Handbuch der Geschichte der deutschen National-Literatur für Gymnasien und höhere Bildungsanstalten: Band 1 [Reprint 2019 ed.] 9783111573199, 9783111201245


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German Pages 288 Year 1846

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Table of contents :
Vorrede
Inhalt
Einleitung
Erste Periode. Bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts
Zweite Periode. Von der Mitte des 4. Jahrhunderts bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts
Dritte Periode. Von der Mitte des 12. bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts
Chronologische Uebersicht der deutschen Nationalliteratur
Anmerkungen
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Handbuch der Geschichte der deutschen National-Literatur für Gymnasien und höhere Bildungsanstalten: Band 1 [Reprint 2019 ed.]
 9783111573199, 9783111201245

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Handbuch der

Geschichte der deutschen

National - Literatur für

Gymnasien und höhere Bildungsanstalten von

Franz Biese, Professor und erstem Oberlehrer, am König!. Pädagogium zu Putbus.

(5 r st e r

Theil.

Berlin. Druck und Verlag von G. Nenner.

1846.

Wichtigkeit und große Bedeutung des deutschen Un­ terrichts giebt sich darin zu erkennen, daß dieser Gegenstand immer von Neuem wieder angeregt und nach verschiedenen Seiten hin besprochen wird.

Das Erscheinen dieses Hand­

buchs geht gleichfalls aus dem lebendigen Verlangen hervor,

rücksichtlich der Literaturgeschichte einen Beitrag

zu liefern

zu dem Unterricht im Deutschen. Die Wiederkehr unseres nationalen Selbstgefühls hat,

wie für das sociale und politische Leben, so auch auf dem

Gebiete des gelehrten Wissens in der deutschen Geschicht­ schreibung reiche und schöne Früchte getragen, und es wen­

det sich fortwährend die regste Theilnahme der Erforschung

und Darstellung sowol unserer politischen als auch religiösen und literarischen Entwickelung zu.

Unsere Literaturwissen­

schaft hat aber vor Allem durch I. Grimm's umfassende vaterländische Sprachforschung ihre wahre Grundlage erhal-

Biese deutsche Literaturgeschichte. I.

I

Vorrede.

IV

ten und die Geschichte der deutschen Nationalliteratur hier­

durch den bedeutendsten Aufschwung gewonnen. Auf Grimm's

tiefeindringenden Forschungen baute sich die deutsche Sprach­ wissenschaft und historische Grammatik auf und es schlossen

sich hieran die Bestrebungen Beneke's,

Lachmann's,

W. Grimm's,

Graff's, Maßmann's und vieler ande­

rer gelehrter Männer, wodurch das Studium des Alt- und Mittelhochdeutschen eine immer vielseitigere,

genauere und

bestimmtere Begründung erhielt; eine Reihe von Dichtun­ gen des deutschen Mittelalters sind herausgegeben und die

wieder erwachte Liebe zur deutschen Vorzeit eröffnete das rechte Verständniß der mittelaltrigen Literatur und entfaltete vor unseren Augen die reiche Fülle der vaterländischen Dich­ tung aus der Jugendzeit unseres Volkes.

In den Mittel­

punkt der literarhistorischen Bestrebungen trat Gervinus,

welcher durch sein umfassendes Werk, das aus der leben­ digsten Anschauung der literarischen Denkmäler hervorgegan­

gen ist,

mit der ganzen Energie seiner Wissenschaft und

Gesinnung den Weg bahnte, um einzudringen in den Ent­

wickelungsgang des Geistes der deutschen Nation, wie die­ ser sich ausgeprägt hat in dem reichen Gehalt unserer Lite­

ratur.

