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German Pages 716 [746] Year 2006
Henning Wallentowitz/ Konrad Reif (Hrsg.)
Handbuch Kraftfahrzeugelektronik
Aus dem Programm Kraftfahrzeugtechnik Handbuch Verbrennungsmotor herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer Lexikon Motorentechnik herausgegeben von R. van Basshuysen und F. Schäfer Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik herausgegeben von H.-H. Braess und U. Seiffert Bremsenhandbuch herausgegeben von B. Breuer und K. H. Bill Nutzfahrzeugtechnik herausgegeben von E. Hoepke und S. Breuer Aerodynamik des Automobils herausgegeben von W.-H. Hucho Verbrennungsmotoren von E. Köhler und R. Flierl Automobilelektronik herausgegeben von K. Reif Automotive Software Engineering von J. Schäuffele und T. Zurawka Motorkolben von S. Zima Bussysteme in der Fahrzeugtechnik von W. Zimmermann und R. Schmidgall Die BOSCH-Fachbuchreihe • Ottomotor-Management • Dieselmotor-Management • Autoelektrik/Autoelektronik • Sicherheits- und Komfortsysteme • Fachwörterbuch Kraftfahrzeugtechnik • Kraftfahrtechnisches Taschenbuch herausgegeben von ROBERT BOSCH GmbH
vieweg
Henning Wallentowitz/ Konrad Reif (Hrsg.)
Handbuch Kraftfahrzeugelektronik Grundlagen, Komponenten, Systeme, Anwendungen Mit 750 Abbildungen und zahlreichen Tabellen
ATZ/MTZ-Fachbuch
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Das Werk entstand mit freundlicher Unterstützung von Siemens VDO.
1. Auflage September 2006 Alle Rechte vorbehalten © Friedr. Vieweg & Sohn Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ewald Schmitt Der Vieweg Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vieweg.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Konzeption und Layout des Umschlags: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Satz und Technische Redaktion: Klementz publishing services, Gundelfingen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN-10 3-528-03971-X ISBN-13 978-3-528-03971-4
Vorwort
Die Kraftfahrzeugelektronik hat sich zu einer eigenständigen Ingenieurdisziplin innerhalb der Fahrzeugtechnik entwickelt. Sie ist damit gleichzeitig ein wichtiges Gebiet innerhalb des Maschinenbaus. Die Inhalte der Kraftfahrzeugelektronik sind elektrotechnischer, elektronischer und regelungstechnischer Natur. In die klassische Aufteilung der Elektrotechnik in: Antriebstechnik, Automatisierungstechnik, Energietechnik, Hochfrequenztechnik usw. lässt sie sich nicht so recht einordnen, vielmehr weist sie mit vielen dieser Gebiete erhebliche Überschneidungen auf. Dazu kommt, dass die Kraftfahrzeugelektronik inhaltlich stark im Wandel begriffen ist und die Inhalte weitgehend durch die Fahrzeughersteller und die Zulieferunternehmen geprägt werden. Eine geschlossene und umfassende Darstellung der Kraftfahrzeugelektronik ist daher ein konsequenter und logischer Schritt. Das Handbuch Kraftfahrzeugelektronik soll helfen, einen prinzipiellen Überblick, in einigen Fällen auch einen tiefen Einblick, über das umfangreiche, manchmal auch unübersichtlich erscheinende Gebiet zu gewinnen. Für die meisten der heute im Kraftfahrzeug wichtigen elektronischen Systeme wird der Stand der Technik beschrieben. Die Herausgeber sind sich bewusst, dass die Auswahl der behandelten Themen einer gewissen Subjektivität unterliegt und dass eine vollständige Abdeckung des Gebietes mit einem Buch im vorliegenden Umfang nicht möglich ist. Nach unserer Erfahrung decken die ausgewählten Kapitel jedoch den wesentlichen Umfang ab, den Fahrzeugtechniker und Elektroniker zu diesem Gebiet kennen sollten. Für die thematische Gliederung der Kraftfahrzeugelektronik bieten sich zwei grundverschiedene Herangehensweisen an: Die fahrzeugtechnische Gliederung in Subsysteme z.B. Antrieb, Fahrwerk, Beleuchtung usw. und die thematische, systemübergreifende Gliederung in Sensorik, Software, Diagnose usw. Beide Gliederungssystematiken sind allgemein gebräuchlich. Daher wurden auch beide im vorliegenden Buch nebeneinander eingesetzt. Zunächst wird die Steuerung und Regelung von Motor, Antrieb und Fahrwerk dargestellt. Die Elektronik in Fahrerassistenzsystemen, Telematik, Infotainment und Multimedia zeigt, welche Funktionen erst durch die Elektronik möglich wurden. Beiträge zu Fahrzeugbeleuchtung, Bordnetz, Diagnose und Softwareentwicklung für die elektronischen Steuerungen runden das Informationsangebot ab. Damit eignet sich das Handbuch für Ingenieure mit dem Aufgabengebiet Kraftfahrzeugtechnik bei Fahrzeugherstellern und Zulieferern, die sich mit Aufbau und Funktion moderner Fahrzeugsysteme und -steuerungen beschäftigen. Den Softwareentwicklern in der Kfz-Industrie bietet es den nötigen Einblick in die Funktion der Fahrzeugelemente, für die Steuerungen erstellt werden. Den Kfz-Meistern, Kfz-Technikern und den Mitarbeitern der Kfz-Werkstätten wird Hintergrundwissen aus erster Hand geboten; Studierende an Universitäten und Fachhochschulen können es während ihres Studiums einsetzen. Besonderer Dank gilt der Firma Siemens VDO für die fachliche und materielle Unterstützung bei der Entstehung des Werkes, ohne die das Handbuch so nicht hätte realisiert werden können. Die Beiträge von mehr als 100 Autoren aus Industrie, Forschung und Hochschule haben es möglich gemacht, dass das Buch entstehen konnte. Den Autoren sei für die termingerechte Ablieferung der hoch aktuellen Informationen besonderer Dank ausgesprochen. Außerdem möchten wir uns bei den Firmen Audi AG, BMW AG, Hella KgaA Hueck & Co. und Robert Bosch GmbH bedanken, die umfangreiches Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben. Die vielen Helfer sollen an dieser Stelle ebenfalls erwähnt werden, ohne deren zuverlässige Hilfe die Herausgabe nicht möglich gewesen wäre. Besonders danken wir Herrn Prof. Dr.-Ing. K. Borgeest, Herrn Dipl.Ing. (FH) Franz Gretzmeier, Herrn Dr.-Ing. R. Hagel, Herrn Dr.-Ing. H. Rosmanith, Herrn Dr.-Ing. K. Weinzierl und Herrn Prof. Dr.-Ing. W. Zimmermann für die fachliche Diskussion und Mithilfe in der Endphase der Buchentstehung. Der Herausgeber Reif dankt seiner Ehefrau, Dipl.-Inf. Evelyn Reif und seinen Kindern Gerold, Karla und Richard, die sehr viel Geduld und Verständnis gezeigt haben.
VI
Vorwort
Der Herausgeber Wallentowitz dankt seinen Mitarbeitern am Institut für Kraftfahrwesen der RWTH, die sich bei der Konzeption des Buches eingebracht haben sowie Frau Kathrin Noreikat aus der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen mbH Aachen (fka), die vor allem die organisatorischen und koordinierenden Arbeiten übernommen hat, sowie dem Kollegen Prof. Reif, der die Hauptlast bei der Entstehung des Buches getragen hat. Zuletzt sei dem Verlag für die Anregung zu diesem Handbuch, das große Engagement in Lektorat und Druckvorlagenherstellung sowie für die Aufnahme in die renommierte Reihe ATZ/MTZ-Fachbuch gedankt. Aachen Friedrichshafen Im September 2006
Henning Wallentowitz Konrad Reif
Autorenverzeichnis Dr. Heinz-Bernhard Abel [8]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Babenhausen
Dr.-Ing. Mihiar Ayoubi [3.2]
BMW Group, München
Dr. Claus Baumgartner [2.3]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Joachim Baumgartner [6.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr.-Ing. Bernward Bayer [3.2.6]
Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M.
Dipl.-Math. Michael Beine [17.3]
dSPACE GmbH, Paderborn
Lutz Berentroth [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr. Jürgen Bielefeld [4.1]
BMW Group, München
Dipl.-Ing. Christian Billig [3.2]
BMW Group, München
Dipl.-Ing. Otmar Bitsche [4.5]
DaimlerChrysler AG, Sindelfingen
OStD Siegfried Blüml [Anhang A]
Leiter Carl-Benz-Schule BBS Technik, Koblenz
Dr. Heinrich-Jochen Blume [8]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Babenhausen
Prof. Dr.-Ing. Kai Borgeest [13.2]
FH Aschaffenburg
Dipl.-Ing. Gerhard Brösicke [3.2]
BMW Group, München
Dr.-Ing. Gregor Büdding [14]
Brose Schließsysteme GmbH & Co. KG, Wuppertal
Ulrich Deml [2.3]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr.-Ing. Hans-Theo Dorißen [11.1]
Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt
Dr.-Ing. Klaus Dürkopp [11.1]
Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt
Dipl.-Ing. Martin Eckmann [17.2]
dSPACE GmbH, Paderborn
Prof. Dr.-Ing. Klaus Feldmann [14]
Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen
Dr. Tobias Flämig-Vetter [14]
imh-Institut für Motorenbau Prof. Huber GmbH, Stuttgart
Patrick Friba [10.3]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Wetzlar
VIII
Autorenverzeichnis
Dr. Jürgen Fritsch [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Horst Gering [4.6]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dirk Geyer [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr. Davor Gospodariü [15]
TRIMERICS GmbH, Filderstadt
Dr. Hans-Michael Graf [4.6]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Olaf Graupner [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dipl.-Ing. Franz Gretzmeier [2.5, 4.3]
Freiburg
Dr. Günter Gutmann [4.5]
ZSW, Ulm (ausgeschieden)
Dr. Heinz-Dieter Heitzer [3.2.5]
TRW Automotive, Düsseldorf
Dipl.-Ing. Eugen Herb [3.2]
BMW Group, München
Dipl.-Ing. Thomas Heurung [4.7]
Mentor Graphics (Deutschland) GmbH, München
Gerwin Höreth [2.3]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dipl.-Ing. Robert Hupfer [7]
Webasto Roof Systems, Inc., Rochester Hills, MI, USA
Dr. Hans-Ulrich Huss [2.7]
DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern
Dipl.-Ing. Henning Irle [11.1]
Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt
Dr. Michael Kaesbauer [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr.-Ing. Bernhard Kirsch [12]
Thomas Magnete GmbH, Herdorf
Dipl.-Ing. Joachim Klesing [7, 14]
Webasto AG Fahrzeugtechnik, Stockdorf
Dipl.-Ing. Wolfram Klimars [15]
EMC Test NRW GmbH electromagnetic compatibility, Dortmund
Dipl.-Ing. Mathias Klumpf [14.3.3]
Audi AG, Neckarsulm
Prof. Dr.-Ing. Peter M. Knoll [9.1]
Robert Bosch GmbH, Leonberg
Dipl.-Ing. Susanne Köhl [17.4]
dSPACE GmbH, Paderborn
Dr. Ulrich Köhler [11.1]
Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt
Dr. Philip Köhn [3.2]
BMW Group, München
Autorenverzeichnis
IX
Dipl.-Ing. Benjamin Konrad [14.3.3]
Audi AG, Neckarsulm
Dipl.-Ing. Alexander Lämmle [13]
ContiTemic microelectronic GmbH, Ingolstadt
Dr.-Ing. Klaus Lamberg [17.5]
dSPACE GmbH, Paderborn
Dr. Arnold Lamm [2.7]
DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern
Dipl.-Ing. Michael Langfermann [14]
Brose Schließsysteme GmbH & Co. KG, Wuppertal
Dr.-Ing. Heinz Leffler [3.2]
BMW Group, München
Dipl.-Ing. Thomas Lorenz [11.1]
Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt
Dipl.-Ing. Christoph Marscholik [16]
Softing AG, Haar
Prof. Dr.-Ing. Hartmut Marwitz [3.3, 9.2]
DaimlerChrysler AG, Stuttgart
Dr. Georg Mentzel [14]
Siemens VDO Automotive AG, Regensburg
Dipl.-Ing. Frank Mertens [17.2]
dSPACE GmbH, Paderborn
Dr.-Ing. Dieter Metzner [14]
Infineon Technologies AG, München
Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Helmut E. Mößmer BMW M GmbH, Garching [4.9] Dr. Christian Mohrdieck [2.7]
DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern
Jörg Molz [2.2]
Borg Warner, Ketsch
Dipl.-Ing. Ingo Nickeleit [4.7]
Agilent Technologies Deutschland GmbH, Böblingen
Dr. Oliver Niggemann [17.1]
dSPACE GmbH, Paderborn
Prof. Karl-Ernst Noreikat [2.6]
DaimlerChrysler Corp., Troy, MI, USA
Dr. Michael Ostertag [9.3]
Siemens AG, Industrial Solutions & Services, München
Dr.-Ing. Rainer Otterbach [17.1]
dSPACE GmbH, Paderborn
Prof. Dr.-Ing. Hans-Christian Pflug [3.3, 9.2]
DaimlerChrysler AG, Stuttgart
Wolfgang Piesch [6.2]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dipl.-Ing. Markus Plöger [17.4]
dSPACE GmbH, Paderborn
Dr. Gotthard Rainer [2.8]
AVL List GmbH, Graz
X
Autorenverzeichnis
Dr. Matthias Rebhan [11.2]
Siemens AG, München
Dr. Günter Reichart [4.1]
BMW Group, München
Prof. Dr.-Ing. Konrad Reif [1, 3.1, 3.2, 14]
BA Ravensburg, Friedrichshafen
Rainer Riecke [2.3]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr.-Ing. Peter E. Rieth [3.2.6]
Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M.
Prof. Dr.-Ing. Georg Rill [3.4]
FH Regensburg, Regensburg
Dipl.-Ing. Bernd Rösch [16]
Softing AG, Haar
Dipl.-Ing. Andre Rolfsmeier [17.6]
dSPACE GmbH, Paderborn
Christoph Roth [9.3]
Siemens AG, Industrial Solutions & Services, München
Dr. Gerhard Ruck [3.2.3, 3.2.4]
ZF Lenksysteme GmbH, Schwäbisch Gmünd
Dr. Heinz Schäfer [4.4]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Würzburg
Christoph Schikora [2.2]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr. Willibert Schleuter [4.8]
Audi AG, Ingolstadt
Dipl.-Ing. Bernhard Schmittner [3.2.6]
Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M.
Dr.-Ing. Mark Schnabel [3.2]
BMW Group, München
Dr. Dirk Schneider [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Klaus Schönke [10.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, München
Harry Schüle [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr.-Ing. Frank Schütte [17.2]
dSPACE GbmH, Paderborn
Dipl.-Math. (FH) Marcus Schupfner [10.2]
Siemens VDO Automotive AG, Regensburg
Dipl.-Ing. Josef Schwarz [2.4]
ZF Friedrichshafen AG, Friedrichshafen
Wolfgang Sitter [10.3]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Karl Smirra [2.2]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Prof. Dr.-Ing. Gernot Spiegelberg [3.3, 9.2]
Siemens VDO Automotive AG, Regensburg
Autorenverzeichnis
XI
Dipl.-Ing. Markus Steffelbauer [16]
Softing AG, Haar
Dr. Michael Straßberger [3.2]
BMW Group, München
Dipl.-Inf. Joachim Stroop [17.1]
dSPACE GmbH, Paderborn
Dipl.-Ing. Peter Subke [4.2]
Softing AG, Ratingen
Stefan Treinies [2.1]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dipl.-Ing. Gunnar Urbschat [2.6]
DaimlerChrysler Corp., Troy, MI, USA
Univ. Prof. Dr.-Ing. Henning Wallentowitz [1, 3.1]
RWTH Aachen, Institut für Kraftfahrwesen
Dipl.-Ing. MEng Lothar Weichenberger [13]
Autoliv B.V. & Co KG, Dachau
Christian Weinzierl [2.3]
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Prof. Dr. Burkard Wördenweber [5]
Visteon Deutschland GmbH, Kerpen
Dipl.-Ing.Manfred Zuber [4.8]
Audi AG, Ingolstadt
Firmen- und Institutionenverzeichnis Firmen Agilent Technologies Deutschland GmbH, Böblingen
Dipl.-Ing. Ingo Nickeleit
Audi AG, Ingolstadt
Dipl.-Ing. Mathias Klumpf Dipl.-Ing. Benjamin Konrad Dr. Willibert Schleuter Dipl.-Ing. Manfred Zuber
Autoliv B.V. & Co.KG, Dachau
Dipl.-Ing. MEng Lothar Weichenberger
AVL List GmbH
Dr. Gotthard Rainer
BMW Group, München
Dr.-Ing. Mihiar Ayoubi Dr. Jürgen Bielefeld Dipl.-Ing. Christian Billig Dipl.-Ing. Gerhard Brösicke Dipl.-Ing. Eugen Herb Dr.-Ing. Philip Köhn Dr.-Ing. Heinz Leffler Dr. Günter Reichart Dr.-Ing. Mark Schnabel Dr. Michael Straßberger
BMW M GmbH, Garching
Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Helmut E. Mößmer
Borg Warner, Ketsch
Jörg Molz
Robert Bosch GmbH, Leonberg
Prof. Dr.-Ing. Peter Knoll
Brose Schließsysteme GmbH & Co. KG, Wuppertal
Dr.-Ing. Gregor Büdding Dipl.-Ing. Michael Langfermann
Continental Automotive Systems Division, Frankfurt/M. Dr.-Ing. Bernward Bayer Dr.-Ing. Peter Rieth Dipl.-Ing. Bernhard Schmittner ContiTemic microelectronic GmbH, Ingolstadt
Dipl.-Ing. Alexander Lämmle Dipl.-Ing. MEng Lothar Weichenberger (ausgeschieden)
DaimlerChrysler AG, Kirchheim/Teck-Nabern
Dr. Hans-Ulrich Huss Dr. Arnold Lamm Dr. Christian Mohrdieck
DaimlerChrysler AG, Sindelfingen
Dipl.-Ing. Otmar Bitsche
DaimlerChrysler AG, Stuttgart
Prof. Dr.-Ing. Hartmut Marwitz Prof. Dr.-Ing. Hans-Christian Pflug
DaimlerChrysler Corp., Troy, MI, USA
Prof. Karl-Ernst Noreikat Dipl.-Ing. Gunnar Urbschat
Firmen- und Institutionenverzeichnis
XIII
dSPACE GmbH, Paderborn
Dipl.-Math. Michael Beine Dipl.-Ing. Martin Eckmann Dipl.-Ing. Susanne Köhl Dr.-Ing. Klaus Lamberg Dipl.-Ing. Frank Mertens Dr. Oliver Niggemann Dr.-Ing. Rainer Otterbach Dipl.-Ing. Markus Plöger Dipl.-Ing. Andre Rolfsmeier Dr.-Ing. Frank Schütte Dipl.-Inf. Joachim Stroop
EMC Test NRW GmbH electromagnetic compatibility, Dortmund
Dipl.-Ing. Wolfram Klimars
Hella KGaA Hueck & Co., Lippstadt
Dr.-Ing. Hans-Theo Dorißen Dr.-Ing. Klaus Dürkopp Dipl.-Ing. Henning Irle Dr. Ulrich Köhler Dipl.-Ing. Thomas Lorenz
imh-Institut für Motorenbau Prof. Huber GmbH, Stuttgart
Dr. Tobias Flämig-Vetter
Infineon Technologies AG, München
Dr.-Ing. Dieter Metzner
Mentor Graphics (Deutschland) GmbH, München
Dipl.-Ing. Thomas Heurung
Siemens AG, München
Dr. Matthias Rebhan
Siemens AG, Industrial Solutions & Services, München Dr. Michael Ostertag Christoph Roth Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Babenhausen
Dr. Heinz-Bernhard Abel Dr. Heinrich-Jochen Blume
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, München
Klaus Schönke
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Dr. Claus Baumgartner Joachim Baumgartner Lutz Berentroth Ulrich Deml Dr. Jürgen Fritsch Horst Gering Dirk Geyer Dr. Hans-Michael Graf Olaf Graupner Gerwin Höreth Dr. Michael Kaesbauer Dr. Georg Mentzel Wolfgang Piesch Rainer Riecke Christoph Schikora Dr. Dirk Schneider Harry Schüle Dipl.-Math. (FH) Marcus Schupfner Wolfgang Sitter Karl Smirra
XIV
Firmen- und Institutionenverzeichnis
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Regensburg
Prof. Dr.-Ing. Gernot Spiegelberg Stefan Treinies Christian Weinzierl
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Wetzlar
Patrick Friba
Siemens AG, Siemens VDO Automotive, Würzburg
Dr. Heinz Schäfer
Softing AG, Haar
Dipl.-Ing. Christoph Marscholik Dipl.-Ing. Bernd Rösch Dipl.-Ing. Markus Steffelbauer
Softing AG, Ratingen
Dipl.-Ing. Peter Subke
Thomas Magnete GmbH, Herdorf
Dr.-Ing. Bernhard Kirsch
TRIMERICS GmbH, Filderstadt
Dr. Davor Gospodariü
TRW Automotive, Düsseldorf
Dr. Heinz-Dieter Heitzer
Visteon Deutschland GmbH, Kerpen
Prof. Dr. Burkard Wördenweber
Webasto AG Fahrzeugtechnik, Stockdorf
Dipl.-Ing. Joachim Klesing
Webasto Roof Systems, Inc., Rochester Hills, MI, USA
Dipl.-Ing. Robert Hupfer
ZF Friedrichshafen AG, Friedrichshafen
Dipl.-Ing. Josef Schwarz
ZF Lenksysteme, Schwäbisch Gmünd
Dr. Gerhard Ruck
ZSW, Ulm
Dr. Günter Gutmann
Schulen und Hochschulen Berufsakademie Ravensburg, Friedrichshafen
Prof. Dr.-Ing. Konrad Reif
Carl-Benz-Schule BBS Technik, Koblenz
OStD Siegfried Blüml
FH Aschaffenburg, Labor für Fahrzeugmechatronik
Prof. Dr.-Ing. Kai Borgeest
FH Regensburg, Fachbereich Maschinenbau
Prof. Dr.-Ing. Georg Rill
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik
Prof. Dr.-Ing. Klaus Feldmann
RWTH Aachen, Institut für Kraftfahrwesen
Univ. Prof. Dr.-Ing. Henning Wallentowitz
Inhaltsverzeichnis 1
Einleitung...................................................................................................................................................
1
2
Motor und Antriebsstrang ....................................................................................................................... 2.1 Motormanagement .......................................................................................................................... 2.1.1 Anforderungen .................................................................................................................. 2.1.1.1 Emissionen, Verbrauch und Fahrbarkeit ............................................................ 2.1.1.2 Brennverfahren und Einspritzverfahren ............................................................. 2.1.1.2.1 Systeme für die Direkteinspritzung.................................................. 2.1.1.2.2 Saugrohreinspritzung ....................................................................... 2.1.1.3 Belastung............................................................................................................ 2.1.2 Funktionen ......................................................................................................................... 2.1.2.1 Übersicht Motorsteuerungsfunktionen ............................................................... 2.1.2.2 Drehmomentbasierte Funktionsstruktur ............................................................ 2.1.2.2.1 Drehmomentenmodell...................................................................... 2.1.2.2.2 Fahrbarkeitsfunktionen .................................................................... 2.1.2.2.3 Drehzahlregelung............................................................................. 2.1.2.2.4 Verbrennungsartumschaltung .......................................................... 2.1.2.3 Füllungssteuerung .............................................................................................. 2.1.2.3.1 Saugrohrmodell................................................................................ 2.1.2.3.2 Ladedruckregelung .......................................................................... 2.1.2.3.3 Abgasrückführung ........................................................................... 2.1.2.3.4 Weitere Aktoren zur Füllungssteuerung........................................... 2.1.2.4 Zündung ............................................................................................................. 2.1.2.4.1 Ermittlung des Sollwerts für den Zündzeitpunkt.............................. 2.1.2.4.2 Klopfregelung .................................................................................. 2.1.2.4.3 Schnittstelle zur Basis-Software ...................................................... 2.1.2.5 Einspritzung ....................................................................................................... 2.1.2.5.1 Ottomotor mit Direkteinspritzung.................................................... 2.1.2.5.2 Ottomotor mit Saugrohreinspritzung ............................................... 2.1.2.5.3 Dieselmotor...................................................................................... 2.1.2.6 Abgasnachbehandlung ....................................................................................... 2.1.2.6.1 Betriebsartenmanager für die Abgasnachbehandlung ...................... 2.1.2.7 On-Board-Diagnose ........................................................................................... 2.1.2.8 E-Gas-Überwachungskonzept ............................................................................ 2.1.2.9 Sonderformen..................................................................................................... 2.2 Getriebesteuerung ........................................................................................................................... 2.2.1 Getriebekonzepte ............................................................................................................... 2.2.1.1 Manuelle Schaltgetriebe ..................................................................................... 2.2.1.2 Automatisierte Schaltgetriebe ............................................................................ 2.2.1.3 Automatische Getriebe ....................................................................................... 2.2.1.4 Stufenlose Automatikgetriebe ............................................................................ 2.2.1.5 Doppelkupplungsgetriebe................................................................................... 2.2.1.6 Allrad-Antrieb .................................................................................................... 2.2.1.7 Hybridantriebe.................................................................................................... 2.2.2 Funktionen und Software ................................................................................................... 2.2.2.1 Funktionsübersicht ............................................................................................. 2.2.2.2 Fahrstrategie....................................................................................................... 2.2.2.3 Fahrfunktionen ................................................................................................... 2.2.2.4 Aktorfunktionen ................................................................................................. 2.2.2.5 Basisfunktionen.................................................................................................. 2.2.2.6 Einbindung in den Antriebsstrang ......................................................................
5 5 5 5 7 7 8 8 8 8 9 10 12 13 14 15 15 16 17 17 18 18 19 19 19 19 21 21 23 24 25 26 27 29 29 30 30 31 32 33 33 33 33 33 33 36 37 38 38
XVI 2.3
2.4
2.5
Inhaltsverzeichnis Steuerungen für Motor und Getriebe............................................................................................... 2.3.1 Konzeptionelle Gemeinsamkeiten bei Motor- und Getriebesteuerungen ........................... 2.3.1.1 Gehäuse- und Aufbautechnik ............................................................................. 2.3.1.1.1 Umgebungsanforderungen ............................................................... 2.3.1.1.2 Stand-alone-Lösungen ..................................................................... 2.3.1.1.3 Verbindungstechnik ......................................................................... 2.3.1.2 Elektronikkonzepte............................................................................................. 2.3.1.2.1 Grundstruktur................................................................................... 2.3.1.2.2 Elektronische Bauelemente und Schaltungen .................................. 2.3.2 Besonderheiten der Motorsteuergeräte-Hardware.............................................................. 2.3.2.1 Zündung ............................................................................................................ 2.3.2.2 Klopfsignalauswertung....................................................................................... 2.3.2.3 Ansteuerung magnetventilbetätigter Injektoren in der Direkteinspritzung ......... 2.3.2.4 Ansteuerung piezogetriebener Injektoren in der Direkteinspritzung ................. 2.3.3 Besonderheiten der Getriebeelektronik .............................................................................. 2.3.3.1 Integrierte Steuerungen ...................................................................................... 2.3.3.2 Elektronik für Getriebesteuerungen.................................................................... 2.3.3.2.1 Stromregler für elektromagnetische Ventile .................................... 2.3.4 Software............................................................................................................................. 2.3.4.1 Funktionale Anforderungen................................................................................ 2.3.4.2 Nicht-funktionale Anforderungen ...................................................................... 2.3.4.3 Software-Architektur.......................................................................................... 2.3.4.4 Infrastrukturelle Software .................................................................................. 2.3.4.4.1 Betriebssystem ................................................................................. 2.3.4.4.2 Signalaufbereitung ........................................................................... 2.3.4.4.3 Signalausgabe .................................................................................. 2.3.4.4.4 Diagnose-Funktionen....................................................................... Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug................................................................................................ 2.4.1 Übersicht über Nutzfahrzeuggetriebe................................................................................. 2.4.1.1 Lastschalt-Automatgetriebe................................................................................ 2.4.1.2 Automatische Getriebe ....................................................................................... 2.4.1.3 Integrierte Getriebebremse ................................................................................. 2.4.2 Automatisierungstechnologien für automatische Getriebe ................................................. 2.4.2.1 Elektromotorische Steuerung für automatische Getriebe ................................... 2.4.2.2 Elektrohydraulische Steuerung für automatische Getriebe................................. 2.4.2.3 Elektropneumatische Steuerung für automatische Getriebe ............................... 2.4.3 Elektronische Steuerung..................................................................................................... 2.4.3.1 Systemanforderungen......................................................................................... 2.4.3.2 Inegrierter Getriebesteller................................................................................... 2.4.3.3 Integrierter Kupplungssteller.............................................................................. 2.4.3.4 Aufbau der Elektronik ........................................................................................ 2.4.4 Funktionen ......................................................................................................................... 2.4.4.1 Kupplungsregelung ............................................................................................ 2.4.4.2 Schaltablaufsteuerung ........................................................................................ 2.4.4.3 Fahrstrategie....................................................................................................... 2.4.4.4 Sonstige Funktionen........................................................................................... 2.4.5 Steuerungssoftware ............................................................................................................ 2.4.5.1 Software-Struktur ............................................................................................... 2.4.5.2 Software-Konfiguration und Applikation........................................................... 2.4.6 Systemintegration im Fahrzeugnetzwerk ........................................................................... 2.4.6.1 Systemschnittstelle im CAN-Systemverbund..................................................... Fahrzeug-Starter.............................................................................................................................. 2.5.1 Einleitung........................................................................................................................... 2.5.2 Elektromotorische Grundlagen .......................................................................................... 2.5.3 Schaltungsarten .................................................................................................................. 2.5.4 Starter für Personenkraftwagen.......................................................................................... 2.5.5 Starter für Nutzfahrzeuge...................................................................................................
39 39 39 39 41 43 43 43 45 46 46 47 48 48 49 49 51 51 52 52 52 53 55 55 56 56 57 58 58 58 59 59 59 59 60 60 61 61 61 62 62 63 63 64 64 65 65 65 65 65 65 66 66 67 68 70 74
Inhaltsverzeichnis 2.5.6 Schraubtrieb-Starter der Motorradtechnik.......................................................................... 2.5.7 Startsteuerungen................................................................................................................. Hybridantriebe ................................................................................................................................ 2.6.1 Motivation zur Entwicklung von Hybridantrieben............................................................. 2.6.2 Hybride Antriebsstrukturen................................................................................................ 2.6.3 Schlüsselkomponenten....................................................................................................... 2.6.4 Betriebsstrategie................................................................................................................. 2.6.5 Antriebsintegration ............................................................................................................ 2.6.6 Fahrzeugbeispiele .............................................................................................................. 2.6.7 Bewertung.......................................................................................................................... Brennstoffzellen .............................................................................................................................. 2.7.1 Einführung ......................................................................................................................... 2.7.1.1 Umfeld und Motivation ...................................................................................... 2.7.1.2 Historie der Brennstoffzelle ............................................................................... 2.7.1.3 Eigenschaften und Grundprinzipien ................................................................... 2.7.2 Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzelle................................................................... 2.7.2.1 Aufbau und Funktionsweise ............................................................................... 2.7.2.2 Technischer Stand und Herausforderungen........................................................ 2.7.2.2.1 Lebensdauer..................................................................................... 2.7.2.2.2 Kaltstarteigenschaften von Brennstoffzellen-Stacks ........................ 2.7.2.2.3 Kosten.............................................................................................. 2.7.3 Brennstoffzellensystem und -antrieb.................................................................................. 2.7.3.1 Kraftstoffe, Kraftstoffaufbereitung und Kraftstoffspeicher ................................ 2.7.3.1.1 Kraftstoffe........................................................................................ 2.7.3.1.2 Kraftstoffaufbereitung...................................................................... 2.7.3.1.3 Mobile Wasserstoffspeicher............................................................. 2.7.3.2 Aufbau eines Brennstoffzellensystems............................................................... 2.7.3.3 Antriebsstrangkomponenten und Hybridisierung ............................................... 2.7.4 Brennstoffzellenfahrzeuge ................................................................................................. 2.7.4.1 Rückblick und aktueller Stand............................................................................ 2.7.4.2 Antriebsstrang Personenkraftwagen ................................................................... 2.7.4.3 Antriebsstrang Nutzfahrzeuge ........................................................................... 2.7.5 Ausblick............................................................................................................................. Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik.................................................................... 2.8.1 Motorenentwicklungsprozess............................................................................................. 2.8.2 Baugruppen des Motors ..................................................................................................... 2.8.3 Berechnungsmethoden und Berechnungsaufgaben ............................................................ 2.8.3.1 Strukturanalyse................................................................................................... 2.8.3.2 System Performance Modeling .......................................................................... 2.8.3.3 Beispiele für thermofluiddynamische Berechnungen ......................................... 2.8.4 Optimierung .......................................................................................................................
76 76 77 77 80 82 84 86 87 88 89 89 89 90 90 91 91 92 92 93 93 94 94 94 95 95 97 99 99 99 100 101 103 103 104 105 105 105 105 109 110
Fahrwerksysteme ...................................................................................................................................... 3.1 Physikalische Grundlagen zur Fahrdynamik-Regelung................................................................... 3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen ............................................................................ 3.2.1 Antriebs- und Bremsregelsysteme...................................................................................... 3.2.1.1 Brems- und Antriebsmomentenregelung ............................................................ 3.2.1.2 Momentenverteilung bei Allradantrieben........................................................... 3.2.1.3 Elektromechanische Feststellbremse .................................................................. 3.2.2 Achsregelsysteme .............................................................................................................. 3.2.2.1 Wankstabilisierung............................................................................................. 3.2.2.2 Elektronisch geregelte Dämpfer ......................................................................... 3.2.2.3 Geregelte Luftfederung ...................................................................................... 3.2.3 Lenkungsregelsysteme ....................................................................................................... 3.2.3.1 Elektrische Hilfskraftlenkung............................................................................. 3.2.3.2 Überlagerungslenkung........................................................................................ 3.2.4 Integration von Fahrwerksregelsystemen........................................................................... 3.2.5 Steer-by-Wire.....................................................................................................................
112 112 115 116 116 124 126 129 129 132 133 134 134 137 142 145
2.6
2.7
2.8
3
XVII
XVIII
Inhaltsverzeichnis 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3
3.3
3.4
Überblick............................................................................................................ Ausfallsichere oder fehlertolerante Systemarchitektur ....................................... Elektronische und elektronische Architektur des fehlertoleranten Steer-by-Wire-Systems ...................................................................................... 3.2.5.4 Fehlertolerante Spannungsversorgung................................................................ 3.2.5.5 Steer-by-Wire-Regelkreis................................................................................... 3.2.5.6 Steer-by-Wire-Anwendungen............................................................................. 3.2.6 Brake-by-Wire ................................................................................................................... 3.2.6.1 Überblick............................................................................................................ 3.2.6.2 Elektrohydraulisches Bremssystem ................................................................... 3.2.6.3 Elektromechanisches Bremssystem.................................................................... 3.2.6.3.1 Zielsetzung....................................................................................... 3.2.6.3.2 Systemaufbau................................................................................... 3.2.6.3.3 Betätigungseinrichtung .................................................................... 3.2.6.3.4 Radbremsmodule ............................................................................. 3.2.6.3.5 Sensorik ........................................................................................... 3.2.6.3.6 Regelkonzepte.................................................................................. 3.2.6.3.7 Energieversorgung ........................................................................... 3.2.6.4 Hybrid-Bremssystem.......................................................................................... 3.2.6.4.1 Motivation ....................................................................................... 3.2.6.4.2 Systemaufbau .................................................................................. 3.2.6.4.3 Neue Funktionen ............................................................................. 3.2.6.4.4 Hinterachs-Aktor ............................................................................. Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge........................................................................................ 3.3.1 Nutzfahrzeug-Bremsanlage................................................................................................ 3.3.1.1 Einleitung ........................................................................................................... 3.3.1.2 Pneumatische Fremdkraftbremsanlage............................................................... 3.3.1.2.1 Bremsanlage für Zugfahrzeuge ........................................................ 3.3.1.2.2 Bremsanlage für Anhängefahrzeuge ................................................ 3.3.1.3 Elektronisch-pneumatische Bremsanlage ........................................................... 3.3.1.3.1 Systemkomponenten einer elektronisch-pneumatischen Bremsanlage .................................................................................... 3.3.1.4 Differenzschlupfregelung................................................................................... 3.3.1.5 Koppelkraftregelung........................................................................................... 3.3.1.6 Ausfallsicherheit ................................................................................................ 3.3.1.7 Dauerbremsintegration ....................................................................................... 3.3.2 Fahrdynamik-Regelung von Sattelzügen ........................................................................... 3.3.2.1 Einleitung ........................................................................................................... 3.3.2.2 Aufbau und Funktion der elektronischen Fahrdynamik-Regelung ..................... 3.3.2.3 Schutz vor Umkippen......................................................................................... 3.3.2.4 Ausblick ............................................................................................................. Simulation von Fahrwerksystemen ................................................................................................. 3.4.1 Modellbildung.................................................................................................................... 3.4.1.1 Anforderungen ................................................................................................... 3.4.1.2 Gesamtfahrzeug.................................................................................................. 3.4.2 Reifen ........................................................................................................................... 3.4.2.1 Kraftübertragung ................................................................................................ 3.4.2.2 Komfort-Modelle ............................................................................................... 3.4.2.3 Halbempirische Modelle .................................................................................... 3.4.3 Rad- und Achskinematik.................................................................................................... 3.4.3.1 Aufgaben............................................................................................................ 3.4.3.2 Kinematische Modelle........................................................................................ 3.4.3.3 Komfort-Modelle ............................................................................................... 3.4.3.4 Allgemeine Modelle........................................................................................... 3.4.3.5 Starrachsen ......................................................................................................... 3.4.4 Aufbaufederung ................................................................................................................. 3.4.4.1 Grundabstimmung.............................................................................................. 3.4.4.2 Nichtlineare Kennlinien .....................................................................................
145 146 148 150 150 152 152 152 152 154 154 154 154 155 156 156 157 157 157 157 157 158 160 160 160 160 160 160 162 163 163 164 164 165 165 165 166 166 167 167 167 167 167 168 168 168 169 170 170 170 171 171 172 172 172 173
Inhaltsverzeichnis 3.4.4.3 Dynamische Kraftelemente ................................................................................ 3.4.4.4 Mechatronische Bauelemente............................................................................. Lenksystem ........................................................................................................................ 3.4.5.1 Minimal-Modell ................................................................................................. 3.4.5.2 Komponenten-Modell ........................................................................................ Simulationsumgebung........................................................................................................ 3.4.6.1 Fahrbahn ............................................................................................................ 3.4.6.2 Fahrer .................................................................................................................
173 174 174 174 175 176 176 176
Bordnetz und Vernetzung ........................................................................................................................ 4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug............................................................................................ 4.1.1 Einleitung........................................................................................................................... 4.1.2 Definition von Systemdesign und Systemarchitektur......................................................... 4.1.3 Gestaltungselemente einer Systemarchitektur.................................................................... 4.1.3.1 Das ISO/OSI-Schichtenmodell........................................................................... 4.1.3.2 Topologien ......................................................................................................... 4.1.3.3 Steuergerätetechnologien ................................................................................... 4.1.3.4 Vernetzungstechnologien ................................................................................... 4.1.3.5 Kommunikationsrouting..................................................................................... 4.1.4 Software-Architekturen...................................................................................................... 4.1.5 Systemdesignprozess ......................................................................................................... 4.1.5.1 Generelle Vorgehenweise................................................................................... 4.1.5.2 Anforderungsmanagement ................................................................................. 4.1.5.3 Funktionale Aufteilung und Vernetzung ............................................................ 4.1.5.4 Partitionierung der logischen Architektur auf eine technische Architektur ........ 4.1.5.5 Vorgaben............................................................................................................ 4.1.6 Architekturbewertung ........................................................................................................ 4.1.7 Zusammenfassung.............................................................................................................. 4.2 Bussysteme, Vernetzung, verteilte Systeme.................................................................................... 4.2.1 Grundlagen der Datenkommunikation ............................................................................... 4.2.1.1 Einführung in die Datenkommunikation ............................................................ 4.2.1.2 Begriffsdefinitionen ........................................................................................... 4.2.2 ISO 9141-2 (K-Leitung) .................................................................................................... 4.2.3 SAE J1850 ........................................................................................................................ 4.2.4 CAN .................................................................................................................................. 4.2.4.1 Übersicht ............................................................................................................ 4.2.4.2 Physical Layer.................................................................................................... 4.2.4.2.1 Highspeed-CAN............................................................................... 4.2.4.2.2 Lowspeed-CAN ............................................................................... 4.2.4.2.3 Single-Wire-CAN ............................................................................ 4.2.4.3 Data Link Layer ................................................................................................. 4.2.4.4 Fehlererkennung................................................................................................. 4.2.4.5 TTCAN .............................................................................................................. 4.2.5 LIN .................................................................................................................................... 4.2.5.1 Einführung ......................................................................................................... 4.2.5.2 LIN Physical Layer Specification....................................................................... 4.2.5.3 LIN Protocol Specification................................................................................. 4.2.5.4 LIN Diagnostic and Configuration Specification ............................................... 4.2.5.5 LIN Application Programming Interface Specification...................................... 4.2.5.6 LIN Node Capability Language Specification ................................................... 4.2.5.7 LIN Configuration Language Specification ....................................................... 4.2.6 FlexRay und TTP............................................................................................................... 4.2.6.1 Einleitung ........................................................................................................... 4.2.6.2 FlexRay .............................................................................................................. 4.2.6.3 TTP .................................................................................................................... 4.2.7 Multimedia-Netzwerke ...................................................................................................... 4.2.7.1 Einleitung ........................................................................................................... 4.2.7.2 MOST ................................................................................................................
179 179 179 180 181 181 181 182 184 185 185 187 187 190 191 193 194 195 195 196 196 196 197 202 204 204 204 205 205 206 207 208 211 212 212 212 213 214 216 216 217 217 217 217 217 221 221 221 222
3.4.5 3.4.6
4
XIX
XX
Inhaltsverzeichnis
4.3
4.4
4.5
4.6
4.2.7.2.1 Übersicht.......................................................................................... 4.2.7.2.2 MOST-Devices ................................................................................ 4.2.7.2.3 MOST-Frames ................................................................................. 4.2.7.2.4 Hardware ......................................................................................... 4.2.7.3 IDB-1394 ........................................................................................................... 4.2.8 Gateway-Strategien............................................................................................................ Fahrzeuggeneratoren ....................................................................................................................... 4.3.1 Einleitung........................................................................................................................... 4.3.2 Aufbau eines Klauenpolgenerators .................................................................................... 4.3.3 Generatorbauart-Varianten................................................................................................. 4.3.4 Dreiphasenwechselspannung ............................................................................................. 4.3.5 Gleichrichtung der Dreiphasenwechselspannung............................................................... 4.3.6 Spannungsregelung in herkömmlichen Systemen .............................................................. 4.3.7 Spezielle Schutzmaßnahmen.............................................................................................. 4.3.8 Generatorsysteme mit Mehrfunktionsregler....................................................................... 4.3.9 Busgesteuertes Generatorsystem........................................................................................ 4.3.10 Leistungserhöhung durch Mittelpunktsdioden ................................................................... 4.3.11 Spannungsregelung bei Schwungmagnet-Generatoren ...................................................... 4.3.12 Diagnosemöglichkeiten der Kfz-Werkstatt ........................................................................ Starter-Generatorem........................................................................................................................ 4.4.1 Der Micro-Hybrid .............................................................................................................. 4.4.2 Der Mild-Hybrid ................................................................................................................ 4.4.3 Elektrische Antriebe für Starter-Generatoren..................................................................... 4.4.3.1 Der indirekte elektrische Antrieb ....................................................................... 4.4.3.2 Der direkte elektrische Antrieb........................................................................... 4.4.4 Die Elektonik ..................................................................................................................... 4.4.5 Anforderngen an elektrische Energiespeicher .................................................................... Batterien und Energiespeicher......................................................................................................... 4.5.1 Überblick: Rolle der Energiespeicher ................................................................................ 4.5.2 Bleibatterie......................................................................................................................... 4.5.2.1 Elektrochemie des Bleiakkumulators ................................................................. 4.5.2.2 Stand der Technik .............................................................................................. 4.5.2.3 Aufbau des Bleiakkumulators ............................................................................ 4.5.2.4 Bauarten ............................................................................................................. 4.5.2.5 Eigenschaften von Bleibatterien......................................................................... 4.5.2.6 Entwicklungstendenzen bei Bleiakkumulatoren für Fahrzeuge.......................... 4.5.3 Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren ................................................................ 4.5.4 Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren................................................................................. 4.5.4.1 Elektrochemie .................................................................................................... 4.5.4.2 Stand der Technik .............................................................................................. 4.5.4.3 Zellendesign ....................................................................................................... 4.5.4.4 Betriebs- und Alterungsverhalten....................................................................... 4.5.5 Lithium-Ionen-Batterien .................................................................................................... 4.5.5.1 Elektrochemie .................................................................................................... 4.5.5.2 Stand der Technik .............................................................................................. 4.5.5.3 Zellenkomponenten............................................................................................ 4.5.5.4 Zellendesign ....................................................................................................... 4.5.6 Anwendung elektrochemischer Speicher in Kraftfahrzeugen ............................................ 4.5.6.1 Bordnetz............................................................................................................. 4.5.6.2 Elektrochemische Speichersysteme für Hybridfahrzeuge .................................. Energiemanagement........................................................................................................................ 4.6.1 Übergeordnetes Energiemanagement................................................................................. 4.6.2 Elektrisches Energiemanagement....................................................................................... 4.6.2.1 Generator-Sensierung......................................................................................... 4.6.2.2 Batterie-Sensierung ............................................................................................ 4.6.2.2.1 Batteriesensor .................................................................................. 4.6.2.2.2 Batteriezustandserkennung .............................................................. 4.6.2.3 Umfassende Strategien der elektrischen Energieverteilung................................
222 223 225 225 226 227 229 229 229 232 233 234 236 239 239 241 242 243 243 244 244 245 246 246 247 248 249 249 249 250 250 252 253 255 257 260 261 263 264 265 265 269 270 271 272 273 275 276 276 278 281 283 284 284 284 285 286 288
Inhaltsverzeichnis 4.7
Simulation von Bordnetzen............................................................................................................. 4.7.1 Grundlagen der Bordnetz-Simulation................................................................................. 4.7.2 Methodenüberblick ............................................................................................................ 4.7.3 Grundlagen von VHDL-AMS............................................................................................ 4.7.4 Simulationsaufgaben.......................................................................................................... 42-V-Bordnetz ................................................................................................................................ 4.8.1 Energienetz ........................................................................................................................ 4.8.1.1 Halbleitertechnologie ......................................................................................... 4.8.1.2 Energiespeicherung ............................................................................................ 4.8.1.3 Generatoren........................................................................................................ 4.8.1.4 Integrierter Startergenerator ............................................................................... 4.8.1.5 Energiemanagement ........................................................................................... 4.8.1.6 Rekuperation ...................................................................................................... 4.8.2 Verbrauchersysteme........................................................................................................... 4.8.2.1 Elektrisch beheizbarer Katalysator..................................................................... 4.8.2.2 Frontscheibenheizung......................................................................................... Entwicklungsprozess und Produktlebenszyklus .............................................................................. 4.9.1. Einführung ......................................................................................................................... 4.9.2 Produktlebenszyklus .......................................................................................................... 4.9.3 Systems Engineering.......................................................................................................... 4.9.3.1 Projektmanagement............................................................................................ 4.9.3.2 Risikomanagement ............................................................................................. 4.9.3.3 Konfigurationsmanagement ............................................................................... 4.9.3.4 Änderungsmanagement ...................................................................................... 4.9.3.5 Testmanagement ................................................................................................ 4.9.3.6 Service-Management und Obsolescence-Management ...................................... 4.9.4 Software-Qualitätssicherung .............................................................................................. 4.9.4.1 Begriffe und Definitionen .................................................................................. 4.9.5 Flaschprozess in der Fahrzeugproduktion ..........................................................................
289 289 289 290 293 301 303 305 305 306 306 307 307 308 308 309 309 309 310 310 311 311 311 311 312 312 312 312 314
Beleuchtung ............................................................................................................................................... 5.1 Lichterzeugung und menschliche Wahrnehmung............................................................................ 5.1.1 Lichttechnische Größen und Einheiten .............................................................................. 5.1.2 Künstliche Lichtquellen ..................................................................................................... 5.1.2.1 Temperaturstrahler ............................................................................................. 5.1.2.2 Halogen-Glühlampen ......................................................................................... 5.1.2.3 Gasentladungslampen......................................................................................... 5.1.2.4 Leuchtioden........................................................................................................ 5.1.3 Elektrische Versorgung und elektronische Ansteuerung.................................................... 5.1.3.1 Vorschaltgeräte für das Betreiben von Lichtquellen........................................... 5.1.3.2 Bussysteme zur Lichtsteuerung .......................................................................... 5.1.3.3 42-V-Bordnetz.................................................................................................... 5.2 Mensch im Verkehr ........................................................................................................................ 5.2.1 Objekte im Verkehrsraum ................................................................................................. 5.2.1.1 Photometrische Parameter ................................................................................. 5.2.1.2 Geometrische Parameter..................................................................................... 5.2.1.3 Kinematische Parameter .................................................................................... 5.2.2 Sehen, wahrnehmen und erkennen .................................................................................... 5.2.2.1 Kontrastempfindung .......................................................................................... 5.2.2.2 Unterschiedsempfindlichkeit.............................................................................. 5.2.2.3 Sehschärfe .......................................................................................................... 5.2.3 Dynamische Phänomene ................................................................................................... 5.2.4 Sichtverhältnisse ............................................................................................................... 5.2.4.1 Blendung ........................................................................................................... 5.2.4.2 Dämmerung und Nacht ...................................................................................... 5.2.4.3 Nebel, Regen, Schnee......................................................................................... 5.2.4.4 Verkratzte oder unsaubere Windschutzscheiben ...............................................
315 315 316 317 317 317 318 320 321 321 322 322 322 323 323 324 324 324 324 324 325 325 325 326 326 326 326
4.8
4.9
5
XXI
XXII
Inhaltsverzeichnis 5.2.5
5.3.
5.4
5.5
Fahrzeug, Straße und Verkehr ........................................................................................... 5.2.5.1 Straßenbelag....................................................................................................... 5.2.5.2 Fahrbahnmarkierungen....................................................................................... 5.2.5.3 Verkehrsdichte und Verkehrsentwicklung.......................................................... 5.2.6 Gesetzliche Zulassungsvorschriften ................................................................................... Scheinwerfer .................................................................................................................................. 5.3.1 Fahrzeuganbau und Funktion ............................................................................................ 5.3.2 Lichttechnischer Aufbau .................................................................................................... 5.3.2.1 Reflexionstechnik............................................................................................... 5.3.2.2 Projektionssystem .............................................................................................. 5.3.2.3 Bi-Xenon und Schwenkmodul ........................................................................... 5.3.3 Konstruktiver Aufbau ....................................................................................................... 5.3.3.1 Bauformen und -systeme.................................................................................... 5.3.3.2 Scheinwerferreinigung ....................................................................................... 5.3.3.3 Leuchtweitenregelung ........................................................................................ 5.3.3.4 Kurvenlichtsteuerung ......................................................................................... 5.3.4 Qualität in Entwicklung und Produktion ............................................................................ 5.3.5 Tag- und Nachtdesign ........................................................................................................ 5.3.6 Adaptives Licht ................................................................................................................. 5.3.6.1 Lichtverteilungen ............................................................................................... 5.3.6.2 Komponenten ..................................................................................................... 5.3.6.3 Lichtsysteme ..................................................................................................... 5.3.7 LED-Scheinwerfer ............................................................................................................. Signalleuchten................................................................................................................................. 5.4.1 Vorschriften zu Anbau und Funktionen ............................................................................. 5.4.2 Konstruktiver Aufbau ........................................................................................................ 5.4.3 Lichttechnische Konzepte .................................................................................................. 5.4.3.1 Reflektive Optiken ............................................................................................. 5.4.3.2 Lichtbrechende Optiken ..................................................................................... 5.4.3.3 Lichtleitoptiken .................................................................................................. 5.4.3.4 Mikrooptiken...................................................................................................... 5.4.4 Formensprache................................................................................................................... 5.4.4.1 Konventionell..................................................................................................... 5.4.4.2 Brillant ............................................................................................................... 5.4.4.3 Linien-Design..................................................................................................... 5.4.4.4 Kontur ................................................................................................................ 5.4.4.5 Farbvariationen .................................................................................................. 5.4.4.6 Zukünftige Stylingkonzepte ............................................................................... 5.4.5 Signale mit höherem Informationsgehalt .......................................................................... 5.4.5.1 Adaptives Signalbild .......................................................................................... 5.4.5.2 Steuerung ........................................................................................................... Innenleuchten ................................................................................................................................. 5.5.1 Innenlicht auch während der Fahrt..................................................................................... 5.5.2 Raumgestaltung mit Licht und Farbe ................................................................................. 5.5.2.1 Lichtfarbe ........................................................................................................... 5.5.2.2 Farbwiedergabe .................................................................................................. 5.5.3 Lichtquellen für den Innenraum......................................................................................... 5.5.3.1 Glühlampen ....................................................................................................... 5.5.3.2 Leuchtdioden ..................................................................................................... 5.5.3.3 Organische Leuchtdioden................................................................................... 5.5.3.4 Elektrolumineszenzfolien ................................................................................... 5.5.3.5 Leuchtstofflampen ............................................................................................. 5.5.4 Komfort durch Beleuchtung............................................................................................... 5.5.4.1 Ein- und Ausstiegsbeleuchtung ......................................................................... 5.5.4.2 Funktionale Beleuchtung.................................................................................... 5.5.4.3 Orientierungsbeleuchtung .................................................................................. 5.5.4.4 Ambiente-Beleuchtung ...................................................................................... 5.5.5 Inszenierung durch intelligentes Innenlicht .......................................................................
326 328 328 328 328 329 329 331 332 333 333 334 334 336 336 337 337 338 338 338 338 339 340 341 341 342 343 343 343 343 344 344 344 344 344 345 345 346 346 346 347 347 347 349 349 349 349 349 349 350 350 350 350 350 351 353 353 354
Inhaltsverzeichnis
XXIII
6
Sicherheitssysteme .................................................................................................................................... 6.1 Passive Sicherheit ........................................................................................................................... 6.1.1 Einleitung........................................................................................................................... 6.1.2 Die Rückhaltesysteme........................................................................................................ 6.1.2.1 Sicherheitsgurt mit Gurtstraffer.......................................................................... 6.1.2.2 Fahrer- und Beifahrerairbag ............................................................................... 6.1.2.3 Das zentrale Airbag-Steuergerät......................................................................... 6.1.2.4 Optimierte Frontairbag- und Gurtsysteme .......................................................... 6.1.2.5 Sitzbelegungserkennung und Innenraum-Überwachung .................................... 6.1.2.6 Seiten-, Kopf- und Knieairbags .......................................................................... 6.1.2.7 Gasgenerator und Zündpille .............................................................................. 6.1.3 Das vorausschauende Insassenschutzsystem...................................................................... 6.1.4 Überrollsensierung ............................................................................................................. 6.1.4.1 Der Drehratensensor........................................................................................... 6.1.4.2 Überschlagschutz bei offenen Fahrzeugen ......................................................... 6.1.5 Fußgängerschutz ................................................................................................................ 6.1.5.1 Der Glasfaser-Biegesensor ................................................................................. 6.1.5.2 Ausblick ............................................................................................................. 6.2 Zugangs- und Fahrberechtigungssysteme........................................................................................ 6.2.1 Systemfunktionen .............................................................................................................. 6.2.2 Technik .............................................................................................................................. 6.2.2.1 System-Architektur im Fahrzeug ....................................................................... 6.2.2.2 Komponenten ..................................................................................................... 6.2.2.3 Sende- und Empfangstechnik ............................................................................. 6.2.2.4 Notlauffunktionen des Systems .......................................................................... 6.2.2.5 Gigahertz-Systeme ............................................................................................. 6.2.2.6 Biometrische Verfahren .....................................................................................
357 357 357 357 357 358 360 361 362 364 365 366 366 367 367 367 368 369 369 370 372 372 373 376 376 377 378
7
Komfortsysteme ........................................................................................................................................ 7.1 Einleitung........................................................................................................................................ 7.2 Bewegliche Dachsysteme................................................................................................................ 7.2.1 Schiebedächer .................................................................................................................... 7.2.1.1 Komponenten und Architektur ........................................................................... 7.2.1.2 Einklemmschutz................................................................................................. 7.2.2 Cabriosysteme.................................................................................................................... 7.2.2.1 Komponenten und Architektur ........................................................................... 7.2.2.2 Systementwurf Zustandsautomat........................................................................ 7.2.2.3 Fehlertolerante Auslegung des Steuergerätes ..................................................... 7.2.2.4 Architektur der Software .................................................................................... 7.3 Heiz- und Klimasysteme ................................................................................................................. 7.3.1 Stand- und Zuheizsysteme ................................................................................................. 7.3.2 Steuergerätefunktionen ...................................................................................................... 7.3.2.1 Systemfunktionen............................................................................................... 7.3.2.2 Gerätefunktionen................................................................................................ 7.3.2.3 Komponentenfunktionen .................................................................................... 7.3.2.4 Systemvernetzung .............................................................................................. 7.3.2.5 Aufbau und Architektur des Steuergeräts........................................................... 7.3.3 Klimasysteme in Nutzfahrzeugen und Bussen ...................................................................
381 381 381 381 381 383 385 385 385 387 387 388 389 389 389 390 390 391 392 393
8
Instrumentierung ...................................................................................................................................... 8.1 Instrumente mit Zeigerantrieben ..................................................................................................... 8.1.1 Drehmagnetquotienten-Messwerk...................................................................................... 8.1.2 Schrittmotor-Messwerk...................................................................................................... 8.2 Digitale Anzeigegeräte.................................................................................................................... 8.2.1 LCD-Aktivmatrix............................................................................................................... 8.2.2 Vakuum-Fluoreszenz-Display............................................................................................ 8.2.3 Organic Light Emitting Diodes .........................................................................................
395 396 397 397 397 398 398 398
XXIV 8.3
Beleuchtung .................................................................................................................................... 8.3.1 Lichtquellen ....................................................................................................................... 8.3.2 Integration in das Instrument.............................................................................................. Instrumentierungsaufbau................................................................................................................. 8.4.1 Head-up-Display ................................................................................................................ 8.4.2 Bordmonitore ..................................................................................................................... Bedienelemente............................................................................................................................... 8.5.1 Zentrale Bedienkonzepte....................................................................................................
399 399 400 400 401 402 402 403
Fahrerassistenzsysteme und Verkehr...................................................................................................... 9.1 Fahrerassistenzsysteme in Personenkraftwagen .............................................................................. 9.1.1 Übersicht............................................................................................................................ 9.1.1.1 Fahrerinformationssysteme ................................................................................ 9.1.1.2 Fahrzeugkommunikationssysteme...................................................................... 9.1.1.3 Prädiktive Fahrerassistenzsysteme ..................................................................... 9.1.1.4 Systeme zur Fahrzeugstabilisierung ................................................................... 9.1.1.5 Systeme zur Erkennung des Fahrerzustands ...................................................... 9.1.2 Unfallursachen und daraus abgeleitete Fahrerassistenzsysteme ......................................... 9.1.3 Kommunikation Fahrzeug-Fahrzeug und Fahrzeug-Infrastruktur ...................................... 9.1.4 Sensoren für prädiktive Fahrerassistenzsysteme ................................................................ 9.1.4.1 Ultraschallsensoren ............................................................................................ 9.1.4.2 Radar .................................................................................................................. 9.1.4.2.1 Grundlagen der Radartechnik .......................................................... 9.1.4.2.2 Nahbereichsradar 24 GHz................................................................ 9.1.4.2.3 Fernbereichsradar 77 GHz ............................................................... 9.1.4.2.4 Radar-Signalverarbeitung ................................................................ 9.1.4.2.5 Mechanischer Aufbau eines Radargeräts ......................................... 9.1.4.2.6 Fahrzeugintegration ........................................................................ 9.1.4.3 Video.................................................................................................................. 9.1.4.3.1 Grundlagen Videotechnik ............................................................... 9.1.4.3.2 Videokamera.................................................................................... 9.1.4.3.3 Bildverarbeitung .............................................................................. 9.1.4.3.4 Videosystem für Kraftfahrzeuge ...................................................... 9.1.5 Rundumsichtsysteme, prädiktive Fahrerassistenzsysteme ................................................. 9.1.5.1 Komfortsysteme ................................................................................................. 9.1.5.1.1 Einparkhilfe-System und Weiterentwicklungen............................... 9.1.5.1.2 Geschwindigkeitsregelung, Limiter ................................................. 9.1.5.1.3 Adaptiver Fahrgeschwindigkeitsregler............................................. 9.1.5.1.4 Fernbereichs-LIDAR ....................................................................... 9.1.5.1.5 Spurwechselassistent........................................................................ 9.1.5.1.6 Systeme zur Verbesserung der Nachtsicht ....................................... 9.1.5.2 Sicherheitssysteme ............................................................................................. 9.1.5.2.1 Prädiktive Sicherheitssysteme.......................................................... 9.2 Fahrerassistenzsysteme in Nutzfahrzeugen ..................................................................................... 9.2.1 Aktuelle Fahrerassistenzsysteme........................................................................................ 9.2.1.1 Rückrollsperre .................................................................................................... 9.2.1.2 Bremsassistent.................................................................................................... 9.2.1.3 Tempomat, Limiter und Abstandsregeltempomat .............................................. 9.2.1.3.1 Antriebs- und Bremstempomat ........................................................ 9.2.1.3.2 Limiter ............................................................................................. 9.2.1.3.3 Abstandsregeltempomat .................................................................. 9.2.1.4 Notbremssystem................................................................................................. 9.2.1.5 Spurwächter ....................................................................................................... 9.2.1.6 Fahrzeugumfeldüberwachung ............................................................................ 9.2.2 In Entwicklung befindliche Fahrerassistenzsysteme .......................................................... 9.2.2.1 Stauassistent ....................................................................................................... 9.2.2.2 Fahrerzustandserkennung...................................................................................
405 405 405 405 405 405 405 406 406 408 408 408 412 412 412 414 417 419 419 420 420 422 422 423 424 425 425 426 427 432 432 433 435 435 437 437 437 438 438 438 439 439 440 440 441 442 442 443
8.4 8.5 9
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
XXV
9.2.2.3 Objekterkennung im toten Winkel ..................................................................... 9.2.2.4 Spurassistent mit Lenkeingriff ........................................................................... Verkehrsleitsysteme ........................................................................................................................ 9.3.1 Verkehrsentwicklung ......................................................................................................... 9.3.2 Strategien der Verkehrsleitung........................................................................................... 9.3.3 Technische Voraussetzungen zur Verkehrsbeeinflussung.................................................. 9.3.3.1 Erfassungssysteme für Verkehrsflüsse ............................................................... 9.3.3.2 Steuerungssysteme ............................................................................................. 9.3.4 Mobilitätsmanagement....................................................................................................... 9.3.4.1 INVENT............................................................................................................. 9.3.4.2 Mobinet .............................................................................................................. 9.3.4.3 Grenzen der Verkehrslenkung............................................................................
443 443 444 444 445 447 447 448 453 453 454 454
10 Telematik ................................................................................................................................................... 10.1 Allgemeines .................................................................................................................................... 10.1.1 Begriffsbestimmung........................................................................................................... 10.1.2 Geschichtliche Entwicklung............................................................................................... 10.1.3 Systemarchitektur im Fahrzeug.......................................................................................... 10.1.4 Systemarchitektur außerhalb des Fahrzeugs....................................................................... 10.1.5 Schwierigkeiten und Herausforderungen ........................................................................... 10.1.6 Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ................................................................... 10.1.7 Angebot und Nachfrage .................................................................................................... 10.2 Navigation....................................................................................................................................... 10.2.1 Geschichte und Marktentwicklung..................................................................................... 10.2.2 Funktionsweise und Systemkomponenten ......................................................................... 10.2.2.1 Hardware zur Positionsbestimmung ................................................................... 10.2.2.2 Navigationsdaten................................................................................................ 10.2.2.3 Hardware und Software für Navigation und Routenplanung.............................. 10.2.2.4 Anzeige und Bedienung ..................................................................................... 10.2.3 Navigation Services ........................................................................................................... 10.3 Multimedia...................................................................................................................................... 10.3.1 Entwicklung und Stand der Technik .................................................................................. 10.3.1.1. Audio-Komponenten.......................................................................................... 10.3.1.2 Visuelle Komponenten ....................................................................................... 10.3.1.3 Kommunikation.................................................................................................. 10.3.1.4 Office-Komponenten.......................................................................................... 10.3.1.5 Antennen und Empfangseinrichtungen............................................................... 10.3.2 Multimedia-Architektur ..................................................................................................... 10.3.3 Vernetzung interner Systeme ............................................................................................. 10.3.4 Vernetzung externer Systemen........................................................................................... 10.3.4.1 Infrarot ............................................................................................................... 10.3.4.2 Bluetooth............................................................................................................ 10.3.4.3 WLAN................................................................................................................
457 457 457 458 459 459 460 461 462 462 462 463 464 466 468 474 476 478 478 479 480 481 481 482 482 483 484 484 484 486
11 Sensorik ..................................................................................................................................................... 11.1 Positions- und Winkelsensorik........................................................................................................ 11.1.1 Überblick und Messprinzipien ........................................................................................... 11.1.2 Klassifizierung ................................................................................................................... 11.1.2.1 Potentiometer ..................................................................................................... 11.1.2.2 Optische Sensoren .............................................................................................. 11.1.2.3 Hallsensoren....................................................................................................... 11.1.2.4 Magnetoresistive Sensoren................................................................................. 11.1.2.5 PLCD-Sensoren.................................................................................................. 11.1.2.6 Induktive Sensoren............................................................................................. 11.1.3 Anwendung........................................................................................................................ 11.1.3.1 Auswahl eines Messprinzips .............................................................................. 11.1.3.2 Elektrische Schnittstellen ................................................................................... 11.1.3.3 Anwendungsbeispiele.........................................................................................
489 489 489 491 492 493 495 496 497 498 500 500 502 503
9.3
XXVI 11.2
Inhaltsverzeichnis Mikrosensoren im Automobil ........................................................................................................ 11.2.1 Einleitung........................................................................................................................... 11.2.2 Mikrosystemtechnik........................................................................................................... 11.2.2.1 Silizium – Ausgangsmaterial der MEMS-Technologie ...................................... 11.2.2.2 Fotolithographie ................................................................................................. 11.2.2.3 Dünnschichttechnik............................................................................................ 11.2.2.4 Bulk- und Oberflächen-Mikromechanik............................................................. 11.2.2.5 Wafer-Bonden .................................................................................................... 11.2.3 Sensoren im Automobil ..................................................................................................... 11.2.3.1 Drucksensoren.................................................................................................... 11.2.3.2 Beschleunigungssensoren................................................................................... 11.2.3.3 Drehratensensoren.............................................................................................. 11.2.3.4 Massenfluss-Sensoren ........................................................................................ 11.2.3.5 Reifendrucksensor.............................................................................................. 11.2.4 Ausblick.............................................................................................................................
505 505 505 505 506 507 507 508 509 509 510 511 513 513 514
12 Elektrische Aktorik................................................................................................................................... 12.1 Einleitung........................................................................................................................................ 12.2 Kenngrößen von Aktoren ................................................................................................................ 12.3 Elektromagnete ............................................................................................................................... 12.3.1 Elektrische Relais............................................................................................................... 12.3.2 Verriegelungsmagnete ....................................................................................................... 12.3.3 Proportionalmagnete für Ventile ........................................................................................ 12.4 Pyrotechnische Aktoren .................................................................................................................. 12.5 Piezo-Aktoren ................................................................................................................................. 12.6 Thermische Aktoren........................................................................................................................ 12.6.1 Peltierelemente................................................................................................................... 12.6.2 PTC-Heizer ........................................................................................................................ 12.6.3 Dehnstoffelemente ............................................................................................................. 12.6.4 Bimetall-Schalter ............................................................................................................... 12.6.5 Magnetschalter...................................................................................................................
517 517 517 519 520 520 522 524 525 526 526 526 527 528 528
13 Elektronik Hardware................................................................................................................................ 13.1. Anforderungen ................................................................................................................................ 13.1.1 Allgemeine Anforderungen und Methoden........................................................................ 13.1.1.1 Qualität und Methoden....................................................................................... 13.1.1.2 Zulässige Ausfallraten........................................................................................ 13.1.1.3 Qualifikationen................................................................................................... 13.1.1.4 Gesetze und Normen .......................................................................................... 13.1.2 Umwelteinflüsse ................................................................................................................ 13.1.2.1 Fehlerursachen elektrischer Ausfälle.................................................................. 13.1.2.2 Umweltbelastungen als Fehlerursachen ............................................................. 13.1.2.3 Ablauf von Zuverlässigkeitsprüfungen und Qualifikationen .............................. 13.1.2.4 Kennzahlen für Zuverlässigkeitsprüfungen ........................................................ 13.1.2.5 IP-Schutzarten .................................................................................................... 13.1.3 Sicherheitssystemspezifische Methoden ............................................................................ 13.1.3.1 Verwendete Begriffe .......................................................................................... 13.1.3.2 Anforderungen an die Spezifikation................................................................... 13.1.3.3 Maßnahmen im Entwicklungsprozess ................................................................ 13.1.3.4 Einkanalige Systemstrukturen zur Beherrschung von Fehlern ........................... 13.1.3.5 Mehrkanalige Systemstrukturen zur Beherrschung von Fehlern ........................ 13.1.3.6 Ausführung der Überwachung und Fehlererkennung ......................................... 13.2 Bauelemente ................................................................................................................................... 13.2.1 Leistungshalbleiter ............................................................................................................ 13.2.2 Netzteilkomponenten ........................................................................................................ 13.2.2.1 Linearregler ....................................................................................................... 13.2.2.2 Schaltwandler..................................................................................................... 13.2.2.3 Zusätzliche netzteilintegrierte Funktionen .........................................................
529 529 529 529 529 529 530 530 530 530 531 531 532 532 533 533 533 534 534 535 537 537 537 537 537 538
Inhaltsverzeichnis
XXVII
13.2.3 Mikrocontroller ................................................................................................................. 13.2.3.1 Zeitlicher Werdegang von Mikrocontrollern ...................................................... 13.2.3.2 Systemarchitektur .............................................................................................. 13.2.3.3 Interne Funktionsblöcke ..................................................................................... 13.2.3.4 Peripherie und Busvarianten .............................................................................. 13.2.4 Stecker und Kabel .............................................................................................................
538 539 539 540 541 544
14 Mechatronische Systeme .......................................................................................................................... 14.1 Einführung und Überblick............................................................................................................... 14.2 Mechatronische Systeme im Antrieb............................................................................................... 14.2.1 Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie............................................................. 14.2.2 Diesel-Einspritzsysteme..................................................................................................... 14.2.3 Mechatronische Getriebesteuerungen ................................................................................ 14.3 Mechatronische Systeme im Komfortbereich.................................................................................. 14.3.1 Integrierte mechatronische Auslegung einer Tür-Zuziehhilfe ............................................ 14.3.2 Nutzung mechatronischer Synergiepotentiale bei Dachmodulen ....................................... 14.3.3 Hardware-in-the-Loop-Simulation im Komfortbereich......................................................
545 545 548 548 550 550 553 553 560 563
15 Elektromagnetische Verträglichkeit........................................................................................................ 15.1. Motivation....................................................................................................................................... 15.1.1 Entwicklungstendenzen Automobil ................................................................................... 15.1.2 EM-Systeme und Funktionen im Automobil...................................................................... 15.1.3 Betrachtung der EMV ........................................................................................................ 15.2 Allgemeines zur EMV..................................................................................................................... 15.2.1 Begriffe und Erläuterungen ............................................................................................... 15.2.2 EMV-Komplexität und Schutzziele im Kfz ....................................................................... 15.2.3 EMV Planung .................................................................................................................... 15.2.4 Störquellen, Störsenken, Kopplungsmechanismen............................................................. 15.2.4.1 Galvanische Kopplung ....................................................................................... 15.2.4.2 Feldgebundene Kopplung................................................................................... 15.2.4.2.1 Induktive Kopplung ......................................................................... 15.2.4.2.2 Kapazitive Kopplung ....................................................................... 15.2.4.2.3 Wellenbeeinflussung........................................................................ 15.2.4.3 Strahlungsbeeinflussung..................................................................................... 15.2.4.4 Elektrostatische Entladung ................................................................................. 15.2.5 Störmechanismen und Signale .......................................................................................... 15.2.6 EMV-Verbesserungsmaßnahmen....................................................................................... 15.3 EMV im Fahrzeug........................................................................................................................... 15.3.1 Elektronik und Steuergeräte .............................................................................................. 15.3.2 Mechatronik ...................................................................................................................... 15.3.3 Bordnetz und Kabelbaum .................................................................................................. 15.3.4 Karosserie und Massepunkte.............................................................................................. 15.3.5 Gehäuse, Koppelelemente und weitere Systeme ................................................................ 15.3.6 Antennen............................................................................................................................ 15.3.7 Zündanlagen....................................................................................................................... 15.4 EMV-Simulation und Feldberechnung............................................................................................ 15.4.1 Modellierung und Simulation............................................................................................. 15.4.2 Elektromagnetische Felder und Wellen.............................................................................. 15.4.3 Numerische Analyse elektromagnetischer Felder .............................................................. 15.4.4 Numerische Verfahren ...................................................................................................... 15.4.4.1 Numerische Lösung mit Hilfe der FEM ............................................................ 15.4.4.2 Numerische Lösung mit Hilfe der BEM ............................................................ 15.4.4.3 BEM-FEM-Kopplung ........................................................................................ 15.4.5 Methoden und Werkzeuge ................................................................................................ 15.5 Messtechnik und Messmethoden .................................................................................................... 15.5.1 Komponenten- und Gesamtfahrzeugprüfung .....................................................................
569 569 569 569 569 570 570 571 572 572 572 574 574 575 575 575 576 576 577 577 579 580 581 582 582 583 584 585 586 586 587 588 588 588 588 589 589 590
XXVIII
Inhaltsverzeichnis
15.5.2 Messplätze und Messräume ............................................................................................................ 15.5.2.1 Freifeldmessungen ............................................................................................. 15.5.2.2 Geschirmte Kabinen und Absorberhalle ............................................................ 15.5.3 Nachbildung des Bordnetzes bei Komponentenmessungen ............................................... 15.5.4 Störaussendungsmessungen ............................................................................................... 15.5.4.1 Funkentstörung................................................................................................... 15.5.4.1.1 Breitbandige und schmalbandige Störungen .................................... 15.5.4.1.2 Messempfänger-Detektoren ............................................................. 15.5.4.1.3 Fahrzeug-Nahentstörung.................................................................. 15.5.4.1.4 Fahrzeug-Fernentstörung ................................................................. 15.5.4.1.5 Funkentstörung auf Komponentenebene.......................................... 15.5.4.2 Messung der impulsförmigen Störaussendung ................................................... 15.5.5 Störfestigkeitsprüfmethoden .............................................................................................. 15.5.5.1 Schmalbandige hochfrequente Störquellen außerhalb des Fahrzeugs................. 15.5.5.1.1 Antennenmethode ............................................................................ 15.5.5.1.2 Stromeinspeisung............................................................................. 15.5.5.1.3 TEM-Zelle ....................................................................................... 15.5.5.1.4 Stripline ........................................................................................... 15.5.5.1.5 Direkte Leistungseinkopplung ......................................................... 15.5.5.2 Störfestigkeit gegen Sender im Fahrzeug ........................................................... 15.5.5.3 Niederfrequente magnetische Felder .................................................................. 15.5.5.4 Elektrostatische Entladungen ............................................................................. 15.5.5.5 Kfz-Impulse ...................................................................................................... 15.5.5.5.1 Störfestigkeitsprüfung auf Versorgungsleitungen ............................ 15.5.5.5.2 Störfestigkeitsprüfung auf Nicht-Versorgungsleitungen .................. 15.6 Normen und Richtlinien ................................................................................................................. 15.6.1 Gesetzliche Anforderungen für Fahrzeuge ........................................................................ 15.6.1.1 Die Kfz-EMV-Richtlinie 72/245/EWG .............................................................. 15.6.1.1.1 Das Typgenehmigungsverfahren ..................................................... 15.6.1.1.2 Prüfungen im Rahmen der Typgenehmigung................................... 15.6.1.1.3 Kennzeichnung ................................................................................ 15.6.2 Fahrzeugherstellerspezifische Vorschriften .......................................................................
591 591 591 593 593 593 593 593 594 595 595 595 596 596 596 597 598 600 602 602 603 603 604 604 605 605 605 606 606 607 607 608
16 Diagnose..................................................................................................................................................... 16.1 Was verbirgt sich hinter dem Begriff Diagnose?............................................................................. 16.2 Aufgaben der Diagnose................................................................................................................... 16.2.1 Der Steuergerätelebenszyklus ............................................................................................ 16.2.2 Heutige Anwendungsfälle der Diagnose ............................................................................ 16.2.3 Ein kurzer Blick ins Steuergerät......................................................................................... 16.3 Diagnosekommunikation ................................................................................................................ 16.3.1 Allgemeine Vorbemerkungen ............................................................................................ 16.3.1.1 Onboard-Kommunikation .................................................................................. 16.3.1.2 Offboard-Kommunikation ................................................................................. 16.3.1.3 Client-Server-Prinzip ......................................................................................... 16.3.2 Kommunikationswege im Fahrzeug................................................................................... 16.3.3 Grundlagen der Diagnosekommunikation.......................................................................... 16.3.3.1 Bestätigte und Rundruf-Kommunikation............................................................ 16.3.3.2 Nachrichtenfluss in der Diagnosekommunikation.............................................. 16.3.3.3 Adressierungsarten ............................................................................................. 16.3.3.3.1 Physikalische Adressierung ............................................................. 16.3.3.3.2 Funktionale Adressierung ................................................................ 16.3.3.4 Prinzipien der Diagnosekommunikation ............................................................ 16.3.3.5 Arten der Diagnosenachrichten .......................................................................... 16.3.3.5.1 Anfrage ............................................................................................ 16.3.3.5.2 Antworten ........................................................................................ 16.3.4 Diagnoseprotokolle und das ISO/OSI-Referenzmodell...................................................... 16.3.4.1 Die Schichten des ISO/OSI-Referenzmodelles .................................................. 16.3.4.2 Der Header-Mechanismus des ISO/OSI-Referenzmodells .................................
609 609 611 611 612 613 615 615 615 616 616 616 617 617 618 618 619 619 620 620 620 620 620 622 623
Inhaltsverzeichnis
XXIX
16.3.4.3 Protocol Data Unit.............................................................................................. 16.3.4.4 Normale und erweiterte Adressierung ................................................................ 16.3.4.5 Datensegmentierung........................................................................................... 16.3.4.6 Kommunikationsparameter ................................................................................ 16.3.4.7 Der Diagnosedienst ........................................................................................... 16.3.5 Sicherheit der Diagnosekommunikation ............................................................................ 16.3.6 Diagnoseprotokolle ............................................................................................................ 16.3.6.1 Historie der Diagnoseprotokolle......................................................................... 16.3.6.2 Grundlagen der Keywordprotokolle ................................................................... 16.3.6.3 Begriffsklärung für Diagnoseprotokolle nach den ISO-Normen ........................ Unified Diagnostic Services ........................................................................................................... 16.4.1 Motivation.......................................................................................................................... 16.4.2 Sub-Function...................................................................................................................... 16.4.3 Service-Parameter .............................................................................................................. 16.4.4 Diagnosedienste der UDS-Norm........................................................................................ 16.4.5 Zustandsautomaten am Beispiel UDS ................................................................................ 16.4.5.1 Zustandsübergänge zwischen den Sessions........................................................ 16.4.6 Standardisierte Fehlercodes ............................................................................................... 16.4.7 Beispiel einer Diagnosesitzung mit Unified Diagnostic Services....................................... On-Board-Diagnose ........................................................................................................................ 16.5.1 Historie .............................................................................................................................. 16.5.2 OBD-Funktionalität ........................................................................................................... 16.5.3 Der OBD-Stecker............................................................................................................... Datenaustauschformat und erweitertes V-Modell .......................................................................... 16.6.1 Was ist ein Datenaustauschformat?.................................................................................... 16.6.2 Motivation für einen Datenaustauschstandard.................................................................... 16.6.3 Anforderungen an ein standardisiertes Datenaustauschformat ........................................... 16.6.4 Diagnoseprozesskette und erweitertes V-Modell ............................................................... ODX-Überblick............................................................................................................................... 16.7.1 Aufgaben............................................................................................................................ 16.7.2 Historie des ASAM e.V. .................................................................................................... 16.7.2.1 Das ASAM-MCD-System.................................................................................. 16.7.3 Datenaustauschformate und -prozesse ............................................................................... 16.7.3.1 Datenaustauschformate für normale Kommunikation ........................................ 16.7.3.2 Datenaustauschformat für Diagnose................................................................... 16.7.4 Bestandteile des Standards ODX ....................................................................................... 16.7.4.1 Diagnosedaten .................................................................................................... 16.7.4.2 Flashdaten .......................................................................................................... 16.7.4.3 Fahrzeuginformationen ...................................................................................... 16.7.4.4 Kommunikationsparameter ................................................................................ 16.7.4.5 Steuergeräteübergreifende Abläufe .................................................................... 16.7.4.6 Redundanzvermeidung durch Vererbung ........................................................... 16.7.5 Datenpool und Datenbasis.................................................................................................. 16.7.6 Autorensysteme.................................................................................................................. 16.7.6.1 Konsistenzprüfungen.......................................................................................... 16.7.6.2 MCD-Projekt......................................................................................................
623 623 624 625 627 627 628 628 629 629 632 632 632 633 633 633 634 635 635 636 636 636 637 638 638 638 639 639 640 640 640 640 642 644 644 646 646 647 647 648 648 648 649 649 649 649
17 Software-Entwicklung .............................................................................................................................. 17.1 Entwicklungsprozesse, Methoden und Werkzeuge ......................................................................... 17.1.1 Einleitung........................................................................................................................... 17.1.2 Prozessstandards und Software-Qualitätsmodelle .............................................................. 17.1.3 Modellbasierte Funktionsentwicklung ............................................................................... 17.1.4 Software-Komponenten und architekturbasierter Entwurf................................................. 17.2 Rapid Control Prototyping ............................................................................................................. 17.2.1 Überblick ........................................................................................................................... 17.2.2 Fullpass ..............................................................................................................................
651 651 651 651 654 655 656 656 658
16.4
16.5
16.6
16.7
XXX
Inhaltsverzeichnis 17.2.3 Bypassing........................................................................................................................... 17.2.3.1 Hardwartechnische Realisierung ........................................................................ 17.2.3.2 Softwaretechnische Realisierung........................................................................ 17.2.3.3 Steuergeräteinternes Bypassing.......................................................................... 17.2.4 Mischformen von Fullpass und Bypassing......................................................................... 17.2.5 RCP in verteilten Systemen ............................................................................................... Automatische Seriencode-Generierung........................................................................................... 17.3.1 Motivation und Nutzen ...................................................................................................... 17.3.2 Anforderungen und Werkzeugeigenschaften ..................................................................... 17.3.3 Einbindung in den Entwicklungsprozess............................................................................ 17.3.4 Unterstützung relevanter Standards.................................................................................... 17.3.5 Qualität und Support .......................................................................................................... Hardware-in-the-Loop-Simulation .................................................................................................. 17.4.1 Motivation und Nutzen ...................................................................................................... 17.4.2 Rollenverteilung im Test von Steuergeräte-Software......................................................... 17.4.3 Komponenten eines HIL-Simulators.................................................................................. 17.4.3.1 Hardware............................................................................................................ 17.4.3.2 Software ............................................................................................................. 17.4.4 Einbindung in den Elektronik-Entwicklungsprozess.......................................................... Software-Testen .............................................................................................................................. 17.5.1 Grundbegriffe des Testens ................................................................................................. 17.5.2 Klassifikation der Testmethoden........................................................................................ 17.5.3 Funktionales Testen ........................................................................................................... 17.5.4 Strukturelles Testen............................................................................................................ 17.5.5 Nichtfunktionales Testen ................................................................................................... 17.5.6 Formale Verifikation.......................................................................................................... 17.5.7 Testen in der Funktionsentwicklung .................................................................................. 17.5.8 Test von Steuergeräten....................................................................................................... 17.5.9 Testmanagement ................................................................................................................ Steuergeräte-Applikation ................................................................................................................ 17.6.1 Einführung ......................................................................................................................... 17.6.2 Applikation von Motorsteuerungen.................................................................................... 17.6.3 Software-Stand und Beschreibungsdateien für Steuergeräte .............................................. 17.6.4 Mess- und Applikationssysteme......................................................................................... 17.6.4.1 Verstellen und Messen ....................................................................................... 17.6.4.2 Offline- und Online-Applikation ........................................................................ 17.6.4.3 Steuergeräte-Schnittstellen zum Messen und Applizieren.................................. 17.6.5 Ausblick in die Zukunft .....................................................................................................
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Anhang A Schaltzeichen und Schaltpläne................................................................................................................. A1 Einleitung........................................................................................................................................ A2 Klemmbezeichnungen in der Kfz-Technik nach DIN 72552 .......................................................... A3 Gerätekennzeichen nach DIN 40719-2 und DIN EN 61346-2 ........................................................ A4 Schaltsymbole nach DIN EN 60617................................................................................................ A5 Schaltpläne nach DIN 40719........................................................................................................... A 5.1 Übersichtsschaltplan .......................................................................................................... A 5.2 Anschlussplan .................................................................................................................... A 5.3 Stromlaufplan.....................................................................................................................
685 685 686 689 690 692 692 693 694
17.3
17.4
17.5
17.6
B
EMV-Normenübersicht für Fahrzeuge und Komponenten................................................................... 695
Sachwortverzeichnis........................................................................................................................................ 697
1 Einleitung 1 Einleitung Die Kraftfahrzeugelektronik hat sich in den letzten Jahrzehnten „rasant“ weiterentwickelt. Viele neue Anwendungsfelder wurden erschlossen, die aus der Sicht von vor 50 Jahren geradezu revolutionär erscheinen. Dabei ist ein Ende dieser Entwicklung noch lange nicht abzusehen. Bei dieser stürmischen Weiterentwicklung der Kraftfahrzeugelektronik haben verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt. Zum einen sind es die technologischen Voraussetzungen, die jetzt zur Verfügung stehen. Dies sind vor allem die Mikroelektronik, die Leistungselektronik und die Software. Der Fortschritt der Kraftfahrzeugelektronik wurde in der Anfangszeit (70er und 80er Jahre) fast ausschließlich durch die Mikroelektronik in Form von Mikroprozessoren bestimmt. Zunehmend gewinnt aber auch die Software erheblich an Bedeutung. Sie nimmt mittlerweile eine Schlüsselstellung ein. Zum anderen war die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung zwingend gegeben. Gesetzliche Vorschriften in den Bereichen Umweltverträglichkeit und Sicherheit haben wesentliche Veränderungen des Autos notwendig gemacht. Die Emissions-
Bild 1-1: Einparkhilfe [Quelle: BMW]
vorschriften sind ohne elektronische Motorsteuerung nicht erfüllbar. Der Gesetzgeber hat damit die Einführung der Kraftfahrzeugelektronik regelrecht erzwungen. Aber auch die elektronisch gesteuerten Rückhaltesysteme (Gurte, Airbags) und Fahrwerksregelsysteme (ABS, Fahrdynamikregelung) haben der Kraftfahrzeugelektronik großen Schub verliehen. Außerdem wünscht der Kunde viele Zusatzfunktionen im Auto, die entweder von elektronischer Natur (wie z.B. Audiosysteme) oder elektronisch gesteuert sind (z.B. die Klimaautomatik). Auch Fahrerassistenzsysteme (wie z.B. die Einparkhilfe) werden von den Kunden stark nachgefragt. Die hohe und immer weiter steigende Verkehrsdichte spielt bezüglich der Akzeptanz der Systeme eine entscheidende Rolle. Dies wird bei den Fahrerassistenzsystemen wie z.B. der Einparkhilfe (Bild 1-1) deutlich, die vor allem bei knappem Parkraum eine große Unterstützung leistet.
2
1 Einleitung
Bild 1-2: Audi A6 mit Steuergeräten
Eine der technologischen Grundlagen, die die Kraftfahrzeugelektronik am entscheidendsten geprägt haben, ist der Mikroprozessor. Er wurde in den 70er Jahren entwickelt und zunächst in der Motorsteuerung eingesetzt, später aber auch in vielen anderen Anwendungen. Im Laufe der Jahre wurden die Mikroprozessoren immer leistungsfähiger und gleichzeitig immer preisgünstiger. Aus diesem Blickwinkel bedeutet dies geradezu ideale Bedingungen für den Fortschritt der Kraftfahrzeugelektronik. Die sich rasch weiterentwickelnde Halbleiterelektronik ermöglichte immer mehr elektronische Bauteile pro Fläche und gleichzeitig immer weniger Defekte. Dadurch wurden und werden immer größere Halbleiterchips möglich. In den letzten Jahrzehnten wurden diesbezüglich bahnbrechende Fortschritte erzielt, was sich besonders gut an den Speicherchips beobachten ließ. Der Trend geht unvermindert weiter, obwohl die physikalischen Grenzen bald erreicht sein dürften. Neben den Mikroprozessoren nimmt auch die Leistungselektronik spürbar Einfluss auf die Kraftfahrzeugelektronik. Viele der Leistungshalbleiter dienen zur Ansteuerung von elektrischen Antrieben. Das abzudeckende Leistungsspektrum reicht daher bis in den zweistelligen Kilowattbereich beim Starter-Generator. Der Einsatz von Leistungshalbleitern ist meist mit verhältnismäßig hohen Kosten verbunden, so dass bei einfachen Schaltaufgaben nach wie vor meist Relais eingesetzt werden. Außerdem ist zu beachten, dass der Trend der immer weitergehenden Miniaturisierung in der Mikroelektronik nicht direkt der Leistungselektronik zu Gute kommt, weil sich Leistungshalbleiter prinzipbedingt nicht beliebig miniaturisieren lassen. Daher ist hier eine derart dramatische Weiterentwicklung wie bei den Mikroprozessoren und Speichern nicht zu beobachten, aber der rasche Fortschritt der Halbleitertechnologie ermöglicht dennoch eine immer bessere Qualität zu einem immer kleineren Preis.
Die Bedeutung der Software im Auto und auch der prozentuale Anteil an den Gesamtkosten hat in den letzten Jahrzehnten sehr stark zugenommen. Auch hier ist ein weiterer starker Anstieg in der Zukunft zu erwarten. Dadurch ist zunehmend der Einsatz moderner Methoden wie z.B. der modellbasierten SoftwareEntwicklung und der automatischen Code-Generierung notwendig. Seit Einführung der Kraftfahrzeugelektronik stieg die Anzahl der Steuergeräte auf ca. 70 in der oberen Mittelklasse (Bild 1-2) und der Speicherbedarf von wenigen Kilobyte auf etwa zehn Megabyte. Eine aktuelle Motorsteuerung beinhaltet beispielsweise ca. 250000 Zeilen Code. Die daraus resultierende hohe Komplexität wird durch eine Standardisierung der Hard- und Software herabgesetzt, die durch einen modularen Aufbau der Software ermöglicht wird. So wird mittlerweile bei Siemens VDO für Otto- und Dieselmotorsteuerungen eine gemeinsame Architektur verwendet. Dennoch sind zur Beherrschung der verbleibenden Komplexität sehr saubere und durchgehende Prozesse nötig. Ein vielversprechender Ansatz ist der Einsatz von Reifegradmodellen (CMMI). Dabei wird eine erhöhte Produktqualität durch verbesserte Produktentstehungsprozesse angestrebt. Viele Fortschritte in der Automobiltechnik wurden durch Veränderungen in der Gesellschaft und durch das wachsende Umweltbewusstsein forciert. Wichtige Aspekte sind dabei die Resourcenschonung, die Reduzierung der Emissionen, aber auch die Sicherheit von Insassen und Fußgängern trotz steigendem Verkehrsaufkommen. Fortschritte bezüglich Energieersparnis wurden auch durch Gewichtsreduktion erzielt. Vor allem hat hier die elektronische Motorsteuerung sehr positive Einflüsse. Die Kraftstoffeinsparung steht aber gelegentlich im Zielkonflikt zur Reduzierung der Emissionen. Außerdem hilft ein intelligentes Energiemanagement, den Verbrauch von elektrischer Energie an Bord des Kraftfahrzeuges einzuschränken,
1 Einleitung was indirekt auch zur Kraftstoffersparnis beiträgt. Bei alternativen Antrieben (Hybrid, Brennstoffzellen) ist das Energiemanagement zumeist noch aufwändiger. Eine drastische Reduzierung der Emissionen beim Ottomotor gelang durch den Einsatz des Katalysators. Dieser Katalysator wird zwar selbst nicht elektronisch angesteuert, aber er funktioniert nur unter ganz bestimmten Bedingungen (Luft-Kraftstoff-Verhältnis, Temperatur), die nur mit einer elektronischen Regelung eingestellt werden können. Dabei wird das LuftKraftstoff-Verhältnis und das Aufheizen des Katalysators nach dem Start des Motors geregelt. Außerdem wird die Temperatur des Katalysators elektronisch überwacht und der Katalysator gegen Überhitzung geschützt. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Systemen tragen aber auch Sonderausstattungen zum Umweltschutz bei. Ein Beispiel hierfür ist das Navigationssystem, das durch eine zielgerichtete Wegführung unnötigen Verkehr besonders in den Städten vermeidet. Ein Kraftfahrzeug hat nicht nur Auflagen bezüglich der Umweltverträglichkeit, sondern vor allem auch bezüglich der Sicherheit zu erfüllen. Dies gilt für den Schutz der Insassen, aber auch der Fußgänger. Die meisten Vorschriften betreffen die Karosserie und die Gurte. Zusätzlich gehören die Airbags mittlerweile zur Standard-Sicherheitsausstattung eines Kfz. Die Airbags benötigen nicht nur eine elektronische Sensierung des Aufpralls, sondern auch eine elektrische Ansteuerung zu ihrer Auslösung. Die Rückhaltesysteme Gurt und Airbag werden erst bei einem Aufprall aktiv und werden daher den so genannten passiven Sicherheitssystemen zugeordnet.
3 Daneben gibt es auch aktive Sicherheitssysteme, die unfallvermeidend wirken und daher vor einem Aufprall aktiv werden. Das erste war das Anti-BlockierSystem (ABS), ein elektronisches Bremsregelsystem, das das Blockieren der Räder verhindert. Vor allem hat aber die Fahrdynamikregelung (ESP, siehe Bild 1-3), die auf glatten Fahrbahnen ein schleuderndes oder aus der Kurve ausbrechendes Fahrzeug (innerhalb physikalischer Grenzen) wieder auf den korrekten Kurs bringt, zu einer signifikanten Verminderung der Unfallzahlen geführt. Neben dem Schutz der Insassen wird der Schutz der Fußgänger immer wichtiger. Zusätzlich zu konstruktiven Maßnahmen an der Karosserie werden hierbei auch elektronisch sensierte und elektrisch ausgelöste Systeme zum Einsatz kommen, z.B. das Anheben der Motorhaube (Bild 1-4). Es gibt aber auch aufwendige elektronische Systeme im Kraftfahrzeug, die weder gesetzlich vorgeschrieben noch für die eigentliche Fahraufgabe notwendig sind. Dazu zählen u.a. Audio-Systeme, elektrisch betätigte Fenster und Schiebedächer sowie die elektronisch geregelte Klimaanlage. Sie dienen allein dazu, den Fahrkomfort zu steigern. Ein übergreifendes Thema ist in diesem Zusammenhang die Diagnose. Sie soll einerseits im Dienst des Kunden beliebige Fehler (möglichst mit ihren Ursachen) erkennen und eine Reparatur in der Werkstatt erleichtern, andererseits im Dienste der Umwelt emissionsrelevante Bauteile und Funktionen überwachen und im Fehlerfall den Fahrer warnen, so dass er eine Werkstatt aufsuchen kann.
Bild 1-3: Fahrdynamikregelung: Oben geregeltes, unten ungeregeltes Fahrzeug [Quelle: BMW]
4
1 Einleitung
Bild 1-4: Fußgängerschutz durch Anheben der Motorhaube [Quelle: Siemens VDO]
Man unterscheidet die Eigendiagnose, nämlich die ständige Selbstüberwachung der elektronischen Fahrzeugkomponenten während des Betriebs und die OffBoard-Diagnose, nämlich den Funktionstest bestimmter Fahrzeugkomponenten durch ein externes Testgerät, z.B. durch einen Werkstatt-Tester (Bild 1-5). Die Off-Board-Diagnose ist sehr hilfreich für die Reparatur; ohne wäre sie oft gar nicht mit akzeptablem Aufwand durchführbar. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Überwachung aller abgasrelevanten Komponen-
ten während des Fahrbetriebs (On-Board-Diagnose, OBD) und ggf. die Anzeige von Fehlern. Die Elektronik im Kraftfahrzeug ist also kein Selbstzweck. Vielmehr leistet sie einen wesentlichen Beitrag, damit das Auto auch in Zukunft wichtige Anforderungen erfüllen kann. Die in dieser Einleitung genannten und auch viele andere elektronischen Systeme im Kraftfahrzeug werden in den folgenden Kapiteln ausführlich erläutert.
Bild 1-5: Off-Board-Diagnose mit Werkstatt-Tester [Quelle: Audi]
2 Motor und Antriebsstrang 2.1 Motormanagement 2.1.1 Anforderungen Ein modernes Motormanagement koordiniert Zündbzw. Einspritzzeitpunkt, Einspritzmenge, Luftmenge und Ventilstellung in Relation zur Kurbelwellenlage und steuert darüber hinaus weitere Aktoren, abhängig von dem aktuellen Fahrerwunsch sowie externen Lastanforderungen. Die technische Voraussetzung dafür bilden das Motorsteuergerät, die Aktorik und die Sensorik. Der Fahrerwunsch wird anhand der Stellung des elektronischen Gaspedals erkannt und als Drehmomentanforderung interpretiert. Systeme dieses Typs werden als E-Gas (Drive-by-wire) bezeichnet. Eine feste mechanische Kopplung zwischen Fahrpedal und Drosselklappe (beim Ottomotor) existiert dabei nicht mehr. Systeme mit mechanischen Drosselklappen sind inzwischen nur noch im Segment der einfach ausgestatteten Fahrzeuge im Einsatz, verlieren aber auch dort an Bedeutung. Elektronische Regelungen und Steuerungen sind insgesamt die zwingende Voraussetzung, um immer strengere Anforderungen an den Verbrennungsmotor im Hinblick auf Emissionen, Kraftstoffverbrauch, Sicherheit und Komfort erfüllen zu können. In die Entwicklung der Antriebsaggregate fließen mit den gesetzlichen Vorgaben in Form von Grenzwerten einerseits sowie den steigenden Erwartungen der Fahrer (Verfügbarkeit, Leistung, Komfort) andererseits zahlreiche Faktoren ein, die eine laufende Steigerung des innermotorischen Wirkungsgrades sowie teilweise zusätzliche Maßnahmen der geregelten Abgasnachbehandlung erzwingen. Diese Anforderungen haben auf der mechanischen Seite ein extrem gestiegenes feinmechanisches Toleranzniveau bewirkt (etwa bei der Diesel-Hochdruck-Direkteinspritzung), während auf der elektronischen Seite die Genauigkeit der Steuer- und Regelvorgänge laufend zunimmt. Neue Anforderungen an den motorischen Wirkungsgrad und die Emissionen bedingen im Normalfall ein noch leistungsfähigeres elektronisches Motormanagement. Da sich zahlreiche Teilsysteme und Abläufe im Verbrennungsmotor wechselseitig in ihrer Charakteristik beeinflussen, nimmt die Komplexität der Steuer- und Regelvorgänge mit der geforderten Steuerpräzision stark zu. Diese Komplexität auf der Ebene der Soft- und Hardware zu beherrschen, wird auf mittlere Sicht die zentrale Herausforderung bleiben. Weil die Produktion hochgenauer mechanischer Komponenten sehr kostenintensiv ist, treibt der wirtschaftliche Druck, unter dem die Automobilindustrie steht, Strategien voran, die geforderte Präzision bei der Steuerung motorischer Zustandsgrößen
vorzugsweise durch elektronische Regelsysteme zu erzielen. Hinzu kommt, dass Prozesse im Motor, im Ansaugtrakt und im Abgasstrang immer genauer gesteuert und zeitnäher geführt werden müssen. Dafür werden zusätzliche Messgrößen oder neue, leistungsfähige Algorithmen zur ersatzweisen Schätzung von Ist-Werten aus bekannten Größen benötigt, was zu komplexen Rechenvorgängen in Echtzeit führt. Außerdem sind schnellere und präzisere Regeleingriffe notwendig, die schnelle Aktoren verlangen. Weil die Entwicklungszyklen trotz rapide steigender Anforderungen immer kürzer werden, bahnt sich bei der zeitintensiven anwendungsbezogenen Funktionsbedatung (Kalibrierung) von Motorsteuergeräten ([1], [2]) ein Wechsel von kennfeldbasierten Lösungen hin zu modellbasierten Regelungsalgorithmen an ([3], [4], [5], >6@, [7]). 2.1.1.1 Emissionen, Verbrauch und Fahrbarkeit Emissionen und Verbrauch Innermotorische Maßnahmen einschließlich moderner Einspritzsysteme und -steuerungen haben erhebliche Emissionsreduzierungen ermöglicht, wie aus Bild 2-1 ersichtlich. Fortschritte gab es durch höhere Einspritzdrücke (zunächst vor allem beim Dieselmotor), die präzisere und wiederholgenauere Zumessung von Kraftstoff, die immer geringeren Minimalzumessungen sowie durch optimierte Strahlaufbereitung. In der Summe trugen diese Weiterentwicklungen zu einer deutlichen Effizienzsteigerung und Emissionsminderung bei. Insbesondere die aktuellen EU4-Grenzwerte im Pkw-Mittelklasse-Dieselmotor ohne Abgasnachbehandlung einhalten zu können, erschien noch vor wenigen Jahren nicht realistisch. Die künftigen Emissionsgrenzwerte (die Normen EU5, US Federal Tier 2 Bin 5, US CARB LEV II), soweit sie schon konkret definiert sind, stellen dem gegenüber eine noch größere Herausforderung dar, die nur durch integrierte Optimierung des Brennverfahrens, der Luftversorgung, des Einspritzsystems, der Abgasführung und -nachbehandlung zu bewältigen sein wird. Die Verbesserungen am Gesamtsystem und an den Regelstrategien hängen teilweise von den tatsächlich zu erwartenden Grenzwerten ab, weil damit der Umfang der Lösungsmaßnahmen (vor allem der NOx-Speicherkatalysator) massiv beeinflusst wird.
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Bild 2-1: Entwicklung von Schadstoff- (EU) und CO2Emissionen (ACEA-Selbstverpflichtung)
Die Mitglieder des Verbands der europäischen Automobilhersteller (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles, ACEA) haben als Ziel vereinbart, ab 2008 den CO2-Ausstoß für die neue Fahrzeugflotte auf durchschnittlich 140 g/km abzusenken, was etwa 5,7 Liter Kraftstoff pro 100 km Fahrstrecke oder rund 17,5 km Fahrleistung je Liter Kraftstoff entspricht. Bezogen auf 1995 beinhaltet das eine 25prozentige CO2-Reduktion. Der seit 2003 geltende Zwischenwert von 167 g/km konnte ein Jahr früher als erwartet umgesetzt werden. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) will den Kraftstoffverbrauch der neuen Fahrzeugflotten bereits im Jahr 2005 um 25 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 senken. Um das ACEA-Gesamtziel ab 2008 zu erreichen, wird neben dem gestiegenen Anteil an verbrauchsgünstigen Dieselfahrzeugen auch die weitere Optimierung des Ottomotors entscheidend wichtig sein. Vor allem die Reduktion der Drosselverluste in der Teillast ist hier ein wesentlicher Bestandteil der weiteren Verbrauchsabsenkung [8].
2 Motor und Antriebsstrang Fahrbarkeit Ein eminent wichtiger Aspekt der modernen elektronischen Motorsteuerung und -regelung ist die Möglichkeit, Einfluss auf das dynamische Ansprechverhalten des Verbrennungsmotors zu nehmen. Dadurch lässt sich die Fahrbarkeit direkt steuern. Unter Fahrbarkeit wird die fahrzeugspezifische Charakteristik des Drehmomentangebots sowie der Momenteneinflüsse im Antriebsstrang verstanden, die für den Fahrer spürbar sind und seine Zufriedenheit mit dem Fahrzeug und seiner Antriebsleistung wesentlich beeinflussen. Da die Kaufentscheidung eng mit diesem Eindruck des Fahrers verknüpft ist, kommt steuerungs- und regelungstechnischen Einflüssen auf die Fahrbarkeit ein hoher Stellenwert zu. Das Drehmomentangebot im unteren Drehzahlbereich (Low End Torque) ist ein besonders wichtiges Kriterium. Für Downsizing-Konzepte markiert das erreichbare Anfahrdrehmoment, insbesondere bei turboaufgeladenen Motoren, eine Grenze [9]. Sowohl beim Beschleunigen aus niedrigen Drehzahlen heraus als auch beim Anfahren ist das jeweils erforderliche Drehmoment ein Auslegungskriterium für die Aufladung des Motors. Bei Fahrzeugkonzepten, die mit einer Hubraumverringerung den Kraftstoffverbrauch senken, kann das geringere Drehmomentangebot des Verbrennungsmotors im unteren Drehzahlband phasenweise durch ein zusätzliches, elektromotorisch erzeugtes Drehmomentangebot ergänzt werden (Boost-Funktion bei Mild-Hybrid-Downsizing-Konzepten). Widersprüchliche Anforderungen, wie die Emissionsminimierung und der Fahrspaß, sind der Grund, warum teilweise auf Biturbokonzepte oder mehrstufige Aufladung gesetzt wird, um das Problem der Turboladerträgheit zu lösen. Insgesamt setzt der aufgeladene Dieselmotor mit seinem Drehmomentpotential derzeit einen gewissen Standard und treibt zunehmend die Aufladung beim Ottomotor voran. Die Reaktionsfreudigkeit (Responsiveness) des Motors beim Übergang vom Schubbetrieb in die Beschleunigung ist eine Teilaufgabe des Drehmomentmanagements, die eine präzise Regelung erfordert, um den bestmöglichen Kompromiss zwischen einem eventuellen Turboloch und einer aus Emissionsgründen begrenzten Kraftstoffzumessung zu erreichen, z.B. um die Rauchentstehung beim Dieselmotor zu begrenzen. Außerdem müssen Sprungfunktionen im Drehmomentwunsch in ihren Auswirkungen im Antriebsstrang gedämpft werden (siehe Abschnitt 2.1.2.2.2). Bei aufgeladenen Motoren mit vollvariabler Nockenwellenverstellung führt eine Überschneidung der Einund Auslassventilöffnungszeiten bei positiver Druckdifferenz zwischen Ansaugseite und Abgasseite dazu, dass der Brennraum mit Ansaugluft (Frischluft) zur Abgasseite durchgespült wird (daher Spüllufteffekt). Mehrere Auswirkungen, zu denen der verringerte Restgasanteil und eine Senkung der Brennraumtemperatur (verminderte Klopfneigung bei Volllast)
2.1 Motormanagement zählen, führen zu einer Leistungszunahme. Auf diesem Weg lässt sich das Drehmoment im niedrigen Drehzahlbereich instationär um 25 % und mehr steigern. Bei Downsizing-Konzepten für Fahrzeuge mit kleinem Hubraum in Verbindung mit Aufladung und verlängerter Hinterachsübersetzung liegt auf der Koordination verschiedener Aktoren ein besonderes Augenmerk. Dazu ist ein zusätzliches Funktionsmodul (z.B. mit der Bezeichnung Boost-Manager) erforderlich, das Einspritzung, variablen Ventiltrieb, Zündung, Waste-Gate und Drosselklappe koordiniert, um auch den in Bild 22 gezeigten Spüllufteffekt (Scavenging) zur Anhebung der Drehmoments im Bereich bis zu etwa 2500 /min optimal auszunutzen [10]. 2.1.1.2 Brennverfahren und Einspritzverfahren 2.1.1.2.1 Systeme für die Direkteinspritzung Im Hinblick auf die Steuer- und Regelungslösungen gleichen sich mittlerweile viele Aufgabenstellungen beim Dieselmotor und beim Ottomotor mit innerer Gemischbildung im Bereich der Brenn- und Einspritzverfahren, auch wenn sich die Aktoren weiterhin unterscheiden. Angesichts des wachsenden Entwicklungsaufwands pro Steuerungs- und Regelungsfunktion und der parallel zunehmenden Variantenvielfalt bei den Fahrzeugen ist ein Punkt erreicht, an dem es sinnvoll erscheint, gleichartige Funktionen im Sinne einer generischen Plattform nach Möglichkeit für beide Motorgattungen nutzbar zu machen. Das bedingt einen neuen Ansatz der hardwareunabhängigen Strukturierung von Funktionen, dessen Hauptaspekte in den Abschnitten 2.1.2.2 und 2.3.4.3 beschrieben werden. Im Kern geht es um eine Kapselung von Funktionen und konfigurierbaren Teilfunktionen, die möglichst wenig Kopplung von Funktionen bedingt und stringent die Schnittstellen definiert.
7 Bei Dieselmotoren bildet die Hochdruck-Direkteinspritzung die Voraussetzung für den motorspezifisch geringen Verbrauch bei hoher Leistungsausbeute und verringerten Emissionen. Dieselmotorische Lösungen basieren entweder auf einem gemeinsamen Kraftstoff-Hochdruckspeicher für alle Zylinder (Common-Rail) in Verbindung mit Injektoren oder auf dem Pumpe-Düse-Prinzip (Unit-Injector). Das sehr hohe Einspritzdruckniveau von bis zu 2000 bar bei Common-Rail und bis über 2200 bar bei PumpeDüse [11] ermöglicht eine sehr feine Zerstäubung des Kraftstoffs und bildet damit die Voraussetzung für einen gleichmäßigeren Abbrand im Zylinder. Innerhalb des engen Zeitfensters für die Mehrfacheinspitzungen, das beispielsweise bei einem 8-Zylindermotor nur 2,5 Millisekunden beträgt, steuert die elektronische Steuerung zylinderindividuell Spritzbeginn und Spritzende und stellt die reproduzierbar genaue Zumessung der erforderlichen Einspritzmengen sicher. Mit weiter steigendem Einspritzdruck werden die Anforderungen an die Zumessgenauigkeit vor allem bei Kleinstmengeneinspritzungen (Piloteinspritzungen) weiter steigen [12]. Das Entwicklungsziel bei den elektronischen Steuerungen und den Injektoren besteht darin, den Einspritzverlauf möglichst präzise und flexibel zu beeinflussen, um alle systemimmanenten Spielräume bei der Gestaltung des Brennverlaufs auszunutzen. Auf längere Sicht ist es durchaus realistisch, dass diese Entwicklungslinie zu einer weitgehend flexiblen Einspritzverlaufsformung führt. Beim Ottomotor dient die Direkteinspritzung (innere Gemischbildung) mit ebenfalls hohem Einspritzdruck in zunehmendem Maße zur Realisierung neuer Brennverfahren, die den Verbrauch weiter absenken sollen [13]. Die Schichtladung (Stratified Injection) im Teillastbereich ist hier zunehmend wichtig, um den Verbrauchsnachteil gegenüber dem Dieselmotor zu mindern.
Bild 2-2: Auswirkung des Spüllufteffektes auf die Drehmomentantwort bei Anforderung eines Lastsprungs
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2 Motor und Antriebsstrang
Während wand- und luftgeführte Brennverfahren bisher nur geringe Verbrauchsabsenkungen auf der Straße ergeben, werden strahlgeführte Brennverfahren den Bereich der Schichtladung bei der Hochdruckdirekteinspritzung voraussichtlich ausweiten können [14] und damit den Verbrauch deutlich senken. Der Schichtladebetrieb mit strahlgeführter Verbrennung erfordert eine hochgenaue elektronische Steuerung des Einspritzvorgangs und sehr schnelle Aktoren, um präzise Mehrfacheinspritzungen mit minimaler Kraftstoffzumessung zu realisieren. Das Steuerziel ist dabei ein sehr fein zerstäubtes, zündfähiges Gemisch mit definierter Eindringtiefe und definiertem Spritzkegel in unmittelbarer Nähe der Zündkerze, ohne dass es zur Benetzung der Kerze kommt.
2.1.1.3 Belastung Der Motorraum stellt für die Elektronik eine widrige Umgebung dar, weil durch stark schwankende Betriebsbedingungen mehrere Einflussgrößen abwechselnd oder gleichzeitig eine potentiell schädliche Charakteristik annehmen können. Für die physikalische Ausprägung der Motorsteuerung in Form des Motorsteuergerätes führt das zu einer Reihe von Anforderungen, zu denen hier auch auf den Abschnitt 2.3.1.1.1 (Steuerungen für Motor und Getriebe) verwiesen sei.
2.1.1.2.2 Saugrohreinspritzung Da die Direkteinspritzung mit erhöhtem Steuerungsaufwand und erhöhten Anforderungen an die feinmechanische Qualität der Aktoren einhergeht, wird auch die Steuerungsentwicklung für Ottomotoren mit Saugrohreinspritzung und äußerer Gemischbildung weitergehen. Das Potenzial dieser Technologie ist noch nicht ausgeschöpft, und es stellt innerhalb enger Kostengrenzen weiterhin eine unverzichtbare Lösungsoption dar.
Die Steuerungs- und Regelungsaufgaben im Kraftfahrzeug lassen sich anlog zur physikalischen Organisationsstruktur des Gesamtsystems Fahrzeug in Funktionspakete gliedern, die jeweils die Algorithmen zur Lösung der einzelnen Aufgabenstellung umfassen, Bild 2-3. Die Funktionen basieren auf dem physikalischen Zusammenhang zwischen einer Zustandsgröße und der zugehörigen Stellgröße und lassen sich als Modell eines dynamischen Systems beschreiben. Ein Beispiel dafür ist die Bestimmung der Drosselklappen-Sollwertposition mit dem Saugrohrmodell, Bild 2-4.
2.1.2 Funktionen 2.1.2.1 Übersicht Motorsteuerungsfunktionen
Bild 2-3: Hierarchische Strukturierung der Steuerungssysteme (ECU Steuergerät)
2.1 Motormanagement
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Bild 2-4: Modell des Saugrohrs (ohne Abgasrückführung): pim Saugrohrdruck, Tim Gastemperatur im Saugrohr, Vim Saugrohrvolumen, m thr Massenstrom über die Drosselklappe, m cyl über die Einlassventile, Rg | 387 J/(kg K) Gaskonstante für Luft
Dieses Verfahren basiert darauf, dass jeder Stellung der Drosselklappe bei einem gegebenem Saugrohrdruck und einer definierten Drehzahl ein mathematisch präzise beschreibbarer Luftmassenstrom entspricht – und umgekehrt, denn das mathematische Modell des Zusammenhangs ist invertierbar. Da jeder definierte Luftmassenstrom wiederum einer bestimmten Zylinderfrischgasfüllung entspricht, eignet sich die mathematische Beschreibung dazu, das physikalische Verhalten des Zusammenhangs zwischen Drosselklappenstellung und erwünschter Frischgasfüllung zu beschreiben. Sensorsignale werden in diesem Fall oft nur noch zum Abgleich mit den Sollwerten genutzt, die das Modell errechnet. Eine dabei eventuell erkannte Abweichung zwischen Modell und Messwerten (z.B. beim Saugrohrdruck, der Abgastemperatur und beim Abgasgegendruck) geht in die Modelladaption und in die Systemdiagnose ein. Um die Nachbildungsgenauigkeit der Modelle zu steigern, wird zur mathematischen Modellierung sowohl die theoretische als auch die experimentelle Systemanalyse verwendet. Die theoretische Systemanalyse als analytischer Ansatz auf Basis bekannter physikalischer, chemischer und anderer Gesetzmäßigkeiten beschreibt die Zusammenhänge innerhalb des Systems. Die experimentelle Systemanalyse ist dagegen der empirische Ansatz auf Basis von Versuchsreihen. Auf der Grundlage der Beobachtungen im Versuch wird das Systemverhalten hier mit Kennfeldern nachgebildet. Ein typisches Beispiel ist der Luftmassenstrom als Funktion von Drehzahl und Saugrohrdruck.
2.1.2.2 Drehmomentbasierte Funktionsstruktur Bei einer drehmomentbasierten Funktionsstruktur werden alle Motorsteuer- und Regelanforderungen, die sich als Drehmoment oder Wirkungsgrad darstellen lassen, auch tatsächlich als physikalische Drehmomentanforderung definiert (>15@, >16@). In Kombination mit einem E-Gas-System erlaubt diese Funktionsstruktur im Ottomotor eine vom Fahrer entkoppelte Steuerung der Frischgasfüllung. Dadurch ist es möglich, den Fahrkomfort zu erhöhen und gleichzeitig eine optimale Balance zwischen Fahrbarkeit, Verbrauch und Emissionen zu erreichen. Den Ausgangspunkt bildet die Stellung des Gaspedals, die als Geber zur Berechnung einer Drehmomentanforderung (Soll-Moment) dient. Dieses Moment versucht die Motorsteuerung entweder auf einem Pfad (Ottomotor mit Schichtladung, Dieselmotor) oder auf zwei Pfaden (Ottomotor mit homogener Ladung) einzustellen. Zu den Einstellgrößen des schnellen Pfades (arbeitsspielsynchrone Momentenbeeinflussung) zählen Zündzeitpunkt, Einspritzmenge (in den Zylinder) und die Zylinderabschaltung. Die Zündverstellung dient beim Ottomotor dazu, Effekte der Füllungsregelung soweit erforderlich zu kompensieren. Als langsamer Pfad gelten Eingriffe in die Frischgasfüllung (Füllungssteuerung durch die Drosselklappe, bei einigen Systemkonfigurationen auch durch Phasensteller der Nockenwelle) beim Ottomotor mit homogener Verbrennung. Beim Dieselmotor und beim Ottomotor mit Schichtladung erfolgt die Momentensteuerung ausschließlich über die Einspritzmenge. Da Lastanforderungen über eine Erhöhung der Einspritzmenge arbeitsspielsynchron umgesetzt
10 werden können, umfasst die Funktionsstruktur hier keinen langsamen Pfad zur Momentensteuerung. Im Ottomotor mit Homogenbetrieb ergibt sich durch diese Aufteilung auf zwei Einstellpfade die Möglichkeit, eine Momentenreserve aufzubauen. Unter Momentenreserve versteht man in diesem Zusammenhang eine kupplungsmomentenneutrale Füllungserhöhung bei gleichzeitiger Verstellung des Zündwinkels in Richtung spät. Der schlechtere Wirkungsgrad führt zu einer höheren Abgastemperatur, die für Heizmaßnahmen von Komponenten (Katalysator, NOx-Speicherkatalysator) im Abgasstrang genutzt werden kann. Gleichzeitig bietet sich die Möglichkeit, durch eine plötzliche Zündwinkelverstellung in Richtung früh aktiv auf diese Momentenreserve zuzugreifen und sie für eine arbeitsspielsynchrone Anhebung des Kupplungsmomentes zu nutzen. Diese schnelle Eingriffsmöglichkeit wird beispielsweise für die Leerlaufregelung und in den Fahrbarkeitsfunktionen genutzt (vgl. Antiruckelregelung in Abschnitt 2.1.2.2.2). 2.1.2.2.1 Drehmomentenmodell Eine Grundeigenschaft der drehmomentbasierten Funktionsstruktur ist die Interpretation des Fahrerwunsches (ausgehend von der Gaspedalposition) und weiterer Anforderungen (z.B. Tempomat, ESP, ASR) als physikalische Anforderung eines Drehmoments an der Kupplung. Hauptaufgabe des Drehmomentenmodells ist es, diesen Wunsch des Fahrers nach einem konkreten Kupplungsdrehmoment unter Berücksichtigung der aktuellen Motorbetriebsbedingungen durch passende Sollwertvorgaben an die momentenbeeinflussenden Aktoren umzusetzen. Dieser Teil des Modells wird wegen der mathematischen Rechenrichtung vom Fahrerwunsch zum Aktor als Rückwärtspfad bezeichnet. Die zweite Aufgabe des Drehmomentenmodells besteht darin, basierend auf den aktuellen Positionen der momentenbeeinflussenden Akto-
2 Motor und Antriebsstrang ren sowie weiterer Betriebsgrößen des Motors ein aktuelles Drehmoment zu schätzen. Wegen der mathematischen Rechenrichtung vom Aktor zum Drehmoment spricht man hier vom Vorwärtspfad. Dieser Modellwert wird in verschiedenen internen und externen Funktionen (z.B. Getriebesteuerung) verwendet (Bild 2-5). Der Vorwärtspfad (also die Abschätzung des aktuellen Drehmoments an der Kupplung) setzt sich aus den Teilmodellen für das Verlustmoment und für das indizierte Moment aus der Hochdruckphase zusammen (Bild 2-6). Das Verlustmoment beinhaltet hierbei die Verluste aus dem Ladungswechsel, der motorischen Reibung (mit den Hauptabhängigkeiten Motordrehzahl, Gesamtgasmassenstrom zum Zylinder incl. Restgas, Kühlwassertemperatur und Öltemperatur) sowie der Nebenaggregate (z.B. Klimakompressor, Generator). Das indizierte Drehmoment ergibt sich als Produkt aus einem optimalen Moment (Kennfeldwert abhängig von Drehzahl und Füllung oder Einspritzmenge) und den Wirkungsgradkorrekturen (z.B. Zündzeitpunkt, relatives Luft-Kraftstoffverhältnis, Zylinderausblendung, Restgasgehalt, Nockenwellenstellung, Einspritzaufteilung). Das optimale Drehmoment repräsentiert hierbei einen Drehmomentwert, der sich bei der aktuellen Drehzahl und bei gegebener Frischgasfüllung bzw. Einspritzmenge einstellen würde, wenn alle anderen momentenbeinflussenden Stellgrößen einen Optimalwert annehmen würden. Die Wirkungsgradkorrekturen beschreiben den relativen Wirkungsgradabfall, der sich bei einer Optimalwert-Abweichung der betreffenden Stellgrößen einstellt. Diese Optimalwert-Abweichungen resultieren zum Teil aus physikalischen Limitierungen (etwa die Klopfgrenze für Zündwinkelfrühstellung) oder aus gewollten Eingriffen (Zündwinkelspätverstellung bei angeforderter Momentenreserve).
Bild 2-5: Rückwärts- und Vorwärtspfad des Drehmomentenmodells (vereinfacht)
2.1 Motormanagement
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Bild 2-6: Grundansatz Vorwärtspfad des Drehmomentenmodells
Im Rückwärtspfad des Drehmomentenmodells erfolgt die Berechnung von Sollwerten für die im jeweiligen Betriebsmodus zur Verfügung stehenden momentenbeeinflussenden Stellgrößen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Momentenverluste werden die Drehmomenten-Sollwerte zuvor auf Sollwerte für ein indiziertes Motormoment umgerechnet. Bei einem Ottomotor im Homogenbetrieb erfolgt die Sollwertberechnung für die Momentenrealisierung getrennt auf einem langsamen Pfad (Sollwert Frischgasfüllung) und einem schnellen Pfad (ZündwinkelSollwert). Eine Momentenreserve wird realisiert, indem der Drehmomenten-Sollwert für den langsamen Pfad mit einer additiven Korrektur angehoben wird. Die Sollwertberechnung für die Frischgasfüllung erfolgt mit Hilfe eines invertierten Referenzmomentenkennfeldes (Bild 2-7).
Die Sollwertberechnung für den Zündwinkel erfolgt über den Sollwert des Zündwinkelwirkungsgrads als Zwischengröße. Dazu wird der Quotient aus Drehmomenten-Sollwert und dem aktuellem Basismoment (aktuelles Referenzmoment mit Wirkungsgradkorrekturen für Luft-Kraftstoff-Verhältnis, Restgasgehalt und Zylinderausblendung) gebildet. Der Sollwert für den Zündwinkelwirkungsgrad wird in einem Kennfeld mit invertiertem Zündwinkelwirkungsgradverlauf in einen Sollwert für die Zündwinkelspätverstellung umgerechnet, welcher dann über eine Addition zum Referenzzündwinkel zu einem ZündwinkelSollwert führt (Bild 2-8). Bei einem Ottomotor im geschichteten Betrieb und einem Dieselmotor erfolgt die Realisierung des Drehmomentenwunsches nur über den schnellen Pfad. Hierbei wird der Sollwert für das indizierte Motormoment bei gegebener Motordrehzahl und unter Berücksichtigung etwaiger Wirkungsgradkorrekturen (Luft-Kraftstoff-Verhältnis, EinspritzPhasing, Restgasgehalt) direkt in einen Sollwert für die Einspritzmenge umgerechnet. Die Sollwertpositionen der anderen Aktoren leiten sich aus dem Einspritzmengen-Sollwert ab.
Bild 2-7: Sollwertberechnung für den langsamen Pfad (Frischgasfüllung)
Bild 2-8: Sollwertberechnung für den schnellen Pfad (Zündwinkel)
12 2.1.2.2.2 Fahrbarkeitsfunktionen In die Motorsteuergerät-interne Berechnung des angeforderten Drehmoments gehen neben dem eigentlichen Fahrerwunsch Einflüsse und Begrenzungen aus anderen Steuerungen ein. Zu nennen sind hier beispielsweise die Getriebesteuerung, die Klimatisierung und die Fahrzeugstabilisierung. Der Momentenwunsch des Fahrers wird in einem Kommunikationsprozess mit den Momentenanforderungen anderer, an der Steuerung oder Regelung beteiligter Steuergeräte koordiniert und nach Wichtigkeit priorisiert. Vor dieser Momentenkoordination wird der Momentenwunsch des Fahrers mit den Fahrbarkeitsfunktionen Lastschlagdämpfung und Antiruckelregelung (Antijerk) verarbeitet. Eine Sonderrolle kommt der Fahrbarkeitsfunktion „Sequentielle Zylinderaus- und einblendung“ zu. Sie beeinflusst nicht den Fahrerwunsch, sondern beschreibt die für einen ruckfreien Übergang notwendigen Einspritzmuster beim Eintreten und Verlassen der Schubabschaltung. Lastschlagdämpfung Abrupte Wechsel im Niveau der Momentenanforderung (daher auch Lastwechselschläge oder Lastschläge genannt) machen sich ohne Dämpfung als unangenehme Schwingungen in Fahrzeuglängsrichtung bemerkbar. Um die mögliche Wirkung von Lastschlägen zu minimieren, begrenzen intervenierende Algorithmen im Motorsteuergerät den Gradienten der Drehzahlanstiegsflanke. Wie bei der Antiruckelregelung (vgl. unten) besteht das Steuerziel darin, eine Schwingungsanregung durch Lastsprünge zu glätten. Dazu müssen steile Flanken des Momentenauf- und -abbaus in flachere Rampen überführt werden. Weil die Funktion damit den
2 Motor und Antriebsstrang Fahrerwunsch modifiziert, muss der Eingriff in seiner Wirkung zwischen direktem Fahrerwunsch und Fahrkomfort ausbalanciert sein. Periodendauer und Rampenanstiegs- bzw. abfallsdauer der modifizierten Drehmomentvorgabe werden abhängig vom eingelegten Gang variabel berechnet. Um den Fahrer nicht zu „überregeln“, kann die Lastschlagdämpfung die Schwingungsamplitude im verfügbaren Zeitfenster jedoch nicht restlos minimieren. Antiruckelregelung Um den Fahrkomfort auch bei schnell wechselnden Drehmomentanforderungen zu erhalten, ist der Lastschlagdämpfung eine weitere Momentenkorrektur nachgeschaltet, die den Regelkreis zur gefilterten Momentenanforderung schließt (Bild 2-9). Der Algorithmus der Antiruckelregelung wird dann aktiv, wenn er als Auswirkung einer Schwingung im Antriebsstrang eine Drehzahlabweichung des Motors von der Referenzdrehzahl erkennt. Aus dem Vergleich von Ist und Soll ermittelt der Algorithmus eine Korrektur, die als Einfluss auf die Führungsgröße Momentenanforderung (über den schnellen Momenteneinstellpfad) wirkt. Sequentielle Zylinderabschaltung Erkennt das Motorsteuergerät eine Nulldrehmomentanforderung des Fahrers (Schubbetrieb), so kann die Kraftstoffzumessung unter definierten Rahmenbedingungen unterbrochen werden (Schubabschaltung). In diesem Fall ist eine Funktion erforderlich, die den Übergang von Schub zu Schubabschaltung mit Hilfe von Ausblendmustern sanft gestaltet.
Bild 2-9: Struktur des Momentenmodells zur Reduktion von Schwingungen in der Fahrzeuglängsbewegung bei Lastwechseln
2.1 Motormanagement Beim sequentiellen Verfahren wird die Kraftstoffzufuhr zu einzelnen Zylindern oder Zylindergruppen abwechselnd von einem Arbeitszyklus zum nächsten (d.h. im Rhythmus von 720° Kurbelwinkel) ab- und angeschaltet. Anstelle eines einzigen großen Lastsprungs ergeben sich so mehrere kleinere Lastsprünge, die zeitverzögert aufeinander folgen. Durch die geringere Höhe des Lastsprungs verringert sich auch die Schwingungsanregung im Antriebsstrang. Beim alternativen Zweistufenverfahren erfolgt die Zylinderausblendung in Stufen. Zunächst wird eine Hälfte der Zylinderzahl ausgeblendet (bei einem 4Zylindermotor also zwei Zylinder gleichzeitig). Der plötzliche Motordrehmomentenrückgang an der Kupplung verursacht eine Schwingung im Antriebsstrang. Deshalb wird die zweite Hälfte der Zylinderzahl erst nach einer Zeitverzögerung von der Hälfte der Schwingungsperiode ausgeblendet. Das verursacht einen zweiten Drehmomentrückgang, der kurz vor dem Zeitpunkt stattfindet, an dem sich die erste Schwingung im Antriebsstrang aufbauen will. Damit dämpft der zweite Lastsprung die Auswirkung des ersten. Fordert der Fahrer erneut ein Drehmoment an oder übergibt eine Funktion eine entsprechende Anforderung (z.B. Katalysatorschutz oder Leerlaufdrehzahlregelung), so erfolgt ein Übergang aus der Schubabschaltung zurück in den Zylinderarbeitszyklus mit Einspritzung und Verbrennung. Dieses Wiedereinsetzen erfolgt entweder in Umkehrrichtung mit einem der beiden o.g. Verfahren oder mit einem gemeinsamen Zuschalten aller Zylinder. Das letztere Verfahren dient dazu, das Drehmoment sehr schnell zur Verfügung zu stellen, etwa bei großen Fahrerwunschgradienten. 2.1.2.2.3 Drehzahlregelung Bei vorgegebener Leerlaufnenndrehzahl muss das vom Motor abgegebene Drehmoment mit den Momentenverlusten durch die Reibung des Motors sowie der Nebenaggregate im Gleichgewicht stehen. Die Sollwertvorgabe des Drehmomentes, mit dem die Leerlaufnenndrehzahl einzustellen ist, ergibt sich aus der Schätzung dieser Momentenverluste bei SollDrehzahl und aus dem modellierten Selbststabilisierungsverhalten eines Ottomotors im Homogenbetrieb. Unter Selbststabilisierungsverhalten versteht man hierbei die Eigenschaft des Ottomotors, eine stabile Leerlaufdrehzahl selbstregulierend halten zu können. Durch die im Leerlaufbereich überkritische Strömung über die Drosselklappe bleibt der Frischgasmassenstrom und damit die Leistung bei Drehzahländerungen konstant. Infolgedessen kommt es bei Drehzahlanhebung bzw. -rückgang zu der entsprechenden Drehmomentreduzierung bzw. -erhöhung, welche die Motordrehzahl in Richtung Leerlaufdrehzahlpunkt einstellen.
13 Bei einer durch Störgrößen hervorgerufenen Abweichung der Drehzahl vom Sollwert wird mit einer PIDRegelung jeweils ein Korrekturmoment für den schnellen und den langsamen Pfad (Ottomotor im Homogenbetrieb) der Drehmomentenstruktur ausgegeben. Dieses Korrekturmoment fließt im Motorsteuergerät in die Berechnung des Soll-Drehmoments für die entsprechenden Einstellpfade ein. Das Regelprinzip schließt den langsamen Pfad (elektrisch gesteuerte Drosselklappe, E-Gas-System) und den schnellen Pfad ein (Zündwinkelverstellung). Der Soll-Zustand wird dadurch erreicht, dass bei Drehzahlüberschwingern die Luftzufuhr reduziert und der Zündwinkel in Richtung spät verstellt wird. Bei Drehzahlunterschwingern wird die Luftzufuhr erhöht und der Zündwinkel in Richtung früh verstellt. Bei einem modernen E-Gas-System erfolgt die Anpassung der Frischgasfüllung im Homogenbetrieb direkt über die Drosselklappenposition. Separate Leerlauf-Füllungssteller sind nicht erforderlich. Das Überschreiten einer zulässigen Maximaldrehzahl wird ebenfalls durch eine drehmomentenbasierte Drehzahlregelung verhindert. Die hierbei verwendete Strategie schließt beim Ottomotor neben Zündungs- und Drosselklappeneingriffen auch eine teilweise oder vollständige Einspritzausblendung mit ein. Auch der Dieselmotor benötigt eine Drehzahlregelfunktion, um die Kraftstoffförderung und die Soll-Drehzahl des Motors zu koordinieren, damit beispielsweise bei sinkender Drehzahl oder steigender Belastung eine angepasste Kraftstoffmengenzumessung erfolgen kann. Der Sollwert kann dabei abhängig von der Temperatur (z.B. nach einem Kaltstart) und der Belastung nachgeführt werden, etwa wenn die elektrische Energieanforderung eines Hochstromverbrauchers eine höhere Generatorlast bedingt. Da beim Dieselmotor im Allgemeinen keine Drosselung der zuströmenden Frischluftmenge stattfindet, hängt die vom Motor innerhalb der Grenzen des eingespritzten Kraftstoffes erreichbare Drehzahl allein von der aktuellen Motorbelastung ab. Ohne Belastung und bei hoher Einspritzmenge kann der Motor daher prinzipiell bis zur mechanischen Zerstörung hochdrehen. Wegen dieser mangelnden Eigenstabilität wird bei Pkw-Dieselmotoren sowohl der Leerlauf als auch die zulässige obere Drehzahl geregelt. Eingriffe erfolgen durch den LeerlaufEnddrehzahlregler (auch Fahrzeugregler genannt), der im unteren Drehzahlband die Soll-Drehzahl des Leerlaufs einstellt und am oberen Ende des zulässigen Drehzahlbereichs abregelt [17]. In dem Drehzahlband zwischen unterer und oberer Grenze ist der Regler inaktiv. Hier regelt der Fahrer über seinen Pedalwunsch. Bei Nutzfahrzeugdieselmotoren ist eine permanente Regelung üblich, um eine bestimmte Drehzahl oder Fahrgeschwindigkeit lastunabhängig einhalten zu können. Für Regionen mit stark wechselnden Straßenhöhenprofilen (Passstraßen, Hochge-
14 birge) gleicht ein Algorithmus der Drehzahlregelfunktion die Volllastkraftstoffmenge an den Umgebungsluftdruck an, um ein Übersteigen der Schwarzrauchgrenze durch mangelnde Luftfüllung im Brennraum zu verhindern. Zylindergleichlaufregelung Beim Dieselmotor und beim direkteinspritzenden Ottomotor können Fertigungstoleranzen elektromechanischer Komponenten der Einspritzung sowie Verschleiß wegen der extrem hohen Anforderungen an die Genauigkeit der Einspritzung zu Unterschieden zwischen den Nutzmomenten der einzelnen Zylinder führen. Um daraus resultierende Drehzahlschwankungen und Rauigkeiten auszugleichen, tariert die Funktion der Zylindergleichlaufregelung (Cylinder Balancing) solche Momentenunterschiede innerhalb eines definierten Bereichs aus. Dazu wird die Einspritzmenge im unteren Leistungsbereich zylinderindividuell angepasst. Beim direkteinspritzenden Ottomotor erfolgt zudem eine Auswertung des O-SondenSignals. Durch eine Zuordnung der Sondeninformation zu den einzelnen Zylindern ist eine zylinderselektive Einspritzmengenanpassung möglich. 2.1.2.2.4 Verbrennungsartumschaltung Die drehmomentbasierte Funktionsstruktur (vgl. Abschnitt 2.1.2.2) schafft die Voraussetzung dafür, einen Übergang von quantitativer zu qualitativer Regelung ohne Drehmomentveränderung an der Kurbelwelle zu realisieren. Ein spezieller Softwarebestandteil (Verbrennungsart-Manager, Combustion Manager) schaltet dazu anhand von Drehmomentschwellwerten von einer Verbrennungsform zur anderen um (Bild 2-10).
Bild 2-10: Strukturübersicht der Betriebsarten bei OttoDirekteinspritzung
Von quantitativer Reglung spricht man beim Ottomotor, solange die Motorlast durch Veränderung des Querschnitts für das Einströmen des Luft-KraftstoffGemischs (Drosselklappe) gesteuert wird. Da die Zusammensetzung des Gemischs in erster Näherung konstant ist, bestimmt die einströmende Menge
2 Motor und Antriebsstrang (Quantität) die Last, daher der Begriff Quantitätsregelung. Bei der qualitativen Regelung, wie sie für den Dieselmotor grundsätzlich zutrifft, für den Ottomotor nur bei Schichtladung (siehe unten) oder Mager-Mix, wird dagegen die Zusammensetzung des LuftKraftstoff-Gemischs lastabhängig gesteuert. Dabei wird im homogenen Bereich zwischen stöchiometrischem Betrieb und homogenem Magerbetrieb (O > 1) unterschieden. Die Entscheidungsfindung über die jeweils optimale Betriebsart gehört ebenfalls zum Funktionsumfang des Softwaremoduls Verbrennungsart-Manager. Bild 2-11 zeigt die Entscheidungsketten, die zur Definition der optimalen Verbrennungsform führen. Der geschichtete Betrieb (S) hat dabei grundsätzlich die oberste Priorität. Als geschichteten Betrieb bezeichnet man eine Form der Direkteinspritzung, bei der die Kraftstoffzumessung und Strahlaufbereitung so definiert sind, dass nur in unmittelbarer Nähe zur Zündkerze ein Bereich mit zündfähigem Gemisch entsteht. Diese so genannte Schichtladung dient dazu, den Verbrauch im Schubbetrieb und bei niedriger Teillast zu senken. Solange alle drei Betriebsarten zulässig sind, schaltet der Verbrennungsart-Manager auf Schichtladung (S). Solange homogener Betrieb bei O = 1 (in Bild 2-11 als AFS bezeichnet) und Magerbetrieb (AFL) zulässig sind, schaltet der Manager auf Magerbetrieb. Die Umschaltung auf stöchiometrischen Betrieb (AFS) erfolgt nur, wenn die beiden anderen Verbrennungsarten aufgrund intervenierender Faktoren, wie Drehmomentanforderungen, Diagnosefunktionen etc., nicht zulässig sind. Der Motor wird im stöchiometrischen Betrieb (AFS) gestartet. Wenn keine intervenierenden Faktoren dagegen sprechen, wird die Umschaltung auf Schichtbetrieb (S) vorbereitet. Zündung, Einspritzung, AGR-Rate (Abgasrückführung) und Drallklappen werden auf die Sollwerte für Schichtladebetrieb eingeregelt. Sobald der Luftmassenstrom die erforderliche Schwelle erreicht, wird der Schichtladebetrieb ausgeführt. Die Rückumschaltung der Aktoren auf homogenen Betrieb (AFS) erfolgt, sobald ein Drehmoment angefordert wird, das im Schichtladebetrieb nicht bereitgestellt werden kann. Lassen die zahlreichen Einflussfaktoren der drehmomentbasierten Funktionsstruktur keine Schichtladung, jedoch einen Magerbetrieb zu, erfolgt die entsprechende Umschaltung (AFL).
2.1 Motormanagement
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Bild 2-11: Entscheidungszusammenhänge innerhalb eines Verbrennungsart-Managers: S geschichteter Betrieb, AFL Magerbetrieb, AFS stöchiometrischer Bedtrieb
2.1.2.3 Füllungssteuerung 2.1.2.3.1 Saugrohrmodell Die Frischgasfüllung ist die Haupteinflussgröße auf das Nutzmoment des Ottomotors im stöchiometrischhomogenen Betrieb und Voraussetzung zur Bestimmung der erforderlichen Einspritzmenge. Deshalb besteht eine der zentralen Funktionen des Motorsteuergeräts darin, die Füllungsmenge im Saugrohr und im Zylinder zu erfassen beziehungsweise zu berechnen. Diese Füllungsbestimmung erfolgt mit dem so genannten Saugrohrmodell. Bei der modellbasierten Füllungserfassung des Ottomotors dient die aktuelle Stellung der Drosselklappe im Saugrohr in Relation zur Motordrehzahl dazu, den Luftmassenstrom in das Saugrohr zu berechnen. Als Grundlage dient ein Potentiometersignal, dessen Höhe der jeweiligen Drosselklappenstellung entspricht. Wegen der rechnerischen Richtung spricht man hier vom Vorwärtspfad des Modells. Die in den Zylinder abfließende Luftmasse wird aus einem Kennlinienfeld ermittelt. Der Saugrohrdruck ergibt sich aus der allgemeinen Gasgleichung. Auf Messgrößen (gemessene Luftmas-
se) beruhende Adaptionsverfahren dienen dazu, Modellparameter wie den Umgebungsdruck zu korrigieren. Da das rechnerische Modell des Saugrohrs invertierbar ist (man spricht im invertierten Fall vom Rückwärtspfad), eignet es sich auch zur Bestimmung der Drosselklappen-Soll-Stellung: Dazu wird aus der Drehmomentanforderung rückwärts gerechnet, welche Drosselklappen-Soll-Stellung dem FüllungsSollwert für das erwünschte Drehmoment entspricht. Diese Stellung der Drosselklappe wird durch Ansteuerung des Stellglieds realisiert. Bild 2-12 zeigt die Struktur des Regelkreises. Da die Drehmomentabgabe eines Ottomotors mit homogener Verbrennung direkt und linear von der Füllung abhängt, kann über die Drosselklappenregelung der Momentenwunsch des Fahrers erfüllt werden. Bei aufgeladenen Ottomotoren erfolgt zusätzlich die Berechnung eines für den Füllungs-Sollwert notwendigen Soll-Ladedruckes, der als Führungsgröße in der Ladedruckregelung verwendet wird.
Bild 2-12: Regelkreis der elektronischen Drosselklappenregelung
16 Beim Dieselmotor wird die Füllung primär über das Abgasrückführventil geregelt. Da kein enges Toleranzfenster um O = 1 eingehalten werden muss, sind die Anforderungen an die Zumessgenauigkeit etwas geringer, allerdings ist die Komplexität wegen der Vielzahl an Komponenten (Abgasrückführventil, regelbarer Turbolader, ggf. schaltbarer Abgasrückführkühler und Bypass des Ladeluftkühlers) ungleich größer. Um künftige Abgasanforderungen zu erfüllen, kommt der exakten Luftzumessung im instationären Betrieb eine sehr wichtige Rolle zu. Deshalb, und um den Bedatungsaufwand für das Steuergerät zu reduzieren, wird auch beim Dieselmotor verstärkt auf modellbasierte Strategien zurückgegriffen. Da für jeden Betriebspunkt Vorgaben im Steuergerät hinterlegt werden müssen und die Kennfelder in der Regel mehrdimensional sind (z.B. Sollwerte, abhängig von Druck und Temperatur), steigt der Zeitaufwand für diese Bedatung (Kalibrierung) mit der Systemkomplexität stark an. Bei Ottomotoren mit Schichtladung sowie bei Dieselmotoren ist die Funktion eines Drosselklappenstellglieds erforderlich, um durch Androsseln gezielt Unterdruck im Saugrohr zu erzeugen. Dieser Unterdruck steht dann für den Unterdruckbremskraftverstärker, zur Einspeisung von Blow-by-Gasen aus dem Kurbelgehäuse (Verbrennungsgase, die das dynamische Dichtsystem aus Kolbennuten, Kolbenringen und Zylinderlaufbahn passieren und so ins Kurbelgehäuse gelangen), die Regenerierung eines Aktivkohlebehälters für Kraftstoffdämpfe und zum Ansaugen von Abgas im Zuge der Abgasrückführung zur Verfügung. Die Regel- und Stellaufgaben für dieses Androsseln entsprechen im Wesentlichen denen der Füllungssteuerung. 2.1.2.3.2 Ladedruckregelung Die Aufladung von Motoren mit einem Abgasturbolader (vom Abgas angetriebener Verdichter) dient entweder dazu, ohne Hubraumzunahme eine Leistungs- und Drehmomentsteigerung zu erzielen, oder innerhalb eines Downsizing-Konzepts bei verringertem Hubraum und verlängerter Hinterachsübersetzung Verbrauchsabsenkungen ohne Leistungsverluste zu realisieren. Beim Dieselmotor stellt der Turbolader eine mittlerweile unverzichtbare Maßnahme zur Emissionsreduzierung dar, um ausreichend Luftsauerstoff für eine rußarme Verbrennung anzubieten. Im Ottomotor werden meist kleine Lader verwendet, weil sie bereits bei niedrigen Drehzahlen und geringem Abgasmassenstrom einen relativ hohen Ladedruck liefern und somit schneller ansprechen. Im oberen Drehzahlbereich ist jedoch wegen der großen Spreizung des Abgasmassenstroms über das Drehzahlband eine Funktion im Motorsteuergerät erforderlich, die elektropneumatische Stellglieder ansteuert: Bei zu hohem Ladedruck wird entweder durch ein Schubumluftventil verdichtete Luft abgeblasen oder
2 Motor und Antriebsstrang ein Teil des Abgases durch ein Bypass-Ventil (Waste-Gate) an der Laderturbine vorbeiführt. Die Regelgröße ist dabei meist der Ladedruck. Im Teillastbereich reduziert ein Öffnen des Bypass-Ventils den Abgasgegendruck, der zwischen Brennraum und Turbine herrscht. Die Ladedruckregelung nimmt damit Einfluss auf den Verbrauch in der Teillast, weil die Ausschiebearbeit des Motors sinkt. Beim Dieselmotor erlaubt die im Verhältnis zur ottomotorischen Verbrennung niedrigere Abgastemperatur auch eine Regelung des Ladedrucks mit Hilfe einer verstellbaren Turbinengeometrie in Verbindung mit einem Waste-Gate. Diese ermöglicht einen wesentlich breiteren Betriebsbereich und trägt damit maßgeblich zu der beliebten Drehmomentcharakteristik moderner Dieselmotoren bei. Die elektronische Ladedruckregelung, die auf das Stellglied für die Verstellung der variablen Turbinengeometrie zugreift, ist mit weiteren Funktionen wie der Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung, vernetzt, um Wechselwirkungen zwischen den Systemen koordinieren zu können. Da der Ladedruck großen Einfluss auf das Emissionsverhalten hat, werden künftig auch komplexe Aufladekonzepte, wie Registerturbolader (Aufladung mit zwei oder mehr Ladern, wobei der Abgasstrom bei niedrigen Drehzahlen nur eine Turbine durchströmt, bei höheren Drehzahlen weitere Turbinen), zunehmend Verwendung finden. Der Aufwand für die Funktionsbedatung einer Ladedruckregelung ist erheblich (Funktion und Daten zusammen können bei 18000 Parametern rund 180 kByte RAM belegen), sodass eine modellbasierte Funktion schnellere Anpassungen an einen Motor erlaubt. Modellbasierte Funktionen für die Aufladeregelung sollen zudem helfen, die Komplexität der Steuervorgänge insbesondere unter dem Aspekt der Diagnosefähigkeiten zu beherrschen ([18], [19]). Um die Kalibrierung zu vereinfachen, wird das Verhalten des Abgasturboladers als physikalischer Wirkungszusammenhang vom Verdichtereintritt bis zum Turbinenaustritt in Funktionsblöcken dargestellt. Zur Modellierung der Motorsystemgrößen und zum Abgleich der einzelnen Teilmodelle werden Sensoren genutzt. Die modellbasierte Ladedruckregelung (Bild 2-13), erfasst die relevanten Zustandsgrößen und berechnet deren Auswirkungen im Voraus. Aus den Messgrößen und den Modellparameter werden die Verdichterdrehzahl und die Verdichterkenngrößen errechnet. So werden die markanten Zustandsgrößen des Verdichters erkannt und damit die Möglichkeit eröffnet, kritische Zustände, wie Pumpen (mit typischem Geräusch einhergehende, periodische Strömungsumkehr, verursacht durch zu kleinen Volumenstrom bei zu großem Druckquotienten) und Stopfen (erreicht der Luftstrom im Lader Schallgeschwindigkeit, ist keine weitere Steigerung des Volumenstroms möglich), durch Steuerungseingriffe zu verhindern.
2.1 Motormanagement
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Bild 2-13: Modellbasierte Ladedruckregelung
Die Möglichkeit, Zustandsgrößen des Turboladers zu schätzen, erweitert den Einfluss des Motorsteuergeräts auf Fahrbarkeit und Leistung. Weil die Abbildung der Laderstruktur im Motorsteuergerät modular aufgebaut ist, lässt sie sich gut an unterschiedliche Konfigurationen und Funktionsumfänge anpassen. Dazu zählen beispielsweise unterschiedliche elektrische Ansteuerungen oder variable Turbinenkonzepte, verschiedene Sensorkonzepte, aber auch Anwendungsgebiete wie Stufenaufladung [20] und die Abschätzung des Gesamtwirkungsgrades. 2.1.2.3.3 Abgasrückführung Mit der Rückführung von Abgas in den Ansaugtrakt (Abgasrückführung, AGR; Exhaust Gas Recirculation, EGR) lassen sich die NOx-Emissionen deutlich senken, weil der erhöhte Inertgasanteil im Zylinder durch Ladungsverdünnung sowohl die Brenngeschwindigkeit als auch die Verbrennungsspitzentemperatur senkt. In Motoren mit variabler Ventilsteuerung lässt sich die Abgasrückführung intern realisieren, weil hier die Überschneidung der Einlass- und Auslassventilöffnungszeiten gesteuert werden kann. Sonst erfolgt die Abgasrückführung extern über ein elektrisch angesteuertes Abgasrückführventil. Um im Ottomotor ein Ansteigen der HC-Emissionen und negative Einflüsse auf die Laufruhe durch zu hohe Abgasrückführraten zu vermeiden, muss die Abgasrückführung gesteuert werden. Das kann in Form eines Soll-Kennfelds geschehen, das die Abgasrückführung in Relation zum angeforderten Moment und der Motordrehzahl steuert. Im Schichtladebetrieb kann es erforderlich sein, durch Androsseln einen Unterdruck zu erzeugen, um extern Abgas zuführen zu können.
Im Dieselmotor beeinflusst die Abgasrückführung (Rückführraten liegen hier bis zu 60 %) die Rußemissionen. Deshalb ist das Abgasrückführventil hier überwiegend mit einem Positionssensor ausgestattet, der eine genaue Bestimmung der Ventilposition und damit eine hohe Regelgenauigkeit erlaubt. Als Regelgröße für die Abgasrückführung dient das Signal eines mikromechanischen Luftmassensensors (Näheres in Kapitel 11) im Ansaugtrakt. Da es eine Wechselwirkung zwischen Ladedruck sowie Abgasgegendruck einerseits und der Abgasrückführrate andererseits gibt, muss der Einfluss von Ladedruckschwankungen auf die Abgasrückführung beispielsweise bei Konzepten mit variabler Turbinengeometrie regelungstechnisch ausgeglichen werden. Schon früh wurden dazu Konzepte mit modellgestützter prädiktiver Mehrgrößenregelung [21] vorgeschlagen. Diese Einflüsse werden in modernen modellbasierten Ansätzen berücksichtigt. 2.1.2.3.4 Weitere Aktoren zur Füllungssteuerung Die steigende Komplexität des modernen, elektronischen Motormanagements hängt eng mit der Zahl der möglichen Stelleingriffe und damit der Aktoren zusammen. Im Ottomotor zählt hierzu beispielsweise die kontinuierliche oder diskontinuierliche variable Ventilsteuerung (Variabler Ventiltrieb, VVT), die unter anderem Voraussetzung für die innere Abgasrückführung ist. Um die Richtung und Geschwindigkeit der Ladungsbewegung an die Last und Drehzahl anzupassen, werden neben dem variablen Ventilhub auch Drallklappen als Stellglieder genutzt. Durch das Schließen eines von mehreren Einlasskanälen beispielsweise wird in Betriebsbereichen mit geringem Luftdurchsatz die Drallsteuerung optimiert.
