrie erholte sich die belgische Wirtschaft. Ein Pakt der sozialen Solidarität sollte künftig den sozialen Frieden sichern, öffentlich-rechtliche Organisationen ermöglichten die Mitsprache von Arbeitnehmern in Unternehmen. Obschon sich die gesellschaftlichen Strukturen Belgiens so festigten, lösten ideologische Gegensätze bald Streit aus. Künftig sollten während politischen Auseinandersetzungen namentlich flämische katholische Gruppierungen und wallonische antiklerikale Strömungen aneinandergeraten. Die Frage, ob Leopold III. erneut den Thron besteigen sollte, zerriss Ende der Vierzigerjahre das Land. Der CVP, die den König unterstützte, gelang es, dazu ein Referendum abhalten zu lassen, das zu Gunsten Leopolds ausging. Als der König 1950 nach Brüssel zurückkehrte, entstanden allerdings Unruhen, Streiks vergrösserten die Spannungen. Aus Furcht vor einer Revolution gab die Regierung dem Druck nach. Leopold machte ein Jahr später für seinen Sohn Baudouin Platz, der bis 1993 Staatsoberhaupt blieb. Die Königskrise hatte nicht nur das Misstrauen zwischen den politischen Gruppierungen gesteigert, sondern auch die Gegensätze zwischen Flamen und Wallonen verstärkt. Da wie in den Niederlanden eine zunehmende Zahl von Schülern secundair onderwijs (‚Unterricht an der Mittelschule‘) wählte, entstanden für die privaten, zumeist katholischen Lehranstalten finanzielle Probleme. Andererseits mangelte es den öffentlichen Institutionen immer mehr an Infrastruktur. Als die CVP-Regierung die Subventionen der vrije scholen (‚privaten Schulen‘) erhöhte, wuchs der Widerstand der Antiklerikalen gegen die Regierungspolitik. Nach den Wahlen von 1954 reduzierte die neue Regierung, die aus Sozialisten und Liberalen bestand, die finanzielle Unterstützung der privaten Schulen und gründete vermehrt öffentliche Schulen. Diese Massnahmen lösten ihrerseits massive Proteste namentlich der katholischen Bevölkerung und der Kirche aus. Nach neuen Wahlen schlossen die Parteien 1958 einen Schulpakt, der die Freiheit der Schulwahl und gratis Unterricht für jeden gewährleistete. Zehn Jahre später sollte eine ähnliche Regelung für die Hochschule in Kraft treten. Als Benelux-Land schloss sich Belgien internationalen Organisationen wie der EGKS der NATO und der EWG beziehungsweise EU an. Die Hauptstadt Brüssel wuchs als Sitz der Nato und der Europäischen Kommission zu einem Zentrum der internationalen Politik heran. Inzwi-

392

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

schen wurde der Ruf nach Unabhängigkeit in Belgisch Kongo immer lauter. Krawalle in Leopoldstad veranlassten die Regierung, das Land in die Unabhängigkeit zu entlassen, am 30. Juni 1960 wurde die Kolonie ein unabhängiger Staat. Die darauffolgenden Unruhen verlangten übrigens ein vorübergehendes Eingreifen der belgischen Armee. Sodann lief am 1. Juli 1962 das belgische Mandat über die deutschen ostafrikanischen Provinzen Urundi und Rwanda aus. Die Gebiete erhielten ebenfalls die Unabhängigkeit. So erledigten die nachfolgenden Regierungen dringende in- und ausländische Geschäfte, mittlerweile nahm der Wohlstand in den Sechzigerjahren zu. Durch die wachsende Wirtschaft ging die Arbeitslosigkeit zurück. Als sich zudem die Zahl der Grenzgänger verminderte, steigerte sich der Bedarf an Arbeitskräften. Daher schloss die belgische Regierung 1964 Verträge mit der Türkei und Marokko zur Förderung der Immigration von gastarbeiders (‚Gastarbeitern‘). Die Zahl der türkischen Immigranten in Belgien nahm in den Siebziger- und Achtzigerjahren rasch zu, heute stammen über 200.000 Einwohner Belgiens von türkischen Vorfahren. Sodann lebten bereits in den Siebzigerjahren 40.000 Marokkaner in Belgien, heute haben zirka 400.000 Menschen dort einen marokkanischen Ursprung. Zu den umfangreichsten Immigrantengruppen Belgiens zählen gegenwärtig Marokkaner, Italiener, Franzosen und Niederländer. Trotz dem Zustrom von Immigranten hatte sich im letzten Viertel des 20. Jh. das Bevölkerungswachstum stabilisiert. Während des ersten Jahrzehnts des 21. Jh. stieg die Zahl der Einwohner dann mit 10 % auf 11 Millionen an. Von ihnen leben zirka 57 % in Flandern, 33 % in Wallonien und 10 % in der Region Brüssel-Hauptstadt; zirka 75.000 Menschen bevölkern das deutschsprachige Gebiet Belgiens. In den Sechzigerjahren waren auch in Belgien Protestbewegungen aufgekommen, die gesellschaftliche Änderungen bewirken sollten. Eine neue, anti-autoritäre Generation Belgier, die sich namentlich durch amerikanische, französische und niederländische Altersgenossen inspirieren liessen, setzten sich für Frieden, Umwelt sowie Natur ein. Zudem kämpften flämische Studenten namentlich in Löwen für eine bessere Stellung des Niederländischen an der Hochschule. Sodann setzte der 1970 gegründete Bond Beter Leefmilieu (‚Bund Bessere Umwelt‘) die Umweltverschmutzung auf die politische Tagesordnung, Feministinnen machten sich für die eigenen Rechte stark. Es entfaltete sich eine eigene Kultur, Popschallplatten waren ebenso gefragt wie die Comichefte Kuifje (‚Tim und Struppi‘) des Belgiers Hergé (Pseudonym von Georges Prosper Remi 1907–1983). Inzwischen begann die fortschreitende Säkularisierung die Autorität der römisch-katholischen Kirche, welche die Gesellschaft anderthalb Jahrhunderte mit geprägt hatte, zu untergraben. So büssten auch in Belgien die alten gesellschaftlichen Säulen an Einfluss ein. Trotzdem konnten sich, anders als in den Niederlanden, etablierte Interessengruppen national und regional weiterhin behaupten. Während Flandern sich wirtschaftlich durchsetzte, erlitt die wallonische Konjunktur vor allem durch die Probleme im Bergbau und der Stahlindustrie ernste Rückschläge. So verschärften sich nicht nur die kulturellen, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze zwischen den beiden Teilen Belgiens im letzten Viertel des 20. Jh. Flämisch nationalistische Gruppierungen wie die Volksunie (‚Volksunion‘) und

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

393

mittlerweile radikalisierte wallonische Bewegungen wie das Rassemblement Wallon standen sich gegenüber. Nach wie vor strebten die Flamen nach Beseitigung der Volkszählungen, die bestimmten, ob die jeweilige Kommune niederländisch- oder französischsprachig sei, vgl. 4.1.7. Man befürchtete den Verlust von flämischem Gebiet und sorgte sich um die Stellung des Niederländischen in Brüssel. Allerdings fachte die von der Volksunie vorangetriebene Politik, um die Sprachgrenze festzulegen und die Agglomeration Brüssel abzugrenzen, den Unmut unter den Parteien an. In einer Zeit von Unruhen und Studentenprotesten in Europa verlangten die flämischen Interessenten in den Sechzigerjahren die Verniederländischung der zweisprachigen Universität Löwen. Die Forderung der flämischen Studenten Leuven Vlaams (‚Löwen flämisch‘) löste 1968 Krawalle an der Hochschule aus und führte zu heftigen politischen Auseinandersetzungen im ganzen Land. Schliesslich wurde die Hochschule 1970 in die niederländischsprachige KU Leuven und die französischsprachige Université Catholique de Louvain aufgeteilt. Die Verlegung der französischen Abteilung der Universität nach Wallonien schürte die Feindseligkeit zwischen den verschiedenen Faktionen weiter. Es kam zur Spaltung der Christdemokraten in separate flämische und wallonische Parteien; andere politische Parteien folgten diesem Beispiel. Das Verschwinden nationaler politischer Parteien erschwerte die Durchführung einer nationalen Politik seit 1978 erheblich (vgl. Blom et al. 2014, 369), eine weitere Umstrukturierung des belgischen Staates kündigte sich an. Zwar hatte die taalstrijd (‚Sprachstreit‘) die Meinungsunterschiede der einzelnen Gruppierungen früher geschürt, die unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interessen der Regionen bestimmten nun vermehrt die Auseinandersetzungen über die Umstrukturierung des belgischen Staatsgefüges. Bereits 1970 hatten die drei gemeenschappen, die flämische, die französische sowie die deutsche Gemeinschaft weitgehende Befugnisse für eine autonome Kulturpolitik erhalten. Zehn Jahre später wurde das Verfügungsrecht in anderen, namentlich sozialen und wirtschaftlichen Bereichen den gewesten, d. h. den Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel-Hauptstadt übertragen. Schliesslich entstand aus dem Einheitsstaat Belgien ein Bundesstaat, als ab 1993 die Regionen mit autonomen Regierungen und Parlamenten ihre eigene Politik gestalten konnten. Als die belgische Föderation den Regionen 2013 weitere Befugnisse abtrat, war der Staatsgewalt grösstenteils den Regionen übertragen. So kennt der Bundesstaat Belgien neben eine föderale Regierung und einer nationalen Volksvertretung als Ergebnis eines demokratischen Entscheidungsprozesses vier Sprachgebiete, drei Gemeinschaften und drei Regionen. Als Staatsoberhaupt vertritt seit 2013 König Filip (‚Philippe‘) die Gesamtheit der Gemeinschaften und Regionen der belgischen Föderation.

394

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

niederländischsprachig

niederländisch-französischsprachig

französischsprachig

deutschsprachig

Abb. 24: Niederländisch, Französisch und Deutsch in Belgien.

4.3.8. Das überregionale Niederländisch in Belgien Sowohl in den Niederlanden als auch in Flandern hatte eine jahrhundertelange überregionale niederländische Schreibtradition bestanden, die in die Entstehung einer gemeinsamen Schriftsprache mündete. Diese im gesamten Sprachgebiet verwendete schriftliche Form des überregionalen Niederländischen kennt seit dem 19. Jh. eine vereinheitlichte allgemein anerkannte Orthografie. Obschon sich Flamen und Niederländer in der Wahl lexikalischer Elemente und in der Anwendung der Grammatik unterscheiden können, lässt sich die von ihnen verwendete Schriftsprache auf den gemeinsamen Nenner AN bringen. Während im Norden die Verwendung des AN als mündliches Kommunikationsmittel seit Anfang des 20. Jh. sprunghaft zunahm, brauchte es im Süden länger, bis der Gebrauch von gesprochenem AN

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

395

gängig wurde. In grösseren Teilen der Niederlande, namentlich in der Randstad, kommt AN als einzige oder als dominante Sprachvarietät in mündlicher Kommunikation zur Anwendung. In Belgien dagegen besteht in den meisten Regionen eine Koexistenz von AN und dialektischen Varietäten. 4.3.8.1. Konsolidierung des Allgemeinen Niederländischen im Süden Während der ersten Hälfte des 20. Jh. war die Verwendung des gesprochenen AN in Flandern keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Aufschlussreich ist diesbezüglich die Theaterkultur in Flandern. So verfasste Cyriel Buysse sein Theaterstück Het gezin Van Paemel (‚Die Familie Van Paemel‘) beispielsweise in einem flämischen Dialekt, der für Niederländer schwer zu verstehen war: für Aufführungen in den Niederlanden musste der Text 1903 gar ins AN übersetzt werden, vgl. 4.1.2.3.4. Dass der beliebte Theatermacher und Aktivist Jan Oscar de Gruyter in der Zwischenkriegszeit ausdrücklich für die Verwendung von AN auf den flämischen Bühnen warb, zeigt ebenfalls, wie fremd das überregionale Niederländisch im Süden noch war. Bezeichnenderweise gelang es nur in den grösseren Städten Flanderns, Vorstellungen in AN zu spielen, in der Provinz bevorzugten die Schauspieler ein dialektisch gefärbtes Niederländisch, vgl. 4.1.2.3.4. Der auch in den Niederlanden so geschätzte Schriftsteller Willem Elsschot liess seine Manuskripte von der Niederländerin Anna Christina van der Tak, später auch vom niederländischen Schriftsteller Jan Greshoff korrigieren. Übrigens verwendete Elsschot, der die Anliegen der flämischen Bewegung ausdrücklich bejahte und tadellos AN sprach, privat vorzugsweise Antwerpener Dialekt und Französisch. Da eine Mehrheit der Flamen vor dem Zweiten Weltkrieg, noch durch die niederländischbelgische Staatsgrenze von den Niederländern getrennt, kaum Kontakte mit den Mitmenschen im Norden pflegte, bestand nur eine geringere Chance für eine Verbreitung des AN im Süden. Dazu bemerkt C. H. Peeters noch 1930: Vermits wij in Zuid-Nederland in abnormale omstandigheden leven, zoo moeten wij meer dan andere volken speciale middelen te baat nemen. Aldus zullen wij, waar er kans toe bestaat, cursussen in de beschaafde uitspraak, voordrachten daarover bijwonen en kennis trachten te maken met het algemeen beschaafd in den omgang met Noordnederlanders, alsook met ontwikkelde Vlamingen die er door inspanning en studie toe zijn gekomen hun taal te veredelen en te verfijnen. Vergaderingen van spreekgezelschappen, oefeningsavonden van tooneelvereenigingen en voordrachten van goede sprekers kunnen hier en daar als geschikte gelegenheden te baat genomen worden. Nochtans blijft het hooren van algemeen Nederlandsch voor de meesten van ons nog altoos tot de uitzonderingsgevallen. Om onze taal in haar beschaafden vorm te leeren kennen en gebruiken, moeten wij dan wel schier alleen onze toevlucht nemen tot boeken, tijdschriften en couranten. Dat middel is ook het beste dat in ons bereik ligt. (Peeters 1930, XXI)

396

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

(‚Da wir in den südlichen Niederlanden unter abnormalen Umständen leben, müssen wir mehr als andere Völker spezielle Mittel einsetzen. So werden wir, wenn dazu die Chance besteht, Kursen und Vorträgen zur zivilisierten Aussprache beiwohnen. Wir werden versuchen, Bekanntschaft mit der allgemein zivilisierten Sprache zu machen während dem Umgang mit Nordniederländern sowie mit entwickelten Flamen, die durch Anstrengung und Studien erreicht haben, ihre Sprache zu veredeln und zu verfeinern. Zusammenkünfte von Debattier-Vereinen, Übungsabende von Theatervereinen und Vorträge guter Sprecher können hier und da als geeignete Gelegenheiten benutzt werden. Dennoch bleibt das Hören des Allgemeinen Niederländischen für die meisten von uns noch immer der Ausnahmefall. Um unsere Sprache in ihrer zivilisierten Form kennen und gebrauchen zu lernen, müssen wir wohl vornehmlich unsere Zuflucht zu Büchern, Zeitschriften und Zeitungen nehmen. Das Mittel ist auch das beste, das uns zur Verfügung steht.‘) Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. nahm in Flandern die Verwendung von AN in mündlicher Kommunikation rasch zu. Innerhalb einiger Jahrzehnte lernte fast die ganze Bevölkerung AN, das man als neue Sprachvarietät empfand (vgl. Willemyns 2013, 146). Dies erklärt sich in erster Linie wohl mit dem Prestige des AN in Flandern. Früher war Französisch hier für manchen Bürger die Sprache mit dem höchsten Ansehen gewesen. So hatte die Beherrschung und Verwendung des Französischen für flämische Dialektsprecher bessere Aussichten auf einen sozialen Aufstieg geboten als die eigene Sprache. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte das AN, das gerade als Kultursprache in den Augen der Flamen ein vergleichbares Prestige besass, Französisch in den niederländischsprachigen Teilen Belgiens zunehmend und mit Erfolg Konkurrenz. Die gemeinsamen Anstrengungen von Journalisten, Linguisten, Politikern, Lehrern, Radio- und Fernsehmoderatoren, aber auch die spontanen Aktionen von Schülern zur Förderung des AN stärkten das Streben der flämischen Bewegung nach einer besseren Stellung der Flamen und des Niederländischen. In formellen Kommunikationssituationen war es nun vermehrt erwünscht, statt Französisch oder Dialekt ein gepflegtes Niederländisch zu sprechen. AN war gefragt. Dies macht es begreiflich, weshalb Zeitungsglossen, aber auch Bücher zur niederländischen Sprache immer wieder grosses Interesse weckten, oder dass Radio- und Fernsehprogramme, die das Niederländisch thematisieren, seit vielen Jahrzehnten beliebt sind. Dank den unterschiedlichsten privaten Initiativen lernte die Bevölkerung das AN besser kennen und beherrschen. So behandelten taaltuiners (‚Sprachgärtner‘) die unterschiedlichsten Sprachprobleme in Zeitungsrubriken. Seit Anfang der Fünfzigerjahre machten es sich Jugendliche wie eine Art ‚Pfadfinder der Sprache‘ zur Ehrensache, nicht nur in der Schule, sondern auch anderswo einwandfreies AN zu sprechen. Solche ABN-kernen versuchten so, als sie op de letter praatten (‚den Buchstaben getreu redeten‘), ihre Umgebung mit der Kultursprache vertraut zu machen. Förderer des AN konnten aber auch in Zügen erscheinen, um die Pendler auf verspielte Art und Weise für das überregionale Niederländisch zu gewinnen. Eine nächste Generation, insbesondere Kinder von Eltern, die sich um die Sprache bemüht hatten, lernte zu Hause AN zu verwenden.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

397

Über ein halbes Jahrhundert leisten zudem die flämischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit ihrer aktiven Sprachpolitik bedeutende Beiträge zur Pflege des gesprochenen AN in Belgien. Um die Verwendung einer dialektfreien Sprache zu gewährleisten, engagierte schon die BRT den niederländischen Linguisten P.C. Paardekooper als Ratgeber in sprachlichen Angelegenheiten. Zudem nahm der belgische Rundfunk eine niederländische Moderatorin, Annemarie Coebergh, in Dienst. Nach wie vor achtet ein Sprachspezialist der VRT darauf, dass man ein attraktives, deutliches und fehlerfreies AN in den Sendungen verwendet. Übrigens haben auch von niederländischen Rundfunkgesellschaften ausgestrahlte Sendungen immer wieder AN in Flandern vermittelt. In den Sechziger- und Siebzigerjahren sah sich ein Viertel der flämischen Bevölkerung täglich niederländische Fernsehprogramme an. Spezielle Programme im Radio und Fernsehen haben seit Jahrzehnten die niederländische Sprache zum Gegenstand. Bereits Anfang der Sechzigerjahre widmete sich Leo Sommers in seinem fünf Minuten dauernden Fernsehprogramm Nederlandse taal (‚Niederländische Sprache‘) der Aussprache des AN. Später vermittelte das verspieltere Klankbord (‚Resonanz‘) allerhand Informationen und Ratschläge zur Verwendung des AN. Die Gestalter solcher Programme beabsichtigten, vermehrt Sympathie für das gepflegte überregionale Niederländisch zu wecken. Nach ihrer Meinung konnte ein zivilisiertes Land nicht auf eine Kultursprache verzichten. Allerdings kamen in den Sendungen auch Dialektsprecher zu Wort, denn ihre Sprache verdiente nach wie vor Respekt. Kürzere Programme zur besten Sendezeit vermittelten daher nicht nur AN, sondern machten den Zuschauern auch klar, dass Dialekte beziehungsweise unterschiedliche Sprachregister Daseinsberechtigung hatten. Auch im Hörfunk behandelten Linguisten Sprachfehler und erläuterten das AN, so Marc Galle in seinem Programm Voor wie taal geweld aandoet (‚Für jene, die der Sprache Gewalt antun‘). Bis heute sind Programme wie Tien voor Taal (‚Die höchste Note für Sprache‘) sowie die Fernsehübertragungen des jährlich im niederländischen Parlamentsgebäude durchgeführten Groot Dictee der Nederlandse Taal (‚Grossen Diktat der niederländischen Sprache‘ vgl. 4.3.6.) beliebt. Der belehrende Charakter mancher flämischen Programme zum AN geht aus folgender Beschreibung Jeroen Brouwersʾ hervor: Fons Fraeters sprak: Het is embettant dat ik nog steeds geen plaats heb en iedere dag moet gaan doppen. Hierop kwam de professor [J. Florquin] in beeld en signaleerde drie fouten, bovendien drie soorten fouten, die Fraeters in één zin tegen het Nederlands had begaan. Ja Fons, zei de hoogleraar, ik kan mij voorstellen dat dat erg vervelend, erg naar, erg onaangenaam, erg beroerd is. Embettant is een Frans woord. ‚Embêtant‘, nietwaar? ‚Ça mʾembête‘: dat vind ik vervelend. Embettant is een voorbeeld van een onvertaald uit het Frans overgenomen en op zijn Vlaams uitgesproken woord. Dat het erg vervelend is dat je nog geen betrekking, geen baan hebt. ‚Plaats‘ is in dit geval geen Nederlands. Het is de klakkeloze vertaling van het Franse ‚place‘ ‚la place‘, de betrekking. Dat het erg vervelend is dat je nog geen betrekking hebt en iedere dag moet gaan stempelen. ‚Doppen‘ staat weliswaar in Van Dale, maar wordt

398

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

daarin aangeduid als ‚Zuidnederlands‘, het is een voorbeeld van een Vlaams-Nederlands woord, dat afwijkt van het boven onze noordergrens gesproken Nederlands. (Brouwers 1975, 69) (‚Fons Fraeter sprach: Es ist embettant [langweilig] dass ich noch immer keine plaats [Stelle] habe und jeden Tag doppen [stempeln gehen] muss. Darauf erschien der Professor im Bild und signalisierte drei Fehler, zudem drei Sorten von Niederländisch-Fehlern, die Fraeters in einem Satz begangen hatte. Ja Fons, sagte der Hochschullehrer, ich kann mir vorstellen, dass es sehr mühsam, sehr eklig, sehr unangenehm, sehr elend ist. Embettant ist ein französisches Wort. „Embêtant“, nicht wahr? „Ça mʾembête“, das finde ich mühsam. Embettant ist ein Beispiel eines nicht-übersetzten, dem Französischen entnommenen und flämisch ausgesprochenen Wortes. Dass es sehr mühsam ist, dass du noch keine Stelle, keinen Arbeitsplatz hast. „Plaats“ ist in diesem Fall kein Niederländisch. Es ist die kritiklose Übersetzung des französischen „place“, „la place“, die Stelle. Dass es sehr mühsam ist, dass du noch keine Stelle hast und jeden Tag stempeln musst. „Doppen“ steht zwar in Van Dale, aber es wird darin als „südniederländisch“ bezeichnet, es ist ein Beispiel eines flämisch-niederländischen Wortes, das vom Niederländischen abweicht, das nördlich unserer Grenze gesprochen wird.‘) Die zahllosen Anstrengungen, die Bevölkerung vermehrt mit dem AN bekannt zu machen, zeigten laut dem Sprachhistoriker Jan Goossens (Emeritus Universitäten Löwen und Münster) bald Resultate. 1970 stellte er fest: Het werk van de ‚taaltuiniers‘ in de dagbladpers, in radio en televisie werpt zienderogen vruchten af. De kwaliteit van het Nederlands in het onderwijs wordt beter. De invloed van de ‚Vereniging voor Beschaafde Omgangstaal‘ wordt steeds groter. (Goossens 1970, 54) (‚Die Arbeit der „Sprachgärtner“ in der Tagespresse, im Hörfunk und im Fernsehen wirft zusehends Erträge ab. Die Qualität des Niederländischen an der Schule wird besser. Der Einfluss des Vereins „Verein für zivilisierte Alltagssprache“ wird immer grösser.‘) Inzwischen wurde an der Grundschule der onvoorstelbare rommel van schoolboekjes (‚entsetzliche Plunder an Schulbüchlein‘, Goossens 1970, 54) beseitigt, die die Schüler Hunderte Sprachfehler und Abweichungen der niederländischen Kultursprache lehrten. Zwar war eine weitere Förderung des AN nach wie vor nötig, dennoch liessen sich die Ergebnisse der vielen Anstrengungen für eine verbesserte Verwendung des überregionalen Niederländisch immer deutlicher feststellen. Willemyns hält fest, dass die meisten jungen Menschen und die meisten Bewohner der zentralen Regionen Flanderns heute vom Dialekt weggekommen sind (Willemyns 2013, 159). Wohl werden sie in informellen Kommunikationssituationen je nach Region nach wie vor

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

399

auch lokale beziehungsweise südlich gefärbte Sprachvarietäten verwenden. Wie beliebt diese sind, geht beispielsweise aus der Sprachpolitik der kommerziellen Funkanstalten hervor. Kommerzielle flämische Sender zögern nicht, Dialekte und südliche Sprachvarietäten in ihren Programmen zuzulassen. Diese erfolgreiche Politik zeigt, wie beliebt südliche Formen des Niederländischen in Belgien sind. Sogar die VRT, die sich immer für das AN einsetzt, erlaubt seit der 1998 eingeführten neuen Regelung zur Verwendung des AN eine ‚flämische Artikulation‘ des AN. Auch dürfen einheimische Ausdrücke für lokale Institutionen verwendet werden. Sodann steht es den Mitarbeitern frei, geflügelte Worte und lexikalische Elemente zu wählen, die Van Dale als BE (‚Belgisch Niederländisch‘) markiert. Diese Politik entspricht der Auffasung, dass das AN der Randstad nicht ohne Weiteres als Massstab für die Qualität des AN im gesamten Sprachgebiet zu gelten hat. Zudem werden, wie zuvor schon in den niederländischen Medien, vermehrt informelle Formen des AN im flämischen Radio und Fernsehen gebraucht. Dies obschon im gesamten Sprachgebiet, so in Flandern, nicht nur Linguisten und Schriftsteller, sondern auch Journalisten das in den Niederlanden verwendete AN immer als musterhafte Sprachvarietät des überregionalen Niederländischen aufgefasst haben. Übrigens gilt dies nicht uneingeschränkt für die niederländische Aussprache des AN. Bereits in der Mitte des 19. Jh. hatten die Integrationisten die Verbreitung der nördlichen Sprachvarietät in Belgien gefördert, vgl. 3.4.3.2. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es, die Bevölkerung zu stimulieren, sich die im Norden verwendete Sprachvarietät des Niederländischen vermehrt anzueignen. Dass mancher flämische Schriftsteller sein Manuskript von einem niederländischen Lektor korrigieren liess, zeigt, wie sehr das nördliche AN als Norm galt. Die Tradition, das nördliche AN als Richtschnur zu wählen, macht es verständlich, dass Unterschiede zwischen Formen des AN in den verschiedenen Regionen in der Regel als Abweichungen des in den Niederlanden verwendeten AN beschrieben wurden. So stuft C.H. Peeters in seinem umfangreichen Nederlandsche taalgids, woordenboek van Belgicismen 1930 über 13.000 in Belgien verwendete Wörter und Ausdrücke als Belgicismen, d. h. als belgische Abweichungen des im Norden gebräuchlichen Niederländisch ein. Auch heute markiert das Standardwerk Van Dales die im Süden vorkommenden lexikalischen Elemente als BE (‚Belgisch Niederländisch‘). Umgekehrt werden in der neuesten Auflage spezifisch nördliche Varianten wie gein (‚Spass‘) oder pinpas (‚Bankpass‘) zum ersten Mal als NL bezeichnet. Die Markierung regionaler Unterschiede ist allerdings nicht unproblematisch. So stuft Van Dale goesting (‚Lust‘) als Belgisch Niederländisch ein und erklärt dieses Substantiv u. a. mit ieder zijn goesting (‚jeder nach seinem Geschmack‘). Da bei der Entsprechung ieder zijn meug eine Markierung fehlt, lässt das Wörterbuch den Benützer im Ungewissen, ob diese Redewendung sowohl im Norden wie im Süden oder nur im Norden gängig ist. Für die vorhandene markante ‚südliche‘ Aussprache des AN in Belgien bestehen verschiedene Erklärungen. So seien Flamen, die erst in der Grundschule AN gelernt haben, wenig vertraut mit der Verwendung des AN. Tatsächlich gibt es Kinder, die zu Hause eine regionale Sprachvarietät statt AN sprechen: für 15 % der jugendlichen Grundschüler und für 10 % der Schüler der Mittelschule ist AN nicht die Sprache, die sie in der Familie benutzen (Smet 2011, 3). Wenn Flamen zudem weniger frequent in AN als in lokalen Sprachvarietäten kommunizieren, seien sie

400

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

unsicher in einer angemessenen Aussprache des AN (vgl. De Vries 1980, 228). Die Unsicherheit würde sie veranlassen, sich extra Mühe bei der Aussprache des AN zu geben, was eine ‚übertrieben sorgfältige‘ Artikulation zu Folge habe (Smakman 2006, 34). Dass sich in Flandern eine südliche Aussprache etablierte, kann aber ebenfalls mit einem gestiegenen Bewusstsein einer eigenen Sprachnorm zusammenhängen (Cassier et al. 1986, Taeldeman 1993). Zu bedenken ist, dass flämische Persönlichkeiten, so Edgard Blanquart, bereits in den Dreissigerjahren die im Süden gängige, gepflegte Aussprache des AN befürworteten. Dazu sollten sich die Benutzer seiner Practische Uitspraakleer (‚Praktische Aussprachelehre‘) sogar Schallplatten mit Übungen beschaffen, die von ‚zivilisiert sprechenden Flamen‘ eingesprochen waren (Blanquart 1934). Zwanzig Jahre später beanstandete Jan Lodewijk Pauwels als Ordinarius an der Universität Löwen die gemeenzaame Hollandse praattaal (‚gemeine holländische Umgangssprache‘) als eine Sprache mit fouten tegen de normen die wij in eer houden (‚Fehlern gegen Normen, die wir respektieren‘, Pauwels 1954, 2–3). Eine solche Attitude zur niederländischen Artikulation des AN ist nach wie vorhanden. Dazu hält Taeldeman fest: Vlamingen zullen er met geen stokken toe te bewegen zijn om over te schakelen op een Noordnederlandse uitspraak. (Taeldeman 1993, 24) (‚Flamen sind durch keine zehn Pferde dazu zu bewegen, auf eine nordniederländische Aussprache umzuschalten,‘) Polemischer noch meint K. Deprez dazu: spreken zoals het botste volk ter wereld, daar voelen de meeste Vlamingen dus niets voor (‚sprechen wie das gröbste Volk der Welt mögen die Flamen denn auch überhaupt nicht‘, Deprez 1987, 767). Neben dem AN ist in Belgien eine tussentaal‚ ,Zwischensprache‘ (‚interlinguage‘) entstanden, die vom Journalisten Geert van Istendael den Namen Verkavelingsvlaams erhielt. Laut ihm würde man es namentlich in verkavelde (‚parzellierten‘) Vororten der Grossstädte sprechen. Es handelt sich dabei um dialektisch gefärbte Formen des Niederländischen, die sich weder als spezifische Dialekte noch als AN einordnen lassen. Statt Dialekt oder AN verwenden Flamen dieses schoonvlaams vermehrt in informellen Kommunikationssituationen. Möglicherweise stellt diese ‚Zwischensprache‘ die Vorstufe einer Umschaltung auf eine Form eines belgischen überregionalen Niederländisch dar (vgl. Van der Wal et al. 2008, 433). Zu den Merkmalen dieser flämischen Sprachvarietät zählt u. a.: die lautliche Reduktion in Wörtern wie da (‚dass‘) statt dat, goe (‚gut‘) statt goed oder nie statt niet; die Anrede mit ge oder gij; die Verwendung von ʾm als Subjekt; Flexionsformen wie -en, -n oder ne, vgl. elken dag (‚jeder Tag‘) statt elke dag oder ne slimmen hond (‚ein kluger Hund‘) statt een slimmme hond ; eine doppelte Verneinung wie nooit nie in dat doen we nooit nie (‚das tun wir nie‘, vgl. Van der Wal et al. 2008, 433 ff). Auf eine systematische Beschreibung der Merkmale solcher Sprachvarietäten ist in diesem Rahmen zu verzichten.

VII Gerrit Kouwenaar, Goede morgen haan, Zeichnung von Constant Nieuwenhuys

VIII Grosses Diktat der niederländischen Sprache im Saal der ersten Kammer, Den Haag.

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

401

Inzwischen darf man nicht vergessen, dass inbesondere seit 1945 eine stark zunehmende Zahl von Belgiern AN in allen Sprachdomänen oder sonst in formellen Kommunikationssituationen verwenden. Das AN, das man im Süden gebraucht, kann sich je nach Sprecher sowohl phonetisch als auch lexikalisch und grammatikalisch vom AN anderer Angehöriger des niederländischen Sprachgebietes unterscheiden. Die folgenden Beispiele sollen davon einen Eindruck vermitteln. 4.3.8.2. Einige Besonderheiten des südlichen Allgemeinen Niederländischen Zu den auffälligsten Merkmalen des in Belgien verwendeten AN sind Besonderheiten der Aussprache zu rechnen, vgl. u. a. Smakman 2006, 34. In einigen Hinsichten artikulieren Flamen das AN denn auch anders als Sprecher, die in den übrigen Regionen des niederländischen Sprachgebietes zu Hause sind. So fällt die Aussprache des /r/ ins Auge. Flamen artikulieren diesen Laut in der Regel als alveolaren Vibrant, während Niederländer eher reduzierte Aussprachevarianten realisieren (Van de Velde 1996, 38). Sodann kennt die niederländische Aussprache der gespannten Vokale eine komplementäre Verteilung einer kurzen und einer langen Artikulation, vgl. kurzes [i] in ziek (‚krank‘) und langes [i:] in dier (‚Tier‘), kurzes [ü] in Utrecht und langes [ü:] in uur (‚Stunde‘), kurzes [u] in boek (‚Buch‘) und langes [u:] in boer (‚Bauer‘). Flamen hingegen sprechen nicht nur vor /r/, sondern manchmal auch in anderen Fällen die langen Varianten (vgl. Goossens 1973, 232). Die langen gespannten Zentralvokale [e.] so in beest (‚Tier‘), [ö.] wie in reus (‚Riese‘) und [o.] so in rook (‚Rauch‘) sind in Flandern Monophthonge, in den Niederlanden werden sie leicht diphthongisch artikuliert. Anders als in der niederländischen Aussprache fällt im Süden [ʌ] wie in put (‚Brunnen‘) nicht mit dem [ǝ] wie in de (‚der‘, ‚die‘) zusammen (Goossens 1973, 232; Van de Velde 1996, 37). Den Unterschied zwischen dem offenen, gespannten kurzen [ɔ] wie in pot (‚Topf‘) und dem eher geschlossenen, gerundeten und ungespannten kurzen [ò] wie in dom (‚dumm‘), der im Norden zu hören war (Cohen et al. 1961, 43), machen Sprecher im Süden nicht. Bei jüngeren niederländischen Sprechern ist dieser Unterschied ebenfalls nicht zu hören (vgl. Mees et al. 1983). Anders als die Niederländer haben Flamen nicht die Neigung, die stimmhaften [v], vgl. [ve.n] veen (‚Moor‘), [z], vgl. [ze.p] zeep (‚Seife‘), [ɣ], vgl. [zєɣǝ] zeggen (‚sagen‘) und [Ʒ], vgl. [r'o.Ʒǝ] roosje (‚Röslein] stimmlos auszusprechen. Übrigens sind im Norden [s] wie in [sαp] sap und [z] sowie [ʃ] wie in [k'αʃǝ] kastje und [Ʒ] allmächlich lautlich zusammengefallen (Mees en al. 1982). Wie die Surinamer, die Antillianen und die Immigranten aus Indonesien (vgl. 4..3.2., 4.3.3., 4.3.4.) sprechen Flamen [w] in der Regel bilabial. Im Norden ist stattdessen eine labiodentale [w] wie in [wa.n] waan (‚Wahn‘) zu hören (Gussenhoven 1992). Nach einem Vokal realisieren Niederländer /w/ allerdings nicht selten auch als ein bilabiales [w] wie in [lew], leeuw (‚Löwe‘, vgl. Cassier et al. 1986). Im Norden ist eine Reduktion des Clusters zu [x] zu beobachten, so in schreien (‚weinen‘), im Süden wird dagegen [sxR] nach wie vor ausgesprochen (Van de Velde 1996, 38). Weiter erwähnt Goossens als Beispiel einer ‚idealen südniederländischen Artikulationsgrundlage‘

402

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

die flämische Aussprache von als [si] in [nasi], natie (‚Nation‘) statt die niederländische Artikulation [tsi], vgl. Goossens 1973, 232. Sodann unterscheidet sich die suprasegmentale Intonation zwischen der Aussprache des AN im Norden und im Süden (vgl. Willemyns 1987, Van de Velde 1996). Das im Süden gebräuchliche AN umfasst spezifisch südliche lexikalische Elemente. So enthält das Idiom Wörter, die exklusiv in Belgien vorkommen. Schwer lässt sich beurteilen, wie gross der Anteil dieser lexikalischen Elemente in der täglichen Kommunikation ist und inwiefern sie das AN im Süden prägen. Einen Grossteil der Zehntausende von Peeters 1930 aufgelisteten Belgizismen kennen Niederländer sicherlich nicht und zählen somit zu dieser Kategorie. Wieviel des von ihm angeführten Idioms verwenden aber jüngere Generationen der Flamen, wenn sie AN sprechen und wie frequent? Zu den ausschliesslich im Süden verwendeten Wörtern zählen Substantive wie kot (‚Zimmer‘) statt kamer, chauffage (‚Heizung‘) statt verwarming oder gazet (‚Zeitung‘) statt krant. Auch wenn Sprecher nur einen Bruchteil dieses lexikalischen Materials gebrauchen, so werden nicht-flämische Sprecher ihr AN übrigens durch eine abweichende Artikulation und die Wahl südlicher Synonyme als flämisch identifizieren. So sind lexikalische Elemente wie zenden (‚schicken‘) oder zoenen (‚küssen‘) zwar im gesamten Sprachgebiet bekannt, sie werden aber eher von Flamen gebraucht. Niederländer bevorzugen Synonyme wie sturen beziehungsweise kussen. Sodann können sprachliche Ausdrücke für gleiche Sachverhalte je nach Region unterschiedliche Konnotationen besitzen. So wirkt das im Süden gängige reeds (‚bereits‘) an Stelle von al im Norden feierlich. Manche Wörter sind zwar im gesamten Sprachgebiet gebräuchlich, haben in Flandern aber eine abweichende Verwendung. So bedeutet kuis (‚keusch‘, ‚sittsam‘,) in Flandern auch ‚proper‘. Das im Norden unbekannte Verb kuisen, das Van Dale als BE markiert, bedeutet dementsprechend ‚putzen‘. Zudem benutzen Flamen eigene Varianten von Redensarten, so zeker en vast (‚ganz bestimmt‘) statt vast en zeker. Dass Flamen ein zum Teil anderes Idiom verwenden als andere Sprecher des Niederländischen, ist nicht nur auf die frühere Isolation des flämischen Sprachgebietes zurückzuführen. Auch die Nachbarschaft des Französischen liess Spuren im Lexikon zurück. So sind in den Niederlanden unbekannte Wörter wie mazout (‚Öl‘) oder camion (‚Lastkraftwagen‘) direkte Entlehnungen aus dem Französischen. Flämische Komposita können ein französisches und ein niederländisches Wort umfassen, vgl. depannagedienst (‚Pannenhilfe‘). Weiter verwenden Flamen niederländisch ausgesprochene französische Wörter, die in den Niederlanden unbekannt sind wie vijs (‚Schraube‘), das im Französischen vis heisst. Ebenso ist vest (‚Jackett‘) die flämische Variante des französischen veste. Übrigens bedeutet vest im nördlichen AN ‚Weste‘. Die Verwendung von nur in Flandern bekannten Purismen und Neologismen zeugt wohl von der Furcht vor der Einflussnahme der romanischen Nachbarsprache auf die eigene Sprache. So bezeichnet man trottoir (AN; ‚Fussweg‘) in Flandern als gaanpad, punaise (AN; ‚Reissnagel‘) als duimspijker, centrifuge (AN; ‚Wäscheschleuder‘) als droogzwierder und stomerij (AN; ‚Reinigung‘) als droogkuis, vgl. eng. drycleaning. Anders als im Norden werden zudem französische Lehnwörter in Flandern niederländisch ausgesprochen und geschrieben, vgl. reklaam (‚Werbung‘) an Stelle von reclame oder kliënteel (‚Kundschaft‘) statt cliëntèle. Auch können

4.3. Das Allgemeine Niederländische der Nachkriegszeit

403

französische Lehnwörter niederländische Silben aufweisen, vgl. bureel (,Büro‘; AN kantoor) statt bureau (AN; ‚Schreibtisch‘, ,Amt‘). Hingegen haben sich in den letzten Jahrzehnten vermehrt im Norden gängige Wörter im Süden eingebürgert, so hardop (AN; ‚laut‘) statt luidop, kwark (AN; ‚Quark‘) statt plattekaas oder gips (AN; ‚Gips‘) statt plaaster. Umgekehrt übernehmen Niederländer auch flämisches Idiom, vgl. von Sportjournalisten verwendete Wörter wie afzien (‚leiden‘), klassieker (‚Klassiker‘) oder vlammen (‚sehr schnell sein‘). Auch in anderen Domänen kommen im Norden flämische Wörter zur Anwendung, vgl. prietpraat (‚Unsinn‘), uitbater (,Pächter‘, ‚Geschäftsführer‘) oder op voorhand (‚im Voraus‘, vgl. Willemyns 2013, 147). Grammatikalisch kann das AN des Südens namentlich in Strukturen verbaler Phrasen Abweichungen aufweisen. So sind in Phrasen mit dreigliedrigen Prädikaten im belgischen AN die folgenden Wortstellungen möglich: (a) dat hij het moet gezegd hebben; (b) dat hij het gezegd moet hebben; (c) dat hij het moet hebben gezegd (‚dass er es gesagt haben muss‘). Im Norden wird (a) als grammtikalisch inkorrekt empfunden, obschon eine derartige Struktur noch in der Schriftsprache des 19. Jh. vorkam. Verbcluster im Nachfeld einer verbalen Struktur sind im AN des Nordens undurchdringlich. So folgt nach dem finiten Verb zou unmittelbar der Infinitiv dromen in dat hij er zelfs nog van zou dromen. (‚dass er sogar noch davon träumen würde‘). Im südlichen AN ist aber auch möglich: dat hij er zelfs nog zou van dromen. Sodann kann sich das AN des Südens grammatikalisch unterscheiden durch die Markierung des Wortgeschlechtes. Sie zeigt sich beispielsweise in der Verwendung von Pronomina. So beziehen sich Sprecher des AN im Süden mit ze (‚sie‘) auf das Substantiv tafel (‚Tisch‘), vgl. schuif ze weg (‚schiebe sie weg‘). Im Norden, wo tafel zur Kategorie der Substantive mit Genus commune zu rechnen ist, verwendet man in diesem Fall hem (ihn). Ähnlich bezieht man sich im Süden mit fem. Pronomina auf das Substantiv muis (‚Maus‘), vgl. ze [die Maus] trachtte te ontsnappen, maar de kat kreeg ze te pakken (‚sie versuchte zu entkommen, aber die Katze schnappte sie‘, vgl. Woordenlijst 1954, X, XI). Literatur zu 4.3.: Anbeek 1999 (b); Appel 1999; Appel 2014; Assink et al. 1985; Van Bakel 1975; Bakker et al. 1977; Balk-Smit Duyzentkunst 2009; Bennis et al. 1991; J. van den Berg 1990; Van den Bergh 1997; Den Besten et al. 2005; Blancquaert 1934; Blancquaert et al. 1925/82; Blok et al. 1977/83; Blom et al. 2014; Blonk et al. 1960/62; Bosatlas 2011; Van Bree et al. 1996; Van Bree et al. 2004; Brouwers 1975; Bundschuh-Van Duikeren 2014; Carlin et al. 2002; Charryet et al. 1983; Daniëls et al. 1996; Debrabandere 2002; Debrabandere 2005; Debrabandere 2007; Deprez 1987; Deprez et al. 1985; Van Donselaar 1989; Erenstein 1996; Geerts 1985; Gobardhan-Rambocus 2007; Goossens 1970; Grondelaers 2015/16; Grondelaers et al. 2011; Grüttemeier et al. 2006; Van Haeringen 1951; Haeseryn et al. 1997; Hinskens 2015; Van der Horst et al. 1999; Janssens et al. 2005; Van Kempen 2003; De Kleine 2007; Kroon et al. 2009; Kruijsen et al. 2010; Lamarcq et al. 1996; De Leeuw 1995; Van Marle 2015; Molewijk 1992; Nortier 2001; Pauwels 1954; Peeters 1930; De Rooij 1987; Rutten 2009; Rijckeboer 2006 (b); Schenkeveld-Van der Dussen 1993; Schneider 1979; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs 2014; Van der Sijs et al. 2009; Stuiveling 1972; Stutterheim 1972; Taeldeman 1993; Van den Toorn 1977; Van den Toorn et al. 1997; Vekeman et al. 1993; Verhoeven 1985; Vervaeck 2011; Vervoorn o.J.; J. de Vries 1987; Willemyns 1987; Willemyns et al. 2003; Wils 2001; Witte et al. 1997; Witte et al. 1998 (a); Witte et al. 1998 (b); Van Zutphen et al. 1994.

404

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit 4.4.1. Presse 4.4.1.1. Sieg der Alliierten, 1. Mai 1945 Die Widerstandszeitung Het Parool meldete den Sieg der Alliierten mit dem folgenden Text: Dinsdag 1 Mei 1945

Nummer 97 (Vijfde Jaargang)

HET PAROOL -vrij onverveerdNAZI-DUITSCHLAND STORT ROEMLOOS INEEN. De legers van onze bondgenooten zegevieren op alle fronten. Berlijn brandt. De Russen en Amerikanen hebben elkaar in Duitschland ontmoet. Duitsche legers geven zich over aan de zegevierende geallieerden. Eindelijk hebben de misdadige Nazi-desperado’s de werkelijkheid moeten aanvaarden. Hun bleef geen andere weg. De balans van hun politiek toont voor het Duitsche volk millioenen dooden en verminkten, een totaal ontredderd land, vernielde fabrieken en bedrijven, deerlijk verwoeste en verbrande steden… De vijand geeft zich over. Voor ons hier in het westen van Nederland schijnt de bevrijding nog even uitgesteld. Enkele weken geleden was het misschien mogelijk geweest de macht der Duitsche bezetters te breken. De met onweerstaanbaar élan oprukkende geallieerde colonnes hadden in samenwerking met de binnenlandsche strijdkrachten een poging kunnen doen den vijand te verpletteren. Het is anders geloopen. Nu echter moet ook hier de bevrijding spoedig volgen. Lambiek Berends, Het Parool 1940 1990. Amsterdam 1990. Übersetzung: Berlin brennt. Die Russen und Amerikaner sind einander in Deutschland begegnet. Deutsche Truppen ergeben sich den siegenden Alliierten. Endlich haben die kriminellen Nazi-Desperados die Wirklichkeit akzeptieren müssen. Ihnen blieb kein anderer Weg. Die Bilanz ihrer Politik für das deutsche Volk: Millionen von Toten und Krüppeln, ein zerrüttetes Land, zerstörte Fabriken und Betriebe, schrecklich zerstörte und verbrannte Städte… Der Feind ergibt sich. Für uns, für uns hier im Westen scheint sich die Befreiung noch kurz zu vertagen. Vor einigen Wochen wäre es vielleicht möglich gewesen, die Macht des deutschen Besatzers zu brechen. Die mit unwiderstehlichem Elan anrückenden alliierten Kolonnen hätten in Zusammenarbeit mit den inländischen Kampftruppen einen Versuch wagen können, um den Feind zu zerschmettern. Es ist anders gekommen. Nun muss aber auch hier die Befreiung bald erfolgen.