Es konnte nicht fehlen, daß der Umschwung, welchen

auf diese Weise die deutsche Sprach - und Literaturwissen­

schaft erhalten hatte, entschieden einwirkte auf die Gestaltung des

deutschen Unterrichts in unseren Gymnasien; denn es

haben ja die Lehrer keinen schöneren Beruf, als daß sie die

großen, bedeutsamen Resultate der Wissenschaft immer frucht-

Vorrede.

bringender für die Geistesbildung

V

ihrer Zöglinge machen.

Da nun die deutsche Literaturgeschichte den Charakter unse­

res Volks an Seele und Geist am bestimmtesten abspiegelt,

und den edelsten und reinsten Lebensgehalt desselben anschau­ lich hervortreten läßt, so werden gerade hier unserer Jugend

die für Herz und Kopf reichsten Bildungselemente dargebo­

ten.

Es hat daher auch nicht an verschiedenartigen Lehr-

und Handbüchern deutscher Literaturgeschichte für Gymnasien

gefehlt,

um

das reiche

Schule zu verarbeiten;

Material für das Bedürfniß der doch drängte sich mir während der

Reihe von Jahren, wo ich die deutschen Lektionen in Prima

ertheile, immer bestimmter die Ueberzeugung auf, bloßen Grundrisse und

Compendien für

den

daß die

schulmäßigen

Unterricht nicht ausreichend erscheinen, weil zu viel Zeit in

Anspruch genommen wird, um die Masse von Namen, Ti­ teln und Jahreszahlen zu beleben, und zu wenig Zeit übrig bleibt,

um durch eine umfassendere Lectüre in die bedeut­

samsten literarischen Erscheinungen tiefer einzuführen.

Mein

Bestreben ist daher bei Abfassung meines Handbuches vor­

züglich darauf gerichtet gewesen, der einzelnen

zuerst das Charakteristische

Perioden in Bezug auf die politische Lage

und den Culturzustand in bestimmten und scharfen Umrissen hervorzuheben, und dann die einzelnen literarischen Erschei­

nungen in solcher Weise darzustellen, daß die Schüler schon bei dem Durchlesen des betreffenden Abschnitts eine Vor­

stellung gewinnen von dem Entwickelungsgänge der Litera­ tur sowol in ihren allgemeinen als auch besonderen RichI*

B o r r e d e.

VI

jungen.

Die

hauptsächlichste

Aufgabe

des

Lehrers

wird

dann darin bestehen, die von den Schülern gewonnene Vor­ stellung noch mehr zu vertiefen und inhaltsreicher zu ge­

staltest theils durch Mittheilung von Proben, Besprechung und

theils durch

Erläuterung größerer Compositionen und

durch Lectüre, welche mit den Schülern gemeinsam anzustel­ len ist.

Hieran schließt sich natürlich die Besprechung alles

dessen, was in das Gebiet der Metrik, Poetik und Rheto­

rik

gehört, so daß die allgemeinen Gesetze der Verskunst,

der Dichtungsarten und Redegattungen jedes Mal an den besonderen Erscheinungen der Literatur ihre lebendige Ver­

anschaulichung erhalten.

Diesen Punkt habe ich vorzüglich

in den an den Tert sich anschließenden Anmerkungen in's Auge gefaßt, und außerdem auch, wo sich Gelegenheit dar­

bot,

die fremden Literaturen berücksichtigt,

namentlich

wo dieselben auf die unsrige eingewirkt haben.

da,

Unsere Li­

teratur hat vor den übrigen Nationen das Eigenthümliche, daß sie zwei classische Perioden gehabt, daß sie zweimal auf

der Höhe der Zeit stehend, das gesammte innere und äu­ ßere Leben unseres Volks in dichterischen Kunstwerken

in

einer großen Mannigfaltigkeit und Fülle naturgemäßer For­

men ausgeprägt hat*).

Das germanische Volksthum sollte

sich nicht, wie es den Griechen vergönnt war, aus der ur­

sprünglichen Triebkraft des

nationalen Geistes

entwickeln,

*) S. Vilmar's Geschichte der deutschen National-Literatur p. L seq.

Vorrede.