18 Um die Länge und Geometrie des Saugrohrs je nach der Motordrehzahl verstellen zu können, werden so genannte Schaltsaugrohre eingesetzt. Eine gebräuchliche Variante sind zusätzliche Drosselklappen. Entsprechende Lösungen gibt es sowohl im Ottomotor als auch im Dieselmotor [22]. Zusätzliche Schaltklappen für den Ladeluftkühler dienen dazu, die Temperatur der Ladeluft einzustellen. Im Dieselmotor umfasst die Liste der möglichen, weiteren Aktoren ein Stellglied für Turbolader mit variabler Turbinengeometrie sowie ggfs. mehrstufige Aufladungskonzepte und einen Bypass des Ladeluftkühlers. In Niedrigemissionskonzepten wird außerdem zunehmend ein Bypass für den Abgasrückführungskühler eingesetzt. Ferner kommen analog zum Ottomotor auch im Dieselmotor zunehmend Drallklappen als Stellglieder zum Einsatz. Schließlich kann zur Unterstützung hoher Abgasrückführraten und zur Partikelfilterregeneration eine Drosselklappe dienen. 2.1.2.4 Zündung Leistungsfähige elektronische Zündsteuerungssysteme sind Bestandteil eines modernen Motorsteuergeräts. Aktuelle Systeme arbeiten zum großen Teil nach dem Prinzip einer ruhenden Hochspannungsverteilung ohne bewegliche Komponenten (d.h. ohne Verteiler). Aufgabe der Zündsteuerung im Ottomotor ist es, aus externen und internen Zündwinkelanforderungen einen koordinierten Sollwert zu bestimmen und die Zündsignale in der richtigen Folge über die Zündendstufen an die Einzelspulen auszugeben.
2 Motor und Antriebsstrang 2.1.2.4.1 Ermittlung des Sollwerts für den Zündzeitpunkt Beim Ottomotor im Homogenbetrieb wird der Sollwert für den Zündwinkel in der drehmomentbasierten Funktionsstruktur (vgl. Abschnitt 2.1.2.2) bestimmt. Dieser drehmomentbasierte Sollwert wird in der Zündungssteuerung in Richtung früh auf einen Basis-Zündwinkel und in Richtung spät auf einen Minimal-Zündwinkel limitiert (Bild 2-14). Der Basis-Zündwinkel ergibt sich aus dem Kennfeldwert für den maximalen Wirkungsgrad unter Berücksichtigung der Ansauglufttemperatur, des Luft-Kraftstoffverhältnisses, der Abgasrückführung und der Klopfbegrenzung, der Minimal-Zündwinkel aus den begrenzenden Kennfeldvorgaben für die zulässige Temperatur und die erwünschte Laufruhe. Ein übergeordneter Zustandsautomat (dynamischer Drehmomentmanager) kann in definierten Betriebszuständen drehmomentbasierte Zündwinkeleingriffe deaktivieren und den Basis-Zündwinkel als Sollwert vorgeben. Dadurch ist ein verbrauchsoptimierter Motorbetrieb möglich. Die Klopfregelung (vgl. Abschnitt 2.1.2.4.2) wirkt direkt auf den Basis-Zündwinkel und beeinflusst damit die Früh-Limitierung des zulässigen Zündwinkelfensters. Induktions- oder Hallgeber an der Kurbelwelle und an der Nockenwelle liefern die nötigen Informationen, um den Zündzeitpunkt mit dem Kurbelwinkel und dem Arbeitstakt der Zylinder zu synchronisieren. Bei einem Ottomotor, der mit Schichtladung betrieben wird, ist der Sollwert für den Zündzeitpunkt für jeden Lastpunkt des Motors fest in einem Kennfeld definiert, d.h. es liegt für jede gegebene Einspritzmenge ein optimaler Zündwinkel vor. Bei Betrieb mit Ladungsschichtung wird der Zündwinkel-Sollwert aus einem last- und drehzahlabhängigen Kennfeld ermittelt. Die Werte in diesem Kennfeld stehen in enger Wechselwirkung mit den Werten für das Einspritz-Phasing (vgl. Abschnitt 2.1.2.5.1).
Bild 2-14: Ermittlung des Zündzeitpunkt-Sollwertes im Homogenbetrieb
2.1 Motormanagement Da die Drehmomenteneingriffe im Schichtbetrieb über eine Einspritzmengenanpassung dargestellt werden, sind drehmomentenbasierte Zündwinkeleingriffe nicht notwendig. Der Motor kann in dem Fall immer mit dem für die gegebene Einspritzmenge und dem gegebenen Einspritz-Phasing optimalen Zündwinkel betrieben werden. 2.1.2.4.2 Klopfregelung Ein geschlossener Regelkreis verhindert im fremdgezündeten Motor die Selbstzündung (klopfende Verbrennung) mit ihren unerwünscht hohen Druckspitzen. Das Regelziel besteht darin, den Motor möglichst dicht an der Klopfgrenze zu betreiben, weil so der beste Wirkungsgrad erzielt wird. Als Signal kann prinzipiell entweder der Druckverlauf im Brennraum dienen, der Lichtverlauf im Brennraum, der Ionenstrom im Brennraum oder der Beschleunigungsverlauf am Kurbelgehäuse >23@. In der Großserie wird bisher überwiegend das vom Beschleunigungsverlauf erzeugte Körperschallsignal des Zylinderkurbelwellengehäuses als Resultat von Brennraumdruckschwingungen erfasst und (über die Kurbelwinkelstellung) zylinderselektiv ausgewertet. Das Rohsignal eines Piezo-Sensors wird in einem Klopf-IC aufbereitet und in einem Mikrocontroller mit hinterlegten, motorspezifischen Klopfgrenzwerten für den Körperschall verglichen. Erkennt der Mikrocontroller an der Höhe des Klopfsignals eine Grenzwertüberschreitung, gibt er bei nicht aufgeladenen und bei aufgeladenen Motoren ein Korrektursignal für den Zündwinkel Richtung spät aus, das mit der Höhe des Klopfsignals korreliert. Bei aufgeladenen Motoren wird zusätzlich ein Korrektursignal für den Ladedruck ausgegeben. 2.1.2.4.3 Schnittstellen zur Basis-Software In die elektronische Steuerung der Zündung ist eine Schließwinkelsteuerung integriert, die vom errechneten Soll-Zündzeitpunkt aus rückwärts den dazugehörigen Schließbeginn der jeweiligen Leistungstransistorendstufe für den Primärkreis bestimmt, damit bis zum Zündzeitpunkt der nötige Strom im Primärkreis der angesteuerten Zündspule erreicht ist (ausreichende Aufladezeit). Die Schließzeiten sind für alle Betriebspunkte in einem Schließwinkelkennfeld hinterlegt, das Motordrehzahl und Batteriespannung berücksichtigt. Die Schließzeit ergibt sich aus dem Energiebedarf der Zündung, der wiederum von der Zylinderfüllung und der Kompression abhängig ist. Bei bestimmten Betriebszuständen, wie etwa beim Motorstart, bei Magerbetrieb und bei vordefinierten Last- oder Drehzahlbereichen erfolgt eine Mehrfachzündung.
19 2.1.2.5 Einspritzung Das Einspritzsystem spielt für die Senkung des Kraftstoffverbrauchs und die innermotorische Emissionsminderung eine zentrale Rolle. Neue Brennverfahren im Ottomotor und neue Aktoren [24] im Otto- und im Dieselmotor eröffnen hier zusätzliche Verbesserungsmöglichkeiten, stellen aber höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Motorsteuergeräts (Rechenkapazität der Prozessoren). Ein Beispiel liefert die Echtzeit-Regelung des Ansteuerstroms, mit der sich der zylinderindividuell geregelte Teilhub einer Injektornadel in einem Dieselmotor mit Piezo-Pumpe-DüseSystem realisieren lässt ([11], [22]). Unabhängig vom Motortyp stellen Piezo-Aktoren höhere Anforderungen an die Steuereinheit, weil die Vorteile der PiezoTechnik nur mit einer leistungsfähigen Steuerung nutzbar sind, die insbesondere optimale Strom- und Spannungsverläufe der Ansteuerung berechnet und unerwünschte Effekte des Aktorprinzips kompensiert [25]. 2.1.2.5.1 Ottomotor mit Direkteinspritzung Soll-Einspritzmenge In Ottomotoren mit Direkteinspritzung umfasst die Einspritzmengenzumessung zwei Betriebszustände: Im homogenen Modus wird quantitativ geregelt. Zu der auf dem Vorwärtspfad des Saugrohrmodells ermittelten Ist-Füllung des Motors wird eine für das gewünschte Luft-Kraftstoffgemisch notwendige Kraftstoffmenge zugemessen. In diesem Betriebsmodus unterscheidet sich der Otto-Direkteinspritzer nicht grundsätzlich vom Saugrohreinspritzer mit stöchiometrischem Betrieb O = 1. Im geschichteten Betrieb bei hohem Luftüberschuss (O > 1,5) wird dagegen qualitativ geregelt. Die Einspritzmenge ist momentenbasiert und eine Ausgangsgröße des Rückwärtspfades des Momentenmodells. Das erforderliche Drehmoment an der Kurbelwelle dient hier zur Definition der Kraftstoff-SollEinspritzmenge. Damit entspricht die Regelaufgabe in diesem Betriebsmodus den Gegebenheiten im Dieselmotor. Einspritz-Phasing Unter Einspritz-Phasing versteht man die Steuerung der kurbelwinkelbezogenen Position des Einspritzpulses vom Spritzbeginn bis zum Spritzende. Beginn und Ende der Einspritzung im Otto-Direkteinspritzer steuert das Motorsteuergerät abhängig von der Verbrennungsart. Im homogenen Betrieb beginnt die Einspritzung früh während des Ansaugtrakts, damit sich Luft und Kraftstoff gut vermischen. Im Schichtladebetrieb erfolgt die Einspritzung dagegen möglichst spät, d.h. erst am Ende des Kompressionstakts. Ein zündfähiges Gemisch entsteht dabei nur in unmittelbarer Nähe zur Zündkerze, sodass Einspritzende und Zündzeitpunkt innerhalb eines sehr kurzen Zeit-
20 fensters liegen. Da Beginn und Ende der Einspritzung davon abhängig sind, welche Menge an Kraftstoff zugemessen werden muss, definieren die Einspritzdauer und der Zündzeitpunkt den spätesten, möglichen Spritzbeginn. Da selbst kleine Änderungen der Einspritzmenge großen Einfluss auf die Rohemissionen haben, sind die Ansprüche an die Regelgenauigkeit bei der Direkteinspritzung mit Schichtladung hoch. Besonders gilt das für strahlgeführte Brennverfahren, bei denen die Kontrolle über den Einspritzvorgang hochgenau sein muss, um einen aussetzerfreien Betrieb, ein optimal niedriges Niveau bei den Rohemissionen und gute Voraussetzungen für die Abgasnachbehandlung zu erzielen. Die Anforderungen an den Einspritzdruck, an die Genauigkeit der Kraftstoffzumessung, an die Strahlaufbereitung, an das stabile Strahlbild. sowie vor allem an die Genauigkeit des Einspritzzeitpunktes haben dazu geführt, dass die beim direkteinspritzenden Dieselmotor bereits seit dem Jahr 2000 in Serie befindliche Einspritzung mit Piezo-Aktor >26@ seit dem Jahr 2006 auch bei Ottomotoren mit Direkteinspritzung zum Einsatz kommt [14]. Die genannte Lösung basiert auf einem 32-Bit-Motorsteuergerät und der in Abschnitt 2.3.4.3 beschriebenen Plattformarchitektur. Eine flexible Gestaltung brennverfahrensrelevanter Parameter ist hier möglich, weil das Motorsteuergerät unter anderem einen weitgehend frei definierbaren Nadelhub (Hubhöhe und -geschwindigkeit) sowie Mehrfacheinspritzungen mit bis zu drei Einspritzimpulsen pro Zylinder und Arbeitszyklus bietet. Die Nadelöffnungs- und Nadelschließgeschwindigkeit kann für jeden Zylinder individuell eingestellt werden, indem die Rampensteilheit während der Ladung und Entladung des Piezo-Aktors entsprechend gesteuert wird. Bei Mehrfacheinspritzungen im unteren und mittleren Lastbereich wird die Lage der Einspritzimpulse an die Erfordernisse des Brennverfahrens sowie der Abgasnachbehandlung angepasst. Weil das Spannungsniveau bei geladenem PiezoAktor mit dem Nadelhub korreliert, kann das Motorsteuergerät den Hub durch Anpassung des Spannungsniveaus bei Ladung und Entladung in einem relativ weiten Bereich einstellen. Auf diese Weise lässt sich über den Teilnadelhub eine präzise und wiederholgenaue Einspritzung von Kleinstmengen darstellen. Fertigungsbedingte Unterschiede in den Injektordurchflüssen lassen sich durch die Nadelhubanpassung auf eine gemeinsame Durchflusskennlinie justieren. Ein wesentlicher Vorteil der Piezo-Aktorik liegt darin, dass die elektrischen Kenngrößen des Aktors erfasst werden können und damit einerseits eine geregelte Ansteuerung möglich ist, andererseits die erforderliche Funktionsüberwachung (On-BoardDiagnose) realisiert werden kann.
2 Motor und Antriebsstrang Kraftstoffdrucksteuerung Mit einem steigenden Einspritzdruck steigt auch die Güte der Kraftstoffzerstäubung. Bei neuen Brennverfahren, wie der strahlgeführten Verbrennung, sind auch im Ottomotor bereits Einspritzdrücke bis zu 20 MPa erforderlich, um im Schichtladebetrieb Sauterdurchmesser von beispielsweise 15 µm und damit ein zündfähiges Gemisch zu erzielen. Der Sauterdurchmesser bezeichnet den Durchmesser eines Tröpfchens, der das gleiche Verhältnis von Volumen zu Oberfläche hat wie der betrachtete zerstäubte Kraftstoff. Da die Antriebsleistung der erforderlichen Hochdruckpumpe jedoch den Kraftstoffverbrauch erhöht, muss das Motorsteuergerät beide Auswirkungen für jeden Betriebszustand ausbalancieren. Da der Vorlaufdruck in der Kraftstoffleitung zur Dosierung konstant gehalten werden muss, ist ein Bypass-Ventil als Kraftstoffdruckregler (Proportionalregler) in den Kraftstoffkreislauf eingebaut. Pulsationen und Einflüsse schneller Lastwechsel, die vom Druckregler nicht ausgeglichen werden können, kompensiert ein zusätzlicher Kraftstoffdruckdämpfer. Startfunktionen Während der Startphase muss das Motorsteuergerät im direkteinspritzenden Ottomotor folgende Aufgaben erfüllen: Synchronisation der Informationen von Kurbelwellen- und Nockenwellensensor und frühestmögliche Bereitstellung der Lageinformationen der einzelnen Zylinder, Berechnung einer von der Starttemperatur abhängigen Korrekturmenge für die Einspritzung (Kaltstartanreicherung), um einen teilweisen Niederschlag des Kraftstoffes auf kalten metallischen Oberflächen zu kompensieren, Berechnung von Einspritzzeit und Einspritz-Phasing, u.a. abhängig von Drehzahl, Last, Kühlwassertemperatur und Anzahl der Arbeitsspiele, unter Berücksichtigung der gewählten Startstrategie (Hochdruckstart, Niederdruckstart) Einbringung der Einspritzmenge in den nächstmöglichen Zylinder. Der Zylinder mit der ersten Einspritzung wird so gewählt, dass ein Einspritzen in ein offenes Auslassventil auf jeden Fall vermieden wird. Zündzeitpunkt und Drosselklappenposition sind in der Startphase fest vorgegeben. Erst nach dem Motorhochlauf und dem Überschreiten einer definierten Drehzahlschwelle erfolgt die Umschaltung auf die Sollwerte der Drehmomentenstruktur. Im Warmbetrieb erfolgt die Kompensation des Wandniederschlags bei der Berechnung der Einspritzmenge basierend auf einem Wandbenetzungsmodell. Will man die Entstehung von HC-Emissionen in der Kaltstartphase innermotorisch begrenzen, so ist eine Steuerung erforderlich, die flexibel auf sich sehr schnell verändernde Randbedingen instationärer
2.1 Motormanagement Vorgänge reagieren kann. Ein vorgeschlagener Lösungsweg besteht in der zylinderdruckverlaufsbasierten Steuerung mit einem thermodynamisch basierten Ansteuermodell für den Kaltstart. Die Kraftstoffmasse wird dabei mit dem Ziel der möglichst geringen Anreicherung zugemessen und der Zündzeitpunkt zyklusindividuell angepasst, um den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen zu senken [27]. 2.1.2.5.2 Ottomotor mit Saugrohreinspritzung Bei einem Ottomotor mit Saugrohreinspritzung erfolgt die Einspritzmengenberechnung analog zu der im direkteinspritzenden Ottomotor im Homogenbetrieb. Beginn und Ende der Einspritzung sind für die verschiedenen Betriebspunkte in Kennfeldern des Motorsteuergeräts abgelegt. Mit einem Betriebsdruck von rund 350 kPa (mit Rücklauf oder rücklauffrei) stellt das Kraftstoffsystem jedoch wesentlich geringere Anforderungen an die elektronische Steuerung als das Hochdrucksystem des direkteinspritzenden Ottomotors. Die Druckregelung erfolgt beim Saugrohreinspritzer über ein Druckregelventil, in dem eine Druckmembran mit dem Saugrohrdruck beaufschlagt wird. 2.1.2.5.3 Dieselmotor Die Fahrbarkeit des Dieselmotors wird maßgeblich von der Einspritzung definiert. Für die Umsetzung des Fahrerwunsches in das erforderliche Motordrehmoment spielt die Steuerung und Regelung der Einspritzung daher eine zentrale Rolle. Auch emissionsund geräuscharme Verbrennungsvorgänge lassen sich beim Dieselmotor nur realisieren, weil immer leistungsfähigere Motorsteuergeräte in Verbindung mit
21 schnelleren Aktoren und hoch entwickelten Steuerund Regelfunktionen mehr Flexibilität bei der Zahl der einzelnen Vor-, Haupt- und Nacheinspritzungen, deren Zumessgenauigkeit (zum Beispiel bei der Voreinspritzung ± 0,5 mm3 je Hub, bei der Haupt- und der Nacheinspritzung ± 0,7 mm3 je Hub [11]) sowie der zeitlicher Anordnung und der Spritzverläufe ermöglichen (Bild 2-15). Bei Euro 4 Piezo-PumpeDüse-Elementen auf dem Entwicklungsstand von 2005 waren beispielsweise bereits flexible Mehrfacheinspritzungen mit 1,5 mm3 Mindesteinspritzmenge (bei Voreinspritzung) und hoher Wiederholgenauigkeit in der Serie realisiert [11]. Zu den hauptsächlichen Entwicklungstreibern bei der Einspritzsteuerung zählen neben der Akustik die Emissionswerte und der Kraftstoffverbrauch. Seit der zunehmenden Verwendung von Injektoren und Pumpe-Düse-Elementen mit Piezo-Aktorik in Vielschichtkeramikbauweise hat sich die Steuerungssituation insofern verändert, als nun nicht mehr die elektromechanischen Grenzen der Magnetventile definieren, wie detailliert der Auslenkungsverlauf und die Endauslenkung der Düsennadel und des Steuerventils gesteuert werden, sondern die Prozessorkapazität des Motorsteuergeräts. Ein Novum stellt die Möglichkeit dar, den Aktor zugleich als Geber zur laufenden Beobachtung des Lastspiels während des Einspritzvorgangs zu verwenden. Dazu sind präzise Simulationsmodelle des genauen elektrischen und mechanischen Aktorverhaltens unter allen Betriebsbedingungen erforderlich, denn die tatsächliche Auslenkung des Aktors ist im Motor aktuell nicht sensierbar.
Bild 2-15: Strategien für Mehrfacheinspritzung: Die rechts oben abgebildete Mehrfacheinspritzung wird unabhängig vom Betriebspunkt zur Regeneration des Partikelfilters (DPF) oder des NOx-Speicherkatalysators (NOx Trap) eingesetzt
22 Der Rückschluss auf die jeweilige Einspritzmenge erfolgt durch Modellierung des Injektorverhaltens bei definierten Rahmenbedingungen [24]. Kompensationsfunktionen Neben der bereits besprochenen Zylindergleichlaufregelung (vgl. Abschnitt 2.1.2.2.3) als Teil der Drehzahlregelung kommen im Dieselmotor weitere Kompensationsfunktionen zum Einsatz, mit denen die Kraftstoffzumessung unter sich verändernden Randbedingungen in engen Toleranzen gehalten werden kann. Die Ansteuerdauer der Injektoren ist für jede SollZumessung als einzelner Einspritzvorgang in einem Kennfeld kalibriert. Bei Mehrfacheinspritzungen wirken sich jedoch Druckwellen aus, die von den vorausgegangenen Einspritzungen erzeugt werden. Damit liegen veränderte Ausgangsbedingungen gegenüber der Kennfeldkalibrierung vor. Ohne eine Kompensationsmaßnahme würde die tatsächlich eingespritzte Menge daher je nach der Phasenlage der Druckschwingung nach oben oder unten vom Sollwert abweichen. Um die Einspritzdauer den Druckverhältnissen anzugleichen, werden die Druckschwingungen charakterisiert und modelliert. In der Einspritzdauerausgleichsfunktion sind entsprechende Korrekturterme hinterlegt, die bei der Steuerung der Einspritzung berücksichtigt werden. Mit dieser Steuerungsmaßnahme lassen sich typische Druckwelleneinflüsse in beliebigen Einspritzprofilen, wie der geteilten Haupteinspritzung (Split-Main), Vor- und Haupteinspritzung (Pilot-to-Main) sowie Haupt- und Nacheinspritzung (Main-to-Post), kompensieren. Mit der Kompressionsarbeit der Hochdruckpumpe, der starken Aufheizung durch die Expansion des vorgespannten Kraftstoffes infolge der Injektorleckage und dem Wärmeaustausch entlang des hydraulischen Kraftstoffpfads (Abstrahlung des Zylinderkurbelwellengehäuses und Konvektionsverhältnisse im Motorraum) bestehen zahlreiche Einflüsse auf die Temperatur und damit auf die Dichte und Viskosität des Kraftstoffs. Schwankungen der Kraftstofftemperatur beeinflussen auch die Emissionen in gewissen Grenzen >28@. Typischerweise steht nur eine Messstelle, entweder am Hochdruckeingang der Pumpe oder auf der Leckageseite, als Informationsquelle zur Verfügung, sodass Abweichungen zwischen der Temperatur an der Messstelle und der tatsächlichen Temperatur am Injektor bestehen können. Eine Kompensationsfunktion berechnet diesen Temperaturunterschied abhängig von der Positionierung des Sensors und passt die Kraftstoffvolumenzumessung entsprechend an. Zum Ausgleich von Fertigungstoleranzen sowie von alterungsbedingten Einflüssen auf das Injektorverhalten dient eine Funktion, mit der sich die Mengenkennlinien der Injektoren für kleinste beziehungsweise kleine Mengen zylinderindividuell einstellen las-
2 Motor und Antriebsstrang sen. Dazu dient ein Rückkopplungsmechanismus, auf dessen Basis der Einspritztreiber für jeden Injektor angepasst wird. Zwei Verfahren sind hier üblich: Entweder wird mit einem Klopfsensor, wie im Ottomotor, die Art und Stärke der Verbrennungsvibration erkannt und in eine Kleinstmengenadaption umgesetzt, oder die zeitliche Veränderung des Drehzahlsignals wird mit statistischen Methoden ausgewertet (Drehzahlabfall über einen bestimmten Bereich), um die Einspritzmenge einschätzen zu können und den Einspritztreiber über eine Modellfunktion anzupassen. Eine andere Strategie zur Kompensation von Fertigungstoleranzen und der Langzeitdrift von Injektoren verwendet das Signal einer O-Sonde im Abgastrakt des Dieselmotors, um den Verbrennungsvorgang im Zylinder zu überwachen. Entsprechende Lösungen in der Serie und in der Entwicklung nutzen das Signal des Luftmassensensors im Ansaugtrakt und die Information über den Restsauerstoffgehalt im Abgasstrom dazu, zurück zu rechnen, welche Kraftstoffmasse tatsächlich eingespritzt wurde. Ergänzend zur Injektorvorsteuerung besteht so die Möglichkeit, den Luftmassen-Sollwert für jeden Betriebspunkt zu adaptieren. Durch Stelleingriffe bei der Abgasrückführung und ggfs. durch Drosselung wird die Luftmasse entsprechend eingeregelt. Abweichungen gegenüber den am idealen Motor ermittelten Luftmassen-Soll-Kennfeldwerten lassen sich mit einem solchen Ausgleichsverfahren in ihrer Auswirkung auf die Emissionen kompensieren. Bei weiter steigenden Emissionsanforderungen gewinnt eine möglichst genaue Regelung des tatsächlichen Brennvorgangs an Bedeutung. In künftigen Lösungen wird möglicherweise der gemessene Druckverlauf als Grundlage für den Übergang von der heute verwendeten Einspritzsteuerung zu einer Regelung der Verbrennung dienen (Closed Loop Combustion Control). Geeignete großserienfähige Sensoren auf Piezo-Basis befinden sich derzeit wahlweise als passives oder als aktives System (mit integriertem ASIC für die Temperaturkompensation, als Speicher für die Kalibrationsdaten und für Diagnosefunktionen) in der Entwicklung. Beide sind zur Integration in die Glühkerze vorgesehen. Die passiven Piezo-Drucksensoren liefern als Resultat der Detektion von Körperschallschwingungen eine Spannung, die als Signal zur Berechnung des Brennraumdrucks verwendet wird. Die aktiven Piezo-Drucksensoren liefern dagegen einen absoluten Wert und benötigen keine Kalibrierung. Mit einer derartigen Sensierung ließe sich die Auswirkung der Einspritzung auf die Verbrennung direkt messen und durch Einfluss auf die Einspritzung auch regeln. Bei ausreichend hoher Sensorgenauigkeit wäre mit dieser Regelschleife auch eine optimale Zylindergleichlaufregelung möglich. In jedem Fall würde die Erfassung des maximalen Drucks im Brennraum einen Beitrag zum Bauteil-
2.1 Motormanagement schutz in hoch belasteten Dieselmotoren leisten. Ebenfalls stark abhängig von der erreichbaren Sensorgenauigkeit ist eine mögliche Regelung des Luftpfades. Startfunktionen Sowohl die Selbstentzündung des Luft-Kraftstoffgemischs als auch die Verbrennung reagieren sensibel auf niedrige Umgebungstemperaturen. Auch wenn der Motor durch längeren Schubbetrieb auskühlt, kommen Maßnahmen der Kaltstartunterstützung zum Einsatz, um die Emissionswerte zu senken. Bereits unterhalb einer Kaltstartgrenztemperatur von 60 °C verändert deshalb das Motorsteuergerät die Einspritzzeiten und -mengen, um die Laufruhe des Motors und die Lastannahme zu verbessern sowie um Schallpegel und Rauchdichte (durch unvollständige Verbrennung) zu reduzieren. Beim Direkteinspritzer ist insbesondere unterhalb von 0 °C Starthilfe durch Glühkerzen als indirekte, lokale Zündhilfe erforderlich. Das Motorsteuergerät muss vorrangig den mit sinkender Temperatur der Zylinderladung stark ansteigenden Zündverzug kompensieren. Gleichzeitig sollten der maximale Druckanstieg und der Brennbeginn nahe am oberen Zünd-Totpunkt liegen. Einspritzung bei einem höheren maximalen Einspritzdruck verbessert die Gemischbildung des niedrig viskosen Kraftstoffs und verringert so den physikalischen Zündverzug. Dies kann durch mehrere Einspritzungen und mehr Kraftstoff unterstützt werden. Bei selbstregelnden Glühkerzen erfolgt die Ansteuerung durch das Motorsteuergerät über ein Relais oder einen elektronischen Schalter, in geregelten Systemen gibt das Motorsteuergerät den jeweiligen Glühbedarf als Sollwert an ein untergeordnetes Glühsteuergerät vor. Anders als beim Ottomotor spielen spezielle Warmlauffunktionen zum schnellen Aufheizen des Katalysators beim Dieselmotor bislang eine eher untergeordnete Rolle, weil die HC- und CO-Rohemission günstiger sind. Zudem wirkt sich die Heizleistung der Vorglühanlage auch nach erfolgtem Motorstart positiv auf das Emissionsverhalten während des Warmlaufs aus. Limitierende Faktoren sind hierbei die thermische Belastung der Glühkerzen sowie der Kraftstoffmehrverbrauch durch die benötigte elektrische Leistung. Es ist dennoch zu erwarten, dass Warmlauffunktionen auch beim Dieselmotor verstärkt Einzug halten, da Ruß- und NOx-optimierte Brennverfahren mehr HC und CO erzeugen. So gibt es bereits Anwendungen, bei denen der Abgasrückführkühler während des Warmlaufs abgeschaltet werden kann [22]. Bedingt durch das ungünstige Kälteverhalten von Dieselkraftstoff stellt der zuverlässige Kaltstart bei Minustemperaturen eine Herausforderung dar. Für einen zügigen Start ist ein schneller Druckaufbau in der Einspritzpumpe wichtig, wozu das Mengenregelventil zunächst auf Vollförderung gestellt wird, bis ein Grenzdruck erreicht ist. Nach erfolgtem Start wird
23 die Verbrennung durch Anpassung von Einspritzzeitpunkt und Abgasrückführrate stabilisiert. Um den Kraftstoff anschließend zügig anzuwärmen und ein Verstopfen des Kraftstofffilters durch auskristallisierte Paraffine zu verhindern, gibt es zwei Verfahren: Entweder wird die durch Kompressionsarbeit erzeugte Wärme des unter Hochdruck stehenden, aber zum Zeitpunkt der Hochdruckabsteuerung von Pumpe und Injektoren nicht eingespritzten Kraftstoffs als Abwärme genutzt, oder es wird ein elektrischer Heizer verwendet. 2.1.2.6 Abgasnachbehandlung Bei Ottomotoren mit äußerer Gemischbildung ist die Abgasnachbehandlung im 3-WegeKatalysator Stand der Technik. Ein geschlossener Regelkreis mit einer O-Sonde im Abgasstrom direkt hinter dem Krümmer dient dazu, die bestmögliche Schadstoffkonvertierung zu gewährleisten. Dazu bewirkt die Regelung abwechselnd eine Sauerstoffaufladung im Katalysator (zur NOx-Reduktion) und eine anschließende Sauerstoffentleerung (zur Oxidation von CO und HC). Regelungstechnisch kann dieser wellenförmige Zyklus auf zwei Weisen realisiert werden: Eine O-Sonde für eine binäre ORegelung nutzt den Vergleich der Nernst-Spannung einer abgasseitigen Elektrode mit der einer Referenzelektrode in Luft als Grundlage für die Kraftstoffmengenkorrektur. Nach dem Prinzip einer Zweipunktregelung mit impliziter Anregung lässt sich eine Schwankungsbreite von etwa 3 % um den stöchiometrischen Punkt (O = 1) einstellen. Bei einer Breitband-O-Sonde für die stetige O-Regelung erfolgt die Messung der Gemischzusammensetzung in Form eines kontinuierlich veränderlichen Wertes [17]. Dies bedeutet, dass diese Regelung nicht grundsätzlich das Regelziel O = 1 verfolgen muss. Daher eignet sie sich besonders gut zur Steuerung mager betriebener Motoren und direkteinspritzender Ottomotoren. Auch ein geregelter Warmlauf ist damit möglich. Um die gewünschte O-Schwankung zu erzielen, bedarf es einer pulsierenden Zwangsanregung, die auf den OSollwert beaufschlagt wird. Anders als bei der binären Regelung, ist diese Zwangsanregung einstellbar und ermöglicht einen höheren Katalysator-Wirkungsgrad. Eine zweite, meist binäre O-Sonde nach dem Katalysator dient sowohl zur Diagnose der Katalysatorfunktion als auch zur Trimmung der Abgas-ORegelung auf der Eingangsseite des Katalysators. Das dort gemessene O wird mit dieser Trimmregelung in einen korrigierten Wert umgerechnet. Aus diesem korrigierten O und einem gefilterten O-Sollwert, der Sekundärlufteinflüsse, die Gaslaufzeit und das Verzögerungsverhalten der O-Sonde berücksichtigt, ergibt sich die Regelabweichung, die in die Einspritzmengenberechnung eingeht.
O-geregelte
24 Die Regeneration und Entschwefelung des NOxSpeicherkatalysators bei direkteinspritzenden Ottomotoren erfolgt analog zu der nachfolgend für den Dieselmotor beschriebenen Vorgehensweise. Beim Dieselmotor kann der Partikelfilter zukünftig als Stand der Technik angesehen werden. Um die Komplexität des Gesamtsystems zu begrenzen, wird versucht, eine zusätzliche Maßnahme zur NOxReduktion zu vermeiden. Ob dies für alle Fahrzeugklassen und vor allem für die strengen amerikanischen Abgasgrenzwerte gelingt, ist allerdings noch offen. Der Partikelfilter stellt in seiner ursprünglichen Eigenschaft, der Abscheidung von Rußpartikeln, zunächst ein passives Bauteil dar, welches keine zusätzlichen aktiven Maßnahmen erfordert. Lediglich zum Abbrand der abgeschiedenen Partikel, d.h. zur zyklischen Regeneration, ist ein Eingriff durch die Motorsteuerung notwendig, bei dem die erforderliche Abgastemperatur eingestellt wird. Diese liegt bei beschichteten Filtern (CSF, Catalysed Soot Filter) bei etwa 600 °C und für Systeme mit einem kraftstoffbasierten Abbrandadditiv (FBC, Fuel Born Catalyst) bei etwa 450 °C. Um diese Temperaturen unter allen Betriebsbedingungen erreichen zu können, wird durch Kraftstoff-Nacheinspritzung in die Verbrennung der vorhandene Restsauerstoff exotherm umgesetzt. Dies kann durch weitere Maßnahmen, wie Drosselung der Ansaugluft oder Spätverlagerung der Einspritzung, flankiert werden. Ein limitierender Faktor für die Nacheinspritzung stellt die Verdünnung des Ölfilms auf der Zylinderwand durch unverbrannten Kraftstoff dar. Außerdem muss die thermische Belastung des Turboladers und des Katalysators beachtet werden, sodass eine sorgfältige Verbrennungsabstimmung erforderlich ist. Da eine Anhebung der Abgastemperatur zu einer Verschlechterung des Wirkungsgrads führt, müssen die Regenerationsintervalle optimal gewählt werden. Nachteilig wirkt sich hierbei aus, dass kein echtes Messsignal zum Grad der Beladung des Filters mit Rußpartikeln existiert. Meist wird ersatzweise der Abgasgegendruck verwendet. Da er nur eine schlechte Korrelation zur tatsächlichen Beladung zeigt, wird der Wert üblicherweise durch spezielle Beladungsmodelle verbessert [22]. Zur NOx-Reduktion beim Dieselmotor gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die den erforderlichen Wirkungsgrad besitzen: Entweder es kommt Harnstoff zum Einsatz (Selective Catalytic Reduction, SCR), oder ein NOx-Speicherkatalysator (NOx storage trap). Bei der Harnstoff-SCR-Technologie wird das Reduktionsmittel in den Abgasstrang eingedüst und dort über einen Vorkatalysator zu Ammoniak umgewandelt, der an einem nachgeschalteten SCR-Katalysator abgeschieden wird. Aufgrund seiner hohen Selektivität ist Ammoniak in der Lage, Stickoxide auch im mageren Motorbetrieb unter Anwesenheit von Rest-
2 Motor und Antriebsstrang Luftsauerstoff zu reduzieren. Der NOx-Speicherkatalysator dagegen speichert Stickoxide lediglich im mageren Betrieb und muss, ähnlich einem Partikelfilter, periodisch regeneriert werden. Hierzu wird kurzzeitig eine reduzierende Abgaszusammensetzung, also O < 1, benötigt. Diese Betriebsart ist grundsätzlich beim direkteinspritzenden, magerlaufenden Ottomotor und beim Dieselmotor identisch, jedoch ist sie beim Dieselmotor insbesondere bei höheren Lasten und Drehzahlen deutlich aufwändiger darstellbar. Auch setzt eine mögliche Verdünnung des Ölfilms an der Zylinderwand durch Kraftstoff-Nacheinspritzung dem Fettbetrieb Grenzen. Neben der Alterungsempfindlichkeit bei hohen Abgastemperaturen stellt die hohe Schwefelempfindlichkeit dieser Technologie einen weiteren Nachteil dar. Daher muss nach Unterschreiten einer Restaktivitätsschwelle in gewissen Intervallen eine Entschwefelung des NOx-Speicherkatalysators durchgeführt werden. Die Entschwefelung erfolgt ebenfalls bei O < 1 und zusätzlich bei Abgastemperaturen von rund 650 °C und ist damit der Betriebszustand, der den höchsten Steuerungsaufwand erfordert. Der drehmoment- und geräuschneutrale Übergang zwischen all diesen Betriebsmodi stellt eine hohe Anforderung an die Zumessgenauigkeit der Einspritzung und des Luftpfades dar und wird von einem übergeordneten Betriebsarten-Manager geregelt. 2.1.2.6.1 Betriebsartenmanager für die Abgasnachbehandlung Zu den Funktionen des Motorsteuergeräts gehört ein Betriebsartenmanagement, das je nach Fahrzeug unterschiedliche Aufgaben erfüllt: Um beispielsweise die Aufheizzeit des Katalysators in der Kaltstartphase zu verkürzen, kann der Motor vorübergehend mit einem sehr fetten Gemisch (O = 0,6 bis 0,7) und bei Zündwinkelspätverstellung betrieben werden. Gleichzeitig wird bei Sekundärluftkonzepten zusätzliche Frischluft in den Krümmer eingeblasen, sodass in einem motornahen Katalysator eine hoch exotherme Gasreaktion abläuft, die ihn schnell aufheizt. Das Motorsteuergerät steuert diesen Betriebszustand und koordiniert die dafür erforderlichen Stellglieder. Bei Ottomotoren muss das Motorsteuergerät die NOxReduktion steuern und die dafür realisierten Nachbehandlungssysteme unterstützen. Dazu wird ein motornaher Vorkatalysator für die Grenzwerte im Kaltstart mit einem motorfernen Speicherkatalysator für den Magerbetrieb kombiniert. Die bei Magerbetrieb im motorfernen Speicherkatalysator akkumulierten Stickoxide müssen durch Umschalten auf fetten Fahrbetrieb zyklisch desorbiert und anschließend im Modus eines 3-Wege-Katalysators im Speicherkatalysator reduziert werden. Das Motorsteuergerät nimmt mit seinen Eingriffen dabei Einfluss auf die
2.1 Motormanagement kritische Temperaturführung im Abgastrakt. Bei Dieselmotoren kommt dem Betriebsartenmanager hauptsächlich die Aufgabe der Regeneration des Partikelfilters zu. Durch Nacheinspritzungen und andere Maßnahmen wird hier die Abgastemperatur angehoben. Für künftige Anwendungen erweitert sich der Aufgabenbereich um die NOx-Regeneration wie beim mager laufenden Ottomotor. 2.1.2.7 On-Board-Diagnose Das niedrige Emissionsniveau aktueller Kraftfahrzeuge wird nur durch komplexe Motorsteuerungsfunktionen und eine wirkungsvolle Abgasnachbehandlung erzielt. Die schon lange existierenden, zyklischen Off-Board-Diagnosen (Werkstattuntersuchungen, Hauptuntersuchungen) eignen sich nicht, um bei Fehlern in abgasrelevanten Komponenten und Funktionen zeitnah ein Überschreiten der Emissionsgrenzwerte zu erkennen und den Fehler damit schnell beheben zu können. Dazu ist eine kontinuierliche Überwachung im Fahrbetrieb nötig. Unter der Bezeichnung On-Board-Diagnose (OBD) verlangt der US-Bundesstaat Kalifornien seit 1990 eine solche Diagnose abgasrelevanter elektrischer Komponenten als Teil der Motorsteuerungsfunktionalität („Komponentenüberwachung“). Bei dieser ursprünglichen OnBoard-Diagnose werden Fehler erkannt, die beispielsweise durch fehlende Kontaktgabe, Leitungsbrüche, Kurzschlüsse etc. verursacht werden. Seit 1996 gilt in den USA die erweiterte OBD II, bei der alle abgasrelevanten Komponenten, Funktionen und Prozesse überwacht werden („Funktionsüberwachung“) [29]. Das überwachte Fehlerspektrum umfasst seither auch Plausibilitätsprüfungen für komplette Unterfunktionen, Sensoren und Stellglieder [30]. In Europa gilt seit 1. Januar 2000 für alle neuen Pkw mit Ottomotor die Europäische On-BoardDiagnose (EOBD) Richtlinie [31]. Für neue PkwDieselfahrzeuge gelten EOBD-Bestimmungen generell seit dem 1. Januar 2003. OBD-II- und EOBDSysteme unterscheiden sich von ihren Vorgängern erheblich im Hinblick auf die Emissionsschwellen, den Umfang und die Detaillierung der Funktionsüberwachung sowie die Einstufung eines Fehlers. OBD II Verglichen mit EOBD-Lösungen muss ein OBD-IIkonformes Motormanagement noch strengere und detailliertere Anforderungen erfüllen. Wesentliche Merkmale sind zum einen, dass die OBD-IIGesetzgebung zur Einstufung der Emissionsrelevanz eines Fehlers relative Schwellwerte vorschreibt, die im Allgemeinen bei einem Faktor von 1,5 bis 1,75 (in Einzelfällen auch bis zu 3,5) des jeweils gültigen Grenzwerts liegen. Zum anderen gehört zur OBD-IIDiagnosestrategie der Nachweis, dass auch nicht
25 kontinuierliche Diagnoseroutinen im Fahrbetrieb ausreichend oft vollständig durchgeführt werden konnten, damit sichergestellt ist, dass tatsächlich Fehlerfreiheit erkannt wurde. Dazu wird mit statistischen Methoden überwacht, wie oft Fehlerkontrollen im Verlauf einer Fahrt ausgeführt wurden („In-useperformance ratio“). In den USA diskutiert man derzeit eine neue, dritte Fassung der OBD, die eine selbsttätige Fehlermeldung per Funk über Satelliten samt Angabe der Fahrzeugidentifikationsnummer an eine Behörde beinhalten könnte. Von der so eröffneten Möglichkeit, den Fahrzeughalter zur Reparatur aufzufordern, verspricht man sich, dass fehlerbedingt erhöhte Emissionen auch tatsächlich schnell behoben werden. OBD-II-Funktionsdiagnosen Soweit für den einzelnen Motor zutreffend, müssen sowohl für Otto- als auch für Dieselmotoren im Wesentlichen folgende OBD-II-relevante Funktionen und Systeme überwacht werden: Katalysatorsysteme, Kraftstoffsystem, Ȝ-Sonde(n), Abgasrückführung, Kurbelgehäuseentlüftung (stark systemabhängig), Motorkühlung, Kaltstartstrategien, Klimaanlage, Eingangs- und Ausgangssignale, d.h. elektrische Komponentenüberwachung (Erkennung von Kurzschlüssen und Kabelbrüchen – im Prinzip der Umfang der OBD I) sowie deren Plausibilisierung (Erkennung stark gedrifteter bzw. „hängender“ Signale) und weitere emissionsmindernde Systeme und Emissionsquellen. Auch wenn diese generellen Anforderungen sowohl für Otto- als auch für Dieselmotoren gelten, so unterscheiden sich die Detailanforderungen und die jeweiligen Lösungen aufgrund der unterschiedlichen Systemdefinitionen und Motorkonzepte teilweise sehr stark voneinander. Soweit für den einzelnen Motor jeweils zutreffend, erfordert das OBD-II-Gesetz für Ottomotoren noch zusätzlich die Überwachung von Zündaussetzern (kontinuierlich), des Tanksystems als Verdunstungsquelle, der Sekundärluftzugabe sowie des Timings eines variablen Ventiltriebs. Bei Dieselmotoren sind im Rahmen der OBD II noch Zündaussetzer im Leerlauf und der Diesel-Partikelfilter zu überwachen – soweit für den einzelnen Motor zutreffend: Am Beispiel der Katalysator-Funktionsüberwachung für Ottomotoren soll hier eine zentrale OBD-Funktion technisch kurz erläutert werden: Man setzt dafür die gemessenen Regelschwingungen (vgl. Abschnitt 2.1.2.6) zweier O-Sonden vor und hinter dem Katalysator ins Verhältnis. Bei ordnungsgemäßer Funktion dämpft das hohe Sauerstoffspeichervermögen des korrekt arbeitenden Katalysators deutlich die ausgangsseitige Amplitude der Regelschwingungen im Verhältnis zur eingangsseitigen Amplitude. Wird bei der Bildung des Quotienten aus beiden Signalhöhen
26 dagegen ein Durchschlagen der eingangsseitigen Regelschwingungen auf der Ausgangsseite erkannt (beispielsweise, wenn das Sauerstoffspeichervermögen alterungsbedingt sinkt), so ist die Höhe dieses Effektes das Maß für eine schlechtere Konvertierungsrate. Wird auf diesem Weg eine Schwellwertüberschreitung bei den HC-Emissionen erkannt, erfolgt die Fehlersignalausgabe. Bei Dieselmotoren nimmt der Umfang der Funktionsüberwachung kontinuierlich weiter zu. Heute umfasst die OBD II (abhängig von der Systemauslegung) vor allem die Überwachung des OxidationsKatalysators, von Zündaussetzern im Leerlauf, des Kraftstoffsystems (z.B. Einspritzmengendrift), der O-Sonde(n), soweit verbaut, der Abgasrückführung, der Kurbelgehäuseentlüftung (abhängig vom System), der Motorkühlung, des Diesel-Partikelfilters sowie der elektrischer Funktion von Komponenten (Umfang der OBD I). EOBD Insgesamt sind die Anforderungen der EOBD weniger detailliert als bei OBD II. Anders als die OBD II schreibt die Europäische On-Board-Diagnose absolute Grenzwerte als Schwellen für die Warnung des Fahrers vor. Teilweise liegen diese Grenzwerte deutlich über den jeweils gültigen Emissionsgrenzwerten (EURO 4; TIER 2 BIN 5) und lassen mehr Spielraum als die OBD II. EOBD-Funktionsdiagnosen Im Ottomotor (in der EOBD-Richtlinie „positive ignition engine“ genannt) überwacht die EOBD als Muss-Vorgabe mindestens die Katalysatorwirkung im Hinblick auf die HC-Emissionen, Zündaussetzer innerhalb bestimmter Drehzahl- und Drehmomentgrenzen bzw. an bestimmten Messpunkten innerhalb der Betriebsbedingungen, die O-Sonde(n), die Funktion anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten oder Systeme des Antriebsstrangs, die im Fehlerfall abgasrelevant sind, ferner den elektrischen Durchgang anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten des Antriebsstrangs sowie den elektrischen Durchgang des Systems zur Tankemissionsdiagnose. Auch für Neufahrzeuge mit Dieselmotor gelten die Bestimmungen der EOBD. Überwacht werden muss mindestens der Katalysator, falls installiert und als emissionsrelevant eingestuft, der Diesel-Partikelfilter, falls installiert, der elektrische Durchgang und die grundsätzliche Funktion der Aktoren für die Kraftstoffzumessung und das Rate-Shaping (Einspritzverlaufsformung), die Funktion anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten oder Systeme des Antriebsstrangs, die im Fehlerfall abgasrelevant sind (als Beispiel nennt die EOBD Systeme und Sensoren zur Messung von Luftmassenstrom oder Luftvolumenstrom, zur Ladedruckregelung sowie zur
2 Motor und Antriebsstrang Messung des Luftdrucks im Saugrohr) und der elektrische Durchgang anderer, mit dem Motorsteuergerät verbundener Komponenten des Antriebsstrangs. Fehlerspeicher für OBD II und EOBD Auftretende Fehler werden innerhalb eines OBDSystems erkannt und in einem DIN-ISO-oder SAEentsprechenden, normierten Datenformat gespeichert. Die Fehlerstrategie definiert die an den Fehlerfall anschließende Kette von Systemhandlungen: Bei Fehlern, die in mehreren aufeinander folgenden Fahrzyklen auftreten (bei OBD II in zwei, bei EOBD in drei aufeinander folgenden Fahrzyklen) und eine Grenzwertüberschreitung zur Folge haben, erhält der Fahrer über eine Fehlerlampe im KombinationsInstrument einen Warnhinweis (Malfunction Indicator Lamp, MIL bzw. Check-Engine-Anzeige). Parallel werden die fehlerbezogenen Informationen für die Werkstatt in einem Speicher hinterlegt. Dabei werden zusätzlich zum Fehler mindestens die Motorlast, die Motordrehzahl und die Kühlmitteltemperatur als Rahmendaten (Freeze Frame Data) abgespeichert, um den Betriebszustand beim Auftreten des Fehlers zu dokumentieren. Zusätzlich werden zur Erfüllung der OBD-II-Anforderungen Statistiken über die Häufigkeit des Ablaufs ausgeführter Diagnosen gespeichert. Der Fehlerspeicher muss die Informationen für mindestens 40 Startvorgänge speichern, bei denen der Motor in einem als „kalt“ definierten Zustand gestartet und bis zur Betriebstemperatur aufgeheizt wird. Tritt ein Fehler innerhalb von 40 solcher Startvorgänge nicht wieder auf, kann die Fehlerinformation gelöscht werden. Bei der Fehlersuche in der Werkstatt werden die gemäß den ISO/SAE-Standards relevanten Daten als Mode 1 bis Mode 9 über die genormte Diagnoseschnittstelle an den OBD-Tester oder an das Scan-Tool ausgelesen. 2.1.2.8 E-Gas-Überwachungskonzept Die Motorsteuerung ist ein sicherheitsrelevantes System, da sie Einfluss auf die Längsdynamik des Fahrzeugs nimmt. In Drive-by-Wire-Systemen ohne mechanische Verbindung zwischen Fahrpedal und Drosselklappe ist beispielsweise die Sicherheit der Fahrzeuginsassen direkt von der korrekten Funktion der Motorsteuerung abhängig. Gefährliche Zustände, wie ein ungewolltes Beschleunigen oder Losfahren, müssen durch ein Überwachungskonzept verhindert werden [32]. Das Überwachungskonzept eines elektronischen Systems wie der Motorsteuerung wird daher vor der Fahrzeugtypgenehmigung auf Wirkung und Zuverlässigkeit überprüft. Die Ausarbeitung eines Überwachungskonzepts ist Teil eines definierten Entwicklungsprozesses, da ein hohes Maß an Sicherheit in komplex vernetzten Systemen nur durch einen ausgereiften Entwicklungsprozess mit integrierten Verifikationsmethoden erreichbar ist [33].
2.1 Motormanagement
27
Bild 2-16: Schema des standardisierten E-Gas-Überwachungskonzepts (ADC: Analog-Digital-Wandler)
Im Motorsteuergerät sind umfangreiche Sicherheitsfunktionen enthalten, die Handlungsstrategien für Einzelfehler und in begrenztem Maße auch für Mehrfachfehler umfassen. Im Fehlerfall kann ein sicherer Zustand eingestellt und fehlerabhängig ein Notlauf des Fahrzeugs eingeleitet werden. Bei Einzelfehlern gibt es für die Zeitspanne, innerhalb derer eine Reaktion zur Herstellung eines sicheren Zustands begonnen werden muss, einen Richtwert von 500 ms. Wesentliche Merkmale eines MotorsteuerungsÜberwachungskonzepts sind Redundanz, Fehlertoleranz und Robustheit. Bild 2-16 gibt einen Überblick über das Überwachungskonzept nach VDA. Das Redundanzprinzip zeigt sich beispielsweise darin, dass wesentliche Eingangsgrößen, wie die Pedalstellung und die Drosselklappenstellung, jeweils von zwei unabhängigen Positionssensoren erfasst werden. Fehlertoleranz und Robustheit erreicht man zum einen durch eine laufende Selbstkontrolle, bei der im Hauptprozessor vorrangig solche Steuerungs- und Regelungsfunktionen (Ebene 1 in Bild 2-16) ausgewertet werden, die im Fehlerfall ungewollt das Drehmoment erhöhen. Auch bei diesem Teil der Strategie gilt das Redundanzprinzip, denn die Funktionsüberwachung (Ebene 2 in Bild 2-16) besteht zum Teil in einer unabhängigen Nachrechnung der Sollwerte auf einer getrennten Daten- und Funktionsbasis. Als Schutz vor zu hohen Ist-Werten wird in gleicher Weise der Ist-Wert der betreffenden Wirkungsgröße berechnet und mit dem redundant berechneten Sollwert verglichen. Der Code für diese Überwachung funktionaler Prozesse muss zur Sicherheit diversitär und getrennt implementiert sein. Zum anderen besteht eine zusätzliche Überwachungsebene (Ebene 3 in Bild 2-16) im Aufbau des Steuergeräts
aus einem Hauptprozessor und einer unabhängig arbeitenden Überwachungseinheit. Letztere sendet zyklisch Rechenaufgaben an den Hauptprozessor und erkennt anhand der Ergebnisse die Funktionsfähigkeit der überwachungsrelevanten Bereiche des Hauptprozessors. Die Überwachungseinheit überprüft dort den Programmablauf, die Befehlssätze (Ebene 2’ in Bild 2-16) und die Speicherbereiche. Sollte der A/DWandler des Hauptprozessors ausfallen, wird dieses durch Plausibilitätsprüfung gegen einen Referenzwert aus der Überwachungseinheit erkannt. 2.1.2.9 Sonderformen Bi-Fuel-Fahrzeugantriebe, die sowohl Ottokraftstoff als auch Gas (Erdgas, Compressed Natural Gas, CNG oder Flüssiggas, Liquified Petroleum Gas, LPG) verwenden, benötigen ein Betriebsartenmanagement, das die Umstellung von einer Kraftstoffart auf die andere koordiniert. Die steuer- und regelungstechnische Herausforderung liegt darin, dass der Erdgasbetrieb Veränderungen praktisch aller gasspezifischen Motorsteuerungsfunktionen bedingt. In der Konsequenz muss entweder die Hard- und Software einer bestehenden Motorsteuerung komplett adaptiert werden, oder es wird nach dem Prinzip einer Zweiteilung eine zusätzliche Motorsteuerung für den Gasmodus hinzugefügt. Bei einer aktuellen ErdgasSerienlösung mit einem einzigen Controller sind die Funktionen Motorsteuergerät und Gas-Zusatzsteuergerät zu einer als Hybridsteuergerät bezeichneten Einheit zusammengefasst [34]. Überwiegend wird bisher jedoch der Weg der Zweiteilung verfolgt, weil zusätzliche Sensoren und Aktoren aufwändige Hardwareanpassungen erfordern, die praktisch der Neu-
28 entwicklung eines leistungsstärkeren Steuergerätes entsprechen. Ein zusätzliches Motorsteuergerät als Insellösung, das lediglich die spezifischen Sensoren und Aktoren (z.B. Gasabsperrventile, Gaseinblasventile) für den Erdgasbetrieb steuert, ist weniger aufwändig realisierbar und kann aus Bauraumgründen einfacher im Motorraum zu platzieren sein. Wird die Softwarelösung für die als Interface-Box fungierende zweite, gasspezifische Steuereinheit generisch ausgelegt, so erlaubt dies außerdem eine Wiederverwendung in unterschiedlichen Fahrzeugen. Die aktuellen Emissionsgrenzwerte und die Anforderungen der OBD und EOBD haben inzwischen dazu geführt, dass bei einem Zweiteilungskonzept beide Motorsteuergeräte vernetzt werden und über den CAN-Datenbus miteinander kommunizieren. In einer aktuellen Bi-Fuel-Serienlösung mit einem 4-Zylindermotor beispielsweise wirkt die zweite Motorsteurung dabei als Interface zwischen der Benzinmotorsteuerung und den Gaskomponenten (Bild 2-17) [35]. Solange Benzin verbrannt wird, leitet die Interface-Box die Steuersignale des Benzinmotorsteuergeräts unverändert an die Einspritzventile weiter. Gasspezifische Belange sind dabei als zusätzliche Kennfelder im Benzinmotorsteuergerät hinterlegt. Nur die gasspezifischen Funktionen sind in der Interface-Box realisiert. Der Speicherplatzbedarf und die Laufzeitbelastung des Benzinmotorsteuergeräts lassen sich durch diese Zweiteilung auch im Gasbetrieb konstant halten. Die CAN-Botschaft von der Interface-Box zum Benzinmotorsteuergerät enthält im Wesentlichen die
2 Motor und Antriebsstrang aktuelle Kraftstoffart, den aktuellen Fehlerzustand, den Gasfüllstand und einen Einspritzzeitkorrekturfaktor. Die CAN-Botschaft vom Benzinmotorsteuergerät zur Interface-Box enthält im Wesentlichen den aktuellen Saugrohrdruck, die Fehlerzustände der Benzinmotorsteuerung, einen Umschaltwunsch von einem Kraftstoff zu anderen (Fahrerwunsch und automatisch), die Motortemperatur und die Motorbetriebszustände. Eine weitere zyklische Botschaft von der Interface-Box zum Benzinmotorsteuergerät dient zur Übertragung von komprimierten OBD-Daten (OBD I) über elektrische Fehler der Sensoren und Aktoren, das Ergebnis von Plausibilitäts-Diagnose sowie Umgebungsdaten. Funktionale Fehler von Komponenten (EOBD) werden in dem vorgeschlagenen System nur im Benzinmotorsteuergerät erkannt. Je nachdem, in welcher Betriebsart sich das System befindet, wird der Fehler im entsprechenden Speicherbereich abgelegt. Das umfangreiche EOBD-Konzept schließt bei der oben genannten Lösung mit einem einzigen Controller [34] unter anderem einen Erdgasqualitätsfaktor (der nach jeder Betankung des Fahrzeugs neu gelernt wird) ein. Dieser Korrekturfaktor verhindert, dass es durch die relativ starken, zulässigen, brennwerttechnischen Schwankungen bei Erdgas (in Deutschland zulässige Zumischungen von Butan und Propan bis zu 12 % Volumen und Stickstoff bis zu 16 % Volumen [34]) zu einer Triggerung der Hauptdiagnosen (O-Sonde(n), Katalysator und Zündaussetzer) kommt, deren Adaptionsfähigkeit eigentlich zur Kompensation abgasrelevanter Alterungseffekte in der Hardware dient.
Bild 2-17: Schema eines Gassystems mit einem zweiten Motorsteuergerät
2.2 Getriebesteuerung
29
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2.2 Getriebesteuerung 2.2.1 Getriebekonzepte Seit den Pioniertagen des Automobils sind Vorrichtungen zur geeigneten Drehzahl- und Drehmomentwandlung unverzichtbar. Die Drehmoment- und Leistungscharakteristik eines Verbrennungsmotors bedingt ein mehrstufiges, schaltbares Getriebe, um ein Automobil überhaupt fortbewegen zu können. Das Zugkraftangebot des Motors ist bei Leerlaufdrehzahl sehr niedrig, während die Motorleistung mit steigender Drehzahl – mehr oder weniger kontinuierlich – bis zur so genannten Nenndrehzahl ansteigt. Mit einem mehrstufigen Getriebe wird der Leistungsbedarf eines Kraftfahrzeugs an dessen verbrennungsmotorische Antriebsmaschine angepasst. Da die
30 im Kraftfahrzeug bevorzugt verwendeten Otto- oder Dieselmotoren ihre charakteristischen Werte für Drehmoment und Leistung nicht gleichmäßig anbieten, werden schaltbare Getriebe zum Ausgleich von Drehmomentnachfrage (nach der Zugkrafthyperbel) und Zugkraftangebot (Drehmomentkurve) eingesetzt. 2.2.1.1 Manuelle Schaltgetriebe Im Laufe ihrer Entwicklung hat es für Schaltgetriebe in Automobilen nicht immer gute Kritiken gegeben: „Es ist zwar brutal, aber es funktioniert“, soll der Autopionier Emile Levassor gesagt haben, als er um 1890 das erste Mal mit einem Zahnradwechselgetriebe in Berührung kam. Der Franzose musste miterleben, wie paarweise verbundene Vorgelegeräder zum Zwecke des Übersetzungswechsels hin- und hergerückt wurden. Die alles erleichternde Getriebesynchronisation fand ihren Weg in die Großserie erst um 1930. Damals wie heute kommen weit überwiegend Getriebe mit diskreten Stufen zum Einsatz; in Personenwagen aktueller Bauart üblicherweise mit fünf oder zunehmend auch bereits mit sechs Gängen. Die international verwendete Abkürzung für Handschaltgetriebe ist MT (Manual Transmission). In Europa dominieren manuelle Schaltgetriebe (siehe Bild 2-18) den Automobilmarkt, in der Regel ausgeführt in Stirnradbauweise mit einer, in besonders kurzer Bauform auch mit zwei Vorgelegewellen. In den USA und Japan gehören sie hingegen nicht zu der von Autokäufern bevorzugten Getriebeart. Bei der Wandlung der Motorkraft in Fahrzeugvortrieb stellen sie die Technik mit dem höchsten Wirkungsgrad dar.
Bild 2-18: Manuelles Schaltgetriebe [Quelle: ZF]
2 Motor und Antriebsstrang Zugleich ist das manuelle Handschaltgetriebe die einzige verbliebene Getriebeart, die ohne Steuerungsoder Regelungselektronik auskommt. Mit einer trockenen Reibkupplung, weit überwiegend in Einscheibenausführung, bewerkstelligen Handschaltgetriebe den Anfahrvorgang. Zudem trennt der Fahrer manuell bei jedem Gangwechsel den Zug- oder Schubkraftfluss zwischen Motor und Getriebe, um den Übersetzungswechsel manuell und mit Handkraft vorzunehmen. Gehobene Ansprüche an den Fahrkomfort kann das manuelle Handschaltgetriebe bis heute nicht erfüllen. 2.2.1.2 Automatisierte Schaltgetriebe Das bislang elektronik-resistente manuelle Schaltgetriebe wird dank Verfügbarkeit hochleistungsfähiger Steuerungselektroniken inzwischen in ein umfassendes Antriebsstrang-Management eingebunden. Aus manuell bedienten Handschaltgetrieben werden automatisierte Schaltgetriebe (Automated Manual Transmission, kurz AMT) abgeleitet. In Personenwagen werden sie in speziellen Fahrzeugsegmenten eingesetzt: Besonders kleine Automobile (z.B. Opel Corsa, Ford Fiesta, Smart) sind mit automatisierten Schaltgetriebe lieferbar, die andere Seite des Anwendungsspektrums decken besonders sportliche Kraftfahrzeuge (z.B. BMW M3 oder M5, Ferrari) ab. Als Vorzug des automatisierten Schaltgetriebes gilt sein hoher Wirkungsgrad sowie die Abkoppelung des Fahrereinflusses hinsichtlich möglicher Fehlbedienung bei einem Schaltgetriebe.
2.2 Getriebesteuerung
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Bild 2-19: Automatikgetriebe klassischer Planetensatzbauart [Quelle: ZF]
In Nutzfahrzeugen der oberen Gewichtsklassen gehören automatisierte Schaltgetriebe mit 12- oder 16Gangstufen seit den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zum Stand der Serientechnik. Hoher Wirkungsgrad und Abkoppelung des Fahrereinflusses haben dem AMT in schweren Nutzfahrzeugen inzwischen einen Marktanteil von – modellabhängig – bis zu 50 Prozent eingebracht. Bei Lastkraftwagen der 40-Tonnen-Klasse stört auch die beim AMT prinzipbedingte Zugkraftunterbrechung beim Übersetzungswechsel nicht. Beim Personenwagen erreichen automatisierte Schaltgetriebe insgesamt eine vergleichsweise geringe Marktdurchdringung. Neueste Konstruktionen für sehr sportliche Limousinen verfügen über sieben Gänge und sind von ihrer Grundkonstruktion her nicht mehr für den manuellen Gangwechsel geeignet. In gleicher Weise nur noch automatisch bedienbar sind Nutzfahrzeug-Getriebe, die über keinerlei äußere Schaltung mehr verfügen. Alle zum Übersetzungswechsel wie auch zum vollautomatischen Betätigen der Anfahr- und Schaltkupplung notwendigen Komponenten sind bei hoch integrierten automatisierten Schaltgetrieben im Getriebegehäuse untergebracht. Auch die zum Steuern der Getriebeaktoren notwendige Steuerungselektronik wird zunehmend vom Steuergerät in Add-On-Ausführung zur in das Getriebe integrierten Mechatronik hin weiterentwickelt.
2.2.1.3 Automatische Getriebe Der Einzug der Elektronik in den Antriebsstrang erfolgte zunächst in Gestalt der MotorsteuerungsElektronik, später als Getriebe-Elektronik. Dadurch wurde eine neue, bis dahin nicht gekannte Qualität eines umfassenden Managements der gesamten Antriebseinheit möglich. Dieser Fortschritt wurde nicht nur von steigenden Ansprüchen an den Antriebskomfort, sondern ganz wesentlich auch von immer ehrgeizigeren Ansprüchen an schadstoffreduzierte und Kraftstoff sparende Automobile getrieben. Er hat zunächst die klassischen Stufenautomatikgetriebe erfasst. Zugleich hat die Elektronik im Antriebsstrang es aber überhaupt erst möglich gemacht, stufenlose Automatikgetriebe in ihrem kundenrelevanten Betriebsverhalten zu vollwertigen Alternativen gegenüber Stufenautomaten zu entwickeln. Automatikgetriebe kamen bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts ohne elektronische Komponenten aus, wurden aber mittels Fremdkraft bedient. Ihre Fahr- und Schaltstrategien folgten im Wesentlichen einfach generierten Last-, Geschwindigkeits- und Drehzahlsignalen, die in einer rein hydraulischen Steuerungseinheit verarbeitet und in Schaltbefehle umgesetzt wurden. Die Energie zum Ausführen der Übersetzungswechsel lieferte – und liefert bis heute – in der Regel der Verbrennungsmotor mit einer Ölpumpe. Seit fast drei Jahrzehnten arbeiten Automatikgetriebe (Automated Transmission, kurz AT) nur noch mit Hilfe von Steuerungselektronik. Dabei wurden die
32 früheren hydraulischen Schaltkästen in mehreren Evolutionsstufen ergänzt und damit von ihrer „Rechnerfunktion“ befreit. Bis zu sieben Schaltstufen werden seit 2002 in Automatikgetrieben klassischer Planetensatzbauart (Bild 2-19) eingesetzt, fünf bzw. sechs Übersetzungsstufen stellen den etablierten Standard dar. Als Anfahrelement dient mehrheitlich ein hydrodynamisch wirkender Wandler, der nach dem eigentlichen Anfahrvorgang, spätestens jedoch in den oberen Gangstufen, von einer elektronisch gesteuerten Überbrückungskupplung abgelöst wird. Anfahr- und Schaltungsregelung und -steuerung obliegt in aktuellen Automatikgetriebe einer hochleistungsfähigen Elektronik. Dabei findet ein permanenter Datenaustausch mit der Motorsteuerung wie auch der vernetzten Gesamtfahrzeugelektronik statt.
2 Motor und Antriebsstrang Schwachpunkt heute bekannter stufenloser Automatikgetriebe ist ihre begrenzte Fähigkeit, größere Drehmomente (> 330 Nm) mit noch akzeptablem Wirkungsgrad zu übertragen. Als Anfahrelement ersetzt bei neuesten Konstruktionen ein Drehmomentwandler die nass laufende, automatisierte Reibkupplung.
2.2.1.4 Stufenlose Automatikgetriebe Neben den weltweit dominierenden Stufengetrieben kommen zunehmend auch stufenlos übersetzende Getriebe (CVT, Continously Variable Transmission) zur Anwendung (Bild 2-20). Sie nähern sich, zumindest von der Theorie her, dem Ideal einer punktgenauen Drehmomentanpassung an die Fahrwiderstandskurve in jedem Betriebszustand am nächsten an.
Bild 2-20: Stufenlos übersetztes Getriebe [Quelle: Ford]
Bild 2-21: Schnitt durch ein Doppelkupplungsgetriebe [Quelle: VW]
2.2 Getriebesteuerung 2.2.1.5 Doppelkupplungsgetriebe Die Zusammenführung der wirkungsgradseitigen Vorzüge eines Handschaltgetriebes mit den Komfortvorteilen des klassisch aufgebauten WandlerPlanetenradsatz-Getriebes hat die alte Idee des Doppelkupplungsgetriebes (DCT: Double-Clutch Transmission) wieder auf den Plan und inzwischen auch in die Serie gerufen. Das Doppelkupplungsgetriebe wie im Bild 2-21 ist ein modifiziertes, automatisiertes Stirnrad-Vorgelegewellen-Getriebe mit all seinen Vorteilen hinsichtlich Wirkungsgrad und Komponenten-Gleichheit zu einem Standard-Handschaltgetriebe. Dank hoch entwickelter Steuerungselektronik, die sowohl das Motor- als auch das Getriebe- und Kupplungs-Management in sich vereint, ist die praktische Umsetzung dieser bereits in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück reichenden Idee überhaupt erst möglich geworden. Als erster Serienanwender ist Volkswagen 2003 mit einem Doppelkupplungsgetriebe in Serie gegangen. Mit Hilfe zweier Kupplungen – eine bedient die Gänge eins, drei, fünf und den Rückwärtsgang des ersten Teilgetriebes, die andere trennt und verbindet die Gänge zwei, vier und sechs des zweiten Teilgetriebes vom Motor – sind Schaltungen ohne Zugkraftunterbrechungen möglich. Die Doppelkupplung besteht aus zwei im Ölbad laufenden Lamellenpaketen und gehorcht zusammen mit den Aktoren für den Gangwechsel einer vernetzten Motor-GetriebeElektronik. Dadurch gelang es beim Doppelkupplungsgetriebe, den Wirkungsgrad mechanischer Getriebe mit dem Vorteil der unter Last schaltbaren Wandlerautomaten zu verbinden. Verantwortlich dafür sind neben einer intelligenten hydraulischen und elektronischen Getriebesteuerung (Mechatronik) die zwei Nass-Kupplungen. 2.2.1.6 Allrad-Antrieb Weitere Anwendungsgebiete der Steuerungs- und Regelungselektronik im Antriebsstrang betreffen die Einbindung des (permanenten) Antriebs aller Räder einschließlich spezieller Berg- und Talfahrthilfen sowie die generelle Anwendung von Fahrsicherheitssystemen wie Anti-Blockier-System (ABS) oder Elektronisches Stabilitäts-Programm (ESP). In allen Fällen wird die Längs- wie auch die Querdynamik eines Kraftfahrzeugs überwacht und gegebenenfalls mit Eingriffen in das Antriebs- und Verzögerungs-Management beeinflusst. 2.2.1.7 Hybridantriebe Darüber hinaus kommt auf die Getriebeelektronik mit der Einbindung einer elektrischen Maschine in den Antriebsstrang eine weitere, sehr anspruchsvolle Auf-
33 gabe zu. Hybridantriebe verbinden den klassischen Verbrennungsmotor mit dem Elektromotor. Die Zusammenführung beider Antriebseinheiten und deren Leistungs- und Energiemanagement stellt höchste Anforderung an die Steuerungselektronik.
2.2.2 Funktionen und Software Gemeinhin werden Funktionen häufig mit Software gleichgesetzt, was in dieser Form nicht ganz richtig ist. Unter Funktionen versteht man Aktionen, die ein (Getriebe-)System einschließlich dessen integrierter Aktorik ausführen soll. Um diese Aktionen von der Aktorik des Getriebes ausführen zu lassen, muss die Beschreibung der Funktionen mit entsprechender Software in eine für die Steuerelektronik verständliche Programmiersprache transferiert werden. Übliche Programmiersprachen bei automobilen Anwendungen sind C, C++ und Assembler. In der Funktionsentwicklung werden in jüngster Zeit vermehrt moderne Entwicklungswerkzeuge mit grafischer Benutzeroberfläche eingesetzt, um entstehende Algorithmen in sehr kurzer Zeit am zu steuernden System darstellen zu können. Typische Bestandteile einer solchen Rapid-Prototyping-Entwicklungsumgebung sind Simulationswerkzeuge zur Erstellung und Überprüfung von Funktionsmodellen sowie universelle Hardwareplattformen, auf denen die erstellten Modelle direkt in Echtzeit lauffähig sind und die über entsprechende Ein- und Ausgänge verfügen. Das hierbei verfolgte Ziel besteht darin, Funktionen zunächst komplett am Prüfstand oder im Fahrzeug zu entwickeln, bevor zeitaufwändig die Software für das Ziel-Steuergerät erzeugt wird. Der letztgenannte Schritt kann konventionell von Hand oder automatisiert unter Verwendung geeigneter Tools erfolgen (sog. Auto-Coding). 2.2.2.1 Funktionsübersicht Aufgrund der Komplexität werden die Funktionen und die zugehörige Software in kleinere Untereinheiten aufgeteilt. Das Bild 2-22 zeigt eine solche prinzipielle Funktionsstruktur einer typischen Getriebesteuerung. Die Funktionsgruppen werden im Folgenden beschrieben. 2.2.2.2 Fahrstrategie Zentrale Aufgabe der Fahrstrategie ist die kontinuierliche Bestimmung des zur aktuellen Fahrsituation am besten passenden Ganges. Zur Berechnung dieses so genannten „Zielganges“ bedient sich die Fahrstrategie verschiedener Unterfunktionen.
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2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-22: Übersicht einer typischen Funktions- und Softwarestruktur einer elektronischen Getriebesteuerung (p Druck, T Temperatur, I Strom, U Spannung und f Frequenz)
Dazu gehören die Fahrerschnittstelle zur Auswertung der Bedienelemente (Wählhebel, Lenkradschalter) und Fahrerinformationen (z.B. Gangdisplay), die Fahrer- und Lasterkennung zur Auswahl der passenden Kennlinie und zur Adaption einer solchen, die Bestimmung des Zielganges auf Basis der ausgewählten und adaptierten Kennlinie und die Fahrsituationserkennung zur Korrektur des oben bestimmten Zielganges in bestimmten Situationen (z.B. automatische Rückschaltung beim Bremsen, Schaltungsverhinderung bei schneller Kurvenfahrt). Im Wesentlichen wird der aktuelle Zielgang durch geeignete Schaltkennlinien bestimmt, aus denen bei einer gegebenen Fahrpedalstellung die Fahrzeuggeschwindigkeit ermittelt wird, bei der eine Hoch- oder Rückschaltung zu erfolgen hat. Im einfachsten Fall ist nur ein einziger Satz von Kennlinien hinterlegt; ein Kennliniensatz besteht aus 2(n – 1)-Kennlinien, wo-
bei n die Gangzahl ist. Für ein 4-Gang-Automatikgetriebe sind das also sechs Schaltkennlinien, bei neueren 7-Gang-Automaten entsprechend zwölf. Bild 2-23 zeigt exemplarisch eine Hoch- und eine Rückschaltkennlinie, die nachfolgend erläutert wird. Der Arbeitspunkt (AP) ist durch die Fahrzeuggeschwindigkeit und den Fahrpedalwert charakterisiert. Nimmt nun beispielsweise – ohne dass der Fahrer den Fahrpedalwert verändert – die Fahrzeuggeschwindigkeit ab (z.B. infolge einer Steigung), wird bei Erreichen der Rückschaltkennlinie (A) ein Gang herunter geschaltet, um mehr Radmoment zur Verfügung zu stellen. Entsprechend wird bei Fahrzeugbeschleunigung (z.B. in Folge eines Gefälles) mit Erreichen der Hochschaltkennlinie (C) ein Gang hoch geschaltet, um ein unnötiges Hochdrehen des Motors zu verhindern.
2.2 Getriebesteuerung
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Bergab zur bevorzugten Nutzung der unteren Gänge, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell späte Hoch- und frühe Rückschaltungen zur Ausnutzung der Motorbremswirkung, z.B. bei Passabfahrten und weitere Spezialkennfelder, z.B. Winterprogramm, Aufwärmen von Motor und Katalysator.
Bild 2-23: Schaltkennlinien der Fahrstrategie
Erhöht andererseits der Fahrer zur Beschleunigung den Fahrpedalwert, wird bei Erreichen der Rückschaltkennlinie (B) ein Gang herunter geschaltet, wodurch mehr Radmoment zur Verfügung steht und das Fahrzeug schneller beschleunigt werden kann. Entsprechend wird durch Verringern des Fahrpedalwertes bei Erreichen der Hochschaltkennlinie (D) ein Gang hoch geschaltet, um den Verbrennungsmotor – da kein Beschleunigungswunsch (mehr) vorliegt – verbrauchsgünstiger bei niedrigeren Drehzahlen zu betreiben. Fahrstrategien aktueller Getriebesteuerungen sind in der Lage, die Kennlinien der gerade beschriebenen sog. statischen Gangwahl in Abhängigkeit von der momentanen Fahrsituation zu verändern oder zumindest aus einem Satz vordefinierter Kennlinien auszuwählen. Typische hinterlegte Kennlinien können sein: Eco zur verbrauchsoptimierten Auswahl des Zielganges, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell frühe Hoch- und späte Rückschaltungen zum vorwiegenden Betrieb des Verbrennungsmotors im unteren Drehzahlbereich Sport zur leistungsorientierten Auswahl des Zielganges, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell späte Hoch- und frühe Rückschaltungen zum Betrieb des Verbrennungsmotors im eher höheren Drehzahlbereich Normal als dazwischen liegendes Kennfeld ohne besondere Ausprägungen Bergauf oder Last zur eher leistungsorientierten Auswahl des Zielganges, gekennzeichnet durch – auf die Geschwindigkeit bezogen – tendenziell späte Hoch- und späte Rückschaltungen zur Vermeidung des sog. Schaltpendelns bei Steigungen oder im Anhängerbetrieb.
Neben dem „harten“ Umschalten zwischen diesen diskreten Kennfeldern ist es möglich, mehrere Kennfelder miteinander zu kombinieren und somit z.B. ein ökonomisches oder sportliches Last-Programm zu realisieren. Dieses stufenlose kontinuierliche Verfahren wird als Kennlinienadaption bezeichnet. Die Basisdaten für die Grenzkennlinien sind dazu in der Getriebesteuerung hinterlegt. Der Gang, der sich aus Fahrpedalwert, Geschwindigkeit und adaptierter Kennlinie ergibt, ist jedoch nicht in allen Fahrsituationen optimal. Vorübergehende Fahrzustände können Bedingungen hervorrufen, die eine Anpassung des statischen Zielganges erforderlich machen, weswegen man hier z.B. von „dynamischen Korrekturen“ spricht (vergleiche Bild 2-24). Typische Beispiele dynamischer Korrekturen sind die Schlupferkennung. Wenn sich also die Antriebsräder infolge mangelnder Haftreibung durchdrehen, „sieht“ die Getriebesteuerung eine erhöhte Fahrzeuggeschwindigkeit, was normalerweise eine Hochschaltung zur Folge hat (der aufgrund der Radmomentreduzierung und der dadurch erhöhten Haftreibung wieder eine Rückschaltung folgt usw.). Dieses Durchdrehen der Antriebsräder wird erkannt und die aus der endgültigen Kennlinie resultierende Hochschaltung wird unterdrückt. Eine ähnliche Funktion kann blockierende Antriebsräder (bei Fahrzeugen ohne ABS) erkennen und etwaige Kennlinienrückschaltungen verhindern. Beim so genannten Fast-Off nimmt der Fahrer den Fuß plötzlich, aber nur kurzzeitig vom Fahrpedal (z.B., weil ein langsames Fahrzeug in einiger Entfernung die Straße kreuzt). Dabei wird normalerweise eine Hochschaltung ausgeführt, der bei erneutem Treten des Fahrpedals wieder eine Rückschaltung folgt. Die Fast-Off-Funktion erkennt solche Situationen und kann die beiden (unnötigen) Schaltungen unterbinden. Werden stärkere Bremsmanöver erkannt, so löst eine Bremsassistenz zur Nutzung der Motorbremswirkung vorausschauend Rückschaltungen aus. Eine Kurvenerkennung kann beim Durchfahren einer Kurve das vom Fahrer unter Umständen als unangenehm empfundene Hoch- oder Zurückschalten innerhalb bestimmter Grenzen (Motordrehzahl) unterbinden oder verzögern.
36
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-24: Vereinfachte Struktur und Signalfluss der Fahrstrategie
In der Fahrstrategie im Allgemeinen, insbesondere aber auch bei den letztgenannten dynamischen Korrekturen, spiegelt sich typischerweise die entsprechende Philosophie des Automobilherstellers wieder, die als Summe einer Vielzahl von Fahrversuchen und Erfahrungen aus dem Feld zu betrachten ist. Eine allgemeingültige Aussage, welche Funktionen Bestandteil einer Fahrstrategie sein müssen und wie diese grundsätzlich abzustimmen sind, ist somit nicht möglich. In den letzten Jahren haben sich neben der klassischen binären Logik auch neuere Berechnungsmethoden – allen voran Fuzzy-Logic – durchgesetzt und ihren Weg in die Großserie gefunden. Fuzzy-LogicSysteme basieren auf dem Ansatz, dass die Erfüllung bestimmter Bedingungen oftmals nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu bewerten ist, sondern auch quantifizierbare Zwischenschritte zulässig sind. Eingangswerte für die Fuzzy-Logic-Systeme sind sowohl direkt gemessene als auch abgeleitete Größen, welche zunächst entsprechend aufbereitet werden. Eine vereinfachte Übersicht der Struktur und des Signalflusses (von links nach rechts) ist im Bild 2-24 gegeben. 2.2.2.3 Fahrfunktionen Die Fahrfunktionen sind integrale Bestandteile der Funktionsstruktur der Getriebesteuerung (Bild 2-22). Durch kontinuierliche Auswertung der getriebebezogenen Daten (Drehzahlen, Positionen, Drücke, Temperaturen, elektrische Ströme) wird der Ist-Zustand des Getriebes ermittelt und durch gezielte Beeinflussung entsprechender Stellelemente der gewünschte Soll-Zustand herbeigeführt oder aufrechterhalten. Funktional wird dies durch Verwendung einer Reihe so genannter Zustandsautomaten erreicht, die – teil-
weise miteinander verknüpft, teilweise voneinander unabhängig – Getriebezustände in vordefinierten Reihenfolgen ineinander überführen und so die gewünschten Kräfte und Momente übertragen werden. Typische Unterfunktionen aus dem Bereich Fahrfunktionen können beispielsweise das Anfahren und Anhalten, das Durchführen von Schaltungen, die Schlupfregelung von Kupplungen, das Erfassen und Steuern des Getriebezustandes über Zustandsautomaten, die Momentenvorgabe für den Verbrennungsmotor während der Schaltung, das Auswerten von Brems- und Fahrpedal sowie charakteristischer Drehzahlen sein. In der Getriebesteuerung ist man heute bestrebt, die Schnittstelle zu den unterlagerten Aktorfunktionen auf Drehmomentenbasis zu definieren, um eine größtmögliche Entkoppelung von Fahrfunktionen und mechanischen Getriebeeigenschaften zu erreichen. Insbesondere wird die Überschneidungsschaltung bei klassischen Automatgetrieben und bei Doppelkupplungsgetrieben derart gesteuert, dass die öffnende und die schließende Kupplung aufeinander abgestimmte Momentenvorgaben erhalten, die von den Aktorfunktionen umgesetzt werden, um möglichst ruckfreie Schaltungen zu erreichen. D.h., genau ein Schaltelement (z.B. eine Nasskupplung) öffnet und zeitgleich schließt genau ein weiteres. Durch das Öffnen eines Elementes wird der ursprüngliche Gang verlassen, durch Schließen des zweiten wird der Momentenfluss durch den neuen Zielgang geleitet und somit der Momentenübergang abgeschlossen. Beide Vorgänge werden durch kontrolliertes Öffnen und Schließen entsprechender Magnetventile gesteuert. In ähnlicher Weise erfolgt auch die Momentenanforderung an die (Trocken-)Kupplung automatisierter Handschaltgetriebe in den Betriebszuständen Anfah-
2.2 Getriebesteuerung ren, Anhalten, Kriechen und Schalten. AllradVerteilergetriebe neuerer Bauart verfügen ebenfalls häufig über Sperrkupplungen, über die entweder das vorhandene Zentraldifferential gesperrt (d.h. überbrückt) oder die normalerweise nicht angetriebene Achse angebunden wird. Bei beiden Varianten erfolgt die Kupplungsansteuerung quasi stufenlos und momentenbasiert und somit unabhängig von der Betätigungsart (z.B. hydraulisch oder elektromotorisch). Trotz der Entkopplung der Fahrfunktionen von den unterlagerten Funktionen durch die Momentenschnittstelle sind doch viele getriebespezifische Eigenschaften der Mechanik zu berücksichtigen, so dass allgemeingültige funktionale Aussagen von vornherein in ihrer Anzahl stark eingeschränkt sind. Exemplarisch wird dies nachfolgend anhand zweier Beispiele verdeutlicht: Im Falle der klassischen Stufenautomaten hängt es von der Anordnung und Kombination der verschiedenen Planetensätze und Schaltelemente des jeweiligen Getriebes ab, welche Direktschaltungen (d.h. Schaltungen ohne kurzzeitiges Einlegen eines Zwischenganges) möglich sind. Direktschaltungen zwischen benachbarten Gängen sind in jedem Fall möglich. Entsprechende Einschränkungen beim Überspringen von Gängen müssen in den Fahrfunktionen hinterlegt sein und beeinflussen somit unmittelbar deren Struktur. Automatisierte Handschaltgetriebe können – bezogen auf die für den eigentlichen Gangwechsel installierte Aktorik – in mehreren Bauarten ausgeführt sein. Varianten mit Schaltwalze (vornehmlich im unteren Preissegment) sind bei der Gangauswahl normalerweise auf die sequentielle Reihenfolge beschränkt, während bei anderen Varianten eine direkte Anwahl des Zielganges möglich ist. Entsprechende Einschränkungen müssen ebenfalls in den Fahrfunktionen berücksichtigt werden. Aus den genannten Gründen werden in der Mehrzahl der Getriebeprojekte die Fahrfunktionen vom Getriebehersteller oder dem Fahrzeughersteller definiert und auch implementiert. 2.2.2.4 Aktorfunktionen Die Aktorfunktionen umfassen die getriebenahen Algorithmen, welche unter Einbeziehung spezifischer Charakteristika für die Betätigung der Getriebeaktoren zuständig sind und somit der physikalischen Regelungsaufgabe nachkommen. Um beispielsweise bei hydraulisch betätigten Systemen einen gewünschten Volumenstrom oder Druck zu erreichen, wird typischerweise ein Zielstrom eingeregelt, welcher der spezifischen Kennlinie der eingesetzten Hydraulikventile entnommen wird.
37 Andere physikalische Größen wie übertragbares Drehmoment bei Kupplungen oder Sperrgrad bei aktiven Allradsystemen werden mit Hilfe von Kennfeldern oder Simulationsmodellen aus fahrzeugspezifischen Parametern und physikalischen Systemgrößen (z.B. Hydraulikdruck) berechnet. Bei entsprechend verbauter Sensorik (Druck, Weg, Drehmoment) kann eine vorhandene Regelabweichung direkt ausgeregelt werden. Die Definition von Aktorfunktionen setzt detaillierte Kenntnisse des Systemverhaltens der Aktorik (Hysterese, Alterung, Wärmeausdehnung, Verschleiß) voraus. Idealerweise sind die Aktorfunktionen der Getriebesteuerung so beschaffen, dass sie – sofern sie zur Betätigung von Kupplungselementen eingesetzt werden – ein Zielmoment als Eingangswert erwarten und dieses dann möglichst zeitnah an der betreffenden Kupplung bereitstellen. Das an einer (Reib-) Kupplung übertragene Drehmoment hängt im Wesentlichen von den Einflussgrößen Kupplungsanpressdruck, Temperatur (signifikante Änderung des Reibwerts bei Trockenkupplungen und geändertes Zähigkeitsverhalten der Hydraulikflüssigkeit bei Nasskupplungen), Schlupf, Drehzahlniveau (insbesondere durch Änderung des Anpressdruckes infolge der Zentrifugalkräfte auf die Kupplungsfedern von Trockenkupplungen) und Verschleiß ab. Die vier erstgenannten Größen lassen sich in der Regel direkt oder indirekt bestimmen, ein angefordertes Kupplungsmoment lässt sich damit über entsprechende abgelegte Kennfelder hinreichend genau einstellen. Demgegenüber lässt sich der Verschleiß normalerweise nicht explizit messen, sondern muss in seinen Auswirkungen anderweitig detektiert und kompensiert werden. Im Falle der Schaltübergänge von automatisierten Getrieben führen unsaubere Momentenübergänge zu Schaltrucken, die vom Fahrer als unangenehm empfunden werden können. Funktional lassen sich diese Schaltrucke an den Verläufen charakteristischer Drehzahlen des Getriebes erkennen und können durch Adaption entsprechender Korrekturfaktoren für nachfolgende Schaltungen deutlich reduziert werden. Diese Lernfunktionen dienen ebenfalls dazu, in der Praxis vorkommenden Fertigungstoleranzen innerhalb bestimmter Grenzen auszugleichen. Weitere typische Aktorfunktionen im Getriebebereich sind das Ein- und Auslegen von Gängen bei automatisierten Handschaltgetrieben sowie Untersetzungsschaltungen und Sperrkupplungsbetätigungen bei Allrad-Verteilergetrieben. In beiden Fällen kann die Betätigung der Aktoren hydraulisch oder elektromechanisch erfolgen, wobei in den meisten Fällen Positionssensoren zur Kontrolle der Betätigung – funktional zur Schließung der Regelschleife – vorhanden sind. Im Bild 2-25 sind Geschwindigkeit und Weg der Schaltklaue mit dem prinzipiellen Ablauf einer solchen Schaltung dargestellt.
38
2 Motor und Antriebsstrang liegt die Entwicklungsverantwortung dieser sehr spezifischen Aktorfunktionen bei den Getriebeherstellern. 2.2.2.5 Basisfunktionen
Bild 2-25: Prinzipieller Ablauf des Gangwechsels eines Schaltgetriebes
Zur Anwendung kommt üblicherweise eine Kombination aus Positions-, Geschwindigkeits- und Kraftregelung: Grundsätzlich sollen – insbesondere zur Minimierung der Zugkraftunterbrechung bei automatisierten Handschaltgetrieben – die Gangwechsel so schnell wie möglich durchgeführt werden. Die Synchronisation des Zielganges hat aus Gründen der Lebensdauer der Synchronisiereinrichtungen kraftgesteuert zu erfolgen. Der Gangwechsel im Bild 2-25 lässt sich demnach in folgende Phasen unterteilen: Beschleunigung der Aktorik aus der Ruhelage (A ĺ B), schnelles Auslegen des ursprünglichen Ganges (B ĺ C), Abbremsen der Aktorik vor Erreichen des Synchronisationspunktes (C ĺ D), kraftgesteuertes Durchfahren der Synchronisation (D ĺ E), Beschleunigung der Aktorik zum Einlegen des Zielganges (E ĺ F), schnelles Einlegen des Zielganges (F ĺ G), Abbremsen der Aktorik vor Erreichen des mechanischen Endanschlages (G ĺ H). Zur Optimierung der o.g. Aktorfunktionen lassen sich Vorsteuerungsalgorithmen einsetzen: das (bekannte) mechanische Verhalten der Regelstrecke (d.h. der Aktorik und der zu betätigenden Getriebeelemente) wird als Modell abgebildet und die Vorsteuerung als Inverse dieses Streckenmodells entworfen. Im praktischen Einsatz hat der eingesetzte (Positions-, Geschwindigkeits-, Kraft-, Strom- etc.) Regler dann „nur“ noch die Aufgabe, die verbleibende Regelabweichung zu eliminieren. Mehr noch als bei den o.g. Fahrfunktionen setzt die Entwicklung adäquater Aktorfunktionen – insbesondere einer effizienten Vorsteuerung – detaillierte Kenntnisse der zumeist mechanischen Regelstrecke voraus. Im Rahmen der meisten Getriebeprojekte
Die Basisfunktionen einer Getriebesteuerung stellen die unterste Ebene der Systemregelung (bzw. -steuerung) dar und werden häufig mit I/O (Input/Output, also Ein- und Ausgabe) bezeichnet. Abhängig von der Philosophie des Herstellers der Getriebesteuerung existieren im Bereich der Basisfunktionen verschiedene Hierarchieebenen, in denen I/O-bezogene Umrechnungen fahrzeugabhängig bzw. unter Berücksichtigung der elektronischen Hardware durchgeführt werden. Zu den fahrzeugspezifischen Basisfunktionen zählen beispielsweise die Kommunikation mit anderen Steuergeräten über CAN oder das Diagnosemanagement (Entprellen und Speichern von Fehlern, Rücksetzen eingetragener Fehler etc.). Beispiele für hardwarespezifische Basisfunktionen sind das Einlesen analoger oder digitaler Eingänge und die Konversion dieser Signale in physikalische Größen. 2.2.2.6 Einbindung in den Antriebsstrang Das Getriebesteuergerät stellt neben der Motorsteuerung die wichtigste elektronische Komponente im Antriebsstrang eines Fahrzeuges mit Automatikgetriebe dar. Die Kommunikation mit Steuergeräten des Antriebsstranges sowie des gesamten Fahrzeuges erfolgt typischerweise über den CAN-Bus. Dabei kann der Getriebesteuerung sowohl die Aufgabe zugeteilt werden, Vorgaben anderer Steuergeräte (d.h. Systeme) umzusetzen, als auch Vorgaben für andere Systeme auszugeben. Im Falle einer Vollbremsung mit dem ABS beispielsweise kann die Getriebesteuerung die Anforderung erhalten, den Antriebsstrang vorübergehend zu öffnen, um für das Gesamtfahrzeug die bestmögliche Bremswirkung zu erzielen. Andererseits existiert eine Drehmomentenschnittstelle zum Motor, über die während einer Schaltung die Getriebesteuerung das Motormoment begrenzen kann, um ein ungewolltes Hochdrehen des Motors zu unterbinden. In modernen Allradfahrzeugen mit elektronisch gesteuertem Verteilergetriebe wird dieses zunehmend zur Stabilisierung des Gesamtfahrzeugs eingesetzt (Verteilung des Antriebsmomentes zwischen Vorderund Hinterachse). In diesem Fall kommt dem Zusammenwirken der (Verteiler-)Getriebesteuerung mit dem Anti-Blockiersystem und dem elektronischen Stabilitätsprogramm besondere Bedeutung zu, um beispielsweise einen eingestellten Sperrgrad zwischen Vorder- und Hinterachse vorübergehend aufzuheben und somit die Regeleingriffe nicht zu behindern.
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Verschiedene Motorvarianten einer Fahrzeugplattform schlagen sich normalerweise auch in jeweils angepassten Varianten der Getriebesteuerung nieder, wobei die funktionalen Algorithmen identisch sind, jedoch abhängig von der Variante mit unterschiedlichen Datensätzen (Kalibration) versehen werden. Das gleiche gilt für den Einsatz des gleichen Getriebes in verschiedenen Plattformen oder der Allradvariante eines Fahrzeugtyps. Funktionale Algorithmen werden zunehmend zum Ersatz mechanischer Vorkehrungen eingesetzt. Als Beispiel sei hier die Möglichkeit genannt, Überlastungen im Antriebsstrang frühzeitig erkennen und durch Regeleingriffe verhindern zu können. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten, die Dimensionierung bruchgefährdeter Bauteile teilweise zu reduzieren und so Gewichts- und Kosteneinsparungen zu erzielen.
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe 2.3.1 Konzeptionelle Gemeinsamkeiten bei Motor- und Getriebesteuerungen Die Steuerungselektronik (Hard- und Software) übernimmt die Steuerung und Regelung des Antriebssystems. Dazu verarbeitet sie unterschiedlichste Sensorsignale einschließlich des Fahrerwunschs und errechnet die zugehörigen Stellgrößen für die Aktoren. Heutige Lösungen bieten als wesentliche Vorteile die Möglichkeit zur Implementierung komplexer Funktionen, ein hohes Maß an Konfigurierbarkeit, die Vernetzbarkeit mit anderen Fahrzeugfunktionen, sowie eine Funktionsdiagnose des Antriebssystems. In den folgenden Abschnitten werden die wesentlichen, in den Steuergeräten verwendeten elektronischen Bau-
39 gruppen erläutert und es wird darauf eingegangen, wie Steuergerätegehäuse – abhängig vom Einbauort im Fahrzeug – gestaltet sein können. 2.3.1.1 Gehäuse- und Aufbautechnik 2.3.1.1.1 Umgebungsanforderungen Die Umgebungsanforderungen an AntriebsstrangSteuergeräte werden hauptsächlich von Bedingungen wie Temperatur, Vibration und Schutz gegen bestimmte Medien (Flüssigkeiten, Feststoffe) bestimmt. Verbrauchsoptimierte Verbrennungsmotoren, und hier vor allem moderne Dieselaggregate mit hohem Wirkungsgrad, strahlen im Bereich des Zylinderkurbelwellengehäuses nur noch wenig Wärme ab. Mit dem krümmernahen Katalysator (Close-coupledPrinzip) ist jedoch eine starke Wärmequelle im Motorraum hinzugekommen, die in Verbindung mit der insgesamt hohen Packungsdichte und den komplexen Konvektionsverhältnissen unter der Motorhaube erfordert, dass ein Motorsteuergerät Umgebungstemperaturen bis zu 105 °C bedingt durch Strahlung und Konvektion der umgebenden Komponenten tolerieren muss. Gleichzeitig haben die elektronische Packungsdichte innerhalb der Motorsteuergeräte sowie die Rechenleistung stark zugenommen (typischerweise 10 Millionen Instruktionen pro Sekunde MIPS Prozessorleistung), wodurch die Verlustleistung der Elektronik und damit die Wärmeabstrahlung ebenfalls größer geworden ist. Die räumliche Nähe zur Aufhängung der Verbrennungsmaschine mit ihren betriebspunktabhängigen Kräften und Momenten erfordert im Motorraum eine Vibrationsfestigkeit bis zu 16 g. Hinzu kommt der Einfluss von Medien wie Staub, Salz und Strahlwasser, die eine sichere Kapselung des Steuergeräts mit Schutzgrad IP 65 nach DIN EN 60529 (VDE 0470) oder höher erfordern.
Bild 2-26: Einbauräume für Steuergeräte
40
2 Motor und Antriebsstrang
Tabelle 2-1: Einbauklassen im Pkw Fahrgastraum/ Elektronikbox
Motorraum
Aggregateanbau (z.B. am Motor, am Getriebe, am Luftfilter)
Integration ins Aggregat (z.B. Einbau ins Getriebe)
Vibrationswerte (abhängig von der Frequenz)
bis 5 g
bis 15 g
bis 28 g
bis 40 g
Thermische Klasse (Umgebungstemperatur)
bis 80 °C
bis 105 °C
bis 125 °C
bis 140 °C
Dichtheit
staubdicht
staubdicht, strahlwasserdicht
staubdicht, dampfstrahldicht
getriebeöldicht
Maß und Schwere der Umgebungsbedingungen ergeben sich also in erster Linie durch den Einbauort im Pkw, wie im Bild 2-26 gezeigt, und werden in die Einbauklassen Fahrgastraum, Elektronikbox (E-Box), Motorraum, Aggregateanbau sowie Integration ins Aggregat eingeteilt. Die Definition der verschiedenen Klassen ermöglicht es, zugeordnete Gehäusekonzepte und gesamtintegrierte Konzepte zu entwickeln, beispielsweise für Getriebesteuerungen. Mit dieser Form der Standardisierung lassen sich der projektspezifische Entwicklungsaufwand und die Strukturen einer typischerweise globalen Fertigungsstrategie beherrschen. Für die Auswahl des Einbauortes gibt es neben wirtschaftlichen Zwängen zahlreiche technische Erwägungen, wie Einflüsse auf die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) durch die Länge des Kabelbaums (z.B. bei Einbau im Motorraum oder Aggregateanbau), den möglichen Verbau im Innenraum im Zuge
der Konzentration von Steuergeräten (in einer Elektronikbox), die Möglichkeit zum Getriebe- oder Motortest inklusive Steuergerät vor dem Verbau im Fahrzeug (d.h. Getriebeanbau; Motoranbau) sowie die Frage nach Integrationsmöglichkeiten (Systemansatz), wie bei der integrierten Getriebesteuerung (vgl. Abschnitt 2.3.3.1). Generell kann man seit einiger Zeit einen Trend bei der Auswahl des Anbauortes weg vom Passagierraum und hin zum aggregatnahen Anbau erkennen. Bei den Einbauorten herrschen in der Regel die in Tabelle 2-1 dargestellten Umgebungsbedingungen. Die Umweltbedingungen werden mit zunehmender Nähe zum Aggregat (Getriebe, Motor) für die Gehäuse immer belastender, was sich in der konzeptionellen Auslegung des Gerätes entsprechend niederschlägt. Zu beachten sind hierbei insbesondere die Auswahl der Materialien, die Fertigungsprinzipien sowie die Funktionsweisen der Geräte.
Bild 2-27: Steuergeräte im Antriebsstrang: a) Stand-alone-Lösung, b) integrierte Lösung
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Bei Steuergeräten wird zwischen „Stand-aloneLösungen“ und „integrierten Lösungen“ unterschieden (Bild 2-27). Stand-alone bezeichnet Steuerungen, die als eigenständige Einheit im Pkw verbaut werden, im Gegensatz zu integrierten Produkten, die mit einer anderen Funktionseinheit (z.B. Getriebe) kombiniert werden. Beide Konzepte sind in den nachstehenden Kapiteln näher beschrieben. Bild 2-27 verdeutlicht am Beispiel einer Getriebesteuerung den Unterschied der beiden Konzepte. 2.3.1.1.2 Stand-alone-Lösungen In der Vergangenheit mussten die Gehäuse hauptsächlich die innen liegende Elektronik vor Umweltbedingungen wie Wasser, Staub und mechanischen Einwirkungen schützen. Wegen des erhöhten Schaltungsumfangs, der steigenden elektrischen Leistungsfähigkeit sowie durch erhöhte Umgebungstemperaturen als Ergebnis der Verlagerung des Anbauorts hin zum Aggregat hat das thermische Management an Bedeutung gewonnen. So sind die thermischen Rahmenbedingungen heute bereits ein entscheidender Faktor für die Konzeptauswahl. Um Verlustleistungen der Elektronik bis zu 40 Watt nach außen abführen zu können, werden bei der Auslegung der Kühlrippen, der thermischen Brücken und der Schaltungsträger Ergebnisse aus thermischen Simulationen und vergleichenden Messungen hinzu gezogen. Die Umgebungstemperatur und die Temperatur an den Befestigungsstellen entscheiden oft über die Auswahl des Schaltungsträgers und somit auch über die Fertigungsverfahren. Die Gehäuse müssen ferner vielfältige Befestigungsmöglichkeiten (Einschub, Schrauben, Klemmen) bieten und den Vibrationsbedingungen
41 genügen. Um dem Trend zur Leichtbauweise im Automobilbau Rechnung zu tragen, nutzt man bei der Entwicklung Festigkeitsberechnungen. Die Dimensionierung der Teile erfolgt dann gemäß der Spannungsverteilung bei unterschiedlichen Lastfällen. Die Bilder 2-28 und 2-29 zeigen exemplarisch jeweils Gehäusetypen für den Verbau im Fahrgastraum und im Motorraum. Bei den Gehäusen für den Verbau im Fahrgastraum besteht das thermische Konzept aus einer Leiterplatte mit einem speziellen Lagenaufbau, der die Weiterleitung der Abwärme der elektrischen Bauteile zu den metallischen Gehäuseteilen übernimmt. Um den Weg des Wärmetransports so kurz wie möglich zu halten, sind die Leistungshalbleiter in der Regel am Rand der Leiterplatte platziert. Da meist mehr als ein Steuergerät in der Elektronik-Box verbaut wird, kann es vorkommen, dass die anfallende Verlustleistung nicht ausschließlich durch freie Konvektion abgeführt werden kann. In diesem Fall ist ein Zusatzlüfter erforderlich. Bild 2-29 zeigt ein Gehäuse für den Motorraumeinbau. Sein Gewicht liegt zwischen 400 und 1200 g, abhängig von Größe und Funktionalität. Die Abmessungen hängen von der Funktionalität ab und liegen bei einer Länge von rund 160 mm, einer Breite von ca. 180 mm und einer Höhe von ca. 40 mm. Dieser Gehäusetyp erfüllt die Randbedingungen hinsichtlich Funktionalität und Einbauort, wie sie von der Mehrzahl der europäischen Fahrzeughersteller heute gefordert werden. Der modulare Aufbau ermöglicht eine Adaption an unterschiedlichste Befestigungsmöglichkeiten bis hin zum integrierten Anbau am Luftsaugtrakt.
Bild 2-28: Gehäusekonzept für den Verbau im Fahrgastraum oder in der Elektronikbox
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Bild 2-29: Gehäusekonzept für den Einbau im Motorraum; Gewicht 400 bis 1200 g (abhängig von Größe und Funktionalität), Länge ca. 150 mm, Breite ca. 180 mm und Höhe ca. 40 mm (abhängig von der Funktionalität)
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-31: Gehäusekonzept für Aggregateanbau, z.B. am Luftfilter oder Ansaugmodul
[Quelle: Siemens VDO] Der Einbauort am Getriebe-Aggregat als integrierte Getriebesteuerung stellt die größte Herausforderung an Material, Aufbau- und Fertigungskonzept. Die Lösungen unterscheiden sich daher grundlegend von den vorgenannten. Als Substrat werden keramische Materialien benötigt, als elektrische Bauteile kommen „unverpackte“ integrierte Schaltkreise zum Einsatz (Bild 2-32). Bei einem solchen Konzept sind die Möglichkeiten der Miniaturisierung voll ausgeschöpft.
Bild 2-30: Modulares Stecksystem
Mit unterschiedlichen Stiftleisten können bei nahezu unverändertem technischem Aufbau des Steuergeräts verschiedene Funktionalitätsanforderungen (über die Anzahl und Art der Steckerpins) und unterschiedliche Kabelbaumphilosophien (über die Anzahl der Steckmodule) beherrscht werden. Bild 2-30 zeigt ein modulares Stecksystem für das Steuergerät im Bild 2-29, für das mit standardisierter Schnittstelle zum Gehäuse verschiedene Stecker mit identischer Steckrichtung verfügbar sind. Bild 2-31 zeigt ein Motorsteuergerät für den direkten Anbau z.B. am Luftfilter oder Ansaugmodul. Dieses Konzept verbindet die hohe Vibrationsbeständigkeit laminierter Konzepte mit der Möglichkeit, die Leiterplatte partiell zweiseitig mit elektronischen Bauelementen zu bestücken und damit sehr klein zu bauen.
Bild 2-32: Gehäusekonzept für Motor- oder Getriebeanbau
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe 2.3.1.1.3 Verbindungstechnik Die Stiftleiste des Steckverbinders ist das Ergebnis umfangreicher Abstimmungen zwischen dem Fahrzeughersteller und seinen Zulieferern. Stiftleisten unterliegen zahlreichen Randbedingungen. Dazu zählen der Motormanagement-Systemansatz des Fahrzeugherstellers (Aufteilung der Kabelbaumarchitektur für Motor und Chassis), das Kontaktsystem (Querschnitte, Oberflächen), das Dichtkonzept (Einzelader- oder Sammeldichtung), die Frage der Steckkräfte, die Montagerichtung und die Verriegelungsstrategie, die Diebstahlsicherung, die Vibrationsfestigkeit und Biegesteifigkeit, das Montageverfahren (Schwalllöten, Reflowlöten, Einpressen, Bonden) sowie die Materialauswahl und -kombination, um die wichtigsten Kriterien zu nennen. Definiert werden die Verbindungselemente hauptsächlich durch die Anzahl der Pins, die Anzahl der Module (Kammern), die Dichtheit und die Abgangsrichtung des Steckers (senkrecht oder parallel zur Leiterplatte). Da die Entwicklungsaufwendungen angesichts der vielfältigen Einflussgrößen beträchtlich sind, gibt es gemeinsame Bestrebungen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern, Anforderungsklassen und Ausführungen zu vereinheitlichen. 2.3.1.2 Elektronikkonzepte 2.3.1.2.1 Grundstruktur Der grundsätzliche Signalfluss und die wesentlichen Funktionen einer zentralen Steuerungseinheit sind in Bild 2-33 in Form eines Blockdiagramms dargestellt: Die Sensorsignale werden über ein Eingangsfilter zum Rechner geleitet. Dort werden die Signale umge-
43 setzt, und es werden Signale generiert, die über Endstufen zur Aktorik fließen. Über digitale Schnittstellen kann eine Verbindung zu anderen Steuergeräten oder zu Werkstattdiagnosetestern hergestellt werden. Ein Spannungsregler stellt die nötige Versorgung der Bauteile sowie verschiedener, an das Steuergerät angeschlossener Sensoren her. Eine Reset-Logik stellt sicher, dass sich das Steuergerät während und nach Spannungseinbrüchen oder fehlerhaftem Verhalten einzelner Baugruppen in einem präzise definierten Zustand befindet. Signalaufbereitung Von den Sensoren, Schaltern und anderen Steuereinheiten, die im Motorraum und im Fahrzeuginnenraum verteilt sind, gelangen analoge und digitale Signale über den Kabelbaum in die Antriebsstrangsteuergeräte. Dort erfolgt eine Umformung der unterschiedlichen Signalformen und -größen in digitale Spannungen und Frequenzen, die für den Mikrocontroller lesbare Informationen sind. Besonders aufwändig gestaltet sich z.B. die Aufbereitung des Eingangssignals von Induktivgebern zur Drehzahlbestimmung von Wellen im Motor oder im Getriebe. Bei Verwendung von Induktivsensoren liegt die Besonderheit in der Abhängigkeit der Signalamplitude von der Drehzahl. Sie reicht von wenigen hundert Millivolt bei niedrigen Umdrehungszahlen bis hin zu mehreren hundert Volt bei hohen Drehzahlen. Die Signalumwandlung in die digitale Rechteckform der zu messenden Frequenz erfolgt durch eine Nulldurchgangsdetektion, wobei Störsignale durch eine variable Gegenkopplung unterdrückt werden.
Bild 2-33: Signalfluss
44 Signalauswertung Die Rechnereinheit selbst umfasst den Hauptrechner, den Festwertspeicher für Programmcode und Kenngrößen, den variablen Datenspeicher und ggf. die Überwachungseinheit für die Funktionsprüfungen bei sicherheitskritischen Systemen. Die Ergebnisse werden in Form einer Pegel- oder Zeitinformation an die Ausgangsports des Mikrocontrollers weitergeleitet. Das Antriebssystem wird als sicherheitskritisches System betrachtet, weil durch eine Fehlfunktion ein unkontrolliertes Beschleunigen des Fahrzeuges verursacht werden könnte (vgl. Abschnitt 2.1.2.8). Um eine solche unkontrollierte Beschleunigung auszuschließen, kommt neben dem Hauptrechner eine Überwachungseinheit zum Einsatz. Hauptrechner und Überwachungseinheit kontrollieren gegenseitig ihren fehlerfreien Betrieb. Werden beim parallelen Abarbeiten von Rechenalgorithmen Abweichungen zwischen Hauptrechner und Überwachungseinheit erkannt, wird das Aggregat in einen unkritischen Zustand (Notlauf) versetzt. Signalausgabe Der logische Pegel der Ausgangsporttreiber des Mikrocontrollers wird als Steuersignal für die jeweilige Endstufe verwendet, die wiederum den im Fahrzeug verbauten Aktor betreibt. Die Endstufen lassen sich in drei Kategorien einordnen. Dazu gehören Low-SideTreiber, High-Side-Treiber und Brückenendstufen. Low-Side-Treiber (Bild 2-34a) steuern induktive und ohmsche Lasten, die an die Batteriespannung angeschlossen sind. Beispiele dafür sind Ventile, Relais und Zündspulen sowie Heizwiderstände und logische
2 Motor und Antriebsstrang Schnittstellen anderer elektronischer Steuerungen. High-Side-Treiber (Bild 2-34b) wiederum schalten den Stromfluss für Verbraucher, die einseitig an Masse liegen. Bei Brückenendstufen liegt der Verbraucher mit beiden Anschlusspolen am Steuergerät (Bild 2-35). Dieses Anschlussprinzip ist insbesondere für den Betrieb von Gleichstrommotoren vorgesehen, die eine kontinuierliche Verstellung von Vorwärts- und Rückwärtsbewegung erfordern. Allen Endstufen gemeinsam ist eine Selbstschutzfunktion, die bei elektrischen Kurzschlüssen nach Batterie oder Masse- oder bei Lastkurzschluss am Ausgang eine Bauteilzerstörung verhindert. Darüber hinaus werden diese Betriebsstörungen schaltungstechnisch detektiert und in einem Fehlerregister zwischengespeichert. Die Recheneinheit hat nun die Möglichkeit, über die serielle Schnittstelle die Fehlercodes aus der Endstufe abzurufen und fest definierte Reaktionen, wie Notlauffunktionen, Ansteuerung einer Fehlerlampe und Eintrag in den internen Fehlerspeicher, auszulösen. Spannungsversorgung Dieser Schaltungsteil übernimmt die Spannungsversorgung für das Steuergerät aus dem Bordnetz des Fahrzeugs. Je nach Zustand und Belastung der Batterie (z.B. durch den Starter) wird dabei eine im Spannungsbereich von 6 bis 16 V variabler in eine konstante Gleichspannung von 5,0 V (bei neuen Systemen zusätzlich auch weitere Spannungen wie z.B. 3,3 V) für den Betrieb der Elektronik umgewandelt.
Bild 2-34: Prinzip einer Treiberschaltung: a) Low-Side-Treiber, b) High-Side-Treiber (UBat bezeichnet die Batteriespannung, gezählt gegen Masse)
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe
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Bild 2-35: Prinzip einer H-Brückenschaltung (UBat bezeichnet die Batteriespannung, gezählt gegen Masse)
Die Unterdrückung von Störspannungen aus dem Bordnetz (bis zu r150 V) durch Schutzmaßnahmen mit Halbleitern und Kondensatoren trägt zum fehlerfreien Betrieb der Elektronik bei. Darüber hinaus stellt dieser Schaltungsblock weitere Ausgänge mit einer konstanten Spannung von 5 V bereit, um externe Potentiometer oder Sensoren mit Spannung zu versorgen. Diese so genannten Tracking-Ausgänge haben maximal ein Prozent Abweichung von der Spannung des Hauptreglers. 2.3.1.2.2 Elektronische Bauelemente und Schaltungen Exemplarisch sind hier einige typische, in Steuerungen eingesetzte elektronische Bauelemente und Schaltungen genauer erläutert: Endstufenbausteine Häufig werden Mehrfachbausteine verwendet. Diese Mehrfachendstufenbausteine werden direkt vom Mikrocontroller angesteuert und sind in der Lage, die Aktoren anzusteuern. Eine aufwändige Diagnose überwacht die Ausgänge auf Fehlerzustände wie z.B. Überstrom, Kurzschluss, Übertemperatur oder Leitungsbruch (Open Load). Die für jeden Ausgang separat speicherbaren Fehlerbits können vom Mikrocontroller über ein serielles Interface ausgelesen, ausgewertet und gespeichert werden.
Mikrocontroller Verwendet werden Mikrocontroller, die speziell für Anwendungen in der Automobiltechnik konzipiert wurden. Diese Bausteine kombinieren hohe Rechenleistung mit der Integration von Peripheriebausteinen, die zur Auswertung der Eingangssignale und zur Ansteuerung der Endstufen nötig sind. Spannungsregler Dieser Baustein stellt drei Versorgungen zur Verfügung: eine Hauptversorgung und zwei Nebenversorgungen mit deutlich geringerer Leistungsfähigkeit, die der Hauptversorgung (dem Hauptregler) nachgeführt werden. Der Hauptregler ist für die im Steuergerät untergebrachten Bausteine zuständig, während die beiden nachgeführten Tracking-Ausgänge des Reglers beispielsweise zur Versorgung von Sensoren außerhalb des Steuergerätes verwendet werden können. Weiterhin ist eine Überwachereinheit (Watchdog) und eine Freigabelogik mit in den Baustein integriert (Bild 2-36). Redundante Treiberbausteine Manche Lasten werden zwischen einer Low-SideEndstufe und einer High-Side-Endstufe betrieben, um im Fehlerfall (z.B. Kurzschluss des Low-SideTreibers nach Masse, wodurch die Last nicht mehr abgeschaltet werden könnte) noch mit der zweiten Endstufe reagieren zu können und so für das Fahrzeug eventuell kritische Systemzustände mit Hilfe der Elektronik zu verhindern.
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2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-36: Spannungsregler mit Überwachungseinheit und Freigabelogik
Brückenschaltungen für Elektromotoren mit erhöhten Stromanforderungen Bei Verteilergetrieben für Allradantriebe werden häufig Elektromotoren als Aktor für die Aktivierung der Sperrfunktion eingesetzt. Für den Betrieb dieser Elektromotoren sind Spitzenströme bis weit über 25 A nötig. Für solche Belastungen sind integrierte H-Brücken-Bausteine nicht mehr geeignet. Es muss auf diskrete Lösungen zurückgegriffen werden. Dazu wird ein intelligenter Logikbaustein mit vier Leistungstransistoren zu einer H-Brückenschaltung kombiniert (vgl. hierzu Bild 2-35). Der Logikbaustein ist für die Ansteuerung und Überwachung (Diagnose) der Transistoren zuständig, während die Transistoren (i.A. MOSFETs) als Schalter für den Strom genutzt werden. Auch hier wird, falls nötig, der Strom über Mess-Shunts bestimmt. Abhängig vom Regelkonzept liegt der Mess-Shunt entweder im gemeinsamen Strompfad der beiden Halbbrücken, oder es wird jeweils ein Shunt in den Strompfaden der beiden Halbbrücken eingebracht. Letztere Schaltung hat den Vorteil, dass der Strom durch die Last und der Freilaufstrom (vgl. Bild 2-35) unabhängig voneinander gemessen werden können.
2.3.2 Besonderheiten der Motorsteuergeräte-Hardware Die Motorsteuerungselektronik muss für den Verbau im Motorraum thermisch, mechanisch, von den Abmessungen her und im Hinblick auf elektromagnetische Verträglichkeit geeignet sein. Typischerweise ist der thermische Entwurf unter Einbeziehung konstruktiver Merkmale aller Bauteile aufwändig. Wegen der hohen Anforderungen an die Motorfunktionalität sind leistungsfähige Mikrocontroller erforderlich. Teilweise verlangt der Gesetzgeber eine zusätzliche Diagnosefunktion. Zudem muss die Motorsteuerung meist in mehrere Kommunikationsnetze eingebunden werden (insbesondere CAN). Eine (Re-)Programmierbarkeit im Feld ist ebenfalls gefordert. Die nachfolgend dargestellten Systeme sind die elektronische Grundlage für die in Abschnitt 2.1 (Motormanagement) jeweils näher beschriebenen Funktionen. 2.3.2.1 Zündung Bei Ottomotoren wird die Verbrennung durch die Erzeugung eines Zündfunkens eingeleitet. Dazu wird zwischen den Elektroden der Zündkerze eine Hochspannung erzeugt und so das vorhandene Gas ionisiert.
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe
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Bild 2-37: Beispiel einer Zündschaltung
Die Ionisierungsstrecke brennt weiter, auch wenn die Elektrodenspannung wieder zurückgeht. Um eine sichere Entzündung zu gewährleisten, müssen Beginn und Dauer des Brennvorgangs der Zündkerze geregelt werden. Die Hochspannung entsteht an der Sekundärseite eines Übertragers, indem der Primärstrom zum vorgegebenen Zündzeitpunkt unterbrochen wird. Die Ansteuerelektronik besteht aus dem eigentlichen, spannungsfesten Schalter (IGBT), einer Gate-Treiberschaltung, sowie Mess- und Diagnosefunktionen, die das korrekte Erzeugen des Zündfunkens erfassen. Während der oder die Übertrager motornah verbaut sind, kann der IGBT ggf. zusammen mit einem Teil der Diagnoseelektronik innerhalb oder außerhalb des Steuergeräts platziert sein. Die im Bild 2-37 gezeigte Schaltung weist folgende Funktionalitäten auf: Die Primärspannung verändert sich relativ zu einem vorgegebenen Grenzwert, abhängig vom Strom in der Zündkerze. Hieraus wird auf die Brenndauer des Funkens geschlossen. Der Verlauf der Kollektorspannung am IGBT ist davon abhängig, ob die Induktivität des Übertragers vorhanden ist. Dies wird zum
Bild 2-38: Prinzip der Klopfsignalauswertung
Nachweis eines eventuellen Batteriekurzschlusses genutzt. Der Primärstrom kann direkt mit einem Shunt-Widerstand gemessen werden. Aus dem Messergebnis lässt sich auf die korrekte Funktion schließen, und Regeleingriffe für die nächste Zündung können vorgenommen werden. 2.3.2.2 Klopfsignalauswertung Zur Steuerung des Verbrennungsprozesses, insbesondere bei Ottomotoren, wird das im Brennraum erzeugte Klopfgeräusch verwendet. Ein oder mehrere Körperschallaufnehmer erzeugen ein elektrisches Signal, aus dem das charakteristische Klopffrequenzband im relevanten Zeitintervall heraus gefiltert werden muss (Bild 2-38): Das vom Sensor gelieferte Signal wird zunächst vorverstärkt und das Signalniveau neu angepasst. Da die Signalverarbeitung mit Digitalschaltungen implementiert ist, wird das Signal zunächst gefiltert, um ein Aliasing zu verhindern.
48 Weitere Verstärkung und Bandpassfilterung wählt den relevanten Frequenzanteil aus, Gleichrichtung und Integration erzeugen einen von der Klopfregelung verwendeten Signalwert. Verstärkung, Filtermittenfrequenz und Integrationsparameter sind programmierbar und damit auf ein bestimmtes System anpassbar. Für 4-Zylindermotoren wird ein Sensor ausgewertet, für größere Motoren mehrere, um die zylinderselektive Erfassung ohne Überlappung und mit hinreichender Signalqualität sicherzustellen. 2.3.2.3 Ansteuerung magnetventilbetätigter Injektoren in der Direkteinspritzung Direkteinspritzende Otto- und Dieselmotoren stellen hohe Anforderungen an die Leistung und Genauigkeit der Injektoransteuerung. Bei Injektoren mit Magnetventil (Solenoid) wird ein geregelter Strom verwendet, um das Ventil zu betätigen. Zum Öffnen lässt man zunächst einen hohen Strom fließen, indem man eine hohe Spannung anlegt, die von einem Spannungsübersetzer geliefert wird. Nach einer vorgegebenen Zeit wird der Strom dann auf einen Haltewert zurückgesetzt, der aus der Batteriespannung gespeist wird.
2 Motor und Antriebsstrang 2.3.2.4 Ansteuerung piezogetriebener Injektoren in der Direkteinspritzung Mit der hohen Schaltgeschwindigkeit piezogesteuerter Injektoren lässt sich die Einspritzmenge exakt an die momentanen Anforderungen anpassen und eine hohe Wiederholbarkeit gewährleisten. Weiterhin sind aufgrund der kurzen Schaltzeiten kleinere Einspritzmengen und zusätzliche Vor- und Nacheinspritzungen möglich. Das Aktor-Element besteht aus einem Stapel von mehreren hundert übereinander geschichteten Piezokeramikfolien. Nach Aufbringen von Ladung dehnt sich dieser Aktor innerhalb 0,15 ms um einige 10 µm aus. Elektrisch verhält sich der Piezo-Stapel wie ein nichtlinearer, mit Hysterese behafteter Kondensator. In Bild 2-39 erkennt man einen typischen Strom- und Spannungsverlauf. Aufgrund des Ansteuerstroms fließt Ladung auf oder ab und verändert so die Spannung und den gewünschten Nadelhub. Eine genaue Steuerung der Zeitabläufe und der aufgeflossenen Ladung sind Voraussetzung für die exakte, reproduzierbare Kraftstoffzumessung, die wiederum zum anforderungsgerechten Betrieb des Motors notwendig ist. Die Ansteuerung des Piezo-Injektors besteht aus einem Gleichspannungswandler, der eigentlichen Ansteuerelektronik sowie der Software, die für jeden Einspritzzyklus die Ansteuerparameter festlegt.
Bild 2-39: Strom- und Spannungsverlauf am Piezo-Injektor
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Gleichspannungswandler Die Ansteuerelektronik wird mit einer Eingangsspannung von 60 bis 80 V betrieben, die von einem Spannungsübersetzer in der Motorsteuerung erzeugt wird. Dieser Wandler ist entsprechend den Anforderungen an die notwendige elektrische Leistung sowohl für den stationären Fall (mittlere Leistungsaufnahme bei voller Last) als auch für kurzzeitige Belastung (Mehrfacheinspritzung in einem Zyklus) auszulegen. Während eines Resets muss sich die Ausgangsspannung auf einen voreingestellten Wert einstellen. Störabstrahlung und Verlustleitung werden durch geeigneten Schaltungsentwurf begrenzt. Injektoransteuerung Bei der Ansteuerung müssen die Injektoren gesteuert geladen und entladen werden. Dies geschieht beispielsweise mit einer Schaltung nach dem Resonanzprinzip, wie in den Bildern 2-40 und 2-41 gezeigt. Dabei bilden die im (Ent-)Ladekreis befindlichen Bauelemente Kondensator und Spule zusammen mit der Piezo-Kapazität ein schwingfähiges System. Die zur Piezoansteuerung notwendige Energie pendelt zwischen dem Steuergerät und dem jeweiligen Injektor hin und her. Die im jeweiligen Kreis befindlichen Dioden erzwingen, dass der Ladungstransport immer nur in der jeweils gewünschten Richtung erfolgt. Der Übersichtlichkeit halber sind hier die Low-SideSelect-Schalter, mit denen der jeweilige Injektor ausgewählt wird, nicht dargestellt.
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Bild 2-41: Entladevorgang des Piezo-Injektors
Die Entladephase (Bild 2-41), beginnt durch Schließen des Schalters S2. Die Ladung fließt nun vom Piezo-Injektor auf den Längskondensator C, dessen Spannung sich erhöht. Die zwischengeschaltete Entladediode verhindert, dass dem Piezo-Injektor unmittelbar nach der Entladung erneut Strom zugeführt wird. Befindet sich das System im Reset, muss die Entladung der Piezo-Aktoren sichergestellt sein, um eine unkontrollierte Einspritzung möglicherweise großer Kraftstoffmengen auszuschließen. Dazu wird der Schalter S2 im Reset geschlossen. Im Fall eines sicherheitskritischen Zustands wird die Einspritzung ebenfalls unterbunden.
2.3.3 Besonderheiten der Getriebeelektronik Vielfach wird die Steuerelektronik in das Getriebe integriert. Daraus resultieren deutlich erhöhte Anforderungen (Temperatur, Vibration, Dichtheit etc.) an die verwendeten elektrischen Bauteile und Materialien. 2.3.3.1 Integrierte Steuerungen
Bild 2-40: Ladevorgang des Piezo-Injektors
Bild 2-40 zeigt den Ladevorgang: Eingangsseitig liefert der Gleichspannungswandler eine geglättete Spannung von U1 | 70 V. Mit dem Schließen des Schalters S1 fließt Ladung auf den Piezo-Injektor, an dem schließlich eine Spannung von rund 140 V anliegt. Die Ladediode verhindert, dass während der Ladephase Ladung vom Piezo-Injektor abfließt. Nach Abschluss der Ladephase öffnet S1 und die auf dem Piezo-Injektor befindliche Ladung hält ihn geöffnet. Durch geeignete Spannungsmessungen am Injektor lässt sich die aufgeflossene Ladung errechnen, woraus Werte für die Regelung und die Diagnose der Ansteuerung abgeleitet werden.
Eine Getriebesteuerung umfasst neben der eigentlichen elektronischen Ansteuerung der Aktoren auch die Erfassung wesentlicher Messgrößen über Weg-, Winkel-, Drehzahl-, Temperatur- und Drucksensorik. Eine ins Getriebe integrierte, mechatronische Getriebesteuerung (Mechatronic Transmission Module, MTM) fasst zusätzlich zur elektronischen Steuerung und zur Sensorik auch die Potential- und Signalverteilung, die Kontaktierung zu den Schaltkomponenten und sonstige hydraulische und elektronische Schnittstelleneinrichtungen zusammen, im Idealfall als eigenständiges Modul. Gegenüber Stand-aloneGetriebesteuerungen bieten ins Getriebe integrierte Steuergeräte ein größeres Potential bei den Funktionen, da alle maßgeblichen Eingabe- und Ausgabekomponenten direkt im Getriebe angeordnet sind. Werden Getriebe und integrierte Steuerung bereits ab der Konzeptionsphase gemeinsam entworfen, lässt
50 sich die Anordnung aller erforderlichen Komponenten hinsichtlich Ort, Orientierung und Technologie optimieren und damit ein Höchstmaß an Integration erreichen. Sinnvollerweise wird eine integrierte Getriebesteuerung an die hydraulische Schaltplatte montiert, also an der tiefsten Stelle des Getriebes im Ölsumpf, da hier die Druckregelventile arbeiten und direkt kontaktiert und angesteuert werden können. Das MTM ist dabei extrem widrigen Umgebungsbedingungen wie hohen Dauervibrationsbelastungen und hohen Dauertemperaturen bei mitunter sehr aggressiven Ölen ausgesetzt. Der Aufbau eines MTMs muss deshalb einen hermetisch dichten Elektronikraum bereitstellen, dauerhafte interne und externe Schnittstellenkontaktierungen sicherstellen und eine hohe mechanische Festigkeit und Stabilität gewährleisten, um auftretende Vibrations- und Drucklasten unbeschadet zu überstehen. Außerdem muss er eine hohe und reproduzierbare Präzision aufweisen, um eine genaue Referenz für angebrachte Sensorik zu bilden und 100prozentige Mediumkompatibilität zum eingesetzten Getriebeöl besitzen. Im Bild 2-42 sind der Aufbau und die verwendete Technologie eines MTMs beispielhaft beschrieben. Als Basis und Schnittstellenglied des MTMs zur hydraulischen Schaltplatte des Getriebes fungiert eine Aluminiumbodenplatte, die als Wärmesenke und Wärmeübertragungskörper für das auf ihr mit Wärmeleitkleber aufgebrachte Keramik-Substrat, die so genannte Low Temperature Cofired Ceramic (LTCC) dient. Auf dieser Bodenplatte befindet sich eine auflaminierte, flexible Leiterplatte, die das
2 Motor und Antriebsstrang Signal- und Potentialverteilungselement von der Getriebesteuerungselektronik auf dem LTCCSubstrat zu allen peripheren Sensierungs- und Signalerfassungskomponenten ist. In der Aluminiumbodenplatte sind Drucksensoren mit eigenen Dichtungen eingepresst. Die elektrische Kontaktierung des Substrats zu den Drucksensoren und der flexiblen Leiterplatte erfolgt über 300-µm-AluminiumDickdrahtbondungen. Die gesamte Elektronik und die Drucksensorik wird mit einem Kunststoffdeckel und einer Einlegedichtung gegen die Umwelt hermetisch abgedichtet und vernietet. Die Dichtungskonfiguration in Kombination mit dem Dichtungswerkstoff wird so gestaltet, dass unter allen Toleranzen und den extremen Temperaturbedingungen eine ausreichende und dauerhaft wirkende Dichtrückstellkraft gewährleistet bleibt. Zum Schutz der elektronischen Bauelemente und der Bondungen gegen Vibrationseinwirkungen wird der Elektronikraum noch mit einem Silikongel befüllt. Kontaktierungen der flexiblen Leiterplatte zu den peripheren Komponenten wie Drehzahlsensoren, Regelventilanschlüssen, Wählbereichsschalter, Fahrzeugstecker und interne Stecker, erfolgen über ein qualifiziertes Laserschweißverfahren. Beim Montieren des MTMs auf der Schaltplatte (einem hydraulischen Element zum Schalten der Fahrstufen) werden simultan alle Druckregelventile ankontaktiert, die hydraulische Schnittstelle zu den Drucksensoren geschlossen und alle Sensorreferenzpositionen hergestellt, wobei die Gestaltung der Druckregelkontakte eine 3DFehlstellung der in der Hydraulik eingesetzten Ventile ausgleichen kann.
Bild 2-42: Mechatronische Getriebesteuerung für ein stufenloses Getriebe
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe
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Bild 2-43: Mechatronische Getriebesteuerung für ein 7-Gang-Automatikgetriebe
Als weiteres Ausführungsbeispiel dient hier die mechatronische Getriebesteuerung für ein 7-GangAutomatikgetriebe (Bild 2-43). Die Technologiegeneration dieses Moduls entspricht dem des oben gezeigten für das stufenlose Getriebe. Dieses Gerät integriert die abgedichtete Steuerelektronik, die Sensorik für den Wählbereich sowie für die Turbinen-, Zwischen-, und Abtriebsdrehzahl und die entsprechende Signal- und Potenzialverteilung. Die elektronische Schnittstelle zwischen der mechatronischen Getriebesteuerung und dem Fahrzeug wird von einem öldichten, fünfpoligen Steckverbinder gebildet, der durch das Getriebegehäuse hindurchragt und mit radial wirkenden O-Ringen gegen dieses abgedichtet wird. Aufgrund der eingesetzten flexiblen Leiterplattentechnologie als signal- und potentialverteilendes Element bleibt der Fahrzeugsteckverbinder in definierten Grenzen beweglich und erlaubt es somit, Montagetoleranzen auszugleichen. Ferner können die Druckregelventile mit Federkontakten flach und ohne spezifische Zwischenkontaktierungselemente auf offene, flexible Leiterplattenbereiche gepresst und so mit der Steuerelektronik verbunden werden. Um eine noch höhere Integrationsstufe zu erreichen, kann für zukünftige, integrierte Getriebesteuerungs-Generationen die Druckregelung als weiterer Bestandteil integriert werden, sodass ein elektrohydraulisches Modul (Electro Hydraulic Module, EHM) entsteht.
2.3.3.2 Elektronik für Getriebesteuerungen Bild 2-44 zeigt das Blockdiagramm einer typischen Anwendung der Getriebesteuerung mit Verkoppelung von Vorder- und Hinterachse. 2.3.3.2.1 Stromregler für elektromagnetische Ventile Bei Automatik-Getrieben erreicht man das Einlegen der verschiedenen Gänge über das Öffnen und Schließen von Brems- und Kupplungselementen im Getriebe. Die Betätigung dieser Elemente erfolgt über das Ein- und Ausschalten von elektromagnetischen Proportionalventilen in der Steuerhydraulik des Getriebes. Um einen komfortablen Gangwechsel zu ermöglichen, muss bei Betätigung der Brems- und Kupplungselemente ein genauer Ablauf eingehalten werden. Dieser wird erreicht, indem die Öffnungsquerschnitte der jeweils betroffenen Stromregelventile für die Steuerhydraulik geregelt werden. Als Messgröße dient hier der zum Öffnungsquerschnitt proportionale elektrische Strom durch das entsprechende Ventil. Dieser wird mit Hilfe von Mess-Shunts über den Mikrocontroller bestimmt und dem Sollwert nachgeregelt. Die Bestimmung des Stroms erfolgt durch Messung des Spannungsabfalls an den MessShunts (sehr niederohmige Widerstände). Der gemessene Spannungswert wird dem Mikrocontroller zugeführt. Hier wird ein Vergleich mit dem Sollwert durchgeführt und über Regelstrategien (z.B. PIDRegler) nachgeregelt.
52
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-44: Exemplarische Getriebesteuerungselektronik
2.3.4 Software Neben der Darstellung der eigentlich benötigten Funktionalität (vgl. Abschnitt 2.1 zu Motorsteuerungen und Abschnitt 2.2. zu Getriebesteuerungen) muss Software für Antriebsstrangsteuergeräte (dazu zählen auch Steuergeräte für Starter-Generatoren sowie für Quer- und Längsdifferential) eine Vielzahl nichtfunktionaler Anforderungen erfüllen. Diese erwachsen zum Teil aus generellen Voraussetzungen für eine effiziente und kostengünstige Software-Entwicklung (u.a. Wiederverwendbarkeit und Wartbarkeit), zum anderen aus den speziellen Echtzeitanforderungen im Antriebsstrang (extrem schnelle Regelkreise, sicherheitskritische Eingriffe in das Fahrzeugverhalten). Die rapide zunehmende Komplexität von Steuergerätesoftware weiterhin zu beherrschen und die Software wartbar zu machen, steht gerade im Bereich des Antriebsstrangs immer mehr im Zentrum des Software-Entwicklungsprozesses. Der Umfang der Software eines typischen Motorsteuergerätes beispielsweise hat in den letzten Jahren exponentiell zugenommen. Etwa alle 3 Jahre verdoppelt sich die CodeMenge. Gleichzeitig steigt die erforderliche Rechenleistung permanent. Inzwischen ist man hier bei 32Bit-Mikrocontrollern (z.B. Motorola MPC5xx, Infineon TriCore) angelangt. Neben neuen Funktionen,
die dem Fahrer zusätzlichen Komfort bieten sollen, schrauben die strengen gesetzlichen Auflagen im Bereich Sicherheit und Umweltverträglichkeit (z.B. Abgasnormen) die Rechenleistung weiter nach oben. Alle diese Anforderungen lassen sich nur durch den Einsatz von Software abbilden. 2.3.4.1 Funktionale Anforderungen Neben den Hauptfunktionen einer Motor- oder Getriebesteuerung ist in heutigen Steuergeräten eine Vielzahl unterstützender Funktionen implementiert, die typischerweise bereits deutlich mehr als 50 % des Software-Gesamtumfangs ausmachen. Tabelle 2-2 gibt Beispiele für benötigte Haupt- und Nebenfunktionen. 2.3.4.2 Nicht-funktionale Anforderungen Zu den nicht-funktionalen Anforderungen gehören unter anderem ein garantiertes Echtzeitverhalten mit schnellen Reaktionszeiten (z.B. für die Ein- und Ausgabe innerhalb 10 µs, auf Funktionsebene 1 ms bis zu 1 s zeitsynchron oder kurbelwellensynchron).
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe Tabelle 2-2: Bestandteile des Softwareumfangs Hauptfunktionen
Unterstützende Funktionen
Einspritzung
Abgaskontrolle
Zündung
Motor- und Getriebeschutz
Luftpfad Fahrerwunschinterpretation
Eigendiagnose mit extensiver Fehlerspeicherung (EURO X, OBD
Gangberechnung
Notlauf
Schaltung
Re-Programmierung
Kupplungslageregelung
Kommunikation mit anderen Steuergeräten und Netzwerkmanagement
Gangaktorik Hydraulikansteuerung weitere
Überwachung der korrekten Funktion der eigenen Hardware (Prozessor-Monitoring, Checksummen-Prüfungen, Watchdog) Kalibration Komfortfunktionen (Geschwindigkeitsregelung, Fahrererkennung usw.) weitere
Eine effiziente Ausnutzung der verwendeten Hardware-Ressourcen, die teilweise speziell für die Anwendung maßgeschneidert sind (z.B. Mikrocontroller mit spezieller On-Chip-Peripherie) und eine trotz allem weitgehende Unabhängigkeit von der verwendeten Hardware bzw. dem verwendeten Compiler sind ebenso notwendig. Insbesondere wird Unabhängigkeit vom Mikrocontroller gefordert, um nicht nur von einem Lieferanten abhängig zu sein (MultiSource-Strategie), somit mehrere HardwarePlattformen einsetzen zu können und eine hohe Wiederverwendbarkeit zu gewährleisten (auch über mehrere Prozessorgenerationen hinweg, da sich die zugrunde liegende Hardware sehr schnell weiterentwickelt). Weitere Anforderungen sind auch eine Abdeckung verschiedener Anwendungen im Antriebsstrang (Ottomotor, Dieselmotor, Automatikgetriebe, automatisiertes Schaltgetriebe, Differentialsperren, Starter-Generator) mit einem hohen Grad an Wiederverwendung zwischen diesen Anwendungen und die Skalierbarkeit, um einen möglichst großen Bereich einer Anwendung mit einer Software-Lösung abdecken zu können (z.B. vom 3-Zylinder- bis zum 12-Zylinder-Motor). Ferner wird die Integrierbarkeit von Fremdsoftware (Schlüsselkomponenten) von Dritten oder vom Fahrzeughersteller, die Nutzung von Standard-Software-Komponenten (z.B. Betriebssystem und Kommunikation nach OSEK-Standard oder AUTOSAR-Komponenten und ein zertifizierbarer Entwicklungsprozess mit vollständiger Dokumentation gefordert.
53 2.3.4.3 Software-Architektur Die Software-Architektur von Antriebsstrangsteuergeräten muss die oben erwähnten, komplexen Anforderungen zuverlässig erfüllen. Unter der Architektur versteht man in diesem Zusammenhang die grobe Gliederung und die allgemeinen Regeln zur Strukturierung (das so genannte „Top-Level-Design“) sowie die Implementierung der Software (z.B. die Codierungs-Richtlinien für Schnittstellen). Man unterscheidet dabei zwischen statischer Architektur (Strukturierung des Codes, der Speicherzuteilung, Zuteilung von Hardware-Ressourcen, Schnittstellen, Konfiguration etc.) und dynamischer Architektur (Strukturierung des zeitlichen Ablaufs, Zuteilung von Laufzeit). Statische Architektur Für die statische (und teilweise auch für die dynamische) Software-Architektur gelten die folgenden Grundforderungen. So muss die Software modular aufgebaut sein. Gekapselte Software-Komponenten mit definierten Schnittstellen sollen möglichst ohne Seiteneffekte und ohne Kenntnisse der inneren Struktur austauschbar sein. Es sind definierte, aber flexible Schnittstellenmechanismen erforderlich, um auch extern entwickelte Funktionen leicht integrieren zu können. Hardware-abhängige Software-Komponenten („Ein-Ausgabe-Schicht“) sollten klar von Hardware-unabhängigen Komponenten getrennt sein, so dass beispielsweise beim Austausch eines Mikrocontrollers möglichst viel Software wieder verwendet (portiert) werden kann. Außerdem sollten die verwendeten Implementierungen laufzeitoptimiert und gleichzeitig auch robust sein (z.B. durch entsprechende Codierungs-Richtlinien). Um spezifische Optimierungen durchzuführen, teilt man die Software-Komponenten, abhängig von den verschiedenen Anforderungen, in Klassen ein. Diese sind das Betriebssystem und die allgemein verfügbaren Bibliotheken, sehr zeitkritische, hardwareabhängige Ein-Ausgabe-Funktionen, Kommunikationsfunktionen und hardwareunabhängige Anwendungssoftware mit rechenintensiven Regelalgorithmen. Dynamische Architektur Um das korrekte Laufzeitverhalten der verschiedenen Software-Komponenten sicherzustellen, wird der ausführbare Code in so genannte „Tasks“ (Aufgaben) aufgeteilt: Ein Task enthält Code, der auf einen bestimmten, einmaligen oder zyklischen Trigger hin als Sequenz ausgeführt werden soll und gleichzeitig bestimmte zeitliche Anforderungen einhalten muss (z.B. maximale Laufzeit oder eine Deadline für die Berechnungsergebnisse). Beispiele für Trigger, zugeordnete Tasks und deren spezifische Rechenzeitanforderungen sind:
54
Zyklische Trigger mit fester Periode (z.B. 1 ms,
10 ms etc.) für verschieden schnelle Signalerfassungen und Regelkreise (z.B. Fahrpedalauswertung, Stromregler). Der Rechenzeitbedarf ist hier relativ konstant. Zyklische Trigger mit variabler Periode (z.B. kurbelwellensynchrone oder nockenwellensynchrone Signalerfassung und Berechnungen in Motorsteuergeräten, wie etwa bei Einspritzung und Zündung). Der Rechenzeitbedarf steigt hier im Allgemeinen mit der Drehzahl. Das System muss daher entweder für die Maximaldrehzahl ausgelegt werden, oder bei hohen Drehzahlen Optimierungen durchführen, indem bestimmte Algorithmen zum Beispiel nur noch bei jedem zweiten Trigger berechnet werden. Einmalige Trigger (z.B. Schaltvorgang in einem Getriebe). Der Rechenzeitbedarf weist kurzzeitige Spitzen auf, für die genügend Laufzeitreserve vorhanden sein muss. Trigger für den Hochlauf oder das Abschalten des Steuergeräts (max. Hochlauf- und Abschaltzeiten sind vorgegeben). Hardware-Trigger (z.B. Fehlerreaktion einer Endstufe, Empfang einer Netzwerkbotschaft) werden häufig speziell behandelt, da sehr kurze Reaktionszeiten (im µs-Bereich) benötigt werden.
Um die Echtzeitanforderungen der einzelnen Tasks zu garantieren, werden sie entsprechend ihrer Deadlines, ihrer Triggerperiode und dem Laufzeitbedarf in Prioritätsstufen eingeteilt. Der Algorithmus zur Zuteilung der Rechenzeit zu den Prioritätsstufen ist im Betriebssystem implementiert und wird „Scheduling“ genannt. In Antriebsstrangsteuergeräten werden Betriebssysteme mit präemptivem Scheduling, kooperativem Scheduling oder einer anwendungsspezifischen Mischform verwendet (siehe Tabelle 2-3). Zusätzlich gibt es hochpriorisierte Hardware-Interrupts, um die oben erwähnten Hardware-Trigger sicher bedienen zu können. Plattformarchitektur für Motorsteuerungen Wegen des permanent steigenden Integrationsgrades mit inzwischen vielen hundert Steuerungs- und Regelungsfunktionen innerhalb einer MotormanagementLösung ist es auf mittlere Sicht eine der größten Herausforderungen, diese wachsende Komplexität trotz kürzerer Entwicklungszeiten zu beherrschen. Grundlegende Weiterentwicklungen, wie die OttoDirekteinspritzung, die variable Ventilsteuerung und Downsizing-Konzepte, erhöhen die Funktionszahl und den Vernetzungsgrad zusätzlich und vergrößern zugleich bei den Funktionsumfängen die Schnittmengen zwischen Otto- und Dieselmotor.
2 Motor und Antriebsstrang Tabelle 2-3: Prinzipien der zwei Scheduling-Grundformen für Antriebsstrangsteuergeräte Präemptives Scheduling
Kooperatives Scheduling
Definition
Tasks niedriger Priorität können von Tasks höherer Priorität jederzeit unterbrochen werden
Tasks niedriger Priorität können von Tasks höherer Priorität nur an bestimmten Stellen (Scheduling Points) unterbrochen werden
Vorteil
Kurze Antwortzeiten
Bei korrekter Anwendung geringerer Ressourcenbedarf und weniger Probleme mit der Datenkonsisternz
Nachteil
Hoher Ressourcenbedarf (Stack, Laufzeit-Overhead, Probleme mit der Datenkonsistenz)
Längere Antwortzeiten; die Scheduling Points müssen sehr sorgfältig gewählt werden
Diese Entwicklung führt zu starken Bestrebungen, wo immer möglich, standardisierte Algorithmen (und auch Hardware) wieder verwenden zu können, um den erreichten und künftigen Komplexitätsgrad technisch und wirtschaftlich zu meistern. So gibt es unter der Bezeichnung EMS 2 eine skalierbare, anpassungsfähige Lösung, die auf der Basis einer 32-BitMikrocontroller-Generation einen kompletten Steuerungsaufbau aus standardisierten Softwaremodulen realisiert und dabei innerhalb einer Architektur sowohl Otto- als auch Dieselmotoren abdeckt ([1], [2]). Das Konzept einer Plattformarchitektur verbindet die Notwendigkeit zur Standardisierung aus den oben genannten Gründen mit der Forderung der Fahrzeughersteller, sich durch eigene Funktionen im Wettbewerb abzugrenzen. Dabei ist gleichzeitig die Integration von differenzierenden Funktionalitäten seitens der Zulieferer oder des Fahrzeugherstellers vorgesehen. Da die Plattformarchitektur eine große Veränderung in der Realisierung einer Motorsteuerung bedeutet, soll hier näher darauf eingegangen werden. Aufteilung des Gesamtsystems Ein zentraler Unterschied in der Umsetzung der Plattformarchitektur besteht darin, keine lose Kopplung von Funktionen mit vielen Querabhängigkeiten mehr zuzulassen, sondern Funktionen zu entflechten und streng nach ihrer Kohärenz in gut beherrschbaren Subsystemen zusammenzufassen, d.h. in Gruppen zu kapseln, und diese ausschließlich über stringente Schnittstellendefinitionen zu verbinden.
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe
55
Bild 2-45: Regelungstechnische Grundstruktur nach DIN 19226; u Eingang Sollwerteinsteller, w Führungsgröße, e Regeldifferenz, yR Reglerausgangsgröße, y Stellgröße, z Störgröße, x Regelgröße, r Rückführgröße
Als Grundlage der Systemarchitektur dient ein abstraktes Bild der physikalisch definierten Welt, in der auf das gewünschte Verhalten des Motors mit Aktoren Einfluss genommen wird. Diese Komponenten sind über Steckerpins mit dem Steuergerät verbunden und über eine entsprechende Hardware an das Prozessorsystem angeschlossen. Bei der Strukturierung der Aggregate wurde als gemeinsame Regel die allgemeine Regelungsstruktur nach DIN 19226 zugrunde gelegt (siehe Bild 2-45). Alle relevanten Blöcke dieser Strukturierungsvorlage lassen sich den entsprechenden Abstraktionsebenen der Aggregate zuordnen. Funktionsbestandteile In dieser Architektur werden hardwareunabhängige Funktionsbestandteile betrachtet. Typischerweise handelt es sich dabei um modellbasierte Funktionsstrategien. Sie sind nach dem Prinzip des Top-DownAnsatzes hierarchisch innerhalb von Gruppen zu Aggregaten zusammengefasst, wie in Bild 2-3, die sich ihrerseits aus einzelnen Modulen zusammensetzen. Innerhalb einer Konfiguration stellen die Module also die kleinste vollständige Einheit dar. Durch diese standardisierte Partitionierung nach festen Abstraktions- und Kapselungsregeln entsteht ein skalierbares, modulares System, dessen Bestandteile sich auf den Ebenen der Aggregate und Module austauschen und wieder verwenden lassen, sodass die Gesamtarchitektur anpassungsfähig ist. Die EMS-2-Plattform umfasst 19 Gruppen mit rund 65 Aggregaten. Die Aggregate sind so definiert, dass sie als Subsystem jeweils eine komplette Steuerungs- oder Regelungsaufgabe einschließlich der Datenverarbeitung von Sensorsignalen, der Datenaufbereitung, Plausibilisierung, Sensordiagnose und Ersatzwertbereitstellung leisten. Wird eine Aufgabe modifiziert oder erweitert, so muss definiert werden, welche Aggregate und Module dazu gehören. Ein weiteres Merkmal des Aggregats ist seine eindeutig definierte Schnittstelle, in der Namenskonventionen und Datentypen festgelegt sind. Auch die Schnittstellen selbst sind zum Zweck der Skalierung konfigurierbar.
Infrastruktur der Plattformarchitektur Als Infrastruktur wird der Hardware-nahe Funktionsbestandteil der Plattformarchitektur bezeichnet. In der Infrastruktur sind Hardware-Spezifika abgebildet. Diese Ebene ist Service-orientiert und folgt damit anderen Architekturregeln als die höher abstrahierte Anwendung. Die funktionalen Anforderungen an die Schnittstelle zwischen Anwendung und Infrastruktur ist in eigenen Anforderungsspezifikationen beschrieben. Mit dieser definierten Schnittstelle ist innerhalb der Systemarchitektur die Abstraktion der Hardware sichergestellt. So sind die höher abstrahierten Softwarestandteile der Anwendung unabhängig vom Lebenszyklus der Hardware. 2.3.4.4 Infrastrukturelle Software 2.3.4.4.1 Betriebssystem Das Betriebssystem beinhaltet das Rahmenprogramm für die verschiedenen Funktionen, die in Motor- und Getriebesteuergeräten als Software dargestellt sind. Das Betriebssystem übernimmt die Koordination der quasi-parallelen Ausführung von Softwarefunktionen. Dabei unterliegt die Steuergerätesoftware im Automobil speziellen Anforderungen im Hinblick auf die Betriebssicherheit, die Echtzeitfähigkeit und die optimale Nutzung von Ressourcen. Soweit Echtzeitanforderungen bestehen, kommen speziell entwickelte –„eingebettete“– Betriebssysteme zum Einsatz, die innerhalb vorgegebener zeitlicher Grenzen auf externe physikalische und interne logische Ereignisse reagieren. In einem gemeinsamen Projekt der europäischen Automobilindustrie wurde im Rahmen der OSEK/VDXStandardisierung (OSEK bedeutet Offene Systeme und deren Schnittstellen für die Elektronik im Kraftfahrzeug; VDX bedeutet Vehicle Distributed eXecutive) der Betriebssystemstandard OSEK OS (ISO 17356) für ein ereignisgesteuertes Betriebssystem definiert. In Motor- und Getriebesteuergeräten werden hauptsächlich OSEK-OS-konforme Betriebssysteme verwendet. Es sind Ein-ProzessorBetriebssysteme, die zum Zeitpunkt der Compilie-
56 rung skalierbar und konfigurierbar sind. Sie weisen eine prioritätsgesteuerte Prozessorzuweisung auf. Ihr Verhalten ist ein standardisiertes, und sie verfügen über standardisierte Schnittstellen für die Anwendungen (Funktionen, Algorithmen). Typischerweise sind OSEK-Betriebsysteme für Lowend-Anwendungen geeignet und erfüllen die genannten Echtzeitanforderungen. 2.3.4.4.2 Signalaufbereitung In der Infrastruktur werden die Eingangssignale einer Aufbereitung unterzogen, ehe sie in der funktionalen Software ausgewertet werden. Die Erfassung der Signale erfolgt entweder über Peripherien, die direkt auf dem verwendeten Mikrocontroller integriert sind, oder über externe, teilweise spezialisierte HardwareBaugruppen. In jedem Fall ist es Aufgabe der Infrastruktur, auf der Ebene der so genannten HardwareAbstraktion immer die gleichen Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Analoge Signale Analoge Signale lassen sich sowohl mit in den Mikrocontroller integrierten Analog/Digital-Wandlern als auch mit externen Wandlern erfassen, die bei Bedarf über Multiplexer erweitert werden können. Die Konvertierung der Signale kann je nach Bedarf periodisch in einem vorgegebenen Zeitraster erfolgen, oder durch Ereignisse angestoßen werden. Digitale Signale Zur Erfassung digitaler Signale stehen verschiedene, standardisierte Funktionen zur Verfügung. So kann zum Beispiel über standardisierte Schnittstellen (digitale Schalteingänge) die funktionale Software den logischen Zustand der zugeordneten Signale abfragen. Die Infrastruktur berücksichtigt dabei das Verhalten von eventuell zwischengeschalteter Hardware oder die Infrastruktur erfasst und bestimmt unter Berücksichtigung der Eigenschaften des Signals und der zwischengeschalteten Hardware die Tastverhältnisse verschiedener pulsweitenmodulierter Eingangssignale (PWM-Eingänge). Der funktionalen Software werden standardisierte Schnittstellen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus werden Diagnose-Services bereitgestellt (vgl. Abschnitt 2.3.4.4.4). Neben standardisierten Funktionen stehen auch spezialisierte Treiber zur Verfügung. Beispiele sind: Bitserielle Schnittstellen zur Übertragung von Informationen aus anderen Steuergeräten. Der Datenstrom wird in der Infrastruktur ausgewertet, und die Rohdateninhalte der funktionalen Software zur Verfügung gestellt. Je nach Anforderung werden zusätzliche Diagnose-Informationen bereitgestellt.