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

405

4.4.1.2. Die ‚Königsfrage‘ in Belgien Zur Abdankung des belgischen Königs schrieb Het Vrije Volk: Het Vrije Volk Democratisch-socialistisch dagblad Maandag 16 Juli 1951 Zevende Jaargang Nummer 1878 Leopold nu ambteloos burger Koning Leopold III heeft vandaag afstand gedaan van de troon van België. Nadat hij om negentien minuten over twaalven in de balzaal van het Koninklijk Paleis in Brussel de acte van abdicatie getekend had, was aan zijn zeventienjarig bewind een eind gekomen. De acte werd mede ondertekend door de nu tot koning verheven prins Boudewijn, premier Pholien en de minister van Justitie Moyersoen als notaris van de Kroon. In de balzaal woonden bijna 200 hoogwaardigheidsbekleders de dramatische plechtigheid bij. Er heerste diepe stilte toen de aftredende Koning eerst in het Nederlands en daarna in het Frans verklaarde, dat hij afstand deed omdat het nationale belang dit eist. Zich vervolgens tot zijn zoon en opvolger richtend, zeide hij: „Ik doe op u een beroep het land te dienen en de eer van de dynastie te bewaren, zoals ik het, naar het voorbeeld van mijn vader Albert, heb gedaan“. Aan het slot van zijn verklaring gaf koning Leopold uiting aan de hoop, dat alle Belgen in nationale solidariteit het land een goede toekomst zullen verzekeren en dat zij rondom de nieuwe Koning verenigd zullen blijven. Prins Boudewijn zeide tot zijn vader, dat hij door diens edele woorden ernstig was bewogen en beloofde hem al het mogelijke te doen om een waardige zoon te zijn. Direct daarna ondertekenden beiden de acte van abdicatie. (…) Delpher, Het Vrije Volk. Democratisch-socialistisch dagblad, 6, Nr. 1878, 16/07/1951. Übersetzung: Leopold nun amtloser Bürger Leopold III. hat heute als König von Belgien abgedankt. Nachdem er um neunzehn Minuten nach Zwölf die Akte der Abdankung unterschrieben hatte, war seine siebzehnjährige Regierungszeit beendet. Die Akte wurde mit vom jetzt zum König ausgerufenen Prinzen Baudouin, Ministerpräsident Pholien und Justizminister Moyersoen, Notar der Staatsverwaltung unterschrieben. Im Ballsaal wohnten ungefähr 200 Würdenträger der dramatischen Feierlichkeit bei. Es herrschte tiefe Stille, als der abtretende König zuerst in niederländischer und danach in französischer Sprache erklärte abzudanken, weil das nationale Interesse dies verlange. Als er sich anschliessend an seinen Sohn und Nachfolger richtete, sagte er: ‚Ich rufe Sie dazu auf,

406

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

dem Land zu dienen und die Ehre der Dynastie zu bewahren, wie ich dies nach dem Beispiel meines Vaters Albert getan habe.‘ Am Schluss seiner Erklärung äusserte König Leopold die Hoffnung, dass alle Belgier in einer nationalen Solidarität dem Lande eine gute Zukunft sichern würden und dass sie um den neuen König vereint blieben. Prinz Baudouin sagte seinem Vater, dass er von dessen edlen Worten zutiefst bewegt war und versprach, ihm alles Mögliche zu tun, um ein würdiger Sohn zu sein. Unmittelbar danach unterschrieben beide die Akte der Abdankung (…) 4.4.1.3. Flutkatastrophe, 1. Februar 1953 Von der Flutkatastrophe 1953 berichtete De Telegraaf u. a. mit dem folgenden Text: DE TELEGRAAF Maandag 2 februari 1953 Samengaan van springtij en storm veroorzaakt grootste natuurramp in Nederland sinds eeuwen Meer dan 190 doden Onmetelijke schade Amsterdam, Maandagmorgen. – Een der grootste natuurrampen sedert mensenheugenis heeft ons vaderland op verbijsterende wijze getroffen. Begeleid door loeiend orkaangeweld is de heroïeke kracht van het water – Neerlands eeuwige vriend, maar ook vijand – Zaterdagnacht als een monster uit de ketenen geslagen. In het diepste duister verpletterde het aanstormend geweld van immense watermassa’s de door mensenhand gewrochte zeeweringen en overrompelde in wild-kolkende vloed de volkomen verraste bewoners van de gebieden ter weerszijden van onze riviermondingen, langs de Nieuwe Waterweg, op de Zuidhollandse eilanden, bij Dordrecht en wijde omgeving, alsmede in West-Brabant en Zeeland en ten slotte langs onze gehele kuststrook, in het bijzonder op Texel. Nog honderden in doodsnood Op het moment, dat wij dit schrijven (Zondagnacht vier uur) waren er in totaal al 190 doden en nog verscheidene vermisten. Honderden mannen, vrouwen en kinderen zaten op dat moment ergens in het wijde, ondergelopen land op zolders, in hoge gebouwen of in bomen, angstig wachtend op redding uit hun bange doodsnood. Dàn hier, dàn daar stortten de door het wild-stromende water ondermijnde huizen in… Ongerustheid over N.-Beveland Onrust verwekte vannacht het totaal ontbreken van berichten omtrent Noord-Beveland. De veerman van het Katsche Veer, die het eiland aandeed, zag, zo ver het oog reikte, niets

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

407

dan water. Omstreeks halfvier riepen de chef van de generale staf en de marinecommandant per radio de burgemeester van Kortgene op, om zich met Den Haag in verbinding te stellen en rapport over de toestand op het eiland uit te brengen. Ministerraad bijeen Een volledig beeld van deze nationale ramp is op het ogenblik, dat wij deze regels schrijven, op geen stukken na te geven. De regering verwacht, dat een totaal overzicht eerst in de loop van deze dag (Maandag) kan worden verkregen. De ministerraad komt vanmorgen bijeen om de toestand te bespreken en nadere maatregelen te treffen. De minister-president, dr. W. Drees, zal Dinsdag in de Tweede Kamer een verklaring afleggen. Voor millioenen schade De materiële schade aan landerijen, dijken, huizen enz. enz. is enorm groot en op geen millioenen guldens na te schatten. De schade aan onze nationale veestapel is evenzeer onnoemelijk groot. Honderden cadavers van verdronken koeien en ander vee – vooral pluimvee – drijven met de stroom mee. Koningin en Prinses ter plaatse H.M. de Koningin heeft zich de gehele Zondagochtend op de hoogte laten houden van de ontwikkeling van de toestand in de geteisterde streken. In de middag en namiddag heeft zij, vergezeld van prinses Beatrix, een bezoek gebracht aan verschillende geteisterde plaatsen, o.m. aan Stolwijk, Lekkerkerk en Krimpen aan de IJsel. In Krimpen aan de IJsel heeft hare majesteit met de burgemeester en verscheidene andere personen gesproken. De Koningin heeft getracht Dordrecht te bereiken, hetgeen helaas niet mogelijk bleek, mede door de overbezetting der wegen als gevolg van plaatselijke evacuaties. Via de brug bij Vreeswijk heeft hare majesteit Gorkum kunnen bereiken en heeft aldaar onder meer met de burgemeester gesproken. Daarna zijn Koningin en Prinses naar Soestdijk teruggekeerd. Namens de Koningin brengt prinses Wilhelmina Maandag en Dinsdag een bezoek aan de getroffen gebieden. De Prins: „Verschrikkelijk nieuws“ „Dit is verschrikkelijk nieuws“ – riep prins Bernard uit, toen hij Zondagmiddag van Associated Press vernam, welke ramp zijn land had getroffen. „Dit is wel het ergste wat had kunnen gebeuren“ – zei hij. „Juist nu Nederland er weer bovenop kwam en op eigen benen kon staan. Het verlies aan mensenlevens maakt het nog erger.“ De Prins had nog niet overwogen veranderingen te brengen in zijn plannen. „Ik zal doen wat de Koningin en de regering van mij verlangen“, zei hij. Ministers in geteisterde gebieden De minister-president, dr. Drees, was Zondagmorgen in Dordrecht en omgeving. Ook de minister van Waterstaat, mr. Algera, was Zondagmorgen in Dordrecht. Hij was in gezelschap

408

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

van de directeur-generaal van de Rijkswaterstaat, ir. Maris. Minister Algera bezocht daarna andere getroffen gebieden. De minister van Binnenlandse Zaken, dr. Beel, vertrok Zondagmorgen naar Halsteren (N.-B.) om zich daar van de ernstige toestand op de hoogte te stellen. Hij zou ook proberen Middelburg te bereiken. Windstoten van 150 kilometer Onze weerkundige medewerker meldt: Windstoten van 150 kilometer per uur beukten in de nacht van Zaterdag op Zondag op onze kusten. Eerst woei de wind uit Z.W.-W., maar de moeilijkheden begonnen pas goed, toen de wind allengs meer naar N.W. en later naar N. ruimde. Urenlang doorstonden onze lichtschepen windsnelheden van 110–115 km per uur. Van de landstations meldde Leeuwarden Zondagochtend vier uur de krachtigste windstoot, nl. 150 km per uur. Oorzaak van dit alles was een depressie, die van Schotland naar het Z.O. koerste en via de Duitse Bocht naar Oost-Duitsland verdween. Ten gevolge van de lange duur van de storm werd het Noordzeewater in steeds grotere hoeveelheden tegen de kust en in de zeearmen opgestuwd. Bijzonder ongelukkig was het samenvallen van deze storm met de springvloed van Zondagochtend omstreeks vijf uur. Dit heeft de bijzonder hoge waterstanden veroorzaakt. Zondagavond stormde het nog langs de gehele kust, maar geleidelijk neemt de wind verder in kracht af. Particuliere hulp stroom toe Uit alle lagen der bevolking is het medeleven met de talloos vele slachtoffers en de honderden van huis en haard verdrevenen bijzonder groot. Van alle zijden wordt spontaan hulp geboden. Ook uit het buitenland stromen aanbiedingen van goede diensten binnen, zo bijvoorbeeld uit Amerika, België, Duitsland en Canada. Delpher, De Telegraaf, 2/2/1953. Übersetzung: DE TELEGRAAF Montag, 2. Februar 1953 Zusammentreffen von Flut und Sturm verursacht grösste Naturkatastrophe in den Niederlanden seit Jahrhunderten Mehr als 190 Tote Unermesslicher Schaden Amsterdam, Montagmorgen. – Eine der grössten Naturkatastrophen seit Menschengedenken hat unser Vaterland auf erschütternde Weise getroffen. Begleitet von heulender Or-

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

409

kangewalt ist die heroische Kraft von Wasser – der Niederlande ewiger Freund, aber auch Feind – in der Nacht von Samstag wie ein Monster aus den Ketten gesprungen. In tiefster Nacht überflutete die immense Wassergewalt die von Menschen gemachte Küstenbefestigung und überrumpelte eine wilde Flut die vollkommen überraschten Einwohner der Gebiete auf beiden Seiten unserer Flussmündungen, entlang des Neuen Wasserwegs, auf den südholländischen Inseln, bei Dordrecht und Umgebung sowie in West-Brabant und Zeeland und schliesslich auch entlang unseres gesamten Küstenstreifens, im Besonderen auf Texel. Noch Hunderte in Todesnot Im Moment, in dem wir dies schreiben (Sonntagnacht, um vier Uhr) gab es insgesamt bereits 190 Tote und noch mehrere Vermisste. Hunderte Männer, Frauen und Kinder sassen in diesem Moment irgendwo in weit überflutetem Land auf Dachböden, in hohen Gebäuden oder auf Bäumen, ängstlich wartend auf Rettung aus ihrer fürchterlichen Todesnot. Hier wie dort drückten wild-strömende Wassermassen Türen der unterlaufenen Häuser ein… Unruhe über N.-Beveland Unruhe erweckte heute Nacht das komplette Fehlen von Neuigkeiten um Noord-Beveland. Der Fährmann von der Katschen Fähre, der die Insel anfuhr, sah so weit das Aug reichte, nichts als Wasser. Ungefähr um halb vier riefen der Chef des Generalstabs und der Marinekommandant per Radio den Bürgermeister von Kortgene an, um sich mit Den Haag in Verbindung zu setzen und Rapport über den Zustand auf der Insel zu geben. Zusammenkunft des Ministerrates Ein vollständiges Bild von dieser nationalen Katastrophe zu geben, ist in diesem Augenblick, in dem wir diese Zeilen schreiben, unmöglich. Die Regierung rechnet damit, dass eine komplette Übersicht erst im Laufe dieses Tages (Montag) gegeben werden kann. Der Ministerrat kommt morgen zusammen, um den Zustand zu besprechen und nähere Massnahmen zu treffen. Der Ministerpräsident, Dr. W. Drees, wird am Dienstag in der Zweiten Kammer eine Erklärung abgeben. Millionenschaden Der materielle Schaden von Ländereien, Deichen, Häusern und so fort, ist enorm gross und läuft in die Millionen. Der Schaden an unserem nationalen Viehbestand ist auch unermesslich gross. Hunderte Kadaver ertrunkener Kühe und von anderem Vieh – vor allem Federvieh – trieben mit dem Strom mit. Königin und Prinz vor Ort H.M. die Königin hat sich den ganzen Sonntagabend auf dem Laufenden gehalten über die Entwicklung des verwüsteten Zustandes. Am Mittag und am Nachmittag hat sie, in Begleitung von Prinzessin Beatrix, verschiedene zerstörte Orte besucht, unter anderem in Stolwijk, Lekkerkerk und Krimpen an der Ijsel. In Krimpen an der Ijsel hat Ihre Majestät

410

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

mit dem Bürgermeister und verschiedenen anderen Personen gesprochen. Die Königin beabsichtigte Dordrecht zu besuchen, was jedoch nicht möglich schien, da die Wege völlig überlastet waren wegen der Evakuierung der Bewohner. Über die Brücke von Vreeswijk konnte Ihre Majestät Gorkum erreichen und dort unter anderem mit dem Bürgermeister sprechen. Danach kehrten die Königin und der Prinz nach Soestdijk zurück. Im Namen der Königin wird Prinzessin Wilhelmina am Montag und Dienstag die betroffenen Gebiete besuchen. Der Prinz: „Erschreckende Nachrichten“ „Dies sind schreckliche Nachrichten“ – rief Prinz Bernard aus, als er am Sonntagmittag von der Associated Press vernahm, welche Katastrophe sein Land getroffen hat. „Das ist das Schlimmste, was hätte geschehen können“, sagte er. „Gerade jetzt, wo die Niederlande sich erheben und auf eigenen Beinen stehen können. Der Verlust von Menschenleben macht es noch schlimmer.“ Der Prinz hatte noch nicht über Änderung seiner Pläne nachgedacht. „Ich werde tun, was die Königin und die Regierung von mir verlangen“, sagte er. Minister in den zerstörten Gebieten Der Ministerpräsident, Dr. Drees, war am Sonntagmorgen in Dordrecht und Umgebung. Auch der Verkehrsminister, mr. Algera, war am Sonntagmorgen in Dordrecht. Er war in Gesellschaft des Generaldirektors des Verkehrsministeriums, ir. Maris. Minister Algera besuchte danach weitere betroffene Gebiete. Der Minister des Innern, Dr. Beel, reiste am Sonntagmorgen nach Halsteren (N.-B.), um sich über den Stand der Dinge zu informieren. Er wird ebenfalls versuchen, Middelburg zu besuchen. Windböen von 150 km/h Unser für Wetter qualifizierter Mitarbeiter meldet: Windböen von 150 Kilometer pro Stunde schlugen in der Nacht von Samstag auf Sonntag an unsere Küsten. Zuerst blies der Wind aus Südwestwesten, aber die Schwierigkeiten begannen, als der Wind allmählich nach Nordwesten und später nach Westen weiterzog. Stundenlang massen unsere Leuchtschiffe Windschnelligkeiten von 110–115 km pro Stunde. Von der Landstation meldete Leeuwarden am Sonntagmorgen um 4 Uhr die kräftigste Windböe, nämlich 150 km pro Stunde. Grund dafür war ein Tief, das von Schottland her nach Südosten zusteuerte und durch die Deutsche Bucht nach Ostdeutschland verschwand. Als Folge der langen Dauer des Sturmes wurde das Nordseewasser in stets grösseren Mengen gegen die Küste und in den Meeresarmen aufgestaut. Besonders unglücklich war das Zusammentreffen dieses Sturmes mit der Flut von Sonntagmorgen um ca. 5 Uhr. Dies verursachte die besonders hohen Wasserstände. Am Sonntagabend stürmte es noch entlang der ganzen Küste, aber allmählich verliert der Wind an Kraft.

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

411

Hilfe von Privatpersonen kommt Aus allen Schichten der Bevölkerung ist das Mitgefühl für die zahlreichen Opfer und die Hunderte, die ihre Häuser verloren haben, besonders gross. Von allen Seiten wird spontan Hilfe angeboten. Auch aus dem Ausland kommen Angebote zur Hilfeleistung herein, so zum Beispiel aus Amerika, Belgien, Deutschland und Kanada. 4.4.1.4. Provo Anhänger der Provo-Bewegung verteilten ab 1966 die Gratishefte Provo. Als Gegner ‚kleinbürgerlicher‘ Autobesitzer propagierten sie die Einführung von Gratis-Fahrrädern: PROVO’S FIETSENPLAN AMSTERDAMMERS! DE ASFALTTERREUR VAN DE GEMOTORISEERDE BOURGEOISIE HEEFT LANG GENOEG GEDUURD. DAGELYKS WORDEN MENSENOFFERS GEBRACHT VOOR DE NIEUWSTE AUTORITEIT WAARAAN HET KLOOTJESVOLK ZICH HEEFT OVERGELEVERD: DE AUTO-AUTORITEIT. DE VERSTIKKENDE KOOLMONOXYDE IS ZYN WIEROOK, ZYN BEELTENIS VERPEST IN DUIZENDVOUD GRACHTEN EN STRATEN. PROVO’S FIETSENPLAN BRENGT BEVRYDING VAN HET AUTO-MONSTER. PROVO LANCEERT DE WITTE FIETS, IN OPENBAAR BEZIT. DE EERSTE WITTE FIETS WORDT/IS WOENSDAG 28 JULI OM 3 UUR ’S MIDDAGS AAN PUBLIEK EN PERS AANGEBODEN BY HET AMSTERDAMS LIEVERDJE OP HET SPUI, DE VERSLAAFDE CONSUMENT. DE WITTE FIETS IS NOOIT OP SLOT. DE WITTE FIETS IS HET EERSTE GRATIS, GEKOLLEKTIVISEERDE VERVOERMIDDEL. DE WITTE FIETS IS EEN PROVOKATIE VAN HET KAPITALISTIES PRIVÉBEZIT; WANT DE WITTE FIETS IS ANARCHISTIES. DE WITTE FIETS KAN GEBRUIKT WORDEN DOOR WIE HEM NODIG HEEFT EN MOET ONBEHEERD WEER ACHTERGELATEN WORDEN. ER ZULLEN MEERDERE WITTE FIETSEN KOMEN TOT IEDER VAN HET WITTE VERVOER GEBRUIK KAN MAKEN EN HET AUTOGEVAAR GEWEKEN IS. DE WITTE FIETS SIMBOLISEERT EENVOUD EN HYGIENE TEGENOVER DE PROTSERIGHEID EN VUILHEID VAN DE AUTORITAIRE AUTO. IMMERS EEN FIETS IS IETS, MAAR BYNA NIETS! PROVOKATIE NO 5 –PROVO ANARCHISTENBLAD

412

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Übersetzung: PROVO’s FAHRRADPLAN Amsterdamer! DER ASPHALTSCHRECKEN DES MOTORISIERTEN BÜRGERTUMS HAT LANG GENUG GEDAUERT. TÄGLICH WERDEN OPFER FÜR DIE NEUSTE AUTORITÄT GEBRACHT, AN DIE SICH DIE BREITE MASSE AUSGELIEFERT HAT: DIE AUTOAUTORITÄT. DAS ERSTICKENDE KOHLENMONOXYD IST WEIHRAUCH, SEIN ABBILD VERPESTET TAUSENDFACH DIE KANÄLE UND STRASSEN. PROVO’S FAHRRADPLAN BRINGT BEFREIUNG VON DEM AUTO-MONSTER. PROVO LANCIERT DAS WEISSE FAHRRAD, IN ÖFFENTLICHEM EIGENTUM DAS ERSTE WEISSE FAHRRAD WIRD AM MITTWOCH, 28. JULI UM 15 UHR BEIM AMSTERDAMER LIEVERDJE OP HET SPUI DER ÖFFENTLICHKEIT UND PRESSE ANGEBOTEN, DER SÜCHTIGE VERBRAUCHER DAS WEISSE FAHRRAD IST NIE ABGESCHLOSSEN. DAS WEISSE FAHRRAD IST DAS ERSTE, WELCHES GRATIS IST, EIN KOLLEKTIVES VERKEHRSMITTEL. DAS WEISSE FAHRRAD IST EINE PROVOKATION DES KAPITALISTISCHEN PRIVATBESITZES; DENN DAS WEISSE FAHRRAD IST ANARCHISTISCH. DAS WEISSE FAHRRAD KANN VON JEDEM BENUTZT WERDEN, DER ES BRAUCHT UND MUSS UNBEAUFSICHTIGT WIEDER ABGESTELLT WERDEN. ES WERDEN MEHRERE WEISSE FAHRRÄDER ZUR VERFÜGUNG GESTELLT, BIS JEDER VOM WEISSEN FAHRRAD GEBRAUCH MACHEN WIRD UND DIE AUTOGEFAHR GEWICHEN IST. DAS WEISSE FAHRRAD SYMBOLISIERT EINFACHHEIT UND HYGIENE GEGENÜBER DEM AUFGEBLASENEN UND DRECKIGEN AUTORITÄREN AUTO. SCHLIESSLICH IST EIN FAHRRAD ETWAS, ABER BEINAHE NICHTS! PROVOKATION NUMMER 5 – PROVO ANARCHISTENBLATT 4.4.1.5. Die Jahrtausendwende Zur Millenniumswende versucht die Volkskrant im folgenden Kommentar eine Lehre aus der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts zu ziehen: Gespleten eeuw VANDAAG laten we een eeuw achter ons waarin, om de Poolse dichteres Wislawa Szymborska te citeren, al te veel is gebeurd, wat niet had mogen gebeuren…. 31 december 1999, 00:00 De beelden zijn bekend. De soldaat die in de modder van de loopgraven lag te wachten op het volgende bombardement en in zijn machteloze immobiliteit de metafoor werd voor de

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

413

onverschilligheid waarmee miljoenen deze eeuw de dood werden ingejaagd. Het joodse kind dat op een duister perron in een verlaten vlakte van zijn moeder werd gescheiden en in een nachtelijke processie naar de gaskamers werd geleid om te eindigen in de verbrandingsovens. Het had niet mogen gebeuren, maar het is gebeurd. Veel ging er mis, veel ging er goed in de twintigste eeuw, de merkwaardigste aller eeuwen. Al haar voorgangers overtrof zij, zowel in het kwade als in het goede. Weerzinwekkend was zij, en meeslepend. Een tijd vol verschrikking en verderf, maar ook een tijd van ongekende voorspoed en vooruitgang. De mensen werden rijker, gezonder en ouder, maar ook werden bijna nooit eerder zovelen door menselijk toedoen gedood. Het is bekend, die gespletenheid. Maar waarom gebeurde wat er gebeurde? Waarom werd de twintigste eeuw heen en weer geslingerd tussen beschaving en barbarij? Het was de ontketende moderne tijd, waarin machines en medicijnen het bestaan verlengden en verlichtten, alles sneller ging, alles groter werd. Een woeste draaikolk, waarin het statisch wereldbeeld van vroeger werd vermorzeld door de nieuwe onstuimige krachten op het wereldtoneel: de massa en de technologie. God werd dood verklaard en op zijn troon nam de mens plaats, overmoedig en ongeduldig, overtuigd dat alles maakbaar was. Grote groepen werden aangetrokken tot het nationaal-socialisme en communisme, die beide hun aanhangers een Nieuwe Mens en een betere wereld beloofden. Zij verabsoluteerden hun doelstellingen, schuwden geen middel om die te bereiken en verdroegen geen andersdenkenden. Modern en rationeel waren zij in het idee dat alle problemen technisch van aard waren en met de juiste techniek konden worden opgelost. De tol van dit ideologisch gesleutel: meer dan 150 miljoen doden. De tragiek van de mens in deze eeuw is niet alleen gelegen in zijn slachtofferschap, niet alleen in dat kind op dat Poolse perron of die soldaat op die Noord-Franse dodenakker. De tragiek ligt ook in de mens als dader. In die jonge, ambitieuze bureaucraat die, gezeten in een kantoor aan een Berlijnse straat, meehielp op kil-rationele wijze bij de vernietiging van een volk. Het was doden zonder haten, de technocratische massamoord, een huiveringwekkende nieuwe dimensie die deze eeuw gaf aan het oude kwaad. De mens schrok ervan, tuimelde hard van de troon die hij voor zichzelf had opgericht. Gelouterd lijkt hij zijn evenwicht te hebben hervonden. De liberale democratie, zeventig jaar geleden op sterven na dood, heeft overleefd en getriomfeerd. De ideologieën met hun totalitaire aanspraken op verandering hebben plaatsgemaakt voor pragmatische politiek, gericht op consensus. De hedendaagse politicus is eerder saai dan bevlogen. Zie het als een verworvenheid. Het geloof in de maakbaarheid is verdwenen. De volmaakte samenleving bestaat niet. Tegenstellingen zullen er altijd zijn, we kunnen ze alleen verzachten. Nieuwe tegenstellingen dienen zich aan. De vrijemarkteconomie draait op volle toeren en is de motor van de technologische revolutie, de mondialisering en de stijgende welvaart. De moderne mens profiteert ervan en koestert de vrijheid. Maar er zijn ook verliezers – zij die achterblijven in de concurrentieslag en zich speelbal van ongrijpbare kapitalistische krachten voelen. Vrijheid is dan geen weldaad, maar een bedreiging. En omdat de behoefte aan zekerheid zelfs belangrijker kan zijn dan vrijheid, zou de kwetsbare mens zich kunnen wenden tot de valse zekerheden en het gewelddadige anti-modernisme van nationalistische of fundamentalistische bewegingen of

414

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

zich kunnen hullen in de gedaante van de nihilistische terrorist of gettobewoner. Daarom moet men niet de oude fout herhalen en ditmaal de vrije markt-ideologie tot absolute, onaantastbare waarheid verheffen. Regulering, door nationale en internationale overheden, blijft geboden, ter beteugeling van de sterken en ter bescherming van de zwakken. In de moderne wereld worden de mensen constant op de proef gesteld door alle veranderingen, die kansen inhouden, maar ook gevaren. Dat zal in de volgende eeuw niet anders zijn. Het maakbaarheidsidee zou kunnen herleven, maar dan in letterlijke zin: het maken van een Nieuwe Mens. Te hopen valt dan dat de les van deze eeuw zal zijn geleerd: namelijk dat de mens grenzen moet stellen aan wat hij kan en wat hij wil. Want wat eenmaal is gebeurd, kan weer gebeuren. www.volkskrant.nl/archief/gespleten-eeuw~a537956/

Übersetzung: Gespaltenes Jahrhundert HEUTE lassen wir ein Jahrhundert hinter uns, in dem, um den polnischen Dichter Wislawa Szymborska zu zitieren, schon zu viel geschehen ist, was nicht hätte geschehen sollen… 31. Dezember 1999, 00:00 Die Bilder sind bekannt. Der Soldat, der im Schlamm des Schützengrabens lag, wartend auf das nächste Bombardement und so in seiner machtlosen Immobilität zur Metapher wird für die Gleichgültigkeit, womit Millionen in diesem Jahrhundert in den Tod gingen. Das jüdische Kind, das auf einem dunklen Bahnsteig an einem verlassenen Ort von seiner Mutter getrennt wurde und bei einem nächtlichen Umzug zu den Gaskammern geführt wurde, um in den Verbrennungsöfen zu sterben. Es hätte nicht geschehen sollen, aber es ist geschehen. Viel ging schief, viel kam gut heraus im 20. Jahrhundert, das merkwürdigste aller Jahrhunderte. Seine Vorgänger übertraf es, sowohl im Guten wie im Schlechten. Widerwärtig war es, und aufsehenerregend. Eine Zeit voller Schrecken und Verderben, aber auch eine Zeit ungekannten Wohlstands und Fortschrittes. Die Menschen werden reicher, gesünder und älter, aber noch nie so viele wurden durch menschliches Zutun umgebracht. Es ist bekannt, diese Zwiespältigkeit. Aber warum geschah, was geschah? Es war die gelöste, moderne Zeit, worin Maschinen und Medikamente das Leben verlängerten und erleichterten, in dem alles schneller ging, grösser wurde. Ein heftiger Strudel, in dem das statische Weltbild von früher durch die unbezwingbaren Kräfte auf der Weltbühne zermalmt wurde: die Masse und die Technologie. Gott wurde für tot erklärt und auf seinem Thron nahm der Mensch Platz, übermütig und ungeduldig, überzeugt davon, dass alles machbar sei. Grosse Gruppen wurden von Nationalsozialismus und Kommunismus angezogen, die ihren Anhängern einen neuen Menschen und eine bessere Welt versprachen. Sie machten ihre Ziele absolut, sie scheuten keine Mittel, um diese zu erreichen und duldeten keine Andersdenkenden. Modern und rational waren sie in der Hinsicht, dass alle Probleme von technischer Natur wären und mit der richtigen

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

415

Technik gelöst werden konnten. Die Kosten dieser ideologischen Bastelei: mehr als 150 Millionen Tote. Die Tragik des Menschen in diesem Jahrhundert liegt nicht allein in den Opferzahlen, nicht beim Kind auf dem polnischen Bahnsteig oder beim Soldat auf dem nordfranzösischen Totenfeld. Die Tragik liegt auch im Menschen als Täter. In der jungen, ambitiösen Bürokratie, die in einem Büro an einer Berliner Strasse liegt, die auf kühl-rationale Weise bei der Vernichtung eines Volkes mithalf. Es war Töten ohne Hassen, der technokratische Massenmord, eine schauderhafte neue Dimension, die dieses Jahrhundert dem Bösen gab. Der Mensch erschrak darüber, taumelte vom Thron, den er für sich selber aufgestellt hatte. Geläutert hat er sein Gleichgewicht wieder gefunden. Die liberale Demokratie, vor siebzig Jahren beinahe schon tot, hat überlebt und triumphiert. Die Ideologien mit ihren totalitären Ansprachen auf Veränderungen haben politischer Pragmatik, Gericht und Konsens Platz gemacht. Der heutige Politiker ist eher abgestumpft als begeistert. Man sehe es als eine Verworfenheit. Der Glaube an das Machbare ist verschwunden. Das perfekte Zusammenleben gibt es nicht. Gegensätze werden immer bestehen, wir können sie alleine lindern. Neue Gegensätze melden sich an. Die freie Marktwirtschaft dreht auf Hochtouren und ist der Motor der technischen Revolution, die Globalisierung und die zunehmende Wohlfahrt. Der moderne Mensch profitiert davon und strebt nach Freiheit. Aber es gibt auch Verlierer – die Hinterbliebenen aus dem Konkurrenzkampf, die sich als Spielball einer unbegreiflichen kapitalistischen Macht fühlen. Freiheit ist dann keine Wohltat, sondern eine Bedrohung. Und weil das Bedürfnis nach Sicherheit wichtiger sein kann als Freiheit, wird der schmerzerfüllte Mensch sich zu falschen Sicherheiten und dem gewalttätigen Anti-Modernismus der nationalistischen und fundamentalistischen Bewegungen hinwenden oder sich dem Schatten eines nihilistischen Terroristen oder Gettobewohners hingeben. Darum sollte man den alten Fehler nicht wiederholen und diesmal die freie Marktwirtschaft als die absolute, unantastbare Wahrheit aufrichten. Regulierung durch nationale und internationale Obrigkeiten ist geboten, um die Starken zu bezwingen und die Schwachen zu beschützen. In der modernen Welt werden die Menschen durch viele Veränderungen konstant auf die Probe gestellt, die Chancen beinhalten, aber auch Gefahren. Das wird im folgenden Jahrhundert nicht anders sein. Die Machbarkeitsidee kann wiederaufleben, aber im wortwörtlichen Sinn: das Erschaffen eines Neuen Menschen. Bleibt zu hoffen, dass die Lektion dieses Jahrhunderts gelernt ist: nämlich, dass der Mensch Grenzen setzen muss an das, was er kann und was er will. Denn, was einmal geschehen ist, kann wieder geschehen.

4.4.2. Belletristik, Kabaretttexte 4.4.2.1. Lucebert, Lyrik Der Lyriker, Maler und Fotograf Lucebert zählt zu den bedeutendsten Erneuerern der Nachkriegslyrik. Dichterische Experimente zeigen sich in den folgenden Texten:

416

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

school der poëzie ik ben geen lieflijke dichter ik ben de schielijke oplichter der liefde, zie onder haar de haat en daarop een kaaklende daad. lyriek is de moeder der politiek, ik ben niets dan omroeper van oproer en mijn mystiek is het bedorven voer van leugen waarmee de deugd zich uitziekt. ik bericht, dat de dichters van fluweel schuw en humanisties dood gaan. voortaan zal de hete ijzeren keel der ontroerde beulen muzikaal opengaan. nog ik, die in deze bundel woon als een rat in de val, snak naar het riool van revolutie en roep: rijmratten, hoon, hoon nog deze veel te schone poëzieschool. (Lucebert 2002, 18) Übersetzung: Schule der Poesie Ich bin kein lieblicher Dichter Ich bin der windige Hochstapler Der Liebe, siehe unter ihr den Hass Und darauf eine gackernde Tat. Lyrik ist die Mutter der Politik, Ich bin nichts als Umrufer von Aufruhr Und meine Mystik ist die verdorbene Nahrung Der Lügen womit die Tugend sich auskuriert. Ich berichte, dass die Dichter in Samt Scheu und humanistisch sterben. Künftig wird die heisse eiserne Kehle Der ergriffenen Henker musikalisch aufgehen.

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

Selbst ich, der ich in diesem Bande wohne Wie eine Ratte in der Falle, verlange die Gosse Der Revolution und rufe: Reimratte, höhn, höhn noch diese viel zu schöne Poesieschule. (Lucebert 1972, 23) LEVENSLOOP tijd opgezocht met eeuwige zaken niet gevochten toch een groot roker van verbrandende dingen allicht omgeven mijn asbak geuren van heiligheid ik hoon verleent de potentaat mij gunst werkt hij met woorden die ik liefheb ik vertaal ze in mijn eigen zetkunst van majuskel tot inktvlek muziek maak ik met dorre takken en zing een aria van mistige dagen onder mijn boom is het buitengewoon driftige spinnen knevelen een nijvere bij (Lucebert 1959, 31) Übersetzung: Lebenslauf Zeit aufgesucht Mit ewigen Fragen nicht gestritten Doch ein grosser Raucher verbrennender Dinge Wohl umgibt meinen Aschenbecher der Geruch der Heiligkeit Ich spotte gewährt der Mächtige mir Gunst Braucht er Worte die ich liebe Ich übersetze sie in meine eigenen Lettern Von der Majuskel bis zum Tintenklecks Musik mache ich mit dürren Zweigen Und singe eine Arie der nebligen Tage Unter meinem Baum ist es sonderbar Hochfahrende Spinnen knebeln eine emsige Biene (Lucebert 1972, 52)

417

418

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

ik tracht op poëtische wijze dat wil zeggen eenvouds verlichte waters de ruimte van het volledig leven tot uitdrukking te brengen ware ik geen mens geweest gelijk aan menigte mensen maar ware ik die ik was de stenen of vloeibare engel geboorte en ontbinding hadden mij niet aangeraakt de weg van verlatenheid naar gemeenschap de stenen stenen dieren dieren vogels vogels weg zou niet zo bevuild zijn als dat nu te zien is aan mijn gedichten die momentopnamen zijn van die weg in deze tijd heeft wat men altijd noemde schoonheid schoonheid haar gezicht verbrand zij troost niet meer de mensen zij troost de larven de reptielen de ratten maar de mens verschrikt zij en treft hem met het besef een broodkruimel te zijn op de rok van het universum niet meer alleen het kwade de doodsteek maakt ons opstandig of deemoedig maar ook het goede de omarming laat ons wanhopig aan de ruimte morrelen ik heb daarom de taal in haar schoonheid opgezocht hoorde daar dat zij niet meer menselijks had dan de spraakgebreken van de schaduw dan die van het oorverdovend zonlicht (Lucebert 2002, 52)

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

Übersetzung: Ich suche auf poetische Weise, Das heisst In der Einfachheit erleuchteter Wasser Den Raum des umfassenden Lebens Zum Ausdruck zu bringen Wäre ich kein Mensch gewesen Gleich einer Menge Menschen Ich wäre doch der ich war Der steinerne oder fliessende Engel Geburt und Auflösung hätten mich nicht berührt Der Weg aus Vereinsamung zur Gemeinschaft Der Steine Steine Tiere Tiere Vögel Vögel Weg Wär nicht so beschmutzt Wie dies nun zu sehn ist in meinen Gedichten Die Augenblicksaufnahmen dieses Weges sind In dieser Zeit hat was immer man nannte Schönheit Schönheit ihr Gesicht verbrannt Sie tröstet nicht mehr die Menschen Sie tröstet die Larven die Reptile die Ratten Aber den Menschen erschreckt sie Und leiht ihm die Ahnung Brotkrume nur zu sein auf dem Kleide des Weltalls Nicht mehr allein das Böse Der Todesstoss macht uns rebellisch oder demütig Doch auch das Gute Die Umarmung lässt uns verzweifelt im Raum Herumtorkeln Ich habe darum die Sprache In ihrer Schönheit aufgespürt Erfuhr daraus dass sie nichts Menschliches mehr hatte Als die Wortgebrechen des Schattens Als das ohrenbetäubende Sonnenlicht (Lucebert, 1972, 24–25)

419

420

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

4.4.2.2. Simon Carmiggelt, Het woord Simon Carmiggelt verfasste viele Jahre cursiefjes (‚Glossen‘) in der Zeitung Het Parool. Er ist bekannt für seine originelle Verwendung des Niederländischen, wovon der nächste Text zeugt. Het woord Bij een overheidsdienst moest ik een rapport halen, waarnaar de redactie van mijn dagblad al lange tijd reikhalzend uitzag. Na in een vijftal verkeerde kamers te zijn binnengeweest, bleek ik eindelijk terecht aan een loket waarachter zich wel dertig schrijvende personen van beiderlei kunne in bedrijvige houdingen ophielden. „O ja, u hebt hier al vaker gevraagd om dat stuk hè?“ zei de ambtenaar die mij te woord stond. „Nou, het is bijna gereed. We moeten het alleen nog even epibreren. Dus als u volgende week terugkomt…“ „Dat is goed,“ zei ik en ging heen. Toen ik echter op de gang was dacht ik: „Wat zou de term epibreren eigenlijk inhouden?“ Signeren, seponeren, corrigeren… daar heb ik allemaal wel eens van gehoord, maar dit was een volslagen nieuw woord voor mij. Ik hoorde het gesprek al, dat ik straks met mijn baas zou moeten voeren. Zo, waar is het stuk? Dat moet eerst nog even geëpibreerd worden. Wat is dat? Tja, daar heb ik geen idee van… Het zou te zot zijn. Hoewel het vervelend is, je onwetendheid ál te manifest aan het licht te brengen, keerde ik mij toch na korte zelfstrijd om, en ging de zaal weer binnen. De dertig schrijvende personen lieten en bloc de kroontjespennen rusten en keken mij welwillend aan. „Ja, meneer, wat verlangt u?“ vroeg de ambtenaar. „Ik wou u eens vragen,“ zei ik moeilijk, „u sprak zoëven van epibreren… het zal wel erg dom van me zijn, maar wat is dat eigenlijk?“ Een gemompel van bijval ging door de rijen en ook de ambtenaar keek licht ontroerd toen hij mijn hand greep en sprak: „Dit is werkelijk een heel bijzonder ogenblik, meneer.“ „Waarom?“ antwoorde ik. „Omdat u vraagt wat het betekent,“ zei de man. „Het betekent namelijk niets. Het is gewoon maar een woord. Ik heb het zelf verzonnen. Op een dag was er een lastige heer aan het loket die ons haast wilde laten maken met een kwestie, die zijn tijd moest hebben. Ik zei: „Meneer, u hebt groot gelijk, maar geef ons nog een weekje om de zaak te epibreren.“ Het woord kwam vanzelf uit mijn volheid te voorschijn. En het werkte uitnemend: de man ging getroost heen. Sindsdien was het al spoedig onmisbaar. Want in iedere denkbare situatie bleek het te pas te komen. „Nee, meneer Frederiks is er niet, die moet de hele middag epibreren.“ Dan zei men „O“ en berustte eerbiedig. Het was practisch, een oningewijde een dossier te geven met de opdracht: „Wilt u dit even epibreren?“ want altijd maakte de betrokkene zich dan met zo’n mapje uit de voeten, om er iets mee te doen, dat naar zijn gevoelen de betekenis van het fascinerende woord het dichtste nabij kwam.“

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

421

„Wij hebben zelfs,“ vertelde de ambtenaar, „op het bureau van een der hoogste functionarissen een sponzendoos geplaatst, met een briefje waarin stond: „Zoudt u zo vriendelijk willen zijn, de gaatjes van deze spons even zelf te epibreren?“ De betrokkenen, een gegradueerde intellectueel, bleek er de volgende morgen onder geschreven te hebben: „Spons onderzocht en in orde bevonden.“ Een voorzichtige geest u merkt het al. Hij verzweeg zijn onwetendheid maar liet zich tóch niet epibreren.“ Ik betuigde mijn diepe eerbied voor de wijsgerige achtergronden van deze opzet en was al weer bij de deur, toen de ambtenaar mij nariep: „Meneer…’t is niet om het een of ander, maar ik heb dit uitgevonden en… nou ja, zou ik nou niet in aanmerking komen voor een prijsje of zoiets…?“ „Ik zal het vragen,“ antwoordde ik. „En hoe hoor ik het antwoord?“ vroeg hij begerig. „Wacht u maar af,“ zei ik. „Ik epibreer u wel.“ S. Carmiggelt, Kwartet. Amsterdam 1956, 230–232. Übersetzung: Das Wort Bei einem Staatsdienst musste ich einen Rapport abholen, wonach die Redaktion meines Tagblattes schon lange sehnsüchtig Ausschau hielt. Nachdem ich in fünf verschiedenen Zimmern war, kam ich endlich an einem Schalter vorbei, hinter dem sich dreissig schreibende Personen in beschäftigten Haltungen aufhielten. „O ja, Sie haben hier schon öfters nach diesem Artikel gefragt, nicht?“ sagte der Beamte. „Nun, er ist beinahe fertig. Wir müssen ihn nur noch kurz epibrieren. Wenn Sie also nächste Woche noch einmal vorbeikommen…“ „Gut“, sagte ich und ging davon. Als ich danach im Gang stand, dachte ich: „Was soll das Wort epibrieren eigentlich bedeuten?“ Signieren, zu den Akten legen, korrigieren… davon hab ich schon mal gehört, aber dies war ein vollkommen neues Wort für mich. Ich hörte das Gespräch schon, das ich gleich mit meinem Chef führen werde. Nun, wo ist der Artikel? Der muss zuerst noch epibriert werden. Was ist das? Tja, ich hab‘ keine Ahnung… Verrückt! Obwohl es unangenehm ist, seine Unwissenheit zu offensichtlich ans Licht zu bringen, kehrte ich mich nach kurzer Unsicherheit um und ging wieder in den Raum hinein. Die dreissig schreibenden Personen legten ihre Füllfederhalter auf dem Block nieder und wandten sich wohlwollend zu mir. „Ja, mein Herr, was wünschen Sie?“, fragte der Beamte. „Ich möchte Sie etwas fragen“, sagte ich zögerlich, „Sie sprachen soeben von epibrieren… es mag ein bisschen dumm von mir sein, aber was ist das eigentlich?“ Ein Brummen von Beifall ging durch die Reihen und auch der Beamte schaute leicht gerührt, als er meine Hand ergriff und sagte: „Das ist wirklich ein sehr besonderer Augenblick, mein Herr.“

422

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

„Warum?“, antwortete ich. „Weil Sie fragen, was es bedeutet“, sagte der Mann. „Es bedeutet nämlich nichts. Es ist einfach ein Wort. Ich habe es selbst erfunden. Eines Tages war ein lästiger Herr am Schalter, der wollte, dass wir uns beeilen, mit einer Frage, die Zeit brauchte. Ich sagte: ,Mein Herr, Sie haben recht, aber geben Sie uns noch eine Woche, um die Sache zu epibrieren.‘ Das Wort kam von selber aus meinem Mund. Und es funktionierte ausgezeichnet: der Mann ging getrost davon.“ Seit diesem Moment war es unentbehrlich. Denn in jeder denkbaren Situation schien es gerade richtig. „Nein, Herr Frederiks ist nicht da, er muss den ganzen Mittag epibrieren.“ Dann sagte man, „Oh“ und fand sich damit ehrfurchtsvoll ab. Es war praktisch, einem Uneingeweihten ein Dossier abzugeben mit dem Auftrag: „Könnten Sie das epibrieren?“, denn jedes Mal ging der Betroffene mit so einer Mappe von dannen, um damit etwas anzustellen, das nach seinem Gefühl der Bedeutung dieses faszinierenden Wortes am nächsten kam. „Wir haben selbst“, erzählte der Beamte, „im Büro des höchsten Funktionärs eine Schwamm-Dose hingestellt mit einem Brieflein, worin stand: „Wenn Sie so nett wären und die Poren des Schwammes selber epibrieren könnten?“ Der Betroffene, ein Intellektueller mit Diplom, schrieb am nächsten Morgen das Folgende darunter: „Schwämme untersucht und für in Ordnung befunden.“ Ein aufmerksamer Geist, Sie merken es schon. Er verschwieg seine Unwissenheit, liess sich jedoch nicht epibrieren.“ Ich brachte meine tiefste Ehrerbietung gegenüber diesen philosophischen Angelegenheiten zum Ausdruck und war schon wieder bei der Tür, als mir der Beamte nachrief: „Mein Herr…was finden Sie, ich habe dies erfunden und… nun ja, würde es nun nicht in Frage kommen, dass ich dafür einen Preis erhalte?“ „Ich werde es abklären“, antwortete ich. „Und wie lautet die Antwort?“, fragte er begierig. „Warten Sie nur“, sagte ich. „Ich epibriere Sie.“ 4.4.2.3. Louis Paul Boon, Over alles een groot kruis Over alles een groot kruis Ge ziet van uit uw open zolderraam hoe het niemandsbos in het rood wordt geverfd door de zakkende zon, en hoort hoe het droefgeestig schaap van mossieu colson van tminnesterie nog een laatste keer blaat vooraleer het achter de knarsende staldeur verdwijnt: en dan schuift ge uw pampierderij opzij en stapt de trappen af, juist als de kantieke schoolmeester de deur openduwt en samen met zijn schone vrouw lucette een beetje van die late rode zon binnenlaat. En al kantiek schoolmeesterachtig met het hoofd schuddend hoort ge hem zeggen: naar het mij toeschijnt hebt ge daar boven op uw zolder over uw papieren gebogen gehangen om over onze wereld-van-vandaag te schrijven, en ik die al zoveel boeken mis-verstaan heb, weet dat al wat er te zeggen valt reeds gezegd is geweest, ik spreek nog alleens