VII

sondern wurde schon früh durch das Zusammentreffen mit

classisch-römischen und christlichen Elementen ebensowol ge­ hemmt

als

auch

andererseits

gefördert.

Es

besaßen

die

germanischen Völkerschaften die Fähigkeit, sich aufzuschließen und hinzugeben, Fremdes zu empfangen und sich anzueig­

nen als eine ursprüngliche; in dem Aneignungsprocesse frem­

der Elemente reifte die deutsche Volkskraft, und in classi­ schen Werken der Literatur spiegelte sich das nationale Gei­

stesleben ab, das erste Mal als es befruchtet von dem Geiste des Christenthums die erste classische Periode im 13. Jahr­

hundert ins Leben rief, das zweite Mal als es durchdrun­ gen von dem Geiste des griechisch-römischen Alterthums und dem unserer Nachbarvölker die schöne classische Form und das romantisch vertiefte Seelenleben zur Einheit

zu

ver­

schmelzen strebte und ein zweites Blüthenalter aus sich ent­

faltete.

Es ist daher gerade unsere Literatur vor allen an­

deren reich an den mannigfaltigsten Kunstformen, so daß bei deren historischer Entwickelung die allgemeinen Gesetze, welche

Metrik,

Poetik und Rhetorik theoretisch behandeln,

auf le­

bendige Weise sich in den besonderen, concreten Erscheinun­ gen nachweisen lassen.

Indem auf solche Weise die Kunst­

formen in ihrem allmähligen Werden Gegenstand der Be­

trachtung sind, wird zugleich für die ästhetische Beurtheilung der rechte Standpunkt gewonnen, auf welchem man, dem

Gange der Literatur folgend, erst eine objective Analyse der

Kunstwerke zu geben im Stande ist.

Auf diesem histori­

schen Wege können erst die Fragen ihre genauere Beant-

Vorrede.

VIII

wortung erhalten,

wie sich unter bestimmten äußeren und

inneren Bedingungen die Weltanschauung des Autors bil­

dete,

wie seine Werke

und

Boden hervorgingen,

aus

einem gemeinschaftlichen

und wie andererseits der schöpferische

Genius, wenn auch ein Sohn, doch nicht ein Zögling oder

Günstling seiner Zeit, über diese hinausgreift und das Ideal, das

ihn belebt, in allen sinnlichen und geistigen Formen

ausprägt und es schweigend hinauswirft in die unendliche

Zeit*).

Dann läßt sich ferner bei tiefer eingehender Be­

trachtung nachweisen, welche besondere Hauptidee in den ein­ zelnen dichterischen Schöpfungen Gestalt gewonnen, und wie

diese Idee

das Ganze organisirt hat.

Bei einer

solchen

Betrachtung erscheint jedes poetische Werk als ein lebendidiges, von der schöpferischen Idee beseeltes Wesen, das seine

eigene innere Gesetzgebung hat, die aus ihm selbst heraus­ gefunden seyn will, und bei dieser Methode, die nicht einen

allezeit fertigen Maaßstab an alle Dichtungen anlegt, wird erst eine volle, ungetheilte Hingabe an das besondere Kunst­ werk möglich und durch die Würdigung und Schätzung des­

selben jedes gehaltlose und absprechende ästhetische Räsonne­

ment beseitigt. Was die äußere Einrichtung meines Handbuchs anbe­ trifft, so ist dieselbe durch den praktischen Zweck der Schule

bedingt.

Es erscheint in zwei besonderen Abtheilungen, da auf

*) S. Schiller über die ästhetische Erziehung des Menschen, den 9ten Brief.

Vorrede.