2 Motor und Antriebsstrang
Zur Bestimmung der aktuellen Position eines Otto- oder Dieselmotors stellt die Infrastruktur einen spezialisierten Treiber zur Verfügung. Dazu werden Signale von der Motorkurbelwelle und den Nockenwellen in der Infrastruktur erfasst. Der funktionalen Software werden über spezifizierte Schnittstellen der Zustand der Synchronisation, die aktuelle Motorposition, eine Vielzahl von Messgrößen sowie verschiedene DiagnoseInformationen zur Verfügung gestellt. 2.3.4.4.3 Signalausgabe Die Infrastruktur ist weiter für die Ausgabe der Stellgrößen verantwortlich, die in der funktionalen Software ermittelt wurden. Die Ausgabe kann sowohl über die auf dem verwendeten Mikrocontroller integrierte Peripherie als auch über externe Baugruppen erfolgen. Auf der Ebene der Hardware-Abstraktion werden standardisierte Schnittstellen zur Verfügung gestellt. Neben einer Reihe von standardisierten Ausgabeformen, die von unterschiedlichen Modulen in der funktionalen Software benutzt werden, stehen auch eine Reihe von spezialisierten Funktionen zur Verfügung, die im Allgemeinen eigenen Modulen der funktionalen Software zugeordnet sind. Beispiele für standardisierte Signalausgabe sind: standardisierte Schnittstellen (digitale Schaltausgänge), die den logischen Zustand des gewünschten Ausgangs (z.B. aktiv oder passiv) aus der Sicht der funktionalen Software in den entsprechenden Zustand der verwendeten Peripherie umgesetzt. Dabei werden die eingesetzten Hardware-Module berücksichtigt. Häufig werden Stellglieder pulsweitenmoduliert angesteuert, um eine bestimmte Stellgröße einzustellen. Die Infrastruktur stellt hierfür eine Funktion zur Verfügung (PWM-Ausgänge), die es der funktionalen Software erlaubt, sowohl das Tastverhältnis als auch die Ansteuerfrequenz einzustellen. Als spezialisierte Funktionen stehen zum Beispiel folgende zur Verfügung: Für die Ausgabe der Einspritzimpulse für Otto- oder Dieselmotoren existiert eine eigene Infrastrukturfunktion. Über eindeutig spezifizierte Schnittstellen ist die funktionale Software in der Lage, alle geforderten Pulsmuster und Betriebsmodi einzustellen. Wie im Falle der Einspritzung stellt die Infrastruktur der funktionalen Software spezifizierte Schnittstellen zur Zündungsansteuerung und Zündungsdiagnose zur Verfügung, welche die funktionale Software in die Lage versetzen, die angeforderten Modi und zugehörigen Timings einzustellen. Zusätzlich werden bestimmte Diagnosefunktionen in der Infrastruktur zur Verfügung gestellt.
2.3 Steuerungen für Motor und Getriebe 2.3.4.4.4 Diagnose-Funktionen Kraftfahrzeuge und insbesondere Motoren und Getriebe müssen heute elektronisch diagnostizierbar sein. Über einen im Fahrzeug verbauten Diagnosestecker können die Steuergeräte mit einem Diagnosetester (z.B. OBD-Scantool) kommunizieren. Die für die Diagnosekommunikation verwendeten Protokolle basieren auf internationalen Standards wie dem KeyWord-Protokoll 2000 (KWP 2000) oder zukünftig die Unified-Diagnostic-Services (UDS). Dabei werden die K-Leitung oder der leistungsfähigere CAN-Bus als Transportmittel genutzt. Die in der Anwendungsschicht beschriebenen Dienste (Services) erlauben dem Anwender das Auslesen von abgasrelevanten Daten oder das Starten und Beenden von Routinen im Steuergerät. Weiterhin können Logistikdaten, Fehlercodes, Kennungen etc. gelesen oder ins Steuergerät geschrieben werden. Zu Einzelheiten sei hier auf den Abschnitt 2.1.2.7 (On-BoardDiagnose) im Kapitel Motormanagement verwiesen. Auch für die in Zukunft immer wichtiger werdende Steuergeräteprogrammierung werden standardisierte Diagnosedienste, so genannte Download-Dienste, durch die oben genannten Protokolle zur Verfügung gestellt. Die Diagnosekommunikation arbeitet nach dem klassischen Client-Server-Prinzip, wobei der Client (Tester) stets mit einer Anfrage die Kommunikation beginnt und ein oder mehrere Server (Steuergeräte) darauf antworten. Dabei wird zwischen physikalischer und funktionaler Adressierung unterschieden. Bei der physikalischen Adressierung wird vom Client genau ein Server angesprochen. Dieser sendet dann die entsprechende Antwort wieder zurück zum Client. Es ist aber auch möglich, dass der Client mehrere Server gleichzeitig über eine funktional adressierte Anfrage anspricht. Daraufhin antworten alle adressierten Server nacheinander und senden die entsprechenden Daten zurück zum Client. Die Implementierung der Protokollsoftware im Steuergerät basiert auf dem OSI-Schichtenmodell (OSI steht für Open System Interconnection). Dabei wird der Vorgang der Datenübertragung funktional in verschiedene Hierarchieebenen unterteilt. Nur bei einer Implementierung nach dem Schichtenmodell lassen sich einzelne Schichten unabhängig voneinander austauschen. Die Funktionalitäten der einzelnen Schichten sind in entsprechenden ISO-Dokumenten spezifiziert. Bild 2-46 zeigt die verwendeten OSISchichten anhand einer Beispiel-Implementierung von UDS und abgasrelevanten Diensten auf einem CAN-Bus-System. Die Infrastruktur stellt Diagnose-Services zur Verfügung, die von der funktionalen Software ausgewertet werden. Dabei wird zwischen funktionalen DiagnoseServices, die immer in der gleichen Weise zur Verfügung gestellt werden, und so genannten ECU-Selftest-
57 Services zur Prüfung der Steuergeräte-Hardware unterschieden. Zu den funktionalen Diagnose-Services gehören beispielsweise die Endstufendiagnose und die Prüfung von pulsweitenmodulierten Eingangssignalen. Die verwendeten Endstufenbausteine sind in der Regel diagnosefähig. Die Infrastruktur erfasst die von Baustein zu Baustein unterschiedlichen Signale, und bereitet eine Schnittstelle für die funktionale Software vor, die unter Berücksichtigung der individuellen Eigenschaften dieser Bausteine eine Information über die relevanten Fehlerzustände „Kurzschluss nach Masse“, „Kurzschluss nach Batterie“ und „Leitungsunterbrechung“ enthält. Die Infrastruktur überwacht die Periodendauer von pulsweitenmodulierten Signalen, und stellt der funktionalen Software eine standardisierte Schnittstelle zur Erkennung ungültiger Perioden zur Verfügung.
Bild 2-46: OSI-Schichtenmodell eines CAN-Diagnoseprotokolls
Zur Überwachung der steuergeräteinternen Hardware erfolgen ein RAM-Test, ein Programm- und Datenspeichertest sowie die Überwachung interner Schnittstellen. Die verschiedenen Bereiche des RAM-Speichers werden einem Test unterzogen, der teilweise einmalig pro Betriebszyklus, teilweise zyklisch abläuft. Die Testalgorithmen sind üblicherweise auf die Architektur des Mikrocontroller-Speichers und -Bussystems spezialisiert. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt in der funktionalen Software. Das Programm und die Daten werden üblicherweise in Flash Speichern abgelegt. Die Inhalte werden einmalig pro Betriebszyklus oder zyklisch mit einer Prüfsummenberechnung auf Korrektheit überprüft. Die funktionale Software erfasst die Ergebnisse und legt die Auswirkungen fest. Die Hardware-Komponenten werden zum Teil über steuergeräteinterne Schnittstellen mit dem Mikrocontroller verbunden. Diese internen Schnittstellen werden von der Infrastruktur laufend überprüft. Das Diagnoseergebnis wird von der funktionalen Software ausgewertet, den betroffenen Funktionsmodulen zugeordnet und die daraus abgeleiteten Strategien werden festgelegt.
58
2 Motor und Antriebsstrang
Literatur zu Abschnitt 2.3 [1] Berentroth, L,; Eppinger, K.: Plattform versus Flexibilität: Die Siemens VDO EMS 2 Plattform Architektur. Tagung Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [2] Berentroth, L.; Claraz, D.; Eppinger, K.: Reuse Strategy at Siemens VDO Automotive: The EMS 2 Powertrain Platform Architecture. Ingénieurs de l’Automobile, Nr. 767, Ausg. März 2004
2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug 2.4.1 Übersicht über Nutzfahrzeuggetriebe Neben den im Nutzfahrzeug noch weit verbreiteten Handschaltgetrieben kommen derzeit fast ausschließlich Lastschalt-Automatgetriebe oder automatisierte Schaltgetriebe zur Anwendung. Stufenlose Getriebe haben sich wegen der Drehmomentbegrenzung bisher nicht durchgesetzt. Damit ist die Typenvielfalt zwar etwas geringer als im Pkw-Bereich, allerdings gibt es die Getriebe aufgrund der Fahrzeugbandbreite vom Kleintransporter bis zum schweren Lkw in sehr vielen unterschiedlichen Ausführungen und mit verschiedensten Zusatzkomponenten. 2.4.1.1 Lastschalt-Automatgetriebe Elektronisch gesteuerte Automatgetriebe in Planetenbauweise (und damit ohne Unterbrechung der Zugkraft während der Schaltung) sind schon seit langem etabliert. Durch ihren konstruktiven Aufbau als Lastschaltgetriebe sind sie für Einsätze im Personentransport (Stadtbusse) sowie für Fahrten im Gelände (OffRoad-Fahrzeuge) besonders gut geeignet. Sie sind je nach Anwendung für 4 – 6 Gänge ausgelegt. Wie in Bild 2-47 dargestellt, bestehen sie üblicherweise aus einem hydrodynamischen Drehmomentwandler mit Überbrückungskupplung (zur Reduktion der Wandlerverluste) sowie einer Schaltwalze mit mehreren verkoppelten Planetenradsätzen. Der Drehmomentwandler erlaubt ein weiches Anfahren sowie ein weiches Rangieren des Fahrzeuges. Während der Fahrt wird der Wandler überbrückt, um Verluste zu reduzieren. Die Verkopplung der Radsätze erfolgt über schaltbare Kupplungen und Bremsen, die je nach Betriebssituation von der Elektronik angesteuert werden und so die Gesamtübersetzung des Getriebes, also den jeweiligen Gang bestimmen. Häufig besitzen diese Getriebe eingebaute hydrodynamische Bremsen (Retarder) die ohne Bremsverschleiß das Fahrzeug weich abbremsen können.
Bild 2-47: Lastschalt-Automatgetriebe: 1 Drehmomentwandler, 2 Überbrückungskupplung, 3 Planetensätze [Quelle: ZF]
Die Betätigung der Schaltelemente im Getriebe erfolgt hydraulisch mit druckgeregelten Ventilen, um eine von der Elektronik geregelte, weiche und verlustfreie Schaltung zu erzielen. Diese Ventile sind in einem hydraulischen Schaltgerät im Getriebe zusammengefasst. Die elektronische Steuerung, die hier nur sehr kurz dargestellt werden soll, ist abhängig vom Fahrzeugbetriebszustand zuständig für: die Wahl des jeweils richtigen Ganges, das komfortable, ruckfreie Wechseln von Gängen, das bedarfsgerechte Bremsen, das Reduzieren von Verlusten, das Reduzieren von Emissionen, das Gewährleisten einer hohen Fahrsicherheit, das Erleichtern der Getriebe-Bedienung. Dank der elektronischen Steuerung ist das System sehr flexibel konfigurierbar und es wird deshalb bei gleicher Bauweise in verschiedensten Anwendungen verbaut, nicht selten auch in Kommunal- oder Bahnfahrzeugen. Die Elektronik ist aufgrund der extremen Anforderungen (Temperatur, Vibration und Lebensdauer) nicht im Getriebe integriert. Die dafür notwendige Technologie ist derzeit für die begrenzten Stückzahlen kommerziell noch nicht sinnvoll umsetzbar.
2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug 2.4.1.2 Automatische Getriebe Automatische Getriebe (Automatisierte Schaltgetriebe ASG) bauen auf Handschaltgetrieben auf, die mit zusätzlichen Betätigungselementen automatisiert werden. Grundsätzlich gibt es hier sogenannte „Addon-Systeme“ mit auf Handschaltgetrieben aufgesetzten Automatisierungskomponenten oder „Integrierte Systeme“ mit integrierter Automatisierungstechnologie. Für die Breite der Nutzfahrzeug-Anwendungen kommen verschiedenste Basisgetriebe (Synchronoder Klauengetriebe mit verschiedensten Radsätzen von 6 bis 16 Gängen) zum Einsatz. Aufgrund der vielfältigen Fahrzeugtypen und Infrastrukturen werden verschiedene Automatisierungstechnologien (z.B elektro-pneumatische, elektrohydraulische oder elektromotorische Stellsysteme) angewendet. 2.4.1.3 Integrierte Getriebebremse Nutzfahrzeuggetriebe werden häufig um hydrodynamische Bremsen ergänzt. Bei ZF sind dies ins Getriebe integrierte Systeme mit einer typischen Bremsleistung von ca. 300 kW, die auch als „Intarder“ bezeichnet werden. Ihr Vorteil gegenüber den mechanischen Radbremsen liegt in der Verschleißfreiheit und in der feinfühligen Ansteuerung, die mit Unterstützung der Elektronik auch eine Geschwindigkeitsregelung des Fahrzeugs im Schubbetrieb erlaubt. Der Einsatz eines „Intarders“ in Ergänzung zu den normalen Radbremsen spart somit nicht nur Betriebskosten durch eine seltenere Bremswartung, sondern er trägt bei schweren Fahrzeugen indirekt auch zur Fahrsicherheit bei, da heiß gefahrene und damit drehmomentbeschränkte Bremsen in aller Regel nicht mehr auftreten. Die Steuerung des Bremsmomentes erfolgt über die Beeinflussung des Betriebsdruckes mit einer Druck-
59 regeleinheit (Bild 2-48). Für ein schnelles Ansprechen der Bremse wird mit einem Schaltventil ein Druckspeicher betätigt. Zur Sicherstellung eines gesunden Wärmehaushaltes wird bei Erreichung einer kritischen Betriebstemperatur nach einer speziellen Strategie das Bremsmoment zurückgenommen. Die Regelung der Fahrzeug-Geschwindigkeit im „BremsTempomatbetrieb“ erfolgt in einer Regelschleife über die Abtriebsdrehzahl, ähnlich wie beim „AntriebsTempomaten“ im Zugbetrieb.
2.4.2 Automatisierungstechnologien für automatische Getriebe Beim automatischen Getriebe müssen die notwendigen Schaltelemente sowie die Kupplung, die beim Handschalter mit der Hand bzw. mit dem Fuß umgesteuert werden, mit elektrisch steuerbaren Stelleinrichtungen betätigt werden. Leider sind über die gesamte Produktpalette die Anforderungen und die Fahrzeugbedingungen derart unterschiedlich, dass verschiedenste Technologien zum Einsatz kommen. Kommen in kleineren Nutzfahrzeugen wegen der begrenzten Kräfte noch elektromotorische Stellsysteme zum Einsatz, so sind es im schweren Nutzfahrzeug elektropneumatische Stellsysteme, weil Druckluft als Medium bereits im Fahrzeug vorhanden ist. Bei den Fahrzeugen mittlerer Größe findet man zumeist elektrohydraulische Steuersysteme. 2.4.2.1 Elektromotorische Steuerung für automatische Getriebe Die elektromotorische Stelleinheit besteht typischerweise aus einer X-Y-Stelleinrichtung und einem Kupplungssteller (Bild 2-49).
Bild 2-48: Integriertes Retardersystem „ZF-Intarder“: 1 Druckspeicher, 2 Druckregeleinheit, 3 Schaltventil
60
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-49: Elektromotorisches ASG [Quelle: ZF]
Bild 2-50: Elektrohydraulisches Stellsystem [Quelle: ZF]
Ähnlich wie beim Handschalthebel wird über einen Elektromotor quer zur Fahrtrichtung die Gasse des jeweiligen Ganges gewählt und über einen Elektromotor in Fahrtrichtung der jeweils notwendige Gang eingelegt. Ein Spindelantrieb überträgt die rotatorische Bewegung der Motoren auf eine translatorische Bewegung der einzelnen Schaltschienen im Getriebe. Sensoren zur Rückmeldung der Gangposition sind in den Elektromotoren integriert. Der Kupplungssteller erzeugt ebenfalls eine translatorische Bewegung, die über einen Elektromotor und ein Zahnradsegment erzeugt wird. Der Steller betätigt die heute übliche Kupplungsschwinge am Getriebe. Der Steller beinhaltet zusätzliche Federn zum Kraftausgleich für die Kupplung und eine mechanische Einheit zum Verschleißausgleich. Die Elektromotoren werden dann von einer Elektronik angesteuert, die das komplette Getriebemanagement übernimmt.
2.4.2.3 Elektropneumatische Steuerung für automatische Getriebe Die elektropneumatische Steuerung verwendet Stellzylinder und Schaltventile in vergleichbarer Anordnung zur hydraulischen Systemlösung, jedoch mit pneumatischen Einheiten. Aufgrund der Ausführung als Vielgang-Getriebe mit 10, 12, und 16 Gängen werden bei diesem Getriebetyp zwei weitere Stellzylinder für die benötigt, die ebenfalls mit elektropneumatischen Stellventilen angesteuert werden. Sensoren an den Stellzylindern melden auch hier die aktuelle Position zurück (Bild 2-51). Die Kupplung wird über ein eigenes Stellmodul mit Stellzylinder, Schaltventilen und Sensoreinheit betätigt. Dieser Modul betätigt wiederum die Kupplungsausrückung, wie sie auch von den Handschaltgetrieben her bekannt ist. Die Verschleißkompensation der Kupplung wird in der Elektronik umgesetzt.
2.4.2.2 Elektrohydraulische Steuerung für automatische Getriebe Auch beim hydraulischen Stellsystem wird über eine X-Y-Stelleinheit geschaltet. Hier kommen jedoch Stellzylinder zum Einsatz, die mit elektrohydraulischen Schaltventilen angesteuert werden. Die Position der Stellzylinder wird über geeignete Sensoren zurückgemeldet (Bild 2-50). Die Kupplung wird über einen konzentrischen hydraulischen Stellzylinder ausgerückt, der um die Getriebewelle herumgebaut ist. Er wird über 3 hydraulische schnell schaltende Schaltventile positioniert. Die Kupplungsstellung wird von einem Sensor zurückgemeldet. Der Verschleißausgleich der Kupplung wird in der Elektronik durchgeführt.
Bild 2-51: Elektropneumatisches Stellsystem [Quelle: ZF]
2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug
61
Bild 2-52: Prinzipaufbau des Getriebes AS Tronic von ZF
2.4.3 Elektronische Steuerung 2.4.3.1 Systemanforderungen Bild 2-52 zeigt das Getriebe AS-Tronic von ZF für den Einsatz in Nutzfahrzeugen (über 6 t) im Fernund Reiseverkehr. Diese Getriebe sind vor allem als Vielgang-Getriebe aufgebaut und besitzen aufgrund der wenigen Zahneingriffe und der energiefreien Selbsthaltung der Schaltelemente einen sehr hohen Wirkungsgrad. Der Hauptgetriebeteil ist mit einer Klauenschaltung aufgebaut. Die Schaltung dieser Getriebe mit Zwischengas und Doppelkuppeln war früher derart kompliziert, dass nur Experten damit umgehen konnten. Mit Hilfe der elektronischen
Bild 2-53: Getriebesteller (Mechatronik-Modul)
Steuerung und der funktionalen Vernetzung aller Fahrzeugsysteme untereinander wird diese Aufgabe nun auf die Elektronik verlagert. Schalten, Kuppeln, Motordrehzahl anpassen erledigt die Elektronik selbständig, ohne den Fahrer zu beanspruchen. 2.4.3.2 Integrierter Getriebesteller Das Mechatronik-Modul Getriebesteller (Bild 2-53) ist als eigene Montage-Einheit integriert aufgebaut, um die notwendige Kompaktheit und Zuverlässigkeit zu erzielen, die im Nutzfahrzeug benötigt wird.
62 Es besteht gegenüber früheren Lösungen aus deutlich weniger Einzelteilen bei gleichzeitig höherer Funktionalität. Alle Komponenten wie Elektronik, Stellzylinder, Ventile und Sensoren sind auf engstem Raum montiert, vorgetestet, und sie werden in einem Arbeitsgang in das Getriebe integriert. Dadurch werden Einbaukosten eingespart, und die Zuverlässigkeit wird gegenüber den üblichen Add-On-Steuersystemen erhöht. Die Vor-Ort-Elektronik ist ein entscheidender Schritt, um Schnittstellenaufwand und damit in der Folge Einbauaufwand drastisch zu reduzieren. 2.4.3.3 Integrierter Kupplungssteller Für die automatische Steuerung der Trockenkupplung wird ein Kupplungsstellermodul verwendet, das mit einem pneumatischen Stellzylinder und vier Ansteuerventilen sowie einer eigenen Weg-Sensorelektronik ausgestattet ist. Die Ansteuerung der Kupplungsventile zur Regelung der Kupplungsposition geschieht direkt über die Getriebestellereinheit. Die Ausführung des Kupplungsstellers (Bild 2-54) gewährleistet auch bei Ausfall eines Ventils oder des Wegsensors noch einen ausreichenden Notbetrieb des Systems. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen im Fernverkehr kann mit dem System eine Kupplungslebensdauer von meist über 700 000 Kilometern prognostiziert werden. Dies ist typischerweise eine Verbesserung von mehr als Faktor zwei gegenüber den heutigen Handschalt-Getriebesystemen. Das bedeutet einen ein enormen Beitrag zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, da ein Kupplungswechsel erhebliche Aufwendungen verursacht.
2 Motor und Antriebsstrang 2.4.3.4 Aufbau der Elektronik Zentrales Element ist die elektronische Getriebesteuerung, die oft zusammen mit Stellgliedern und Sensoren als Mechatronik-Modul aufgebaut und direkt ins Getriebe integriert ist. Sie beinhaltet alle Funktionen und Baugruppen, die zur Steuerung des Getriebes benötigt werden (Kupplungssteuerung, Getriebeschaltung und Gangwahlmodul mit Fahrstrategie). Die Elektronik stellt einerseits alle notwendigen Verbindungen zur Getriebeschaltung und zur Kupplungsbetätigung inklusive einiger Zusatzsensoren her, andererseits ist sie zu Peripheriemodulen (Fahrschalter und Display) sowie zu den anderen Fahrzeugsystemen über zwei getrennte CAN-Verbindungen verbunden. Die Getriebeelektronik selbst ist in „Planar-Technologie“ aufgebaut. Hierbei werden dünne KunststoffFolien auf eine Aluminium Grundplatte laminiert, die die gesamte Verdrahtung beinhalten und für eine hervorragende Wärmeabführung sorgen. Diese Technik sorgt für eine ausreichend hohe Temperaturfestigkeit bis 120 °C (Umgebungstemperatur) und Vibrationsfestigkeit bis 30 g, wie dies für den Einsatzfall im Getriebe gefordert ist. Dies ist im Gegensatz zu den im Pkw-Bereich oft verwendeten Hybridsteuerungen eine Technologie, die auch für heutige Stückzahlen und für die nötige Änderungsfreundlichkeit im Nfz-Bereich geeignet ist. Um einerseits die hohen Temperaturgrenzen abdecken zu können, anderseits aber auch die notwendigen Zuverlässigkeitsanforderungen zu erfüllen, wurde ein spezielles Temperaturprofil ausgemessen und definiert, das der Auslegung zugrunde liegt.
Bild 2-54: Kupplungssteller
2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug Ein Temperatursensor auf den Leiterplatte erkennt extreme Temperaturanstiege und veranlasst das System zu Funktionen, die einer weiteren Aufheizung entgegen wirken. Auf der Steuerung versehen zwei 16-Bit-Mikrocontroller ihren Dienst, die mit 750 kByte EPROM und 20 kByte RAM ausgestattet sind. Beide Rechner überwachen sich gegenseitig und aktivieren gegebenenfalls Sicherheitsfunktionen und spezielle Sicherheitsschaltkreise. Systemimmanente Redundanzen und eine Vielzahl von Sonderfunktionen gewährleisten eine sehr hohe Systemverfügbarkeit.
2.4.4 Funktionen Die Funktionen gliedern sich in drei wichtige, ähnlich umfangreiche Funktionsgruppen, nämlich die Fahrzeugfunktionen, die Basisfunktionen und die hardwarenahen Funktionen. Sie bilden sich auch in etwa gleicher Größenordnung in der Software ab (Bild 2-55).
63 Beim Rangierbetrieb, der automatisch erkannt wird oder alternativ auch über einen Schalter gewählt werden kann, wird die Kupplung auf einen definierten Einrückgrad und nicht mehr auf die Drehzahl geregelt. So kann der Fahrer per Gaspedal feinfühlig rangieren (Bild 2-56a). Bei einer Schaltung wird, nachdem am Motor ein Lastwechsel durch Gasrücknahme eingeleitet wurde, die Kupplung geöffnet und der Schaltablauf gestartet (Bild 2-56b). Ist der alte Gang herausgenommen und der neue Gang bereits angewählt, so wird beim Klauengetriebe mit Hilfe der Kupplung und der Motorbeeinflussung die Getriebedrehzahl synchronisiert und der neue Gang eingelegt. Am Ende der Schaltung wird die „Motorkontrolle“ wieder dem Fahrer übergeben, und die Kupplung wird wieder geregelt eingerückt.
2.4.4.1 Kupplungsregelung Die Kupplungsregelung kontrolliert das Anfahren des Fahrzeugs sowie die Schaltvorgänge während der Fahrt. Das für Lkw sehr wichtige Rangieren ist ein Sonderbetrieb im Rahmen des Anfahrens. Ähnlich wie beim Handschaltgetriebe ist für eine bestimmte Anfahrgüte auch die gleichzeitig richtige Betätigung des Gaspedals nötig. Diese Beeinflussung des Gaspedals wird beim automatischen Getriebe ebenfalls von der Kupplungsregelung übernommen. Beim Anfahren des Fahrzeuges wird in aller Regel ein vordefinierter Verlauf für Motor- und Getriebedrehzahl eingestellt, bis die Kupplung ausgehend von der maximalen Drehzahldifferenz eine Drehzahlgleichheit erreicht hat. Danach wird die Kupplung in Endposition gebracht. Leerwege an der Kupplung werden sehr schnell gesteuert durchfahren, um eine hohe Stelldynamik zu erreichen.
Bild 2-56a: Typischer Anfahrvorgang
Bild 2-55: Funktionen eines automatischen Getriebes
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2 Motor und Antriebsstrang Schaltzylinder betätigt, um den neuen Gang einzulegen. Dieser Ablauf gilt für ein relativ einfaches Getriebe. Bei Vielganggetrieben sind diesem Vorgang noch ein oder zwei weitere Schaltabläufe überlagert, so dass ein sehr komplexer Ablauf mit Verschachtelungen und Folgesteuerungsanteilen entsteht. Der Schaltablauf wird während der ganzen Zeit mit Sensoren überwacht, damit einerseits die Abläufe optimal erfolgen können, aber auch um Störungen im Ablauf zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Ein solcher Fall tritt auf, wenn bei der Schaltung am Klauengetriebe die Schaltzähne ungünstig aufeinander treffen und mit zusätzliche Entlastung des Antriebsstranges die Schaltung zu Ende gebracht werden muss. 2.4.4.3 Fahrstrategie
Bild 2-56b: Typischer Schaltvorgang
2.4.4.2 Schaltablaufsteuerung Die Schaltablaufsteuerung sorgt für die richtige Betätigungssequenz zum Einschalten oder Wechseln eines Ganges. Dieser Vorgang ist, wie oben beschrieben, mit der Kupplungsregelung und der Motorbeeinflussung synchronisiert. Ist der Antriebsstrang lastfrei und die Kupplung offen, so wird als erstes der bestehende Gang herausgenommen. Dies erfolgt durch Betätigung des Gangschaltzylinders in Richtung der Getriebe-Neutralposition. Ist das Getriebe in Neutralstellung, wird die Getriebegasse des neuen Ganges angewählt und der
Neben dem Schaltablauf selbst ist die Wahl des jeweils richtigen Schaltzeitpunktes, des Ganges und der zu schaltenden Gangzahl eine besondere Herausforderung. Hier gilt es, das technische Optimum hinsichtlich Kraftstoffverbrauch, Emissionen und Fahrleistung darzustellen und trotzdem noch dem (nicht selten subjektiven) Wunsch des Fahrers gerecht zu werden. Die ist keine einfache Aufgabe, die neben einem Abbild der physikalischen Gegebenheiten in Form von Regelalgorithmen meist noch eine empirische Komponente zur spezifischen Anpassung (Fahrzeugabstimmung) beinhaltet. Wesentlicher Bestandteil der Fahrstrategie ist ein Modul zur Erkennung des aktuellen Fahrzustandes. Hier werden Zustände wie z.B. Stillstand, Beschleunigungsfahrt, Konstantfahrt usw. detektiert. Daneben werden laufend Signale (z.B. Geschwindigkeit, Beschleunigung, Verbrauch, Leistungsüberschuss) erfasst. Zudem laufen Beobachter zur Schätzung verschiedenster Zustandsgrößen wie z.B. Beladung, Steigung oder Fahrwiderstand.
Bild 2-57: Fahrstrategie für ein automatisches Getriebe
2.4 Getriebesteuerung im Nutzfahrzeug Alle diese Informationen werden in einem komplexen Regelwerk analysiert und für den aktuellen Gang und die evt. zu schaltenden Gänge bewertet. Daraufhin wird eine Schaltempfehlung ausgegeben. Für bestimmte Situationen, wo der Fahrer (z.B. aufgrund der Übersicht über die Verkehrssituation, die derzeit noch nicht elektronisch ermittelt wird) anders entscheidet, ist ein manueller Eingriff in die Gangwahl durch den Fahrer möglich (Bild 2-57). Wie bereits erwähnt, gibt es auch noch subjektive Einstellkriterien, in denen sich verschiedene Fahrzeughersteller unterscheiden möchten. Diese werden in Abstimmfahrten gezielt eingestellt. 2.4.4.4 Sonstige Funktionen Neben den bisher erwähnten Basisfunktionen gibt es eine Menge von weiteren Funktionen innerhalb einer Getriebesteuerung. Beispielsweise gibt es eigene Abläufe zur Zuschaltung und Regelung von Nebenabtrieben, Anzeigefunktionen für die Fahrerkommunikation, die Erfassung von Bedieneinheiten und neuerdings auch eine Menge von Funktionen, die auf einem Datenaustausch mit anderen Fahrzeugsystemen beruhen, wie z.B. einer Bergangfahrhilfe. Weitere Funktionen, die mindestens 50 % des Gesamtfunktionsumfangs ausmachen, sind die Diagnose und die Notfahrfunktionen. Diese sollen einerseits helfen, mögliche Fehler an Komponenten schnell und sicher zu finden, andererseits eine hohe Systemverfügbarkeit zu garantieren, wenn nicht besonders kritische Komponenten ausgefallen sind.
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2.4.5 Steuerungssoftware 2.4.5.1 Software-Struktur Die Software ist modular und angelehnt an den Grundsätzen der Objektorientierung ausgeführt. Ein Großteil der Software, insbesondere im hardwarenahen Bereich, ist standardisiert. Die Funktionsmodule sind (soweit möglich) stark gekapselt, um einen hohen Wiederverwendungsgrad zu erreichen (Bild 2-58). 2.4.5.2 Software-Konfiguration und Applikation Da die Getriebe in verschiedensten Nutzfahrzeugen (vom Lkw über den Bus, das Geländefahrzeug bis hin zum Bahntriebwagen) eingesetzt werden, ist eine hohe Anpassbarkeit gefragt. Dies wird mit einem großen Datenfeld erreicht, in dem viele Parameter kalibriert, aber auch komplette Funktionen angepasst werden können.
2.4.6 Systemintegration im Fahrzeugnetzwerk 2.4.6.1 Schnittstelle im CAN-Systemverbund Die Standardisierung von Datennetzen im Nutzfahrzeug ist aufgrund der SAE-Norm J1939 weltweit zwar schon sehr weit gediehen, es müssen jedoch trotzdem unterschiedliche Detailvarianten beherrscht werden. Es bietet sich daher an, einen Schnittstellenumfang zu definieren, der verschiedenste Anwendungen erlaubt. Bild 2-59 zeigt eine Möglichkeit zur Realisierung des Schnittstellenumfangs.
Bild 2-58: Software-Struktur für ein automatisches Getriebe
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2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-59: Fahrzeugsystemschnittstelle [Quelle: ZF]
Neben den Spannungsversorgungen (Klemme 15 und Klemme 30), die trotz unterschiedlicher Funktionen auch eine gewisse Redundanz bei Kabelunterbrechung bieten, sind zwei CAN-Schnittstellen die dominierenden Systemschnittstellen. Typischerweise handelt es sich um einen Anschluss zum FahrzeugSystem-CAN und einen Anschluss, der lokal zum Getriebesystem gehört. Der lokale CAN-Anschluss erlaubt die Anbindung von Display, Fahrschalter, Ein- und AusgabeErweiterung sowie von elektronischem Applikationssystem, unabhängig vom Fahrzeug-System-CAN. In Sonderfällen, vornehmlich bei Fahrzeugen mit Leitrechner, ist eine Reduktion auf den Fahrzeug-SystemCAN möglich. Die CAN-Anschlüsse sind physikalisch derart gestaltet, dass unterschiedliche Kabelkonfektionen ohne Hardware-Änderung adaptiert werden können (z.B. verdrillt, geschirmt). Funktionelle Anpassungen wie auch abgewandelte Applikationsprotokolle werden über Software eingestellt und stehen für viele Anwendungen bereits per Datenapplizierung zur Verfügung. Ein Diagnoseanschluss entsprechend der ISO-Norm 9141 steht zur Verfügung, um die Standard Diagnose zu gewährleisten. Alternativ kann jedoch die Diagnose auch über einen der CAN-Anschlüsse realisiert werden. Ein universelles Interface ist in der Lage, unterschiedliche Funktionen zu übernehmen (Signalein- und -ausgang, Frequenzeingang, bidirektionale Datenschnittstelle). Dieser Anschluss kann als zusätz-
licher Signalpfad verwendet oder in Sonderanwendungen auch als Signalredundanz werden, um bei Teilausfällen ggf. die Verfügbarkeit noch weiter zu steigern. Ein 5-Volt-Spannungs-Ausgang ist zur Versorgung bestimmter Sensoren vorgesehen; ein geschalteter 24-Volt-Ausgang versorgt externe Geräte, die nicht die volle Bordnetzspezifikation erfüllen können, oder selber nicht eigendiagnosefähig sind. Außerdem wurde die Applikationsfunktionalität durch Nutzung eines eigenen lokalen Bus-Systems wesentlich erhöht und von operativen EngpassSchnittstellen wie Diagnoseanschluss und SystemCAN abgekoppelt.
2.5 Fahrzeug-Starter 2.5.1 Einleitung Otto- und Dieselmotoren müssen zur Inbetriebnahme aus dem Stillstand heraus auf ihre Startdrehzahl gebracht werden. In der Startphase muss der Starter hohe Reibungs- und Verdichtungsmomente überwinden. In Fahrzeugen übernimmt ein Elektrostarter diese Aufgabe. Gleichstrommotoren kommen als Elektrostarter deshalb besonders in Frage, weil sie im Einschaltaugenblick ihr größtmögliches Drehmoment entwickeln und deshalb trotz relativ kleiner Nennleistung innerhalb einer Sekunde den Verbrennungsmotor in den Selbstlauf versetzen können. In Grenzsitua-
2.5 Fahrzeug-Starter tionen, insbesondere bei extrem tiefen Temperaturen, kann die Startphase aber auch bis 30 s dauern. Diese Gleichstrommotoren heißen in Verbindung mit ihrer an- oder eingebauten Elektromechanik in der Fachsprache Starter und werden umgangssprachlich auch Anlasser genannt. Einerseits muss der Verbrennungsmotor nur auf eine relativ geringe Startdrehzahl gebracht werden, andererseits ist es vorteilhaft, wenn der antreibende Starteranker gleichzeitig das 20- bis 60-fache dieser Drehzahl erreicht, denn bei hoher Drehzahl ist die Rotationsenergie des Läufers hoch. So werden während der Hochlaufphase kompressions- und dekompressionsbedingte Belastungsschwankungen besser abgefangen. Abgesehen davon kann ein höhertouriger Elektromotor raum-, gewichts- und kostengünstiger die geforderte Nennleistung erbringen. Die hohe Ankerdrehzahl verlangt entsprechende Übersetzungen. Die Maximaldrehzahl des Verbrennungsmotors kann über dem 50fachen seiner Startdrehzahl liegen. Deshalb muss verhindert werden, dass sich die Drehzahl des laufenden Verbrennungsmotors auf den Starter überträgt. Als technische Lösung wird eine meist elektrisch angetriebene EinAusspur-Mechanik gewählt, die sicherstellt, dass das Starterritzel nur während des Startvorganges mit dem Schwungradzahnkranz in Berührung kommt. Diese Ein-Ausspur-Elektromechanik und die beim Einspuren des Ritzels auftretende Vorgänge geben üblicherweise dem Starter den Namen. Die gebräuchlichsten Bezeichnungen sind SchubschraubtriebStarter und Schubtrieb-Starter. Es werden aber auch weitere Startermerkmale, wie beispielsweise Vorgelege oder Permanentmagnete, in die Starterbezeichnungen mit einbezogen. Zunächst ist ein Starter ein einfaches, vom FahrtStart-Schalter aus angesteuertes System. Es sollte jedoch auch sichergestellt sein, dass versehentlich nicht bei laufendem Motor ein Einspurversuch unternommen wird. Sicherheits- und Komfortansprüche, die heute zum Standard gehören, verlangen eine der modernen Technik angepasste Startsteuerung, beispielsweise per Funk.
2.5.2 Elektromotorische Grundlagen Entstehung der Drehbewegung In jedem Elektromotor sind zwei Magnetfelder wirksam. Beim Starter-Gleichstrommotor ist der Stator als Träger des einen Magnetfeldes mit Permanentmagneten oder mit gleichstromdurchflossenen Elektromagneten ausgestattet, während der Rotor (Läufer, Anker) immer ein Elektromagnet ist und das zweite Magnetfeld zur Verfügung stellt. Damit der Anker eine kontinuierliche Drehbewegung ausführt, müssen seine Wicklungen wechselstromdurchflossen sein. Dies wird trotz Gleichstromzufüh-
67 rung dadurch erreicht, dass die Anschlüsse der Einzelspulen des Ankers mit gegenseitig isolierten Lamellen verbunden sind. Bei der Drehbewegung kontaktieren diese Lamellen abwechselnd eine Plusund eine Minuskohle. Auf diese Art entstehen im Anker die erforderlichen elektrischen und magnetischen Umpolungen und als Folge die Drehung. Zusammenhang zwischen Drehmoment, Motordrehzahl und Stromaufnahme Je größer der wirksame Magnetfluss der beiden Magnetfelder und der Radius des Ankers ist, um so größer ist das Drehmoment. Der Wechselstrom, der im rotierenden Anker fließt, ändert seine Frequenz proportional mit der Ankerdrehzahl. Das Magnetfeld dieses Wechselstromes erzeugt in der Ankerwicklung eine frequenzabhängige Gegenspannung (Ankergegenspannung). Im Einschaltaugenblick ist die Drehzahl und damit die Ankergegenspannung null. Es fließt die größtmögliche Stromstärke (Kurzschluss-Stromstärke). Mit steigender Drehzahl reduziert die ebenfalls steigende Gegenspannung die Stromaufnahme des Ankers immer mehr, entsprechend reduziert sich auch das Ankerdrehmoment. Ein Starter läuft jeweils nur sehr kurz niedertourig und nimmt somit auch nur kurze Zeit eine sehr hohe Stromstärke auf. Deshalb sind Starter thermisch nicht für einen niedertourigen Dauerbetrieb ausgelegt. Die Drehzahl-Drehmomenten-Kennlinie ist eine leicht verständliche Darstellung zur Charakterisierung von Motoreigenschaften. Während man bei Verbrennungsmaschinen üblicherweise das mögliche Maximaldrehmoment über der Drehzahl aufträgt, stellt man in der Elektrotechnik im allgemeinen die Motordrehzahl in Abhängigkeit vom abverlangten Lastmoment dar. Bild 2-60a zeigt exemplarisch den Zusammenhang zwischen Drehzahl, Ankergegenspannung und Stromaufnahme, Bild 2-60b den Zusammenhang zwischen Lastmoment und Drehzahl. Bei jedem Antriebsaggregat stellt sich dann eine stabile Drehzahl ein, wenn Lastmoment und Antriebsmoment gleich groß sind. Unmittelbar nach dem Einschalten muss das Antriebsmoment des Starterankers über dem Lastmoment liegen, damit der Anker sich dreht und beschleunigt. Es stellt sich eine stabile Drehzahl ein, wenn das Antriebsmoment auf das Lastmoment abgesunken ist. Tritt eine Lasterhöhung auf, geht die Ankerdrehzahl zurück. Mit ihr sinkt auch die Ankergegenspannung. Deshalb erhöhen sich gleichzeitig Ankerstrom und Antriebsdrehmoment. Die Drehzahl sinkt so weit ab, bis das Antriebsmoment auf das erhöhte Lastmoment angestiegen ist. Der Motor läuft dann mit niedriger Drehzahl stabil weiter. Bei Lastreduzierung sind die Vorgänge umgekehrt. Bei Drehmomentgleichgewicht dreht der Starteranker konstant weiter.
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2 Motor und Antriebsstrang Reihenschlussmotor Beim zweipoligen Reihenschlussmotor ist die Erregerwicklung üblicherweise zweigeteilt. Eine Hälfte ist um den Stator-Nordpol, die andere um den StatorSüdpol gelegt. In der Regel ist der Stator dieser Startermotoren mit vier Elektromagneten ausgestattet, die nach innen abwechselnd als Nord- und Südpol wirken. Unabhängig davon, in welcher Reihenfolge Statorwicklung und Ankerwicklung miteinander verbunden sind, werden im Schaltbild üblicherweise die Statorwicklungen als eine Spule und der Anker nur mit zwei Schleifkontakten dargestellt (siehe Bild 2-61). Weil die Statorspulen das Erregermagnetfeld zur Verfügung stellen, heißen sie auch Erregerspulen. Auf Grund der Reihenschaltung sind Erregerstrom (IErr) und Ankerstrom (IAnker) identisch. Diese Tatsache bestimmt das charakteristische Drehmoment-Drehzahl-Verhalten dieser Maschinenart.
Bild 2-60: a) Zusammenhang zwischen Drehzahl, Ankergegenspannung und Stromaufnahme, b) Zusammenhang zwischen Lastmoment und Drehzahl; I Stromaufnahme des Ankers, M Ankerdrehmoment, n Ankerdrehzahl, Ui Gegenspannung
2.5.3 Schaltungsarten Bei Elektromotoren, bei denen neben dem Anker auch der Stator mit einem Elektromagneten ausgestattet ist, können die Stromzweige der beiden Magnete in Reihe oder parallel geschaltet werden. Die Motorbezeichnung richtet sich nach der Verschaltungsart (Tabelle 2-4). Die Wahl der Verschaltung bestimmt das Drehzahl-Drehmoment-Verhalten. Allerdings ist eine Änderung der vorhandenen Schaltungsart im Nachhinein nicht sinnvoll, weil sich die Dimensionierung der Spulen nach der Schaltungsart richtet. Tabelle 2-4: Schaltungsmerkmale und Motorbezeichnung Schaltungsmerkmale
Motorbezeichnung
Ankerwicklung und Erregerfeldwicklung in Reihe
Reihenschlussmotor oder Hauptschlussmotor
Ankerwicklung und Erregerfeldwicklung parallel
Nebenschlussmotor
Motor besitzt Reihen- und Nebenschlusswicklung
Doppelschlussmotor oder Compoundmotor
Dauermagnete als Erregung
Permanenterregter Motor
Bild 2-61: Schaltbeispiel für einen Gleichstrom-Reihenschlussmotor: 1 Erregerwicklung(en), 2 Anker IErr Strom in der Erregerwicklung, IAnker Strom in der Ankerwicklung, IErr = IAnker
Im ersten Moment nach dem Einschalten des Elektrostarters ist auf Grund der fehlenden Gegenspannung die Stromaufnahme am größten und damit das Drehmoment am höchsten. Mit zunehmender Drehzahl geht auf Grund der Schaltungsart nicht nur das Ankerfeld zurück, sondern auch das Erregerfeld. Mit steigender Drehzahl erhöht sich die Ankergegenspannung. Weil aber auch das an der Gegenspannung beteiligte Erregerfeld schwächer wird, gehen mit steigender Drehzahl die Stromaufnahme und damit das Antriebsmoment nur abgeschwächt zurück und der Anker wird insbesondere im Leerlauf eine hohe Drehzahl einnehmen. Die folgende im Bild 2-62 für Reihenschlussmotoren typische Kennlinie zeigt das vorteilhaft hohe Antriebsmoment bei hoher Last, sie zeigt aber auch, dass eine sehr hohe Leerlaufdrehzahl zu Stande kommt. Bei großen Startern würde die Leerlaufdrehzahl 10 000/min überschreiten, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen würden.
2.5 Fahrzeug-Starter
Bild 2-62: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines Gleichstrom-Reihenschlussmotors M Drehmoment, MN Nennmoment, n Drehzahl, nN Nenndrehzahl
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Im ersten Moment nach dem Einschalten ist die Stromaufnahme des Ankers sehr hoch, weil noch keine Gegenspannung dem Ankerstrom entgegenwirkt. Dabei befinden sich die Zähne des Ankers in der magnetischen Sättigung. Weil aber der Erregerstrom in dieser Phase nicht größer als bei Nenndrehzahl ist, liegt das Anzugsmoment nur wenig über dem Nennmoment. Mit zunehmender Drehzahl entsteht Ankergegenspannung, die stark mit der Drehzahl steigt. Dies bewirkt eine schnelle Abnahme des Ankerstromes und damit Abnahme des Antriebmomentes. Die Leerlaufdrehzahl liegt nur wenig über der Nenndrehzahl (siehe Bild 2-64). Unabhängig von Lastschwankungen ist die Drehzahl sehr stabil. Bei zu hoher Belastung bleibt jedoch der Anker stehen, weil sich die Ankerzähne in der magnetischen Sättigung befinden und der Erregerstrom nicht steigt. Deshalb erhöht sich trotz steigender Stromaufnahme das Drehmoment nur wenig.
Nebenschlussmotor Beim Nebenschlussmotor sind Erregerwicklung und Anker parallel geschaltet. Der reine Nebenschlussmotor findet zwar bei Startermotoren keine Anwendung. Um aber das Verhalten der Starter mit Permanenterregung und den Einfluss der Nebenschlusswicklung bei Startern mit Doppelschlusswicklungen zu verstehen, ist die Kenntnis des Nebenschlusseinflusses erforderlich. Unabhängig von der Polzahl wird im Schaltbild auch hier nur eine Wicklung eingezeichnet und der Anker mit nur zwei Schleifkontakten dargestellt. Bild 2-64: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines Gleichstrom-Nebenschlussmotors: M Drehmoment, MN Nennmoment, n Drehzahl, nN Nenndrehzahl
Bild 2-63: Schaltbeispiel für einen Gleichstrom-Nebenschlussmotor: 1 Anker, 2 Erregerwicklung IAnker Ankerstrom, IErr Erregerstrom, IAnker z IErr
Anker und Erregerwicklung liegen an der gleichen Spannung. Ihr Widerstand bestimmt die unterschiedlichen Stromaufnahmen. Während in der Ankerwicklung die drehzahlabhängige Gegenspannung auf die Ankerstromstärke IAnker großen Einfluss nimmt, bleibt die Erregerstromstärke IErr drehzahlunabhängig konstant. Somit ist auch das Erregerfeld drehzahlunabhängig. Mit Rücksicht auf die im Anker entstehende Gegenspannung darf das Erregerfeld nicht zu stark sein, weil sonst der Starteranker nicht die gewünschte Nenndrehzahl erreichen würde. Windungszahl und Spulenwiderstand sind unter diesem Gesichtspunkt aufeinander abgestimmt.
Doppelschlussmotor Der Doppelschlussmotor (Compoundmotor) besitzt Reihenschluss- und Nebenschlusswicklungen (siehe Bild 2-65). Er kombiniert die Vorteile des Reihenschlussmotors und die des Nebenschlussmotors. Im Einschaltaugenblick ist die Stromaufnahme im Reihenschlusszweig hoch, entsprechend hoch ist auch das Antriebsmoment. Mit zunehmender Drehzahl geht die Stromstärke im Reihenschlusszweig zurück und es tritt immer mehr das Nebenschlussverhalten in den Vordergrund. Den Doppelschlussmotor zeichnen das hohe Anzugsmoment und die niedrige Leerlaufdrehzahl aus (siehe Bild 2-66). Der aufwändigere Aufbau kann als Nachteil angesehen werden.
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Bild 2-65: Schaltbeispiel für einen Doppelschlussmotor: 1 Reihenschlusswicklung, 2 Anker, 3 Nebenschlusswicklung IR Stromstärke im Reihenschlusszweig, IN Stromstärke im Nebenschlusszweig
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-67: Stator eines Gleichstrommotors mit Permanentmagneten als Erregermagneten: N Nordpol nach innen, S Südpol nach innen
2.5.4 Starter für Personenkraftwagen
Bild 2-66: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines Gleichstrom-Doppelschlussmotors: M Drehmoment, MN Nennmoment, n Drehzahl, nN Nenndrehzahl
Permanenterregter Startermotor Beim Starter mit permanenterregten Statorpolen entfällt die Erregerwicklung (siehe Bild 2-67). Bedingt durch das konstante Magnetfeld ist er mit einem Nebenschlussmotor vergleichbar. Er hat bezüglich der Leerlaufdrehzahl den gleichen Vorteil. Sein Nachteil besteht im relativ geringen Anzugsmoment, weil Permanentmagnete nicht die Stärke von Elektromagneten erreichen können. Die Herstellungskostenvorteile sind jedoch so groß, dass man hier technische Ausgleichsmöglichkeiten gesucht und gefunden hat. Um das Anzugsdrehmoment beim Start zu erhöhen, wurde der Starter für eine höhere Nenndrehzahl auslegt und gleichzeitig mit einem Planetengetriebe versehen, so dass trotz verringertem Ankermoment das Antriebsmomentes am Starterritzel ausreicht (siehe unten). Permanentmagnete müssen, um für diesen Einsatz geeignet zu sein, eine hohe Remanenz aufweisen, damit sie erschütterungsunempfindlich sind. Außerdem dürfen sich ihre Molekularmagnete unter dem Einfluss des starken Ankerquerfeldes nicht drehen, sie müssen also eine hohe Koerzitivfeldstärke besitzen.
Einleiten eines Startvorgangs Herkömmlicherweise wird bei Personenkraftwagen der Startvorgang durch Betätigen des Zünd-StartSchalters am Lenkradschloss in die Startstellung eingeleitet. Inzwischen sind verschiedene komfortable Lösungen mit gesteigerter Diebstahl- und Wegfahrsicherheit Standard. Der Motor kann beispielsweise über Fernbedienung funk- und datenbusgesteuert elektronisch gestartet werden. Weil in diesem Kapitel die Starter und nicht die Datenübertragungstechniken das Thema sind, wird zum Einleiten und Beenden des Startvorgangs in den Schaltbeispielen jeweils ein herkömmlicher Zünd-Start-Schalter eingezeichnet. Direkttreibende Schubschraubtrieb-Starter Direkttreibende Schubschraubtrieb-Starter (Bild 2-68) sind Starter der untersten Leistungskategorie. Bei kleinen Startern stellen Permanentmagnete das Erregerfeld zur Verfügung. Sie haben kein Vorgelege (daher direkttreibend), deshalb hat das eingespurte Ritzel beim Start Ankerdrehzahl. Die Bezeichnung Schubschraubtrieb deutet darauf hin, dass das Ritzel beim Ein- und beim Ausspuren eine Schub- und eine Schraubbewegung ausführen kann. Der Einspurvorgang beginnt, wenn der Zünd-StartSchalter (S) seinen Eingang 30 mit seinem Ausgang 50 verbindet (Startstellung). Dabei sind die Einzugswicklung (E) und die Haltewicklung (H) des Einrückrelais (K) stromdurchflossen (siehe Bild 2-69).
2.5 Fahrzeug-Starter
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Bild 2-68: Schubschraubtrieb-Starter, stromlos (Ausgangsposition) Klemmenbezeichnungen: G/+ Pluspol der Batterie, G/– Minuspol der Batterie, 15 Ausgang Zünd-Start-Schalter, 30 nichtgeschaltetes Bordnetzplus, 45 Ausgang Hauptkontakt Einrückrelais, 50 Pluseingang Einrückrelaisspulen Bauteile: G Fahrzeugbatterie, K Einrückrelais (Magnetschalter) mit Einzugswicklung (E) und Haltewicklung (H), R, L, C Komponenten des Bordnetzes, S Zünd-Start-Schalter, 1 Einrückhebel, 2 Einspurfeder, 3 Rollenfreilauf, 4 Starterritzel, 5 Schwungradzahnkranz, 6 Anschlagring, 7 Ende der Ankerwelle, gleitlagergeführt, 8 Steilgewinde, 9 Führungsring, 10 blechgeschichteter Anker mit Wicklung, 11 Permanentmagnet, Südpol nach innen, 12 Permanentmagnet, Nordpol nach innen, 13 Minuskohle, 14 Kommutator, 15 Pluskohle, 16 Schließkontakt des Einrückrelais
Bild 2-69: Schubschraubtrieb-Starter, Startbeginn IS/30 Stromstärke, die zum ZündStart-Schalter fließt, IE Stromaufnahme der Einzugswicklung, z.B. 30 A, IH Stromaufnahme der Haltewicklung, z.B. 10 A, 4 Ritzel, 8 Steilgewinde, 16 Schließkontakt des Einrückrelais
72 Die Magnetfelder von Einzugs- und Haltewicklung ziehen den beweglichen Kern im Einrückrelais (K) an. Dieser schiebt das Ritzel (4) auf dem Steilgewinde (8) teilweise in den Zahnkranz. Danach schließt der Kontakt (16) des Einrückrelais und der Starteranker beginnt, sich zu drehen. Nach dem Schließen dieses Kontaktes liegt die Einzugswicklung beidseitig an plus und ist während des restlichen Startvorgangs stromlos. Auf Grund des nun magnetisch besser verstärkenden Ankers des Einrückmagneten genügt eine auf etwa 25 % reduzierte magnetische Erregung, weshalb die Einzugswicklung nach dem Einspuren abgeschaltet werden kann und somit auch nur für Kurzzeitbetrieb ausgelegt werden muss. Bild 2-70 zeigt die Situation nach dem vollständigen Einspuren. Während der ersten 90° bis 120° Ankerdrehung führt das zunächst nur teilweise eingespurte Ritzel eine Schubbewegung in Richtung Anschlagring (6) aus. Erst wenn das Ritzel am Anschlagring ansteht, überträgt sich die Ankerdrehbewegung auf das Ritzel und der Schwungradzahnkranz wird gedreht. Weil das Ritzel auf dem Weg zum Anschlagring den Starteranker noch nicht bremst, kann dieser unbelastet beschleunigen. Das Anfangsdrehmoment des eingespurten Starters heißt Losbrechmoment und wird vom Schwungmoment des Starterankers unterstützt. Bei etwa zwei Drittel aller Startvorgänge trifft der Ritzelzahn nicht die Zahnkranzlücke, sondern zunächst einen Zahnkranzzahn. In diesem Fall überdrückt der Einrückhebel die Einspurfeder (2) und der Kontakt des Einrückrelais schließt trotzdem (siehe Bild 2-71). Nach einer kleinen Ankerdrehbewegung steht der Ritzelzahn vor einer Zahnkranzlücke und spurt ein.
2 Motor und Antriebsstrang Solange der Fahrt-Start-Schalter in Startstellung bleibt, hält die Haltewicklung das Ritzel eingespurt. Bereits beim Hochlauf des Verbrennungsmotors wird auf Grund des herrschenden Übersetzungsverhältnisses das Ritzel vom Zahnkranz angetrieben. Der Rollenfreilauf (3) wirkt als Überholkupplung und verhindert, dass sich die hohe Ritzeldrehzahl auf den Starteranker überträgt. Falls ein mechanisch abgenützter Rollenfreilauf klemmt, wird bei laufendem Verbrennungsmotor die Ankerdrehzahl so hoch, dass die Fliehkraft die Ankerwicklungen aus den Nuten zieht. Unmittelbar nach dem Öffnen des Fahrt-Start-Schalters ist der Relaiskontakt noch geschlossen. Dadurch fließt ein Strom von Klemme 45 über die Einzugswicklung in die Haltewicklung gegen Masse. In der Einzugswicklung hat der Strom gegenüber dem Einspuren entgegengesetzte Richtung. In der Einzugswicklung entsteht somit ein Magnetfeld, das gegen das Magnetfeld der Haltespule wirkt. Auf Grund der gleichen Windungszahl von Einzugs- und Haltewicklung heben sich beide Felder auf und die Rückstellfeder im Einrückrelais bringt den Einrückmechanismus und den Schließkontakt des Einrückrelais wieder in die Ausgangsposition. Falls der Motor nicht in den Selbstlauf übergeht (z.B. aufgrund von Zündproblemen), muss der Startvorgang abgebrochen werden. Dabei können Ritzel und Zahnkranz unter mechanischer Last stehen und ein Ausspuren des Ritzels verhindern. Damit der Relaisanker den zum Öffnen des Relaiskontaktes erforderlichen Schubweg ausführen kann, ist die Einspurmechanik für diese Bewegung mit einem Leerweg versehen.
Bild 2-70: SchubschraubtriebStarter, Ritzel eingespurt IS/30 Stromstärke, die zum ZündStart-Schalter fließt, IH Stromaufnahme der Haltewicklung, z.B. 10 A, I30 Stromaufnahme des Ankers, z.B. 300 A, I Gesamtstrom der Batterie, setzt sich aus I30 und IH zusammen
2.5 Fahrzeug-Starter
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Bild 2-71: Schubschraubtrieb-Starter, Ritzelzahn trifft auf Zahnkranzzahn
Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege Inzwischen haben sich in Fahrzeugen ab etwa 1,5 Liter Hubraum Schubschraubtrieb-Starter mit Permanentmagneten und Planentengetriebe als Vorgelege durchgesetzt (Bild 2-72). Beim SchubschraubtriebStarter mit Vorgelege sind die Elektromechanik des Einrückrelais, die Einspurmechanik und die Mechanik des Rollenfreilaufs identisch mit dem direkttreibenden Schubschraubtrieb-Starter ohne Vorgelege. Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege finden in Ottomotoren bis etwa 6 l und in Dieselmotoren bis maximal 3 l Hubraum Verwendung.
Beim Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege hat der Anker gegenüber einem direkttreibenden Starter mehr als die dreifache Nenndrehzahl. Ein im Starter integriertes Planetengetriebe reduziert die Ritzeldrehzahl auf die Startdrehzahl. Bei dieser Planetenradkonstruktion verteilt sich das Ankerdrehmoment immer auf drei Zahnflanken gleichzeitig. Außerdem beträgt bei dreifacher Drehzahl und vergleichbarer Leistungsabgabe das Gesamtmoment des treibenden Ankers nur ein Drittel. So kann das Planetengetriebe der kleineren Starter aus Kunststoff gefertigt werden.
Bild 2-72: Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege (Planetengetriebe) 1 Ankerwelle, 2 Sonnenrad auf der Ankerwelle, 3 Planetenräder, 4 Einrückrelais, 5 Einrückhebel, 6 Steilgewinde, 7 Rollenfreilauf, 8 Starterritzel, 9 Anschlagring, 10 Schwungradzahnkranz, 11 Gabel des Einrückhebels
74
2 Motor und Antriebsstrang
Insgesamt gesehen haben diese Starter nicht nur ein kleineres Leistungsgewicht, sondern auch ein kleineres Leistungsvolumen als direkttreibende Schubschraubtrieb-Starter. Beim Schubschraubtrieb-Starter mit Vorgelege sind die einzelnen Phasen des Einspurvorganges identisch mit denen des direkttreibenden Schubschraubtrieb-Starters. Schubschraubtrieb-Starter mit Reihenschlusswicklung Für Dieselmotoren ab 2,5 bis 3 Liter Hubraum geht man auf Starter mit Reihenschlussmotor als Antrieb über (siehe Bild 2-73). Die Flussdichte % eines elektrisch erzeugten Polfeldes kann das Mehrfache eines Permanentmagneten erreichen. Somit sind bei etwa gleicher Baugröße erheblich größere Drehmomente möglich. Die Verwendung eines entsprechend ausgelegten Planetengetriebes als Vorgelege bleibt davon unberührt.
2.5.5 Starter für Nutzfahrzeuge Schubtrieb-Starter mit Vorwiderstand Diese Starterart wird derzeit bei Motoren bis 16 Liter Hubraum eingesetzt. Damit das Starterritzel möglichst sicher einspurt, wird bereits mit dem Betätigen des Startschalters der Starteranker in eine leichte Drehbewegung versetzt. Es gibt zwei Varianten. Bei der leistungsschwächeren Ausführung bewegt der Einrückhebel nicht nur das Ritzel in Richtung Zahnkranz, sondern auch den Rollenfreilauf. Bei der leistungsstärkeren Variante sind Rollenfreilauf und Planetengetriebe eine Baugruppe ohne Axialverschiebung (siehe Bild 2-74).
Bild 2-73: Schubschraubtrieb-Starter mit Reihenschlusswicklung G Fahrzeugbatterie, K Einrückrelais (Magnetschalter) mit Einzugswicklung (E) und Haltewicklung (H), L Reihenschlusswicklung, M Anker, S Fahrt-Start-Schalter
Sobald der Fahrt-Start-Schalter S in Startstellung gebracht wird, schließt der Kontakt des Vorsteuerrelais K1 und verbindet die Starterklemme 50 mit dem Dauerplus des Bordnetzes. Die Spule des Einrückrelais K2 ist stromdurchflossenen, so dass der Relaisanker mit Hilfe des Einrückhebels (2) das Ritzel in Richtung Zahnkranz bewegt. Gleichzeitig fließt Strom in der Größenordnung von 100 A bis 200 A über den Vorwiderstand R und den noch geschlossenen Öffnerkontakt (1) des Einrückrelais in den Reihenschlussstromzweig des Starters.
Bild 2-74: Schubtrieb-Starter, zweistufig 1 Öffnerkontakt, 2 Einrückhebel, 3 Baugruppe Planetengetriebe mit Rollenfreilauf, 4 zweigeteilte Reihenschlusswicklung, G Fahrzeugbatterie, K1 Hilfsrelais, K2 Einrückrelais, R Vorwiderstand, S Fahrt-Start-Schalter
2.5 Fahrzeug-Starter Dadurch dreht sich der Starteranker langsam, um sicherzustellen, dass ein Ritzelzahn auf eine Zahnkranzlücke trifft. Nach erfolgtem Einspuren verbindet der Hauptkontakt (Schließerkontakt) im Einrückrelais (K2) über die Anschlüsse 30 und 45 den Reihenschlusszweig des Starters direkt mit dem Batterieplus und der Starter dreht mit vollem Drehmoment. Wenn der Fahrt-Start-Schalter S wieder losgelassen wird, verbindet er nur noch Klemme 30 mit Klemme 15. Dann öffnet das Hilfsrelais K1, das Einrückrelais K2 wird stromlos und sein Hauptkontakt öffnet. Dadurch werden alle Komponenten stromlos und gehen wieder in ihre Ausgangsposition. Schubtrieb-Starter mit elektromotorischer Ritzelverdrehung Hinter der Bezeichnung Schubtrieb-Starter mit elektromotorischer Ritzelverdrehung verbirgt sich der bisherige Klassiker unter den großen Startern, der herkömmlich als zweistufiger Schubtrieb-Starter mit Hohlwelle, Einrückstange (im Bild 2-75 Bauteil 4) und Lamellenkupplung bekannt ist. Diese Starterart ist als Doppelschlussmotor ausgelegt. Um den Einspurvorgang einzuleiten, verbindet der Fahrt-Start-Schalter (S) die Klemme 50 mit dem Bordnetzplus. Dadurch sind die Haltewicklung H des Einrückmagneten (K2) und die Spule des Steuerrelais (K1) stromdurchflossen. Das Steuerrelais bewegt seine Kontakte zunächst nur in Stufe 1, weil der sich mitbewegende Kontakthebel (2) zunächst an der Sperrklinke anschlägt und die Bewegung der Kontakte aufhält. In dieser ersten Stufe verbindet das Steuerrelais die Einzugswicklung des Einrückmagneten und
75 die Nebenschlusswicklung mit dem Bordnetzplus 30. Die Einzugswicklung ist zum Starteranker in Reihe geschaltet. Die vom Einrückrelais angetriebene Einrückstange (4) verläuft durch die Ankerhohlwelle und schiebt das Ritzel in Richtung Zahnkranz. Gleichzeitig führt der Anker eine langsame Drehbewegung aus. Diese Drehbewegung wird über eine Lamellenkupplung auf das Ritzel übertragen, so dass es auch dann einspurt, wenn zunächst ein Ritzelzahn auf einen Zahnkranzzahn stößt. Wenn das Ritzel sicher eingespurt ist, hebt der Auslösehebel (Bauteil 3 in Bild 2-75) die Sperrklinke (1) an, so dass sich die Aussparung des Kontakthebels über die Sperrklinke bewegen kann und die Kontakte des Steuerrelais in Stufe 2 gehen. Der Startermotor entwickelt jetzt als Doppelschlussmotor sein volles Anzugsmoment. In dieser Phase führt die Einzugswicklung des Einrückmagneten nur noch einen reduzierten Strom, weil sie parallel zur niederohmigen Reihenschlusswicklung liegt. Es kann vorkommen, dass sich Ritzelzahn und Zahnkranzzahn verkeilen (Eck-auf-Eck-Stellung). In diesem Fall muss der Startvorgang wiederholt werden (Blindschaltung). Nach dem Loslassen des FahrtStart-Schalters fällt K1 wieder ab und die ganze Einrichtung wird stromlos. Eine Rückstellfeder bringt alle Starterteile wieder in die Ausgangsstellung. Bei diesem Starter werden Ankerwelle und Ritzel über einen Lamellenfreilauf kraftschlüssig. Auf Grund eines Steilgewindes werden mit dem Losdrehen des Anker die Lamellen zusammen gepresst. Eine Tellerfeder stellt zunächst beim Zusammenpressen der Lamellen die Gegenkraft zur Verfügung.
Bild 2-75: Schaltbeispiel für einen Schubtrieb-Starter mit elektromotorischer Ritzelverdrehung 1 Sperrklinke, 2 Kontakthebel mit Aussparung, 3 Auslösehebel, 4 Einrückstange, G Batterie, L1 Reihenschlusswicklung, L2 Nebenschlusswicklung, M Starteranker, K1 Steuerrelais, K2 Einrückmagnet mit Einzugswicklung E und Haltewicklung H, S Fahrt-Start-Schalter
76 Mit dem Erreichen des eingestellten Maximalmomentes überdrückt eine äußere Drucklamelle die Tellerfeder. Das Innengewinde-Kuppelteil erreicht einen Anschlag. Dadurch wird ein weiteres Zusammenpressen der Lamellen verhindert und das übertragbare Moment begrenzt, um die Ritzel- und Kranzzähne vor dem Abscheren zu schützen. Sobald der Motor gestartet wurde, überholt die Ritzeldrehzahl die Ankerdrehzahl. Dieser Kraftrichtungswechsel öffnet die Lamellenverbindung.
2.5.6 Schraubtrieb-Starter der Motorradtechnik Heute sind die Motorräder mit Elektrostartern ausgestattet (siehe Bild 2-76). Allerdings genügt ein Starter kleinerer Leistung. Auf Grund der Ein-AusspurMechanik heißen diese Starter Schraubtrieb-Starter. Der Antrieb ist ein direkttreibender Kollektormotor mit Dauermagneten als Erregermagnete. Die Ankerwelle ist auf der Antriebsseite mit einem Steilgewinde versehen, auf dem sich Ritzel und Rollenfreilauf in Richtung Zahnkranz bewegen können. Der Starter verfügt weder über ein Einrückrelais noch über einen Einrückhebel. Eine Feder hält Ritzel und Rollenfreilauf in ihrer Ausgangsstellung. Mit dem Betätigen des Fahrt-Start-Schalters wird der Starteranker über ein externes Relais mit dem Bordnetzplus verbunden, wenn besondere sicherheitsrelevante Voraussetzungen erfüllt sind. Der Starteranker dreht sofort mit vollem Antriebsmoment und beschleunigt sehr schnell. Auf Grund der Masseträgheit haben Ritzel und Rollenfreilauf zunächst eine langsamere Drehzahl, so dass sie auf dem Steilgewinde auch eine axiale Bewegung in Richtung Zahnkranz machen. Wenn das Ritzel am Zahnkranz ankommt, muss es die Ankerdrehzahl übernehmen. Ein Ritzelzahn wird sicher vor eine Zahnkranzlücke gedreht und das Ritzel spurt ein. Nach dem Starten des Motors treibt der Zahnkranz das Ritzel, so dass dieses auf Grund des Steilgewindes den Zahnkranz verlässt. Eine Feder hält danach das Ritzel in Ausgangsstellung.
2 Motor und Antriebsstrang
2.5.7 Startsteuerungen Es gehört, wie bereits im Kapitel 2.5.4 angesprochen, zum heutigen Standard der Neufahrzeuge, dass Vorkehrungen getroffen wurden, die ein unerwünschtes in Gang setzen des Startvorgangs verhindern, oder dass sie, wenn der Verbrennungsmotor unerwünscht abstellt, den Startvorgang selbsttätig wieder einleiten. In älteren Fahrzeugen trifft man allenfalls eine Startsperre an, die das Starten in den laufenden Motor verhindert. Dazu wurde der Öffnerkontakt eines Relais in die 50er-Leitung geschaltet und die Spulenklemme 86 des Relais mit der Generatorklemme D+ verbunden. Spannung an D+ gilt als Beweis dafür, dass der Motor läuft. Falls im Generator eine Plusdiode nicht mehr sperrt, liegt zwar ein Generatorfehler vor, aber weil dem Relais ein laufender Motor vorgetäuscht wird, kann auch nicht mehr gestartet werden. In modernen Fahrzeugen wird zur Startsteuerung eine ganze Palette von Kriterien und Gesichtspunkten berücksichtigt. Solche Kriterien- und Gesichtspunkte (siehe Bild 2-77) sind beispielsweise: die Überprüfung der Zugangsberechtigung, eventuell mit dauernd wechselnder Codierung, oder Nachweis per Funk-Fernbedienung, per Chipkarte oder per Reserveschlüssel, die Betätigung der Start-Stopp-Taste, die Überprüfung des Batterieladezustandes (Batteriezustandssensor), Überprüfungen, ob der Motor still steht (Motorsteuergerät), das Bremspedal betätigt wird (Steuergerät Beleuchtung), der Wählhebelschalter der Getriebesteuerung in Stellung P oder N (Getriebesteuergerät) steht, die Not-Ein-Funktion, wenn der Motor abstellt (Drehzahlinformation fällt aus), ohne dass zuvor die Start-Stop-Taste betätigt wurde.
Bild 2-77: Beispiel für eine Startsteuerung A Start-Steuergerät, B1 bis B4 Sensor- und Bus-Informationen, K1 Vorschaltrelais, K2 Starter-Einrückrelais, M Starteranker, V Schaltstufe im Start-Steuergerät Bild 2-76: Motorradstarter
2.6 Hybridantriebe Wenn alle Bedingungen für einen Start erfüllt sind, verbindet die Schaltstufe (Bauteil V im Bild 2-77) den Minusanschluss des Vorschaltrelais K1 mit Masse und sein Kontakt schließt. Dann beginnt der Einspurvorgang. Von jeher galten für den Elektrostart in der Motorradtechnik Sicherheitsstandards. So lässt sich auch bisher ein Startvorgang nur dann einleiten, wenn beispielsweise kein Gang eingelegt, der Kupplungsschalter betätigt und der Seitenständer hochgeklappt ist. Inzwischen zieht auch im Bereich Startsteuerung die Motorradelektronik der allgemeinen Fahrzeugelektronik nach. Im Prinzip sind die oben genannten Kriterien auch auf die Motorrad-Startsteuerung übertragbar, wenn sie um spezielle Forderungen (z.B. Seitenständer) ergänzt werden.
2.6 Hybridantriebe 2.6.1 Motivation zur Entwicklung von Hybridantrieben Konventionelle Antriebskomponenten Seit Beginn der Entwicklung des Automobils vor etwas mehr als einem Jahrhundert wurden eine Reihe von Antriebskonzepten erprobt und bis zur Serienreife entwickelt. Für die Massenherstellung von Fahrzeugantrieben haben sich bis heute jedoch nur Kombinationen aus Hubkolben-Verbrennungsmotoren mit Drehzahl- und Drehmomentenwandlern durchsetzen können. Die beiden am weitesten verbreiteten Konzepte der Hubkolben-Verbrennungsmotoren sind Otto- (im englischen Sprachgebrauch auch „Spark Ignition Engines“ genannt) und Diesel-Motoren. Sie unterscheiden sich, neben dem verwendeten Kraftstoff, auch durch die Gemischbildung und durch die Fremdzündung beim Otto- sowie die Selbstzündung beim Diesel-Motor. Otto- und Diesel-Motoren arbeiten in einem bestimmten Drehzahl- und Drehmomentenbereich, der als Arbeitsbereich bezeichnet wird. Sie bedürfen daher einem Drehzahl- und Drehmomentenwandler, d.h. einem Getriebe zur Darstellung einer definierten Drehzahlspreizung, sowie der Anfahr- und der Rückfahrfunktion. Gängige Ausführungsformen sind Handschalt- und Automatgetriebe. Stufenlose und automatisierte Handschaltgetriebe gewinnen erst seit Ende des 20. Jahrhunderts langsam an Bedeutung. Eine Vielzahl umfangreicher und aufwändiger Weiterentwicklungen ist bei der Konstruktion dieser, im Nachfolgenden „konventionelle Antriebe“ genannten, Antriebe eingeflossen. Insbesondere folgende voneinander abhängige Aspekte sind ausschlaggebend: Antriebsleistung, Drehmoment- und Drehzahl-
77 charakteristik, Wirkungsgrad, Absolutverbrauch, Abgasemissionen, Bauform, Gewicht, Volumen, Produktionskosten, Betriebskosten, Komfort bei Bedienung und Betrieb, Lebensdauer und Wartung. Wirkungsgrade, Verbrauch und Emissionen werden anhand reproduzierbarer Geschwindigkeitsprofile überprüft. Diese „Zyklen“ genannten Profile (siehe Bild 2-89) dienen gleichzeitig zur Festlegung der Kfz-Steuer anhand bestehender Abgasgesetzgebungen. Die Ergebnisse dieser zyklusbasierten Messungen bilden je nach Anwendungsfall die Realität aber nur bedingt ab. Ein Grund liegt in dem nicht eindeutig definierbaren Kundenverhalten. Eine erhebliche Streuungsbreite bei unterschiedlichen Fahrern und Lastprofilen ist möglich. Dennoch bieten Zyklen eine gute erste Näherung, um die Charakteristika eines Antriebsstrangs messtechnisch erfassen und vergleichen zu können. Der zur Zeit im europäischen Raum für die Verbrauchs- und Emissionsgesetzgebung verwendete Fahrzyklus ist der „Neue Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ). Strikte Abgasgesetzgebungen sind ein wesentliches Motiv bei der Entwicklung neuer Antriebstechnologien. Wirtschaftlich gesehen stellen saubere und sparsame Antriebsstränge einen essenziellen Wettbewerbsvorteil beim Vertrieb neuer Antriebe dar. Otto- und Diesel-Motoren werden in einem breiten Leistungsspektrum angeboten. Der mittlere Wirkungsgrad eines Otto-Motors erreicht dabei im Neuen Europäischen Fahrzyklus bis zu 20 %, Diesel-Motoren liegen bei bis zu 25 %. Der Absolutverbrauch, z.B. in der Kompaktklasse mit einer 75-kW-Motorisierung bei Verwendung eines Otto-Motors, liegt bei ca. 5,5 bis 7,5 Liter auf 100 km, bei einem vergleichbaren Diesel-Modell in der gleichen Leistungsklasse bei ca. 4,5 bis 6,5 Liter auf 100 km (NEFZ, abhängig von Modell und Fahrzeuggewicht). Heutige Antriebe auf Basis von Otto-Motoren sind hervorragend geeignet, um selbst hohe Emissionsanforderungen zu erfüllen. Jedoch ist eine weitere Reduktion der CO2-Bildung bzw. des Verbrauchs notwendig. Diesel-Motoren indessen sind heute Klassenbeste im Verbrauch, aber eine weitere Reduktion der Emissionen ist erforderlich. Der Aufwand zur weiteren Reduktion der Abgasemission von Kohlenmonoxid und -dioxid, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen und Partikeln macht technisch und kostenseitig aufwändige Lösungen notwendig. Es ist absehbar, dass zukünftig im konventionellen Sektor deutlich steigende Entwicklungsaufwände relativ kleinen Verbesserungen gegenüber stehen. Innermotorische Innovationen und Abgasnachbehandlungssysteme, für Otto-Motoren z.B. der Einsatz neuartiger Einspritzsysteme, und bei DieselMotoren z.B. Partikel-, Oxidationsfilter und Harn-
78
2 Motor und Antriebsstrang
stoffkatalysatoren, erhöhen die Antriebssystemkomplexität und damit die Kosten eines Personenkraftwagens oder Nutzfahrzeugs. Eine absehbare Verschärfung der Randbedingungen rückt demzufolge neue und so genannte „alternative Antriebskonzepte“ in den Mittelpunkt der Forschung und Entwicklung.
lutverbrauch und die CO2-Emissionen um bis zu 25 % (auf Basis der NEFZ-Messung) senken. Hybridantriebe, die eine Kombination aus Verbrennungsmotor, einem oder mehrerer Elektromotoren, einem elektrischen Speicher und einem Getriebe darstellen, ermöglichen eine Nutzung der beschriebenen Potenziale.
Drei entscheidende Potenziale Im Hinblick auf eine wirkungsgradoptimale Nutzung der vorhandenen Energie im konventionellen Antriebsstrang werden folgende drei Anteile nicht oder nicht voll genutzt: Bremsenergie Bei der Verzögerung des Fahrzeugs mit Hilfe mechanischer Bremsen wird kinetische Energie in Wärme umgewandelt. Diese Energie ließe sich jedoch wieder für den Vortrieb nutzen. Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors Im Wirkungsgradkennfeld eines Verbrennungsmotors ist zu erkennen, dass der Wirkungsgrad in vielen Fahrsituationen ungenutzte Potenziale aufweist. Für eine Lastpunktverschiebung ist jedoch eine Leistungsverzweigung oder Zwischenspeicherung der zusätzlichen Leistung erforderlich. Verluste im Leerlauf Die benötigte Antriebsleistung bei Fahrzeugstillstand ist, abgesehen vom Bedarf der Nebenaggregate, gleich Null. Dennoch verbraucht der Verbrennungsmotor im Leerlauf Kraftstoff.
Definition Hybridantrieb Der Wortstamm Hybrid, der frei aus dem Griechischen übersetzt „von zweierlei Herkunft“ bedeutet, gibt bereits Auskunft über die Konstruktion eines Hybridantriebs. Nach IEC/TC69 (International Electrotechnical Commission/Technical Committee) verfügt ein Hybridantrieb, nachfolgend kurz Hybrid genannt, über mindestens zwei verschiedene Energiewandler und zwei verschiedene Energiespeicher, die zu Traktionszwecken eingesetzt werden (siehe Bild 2-78; der zweite Energiespeicher, nämlich der Kraftstofftank ist nicht abgebildet). Hybride sind keine neue Erfindung. Bereits im Jahr 1902 konstruiert Ferdinand Porsche auf Basis eines Daimler-Verbrennungsmotors ein Hybridfahrzeug. Sein „Mixte“ getauftes Fahrzeug steht im Zeichen des damaligen Wettbewerbs zwischen batterieelektrisch und verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen (siehe Bild 2-79). Bereits zwei Jahre später, im Jahr 1904, beginnt Henry Ford mit der Massenproduktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Im Jahre 1920 wird der elektrische Starter eingeführt, durch welchen die Elektro- und die Hybridfahrzeuge vorerst an Akzeptanz verlieren.
Bei Nutzung dieser drei Potenziale lässt sich der mittlere Wirkungsgrad anheben und damit der Abso-
Bild 2-78: Prinzipdarstellung eines Hybridantriebs: 1 Verbrennungsmotor, 2 Elektromotor, 3 Batterie, 4 Getriebe, 5 Steuergeräte
2.6 Hybridantriebe
Bild 2-79: F. Porsches serielles Hybridfahrzeug „Mixte“
In den Jahren 1920 bis 1965 finden keine nennenswerten Entwicklungen auf dem Gebiet der elektrischen und der hybriden Fahrzeuge statt. Ab 1966, hervorgerufen durch steigende Ölpreise, bekommt die Entwicklung alternativer Antriebe in den USA wieder neuen Aufwind. In den darauf folgenden dreißig Jahren werden viele Prototypenfahrzeuge, aber auch Kleinserien von z.B. rein batterieelektrisch angetriebenen Fahrzeugen entwickelt. Der Markt für Hybrid-Pkw bekommt neue Impulse mit der Serieneinführung des Toyota Prius 1997 in Japan und des Honda Insights 1999 in den USA. 18000 Fahrzeuge setzt Toyota im ersten Jahr seiner Produktion ab. Seit 2000 ist der Prius weltweit erhältlich und wurde bis 2004 bereits über 250 000-mal verkauft. Verbrauchs- und Emissionsgrenzwerte Ein Motiv für die wachsende Attraktivität des hybriden Antriebskonzepts liegt in den aktuellen Weltmarktbedingungen. Hier sind insbesondere Europa, die USA und Japan, die Triade, zu benennen. In ihrem Einfluss liegen die Festlegung zahlreicher Grenzwerte bzgl. Verbrauch und Emissionen. Diese Grenzwerte sind ein entscheidender Treiber bei der Auswahl zukünftig zu verwendender Antriebstechnologien. Die Motive zur Limitierung der Verbräuche und der Emissionen sind vielfältig und reichen von der primären Reduzierung des CO2-Ausstoßes über die Reduzierung der Abhängigkeit von Ölimporten bis hin zur Wettbewerbsdifferenzierung gegenüber anderen Automobilherstellern. In Europa greift primär die ACEA-Selbstverpflichtung. Der Verband der europä-
79 ischen Automobilhersteller ACEA (Association des Constructeurs Européens d’Automobiles) hat mit der Europäischen Union eine freiwillige Vereinbarung getroffen. Hierin verpflichtet sich der Verband, die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Pkw, die in der EU neu zugelassen werden, bis zum Jahr 2008 im Vergleich zum Basisjahr 1995 um 25 % zu verringern. Dies bedeutet einen Rückgang von 186 g CO2 pro Kilometer (1995) auf 140 g CO2 pro Kilometer (2008). Im Jahr 2004 überprüfte die Europäische Kommission die erzielten Fortschritte im Hinblick auf das für 2003 vereinbarte Zwischenziel von 165 bis 170 g CO2 pro Kilometer. Dieser Stand konnte von den im ACEA zusammengeschlossenen Herstellern erreicht werden. Erklärtes politisches Ziel der EU ist es jetzt, bis spätestens 2010 einen Grenzwert von 120 g CO2 pro Kilometer zu verwirklichen. Des Weiteren hat sich der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) gegenüber der Bundesregierung verpflichtet, ausgehend vom Basisjahr 1990 den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch der in Deutschland neu in den Verkehr gebrachten Pkws bis zum Jahr 2005 um 25 % zu senken. In Kalifornien (USA) hingegen gilt ab 2010 das ZEVMandat (Zero Emission Vehicles) und die Verschärfung der CAFE-Grenzwerte (Corporate Average Fuel Economy) steht an. Im japanischen Raum ist eine fahrzeugklassenabhängige CO2-Steuer ab 2010 geplant. Ähnlich der ACEA-Selbstverpflichtung ist eine Selbstverpflichtung des Verbandes der japanischen Automobilhersteller in Kraft getreten, die eine Verbrauchsreduzierung auf 140 g CO2 pro km bis 2009 vorsieht. Die Auflistung der Grenzwerte und Umweltrichtlinien ist hiermit keineswegs vollständig. Weltweit sind eine Reihe weiterer Grenzwerte vorhanden oder in Vorbereitung. Zusammenfassend ist allerdings ein eindeutiger Trend in Richtung einer sich weiter verschärfenden Gesetzgebung und eines erhöhten öffentlichen Drucks zu erkennen. Zusätzlich werden vermehrt staatliche Förderungen für die Entwicklung von Hybridantrieben eingesetzt und weitreichende Steuervorteile für Hybridfahrzeuge eingeräumt. Die Entwicklung hybrider Antriebsstränge wird somit auch in wirtschaftlicher Hinsicht sowohl für die Automobilhersteller wie auch für deren Kunden zunehmend attraktiv. Einsatzszenario Hybride sind für jedes Pkw-Marktsegment geeignet. Darüber hinaus ist eine Anwendung für Stadtbusse und für Güterverteilerfahrzeuge äußerst vorteilhaft. Hybride Antriebskonzepte bieten besondere Vorteile bei Fahrprofilen und Lastkollektiven mit niedrigen Geschwindigkeiten, hohem Leerlaufanteil und häufigen Anfahr- und Bremsvorgängen. Bei hohen, konstanten Geschwindigkeiten ergeben sich dagegen nur
80 geringe Kraftstoffverbrauchseinsparungen. Damit sind Hybride von besonderem Vorteil im innerstädtischen Einsatz. Um unterschiedlichen Marktanforderungen gerecht zu werden, haben die Fahrzeughersteller bei den Hybriden vielfältige Möglichkeiten durch verschiedene Hybridkonzepte und Komponentenauslegungen den spezifischen Marktbedingungen Rechnung zu tragen. Derzeit befinden sich weltweit einige hunderttausend Kraftfahrzeuge mit hybriden Antrieben im Straßenverkehr. Für eine innovative, alternative Antriebstechnologie ist das ein beachtenswerter Erfolg. Bezogen auf die Gesamtstückzahl aller Kraftfahrzeuge handelt es sich jedoch noch um eine Nische. So stellt sich die Frage, wie Hybride besser in den Markt eingeführt werden können. Die Attraktivität eines Hybridantriebs für den Kunden lässt sich, neben dem günstigen Kraftstoffverbrauch und den geringen Abgasemissionen, durch Zusatzfunktionen erheblich steigern. Beispielsweise seien genannt: Verbesserte Beschleunigung durch die gemeinsame Wirkung von Verbrennungs- und Elektromotor, Allradfähigkeit durch Anordnung eines weiteren Elektromotors auf der unabhängigen Achse und einfache Darstellung einer On-Board-Stromversorgung für extern betriebene Werkzeuge und Arbeitsmaschinen auf Baustellen oder bei Freizeitaktivitäten.
2.6.2 Hybride Antriebsstrukturen Grundprinzipien Konventionelle Antriebsstränge lassen sich im Regelfall durch Bezeichnung des Motor- und des Getriebetyps eindeutig definieren. Die Bezeichnung „Hybrid“ steht hingegen für eine ganze Familie möglicher Antriebskonzepte und umfasst technisch sehr unterschiedliche individuelle Lösungen. Um die Anzahl möglicher hybrider Kombinationen sinnvoll einzugrenzen, werden nicht alle technisch verfügbaren Energiewandler und -speicher betrachtet. Im Weiteren sollen nur Otto- und Diesel-Motoren in Kombination mit Batterien oder Kondensatoren diskutiert werden. So genannte „milde“ Hybride und Starter-Generator-Systeme werden hier nicht weiter vertieft, da sie nur einen Teil der genannten Potenziale, insbesondere die Bremsenergierückgewinnung und die Lastpunktverschiebung, ausnutzen. Es gibt drei Grundprinzipien, serielle und parallele Hybride und eine Mischform, die leistungsverzweigten Hybride. Bei seriellen Hybriden (siehe Bild 2-80) wird das Fahrzeug nur mit Hilfe eines oder mehrerer Elektromotoren angetrieben. Der Verbrennungsmotor ist an einen elektrischen Generator gekoppelt. Dieser Generator wandelt die Rotationsenergie komplett in elektrische Energie um und gibt diese an einen oder meh-
2 Motor und Antriebsstrang rere Elektromotoren weiter, welche die Räder antreiben. Die Energie kann auch in Batterien oder Kondensatoren zwischengespeichert werden.
Bild 2-80: Prinzip „serieller Hybrid“
Die Vorteile liegen je nach Einsatzfall in einer drastischen Reduzierung des Verbrauchs und der Emissionen, in zusätzlichen funktionalen Freiheitsgraden (aufgrund der fehlenden mechanischen Kopplung des Verbrennungsmotors und der antreibenden Räder) und in zusätzlichen Freiheitsgraden bezüglich Packaging für den Einsatz in Niederflur- oder weiteren Sonderfahrzeugen. Aufgrund der Entkopplung des Verbrennungsmotors vom Abtrieb kann der Motor stationär im optimalen Drehzahlbereich betrieben werden. Der Gesamtwirkungsgrad verringert sich indessen durch die mehrfache Energiewandlung zwischen chemisch gebundener Energie und kinetischer Energie. Eine Zwischenspeicherung der elektrischen Energie reduziert zusätzlich den maximal möglichen Wirkungsgrad. In Summe ist aber eine Verbrauchsreduzierung je nach gefordertem Lastprofil um bis zu 35 % möglich. Beim parallelen Hybrid (siehe Bild 2-81) sind die Wandlungsketten weitgehend getrennt. Dafür ist eine mechanische Überlagerung der verwendeten Antriebe vorgesehen. Hierbei unterscheidet man Momentenund Drehzahladdition. Eine Momentenaddition kann z.B. über eine Getriebestufe erfolgen, die Drehzahladdition z.B. über ein Planetengetriebe.
Bild 2-81: Prinzip „paralleler Hybrid“
2.6 Hybridantriebe Die momentenaddierte Anordnung lässt eine freie Auswahl des Antriebs zu. Sowohl ein ausschließlich elektrischer oder verbrennungsmotorischer Vortrieb als auch ein kombinierter elektrisch-verbrennungsmotorischer Vortrieb sind hiermit möglich. Weiterhin ist ein Rekuperieren (Rückgewinnung der Bremsenergie) oder eine Verzweigung der Verbrennungsmotorleistung zum Nachladen der Batterie möglich. Das parallele Hybridkonzept kennzeichnet eine parallele Anordnung der Energiewandler. Die elektrische Maschine wird auf eine Maximaldrehzahl ähnlich der des Verbrennungsmotors ausgelegt und besitzt ein hohes Anfahrmoment. Eine weitere elektrische Maschine kann auf der zweiten Achse angebracht werden, womit sich ein Allradantrieb realisieren lässt. Die Antriebsmomente aus Verbrennungs- und Elektromotor lassen sich bei dieser Anordnung zum so genannten „Boost-Betrieb“ überlagern. Der verwendete Elektromotor kann z.B. in Kombination mit einem nahezu konventionellen Getriebe am Verbrennungsmotorausgang, Getriebeeingang, -ausgang oder ausschließlich auf der zweiten Achse angeordnet werden. Vor- bzw. Nachteile der jeweiligen Anordnungen sind gesondert zu betrachten, bieten jedoch je nach Einsatzfall eine Verbesserung des mittleren Gesamtwirkungsgrades oder die Möglichkeit eines lokal begrenzten emissionsfreien Fahrens.
Bild 2-82: Prinzip „leistungsverzweigter Hybrid“
Eine Mischform aus seriellen und parallelen Hybridkonzepten ist der leistungsverzweigte Hybrid (siehe Bild 2-82). Die Leistungsverzweigung kann über ein Differenzialgetriebe, z.B. in Form eines Planetengetriebes erfolgen, über das ein Teil der Ausgangsleistung des Verbrennungsmotors direkt an die antreibenden Räder abgegeben wird. Die übrige Leistung wird, vergleichbar einem seriellen Hybrid, über Generator und Elektromotor, ggf. unter Verwendung einer Batterie zur Zwischenspeicherung an die Antriebsräder abgegeben. Das Verhältnis der Leistungsanteile, die indirekt oder direkt zur Antriebsachse fließen, kann über die Leistungsaufnahme des Generators variiert werden. Ein Differenzial zur Verzweigung der Leistung kann am Getriebeeingang, am Getriebeausgang oder auch gleichzeitig am Getriebeein- und -ausgang platziert werden. Es sind ein- und mehrfache Leistungsver-
81 zweigungen unter Verwendung ein bis mehrerer Planetengetriebe möglich. Der Vorteil der Anordnung des Differenzials am Getriebeeingang liegt in einem niedrigen erforderlichen elektrischen Leistungsanteil beim elektrischen Anfahren. Dagegen ist bei der Anordnung am Getriebeausgang nur ein niedriger elektrischer Leistungsanteil beim freien Stellen des Verbrennungsmotors erforderlich. „Freies Stellen des Verbrennungsmotors“ heißt, dass die Drehzahl bzw. die Last des Motors unter Vorgabe des bestmöglichen Wirkungsgrads weitgehend frei gewählt werden kann. Die Kombination des Differenzials am Getriebeein- und -ausgang ermöglicht bei einem niedrigen elektrischen Leistungsanteil eine hohe Spreizung. Leistungsverzweigte Hybride ermöglichen hohe Verbrauchseinsparungen (20 bis 25 % im NEFZ) bei hohen funktionalen Freiheitsgraden (Stopp-StartBetrieb) und exzellentem Komfort (kein Zugkrafteinbruch). Nachteilig kann sich jedoch die hohe Komplexität des Systems auswirken. Zusätzlich muss in Betracht gezogen werden, dass zu jedem Zeitpunkt ein Teil der Verbrennungsmotorleistung zur Drehmomentunterstützung an den Generator abgegeben wird, selbst wenn der Verbrennungsmotor ohne die Elektromotoren in seinem optimalen Wirkungsgrad betrieben werden könnte. Damit verbunden ist eine Einschränkung der Optimierung des Wirkungsgrades im oberen Lastbereich zu Gunsten besserer Wirkungsgrade im unteren Lastbereich. Beispiele für Hybridkonzepte Eine parallele Anordnung eines relativ kompakten Elektromotors (kleiner Konstantleistungsbereich) am Getriebeeingang ermöglicht hohe Verbrauchseinsparungen von bis zu 20 % (NEFZ) bei kalkulierbaren Mehrkosten. Dieses Konzept wird vielfach mit dem Einsatz in kleinen und mittelgroßen Transportern in Verbindung gebracht.
Bild 2-83: Paralleler Hybrid, Elektromotor auf Getriebeeingangsseite
Weiter reichende Forschungsaktivitäten zielen auf einen den leistungsverzweigten Hybriden vergleichbar hohen Komfort ohne deren Komplexität. Herausforderung ist dabei ein schneller Verbrennungsmotorstart. Demgegenüber stehen die Kosteneinsparungen eines Elektromotors samt Leistungselektronik und kompakte Bauräume.
82 Ein leistungsverzweigtes Konzept (siehe Bild 2-84) findet Verwendung im Toyota Prius. Neben StarterGenerator- und Boost-Funktionalität mit zwei Elektromotoren ermöglicht dieses Konzept einen Betrieb als Zero Emission Vehicle sowie elektrisch-mechanisches Anfahren und Fahren. Der Verbrennungsmotor kann während der Fahrt zugkraftunterbrechungsfrei gestartet und gestoppt werden. Ein wirkungsgradoptimierter Verbrennungsmotorbetrieb ist möglich.
Bild 2-84: Leistungsverzweigter Hybrid, Differenzial auf Getriebeeingangsseite
Einschränkungen dieses Prinzips liegen in seiner begrenzten Skalierbarkeit. Die verwendeten Elektromotoren müssen proportional der Verbrennungsmotorleistung ausgelegt werden. Damit werden für hohe Leistungsanforderungen und Geschwindigkeiten konzeptionelle Änderungen erforderlich. Serielle Hybridantriebe (siehe Bild 2-85) hingegen eignen sich hervorragend für Nischenfahrzeuge wie z.B. Stadtbusse oder Nutzfahrzeuge für spezielle Sonderanwendungen (Forstwirtschaft etc.). Hohe Verbrauchs- und Emissionsreduzierungen sind realisierbar aufgrund eines optimalen Energiemanagements, d.h. Verbrennungsmotorbetriebs im Bestpunkt in Verbindung mit rein elektrischen Fahrphasen.
Bild 2-85: Serieller Hybrid
Die verfügbare Rekuperationsleistung entspricht aufgrund der Auslegung der installierten Fahrleistung. Nachteilig kann sich das auf Grund der dreifach installierten Nennleistung hohe Gewicht auswirken. Eine Boost-Funktion ist nur elektrisch durch Überlast
2 Motor und Antriebsstrang möglich. Bei kleineren Baugrößen resultiert aus dieser Anordnung ein geringerer mittlerer Wirkungsgrad als beim parallelen oder leistungsverzweigten Hybrid, Vorteile ergeben sich aber z.B. bei leistungsstarken Stadtbussen.
2.6.3 Schlüsselkomponenten Zur Auslegung der Hybridkomponenten muss zunächst die gewünschte Zielrichtung bei der Entwicklung des Antriebs festgelegt werden. Neben Zusatzfeatures und Packaging-Aspekten muss auch die Frage geklärt werden, ob eine Verbrauchsreduzierung oder eine Leistungssteigerung präferiert wird. Zu klären ist, ob kurzfristige Spitzenleistungen, hohe Dauerleistungen oder z.B. längere rein elektrische Fahranteile maßgebend sind. Verbrennungsmotoren Aktuelle Verbrennungsmotoren sind für eine konventionelle Betriebsweise ausgelegt, d.h. die abgegebene Drehzahl des Motors steht über die eingelegte Getriebestufe in einem festen Verhältnis zu der am Rad geforderten. Daher gibt es ungenutzte Wirkungsgradpotenziale, die im Rahmen der Hybridisierung genutzt werden können. Typische Modifikationen an konventionellen Verbrennungsmotoren für den Einsatz im hybriden Antriebsstrang sind die Zylinderabschaltung, die bei geringer Lastanforderung ein Teil der vorhandenen Zylinder inaktiv schaltet, die variable Ventilverstellung, die ein Eingriff in den zeitlichen Ablauf und der Höhe des Ventilhubes ermöglicht und der Anwendung des Miller-Atkinson-Prozesses, bei welchem ein Teil des angesaugten Gemischs durch das Einlassventil sofort wieder ausgestoßen wird. Vorteile dieses Prozesses sind Kraftstoffeinsparungen im Teillastbereich des Verbrennungsmotors. Weiterhin kann z.B. auf den Leerlauf verzichtet werden, anhängige Bauteile und Softwaremodule können entfallen. Die Dimensionierung des Verbrennungsmotors ergibt sich aus der Konzeption des Hybridantriebs. Je nach Einsatzfall reicht häufig ein verkleinerter Verbrennungsmotor aus („Downsizing“), um die nur temporär geforderten Leistungsmaxima darzustellen. Der Elektromotor liefert hierbei die notwendige Unterstützung, um die kurzfristigen Leistungsanforderungen abzudecken. Für den Hybridantrieb sind sowohl Otto- als auch Dieselmotoren geeignet. Das Einsparpotenzial beim Otto- ist gegenüber dem Dieselmotor jedoch tendenziell größer, da der Dieselmotor bereits hohe Wirkungsgrade im Teillastbereich aufweist. Die Auswirkungen auf die Auslegung der Abgasnachbehandlung hängen von der Betriebsweise des Hybriden ab. Betriebsweisen mit besonders hoher Schadstoffbelastung können im Hybriden vermieden
2.6 Hybridantriebe werden. Aufgrund neuer thermischer Randbedingungen müssen jedoch entsprechende Anpassungen vorgenommen werden. Elektromotoren und Leistungselektronik Im Gegensatz zum Verbrennungsmotor kann ein Elektromotor die im Bremsbetrieb entstehende Bremsleistung in elektrische Leistung zurück wandeln. Im Zusammenspiel mit einem Speicher wird die erzeugte Bremsenergie wieder für den Antrieb des Fahrzeugs nutzbar. Diese Rückgewinnung von Bremsenergie über den Elektromotor stellt eine wesentliche Eigenschaft von Hybridfahrzeugen dar. Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche Elektromotor-Technologien für den Einsatz in Pkw- und Nfz-Hybridfahrzeugen durchgesetzt. So werden neben Asynchronmaschinen vor allem permanent erregten Synchronmaschinen und seltener auch geschaltete Reluktanzmotoren eingesetzt. Allerdings zeichnet sich ein deutlicher Vorsprung der permanent erregten Synchronmaschine ab, die mit einer guten Leistungsdichte und einem hohen Bestpunktwirkungsgrad wichtige Kriterien für die Integration in den Triebstrang eines Hybridfahrzeugs erfüllt. Elektromotoren bilden zusammen mit einer leistungselektronischen Steuerungseinheit, einem Umrichter, den elektrischen Antrieb. Dabei wandelt der Umrichter den von einem Energiespeicher üblicherweise bereitgestellten Gleichstrom in ein frequenz- und amplitudengeregeltes Drehstromsystem zur Ansteuerung des Elektromotors um. Die Sollwertvorgaben der einzustellenden Motorströme werden dabei von einem Mikrocontroller entsprechend einer Momentenvorgabe der Fahrzeugsteuerung erzeugt.
83 Wichtige Kennwerte zur Beurteilung und zum Vergleich von elektrischen Motoren im Hybridfahrzeug sind die spezifische Leistung [W/kg], das maximale Drehmoment, der maximale Wirkungsgrad (generatorisch und motorisch), der Drehzahlbereich in dem das maximale Moment verfügbar ist, sowie die maximal zulässige Drehzahl. Elektromotoren weisen im direkten Vergleich mit Verbrennungsmotoren im Bestpunkt einen hohen Wirkungsgrad auf. Gleichzeitig kann ein Elektromotor bei niedrigen Drehzahlen und insbesondere bereits im Stillstand sein maximales Moment abgeben. Darüber hinaus ist die erreichbare Lebensdauer des Antriebs hoch. Diesen Vorteilen stehen zurzeit noch hohe Kosten von Leistungselektronik und Elektromotor gegenüber. Energiespeicher Der Einsatz von elektrischen Speichern ermöglicht entscheidende zusätzliche Freiheitsgrade bei Hybridfahrzeugen. Die sinnvoll für eine Hybridisierung einzusetzenden elektrischen Speicher sind kapazitive (Kondensatoren) und elektrochemische Speicher (Batterien). Als Kennwerte sind die spezifische Energie [Wh/kg] und Energiedichte [Wh/l], die spezifische Leistung [W/kg] und Leistungsdichte [W/l], der Spannungsbereich, der Lade- und Entladewirkungsgrad, die Kosten und die Lebensdauer zu sehen. In der Regel werden Batterienzellen in vielfacher Reihenschaltung zur Energiespeicherung eingesetzt. Nickel-Metallhydrid- und Lithium-Ionen-Batterien gehören derzeit aufgrund ihrer hohen Leistungsfähigkeit auch bei relativen niedrigen oder hohen Ladezuständen zu den favorisierten Typen im Automobilbereich.
Bild 2-86: Wirkungsgradkennfeld eines permanenterregten Synchronmotors
84 Bleibatterien sind nicht für den Einsatz als Hybridbatterien geeignet, da die hohen Energieumsätze im teilentladenen Zustand zu einer deutlich verkürzten Lebensdauer führen. Als Alternative oder Ergänzung zu Batterien können aber auch so genannte Supercaps verwendet werden. Ihre geringe Energiedichte und ihr vergleichsweise hohes Gewicht und Volumen wirken sich jedoch nachteilig aus.
2.6.4 Betriebsstrategie Hybride Pkw-Antriebsstränge sind durch eine im Vergleich zu konventionellen Pkw-Antrieben deutlich höhere Komplexität gekennzeichnet. Das hat zur Folge, dass der Fahrzeugregelung und -steuerung, die den einzelnen Antriebsstrangkomponenten übergeordnet ist, eine besondere Bedeutung zukommt. Die Fahrzeugregelungseinrichtung hat Einfluss auf den Betrieb aller Komponenten des Hybridantriebs. Es wird die logische und zeitliche Abfolge aller Betriebszustände des Hybridantriebs, d.h. wann und wie welche Komponenten des Antriebs betrieben werden, gesteuert. Ziel einer Betriebsstrategie ist in der Regel, durch eine geeignete Kombination und Betriebsweise der Einzelkomponenten den gesamten Antriebsstrang mit möglichst geringem Kraftstoff- bzw. Energieverbrauch und niedrigen Schadstoffemissionen zu betreiben. Die Betriebsstrategie-Software, auch kurz als Betriebsstrategie bezeichnet, ist im zentralen Fahrzeugsteuergerät hinterlegt und kann dadurch auf die Energie- und Stoffumwandlungsprozesse im Fahrzeug einwirken. Die Betriebsstrategie ist Teil eines informationsverarbeitenden Systems, welches auf Basis von Eingangssignalen den aktuellen Zustand der Antriebskomponenten erfasst. Algorithmen regeln entsprechend der definierten Führungsgröße die Ausgabesignale. Die Modularität der Betriebsstrategie-Software erleichtert die Applikation und Adaption an unterschiedliche Hybridantriebskonzepte.
2 Motor und Antriebsstrang Aus der primären Zielsetzung, durch eine geeignete Betriebsweise der Einzelkomponenten den gesamten Antriebsstrang mit einem möglichst hohen Wirkungsgrad zu betreiben, resultiert eine große Anzahl von Lösungsmöglichkeiten. Hierbei führt die Menge der beeinflussenden Parameter auch zu einer Vielzahl von Zielkonflikten. Abzuwägen sind externe Einflussfaktoren wie Leistungsanforderung (Innenstadt, Landstraße, Autobahn), Umgebungsbedingungen (Wetter, Steigung, Gefälle), Fahrercharakteristik und Telematik-Informationen gegen interne Einflussfaktoren, wie Wirkungsgrad- und Emissionskennfelder der Hauptkomponenten, Ladezustand der Batterie, Einschaltdauer des Verbrennungsmotors und Temperaturhaushalt der Komponenten Verbrennungsmotor incl. Abgasnachbehandlung, Elektromotoren, Leistungselektroniken und Batterie. Hybridantriebe müssen sich bzgl. der eingangs genannten Kriterien, wie z.B. Verbrauch, Komfort und Lebensdauer, an modernen konventionellen Fahrzeugantrieben orientieren oder sie übertreffen. Die Betriebsstrategie spielt hierbei eine zentrale Rolle. Der Fahrer eines Hybridfahrzeugs nimmt, wie aus einem konventionellen Fahrzeug gewohnt, mit Hilfe des Gas- und Bremspedals Einfluss auf die Längsdynamik seines Fahrzeugs. Bei einem Hybridfahrzeug entscheidet jedoch die Betriebsstrategie, ob z.B. der Anfahrvorgang (Bild 2-87) allein mit der elektrischen Maschine realisiert, beim bevorstehenden Bremsvorgang der Verbrennungsmotor abgeschaltet oder beim Überholen die elektrische Maschine mit zum Beschleunigen genutzt werden kann. Eine mögliche Abfolge dieser Betriebszustände ist in Bild 2-88 für den NEFZ dargestellt. Für die Beschleunigung und Konstantfahrt bis ca. 15 km/h reicht in diesem Beispiel die Leistung des Elektromotors aus. Der Verbrennungsmotor wird erst bei höheren Geschwindigkeiten automatisch gestartet und zugeschaltet.
Bild 2-87: Darstellung der möglichen Fahrzustände: VM Verbrennungsmotor, EM Elektrische Maschine
2.6 Hybridantriebe
85
Bild 2-88: Der Hybridantrieb im NEFZ: VM Verbrennungsmotor, EM Elektrische Maschine
Bei laufendem Verbrennungsmotor kann die elektrische Maschine bei der Beschleunigung unterstützen oder beim Bremsen die Batterie aufladen. Während der Brems- und Wartephasen kann der Verbrennungsmotor abgeschaltet werden. Die Entscheidung der Betriebsstrategie für eine bestimmte Betriebsweise aller Antriebskomponenten und Nebenaggregate basiert auf heuristischen und empirischen Untersuchungen, analytischen Systemoptimierungen, welche einmalig vor oder laufend während des Betriebs durchgeführt werden und einer prädiktiven, d.h. vorausschauenden Optimierung unter Nutzung von Informationen über Fahrstrecke, Straßenverhältnisse und Fahrer. Alle genannten Verfahren haben zum Ziel, den mittleren Gesamtwirkungsgrad zu erhöhen. Die drei ungenutzten Potenziale konventioneller Antriebe (Rückgewinnung der Bremsenergie, wirkungsgradoptimaler Betrieb des Verbrennungsmotors, Vermeidung der Leerlaufverluste) tragen mit circa je einem Drittel zur Optimierung bei (Basis NEFZ). Je nach Ausprägung der Stillstands-, der Bremsphasen und der Lastanforderungen variieren die Anteile zur Gesamtoptimierung. Die Messungen von Kraftstoffverbrauch und Schadstoffemissionen und damit auch die Bewertungen eines Hybridfahrzeugs mit seiner Betriebsstrategie finden anhand von standardisierten, zum Teil synthetischen Fahrzyklen statt. Zu den Bekanntesten zählen der NEFZ in Europa (Bild 2-88), der FTP-75 (Bild 2-89) in den USA und der japanische 10-15 Mode.
Bild 2-89: Federal Test Procedure City (FTP-75)
Die Akzeptanz von Hybridantrieben hängt aber nicht nur von einem guten Abschneiden innerhalb eines synthetischen Zyklus ab, sondern insbesondere von einer ebenso positiven Bewertung im alltäglichen Fahrbetrieb. Daher werden auch kundennahe Fahrprofile untersucht. Als Beispiel sei der HYZEMZyklus (hybrid technology approaching efficient zero emission mobility) genannt. Dieser Zyklus besteht aus drei Anteilen, nämlich einem städtischen, einem Überlandfahrt- und einem Highway-Anteil und bildet das reale Verhalten eines Hybridfahrzeugs wegen seiner dynamischen Anteile deutlich besser ab als der NEFZ.
86
2.6.5 Antriebsintegration
2 Motor und Antriebsstrang
Hybridkomponenten müssen mechanisch und elektrisch in das Gesamtfahrzeug integriert werden. Zusätzlich muss eine funktionale Einbindung der zugehörigen elektronischen Steuergeräte in die neue Kommunikations- und Steuergeräte-Architektur vorgenommen und der Entwicklungsprozess der komplexen Betriebsstrategie umgesetzt werden.
das Verhalten und die Belastungen auf die Aggregate und Komponenten während eines Unfalls. Zusätzlich müssen die Realisierung zusätzlicher Kühlleistungen bei limitierter Kühlfläche, eine ausreichende Körperschallentkopplung und Geräuschisolierung bei Anschluss und Befestigung zusätzlicher Aggregate (NVH) und die elektromagnetische Verträglichkeit aller Aggregate und Komponenten untersucht werden.
Komponenten (Packaging) Während der Entwicklungsphase moderner Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge mit konventionellen Antriebssträngen werden die Wechselwirkungen zwischen Fahrzeugaufbau, Antrieb und Fahrwerk untersucht und optimiert. Bei der Integration eines Hybridantriebs muss ferner die Adaption und die Integration der elektrischen Maschine(n) und der Leistungselektronik, der Kupplungen und zusätzlichen Getriebeeinheiten und der Traktionsbatterie erfolgen. Des Weiteren sind elektrifizierte Nebenaggregate, die bisher vom Verbrennungsmotor angetrieben wurden, z.B. Getriebeölpumpe, Kompressor der Klimaanlage und Pumpen von Servolenkung und -bremse, sowie das Kühlsystem für Elektromotoren und Batterie als auch die Verbindung Fahrzeugbordnetz und Traktionsnetz über Spannungswandler zu integrieren. Dabei sind neben der Anordnung bei optimaler Raumausnutzung die Wirkung der geänderten Massen, Dämpfungen und Steifigkeiten auf das Resonanz- und Schwingverhalten des Gesamtantriebsstrangs zu berücksichtigen; ebenso wie die Verlagerung des Fahrzeugschwerpunkts durch den Einbau neuer Komponenten, wie z.B. der Batterien, die Zugänglichkeit aller Aggregate und Komponenten für spätere Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten und
Regelungskonzept Die Steuerung und Regelung der Komponenten in konventionellen Fahrzeugantrieben erfolgt weitgehend dezentral. Bei Hybridantrieben ist ein systemorientiertes Regelungskonzept erforderlich, das die unterlagerten Komponentensteuergeräte integriert. Das Hybrid-Steuergerät mit der Betriebsstrategie und die Steuergeräte der Antriebskomponenten sind durch ein CAN-Bussystem vernetzt. Demzufolge ist es möglich, diese parallel zu entwickeln und durch Simulation mit den entsprechenden Komponentenmodellen vor dem Aufbau des Gesamtsystems zu validieren. Der CAN-Bus dient zur echtzeitfähigen Kommunikation der im Fahrzeug verteilten Steuergeräte. Die dezentrale Struktur basiert hauptsächlich auf einem Hybrid-„Master“-Steuergerät und den Steuergeräten der Antriebskomponenten. Bild 2-90 zeigt eine vereinfachte Steuergeräteanordnung eines Hybriden. Der Fahrer regelt Abweichungen zu der von ihm gewünschten Zielgeschwindigkeit aus. Die Stellgröße in dem (Fahrer-) Regelkreis ist eine Drehmomentenanforderung oder die Stellung von Gas- und Bremspedal, die im Hybrid-Steuergerät interpretiert und entsprechend einer verbrauchsgünstigen Betriebsstrategie als Solldrehmoment auf die Antriebsmaschinen verteilt wird.
Bild 2-90: Hybridantrieb als Regelstrecke: vsoll Sollgeschwindigkeit, vist Istgeschwindigkeit
2.6 Hybridantriebe Die jeweiligen Drehmomentenanforderungen stellen Sollwerte für die Komponentensteuerungen dar. Die Steuergeräte setzen die vom Hybrid-Steuergerät erhaltenen Sollwerte an den Antriebsstrangkomponenten um. Entwicklungsprozess der Betriebsstrategiesoftware Zunächst werden die Systemanforderungen des Hybriden analysiert und spezifiziert. Auf der Basis dieser Anforderungen werden eine Softwarestruktur und die verschiedenen Softwarefunktionen entwickelt. Die Validierung der Betriebsstrategiesoftware erfolgt aufgrund Ihrer Komplexität vorab unabhängig von der Steuergerätehardware in einer Software-in-theLoop-Simulation, d.h. Regler und Regelstrecken liegen als Modelle in einer Softwaresimulationsumgebung vor. Anschließend wird die Steuergerätesoftware codiert, compiliert und in die Zielhardware geladen. Die auf der Hardware implementierte Software (embedded Software) wird mit entsprechenden Streckenmodellen in einer Hardware-in-the-LoopTestumgebung validiert. Abschließend erfolgt die Inbetriebnahme, Applikation und Erprobung der Betriebsstrategie im Fahrzeug. Die aus der Fahrzeugerprobung resultierenden Änderungen der Spezifikation und der Software werden in weiteren Iterationen des Entwicklungsprozesses eingepflegt. Aufgrund der hohen Systemkomplexität und der Notwendigkeit Fahrsituationen zuverlässig, sicher und in beliebiger Parameterauslegung zu reproduzieren, sind Software- und Hardware-in-the-LoopMethoden in der Hybridentwicklung unabdingbar.
2.6.6 Fahrzeugbeispiele Hybridantriebe sind nicht auf einzelne Fahrzeugklassen beschränkt, sondern können in einem breiten Spektrum von Fahrzeugen eingesetzt werden. Das derzeit erfolgreichste Hybridfahrzeug ist der Toyota Prius (Bild 2-91), der mittlerweile in der zweiten Generation erhältlich ist.
Bild 2-91: Toyota Prius
87 Der verwendete Hybridantrieb THSII (Toyota Hybrid System) ist ein leistungsverzweigter Hybridantrieb mit einem Ottomotor (1,5 Liter Hubraum und 57 kW Leistung) und zwei permanenterregten Synchronmaschinen. Durch den wechselseitigen Einsatz der Komponenten wird ein Verbrauch von 4,3 Litern pro 100 Kilometer im NEFZ erzielt. Auf der North American International Autoshow 2005 (NAIAS) wurde die neueste Generation des Hybridantriebes in der Mercedes-Benz S-Klasse vorgestellt (Bild 2-92). In dem so genannten P1/2Getriebe des Autos werden Verbrennungs- und Elektromotoren miteinander kombiniert, so dass im Fahrbetrieb ein hochkomfortabler Übergang zwischen den einzelnen elektrischen und hybridischen Fahrmodi möglich ist. Der Achtzylinder-Dieselmotor leistet 191 kW und 560 Nm. Die beiden Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 50 kW optimieren Fahrkomfort und Beschleunigung.
Bild 2-92: Mercedes S-Klasse
Die Kombination der Elektroantriebe mit dem Automatikgetriebe sorgt dafür, dass der Hybrid stets im Betriebsoptimum fährt – nicht nur beim Anfahren, Einparken, im Stop-and-go-Verkehr und bei langsamer Fahrt durch verkehrsberuhigte Zonen, sondern auch auf Überland- und Autobahnfahrten ermöglicht dieses Hybridkonzept, den Diesel stets im verbrauchsgünstigsten Bereich zu betreiben. Dies erhöht den Gesamtwirkungsgrad bei gleichzeitig gesteigertem Komfort. Herkömmliche Hybrid-Antriebe spielen dagegen ihre Vorteile hauptsächlich im Stadtverkehr aus. In den USA stellte GM den Chevrolet Silverado (siehe Bild 2-93), einen Pickup mit parallelem Hybridantrieb vor. Die Auslegung des verwendeten Hybridantriebs verbessert konsequent den Nutzwert. Eine Verbrauchsreduzierung wurde nicht angestrebt. Der Hybrid betreibt vier Steckdosen mit jeweils 110 V Wechselspannung. Der V8-Ottomotor mit 5,3 Liter Hubraum treibt alleine das Fahrzeug an und betreibt einen Generator für das 110 V Wechselspannungsnetz. Befindet sich der Motor im Leerlauf und wird nicht für Antrieb oder Generator benötigt, so schaltet er sich ab (Idle-Modus).
88
Bild 2-93: GM Chevrolet Silverado
Ähnlich wie der Chevrolet Silverado besitzt auch der Dodge RAM Contractor Special (Bild 2-94) ein 110/220-V-Wechselspannungsnetz für den Betrieb elektrischer Geräte. Für den Verbrennungsmotor stehen mehrere Varianten zur Verfügung, inklusive eines V16-Dieselmotors mit 5,9 Liter Hubraum. Durch die Ausnutzung der Hybridisierung im Fahrerbetrieb verfügt der Contractor Special über ein Plus an Leistung bei gleichzeitig geringerem Kraftstoffverbrauch im Vergleich zur Basisversion des Dodge RAM.
Bild 2-94: Dodge RAM Contractor Special
2.6.7 Bewertung Die funktionalen Vorteile des Hybridantriebs bezüglich des geringen Kraftstoffverbrauchs sind bekannt, aber noch nicht ausreichend, um eine großflächige Marktdurchdringung zu erreichen. Ein Hemmnis sind die höheren Kosten gegenüber Fahrzeugen mit konventionellem Antriebsstrang. Aufgrund der noch geringen Stückzahlen und der Komplexität bei der Entwicklung und Produktion der Hybridkomponenten einerseits und den notwendigen Änderungen am Fahrzeug andererseits addieren sich die Kosten, die als Aufpreis nicht vollständig an den Kunden weitergegeben werden können. Besondere Beachtung ist den unterschiedlichen Rahmenbedingungen auf den einzelnen Weltmärkten zu widmen. Die serienreifen Fahrzeuge mit Hybridantrieben werden in einigen Ländern mit steuerlichen oder anderen finanziellen Anreizen angeboten, um den Fahrzeugmehrpreis ausgleichen zu können. Hier-
2 Motor und Antriebsstrang bei ist die Verschiedenheit der Triaden-Märkte (USA, Europa, Japan) zu beachten. Da die Käufer in den USA und in Japan traditionell Ottomotoren bevorzugen, bietet der Benzin-Hybridantrieb in diesen Märkten deutliche Verbrauchsvorteile. In diesen Ländern werden deutliche finanzielle Anreize durch den Gesetzgeber gegeben. In Japan beispielsweise erhält der Käufer 50 % der durch den Hybridantrieb verursachten Mehrkosten zurück. In den USA werden je nach Bundesstaat Steuernachlässe von ca. 2000 $ gewährt. Damit rechnen sich die Hybridantriebe in absehbarer Zeit. Neben diesen finanziellen Anreizen haben Hybridantriebe auch einen erhöhten Imagewert bei umweltbewussten Besitzern. In Europa ist die Situation gänzlich anders. Hier ist etwa die Hälfte aller neu zugelassenen Pkws mit einem verbrauchsgünstigen Dieselmotor ausgerüstet und der Dieselkraftstoff wird geringer besteuert. Der Benzin-Hybrid ist daher für den Verbraucher zu teuer, zumal keine staatlichen Anreize bestehen. Derzeit ist die Hybridtechnologie bei den Fahrzeugherstellern und Zulieferern in den Ländern angesiedelt, in denen auch eine Marktfähigkeit vorhanden ist. Weltweit ist ein entsprechendes Zulieferersegment aber noch nicht vorhanden. Die notwendigen Entwicklungsarbeiten sind bei den großen Fahrzeugherstellern weit fortgeschritten. Die funktionsgetriebene Weiterentwicklung des Hybridantriebsstrangs sorgt prinzipbedingt für Mehraufwand und Mehrkosten. Parallel dazu sollte aber eine Kostenreduktion durch eine verbesserte Serienentwicklung angestrebt werden. Als Hindernis für eine bessere Marktfähigkeit sind neben den Mehrkosten die noch uneinheitlichen Verhältnisse bei den Gesetzgebern zu nennen. Eine gewisse Zukunftsunsicherheit bei den Hybridantrieben ist noch durch die Förderung verschiedener, konkurrierender Technologien wie der Dieseltechnologie bei den konventionellen und der noch nicht klaren Zukunft der Brennstoffzelle bei den alternativen Antrieben zu sehen. Literatur zu Abschnitt 2.6 [1] Noreikat, K. E. et al.: Hybride Fahrzeugantriebe. Die Evolution zum Mehrwerthybrid, VDI-Bericht 1565, Düsseldorf: 2000 [2] Braess, H.-H.; Seiffert, U.: Handbuch Kraftfahrzeugtechnik, Wiesbaden: Vieweg, 2005 [3] Seiffert, U. et al.: Automobiltechnik der Zukunft, Düsseldorf: VDI Verlag, 1989 [4] Noreikat, K. E.; Neiß, K.: Hybride Fahrzeugantriebe – Marktfähig mit Mehrwert?, Hybrid-, Batterie- und BrennstoffzellenElektrofahrzeuge, Renningen: expert-verlag, 2004 [5] Noreikat, K. E.: Hybride Fahrzeugantriebe – Ein Mehrwert für den Kunden, VDI-Reihe 12, Nr. 84, Düsseldorf 2002, ISBN: 3-18-348412-9 [6] Yaegashi, T.: Toyota Hybrid System – it’s Strategy and Technologies, 16th International AVL Conference „Engine & Environment“, Highly-Flexible Classic Powertrain or Hybrid Concept?, Graz, 9./10. September 2004
2.7 Brennstoffzellen
89
[7] Tenberge, P.: Technical University of Chemnitz, Trendsetting Energy Management with a Hybrid Powertrain – The Multiline-Gear as Basis for an Optimized Hybrid, 16th International AVL Conference „Engine & Environment“, Highly-Flexible Classic Powertrain or Hybrid Concept?, Graz, 9./10. September 2004 [8] Noreikat, K. E.: DaimlerChrysler AG, Diesel-HybridPowertrain, the Ultimate Solution, 16th International AVL Conference „Engine & Environment“, Highly-Flexible Classic Powertrain or Hybrid Concept?, Graz, 9./10. September 2004 [9] Bady, R.; Biermann, J.-W.: Hybrid-Elektrofahrzeuge – Strukturen und zukünftige Entwicklungen, 6. Symposium „Elektrische Straßenfahrzeuge“, Technische Akademie Esslingen, 11./12. Mai 2000 [10] Killmann, G.: Toyota Prius – Development and market experiences, VDI-Berichte 1459, 1999 [11] Antony P.; Krämer M.; Abthoff J.: Der serielle Hybridantrieb von Mercedes-Benz, VDI-Berichte 1418, 1998
2.7 Brennstoffzellen 2.7.1 Einführung 2.7.1.1 Umfeld und Motivation Eine ausreichende, sichere und erschwingliche Bereitstellung von Energie ist für moderne Gesellschaften überlebenswichtig. Dies gilt insbesondere auch für den Verkehrsbereich, weil der Bedarf an Mobilität weltweit weiter ansteigt und der Verkehr heute in hohem Maße von einer einzigen Primärenergiequelle abhängt. Die Zukunft des Verkehrs wird deshalb entscheidend davon bestimmt, ob es gelingt, den Konflikt zwischen dem wachsenden Mobilitätsbedarf und dem damit einhergehenden zunehmendem Kraft-
stoffverbrauch einerseits und der Endlichkeit der fossilen Energiereserven andererseits zu lösen. Zahlreiche Prognosen deuten darauf hin, dass der Gipfel der Erdölförderung bald erreicht werden wird. Es werden zwar noch laufend neue Reserven hinzukommen, andererseits wird es aber immer aufwändiger und teurer werden, die noch verbleibenden Reserven und Ressourcen nutzbar zu machen. Neben der Lösung dieser Energieproblematik müssen zusätzlich noch weiter zunehmende Forderungen nach Emissionsreduktionen, insbesondere die Reduktion von CO2, erfüllt werden. Schon heute gibt es zahlreiche Regionen und Staaten (z.B. Kalifornien) mit entsprechend strengen Vorschriften. Teilweise wird völlig emissionsfreier Betrieb, zumindest für einen Teil der Fahrzeugflotte, verlangt. Diese gesetzlichen Auflagen werden in Zukunft strenger werden und stellen an die zukünftige Technologie der Fahrzeuge große Herausforderungen. Erschwerend kommt hinzu, dass manche Forderungen unter sich nicht immer widerspruchsfrei sind. Die einzelnen Unternehmen der Automobilindustrie verfolgen weltweit ähnliche Technologieszenarien, mit denen diese Forderungen erfüllt werden sollen. Der Weg hin zu einer angestrebten „Nachhaltigen Mobilität“ besteht aus mehreren Schritten, wie in Tabelle 2-5 dargestellt ist. Als ultimative Lösung für völlig emissionsfreie Mobilität gelten Brennstoffzellen-Antriebe in Verbindung mit Wasserstoff. Wasserstoff kann aus allen fossilen Primärenergien und auf regenerativem Wege gewonnen werden, so dass damit die Energieversorgung des Verkehrsbereiches auf eine breite Basis gestellt werden kann.
Tabelle 2-5: Antriebs- und Kraftstoffstrategie; FT-Diesel (Fischer-Tropsch-Diesel) ist ein schwefel- und aromatenfreier Dieselkraftstoff, der über den Weg der Vergasung und der Fischer-Tropsch-Synthese aus Biomasse hergestellt wird heute
morgen
Antriebe und Kraftstoffe
Maßnahmen
Auswirkungen
Weiterentwickelte konventionelle Verbrennungsmotoren
Brennverfahrenoptimierung, weiterentwickelte Abgasnachbehandlung
Reduktion Kraftstoffverbrauch und Schadstoffemissionen
Optimierte konventionelle Kraftstoffe
An Brennverfahren angepasste Kraftstoffkennwerte (Cetan-, Oktanzahlen), Verringerung Schwefelgehalt und Aromatenanteile
Reduktion Rohemissionen
Alternative Kraftstoffe
Erdgas, synthetische Kraftstoffe auf Biomassebasis: FT-Diesel, Biodiesel, usw.
Reduktion CO2-Emissionen, Neutrale CO2-Bilanz, Reduktion Rohemissionen
Hybridantriebe
Kombination von zwei Antrieben mit zwei Energiespeichern (i.A. Kraftstofftank und Batterie)
Wirkungsgradverbesserung, teilweise Nullemissionsbetrieb
Brennstoffzellenantriebe
Wasserstoffbetriebene BrennstoffzellenElektroantriebe
Keine Schadstoff-emissionen, Potential für völlig CO2-freien Betrieb von Fahrzeugen
90
2 Motor und Antriebsstrang
Heute befindet sich diese Technologie noch im Erprobungsstadium in kontrollierten Flotten. Vor einer erfolgreichen Markteinführung von Brennstoffzellenfahrzeugen müssen noch enorme technologische, infrastrukturelle und ökonomische Anstrengungen unternommen werden. Die dazu notwendigen Ziele und Maßnahmen sind definiert und Gegenstand der folgenden Abschnitte. Auch nach erfolgreicher Kommerzialisierung der Brennstoffzellen-Technologie wird es nicht zu einer vollständigen Verdrängung der anderen Antriebe kommen. Man geht heute davon aus, dass zukünftige Mobilität durch eine Vielfalt an Antriebsvarianten gewährleistet werden wird. Die Wahl des jeweiligen Antriebs wird von dem verwendeten Fahrzeug, dem Fahrzweck, der Einsatzregion, den gesetzlichen Vorgaben und natürlich auch den individuellen Ansprüchen der Fahrzeugnutzer abhängen. 2.7.1.2 Historie der Brennstoffzelle In Brennstoffzellen kann chemische Energie mit einer elektrochemischen Reaktion direkt in Strom gewandelt werden. Obwohl Brennstoffzellen in der Wissenschaft bereits eine wesentlich längere Geschichte hinter sich haben, sind sie erst 1994 als reiner Brennstoffzellen-Antrieb für ein im Alltagsverkehr fahrbares Fahrzeug demonstriert worden (DaimlerChrysler NECAR 1). So hat bereits im Jahre 1839 Sir William Grove - ein britischer Wissenschaftler - das Brennstoffzellen-Prinzip entdeckt, als er sich mit Elektrolyse beschäftigte. Der Effekt wurde damals als Laborkuriosität betrachtet, weil das theoretische Verständnis für das Prinzip und die erforderlichen Materialien zu einer praktisch verwertbaren Demonstration fehlten. Als am Ende des 19. Jahrhunderts die Kommerzialisierung des Verbrennungsmotors begann, war die Brennstoffzelle nahezu vergessen. In dieser Zeit wies der Nobelpreisträger Ostwald in Veröffentlichungen zwar in visionärer Weise wieder auf ihre Bedeutung hin, jedoch ohne unmittelbare Auswirkung.
Erst ungefähr 100 Jahre nach der Entdeckung Groves, nämlich 1932, baute Francis Bacon die erste technisch brauchbare Brennstoffzelle und nach einem weiteren Vierteljahrhundert fanden die ersten Brennstoffzellen-Systeme im Leistungsbereich von einigen Kilowatt Anwendung in Raumfahrt-Programmen wie Gemini, Apollo und im Spaceshuttle. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es dann auch die ersten stationären Brennstoffzellen-Anwendungen. Durch Übertragung des Brennstoffzellenwissens aus der Raumfahrt in die Fahrzeugtechnik konnte NECAR 1 realisiert werden. 2.7.1.3 Eigenschaften und Grundprinzipien Die Kernkomponente von Brennstoffzellen ist die Membran-Elektroden-Anordnung (MEA), bei der eine Anode und eine Kathode durch einen Elektrolyten getrennt werden. Die Anode wird mit einem wasserstoffhaltigen Gasgemisch beaufschlagt, die Kathode in der Regel mit Luft, wobei nur der Luftsauerstoff für die Reaktion benötigt wird. Eingeleitet und beschleunigt durch einen Katalysator findet eine Reaktion an der Grenzfläche der Elektroden zum Elektrolyten statt. Entweder wandern durch den Elektrolyten Protonen von der Anode zur Kathode oder negative Ionen von der Kathode zur Anode. In beiden Fällen können die Elektronen den Elektrolyten nicht direkt passieren, sondern fließen als elektrischer Strom über eine externe Verbindung und erzeugen dabei elektrische Arbeit. Bis heute wurden verschiedene Brennstoffzellen-Typen entwickelt, die sich im Wesentlichen durch die verwendeten Elektrolyte und die spezifischen Betriebstemperaturen unterscheiden. Tabelle 2-6 zeigt die charakteristischen Daten für verschiedene Brennstoffzellen-Typen und daraus resultierende Hauptanwendungen. Vereinzelt wurden Phosphoric-Acid-Fuel-Cell-Systeme (PAFC) schon als Busantriebe und Solid-Oxide-Fuel-Cell-Systeme (SOFC) als Stromerzeugungseinheiten (Auxiliary Power Unit, APU) eingesetzt.
Tabelle 2-6: Brennstoffzellen-Typen mit charakteristischen Daten Typ
Elektrolyt
Alkalische Brennstoffzelle
KOH (Kalilauge)
Polymer-ElektrolytMembranBrennstoffzelle
Protonen leitender Polymerelektrolyt
PhosphorsäureBrennstoffzelle
H3PO4 (Phosphorsäure)
KarbonatschmelzeBrennstoffzelle FestkörperoxidBrennstoffzelle
Arbeitstemperatur
Brennstoff
Anwendung
~ 60 °C
H2 (+ O2, kein CO2)
Raumfahrt
~ 80 °C
H2, MeOH
Raumfahrt, Fahrzeuge, Stationäranwendungen
~ 190 °C
H2
Stationäranwendungen, Busse
K/LiCO3 (Schmelze)
~ 600 °C
H2 , CO
Stationäranwendungen (Kraft-Wärme-Kopplung)
Y2O3/ZrO2
> 800 °C
H2, CO
Stationäranwendungen (und Turbinen)
2.7 Brennstoffzellen Für Fahrzeugantriebe wird heute die PolymerElektrolyt-Membran-Brennstoffzelle (PEM) bevorzugt verwendet, weil ihr Betriebstemperaturbereich am besten zu den Randbedingungen im Fahrzeug passt. Im Unterschied zur Batterie, bei der die Energiespeicher- und Wandlerfunktion meistens in einem Gehäuse untergebracht sind, wird die chemische Energie der Brennstoffzelle erst während des Betriebs gasförmig zugeführt. Dadurch hängen die Leistungsdaten der Brennstoffzelle z.B. nicht vom Füllgrad des Energiespeichers ab. Brennstoffzellen sind wie Verbrennungsmotoren Energiewandler, wobei eine wichtige Größe deren Wirkungsgrad ist. Er gibt an, welchen Teil der in den Wandler gespeisten Energie in die gewünschte Energieform gewandelt wird. Im Vergleich zu Verbrennungsmotoren weisen Brennstoffzellen deutlich höhere Wirkungsgrade auf. Der Grund hierfür ist, dass Verbrennungsmotoren als thermische Energiewandler dem maximalen Carnotschen Wirkungsgrad unterliegen. Fahrzeugwirkungsgrade übersteigen dabei deshalb kaum 25 bis 30 %. Dagegen sind Brennstoffzellen in ihrem Wirkungsgrad nicht durch den Carnotschen Wirkungsgrad begrenzt, weil sie chemische Energie direkt in elektrische Energie umwandeln. Das Gleiche gilt übrigens auch für Batterien. Heutige Brennstoffzellen-Antriebe weisen gegenüber verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen einen bis zu doppelt so hohen Wirkungsgrad auf. Im Teillastbetrieb steigt der Wirkungsgrad von Brennstoffzellen noch an, was sich bei den typischen Fahrzyklen besonders positiv auf den Gesamtwirkungsgrad und damit auf den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs auswirkt. Zusätzlich führt der spezifische Drehmomentverlauf von Elektromotoren im Vergleich zu gleich starken Verbrennungsmotoren zu besseren Beschleunigungswerten. Elektroantriebe benötigen im Allgemeinen auch keine mehrstufigen Getriebe und sind vergleichsweise leise. Dies führt zu einer Steigerung des Fahrkomforts.
2.7.2 Polymer-Elektrolyt-MembranBrennstoffzelle 2.7.2.1 Aufbau und Funktionsweise Bild 2-95 zeigt den Aufbau und die Funktionsweise einer Brennstoffzelle. Im Fall der Polymer-ElektrolytMembran-Brennstoffzelle besteht der Elektrolyt aus einer sehr dünnen Polymer-Membran (Dicke zwischen 18 und 50 Pm). Die Anode wird mit Wasserstoff, die Kathode mit Luft beaufschlagt. Die Membran hält beide Gase voneinander getrennt und steuert die chemische Reaktion. Eine dünne Platinbelegung wirkt als Katalysator und beschleunigt die Reaktions-
91 geschwindigkeit, mit der Wasserstoffatome in ihre Bestandteile zerlegt werden (Elektronen und Protonen). Die Protonen können die Membran passieren und zur Kathode gelangen, die Elektronen dagegen nicht. Daher kommt es zu einer Ansammlung von Elektronen an der Anode und einem Überschuss an positiv geladenen Teilchen an der Kathode, wodurch eine Potentialdifferenz entsteht. Werden beide Elektroden elektrisch außerhalb der Zelle verbunden, fließt ein Strom. Die Elektronen reagieren an der Kathode mit den Protonen und dem Sauerstoff aus der Luft zu Wasser. Bei der Reaktion entsteht gleichzeitig Abwärme, die abgeführt werden muss.
Bild 2-95: Brennstoffzellen-Prinzip
Um Leistungen zu erreichen, die zum Antrieb eines Fahrzeugs ausreichen, müssen einige hundert Brennstoffzellen zu einem so genannten Stack in Serie zusammengeschaltet werden. Die Polymer-ElektrolytMembran ist sehr empfindlich, weshalb einige Betriebsparameter, insbesondere ihre Feuchtigkeit, in wohl definierten Grenzen gehalten werden müssen. Tabelle 2-7 zeigt die für einen optimalen Betrieb von Brennstoffzellen in Fahrzeugen geltenden Betriebsparameter und Anforderungen.
92
2 Motor und Antriebsstrang
Tabelle 2-7: Betriebsparameter und Anforderungen an Brennstoffzellen-Fahrzeuge; der Druck ist als Absolutdruck angegeben Betriebsparameter und Anforderungen
Wert
Gasdruck
1,1 bis 2,2 bar abhängig von elektrischer Leistung
Feuchtigkeit
Kathode
> 30 % rel. Feuchte
Anode
< 35 % rel. Feuchte
Betriebstemperatur
40 °C bis 95 °C
Kaltstarttemperatur
-25 °C und darunter
Zellstromdichte
1,0 A/cm2 bei 700 mV
Spannungsdegradation
< 10 PV/h
Lebensdauer
> 3000 h
Volumetrische Leistungsdichte des Stacks
> 1700 W/l
Gravimetrische Leistungsdichte des Stacks
> 1300 W/kg
2.7.2.2 Technischer Stand und Herausforderungen Tabelle 2-8 zeigt die Hauptherausforderungen für Brennstoffzellen-Systeme, die angestrebten Eigenschaften und die daraus folgenden notwendigen Technologieentwicklungen. Standen bisher bei vielen Brennstoffzellen-Entwicklern das gleichzeitige Erreichen technologischer Ziele, wie z.B. Lebensdauer, Robustheit und sicherer, zuverlässiger Kaltstart im Fokus der Aktivitäten, so wird in den nächsten Schritten die Kostenreduktion eine dominierende Rolle spielen. Im Folgenden werden beispielhaft die von der Brennstoffzellen-Allianz zwischen DaimlerChrysler, Ford und Ballard erreichten Fortschritte hinsichtlich Lebensdauer und Kaltstartfähigkeit beschrieben. 2.7.2.2.1 Lebensdauer Die so genannte Membranausdünnung ist der für die Lebensdauer eines Brennstoffzellen-Stacks beschränkende Faktor. Um eine ausreichende Lebensdauer von Brennstoffzellen in automobilen Brennstoffzellen-Antriebssystemen zu erreichen, müssen diese Membranausdünnungen und die dazu führenden Mechanismen verstanden und entsprechende Methoden zur Lebensdauerverlängerung entwickelt werden. Erst mit neuen Haltbarkeitstests, die das hochdynamische Betriebsverhalten in einem Fahrzeug simulieren, konnten die Membranausdünnung und in der Folge die Bildung von Transfer-Lecks in den Zellen sehr viel schneller aufgedeckt werden, als mit den bisher verwendeten potentialstatischen Lebensdauer-Tests, die in einem einzigen Betriebspunkt gefahren werden.
Tabelle 2-8: Schlüsselprobleme von BrennstoffzellenSystemen Problem
Angestrebte Eigenschaften
Technologische Lösung
Lebensdauer
Homogene Wasserverteilung in der Membran-Elektroden-Anordnung
Materialien, Produktionsprozesse, Stack-Aufbau, Hybridisierung
Robustheit
Qualitative hochwertige Elektronik, Sensoren, Ventile
Komponentenherstellung mit FahrzeugProduktionsprozessen
Verbrauch/ elektrischer Wirkungsgrad
Hoher Wirkungsgrad bei Teillast, optimierter Betriebsdruck
Luftversorgung mit Radiallader
Thermo management
Vermeidung von Wasserkondensat, Betriebstemperatur > 90 °C
Fortgeschrittene Kühlsysteme
Kalt-/ Gefrierstart
Vermeidung von Wasserkondensat in der Gasdiffusionsschicht und den Gaskanälen
Materialien, StackAufbau, Hybridisierung
Geräuschemission (Noise, Vibration, Harshness)
Niedriger Geräuschpegel von Kompressor und Antriebsmotor
Luftversorgung mit Radiallader
Kosten
Hohe Leistungsund Stromdichte, niedrige spezifische Kosten
Kostengünstige Materialien, StackAufbau, einfacher Systemaufbau
Ein möglicher Mechanismus für die Membranausdünnung ist im Handbook of Fuel Cells [1] beschrieben. Sie beginnt an der Anode, wo durch Sauerstoffionen, die durch die Membran diffundieren, Wasserstoffperoxid gebildet wird. Sind gleichzeitig metallische Ionen, z.B. Fe2+-Ionen vorhanden, werden freie Wasserstoffperoxid-Radikale gebildet, die die Membran schädigen. Bild 2-96 zeigt diese Membrandegradation. Ein ähnlicher Mechanismus wurde für die Kathode in Verbindung mit der Diffusion von Wasserstoff beschrieben. Hohe Temperaturen und geringere Befeuchtung in der Membran beschleunigen den Schädigungsprozess. Auf Basis dieser Erkenntnis wurden Lösungen entwickelt, die es erlauben, den Einfluss dieses Membran-Schädigungsmechanismus selbst bei extremen Betriebsbedingungen zu reduzieren. Ein so modifizierter Stack zeigt erst nach 4facher Zyklenzahl die typische Membranlochbildung, obwohl gleichzeitig dünnere Membranen – Dicke 25 µm anstelle von 50 µm – verwendet wurden.
2.7 Brennstoffzellen
93
Bild 2-96: Membrandegradation: a) Lokale Verringerung der Dicke der Membran (links), b) Verringerte Reißfestigkeit führt zu Membranbrüchen (rechts) [Quelle: Ballard]
2.7.2.2.2 Kaltstarteigenschaften von Brennstoffzellen-Stacks Neben der Erhöhung der Lebensdauer ist ein sicherer, zuverlässiger und reproduzierbarer Gefrierstart der zweitgrößte Problempunkt, um Brennstoffzellen für den Alltagsgebrauch in Fahrzeugen uneingeschränkt zu nutzen. Die hierfür verantwortliche Haupteinflussgröße ist die Wasserverteilung im Stack vor dem Einfrieren und die Balance zwischen dem Aufwärmen des Stacks und der Wasserbildung unterhalb des Gefrierpunktes während des Kaltstarts. Beides muss genau kontrolliert und gesteuert werden. Das erfordert spezielle Zellenbauweisen, die haltbarkeits- und kaltstartkompatible Betriebsbedingungen im Normalbetrieb und bei Kaltstart vereinigen. Bild 2-97 zeigt die bisher erreichten Verbesserungen der Kaltstartzeit, um 50 % Leistung zu erreichen.
Während ein State-of-the-Art-Stack dazu bisher 150 Sekunden benötigte, wird mit der verbesserten Technologie die selbe Leistung bereits innerhalb von acht Sekunden erreicht. 2.7.2.2.3 Kosten Die Kommerzialisierung der BrennstoffzellenTechnologie wird im Wesentlichen davon abhängen, ob die Kosten auf ein akzeptables Niveau gesenkt sowie die Robustheit und die Lebensdauer des Stacks auf die für die Anwendung im automobilen Bereich notwendige Werte gebracht werden können. Studien, z.B. von Arthur D. Little [2], gehen davon aus, dass etwa 75 % der Stack-Kosten allein durch die Membran-Elektroden-Anordnung (MEA) verursacht werden. In dieser wiederum ist die Membran der teuerste Anteil, gefolgt vom Platinkatalysator.
Bild 2-97: Verkürzung der Startzeit bei Gefrierstart (–15 °C) [Quelle: Ballard]
94 Daher konzentrieren sich die Anstrengungen zur Kostenreduktion auf die Membran und auf den Katalysator. Die für die Leitfähigkeit einer perfluorierten Membran wichtige Befeuchtung ist eine sehr kritische Größte, da sie das Betriebsfenster einschränkt und gleichzeitig verhindert, dass die Membran bei höheren Arbeitstemperaturen deutlich über 100 °C betrieben werden kann, da sonst das Wasser in der Membran verdampft. Forschungsanstrengungen konzentrieren sich deshalb auch auf so genannte Hochtemperaturmembranen auf Basis z.B. von Polybenzomiadazol und Schwefelsäure, die wiederum den Nachteil haben, dass sie bei Temperaturen unter 100 °C ein Auswaschen der Schwefelsäure aufweisen und dann betriebsunfähig werden. Es bedarf noch intensiver Forschungsarbeiten, um die Hochtemperaturmembranen auf Basis nicht wässrig ionisch leitender Materialien praktisch nutzen zu können. Ein weiterer Schritt zur Kostenreduktion ist die Verminderung der Platinbelegung. Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass eine immer weiter gehende Senkung des Platingehaltes allein nicht zielführend ist. Vielmehr stellt sich ein Kostenoptimum zwischen Platingehalt und der damit erreichbaren Leistungsdichte ein. Heute wird ein Platingehalt von 0,3 g/kW für möglich gehalten, d.h. ein Platingehalt von 0,05 mg/cm2 auf der Anoden- und 0,25 mg/cm2 auf der Kathodenseite. Damit wäre für die Membranelektrodeneinheit ein Zielkostenbereich von ca. 5 ¼/kW erreichbar. Die Department-of-Energy-Zielwerte 2015 für Stack und Antriebssystem liegen bei 50 ¼/kW. Wie in Abschnitt 2.7.2.1 genannt, müssen Brennstoffzellen-Antriebssysteme für automobile Anwendungen bestimmte Betriebsbedingungen erfüllen. Aus diesen Bedingungen werden Ziele für die Forschung an und die Entwicklung von Stacks abgeleitet, aus denen wiederum Anforderungen an die MembranElektroden-Anordnung resultieren, wie Kaltstartfähigkeit, Leistungsdichte auch bei hohen Temperaturen, Einfachheit des Systems bei extrem niedriger Befeuchtung sowie Dauerhaltbarkeit bei moderaten Temperaturen und hoher Befeuchtung. Da einige dieser Anforderungen zueinander gegenläufig sind, ist die Forschung auf dem Gebiet einer den automobilen Anforderungen genügenden Membran-Elektroden-Anordnung ein besonders komplexes Optimierungsproblem. Am Ende lassen sich alle Randbedingungen auf drei Ziele komprimieren: Vergrößerung der Leistungsfähigkeit bei Einhaltung der Kostenlimits, Steigerung von Robustheit und Zuverlässigkeit sowie Verlängerung der Lebensdauer und Dauerhaltbarkeit. Gerade an den Themen Lebensdauer und Dauerhaltbarkeit kann gezeigt werden, dass es nicht ausreicht, für einzelne Membran-Elektroden-Anordnungen besonders hohe Lebensdauern zu erreichen. Die Gesamtlebensdauer des Stacks hängt zwar von derjenigen Membran-Elektroden-Anordnung mit der niedrigsten
2 Motor und Antriebsstrang Lebensdauer ab, aber genauso wichtig ist die Gesamtverteilung der Lebensdauern. Nicht die durchschnittliche Lebensdauer aller Membran-Elektroden-Anordnungen ist für die Stack-Lebensdauer maßgebend, sondern erst eine schmale Verteilung führt zu höheren Stack-Lebensdauern. Daraus folgen entsprechend hohe Anforderungen an eine möglichst geringe Streuung in der Fertigung. Für die Weiterentwicklung der Membran in Richtung Zielspezifikationen sind folgende Forschungsthemen von herausragender Bedeutung: Es müssen spezifische Radikal-Fänger entwickelt werden, die die Membrandegradation durch z.B. WasserstoffperoxidRadikale verhindern. Mit Hochtemperaturmembranen soll die Betriebstemperatur auf 120 °C und höher gesteigert werden. Gleichzeitig soll die Gasdurchlässigkeit der Membranen reduziert werden. Nanostrukturierungsmethoden sollen helfen, bessere Katalysatoren mit höherem Katalysatorwirkungsgrad, besserer Reaktandenumsetzung pro Fläche und verbesserter Gasdurchlässigkeit zu entwickeln. Generell muss nach geeigneten Werkstoffen mit höherer Korrosionsfestigkeit gesucht werden. Eine verbesserte Diagnostik soll zu einer besseren Kontrolle der Potentialverteilung und Identifizierung ungewöhnlich hoher Potentiale höher als 1,3 Volt beitragen. Mit lokalen Messungen des pH-Wertes an Anode und Kathode sollen die Stabilitätsgrenzen von Wasserstoffperoxid untersucht sowie der Ausnutzungsgrad des Platinkatalysatormaterials unter Last bestimmt werden. Diese grundlagenorientierten Themen sollten im Verbund zwischen akademischer und industrieller, anwendungsorientierter Forschung angegangen werden. Entsprechende Förderprogramme liegen in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch auf EUEbene und in den Vereinigten Staaten sowie Japan vor. Aus der Komplexität der Forschungsthemen ergibt sich, dass die ursprünglich gemachten Annahmen über die Kommerzialisierung der Brennstoffzellen-Antriebstechnologie zu optimistisch waren und deutlich nach hinten verschoben werden müssen. Es ist aber richtig, diese Anstrengungen frühzeitig zu beginnen, damit das Ziel der Kommerzialisierung auf Basis des vorhandenen Know-hows möglichst rasch erreicht werden kann.