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

423

niet van de prediker, van de faustmaker of de waanzinnige hamletspeler… neen onderbreek mij niet, want ik heb dat niet graag, maar zult gij daar op uw zolder groter wijsheid vergaren dan laotse, of kunt gij surrealistisch-erotisch-debieler doen dan het de zangen van maldoror zijn? zult gij de menselijke diepten en hoogten dieper en hoger doorpeilen dan in de demonen van de gebroeders karamazof, zult gij de tijd buiten tijd en ruimte razender achternajagen dan proust, of zult gij het leven binnen tijd en ruimte hardnekkiger geselen dan in de voyage au bout de la nuit? weet gij de ontspoorde mens-in-een-schevemaatschappij beter in zijn juiste verhouding van levend en denkend dier te plaatsen dan de minnaar van lady chatterley? weet gij nuchterder dan lenin, naturalistischer dan zola, beelsprakeriger dan de bijbel met de woorden om te springen? is het u mogelijk plechtstatiger en onfeilbaarder te zijn dan de paus van rome, sprookjesachtig onzedelijker dan duizenden-I-nacht, hemelser dan de navolging-van-christus, sluwer en fijngeestiger dan de reinaert van willem-die-madoc-maakte, tragi-boerser dan de isengrinus van nivardus? en kunt gij moderner ongelovig-schurftiger zijn dan de tropic-of-capricorn?, of romantisch-miserabilistischer dan de-voorstad-groeit? En als ge de kantieke schoolmeester hoort zwijgen en zijn lippen ziet opeenpersen antwoordt ge: het is mogelijk dat het onmogelijk is om iets nieuwer en juister te zeggen, maar over al het geschrevene daalt het stof der tijden neer, en ik peins daarom dat het goed is als er om de 10 jaar een andere een kruis trekt over al die oude dingen, en de wereld-van-vandaag opnieuw uitspreekt met andere woorden. (Boon 2003, 9) Übersetzung: ÜBER ALLES EIN GROSSES KREUZ Von Eurem offenen Dachfenster aus seht Ihr, wie der Niemandswald von der sinkenden Sonne rotgefärbt wird, und hört, wie das traurige Schaf des mossieu Colson vom Minnesterium noch ein letztesmal blökt, bevor es hinter der knarrenden Stalltür verschwindet: und dann schiebt Ihr Eure Pampiererei beiseite und steigt die Treppen hinunter, gerade als der kantike Schulmeister die Tür aufstösst und zusammen mit seiner schönen Frau Lucette ein bisschen von dieser letzten Sonne hereinlässt. Und kantik schulmeisterhaft den Kopf schüttelnd, hört Ihr ihn sagen: wie es mir scheint, habt Ihr dort oben, auf Euren Dachboden gebeugt, über Eurem Papiere gehangen, um über unsere Welt-von-heute zu schreiben, und ich, der ich schon so viele Bücher miss-verstanden habe, weiss, dass alles, was es zu sagen gibt, bereits gesagt worden ist, ich spreche nicht einmal von dem Prediger, von dem Faust-Macher oder dem wahnsinnigen Hamlet-Spieler… nein, unterbrecht mich nicht, denn das habe ich nicht gern, aber werdet Ihr dort auf Eurem Dachboden grössere Weisheit zusammentragen als Laotse, oder könnt Ihr surrealistisch-erotisch-debiler tun, als es die Gesänge von Maldoror sind? werdet Ihr die menschlichen Tiefen und Höhen tiefer und höher ausloten als in den

424

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Dämonen der Brüder Karamazov, werdet Ihr der Zeit ausserhalb von Zeit und Raum rasender nachjagen als Proust, oder werdet Ihr das Leben innerhalb von Zeit und Raum hartnäckiger geisseln als in der voyage au bout de la nuit? vermögt Ihr den entgleisten Menschen-ineiner-schiefen-Gesellschaft besser in sein richtiges Verhältnis des lebenden und denkenden Tiers zu rücken als der Liebhaber der Lady Chatterley? vermögt Ihr nüchterner als Lenin, naturalistischer als Zola, bildsprachiger als die Bibel mit den Worten umzuspringen? ist es Euch gegeben, gravitätischer und unfehlbarer zu sein als der Papst in Rom, märchenhafter unsittlicher als Tausend-und-I-Nacht, himmlischer als die Nachfolge-Christi, schlauer und feingeistiger als Reinaert von Willem-der-Madoc-machte, tragibäurischer als der Isengrinus von Nivardus? und könnt Ihr moderner ungläubig-räudiger sein als das Tropic-of-capricorn?, oder romantisch-miserabilistischer als De Vorstad-wächst? Und wenn Ihr seht, wie der kantike Schulmeister schweigt und wie er die Lippen zusammenpresst, antwortet Ihr: es ist möglich, dass es unmöglich ist, etwas neuer und richtiger zu sagen, doch über alles Geschriebene senkt sich der Staub der Zeiten, und darum glaube ich, dass es gut sei, wenn alle 10 Jahre ein anderer ein Kreuz macht über all die alten Sachen und die Welt-von-heute von neuem ausspricht, mit anderen Worten. (Boon 1970, 9–10) 4.4.2.4. Marga Minco, De mannen Die Hauptperson Marga Mincos Het bittere kruid erzählt im folgenden Textabschnitt, wie ihre Eltern während dem Krieg verschleppt werden. De mannen Op de avond dat de mannen kwamen, liep ik het tuinpoortje uit. Het was een zachte voorjaarsdag geweest. We hadden ’s middags in ligstoelen in de tuin gelegen en ’s avonds merkte ik dat mijn gezicht al wat verbrand was. Mijn moeder was de hele week ziek geweest en die middag lag ze, weer wat opgeknapt, in de zon. ‚Morgen begin ik aan een zomertrui voor je‘, beloofde ze mij. Mijn vader lag zwijgend een sigaar te roken en liet het boek op zijn schoot dichtgeslagen. Ik haalde een racket uit de schuur en ging wat oefenen tegen het muurtje. De bal vloog er geregeld overheen en dan moest ik het tuinpoortje openen om hem in de straat op te sporen. Ook kwam hij wel eens achter de schutting terecht. Tussen onze tuin en die van de buren was een smalle geul, met aan weerszijden een schutting. Je kon er net in staan zonder gezien te worden. Terwijl ik naar mijn bal zocht, kwam mijn vader kijken. ‚Dat zou een mooie schuilplaats zijn‘, zei hij. Hij klom over de schutting en we hurkten achter een boom, die noch van ons, noch van de buren was. Onze voeten zakten weg in de zachte grond en het rook er naar rotte bladeren. Terwijl we daar in het halve duister verborgen zaten, floot mijn vader even. ‚Hallo‘, riep hij daarna. ‚Waar zitten jullie?‘ vroeg mijn moeder. Ze scheen gedut te hebben.

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

425

‚Kun je ons zien?‘ riep mijn vader. ‚Nee‘, riep mijn moeder, ‚waar zitten jullie dan?‘ ‚Hier‘, zei mijn vader, ‚achter de schutting, kijk maar eens goed‘. We gluurden door een spleet en zagen mijn moeder dichterbij komen. ‚Ik zie jullie nog steeds niet‘, zei ze. ‚Mooi‘, zei mijn vader. Hij rekte zich uit en sprong behendig over de schutting. ‚Blijf jij nog even zitten‘, zei hij tegen mij. Hij beduidde nu mijn moeder dat ze ook moest proberen er over heen te klimmen. ‚Waarom nou?‘, vroeg ze. ‚Probeer het maar eens‘, zei hij. Mijn moeder moest het een paar keer overdoen voor mijn vader vond dat ze het vlot deed. Hij klom er nu zelf ook weer overheen en met zijn drieën hurkten we in de geul. ‚Geen mens die ons hier zoekt‘, zei hij. ‚Laten we nog even blijven zitten, om te zien of we het lang in deze houding vol kunnen houden.‘ Maar ik ontdekte tussen de bladeren mijn bal. ‚Ik ga backhand oefenen‘, riep ik en sprong de tuin in. Mijn vader en moeder bleven zitten. ‚Zie je ons?‘, riep mijn vader. ‚Nee‘, riep ik, ‚ik zie niets‘. Toen kwamen ze weer te voorschijn. Mijn moeder klopte haar kleren af. ‚Ik ben helemaal vies geworden‘, zei ze. ‚Morgen zal ik er een kuil graven en de bladeren wat wegharken, zodat we beter kunnen zitten‘, zei mijn vader. Die avond, na het eten, stond ik voor het raam en keek naar buiten. Er liep geen mens op straat. Het was zo stil dat je de vogels kon horen fluiten! ‚Ga maar bij het raam weg‘, zei mijn moeder. ‚Er is niets te zien‘, zei ik. Toch keerde ik me om en ging zitten. Mijn moeder schonk thee. Zacht bewoog ze zich tussen de theetafel en ons. ‚Misschien was het toch beter als we geen thee dronken‘, zei mijn vader. ‚Wanneer ze mochten komen, kunnen we vlug naar de tuin gaan.‘ ‚Het is zo ongezellig zonder thee‘, vond mijn moeder. Langzaam werd het donker. Terwijl mijn vader de gordijnen dichtschoof, dreunden de eerste vrachtwagens voorbij. Hij bleef met het gordijn in zijn hand staan en keek ons aan. ‚Daar gaan ze‘, zei hij. ‚Ze rijden voorbij‘, zei mijn moeder. We luisterden naar de geluiden die van buiten kwamen. Het motorgeronk verwijderde zich. Enige tijd bleef het stil. Daarna hoorden we opnieuw auto’s door de straat gaan. Het duurde nu langer voor het weer rustig werd. Maar toen viel er een stilte, die we nauwelijks durfden verbreken. Ik zag mijn moeder naar haar half gevuld theekopje kijken en wist dat ze het uit wilde drinken. Maar zij bewoog zich niet. Na enige tijd zei mijn vader: ‚We wachten nog tien minuten, dan steken we het grote licht aan‘.

426

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Maar voor die tien minuten om waren, ging de bel. Het was even voor negenen. We bleven zitten en keken elkaar verbaasd aan. Alsof we ons afvroegen: Wie zou daar zijn? Alsof we het niet wisten. Alsof we dachten: Het kan net zo goed een kennis wezen, die op visite komt. Het was immers nog vroeg in de avond en de thee stond klaar. Ze moeten een loper gehad hebben. Ze stonden in de kamer voor we ons hadden kunnen verroeren. Het waren grote mannen en ze hadden lichte regenjassen aan. ‚Haal onze jassen even‘, zei mijn vader tegen mij. Mijn moeder dronk haar kopje thee uit. Met mijn mantel aan, bleef ik in de gang staan. Ik hoorde mijn vader iets zeggen. Een van de mannen zei iets terug. Ik kon niet verstaan wat het was. Ik luisterde met mijn oor tegen de kamerdeur. Weer hoorde ik mijn vaders stem en weer verstond ik het niet. Toen draaide ik me om, liep de keuken door, de tuin in. Het was donker. Mijn voet stootte tegen iets ronds. Het moest een bal zijn. Zacht trok ik het tuinpoortje achter me dicht en rende de straat uit. Ik bleef rennen tot ik op het Frederiksplein kwam. Er was niemand te zien. Alleen een hond liep snuffelend langs de huizenkant. Ik stak het plein over. Het was alsof ik alleen was in een verlaten stad. (Minco 1956/57, 145–148) Übersetzung: Die Männer Am Abend, als die Männer kamen, ging ich zur Gartenpforte hinaus. Es war ein milder Frühjahrstag. Wir hatten nachmittags in Liegestühlen im Garten gelegen, und abends merkte ich, dass mein Gesicht schon etwas verbrannt war. Meine Mutter war die ganze Woche krank gewesen, und an diesem Nachmittag lag sie, wieder etwas erholt, in der Sonne. „Morgen fangʼ ich einen Sommerpullover für dich an“, versprach sie mir. Mein Vater lag schweigend im Liegestuhl, rauchte eine Zigarre und liess das Buch auf seinem Schoss zugeschlagen. Im Schuppen hatte ich einen Schläger und einen Tennisball gefunden, den ich zur Übung ein bisschen gegen die kleine Mauer spielte. Der Ball flog regelmässig darüber hinweg, und dann musste ich die Gartenpforte öffnen, um ihn auf der Strasse zu suchen. Manchmal landete er auch hinter dem Bretterzaun. Zwischen unserem Garten und dem der Nachbarn war ein schmaler Graben mit einem Zaun an jeder Seite. Man konnte gerade eben darin stehen, ohne gesehen zu werden. Während ich nach meinem Ball suchte, kam mein Vater. „Das wäre ein gutes Versteck“, sagte er. Er kletterte über den Zaun, und wir kauerten hinter einem Baum, der weder uns noch den Nachbarn gehörte. Unsere Füsse versanken im weichen Boden, und es roch nach vermoderten Blättern. Während wir da im Halbdunkel verborgen sassen, pfiff mein Vater kurz.

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

427

„Hallo“, rief er dann. „Wo seid ihr?“ fragte meine Mutter. Sie hatte wohl etwas gedöst. „Kannst du uns sehen?“ rief mein Vater. „Nein“, rief meine Mutter, „wo seid ihr denn?“ „Hier“, sagte mein Vater, „hinter dem Zaun. Guck mal genau hin.“ Wir spähten durch eine Ritze und sahen meine Mutter näherkommen. „Ich sehe euch noch immer nicht“, sagte sie. „Schön“, rief mein Vater. Er streckte sich und sprang behende über den Zaun. „Bleib du noch sitzen“, sagte er zu mir. Er gab nun meiner Mutter zu verstehen, dass sie auch versuchen sollte hinüberzuklettern. „Warum denn?“ fragte sie. „Versuch’s doch mal“, sagte er. Meine Mutter musste es noch einige Male wiederholen, bis mein Vater fand, dass sie es gut genug machte. Er kletterte nun selbst auch wieder hinüber, und wir kauerten zu dritt im Graben. „Hier sucht uns kein Mensch“, sagte er. „Lasst uns noch ein wenig so sitzen bleiben, um zu sehen, ob wir es in dieser Stellung aushalten können.“ Aber ich entdeckte zwischen den Blättern meinen Ball. „Ich gehʼ meine Rückhand trainieren“, rief ich und sprang in den Garten. Mein Vater und meine Mutter blieben sitzen. „Siehst du uns?“ rief mein Vater. „Nein“, rief ich, „ich seh nichts.“ Darauf kamen sie wieder zum Vorschein. Meine Mutter klopfte ihre Kleider ab. „Ich bin ganz schmutzig geworden“, sagte sie. „Morgen werde ich da ein Loch graben und die Blätter wegharken, damit wir besser sitzen können“, sagte mein Vater. An diesem Abend stand ich nach dem Essen am Fenster und sah nach draussen. Kein Mensch war auf der Strasse. Es war so still, dass man die Vögel zwitschern hören konnte. „Geh mal vom Fenster weg“, sagte meine Mutter. „Es ist nichts zu sehen“, sagte ich. Trotzdem drehte ich mich um und setzte mich. Meine Mutter schenkte Tee ein. Leise bewegte sie sich zwischen uns und dem Teewagen. „Vielleicht wäre es doch besser, wenn wir keinen Tee trinken würden“, sagte mein Vater. „Wenn sie kommen sollten, könnten wir schnell in den Garten gehen.“ „Es ist so ungemütlich ohne Tee“, fand meine Mutter. Langsam wurde es dunkel. Während mein Vater die Vorhänge zuzog, dröhnten die ersten Lastwagen vorbei. Er blieb mit dem Vorhang in der Hand stehen und sah uns an. „Da fahren sie“, sagte er. „Sie fahren vorbei“, sagte meine Mutter. Wir horchten auf die Geräusche, die von draussen kamen. Das Motorengeraüsch entfernte sich. Einige Zeit blieb es still. Danach hörten wir erneut Autos durch die Strasse fahren. Es dauerte nun länger, bevor es wieder ruhig wurde. Aber dann entstand eine Stille, die wir kaum zu durchbrechen wagten. Ich sah meine Mutter

428

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

auf ihre halbgefüllte Teetasse blicken, und ich wusste, dass sie sie austrinken wollte. Aber sie bewegte sich nicht. Nach einiger Zeit sagte mein Vater: „Wir warten noch zehn Minuten, dann machen wir das grosse Licht an.“ Aber bevor die zehn Minuten um waren, klingelte es. Es war kurz vor neun. Wir sahen einander erstaunt an. Als ob wir uns fragten: Wer könnte das sein? Als ob wir es nicht wussten! Als ob wir dachten: Es kann genauso gut ein Bekannter sein, der auf Besuch kommt! Es war schliesslich noch früh am Abend, und der Tee stand bereit. Sie mussten einen Dietrich gehabt haben. Sie standen im Zimmer, bevor wir uns hatten rühren können. Es waren grosse Männer, und sie hatten helle Regenmäntel an. „Hol mal unsere Mäntel“, sagte mein Vater zu mir. Meine Mutter trank ihren Tee aus. Ich zog meinen Mantel an und blieb im Flur stehen. Ich hörte meinen Vater etwas sagen. Einer der Männer erwiderte etwas. Ich konnte nicht verstehen, was es war. Ich lauschte mit dem Ohr an der Zimmertür. Wieder hörte ich die Stimme meines Vaters, und wieder verstand ich nichts. Dann drehte ich mich um, lief durch die Küche in den Garten. Es war dunkel. Mein Fuss stiess gegen etwas Rundes. Es musste mein Ball sein. Leise zog ich die Gartentür hinter mir zu und rannte die Strasse hinunter. Ich rannte ununterbrochen weiter bis ich zum Frederiksplein kam. Es war niemand zu sehen. Nur ein Hund lief schnüffelnd an den Häuserwänden entlang. Ich überquerte den Platz. Es war, als wäre ich allein in einer verlassenen Stadt. (Marga Minco 1985, 65–69) 4.4.2.5. Lyrik von Bühnenkünstlern Die folgenden Texte stammen von in den Niederlanden geliebten Kabarettisten. Toon Hermans Geluk Hij zocht het geluk, het grote „hèt“ hij zocht, maar vond het niet en vele malen stond hij met een kluitje in het riet hij zocht het geluk in het dal, aan de top maar werd het zoeken moe eerst toen hij zei: ik geef het òp toen kwam het naar hem toe.

Toon Hermans, Vandaag is de dag. Baarn 2008, 107.

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

Übersetzung: Glück Er suchte das Glück, das grosse „das“ Er suchte, aber fand es nicht und viele Male bekam er Antworten, mit denen er nichts anfangen konnte er suchte das Glück im Tal und auf der Höh’ aber er wurde müde vom Suchen, erst als er sagte: ich geb’ es auf da kam es auf ihn zu. Dolf Brouwers Ga nooit weg zonder te groeten, ga nooit heen zonder een zoen. Wie het noodlot zal ontmoeten, kan het morgen niet meer doen. Ga nooit weg zonder te praten, dat doet soms een hart zo pijn. Wat je ’s morgens hebt verlaten, kan er ’s avonds niet meer zijn. (...) www.lyrics.network Übersetzung: Geh’ nie weg ohne zu Geh’ nie weg ohne zu grüssen, geh’ nie weg ohne Abschiedskuss. Wen das Schicksal treffen wird, Der kann es morgen nicht mehr tun. Geh’ nie weg ohne zu reden, Das tut manchmal einem Herzen so weh’ Was du morgens verlassen hast, Kann es abends nicht mehr geben. (...)

429

430

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Bram Vermeulen De steen Ik heb een steen verlegd in een rivier op aarde. Het water gaat er anders dan voorheen. De stroom van een rivier hou je niet tegen. Het water vindt altijd een weg omheen. Misschien eens gevuld door sneeuw en regen, neemt de rivier mijn kiezel met zich mee. Om hem dan glad en rond gesleten, te laten rusten in de luwte van de zee. Ik heb een steen verlegd in een rivier op aarde. Nu weet ik dat ik nooit zal zijn vergeten, ik leverde bewijs van mijn bestaan. Omdat, door het verleggen van die ene steen, de stroom nooit meer dezelfde weg kan gaan. Ik heb een steen verlegd in een rivier op aarde. Nu weet ik dat ik nooit zal zijn vergeten, ik leverde bewijs van mijn bestaan. Omdat, door het verleggen van die ene steen, het water nooit dezelfde weg kan gaan. Bram Vermeulen, Ik heb een steen verlegd. Hg. von P. de Munnik. Amsterdam/Antwerpen 2007, 202–203.

Übersetzung: Der Stein Ich habe einen Stein verschoben in einem Fluss auf Erden. Das Wasser fliesst anders als davor. Den Strom eines Flusses kann man nicht aufhalten, das Wasser findet immer einen Weg herum. Vielleicht einst gefüllt mit Schnee und Regen, nimmt der Fluss mein Steinchen mit, Um ihn dann glatt und rund geschliffen, Zu betten im Lee der See.

4.4. Textbeispiele aus der Nachkriegszeit

431

Ich habe einen Stein verschoben in einem Fluss auf Erden. Jetzt weiss ich, dass man mich nie vergisst, Ich lieferte den Beweis, dass es mich gab. Weil, durch das Verschieben dieses einen Steins, Der Strom nie mehr denselben Weg fliessen kann. Ich habe einen Stein verschoben in einem Fluss auf Erden. Jetzt weiss ich, dass man mich nie vergisst, Ich lieferte den Beweis, dass es mich gab, Weil, durch das Verschieben dieses einen Steins, Das Wasser nie mehr denselben Weg fliessen kann.

4.4.2.6. Ramsey Nasr, mi have een droom Der Dichter Ramsey Nasr verfasste 2009 zur Eröffnung der Rotterdamer Architektur Biennale das Gedicht mi have een droom. Im Gedicht schaut ein Rotterdamer im Jahr 2059 auf das alltägliche Leben im Jahr 2009 zurück. In einer einzigartigen Pidgin-Sprache, gespickt von Ausdrücken, die Marokkaner, Surinamer und Antillianen verwenden, denkt der Protagonist an die Zeit zurück, als er Mädchen zu verführen versuchte. Die sittenlose Jugend aus dem Jahre 2059 ruft bei ihm Ekel auf: di playen biggi pompoe pompoe, aber komen niet van hiro & di zuigt maar / & di praat maar habbi dabbi & di doet maar takki takki poep & ik zeg you / di bokitoos hebben geen props of respect, di hebben da dockz in da fitti gezet. Auf eine Übersetzung des Textes, den genauer zu lesen sich lohnt, wird hier verzichtet. mi have een droom (Rotterdam, 2059) wullah, poetry poet, let mi takki you 1 ding: di trobbi hier is dit ben van me eigen now zo 66 jari & skerieus ben geen racist, aber alle josti op een stokki, uptodate, wats deze shit? ik zeg maar zo mi was nog maar een breezer als mi moeder zo zei: „azizi doe gewoon jij, doe je gekke shit genoeg, wees beleefd, maak geen tsjoeri toon props voor je brada, zeg ‚wazzup meneer‘, ‚fawaka‘ – en duh beetje kijken op di smatjes met ze toetoes is no trobbi beetje masten, beetje klaren & kabonkadonk is toppi aber geef di goeie voorbeeld, prik di chickies met 2 woorden“ zo deed mi moeder takki toen & boem tranga! kijk, hier staat ik hand in hand, harde kaas, api trots op di belanda, niet dan? now dan, want mi lobi roffadam & deze stitti is mi spanga ja joh, tantoe bigfoot long ago, toen was geluk gewoon da shit wij rampeneerden & met mate, heel di hoed was 1 famiri weinig doekoe, aber boeiee: keek me gaan, keek me lopen

432

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

met me broekoe, keek me clippen met me ketting, wullah mi was di grote otochtone condoekoe van vele boezoemies op leip lauwe pattaas kwam ik vet binnensteppen van pompi doppe loperdelopi door di stad, dat met ze gebouwen botertje bats aan di bigtime poemani-master ze voets lag & keek ze now leggen: moeilijk lekker roffadam, met ze amperbroeki an, heet & klaar in spleetlauwe stegjes & zij zo: „kom kill, wandel dan, moeni worri tab je lippi, play mi down op plattegrond, breek mi billen, gimmi bossi“ & bakoekboe jawohl, daar gingen wi dan, mi & di stitti, kierend van mond tot mond – mi schudde di doesji, zi schudde mi hard terug & lang & op & down tot binnen in ons (oh blueberry yam yam) di zon lijk een smeltende bal naar omhoog kwam: knetter & glowy opende zich di stitti ze eigen, rees op & kwam roze rondom mi te leggen dát was roffadam: wi wandelden strak & di regen was gone zo ging dat dan, in di goeie ouwe klok van glim & gouwe tiffies aber now wullah, now dat ik old & bijna didi, now zit ik hier game over te kniezen op me stoeroe, in een kapot veranderde stitti word ik remi da rimpel, weke pampa achter glas & ik zweer je gast deze land is niet meer wat ze was - sjoef dan habibi, sjoef door di ruiten al di toelies, al di tuigkoppen uit di tegenwoordige tijd, oyooo di playen biggi pompoe pompoe, aber komen niet van hiro & di zuigt maar & di praat maar habbi dabbi & di doet maar takki takki poep & ik zeg you di bokitoos hebben geen props of respect, di hebben da dockz in da fitti gezet dus poetry poet, kijk me ogen, luister me oren, want hier is ki torri hardcore & luid: mi have een droom, vol is vol, belanda boven sluiten di shit & alles wordt wider basis controller, luchtdicht lijk da weerga terug naar di wortel – vóór alle stitties zwaar paraloezoe & dikke ruïna ja mi have een droom, dat me matties & ik ooit di zon wider clearly omlagi zien komen, groter & groter, om dan benoekoe vaarlijk & slow hier boven di straties, di cribs & di homies van roffadam nider te dalen lijk een warme babeloeba in me gezicht - mi have een droom vandaag lang bewaard & opgezwollen, dat heel di stitti wider lijk vroeger over mi komt & mi wegpakt, in ze wreed tedere vel van di nacht & vroeger nog, toen di dag nog niet dwars door mi heen kwam gewaaid lijk gruis in me wijdopen hart - tantoe vroeger, daar have ik een droom blakka-zwart & wit lijk snow, want daar bleef alles lijk het was daar zijn da pieps nog keurig & strak -mi have een droom van brekend glas ik droom achteruit, van een stittie die stilstaat & thuis op mi wacht www.kb.nl.themas.ramsey-nasr

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

433

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen Wer versucht, kennzeichnende Erneuerungen in der niederländischen Sprache seit 1800 zu inventarisieren, sieht sich einer Quellenlage gegenübergestellt, die es erschwert, zuverlässige Aussagen zu Entwicklungstendenzen zu machen. So findet im 19. Jh. das überregionale Niederländisch seine Verwendung hauptsächlich in der schriftlichen Kommunikation. Die Schriftsprache widerspiegelte jedoch als nachahmenswerte, vorbildliche Form des AN nur zum Teil den sprachlichen Ist-Zustand. Zudem ist die grosse Mehrheit der Grammatiken aus dem 19. Jh. als normativ einzustufen: sie beschreiben folglich ebenfalls nur teilweise die tatsächliche Verwendung des Niederländischen ihrer Zeit. Daher lassen sich zum Beispiel lautliche oder morphologische Änderungen in der gesprochenen Sprache nur lückenhaft rekonstruieren. Die zunehmende Anwendung des AN in der mündlichen Kommunikation seit Anfang des 20. Jh. geht Hand in Hand mit einer Annäherung zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache. Anders als im 19. Jh. können jüngere schriftliche Quellen daher den Ist-Zustand des AN glaubwürdiger wiedergeben. Zudem werden die Grammatiken vermehrt deskriptiv, weiter vermitteln Tonträger Daten zu Phonemik, Grammatik und Lexik des AN. Während das AN im 19. Jh. vor allem eine Form der Schriftsprache darstellte, die nachzuahmen war, handelt es sich in jüngster Zeit um eine dominierende Sprachvarietät, die sich ein Grossteil der Bevölkerung im Laufe des 20. Jh. angeeignet hat und nicht selten in sämtlichen Sprachdomänen spricht. Es dürfte einleuchten, dass die im Folgenden erwähnten jüngeren Änderungen im AN sich daher häufig nicht unmittelbar aus in der Schriftsprache des 19. Jh. festgehaltenen sprachlichen Phänomenen herleiten lassen. Die folgenden Ausführungen beruhen auf einer Vielzahl verschiedenartiger sprachhistorischer Gegebenheiten. Für die Beschreibung dieser heterogenen Daten wurde eine Einteilung in Phonemik, Syntax und Morphologie sowie Lexik vorgenommen. Sodann wurde für die Darstellung einiger syntaktischer und morphologischer Erneuerungen eine Gliederung in ‚Strukturen nominaler Gruppen‘ beziehungsweise ‚Strukturen verbaler Gruppen‘ gewählt. Diese Systematisierung der Behandlung des Stoffes, die in diesem Rahmen nicht weiter theoretisch zu begründen ist, ähnelt grösstenteils der Gliederung linguistischer Daten in gängigen Handbüchern. Auch die Verwendung der Fachausdrücke, deren Bedeutungen vom jeweiligen Kontext näher bestimmt werden, schliesst beim üblichen Gebrauch in sprachwissenschaftlichen Übersichtswerken wie beispielsweise J.M. van der Horsts Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis an.

4.5.1. Phonemik Das Lautinventar des Neuniederländischen, das sich seit dem 16. Jh. festigte, ist das Ergebnis sowohl sprachexterner wie auch gesetzmässiger sprachinterner Entwicklungen (vgl. HNA 3.4., 4.4. und 5.4.). Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass sich im 18. Jh. und 19. Jh. verglichen

434

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

mit früheren Sprachstufen keine grote klankveranderingen (‚grossen lautlichen Änderungen‘) ergeben haben (Van der Sijs 2005 [a], 105). Ebenso wenig kann in der jüngsten Zeit von tiefgreifenden, systembedingten lautlichen Erneuerungen im AN die Rede sein. Wie in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt wurde, etablierte sich das moderne gesprochene dialekt- und soziolektfreie Niederländisch erst langsam im 19. Jh. Lautliche Formen dieses ‚zivilisierten‘ Niederländisch standen während diesem Vorgang nach wie vor zur Diskussion. Bezeichnenderweise stellt J.W. Muller 1891 beispielsweise noch fest, dass in der beschaafde taal (‚zivilisierten Sprache‘) meistens zee (‚sagte‘) und zeeje(n) durch zei beziehungsweise zeie(n) ersetzt wird: Ik zee, we zeeje(n), wordt in beschaafde taal thans meestal vervangen door zei en zeie(n), maar ik ben met mijn werk uitgescheiden, hoezeer grammaticaal juist, wordt door een Hollander nauwelijks verstaan: het is hem zoogoed als onmogelijk iets anders te zeggen dan uitgescheeje(n). (Muller 1891, 203) (‚Ik zee, we zeeje[n], wird in der zivilisierten Sprache heute meistens von zei und zeie[n] ersetzt, aber ik ben met mijn werk uitgescheiden [ich habe die Arbeit eingestellt], wie sehr dies grammatikalisch richtig ist, wird von einem Holländer kaum verstanden: es ist ihm so gut wie unmöglich, etwas anderes als uitgescheeje(n) zu sagen.‘) Heute würde kein AN-Sprecher zei oder zei(d)en als die ‚korrekten‘ Formen anzweifeln. Eine systematische Zusammenfassung lautlicher ,Entwicklungen‘ des AN seit Anfang des 19. Jh. stellt sich vor allem deshalb als schwierig heraus, weil sich ein gesprochenes Standardniederländisch zuerst noch etablieren musste, wie das angeführte Beispiel zeigt. Zudem verwendete anfänglich nur ein Bruchteil der Bevölkerung ein sozio- und dialektfreies Niederländisch. So sprachen Anfang des 20. Jh. laut G.G. Kloeke weniger als 3 % der Bevölkerung ABN (Kloeke 1951). Noch 1935 sagte Königin Wilhelmina in der Thronrede: De juiste en diepere kennis en de zuivere uitspraak van onze Nederlandsche taal zal daarbij ook verder bevorderd worden. (www.troonredes.nl/17september 1935) (,Die richtigen Kenntnisse und die saubere Aussprache unserer Sprache werden dazu auch gefördert.’) So darf man folgern, dass die Aussprache des AN vor dem Zweiten Weltkrieg noch nicht unter den Bürgern aller sozialen Schichten verbreitet war (Van de Velde 1996, 26). Hinzu kommt, dass sich im Norden eine von den Bewohnern der Randstad geprägte Norm des gesprochenen Niederländisch herausbildete, die in den Medien berücksichtigt wird, während das in den Medien gesprochene AN im Süden leicht brabantisch gefärbt ist:

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

435

In Nederland is het Randstadnederlands de officieuze spreektaalnorm van de media en in Vlaanderen is het Brabantse Nederlands diezelfde normerende rol gaan spelen. (Beheydt, zitiert in Van de Velde 1996, 53) (‚In den Niederlanden ist das Niederländisch der Randstad die inoffizielle Sprachnorm der Medien und in Flandern hat brabantisch-Niederländisch die gleiche normierende Rolle übernommen.‘) So ist es problematisch, lautliche Änderungen des AN seit 1800 verallgemeinernd darzustellen. Dennoch sollen hier einige wenige lautliche Merkmale des AN kurz beleuchtet werden. Von den vorkommenden Aussprachevarianten der Vokale und Diphthonge entsprechen nur gewisse Artikulationsweisen einer allgemein akzeptierten Norm des AN. So hat sich eine sekundäre Monophthongierung von [єi], [˄ü] und [ɔu], die in den holländischen Städten entstand, nicht im AN behauptet, wie das oben zitierte Beispiel zeigt: ik zee (‚ich sagte‘), AN: ik zei. Ebenso wenig entspricht die Diphthongierung von [e.], [o.] und [ö.] der AN-Aussprache (vgl. van der Wal et al. 2008, 412). Sodann artikulieren Sprecher des AN im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte unbetonte Silben vermehrt als Schwa, vgl. beispielsweise die Aussprache von (‚der‘, ‚die‘) als [dǝ] oder von (‚Motor‘) als [mo.tǝr]. Weiter kommt seit den Siebzigerjahren des 20. Jh. namentlich in der Randstad die Aussprache von [єi] als [a.į] vermehrt vor, vgl. eine Aussprache von hij blijft (‚er bleibt‘) als [ha.i] [blai.ft]. Eine solche Aussprachvariante galt ursprünglich als ungepflegt, bereits 1625 lehnte Christiaen van Heule ähnliche Artikulationsweisen ab (vgl. HNA 347). Ebenfalls artikuliert seit einigen Jahrzehnten eine zunehmende Zahl von Sprechern des AN im Westen der Niederlande [ɔu] und [˄ü] offen, vgl. die Aussprache von huis (‚Haus‘) als [hɔus] statt als [h˄üs] und koud (‚kalt‘) als [kaaut] statt als [kɔut]. Zudem sprechen sie [e.], [o.] und [ö.] stark diphthongisch aus. Es bleibt abzuwarten, ob dieses sog. poldernederlands (vgl. Stroop 1998, Jacobi 2009) sich behauptet, wenn Fernseh-und Hörfunkmoderatoren weiterhin solche Artikulationsweisen tendenziell zu meiden scheinen. Bei der Aussprache der Konsonanten fällt eine geänderte Aussprache des /r/ auf. Ursprünglich artikulierte man diesen Vibrant mit einem mehrfachen Anschlagen der Zungenspitze vorne gegen einen Teil des Gaumens. Im 18. Jh. wurde wohl unter Einfluss des Französischen, das die privilegierten Schichten vorzugsweise sprachen, die Aussprache eines sog. ‚Zäpfchen‘-/r/ gebräuchlicher. Dieser stimmhafte uvulare Frikativ wird reibend am Zäpfchen erzeugt. Weiter werden [v], [z] und [ɣ] insbesondere als Anlaut im Norden tendenziell stimmlos, vgl. fan (van, ‚von‘), ses (zes, ‚sechs‘) oder chehad (gehad, ‚gehabt‘), vgl. Van der Wal et al. 2008, 412 ff. Auch der Wegfall des Schwa in der Artikulation von Wörtern wie chwoon (gewoon, ‚einfach so‘) oder chlove (geloven, ‚glauben‘) kommt vermehrt vor und hängt wohl mit einer grosszügigeren Handhabung einer sprachlichen Norm durch die ABN-Sprecher im Norden zusammen.

436

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Schliesslich ist zu erwähnen, dass Untersuchungen zur Sprachverwendung in den Medien zeigen, dass sich die Aussprache des AN im Süden während des 20. Jh. kaum geändert hat. Sie schliesst bei der Aussprache des AN der Dreissigerjahre im Norden an (Van de Velde 1996, 237). Im Norden lässt sich dagegen mehr Variation feststellen, immer mehr Elemente der informellen Sprachverwendung der Randstadbewohner prägen die Aussprache der AN-Sprecher im Norden (Van de Velde 1996, 239).

4.5.2. Syntax und Morphologie Eine jahrhundertelange Kultivierung und Kodifizierung des Neuniederländischen hatte zur Festigung einer tendenziell konservativen Schriftsprache geführt, die Änderungen in der Sprache nur beschränkt zuzulassen beziehungsweise zu widerspiegeln vermochte. Dennoch geben schriftliche Quellen Erneuerungen preis, die sich seit den letzten zwei Jahrhunderten in der Syntax und Morphologie des AN vollzogen. Die folgenden Abschnitte enthalten keinen zusammenfassenden Überblick der historisch gewachsenen Syntax und Morphologie des Niederländischen, sondern stellen einige der jüngeren Änderungen in nominalen und verbalen Phrasen zur Diskussion. Während der letzten zwei Jahrhunderte haben sich Strukturen nominaler und verbaler Gruppen geringfügig geändert, wie aus den folgenden Abschnitten hervorgeht. Von einem Kasussystem, das bereits im Mittelniederländisch im Zerfall war, sind noch Reste übrig. Es ist anzunehmen, dass ‚Funktionen‘ des Kasus von anderen syntaktischen Mitteln wie Wortfolge oder die Verwendung von Präpositionen ersetzt wurden. So wäre an Stelle des Dativs ein indirektes Objekt mit der Präposition aan gekommen, vgl. aan mijn tante in: Hij schreef aan mijn tante een mail (‚Er schrieb meiner Tante eine Mail‘). Die gleiche Information kann durch die Wortfolge zum Ausdruck gebracht werden. In diesem Fall steht das indirekte Objekt vor dem direkten Objekt: Hij schreef mijn tante een mail. Eine umgekehrte Reihenfolge ist nicht möglich: *Hij schreef een mail mijn tante. Diese Reihenfolge ist grammatikalisch nur korrekt mit der Präposition: Hij schreef een mail aan mijn tante. Die unten angeführten Belege stammen u. a. aus den Textbeispielen des vorliegenden Buches und diversen Zeitungen, Heften sowie Internetsites. Zudem werden Beispiele aus dem Woordenboek der Nederlandsche taal (WNT), der Algemene Nederlandse Spraakkunst (ANS) und aus J.M. van der Horsts Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis (GNS) zitiert. Dieses Standardwerk wird im Weiteren insbesondere berücksichtigt. Wo möglich ist bei den Zitaten das Jahr der angeführten Quelle erwähnt, bei Belegen aus dem WNT wird das betreffende Wort-Lemma kursiv vermerkt. 4.5.2.1. Strukturen nominaler Gruppen Bereits im Neuniederländischen waren nomininale Gruppen mit Adjektiven als Linksattribute gebräuchlich geworden. Substantiven können Determinativen wie Artikel, Demonstrativa und Possessiva vorhergehen (siehe HNA 465 ff), vgl. beispielsweise das Adjektiv onnaspeurlyke und das Possessivum Zyn in Zyn onnaspeurlyke Wysheid 1861 (,Seiner unergründlichen Weisheit‘ Multatuli 1992, 99).