IX

dem hiesigen Pädagogium der Unterricht in der deutschen Litera­

tur so vertheilt ist, daß bei einem zweijährigen Lehrcursus in Secunva die neuere Zeit und in Prima das Mittelalter behandelt

wird. Außerdem findet in Prima in einer besonderen Stunde eine

Wiederholung der neueren Literatur statt, die hauptsächlich an die

großen und hervorragenden Persönlichkeiten unserer klassischen Literatur anknüpft, so daß diejenigen Schriftsteller, deren Gei­

steswerke als fortdauernde Momente unseres nationalen gei­ stigen Lebens Bedeutung haben,

näher besprochen werden

in Bezug auf die Geschichte und Entwickelung ihres Lebens

und

ihrer Leistungen.

Das

Verlangen,

besonders

diese

Stunden noch fruchtbringender zu machen, hat mir den er­

sten Impuls gegeben zur Bearbeitung meines Handbuchs, damit es mir möglich werde, auf die bedeutenderen literari>

schen Erscheinungen yäher einzugehen, ohne daß der geschicht­ liche Zusammenhang aus dem Auge gelassen werde. Manche

schätzenswerte Vorarbeiten konnte ich für meinen Zweck be­ nutzen, unter welchen ich vorzüglich hervorhebe: Schäfers

Handbuch

der

Geschichte

der deutschen Literatur (2 Thl.

Bremen 1842, 44); Koberstein's Grundriß der Geschichte der deutschen National - Literatur (Leipzig 1837.

Von der

ersten Abtheilung ist die vierte Auflage 1845 erschienen);

Götzinger's deutsche 1844);

schen

Gervinus,

Literatur

(erster

Theil.

Stuttgart

Handbuch der Geschichte der poeti­

National - Literatur

der

Deutschen

(Leipzig

1842).

Auch Rinne's Innere Geschichte der Entwickelung der deut­

schen Natioral-Literatur (Leipzig 1842; 2ter Theil 1843)

ist in manchen Beziehungen anregend, nur leidet dies Buch gar sehr an dem Mangel einer klaren, durchsichtigen Form der Darstellung.

Vilmar's Geschichte der deutschen Na-

tional-Literatur, die in einer lebendigen, ansprechenden Dar­ stellungsweise namentlich für die Auffassung des Mittelalters manche neue Gesichtspunkte darbietet, kam leider zu spät in meine Hände, so daß ich für den ersten Theil meines Handbuches nur

noch

in den Anmerkungen

Gebrauch machen konnte.

von

diesem gehaltvollen Buch

Für die „deutsche National-Lite-

ratur seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts, besonders seit

Lessing bis auf die Gegenwart" hat in der neuesten Zeit

Hillebrand ein größeres Werk geliefert, wovon bis jetzt zwei Theile erschienen sind (Hamburg und Gotha 1845).

Während Gervinus die Literaturgeschichte von dem histori­

schen Standpunkte aus behandelt, und das geistige Entstehen, das allmählige Werden, die allgemeinen geistigen Beziehun­ gen der Literaturwerke nach allen Seiten hin mit eindrin­

gendem Scharfsinn nachweist,

und das historische Interesse

vor dem ästhetischen, die Erkenntniß vor dem bloßen Genusse vorwalten läßt, stellt sich dagegen Hillebrand vorzugsweise

auf den ästhetischen Standpunkt und behauptet seine Selbst­

ständigkeit neben Gervinus, indem er zu dessen Werke eine wünschenswerthe Ergänzung darbietet.

Er faßt die literari­

schen Persönlichkeiten mehr für sich auf nach der eigenthüm­ lichen Entwickelung ihres Lebens, und betrachtet ihre Werke nach ihrem Ideengehalte und nach der größeren oder gerin­

geren Formvollendung, und

weist nach,

welche bleibende,

V o r r e d r.

XI

fortbestehende Momente sich in dem Entwickelungsgänge un­ serer Literatur nach und nach herausbildeten.