2.7.3 Brennstoffzellensystem und -antrieb 2.7.3.1 Kraftstoffe, Kraftstoffaufbereitung und Kraftstoffspeicher 2.7.3.1.1 Kraftstoffe Die für Fahrzeugantriebe am besten geeigneten Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzellen werden mit reinem Wasserstoff oder wasserstoffhaltigen Gasgemischen betrieben. Im Betrieb mit reinem Wasserstoff werden keinerlei Schadstoffe emittiert,
2.7 Brennstoffzellen insbesondere auch kein CO2, was für den Klimaschutz von hoher Bedeutung ist. Für die Gesamtschadstoff- und Energiebilanz müssen die Wasserstoff-Bereitstellungspfade jedoch mit berücksichtigt werden. Wasserstoff kann aus allen Energieträgern und -quellen hergestellt werden. Durch Einsatz von Wasserstoff würde die heutige hohe Abhängigkeit des Verkehrsbereiches von einer einzigen Energiequelle gemindert werden. Wasserstoff wird heute in großen Mengen für petrochemische Verwendung über Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt. Bei der Nutzung solchen Wasserstoffs in Fahrzeugen können auch unter Annahme eines sehr guten Wirkungsgrades des BrennstoffzellenSystems nur moderate Energie- und CO2-Einsparungspotentiale realisiert werden. Langfristig hofft man jedoch, hohe Einsparungspotentiale dadurch realisieren zu können, dass die Herstellung von Wasserstoff in großem Stile mit Hilfe regenerativer Energien erfolgt. Dazu gehören neben Wasserkraft vor allem Windenergie, aber auch Solarstrahlungsenergie und Gezeitenenergie bis hin zur Biomasse. Die Gesamtbilanz kann durch Hybridisierung des Brennstoffzellenantriebs noch weiter verbessert werden (siehe Abschnitte 2.7.3.2 und 2.7.3.3). Der Einsatz von Wasserstoff als Kraftstoff setzt den Aufbau einer völlig neuen Infrastruktur, bestehend aus Erzeugungseinrichtungen, Transport und Verteilung, Zwischenspeicherung und einem Tankstellennetz voraus. Für den Aufbau dieser Infrastruktur ist ein abgestimmtes Vorgehen aller Beteiligten wie Energielieferanten, Mineralölfirmen, Kfz-Industrie und Gesetzgeber sowie der Einsatz erheblicher Investitionen notwendig. Die aus zunächst separaten, lokalen Inselanwendungen heraus entstehende und dann zusammenwachsende Infrastruktur kann aber frühestens in zwei bis drei Jahrzehnten flächendeckend ausgebildet sein. 2.7.3.1.2 Kraftstoffaufbereitung Optimal wäre natürlich der Einsatz von Benzin und Diesel für Brennstoffzellenfahrzeuge, da in diesem Fall die vorhandene Infrastruktur genutzt werden könnte. Diese Kraftstoffe müssen jedoch zuerst in einem Reformer an Bord des Fahrzeuges in ein wasserstoffhaltiges Brenngas umgewandelt werden. Dies trifft genau so für Methanol, Ethanol oder auch Kerosin zu, bei denen aber wegen ihres flüssigen Aggregatzustandes die ebenfalls neu zu installierende Infrastruktur einfacher als für Wasserstoff aufzubauen wäre. Methanol ist derjenige Kraftstoff, der am leichtesten zu reformieren ist. Deswegen wurde Methanol eingehend als Kraftstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge untersucht. DaimlerChrysler hat mehrere Fahrzeuge mit Methanol als Kraftstoff aufgebaut, wie z.B. NECAR 3 und NECAR 5. Beim Methanol-Reformierungsprozess werden Methanol und Wasser verdampft und katalytisch bei
95 etwa 280 °C zu Wasserstoff, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid umgesetzt. Da das Kohlenmonoxid die Katalysatoren in der Brennstoffzelle blockieren würde, wird es z.B. katalytisch aufoxidiert, bevor das Wasserstoff-Kohlendioxid-Gasgemisch der Brennstoffzelle zugeführt wird. Die Reaktion läuft endotherm nach folgender idealer Gleichung ab: CH3OH + H2O o 3 H2 + CO2 Die Dynamik des gesamten MethanolreformierungsProzesses ist für den Fahrzeugbetrieb ausreichend. In Bruchteilen einer Sekunde stehen rund 90 % der maximalen Brennstoffzellenleistung zur Verfügung. NECAR 5 ist deshalb bezüglich Antriebsdynamik einem herkömmlichen Auto mit Benzin- oder Dieselmotor ebenbürtig. Außer Wasserstoff sind die genannten Kraftstoffe bei Umgebungsbedingungen alle flüssig und damit gut speicherbar. Deshalb können ohne Einschränkungen, wie z.B. reduzierter Nutzlast, Reichweiten erzielt werden, die mit denen konventioneller Fahrzeuge vergleichbar sind. Die CO2-Emissionsbilanz eines Brennstoffzellen-Fahrzeugs mit bordeigener Methanolreformierung kann für einige Methanolerzeugungspfade besser als die eines herkömmlichen Autos mit Diesel- oder Ottomotor sein. Höhere Energieverluste bei der Methanolherstellung werden durch die besseren Wirkungsgrade des Brennstoffzellen-Antriebssystems kompensiert. Hauptsächlich aufgrund seiner Toxizität, seinem niedrigeren Wirkungsgrad sowie technologischer Probleme wurde Methanol als Kraftstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge letztendlich aber wieder verworfen. Diesel und Benzin erfordern sehr komplexe und aufwändige Reformierungs-Prozesse. Deshalb konzentrieren sich heute die Aktivitäten aller namhaften Fahrzeughersteller trotz der Infrastrukturproblematik auf reine Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe. 2.7.3.1.3 Mobile Wasserstoffspeicher Um die vom Kunden gewohnten und geforderten Fahrzeugreichweiten realisieren zu können ist die Speicherung von Wasserstoff an Bord eines Fahrzeuges zu einer wichtigen technischen Herausforderung geworden. Für mobile Fahrzeugspeicher müssen die fahrzeugspezifischen Anforderungen, wie z.B. Sicherheitsaspekte, Handling, Gewicht, Einbaumaße, Beschleunigungskräfte, Lade- und Entladezyklen, Lebensdauer und natürlich Kosten berücksichtigt werden. Weitere Beurteilungskriterien sind Energiebilanzen und ggf. die Regenerationsfähigkeit von Stoffen, die extern regeneriert werden müssen, wie z.B. Natriumborhydrid. Umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten wurden bisher in die Speicherung von Wasserstoff in Form von Druckwasserstoff und Flüssigwasserstoff sowie in Metallhydriden investiert (siehe Tabelle 2-9).
96
2 Motor und Antriebsstrang
Intensiv wird derzeit nach neuen Speichermaterialien gesucht. Ein „revolutionäres neues Speichersystem“ scheint derzeit nicht in Sicht zu sein. Charakteristische Größe ist die gravimetrische Speicherdichte, die z.B. in Gewichtsprozent H2, bezogen auf die Gesamtspeichermasse (Strukturmaterial, Speichermaterial, Wasserstoff), angegeben wird. Ein Gewichtsprozent H2 entspricht einer spezifischen Speicherdichte von ca. 330 Wh/kg (Kohlenwasserstoffspeicher, wie etwa Benzintanks besitzen ca. 10 000 Wh/kg). Für das Jahr 2015 hat das Department of Energy Zielwerte für die spezifischen Energieinhalte von Wasserstoffspeichern genannt: 3 kWh/kg (9 Gewichtsprozent) und 2,7 kWh/l. Alle heute bekannten Speicherarten liegen noch unterhalb dieser Zielwerte (Tabelle 2-9). Druckwasserstoffspeicher Druckwasserstoff kann heute üblicherweise in zylindrischen, faserverstärkten Verbundbehältern bis zu Drücken von 700 bar gespeichert werden. Durch Variation des Faser- und Linermaterials sowie der Bauart wird versucht, die heutige Speicherkapazität von ca. 4 % mindestens zu verdoppeln. Mit zunehmendem Speicherdruck wächst der Energieinhalt und die volumetrische Speicherdichte an. Die gravimetrische Dichte durchläuft bei den heute verwendeten Materialien ein Maximum unterhalb von 700 bar. Negativ schlagen vor allem die relativ hohe Verdichtungsenergie, die insgesamt niedrige volumetrische Speicherdichte und eine kritische Gastemperaturerhöhung während des Beladevorgangs zu Buche. Flüssigwasserstoffspeicher Wasserstoff wird unter Umgebungsdruck bei –253 °C flüssig. In dieser Form kann er in thermisch hoch isolierten Doppelwandbehältern gespeichert werden. Heute erreicht man mit diesen Speichern eine gravimetrische Dichte von bis zu 9 %, die durch weitere
Entwicklungsarbeit noch deutlich gesteigert werden sollen. Damit weisen Flüssigwasserstoffspeicher die besten Speicherdaten aller Wasserstoffspeicher auf. Probleme treten vor allem durch das Abdampfen von Wasserstoff in einer Größenordnung von 2 bis 4 % pro Tag auf. Außerdem ist ein sehr hoher Energieaufwand zur Verflüssigung (ca. 1 kWh Primärenergie pro kWh Wasserstoff) notwendig. Metallhydride Bei moderaten Drücken bis etwa 50 bar kann Wasserstoff auch chemisch in Metalllegierungen gebunden werden. Bei der Beladung muss die Bindungsenthalpie als Wärme abgeführt werden. Durch Wärmezufuhr kann der Wasserstoff wieder freigesetzt werden. Je nach Freisetzungstemperatur unterscheidet man Hoch- und Tieftemperaturhydride, wobei die Tieftemperaturhydride bereits in Fahrzeugen (Daimler Benz Berlinflotte 1984 bis 1988) eingesetzt wurden. Die Hochtemperaturhydride haben zwar höhere Speicherdichten, die hohe Bindungsenthalpie (30 % der Wasserstoff-Energie) und vor allem das Temperaturniveau von mehreren 100 °C verbieten ihren praktischen Einsatz in Brennstoffzellen-Fahrzeugen. Man schätzt, die Speicherdichten bei Tieftemperaturhydriden noch marginal auf etwa 2 % anheben zu können. Neuartige Hydridmaterialien Teilweise noch im Grundlagenforschungsstadium befinden sich verschiedene Ansätze, Wasserstoff in weiteren flüssigen oder festen chemischen Verbindungen zu speichern. Hohe Erwartungen werden derzeit z.B. in so genannte Alanate sowie Amide und Hydride gesetzt. Parallel versucht man auch durch Nano-Strukturierung die Speicherkapazität, die Kinetik und die Reaktionstemperaturen von bereits bekannten Hochtemperatur-Hydridlegierungen zu optimieren.
Tabelle 2-9: Wasserstoffspeicher-Typen mit charakteristischen Daten: Speicher ohne Peripherie; Stand 2005; Ziele Department of Energy 2015: 3 kWh/kg (9 %), 2,7 kWh/l Typ
Spezifischer Energieinhalt des Speichers
Druckwasserstoff 350 bar 700 bar Compositebehälter Flüssigwasserstoff (–253 °C) Tieftemperaturmetallhydride Chemische Hydride – Alanate – Amide/Hydride
Bemerkungen
Gew.-% H2
kWh/l
1,2 – 1,5
4–5
0,6
1,3 – 1,6
4,3 – 5,3
1,0
1,4 – 2,7
4,6 – 9
0,8 – 1,5
Angestrebte Abdampfrate 1–2 % pro Tag Verflüssigungsenergie sehr hoch: 1 kWh PE/kWh H2
0,4
1,2
0,7 – 1,3
Hohe Wasserstoffreinheit notwendig; Systemdruck ca. 50 bar
0,3 – 1,4
3-5
1,0 – 1,6
Weitgehend noch im Forschungsstadium; Systemdrücke ca. 50 bis 100 bar
kWh/kg
Spezifische Energie (kWh/l) nimmt mit steigendem Druck zu. Gravimetrische Dichte durchläuft Maximum.
2.7 Brennstoffzellen
97
Bild 2-98: Brennstoffzellensystem auf Basis von reinem Wasserstoffbetrieb: PDU Power-Distribution-Unit; L Leistungselektronik; M Elektromotor
Bei anderen Hydriden (z.B. Lithiumhydrid) wird untersucht, wie durch Reaktion mit Wasser die Wasserstofffreisetzung noch gesteigert werden kann. Bei allen diesen Systemen versucht man mit der Speicherdichte in den Bereich von 5 bis 7 Gew.-% H2 zu kommen. 2.7.3.2 Aufbau eines Brennstoffzellensystems Grundsätzlich kann beim Aufbau eines Brennstoffzellensystems zwischen Systemen mit Reformerbetrieb und mit reinem Wasserstoffbetrieb unterschieden werden (s.a. Abschnitt 2.7.3.1.2). Im Folgenden wird sich die Betrachtung wegen der weltweiten Einstellung der Entwicklungsarbeiten zu Reformierungstechnologien für mobile Anwendungen der Systemtechnologie auf Wasserstoffsysteme beschränken. Bild 2-98 zeigt das Schema eines Brennstoffzellensystems auf Basis von reinem Wasserstoff aus einem H2Speicher. Das System kann in die Module Luftversorgung, Befeuchtung, Anodenversorgung und Stack mit den Zu- und Abführungen für die Anode, die Kathode und den Kühlwasserkreislauf unterteilt werden. Darüber hinaus hat der Stack einen elektrischen Abgang zur Power-Distribution-Unit (PDU). Diese beinhaltet die Schütze, die Strom- und Spannungsregelung, die Isolationsüberwachung und die Monitoringeinheit des Brennstoffzellensystems. Diese Brennstoffzellen-Monitoringeinheit (BZM) ist für das Sicherheitsmanagement des Brennstoffzellensystems zuständig. Die elektrische Verbindung zwischen Brennstoffzellensystem und Fahrzeug wird über die Power-Distribution-Box (PDB) hergestellt, die die Stromverteilung im Fahrzeug übernimmt. An der Power-Distribution-Box sind alle „HochspannungsKomponenten“ (High-Voltage-Komponenten, HVKomponenten) angeschlossen. Dazu gehören der Fahrantrieb mit dem DC/AC-Wandler, die HV-
Batterie mit DC/DC-Wandler, die Hilfsaggregate des Brennstoffzellensystems, ein PTC-Heizer für den Kaltstart als auch die Wasserpumpe des Fahrzeugkühlkreislaufes. Bei Unterbringung der PDU und der PDB im Unterbodenbereich des Fahrzeuges ist eine Ausführung in der Schutzart IP6K7 zu beachten. Das Luftmodul umfasst Luftfilter, Schalldämpfung, den elektrisch angetriebenen Kompressor zur Verdichtung der Luft auf bis zu 2,2 bar absolut unter Volllast, die Energierückgewinnung mit Hilfe eines Expanders oder im Falle einer Strömungsmaschine mit einer geregelten Turbine sowie die Druckregelung für den Brennstoffzellen-Stack auf der Kathodenseite. In der Regel kommen heute Schraubenlader zum Einsatz, die in dem geforderten Druck- und Förderbereich die besten isentropen Wirkungsgrade aller Maschinen mit innerer Verdichtung aufweisen [3]. In Zukunft kann mit der Einführung von ölfrei gelagerten Strömungsmaschinen (äußere Verdichtung) gerechnet werden. Bild 2-99 zeigt einen ölfrei gelagerten Radialverdichter auf dem Prüfstand. Darüber hinaus ist in Bild 2-100 der Vergleich der gemessenen Wirkungsgrade zwischen Schraubenlader und Radialverdichter dargestellt. Der Vergleich zeigt insbesondere eine deutliche Effizienzsteigerung der Verdichtung im Teillastbereich mit dem Radialverdichter. Dies ist bedeutsam für den Verbrauch des Fahrzeuges im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und erhöht gleichzeitig die Reichweite. Das Befeuchtermodul besteht im Kern aus Hohlfaserbündeln, die den Wasserdampfübertrag vom Kathodenaustritt zum Kathodeneintritt sicherstellen. Somit wird die Luft am Eintritt des Stacks befeuchtet. Typische Taupunkte liegen zwischen 50 °C und 85 °C bei einer Stacktemperatur von 85 °C. Ein Bypass stellt den für Temperaturen unter 0 °C geforderten trockenen Betrieb sicher.
98
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-99: Radialverdichter
Bild 2-100: Kennlinienvergleich zwischen Schraubenlader und Radialverdichter
Das Anodenmodul besteht aus einem geschlossenen Kreislauf mit Rezirkulationsgebläse sowie einer Dosiereinheit und hat folgende Funktionen: Befeuchtung des Kraftstoffmassenstroms durch Rückführung des feuchten Wasserstoffs. Die Rückführung erfolgt über ein Wasserstoffgebläse. Dosierung des Kraftstoffmassenstroms. Aktive Rezirkulation zur Vermeidung von Zonen mit Wasserstoffverarmung auf der Anode des Stackmoduls. Die Ausführung als geschlossener Kreislauf minimiert die Wasserstoffverluste und erhöht somit den Systemwirkungsgrad. Es wird genau die Menge an Wasserstoff in den Kreislauf gebracht, die elektrochemisch verbraucht wird. Nachteil der Kreislaufführung ist unter anderem die Aufkonzentration von Stickstoff, der von der Kathode zur Anode diffun-
diert. Dadurch ist in Abhängigkeit von der Betriebsstrategie von Zeit zu Zeit ein kurzzeitiges Abblasen auf die Kathode notwendig (Purgen). In der Regel erfolgt das Purgen von Restwasserstoff in die Kathodenzuluft zum Abbau der Wasserstoffemissionen im Stackmodul. Die derzeitige Betriebstemperatur der PolymerElektrolyt-Membran-Brennstoffzelle von 85 °C ist im Vergleich zu den Kühlwassertemperaturen von Verbrennungsmotoren (110 – 120 °C) niedrig und stellt eine ganz besondere Kühlungsherausforderung dar. Der Wirkungsgrad des Kühlsystems hängt von der treibenden Temperaturdifferenz am Kühlereintritt und der Umgebungstemperatur ab. Darüber hinaus tragen heutige Verbrennungsmotoren nur ca. 30 % der Verlustwärme über das Kühlwasser aus (der Rest wird über Abgas und Strahlung abgegeben), bei Brennstoffzellensystemen ist der Austrag über das Kühlsys-
2.7 Brennstoffzellen tem ca. doppelt so groß. Die geringere Temperaturdifferenz und der höhere Wärmeeintrag in das Kühlsystem erfordert Kühlsysteme mit einer ca. 3,5fach höheren Effektivität. Aus diesem Grunde ist es wünschenswert, Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzellen zu entwickeln, die auf einem Temperaturniveau von 120 °C arbeiten. Neben der Entwicklung von Membran-ElektrodenAnordnungen (MEA) für den Temperaturbereich von 110 – 120 °C stellt die Systemvereinfachung in der Zukunft ein weiteren wichtigen Schritt zur Kommerzialisierung von Brennstoffzellensystemen dar. Dabei konzentriert man sich einerseits auf die Reduzierung des Befeuchtungsaufwandes auf der Kathodenseite, anderseits auf die Vereinfachung des Anodenkreislaufes. 2.7.3.3 Antriebsstrangkomponenten und Hybridisierung Leistungsfähige Nickelmetallhydrid oder Lithiumionenbatterien mit Energiedichten im Bereich von 1 bis 1,5 kWh und Leistungen bis 40 kW werden heute zur Hybridisierung von Brennstoffzellen-Antriebssträngen eingesetzt. Mag es zunächst so erscheinen, dass das Hinzufügen einer Batterie den ohnehin schon komplexen Brennstoffzellen-Antriebsstrang noch komplizierter macht, so liegen die Vorteile einer Hybridisierung bei genauerer Betrachtung auf der Hand. So kann zum Beispiel die Dynamik des Brennstoffzellenfahrzeuges gleichwertig zu konventionellen Fahrzeugen dargestellt werden. Die Dynamikanforderung an die Stromversorgung liegt in diesem Fall bei ca. 800 A/s. Heutige Stackmodule sind im Bereich von 300 – 400 A ausgelegt. Die Luftversorgung benötigt bei einer Lastanforderung von 10 % auf 90 % der Leistung eine Zeit von ca. 1 s (mit heutigen Schraubenladern). Künftige Radialverdichtiger benötigen für einen entsprechenden Lastsprung aufgrund der geringeren Massenträgheit etwa 500 ms. Somit können künftig Stromrampen von 800 A/s über das Brennstoffzellensystem unter Umständen auch ohne zusätzliche Batterie bereitgestellt werden. Der Einsatz einer Batterie liefert darüber hinaus die Vorteile, dass rekuperierte Energie – z.B. bei der Bremsenergierückspeisung – gespeichert werden kann und der Kaltstart unter –5 °C einfacher darstellbar ist. Dabei sind Li-Ionen-Batterien von Vorteil, da diese bei –15 °C etwa noch 1/3 der Batterienennleistung bereitstellen können. Ferner können die Gesamtkosten für den Antriebsstrang reduziert werden, da in der heutigen Kostensituation eine kleinere Brennstoffzelle einen größeren Kostenvorteil bringt als die zusätzlichen Kosten ausmachen, die durch die Batterie entstehen. Aus den dargestellten Gründen hat DaimlerChrysler bereits mehrere hybridisierte Brennstoffzellen-Fahrzeuge vorgestellt. Das erste war der Jeep Commander
99 II im Jahr 2000 und auch die heutigen A-KlasseBrennstoffzellen-Fahrzeuge weisen eine Hybridisierung auf, die über eine Nickelmetallhydridbatterie in der Reserveradmulde realisiert wird.
2.7.4 Brennstoffzellen-Fahrzeuge 2.7.4.1 Rückblick und aktueller Stand DaimlerChrysler blickt inzwischen auf eine mehr als 10jährige Geschichte intensiver BrennstoffzellenFahrzeugentwicklung zurück. Kein anderer Automobilhersteller hat derzeit mehr BrennstoffzellenDemonstrationsfahrzeuge in Betrieb. Deshalb soll hier am Beispiel von DaimlerChrysler-Fahrzeugen der technologische Stand dargestellt werden. Seit der Vorstellung von NECAR 1, dem ersten Brennstoffzellen-Fahrzeug im Jahre 1994 hat DaimlerChrysler verschiedene Ansätze zur Realisierung von Brennstoffzellen-Antriebssträngen verfolgt. Zu dem Zeitpunkt entstand ein sehr ambitionierter Plan für die Darstellung von Brennstoffzellen-Demonstrations- und -Konzeptfahrzeugen. Die Arbeit an automobiltauglichen Brennstoffzellen-Systemen wurde gestartet, die kontinuierlich kleiner, leichter, leistungsfähiger und effizienter werden sollten. Als schließlich im Jahr 1999 der mit Flüssigwasserstoff betriebene NECAR 4 vorgestellt wurde, zog man eine Zwischenbilanz. Innerhalb von 5 Jahren ist das Brennstoffzellen-System in der Größe um einen Faktor 5 und im Gewicht um einen Faktor 2 reduziert worden. Zur gleichen Zeit ist die Leistung verdoppelt und die Reichweite des Fahrzeugs um einen Faktor 5 gesteigert worden. Mit NECAR 4 konnte auch der hohe Wirkungsgrad eines solchen Fahrzeuges das erste Mal demonstriert werden. Es wurden 37 % Gesamtwirkungsgrad (tankto-wheels) im neuen europäischen Fahrzyklus erreicht. Dies ist aber noch nicht das maximal Erreichbare. Wie eine Studie von Toyota zeigt, können BrennstoffzellenSysteme bis zu 42 % oder sogar 45 % Wirkungsgrad erreichen [4]. Auf dem Weg zur Kommerzialisierung wurden für Brennstoffzellen-Antriebe Zielspezifikationen festgelegt. Für den Antrieb von Fahrzeugen müssen sie strenge ökonomische und technische Anforderungen erfüllen, um mit den verfügbaren bzw. zukünftigen Verbrennungsmotoren wettbewerbsfähig zu sein. DaimlerChrysler hat Erfahrung mit BrennstoffzellenAntrieben für Personenwagen, Transporter und Busse auf Basis verschiedener Treibstoffe, wie Methanol, synthetischem Benzin sowie Flüssig- als auch Druckwasserstoff. Die Methanol-Fahrzeuge NECAR 3 und 5 basieren auf Reformer-Technologien. Reformer sind zurzeit nicht mehr im Fokus der Entwicklung. Das Wassermanagement und die Wasserrückgewinnung für den Reformierungsprozess sind für die Automobilanwendung in Anbetracht der Anforderungen bei Gefrier- und Kaltstart nicht sinnvoll.
100
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-101: Entwicklung der Leistungsdichte in DaimlerChrysler Fahrzeugen über der Zeit
Ferner liegt der Antriebswirkungsgrad für MethanolBrennstoffzellen-Fahrzeuge im neuen europäischen Fahrzyklus in der gleichen Größenordnung wie zukünftige Dieselmotoren bei ca. 30 %. Methanol hat auch als Treibstoff Nachteile hinsichtlich Toxizität. Deshalb konzentriert sich die Entwicklung bei DaimlerChrysler auf Brennstoffzellen-Fahrzeuge mit Druckwasserstoff. Es werden vier Phasen in der Entwicklung von Brennstoffzellen-Fahrzeugen durchlaufen. In der ersten Phase von 1994 bis 2000 sind Prototypen vorgestellt worden, die das technische Potential von Brennstoffzellen-Antrieben als zukünftige Antriebstechnologie zeigen, wenn Wasserstoff als Treibstoff verwendet wird. In der zweiten „Fit-for-daily-usevehicle-Phase“ werden heute 60 F-Cell A-KlasseFahrzeuge, drei Sprinter-Auslieferungsfahrzeuge und 36 Busse im Flottenbetrieb von ausgesuchten Kunden getestet, die die Fahrzeuge im normalen Tagesbetrieb betreiben. Ein Fleet-Data-Aquisition-System in den A-Klasse-Fahrzeugen und Bussen liefert täglich Daten aus dem Betrieb der Fahrzeuge, die als Basis für die Entwicklung der nächsten Generationen von Brennstoffzellen-Technologie herangezogen werden. In der folgenden „Ramp-Up“ Phase steht die zunehmende Anzahl von Fahrzeugen im Vordergrund, wofür natürlich die Verfügbarkeit einer robusten
Brennstoffzellentechnologie die Voraussetzung ist. In der Vierten, der Kommerzialisierungs-Phase schließlich wird das Thema Kostenreduktion die dominierende Rolle spielen. 2.7.4.2 Antriebsstrang Personenkraftwagen Im Jahr 2004 wurden 60 A-Klasse BrennstoffzellenFahrzeuge an Kunden in 4 Regionen weltweit ausgeliefert: USA, vor allem Kalifornien, Singapur, Japan und Deutschland mit den Standorten Berlin und Stuttgart. Das gesamte Brennstoffzellen-System einschließlich der Wasserstoffspeicher ist vollständig im Unterboden der A-Klasse untergebracht. Daher sind der Fahrgast- und auch der Kofferraum gegenüber der normalen Serien-A-Klasse, die mit Verbrennungsmotoren angetrieben wird, nicht beeinträchtigt. Die Reichweite der Fahrzeuge beträgt bis zu 230 Kilometer, abhängig von der Fahrweise. Im neuen europäischen Fahrzyklus werden z.B. 160 Kilometer erreicht, da der Wasserstoffinhalt der Tanks auf 1,8 Kilogramm Wasserstoff beschränkt ist. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 140 km/h, der Verbrauch im neuen europäischen Fahrzyklus entspricht einem Dieseläquivalent von 3,8 l/100 km. Bild 2-102 zeigt den Antriebsstrang der A-Klasse mit dem Kühlungssystem, dem elektrischen Antrieb, dem
2.7 Brennstoffzellen Getriebe im Vorbau, dem Brennstoffzellen-System mit dem Leistungsmanagement-System und dem Wasserstofftanksystem (350 bar) im Unterboden und dem Batteriesystem (Nickelmetallhydrid) im Heck des Fahrzeugs. Die maximale Leistung des Brennstoffzellen-Systems beträgt 72 kW (97 PS Netto). Der Asynchron-Elektromotor und hat eine Spitzenleistung von 65 kW, eine Dauerleistung von 50 kW und ein maximales Drehmoment von 210 Nm. Die Nickelmetallhydrid-Batterie ist luftgekühlt. Die Dauer- bzw. Spitzenleistung der Batterie beträgt 15 bzw. 20 kW, ihre Kapazität 6,5 Ah und der Energieinhalt 1,4 kWh. Die Betriebsstrategie zwischen Batterie und Brennstoffzellen-System hat einen Einfluss auf die Lebensdauer des Brennstoffzellen-Stacks (siehe Abschnitt 2.7.2.2.1). Die durchschnittliche Fahrleistung der A-KlasseFlotte pro Tag ist etwa 3500 Kilometer. Die akkumulierte Fahrleistung der gesamten Flotte liegt zurzeit (07/2006) bei über 800 000 km. Ähnlich wie bei den Bussen, liegen die Hauptprobleme im täglichen Betrieb bei den elektrischen Komponenten, insbesondere den elektronischen Schaltkreisen und den Steuerungskomponenten (wie z.B. den Ventilen). In der nächsten Generation von Brennstoffzellen-Fahrzeugen sind die Robustheit und die Lebensdauer aller Komponenten einschließlich der Elektronik, der Ventile und der Sensoren usw. zu verbessern. Dabei wird auf die Ergebnisse der derzeit laufenden Flottenversuche zurückgegriffen. Darüber hinaus wird die Komplexität des gesamten Antriebsstrangs zu reduzieren sein. Die Reichweite der Fahrzeuge sollte
Bild 2-102: Brennstoffzellenantriebsstrang A-Klasse
101 durch Verwendung von 700-bar-DruckwasserstoffTanktechnologie und Verbesserungen im Gesamtwirkungsgrad des Systems auf mindestens 400 Kilometer gesteigert werden können. 2.7.4.3 Antriebsstrang Nutzfahrzeuge Der technische Stand der derzeit im Flottenbetrieb getesteten Brennstoffzellen-Busse ist in Tabelle 2-10 zusammengefasst. Das Gewicht des Busses ist länderabhängig. Die Busdimensionen sind gleich zum verbrennungsmotorischen Fahrzeug. Die Nettoleistung am Schaft beträgt 200 kW. Die Beschleunigung von 0 – 50 km/h in unter 12 s ist besser als beim konventionellen Dieselbus. Der Brennstoffzellen-Antriebsstrang, der für die CITARO-Stadtbusse von Mercedes Benz entwickelt wurde, erfüllt folgende Anforderungen. Durch den Einsatz einer minimalen Anzahl von elektrischen Antrieben wurde eine hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit erreicht. Das Leistungsniveau des Antriebsstrangs wurde so dimensioniert, dass die meisten und wichtigsten Kundenanforderung hinsichtlich Höchstgeschwindigkeit, Reichweite, Beschleunigung, Bergsteigfähigkeit und Zuladung erfüllt werden konnten. Auch wurde eine möglichst hohe Anzahl von Standardkomponenten und -subsystemen verwendet.
102
2 Motor und Antriebsstrang
Tabelle 2-10: Technische Daten der CITARO-Brennstoffzellenbuss; Gewicht und Fahrzeugmaße sind länderabhängig Gewicht leer/beladen
14,2 t/18 oder 19 t
Fahrzeugmaße (Länge x Breite x Höhe)
12,0 m x 2,55 m x 3,67 m
Wendekreisdurchmesser
21,5 m
BrennstoffzellenGesamtleistung
> 250 kW
Netto-Antriebsleistung
200 kW
Beschleunigung 0 – 50 km/h
< 12 s
Reichweite
200 km
Passagierkapazität
bis zu 70
Maximale Geschwindigkeit
bis zu 80 km/h
Wasserstoffspeicherdruck
350 bar
Wasserstoffspeicherkapazität
> 40 kg in 9 Druckzylindern
Im ersten Anlauf waren der Systemwirkungsgrad und der Verbrauch des Busses nicht erste Priorität. Es sollten hauptsächlich verschiedene Wasserstoffinfrastrukturen und Betankungsoptionen sowie die Erfüllung verschiedener Sicherheitsanforderungen aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten (EU, Australien) getestet werden. Diese Anforderungen haben zu einem Zentralmotordesign geführt, der die Hilfsaggregate über ein zentrales Getriebe und ein
Bild 2-103: Brennstoffzellenantriebsstrang CITARO-Bus
Standard-6-Gang-Automatik-Getriebe antreibt. Bisher sind keine wesentlichen Schwächen dieses Antriebssystems im täglichen Betrieb identifiziert worden. Die Busse besitzen zwei Brennstoffzellen-Module, die jeweils 150 kW elektrische Leistung liefern. Jedes Modul wiegt 350 Kilogramm und enthält alle für den Betrieb des Brennstoffzellen-Systems notwendigen Hilfsaggregate, wie z.B. Befeuchter, Luftversorgung und Elektronik. Ballard Power System hat für den Anfangseinsatz mehr als 60 000 Zellen produziert. Inzwischen weisen die Busse eine Laufleistung von insgesamt mehr als 1,4 Mio. Kilometer auf (Stand 07/2006). Dabei standen die Busse jeweils 8 Stunden pro Tag für den normalen Linieneinsatz zur Verfügung. Wie bei der Brennstoffzellen-A-Klasse wurden auch hier die Hauptprobleme durch konventionelle Komponenten verursacht, wie z.B. Ventile, Elektronik und Steuergeräte, aber nicht durch den Brennstoffzellen-Stack selber. Es konnten Lebensdauern des Brennstoffzellen-Stacks von weit über 2000 Stunden nachgewiesen werden. Es wurden Lösungen entwickelt, um das Fehlverhalten von Aktoren und Regler im Brennstoffzellen-Antriebssystem zu beheben. In vielen Fällen haben auch Sicherheitskomponenten angesprochen, ohne dass ein Grund für ein Sicherheitsrisiko vorlag. Dieses Problem wurde durch eine Optimierung der Software gelöst.
2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik Entsprechend adaptierte Pkw-Brennstoffzellensysteme wurden in drei Mercedes-Benz-Sprinter-Auslieferungsfahrzeuge eingebaut und im täglichen Betrieb zweier Paketversandunternehmen in Europa und USA eingesetzt. Insgesamt sind die Lieferwagen bisher über 40 000 km im Einsatz gefahren. Der Flottenbetrieb mit abendlicher Rückkehr in einen Betriebshof eignet sich in der jetzigen Phase mit noch nicht vorhandener flächendeckender Wasserstoffinfrastruktur besonders gut, um Erfahrungen mit den Fahrzeugen und den Tankstellen zu sammeln.
2.7.5 Ausblick In zukünftigen Energieversorgungssystemen könnte Wasserstoff langfristig als zusätzlicher Sekundärenergieträger eine wichtige Rolle spielen. Er bietet neben dem prinzipiellen Vorteil einer völlig CO2freien Energiewandlung gleichzeitig auch eine höhere Versorgungssicherheit, da er aus allen anderen Energieträgern und -quellen hergestellt werden kann. Dies ist insbesondere für den Verkehrsbereich wichtig, der heute von einer einzigen Primärenergiequelle abhängt. Bei der Herstellung von Wasserstoff treten im Vergleich zur heutigen Mineralölwirtschaft höhere Energieverluste auf. Durch Nutzung des Wasserstoffs in Brennstoffzellen, die einen deutlich höheren Wirkungsgrad haben, können die Gesamtenergie- und Emissionsbilanzen vorteilhafter gestaltet werden. Deshalb werden weltweit Brennstoffzellenantriebe intensiv erforscht und entwickelt. Die ersten Generationen solcher Antriebe werden derzeit in Kundenhand im Flotteneinsatz erprobt. DaimlerChrysler hat bei allen diesen Aktivitäten eine führende Rolle eingenommen. Parallel dazu werden bereits die nächsten Fahrzeuggenerationen entwickelt. Bevor Brennstoffzellenfahrzeuge aber in den Markt gebracht werden können, muss die Technologie noch erheblich kostengünstiger (Faktor 10 bis 100) und zuverlässiger werden. Auch weitere Fortschritte auf dem Gebiet der mobilen Wasserstoffspeicherung sind notwendig. Szenarien, die im EU-Rahmen erarbeitet wurden, deuten darauf hin, dass bis 2015 die Technologie für die beginnende Kommerzialisierung reif entwickelt sein könnte [5]. Bis dahin müssen aber noch erhebliche finanzielle Anstrengungen zur Technologieentwicklung und Validierung, aber auch zur beginnenden Vernetzung der bis dahin möglicherweise lokal vorhandenen Wasserstoff-Infrastruktur sowie Schaffung von nachhaltigen Wasserstoff-Produktionseinrichtungen unternommen werden. Diese großen Aufwendungen können nur im Europäischen Rahmen durch länderübergreifende langfristige Partnerschaften von öffentlichen und privaten Partnern aufgebracht werden.
103 Literatur zu Abschnitt 2.7 [1] Wolf Vielstich, Arnold Lamm, Hubert A. Gasteiger: Handbook of Fuel Cells, Vol. III, Seite 647, Wiley 2003 [2] E. J. Carlson et al.: Cost Analysis of Fuel Cell Systems for Transportation, Report to Department of Energy, Ref. No. 49739, SFAA No. DESCO2-98EE50526, 2001 [3] Wolf Vielstich, Arnold Lamm, Hubert A. Gasteiger: Handbook of Fuel Cells, Vol. IV, Seite 727, Wiley 2003 [4] H. Watanabe (Toyota) : Fuel Cell Award Lecture, Fuel Cell Seminar, Miami, 2003 [5] www.HFPeurope.org
2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik Bei der Entwicklung neuer Motorkonzepte sind eine Vielzahl teilweise gegenläufiger Ziele zu berücksichtigen. So darf beispielsweise die Geräuschemission nicht zu einer Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte für das Fahrzeugaußengeräusch (beschleunigte Vorbeifahrt) führen. Diesen Anforderungen steht aber die Gewichtsreduktion ebenso entgegen wie die notwendige Garantie der Betriebssicherheit. Die Verwendung von Leichtbauwerkstoffen und die Umsetzung neuer konstruktiver Konzepte bedingt außerdem ein Herangehen an die Grenzwerte zulässiger Beanspruchungen und eine möglichst gleichmäßige Ausnutzung des Werkstoffes. Die vom Kunden erwartete Leistungssteigerung bei gleichzeitiger Verbrauchsreduktion bedingt als weitere Maßnahmen eine signifikante Reduktion der Reibleistung für Einzelkomponenten und das Gesamtsystem. Die Abstimmung aller Parameter ist nur dann erzielbar, wenn es gelingt, ausgewogene gesamtheitliche Motorenkonzepte zu realisieren. Den besten Kompromiss zwischen Fahrleistung, Verbrauch, Emissionen, Akustik und Betriebssicherheit zu finden, ist ohne ein enges Zusammenwirken von Konstruktion, Simulation und Test nicht möglich. Das „Ingenieurgefühl“ versagt wegen der vielen zu berücksichtigenden Parameter. Als weitere Randbedingung kommt hinzu, dass die Entwicklung von neuen Motorkonzepten unter den aktuellen Anforderungen der Automobilindustrie zu erfolgen hat, nämlich einer drastischen Reduktion der Entwicklungszeiten, einer Senkung von Entwicklungskosten, einer Entwicklung von Produkten mit niedrigen Produktionskosten, einer Berücksichtigung einer zunehmenden Anzahl von Produktvarianten und einer Sicherstellung hoher Produktqualität. Die Vernetzung von Konstruktion und Simulation, unterschiedlichen Simulationsverfahren sowie Simulation und Test ist daher zunehmend wichtig, um das optimale Entwicklungsergebnis zu erzielen.
104
2.8.1 Motorenentwicklungsprozess In allen Phasen des Motorentwicklungsprozesses ist es insgesamt notwendig, dass Erfahrungswissen, Ergebnisse der Computersimulation und Ergebnisse der Prototypentests zusammenfließen und optimal für das Erreichen des Entwicklungszieles genutzt werden. Dabei ändern sich die Anteile der einzelnen Beiträge naturgemäß im Laufe des Entwicklungsprozesses [1]. In der Phase der strategischen Entscheidungen dominiert der Anteil des Erfahrungswissens. Unterstützend werden vereinfachte Simulationsmodelle für das Gesamtsystem oder für Teilsysteme eingesetzt, um durch Trendaussagen die grundsätzliche Entwicklungsrichtung vorzugeben. In der Umsetzungsphase nimmt der Anteil der Simulation sprunghaft zu. Parallel zur Auslegung und zur Konstruktion der ersten Motorgeneration, die im wesentlichen der Konzeptabsicherung dient, werden Simulationsmodelle mit hohem Komplexitätsgrad eingesetzt. Sie sollen sicherstellen, dass bereits die ersten Prototypmotoren die bestmögliche Ausgangsbasis für das rasche Erreichen der Entwicklungsziele darstellen. Während der Entwicklungsarbeiten mit den Prototypen der ersten Motorgeneration (Prototypentests) werden sowohl die rechnerische als auch die Prüfstandssimulation intensiv genutzt. Durch die direkte Kopplung von Computer- und Prüfstandssimulation sind hier deutliche Verbesserungen der Prozessqualität zu erreichen. In dieser Phase erfolgt zudem ein intensiver Abgleich der Simulationsmodelle mit Messergebnissen. Während der Versuchsarbeiten mit der zweiten Motorgeneration dominiert die Prüfstandssimulation. Die rechnerische Simulation wird hier vor allem zur raschen Problemlösung und Variantenberechnung eingesetzt. Dabei sind die Anforderungen im Hinblick auf Rechengenauigkeit und rasche Verfügbarkeit der Ergebnisse besonders hoch. Im Zuge der Serienabsicherung, die sich an die eigentliche Motorentwicklung anschließt, geht der Einsatz der Simulationsmethoden deutlich zurück. Hier dominiert der Fahrzeugversuch. Um die Simulation effizient im Motorentwicklungsprozess einzusetzen, ist es notwendig, dass in den verschiedenen Phasen des Entwicklungsprozesses die am besten geeigneten Simulationsmodelle zur Verfügung stehen: Einfache mathematische Modelle ermöglichen es, bereits im ersten Konzept- und Konstruktionsstadium umfangreiche Variantenstudien bis hin zu rein mathematischen Optimierungsrechnungen durchzuführen. Mit zunehmendem Detaillierungsgrad des Produktes nimmt auch die Komplexität der rechnerischen Simulationsmodelle zu. Wegen der Vielzahl an zu berücksichtigenden Parametern ist die experimentelle Absicherung der rechnerischen Ergebnisse im Prototypenstadium eine Voraussetzung
2 Motor und Antriebsstrang für die ständige Weiterentwicklung der Rechenmodelle. Damit gewinnt der Ingenieur die Sicherheit, dass Betriebsbedingungen realitätsnah im digitalen Modell abgebildet werden. Eine andere Dimension des Entwicklungsprozesses stellt das Zusammenwirken von Konstruktion und Simulation, unterschiedlichen Berechnungsverfahren sowie Simulation und Test dar. Für die Bereitstellung von Konstruktionsdaten in den Simulationsprogrammen sind zwei Wege zu beschreiten, nämlich die geometriebasierte Vernetzung und die parameterbasierte Vernetzung. In der geometriebasierten Vernetzung werden aus CAD-Volumenmodellen volumenorientierte Simulationsmodelle erzeugt. Diese Art der Vernetzung von Simulations- und CADProgrammen im Entwicklungsprozess wird im Bereich der Konstruktion immer wichtiger, um möglichst schnell aus CAD-Modellen Berechnungsnetze für Strömungsmechanik und Strukturanalyse generieren zu können. Zusätzlich wird dadurch sichergestellt, dass die Geometrie der verwendeten Berechnungsmodelle den CAD-Modellen entspricht. In der parameterbasierten Vernetzung werden aus parametrisierten CADVolumengeometrien die definierten Parameter an Berechnungsprogramme übergeben, die auf analytischen Modellen oder Mehrkörpermodellen (eindimensional) basieren. Durch diese Übergabe werden eine Vielzahl an Zusatzberechnungen überflüssig, die früher vom Ingenieur durchzuführen waren, wie z.B. die Berechnung von Volumen, Massen, etc. Damit werden zusätzlich zum Zeitgewinn Fehlerquellen stark reduziert. Die Berücksichtigung von Gesamtsystemen erfordert mehr und mehr die Vernetzung von Berechnungsverfahren, die einerseits auf unterschiedlichen physikalischen und chemischen Modellen basieren und andererseits verschiedene Komplexitäten aufweisen. Beispiele für Vernetzungen in der Motorenberechnung sind die Verknüpfung von Strömungsberechnungen mit Strukturanalysen zur Ermittlung von Wärmespannungen sowie die Kopplungen von eindimensionalen und dreidimensionalen Strömungsvorgängen bei der Analyse der Vorgänge des Ladungswechsels. Neben der Optimierung des mechanischen Systems „Motor“ gewinnt die Optimierung der zugehörigen Motorsteuerung (Engine Control Unit, ECU), eine immer größere Bedeutung innerhalb des Motorentwicklungsprozesses. Dies ist dadurch bedingt, dass aktuelle Anforderungen an Kraftstoffverbrauch, Emissionen und Fahrbarkeit nur durch elektronische Regelung einer immer größer werdenden Anzahl an Motor-Steuerungsparametern erreicht werden können. Zur beschleunigten Abstimmung der Motorsteuerung (Kalibrierung) und dessen Umgebung in Form des Fahrzeuges und der zu erwartenden Umwelteinflüsse werden Echtzeit-Simulationssysteme eingesetzt, die das Motor-, Fahrzeug- und Fahrerverhalten
2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik abbilden und so Abstimmung und Test der ECU ohne real vorhandenen Motor erlauben (Hardware in the Loop, HIL). Dadurch werden erhebliche Einsparungen sowohl hinsichtlich der Entwicklungszeit (reale Prototypen müssen noch nicht verfügbar sein) als auch der Entwicklungskosten (reduzierte Entwicklungsarbeit am Prüfstand- und im Fahrzeug) erreicht. Die für die Echtzeitsimulation erforderlichen Rechenmodelle müssen trotz minimaler und garantierter Rechenzeit eine hohe Aussagequalität aufweisen. Die Parametrierung dieser Modelle erfolgt sowohl mit Messdaten (sofern verfügbar, etwa auch von Vormodellen) als auch mit Simulationsmodellen. Die Vernetzung von Computersimulation und Versuch ist noch wenig fortgeschritten, wird jedoch in Zukunft eine stark wachsende Bedeutung erhalten.
2.8.2 Baugruppen des Motors Die Hauptbaugruppen des Motors stellen den Ausgangspunkt für die Festlegung der Berechnungsaufgaben dar, da sie die Funktionseinheiten darstellen. Dies sind: Kurbelgehäuse, Kurbeltrieb, Zylinderkopf, Ventiltrieb, Nockenwellenantrieb, Ölkreislauf, Kühlmittelkreislauf, Kraftstoffsystem, Ansaugsystem, Abgassystem, Motorentlüftung, Zusatzaggregate, Abdeckungen.
2.8.3 Berechnungsmethoden und Berechnungsaufgaben Als Berechnungsmethoden werden analytische Verfahren, numerische Verfahren, Finite Elemente Methode FEM, vorzugsweise Strukturanalyse; Finite Volumen Methode FVM, vorzugsweise Strömungsberechnung (CFD); Randelemente Methode BEM, vorzugsweise Strukturanalyse und Real Time Methoden als Hybridverfahren eingesetzt. In Hinblick auf die Anwendung der Berechnungsmethoden auf die unterschiedlichen Berechnungsaufgaben wird eine Klassifizierung in Strukturanalyse und System Performance Modeling vorgenommen.
105 2.8.3.1 Strukturanalyse Die Strukturanalyse umfasst die quasi-statischen und die dynamischen Berechnungen von Einzelbauteilen in Hinblick auf Festigkeit, Deformation und Stabilität sowie Schwingungsverhalten. Als Berechnungsverfahren werden hier analytische Methoden, die FiniteElemente-Methode und die Randelemente-Methode eingesetzt. Ziel ist die Optimierung der Bauteile in Hinblick auf Gewichtsreduktion, gleichmäßige Materialausnutzung (Vermeidung von Spannungsspitzen) sowie Festlegen der Eigenfrequenzen. Für einfache Geometrien können analytische Verfahren angewendet werden. Diese haben den Vorteil, dass sehr schnell Parametervariationen durchgeführt werden können. Als Standardverfahren für die Untersuchung von Bauteilen mit unterschiedlich komplexen Geometrien und Belastungszuständen hat sich jedoch seit vielen Jahren die FEM [9] etabliert. Die FEM deckt einerseits alle linearen und nichtlinearen Berechnungsfälle in Hinblick auf Spannungsanalysen, Temperaturfeldberechnung und Schwingungsanalysen ab und bietet andererseits die Möglichkeit, die Berechnungsgeometrien direkt aus den dreidimensionalen CAD-Modellen abzuleiten. Für Sonderanwendungen im Bereich der Spannungsanalysen hat sich die BEM [10] bewährt. Voraussetzung für eine effiziente Anwendung ist, dass die berechneten Geometrien möglichst gedrungene Formen aufweisen. Das heißt, dass das Verhältnis von Volumen zu Oberfläche möglichst groß ist. Beispiele hierfür sind Kurbelwellen-Analysen. Vorteil der BEM gegenüber der FEM war, dass anstelle der Netzgenerierung des Gesamtvolumens lediglich die Oberflächen vernetzt werden musste. Durch die gute Einbindbarkeit der FEM in CAD-Systeme ist dieser Vorteil inzwischen weitgehend verloren gegangen. Zur Berechnung von Thermospannungen werden zunehmend Simulationen herangezogen, bei denen die FEM und die CFD [11] gekoppelt werden. Dabei werden die Wärmeentstehung im Zylinder und die Wärmeabfuhr im Kühlwasser mit eindimensionalen und dreidimensionalen CFD-Programmen ermittelt, während die Temperaturverteilung und die Temperaturspannungen im Kontinuum mit der FEM berechnet wird. Als Berechnungsaufgaben mit FEM und BEM werden in der Motorenentwicklung die Komponentenanalyse (Pleuel, Kolben, Kurbelwelle [2], Hauptlagerwand mit Lagerstuhl) und die Subsystem-Analyse (Zylinderkopf-Kurbelgehäuse-Spannungs- und Verzugsberechnungen [3], [4) abgedeckt.] 2.8.3.2 System Performance Modeling System Performance Modeling (SPM) umfasst die instationären Berechnungen von Betriebsbedingungen, Regelungssystemen und Fertigungsprozessen.
106 Als SPM-Verfahren in der Motorenentwicklung werden die Mehrkörpersimulation (MKS) und die CFD (Computational Fluid Dynamics) zur Berechnung von innermotorischen Strömungsvorgängen, von Thermofluiddynamik sowie zur Fertigungssimulation (Guss-Simulation) zusammengesetzt. Die SPM-Verfahren werden in den Bereichen Lebensdauer und Ermüdung, NVH (Noise, Vibration, Harshness) ([5] bis [8]), Kühlung, Verbrennung und Emissionen sowie zur Auslegung kompletter Kontrollsysteme angewendet. Der Vorteil des SPM im Bereich der statischen und dynamischen Berechnungen (Lebensdauer und Ermüdung sowie NVH) mit Hilfe der MKS [12] in Hinblick auf Festigkeit, Deformation und Stabilität sowie Schwingungsverhalten gegenüber der Strukturanalyse besteht darin, dass das SPM die Modellierung von (Teil-)Systemen (z.B. Kurbeltrieb bestehend aus Kurbelwelle, Pleuel, Kolben) mit allen Verbindungen zwischen den einzelnen Bauteilen (z.B. Ölfilm) erlaubt, die Beaufschlagung des modellierten Systems mit den betriebsbedingten Belastungen ermöglicht und daher keine Randbedingungen zur näherungsweisen Abbildung von nicht modellierten Komponenten benötigt und somit die realistische Berechnung der Betriebsbeanspruchungen des (Teil-)Systems ermöglicht. Aus den Analysen können – quasi als Nebenprodukt – die Komponenten des Systems direkt beurteilt werden. Aus den vorgenannten Gründen ersetzt das SPM in zunehmendem Maße die Strukturanalyse. Nachteilig
2 Motor und Antriebsstrang ist, dass die Komplexität der Berechnungsmodelle zunimmt, Rechenzeiten wesentlich länger werden und die Interpretation der Ergebnisse „System-Wissen“ erfordert. Die Mehrkörpersysteme (MKS) werden während des gesamten Motorentwicklungsprozesses in verschiedenen Modellierungstiefen zur rechnerischen Untersuchung der Funktion und der dynamischen Belastung mechanischer Komponenten und Teilsysteme im Motor verwendet. Zur Modellierung von Mehrkörpersystemen wird der reale Mechanismus in Körper und Verbindungen unterteilt. Bild 2-104 zeigt die Aufteilung in Körper am Beispiel eines Ventiltriebsmodells (a), eines Kettentriebes (b) und eines Motormodells (c). Je nach Entwicklungsstadium und Komplexität der modellierten Bauteile werden starre (Bild 2-104a und 2-104b) oder elastische (Bild 2-104c) Körper in den Modellen verwendet. Elastische Körper werden durch die Berechnung von Eigenformen mit FEM-Analysen dargestellt. Die Verwendung elastischer Körper ist eine Voraussetzung zur Erzielung hochwertiger Ergebnisse von Systemen, die Komponenten mit komplexen Geometrien erhalten. Verbindungen bilden Wechselwirkung zwischen den Körpern ab. In mechanischen Systemen werden solche Verbindungen oft durch Kombinationen parallel wirkender Feder- und Dämpfer-Einheiten dargestellt.
Bild 2-104: Darstellung der Körpereinteilung: a) für einen Einzelventiltrieb, b) für ein komplexes Kettentriebsmodell, c) für ein Motormodell
2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik Das Verhalten von Verbindungen kann stark nichtlinear sein (beispielsweise bei allen spielbehafteten Kontakten oder bei Reibung in Kontakten). Neben relativ einfachen Verbindungsmodellen, bei denen nur jeweils ein Punkt der verbundenen Körper gekoppelt wird, kommen für verschiedenste Untersuchungen auch sehr komplexe Verbindungsmodelle zum Einsatz ([16], [20], [22]). Typische Beispiele dafür sind EHD (Elasto-Hydrodynamik) – Modelle für Gleitlager oder für Kontakte zwischen Kolben und Zylinderlaufbuchse. In der Praxis werden in MBS-Rechenmodellen oft starre und elastische Körper gemeinsam eingesetzt. Durch die Verwendung kombinierter Modelle kann die Anzahl der in der Rechnung verwendeten Freiheitsgrade und damit auch die Rechenzeit minimiert werden. Auch zur Auslegung thermofluiddynamischer Prozesse in der Motorentechnik kommen je nach Aufgabenstellung unterschiedliche Simulationswerkzeuge zum Einsatz. Entsprechend der Zielsetzung der Entwicklungsaufgabe und auch abhängig von der jeweiligen Phase im Motorentwicklungsprozess sind dies eindimensionale und dreidimensionale CFD-Simulationsansätze. Die Anwendungsbereiche der eindimensionalen CFD-Simulation liegen insbesondere in der Optimierung von Ladungswechselvorgängen, in der Analyse und der Optimierung von Abgasanlagen und Abgasnachbehandlungssystemen sowie im Rahmen der Auslegung des motorischen Gesamtprozesses in zunehmendem Maße in der Berechnung innermotorischer Verbrennungs- und Schadstoffbildungsprozesse. In der eindimensionalen Simulation wird der Zustand des Arbeitsgases während der Durchströmung des Motors einschließlich des Ansaugsystems
107 und des Abgassystems simuliert ([37], [38]). Dazu wird der Motor in Elemente eingeteilt (z.B. Zylinder, Kühler, Katalysator, Sammler, Rohr). Jedes dieser Elemente wird mit den jeweils spezifischen Eigenschaften im Simulationsmodell abgebildet, wobei zwei Basiselemente unterschieden werden, nämlich Rohre und Volumina. In den Rohren werden die Euler-Erhaltungsgleichungen für Impuls, Energie und Masse gelöst. Als Ergebnis erhält man Druck, Massenstrom und Temperatur an einzelnen diskreten Stützstellen des Rohres. Besonderes Augenmerk wird hier auf eine akkurate Beschreibung der kompressiblen Strömung unter sub- und transsonischen Bedingungen gelegt, um beispielsweise die Füllung des Zylinders richtig beschreiben zu können. In den Volumina wird die Erhaltung von Masse und Energie unter Berücksichtigung der Zu- und Abflüsse zu den angeschlossenen Rohren berechnet. Im Gesamtmodell stellt die Modellierung der physikalischen und chemischen Vorgänge im Zylinder eine besondere Herausforderung dar. Grob kann der Zustand des Zylinders (mit Hilfe von spezifizierten Ventilhubkurven und Durchflusskoeffizienten) in eine Ladungswechselphase und in eine Hochdruckphase eingeteilt werden. In der Ladungswechselphase wird der Massen- und Energieaustausch mit den angeschlossenen Rohren bestimmt. Zur Berechnung des Wärmeübergangs an die Zylinderwand kommen empirische Ansätze zur Anwendung ([39], [40]). Weitere Anwendungsbereiche der eindimensionalen Simulation sind die rechnerische Untersuchung des hydraulischen Verhaltens dieselmotorischer und ottomotorischer Hochdruckeinspritzsysteme (Bild 2-105) oder auch die Systemauslegung des Öl- und Kühlwasserkreislaufes in Motoren, auf welche hier allerdings nicht näher eingegangen wird ([41], [42]).
Bild 2-105: Kavitationsblasenverteilung und Stromlinienverlauf in einem Diesel-Injektor
108
2 Motor und Antriebsstrang
Bild 2-106: Temperatur- (links) und NOx-Verteilung (rechts) in einem Dieselmotor (Segmentmodell) 20° Kurbelwellenwinkel nach Einspritzbeginn
Im Gegensatz zu den eindimensionalen Berechnungsverfahren ermöglicht eine räumlich dreidimensional aufgelöste Betrachtung, eine virtuelle Voroptimierung der innermotorischen Strömungs-, Gemischbildungs- und Verbrennungsprozesse unter Berücksichtigung der Details der Kanal- und Brennraumgestaltung, die entscheidenden Einfluss auf das Motorverhalten hinsichtlich Verbrauch und Schadstoffemissionscharakteristik ausüben. Dieser Anwendungsbreich umfasst auch die Berechnung der Strömungsvorgänge in Einspritzdüsen, welche die Zerstäubung und damit die nachfolgende Verbrennung und Schadstoffbildung im Brennraum wesentlich mitbestimmen ([28] – [30]). Neben der innermotorischen Simulation sind die Analyse und die Auslegung von Abgasnachbehandlungssystemen, wie beispielsweise SCR-Systeme zur NOx-Reduktion oder Dieselpartikelfilter zur Verminderung der Rußemissionen weitere Anwendungsgebiete [32]. Darüber hinaus findet eine intensive Anwendung im Bereich der Berechnung stationärer und transienter Strömungsvorgänge in Einlasssystemen (Bild 2-106) zur Berechnung und Optimierung der Kühlmittelströmung im Wassermänteln aber auch im Bereich der Analyse thermischer Bauteilbelastung ([27], [60], [33]) statt.
Die Basis für die dreidimensionale CFD-Simulation bilden die Navier-Stokes-Gleichungen, ergänzt um die Energiegleichung sowie um zusätzliche Gleichungen für weitere Erhaltungsgrößen, wie beispielsweise chemische Spezies im Falle reaktiver Strömungen. Die Gasgleichung, oder entsprechende Zusammenhänge im Falle inkompressibler Strömung zur Verknüpfung der thermischen Zustandsgrößen, sowie Ansätze zur Erfassung der spezifischen Wärmekapazität als Funktion der Temperatur und Gemischzusammensetzung vervollständigen die relevanten Gleichungen zu Beschreibung der thermofluiddynamischen Prozesse (vgl. Bild 2-107). Die Lösung des nichtlinearen Satzes der – in den meisten Fällen auf Basis eines Finite-Volumen-Ansatzes – entsprechend diskretisierten Erhaltungsgleichungen erfolgt mit geeigneten iterativen Lösungsverfahren oder mit gekoppelten Gleichungslösern als Funktion der Zeit oder des Kurbelwinkelinkrements. CFD-Solver der aktuellen Generation erlauben dabei die Verwendung allgemein unstrukturierter Berechnungsgitter, welche durch den Benutzer sehr einfach und weitestgehend automatisiert erstellt werden können ([43], [44]).
Bild 2-107: Lage der Flammenfront in einem Ottomotor mit Direkteinspritzung 15° Kurbelwellenwinkel (links) und 20° Kurbelwellenwinkel (rechts) nach Zündung unter Volllastbedingungen; im den oberen Bildteilen sind die Umrisse der Zündkerzen zu sehen
2.8 Simulation und Modellbildung in der Motorentechnik
109
Bild 2-108: Geometriemodell und berechnete Gastemperatur mit Stromlinien in einem Diesel-Partikelfilter
Die bei der numerischen Betrachtung turbulenter Strömungen infolge der Reynolds-Mittelung auftretenden Korrelationen unbekannter fluktuierender Strömungsgrößen werden in der Praxis über so genannte Turbulenzmodelle dargestellt. Das gängigste in der industriellen Praxis zur Anwendung gelangende Turbulenzmodell ist das 2-Gleichungs-k-İ-Modell und eine Reihe von daraus abgeleiteten Derivaten [45]. Detailliertere Modelle zur Turbulenzbetrachtung, wie sie beispielsweise die Large Eddy Simulation (LES) oder die Direkte Numerische Simulation (DNS) darstellen, werden auch in den nächsten Jahren auf Anwendungen im Bereich der Forschung beschränkt bleiben. Entscheidend für die Berechnung von innermotorischen Strömungs- und Verbrennungsvorgängen sind die physikalischen Modelle für die Einspritzstrahlausbreitung [46] und den turbulenten Reaktionsumsatz ([47] – [50]). Zur Berechnung der Entstehung und der Emission von Schadstoffen stehen heute eine Vielzahl von Modellen unterschiedlicher Komplexität zur Verfügung. Neben Modellen, welche auf stark reduzierten reaktionskinetischen Modellen oder chemischen Gleichgewichtsapproximationen beruhen, sind, vor allem im Bereich der Rußbildung, halbempirische Ansätze weit verbreitet. Neben den Modellen zur Berechnung der thermischen Stickoxidbildung, welche heute bereits eine qualitative Aussage über die zu erwartenden Schadstoffbildungstrends erlauben, sind Modelle zur Berechnung der Ruß-, CO- und HCBildung (Bild 2-108) in ihrer Vorhersagekraft noch verbesserungswürdig, obwohl für eine Reihe von Anwendungen eine Abschätzung von Trends durchaus bereits möglich ist ([51] – [59]).
Die reaktionskinetischen Modelle im Bereich der dreidimensionalen CFD-Simulation von Abgasnachbehandlungssystemen sind im wesentlichen identisch mit den Modellen in der eindimensionalen Simulation und ermöglichen dadurch eine kombinierte Anwendung beider Simulationsansätze in diesem Bereich ([60] – [61]). 2.8.3.3 Beispiele für thermofluiddynamische Berechnungen Mit den CFD-Methoden werden in der Motorenentwicklung folgende Anwendungen abgedeckt: Ladungswechsel- und Arbeitsprozess-Berechnungen (Düseninnenströmung [28], Gemischbildung [29], Verbrennungssimulation [30], Abgasnachbehandlung [60], Ölkreislauf- Berechnung sowie Kühlkreislaufberechnung [27]. Eine zunehmende Bedeutung gewinnt die Auslegung von elektronischen Steuerungen innerhalb der Motorentwicklung. Die bestmöglichen Werte für Kraftstoffverbrauch, Emissionen und Fahrbarkeit können nur dann erzielt werden, wenn der Anteil der Elektronik im Motor sowie im Getriebe und in anderen Fahrzeug- Teilsystemen weiter erhöht wird. Diese Erweiterung des Einsatzes der Elektronik muss die bisher vorgenommene ingenieurmäßige Abstimmung der Steuerungsfunktionen im Motor ersetzen, da es durch die massive Erhöhung der Freiheitsgrade nicht mehr möglich ist, das optimale Zusammenspiel der verschiedenen Parameter „manuell“ mit Hilfe von einfachen „Trial-and-Error-Methoden“ am Prüfstand vorzunehmen. Die Steuerungssysteme müssen in einem Umfeld entwickelt werden, in dem noch keine Hardware-Komponenten durch Fehlschaltungen beschädigt werden können.
110 Die virtuelle Entwicklung von Steuergeräten für unterschiedliche Zielsetzungen verlangt den Einsatz von Real-Time-Simulationssystemen. Die dafür notwendigen Modelle müssen trotz minimierter Rechenzeit eine hohe Aussagequalität aufweisen. Daher werden hochgenaue Simulationsmodelle verwendet, um Real-Time-Systeme zu parametrieren.
2.8.4 Optimierung Für die Anwendung der beschriebenen Methoden in der Motorenentwicklung spielt deren Kombination mit den Methoden der mathematischen Optimierung eine immer bedeutendere Rolle. Die Zielsetzung ist dabei zunächst die Optimierung der Konstruktion (der Designvariablen) in Bezug auf bestimme Zielkriterien (zusammengefasst in einer Zielfunktion) unter Berücksichtigung von definierten Einschränkungen (Nebenbedingungen) [62]. Die Zielfunktion, wird unter Verwendung der Simulationsmodelle ermittelt. Darüber hinaus werden Optimierungsmethoden auch für die Identifikation von Parametern verwendet, wobei zwei Anwendungsfälle zu unterscheiden sind: Die Identifikation von unbekannten Parametern des Simulationsmodells durch Abstimmung von Simulationsergebnissen mit Messergebnissen sowie die Identifikation von Parametern für vereinfachte, schnell berechenbare Modelle, die als Ersatz für komplexe Modelle innerhalb von Systemsimulationen oder Echtzeitumgebungen dienen [63]. Beispiele für die Anwendung von Optimierung im Motorentwicklungsprozess sind etwa: die Optimierung der Motorleistung durch Variation von Rohrquerschnitten und -längen des Ein- und Auslasssystems; die Optimierung der Motorkühlung durch Variation der Durchtrittsöffnungen in der Zylinderkopfdichtung [64]; die Optimierung des akustischen Verhaltens und des Verschleißes von Nockenprofilen; die Identifikation von kinetischen Reaktionsparametern für die Simulation von Abgasnachbehandlungssystemen [65] und die Identifikation von EchtzeitModellen des Motorverhaltens für den Test von Motorsteuerungen. Die grundlegenden Optimierungsalgorithmen sind vielfältig und können in zwei wesentliche Gruppen eingeteilt werden: Numerische (zumeist lokale, gradientenbasierende) Methoden ([66], [67]) erzeugen eine Folge von Werten für die Designvariablen, die üblicherweise schnell zu einem lokalen Optimum konvergieren. Explorative (globale) Methoden durchsuchen den gesamten Parameterraum nach einem globalen Optimum [64]. Zu dieser Gruppe gehören etwa Genetische Algorithmen [68] und Simulated Annealing [69]. In vielen Fällen ist eine Kombination mehrerer Methoden sinnvoll. Anwendung einer explorativen Methode zur Suche nach einem optimalen Gebiet des Parameterraums und die nachfolgende
2 Motor und Antriebsstrang beschleunigte Suche nach dem lokalen (nicht garantiert globalen) Optimum in einem eingeschränkten Gebiet. Weiterführende Methoden, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, sind die Mehrzieloptimierung ([70], [71], [74]) und stochastiche Optimierungsmethoden ([72], [73], [75], [76]). Zu bedenken ist, dass der Aufwand für die Anwendung von Optimierungsmethoden im wesentlichen vom Aufwand (Rechenzeit) für die einmalige Auswertung der Zielfunktion, also letztlich die Anwendung des oder der Simulationsmodelle für einen Parametersatz, sowie von der Anzahl der notwendigen Auswertungen abhängt. Da die explorativen, die Mehrziel- und die stochastischen Verfahren ein Vielfaches (letztere durchaus das Tausendfache) der Anzahl der Funktionsauswertungen der numerischen (aber lokalen) Verfahren benötigen, sind in der Praxis Maßnahmen zu treffen, um die Probleme noch berechenbar zu halten. Dazu zählen die Verwendung von „schnellen“ Ersatzmodellen, die durch Approximation der genauen Simulationsmodelle ([77], [78]) auf Basis einer optimalen Menge von Auswertungen (bestimmt mit den Methoden des „Design of Experiments“ DOE) ermittelt werden [79], sowie die Parallelisierung und Verteilung der einzelnen Funktionsauswertungen auf Netzwerke von Rechnern.
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3 Fahrwerksysteme 3.1 Physikalische Grundlagen zur Fahrdynamik-Regelung Im Folgenden werden die wichtigsten physikalischen Grundlagen zum Verständnis von FahrdynamikRegelungen behandelt. Die Ausführungen basieren auf dem Buch [1]. Eine kraftschlüssige Verbindung, wie sie zwischen Reifen und Straße gegeben ist, kann nur eine bestimmte maximale Umfangskraft der Größe Fx max
P h Fz
höchste Kraftschluss ist durch den Haftreibungszahl µh gegeben, der zugehörige Schlupf, häufig „kritischer Schlupf“ Sc genannt, liegt etwa bei 0,1. Wird der Schlupf noch weiter gesteigert, so fällt µ wieder ab und erreicht bei S = 1 den Wert µg. Der Verlauf von µh bis µg ist in Bild 3-1 gestrichelt gezeichnet, weil in diesem Bereich keine stationären Vorgänge möglich sind. Dieser Bereich wird z.B. beim Bremsen in Sekundenbruchteilen durchlaufen, wenn aus einem rollenden Rad ein blockierendes wird.
(3.1)
übertragen. Sie ist proportional zur Radlast Fz . Dabei ist µh der höchste Kraftschlussbeiwert oder die so genannte Haftreibungszahl. Wird ein zu großes Moment eingeleitet, so dass diese maximale Kraft Fx max überschritten wird, dann gleitet das Rad auf der Fahrbahn. Es wird dann eine Kraft der Größe Fx g = µgFz übertragen mit der Gleitreibungszahl µg. Es gilt im Allgemeinen µh > µg. Im Folgenden bezeichnet v die Fahrzeuggeschwindigkeit und R0 den dynamischen Halbmesser, der mit dem Abrollumfang U durch U = 2SR0 verknüpft ist. Der Schlupf S ist für das gebremste und das angetriebene Rad mit der Winkelgeschwindigkeit ϕ durch zwei verschiedene Ausdrücke gegeben, und zwar der Bremsschlupf durch S
v R0ϕ v
(3.2)
und der Treibschlupf durch S
v R0ϕ . R0ϕ
(3.3)
Dies ergibt formelmäßig für das gebremste und das angetriebene Rad zwar zwei verschiedene Ausdrücke, dafür aber in beiden Fällen ein positives Vorzeichen und bei drehschleuderndem und gleitendem Rad den Wert S = 1. Weiterhin wird der Rollwiderstand vernachlässigt und die Umfangskraft Fx auf die Radlast Fz bezogen, um auch hier einen dimensionslosen Ausdruck zu erhalten. Man bezeichnet µ = Fx / Fz als Kraftschluss, hier in Umfangsrichtung. In Bild 3-1 ist der Kraftschluss µ als Funktion des Schlupfes S dargestellt. Der Kraftschluss µ ist eine Funktion des Schlupfes S, deren Verlauf für Treiben und Bremsen annähernd gleich ist. Wird also der Latsch, die Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn, durch eine Umfangskraft beansprucht, so tritt Schlupf auf. Der
Bild 3-1: Kraftschluss-Schlupf-Kurve (aus [1])
Nach den Definitionen von Haft- und Gleitreibungszahl, Kraftschluss und Schlupf werden die wichtigsten Einflüsse auf die Kraftschluss-Schlupf-Kurve genannt. Die größte Auswirkung hat dabei die Witterung, wie Bild 3-2a zeigt. Auf trockenen Straßen mit griffiger Fahrbahn liegt die Haftreibungszahl µh bei 1,0 und darüber, bei nassen Straßen bei 0,8 und weniger. Der zugehörige kritische Schlupf Sc liegt auf trockenen Straßen etwas über 0,1, auf nassen Straßen bei 0,1. Das Verhältnis der Haftreibungszahlen µh zwischen eisglatter und trockener Straße beträgt ungefähr 1 : 14. Den Einfluss der Fahrgeschwindigkeit zeigt Bild 3-2b: Die Haftreibungszahl µh ändert sich auf trockenen Straßen wenig, auf nassen Straßen stärker. Bei Kurvenfahrten rollt das Rad nach Bild 3-3 nicht geradeaus in die xR-Richtung, sondern seitlich weg. Den Winkel D zwischen der Richtung von xR und der Geschwindigkeit vR nennt man Schräglaufwinkel. Er wird umso größer, je größer die Seitenkraft Fy ist, wobei die Kraft Fy auf den Reifen in Richtung von yR wirkt (siehe Bild 3-3).
114
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-2: Kraftschluss-Schlupf-Kurven auf ebenen, homogenen Fahrbahnen: a) bei verschiedenen Witterungen, b) bei verschiedenen Geschwindigkeiten (aus [1])
Man trägt deshalb die Seitenkraft Fy direkt über dem Schräglaufwinkel D nach Bild 3-4 auf, mit der Radlast Fz als Parameter. Zur Seitenkraft wird nun folgende prinzipielle Überlegung gemacht: In Gl. (3.1) wurde festgestellt, dass die maximal übertragbare Umfangskraft Fx max = µhFz ist, wobei eine Seitenkraft Fy noch fehlte. Analog dazu kann Fy max = µhFz geschrieben werden. Diese Gleichungen ändern sich nach einer einfachen Überlegung von Kamm beim gleichzeitigen Auftreten der beiden horizontalen Kräfte Fx und Fy: Die vektorielle Summe der beiden Kräfte Fx und Fy darf den Wert µhFz nicht überschreiten, wenn das Rad nicht gleiten, sondern rollen soll: Bild 3-3: Bewegungsrichtung eines schräg rollenden Rades, von oben gesehen (aus [1])
Fx2 Fy2 d P h Fy .
(3.4)
Diese Gleichung lässt sich anhand eines Kreises, des so genannten Kammschen Kreises, darstellen (siehe Bild 3-5). Wird die vektorielle Summe von Fx und Fy größer als der Kreisradius µhFz, dann gleitet das Rad; ist sie kleiner, dann rollt es. Die maximale Seitenkraft Fy ist demnach bei gleichzeitigem Wirken einer Umfangskraft Fx kleiner als für Fx = 0.
Bild 3-4: Seitenkraft Fy als Funktion des Schräglaufwinkels Į (aus [1])
Bild 3-5: Kammscher Kreis: Mit den eingezeichneten Kräften Fx und Fy ist das Rad gerade an der Grenze zwischen Rollen und Gleiten (aus [1])
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
115
Bild 3-6: Prinzipielle Darstellung für den Einfluss der Umfangskraft Fx auf den Seitenkraft-Schräglaufwinkel-Verlauf bei konstanter Radlast Fz (aus [1])
Kombiniert man die Fy-D-Kurve aus Bild 3-4 mit dem Kammschen Kreis nach Bild 3-5, so erhält man bei Fx z 0 über Bild 3-6b in Bild 3-6a eine kleinere maximale Seitenkraft und damit ungefähr den gestrichelten oder strichpunktierten Verlauf. Aus Bild 3-6a ergibt sich eine weitere, für die späteren Betrachtungen des Fahrverhaltens wichtige Aussage: Wirkt auf einen Reifen bei gegebener Seitenkraft Fy eine zusätzliche Umfangskraft Fx, dann vergrößert sich der Schräglaufwinkel D, wenn Fy beibehalten werden soll. Literatur zu Abschnitt 3.1 [1] Mitschke, Wallentowitz, Dynamik der Kraftfahrzeuge, 4. Auflage, Springer-Verlag, 2004
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen Mit dem Einsatz eines Fahrwerksregelsystems werden ein oder mehrere Fahrwerkskomponenten aktiv gestaltet, die beim klassischen Fahrwerk passiv sind. Dadurch können ihre Parameter verändert oder den Lenk-, Beschleunigungs- oder Verzögerungseingaben des Fahrers zusätzliche Stellanteile überlagert werden. Ein Fahrwerksregelsystem umfasst dabei im Normalfall ein Steuergerät mit Kommunikationsschnittstellen, Software, Sensorik und elektrohydraulische oder elektromechanische Aktorik. Bei integrierten Regelsystemen werden einzelne Komponenten möglicherweise auch von verschiedenen Regelsystemen gemeinsam verwendet. Der Fahrer erlebt im Allgemeinen nicht die Wirkung eines einzelnen Re-
gelsystems, sondern bestimmte Eigenschaften oder Sonderfunktionen seines Fahrzeugs. Eine Eigenschaft ist zum Beispiel das querdynamische Verhalten. Dies ist die Art und Weise, wie das Fahrzeug auf die Lenkeingaben des Fahrers reagiert und wie es den Fahrzustand über das Lenkrad an den Fahrer zurückmeldet. Eine Sonderfunktion ist etwa die Unterstützung des Fahrers bei der Stabilisierung des Fahrzeugs in einer instabilen Fahrsituation durch automatische Lenk-, Brems- oder Motormomenteneingriffe. Eine Eigenschaft kann hierbei von mehreren mechanischen Komponenten und den Regelfunktionen mehrer Regelsysteme bestimmt werden und zur Realisierung einer Sonderfunktion können auch mehrere Regelsysteme zusammenwirken. Umgekehrt kann ein bestimmtes Regelsystem auch zur Ausprägung mehrerer Fahrzeugeigenschaften oder zur Realisierung verschiedener Sonderfunktionen beitragen. Die mit Fahrwerksregelsystemen realisierten Regelfunktionen lassen sich in Fahrdynamikfunktionen und Fahrerassistenzfunktionen untergliedern. Fahrdynamikfunktionen verändern durch aktive Stelleingriffe die Art und Weise, wie das Fahrzeug auf Lenk-, Beschleunigungs- oder Verzögerungseingaben des Fahrers oder Veränderungen der Fahrbahnoberfläche in Form und Reibwert reagiert. Je nach Art der Einflussnahme können zwei Kategorien von Fahrdynamikfunktionen unterschieden werden: Dies sind einerseits Funktionen, die ununterbrochen wirken und die Reaktion des Fahrzeugs auf Eingaben des Fahrers oder Veränderungen der Fahrbahn, also das Fahrverhalten des Fahrzeugs mit aktivem Fahrwerk, mitbestimmen. Andererseits sind es auch Funktionen, die in instabilen, kritischen Fahrsituationen den Stelleingaben des Fahrers zusätzliche Stellanteile überlagern, um den Fahrer temporär bei der Stabilisierung des Fahrzeugs zu unterstützen.
116
3 Fahrwerksysteme
Tabelle 3-1: Klassifizierung von Fahrwerksregelsystemen nach ihrem Beitrag zu den verschiedenen Funktionstypen Fahrdynamik Fahrverhalten
Fahrdynamik Stabilisierung
Fahrerassistenz
Bremsdruck, Antriebsmoment
u
u
u
Geregelter Allradantrieb
Antriebsmomentenverteilung
u
u
Wankstabilisierung
Stabilisatortorsionsmomente
u
Elektronisch geregelte Dämpfer
Dämpfkraftniveau
u
Luftfederung
Federbeinhöhenniveau
u
Elektromechanische Feststellbremse
Bremskraft
Elektrische Hilfskraftlenkung
Lenkkraftunterstützung
u
Überlagerungslenkung
Vorderradlenkwinkel
u
System
Stellgrößen
Antriebs- und Bremsregelung zur Stabilisierung
Fahrdynamikfunktionen tragen zur Verbesserung der Fahreigenschaften und der aktiven Sicherheit bei und führen häufig auch zu einer Steigerung des Fahrkomforts. Fahrerassistenzfunktionen unterstützen den Fahrer durch geeignete Meldungen oder durch aktive Stelleingriffe bei der Führung des Fahrzeugs in bestimmten Fahrsituationen, wobei die Eingaben des Fahrers stets Priorität vor den Stelleingriffen der Assistenzfunktion haben. Letzteres ist das entscheidende Merkmal zur Differenzierung zwischen Fahrerassistenzund Fahrdynamikfunktionen. Fahrerassistenzfunktionen dienen zur Erhöhung der aktiven Sicherheit oder des Fahrkomforts. Wird ein Fahrwerksregelsystem hauptsächlich zur Umsetzung von Fahrdynamikfunktionen eingesetzt, spricht man auch von einem Fahrdynamikregelsystem. Analog wird ein Fahrwerksregelsystem, mit dem in erster Linie Fahrerassistenzfunktionen realisiert werden, als Fahrerassistenzsystem bezeichnet. Es handelt sich bei jedem Fahrdynamikregelsystem um ein Fahrwerksregelsystem. Hingegen gibt es Fahrerassistenzsysteme, die nicht zu den Fahrwerksregelsystemen zählen. Fahrwerksregelsysteme mit aktiven Stellmöglichkeiten werden im Bereich der Bremse, des Antriebs, der Achsen und der Lenkung eingesetzt. In Tabelle 3-1 ist zusammengestellt, welche Typen von Funktionen mit den verschiedenen Fahrwerksregelsystemen realisiert werden. Im Folgenden werden diese Fahrwerksregelsysteme näher erläutert. Die Ausführungen basieren auf den Arbeiten [1], [3], [5], [8], [9], [10], [12] und [14].
3.2.1 Antriebs- und Bremsregelsysteme 3.2.1.1 Brems- und Antriebsmomentenregelung
Die Antriebs– und Bremsregelsysteme beeinflussen gezielt den Bremsdruck an den einzelnen Rädern sowie
u u u
u
das vom Motor gelieferte Antriebsmoment. Dadurch kann nicht nur das Blockieren oder Durchdrehen der einzelnen Räder verhindert werden, sondern es wird auch noch eine Verbesserung des fahrdynamischen Verhaltens erreicht. Systemaufbau und -komponenten Die typischen Komponenten eines Bremsregelsystems sind in Bild 3-7 gezeigt und werden im Folgenden näher beschrieben. Das Steuergerät ist direkt an die Hydraulikeinheit angebaut, um Bauraum und Verkabelungsaufwand einzusparen. Bild 3-8 zeigt den Hydraulikplan für ein Fahrzeug mit Hinterachsantrieb. Die schwarz dargestellten Komponenten und Leitungskanäle übernehmen die Bremsdruckmodulation nicht nur im ABS-Regelbetrieb, sondern auch bei aktiven Bremseingriffen zur Antriebsschlupfregelung. Druckabbau, -halten und -wiederaufbau erfolgen jeweils mit den paarweise angeordneten Ein- und Auslassventilen der einzelnen Radbremsen. Die blau hervorgehobenen spezifischen Elemente für die Antriebsschlupfregelung (Trenn- und vorgesteuertes Schaltventil im Hinterachskreis) leiten während Bremseingriffen zur Antriebsschlupfregelung den Volumenstrom der selbstansaugenden ABS-Rückförderpumpe derart um, dass diese über den Hauptzylinder Bremsflüssigkeit aus dem Ausgleichbehälter fördert und dem jeweiligen Hinterrad zuführt. Die Hydraulik für aktive Bremseingriffe zur Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrten umfasst zusätzlich die rot hervorgehobenen Elemente, nämlich die Trennund Schaltventile auch im Vorderachskreis, die an den Vorderrädern ebenfalls einen radindividuellen Bremsdruckaufbau ermöglichen, zwei Drucksensoren sowie zwei Pulsationsdämpfer für den Vorderachsund Hinterachskreis. Die Vorladepumpe sorgt auch im Tieftemperaturbereich bis –30 °C für eine ausreichend hohe Druckaufbaudynamik bei aktiven Bremseingriffen. Sie saugt bei Bedarf Bremsflüssigkeit
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen direkt aus dem Ausgleichbehälter an und erzeugt mit Hilfe einer im Hauptzylinder integrierten Drosselblende einen Staudruck im Vorder- und Hinterachsbremskreis von bis zu 12 bar. Bei modernen Systemen mit leistungsgesteigerter Rückförderpumpe wird auf die Vorladepumpe verzichtet. Je nach Funktionsumfang kommen 32-Bit-Mikroprozessoren mit bis zu 1 MByte Speicher und bis zu 60 MHz Taktfrequenz zum Einsatz. Daneben umfassen die Steuergeräte noch diverse ASICs als Einund Ausgangsbausteine für Magnetventile, Ventilund Motorrelais, Vorladepumpe, CAN- und Diagnose-Bus, Sensoren, Warnlampen, Taster, Handbrems- und Bremslichtschalter sowie Raddrehzahlsensor-Ausgänge, deren Signale für weitere Teilnehmer im Steuergeräteverbund (unter anderem Motorsteuergeräte, Kombiinstrument und Navigationssystem) zur Verfügung gestellt werden.
AVHL AVHR AVVL AVVR BA DK EVHL EVHR VLP EVVL EVVR HA
Auslassventil hinten links Auslassventil hinten rechts Auslassventil vorne links Auslassventil vorne rechts Bremsflüssigkeits-Ausgleichbehälter Dämpferkammer Einlassv. hinten links mit Schaltblende Einlassv. hinten rechts mit Schaltblende Vorladepumpe Einlassv. vorne links mit Schaltblende Einlassv. vorne rechts mit Schaltblende Hinterachse (Hydraulikanschluss)
HL HR PD PDK PSK SK sRFP SV TV VA VL VR
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Bild 3-7: Komponenten eines Bremsregelsystems: 1 Hydraulikeinheit mit Rückförderpumpe, 2 Anbausteuergerät, 3 Vorladepumpe, 4 Bremsvordrucksensor, 5 Sensor für Gierrate und Querbeschleunigung, 6 Lenkwinkelsensor, 7 Raddrehzahlsensor
Radbremse hinten links Radbremse hinten rechts Pulsationsdämpfer Drucksensor Druckstangenkreis Drucksensor Schwimmkreis Speicherkammerselbstans. Rückförderpumpe Schaltventil Trennventil Vorderachse (Hydraulikanschluss) Radbremse vorne links Radbremse vorne rechts
Bild 3-8: Hydraulikplan eines Bremsregelsystems. Dabei bezeichnet ASC die Automatische Stabilitäts Control, d.h. die Antriebsschlupfregelung und DSC die Dynamische Stabilitäts Control, d.h. die Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrt (die Funktionsweise wird weiter unten erklärt), aus [35]
118 Über die Diagnose-Schnittstelle können neben der Fehlerdiagnose auch die Bandendekontrolle sowie diverse Sensor-Nulleinstellungen durchgeführt und die Steuergeräte codiert (d.h. an die verschiedenen Motor- und Modellvarianten angepasst) werden. Wegen des geringen Bauvolumens (aufgrund der hohen Integration der Elektronik) und der hohen Temperaturbeständigkeit kann das Steuergerät an die Hydraulikeinheit angebaut werden. Es kann im Reparaturfall getrennt ersetzt werden. Dabei sind die elektrischen Bauteile von den hydraulischen getrennt, so dass die „Schnittstelle“ gewissermaßen durch die Magnetventile hindurch verläuft: Während die Ventile mit dem Anker in der Hydraulikeinheit integriert sind, befinden sich die zugehörigen Ventilspulen auf der Steuergeräteseite und umschließen im zusammengebauten Zustand konzentrisch den jeweiligen Anker („magnetischer Stecker“). Die vier Drehzahlsensoren liefern mit den momentanen Radgeschwindigkeiten die Basisinformation für die Regelung. Sie nutzen entweder das induktive Messprinzip oder den Hall-Effekt (siehe hierzu auch Abschnitt 11.1). Beim induktiven Messprinzip bewegt sich ein gewelltes, auf der Radnabe aufgepresstes, ferromagnetisches Impulsrad am Sensor vorbei und induziert in dessen Spule (mit permanentmagnetischem Kern) eine Spannung, die der Änderung des Magnetflusses proportional ist und im Steuergerät ausgewertet wird. Aufgrund des Messprinzips ist eine Geschwindigkeitsauswertung erst ab 1,5 km/h möglich, darunter sind die induzierten Spannungen zu gering. Die Hallsensoren werden an den Radnaben eingebaut, das Impulsrad ist dabei im Radlager integriert (siehe Bild 3-9). Die Hallsensoren arbeiten berührungslos, wie auch die induktiven Sensoren. Die Signalaufbereitung und die Treiber sind meist im Sensor integriert. Im Gegensatz zu den induktiven Sensoren arbeiten die Hall-Sensoren bereits bei beliebig kleinen Drehzahlen. Sämtliche Sensorbauteile sind mit Kunststoff umspritzt und damit auf Dauer gegen Korrosion geschützt. Der Lenkrad-Drehwinkelsensor ist als Potentiometer oder als optischer Sensor mit angebauter Auswerteelektronik ausgeführt (siehe hierzu auch Abschnitt 11.1). Er besteht aus Leitplastik-Winkelaufnehmern mit zwei um 90° versetzten Leiterabgriffen, aus deren Signalspannungen der Lenkrad-Drehwinkel, die Drehrichtung und der Gesamtwinkel bestimmt werden und einer Auswerteelektronik mit einem 8-BitMikroprozessor, der das Sensorsignal aufbereitet und über den CAN-Bus ausgibt. Beim Ersteinbau oder Tausch eines Sensors wird während der Endkontrolle auf dem Achsmessprüfstand bei exakter Geradeausstellung der Vorderräder über die Diagnose-Schnittstelle die Nullstellung in die Auswerteelektronik eingelesen und dem jeweiligen Steuergerät über eine gemeinsame Identifikationsnummer zugeordnet. Sie bleibt auch bei ausge-
3 Fahrwerksysteme schalteter Zündung gespeichert. Ein zusätzlicher Lernalgorithmus ermittelt durch permanenten Vergleich der Vorderradgeschwindigkeiten, die vom Steuergerät bereitgestellt und in der Sensorelektronik statistisch ausgewertet werden, den aktuellen Stand der Lenkradumdrehung und ermöglicht dadurch auch nach Spannungsunterbrechungen ein schnelles Wiederauffinden der Nullstellung.
Bild 3-9: Raddrehzahlsensor, basierend auf dem HallEffekt
Die Bremsdrucksensorik (siehe Bild 3-10) liefert den vom Fahrer über die Bremsbetätigung erzeugten Vordruck und ggf. den an den Rädern eingestellten Bremsdruck. Die Messung erfolgt kapazitiv mit einer auf die Druckmembran aufgedampften Metallschicht, die zusammen mit einer Gegenelektrode einen Kondensator bildet. Druckänderungen der Bremsflüssigkeit verändern die Kapazität und bewirken eine druckproportionale Änderung der Signalspannung. Der Betriebsdruckbereich liegt zwischen 0 und 170 bar.
Bild 3-10: Bremsdrucksensor [Quelle: Bosch]
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen Der Drehraten- und der Querbeschleunigungssensor sind meist mikromechanisch aufgebaut. Aufbau und Wirkungsweise sind in Abschnitt 11.2 genauer beschrieben. Systemfunktionen Einen allgemeinen Überblick über die Funktionsweise und das Zusammenwirken von Bremsregelsystemen vermittelt Bild 3-11. Es zeigt in stark vereinfachter Form, wie die Schlupfregelung und Stabilisierung mit ihren Unterfunktionen in den gesamten Regelkreis einschließlich Fahrer eingebunden sind. Während in Automobilen ohne jegliche FahrwerkRegelsysteme der Fahrer über seine Bedienelemente (Brems- und Gaspedal sowie Lenkrad) direkt auf die Brems-, Motorleistungs- und Lenk-Aktorik zugreift, sind bei einem Automobil mit Schlupfregelung und Fahrzeugstabilisierung verschiedene Hilfsfunktionen zwischengeschaltet, die den Fahrer insbesondere im fahrdynamischen Grenzbereich wirkungsvoll unterstützen. Diese Funktionen sind Software-Module innerhalb der zugehörigen Steuergeräte. Die Plusund Minuszeichen geben an, in welcher Richtung die jeweilige Funktion den Fahrerwunsch beeinflusst; zum Beispiel reduzieren ABS und Cornering Brake Control (siehe unten) bedarfsweise den Bremsdruck, die Antriebsschlupfregelung und die Fahrzeugstabilisierung bauen Druck auf, nehmen aber gleichzeitig auch Motorleistung zurück. Die umfangreichen Verknüpfungen der einzelnen Unterfunktionen untereinander sind aus Übersichtsgründen nicht dargestellt.
119 Antiblockiersystem Die Unterfunktion Antiblockiersystem (ABS) übernimmt die Schlupfregelung bei Bremsvorgängen. Aus den Signalen der vier Raddrehzahl-Sensoren ermittelt der ABS-Regler die jeweiligen Radgeschwindigkeiten und -verzögerungen sowie die Schlupfwerte und stellt an jedem Rad durch Bremsdruckmodulation in der Hydraulikeinheit den optimalen Radschlupf ein, bei dem die maximal möglichen Brems- und Seitenführungskräfte auf die Fahrbahn übertragen werden können. Hierdurch wird das Blockieren der Räder verhindert und die Lenkfähigkeit aufrechterhalten, wenn an einzelnen Rädern die Bremskräfte höher sind, als es die jeweiligen Fahrbahn-Reibwerte zulassen. An der Vorderachse werden die Bremsdrücke radindividuell ausgeregelt. Laufen die Räder in Spuren verschiedener Griffigkeit, sog. µ-Split, z.B. rechts auf nasser, links auf trockener Fahrbahn, so kann man durch die getrennte Regelung mittels ABS an jedem Rad die richtigen Bremsmomente aufbringen (rechts kleine, links große). Dennoch kann dies zu einem instabilen Bremsvorgang führen. Deshalb erfolgt an der Hinterachse die Schlupfregelung ähnlich dem Select-Low-Prinzip. Dabei wird ein Blockieren des Rades auf der rutschigeren Seite durch eine entsprechende Bremsdruckregelung verhindert. Basierend auf dem dort eingestellten Bremsdruck wird der Bremsdruck auf der anderen Seite um einen von der Fahrgeschwindigkeit und von der Fahrzeugstabilität abhängigen Differenzdruck nur so weit erhöht, dass der Fahrer ein Fahrzeugverziehen mit Lenkkorrekturen leicht kompensieren kann. Dadurch wird ein Kompromiss zwischen Bremsleistung und Fahrstabilität erreicht.
Bild 3-11: Übersicht Antriebs- und Bremsregelsysteme. Dabei bezeichnet ASC (Automatische Stabilitäts Control) die Antriebsschlupf- und MSR die Motorschleppmomentregelung, CBC die Cornering Brake Control und DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Fahrzeugstabilisierung (aus [35])
120 Antriebsschlupfregelung Die Antriebsschlupfregelung (ASR), auch Automatische Stabilitäts Control (ASC) genannt, regelt in analoger Weise den Radschlupf an den Antriebsrädern beim Beschleunigen und bedient sich dabei zweierlei Eingriffsmechanismen. Falls das vom Fahrer über das Gaspedal eingestellte Motormoment nicht in vollem Umfang auf die Fahrbahn übertragen werden kann und die Antriebsräder ihre Haftgrenze erreichen, wird die überschüssige Motorleistung abgebaut. Hierzu kommuniziert das zugehörige Steuergerät über den CAN-Datenbus und über die Momentenschnittstelle mit der Motorsteuerung. Dies erfolgt bei Ottomotoren durch Füllungsregelung über die elektrische gesteuerte Drosselklappe sowie durch Zündwinkel-Spätverstellung oder durch zylinderselektive Einspritzausblendung und Zündwinkel-Spätverstellung. Die Dieselmotoren werden direkt über die Einspritzmenge geregelt. Parallel hierzu wird bei Bedarf ein aktiver, radindividueller Bremseingriff an den Antriebsrädern vorgenommen, der ein durchdrehwilliges Rad auf optimalen Radschlupf herunterbremst. Der hierzu erforderliche Bremsdruck wird mit Hilfe der ABS-Rückförderpumpe in der Hydraulikeinheit aufgebaut. Beide Eingriffsmöglichkeiten können derart aufeinander abgestimmt werden, dass beim Gasgeben das Automobil stets stabil bleibt, aber auch die Vorgaben des Fahrers so weit wie möglich umgesetzt werden. So wird zum Beispiel bei forcierter Kurvenfahrt das kurveninnere Antriebsrad, das infolge der dynamischen Radlastverlagerung früher die Haftgrenze erreicht als das äußere, durch einseitigen Bremseingriff am Durchdrehen gehindert, während das äußere Rad sein volles Antriebsmoment beibehält. Da die Motorleistung deutlich weniger zurückgenommen werden muss als bei ähnlichen Systemen ohne Bremseingriff, wird das vorhandene Kraftschlusspotential ohne Stabilitätsverlust voll ausgeschöpft. Andererseits ist aufgrund der moderaten Leistungsreduzierung der Bremseingriff weniger heftig als bei Traktionssystemen ohne Motoreingriff, so dass die Regeleingriffe sehr komfortabel und meist nicht spürbar sind. Eine Signallampe zeigt dem Fahrer an, dass er sich dem fahrdynamischen Grenzbereich nähert. Neben der Aufrechterhaltung der Fahrstabilität wird durch den radindividuellen Bremseingriff somit auch die Funktion einer Differentialsperre mit erfüllt. Sie ermöglicht ein problemloses Anfahren auch bei extremen Reibwertunterschieden zwischen links und rechts durch Einfangen des durchdrehenden Rades bei gleichzeitiger Umverteilung der Antriebsleistung zum Rad auf den höheren Fahrbahn-Reibwert. Die traktionsorientierte Auslegung wird üblicherweise nur im untersten Geschwindigkeitsbereich bis etwa 40 km/h gewählt. Mit zunehmender Fahrgeschwindigkeit gewinnt bei der Reglerauslegung dann die Stabilität rasch Priorität vor der Traktion, so dass die Antriebsschlupfregelung ebenso wie das ABS bei unterschiedlichsten
3 Fahrwerksysteme Fahrbahnverhältnissen einen wesentlichen Beitrag für ein stabiles Fahrverhalten liefert. Motorschleppmomentregelung Als Ergänzung zur Antriebsschlupfregelung optimiert die Motorschleppmomentregelung (MSR) den Schlupf an den Antriebsrädern bei Gaswegnahme. Über die Momentenschnittstelle zum Motorsteuergerät wird hier durch dosierte Leistungszugabe übermäßiger Bremsschlupf verhindert. Ohne Motorschleppmomentregelung kann bei abrupter Gaswegnahme oder bei hartem Einkuppeln das Motorbremsmoment insbesondere in der Kurve starke Lastwechselreaktionen auslösen, die infolge der dynamischen Radlastverlagerungen von Hinter- zu Vorderachse sowie von den kurveninneren zu den kurvenäußeren Rädern zu einer Umverteilung der Seitenführungskräfte und damit zu einer (im Allgemeinen eindrehenden) Gierreaktion führen, die durch blockierende Antriebsräder noch verstärkt wird. Die Motorschleppmomentregelung ist derart ausgelegt, dass sie das Automobil stets auf stabilem Kurs hält, ohne allerdings das Motorbremsmoment, das geübte Fahrer zum Abbremsen und auch zum Mitlenken des Fahrzeugs heranzuziehen gewohnt sind, gänzlich zu unterdrücken. Cornering Brake Control Die Cornering Brake Control verbessert die Fahrzeugstabilität bei Bremsvorgängen in der Kurve. Während die vorgenannten Schlupfregler ABS, Antriebsschlupf- und Motorschleppmomentregelung erst nach Überschreiten ihrer jeweiligen Schlupfschwellen aktiv werden (wenn zum Beispiel die Fahrbahnverhältnisse nicht mehr in vollem Umfang die Übertragung der vom Fahrer gewünschten Brems- und Antriebskräfte zulassen), kann die Cornering Brake Control bereits weit unterhalb dieser Schlupfschwellen in Bremsvorgänge eingreifen und ergänzt somit das ABS im fahrdynamischen Übergangsbereich. Sie wird dann tätig, wenn ein Bremsmanöver unter mittleren und hohen Querbeschleunigungen infolge der daraus resultierenden dynamischen Radlaständerungen (ähnlich wie bei Lastwechselreaktionen) eine Gierreaktion auslösen würde. Die Cornering Brake Control errechnet aus den Raddrehzahlverläufen und den Drehzahldifferenzen zwischen den kurveninneren und -äußeren Rädern die zu erwartenden Radlastverlagerungen und erzeugt durch eine gezielte Umverteilung der Bremskräfte ein gegendrehendes Korrekturmoment, das die Gierreaktion weitgehend kompensiert. Betätigt zum Beispiel der Fahrer bei schneller Kurvenfahrt die Bremse, so wird am kurveninneren Vorderrad und bei Bedarf auch an beiden Hinterrädern der Bremsdruck etwas verzögert aufgebaut, so dass das kurvenäußere Vorderrad (mit dem stärksten Radlastzuwachs) zunächst einen entsprechend höheren Anteil des Bremsdrucks zugeteilt bekommt.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
121
Bild 3-12: Cornering Brake Control bei einem Bremsmanöver in der Kurve (links: aus [35], rechts: [Quelle: BMW])
Das hieraus resultierende Giermoment wirkt der Eindrehtendenz entgegen (siehe Bild 3-12). Die Cornering Brake Control dient zur Fahrzeugstabilisierung, wirkt allerdings ausschließlich präventiv ohne Rückführung fahrdynamischer Größen in einem geschlossenen Regelkreis. Zusammen mit den Schlupfreglern ABS, Antriebsschlupfregelung und Motorschleppmomentregelung unterbindet sie eine Reihe stabilitätskritischer Fahrzustände. Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrten Die Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrten wird auch Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP) oder Dynamische Stabilitäts Control (DSC) genannt. Sie baut meist auf der Antriebsschlupfregelung auf und verfügt daher über die selben Unterfunktionen. Durch die Integration mit der Antriebsschlupfregelung beschränken sich die Regeleingriffe auf ein notwendiges Minimum, außerdem können z.B. gemeinsame Überwachungsroutinen verwendet werden. Wie in Bild 3-11 gezeigt, unterstützt das Regelsystem den Fahrer besonders in solchen Situationen, die für ihn meist unverhofft auftreten und bei denen er nicht über alle optimalen Eingriffsmöglichkeiten verfügt, wie etwa einen gezielten radindividuellen Bremsdruckaufbau. Die beiden wichtigsten Größen zur Beschreibung des Stabilitätszustands, die Giergeschwindigkeit (Drehgeschwindigkeit um die Vertikalachse) und der Schwimmwinkel (Winkelabweichung der Fahrzeuglängsachse von der Bahntangente), sind die Regelgrößen im Regelkreis. Ihr momentaner Wert wird mit Hilfe des Giergeschwindigkeits- und des Querbe-
schleunigungssensors bestimmt und im Giermomentregler, dem Basiselement des Steuergeräts, permanent mit dem vom Fahrer gewünschten Soll-Fahrzustand verglichen. Für dessen Ermittlung verfügt der Regler über ein Echtzeit-Fahrzeug-Simulationsmodell, in dem die relevanten fahrzeugspezifischen Kenndaten wie Schwerpunktlage, Masse, Massenträgheitsmoment, Radstand, Schräglaufsteifigkeiten sowie Lenkübersetzung gespeichert sind und das auf Basis des Lenkwinkelsensorsignals, der Fahrgeschwindigkeit sowie des abgeschätzten Fahrbahn-Reibwerts diejenigen Zustandswerte errechnet, die für den vom Fahrer vorgegebenen Fahrkurs ein stabiles Fahrverhalten gewährleisten. Durch ständigen Vergleich der Sollmit den Istgrößen stellt der Giermomentregler fest, ob sich das Automobil noch auf sicherem Kurs befindet oder ob sich ein Über- oder Untersteuervorgang ankündigt. Ein solcher wird umgehend durch Einleitung eines Gegenmoments unterdrückt, noch bevor er sich negativ auf die Fahrstabilität auswirken kann und deutlich bevor der Fahrer darauf reagieren könnte. Hierbei benutzt der Regler ähnliche Eingriffsmechanismen wie die Antriebsschlupfregelung, nämlich einen aktiven, radselektiven Bremseingriff an allen vier Rädern und die Motorbeeinflussung. Zur Erzeugung eines wirkungsvollen Korrekturmoments reicht es im Allgemeinen nicht aus, nur an den Antriebsrädern Druck aufzubauen. Daher ist die Hydraulikeinheit im Vergleich zur Antriebsschlupfregelung um ein weiteres Paar Trenn- und Schaltventile erweitert, damit auch an der Vorderachse Bremsdruck erzeugt werden kann.
122 a)
3 Fahrwerksysteme b)
Bild 3-13: Bremseingriff zur Fahrzeugstabilisierung bei Kurvenfahrt: a) bei übersteuerndem Automobil, b) bei untersteuerndem Automobil (aus [35])
Im Bedarfsfall wird, analog zur Antriebsschlupfregelung, zusätzlich zum Bremseingriff über die Momentenschnittstelle mit dem jeweiligen Motorsteuergerät noch die Motorleistung reduziert. Die Wirkungsweise dieser Eingriffe wird anhand Bild 3-13 näher erläutert: In Bild 3-13a ist in überzeichneter Form ein sich anbahnender Übersteuervorgang dargestellt, bei dem das Automobil nach kurveninnen einzudrehen beginnt. Durch Bremsdruckaufbau am kurvenäußeren Vorderrad und fallweise in moderatem Maße auch am äußeren Hinterrad wird ein Gegenmoment erzeugt, das die Giergeschwindigkeit auf den Sollwert reduziert. Beim Untersteuern (siehe Bild 3-13b) erfolgt der korrigierende Bremseingriff umgekehrt an den kurveninneren Rädern (vornehmlich am Hinterrad), bei Bedarf wird er noch durch eine Reduzierung der Motorleistung unterstützt. Da die Cornering Brake Control die selbe Zielrichtung verfolgt, allerdings nur mit den Mitteln des präventiven Bremsdruckabbaus (siehe Bild 3-12) kann bei Bremsvorgängen durch geschickte Abstimmung der Regelschwellen ein harmonisches Übergangsverhalten erreicht werden. Auch die übrigen Softwaremodule können mit dem Regler gut zusammenwirken. Erreicht zum Beispiel ein Rad während einer Giermomentregelung seine Haftgrenze, verhindert das ABS durch dosierten Bremsdruckabbau das Blockieren des Rades. Der anschließende Druckwiederaufbau kann dann bei Bedarf durch den Giermomentregler begrenzt werden. Ebenso können während einer laufenden Antriebsschlupfregelung eventuelle Giermoment-Regeleingriffe eingeschränkt und um-
gekehrt die Eingriffe der Antriebsschlupfregelung dem Giermomentregler angepasst werden. Zusätzliche Funktionen Neben der Schlupfregelung und der Fahrzeugstabilisierung können mit dem Bremsregelsystem noch eine Reihe weiterer Funktionen realisiert werden. Eine Gefahrensituation, in der der Fahrer das Fahrzeug maximal verzögern möchte, lässt sich anhand der Geschwindigkeit des Vordruckaufbaus detektieren. Im Normalfall erzielt der Fahrer nicht die maximale Bremswirkung, da er die hierzu erforderliche Pedalkraft nicht aufbringt. Wird eine derartige Situation erkannt, bringt der so genannte Bremsassistent die maximale Bremskraft automatisch auf und sorgt damit dafür, dass die maximale Verzögerung erzielt wird. Diese Funktion unterstützt den Fahrer bei einer Notbremsung, wobei die Unterstützung durch den Fahrer durch leichtes Zurücknehmen des Bremspedals jederzeit beendet werden kann. Es handelt es sich also um eine Assistenzfunktion. Werden die Räder an Vorder- und Hinterachse gleich stark gebremst, neigen die Räder der Hinterachse im Allgemeinen dazu, zuerst zu blockieren: Die Hinterachse wird „überbremst“. Die elektronische Bremskraftverteilung (EBV) passt die Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterrädern an. Sie stellt sicher, dass die ABS-Regelung immer zuerst an der Vorderachse eingeleitet wird. Ein Gespann bestehend aus Zugfahrzeug und Anhänger kann bei einer zu hohen Geschwindigkeit ins Pendeln geraten; das heißt, Zugfahrzeug und Anhän-
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen ger führen um ihre Hochachsen zueinander gegenläufige Schwingungen aus. Das Bremsregelsystem kann diese Fahrsituation durch Analyse der Lenkwinkelund Giergeschwindigkeitssignale erkennen und gegebenenfalls durch gezielte Bremseingriffe am Zugfahrzeug ausregeln. Dabei werden die Pendelamplituden durch asynchrone Bremseingriffe abgebaut und bei Bedarf die Fahrgeschwindigkeit durch Bremseingriffe und Motormomentenreduzierung verringert, bis sich ein stabiler Fahrzustand einstellt. Durch gezielte radindividuelle Bremseingriffe und Beeinflussung des Antriebsmoments kann es dem Fahrer ermöglicht werden, mit einer im Rahmen der physikalischen Möglichkeiten näherungsweise konstanten Fahrzeuggeschwindigkeit ein Gefälle stabil hinab zu fahren, ohne die Bremse betätigen zu müssen. Bei dieser Systemfunktion handelt es sich um eine Fahrerassistenzfunktion, die z.B. durch die Betätigung eines Tasters aktiviert wird und durch manuelle Betätigung des Brems- oder Gaspedals jederzeit deaktiviert werden kann. Ferner ist es möglich, eine Längs- oder Quersperre beim Allradantrieb über den Einsatz der Bremsen zu emulieren. Wird eine bestimmte Schlupfdifferenz zwischen den beiden Rädern einer Achse festgestellt, so wird der Schlupf der beiden Räder über einen radindividuellen Bremseingriff angeglichen (Emulation der Quersperre). Analog wird mit einer Schlupfdifferenz zwischen den Rädern der Vorder- und Hinterachse umgegangen (Emulation der Längssperre). Bei Bremsungen in den Stillstand erfolgt durch den Übergang der Gleit- in die Haftreibung auf der Bremsscheibe ein so genannter Halteruck, bei dem die Insassen eine erhöhte Verzögerung verspüren. (Geübte Fahrer vermeiden dies, indem sie vor Erreichen des Stillstandes den Bremsdruck verringern). Daher wird bei leichten Bremsungen mit konstantem Druck bis zum Stillstand der Bremsdruck automatisch verringert, indem an der Hinterachse kurz vor Stillstand des Fahrzeuges der Druck abgebaut wird. Bei mittleren und hohen Verzögerungen oder bei einer ABS-Regelung während der Bremsung ist die Funktion inaktiv, um keine Bremswegverlängerung zu verursachen. Bei Nässe werden durch Spritzwasser die Bremsscheiben mit einem Wasserfilm benetzt. Dies führt zu einem verzögerten Ansprechverhalten der Bremse. Bei bisherigen Systemen wurde deshalb empfohlen, bei Nässe von Zeit zu Zeit die Bremse zu betätigen. Um dies zu vermeiden, wird die Stellung des Wischerhebels und ggf. werden die Signale des Regensensors überwacht und bei Bedarf durch zyklisches leichtes Anlegen der Bremsbeläge der Wasserfilm von der Bremsscheibe gewischt. Der Druck in der Bremse ist für den Fahrer nicht spürbar, die Wischdauer ist nur kurz. Die Funktion wird je nach Regenintensität zyklisch aktiv und entfernt den Wasserfilm, sofern der Fahrer nicht selbst bremst. Die Konse-
123 quenz ist ein besseres Ansprechverhalten der Bremsen bei Regen bzw. bei nasser Fahrbahn. Sicherheitskonzept Aufgrund ihres hohen Einflusses auf die Fahrsicherheit wird für die Schlupfregelung und Fahrzeugstabilisierung ein mehrstufiges Sicherheitskonzept eingesetzt. Im Vorfeld der Entwicklung können bereits bei der Konzeption des Gesamtsystems und bei der Auslegung der Einzelkomponenten maximale Sicherheitsanforderungen berücksichtigt werden. Es ist bei derart sicherheitsrelevanten Systemen üblich, in den Steuergeräten jeweils zwei evtl. diversitäre Mikroprozessoren einzusetzen, die sich gegenseitig kontrollieren. Die Steuergeräte überwachen ihrerseits ständig sämtliche elektronischen, elektrischen und elektrohydraulischen Bauteile auf Leitungsunterbrechung, Kurzschluss und größtenteils auch auf Einhaltung der korrekten Funktion. So findet zum Beispiel nach jedem Start ein Kurztest statt, bei dem unbemerkt vom Fahrer Magnetventile und Pumpen kurzzeitig angesteuert und ihre Reaktionen ausgewertet werden. Besonderes Augenmerk ist jedoch auch auf die spezifische Sensorik zur Messung der Fahrzeugdrehrate und –querbeschleunigung zu richten, von deren Signalgüte die sichere Fahrzustandserkennung und der Erfolg der Regeleingriffe abhängen. Dazu wird der Arbeitsbereich der Signalspannung überprüft. Liegen die Werte darunter oder darüber, wird im Steuergerät eine Unterbrechung, ein Kurzschluss oder ein Sensorfehler erkannt. Die Sensor-Nullwerte können bei der Endkontrolle am Bandende oder nach Werkstattaufenthalten im Steuergerät gespeichert werden, um sie während der Fahrt durch Plausibilitäts- und Überwachungsroutinen zu kontrollieren und bei Bedarf über einen Langzeitabgleich nachzuführen. Bei sicherem Erkennen unplausibler Signale wird in ein Notprogramm umgeschaltet oder die betroffene Funktion komplett abgeschaltet und ihre Nichtverfügbarkeit dem Fahrer angezeigt. Ferner muss ein Abschalten auch dann erfolgen, wenn das jeweilige Motorsteuergerät oder der CAN-Bus nicht funktionsbereit sind oder wenn kein Druck für den aktiven Bremseingriff bereitgestellt werden kann. Neben der Bandendkontrolle, bei der diese Sensoren mitsamt den Impulsrädern im zusammengebauten Zustand einer Funktionsprüfung unterzogen werden, erfolgt auch hier eine permanente Plausibilitätskontrolle während der Fahrt durch Vergleich der Drehzahlsignale untereinander. In all diesen Fällen sowie auch bei absichtlichem Ausschalten durch den Fahrer stehen ABS und Cornering Brake Control weiterhin zur Verfügung. Das ABS schaltet sich erst ab, wenn Fehlermeldungen von der Hydraulikeinheit vorliegen oder wenn die Drehzahlsensoren keine plausiblen Signale mehr liefern beziehungsweise ihre Leitungen unterbrochen oder kurzgeschlossen sind. Der ABS-Ausfall wird dann angezeigt. In diesem Fall steht auch keine Cornering
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3 Fahrwerksysteme
Brake Control mehr zur Verfügung, lediglich die elektronische Bremskraftverteilung zwischen Vorderund Hinterachse wird noch so lange wie möglich aufrecht erhalten. Diese verkraftet noch den Ausfall eines Drehzahlsensors an der Vorderachse, bevor auch sie sich abschaltet. Da durch die Nichtverfügbarkeit der elektronischen Bremskraftverteilung in manchen Fahrsituationen auch das Bremsverhalten beeinflusst werden kann, muss auch dieser Fehler dem Fahrer angezeigt werden. 3.2.1.2 Momentenverteilung bei Allradantrieben
Ein Allrad-Fahrzeug mit konventionellem Verteilergetriebe verteilt das Antriebsmoment immer im gleichen Verhältnis auf Vorder- und Hinterachse. Geregelte Allradantriebe ermöglichen hingegen eine von der Fahrsituation abhängige Verteilung des Antriebsmoments im Sinne optimaler Fahrdynamik und Fahrstabilität. Systemaufbau und -komponenten. Bild 3-14 zeigt ein Verteilergetriebe mit einer Lamellenkupplung, die über einen Stellmotor und eine Kugelrampe betätigt wird. Ist die Kupplung geöffnet, wird das eingangsseitig vom Schalt- oder Automatikgetriebe gelieferte Antriebsmoment vollständig an die Hinterachse übertragen. Durch Schließen der Kupplung lässt sich im Extremfall das komplette Antriebsmoment auf die Vorderachse übertragen. Die für die Fahrdynamik relevante Funktions-Software berechnet das an die Vorderachse zu übertragende Antriebsmoment, das vom Verteilergetriebe-Steuergerät zur Ansteuerung des Stellmotors verarbeitet wird (siehe Bild 3-15).
Bild 3-14: Allrad-Verteilergetriebe mit Stellmotor: 1 vom Schalt- oder Automatikgetriebe, 2 zur Hinterachse, 3 zur Vorderachse
Bild 3-15: Systemverbund Bremsregelung und Regelung des Allradantriebs. Dabei bezeichnet DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Fahrzeugstabilisierung, DME (Digitale Motor-Elektronik) die Motorsteuerung, und VGSG das Verteilergetriebe-Steuergerät
Systemfunktionen Die Antriebs- und Bremsregelung wird mit einem geregelten Allradantrieb um einen zusätzlichen Regelkreis, dem Längsmomenten-Management, erweitert. Das Längsmomenten-Management hat die Aufgabe, über die regelbare Kupplung im Verteilergetriebe die Antriebsmomente zwischen Vorderachse und Hinterachse entsprechend der Fahrsituation optimal einzustellen. Treten gleichzeitig Längs- und Seitenkräfte am Rad auf, kann die resultierende Kraft daraus einen bestimmten reibwert- und radaufstandskraftabhängigen Grenzwert nicht überschreiten. Durch die variable Antriebsmomentenverteilung können die Längskräfte an den Rädern der Vorderachse und der Hinterachse und damit die Seitenkraftpotenziale beeinflusst werden. Ändern sich die Seitenkräfte an den Rädern, ändert sich auch das Momentengleichgewicht um die Fahrzeughochachse. Ein instabiles Fahrzeug kann unter Ausnutzung unterschiedlicher Seitenkraftpotenziale an Vorder- und Hinterachse durch eine Giermomentenkompensation über das Längsmomenten-Management wieder stabilisiert werden. Durch die variable Längsmomentenverteilung zwischen Vorderachse und Hinterachse kann das Eigenlenkverhalten und damit die Fahrdynamik des Fahrzeugs aktiv beeinflusst werden. Die Bremsregelung ist dabei im Hintergrund aktiv. Sie greift aber nur dann ein, wenn die Stabilisierungsmöglichkeiten über das Längsmomenten-Management erschöpft sind. Dadurch erfolgen diese Eingriffe deutlich seltener und der Fahrkomfort wird dadurch insgesamt spürbar verbessert. Die variable Momentenverteilung zur aktiven Fahrdynamikregelung ist für die Fahrsituationen Übersteuern und Untersteuern während einer Kurvenfahrt qualitativ in Bild 3-16 in jeweils fünf Phasen gezeigt.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen a)
125 (b)
Bild 3-16: Kurvenfahrt mit variabler Längsmomentenverteilung: a) Übersteuern, b) Untersteuern
Exemplarisch wird hier der Fall des Untersteuerns erläutert (siehe Bild 3-16b): Das Fahrzeug fährt stabil mit der Momentenverteilung von 40/60 zwischen Vorderachse und Hinterachse in eine Linkskurve ein (Phase 1) und neigt anschließend tendenziell zum leichten Untersteuern (Phase 2). Der Fahrdynamikregler veranlasst das Längsmomenten-Management zur neuen Momentenverteilung von 20/80. Da das Fahrzeug immer noch zu verstärktem Untersteuern (Phase 3) neigt, wird vom Längsmomenten-Management eine neue Momentenverteilung von 0/100 eingestellt. Das Antriebsmoment an der Hinterachse wird dadurch weiter erhöht, das Seitenkraftpotenzial reduziert. An der längskraftfreien Vorderachse erhöht sich das Seitenkraftpotenzial auf den maximal möglichen Wert und das Fahrzeug nähert sich der stabilen Bahnkurve. Die Momentenverteilung wird nun über die Momentenverteilung 10/90 (Phase 4) auf die als ideal angenommene Momentenverteilung von 40/60 zurückgeführt (Phase 5). Das Fahrzeug beschleunigt bahnstabil aus der Kurve. Die Kurvenfahrt wurde hier vereinfacht in jeweils fünf Phasen beschrieben. Tatsächlich wird beim Durchfahren der Kurve die optimale Momentenverteilung kontinuierlich berechnet und eingestellt. Im Fall des Übersteuerns (Ausbrechen des Hecks) wird die Verteilung des Antriebsmoments in Richtung Vorderachse verändert, um Seitenführungspotenzial an der instabilen Hinterachse aufzubauen.
Die regelbare Kupplung im Verteilergetriebe erfüllt neben der variablen Momentenverteilung zur aktiven Fahrdynamikregelung auch noch die Funktion einer Mittensperre zur Verbesserung der Traktionseigenschaften. Im Bedarfsfall können beide Achsen starr verkoppelt werden. Im folgenden Beispiel wird ein Anfahrmanöver von zwei Fahrzeugen mit unterschiedlichen Antriebskonzepten näher betrachtet (siehe Bild 3-17). Die beiden Fahrzeuge stehen jeweils mit der Hinterachse auf niedrigem und mit der Vorderachse auf hohem Reibwert. Das Fahrzeug A mit einer festen Momentenverteilung von 38/62 verfügt über drei offene Differenziale, ein Antriebs- und Bremsregelsystem einschließlich der Emulation der Quer- und Längssperren durch aktive und radindividuelle Bremseingriffe. Das Fahrzeug B besitzt dagegen eine Kupplung im Verteilergetriebe, zwei offene Differenziale, ein Antriebs- und Bremsregelsystem einschließlich der Emulation der Quersperren durch aktive und radindividuelle Bremseingriffe. Beim Beschleunigen des Fahrzeugs A drehen die Räder an der Hinterachse durch, es entsteht Antriebsschlupf und die Bremshydraulik beginnt mit der Druckbereitstellung zur Emulation der fehlenden Längssperre.
Bild 3-17: Anfahrsituation mit verschiedenen Reibwerten für Vorder- und Hinterachse: (A) Emulation der Längssperre (DSC), (B) Geregelte Mittensperre (xDrive)
126 Dieser Vorgang dauert ca. 0,5 s. Die Bremshydraulik stellt den von der Schlupfregelung geforderten Druck-Arbeitspunkt an den Hinterachs-Rädern ein, an der Vorderachse wird Antriebsmoment aufgebaut und das Fahrzeug setzt sich in Bewegung. Der gesamte Vorgang dauert ca. 1 s. Über die Hinterachs-Bremse muss je nach Reibwert bis zu 62 % des eingeleiteten Antriebsmomentes abgestützt werden, damit maximal 38 % des aktuellen Antriebsmoments an der Vorderachse zur Verfügung gestellt werden kann. Im Fahrzeug B wird durch eine intelligente Vorsteuerung des Systems, gestützt durch die Gaspedalvorgabe, die Kupplung im Verteilergetriebe innerhalb von ca. 0,1 s bereits geschlossen, bevor der Drehmomentaufbau an der vorderen und hinteren Gelenkwelle beginnt. In dieser Fahrsituation ist kein zusätzlicher Bremseingriff an der Hinterachse erforderlich und es geht daher auch kein Antriebsmoment durch eine Bremsenabstützung verloren. Das Fahrzeug setzt sich spontan und nahezu ohne Verzögerung in Bewegung. Reglerstruktur Bild 3-18 zeigt eine Möglichkeit zur modularen Aufteilung der Funktionssoftware auf das Steuergerät für Antriebs- und Bremsregelung und das Verteilergetriebe-Steuergerät. Die Hauptfunktionen zur Berechung des erforderlichen Vorderachsmoments sind im Steuergerät für Antriebs- und Bremsregelung implementiert und werden von Traktions- und Fahrdynamikkriterien abgeleitet. Das LängsmomentenManagement zur Ansteuerung der Kupplung besteht im wesentlichen aus den Blöcken PI-Regler, Vorsteuerung und „Korrektur Reifenumfangs-Unterschiede“. Der PI-Regler setzt sich aus den Teilen Schlupfregelung und Fahrdynamikregelung zusammen. Der Schlupfregler stellt das Vorderachs-Moment so ein, dass die Differenzdrehzahlen zwischen Vorderachse und Hinterachse minimiert werden. Der Fahrdyna-
3 Fahrwerksysteme mikregler liefert die Daten über den aktuellen Fahrzustand. Je nach Fahrsituation werden die Längs- und Seitenkräfte der Räder über die variable Momentenverteilung so eingestellt, dass sich ein stabiles Fahrverhalten ergibt. Die Vorsteuerung berechnet aus den Größen Gaspedalstellung, Motormoment, Motordrehzahl, Gangübersetzung und Fahrzeuggeschwindigkeit die aktuelle Vortriebssituation. Über Kennlinienfunktionen wird daraus das Vorderachsmoment bestimmt. Mit den Eingangsgrößen Lenkwinkel und Fahrzeugdrehrate werden Kurvenfahrten erkannt und die Werte der Vorsteuerung entsprechend angepasst. Das Modul „Korrektur Reifenumfangs-Unterschiede“ verhindert bei unterschiedlichen Reifenumfängen mögliche Verspannmomente durch eine modellgestützte Überwachung. Im nachfolgenden Momentenkoordinator wird fahrsituationsabhängig entschieden, wie die Vorsteuerung durch die „Korrektur ReifenumfangsUnterschiede“ angepasst werden muss. Eine weitere Korrektur der Vorsteuerung findet durch die Module Verlustleistung und Verschleiß im VerteilergetriebeSteuergerät statt. Hier wird die aktuelle Belastung von Kupplung und Verteilergetriebe-Aktorik sowie der Verschleiß der Kupplung berücksichtigt und bei Bedarf die Vorsteuerung angepasst. 3.2.1.3 Elektromechanische Feststellbremse
Die elektromechanische Feststellbremse ersetzt die manuell betätigte Feststellbremse. Neben den üblichen Funktionen einer Feststellbremse, dem Feststellen und dem dynamischen Abbremsen, wird sie für eine automatische Haltefunktion zum Anfahren am Berg eingesetzt. Bei dieser Funktion wird das Fahrzeug im Stillstand automatisch festgebremst. Das Lösen der Bremse zum Anfahren geschieht ebenfalls automatisch durch Betätigen des Gaspedals.
Bild 3-18: Modulare Struktur der Funktionssoftware
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen a)
127 b)
Bild 3-19: Elektromechanische Feststellbremse: a) elektromechanische Feststelleinheit, b) Bedienelement
Systemaufbau und -komponenten Bild 3-19a zeigt eine elektromechanische Feststelleinheit, die über Bowdenzüge auf eine Feststellbremse an der Hinterachse wirkt. Manuell wird sie z. B. über einen Taster betätigt (siehe Bild 3-19b). Durch den Entfall des Bremshebels wird zusätzlicher Platz in der Mittelkonsole verfügbar. In der in Bild 3-13a gezeigten Ausführung für den BMW 7er kommt ein Anbausteuergerät zum Einsatz, das sowohl die Steuerelektronik als auch die Schaltung der Leistungselektronik für den Antrieb sowie die Steckerleiste für den Kabelanschluss enthält. Ein Blockschaltbild ist in Bild 3-20 gezeigt. Auf der beidseitig bestückten Platine ist auch das Bürstenelement des Gleichstrommotors angeordnet. Innerhalb des Bürstenelementes sind zwei Hallgeber zur Drehrichtungs-, Positions- und Drehzahlerfassung integriert. Der Motor wird mit einer H-Brücke aus diskreten P-MOS-Feldeffekttransistoren angesteuert. Der Motorstrom wird dabei durch PWM-Taktung geregelt. Ein CAN-Treiber stellt die Verbindung zum Antriebs-CAN des Fahrzeugs her. Der Prozessor besitzt 256 kByte Flash und 12 kByte RAM. Die Flashbarkeit ist durch die Bordnetzstruktur des BMW 7er grundsätzlich gegeben. Sie ermöglicht eine große Flexibilität während der Entwicklungsphase der Software. Auch nach Auslieferung an den Kunden sind so Updates oder Funktionserweiterungen ohne Austausch des Steuergerätes möglich. Die Prozessorfunktion wird durch einen Watch-Dog kontrolliert. Das Steuergerät muss bei Tasterbetätigung aus dem Sleep-Modus aufweckbar sein. Über den Wake-upAusgang wird daraufhin der gesamte Fahrzeug-CAN geweckt. Im Rahmen des Sicherheitskonzepts ist ein diskreter Eingang der Raddrehzahl sowie eine separate Signalleitung zum Bremsregel-Steuergerät vorgesehen. Mit Hilfe dieser Signale wird eine Hardware-Verriege-
lungsschaltung realisiert, deren Ausgangssignale in Abhängigkeit von der Radgeschwindigkeit das Lösen oder Anziehen der Stelleinheit freigeben. In das Steuergerät ist eine Eigendiagnose implementiert, welche erkannte Fehler im EEPROM ablegt. Funktionskritische Signale wie z.B. Fahrzeug-Geschwindigkeit sind durch Redundanzen abgesichert. Mit dem Durchlaufen verschiedener unabhängiger Softwarepfade werden Plausibilitätschecks durchgeführt. Durch das EEPROM ist die Software in der Lage, Betriebsdaten unabhängig von der Spannungsversorgung nichtflüchtig abzulegen. Darüber hinaus können fahrzeugspezifische Daten oder Funktionsumfänge und Parameter durch Codierung flexibel festgelegt werden. In Verbindung mit einem Werkstatt-Diagnose-Rechner kann das Gerät über die CAN-Schnittstelle analysiert und parametrisiert werden. Systemfunktionen Die Darstellung der Systemfunktionalität erfolgt durch eine Kombination aus Bremsydraulik mit Eingriff auf die Betriebsbremse aller vier Räder und einer elektromechanischen Stelleinheit, die über Bremsbowdenzüge auf eine Feststellbremse der Hinterachse wirkt. Der Systemzustand wird dem Fahrer durch eine Kontrollleuchte und gegebenenfalls durch Hinweistexte im Kombiinstrument angezeigt. Das in die Stelleinheit integrierte Anbausteuergerät steht mit dem Bremsregel-Steuergerät und der Fahrzeugperipherie (Kombiinstrument, Motorsteuerung, Getriebesteuerung, ...) über den Fahrzeug-CAN-Bus in Verbindung. Bei abgestellem Fahrzeug-Motor wird das Feststellen des Fahrzeugs durch die elektromechanische Stelleinheit geleistet. Der Antrieb ist durch einen Software-Algorithmus so geregelt, dass eine vorgegebene Soll-Stellkraft erreicht wird.
128
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-20: Blockschaltbild des Steuergeräts. Dabei bezeichnet DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Bremsregelung zur Fahrzeugstabilisierung und DME (Digitale Motor-Elektronik) die Motorsteuerung
Systemveränderungen z. B. durch Verschleiß, Setzerscheinungen oder Teileaustausch werden berücksichtigt. Bei laufendem Fahrzeug-Motor werden alle statischen und dynamischen Feststellbremsvorgänge mit Hilfe der Bremshydraulik umgesetzt. Wird im Stillstand der Parkbrems-Taster betätigt, erfolgt über die Hydraulikpumpe ein Bremsdruckaufbau an allen vier Rädern. Während der hydraulischen Haltephase ist eine Stillstandsüberwachung aktiv, die bei Erkennen einer geringfügigen Fahrzeugbewegung durch die Radsensoren aktiv Druck nachfördert (z.B. bei einer Beladung des Fahrzeugs am Hang). Durch erneuten Tasterdruck wird die Bremse wieder gelöst. Ausgehend von einem betätigten Zustand der Feststellbremse erfolgt beim Starten des Fahrzeug-Motors ein automatischer Übergang von der mechanischen Stelleinheit auf die Hydraulik, beim Abstellen des Fahrzeug-Motors umgekehrt von der Hydraulik auf die mechanische Stelleinheit. Die automatische Haltefunktion steht dem Fahrer bei laufendem Motor zur Verfügung. Das Halten des Fahrzeugs erfolgt automatisch bei Erkennung des Fahrzeugstillstands durch die Radsensoren. Dem Fahrer wird die benötigte Brems-Fußkraft zum Halten des beim Automatikgetriebe typischen LeerlaufKriechens des Fahrzeugs abgenommen. Dadurch wird insbesondere bei Stop-and-Go-Verkehr zur Fahrerentlastung beigetragen. Zunächst wird der Bremsdruck, den der Fahrer mit dem Pedal zum Abbremsen des Fahrzeugs in den Stillstand aufgebracht hat, im Hyd-
rauliksystem „eingesperrt“. Kommt das Fahrzeug ohne Bremsbetätigung zum Stillstand wird es automatisch durch aktiven Druckaufbau mit Hilfe der Bremshydraulikpumpe gehalten. Das Lösen der Bremse geschieht bei eingelegter Getriebefahrstufe automatisch durch Betätigen des Gaspedals. Die Automatisierung des Halte- und Lösevorgangs unterstützt das Anfahren an Steigungen, da ein ungewolltes Rückrollen des Fahrzeugs vermieden wird. Aus Sicherheitsgründen wird die automatische Haltefunktion beim Verlassen des Fahrersitzes, beim Öffnen der Motorhaube oder der Kofferraumklappe in Getriebestellung „R“ und beim Abstellen des Motors selbsttätig in eine automatische Feststellung umgeschaltet. Befindet sich das Fahrzeug in Bewegung, erfolgt unabhängig vom Betriebszustand des Motors bei Betätigung des Parkbrems-Tasters eine definierte Verzögerungsanforderung an die Bremsydraulik. Bei der dynamischen Bremsung muss aus Sicherheitsgründen der Taster für die Dauer des Bremsvorganges betätigt bleiben. Nach Loslassen des Tasters wird der Bremsdruck sofort wieder abgebaut. Wird die Bremsung bis zum Stillstand fortgeführt, wird das Fahrzeug anschließend automatisch festgestellt. Da die Bremsung hydraulisch auf die Betriebsbremse aller vier Räder erfolgt, sind gegenüber herkömmlichen Feststellbremsen wesentlich höhere Verzögerungen bei minimaler Bedienkraft möglich. Der Verzögerungsverlauf ist theoretisch bis zur Schlupf-
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen grenze parametrisierbar. Er wurde z.B. für den BMW 7er so festgelegt, dass die Verzögerung bei einem Wert von 3 m/s2 beginnt und innerhalb 3 s auf 5 m/s2 ansteigt. Der Bremsvorgang wird durch die ABSRegelfunktion überwacht. Dadurch ist die Stabilität des Fahrzeugs während der Bremsung optimal gewährleistet. Wegen der hohen Verzögerungswirkung wird der nachfolgende Verkehr durch Aufleuchten der Bremslichter gewarnt. Die geregelte dynamische Abbremsung trägt zu einer erhöhten aktiven Sicherheit bei. Die Kraft am Bremsseil muss unabhängig von den Einflussgrößen Bordnetzspannung, Temperatur, Motoralterung, Streuung der Motorcharakteristik, Bremsbelagverschleiß und Längenänderungen des Bremsseils reproduzierbar konstant eingestellt werden. Der Antrieb verfügt dazu über ein inkrementelles Sensorsystem. In das Bürstenelement des Elektromotors sind zwei Hall-ICs zur Drehzahl- und Positionserfassung integriert. Durch Messung der Motordrehzahl unter Berücksichtigung der momentanen Betriebsbedingungen wie Motorspannung und Temperatur und unter Einbeziehung der während des Fertigungsprozesses im Steuergerät abgelegten individuellen Motor-Charakteristik kann die am Antrieb anliegende Stellkraft berechnet werden. Veränderungen im Gesamtsystem, die durch Verschleiß, Setzerscheinungen der Kraftübertragungselemente oder Austausch von Teilen im Reparaturfall entstehen, werden durch eine entsprechende Stellwegreserve berücksichtigt. Auf diese Weise ist es möglich, auf Einstellarbeiten am Band zu verzichten. Das oberste Ziel beim Auftreten von Fehlern und Ausfällen ist die Vermeidung sicherheitskritischer Zustände für Fahrzeuginsassen, Umgebung und Fahrzeug. Andererseits soll die Funktionsverfügbarkeit so lange wie möglich aufrecht erhalten bleiben. Das Sicherheitskonzept sieht daher eine gestufte Ab-
129 schaltstrategie vor. In Abhängigkeit von der Art des Fehlers werden bestimmte Funktionen stillgelegt. Für die Grundfunktionen werden als Backup-Systeme die Betriebsbremse und die Parksperre des AutomatikGetriebes herangezogen (siehe hierzu Tabelle 3-2). Die möglichen Fehlerzustände werden durch das Überwachungskonzept erkannt und dem Fahrer zur Anzeige gebracht. Die aufgetretenen Fehler werden im Fehlerspeicher des Steuergerätes abgelegt. Im Service- oder Reparaturfall ist somit eine rasche Fehleranalyse möglich.
3.2.2 Achsregelsysteme 3.2.2.1 Wankstabilisierung
Bei einem konventionellen Fahrwerk wird das bei Kurvenfahrt infolge der Fliehkraft erzeugte Aufbauwankmoment nicht nur durch das aus den Tragfederkräften resultierende Gegenmoment, sondern auch durch die Wirkung von passiven Stabilisatoren reduziert. Die Verteilung des Wankstabilisierungsmoments auf Vorder- und Hinterachse wiederum beeinflusst das Eigenlenkverhalten des Fahrzeugs, das heißt die Unter- oder Übersteuertendenz. Ein Fahrzeug wird aus Gründen der Fahrsicherheit stets untersteuernd bis neutral ausgelegt, indem der vordere Stabilisator gegenüber dem hinteren kräftiger dimensioniert wird. Insgesamt führt dies dazu, dass der Aufbau weniger wankt. Dies bringt aber auch mit sich, dass der Lenkwinkelbedarf steigt und einseitige Fahrbahnunebenheiten stärker auf das Fahrzeug kopiert werden. Dieser für die Auslegung von konventionellen Stabilisatoren vorhandene Zielkonflikt wird durch die aktive Wankstabilisierung gelöst, mit der durch regelbare Stabilisatoren das Eigenlenkverhalten von der Fahrsituation abhängig gesteuert und zusätzlich das Wanken des Fahrzeugs reduziert wird.
Tabelle 3-2: Sicherheitskonzept der elektromechanischen Feststellbremse Fehler
Backup-System
Verfügbarkeit Feststellbremse
Dynamische Notbremsung
Automatische Haltefunktion
CAN-Signal-Fehler
in Ordnung
in Ordnung
nicht verfügbar
Fehler in der Bremshydraulik
in Ordnung
nicht verfügbar
nicht verfügbar
Betriebs- und Hilfsbremse
Fehler in der Stellmechanik
nicht verfügbar
in Ordnung
nicht verfügbar
Parksperre des AutomatikGetriebes
Fehler im Steuergerät der Parkbremse
nicht verfügbar
nicht verfügbar
nicht verfügbar
Parksperre des AutomatikGetriebes
–
130
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-21: Aktiver Hinterachs-Stabilisator mit hydraulischem Schwenkmotor (SM)
Systemaufbau und -komponenten Bild 3-21 zeigt die Wankstabilisierung eines BMW 7ers. Der Stabilisator ist dabei in zwei Hälften geteilt, die über einen hydraulischen Schwenkmotor miteinander verbunden sind. Zusätzliche Komponenten (zu je einem Stabilisator an der Vorder- und Hinterachse) sind ein Ventilblock mit integrierten Sensoren, ein Steuergerät sowie ein eigener Querbeschleunigungssensor. Die Hydraulikversorgung erfolgt durch eine Tandempumpe, wobei eine Flügelzellenpumpe die Lenkkraftunterstützung und eine Radialkolbenpumpe die Wankstabilisierung bedient. Das Steuergerät (siehe Bild 3-22) erfasst die Eingangssignale (Sensor-, CAN-Signale), prüft deren Plausibilität und führt logische sowie mathematische Verknüpfungen durch. Als Ausgangsgröße werden die Spulen der Magnetventile angesteuert. Im Fall
eines Systemfehlers werden die Ausgänge in einen sicherheitsunkritischen Zustand geschaltet. Die Versorgung erfolgt über die Bordnetzspannung im Bereich von 9 bis 16 V. Das Steuergerät wird über eine statische Weckleitung aktiviert. Neben den analogen Sensorsignalen für Vorderachskreis-Druck, Hinterachskreis-Druck, Schaltstellungserkennung und Querbeschleunigung sowie dem digitalen ÖlstandsgeberSignal werden die weiteren Eingangsdaten über den CAN eingelesen. Hierzu zählen Lenkwinkel, Querbeschleunigung aus dem Bremsregelsystem, Gierwinkelgeschwindigkeit, Fahrgeschwindigkeit und Motordrehzahl. Alle diese Eingangssignale werden auf Plausibilität geprüft. Zu den Ausgängen zählt neben den Highside- und Lowside-Treibern der vier Magnetventile auch die Versorgung der vier zugehörigen Sensoren.
Bild 3-22: Steuergerät zur Wankstabilisierung
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen Alle elektrischen Versorgungsausgänge sind gegenseitig entkoppelt, so dass ein Kurzschluss an einem Sensor die anderen nicht beeinflussen kann. Jeder Ausgang der vier Magnetventile ist mit einer Strommessung versehen, um eine Stromregelung zu ermöglichen. Diese Strommessung dient außerdem für alle Ventile zur Überwachung von Kurzschlüssen und Unterbrechungen. Die Strommessung der einzelnen Spulenströme ist redundant ausgelegt, um Messfehler aufgrund von Toleranzen oder Fehlern der Bauteile auszuschließen, und wird permanent auf Plausibilität geprüft. Zusätzliche Ausgangsgrößen werden über den CAN gesendet und hierdurch anderen Steuergeräten zur Verfügung gestellt. Systemfunktionen. Anhand der Ein- und Ausgangsgrößen lässt sich das Zusammenwirken der Komponenten und damit das Funktionsprinzip der Wankstabilisierung erkennen (siehe Bild 3-23). Das Hauptregelsignal des Systems ist die Querbeschleunigung ay, die vom Querbeschleunigungssensor gemessen wird. Daneben werden über den Antriebs-CAN (PT-CAN) Signale zur Quer- und Längsdynamik ausgewertet, um eine bessere und robustere Information zur Quer-
131 dynamik sicherzustellen. Aus diesem berechneten Querdynamiksignal werden die einzustellenden Ventilströme für den Ventilblock ermittelt. Zur Regelung der Ventilströme gibt das Steuergerät jeweils eine pulsweitenmodulierte Spannung aus: uDV an das Druckregelventil vorne, uDH an das Druckregelventil hinten, uRV an das Richtungsventil und uFS an das Fail-Safe-Ventil. Der Ventilblock stellt die Drücke über die Druckregelventile in den aktiven Stabilisatoren ein und gibt über das Richtungsventil die Drehrichtung zur Wankkompensation vor. Die aktiven Stabilisatoren verdrehen sich entsprechend und erzeugen die aktiven Wankstabilisierungsmomente an der Vorderachse und Hinterachse. Das Fail-Safe-Ventil ist im beschriebenen Betrieb der Wankstabilisierung bestromt. Die aktiven Stabilisierungsmomente sind bis auf folgende Einschränkung unabhängig einstellbar: Das aktive Moment (beziehungsweise der aktive Druck) der Vorderachse ist immer größer oder gleich dem aktiven Moment (beziehungsweise dem aktiven Druck) der Hinterachse. Hierdurch soll bei Fehlfunktion des Systems unter keinen Umständen ein übersteuerndes Fahrverhalten auftreten können.
Bild 3-23: Zusammenwirken der Komponenten zur Wankstabilisierung. Dabei bezeichnet ay die Querbeschleunigung, PT-CAN (Powertrain-CAN) den Antriebs-CAN und u pulsweitenmodulierte Spannungen: uDV am Druckregelventil vorne, uDH am Druckregelventil hinten, uRV am Richtungsventil und uFS am Fail-Safe-Ventil
132 Die gemessenen Drücke am Ventilblock für den Vorderachs- und Hinterachsstabilisator sowie die Schaltstellung des Richtungsventils werden dem Steuergerät zurückgemeldet. Dieses prüft anhand dieser Signale die Funktionalität der Hydromechanik. Die Energieversorgung erfolgt über die Tandempumpe, d.h. Wankstabilisierung und Lenkhilfe besitzen einen gemeinsamen Ölbehälter und Ölkühler. Im Ölbehälter ist neben einem Ölfilter ein Ölstandsaufnehmer in Form eines Reedschalters verbaut, der ggf. ein Absinken des Ölstands unter den Minimalstand erfasst. Die umgesetzten Systemfunktionen führen zu einem günstigeren Aufbauwankverhalten und verbessertem Schwingkomfort. Mit der Wankstabilisierung wird der Wankwinkelverlauf über der Querbeschleunigung gezielt beeinflusst. Im Gegensatz zu einem Fahrzeug mit passiven Stabilisatoren, das schon bei geringen Querbeschleunigungen einen deutlichen Wankwinkel aufweist, wird der Wankwinkel bei einem Fahrzeug mit Wankstabilisierung bis zu einer Querbeschleunigung von 0,3 g vollständig kompensiert (Bild 3-24). Erst ab einer Querbeschleunigung von ungefähr 0,6 g steigt der Wankwinkelverlauf kontinuierlich an, so dass der Fahrer über das bevorstehende Erreichen des Grenzbereichs informiert wird. Bei Geradeausfahrt bzw. sehr geringen Querbeschleunigungen sind die Aktoren drucklos, so dass die Drehfederrate der Stabilisatoren die Grundfederung nicht verhärtet und Kopierbewegungen von Fahrbahnunebenheiten des Fahrzeugs deutlich reduziert sind. Abhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit wird das Verhältnis der Stabilisatormomente festgelegt und damit ein neutrales Eigenlenkverhalten bei niedrigen Fahrzeuggeschwindigkeiten und ein zunehmend untersteuerndes Eigenlenkverhalten bei hohen Fahrzeuggeschwindigkeiten eingestellt. Man erreicht damit einen verringerten Lenkwinkelbedarf im niedrigen Geschwindigkeitsbereich und eine hohe Fahrsicherheit bei hohen Fahrgeschwindigkeiten (vgl. Bild 3-25).
Bild 3-24: Wankwinkel über der Querbeschleunigung bei quasistationärer Kreisfahrt (Kurvenradius R = 40 m) für einen BMW 7er: Alter BMW 7er ohne und neuer BMW 7er mit Wankstabilisierung (Normalbeladung und maximale Zuladung)
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-25: Lenkradwinkel über der Querbeschleunigung bei quasistationärer Kreisfahrt (Kurvenradius R = 40 m) für einen BMW 7er mit und ohne Wankstabilisierung (Dynamic Drive)
3.2.2.2 Elektronisch geregelte Dämpfer
Die Auslegung passiver Schwingungsdämpfer erfordert stets einen Kompromiss zwischen einer komfortorientierten, weichen Abstimmung und einer für das Fahrverhalten günstigen, harten Dämpferkennung. Über eine elektronische Ansteuerung lassen sich die Dämpfkräfte kontinuierlich verändern und während des Fahrbetriebs geeignet an die Fahrsituation anpassen. Systemaufbau und -komponenten Die Kernelemente sind vier Gasdruck-Zweirohrdämpfer mit innenliegenden, kontinuierlich regelbaren Ventilen. Bild 3-26 zeigt einen elektronisch regelbaren Dämpfer von ZF-Sachs. Das Regelventil ist jeweils in den Kolben des Dämpfers integriert. Über die Bestromung der Magnetspule wird die Position des Ventilankers und damit der Querschnitt eingestellt, durch den das Betriebsmedium des Dämpfers unter Zug oder Druck strömen muss. In der Nähe der Vorder- und Hinterachsfederbeine sind insgesamt drei Sensoren zur Erfassung der lokalen Vertikalbeschleunigung verbaut. Diese und andere Signale (z.B. von Raddrehzahlsensoren) werden in einem eigenen Steuergerät verarbeitet, um die Ventilströme für eine bedarfsgerechte Dämpfung zu berechnen. Systemfunktion Bild 3-27 zeigt die Leistungsspektren der vertikalen Aufbaubeschleunigung des Fahrzeugs, die sich jeweils beim Befahren einer schlechten Landstraße und einer Autobahn für eine harte bzw. eine weiche Dämpferkennung ergeben. Das Leistungsspektrum der Aufbaubeschleunigung des Fahrzeugs ist ein gebräuchliches, wenn auch vereinfachtes objektives Bewertungsmaß für den Schwingkomfort. Je kleiner die Amplituden des Spektrums sind, umso weniger störende Schwingungen erfahren die Insassen beim Befahren der Straße.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
133
Bild 3-26: Aufbau und Arbeitsweise eines elektronisch geregelten Dämpfers [Quelle: ZF-Sachs]
a)
b)
Bild 3-27: Leistungsspektrum der Aufbaubeschleunigung für unterschiedliche Fahrbahnbeschaffenheiten und Dämpfereinstellungen: a) schlechte Landstraße, b) Autobahn
Da neben dem Komfort weiterhin die Fahrdynamik und die dynamischen Radlastschwankungen zu berücksichtigen sind, ergibt sich folgende prinzipielle Systemfunktion für geregelte Dämpfersysteme: Bei primär aufbaufrequenten Vertikalschwingungen um 1,2 Hz sowie dominanten längs- und querdynamischen Fahrzeugbewegungen werden härtere Dämpfkräfte über die verstellbaren Dämpfer gestellt, die die Aufbaubewegung beruhigen und reduzieren. Bei primär radfrequenten Vertikalschwingungen bei ca. 12 Hz sind ebenfalls höhere Dämpfkräfte notwendig, um eine ausreichende Radbedämpfung zu liefern. Bei Anregungen zwischen diesen beiden Fahrzeugeigenfrequenzen sind weiche Dämpfkräfte für einen guten Fahrkomfort einzustellen. Damit ergibt sich eine Verbesserung des Wank- und Nickverhaltens durch die automatische Einstellung eines höheren Dämpfkraftniveaus. Außerdem resultiert ein spürbar höherer Fahrkomfort, speziell bei gleichzeitig auftre-
tenden hoch- und niederfrequenten Anregungen durch Fahrbahnunebenheiten bei gleichbleibend guten Schwingungseigenschaften bei jeder Beladung und über der gesamten Fahrzeuglebensdauer. 3.2.2.3 Geregelte Luftfederung
Bei der Abstimmung eines konventionellen Fahrwerks besteht ein Zielkonflikt im Bezug auf die Härte der Grundfederung. Eine weiche Federung kann je nach Beladung zu einer großen Niveaudifferenz führen, was sich nachteilig auf das Fahrverhalten auswirkt; ein hartes Fahrwerk hingegen bedeutet Einbußen im Bezug auf den Komfort. Mit einem verstellbaren Luftfedersystem kann dieser Zielkonflikt gelöst werden.
134
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-28: Komponenten der geregelten Luftfederung, VA steht für Vorderachse, HA für Hinterachse
Systemaufbau und -komponenten Eine Zweiachs-Luftfederung ist an allen vier Rädern mit Luftfedern ausgestattet (siehe Bild 3-28), eine Einachs-Luftfederung hingegen nur an den beiden Hinterrädern. Hinzu kommen zwei bzw. vier Höhenstandssensoren, eine Luftversorgungsanlage, ein Druckspeicher mit Ventilblock, ein Steuergerät und ein Bedienschalter zur Wahl des Höhenstands. Systemfunktion Ein Luftfedersystem hat die positive Eigenschaft einer nahezu konstanten Aufbaueigenfrequenz über der Beladung. Darüber hinaus lassen sich damit Niveauausgleich und Höhenstandsvariabilität realisieren. Über die Höhenstandssensoren wird die Position des Aufbaus erfasst. Liegt aufgrund des Beladungszustands eine Niveaudifferenz vor, so wird durch die Anpassung der Menge des Betriebsmediums in den einzelnen Luftfedern ein Ausgleich vorgenommen. Im Fall eines Zweiachs-Luftfedersystems kann auf Wunsch des Fahrers der Höhenstand des Fahrzeugs verändert werden, z.B. um die Bodenfreiheit für den Geländebetrieb zu erhöhen oder durch Absenkung der Karosserie den Kraftstoffverbrauch zu reduzieren.