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

437

Sodann kommt im 19. Jh. noch ein Demonstrativ mit begleitendem Possessiv vor, vgl. deze und uwe in Siegenbeeks Beispiel alle deze uwe zes snelle paarden 1810 (‚alle diese Ihre sechs schnellen Pferde‘ GNS 1946). Diese Struktur ist im jüngsten AN weggefallen. Zahlwörter wie beide können im 19. Jh. noch vor den übrigen Determinativen stehen, vgl. bei in Ik luister al met bei mijn ooren 1865 (‚Ich höre schon mit beiden meinen Ohren‘ GNS 1963). Die im jüngsten Niederländisch gebräuchlich gewordene Position vor dem Bezugswort kam früher ebenfalls bereits vor, vgl. beide in Een paar woorden maakten de beide Heeren bekend 1785 (‚Ein paar Wörter machten die beiden Herren bekannt‘ WNT beide). Weiter erschienen vermehrt Substantive als Linksattribute wie kilo in twee kilo aardappelen (‚zwei Kilo Kartoffeln‘). Davon lassen sich bereits im 17. Jh. Beispiele wie een droppel wijn 1625 (‚ein Tropfen Wein‘ WNT druppel) finden. Häufig handelt es sich dabei um Attribute, die früher auch mit partitivem Genitiv vorkamen, vgl. een druppel nats 1583 (‚ein Tropfen Feucht‘ WNT druppel) und in der Schriftsprache des 19. Jh. nach wie vor gebräuchlich waren, vgl. geen enkele droppel bloeds 1841 (‚kein einziger Tropfen Blut‘ GNS 1623). Diese Konstruktionsweise ist heute im Niederländischen, das sich in seiner Entwicklung durch Flexionsverlust kennzeichnet, nicht mehr produktiv. Sodann kommen Attribute als Präpositionalphrasen nach dem Bezugswort vor, vgl. van Babel und van Noë in Sedert vijf jaar, gelijkt ons Nationael Tooneel zeer veel op den toren van babel en zelfs wel wat op de ark van Noë. 1859 (‚Seit fünf Jahren ähnelt unser Nationael Toneel sehr stark dem Turm Babels oder gar der Arche Noahs.‘ 3.1.2.2.2.). Zudem treten im 19. Jh. noch häufig mehrgliedrige Adjektiv- und Partizipkonstruktionen nach dem Bezugswort auf, wie in zoo vele ontelbare dialekten verdeeld in De spraak des volks, in zoo vele ontelbare dialekten verdeeld, is langzamerhand meer gewijzigd geworden naar de algemeene landtaal 1812 (‚Die Sprache des Volkes, in so vielen unzählbaren Dialekten verteilt, hat sich allmählich in eine allgemeine Landessprache geändert‘, vgl. 2.1.2). Auch gegen Ende des 19. Jh. sind nachgestellte Attribute mit Partizip nicht ungebräuchlich, so schreibt der Achtziger Lodwijk van Deyssel der literatuur aangedaan in een voortdurende beleediging, der literatuur aangedaan 1894 (‚eine fortdauernde Beleidigung, die der Literatur zugefügt wird‘, vgl. 3.7.2.4.). Solche Wortgruppen machen dann aber vermehrt für komplexe Linksattribute Platz, so im gleichen Text Van Deyssels: gij zijt over rekstokken hangende lappendekens 1894 (‚ihr seid über Reckstangen hängende Flickendecken‘). Es lassen sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte weitere Erneuerungen in Strukturen nominaler Gruppen feststellen. Im Folgenden stehen einige solcher Änderungen zur Diskussion. 4.5.2.1.1. Titel und Funktion in Attributen Namen von Personen gehen in der Regel die Funktionen und Titel voran, vgl. Koningin in Koningin Elisabeth liet de rovers (…) in yzere kooyen aan de boomen hangen 1697 (‚Königin Elisabeth liess die Räuber […] in eisernen Käfigen an den Bäumen hängen‘ WNT koningin). Die frühere Verwendung eines vorhergehenden Artikels vor der Bezeichnung einer Funktion kam inzwischen immer weniger vor, vgl. den in By den coninck Philippus 1725 (‚Bei König Philip‘ WNT koning) und dürfte am Anfang des 20. Jh. eine Seltenheit geworden sein, vgl. den in de

438

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

particuliere papieren van den minister van Maanen 1905 (‚die privaten Papiere des Ministers van Maanen‘ WNT minster). In der Regel fehlt in solchen Strukturen jedoch ein Artikel, vgl. prinses in Namens de Koningin brengt prinses Wilhelmina Maandag en Dinsdag een bezoek aan de getroffen gebieden 1953 (‚Im Namen der Königin besucht Prinzessin Wilhelmina am Montag und Dienstag die getroffenen Gebiete‘ 4.4.1.3.). Steht ein Adjektiv vor der Funktion oder dem Titel, so ist ein vorhergehender Determinativ gebräuchlich, vgl. den in onder den onsterfelijken Lord Wellington 1813 (‚unter dem unsterblichen Lord Wellington‘ 2.5.3.1.). Neuerdings wird dieser Determinativ in geschriebenen Texten auch weggelassen, vgl. CDA-fractieleider in de laatste week van het politieke zomerreces wist CDA-fractieleider Sybrand Buma de aandacht op zich te richten 2014 (‚Die letzte Woche der Sommer-Parlamentsferien wusste der CDA-Fraktionsleiter Sybrand Buma die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken‘ Christendemocraat.nl 28.8.2014), so auch in Oud-profvoetballer Andy van der Meijde wordt kickbokser. 2015 (‚Der ehemalige Profi-Fussballspieler Andy van der Meijde wird Kickboxer.‘ nu.nl 11.12.2015). Nominale Gruppen mit Namen, die sich nicht auf Personen beziehen, scheinen im modernen Niederländisch ebenfalls vermehrt ohne Artikel aufzutreten, vgl. Van der Horst 2008 (a), 1699. So fehlt im folgenden Beispiel der Artikel nicht nur vor der Wortgruppe hoofdredacteur Frits van Exter, sondern auch vor Opinieweekblad Vrij Nederland, vgl. Opinieweekblad Vrij Nederland (…) wordt volgend jaar een maandblad. Dat heeft vertrekkend hoofdredacteur Frits van Exter maandag bekendgemaakt. 2015 (‚Die Wochenzeitschrift Vrij Nederland wird nächstes Jahr ein Monatsheft. Das hat der Hauptschriftleiter Frits van Exter Montag bekanntgegeben.‘ Volkskrant.nl 14.1.2.2015). Übrigens enthält diese Nachricht in einer anderen Quelle durchaus den Artikel het vor opinieweekblad Vrij Nederland, vgl. Het opinieweekblad Vrij Nederland wordt een maandblad. Dat meldt het tijdschrift maandag op zijn website. 2015 (parool.nl 14.1.2.15). Wenn in diesem Typus nominaler Gruppen ein Artikel vorkommt, so steht das Attribut vor dem Bezugswort, vgl. opinieblad in Het opinieblad Vrij Nederland. Fehlt der Artikel jedoch, so scheint opinieblad das Bezugswort der Wortgruppe zu sein, vgl. opinieweekblad Vrij Nederland. Wie auch immer, aus den erwähnten Erneuerungen scheint sich eine Tendenz zu synthetischer Realisierung nominaler Gruppen abzuzeichnen. 4.5.2.1.2. Position von zo u. ä. in nominalen Gruppen Bis ins 19. Jh. kommt eine ältere Wortfolge nach Determinativen wie zo (‚so‘), dusdanig (‚derartig‘) u. ä. vom Typus het is so vroom een man 1649 (‚Es ist ein solcher frommer Mann‘ WNT zoo) vor. Ähnlich geht zóó dem Adjektiv klein und dem Artikel eene voran in zóó klein eene taak 1845 (‚eine solche kleine Aufgabe‘ WNT zoo). Als einleitendes Element eines nominalen Konstituenten steht zo im jüngsten AN dagegen vor dem Artikel, vgl. Zo’n lief kind toch! (‚n ist hier eine Kürzung von een: ‚Schau, so ein liebes Kind!‘ ANS 378). Übrigens ist eine solche Struktur bereits früher im Neuniederländischen belegt, vgl. beispielsweise dat zoo een zwaere misdaed ongewrooken was gebleeven 1654 (,dass ein solches schweres Verbrechen ungerächt geblieben war‘ WNT zoo). Sodann kommt bereits seit dem 18. Jh. eine Struktur mit Artikel gefolgt von zo vor, vgl. Kan een zo braaf Man 1784 (‚Kann ein solcher braver Mann‘ WNT

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

439

zoo). Die Wortfolge zo gefolgt von een wird im 19. Jh. gebräuchlicher, vgl. Heb je zoo een min idée van me 1889 (,Hältst Du so wenig von mir‘ WNT zoo). Falls ein Adjektiv fehlt, so stehen Determinativa wie zo u. ä. unmittelbar vor dem Artikel, vgl. Moet zodanig een weezen niet krimpen van smart 1785 (‚Muss ein derartiges Geschöpf nicht zusammenkrampfen vor Schmerzen‘ WNT zoodanig). Eine ähnliche Struktur enthält jij heb zo’n boel ondervonden 1900 (‚Du hast so einen Haufen erlebt‘ 4.2.2.1.). 4.5.2.1.3. Vorangehende Adverbien bei Linksattributen Primäre Linksattribute können bereits im Neuniederländischen von vorangehenden Adverbien spezifiziert werden, vgl. heel in Een heel welgestelt man 1612 (‚Ein sehr wohlhabender Mann‘ WNT heel). Dies ist ebenso im heutigen AN gebräuchlich, vgl. heel in een heel bijzonder ogenblik 1954 (‚ein ganz besonderer Augenblick‘ 4.4.2.2.). In nominalen Gruppen mit zo…mogelijk (‚so… wie möglich‘) konnte bis ins 20. Jh. mogelijk (‚möglich‘) rechts vom Bezugswort vorkommen, vgl. tenzij wij omtrent zo weinig punten mogelijk definities opstellen 1924 (‚es sei denn, dass wir zu möglichst wenigen Punkten Definitionen formulieren‘ GNS 1950). Diese Struktur kommt im jüngsten AN nicht mehr vor, vgl. zo weinig mogelijk in Ik heb geprobeerd zo weinig mogelijk planten te vertrappen. 2012 (‚Ich habe versucht, möglichst wenige Pflanzen zu zertrampeln.‘ onzetaal.nl, 6.12.2012). In adverbialen Konstituenten ohne Nomen kommt mogelijk übrigens an letzter Stelle, vgl. Zoo gauw mogelijk 1901 (‚bald möglichst‘ WNT mogelijk). Laut Van der Horst hat diese Struktur möglicherweise zur Entstehung von nominalen Wortgruppen geführt, worin mogelijk unmittelbar beim Adjektiv steht (GNS 1950), vgl. die Schlagzeile AZ met de grootst mogelijke moeite langs buurman Telstar 2015 (‚AZ überholt mit grösstmöglicher Mühe Nachbar Telstar‘ vi.nl 29.10.2015). Adverbien wie mogelijk, denkbaar (‚möglich, denkbar‘) u. ä. kommen neulich auch wieder in nachgestellten Position vor, vgl. denkbaar in Bestuur zorgt voor grootste scheuring denkbaar binnen Ajax 2015 (‚Vorstand verursacht grösst denkbare Spaltung bei Ajax‘ voetbalcentraal.nl 11.11.2015). 4.5.2.1.4. Mehrgliedrige attributive Adjektiv-, Infinitiv- und Partizip-Strukturen Wenn Infinitivformen von Verben auf -n wie zien (‚sehen‘), doen (‚tun‘), gaan (‚gehen‘) u. ä. den Kern eines Linksattributs bilden, weisen sie die passende Beugung auf (GNS 1952), vgl. verstane in De Zwitser onthult in niet mis te verstane bewoordingen dat het WK 2018 al aan Rusland bleek toegewezen 2016 (‚Der Schweizer enthüllte in nicht misszuverstehenden Worten, dass die WM 2018 bereits Russland zugewiesen war‘ hln.be 2.2.2016). Dies ist nicht der Fall bei Verben auf -en, vgl. het op te lossen raadsel (‚das Rätsel, das zu lösen ist‘). Derartige komplexe Attribute, die schon früher im Neuniederländischen gebräuchlich waren, können ein Partizip Präsens enthalten wie staarend in het geheel op U staarend Europa 1798 (‚ganz Europa, das ihnen zuschaut‘ 2.3.4.1). Sodann kommen komplexe Linksattribute mit einem Partizip Perfekt als Kern vor, vgl. achterhaalde in: Bovendien is zowel de Statenvertaling als de NBGvertaling gebaseerd op inmiddels achterhaalde inzichten 2007 (‚Ausserdem basiert sowohl die Statenvertaling wie auch die NBG-Übersetzung auf inzwischen überholten Erkenntnissen.‘ kennislink.nl 26.5.2007, 16.00). Weiter kommen diese Attribute

440

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

mit einem Adjektiv als Kern vor, vgl. onstuimige in de nieuwe onstuimige krachten 1999 (‚die neuen stürmischen Kräfte‘ 4.4.1.5.). Zudem gibt es komplexe Linksattribute mit te (‚zu‘) und Infinitiv als Kern, vgl. te evenaren in een niet te evenaren graad van perfectie 2016 (‚ein nicht überbietbarer Grad der Perfektion‘ pdgbikestore.be, 17.2.2016). Weiter kommen Satzstrukturen als Bestandteil eines komplexen Linksattributes vor, vgl. wat men noemt in Aandelen zijn, wat men noemt ‚risicokapitaal‘ 2016 (‚Aktien sind was man „Risikokapital‘‘ nennt‘, emijngeldenik.be, 7.2.2016). Übrigens verlangte die Sprache laut Bilderdijk, dass Attribute mit te und Infinitiv dem Bezugswort folgten; er hielt heute gebräuchliche Linksattribute wie een licht te verkrijgen in Een licht te verkrijgen lof. 1826 (‚Ein leicht zu erhaltenes Lob‘), die in seiner Zeit bereits vorkamen, für unkorrekt (GNS 1954). Ohnehin hielten Zeitgenossen komplexe Linksattribute für bedenklich. So empfiehlt David, man solle die Artikel möglichst nahe vor das Bezugswort stellen. Statt de met witte peerden bespannen wagens reden voorop 1858 (‚die mit weissen Pferden eingespannten Wagen fuhren vorn‘) solle man sagen: de wagens welke enz. (‚die Wagen welche usw.‘ GNS 1955). Wie Van der Horst darlegt, kommen erweiterte Adjektiv- und Partizipialattribute im 16. und 17. Jh. auf, als Linksattribute wurden sie im jüngsten Niederländisch immer gebräuchlicher. 4.5.2.1.5. Adverbiale Bestimmungen bei sekundären Linksattributen Inzwischen entstehen neue Typen von komplexen Linksattributen. Sie können Adverbien umfassen, die ein sekundäres Linksattribut bestimmen, vgl. naar het zich laat aanzien und deze week in Criminelen hebben de naar het zich laat aanzien complete database van de deze week gehackte crowdfundingsite Patreon online gezet 2015 (‚Kriminelle haben den wie zu vermuten vollständigen Datenbestand von der Crowdfunding-Site Patreon, die diese Woche gehackt wurde, online gestellt‘ tweakersnet, 15.10.2015). Als Alternative solcher Attribute erwähnt Van der Horst zusammengesetzte Adjektive, die ein Partizip umfassen, vgl. handgemaakte in Een pagina voor mensen die handgemaakte producten waarderen 2016 (‚Eine Seite für Menschen, die handgemachte Produkte schätzen‘ Startpagina.nl. 10.2.2016). Ähnlich enthält prijswinnend ein Partizip, vgl. Op zoek naar een prijswinnend boek? 2016 (‚Auf der Suche nach einem preisgekrönten Buch?‘ bruna.nl. 10.2.2016). Möglicherweise sind Attribute wie handgemaakte aus komplex zusammengesetzten Linksattributen wie met de hand gemaakte (‚mit der Hand angefertigte‘) entstanden. Das gilt nicht für Attribute vom Typus diervriendelijk, vgl. Diervriendelijk eten is de makkelijkste manier om de dieren te helpen. 2016 (‚Tierfreundlich speisen ist die einfachste Art, um Tieren zu helfen.‘ wakkerdier.nl, 10.2.2016). Die Beziehung zwischen den Bestandteilen solcher Adjektive lässt sich nämlich nicht wie im Beispiel handgemaakt mit einem Satz umschreiben, sondern mit einer Präposition: vriendelijk voor een dier (‚freundlich für ein Tier‘). Die Bildung ähnlicher Typen von Linksattributen kommt bereits im 19. Jh. vor. So beobachtet Lulofs 1841, dass Komposita wie bloedbevlekt (‚blutbefleckt‘), die laut ihm im Deutschen bij de vleet (‚haufenweise‘) produziert würden, im Niederländischen häufiger als früher vorkämen (GNS 1957). Im letzten Viertel des 19. Jh. sollten die Achtziger solche Komposita mit Vorliebe bilden. Zu den zahllosen derartigen Neologismen zählt Van Deyssels schwierig übersetzbare de

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

441

verflensende bruin-grijs-wemelende jasjen en broek 1888 (‚[gehüllt] in einen verwelkten Sakko und Hose, die wimmeln von braun-grauen [Farbtönen]‘ 3.6.1.2.). In Linksattributen mit zwei primären Determinativen hat das Adverb keine Flexion, vgl. kleinst in De kleinst denkbare meerderheid van 38 tegen 37 senatoren verwierp zijn plan 2015 (‚Die kleinst denkbare Mehrheit von 38 gegen 37 Senatoren verwarf seinen Plan‘ ad.nl. 23.12.2015). Zwar scheint kleinst sich auf meerderheid zu beziehen, es geht dennoch adverbial dem Adjektiv denkbaar voran. Solche Linksattribute sind im 19. Jh. noch selten, im 20. Jh. kommen sie zunehmend vor (GNS 1958). Ohnehin treten Adverbien und adverbiale Gruppen vermehrt in Linksattributen auf, auch in komplexeren Strukturen, vgl. al dan niet in Het al dan niet aanwezig zijn van een conciërge heeft geen invloed op de aansprakelijkheid. 2016 (‚Ob ein Hausmeister anwesend ist ob nicht, hat keinen Einfluss auf die Haftung.‘ languagelab.nl. 10.2.2016). In Linksattributen steht das Adverb al, flektiert alle (‚alle‘), eventuell mit dem bestimmten Zahlwort vor dem Artikel, Demonstrativ beziehungsweise Possessiv. So tritt alle vor dem Artikel de auf in maer in alle de richtingen zag men de vluchtelingen zich voortspoeden 1838 (‚nach allen Richtungen sah man die Flüchtlinge entfliehen‘ 3.1.2.2.4.). Ebenso steht alle vor drie und onze in Alle drie onze kinderen hebben een ingenieursdiploma 1997 (‚Alle drei unsere Kinder haben ein Ingenieursdiplom‘ ANS 1997, 351). Strukturen ohne Artikel, Demonstrativ oder Possessiv werden in solchen Gefügen gebräuchlicher, vgl. Alle tien in Alle tien doden door de aanslag in Istanbul zijn Duitsers. (‚Alle zehn Toten durch den Anschlag in Istanbul sind Deutsche.‘ ref.dsg.nl, 12.2.2016). Sie kamen früher bereits vor, vgl. alle ses jaaren und alle drie jaaren in Dat de Directeurs alle ses jaaren, en de Ingenieurs alle drie jaaren sullen veranderd worden (…) 1714 (‚Dass die Direktoren alle sechs und die Ingenieure alle drei Jahre gewechselt werden sollen […]‘ WNT jaar). Die angeführten Beispiele deuten auf eine Tendenz im jüngsten Niederländisch, in nominalen Gruppen Determinative vor den Kern zu stellen (GNS 1960). Dies zeigt sich auch in Wortgruppen wie de Clinton-campagne 2016 (‚die Clinton-Kampagne‘ ad.nl 25.1.2016), die vermehrt neben der gängigen Struktur von Kinderwetje-Van Houten 2016 (‚Van Houten- Kindergesetz‘ historiek.net, 10.12.2016) vorkommen (GNS 1960). 4.5.2.1.6. Stellung des attributiven Genitivs Im 19. Jh. treten noch pränominale Genitive auf, vgl. deszelfs in hij, die God lief heeft, houdt deszelfs geboden 1805 (‚er, der Gott lieb hat, beachtet dessen Gebote‘ 2.2.3.). Sie wurden im 20. Jh. ungebräuchlich. Dies gilt auch für Genitivattribute, die im 19. Jh. häufiger in postnominaler Stellung erschienen, vgl. des vaders in het tedere hart des vaders 1790 (‚das zarte Herz des Vaters‘ 2.2.3.). Falls das Bezugswort ohne Artikel auftritt, verlangt Siegenbeek 1810 eine Konstruktion mit Präposition, vgl. van in Souter Liedekens Ghemaect ter eeren Gods, op alle die Psalmen van Dauid 1540 (‚Geistliche Gesänge zur Gottes Ehre gemacht nach allen Psalmen Davids‘ WNT psalm). Abzulehnen wäre folglich die gängige, in der Statenbijbel vorkommende Wortgruppe Psalm Davids in Een Psalm Davids, een Liedt: voor den Oppersanghmeester 1637 (‚Ein Psalm Davids, ein Lied: dem Vorsänger‘ WNT psalm).

442

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

Genitivattribute stehen im 19. Jh. vor dem primären Determinativ, wie Van der Horst zeigt: daar zijns vaders onwankelbare stelregel deze is (…) 1841 (‚weil seines Vaters unerschütterlicher Leitsatz folgender ist […]‘ GNS 1962). Heute kommen sie weniger vor. Ein jüngeres Beispiel eines solchen Genitivattributs ist ’s lands in Wim van der Leegte, ’s lands leukste ondernemer vertrekt (‚Wim van der Leegte, der tollste Unternehmer des Landes, geht weg‘ elsevier. nl, 14.12.2015). 4.5.2.1.7. Postnominale Phrasen Präpositionalphrasen können postnominal getrennt vom Bezugswort auftreten. So trennt die untergeordnete Struktur waarvoor een schooljongen op de billen zou krijgen die Wortgruppe bij het mud vom Bezugswort taalfouten in taalfouten, waarvoor een schooljongen op de billen zou krijgen, bij het mud 1885 (,Sprachfehler, für die ein Schuljunge reichlich Prügel bekäme, in grossen Mengen‘ 3.1.2.2.2.). Postnominale Phrasen treten auch ohne Präposition auf, wenn es sich um Namen handelt, vgl. Lauernesse in Het Huis Lauernesse 1840 (‚Das Haus Lauernesse‘, Titel eines Romans von A.L.G. Bosboom-Toussaint) oder Holland in De Vesting Holland vormde het hart van de Nederlandse verdediging (‚Die Festung Holland bildete das Kernstück der niederländischen Verteidigung‘ go2war2.nl, 14.2.2016). Van der Horst stellt als Neuentwicklung die Verwendung ähnlicher Attribute namentlich in ‚journalistischen‘ Texten fest (GNS 1965), vgl. plaats delict (‚Tatort‘ GNS 1965), das übrigens wohl als Kürzung der Phrase plaats van delict aus dem Polizeijargon stammt. Ebenso lassen sich in der Zeitung nominale Gruppen wie Nederlands beste voetballer ooit 2016 (‚der beste Fussballspieler, den die Niederlande je hatten‘ NRCHandelblad 15.2.2016, S5) finden mit postnominalen Spezifikationen wie ooit. Möglicherweise fördert das Formulieren kurzer Schlagzeilen die Bildung von änlichen Attributen, vgl. das postnominale drie im Titel Week drie gaat ons een stuk zwaarder af 2016 (‚Woche drei fällt uns bedeutend schwerer‘ vrouw.nl, 27.1.2016). Im anschliessenden Text heisst es dagegen derde week mit dem pränominalen derde als Attribut: De derde week gaat ons wat zwaarder af (‚die dritte Woche fällt uns etwas schwerer‘). Auch ein Attribut wie leeg nimmt ohne vorhergehende Präposition eine postnominale Stellung ein in een grote schaal van email verlucht met erin geperst krulwerk – leeg 1997 (‚eine grosse Schale von Email geschmückt mit hereingepressten Kringeln – leer‘ Benali 1997). Vergleichbar ist die Stellung des Attributs vol van het landschap in mijn hoofd vol van het landschap 1934 (‚mein Kopf, der voll von der Landschaft ist‘, 4.2.2.3.). Nijhoffs wohl als ‚parlando‘ eingestufter Text deutet darauf hin, dass entsprechende postnominale Attribute im gesprochenen Niederländisch der Dreissigerjahre nicht ungewöhnlich waren. Präpositionaladverbien wie ervan können ebenfalls nach dem Bezugswort folgen, vgl. ervan in Het licht ervan 1933 (‚das Licht davon‘ 4.2.4.1.). Die zwei Glieder eines Präpositionaladverbs kommen ebenfalls getrennt oder auch nach dem Bezugswort vor, vgl. er und naar in alsof we er geen schuld aan hadden 1933 (‚als ob wir keine Schuld daran hatten‘ 4.2.4.1.). Wenn solche Präpositionalphrasen dem Verb vorangehen, sind sie als älter einzustufen (GNS 1966), vgl. daar mede in Ik zou daar zeer mede ingenomen zijn 1946 (‚Ich wäre davon sehr eingenommen‘

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

443

grebbeberg.nl 14.12.2016). Eine sogenannte adjektivische Bildung dieser Attribute ist inzwischen gebräuchlich geworden, vgl. blij mee in We zijn er erg blij mee 2015 (‚Wir sind damit sehr zufrieden‘ zininzijn.nl, 26.2.2015). 4.5.2.2. Strukturen verbaler Gruppen Einige Erneuerungen in Strukturen verbaler Phrasen werden im Folgenden anhand der Stellung des finiten Verbs zusammengefasst. Das Verbum finitum (Vf) kann in niederländischen verbalen Phrasen drei Positionen einnehmen: (a) zweite Position (Vf2), (b) erste Position (Vf1) oder (c) Endposition/Position in der letzten Wortgruppe (Vfn). In allen Stufen des Niederländischen kommt das Vf in diesen drei Positionen vor. Vermutlich stand das Vf im Germanischen in der Regel an letzter Stelle, bei Betonung nahm es dagegen wohl die erste Position ein. Bereits in früheren Phasen des Niederländischen ist eine Grammatikalisierung der Position des Vf anzunehmen. So trat Vfn zunehmend in hypotaxischen, d. h. untergeordneten Strukturen auf, wodurch es zu einem Merkmal dieser Phrasen wurde. Selbstständige, nicht-untergeordnete Strukturen kennzeichneten sich allmählich durch Vf2, während Vf1 u. a. Fragen bezeichnen konnte (HNA 118 ff, GNS 318 ff). Übrigens gehörten die Wortfolge und damit die Stellung des Vf ursprünglich zur Domäne der Rhetorik. Nach und nach kommt aber im Laufe des 19. Jh. die Position des Vf in Texten zur Grammatik zur Sprache, so in Veröffentlichungen von W. Bilderdijk und C.C. Mulder (GNS 1967 ff). 4.5.2.2.1. Vf2 Bereits in den ältesten niederländischen Texten kann das Vf in unabhängigen verbalen Strukturen an zweiter Stelle auftreten (vgl. HNA 118 ff), im Neuniederländischen ist Vf2 in solchen Phrasen eingebürgert, vgl. is in Nooit is onze tael eenig aendagt verleent van ’t hooggezag. 1788 (‚Nie wurde unserer Sprache einige Aufmerksamkeit von der höchsten Autorität gewidmet.‘ 2.1.3.5.). Die Muster selbstständiger verbaler Wortgruppen mit Vf2 im heutigen AN ähneln denn auch jenen, die in früheren Stufen des Niederländischen vorkamen. Von den wenigen Erneuerungen, die in den letzten zwei Jahrhunderten in diesen Phrasen festzustellen sind, stehen im Folgenden einige Beispiele zur Diskussion. Ursprünglich bildeten untergeordnete Strukturen, die an erster Stelle standen, keinen Bestandteil der folgenden selbstständigen Verbalphrase. So kannte letztere Wortgruppe trotz einer einleitenden Verbalstruktur eine Wortfolge mit Vf2. Dies zeigt sich beispielsweise in smijten wy het kruyt over boort, wy mochten de brandt uyt krijghen 1646 (‚Schmissen wir das Pulver über Bord, könnten wir den Brand löschen‘ HNA 371). Nach der hypotaxischen Wortgruppe smijten wy het kruyt over boort folgt die unabhängige Verbalphrase wy mochten de brandt uyt krijghen mit dem Vf mochten an zweiter Stelle; in der Gesamtstruktur kommt dieses Vf an dritter Stelle. Ähnlich nimmt zou die zweite Position in der unabhängigen Wortgruppe de (…) weg zou niet zo bevuild zijn ein, während zou in der Gesamtstruktur ware ik die ik was (…) de (…) weg zou niet zo bevuild zijn 1952 an dritter Stelle steht in Luceberts Text:

444

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

ware ik geen mens geweest gelijk aan menigte mensen maar ware ik die ik was de stenen of vloeibare engel geboorte en ontbinding hadden mij niet aangeraakt de weg van verlatenheid naar gemeenschap de stenen stenen dieren dieren vogels vogels weg zou niet zo bevuild zijn (‚Wäre ich kein Mensch gewesen / Gleich einer Menge Menschen / Ich wäre doch der ich war / Der steinerne oder fliessende Engel / Geburt und Auflösung hätten mich nicht berührt / Der Weg aus Vereinsamung zur Gemeinschaft / Der Steine Steine Tiere Tiere Vögel Vögel Weg / Wär nicht so beschmutzt‘ 4.4.2.1.) Allmählich sollten die untergeordneten Gruppen vermehrt in die Verbalphrasen inkorporiert werden, das Vf folgt dann unmittelbar nach der hypotaxischen Phrase an zweiter Stelle, vgl. at in Hoewel het eten koud geworden was, at ze het met smaak op 1997 (‚Obschon das Essen kalt geworden war, ass sie es mit Genuss‘ ANS 562.). Wie Van der Horst darlegt, kam diese Wortfolge bereits im 19. Jh. nach konzessiven untergeordneten Phrasen vor, vgl. Hoe reiszuchtig ik ook was, had ik hier echter weinig zin in 1810 (‚Wie reiselustig ich auch war, darauf hatte ich wenig Lust‘ GNS 1970). Allerdings gibt es eine solche Struktur, die mit einer konzessiven Hypotaxe und hoe beginnt, jetzt nicht mehr. Im heutigen AN folgt in solchen Gefügen eine Verbalgruppe mit der früheren Wortfolge. So steht das Vf komt nicht an zweiter, sondern an dritter Stelle in Ook al heeft hij de tijd, hij komt toch niet 1997 (‚Auch wenn er Zeit hat, er kommt doch nicht‘ ANS 1391). Nach einer konditionellen untergeordneten Wortgruppe konnte zuerst zo beziehungsweise zoo als Expletivum stehen; erst dann folgte das Vf, so man will, an dritter Stelle (GNS 1968). Dementsprechend erscheinen zoo und das Vf ga nach der untergeordneten konditionellen Phrase wilt gij weten, hoe het Hollandsch niet behoort te worden gesproken in wilt gij weten, hoe het Hollandsch niet behoort te worden gesproken, zoo ga en zet u neder in den Amsterdamschen, in den ’s-Gravenhaagschen schouwburg 1885 (‚möchtest Du wissen wollen, wie das Holländische nicht ausgesprochen werden soll, so geh ins Amsterdamer, ins Haager Schauspielhaus‘ 3.1.2.2.2.). An Stelle von zoo oder zo kommt im Laufe des 19. Jh. vermehrt dan vor, vgl. Is men slechts de rivier Sobat voorbij, dan storten zich honderde kleine beekjes in den Nijl. 1863 (,Ist man nur am Fluss Sobat vorbei, dann stürzen sich hunderte kleine Bäche in den Nil.‘ 3.7.1.1.). Derartige Strukturen, eingeleitet vom Expletivum dan werden nach konditionellen Vf1-Wortgruppen immer geläufiger. Dementsprechend folgt das Expletivum dan nach der Vf1-Struktur Lukt het niet om meer bezoekers te trekken in Lukt het niet om meer bezoekers te trekken, dan moeten podia ingrijpen 2015 (‚Gelingt es nicht mehr Besucher anzuziehen, so müssen Theater eingreifen‘ nrc.nl 10.9.2015).

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

445

Anfänglich sind selbstständige Verbalphrasen ohne Expletivum in solchen Gefügen noch selten. Eher neu ist denn auch eine seit dem Anfang des 20. Jh.vermehrt vorkommende Struktur wie En als die harde meester won, zou vrijheid, vruchtbare vrijheid, worden gedood 1900 (‚Und wenn der strenge Meister gewinnen würde, würde Freiheit, fruchtbare Freiheit, getötet werden‘ 3.7.1.2.), in der kein Expletivum wie dan vor zou steht. Laut Van der Horst erscheint dieser Typus von verbalen Gruppen ohne Expletivum im Laufe des 20. Jh. zahlreicher (GNS 1968). 4.5.2.2.2. Vf1 Wie oben dargelegt, können selbstständige Verbalphrasen im Niederländischen von Vf2 markiert werden. Zudem gibt es Beispiele von unabhängigen verbalen Wortgruppen mit Vf1. So nimmt scheelt in der selbstständigen Phrase Scheelt zo 50 procent. 1983 (,Macht so 50 Prozent aus.‘ De Telegraaf Nr. 28888, 6/11/1980) die erste Position ein. Auch in der Umgangssprache lassen sich solche Vf1-Verbalstrukturen nachweisen, zum Beispiel in Dialogen des Comicstrips Suske en Wiske, vgl. …Rijdt verkeerd…Zal achteruit moeten… (‚…[Er] fährt falsch… [Er] muss rückwärts [fahren]…‘ Vandersteen S. 3). Als weiteres Beispiel einer selbstständigen verbalen Struktur mit Vf1 ist eine Phrase wie Komt een vrouw bij de dokter 2003 (‚Es kommt eine Frau zum Arzt‘ Titel des Debutromans von Kluun, Pseudonym von Raymond van de Klundert [geb. 1964]) zu nennen. Eine derartige Phrase kann den Anfang von bestimmten Witzgeschichten markieren, die etwa bei einem Berufskomiker wie Max Tailleur beliebt waren. Von den Erneuerungen in unabhängigen verbalen Phrasen, die möglicherweise aus jüngerer Zeit stammen, ist noch eine Struktur wie weet ik niet (‚weiss ich nicht‘ GNS 1971) zu erwähnen. Vielleicht stellt sie eine elliptische Bildung der Vf2-Struktur Dat weet ik niet dar. Unklar ist, wann eine derartige Struktur in der gesprochenen Sprache entstanden ist. Im Süden kommt Vf1 auch in Aufzählungen vor, u. a. in Formularen oder in Zusammenfassungen, vgl. moeten in Moeten onverbogen blijven:1. de onbepaalde telwoorden (…) 1883 (‚Es müssen unflektiert bleiben: 1. die unbestimmten Zahlwörter‘ GNS 1978). Weiter erscheint Vf1 bei der informellen Verwendung der Sprache in diversen verbalen Strukturen, so beispielsweise in Loop ik van-de-week in de Kalverstraat. Kom voorbij juwelier Jos Inden, je weet wel, op nr. 51. Laat-ie nou uitverkopen. (…). Scheelt zo 50 procent. 1980 (‚Gehe ich diese Woche durch die Kalver-Strasse. Komme am Juwelier-Geschäft Jos-Inden vorbei, Du weisst schon, Nummer 51. Hat er doch Ausverkauf. Macht so 50 Prozent aus.‘ De Telegraaf Nr. 28888, 6/11/1980). Weitere Beispiele von verbalen Vf1-Strukturen sind moet je nagaan! 2005 (‚denke mal!‘ Van Dale 2005, 2249) und kun je nagaan, hoe vreemd ik opkeek (‚Du kannst verstehen, wie ich mich wunderte‘ Van Dale 2005, 2249). Zu den Verben als Vf1 in selbstständigen Phrasen zählen u. a. blijven und resten (GNS 1971ff), vgl. Rest mij nog iedereen te bedanken voor alle vragen 2016 (‚Bleibt mir noch für alle die Fragen zu danken‘ vlietlijn.nl 18.2.2016). Wie bereits in früheren Phasen des Niederländischen markiert Vf1 auch in jüngster Zeit einen Imperativ, vgl. slaat in Slaat het oog op de eilanden des Indischen Oceaans 1861 (‚Richtet den Blick auf die Inseln des Indischen Ozeans‘ 3.7.2.1.). Zudem steht das Vf am Anfang von Entscheidungsfragen, vgl. yst in Yst ge niet by dit tafereel? 1861 (‚Erschaudert ihr nicht bei dieser Vorstellung?‘ 3.7.2.1.). Auch konditionelle Hypotaxen beginnen mit dem Vf, vgl. mocht in Mocht ik ziek

446

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

worden, zoek dan een vervanger. 1997 (‚Sollte ich krank werden, suche dann einen Vertreter.‘ ANS 990). Ebenso word in Word ik ziek, zoek dan een vervanger. 1997 (‚Werde ich krank, so suche einen Vertreter.‘ ANS 990). Zudem kennen Phrasen, die einen Ansporn, einen Wunsch oder auch eine Überraschung beinhalten, häufig Vf1 (GNS 1977ff), vgl. laten in Laten we beginnen. 1997 (‚Lasst uns anfangen‘ ANS 1020). Ebenso an erster Stelle steht laat in Nijhoffs Gedicht De moeder de vrouw 1934 (4.2.2.3), das in diesem Kontext Überraschung zum Ausdruck bringt: laat mij daar midden uit de oneindigheid een stem vernemen dat mijn oren klonken (‚höre ich dort doch aus der Unendlichkeit / eine Stimme, dass meine Ohren schalten‘ 4.2.2.3.) Auch in Äusserungen, die eine Folgerung zum Ausdruck bringen, kommt laat als Vf1 vor, vgl. En laat dat nu weer een mooie hommage zijn aan David Bowie. 2016 (‚Und das ist nun wieder eine schöne Hommage an David Bowie.‘ NRC-Handelsblad 12.2.2016, L 20). Sodann kann Vf1 in einleitenden Verbalstrukturen erscheinen, vgl. waren in Waren er vroeger nog veel bossen, nu zijn het er beduidend minder. 1997 (‚Gab es früher noch viel Wälder, heute sind es bedeutend weniger‘ ANS 1255). Untergeordnete konzessive Phrasen treten an verschiedenen Stellen in grösseren syntaktischen Strukturen auf, vgl. die Position von Mocht je tien uur te vroeg vinden in den folgenden Strukturen: (a) Mocht je tien uur te vroeg vinden, dan wil ik ook wel om half elf vertrekken. 1997 (‚Falls Du zehn Uhr zu früh findest, so bin ich auch bereit, um halb elf abzureisen‘ ANS 1265); (b) Ik wil, mocht je tien uur te vroeg vinden, ook wel om half elf vertrekken. 1997 (ANS 1265); (c) Ik wil ook wel om half elf vertrekken, mocht je tien uur te vroeg vinden. 1997 (ANS 1265). Tendenziell scheinen solche konzessiven untergeordneten Phrasen im 20. Jh. vermehrt an erster Stelle vorzukommen (GNS 1978). In untergeordneten Phrasen, die eine Bedingung zum Ausdruck bringen, kann somit Vf1 auftreten. So kommt leest in der konzessiven Phrase leest hij het boek niet an erster Stelle, vgl. Leest hij het boek niet, dan moet hij het maar gauw terugbezorgen. 1997 (‚Liest er das Buch nicht, dann muss er es schnell zurückbringen.‘ ANS 1255). Solche Phrasen kommen in jüngerer Zeit vermehrt auch ohne dan voor, vgl. Komt er niemand, kunnen we de tent om 10 uur sluiten. (‚Falls niemand kommt, so können wir die Bude um 10.00 schliessen.‘ Van der Horst et al. 1999, 257). Benannt wurde diese Vf1-Struktur nach dem Werbeschlagwort für das Backprodukt Croma Houd je van vlees, braad je in Croma. (‚Liebst Du Fleisch, so backe mit Croma‘). Möglicherweise wurde das Weglassen von dan in den Croma-Sätzen anfänglich als informell empfunden. Dennoch kommen solche Formulierungen seit dem letzten Viertel des 20. Jh. immer mehr in unterschiedlichen Sprachdomänen vor und sind allgemein akzeptiert. Eine vergleichbare Struktur weist Doe je nog zo best, is het weer niet goed (‚Dann strengt man sich so an und wieder ist es nicht gut‘) auf; die einleitende verbale Wortgruppe hat jedoch keinen konzessiven Charakter. Dieser Typus Vf1-Struktur, die Erstaunen, Verärgerung u. ä. ausdrückt, dürfte erst im 20. Jh. entstanden sein.

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

447

4.5.2.2.3. Vfn, rote und grüne Wortfolge Im 19. Jh. finden vermehrt Vfn-Strukturen ohne vorhergehende Konjunktion Verwendung, vgl. je mij niet thuis gevonden hebt in Wat spijt het mij vreselijk, je mij niet thuis gevonden hebt (‚Wie sehr tut es mir leid, dass Du mich nicht zu Hause angetroffen hast‘ Den Hertog 1973, Bd. 2, 67). Die Zunahme dieser Phrasen ist laut Van der Horst wahrscheinlich aus dem Bedürfnis zu erklären, die falsche Verwendung von einem Relativum oder einer Konjunktion gefolgt von dat (‚dass‘) wie terwijl dat (‚während dass‘) zu vermeiden (GNS 1982). Normative Grammatiker kritisierten den Gebrauch solcher Vfn-Phrasen. So rechnet Brill sie zum Sprachgebrauch der weniger ‚zivilisierten‘ Menschen (GNS 1983), Den Hertog hält sie für kinderlijke kromtaal (‚kindliche krumme Sprache‘ Den Hertog 1973, Bd. 2, 67). Vielleicht hat die Ablehnung dieser Vfn-Strukturen dazu beigetragen, dass sie im AN nicht mehr vorkommen. Weiterhin kommen sowohl die ‚rote‘ Wortfolge von Verben, so …zal gaan (‚[…] wird gehen‘) wie die ‚grüne‘, vgl. …gegeten heeft (‚[…] gegessen hat‘) vor (vgl. HNA 6.4.2.4.). Tendenziell scheint die rote Folge, mit dem Hilfsverb in der Endposition anders als im Deutschen im AN zunehmend vorzukommen. Den Hertog stuft die beiden Folgen der Verben als ebenbürtig ein, bewertet die grüne Folge aber als ‚fliessender‘: In de regel is het laten volgen van de persoonsvorm op deelwoord of infinitief vloeiender dan het omgekeerde (…) (Den Hertog 1973, II, 44, GNS 1986) (‚In der Regel ist es fliessender, wenn man das finite Verb nach dem Partizip oder Infinitiv setzt als das Umgekehrte‘) Normative Grammatiken aus der ersten Hälfte des 20. Jh. befürworten dagegen eher die rote Folge (GNS 1985). In drei- oder mehrgliedrigen verbalen Endgruppen mit hebben (‚haben‘), zijn (‚sein‘) oder worden (‚werden‘) als primäres Hilfsverb bestehen drei mögliche Strukturen: (1) das Partizip ist das erste der drei Verben, vgl. gerepareerd in …dat de fiets gerepareerd moest worden (‚[…] dass das Fahrrad repariert werden musste‘); (2) das Partizip steht zwischen den beiden anderen Verben, vgl. … dat de fiets moest gerepareerd worden; (3) das Partizip steht an letzter Stelle, vgl. …dat de fiets moest worden gerepareerd. Im 19. Jh. ist die Wortfolge (2) die geläufigste. In Phrasen mit hebben oder zijn als sekundären Hilfsverben stehen diese in der Regel an erster Stelle, gefolgt vom zweiten Hilfsverb, vgl. hebben in …hij zou de fiets hebben laten repareren (‚[…] er habe das Fahrrad reparieren lassen‘). Im Süden kann in solchen Phrasen das finite Verb auch an letzter Stelle kommen, vgl. heb in (…) woorden die ik mijn vader wel horen zeggen heb ([…] Wörter, die ich meinen Vater wohl habe sagen hören‘, GNS 1990). Eine sog. ‚Durchbrechung‘ der mehrgliedrigen Verbgruppen, die in der mittleren Neuzeit regelmässig festzustellen ist (vgl. HNA 470), kommt weiterhin vor, vgl. die Position von ongelukkig in dat hij eenen gelukkigen grijsaard (…) had ongelukkig gemaakt (‚dass er einen glücklichen Greis […] unglücklich gemacht hatte‘ GNS 1992).

448

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

4.5.3. Lexik Von den Erneuerungen des Niederländischen während den letzten zwei Jahrhunderten fallen die lexikalischen Änderungen wohl am meisten ins Gewicht. Gesellschaftliche Änderungen und technische sowie wissenschaftliche Entwicklungen brachten Änderungen und Erweiterungen des Lexikons mit sich. Insbesondere durch die Massenmedien konnten sich lexikalische Erneuerungen rasch verbreiten. Die Erweiterung des Lexikons erfolgte durch Neubildungen sowie durch die Einbürgerung lexikalischer Elemente aus anderen Sprachen. Für nähere Einzelheiten vgl. insbesondere Arbeiten wie Van der Sijs 1996 und Van der Sijs 2010, die hier häufig berücksichtigt werden. 4.5.3.1. Neubildungen Auch in den letzten 200 Jahren entstehen neue Wörter durch Komposition, vgl. Poldernederlands (1997) aus polder (‚Polder‘) und Nederlands (‚Niederländisch‘). Zudem werden sie nach wie vor durch Ableitung gebildet, vgl. bijsluiter (‚Beipackzettel‘) aus bijsluiten (‚als Beilage hinzufügen‘). Auch semantische Erweiterungen bestehender Wörter prägen die Erneuerungen des Wortschatzes, vgl. das Substantiv muis (‚Maus‘), das als Tiername zusätzlich die Bedeutung ‚Eingabegerät für Rechner‘ erhielt. In der jüngsten Zeit lässt sich vermehrt die Bildung von Akronymen feststellen, vgl. APK (‚TÜV-Überprüfung des PKW‘). Sie kommen auch als Namen vor, vgl. KRO (‚Katholische Rundfunkgesellschaft‘). Akronyme können nicht nur aus den Anfangsbuchstaben, sondern auch aus Wortteilen gebildet werden, vgl. horeca (‚Hotel-Restaurant-Bar-Sektor‘). Ähnliche Bildungen ergeben sich durch Abkürzung, vgl. info (‚Information‘). Neubildungen entwickeln sich weiter mit Hilfe von Suffixen, die auf andere Sprachen zurückgehen, so beispielsweise aus dem Dts. -name in toename (‚Zunahme‘) oder -ieker in tandtechnieker (‚Zahntechniker‘). Auch Präfixe aus anderen Sprachen bilden Bestandteile neuer niederländischer Wörter, vgl. oer- in oergezellig (‚urgemütlich‘). Noch in der ersten Hälfte des 20. Jh. galt eine Neubildung, die sich aus einem nicht flektierten Adjektiv und einem Substantiv zusammensetzte, als verwerflicher Germanismus, so nieuwbouw (‚Neubau‘), ein Wort, das längst eingebürgert ist. Dies gilt auch für Komposita aus Adjektiven, von denen das erste Adjektiv unflektiert bleibt, vgl. sociaal-economische (‚sozial-wirtschaftliche‘). So haben deutsche und englische Beispiele wohl die Bildung von Komposita gefördert, die einen Namen und ein Substantiv enthalten, vgl. Davinci-code (‚Da-Vinci-Code‘). Dies gilt auch für Komposita aus einem Substantiv und einem Partizip, vgl. huisgemaakte (‚hausgemachte‘). Es entwickelten sich Neubildungen mit ursprünglich englischen Suffixen und Präfixen, vgl. -freak in internetfreak (‚Internetfreak‘) oder top- in topprestatie (‚Spitzenleistung‘). Auch ursprünglich lateinische und griechische Präfixe dienen zu solchen Wortbildungen, vgl. contraproductief (‚kontraproduktiv‘) oder megadeal (,Mega-Deal‘). Vereinzelte Präfixe aus dem Französischen sind ebenfalls bei der Neubildung niederländischer Wörter produktiv geworden (Van der Sijs 2005, 149 ff), vgl. -ette in wasserette (‚Waschsalon‘). Dies gilt auch für -ie in braderie (‚festlicher Strassenmarkt‘). Sodann begann man im 18. und 19. Jh. damit, von männlichen Na-

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

449

men weibliche Personennamen mit dem französischen Suffix -e zu bilden, vgl. dievegge (‚Diebin‘) aus dief oder echtgenote (‚Ehegattin‘) aus echtgenoot. Tendenziell verwenden die Niederländer heute immer die männlichen Formen bei den Bezeichnungen von Berufen. So nennt man eine Schrifstellerin eine schrijver und nicht eine schrijfster. Präfixe wie klere- und takke- gehen auf die französischen Wörter colère beziehungsweise attaque zurück, vgl. klerelijer (‚Scheisskerl‘) oder takkewijf (‚Hexe‘). Im Laufe des 20. Jh. entstehen vermehrt neue Wörter mit Hilfe effizienter Wortbildungsprozesse. So geschieht die Bildung von Wörtern durch die Zusammensetzung von bestehenden Wörtern, vgl. rugzaktoerist (‚Rucksacktourist‘) statt durch Umschreibungen wie toerist met weinig geld die als bagage slechts een rugzak heeft (‚Tourist mit wenig Geld dessen Reisegepäck nur aus einem Rucksack besteht‘). Ähnlich werden nominale Gruppen zu Zusammensetzungen, vgl. een wat-maak-je-me-nou-blik (‚ein Blick, der ausdrückt: Du kannst mich mal‘). Namentlich die Zahl von Komposita, die aus einem Adjektiv und einem Substantiv bestehen, ist stark angestiegen. Es handelt sich dabei um Neubildungen vom Typus langeafstandsloper (‚Langstreckenläufer‘). Dazu gehören auch Neologismen mit verstärkenden Elementen wie witheet (‚wütend‘). So nahm die Zahl von substantivierten Verbstämmen vom Typus uitvoer (‚Export‘) erheblich zu. Auch sind neue Verben entstanden, die aus einem Substantiv oder Adjektiv mit einem sonstigen Verb bestehen, vgl. tekstverwerken (‚textverarbeiten‘). Wie in diesem Beispiel umfassen diese Komposita häufig ein Objekt mit Verb, ebenso zorgdragen (‚sich kümmern um‘), das kürzer ist als ergens zorg voor dragen (Van der Sijs 2005 [a], 137). Zudem führt die Bildung mit Adverbien zu neuen Wörtern, vgl. meedenken (‚mitdenken‘). Auch entstehen im 20. Jh. Neologismen mit dem Suffix -er, das in einer früheren Sprachstufe aus dem Latein übernommen war, vgl. bijsluiter (‚Beipackzettel‘). Sie können eine kausative Bedeutung erhalten, vgl. lachertje (‚Witz‘) als Andeutung für etwas, das einen lachen lässt. Diese Bildungen kommen auch als Bezeichnung für Angehörige einer Gesellschaft oder einer Gruppe vor, vgl. VVD’er (‚Mitglied der VVD‘). Übrigens scheint in jüngster Zeit das Suffix -baar das Suffix -lijk in Neubildungen abzulösen, vgl. doenbaar (‚machbar‘) statt doenlijk (Van der Sijs 2005, 138). Zudem dienen griechische und lateinische Wörter beziehungsweise Wortteile zur Bildung neuer lexikalischer Elemente, vgl. automobiel (1897; ‚PKW‘). Übrigens ist die Neubildung fiets (‚Fahrrad‘) als Bezeichnung des meistbenutzten Transportmittels der Niederlande zum ersten Mal 1886 in der Arnhemsche Courant belegt. Die Etymologie des Wortes ist nach wie vor unsicher. Vom Schmied und Fahrradhersteller E.C. Viets dürfte es nicht stammen, da das Wort schon vor seiner Tätigkeit in Wageningen vorkam. Möglicherweise ist fietsen auf das limburgische Dialektwort vietse in der Bedeutung von ‚sich schnell fortbewegen‘ zurückzuführen. Fiets könnte aber auch eine Verballhornung des frz. velocipède sein. Oder hat fiets einen deutschen Ursprung? Kannte die im Norden Deutschlands vorkommende Andeutung Flitzepferd für Fahrrad auch den Ausdruck Vize-Pferd als scherzhafte Variante von Veloziped? Fraglich ist, ob sich daraufhin die verkürzte Form Vize als fiets in den Niederlanden einbürgerte, vgl. De Boel et al. 2011. Wie dies auch sei, in den Niederlanden hat sich das neue Wort, das auch im Friesischen, im Afrikaans und Indonesischen vorkommt, sehr schnell verbreitet. In Belgien sind darüber hinaus auch velo und rijwiel als Bezeichnungen für das Fahrrad geläufig.