Was die Beispielsammlungen anbetrifft, um daraus Proben beim Unterricht mitzutheilen, so gewähren Wackernagel'ö Lesebuch und Pischon's

Denkmäler

ein reiches

Material. Ferner bietet Scholl's deutsche Literaturgeschichte

in Biographien und Proben, namentlich

in der

zweiten,

völlig umgearbeiteten Auflage für das Alt- und Mittelhoch­

deutsche (im ersten Bande) gut ausgewählte Proben dar. Für die Literatur der neueren Zeit von Haller an enthält

das Handbuch von Kurz (Zürich 1840. 2 Abtheilungen)

eine gute Sammlung von Musterstücken; nur Vollständiges und nichts

es ist hier stets

Abgerissenes

Für die Prosa enthält Mundt's Lesebuch

ausgenommen.

der deutschen

Prosa (Berlin 1844) eine wohlgeordnete Sammlung von

Belegen, die sich an die „Kunst der deutschen Prosa" von demselben

Verfasser

anschließen.

Endlich kann Kletke's

Musterbuch deutscher Aufsätze (Berlin 1844), welches ein reiches Material für Stilübungen darbietet, auch für den li­ teraturhistorischen Unterricht benutzt werden, da es manche

gut ausgewählte Aufsätze enthält, die sich auf Sprachkunde

und Aesthetik beziehen.

Es darf aber bei bloßer Mitthei­

lung von Proben aus Chrestomathien nicht sein Bewenden

haben, sondern es ist, wie schon erwähnt, nothwendig, daß

der Lehrer größere Compositionen entweder vollständig durch­ nehme oder die Schüler wenigstens zur Lectüre anrege und

anleite.

XII

Vorrede.

Gleich

nach

dem Texte habe ich eine chronologische

stets

sehr

Uebersicht hinzugefügt,

die ich

zweckmäßig

die Gleichzeitigkeit der literarischen

fand,

um

beim Unterricht

Denkmäler mehr hervortreten zu lassen.

Bei der Repeti­

tion einzelner Perioden bietet das Synchronistische manche

neue Gesichtspunkte dar, unter welchen die Erscheinungen der literarischen Thätigkeit können aufgefaßt werden. Die Anmerkungen sind, außer dem schon oben berühr­ ten Zweck, dazu bestimmt,

aus dem reichen Material der

Bibliographie nur das Hauptsächlichste hervorzuheben, und

besonders auf die Quellen und Hülfsmittel hinzuweisen, die

zu

ausführlicheren

Erörterungen

nähere

Belehrung

ge­

währen. Die nöthigen Register werden am Schlüsse des zwei­

ten Theils erscheinen, der dem ersten bald nachfolgen wird.

So möge denn meine Arbeit, die aus der

reinsten

und hingebendsten Liebe zu ihrem Gegenstand hervorgegan­ gen ist, eine freundliche und die Sache fördernde Beurthei­

lung finden. Es

giebt

eine

Art

welchen sich die Motive

mißliebiger

einem

Recensionen,

unbefangenen

schen den Zeilen leicht kund geben.

Auge

in

zwi­

Bei dem Vorherrschen

eines bloß äußeren Scheins von Objectivität schieben solche Beurtheilungen nur zu gerne Fremdartiges unter, und in­

dem sie ein schiefes Bild von dem betreffenden Buche ent­ werfen, werden sie ungerecht sowol gegen den Verfasser als auch gegen den Kreis von Lesern, für welche die beurtheilte

XIII

Vorrede.

Schrift bestimmt ist, und sind somit für die Sache selbst

mehr hemmend

Recensirmethode

dieser

Einen von den Vertretern

als fördernd.

mit Rücksicht

auf meine von mir

1845 herausgegebene philosophische Propädeutik namhaft zu machen, hätte nur geringe Bedeutung, da es sich hier nicht sowol um eine Person, als um eine besondere Richtung der

journalistischen

Kritik. handelt.