3.2.3 Lenkungsregelsysteme 3.2.3.1 Elektrische Hilfskraftlenkung
Speziell beim Einparken und Rangieren muss der Fahrer beim Lenken Kräfte aufbringen. Um diese Kräfte zu reduzieren, werden Hilfskraftlenkungen (Servolenkungen) eingesetzt. Am weitesten verbreitet ist derzeit die hydraulisch unterstützte Zahnstangenlenkung. Oft wird auch eine von der Geschwindigkeit abhängige hydraulische Lenkkraftunterstützung eingesetzt. Bei einer elektrischen Hilfskraftlenkung kommt ein Elektromotor zum Einsatz, um den Fahrer beim Lenken zu entlasten. Der Angriffspunkt des
Elektromotors kann dabei entweder an der Lenksäule, am Lenkgetriebe oder an der Zahnstange liegen. Die elektrische Hilfskraftlenkung führt zu einer signifikanten Kraftstoffersparnis von etwa 0,2 bis 0,3 Liter auf 100 km. Außerdem bietet sie eine hohe Flexibilität bei der Fahrzeugmontage. Bei einer hydraulischen Hilfskraftlenkung sind je nach Motorisierung und gewünschter Fahrwerksabstimmung (komfortorientiert oder sportlich) jeweils andere Komponenten wie z.B. Lenkventile, Schläuche und Rohrleitungen erforderlich. Dagegen wird bei der elektrischen Hilfskraftlenkung die gewünschte Lenkcharakteristik am Ende der Fahrzeugmontage über Softwareparameter appliziert. Dadurch ist der logistische Aufwand während der Fahrzeugherstellung geringer als bei der hydraulischen Hilfskraftlenkung. Systemaufbau und -komponenten Bei der von BMW im Z4 eingesetzten elektrischen Hilfskraftlenkung kommt eine mechatronische Stelleinheit zum Einsatz, die an der Lenksäule angeordnet ist und einen Asynchronmotor, Kraftübertragungselemente, ein Steuergerät und Sensoren zur Erfassung von Drehmoment und Lenkwinkel an der Lenksäule sowie Drehzahl am Elektromotor und weitere Messgrößen umfasst (Bild 3-29). Der verwendete Asynchronmotor (Bild 3-30) ist durch eine hohe Sicherheit, eine hohe Dynamik, keine Nutrastmomente und geringe Reibung gekennzeichnet. Durch eine bauliche Integration des Motors mit dem Steuergerät können die Leitungslängen kurz und damit die Verlustleistungen gering gehalten werden. Darüber hinaus kann die Masse des Elektromotors als Wärmesenke für die Verlustleistung des Steuergeräts genutzt werden. Die geforderte hohe Motordynamik kann mit einer feldorientierten Motorregelung erreicht werden.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
135
Bild 3-29: Komponenten der elektrischen Hilfskraftlenkung
a)
b)
Bild 3-30: Elektromotor für elektrische Hilfkraftlenkung: a) CAD-Modell, b) Seitenansicht
Erst wenn eine Momentenanforderung durch den Lenkungsregler erfolgt, werden die Ströme so geregelt, dass innerhalb weniger Millisekunden das geforderte Moment bereitgestellt werden kann. Im Steuergerät (siehe Bild 3-31) kommen keramische Schaltungsträger zum Einsatz. Durch eine gute thermische Ankopplung der Leistungsendstufen wird man den Leistungsanforderungen auch unter Hochtemperaturbedingungen gerecht. Zur Erfassung des Drehmoments wird ein magnetoresistiver Sensor verwendet (siehe Bild 3-32). Dabei ist auf der Eingangswelle ein mehrpoliges Magnetrad befestigt, während auf der Abtriebswelle, die über einen Torsionstab verbunden ist, der Sensor mit der
zugehörigen Signalaufbereitung befestigt ist. Das aufbereitete Signal wird dann über eine Wickelfeder ins Gehäuse der Servoeinheit übertragen, da sich der Sensor mitdreht. Bringt der Fahrer ein Lenkmoment auf, so verdreht sich der Magnetring relativ zum Sensorbaustein um einen Winkel von bis zu ± 5°. In diesem kleinen Bereich lässt sich die Feldverteilung lokal optimieren. Dadurch erreicht man eine hohe Genauigkeit und Reproduzierbarkeit des Messsignals. Durch eine Kalibrierung der Signale am Ende des Fertigungsprozesses werden mechanische Einflüsse auf ein Minimum reduziert. Darüber hinaus arbeitet das System verschleißfrei.
136
3 Fahrwerksysteme
a)
b)
Bild 3-31: Steuergerät für die elektrische Hilfslenkung: a) interne Kontaktierung durch ins Gehäuse vergossene Stanzgitter, b) Signalelektronik und Leistungsendstufen auf zwei getrennten Ebenen a)
b)
Bild 3-32: Aufbau des Drehmomentsensors: a) CAD-Modell, b) schematischer Aufbau
Systemfunktionen Wie prinzipiell von der hydraulischen Hilfskraftlenkung bekannt, wird das Ausmaß der Unterstützung durch den Elektromotor abhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit variiert: Im Stand ist die Unterstützung maximal, mit zunehmender Geschwindigkeit wird sie im Sinne einer geeigneten Kraftrückmeldung an den Fahrer reduziert. Die elektrische Hilfskraftlenkung ist im Gegensatz zur hydraulischen unabhängig vom Betriebszustand des Verbrennungsmotors. Außerdem kann bei Bedarf zwischen verschiedenen Lenkkraft-Abstimmungen für normalen oder sportlichen Fahrbetrieb umgeschaltet werden. Das Regelungskonzept der elektromechanischen Servolenkung basiert auf einer umfangreichen Signalverarbeitung, die unter anderem die Lenkgeschwindigkeit, den Lenkwinkel, die Drehzahl des Elektromotors, das Lenkmoment, die Fahrzeuggeschwindigkeit und weitere mit dem CAN-Datenbus übertragene Signale berücksichtigt (siehe Bild 3-33). Über die Auswertung der erfassten Größen wird Trägheits- und Reibungseinflüssen im Bereich des Lenkstrangs gezielt entgegengewirkt. Die Lenkrad-Eigenbewegung wird gedämpft, wobei Lenkwinkel, Lenkwinkelgeschwindigkeit, Lenk-
moment und Fahrzeuggeschwindigkeit berücksichtigt werden. Hierdurch wird auch die potentielle Schlingerneigung des Fahrzeugs bei ruckartigen Lenkradbewegungen reduziert. Niederfrequente Fahrbahninformationen werden dosiert an den Fahrer weitergeleitet, mittel- und hochfrequente Störungen dagegen gedämpft, so dass der Fahrer stets die notwendige Straßeninformation erhält, aber keine störenden Ausschläge an seinem Lenkrad spürt. Die Systemträgheit der elektromechanischen Servolenkung wird durch die so genannte Vorhaltefunktion minimiert. Hierbei wird insbesondere die Dynamik des vom Fahrer angeforderten Lenkmomentes ausgewertet. Die Rücklaufdynamik wird entscheidend verbessert und der Restwinkelfehler minimiert. Die aktive Rückstellung des Lenkrades verwertet als Eingangssignale den Lenkwinkel, die Lenkgeschwindigkeit und die Fahrzeuggeschwindigkeit, um hieraus die für die Rückstellung des Lenkrades erforderliche Bestromung zu ermitteln. Die Stabilität des Regelkreises sichert eine PD-Regelung. Diese Funktion sorgt dafür, dass einerseits die Trägheit des Motors kompensiert werden kann und außerdem vorhandene Reibungseinflüsse bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
137
Bild 3-33: Regelungskonzept für die elektrische Hilfskraftlenkung
Bild 3-34: Blockschaltbild des Sicherheitskonzepts
Das Sicherheitskonzept spielt bei dem hier vorliegenden mechatronischen System mit eigener Energieversorgung und Intelligenz eine zentrale Rolle. Es sorgt für die permanente Funktionsüberwachung des Systems und im Störungsfalle für die Überführung in den sicheren Zustand durch eine sofortige Abschaltung der Lenkunterstützung. Die Lenkbarkeit des Fahrzeuges bleibt durch den mechanischen Durchgriff jederzeit vollständig erhalten. Das Sicherheitskonzept der elektrischen Hilfskraftlenkung im BMW Z4 beinhaltet grundsätzlich drei Überwachungsebenen: die Komponenten-Überwachung, die Funktions-Überwachung und die Hardware-Überwachung (siehe Bild 3-34). Die Auslegung und Applikation von Sicherheitskonzepten erfolgt unter dem Aspekt, dass die fahrdynamische Beherrschbarkeit des Fahrzeuges stets gewährleistet bleiben muss. Zur Validierung des Konzeptes werden sowohl theoretische Analysemethoden (z.B. Fehlerbaumanalyse, FMEA) als auch versuchstechnische Absicherungsmethoden (z.B. Software-Test, Hard-
ware-in-the-Loop-Simulation, herangezogen.
Fahrzeugversuche)
3.2.3.2 Überlagerungslenkung
Bei einer konventionellen Lenkung wird der Einschlagwinkel der Vorderräder (Lenkwinkel) im Wesentlichen durch den vom Fahrer vorgegebenen Lenkradwinkel bestimmt. Dies bedeutet unter anderem, dass die Lenkübersetzung für alle Fahrzeuggeschwindigkeiten die selbe ist, auch wenn sie durch die mechanische Auslegung der Zahnstange über dem Lenkradwinkel veränderlich gestaltet werden kann. Mit der Überlagerungslenkung (auch Aktivlenkung genannt) ist es hingegen möglich, dem Lenkwinkel über eine elektronische Ansteuerung einen Zusatzlenkwinkel hinzu zu addieren, und zwar unabhängig von dem vom Fahrer vorgegebenen Lenkradwinkel. Die Überlagerungslenkung erlaubt für jede Fahrsituation die optimale Einstellung des Lenkwinkels.
138
3 Fahrwerksysteme
a)
b)
Bild 3-35: Komponenten der Überlagerungslenkung: a) Prinzipieller Aufbau, b) CAD-Modell
Systemaufbau und -komponenten Die Überlagerungslenkung arbeitet mit einem elektromechanischen Steller, der ein Planeten-AdditionsGetriebe und einen Elektromotor umfasst (Bild 3-35). Eingangsseitig ist das Planetengetriebe über das Servoventil und die Lenkspindel mit dem Lenkrad und über einen selbsthemmenden Schneckentrieb mit dem Elektromotor verbunden. Die Kraftübertragung vom Elektromotor über den Schneckentrieb auf den Planetenträger und das abtriebsseitige Sonnenrad zeigt Bild 3-36. Entsprechend der Auslegung des Getriebes werden Lenkradwinkel und Motorlagewinkel übersetzt und addiert. Ausgangsseitig resultiert ein Summenwinkel am Ritzel. Charakteristisch für die Überlagerungslenkung ist also die Beibehaltung einer mechanischen Verbindung zwischen dem Lenkrad und den Vorderrädern. Da der Fahrer bei diesem
Konzept jede Lenkwinkeländerung am Lenkrad abstützen muss, ist eine authentische Rückmeldung der Lenkung gewährleistet. Lenkradwinkel, Motorlagewinkel und Summenwinkel werden über jeweils einen Sensor erfasst. Über eine elektromechanische Sperre kann der Schneckentrieb blockiert werden. In dieser Rückfallebene verhält sich die Überlagerungslenkung wie eine konventionelle Lenkung: Der Lenkwinkel hängt dann gemäß der passiven, mechanischen Übersetzung ausschließlich vom Lenkradwinkel ab. Durch die geschilderte Anordnung wird eine Lenkung an der Vorderachse ohne Lenktätigkeit des Fahrers möglich. Sowohl der hierdurch ermöglichte Funktionsumfang als auch die sicherheitstechnische Relevanz des fahrerunabhängigen Stelleingriffs an der Vorderachse erfordern ein aufwendiges Ansteuerkonzept.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen a)
139 b)
Bild 3-36: Kraftübertragung im Überlagerungsgetriebe der Überlagerungslenkung: a) Prinzipdarstellung, dabei bezeichnet z die jeweilige Zähnezahl, b) CAD-Modell
Für die Überlagerungslenkung bei der BMW AG wurde ein eigener Steuerrechner mit zwei Prozessoren konzipiert, die über ein Dual-Port-RAM miteinander kommunizieren. Dabei sind den beiden Prozessoren eigene Aufgaben zugeordnet; je ein Prozessor ist für die Ansteuerung des Stellmotors bzw. für die Berechnung des korrekten Stellwinkels aus fahrdynamischen Eingangsdaten zuständig. Sicherheitsrelevante Umfänge werden von beiden Prozessoren redundant berechnet, die Rechenergebnisse werden kontinuierlich miteinander verglichen. Der Bewegungszustand des Lenkgetriebes wird durch je einen Winkelsensor am Lenkritzel (dieser entspricht dem Lenkwinkel bei konventionellen Fahrzeugen) sowie am Stellmotor gemessen. Hinzu kommen das Lenkradwinkelsignal als Sollvorgabe des Fahrers sowie Sensoren für Giergeschwindigkeit, Querbeschleuni-
gung und Raddrehzahlen, die gemeinsam mit dem Bremsregel-Steuergerät genutzt werden. Die Vernetzung des Steuergeräts für die Überlagerungslenkung im Fahrzeug erfolgt über den AntriebsCAN und über den Fahrwerks-CAN, der alle fahrwerksrelevanten Steuergeräte (Überlagerungslenkung, Antriebs- und Bremsregelung, Sensorcluster für Gierrate und Querbeschleunigung sowie Lenkradwinkel) mit der erforderlichen hohen Datenrate miteinander verbindet (siehe Bild 3-37). Im Gegensatz zu anderen neuen Fahrwerkregelsystemen wie z.B. der elektrohydraulischen Bremse benötigt die Überlagerungslenkung keine eigensichere und damit aufwendige elektrische Energieversorgung, da der eigensichere Zustand bei Ausfall der Energieversorgung automatisch erreicht wird.
Bild 3-37: Systemvernetzung der Überlagerungslenkung im Fahrzeug-Bordnetz: Dabei bezeichnet K-CAN den Komfort-CAN, PT-CAN (Powertrain-CAN) den AntriebsCAN, LW den Lenkwinkel, DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Antriebs- und Bremsregelung und Servotronic die geschwindigkeitsabhängige hydraulische Lenkkraftunterstützung. Die mit „Gierrate & Querbeschleunigung“ und „2. Gierrate & Querbeschleunigung“ beschrifteten Blöcke bezeichnen mikromechanische Sensorcluster (siehe hierzu Abschnitt 11.2)
140
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-38: Anordnung und Wirkungsweise der ÜberlagerungslenkungsTeilfunktionen. Dabei bezeichnet į die Lenkwinkel und ψ die Gierraten
Systemfunktionen Mit der beschriebenen Lösung ist eine Vielzahl von Funktionen realisierbar. Lediglich ein fahrerloser Betrieb mit automatischer Querführung ist nicht möglich, weil der Stellmotor nur dann eine Lenkbewegung auslösen kann, wenn sich das von ihm aufgebrachte Moment an der antriebsseitigen Sonne und damit am (vom Fahrer festgehaltenen) Lenkrad abstützen kann (siehe Bild 3-36). Da die Einführung eines vollautomatischen Fahrbetriebs auch mittelfristig kaum zu erwarten ist, stellt diese funktionale Einschränkung jedoch keine wirkliche Beschränkung des Einsatzbereiches dar. Grundsätzlich kann der im Steuergerät der Überlagerungslenkung gebildete Sollwert für den einzustellenden Stellwinkel in einen gesteuerten Teilsollwert und in einen geregelten Teilsollwert aufgeteilt werden. Diese Teilsollwerte werden an einem Summierpunkt zusammengeführt (siehe Bild 3-38). Der gesteuerte Anteil kann vereinfacht als variable Lenkübersetzung gedeutet werden und wird definitionsgemäß nur aus der Führungsgröße, nämlich dem Fahrerlenkwinkel gebildet. Dem geregelten Anteil hingegen liegen zusätzliche Informationen aus der Regelstrecke Fahrzeug zugrunde. Beiden Teilfunktionen ist gemeinsam, dass sie die Reaktion der Regelstrecke Fahrzeug auf Lenkeingaben des Fahrers modifizieren. Die Lenkeingriffe sind dabei in der Regel kontinuierlich und werden vom Fahrer im Gegensatz zu Bremseingriffen nicht oder zumindest nicht als störend wahrgenommen. Indem der Lenkwinkel und damit auch die Lenkübersetzung abhängig vom Lenkradwinkel und der Fahrzeuggeschwindigkeit festgelegt werden kann, lässt sich die Fahrzeugreaktion auf Lenkeingaben des Fahrers für jede Fahrsituation optimal abstimmen. Die Abhängigkeit der Lenkübersetzung von der Fahrzeuggeschwindigkeit ist qualitativ in Bild 3-39 darge-
stellt. Eine Lenkung muss für sehr hohe Geschwindigkeiten grundsätzlich so indirekt ausgelegt sein, dass das Fahrzeug nicht zu empfindlich reagiert und damit gut beherrschbar ist. Bei einer konventionellen Lenkung führt diese relativ indirekte Übersetzung zu Einbußen hinsichtlich Handlichkeit und Komfort bei niedrigen und mittleren Fahrzeuggeschwindigkeiten. Mit der Überlagerungslenkung ergeben sich für den Fahrer mehr Handlichkeit bei niedrigen und mittleren Geschwindigkeiten (kleinere erforderliche Lenkradwinkel, weniger Umgreifen) und gleichzeitig ein stabiler Geradeauslauf und gute Beherrschbarkeit bei hohen Geschwindigkeiten.
Bild 3-39: Variable Lenkübersetzung mit Hilfe der Überlagerungslenkung (Aktivlenkung) gegenüber fester Lenkübersetzung als Funktion der der Fahrzeug-Geschwindigkeit
Durch die Veränderung des vom Fahrer vorgegebenen Lenkwinkels kann das Fahrzeug auch gezielt stabilisiert und die Fahrzeugreaktion an das erwartete Fahrzeugverhalten angenähert werden.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
141
Bild 3-40: Blockschaltbild zum stabilisierenden Eingriff der Überlagerungslenkung. Dabei bezeichnet į die Lenkwinkel und ψ die Gierraten
Prinzipbedingt ist der stabilisierende Eingriff auf übersteuernde Fahrsituationen begrenzt; bei untersteuerndem Fahrzeug ist eine weitere Vergrößerung des Radlenkwinkels nicht sinnvoll. Zur Berechnung des richtigen stabilisierenden Lenkeingriffs werden die Fahrzeugbewegungsgrößen Gierwinkelgeschwindigkeit und Querbeschleunigung zurückgeführt und im Stabilisierungsregler mit der Sollvorgabe des Fahrers verglichen (siehe Bild 3-40). Im Vergleich zur Stabilisierung über die Radschlupfregelung weist die Stabilisierung über den Lenkeingriff an der Vorderachse ein anderes Eigenschaftsprofil auf: Der Lenkeingriff ist für den Fahrer weniger bemerkbar als der auch akustisch deutlich wahrnehmbare Bremseingriff. Damit ergibt sich die Möglichkeit eines früheren Lenkeingriffs und damit der weitgehenden Linearisierung des Gierverhaltens im gesamten Frequenzbereich. Außerdem ist der Lenkeingriff schneller als bei konventionellen Radschlupfregelsystemen, die eine gewisse Schwellzeit zum Druckaufbau benötigen. Damit ergeben sich insbe-
sondere bei höheren Geschwindigkeiten Vorteile für den Lenkeingriff. Ingesamt ist jedoch der Bremseingriff insbesondere bei niedrigen Reibwerten der Lenkung bezüglich der Stabilisierungsleistung überlegen. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Charakteristika zeigt, dass durch die Kombination von Lenkeingriff und Bremseingriff eine optimale Fahrzeugstabilisierung erreicht wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Bremsregelung den Summenwinkel der Überlagerungslenkung und nicht mehr den Lenkradwinkel als Eingangsgröße verwendet. Hierdurch wird eine Verschachtelung der Regler vermieden (siehe Bild 3-41). Im Vergleich zum alleinigen Bremseingriff kann mit der Kombination beider Systeme eine Reduzierung der komfortbeeinträchtigenden Bremseingriffe erzielt werden. Als Nebeneffekt kann bei manchen Fahrmanövern überdies eine höhere Durchfahrtgeschwindigkeit erzielt werden, weil durch den stabilisierenden Lenkeingriff weniger Fahrgeschwindigkeit abgebaut wird.
Bild 3-41: Verknüpfung von Brems- und Lenkungsregler. DSC (Dynamische Stabilitäts Control) bezeichnet dabei die Bremsregelung
142
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-42: Sicherheitskonzept der Überlagerungslenkung
Ein wesentlicher Aspekt des Sicherheitskonzepts für die Überlagerungslenkung ist der stets vorhandene und immer im Eingriff befindliche mechanische Durchtrieb. Dieser stellt sicher, dass der Fahrer bei stillstehendem und arretiertem Stellmotor immer den vollen Durchgriff auf den Lenkeinschlag an der Vorderachse behält. Hierdurch ist eine Fail-SilentAuslegung der Überlagerungslenkung möglich. Eine redundante Systemauslegung ist daher nur dort erforderlich, wo sie zur schnellen Erkennung von Fehlern erforderlich oder zur Erhöhung der Verfügbarkeit des Systems wünschenswert ist. Das Sicherheitskonzept ist schematisch in Bild 3-42 dargestellt. Alle relevanten Eingangssignale werden durch redundante Sensoren abgesichert. Die Berechnung des Sollsignals im Steuergerät erfolgt diversitär durch zwei verschiedene Prozessoren, das Fahrprogramm wird dabei durch diversitäre Implementierungen der Funktionslogik auf verschiedenen Prozessoren berechnet. Die Umsetzung des Sollsignals im elektromechanischen Wandler kann einkanalig realisiert werden, wenn z. B. durch die Wahl eines bürstenlosen Gleichstrommotors keine unerwünschte Stellbewegung in fahrdynamisch relevanter Größenordnung möglich ist. Das Sicherheitskonzept wird durch ein angepasstes Abschaltkonzept ergänzt. Die höchstmögliche Verfügbarkeit aller Teilfunktionen wird durch situationsangepasste Funktionsabschaltungen gewährleistet. Funktionsabschaltungen reichen von der temporären oder dauernden Ausblendung der Fahrstabilisierung (z.B. bei nicht ausrei-
chender Ölversorgung) über einen eingeschränkten Fahrbetrieb mit Ersatzwerten (wenn etwa die Fahrgeschwindigkeit nicht verfügbar ist) bis hin zur Totalabschaltung des gesamten Systems.
3.2.4 Integration von Fahrwerksregelsystemen Die in den vorangehendenen Abschnitten beschriebenen Fahrwerksregelsysteme bilden zusammen mit dem mechanischen Fahrwerk ein aktives Fahrwerk, bei dem es möglich ist, während des Fahrbetriebs die Parameter der einzelnen Fahrwerkskomponenten und damit das Fahrverhalten des Gesamtfahrzeugs optimal der jeweiligen Fahrsituation anzupassen und ferner den Fahrer bei der Führung des Fahrzeugs speziell auch in kritischen Situationen durch zusätzliche Stelleingriffe aktiv zu unterstützen. Die Architektur des Verbunds von Fahrwerksregelsystemen der meisten heute in Serie befindlichen Fahrzeuge ist insofern dezentral aufgebaut, dass mit wenigen Ausnahmen für jedes Regelsystem ein eigenes Steuergerät verwendet wird, wie in Bild 3-43 prinzipiell veranschaulicht ist. Die Signale der Sensoren werden teilweise von mehreren Regelsystemen verwendet, wie zum Beispiel die Signale der Sensoren zur Messung von Gierrate und Querbeschleunigung, die sowohl von der Überlagerungslenkung als auch von der Bremsregelung genutzt werden.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
143
Bild 3-43: Systemarchitektur mit dezentraler Struktur (Buskommunikation nicht explizit dargestellt), dabei bezeichnet AFS (Active Front Steering) die Überlagerungslenkung und DSC (Dynamische Stabilitäts Control) die Bremsregelung
Mit den Möglichkeiten, die ein Verbund an Fahrwerksregelsystemen mit sich bringt, wächst auch die Komplexität des Gesamtsystems, die es zu beherrschen gilt. Aus der Interaktion der Regelsysteme resultieren daher zusätzliche Anforderungen, die im Rahmen des Entwicklungsprozesses zu berücksichtigen sind: Die einzelnen Fahrwerksregelsysteme tauschen verschiedene Informationen miteinander aus. Aus diesem Grund ist eine geeignete Infrastruktur für die Kommunikation zwischen den Steuergeräten, den Sensoren und den Aktoren zu realisieren. Abhängig davon, ob ein Signal für die Verfügbarkeit eines Systems erforderlich oder gar sicherheitsrelevant ist, ist jeweils ein geeigneter Kommunikationskanal vorzusehen, der entsprechende Anforderungen an Zuverlässigkeit und Zeitverhalten erfüllt. Außerdem ist bei der Konzeption der Architektur des System- und Funktionsverbunds zu berücksichtigen, dass eine möglichst hohe Verfügbarkeit der einzelnen Systeme erzielt werden muss. Dies kann beispielsweise dadurch gelingen, dass ein System in seiner Rückfallebene weiterhin die für seine Partnersysteme erforderlichen Signale zur Verfügung stellt, soweit dies möglich ist, oder dass die Partnersysteme selbst in geeigneten Rückfallebenen weiterarbeiten. In einer Rückfallebene ist in der Regel eine Einschränkung der Funktionalität erforderlich. Tragen ferner Systemfunktionen verschiedener Fahrwerksregelsysteme zur Darstellung einer einzigen für den Fahrer relevanten Funktion bei, wie zum Beispiel Systemfunktionen der Bremsregelung und der Überlagerungslenkung zur querdynamischen Fahrzeugstabilisierung, wird eine funktionale Integration erforderlich. Das heißt, es ist sicherzustellen, dass durch die gemeinsame Wirkung beider Systemfunktionen die geforderte Gesamtfunktion den spezifizierten Anforderungen gemäß dargestellt wird. Die Systemfunktionen sind daher entweder jede für sich derart darzustellen, dass beide Funktionen in „friedlicher Koexistenz“ die Gesamtspezifikation erfüllen oder es ist ein geeigneter Signalaustausch zwischen den Systemen zur Kopplung der Algorithmen vorzusehen.
Speziell auch die Sicherheitskonzepte der einzelnen Systeme sind derart auszulegen, dass ein sicherer Betrieb für alle im Systemverbund möglichen Fehlerszenarien gewährleistet ist. Sowohl die Nichtverfügbarkeit von Signalen der Systempartner als auch der Ausfall oder die gestufte Abschaltung von Systemfunktionen der Partner sind hierbei zu berücksichtigen. Unter anderem bestimmt der Fahrwerkstyp, der Motortyp und die Kombination der verbauten Regelsysteme die resultierende Fahrzeugvariante. Bei der Fahrzeugvariantenplanung, also bei der Planung, welche Systeme als Serienausstattung und welche als Sonderausstattung in welcher Kombination (Paketierung) angeboten werden, muss berücksichtigt werden, dass die durch die Variantenvielfalt resultierende Komplexität technisch und wirtschaftlich beherrscht werden kann. Hierbei ist vor allem auch entscheidend, dass die Parametrierung eines Regelsystems teilweise davon abhängt, welche Fahrzeugvariante vorliegt. Die Abstimmprozesse, die sich für das klassische, passive Fahrwerk bewährt haben, sind auf die Anforderungen des aktiven Fahrwerks anzupassen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die deutliche Erhöhung der Anzahl der Parameter relevant. Auch wird die „Kompromissabstimmung“, bei der ein Parameter so festzulegen ist, dass er für alle Fahrsituationen zu einem akzeptablen Fahrverhalten führt, durch die „situationsabhängige Abstimmung“ abgelöst, bei der die Abhängigkeit eines Parameters von Messgrößen zu definieren ist, die die Fahrsituation beschreiben. Die Komplexität des Systemverbunds erfordert geeignete Prozesse zur Absicherung. Die intensivere Einbindung von Methoden mit einem höheren Automatisierungsgrad, wie zum Beispiel Hardware-in-the-Loop-Simulationen, wird erforderlich. Die einzelnen Fahrwerksregelsysteme kommen in den verschiedenen Fahrzeugbaureihen jeweils in einer aus Sicht der aktiven Sicherheit, der funktionalen Kundenwertigkeit und der Betriebswirtschaftlichkeit sinnvollen Paketierung zum Einsatz.
144
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-44: Fahrwerksregelsysteme in der 5erReihe von BMW: Wankstabilisierung Dynamic Drive, Geschwindigkeitsregelung mit Abstandsregelung ACC (Active Cruise Control), Antriebs- und Bremsregelung zur Fahrzeugstabilisierung DSC (Dynamische Stabilitäts Control) und Überlagerungslenkung (Aktivlenkung)
Die BMW 5er-Reihe ist beispielsweise serienmäßig mit der Brems- und Antriebsregelung zur Fahrzeugstabilisierung DSC ausgestattet und wird mit den Sonderausstattungen Aktivlenkung (Überlagerungslenkung), Dynamic Drive (Wankstabilisierung) und ACC (Active Cruise Control, Geschwindigkeitsregelung mit Abstandsregelung) angeboten (siehe Bild 3-44). Die derzeit umgesetzte dezentrale Systemstruktur resultiert zum einen aus der sukzessiven Einführung
der einzelnen Fahrwerksregelsysteme über die vergangenen Jahre. Zum anderen bietet sie die heute erforderliche Flexibilität zur Kombination von Systemen verschiedener Lieferanten. Für die weitere Evolution von integrierten Fahrwerksregelsystemen (Bild 3-45) wird speziell die Etablierung von Standards und Entwicklungsprozessen für die Integration von Software-Modulen in von Lieferanten bereitgestellte Steuergeräte eine entscheidende Rolle spielen.
Bild 3-45: Aktuelle und zukünftige Fahrdynamik-Regelungssysteme. Dabei bezeichnet FSR-ACC (Full Speed Range Adaptive Cruise Control) die Geschwindigkeitsregelung mit Abstandsregelung über den gesamten Geschwindigkeitsbereich, EPS (Electric Power Steering) die elektrische Hilfskraftlenkung (Elektrolenkung), ÜLL die Überlagerungslenkung, EPB die elekropneumatische Bremse und EHB die elektrohydraulische Bremse; die Pfeile symbolisieren, dass der Übergang zwischen Fahrerassistenzsystemen einerseits und Lenkungs- und Bremsregelsystemen andererseits fließend ist
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
145
Bild 3-46: Systemarchitektur mit zentralem Koordinator. Dabei bezeichnet LDM das Längs-, QDM das Quer- und VDM das Vertikaldynamik-Management, V-Getriebe steht für Verteilergetriebe
Denkbar ist eine Architektur, die sich durch zentrale Steuergeräte für Quer-, Vertikal- und Längsdynamik, eine geeignete Sensorausstattung und unterlagerte intelligente Aktoren auszeichnet. Ein weitergehender Schritt wäre der Einsatz eines einzigen zentralen Koordinators mit Modulen für die Quer-, Vertikalund Längsdynamik (siehe Bild 3-46).
3.2.5.1 Überblick
back-Aktor mechanisch entkoppelt und nur durch elektrische Leitungen miteinander verbunden. Beim Vorderachsaktor kann statt des elektromechanischen Antriebs auch ein hydraulischer Servoantrieb eingesetzt werden. Steer-by-Wire-Lenksysteme werden bislang nur in wenigen Spezialfahrzeugen eingesetzt. Den Vorteilen von erweiterten Lenkfunktionen und neuen Gestaltungsmöglichkeiten für das Cockpit steht als Nachteil ein beträchtlicher Aufwand zur Erfüllung der Zuverlässigkeitsanforderungen an sicherheitsrelevante Systeme in Kraftfahrzeugen gegenüber.
Im Gegensatz zu den heute verwendeten hydraulischen oder elektrischen Servolenkungen besteht bei einem „echten“ Steer-by-Wire-Lenksystem keine mechanische Verbindung zwischen der Lenkhandhabe (Lenkrad oder Side Stick) und dem Lenkgetriebe an der Vorderachse. Typischerweise besteht ein Steer-by-Wire-Lenksystem aus zwei elektronisch gesteuerten Aktoren. Bild 3-47 zeigt ein Ausführungsbeispiel für ein System mit elektromechanischen Antrieben. Der Vorderachsaktor (Front Axle Actuator, FAA) ersetzt das konventionelle Lenkgetriebe und setzt die Lenkeingaben des Fahrers an der Lenkhandhabe in eine Lenkbewegung der Vorderräder um. Der Feedback-Aktor (Hand Wheel Actuator, HWA) erzeugt an der Lenkhandhabe eine haptische Rückmeldung für den Fahrer über die Seitenkräfte in den Radaufstandspunkten der Vorderräder beziehungsweise über die Stellkraft des Vorderachsaktors. Die Funktion der beiden Aktoren wird bei diesem Ausführungsbeispiel mit Hilfe eines zentralen elektronischen Steuergeräts (Central Electronic Control Unit, CECU) koordiniert. Die Gestaltung der Lenkhandhabe als Side Stick oder als konventionelles Lenkrad ist für die elektrische und elektronische Architektur des Steer-byWire-Lenksystems von untergeordneter Bedeutung. In beiden Fällen sind Vorderachsaktor und Feed-
Bild 3-47: „Echtes“ Steer-by-Wire-Lenksystem (Prototyp)
3.2.5 Steer-by-Wire
146 Die Systemarchitektur und die konstruktive Gestaltung der Subsysteme müssen sicherstellen, dass die Ausfallsicherheit des Systems in Bezug auf einen Verlust der Lenkbarkeit des Fahrzeugs zumindest auf dem Niveau konventioneller Lenksysteme liegt. Dabei ist die elektrische Energieversorgung des Systems natürlich in die Zuverlässigkeitsbetrachtungen mit einzubeziehen. 3.2.5.2 Ausfallsichere oder fehlertolerante Systemarchitektur
Ein mechanisches System kann man basierend auf Fachkenntnissen und Erfahrungswerten so auslegen und dimensionieren, dass es bei Einhaltung der spezifizierten Beanspruchungsgrenzen innerhalb seiner vorgesehenen Nutzungsdauer nach menschlichem Ermessen nicht ausfallen wird. Unter der Annahme, dass diese Charakterisierung bei sicherheitsrelevanten Systemen in Kraftfahrzeugen einer theoretischen Ausfallwahrscheinlichkeit von deutlich weniger als 10-7 Ausfällen pro Stunde Betriebszeit entspricht, kann dies für einkanalig aufgebaute elektronische Steuergeräte und mechatronische Subsysteme heute nicht garantiert werden. Um eine zu konventionellen Lenksystemen vergleichbare Ausfallsicherheit zu erreichen, muss man bei einem Steer-by-Wire-Lenksystem also wenigstens singuläre elektrische oder elektronische Fehler in jedem seiner mechatronischen Subsysteme zulassen, ohne dass es zu einem plötzlichen Verlust der Lenkbarkeit des Fahrzeugs kommt. Ein solches Systemverhalten kann auf zwei grundlegend unterschiedliche Weisen erzielt werden: das System kann entweder ausfallsicher oder fehlertolerant ausgeführt werden.
3 Fahrwerksysteme Ein ausfallsicheres Steer-by-Wire-System beinhaltet eine mechanische Rückfallebene. Bild 3-48 zeigt ein Ausführungsbeispiel, bei dem die Lenkwelle zwischen dem Feedback-Aktor und dem Vorderachsaktor im normalen Betrieb des Steer-by-Wire-Systems mit Hilfe einer elektromagnetisch betätigten Kupplung unterbrochen wird. Die mechanische Rückfallebene ermöglicht es, im Falle eines sicherheitskritischen elektrischen oder elektronischen Fehlers in einem der mechatronischen Subsysteme alle elektronisch gesteuerten Funktionen einfach abzuschalten und das Steer-by-Wire-System in den Modus einer konventionellen mechanischen Lenkung zu überführen. Das heißt, für die Systemsicherheit ist es hier ausreichend, wenn die elektronische Steuerung über Fehlererkennungsmechanismen verfügt, die zuverlässig ein selbsttätiges Abschalten im Fehlerfall gewährleisten. Die mechatronischen Subsysteme können somit als Fail Silent Unit (FSU) ausgeführt werden. Eine Fail Silent Unit ist durch ihre Fähigkeit gekennzeichnet, sich kontinuierlich selbst zu überwachen und im Falle eines Fehlers sofort sämtliche Ausgänge in einen passiven Zustand zu überführen. Ein fehlertolerantes ‚echtes’ Steer-by-Wire-System basiert dagegen auf einer Verteilung der zur Aufrechterhaltung der Systemfunktionen erforderlichen Hardware [15]. Die Hardware wird dabei auf mehrere elektronische und mechatronische Subsysteme verteilt, die lokale Redundanzen bilden. Wenn ein Subsystem ausfällt beziehungsweise in Folge der internen oder externen Fehlererkennungsmechanismen abgeschaltet wird, gewährleistet seine lokale Redundanz ein Aufrechterhalten der von diesem Subsystem unterstützen Systemfunktionen.
Bild 3-48: Ausfallsicheres Steer-by-WireLenksystem mit mechanischer Rückfallebene (Prototyp)
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
147
Bild 3-49: Struktur einer fehlertoleranten Architektur mit fehlertoleranten Subsystemen (FTA: Fault Tolerant Architecture, FTU: Fault Tolerant Unit, FSU: Fail Silent Unit)
Die Fehlertoleranz schließt einen plötzlichen Verlust der Lenkbarkeit des Fahrzeugs aus und die Fehlererkennungsmechanismen erlauben eine angemessene Fehlerbehandlung. Eine angemessene Fehlerbehandlung kann zum Beispiel darin bestehen, den weiteren Einsatz eines Fahrzeugs nach Erkennen eines singulären Fehlers im Steer-by-Wire-System dadurch einzuschränken, dass der Fahrer einen Warnhinweis erhält und die maximale Fahrgeschwindigkeit deutlich reduziert wird. In diesem Beispiel wird also die Verfügbarkeit des Fahrzeugs gezielt reduziert, um den vorübergehenden Mangel an Ausfallsicherheit zu kompensieren. Insbesondere bei den mechatronischen Subsystemen einer fehlertoleranten Systemarchitektur bietet es sich an, eine gemeinsame mechanische Basis zu verwenden und redundante Subsysteme zu ‚Fault Tolerant Units‘ (FTUs) zusammenzufassen. Ein einfacher, aber weit verbreiteter Ansatz, eine Fault Tolerant Unit darzustellen, besteht darin, wenigstens zwei Fail Silent Units (FSUs) miteinander zu kombinieren. In Bild 3-49 ist dieses Konzept exemplarisch für ein sehr einfaches fehlertolerantes System dargestellt, das sich aus einer Sensor-, einer Controller- und einer Aktor-Einheit zusammensetzt. Die beiden Sensor-
FSUs bedienen sich einer gemeinsamen mechanischen Schnittstelle, zum Beispiel der Lenkradwelle. Die beiden Aktor-FSUs wirken ebenfalls auf eine gemeinsame mechanische Schnittstelle, zum Beispiel auf die Lenkzahnstange. Jede Fail Silent Unit verfügt über ein lokales elektronisches Steuergerät. Die lokalen Steuergeräte sind durch einen fehlertoleranten echtzeitfähigen Datenbus miteinander vernetzt. Bekannte Beispiele für einen solchen Datenbus sind TTP und Flexray. Im normalen Betrieb tragen beide Fail Silent Units in gleicher Weise zur Funktion ihrer übergeordneten Fault Tolerant Unit bei. Im Fall des Versagens einer Fail Silent Unit weist die übergeordnete Fault Tolerant Unit unter Umständen eine verminderte Leistungsfähigkeit auf, kann aber immer noch einen grundlegenden Funktionsumfang des Gesamtsystems (Fault Tolerant Architecture, FTA) aufrechterhalten. Voraussetzung für die Realisierbarkeit der Fehlertoleranz eines solchen mechatronischen Gesamtsystems ist eine redundante Spannungsversorgung.
148
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-50: Entwicklung der elektrischen und elektronischen Architektur eines Steer-by-Wire-Systems
3.2.5.3 Elektrische und elektronische Architektur des fehlertoleranten Steer-By-WireSystems
Dem klassischen Ansatz der Systementwicklung folgend bilden die für eine Steer-by-Wire-Anwendung eingeplanten und verfügbaren Komponenten wie Sensoren, Steuergeräte und Motoren sowie das Erfahrungswissen des Systementwicklers die Grundlage für das Layout der elektrischen und elektronischen Architektur. Die Fehlertoleranz eines so ausgelegten Systems wird mit Hilfe von FMEA-Methoden (Failure Mode and Effect Analysis) überprüft. Die Architektur muss dann gegebenenfalls iterativ nachgebessert werden. Alternativ kommt ein systematischer Ansatz zur Ermittlung einer geeigneten Architektur zur Anwendung (siehe Bild 3-50). Dazu werden zunächst alle gewünschten externen Systemfunktionen niedergeschrieben. Die externen Systemfunktionen des Steerby-Wire-Systems sind dabei diejenigen, die sich anhand der Eingänge und Ausgänge noch beobachten lassen, wenn das gesamte System als Black Box betrachtet wird. Basierend auf den Ergebnissen einer Gefahrenanalyse für das Steer-by-Wire-System (Top Level Hazard Analysis) wird für jede der externen Systemfunktionen
ihr potentielles Versagen entsprechend der Folgenschwere klassifiziert. Im nächsten Schritt werden die externen Systemfunktionen auf die internen Systemfunktionen heruntergebrochen, die innerhalb der Black Box ausgeführt werden müssen, um die externen Systemfunktionen zu realisieren. Natürlich resultieren viele dieser internen Systemfunktionen aus der zuvor festgelegten Unterteilung des Steer-by-Wire-Systems in zwei mechatronische Subsysteme sowie dem Grobkonzept für die Aktor-Hardware. Der internen Funktionsanalyse folgt eine Fehlerbaumanalyse (Fault Tree Analysis). Im Rahmen der Fehlerbaumanalyse wird für jede der externen Systemfunktionen ihr potentielles Versagen auf mögliche Ursachen in den internen Systemfunktionen zurückgeführt. In Angängigkeit von der zuvor vorgenommenen Klassifizierung des Versagens können nun Zuverlässigkeitsanforderungen für jede interne Systemfunktion postuliert werden. Aus den gewählten Strategien zur Gewährleistung dieser Zuverlässigkeitsanforderungen resultieren schließlich konkrete Vorgaben für das Layout der elektrischen und elektronischen Architektur des Systems und für die Verteilung der Softwarefunktionen auf die miteinander vernetzten Mikrocontroller.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
149
Bild 3-51: Fehlertolerante elektrische und elektronische Architektur eines Steer-by-Wire-Systems, S: Sensor, M: Motor, ECU: Electronic Control Unit (nicht dargestellt ist die redundante Spannungsversorgung der Fault Tolerant Units, FTUs), HWA: Hand Wheel Actuator, FAA: Front Axle Actuator
Bild 3-51 zeigt in vereinfachter Darstellung ein Beispiel für eine nach diesem systematischen Ansatz ermittelte fehlertolerante elektrische und elektronische Architektur eines Steer-by-Wire-Systems. Feedback-Aktor und Vorderachsaktor weisen die gleiche Struktur auf. Beide Aktoren sind als Fault Tolerant Units aufgebaut, bei denen jeweils zwei Motoren und drei Sensoren auf einer gemeinsamen Welle montiert sind. Beide Aktoren enthalten zudem jeweils zwei separate elektronische Steuergeräte. Jedes Steuergerät verarbeitet zwei voneinander unabhängige Sensorsignale und steuert einen Motor. Sämtliche Steuergeräte tauschen über einen fehlertoleranten echtzeitfähigen Datenbus kontinuierlich Sensorsignale, Stellbefehle und Statusinfomationen miteinander aus. Auf die Darstellung der redundanten Spannungsversorgung der Subsysteme wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. Die Strategien zur Gewährleistung der Zuverlässigkeit basieren hier im Wesentlichen auf der Bereitstellung von lokalen Redundanzen für die elektrischen und elektronischen Subsysteme. Für die mechanischen Komponenten des Vorderachsaktors und des Feedback-Aktors gilt dagegen die Annahme, dass
diese entsprechend der bewährten Konstruktionsprinzipien für sicherheitskritische Bauteile im Kraftfahrzeug ausgelegt und dimensioniert werden. Bild 3-52 zeigt den entsprechenden Konstruktionsentwurf für den Vorderachsaktor als fehlertolerantes mechatronisches Subsystem. Die beiden unabhängig voneinander angesteuerten bürstenlosen Hohlwellenmotoren wirken parallel auf einen zentral angeordneten Kugelgewindetrieb, der den Drehwinkel der Motorwelle in eine Translationsbewegung der Lenkzahnstange und das Motormoment in eine Axialkraft an der Lenkzahnstange umwandelt. Die auf den Hohlwellen angeordneten paarweise redundanten Sensoren liefern die Ankerposition für die elektronische Kommutierung der Motoren. Aus der Ankerposition wird außerdem der Verschiebeweg der Lenkzahnstange berechnet, der dem Positionsregelkreis des Vorderachsaktors als Istwert zugeführt wird. Bei dem hier betrachteten Prototyp wurden die beiden elektronischen Steuergeräte weit außen positioniert, um in der in der Mitte des Gehäusedeckels einen möglichst großen Freiraum für das mit einem Hitzeschild umgebene Abgasrohr des Verbrennungsmotors zu schaffen und so die externe thermische Belastung des Vorderachsaktors in Grenzen zu halten.
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3 Fahrwerksysteme
Bild 3-52: Vorderachsaktor als fehlertolerantes mechatronisches Subsystem (Prototyp)
3.2.5.4 Fehlertolerante Spannungsversorgung
Unabdingbare Voraussetzung für jedes sicherheitsrelevante „echte“ X-by-Wire-System im Kraftfahrzeug ist eine fehlertolerante elektrische Energieversorgung. Bei einem Mittelklasse-Pkw mit einer Vorderachslast von 900 bis 1100 kg würde die durchschnittliche mechanische Ausgangsleistung des Steer-By-WireVorderachsaktors im normalen Fahrbetrieb zwar weniger als 40 Watt betragen. Zur Darstellung der gewünschten erweiterten Lenkfunktionen muss der Vorderachsaktor bei einigen Fahrmanövern (z.B. beim Lenken im Stand) allerdings wiederkehrend über mehrere Sekunden hinweg eine mechanische Ausgangsleistung von circa 1000 Watt zur Verfügung stellen können. Die grundlegenden Lenkfunktionen zur Aufrechterhaltung der Lenkfähigkeit des Fahrzeugs, die auch im Falle eines singulären Fehlers in einem der Subsysteme des Vorderachsaktors verfügbar sein müssen, erfordern immerhin noch eine kurzzeitige mechanische Ausgangsleistung von circa 600 Watt. Der Leistungsbedarf steigt dabei proportional zur Erhöhung der Vorderachslast. Mit der üblichen Versorgungsspannung von 14 Volt sind für diese Ausgangsleistungen bei konventionel-
ler Ansteuerung der Elektromotoren sehr hohe Ströme über die Leistungstransistoren der Endstufen zu führen. Zum Schutz gegen die dabei aus den Ohmschen Verlusten resultierende Erwärmung der Endstufe müssen aufwendige Maßnahmen zur Kühlung vorgesehen werden. Andernfalls wird die Verfügbarkeit des Steer-By-Wire-Systems beträchtlich eingeschränkt. Wesentlich günstigere Bedingungen würden bei einer Versorgungsspannung von 42 Volt vorliegen. Als Alternative zur 42-Volt-Spannungsversorgung wird die kombinierte Verwendung von Voltage-Boostern zur Erhöhung der Spannungsniveaus an der Endstufe und zusätzlichen kapazitiven Energiespeichern (Supercaps) zu Reduzierung der maximalen Stromaufnahme aus dem 14-Volt-Bordnetz diskutiert. 3.2.5.5 Steer-by-Wire-Regelkreise
Ein Steer-by-Wire-System beinhaltet mehrere hierarchisch angeordnete und aneinandergekoppelte Regelkreise (siehe Bild 3-53).
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
151
Bild 3-53: Kopplung zwischen dem Positionsregelkreis des Vorderachsaktors (FAA) und dem Momentenregelkreis des Feedback-Aktors (HWA) über das zentrale Steuergerät (CECU)
Der Vorderachsaktor wird in einem Positionsregelkreis betrieben und beinhaltet auch einen Kraftsensor oder einen Beobachter für die Lenkkräfte an der Vorderachse. Der Feedback-Aktor wird dagegen in einem Momentenregelkreis betrieben und enthält einen Winkelsensor zur Erfassung der Lenkeingaben des Fahrers an der Lenkhandhabe oder am Lenkrad. Die aktuelle Neufassung der ECE-Regelung R79 für Lenksysteme von Straßenfahrzeugen erlaubt im Hinblick auf automatische Lenkkorrekturen zur Verbesserung der elektronischen Fahrstabilitätsregelung eine gewisse Flexibilität in der Gestaltung der funktionalen Abhängigkeit zwischen den Lenkeingaben des Fahrers und der Lenkbewegung der Vorderräder [16]. Allerdings muss sich der Lenkwinkel der Vorderräder stetig mit der Handbewegung des Fahrers an der Lenkhandhabe ändern. Die Sollwertvorgabe für die Position des Vorderachsaktors ist damit im Wesentlichen eine nichtlineare, aber stetige Funktion des Lenkradwinkels. Die Berechnung der Sollwertvorgabe für das Feedback-Moment erscheint auf den ersten Blick eine ähnlich einfache Aufgabe zu sein. Dem klassischen Ansatz folgend wird die gemessene oder mit Hilfe eines Beobachters geschätzte Lenkkraft an der Vorderachse einem Kennfeld zugeführt, das gemäß der invertierten Unterstützungskurve einer Servolenkung
einen Sollwert für das Reaktionsmoment am Lenkrad ausgibt. Leider führt dieser einfache Ansatz nicht unbedingt zum gewünschten Erfolg. Die direkte Kopplung zwischen dem Positionsregelkreis des Vorderachsaktors und dem Momentenregelkreis des Feedback-Aktors führt aufgrund der hohen Verstärkungsfaktoren insbesondere beim Lenken im Stand und bei losgelassenem Lenkrad (Free Control) zu Stabilitätsproblemen, die sich in oszillierenden Lenkbewegungen widerspiegeln. Dieses Problem kann zwar durch Erhöhen der aktiven Dämpfung reduziert werden, allerdings zu Ungunsten des Lenkgefühls. Komplexere Ansätze zur Generierung der Sollwertvorgabe für das Feedback-Moment, die den Konflikt zwischen einer guten Rückmeldung über den Fahrbahnkontakt am Lenkrad und der Stabilität der Steerby-Wire-Systems besser lösen, wurden in verschiedenen Publikationen bereits veröffentlicht ([17], [18], [19]). Voraussetzung für alle Ansätze ist allerdings eine ausreichende Bandbreite der untergeordneten Regelkreise auf der Ebene der mechatronischen Subsysteme. Diese hängt direkt von der Auflösung und der Genauigkeit der verwendeten Sensoren, der Rechenleistung der Mikrocontroller und dem Leistungsüberschuss der Servoantriebe ab und hat damit starken Einfluss auf die Systemkosten.
152 3.2.5.6 Steer-by-Wire-Anwendungen
Mit dem heutigen Stand der Kraftfahrzeugelektronik sind Steer-by-Wire-Lenksysteme ohne mechanische Rückfallebene technisch realisierbar. Allerdings ergeben sich aufgrund der erforderlichen Redundanzen im direkten Vergleich zu hydraulischen oder elektrischen Servolenkungen erhebliche Kostennachteile, die der Substitution dieser Lenksysteme durch ein Steer-byWire-System entgegenstehen. Daneben soll nicht verschwiegen werden, dass sich die erweiterten Lenkfunktionen in Abhängigkeit von ihrer Ausprägung in prinzipiell konventionell aufgebauten Lenkungen auch entweder durch eine Lenkmomentüberlagerung oder durch eine Lenkwinkelüberlagerung darstellen lassen. Bei der Lenkmomentüberlagerung wirkt ein Servomotor als Momentensteller direkt auf die Eingangswelle des konventionellen Lenkgetriebes. Bei der Lenkwinkelüberlagerung wird der Servomotor als Winkelsteller über ein Summiergetriebe (zum Beispiel ein Planetengetriebe) mit der Lenkwelle der hydraulischen Servolenkung verbunden. Beide Arten der Überlagerungslenkung können als Fail Silent Unit ohne lokale Redundanz ausgelegt werden und lassen sich aufgrund des relativ geringen Leistungsbedarfs problemlos in 14-Volt-Technologie ausführen. Solange neue Package-Strukturen und Innenraumkonzepte für zukünftige Kraftfahrzeuge die mechanische Verbindung vom Lenkrad zum Lenkgetriebe nicht absolut ausschließen, können vor diesem Hintergrund auch die funktionalen Vorteile von Steer-by-WireSystem die Nachteile bei den Systemkosten nicht aufwiegen. „Echte“ Steer-by-Wire-Anwendungen werden daher bis auf weiteres Sonderfahrzeugen vorbehalten bleiben.
3.2.6 Brake-By-Wire In der Entwicklung des Automobils steht die Bremsanlage als Grundbaustein der aktiven Fahrsicherheit vor einem Generationswechsel: Nach Anfängen mit rein mechanisch betätigen Bremsen dominiert heute die hydraulische Bremsanlage mit einem integrierten elektronischen Antiblockiersystem, deren Ablösung durch mechatronische Brake-by-Wire-Anlagen allerdings mittlerweile vorgezeichnet ist. 3.2.6.1 Überblick
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die hydraulischen Fahrzeugbremsen entwickelt, bei denen durch die Reibungsfreiheit der Flüssigkeit eine gleichmäßige Verteilung der Betätigungskräfte auf die Räder einer Achse sicher gestellt ist. Diese hydraulische Form der Kraftübertragung hat sich weltweit bis zum heutigen Tag als Stand der PkwBremsentechnik etabliert.
3 Fahrwerksysteme Gleichwohl zeichnet sich nunmehr ein Generationenwechsel in der Bremsentechnologie ab, für den es gute Beweggründe gibt. Es handelt sich dabei um elektronische By-Wire-Bremsanlagen, bei denen zwar nach wie vor durch Reibung zwischen Belag und Trommel oder Scheibe gebremst wird, der Stellbefehl zum Zuspannen jedoch elektrisch ausgelöst oder übertragen wird. Zu unterscheiden sind hierbei einerseits fremdeingriffsfähige Hilfskraft- sowie andererseits echte Fremdkraftbremsanlagen. Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge lassen sich Bremsanlagen grundsätzlich in Muskelkraft-, Hilfskraft- und Fremdkraftanlagen differenzieren. Für die Betrachtung von By-Wire-Bremsanlagen spielen die Muskelkraftanlagen ohne jegliche Verstärkung und Fremdeingriffsfähigkeit keine Rolle. Hingegen sind Hilfskraft-verstärkte Anlagen bei Ausstattung mit entsprechender Sensorik und Aktorik in der Lage, z.B. im Fall von Fahrdynamik-Regeleingriffen (elektronisches Stabilitätsprogramm) oder Adaptive Cruise Control (automatische Abstandseinregelung) fremdangesteuert zu agieren – allerdings stets noch mit direkter mechanisch-hydraulischer Durchgriffsmöglichkeit auf die Radbremsen durch den Fahrer. Im Falle des elektrohydraulischen Bremssystems (EHB) und des elektromechanischen Bremssystems (EMB) handelt es sich um echte By-Wire-Anlagen mit reiner Fremdkraftbetätigung (Fahrerwunschübertragung über Strom oder Spannung), wobei beim EHB bei Ausfall der Spannungs- oder Stromversorgung immer noch eine hydraulische Notdurchgriffsmöglichkeit („Rückfallebene“) für den Fahrerfuß gegeben ist. Beim EMB muss von Vornherein mit redundanter Energieversorgung (z.B. zwei Batterien) gearbeitet werden. Das Hybridbremssystem stellt eine Übergangslösung dar, bis die volle elektrische Redundanz im Pkw verwirklicht sein wird: Die konventionell hydraulisch (gegebenenfalls auch mit dem EHB) gebremste Vorderachse wird durch eine elektromechanisch gebremste Hinterachse mit integrierter elektrischer Feststellbremse (Parkbremse) ergänzt. Die wesentlichen Vorteile der Brake-By-Wire-Anlagen bestehen in der vollständigen Fremdansteuerfähigkeit für zukünftige vernetzte Verkehrssysteme sowie in der eleganten Möglichkeit, die Parkbremse inklusive aller Hilfsfunktionen zu implementieren (Anfahrhilfsfunktionen, z.B. in Form von Rückrollverhinderung am Berg). Außerdem sind By-WireBremsanlagen eine Voraussetzung für das Global Chassis Control (kombinierte Regelung von Lenkung, Bremse und Fahrwerk). 3.2.6.2 Elektrohydraulisches Bremssystem
Das elektrohydraulische Bremssystem (EHB) ist sowohl im Normalbrems- als auch im Radschlupfre-
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen gel-Modus ein von der Betätigung (Bremspedal) mechanisch entkoppeltes und dadurch in Bezug auf den Fahrerfuß rückwirkungsfreies Bremssystem. Es besteht aus den Baugruppen (Bild 3-54): Betätigungseinheit (anstelle der klassischen Betätigung, z.B. Vakuum-Booster) mit einem applizierten Bremsgefühlgeber, dem sogenannten Pedal-
153 (gefühl)simulator einschließlich der Fahrerwunscherfassung (Sensorik am elektronischen Bremspedal) Regeleinheiten (elektronisch und hydraulisch, an einem beliebigen Ort im Fahrzeug) vier konventionellen Radbremsen
Bild 3-54: Elektrohydraulisches Bremssystem: a) Systemlayout, b) Komponenten, c) Hydraulikschaltplan
154 Der gemessene Pedalweg und der im Simulator aufgebaute Druck stellen das Maß für die gewünschte Verzögerung dar. Diese Signale werden über Kabel (by wire) an den elektronischen Regler geleitet und mit weiteren, den Fahrzustand und Fremdbremseingriffe beschreibenden Sensorsignalen (z.B. Raddrehzahlen, Gierrate, Querbeschleunigung) verarbeitet. Der elektronische Regler errechnet daraus die Vorgaben für – hinsichtlich Bremsverhalten und Fahrstabilität optimale – radindividuelle Bremsdrücke. Die hydraulische Regeleinheit und das MotorPumpen-Speicher-Aggregat erzeugen die Bremsenergie entsprechend dieser Vorgaben. Eine als Rückfallebene für den Stromausfall installierte hydraulische Verbindung zwischen Betätigungseinheit und hydraulischer Regeleinheit ist dazu durch dauerbestromte elektrische Trennventile – die bei Stromausfall für direkten Fahrerdurchgriff federbetätigt öffnen – unterbrochen. Der Bremsdruck im Rad wird aus der vorgeladenen Speichereinheit über Regelventile eingestellt. Das elektrohydraulische Bremssystem ermöglicht kürzere Anhaltewege durch eine bessere Systemdynamik (insbesondere bei Kälte). Außerdem besteht die Möglichkeit einer verbesserten Anordnung der Pedale und eines verbesserten Packagings mit einer vereinfachten Montage durch Wegfall des Unterdruckverstärkers (Vakuum-Booster) und eine frei im Motorraum positionierbare elektro-hydraulische Regeleinheit. Weiterhin ergibt sich eine einfache Realisierung von Fremdbremseingriffen über externe Signale. Alle heute denkbaren Bremseingriffe und Radschlupf-Regelfunktionen werden dabei mit Hilfe der einheitlichen elektrohydraulischen Regeleinheit und somit ohne zusätzlichen Hardwareaufwand realisiert. Beispiele hierfür sind das Anti-Blockier-System (ABS), die elektronische Bremskraftverteilung, die Antriebsschlupfregelung, das elektronische Stabilitätsprogramm (Fahrdynamikregelung), der Bremsassistent und die automatische Abstandsregelung. 3.2.6.3 Elektromechanisches Bremssystem
Beim elektromechanischen Bremssystem (EMB) findet sowohl für die Signalübertragung (mit einem BusSystem, siehe Abschnitt 4.2) als auch für die Energieübertragung kein Stofffluss (in Form von Bremsflüssigkeit) mehr statt; vielmehr werden die ZuspannStellbefehle und Stellbewegungen rein elektrisch initiiert. 3.2.6.3.1 Zielsetzung
Das elektromechanische Bremssystem (EMB) ist ein bedeutender Schritt in der Weiterentwicklung von Bremssystemen. Da es frei von Bremsflüssigkeit ist, wird es auch „trockenes“ Brake-by-Wire genannt. Es ermöglicht eine chrashentkoppelte und ergonomisch
3 Fahrwerksysteme günstige Position des Bremspedals (möglich durch Pedalgefühlsimulator und Sensorik statt Tandemhauptzylinder und Unterdruckverstärker) und somit einen geringeren Zeitbedarf für das Umsetzen des Fußes. Hieraus ergibt sich ein verkürzter Anhalteweg. Der Entfall der Bremsflüssigkeit verleiht ihm eine erhöhte Umweltverträglichkeit. Außerdem erfordert es nur einen geringen Packaging- und Montageaufwand. Das elektromechanische Bremssystem übernimmt sämtliche Funktionen einer Bremsanlage: Betriebsbremsanlage, Hilfsbremsanlage und elektrische Parkbremse. 3.2.6.3.2 Systemaufbau
Wie beim elektrohydraulischen Bremssystem besteht das Grundprinzip des EMB in der rückwirkungsfreien Kopplung des Pedals (Sollwertvorgabe) mit den Bremsen. Anders als beim EHB existiert jedoch beim EMB keine hydraulische, mit Muskelkraft betätigbare Rückfallebene mehr. Um die Sicherheit des Fahrzeuges zu gewährleisten, benötigt das EMB ein redundantes Signal- und Energienetz (z.B. zwei Batterien, siehe Abschnitt 3.2.6.3.7). Im Gegensatz zum EHB erzeugt das EMB die Betätigungskräfte direkt an den Rädern über rein elektromechanisch betriebene Radbremsen anstelle der konventionellen hydraulisch betätigten Bremssättel. Die Bremsbeläge werden von einem Elektromotor über ein Getriebesystem an die Bremsscheibe gepresst (siehe Bild 3-55). 3.2.6.3.3 Betätigungseinrichtung
Die Betätigung besteht in einem ersten Schritt aus einem „elektronischen“ Bremspedal (denkbar sind auch andere Arten von Betätigungen, z.B. ein Hebel). Dieses kann Bestandteil eines verstellbaren Pedalmoduls sein, das neben dem Brems- auch das Fahrpedal und die zentrale elektronische Regeleinheit enthält (Bild 3-56). Das elektronische Bremspedal setzt sich aus dem Pedalgefühlsimulator und Sensoren zur Fahrerwunscherfassung zusammen. Die PedalwegSignale werden wie beim EHB von der zentralen Regelelektronik mit weiteren Signalen (z.B. Raddrehzahlen, Gierrate, Querbeschleunigung) verarbeitet und in hinsichtlich Bremsverhalten und Fahrstabilität optimale radindividuelle Bremsenzuspannkräfte umgerechnet. Die entsprechenden elektrischen Informationen werden über ein zweikanaliges Bussystem (by wire) an die Radbremsmodule übertragen. Die Pedalcharakteristik (Zusammenhang zwischen Pedalkraft, Pedalweg und Fahrzeugverzögerung) spielt neben den nicht bremssystemspezifischen Gegebenheiten, wie z.B. Stellung des Pedals (Neigung) und relative Position zum Sitz (Ergonomie), die wesentliche Rolle für das sich ergebende „Pedalgefühl“.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
155
Bild 3-55: Elektromechanisches Bremssystem: a) Systemlayout, b) Systemarchitektur
Das Empfinden, wie Betätigungs-Kraft und -Weg in Relation zur Verzögerung harmonieren, ist entscheidend für die sichere, effiziente und komfortable Bedienbarkeit der Bremse. Beim EMB lässt sich das Pedalgefühl in weiten Grenzen durch Software vorgeben. Erweiterungen zu einer veränderlichen (adaptiven) Pedalcharakteristik (z.B. abhängig vom Beladungszustand) sind mit relativ geringem Aufwand durch Software darstellbar. 3.2.6.3.4 Radbremsmodule
Bild 3-56: Verstellbares Pedalmodul
Jedes der Radbremsmodule besteht aus den Grundkomponenten Reibungsbremse, elektromechanischer Aktor und darin integrierter Leistungselektronik (Bild 3-57). Die Faustsattel-Reibungsbremse wird in ihrer Grundfunktion von der hydraulischen Radbremse übernommen. Der Bremskolben wird durch den elektromechanischen Aktor ersetzt. Die Zuspannkraft-Dosierung bei Bremsvorgängen sowie
156 die Bremsmomentenvariation bei Radschlupf-Regelungsvorgängen (z.B. durch ABS) erfolgen ähnlich wie bei der elektrohydraulischen Bremse in der Zentral-Elektronik, von der aus die entsprechenden Anforderungen an die Radbremsen-Leistungselektroniken weitergeleitet werden.
3 Fahrwerksysteme Die Feststellbremsfunktion (elektrische Parkbremse) wird realisiert, indem der Aktorantrieb nach Zuspannen auf einem vorgegebenen Kraftniveau elektromechanisch verriegelt wird. Nach Wegnahme der Bestromung bleibt das System selbsthemmend verriegelt und benötigt lediglich zum Lösen erneut elektrische Energie. 3.2.6.3.5 Sensorik
Zuzüglich zur Fahrdynamik-Regelungs-Sensorik empfiehlt es sich, radindividuelle Zuspannkraftsensoren zu verwenden. Aus heutiger Sicht bietet diese Konstellation die bestmögliche Funktionalität und das bestmögliche Regelungskonzept. Allerdings sind auch kraftsensorlose Strategien mit einer rechnerischen „Rekonstruktion“ des Bremsmomentes und der Zuspannkraft möglich. Als zusätzliche Sensorik gegenüber den hydraulischen Bremssystemen ist in jedem Aktor noch eine Motorlagesensorik enthalten. Dadurch kann bei entsprechender konstruktiver Auslegung nicht nur die Motorkommutierung, sondern auch die genaue Bremsbelagposition (für Belagverschleißerfassung, Lüftspieleinstellung etc.) realisiert werden. Bild 3-57: Radbremsmodul
3.2.6.3.6 Regelkonzepte
Die Feststellbremse ist an der Hinterachse in Form einer in den Aktor integrierten Arretiervorrichtung realisiert. Die Aktivierung kann durch einen manuell bedienten Taster mit reiner Signalkopplung an die jeweiligen Rad-Leistungselektroniken erfolgen oder mit einer Ansteuerung der RadbremsenLeistungselektroniken durch die Zentral-Elektronik aufgrund dort ablaufender übergeordneter Zusatzfunktionen. An den elektromechanischen Aktor des elektromechanischen Bremssystems werden besondere Anforderungen gestellt. Er muss durch die Abstimmung seiner Komponenten (Elektromotor und Getriebesysteme) sicherstellen, dass der gewünschte physikalische Effekt, nämlich Aufbau und Modulation einer Spannkraft, in den geforderten Zeiten realisiert werden kann. An den Motor der Aktorik werden unterschiedliche Anforderungen gestellt: Zum einen muss in Verbindung mit dem nachgeschalteten Getriebesystem die maximale Spannkraft sicher erreicht werden, zum anderen müssen der Kraftaufbau und die Kraftmodulation mit einer hinreichenden Dynamik erfolgen. Als sinnvoller elektromechanischer Wandler hat sich aufgrund der sehr hohen Leistungsdichte der bürstenlose, permanenterregte Gleichstrommotor herauskristallisiert. Der Abstimmung der Motorkennlinie und der geometrischen Auslegung (Trägheitsmomente) ist aufgrund der statischen und dynamischen Anforderungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Auch das elektromechanische Bremssystem realisiert – wie das elektrohydraulische – alle denkbaren Bremseingriffe und Stabilitätsfunktionen (z.B. ABS, elektronische Bremskraftverteilung, Antriebsschlupfregelung, elektronisches Stabilitätsprogramm, Bremsassistent, automatische Abstandsregelung). Darüber hinaus kann die elektrische Parkbremse mit minimalem Aufwand ergänzt werden. Das elektromechanische Bremssystem kann die Beläge aktiv zurückstellen (lüften). Bei hydraulischen Bremsen wird diese Aufgabe durch die Kolbendichtringe nur annähernd wahrgenommen. Das aktive Zurückstellen gewährleistet schnelles, exakt dosiertes Lüften der Bremsbeläge von der Scheibe. Dadurch werden Restbremsmomente vermieden und der Kraftstoffverbrauch vermindert, Auswaschungen an den Bremsscheiben (DTV, Disc Thickness Variation) verhindert sowie bei ABS-Reglung auf niedrigsten Reibwerten das Wiederbeschleunigen des Rades erleichtert. Das elektromechanische Bremssystem sensiert den aktuellen Belagzustand, insbesondere den Belagverschleiß. Mit dieser Information kann eine rechtzeitige Aufforderung zum Belagwechsel generiert werden. Darüber hinaus ist es möglich, den Belagverschleiß innerhalb gewisser Grenzen stärker auf die bislang schwächer abgenutzten, meist hinteren Beläge zu verlagern. Dies geschieht situationsangepasst durch eine Verschiebung der Bremskraftanteile auf die Bremsen mit dem geringeren Verschleiß.
3.2 Fahrdynamik-Regelung für Personenkraftwagen
157
3.2.6.3.7 Energieversorgung
3.2.6.4.2 Systemaufbau
Grundsätzlich ist der Generator die Energiequelle zum Betrieb des elektromechanischen Bremssystems. Die aus Sicherheits- und Redundanzgründen notwendigen beiden Batterien (möglichst von unterschiedlicher physikalischer Bauart) müssen bezüglich Ladezustand (State of Charge, SoC) sowie Alterungszustand (State of Health, SoH) überwacht werden und stellen neben einem Puffer für kurzzeitige Spitzen im Leistungsbedarf die Backup-Lösung für den Notfall sowie für den Zustand „Fahrzeugantrieb ausgeschaltet“ dar. Aus heutiger Sicht kann ein derartiges Bremssystem mit einem 14-V-Bordnetz nicht sinnvoll betrieben werden. Die zum Erreichen der erforderlichen Dynamik benötigte hohe Leistungsaufnahme führt zu inakzeptablen, verlustreichen Spitzenströmen.
Ein Hybrid-Bremssystem (Bild 3-58) besteht aus einer hydraulischen Betätigungseinrichtung, die die Vorderachse mit den bekannten hydraulischen Bremssätteln versorgt. Die Ausführung kann sowohl ein- als auch zweikreisig sein. Die Hydraulik-Anlage ist auf die Regelung nur einer Achse angepasst. Die Erfassung des Fahrerwunsches geschieht mit Sensoren in der Betätigung oder innerhalb des HydraulikSystems. Die beiden hinteren elektromechanischen Aktoren komplettieren die Bremsanlage. Die Sensorik für die Fahrdynamikregelung (Raddrehzahlen, Lenkwinkel, Gierrate, Beschleunigungen) bleibt unverändert. Ein Taster zur Betätigung der elektrischen Parkbremse vervollständigt die Anlage. Die Elektronik des Fahrdynamik-Regelsystems übernimmt wie bisher die Radschlupfregelung, auch bei „externen“ Bremsanforderungen wie z.B. bei der Abstandsregelung. Daneben wird hier auch der Fahrerwunsch ermittelt und entsprechend den Fahr- und Lastbedingungen die optimale Bremskraft als Anforderung über eine Busverbindung an die Hinterachse geschickt. In der Fahrzeugausrüstung ergibt das zunächst keine wesentliche Änderung. Das grundsätzliche Packaging bleibt unverändert.
3.2.6.4 Hybrid-Bremssystem
Die Idee einer Kombination der bewährten hydraulischen Bremse mit der elektromechanischen Bremse entstand bereits in der Frühphase der Entwicklung von By-Wire-Bremssystemen. Durch den raschen Entwicklungsfortschritt bei Kommunikationssystemen und 42-Volt-Komponenten wurde der Ansatz zunächst nur kurze Zeit verfolgt. Hohe Kosten und der fehlende Marktdruck sorgten dann aber für eine zögerliche Umsetzung neuer Fahrzeugarchitekturen und damit für eine Wiederbelebung der Kombination von Elektromechanik (an der Hinterachse) mit Hydraulik (an der Vorderachse), die mit den bekannten Fahrzeugstrukturen darstellbar ist. 3.2.6.4.1 Motivation
Der Einsatz einer elektromechanischen Bremse an der Hinterachse eines Fahrzeuges erfordert aufgrund Baugröße und notwendiger Dynamik im Gegensatz zur Vorderachse deutlich geringere Leistungen, die sich mit 12 Volt Bordnetzspannung darstellen lassen. Einen Teil der Zusatzfunktionen des elektromechanischen Bremssystems wie die integrierte Parkbremse, eine nahezu frei variierbare Bremslastverteilung und die Fremdansteuerung der Bremse im Komfortbereich lassen sich mit dem Hybrid-Bremssystem darstellen. Da nur die Vorderachse hydraulisch versorgt wird, reduziert sich die Baugröße der Betätigungseinrichtung und erlaubt einen deutlich größeren Auslegungsspielraum. Die elektrische Bremse an der Hinterachse lässt nicht nur Bremsleitungen und -schläuche nach hinten entfallen, sie erlaubt auch bei der Achsmontage die Darstellung von komplett geprüften Modulen mit einfachen Schnittstellen.
3.2.6.4.3 Neue Funktionen
Die heute bekannten Regelfunktionen bleiben vollständig erhalten. Dazu kommen Erweiterungen und neue Funktionen: Die Grundbremse wird um eine situationsangepasste Bremslastverteilung erweitert. Damit kann zum einen eine ideale Bremslastverteilung realisiert werden und andererseits können Beladungs- und Fahrzustände berücksichtigt werden. Fahrzeuge, die aus Komfortgründen eine weiche Aufhängung zwischen Aufbau und Achsen haben, neigen bei Bremsungen bis zum Stillstand zu unkomfortablen Aufbaulängsschwingungen. Diese lassen sich durch temporäre Reduzierung der Bremskraft an einer Achse nahezu vollständig vermeiden („Soft-Stop, Ruckverhinderer“). Dies lässt sich auch mit der Hybrid-Bremse so darstellen, dass der Fahrer von dem Eingriff im Pedal nichts spürt. Radschlupfregelfunktionen werden teilweise durch die Möglichkeit optimiert, die Bremskraft an der Hinterachse über die Fahrervorgabe anzuheben. Die Integration der Parkbremse erlaubt neue Regelkonzepte mit völliger Integration von Betriebs- und Parkbremsfunktionen mit hochdynamischen, komfortablen Übergängen.
158
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-58: Hybrid-Bremssystem
Der zunehmenden Forderung für externe Ansteuerungen durch Assistenzsysteme kann das System vor allem im Bereich der Komfortbremsungen (bis etwa 0,3 g) entsprechen. Hier lässt sich durch die Ansteuerungen der Hinterachse alleine bereits eine optimal regelbare Bremsung darstellen. Der Fahrer bemerkt dabei am Bremspedal nichts von einem Eingriff.
Bild 3-59: Hybrid-Bremssystem: Hinterachs-Aktor
3.2.6.4.4 Hinterachs-Aktor
Für den Hinterachseinsatz in einem Hybrid-Bremssystem wird auf den Sattel des elektromechanischen Bremssystems zurückgegriffen. Jedoch steht hier neben der Integration der Parkbremse eine kostenoptimierte Konstruktion mit ausreichender Dynamik im Vordergrund. Die elektrische Versorgung ist auf 12 Volt ausgelegt (Bild 3-59).
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160
3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge 3.3.1 Nutzfahrzeug-Bremsanlage 3.3.1.1 Einleitung
Angesichts der primären Aufgabe einer Bremsanlage, die kinetische Energie von Fahrzeugen schnell und sicher in Reibungswärme umzusetzen, gehört sie zu den sicherheitsrelevanten Systemen eines Kraftfahrzeuges. Während Transporter und leichte Nutzfahrzeuge in der Regel mit Pkw-ähnlichen hydraulischen Hilfskraftbremsanlagen ausgestattet sind, haben Lkw über 6 t Gesamtgewicht und die davon gezogenen Anhängefahrzeuge fast ausschließlich pneumatische Fremdkraftbremsanlagen. Meilensteine des kontinuierlichen Fortschritts von Druckluftbremsanlagen sind die Einführung der EU-Bremsanlage (1973) sowie die Einführung des Anti-Blockier-Systems (ABS) im Jahr 1981, das im Jahr 1991 für schwere Lkw und die zugehörigen Anhänger gesetzlich vorgeschrieben wurde. Erstmals im Schwer-Lkw Actros der Marke Mercedes-Benz wurden 1996 Scheibenbremsen mit elektronischer Regelung der Bremskraft eingeführt. Diese elektronisch-pneumatische Bremsanlage (EPB) löste die bis dahin übliche pneumatische Fremdkraftbremsanlage ab. Damit wurde ein Bremssystem geschaffen, das nicht nur den im Laufe der Zeit erhöhten Sicherheitsanforderungen Rechnung trägt, sondern auch als Basissystem die Plattform für eine Reihe von Fahrerassistenzsystemen (siehe Abschnitt 9.2) bildet. Diese Systeme können zum Teil durch reine SoftwareIntegration in das elektronische Bremssystem integriert werden. Die Marktdurchdringung vollzog sich in Europa vergleichsweise schnell und hat längst auch die Nutzfahrzeuge der mittleren Gewichtsklasse erreicht.
3 Fahrwerksysteme gen verwendet. Dabei werden in der Regel Membranzylinder mit gespeicherter Druckluft beaufschlagt. Moderne Zweikreis-Druckluftbremsanlagen (siehe Bild 3-60) bestehen aus den Hauptgruppen Energieversorgung, Vorrat, Bremsventile, Bremskraftsteuerung, Radbremsen sowie der Steuerung und Versorgung der Anhängerbremsanlage. Das dem Druckregler nachgeschaltete VierkreisSchutzventil schützt bei Defekt eines der Druckluftkreise die restlichen vor Druckverlust und hält somit die Bremsanlage betriebsfähig. Die erste entscheidende Leistungssteigerung dieser pneumatischen Bremsanlage erfolgte durch Einführung des Anti-Blockier-Systems (ABS). Dieses erste elektronische Regelsystem im Nutzfahrzeug, das in die konventionelle Bremsanlage integrierbar ist, hat die Aufgabe, Fahrstabilität und Lenkfähigkeit des Fahrzeuges beim Bremsen auf Fahrbahnoberflächen mit niedrigem oder unterschiedlichem Kraftschluss in den Fahrspuren zu erhalten und gleichzeitig die mögliche Kraftübertragung zwischen Reifen und Fahrbahn an allen Rädern optimal für die Verzögerung des Fahrzeuges zu nutzen. Da die Gesetzmäßigkeiten für die Übertragung von Längskräften zwischen Reifen und Fahrbahn für Brems- und Antriebskräfte gleichermaßen gelten, war die Entwicklung der Antriebsschlupfregelung (ASR) der konsequente nächste Schritt (Bild 3-61). Beim Durchdrehen beider Antriebsräder reduziert die Motorregelung die Antriebskräfte so stark, dass die Räder wieder in optimalen Schlupf kommen und damit die dem Kraftschluss entsprechenden größtmöglichen Vortriebskräfte übertragen können. Bei einseitig durchdrehendem Rad wird dieses Rad so stark eingebremst, dass es wieder in den optimalen Schlupfbereich zurückgeführt wird (Differenzialbremsregelung). Das nicht durchdrehende Rad kann dadurch etwa ebensoviel Vortriebsmoment aufbringen, wie das durchdrehende Rad mit Bremsmoment beaufschlagt wird.
3.3.1.2 Pneumatische Fremdkraftbremsanlage
3.3.1.2.2 Bremsanlage für Anhängefahrzeuge
3.3.1.2.1 Bremsanlage für Zugfahrzeuge
Durch die Anzahl der Verbindungsleitungen vom Zugfahrzeug zum Anhänger oder Auflieger gliedern sich die Bremsanlagen in Ein-, Zwei- oder Mehrleitungsbremsanlagen. Bei Einleitungsbremsanlagen übernimmt eine Leitung sowohl die Druckversorgung (Auffüllen des Vorratsbehälters) als auch die Steuerung des Anhängerbremsventils, das die Druckluft zur Betätigung der Radbremsen freigibt. Die während der stationären Fahrt unter Druck stehende Leitung wird bei Bremsbetätigung entlüftet und damit die Druckluftversorgung des Anhängers unterbrochen. Einleitungsbremsanlagen sind in der EU nicht mehr zulässig.
Bei Nutzfahrzeugen über 6 t Gesamtgewicht ist es für den Fahrer trotz Unterdruckunterstützung nicht mehr möglich, im praktischen Fahrbetrieb mit seiner Fußkraft eine ausreichende Bremskraft zu erzielen. Deshalb werden bei diesen Nutzfahrzeugen fast ausschließlich Fremdkraftbremsanlagen eingesetzt, bei denen die zur Erzeugung der Bremskraft benötigte Energie von einer Energieversorgungseinheit ausgeht. Neben Air-over-Hydraulic-Bremssystemen, bei denen die Radbremsen hydraulisch betätigt werden und die teilweise noch bei mittelschweren Nutzfahrzeugen zum Einsatz kommen, werden Druckluftbremsanla-
3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge
161
Bild 3-60: Prinzip einer zweikreisigen Druckluft-Fremdkraftbremsanlage; ALB Automatischer lastabhängiger Bremskraftverteiler
Bild 3-61: Anti-Blockier-System (ABS) und Antriebsschlupfregelung (ASR) für ein Nutzfahrzeug mit konventioneller Druckluft-Fremdkraftbremsanlage: 1 Sensor und Polrad, 2 Membranzylinder, 3 Magnetregelventil (ABS), 4 Motorsteuerung, 5 Membran-Federspeicher-Kombinationszylinder, 6 Magnetregelventil, 7 2-Wegeventil, 8 3/2-Wegemagnetventil, 9 Elektronik für ABS und ASR, 10 Kontrollleuchten, 11 Druckluftbehälter (Vorderachsbremskreis), 12 Druckluftbehälter (Hinterachsbremskreis), 13 ABS-Steckdose (Anhängefahrzeuge)
162 Die europäische Standardausführung ist die Zweileitungsbremsanlage. Dabei verbindet eine permanent unter Druck stehende Vorratsleitung die Vorratsbehälter von Zugfahrzeug und Anhänger oder Auflieger. Die zweite Leitung (Bremsleitung) steuert über den Druckanstieg vom Anhängersteuerventil im Zugfahrzeug über das Anhängerbremsventil im Anhänger oder Auflieger die Betätigung der Radbremsen. Das Bremsen des Anhängers oder Aufliegers bei ungewolltem Abreißen erfolgt durch die Vorratsleitung. Strömt aus ihr, z.B. durch Leitungsbruch, Luft aus, aktiviert das Bremsventil im Anhänger oder Auflieger die Bremsen. Mehrleitungsbremsanlagen (drei Leitungen) sind hauptsächlich in Frankreich und England gebräuchlich. Dabei überträgt die dritte Leitung den Bremsdruck für die Hilfsbremsanlage im Anhänger oder Auflieger. Um die Fahrstabilität der unterschiedlichen Zugkombinationen beim Bremsen sicherzustellen, sind die
3 Fahrwerksysteme Bremsanlagen der Einzelfahrzeuge so aufeinander abzustimmen, dass sie den Anforderungen des EGAbbremsbandes genügen (siehe auch Abschnitt 3.3.1.5). 3.3.1.3 Elektronisch-pneumatische Bremsanlage
Die elektronisch-pneumatische Bremsanlage (EPB) basiert auf einer zweikreisig aufgebauten, rein pneumatisch arbeitenden Grundbremsanlage, der die eigentliche elektropneumatische Regelung überlagert wird (Bild 3-62). Den Vorder- und Hinterachsbremsen sowie dem „Kupplungskopf Bremse“ zum Anhänger sind Druckregelkreise zugeordnet, mit denen die im Steuergerät der EPB ermittelten Drucksollwerte in Bremsdrücke umgesetzt werden. ABS- und ASR-Funktionsumfänge sind in der EPB integriert.
Bild 3-62: Systemkomponenten einer elektronisch-pneumatischen Bremsanlage: 1 Steuergerät, 2 ABS-Ventil, 3 Proportional-Relaisventil, 4 Bremswertgeber, 5 Redundanzventil, 6 elektropneumatisches Anhängersteuerventil, 7 Achsmodulator, 8 Belagsverschleißsensor, 9 Drehzahlsensor, 10 Radbremse, 11 Druckluftspeicher
3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge 3.3.1.3.1 Systemkomponenten einer elektronischpneumatischen Bremsanlage
Im Steuergerät der EPB sind wesentliche Funktionsumfänge, Kommunikationsschnittstellen zu anderen Fahrzeugsystemen und zum Achsmodulator sowie die Druckregelung für Vorderachse und Anhängersteuerkreis realisiert. Zur optimalen Bedienung von Anhängern mit elektronisch-pneumatischer Bremsanlage ist im Steuergerät auch eine elektrische Schnittstelle nach ISO 11992 integriert. Der Bremswertgeber enthält zwei voneinander unabhängige pneumatische Steuerkreise, zwei Bremslichtschalter sowie zwei unabhängig voneinander arbeitende Analogsensoren, die den vom Fahrer ausgesteuerten Pedalweg erfassen und an das Steuergerät weiterleiten. Der Achsmodulator an der Hinterachse enthält zwei radweise zugeordnete Druckregelkreise, die die beiden Hinterradbremsen bei unkritischen Betriebsbremsungen mit dem gleichen Bremsdruck beaufschlagen. Die bei einem ABS- oder einem ASR-Regeleingriff notwendigen, radindividuellen Bremsdrücke werden ebenfalls von den Regelkreisen des Achsmodulators ausgesteuert. Mit dem Redundanzventil der Hinterachse wird sichergestellt, dass bei Ausfall des Achsmodulators die Hinterachsbremsen mit Druck beaufschlagt werden können. Das Proportional-Relaisventil an der Vorderachse ist gegenüber dem Achsmodulator an der Hinterachse einfacher aufgebaut und beaufschlagt beide Vorderradbremsen mit Druck. Der Istdruck wird sensiert und zur Darstellung eines Druckregelkreises an das Steuergerät übertragen. Bei Ausfall der Vorderachs-Elektropneumatik entspricht der Vorderachs-Bremsdruck dem Steuerdruck des Bremswertgebers. Dem ProportionalRelaisventil sind radweise angeordnete ABS-Magnetventile nachgeschaltet, mit denen ein ABS-Regeleingriff an jedem Vorderrad ermöglicht wird. Diese ABS-Magnetventile unterscheiden sich nicht von den in konventionellen Fremdkraftbremsanlagen eingesetzten Komponenten. Das elektronisch-pneumatische Anhängersteuerventil entspricht weitgehend einem konventionellen Anhängersteuerventil mit integrierter Abrisssicherung. Um eine spürbar verbesserte Anhängerregelung auch beim Betrieb mit heute noch in Betrieb befindlichen, konventionell gebremsten Anhängern zu ermöglichen, wird der erste Steuerkreis elektrisch angesteuert. Vorrats- und Steuerdruck des elektronischpneumatischen Anhängersteuerventils werden über die üblichen pneumatischen Schnittstellen „Kupplungskopf Vorrat“ und „Kupplungskopf Bremse“ zum Anhänger übertragen. Der Ausgangsdruck am „Kupplungskopf Bremse“ wird sensiert und – ähnlich wie an der Vorderachse – dem Steuergerät zur Darstellung eines Druckregelkreises übertragen.
163 3.3.1.4 Differenzschlupfregelung
Bei Bremsungen ohne ABS-Regeleingriff werden die Drucksollwerte für Vorderachse, Hinterachse und Anhänger durch die Differenzschlupfregelung in der EPB ermittelt (Bild 3-63). Der Sinn dieser Regelung ist die Gesamtbeladung des Zugfahrzeugs und die Achslastverteilung ohne Einsatz eines separaten Lastsensors und ohne Parametrierung fahrzeugspezifischer Größen, wie Radstand oder Schwerpunktlage, zu erkennen. Außerdem wird eine Verzögerungsregelung dargestellt. Das heißt, gleiche Pedalbetätigung bedeutet gleiche Verzögerung, unabhängig von Beladungszustand und Fahrsituation. Ferner wird eine Anhängerregelung realisiert, durch die sich das Zugfahrzeug und der Anhänger stets seinem Gewicht entsprechend an der Bremsarbeit des gesamten Zuges beteiligen. Schließlich wird noch eine Harmonisierung des Bremsbelagverschleißes zwischen den bremsdruckgeregelten Achsen des Zugfahrzeugs bei unkritischen Anpassungsbremsungen auf Basis realer Verschleißdaten der Bremsbeläge dargestellt. Oberste Priorität hat allerdings immer der durch die ABS-Regelung vorgegebene Bremsdruckverlauf an den Rädern bei ABSEingriff.
Bild 3-63: Differenzschlupfregelung in der EPB: zsoll Soll-Abbremsung, zist tatsächliche Abbremsung, vref Fahrzeuggeschwindigkeit, pVA Bremsdruck Vorderachse, pHA Bremsdruck Hinterachse, n Raddrehzahl, U Spannung, sB Dicke Bremsbelag, sP Pedalweg, pn pneumatisch
164 3.3.1.5 Koppelkraftregelung
Je nach Abstimmung der einzelnen Zugkomponenten innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Abbremsbandes (Bild 3-64), kann es im Kupplungspunkt zu Zug- oder Druckkräften zwischen den Zuggliedern kommen. Um die Kräfte vor dem Hintergrund einer optimalen Zugstabilität beim Bremsen zu minimieren, wird der Ausgangsdruck am Kupplungskopf „Bremse“ entsprechend geregelt. Dadurch beteiligen sich Lkw und Anhänger oder Auflieger ihrem Gewicht entsprechend an der Bremsarbeit des Gesamtzugs.
Bild 3-64: Korrektur des Bremsdrucks im Anhängefahrzeug innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Abbremsbandes (g = 9,81 m/s2)
3.3.1.6 Ausfallsicherheit
Die pneumatische Basisbremsanlage ist so ausgelegt, dass die Vorschriften zur Wirkung von LkwBremsanlagen bereits ohne Einsatz der elektropneumatischen Regelkreise erfüllt werden. Wie bei allen modernen, komplexen Fahrzeugsystemen ist der Ausfallsicherheit durch eine ausgefeilte Sicherheitsund Abschaltphilosophie Rechnung zu tragen. Die übergeordneten Ziele bestehen in der Erkennung aller Fehler und einer angemessenen Warnung des Fahrers und in der konsequenten Vermeidung sicherheitskritischer System- oder Fahrzustände; außerdem in der größtmöglichen Verfügbarkeit auch von Subsystemen und Teilfunktionen sowie in der Begrenzung des Speicherbedarfs der Sicherheitssoftware durch Bildung von Fehlergruppen. Die wesentlichen Merkmale der Sicherheitsphilosophie sind im folgenden zusammengefasst: Bei Ausfall der Druckluftversorgung eines Kreises entspricht das Ausfallverhalten der EPB dem einer konventionellen Bremsanlage: Das Vierkreisschutzventil sichert die Vorratskreise für Vorderachse, Hinterachse und Anhängersteuerung gegeneinander ab. Der defekte Kreis selbst kann nicht mehr zur Bremsung beitragen, die beiden verbleibenden Kreise
3 Fahrwerksysteme aber arbeiten mit dem Schließdruck des Vierkreisschutzventils ohne Beeinträchtigung weiter. Bei einem Defekt in der Anhängersteuerung des Zugfahrzeugs steht – wie in einer konventionellen Bremsanlage – für einen gewissen Zeitraum der im Anhänger gespeicherte Druckluftvorrat für Bremsungen zur Verfügung. Beim Totalausfall der Fahrzeug-Elektrik oder des EPB-Steuergeräts kommt die pneumatische Basisbremsanlage in allen Kreisen zum Einsatz. Wie in einer konventionellen ABS-Bremsanlage ist bei einem solchen vollständigen Elektrikausfall auch eine ABS-Regelung nicht mehr möglich. Die pneumatische Basisbremsanlage ist deshalb so ausgelegt, dass einerseits Fahrzeuge mit besonders niedrigem Hinterachs-Lastanteil (beispielsweise Zweiachs-Sattelzugmaschinen im Solobetrieb) trotz fehlenden ABSSchutzes nicht in kritische Fahrsituationen geraten, dass aber andererseits Fahrzeuge mit besonders hohem Hinterachs-Lastanteil (beispielsweise voll beladene Dreiachs-Pritschenfahrzeuge) dennoch über eine ausreichende Bremskraftreserve verfügen. Zur Erreichung beider Ziele wird der vom HinterachsRedundanzkreis aussteuerbare Bremsdruck reduziert. Die Kennung entspricht in etwa der eines ALBVentils (Automatisches lastabhängiges Druck-Begrenzungs-Ventil, siehe Bild 3-60) in Teillaststellung. Die Kennung des Vorderachs-Redundanzkreises wird bei Ausfall der Hinterachs-Elektropneumatik über ein Last-Leer-Ventil im Bremswertgeber angehoben. Der Ausfall des Achsmodulators an der Hinterachse bedeutet auch den Ausfall der ABS-Regelung an der Hinterachse. Zur Sicherstellung einer definierten Blockierreihenfolge wird in diesem Fehlerfall auch die ABS-Regelung an der Vorderachse abgeschaltet. Die elektropneumatische Druckregelung an der Vorderachse und im Anhängersteuerkreis bleiben erhalten. Ein Defekt im Proportional-Relaisventil an der Vorderachse kann zu einem Ausfall der VorderachsDruckregelung führen. Während die Vorderachse über den pneumatischen Redundanzkreis gesteuert wird, bleiben die Druckregelkreise an der Hinterachse und in der Anhängersteuerung ebenso voll verfügbar wie die gesamte ABS-Regelung. Mit dem Ziel größtmöglicher Verfügbarkeit erfolgt bei Defekten an einzelnen Komponenten eine selektive Abschaltung der betroffenen Funktionsumfänge. So führt beispielsweise ein fehlerhaftes Raddrehzahlsignal zur Abschaltung der ABS-Funktion am betroffenen Rad, während die Differenzschlupfregelung und mit ihr die gesamte elektropneumatische Regelung erhalten bleibt. Außerdem führt ein Defekt in der Bremsbelagverschleißsensorik lediglich zur Abschaltung der Bremsbelag-Verschleißharmonisierung, ein fehlerhaftes Drucksensorsignal zum Übergang auf eine elektropneumatische Drucksteuerung und ein defektes Vorderachs-ABS-Drucksteuerventil nur zur Abschaltung der ABS-Funktion des betroffenen Rades.
3.3 Fahrdynamikregelung für Nutzfahrzeuge
165
Alle Fehler, die durch die in die EPB integrierte Sensorik erkannt werden, erscheinen auf dem Anzeigeinstrument und warnen den Fahrer. Eine Klassifizierung der entdeckten Fehler in drei Schweregrade ermöglicht dem Fahrer eine angemessene Reaktion auf den entdeckten Fehler. Gleiches gilt für die Überwachung der Vorratsdrücke, die direkt im Vierkreisschutzventil erfolgt.
rungsregelung bei betätigter Betriebsbremse wird der Fahrer auch künftig dazu animiert, die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs bei Gefällefahrten nur über die Aktivierung der Dauerbremsen per Lenkstockschalter zu halten oder den Tempomat zu nutzen.
3.3.1.7 Dauerbremsintegration
3.3.2.1 Einleitung
Auf Basis der in der EPB integrierten Differenzschlupfregelung wurde die automatische Aktivierung der im Fahrzeug verbauten Dauerbremssysteme bei Betätigung des Bremspedals möglich. Das Regelziel der Dauerbremsaktivierung besteht darin, durch Aktivierung der Dauerbremsen bei möglichst allen Verzögerungsvorgängen die Bremsbelag-Standzeiten von Zugfahrzeug und Anhänger zu erhöhen. Kritische Fahrsituationen werden durch die in der Differenzschlupfregelung vorliegenden aktuellen Daten automatisch erkannt, ein manuelles Abschalten der Funktion „Dauerbremsaktivierung per Bremspedal“ ist deshalb nicht erforderlich. Die separate Betätigung der Dauerbremsen mit dem Lenkstockschalter bleibt von der neuen Funktion der EPB unberührt. Durch die Beibehaltung der Verzöge-
Insbesondere bei ungünstiger Beladungssituation oder wechselnder Fahrbahnbeschaffenheit kann es bei Kurvenfahrten oder Ausweichmanövern mit Nutzfahrzeugen durch überhöhte Geschwindigkeit zu kritischen Fahrzuständen kommen, welche vom Fahrer unter Umständen nicht mehr kontrollierbar sind. Die elektronische Fahrdynamik-Regelung (Bild 3-65) erkennt drohende Instabilitäten wie Schleudern, Ausbrechen, Einknicken oder Umkippen und wirkt diesen Tendenzen, soweit physikalisch möglich, durch Reduzierung des Motormoments, durch gezielte radweise Eingriffe in das Bremssystem des Zugfahrzeugs und durch Ansteuerung der Aufliegerbremsanlage entgegen. Mit der elektronischen Fahrdynamik-Regelung wird eine Beeinflussung der Querdynamik vorgenommen.
3.3.2 Fahrdynamik-Regelung von Sattelzügen
Bild 3-65: Prinzip der Fahrdynamik-Regelung von Sattelzugmaschinen
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3 Fahrwerksysteme
Bild 3-66: Ausregelung des Sollkurses für einen Sattelzug durch situationsabhängigen Bremseingriff: übersteuerndes Fahrzeugverhalten (links), untersteuerndes Fahrzeugverhalten (rechts)
3.3.2.2 Aufbau und Funktion der elektronischen Fahrdynamik-Regelung
Die elektronische Fahrdynamik-Regelung setzt auf der Plattform der EPB auf. Im Steuergerät der Fahrdynamik-Regelung sind die wesentlichen Funktionsumfänge und Sicherheitsmechanismen, mit denen eine sicherheitskritische Betätigung des Bremssystems und anderer Fahrzeugsysteme ausgeschlossen werden kann, sowie die Kommunikationsschnittstelle zum Steuergerät der EPB realisiert. Der Datenaustausch erfolgt über CAN-Datenbus. Weiterhin sind im Steuergerät der Fahrdynamik-Regelung ein Gierratensensor, mit welchem die Drehbewegung um die Hochachse des Fahrzeuges erfasst wird, und ein Querbeschleunigungssensor integriert. Da die Querbeschleunigung im Fahrzeugschwerpunkt benötigt wird, ist das Steuergerät schwerpunktsnah im Rahmen verbaut. Der zwischen Lenkrad und Lenksäule sitzende Lenkradwinkelsensor erfasst den aktuellen Lenkradwinkel und errechnet mit der aus den Raddrehzahlen abgeleiteten Fahrzeuggeschwindigkeit den vom Fahrer gewünschten Soll-Kurs des Zuges. Der fahrdynamische Ist-Kurs wird aus der gemessenen Gierrate und der gemessenen Querbeschleunigung bestimmt. Der aus der Gierrate, Querbeschleunigung und der Fahrzeugreferenzgeschwindigkeit berechenbare Schwimmwinkel des Fahrzeugs dient in Kombination mit der Gierrate als Indikator für sich abzeichnende Instabilitäten wie Schleudern oder Ausbrechen. Bei Überschreiten vorgegebener Schwellwerte wird die vorhandene Regeldifferenz durch die nachfolgend erläuterten unterlagerten Regeleingriffe beseitigt: Radindividuelle Bremseingriffe (Bild 3-66): Durch radindividuelle Bremseingriffe wird ein Giermoment aufgebaut, das das Fahrzeug in die vom Fahrer gewünschte Richtung dreht. Bei untersteuerndem Fahrverhalten wird durch gezieltes individuelles Einbremsen des kurveninneren Rades der Hinterachse ein Giermoment aufgebaut, das das Fahrzeug stabilisierend in die Kurve hineindreht. Bei übersteuerndem Fahrzeugverhalten dagegen wird das kurvenäußere Rad der Vorderachse eingebremst und dadurch der Tendenz des Fahrzeugs entgegengewirkt, sich in die
Kurve hineinzudrehen. Durch die elektrische Ansteuerung der entsprechenden Stellglieder der EPB ist es möglich, den Bremsdruck an den einzelnen Rädern des Zugfahrzeugs sowie im Auflieger – auch ohne Betätigung des Bremspedals – zu beeinflussen. Ansteuerung der Aufliegerbremsanlage: Durch Ansteuerung des EPB-Anhängersteuerventils werden konventionelle wie auch elektropneumatisch gebremste Auflieger im Bedarfsfall über die pneumatische Schnittstelle „Kupplungskopf Bremse“ eingebremst und somit der Sattelzug gestreckt und verzögert. Ein mögliches Aufschieben des Aufliegers und ein damit verbundenes Einknicken des Zuges werden sicher verhindert. Motorregelung: Bei kritischen Fahrzuständen aufgrund überhöhter Geschwindigkeit wird aus der Gierrate eine bei der momentanen Querbeschleunigung optimale Sollgeschwindigkeit berechnet, bei der das Fahrzeug noch stabil ist, und in ein Motormoment umgerechnet. Die Motorsteuerung regelt dieses Motormoment feinfühlig aus. Die Kurvengrenzgeschwindigkeit wird dadurch nicht überschritten. 3.3.2.3 Schutz vor Umkippen
Die hohe Schwerpunktlage von beladenen Sattelzügen ist die Ursache dafür, dass überhöhte Kurvengeschwindigkeiten auf hohen Kraftschlussbeiwerten zwischen Reifen und Fahrbahn weniger zum Schleudern und Ausbrechen, sondern vielmehr zum Umkippen des Zuges führen können. Der Kippschutz erkennt Kipptendenzen des Sattelzuges und verhindert diese durch entsprechende Regeleingriffe. Voraussetzung für die Realisierung eines Kippschutzes ist eine Abschätzung der Schwerpunktshöhe im Auflieger, die sich durch stark variierende Beladungssituationen spürbar verändert. Ohne zusätzliche Sensorik im Auflieger wird die Schwerpunktshöhe anhand der aus der EPB verfügbaren Fahrzeugmasse (unter Annahme einer ungünstigen Gewichtsverteilung) abgeschätzt und daraus die maximal zulässige Querbeschleunigung ermittelt. Bei einem leeren Fahrzeug ergibt sich eine hohe und damit wirkungslose Querbeschleuni-
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Unterschätzte Kurven und plötzliche Ausweichmanöver können auch geübte Fahrer schnell ins Schleudern bringen. Die zukunftsweisenden Stabilitäts-Programme ESP und RSP® von Knorr-Bremse entschärfen kippelige Situationen vollautomatisch – durch intelligente Eingriffe in das Bremsmanagement von Zugfahrzeug und Anhänger. So lassen sich gefährliche Schieflagen deutlich sicherer beherrschen.
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3.4 Simulation von Fahrwerksystemen gungsschwelle; mit zunehmender Beladung fällt die Schwelle bis auf einen definierten Grenzwert ab. Ein Überschreiten dieser massenabhängigen Querbeschleunigungsschwelle wird durch eine Verminderung der Fahrzeuggeschwindigkeit über die Motorsteuerung und das Einbremsen des kompletten Zuges verhindert. Zusätzlich wird anhand der Lenkradwinkelinformation eine Prognose der sich aufbauenden Querbeschleunigung durchgeführt und im Bedarfsfall ebenfalls die Fahrzeuggeschwindigkeit vermindert. 3.3.2.4 Ausblick
Mit Hilfe der in Abschnitt 3.3.2.2 beschriebenen Fahrdynamik-Regelung erfolgt eine Erhöhung der aktiven Sicherheit. Zusätzliches Potenzial zur Erhöhung der Verkehrssicherheit verspricht man sich von der Überlagerung der Fahrdynamik-Regelung mit einem aktiven Lenkeingriff. Grundlage hierfür ist ein elektronisch beeinflussbarer Lenkaktor, der in die Fahrdynamik-Regelung einbezogen wird. Dadurch ist es möglich, die Radkräfte nicht nur in Längsrichtung zu regeln, sondern über den zusätzlichen Lenkwinkeleingriff die Seitenführungskräfte zu beeinflussen. So kann z.B. das Regelpotenzial für die Stabilität des Fahrzeugs bei Kurvenfahrt erhöht werden und auf winterlichen Straßenverhältnissen das Bremsverhalten durch optimiertes Zusammenspiel von Bremse und Lenkung wesentlich verbessert werden. Die endgültige Auslegung des Konzepts lässt eine Verminderung des Bremsweges um ca. 20 % erwarten, wobei der notwendige Lenkeingriff des Fahrers um bis zu 80 % vermindert werden kann. Literatur zu Abschnitt 3.3 [1] Breuer, B.; Bill, K. H.: Bremsenhandbuch, Friedr. Vieweg & Sohn Verlag, Wiesbaden, 2003 [2] Povel, R.; von Glasner, E. C.: Advanced Control Systems for Commercial Vehicles, AVEC´98, Nagoya, Japan, 1998 [3] Robert Bosch GmbH: Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 21. Auflage, VDI-Verlag GmbH, Stuttgart, 1991 [4] Göhring, E.; von Glasner, E. C.; Pflug, H.-C.: Contribution to the Force Transmission Behavior of Commercial Vehicle Tires. SAE-Paper No 912692 [5] Pflug, H.-C.; von Glasner, E. C.: The Compatibility of Tractor/Trailer-Combinations during Braking Manoeuvers. SAE-Paper No 973282 [6] Göhring, E.; von Glasner, E. C.; Pflug, H.-C.: Einfluss der Bremseigenschaften auf das fahrdynamische Verhalten von Lastzügen. VDI-Berichte Nr. 744, 1989 [7] von Glasner, E. C.; Pflug, H.-C.: Contribution to the Braking and Steering Performance of Commercial Vehicles under Extreme Conditions. SAE-Paper No 9111012 [8] Spiegelberg, G.; Koleszar, P.: Increasing reactive active Safety with ESP including preventive active Steering, AAET 2005, Schrift GZVB, ISBN 3-937655-04-2, Seite 107–118
167
3.4 Simulation von Fahrwerksystemen 3.4.1 Modellbildung 3.4.1.1 Anforderungen
Im Fahrwerk werden zunehmend elektronische Bauelemente eingesetzt. Systeme wie ASR (Antriebsschlupfregelung), ABS (Anti-Blockier-System) und ESP (elektronisches Stabilitätsprogramm) verbessern die Traktion und erhöhen die Sicherheit eines Fahrzeugs. Die Sicherheit und der Komfort eines Fahrzeugs können durch aktive Federelemente und schaltbare Dämpfer verbessert werden. Mit elektrischen Lenkungen greift man direkt in das Zusammenspiel zwischen Fahrer und Fahrwerk ein. Veränderungen im Fahrwerk beeinflussen stets die gesamte Dynamik eines Fahrzeugs. Neben der Entwicklung neuer Systeme muss auch die Kombination verschiedener mechatronischer Komponenten im Fahrzeug getestet werden. Off-Line- und On-LineComputersimulationen bieten dabei eine gefahrlose und kostengünstige Alternative oder Ergänzung zu Prüfstandsversuchen und zum Fahrversuch. 3.4.1.2 Gesamtfahrzeug
Eine komplette Simulationsumgebung für Fahrdynamik-Simulationen beinhaltet neben dem Fahrzeugmodell noch Modelle für die Fahrbahn und den Fahrer. Bei der Modellierung des Fahrzeugs hat sich die Methode der Mehrkörperdynamik bewährt [1]. Dabei wird der Aufbau in die Teilkörper Karosserie, Motor, Passagiere und Ladung zerlegt [14]. Das Fahrwerksystem besteht aus den Komponenten Radaufhängung, Lenksystem, Antriebsstrang, Reifen und Räder. Klassische Mehrkörperprogramme wie MSC.ADAMS, DADS oder SIMPACK ermöglichen dem Benutzer, komplexe Fahrdynamikmodelle selbst zu entwickeln, stellen numerische Lösungsverfahren für die Simulation zur Verfügung und bieten komfortable Möglichkeiten zur graphischen Veranschaulichung der Ergebnisse. Auf Grund der Allgemeingültigkeit der Formalismen sind die Rechenzeiten für komplexe Fahrdynamikmodelle sehr hoch. Elektronische Komponenten zur Verbesserung der Fahrsicherheit werden häufig in Hardware-in-theLoop-Prüfständen entwickelt und getestet. Das Fahrzeugmodell muss hier auf einem Prüfstandsrechner in Echtzeit simuliert werden. Grundsätzlich kann die Rechenzeit durch Vereinfachung der Modelle verringert werden [11]. Nutzt man die spezielle Topologie von Fahrzeugen bei der Modellbildung und verzahnt das numerische Lösungsverfahren mit den Modellgleichungen ([12], [13]), dann sind auch komplexe Fahrzeugmodelle echtzeitfähig. Das Programmpaket
168 veDYNA beispielsweise nutzt diese Technik und stellt dem Anwender eine in MATLAB/SIMULINK eingebettete komfortable Simulationsumgebung zur Verfügung. Das Fahrzeug wird hier aus einzelnen vorprogrammierten Modulen zusammengesetzt. Da verschiedene Teilsysteme in unterschiedlich komplexen Strukturen vorliegen, kann das Modell auf spezielle Anwendungen zugeschnitten werden. Bei neu zu entwickelnden Fahrzeugen sind aber viele Daten noch gar nicht festgelegt. Hier ist es von Vorteil, wenn Teilsysteme, wie z.B. Achsmodelle, in geringerer Modellierungstiefe vorliegen. Vereinfachte Modelle benötigen dann auch weniger Daten. Ein hierarchischer Modellaufbau ermöglicht somit sowohl Konzeptuntersuchungen mit einem einfachen Modell und wenigen Daten in der frühen Entwicklungsphase, als auch Parameterstudien mit einem komplexen Modell und vielen Daten am seriennahen Fahrzeug.
3 Fahrwerksysteme gen Momente um die x- und die y-Achse. Das Kippmoment Mx tritt bei Schrägstellung (Sturz) des Reifens auf. In My ist der Rollwiderstand des Reifens enthalten. Das Moment um die z-Achse ist besonders für die Fahrdynamik von Bedeutung. Es setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: Mz
M B MS .
(3.5)
Drehbewegungen des Reifen um die z-Achse erzeugen das Bohrmoment MB. Das Reifenrückstellmoment MS berücksichtigt die Tatsache, dass bei der Querbewegung eines rotierenden Reifens die Wirkungslinie der resultierenden Seitenkraft im allgemeinen nicht durch den Kontaktpunkt läuft.
3.4.2 Reifen 3.4.2.1 Kraftübertragung
Ein moderner Reifen besteht im Wesentlichen aus Festigkeitsträgern (Stahl, Rayon, Nylon), Kautschuk, Füllstoffen (Ruß, Silica, Kohlenstoff, Kreide...) und Vulkanisationszusätzen (Schwefel, Zinkoxid, ...). Diese Mischung aus unterschiedlichen Materialien erschwert die mathematische Beschreibung enorm. Hinzu kommt, dass die Reifenstruktur durch den Innendruck vorgespannt wird. Das Materialverhalten eines Reifens kann deshalb nur durch nichtlineare und dynamische Modelle erfasst werden. Die beim Kontakt mit der Fahrbahn auftretenden Deformationen erfordern zudem eine geometrisch nichtlineare Beschreibung. Schließlich gilt es, das Reibgesetz zwischen dem Reifenprofil und der Fahrbahn nachzubilden. In jedem Punkt, wo der Reifen Kontakt zur Fahrbahn hat, werden Normal- und Reibungskräfte übertragen. Die Kontaktfläche zwischen Reifen und Fahrbahn wird als Latsch bezeichnet. Entsprechend der Profilgestaltung des Reifens bildet der Latsch nicht unbedingt eine zusammenhängende Fläche. Die Wirkung der Kontaktkräfte kann durch einen Kraftund Momentenvektor bezüglich eines Punktes im Latsch, dem „Kontaktpunkt“, vollständig beschrieben werden. Die Vektoren der physikalischen Größen werden zunächst in einem fahrbahnfesten Koordinatensystem dargestellt. Die z-Achse ist dabei normal zur Fahrbahn, die x-Achse ist senkrecht zur z-Achse und senkrecht zur Raddrehachse eyR. Die Forderung nach einem rechtshändigen xyz-System legt dann auch die y-Achse fest. Die Komponenten der Kontaktkraft werden entsprechend der Achsrichtungen bezeichnet (Bild 3-67). Unsymmetrische Druckverteilungen im Latsch erzeu-
Bild 3-67: Kräfte und Momente im Latsch: Fx Längskraft oder Umfangskraft, Fy Seitenkraft, Fz Vertikalkraft, Radlast oder Radaufstandkraft, Mx Kippmoment, My Rollwiderstandsmoment, Mz Rückstell- und Bohrmoment
3.4.2.2 Komfort-Modelle
Dynamisch nichtlineare Reifenmodelle, wie FTire [3], RMOD-K [9] oder SWIFT [10] sind sehr aufwändig. Sie werden in der Regel für Fahrkomfortuntersuchungen und für die Berechnung der durch die Radaufhängungen in den Aufbau geleiteten Belastungen verwendet. Bei dem Reifenmodell FTire (Flexible Ring Tire Model) wird der Reifengürtel aus mehreren speziellen Gürtelelementen aufgebaut, die untereinander und mit der Felge durch Federn und Dämpferelemente verbunden sind. Die Federsteifigkeiten und die Dämpfungsparameter werden vorab aus dem statischen Verhalten und den modalen Reifeneigenschaften gewonnen. Auf den Gürtelelementen sind, je nach Reifen und Modellgüte, bis zu 50 Profilteilchen angebracht. Die Verformung der Profilteilchen folgt aus der lokalen Fahrbahnunebenheit und aus einem nichtlinearen Reibgesetz, das zwischen Gleiten und Haften unterscheidet.
3.4 Simulation von Fahrwerksystemen
169
Bild 3-68: Eigenschwingungen eines unbelasteten Reifens (FTire-Simulation)
Mit diesem Modellansatz kann die Reifendynamik in einem Frequenzbereich bis etwa 120 Hz abgebildet werden (Bild 3-68). Auch das Überfahren von Bordsteinkanten und Schlaglöchern kann simuliert werden. Selbst der Temperatureinfluss auf die Materialeigenschaften und das Reibverhalten sowie die Abnutzung der Profilteilchen können nachgebildet werden. Mit solch komplexen Reifenmodellen sind jedoch derzeit keine Echtzeitsimulationen möglich. 3.4.2.3 Halbempirische Modelle
In der Fahrdynamik greift man deshalb meist auf einfache, halbempirische Reifenmodelle zurück [5]. Bei diesen Modellen wird der Latsch als ebene Fläche betrachtet und die Reifenkräfte und -momente werden durch geeignete mathematische Funktionen approximiert. Mit dem „Magic-Formula-Reifenmodell“ können über geeignete Ansatz-und Gewichtungsfunktionen gemessene Reifenkennfelder approximiert werden [10].
In der Fahrdynamik taucht jedoch häufig das Problem auf, dass für einen speziellen Reifen keine oder nicht alle Messungen vorliegen. Auch Fragestellungen, die den Einfluss von gezielten Veränderungen im Reifenverhalten zum Thema haben, z.B. ein steilerer Anstieg der Reifenkräfte oder ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Maximum treten sehr oft auf. Dazu ist ein Reifenmodell nötig, das bereits mit wenigen Informationen brauchbare Reifenkräfte ergibt und bei dem die Modellparameter eine anschauliche Bedeutung haben. Der typische Verlauf der Längskraft Fx über dem Längsschlupf sx und die Seitenkraft Fy über dem Querschlupf sy können durch die Anfangssteigung dF0, den Ort sM und die Größe F M des Maximums sowie durch Größe F G und Lage sG des Gleitbereiches charakterisiert werden (Bild 3-69). Im Reifenmodell TMeasy [4] beispielweise werden die charakteristischen Kenngrößen jeweils für die Nennlast FzN und die doppelte Nennlast angegeben (Tabelle 3-3).
Bild 3-69: Kenngrößen typischer Umfangskraft- und Seitenkraftkennlinien
170
3 Fahrwerksysteme
Tabelle 3-3: TMeasy-Parameter für Pkw-Reifen mit Nennlast FzN =3,2 kN; zur Erläuterung der Variablen siehe Bild 3-69 Längskraft Fx
Fz dFx0
sxM FxM sxG FxG
3, 2 kN 90 kN 0, 090 3,30 kN 0, 400 3, 20 kN
Fz dFx0
sxM FxM sxG FxG
Seitenkraft Fy
6, 4 kN 160 kN 0,110 6,50 kN 0,500 6, 00 kN
Fz dFx0
sxM FxM sxG FxG
3, 2 kN 70 kN 0,180 3,10 kN 0,600 3,10 kN
3.4.3 Rad- und Achskinematik 3.4.3.1 Aufgaben
Die Modellbildung, eine Vorstufe zur Simulation, ist stets mit Idealisierungen verbunden. Die Hauptaufgaben einer Rad- und Achsaufhängung sind Federung und Dämpfung und im Fall einer gelenkten Achse die Lenkbewegung [6]. Die Radführung erfolgt durch Lenker, die starr oder elastisch am Fahrzeugaufbau oder an einem Hilfsrahmen gelagert sind. Bei vielen modernen Radaufhängungen werden Nachgiebigkeiten in den Lenkerlagern gezielt zur Verbesserung von Fahrkomfort und Fahrsicherheit eingesetzt. 3.4.3.2 Kinematische Modelle
Die Schräglenkerachse (Bild 3-70a) ist eine einfache und robuste Aufhängung für nicht gelenkte Hinterräder. Der Lenker ist hier fest mit dem Radkörper verbunden. Sämtliche Bewegungen des Radkörpers re-
Fz
6, 4 kN
dFx0
sxM
100 kN 0, 200
FxM sxG
5, 40 kN 0,800
FxG
5,30 kN
sultieren aus der Drehung des Lenkers um die Achse A-B, die schräg zur Längs- und Querachse des Fahrzeugs angeordnet ist. Längs- und Querbewegung der Radmitte können dabei nicht unabhängig voneinander beeinflusst werden. Die Lenkerlager in A und B werden in der Regel sehr steif ausgeführt. Damit kann die momentane Lage der Radmitte R und die Orientierung des radkörperfesten Koordinatensystems xR, yR, zR gegenüber einem fahrzeugfesten System xB, yB, zB rein kinematisch in Abhängigkeit vom Drehwinkel ϕ beschrieben werden [12]. Für gelenkte Vorderachsen wird sehr häufig die Federbeinachse (Bild 3-70b) eingesetzt. Ein Dreieckslenker, das Federbein und das Lenkgestänge übernehmen hier die Radführung. Bei genügend steifen Gelenken kann auch hier die Radbewegung rein kinematisch in Abhängigkeit vom Drehwinkel ϕ und der Zahnstangenverschiebung u beschrieben werden.
Bild 3-70: Kinematische Modelle: a) Schräglenker, b) Federbeinachse
3.4 Simulation von Fahrwerksystemen Durch eine problemangepasste Beschreibung können die kinematischen Bindungsgleichungen auf direkt lösbare trigonometrische Beziehungen überführt werden [12]. Bei beiden Achsen kann somit die Kinematik problemlos online berechnet werden. Dies gilt auch für die Doppelquerlenker- und die Verbundlenkerachse. Bei kinematisch komplizierteren Achsen, wie z.B. bei der Mehrlenkerachse, sind die nichtlinearen Bindungsgleichungen nur mehr iterativ zu lösen. Dies kann online oder offline durchgeführt werden. Für jede Radaufhängung wird die momentane Lage der Radmitte R gegenüber dem Ursprung des fahrzeugfesten Koordinatensystems B durch die Komponenten x, y, z des Ortsvektors rBR festgelegt. Die Orientierung der radkörperfesten Achsen xR, yR, zR gegenüber den fahrzeugfesten Achsen xB, yB, zB kann durch eine Drehmatrix angegeben werden, die sich aus Elementardrehungen zusammensetzt. 3.4.3.3 Komfort-Modelle
Bei einigen Radaufhängungen werden zur Verbesserung des Fahrkomforts gezielt relativ weiche Lenkerlager verbaut. So sorgt das „Komfortlager“ bei der Schwertlenkerachse (Bild 3-71a) für eine Längsnachgiebigkeit, die das Überfahren von Einzelhindernissen erleichtert. Durch die sehr steif gelagerten Querlenker werden die sehr guten Radführungseigenschaften praktisch nicht beeinträchtigt. Die Radaufhängung verfügt nun über zwei Freiheitsgrade, die mit der Längsverschiebung u im Komfortlager und durch die Drehung des Federlenkers mit dem Winkel M um die Längsachse beschrieben werden können. Die Berechnung der Radaufhängungskinematik er-
171 fordert hier die Lösung von drei nichtlinearen Bindungsgleichungen. Bei der Federbeinachse wird die elastische Längsverschiebung der Radmitte durch ein in Querrichtung elastisches Lenkerlager realisiert (Bild 3-71b). Der Lenker kann nun neben der Drehung um die Achse A-B mit dem Winkel ϕ noch eine Drehung mit dem Winkel ψ um eine Achse senkrecht zur Lenkerebene ausführen. Eine Entkopplung der Längsdynamik von den restlichen Bewegungen des Radkörpers ist hier nicht gegeben. Mit den beiden Drehwinkeln ϕ und ψ sowie der Zahnstangenverschiebung u hat das Rad nun drei freie Bewegungsmöglichkeiten. Die Kinematik kann auch hier auf direkt lösbare trigonometrische Gleichungen zurückgeführt werden [12]. Der Datensatz für das rein kinematische Modell muss hier lediglich mit der Feder- und Dämpferkennung des Komfortlagers ergänzt werden. Bei einigen Radaufhängungen werden auch Hydro-Lager mit dynamischer Kraftwirkung eingesetzt, wodurch weitere Daten benötigt werden. Längsnachgiebigkeiten bei angetriebenen Achsen können zu unerwünschten Schwingungskopplungen mit dem Antriebsstrang führen. Deshalb werden Komfortlager, die relativ große Längsbewegungen der Radmitten erlauben, in der Regel nur bei nichtangetriebenen Achsen verwendet. 3.4.3.4 Allgemeine Modelle
Bei vielen Fahrzeugen sind die Lenker nicht direkt am Aufbau, sondern zum Teil an einem Hilfsrahmen gelagert. Dieser ist dann wiederum elastisch mit dem Aufbau verbunden. Dadurch werden auch bei Einzelradaufhängung die Bewegungen der Räder gekoppelt.
Bild 3-71: Radaufhängungen mit Komfortlager: a) Schwertlenkerachse, b) Federbeinachse
172
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-72: Starrachsen geführt durch Lenker oder Blattfedern
In einigen Fällen stützt sich auch der Motor zusätzlich am Hilfsrahmen ab. Detaillierte Komfort- und Handling-Untersuchungen erfordern daher auch entsprechend komplexe Achsmodelle. Bei der Federbeinachse mit Hilfsrahmen werden neben den Elastizitäten in den Lenkerlagern noch die Längs- und Quernachgiebigkeit des Federbeinlagers nachgebildet. Auch die Anbindung an die Zahnstange wird elastisch modelliert. Nur das Kugelgelenk zwischen dem Dreieckslenker und dem Radkörper bleibt als nicht elastisches Lager erhalten. 3.4.3.5 Starrachsen
Starrachsen sind robust und kostengünstig. Deshalb werden sie auch heute noch im Nutzfahrzeugbereich und bei Geländefahrzeugen eingesetzt. Die Führung von Starrachsen kann durch Lenker oder durch Blattfedern erfolgen (Bild 3-72). Bei lenkergeführten Starrachsen sind Achsführung und Achsfederung getrennt. In der Regel verwendet man einen Dreieckslenker und zwei Längslenker. Bei ideal starren Lenkern verbleiben als freie Bewegungsmöglichkeiten des Achskörpers das gleichseitige und das wechselseitige Einfedern. Die Konstanz der Lenkerlängen liefert die kinematischen Bindungsgleichungen, die problemlos iterativ gelöst werden können. Die Kinematik, oder genauer die Elasto-Kinematik einer blattfedergeführten Achse ist sehr komplex. Beschreibt man eine Blattfeder durch finite Balkenelemente, dann werden bei Fahrdynamiksimulationen neben den Achsbewegungen auch noch die sehr hochfrequenten Eigenschwingungen der Blattfederelemente mitgerechnet. Dies führt zu unnötig hohen Rechenzeiten. Approximiert man die Blattfedern durch einfache Ersatzlenker, dann werden für die Fahrdynamik wichtige Achsbewegungen, wie das Eigenlenkverhalten oder der S-Schlag, nicht richtig wieder gegeben. Modelliert man die Blattfeder durch ein Mehrkörpermodell, dann kann ein guter Kompromiss zwischen Rechenzeit und Modellgüte erreicht werden [14].
Die Blattfeder wird dabei durch fünf gelenkig miteinander verbundene Teilkörper approximiert.
3.4.4 Aufbaufederung 3.4.4.1 Grundabstimmung
Die Kraftübertragung eines Reifens in Längs- und in Querrichtung hängt von der Größe der Radaufstandskraft oder Radlast ab. Durch dynamische Prozesse beim Aufbau der Umfangs- und der Seitenkraft führen Radlastschwankungen im Mittel zu einer Verringerung der Umfangs- und der Seitenkraft. Eine gute Aufbaufederung und Dämpfung reduziert die Radlastschwankungen und erhöht damit die Fahrsicherheit. Die Aufbaufederung ist jedoch auch für den Fahrkomfort verantwortlich. Bei konventionellen Federelementen wie Schraubenfedern, Torsionsstäben oder Luftfedern können dissipative Effekte gegenüber der Federwirkung vernachlässigt werden. Ein separater Dämpfer mit einer Kraftwirkung, die in erster Näherung durch eine geschwindigkeitsabhängige Funktion beschrieben werden kann, sorgt für das schnelle Abklingen von Schwingungen. Die Wirkung der Aufbaufederung kann bereits mit einem Zwei-Massen-Schwinger recht gut untersucht werden (Bild 3-73). Die Bewegungsgleichungen lauten mA zA
FF FD mA g ,
(3.6a)
mR zR
FF FD FR mR g .
(3.6b)
Für kleine Auslenkungen um die Gleichgewichtslage können die Gleichungen linearisiert werden. Die Kräfte in der Aufbaufederung sind dann durch FF
FF0 cA ( zA zR ) ,
FD
dA ( zA zR )
(3.7a) (3.17b)
3.4 Simulation von Fahrwerksystemen
173 Feder kompensiert. Ein relativ harter Zuganschlag begrenzt das Ausfedern. An Stelle eines harten Druckanschlags verwendet man heute meist Zusatzfedern aus Polyurethan, die in der Addition zur Grundfederrate die gewünschte progressive Kennlinie ergeben. Bei Luftfedern und hydro-pneumatischen Federn kann sehr leicht eine Niveau-Regelung realisiert werden. Beliebige nichtlineare Federkennlinien beschreibt man am einfachsten über Wertetabellen. Bei genügend vielen Stützpunkten kann eine Spline-Interpolation durch eine lineare Interpolation ersetzt werden. Bei Anschlägen oder Zusatzfedern aus Gummi oder Elastomer sind die dissipativen Eigenschaften nicht mehr so einfach zu vernachlässigen. Unter Umständen muss hier die Kraftwirkung sogar dynamisch beschrieben werden.
Bild 3-73: Viertelfahrzeug
gegeben, wobei cA die Federrate bezeichnet, dA die Dämpferkonstante angibt und die Vorspannungskraft in der Feder mit FF0 mA g das Gewicht der anteiligen Aufbaumasse kompensiert. Vernachlässigt man die dissipativen Anteile, dann kann die Radlast durch FR
FR0 cR ( zR zS ) ,
(3.8)
angegeben werden. Die Koordinate zS beschreibt dann die vertikalen Unebenheiten der Fahrbahn, cR ist die radiale Steifigkeit der Reifens und die statische Radlast ist durch das Gewicht FR0 ( mA mR ) g des Viertelfahrzeugs gegeben. Die Bewegungsgleichungen (3.6a/b) können nun als lineare Matrizendifferentialgleichungen 2. Ordnung angeschrieben werden: M D
zA º ª dA dA º ª zA º ª mA 0 º ª « »« »« »« » zR ¼ ¬ dA dA ¼ ¬ zR ¼ ¬ 0 mR ¼ ¬
cA º ª zA º ªc « A »« » cA cA cR ¼ ¬ zR ¼ ¬
ª 0 º « » ¬ cR zS ¼
.
(3.9)
Bild 3-74: Progressive Aufbaufeder
3.4.4.3 Dynamische Kraftelemente
Dämpfer werden in der Regel elastisch gelagert (siehe Bild 3-75). Die Reihenschaltung einer Feder mit einem Dämpferelement ergibt ein dynamisches Kraftelement. Hier können auch reibungsbedingte Blockiereffekte im Dämpfer mit erfasst werden [13].
K
Die Massenmatrix M, die Dämpfungsmatrix D und die Steifigkeitsmatrix K bestimmen die Eigendynamik des Viertelfahrzeugs. Bild 3-75: Elastisch gelagerter Dämpfer
3.4.4.2 Nichtlineare Kennlinien
Die Kennlinie einer Aufbaufeder FF = FF(u) ist in der Regel progressiv gestaltet (Bild 3-74). Bei konventioneller Federung wird die statische Last, nämlich das anteilige Aufbaugewicht, durch eine Vorspannung der
Für detaillierte Komfortuntersuchungen sind dynamische Dämpfermodelle erforderlich. Dabei müssen die Kompressibilität des Hydraulik-Öls beachtet und die Drosselverluste in den Dämpferventilen beschrieben werden.
174
3 Fahrwerksysteme
Bild 3-76: Vorderachse und Zahnstangenlenkung eines BMW 6er
3.4.4.4 Mechatronische Bauelemente
Mit aktiven Aufbaufederungen können gleichzeitig Radlastschwankungen und Aufbaubewegungen reduziert und damit die Fahrsicherheit und der Fahrkomfort gesteigert werden. Bei schaltbaren Dämpferelementen muss praktisch keine Leistung zugeführt werden. Im Nutzfahrzeugbereich, wo Änderungen in der Beladung eine große Rolle spielen, kann so die Dämpferwirkung an die jeweilige Aufbaumasse angepasst werden. Mit schnell verstellbaren Dämpfern kann die Wirkung eines „Sky-Hook-Dämpfers“ nachgebildet werden. Die linearisierte Dämpferkraft wird jetzt durch zwei Dämpfungsparameter dA und dR beschrieben (vgl. Bild 3-73): FD
dA zA dR zR .
(3.10)
von den Absolutgeschwindigkeiten der Aufbau- und Radbewegung ab.
3.4.5 Lenksystem 3.4.5.1 Minimal-Modell
Im Pkw-Bereich werden fast ausschließlich Zahnstangenlenkungen (vgl. Bild 3-76) verwendet. Die Lenkeinschläge an den Rädern sind dabei über den Spurhebel und die Spurstange mit der Querverschiebung der Zahnstange gekoppelt (Bild 3-77). Berücksichtigt man die elastischen Verdrehungen in der Lenksäule, dann beschreibt die Differentialgleichung für den Lenkradwinkel GLR
4 LRGLR
M LR M LS
Sie ist somit nicht mehr nur eine Funktion der Relativgeschwindigkeit v zA zR , sondern hängt jetzt
Bild 3-77: Minimal-Modell einer Zahnstangenlenkung
(3.11)
3.4 Simulation von Fahrwerksystemen
175
die Dynamik der Lenkradbewegung, wobei 4 LR das Trägheitsmoment des Lenkrades und MLR das Lenkmoment bezeichnet. Mit cLS als Drehsteifigkeit der Lenksäule kann das Moment in der Lenksäule durch cLS (G LR iLG uZ )
M LS
(3.12)
angegeben werden, wobei hier zur vereinfachten Darstellung dissipative Anteile unberücksichtigt blieben und die Verschiebung der Zahnstange uZ durch Übersetzung des Lenkgetriebes iLG in einen Drehwinkel umgerechnet wurde. Die Differentialgleichung mZ uZ
FZL FZ1 FZ2
(3.13)
beschreibt die Dynamik der Zahnstangenverschiebung. Durch die kinematische Kopplung mit den Rädern enthält die verallgemeinerte Masse mZ auch Anteile, die aus der Lenkbewegung der Räder stammen. Die an den Rädern angreifenden Kräfte FR1, FR2 und Momente MR1, MR2 werden über das Lenkgestänge auf die Zahnstange übertragen. Die Terme FZ1 und FZ2 bezeichnen ihre Anteile in Richtung der Zahnstangenverschiebung. Die Kraft FZL setzt sich aus der mechanisch erzeugten Kraft FM
iLG M LS ,
(3.14)
der Reibkraft FR und der durch die ServoUnterstützung erzeugten Hilfskraft FH zusammen, die als Funktion von FM dargestellt werden kann: FH
FH ( FM ) .
(3.15)
Mit der Differentialgleichung TS FHdyn
FH FHdyn
Bild 3-78: Komponenten-Modell
(3.16)
kann der dynamische Aufbau der Servo-Unterstützung in erster Näherung nachgebildet werden. Die aus dem statischen Kennfeld berechnete Kraft FH ist dann durch die dynamisch berechnete Kraft FHdyn zu ersetzen. Die Zeitkonstante TS bestimmt dabei die Dynamik der Servo-Unterstützung. Da die Elastizitäten im Lenkgestänge vernachlässigt und der dynamische Aufbau der Servo-Unterstützung nicht im Detail nachgebildet wurden, ist dieses Lenkungsmodell numerisch gut zu beherrschen. Es eignet sich deshalb besonders für zeitkritische Echtzeitanwendungen. Der prinzipielle Modellaufbau ist nicht auf die Zahnstangenlenkung beschränkt. Auch eine mechanische Überlagerungslenkung kann berücksichtigt werden, indem in Gleichung (3.12) der Lenkradmod ersetzt wird. Der modifizierwinkel GLR durch G LR mod te Winkel setzt sich gemäß G LR O1G LR O2G G aus einer Linearkombination des ursprünglichen Lenkradwinkels GLR und dem im Überlagerungsgetriebe erzeugten Winkel GG zusammen. Die Parameter O1 und O2 beschreiben dabei die Übersetzungen im Überlagerungsgetriebe. 3.4.5.2 Komponenten-Modell
Berücksichtigt man die Elastizitäten im Lenkgestänge, dann reduziert sich das Lenksystem auf die Komponenten Lenkgetriebe, Servo-Unterstützung und Lenkrad (Bild 3-78). Die Lenkbewegungen der Räder G1 und G2 sind jetzt nicht mehr kinematisch mit der Zahnstangenverschiebung uZ verbunden und müssen deshalb durch eigene Differentialgleichungen beschrieben werden. Die Kopplung zum Lenksystem erfolgt über die Kräfte in den Spurstangen FS1 und FS2. In den Lenkbewegungen der einzelnen Räder sind jetzt auch höherfrequente Anteile enthalten, die einen größeren Aufwand bei der numerischen Lösung erfordern.
176 Das Lenksystem kann jetzt unabhängig von der jeweiligen Achskinematik modelliert werden. Damit lassen sich komplexe Modelle des Lenksystems separat entwickeln, testen und verifizieren, ehe sie in ein Gesamtfahrzeugmodell integriert werden [8]. Für Hardware-in-the-Loop-Anwendungen können einige Komponenten, wie zum Beispiel das Lenkgetriebe oder die Servo-Unterstützung durch reale Bauteile ersetzt werden. Auch elektrische Lenkungen sowie Steer-by-Wire-Lenksysteme lassen sich damit gut modellieren.
3.4.6 Simulationsumgebung 3.4.6.1 Fahrbahn
Richtung und Größe der Reifenkräfte und -momente werden durch die Topologie und Oberflächenbeschaffenheit der Fahrbahn entscheidend beeinflusst. Ein Fahrbahnmodell muss deshalb dem Reifenmodell die Unebenheit z und den lokalen Reibwert µ in Abhängigkeit von den Ortskoordinaten x und y zur Verfügung stellen (Bild 3-79). Die Modellierung von realen Fahrbahnen kann in mehreren Schritten erfolgen [2]. Zunächst wird die Fahrbahn in Segmente aufgeteilt, deren räumliche Lage über den Verlauf der Mittellinie festgelegt wird, wobei die Mittellinie mit M = M(s) als Funktion einer Wegkoordinate s beschrieben wird. Innerhalb der
3 Fahrwerksysteme Segmente lassen sich dann auch Bereiche mit verschiedenen Reibwerten definieren. Zudem können Einzelhindernisse oder stochastische Fahrbahnunebenheiten überlagert werden. 3.4.6.2 Fahrer
Viele Fahrmanöver erfordern vom Fahrer situationsabhängige Eingriffe am Lenkrad und am Gaspedal. Ein realer Fahrer verarbeitet viele Informationen, die ihm das Fahrzeug und die Umwelt zur Verfügung stellen. Er handelt vorausschauend und kann seine Reaktionen auf das dynamische Verhalten des jeweiligen Fahrzeugs abstimmen. Viele Fahrmanöver können nur mit den steuernden und regelnden Eingriffen eines Fahrers durchgeführt werden. Für Simulationen benötigt man deshalb entweder ein geeignetes Fahrermodell oder man muss, wie das bei Fahrsimulatoren geschieht, den Fahrer in die Simulationsumgebung integrieren. Fahrermodelle werden in der Regel auf der Basis von vereinfachten Fahrzeugmodellen entworfen. Man beschränkt sich dabei auf die Bewegungen des Fahrzeugs in der Fahrbahnebene und fasst die Räder an einer Achse zu einem mittleren Ersatzrad zusammen. Das dynamische Verhalten solcher Einspurmodelle kann dann durch wenige Differentialgleichungen beschrieben werden.
Bild 3-79: Wesentliche Elemente eines Fahrbahnmodells
3.4 Simulation von Fahrwerksystemen
177
Bild 3-80: Zwei-Ebenen-Fahrermodell nach [7]
Klassische Fahrermodelle bestehen aus zwei Ebenen: einer antizipatorischen Steuerung und einer kompensatorischen Regelung (Bild 3-80). Mit Hilfe eines linearen Einspurmodells können dann geeignete Übertragungsfunktionen für die Steuerung und die Regelung abgeleitet werden [17]. In beiden Fällen wird dabei eine Vorausschau berücksichtigt. Darauf aufbauend können auch Fahrermodelle mit adaptiven Eigenschaften entwickelt werden. Das Konzept einer Bahnfolgeregelung wird in [16] verfolgt. Dabei wird ein Zielpunkt längs einer vorgegebenen Bahn bewegt (Bild 3-81). Ein Regler sorgt dann dafür, dass das Fahrzeug dem Zielpunkt optimal folgt. Der Reglerentwurf basiert auf einem nichtlinearen Einspurmodell und verwendet die Theorie der nichtlinearen Systementkopplung und Regelung. Die Fahrereigenschaften werden hier durch Parameter wie die maximale Längsbeschleunigung, die maximale Längsverzögerung und die maximale Querbeschleunigung beschrieben. Ein Vorteil liegt darin, dass das Regelgesetz unabhängig von diesen Parametern ist, da lediglich der Sollpunkt entsprechend bewegt werden muss. Die vorgegebene Bahnkurve kann sich streng an der Fahrbahnmittellinie orientieren oder mit zulässigen Abweichungen zu einer Ideallinie werden.
Bild 3-81: Bahnfolgeregelung
Literatur zu Abschnitt 3.4 [1] Blundell, M.; Harty, D.: The Multibody System Approach to Vehicle Dynamics. Elsevier Butterworth-Heinemann Publications, 2004
[2] Butz, T.; Ehmann, M.; von Stryk, O.; Wolter, T.-M.: Realistische Straßenmodellierung für die Fahrdynamiksimulation in Echtzeit. In: Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ), 106, 2, 2004, S. 118–125 [3] Gipser, M.: FTire, a new fast tire model for ride comfort simulations. International ADAMS User Conference, Berlin: 1999 [4] Hirschberg, W; Rill, G. Weinfurter, H.: User-Appropriate Tyre-Modeling for Vehicle Dynamics in Standard and Limit Situations. Vehicle System Dynamics 2002, Vol. 38, No. 2, pp. 103–125. Lisse: Swets & Zeitlinger [5] Lugner, P.; Pacejka, H.; Plöchl,M.: Recent advances in tyre models and testing procedures. In: Vehicle System Dynamics, Vol. 43, No. 67, June-July 2005, pp. 413–436 [6] Matschinsky, W.: Radführungen der Straßenfahrzeuge, 2. Aufl. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York: 1998 [7] Mitschke, M.; Wallentowitz, H.: Dynamik der Kraftfahrzeuge, 4. Aufl. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York: 2004 [8] Neureder, U.: Untersuchungen zur Übertragung von Radkraftschwankungen auf die Lenkung von Pkw mit Federbeinvorderachse und Zahnstangenlenkung. Fortschr.-Ber., VDI Reihe 12, Nr. 518, Düsseldorf: VDI Verlag 2002 [9] Oertel, Ch.; Fandre, A.: Ride Comfort Simulations an Steps Towards Life Time Calculations; RMOD-K and ADAMS. International ADAMS User Conference, Berlin: 1999 [10] Pacejka, H. P.: Tyre and Vehicle Dynamics. ButterworthHeinemann 2002 [11] Pankiewicz, E.; Rulka, W.: From Off-Line to Real Time Simulations by Model Reduction and Modular Vehicle Modelling. In: Proceedings of 19th Biennial Conference on Mechanical Vibration and Noise. Chicago, Illinois: 2003 [12] Rill, G.: Simulation von Kraftfahrzeugen. Vieweg-Verlag, Braunschweig/Wiesbaden: 1994 [13] Rill, G.: A modified implicit Euler Algorithm for Solving Vehicle Dynamics Equations. Special issue of the Journal of Multibody System Dynamics, 2004 [14] Rill, G.; Kessing, N.; Lange, O,; Meier, J.: Leaf Spring Modeling for Real Time Applications. In: The Dynamics of Vehicles on Road and on Tracks Extensive Summaries, IAVSD 03, Atsugi, Kanagawa, Japan: 2003 [15] Seibert, Th.; Rill, G.: Fahrkomfortberechnungen unter Einbeziehung der Motorschwingungen. In: Berechnung und Simulation im Fahrzeugbau, VDI-Bericht 1411. VDI-Verlag Düsseldorf: 1998 [16] Vögel, M.; von Stryk, O.; Bulirsch, R.; Wolter, T.-M.; Chucholowski, C.: An optimal control approach to real-time vehicle guidance. In: W. Jäger, H.-J. Krebs (eds.): Mathematics – Key Technology for the Future, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, 2003, S. 84–102 [17] Weinfurter, H.; Hirschberg, W.; Hipp, E.: Entwicklung einer Störgrößenkompensation für Nutzfahrzeuge mittels Steer-by-Wire durch Simulation. In: Berechnung und Simulation im Fahrzeugbau, VDI-Berichte 1846, S. 923–941. VDI Verlag, Düsseldorf: 2004
4 Bordnetz und Vernetzung 4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug 4.1.1 Einleitung Standen am Beginn des Elektronikeinsatzes im Kraftfahrzeug zunächst einzelne lokal abgegrenzte Anwendungen, so hat sich mit dem zunehmenden Einsatz von Elektronik, der Vielzahl von Steuergeräten und der Einführung von Bussystemen das Bild komplett gewandelt. Mehr als 60 elektronische Steuergeräte unterschiedlicher Zulieferer übernehmen die Steuerungs- und Regelungsaufgaben eines modernen Oberklassefahrzeuges (Bild 4-1). Sie kommunizieren untereinander und mit den Sensoren und Aktoren über verschiedene Bussysteme wie CAN, MOST oder Byteflight. Es hat sich ein komplexer Verbund hoch vernetzter Steuergeräte herausgebildet. Innovationen im Bereich des Infotainment, der Fahrerassistenz oder der aktiven Sicherheit werden in Zukunft sogar noch vermehrt nur über hoch vernetzte und komplexe Systeme zu realisieren sein, wie dies in Bild 4-2 gezeigt wird. Die Systemkomplexität ist dabei durch
das Produkt der Anzahl der Funktionen und der Anzahl der ausgetauschten Informationen definiert. Der Wunsch nach Individualisierung, die breite Spreizung des Ausstattungsumfanges und die länderspezifischen Ausprägungen führen ebenfalls zu steigender Systemkomplexität. Die Funktionalität eines modernen Kraftfahrzeuges lässt sich nur mit Hilfe eines umfassenden Einsatzes von Elektronik realisieren. Circa 90 % aller Innovationen im Kraftfahrzeug erfolgen unter Nutzung elektronischer Systeme. Die Stromversorgung der Elektronik und besonders der Leistungsverbraucher erfordert heute ein extrem leistungsfähiges Energiebordnetz und ein ausgefeiltes Energiemanagement, um neue Funktionen für geringeren Verbrauch und reduzierte Emissionen, wie Motor-Start-Stopp-Systeme oder einen elektrifizierten Antriebsstrang zu ermöglichen. Trotz dieser steigenden Vernetzung und Systemkomplexität muss gleichzeitig eine weiter erhöhte Qualität der Fahrzeuge bereitgestellt und der Kostenanstieg begrenzt werden.
Bild 4-1: Steuergeräteverbund in einem modernen Fahrzeug der Oberklasse; K-CAN: Komfort-CAN, PT-CAN: Antriebs-CAN [Quelle: BMW]
180
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-2: Anstieg der Systemkomplexität in der Kraftfahrzeugelektronik
Die Zahl der Steuergeräte erreicht allein aus Packagegründen zunehmend eine Grenze. Auch aus Zuverlässigkeitsgründen ist eine stärkere Integration der Funktionen in wenigeren, aber leistungsfähigeren Steuergeräten wünschenswert. Dem stehen jedoch die breite Spreizung des Ausstattungsumfanges und der Wunsch nach einem individualisierbaren Funktionsangebot entgegen. Weiterhin muss die Funktionsverfügbarkeit bei stärkerer Zentralisierung sichergestellt bleiben, was zu stark steigenden Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Steuergeräte und der angesteuerten Aktoren führt. Auch unterschiedliche Anforderungen an die Funktionssicherheit und die Verfügbarkeit von Funktionen in einem Steuergerät setzen der Hochintegration hier Grenzen. Es wird aus diesen einleitenden Bemerkungen offenkundig, dass der Entwurf eines anforderungsgerechten Elektrik-Elektronik-Gesamtsystems im Kraftfahrzeug zu einer herausfordernden Aufgabe geworden ist. Lokale Lösungen im jeweiligen Anwendungsgebiet, sei es Antrieb, Karosserie, Multimedia oder Fahrwerk führen nicht zu einer aus Gesamtfahrzeugsicht befriedigenden Lösung. Aus diesem Grund gewinnt die Gestaltung von Systemarchitekturen eine zunehmende Bedeutung. Die zukünftigen Trends, wie eine verstärkte Integration von Softwaremodulen unterschiedlicher Lieferanten in ein Steuergerät und Update- oder Upgrade-Fähigkeit der Fahrzeuge über die gesamte Produktlebenszeit, erzwingen geradezu ein Überdenken heutiger Systemdesign- und System-
integrationskonzepte. Die Gestaltung der Systemarchitektur spielt damit zunehmend eine Schlüsselrolle in der Entwicklung von künftigen Automobilen.
4.1.2 Definition von Systemdesign und Systemarchitektur Unter Systemdesign wird der Prozess der Systemauslegung nach funktionalen und nichtfunktionalen Anforderungen verstanden. Im Systemdesign werden die wesentlichen Merkmale der Hardware und der Software in Bezug auf Einsatzbedingungen, Energieversorgung, Kommunikation der Systemelemente und von Kommunalitäts- und Kompatibilitätsgesichtspunkten festgelegt, daneben aber auch wichtige Qualitätsvorgaben, wie z.B. Vorgaben zur Implementierung hinsichtlich der elektromagnetischen Verträglichkeit festgelegt. Weiterhin werden Festlegungen und Vorgaben der künftigen Steuergerätetechnologien und des physikalischen Bordnetzes getroffen. Zentrales Entwicklungsobjekt ist hier die ElektrikElektronik-Systemarchitektur. Eine Systemarchitektur beschreibt die Struktur eines Systems hinsichtlich des Zusammenwirkens und der Vernetzung der Systemelemente, der Schnittstellen zu anderen Systemen, der Umgebung, des Datenflusses im System und der Daten- und Softwarearchitektur. Zu unterscheiden sind die funktionale Architektur, auch logische Architektur genannt, und die techni-
4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug sche Architektur. Die funktionale Architektur wird durch die Funktionen, ihre Eingangs- und Ausgangsgrößen sowie durch ihre Vernetzung beschrieben. Durch Abbildung dieser Funktionen auf technische Systemkomponenten, meist Steuergeräte, entsteht die so genannte technische Architektur. Der Prozess der Zuordnung von Funktionen zu technischen Komponenten sowie die Zuordnung von Signalen zu Signalträgern wie Bussen und Einzelleitungen wird Partitionierung genannt. Die Hardware-Systemelemente einer Elektrik-Elektronik-Systemarchitektur sind Sensoren, Aktoren, elektronische Steuergeräte, der Kabelbaum als Verbund von Leitungen und Kabeln für Datentransport und Energieversorgung, der Generator, Energiespeicher, Spannungswandler, Sicherungen und elektrische Antriebe. Die Elemente der Hardware werden zusammenfassend auch Bordnetz genannt. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Elektrik-Elektronik-Systemarchitektur aber wesentlich mehr beinhaltet (siehe oben). Dieses Mehr ist nötig, da eine Integration der technischen Komponenten ohne ein umfassendes Verständnis aller Schnittstellen im System nicht mehr gelingt.
4.1.3 Gestaltungselemente einer Systemarchitektur 4.1.3.1 Das ISO/OSI-Schichtenmodell Für den Datenaustausch zwischen Rechnern ist es sinnvoll, eine klare Struktur der verschiedenen Aufgaben vorzugeben. Allgemein durchgesetzt hat sich das ISO/OSI-Schichtenmodell. Das Schichtenmodell kann als Realisierung einer abstrakten Datenstruktur mit definierter Import-Export-Schnittstelle verstanden werden. Der Sinn der Schichtung besteht darin, dass die Aufgabe „Datenübertragung“ in übersichtliche, aber nicht zu viele Teilaufgaben (in diesem Falle die Schichten) zerlegt wird. Bei der Zerlegung in Schichten ist darauf zu achten, dass ähnliche Funktionen in der gleichen Schicht liegen. Das ISO/OSI-Schichtenmodell unterscheidet physikalische Schicht, Datensicherungsschicht, Vermittlungsschicht, Transportschicht, Sitzungsschicht, Darstellungsschicht und Anwendungsschicht. Sowohl für die Anwendung im Kraftfahrzeug als auch in manchen Automatisierungssystemen sind nicht alle Schichten erforderlich. Für die Anwendung im Kraftfahrzeug sind nur die physikalische Schicht, die Datensicherungsschicht, die Vermittlungsschicht und die Anwendungsschicht von Bedeutung. Zusätzlich übernimmt ein Netzwerkmanagement schichtenübergreifend organisatorische Funktionen wie Initialisierung, Organisation des Einschlafens und Aufwachens von Steuergeräten sowie Diagnoseunterstützung.
181 4.1.3.2 Topologien Kennzeichnend für einen Verbund von Steuergeräten ist die Art der Vernetzungsstruktur. In der Praxis vorkommende Lösungen sind die Sternstruktur, die Busstruktur und die Ringstruktur (Bild 4-1). Jede dieser Strukturen hat typische Vor- und Nachteile, die für die jeweiligen Anwendungen sorgfältig abzuwägen sind (siehe Tabelle 4-1). Tabelle 4-1: Die Grundtypen der Vernetzungstopologien Netzwerktopologie
Vorteile
Nachteile
Bus
Einfache Verkabelung, Erweiterbarkeit
Kollisionsrisiko der Buszugriffe, begrenzte Nutzung der Busbandbreite wegen Latenzzeit
Ring
Festgelegte Sender-EmpfängerBeziehung und Abfolge, meist hohe Bandbreite (Lichtwellenleiter)
Ohne Repeater begrenzte Teilnehmerzahl, Ausfall-Sicherheit muss durch spezifische Lösungen gewährleistet werden
Stern
Hohe Übertragungsraten, Endgeräteausfall hat keine Auswirkungen auf Kommunikation des Restnetzes
Ausfall des zentralen Knotens muss spezifisch abgedeckt werden, Verkabelung aufwendig
Es ist durchaus üblich, verschiedene Topologien miteinander zu mischen. Entweder geschieht dies auf Gesamtsystemniveau oder innerhalb einer Bustechnologie. Der erste Fall hängt mit der Tatsache zusammen, dass bestimmte Bustechnologien häufig mit einer Grundtopologie einhergehen. Im Systemdesign werden die Bustechnologien und damit die Grundtopologie wegen ihrer spezifischen Eigenschaften zur Erfüllung der Anforderungen ausgewählt. Damit entsteht dann eine Topologie wie in Bild 4-1 veranschaulicht. Im zweiten Fall, der Nutzung einer Technologie, lassen sich aber auch die Grundtypen der Topologien mischen. Dies ist z.B. bei der FlexRay- Bustechnologie möglich, bei der Stern- und Bustopologie gemischt werden können. Das bedeutet, dass an den Zweigen des Sterns mehrere Steuergeräte angehängt werden können. Mit dieser Mischung der Topologien lässt sich der Verkabelungsaufwand erheblich reduzieren.
182 4.1.3.3 Steuergerätetechnologien Die Steuergeräte sind die zentralen Rechen- und Steuereinheiten der Elektrik-Elektronik-Systemarchitektur, in denen alle wesentlichen Aufgaben im Bordnetz abgearbeitet werden. Die Aufgaben sind Sensorauswertung, Berechnung von Algorithmen, Diagnose sowie Selbsttest und Ansteuerung von Aktoren. Durch Kombination dieser Grundaufgaben können die vielfältigen Funktionen im Kraftfahrzeug abgearbeitet werden. Solche Funktionen sind etwa Ansteuerung der Einspritzventile, Klimatisierungsregelung, Einklemmschutz beim Fensterheber oder Lichtfunktionen wie Dimmen der Innenbeleuchtung. Steuergerä-
4 Bordnetz und Vernetzung te übernehmen in heutigen Kraftfahrzeugen hunderte von Einzelfunktionen. Im Kern eines jeden Steuergerätes befindet sich der Mikrocontroller. Dieser ist im Gegensatz zu den Mikroprozessoren von Personal-Computern als eingebetteter Controller (engl. embedded microcontroller) ausgeführt. Eingebettet heißt, dass sich neben dem Mikroprozessor (heute hauptsächlich 8-Bit-, 16Bit- und 32-Bit-Prozessoren) auch Speicher (RAM, ROM und Flash), Ein- und Ausgabebausteine und häufig auch die Controller für die Busse auf dem selben Siliziumchip befinden. Auf heutigen Generationen von eingebetteten Mikrocontrollern wird der größte Teil des Siliziumchips von den Flashspeichern eingenommen.