450

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

So ist nicht sicher, ob fiets eine Kürzung darstellt. Wohl kann man festhalten, dass seit vielen Jahrzehnten die Neigung besteht, kurze Neologismen zu bilden. Dazu dienen auch Buchstaben, Silben und verkürzte Wörter, vgl. tv (‚TV‘), mayo (‚Mayonnaise‘) und info (‚Information‘). Gekürzte Formen kommen zudem mit einer -o- beziehungsweise -i-Endung vor, vgl. lesbo (‚Lesbe‘). 4.5.3.2. Entlehnungen In der Neuzeit ist Französisch stets die wichtigste Quelle der Lehnwörter im Niederländischen gewesen. Während der französischen Zeit nahm die Zahl der Entlehnungen aus dem Französischen noch erheblich zu, was sich nicht nur mit den politischen Änderungen in den Niederlanden erklären lässt (vgl. 2.1.1.), sondern auch mit dem Aufkommen von Technik und Wissenschaft (Van der Sijs 2005 [a], 116). Im Vergleich zum 18. Jh. verdreifachte sich während den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. die Zahl der Wörter, die aus dem Französischen übernommen wurden. Französische Lehnwörter aus Technik und Wissenschaft sind beispielsweise decimeter (1802; ‚Dezimeter‘), vaccin (1805; ‚Impfstoff‘), geograaf (1813; ‚Geograf‘) oder loep (1821; ‚Lupe‘). Zu den aus dem Französischen stammenden Wörtern, die in der Verwaltung gebraucht werden, gehören administratief (1805; ‚administrativ‘), circulaire (1812; ‚Rundschreiben‘), douane (1813; ‚Zoll-Behörde‘), octrooi (1817; ‚Patent‘) oder president (1830; ‚Staatsoberhaupt‘). Zum Militärwesen zählen flottielje (1804; ‚Flotille‘), marechaussee (1815 ; ‚Polizeitruppe‘) und fusilleren (1824; ,füsilieren‘), zum Handel concurreren (1819; ‚konkurrieren‘), exporteren (1808; ‚exportieren‘) und entrepot (1819; ‚Entrepot‘), zur Nahrung culinair (1824; ‚kulinarisch‘), comestibles (1824; ‚Delikatessen‘) und rollade (1828; ‚Rollbraten‘), zur Mode coiffeur (1802; ‚Friseur‘), pantalon (1809/11; ‚Hose‘) und toilet (1813; ,Toilette [Kleidung]‘), zur Kunst mandoline (1806; ‚Mandoline‘), carillon (1824; ‚Glockenspiel‘), repertoire (1823; ‚Repertoire‘) und regisseur (1824; ‚Regisseur‘). Gegen Ende des 19. Jh. nahm die Zahl der Entlehnungen aus dem Französischen ab. Inzwischen stellte Deutsch eine weitere bedeutende Quelle für Entlehnungen dar. So wurden deutsche Wörter auf dem Gebiet der Musik ins Niederländische übernommen, vgl. symfonisch (1847; ‚symphonisch‘) oder operette (1847; ‚Operette‘). Zu den deutschen Lehnwörtern im Bereich der Wissenschaft zählen fonetiek (1847; ‚Phonetik‘), legering (1847; ‚Legierung‘), benzine (1864; ‚Benzin‘) oder semasiologie (1886; ,Semasiologie‘). Weiter entstanden niederländische Bildungen von deutschen Zahlwörtern, Pronomina, Präpositionen und Adverbien wie tweedens (1855; ‚zweitens‘), niks (1874/75; ‚nix‘), namens (1829; ‚namens‘) oder hoogstens (1802; ‚höchstens‘). Wie Van der Sijs darlegt, wurden auffällig viele Lehnwörter aus dem Deutschen übernommen, die eine Steigerung bezeichnen (Van der Sijs 2005, 117), vgl. beeldschoon (1866; ‚bildhübsch‘), kerngezond (1889; ‚kerngesund‘) und poedelnaakt (1889; ‚pudelnackt‘). Auch lieferte das Englische bereits während der ersten Hälfte des 19. Jh. Wörter auf u. a. den Gebieten Sport, Technik und Politik, vgl. boksen (1808; ‚boxen‘), race 1827/31; ‚Rennen‘), match (1836; ‚Spiel‘) und sport (1847; ‚Sport‘), sodann stoomboot (1816; ‚Dampfschiff‘), trein (1839; ‚Zug‘) und locomotief (1847; ‚Lokomotive‘) oder conservatief (1847; ‚konservativ‘).

4.5. Einige jüngere Erneuerungen im Allgemeinen Niederländischen

451

Jünger sind Entlehnungen aus dem Englischen auf dem Gebiet Sport wie cricket (1866; ‚Kricket‘), rugby (1879; ‚Rugby‘), skiff (1889; ‚Skiff‘), golf (1890; ‚Golf‘), hockey (1892; ‚Hockey‘) und finish (1897; ‚Ziellinie‘). Im Bereich der Technik sind dies u. a. elektrode (1859; ‚Elektrode‘), petroleum (1862; ‚Petroleum‘) und dynamo (1894; ‚Lichtmaschine‘). Auch stammen mehrere Wörter aus dem alltäglichen Leben und der Freizeit aus dem Englischen, vgl. bungalow (1863; ‚Bungalow‘), festival (1872; ‚Festival‘), sightseeing (1876; ‚Besichtigung von Sehenswürdigkeiten‘), bar (1886; ‚Theke‘), flirten (1889; ‚flirten‘), picknick (1893; ,Picknick‘) oder foto (1898; ,Foto‘). Das wereldwijd (1879; ,weltweit‘) bekannte okay (,okay‘) wurde 1899 ins Niederländische aufgenommen. Wie N. van der Sijs darlegt, enthalten von Weiland 1824 und von Kramer 1847 veröffentlichte Wörterbücher und spätere Editionen eine grössere Zahl von Lehnwörtern aus mehreren Sprachen, so beispielsweise aus dem Italienischen tempo (‚Tempo‘) und villa (1824; ,Villa‘), aus dem Spanischen desperado (1847; ,Desperado‘) und tornado (‚Tornado‘), aus dem Arabischen islam (‚Islam‘) und moslim (1824; ‚Moslem‘), aus dem Türkischen kelim (1832; ‚Teppich‘), aus dem Indonesischen nasi (1827; ‚gekochter Reis‘) und sarong (1827; ‚Sarong‘), aus dem Russischen toendra (1856; ‚Tundra‘) und wodka (1847; ‚Wodka‘) und aus dem Japanischen harakiri (1877; ‚Harakiri‘), vgl. Van der Sijs 2005 [a], 117 ff. Unsicher ist allerdings, wie weit verbreitet diese Entlehnungen waren. Im letzten Jahrhundert stieg der Bedarf an neuen Wörtern durch Erfindungen, wissenschaftliche Entdeckungen sowie durch die Herstellung von neuen Produkten weiterhin stark an. Häufig verbreiteten sich Neologismen, die international gebraucht werden, vgl. e-mail oder app (‚App‘), mit Diminutiv-Form appje. Während der ersten Hälfte des 20. Jh. löste die zunehmende Verwendung derartiger Neubildungen eine Ablehnung von Puristen, so beispielsweise von Mitarbeitern und Lesern der Zeitschrift Onze Taal aus. Insbesondere lehnten sie Entlehnungen aus dem Deutschen wie zum Beispiel meerdere (‚mehrere‘) oder steekproef (‚Stichprobe‘) ab. Dies gilt auch für Wörter wie autobaan (‚Autobahn‘) an Stelle von snelweg. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Entlehnung aus dem Englischen zu und aus dem Deutschen ab. So sind zwischen1945 und 2000 gegen 1000 Entlehnungen aus dem Englischen, dagegen nur zirka 100 Entlehnungen aus dem Deutschen schriftlich belegt, soweit man die von Van der Sijs veröffentlichten Listen von Lehnwörtern berücksichtigt (Van der Sijs 2002, 815 ff). Zudem entstehen nach wie vor Lehnübersetzungen, weiter sind immer wieder Bedeutungserweiterungen unter dem Einfluss anderer Sprachen festzustellen, vgl. das Verb acteren (‚schauspielern‘), das neuerdings auch in der Bedeutung von ‚handeln‘ (‚to act‘) gebraucht wird. Sodann werden niederländische Komposita aus englischen Wörtern gebildet, vgl. showmaster. Schliesslich lassen sich in den letzten Jahrzehnten ausserdem vermehrt Entlehnungen aus anderen Sprachen feststellen, was wohl dem internationalen Tourismus und der intensiven Verwendung von elektronischen sowie digitalen Medien zuzuschreiben ist. Inwiefern das AN von den besprochenen Neubildungen geprägt wird, hängt allerdings von der Frequenz ihrer Verwendung ab. Anzunehmen ist, dass sich nicht nur das Lexikon, sondern auch die Schriftsprache, namentlich die Orthografie durch Entlehnungen und internationale Kontakte ändern wird. Die Kommunikation mit Hilfe der sozialen Medien fördert auch im niederländischen Sprachraum seit den

452

4. Das Niederländische seit Anfang des 20. Jahrhunderts

letzten Jahrzehnten die Bildung von Kürzungen und die Verwendung verbaler und nominaler Strukturen, welche die unterschiedlichsten Zeichen, Grapheme und Neologismen aufweisen können. So kennt die schriftliche Kommunikation zunehmend Elemente wie beispielsweise Smileys, die man nicht zur traditionellen niederländischen Schriftsprache rechnen kann. Literatur zu 4.5.: Aalberse 2009; De Boel et al. 2011; Booij 1978; Boon 1970; Van Bree et al. 2004; Van Coetsem 1988; Cohen et al. 1961; Daan 1966; Daan et al. 1972/77; Goeman et al. 2005; Goossens 1974; Goossens et al. 1998/2005; Grondelaers 2015/16; Grondelaers et al. 2011; Haeseryn et al. 1997; Vor der Hake 1911; Hempen 1988; Hinskens et al. 1993; Van der Horst 2008; Van der Horst et al. 1999; Jacobi 2009; Jansen et al. 1997; Janssens et al. 2005; Van de Kamp 2006; Kloos 1885/86; Van Loon 1986; Mees et al. 1983; Mooijaart et al. 2008; Posthumus 2009; Schulting 1999; Sebregts 2015; Van der Sijs 1996; Van der Sijs 2001; Van der Sijs 2005 (a); Van der Sijs 2005 (b); Van der Sijs 2010; Van der Sijs et al. 2009; Smakman 2006; Stroop 1998; Van den Toorn et al. 1997; Van de Velde 1996.

5. Schlussbetrachtung

Die Kultivierung der mittelniederländischen Verkehrs- und Kultursprache hatte in der Neuzeit zur Etablierung der überregionalen neuniederländischen Sprache geführt. Bereits im 16. Jh. sind Bestrebungen nach einer sogenannten Vereinheitlichung der niederländischen Schriftsprache festzustellen, die Suche nach einer Sprachnorm geht aus der Arbeit von Dutzenden Grammatikern, Schriftstellern und Bibelübersetzern der Neuzeit hervor. So stand beispielsweise schon im 17. Jh. zur Debatte, ob die Objektform des Personalpronomens 3. Pers. Plur. hun oder hen (‚sie‘, ‚ihn‘) zu sein hätte und ob man einen Komparativ wie groter als (‚grösser als‘) tatsächlich mit als oder doch mit dan bilden müsste, vgl. HNA 264–291. Während der Renaissance und der Romantik, aber auch in der neuesten Zeit bemühten sich anfänglich vor allem Grammatiker und Schriftsteller, später auch sonstige Interessierte wie Journalisten, Erzieher oder Politiker um eine Standardisierung und Pflege des Niederländischen. Der Wunsch, die eigene Sprache zu standardisieren, lässt sich in der Neuzeit auf das Bedürfnis nach einer eigenen vollwertigen Sprache in den Niederlanden zurückführen, die mit einer bestehenden Kultursprache wetteifern konnte. So verdrängte das Neuniederländische im Laufe der Jahrhunderte das Latein in sämtlichen Sprachdomänen. Ähnlich hat in der neueren und neuesten Zeit das AN das Französisch in den niederländischsprachigen Teilen Belgiens ersetzt. Sodann geht die vermehrte Pflege und Reglementierung der eigenen Sprache zusammen mit der Herausbildung von Nationalstaaten im 19. Jh. Nicht nur die Geschichte und Kultur, sondern auch die Sprache der eigenen Nation erhielten in der Romantik denn auch besondere Bedeutung. Davon zeugen bereits am Anfang des 19. Jh. sowohl private als auch staatliche Bemühungen um das Niederländische. Ebenso lässt sich die Förderung des Niederländischen als Standardsprache aus einer Angst vor Sprachänderungen beziehungsweise ‚Sprachzerfall‘ erklären, die zum Auseinanderfallen des Niederländischen führen würde (Van der Horst 2008 [b], 176) und so die Errungenschaften der Nation bedrohen könnte. Ähnlich ist die immer wieder geäusserte Befürchtung zu deuten, dass andere Sprachen, so beispielsweise Französisch in der Neuzeit, Deutsch vor dem Zweiten Weltkrieg, Englisch nach 1945 und seit 1830 Französisch in Belgien das Niederländische gefährden könnten. Markante Äusserungen zum als schädlich eingestuften Einfluss romanischer Sprachen auf die eigene Sprache sind bereits in der ersten Grammatik des Niederländischen 1584 zu finden (HNA 279 ff). Justus van Effen, Betje Wolff und Aagje Deken warnen im 18. Jh. vor dem Einfluss des Französischen (HNA 457 ff, 474 f), noch in den Dreissigerjahren des 20. Jh. befürchtet man, englische und deutsche Spielfilme würden zum Untergang des AN führen (vgl. 4.1.2.3.5.). Kodifizierung und Reglementierung des AN waren somit angesagt, Normverstösse habe man zu bekämpfen, abweichende Sprachvarietäten abzulehnen, die Verwendung von Lehnwörtern zurückzuweisen. Wie sehr diese Attitude auch heute vorhanden ist, zeigt beispielsweise die Debatte über die tussentaal (‚Zwischensprache‘) in Flandern.

454

5. Schlussbetrachtung

5.1. Vom überregionalen Niederländisch zur allgemeinen niederländischen Schriftsprache Die jahrhundertelange Kultivierung des überregionalen Niederländischen hatte im 19. Jh. in eine weitgehend normierte Schriftsprache gemündet, die im gesamten Sprachgebiet bis heute zur Anwendung kommt. Es ist dies eine Sprachvarietät, die im Laufe der Jahrhunderte immer detaillierter in Sprachlehren und lexikalischen Werken festgelegt wurde. Grammatiken und Wörterbücher des Niederländischen besassen denn auch noch bis in der ersten Hälfte des 20. Jh. einen normativen Charakter. Die Schriftsprache, eine konstruierte, standardisierte schriftliche Form des Niederländischen schien in den Augen der Sprecher immer mehr den Status einer ‚eigentlichen‘ Sprache zu bekommen. Inzwischen nahm im 19. Jh. das Bedürfnis zu, ein ‚zivilisiertes‘ dialektfreies Niederländisch, Algemeen Beschaafd Nederlands, ABN, zu sprechen. Für eine gepflegte Verwendung des Niederländischen in der mündlichen Kommunikation berücksichtigte man bis auf Weiteres die vorhandene Schriftsprache. Sie stellte einen stimulerende en regulerende factor bij uitstek (‚ausserordentlich wichtigen, anregenden und regulierenden Faktor‘ Koelmans 1977, 33) im Prozess der Etablierung des ABN dar. Allerdings liess diese streng reglementierte schriftliche Form des Niederländischen kaum Spielraum für Varianten im gesprochenen Niederländisch. Ob die archaisch wirkende Schriftsprache als Norm für das natürliche gesprochene ABN dienen sollte, stand denn auch gegen Ende des 19. Jh. zur Debatte, vgl. 3.6. Eingreifende gesellschaftliche Änderungen vergrösserten die Chance zu einer Verbreitung des AN im 19. Jh. erheblich. So erhielten jüngere Generationen durch Erneuerungen des Bildungswesens vermehrt die Gelegenheit, die Schriftsprache zu lesen, zu schreiben und zu sprechen. Die Presse, die sich zu einem Massenmedium entfaltete, verbreitete die Schriftsprache im Laufe des 19. Jh. unter einem wachsenden Leserpublikum. Auch die zunehmende Rezeption von Büchern, namentlich von ästhetischen Werken machte das AN breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich. Sodann war ein gepflegtes Niederländisch in der Kirche und erst während den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. im Theater zu hören. Post, Telegrammverkehr, Telefon sowie die Zunahme des Personenverkehrs förderten immer stärker die Kommunikation zwischen Bewohnern der unterschiedlichen Regionen. Während das AN sich als Schriftsprache im 19. Jh. gefestigt hatte, war die mündliche Kommunikation in einer beschaafde (‚zivilisierten‘) Form des überregionalen Niederländisch noch nicht eingebürgert. Für die mündliche Verständigung verwendeten Sprecher in formellen Situationen gepflegte, dialektisch gefärbte Sprachvarietäten oder wohl archaisch wirkende gesprochene Formen der Schriftsprache. Diese dürften dem Sprachgebrauch des Pfarrers Wavelaar (vgl. 3.7.2.1.) geähnelt haben. Auf der Bühne sprachen Schauspieler im Laufe des 19. Jh. ohne Hemmung Dialekt. Inzwischen erhielt die Sprache der vornehmen Bürger der holländischen Städte zunehmend Ansehen. Sie sollte zum Vorbild dienen für Sprecher, die in einem gepflegten Niederländisch kommunizieren wollten.

5.2 Vom ‚zivilisierten‘ zum Allgemeinen Niederländisch

455

5.2. Vom ‚zivilisierten‘ Niederländisch der Elite zum Allgemeinen Niederländisch der breiten Bevölkerung Allmählich erhielt das überregionale Niederländisch in der mündlichen Kommunikation mehr Prestige als dialektische Varietäten, die bis dahin auch von Gebildeten in diversen Regionen des niederländischen Sprachgebietes verwendet wurden (vgl. 2.1.2.). Als immer mehr Dialektsprecher begannen, auch AN zu sprechen, büssten Dialekte laut N. van der Sijs an Ansehen ein (Van der Sijs 2004, 621.). Allerdings ist zu ergänzen, dass Dialektsprecher dies selbst nicht notwendigerweise so empfanden. Im Gegenteil, bis heute dürften Sprecher von Dialekten in beispielsweise Maastricht oder in Ost- und West-Flandern die Verwendung ihrer lokalen Sprachvarietäten in informellen Kommunikationssituationen bevorzugen. Nicht wenige Dialektsprecher markieren mit dem Gebrauch der Mundartvarietäten zudem gerne ihre Herkunft. In formellen Situationen können dagegen regionale, vor allem aber lokale Sprachmerkmale weniger Prestige besitzen, während der Gebrauch gewisser Soziolekte und Sprachvarietäten der städtischen Volksviertel in solchen Kommunikationssituationen als unerwünscht empfunden wird. So wäre zum Beispiel die Verwendung von plat Haags (‚Sprachvarietät der Haager Volksviertel‘) in der Fakultätssitzung einer Universität sozial unerwünscht. Seit Anfang des 20. Jh. verlieren Dialekte zunehmend ihre spezifischen Merkmale, die Unterschiede zwischen Dialekt und AN haben sich verringert (Van der Sijs 2004, 621). Dialekte werden in weniger Kommunikationssituationen gesprochen als früher und erleiden so Funktionsverlust. Sodann sprechen Eltern zunehmend AN mit ihren Kindern, weil sie meinen, dass die Beherrschung des AN bessere Chancen in der Gesellschaft bietet. So lernen Kinder die Mundart ihrer Umgebung nicht mehr als Muttersprache. Ihr auf der Strasse erlernter Dialekt ähnelt dadurch vermehrt dem AN und erleidet in der Folge auch Strukturverlust (Van Bree 2014, 203). So sind Regiolekte u. a. in den niedersächsischen und südlimburgischen Sprachlandschaften entstanden. Funktions- und Strukturverlust der Dialekte können aber auch auftreten, wenn Kinder im Dialekt gross geworden sind. Als Beispiel nennen M. van der Wal und C. van Bree diesbezüglich sprachliche Entwicklungen in Twente (Van der Wal et al. 2008, 349 ff). Kinder, die erst in der Grundschule AN neben ihrer Muttersprache lernten, übernahmen durch Interferenz AN-Merkmale in ihrer Mundart. So entstand eine neue lokale Varietät des Niederländischen, die für die Sprecher dieser Region allmählich als Standardsprache zu funktionieren begann. Sprecher dieser Varietät artikulieren /e/ beispielsweise nicht leicht diphthongisch wie Einwohner der Randstad, sondern als reinen Monophthong. Auch syntaktisch unterscheidet sich die neue Varietät vom AN. So markiert die Wortfolge in ik ben fietsen geweest (‚ich war Fahrrad fahren‘) den Regiolekt Twentes, vgl. AN ik ben wezen fietsen (Van der Wal et al. 2008, 350). Am Anfang des 20. Jh. sprachen nur wenige Angehörige der niederländischen Sprachgemeinschaft, vermutlich einige Prozente der Bevölkerung, ABN, vgl. 4.5.1.. Es handelte sich dabei namentlich um gebildete wohlhabende Bürger der holländischen Städte, die die standardisierte Schriftsprache beherrschten. Mit ihrer chiquen (‚eleganten‘, Van der Horst 2008, 271) Kultursprache konnten sie sich von ihren Mitmenschen unterscheiden. So bestimmte anfänglich

456

5. Schlussbetrachtung

eine kleine Gruppe von Gebildeten (Van der Sijs 2004, 619) die Norm eines gepflegten gesprochenen Niederländisch, das übrigens seit dem 19. Jh. bereits in der Kirche, während Vorträgen oder allmählich auch im Schauspielhaus zu hören war, vgl. 4.1.2.3.4. Für die Verbreitung dieser niederländischen Kultursprache erkannte man het uitnemend belang (‚die ausserordentliche Bedeutung‘) von Grundschul- und Gymnasiallehrern beziehungsweise Schauspielern (Verdenius o. J., 139). Es ist dies eine gepflegte Sprachvarietät, die ein Teil der gebildeten wohlhabenden Bürger sprachen. Anders als die Received Pronunciation des Englischen, geprägt von der adligen Upper-Class, wurde die Norm des ABN von Bürgern bestimmt (Van Marle 2015). Durch die geringere soziale Distanz konnten weniger Privilegierte denn auch leichter die von ihnen als vorbildlich empfundene Sprache der Elite übernehmen als Angehörige der englischen Sprachgemeinschaft, die man zu den niedrigeren Klassen rechnet. Das ursprünglich elitäre ABN erfüllte eine Vorbildfunktion für eine zunehmende Zahl von Sprechern aus den unterschiedlichsten sozialen Klassen, die in den Zwanziger- und Dreissigerjahren des 20. Jh. damit begannen, AN zu verwenden (vgl. 4.1.2.). Es betraf eine Sprachvarietät, die das Polygoonjournaal (vgl. 4.1.2.3.5.) benutzte und im Schauspielhaus sowie am Radio zu hören war (4.1.2.3.6.). Diese Sprache funktionierte bereits in den Zwanziger- und Dreissigerjahren für Millionen von Radio hörenden Niederländern bewusst oder unbewusst als Richtschnur für einen gepflegten Sprachgebrauch. Dabei diente die Schriftsprache als Quelle grammatikalischer und lexikalischer Beschreibungen eines kultivierten AN. Es entstand eine Wechselwirkung zwischen der am Anfang des 20. Jh. noch ziemlich archaisch wirkenden Schriftsprache und gepflegten Formen des gesprochenen ANB. So konnten Sprecher in formellen Situationen noch Kasusendungen hören lassen, die im spontanen Sprachgebrauch längst unbekannt geworden waren. Andererseits verlor die Schriftsprache immer mehr ihren feierlichen Charakter. Sie passte sich vermehrt dem spontanen gesprochenen AN an (Hagen 1990, 33). Dies widerspiegelt sich beispielsweise in Reformversuchen und in Anpassungen der Orthografie seit dem 19. Jh., vgl. 3.6.2., 4.1.4., 4.3.6. Die Sprachverwendung bestimmter Angehöriger der niederländischen Sprachgemeinschaft, so Erzieher, Hörfunk- und Fernsehmoderatoren wie auch Journalisten prägte nun ‚den‘ Standard des gesprochenen AN. Diese sogenannte spraakmakende gemeente (‚diejenigen, die die Entwicklung des AN bewusst oder unbewusst steuern‘) trug in der Schule, in der Kirche, im Schauspielhaus und in den Medien zur Vereinheitlichung des gesprochenen und geschriebenen Niederländisch bei. Besondere Bedeutung für die Festigung des dialektfreien Niederländisch ist dem Fernsehen seit den Fünfzigerjahren des 20. Jh. beizumessen. Für jede neue Generation dürfte seit über sechzig Jahren die Sprachverwendung in Fernsehprogrammen, namentlich in den Nachrichtensendungen als Norm für die Standardsprache wirken. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Zahl der AN-Sprecher rasch zu, möglicherweise sprach 1970 die Hälfte der Niederländer AN (Van der Horst 2008 [b], 271). Eine solche Einschätzung lässt übrigens ausser Acht, wie viele Niederländer ausschliesslich AN sprachen und wie viele von ihnen nur in formellen Situationen auf andere Sprachvarietäten verzichteten (vgl. 4.1.2.). Die Verwendung dieses allgemein akzeptierten AN geht Hand in Hand mit einem steigenden Bildungsstand der Bevölkerung und einem höher werdenden Lebensstandard. Das von

5.2 Vom ‚zivilisierten‘ zum Allgemeinen Niederländisch

457

Van der Horst als ‚bürgerliches Niederländisch‘ bezeichnete AN, das sich im dritten Viertel des 20. Jh. verbreitet hatte, entsprach immer strikteren Sprachnormen, die man in der Schule lernte und in der schriftlichen sowie mündlichen Kommunikation anwandte. In diesem Sinn kann man das AN, das in dieser Zeit in den Niederlanden gesprochen und auch geschrieben wurde, als Standardniederländisch bezeichnen. In der jüngsten Zeit ist die Zahl der AN sprechenden Niederländer erneut stark angestiegen, gegen Ende des 20. Jh. sprachen vermutlich 80 % der niederländischen Bevölkerung regelmässig oder ausschliesslich AN. Es stellt sich die Frage, ob sie die früher von den Eliten geprägte Sprachnorm weniger beachten, wie J. van der Horst annimmt (Van der Horst 2008 [b], 272). Sollte dies zutreffen, lässt sich dies möglicherweise mit der Erziehung erklären. Seit den Siebzigerjahren besuchen immer mehr Kinder von Eltern, die kein Niederländisch sprechen oder abweichende niederländische Sprachvarietäten verwenden, Mittel- und Hochschulen. Informelle Formen des AN wurden salonfähig. Die homogene Sprache der Elite wurde zu einer heterogenen Sprache (Van Marle 2015, 24) der Masse. Durch eine lockere Handhabung von Sprachregeln durch jüngere Generationen mündiger Bürger scheinen gewisse ‚Regelverstösse‘ sozial annehmbar zu werden. Hörfunk- und Fernsehmoderatoren dürfen, wenn auch in einem bescheidenen Ausmass, hören lassen, dass sie beispielsweise aus Brabant stammen. Das Gleiche gilt für Grundschullehrer oder Universitätsdozenten. Dennoch ist eine solche Verwendung des dialektfreien Niederländischen nicht mit dem Gebrauch von Algemeen Onbeschaafd Nederlands (‚Allgemeinem unzivilisiertem Niederländisch‘, Van Haeringen 1951, 119) gleichzusetzen. Nach wie vor meiden AN-Sprecher vulgarismen (‚als unzivilisiert empfundene sprachliche Äusserungen‘). So lehnen sie hun (‚sie‘) als Subjektform der 3. Pers. Plur. ab und wählen Ze oder Zij statt Hun in Sätzen wie Ze hebben het gezegd (‚Sie haben es gesagt‘). Ebenso verwechseln sie kennen (‚kennen‘) und kunnen (‚können‘) nicht. Auch wenn ein AN-Sprecher sprachliche Regeln weniger beachten würde, so sagt er Kan het kloppen dat ik u ken? (‚Kann es stimmen, dass ich Sie kenne?‘) statt des als ‚vulgär‘ empfundenen Ken het kloppen dat ik u kan? Moderatoren der Nachrichtensendungen verzichten auf die Verwendung des Verbs jatten (‚klauen‘), wenn sie stelen (‚stehlen‘) meinen. Wer sich Nachrichtensendungen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jh. anhört, dem mag der stijve, plechtstatige karakter van het ABN (‚steife, feierliche Charakter des ABN‘, Van Marle 2015, 18) auffallen. Dies gilt auch für die Verwendung des AN in formellen Situationen. So konnte beispielsweise auch die Sprache eines Anwalts oder Richters archaische Merkmale aufweisen. Das heisst aber nicht, dass AN-Sprecher damals so feierlich miteinander kommunizierten. Höchstens ist festzustellen, dass zum Beispiel Gerichtssitzungen oder Medien wie Hörfunk und Fernsehen den Menschen früher veranlassten, steif beziehungsweise unnatürlich zu reden. Dass man gegenwärtig ein spontan gesprochenes AN in den Medien und in formellen Situationen bevorzugt, deutet lediglich auf geänderte Auffassungen vom Auftritt in der Öffentlichkeit hin. Dies zeigt sich beispielsweise auch im Verhalten gegenüber Autoritäten in den Medien. Bis in die Sechzigerjahre des 20. Jh. sprach man einen Minister mit excellentie (‚Euer Exzellenz‘) an und liess ihn ausreden. Heute sagt man meneer (‚Mein Herr‘) und unterbricht ihn in der Beantwortung von Fragen. Die lockere Art der Kommunikation schliesst nicht

458

5. Schlussbetrachtung

ein, dass die Angehörigen der niederländischen Sprachgemeinschaft sich mehr ‚Regelverstösse‘ leisten als früher oder dass sich ‚die‘ Sprachnorm geändert hat. Eher lässt sich eine Zunahme der natürlichen Verwendung des ‚zivilisierten‘ Niederländisch in den Medien beziehungsweise in formellen Kommunikationssituationen feststellen. Für die Überprüfung allgemeiner Aussagen zur Beachtung einer Sprachnorm durch AN-Sprecher seit 1945 ist denn auch weitere Forschung erforderlich. Nicht nur ist zwischen der Verwendung des AN in formellen und informellen Kommunikationssituationen zu differenzieren. Auch ist zu beachten, dass die vorbildliche Sprache der spraakmakende gemeente (siehe oben) sich ständig erneuert. Schliesslich ist zu bedenken, dass die Bewertung sprachlicher Änderungen sich sprachwissenschaftlich wohl nicht begründen lässt. Dies zeigt sich beim Vergleich von Aussagen zweier Sprachforscher zum Standardniederländisch. Laut J. van der Horst ist die eenduidige norm (‚eindeutige Norm‘) in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jh. weggefallen: Zo succesvol als het ABN tot 1970 was geweest, steeds meer sprekers, steeds eenduidiger norm, zo miserabel gaat het ermee na 1970. De eenduidige norm is weg. Of eigenlijk, er zijn nu verschillende normen naast elkaar. (Van der Horst 2008 [b], 272) (‚So erfolgreich das ABN bis 1970 gewesen war, immer mehr [ABN-] Sprecher, immer eindeutigere Norm, so miserabel ergeht es dem ABN nach 1970. Die eindeutige Norm ist verschwunden. Oder besser gesagt, es bestehen nun verschiedene Normen nebeneinander) Dagegen hält S. Grondelaers fest: Het Nederlands dat in Nederland gesproken wordt is een van de meest homogene, gestandaardiseerde talen van de wereld. (WVN 2015/16). (‚Das Niederländisch, das in den Niederlanden gesprochen wird, ist eine der homogensten, meiststandardisierten Sprachen der Welt‘) Wohl verweist auch Grondelaers mit Recht auf das Bestehen anderer Sprachvarietäten in den Niederlanden. Es gibt laut ihm ‚ziemlich viel Variation‘ bezüglich accenten en tongvallen (‚Akzenten und Mundarten‘). Übrigens müssen sich die zitierten Bewertungen bezüglich des Status des Niederländischen als Standardsprache nicht widersprechen. So lässt sich vermutlich je nach Definition eine Lockerung der angenommenen Sprachnormen in der mündlichen Kommunikation seit 1970 nachweisen. Hingegen ist es durchaus wahrscheinlich, dass das Niederländisch trotzdem als eine der meiststandardisierten Sprachen der Welt zu kategorisieren ist. Es steht allerdings zur Debatte, welche Parameter bei der Untersuchung solcher allgemeinen Thesen zu berücksichtigen

5.3. Die Stellung des Allgemeinen Niederländischen heute

459

sind. Vielversprechend für die weitere Bestimmung des Status des AN ist diesbezüglich die Forschung zu Attituden der Angehörigen der niederländischen Sprachgemeinschaft ihrer Sprache gegenüber. Können sie überhaupt AN identifizieren? Wie bewerten sie ‚standardisiertes‘ Niederländisch? Untersuchungen belegen, dass eine grosse Mehrheit der Bevölkerung fähig ist, zu beurteilen, ob eine sprachliche Äusserung als AN einzustufen ist (Van der Sijs 2004, 619). Ebenso sind Probanden imstande, regionale Varietäten zu unterscheiden. Dies zeigen erste Ergebnisse der gross angelegten Untersuchung Sprekend Nederland zur Diversität und Dynamik des gesprochenen Niederländisch (vgl. WVN 2015/16). Die Befragten bewerten das von Einwohnern der Randstad artikulierte Niederländisch positiver als andere Sprachvarietäten. Es geht dabei um ein allgemeines Niederländisch, das keine ausgeprägten Merkmale der Stadtdialekte aufweist. Das Niederländisch der Randstad hat nicht nur für die Randstadbewohner, sondern auch für Einwohner anderer Gebiete das höchste Prestige. Dennoch stehen Niederländer und Flamen lokalen und regionalen Sprachvarietäten toleranter gegenüber als vor einigen Jahrzehnten. So finden Probanden es auch in formellen Situationen akzeptabel, wenn beispielsweise eine limburgische Artikulation hörbar ist. Ebenso halten sie es für unproblematisch, wenn Rundfunk- und Fernsehmoderatoren zum Beispiel einen als ‚brabantisch‘ bezeichneten Akzent haben. Sogenannte ethnische Varietäten haben dagegen bedeutend weniger Prestige (vgl. WVN 2015/16). Wie ist die Stellung des AN der Gegenwart zu beurteilen?

5.3. Die Stellung des Allgemeinen Niederländischen heute Im gesamten niederländischen Sprachgebiet stellt das AN die Grundlage der schriftlichen Kommunikation dar. Es handelt sich um eine kodifizierte, reglementierte Standardsprache mit gewissen regionalen Ausprägungen. So weist die niederländische Schriftsprache nord- beziehungsweise südniederländische oder auch surinamische Merkmale auf, die sich insbesondere im Lexikon, aber auch in der Grammatik bemerkbar machen. Solche regionale Eigenheiten stellen allerdings kein Hindernis für die Kommunikation zwischen Angehörigen der niederländischen Sprachgemeinschaft dar. Bezeichnenderweise wurden niederländische Wochenzeitschriften wie Vrij Nederland oder De Groene Amsterdammer in der zweiten Hälfte des 20. Jh. nicht nur von Niederländern, sondern auch von Flamen gelesen. Andererseits steht zur Diskussion, ob sich für das gesamte Sprachgebiet eine gemeinsame Literatur annehmen lässt. Zwar bestehen prestigeträchtige Literaturpreise wie der Prijs der Nederlandse Letteren, der P.C.-Hooft-Prijs oder der ECI Literatuurprijs (bis 2014 AKO Literatuurprijs) für Schriftstellerinnen und Schriftsteller des gesamten Sprachgebietes. Dennoch sind sich Autoren von Handbüchern zur niederländischsprachigen Literatur nicht einig über die Frage, ob eine niederländische Gesamtliteratur existiert (vgl. 4.1.2.3.3.). Das Verhalten der Leser deutet immerhin auf separate Lesekulturen im niederländischen Sprachgebiet hin. So enthalten Listen der meistverkauften Bücher in den Niederlanden in der Periode 2007–2012 durchschnittlich pro

460

5. Schlussbetrachtung

Jahr einen Titel eines flämischen Autors, in Flandern erscheinen jährlich im Durchschnitt nur zwei niederländische Autoren auf solchen Listen (vgl. Van Baelen 2014). Sodann werden, anders als im deutschen Sprachgebiet, einzelne Wörter, die nur in einer Region geläufig sind, von Sprechern der anderen Regionen nicht verstanden. So ist das flämische eenzaat (‚Einzelgänger‘) in anderen Sprachregionen genauso unbekannt wie tas (‚Tasse‘) statt kopje. Der von Surinamern verwendete Ausdruck BB met R (in AN: bruine bonen met rijst, ‚Kidneybohnen mit Reis‘) ist für die Mehrheit der übrigen AN-Sprecher unverständlich. Deskriptive Standardwerke wie Van Dale oder die ANS halten derartige regionale Merkmale des AN fest. Das AN funktioniert ebenfalls im gesamten niederländischen Sprachgebiet als Standardsprache für die mündliche Kommunikation. Eine Mehrheit der Menschen, die die niederländische Sprachgemeinschaft umfasst, dürfte AN als einzige Sprachvarietät sprechen oder in formellen Kommunikationssituationen benutzen. Auch dieses gesprochene AN kennt eine gewisse regionale Ausprägung. Artikulation, Wortwahl und vereinzelte syntaktische sowie morphologische Merkmale können beispielsweise die Herkunft niederländischer, flämischer oder surinamischer Fernsehmoderatoren markieren (vgl. 4.3.4.2.). Ein Grossteil der Bewohner der Randstad benutzt AN als einzige Sprachvarietät des Niederländischen. In anderen Regionen ist vermehrt von einer Koexistenz von Dialekt und AN die Rede. Allerdings ist in diesen Sprachlandschaften nicht ohne Weiteres auf Diglossie zu schliessen. Wohl mag zum Beispiel ein Teil der Gesellschaft Westflanderns oder Groningens AN in formellen und Dialekt in informellen Kommunikationssituationen sprechen. Dennoch ist zu beachten, dass im gesamten Sprachgebiet seit Anfang des 20. Jh. immer mehr Sprecher auch in informellen Konversationen nur AN verwenden. Seit die VRT ‚die‘ Sprachnorm ab 2011 grosszügiger handhabt, scheint der Status einer flämischen Zwischensprache (vgl. 4.3.8.1.) vermehrt zur Diskussion zu stehen. Dass diese Sprachvarietät, die je nach Region unterschiedliche Merkmale aufweist, in informellen Kommunikationssituationen vielerorts gebraucht wird, lässt sich nicht verneinen. Andererseits ist die Verwendung des AN für einen Teil der Flamen der Normalfall. Neben dem AN hat sich aber die flämische tussentaal wohl in vielen Regionen als Sprachvarietät für die informelle tägliche Kommunikation etabliert. Ob man AN als eine plurizentrische Sprache betrachten möchte, hängt davon ab, wie die Sprecher regionale Varietäten wahrnehmen. Wer wie Grondelaers das AN als eine der homogensten, meiststandardisierten Sprachen der Welt charakterisiert (vgl. 5.2.), verneint mit Recht, dass die Entwicklung des Niederländischen von mehreren sprachlichen Zentren in vergleichbarem Ausmass beeinflusst wird. Die Allgemeinverbindlichkeit von Standardwerken wie die ANS, die Woordenlijst [van de] Nederlandse taal und Van Dale in allen Regionen des ganzen niederländischen Sprachgebietes für die Benutzer des AN lässt sich auch als Argument anführen, um AN als monozentrische Sprache mit regionalen Ausprägungen einzustufen. Es bestehen keine verbindlichen, von den Behörden vorgeschriebenen Wörterbücher für ‚Belgisch Niederländisch‘ oder ‚surinamisches Niederländisch‘. Wenn allerdings Sprecher von Formen einer flämischen Zwischensprache vermehrt diese Sprachvarietät in sämtlichen Sprachdomänen verwenden, dürften sie dieses Niederländisch als eigenständige, vom AN abweichende überregionale Sprache

5.4. Ausblick

461

empfinden. Da Verkavelingsvlaams weder standardisiert noch kodifiziert ist, muss man es zur Zeit dennoch als Regiolekt einstufen. Algemeen Nederlands, das von zirka 24 Millionen Menschen gesprochen wird, ist eine offizielle Sprache in den Niederlanden und auf den Inseln mit kommunalem Sonderstatus Bonaire, Saba sowie Sint Eustatius, in Belgien, in Surinam wie auch auf Aruba, Curaçao und Sint Maarten. Als drittgrösste germanische Sprache zählt Niederländisch zu den grösseren Sprachen der Welt: wenn man die Zahl seiner Sprecher als Massstab anlegt, nimmt Niederländisch den 33. Rang unter den zirka 6500 Sprachen der Welt ein (vgl. Van Bree 2014 [b], 15). Die AN-Sprecher leben in klar abgegrenzten Territorien und stellen in den Niederlanden und Belgien die grosse Mehrheit der Gesamtbevölkerung dar; in Surinam haben 60 % der Einwohner AN als Muttersprache. So darf man die Position des Niederländischen als stark einstufen. Dies gilt nicht für die Region Brüssel-Hauptstadt. Eine Mehrheit der Bevölkerung dieses Gebietes spricht Französisch, das in dieser Stadt mit ihren internationalen Organisationen bei vielen der Bewohner mehr Ansehen geniesst als Niederländisch. Auch wenn manche französischsprachigen Eltern für ihre Kinder flämische Schulen wählen wegen ihres hohen Standards, so hat der Gebrauch des AN in der ursprünglich niederländischsprachigen brabantischen Stadt abgenommen. In Friesland dagegen hat sich die Position das AN neben der friesischen Sprache verstärkt. Zwar ist ein Teil der Bevölkerung nach wie vor zweisprachig, in mehreren Domänen ist allerdings die Verwendung des AN eingebürgert.

5.4. Ausblick Wer sich Gedanken über die Zukunft des AN macht, kann sich fragen, wie sich die konstanten Entwicklungstendenzen (vgl. Sonderegger 1979) des Niederländischen durchsetzen werden. Sprachexterne, äussere Grössen haben seit dem 16. Jh. den Werdegang des überregionalen Niederländischen in hohem Masse geprägt und dürften denn auch künftig die Geschicke der Nachbarsprache mitbestimmen. Zwar ist das Bestehen eines Staates keine Bedingung für die Existenz einer Sprache, die Herausbildung der Republik der Vereinten Niederlande im 16. Jh. hat dennoch die Entfaltung der neuniederländischen Kultursprache gefördert. Ebenso haben patriotische Sentiments im 19. Jh., wie immer man sie in der Rückblende bewerten mag, eine Standardisierung des AN begünstigt. Inwiefern die Mitgliedschaft in der Europäischen Union in der kommenden Zeit das Gefühl der Bürger relativiert, eine niederländische Sprachgemeinschaft zu bilden, ist hier nicht zu beurteilen. Bestimmte Anlässe wie Spiele der nationalen Fussballmannschaft oder Auftritte von Mitgliedern des Königshauses deuten immerhin auf eine nationale Verbundenheit der Niederländer hin. Sie könnte wie in den vergangenen Jahrhunderten der Position des AN zugutekommen. Ebenfalls dürfte die Umstrukturierung des belgischen Staates im letzten Viertel des 20. Jh., die eine detaillierte gesetzliche Sprachregelung mit sich brachte, die Stellung des AN weiter verstärken.

462

5. Schlussbetrachtung

Sodann ist als bedeutsamer Umstand für die Herausbildung und Festigung der neuniederländischen Kultursprache die behördliche Anerkennung der eigenen Sprache zu verstehen. Sie erfolgte bereits 1477, als Maria von Burgund im Groot Privilege, einer Art Grundgesetz, die Verwendung des Niederländischen für amtliche Korrespondenzen in den niederländischsprachigen Provinzen vorschrieb. Die politische Anerkennung des Status des Niederländischen zeigte sich auch später, als die Behörden 1804 den Auftrag zum Entwurf einer allgemein gültigen Orthografie erteilten. Auch die Einführung der De Vries-Te Winkel-Orthografie 1864 durch Belgien oder der Vorschrift der niederländischen Regierung 1886, diese Rechtschreibung in amtlichen Stücken zu verwenden, zeugen von einer politischen Anerkennung des Niederländischen als Nationalsprache. Das Gleiche gilt für die im Auftrag der Behörden durchgeführte Rechtschreibreform 1934 oder die Einführung der neuen Orthografieregelung durch Belgien 1946 und durch die Niederlande 1947. Ein vermehrtes Interesse der Behörden für die niederländische Sprache geht aus der Gründung der Nederlandse Taalunie 1980 hervor. Im Auftrag der niederländischen, der flämischen und der surinamischen Regierung fördert dieses supranationale Organ die gemeinsame niederländische Sprach- und Kulturpolitik. Dazu arbeitet sie auch mit Institutionen in Indonesien und Südafrika zusammen. Die Taalunie bestimmt die Regelung der einheitlichen Rechtschreibung im gesamten niederländischen Sprachgebiet und regt die Herausgabe von Standardwerken auf dem Gebiet der niederländischen Sprach- und Literaturwissenschaft an. Auch unterstützt sie die Ausbildung von Lehrern für Niederländisch sowie von Übersetzern. Sodann setzt sie sich u. a. für die Hochschulinstitute für niederländische Philologie im Ausland ein. Die Tätigkeit einer derartigen Behörde kann sich weiterhin günstig für die Stellung des Niederländischen auswirken, solange nicht Sparmassnahmen die Arbeit der Taalunie einschränken. Als weitere konstante Grösse des Niederländischen ist die Schulung der Jugendlichen im gesamten Sprachgebiet zu sehen. Sie gewährleistet, dass jede neue Generation in der Verwendung des AN geschult wird. Als weniger günstig für die Stellung des AN ist der zunehmende Gebrauch des Englischen an Universitäten und Hochschulen in den Niederlanden zu nennen. So werden Forschungsergebnisse vermehrt in englischer Sprache veröffentlicht. Weiter erfolgen Master-Ausbildungen in der Regel auf Englisch, auch wenn dies nicht selten die zweite Sprache der Dozenten und Studenten ist. Die Einführung einer zweisprachigen niederländisch-englischen Grundschule für alle Jugendlichen, die sich Politiker überlegen, würde sich nachteilig auf die Beherrschung des Niederländischen durch künftige Generationen auswirken. Gerade die Einführung der Schulpflicht sowie die Bildungsreformen in den vergangenen Jahrhunderten und die Einführung der niederländischen Sprache an flämischen Universitäten im 20. Jh. haben zur Verbreitung, Vereinheitlichung und Kultivierung des Niederländischen entscheidend beigetragen. Schliesslich lässt sich eine zunehmende Verwendung des Englischen im Wirtschaftssektor feststellen. Namentlich in technischen Betrieben und bei Grossunternehmen dürfte Niederländisch in der kommenden Zeit vermehrt für Englisch Platz machen müssen. Bezeichnenderweise veröffentlicht Philips als traditionelles niederländisches Unternehmen die Jahresberichte ausschliesslich in englischer Sprache (vgl. Van Bree 2014 [b], 17).