Bild 4-3: Technische Architektur des Steuergerätes für eine elektronische Dämpferregelung B-Sensor VL: Radbeschleunigungssensor vorne links; B-Sensor VR: Radbeschleunigungssensor vorne rechts; BSensor HR: Radbeschleunigungssensor hinten rechts; Ventil VR: Dämpferventil vorne rechts; Ventil VL: Dämpferventil vorne links; Ventil HR: Dämpferventil hinten rechts; Ventil HL: Dämpferventil hinten links; ADC: AnalogDigital-Umsetzer; DAC: Digital-Analog-Umsetzer; ESP: Bremsregelungs-Steuergerät; ZGM: zentrales Gatewaymodul; PT-CAN: Antriebsstrang-CAN; Power Supply: Stromversorgung für die Beschleunigungssensoren; SRAM: statisches RAM; A: Aktor; S: Sensor; D: digitale Einheit (engl. Digital Unit); PU: Prozessoreinheit (engl. Processing Unit)
4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug
183
Bild 4-4: Technische Architektur eines Steuergerätes für eine adaptive Geschwindigkeitsregelung (engl. Adaptive Cruise Control ACC) P2P: Punkt-zu-Punkt-Verbindung (engl. Peer-to-Peer); S: Sensor; PU: Prozessoreinheit (engl. Processing Unit); A: Aktor; D: digitale Einheit (engl. Digital Unit); PT-CAN: Antriebsstrang-CAN (engl. Powertrain-CAN); Kl. 30: Klemme 30; BatteriePluspol; Kl. 31: Klemme 31, Masse
Steuergeräte waren in den Anfängen der Elektronik im Kraftfahrzeug gar nicht oder nur sehr wenig mit anderen Steuergeräten vernetzt. Heute haben nahezu alle Steuergeräte einen oder mehrere Busanschlüsse. Mittlerweile lassen sich grob folgende drei Grundtypen von Steuergeräten unterscheiden: Eingebettete Steuergeräte, semi-eingebettete Steuergeräte sowie Rechnerknoten. Eingebettete Steuergeräte zeichnen sich dadurch aus, dass die Hauptaufgaben eines Steuergerätes wie Sensorauswertung und Algorithmenberechnung sowie Ansteuerung von Aktoren und Diagnose sich in einem Steuergerät befinden. Es zeigt sich, dass das Nebeneinander von rechenzeitintensiven Aufgaben sowie dem Schalten oder Treiben von hoher elektrischer Leistung in einem Steuergerät nicht immer unkritisch bezüglich Verfügbarkeits- und Sicherheitsaspekten zu bewerten ist. Ein typischer Vertreter eines eingebetteten Steuergerätes ist in Bild 4-3 gezeigt. In dem Steuergerät befindet sich ein eingebetteter Controller mit dem Prozessorkern, einem statischen RAM und einem Flashspeicher. An das Steuergerät angeschlossen sind drei analoge Sensoren und vier Proportionalventile, die den Druck in den Dämpfern je nach Straßenlage, fahrdynamischem Zustand und vom Fahrer vorgewählten Grundeinstellungen ändern. Zusätzlich besitzt es noch einen CAN-Anschluss mit einer Datenübertragungsrate von 500 kBaud.
In semi-eingebetteten Steuergeräten sind nahezu keine Treiberbausteine vorhanden. Die Sensoren und Aktoren werden meist als mechatronische Einheiten realisiert, die über Subbusse mit dem Steuergerät vernetzt sind. In der Regel haben diese Art von Steuergeräten basierend auf 32-Bit-Controllern hohe Rechenleistungen verbunden mit hohem Speicherbedarf (Bild 4-4). Im ACC-Steuergerät sind nur noch solche Treiber enthalten, die unmittelbar mit der realisierten Funktion zu tun haben. Das sind in diesem Falle der Radarsensor, der für die adaptive Geschwindigkeitsregelung nötig ist und die Linsenheizung für das Radar. Die Systemvernetzung mit anderen Komponenten erfolgt nahezu ausschließlich über Busse, im vorliegenden Fall über den Antriebsstrang-CAN (engl. Powertrain-CAN, PT-CAN). Sonst ist das Steuergerät nur noch mit der Stromversorgung über Klemme 30 (Batterie-Pluspol) und Klemme 31 (Masse) verbunden. In einem nächsten Entwicklungsschritt könnten das Radar und die Linsenheizung in einem Steuergerät separiert werden. Das wäre sicherlich dann der Fall, wenn die Messgrößen des Radarsensor von anderen Steuergeräten zur Realisierung bestimmter Funktionen benötigt oder mit anderen Messgrößen fusioniert werden. In diesem Falle wäre der Übergang zur letzten Kategorie vollzogen: die Rechnerknoten. Zur Umsetzung von Fahrerassistenzsystemen (wie z.B. Spurwechselassistenten) oder By-wire-Systemen (wie z.B. elektromechanische Bremsen) werden die Rechnerknoten
184 häufiger anzutreffen sein. Dies hängt damit zusammen, dass erstens viele neue Funktionen sich nur noch durch Vernetzung von mehreren Steuergeräten realisieren lassen und zweitens erhöhte Verfügbarkeits- und Sicherheitsanforderungen nur durch den gezielten Einsatz steuergeräteinterner oder -externer Redundanzen erfüllt werden können. Grundbegriffe zu sicheren und hochverfügbaren Systemen finden sich in [1]. Das in Bild 4-5 gezeigte Aktivlenkungssystem setzt dies schon heute um.
Bild 4-5: Technische Architektur des Aktivlenkungssystems (Überlagerungslenkung) eines BMW (schematisch) AFS: Aktivlenkungssteuergerät; PC: Mikrocontroller; ESP: Bremsregelungs-Steuergerät; DME: Motorsteuerung; SC 1: Sensorcluster 1; SC 2: Sensorcluster 2; LWS: Lenkwinkelsensor (Lenksäule); LWS-Rad: Lenkwinkelsensor (Rad); PT-CAN: Antriebsstrang-CAN; F-CAN: Fahrwerks-CAN
Die Aktivlenkung basiert auf dem Prinzip der Überlagerungslenkung, bei dem der Lenkwinkel gezielt über einen Elektromotor und ein zusätzliches Getriebe in der Lenksäule verändert werden kann. Das Steuergerät der Aktivlenkung tauscht intensiv Daten mit dem Bremsregelungssteuergerät und der Motorsteuerung über den Systembus AntriebsstrangCAN mit einer Datenübertragungsrate von 500 kBaud aus. Ferner benötigt es die redundante Sensorik: zwei Sensorcluster, die Gierratensensor und Beschleunigungssensoren integrieren, und zwei Lenkwinkelsensoren. Da diese Sensoren auch vom BremsregelungsSteuergerät benötigt werden, sind diese Sensoren an dem Subbus Fahrwerks-CAN mit einer Datenübertragungsrate von 500 kBaud angeschlossen. Das Aktivlenkungssteuergerät ist im Grunde nur noch ein Rechnerknoten mit einer Doppelprozessorarchitektur, wobei der zweite Prozessor die wichtigsten Berechnungsergebnisse des Hauptprozessors überwacht. Sind die Ergebnisse nicht identisch, so zieht sich das Aktivlenkungssystem auf den sicheren Zustand zurück: die Lenkung verhält sich so, als ob eine starre Lenksäule verbaut wäre1. Zu weiteren Erläuterungen 1 Die Aktivlenkung ist als SIL3-System (SIL: Safety Integrity Level,
Sichereinheitseinstufung nach IEC61508) eingestuft. Damit erklärt sich auch der erhebliche konstruktive Aufwand.
4 Bordnetz und Vernetzung zur Bremsregelung und Motorsteuerung sei auf die Abschnitte 2 und 3 sowie auf [2] verwiesen. 4.1.3.4 Vernetzungstechnologien Ein weiteres zentrales Schlüsselelement einer Systemarchitektur sind die Vernetzungstechnologien, das heißt, die Busse mit ihren entsprechenden Übertragungsprotokollen. Man unterscheidet die Busse primär hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Buszugriffsverfahren nach deterministischen (FlexRay, byteflight, TTP) und prioritätsgesteuerten Buszugriffsverfahren (CAN, LIN, MOST). Weiterhin können einige Bussysteme mehrere logische Datenkanäle in einem physikalischen Kanal verwalten, um synchrone große Datenmengen für Audio oder Video zu übertragen (z.B. MOST). Andere Bussysteme hingegen übertragen nur einfache Datenpakete (z.B. CAN). Die zentralen Busse, die heute in Kraftfahrzeugen eingesetzt werden, sind der CAN-Bus in den Bereichen Antrieb, Fahrwerk und Karosserie, der MOST-Bus für Multimedia und neuerdings auch der FlexRay-Bus für Anwendungen im Fahrwerks- und Antriebsbereich. Daneben gibt es noch eine Reihe von Subbussen, die für die lokale Anbindung von einfacheren Steuergeräten zur Anwendung kommen. Hier hat vor allem der LIN-Bus an Bedeutung gewonnen. Auf die Eigenschaften der verschiedenen Busprotokolle wird in Abschnitt 4.2 eingegangen, so dass hier auf eine nähere Betrachtung verzichtet wird. Die wesentlichen Anforderungen an Busse im Kraftfahrzeug sind nachfolgend zusammenfassend dargestellt. Wichtige Anforderungen an Bussysteme sind: Bandbreite: Je nach Anwendung werden unterschiedliche Datenübertragungsraten gefordert. Die Bandbreite definiert die Anzahl der Bits, die pro Sekunde auf dem Übertragungskanal übertragen werden können. Latenzzeiten: Über die Latenzzeit wird die zeitliche Verzögerung zwischen Sendung und Empfang der Nachrichten beschrieben. Bestimmte Anwendungen benötigen ein deterministisches Verhalten, d.h. es muss exakt definiert sein, welche Verzögerung bei der Datenübertragung entsteht. Jitter: Eine Reihe von Anwendungen benötigen sehr genaue Wiederholzyklen des Datenaustauschs. Der Jitter beschreibt dabei die zeitliche Abweichung von nacheinander in einem bestimmten zeitlichen Abstand (z.B. 10 ms) ausgesandten Nachrichten auf dem Bus. Übertragungsmedium: Optische Medien sind derzeit nicht für Hochtemperaturbauräume wie z.B. den Motorraum qualifiziert. Hier muss auf elektrische Leitungen zurückgegriffen werden
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4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug
Leitungslänge: Je nach Kraftfahrzeuggröße ist die erlaubte Leitungslänge eine nicht zu unterschätzende Randbedingung. Übertragung synchroner Daten: Für Audio- und Videoanwendungen ist die synchrone Übertragung von großen Datenmengen zwingend erforderlich.
185 da die Empfänger-Steuergeräte nicht unterscheiden können, ob die empfangenen Daten tatsächlich fehlerbehaftet sind oder durch ein Gateway anderweitig verändert worden sind. Hier bedarf es eines strengen, klar vereinbarten Regelsatzes, damit alle Kommunikationspartner von den gleichen Voraussetzungen im Kommunikationsverbund ausgehen.
4.1.3.5 Kommunikationsrouting Ein weiteres Element einer Systemarchitektur ist das Routing der Kommunikation. Das bedeutet, dass zwei oder mehrere Busse gleicher oder unterschiedlicher Technologie kommunikationstechnisch miteinander zu verknüpfen sind, um Nachrichten vom einen Busnetzwerk auf ein anderes zu übertragen. Dabei wird zwischen Repeater, Router (oder auch mit Bridge bezeichnet) und Gateway unterschieden. Repeater werden dazu verwendet, Busse gleicher Technologie miteinander zu verbinden, um die auf den Leitungen (elektrisch oder optisch) auftretenden Dämpfungsverluste auszugleichen. Der Kommunikationsverkehr wird einfach von einem Bus auf den anderen transferiert. In einem Router wird nur derjenige Anteil der Daten auf einen bestimmten anderen Bus weitergeleitet, der von den Steuergeräten an diesem Bus benötigt wird. Entweder werden ganze Datenpakete (sog. Protocoll Data Units PDUs) oder nur Einzelsignale aus einem Datenpaket transferiert. Ein Gateway hingegen verarbeitet die zu transferierenden Datenpakete z.B. mit Filteroperationen; oder das Gateway sendet Ersatzwerte, wenn die Eingangssignale nicht zur Verfügung stehen. In verteilten Systemen sind Gateways eher kritisch anzusehen,
Bild 4-6: BMW-Standard-Core
4.1.4 Software-Architekturen Auch innerhalb der Software selbst kann man von einer Architektur sprechen, falls ein strukturierter Aufbau der Anwendungsmodule und der so genannten Softwarebasisfunktionen erfolgt. Dabei werden wesentliche Elemente der künftigen Softwarestruktur bestimmt, nämlich die Wiederverwendbarkeit von SoftwareModulen und die Grundstruktur der Software: bezüglich Anwendungen, Betriebssystem, eventueller Middlewareschicht und Hardware-Abstraktion sowie Basisdiensten, wie Netzwerkmanagement, Diagnose oder Flash. Gerade die Zusammenfassung der Systemgrundfunktionen in einem so genannten Standard-Core bietet ein erhebliches Potential für Standardisierung. Diese weitgehende Standardisierung der Basissoftware erlaubt eine schnellere Fehlerfreiheit und eine kürzere Entwicklungszeit. Verschiedene Automobilhersteller haben mit der Standardisierung bereits vor einigen Jahren begonnen. Ein typischer Vertreter wird in Bild 4-6 gezeigt.
186
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-7: Strukturdiagramm der AUTOSAR-Software-Architektur; die einzelnen Blöcke werden im Text erklärt (in der Entwicklungspartnerschaft AUTOSAR werden alle Spezifikationen in Englisch verfasst)
Die Standardisierung konzentriert sich auf einige wenige Elemente: Betriebssystem, Diagnosemodul, Transportschicht, Kommunikationsmdul, Netzwerkmanagement, CAN-Treiber, Bootloader und EEPROM-Treiber. Die Anwendungen greifen dabei über verschiedene Schnittstellen auf die StandardCore-Software-Module und die restliche BasisSoftware zu. In Summe unterliegen die Schnittstellen im Ganzen gesehen nur einem relativ geringen Grad der Standardisierung. Ziel dieser Standardisierung ist es, die Integration der Steuergeräte auf Systemebene zu erleichtern. Deswegen wurden die kommunikationsrelevanten Software-Module standardisiert. Zusätzlich wurden der Bootloader und der EEPROMTreiber standardisiert, um die Flashprogrammierung systemweit zu vereinheitlichen. Insgesamt ergibt sich somit ein vereinheitlichtes Verhalten der Steuergeräte am Bus. Eine Wiederverwendung von Anwendungen wird mit dieser Architektur nicht erzielt, da die Anwendungen weder von der Bustechnologie abstrahieren noch hardwareunabhängig sind. In Bild 4-7 wird die AUTOSAR-Software-Architektur2 gezeigt, die ein aktuelles Beispiel einer modernen Software-Architektur darstellt. 2 AUTOSAR steht für AUTomotive Open System ARchitecture.
Diese wird in einer Entwicklungspartnerschaft von den CorePartnern BMW Group, Bosch, Continental Automotive Systems, DaimlerChrysler, Ford Motor Company, General Motors, PSA, SiemensVDO, Toyota Motor Company und Volkswagen entwickelt.
Diese zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus, siehe hierzu auch [3]: Die Anwendungssoftware wird mit Hilfe der Softwarekomponententechnologie in AnwendungsSoftwarekomponenten (engl. Application Software Component), Aktor-Softwarekomponenten und Sensor-Softwarekomponenten strukturiert. Die einzelnen Softwarekomponenten kommunizieren ausschließlich über die AUTOSAR-Schnittstelle (engl. AUTOSAR Interface) mit der umgebenden anderen Software. AUTOSAR-Schnittstellen genügen dabei den Beschreibungsmitteln der Softwarekomponententechnologie, die in AUTOSAR auf automobile Anwendungen zugeschnitten und standardisiert wurde. Die AUTOSAR-Software-Laufzeitumgebung (engl. AUTOSAR-Runtime-Environment RTE) sorgt dafür, dass die Anwendungssoftware nur über die Laufzeitumgebung mit der darunter liegenden Basis-Software kommuniziert. Das führt dazu, dass die Anwendungen von der gesamten Infrastruktur abstrahiert sind. Sie weisen Unabhängigkeit von der Hardware auf und abstrahieren vollständig die unterliegenden Busund Betriebssystemtechnologien. Hiermit können die AUTOSAR-Softwarekomponenten auf einem anderen Steuergerät mit unterschiedlicher Hardware integriert werden, ohne dass die Anwendungssoftware neu geschrieben oder angepasst werden muss. Es werden die Kommunikationstechnologien CAN, LIN und FlexRay unterstützt. Die Kommunikationsdienste (engl. Communication Services) enthalten
4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug ebenso die Kommunikationsrouter für Datenpakete und Einzelsignale, um Daten von einem Bus auf den anderen zu transportieren. Die Portierung der AUTOSAR-Software-Architektur wird durch die Mikrocontrollerabstraktion (engl. Microcontroller Abstraction) erheblich erleichtert. Im Falle einer Portierung müssen nämlich lediglich die Low-Level-Treiber portiert werden. Unter LowLevel-Treiber versteht man diejenigen Softwaremodule, die unmittelbar Hardwarezugriffe z.B. auf Flashbausteine oder digitale Ein- und Ausgänge ermöglichen. Unter dem Block der Dienste (engl. Services) verbergen sich Speicherverwaltung, Steuergerätestatusmanagement und Watchdogmanagement. D.h., hier werden notwendige Dienste vereinheitlicht, die bisher steuergerätespezifisch und damit lieferantenspezifisch ausgeführt waren. Der Complex-Device-Treiber (engl. Complex Device Driver) ermöglicht einen schnellen Hardware-Zugriff für die Anwendungen. Diese sind z.B. für die Zündung von Airbags oder für die Steuerung von Einspritzventilen notwendig. Da es sich in der Regel um spezialisierte Softwaretreiber für echtzeit-relevante Steuerungs- und Regelungsaufgaben handelt, werden diese im Rahmen der Standardisierung nicht weiter betrachtet. Die einzige wesentliche Anforderung an solche Treiber ist: Diese Module müssen eine AUTOSAR-Schnittstelle haben, damit eine einfache Integration solcher Module in die AUTOSARInfrastruktur möglich ist. Die Steuergeräteabstraktion (engl. ECU Abstraction) ermöglicht den standardisierten Zugriff auf wichtige Daten wie z.B. Spannung und Temperatur. Typischerweise werden die Complex-Device-Treiber und die Steuergeräteabstraktion von den Steuergerätezulieferern implementiert. Aus diesem Grunde wird bei diesen Softwaremodulen auch von ECU-Firmware gesprochen. Die Kommunikation zwischen den Softwaremodulen der Infrastruktur erfolgt über standardisierte Schnittstellen (engl. Standardized Interface). Das sind solche Schnittstellen, deren Inhalt vollständig spezifiziert und bekannt ist. Im Unterschied dazu sind die standardisierten AUTOSAR-Schnittstellen (engl. Standardized AUTOSAR Interface) solche Schnittstellen, deren Inhalt vollständig spezifiziert und bekannt ist und zusätzlich den AUTOSAR-Beschreibungsmitteln für Softwarekomponenten genügt. Die Standardisierung erfolgt firmenübergreifend über die gesamte Automobilindustrie. Die AUTOSAR-Software-Architektur stellt damit de facto einen Industriestandard dar. Im Detail hat die AUTOSAR-SW-Architektur circa 60 Software-Module, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.
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4.1.5 Systemdesignprozess 4.1.5.1 Generelle Vorgehensweisen Das Systemdesign und die sich daraus ergebende Systemarchitektur haben sich traditionell eher aufgrund von Bottom-up-Vorgehensweisen und über in vielen Fahrzeugprojekten gesammelte Erfahrungen entwickelt. Bottom-up deshalb, weil das Fahrzeugbordnetz im Prinzip aus der Zusammensetzung der einzelnen Komponenten entstanden ist. Durch die starke Vernetzung wurden systemische Aspekte wie z.B. ein einheitliches Kommunikationsverhalten oder das Aufwecken und Einschlafen des gesamten Fahrzeugbordnetzes immer wichtiger. Das Systemdesign und die daraus resultierende Systemarchitektur sind heute in den meisten Firmen erst teilweise formalisiert und hinsichtlich der Prozesse nicht hinreichend beschrieben. Mit steigender Komplexität reicht diese eher empirische Vorgehensweise immer weniger aus und muss um eine Top-down-geprägte Vorgehensweise ergänzt werden. Top-down deshalb, weil der Entwurf prinzipiell zunächst das gesamte Fahrzeugbordnetz, dessen Funktionen und Verhalten im Auge hat und über mehrere Iterationen die Komponenten mit ihren Schnittstellen zum Gesamtsystem festlegt, die die Funktionalitäten und das Verhalten des Gesamtsystems implementieren. Ein derartiger Systemdesignprozess geht von systematisch erfassten Prämissen und Anforderungen aus. Dabei müssen die Lösungsvarianten im Entwurf der Systemarchitektur unter verschiedenen Blickwinkeln analysiert und bewertet werden, wie in Bild 4-8 dargestellt. Prämissen sind dabei Setzungen, die aufgrund bestehender gesetzlicher Vorschriften, Firmenstandards oder sonstiger verbindlicher Vorgaben gültig sind. Wie auch der Architekt eines Gebäudes von bestimmten Prämissen ausgehen muss, z.B. hinsichtlich Infrastrukturanbindung oder städtebaulicher Festlegungen, muss auch der Systemarchitekt eines Fahrzeugbordnetzes von stabilen Prämissen ausgehen können, da sonst der mögliche Lösungsraum praktisch nicht mehr bearbeitbar ist. In vielen Automobilfirmen beruht der Entwurf von Systemarchitekturen aus dem Zusammenwirken erfahrener Entwickler der einzelnen Bereiche, wie Fahrwerk, Antrieb, Karosserie oder Multimedia mit Fachleuten einer Zentralstelle. Letztere wirken als Moderatoren und als neutrale Instanz, um dafür zu sorgen, dass nicht allein lokale Gesichtspunkte den Gesamtentwurf der Systemarchitektur bestimmen. In den Gestaltungsprozess fließen Erfahrungen aus früheren Projekten und laufenden Technologieentwicklungen ein, die in der Regel aus einer Antizipation künftiger Anforderungen initiiert werden. Die wesentlichen Elemente des Systemdesignprozesses zeigt Bild 4-9.
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4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-8: Blickwinkel des Systemdesigns
Bild 4-9: Wesentliche Elemente des Architekturdesignprozesses
Der heutige Systemdesignprozess ist daher primär Bottom-up-getrieben (Bild 4-10), insbesondere sind alle relevanten Interessensgruppen, die so genannten Stakeholder, eines Unternehmens mit in den Entwicklungsprozess einbezogen. Wesentliche Interessengruppen beim Entwurf eines Fahrzeugs und damit auch der Systemarchitektur sind beispielsweise die Entwicklung, das Marketing, die Produktion oder die Serviceorganisation zur Pflege, Wartung und Reparatur eines Automobils. Der Prozess ist in erheblichem Umfang heuristisch und damit von der Verfügbarkeit der Erfahrungsträger abhängig. Die Technologieentwicklung, das heißt die Entwicklung
neuer Kommunikationsprotokolle und neuer physikalischer Busse hängt vielfach von der Initiative einzelner Firmen (Zuliefererindustrie oder Automobilherstellern) ab. Es ist zwingend notwendig, eine systematische und langfristige Technologievorentwicklung zu betreiben. Notwendige Standardisierungs- und Harmonisierungsprozesse sind langwierig und benötigen entsprechenden Vorlauf. Der Systemdesignprozess muss daher in Zukunft stärker um eine Top-downOrientierung (Bild 4-11) ergänzt werden. Dieser ergänzende Ansatz muss sich als normatives und methodenbasiertes Vorgehen etablieren.
4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug
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Bild 4-10: Bottom-up-Sicht im Architekturdesign; SG: Steuergerät, F-CAN: Fahrzeug-CAN, PT-CAN: AntriebsstrangCAN
Bild 4-11: Top-down-Sicht im Architekturdesign; SG: Steuergerät
190 Das normative Vorgehen ist gekennzeichnet durch das Vorgeben wesentlicher Grundentscheidungen in Form von Prämissen oder Technologieentscheidungen, die im weiteren Designprozess nicht ständig in Frage gestellt werden dürfen. Hier ist aber eine rechtzeitige Einbindung der Zulieferer für die Umsetzbarkeit von entscheidender Bedeutung. 4.1.5.2 Anforderungsmanagement Ein methodenbasiertes Vorgehen wird versuchen, eine saubere Anforderungserfassung mit klarer Strukturierung nach Standardanforderungen, neuen zwingenden Anforderungen und optionalen Anforderungen zu erstellen. Der potentielle Entfall bisher gültiger Anforderungen ist ebenfalls sorgfältig zu prüfen. Durch den zunehmenden Wunsch nach Individualisierung der Produkte und der Besetzung auch kleinster Marktnischen muss bei der Anforderungserfassung auch auf Karosserie-, Motor-, Länder- und Rechts- oder Links-Lenker-Varianten geachtet werden. Die Aufgabe des Anforderungsmanagements ist also, exakt jene Funktionen herauszudestillieren, die der Kunde vom Produkt erwartet und die letztlich im System realisiert werden sollen. Sehr viele Stakeholder stellen im realen Prozess Anforderungen an das System Automobil. Wie oben schon erwähnt, sind das das Marketing (Markt, Marke), der Entwickler (Vorentwicklungsportfolio als Angebot, Umsetzbarkeit), das Werk (Herstellbarkeit), der Vertrieb (Verkauf), der Service (Wartbarkeit, Reparierbarkeit). Bei der Anforderungserfassung wird zwischen funktionalen und nichtfunktionalen Anforderungen unterschieden. Unter funktionalen Anforderungen werden hier Forderungen verstanden, die sich aus der Realisierung erwünschter kundenrelevanter Funktionen ergeben. So bestimmen etwa die Fragen, welche neuen Funktionen und welches Ausstattungsspektrum im Bereich der Multimedia und Telematik angeboten werden soll, sowie wie die zu erwartenden Kaufquoten der Funktionen aussehen werden, zu einem erheblichen Umfang die Architektur in diesem Bereich. Hinzu kommen die Anforderungen, die sich aus dem Datenaustausch innerhalb des Bereiches oder über Bereichsgrenzen hinweg ergeben. Sie bestimmen die Anforderungen an ein eventuell notwendiges Kommunikationsrouting über Busse hinweg und an die Übertragungsbandbreite der Busse. Nichtfunktionale Anforderungen beziehen sich dagegen auf Forderungen, die sich aus der Integrationsfähigkeit (z.B. Diagnostizier- und Testbarkeit), der Produktions- und Service-Fähigkeit (Flashanforderungen) der technischen Systeme ergeben. Auf dem Gebiet der nichtfunktionalen Anforderungen sind zum Beispiel Forderungen nach einem intelligenten
4 Bordnetz und Vernetzung Energiemanagement, das Verbraucher je nach Fahrund Betriebssituation wegschaltet, Stand-by-Funktionen steuert oder als zentrale Instanz über die Versorgung von Verbrauchern entscheidet, von zentraler Bedeutung für die Systemarchitektur. Hingegen ist die Frage einer separaten Starterbatterie oder die lokale Versorgung einer Komponente mit höherem Spannungslevel über einen DC/DC-Wandler unter Architekturgesichtspunkten eher von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist es, in der frühen Phase die architekturbestimmenden Anforderungen herauszudestillieren, da sonst die Gefahr besteht, in einem Meer ungefilterter Anforderungen die Übersicht zu verlieren und zu viel Zeit mit der Diskussion von Forderungen zu verwenden, die nicht entscheidend für die Systemarchitektur sind. Eine der Hauptschwierigkeiten, Anforderungen zusammenzutragen und mit allen am Entwicklungsprozess Beteiligten abzustimmen, ist der relativ gesehen hohe Ressourcenbedarf für die Ersterstellung eines zuverlässigen und stabilen Anforderungsgerüstes. In anderen Zweigen der Wirtschaft, wie der Luftfahrtund Militärindustrie, wird vielfach das Anforderungsmanagement von den Auftraggebern finanziert. Dies ist in der Kraftfahrzeugindustrie nicht möglich, weil der Auftraggeber zur Entwicklung eines Automobils der Vorstand ist und nicht der Endkunde, der später dieses neuentwickelte Fahrzeug kaufen soll. Allerdings wird das Unternehmen sowohl kurzfristig, mittelfristig als auch langfristig belohnt. Kurzfristig, da abgestimmte Anforderungen bei allen Prozessbeteiligten eine stabile Ausgangsbasis für den eigentlichen Entwurf des Elektrik-Elektronik-Systems sind. Die Planungsbasis für parallel zu startende Prozesse wie Test- und Absicherungsmaßnahmen, Implementierungsplanung und Lieferantenauswahl wird hier getroffen und vereinbart. Mittelfristig, weil erstens aufgrund der weiter oben bereits erwähnten Variantenvielfalt klar und für jeden ersichtlich ist, wie sich die einzelnen Produkte einer Baureihe oder Produktlinie ausprägen und von einander differenzieren. Und zweitens, weil sich erhebliche Kosteneinsparungen ergeben – sowohl in Entwicklungsaufwendungen als auch in Herstellkosten. Die durch ein striktes Anforderungsmanagement resultierende Reduktion von Änderungen schlägt sich in der Serienentwicklung durch stabilere Lastenhefte der Automobilhersteller und Pflichtenhefte der Zulieferer nieder. In Summe führt dies zu niedrigeren Kosten bei allen Beteiligten. Langfristig lohnt sich Anforderungsmanagement, weil die Anforderungen im Entwicklungsprozess dann sehr stabil sind. Spät entschiedene Derivatprojekte und Folgeproduktlinien lassen sich hochgradig effizient als Ableitung aus den vorhandenen Anforderungen darstellen. Eine Wiederverwendung von 80 – 90 % aller Anforderungen ist eher die Regel als die Ausnahme.
4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug
191
Der nächste analytische Schritt besteht darin, die so dokumentierten Anforderungen – wie bereits oben beschrieben – daraufhin zu filtern, welche Anforderungen architekturbestimmend sind. Mit diesem Satz der architekturbestimmenden Anforderungen, dies gilt für funktionale und nicht-funktionale Anforderungen gleichermaßen, ergibt sich bereits ein grobes Bild, in welchen Bereichen bisheriger Architekturlösungen die größten Veränderungen entstehen. Anforderungen sind auf ihre Umsetzbarkeit, auf ihre Auswirkungen auf Kosten, Implementierung, Technologie und Lebenszyklus zu bewerten. Funktionale und nichtfunktionale Anforderungen sind absolut gleichrangig zu behandeln.
derung wird einer Karosserievariante oder mehreren Karosserievarianten zugeordnet (siehe Tabelle 4-2). Aus den Anforderungen wird ersichtlich, dass der Ausstattungslevel für die gezeigte Zentralverriegelung erheblich von der gewählten Karosserievariante abhängt. Das Funktionsnetzwerk für die Zentralverriegelung ergibt sich scheinbar natürlich. Alle Teilfunktionen liefern Beiträge zur Erfüllung der Anforderungen 1 bis 7. Aus den Anforderungen lässt sich aber nicht zwingend eine Funktion „Zentralverriegelung Zentrale“ ableiten. Diese Funktion wurde im Rahmen des Systemdesigns hinzugefügt, um eine ständige Plausibilisierung aller Klappenzustände zu ermöglichen.
4.1.5.3 Funktionale Aufteilung und Vernetzung
Tabelle 4-2: Anforderungen; ZV: Zentralverriegelung
Erfasst man die zu realisierenden Funktionen möglichst vollständig und beschreibt ihre Wechselbeziehungen, d.h. Eingangs- oder Ausgangs-Beziehungen zu anderen Funktionen, lässt sich bereits in einer relativ frühen Designphase ein einigermaßen vollständiges Modell des künftigen Funktionsnetzwerkes erstellen. Das Funktionsnetzwerk stellt die erste virtuelle Realisierung des künftigen Bordnetzes dar. Mit geeigneten Methoden und Prozessen lassen sich die Anforderungen durch das Funktionsnetz konkretisieren, d.h., eine oder mehrere Anforderungen werden durch die Funktionen und deren Datenaustausch untereinander realisiert (siehe Bild 4-12). Wie aus dem Bild ersichtlich, erhält jede Anforderung eine eindeutige Identifikationsnummer (ID). Jede Anfor-
ID
Anforderung
Karosserievariante
1
ZV ist vorzusehen
alle 3er
2
ZV wirkt auf Fahrer und Beifahrertür
alle 3er
3
ZV wirkt auf Fahrer- und Beifahrertür hinten
3er Lim. & Touring
4
ZV wirkt auf Tankklappe
alle 3er
5
ZV wirkt auf Heckklappe
alle 3er
6
ZV wirkt auf Handschuhfachklappe
3er Cabrio
7
ZV wirkt auf Heckscheibe
3er Touring
Bild 4-12: Anforderungen für eine Zentralverriegelung (ZV) werden durch ein Funktionsnetzwerk realisiert, die Zahlen sind die Identifikationsnummern (siehe Tabelle 4-2)
192 Werden konsequent die Anforderungen durch entsprechende Funktionsnetzwerke konkretisiert, lassen sich schon sehr früh Vollständigkeits-, Konsistenz- und Plausibilitätsaussagen gewinnen. Im Falle der Zentralverriegelung aus Bild 4-12 ist allerdings die Aussagekraft auf die Vollständigkeit beschränkt. Praktisch bedeutet dies, dass die Umsetzung von Anforderungen eine Konkretisierung durch Funktionen und deren Datenaustausch finden muss. Ist dies nicht der Fall, so kann es sein, dass diese Anforderung schlicht nicht umsetzbar ist oder übersehen wurde. Das Funktionsnetzwerk kann vielfältig genutzt werden. Erstens dient es zum Aufdecken von Spezifikationsfehlern, denn bei der Integration der Funktionen zu einem Funktionsnetzwerk können relativ leicht Spezifikationsfehler aufgedeckt werden. Durch eine geeignete visuelle Darstellung der Zusammenhänge ist für die Prozessbeteiligten der Einstieg in die spezifische Problematik häufig erleichtert. Zweitens lassen sich leichter Funktionsspezifikationen für Lastenhefte erstellen. In der Regel setzt ein Lieferant die Funktionalität in einem Steuergerät um. Mit hinreichend detaillierten Funktions- und Schnittstellenspezifikationen lässt sich für den Entwickler beim Automobilhersteller wesentlich besser artikulieren, was im Steuergerät umgesetzt werden soll. Drittens können die Schnittstellenspezifikationen der Funktionen zur Modellbildung von Verhaltensmodellen der Funktion herangezogen werden. Somit lässt sich dann ein Funktionsnetzwerk im Zusammenhang simulieren. Für eine Reihe von Teilaspekten ist dies zwingend erforderlich wie z.B. bei der Auslegung von Regelkreisen im Fahrwerks- oder Antriebsbereich.
4 Bordnetz und Vernetzung Ein typisches Beispiel für ein Funktionsnetzwerk (häufig auch als Funktionsnetzarchitektur oder logische Architektur bezeichnet) wird in Bild 4-13 gezeigt. Es zeigt die funktionalen Zusammenhänge der Elektronik im Bereich der Lenksäule. Das Steuergerät, das die Funktionen Lenkradelektronik, Lenkradwinkelsensor, Lenkstocktaster und Lenksäulenelektronik umfasst, heißt Schaltzentrum Lenksäule (SZL). Dieses Steuergerät weist eine Schnittstelle zu einem CAN-Bus auf. Die inneren Datenflüsse werden durch die Verbindungen dargestellt. Zusätzlich lassen sich Schnittstellen (engl. Interface) zu anderen Funktionen erkennen; es liegen folgende Schnittstellen in Bild 4-13 vor: Auf der linken Seite benötigt das Schaltzentrum Lenksäule vom CAN-Bus die Signale Klemmenstatus, Radgeschwindigkeit und Radtoleranzabgleich. Auf der rechten Seite liefert das Schaltzentrum Lenksäule Bediensignale an das Gesamtsystem, das an Lenksäulen und Lenkrad die Taster für die Quellenumschaltung Audio und Telefon, für die Bedienung der Geschwindigkeitsregelung (engl. Cruise Control) und der adaptiven Geschwindigkeitsregelung sowie für die Bedienung der Wischer auswertet. Durch das Schaltzentrum Lenksäule werden auf der einen Seite über die Lenkradelektronik die Airbagzündpillen im Lenkrad angesteuert. Auf der anderen Seite werden der Bedientaster im Lenkrad für das Horn, das von der zentralen Karosserieelektronik (ZKE) angesteuert wird, und die Schaltpaddel für das sequentielle, manuelle Getriebe (SMG) ausgewertet.
Bild 4-13: Funktionsnetzwerk der Elektronik im Bereich der Lenksäule LRE: Lenkradelektronik; SZL: Steuergerät Schaltzentrum Lenksäule; SMG: Sequentielles, manuelles Getriebe; ZKE: Zentrale Karosserieelektronik; FAS: Fernlicht-Abblendlicht-Schaltung; CC: Geschwindigkeitsregelung; ACC: Adaptive Geschwindigkeitsregelung
4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug Die Modellierung erfolgte in diesem Beispiel unter Verwendung der Client-Server-Kommunikation. Es wird immer derart modelliert, dass eine ClientFunktion eine Server-Funktion anfordert. Dies wird im Modell über einen Kreis dargestellt. Der Server liefert auf Anforderung, symbolisiert über einen Halbkreis. Aufgrund dieser Modellierungslogik liefert die Funktion Lenkradelektronik die Dienste, den Bedientaster für das Horn und die Schaltpaddel für das sequentielle, manuelle Getriebe auszulesen. Im Gegensatz dazu fordert die Lenkradelektronik den Dienst zur Auslösung der Airbagzündpille im Lenkrad an. In Summe erfüllt dieses Modell, wie oben definiert, ein zentrales Erkennungszeichen von Systemarchitekturen: die Beschreibung des betrachteten Systems, die Funktionen dieses Systems, aber auch der Schnittstellen zur Umgebung. Solch ein detailliertes Modell des Funktionsnetzwerkes liefert deswegen eine gute Grundlage für Partitionierungsentscheidungen. 4.1.5.4 Partitionierung der logischen Architektur auf eine technische Architektur Der Prozess der Partitionierung, das heißt, die Abbildung der Funktionen und ihrer Anforderungen auf eine konkrete technische Lösung, erfordert eine breite und umfassende Erfahrung der zu berücksichtigenden Aspekte. Ein Beispiel für eine Funktionspartitionierung ist in Bild 4-14 gezeigt.
193 Hier wird die Gesamtfunktionalität des ACC-Steuergeräts abgebildet. In diesem Beispiel übernehmen verschiedene Mikrochips die Abarbeitung der Funktionen innerhalb eines Steuergerätes. Beispielsweise übernimmt der DSP (Digitaler Signal-Prozessor) die Berechnung der Verkehrslagenerkennung. Dies ist im Prinzip die gleiche Situation, wie wenn Funktionen auf verschiedene Steuergeräte verteilt werden müssen, die über Busse miteinander vernetzt sind. Neben der Funktionspartitionierung müssen noch die Signale auf die verschiedenen Signalträger (Busse, Multiplexer oder Einzelleitungen) partitioniert werden. Hier spricht man von Signalpartitionierung. Ein Beispiel wird in Bild 4-15 gezeigt. Dies ist ein eminent wichtiger Vorgang, da hier die Schnittstellendaten auf den Bussen festgelegt werden. Die Ein- und Ausgangsbeziehungen der Steuergeräte, die über Busse miteinander verbunden sind, sind nichts anderes als gültig geschlossene Vertragsrelationen von Kunden (der Daten) und deren Lieferanten. Die Abstimmung muss äußerst präzise und umsichtig erfolgen. Semantische Bedeutungen sowie Sendeund Zeitbedingungen der Daten, Datentypen, Defaultwerte sowie Festlegungen, wer welches Signal sendet und erhält, sind vor der Implementierung restlos zu klären. Sonst treten bei der realen Integration mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit signifikante Probleme auf. Die Gesamtheit der Signale und deren Verpackung in Busnachrichten wird typischerweise in so genannten Nachrichtenkatalogen zusammengefasst, um die vollständige Schnittstelleninformation allen am Prozess Beteiligten verbindlich bekannt zu machen.
Bild 4-14: Funktionspartitionierung der Funktionen der adaptiven Geschwindigkeitsregelung auf das ACC-Steuergerät
194
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-15: Signalpartitionierung ESP: Bremsregelungs-Steuergerät; ACC: Adaptive Geschwindigkeitsregelung
Die Vielzahl der Gesichtspunkte bei der Partitionierung und der Gestaltung der technischen Architektur erfordert einen umfassenden Dialog des Systemarchitekten mit allen betroffenen Fachstellen. Wesentliche Gesichtspunkte sind hierbei Kosten, Skalierbarkeit der technischen Architektur3, Übernahme von Gleichteilen aus anderen Produktprojekten, Sicherheitseinstufung der Funktionalität, Ressourcenbedarf an Performance und Speicher der abzubildenden Funktionen der geplanten Steuergeräte oder Bauräume sowie geplante Großmodule wie Türen oder Cockpit, um nur einige wenige zu nennen. Grundsätzlich wird durch Modellbasierung der Entwicklungsaktivitäten im Systemdesign eine zentrale Forderung an den Systemdesignprozess erfüllt: Jeder Entwicklungsschritt ist hinreichend dokumentiert und die Übergänge von einem Schritt zum nächsten sind transparent nachvollziehbar. Es kann ausgehend von
3 Skalierbarkeit ist eine nicht-funktionale Anforderung an die techni-
sche Architektur. Skalierbar werden jene Architekturen genannt, welche ein hohes Maß an Variabilität des in die Architektur integrierbaren Funktionsumfangs aufweisen. Damit sind diese Architekturen – sofern andere Kriterien wie Kosten oder Bauräume dies zulassen – in vielen Fahrzeugprojekten einsetzbar.
einer Anforderung4 geschlossen werden, wo und wie diese im technischen System umgesetzt wird. Weitere wesentliche Schritte eines methodenbasierten Vorgehens sind die fortlaufende Dokumentation der sich – wie oben dargestellt – ergebenden Kommunikationsbeziehungen auf funktional-logischer Ebene und auf physikalischer Ebene in einer zentralen Datenbasis sowie die Analyse und Optimierung der Buslasten. Ein methodenbasiertes Vorgehen kümmert sich auch rechtzeitig um die Bereitstellung von Analyse-, Bewertungs- und Konfigurationstools. 4.1.5.5 Vorgaben Neben dem Entwurf der Systemarchitektur beschäftigt sich ein hinreichendes Systemdesign auch mit wichtigen Vorgaben für spätere Entwicklungsschritte. Diese können sehr vielfältiger Natur sein. So werden Programmierrichtlinien erstellt und erlassen, Standards jeglicher Natur werden bereitgestellt oder es wird der Spannungsbereich im Elektrik-ElektronikSystem festgelegt, bei der reduzierte Funktionalität oder nur noch Startfähigkeit gewährleistet sein muss. 4 Auch Anforderungen stellen in diesem Verständnis Modelle dar.
Die Anforderungen aus Bild 4-12 sind als semi-formal einzustufen.
4.1 Systemarchitekturen im Kraftfahrzeug Darüber hinaus sind die bekannten Vorschriften zur elektromagnetischen Verträglichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren sowie die Temperaturbereiche für die Prüfung des Elektrik-Elektronik-Systems festzulegen. In der wesentlichen Ergänzung zur Schnittstellenfestlegung der Systemarchitektur stellen die Vorgaben des Systemdesigns bestimmte Anforderungen an die Umsetzung und Implementierung, die generell auf das Gesamtsystem wirken. Das Systemdesign kümmert sich somit auch um das „wie“ und nicht nur um das „was“ zu implementieren ist.
4.1.6 Architekturbewertung Wie in den vorhergehenden Abschnitten aufgezeigt, müssen Systemarchitekturen vielfältigen Anforderungen genügen und zahlreiche Zielkonflikte im Sinne eines Kompromisses bewältigen. Es ist daher in der Praxis sehr unwahrscheinlich, dass eine Systemarchitektur alle Anforderungen gleichmäßig gut erfüllen kann. Die Entwicklung einer Systemarchitektur ist ein iterativer Prozess, in dessen Rahmen unterschiedliche Varianten entstehen, die jeweils bestimmte Anforderungsaspekte besser als andere Varianten abdecken. Je mehr Anforderungen berücksichtigt werden, desto unentscheidbarer wird der Vergleich der Varianten, da sich fast für jede Variante eine nahezu gleiche Anzahl positiver und negativer Aspekte für jeweils unterschiedliche Anforderungen finden wird. Es stellt sich damit die Frage, ob es überhaupt möglich ist, die beste Systemarchitektur objektiv zu ermitteln. Der entscheidende Punkt liegt in der Frage: Bezüglich welcher Aspekte ist eine Systemarchitektur die beste Lösung? Es ist also sehr sorgfältig abzuwägen und im Unternehmen abzustimmen, nach welchen Kriterien die Architekturentscheidung letztlich gefällt werden soll. So können zum Beispiel Zukunftsfähigkeit und Erweiterbarkeit einer Architektur im Zielkonflikt mit den Kosten stehen. Eine Entscheidung kann hier nur unternehmerisch gefällt werden, d.h. welche Mehrkosten ist das Unternehmen bereit zu tragen, um die langfristigen Vorteile einer skalierbaren oder erweiterbaren Architektur zu nutzen. Eine bestimmte Architekturlösung kann zu höheren Herstellkosten pro Fahrzeug führen, aber erhebliche Kosteneinsparungen bei Gewährleistungskosten oder im Service bringen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit es in einem Unternehmen möglich ist, die in der Produktlebenszeit anfallenden Kosten gegen die Herstellkosten zu rechnen. In aller Regel werden die Herstellkosten pro Fahrzeug eine erhebliche Rolle für die Entscheidung spielen, da über die meist hohen Stückzahlen und die lange Produktionszeit einer Produktlinie erhebliche Kostenauswirkungen entstehen und zudem diese Kostenauswirkungen leicht und sehr transparent zu bestimmen sind.
195 Die meisten derzeit verfügbaren Tools zur Architekturbewertung konzentrieren sich deshalb auch auf die Bewertung der Herstellkosten. Sie analysieren die Systemarchitektur bezüglich ihrer geometrischen und physischen Realisierung durch Hardwarekomponenten, Kabel, Stecker usw. und ermitteln die sich ergebenden Kosten. Reduktion von Gewährleistungskosten, vermiedene Imageschäden, Einschränkungen bei der Einführung von Innovationen aufgrund fehlender Erweiterbarkeit der Architektur oder langfristige Effekte einer umfassenden Standardisierung sind dagegen weitaus schwieriger zu argumentieren und mit Kosten zu belegen. Für derartige Aspekte gibt es derzeit auch keine Toolunterstützung. Die Aufgabe des Architekten liegt nun nicht darin, diese Entscheidungen selbst zu treffen, sondern darin, den Entscheidungsprozess vorzubereiten, Kriterien aus seiner Sicht vorzutragen, die auftretenden Fragen transparent zu machen, an der Auswahl der Entscheidungskriterien mitzuwirken und zur möglichst objektiven Bewertung der Aspekte beizutragen. Der Vorteil einer Architekturbewertung liegt deshalb gerade darin, dass sie derartige Entscheidungsprobleme transparent macht und getroffene Entscheidungen nachvollziehbar werden.
4.1.7 Zusammenfassung Der Prozess der Gestaltung einer Systemarchitektur erfordert den breiten Diskurs mit einer Vielzahl beteiligter Stellen, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch mit den Zulieferern. Der Systemarchitekt muss deshalb neben einem breiten technischen Verständnis eine hohe Kommunikations- und Integrationsfähigkeit wie auch zunehmende Kenntnisse der wirtschaftlichen Zusammenhänge besitzen. Er muss zudem ein breites Repertoire von wichtigen Prozessaufgaben, Projekt- und Risikomanagement, Kompatibilitätsund Konfigurationsmanagement wie auch Entscheidungsmanagement beherrschen. Die Rolle des Systemarchitekten ist deshalb eine zentrale Kernkompetenz eines Automobilherstellers, die in Zukunft aufgrund der steigenden Systemvernetzung und der damit einhergehenden Komplexitätserhöhung noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Literatur zu Abschnitt 4.1 [1] Dorf, R. C. (ed.): The Electrical Engineering Handbook, CRC Press [2] Bosch: Kraftfahrtechnisches Handbuch, 23. Auflage, Vieweg Verlag, 1999 [3] Scharnhorst, T., et al.: AUTOSAR – Challenges and Achievements, Tagungsband, Int. 12. VDI-Kongress Elektronik im Kraftfahrzeug 2005, Baden-Baden, VDI-Berichte Nr. 1907, S. 395–408, 2005
196
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme 4.2.1 Grundlagen der Datenkommunikation 4.2.1.1 Einführung in die Datenkommunikation Mit der Einführung elektronischer Steuergeräte im Kraftfahrzeug können Funktionen realisiert werden, die mit mechanischen, hydraulischen oder elektrischen Komponenten entweder gar nicht oder nur aufwändig und damit teuer umsetzbar sind. Die Realisierung von Funktionen zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und der Schadstoffemissionen sowie zur Erhöhung der Sicherheit und des Fahrkomforts stellen hohe Anforderungen an die technische Kompetenz der Fahrzeugentwickler und ihrer Zulieferer. In den 70er Jahren hatte jede elektrische oder elektronische Komponente eine explizit zugewiesene Funktion, und die Komponenten arbeiteten unabhängig voneinander. Steigende Komplexität der Funktionen machte schließlich den Einsatz softwarebasierter Steuergeräte (Electronic Control Unit ECU) und schließlich den Austausch von Daten (Datenkommunikation) zwischen den Steuergeräten erforderlich. Heute werden viele Funktionen nicht mehr von einem einzelnen Steuergerät realisiert, sondern sind auf mehrere Steuergeräte verteilt. Man spricht von verteilen Funktionen, verteilten Regelungen und verteilten Systemen (siehe Bild 4-16).
Bild 4-16: Datenkommunikation: a) Vernetzung von Steuergeräten, b) verteilte Funktionen (ECU: Steuergerät)
Beispielsweise kommuniziert das Getriebesteuergerät mit dem Motorsteuergerät, um durch Verstellen des Zündzeitpunktes den Komfort beim Schalten zu verbessern oder das Steuergerät für die Antriebs-
4 Bordnetz und Vernetzung schlupfregelung mit dem Motorsteuergerät, um bei Schlupf der Antriebsräder das Drehmoment zu reduzieren. Die Klimaanlage benötigt die Motortemperatur, die Innenraumtemperatur und die Außentemperatur, um den Innenraum des Fahrzeugs entsprechend dem Fahrerwunsch zu klimatisieren. Zudem werden die Temperaturen dem Fahrer angezeigt. Das ACCSteuergerät (Adaptive Cruise Control) kommuniziert mit Motor- und Getriebe-Steuergerät und im Bedarfsfall auch mit dem Bremsregelungs-Steuergerät, um den jeweils erforderlichen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zu regeln. Nicht nur die Umsetzbarkeit verteilter Funktionen spricht für die Datenkommunikation. Viele Informationen (z.B. Fahrzeuggeschwindigkeit, Drehzahlen, Temperaturen) werden als Eingangsgrößen nicht nur für eine, sondern für mehrere Funktionen, also auch von mehreren Steuergeräten benötigt. Durch Datenkommunikation zwischen den Steuergeräten müssen diese Informationen nur einmal berechnet oder erfasst werden, so dass Sensoren und Rechenleistung eingespart werden können. Zum Beispiel wird die vom ABS-Steuergerät aus den Signalen der Raddrehzahlsensoren ermittelte Geschwindigkeit des Fahrzeugs vom Kombi-Instrument zur Anzeige gebracht, aber auch vom Navigationssystem, dem Motorsteuergerät, dem Getriebesteuergerät, der Geschwindigkeitsregelung und vom Radio (zum Einstellen der geschwindigkeitsabhängigen Lautstärke) benötigt. Für die Datenkommunikation müssen die Steuergeräte physikalisch miteinander verbunden werden. Die Verbindung zwischen den Steuergeräten im Fahrzeug wird als Vernetzung bezeichnet. Dabei wird zwischen Netzwerken mit paralleler und serieller Datenkommunikation unterschieden. Vereinfacht dargestellt, wird bei paralleler Datenkommunikation für jedes Bit einer Nachricht eine Übertragungsleitung benötigt, während die Daten bei serieller Datenkommunikation über eine einzelne Leitung hintereinander übertragen werden. Serielle Netzwerke benötigen also weniger Übertragungsleitungen als parallele Netzwerke. Dadurch kann auch die Anzahl der Steckverbinderkontakte reduziert werden. Nur mit seriellen Netzwerken ist die Beherrschung der mit dem zunehmenden Einsatz elektronischer Steuergeräte verbundenen Komplexität der Kabelbäume möglich. Im Folgenden werden ausschließlich Netzwerke mit digitaler, serieller Datenkommunikation behandelt. Netzwerke mit digitaler, serieller Datenkommunikation erlauben die Mehrfachnutzung von Informationen (Daten), reduzieren die Anzahl von Sensoren, Steckverbindern und elektrischen Leitungen, ermöglichen Diagnose und erhöhen durch Redundanz die Ausfallsicherheit. Serielle Netzwerke im Kraftfahrzeug dienen nicht nur der Datenkommunikation zwischen den im Fahrzeug verbauten Steuergeräten, sondern bieten zudem die
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Möglichkeit zum Anschluss intelligenter, externer Kommunikationspartner, die nicht zur Serienausstattung des Fahrzeugs gehören (external test equipment). So schreibt der Gesetzgeber für alle Kraftfahrzeuge einen international genormten Steckverbinder für die Datenkommunikation des OBD-Systems (OnBoad-Diagnose) mit einem externen OBD-Scantool vor (siehe auch Abschnitt 4.2.2). Bei der Kommunikation des Fahrzeugs mit externen Kommunikationspartnern kommen spezielle Protokolle zum Einsatz. Neben einer Vielzahl fahrzeugherstellerspezifischer (proprietärer) Protokolle finden heute zunehmend standardisierte Protokolle Anwendung. Historisch bedingt werden diese Protokolle auch als Diagnoseprotokolle bezeichnet, obwohl sie heute Anwendungen ermöglichen, die weit über die klassische Diagnose hinausgehen. Beispiele für standardisierte Diagnoseprotokolle sind ISO 15031 (Communication between vehicle and external equipment for emissionrelated diagnostics), ISO 14230 (Diagnostic systems), ISO 15765 (Diagnostics on Controller Area Networks (CAN)) und ISO 14229-1 (Unified diagnostic services (UDS)). Beispiele für externe Kommunikationspartner, die mit dem Fahrzeug über ein Diagnoseprotokoll kommunizieren, sind OBD-Scantools zur Kommunikation mit dem OBD-System, Prüfstandsrechner im Rahmen der Funktionsentwicklung mit HIL, Rollenprüfstände, elektronische Checkout-Systeme in der Fahrzeugproduktion (ECOS), Flashtools und Servicetester in der Werkstatt. Nach den bisherigen Ausführungen müssen FahrzeugSteuergeräte neben der Steuerung oder Regelung von Prozessen durch die Verarbeitung von Eingangsinformationen zu Ausgangsinformationen zusätzlich mit anderen Steuergeräten kommunizieren und die Kommunikation mit externen Kommunikationspartnern über ein Diagnoseprotokoll gewährleisten. Die Kommunikation der Steuergeräte untereinander wird als in-vehicle-communication (GMLAN), normal communication (SAE J1850) oder als Onboard-
197 Kommunikation bezeichnet. Die Kommunikation der Steuergeräte mit externen Kommunikationspartnern unter Verwendung eines Diagnoseprotokolls wird als Diagnose-Kommunikation oder als Offboard-Kommunikation bezeichnet. Dieser Abschnitt stellt serielle Bussysteme für die Datenkommunikation in Kraftfahrzeugen vor. Die Bussysteme können entweder ausschließlich für die Onboard-Kommunikation oder durch Einsatz eines speziellen Diagnoseprotokolls zusätzlich für die Offboard-Kommunikation verwendet werden. Beschrieben werden K-Leitung, SAE J1850, CAN, LIN, TTP und FlexRay, MOST und IDB-1394. Die Darstellung der Bussysteme beschränkt sich – je nach Spezifikation – auf den Physical Layer und den Data Link Layer des ISO/OSI-Schichtenmodells. Protokolle für die Offboard-Kommunikation (Application Layer) werden im Kapitel 16 beschrieben. Vor der detaillierten Darstellung der Eigenschaften einzelner Bussysteme ist es sinnvoll, Begriffe zu erläutern, die für das Verständnis aller digitalen, seriellen Netzwerke erforderlich sind. 4.2.1.2 Begriffsdefinitionen Netztopologien Die Kommunikations- und Informationstechnologie unterscheidet zwischen Bussystemen und Netzwerken. Nach [1] ist ein Bus die Abkürzung für Binary Utility System oder auch abgeleitet vom lateinischen Wort Omnibus („für alle“), ein drahtgebundenes Übertragungsmedium, auf das alle angeschlossenen Steuergeräte Zugriff haben. Im LAN-Bereich (Local Area Network) steht der Begriff auch für eine bestimmte Netztopologie. Die Netztopologie beschreibt die Struktur und den Aufbau eines Netzes zur Verbindung mehrerer Steuergeräte (Nodes, Netzknoten). Es wird zwischen (linearem) Bus, Stern, Baum und Ring unterschieden (Bild 4-17).
Bild 4-17: Netztopologien: a) Bus, b) Stern, c) Baum, d) Ring
198 Bei einem Netzwerk mit linearer Topologie sind die Steuergeräte über eine Stichleitung (Stub) an ein gemeinsames Übertragungsmedium angeschlossen. Beispiele für Bussysteme mit linearer Topologie sind CAN, LIN und die K-Leitung. Diese Topologie wird auch als Bus bezeichnet. Kennzeichen der sternförmigen Topologie ist ein zentraler Sternkoppler, an den die einzelnen Steuergeräte angeschlossen sind. Der Sternkoppler regelt dabei die Datenkommunikation. Ein Beispiel für ein Bussystem mit sternförmiger Topologie ist der byteflight. In Netzwerken mit ringförmiger Topologie erfolgt die Datenkommunikation in einer festgelegten Richtung und wird über ein sogenanntes Token gesteuert. Bei einem Token handelt es sich um eine Art Sendeerlaubnis, die mit einem Datenpaket versehen werden kann und an das jeweils nächste Steuergerät im Ring weitergeleitet wird. Ein Steuergerät im Ring übernimmt die Rolle des Masters, der sicherstellt, dass immer ein gültiges Token im Ring unterwegs ist. Typisches Beispiel für ein Bussystem mit ringförmiger Topologie ist der MOST. Netzwerke mit Baumtopologie bestehen aus einer Kombination von Netzwerken mit Bus- und SternTopologie. Typisches Beispiel ist IDB1394. Logische Verbindungen Neben der physikalischen Netzwerktopologie werden in der Datenkommunikation unterschiedliche Arten der logischen Verbindungen zwischen Funktionen definiert. Bild 4-18 stellt die nachfolgend beschriebenen logischen Verbindungen zwischen Funktionen dar. Die einfachste logische Verbindung ist die 1:1Verbindung (Punkt-zu-Punkt oder peer-to-peer), bei der ein Sender (z.B. ein Schalter) direkt mit einem Empfänger (z.B. einer Lampe) verbunden ist. Andere Funktionen sind bei einer 1:1-Verbindung nicht beteiligt. Bei einer 1:n-Verbindung wird die von einem Sender gesendete Informationen von mehreren Empfängern benötigt. Beispielsweise aktiviert die Stellung
4 Bordnetz und Vernetzung des Zündschlüssels (Klemme 15) mehrere Funktionen. Diese Art der Kommunikation wird auch als Broadcasting bezeichnet. Bei einer n:1-Verbindung erhält ein Empfänger unterschiedliche Informationen von mehreren Sendern, z.B. ein Display im Armaturenbrett, auf dem neben der Außentemperatur auch der eingestellte Radiosender und der Kilometerstand angezeigt werden. Bei einer n:m-Verbindung sind an der Datenkommunikation mehrere n-Sender und mehrere m-Empfänger beteiligt. Physical Layer Die physikalische Verbindung der Steuergeräte zu einem Netzwerk ist nicht an die Verwendung von Kupferleitungen gebunden. Anstelle einzelner, paralleler oder verdrillter Kupferleitungen können auch optische Übertragungsmedien (z.B. Kunststoff- oder Glasfasern) verwendet werden. Ein wesentlicher Vorteil optischer Übertragungsmedien besteht in ihrer hohen EMV (elektromagnetische Verträglichkeit). Nachteile sind mangelnde Temperaturstabilität, geringer Biegeradius und problematische Wartbarkeit der Lichtwellenleiter in der Werkstatt. Neben elektrischen und optischen Übertragungsmedien ist auch der Einsatz von Funktechnologien, zum Beispiel zur Bildung eines Ad-Hoc-Netzwerks möglich. Als Beispiel für ein Ad-Hoc-Funknetz (Piconet, Scatternet) ist im Abschnitt 10.3 (Multimedia) der Bluetooth detaillierter beschrieben. Jedes kommunikationsfähige Steuergerät benötigt neben der physikalischen Busankopplung (z.B. elektrische oder optische Steckverbinder) Komponenten zum Senden (engl.: transmit) und Empfangen (engl.: receive) von Nachrichten. Aufgrund der hohen Stückzahlen, die beim Serieneinsatz im Kraftfahrzeug erreicht werden, ist es für Halbleiter- und Fahrzeughersteller wirtschaftlich sinnvoll, diese Komponenten in einen einzelnen Baustein zu integrieren. Es entstehen kombinierte Transmitter-Receiver-ICs, die als Transceiver bezeichnet werden.
Bild 4-18: Logische Verbindungen
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Datenrate Die Geschwindigkeit, mit der die einzelnen Bits übertragen werden, wird als Datenrate bezeichnet. Die Datenrate definiert die Anzahl der Bits, die innerhalb einer Sekunde übertragen werden können. Die Einheit der Datenrate ist daher „Bit pro Sekunde“ oder daraus abgeleitete Einheiten wie kBit/s oder MByte/s (1 Byte = 8 Bit, 1 kByte = 1024 Byte, 1 MByte = 106 Byte). Neben der Definition des Physical Layer muss für die Datenkommunikation auch der Aufbau der Nachrichten festgelegt werden. Dabei werden Datenrahmen (data frames) definiert, die als Träger der Nutzdaten dienen. Der Sender fügt den Datenrahmen Informationen hinzu, die für die fehlerfreie Datenübertragung benötigt werden. Der Empfänger extrahiert die Nutzdaten aus dem Datenrahmen und leitet sie an die Steuergeräte-Anwendung weiter. Deshalb wird bei der Datenrate zwischen der Bruttodatenrate und der Nettodatenrate unterschieden. Bei der Bruttodatenrate zählen alle Bits einer Nachricht, bei der Nettodatenrate nur die Anzahl der Bits, die Nutzdaten beinhalten. Ein Kennzeichen von Bussystemen ist deren Effizienz, die sich aus dem Verhältnis zwischen Nettodatenrate und Bruttodatenrate in Prozent ergibt. Master-Slave- und Multi-Master-Architektur Neben den physikalischen Verbindungen zwischen den Steuergeräten (Netztopologie) und den logischen Verbindungen zwischen den Funktionen (logical links) wird bei digitalen Kommunikationssystemen zwischen Master-Slave- und Multi-Master-Architektur unterschieden. In einem Netzwerk mit Master-Slave-Architektur (Netztopologie z.B. Stern oder Bus) übernimmt ein Steuergerät die Rolle des Masters und steuert die Kommunikation durch zyklisches Aufrufen (polling) der Slaves. Der Master kommuniziert mit den Slaves zu vorher festgelegten Zeiten und in festgelegter Reihenfolge. Die zyklische Arbeitsweise und damit die Zeitsteuerung, ist ein Kennzeichnen von Netzwerken mit Master-Slave-Architektur. Sie gewährleistet, dass Nachrichten zu vorher festgelegten, und damit vorhersagbaren Zeitpunkten übertragen werden. Die Zeit zwischen der Initialisierung einer Übertragung durch den Sender (Sendewunsch) und dem Eintreffen der Nachricht beim Empfänger ist die Latenzzeit. Systeme mit vorhersagbarer Latenzzeit werden als deterministisch bezeichnet. Bei Netzwerken mit Multi-Master-Architektur sind alle Steuergeräte prinzipiell gleichberechtigt. Ein Beispiel für ein Netzwerk mit Multi-MasterArchitektur ist der CAN-Bus – zumindest, solange er ausschließlich für die Onboard-Kommunikation verwendet wird. Da es keinen Master gibt, hat jedes Steuergerät bei Bedarf das gleiche Recht, einen
199 Datentransfer zu starten, wenn der Bus als frei erkannt worden ist. Dieses Prinzip wird als Ereignissteuerung bezeichnet. In der Realität sind aber nicht alle Steuergeräte und nicht alle Nachrichten gleich wichtig. Daher wird für die Datenkommunikation eine Priorisierung der Nachrichten über Nachrichten-Identifier vorgenommen. Kennzeichen von ereignisgesteuerten Netzwerken ist die nicht vorhersagbare Latenzzeit: Ereignisgesteuerte Systeme sind nicht-deterministisch. Neben den zeitgesteuerten und den ereignisgesteuerten Systemen gibt es Kommunikationstechnologien, die die Vorteile der Zeitsteuerung und die der Ereignissteuerung kombinieren. Ein typisches Beispiel für ein solches System ist der FlexRay. Zugriffsverfahren Bei der Datenkommunikation in einem ereignisgesteuerten Netzwerk mit Multi-Master-Architektur kann es vorkommen, dass zwei Steuergeräte gleichzeitig Nachrichten übertragen wollen. Dieses Verfahren wird als CSMA (Carrier Sense Multiple Access) bezeichnet. Es wird unterschieden zwischen CSMA/CD (collision detect), bei dem die Datenkollision erkannt wird und CSMA/CA (collision avoidance), bei dem die Datenkollision verhindert wird. Prinzipiell kann es auch bei CSMA/CA zu einer Kollision kommen, doch wird diese durch einen ArbitrierungsMechanismus so aufgelöst, dass letztlich nur ein Steuergerät die Sendeberechtigung behält. Der Arbitrierungsmechanismus basiert auf der Definition unterschiedlicher Signalpegel auf dem Bus. Dabei wird zwischen dominanten und rezessiven Bits unterschieden. Transceiver für ereignisgesteuerte Bussysteme mit CSMA/CA gehen bei Parallelschaltung eine Wired-AND-Verknüpfung ein. Dabei entspricht ein rezessives Bit dem hohen Signalpegel (logisch 1), ein dominantes Bit dem niedrigen Signalpegel (logisch 0). Auf dem Bus tritt ein rezessives Bit nur dann auf, wenn alle angeschlossenen Steuergeräte zeitgleich ein rezessives Bit senden. Sendet nur ein Steuergerät ein dominantes Bit, so überschreibt dieses alle rezessiven Bits, d.h. der Bus führt dann ein dominantes Bit. Die Funktionsweise der Arbitrierung wird im Abschnitt 4.2.4 (CAN) anhand eines Beispiels erläutert. Ein weiteres Zugriffsverfahren ist der TDMA (Time Division Multiple Access). Beim TDMA gibt es einen festen Zeitplan mit Zeitfenstern (Time Slots), in denen die Steuergeräte Nachrichten senden können. Ein Kommunikationssystem mit TDMA als Zugriffsverfahren muss nicht unbedingt eine Master-SlaveArchitektur besitzen. Weitere Informationen zum TDMA werden im Abschnitt 4.2.6 (TTP und FlexRay) gegeben.
200 Synchronität Für eine fehlerfreie Kommunikation müssen die Empfänger in der Lage sein, den Anfang und das Ende eines Datenframes zu erkennen, um die Position der Bits im Datenframe und damit ihre Funktion richtig zuordnen zu können. Es wird zwischen synchroner, asynchroner und isochroner Datenkommunikation unterschieden. Bei der synchronen Datenübertragung wird mit den Daten ein Taktsignal übertragen und vom Empfänger zur Synchronisation aus dem Datenframe extrahiert. Bei der asynchronen Datenübertragung wir die Synchronität nicht durch einen Takt realisiert, sondern z.B. durch Start- und Stopbits. Wenn die zeitlichen Abstände zwischen den TimeSlots in einem TDMA-System unterschiedlich lang sind, wird dies als isochrone Datenübertragung bezeichnet. Codierung Bei den hier beschriebenen Kommunikationssystemen mit Kupferleitungen als Übertragungsmedium bestehen die Daten aus Spannungspegeln (Potentialen). Der Physical Layer des Kommunikationsprotokolls legt fest, wie die Potentiale zu interpretieren sind. Es wird zwischen NRZ-Codierung (Non Return to Zero) und Manchester-Codierung unterschieden. Bild 4-19 zeigt die Bit-Codierung des NRZ- und des Manchester-Codes. NRZ-Codierung liegt vor, wenn sich das Potential für die Dauer eines Bits nicht ändert. Ein Nachteil der NRZ-Codierung besteht darin, dass die Synchronisierung zwischen Sender und Empfänger verloren gehen kann, wenn viele identische Bits aufeinander folgen. Diesen Nachteil behebt der Manchester-Code, der die fallende und die steigende Flanke eines sich ändernden Potentials als Bit interpretiert. Verglichen mit dem NRZ-Code ist aber die Datenrate des Manchester-Codes nur etwa halb so groß.
4 Bordnetz und Vernetzung Datensicherung, Fehlererkennung, Fehlertoleranz Grundsätzlich wird in allen Kommunikationssystemen Fehlerfreiheit bei der Datenübertragung angestrebt. Grundvoraussetzung einer fehlerfreien Datenkommunikation ist ausreichende EMV: Kommunikationssysteme dürfen andere Systeme nicht stören und sollen sich durch andere Systeme nicht stören lassen. Maßnahmen zur Reduzierung der Fehlerwahrscheinlichkeit auf physikalischer Ebene sind die Verwendung abgeschirmter, verdrillter Leitungen, Differenzsignalübertragung, der richtige Busabschluss zur Vermeidung von Reflexionen, potentialfreie Ankopplung über Optokoppler und der Einsatz von Lichtwellenleitern. Dennoch können auch bei sorgfältigster Auslegung des Systems (d.h. hoher EMV) Übertragungsfehler nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist durch zusätzliche Maßnahmen sicherzustellen, dass auftretende Übertragungsfehler erkannt und korrigiert werden. Ziel ist die netzwerkweite Datenkonsistenz. Ein Kriterium für die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Erkennung und gegebenenfalls Korrektur von Fehlern ist die Restfehlerwahrscheinlichkeit. Die Restfehlerwahrscheinlichkeit ist ein Wert, der angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit empfangene Nachrichten trotz Fehlersicherungsmaßnahmen immer noch fehlerhaft sind. Die Restfehlerwahrscheinlichkeit muss so niedrig sein, dass während der gesamten Betriebsdauer eines Fahrzeugs keine sicherheitskritischen Fehler auftreten können. Es gibt eine Reihe verschiedener Verfahren mit unterschiedlicher Wirksamkeit zur Reduzierung der Restfehlerwahrscheinlichkeit, die auch in Kombination eingesetzt werden. Dennoch kann in keinem realen System die Restfehlerwahrscheinlichkeit null sein. Deshalb müssen insbesondere Systeme mit sicherheitsrelevanten Funktionen fehlertolerant sein. Ein Verfahren zur Realisierung fehlertoleranter Systeme ist die redundante Auslegung. Bei redundanten Systemen wird zwischen heterogener Redundanz und homogener Redundanz unterschieden.
Bild 4-19: Bit-Codierung: a) NRZ-Codierung, b) Manchester-Codierung
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Bei der zweikanaligen homogenen Redundanz sind alle Komponenten für die Datenkommunikation (u.a. Transceiver, Übertragungsmedien) doppelt vorhanden. Ein Beispiel für ein Kommunikationssystem mit zweikanaliger homogener Redundanz ist FlexRay (siehe Abschnitt 4.2.6). Bei Systemen mit zweikanaliger heterogener Redundanz sind die beiden Kanäle unterschiedlich aufgebaut. Ein Beispiel für ein System mit heterogener Redundanz ist ein elektrohydraulisches Bremssystem, das neben der elektrischen Übertragung des Bremsbefehls eine hydraulische Rückfallebene besitzt. Dreikanalige Redundanz führt weniger zu einer Steigerung der Sicherheit, sondern in erster Linie zu einer Steigerung der Verfügbarkeit: Fallen zwei Kanäle aus, kann das dritte System den (Not-) Betrieb für eine begrenzte Zeit aufrechterhalten. Dies ist zum Beispiel bei der Steuerung und Navigation von Flugzeugen oder bei der Temperaturregelung atomarer Kraftwerke erforderlich. Adressierung Bei ereignisgesteuerten Systemen wie dem CAN-Bus besitzen die Steuergeräte für die Onboard-Kommunikation keine physikalischen Adressen. Bei der Offboard-Kommunikation bildet das System vorübergehend eine Master-Slave-Architektur, in der der externe Kommunikationspartner den Master darstellt und gezielt mit einzelnen Steuergeräten (Slaves) kommuniziert. Die Offboard-Kommunikation benötigt also auch bei einem ereignisgesteuerten Netzwerk mit MultiMaster-Architektur einen Adressierungs-Mechanismus. Es wird unterschieden zwischen physikalischer und funktionaler Adressierung. Bei der physikalischen Adressierung besitzen sowohl der Master als auch die Slaves jeweils eine physikalische Adresse. Die Datenkommunikation erfolgt ausschließlich zwischen dem Master und einem speziell adressierten Slave. Damit das adressierte Steuergerät antworten kann, benötigt es die physikalische Adresse des Masters. Bei der funktionalen Adressierung kann der Master eine Gruppe von Steuergeräten gleichzeitig ansprechen. Unabhängig davon, dass die einzelnen Steuer-
201 geräte, die zu einer funktionalen Gruppe gehören, individuelle physikalische Adressen haben, wird für die funktionale Gruppe eine funktionale Adresse definiert. Sind alle Steuergeräte eines Netzwerks Bestandteil einer funktionalen Gruppe, so wird die dazu gehörende funktionale Adresse auch als Broadcast-Adresse bezeichnet. Offboard-Kommunikation mit funktionaler Adressierung findet beispielsweise dann statt, wenn der Master (z.B. ein Prüfstandsrechner) den Befehl zum Verriegeln der Türen und Schließen der Fenster an alle Türsteuergeräte sendet, oder wenn der Master (z.B. ein OBD-Scantool) das OBD-System des Fahrzeugs auffordert, Fehlerspeichereinträge zu senden. Bei der funktionalen Adressierung mehrerer Steuergeräte innerhalb eines Netzwerks muss der Systemdesigner sicherstellen, dass die Steuergeräte in geordneter Reihenfolge antworten. SAE-Klassen Die SAE (Society of Automotive Engineers) [2] hat die Anforderungen an Systeme zur seriellen Datenkommunikation in Kraftfahrzeugen in drei Klassen (A, B und C) unterteilt. Diese Aufteilung muss heute um Klassen für sicherheitsrelevante Systeme und MultiMedia-Systeme erweitert werden (Bild 4-20) [3]. Zur Klasse A gehören Systeme, bei denen insbesondere die Fehlerfreiheit und die Übertragungsgeschwindigkeit (Datenrate, s.u.) keine besondere Rolle spielen. Das sind Verbindungen zur Kommunikation zwischen Steuergeräten und daran angeschlossenen Sensoren, Bedienelementen und Aktoren. Bei diesen Sensor-Aktor-Netzwerken genügen Datenraten bis zu 20 kBit/s. Ein typischer Vertreter der SAE-Klasse A ist der LIN-Bus. Zur Klasse B gehören Kommunikationssysteme, die vornehmlich die Steuergeräte aus dem Karosseriebereich, beispielsweise Klimasteuergeräte, Lichtsteuergeräte und Sitzsteuergeräte, miteinander verbinden. Ein typischer Vertreter der Klasse B ist der LowSpeed-CAN, der wegen seiner Zuordnung zur SAEKlasse B auch als CAN-B bezeichnet wird.
Bild 4-20: Klassifizierung von Kommunikationssystemen
202 In der Klasse C spielen Datenrate und Fehlertoleranz eine entscheidende Rolle. Zur SAE-Klasse C gehören Kommunikationssysteme des Antriebs. Hier hat sich der High-Speed-CAN durchgesetzt, der wegen seiner Zugehörigkeit zur SAE-Klasse C auch als CAN-C bezeichnet wird. Der CAN-C vernetzt beispielsweise das Motorsteuergerät mit dem Getriebe- und dem Bremsregelungs-Steuergerät. Obwohl Datenraten bis zu 1 MBit/s zulässig sind, liegt die im Kraftfahrzeug verwendete Brutto-Datenrate des CAN-C bei maximal 500 kBit/s. Die nächste Stufe hinsichtlich der Anforderungen an Datenrate, Determinismus und Fehlertoleranz bilden Kommunikationssysteme, die sicherheitsrelevante Funktionen realisieren. Hierzu gehören zeitgesteuerte, redundante Systeme wie zum Beispiel der FlexRay. Systeme zur Vernetzung von Multimedia-Systemen stellen höchste Anforderungen an die Datenrate. Hier sind MOST und IDB-1394 als Beispiele zu nennen.
4 Bordnetz und Vernetzung bidirektionalen K-Leitung wird eine unidirektionale L-Leitung für die Initialisierung der Kommunikation definiert. Die L-Leitung muss aber nicht explizit vorhanden sein, da die Initialisierung auch ohne die L-Leitung erfolgen kann.
Bild 4-21: OBD-Stecker
4.2.2 ISO 9141-2 (K-Leitung) Um die verkehrsbedingte Luftverschmutzung zu reduzieren, führten die amerikanischen Umweltschutzbehörden CARB (California Air Ressources Board) und später auch die EPA (Environmental Protection Agency) im „Clean Air Act“ verschärfte Emissionsgrenzwerte ein. Um sicherzustellen, dass die Grenzwerte innerhalb der gesamten Lebensdauer eines Fahrzeugs eingehalten werden, wurde zusätzlich vorgeschrieben, dass jedes Fahrzeug das eigene Abgasverhalten überwachen muss. Das System zur Abgasüberwachung wird als OBD-System (On-BoardDiagnose) bezeichnet. Eine weitere Verschärfung der Emissionsgrenzwerte führte 1996 zur OBD II. In der Europäischen Union (EU) werden seit 2001 neue Pkw mit Benzinmotor und seit 2003 auch Pkw mit Dieselmotor nur noch mit einem EOBD-System (Europäische On-Board-Diagnose) für den Straßenverkehr zugelassen. Zur Datenkommunikation des OBD-Systems mit einem externen Kommunikationspartner, dem sogenannten „OBD-Scantool“, besitzen alle OBD-kompatiblen Fahrzeuge einen weltweit genormten OBD-Stecker (Bild 4-21) [4]. Die Anforderungen an die Datenkommunikation zwischen dem OBD-System des Fahrzeugs und einem externen Kommunikationspartner werden in ISO 9141-2 (Road Vehicles – Diagnostic systems – Part 2: CARB requirements for interchange of digital information) beschrieben [5]. Die in ISO 9141 standardisierte Datenkommunikation dient der Inspektion, der Diagnose sowie der Kalibrierung von Fahrzeugen, Systemen und Steuergeräten. ISO 9141-2 wird auch als CARB-Protokoll bezeichnet. Das CARB-Protokoll beschreibt den Physical Layer und den Data Link Layer eines Bussystems mit der Bezeichnung K-Leitung oder K-Line. Neben der
Bild 4-22: Beispiel für ein K-Leitungs-Bussystem; ECU: Steuergerät
Bild 4-22 zeigt beispielhaft ein System, bei dem die bidirektionale K-Leitung als Bussystem für die Initialisierung und die Offboard-Kommunikation mit dem OBD-System des Fahrzeugs verwendet wird. Die K-Leitung dient normalerweise ausschließlich der Offboard-Kommunikation, wird in (durchaus zugelassenen) Ausnahmefällen aber auch für Onboard-Kommunikation verwendet. Neben der Offboard-Kommunikation mit einem OBD-Scantool nach dem CARB-Protokoll gibt es mit dem KWP2000-Protokoll auf der K-Leitung (ISO 14230) einen erweiterten Befehlssatz für eine Vielzahl an zusätzlichen Funktionen. Details zu KWP 2000 auf der K-Leitung werden in Kapitel 16 (Diagnose) beschrieben. Bei der Offboard-Kommunikation auf der K-Leitung bilden der externe Kommunikationspartner und die Steuergeräte ein System mit Master-Slave-Architektur, bei dem der externe Kommunikationspartner den
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Master darstellt. Sowohl der Master als auch die einzelnen Steuergeräte des OBD-Systems besitzen physikalische Adressen, die vom Gesetzgeber nicht festgelegt werden. Um dennoch mit dem OBDSystem kommunizieren zu können, ist mit 33h die funktionale Adresse aller Steuergeräte mit OBDFunktionen festgelegt. In der Initialisierungsphase antworten die funktional adressierten Steuergeräte mit Nachrichten, die ihre physikalischen Adressen beinhalten. Die Kommunikation zwischen dem Master und den Steuergeräten über die K-Leitung kann dann je nach Bedarf entweder mit physikalischer oder mit funktionaler Adressierung erfolgen. Initialisierung am Beispiel des CARB-Protokolls Tabelle 4-3 zeigt die Initialisierung der Kommunikation eines Masters mit dem OBD-System des Fahrzeugs durch funktionale Adressierung. Neben der hier beschriebenen Verfahren gibt es weitere Arten der Initialisierung [5]. Tabelle 4-3: Initialisierung der Kommunikation mit dem OBD-System, die Zeitdifferenz bezieht sich immer auf den vorherigen Schritt Zeitdifferenz
Adresse (33h)
W1
Synchronisation (55h)
W2
Keyword 1
W3
Keyword 2
W4
Keyword 2 invertiert
W4
Adresse invertiert (CCh)
P3
Erster Service Request
Maximaler Wert
Aufbau der Nachrichtenframes Bild 4-23 zeigt den Aufbau einer Nachricht nach dem CARB-Protokoll. Beim CARB-Protokoll besteht der Header aus drei Bytes, die Protocol Data Unit (PDU) aus 1 bis 7 Bytes und der Trailer aus einer 1 Byte langen Checksumme (CS).
Bild 4-23: Aufbau eines Nachrichtenframes nach dem CARB-Protokoll: Fmt Format-Byte, Tgt Target Address, Src Source Address, PDU Protocol Data Unit, CS Checksum
Tabelle 4-4: Zeitdifferenzen bei der Kommunikation mit dem OBD-System (siehe Tabelle 4-3)
Minimaler Wert
gerät sendet nach Ablauf der Zeit W1 (60 bis 300 ms) eine alternierende Bitfolge (55h), die als speed synchronisation pattern bezeichnet wird. Der Tester ermittelt daraus durch Ausmessen der Bitzeiten die Datenrate für die Kommunikation mit dem OBD-System. Die Standard-Datenrate für die Kommunikation mit dem OBD-System ist 10,4 kBit/s. Nach Ablauf der Zeit W2 (5 bis 20 ms) sendet das Steuergerät zwei Keywords mit der zuvor übermittelten Datenrate. Nach Ablauf der Zeit W3 (max. 20 ms) sendet der Tester logisch invertiert das zweite Keyword an das Steuergerät zurück. Nach Ablauf der Zeit W4 (25 bis 50 ms) sendet das Steuergerät die logisch invertierte Initialisierungsadresse an den Tester (CCh). Nach Abschluss der Initialisierungsphase und nach Ablauf der Zeit P3 kann der Tester den ersten Diagnosebefehl (Diagnostic Service Request) senden.
Gesendete Nachricht
W0
Zeitdifferenz
203
W0
W1
W2
W3
W4
2
60
5
0
25
300
20
20
50
Nach dem Einschalten der Zündung befindet sich die K-Leitung im Ruhezustand (Bus Idle, logisch 1). Die Initialisierung der Kommunikation erfolgt in mehreren Schritten. Im ersten Schritt sendet der Tester die funktionale Adresse des OBD-Systems (33h, in hexadezimaler Schreibweise) mit der Datenrate 5 Bit/s an das Fahrzeug. Um Datenkollisionen zu vermeiden, antwortet auf die Initialisierung nur das Steuergerät, das vom Systemdesigner dafür festgelegt wurde. Dieses Steuer-
Das Format-Byte (Fmt) besteht aus 8 Bit. Dabei legen 6 Bit die Länge des Datenfeldes (PDU) fest, und 2 Bit beinhalten Informationen zum Addressierungsmodus. Im CARB-Protokoll werden vom Tester ausschließlich das Format-Byte 68h und vom Steuergerät das Format-Byte 48h verwendet. Der Adressierungsmodus ist in beiden Fällen 01 für CARB. Die Target Address (Tgt) ist die Zieladresse der Nachricht. Sie wird immer zusammen mit der physikalischen Adresse des Masters (Src) verwendet. Bei der Initialisierung der Kommunikation nach dem CARB-Protokoll ist die Zieladresse immer 33h. Die Source Address (Src) ist die physikalische Adresse des Masters. Die vom Protokoll vorgegebene Adresse des Masters ist F1h. Die Protocol Data Unit (PDU) enthält die Nutzdaten. Sie kann zwischen 1 und 7 Byte lang sein. Die Checksumme (CS) am Ende des Datenframes besteht aus einer einfachen 8-Bit-Summe aller Bytes in der Nachricht, ausschließlich der Checksumme. Schon heute wird für die Datenkommunikation mit dem OBD-System anstelle der K-Leitung zunehmend der ebenfalls auf dem OBD-Stecker aufgelegte CANBus verwendet. Ab dem 1.1.2008 schreiben die US-
204
4 Bordnetz und Vernetzung
Behörden für die Kommunikation mit dem OBDSystem ausschließlich den CAN-Bus vor.
4.2.3 SAE J1850 Der SAE-Standard SAE J1850 (-VPW und -PWM) [6] spezifiziert den Data Link Layer und zwei verschiedene Versionen des Physical Layers eines Netzwerks der Class B Data Communication für Fahrzeuge. Die Unterschiede im Physical Layer sind in Tabelle 4-5 gegenübergestellt. Als Netztopologie ist ein linearer Bus mit Multi-Master-Architektur vorgesehen, je nach Version entweder als Eindrahtverbindung mit Spannungssignal gegen Masse (VPW) oder als Zweidrahtverbindung mit Differenzsignal (PWM). Eine SAE-J1850-Nachricht beginnt mit einem Identifier, der die Priorität der Nachricht im Fall eines Buszugriffskonfliktes festlegt. Als Arbitrierungsverfahren wird CSMA-CA verwendet. Tabelle 4-5: Physical Layer des SAE-J1850-Protokolls SAE J1850
VPW
PWM
Datenrate
10,4 kBit/s
41,6 kBit/s
Signal
Spannung gegen Masse
Differenzsignal
Übertragungsmedium
Eindraht
Zweidraht
Der SAE J1850 ist sowohl für die Datenkommunikation zwischen den Steuergeräten (SAE-Begriff: normal vehicle operation messages), als auch für die Diagnosekommunikation mit externen Kommunikationspartnern (SAE-Begriff: off-vehicle test equipment) vorgesehen. Die normal vehicle operation messages werden in SAE J2178 [7] definiert, die Diagnosekommunikation in SAE J1979 [8], SAE J2190 [9] und SAE J2012 [10]. Die Inhalte der SAENormen wurden auch von der ISO, z.B. in der ISO 11519 [11] und der ISO 15031 [12] international standardisiert. Den SAE J1850 VPW findet man hauptsächlich in Fahrzeugen von General Motors für den amerikanischen Markt, den SAE J1850 PWM in Fahrzeugen der Ford Motor Company. Philips Semiconductor liefert mit dem AU 5780 A einen integrierten Transceiver für den SAE J1850 VPW [13]. Bild 4-24 zeigt den Aufbau einer Nachricht nach SAE J1850. Die Nachricht besteht aus einem Start Of Frame (SOF), dem Header, dem Datenfeld und einer zyklischen Blocksicherung (CRC) für die Datensicherung. IFR steht für In Frame Response Field. Im In Frame Response Field kann der Empfänger einer Nachricht unmittelbar nach dem End Of Data Field (EOD) antworten.
Bild 4-24: Aufbau eines Nachrichtenframes nach SAE J1850
Als amerikanisches Pendant zur europäischen KLeitung (siehe Abschnitt 4.2.2) ist auch der SAE J1850 als Bussystem auf den OBD-Stecker für die OBD-Kommunikation mit dem Fahrzeug aufgelegt (Pin 2: SAE J1850+, Pin 10: SAE J1850–). In Zukunft werden auch GM und Ford den CAN-Bus für die Diagnosekommunikation verwenden, so dass bereits heute insbesondere neue Fahrzeuge nicht mehr mit dem SAE J1850-Bus ausgerüstet werden. Ab dem 1.1.2008 verbieten die amerikanischen Behörden neben der K-Leitung (ISO 9141-2) auch die SAE J1850 (ISO 11519-4) für die OBD-Kommunikation.
4.2.4 CAN 4.2.4.1 Übersicht Der CAN-Bus (Controller Area Network) wurde vom Automobilzulieferer Bosch und dem Chiphersteller INTEL speziell für die Vernetzung von FahrzeugSteuergeräten zu einem „In-vehicle-network“ entwickelt und im Februar 1986 auf dem SAE-Kongress in Detroit (U.S.A.) unter dem Titel "Automotive Serial Controller Area Network" offiziell aus der Taufe gehoben [14]. Bereits ein Jahr später stellte INTEL mit dem 82526 den ersten integrierten CANController vor, 1988 folgte Philips mit dem 82C200. 1992 wurde der CAN-Bus erstmalig von MercedesBenz in der S-Klasse in Serie eingesetzt. Auch im industriellen Umfeld ist der CAN häufig anzutreffen und wird von der 1992 gegründeten Nutzerorganisation CiA (CAN in Automation) unterstützt [15]. Als offener Industriestandard wurde das CANProtokoll im November 1993 von der ISO standardisiert. Die wichtigste ISO-Norm ist die ISO 11898: Road Vehicles – Controller Area Network) [16]. Die ISO 11898 besteht aus 5 Teilen: Part 1: Data link layer and physical signalling Part 2: High speed medium access unit Part 3: Low-speed, fault-tolerant, medium dependent interface Part 4: Time-triggered communication Part 5: High-speed medium access unit with lowpower mode Heute werden jedes Jahr weltweit mehr als hundert Millionen CAN-Controller eingesetzt. So wurden zum Beispiel allein im Jahr 2003 mehr als 12 Millionen ABS-Systeme produziert, von denen mehr als die Hälfte eine CAN-Schnittstelle besitzen.
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
205
Bild 4-25: Prinzipieller Aufbau eines Steuergerätes mit CAN-Bus-Schnittstelle: Tx Transmit Data, Rx Receive Data
Vor allem zur Vernetzung von Steuergeräten mit Funktionen des Antriebs (Motor- und Getriebemanagement) gilt der CAN-Bus in der Fahrzeugindustrie als etablierter Standard für die Onboard-Kommunikation. In Kraftfahrzeugen wird der CAN-Bus heute nicht nur für die Onboard-Kommunikation, sondern auch für die Offboard-Kommunikation verwendet. Neben der Standardisierung der Datenkommunikation mit dem OBD-System des Fahrzeugs in der ISO 15031 [12] wurde auch KWP 2000 von der K-Leitung auf den CAN-Bus portiert und in der ISO 15765 standardisiert [17]. In Lastkraftwagen und mobilen Arbeitsmaschinen (z.B. Landmaschinen) wird mit SAE J1939 [18] ein weiteres Kommunikationssystem mit dem CAN-Protokoll verwendet. Darüber hinaus gibt es fahrzeugherstellerspezifische CAN-Protokolle, beispielsweise „KWP 2000 on TP 2.0“ bei der Volkswagen AG oder „GMLAN“ bei General Motors. Der CAN-Bus ist ein Bussystem mit linearer oder sternförmiger Topologie und Multi-Master-Architektur. Die Kommunikation erfolgt ereignisgesteuert. Beim Standard-CAN können bis zu 2032 verschiedene Nachrichten-Identifier definiert werden. Die maximale Brutto-Datenrate beträgt 1 MBit/s, die Nettodatenrate bis zu 58 %. Die maximale Länge des Übertragungsmediums ist 40 m bei 1 MBit/s (1000 m bei 500 kBit/s). Als Arbitrierungsverfahren wird CSMA/ CA verwendet. 4.2.4.2 Physical Layer Der Physical Layer und der Data Link Layer des CAN-Protokolls sind als integrierte Schaltkreise verfügbar. Es wird zwischen CAN-Transceivern für Highspeed-CAN, Lowspeed-CAN (Fault tolerant CAN) und Single-Wire-CAN unterschieden.
4.2.4.2.1 Highspeed-CAN Bild 4-25 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Steuergerätes mit CAN-Schnittstelle am Beispiel des INTEL 82527. Zwar ist aufgrund der Verfügbarkeit von Mikrocontrollern mit teilweise mehr als einer integrierten CAN-Schnittstelle der Einsatz eines separaten CAN-Controllers nicht erforderlich, doch ändert das nichts am dargestellten Funktionsprinzip. Der CAN-Protokoll-Controller steuert den Datenstrom zwischen dem internen RAM und dem seriellen CAN-Bus über die Leitungen Rx0, Rx1, Tx0 und Tx1 des CAN-Transceivers. Der Zugriff auf das RAM erfolgt zeitgesteuert entweder durch die CPU-Interface-Logik oder dem CANProtokoll-Controller. Die Interface-Logik bildet die Schnittstelle zur CPU und kann über Steuerleitungen an unterschiedliche Adressierungsmodi angepasst werden. Bild 4-26 zeigt den typischen Aufbau eines CANBus-Systems mit linearer Topologie. In diesem Beispiel sind die CAN-Transceiver der Steuergeräte über Stichleitungen (Stubs) an das Übertragungsmedium in Form einer (verdrillten) Zweidrahtleitung angeschlossen. Zur Reduzierung von Störungen durch Reflexionen an den sonst offenen Leitungsenden sind die Busleitungen (CAN_H und CAN_L) an beiden Enden mit einem Widerstand (120 Ohm) abgeschlossen. Die Länge der Busleitungen ist bei einer Datenrate von 1 MBit/s auf 40 m und die Länge der Stubs auf 30 cm begrenzt. Der in Bild 4-26 dargestellte Bus mit zwei Leitungen wird auch als „Highspeed-CAN“ bezeichnet. Die Spezifikation lässt für den Highspeed-CAN zwar Datenraten bis 1 MBit/s zu, doch hat sich in der Praxis eine Datenrate von 500 kBit/s zum Beispiel für Anwendungen im Antrieb durchgesetzt.
206
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-26: Prinzipieller Aufbau eines CANBus-Systems mit Zweidrahtleitung; ECU: Steuergerät, CAN_H: CAN-High-Leitung, CAN_L: CAN-Low-Leitung
Bild 4-27: Nominelle Potentiale nach ISO 11898-2
Verwendet wird eine (verdrillte) Zweidrahtleitung mit einem differenziellen Signal. Der Vorteil eines differentiellen Signals liegt in der weitgehenden Unempfindlichkeit gegenüber der Einstrahlung von Gleichtaktstörungen. Das CAN-Protokoll verwendet die NRZ-Codierung zur Bitcodierung und definiert einen dominanten und einen rezessiven Buspegel für die bitweise Arbitrierung nach CSMA/CA. Bild 4-27 zeigt die nominellen Potentiale und deren Zuordnung für den Highspeed-CAN. Für ein rezessives Bit ist das Potential von CAN_H nicht höher als das von CAN_L (+ 500 mV), für ein dominantes Bit ist das Potential von CAN_H mindestens 900 mV höher als das Potential von CAN_L.
Die Anzahl der Steuergeräte am Lowspeed-CAN ist auf maximal 32 begrenzt. Neben der im Vergleich zum Highspeed-CAN niedrigeren Datenrate ermöglicht der Lowspeed-CAN durch eine andere Busankopplung zusätzliche Mechanismen zur Fehlererkennung. Wesentliches Merkmal des Lowspeed-CAN ist deshalb seine Fehlertoleranz gegenüber Unterbrechungen und elektrischen Kurzschlüssen zwischen den Leitungen CAN_H und CAN_L. Der Lowspeed-CAN wurde mit ISO/DIS 11898-3 als „low-speed, fault-tolerant, medium dependent interface“ standardisiert und von Halbleiterherstellern in einen Transceiver integriert. Gängige LowspeedTransceiver sind die pinkompatiblen PCA82C252T und TJA 1054 von Philips. Bild 4-28 zeigt die nominellen Potentiale des fehlertoleranten Lowspeed-CAN. Verglichen mit dem Highspeed-CAN weist der Lowspeed-CAN nominell höhere Potentialunterschiede zwischen rezessiven und dominanten Bits auf. Dadurch ergibt sich ein höherer Störspannungsabstand, ein größerer zulässiger Masseversatz und so prinzipiell die Fähigkeit zum Eindrahtbetrieb.
4.2.4.2.2 Lowspeed-CAN Neben dem Highspeed-CAN für die Datenkommunikation zwischen Steuergeräten des Antriebs werden auch Steuergeräte mit Komfortfunktionen über CAN vernetzt. Das sind zum Beispiel Klimasteuergeräte, Lichtsteuergeräte und Sitzsteuergeräte. Dieses eigenständige, vom Highspeed-CAN unabhängige Bussystem wird wegen seiner SAE-Klassenzugehörigkeit als CAN-B und aufgrund seiner auf 125 kBit/s begrenzten Brutto-Datenrate als Lowspeed-CAN bezeichnet.
Bild 4-28: Nominelle Potentiale nach ISO 11898-3 (Lowspeed-CAN)
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
Bild 4-29: Busankopplung des Lowspeed-Transceivers TJA 1054
207 on am Bus aufnimmt. Solche Netzwerke kennen nur zwei Zustände: entweder befindet sich das gesamte Netzwerk im aktiven Zustand oder komplett im passiven, ruhestromoptimierten Zustand. Im Gegensatz dazu hält der Single-Wire-CAN mit dem HighLevel-Voltage Wake-up drei Zustände bereit: gesamtes Netzwerk aktiv, gesamtes Netzwerk passiv und Teilnetzbetrieb mit beliebiger Kombination aktiver Steuergeräte (selektiver Sleep-Mode). Über entsprechende Netzwerkdienste der höheren Software-Schichten lassen sich während des Betriebs beliebig einzelne Steuergeräte vom Bus abschalten oder wieder hinzuschalten. Während also einzelne Steuergeräte miteinander kommunizieren, können sich andere Steuergeräte im Sleep-Mode befinden [20]. Bild 4-31 zeigt ein Single-Wire-CAN-Bussystem mit dem Transceiver AU 5790.
Bild 4-29 zeigt die Busankopplung des LowspeedTransceivers TJA 1054 [19]. Der Transceiver ist in der Lage, eine Unterbrechung von CAN_H oder CAN_L, einen Kurzschluss zwischen CAN_H und CAN_L, einen Kurzschluss von CAN_H oder CAN_L gegen Masse, einen Kurzschluss von CAN_H oder CAN_L gegen Betriebsspannung oder einen Kurzschluss von CAN_H oder CAN_L gegen Batteriespannung zu erkennen. Im Fehlerfall schaltet der Transceiver selbstständig die fehlerhafte Leitung ab und auf Eindrahtbetrieb um. 4.2.4.2.3 Single-Wire-CAN Das Kommunikationsprotokoll GMLAN von General Motors (GM) definiert einen weiteren Physical Layer mit der Bezeichnung Single-Wire-CAN (SWC) [20]. Der Single-Wire-CAN ist ein in-vehicle-network nach der SAE-Klasse B, das von GM als Alternative zu SAE J1850 (Abschnitt 4.2.3) entwickelt und in SAE J2411 standardisiert wurde. Die wesentlichen Merkmale des Single-Wire-CAN sind die Verwendung einer ungeschirmten Eindrahtleitung, eine Brutto-Datenrate von 33 1/3 kBit/s für Onboard-Kommunikation und einer Brutto-Datenrate von 83 1/3 kBit/s für die Offboard-Kommunikation. Es sind maximal 32 Single-Wire-CAN-Knoten je Bussystem zugelassen. Bild 4-30 zeigt die nominellen Potentiale des Single-Wire-CAN nach SAE J2411. Die Vorteile des Single-Wire-CAN liegen nicht nur in Kosteneinsparungen für Kabel und Stecker. Die massebezogene Signalübertragung ermöglicht außerdem die einfache Integration einer zusätzlichen Funktion: dem High-Level-Voltage Wake-up. Weckfunktionen in Systemen mit Differenzsignal basieren auf flankengetriggerten Interrupts, die grundsätzlich in allen Steuergeräten einen Weckvorgang auslösen, sobald ein Teilnehmer die Kommunikati-
Bild 4-30: Nominelle Potentiale beim Single-Wire-CAN (SAE J2411)
Bild 4-31: Busankopplung des SWC-Transceivers AU 5790 (Prinzip); Tx: Transmit Data, Rx: Receive Data
208 4.2.4.3 Data Link Layer An einem CAN-Bus sind alle Steuergeräte gleichberechtigt. Es handelt sich um ein Kommunikationssystem mit Multi-Master-Architektur und ereignisgesteuerter Datenkommunikation. Will ein Steuergerät einen Datenframe senden, so gibt es seinem CAN-Controller den Auftrag dazu. Der CANController sendet die Nachricht, wenn der Bus frei ist und wenn er die Arbitrierung gewinnt. Wie alle anderen ereignisgesteuerten Systeme ist auch der CAN-Bus nicht deterministisch. Die Steuergeräte, die am CAN-Bus angeschlossen sind, benötigen für die Onboard-Kommunikation keine physikalischen Adressen. Stattdessen besitzt jede Nachricht einen eindeutigen Identifier, an dem die Empfänger den Inhalt der Nachricht erkennen können. Der Data Link Layer des CAN-Protokolls spezifiziert unter anderem den Aufbau von CAN-Datenframes. Am Anfang eines CAN-Datenframes steht der CANIdentifier (CAN-ID), der Informationen über die Nutzdaten enthält und gleichzeitig die Priorität des Frames für die Arbitrierung festlegt. Bild 4-32 zeigt ein Beispiel für die Arbitrierung für den Fall, dass zwei CANController gleichzeitig versuchen, Nachrichten mit den Identifiern CAN-ID A und CAN-ID B zu senden. Das Arbitrierungsverfahren ist CSMA/CA.
4 Bordnetz und Vernetzung der gesendete Pegel mit dem empfangenen Pegel übereinstimmt. Erkennt der Sender ein dominantes Bit, obwohl er ein rezessives Bit gesendet hat, verliert er die Arbitrierung und bricht seinen Sendevorgang ab. Im dargestellten Beispiel verliert der CANController A die Arbitrierung im siebten Bit nach SOF. Programmierbare Akzeptanzfilter für die CAN-IDs in den CAN-Controllern sorgen dafür, dass die Steuergeräte-Anwendung nur mit den Daten versorgt wird, die sie benötigt. Neben der Kennzeichnung des Inhalts wird über den CAN-Identifier die Priorität der Nachrichten für die Arbitrierung festgelegt. Der System-Designer kann über die CAN-Identifier in Grenzen auch die Latenzzeiten steuern, eine garantierte Latenzzeit besitzt aber nur die Nachricht mit der höchsten Priorität im Netz. Dabei hat der Identifier mit der niedrigsten Binärzahl die höchste Priorität. Es wird zwischen Nachrichten mit 11 Bit langem CAN-ID (Standard Format, CAN 2.0A) und Nachrichten mit 29 Bit langem CAN-ID (Extended Format, CAN 2.0B) unterschieden. Im Folgenden werden ausschließlich die CAN-Frames im StandardFormat beschrieben. Der Data Link Layer des CANProtokolls 2.0A unterscheidet vier verschiedene CAN-Frames. Das sind Daten-Frames für die Datenkommunikation, Remote-Frames für die Anforderung von Daten, Error-Frames zur Fehlermeldung und Overload-Frames zur Überlastmeldung. Daten-Frames Bild 4-33 zeigt den Aufbau eines Daten-Frames im Standard-Format. Ein Daten-Frame besteht aus sieben Feldern: Start of Frame (SOF), Arbitration Field, Control Field, Data Field, CRC Field, ACK Field, End of Frame (EOF). Im Folgenden werden Aufbau und Funktion der Felder des CAN-Daten-Frames erläutert.
Bild 4-32: Beispiel einer Arbitrierung mit CSMA/CA; CAN-ID: CAN-Identifier
Im Ruhezustand (Bus Idle) führt der CAN-Bus einen rezessiven Pegel. Ein Sendevorgang beginnt immer mit dem Senden eines SOF-Bits (Start Of Frame) mit dominantem Pegel. Alle Steuergeräte am CAN-Bus synchronisieren sich auf die fallende Flanke des SOF. Für die bitweise Arbitrierung überwacht der Sender den Bus, indem er das von ihm gesendete dominante oder rezessive Bit mit dem Pegel auf dem Bus vergleicht. Die Arbitrierung wird fortgesetzt, so lange
1. Start of Frame (SOF) Wenn kein Steuergerät sendet, befindet sich der Bus im rezessiven Zustand. Ein Datenframe beginnt mit einem einzelnen, dominanten Bit, dem SOF. Sender und Empfänger synchronisieren sich auf die fallende Flanke des SOF. 2. Arbitration Field Das Arbitration Field ist 12 Bit lang und besteht aus dem CAN-Identifier (11 Bit) und einem einzelnen RTR-Bit. Das RTR-Bit (Remote Transmission Request) legt fest, ob es sich um einen Daten-Frame (RTR-Bit dominant) oder einen Remote-Frame (RTRBit rezessiv, siehe unten) handelt.
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
209
Bild 4-33: CAN-Daten-Frame im Standard-Format (CAN 2.0 A); die Zahlenwerte geben die Anzahl der Bits an
3. Control Field Das Control Field besteht aus sechs Bits. Es enthält ein Identifier Extension Bit (IDE), ein reserviertes Bit für zukünftige Erweiterungen und vier Bit für die Anzahl der Daten-Bytes im Data Field (Data Length Code DLC). Das IDE-Bit gibt an, ob es sich um einen CAN-Frame im Standard-Format (11 Bit CAN-ID wenn IDE dominant) oder einen CAN-Frame im erweiterten Format (29 Bit CAN-ID wenn IDE-Bit rezessiv) handelt. Diese Zuordnung führt dazu, dass bei gleichzeitigem Senden einer Nachricht im Standard-Format und einer Nachricht im ExtendedFormat bei identischen ersten 11 Bit (dem sog. Base Identifier) der Sender mit dem 29-Bit-Identifier die Arbitrierung verliert. Daher ist es zulässig, in einem CAN-Netzwerk sowohl Standard-Frames als auch Extended-Frames zu verwenden. Bild 4-34 zeigt, wie die Anzahl der Bytes im Data Field durch den Data Lengh Code codiert ist. Der DLC besteht aus den vier Bit (DLC 0 bis DLC 3), d.h. es können eigentlich 16 verschiedene Zustände dargestellt werden. Trotzdem ist die maximale Länge auf 8 Byte begrenzt. Für den Fall, dass Nachrichten mit Nutzdaten von mehr als 8 Byte übertragen werden sollen, müssen die Nutzdaten auf mehrere Nachrichten verteilt werden. Das Verfahren wird als Daten-Segmentierung bezeichnet und in Kapitel 16 beschrieben. Mit einem Daten-Frame ohne Daten kann der Sender den Empfängern beispielsweise mitteilen, dass ein über den Identifier codiertes Ereignis eingetreten ist. 4. Data Field Im Data Field werden die „Nutzdaten“ übertragen. Das Data Field kann 0 bis 8 Byte lang sein. Die Übertragung eines Datenbytes beginnt immer mit seinem höchstwertigen Bit. 5. CRC Field Das CRC Field besteht aus einer 15 Bit langen CRCPrüfsumme und dem CRC-Delimiter, der das Ende mit einem rezessiven Bit markiert.
Bild 4-34: Data Length Code DLC zur Kodierung der Länge des Data Fields
6. ACK Field Das ACK Field (Acknowledge) besteht aus dem ACK-Slot (1 Bit) und dem ACK-Delimiter (1 rezessives Bit). Das Bit im ACK-Slot wird vom Sender rezessiv gesendet und von den Empfängern dominant überschrieben, falls sie eine Nachricht fehlerfrei empfangen haben. Da ein Sender beim Senden den Buspegel überwacht, erkennt er so, dass mindestens ein Empfänger den CAN-Frame korrekt empfangen hat. Ein ACK-Fehler tritt auf, wenn kein Empfänger ein positives Acknowledge meldet, z.B. auch dann, wenn gar kein Empfänger vorhanden ist. 7. End of Frame (EOF) Das End of Frame besteht aus sieben rezessiven Bits. Nach dem End of Frame folgt der Interframe Space (rezessive Bits). Der Interframe Space endet erst, wenn ein Steuergerät ein SOF sendet.
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4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-35: Aufbau eines Remote-Frames
Remote-Frames Bild 4-35 zeigt den Aufbau eines Remote-Frames. Während ein Daten-Frame zum Senden von Daten oder zum Anzeigen von Ereignissen dient, kann jedes Steuergerät durch das Senden eines Remote-Frames bestimmte – durch den Identifier gekennzeichnete – Daten anfordern. Der Aufbau eines Remote-Frames ist bis auf zwei Eigenschaften identisch mit dem eines Daten-Frames: Bei einem Remote-Frame ist das RTR Bit rezessiv und das Data Field ist leer. In einem Remote-Frame muss der Data Length Code DLC mit dem des angeforderten Daten-Frames übereinstimmen. Die CAN-Identifier eines Remote-Frames und des dazu gehörenden Daten-Frames sind identisch. Sendet ein Steuergerät einen CAN-ID mit dominantem RTR (Data Frame) und ein anderes Steuergerät zeitgleich die gleiche CAN-ID mit rezessivem RTR (Remote Frame), so gewinnt das dominante RTR. Daten-Frames haben also Vorrang vor RemoteFrames. Das ist sinnvoll, da mit einem Remote-Frame genau die Daten angefordert werden, die von der Datenquelle gerade gesendet werden. Interframe-Space Daten- und Remote-Frames werden durch einen Interframe-Space voneinander getrennt. Der Interframe-Space besteht aus dem Intermission-Field und dem beliebig langen Bus-Idle. Das Intermission-Field besteht aus drei aufeinanderfolgenden, rezessiven Bits. Der Bus-Idle besteht ebenfalls aus rezessiven Bits und entsteht, wenn kein CAN-Knoten ein dominantes Bit sendet. Im Intermission-Field darf kein CAN-Knoten mit dem Senden eines Daten- oder Remote-Frames beginnen. Mit dem IntermissionField (3 Bit), dem EOF (7 Bit) und dem rezessiven ACK-Delimiter von Daten-Frames und RemoteFrames ergibt sich eine Folge von 11 rezessiven Bits zwischen zwei Nachrichten. Danach gilt der Bus als frei (Bus Idle) und kann sofort wieder durch ein SOF belegt werden. Error-Frames Stellt ein CAN-Controller eine Störung fest, so bricht er die laufende Übertragung durch das Senden eines Error-Frames ab. Ein Error-Frame besteht aus dem
Error-Flag und dem Error-Delimiter (8 rezessive Bits). Das erste Steuergerät, das einen Fehler feststellt, sendet den Error-Flag, der aus 6 dominanten Bits besteht und überschreibt damit alle anderen Bits auf dem Bus. Dadurch wird absichtlich die BitStuffing-Regel (siehe unten) verletzt, so dass weitere Steuergeräte einen Fehler erkennen und ihrerseits Error-Flags absetzen. Es kommt zu einer Überlagerung dominanter Bits auf dem Bus, so dass die Länge des Error-Flags zwischen 6 und 12 Bits variieren kann. Das zweite Feld des Error-Frames ist der ErrorDelimiter. Der Error-Delimiter besteht aus 8 rezessiven Bits, die nach dem Ende eines Error-Flags gesendet werden. Nach dem Error-Flag sendet das Steuergerät zunächst ein rezessives Bit und wartet, bis der Bus rezessiv wird. Erst dann schaltet es weitere 7 rezessive Bits auf den Bus. Error-Flags dienen der systemweiten Datenkonsistenz. Falls nur ein CAN-Controller einen Fehler erkennt, sendet er einen Error-Flag und zeigt damit allen anderen CAN-Controllern an, dass die Nachricht ungültig ist. Systembedingt können fehlerhafte Steuergeräte zum Beispiel durch ständiges Senden von Error-Frames den Bus blockieren. Um dies zu verhindern, definiert das CAN-Protokoll die drei unterschiedlichen Fehlerzustände fehleraktiv (Error Active), fehlerpassiv (Error Passive) und Bus-Off. Jeder CAN-Knoten besitzt einen Sendefehlerzähler mit der Bezeichnung Transmit Error Counter (TEC) und einen Empfangsfehlerzähler mit der Bezeichnung Receive Error Counter (REC). Die Steuergeräte inkrementieren oder dekrementieren die Zähler nach festgelegten Regeln. Je nach Zählerstand wechselt das Steuergerät seinen Fehlerzustand von fehleraktiv über fehlerpassiv nach Bus-Off oder zurück. Bild 4-36 zeigt das Fehler-Zustandsdiagramm für einen CAN-Knoten. Ein fehleraktiver CAN-Controller kann festgestellte Fehler ohne Einschränkungen durch das Senden von Error-Frames anzeigen. Überschreitet einer der beiden Fehlerzähler den Wert 127, so wechselt der CAN-Controller in den fehlerpassiven Zustand und zurück in den fehleraktiven Zustand, wenn beide Zähler den Wert kleiner 128 haben. Fehlerpassive CAN-Controller senden bei erkannten Fehlern eine Folge von 6 rezessiven Bits.
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
211
Bild 4-36: Fehler-Zustandsdiagramm für einen CAN-Knoten
Dadurch sind sie nicht in der Lage, Nachrichten zu überschreiben, die von anderen CAN-Controllern fehlerfrei empfangen werden. Ein CAN-Controller wechselt vom fehlerpassiven Zustand in den Zustand Bus-Off, wenn der Sendefehlerzähler den Wert größer 255 erreicht. CAN-Controller im Zustand BusOff sind vollständig vom Busverkehr abgekoppelt. Ob ein Steuergerät im Bus-Off-Zustand noch Nachrichten empfangen kann, hängt von der Implementierung ab. Nach einem Reset befinden sich alle CAN-Controller im fehleraktiven Zustand, falls sie nicht vorher im Zustand Bus-Off waren. Um sicherzustellen, dass ein dauerhaft defekter CAN-Controller auch nach einem Reset den Bus nicht sofort wieder blockiert, darf er erst nach dem Empfang von 128 u 11 (siehe oben: Interframe-Space) rezessiven Bits wieder in den fehleraktiven Zustand zurückkehren. So wird sichergestellt, dass auch bei dauerhaft fehlerhaften CAN-Controllern mindestens 128 Nachrichten zwischen den anderen Steuergeräten ungestört übertragen werden können. Overload-Frames Eine Überlastung (Overload) liegt vor, wenn ein Empfänger nicht bereit ist oder wenn ein CAN-Controller ein dominantes Bit im Interframe-Space erkennt. Empfänger, die beispielsweise zur Verarbeitung von Daten eine Wartezeit benötigen, und dadurch vorübergehend keine weiteren Nachrichten empfangen können, beginnen im ersten Bit des Intermission-Fields mit dem Senden eines Overload-Frames. Ein Overload-Frame besteht aus dem Overload-Flag (6 dominante Bits) und dem Overload-Delimiter. Durch die dominanten Bits des Overload-Flags wird das festgelegte Format des Interframe-Space zerstört: Die anderen CAN-Knoten erwarten im InterframeSpace keine dominanten Bits und senden daher ihrerseits einen Overload-Frame. Es kommt zu einer Überlagerung der Overload-Flags. Nach Übertragung eines Overload-Flags wartet der CAN-Knoten auf die Flanke eines rezessiven Bits. Diese Flanke zeigt das Ende der überlagerten Overload-Flags an. Erst jetzt schalten die CAN-Controller gleichzeitig sieben
weitere rezessive Bits auf den Bus. Daraus ergibt sich eine Sequenz von acht rezessiven Bits im Anschluss an das Overload-Flag, dem sogenannten OverloadDelimiter. Ein Overload-Frame verursacht keine Wiederholung eines vorher gesendeten Daten- oder Remote-Frames. 4.2.4.4 Fehlererkennung Die Übertragung fehlerhafter Daten- oder RemoteFrames kann noch während der Übertragung durch das Senden von Error-Frames abgebrochen werden. Dadurch wird auch bei lokalen Fehlern die systemweite Datenkonsistenz sichergestellt. Die Erholzeit des Gesamtsystems nach einer Fehlererkennung ist kürzer als 30 Bitzeiten (die für das Senden eines Bits benötigte Zeit, abhängig von der Datenrate). Das CAN-Protokoll beinhaltet eine Reihe unterschiedlich wirksamer Fehlererkennungs-Mechanismen, wie die Verwendung eines Cyclic Redundancy Code (CRC), den Message-Frame-Check, dem Acknowledge, dem Monitoring und dem Bit-Stuffing. CRC-Check Daten- und Remote-Frames werden vom Sender mit einer Prüfsumme versehen. Das SOF-Bit, das Arbitration Field, das Control Field und das Data Field werden als Polynom betrachtet und durch ein Generatorpolynom dividiert (Modulo-2-Division). Der Divisionsrest bildet die CRC-Sequenz. Der oder die Empfänger berechnen ihrerseits die CRC-Prüfsumme und vergleichen sie mit der vom Sender übermittelten. Bei fehlerfreier Übertragung ergibt sich dieselbe CRC-Sequenz. Message-Frame-Check Beim Message-Frame-Check werden die Länge und die Struktur des Frames analysiert. Acknowledge Im ACK-Slot wird von mindestens einem Empfänger ein dominantes Bit geschrieben und damit der korrekte Empfang quittiert.
212 Monitoring Alle am CAN-Bus angeschlossenen CAN-Knoten überwachen den Buspegel. Stimmt der gesendete Pegel nicht mit dem empfangenen Pegel überein, liegt ein Bitfehler vor. Bit-Stuffing Bei der NRZ-Codierung bleibt der Signalpegel über die gesamte Bitzeit konstant. Die Nachsynchronisation der CAN-Knoten erfolgt nach dem SOF über die Flanken zwischen unterschiedlichen Bits. Bei einer Folge identischer Bits kann es durch das Fehlen dieser Flanken zu Synchronisationsproblemen kommen. Zur Vermeidung von Synchronisationsproblemen fügt der Sender nach fünf aufeinanderfolgenden, identischen Bits ein komplementäres Bit, das sogenannte Stuff-Bit, in den Datenstrom ein. Das StuffBit wird auch dann eingefügt, wenn nach fünf identischen Bits ohnehin ein komplementäres Bit folgen würde. Der Stuff-Bit-Mechanismus gilt für DatenFrames und Remote-Frames, beginnt beim SOF und endet vor dem CRC-Delimiter. Bei Error-Frames und Overload-Frames wird der Stuff-Bit-Mechanismus nicht verwendet. Die Empfänger folgen der gleichen Regel und entfernen die Stuff-Bits aus dem Datenstrom („Destuffing“). Ein Bit-Stuffing-Fehler liegt vor, wenn ein Empfänger eine Sequenz von mehr als fünf aufeinanderfolgenden, identischen Bits erkennt.
4 Bordnetz und Vernetzung rate hat sich der TTCAN für sicherheitsrelevante Anwendungen im Fahrzeug nicht durchgesetzt.
4.2.5 LIN 4.2.5.1 Einführung Der LIN-Bus (Local Interconnect Network) ist ein serielles Kommunikationssystem, das speziell für die Vernetzung intelligenter Sensoren und Aktoren zu einem Subsystem (LIN-Cluster) entwickelt wurde. Im Vordergrund stand dabei die Reduzierung der Kosten gegenüber einem CAN-Netzwerk. Der LIN soll und kann den CAN aber nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Ein LIN-Cluster kann immer dann eingesetzt werden, wenn die Leistungsfähigkeit des CAN nicht benötigt wird. Gründungsmitglieder des 1998 gegründeten LIN-Konsortiums waren Audi, BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen, Volvo, Volcano und Motorola (heute Freescale). Bild 4-37 zeigt das geschützte Logo des LIN-Konsortiums.
4.2.4.5 TTCAN Die ereignisgesteuerte Kommunikation führt bei hoher Buslast und besonders dann, wenn Nachrichten aufgrund von Fehlern (z.B. aufgrund externer Störungen) wiederholt werden müssen, zu einer nicht vorhersagbaren Latenzzeit der Nachrichten mit niedriger Priorität. Dadurch kann es zu einer Einschränkung der je nach Anwendung erforderlichen Echtzeitfähigkeit kommen. Um Echtzeitfähigkeit sicherzustellen, müssen in ereignisgesteuerten CAN-Netzwerken bis zu 80 % der vorhandenen Bandbreite für mögliche Spitzen-Buslasten reserviert werden [20]. Vor allem bei sicherheitsrelevanten Funktionen sind vorhersagbare Latenzzeiten zwingende Voraussetzung. In allen Betriebszuständen, auch bei maximaler Buslast, muss die Übertragung von sicherheitsrelevanten Nachrichten mit festgelegter Latenzzeit möglich sein. Der in der ISO 11898-4 spezifizierte TimeTriggered-CAN beschreibt ein Protokoll auf dem Session Layer des ISO/OSI-Modells zur Synchronisation der CAN-Knoten, um Nachrichten zyklisch und zu festgelegten Zeiten übertragen zu können. Sicherheitsrelevante Funktionen benötigen aber nicht nur vorhersagbare Latenzzeiten, sondern stellen zudem erhöhte Anforderungen an die Fehlertoleranz (z.B. durch Redundanz) und die Datenrate. Insbesondere aufgrund der auf 1 MBit/s beschränkten Daten-
Bild 4-37: Das Logo des LIN-Konsortiums
Die erste LIN-Spezifikation wurde im März 2000 auf der SAE Convention in Detroit, MI (U.S.A.) vom LIN-Konsortium [22] vorgestellt und bereits ein Jahr später im Mercedes SL, danach auch bei Audi, Toyota, Volkswagen und Volvo in Serienfahrzeugen eingesetzt. Heute gilt der LIN-Bus als etablierter Standard bei nahezu allen Fahrzeugherstellern. Es wird erwartet, dass die Zahl der LIN-Knoten auf 20 pro Fahrzeug und damit auf insgesamt über 1,2 Mrd. Knoten pro Jahr steigen wird [23]. Typische Einsatzgebiete für den LIN-Bus sind Steuergeräte, Sensoren und Aktoren, die sich in einem begrenzten Bauraum (z.B. Tür, Dach, Lenkrad) befinden. In der Regel wird ein LINCluster mit einem übergeordneten Bussystem, z.B. einem Lowspeed-CAN verbunden. Ein LIN-Cluster besteht aus einem LIN-Master, bis zu 16 LIN-Slaves (Single-Master-Multiple-Slave-Architektur) und dem Übertragungsmedium.
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
213
Bild 4-38: Beispiel für den Einsatz von LIN-Clustern im Kraftfahrzeug
Die Topologie ist zwar nicht explizit vorgeschrieben, doch findet in der Regel ein linearer Bus Anwendung. Bild 4-38 zeigt beispielhaft den prinzipiellen Einsatz von zwei LIN-Clustern in einem Kraftfahrzeug. Das Tür-Steuergerät auf der Fahrerseite ist über einen Lowspeed-CAN (CAN-B) mit dem Tür-Steuergerät auf der Beifahrerseite verbunden. Beide TürSteuergeräte fungieren als LIN-Master und sind über LIN u.a. mit den Motoren zum Einstellen der Spiegelposition (LIN-Slaves) verbunden. Die Einheit mit den Bedienelementen zum Einstellen der Spiegelposition (LIN-Slave) wird nur auf der Fahrerseite benötigt. Sie ist über LIN an das Tür-Steuergerät links angeschlossen. Betätigt der Fahrer die Bedienelemente zum Einstellen des Spiegels auf der Beifahrerseite, so wird seine Sollwertvorgabe vom Tür-Steuergerät links über CAN an das Tür-Steuergerät rechts übertragen und von diesem über LIN an die Motoren für die Spiegelposition rechts. Dieses Beispiel zeigt auch, dass es je nach Priorisierung der CAN-Nachricht zu nicht vorhersagbaren Verzögerungen kommen kann. Bei der Auslösung von Aktionen (z.B. Schalterbetätigung für Fensterheber) werden jedoch Latenzzeiten bis zu 200 ms vom Menschen in der Regel nicht wahrgenommen. Folgende Übersicht zeigt die wesentlichen Merkmale eines LIN-Clusters: Single-Master-Multiple-Slave-Architektur, Übertragungsmedium: ungeschirmte Eindrahtleitung, zeitgesteuerte Kommunikation mit deterministischen Latenzzeiten, 64 verschiedene Nachrichten-Identifier, maximale Brutto-Datenrate 20 kBit/s (Europa: 19,2 kBit/s, USA: 10,4 kBit/s), maximale Anzahl der Slaves: 16, Anzahl der Datenbytes je Nachricht: 1 bis 8. Im September 2003 veröffentlichte das LIN-Konsortium mit LIN 2.0 die vorerst letzte Version der LIN-
Spezifikation [24]. Sie besteht aus den Teilen LIN Physical Layer Specification (PHY), LIN Protocol Specification (PROT), LIN Diagnostics and Configuration Specification (DIAG), LIN Application Programming Interface Specification (API), LIN Node Capability Language Specification (NCL) und der LIN Configuration Language Specification (CLS). Üblicherweise werden bei der Spezifikation von Kommunikationssystemen der Physical Layer und der Data Link Layer spezifiziert, für OffboardKommunikation kommt noch ein Protokoll auf dem Application Layer hinzu. Das LIN-Konsortium geht einen Schritt weiter und legt mit zusätzlichen Dokumenten u.a. auch den Entwurfsprozess für ein LINNetzwerk fest und vereinheitlicht und vereinfacht so auch die Entwicklung einer durchgehenden Toolkette. Im Folgenden werden die einzelnen Teile der LINSpezifikation beschrieben. Eine detaillierte Beschreibung des LIN-Protokolls liefert [3]. 4.2.5.2 LIN Physical Layer Specification Alle gängigen Mikrocontroller besitzen ein integriertes, serielles Interface (Serial Communication Interface SCI), das aus einem Universal Asynchronous Receiver and Transmitter (UART) besteht. Das SCIUART besitzt zwei Anschlüsse mit den Bezeichnungen RxD (Receive data) und TxD (Transmit data). An diese beiden Anschlüsse werden Sende- und Empfangstreiber der Transceiver angeschlossen. Bild 4-39 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines LINClusters mit zwei Transceivern (ein Master, ein Slave). Die Treiber sind über einen Pull-up-Widerstand mit der internen Versorgungspannung verbunden. In Reihe zum Pull-up-Widerstand befindet sich eine Diode, die verhindert, dass ein LIN-Knoten, der extern nicht an seine Betriebsspannung angeschlossen ist, rückwärts über den LIN-Bus mit Spannung versorgt wird. Der Wert des Pull-up-Widerstands ist bei LIN-Slaves 30 kȍ, beim Master 1 kȍ.
214
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-39: Aufbau eines LIN-Clusters mit einem LIN-Master und einem LIN-Slave
Da bei LIN-Transceivern nicht zwischen Masterund Slave-Transceivern unterschieden wird, muss der 1-kȍ-Widerstand mit einer weiteren Diode beim Transceiver im Master extern angeschlossen werden. Die Treiberstufen des LIN-Transceivers sind so ausgelegt, dass der Low-Pegel bei Parallelschaltung dominant ist. Nur wenn alle LIN-Knoten den Bus in den rezessiven Zustand schalten, führt der LIN-Bus einen rezessiven Pegel. Aufgrund der Master-Slave-Architektur wird dieses Prinzip beim LIN-Bus aber nicht – wie bei CAN – zur Arbitrierung verwendet. Bild 4-40 zeigt die nominellen Signalpegel auf dem LIN-Bus. Der Physical Layer wurde von mehreren Halbleiterherstellern in Hardware realisiert. Es gibt sowohl separate, integrierte LIN-Transceiver, als auch Mikrocontroller mit integrierten LIN-Transceivern. 4.2.5.3 LIN Protocol Specification Die gesamte Kommunikation nach der LIN Protocol Specification (PROT) wird durch den Master gesteu-
ert. Der Master arbeitet zyklisch eine Tabelle (Time Schedule) ab, die festlegt, welche Nachrichten zu welchen Zeitpunkten übertragen werden. Durch die Zeitsteuerung ist der LIN ein determinstisches Kommunikationssystem mit vorhersagbaren NachrichtenLatenzzeiten. Die Länge der Zeitfenster (Slots) ist vom System-Designer so auszulegen, dass eine Nachricht immer sicher übertragen werden kann. Bild 4-41 zeigt den Aufbau eines LIN-Frames. Ein LIN-Frame besteht aus einem Header, einem Response Space und einer Response. Im Ruhezustand (Bus-Idle) führt der LIN-Bus einen rezessiven Pegel. Die Datenkommunikation beginnt mit dem vom Master gesendeten Header. Der Header besteht aus dem SYNC Break, dem SYNC Delimiter, dem SYNC Field und dem Identifier. Der SYNC Break besteht aus einer Folge von mindestens 13 dominanten Bits und wird vom rezessiven Bit des SYNC Delimiter abgeschlossen. Das SYNC Field dient der Synchronisation der Slaves mit dem Master. Es besteht aus einer alternierenden Folge dominanter und rezessiver Bits (01010101 = 55h).
Bild 4-40: Nominelle Signalpegel auf dem LIN-Bus: USUP | UBat – 0,7 V; UBat Batteriespannung
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
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Bild 4-41: Aufbau eines LIN-Frames
Aufgrund der Synchronisation mit jedem einzelnen LIN-Frame brauchen die Slaves keine teuren, externen Oszillatoren (z.B. Quarze). Der Identifier spezifiziert den Inhalt der Nachricht. Er besteht aus einem Nachrichten-Identifier (ID, 6 Bit) und einer Prüfsumme (2 Bit) und wird deshalb auch als „Protected Identifier“ bezeichnet. Die 64 möglichen Identifier zwischen 0x00h und 0x3Fh sind in vier Gruppen unterteilt: 0 bis 59 (0x3Bh) werden zur Datenkommunikation verwendet 60 (0x3Ch) und 61 (0x3Dh) sind für Diagnose reserviert 62 (0x3Eh) ist für proprietäre Erweiterungen reserviert 63 (0x3Fh) ist für zukünftige Erweiterungen reserviert Auf jeden vom Master gesendeten Header reagiert genau ein Slave, indem er den Header um eine passende Anzahl an Datenbytes und ein zusätzliches Checksummen-Byte ergänzt. Dieser Abschnitt des LIN-Frames wird als Response bezeichnet. In der LIN-Spezifikation Version 2.0 ist die Codierung der Datenlänge (Anzahl der Bytes in der Response) durch den Identifier nicht vorgesehen. Stattdessen muss die Anzahl der Bytes in der Response für jeden Identifier im LIN Description File (LDF, siehe unten) angegeben werden. Prinzipiell ist nicht nur der Master, sondern auch jeder Slave im Cluster in der Lage, die von einem Slave gesendete Response zu empfangen und auszuwerten. Eine direkte Datenkommunikation zwischen den LIN-Slaves ohne die Kontrolle durch den Master ist jedoch nicht vorgesehen. Die Response besteht aus einer Folge von 1 bis 8 Datenbytes, die als Data 1, Data 2 usw. bezeichnet werden. Das letzte Feld eines LIN-Frames besteht aus einer Checksumme, die über den Protected Identifier und die Daten-Bytes gebildet wird. Bei Nachrichten mit den Identifiern 60 (0x3Ch)
bis 63 (0x3Fh) wird die Checksumme jedoch nur über die Daten gebildet. Die Kommunikation mit einem UART besteht aus Blöcken zu je 10 Bit: Es werden immer ein dominantes Start-Bit, 8 Daten-Bits und ein rezessives Stop-Bit übertragen. Standard-SCIs sind nicht ohne weiteres in der Lage, das 13 Bit lange BREAK Field des LINProtokolls zu erzeugen. Aus diesem Grund gibt es Controller mit modifizierten LIN-SCIs. Wie mit einem Standard-SCI trotzdem ein 13 Bit langes Break Field erzeugt werden kann, ist detailliert in [3], Seite 92 beschrieben. Die LIN Protocol Specification definiert sechs unterschiedliche Frame-Typen. Das sind Unconditional Frames, Event Triggered Frames, Sporadic Frames, Diagnostic Frames, User-defined Frames und Reserved Frames. Welche Frame-Typen in einem Cluster tatsächlich verwendet werden, hängt von der Anwendung ab und wird vom System-Designer festgelegt. Unconditional Frames Unconditional Frames werden zur Übertragung von Signalen (Daten) verwendet und durch die Identifier 0 bis 59 (0x00h bis 0x3Bh) gekennzeichnet. Event Triggered Frames Die Funktion von Event Triggered Frames soll anhand eines Beispiels erläutert werden: Die Betätigung der Taster zum Einstellen der Spiegelposition wird in der Regel nur bei einem Fahrerwechsel notwendig sein, kommt also vergleichsweise selten vor. Fragt der Master in jedem Zyklus die Taster zum Einstellen der Spiegelposition einzeln ab, wird die Bandbreite unnötig reduziert. Ist andererseits der Abstand zwischen den Abfragen zu groß, kann es zu Verzögerungen kommen, die vom Fahrer nicht akzeptiert werden. Um diesen Zielkonflikt aufzulösen, werden Event Triggered Frames verwendet. Auf eine Anforderung durch einen Event Triggered Frame antworten nur die Slaves, die ein neues Ereignis („Taster betätigt“) mitzuteilen haben.
216 Sporadic Frames Normalerweise werden innerhalb der festgelegten Zeitfenster die durch den Identifier definierten Frames übertragen. Bei entsprechender Auslegung kann ein Zeitfenster aber auch leer bleiben. Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Master entscheidet, welchen Identifier er in dem entsprechenden Zeitfenster sendet. Dadurch wird dem System ein dynamisches Verhalten verliehen, ohne den Determinismus für die verbliebenen Identifier einzuschränken. Diagnostic Frames Diagnostic Frames dienen der Diagnose und der Konfiguration der Slaves durch den Master. Der Identifier 60 (0x3Ch) spezifiziert den Master Request Frame, der Identifier 61 (0x3Dh) den Slave Response Frame. Die Länge des Datenfeldes eines Diagnostic Frames ist stets 8 Byte. Die Interpretation der Daten wird in der LIN Diagnostics and Configuration Specification (DIAG) beschrieben. User-defined Frames User-defined Frames werden durch den Identifier 62 (0x3Eh) gekennzeichnet. Die Framelänge ist nicht festgelegt. Extended Frames Der Identifier 63 (0x3Fh) ist für zukünftige Erweiterungen reserviert. Energiemanagement Das Energiemanagement des LIN-Clusters ist in der LIN Protocol Specification definiert und wird in der Regel von einem separaten Funktionsblock im Transceiver umgesetzt. Bild 4-42 zeigt die verschiedenen Zustände des Energiemanagements. Ein LIN-Knoten befindet sich im Zustand „Power Off“, wenn keine Betriebsspannung anliegt. Sobald die interne Betriebsspannung USUP einen festgelegten Wert überschreitet, wechselt der Transceiver in die Initialisierungsphase und wartet, bis auch der Mikrocontroller seine Initialisierung abgeschlossen hat. Erst dann wechselt der Knoten in den Zustand „Operatio-
4 Bordnetz und Vernetzung nal“. Jeder LIN-Knoten muss in der Lage sein, nach längstens 100 ms auf einen Header zu reagieren. Das gilt auch für den Master, dessen erste Aufgabe es ist, durch das Senden von Headern herauszufinden, durch welches Ereignis der Cluster aufgeweckt wurde. Wenn auf dem Bus mehr als vier Sekunden keine Kommunikation stattfindet (konstanter rezessiver Pegel), dann wechseln die LIN-Knoten automatisch von „Operational“ nach „Stand-by“. LIN-Slaves können vom Master aktiv in den „Stand-by“ versetzt werden. Dazu sendet der Master einen Header mit dem Identifier 60 (0x3Ch) und ein 8 Byte langes Datenfeld, wobei das erste Byte (Data 1) 0x00h sein muss. Die restlichen Bytes (Data 2 bis Data 8) werden nicht verwendet und mit 0xFFh aufgefüllt. Jeder LIN-Knoten kann den Cluster durch einen Wake-up Request vom Zustand „Stand-by“ über „Initializing“ in den Zustand „Operational“ schalten. Dazu sendet er für mindestens 250 Ps (maximal 5 ms) eine konstante Folge dominanter Bits. 4.2.5.4 LIN Diagnostic and Configuration Specification Die LIN Diagnostic and Configuration Specification (DIAG) legt die Konfiguration eines Knotens fest. Das Konfigurations-Verfahren ist für alle Slaves vorgeschrieben und dient dazu, einmal entwickelte Slaves auch in anderen Clustern und sogar in anderen Fahrzeugen wiederverwenden zu können (off-theshelf nodes). Zudem werden drei alternative Methoden zur Behandlung von Diagnose-Daten beschrieben, deren Implementierung aber freigestellt ist. 4.2.5.5 LIN Application Programming Interface Specification Ein LIN-Kommunikations-Treiber kann sowohl in Hardware, als auch in Software realisiert werden. Unabhängig davon sind die Treiber für Slave- und Master-Knoten nicht identisch.
Bild 4-42: Energiemanagement
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Das LIN Application Programming Interface (API) bietet dem Anwendungsprogrammierer eine standardisierte Schnittstelle für die Programmiersprache C. Durch diese Schnittstelle muss sich der Anwendungprogrammierer nicht mit den Details der Datenkommunikation befassen. 4.2.5.6 LIN Node Capability Language Specification Die Node Capability Language (NCL) dient der standardisierten Beschreibung der busseitigen Eigenschaften von LIN-Slaves. Als Ergebnis entsteht ein Node Capability File (NCF). Ein NCF besteht aus der Global Definition, Node Definition, General Definition, Diagnostiscs Definition, Frame Definition, Status Management und der Free Text Definition. Der Entwickler eines LIN-Slaves liefert zusammen mit der Hardware das dazu gehörende NCF in maschinenlesbarer Form. 4.2.5.7 LIN Configuration Language Specification Die LIN Configuration Language Specification (CLS) dient der standardisierten Beschreibung des kompletten LIN-Clusters in Form eines LIN Description Files (LDF). Ein LDF besteht aus der Global Definition, Node Definition, Signal Definition, Frame Definition, Schedule Table Definition und Additional Information. Das LIN Description File (LDF) kann mit Hilfe geeigneter Tools aus den Node Capability Files (NCF) der LIN-Slaves weitgehend automatisch generiert werden.
217 lich durch Hinzufügen von Funktionen und Daten im ereignisgesteuerten Teil der Kommunikation berücksichtigt werden. 4.2.6.2 FlexRay In den Jahren 1996 bis 1999 betrieb BMW mit Kooperationspartnern (u.a. Motorola, Infineon und ELMOS) die Entwicklung eines neuen Bussystems mit der Bezeichnung byteflight [26]. Byteflight wird in Serienfahrzeugen zur Vernetzung von AirbagSteuergeräten eingesetzt. Parallel zu den Aktivitäten von BMW untersuchte DaimlerChrysler zeitgesteuerte Netzwerke auf ihre Verwendbarkeit für sicherheitsrelevante und verteilte Systeme, u.a. auch im Rahmen von EU-Projekten (X-by-Wire: Safety Related Fault Tolerant Systems in Vehicles, TTA: Time Triggered Architecture). Da keines der untersuchten Kommunikationssysteme allen Anforderungen gerecht werden konnte, beschlossen BMW und DaimlerChrysler Mitte 1999 die gemeinsame Entwicklung eines neuen Datenbussystems für sicherheitsrelevante, verteilte Systeme und nannten es FlexRay. Im September 2000 wurde dazu das FlexRay-Consortium aus der Taufe gehoben. Bild 4-43 zeigt das geschützte Logo des FlexRay-Consortiums. Mitte 2004 veröffentlichte das FlexRay-Consortium die vorerst letzte Spezifikation in der Version 2.0 [27] bis [30]. Sie besteht aus der Protocol Specification, der Bus Guardian Specification und der Electrical Physical Layer Specification.
4.2.6 FlexRay und TTP 4.2.6.1 Einleitung Der CAN-Bus besitzt ein ereignisgesteuertes, asynchrones Protokoll und ist nicht deterministisch. Die Latenzzeit kann bestenfalls statistisch bestimmt werden. Probleme kann es besonders dann geben, wenn es zu Störungen kommt und Nachrichten wiederholt gesendet werden müssen. Ein wesentliches Merkmal zeitgesteuerter, synchroner Systeme besteht in den deterministischen Latenzzeiten für die Nachrichten. Solche Systeme müssen vor der Implementierung vollständig geplant werden. Jede Änderung oder Erweiterung hat Einfluss auf den festgelegten zeitlichen Ablauf der Kommunikation, so dass bei Änderungen oder Erweiterungen in der Regel eine Rekonfiguration des Gesamtsystems erforderlich ist. Ideal wäre ein Netzwerk, das die Vorteile von ereignisgesteuerten und die von zeitgesteuerten Netzwerken kombiniert: Wichtige Botschaften mit hoher Priorität werden synchron, zeitgesteuert übertragen, weniger wichtige Botschaften ereignisgesteuert. Ausstattungs- und Funktionsvarianten können nachträg-
Bild 4-43: Das Logo des FlexRay-Consortiums
Ein wesentliches Merkmal eines FlexRay-Netzwerks ist die redundante, zweikanalige Datenkommunikation. Bild 4-44 zeigt ein Netzwerk mit zweikanaliger, passiver Bustopologie. Die Steuergeräte (A bis D) müssen nicht notwendigerweise alle mit beiden Kanälen verbunden werden. So ist im dargestellten Beispiel das Steuergerät B nur mit Kanal A und das Steuergerät D nur mit Kanal B verbunden. Zulässig ist auch die Auslegung als rein einkanaliger Bus. Bei niedrigen Datenraten können für den passiven Bus mit Zweidrahtleitung als Übertragungsmedium auch CAN-HighspeedTransceiver (jeweils einer pro Kanal) verwendet werden.
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Bild 4-44: Beispiel für eine zweikanalige passive Bustopologie; ECU: Steuergerät
Für höhere Datenraten werden aktive Sternkoppler als Repeater eingesetzt (Bild 4-45). Aktive Sternkoppler bestehen im Wesentlichen aus bis zu 16 Bustreibern und einer stabilisierten Stromversorgung mit Energiemanagement. Darüber hinaus ist auch eine Mischung verschiedener Topologien möglich. Beispielsweise könnte das Netzwerk aus einem Kanal A in Form eines passiven Bussystems und einem Kanal B mit einem aktiven Stern bestehen.
4 Bordnetz und Vernetzung Physical Layer Bild 4-46 zeigt stark vereinfacht den internen Aufbau eines FlexRay-Knotens. Jeder FlexRay-Knoten besteht aus einem Host-Prozessor (Mikrocontroller), dem Communication-Controller (CC), der Energieversorgung, zwei Bus Guardians (BG) und zwei Transceivern (Bus Driver BD). Alle FlexRay-Knoten sind dauerhaft mit der Batteriespannung verbunden und besitzen ein eigenes Energiemanagement. Der Host-Prozessor besteht in der Regel aus einem Mikrocontroller, der Daten mit dem Communication-Controller austauscht. Außerdem teilt der Host-Prozessor dem Bus-Guardian mit, welche Zeitfenster der Communication-Controller belegt hat. Der Bus-Guardian erlaubt dem Communication-Controller das Senden von Nachrichten nur in diesen Zeitfenstern. Der Empfang ist jederzeit möglich. Versucht ein Knoten außerhalb des ihm zugewiesenen Zeitfensters zu senden, entzieht der Bus Guardian dem Bus Driver die Sendefreigabe. Der Transceiver (Bus Driver) bildet die Schnittstelle zum Übertragungsmedium und ist für das Energiemanagement des Knotens zuständig. Nachrichten-Format Das Nachrichtenformat (nicht die Länge) ist für alle Nachrichten sowohl im statischen als auch im dynamischen Segment identisch. Bild 4-47 zeigt den Aufbau einer FlexRay-Nachricht. Jede Nachricht besteht aus einem Header-Segment, einem PayloadSegment (Daten) und dem Trailer-Segment. Der Header ist 40 Bit lang und besteht aus mehreren Feldern:
Bild 4-45: Beispiel für ein zweikanaliges Netzwerk mit aktiven Sternkopplern
(1) Reserved Bit (1 Bit) Das Reserved Bit (logisch 0) ist für zukünftige Erweiterungen reserviert.
Bild 4-46: Prinzipieller Aufbau eines FlexRay-Knotens; BG: Bus Guardian
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
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Bild 4-47: Aufbau einer FlexRay-Nachricht
(2) Payload Preamble Indicator (1 Bit) Wird der Payload Preamble Indicator auf logisch 1 gesetzt, so enthalten Nachrichten, die im statischen Segment gesendet werden, einen Netzwerk-Management-Vector. Nachrichten, die im dynamischen Segment gesendet werden, enthalten eine Message-ID. Die Message-ID kann zur Identifikation der Daten-Inhalte verwendet werden. (3) Null Frame Indicator (1 Bit) Der Null Frame Indicator (logisch 1) zeigt an, dass sich im Datensegment gültige Daten befinden. (4) Sync Frame Indicator (1 Bit) Der Sync Frame Indicator (logisch 1) zeigt an, dass die Nachricht zur Uhrensynchronisation verwendet werden soll. (5) Startup Frame Indicator (1 Bit) Ist der Startup Frame Indicator logisch 1, so handelt es sich um einen Startup Frame. (6) Frame ID (11 Bit) Jede Nachricht wird durch einen Frame Identifier (Frame ID) gekennzeichnet. Je Netzwerk können 2047 verschiedene Frame Identifier vergeben werden (0x00 ist nicht zulässig). (7) Payload Lenght (7 Bit) In diesem Feld wird die Länge des Datenfeldes angegeben.
(8) Header CRC (11 Bit) Der Header CRC beinhaltet das Ergebnis eines Cyclic Redundancy Checks über die Felder (4) bis (7). (9) Cycle Count (6 Bit) Der Cycle-Counter ist ein Zähler, der die Kommunikationsrunden zählt. Dieser Zähler ist systemweit in allen Knoten gleich. Das Payload-Segment beinhaltet die Nutzdaten der Nachricht. Es ist in 0 bis zu 127 Zwei-Byte-Worten (max. 254 Byte) organisiert. Der Trailer ist 3 Byte lang und beinhaltet das Ergebnis eines Cyclic Redundancy Checks über das Header Segment und das Payload Segment. Kommunikations-Zyklus Das FlexRay-Protokoll spezifiziert zyklische Datenkommunikation mit festgelegten Zeitrastern (TimeSlots). Jeder Zyklus besteht aus einem statischen und einem dynamischen Segment, einem Symbol Window und der Network Idle Time NIT (Bild 4-48). Ein Kommunikationszyklus beinhaltet immer ein statisches Segment. Die Verwendung eines dynamischen Segments und eines Symbol Window ist optional, die NIT ist vorgeschrieben. Bei einer Datenrate von 10 MBit/s ist die Zykluszeit 250 Ps. Die Time-Slots im statischen Segment werden als „Static Slots“ bezeichnet, die Time-Slots im dynamischen Segment als „Mini Slot“. Static Slots und Mini Slots bestehen aus sogenannten „Macroticks“ identischer Länge.
Bild 4-48: FlexRay-Kommunikations-Zyklus
220 Die Network Idle Time NIT sorgt dafür, dass die Anzahl der Macroticks in jedem Kommunikationszyklus konstant ist. Jede Nachricht innerhalb eines FlexRay-Netzwerks (Cluster) ist durch einen eindeutigen Identifier (Frame-ID) gekennzeichnet. Ein FlexRay-Knoten kann eine oder mehrere Nachrichten (Frame-IDs) senden. Der System-Designer muss sicherstellen, dass die zur Verfügung stehenden Frame-IDs – jeweils für Kanal A und B getrennt – im Cluster nur einmal vorkommen. Jeder FlexRay-Knoten besitzt für jeden Kanal einen internen Zähler (Slot Counter). Mit diesen Zählern werden die Time-Slots gezählt. Am Anfang eines Kommunikationszyklus beginnen die Slot Counter hochzuzählen und werden am Ende des Zyklus zurückgesetzt. Der Zählerstand der Slot Counter korrespondiert mit der Frame-ID der Time-Slots. Wenn die Slotzähler einen Wert erreichen, für den eine Sendeanforderung vorliegt, dann wird die Nachricht mit dieser Frame-ID übertragen. Alle Knoten halten die Slotzähler für die Dauer der Übertragung an und zählen nach dem Ende der Übertragung weiter. Kommunikation im statischen Segment Im statischen Segment wird TDMA (Time Division Multiple Access) als Zugriffsverfahren verwendet. Das statische Segment besteht aus einer festen Anzahl an Static Slots identischer Länge. Jeder Static Slot ist durch eine Nummer gekennzeichnet, die mit der Frame-ID korrespondiert. Erreicht der Slot Counter des FlexRay-Knotens den Wert einer Frame-ID, die er senden darf, so erhält er dazu vom Bus Guardian die Erlaubnis. Bild 4-49 verdeutlicht an einem Beispiel die Kommunikation im statischen Segment. Wird eine Nachricht nicht gesendet, zum Beispiel bei einkanaliger Auslegung, Ausfall eines Steuergerätes
4 Bordnetz und Vernetzung oder bei einer nicht bestückter Sonderausstattung, so verstreicht die Zeit ungenutzt. Kommunikation im dynamischen Segment Beim Übergang vom statischen zum dynamischen Segment werden die Slot Counter zwar nicht zurückgesetzt, doch wird die feste Kopplung zwischen Kanal A und Kanal B aufgehoben. Das Zugriffsverfahren wechselt von TDMA nach FTDMA (Flexible Time Division Multiple Access). Die Zeitfenster im dynamischen Segment werden als Mini Slots bezeichnet. Nur wenn innerhalb eines Mini Slots ein Buszugriff erfolgt, wird der Zeitschlitz um die benötigte Zeit (Anzahl Macroticks) verlängert. Erfolgt innerhalb des Minislots kein Zugriff, so wird nach Ablauf der Zeitdauer des Minislots weitergezählt. Bandbreite wird also nur dann in Anspruch genommen, wenn sie auch tatsächlich benötigt wird. Bild 4-50 zeigt die Kommunikation im dynamischen Segment an einem Beispiel. Uhrensynchronisation Zeitgesteuerte Netzwerke benötigen eine systemweite (globale) Zeitbasis. Der FlexRay verwendet spezielle Algorithmen für die Synchronisation der Zeitbasis anhand von Nachrichten, die im statischen Segment übertragen werden. Energiemanagement Das Energiemanagement wird am Beispiel des FlexRay-Transceivers TJA 1080 (Philips) beschrieben. Der Transceiver unterscheidet zwischen den Betriebsarten Normal-Mode, Standby-Mode und SleepMode. Im Normal-Mode wird der Bustreiber mit Betriebsspannung versorgt. Wenn der HostController aktiv bleiben soll, die Kommunikation aber nicht benötigt wird, kann der Bustreiber in einen stromsparenden Standby-Mode geschaltet werden.
Bild 4-49: Kommunikation im statischen Segment: ECU Steuergerät
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
221
Bild 4-50: Kommunikation im dynamischen Segment
Dabei bleibt die Stromversorgung des Knotens eingeschaltet. Wird die Funktion des ganzen Knotens nicht mehr benötigt, kann er in den Sleep-Mode übergehen. Dann sind nur noch die Teile des Transceivers aktiv, die zum Wecken benötigt werden. Diese Teile werden direkt aus der Fahrzeugbatterie gespeist. Dabei muss der Stromverbrauch so niedrig sein, dass das Fahrzeug auch nach mehreren Wochen Stillstand mit der bordeigenen Batterie gestartet werden kann. Das Wecken kann lokal oder über den Bus erfolgen. Das lokale Wecken geschieht über eine Flanke am WakeEingang des Transceiver-Bausteins. Das Wecken über den Bus erfolgt durch das Erkennen eines speziellen Wake-Symbols. 4.2.6.3 TTP TTP (Time Triggered Protocol) ist ein zeitgesteuertes, fehlertolerantes Protokoll, das gemeinsam von der Technischen Universität Wien und der TTTech Computertechnik AG entwickelt wurde. Die Spezifikation steht im Internet auf der Homepage der TTAGroup [31] zum Download bereit. Als zeitgesteuertes Protokoll mit zweikanaliger homogener Redundanz erfolgt der Buszugriff wie beim FlexRay nach TDMA und FTDMA. Jeder TTP-Datenframe kann zwischen 2 und 240 Byte an Nutzdaten beinhalten. Die Übertragungsrate ist mit 25 MBit/s höher als beim FlexRay. TTP wird in Eisenbahnsystemen und Spezialfahrzeugen in Serie eingesetzt und soll für sicherheitsrelevante Funktionen in Flugzeugen (z.B. Airbus A380) verwendet werden [32]. Prinzipiell sind TTP und FlexRay vergleichbar, und beide sind für sicherheitsrelevante Funktionen im Kraftfahrzeug geeignet.
4.2.7 Multimedia-Netzwerke 4.2.7.1 Einleitung Die erste Entertainment-Komponente im Fahrzeug war das Radio mit Mono-Verstärker und Lautsprecher. Die heute verwendeten Audio-Komponenten besitzen ein Mehrfaches an Funktionalität, zum Beispiel ein CD-Laufwerk, Kommunikation mit einem externen CD-Wechsler im Kofferraum, Steuerung der Funktionen über Tasten im Lenkrad und Anzeige von Informationen im Kombi-Instrument. Das erste Telefon im Auto war eine recht klobige, fest verdrahtete Einheit in der Mittelkonsole. Heute hat nahezu jedermann ein Mobiltelefon (Handy), das selbstverständlich auch im Auto einsetzbar sein soll. Der Gesetzgeber hat aus Sicherheitsgründen den Einsatz von Freisprecheinrichtungen vorgeschrieben und damit auch den Weg zum Anschluss der Mobiltelefone an das Audiosystem geebnet. Da die bisher beschriebenen Bussysteme und Netzwerke für die Vernetzung von Multimedia-Komponenten nicht oder nur eingeschränkt geeignet sind, entwickelte man neue Technologien. Das erste Multimedia-Netzwerk im Serieneinsatz war D2B (Optical) in der S-Klasse von Mercedes-Benz. D2B kann sowohl mit Lichtwellenleitern als auch mit einer unverdrillten Zweidrahtleitung verwendet werden. Heute konkurrieren die im Folgenden beschriebenen Multimedia-Netzwerke MOST und IDB-1394 um die Gunst der Fahrzeughersteller. Dabei hat MOST gegenüber IDB-1394 den Vorteil, dass bereits viele Serienfahrzeuge mit MOST-Netzwerken ausgestattet sind.
222 4.2.7.2 MOST 4.2.7.2.1 Übersicht MOST (Media Oriented Systems Transport) ist eine Weiterentwicklung des D2B Optical und wird als Gemeinschaftsprojekt von der MOST Cooperation [33] entwickelt. Die MOST Cooperation wurde 1998 von BMW, DaimlerChrysler, Harman/Becker und OASIS Silicon Systems gegründet. Heute gehört auch Audi zum Lenkungskreis der Cooperation, die auf 80 Mitglieder (Stand: April 2005) angewachsen ist. Bild 4-51 zeigt das geschützte Logo der MOST Cooperation. Die MOST Cooperation spezifiziert ein Netzwerk für die Datenkommunikation zwischen Geräten (MOST Devices) mit Multimedia-Funktionen unterschiedlicher Komplexität, zum Beispiel einfachen A/D-Wandlern für Mikrofone und D/AWandlern für Lautsprecher, aber auch für VideoDVD-Player, Navigationssysteme und MultimediaPCs.
Bild 4-51: Logo der MOST Cooperation
Heute (Stand: April 2006) wird das MOST-Netzwerk in mehr als 30 Fahrzeugmodellen in Serie eingesetzt, und es wurden mehr als 15 Millionen Steuergeräte mit MOST-Schnittstelle (MOST-Devices) produziert [34]. Dabei beschränkt sich der Einsatz nicht nur auf Fahrzeuge der Oberklasse (7er BMW, Audi A8, SKlasse, Maybach). Auch in der Mittelklasse und sogar im Smart FourFour, in der A-Klasse von DaimlerChrysler, und im 1er von BMW wird MOST in der Serie eingesetzt.
4 Bordnetz und Vernetzung Folgende Übersicht zeigt die wesentlichen Merkmale eines MOST-Netzwerks: Bustopologie: Bus, Ring, Stern oder Kombination, Übertragungsmedium: Lichtwellenleiter oder Kupferleitung, maximale Anzahl der Steuergeräte je Netzwerk: 64, Architektur: Single Master oder Multiple Master, Plug-and-Play-Fähigkeit im Betrieb, synchroner Kanal für Audio und Videodaten (bis 24 MBit/s), asynchroner Kanal für Grafik (bis 14,4 MBit/s), asynchroner Kanal für Steuerdaten (bis 700 kBit/s). Einen Überblick über die MOST-Technologie bietet das Dokument mit der Bezeichnung „MOST Specification Framework“. Eine detaillierte Darstellung der Anwendung, des Netzwerks und der Hardware bietet die MOST-Specification [36], die zudem auf weitere Dokumente verweist. Viele dieser Dokumente stehen im Internet zum Download bereit. Ein Merkmal des MOST-Netzwerks ist seine flexible Topologie. Im einfachsten Fall kann ein MOSTNetzwerk aus zwei MOST-Devices bestehen, wobei das eine als Sender, das andere als Empfänger fungiert. Beispiele sind die unidirektionale Verbindung zwischen einem Audioverstärker und einem Lautsprecher oder einem DVD-Player und einem LCDMonitor. Sollen mehr als zwei MOST-Devices miteinander vernetzt werden, wird in der Regel ein Ring mit Lichtwellenleiter als Übertragungsmedium eingesetzt. Seit Juni 2003 arbeitet eine spezielle Gruppe mit der Bezeichnung ePHY innerhalb der MOST Cooperation an einem Physical Layer, der das Protokoll auf elektrische Leitungen umsetzt [34]. Hauptproblem der Datenkommunikation mit hohen Datenraten über elektrische Leitungen ist die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). Die MOST-Spezifikation lässt neben Bus und Ring auch Sterne und Kombinationen als Netzwerktopologien zu. Bild 4-52 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines MOST-Rings.
Bild 4-52: Prinzipieller Aufbau eines MOSTRings; ECU: Steuergerät
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme Ein MOST-Ring kann zwischen 2 und 64 MOSTDevices miteinander verbinden. Ein dafür bestimmtes MOST-Device fungiert als Gateway zum CAN-Bus. Die Diagnosekommunikation mit dem MOST-Ring erfolgt über dieses Gateway, das dabei die Funktion eines Diagnosemanagers übernimmt. Zudem besitzt jedes MOST-Device eine separate Diagnoseleitung, z.B. zur Ringbrucherkennung. 4.2.7.2.2 MOST-Devices Ein MOST-Device ist ein physikalisches Gerät, das über einen MOST-Transceiver an einen MOST-Ring angeschlossen werden kann. Jedes MOST-Device besitzt eine physikalische Adresse. Bild 4-53 zeigt den internen, logischen Aufbau eines MOST-Device. Es besteht aus Funktionsblöcken (Function Blocks): den Network Services, dem MOST Interface Controller und dem MOST Physical Interface. Im dargestellten Beispiel besitzt das MOST-Device die drei Funktionsblöcke NetBlock, AudioAmplifier und AM/FM Tuner. Die MOST Cooperation verwaltet einen Katalog (MOST Function Catalog), aus dem der Hersteller eines MOST-Device die Spezifikation der von ihm benötigten Funktionsblöcke entnehmen kann. Jeder Funktionsblock besteht aus einzelnen Funktionen. Beim Audio-Verstärker sind das zum Beispiel Funktionen zum Einstellen von Lautstärke, Bass, Höhen und Balance, beim CD-Player Start und Stop, beim Radio der Sendersuchlauf und die Anzeige des Senders. Um Funktionen, die sich in einem Funktionsblock befinden, auch einem anderen Funktionsblock zugänglich zu machen, gibt es Function Interfaces (FI). Ein Function Interface dient der logischen Verbindung zwischen den Funktionen der einzelnen Funktionsblöcke. Ein MOST-Device kann auch aus einer Kombination mehrerer Funktionsblöcke bestehen (z.B. Radio und Verstärker in einem Gehäuse). Unabhängig von
223 der eigentlichen Funktion benötigt jedes MOSTDevice einen Funktionsblock mit der Bezeichnung NetBlock. Dieser Funktionsblock fasst die Funktionen des Netzwerkmanagements zusammen, enthält aber auch gerätespezifische Informationen. Jedes MOST-Device wird einer der drei Gruppen Slaves, Human-Machine-Interfaces (HMI) oder Controller zugeordnet. MOST-Devices, die Funktionsblöcke beinhalten, mit denen andere Funktionsblöcke gesteuert werden können, heißen Controller. Die gesteuerten MOST-Devices werden als Slaves bezeichnet. MOST-Devices mit einer Schnittstelle zum Anwender werden als Human Machine Interfaces (HMI) bezeichnet. Identifier In einem MOST-Netzwerk hat jede Funktion (Fkt) und jeder Funktionsblock (FBlock) einen eindeutigen Namen (Identifier). Mit diesen Identifiern können Funktionen in einem Funktionsblock funktional adressiert werden. Die Identifier für Funktionsblöcke werden als FBlockID, die Identifier für Funktionen als FktID bezeichnet. Beispiele für Identifier von Funktionsblöcken sind 0x01h für den NetBlock oder 0x34h für den DVD Video Player. Der Identifier für Funktionen (FktID) ist 16 Bit lang. Von diesen 16 Bit können auf Anwendungsebene 12 Bit für die Adressierung von bis zu 4096 Funktionen je Funktionsblock verwendet werden. Ein MOST-Netzwerk kann MOST-Devices beinhalten, in denen sich Funktionsblöcke mit vergleichbarer Funktionalität und daher identischer FBlockID befinden. Um diese Funktionsblöcke dennoch voneinander unterscheiden zu können, wird die FBlockID um eine acht Bit lange Instance Identification Number (InstID) ergänzt. Mit der Kombination aus FBlockID und InstID kann jeder Funktionsblock funktional adressiert werden.
Bild 4-53: Logischer Aufbau eines MOSTDevice
224 Properties und Events Properties sind Funktionen, mit denen Eigenschaften eines MOST-Device ausgelesen oder geändert werden können. Properties in einem Audio-Verstärker sind zum Beispiel Lautstärke, Höhen, Bass und Balance. Properties können sich auch ändern, ohne dass ein Befehl dafür gegeben wurde (z.B. die Uhrzeit ändert sich oder das Bandende wird erreicht). Änderungen einer Property können anderen Funktionen über sogenannte Events mitgeteilt werden. Methods Methods werden zur Steuerung eines Funktionsblocks verwendet. Sie werden durch einen method call gestartet und führen nach einer festgelegten Zeit zu einem Ergebnis. Ein Beispiel ist das Starten des automatischen Sender-Suchlaufs im Radio mit dem Parameter „aufsteigend“ (oder „absteigend“) und dem Ergebnis, dass ein Radiosender eingestellt wird. Operations Zu jeder Funktion gehört ein Satz an Befehlen (Operations) mit der Bezeichnung OPType, die wiederum parametrisiert sein können. Die optionalen Parameter eines OPType werden als „Data“ bezeichnet. Dazu wird folgendes Beispiel betrachtet: Funktionsblock: AudioAmplifier (FBlockID 0x22h) Funktion:Volume (FktID 0x400h) OPType (Data): Increment (NSteps) OPType (Data): Decrement (NSteps) Dabei wird die Lautstärke (FktID 0x400) im AudioVerstärker (FBlockID 0x22h) über eine definierte Schrittweite (NSteps) erhöht oder verringert. Es gibt unterschiedliche OPTypes für Properties (z.B. Set oder Get) und Methods (z.B. Start oder Abort). Die Adressierung der MOST-Devices erfolgt über eine DeviceID. Die DeviceID ist 16 Bit lang und
4 Bordnetz und Vernetzung beinhaltet entweder die logische Adresse des Senders (TxAdr oder TxLog) oder die des Empfängers (RxAdr oder RxLog). Mit RxAdr kann auch eine Gruppe von MOST-Devices adressiert werden. Die DeviceID 0x03C8h wird zur Adressierung aller MOST-Devices verwendet (broadcasting). Falls der Sender die Adresse des Empfängers nicht kennt, wird die DeviceID auf 0xFFFFh gesetzt und anschließend durch die Network Services korrigiert. Mit den zuvor beschrieben Komponenten ergibt sich das Schema zur Adresssierung einer Funktion wie folgt: DeviceID . FBlockID . InstID . FktID . OPType . Length (data) Der Zusammenhang zwischen den logischen Adressen der Devices (RxLog oder TxLog), den logischen Adressen der Funktionsblöcke (FBlockID) und der Funktionen (FktID) wird vom Master in einer Registry verwaltet. Die Zuordnung der Adressen wird bei der Initialisierung ermittelt und bei jeder Störung oder Änderung (Plug and Play) überprüft und ggf. korrigiert. Zwischen den Funktionsblöcken und dem MOST Network Interface Controller befindet sich eine Zwischenschicht mit der Bezeichnung Network Services (Bild 4-53). Diese Zwischenschicht vereinfacht die Kommunikation mit dem MOST Network Interface Controller und beinhaltet ein API für die Anwendungsschicht. Die NetServices bilden das Verbindungsglied zwischen der physikalischen Kommunikation auf Netzwerkebene und der virtuellen Kommunikation auf der Anwendungsebene. Die Kommunikation auf Anwendungsebene ist virtuell, weil es hier keine Rolle spielt, in welchem MOST-Device sich die jeweils benötigte Funktion befindet. Die virtuelle und physikalische Kommunikation zwischen den Applikationen in zwei MOST-Devices zeigt Bild 4-54.
Bild 4-54: Virtuelle und physikalische Kommunikation in einem MOSTNetzwerk
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
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Bild 4-55: Aufbau eines MOST-Frames
4.2.7.2.3 MOST-Frames In einem MOST-Netzwerk besitzen alle MOSTDevices einen MOST Network Interface Controller und können über diesen als Master programmiert werden. Alle anderen Devices arbeiten als Slaves. Der Master übernimmt die Funktion eines TimingMasters: Die Datenkommunikation erfolgt in Blöcken, die durch den Timing-Master erzeugt und zyklisch in den Ring eingespeist werden. Die Slaves synchronisieren sich auf den Timing-Master. Jeder Block besteht aus 16 Frames, jedes Frame ist 512 Bit (64 Byte) lang. Bild 4-55 zeigt den Aufbau eines MOST-Frames. Es besteht aus einer Präambel für die Synchronisierung und einem Boundary Descriptor (Byte 1), dem synchronen Kanal und dem asynchronen Kanal für Daten (Byte 2 bis 60), dem Control Frame (Byte 61 und 62) und einem Byte für die Systemsteuerung (Byte 63). Das Datenfeld des MOST-Frames ist 60 Byte lang und in 15 Gruppen zu je 4 Byte (Quadlets) organisiert. Der Boundary Descriptor legt fest, wieviele Quadlets für den synchronen und den asynchronen Kanal zur Verfügung stehen. Der asynchrone Kanal darf maximal 36 Byte (9 Quadlets) lang sein. Ein Boundary Descriptor mit dem Wert 15 zeigt an, dass das gesamte Datenfeld für synchrone Daten reserviert ist. Der Wert des Boundary-Descriptors wird vom Network Interface Controller des Timing-Masters dynamisch verändert. Im synchronen Kanal werden hauptsächlich EchtzeitAudiodaten und komprimierte Videodaten übertragen. Dabei handelt es sich in der Regel um einen kontinuierlichen Datenstrom, wie er zum Beispiel von einem CD-Player zum Audioverstärker gesendet wird. Der synchrone Kanal kann das gesamte Datenfeld (60 Bytes, d.h. 15 Quadlets) eines Frames belegen. Das Zugriffsverfahren für Nachrichten im synchronen Kanal ist TDMA.
Der asynchrone Kanal wird verwendet, um Nachrichten-Pakete zu übertragen. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um einen kontinuierlichen Datenstrom, sondern um große Datenpakete (z.B. eine Landkarte von CD zum Display des Navigationssystems). Das Zugriffsverfahren im asynchronen Kanal ist CSMA, die Datenkonsistenz wird über CRC sichergestellt. Der Control-Kanal wird zur Steuerung von MOSTDevices verwendet, aber auch zur Übertragung von asynchronen Daten mit kleiner Blockgröße. Auch im Control-Kanal wird CSMA als Zugriffsverfahren verwendet. Es wird unterschieden zwischen Control Messages, die Anwendungen steuern und solchen, die systemweite Bedeutung haben. Eine Control Message ist 32 Byte lang. 4.2.7.2.4 Hardware Die Hardware eines MOST-Steuergerätes besteht aus einem (optischen) Interface, dem MOST-FunktionsBereich, dem Mikroprozessor mit Peripherie, der Anwendung und der Energieversorgung.
Bild 4-56: Steckverbinder für optische Übertragungsmedien
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Bild 4-57: Fiber Optical Transceiver
Das Übertragunsgmedium (hier ein Lichtwellenleiter) wird über einen optischen Stecker im Gerätegehäuse (Bild 4-56) an einen Fiber Optical Transceiver (FOT, Bild 4-57) angeschlossen, der seinerseits elektrisch mit dem MOST Network Interface Controller verbunden ist. Derzeit verfügbare MOST Network Interface Controller sind z.B. der OS8104 (NIC) oder der OS 81050 (INIC) von OASIS [37]. 4.2.7.3 IDB-1394 Im Oktober 1998 wurde von DaimlerChrysler, Ford, General Motors, Renault und Toyota die Automotive Multimedia Interface Cooperation (AMI-C) ins Leben gerufen [38]. Ziel war die Standardisierung eines Netzwerks für Multimedia-Komponenten im Fahrzeug. Das vom AMI-C spezifizierte Netzwerk mit der Bezeichnung ITS Data Bus-CAN (IDB-C) basiert auf CAN, besitzt mit 250 kBit/s für Audio- und Videodaten aber nicht genügend Bandbreite. Es kann zur Verbindung des Telefons mit dem PDA und dem
4 Bordnetz und Vernetzung Audio-System verwendet werden. ITS steht für Intelligent Transportation Systems, IDB für Intelligent Data Bus. Das Problem mit der Bandbreite soll IDB-1394 lösen. Die Entwicklung der IDB-1394-Technologie wird vom IDB-Forum [39] in Abstimmung mit der AMI-C und der 1394 Trade Association vorangetrieben. IDB1394 basiert auf dem vor allem in der ConsumerElektronik etablierten IEEE 1394 (genauer IEEE 1394b-2002), das in einer speziellen Version auch als Firewire oder i-link bekannt ist. Firewire wurde schon 1986 von Apple entwickelt. Die Spezifikationen des IDB-1394 besteht aus mehreren Teilen [40]. Teil 8 (IDB1394/8) spezifiert einen Consumer Convenience Port (CCP), an den Geräte aus dem Bereich der Consumer-Elektronik angeschlossen werden können. Das sind zum Beispiel MP3-Player, eine Playstation, digitale Fotoapparate oder Camcorder. Der CCP dient als Übersetzer zwischen IEEE 1394b und IDB-1394 und besitzt darüber hinaus Firewire-Funktionen zum Schutz des fahrzeuginternen Netzwerks. Bild 4-58 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Multimedia-Netzwerks mit IDB-1394-Technologie [24]. Die Topologie des IDB-1394 kann als Bus, Ring, Stern oder als Kombination daraus ausgeführt sein. Auch das Übertagungsmedium ist freigestellt. Die maximale Anzahl der Steuergeräte je Netzwerk ist 63 (einschließlich CCP). Im Vergleich zum MOST ist der IDB-1394 zwar für höhere Brutto-Datenraten spezifiziert, doch besitzt der MOST eine deutlich bessere Effizienz: Während die Datenkommunikation beim MOST über Lichtwellenleiter mit einer Brutto-Datenrate von 25 MBit/s eine Netto-Datenrate von 23 MBit/s erlaubt, erreicht der IEEE 1394 auch bei 200 MBit/s über Lichtwellenleiter nur eine Netto-Datenrate von 33 MBit/s.
Bild 4-58: Vernetzung im Fahrzeug mit dem IDB-1394
4.2 Bussysteme, Vernetzungen, verteilte Systeme
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Bild 4-59: Beispiel für eine Netzwerktopologie mit dezentralen Gateways
4.2.8 Gateway-Strategien Ein einzelnes, fahrzeugweites Netzwerk, das allen Anforderungen hinsichtlich Datenrate, Determinismus, Fehlertoleranz und vor allem Kosten gerecht wird, ist zumindest mit den heute bekannten Technologien nicht realisierbar. Die beschriebenen Technologien für die Datenkommunikation zwischen Steuergeräten in Fahrzeugen sind in Abhängigkeit von Ihren Eigenschaften jeweils nur für bestimmte Anwendungen geeignet. So dient der CAN-B zum Beispiel der Vernetzung von Steuergeräten im Innenraum, während der CAN-C die Steuergeräte des Antriebs miteinander verbindet. Der LIN bildet ein Subbus-System jeweils unter der CANBusebene. FlexRay und TTP sind prädestiniert für sicherheitsrelevante Anwendungen und MOST sowie IDB für Multimedia. Jedes Netzwerk bildet einen eigenen Vernetzungsbereich. Die Benennung der Vernetzungsbereiche und die Zuordnung von Funktionen zu einem Vernetzungsbereich sind nicht einheitlich geregelt. Beispiele für
Vernetzungsbereiche sind Antrieb (Motor, Getriebe, Fahrwerk, Bremssystem), Karosserie-Elektronik (Klimaanlage, Zentralverriegelung, Innenraumlicht, Sitzverstellung, Spiegelverstellung), Infotainment (Radio, Telefon), Sicherheitssysteme (Gurtstraffer, Airbags) und Fahrerassistenzsysteme (Einparkhilfe, Abstandsregelung). Aufgabe des Fahrzeugentwicklers ist die Integration von miteinander kommunizierenden Funktionen. Ein Problem besteht darin, dass einzelne Steuergeräte von verschiedenen Zulieferern entwickelt werden. Neben der fehlerfreien Kopplung der Netzwerke und Bussysteme auf physikalischer Ebene muss ein Funktionsnetz erstellt werden. In jedem Funktionsbereich können Informationen zur Verfügung stehen, die von Funktionen in anderen Funktionsbereichen benötigt werden. Um diese Informationen im Fahrzeug nicht mehrfach erfassen oder ermitteln zu müssen, ist Datenkommunikation zwischen den Funktionsbereichen erforderlich.
Bild 4-60: Beispiel für eine Netzwerktopologie mit einem zentralen Gateway
228 Für die Offboard-Kommunikation in der Produktion und im Servicefall müssen alle Komponenten über den zentralen Diagnosestecker erreichbar sein. Zudem macht die Notwendigkeit, komplexe Funktionen auf unterschiedliche Steuergeräte und mitunter auch unterschiedliche Funktionsbereiche zu verteilen, vor den Grenzen einzelner Bussysteme und Netzwerke nicht halt. Aus diesen und anderen Gründen werden die Bussysteme und Netzwerke im Fahrzeug physikalisch und logisch über Gateways miteinander verbunden. Gateways stellen Daten netzwerkübergreifend im gesamten Fahrzeug zur Verfügung. Die Gateway-Funktion kann in ein eigens dafür entwickeltes Steuergerät integriert werden, oder ein bereits vorhandenes Steuergerät übernimmt die Gatway-Funktion zusätzlich. Beim LIN übernimmt beispielsweise der LIN-Master gleichzeitig die Funktion eines CAN-LIN-Gateways. Grundsätzlich ist es möglich, jeweils zwischen zwei Vernetzungsbereichen ein dezentrales Gateway einzusetzen. Bild 4-59 zeigt beispielhaft eine Netztopologie mit dezentralen Gateways. Im dargestellten Beispiel übernimmt das Kombi-Instrument zudem die Aufgabe eines Gateways für die Offboard-Kommunikaton. Das Kombi-Instrument leitet Diagnosebefehle an die physikalisch oder funktional adressierten Steuergeräte weiter. Eine andere Strategie ist der Einsatz eines zentralen Gateways für alle Netzwerke, wie es in Bild 4-60 beispielhaft dargestellt ist. Im dargestellten Beispiel (abgeleitet vom Netzwerk des Golf V) wird der MOST nicht verwendet. Zwei vorhandene LINSubbusse sind aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt. Literatur zu Abschnitt 4.2 [1] Klußmann, Niels: Lexikon der Kommunikations- und Informationstechnik, Hüthig, 2001 [2] Internet: http://www.sae.org [3] Grzemba, von der Wense: LIN-Bus, Franzis-Verlag 2005, ISBN 3-7723-4009-1 [4] ISO 15031-3 (2004) Road vehicles – Communication between vehicle and external test equipment for emissionsrelated diagnostics – Part 3: Diagnostic connector and related electrical circuits, specification and use [5] ISO 9141-2 (1994) Road vehicles – Diagnostic systems – Part 2: CARB requirements for interchange of digital information [6] SAE J1850 – Class B Data Communications Network Interface [7] SAE J2178 – Class B Data Communication Network Messages [8] SAE J1979 – E/E Diagnostic Test Modes [9] SAE J2190 – Enhanced E/E Diagnostic Test Modes [10] SAE J2012 – Diagnostic Codes/Messages [11] ISO 11519 Road Vehicles – Low-speed serial data communication [12] ISO 15031 Road Vehicles – Communication between vehicle and external equipment for emissions-related diagnostics [13] Philips Datasheet: SAE/J1850/VPW transceiver (Juni 2001)
4 Bordnetz und Vernetzung [14] Konrad Etschberger: Controller-Area-Network (Grundlagen, Protokolle, Bausteine, Anwendungen), Hanser-Verlag, ISBN 3-446-21776-2 [15] Internet: http://www.cia.org [16] ISO 11898 – Road Vehicles – Controller Area Network; ISO 11898-1:2003 – Data link layer and physical signalling; ISO 11898-2:2003 – High speed medium access unit; ISO/DIS 11898-3 – Low-speed, fault-tolerant, medium dependent interface; ISO 11898-4: 2004 – Time-triggered communication; ISO/AWI 11898-5 – High-speed medium access unit with low-power mode [17] ISO 15765 Diagnostics on Controller Area Network (CAN) [18] SAE J1939 Recommended Practice for Truck and Bus Control and Communications Network [19] Philips Data Sheet TJA 1054: Fault-tolerant CAN transceiver [20] General Motors GMW 3089: SWC Physical Layer Specification [21] CiA, CAN Newsletter 2/2001 (Seite 12) – Time-triggered CAN [22] Internet: http://www.lin-subbus.org [23] Elektronik Automotive Ausgabe 5/2003, WEKA Verlag [24] J.Zipperer (Texas Instruments): IDB1394 Implementation and Toolkits to start with Euroforum-Konferenz 3.2005, Heidelberg; IDB1394/1 IEEE 1394b automotive; IDB1394/2 Automotive message Set; IDB1394/3 System & Interoperability Layer; IDB1394/4 PHY & header for wake on LAN; IDB1394/5 Audi-video streaming and control profiles; IDB1394/6 Graphical Display profiles; IDB1394/7 System Power Management; IDB1394/8 CCP [25] Elektronik Automotive 1/2004, Seite 36 ff., LIN-Bus – Die Technologie, Teil 4: Hardware- Transceiver und Controller [26] Internet: http://www.byteflight.com [27] Internet: http://www.flexray.com [28] FlexRay Communications System – Bus Guardian Specification, Version 2.0 (30. Juni 2004) [29] FlexRay Communications System – Electrical Physical Layer Specification, Version 2.0 (30. Juni 2004) [30] FlexRay Communications System – Protocol Specification, Version 2.0 (30.Juni 2004) [31] Internet: http://www.ttagroup.org [32] Das zeitgesteuerte Protokoll TTP, Automotive Electronics II/2002, Seite 63, Sonderausgabe von ATZ und MTZ, Vieweg-Verlag [33] Internet: http://www.mostcooperation.com [34] The Hansen Report on Automotive Electronics: Carmakers Seek Copper Alternative to Fiber-Optic MOST, Vol 16, No. 8 (2003), http://www.hansenreport.com [35] Harald Schöpp: MOST – Die zweite Generation, 3. Euroforum-Konferenz, Heidelberg [36] MOST Specification Framework Rev 1.1; MOST Specification Rev 2.3 (08/2004); MOST Dynamic Specification Rev.1.0 (12/2003); MAMAC Specifications (Asynchronous Medium Access Specification) Rev 1.1 (12/2003); MOST Core Compliance Test Specification Rev 1.1 (06/2004); MOST FunctionBlock AudioAmplifier Rev 2.4.2 (09/2003); MOST FunctionBlock AudioDiskPlayer Rev 2.4 (09/2003); MOST FunctionBlock ConnectionMaster Rev 2.3.3 (09/2003); MOST FunctionBlock EnhancedTestability Rev 2.4 (06/2004); MOST FunctionBlock NetBlock Rev 2.3.3 (09/2003); MOST FunctionBlock NetworkMaster Rev 2.3.2 (09/2003) [37] Internet: http://www.oasis.de [38] The Hansen Report on Automotive Electronics, November 2000 [39] Internet: http://www.idbforum.org
4.3 Fahrzeuggeneratoren
4.3 Fahrzeuggeneratoren 4.3.1 Einleitung Fahrzeuggeneratoren haben die Aufgabe, das Bordnetz mit elektrischer Energie zu versorgen, sobald der Verbrennungsmotor gestartet wurde. Zu dieser Versorgung gehört auch das Aufladen der Batterien. Gemeinsam ist allen Generatoren außerdem, dass sie mit Hilfe eines Magnetfeldes die zugeführte mechanische Energie in elektrische Energie umwandeln und dass sie ihre Ausgangsspannung in engen Grenzen nahezu konstant halten sollten. Herkömmlich ist der Generator im Zusammenspiel mit seinem externen oder integrierten Regler ein eigenständiges Regelsystem. Der laufend steigende elektrische Energieumsatz in den Fahrzeugen verlangt inzwischen für den elektrischen Bereich ein gut konzeptioniertes und gut funktionierendes Energiemanagement. Betroffen sind hiervon insbesondere der Motorleerlauf wegen der relativ hohen Drehmomentaufnahme des Generators, die sicherheitsrelevanten Situationen einer Fahrt und der plötzliche Lastwechsel. Ausführlich wird dieses Thema in Abschnitt 4.6 behandelt. Physikalisch gesehen müssen Fahrzeuggeneratoren die Grundformel U = dI / dt umsetzen, wobei U die Spannung an der betrachteten Spule und I der von der Spule umfasste Fluss ist (je nach Wahl der Zählrichtung von U und I ist ein Plus- oder ein Minuszechen vor dI / dt zu setzen). Alle Generatoren realisieren die geforderte Flussänderung mit Hilfe einer Drehbewegung. Diese Drehbewegung wird vom Träger des Erregerfeldes ausgeführt. Ein steuerbarer Elektromagnet stellt das erforderliche Magnetfeld zur Verfügung. Lediglich für Generatoren mancher Motorräder verwendet man Dauermagnete als Erregermagnete. Weil sich die erforderlichen Magnetfeldänderungen periodisch wiederholen, erzeugen alle Generatoren zwangsläufig Wechselspannungen, die zur Versorgung des Bordnetzes und der Batterie gleichgerichtet werden müssen. Alle Generatoren sind als Drehstromgeneratoren konzipiert. Das bedeutet, ein Erregerpolpaar induziert in drei verschiedenen Ankerspulen jeweils eine Wechselspannung. Die Drehzahl der Fahrzeuggeneratoren ist in einem festen Übersetzungsverhältnis an die Motordrehzahl gekoppelt. Um zu verhindern, dass sich die ständig ändernde Drehgeschwindigkeit und die schwankende Leistungsabgabe auf die Spannungshöhe auswirken, muss ein Spannungsregler über den Erregerstrom den Magnetfluss anpassen. Der erforderliche lastabhängige thermische Überlastschutz lässt sich bei Klauenpolgeneratoren über die Auslegung des Magnetkreises konstruktiv berücksichtigen. Für Motorradgeneratoren mit Permanenterregung setzt man eine spezielle Rege-
229 lungstechnik ein. Hierauf wird im Abschnitt 4.3.11 näher eingegangen. Jedes Generatorsystem setzt sich aus einem Bauteil als Träger des Erregerfeldes, einer Drehstromwicklung mit Blechpaket, einer Drehstromgleichrichtung und einer Regeleinrichtung zur Spannungsanpassung zusammen.
4.3.2 Aufbau eines Klauenpolgenerators Alle Pkw-, die meisten Nfz- und inzwischen auch immer mehr Motorradgeneratoren sind als Klauenpolgeneratoren ausgeführt. Aufbau und Ausformung des Polrades legen diese Bezeichnung nahe (siehe Bild 4-61).
Bild 4-61: Klauenpolläufer mit Schleifkohlen: 1 Schleifkohlen, 2 Kohlenhalter, 3 Klauenpolhälfte A, z.B. Nordpol, 4 Klauenpolhälfte B, z.B. Südpol, 5 Erregerwicklung, 6 Schleifringe; die Symmetrieachse der Erregerwicklung fällt mit der Drehachse zusammen.
Die Stirnflächen der stromdurchflossenen Erregerwicklung sind deren Magnetpole. Die beiden Klauenpolhälften verstärken das Erregermagnetfeld und führen es in das Statorblechpaket und nehmen es von diesem wieder auf. Die Polzahl eines Generators ist ein Kompromiss. Je höher die Polzahl gewählt wird, um so höher ist einerseits die Volumenleistung, andererseits steigen mit der Polzahl die Verluste durch magnetische Streuung. Die weitaus meisten Klauenpolgeneratoren sind 12polig ausgelegt, d.h., sie besitzen 6 Polpaare. Klauenpolgeneratoren für hohe Stromabgaben und mit entsprechend großem Durchmesser gibt es auch in 16poliger Bauweise. Das Statorblechpaket mit Statorwicklung und das Erregerpolrad müssen elektromagnetisch und geometrisch aufeinander abgestimmt sein.
230
4 Bordnetz und Vernetzung 4 3 2 1
7 nach Nute 10 usw. Beim 12poligen Generator mit 36 Nuten endet dieser Strang in Nute 34. Dem Abstand A in der Abwicklung entspricht beim 12poligen Generator in der Realität ein Polraddrehwinkel von 360° / 6 (Polpaare) = 60° (pro Polpaar). Deshalb wiederholen sich nach jeweils 60° Drehwinkel die Ummagnetisierungsperioden. Der zweite Strang (V) der ersten Drehstromwicklung beginnt nach 1/3 von 60°, also nach 20°. Somit verläuft Strang V der ersten Drehstromwicklung von Nute 3 nach Nute 6. Der in Reihe geschaltete Strang V der zweiten Drehstromwicklung verläuft von Nute 9 nach Nute 12 usw. Er endet beim 12poligen Generator in Nute 36.
Bild 4-62: Statorblechpaket mit Drehstromwicklung:
1 Statorblechpaket, 2 ein Strang der Drehstromwicklung, 3 Enden der drei Stränge, 4 Anfänge der drei Stränge Eine Drehstromwicklung setzt sich aus drei Einzelspulen zusammen. Eine Einzelspule heißt Strang. Strang 1 ist die Bezeichnung U, Strang 2 die Bezeichnung V und Strang 3 die Bezeichnung W zugeordnet. Das Statorblechpaket eines 12poligen Generators hat 36 Nuten, für jedes Polpaar sechs. Die Wicklungen sind in der Regel als Wellenwicklung ausgelegt. Der Generator verfügt somit über 6 einzelne Drehstromwicklungen, deren Stränge auf Grund der Wicklungsart zwangsläufig in Reihe geschaltet sind. In den Bildern 4-63 bis 4-65 ist die Abwicklung des Statorblechpaketes dargestellt und der Übersicht wegen auf 18 Nuten begrenzt. Die jeweils eingezeichnete Wicklung verdeutlicht den Begriff Wellenwicklung.
Bild 4-63: Wellenwicklung des Stranges U: 1 Zahn des Statorblechpaketes, 2 Nute im Statorblechpaket, A Bereich der ersten Drehstromwicklung, U1 Anfang des ersten Stranges U, U2 Ende des ersten Stranges U
Strang U der ersten Drehstromwicklung verläuft von Nute 1 nach Nute 4. Der in Reihe geschaltete Strang U der zweiten Drehstromwicklung verläuft von Nute
Bild 4-64: Wellenwicklung des Stranges V: B entspricht beim 12poligen Generator 20° Polraddrehwinkel, V1 Anfang des Stranges V, V2 Ende des Stranges V
Der dritte Strang (W) der ersten Drehstromwicklung beginnt nach 2/3 von 60°, also nach 40°. Somit verläuft Strang W der ersten Drehstromwicklung von Nute 5 nach Nute 8. Der in Reihe geschaltete Strang W der zweiten Drehstromwicklung verläuft von Nute 11 nach Nute 14 usw. Dieser Strang endet beim 12poligen Generator in Nute 2.
Bild 4-65: Wellenwicklung des Stranges W: C entspricht beim 12poligen Generator 40° Polraddrehwinkel, W1 Anfang des Stranges W, W2 Ende des Stranges W
Bild 4-66 zeigt die vollständige Drehstromwicklung und das zugehörende Polrad (der Übersicht wegen auf 18 Nuten beschränkt). Auf drei der sechs in Reihe geschalteten Drehstromwicklungen entfallen drei Polpaare des Polrades.
4.3 Fahrzeuggeneratoren
231
Bild 4-67: Verlauf der Erregerfeldes: 1 Luftspalt zwischen Polrad und Ständerblechpaket, 2 relativ großer Abstand zwischen den Klauen des Polrades, 3 Verlauf des Erregerfeldes durch die Zähne des Ständerblechpaketes, N Nordpolklauen des Polrades, S Südpolklaue des Polrades
Bild 4-66: Vollständige Drehstromwicklung als Wellenwicklung: 1 Klauenpolhälfte als magnetischer Nordpol, 2 Läuferwicklung, radial um die Achse gewickelt, 3 Läuferachse, 4 Klauenpolhälfte als magnetischer Südpol, U1, U2, V1, V2, W1, W2 Stranganschlüsse
Der Strang einer Drehstromwicklung hat etwa zwischen 10 und 30 Windungen. Das bedeutet, bei der Herstellung werden 10 bis 30 Einzelwellenwicklungen unterbrechungsfrei hintereinander eingelegt. Erst das Ende der letzten Windung bildet den Anschluss U2, V2 oder W2. Insgesamt sind Windungszahl, Bordspannungshöhe (14 V, 28 V) und Art der Strangverkettungen (Stern- oder Dreieckschaltung), die maximale Stromabgabe und der Leiterquerschnitt, die Länge des Statorblechpaketes und der Generatordurchmesser (Leistungsabgabe) sowie der Drehzahlbereich aufeinander abgestimmt. Der Strom, der in der Erregerwicklung fließt, heißt Erregerstrom. Er erzeugt den zur Spannungserzeugung erforderlichen Magnetfluss. Dieser verlässt über die Nordpolklauen das Polrad und wird von den gegenüberliegenden Zähnen des Ständerblechpaketes aufgenommen und so durch die Ständerspulen geführt (siehe Bild 4-67). Durch die Blechpaketzähne, denen Südpolklauen des Polrades gegenüberliegen, verlässt der Magnetfluss wieder das Ständerblechpaket und gelangt zurück in die Erregerwicklung. Um einen großen Magnetfluss und damit einen hohen Wirkungsgrad zu erreichen, wird der Luftspalt (1) zwischen Polrad und Statorblechpaket möglichst klein gehalten. Zwischen den Klauen des Polrades dagegen ist der Luftspalt (2) relativ groß, um den magnetischen Streufluss zwischen den Klauenpolen auf ein Minimum zu reduzieren.
Der grundsätzliche Aufbau eines herkömmlichen Drehstromgenerators ist zwar bis heute im Wesentlichen unverändert, aber vielfältige technische Verbesserungen und Optimierungen spielen bei der Konzipierung des Pflichtenheftes neuer Generatorversionen eine wichtige Rolle. Zu diesen Verbesserungen gehören die Erhöhung der Ausgangsleistung im unteren Drehzahlbereich, die Reduzierung der Laufgeräusche (Luftkühlung oder Wasserkühlung) und der magnetisch verursachten Geräusche, die mechanische Stabilität (Schwingungsfestigkeit), das Leistungsvolumen und das Leistungsgewicht, der Wirkungsgrad, die Zahl der angestrebten wartungsfreien Betriebsstunden, die Wärmeableitung, die Variabilität bezüglich der Komponentenzusammenstellung (Wicklungen, Dioden, Regler, eventuell Baukastenprinzip) und die Anpassung der Generatorelektronik an weitere Bordnetzparameter.
Bild 4-68: Compact-Generator: 1 Gehäuse, 2 Drehstromwicklung, 3 Statorblechpaket, 4 Polrad, 5 Erregerwicklung, 6 Lüfter, 7 elektronischer Spannungsregler, 8 Kohlenhalter, 9 Schleifringe, 10 Gleichrichterdiode
232 Moderne Klauenpolgeneratoren werden wegen ihres günstigen Leistungsvolumens (siehe Bild 4-68) häufig Compact-Generator genannt. Ihre Unterschiedsmerkmale gegenüber der herkömmlichen Bauweise sind zwei kleinere, geräuscharme Lüfter, kleinere Schleifringdurchmesser, die eine höhere Maximaldrehzahl zulassen (bis 22000/min) und längere Wartungsintervalle.
4 Bordnetz und Vernetzung wählt werden. Es sind somit große Leistungen bei relativ kleinem Generatordurchmesser möglich.
4.3.3 Generatorbauart-Varianten Die „Schwachstelle“ Schleifkontakt wird umgangen, indem eine Konstruktion gewählt wird, bei der nur die Klauenpole rotieren (Leitstückläufer) und die Erregerwicklung stillsteht. Dadurch besitzt die Erregerwicklung nur feste Anschlüsse. Solche schleifringläuferlosen Generatoren sind in hohem Maße wartungsfrei und somit beispielsweise für den Einsatz in Baumaschinen mit hoher Betriebsstundenzahl und in Nutzfahrzeugen für Langstreckeneinsatz besonderes geeignet. Ein Generator ist zwei Wärmequellen ausgesetzt. Zum einen produziert er viel Eigenwärme und zum anderen strahlt der Verbrennungsmotor große Wärmemengen ab, die auf den Generator einwirken können. Deshalb muss der Kühlung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Während bei kleineren Generatoren ein Lüfterrad genügt, das meist an der Antriebsriemenscheibe angebracht ist, kann bei größeren die Generatorwelle häufig beidseitig mit Lüfterrädern versehen sein. Um das Fahrzeuginnengeräusch leistungsstarker Generatoren der gehobenen Mittelklasse und der Oberklasse wirksam zu senken, wird die Luftkühlung mit zwangsläufigen Lüftergeräuschen durch eine Flüssigkeitskühlung ersetzt. Die Flüssigkeitskühlung ist am Kühlmittelkreislauf des Motors angeschlossen. Dabei schlecht zu kühlende Schleifkontakte (Kohlen und Schleifringe) müssen entfallen. Generatoren sehr großer Leistungen, z.B. Generatoren für Komfortreisebusse, können als Doppelgenerator gebaut sein. Ein Doppelgenerator besteht aus zwei Statoren und zwei Klauenpolläufern auf der Generatorwelle. Die Stränge der beiden Drehstromwicklungen sind parallel geschaltet, die Erregerspulen ebenfalls. Meist taktet eine Reglerendstufe beide Erregerspulen gemeinsam. Jeder Strang hat beispielsweise drei Plus- und drei Minusdioden (siehe Abschnitt 4.3.5). Eine herkömmliche Variante für große 24-VGeneratoren ist eine Maschine mit Einzelpolen. Während ein Klauenpolläufer für alle Polklauen eine gemeinsame Erregerwicklung besitzt, hat beim Einzelpolläufer jeder einzelne Läuferpol seine eigene Wicklung (siehe Bild 4-69). Dadurch erreicht man ein homogeneres Erregerfeld und das Verhältnis Läuferlänge zu Läuferdurchmesser kann größer ge-
Bild 4-69: Polrad eines Einzelpolläufers: 1 einzelner Läuferpol, 2 Wicklung eines Einzelpols, 3 Drehachse
Motorräder haben einen weitaus geringeren Bedarf an elektrischer Energie als Autos. Aus der Tradition heraus werden bis heute in Motorrädern noch häufig Schwungmagnetgeneratoren für die Umwandlung der mechanischen Energie in elektrische verbaut. Allerdings sind die klassischen Klauenpolgeneratoren auch in diesen Fahrzeugen auf dem Vormarsch. Die Schwungmagnetgeneratoren sind Einzelspulengeneratoren. Die innenliegende Grundplatte ist Träger der Einzelspulen.
Bild 4-70: Grundplatte eines Schwungmagnetgenerators mit 18 Einzelspulen
4.3 Fahrzeuggeneratoren Achtzehn Einzelspulen, wie in Bild 4-70 dargestellt, besagen, dass es sich um eine 12polige Drehstromwicklung handelt, denn auf jeden der drei Stränge entfallen sechs Einzelspulen. Jeweils drei nebeneinander angeordnete Einzelspulen bilden eine Drehstromwicklung. Die gleichnamigen Stränge einer Drehstromwicklung sind miteinander verschaltet. Die Drehstromwicklungen können zur Stern- oder zur Dreieckschaltung verkettet sein. Die Dauermagnete des rotierenden Außenpolrades (siehe Bild 4-71) stellen ein konstantes Erregerfeld zur Verfügung. Bei den heutigen Bauweisen sind die zwölf Dauermagnete des Polrades von außen nicht mehr zu erkennen.
233
Bild 4-72: Spannungsverlauf in allen Spulen des Stranges U
Bild 4-73: Spannungsverlauf in allen Spulen des Stranges V
Bild 4-71: Außenpolrad, gleichzeitig auch Schwungrad
4.3.4 Dreiphasenwechselspannung Sinusförmige Dreiphasenspannung Das rotierende Polrad erzeugt in jedem Strang eine eigene Wechselspannung. Die gleichmäßige räumliche Versetzung der drei Stränge hat eine gleichmäßige zeitliche Versetzung der drei Strangspannungen zur Folge. Der Einfachheit halber legen die folgenden Erläuterungen einen sinusförmigen Spannungsverlauf zu Grunde. Meist sind die drei Wechselspannungen jedoch stark von Oberwellen mit lastabhängigen Frequenzen und Amplituden überlagert. Bild 4-72 zeigt den zeitlichen Verlauf der im Strang U erzeugten Wechselspannung UU. Die im Strang V erzeugte Wechselspannung UV ist gegenüber UU auf Grund der räumlichen Versetzung der Strangspulen zeitlich um Z t = 120° nacheilend (siehe Bild 4-73).
Bild 4-74: Spannungsverlauf in allen Spulen des Stranges W
Die Wechselspannung UW im Strang W ist gegenüber UU auf Grund der räumlichen Versetzung der Strangspulen zeitlich um Z t = 240° nacheilend. Wenn alle drei phasenverschobenen Strangspannungen in einem Diagramm dargestellt werden, spricht man vom Drehstromdiagramm, auch wenn Spannungen und keine Ströme dargestellt werden.
234
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-75: Drehstromdiagramm: Darstellung aller drei Wechselspannungen in einem gemeinsamen Diagramm
Wie Bild 4-75 zeigt, haben nach jeweils 45° zwei Spannungen den gleichen Momentanwert. Unabhängig davon, welchen mechanischen Drehwinkel der Rotor des Generators ausführt, um eine Wechselspannungsperiode zu erzeugen, werden einer Sinusperiode 360° zugeordnet. Der oben dargestellte Spannungsabschnitt entspricht in einem 12poligen Drehstromgenerator 60° Rotordrehung und wiederholt sich innerhalb einer vollständigen Umdrehung sechs mal. Verkettung der drei Strangspannungen Drei Stränge haben sechs Anschlüsse. Diese müssen im Zusammenhang mit der Gleichrichtung so verschaltet werden, dass gleichstromseitig zwei Anschlüsse übrig bleiben, nämlich ein Plus- und ein Minusanschluss. Je nach Verschaltung der drei Stränge spricht man von der Stern- oder von der Dreieckschaltung. Bei der zeichnerischen Anordnung der drei Stränge wird dabei häufig auf die zeitliche gleichmäßige Versetzung der drei Strangspannungen zurückgegriffen. Die Zuordnung von Strang- und Anschlussbezeichnung bleibt unabhängig von der Schaltungsart erhalten (siehe Tabelle 4-6). Tabelle 4-6: Anschlussbezeichnungen der drei Stränge Spulenanschluss
Anschlussbezeichnungen Strang U
Strang V
Strang W
Anfang
U1
V1
W1
Ende
U2
V2
W2
Bei der Sternschaltung sind die drei Enden der Stränge miteinander verbunden (Bild 4-76). Der gemeinsame Anschluss heißt Sternpunkt oder Mittelpunkt (MP). Zwischen den wegführenden Leitungen (L1, L2, L3) sind die Leiterspannungen messbar.
Bild 4-76: Vereinfachte Darstellung einer Sternschaltung: U, V, W Stränge der Drehstromwicklung; L1, L2, L3 Leiter, die von den drei Strängen wegführen; MP Sternpunkt oder Mittelpunkt
Bei der Dreieckschaltung ist das Ende des ersten Stranges mit dem Anfang des zweiten verbunden (Bild 4-77). Das Ende des zweiten Stranges mit dem Anfang des dritten und das Ende des dritten Stranges wieder mit dem Anfang des ersten.
Bild 4-77: Vereinfachte Darstellung einer Dreieckschaltung: U, V, W Stränge der Drehstromwicklung; L1, L2, L3 Leiter, die von den drei Strängen wegführen
Vergleichend gilt: Bei der Sternschaltung erhöht sich durch die Verkettung der Stränge die Leiterspannung gegenüber der Strangspannung um den Faktor 3 (Effektivwerte). Bei der Dreieckschaltung erhöht sich der Leiterstrom gegenüber dem Strangstrom um diesen Faktor.
4.3.5 Gleichrichtung der Dreiphasenwechselspannung Sechspuls-Gleichrichtung Unter der Voraussetzung, dass die drei Strangspannungen Sinusform haben, verlaufen auch die drei Wechselspannungen sinusförmig, die zwischen den drei Leitern (L1, L2 und L3) messbar sind. Diese Leiterspannungen sind allerdings gegenüber den Strangspannungen phasenverschoben. Diese Phasenverschiebung hat jedoch auf die Qualität der gleichgerichteten Spannung keinen Einfluss. Für die Gleichrichtung der drei Leiterspannungen wird die Sechspuls-Gleichrichterschaltung angewandt
4.3 Fahrzeuggeneratoren (siehe Bild 4-78). Der mit einem Pluszeichen markierte Ausgang entspricht beim Drehstromgenerator dem Anschluss B+, der mit dem Minuszeichnen markierte dem Anschluss B-, häufig auch mit Gbezeichnet. Dieser Minusanschluss ist mit dem Generatorgehäuse verbunden oder hat eine zusätzliche leitende Verbindung (kleines Masseband) zum Motorblock. Damit ist der Generator-Minusanschluss mit der Fahrzeugkarosserie elektrisch verbunden, die deshalb als Rückleitung zwischen Verbraucher und Generator dienen kann. Hier können allerdings 28-VNfz eine Ausnahme bilden, weil diese Fahrzeuge seltener die Karosserie als Rückleitung benutzen. Für die Minusseite der Stromkreise verwenden diese Fahrzeuge eine isolierte Leitung, deren Querschnitt an die Stromstärken der jeweiligen Verbraucher angepasst ist. Der Starterhauptstromkreis ist bei2 spielsweise mit 70 mm Querschnitt nicht nur für die Plus-, sondern auch für die Minusleitung ausgestattet.
235
Bild 4-79: Sechspuls-Gleichrichterschaltung mit zwölf Dioden: V1...V6 Diodenpaare
Bild 4-80: Sechspuls-Gleichrichtung mit zwölf Z-Dioden
Bild 4-78: Sechspuls-Gleichrichterschaltung: L1, L2, L3 Verbindungsleitungen zur Drehstromwicklung; V1, V2, V3 Diodengruppe plusseitig (Plusdioden); V4, V5, V6 Diodengruppe minusseitig (Minusdioden)
Mit zunehmender Erhöhung der Generatorleistung steigen auch die Ansprüche an die thermische Belastbarkeit der eingebauten Gleichrichterdioden. Wenn beispielsweise die Durchlassspannung einer hoch belasteten Generatordiode bei 1,5 V liegt und der Generator 150 A abgibt, dann liegt die Verlustwärmeleistung PV der kompletten Gleichrichtung bei PV = 2 UV I = 450 W. Diese Wärmeleistung muss sicher an die Umgebung abgeleitet werden. Bekanntlich sind die Stückzahl, die Entwicklungskosten und die Erstellung neuer Fertigungsteile ein ausschlaggebender Faktor bei der Preisgestaltung eines Produkts. Deshalb ist es bei leistungsstarken Generatoren ökonomischer, zwei bewährte, kleinere Dioden parallel zu schalten, als größere neu zu entwickeln und in kleineren Stückzahlen zu produzieren. Entsprechend besteht eine Sechspuls-Gleichrichterschaltung häufig aus zwölf Dioden (siehe Bild 4-79). Die Weiterentwicklung von preisgünstigen Z-Dioden brachte es mit sich, dass zum Überspannungsschutz in der Sechspuls-Gleichrichtung diese Diodenart Standard wurde (siehe Bild 4-80).
Ausgangsspannung einer Sechspuls-Gleichrichtung Die Dioden einer Sechspuls-Gleichrichterschaltung bewirken, dass nur der Leiter Strom in die Plusleitung speisen kann, dessen Potential gerade am positivsten ist und nur der Leiter Strom aufnehmen kann, dessen Potential gerade am negativsten ist. Für die Herleitung der Höhe der Gleichrichter-Ausgangsspannung werden die folgenden Vereinfachungen und Vereinbarungen getroffen: die Strangspannung hat tatsächlich sinusförmigen Verlauf, die Stränge sind als Stern geschaltet, die Amplitude der Strangspannung beträgt 10 V, der Spannungsfall in den Dioden wird vernachlässigt, es ist keine Batterie angeschlossen, die glättend wirkt und der Spannungsregler akzeptiert die Spannungsschwankung, ohne korrigierend einzugreifen. Mit Hilfe des Drehstromdiagrammes nach Bild 4-81 sind die folgenden Zusammenhänge ableitbar: Bei Zt = 0° ist der Momentanwert für UW = 10 V 3 / 2 = 8,666 V und der Momentanwert für UV = –8,666 V, so dass Umax = 17,333 V beträgt. Bei Z t = 30° ist der Momentanwert für UW = UU = 10 V/2 = 5,0 V und für UV = –10,0 V, so dass Umin = 15,0 V beträgt.
236
Bild 4-81: Drehstromdiagramm
Die Ausgangsspannung eines Drehstromgenerators mit sinusförmiger Strangspannung und SechspulsGleichrichtung ist somit eine Mischspannung, die pro Wechselspannungsperiode sechs Impulse abgibt (siehe Bild 4-82). Die Ausgangsspannung schwankt somit zwischen 15,0 V und 17,3 V. Lässt man die Spannungsfälle in den Dioden außer Acht, dann ist der Spannungsmaximalwert Umax in Bild 4-81 gleich dem oberen Wert der Gleichrichter-Ausgangsspannung in Bild 4-82 und der Minimalwert Umin dem unteren.
Bild 4-82: Pulsierende gleichgerichtete Generatorausgangsspannung
Sind die drei Stränge der Drehstromwicklung zu einer Dreieckschaltung zusammengefasst, dann muss der Höchstwert der Strangspannung bereits 17,3 V betragen, damit die Leiterspannungen zwischen 15 V und 17,3 V pulsieren. In der Realität hat die Strangspannung bei FahrzeugDrehstromgeneratoren keinen reinen Sinusverlauf. Unter Berücksichtigung des Spannungsfalls in den jeweils stromführenden Gleichrichterdioden entsteht als Generatorausgangsspannung eine leicht pulsierende Spannung mit beispielsweise etwa 14 V als Mittelwert.
4.3.6 Spannungsregelung in herkömmlichen Systemen Aufgabe der Regeleinrichtung In herkömmlichen Systemen, die ohne computergesteuertes Energiemanagement arbeiten, muss schal-
4 Bordnetz und Vernetzung tungstechnisch ermöglicht werden, dass die Erregerwicklung des Generators mit Beginn des Startvorganges genügend Erregerstrom aufnehmen kann, um gegen Ende des Hochlaufs, kurz vor Erreichen der Leerlaufdrehzahl, in die Eigenerregung überzugehen. Diese Phase heißt Vorerregung. Während des Motorstandlaufs und während der Fahrt muss der Spannungsregler verhindern, dass sich die Generatorausgangsspannung mit der Drehzahl ändert und dass sie von der Generatorbelastung abhängt. Wenn bei Betrieb mit vielen eingeschalteten Verbrauchern oder mit tief entladener Batterie der Generatorausgangsstrom den maximal zulässigen Wert überschreiten will, muss ein Schutzmechanismus durch Reduzieren der Generatorausgangsspannung die Stromaufnahme des Bordnetzes auf den Wert begrenzen, den der Generator thermisch verkraften kann. Der Generatorbetrieb lässt sich somit in die drei Betriebszustände Vorerregung, Regelbetrieb mit I < Imax und Regelbetrieb mit I = Imax unterteilen. Technische Lösung in herkömmlichen Systemen Aus dem folgenden Schaltbeispiel (Bild 4-83) ist ersichtlich, dass die Erregerspule (E) plusseitig ihren Strom über die Erregerdioden (V7 bis V9)aus der Drehstromwicklung beziehen kann. Minusseitig wird sie von V10 gesteuert. Der Anschluss D+ stellt einen von der Batteriespannung entkoppelten zweiten Plusausgang für Mess-, Steuer- und Regelzwecke dar. Die dargestellte Schaltung wird als Minusregelung bezeichnet, weil sich die Regler-Treiberstufe (V10) im Erregerstromzweig zwischen Erregerspule und Minusanschluss befindet. Beim Starten und während des Hochlaufs muss der Generator fremd vorerregt werden, weil der Restmagnetismus im Polradeisen aus Gründen der Regelbarkeit niedrig gehalten wird. Mit dem geringen Restmagnetismus erreicht die erzeugte Spannung im untersten Drehzahlbereich nicht den Durchlassspannungswert der Dioden. Bei geschlossenem Fahrtschalter fließt Vorerregerstrom von G2/+30 über S/30, S/15, H, D+, E, DF, V10, B-, Karosserie (Masse) zurück zu G2/-31. Die Generatorkontrolllampe leuchtet hell. Falls als Generatorkontrolle eine LED eingesetzt wird, wird dieser ein Widerstand parallel geschaltet, damit genügend Vorerregerstrom fließt. Bei großen Generatoren erhalten auch 2-W–Generatorkontrollleuchten aus diesen Grund einen Parallelwiderstand. Wenn der Motor gestartet wurde, geht das System in den Regelbetrieb über. Sobald beim Hochlauf die Wechselspannungen der Drehstromwicklung die Durchlassspannung der Dioden erreichen, erzeugt der Generator selbst den erforderlichen Erregerstrom und er geht in die Eigenerregung über. Dabei erreicht das Potential an G1/D+ etwa den Wert an der Klemme G2/+30 und die Generatorkontrollleuchte H erlischt.
4.3 Fahrzeuggeneratoren
237
Bild 4-83: Regeleinrichtung in herkömmlichen Drehstromsystemen: E Erregerspule im Klauenpolrad, G1 Drehstromgenerator mit integriertem Regler N, G2 Fahrzeugbatterie, H Generatorkontrollleuchte, IC Reglerlogik, L1...L3 Leiter der in Stern geschalteten Drehstromwicklung, N elektronischer Spannungsregler, R, L, C Bordnetz, S Fahrtschalter, V1...V3 Plusdioden der Sechspulsgleichrichtung, V4...V6 Minusdioden der Sechspulsgleichrichtung, V7...9 zusätzliche Dioden zum Anschluss D+ (Erregerdioden), V10 Treiberstufe im Spannungsregler, V11 Freilaufdiode im Spannungsregler
Die momentane Polradstellung, im Drehstromdiagramm, symbolisiert durch Z t, bestimmt, welcher der drei Leiter am positivsten und welcher am negativsten ist. Entsprechend dieser Situation verlässt der Erregerstrom über die am positivsten Leiter angeschlossene Erregerdiode den Drehstrombereich und fließt über die Erregerwicklung E, die Klemme DF, die Treiberstufe V10 und die Minusdiode, deren angeschlossener Leiter gerade am negativsten ist (V4, oder V5, oder V6), zurück zur Drehstromwicklung. Bei herkömmlichen Anlagen überschreitet im unteren Drehzahlbereich der Istwert der Generatorspannung den Sollwert noch nicht. Systeme, wie sie das vorige Schaltbild darstellt, kennen nur einen Sollwert. Er liegt je nach Fahrzeughersteller zwischen 13,5 V und 14,5 V bzw. 27 V und 28 V. Deshalb bleibt im unteren Drehzahlbereich die Treiberstufe V10 dauernd leitend. Es fließt der größtmögliche Erregerstrom. Sobald bei Drehzahlanhebung der Istwert den Sollwert überschreitet, geht V10 in den Sperrzustand über und das Erregerfeld bricht zusammen. Die eingebaute Freilaufdiode V11 verzögert jedoch den Feldabbau in der Erregerwicklung so, dass keine Abschaltspannungsspitze entsteht, sondern das Potential an DF lediglich um den Durchlassspannungswert der Diode V11 über das Potential an D+ ansteigt. Nach beispielsweise 2 bis 3 Millisekunden unterschreitet der
Istwert den Sollwert und V10 leitet wieder. In Bild 4-84 ist das Zusammenspiel zwischen Drehzahl, Ein-und Ausschaltverhältnis sowie mittlerer Erregerstromstärke dargestellt. Der Erregerstrom ändert sich auf Grund der Spuleninduktivität nach einer Exponentialfunktion. Für die Zeitkonstante gilt W = L / R, wobei L die Gesamtinduktivität und R der Gesamtwiderstand des Erregerstromkreises ist. Der Abschnitt (A) zeigt die Verhältnisse, wie sie für den unteren Drehzahlbereich zutreffen. Der Endstufentransistor V10 ist jeweils relativ lange leitend. Es stellt sich ein größerer Erregerstrom und damit ein stärkeres Erregerfeld ein. Der Abschnitt (B) zeigt die Verhältnisse bei hoher Drehzahl, V10 sperrt länger als er leitet. Bei hoher Drehzahl genügt ein schwächerer Magnetfluss. Es stellt sich deshalb ein kleinerer Erregerstrom und damit ein schwächeres Erregerfeld ein. Die unterschiedlichen Zeiten für Sperren und Leiten sind durch die Charakteristik der Exponentialfunktion bedingt, denn die erforderliche Dauer der Einschalt- bzw. Ausschaltzeit hängt davon ab, in welchem Teil der Kurve sich die mittlere Erregerstromstärke befindet. Im unteren Teil der Kurve ist der Anstieg steiler, im oberen das Absinken. Entsprechend sind die Einschalt- oder die Ausschaltzeiten kürzer. Deshalb ist dieses Tastverhältnis ein Maß dafür, wie groß der Erregerstrom ist.
238
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-84: Erregerstrom und Tastverhältnis: (A) Bereich niedriger Generatorendrehzahl, (B) Bereich hoher Generatordrehzahl, IErr Erregerstrom, Imax Maximalwert des Erregerstromes, Im1, Im2 Mittelwerte des Erregerstromes, t Zeit, TE1, TE2 Einschaltzeiten (V10 leitet, siehe Bild 4-83), TA1, TA2 Ausschaltzeiten (V10 sperrt, siehe Bild 4-83)
Zu beachten ist auch, dass die Zeitkonstante W davon abhängt, ob die Treiberstufe V10 leitet oder sperrt, weil bei leitender Treiberstufe der Erregerstromkreis nicht identisch mit dem Erregerstromkreis bei sperrender Treiberstufe ist. Damit beeinflusst auch die zu Grunde liegende Induktivität L und der ohmsche Widerstand R den Verlauf des Erregerstromes. Der Spannungsregler stabilisiert die Generatorausgangsspannung und schützt somit die Verbraucher vor zu hoher Spannung. Der Generator selbst muss in erster Linie vor zu hoher thermischer Belastung geschützt werden. Ursache für die thermische Belastung eines Generators ist hauptsächlich die vom Laststrom verursachte Verlustwärme. Diese lässt sich durch die Begrenzung der maximalen Stromabgabe einschränken, denn die Stromabgabe eines Generators richtet sich nach der Gleichung I = U / R, wobei U die Generatorklemmenspannung und R den Gesamtwiderstand aller eingeschalteten Verbraucher repräsentieren. Bei Klauenpolgeneratoren ist es nicht üblich, dass zur Vermeidung zu hoher Generatoreigenwärme Verbraucher abgeschaltet oder reduziert angesteuert werden, denn der Klauenpolgenerator ist so konstruiert, dass er bei Erreichen der Maximalstromstärke seine Ausgangsspannung soweit wie nötig selbst reduziert. Damit begrenzt er seine Stromabgabe und ist vor zu hoher Eigenwärme geschützt. Um diese Spannungsabsenkung zu realisieren, bieten sich die Ankergegenspannung und die Ankerrückwirkung an. Die Ankergegenspannung wirkt gegen die induzierte Generatorspannung und reduziert somit die Generatorausgangsspannung. Mit zunehmender Stromabgabe erhöht sich die Gegenspannung und deshalb der innere Spannungsfall, d.h. die Ausgangsspannung geht zurück. Das bedeutet aber auch, dass mit
zunehmender Belastung der Erregerstrom steigen muss, damit die Ausgangsspannung konstant bleibt. Man kann den Generator so auslegen, dass exakt mit dem Erreichen der Maximalstromstärke die Generatorausgangsspannung knickartig einbricht. Um dies zu erreichen, wird in Ergänzung zum Effekt der Ankergegenspannung die Ankerrückwirkung ausgenutzt. Das Magnetfeld des Laststromes bildet mit dem Polradfeld ein resultierendes Gesamtfeld, das gegenüber dem reinen Polradfeld räumlich verschoben ist. Einzeln betrachtet, haben Erregerfeld und Polradstellung eine lastabhängige gegenseitige Zuordnung. Dies hat zur Folge, dass in jedem Bereich der mehrfach vorhandenen Drehstromwicklungen in einigen Statorblechpaketzähnen mit steigender Stromabgabe das Erregerfeld und das vom Laststrom erzeugte Magnetfeld sich immer mehr entgegenwirken, insgesamt also eine Feldschwächung eintritt. Gleichzeitig unterstützen sich in anderen Zähnen zwar die beiden Felder, aber weil hier die Zähne bereits in der magnetischen Sättigung sind, erhöht sich das Gesamtfeld nicht. Dieser Effekt heißt Ankerrückwirkung und wirkt sich wie eine Zurücknahme des Erregerstromes aus. Die Ankerrückwirkung verformt und verschiebt, wie oben beschrieben, den Verlauf des wirksamen Erregerfeldes. Dies hat aber auch zur Folge, dass bei hoher Stromentnahme die Magnetfeldänderungen in der Drehstromwicklung einen veränderten zeitlichen Verlauf nehmen und die induzierte Spannung extrem von einem sinusähnlichen Verlauf abweicht. Die Grundschwingung bleibt zwar eine Sinuskurve, aber sie ist von einer Vielzahl unterschiedlicher Oberwellen überlagert. Auf die Konsequenzen wird in Abschnitt 4.3.10 eingegangen.
4.3 Fahrzeuggeneratoren
4.3.7 Spezielle Schutzmaßnahmen Aus dem Bordnetz kommende Spannungsspitzen können die Generatordioden zerstören. Gleiches gilt auch für Spannungsspitzen, die bei plötzlicher Lastabschaltung in der Drehstromwicklung entstehen. Diese Spannungsspitzen würden, wenn sie in das Bordnetz gelangten, dort Schaden anrichten oder die Datenübertragung stören. Um gefährliche Spannungsspitzen zu unterdrücken, trifft man im Wesentlichen drei Maßnahmen. Diese sind: Glättungskondensator zwischen B+ und Masse, Z-Diode zwischen B+ und Masse und Z-Dioden im Generator als Gleichrichterdioden (heute Standard). Falls ein Reglerdefekt eine zu hohe Generatorausgangsspannung zulässt, wird der Wasseranteil der Batterie in hochexplosives Knallgas zerlegt. Zum Einen verliert durch die Wasserreduzierung die Batterie an Kapazität und zum Anderen besteht Explosionsgefahr. Insbesondere bei Fahrzeugen mit hohem Langstreckenanteil (Reisebusse, Nutzfahrzeuge) wird eine zu hohe Bordnetzspannung möglicherweise erst beim Einschalten des Lichts bemerkt, wenn als Folge die Glühlampen durchbrennen. Um eine vorzeitige Information zu erhalten, ist in 28-V-Anlagen häufig ein Überspannungsschutzgerät (ÜSG) verbaut. Für die verschiedenen Generatorausführungen im 28-VBereich gibt es verschiedene Überspannungsschutzgeräte.
Bild 4-85: System mit Überspannungsschutzgerät: F Überspannungsschutzgerät, G1 Generator, G2 Batterie, H Generatorkontrollleuchte, N Spannungsregler, S Fahrtschalter, V Thyristor
239 Das Prinzip ist jedoch bei allen gleich. Sobald die Spannung an G1/D+ einen bestimmten Höchstwert erreicht, z.B. 31 V, verbindet im ÜSG (in Bild 4-85 Baugruppe F) ein Thyristor (im Bild 4-85 Bauteil V) den Anschluss G1/D+ mit Masse. Dadurch fällt die Erregung aus, der Generator erzeugt keine Ausgangsspannung mehr und die Generatorkontrollleuchte (H) leuchtet auf. Der Thyristor V bleibt leitfähig, bis sein Haltestromwert unterschritten wird. Dazu muss der Fahrtschalter S unterbrochen werden.
4.3.8 Generatorsysteme mit Mehrfunktionsregler In der Fahrzeugtechnik steigt laufend der Bedarf an elektrischer Energie. Gleichzeitig ist der konkrete Bedarf situationsbedingt extrem unterschiedlich. Aus ökonomischen Gründen ist der Fahrzeughersteller zunächst daran interessiert, mit der Generator-Nennleistung an die untere Grenze zu gehen, um dann in „Stoßzeiten“ die Batterie zur Abdeckung der Energiebedarfs heranzuziehen. Zurückliegende Erfahrungen zeigen, dass man selbst bei hochtourigen Autobahnfahrten die Batterie „leerfahren“ kann, wenn genügend Verbraucher eingeschaltet sind. Dies könnte sich in sicherheitskritischen Situationen verhängnisvoll auswirken. Um in einem ersten Schritt diesem Dilemma entgegenzuwirken, sind inzwischen viele Fahrzeughersteller dazu übergangen, ein Generatorregelsystem einzusetzen, das dem Energiemanagement (siehe Abschnitt 4.6) wichtige Informationen mitteilen kann und das eigenständig in die Energieverwaltung des Fahrzeugs eingreift. Bei der herkömmlichen Generatorregelung erhält der Spannungsregler über das Potential an der Generatorklemme D+ zwar einen von der Batterie entkoppelten Spannungs-Istwert, aber die Regeleinrichtung kennt nicht den Istwert an der Batterie. Dieser hängt nicht nur von der Generatorausgangsspannung ab, sondern auch vom Gesamtspannungsfall in den Leitungen und den Kontaktstellen des Ladestromkreises. Während der einmal festgelegte Leitungsquerschnitt und die gewählten Verschraubungen im Laufe eines Autolebens meist nicht mehr abgeändert werden, entscheiden jedoch der Batteriezustand über die Ladestromstärke und die mit zunehmendem Fahrzeugalter ebenfalls zunehmenden korrosionsbedingten Übergangswiderstände darüber, wie hoch die Ladespannung an den Batteriepolen letztlich ist. Nachdem zumindest im Pkw-Bereich ausschließlich wartungsfreie Batterien eingesetzt werden, darf die Batteriegasungsspannung unter keinen Umständen erreicht werden. Folglich legt man den Sollwert der Generatorspannung deutlich unter 14,5 V. Die Gasungsspannung wird allgemein mit 2,4 V pro Zelle, also mit 6 u 2,4 V = 14,4 V für eine Batterie angenommen. Bisher betrug der Sollwert der Generatorausgangsspannung insbe-
240 sondere bei Fahrzeugen der Mittel- und der Oberklasse etwa 13,5 V, was häufig zur Folge hatte, dass bei solchen Fahrzeugen die Batterieruhespannung kaum 12 Volt betrug. Mit dem Einsatz eines Mehrfunktionsreglers (Multifunktionsreglers) als Generatorregler wird dem beschriebenen Dilemma deutlich entgegen gewirkt. Das Schaltbeispiel in Bild 4-86) verdeutlicht den abgeänderten Aufbau und erweiterten Umfang einer Generatorregeleinrichtung mit Mehrfunktionsregler verglichen mit einem herkömmlichen System. Generator und Regler sind räumlich getrennt. Den erforderlichen Erregerstrom bezieht der Regler über B+. Es sind somit keine Erregerdioden erforderlich. Neben der Spannungsregelung übernimmt der Regler zusätzliche Funktionen, auf die im Folgenden exemplarisch eingegangen wird. Stand der Technik ist, dass jede Fahrzeugelektronik mit einem Störfilter ausgestattet ist, so auch der Mehrfunktionsregler. Für viele im Nachfolgenden beschriebenen Situationen benötigt die Reglerelektronik die Generatordreh-
4 Bordnetz und Vernetzung zahl als mitentscheidende Information (Leitung V). Bereits mit dem Start ist es wichtig, dass die Reglerelektronik die Drehbewegung des Generatorläufers erkennt. Die Informationsleitung V ist beispielsweise direkt mit dem Strang V der Drehstromwicklung verbunden. Zwischen ihm und der Masse (B-) ist eine immer positiv bleibende Mischspannung messbar, deren Maximalwert dem Höchstwert der Potentialdifferenz zwischen Leiter L2 (siehe Bilder 4-76 und 4-77) und Masse entspricht und deren überlagerte Frequenz sich drehzahlsynchron ändert. Für die Bordnetzelektrik stellt der Regler an Klemme X2/W ein Drehzahlsignal zur Verfügung, das vom abgefragten Strang V der Drehstromwicklung entkoppelt ist. Zwischenzeitlich haben Kfz-Generatoren eine so hohe Nennleistung, dass sie bei konstanter, größtmöglicher Fremderregung zunächst dem Starter und dann beim Hochlauf dem Verbrennungsmotor zu sehr „zur Last fallen“.
Bild 4-86: Generatorregelsystem mit Multifunktionsregler: Bauteilbezeichnungen: A Reglerelektronik (IC), C Entstörkondensator, E Erregerwicklung des Klauenpolrades, G1 Drehstromgenerator, G2 Fahrzeugbatterie, H Meldelampe/Fehlerlampe, K Verbraucher-Steuerrelais, L Drehstromwicklungen im Generator (Stern- oder Dreieckschaltung), N Mehrfunktionsregler (Multifunktionsregler), R/L Bordnetzanlagen, S1 Fahrtschalter, S2, S3 Schalter im Bordnetz, V1, V2 Z-Dioden als Gleichrichterdioden, V3 Steuertransistor (FET) zur Steuerung des Erregerstromes (plusseitige Steuerung), V4 Freilaufdiode, V5 und V6 steuerbarer Spannungsteiler für die L-Leitung, V7 und V8 steuerbarer Spannungsteiler für die W-Leitung, V9 Steuertransistor für das DFM-Signal, X2 Schnittstelle Regler Abkürzungen und Klemmenbezeichnungen: 15 Ausgangsklemme des Fahrtschalters, DF Dynamo-Feld, DFM DFMonitor (DF-Tastsignal), L Anschluss für Steuerleitung, S Sense (Information über die Höhe des Pluspotentials an der Batterie), V Informationsleitung Generatordrehzahl für die Reglerelektronik, W Informationsleitung Generatordrehzahl für das Bordnetz, X1 Plusstützpunkt
4.3 Fahrzeuggeneratoren Um den Erregerstrom in dieser Situation zu reduzieren, taktet der Mehrfunktionsregler den Transistor V3 gerade so, dass der Generator während des Hochlaufs noch in den Zustand der Eigenerregung übergeht. Diesen Eingriff nennt man gesteuerte Vorerregung. Da sich V3 auf der Plusseite der Erregerwicklung befindet, handelt es sich um eine Plusregelung. H (angesteuert von V6) leuchtet, so lange der Generator fremderregt wird. Der Mehrfunktionsregler verfügt über ein weiteres Steuerprogramm, das als Load-Response bezeichnet wird. Dies ist eine vom Betriebszustand abhängige gesteuerte Drehmomentaufnahme des Generators und stellt die Fortsetzung der gesteuerten Vorerregung dar. Zur Load-Response gehört im Hochlauf die gezielte Steuerung des Vorerregerstromes, so dass der Generator erst ab einer bestimmten Drehzahl (Einschaltdrehzahl) Strom abgeben kann. Das Steuerprogramm Load-Response arbeitet auch im Fahrbetrieb, wenn bei plötzlicher Lastzuschaltung der Istwert der Generatorspannung unter den Sollwert sinkt. Auf Grund der Load-Response-Funktion reagiert der Generatorregler verzögert und nicht sprunghaft. Dadurch belastet der Generator bei plötzlichem Leistungsbedarf des Generators den Antriebsmotor nicht sprunghaft. Diese Maßnahme wird auch als „weiche Lastzuschaltung“ oder „Rampenfunktion“ bezeichnet. Während bei der Load-Response-Funktion die mögliche Generatorleistung durch gezielte Erregerstromsteuerung variiert wird, kann der Multifunktionsregler über die Leitung L und das Relais K komplette Anlagenteile drehzahl- und ladespannungsabhängig zuschalten und abkoppeln. Die Leitung, die in Bild 4-86 vom Plusstützpunkt X1 nach X2/S führt, meldet der Reglerelektronik das elektrische Potential, das am Stützpunkt X1 herrscht. Hieraus leitet die Reglerelektronik ab, ob und in welche Richtung die Generatorspannung regelnd korrigiert werden soll, um die Batterie möglichst voll zu laden oder vor Gasung zu schützen. Falls die Sense-Leitung unterbrochen wird, nimmt der Regler die Spannung an B+ als Ist-Richtwert (Notregelung). Bei jedem Generatorregler ist das Tastverhältnis, mit dem der Erregerstrom eingestellt wird, ein Maß für die Generatorauslastung. Der vorliegende Multifunktionsregler stellt für die Auslastungsmeldung ein an X2/DFM messbares Rechteck-Tastverhältnis zur Verfügung (DF-Monitor). Diese Meldung können das Bordnetzmanagement oder das Motormanagement verwerten, beispielsweise zur Stabilisierung der Leerlaufdrehzahl oder zur gezielten Lastzuschaltung oder -wegnahme im Komfortbereich (Sitzheizung usw.). Falls der Spannungsregler über seine integrierte Temperaturmessung erkennt, dass er zu warm wird, reduziert er den Spannungssollwert. Somit gibt der Generator weniger Strom ab und seine Eigenerwärmung geht zurück. Dieser Übertemperaturschutz kann zu Lasten der Batterieladung gehen.
241 Sobald der elektronische Regler einen Fehler erkennt, schaltet V6 gegen Masse durch und die Fehlerlampe H leuchtet. Für den Mehrfunktionsregler sind beispielsweise folgende Fehler erkennbar: Generatorausfall, z.B. bei Keilriemenbruch, Unterbrechung oder Kurzschluss im Erregerstromkreis, Reglerfehler, z.B. Endstufe fehlerhaft, Freilaufkreis fehlerhaft, Bordnetzfehler, z.B. Überspannung, Unterbrechung der Ladeleitung zwischen Generator und Batterie und Unterbrechung oder Masseschluss der Senseleitung. Die Stromaufnahme der am Bordnetzplus (Dauerplus, Kl. 30 oder B+) angeschlossenen Verbraucher muss bei Motorstillstand mit Rücksicht auf die Batterieladung auf ein Minimum reduziert werden. Auch dieser Forderung kommt der immer mit B+ in Verbindung stehende Mehrfunktionsregler nach.
4.3.9 Busgesteuertes Generatorsystem Busgesteuerte Generatorsysteme sind zwar noch nicht Standard, werden aber bereits häufig eingesetzt. Bei dieser Technik reduziert sich nicht nur die Zahl der Generatoranschlüsse, sondern es lassen sich auch alle im Fahrzeug vorhandenen Informationen außerhalb des Generators und dezentral verarbeiten, die in die Generatorsteuerung, Spannungsregelung und Fehlererkennung einzufließen. Bild 4-87 verdeutlicht auch, wie sehr sich der Leitungsaufwand reduziert. Die Möglichkeiten, die diese technische Lösung bietet, gehen durch den Einsatz weiterer Sensoren (z.B. intelligenter Batterie-Sensor) und einen umfassenden Datenaustausch mit relevanten Steuergeräten im Fahrzeug über die des Multifunktionreglers hinaus.
Bild 4-87: Busgesteuertes Generatorsystem: A Steuergerät (Motorsteuergerät oder Steuergerät für das elektrische Energiemanagement), G1 Generator, G2 Batterie, M Starter, W1 Datenleitung, z.B. Bitserielle Schnittstelle, W2 Ladeleitung, W3 Starterhauptleitung
242
4 Bordnetz und Vernetzung
4.3.10 Leistungserhöhung durch Mittelpunktsdioden Unabhängig davon, ob es sich um ein herkömmliches Generatorsystem handelt, ob ein Mehrfunktionsregler eingesetzt wird, oder ob es sich um ein busgesteuertes System handelt, können in Drehstromgeneratoren mittlerer Leistung und sterngeschalteter Drehstromwicklung zur Sechs-Puls-Gleichrichterschaltung noch so genannte Mittelpunktsdioden verbaut sein (siehe Bild 4-88).
Bild 4-89: Oszilloskopbilder, Verlauf der Strangspannung in Abhängigkeit vom Lastbereich: (a) Spannungsverlauf, nur mit dem Restmagnetismus des Klauenpolrades erzeugt, (b) Spannungsverlauf bei hoher Stromabgabe
Bild 4-88: Sechspulsgleichrichtung mit Mittelpunktsdioden: MP Mittelpunkt (Sternpunkt), V3, V4 Mittelpunktsdioden
Aus der Anordnung der Mittelpunktsdioden in Bild 4-88 ist ersichtlich, dass V3 vom Mittelpunkt zum Ausgang B+ Strom fließen lässt, während V4 von der Minusleitung in Richtung Mittelpunkt durchlässig ist. Unter der Voraussetzung, dass in den Strängen der in Stern geschalteten Drehstromwicklung nur sinusförmige Spannungen erzeugt werden, sind diese zwei zusätzlichen Dioden ohne Einfluss. Bild 4-89 zeigt jedoch, dass mit zunehmender Generatorlast die Spannung immer mehr von Oberwellen überlagert werden. Während in Bild 4-89a der Spannungsverlauf starke Sinusähnlichkeit hat, zeigt Bild 4-89b wie sehr sich insbesondere die dreifache Frequenz durch die Ankerrückwirkung auswirkt. Berücksichtigt man die 120°Versetzung der drei Strangspannungen, dann gibt es innerhalb einer Periode drei Zeitabschnitte, in denen keiner der drei Ausgangsleiter L1, oder L2, oder L3 positiver ist als der MP. Ebenso gibt es drei Zeitabschnitte, in denen keiner dieser Leiter negativer ist als der MP. Diesen Zusammenhang zeigt Bild 4-90, wobei der Übersicht wegen reine Sinusspannungen zu Grunde gelegt werden.
Bild 4-90: Dreiphasenwechselspannungen mit überlagerter dreifacher Frequenz
In sechs Abschnitten, die sich abwechseln, kann drei mal Strom vom Mittelpunkt MP zu B+ und drei mal von B- zum MP fließen. Dadurch erhöht sich die mögliche Stromabgabe um 5 bis 15 % und somit die Maximalleistung eines Generators, ohne dass das Statorblechpaket vergrößert werden muss. Ohne diese Dioden würden während einer Periode sechs Situationen entstehen, in denen alle Leiterspannungen unter
4.3 Fahrzeuggeneratoren der Batteriespannung liegen. Auf solche Situationen kann der Erregerstrom nicht korrigierend reagieren, weil sie beim hochtourigen Generatorbetrieb jeweils nur Bruchteile einer Millisekunde dauern, denn eine Periode dauert bei einer Motordrehzahl von 5000/min etwa eine Millisekunde und die genannten sechs Situation jeweils weniger als 0,1 ms. Die beschriebene Oberwelligkeit der induzierten Spannung verändert auch den Verkettungsfaktor zwischen Strang- und Leiterspannung bei Sternschaltung und zwischen Strangstrom und Leiterstrom bei Dreieckschaltung. Während dieser Faktor bei sinusförmigem Verlauf 3 beträgt, wird er bei zunehmender Oberwelligkeit immer kleiner und sinkt bei Höchstlast unter den Wert 1.
4.3.11 Spannungsregelung bei Schwungmagnet-Generatoren Die Schwungmagnet-Generatoren der Motorradtechnik sind permanenterregt (siehe Abschnitt 4.3.3). Somit können drehzahl- oder lastbedingte Spannungsschwankungen nicht durch Anpassen eines Erregerstromes ausgeglichen werden. Die Drehstromwicklungen der Schwungmagnet-Generatoren können als Stern oder im Dreieck geschaltet sein. Der Gleichrichter und der Regler sind nicht im Generator integriert, sondern in einem separaten, mit großem Kühlkörper versehenen Gehäuse untergebracht (Bild 4-91). Unabhängig von der Verkettung der Stränge verwenden diese Generatoren eine einheitliche Spannungsbegrenzungsmethode. Sie besteht darin, dass im Regler eingebaute Thyristoren (siehe Bild 4-92) die Stränge mit Masse verbinden, sobald die Generatorausgangsspannung zu hoch wird.
Bild 4-91: Gleichrichter mit integriertem Spannungsregler eines Schwungmagnetgenerators: 1 Kühlkörper der Gleichrichter-Reglerelektronik, 2 dreipoliger Stecker, von der Drehstromwicklung kommend, 3 Leiter L1, L2, L3 der verketteten Statorwicklung, 4 Stecker zur Batterie und zum Bordnetz, 5 Ausgangsleitungen der Gleichrichtung (2 x Plus und 2 x Minus)
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Bild 4-92: Prinzipschaltung der Gleichrichtung und der Spannungsbegrenzung: IC Reglerlogik, L1, L2, L3 Leiter aus der Drehstromverkettung, V1 Plusdiodengruppe, V2 Minusdiodengruppe, V3 Thyristoreneinheit
Zur Gleichrichtung wird beispielsweise eine SechsPuls-Gleichrichtung eingesetzt. Erkennt die Reglerlogik (IC) eine erhöhte Spannung, dann steuert sie den Thyristor an, dessen Zuleitung (L1, L2 oder L3) gerade Strom abgibt. Dadurch geht dieser Thyristor in den leitenden Zustand über und verbindet diese Zuleitung mit Minus. Der betroffene Strang kann erst dann wieder Strom an die Batterie liefern, wenn sein zugeordneter Thyristor zuvor in der Sperrzustand übergegangen ist. Dies ist spätestens nach der aktuellen Wechselspannungshalbwelle der Fall.
4.3.12 Diagnosemöglichkeiten der Kfz-Werkstatt Einleitung Bereits in den Abschnitten 4.3.8 und 4.3.9 kam die Fehlererkennung durch die Reglerelektronik zur Sprache. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Eigendiagnose elektronischer Systeme viele Fehler nicht erkennen kann und außerdem Falschmeldungen liefert. Unterbrechungs- und Kurzschlussfehler werden in der Regel richtig erkannt. Eine Anhäufung ungünstiger Toleranzgrenzwerte, also von Werten, die gerade noch in der Toleranz liegen, oder Werte, die falsch sind, aber als solche nicht erkannt werden, weil sie auch in intakten Anlagen vorkommen, können zu störenden Fehlreaktionen eines Systems führen. In solchen Situationen muss die Kfz-Werkstatt mit ihren messtechnischen Möglichkeiten die Ursache suchen. Aber auch dann, wenn die Eigendiagnose einen Fehler richtig erkannt und gemeldet hat, sollte die Werkstatt den Fehler durch eigene Messungen bestätigen. Das Werkstattpersonal kann jedoch nur an messtechnisch zugänglichen Stellen messen und hieraus eine Diagnose ableiten. Am Anfang jeder Diagnose steht die Sichtprüfung, die allerdings häufig schnell beendet ist, weil die relevanten Teile nur nach umfangreicher Demontage
244 von Verkleidungen oder anderen Komponenten eingesehen werden können. Deshalb nimmt die Befragung des Kunden eine immer wichtigere Rolle bei der Auftragsannahme und der Eingangsdiagnose ein. Jede unnötige Demontagearbeit und der anschließende Zusammenbau kosten die Werkstatt Geld, das der Kunde nicht bezahlen will. Bei älteren Fahrzeugen ist eine Sichtprüfung häufig noch in größerem Umfang möglich, aber dafür verfügen deren Generatorsysteme nicht über eine elektronische Eigendiagnose. Lediglich die Generatorkontrolllampe leuchtet auf, wenn der Spannungsunterschied zwischen B+ und D+ den erforderlichen Strom fließen lässt und die Lampe zum Leuchten bringt. Das Aufleuchten dieser Lampe ist für Fahrzeugbesitzer sehr häufig der Grund, eine Fachwerkstatt aufzusuchen. Die Vorgehensweise bei der Fehlersuche in der Werkstatt richtet sich nach verschiedenen Aspekten. Dazu gehören das Alter des Fahrzeugs, bisher gemachte Erfahrungen mit dem betroffenen Modell, vorhandene Serviceunterlagen, die Werkstattausrüstung und nicht zuletzt die Fachkompetenz. Im Folgenden soll gezeigt werden, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, eine fundierte Diagnose mit Hilfe von Messwerten zu erstellen, die in der Generatorperipherie ermittelt werden. Diagnosemöglichkeiten im herkömmlichen Generatorsystem Der Keilriemen und der äußere Zustand aller Anschlüsse sind unverzichtbare Bestandteile der Sichtprüfung. Bereits mit einem einfachen Multimeter lassen sich viele Fehler finden. Ein spezieller Belastungstester, die Strommesszange und das Oszilloskop vervollständigen die Diagnoseausrüstung. Immer mehr Fahrzeughersteller verlangen bei ihren Neufahrzeugen die so genannte „geführte Fehlersuche“. Manche Hersteller schreiben diese Art von Fehlersuche sogar zwingend vor, zumindest dann, wenn es sich um einen Garantiefall handelt. Bei der geführten Fehlersuche werden die häufigsten Fehlersymptome von der Fehlersuch-Software des fabrikatsspezifischen Werkstattsystems vorgegeben. Das Fehlersuchprogramm gibt eine mehr oder weniger umfangreiche Auflistung von Fehlersymptomen vor, aus dem der Monteur das zutreffende Symptombeispiel auswählt. Im dann Folgenden schreibt das Prüfprogramm jeden Schritt und jeden Sollwert vor (aufbauend auf den Zwischenergebnissen). Freier und selbstständiger kann die Fehlersuche bei älteren Systemen erfolgen, für die es keine Fehlersuch-Software gibt.
4 Bordnetz und Vernetzung Diagnosemöglichkeiten einer Generatoranlage mit Mehrfunktionsregler Wie bereits im Abschnitt 4.3.8 beschrieben, verfügen Generatoranlagen mit Multifunktionsregler über eine Eigendiagnose mit Fehlermeldung. Der Informationsgrad der Fehlermeldung und die Zugänglichkeit der Messpunkte bestimmen, in welchem Umfang die Prüfmethoden einer Anlage mit herkömmlichem Regler auf diese Systeme übertragbar sind. Es gilt zu bedenken, dass im Leerlauf mit Rücksicht auf die aktuelle Leistungsaufnahme des Generators (Ladezustand der Batterie) die Generatorausgangsspannung vom üblichen Sollwert abweichen kann. Prüfkriterien für diese Anlage sind die drehzahl- und lastabhängige Höhe der Generatorausgangsspannung, der Spannungsfall auf der Ladeleitung zwischen G1/B+ und X1 bzw. G2/+30, die Drehzahlinformation an X2/W (Oszilloskop), das Potential an X2/L, der Spannungsfall auf der Leitung zwischen X2/15 und S1/15, der Spannungsfall auf der Leitung zwischen X2/S und X1 und das Tastverhältnis an X2/DFM (Oszilloskop).
4.4 Starter-Generatoren Unter einem Starter-Generator wurde ursprünglich ein System verstanden, das mit einem elektrischen Antrieb sowohl den Generator als auch den Starter in einem Kraftfahrzeug ersetzt. Die Einführung des Starter-Generators war eng mit der Einführung des 42-V-Bordnetzes verknüpft. Da die Einführung des 42-V-Bordnetzes z. Zt. noch nicht absehbar ist, haben sich mittlerweile zwei Entwicklungsrichtungen bei den Starter-Generatoren herausgebildet, nämlich der Micro-Hybrid und der Mild-Hybrid.
4.4.1 Der Micro-Hybrid Ein Start-Stopp-System mit einer Bordnetzspannung von 12 V Batterie- und 14 V Generatorspannung wird auch als Micro-Hybrid bezeichnet (siehe Bild 4-93). Die Hauptaufgabe besteht im Starten des Verbrennungsmotors (Kalt- und Warmstart) sowie in der Erzeugung von elektrischer Leistung mit hohem Wirkungsgrad. Der elektrische Antrieb für einen Micro-Hybrid besteht aus einem elektronischen Steuergerät und einer elektrischen Maschine. Die elektrische Maschine ist in der Regel bei einem MicroHybrid über einen Riemenantrieb mit dem Verbrennungsmotor verbunden. Der elektrische Antrieb kann als eine zusätzliche Drehmomentquelle oder Drehmomentsenke betrachtet werden und erhält seine Sollwerte über den CAN-Bus von einem übergeordneten Drehmomentkoordinator.
4.4 Starter-Generatoren
245
Bild 4-93: Starter-Generator für eine Spannung von 12 V als Micro-Hybrid
4.4.2 Der Mild-Hybrid Unter einem Mild-Hybrid versteht man einen StarterGenerator mit einer Nominalspannung von mindestens 42 V, der nicht mehr zwangsläufig an eine bestimmte Bordnetzspannung gebunden ist und gegebenenfalls über einen bidirektional wirkenden Spannungswandler an die bestehende Bordnetzspannung gekoppelt ist (siehe Bild 4-94). Neben der StartStopp-Funktion können zusätzliche Funktionen wie Anfahrunterstützung und regeneratives Bremsen mit übernommen werden. Der elektrische Antrieb für einen Mild-Hybrid besteht aus einem elektronischen Steuergerät und einer elektrischen Maschine. Bei einem Mild-Hybrid ist die elektrische Maschine in der Regel direkt mit dem Verbrennungsmotor mechanisch gekoppelt. Im elektronischen Steuergerät ist ein zusätzlicher bidirektionaler Gleichspannungswandler integriert und mit der 12-V-Batterie verbunden. Für
die zusätzlichen Funktionen wird eine Batterie oder ein Doppelschichtkondensator (Ultracap) mit einer Spannung U t 42V benötigt. Der Starter-Generator als Mild-Hybrid kann als eine zusätzliche Drehmomentquelle oder Drehmomentsenke betrachtet werden. Da der Verbrennungsmotor im unteren Drehzahlbereich sowohl stationär als auch dynamisch nicht sein volles Drehmoment liefern kann (siehe Bild 4-95), wird eine Unterstützung in diesem Bereich sehr begrüßt, zumal die elektrische Maschine im unteren Drehzahlbereich ihr größtes Drehmoment liefern kann (siehe Bild 4-96). Beim regenerativen Bremsen – im Generatorbetrieb – werden aber schon im mittleren Drehzahlbereich spürbare Leistungen gefordert. Die erforderlichen Drehmomentsollwerte beim Beschleunigen bzw. Bremsen erhält der MildHybrid über den CAN-Bus von einem übergeordneten Drehmomentkoordinator (siehe Bild 4-97).
Bild 4-94: Starter-Generator für eine Spannung U t 42 V als Mild-Hybrid
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4 Bordnetz und Vernetzung quadrant als Generator, um elektrische Leistung bis etwa 4 kW bei einer Bordnetzspannung von 14 V zu erzeugen. Zum anderen kann ein Starter-Generator aber auch als ein elektrischer Antrieb verstanden werden, der als Mild-Hybrid ebenfalls in mindestens zwei Antriebsquadranten arbeitet und zusätzliche Funktionen wie Anfahrunterstützung und regeneratives Bremsen ermöglicht. Hierfür ist allerdings eine Spannung von mindestens 42 V erforderlich, um mechanische Leistungen von 15 kW und mehr im Kurzzeitbetrieb zu erzeugen.
Bild 4-95: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie des Verbrennungsmotors: T Drehmoment, n Drehzahl
Bild 4-96: Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie eines elektrischen Antriebes: T Drehmoment, n Drehzahl, G Generatorbetrieb, M Motorbetrieb
4.4.3 Elektrische Antriebe für StarterGeneratoren Die elektrischen Antriebe lassen sich in den unterschiedlichsten Strukturen in den Antriebsstrang integrieren [1]. Der elektrische Antrieb wird hierbei als ein indirekter Antrieb – über ein Getriebe oder Riementrieb – oder als direkter Antrieb eingesetzt. Hieraus resultieren unterschiedliche Anforderungen an die elektrische Maschine und an deren Komponenten. Beim indirekten Antrieb wird die elektrische Maschine meistens als komplette Maschine ausgeführt, während beim direkten Antrieb häufig nur Komponenten der elektrischen Maschine in den Antriebsstrang integriert werden. 4.4.3.1 Der indirekte elektrische Antrieb Dieser Antrieb wird vorwiegend für Start-StoppSysteme als Micro-Hybrid, aber auch als Mild-Hybrid im Doppelkupplungsgetriebe eingesetzt. Man spricht hierbei von einem so genannten seitlich montierten Starter Generator (SSG, siehe Bild 4-98).
Bild 4-97: Übergeordnete Regelungsstruktur; ISG: (integrierter) Starter-Generator
Bild 4-98: Start-Stopp-System mit einem seitlich montierten Starter-Generator
Ein Starter-Generator kann zum einen als ein elektrischer Antrieb verstanden werden, der als MicroHybrid in zwei Antriebsquadranten arbeitet, nämlich im 1. Antriebsquadrant als Motor, um z.B. den Verbrennungsmotor zu starten, und im 2. Antriebs-
Die Anbindung der elektrischen Maschine an den Antriebsstrang erfolgt entweder über einen Riementrieb oder über ein Reduziergetriebe. Aufgrund der Übersetzung kann die elektrische Maschine relativ klein ausgeführt werden, da die Größe der elektrischen
4.4 Starter-Generatoren Maschine vom erforderlichen Drehmoment bestimmt wird. Geht man beispielsweise von einer Getriebeübersetzung von ü = 1:3 aus, so reduziert sich das Drehmoment um den Faktor 3, gleichzeitig muss dann aber auch eine Drehzahl bis zu 24000 min-1 beherrscht werden, wenn man von kurzzeitigen Drehzahlen des Verbrennungsmotors bis zu 8000 min-1 ausgeht. Das Trägheitsmoment der elektrischen Maschine sollte aufgrund der Übersetzung möglichst klein sein. Dies gilt bezüglich der Riemenbelastung aber auch bezüglich des zusätzlichen Trägheitsmomentes für den Antriebsstrang, da das Trägheitsmoment der elektrischen Maschine mit dem Quadrat der Übersetzung auf den Antriebsstrang übertragen wird. Diese Forderung kann durch eine „schlanke“ Bauform der elektrischen Maschine erfüllt werden. Diese Forderungen sind kostengünstig mit schnell laufenden Asynchronmaschinen am besten erfüllbar. Der Aufbau eines Starter-Generators in SSG-Ausführung ist aus der Explosionsdarstellung in Bild 4-99 ersichtlich.
247 züglich des Drehmomentenwandlers aufzubringen. Hierfür sind Antriebssysteme erforderlich, die eine „flache“ Kennlinie nach Bild 4-100 besitzen, um ein zügiges Anfahren zu gewährleisten.
Bild 4-100: Drehmoment-Drehzahlkennlinien von SSGSystemen: n Drehzahl, nZ Zünddrehzahl, nLL Leerlaufdrehzahl, M Drehmoment, MLL Drehmoment bei nLL, MZ Drehmoment bei nZ
Der seitlich montierte Starter-Generator kann neben dem Einsatz als Start-Stopp-System bei einer Spannung von 14 V auch als Hochleistungs-StarterGenerator für Mild-Hybrid-Anwendungen mit einem Spannungsbereich über 42 V, z.B. in Verbindung mit einem Doppelkupplungsgetriebe sinnvoll eingesetzt werden [1], wobei hierbei kurzzeitige Leistungen von bis zu 15 kW gefordert werden. 4.4.3.2 Der direkte elektrische Antrieb
Bild 4-99: Seitlich montierter Starter-Generator (SSG) mit Asynchronmaschine
Ein besonderes Augenmerk verdient auch die Drehmoment-Drehzahl-Kennlinie des elektrischen Antriebes. Für Kleinfahrzeuge mit Handschaltgetriebe ist es gegebenenfalls zulässig, dass z.B. beim Anfahren an einer Ampel erst der Verbrennungsmotor gestartet wird und anschließend der 1. Gang eingelegt werden kann. Solche Anwendungen können mit herkömmlichen Systemen abgedeckt werden, welche eine „steile“ Kennlinie besitzen (Bild 4-100). Diese Prozedur ist aber in einem Fahrzeug mit Automatikgetriebe im Allgemeinen nicht möglich, da die Wählhebelstellung beibehalten werden soll. Der elektrische Antrieb muss also in der Lage sein, neben dem eigentlichen Drehmoment zum Start des Verbrennungsmotors noch ein zusätzliches Drehmoment be-
Der direkte elektrische Antrieb, auch als integrierter Starter-Generator (ISG) bekannt, wird direkt in den Antriebsstrang des Fahrzeuges integriert (Bild 4-101).
Bild 4-101: Integration eines Starter-Generators in den Antriebsstrang (ISG)
248
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-102: Integrierter Starter-Generator (ISG) mit Asynchronmaschine: a) Schnittmodell, b) Explosionszeichnung
Der integrierte Starter-Generator wird fast ausschließlich für Mild-Hybrid-Anwendungen eingesetzt. Da beim Direktantrieb in der Regel keine Getriebeübersetzung vorhanden ist, wird z.B. für den Start des Verbrennungsmotors ein relativ hohes Drehmoment gefordert, bei äußerst beschränktem Einbauraum für die elektrische Maschine und die Elektronik. Für die Drehmomentbildung in der elektrischen Maschine müssen entsprechend große Ströme von der Elektronik zur Verfügung gestellt werden, wenn auch nur kurzzeitig. Einhergehend mit dem großen Drehmoment bei Drehzahl null werden abhängig von der Maschinenvariante vom Energiespeicher (Batterie, Doppelschichtkondensator) auch unterschiedlich große Aufnahmeleistungen gefordert. In Bild 4-102 ist der typische Aufbau eines integrierten Starter-Generators ersichtlich.
4.4.4 Elektronik Das elektronische Steuergerät (ECU) besteht im Wesentlichen aus den beiden Hauptkomponenten Leistungselektronik und Steuerelektronik (Bilder 4-93 und 4-94). Unter der Leistungselektronik versteht man im Allgemeinen den so genannten Stromrichter. Damit wird eine Gleichspannung aus der Batterie oder dem Doppelschichtkondensator in eine spannungs- und frequenzvariable Wechselspannung zur Versorgung der elektrischen Maschine umgewandelt. Die Steuerelektronik hat die Aufgabe, die über dem CAN-Bus empfangenen Drehmoment-, Drehzahl- oder Spannungssollwerte in entsprechenden Steuersignalen für den Stromrichter zur Erzeugung der gewünschten
Wechselspannung bereitzustellen, damit die elektrische Maschine die erforderlichen Drehmomente und Drehzahlen einstellen kann. Neben der Maschinenregelung sind in der Steuerelektronik auch umfangreiche Diagnosefunktionen sowie sicherheitsrelevante Funktionen softwaremäßig und teils hardwaremäßig integriert. Für Mild-Hybrid Anwendungen wird häufig auch der bidirektional wirkende Spannungswandler (siehe Bild 4-94) im Elektronikgehäuse mit integriert. Wie die elektrische Maschine muss auch die Elektronik auf kleinstem Bauraum – möglichst am Verbrennungsmotor – untergebracht werden. Dies stellt hohe Anforderungen an die Elektronik bezüglich Temperatur und Vibration. Da die Elektronik der elektrischen Maschine Leistungen bis ca. 20 kW für Mild-HybridAnwendungen bereitstellen muss, treten bei einem Wirkungsgrad von 90 % in der Elektronik relativ hohe, kurzzeitige Verluste auf. Die Elektronik wird deshalb in der Regel mit dem Kühlwasser des Verbrennungsmotors gekühlt. Die typische Kühlwassertemperatur liegt in einem Bereich von ca. –40 bis +105 °C. In Bild 4-103 ist eine Elektronikeinheit mit Wasserkühlung für eine Mild-Hybrid-Anwendung dargestellt, in Bild 4-104 eine Elektronikeinheit mit Luftkühlung (z.B. für ein Start-Stopp-System).
4.5 Batterien und Energiespeicher
249 Anwendungen bis ca. 20 kW sind Systemspannungen bis zu 60 V ausreichend. Werden Spannungen bis zu 60 V eingesetzt, sind nach VDE keine zusätzlichen Maßnahmen hinsichtlich Berührungsschutz und Isolation erforderlich. Für größere Leistungen müssen höhere Spannungen gewählt werden, da sonst die Ströme nicht mehr beherrschbar sind. Auch hinsichtlich der Verluste ist es günstig, eine höhere Spannung zu wählen, da die ohmschen Verluste quadratisch vom Strom abhängig sind. Literatur zu Abschnitt 4.4
Bild 4-103: Außenansicht einer Elektronik mit Wasserkühlung
[1] Schäfer, H.: Mögliche Hybridstrukturen des Antriebsstranges für Kraftfahrzeuge mit Starter-Generatoren. In: Schäfer u.a.: Innovative Konzepte für Starter-Generatoren (XSG), expert Verlag, Renningen, 2004
4.5 Batterien und Energiespeicher 4.5.1 Überblick: Rolle der Energiespeicher
Bild 4-104: Außenansicht einer Elektronik mit Luftkühlung
4.4.5 Anforderungen an elektrische Energiespeicher Neben der elektrischen Maschine und der Elektronik ist für einen elektrischen Antrieb auch der Energiespeicher von höchstem Interesse, da er die erforderliche Energie z.B. bei einer Anfahrunterstützung liefern muss und die bei einem regenerativen Bremsvorgang anfallende Energie aufnehmen muss. Hierbei ergeben sich die folgenden Anforderungen an den Energiespeicher für einen Mild-Hybrid: ein hoher Wirkungsgrad während der Energieumwandlung , eine hohe Zyklenfestigkeit, da permanent Entladeund Ladezyklen auftreten können, eine hohe Strombelastbarkeit beim Entlade- und beim Ladevorgang sowie ein großer Umgebungstemperaturbereich. Neben der Wahl der Systemspannung (Gleichspannung) des Energiespeichers, welche normalerweise in Abhängigkeit von der Leistung des elektrischen Antriebes gewählt wird, steht auch der Typ des Energiespeichers selbst zur Auswahl. Für Mild-Hybrid-
Mit dem Begriff „Batterie“ wird zuerst die klassische Blei-Fahrzeug-Starterbatterie assoziiert. Sie hat einen Anteil von etwa 48 % am Umsatz aller wieder aufladbarer Batteriesysteme und ist mit Industriebatterien (25 %) und Batterien für tragbare Geräte (27 %; auch 4-C-Batterien – nach Cellular Phones, Digital Cameras, Camcorders, Cordless Tools – Consumer- oder Verbraucherbatterien genannt) einer der wichtigsten Zweige des Batteriemarktes. 2004 wurden etwa 350 Mio. Starterbatterien hergestellt. Bei einer jährlichen Produktion von ca. 60 Mio. und einem Bestand von ca. 850 Mio. Fahrzeugen weltweit gehen etwa drei Viertel der Starterbatterien in den Ersatzteil- und ein Viertel in den OEM-Markt (Original Equipment Manufacturer). Auf ihm lastet ein hoher Kostendruck, wie auf allen Zulieferermärkten der Fahrzeugindustrie. Die durchschnittliche Lebensdauer der Bleibatterie im Fahrzeug beträgt etwa drei bis fünf Jahre, abhängig von Nutzung und Klima. Trotz der begrenzten Lebensdauer und mäßiger Gebrauchseigenschaften in Bezug auf spezifische Energie (Wh/kg), Energiedichte (Wh/l) und Leistung (W/kg bzw. W/l) hat die Bleibatterie ihren Platz als einziger Bordnetz-Energiespeicher im Kraftfahrzeug seit nahezu 100 Jahren behauptet. Ursache ist der konkurrenzlos niedrige Preis aufgrund der günstigen Kostensituation, die durch verfügbare Blei-Erze, niedrigen Energieverbrauch für die Metallgewinnung und Reindarstellung, eine einfache und energiesparende Fertigungstechnik und einen etablierten Aufarbeitungsprozess gekennzeichnet ist, in den über 95 %
250 der Fahrzeugbatterien nach Gebrauch zurückgeführt werden. Als Energiespeicher für den elektrischen Starter hat der Blei-Starterakku dem Verbrennungsmotor den Erfolg im Kraftfahrzeug geebnet, seit er 1911 erstmals von Cadillac eingesetzt wurde [1]. Heute wird er für etwa 22 % aller Pannen und damit für den Großteil aller Fahrzeugausfälle verantwortlich gemacht [2]. In der Vergangenheit wurde die typische FahrzeugStarterbatterie (auch SLI-Batterie genannt, für Start, Light, Ignition) als geschlossenes System mit frei beweglichem Elektrolyten konzipiert. Die Auslegung wurde zunächst empirisch auf die Kaltstartleistung optimiert. Steigende Ruheströme und leistungshungrige Verbraucher im Bordnetz stellen jedoch zunehmend neue Anforderungen in Bezug auf vermehrten Energiedurchsatz, höhere Leistungs- und Energiedichte und geringe Selbstentladung. Die Herstellung der Starterbatterien ist weitgehend automatisiert und, mit Ausnahme von Nischenprodukten, nur in den effizientesten Fertigungsanlagen konkurrenzfähig. Wegen der stetig steigenden fahrzeugseitigen Anforderungen werden die Grenzen des Bleiakkus, die in seiner Chemie liegen, deutlich [3]. Hybridfahrzeuge beziehen ihre Antriebsenergie zum Teil oder ganz aus Speicherbatterien. Als günstigster Kompromiss hinsichtlich Kosten, Verbrauch und Emissionen zeichnet sich ein Anteil der elektrischen Leistung von bis zu einem Drittel an der gesamten Leistung von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb ab. Voraussetzung dafür sind extrem leistungsfähige und langlebige Batterien. Die Fahrzeuge Honda „Insight“ und – absatzmäßig erfolgreicher – Toyota „Prius“ nützten erstmals Nickel-Metallhydrid-Systeme als Antriebsspeicher. Für die nächste Hybridgeneration werden noch leistungsfähigere Lithium-Ionenbatterien erwartet, deren Entwicklung weit fortgeschritten ist.
4 Bordnetz und Vernetzung Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren (DSK) für den Fahrzeugeinsatz sind noch im Entwicklungsstadium. Diese zeichnet hohe Lebensdauer und spezifische Leistung aus, die Energiedichte ist jedoch begrenzt. Ihre Einsatzchancen liegen in der Unterstützung der Leistung von Batterien in Bordnetz und Antrieb oder bei Anwendungen, die Stromimpulse für die Dauer weniger Sekunden erfordern.
4.5.2 Bleibatterie 4.5.2.1 Elektrochemie des Bleiakkumulators Schematisch ist die Funktionsweise des Bleiakkumulators in Bild 4-105 dargestellt. Bei der Entladung, d.h. bei Schließen des äußeren Stromkreises über einen Lastwiderstand RL (äußere Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Elektronen an) wird Bleidioxid als Aktivmasse der positiven Elektrode zu Bleisulfat reduziert und Blei als Aktivmasse der negativen Elektrode zu Bleisulfat oxidiert. Der Vorgang ist weitgehend reversibel. Bei Umkehr des Stromflusses (innere Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Elektronen an) wird der Akkumulator geladen, wobei die maximale Ladespannung im Bordnetz etwa 2,4 V pro Zelle beträgt. Aus der Brutto-Reaktionsgleichung Pb
+ PbO2
+ 2 H2SO4 l 2 PbSO4 + 2 H2O;
207,2 g + 239,2 g + 196,0 g = 642,4 g; UNenn = 2,0 V; Q = 53,6 Ah erhält man mit der Nennspannung UNenn und der geflossenen Ladung Q eine theoretische spezifische Energie von 167 Wh/kg.
Bild 4-105: Funktionsprinzip des Bleiakkumulators (schematisch): die Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Elektronen an, wobei sich die inneren Pfeile auf den Ladevorgang und die äußeren Pfeile auf den Entladevorgang beziehen
4.5 Batterien und Energiespeicher Der Gesamt-Reaktionsgleichung kann man ferner entnehmen, dass die Schwefelsäure, die als Elektrolyt dient, an der Entladereaktion teilnimmt und dass sie während der Entladung verdünnt wird. Die mäßige Massenausnützung, d.h. der Anteil von etwa 30 bis 40 % der in der Elektrode insgesamt vorhandenen Aktivmasse, der an der Reaktion teilnimmt, und die notwendigen passiven Bauteile (Masseträger, Zellverbinder, Pole, Separatoren, Gehäuse) verringern die nutzbare Kapazität ebenso wie der erforderliche Elektrolytüberschuss. Deshalb liegt die praktisch erzielte spezifische Energie nur bei etwa 30 bis 40 Wh/kg (siehe Abschnitt 4.5.2.2) Die für ein wässriges System außerordentlich hohe Zellspannung von etwa 2,0 V liegt 0,77 V über der theoretischen Zersetzungsspannung des Wassers und weist damit bereits auf potentielle Probleme des Bleiakkus hin. Das Potential der positiven Elektrode mit PbO2 als Aktivmasse liegt so hoch, dass als kostengünstiger Stromableiter und Masseträger nur Blei einsetzbar ist, das durch seine Deckschicht aus PbO2 vor Korrosion weitgehend geschützt ist. Das Potential der negativen Elektrode liegt 0,35 V unter dem Gleichgewichtspotential der Wasserstoffelektrode. Nur die hohe Überspannung, d.h. die Spannungsdifferenz zwischen thermodynamischer Gleichgewichtsspannung und der Spannung bei Einsetzen der Wasserstoffabscheidung an Blei, hemmt weitgehend die Wasserstoffentwicklung. Blei dient deshalb, meist in Form von Legierungen, auch als Träger der negativen Masse. Dies erklärt die Empfindlichkeit des Bleiakkus gegen Verunreinigungen, die die Wasserstoffoder Sauerstoff-Überspannung herabsetzen, und deren Bedeutung für Funktion und Lebensdauer. Bleisulfat ist im Elektrolyten in nur geringem Ausmaß löslich; dennoch läuft die Elektroden-Reaktion weitgehend über lösliche Zwischenprodukte ab (siehe Bild 4-106). Die Brutto-Reaktionsgleichung lässt sich in Reaktionsgleichungen für die positive und die negative Elektrode aufspalten (hier in Entladerichtung, und unter Berücksichtigung des Dissoziationsgrades des Elektrolyten beschrieben – nur etwa 1 % der Schwefelsäure liegen völlig dissoziiert als 2 H+ und SO 24 vor): Gesamtreaktion: Pb + PbO2 + 2 H+ + 2 HSO4– l 2 PbSO4 + 2 H2O, (4.1) Positive Teilreaktion: PbO2 + 3 H+ + HSO4– + 2 e– l PbSO4 + 2 H2O, (4.2) Negative Teilreaktion: Pb + HSO4– l PbSO4 + H+ + 2 e– . (4.3) Die Gleichgewichtsspannung der Zelle U0 hängt entsprechend der Nernstschen Gleichung
251
U0
U 0, S
a aHSO RT 4 log H nF aH 2O
von der Säurekonzentration ab. Darin bedeutet U0,S = 1,931 V die Ruhespannung unter Standardbedingungen, d.h. bei 25 °C und bei Aktivität von H+ und HSO 4 gleich 1 mol/l, a die Aktivitäten der Reaktionsteilnehmer in mol/l, R die allgemeine Gaskonstante 8,3413 JMol-1K-1, T die absolute Temperatur in K, n die Anzahl der umgesetzten Ladungen und F die Faraday-Konstante 96,486 As. Näherungsweise wird in der Praxis die Beziehung zwischen Ruhespannung U0 und Säuredichte U U0 = (U + 0,84) V verwendet, mit U in g/ml (siehe auch Bild 4-109). Zusätzlich treten im Lade- und Entladebetrieb die kinetisch gehinderten parasitären Reaktionen auf: Positive Elektrode: Pb + 2 H2O ĺ PbO2 + 4 H+ + 4 e–,
(4.4)
Negative Elektrode: 2 H+ + 2 e– ĺ H2.
(4.5)
Reaktion (4.4) führt zur Korrosion des Gitters als Masseträger der positiven Elektrode, Reaktion (4.5) ist gleichzeitig die Überladereaktion an der negativen Elektrode. An der positiven Elektrode führt die Überladung zu Sauerstoff-Entwicklung: Positive Elektrode: 2 H2O ĺ O2 + 4 H+ + 4 e–.
(4.6)
Eine weitere Reaktion ist die Umkehr-Reaktion von (4.6), die Reduktion des an der positiven Elektrode bei Überladung gebildeten Sauerstoffs an der negativen Elektrode (4.7): Negative Elektrode: O2 + 4 H+ + 4 e– ĺ 2 H2O.
(4.7)
Sie ist Voraussetzung für den Bau verschlossener Bleiakkumulatoren und funktioniert in ausreichender Schnelligkeit nur in relativ elektrolytarmen Bleiakkumulator-Typen, in denen der Sauerstoff durch Gaskanäle von der positiven an die negative Elektrode gelangen kann. Dies ist bei den in Abschnitt 4.5.2.3 näher beschriebenen verschlossenen, auch als VRLA-Typen (Valve Regulated Lead Acid) bezeichneten Batterien mit Gelelektrolyt oder mit Glasfaserseparator (Absorptive Glass Mat AGM) der Fall. Gleichzeitig verschiebt Reaktion (4.7), die Sauerstoffreduktion, das Potential der negativen Elektrode zu positiveren Werten. Daher liegt bei spannungskonstantem Laden auch das Potential der positiven Elekt-
252
4 Bordnetz und Vernetzung
roden in verschlossenen Zellen bei positiveren Werten, verglichen zu Zellen mit freiem Elektrolyten.
reaktion – beinhaltet. Die nachfolgende Fällungsreaktion ist eine chemische Reaktion, die in einiger Entfernung vom Ort der elektrochemischen Reaktion ablaufen kann: Pb – 2e + SO24 o Pb2+ + SO24 o PbSO4 Durchtritt Lösung Fällung –
Sie ist von der Säurekonzentration und damit vom Ladezustand abhängig, da die Löslichkeit von PbSO4 ein Maximum bei etwa 10 Gewichtsprozent Schwefelsäure hat, dann aber mit zunehmender Säurekonzentration rasch abnimmt. Ähnlich verläuft die Entladereaktion an der positiven Elektrode: Pb4+ + 2e o Pb2+ + SO 24 o PbSO4 Durchtritt Lösung Fällung –
In der Durchtrittsreaktion nehmen vierwertige Pb4+Ionen zwei Elektronen auf und gehen als Pb2+-Ionen in Lösung, die sofort chemisch zu PbSO4 reagieren. Gleichzeitig bildet sich während der Entladung an der positiven Elektrode Wasser, weil O2–-Ionen aus dem PbO2 freigesetzt werden und mit den Protonen des Elektrolyten zu Wasser reagieren. Die entsprechenden Ladereaktionen sind in Bild 4-106 beschrieben.
Bild 4-106: Ablauf der Ladereaktionen im Blei-Akku (schematisch)
Ladung und Entladung erfolgen beide nach einem zweistufigen Lösungs-Fällungs-Mechanismus. Der erste Schritt der Entladung an der negativen Elektrode ist eine elektrochemische Reaktion, der den Elektronentransfer an der Bleioberfläche – die Durchtritts-
4.5.2.2 Stand der Technik
Blei-Starterakkumulatoren haben alle eine ähnliche Bauweise und unterscheiden sich in den spezifischen Daten nur geringfügig, selbst wenn sie für Ruhestromverbraucher und geringe Entladeraten oder für hohe Startleistung ausgelegt sind (Tabelle 4-7).
Tabelle 4-7: Technische Kenndaten von Bleiakkumulatoren (DOD: Entladetiefe, siehe Abschnitt 4.5.2.4) Eigenschaft
VRLA-AGM prism.
VRLA-AGM zyl.
Hochenergie
Hochleistung
49 Wh/kg
39 Wh/kg
35 Wh/kg
96 Wh/l
96 Wh/l
70 Wh/l
Spezifische Leistung bei 25 °C – gewichtsbezogen – volumenbezogen
10 s Pulslast
10 s Pulslast
10 s Pulslast
227 Wh/kg 445 Wh/l
230 W/kg
310 W/kg 620 W/l
Zyklenlebensdauer (Ladungsdurchsatz als n-faches der Nennkapazität KN)
100 KN (20 % DOD-Zyklen)
300 KN (20 % DOD-Zyklen)
Noch offen
Kalendarische Lebensdauer
2 – 6 Jahre
2 – 6 Jahre
2 – 6 Jahre
Selbstentladung (bei 25 °C)
2 – 3 % pro Monat
2 – 3 % pro Monat
2 – 3 % pro Monat
Spezifische Energie bei 25 °C – gewichtsbezogen – volumenbezogen
SLI-Standard
570 W/l
Temperaturbereich – In Funktion
–30 bis +70 °C
–30 bis +70 °C
–30 bis +70 °C
– Außer Betrieb
–30 bis +70 °C
–30 bis +70 °C
–30 bis +70 °C
4.5 Batterien und Energiespeicher
253
Größere Unterschiede ergeben sich in der Zyklenlebensdauer und der tolerierten durchgesetzten Energiemenge. Blei-Traktionszellen oder stationäre Zellen, z.B. für die unterbrechungsfreie Stromversorgung, sollen hier nicht betrachtet werden, ebenso wie Hochleistungs-Folienzellen, die spezifische Leistungen bis 1800 W/kg erzielen. Deren Lebensdauer ist allerdings auf maximal ein Jahr begrenzt, weil die Reinblei-Ableiterfolien korrodieren. Sinnvoller erscheint hier der Vergleich von geschlossenen StarterBatterien mit verschlossenen (VRLA-)Typen verschiedener Bauweisen. Die Schwierigkeit für aktuelle Blei-Fahrzeugbatterien ist nicht, die geforderte Leistung im Bordnetz zu erbringen, sondern unter Erhalt der Leistung bei gesteigertem Ladungsumsatz die Lebensdauer zu erhalten. Mit der Einführung der AGM-Batterien ist dies bisher gelungen. 4.5.2.3 Aufbau des Bleiakkumulators Aktive Massen Die aktiven Massen benötigen eine große Oberfläche zum Elektrolyten, damit die Reaktionen bei hohen Lade- und Entladeströmen über die löslichen Verbindungen mit dem erforderlichen Umsatz ablaufen können. Pro Amperestunde Umsatz gehen ca. 8 g Aktivmasse Pb und PbO2 in Lösung oder werden wieder abgeschieden. Sie weisen eine hohe Porosität und große Volumenunterschiede in geladenem und entladenem Zustand auf. Die porösen aktiven Massen Pb und PbO2 werden in Trägergerüste eingebracht, die für Stromleitung und mechanische Stabilität sorgen. Typische Daten sind in Tabelle 4-8 zusammengestellt. In den aktiven Massen müssen Verunreinigungen vermieden werden, die die Überspannungen von Wasserstoff und Sauerstoff herabsetzen. Als Ausgangsmaterial dient Blei mit einer Reinheit von 99,99 %, das anoxidiert, zerkleinert und getrennt für
positive und negative Massen mit Wasser und Schwefelsäure sowie Additiven in einem Kneter gemischt und angeteigt wird. Additive für die positive Masse sind z.B. Glas- oder Polyolefin-Fasern zur Verbesserung der Stabilität sowie Graphitfasern zur Verbesserung der Leitfähigkeit. Der negativen Masse werden Spreizmittel („Expander“) wie Ligninsulfonate, Ruß und Bariumsulfat (BaSO4) zugesetzt. BaSO4 ist isomorph mit dem PbSO4 und bildet Keime für dessen feinkörnige Abscheidung zur Erhaltung einer großen Oberfläche. Ruß und Kohlefasern dienen der Leitfähigkeit der Masse, der Spreizmittelzusatz bewirkt eine Abscheidung des Bleis mit gleichbleibend hoher Oberfläche über viele Zyklen. Unmittelbar an die Pastenfertigung anschließend werden die Gerüste pastiert, d.h. mit Massenpaste gefüllt, und die Pastenoberfläche rasch angetrocknet. Darauf erfolgt in Kammern mit kontrollierter Temperatur und Feuchtigkeit das „Reifen“ der Platten. Es dient der schonenden Trocknung und Weiteroxidation. In der Folge können die Platten in Tanks formiert, gewaschen, getrocknet und imprägniert werden. Sie werden dann zu „trocken vorgeladenen“ Batterien weiter verbaut. Der zweite Weg führt über den Zusammenbau der Platten mit den Separatoren, Einbau in das Gehäuse, Elektrolytfüllung und Formierung im Batteriegehäuse zu „nassen“ Batterien. Bei der Formierung bilden sich die endgültigen Verbindungen und Strukturen in den Massen. Unabhängig von der Geometrie des Masseträger-Gitters, das nur ein sehr weitmaschiger Stromableiter ist, formen sich in der positiven wie in der negativen Masse häufig Mikro- und Makrostrukturen mit unterschiedlich großen Partikeln von 1 bis 10 ȝm Länge und 1 ȝm Durchmesser aus, die eine Art von Leiterskelett ergeben ([4], [5]).
Tabelle 4-8: Einige Eigenschaften der Aktivmassen der Elektroden des Bleiakkumulators; der überwiegende Anteil der positiven Aktivmasse besteht aus E-PbO2 Negative Elektrode
Positive Elektrode
entladen
6,29 g/cm3 PbSO4
6,29 g/cm3 PbSO4
geladen
11,34 g/cm3 Pb
9,87 g/cm3 D-PbO2
Dichte Element/Verbindung
9,3 g/cm3 E-PbO2 Verhältnis der Molvolumina entladen/geladen bzgl. Pb
2,64
2,64/1,4 = 1,89
Elektrische Leitfähigkeit der (geladenen) Massen
104 S cm-1
103 S cm-1
Porosität
50 %
50 %
Spezifische Oberfläche
0,3 – 0,6 m2/g
4 – 6 m2/g
254 Masseträger Als Masseträger und Stromableiter haben sich ausschließlich Bleilegierungen durchgesetzt. Reines Blei weist sowohl eine hohe Wasserstoff-Überspannung als auch die niedrigste Korrosionsrate im Elektrolyten auf. Als Masseträger kann es wegen seiner geringen Festigkeit jedoch nur in kleinen Wickelzellen mit gestützten Elektroden benützt werden. Deshalb werden Blei-Antimon- (Pb-Sb-), Blei-Zinn- (Pb-Sn-) oder Blei-Zinn-Calcium-Legierungen (Pb-Sn-CaLegierungen) verwendet. Gitter mit hohem Antimonzusatz (4 – 11 %) lassen sich einfach gießen und haben eine hohe Festigkeit. Antimon verbessert auch die Zyklenfestigkeit der positiven Masse. Es erhöht jedoch im Laufe des Betriebes den Wasserverbrauch der Zelle, indem Antimon, das an die negative Elektrode gelangt, dort die Wasserstoffentwicklung begünstigt. Für wartungsarme oder verschlossene Zellen sind solche Gitter daher nicht geeignet. Eine Verringerung des Antimongehalts auf 0,5 bis 3 % behebt den erhöhten Wasserverbrauch und erhält die günstige Wirkung für die Lebensdauer der positiven Elektrode. Sie erfordert jedoch den Zusatz weiterer Legierungselemente, wie Zinn und Kupfer sowie von Schwefel oder Selen zur Ausbildung eines feinen Gusskorns. Zur Verringerung des Wasserverbrauchs, wie für wartungsarme oder wartungsfreie Batterien erforderlich, sind Pb-Ca-Legierungen mit einem Calcium-Gehalt unter 1 % und einem Zinn-Gehalt bis zu 3 % besser geeignet. Von den Korrosionsprodukten bleibt Ca2+ in Lösung und stört nicht weiter, Zinn ersetzt teilweise Antimon in seiner Wirkung. Für Anwendungen bei hohen Temperaturen, wie sie unter der Motorhaube von Fahrzeugen auftreten können, verbessert der Zusatz von Silber (Ag) die Lebensdauer.
Bild 4-107: Ausführungen von Masseträgern in Starterbatterien [Quelle: Varta]
4 Bordnetz und Vernetzung Die Formgebung der Ableitergitter erfolgt durch Fallguss oder durch Streckmetallbildung [6] aus gewalzten oder gegossenen Bändern (Bild 4-107). Gussplatten können bis zu einer Mindestdicke von 0,8 mm gefertigt werden. Sie bieten den Vorteil, dass die Geometrie der Stromdichteverteilung leicht angepasst werden kann. Streckmetall ist für hohe Produktionsvolumina geeignet und relativ leicht an verschiedene Zellengrößen anpassbar. Häufig werden im Starterbereich Hybrid-Plattensätze verwendet, d.h. eine Kombination von positiven Gussgittern mit niedrigem Antimongehalt und negativen Pb-Ca-Streckmetallgittern. Ihr Vorteil sind eine hohe mechanische Stabilität und die Verhinderung des früher so genannten Antimon-frei-Effekts, der in den ersten Batterien mit Sb-freien Gittern zu plötzlichem Kapazitätsverlust der positiven Elektrode führte. Dieser Fehler wird heute sowohl dem Kontaktverlust zwischen Masse und Ableiter wie der Massenalterung selbst zugeordnet („premature capacity loss“, PCL). Elektrolyt Die Eigenschaften der Schwefelsäure als Teilnehmer an der Zellreaktion beeinflussen Kapazität, Leistung, Lebensdauer, Korrosion und das Temperaturverhalten der Batterie. Bild 4-108 zeigt den Verlauf der spezifischen Leitfähigkeit über der Konzentration und der Temperatur.
Bild 4-108: Spezifische Leitfähigkeit von Schwefelsäure in Abhängigkeit des Säureanteils und der Temperatur. Die Solidusregion beschreibt den Bereich der Eisbildung (nach Bode [7]).
4.5 Batterien und Energiespeicher Der Konzentrationsbereich und damit der Widerstand und die verfügbare Leistung sind vom Ladezustand, der Temperatur und von Bauweise und Design der Batterie abhängig. Er muss in einem der Anwendung angemessenen Bereich bleiben. Insbesondere für Starterakkus ist wichtig, dass der Elektrolyt nicht bei niedrigem Ladezustand bei tiefer Temperatur einfriert (Solidusregion). Bestimmte Verunreinigungen in der Schwefelsäure wie Chrom, Mangan, Titan und Chloride, dürfen sowohl in der Fertigung bei der Herstellung der Massenpasten wie im Elektrolyten der fertigen Batterie nicht vorhanden sein, um vorzeitige Gasentwicklung an den Elektroden sowie Korrosion zu verhindern. Die stark temperaturabhängige Löslichkeit des Bleisulfats bei geringer werdender Elektrolytkonzentration, d.h. bei niedrigem Ladezustand (Bild 4-109), fördert das Entstehen grobkörnigen Bleisulfats (Sulfatierung) und ist eine der Hauptausfallursachen von Bleibatterien im Winter. Starterbatterien weisen durch die härtere Beanspruchung einen niedrigeren Ladezustand auf und neigen in diesem Fall bei Zyklenbetrieb und stärkeren Temperaturschwankungen zur Sulfatierung und Kornvergröberung. Startfähigkeit und Ladungsannahme werden dadurch rapid verschlechtert. Zusammenbau Um die spezifizierte Belastbarkeit und Kapazität zu erreichen, werden mehrere positive und negative Platten pro Zelle abwechselnd unter Zwischenlegen eines Separators gestapelt und parallel über eine
255 Polbrücke verbunden. Der Separator ist auf die Bauart der Batterie abgestimmt. Jeder Block aus dem vereinigten positiven und negativen Plattensatz wird in das Batteriegehäuse eingeschoben und durch oder über die Zellwände hinweg über die Zellverbinder in Serie verbunden, z.B. durch Pressschweißen. Die Batterie wird durch Aufschweißen des Deckels auf das Gehäuse (beide meist aus Acrylnitril, Butadien, Styrol-Terpolymer ABS oder Polypropylen PP) geschlossen und, im Fall der trocken vorgeladenen Ausführung, vor Gebrauch mit Elektrolyt gefüllt. 4.5.2.4 Bauarten
Bei Starterbatterien (Bild 4-110) unterscheidet man (Kennzeichnung nach EN 50342, Bild 4-111) zwei Typen: geschlossene Batterien (vented/flooded batteries), die einen Deckel mit einer oder mehreren Öffnungen haben, durch die Gase entweichen können, und verschlossene Batterien (valve regulated batteries, with gas recombination), die unter normalen Bedingungen verschlossen sind, aber ein Ventil aufweisen, das bei vorgegebenem Überdruck das Entweichen von Gas erlaubt. In dieser Batterie ist der Elektrolyt festgelegt; Wasser kann nicht nachgefüllt werden.
Bild 4-109: Abhängigkeit der Löslichkeit von Bleisulfat von der Säuredichte und der Temperatur sowie der näherungsweise Zusammenhang von Säuredichte und Zellspannung
256
4 Bordnetz und Vernetzung
Geschlossene Batterien Die Batterien der Blei-Antimon-Standardtechnologie erkennt man an den aufschraubbaren Zellenstopfen. EN 50342 unterscheidet den Wasserverbrauch der Batterien mit flüssigem Elektrolyten bei 21 Tagen Konstantspannungsladen bei 14,4 V und 40 °C nach „normal“ (größer als 4 g/Ah), gering (kleiner als 4 g/Ah) und sehr gering (kleiner als 1 g/Ah). Geschlossene und verschlossene Bauarten haben heute gewichtsoptimierte Gehäuse aus Polypropylen. Die Zellverbinder werden zur Widerstandsminimierung durch die seitlichen Zellwände hindurchgeführt und verschweißt. Die Plattensätze aus positiven und negativen Elektroden sowie Separatoren unterscheiden sich durch die Art der Separatoranordnung. Separatoren in Taschenform um die positiven Elektroden fangen Schlamm auf und verhindern Bodenkurzschlüsse. Die Endpole sind entsprechend der hohen geforderten Leitfähigkeit dimensioniert. Öffnungen im Zellendeckel zum Druckausgleich sind mit Sintermetall-Flammsperren bestückt, die bei außerhalb der Batterie liegenden Zündquellen ein Rückzünden von austretendem Wasserstoff in die Batterie verhindern. Gehäusedeckel von Batterien mit freiem Elektrolyten vermeiden durch Labyrinthdichtungen Elektrolytaustritt beim Kippen. Verschlossene Batterien Verschlossene Bleibatterien entstanden aus dem Bestreben, ein gasdichtes System herzustellen, was erstmals mit einer Ni-Cd-Batterie 1953 gelang. Ansatz ist das Erzwingen eines internen Sauerstoff-
Kreislaufs im Falle der Überladung (siehe Reaktionen (4.6) und (4.7) in Abschnitt 4.5.2.1). Schlüssel dafür sind eine Bauweise mit Gaspassage-Möglichkeiten zwischen positiver und negativer Elektrode durch geeignete Separatoren oder Gelierung des Elektrolyten mit SiO2 und ein gasdichter Batteriekasten mit Überdruckventil. Die Unterschiede der Bauweisen zeigt Tabelle 4-9. Mit SiO2 gelierte Elektrolyte bilden Gaskanäle aus, durch die der Sauerstoff bei Überladung wandert. Verschlossene Fahrzeugbatterien verwenden meist Glasfaservliese als Separatoren; ihre Plattensätze müssen an den Zellkasten eng anliegend eingebaut werden. Der Druck auf die Plattensätze trägt wesentlich zur verbesserten Lebensdauer gegenüber Batterien mit freiem Elektrolyten bei. Beim Glasfaservlies wird der Separator nicht vollständig (90 – 75 %) gefüllt, so dass nicht elektrolytgefüllte Poren für den Sauerstofftransport zur Verfügung stehen. Glasfaserseparatoren (Absorptive Glass Mat, AGM) sind deutlich teurer als die mikroporösen Separatoren geschlossener Zellen. Auch die Fertigungstoleranzen für verschlossene Zellen mit Glasfaser-Separatoren sind enger, der Preis ist daher nahezu doppelt so hoch wie der von Standard-Starterbatterien. Ihre Stärke ist die Fähigkeit, in ihrer Lebensdauer etwa die dreifache Energiemenge von Batterien geschlossener Bauweise durchsetzen zu können. Die typischen Fehlermechanismen unterscheiden sich etwas (s. Tabelle 4-10).
Tabelle 4-9: Unterschied zwischen geschlossener und verschlossener Batterie Komponente
Geschlossen
Verschlossen
Gehäuseöffnung
Schraubstopfen
Überdruck-Ventil („valve regulated“)
Elektrolyt
Frei
Immobilisiert; mit SiO2 geliert
Separator
Mikroporös, Kunststoff
PE oder Glasfaser-Vlies, teilgefüllt
Positives Gerüst
Pb-Sb
Pb-Ca-Sn
Negatives Gerüst
Sb-arm
Pb-Ca
Tabelle 4-10: Fehlermechanismen: Anfälligkeit geschlossener und verschlossener Systeme; AGM Glasfaserseparator Geschlossen Abschlammen
u
Sulfatierung
u
u
Ladungsbalance pos./neg. u
Gel nicht, AGM etwas u
Thermal Runaway (s. Abschnitt 2.4) Wasserverlust
u u
Gitterkorrosion/Gitterdehnung
Säureschichtung
Verschlossen
u
u
4.5 Batterien und Energiespeicher
257
Bild 4-110: Starterbatterie in verschlossener Ausführung
Der Glasfaser-Separator wurde zuerst für zylindrische Reinbleizellen entwickelt, die Ni-Cd-Batterien als Flugzeugstarter-Akkumulatoren ersetzen sollten. Seine Eigenschaften, die Massen auf den Gittern zu fixieren, sowie die Sauerstoff-Rekombination in der Zelle zu ermöglichen, war Grundlage für das Vordringen der Gitterplatten-Technologie in stationäre Anwendungsbereiche. Tabelle 4-11 zeigt die Gewichtsanteile der Komponenten einer verschlossenen Batterie, wie in Bild 4-110 beispielhaft in Explosionsdarstellung mit ihren Komponenten gezeigt, mit einem gewichtsbezogenen Energieinhalt von 40 Wh/kg bei 20-stündiger Entladung. Ansätze für eine Verbesserung bieten eine höhere Ausnützung der aktiven Massen und die Verringerung des Gewichts der Trägergerüste. Bild 4-111 zeigt die Europäische Typen-Nummer (ETN) für Starterbatterien sowie die in ihr enthaltenen Schlüsseldaten.
Tabelle 4-11: Gewichtsbeitrag der Komponenten zu einer typischen verschlossenen Starterbatterie, AM bezeichnet dabei aktive Massen. Bestanteil
Beitrag zum Batteriegewicht
Beitrag zum Energiegewicht
[%]
[kg/kWh]
Bleigitter
15
3,75
pos. AM
22
5,50
neg. AM
25
6,25
Separator
2
0,50
Elektrolyt
26
6,50
Gehäuse
5
1,25
Pole etc. Gesamt
5
1,25
100
25,00
4.5.2.5 Eigenschaften von Bleibatterien
Bild 4-111: Europäische Typen-Nummer (European Type Number ETN) für Starterbatterien [Quelle: Fa. Moll]
Thermisches Verhalten Für die Starterbatterie im Fahrzeug sind Temperatureinflüsse von außen wichtiger als die Erwärmung durch den Betrieb. Aktive Kühlung ist nicht erforderlich. Die Wärmekapazität der elektrolytärmeren verschlossenen Batterien ist mit 0,75 – 1,0 kJ kg-1 K-1 etwas niedriger als die von Starterbatterien (freier Elektrolyt) mit 0,94 – 1,2 kJ kg-1 K-1, die Dämpfung von Temperaturänderungen bei Wärmeentwicklung daher geringer. Die Wärmekapazität kann aus dem
258
4 Bordnetz und Vernetzung
Gewicht der Komponenten und deren spezifischer Wärmekapazität (Tabelle 4-12) berechnet werden. Tabelle 4-12: Wärmekapazität der Komponenten (d Säuredichte) Komponente
Spezifische Wärmekapazität [kJ kg-1 K-1]
Pb
0,13
PbO2
0,27
PbSO4
0,34
H2SO4 d = 1,24 g/cm3 d = 1,28 g/cm3
3,10
Polypropylen (PP)
2,10
Polystyrol (PS)
1,20
Glas
0,80
2,80
Die Erwärmung der Zellen erfolgt durch Entropieänderung der Zellreaktion (reversible Wärme) und durch Joulesche Wärme aus Polarisationsverlusten und Ohmschen Verlusten, die meist überwiegen. Die reversible Wärme beträgt Qrev = 13,2 kJ, das sind 3,5 % der umgesetzten Energie, die bei Ladung zusätzlich als Wärme frei wird. Der Temperaturkoeffizient der Ruhespannung beträgt dU0/dT = 0,23 mV/K. Überladen verschlossener Batterien kann dazu führen, dass die Wärmeentwicklung in der Zelle außer Kontrolle gerät („Thermal Runaway“). Während der Überladung wird die gesamte elektrische Energie in Wärme umgewandelt: Sauerstoffentwicklung an der positiven (Reaktion 2.6) und Sauerstoffreduktion an der negativen Elektrode (Reaktion 2.7) sind gleich schnell, die Verlustwärme heizt den Zellelektrolyten auf, so dass sein Widerstand sinkt und bei spannungskonstantem Laden einen weiteren Anstieg des Überladestroms bewirkt. Dazu wird das Potential der negativen und der positiven Elektrode in positive Richtung verschoben, was die Sauerstoffentwicklung weiter begünstigt. Die Wärmeproduktion übersteigt zunehmend die Wärmeabfuhr, so dass die Batterie schließlich thermisch zerstört wird. Daher ist es bei verschlossenen Bleibatterien im Bordnetz erforderlich, Temperatur und Spannung zu überwachen. So wird eine kurzfristige Spannungsanhebung ermöglicht, um den Ladezustand zu erhöhen, ohne die Gefahr des „Thermal Runaway“, insbesondere bei älteren Batterien, zu provozieren. Elektrisches Verhalten (Verhalten unter Last) Kapazitätsangaben für den Blei-Starterakku beziehen sich auf den 20-stündigen Entladestrom, d.h. den Strom, der den Akku in 20 Stunden entlädt. Die so ermittelte „Kapazität“ oder Nennkapazität wird mit
C20 = CN bezeichnet, als Ergebnis der Entladung mit dem Strom 0,05 C20A. Übliche Ströme im Bordnetz sind meist wesentlich höher oder, im Fall der Ruheströme, sehr viel niedriger. Die nutzbare Kapazität ist stark vom Entladestrom (Bild 4-112, oberes Bild) und von der Temperatur (Bild 4-112, unteres Bild) abhängig. Näherungsweise kann die Beziehung zwischen Entladestrom und Entladedauer durch die Peukert-Gleichung wiedergegeben werden: I n t = C, wobei I der Entladestrom, t die Entladedauer und C, n batteriebezogene Konstanten (n § 1,2 bis 1,4) sind. Die Gleichung gilt meist über einen größeren Bereich von Entladeströmen; weicht aber bei hohen Entladeraten vom tatsächlichen Verlauf ab (Bild 4-112). Der Widerstand der Bleibatterie hängt von der Temperatur, dem Ladezustand und der Dauer des Laststroms ab. Bild 4-113 zeigt diesen Zusammenhang. Die Entladetiefe (DOD, „Depth of Discharge“) bezieht sich hier auf die Kapazität, die an der nach Norm geladenen Batterie mit dem 5-stündigen Entladestrom gemessen wurde. Der vollgeladene Zustand wird im Fahrzeug nicht erreicht; er liegt bei etwa 80 % einer nach Norm geladenen Batterie und daher bereits näher am Minimum, das sich bei mittleren Entladetiefen einstellt. Der Ladezustand wird auch mit „State of Charge“ (SOC) bezeichnet und in Prozenten angegeben. SOC und DOD sind komplementäre Werte, die sich auf 100 % ergänzen. Der Widerstand nimmt mit steigender Temperatur ab und mit der Dauer des Laststroms zu (siehe Werte für –18 °C). Bild 4-113 zeigt auch die Abnahme der Kapazität und damit der Massenausnützung mit sinkender Temperatur. Alterungsmechanismen Die Alterung, d.h. Leistungs- und Kapazitätsabnahme, wird durch Sulfatierung, das heißt Kornvergröberung der Aktivmassen, Gitterkorrosion und Wasserverlust hervorgerufen. Wasserverlust führt heute nur mehr bei Fehlbehandlung (zu hohe Ladespannung, Verunreinigungen bei Nachfüllen von Wasser) zu vorzeitigem Altern. Mechanismen, die zu vorzeitigem Kapazitätsverlust (Premature Capacity Loss, PCL) führen, wurden im Zusammenhang mit der Einführung verschlossener Zellen intensiv untersucht und führt zu den in Tabelle 4-13 dargestellten Ergebnissen. Bei Batterien im Bordnetz tritt wegen des stetig steigenden Ladungsumsatzes und aus Folge der ungenügenden Ladungsbilanz der PCL-3-Effekt an der negativen Elektrode vermehrt auf [8].
4.5 Batterien und Energiespeicher
259
Bild 4-112: Entladekurvenscharen einer Starter-Batterie (12 V, 65 Ah) bei 25 °C sowie Peukert-Geraden bei 25 °C, 0 °C und –20 °C Tabelle 4-13: PCL-Effekte (Premature Capacity Loss). Ursachen und Abhilfen Effekt
Ursache
Abhilfe
PCL 1
Widerstandszunahme zwischen positivem Gitter und Masse
Änderung der GitterlegierungsZusammensetzung (Antimon-arm)
Zusatz von Zinn zu den antimonfreien Gitter-Legierungen
PCL 2
Zunehmende Quellung und Verlust des Zusammenhalts der positiven Masse – Erweichung der positiven Masse
Volumenzunahme bei Tiefentladung von PbO2 zu PbSO4
Druck auf die Masse über Gehäuse und Glasfaser-Separator ausüben
PCL 3
Irreversibler Kapazitätsverlust bei Hochstrom-Teilentladebetrieb (Partial State of Charge, PSoC), Sulfatierung der negativen Platte
Unzureichende Ladung der negativen Masse, weil die Sauerstoffreduktion bereits vor Volladung der negativen Elektrode beginnt, so dass das Potential der Platte positiver wird
Auswahl von Art und Menge geeigneter Spreizmittel (s. Abschnitt 4.5.2.3); Kohle-Zusatz
260
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-113: Widerstand Ri einer Bleibatterie mit 12 V, 75 Ah in Abhängigkeit von der Entladetiefe DOD („Depth of Discharge“) und von der Temperatur. Entladestrom 1 C5A = 75 A, Ri berechnet aus 'U nach 10 s
Gitter-Korrosion Eine weitere Hauptursache für den Ausfall von Bleiakkus ist Korrosion der positiven Gitter. Die Korrosionsgeschwindigkeit entspricht dem Korrosionsstrom, der der Korrosionsreaktion (4.4)
Pb + 2 H2O o D-PbO2 + 4 H+ + 4 e– zugeordnet ist. Er beträgt bei einer Ladespannung von 2,2 V etwa 2 PA/cm2, was einer Eindringtiefe von 0,03 mm pro Jahr entspricht. In Starterbatterien im Bordnetz ist die Korrosion jedoch wegen der höheren Spannung von 2,4 V pro Zelle eher dreimal so groß. Säureschichtung Bei der Ladung des Bleiakkus wird in den positiven und negativen Elektroden Säure produziert (Reaktionen (4.2) und (4.3)), die sich wegen ihrer größeren Dichte am Boden des Gehäuses ansammelt. Dies bewirkt im unteren Teil der Platten Sulfatierung der negativen Massen. In geschlossenen Batterien lässt sich die Säureschichtung durch Gasentwicklung mittels Überladen beseitigen. Bei verschlossenen Batterien mit Glasfaserseparator ist die Tendenz zur Säureschichtung gering (siehe Tabelle 4-10). Abschlammung In geschlossenen Akkumulatoren führt das Ausspülen von Aktivmasse-Partikeln und deren Ansammlung am Gehäuseboden zu Kurzschlüssen. Durch Separatoren in Taschenform kann deren Ausbildung vermieden werden. In verschlossenen Batterien tritt dieser Fehler nicht auf, weil die Massepartikel durch den angepressten Separator an ihrem Platz gehalten werden.
Bild 4-114: Aufbau der Korrosionsschicht auf dem positiven Masseträger; Eindringtiefe bei Gitterkorrosion (nach [9])
4.5.2.6 Entwicklungstendenzen bei Bleiakkumulatoren für Fahrzeuge
Der Bleiakkumulator wurde in der Vergangenheit vielfach empirisch optimiert. Seine Chemie ist inzwischen weitgehend verstanden. Verbesserungen sind daher nur in begrenztem Umfang zu erwarten, vor allem unter Beachtung der Kosten, die der Hauptvorteil des Systems sind. Nachteile sind die Zyklenlebensdauer und die Alterung bei Unterschreiten eines
4.5 Batterien und Energiespeicher Ladezustandes von etwa 70 – 80 % und gesteigertem Ladungsdurchsatz. Viele kleine Beiträge durch neue Additive zu den Massen, korrosionsstabilere Gitterlegierungen und neue Separatoren haben in Verbindung mit der verschlossenen (VRLA-)Bauweise und der Wickeltechnik der Elektroden zu nennenswerten Verbesserungen geführt (siehe z.B. Bild 4-115).
261 träger, die auf einer Fläche mit positiver Masse, auf der anderen Fläche, d.h. elektrisch leitend verbunden, mit negativer Masse beschichtet sind. Die Elementbildung erfolgt durch Stapeln der Elektroden mit jeweils entgegengesetzt polaren Seiten unter Zwischenlegen eines Separators und Füllen mit Elektrolyt. Dichtungen um die Kanten der Masseträger müssen Elektrolytschlüsse verhindern. Selbst verhältnismäßig einfache Technologien wie Blei-Kunststoff-Verbundgitter waren nicht erfolgreich, obwohl vielfache Ansätze existierten und weiterhin verfolgt werden. Dagegen kann die Einführung von Batteriemonitoring- und einfachen Management-Systemen mit Spannungs- und Temperaturüberwachung die Lebensdauer des Bleiakkus effektiv verbessern, indem sie ihn in dem günstigsten Betriebsbereich hält, beispielsweise durch gelegentliche Spannungsanhebung der Ladespannung zur Volladung.
4.5.3 Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren
Bild 4-115: Verschlossene Batterie (VRLA-AGM) mit verbesserter Zyklenfestigkeit (Quelle: Exide)
Bipolare Batterien konnten sich dagegen nicht durchsetzen. Sie sind aus bipolaren Elektrodenplatten aufgebaut: Das sind elektrolytdichte, korrosionsfeste Masse-
Elektrochemische Doppelschichtkondensatoren (DSK, Supercaps), bekannt unter den Bezeichnungen „Supercaps“ oder „Ultracaps“, speichern Ladung im Unterschied zu Batterien elektrostatisch. Bei Anlegen einer Spannung trennen sich die positiven und negativen Ladungsträger im Elektrolyten eines Doppelschichtkondensators und werden an den Elektroden gespeichert (Bild 4-116). Die gespeicherte Ladung wird wie bei gewöhnlichen Kondensatoren in Farad angegeben. Doppelschichtkondensatoren unterscheiden sich lediglich durch das Dielektrikum von anderen Kondensatoren.