5.4. Ausblick

463

So wird das AN in einigen Sprachdomänen an Boden verlieren. Eine solche Entwicklungstendenz muss die Stellung des AN auf die Dauer nicht zwangsläufig untergraben. So konnte sich das Niederländisch in einer Epoche, als Latein die Sprache der Wissenschaft und der katholischen Kirche war, zu einer allgemein verwendeten Kultursprache entwickeln. Sollte Englisch sich vollumfänglich als Wissenschaftssprache der Niederlande etablieren, bedeutet dies nicht, dass die Niederländer in anderen Domänen auf die Verwendung ihrer Muttersprache verzichten. Erst wenn Englisch mehr Prestige erhielte als Niederländisch und Eltern englischsprachige Schulen für ihre Kinder bevorzugen würden, stünde eine eventuelle Gefährdung des Niederländischen überhaupt zur Diskussion. Seit der Entstehung des Neuniederländischen hat die Schriftsprache entscheidend zur Verbreitung und Vereinheitlichung des AN beigetragen. Ob künftige Generationen die schriftliche Form des AN weniger verwenden werden und so die Position des AN schwächen könnten, lässt sich nicht vorhersagen. Nach wie vor lesen die Angehörigen der niederländischen Sprachgemeinschaft überdurchschnittlich viel (vgl. 4.3.4.2.). Sodann schreiben sie dank dem Einsatz der neuen Medien mehr als früher. Möglicherweise benutzen sie in den sozialen Medien künftig vermehrt vereinfachte Formen der Schriftsprache, die Regelverstösse aufweisen. Aus Umfragen geht hervor, dass eine Mehrheit der Befragten, 77 %, der Meinung ist, dass man in den neuen Medien weniger sorgfältig schreibt als früher. Andererseits sind 89 % der Befragten davon überzeugt, selber sorgfältig zu formulieren (TPO 2012). Dass sich die Befragten offenbar mit der Qualität der in den sozialen Medien gebrauchten Sprache befassen, deutet an, dass sie ‚die‘ Norm des AN kennen und nach wie vor ernst nehmen. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen von Untersuchungen, die im Rahmen von Sprekend Nederland durchgeführt wurden (5.2.). Ob sich künftige Generationen, die vermutlich eine möglichst schnelle Kommunikation für wichtiger halten als das Verfassen ‚fehlerfreier‘ Texte, um Normverstösse kümmern werden, bleibt abzuwarten. Zu den konstanten inneren Entwicklungstendenzen des Niederländischen sind systematische phonemische, syntaktische, morphologische und lexikalische Erneuerungen zu rechnen, vgl. 4.5. Es handelt sich um Prozesse des Sprachwandels, die sich seit der Etablierung der Nachbarsprache im Neuniederländischen vollziehen und zur Homogenität des AN beitragen. Es gibt keine Gründe anzunehmen, dass dieser autonomen Sprachdynamik ein Ende gesetzt ist. Dass das niederländische Lexikon seit mehreren Jahrzehnten namentlich mit englischen Lehnwörtern erweitert wird, bedeutet nicht, dass sprachimmanente Entwicklungen des Niederländischen dadurch gesteuert werden. Lehnwörter haben immer den Wortschatz des Niederländischen erweitert, ohne unmittelbar Einfluss auf die Entwicklung der Systematik der Sprache zu nehmen. Wohl entscheidend für die künftige Stellung des AN dürfte die Attitude der Angehörigen der niederländischen Sprachgemeinschaft ihrer Sprache gegenüber sein. Dass sie sich um ihre Sprache und den Unterricht des Niederländischen kümmern, zeigen diverse Untersuchungen. So machen sich Niederländer, Flamen und Surinamer Gedanken über eine Steigerung der Qualität des Niederländisch-Unterrichts. Niederländer und Flamen halten es beispielsweise für erwünscht, dass Schüler sich das Schreiben und Buchstabieren besser aneignen, in Surinam verlangt man, dass Adoleszente besser verstehen und sprechen lernen (TPO 2010). Zudem halten die Befragten

464

5. Schlussbetrachtung

in allen drei Ländern Niederländisch für das wichtigste Schulfach. Weiter ergeben Befragungen, dass 86 % der Niederländer, 92 % der Flamen und 88 % der Surinamer trots (‚stolz‘) auf die niederländische Sprache sind (TPO 2010). Solange die übergrosse Mehrheit der Bevölkerung eine derartig ausgeprägte Hochachtung für die eigene Sprache besitzt, solange Eltern die Beherrschung des AN für die Entwicklung ihrer Kinder so hoch einstufen, besteht keine Notwendigkeit für eine weitere Diskussion über den künftigen Status der niederländischen Sprache. Literatur zu 5.: Van Bree 2014 (b); Deprez 1987; Gelderblom et al. 2001; Grondelaers et al. 2011; Hendrickx et al. 2010; Van der Horst et al. 1999; Kruijsen et al. 2010; Van Leuvensteijn et al. 1992; Van Marle 2015; Nevalainen et al. 2006; Nortier 2001; De Rooij 1987; Sanders 1999; Schoonenboom 2000; Van der Sijs et al. 2005 (a); Van der Sijs et al. 2009; Stroop 1998; Taeldeman 1993; Van den Toorn et al. 1997; Van de Velde 1996; J. de Vries 1987; Van der Wal 2003; Van der Wal et al. 2008; Van der Wal et al. 2010; Willemyns 1987; Willemyns 2013; Willemyns et al. 2003; Wils 2001; Witte et al. 1998 (a); Witte et al. 1998 (b).

Einführungen und Hilfsmittel in Auswahl

Primäre und sekundäre Quellen auf dem Gebiet der niederländischen Philologie lassen sich über den Katalog der Koninklijke Bibliotheek Den Haag finden, KB-catalogus, www.kb.nl/ digitale-bronnen. Weiter kann man in Nederlandse Centrale Catalogus/Picarta, picarta.pica.nl/ DB=2.4/LNG=NE oder in Worldcat Local, www.oclc.org/worldcat-local.en.html suchen. Für die Suche in Beständen der belgischen Bibliotheken empfiehlt sich Unicat.be, www.unicat.be.

Primäre und sekundäre Quellen Eine grosse Zahl von digitalisierten primären und sekundären Texten lässt sich über digitale bibliotheek voor de Nederlandse letteren (DBNL) abfragen, www.dbnl.org. Sodann bietet Delpher unmittelbaren Zugang zu über 320.000 Büchern, 1,3 Millionen Zeitungen, 1,5 Millionen Seiten aus Zeitschriften und 1,5 Millionen Hörfunkberichten, kranten.delpher.nl. Das Corpus Gysseling umfasst die alt- und mittelniederländischen Texte aus der Zeit bis 1301. Es stellt die Grundlage für das Oudnederlands Woordenboek (ONW) und das Vroegmiddelnederlands Woordenboek (VMN) dar, gysseling.corpus.taalbanknederlands.inl.nl. Das Corpus Hedendaags Nederlands enthält über 800.000 Texte aus Zeitungen, Nachrichtensendungen und juristischen Quellen aus den Jahren 1814 bis 2013, corpushedendaagsnederlands.inl.nl. Early Dutch Books Online (EDBO) umfasst zwei Millionen Seiten aus 10.000 Büchern, die in den Niederlanden zwischen 1781 und 1800 erschienen sind beziehungsweise von niederländischen Themen handeln. Sie sind über Delpher abfragbar. LiteRom enthält über 65.000 Rezensionen von mehrheitlich niederländischen Romanen seit 1900. Das Meertens Instituut der KNAW Amsterdam verfügt über eine umfangreiche Sammlung von Tonaufnahmen diverser Sprachvarietäten des Niederländischen, www.meertens.knaw.nl/ndb, vgl. M. van Oostendorp Phonological and phonetic databases at the Meertens Institute, 2014.

Bibliografien Mit Hilfe von E. Sanders’ Eerste Hulp bij E-Onderzoek lassen sich digitale Quellen im Bereich der Geisteswissenschaften systematisch suchen, sites.dehaagsehogeschool.nl. Hilfe beim systematischen Suchen nach Bibliografien und Handbüchern bietet Bibliografisch Zoekprogramma Nederlandse Letterkunde, www.kb.nl/bronnen-zoekwijzers.

466

Einführungen und Hilfsmittel in Auswahl

Informationen über sekundäre Literatur, über Schriftsteller sowie über niederländische und friesische Literatur beziehungsweise Sprache sind in der Bibliografie van de Nederlandse Taal- en Literatuurwetenschap (BNTL) zu finden, www.bntl.nl. Einen Überblick von allen literarischen Beiträgen in literarischen Zeitschriften seit 2001 bietet die Bibliografie van de Literaire Tijdschriften in Vlaanderen en Nederland, bltvn.kb.nl. Sie ist die Nachfolgerin der gedruckten BLTVN (1972–2000).

Wörterbücher, Grammatiken Die Geïntegreerde Taalbank (GTB) bietet Zugang zu den Standardwörterbüchern der niederländischen Sprache von den Anfängen bis zur Gegenwart. Es sind dies ONW, VMNW, MNW, WNT, die das Instituut voor de Nederlandse Taal (INT), früher Instituut voor Nederlandse Lexicologie (INL) online zur Verfügung stellt, gtb.inl.nl. Das Oudnederlands Woordenboek (ONW) enthält mehr als 26.000 Belege zum altniederländischen Wortschatz aus der Zeit bis 1200. Das Vroegmiddelnederlands Woordenboek (VMNW) stellt das mittelniederländische Lexikon aus der Zeit von 1200 bis 1300 dar. Das Middelnederlandsch Woordenboek (MNW), das zirka 60.000 Lemmata enthält, beschreibt das niederländische Lexikon aus der Zeit von zirka 1250 bis 1550. Das Woordenboek der Nederlandsche Taal (WNT) umfasst die Beschreibung von zirka 400.000 Wörtern aus der Epoche 1500–1976. Ausführliche Angaben zur Etymologie enthält das von M. Philippa, F. Debrabandere und A. Quak 2003/09 herausgegebene 4-bändige Etymologisch woordenboek van het Nederlands. Zu den Standardwörterbüchern des modernen Niederländischen zählt das 3-bändige Van Dale Groot woordenboek van de Nederlandse taal. Die 15. Auflage wurde von T. den Boon, R. Hendrickx und N. van der Sijs 2015 herausgegeben. Die 2-bändige Algemene Nederlandse Spraakkunst (2. Auflage) 1997 von W. Haeseryn, K. Romijn, G. Geerts, J. de Rooij und M.C. van den Toorn herausgegeben, ist das Standardwerk zur Grammatik des AN. Zu den Standardwerken der historischen Grammatik des Niederländischen zählen A. van Loeys Schönfelds historische grammatica van het Nederlands (7. Aufl. 1964) und C. van Brees Leerboek voor de historische grammatica van het Nederlands; klank- en vormleer met een beknopte grammatica van het Gotisch, 1977; 2. Aufl. Band 1 2016.

Einführungen und Hilfsmittel in Auswahl

467

Einführungen, Handbücher Deutschsprachige Einführungen in die Geschichte des Niederländischen enthält H. Vekeman und A. Eckes Geschichte der niederländischen Sprache von 1993. Das 2014 veröffentlichte Handbuch Niederländisch. Sprache und Sprachkultur von den Anfängen bis 1800 (HNA) behandelt die Geschichte des Niederländischen in einem ausführlichen politischen, sozio-ökonomischen und kulturellen Kontext bis 1800. U. Boonen und I. Harmes gaben 2013 eine Einführung in die niederländische Sprachwissenschaft, Niederländische Sprachwissenschaft. Eine Einführung heraus. Sodann enthält die Site Neon der Freien Universität Berlin, die M. Hünings Projekt zur niederländischen Sprachgeschichte zur Grundlage hat, ausführliche Darstellungen zur Geschichte des Niederländischen. R. Willemyns veröffentlichte 2013 eine englischsprachige Einführung in das Niederländische: Dutch. Biography of a language. Die folgenden Veröffentlichungen zählen zu den neueren Handbüchern auf dem Gebiet der Geschichte des Niederländischen. M. van der Wal/C. van Bree, Geschiedenis van het Nederlands. 6. Aufl. Utrecht 2014. J.M. van der Horst, Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis. 2 Bd. Leuven 2008. G. Janssens/A. Marynissen, Het Nederlands vroeger en nu. 2. Aufl. Leuven 2005. N. van der Sijs, Taal als mensenwerk: Het ontstaan van het ABN. Den Haag 2004. J. van der Horst/K. van der Horst, Geschiedenis van het Nederlands in de twintigste eeuw. Den Haag 1999. M.C. van den Toorn/W.J. Pijnenburg/J.A. van Leuvensteijn/J.M. van der Horst (Hg.), Geschiedenis van de Nederlandse taal. Amsterdam 1997. J.W. de Vries/R. Willemyns/P. Burger, Het verhaal van een taal. Negen eeuwen Nederlands. 3. Aufl. Amsterdam 1994. D.M. Bakker/G.R.W. Dibbets, Geschiedenis van de Nederlandse taalkunde. Den Bosch 1977. Eine ausführliche Einführung in die Geschichte der niederländischen Literatur stellt die von R. Grüttemeier und M.-T. Leuker 2006 herausgegebene Niederländische Literaturgeschichte dar. Weiter gaben J. Bundschuh-van Duikeren, L. Missinne und J. Konst 2014 einen 2-bändigen Grundkurs Literatur aus Flandern und den Niederlanden heraus. Das von G.J. van Bork, D. Delabastita, H. van Gorp, P.J. Verkruijsse und G.J. Vis herausgegebene Algemeen Letterkundig Lexicon beschreibt über 4000 Fachausdrücke auf dem Gebiet der Literatur, Epochen, Gattungen, Literaturtheorien und Buchwissenschaft. Es ist über die DBNL-Site abrufbar. Zu den neuesten niederländischsprachigen Handbüchern zur niederländischen Literatur zählen: A.J. Gelderblom/A.M. Musschoot (Hg.), Geschiedenis van de Nederlandse literatuur. 8 Bd. Amsterdam 2006/16. M.A. Schenkeveld-Van der Dussen (Hg.), Nederlandse literatuur, een geschiedenis. Groningen 1993.

468

Einführungen und Hilfsmittel in Auswahl

Fachzeitschriften Internationale Neerlandistiek Internationale Zeitschrift zur niederländischen Philologie. Journal of Dutch Literature Internationale wissenschaftliche Zeitschrift zur niederländischen Literatur. Nederlandse Letterkunde Zeitschrift für niederländische Literaturwissenschaft. Nederlandse Taalkunde Zeitschrift zur niederländischen Sprachwissenschaft. Spiegel der Letteren Zeitschrift zur niederländischen Literatur und Kultur. Taal en tongval Wissenschaftliche Zeitschrift zu Sprachvarietäten des Niederländischen. Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde Wissenschaftliche Zeitschrift zur niederländischen Sprach- und Literaturwissenschaft. Tijdschrift voor Taalbeheersing Fachzeitschrift zur Theorie der kommunikativen Fertigkeiten im Niederländischen.

Bibliografie Namen wie beispielsweise ‚De Haan’, ‚Van Bree’, ‚Van der Horst’ und ‚Ten Kate’ erscheinen im Literaturverzeichnis unter dem Hauptwort ‚Haan’, ‚Bree’, ‚Horst’ und ‚Kate’. Aalberse, S.P., Inflectional economy and politeness. Morphology-internal and morphology-external factors in the loss of second person marking in Dutch. Utrecht 2009. Adelung, J.Chr.,Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Leipzig 1788. Nachdruck. Hildesheim 1978. Ahn, F., Neue holländische Sprachlehre zum Selbstunterricht für Deutsche. 2. Aufl. Köln 1833. Aitchison, J., Language change. Progress or decay? Douglas 1981. Albach, B., Drie eeuwen ‚Gijsbreght van Aemstel‘. Kroniek van de jaarlijkse opvoeringen. Amsterdam 1937. Alberdingk Thijm, J.A., Het Nederlandsch Woordenboek. In: De Gids 29, 1865, 393–420. Ammon, U., Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin/New York 1995. Amsenga, J./G. Dekkers, ,Wat nu?‘, zei Pichegru. De Franse tijd in Nederland, 1795–1813. Hilversum 2004. Anbeek, T., Kenmerken van de Nederlandse naturalistische roman. In: De Nieuwe Taalgids 72, 1979, 520–534. Anbeek, T., De Tweede Wereldoorlog in de Nederlandse roman. In: D. Barnouw/M. de Keizer/G. van der Stroom (Hg.), 1940–1945: Onverwerkt verleden? Lezingen van het symposium georganiseerd door het Rijksinstituut voor oorlogsdocumentatie, 7 en 8 mei 1985. Utrecht 1985, 73–87. Anbeek, T., Fataal succes. Over Marokkaans-Nederlandse auteurs en hun critici. In: Literatuur 16, 1999 (a), 335–342. Anbeek, T., Geschiedenis van de literatuur in Nederland, 1885–1985. 5. Aufl. Amsterdam/Antwerpen 1999 (b). Anten, H., Van realisme naar zakelijkheid. Utrecht 1982. Appel, R., Straattaal. De mengtaal van jongeren in Amsterdam. In: Toegepaste Taalwetenschap 62, 2, 1999, 39–57. Appel, R., Met mokro's chillen in de shoppa. In: J. Parqui (Hg.) 2014, 125–127. Assink, E.M.H./G. Verhoeven (Hg.), Visies op spelling. Groningen 1985. Baelen, C. Van, Vlaanderen-Nederland: eigen cultuur eerst. In: Rekto verso, Tijdschrift voor cultuur en kritiek 60, 2014 (http://www.rektoverso.be/artikel/vlaanderen-nederland-eigen-cultuur-eerst). Bakel, J. van, Een strukturalistische geschiedenis van het Nederlandse foneemsysteem. In: Wetenschappelijke Tijdingen 34, 1975, 126–128. Bakel, J. van (Hg.), Vlaamse soldatenbrieven uit de napoleontische tijd. Met medew. van P.C. Rolf. Nijmegen, 1977. Bakema, P., Vlaams-Nederlands woordenboek. Van ambetanterik tot zwanzer. Antwerpen/Utrecht 2003. Bakker, D.M./G.R.W. Dibbets, Geschiedenis van de Nederlandse taalkunde. Den Bosch 1977. Bakker, N./J. Noordman/M. Rietveld-van Wingerden, Vijf eeuwen opvoeden in Nederland. Idee en praktijk, 1500–2000. Assen 2006. Balk-Smit Duyzentkunst, F., Geschonden existentie bij Leopold geobserveerd aan een ongrammaticale woordgroep. In: De Revisor, 2, 1975, 62–64. Balk-Smit Duyzentkunst, F., Over het gebrek aan ephelkustiek in onze taalregels. In: De Gids 147, 1984, 721–722. Balk-Smit Duyzentkunst, F., De taal van Marten Toonder. In: Nieuw Letterkundig Magazijn. Jaargang 27, 2009, 57–63.

470

Bibliografie

Bammesberger, A., English linguistics. Heidelberg 1989. Bank, J.Th.M., Met behoud van identiteit. Perscombinatie 1968–1993. Amsterdam 1993. Barbiers, S./H. Bennis/J. van der Auwera/H.J. Bennis/E. Boef/M. Devos/M.H. van der Ham/G. De Vogelaer/M.H. van de Ham, Syntactische atlas van de Nederlandse dialecten, Syntactic Atlas of the Dutch Dialects. 2 Bd. Amsterdam 2005/08. Bartsch, R./T. Vennemann, Grundzüge der Sprachtheorie. Tübingen 1982. Baumann, J./L. Kremer/S. Leys, „… die ihnen so liebe holländische Sprache“. Zur Geschichte des Niederländischen im Westmünsterland und in der Grafschaft Bentheim. Hg. von Timothy Sodmann. Vreden 1998. Beelen, H., Het kleine broertje van Van Dale: het Beknopt Kunstwoordenboek van J.M. Calisch en N.S. Calisch (1864–1882), Trefwoord, tijdschrift voor lexicografie. Jaargang 2013. http://www. fryske-akademy.nl/trefwoord. Beets, N., Camera Obscura. 7. Aufl. Haarlem 1871. Beets, N., Camera Obscura. Hg. von W. van den Berg/H. Eijssens/ J. Kloek/P. van Zonneveld. Amsterdam 1998. Behaegel, P., Nederduytsche Spraekkunst. Eerste boekdeel. Brugge 1817. Behaegel, P., Nederduytsche Spraakkunst. Derde boekdeél. Brugge o.J. Bekkering, H./N. Heimeriks/W. van Toorn (Hg.), De Hele Bibelebontse berg. De geschiedenis van het kinderboek in Nederland & Vlaanderen van de middeleeuwen tot heden. Amsterdam 1989. Bel, J., Bloed en rozen. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur 1900-1945. Amsterdam 2015. Bellamy, J., Proeven voor het verstand, den smaak en het hart. Dordrecht 1790, 155–158. Benali, A., Eet mij op. In: De Groene Amsterdammer 30 juli 1997. www.groene.nl 1997/31/. Bennis, H./A. Neijt/A. van Santen (Hg.), De groene spelling. Amsterdam 1991. Bennis, H./J.W. de Vries (Hg.), De binnenbouw van het Nederlands. Een bundel artikelen voor Piet Paardekooper. Dordrecht 1992. Bens, E. De, De pers in België. Het verhaal van de Belgische dagbladpers. Tielt 1997. Berg, J. van den, Soebatten, sarongs en sinjo’s. Indische woorden in het Nederlands. ’s-Gravenhage 1990. Berg, R. van den/M. van Oostendorp, Dat is andere taal! Streektalen en dialecten van Nederland. Houten/Antwerpen 2012. Berg, W. van den, Holland is beminnelijker op een afstand. Busken Huets pessimistische kijk op Nederland. In: Literatuur 21, 2004, 33–36. Berg, W. van den/P. Couttenier, Alles is taal geworden. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur 1800–1900. 2. Aufl. Amsterdam 2016. Bergh, L.Ph.C. van den, Over het geslachtsverloop van sommige zelfstandige naamwoorden. In: Taalkundig Magazijn 3, 1840, 500–509. Bergh, L.Ph.C. van den, ’s Gravenhaagsche bijzonderheden. ’s-Gravenhage 1857–1859. Bergh, T. van den, De grote vlucht in taal. Cabaret in Nederland in de jaren negentig. In: Ons Erfdeel. Jaargang 40, 1997, 543–551. Besten, H. den/F. Hinskens, Diversificatie van het Nederlands door taalcontact. In: Nederlandse Taalkunde 10, 2005, 283–309. Betz, J.R., After Enlightenment: The Post-Secular Vision of J.G. Hamann. Oxford 2009. Bilderdijk, W., Taal- en dichtkundige verscheidenheden. Bd. 4. Rotterdam 1823. Bilderdijk, W., De dichtwerken van Bilderdijk. Deel XIII. Haarlem 1859. Bilt, I.G. van de, Adriaan Kluit (1735–1807) en de spelling van het Nederlands. In: Voortgang, Jaarboek voor de Neerlandistiek 19, 2000, 95–142. Bilt, I.G. van de, Landkaartschrijvers en landverdelers. Adriaen Verwer (ca. 1655–1717), Adriaan Kluit (1735–1807) en de Nederlandse taalkunde van de achttiende eeuw. Münster 2009. Blancquaert, E., Practische uitspraakleer van de Nederlandsche taal. Antwerpen 1934. Blancquaert, E./W. Pée (Hg.), Reeks Nederlandse Dialectatlassen.16 Bd. Antwerpen 1925/82. Bloemhoff, H./J. van der Kooi/H. Niebaum/S. Reker (Hg.), Handboek Nedersaksische Taal- en Letterkunde. Assen 2008.

Bibliografie

471

Blok, D.P./W. Prevenier/D.J. Roorda (Hg.), Algemene geschiedenis der Nederlanden. 15 Bd. Haarlem 1977/83. Blom, J.C.H./E. Lamberts (Hg.), Geschiedenis van de Nederlanden. 4. Aufl. Amsterdam 2014. Blommaert, Ph., Aenmerkingen over de verwaerloozing der Nederduitsche tael. In: Nederduitsche letteroefeningen 1834, 11–30. Blonk, A./J. Romein, Leerboek der algemene en vaderlandse geschiedenis. 3 Bd. Groningen 1960/62. Bo, L.L. de, Westvlaamsch Idioticon. Hg. von J. Sanyn. Gent 1892. Bock, M. de/L. Heinsman/J. Servaes. Nederland. In: Van Zutphen et al. 1994, 117–177. Boel, G. de/L. de Grauwe, Fiets ‚ersatzpaard‘ De etymologische kwestie revisited en beslecht? Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 127, 2011, 327–342. Bonth, R.J.G. de/J. Noordegraaf, Linguistics in the Low Countries. The eighteenth century. Amsterdam/Münster 1996. Booij, G.E., Wanneer bestaat een woord? In: De Revisor 5, 1978, 55–61. Boon, L.P., Eine Strasse in Ter-Muren. Roman. München 1970. Boon, L.P., Ein Mädchen aus Ter-Muren. Übersetzt von H. Herrfurth. Berlin 1986. Boon, L.P., De Kapellekensbaan of de 1ste illegale roman van Boontje. Hg. von K. Humbeeck/ B. Vanegeren. 31. Aufl. Amsterdam/Antwerpem 2003. Boonen, U.K./I. Harmes, Niederländische Sprachwissenschaft. Eine Einführung. In Zusammenarbeit mit M. Poss, T. Kruyt, G. De Vogelaer. Tübingen 2013. Boonstra, O.W.A./A.J. Schuurman (Hg.), Tijd en ruimte. Nieuwe toepassingen van GIS in de alfawetenschappen. Utrecht 2009. Bordewijk, F., Blöcke. Übersetzt von T. Baumeister. Göttingen 1991. Bordewijk, F., Blokken, Knorrende beesten, Bint. Amsterdam 2000. Bordewijk, F., Bint. Übersetzt von M. Müller-Haas. München 2012. Bork, G.J. van/D. Delabastita/H. van Gorp/P.J. Verkruijsse/G.J. Vis, Algemeen letterkundig lexicon. 2012. http://www.dbnl.org/tekst/dela012alge01_01/colofon.php. Bosatlas van de geschiedenis van Nederland, De. Groningen 2011. Bosch, J., Jacobus Wille (Koudekerk aan den Rijn, 8 april 1881- Oosterbeek, 16 april 1964). In: Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde te Leiden, 1966–1967. Leiden 1968, 130–141. Bosch, J.H. van den, Over het oude en het nieuwe taalonderwijs. In: Taal en Letteren 5, 1895, 187–212. Bouazza, H., Momo. Amsterdam 1998. Braak, M. ter, Verzameld werk, 2. Bd. Aufl. Amsterdam 1980. Bree, C. van, Leerboek voor de historische grammatica van het Nederlands. Klank- en vormleer met een beknopte grammatica van het Gotisch. Groningen 1977. Bree, C. van, Historische grammatica van het Nederlands. Dordrecht 1987. Bree, C. van, Historische taalkunde. 2. Aufl. Leuven/Amersfoort 1996. Bree, C. van, Zuid-Hollands. Hollands tussen IJ en Haringvliet. Taal in stad en land 20. Den Haag 2004. Bree, C. van, Historische Grammatica van het Nederlands. Klank- en vormleer met een beknopte grammatica van het Gotisch. 2. Aufl., 1. Teil 2014 (a), [email protected]. Bree, C. van, Het Nederlands in gevaar? en andere prangende taalkwesties. Houten/Antwerpen 2014 (b). Bree, C. van, Historische klankleer van het Nederlands. 1. Bd. 2014 (c) o.O. (https:/openaccess. leidenunihttps:/openaccess.leidenuniv.nl/handle/1887/38870.v.nl/handle/1887/38870). Bree, C. van/E. van Dunné, Variatie in geaffecteerd Nederlands. In: De Caluwe et al. 2004, 789–802. Bree, C. van/A. van Santen (Hg.), Leidse mores. Aspecten van taalnormering: lezingen gehouden op de Leidse Letterendag, Taalnormen, 24 februari 1996. Leiden 1996. Brems, H., Altijd weer vogels die nesten beginnen. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur 1945– 2005. Amsterdam 2006. Brill, W.G., Nederlandsche spraakleer. Deel II. Leer van den volzin (syntaxis). 2. Aufl. Leiden 1863. Brill, W.G., Nederlandsche spraakleer. Deel I. Klankleer, woordvorming, aard en verbuiging der woorden. 4. Aufl. Leiden 1871.

472

Bibliografie

Brouwer, H., Lezen en schrijven in de provincie. De boeken van Zwolse boekverkopers 1777–1849. Leiden 1995. Brouwers, J., A.B.N. in Vlaanderen en Reinsma betrapt. In: De Revisor 11, 6, 1975, 69–72. Bundschuh-Van Duikeren, J./L. Missinne/J. Konst (Hg.), Grundkurs Literatur aus Flandern und den Niederlanden. 2 Bd. Berlin 2014. Cajot, J./L. Kremer/H. Niebaum (Hg.), Lingua Theodisca. Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft: Jan Goossens zum 65. Geburtstag. Münster/Hamburg 1995. Caluwe, J. De/G. De Schutter/M. Devos/J. Van Keymeulen (Hg.), Taeldeman, man van de taal, schatbewaarder van de taal. Gent 2004. Carlin, E.B./J. Arends (Hg.), Atlas of the languages of Suriname. Kingston/Leiden 2002. Cassier, L./P. Van de Craen, Vijftig jaar evolutie van het Nederlands. In: J. Creten (Hg.) 1986, 50–73. Centraal Bureau voor de Statistiek, Professionele podiumkunsten; capaciteit, voorstellingen, bezoekers, regio. http://statline.cbs.nl/StatWeb/publication/. Charry, E./G. Koefoed/P. Muysken (Hg.), De Talen van Suriname. Achtergronden en ontwikkelingen. Met medew. van S. Kishna. Muiderberg 1983. Chrijs, P. van der, De invloed van de etherreclame op de Nederlandse dagbladpers. Rotterdam 1977. Claes, F., Verschueren groot encyclopedisch woordenboek. 10. Aufl. Antwerpen/Den Haag 1996. Claes, P., De sleutel. Jan Engelman, ‚Vera Janacopoulos‘. In: Ons Erfdeel 49, 2006, 267–270. Clerck, W. De, Nijhoffs Zuidnederlands woordenboek. ’s-Gravenhage/Antwerpen 1981. Coetsem, F. van, Loan phonology and the two transfer types in language contact. Dordrecht 1988. Coetsem, F. van, A general and unified theory of the transmission process in language contact. Heidelberg 2000. Cohen, A./C.L. Ebeling/K. Fokkema/A.G.F. van Holk, Fonologie van het Nederlands en het Fries. 2. Aufl. Den Haag 1961. Conradie, E., Hollandse skrywers uit Suid-Afrika. Deel 1 (1652–1875). Kaapstad 1934. Cordes, G./D. Möhn (Hg.), Handbuch zur niederdeutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Berlin 1983. Cornelissen, G., Das Niederländische am Niederrhein: Stationen der sprachgeschichtlichen Entwicklung vom 14. bis 19 Jahrhundert. Duisburg 1989. Cornelissen, G., Kleine niederrheinische Sprachgeschichte (1300–1900). Eine regionale Sprachgeschichte für das deutsch-niederländische Grenzgebiet zwischen Arnheim und Krefeld. Geldern/ Venray 2003. Cornelissen, M., Poëzie is niet een simpel spel met woorden. De criticus Willem Kloos temidden van zijn tijdgenoten. Nijmegen 2001. Cornips, L., Syntactische variatie in het algemeen Nederlands van Heerlen. Amsterdam 1994. Coseriu, E., Synchronie, Diachronie und Geschichte. Das Problem des Sprachwandels. München 1974. Couperus, L., Verzamelde Werken.12 Bd. Amsterdam/Antwerpen 1952/57. Creten, J. (Hg.), Werk in uitvoering. Leuven-Amersfoort 1986. Crystal, D., The Cambridge Encyclopedia of the English language. 2. Aufl. Stuttgart 2004. Daan, J., Klinkerfonemen van het Nederlands, vroeger, nu, straks. In: Taal en Tongval 18, 1966, 164–174. Daan, J., Sociolecten in de achttiende eeuw. In: Cajot et al. 1995, 263–270. Daan, J./D.P. Blok, Van Randstad tot Landrand. Amsterdam 1969. Daan, J./M.J. Francken, Atlas van de Nederlandse klankontwikkeling. 2 Bd. Amsterdam 1972/77. Daniëls, W./F. van de Laar, Spellingchaos. Een buitenparlementair onderzoek naar de nieuwe spelling. Utrecht 1996. David, J., Nederduytsche Spraekkunst. Eerste deel. Spelling en vormleer. 2. Aufl. Mechelen 1834. Debrabandere, F., West-Vlaams etymologisch woordenboek. Amsterdam/Antwerpen 2002. Debrabandere, F., Oost-Vlaams en Zeeuws-Vlaams etymologisch woordenboek. Amsterdam/Antwerpen 2005. Debrabandere, F., Zeeuws etymologisch woordenboek. Amsterdam/Antwerpen 2007.

Bibliografie

473

Deelen, A. van, 30 april 1804 De Koninklijke Schouwburg wordt geopend. De toneelsituatie in Den Haag. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996, 356–365. Delden, J. van, Spreekwoorden en gezegden uit de bijbel. 2. Aufl. Utrecht 1994. Demedts, F., 1831 De Gentse Fonteine hervat haar voorstellingen. Van Vlaamse taalijver naar Vlaams theater. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996, 404–409. Deneckere, M., Histoire de la langue française dans les Flandres (1770–1823). Gent 1954. Deprez, K., Vlaams is (Belgisch-) Nederlands. In: De gids 150, 1987, 761–769. Deprez, K./R. de Bies, Creolen en Hindustanen over Nederlands, Sarnami en Sranan: een onderzoek in Paramaribo. In: Oso. Tijdschrift voor Surinamistiek 4, Nr. 2, 1985, 191–211. Deyssel, L. van, De scheldkritieken. Hg. von H.G.M. Prick. Amsterdam 1979. Deyssel, L. van, Menschen en Bergen. o.O. 2009. Dibbets, K., Sprekende films. De komst van de geluidsfilms in Nederland 1928–1933. Amsterdam 1993 (a). Dibbets, K., De taal van de sprekende film. In: Tijdschrift voor Theaterwetenschap 33, 1993 (b), 87–98. Dibbits, H. Vertrouwd bezit. Materiële cultuur in Doesburg en Maassluis 1650–1800. Nijmegen 2001. Dongelmans, B.P.M., Nil Volentibus Arduum: Documenten en Bronnen. Een uitgave van Balthazar Huydecopers aantekeningen uit de originele notulen van het genootschap, voorzien van een inleiding, commentaar en een lijst van het genootschap. Utrecht 1982. Donselaar, J. van, Woordenboek van het Surinaams-Nederlands. Muiderberg 1989. Driel, L. [F.] van, T. Roorda en de bepaling van gesteldheid. In: De Nieuwe Taalgids 75, 1982, 36-38. Driel, L. van, Van Dale: Een leven in woorden. J.H. van Dale, schoolmeester – archivaris – taalkundige. Zutphen 2003. Driel, L. van, Nederlandse taalkunde in de negentiende eeuw. Een overzicht. In: Voortgang 25, 2007, 209–275. Driel, L. van/T. Janssen (Hg.), Ontheven aan de tijd. Linguïstisch-historische studies voor Jan Noordegraaf bij zijn zestigste verjaardag. Amsterdam/Münster 2008. Driel, L., Een leven in woorden. J.H. van Dale, schoolmeester – archivaris – taalkundige. https:// www.fryske-akademy.nl/fileadmin/Afbeeldingen/Hoofdpagina/pdf_files/vandale.pdf. Driel, L.F. van/J. Noordegraaf, De Vries en Te Winkel. Een duografie. Den Haag/Antwerpen 1998. Drost, A., Hermingard van de Eikenterpen. Hg. von P.N. van Eyck. Amsterdam 1939. Eijnatten, J. van/F. A. van Lieburg, Nederlandse religiegeschiedenis. 2. Aufl. Hilversum 2006. Eijnatten, J. van/F. A. van Lieburg, Niederländische Religionsgeschichte [mit Tabellen]. Göttingen 2011. Elffers, E., De zin als bouwwerk: een 19e-eeuws project. http://hdl.handle.net/11245/1.397401, 2013. Elsevier, K., Drie Dichtproeven benevens een proef van een Neder-Duitsche Spraakkunst. Haarlem 1761. Elshout, G./C. ter Haar/G. Janssens/M. Kristel/A. Prins/R. Vismans (Hg.), Perspectieven voor de internationale neerlandistiek in de 21ste eeuw. Woubrugge 2001. Elspass, S., Sprachgeschichte von unten. Untersuchungen zum geschriebenen Alltagsdeutsch. Berlin/ New York 2005. Elspass, S., A twofold view ‚from below‘: New perspectives on language histories and language historiographies. In: S. Elspass et al. (Hg.) 2007, 3–9. Elspass, S., The Use of Private Letters and Diaries in Sociolinguistic Investigation. In: J.M. Hernández-Campoy/J.C. Conde-Silvestre (Hg.), The Handbook of Historical Sociolinguistics. Oxfort 2012, 156–169. Elspass, S./N. Langer/J. Scharloth/W. Vandenbussche (Hg.), Germanic Language Histories ,from below‘ (1700–2000). Berlin 2007. Emmer, P.C., De Nederlandse slavenhandel 1500–1850. Amsterdam 2000. Endt, E. (Hg.), Herman Gorter Documentatie 1864–1897. 2. Aufl. Amsterdam 1986. Endt, E./L. Frerichs, Bargoens woordenboek. Kleine woordenschat van de volkstaal. 20. Aufl. Amsterdam 2011. Engelman, J., Tuin van Eros. Amsterdam 1932.

474

Bibliografie

Entjes, H., Dialecten in Nederland. Haren 1974. Erenstein, R.L. (Hg.), Een theatergeschiedenis der Nederlanden. Tien eeuwen drama en theater in Nederland en Vlaanderen. Amsterdam 1996. Franck, J./N. van Wijk/C.B. van Haeringen, Etymologisch woordenboek der Nederlandsche taal. Onveranderde herdr. van 1912 met supplement uit 1936. Den Haag 1976. Francken, E., 9 De verre zuster. Zuid-Afrikaanse literatuur in het Afrikaans. In: T. D’haen (Hg.), Europa buitengaats. Koloniale en postkoloniale literaturen in Europese talen. 2. Bd. Amsterdam 2002, 329–374. François, L., De petitiebeweging in het Verenigd Koninkrijk der Nederlanden: balans van het onderzoek. In: C.A. Tamse/E. Witte (Hg.), Staats- en natievorming in Willem I’s koninkrijk (1815– 1830). Brussel 1992, 122–170. Frank, A., Het Achterhuis. Dagboekbrieven van 12 juni 1942–1 augustis 1944. Amsterdam/Antwerpen 1947. Gardt, A./K. Mattheier/O. Reichmann (Hg.), Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Tübingen 1995. Geeraerts, D./S. Grondelaers/D. Speelman, Convergentie en divergentie in de Nederlandse woordenschat. Een onderzoek naar kleding- en voetbaltermen. Amsterdam 1999. Geerts, G., Genus en geslacht in de Gouden Eeuw. Een bijdrage tot de studie van de nominale klassifikatie en daarmee samenhangende adnominale flexievormen en pronominale verschijnselen in Hollands taalgebruik van de zeventiende eeuw. Brussel 1966. Geerts, G., Van tournooi naar toernooi in tien bedrijven. Een beknopt overzicht van Nederlandse, Duitse, Engels en Franse spellinghervormingen. In: Assink, E./G. Verhoeven (Hg.), Visies op spelling. Groningen 1985, 174–193. Geerts, G., De taal van Het verdriet van Belgie. In: Ons Erfdeel 30, 1987, 555–562. Geerts, G./T. den Boon, Van Dale Groot woordenboek der Nederlandse taal. 13. Aufl. Utrecht/Antwerpen 1999. geesteswetenschappen.http://www.uu.nl/SiteCollectionDocuments/GW/GW_Descartes_Centre/DISCIPLINEVORMING%20april%202010%20GJ%20Johannes.pdf. April 2010. Gelderblom, A.J./A.M. Musschoot, Continuïteit: de literatuurgeschiedenis in een nieuw jasje. In: G. Elshout et al. (Hg.) 2001, 151–168. Genestet, P.A. de, Dichtwerken. Hg. von C.P. Tiele. Amsterdam 1869. Gerritsen, M., Taalverandering in Nederlandse dialecten. Honderd jaar dialectvragenlijsten 1879– 1979. Muiderberg 1979. Geyl, P., Geschiedenis van de Nederlandse stam. 3 Bd. Amsterdam/Antwerpen 1948/59. Ginneken, J. van, Handboek der Nederlandsche Taal. 1. Bd. Nijmegen 1913. Gobardhan-Rambocus, L., Nederlands in Suriname, een geslaagd resultaat van taalpolitiek. In: Neerlandistiek in contrast. Handelingen Zestiende Colloquium Neerlandicum. Amsterdam 2007, 499– 507. Goedkoop, H., Een borrelende smeltkroes van stijlen. In: NRC-Handelsblad, 25 oktober 1996 (retro. nrc.nl, 10 mei 1997). Goeman, A.C.M./M. van Oostendorp/P. van Reenen/O. Koornwinder/B.L. van den Berg/A. van Reenen, Morfologische Atlas van de Nederlandse Dialecten, Morphological Atlas of the Dutch Dialects. 2 Bd. Amsterdam 2008. Goeman, T., T-deletie in Nederlandse dialecten. Kwantitatieve analyse van structurele, ruimtelijke en temporele variatie. Amsterdam 1999. Goeman, T./G. de Schutter/B.L. van den Berg/T. de Jong, Morfologische Atlas van de Nederlandse Dialecten, Morphological Atlas of the Dutch Dialects. 1. Bd. Amsterdam 2005. Goethem, H. van, De taaltoestanden in het Vlaams-Belgisch gerecht (1795–1935). Brüssel 1990. Goossens, J., ‚Belgisch beschaafd Nederlands‘ en Brabantse expansie. In: De Nieuwe Taalgids 63, 1970, 54–70. Goossens, J., Historische Phonologie des Niederländischen. Tübingen 1974. Goossens, J., Inleiding tot de Nederlandse dialectologie. 2. Aufl. Groningen 1977.

Bibliografie

475

Goossens, J., Die Herausbildung der deutsch-niederländischen Sprachgrenze. Ergebnisse und Desiderata der Forschung. In: W. Besch u. a. (Hg.), Festschrift für Siegfried Grosse zum 60. Geburtstag. Göppingen 1984, 23–44. Goossens, J., Was ist Deutsch – und wie verhält es sich zum Niederländischen? 5. Aufl. Bonn 1985. Goossens, J., Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands ‚Fränkischer Sprachatlas‘. 3 Bd. Marburg 1988/2002. Goossens, J., Hoe is het Nederlandse taalgebied tot stand gekomen? In: Neerlandica Wratislaviensia 9, 1996, 63–78. Goossens, J., Ausgewählte Schriften zur niederländischen und deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Hg. von H. Eickmans/L. Geeraerdts/R. Peters. Münster/New York/München/Berlin 2000. Goossens, J./J. Taeldeman/G. Verleyen/C. De Wulf, Fonologische atlas van de Nederlandse dialecten. 4 Bd. Gent 1998/2005. Gooyer, A.C. de, Bijbeltaal en Moedertaal. De invloed van de Statenvertaling op het Nederlands. Den Haag 1962. Gorter, Herman, Mei. Een gedicht. Amsterdam 1889. Gorter, Herman, Verzamelde werken. Hg. von J. Clinge Doorenbos/G. Stuiveling. 2. Bd. Bussum/ Amsterdam 1948. Gorter, Herman, Verzen. Hg. von E. Endt. 3. Aufl. Baarn/Amsterdam 1987. Graaf, R. de, Journalistiek in beweging. Veranderende berichtgeving in kranten en pamfletten. (Groningen en ’s-Hertogenbosch 1813–1899). Amsterdam 2010. Grauwe, L. De/J. De Vos (Hg.), Van sneeuwpoppen tot tasmuurtje. Aspecten van de Nederlandse Taalen Literatuurstudie. In: Spieghel Historiael 33, 1992, 9-28. Gritter, G., Van oerklank tot moedertaal. Over de ontwikkeling van het Nederlands. Utrecht/Antwerpen 1993. Groeneboer, K., Weg tot het westen; het Nederlands voor Indië 1600–1950; een taalpolitieke geschiedenis. Leiden 1993. Groeneboer, K., Bestrijding van Indisch-Nederlands: je-lâh-je-kripoet. In: Indische Letteren 9, 1994 (a), 5–19 (a). Groeneboer, K., Het Nederlands in Indonesië van 1600 tot heden. Een relatief bescheiden rol. In: Neerlandia, 98, 1994 (b), 65–70. Grondelaers, S./R. van Hout, The Standard Language Situation in the Low Countries. Top-Down and Bottom-Up Variations on a Diaglossic Theme. In: Journal of Germanic Linguistics 23/3, 2011, 199–243. Grootaers, L./G.G. Kloeke, Handleiding bij het Noord- en Zuid- Nederlandsch dialectonderzoek. Den Haag 1926. Grüttemeier, R., Bordewijk en de Nieuwe Zakelijkheid. In: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 115, 1999, 334–355. Grüttemeier, R./M.T. Leuker (Hg.), Niederländische Literaturgeschichte. Stuttgart/Weimar 2006. Gussenhoven, C., ‚Dutch‘. In: Journal of the International Phonetic Association 22, 1–2, 1992, 45–47. Gysseling, M., Toponymisch woordenboek van België, Nederland, Luxemburg, Noord-Frankrijk en West-Duitsland (vóór 1226). 2 Bd. o.O. 1960. Gysseling, M., De verfransing in Noord-Frankrijk. In: Naamkunde 4, 1972, 53–70. Gysseling, M., Ontstaan en verschuiving van de taalgrens in Noord-Frankrijk. In: De Franse Nederlanden – Les Pays-Bas français 1, 1976, 70–85. Gysseling, M., (Hg.), Corpus van Middelnederlandse teksten (tot en met het jaar 1300).’s-Gravenhage 1977/87. Haeringen, C.B. van, Standaard-Nederlands. Neuaufl. in: C.B. van Haeringen, Gramairie. Assen 1951, 118–125. Haeringen, C.B. van, Netherlandic Language Research. Men and Works in the Study of Dutch. 2. Aufl. Utrecht 1960. Haeseryn, W./K. Romijn/G. Geerts/J. de Rooij/M.C. van den Toorn, Algemene Nederlandse spraakkunst. 2. Aufl. Groningen/Deurne 1997.