Bild 4-116: Prinzip der Ladungsspeicherung in elektrochemischen Doppelschichtkondensatoren: a) entladener Zustand, b) geladener Zustand; 1 Elektrode, 2 Elektrolyt
262
4 Bordnetz und Vernetzung
In Batterien erfolgt die Ladungsspeicherung immer mit Transfer von Elektronen unter Umwandlung von elektrischer in chemische Energie, deren Umsatz in Coulomb ausgedrückt wird und dem Faradayschen Gesetz folgt. In Doppelschichtkondensatoren tritt dagegen Elektronentransfer nicht oder in nicht nennenswertem Umfang auf. Nur bei stärkerer Bindung des Adsorbatmoleküls an das Substrat, wie im Fall der Chemisorption von Anionen mit Elektronendonor-Eigenschaften, kann ein partieller Ladungsübergang erfolgen, der sich durch das Auftreten einer „Pseudokapazität“ zeigt. Die Grundgleichungen für Doppelschichtkondensatoren lauten C
Q U
H
S d
mit der Kapazität C, der Ladung Q, der Spannung U, der Dielektrizitätskonstante H , der Oberfläche S und dem Elektrodenabstand d sowie E
1 CU 2 2
mit der Energie E. In einer idealen Batterie ist die Spannung von der umgesetzten Ladung innerhalb des Arbeitsbereichs nahezu unabhängig. In Doppelschichtkondensatoren ist die Spannung dagegen ein Indikator für den Ladezustand (siehe Bild 4-117). Die speicherbare Ladungsmenge hängt für ein gegebenes System wesentlich von der für die Ladungsträger zugänglichen Elektrodenoberfläche ab. Die gespeicherte Energie ist dem Quadrat der Spannung proportional.
Bild 4-117: Zusammenhang von Spannung und umgesetzter Ladung bei Batterie und Kondensator (nach [10]); der Entladezustand des Kondensators ist die Differenz aus maximaler Ladung und tatsächlicher Ladung bezogen auf die maximale Ladung; der Entladezustand der Batterie ist die Entladetiefe DOD (siehe Abschnit 4.5.2.4)
Von den verschiedenen Doppelschichtkondensatorsystemen haben sich solche mit organischen Elektrolyten und (symmetrischen) Kohle- bzw. Grafitelektroden hoher Oberfläche durchgesetzt. Sie können Ladespannungen von 2,7 V erreichen, im Unterschied zu Systemen mit wässrigen Elektrolyten (Schwefelsäure oder Kalilauge), die unter der Zersetzungsspannung von Wasser (1,23 V) arbeiten müssen. Eine weitere Begrenzung des Energieinhalts von Doppelschichtkondensatoren ist durch die Verfügbarkeit der Ladungsträger gegeben. In organischen Elektrolyten ist sie durch die Löslichkeit der Leitsalze im Lösemittel bestimmt. Stand der Technik sind Doppelschichtkondensatoren mit Acetonitril (AN) als Lösemittel, Tetraethylammoniumtetrafluoborat (TEABF4, Et4N+BF4-) als Leitsalz und graphitierter Kohle mit großer Oberfläche von 1000 bis 2000 m2/g und aktiven Poren von 2 – 5 nm Durchmesser. Die Aktivkohle wird mit gut leitender Kohle, Binder (meist Polyvinylidenfluorid PVDF oder Polytetrafluoretylen PTFE) und einem wässrigen oder organischen Fluid angeteigt, mit einer Rakel auf ein vorgeätztes Aluminiumband aufgetragen und getrocknet. Der Fertigungsprozess entspricht weitgehend dem der Anodenfertigung von Lithiumionenzellen. Acetonitril wird in Japan wegen seiner Toxizität nicht eingesetzt, man verwendet dort Propylencarbonat-basierte Lösemittel. Deren Leitfähigkeit liegt bei etwa der Hälfte der konventionellen AcetonitrilElektrolyte, auch das Verhalten bei tiefen Temperaturen ist schlechter. Doppelschichtkondensatoren mit Acetonitril-Elektrolyt können zwischen –20 °C und 65 °C für Lade- und Entladedauern im Bereich von 20 s ohne wesentliche Leistungs- und Kapazitätseinbuße betrieben werden. Die höchsten Werte werden bei 40 °C erreicht, wo das Maximum der Elektrolyt-Leitfähigkeit liegt; bei –20 °C sind die Daten etwa 25 % niedriger. Doppelschichtkondensatoren können in allen bei Batteriezellen üblichen Bauweisen gefertigt werden. Dennoch dürfte die zylindrische Wickelzelle aus Kostengründen das günstigste Design darstellen. Besonders kritisch ist wegen der hohen Ströme die Dimensionierung der Ableiter und Kontakte (siehe Bild 4-118). Die Entwicklung großer Doppelschichtkondensatoren (1000 – 5000 F) ist nicht abgeschlossen. Aufgrund der Entwicklungsmöglichkeiten der Materialien und Zellkomponenten lässt sich die Entwicklung der Zellendaten jedoch gut abschätzen (Tabelle 4-14).
4.5 Batterien und Energiespeicher
263 Die Zellenkosten selbst liegen derzeit bei etwa 35 ¼/Wh, wobei die Relation von Leistung und Energieinhalt, wie in Tabelle 4-14 angegeben, vorausgesetzt wird. Bei Massenfertigung werden Preise von 10 ¼/Wh erwartet. Die einzige Massenanwendung in Fahrzeugen ist bisher der redundante Energiespeicher für die elektrohydraulische Bremse des Prius 2 von Toyota. Die „16-V-Batterie“ besteht aus 28 Zellen zu je 68 F mit 4 parallelen Strängen von je 7 seriengeschalteten Zellen, entsprechend einem Energieinhalt von 1,4 Wh. Wahrscheinlichste Anwendung für zukünftige Bordnetze ist eine kleine Doppelschichtkondensator-Bank zur Unterstützung und Sicherstellung der Startleistung der Bleibatterie. Sie könnte aus der teilentladenen Bleibatterie geladen werden und die geforderte hohe Startleistung für etwa 3 s liefern. Für Hybridanwendungen ist zurzeit kein Vorteil für Doppelschichtkondensatoren zu erkennen. Nur bei Leistungsabgabe im Bereich bis zu 5 s könnten sie preislich mit Nickel-Metallhydrid- oder Li-IonenBatterien konkurrieren.
Bild 4-118: Ansicht einer DoppelschichtkondensatorWickelzelle mit minimierten elektrischen und thermischen Widerstand durch Schweißverbindungen von Elektrodenfahnen und Poldeckeln und kurzen Stromwegen zwischen Elektroden und Polen [Quelle: EPCOS AG] Tabelle 4-14: Gegenwärtige und für 2010 erwartete Daten von Doppelschichtkondensatoren [11] Verfügbar
Erwartet (2010)
Zellspannung
2,5 – 2,7 V
2,7 – 2,9 V
Spezifische Energie
3,5 – 4,5 Wh/kg
4,5 – 5,5 Wh/kg
Energiedichte
4,3 – 5,6 Wh/l
5,5 – 8 Wh/l
Spezifische Leistung
1 – 2 kW/kg
1,5 – 2,5 kW/kg
Ebenso wie Lithiumbatterien benötigen Doppelschichtkondensatoren elektronische Schutzschaltungen, um ein Überladen zu vermeiden, sowie einen gesteuerten Ladungsausgleich der Zellen untereinander, um Unterschiede in der Selbstentladung auszugleichen. Dafür gibt es aktive und passive (dissipative) Schaltungen. Sie haben zum Ziel, alle Zellen auf die gleiche Spannung zu bringen. In aktiven Schaltungen werden Zellen mit niedriger Spannung auf Kosten höher geladener Zellen geladen. Passive Schaltungen ziehen alle Zellen auf das Spannungsniveau der Zelle mit der niedrigsten Spannung. Die Zusatzkosten pro Zelle werden für Massenfertigung (100 000 Stück) mit 1,67 ¼ für aktive und 0,2 ¼ für passive Elemente angenommen.
4.5.4 Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren Von den klassischen alkalischen Systemen haben NiCd- und Ni-Fe-Batterien eine über 100-jährige Geschichte. Sie wurden etwa gleichzeitig von Jungner und Edison 1899 erfunden, um für den Bleiakku in der Fahrzeug-Traktionsanwendung wegen dessen bekannter Schwächen – mangelnde mechanische Robustheit und Lebensdauer – Ersatz zu schaffen. Ni-Cd blieb bis etwa 1970 das bevorzugte System für zyklenintensiven Betrieb, ferner zur Anwendung bei tiefen Temperaturen (Bahnanwendungen und exponierte Speicher zur unterbrechungsfreien Stromversorgung, so genannte USV-Anlagen in kalten Klimazonen), bei sicherheitskritischen Anwendungen (Flugzeug-Starterbatterien, Raumfahrt) und ist es z.T. heute noch. Nach Vorarbeiten von Dassler (1933) und Neumann (1947) wurde außerdem das erste völlig verschlossene, gasdichte System auf Basis des Sauerstoffkreislaufs verwirklicht und ab 1952 in den Handel gebracht, das Überladen und später auch Umpolen in Grenzen tolerierte. Anstöße für die Weiterentwicklung gaben die hohen Zyklenanforderungen von in erdnahen Umlaufbahnen von 90 bis 100 Minuten Dauer kreisenden Satelliten, deren Energiebedarf im Erdschatten aus photovoltaisch erzeugter, batteriegespeicherter Überschussenergie gedeckt wird. Ni-H2-Zellen kombinieren die stabile Nickeloxidelektrode mit der WasserstoffKatalysatorelektrode. Wasserstoff wird als negative Masse druckgespeichert; sein Druck ist ein Maß für den Ladezustand, erfordert aber ein gegen Druckwechsel (bis 60 bar) und Wasserstoffversprödung widerstandsfähiges Gehäuse.
264
4 Bordnetz und Vernetzung
Ab etwa 1960 wurden Metallhydride als Wasserstoffspeicher für Verbrennungsmotoren intensiv untersucht [12]. Sie erreichen hohe Speicherdichten, so dass eine Volumenreduzierung, wenn auch keine Massereduzierung der Speicher im Vergleich zu Druckgas- oder Flüssigwasserstoff-Speicherung möglich ist. Mit der Entdeckung von LaNi5 [13] wurde die namengebende Legierung einer Legierungsklasse von AB5-Metallen gefunden, die Justi et al. 1970 erstmals als Speicherelektrode einsetzten. Erst 1984 gelang Willems (Philips) die Präparation einer Multikomponenten-Legierung dieser Klasse mit nur mäßiger Korrosion in alkalischen Elektrolyten und einem Gleichgewichtsdruck nahe Atmosphärendruck. Dies sind Voraussetzungen für die Anwendung als Speicherelektrode. Eine andere Klasse von AB2-Multikomponenten-Legierungselektroden wurde von Ovshinski et al. favorisiert [14]. Die weitere Entwicklung erfolgte gezielt in Japan und kam ab etwa 1987 zum Tragen, als steigender Bedarf an Gerätebatterien mit einem gleichzeitigen Bann von Cadmium wegen seiner Toxizität zusammentraf. Mischmetall (Mm), eine an Cermetall reiche Legierung seltener Erdmetalle, erwies sich als kostengünstiges, korrosionsfestes Ausgangsmaterial für die Wasserstoff-Speicherelektrode. So konnten NiMH-Batterien das Ni-CdSystem in vielen Anwendungen ablösen, außer für den Einsatz bei tiefen Temperaturen und für höchste Leistungen. Sowohl Jungner als auch Edison suchten während der Entwicklung des Ni-Cd-Akkus systematisch nach nichtlöslichen Elektrodenmaterialien für die negative Elektrode, wie es Ni(OH)2 für die positive Elektrode ist. Hydrid-Speicherelektroden erfüllen diese Anforderung. 4.5.4.1 Elektrochemie
Die Reaktionsgleichungen der NiMH-Zelle sind: Gesamtreaktion: 1/6 MmNi5H6 + NiOOH l 1/6 MmNi5 + Ni(OH)2 , (4.8) Zellspannung: 1,32 V Positive Elektrode: NiOOH + H2O + e– l Ni(OH)2 + OH– , U0 = +0,490 V
(4.9)
Negative Elektrode: 1/6 MmNi5H6 + OH– l 1/6 MmNi5 + H2O + e– , (4.10) U0 = –0,829 V Aus der Summe der Gleichgewichtsspannungen U0 der Teilreaktionen (4.9) und (4.10), gemessen gegen die Standard-Wasserstoffelektrode, ergibt sich die Zellspannung der Gesamtreaktion.
Wasserstoff liegt während der Ladung in atomarer Form an der Oberfläche der negativen Elektrode vor und wird in der Legierung gemäß Reaktion (4.10) gespeichert. Bei Entladung reagiert der Wasserstoff mit OH– des Elektrolyten wieder zu H2O. OH– wird bei der Entladung (4.9) der NiOOH-Elektrode produziert. Reaktion (4.9) kann auch als Reaktion eines (hydratisierten) Protons H+ mit NiOOH beschrieben werden: NiOOH + H+ + e– l Ni(OH)2 U0 = +0,490 V . H+ diffundiert in das Feststoff-Gitter des NiOOH, so dass ein kontinuierlicher Übergang in der Zusammensetzung von dem geladenen NiOOH zu dem entladenen Ni(OH)2 stattfindet. H2O und OH– treten in der Gesamtbilanz nicht auf, so dass man bei der Zellreaktion von einem „Proton-shuttle“ zwischen den Elektroden sprechen kann. Die Elektrolytkonzentration ändert sich praktisch nicht. Als Elektrolyt dient eine 6- bis 7,6-molare Alkalihydroxid-Lösung, meist KOH mit einem Anteil an LiOH von bis zu 0,4 Mol pro Liter. Aus der Gesamtreaktion (4.8) 1/6 MmNi5H6 + NiOOH l 1/6 MmNi5 + Ni(OH)2 , 1/6 u 440,2 g + 91,7 g = 165,1 g lassen sich für eine theoretische Ruhespannung von 1,32 V und den Umsatz von einem Äquivalent eine theoretische gewichtsbezogene spezifische Energie von 26,8 Ah · 1,32 V / 0,1651 kg = 214,3 Wh/kg berechnen. Praktisch erzielen leistungsoptimierte Zellen unter 45 Wh/kg, energieoptimierte Zellen bis zu 85 Wh/kg. Die Zellspannung ist der des Ni-Cd-Systems sehr ähnlich. Die Reaktionen bei Überladen sind Sauerstoffentwicklung an der positiven Elektrode und Sauerstoffverzehr an der negativen Elektrode: Positive Elektrode: 4 OH– ˇ O2 + 2 H2O + 4 e–, U0 = +0,401 V
(4.11)
Negative Elektrode: O2 + 2 H2O + 4 e– ˇ 4 OH–. U0 = –0,829 V
(4.12)
Gesamt: U0 = +1,230 V Zellspannung: 1,5 V Die Reaktionen sind völlig symmetrisch. Voraussetzung dafür, dass der Sauerstoffkreislauf funktioniert, ist die entsprechende Überdimensionierung der Kapazität der negativen Elektrode. In diesem Fall ist die
4.5 Batterien und Energiespeicher
265
Zelle auch in begrenztem Umfang tiefentlade- und umpolfest, allerdings über einen Wasserstoffkreislauf: Positive Elektrode: 2 H2O + 2 e– ˇ H2 + 2 OH– , U0 = –0,829 V
(4.13)
Negative Elektrode: H2 + 2 OH– ˇ 2 H2O + 2 e–. U0 = –0,829 V
(4.14)
Gesamt: U0 = 0,00 V Zellspannung: –0,3 V An der umgepolten positiven Elektrode entwickelter Wasserstoff wird an der negativen Elektrode zu Wasser oxidiert. Die Abweichungen der gemessenen Zellspannung von den theoretischen Spannungen kommen durch Polarisation und Mischpotentiale zustande. Die negative Elektrode hat somit sowohl eine Speicherfunktion für Wasserstoff im normalen Lade- und Entladebetrieb (Reaktion (4.10)), als auch eine Katalysatorfunktion im Fall des Überladens und des Umpolens: Durch den Separator antransportierter Sauerstoff bzw. Wasserstoff wird an der elektrolytfeuchten Oberfläche der negativen Elektrode zu OH– reduziert (Reaktion (4.12)) bzw. zu Wasser oxidiert (Reaktion (4.14)). An der positiven Elektrode laufen neben der normalen Lade- und Entladereaktion (4.9) die mit Sauerstoffentwicklung verbundene Überladereaktion (4.11) und die mit Wasserstoffentwicklung verbundene Umpolreaktion (4.14) ab.
4.5.4.2 Stand der Technik
Den Stand der Technik für Hochleistungs- und Hochenergiezellen zeigt Tabelle 4-15. 4.5.4.3 Zellendesign
Die Überdimensionierung der negativen Elektrode (siehe Bild 4-119) muss für alle Betriebsbereiche aufrechterhalten werden. Dabei sind Temperatur- und Belastungsverhalten der beiden Elektroden zu berücksichtigen. Bei niedrigen Temperaturen und hohen Entladeraten wird die negative Elektrode begrenzend und bestimmt damit den zulässigen Betriebsbereich der Zelle. Hydrid-Speicherelektrode Wasserstoff-Gleichgewichtsdruck und Korrosionsstabilität der Hydrid-Speicherelektroden lassen sich durch Legierungszusätze beeinflussen. Die Hydrierung der Legierung ist mit Volumenzunahme verbunden. Bei vollständiger Ladung und Entladung beträgt die Volumenänderung etwa 15 – 20 %, je nach Zusammensetzung. Zyklische Hydrierung und Dehydrierung führt durch die mechanische Beanspruchung zum Zerkleinern der Legierung, was verfahrenstechnisch genutzt wird. Gleichzeitig ist dies auch der bestimmende Alterungsmechanismus in der Zelle bei Entladetiefen über 10 %. Im Zuge der Hydridbildung entsteht eine nach innen wachsende ȕ-AB5Hx–Schicht an der Oberfläche der Speicherlegierung. Die Dehydrierung beginnt ebenfalls an der Oberfläche, nur wächst nunmehr die dehydrierte Į-AB5–Schicht nach innen (Bild 4-120).
Tabelle 4-15: Daten von NiMH-Zellen (SOC Ladezustand, state of charge, DOD Entladezustand, depth of discharge; jeweils ausgedrückt in Prozent des vollen Lade- oder Entladezustandes) Eigenschaft bei
Hochenergie-Zellen
Hochleistungs-Zellen
Spezifische Energie bei 25 °C – gewichtsbezogen
75 Wh/kg
45 Wh/kg
– volumenbezogen
180 Wh/l
125 Wh/l
Spezifische Leistung bei 25 °C – gewichtsbezogen
250 W/kg
750/1000 W/kg (50 % SOC)
– volumenbezogen
600 W/l
2100/2800 W/l
Zyklenlebensdauer
> 2500 bei 100 % DOD
> 300 000 bei r 3 % DOD
Kalendarische Lebensdauer
> 12 Jahre
> 12 Jahre
Selbstentladung (bei 25 °C)
20 – 30 % pro Monat (25 °C)
20 – 30 % pro Monat (25 °C)
18 s Pulslast Laden/Entladen
Temperaturbereich – in Funktion
–10 bis +60 °C
– außer Betrieb/Lagerung
–30 bis +70 °C
266
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-119: Elektrodenauslegung in NiMH-Zellen: a) zur Überlade-, b) zur Umpolsicherheit; SOC: Ladezustand
Bild 4-120: a) Zusammensetzung einer Wasserstoff-Speicherlegierung in Abhängigkeit von H2-Druck und Temperatur T (schematisch); der Stabilitätsbereich des Hydrids ist schraffiert dargestellt mit von T3 über T2 und T1 abnehmender Umgebungstemperatur; b) schematischer Reaktionsablauf
Die strichlierte Linie zeigt den Stabilitätsbereich des Hydrids. Mit steigender Temperatur nehmen der Wasserstoff-Gleichgewichtsdruck und damit der Zellinnendruck zu, was bei Betrieb außerhalb der Spezifikation zum Ansprechen des Sicherheitsventils führen kann. Die Kapazität nimmt mit steigender Temperatur ab. Unter den Legierungsbestandteilen ist die Rolle von Kobalt interessant: es verringert die Volumenarbeit und damit die Alterung, trägt aber auch zu höheren Kosten bei. Wegen der guten Leitfähigkeit der Legierung können die Elektroden einfach z.B. durch Aufwalzen von mit Polytetrafluorethylen-Fasern (PTFE), einem chemisch stabilen Elastomer, gebundenen Legierungskörnern auf geeignete Stromableitergerüste hergestellt werden (Bild 4-121). Bild 4-121: Mit Polytetrafluorethylen-Fasern oder Fibriden (helle, fadenförmige Gebilde) gebundene Wasserstoff-Speicherelektrode [Quelle: Hoppecke]
4.5 Batterien und Energiespeicher
267
Bild 4-122: Reaktionsschema der Nickeloxid-Elektrode („Bode-Diagramm“) sowie Struktur und Volumina der Phasen (schematisch); die Volumenänderung ist auf das Volumen 'Vvon ȕ-Ni(OH)2 bezogen
Positive Elektrode ȕ-Ni(OH)2, Į-Ni(OH)2, ȕ-NiOOH und Ȗ-NiOOH gelten als die zwei- bzw. dreiwertigen Modellphasen der Nickeloxidelektrode. Alle Phasen haben Schichtstruktur, wobei der Abstand zwischen den Schichten der ȕ-Ni(OH)2-Phase nur 4,6 Å gegenüber dem der hydratisierten Į-Ni(OH)2-Phase von 8 Å beträgt. Die Elektrodenmasse ist allerdings weitgehend amorph. Nach dem Reaktionsschema von Bode geht die hydratisierte Į-Phase bei Lagerung in KOH in die dehydratisierte ȕ-Phase über. Die normale Lade- und Entladereaktion läuft über die ȕ-Ni+2(OH)2- und ȕNi+3OOH-Phasen ab. Bei Überladen von ȕ-NiOOH
in konz. KOH entsteht Ȗ-NiOOH, das sich zu ĮNi(OH)2 entladen lässt. Im „Bode-Diagramm“ in Bild 4-122 sind die relativen Volumenänderungen der Phasen (vorliegendes Volumen bezogen auf das Volumen von ȕ-Ni(OH)2) vermerkt. Für hohe Zyklenlebensdauer ist die Lade- und Entladereaktion im Bereich der homogenen ȕ-Phasen als Festkörperreaktion erforderlich. Eine Stabilisierung der ȕ-Phasen wird durch Co(OH)2 als Additiv zur positiven Masse (3 – 6 Gewichtsprozent) erreicht [15]. Die Fertigung kann nach verschiedenen Verfahren erfolgen (siehe Tabelle 4-16 und Bild 4-123). Für hochbelastbare Zellen sind Taschenplattenelektroden nicht geeignet.
Bild 4-123: Sinter- und Schaumgerüste sowie imprägnierte Elektroden: a) Nickel-Schaumgerüst, b) Massenpaste der Schaumgerüste; c) Sinterelektrodengerüst, d) Imprägnierte Sinterelektrode; Maßstab a) abweichend [Quelle: ZSW]
268
4 Bordnetz und Vernetzung
Tabelle 4-16: Elektrodensubstrate und Imprägnier-Verfahren, PAN Polyacrylnitril, PTFE Polytetrafluorethylen Masseträger
Porosität des Substrats
Porengröße des Substrats
Füllverfahren
Taschenplatte
nicht anzugeben, (AktivmassenPressling wird von Lochblechstreifen aus Stahl eingeschlossen), Masse-Porosität | 33 %
nicht anzugeben
Ni(OH)2, C- und Ni-Flitter werden als Pressling vorgeformt, nur für niedrige Entladeraten und prismatische Zellen
Faserverbund-Gerüst (PP, Ni)
80 – 90 %
25 Pm
Vibrationsfüllung mit wässriger Massenpaste, für niedrige bis hohe Entladeraten, nur prismatische Zellen
Nickel-Schaumgerüst auf Basis von PANSchaum, Kunststoff pyrolysiert
92 – 95 %
200 Pm
Pastenfüllung mittels Walze oder Rakel, hohe Entladeraten (kleine Zellen)
Sinterplatten aus Carbonylnickel
70 – 75 %
5 Pm
Chemische oder elektro-chemische Fällung aus Lösung, hohe Entladeraten
Kunststoffgebundene Aktivmassen
nicht anzugeben, Aktivmasse wird durch PTFE-Fibride gebunden, Masse-Porosität | 33 %
nicht anzugeben
Aufwalzen mit PTFE-Suspension verkneteter Aktivmasse (Wasser oder Mineralöl als Fluid) auf Streckmetallsubstrat, mittlere Entladeraten
Für hochbelastbare Zellen, z.B. für Hybridanwendungen, werden Sinter- oder Schaumgerüstelektroden bevorzugt. Die Leitfähigkeit der hoch porösen Schaumgerüste muss bei größeren Elektrodendimensionen allerdings durch zusätzliche Nickelstromableiter unterstützt werden. Durch Ni(OH)2–Material hoher Schüttdichte gelang es, den Füllungsgrad der positiven Elektroden zu vergrößern und damit auch die Kapazität der Zellen. Dies kann aber wegen stärkerer Volumen-änderungen zu verringerter Zyklenfestigkeit führen, was für Hybridanwendungen nicht hinnehmbar ist. Separatoren Üblich sind Faservliese aus Polyamid (PA) oder Polypropylen (PP). Polyamid ist besser benetzbar, aber im Kontakt mit der positiven Elektrode weniger oxidationsstabil. Polypropylen-Fasern benötigen Netzmittel oder eine hydrophilisierende Oberflächenbehandlung.
Besonders kritisch ist die Elektrolytfüllung des Separators: Sie muss für gute Leitfähigkeit ausreichen, im Überladefall freie Poren für den Sauerstofftransport von der positiven zur negativen Elektrode ermöglichen, aber auch Reserven für Legierungskorrosion, Hydrolyse des Separators und Alterung der positiven Elektrode (Ȗ-NiOOH-Bildung bei Überladen) aufweisen. Bauweise Zylindrische Zellen sind zur Aufnahme eines höheren Betriebsdrucks geeignet. Die Elementbildung durch Aufwickeln übereinander liegender Bänder aus Separator, positiver Elektrode, Separator und negativer Elektrode ist kostengünstiger herzustellen als durch Aufschichten der Einzelkomponenten zu prismatischen Stapeln. Die Stromtragfähigkeit des Wickels limitiert die Zellenkapazität zylindrischer Zellen auf etwa 30 Ah.
Bild 4-124: NiMH-Module der Prius-Batterie: a) zylindrische Bauweise (alt): 43 Wh/kg, 126,5 Wh/l, 550 W/kg; b) prismatische Bauweise (neu): 45 Wh/kg, 73,5 Wh/l, 1250 W/kg; c) Toyota-Prius-Batterie mit primatischen Modulen
4.5 Batterien und Energiespeicher Prismatische Zellen können keinem hohen Betriebsdruck standhalten. Der Aufbau der Elemente ist aufwendiger, der mechanische Druck auf das Zellenpaket im Betrieb u.U. gleichmäßiger und die Dimensionierung der Stromableiter einfacher. Die Packungsdichte der prismatischen Module in der Batterie ist günstiger und wiegt den Nachteil der geringeren Energiedichte auf. Für die Hybridfahrzeugbatterien ging Panasonic Electric Vehicle Energy Co. (PEVE) von Modulen aus zylindrischen Zellen auf prismatische Zellen über (Bild 4-124), zunächst mit Kunststoffgehäusen, neuerdings mit Metallgehäusen, während Sanyo, als zweiter bedeutender Hersteller für NiMH-Hybridfahrzeugbatterien, bei Modulen aus zylindrischen Zellen blieb. 4.5.4.4 Betriebs- und Alterungsverhalten
Das Betriebsverhalten ist im spezifizierten Leistungsund Temperaturbereich weitgehend durch die positive, kapazitätsbegrenzende Elektrode gekennzeichnet. Die Spannungshysterese beim Laden und Entladen (Bild 4-125) ist eine Eigenschaft der positiven Elektrode und bedingt einen schlechteren EnergieWirkungsgrad (Verhältnis der entnommenen zu den eingeladenen Wattstunden), verglichen z.B. mit dem Bleiakku. Die Ladungsannahme ist bei einstündigem Ladestrom höher als bei zehnstündiger Ladung. Entsprechend muss der Ladefaktor (Verhältnis der eingeladenen zur entnommenen Strommenge; Kehrwert ist der Ah-Ladewirkungsgrad) bei niedrigen Laderaten höher gewählt werden. Er liegt für Vollzyklen typisch zwischen 1,10 und 1,03. Der beste Wirkungsgrad wird bei etwa 10 °C erreicht. Abhängig von der Zusammensetzung der positiven Elektroden und von den Elektrolytzusätzen nimmt die Ladungsannahme über 35 °C deutlich ab, die Selbstentladung dagegen zu.
269 Im Prinzip ist der NiMH-Akkumulator langlebig, sicher, leistungsfähig und zyklenfest. Daher ist er als Hybridfahrzeugbatterie prädestiniert. Einige Grundregeln bei seiner Behandlung müssen jedoch beachtet werden. Im Fahrzeug übernimmt diese Aufgabe das Batteriemanagement. Eine Lagerung bei einer Spannung unter 0,9 V pro Zelle ist zu vermeiden, weil dann CoOOH, das die Leitfähigkeit der positiven Masse sicherstellt, zu schlecht leitenden Verbindungen reduziert wird. Bei dauernder Zyklisierung im Teilentladebereich kann der bekannte Memoryeffekt (Bild 4-126) auftreten, der ein Absinken der Entladespannung bewirkt. Er ist durch eine Volladung zu beheben. Durch gelegentliches Volladen kann auch eine Kapazitätsangleichung der Zellen nach längerer Betriebsdauer erreicht werden, wenn unterschiedliche Selbstentladung zu unterschiedlichen Ladezuständen geführt hat. Massives Überladen ist wegen der Bildung von Ȗ-NiOOH zu vermeiden, weil es zu Quellung der positiven Elektrode, Verringerung der verfügbaren Elektrolytmenge und Auspressen von Elektrolyt aus dem Separator führt. Im Zyklenbetrieb dominiert als Alterungsmechanismus jedoch das Aufbrechen der negativen Speicherlegierung unter Oberflächenvergrößerung und Korrosion sowie Absorption von Elektrolyt. Dadurch wird der Separator in vermehrtem Ausmaß ausgequetscht und trocknet schließlich nahezu aus. Als Folge steigt der Widerstand, die notwendige Überlade- und Umpol-Reserve wird verringert und die Zelle fällt letztlich hochohmig aus. Bei Entladetiefen unter 10 % spielt offenbar die Volumenarbeit der Elektroden bei der Alterung keine Rolle mehr; so werden bei 3 % Entladetiefe nahezu eine halbe Million Zyklen erreicht (Bild 4-127).
Bild 4-125: Hysterese der Ruhespannung einer NiMH-Zelle beim Laden und Entladen [Quelle: ZSW]
270
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-126: Ausbildung (a) und Abbau (b) des Memory-Effekts an einer NiMH-Zelle; DOD bezeichnet den Entladezustand [Quelle: ZSW]
Bild 4-127: Alterungsverhalten von zylindrischen 6,5-Ah-NiMHZellen bei Zyklenbelastung [Quelle: Varta]
Sicherheit Gegen elektrische Fehlbehandlung ist die NiMHZelle in weiten Grenzen inhärent sicher. Zur Beurteilung von Fehlfunktionen genügt eine Spannungsüberwachung von Modulen aus bis zu 12 Zellen. Fehler wie Überladen oder Übertemperaturen müssen durch das Batteriemanagement abgefangen werden. Zellinterner Kurzschluss sowie (bei Fehlfunktion des Batteriemanagements) begrenztes Überladen sind ebenfalls unkritisch. Gegen Deformation und Einwirkung von Feuer von außen (als Folge eines Unfalls) schützen das Batteriegehäuse und ein möglichst Crash-sicherer Einbau im Fahrzeug.
4.5.5 Lithium-Ionen-Batterien Lithium-Batteriesysteme haben die Voraussetzung für höchsten massebezogenen Energieinhalt: Li hat das negativste Normalpotential von –3,05 V gegen Was-
serstoff, das niedrigste Atomgewicht aller Metalle und eine geringe Dichte von 0,534 g/cm3. Es lässt sich mit einer Vielzahl von Kathodenmaterialien zu 2-, 3- und 4-V-Systemen kombinieren, vorzugsweise mit solchen Oxiden und Sulfiden, die mit Lithium Einlagerungsverbindungen bilden (Bild 4-128). Voraussetzung ist allerdings ein nichtwässriger Elektrolyt mit ausreichend großem Stabilitätsfenster, das ist ein Spannungsbereich, in dem der Elektrolyt, also Leitsalz und Lösemittel, chemisch nicht mit Zellkomponenten reagiert. Der hohe Energieinhalt und die Reaktivität sowie der niedrige Schmelzpunkt von 180 °C bedingen jedoch auch Risiken. Seit etwa 1965 wurde intensiv an der Entwicklung von aufladbaren Lithiumbatterien gearbeitet. Folgende Schritte führten letztlich zu einer erfolgreichen Darstellung von Gerätebatterien, die 1991 eingeführt und seitdem in zunehmender Zahl produziert werden:
4.5 Batterien und Energiespeicher
271
Bild 4-128: 3- und 4-V-Lithium-Ionensysteme
1. Die Phlegmatisierung der Li-Elektrode. Sie gelang durch Entwicklung von Interkalationsverbindungen für Lithium, von denen bisher Kohlenstoff den besten Kompromiss aller Eigenschaften zeigte. Das Elektrodenpotential ist nur wenig positiver als das von Lithium-Metall, und Graphit kann Li bis zur Zusammensetzung LiC6 aufnehmen. 2. Elektrolyte mit ausreichendem Stabilitätsfenster. Mischungen organischer Carbonate und Ester als Lösemittel mit LiPF6 als Leitsalz und Additiven zur Beeinflussung der Eigenschaften der Elektroden-Grenzschichten (Solid Electrolyte Interface, SEI) als Überladeschutz sowie als Entflammbarkeits-Hemmer erfüllen die Anforderungen. 3. Separatoren, die dünn, frei von durchgehenden Löchern (pinholes), und oxidationsstabil im Kontakt mit den positiven Elektroden sind. Üblich sind mikroporöse Folien aus Polyolefinen (Polyethylen, Polypropylen) von etwa 25 Pm Dicke. 4. Fertigungsverfahren für dünne (30 bis 100 Pm) Schichten aktiver positiver Massen, um Nachteile der schlechten Leitfähigkeit zu kompensieren und hohe Leistung zu erzielen. Wegen ihrer überlegenen Eigenschaften verdrängen LiIonen-Batterien zunehmend NiMH-Zellen im Markt der Konsumentenbatterien. Die fortschreitende Materialentwicklung bietet gute Aussichten zur Verbesserung von Sicherheit, Energieinhalt, Leistung und Kosten auf Zellebene und kann in eine existierende, ausgereifte Fertigungstechnik eingebracht werden.
4.5.5.1 Elektrochemie
Für eine typische Zelle nach dem Stand der Technik lässt sich folgende Gesamtreaktion angeben: 2 LiMO2 + 6 C l 2 Li0,5 MO2 + LiC6 , 2 × 97,9 g + 72 g = 267,8 g U0 = 4,2 V mit U0 als Ruhespannung in voll geladenem Zustand. Als theoretischen Energieinhalt erhält man 420 Wh/kg bei Annahme von Kobalt als M (alternative Metalle wie Ni oder Mn haben ähnliches Atomgewicht), 0,5 e– Umsatz pro Mol Kathode und einer Ruhespannung von 4,2 V, wie in der Gleichung für die Gesamtreaktion angegeben. Die Elektrodenreaktionen sind: Positive Elektrode: LiMO2 l Li1–x MO2 + x Li+ + x e–
(4.15)
Negative Elektrode: x Li+ + 6 C + x e– l LixC6
(4.16)
Gesamt: LiMO2 + 6 C l Li1–x MO2 + LixC6
(4.17)
Positive und negative Elektrode sind sogenannte Interkalations- oder Einlagerungs-Elektroden. Bei Entladung ist die negative Elektrode die Li+-Ionenquelle, die positive Elektrode die Senke. Die Zellspannung ist die Differenz des chemischen Potentials von Lithium in den beiden Elektroden.
272
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-129: Funktionsprinzip der Li-IonenZellen (schematisch); SEI: Elektroden-Grenzschicht
Bei Eintritt oder Austritt von Li+ in das Wirtsgitter wird zur Aufrechterhaltung der Elektroneutralität ein Elektron e– zugeführt oder abgegeben. Die Ladungsspeicherung erfolgt durch die Redox-Reaktion im Wirtsgitter für das Li+-Ion (siehe Bild 4-129). Die Stabilität der Wirtsgitter begrenzt die Aufnahmefähigkeit für Li+-Ionen. Man beachte, dass metallisches Lithium in Li-Ionen-Zellen nicht vorhanden ist. Eine Besonderheit ist die Passivschicht (Solid Electrolyte Interface, SEI) an der negativen Elektrode. Sie ist für die Anwendungseigenschaften wichtig (siehe Abschnitt 4.5.5.3). Im Unterschied zu Zellen mit wässrigen Elektrolyten fehlen bei Überladen oder Umpolen reversible Ersatzreaktionen, die Ladung aufnehmen und in Wärme umwandeln könnten. Nach dem Ausschöpfen der Zellreaktion erfolgt eine Elektrolytzersetzung, die verhindert werden muss. Dies erfolgt durch Begren-
zen der Lade- und Entladespannung jeder einzelnen Zelle. Es erfordert daher die elektrische Überwachung aller Einzelzellen. Versuche, die Zellchemie überladesicher zu gestalten, waren bisher erst ansatzweise erfolgreich. 4.5.5.2 Stand der Technik
Charakteristische Eigenschaften der Li-Ionen-Zellen nach dem Stand der Technik sind in Tabelle 4-17 aufgeführt. Die Daten gelten für neue Zellen, nicht für Module oder für das Batteriesystem. Herausragend im Vergleich zu anderen Batteriesystemen sind die hohe spezifische Energie und, für Hybride interessant, die hohe spezifische Leistung. Sie beträgt selbst bei –25 °C noch etwa 25 % der Leistung bei 25 °C.
Tabelle 4-17: Eigenschaften aktueller Li-Ionen-Zellen; nach Ablauf der Lebensdauer fällt die Lebensdauer auf 80 % der Anfangskapazität ab oder die spezifizierten Leistungsanforderungen werden nicht mehr erfüllt Eigenschaft
Hochenergie-Zellen
Hochleistungs-Zellen
Spezifische Energie bei 25 °C – gewichtsbezogen
150 Wh/kg
65 Wh/kg
– volumenbezogen
300 Wh/l
130 Wh/l
Spezifische Leistung bei 25 °C – gewichtsbezogen
(30-s-Puls bei 50 % DOD)
(10-s-Puls, Laden/Entladen)
600 W/kg
1200 bis 1500 W/kg (50 % SOC)
– volumenbezogen
1200 W/l
2400 bis 3000 W/l
Zyklenlebensdauer
> 2000 bei 100 % DOD
> 300 000 bei r 3 % DOD
Kalendarische Lebensdauer
7 – 10 Jahre
7 – 10 Jahre
Selbstentladung (bei 25 °C)
2 – 3 % pro Monat (25 °C)
bis
10 % pro Monat (55 °C)
Temperaturbereich – In Funktion
–25 bis +50 °C
–25 bis +50 °C
– Ohne Last
–30 bis +70 °C
–30 bis +70 °C
4.5 Batterien und Energiespeicher Im Batterieverbund benötigen Li-Ionenzellen wie Doppelschichtkondensatoren (siehe Abschnitt 4.5.3) ein Batteriemanagement mit Einzelzellen-Spannungsüberwachung und eine Schaltung für den Ladungsausgleich zwischen den Zellen, die durch unterschiedliche Selbstentladung differierende Ladezustände aufweisen können. Gleichmäßige Temperierung der Zellen sorgt für einen verbesserten Gleichlauf der Zellen. Verpackungsfaktoren, die für Batteriegehäuse, elektrisches und thermisches Management angesetzt werden müssen, liegen volumenbezogen zwischen 1,5 und 2; gewichtsbezogen zwischen 1,3 bis 1,6. Für die Batterieauslegung ist zu berücksichtigen, dass die geforderten Leistungen zu Ende der Lebensdauer noch erfüllt werden müssen.
4.5.5.3 Zellenkomponenten
Zellen nach dem Stand der Technik bestehen aus folgenden Komponenten: 1. Negative Elektroden aus Kohlenstoff (synthetischer Graphit, Naturgraphit, „hard carbon“), in den bei erstmaligem Laden Li-Ionen eingebaut werden. Er wird in dünner Schicht mit Binder und Ruß als Leitmaterial auf eine Kupfer-Folie als Stromableiter aufgetragen. 2. Mikroporöse Separatorfolien aus Polypropylen und Polyethylen, die meist als „Shut-DownSeparator“ ausgebildet sind. Bei Temperaturen über 135 °C schmilzt die Polyethylen-Schicht und unterbricht den Ionentransport. Der Separator wirkt so als zellinternes Sicherheitselement. 3. Elektrolyt aus einem Lösemittelgemisch von Ethylencarbonat (EC), Propylencarbonat (PC), Ethylmethylcarbonat (EMC), Dimethylcarbonat (DMC), Diethylcarbonat (DEC) und anderen, einem darin gelösten Leitsalz, vorzugsweise LiPF6, und funktionellen Zusätzen. 4. Positive Elektroden aus lithiierten Übergangsmetalloxiden auf einer Aluminium-Folie als Ableiter. Für Konsumentenzellen wird meist noch LiCoO2 eingesetzt. Es ist reproduzierbar herzustellen, bietet einen akzeptablen Kompromiss aus spezifischer Kapazität und Leistung, muss jedoch für zukünftige kostensensitive Anwendungen ersetzt werden. Negative Elektrode In den ersten kommerziellen Li-Ionen-Zellen wurde Petrolkoks als Interkalations-Anode verwendet. Das Wirtsmaterial wurde inzwischen in Bezug auf Speichereigenschaften und Kosten vielfach optimiert. Wichtige Eigenschaften sind reversible und irreversible Li-Aufnahme, in der sich polykristalline, graphitische Materialien mit unterschiedlich geordneten Strukturen und „hard carbon“, nicht graphitierbare
273 Kohle, unterscheiden. Physikalische Eigenschaften und Gebrauchseigenschaften sind schwierig zuzuordnen. In geladenem Zustand liegt Lithium als Ion, nicht in metallischer Form im Graphitgitter vor; trotz des nur etwa 50 bis 100 mV negativeren Abscheidungspotentials von Li-Metall (Bild 4-128) wird die Bildung metallischer Dendriten, spießähnlicher Abscheidungen von Lithium, bei nur geringer Spannungseinbuße gegenüber Li-Metall vermieden. Daran ist die Passivschicht (SEI) maßgeblich beteiligt, die sich durch Reduktion des Lösemittels des Elektrolyten bildet. Grenzfläche zwischen Elektrode und Elektrolyt Die Grenzschicht an der Grenzfläche der negativen Elektrode zum Elektrolyten (Solid Electrolyte Interface SEI) entsteht bei der Erstladung der Zelle. Ihre Entstehung kann nicht verhindert werden, die Eigenschaften sind aber durch den Elektrolyten beeinflussbar. Da die Li-Ionen durch die Grenzschicht hindurch müssen, trägt sie durch Erhöhung des Innenwiderstandes wesentlich zur Zellcharakteristik bei und bestimmt Leistung, Alterung und Sicherheit der Zelle mit. Zum Aufbaumechanismus der Grenzschicht gibt es unterschiedliche Vorstellungen [16], [17]. Als Passivschicht ist sie nicht elektronenleitend, jedoch porös und ionenleitend als Voraussetzung für den LiIonentransport, erhöht aber den Zellenwiderstand, und besteht aus einem Partikel-Mosaik von Li2O, LiF, Li2CO3 und organischen Zersetzungsprodukten von Lösemittelmolekülen, die bei dem Miteinbau solvatisierter, d.h. von Lösemittelmolekülen umgebener Li+-Ionen entstehen können. Die Schichtbildung ist durch geeignete Additive, also funktionale Zusätze, zu manipulieren. Die Grenzschicht ist maßgebend für das Funktionieren der reaktiven Anode, indem sie eine weitere Reaktion des Li+ und damit dessen Verbrauch verhindert, und bildet eine Sicherheitsbarriere an der Anode. Sie ist aber auch maßgeblich an der Alterung der Zelle beteiligt. Elektrolyt Der Elektrolyt [18] besteht aus den bereits genannten Lösemittelgemischen und Leitsalz. Von den Lösemitteln wird gutes Lösevermögen, chemische Stabilität gegen die Arbeitselektroden, niedrige Viskosität, ein hoher Flammpunkt, niedriger Schmelzpunkt und hoher Siedepunkt erwartet, sie sollen ferner nicht toxisch und kostengünstig sein. Ein einzelnes Lösemittel kann nicht alle Anforderungen erfüllen, was zu den erwähnten Gemischen von Ethylencarbonat, Propylencarbonat, Dimethylcarbonat und anderen führt. Das Leitsalz muss unter den Zellenbedingungen stabil, vollständig gelöst und dissoziiert sein und + eine gute Beweglichkeit des solvatisierten Li -Ions ermöglichen. LiPF6 bietet in der Summe seiner Eigenschaften den besten Kompromiss, trotz seiner
274 Empfindlichkeit gegen Feuchtigkeit und hohe Temperaturen. Hochreine Lösemittel und Leitsalze sind erforderlich, um Nebenreaktionen zwischen Aktivmaterialien und Elektrolyt zu vermeiden. Insbesondere Spuren von Wasser und Flusssäure (HF) führen zu einer Abnahme der Lebensdauer. Erst die industrielle Herstellung von reinem LiPF6 in Japan ermöglichte die kommerzielle Produktion von Li-Ionenzellen. Die Leitfähigkeit beträgt typisch 5 mS/cm bei Raumtemperatur. Additive, die in geringen Konzentrationen den Lösemittelgemischen zugegeben werden, erfüllen verschiedene Aufgaben. Sie beeinflussen die Bildung der Grenzschicht, verringern die Entflammbarkeit oder können Löslichkeit und Leitfähigkeit oder die Überladesicherheit verbessern. Solche Additive enthaltende Elektrolyte werden deshalb auch Funktionselektrolyte genannt. Polymer-Elektrolyte Die unter der Bezeichnung Li-Polymer im Handel befindlichen Zellen enthalten keinen echten Polymerelektrolyten, sondern eine Polymerstruktur, in der flüssiger Elektrolyt als Gel enthalten ist (Bild 4-130).
Bild 4-130: Aufbau eines Li-Ionen-Zell-Elements mit GelPolymer-Elektrolyt
Der Gel-Elektrolyt besteht aus zwei Komponenten und ersetzt den flüssigen Elektrolyten und den Separator. Polymerkomponenten sind z.B. Polyvinylidenfluorid (PVdF), Polymethylmethacrylat (PMMA),
4 Bordnetz und Vernetzung Polyacrylnitril (PAN); als flüssige Komponenten werden weitgehend die konventionellen Elektrolyte verwendet. Sie haben daher auch einen ähnlichen Leitwert wie Flüssigelektrolyte. Zur Sicherheit kann die Gelschicht auf Separator-Membranen aufgetragen werden. Damit lässt sich die Elektrolytschichtdicke verringern und die „Shut-Down-Funktion“ implementieren. Gel-Polymer-Elektrolyte lassen sich besonders einfach in sogenannte „Coffee-Bag-Zellen“ integrieren (Bild 4-132), das sind Zellen mit Folienhüllen ähnlich vakuumverpacktem Kaffee als Gehäuse. Separatoren Vorzugsweise werden mikroporöse PolyolefinSeparatoren (Polyethylen und Polypropylen) verwendet, weil sie die notwendige chemische Stabilität im Kontakt mit den Elektroden zeigen und die Fertigungsverfahren sicher und etabliert sind [19]. Die Porosität liegt bei 30 – 50 %, die Porengröße bei 0,03 bis 0,5 Pm, die Dicke bei 20 bis 30 Pm. Für GelPolymerzellen werden bereits 9 Pm dicke Membranen gefertigt. Positive Elektrode Positive Elektroden [20] bestehen aus lithiierten Übergangsmetalloxiden als Aktivmasse, die mit Binder und Leitmittel auf Aluminium-Folie als Ableiter aufgetragen werden. Das zunächst eingesetzte LiCoO2 wird wegen seines hohen Preises zunehmend ersetzt. Bevorzugt sind einmal Schichtstruktur aufweisende, fremdmetallsubstituierte lithiierte Nickeloxide LiNiO2 mit der allgemeinen Zusammensetzung Li(Ni1-y-zCoyMz)O2 (M steht für Al, Mg, Mn). Sie weisen, verglichen mit LiCoO2, höhere Energiedichten, niedrigere Kosten und gute Zyklenstabilität auf. Eine Alternative könnten Spinelle auf Basis von lithiiertem Manganspinell LiMn2O4 werden (siehe Bild 4-131). Er ist kostengünstig, bietet höhere Sicherheit, hat jedoch eine niedrigere Energiedichte (–15 %) und niedrigere Lebensdauer als die vorher genannten positiven Massen.
Bild 4-131: Verlauf der Entladespannung und spezifische Kapazität von Kathodenmaterialien [20]; die Kapazität bezeichnet hier im Unterschied zu Kondensatoren die entnehmbare Ladungsmenge in mAh/g [Quelle: ZSW]
4.5 Batterien und Energiespeicher Bild 4-131 zeigt die Entladekurven der wichtigsten positiven Elektrodenmassen. Das Potential gegen die Li/Li+-Bezugselektrode ist nahezu gleich der Zellspannung. LiCoO2, wie kommerziell verwendet, ist das Bezugsmaterial. Substituierte gemischte Nickel-Kobaltoxide wie beispielsweise LiNi1-yzCoyAlzO2 weisen zwar eine etwas niedrigere Entladespannung auf, bieten aber eine ausgezeichnete spezifische Kapazität und Zyklenlebensdauer. Dies gilt auch für die gemischte symmetrische Verbindung Li(Ni0,34Co0,33Mn0,33)O2. Der lithiierte ManganSpinell LiMn2O4 hat bei hohem Ladezustand eine relativ stabile Struktur und geringe Löslichkeit. Die nutzbare Kapazität ist jedoch geringer als bei den Schichtstruktur-Oxiden. Unter den neuen Kathodenmaterialien sind Lithium-Vanadiumphosphat Li3V2(PO4)3 und vor allem Lithium-Eisenphosphat LiFePO4 aussichtsreiche Kandidaten. Sie sind potentiell kostengünstig. LiFePO4 und FePO4 als ge- und entladene Aktivmaterialien bilden ein Zweiphasensystem mit im Wesentlichen gleicher Struktur. Entsprechend der Gibbsschen Phasenregel zeigt es eine konstante Spannung über den gesamten Entladebereich [21]. Die Fertigungstechnik für Li-Ionenzellen ist bekannt und etabliert. Im Unterschied zu wässrigen Systemen sind Trockenräume erforderlich und die Herstellung dünner Masseschichten (30 bis 100 µm) erfolgt durch Rakeln (Auftragen von Pasten) oder Extrudieren. Ferner müssen die Wickeltechnik und das Teilen der dünnen Elektroden- und Separatorbahnen sowie die Anpassung der Materialien und Verfahren am Elektrolyt (Dichtungen, Verschließen) angepasst werden. 4.5.5.4 Zellendesign
Entsprechend den ersten Anwendungen für portable Geräte wurden zunächst Zellen für kleine Kapazitäten von etwa 0,3 bis 2 Ah entwickelt. Neben zylind-
275 rischen Zellen waren dies solche mit Foliengehäusen, insbesondere für Zellen mit Gelelektrolyt (Bild 4-132). Daneben gibt es noch prismatische Zellen mit dem klassischen Metallgehäuse. Vorteile der jeweiligen Bauart sind in Tabelle 4-18 aufgeführt. Tabelle 4-18: Vorteile zylindrischer und prismatischer Zellenbauformen Zylindrisch
Prismatisch
Einfache, sichere Fertigungstechnik (Elektrodenwickel)
Flache Bauweise
Druckfestes Gehäuse (40 bar) Definierter Öffnungsdruck der Berstscheibe
Bessere Wärmeabfuhr, gleichmäßige Temperaturverteilung Flexible Dimensionierung Einfacher Batterieaufbau
Zuverlässige Dichtheit
Schwachstellen der Foliengehäuse sind die Dichtheit der Gehäuse und der Poldurchführungen an den Schweißstellen gegen Wasserdampf, trotz mit Aluminium kaschierten Folien. Li-Ionenzellen bauen im Laufe ihres Lebens durch parasitäre Reaktionen Innendruck auf, der mit zylindrischen Gehäusen besser aufgefangen wird. Dies und der definierte Öffnungsdruck der Berstscheibe sind wesentliche Sicherheitselemente. Nachteile der zylindrischen Zellen sind hohe Temperaturgradienten in der Zelle und schlechte Packungsdichte im Batteriegehäuse. Sicherheit Wegen des Gefährdungspotentials durch den brennbaren Elektrolyten und die reaktiven Elektrodenmassen bei Missbrauch, Fehlfunktionen und Gewalteinwirkung muss bei der Entwicklung einer Fahrzeugbatterie die Sicherheit an erster Stelle stehen.
Bild 4-132: Lithium-Zellen: a) zylindrische Bauart und b) prismatisches Foliengehäuse („coffee-bag“)
276 Die Sicherheitsstrategie für Li-Ionen-Batterien baut Gefahren für Insassen und Umwelt mit mehrstufigen Barrieren vor: auf Zell-Niveau mit Auswahl der sichersten Chemie und der sichersten Zellengestaltung, auf Modul-Niveau, so vorhanden, mit Maßnahmen zum Vermeiden des Lawineneffekts, d.h. Entzünden weiterer Zellen bei Brand einer Zelle und auf BatterieNiveau mit dem Schutz der Zellen und der Batterie durch das Batterie-Management-System (BMS). Es verhindert elektrische und thermische Überlastung für den Fall, dass spezifizierte Betriebsbedingungen (zu hohe oder zu niedrige Einzelzellenspannung, Grenzströme, Grenztemperaturen) überschritten werden, und schaltet bei externem Kurzschluss oder bei Isolationsfehlern die Batterie ab. Bei Unfall oder Fehlfunktion des Batteriemanagementsystems bietet ein stabiles Batteriegehäuse Schutz sowohl für Zellen als auch für die Umwelt vor Feuer oder vor mechanischen Einwirkungen. Es muss daher für die Aufnahme mechanischer Kräfte von innen und außen (wegfliegende Zellenteile, Unfalleinwirkungen, Stoß, Fall), austretender Elektrolytflüssigkeiten oder -dämpfe und zur Beherrschung einer explosiven Atmosphäre durch Lösemitteldämpfe ausgelegt werden. Alterung Für den praktischen Gebrauch ist es wichtig, dass LiIonen-Zellen bei mittlerem Ladezustand am wenigsten altern. Bei hoher Zellspannung, die gut mit dem Ladezustand korreliert, tritt Elektrolytzersetzung, bei niedriger Spannung Ableiterkorrosion auf. Hohe Temperatur beschleunigt die Alterung und schadet insbesondere Zellen mit Mangan-Spinellen. Effekte der Zell-Alterung sind Verlust an verfügbaren Li+Ionen und Aktivmaterialien, was zu Kapazitätsverringerung und Widerstandserhöhung führt [22]. Ausblick Das Lithium-Ionen-System verfügt bereits heute im Vergleich zu anderen Batteriesystemen über die höchste spezifische Leistung und die höchste spezifische Energie. Neue Materialien haben ein großes Potenzial für eine Kostenreduzierung, für eine weitere Steigerung der spezifischen Energie und der Lebensdauer. Gegenüber alkalischen Zellen wird nur 1/3 der Anzahl von Zellen für die gleiche Spannung benötigt, was die Systemzuverlässigkeit erhöht. Herausforderungen sind die Beherrschung des komplexen Batteriesystems und der Aufbau einer Massenfertigung für große Batterien.
4.5.6 Anwendung elektrochemischer Speicher in Kraftfahrzeugen 4.5.6.1 Bordnetz
Die fahrzeugseitigen Anforderungen an Leistung und Energie im Bordnetz steigen ständig. Ursache ist die
4 Bordnetz und Vernetzung Zunahme der Komfortsysteme und die Umwandlung hydraulisch betätigter Dauerverbraucher in sparsamere elektrische, bedarfsgesteuerte Verbraucher, um einen Beitrag zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs und der Emissionen zu erreichen. Treiber dieser Entwicklung sind zum einen Kundenwünsche, zum anderen gesetzliche Auflagen und Konkurrenzdruck. Eine Liste bereits eingeführter und in Zukunft zu erwartender Aggregate zeigt Tabelle 4-19. Die Bordnetz-Durchschnittsleistung lag 1960 bei etwa 300 W und stieg nach 1990 auf 1,5 kW, was als Obergrenze für das 12-V Bordnetz angesehen wurde. Trotz weiter steigendem Leistungsbedarf, der in manchen Modellen bereits 3 kW übersteigt, wird das seitdem geplante und entwickelte 42-V-Bordnetz wegen seiner Komplexität und der Zusatzkosten derzeit nicht weiter verfolgt; sein Spannungsniveau ist gegebenenfalls für den elektrischen Antrieb gering hybridisierter Fahrzeuge interessant. Das 12-V-Bordnetz muss daher die gesteigerten Anforderungen bewältigen. Oberste Priorität im Bordnetz hat die Startsicherheit. Als Problem erweisen sich zunehmend wochenlange Standzeiten von Fahrzeugen, z.B. auf FlughafenParkplätzen. Die gelegentliche Aktivierung „schlafender“ Überwachungsfunktionen bei Inbetriebnahme von in der Umgebung parkenden Fahrzeugen kostet zusätzlich Energie, die über Verluste durch den Ruhestrom hinausgehen, und kann die Batterie nach 6 Wochen unter den auslegungsgemäßen Ladezustand von 50 % entladen. Die Bordnetzbatterie muss demnach einmal die Startleistung unter allen Umständen sicherstellen, die Ruhestromverbraucher ausreichend lang versorgen und die Differenz zwischen der Leistungsbilanz von Verbrauchern und Generator überbrücken. Nach Generatorausfall muss der Fahrzeugbetrieb aus der Batterie ebenfalls für kurze Zeit gewährleistet sein. Batterien können auf hohe Leistung oder hohen Energieinhalt optimiert werden, woraus sich je nach den Anforderungen Funktions- und Kostenvorteile erzielen lassen. Für erweiterte Funktionen (StoppStart, X-by-Wire) ist die Teilung des Bordnetzes in Energie- und Leistungsverbraucher sinnvoll. Die Startfunktion allein kann auch durch einen relativ kleinen Doppelschichtkondensator mit 300 bis 500 F dargestellt werden, der bei Bedarf aus einer schwachen Bordnetzbatterie geladen wird und die Startleistung dennoch sicher erbringt [23]. Für sicherheitskritische X-by-Wire-Systeme ist eine sichere Versorgung unabdingbar. Die Versorgung über Generator und Batterie ist zwar bereits redundant, doch wird für derartige Systeme eine weitere Rückfallebene gefordert. Hier existieren Lösungen mit 12- bis 14-Ah-Bleibatterien mit Überwachung von Ladezustand und Batterie-Lebensdaueranzeige oder mit Doppelschichtkondensatoren.
4.5 Batterien und Energiespeicher
277
Tabelle 4-19: Belastung heutiger und künftiger Bordnetze durch elektrische Aggregate Aggregat
Spitzenlast [W]
Scheinwerfer, Beleuchtung Elektr. Fensterheber
Dauer bis zur Einführung
Ziel
600
eingeführt
Sicherheit
700
eingeführt
Komfort
Heckscheibenheizung
1 500
eingeführt
Komfort
Elektr. Sitzverstellung
1 000
eingeführt
Komfort
Sitzheizung
500
eingeführt
Komfort
Elektr. Kühlerventilator
500
eingeführt
Verbrauchssenkung
Elektr. Wasserpumpe
500
eingeführt
Verbrauchssenkung
1 500
eingeführt
Verbrauchssenkung
Elektr. Zusatzheizung
3 000
eingeführt
Komfort
Frontscheibenheizung
1 500
eingeführt
Komfort
Katalysator-Vorheizung
2 000
eingeführt
Umweltverträglichkeit Umweltverträglichkeit
Elektr. Servolenkung
Elektr. Klimaanlage
3 500
1 – 3 Jahre
Elektromagnet. Ventilsteuerung
4 000
5 – 10 Jahre
Verbrauchssenkung
Elektrische Bremse
2 500
5 – 10 Jahre
Sicherheit
Elektrische Lenkung
1 500
5 – 10 Jahre
Sicherheit
12 000
5 – 10 Jahre
Sicherheit
Aktives Fahrwerk
Die neu eingeführten Aggregate belasten das Bordnetz vor allem mit hohen Lastspitzen. Die höhere Belastung, Temperatureinflüsse, X-by-Wire-Systeme und das kritischere Verhalten von verschlossenen Batterien empfiehlt den Einsatz von einfachen Batteriemanagementsystemen, die Temperatur und Ladezustand berücksichtigen. Mit der Stopp-Start-Funktion dürften die Grenzen des Bleiakkus hinsichtlich Zyklenlebensdauer und Ladungsdurchsatz erreicht sein. Weitere Anwendungen werden das Bordnetz in Bezug auf Ladungsdurchsatz und Entladezyklen noch stärker belasten. Sie erfordern zwingend die Verwendung verschlossener Batterien. Um den Verbrennungsmotor in eingekuppeltem Zustand zu starten und über Leerlaufdrehzahl zu beschleunigen, wurden zur Leistungsunterstützung in ähnlichen Bordnetzarchitekturen bereits Hochleistungs-
a)
b)
Li-Ionen-Batterien in kleiner Serie eingesetzt [24]. Für den Bleiakku ist eine integrierte Batteriesensorik (Spannung, Temperatur und nach Möglichkeit Strom), verbunden mit einem Batteriemanagement im ZweiBatterien-Bordnetz, Voraussetzung für verbesserte Lebensdauer. Integration in das Fahrzeug Die Batterie ist ein großes, schweres Bauteil, das zusätzlich nicht die üblichen fahrzeugspezifischen Temperatur-Anforderungen an mechanische oder elektrische Komponenten erfüllt. Daher muss ein geeigneter Raum im Fahrzeug gefunden werden. Motornahe Unterbringung hat den Vorteil kurzer Kabellängen und den Nachteil hoher thermischer Belastung (Bild 4-133).
c)
Bild 4-133: Anordnung von Batterien in Pkw in Hinblick auf die Temperaturbelastung: a) Kunststoff-Batteriebox im Motorraum eines Kleinwagens, b) hinter der Spritzwand im Motorraum eines Mittelklassefahrzeugs, c) unter dem Gepäckraum eines Kleinwagens (die Auspuffrohre sind beidseitig vorbeigeführt), nach [25]
278 Säurenebel treten im Normalfall bei verschlossenen Batterien nicht mehr auf. Eine Belüftung des Batterieraumes muss jedoch gewährleistet sein. Das Gefährdungspotential durch die Batterie (Funkenbildung, Säureaustritt, Masse) muss auch für den Crash-Fall berücksichtigt werden, beispielsweise durch Abtrennen des Bordnetzes mit einem einmal auslösenden, nicht wieder einschaltenden Sicherheitsschalter. Thermische Belastung Unter der Motorhaube treten im Sommer an der Batterie je nach Unterbringung Temperaturen von 70 bis 85 °C auf, die bei Betrieb in heißen Ländern zu einer Verkürzung der Lebensdauer führen. Alternative chemische Speichersysteme (Nicht-Blei-Systeme) haben meist Temperaturgrenzen von etwa 60 °C und benötigten somit aktive Kühlung. Mechanische Belastung, Vibration Im Pkw-Bereich liegt die Beanspruchung im Normalbetrieb bei Beschleunigungswerten von 2 – 3 g. Der normale Sitz des Plattenpakets im Gehäuse eines Starterakkus nimmt diese Kräfte auf. In Geländefahrzeugen, Baustellen-, landwirtschaftlich und militärisch genutzten Fahrzeugen können Beschleunigungen bis 15 g auftreten. Die Frequenzen liegen bei 10 – 30 Hz. Dafür muss zur Fixierung der Plattenpakete und zur Verstärkung der Gehäuse ein erheblicher Aufwand getrieben werden. Auch die Batteriehalterung im Fahrzeug muss an die auftretenden Kräfte angepasst werden. 4.5.6.2 Elektrochemische Speichersysteme für Hybridfahrzeuge
Elektrochemische Speicher sind eine Schlüsselkomponente des Hybridantriebsstranges [29]. Erst die Entwicklung langlebiger Hochleistungsspeicher mit einer spezifischen Leistung von mindestens 1 kW/kg machte den Einsatz im Hybrid sinnvoll, weil je nach Fahrzyklus der Mehrverbrauch durch das Zusatzgewicht der elektrischen Komponenten des Antriebsstranges, vorzugsweise das der Batterie, durch den besseren Wirkungsgrad des Antriebes überkompensiert wird. Lade- und Entladeraten von mindestens 10 CNA, besser von mehr als 20 CNA sind für Hybridfahrzeugbatterien erforderlich. Der Grad der Hybridisierung, d.h. der Größe der elektrischen Antriebsleistung bzw. deren Anteil an der gesamten Antriebsleistung, bestimmt die Effizienz des Antriebes. Mit der installierten elektrischen Leistung steigt die Möglichkeit zur Bremsenergierückgewinnung. Diese Rekuperationsleistung muss der Energiespeicher aufnehmen können. Die Ladungsannahme der Batterie hängt von ihrem Widerstand und der zulässigen Ladespannung ab. Naturgemäß kann eine Batterie bei hohem Ladezustand eine
4 Bordnetz und Vernetzung geringere Ladeleistung annehmen als bei niedrigem Ladezustand. Auslegungskriterien für Hybridbatterien Das United States Advanced Battery Consortium (USABC) hat im FreedomCAR-Programm Festlegungen getroffen (Tabelle 4-20), die die Spanne sinnvoller unterer und oberer Leistungsgrenzen und Energieanforderungen an Hybridbatterien gut abbilden. Elektrische Anforderungen Der Arbeitspunkt wird zweckmäßig bei einem Ladezustand von 50 – 60% liegen. Die Leistung und die bei dieser Leistung verfügbare Energie werden für den Fahrzeugantrieb festgelegt, für einen Vollhybrid typischerweise im Rahmen der Eckwerte in Tabelle 4-20. Eine Anleitung zur Auslegung der Batterie nach den gewählten Daten ist ebenfalls in [26] beschrieben. Dazu wird die Leistung der Batterie über der entnommenen Energie bei Lade- und Entladepulsen charakterisiert. Zusätzlich wird ein Leistungsverlust durch Alterung vorgehalten, so dass das Leistungsverhalten des Fahrzeugs über die Lebensdauer konstant bleibt. Die verfügbare Energie nimmt über der Lebensdauer ab, muss aber mindestens im gewählten Rahmen bleiben. Wirkungsgrad, Lebensdauer und Selbstentladung sind systemabhängig (vgl. Abschnitte 4.5.2 bis 4.5.5). Die FreedomCAR-Batteriespezifikationen leiten sich direkt von fixierten Hybridfahrzeug-Anforderungen ab. Die Leistung der als partiell emissionsfrei eingestuften Fahrzeuge (Partial Zero Emission Vehicle, PZEV), bestimmt die Bewertung für „Credits“, d.h. Gutschriften, die für den Verkauf konventioneller Fahrzeuge in Kalifornien erworben werden müssen. Nur für Hybridfahrzeuge mit einer Leistung über 10 kW und einer Traktionssystemspannung über 60 V gibt es ab 2012 noch Credits, vermehrte Credits bei Leistungen gleich oder größer als 50 kW. Thermische Anforderungen Hohe Temperatur fördert das Altern der Batterien sowohl im Zyklenbetrieb als bei Stillstandszeiten. Für Lebensdauertests wurden daher Temperaturprofile verschiedener Klimazonen festgelegt. Das USABC verwendet beispielsweise die extremen Profile von Buffalo und von Palm Springs (Tabelle 4-21). Da die Standzeiten im Fahrzeugbetrieb überwiegen, wobei nicht aktiv gekühlt werden kann, altert die Batterie überwiegend in diesen Standzeiten, speziell in heißen Klimazonen. Die Alterung durch die Anzahl der Zyklen tritt bei den geringen Entladetiefen üblicher Auslegungen dagegen in den Hintergrund. Im Betrieb sollte, unabhängig vom verwendeten Batteriesystem, eine Temperatur von 30 °C möglichst nicht überschritten werden.
4.5 Batterien und Energiespeicher
279
Tabelle 4-20: Anforderungen an die Batterie nach USABC [26] Eigenschaft
Einheit
Power-Assist (Minimum)
Power-Assist (Maximum)
Entladeleistung (10-s-Puls)
kW
25
40
Max. Ladepuls (10 s, Rekuperation)
kW
20 (55-Wh-Puls)
35 (97-Wh-Puls)
Gesamte verfügbare Energie (im Bereich der Entladetiefe, der die Leistungsanforderung bedienen kann)
kWh
0,3 (bei C1/1-Entladerate)
0,5 (bei C1/1-Entladerate)
Minimaler Gesamt-Energiewirkungsgrad
%
Kaltstartleistung bei –30 °C (drei 2-sStartimpulse, dazwischen 10 s Pause)
kW
Zyklen-Lebensdauer für spezifizierte Ladezustands-Inkremente
Zyklenzahl
90 (25-Wh-Zyklus)
90 (50-Wh-Zyklus)
5
7
300000
300000
25-Wh-Zyklen
50-Wh-Zyklen
(7,5 MWh Durchsatz)
(15 MWh Durchsatz)
Kalendarische Lebensdauer
Jahre
15
15
Höchstgewicht
kg
40
60
Maximalvolumen
l
32
45
Grenzen der Betriebsspannung
V
max. d 400 , min. t 0,55 Vmax
max. d 400 , min. t 0,55 Vmax
Maximal zulässige Selbstentladung
Wh pro Tag
50
50
Temperaturbereich: Arbeitsbereich zulässige Ruhetemperatur
°C
–30 bis +52 –46 bis +66
–30 bis +52 –46 bis +66
Serienpreis bei 100 000 Einheiten/Jahr
US $
500
800
Tabelle 4-21: Thermische Anforderungen an die Batterie nach USABC [27]; die Zahlenwerte geben die Prozent der Testdauer in den Temperaturbereichen verschiedener Klimate an; T ist die Temperatur Temperaturbereich
Batterien für alle Zonen
Nur heißes Klima
Nur kaltes Klima
Kalt T d –8 °C
10
–
10
Kühl –8 °C < T < 0 °C
15
–
15
Normal 20 °C r10 °C
50
50
60
Warm 30 °C < T < 38 °C
15
40
15
Heiß T t 38 °C
10
10
–
Aktive Kühlung ist erforderlich, weil sich bei den möglichen häufigen und hohen Lade- und Entladeraten die Batterie im Betrieb leicht unzulässig erwärmen kann. Die Kühlmitteltemperatur muss daher unter 30 °C liegen. In den bisher gebauten Fahrzeugen erbringt die Klimaanlage die Kühlleistung mit.
Bei Luftkühlung wird Zapfluft aus dem Passagierraum verwendet. Flüssigkühlung erfordert eine Erweiterung des Kühlkreislaufs der Klimaanlage. Sicherheit Sowohl bei auftretenden Fehlern als auch im Missbrauchsfall darf von der Batterie keine Gefahr ausgehen. Das Batteriemanagement muss jeden möglichen Fehler beherrschen, der während des Betriebs auftreten kann, z.B. internen oder externen Kurzschluss, thermische oder elektrische Überlastung oder Isolationsfehler. Bei Unfällen dürfen Passagiere und Umwelt durch die Batterie nicht zu Schaden kommen. Dies verlangt die Anordnung der Batterie in einer wenig crashgefährdeten Position im Fahrzeug. Meist ist dies der Bereich vor, über oder hinter der Hinterachse. Nach einem Standardcrash muss ein ausreichender Isolationswiderstand gewährleistet sein. Da die Batteriespannung über 60 V liegt, ist eine allpolige Abschaltung erforderlich. Das Batteriegehäuse schützt vor umherfliegenden Teilen und fängt toxische Substanzen auf. Zu den Sicherheitsanforderungen s.a. IEC 69. Sicherheitstests und Einstufungen der Ergebnisse sind in den entsprechenden EUCAR- [28] und USCAR-Sicherheitsvorschriften enthalten.
280
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-134: Blockdiagramm des Batteriesystems
Batteriemanagement Aufgaben des Batteriemanagementsystems (siehe Bild 4-134) sind Betriebsüberwachung und Wahrnehmen der Sicherheitsfunktionen, wie eben beschrieben. Zur Betriebsüberwachung gehört die Kontrolle von Batterie-, Zell- oder Modulspannung, von Zell-Temperatur und Temperaturverteilung, Leistungsprognose, die Einhaltung des Soll-Ladezustands, der Ladungsausgleich der Zellen sowie eine Bewertung des Alterungszustandes. Das Batteriemanagementsystem verfügt über die Algorithmen zur Erfüllung dieser Aufgaben und bekommt die dafür nötigen batterieseitigen Informationen von deren Sensorik (Spannung, Strom, Temperatur), die fahrzeugseitigen Informationen und Anforderungen aus dem HybridSteuergerät.
[11]
[12] [13] [14] [15] [16]
[17] [18]
Literatur zu Abschnitt 4.5 [1] R. H. Schallenberg: Bottled Energy. Electrical Engineering and the Evolution of Chemical Energy Storage. p. 286 f. The American Philosophical Society, Philadelphia 1982 [2] ADAC Pannenstatistik, Heft 5/2004, Seite 10ff [3] B. Spier, G. Gutmann: 42-V battery requirements – leadacid at its limits“. In: J. Power Sources 116 (2003), 99–104 [4] D. Pavlow, V. Iliev: An investigation of the structure of the active mass of the negative plate of lead-acid batteries. In: J. Power Sources 7 (1981/82), 153–164 [5] D. Pavlov, S. Ruefski: Semi-suspension technology for preparation of tetrabasic lead sulfate pastes for lead–acid batteries. In: J. Power Sources 95 (2001) 191–202 [6] R. D. Prengaman: Lead Alloys for Valve-regulated LeadAcid Batteries, Chapter 2. In: D. A. J. Rand, P. T. Moseley, J. Garche, C. D. Parker (eds.): Valve-regulated Lead-Acid Batteries, Elsevier, 2004, ISBN 0-444-50746-9 [7] H. Bode: Lead Acid Batteries. John Wiley & Sons, New York 1977, p. 74. The Electrochemical Society, Pennington, NJ [8] P. T. Moseley: ALABC 2000 – the way ahead. In: J. Power Sources 95 (2001) 218–223 [9] D. Berndt: Valve-regulated lead-acid batteries. In: J. Power Sources 100 (2001) 29–46 [10] B. E. Conway: Electrochemical Supercapacitors. Scientific Fundamentals and Technological Applications. 1999 Klu-
[19] [19] [20]
[21]
[22]
[23]
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wer Academic/Plenum Publishers, New York. ISBN 0-30645736-9, p. 21 A. Burke: Key Issues for the Implementation and Marketing of Ultracapacitors in Vehicle Applications. 14th International Seminar on Double-layer Capacitors and Hybrid Energy Storage, Deerfield Beach, Florida, December 6–8, 2004 H. Buchner: Energiespeicherung in Metallhydriden. Springer Verlag, Wien 1982 J. H. N. van Vucht, F. A. Kujipers, H. C. A. M. Bruning in: Philips Research Report 25 (1970) 133 S. R. Ovshinsky, M. A. Fetcenko, J. Ross in: Science 260 (1993) 176 A. K. Shukla, S. Venugopalan, B. H. Hariprakash in: J. Power Sources 100 (2001) 125–148 E. Peled in: J. Electrochem. Society 126 (1979), 2047; E. Peled, D. Golodnitzky, G. Ardel in: J. Electrochem. Society 144 (1997), L208 J. O. Besenhard, M. Winter, J. Yang, W. Biberacher in: J. Power Sources 54 (1993), 228 K. Xu: Nonaqueous Liquid Electrolytes for Lithium-Based Rechargeable Batteries. In: Chemical Reviews 104 (2004), 4303–4417 P. Arora, Z. Zhang: Battery Separators. Chemical Reviews 104 (2004), 4419–4462 M. S. Whittingham: Lithium Batteries and Cathode Materials. In: Chemical Reviews 104 (2004), 4271–4301 P. Reale, S. Panero, B. Scrosati, J. Garche, M. WohlfahrtMehrens, M. Wachtler in: J. Electrochem. Society 151 (12), (2004), A2138; P. Reale, S. Panero, B. Scrosati, J. Garche, P. Axmann, M. Wohlfahrt-Mehrens, M. Wachtler: 2004 Joint International Meeting, October 3–8, 2004, Honolulu, Hawaii M. Winter, R. J. Brodd: What are Batteries, Fuel Cells, and Supercapacitors. In: Chemical Reviews 104 (2004), 4245– 4269; e.g. 4255 J. Vetter, P. Novak, M. R. Wagner, C. Veit, K.-C. Möller, J. O. Besenhard, M. Winter, M. Wohlfahrt-Mehrens, C. Vogler, A. Hammouche: Ageing mechanisms in lithium-ion batteries. In: J. Power Sources 147 (2005), 269–281 R. Korr, A. Schwake, M. Soria, H. Gracia, M. Reimerink, D. Macerata, M. Ullrich: Supercar. Improved Energy Supply for the Integrated Starter Generator with Double Layer Capacitor and Energy Battery for Cars with 42V – New requirements for the lead-acid batteries. In: Proc. 9th European Lead Battery Conference, Berlin, Germany, 21–24 September 2004 H. Takeshita: Worldwide Market Update on NiMH, Li Ion and Polymer Batteries for Portable Applications and HEVS.
4.6 Energiemanagement
[25]
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[27]
[28]
[29]
The 21st International Seminar & Exhibit on Primary & Secondary Batteries, March 8, 2004. Fort Lauderdale, FL, URL: www.iit.co.jp, email: [email protected] (03.04.2006) E. Meissner, G. Richter: Challenge to the automotive battery industry: the battery is becoming an increasingly integrated component within the vehicle electric power system. Proceedings of the 9th European Lead Battery Conference, Berlin, Germany, 21–24 September 2004 G. Hunt, Ch. Motloch: FreedomCAR Battery Test Manual For Power-Assist Hybrid Electric Vehicles, published October 2003, prepared for the U.S. DOE by the INEEL (Idaho National Engineering & Environmental Laboratory). www.eere.energy.gov/vehiclesandfuels/pdfs/program/ 2005_energy_storage.pdf (03.04.2006) Electric Vehicle Battery Test Procedures Manual. Revision 2, Published January 1996. Author Team from USABC and DOE, and National Laboratories personnel W. Josefowitz, H. Kranz, D. Macerata, T. Soczka-Guth, H. Mettlach, D. Porcellato, F. Orsini, J. Hansson: Assessment and Testing of Advanced Energy Storage Systems for Propulsion – European Testing Report. Proc. 21st EVS, Monaco, 2.–6.4.2005, File FFP 176.pdf O. Bitsche, G. Gutmann: Systems for hybrid cars. In: J. Power Sources 127 (2004) 8–15
4.6 Energiemanagement Physikalisch kann man ein Verbrennungskraftfahrzeug als mobilen Energiespeicher und -wandler betrachten. Die Verfügbarkeit des Gesamtsystems „Automobil“ hängt grundsätzlich davon ab, ob genügend Energie im Fahrzeug zur Verfügung steht. So verstanden, ist das Energiemanagement von jeher eine zentrale automobiltechnische Fragestellung, die prinzipiell auch die Frage nach der Effizienz der Umwandlung von chemisch gebundener Energie (Kraftstoff) in eine andere (mechanische Energie, Wärme, Strom) einschließt. Dieser Abschnitt behandelt das elektrische Energiemanagement im Fahrzeug. Zunehmende Verbraucherzahl Als zunehmend kritisch hat sich vor allem die Erzeugung und Verteilung elektrischer Energie in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und 14-V-Bordnetz herauskristallisiert. Während die Batterie als einziger konstanter Energiespeicher und -puffer an Bord ursprünglich lediglich die Aufgabe hatte, den Startvorgang zu ermöglichen und bei ungenügender Generatorleistung relativ wenige elektrische Systeme zu versorgen, nimmt die Zahl der elektrischen Verbraucher seit Jahren stetig zu. Tabelle 4-22 gibt einige Beispiele für zusätzliche Verbraucher und deren Energiebedarf [1]. Bei Start-Stopp-Betrieb und Drehmomentunterstützung als Teil von Mild-Hybrid-Lösungen kann die benötigte elektrische Leistung Größenordnungen von 5 bis 10 kW erreichen. Künftige Hochstromverbraucher, wie beispielsweise ein elektrischer Wankstabilissator,
281 treiben den Bedarf weiter in die Höhe. In gut ausgestatteten Fahrzeugen wird das 14-V-Bordnetz wegen der zunehmenden Verbraucherzahl bereits heute immer öfter im Grenzbereich seiner Leistungsfähigkeit betrieben, sodass ein elektrisches Energiemanagement nötig ist. Die Lage wird insofern noch verschärft, als sich die für 2008 von den ACEA-Mitgliedern als Selbstverpflichtung angekündigte Senkung des FahrzeugflottenCO2-Ausstoßes auf maximal 140 g CO2 pro km nur durch eine weitere Reduktion des Kraftstoffverbrauches erreichen lassen wird. Tabelle 4-22: Leistungsbedarf zukünftiger Bordnetze [1] Verbraucher Elektrische Frontscheibenheizung
Maximale Leistung [W]
Durchschnittliche Leistung [W]
1500
120
Elektromagnetische Ventilsteuerung (EMVS)
1800–3400
700
Elektrohydraulische Ventilsteuerung (EHVS)
400
200
Elektrisches Kühlergebläse
650
50
Elektrische Wasserpumpe
600
100
Elektrische Servolenkung
900
200
1000–3000
50
Elektromechanische Bremse (EMB) Wankstabilisator
2000
150
Elektrische Benzinpumpe
450
150
Elektrischer Klimakompressor
4000
1000
Batterieausfälle Da viele elektrische Verbraucher entweder sicherheitskritische Funktionen erfüllen oder wesentlich zum Komfort und zur Verbrauchsminderung moderner Fahrzeuge beitragen, ist zu erwarten, dass sich der Trend zu immer größeren Ausstattungsumfängen fortsetzt. Gleichzeitig dokumentieren ADAC-Pannenstatistiken, dass viele Pannen auf Batterieausfall zurückzuführen sind. Mittelfristig ist die Aufgabe, ausreichend elektrische Energie im Fahrzeug bereitzustellen, um die Fahrzeugverfügbarkeit zu sichern und den Komfort zu gewährleisten, eine Entwicklungsherausforderung an die gesamte Automobilbranche. Da sich die Fahrzeughersteller im Wettbewerb zunehmend über steigenden Komfort, höhere Sicherheit und zusätzliche Assistenz-
282 funktionen differenzieren, müssen die entsprechenden Systeme zuverlässig und sofort verfügbar sein. Der Fahrer soll trotz der hohen Verbraucherzahl keine Leistungseinbrüche bei einzelnen Systemen (z.B. eine verminderte Lichtleistung der Scheinwerfer) im 14-VBordnetz hinnehmen müssen. Einen höheren Anteil der im Motor erzeugten Bewegungsenergie in elektrische Energie umzusetzen, widerspricht der ACEA-Selbstverpflichtung. Somit kann der steigende elektrische Energiebedarf nicht generell aus einem höheren Kraftstoffeinsatz gewonnen werden. Auch neue, Kraftstoff sparende Funktionen wie der Start-Stopp-Betrieb des Verbrennungsmotors im Stadtverkehr, erhöhen die Frequenz von Perioden mit gesteigertem elektrischem Energiebedarf (Zyklenzahl) und während ihrer Aktivierung auch den maximalen Gesamtleistungsbedarf. Mild-Hybrid-Konzepte, die elektrische Energie nutzen, um einen sparsamen, hubraumreduzierten Verbrennungsmotor in drehmomentschwachen Betriebssituationen durch elektrisch erzeugte Antriebsleistung zu unterstützen (Boosting), erfordern ein leistungsfähiges Energiemanagement, da hier ein Zielkonflikt zwischen der Startfähigkeit (möglichst hoher Ladezustand der Batterie) und der Fähigkeit der Batterie zur Aufnahme von hohen Ladeströmen aus der Rekuperation (regeneratives Bremsen, regenerative braking) bestehen kann. Unabhängig vom Antriebskonzept setzen der große Kostendruck und der knappe Bauraum im Kraftfahrzeug generell enge Grenzen für größere oder zusätzliche Energiespeicher, auch wenn Zwei-Batteriensysteme in Oberklassefahrzeugen bereits realisiert sind [2][3] (siehe Abschnitt 4.6.2.3), um eine zuverlässige Versorgung mit elektrischer Energie sicherzustellen. Lösungsstrategien Weil die Verfügbarkeit elektrischer Energie im Fahrzeug aktuell und auf lange Sicht nicht im gleichen
4 Bordnetz und Vernetzung Tempo wie die Nachfrage danach gesteigert werden kann, ist das elektrische Energiemanagement eine wichtige Teilfunktion eines umfassenden Fahrzeugenergiemanagements. Zulieferer und Fahrzeughersteller begegnen der „Energieknappheit“ mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, mit denen die Funktionsfähigkeit des 14-V-Bordnetzes gesichert werden soll. Eine Möglichkeit besteht darin, bisher nicht genutzte Energiequellen im Fahrzeug zu erschließen. So lässt sich beispielsweise Energie während der Bremsvorgänge rückgewinnen. Bei dieser Rekuperation wird ein integrierter Starter-Generator (ISG) an der Kurbelwelle während des Bremsvorgangs auf Generatorbetrieb geschaltet und erzeugt damit für mehrere Sekunden Strom, der zur Batterienachladung zur Verfügung steht. Bild 4-135 zeigt eine 20-minütige Fahrt mit einem Fahrzeug, das über einen ISG und die Funktion „regeneratives Bremsen“ verfügt [4]. Angesichts der Vielzahl von elektrischen Verbrauchern liegt es nahe, den zulässigen Gesamtenergiebedarf im Bordnetz und den jeweils zulässigen Energiebedarf einzelner Systeme zu begrenzen, diese Grenzen zu überwachen und ggf. mit einer Regelungsstrategie einzugreifen, wenn Grenzen überschritten werden. Zu diesem Zweck können Verbraucher vorübergehend in der Leistung reduziert oder abgeschaltet werden. Die Kriterien dazu sind entweder als Daten in Tabellen hinterlegt, oder das Energiemanagement kann so ausgelegt sein, dass die Verbraucher ihre Energieanforderung selbsttätig nach einem laufend aktualisierten Regelfaktor (Preis-Nachfrage-Funktion, siehe Abschnitt 4.6.2.3) und einer im Verbraucher hinterlegten Regelfaktorempfindlichkeit einstellen. Als Schutz vor Energieknappheit können außerdem eine kleine Sicherheitsbatterie (z.B. für X-by-WireFunktionen) oder eine Starterbatterie in Bordnetzen mit zwei Batterien dienen.
Bild 4-135: Beispiel für die Wirkung eines ISG-Energiemanagements; die Antriebsleistungen werden positiv, die Bremsleistungen negativ gezählt; die Leistung des Starter-Generators und der Batterie ist auf maximal 6 kW beschränkt
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Kfz-Wissen aus erster Hand van Basshuysen, Richard / Schäfer, Fred Handbuch Verbrennungsmotor Grundlagen, Komponenten, Systeme, Perspektiven 3., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2005. XLVIII, 980 S. Geb. € 99,00 ISBN 3-528-23933-6 Das Handbuch Verbrennungsmotor enthält auf fast 1000 Seiten umfassende Informationen über Otto- und Dieselmotoren. In wissenschaftlich anschaulicher und gleichzeitig praxisrelevanter Form sind die Grundlagen, Komponenten, Systeme und Perspektiven dargestellt. Über 90 Autoren aus Theorie und Praxis haben dieses Wissen erarbeitet. Damit haben sowohl Theoretiker als auch Praktiker die Möglichkeit, sich in kompakter Form ausführlich über den neuesten Stand der Motorentechnik zu informieren. Darüber hinaus werden zukünftige Trends und Potentiale bezüglich der zentralen Entwicklungsrichtungen von Verbrennungsmotoren aufgezeigt und diskutiert. Die neue Auflage wurde um die Kapitel Motorenmesstechnik, Kraftstoff- und Stromversorgung und Aktuelle Motoren ergänzt. Bilder und Text wurden überarbeitet und auf den aktuellen Stand gebracht. van Basshuysen, Richard / Schäfer, Fred (Hrsg.) Lexikon Motorentechnik 2., verb., aktual. und erw. Aufl. 2006. XVIII, 1096 S. Mit 1764 Abb. (ATZ-MTZ Fachbuch) Geb. ca. € 99,00 ISBN 3-528-13903-X Das Lexikon Motorentechnik ist ein Nachschlagewerk, das fast 5.000 Stichworte fachlich exakt und mit allen Lösungen der aktuellen Motortechnologie umfassend beschreibt. Es wendet sich an Ingenieure in Studium und Praxis genauso wie an Fachleute der Automobil-, Motoren-, Mineralöl- und Zubehörindustrie. Patentanwälten, dem Kraftfahrzeuggewerbe, Regierungsstellen und Behörden sowie dem technikbegeisterten Autofahrer bietet es ein unerschöpflichen Wissensfundus. Das ausgefeilte System aus Querverweisen führt alle Unterbegriffe zum Hauptbegriff zurück und ermöglicht so eine optimale Benutzerführung. Dadurch stehen die Stichwörter nicht isoliert, sondern es werden thematische Bündelungen und Gruppierungen möglich. So wird das Stichwort in einen größeren, kapitelartigen Zusammenhang gestellt.
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Stand Juli 2006. Änderungen vorbehalten. Erhältlich im Buchhandel oder im Verlag.
4.6 Energiemanagement
283
Bild 4-136: Topologie des Energiebordnetzes [2]
Lösungsansätze auf der Hardware-Ebene Um den Gesamtenergiebedarf im Fahrzeug zu verringern, werden verstärkt effizientere Aktoren eingesetzt. Werden beispielsweise hydraulische Systeme wie die Lenkhilfe, für die permanent Druck vorgehalten werden muss, durch elektrische Systeme ersetzt, die nur im Bedarfsfall aktiv sind und nur während ihrer Aktivierung elektrische Energie benötigen, so kann das die Energiebilanz verbessern. Grundsätzlich sollte immer diejenige Energieform für eine Funktion eingesetzt werden, die den höchsten Wirkungsgrad liefert. Mehr und bessere Sensoren sind nötig, um eine umfangreichere Informationsbasis für die Regelvorgänge innerhalb eines Energiemanagements zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Sensierung der Batterie (siehe Abschnitt 4.6.2.2). Außerdem lässt sich der Ruhestrom senken, wenn Steuergeräte mit Ruhestromminimierung zum Einsatz kommen und in der Bordnetzarchitektur in Ruhe nur ein Steuergerät aktiv ist. In vorhandene oder zusätzliche Steuergeräte können hierfür Algorithmen zur Optimierung der Energieverteilung integriert werden. Bei Unterschreiten einer Grenzspannung kann die Lösung z.B. darin bestehen, dass sich einzelne Verbraucher selbsttätig abschalten. Mit der insgesamt steigenden Zahl der elektrischen Verbraucher steigt auch der maximale Strombedarf. Um Verbrauchsspitzen überbrücken zu können, sind unter Umständen zusätzliche Energiespeicher und Energiequellen wie Brennstoffzellen (Auxiliary Power Units, APUs) und Doppelschichtkondensatoren (Ultracaps) erforderlich. Bordnetzarchitekturen mit zwei Batterien, bei denen eine die Funktion der Starterbatterie übernimmt und die andere als Bordnetzbatterie fungiert, haben bisher jedoch nicht den Sprung in die Großserien der Mittelklassefahrzeuge geschafft. Bild 4-136 zeigt das Schema eines solchen Bordnetzes mit zwei Batterien [2]. Diese Architektur bietet zusätzlich die Möglichkeit des ZweispannungsBordnetzes, bei dem ein Teil des Bordnetzes, zu dem
vor allem Hochstromverbraucher gehören können, mit einer höheren Spannung realisiert wird (und die Batterie damit auch als Hochleistungsspeicher zu verwenden), während das übrige Bordnetz weiter bei 14 V betrieben wird. Gerade im Hinblick auf die Forderung nach weiter sinkendem Kraftstoffverbrauch (ACEA 2008) muss das Energiemanagement alle Energieformen in einen Lösungsansatz einbinden und dabei unter Umständen auch zusätzliche Energiequellen erschließen (z.B. Solarzellen, Abwärme des Verbrennungsmotors). Langfristig wird die steigende Zahl von Hochstromverbrauchern (z.B. elektromechanischer Ventilbetrieb) mit dem 14-V-Bordnetz nicht mehr zu versorgen sein. Höhere Spannungen bieten dabei vor allem den Vorteil geringerer Verlustleistungen durch kleinere Ströme. Hybrid-Fahrzeuge mit hoher elektrischer Antriebsleistung erfordern ebenfalls 42 V oder noch höhere Spannungen (z.B. 288 V) zumindest in einem Teil des Bordnetzes.
4.6.1 Übergeordnetes Energiemanagement Die eingangs getroffene Feststellung, dass ein Kraftfahrzeug insgesamt als Energiespeicher und -wandler betrachtet werden kann, ist auch insofern gerechtfertigt, als die zunehmende Komplexität der Energieerzeugung und -verteilung im Automobil ein übergeordnetes Energiemanagement für alle verschiedenen Energieformen erfordert. Es ist typisch für neuere Konzepte, dass sie diesen Aspekt aufgreifen und verstärkt auf der Wandlung einer Energieform in eine andere beruhen. Der integrierte Starter-Generator liefert dafür ebenso ein Beispiel wie PTC-Zusatzheizer für sparsame Dieselmotoren. Ein PTC-Zusatzheizer dient als elektrisches Zuheizaggregat, das die Verlustleistung eines spannungsabhängigen Widerstands mit positivem Temperaturkoeffizienten (Kaltleiter) zur Wärmeerzeugung nutzt.
284 Ein übergeordnetes Energiemanagement muss die Leitfrage beantworten: Wie hoch soll der Energietransfer zwischen verschiedenen Energieformen sein, damit die situationsbezogene Energieverteilung optimal ist? In besonderem Maße gilt das für Hybridfahrzeuge vom Typ Mild-Hybrid (auch Power Assist Hybrid genannt), weil hier die Reichweite zwar durch den Verbrennungsmotor erzielt wird, jedoch ein relativ kleines Batteriesystem (im Vergleich zu reinen Elektrofahrzeugen mit groß dimensioniertem Stromspeicher) genügen muss, um die Drehmomentunterstützung zu leisten [4].
4.6.2 Elektrisches Energiemanagement Um die verfügbare elektrische Energie optimal im Bordnetz verteilen zu können, ist eine geeignete Datengrundlage für Stell- und Regelentscheidungen erforderlich. Nur wenn der Leistungsbedarf und das zur Verfügung stehende elektrische Energievolumen bekannt sind, kann beispielsweise eine nach Prioritäten gestaffelte Abschaltung von Verbrauchern erfolgen. Daher spielt die Sensierung wichtiger Komponenten, wie Batterie und Generator, eine zentrale Rolle für das elektrische Energiemanagement. Erst mit der Sensierung steht ein Signal zur Verfügung, das von geeigneten Diagnosemodulen genutzt werden kann, um sinnvollen Einfluss auf die Stellgrößen zu nehmen (Batteriezustand, Generatorleistung, Verbraucher) [5]. Wie aus Bild 4-137 ersichtlich, basiert ein elektrisches Energiemanagement also auf einem geschlossenen Regelkreis [6]. Zu den Regelaufgaben gehört es, die Energieversorgung zu verbessern, die Bordnetzspannung zu stabilisieren, die Startfähigkeit zu gewährleisten, sicherheitsrelevante Funktionen permanent verfügbar zu halten und die Lebensdauer der elektrischen Komponenten zu steigern (insbesondere die Standzeit der Batterie). Zu einem elektrischen Energiemanagementsystem gehören damit die Sensorik, Softwaremodule zur Diagnose des elektrischen Bordnetzes und seiner Komponenten, die übergeordnete Steuerung sowie Schaltelemente.
4 Bordnetz und Vernetzung 4.6.2.1 Generator-Sensierung
Da die elektrische Leistung von einem Generator erzeugt wird, muss das elektrische Energiemanagement Einfluss auf diese Schlüsselkomponente nehmen. Die Leitfragen sind dabei: Welche Energie wird vom Bordnetz benötigt? Welche möglichen Rückwirkungen auf den Antriebsstrang haben elektrische Leistungsanforderungen an den Generator? Heutiger Stand der Technik ist es, den Generator möglichst auf Konstantspannung zu regeln. Dabei kann die Spannungsvorgabe entweder fest sein, oder sie wird von einem Temperatursensor beeinflusst. Um Spannungseinbrüche im Bordnetz und Drehzahlschwankungen des Verbrennungsmotors beim Zuschalten hoher Lasten zu vermeiden, wird dabei die Erregung des Generators entweder rampenförmig erhöht oder die Lastanforderung wird zunächst über die Motorsteuerung geleitet, sodass der erhöhte Drehmomentbedarf des Verbrennungsmotors errechnet und vorgesteuert werden kann [5]. Der Zeitraum zwischen der Lastanforderung bis zum Erreichen der erforderlichen Generatorleistung wird als Load-Response-Zeit bezeichnet. 4.6.2.2 Batterie-Sensierung
Auch der Ansatz, das elektrische Energiemanagement vom Generator her zu betreiben, kann nicht auf eine Diagnose der Batterie verzichten, denn die Spielräume, auf den Generator Einfluss zu nehmen, werden von der Betriebssituation des Fahrzeugs begrenzt. Bei niedrigen Motordrehzahlen und hohem elektrischen Energiebedarf sowie bei abgestelltem Motor kann das Spannungsniveau im Bordnetz nur mit der Batterie als Energiespeicher stabil gehalten werden. Die dramatische Zunahme der Batterieausfälle um rund 30 Prozent zwischen 1998 und 2002 zeigt deutlich, in welchem Maße Fahrzeugbatterien inzwischen belastet werden. Fahrzeughersteller und Zulieferer haben deshalb Hard- und Softwarewarelösungen zur Erfassung des Batteriezustands entwickelt.
Bild 4-137: Geschlossener Regelkreis zur Stabilisierung des Batteriezustands
4.6 Energiemanagement Typischerweise werden dabei die Parameter Spannung, Strom und Temperatur erfasst, teilweise auch der Innenwiderstand der Batterie. Aus diesen Werten wird der Ladezustand (State of Charge, SoC), die Leistungsfähigkeit (State of Function, SoF) und der Alterungszustand der Batterie (Restlebensdauer, Innenwiderstand und Batteriegröße, State of Health, SoH) berechnet [7][8]. Die Ist-Werte der Batterie dienen als Grundlage für das Management von Batterie, Generator und Verbrauchern. 4.6.2.2.1 Batteriesensor
Es gibt derzeit zwei Verfahren, mit denen Stromfluss und Spannung gemessen wird: Bei dem indirekten Messverfahren setzt man z.B. um das Kabel herum ein magnetoresistives Material ein, das auf das Magnetfeld des Leiters anspricht, oder man nutzt den Hall-Effekt aus. In Europa etabliert sich das direkte Messverfahren mit einem Shunt [9][10][11][12] und ist auch als Sensor mit Datenlogger-Funktion für Testfahrten verfügbar [13]. Diese Sensoren basieren auf einem hochpräzisen, niederohmigen Präzisionswiderstand (aus Manganin) zur Strommessung. Bild 4-138 zeigt das Blockschaltbild eines Batteriesensors.
285 Überwiegend werden die Batteriesensoren dieses Typs einschließlich der Elektronik in die Minuspolklemme der Batterie integriert. Als kompaktes Modul aus Sensor, elektronischem Steuergerät (mit Messwertaufnehmerbaustein), Poklemme und Leitung, wie aus Bild 4-139 ersichtlich, findet der Sensor in der genormten Polnische (DIN 72311) der Batterie Platz, was zum einen fahrzeugunabhängige Packaging-Vorteile hat, zum anderen messtechnisch bedingt ist: Durch die Platzierung des Sensors an der Polklemme wird der Batterie-Gesamtstrom gemessen. Bei der präzisen Messung der Spannung vermeidet die Nähe zum Batteriepol Ergebnisverfälschungen durch ohmsche Leitungsverluste. Um die Temperatur der Batterie ermitteln zu können, ohne dass die Batterie selbst mit einem Temperaturfühler ausgestattet werden muss, ist es zudem erforderlich, einen Temperaturwert in unmittelbarer Nähe der Batterie zu erfassen, um dann auf der Basis eines rechnerischen Modells der herrschenden Wärmeverhältnisse vor Ort (z.B. Konvektion) einen möglichst präzisen Wert für die wahrscheinliche Innentemperatur der Batterie ermitteln zu können.
Bild 4-138: Blockschaltbild eines Batteriesensors [10]
Bild 4-139: Batteriesensor zum Einbau in der Polnische [Quelle: Hella]
286
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-140: Prinzipschaltbild einer Batteriesensorelektronik
Insbesondere beim Einsatz von leistungsfähigen Batterien, in denen der Elektrolyt in einem Glasfaservlies gebunden ist (Absorptive Glass Mat, AGM) [1], spielt die Temperaturmessüberwachung und -führung der Batterie eine große Rolle, weil AGM-Batterien empfindlicher als konventionelle Blei-Säure-Akkus auf hohe Umgebungstemperaturen reagieren und auch mehr Wärme durch parasitäre chemische Reaktionen beim Ladevorgang erzeugen [14]. Bild 4-140 zeigt das Prinzipschaltbild einer Batteriesensorelektronik, die wegen des knappen Bauraums in SMDTechnik mit hoher Packungsdichte auf einer Mulilayer-Platine realisiert ist. Die präzise Strommessung ist anspruchsvoll, weil sich der zu erfassende Messbereich über fünf bis sechs Zehnerpotenzen von zweistelligen mA-Werten in Ruhestromphasen bis zu 800 – 1000 A Startstrom erstreckt. Die Genauigkeit der Messung ist auf den jeweiligen Strombereich abgestimmt: So erfasst das in [12] vorgestellte System Ruheströme mit einer Genauigkeit von ± 10 mA, mittlere Betriebsströme bis 150 A mit einer Genauigkeit von ± 40 mA und Startströme mit einer Genauigkeit von ± 400 mA. Technisch noch anspruchsvoller ist die Batteriespannungsmessung mit einer Genauigkeit von bis zu 10 mV zwischen Batterieminus und der Sensierungsleitung. Im Hinblick auf die engen Kostengrenzen für ein Energiemanagement [14] haben Zulieferer und Fahrzeughersteller skalierbare Systemkonzepte entwi-
ckelt, die auch ohne direkte Strommessung arbeiten können. In diesem Fall wird der Strom ersatzweise aus der Batterietemperatur und dem Batteriespannungsverhalten abgeschätzt. Da die oben genannten Batteriekenngrößen State of Charge (SoC) und State of Health (SoH) ursprünglich aus dem Bereich stationärer Anwendungen kommen, sind sie für sich genommen im Kfz nur bedingt geeignet, um Vorhersagen über das Verhalten der Batterie im nächsten zu erwartenden Belastungsfall zu machen. Das liegt daran, dass sich das tatsächliche Batterieverhalten nach der unmittelbar vorhergehenden Lade-EntladeHistorie richtet, die im Fahrzeug einer großen Veränderungsdynamik unterliegt. Weil die Lade-EntladeHistorie elektrochemische Prozesse (z.B. die Säureschichtung) beeinflusst, die wiederum unmittelbar die entnehmbare Energiemenge bedingen, steigt die Vorhersagegenauigkeit einer Batterieüberwachung, wenn zusätzlich zu den Parametern Strom, Spannung und Temperatur der Innenwiderstand oder die Impedanz der Batterie erfasst wird ([12], [14], [15]). 4.6.2.2.2 Batteriezustandserkennung
Wesentlicher Teil eines Energiemanagement-Systems ist die Batteriezustandserkennung. Sie wird in Echtzeit von einem Auswertealgorithmus geleistet, der in den Sensor oder beispielsweise in ein vorhandenes Karosseriesteuergerät integriert sein kann und der den Signalausgang des Batteriesensors verarbeitet. Das
4.6 Energiemanagement Softwaremodul berechnet die genannten Kenngrößen State of Charge (SoC), State of Health (SoH), State of Function (SoF) sowie den Batterie-Innenwiderstand mit Hilfe eines nichtlinearen Modells ([7], [8]). Am Ende des Auswerteprozesses steht eine Aussage über den aktuellen Zustand der Batterie, die auch als Grundlage für das Batterielademanagement (optimale Ladespannung und optimaler Ladestrom) dient, um die Lebensdauer der Batterie zu maximieren. Ein Ziel der Batterieüberwachung kann etwa darin bestehen, den SoC auf einen Wert oberhalb von 80 Prozent zu steigern. Der in [12] vorgestellte Algorithmus ist darauf programmiert, den SoC bei 75 bis 95 Prozent der Kapazität zu halten. Durch die Vermeidung von Ladenotständen und durch das Lademanagement erhofft man sich eine Verlängerung der Batterielebensdauer um 25 bis 50 Prozent und eine um 70 bis 80 Prozent gesenkte Wahrscheinlichkeit eines Batterieversagens. Batterieprognosen Der Zustand der Batterie bildet die Grundlage für Aussagen, welche Energiemenge der Batterie in der unmittelbaren Zukunft entnommen werden kann, ohne beispielsweise die Startfähigkeit zu gefährden. Die Schwierigkeit bei dieser Prognose liegt darin, dass es im Fahrzeug eine Vielzahl von Variablen (Außentemperatur, Fahrsituation, Motortemperatur, Fahrerwunsch, Verbraucherzahl, Verbraucherbedarf) gibt, die Einfluss darauf nehmen, wie der tatsächliche Strombedarf in der näheren Zukunft aussehen wird. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, um diese Prognoseaufgabe zu erfüllen. So lässt sich die Vorhersage durch einzelne Prädiktoren für Ladung, Lebensdauer und Spannung bestimmen, die anhand von vorgegebenen Belastungen (Lastprofilen) ermitteln, welche Energiemenge die Batterie unter der Maßgabe dieser zu erwartenden Lastprofile bereitstellen kann [7][8]. Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Funktionsvorhersage auf der Basis eines neuronalen Netzwerks zu realisieren, das während einer bestimmten Zeitspanne gewonnene Signale interpretiert [16]. Ruhestrommanagement und Standverbrauchermanagement Vor allem bei elektronisch hoch ausgestatteten Oberklassefahrzeugen, die unter anderem über Komfortfunktionen wie Multimedia-Systeme verfügen, ist auch die Überwachung der Ströme bei ausgeschaltetem Motor eine wichtige Aufgabenstellung für das Energiemanagement. Bild 4-141 illustriert die Problematik der Stillstandsverbraucher, die bei längerem Betrieb zu einer Tiefentladung der Batterie bis unterhalb der Startfähigkeitsgrenze führen können, wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen getroffen werden.
287
Bild 4-141: Zeitlicher Verlauf des Batteriestroms [8]; positive Werte bedeuten eine Ladung der Batterie, negative eine Entladung; das Ruhestrommanagement begrenzt den Strom während der Nachlaufphase sowohl zeitlich als auch dem Betrag nach (gestrichelte Linie)
Darüber hinaus benötigen viele Steuergeräte bei ausgeschalteter Zündung weiterhin Strom. Bei langen Stillstandsphasen können auch diese Ruheströme zur Entladung der Batterie führen (z.B. bei fehlerhaft arbeitenden Steuergeräten). Entsprechende Testzyklen wie ein „Flughafentest“ mit 250 – 500 mW Leistung über 30 Tage spiegeln das Problem wider. Die uneingeschränkte Startfähigkeit nach Stillstandszeiträumen von bis zu mehreren Monaten Dauer [4] ist daher das Hauptziel eines Ruhestrommanagements. Im Falle nachlaufender Verbraucher kann das Energiemanagement einzelne Verbraucher aktiv abschalten, reduzieren (z.B. Beleuchtung) und dem Fahrer die Information über das Erreichen eines kritischen Ladezustands anzeigen [9], damit er rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Bild 4-142 zeigt die Funktionsweise eines Stufenkonzeptes zur Energieverbrauchsreduzierung [17]. Auch das Energiemanagementsystem und die Batterieüberwachung selbst gehören zu den Stillstandsverbrauchern. Daher werden sie in das Ruhestrommanagement einbezogen. Ein weckfähiger, zyklischer Sleep-Modus gehört deshalb zur Funktionalität der Batteriesensierung. Zusätzlich können die Ruhestrommessungen auch in einem nichtflüchtigen Speicher gesichert werden, um Diagnosefunktionen zu unterstützen [9]. Im Sleep-Modus kann die Stromaufnahme der Sensorelektronik bei einem der vorgeschlagenen Systeme beispielsweise in die Größenordnung um 100 µA absinken. Erkennt der Versorgungsspannungsbaustein des Aufweck- und Ruhestromkonzeptes eine Flanke am LIN oder einen zu hohen Strom, so schaltet er die Spannungsversorgung ein und verharrt im Stand-by-Modus. Parallel dazu wird der Hauptcontroller durch das Einschalten der Versorgungsspannung aktiviert.
288
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-142: Stufenweise Absenkung des Energieverbrauchs [17]
4.6.2.3 Umfassende Strategien der elektrischen Energieverteilung
Im Einzelfall kann es zum Regelungsspielraum eines elektrischen Energiemanagements gehören, Verbraucher abzuschalten, oder ihren Energiebedarf zu senken. Als Alternative zu einer im zentralen Energiemanager hinterlegten Prioritätenliste wurde ein Ansatz in Form einer Softwarelösung vorgeschlagen, die nach dem Prinzip des Marktgeschehens an der Börse arbeitet: Im 200-ms-Takt errechnet die Software dazu einen aktuellen „Preis“ für elektrische Energie im Fahrzeug. Das Preisniveau richtet sich nach dem Verhältnis von verfügbarer Energie (Generator, Batterie) zu nachgefragter Energie [18]. Die einzelnen Verbraucher reagieren unterschiedlich preisempfindlich und beziehen deshalb je nach der im Verbraucher hinterlegten Preisempfindlichkeit bei einem niedrigen Energiepreis eine höhere Leistung als bei einem hohen Energiepreis. Die in den elektrischen Verbrauchern gespeicherte individuelle Preisempfindlichkeit sorgt dafür, dass die Verbraucher unterschiedlich auf Energieknappheit reagieren: Die geringe Preisempfindlichkeit sicherheitsrelevanter elektrischer Verbraucher wie z.B. ABS oder Licht sorgt dafür, dass solche zentralen Funktionen bei der Energieversorgung eine hohe Priorität haben. Innerhalb dieses Wirksystems reduzieren andere Verbraucher mit höherer Preisempfindlichkeit ihren elektrischen Energiebedarf stärker. So entsteht ein sich selbst regelndes System, dessen Aktivität vom Fahrer weitgehend unbemerkt bleibt. Da die Information über die Preissensibilität im Verbraucher hinterlegt ist, können zusätzliche Verbraucher ohne Anpassung des Systems integriert werden. Zur Kommunikation zwischen Verbrauchern und „Börse“ dient eine Busstruktur, wie etwa ein CAN-Bus. Neben der kurzfristigen Prognose des Batterieverhaltens ist auch die längerfristige Vorhersage des Verbrauchsprofils für ein umfassendes Energiemana-
gement wünschenswert. Heute in der Entwicklung befindliche Lösungen sollen künftig Streckenprofile wieder erkennen, die der Fahrer häufiger fährt (bis zu 80 Prozent aller gefahrenen Strecken wiederholen sich). Gelingt die Erkennung der Strecke, so können die Batteriebelastung und der wahrscheinliche Ladestrom vorhergesagt werden. Durch eine solche vorausschauende Planung würden sich neue Regelungsspielräume etwa für die zulässige Batterieentladung während bestimmter Phasen der Fahrt ergeben. Literatur zu Abschnitt 4.6 [1] Köhler, U.; Kümpers, J.; Meissner, E.: Hochleistungsanwendungen für neue Fahrzeugbatterien, Varta Spezial Report, IIR Fachkonferenz Batterie-Management, Mannheim, 25./26.09.2002 [2] Kille, P. et al.: Das elektrische Bordnetz – Versorgungs- und Informationsnetzwerk, ATZ/MTZ Sonderausgabe VW Phaeton, 2001 [3] Jungmann, T.: Die Elektronik an Bord der neuen SL-Klasse, www.all4engineers.com, 03.08.2001 [4] Willer, B.: Bedeutung eines optimalen Batteriemanagements, IIR Fachkonferenz Batterie-Management, Mannheim, 25./26.09.2002 [5] Robert Bosch GmbH (Hrsg.): Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 25. Auflage, Wiesbaden, 2003 [6] Olk, J., Rosenmayr, M.: Systematische Entwicklung des Energiemanagements, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [7] Fink, H.; Meissner, E.: Battery Monitoring: Vorhersage der aktuellen und zukünftigen Leistungsfähigkeit, IIR Fachkonferenz Batterie-Management, Mannheim, 25./26.09.2002 [8] Frey, B. et al.: Die Zukunft des 14-Volt Bordnetzes, VDIBerichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, BadenBaden, September 2003 [9] Meir, F.; Traub, F.; Heim, A.: Das innovative Energiemanagement des neuen BMW 5er, ATZ/MTZ Sonderausgabe BMW 5er, 2003 [10] Heim, A.: Intelligenter Batteriesensor: Schlüsselkomponente für das Energiemanagement der Zukunft, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003
4.7 Simulation von Bordnetzen [11] Olk, J.; Rosenmayr, M.; Schöllmann, M.: Intelligenter Batteriesensor, automotive electronics + systems, (Jg. 3), Nr. 5-6, Mai/Juni 2004 [12] Graf, H.-M.: Integrierter Batteriesensor als Basis für ein umfassendes Energiemanagement im Automobil, 24. Tagung Elektronik im Kfz, Haus der Technik, Essen, 29./30. Juni 2004 [13] Stromverbrauch exakt erfassen, automotive electronics + systems, (Jg. 3), Nr. 7-8, Juli/August 2004 [14] Karden, E.; Spijker, E.; Kok, D.: Batteriemanagement im Kraftfahrzeug für Großserienanwendungen, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [15] Bohlen, O. et al.: Startfähigkeitsprognose für Batterien im Kraftfahrzeug, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [16] Álvarez, I. et al.: An Embedded time-series prediction strategy based on ANN for vehicle status definition for Energy, Power & Load management, VDI-Berichte Nr. 1789, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2003 [17] Kreipp, A.-M. et al.: Batterie- und Energiemanagement, VDI-Berichte Nr. 1646, Elektronik im Kraftfahrzeug, Baden-Baden, September 2001 [18] Graf, H.-M.: Offene Softwarelösung für das Energiemanagement, ATZ (Jg. 106) Nr. 1, Januar 2004
4.7 Simulation von Bordnetzen 4.7.1 Grundlagen der BordnetzSimulation Ein zentraler Teil des Bordnetzes ist der Kabelbaum, der die Infrastruktur für die Versorgung der Sensoren, Sollwertgeber, Steuergeräte und Aktoren mit Energie und Daten darstellt. Durch die Einführung neuartiger Funktionen wie Infotainmentsysteme und mechatronischer Komponenten nimmt der Umfang der Funktionen, die elektrisch und elektronisch implementiert werden, stetig zu. Entsprechend steigt auch der Aufwand für die Bordnetzentwicklung. Für den Entwurf eines zuverlässigen und kosteneffizienten Bordnetzes sind strukturierte, softwaregestützte Prozesse notwendig, die reproduzierbare Ergebnisse liefern und die eine Zusammenarbeit verteilter Entwicklungsgruppen ermöglichen. Wesentliche Voraussetzung dafür sind mathematische Modelle und Simulatoren, deren Grundlagen hier erörtert werden. Eine Bedingung für einen modellbasierten Entwurfsund Verifikationsprozess ist die Möglichkeit zur Bildung eines mathematischen Modells des zu analysierenden Systems und dessen Komponenten. Welche Art von Modellbildung und Simulation zum Einsatz kommt, wird durch den Systemtyp und die geforderten Analysearten bestimmt. Für die Entwicklung eines Bordnetzes werden hier nur netzwerkbasierende Simulationsmethoden erörtert, 2- und 3-dimensionale Methoden zur Berechnung von elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern, wie sie zur
289 Untersuchung der elektromagnetischen Verträglichkeit erforderlich sind, werden nicht berücksichtigt.
4.7.2 Methodenüberblick Zur Modellierung und Simulation existieren viele verschiedene Methoden und Softwarewerkzeuge. Im Folgenden werden einige prinzipielle Konzepte kurz vorgestellt. Signalfluss Eine gängige Methode, Systeme zu modellieren, ist die Beschreibung durch Übertragungsfunktionen und Signalflussdiagramme. Dies geschieht unabhängig von der jeweiligen physikalischen Wirkungsweise und kann für mechanische Systeme genauso verwendet werden wie für elektrische. Der Verzicht auf physikalische Details und der Verzicht auf die Lösung von Erhaltungssätzen lassen Abschätzungen über das Verhalten des Gesamtsystems zu. Dieses Verfahren ist für einige Aufgabenstellungen, die auf abstrakter Ebene elektrische, mechanische und thermische Größen miteinander in Verbindung stellen, sehr gut geeignet. Dies ist häufig in der Regelungstechnik der Fall. Zur Simulation elektrischer Schaltungen stehen andere Methoden zur Verfügung, die stärker auf diese Anwendung zugeschnitten sind. SPICE Für die Simulation elektrischer Komponenten und Systeme wird häufig das 1972 von der Berkeley Universität in Kalifornien entwickelte SPICE (Simulation Program with Integrated Circuit Emphasis) eingesetzt. Eine Schaltung wird grafisch als Schaltplan eingegeben oder in einer Textdatei durch eine Netzliste, die angibt, welche Elemente in der Schaltung vorhanden sind und wie diese verbunden sind. Im Falle einer grafischen Eingabe wird die Netzliste automatisch aus dem Schaltbild generiert. Anschließend berechnet der Simulator mit Hilfe der Kirchhoffschen Sätze alle Spannungen und Ströme in der Schaltung. Komplexere Modelle können durch Makromodellierung, also wiederum durch Netzlisten, erzeugt werden. Wenngleich es prinzipiell möglich ist, nichtelektrische Systeme zu beschreiben, ist SPICE dafür nur beschränkt geeignet, da unter anderem die physikalischen Einheiten und die vorhandenen Modelle ausschließlich elektrischer Natur sind. Hardware-Beschreibungssprachen Eine Weiterentwicklung der SPICE-Simulation beruht auf Beschreibungssprachen (HDL, Hardware Description Language), bei denen die Beschreibung der Modelle außerhalb des Simulators erfolgt, die Modelle also nicht fest vordefinierter Teil der Simulationssoftware sind. Die zwei bekanntesten Hardware-Beschreibungssprachen sind VHDL (Very Large
290 Scale of Integration Hardware Description Language) und Verilog [1]. Beide Standards eignen sich ursprünglich nur für zeit- und wertdiskrete Digitalschaltungen. Sie wurden deshalb in Form ihrer Analogund Mixed-Signal-Erweiterungen VDHL-AMS bzw. Verilog-AMS um analoge und gemischt analoge und digitale Funktionen erweitert und erlauben so auch die Modellierung wert- und zeitkontinuierlicher Systeme. Da es VHDL-AMS ermöglicht, sowohl mit Signalflüssen als auch mit Erhaltungssätzen zu modellieren, bietet sich die Verwendung für die Bordnetzsimulation an. Aus diesem Grund fördert der Arbeitskreis 30 der Forschungsvereinigung Automobiltechnik im VDA (Verband der Automobilindustrie) den Einsatz von VHDL-AMS. Durch die Erstellung offener Referenzmodelle und den Aufbau frei verfügbarer Modellbibliotheken von Steuer- und Regelsystemen für Kraftfahrzeuge sollen die Voraussetzungen für einen möglichen Modellaustausch geschaffen werden. Zur Illustration wird hier ausschließlich VHDL-AMS verwendet. Die Methodik ist aber auch auf andere Simulationsmethoden übertragbar.
4.7.3 Grundlagen von VHDL-AMS VHDL-AMS ist eine Erweiterung der digitalen Beschreibungssprache VHDL. Die AMS-Erweiterung (IEEE 1076.1-1999) erlaubt die Beschreibung analoger und gemischt analoger und digitaler (mixedsignal) Aspekte. VHDL-AMS ermöglicht somit, digitale Modellierung (zeitdiskret, ereignisgesteuert) zusammen mit analoger Modellierung (zeitkontinuierlich, Differentialgleichungssysteme) einzusetzen. Ursprünglich als Sprache zur Beschreibung und Dokumentation digitaler Schaltungen konzipiert, ist VHDL und somit ebenfalls VHDL-AMS eine sehr strukturierte Sprache. Ein VHDL-AMS-Modell gliedert sich in die Beschreibung der Schnittstellen (entity) und die Beschreibung des funktionalen Verhaltens (architecture). Diese Trennung erlaubt es, mehrere Varianten in Form verschiedener Architekturen für ein Modell zu erstellen. So können unterschiedliche Aspekte abgedeckt werden, ohne Änderungen in der Struktur des Gesamtdesigns vornehmen zu müssen. Wie zuvor erwähnt, ermöglicht VHDL-AMS eine Modellbildung sowohl mit Signalflüssen als auch mit Erhaltungssätzen. Bei der Signalflussmodellierung wird der Wert eines Ausgangssignals durch Anwendung einer Übertragungsfunktion auf ein Eingangssignal erzeugt. Bei der Modellierung mit Hilfe von Erhaltungssätzen wie dem Kirchhoff’schen Gesetz kommen zwar ähnliche Lösungsmethoden der numerischen Integration wie bei SPICE zum Einsatz, jedoch sind die Modelle nicht Teil des Simulatorkernes. Da die Lösung von derartigen Gleichungssätzen in vielen Ingenieursdisziplinen zum Lösen von Proble-
4 Bordnetz und Vernetzung men verwendet wird, ist es somit möglich, sowohl elektrische als auch mechanische, hydraulische und weitere Systeme mit VHDL-AMS zu beschreiben und zu simulieren. Eine HDL ist keine Programmiersprache, die sequentiell abgearbeitet wird, sondern eine Beschreibungssprache für Hardware, die Nebenläufigkeit in der Simulation ermöglicht, d.h. die parallele Ausführung von Anweisungen. Es kann auch über andere Laufvariablen als die Zeit simuliert werden, z.B. um den Frequenzgang eines Systems zu analysieren. Analoge Simulation Bei der Simulation analoger Systeme unterscheidet man in der Regel zwischen Modellen und Netzlisten. Modelle beschreiben das Verhalten von Komponenten und Netzlisten die Verschaltung der Komponenten. Bild 4-143 zeigt eine einfache Schaltung bestehend aus einer Spannungsquelle, einem Widerstand und einer Diode. Diese Schaltung lässt sich systematisch analysieren und mathematisch beschreiben. Es ist darauf zu achten, dass ein bestimmtes Gleichungssystem vorliegt, also für jede Unbekannte eine unabhängige Gleichung vorhanden ist. Eine Analyse mit Hilfe der Maschen- und Knotenregel ergibt folgendes Gleichungssystem zur Beschreibung der Schaltung in Bild 4-143: I R1
I D1
(4.18)
U V1
U D1 U R1
(4.19)
U D1
k T I D1 ln e IS
(4.20)
U R1
I R1 R1
(4.21)
Bild 4-143: Einfache Beispielschaltung
4.7 Simulation von Bordnetzen
291
entity resistor is generic ( res: real:=10.0e3); port ( terminal p1, p2 : electrical); end entity resistor; architecture ideal of resistor is quantity v across i through p1 to p2; begin v == i res; end architecture ideal; Bild 4-144: Modell eines Widerstands in VHDL-AMS
Die nicht in Bild 4-143 erkennbaren Größen in Gleichung (4.20) sind die Boltzmann-Konstante k, die Temperatur T, die Elementarladung e und der Sättigungssperrstrom der Diode IS. Während das manuelle Erzeugen der Gleichungssysteme für Schaltungen dieser Art trivial ist und sich die Gleichungen algebraisch lösen lassen, steigt die Komplexität bei größeren Schaltungen schnell an und es werden in der Regel numerische Methoden zur Lösung notwendig. Üblicherweise übernimmt ein Simulator diese Aufgabe. Das Verhalten des Widerstands wird durch Gleichung (4.21) beschrieben. In der dazugehörigen VHDLAMS-Syntax sieht das Widerstandsmodell aus wie in Bild 4-144 gezeigt. Das Element entity definiert die beiden Schnittstellen (port) p1 und p2 als elektrische Klemmen (terminal). Durch die Definition als terminal wird angezeigt, dass für diese Schnittstellen Gleichungen in der architecture zur Verfügung stehen, die zur Lösung der Erhaltungssätze benötigt werden. Die Verschaltung der Modelle, also Gleichung (4.18) und Gleichung (4.19), erfolgt mit einer Netzliste. Mit diesen Informationen und der Anwendung von Erhaltungssätzen (hier Kirchhoffsche Gesetze) erzeugt der Simulator die Systemgleichungen. Moderne Software-Werkzeuge erlauben die graphische Erstellung der Schaltungen und können aus der grafischen Darstellung in Bild 4-143 automatisch die Netzliste in Bild 4-145 erzeugen. Es gibt unterschiedliche Varianten von Netzlisten. Typischerweise wird ein Modell (RESISTOR) eingesetzt, mit einem eindeutigen Namen (R1) versehen (Instanz), ein oder mehrere Parameter eingestellt (RES) und die Schnittstellen des Modells (P1, P2) den Knoten des Netzwerks (VOUT, VDIODE) zuge-
wiesen. Die Wahl der Knoten- und Instanznamen ist im Rahmen der Sprachsyntax beliebig. Potentialdifferenz und Flussgröße Zeit- und wertkontinuierliche Schnittstellen werden in VHDL-AMS als terminals bezeichnet. Zweiggrößen (branch quantity) zwischen zwei Terminals stellen die Unbekannten im Gleichungssystem dar. Generell werden Potenziale als across quantities und Flussgrößen als through quantities bezeichnet. Terminals sind einem physikalischen Teilgebiet zugeordnet. Tabelle 4-23 zeigt einige typische physikalische Teilgebiete (Natures) und was unter der jeweiligen Potenzialdifferenz und Flussgröße zu verstehen ist. Über Natures werden die zu den analogen Signalen gehörigen Einheiten definiert und es erfolgt eine vorgeschriebene Überprüfung des Systems auf korrekte Verknüpfung der Modellschnittstellen. Dieser formale Prozess soll einen formal korrekten Entwurfsprozess unterstützen, indem vermieden wird, dass beispielsweise elektrische Schnittstellen an mechanische angeschlossen werden. Tabelle 4-23: Potentialdifferenz und Flussgröße für verschiedene physikalische Teilgebiete Physikalisches Teilgebiet
Potenzialdifferenz
Elektrotechnik
Spannung
Strom
Mechanik
Position
Kraft
Thermodynamik
Temperatur
Wärmefluss
Hydraulik
Druck
Volumenfluss
V_SINE1 : V_SINE port map (POS => VOUT, NEG => GND ); R1 : RESISTOR port map (P1 => VOUT, P2 => VDIODE ) generic map (RES=>10.0); D1 : DIODE port map (P => VDIODE,N => GND ); Bild 4-145: Netzliste der Beispielschaltung
Flussgröße
292
4 Bordnetz und Vernetzung
In VHDL-AMS stehen die Natures in vom IEEE definierten Bibliotheken zur Verfügung und müssen am Anfang eines jeden Modells deklariert werden. Dann sind Größen wie Strom, Temperatur und Widerstand bekannt und können im Modell benutzt werden. Digitale Simulation Während die Simulation des analogen Sprachumfangs von VHDL-AMS durch die Lösung nichtlinearer Differentialgleichungssysteme erfolgt, wird der digitale Teil ereignisgesteuert (event driven) simuliert. Zeitdiskrete Größen werden durch so genannte Signale (signal) abgebildet, die sich nur zum Zeitpunkt eines für sie relevanten Ereignisses ändern. Dazu werden digitale Zustandswechsel in einer „Warteschlange“ verwaltet. Dieses Konzept ermöglicht eine schnelle Simulation digitaler Systeme ohne das zeitaufwändige Lösen von Differentialgleichungssystemen. Mögliche Typen für zeitdiskrete Signale sind unter anderem „real“, „std_logic“ und „boolean“. Diskrete Typen wie std_logic und boolean („true“ und „false“) beschränken nicht nur den Zeitpunkt der Änderung, sondern auch den Wertebereich eines Signals auf diskrete Werte. Gemischte Simulation Gerade die Möglichkeit, Systeme gleichzeitig in verschiedenen physikalischen Teilgebieten, digital und analog, sowie mit Signalfluss zu modellieren, macht diese Art der Beschreibung sehr mächtig. Es muss dafür gesorgt werden, dass der Übergang zwischen den unterschiedlichen Modellierungsarten korrekt erfolgt. Teilweise erfolgt dies automatisch durch das Einfügen von geeigneten Schnittstellenmodellen durch den Simulator; oft muss der Anwender jedoch selbst für den Übergang sorgen. Bild 4-146 zeigt Symbole für die Schnittstellenmodelle zum Übergang von Signalfluss zu Elektrik (a), von Elektrik zu rotatorischer Mechanik (b) und von analoger Elektrik zu digitaler Elektrik (c). Während der Gleichstrommotor eine Komponente ist, die tatsächlich verbaut werden könnte, ist das Modell der steuerbaren Spannungsquelle ein reines Hilfsmodell.
a)
b)
c)
Bild 4-146: Schnittstellenmodelle zwischen verschiedenen physikalischen Teilgebieten: a) Steuerbare Spannungsquelle, b) Gleichstrommotor, c) A/D-Wandler
Analysearten Aus den Informationen der Netzliste und der Modelle erstellt der Simulator die Systemdifferentialgleichungen, die gelöst werden müssen, um die Systemgrößen zu berechnen. Mit der dabei aufgestellten Systemmatrix kann der Simulator verschiedene Analysen durchführen. Die grundlegenden Analysearten sind: Gleichspannungsanalyse (DC) Zeitbereichsanalyse (Tran) Kleinsignal-Frequenzbereichsanalyse (AC)
Bei der Gleichspannungsanalyse wird der Arbeitspunkt des Systems bestimmt. Dabei werden nur zeitlich unveränderliche Größen berücksichtigt, d.h. alle Ableitungen nach der Zeit in der Systemmatrix werden für diese Analyseart zu null gesetzt. Die Ergebnisse dieser Analyse dienen in der Regel als Startpunkt für andere Analysearten wie die Zeitbereichsanalyse und die AC-Analyse. Die KleinsignalFrequenzbereichsanalyse wird in der Bordnetzsimulation hauptsächlich für den Entwurf von Regelschleifen und Übertragungsstrecken eingesetzt. Für den Bordnetzentwurf ist besonders die Zeitbereichsanalyse von Interesse, die das Großsignalverhalten, zum Beispiel von Einschwingvorgängen oder Stromspitzen, analysiert. Ausgehend von einem Systemzustand zum Zeitpunkt null Sekunden werden die Zustände des Systems zu verschiedenen Zeitpunkten durch das Lösen des nichtlinearen Differentialgleichungssystems bestimmt und die Werte der Systemgrößen über der Zeit gespeichert. Diese Signale können mit einem so genannten „Waveform Viewer“ (Bild 4-149) betrachtet und weiter verarbeitet werden. Abstraktion In der Systemsimulation steht die Auswahl entsprechender Abstraktionsebenen in direkten Zusammenhang zur Analyseperformance. Es ist nicht sinnvoll, sämtliche elektrischen Komponenten auf SchaltkreisEbene zu berücksichtigen, um qualitative Aussagen über das Gesamtsystemverhalten abzuleiten. Ähnliches gilt für eine räumliche Betrachtung mechanischer Bauteile. Ziel ist es, die wesentlichen physikalischen Charakteristika in einem Verhaltensmodell mit ggf. verschiedenen Abstraktionsebenen abzubilden. Der SAE-Standard J2546 [8], der vielen Bibliotheken als Grundlage dient, legt hierzu acht funktionale Beschreibungsebenen fest, von denen sich vier zur Simulation von Bordnetzen anbieten. Ebene 3: Die Pfadebene („Paths“) kennt interne Zustände und Verbindungen, allerdings noch kein funktionales Verhalten. Mit Hilfe allgemeiner Zustände wie an oder aus können mit einer Simulation Informationen beispielsweise über Fehlerstrompfade gewonnen werden.
4.7 Simulation von Bordnetzen Ebene 4: Die statische Ebene („Static“) beschreibt das zeitlich konstante oder eingeschwungene Verhalten und berücksichtigt einfache quantitative Eigenschaften. Diese Modelle eignen sich häufig schon für Zeitbereichsanalysen und KleinsignalFrequenzbereichsanalysen. Ein komplexer Verstärker wird durch seine Verstärkung charakterisiert, eine Drahtverbindung durch einen Widerstand idealisiert. Ebene 5: Die dynamische Ebene („Dynamic“) ist die wichtigste und bisher gebräuchlichste Beschreibung. Sie beinhaltet nichtlineare, zeitvariante Charakteristika. Das Modell ist somit hinreichend genau für die Zeitbereichssimulation mit allen wesentlichen physikalischen Merkmalen, gleichzeitig aber einfach und allgemein genug, um von einem Anwender mit vertretbarem Aufwand erstellt oder modifiziert zu werden. Typisch für diese Ebene sind Lampen mit Selbsterhitzung oder Motoren mit Trägheit und Reibung. In VHDL-AMS gibt es eine Vielzahl von Bibliotheken, in denen solche Modelle offen zur weiteren Verfeinerung angeboten werden. Ebene 6: Auf der Präzisionsebene („Precision“) werden sekundäre nichtlineare und parasitäre Effekte berücksichtigt. Ein solches Modell verlangt detaillierte Kenntnis der Komponente und ist meist sehr anspruchsvoll zu erstellen. Ebene 6 kann auch als konkrete Implementierung einer bestimmten Komponentenart (zum Beispiel Bosch LI-E-Generator) interpretiert werden. Diese Modelle können vertrauliche Informationen enthalten. Trotz der internen Komplexität mancher Modelle ist deren Verwendung in der Regel verhältnismäßig einfach. Zur Anpassung eines allgemeinen Modells an eine konkrete Komponente ist idealerweise die korrekte Angabe von Parametern aus dem Datenblatt der Komponente ausreichend. Tabellenbasierte Modellierung Gerade im Bereich der Kfz-Elektronikentwicklung liegen Informationen über Komponenten häufig in tabellarischen Kennlinienfeldern vor, die durch Messungen an der realen Komponente bestimmt werden. Solche Kennlinien beschreiben unter Umständen das Verhalten hinreichend genau und die aufwändige Bestimmung physikalischer Parameter einer Komponente (z.B. IS bei einer Diode) erübrigt sich. Erwünscht ist in diesem Fall die direkte Einbindung der Kennlinien in die Simulation zusammen mit vorhandenen Verhaltensmodellen. VHDL-AMS bietet hierzu einen standardisierten Weg. Benötigt werden hierzu das Standard-Paket „TextIO“ zum Einlesen der Daten und eine Routine zur Interpolation. Im Zusammenhang mit der Wahl der passenden Abstraktionsebene bietet die Verwendung von Kennlinien aus Messungen eine weitere Möglichkeit, ohne
293 großen Aufwand ein simulierbares Verhaltensmodell zu erhalten.
4.7.4 Simulationsaufgaben Die vielfältigen Aufgabenstellungen bei der Bordnetzentwicklung erfordern teils ebenso vielfältige Simulationskonzepte. So kann man unter anderem zwischen Energieverteilung (Energienetz) und Kommunikationsnetzwerk unterscheiden. Nicht nur an die Kommunikationsnetzwerke, bestehend aus verschiedensten Bussystemen, die untereinander durch Gateways verbunden sind, sondern auch an die Energieversorgung werden dabei hinsichtlich Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit hohe Ansprüche gestellt. Um diese stetig steigenden Ansprüche zu erfüllen, ist die Simulation heute in vielen Bereichen ein unverzichtbares Instrument zur Erstellung und zur Absicherung des Systementwurfs im Entwicklungsprozess. In Abhängigkeit von der Aufgabenstellung müssen Modelle und Analysemethoden sinnvoll gewählt werden. Ladebilanz und Energiemanagement Ein Energienetz soll Energie bedarfsgerecht verteilen. Ausgehend von Anforderungen wie Leistungsfähigkeit und Betriebszyklen wird dazu die Energieversorgung ausgelegt. Weil eine einfache Auslegung nach dem maximalen Bedarf nicht kosteneffizient ist, begrenzt ein intelligentes Regelsystem den Verbrauch abhängig von den momentanen Leistungsanforderungen und der verfügbaren Energie. Eine isolierte Betrachtung der statischen Stromverteilung ist zur Entwicklung des Energiemanagements aufgrund der Vernetzung aller Komponenten des Bordnetzes nicht mehr möglich. Erforderlich ist stattdessen eine alle Fachbereiche übergreifende Betrachtung des Gesamtsystems mit allen Aspekten der Elektronik, der Mechanik, der Thermik und der Software.
Bild 4-147: Europäischer Fahrzyklus für Emissions- und Verbrauchsmessungen der Motor Vehicle Emissions Group (MVEG)
Energienetze werden für vergleichbare Resultate üblicherweise mit standardisierten Fahrzyklen wie dem MVEG-Zyklus (Bild 4-147) getestet. Dieser Fahrzyklus beschreibt die Drehzahl des Motors über eine Dauer
294 von 600 Sekunden. Fahrzyklen liegen in der Regel in Tabellenform vor und können in der Simulation verwendet werden. Die Ladebilanzanalyse erfordert darüber hinaus Modelle für Quellen (Batterie, Generator), Senken, Verteilung und Regelung, die relativ abstrakt das zeitliche Verhalten wiedergeben. Die Untersuchung von Lade- und Energiebilanzen soll sicherstellen, dass der Generator alle Leistungsanforderungen erfüllen und dabei die Batterie immer noch laden kann. Während in der Vergangenheit die Berechnungen rein statisch für ausgewählte Betriebszustände erstellt wurden [9], müssen heute anhaltende, aber auch kurzzeitige Betriebszustände mit wechselnden Lasten in der Simulation verifiziert werden. Die für die Simulation benötigten Informationen über Betriebszustände der Komponenten hat in der Regel der Zulieferer. Da der Austausch dieser Daten in Papierform aufwändig und fehlerträchtig ist, gibt es Bestrebungen, diese Daten in Form von Simulationsmodellen auszutauschen. Aus diesem Grund kommt der Verfügbarkeit eines einheitlichen Standards zur Verhaltensmodellierung besondere Bedeutung zu. Ausgehend vom SAE-Standard J2546 beschäftigt sich der Zusammenschluss mehrerer deutscher Automobilhersteller und Zulieferer im VDA FAT AK 30 mit der Etablierung eines solchen Standards. Bereits kurz nach der Verfügbarkeit erster Werkzeuge wurde ein praxisnahes Modell eines
Bild 4-148: Energienetz-Simulation
4 Bordnetz und Vernetzung Bordnetzes zur Ladebilanzsimulation vorgestellt [10]. Bild 4-148 zeigt den konzeptionellen Aufbau dieses Zweispannungsbordnetzes bestehend aus Generator, Batterie, verschiedenen Verbrauchern im 14-V-Netz und einem DC/DC-Konverter für ein 42-V-Subnetz. Die äußeren Rahmenbedingungen der Simulation werden durch den Fahrzyklus und das Lastprofil, das z.B. das manuelle Zuschalten von Verbrauchern beschreibt, festgelegt. In der Simulation kann weiterhin die Umgebungstemperatur verändert werden. Dies ermöglicht eine effiziente und reproduzierbare Verifikation verschiedener Betriebzustände. Verbraucher werden als Energiesenken beschrieben, deren Leistungsaufnahme konstant ist oder sich in Abhängigkeit von Drehzahl, Geschwindigkeit, Auslastung oder Zeit ändert. Das Verhalten des DC/DC-Wandlers wird einfach und effektiv als Energiespeicher beschrieben, der über einen begrenzten Strom aus dem 14-V-Netz versorgt wird und die Energie geregelt über ein PI-Glied an das 42-V-Netz abgibt. Eine wesentliche Kenngröße dieses Systems ist die Generatorauslastung (in Prozent) im Verhältnis zum maximalen Ausgangstrom. Das Generatormodell berechnet den maximal verfügbaren Strom in Abhängigkeit von Temperatur und Generatordrehzahl. Darüber hinaus ermöglicht ein elektrisches Verhaltensmodell der Batterie Aussagen über deren Ladezustand.
4.7 Simulation von Bordnetzen Es existieren Batteriemodelle mit detaillierten elektrochemischen Prozessbeschreibungen, die sehr genau selbst Temperatur und Alterungseffekte wiedergeben. Fahrzyklussimulationen mit dieser Art von Modellen ermöglichen Ladebilanzanalysen in Minuten. Im Vergleich dazu dauern Tests an Fahrzeugen oftmals Tage, da die Batterie zunächst in einen definierten Zustand gebracht werden muss, bevor die Testfahrt erfolgt. Mit diesem Systemmodell zur Bordnetzsimulation lassen sich verschiedene Betriebszustände überprüfen. Die Simulation der ursprünglichen Konfiguration des Bordnetzes aus Bild 4-148 mit gleichzeitigem Betrieb mehrerer Hochstromverbraucher resultiert in den Netzspannungen, die in Bild 4-149 mit gestrichelten Linien gezeigt sind. Im Winterbetrieb mit Kaltstart, Gebläse, Klimaanlage, Scheiben- und Sitzheizungen usw. fallen die Spannungen für längere Zeit unter die zulässigen Minima von 12 V bzw. 36 V und die Batterie entlädt sich. Dies lässt darauf schließen, dass der Generator und die Strombegrenzung des DC/DC-Wandlers falsch ausgelegt sind. Durch Variation der Modellparameter kann das dynamische Verhalten des Systems optimiert werden. Die durchgehenden Linien in Bild 4-149 zeigen einen Test mit einer vergrößerten Auslegung des Generators (150 A statt 60 A) und des DC/DC-Konverters (60 A statt 25 A). Beide Versorgungsspannungen liegen nun
Bild 4-149: Simulationsergebnisse der Ladebilanzanalyse
295 auch beim Betrieb von Hochstromverbrauchern im Leerlauf über 12 V bzw. 36 V. Für die ersten ungefähr drei Sekunden des Fahrzyklus erfolgt ein verzögerter Anstieg der Spannung auf den Nominalwert, der sich aus der Verzögerung des Reglers im Generator auf Lastschwankungen ergibt. Während dessen wird das Bordnetz von der Batterie versorgt. Gut zu erkennen ist die Spannungsspitze im 42-V-Netz zum Zeitpunkt 105 Sekunden. Diese wird durch die geschalteten Lasten verursacht. Die vereinfachten Modelle liefern gute qualitative Ergebnisse, die für die Auslegung des Energiemanagements hinreichend sind. Auslegung elektrischer Komponenten Frühe Analysen der Architekturen verwenden Modelle der Komponenten mit relativ wenigen Detailinformationen. Die Detailinformationen sind in einem frühen Entwicklungsstadium oft nicht vorhanden und in der Regel auch nicht nötig. Die Auslegung von Komponenten hingegen erfordert meist zusätzliche Information zur genaueren Abbildung des Verhaltens. Im Fall einer Blinkerschaltung mit Glühlampen spielt das dynamisch-thermische Verhalten eine wichtige Rolle. Wie Bild 4-150 zeigt, bewirkt der geringe Widerstand eines kalten Glühfadens, dass bei jedem Blinken eine Stromspitze entsteht.
296
4 Bordnetz und Vernetzung
Bild 4-150: Simulation zur Blinkerauslegung
Beim zweiten Blinken ist diese kleiner, da sich das Filament nicht vollständig abkühlt. Kenntnisse über diese Stromspitzen sind wichtig zur Dimensionierung der Sicherung. Beim einseitigen Linksblinken bleibt die Temperatur der Sicherung immer weit unter dem Schmelzpunkt von 400 °C. Bei Betrachtung der Filamenttemperatur der linken Lampe während der Warnblinkfunktion fällt auf, dass nach zwei Pulsen die Lampe nicht mehr leuchtet. Der Grund liegt beim größeren Strom durch die Sicherung, der zum Zeitpunkt 8,4 Sekunden zum Überschreiten des Schmelzpunktes der Sicherung führt. Die Aufheizung läuft durch den geschalteten Strom über mehrere Blinkzyklen verteilt ab, in diesem Fall über zwei Zyklen. Nur ein dynamisches Modell kann solche nichtstetigen Last- und Temperatureffekte korrekt erfassen.
Leitungen Mit wachsendem Detaillierungsgrad der Simulation im Laufe des Entwicklungsprozesses werden Leitungsmodelle unter anderem für die optimale Auslegung von Kabelbäumen interessant. Dazu reicht für erste Betrachtungen eine DC-Analyse, um Informationen über Spannungsabfälle usw. zu erhalten. Zur Parametrisierung eines Leitungsmodells werden neben der Länge auch Querschnitt und Leitwert benötigt. Üblicherweise werden Leitungen allerdings über Kabeltypen spezifiziert. Mit VHDL-AMS können abstrakte Datentypen definiert und den Modellen in einer Bibliothek zur Verfügung gestellt werden. Ein amerikanisches Kabelmodell beispielsweise kann sich dann lediglich auf den gebräuchlichen AWG-Typ (American Wire Gauge) beziehen, ohne dessen tatsächliche elektrische Charakteristika explizit aufzulisten.
4.7 Simulation von Bordnetzen
297
package wire_physics is type american_wire_gauge is (awg10, awg12, …); function wire_select (selection : in american_wire_gauge) return real; end package wire_physics; package body wire_physics is function wire_select (selection : in american_wire_gauge) return real is begin case selection is when awg10 => return 0.00328; -- Resistance (Ohms per meter) when awg12 => return 0.00521; … end case; end function wire_select; end package body wire_physics; Bild 4-151: Spezifikation von Leitungseigenschaften für die Simulation
Die Verbindung zwischen Typ und Eigenschaften wird nach Bild 4-151 in dem Package „wire_physics“ hergestellt, wobei sich das verwendete Modell zur besseren Übersicht auf den Widerstandsbelag beschränkt. Zunächst wird der Datentyp „american_wire_gauge“ definiert, der später vom Benutzer als Parameter der Modellschnittstelle ausgewählt wird. In der funktionalen Beschreibung der Leitung wird dann mit dem Funktionsaufruf „wire_select“ der eigentliche Widerstandbelag in einer case-Anweisung zugewiesen. Vergleichbare Bibliotheken im deutschsprachigen Raum verwenden anstelle des AWG-Typs meist geometrische Kenndaten wie Querschnittsfläche usw. In der Anwendung kann so der optimale Kabeltyp schnell gefunden werden. Beispielsweise ist für Abblend- und Fernlicht im linken und rechten Scheinwerfer durch die Topologie eine um einen Meter unterschiedliche Verkabelung vorgegeben. Eine DCAnalyse berechnet die Temperaturen der Filamente mit 2544,87 K und 2546,63 K. Dies liegt innerhalb der Spezifikation und die Auslegung der Leitung mit einem AWG12 wurde für die Last der Lampen korrekt dimensioniert. Der Unterschied von ca. 1,8 K, bedingt durch die längere Leitungsführung zum rechten Scheinwerfer, bewirkt keine signifikanten Helligkeitsunterschiede. Eine Betrachtung der Spannung an den Bremslichtern zeigt eine deutliche Spannungsdifferenz von 0,3 V zwischen dem linken und dem rechten Bremslicht. Dies resultiert in einem Unterschied der Filamenttemperatur von ca. 35 K und einer wahrnehmbaren Helligkeitsdifferenz der beiden Bremslichter. Es muss hier also für die längere Leitung ein Kabeltyp mit niedrigerem Widerstand verwendet werden.
Mechatronische Systeme In der Mechatronik wird das Zusammenwirken elektrischer mit nichtelektrischer Funktionalität betrachtet, beispielsweise mit Mechanik oder Hydraulik. Der Entwurf mechatronischer Systeme stellt besondere Anforderungen an die verwendeten Werkzeuge. Unter anderem müssen mechanische Komponenten spezifiziert, Schaltungen entwickelt und Software geprüft werden. Die enge Verkopplung der verschiedenen Ingenieursdisziplinen bedingt einen integrierten Entwicklungsprozess, in dem alle Aspekte berücksichtigt werden können. Aus diesem Grund bietet sich VHDL-AMS für mechatronische Aufgabenstellungen an. Der Aufbau eines Lüftersystems (Bild 4-152) mit Sicherung, thermischem Vorwiderstand, Motor und Gebläse beinhaltet mechanische, elektrische und thermische Aspekte. Zwei Schalter (ein/aus und hoch/niedrig) steuern die Lüftergeschwindigkeit. Die Steuerung erfolgt über einen Vorwiderstand zur Reduzierung der Geschwindigkeit. Das Modell dieses Widerstands berücksichtigt die Effekte der Selbsterhitzung. Wärme, die durch den elektrischen Strom erzeugt wird, wird zum einen über ein thermisches RC-Netzwerk (Bild 4-152 unten) an die Umgebung abgegeben und erhöht zum anderen den elektrischen Widerstand. Der Motor wandelt elektrische in mechanische Energie um. Somit sind elektrische, mechanische und thermische Effekte direkt miteinander verkoppelt. Der gewählte Motor hat bei 12 V und 2 A eine Drehzahl von ca. 2000/min (entsprechend einer Winkelgeschwindigkeit von etwa 200/s), welche mit dem Vorwiderstand von 5 : auf eine Drehzahl von etwa 1400/min (entsprechend einer Winkelgeschwindigkeit von etwa 140/s) gedrosselt wird.
298
Bild 4-152: Lüftersystem
Bild 4-153: Simulationsergebnisse für das Lüftersystem
4 Bordnetz und Vernetzung
4.7 Simulation von Bordnetzen Bild 4-153 zeigt das Zusammenwirken elektrischer, thermischer und mechanischer Größen. Jeder Schaltvorgang zur Erhöhung der Drehzahl bewirkt eine Spitze im Strom durch den Motor. Wird der Lüfter zum Zeitpunkt 7 Sekunden direkt auf Maximaldrehzahl geschaltet, entsteht ein Stromimpuls von 12 A. Dies ist ein 6-mal so hoher Strom wie im stationären Betrieb (2 A). Die durch den kurzen Stromimpuls resultierende maximale Erwärmung der Sicherung auf 220 °C bleibt jedoch weit unterhalb ihres Schmelzpunktes von 400 °C und die korrekte Funktion der Schaltung ist gewährleistet. Zuverlässigkeit Die Simulation ist in der Regel eine Vorstufe zum Versuch am Prüfstand oder am Prototypenfahrzeug. Untersuchungen am Versuchsaufbau sind gut geeignet, um die grundsätzliche Funktion sicherzustellen. Im Gegensatz dazu ist der Nachweis der Zuverlässigkeit durch Messungen deutlich schwieriger, da sich der Einfluss einzelner Parameter auf das Systemverhalten nicht ohne weiteres isolieren lässt.
299 Dies ist jedoch mit Hilfe von Simulationen relativ einfach möglich. Es können der Einfluss bestimmter Parameter auf das Systemverhalten erfasst, der Betrieb in extremen Situationen überprüft und die Toleranzen der Komponenten berücksichtigt werden. Um z.B. den Einsatz eines anderen Lüfters im Lüftersystem aus Bild 4-152 zu untersuchen, wird stufenweise das Trägheitsmoment der Lüfterschaufel erhöht. Die Simulation erzeugt für jedes Trägheitsmoment einen Stromverlauf, der in Bild 4-154a jeweils als Kurve dargestellt ist. Größere Trägheitsmomente bewirken höhere Ströme, die zur Überlastung der Sicherung führen können. Alternativ lässt sich analysieren, wie Fertigungstoleranzen der Sicherung einen Ausfall beeinflussen. Bild 4-154b zeigt die Simulationsergebnisse bei Variation einiger Sicherungsparameter unter Berücksichtigung der dynamischen Systemeigenschaften. Eine WorstCase-Analyse, bei der die möglichen Extremwertkombinationen untersucht werden, zeigt Schwankungen des Temperaturverhaltens. Es kommt in mehreren Fällen zu einem unerwünschten Ausfall des Lüfters.
Bild 4-154: Simulation des Lüfters mit variablen Parametern: a) Verschiedene Trägheitsmomente des Lüfters (die unterste Kurve entspricht dem niedrigsten, die oberste Kurve dem höchsten Trägheitsmoment, die dazwischen liegenden Kurven Werten dazwischen), b) Fertigungstoleranzen der Sicherung
300
4 Bordnetz und Vernetzung
architecture directional of wire is quantity v across i through p to m; constant r : real := wire_resistance_select(gauge); type current_direction is (forward, reverse); signal current_monitor : current_direction := forward; -- Current monitor state begin monitor : process begin wait until not i’ABOVE(-1.0*i_reverse_detect); current_monitor ) und dem Negativkontrast (