476

Bibliografie

Hagen, A.M., Groepsportret van het Nederlands. In: Onze Taal 59, 1990, 32–39. Hagen, A.M., Taal- en stijlniveaus in achttiende-eeuws Nederlands. In: Cajot et al. 1995, 271–282. Hagen, A.M. (Hg.), O schone moedertaal. Lofzangen op het Nederlands 1500–2000. Amsterdam 1999. Hake, J.A. vor der, Is de beleefdheidsvorm ‚U‘ ’n verbastering van ‚Ued‘? In: De Nieuwe Taalgids 5, 1911, 16–24. Hamans, C., Spelling, fatum of fata morgana. In: De Gids 1972, 3, 233–238 Hammacher, K. (Hg.), Universalismus und Wissenschaft im Werk und Wirken der Brüder Humboldt. Frankfurt a.M. 1976. Harris, R./T.J. Talbot, Landmarks in Linguistic Thought Volume 1. The Western tradition from Socrates to Saussure. London/New York 1989. Heeroma, K., Hollandse dialektstudies; bijdrage tot de ontwikkelingsgeschiedenis van het Algemeen Beschaafd Nederlands. Groningen/Batavia 1935. Hellinga, W.Gs, Language problems in Surinam. Dutch as the language of the schools. Amsterdam, 1955. Hempen, U., Die starken Verben im Deutschen und Niederländischen: Diachrone Morphologie. Tübingen 1988. Hendrickx, E./K. Hendrickx/W. Martin/H. Smessaert/W. van Belle/J. van der Horst (Hg.), Liever meer of juist minder? Over normen en variatie in taal. Gent 2010. Herder, J.G., Twee bekroonde prysverhandelingen. Uit het Hoogduitsch naar den tweeden verbeterden druk. Door IJsbrand van Hamelsveld. Amsterdam 1790. Hermans, W.F., ‚Pionier in het vacuüm‘. In: Over Multatuli, 1950, 26–32. Hermans, W.F., De spelling van ‚verspilling‘. In: De Gids 135, 1972, 194–203. Hertog, C.H. den, Nederlandsche spraakkunst. 3 Bd. 3. Aufl. Hg. von H. Hulshof. Amsterdam 1973. Heule, C. van, De Nederduytsche Spraec-konst ofte Taelbeschrijvinghe. Hg. von W.J.H. Caron. Groningen/Djakarta 1953. Heule, C. van, De Nederduytsche Grammatica ofte spraec-konst. Hg. von W.J.H. Caron. Groningen 1971. Hinskens, F., Wijdvertakte wortels. Over etnolectisch Nederlands. Amsterdam 2016. Hinskens, F./C.A.J. Hoppenbrouwers/J. Taeldeman (Hg.), Dialectverlies en regiolectvorming. In: Taal en tongval, themanummer 6, 1993. Hinskens, F./J. Taeldeman (Hg.), Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Volume 3. Berlin/Boston 2013. Hogendoorn, W., Dutch Theatre, 1600–1848. In: G.W. Brandt/W. Hogendoorn (Hg.), German and Dutch theatre, 1600–1848. Cambridge 1993, 335–527. Hoogvliet, J.M., Iets over de beschrijving van het Nederlandsche verbum Door den heer Talen. In: Taal en Letteren 4, 1894, 339–343. Hoppenbrouwers, C., Het regiolect: van dialect tot Algemeen Nederlands. Muiderberg 1990. Hoppenbrouwers, C./G. Hoppenbrouwers, De indeling van de Nederlandse streektalen. Assen 2001. Horst, J.M. van der, Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis. 2 Bd. Leuven 2008 (a). Horst, J. van der, Het einde van de standaardtaal. een wisseling van Europese taalcultuur. 3. Aufl. Amsterdam 2008 (b). Horst, J.M. van der/H.C. van der Horst, Geschiedenis van het Nederlands in de twintigste eeuw. Den Haag/Antwerpen 1999. Horst, J.M. van der/F. Marschall, Korte geschiedenis van de Nederlandse taal. 4. Aufl. Den Haag 2000. Horst, J.M. van der/M. van der Wal, Negatieverschijnselen en woordvolgorde in de geschiedenis van het Nederlands. In: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 95/1, 1979, 6–37. Hout, R. van, De structuur van taalvariatie. Een sociolinguïstisch onderzoek naar het stadsdialect van Nijmegen. Dordrecht 1989. Huisman, M., Publieke levens. Autobiografieën op de Nederlandse boekenmarkt 1850–1918. Zutphen 2008. Humboldt, W. von, Schriften zur Sprachphilosophie. 5 Bd. Darmstadt 1972.

Bibliografie

477

Hüning, M., Visies op taalverandering. In: Forum der Letteren 34/4, 1993, 281–302. Hüning, M., Reciprociteit in het Nederlands: de geschiedenis van ‚elkaar’ en ‚mekaar’. In: Nederlandse Taalkunde 11, 2006, 185–217. Ibo, W., En nu de moraal... Geschiedenis van het Nederlands cabaret 1895–1936. Alphen aan den Rijn 1981 Ibo, W., En nu de moraal... Geschiedenis van het Nederlands cabaret 1936–1981. Alphen aan den Rijn 1982 Jacobi, I., On Variation and change in diphthongs and vowels of spoken Dutch. Amsterdam 2009. Jankowsky, K.R. (Hg.), History of Linguistics 1993. Studies in the history of the language sciences 78. Amsterdam/Philadelphia 1995. Jansen, F./M. Gerritsen, Van neemt naar neem: de verdwijning van de imperatief met -t in een instructief tekstgenre. In: A. van Santen/M. van der Wal (Hg.), Taal in tijd en ruimte. Leiden 1997, 37–44. Janssens, G./A. Marynissen, Het Nederlands vroeger en nu. 2. Aufl. Leuven 2005. Janssens, G./K. Steyaert, Het onderwijs van het Nederlands in de Waalse provincies en Luxemburg onder koning Willem I (1814–1830). Niet meer dan een boon in een brouwketel? Mit Mitarbeit von B. Pierret. Brüssel 2008. Jellinghaus, H., Die niederländischen Volksmundarten, nach den Aufzeichnungen der Niederländer. Norden 1892. Jensen, L., Verzet tegen Napoleon. Nijmegen 2013. Johannes, G.J., Geduchte verbeeldingskracht! Een onderzoek naar het literaire denken over de verbeelding – van Van Alphen tot Verwey. Amsterdam 1992. Johannes, G.-J., ‚Nationale filologieën‘ en het historisch onderzoek naar disciplinevorming in de geesteswetenschappen. Een verkenning. In: Studium 4, 2011, 31–46. Jonckbloet, W.J.A., Geschiedenis der Nederlandsche letterkunde. Deel 6: De twee laatste eeuwen (2). 4. Aufl. Groningen 1892. Jonghe, A. de, De taalpolitiek van Koning Willem I in de Zuidelijke Nederlanden (1824–1830). SintAndries-bij-Brugge 1967. Joseph, J., Eloquence and Power. The Rise of Language Standards and Standard Languages. London 1987. Kalff, J., Geschiedenis der Nederlandsche letterkunde. 7 Bd. 1906–1912. Kalmthout, T./H. Zuidervaart (Hg.), The Practice of Philology in the Nineteenth-Century Netherlands. Amsterdam 2015. Kamerbeek, J., Albert Verwey en het nieuwe classicisme. De richting van de hedendaagsche poëzie in zijn internationale context. Groningen 1966. Kamp, J. van de/J. van Wijk, Koosjer Nederlands. Joodse woorden in de Nederlandse taal. Amsterdam 2006. Karsten, G., 100 jaar Nederlandse philologie. M. de Vries en zijn school. Leiden 1949. Kate, L. ten, Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake. (1723). Facsimile. Alphen aan den Rijn 2001. Keiser Hayne, H., Beteiligt euch, es geht um ihre Erde. Erika Mann und ihr politisches Kabarett Die Pfeffermühle 1933–1937. München, 1981. Keller, R., Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache. Tübingen 1990. Kempen, M. van, Een geschiedenis van de Surinaamse literatuur. 2. Bd. Breda 2003. Kerncijfers Koninklijke vereniging van het boekenvak, http://www.kvb.nl/feiten-en-cijfers/kerncijfers. Ketterij, C. van de, De weg in woorden. Een systematische beschrijving van piëtistisch woordgebruik na 1900. Assen 1972. Keunen, G., Een eeuw popmuziek. Van Crooners tot Dubstep. Tielt 2015. Kleine, C.M. De, A morphosyntactic analysis of Surinamese Dutch. München 2007. Kloek, J.J./W.W. Mijnhardt, 1800. Blauwdrukken voor een samenleving. Den Haag 2001. Kloeke, G.G., De Hollandsche expansie in de zestiende en zeventiende eeuw en haar weerspiegeling in de hedendaagsche Nederlandsche dialecten. ’s-Gravenhage 1927. Kloeke, G.G., Taalatlas van Noord- en Zuid-Nederland. Leiden 1939/72. Kloeke, G.G., Gezag en norm bij het gebruik van verzorgd Nederlands. Amsterdam 1951.

478

Bibliografie

Kloeke, G.G. et al., Taalatlas van het Nederlands en het Fries. 2 Bd. Leiden 1981/88. Koelmans, L., Het A.B.N., het spreken en het schrijven. In: De Nieuwe Taalgids 70. 1977, 15–33. Kloos, W., Literaire kroniek II. In: De nieuwe gids 1, 1885/86, dl. 1, afl. 3, 485–506. Kloos, W., Literaire kroniek. XXII. In: De nieuwe gids 6, 1890/91, dl. 1, afl. 1, 139–149. Klooster, W.G./H.J. Verkuyl/J.H.J. Luif, Inleiding tot de syntaxis. Culemborg 1969. Kloots, H., Vocaalreductie in het Standaardnederlands in Vlaanderen en Nederland. Delft 2008. Kneppelhout, J., Studententypen en -leven. 4. Aufl. Leiden 1885. Knol, J./M. Maas, Bibliografie van de geschriften op het gebied van de Nederlandse taalkunde uit de periode 1691–1804. Amsterdam/Nijmegen 1977. Knuvelder, G.P.M., Handboek tot de geschiedenis der Nederlandse letterkunde. 4 Bd. Den Bosch 1948–1953. Kollewijn, R.A., Onze lastige spelling. Een voorstel tot vereenvoudiging. Amsterdam 1891. Kollewijn, R.A., De Vereenvoudigde Verdedigd. In: De Beweging 3, 1907, 109–130. Kollewijn, R.A., Opstellen over spelling en verbuiging. 3. Aufl. Groningen 1916. Komen, J.A.M., Over de ontwikkeling van absolute constructies. Amsterdam 1994. Koop-, leen- en leesgedrag in Vlaanderen. Onderzoek naar de betekenis en beleving van boeken en lezen in Vlaanderen. Ministeries van de Vlaamse Gemeenschap (BE) https://cjsm.be/cultuur/onderzoek-en-publicaties/koop-leen-en-leesgedrag-vlaanderen-onderzoek-naar-de-betekenis-en-beleving. Korthals Altes, L./D. Schram (Hg.), Literatuurwetenschap tussen betrokkenheid en distantie. Assen 2000. Kossmann, E.H., De Lage Landen 1780–1980. 2 Bd. Amsterdam 1986. Kouwenaar, G. (Hg.), Vijf 5 tigers. Een bloemlezing uit het werk van Remco Campert, Jan Elburg, Gerrit Kouwenaar, Lucebert, Bert Schierbeek. Amsterdam [1954]. Kremer, L., Sprache und Geschichte im westfälisch-niederländischen Grenzraum. Ein Abriss der sprach- und kulturhistorischen Wechselbeziehungen. Vreden 1978. Kremer, L., Geschichte der deutsch-friesischen und deutsch-niederländischen Sprachgrenze. In: Besch et al. 1998/2004, 3390–3404. Kremer, L., Grenzniederländisch. Das Niederländische im Westmünsterland. In: Baumann u. a. 1998, 11–51. Kroon, K./J. Kurvers, Opvattingen over Nederlands en andere talen als instructietaal op Aruba en Suriname. In: Toegepaste Taalwetenschap in Artikelen, nr. 82, 2009, 57–68. Kruijsen, T. J.W.M./N. van der Sijs, Mapping Dutch and Flemish. In: A. Lamali/R. Kehrein/S. Rabaus/ (Hg.), Language and space. An international handbook of linguistic variation. Vol. 2. Berlin/New York 2010, 180–202. Lamarcq, D./M. Rogge (Hg.), De taalgrens. Van de oude tot de nieuwe Belgen. Leuven 1996. Leek, R.H., November 1887. Burgersdijk voltooit de vertaling van Shakespeares verzameld werk. Shakespeare in ons taalgebied: problemen rond vertalen en bewerken. In: R.L. Erenstein (Hg.) 1996, 496–505. Leemans, I./G.-J. Johannes, Worm en donder. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur 1700–1800: de Republiek. Amsterdam 2013. Leeuw, S. de, Televisiedrama: podium voor identiteit. Een onderzoek naar de relatie tussen omroepidentiteit en Nederlands televisiedrama 1969–1988. Amsterdam 1995. Leeuwe, H.H.J. de, 21 januari 1795. De Amsterdamse Schouwburg wordt heropend – twee dagen na het binnentrekken der Franse troepen. In: R.L. Erenstein (Hg.) 1996 (a), 348–355. Leeuwe, H.H.J. de, 26 maart 1919. Willem Royaards ontvangt een ere-doctoraat van de Rijksuniversiteit van Utrecht. Royaards’ bijdrage aan de bloei van het Nederlands theater begin twintigste eeuw. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996 (b), 580–585. Leeuwen, W.L.M.E. van, Naturalisme en romantiek. Proza en kritiek in Nederland sinds 1880, met bloemlezing. Groningen 1935. Leijnse, E., Boekbeoordeling Lodewijk van Deyssel, Menschen en Bergen. http://www.tntl.nl/index. php/tntl/article/view/46/9. Lennep, J. van, Het dorp over de grenzen, eene Schets uit den laatsten Veldtocht. In twee bedrijven. Amsterdam 1831.

Bibliografie

479

Lennep, J. van, De vermakelijke spraakkunst. Facsimile-uitgave van de eerste druk uit 1865, hg. von J. Noordegraaf. 5. Aufl. Den Haag 1985. Leopold, J.A./L. Leopold, Van de Schelde tot de Weichsel, Nederduitsche dialecten in dicht en ondicht. 3 Bd. Groningen 1876/81. Leopold, J.H., Verzameld werk 1. Verzen. Fragmenten. Amsterdam 1967. Leuvensteijn, A. van, Epistolaire aanspreekvormen in de correspondentie van Maria van Reigersberch. Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 118, 2002, 288–298. Leuvensteijn, J.A. van/J.B. Berns (Hg.), Dialect and standard language in the English, Dutch, German and Norwegian language areas. Amsterdam/Oxford/New York 1992. Lintsen, H.W. (Hg.), Geschiedenis van de techniek in Nederland. De wording van een moderne samenleving 1800–1890. Deel II. Gezondheid en openbare hygiëne. Waterstaat en infrastructuur. Papier, druk en communicatie. Zutphen 1993. Lockwood, W.B., An informal history of the German language. With chapters on Dutch and Afrikaans, Frisian and Yiddish. London 1976. Loon, J. van, Historische fonologie van het Nederlands. Leuven/Amersfoort 1986. Louwerse, H., „Spel van misleiding“: Over de kunst van Hafid Bouazza. Werkwinkel. Journal of Low Countries and South African Studies, 3, 1, 2008, 45–60. Lucebert, val voor vliegengod gedichten. Amsterdam 1959. Lucebert, Wir sind Gesichter. Gedichte und Zeichnungen. Frankfurt a/M 1972. Lucebert, Verzamelde gedichten. Hg. von V. Schiferli. Amsterdam 2002. Marle, J. van, One man, one voice: iets over de democratisering van het Algemeen Nederlands. o.O. 2015. Martin, W., Distributie van ‚nieuwe woorden‘ in Mei van Herman Gorter. In: De Nieuwe Taalgids 64, 1971, 163–175. Marsman, H., Verzamelde gedichten. Amsterdam 1941. Mathijsen, M., Gij zult niet lezen. De geschiedenis van een gedoogproces. Vijfde Bert van Selm-lezing. Amsterdam 1996. Mathijsen, M., Nederlandse literatuur in de romantiek, 1820–1880. Nijmegen 2004. Mediamonitor 2013, http://www.mediamonitor.nl/gastauteurs/piet-bakker-2013. Mees, I./B. Collins, A phonetic description of the vowel system of Standard Dutch (ABN). In: Journal of the International Phonetic Association 13, 1983, 64–75. Meijer, C.H.Ph., Woorden en uitdrukkingen. Amsterdam 1919. Meulen, D. van der, Multatuli. Leven en werk van Eduard Douwes Dekker. Nijmegen 2002. Michiels, I., Exit. Amsterdam 1971. Michiels, I., De alfa-cyclus. Amsterdam 2007. Michiels, I., De alfa-cyclus. Amsterdam 1980. Minco, M., Het bittere kruid. Zes fragmenten uit een kleine kroniek. In: Maatstaf 4, 1956/57, 138–153. Minco, M., Das bittere Kraut. Hamburg 1985. Moerdijk, A., WNT, een buitengewoon woordenboek. [Leiden] 1998. Moerdijk, A.M.F.J., Woordenboek der Nederlandsche taal/Aanvullingen. ’s-Gravenhage 2001. Moerdijk, A.M.F.J./A. van Santen/R. Tempelaars (Hg.), Leven met woorden. Opstellen aangeboden aan Piet van Sterkenburg bij zijn afscheid als directeur van het Instituut voor Nederlandse Lexicologie en als hoogleraar Lexicologie aan de Universiteit Leiden. Leiden 2007. Molewijk, G.C., Spellingverandering van zin naar onzin. (1200-heden). Den Haag 1992. Mooijaart, M.A./M.J. van der Wal (Hg.), Yesterday’s words. Contemporary, current and future lexicography. Newcastle 2008. Mulder, G.C., Nederlandsche spraakleer; een vervolg op de Nederlandsche spraakkunst voor schoolgebruik. Nijmegen 1852. Muller, J.W., Spreektaal en schrijftaal in het Nederlandsch. In: Taal en Letteren 1, 1891, 196–232. Mulisch, H., Soep lepelen met een vork: tegen de spellinghervormers. Amsterdam 1972. Multatuli, Ideën V. Amsterdam 1877. Multatuli, Ideen I. Amsterdam 1879.

480

Bibliografie

Multatuli, Max Havelaar of de koffijveilingen der Nederlandsche Handelmaatschappy. 5. Aufl. Rotterdam 1881. Multatuli, Max Havelaar of de koffiveilingen der Nederlandsche Handelmaatschappy. Hg. A. Kets. Assen/Maastricht 1992. Multatuli, Max Havelaar oder die Kaffeeversteigerungen der Niederländischen Handelsgesellschaft. Übertragen von M. den Hertog-Vogt. Köln 1993. Musschoot, A.M. (Hg.), Van nu en straks 1893–1901. ’s-Gravenhage 1982. Musschoot, A.M., 15 januari 1903. Cyriel Buysses ‚Het gezin Van Paemel‘ opgevoerd door de Gentse Multatulikring. Het Vlaams naturalisme op het toneel. In: R.L.Erenstein 1996, 540–545. Nasr, Ramsey, mi-have-een-droom. http://nrcboeken.vorige.nrc.nl/nieuws/mi-have-een-droom-rotterdam-2059. Neijt, A., Universele fonologie. Dordrecht 1991. Nescio, De uitvreter. In: De Gids 75, 1911, 45–74. Nescio (J.H.F. Gröhnloh), De uitvreter, Titaantjes, Dichtertje. 3. Aufl. Rotterdam/Den Haag 1947. Nerbonne, J./W. Heeringa, Computationele vergelijking en classificatie van dialecten. In: Taal en Tongval 50, 1998, 164–193. Nevalainen, T./H. Raumolin-Brunberg, Historical sociolinguistics: Origins, Motivations, and Paradigms. In: J.M. Hernández-Campoy/J.C. Conde-Silvestre (Hg.), The handbook of historical sociolinguistics. London 2012, 22–40. Nevalainen, T./I.M. Tieken-Boon van Ostade, Standardisation. In: R. Hogg/D. Denison (Hg.), A History of the English Language. Cambridge 2006, 271–311. Nijhoff, M., Verzamelde gedichten. 2. Aufl. Den Haag 1963. Noack, C., Regularitäten der deutschen Orthographie und ihre Deregulierung. Eine computerbasierte Untersuchung zu ausgewählten Sonderbereichen der deutschen Rechtschreibung. Dissertation. Universität Osnabrück 2000. (Überarbeitet 2001: http://elib.ub.uni-osnabrueck.de/publications/ diss/E-Diss158_thesis_1.ps). Nobels, J./M. van der Wal, Linking words to writers: Building a reliable corpus for historical sociolinguistic research. In: N. Langer/S. Davies/W. Vandenbussche (Hg.), Language and History, Linguistics and Historiography: Interdisciplinary Approaches. Bern 2012, 343–361. Nobels, J., (Extra)Ordinary letters: A view from below on seventeenth-century Dutch. Utrecht 2013. Noordegraaf, J., Multatuli’s ideeën over taal. In: Over Multatuli 4, 1979, 21–36. Noordegraaf, J., „Taal en Letteren“ honderd jaar later; een tijdschrift tegen de schrijftaalcultuur. In: Forum der Letteren 32, 1991, 269–280. Noordegraaf, J., Dutch Linguistics around 1800. Between France and German. In: B. Schlieben-Lange et al. (Hg.), Europäische Sprachwissenschaft um 1800, 4. Bd. Münster 1994, 223–244. Noordegraaf, J., General Grammar in the Netherlands 1670–1900. In: P. Schmitter (Hg.), Geschichte der Sprachtheorie. 5. Bd. Tübingen 1996, 94–121. Noordegraaf, J., Een kwestie van tijd: vakhistorische studies. Münster 2005. Noordegraaf, J./F. Vonk (Hg.), Five hundred years of foreign language teaching in the Netherlands 1450–1950. Amsterdam 1993. Nortier, J., Murks en straattaal. Vriendschap en taalgebruik onder jongeren. Amsterdam 2001. Oostrom, F. van, Stemmen op schrift. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur vanaf het begin tot 1300. Amsterdam 2006. Oostrom, F. van, Wereld in woorden. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur 1300–1400. Amsterdam 2013. Ostaijen, P. van, Verzamelde gedichten. Verzameld Werk 1, 2. Hg. von G. Borgers. 13. Aufl. Amsterdam 1996. Overdiep, G.S., Stilistische grammatica van het Moderne Nederlandsch. 2. Aufl. Hg. von G.A. van Es. Zwolle 1949. Paardekooper, P.C., Beknopte ABN-syntaxis. Eindhoven 1963. Parqui, J. (Hg.), Verhalen over taal, 150 jaar Van Dale. Utrecht/Antwerpen 2014. Pauwels, J.L., 1954, In hoever geeft het Noorden de toon aan? In: Nu Nog 2, 4, 1954, 1–9.

Bibliografie

481

Peeters, C.H., Nederlandsche taalgids. Woordenboek van Belgicismen. Met inl. van J. Vercoullie. Antwerpen 1930. Peeters, F., 1853. De stad Antwerpen geeft een subsidie van 8.000 Bfr aan het Nationael Tooneel van Antwerpen. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996, 432–439 (a). Peeters, F., 22 augustus 1909 Openluchtvoorstelling van ,Philoktetes’ door de Vlaamsche Vereeniging voor Tooneel- en Voordrachtkunst te Sint-Martens-Latem. In: R.L. Erenstein et al. 1996, 568-573 (b). Peeters, F., 27 februari 1929. Jan Oscar de Gruyter overlijdt. De Gruyter en de professionalisering van het Vlaamse theater. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996, 632–637 (c). Philippa, M./F. Debrabandere/A. Quak/T. Schoonheim/N. van der Sijs, Etymologisch woordenboek van het Nederlands. 4 Bd. Amsterdam 2003/09. Pluim, T., Keur van Nederlandsche woordafleidingen. Purmerend 1911. Polenz, P. von, Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band I: Einführung. Grundbegriffe. 14. bis 16. Jahrhundert. 2. Aufl. Berlin/New York 2000. Ponelis, F.A., The Development of Afrikaans. Frankfurt 1993. Porteman, K./M.B. Smits-Veldt, Een nieuw vaderland voor de muzen. Geschiedenis van de Nederlandse literatuur 1560–1700. Amsterdam 2008. Post, P., 1827. De schilder-acteur Johannes Jelgerhuis begint de publikatie van zijn boek ‚Theoretische Lessen over de Gesticulatie en Mimiek‘. In: R.L. Erenstein et al (Hg.) 1996, 396–403. Posthumus, J., Lexicografie in Nederland. Peilingen in de negentiende en twintigste eeuw. Amsterdam/Munster 2009. Potgieter, E.J., Het Rijks-Museum te Amsterdam. I. In: De Gids 8, 1844, 17–26. Praamstra, O.J., ‚Kaatje Kekkelbek‘, de Zuid-Afrikaanse pers en de literatuur. In: G. Termorshuizen (Hg.) 2011, 133–160. Prayon-Van Zuylen, A., Kollewijn-spelling. Verslag van den heer Prayon-Van Zuylen. In: Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Taal- en Letterkunde 1900. Gent 1900, 150–192. Reve, G.K. van het, Veertien etsen van Frans Lodewijk Pannekoek voor arbeiders verklaard. Amsterdam 1967. Rickard, P., A history of the French language. 2. Aufl. London/Boston 1989. Rijpma, E./F.G. Schuringa/J. van Bakel, Nederlandse spraakkunst. 24. Aufl. Groningen 1972. Rijswijck, T. van, Volledige werken. 2.Bd. Hg. von J. Staes. Antwerpen 1884. Roelcke, T., Periodisierung der deutschen Sprachgeschichte. Analysen und Tabellen. Studia Linguistica Germanica 40. Berlin/New York 1995. Roelcke, T., Variationstypologie. Ein sprachtypologisches Handbuch der europäischen Sprachen in Geschichte und Gegenwart. Berlin/New York 2003. Romein-Verschoor, A., Luiheid – stimulans van de Geest, Vlijt – zijn hofnar. In: De Gids 135, 1972, 204–209. Rooij, J. de (Hg.), Variatie en norm in de standaardtaal. Amsterdam 1987 (a). Rooij, J. de, Variatie en Norm in de Standaardtaal. Amsterdam 1987 (b). Roorda, T., Verhandeling over het onderscheid en de behoorlijke overeenstemming tusschen spreektaal en schrijftaal, inzonderheid in onze moedertaal. Leeuwarden 1858. Ruitenbeek, H., 13 november 1813. Frits Rosenveldt treedt op in de Rotterdamse Schouwburg met een oranje lint om zijn hoed. Nationalisme in de eerste helft van de negentiende eeuw. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996, 374–381. Ruitenbeek, H., Kijkcijfers. De Amsterdamse Schouwburg 1814–1841. Hilversum 2002. Rutten, G., Uit de geschiedenis van de spelling. Over de scherp- en zachtlange [e:] en [o:]. In: Verslagen en Mededelingen van de Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 119, 2009, 85–140. Rutten, G., Een nieuwe Nederduitse spraakkunst. Taalnormen en schrijfpraktijken in de Zuidelijke Nederlanden in de achttiende eeuw. Met medewerking van R. Vosters. Brussel 2011. Rutten, G./M. van der Wal, Change, contact and conventions in the history of Dutch. In: Taal en tongval 65, 1, 2012, 97–123.

482

Bibliografie

Rutten, G./M.J. van der Wal, Letters as Loot. A sociolinguistic approach to seventeenth- and eighteenth century Dutch. Amsterdam/Philadelphia 2014. Ryckeboer, H., Het Nederlands in Noord-Frankrijk. Sociolinguistische, dialectologische en contactlinguistische aspecten. 2. Aufl. Gent 2006 (a). Ryckeboer, H., Vlaams/Nederlands ad muros. In: Neerlandica extra muros 44/2, 2006, (b)14–32. Sanders, E., Jemig de pemig! De invloed van Van Kooten en De Bie op het Nederlands. Amsterdam/ Antwerpen 1999. Sassen, A., Endogeen en exogeen taakgebruik. In: De Nieuwe Taalgids 56, 1963, 10–21. Schenkeveld-Van der Dussen, M.A. (Hg.), Nederlandse literatuur, een geschiedenis. Groningen 1993. Schlegel, F., Über die Sprache und Weisheit der Indier. Heildelberg 1808. Schmidt, S.J., Grundriss der empirischen Literaturwissenschaft. Bd1. Der gesellschaftliche Handlungsbereich Literatur. Braunschweig/Wiesbaden 1980. Schneider, M., De Nederlandse krant 1618–1978. Van ‚nieuwstydinghe‘ tot dagblad. In samenw. met J. Hemels. 4. Aufl. Baarn, 1979. Schoonenboom, J., Analyse, norm en gebruik als factoren van taalverandering. Een studie naar veranderingen in het Nederlands onzijdig relativum. Amsterdam 2000. Schoor, J. van, 23 juli 1849. Leopold I bezoekt de Minardschouwburg. Toneel als privé-initiatief leidt tot de eerste Vlaamse schouwburg voor een Vlaams gezelschap. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996 (a), 426–431. Schoor, J. van, 3 april 1918. Het pampflet ‚Siegfried‘ van Herman van Overbeke op het toneel voorgelezen te Gent. Jongeren eisen een radicale vernieuwing van het toneel. De Gentse toneelschool en het werk van Arie vanden Heuvel. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996 (b), 574–579. Schoor, J. van, 8 maart 1922. Première van Herman Teirlincks ‚De vertraagde film‘ in de Brusselse Koninklijke Vlaamse Schouwburg. Het expressionisme in Vlaanderen. In: R.L. Erenstein et al. (Hg.) 1996 (c), 602–607. Schuchardt-Brevier, H., Ein Vademecum der allgemeinen Sprachwissenschaft [1928]. Eingel. von L. Spitzer. Darmstadt 1976. Schulting, H., Ideaal en werkelijkheid. In: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 115, 1999, 250–260. Schutter, G. de/B. van den Berg/ T. Goeman et al., Morfologische atlas van de Nederlandse dialecten/ Morfological atlas of the Dutch dialects. 2 Bd. Amsterdam 2005/08. Sebregts, K.D.C.J., The Sociophonetics and Phonology of Dutch r. Sociofonetiek en fonologie van de Nederlandse r. Met een samenvatting in het Nederlands. Utrecht 2015. Siebelink, R./D. Biltereyst/J.-C. Burgelman, Vlaanderen. In: Van Zutphen et al. (Hg.) 1994, 221–277. Siegenbeek, M., Verhandeling over de Nederduitsche spelling, ter bevordering van eenparigheid in dezelve. Amsterdam, 1804. Siegenbeek, M., Woordenboek voor de Nederduitsche spelling. Amsterdam 1805. Siegenbeek, M., Taalkundige bedenkingen, voornamelijk betreffende het verschil tusschen de aangenomene spelling en die van Mr. W. Bilderdijk. Haarlem 1827. Siegenbeek, M., Syntaxis of woordvoeging der Nederduitsche taal (M. Siegenbeek). 2. Aufl. Leiden/ Deventer 1846. Siegenbeek, M., Redevoering over het openbaar onderwijs in de Nederduitsche welsprekendheid. Hg. von K. Korevaart. Hilversum 1997. Sijs, N. van der, Leenwoordenboek. De invloed van andere talen op het Nederlands. 2. Aufl. Den Haag/Antwerpen 1996. Sijs, N. van der, Chronologisch woordenboek. De ouderdom en herkomst van onze woorden en betekenissen. 2. Aufl. Amsterdam/Antwerpen 2001. Sijs, N. van der (Hg.), Uit Oost en West. Verklaring van 1000 woorden uit Nederlands-Indië van P.J. Veth, met aanvullingen van H. Kern en F.P.H. Prick van Wely. Amsterdam 2003. Sijs, N. van der, Taal als mensenwerk: Het ontstaan van het ABN. Den Haag 2004. Sijs, N. van der, De geschiedenis van het Nederlands in een notendop. Amsterdam 2005 (a). Sijs, N. van der (Hg.), Leeg en ijdel. De invloed van de bijbel op het Nederlands. Den Haag 2005 (b).

Bibliografie

483

Sijs, N. van der (Hg.), Wereldnederlands. Oude en jonge variëteiten van het Nederlands. Den Haag 2005 (c). Sijs, N. van der, Calendarium van de Nederlandse taal. De geschiedenis van het Nederlands in jaartallen. Den Haag 2006. Sijs, N. van der, Nederlandse woorden wereldwijd. Den Haag 2010. Sijs, N. van der (Hg.), Dialectatlas van het Nederlands. Amsterdam 2011. Sijs, N. van der, ‚Laat-me-er-dit-van-zeggen‘. Grammaticale bijzonderheden in het Surinaams-Nederlands. In: Onze Taal 11, 2014, 314–316. Sijs, N. van der/R. Willemyns, Het verhaal van het Nederlands. Een geschiedenis van twaalf eeuwen. Amsterdam 2009. Simons, T.A., Ongekend 18e-eeuws Nederlands: taalvariatie in persoonlijke brieven. Utrecht 2013. Sjoer, E., Lessen over welsprekendheid. Een typering van de retorica’s van de eerste hoogleraren in de vaderlandse welsprekendheid in de Noordelijke Nederlanden (1797–1853). Leiden 1996. Smakman, D., Standard Dutch in the Netherlands. A Sociolinguistic and Phonetic Description. Utrecht 2006. Smet, P., Samen taalgrenzen verleggen. Conceptnota versie 22 juli 2011. (www.ond.vlaanderen.be/ nieuws/2011/doc/talennota_2011.pdf.). Smeyers, J., Van traditie naar vernieuwing. De Zuidnederlandse letterkunde in de Oostenrijkse tijd. In: C. Billen et al., Oostenrijks België, 1713–1794. De Zuidelijke Nederlanden onder de Oostenrijkse Habsburgers. Brussel 1987, 301–346. Smits, T.F.H., Strukturwandel in Grenzdialekten. Die Konsolidierung der niederländisch-deutschen Staatsgrenze als Dialektgrenze. Antwerpen 2007. Sonderegger, S., Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. Diachronie des Sprachsystems. Band I: Einführung. Genealogie. Konstanten. Berlin/New York 1979. Sonderegger, S./J. Stegeman (Hg.), Niederlandistik in Entwicklung. Vorträge und Arbeiten an der Universität Zürich. Leiden/Antwerpen 1985. Sötemann, A.L., De structuur van Max Havelaar. Bijdrage tot het onderzoek naar de interpretatie en evaluatie van de roman. 2 Bd., 3. Aufl. Groningen 1981. Spies, M. (Hg.), Historische letterkunde, facetten van vakbeoefening. Groningen 1984. Spruit, M.C., Quantitative perspectives on syntactic variation in Dutch dialects. Utrecht 2008. Statenvertaling (1637), Transkription Nicoline van der Sijs, 2008. www.bijbelsdigitaal.nl. Statistische studie nummer 110. 24 uur… Belgische tijd. Een onderzoek naar de tijdsbesteding van de Belgen. Brussel 2002. Stedje, A., Deutsche Sprache gestern und heute. Einführung in Sprachgeschichte und Sprachkunde. München 1989. Stegeman, J., Übersetzung und Leser. Untersuchungen zur Übersetzungsäquivalenz dargestellt an der Rezeption von Multatulis ‚Max Havelaar‘ und seinen deutschen Übersetzungen. Berlin/New York 1991. Stegeman, J., ‚Ja, ich will gelesen werden!‘ ‚Max Havelaar‘ en zijn Duitse vertalingen als object van vertaaltheoretisch receptieonderzoek. In: Over Multatuli 32, Nr. 65, 2010, 17–34. Stegeman, J., Handbuch Niederländisch. Sprache und Sprachkultur von den Anfängen bis 1800. Darmstadt 2014 (a). Stegeman, J., Niederländische Sprache als Gegenstand der Geschichtsschreibung. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 71, 2014 (b), 21–51. Steinz, P., Meneer Van Dale Wacht Op Antwoord. En andere schoolse rijtjes van vroeger. Amsterdam 1991. Stellmacher, D., Einführung in die Geschichte der niederländischen Sprache. Tampere 1971. Stellmacher, D., Niederdeutsche Sprache. 2. Aufl. Berlin 2000. Sterkenburg, P.G.J. van, Van woordenlijst tot woordenboek. Inleiding tot de geschiedenis van woordenboeken van het Nederlands. Leiden 1984. Stevenson, V., Atlas van de Europese talen. Geschiedenis & ontwikkeling. 1. Aufl. Utrecht/Antwerpen 1984.

484

Bibliografie

Stilma, L.C., Van kloosterklas tot basisschool. Een historisch overzicht van opvoeding en onderwijs in Nederland. 2. Aufl. Baarn 2002. Strang, B.M.H., A history of English. London 1970. Stroom, G.P. van der, ‚Foute‘ spelling; een spellingregeling uit 1941. In: De Nieuwe Taalgids 76, 1983, 201–208. Stroop, J., Poldernederlands; waardoor het ABN verdwijnt. Amsterdam 1998. Stuiveling, G., De nieuwe gids als geestelijk brandpunt. Amsterdam 1935. Stuiveling, G., Het spel van de spelling. In: De Gids 135, 1972, 169–180. Stutterheim, C.F.P., Mens of duivel? Augustijnken’s ‚Ridder die waldoen haet‘. In: Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 83, 1967, 81–107. Stutterheim, C.F.P., Ja/nee/geen oordeel. Beschouwingen over orthografie en orthografitis. In: De Gids 135, 1972, 181–193. Swaen, M. de, Werken. 2. Bd. Hg. von V. Celen/C. Huysmans/M. Sabbe. Antwerpen 1929. Taeldeman, J., Welk Nederlands voor Vlamingen? In: L. De Grauwe et. al. 1993. Taubken, H., Niederdeutsch, Niederländisch, Hochdeutsch. Die Geschichte der Schriftsprache in der Stadt und in der ehemaligen Grafschaft Lingen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Köln/Wien 1981. Termorshuizen, G., ‚Indië is eigenlijk Europa geworden‘ Het briefverkeer tussen de kolonie en het moederland (±1845–1942). In: Indische Letteren 24, 2009, 165–175. Termorshuizen, G. (Hg.), Tropenstijl; Amusement en verstrooiing in de (post)koloniale pers. Met een voorwoord van T. Hoffman. Leiden 2011. Thissen, M., Van amusement naar cabaret in de jaren ’30. In: Vooys 10, 1991/92, 185–192. Tinbergen, D.C., Nederlandse spraakkunst. 2 Bd. 15. Aufl. bearbeitet von F. Lulofs/W.W.F. Voskulen. Zwolle 1967. Toit, S.J. Du, Afrikaans, ons volkstaal. 71 Theses, of Stellinge. Paarl 1891. Tollens, H., Gezamenlijke dichtwerken. Bd. III. 5. Aufl. Leeuwarden 1831. Tollius, H., Proeve eener Aanleiding tot de Nederduitsche Letterkunst [1773–1774]. Hg. von R. de Bonth. Amsterdam/Münster 2007. Toorn, M.C. van den, De taal van de Indische Nederlanders. In: De nieuwe taalgids 50, 1957, 218–226. Toorn, M.C. van den, De problematiek van de Nederlandse aanspreekvormen. In: De nieuwe taalgids 70/6, 1977, 520–540. Toorn, M.C. van den, Nederlandse grammatica. 5. Aufl. Groningen 1977. Toorn, M.C. van den/W. Pijnenburg/J.A. van Leuvensteijn/J.M. van der Horst (Hg.), Geschiedenis van de Nederlandse taal. Amsterdam 1997. Vandenbussche, W., Dutch orthography in lower, middle and upper class documents in 19th-century Flanders. In: A.R.Linn./N. McLelland, N. (Hg.), Standardization. Studies from the Germanic languages. Amsterdam/Philadelphia 2002, 27–42. Vandeputte, O., Nederlands. Het verhaal van een taal. 7. Aufl. Rekkem 1997. Vandeputte, O./D. de Vin/J. Deleu, Niederländisch. Die Sprache von zwanzig Millionen Niederländern und Flamen. 7. Aufl. Rekkem 1997. Vandersteen, W., De ijzeren schelvis. Antwerpen/Utrecht o.J. Vanhecke, E., Stedelijke kanselarijtaal in Vlaanderen in de negentiende eeuw. Brüssel 2007. Vanhecke, E,/J. De Groof, New data on language policy and language choice in 19th-century Flemish city administrations. In: S. Elspass et al. (Hg.) 2007, 449–469. Veelen, A. van, ‚Wat de Tachtigers deden, is vergelijkbaar met straattaal’. Interview met Dichter des Vaderlands Ramsey Nasr. In: Onze Taal 7/8, 2010, 204–207. Veen, P.A.F. van/N. van der Sijs, Etymologisch woordenboek. De herkomst van onze woorden. Utrecht/Antwerpen 1991. Vekeman, H.W.J./A. Ecke, Geschichte der niederländischen Sprache. Bern/Berlin/Frankfurt a.M./ New York/Paris/Wien 1993. Velde, I. van der, Spelling – Taal – Sociale milieus II. In: Moer. Tijdschrift voor het onderwijs in het Nederlands nr.2, 1969/70, 40–44. Velde, H. van de, Variatie en verandering in het gesproken Standaard-Nederlands (1935–1993). Nijmegen 1996.

Bibliografie

485

Vercoullie, J., Beknopt etymologisch woordenboek der Nederlandsche taal. 3. Aufl. Gent 1925. Verdam, J., Middelnederlandsch handwoordenboek. Van het woord Sterne af opn. bew. door C.H. Ebbinge Wubben. ’s-Gravenhage 1932. Verdenius, A.A., In de Nederlandse taaltuin. Wandelingen en waarnemingen. Amsterdam o.J. Verhelst, P., Zwerm. Geschiedenis van de wereld. Amsterdam 2005. Verhoeven, G., Spellinghervorming? Overzicht en evaluatie van de argumenten voor en tegen een spellinghervorming. In: E.Assink/G. Verhoeven (Hg.), Visies op spelling. Groningen 1985, 194–206. Verkijk, D., Radio Hilversum 1940–1945. De omroep in de oorlog. Amsterdam 1974. Verlooy, J.B.C., Verhandeling op d’Onacht der moederlyke Tael in de Nederlanden, Tot Maestricht MDCCLXXXVIII. Hg. von J. Smeyers /J. Van den Broeck. Den Haag 1979. Vermaas, J.A.M., Veranderingen in de Nederlandse aanspreekvormen van de dertiende t/m de twintigste eeuw. Utrecht 2002. Vermeylen, August, Verzameld werk. 2. Bd. Hg. von Herman Teirlinck et al. Brussel 1951. Vermoortel, P., Conscience gecanoniseerd. In: Verslagen & Mededelingen van de Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde, vol. 123, nr. 2–3, 2013, 413–424. Vervaeck, B., Het verdriet van de wereld. ‚Zwerm‘ van Peter Verhelst. In: Ons Erfdeel 49, 2006, 57–67. Vervaeck, B., ‚Zwerm‘ van Peter Verhelst. In: Lexicon van Literaire Werken, 87ste aanvulling, september 2010. Vervaeck, B., In search of a critical form: postmodern fiction in Flanders. In: Modern Language Review, 106, 2011, 1073–1090. Vervoorn, A.J., Antilliaans Nederlands. Den Haag o.J. Verwey, A., Holland en de oorlog. Amsterdam 1916. Verwijs, E./J. Verdam/F.A. Stoett (Hg.), Middelnederlandsch woordenboek. ’s-Gravenhage 1885–1929. Vestdijk, S., De glanzende kiemcel. Beschouwingen over poëzie. ’s-Graveland 1950. Vijver, H. van de, België in de Tweede Wereldoorlog. Het cultureel leven tijdens de bezetting. Bd. 8. Kapellen 1990. Vink, L. de, Dialect en dialectverandering in Katwijk aan Zee. Delft 2004. Vlierhuis, B., Van Deyssels ‚Menschen en bergen‘ in ere hersteld. In: Meander, http://meandermagazine.net/. Voortman, B., Regionale variatie in het taalgebruik van notabelen. Een sociolinguïstisch onderzoek in Middelburg, Roermond en Zutphen. Amsterdam 1994. Vooys, C.G.N. de, Opmerkingen over Nederlandse versbouw. In: Taal en Letteren 15, 1905, 47–57. Vooys, C.G.N. de, Iets over oude woordenboeken. In: De Nieuwe Taalgids 28, 1934, 263–272. Vooys, C.G.N. de, Geschiedenis van de Nederlandse taal. 5. Aufl. Antwerpen/Groningen 1952. Vos, H.J. de, Moedertaalonderwijs in de Nederlanden. Een historisch-kritisch overzicht van de methoden bij de studie van de moedertaal in het middelbaar onderwijs sedert het begin van de 19e eeuw. 2 Bd. Turnhout 1939. Vosters, R., Taalgebruik, taalnormen en taalbeschouwing in Vlaanderen tijdens het Verenigd Koninkrijk der Nederlanden. Een historisch-sociolinguïstische verkenning van vroeg-negentiende-eeuws Zuidelijk Nederlands. Brussel 2011. Vosters, R./G. Rutten, ‚Iets over de Hollandsche tael, noch voor, noch tegen‘? In: R. Vosters et al. (Hg.) 2011, 201–225. Vosters, R./G. Rutten/M. van der Wal, Mythes op de pijnbank. Naar een herwaardering van de taalsituatie in de Nederlanden in de achttiende en negentiende eeuw. In: Verslagen en Mededelingen van de Koninklijke Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 120, 2010, 93–112. Vosters, R./J. Weijermars (Hg.), Taal, cultuurbeleid en natievorming onder Willem I. Brussel 2011. Vries, B. de, Verboden te lezen! Censuur in de 19e eeuw. In: Geschiedenis Magazine 3, 2009, 44–49. Vries, J. de, Nederlands etymologisch woordenboek, aangevuld door F. de Tollenaere. Leiden 1971. Vries, J. de, De standaardtaal in Nederland. In: De Rooij 1987, 127–142. Vries, J. de/F. de Tollenaere, Etymologisch woordenboek. 23. Aufl. Utrecht 2004. Vries, J.W. de, Opvattingen over het A.B.N. In: Spektator 9, 9–3, 1980, 222–230.

486

Bibliografie

Vries, J.W. de (Hg.), ,Eene bedenkelijke nieuwigheid‘. Twee eeuwen neerlandistiek. Hilversum 1997. Vries, J.W. de/R. Willemyns/P. Burger, Het verhaal van een taal. Negen eeuwen Nederlands. 3. Aufl. Amsterdam 1994. Vries, M. de/L.A. te Winkel, Woordenlijst voor de spelling der Nederlandsche taal, met aanwijzing van de geslachten der naamwoorden en de vervoeging der werkwoorden, ’s-Gravenhage/Leiden/ Arnhem 1866. Vroomen, I.H, Taal van de Republiek. Het gebruik van vaderlandretoriek in de Nederlandse pamfletten, 1618–1672. Rotterdam, 2012. Waerniers, E. De expliciete linguïstische metafictie in de ‚De alfa-cyclus‘ van Ivo Michiels en ‚Zwerm‘ van Peter Verhelst, Gent 2009/10. Wal, M.J. van der, De taaltheorie van Johannes Kinker. Leiden 1977. Wal, M.J. van der, Passiefproblemen in oudere taalfasen; Middelnederlands sijn/werden + participium praeteriti en de pendanten in het Gotisch, het Engels en het Duits. Leiden 1986. Wal, M.J. van der, De drieledige vormen in taal en taalbeschouwing. In: De nieuwe taalgids 81/5, 1988, 383–400. Wal, M.J. van der, Passive Constructions in Old Frisian. In: R.H. Bremmer et al. (Hg.), Aspects of Old Frisian Philology. Amsterdam/Atlanta 1990, 495–505. Wal, M.J. van der, De moedertaal centraal. Standaardisatie-aspecten in de Nederlanden omstreeks 1650. Den Haag 1995. Wal, M.J. van der, Relativisation in the History of Dutch: Major Shift or Lexical Change? In: Poussa 2002, 27–36. Wal, M.J. van der, Relativiteit in de grammaticale traditie: tussen norm en descriptie? In: Ruijsendaal et al. 2003, 361–375. Wal, M.J. van der, Onvoltooid verleden tijd. Witte plekken in de taalgeschiedenis. Rede uitgesproken op 17 november 2006. Amsterdam 2006. Wal, M.J. van der, ,Het is of ik met mijn lieve sprak‘. Laat-achttiende-eeuws chatten in historisch-sociolinguistisch perspectief. In: Moerdijk et al. 2007, 467–476. Wal, M.J. van der (Hg.), De voortvarende zeemansvrouw. Openhartige brieven aan geliefden op zee. Sailing Letters Journal 3. Zutphen 2010. Wal, M.J. van der/C. van Bree, Geschiedenis van het Nederlands. 5. Aufl. Utrecht 2008. [6. Aufl. 2014]. Wal, M.J. van der/E. Francken (Hg.), Standaardtalen in beweging. Amsterdam/Münster 2010. Watts, R./P. Trudgill (Hg.), Alternative histories of English. London/New York 2002. Weijnen, A.A., De Nederlandse dialecten. Groningen/Batavia 1941. Weijnen, A.A., Nederlandse dialectkunde. Assen 1966. Weijnen, A.A., Etymologisch dialectwoordenboek. Den Haag 2003. Weiland, P., Nederduitsch taalkundig woordenboek. 11 Bd. Amsterdam 1799–1811. Wermeskerken, H. van, Onze taal in gevaar. Overwinning der klankfilm. In: De Telegraaf 28.2.1930, deplher.nl. Weiss, H., Johann Georg Hamanns Ansichten zur Sprache. Versuch einer Rekonstruktion aus dem Frühwerk. Münster 1990. Westenholz, C. de, 2 en 3 oktober 1906. Albert Vogel sr. breekt door als voordrachtskunstenaar tijdens de Bilderdijkherdenking. Voordrachtskunst en retorica. In: R.L. Erenstein (Hg.) 1996, 546–551. Westheide, H., Trügerische Nähe. Niederländisch-deutsche Beziehungen in Geschichte, Sprache und Kultur. Münster 1997. Wieling, M., A quantative approach to social and geographical dialect variation. Groningen 2012. Wijk, N. van, Franck’s Etymologisch Woordenboek der Nederlandsche Taal. Met Supplement door C.B. van Haeringen (1936). ’s-Gravenhage 1929. Willems, J.F., Verhandeling over de Nederduytsche tael- en letterkunde, opzigtelyk de Zuydelyke provintien der Nederlanden. Arnhem 1819/24. Willems, J.F., Keus uit de dicht- en prozawerken. Hg. von M. Rooses. Eerste deel, 1812–1830. Gent 1873. Willemyns, R., Norm en variatie in Vlaanderen. In: J. de Rooij (Hg.) 1987, 143–164.

Bibliografie

487

Willemyns, R., Taalontwikkeling in de zuidelijke Nederlanden na de politieke scheiding. In: Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Academie voor Nederlandse taal- en letterkunde (nieuwe reeks) 1992, 99–115. Willemyns, R., Sprachliche Variation und Sprachgeschichtsforschung: Überlegungen zur Historiographie des Niederländischen. In: Gardt et al. 1995, 439–454. Willemyns, R., Dutch. Biography of a Language. Oxford/New York 2013. Willemyns, R./W. Daniëls, Het verhaal van het Vlaams. De geschiedenis van het Nederlands in de Zuidelijke Nederlanden. Antwerpen/Utrecht 2003. Willemyns, R./W. Vandenbussche, Historical Sociolinguistics: Coming of Age? In: Sociolinguistica 20, 2006, 146–165. Willemyns, R./W. Vandenbussche, Historische sociolinguïstiek: het ‚Brugge-project‘. In: Taal en Tongval 52. 2000, 258–276. Wils, L., De taalpolitiek van Willem I. In: Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden. Deel 92. 1977, 81–87. Wils, L., Waarom Vlaanderen Nederlands spreekt. Leuven 2001. Winkel, J. te, Geschichte der niederländischen Sprache. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Sonderdruck aus der zweiten Auflage von Pauls Grundriss der germanischen Philologie. Strassburg 1898. Winkel, J. te, De Noordnederlandse tongvallen. Atlas van taalkaarten met tekst. Leiden 1899–1901. Winkel, J. te, De Ontwikkelingsgang der Nederlandsche Letterkunde. 7 Bd. 2. Aufl. Haarlem 1922/27. Winkel, L.A. te/M. de Vries, De grondbeginselen der Nederlandsche spelling. Ontwerp der spelling voor het aanstaande Nederlandsch woordenboek. Leiden 1863. Winkler, J., Algemeen Nederduitsch en Friesch dialecticon. ’s-Gravenhage 1874. Witte, E./H. van Velthoven, Sprache und Politik. Der Fall Belgien in einer historischen Perspektive. Brussel 1998 (a). Witte, E./H. van Velthoven, Taal en politiek. De Belgische casus in een historisch perspectief. Brussel 1998 (b). Witte, E./H. van Velthoven, Strijden om taal. De Belgische taalkwestie in historisch perspectief. Kapellen 2010. Witte, E./J. Craeybecks/A. Meijnen, Politieke geschiedenis van België sinds 1830. Spanningen in een burgerlijke democratie. 6. Aufl. Antwerpen 1997. Witte, R., Indonesië. Nederlandstalige media in Indonesië tot 1942, enkele opmerkingen. In: Van Zutphen et al. 1994, 57–70. Wolff, B./A. Deken, Historie van Mejuffrouw Sara Burgerhart [1782]. Hg. von P.J. Buijnsters. Den Haag 1980. Worp, J.A., Geschiedenis van den Amsterdamschen schouwburg 1496–1772. Hg. von J.F.M. Sterck. Amsterdam 1920. Woordenlijst van de Nederlandse taal. Samengesteld in opdracht van de Nederlandse en de Belgische regering. Den Haag 1954. Wulf, De C., /J. Goossens/J. Taeldeman/G. Verleyen, Fonologische Atlas van de Nederlandse Dialecten. 4 Bd. Gent 1998/2005. Würth, J.F.X., Cours préparatoire à l’étude de la littérature hollandaise. Lüttich 1823. Wyk, G.J. van (Hg.), Etimologiewoordeboek van Afrikaans, Stellenbosch 2003. Ypeij, A., Beknopte geschiedenis der Nederlandsche tale. 2 Bd. Utrecht 1812/32. Zalm, R. van de, 9 april 1898. Herman Heijermans’ politieke scherts in één bedrijf Puntje wordt gespeeld op een feestelijke bijeenkomst aan de vooravond van het Kongres der Sociaal-democratische Arbeiderspartij. Nederlands meest gespeelde toneelschrijver. In: R.L. Erenstein (Hg.) 1996, 532–539. Zutphen, N. van/J. Nootens (Hg.), Nederlandstalige en Afrikaanstalige media. Aruba, Frans-Vlaanderen, Indonesië, Namibië, Nederland, Nederlandse Antillen, Suriname, Vlaanderen, Zuid-Afrika. Brussel 1994. Zwan, M. van der, ‚Duizenden boeken waren daar.‘ De boekerij van de diamantbewerkers. In: Ons Amsterdam, nr 5, 2006, 6–7.

Register

Dieses Register enthält die Namen der Autoren und die Titel von selbstständigen Veröffentlichungen, die im Haupttext vorkommen. Bei manchen Namen wie ‚Jan Wolkers‘ ist es gebräuchlich, den Vornamen zu nennen, bei anderen wie ‚A.F.Th. van der Heijden‘ nicht. Aan ’t Minnewater 278 Achterberg, Gerrit 275, 357 Adelung, Johann Christoph 77–78, 80, 82–83, 89, 171 Aenleiding tot de kennisse van het verhevene deel der Nederduitsche sprake 37 Aenmerkingen over de geslachten der zelfstandige naemwoorden 84 Afrikaans, ons Volkstaal 177 Afvaart 275 Albach, B. 141, 143 Alberdingk Thijm, Josephus Albertus 142–143, 165 Alberdingk Thijm, Karel Joan Lodewijk 152, 231–233, 250–251, 437, 440 Algemeen Dagblad 353 Algemeen Handelsblad 137, 227, 238, 240, 270 Algemene Nederlandse Spraakkunst 17, 83, 466 Algemeyn Nieuwsblad 71 Alpha-Zyklus, s. Het boek Alpha Alphabetische woordenlijst uit de voorhanden zijnde excerpten 89 Alphen, Hieronymus van 38 Ameide, Th. van 328 Anbeek, T. 152, 228, 231, 274–275, 277, 280, 356, 359, 361–362 Andreus, Hans, s. Zant, Johan Wilhelm van der Anslijn, Nicolaas 171, 177 Anten, H. 278 Anton-Wachter-Zyklus 280 Antwerpsche Post-Tydinge 71 Appel, R. 351–352 Archibald Strohalm 358 Arnhemsche Courant 132, 449 Art, J. 137 Atonaal 357 Ausführliches Lehrbuch der deutschen Sprache 172

Bakel, J. van 102 Bakhuizen van den Brink, Reinier 137, 147 Bakker, D.M. 53, 82, 117, 346, 467 Bakker, N. 256 Bal, J. 182 Balk-Smit Duyzentkunst, F. 221 Bandy, Lou 363 Bastelaere, Dirk van 362 Bataviaasch Nieuwsblad 350 Becker, Karl Ferdinand 172, 175, 177–178 Beelen, H. 181 Beets, Nicolaas 17, 81, 146–147, 149, 163, 167, 183, 188, 192–194, 218, 373 Behaegel, Pieter 205–206 Beknopte ABN-syntaxis 346 Beknopte Nederlandsche Spraakkunst 346 Bel, J. 269, 274, 280, 291–292, 294, 296 Bellamy, Jacobus 17, 60, 66, 86, 94–96 Belle, Jan van 76 Belser, Raymond Charles Marie De 360 Benali, Abdelkader 362, 378–379, 442 Berg, W. van den 17, 67, 152 Bergh, Herman van den 276 Berlijnse notities 361 Biekorf 207 Bilderdijk, Willem 47, 51, 57, 66, 72, 80–81, 84–85, 89, 99, 132, 148–149, 163–164, 218, 382, 440, 443 Bint 292 Blair, Hugh 81 Blaman, Anna 357, 359 Blauwe maandagen 362 Bloem, Jakobus Cornelis 275 Bloemlezing van Nederlandse dichteressen na 1900 360 Blok, D.P. 17 Blokken 292 Blom, J.C.H. 393 Blommaert, Ph. 199–200 Bo, Leonard Lodewijk de 207

490

Register

Bolhuis, Lambertus van 78, 116 Bonset, I.K., s. Küpper, Christian Emil Marie Bonth, R. de 116 Boon, J.J.T. 350 Boon, Louis Paul 358–360, 369, 375, 422–424 Boon, T. den 466 Boonen, U.K. 467 Boonstra, O.W.A. 69 Bordewijk, Ferdinand 278, 292–293 Bork, G.J. van 467 Bos mi esesi 340 Bos Verschuur, Wim 340 Bosboom-Toussaint, Anna Louisa Geertruyda 146, 149, 442 Bosch, J. 100, 302 Bosch, J.H. van den 234 Bote, Herman 196 Bouazza, Hafid 233, 361 Boutens, Pieter Cornelis 274–275 Braak 358 Braak, Menno ter 263, 280, 286, 292, 298 Branden, L. van den 33 Brandt, Geeraerdt 78 Bredasche Courant 59 Bredero, Gerbrand Adriaensz. 35, 37, 88, 283 Bree, C. van 13, 23, 55, 85, 455, 461–462, 466–467 Brems, H. 274, 355, 363, 369, 371, 378 Brigitta of de twee vondelingen 202 Brill, W.G. 156, 162, 172–178, 301, 477 Brink, Jan ten 148 Broeck, Walter van den 361 Brouwer, H. 67 Brouwers, Dolf 429 Brouwers, Jeroen 397–398 Bruiloft aan zee 362 Buitenrust Hettema, F. 157, 234 Bundschuh-Van Duikeren, J. 467 Burger, P. 467 Burgersdijk, L.A.J. 144, 281 Burmann, Gottlob Wilhelm 38 Busken Huet, Conrad 137, 222 Buysse, Cyriel 278, 282, 395 Byron, George Gordon 148 Calisch, Isaac Marcus 181 Calisch, Nathan Salomon 181 Camera Obscura 17, 147, 183 Campert, Jan 280 Campert, Remco 360, 385 Carmiggelt, Simon 372, 385, 420–421

Cassier, L. 400–401 Cats, Jacob 35, 37 Cauwelaert, August van 276 Ceuppens, Henri Paul René 360, 369, 378 Charivarius, s. Nolst Trenité, Gerard Charry, E. 340 Claes, F. 298 Claus, Hugo 357, 359–360, 369, 375–377 Coenen, Frans 281 Cohen, Antonie 385, 401 Connelly, Marc 340 Conscience, Hendrik 149, 199–201, 208–210, 322, 324–326 Coornhert, Dirk Volkertsz. 82 Costa, Isaac da 67, 132 Coster, Charles de 196 Coster, Samuel 88 Couperus, Louis Marie Anne 277–278, 349– 350 Courante uyt Italien, Duytslandt, &c. 59 Cremer, Jan 360 Cremer, Jan Jacob 219 Cruydeboeck 34 Cultureel Weekblad De Verzamelaar 61 Daan, J. 264–265 Dagblad van Zuidholland en ʾs Gravenhage 270 Daily Mail 287 Dale, Jan Hendrik van 175, 181 Dalstra, Koos 361 Dam, Jan van 303 Damen, Herman 380 Daniëls, W. 389 Datheen, Petrus 35, 66 Daum, Paul Adriaan 278 David, Jan Baptist 171–172, 199, 440 De aanslag 358 De asielzoeker 362 De avonden 357 De Beweging 275 De boeken der kleine zielen 277 De buitenvrouw 362 De Burger 170 De dans van de reiger 359 De donkere kamer van Damokles 357 De doodshoofdvlinder 360 De Eendragt 142 De Feesten van Angst en Pijn 294 De Gentenaar 271, 354

Register

De Gids (Nieuwe Vaderlandsche Letteroefeningen) 132, 137, 291, 385 De graaf van Devonshire 149 De Groene Amsterdammer 459 De Historie van Mejuffrouw Sara Burgerhart 38, 54, 66, 88 De Hollandsche Natie 47, 67 De Hollandsche Spectator 39 De Huisgenoot 170 De iure belli ac pacis 34 De Kampioen 354 De Kapellekensbaan 359 De Kleine Courant 270 De kleine Johannes 152 De Kleine Patriot 271 De Landwacht 271 De leeuw van Vlaanderen of de Slag der Gulden Sporen 149, 200, 208, 322 De Maasbode 270, 300, 313–315 De Mensheid zij geprezen, Lof der Zotheid 362 De Metsiers 359 De Morgen 354 De Muzen 147 De Natalsche en Pietermaritzburgsche Trouwe Aanteekenaar 138 De nederlaag 275 De Nieuwe Dag 314–315 De Nieuwe Gazet 271, 353 De Nieuwe Gids 137, 152, 232, 275 De omweg naar Santiago 361 De ondergang der eerste wareld 66 De ontdekking van de hemel 358 De Pleegzoon 148 De Post van den Helicon 66 De Post van den Neder-Rhijn 60 De Revisor 361 De Rotterdammer 270 De schaapherder 149 De school des levens 227 De Standaard 139, 270, 273, 354 De Stijl 293, 296 De stille kracht 278 De stille plantage 278 De Taal der Liefde 357 De tandeloze tijd 361 De Telegraaf 285, 300, 353–354, 406, 408 De Tijd 270, 314–315, 353 De tranen der acacia’s 357 De Tribune 271 De uitvreter 291 De val 359

491

De vermakelijke Spraakkunst 175 De vermaledijde vaders 361 De versierde mens 358 De vertraagde film 283 De verwondering 359 De Vlaamsche Post 271 De Volkskrant 270, 353–354, 412 De voorstad groeit 358 De Vrije Bladen 277–278 De Waarheid 263, 272, 353 De wandelaar 275 De weg naar het noorden 362 De werken [E.J. Potgieter] 183 De Werker 271 De Zuid-Afrikaan 138 Debrabandere, F. 466 Debrot, Nicolaas (Cola) 278 Deel, Tom van 362 Deelen, A. van 140 Deken, Agatha 38, 54, 66, 80, 88–89, 453 Delabastita, D. 467 Den Hertog, C.H. 68, 168, 175, 177–178, 447 Den Ordinarissen Postilioen 59 Dennenaalden, laatste dichtbundel 194 Deprez, K. 400 Der Löwe von Flandern oder die Schlacht der goldenen Sporen 149 Der Naturen Bloeme 32 Der Sturm 293–294 Deutsches Wörterbuch 179 Dewulf, Bernard 362 Deyssel, Lodewijk van, s. Alberdingk Thijm, Josephus Albertus Dibbets, G.R.W. 467 Dibbets, K. 267, 285–287 Dibbits, H. 65 Dichtertje 292 Dickens, Charles 146 Dictionarium Teutonico-Latinum 33 Diderot, Denis 360 Die Aktion 293 Die deutsche Satzlehre 177 Die Weissen Blätter 293 Dietsche Warande 142 Dobru, R., s. Ravales, Robin Ewald Dodoens, Rembert 34 Doesburg, Theo van, s. Küpper, Christian Emil Marie Dolz, Johann Christian 171, 177 Donker Curtius, Boudewijn 54

492

Register

Douwes Dekker, Eduard 17–18, 131, 137, 144–146, 150–151, 176, 219–228, 233–234, 241–243, 245–248, 250–251, 274, 349 Driel, L.F. van 117, 178, 346 Droogleever Fortuyn-Leenmans, Margaretha 357 Drost, Aarnout 147, 149 Ducal, Charles 362 Duden, Konrad Alexander 163 Duyse, Prudens van 199 Dyk, Pieter van 342 Dyl Ulenspeghel 196 Eeden, Frederik Willem van 136–137, 152, 168, 230 Een bruid in de morgen 359 Een fragment van eene sentimenteele historie 66, 94 Een lied van schijn en wezen 361 Een roos van vlees 360 Een winter aan zee 275 Een zwerver verliefd 278 Eenzaam avontuur 359 Effen, Justus van 39, 453 Egmondse Williram 30 El Bezaz, Naima 362 Elburg, Jan G. 356 Elffers, E. 177 Eline Vere 277 Elspass, S. 23 Elsschot, Willem, s. Ridder, Alfons de Elzevier, Kornelis 301 Emants, Marcellus 135, 227 Endepols, J. 182 Endt, E. 258 Engelman, Jan 297–299 Erenstein, R.L. 363 Exit 360, 378 Eyck, P.N. van 230 Fantoompijn 362 Feith, Rhijnvis 51–52, 66, 80, 97–98, 148 Ferdinand Huyck 148 Feylbrief, Jan Koos 277 Flandria 202 Fondamenten ofte grond-regels der Nederduytsche spel-konst 57 Forum 280, 299 Francius, Petrus 53 Francken, E. 160

François, L. 115 Frank, Anne 280, 320–321 Gala 362 Gazet van Antwerpen 271, 354 Geel, Jacob 67, 148 Geerts, G. 376, 388, 466 Gelderblom, A.J. 274, 467 Genestet, Petrus Augustus de 147, 149, 217– 218 George, Stefan 252, 254 Geschiedenis van de Nederlandse syntaxis 17, 433, 436, 467 Geslachtslijst der Nederduitsche Naamwoorden 85 Gesponnen suiker 360 Gesprek op de Drachenfels 148 Geus, A. de 348 Gezamenlijke dichtwerken 17, 123 Gezelle, Guido 201, 206–207, 212, 274, 283 Ghetto 282 Gijsen, Marnix, s. Goris, Jan Albert Ginneken, J. van 302 Giphart, Ronald 362 Girard, Gabriel 81 Gittermann, F.Ch.H. 38 Gobardhan-Rambocus, L. 340 Goedhart, F.J. 272 Goedkoop, H. 362, 378 Goes, Frank van der 136–137, 152 Goes, Joannes Antonides van der 74 Goethe, Johann Wolfgang von 66 Goethem, H. van 115 Goossens, J. 398, 401–402 Goris, Jan Albert 357 Gorp, H. van 467 Gorter, Herman 136, 152, 228–233, 258, 274 Graaf Floris de Vierde 66 Graaf, M. de 138 Graaf, R. de 62, 90, 136, 138 Grammatica of Nederduitsche Spraakkunst 171 Grammatica of Singaleesche Taal-kunst 88 Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart 89 ‘s Gravenhaagsche Courant 93 Grazige weiden 340 Greshoff, Jan 395 Grimm, Jacob 163, 167, 172, 179 Groene boekje, s. Woordenlijst [van de] Nederlandse taal Groeneboer, K. 157–158, 309–310, 348–349

Register

Gröhnloh, Jan Hendrik Frederik 225, 278, 280, 291–292 Grondbeginselen der Nederlandsche spelling 163 Grondelaers, S. 458, 460 Groot, A.W. de 346 Groot, Boudewijn de 365 Groot, Dirk de 175, 178 Groot, Hugo de 34 Groot Nederland 291–292 Groot Woordenboek der Nederlands(ch)e Taal 181 Grunberg, Arnon 362 Grüttemeier, R. 32, 35, 38–39, 66–67, 134, 151–152, 278, 280, 291–294, 355, 357–359, 361–362, 378, 467 Gstaad 95–98 362 Gysbreght van Aemstel 141 Haager Liederhandschrift 32 Haagsche Courant 17, 90, 92, 108 Haagse Post 353 Haasse, Hella S. 355 Hadewych 32 Haeringen, C.B. van 117, 300, 381, 457 Haerlemse Dinsdaeghse Courant 59 Haerlemse saturdaeghse Courant 59 Haeseryn, W. 17, 466 Hagen, A.M. 456 Halma, François 181 Hamann, Johann Georg 81 Handelsblad, s. Het Handelsblad Hanlo, Jan 369, 371 Harlekijn 364 Harmes, I. 467 Hart, Maarten ‘t 360 Hasebroek, Johannes Petrus 147 Haverschmidt, François 149, 218 Hegenscheidt, Alfred 282 Heijden, A.F.Th. van der 361 Heijermans, Herman 144, 147, 282, 284, 315–316 Hek, Youp van ‘t 365 Helman, Albert, s. Lichtveld, Lodewijk Alphonsus Maria Helmers, Jan Frederik 47, 67 Hendrickx, R. 466 Herbst des Mittelalters 328 Hercules Eros 146 Herder, Johann Gottfried 81–82 Heren van de thee 355

493

Hergé, s. Remi, Georges Prosper Hermans, Toon 287, 363, 428 Hermans, Willem Frederik 357–360, 385, 387 Hermingard van de Eikenterpen 147 Hertog, Cornelis Herman den 68, 149, 168, 175, 177–178, 447 Het Achterhuis. Dagboekbrieven van 12 juni 1942 – 1 augustus 1944 280, 320–321 Het adres 359 Het Alleven of de Wereldziel 66 Het belang van Limburg 354 Het bittere kruid 359, 424 Het boek Alpha 360, 378 Het boek ik 357 Het Boek van Kind en God 152 Het Boek Van Violet En Dood 357 Het Centrum 270 Het dorp over de grenzen 139 Het Getij 276 Het gezin Van Paemel 282, 395 Het Handelsblad 132, 353 Het huis Lauernesse 149, 442 Het Kaapsche Grensblad 138 Het Laatste Nieuws 271, 273, 353 Het land van herkomst 278 Het leven 97 Het Nationale Dagblad 271 Het Nieuws van den Dag 271 Het Nieuwsblad 354 Het Overzicht 293 Het Parool 263, 272, 404, 420 Het reservaat 360 Het Rotterdams Dagblad 353 Het sadistische universum 357 Het sienjaal 276 Het slot Loevestein in 1570 149 Het stenen bruidsbed 358 Het Vaderland 270, 314–315 Het verdriet van België 359, 375–376 Het verlangen 275 Het Vlaamsche Land 272 Het Vlaamse Nieuws 271 Het volgende verhaal 355, 361 Het Volk 271, 300, 322, 354 Het Vrije Volk 353, 405 Het zevende gebod 282 Heuiter, Pontus de 33, 35 Heule, Christiaen van 34, 73, 82, 84, 88–89, 301, 435 Heyse, Johann Christian August 172 Heyse, Karl Wilhelm Ludwig 172

494

Register

Hildebrand, s. Beets Nicolaas Hildebrand, Rudolf 167, 169 Hinlopen, Nicolaas 78 Hinskens, F. 344–345, 349, 351–352 Historie van mejuffrouw Sara Burgerhart 38, 54, 66, 88 Hitweek 337 Hofdijk, Willem Jacobsz. 136 Hogendorp, Gijsbert Karel van 49, 108 Holland en de oorlog 326–327 Hollandsche Spraakleer 172 Hoochstraten, Michiel van 196 Hooft, Pieter Cornelisz. 34–35, 37, 74, 78, 82, 84, 89 Hoogenhout, C.P. 159–160 Hoogstraten, David van 36–37, 84, 175, 382 Hoogvliet, J.M. 156–157 Horst, J.M. van der 17, 76, 290, 346, 366, 433, 436, 438–440, 442, 444–447, 453, 455–458, 467 Horst, K. van der 467 Höweler, H.A. 303 Huet, Conrad Busken 137, 222, 250–251 Hugo, Victor 148 Huisman, M. 135 Huizinga, Johan 328, 330 Humboldt, Wilhelm von 81 Hüning, M. 467 Huydecoper, Balthasar 37, 78 Huygens, Constantijn 35, 88, 125 i 10 293 Ibo, W. 283–284, 363–364 Ibsen, Henrik 281 Iffland, August Wilhelm 143 Ik Jan Cremer 360 Ik ook van jou 362 In dienst van de duivel 362 Indische fouten 348 Inleiding tot de Hollandsche rechtsgeleerdheyd 34 Inwijding 277 Is dat goed Nederlands? 300 Jacobi, I. 27, 435 ’t Jaer 30 207 Jagt, Marek van der, s. Grunberg, Arnon Jan, Jannetje en hun jongste kind 132 Jansen, L. 256 Janssens, G. 113–114, 467 Jaromir-Zyklus 67

Joan Wouters 143 Jonckbloet, W.J.A. 142 Jong, Oek de 361 Jonge, Freek de 365 Jonghe, Sylva de 278 Journael der constitutie 71 Julia 66 Kaapsche Courant 61 Kaapsche Courant, Afrikaansche Berigter of De Verzamelaar 61 Kalff, J. 274 Kaplan 361 Karsemeijer, J. 302 Kate, Lambert Hermansz. ten 37, 53–54, 78, 83, 86, 88 Keiser Hayne, H. 284 Kellendonk, Frans 361 Kern, Franz 177 Kiliaan, Cornelis (Cornelis Kiel) 33 Kinker, Johannes 52, 66, 115 Klikspaan, s. Kneppelhout, Johannes Kloek, J.J. 17, 51, 53 Kloeke, G.G. 434 Kloos, Willem 135–137, 152, 228–230, 232, 258 Klooster, W.G. 346 Kluit, Adriaan 77, 90, 175 Klundert, Raymond van de 445 Kluun, s. Klundert, Raymond van de 445 Kneppelhout, Johannes 140–141, 147, 149, 218 Knol, J. 76 Knorrende beesten 292 Knuvelder, G. 274 Koelmans, L. 454 Koenen, M.J. 181 Koetsveld, Cornelis Eliza van 147 Kokoschka, Oskar 283 Kollewijn, Roeland Anthonie 166–168, 170, 225, 234–235, 294, 296, 300, 302 Komt een vrouw bij de dokter 445 Konst, J. 467 Kooiman, Dirk Ayelt 361 Koopmans, J. 234 Kooten, Kees van 364–365, 372 Kort Amerikaans 360 Korte handleiding tot het redekundig ontleden van voorstellen en volzinnen 171 Kotzebue, August von 143 Kouwenaar, Gerrit 356–357, 362, 369 Kraak, A. 346, 385

Register

Kroon, K. 341, 344, 346 Kruisinga, E. 300 Kuifje 392 Küpper, Christian Emil Marie 274, 294, 296–297, 369 La légende et les Aventures héroiques, joyeuses et glorieuses d’Ulenspiegel et de Lamme Goedzak au pays de Flandres et ailleurs 196 Labberton, Johan Hendrik, s. Ameide, Th. van Lamberts, E. 196, 204 Lambrecht, Joos 33, 225 Langendonck, Prosper van 137 Lanoy, Tom 362 Lava, Arthur 362 Le Petit Journal 270 Le Postillon Ordinair 59 Le Spectateur Belge 204 Leek, R.H. 144 Leemans, L. 38 Leeuw, Aart van der 278 Leeuwarder Courant 137 Leeuwe, H.H.J. de 62, 282 Leeuwen, W.L.M.E. van 278 Lehning, Arthur 293 Leidener Williram 30, 78 Leidse Williram s. Leidener Williram Leijnse, E. 231 Lelyveld, Frans van 78 Lennep, Jacob van 47, 139, 146, 148–149, 151, 175–177, 218 Leopold, Jan Hendrik 274–275, 280 Leuker, M.-T. 39, 66, 134, 148–149, 280, 467 Leupenius, Petrus 82, 301 Leuvensteijn, J.A. van 467 Libelle 354 Lichtveld, Lodewijk Alphonsus Maria 278, 339–340 Liederen van droom en daad 276 Liefde eener gevallen Vrouw 146 Lijmen 279 Lintsen, H.W. 59 Loosjes, Adriaan 67 Loots, Cornelis 67 Looy, Jacobus van 278 Louwerse, H. 233 Lucebert, s. Swaanswijk, Lubertus Jacobus Luif, J.H.J. 346 Lyst der gebruikelykste zelfstandige naamwoorden 175

495

Maerlant, Jacob van 32, 78 Magazine Radio Antwerpen 289 Mahieu, Vincent, s. Boon, Jan Johannes Theodorus Majoor Frans 149 Malbergse Glossen 30 Manhave, Jan 181 Mann, Erika 284 Marin, Pierre 181 Marle, J. van 456–457 Marsman, Hendrik 230, 277, 298, 319 Martin, W. 231 Marynissen, A. 467 Mathijsen, M. 62 Matsier, Nicolaas, s. Reinsma, Tjit Maurik, Justus van 146, 219 Max Havelaar of de koffij-veilingen der Nederlandsche Handel-Maatschappij 17, 131, 150–151, 221, 224–226, 228, 241 Maximaal 362 Mécano 293 Media Vita 275 Mei 136, 152, 231, 258 Meijsing, Doeschka 361 Meisjesoffers 146 Menco, Sara 357, 359, 424, 426, 428 Menschen en Bergen 231–232 Metro 353–354 Meulen, D. van der 227 Meurant, Louis Henri, s. Waarzegger, Klaas Michiels, Ivo, s. Ceuppens, Henri Paul René Middelfrankische Rijmbijbel 30 Mijn kleine oorlog 359 Minco, Marga, s. Menco, Sara Missinne, L. 467 Moedwil en misverstand 357 Momo 233 Mont, Pol de 137 Moock, S.J.M. van 181 Moonen, Arnold 36, 78, 81–82, 301 Mr. W. Bilderdijk’s briefwisseling 1795–1797 100 Mulder, C.C. 443 Mulder, G.C. 172, 178 Mulisch, Harry 357–358, 360, 387–388 Muller, J.W. 51, 156–157, 302–303, 434 Müller, Max 177 Multatuli, s. Douwes Dekker, Eduard Music-Hall 294 Musschoot, A.M. 274, 282, 467

496

Register

Nader tot u 357, 374–375 Nahuys, Alphons 242 Nasr, Ramsey 13, 228, 232–233, 363, 431–432 NBGvertaling 439 Nederduitsch taalkundig woordenboek 57, 81, 83, 89, 179 Nederduitsche spraakkunst [P. Weiland] 57, 83 Nederduitsche spraakkunst voor eerstbeginnenden 171 Nederduitsche spraekkunst, ten dienste van in- en uitheemschen uit verscheidene schryveren en aentekeningen opgemaakt [A. Moonen] 36, 81 Nederduytsche Spraekkunst [P. Behaegel] 205 Nederduytsche Spraekkunst [J.B. David] 171 Nederlandsche Spellijnghe 33 Nederlandsche spraakkunst [C.H. den Hertog] 177 Nederlandsche spraakkunst [D.C. Tinbergen] 346 Nederlandsche spraakkunst voor schoolgebruik 172, 178 Nederlandsche spraakleer [W.G. Brill] 172 Nederlandsche spraakleer [D. de Groot] 178 Nederlandsche spraakleer; een vervolg op de Nederlandsche spraakkunst voor schoolgebruik [G.C. Mulder] 172 Nederlandsche taalgids, woordenboek van Belgicismen 399 Neijt, A. 80, 300, 302 Nescio, s. Gröhnloh, Jan Hendrik Frederik Nieuw Holland 250 Nieuw Letterkundig Magazijn 56 Nieuw Vlaams Tijdschrift 308 Nieuw Woordenboek der Nederlandsche taal 181 Nieuwe bydragen tot opbouw der vaderlandsche letterkunde 56 Nieuwe en nooit bevoorens geziene Onderwyzinge in het Bastert, of Neeger Engels, zoo als het zelve in de Hollandsze Colonien gebruikt word 342 Nieuwe Gedichten 318 Nieuwe Nederduytsche spraek-konst 57 Nieuwe Rotterdams[ch]e Courant 132, 270, 300, 353 Nieuwe Tijdinghen 59 Nieuws van de dag 270 Nieuwsbrief van Pieter ’t Hoen 272 Nijhoff, Martinus 144, 275, 299, 318, 442 Noack, C. 78

Nolst Trenité, Gerard 300 Nooit meer slapen 357 Noord-Brabander 59 Noordegraaf, J. 13, 82–83, 117, 156, 174, 222 Noordzij, Nel 360 Nooteboom, Cees 355, 361 NRC-Handelsblad 353 Nyloë, Jacobus 78 Nyun Testamenti 161 Oden en Gedichten 98 Oeroeg 355 Oltmans, Jan Frederik 149 Omtrent Deedee 359 Onze lastige spelling. Een voorstel tot vereenvoudiging 166 Oordeelkundige Verhandelingen op de noodzaekelijkheijd van het behouden der nederduijtsche taele, en de noodige hervormingen in de schoolen 72 Oostrom, F. van 32 Op hoop van zegen 282, 284, 315 Op leven en dood 359 Op weg naar het einde 357 Opregte Haarlemsche Courant 17, 59, 119–120 Opwaaiende zomerjurken 361 Oranje en Nederland 143 Orpheus in de dessa 278 Ostaijen, Paul van 230, 274, 276, 294–296, 317–318, 369 Oudshoorn, J. van, s. Feylbrief, Jan Koos Over de Hollandsche en Vlaemsche schryfwyzen van het Nederduitsch 162 Over de spelling van de bastaardwoorden in ʾt Nederduitsch 165 Overdiep, G.S. 303 Paaltjens, Piet, s. Haverschmidt, François Paap, Willem 137, 152 Paardekooper, P.C. 346, 397 Paemel, Monika van 361 Pallieter 278, 322 Parabirsing, Robby Jonathan 340 Paravion 361 Paul, Hermann Otto Theodor 177, 234 Pauwels, Jan Lodewijk 400 Pée, W. 385 Peene, Hippoliet van 201–202 Peeters, C.H. 395, 399, 402 Peeters, F. 142–143, 282–283 Pels, Andries 37

Register

Perk, Jacques 135, 151–152, 229 Perron, Eddy du 278, 280, 298 Persephone en andere gedichten 152 Phèdre 63 Philip en de anderen 361 Philippa, M. 466 Pierson, Allard 148 Pieter Daans 359 Pijnenburg, W.P. 467 Poëzie en proza 212 Poortmans, René 278 Porteman, K. 35 Post, Elisabeth Maria 66 Post-Tydingen uyt ‘s Graven-Hage 59 Posthumus, J. 181 Potgieter, Everhardus Johannes 81, 132, 137, 148, 182–183, 216–217 Praamstra, O. 61 Practische Uitspraakleer 400 Prayon-van Zuylen, A. 168–170 Prevenier, W. 17 Prinzipien der Sprachgeschichte 177, 234 Proeve van kleine gedigten voor kinderen 38 Proeve van oudheid-, taal- en dichtkunde 56 Proeven van Nederduitsche welsprekendheid 116 Proeven voor het verstand, den smaak en het hart 17, 94–95 Puntje 282 Quak, A. 466 Racine, Jean 63, 360 Rappa, s. Parabirsing, Robby Jonathan Ravales, Robin Ewald 340 Recht voor allen 139, 270 Reinsma, Tjit 361 Remi, Georges Prosper 392 Reve, [Simon] Gerard [Kornelis van het] 357, 359–360, 369, 372–375 Richardson, Samuel 66, 147 Ridder, Alfons de 278–279, 292, 395 Rijmbijbel 30, 32 Rijpma, E. 346 Rijswijck, Theodoor van 199 Rituelen 361 Robinson, Tjalie, s. Boon, Jan Johannes Theodorus Roches, Jan Des 50, 57, 162 Roegiers, J. 63 Roelants, Maurice 280

497

Rogghé, Willem 141 Rogier, L.J. 77 Roland Holst, Adrianus 275 Romein-Verschoor, Annie 387 Romijn, K. 17, 466 Rond den Heerd 207 Roorda, D.J. 17 Roorda, Taco 26, 156, 174–177, 234, 301 Roos van Dekema 148 Rosenboom, Thomas 361 Rotterdams Nieuwsblad 353 Rotterdamsche courant 236 Royen, Gerlach 300 Ruardi, Johannes 116 Ruëll, Joannes 88 Ruimte 276, 293 Ruitenbeek, H. 63–64 Rutten, G. 50, 56–57 Ruusbroec, Jan van 32 Ruyslinck, Ward, s. Belser, Raymond Charles Marie De Sabbe, Maurits 278 Salm, Wim 340 Sanders, E. 365, 465 Sartre, Jean-Paul 359 Schaepman, H.J.A.M. 270 Scheepspraet 88 Schendel, Arthur van 278 Schenkeveld-Van der Dussen, M.A. 467 Schetze ener Nederduitsche Spraakkunst 116 Schierbeek, Bert (Lambertus Roelof) 356–357, 360 Schiller, Johann Christoph Friedrich von 66 Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich von 81–82 Schmidt, Annie M.G. 284 Schneider, M. 62 Schnitzler, Arthur 281 Schoenmakers, H. 13 Schoor, J. van 202, 282–283 Schottel, Justus Georg 36 Schreven, Johannes van 171 Schrijnen, J. 303 Schüngel, Peter 340 Scott, Walter 148 Serrure, Constant 199 Séwel, Willem 37, 78, 88, 144 Sexagius, Antonius 33 Shakespeare, William 144, 281, 360 Shaw, George Bernard 281

498

Register

Sicard, Abbé (Roch-Ambroise Cucurron Sicard) 171 Siebelink, R. 289 Siegenbeek, M. 17, 41, 55, 57, 69, 72, 76–81, 83, 89, 116, 162–165, 168, 205–207, 437, 441 Sijs, N. van der 89, 334, 342–343, 434, 448–451, 455–456, 459, 466–467 Singi Buku 161 Sjinnie 340 Sjoer, E. 116 Slauerhoff, Jan Jacob 275 Sleuteloog 355 Smakman, D. 288, 400–401 Smeyers, J. 71 Smith, Adam 81 Snellaert, Ferdinand Augustijn 199, 203 Sonderegger, Stefan 13, 26, 252–253, 255, 461 Sonneveld, Wim 284, 363 Sorge, Reinhard Johannes 283 Sötemann, A.L. 151 Speenhoff, Jacobus Hendrikus Koos 283 Spellingwijzer Onze Taal 390 Spiegel, Hendrik Laurensz. 33, 82 Spiegel Historiael 32 Spinoy, Erik 362 Staats-Courant 127 Staring, Anthony Christiaan Winand 52, 66, 125–126 Statenbijbel, s. Statenvertaling Statenvertaling 34–35, 37–38, 58, 65, 74, 89, 138, 159, 174, 179, 224, 247, 302, 439, 441 Stegeman, J. 13, 17 Stéven, Andries 57 Stevin, Simon 34, 82 Stoke, Melis 78, 223 Streuvels, Stijn 283 Strindberg, Johan August 281 Stroom, G.P. van der 303 Stuiveling, G. 386 Stutterheim, C.F.P. 386 Suiker 359 Suske en Wiske 445 Swaanswijk, Lubertus Jacobus 356, 371–372, 415–419, 443 Syntaxis of woordvoeging der Nederduitsche taal 171 Taal en Letteren 234 Taal en Spelling 303

Taalkundige bedenkingen, voornamelijk betreffende het verschil tusschen de aangenomene spelling en die van Mr. W. Bilderdijk 81 Tael- en dichtkundige bydragen 56 Taeldeman, J. 400 Teirlinck, Herman 282–283, 357 Termorshuizen, G. 288 Terug naar Oegstgeest 360 Terwey, Tijs 175, 178 The Cape of Good Hope Government Gazette 61 The Cape Town Gazette and African Advertiser / Kaapsche Stads Courant en Afrikaansche Berigter 61 The Next Call 293 Theoretisch-praktische deutsche Grammatik oder Lehrbuch zum reinen und richtigen Sprechen, Lesen und Schreiben der deutschen Sprache. Für den Schul- und Hausgebrauch bearbeitet 172 Thissen, M. 284 Thomése, P.F. 361 Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 56, 468 Timmermans, Felix 200, 278, 322, 324 Tinbergen, D.C. 346 Tirza 362 Titaantjes 291 Toit, S.J. du 177 Tollenaere, F. de 89 Tollens, Hendrik 17, 67, 122–123, 148 Tollius, Herman 116 Tongkat 362 Toonder, Marten 372 Toorn, M.C. van den 17, 350, 466–467 Trouw 263, 272, 353 Tschechow, Anton 281 Turks fruit 360 Twe-spraack vande Nederduitsche letterkunst 27, 33, 77–78, 82, 163, 301, 382 Twist met ons 362 Tydeman, Meinard 56, 116 Ulenspieghel 196 Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache, zur Erläuterung der deutschen Sprachlehre für Schulen 83 Utrechtse doopbelofte 28, 30

Register

Vaderlandsche Letter-Oefeningen 56, 148 Valerius, Adrianus 35 Vals licht 362 Van Dale 181, 273, 390, 397–399, 402, 460, 466 Van Nu en Straks 137, 275, 278, 282–283, 308 Van oude menschen, de dingen die voorbij gaan 278 Vandersteen, W. 445 Vanhecke, E. 114 Vasalis, M., s. Droogleever Fortuyn-Leenmans, Margaretha Veelen, A. 228 Veen, Herman van 364 Veendammer Courant 138 Vekeman, H.W.J. 467 Velde, H. 401–402, 434–436 Velde, I. Van der 387 Verdenius, A.A. 456 Verdeyen, R. 182 Verhandeling op d’onacht der moederlyke tael in de Nederlanden 58, 72 Verhandeling over de geslachten der naemwoorden in de Nederduitsche taal 84 Verhandeling over de Nederduitsche spelling, ter bevordering van eenparigheid in dezelve 57, 76 Verhelst, Peter 362, 369, 380–381 Verhoeven, Abraham 59 Verhoeven, Willem 72 Verklarend handwoordenboek der Nederlandsche taal 181 Verklarend woordenboek met platen voor België en Nederland 182 Verkruijsse, P.J. 467 Verkuyl, H.J. 346 Verlaine, Paul 281 Verlooy, Jan Baptist Chrysostomus 42, 56–58, 72, 75 Vermeulen, Bram 365, 430 Vermeylen, August 282, 307–308 Vermoortel, P. 150 Verpoorten, Jan Domien 57 Verslagen en mededelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Taal- en Letterkunde 324 Vervaeck, B. 380 Vervoorn, A.J. 345 Verwer, Adriaen 37, 78, 301 Verwey, Albert 136–137, 152, 252, 275, 303, 326–327

499

Verzamelde gedichten [Hendrik Marsman] 319 Verzamelde gedichten [Albert Verwey] 152 Verzen 152 Vestdijk, Simon 280, 298–299, 357 Vijf 5 tigers 357 Vijver, H. van de 273 Vinkenoog, Simon 356 Viottoe 340 Visioenen 32 Vlierhuis, B. 231 Voet, Johannes Eusebius 66 Volk en Staat 272 Volk en Vaderland 271 Volksblad 170 Volksgazet 354 Vollenhove, Joannes 36, 89 Vondel, Joost van den 34–37, 74, 84, 89, 141, 143, 214–216, 328, 331 Vooruit 271, 311, 354 Voorwaarts 271 Vooys, C.G.N. de 52, 300, 302, 346 Vos, H.J. de 56 Vosters, R. 56–57, 114, 205 Vree, Paul de 377 Vreese, Willem de 207 Vries, J.W. de 400, 467 Vries, Matthias de 51, 79, 85, 155–156, 162–169, 174, 179–181, 207, 300, 303, 381–382, 384, 462 Vrij Nederland 263, 272, 312–314, 438, 459 Vrijdag 359 Vrije Stem 271 Vrouw en vriend 359 Waarzegger, Klaas 159 Wachtendonckse Psalmen 28–30 Wagenaar, Jan 74, 78 Wal, M. (J.) van der 23, 38, 50, 55–56, 85, 303, 348, 400, 435, 455, 467 Walschap, Gerard 357 Wassenbergh, Everwinus 116 Watts, R. 23 Weeckelijcke Courante van Europa 59 Weiland, Petrus 41, 57, 72, 79, 81–89, 171–172, 179, 205, 301, 451 Weinhold, Karl Gotthelf Jacob 163 Weisse, Christian Felix 38 Wekelyks Bericht 71 Wekelyks Nieuws uyt Loven 71 Werken [Maatschappij] 56 Wermeskerken, H. van 285–287

500

Register

Werther 66 Werther Nieland 357 Wesselings, J.H. 385 Wessem, Constant van 278 Westenholz, C. de 281 Wille, J. 302–303 Willem Mertens’ levensspiegel 277 Willems, Jan Frans 56, 162, 199, 203–207, 214–215 Willemyns, R. 23, 112, 115, 180, 266, 396, 398, 402–403, 467 Winghe, Nicolaas van 65 Winkel, J. te 51, 175, 178, 274 Winkel, Lammert Allard te 79, 85, 155–156, 162–169, 179, 181, 207, 300, 303, 381–382, 384, 462 Winkler, J. 51 Winter, Leon de 361 Winterloof 67 Wit, Augusta de 278 Witte, Gillis De 57 Woeker 340 Woestijne, Karel van de 274–275, 282 Wolff-Bekker, Elizabeth 38, 54, 66, 80, 88–89, 453 Wolkers, Jan 360, 385 Woordenboek der Nederlandsche taal 15, 18, 162, 436, 466

Woordenboek voor de Nederduitsche spelling 79 Woordenlijst [van de] Nederlandse taal 18, 381–386, 388–390, 403, 460 Woordenlijst voor de spelling der Nederlandsche taal [De Vries, Te Winkel] 85, 166–167, 181, 381 Woôrden-schat, oft letter-konst 57 Worp, J.A. 140, 142 Wouters, Jan 34 Würth, J.F.X. 83 Ypeij, A. 52–53 Zalm, R. van de 282 Zamenspraak tusschen Klaas Waarzegger en Jan Twyfelaar, over het onderwerp van afscheiding tusschen de Oostelyke en Westelyke Provincie 159 Zant, Johan Wilhelm van der 356 Zola, Émile 146, 278, 423–424 Zomer te Ter-Muren 359 Zutphen, N. van 288 Zwagerman, Joost 362 Zwan, M. van der 146