Außerdem ist auch

soviel

welche sich zu der angedeuteten Art

gewiß, daß diejenigen,

und Weise des Recensirens hergeben, für ihren guten Na­

men eben keine große Sorge tragen; denn die Unsterblich­

keit eines Klotz, des Hauptrepräsentanten alles Cliquen­ wesens, und

in

ist gerade keine beneidenswerthe.

Jede einseitige

die Wahrheit

beeinträchtigende

ihrer

Einseitigkeit

Darstellungsweise findet in dem Proceß des geistigen Lebens

ihr eigenes Corrcctiv, und so manches Geschreibe, das von der bezeichneten Recensirmethode ausgeht, muß diesem Pro­ ceß überlassen bleiben, spurlos

zu

Grunde

in Folge dessen es in der Regel

geht.

Wünschenswerth

ist

es

indeß

immer, daß da, wo es sich um die höchsten, um die reinsten und edelsten Interessen unserer Jugend handelt, jedes Partei­

wesen verstumme und nur die Sache im Auge behalten werde. Lebendig

bin

ich

von

der Ueberzeugung

durchdrun­

gen, daß aus dem von mir bearbeiteten Gebiet erst allmcih-

lig nach vielseitigeren Erörterungen und nach dem gegensei­ tigen Austausch längerer Erfahrungen sich das rechte Maaß wird treffen lassen.

Ich wünsche nur soviel für's Erste er­

reicht zu haben, daß ich in einigen Beziehungen wenigstens

XIV

Vorrede.

einem Bedürfnisse entgegengekommen bin, das

gewiß viele

von meinen Amtsgenossen mit mir werden lebhaft empfun­ den haben. Putbus, im Mai 1846.

Franz Biese.

Inhalt.

Einleitung...........................

Seite. 1

Die ältere Zeit. Bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts.

Erste Periode. Vis in die Mitte des 4. Jahrhunderts.

1. 2. 3.

Ursprung und Sprache der Germanen......................................... . Culturzustand der Germanen............................................................... Poesie der Germanen.............................................................................

5 6 7

Zweite Periode. Von der Mitte des 4. Jahrhunderts bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts. Erster Abschnitt.

Bis gegen das Ende des 8. Jahrhunderts. 1. 2. 3. 4.

Die Völkerwanderung. .............. Die Einführung des Christenthums. .......... Einwirkung der Völkerwanderung auf die Sagenpoeste. Die Sagenkreise........................................ 11 Die Sänger und Verskunst. . ....................................

8 9

14

Inhalt.

XVI

Seite. Zweiter Abschnitt.

Von Karl dem Großen bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts.

Einleitung.

1. 2. 3.

Einfluß Karl's des Großen auf die Bildung seines Volks. — Blüthe und Verfall der Kloster- und Domschulen........................... Einwirkung des Christenthums auf die Poesie der Deutschen. . Sprache und Verskunst..........................................................................

Erstes

15 18 21

Kapitel.

Die kirchlich gelehrte Literatur.

1. 2.

Die Poesie............................................................................................... Die Prosa................................................................................................

Zweites

21 25

Kapitel.

Die Volkspoesie.............................................................................................

26

Dritte Periode. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts.

Einleitung.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Culturzustand unter den Hohenstaufen............................................... Blüthe und Verfall des Ritterthums.................................................. Einfluß der inneren und äußeren Verhältnisse Deutschlands auf die Gestaltung der Literatur................................................................. Die Sagenstoffe der ritterlichen und geistlichen Poesie................... Verhältniß der höfischen Dichtkunst zur Volkspoesie und die volksthümlichen Sagenstoffe. ..................................................................... Die Sprache, die Verskunst und die Dichtungsarten......................

31 33 38 43 47 50

Erstes Kapitel. Die Poesie.

A.

1. 2.

3.

Epische

Poesie.

Die vorbereitende Zeit......................................................................... Blüthe und Verfall der höfischen und erzählenden Poesie. a. Die romantische Epopöe.............................................................. b. Legenden und andere kleinere Erzählungen (Novellen). . c. Erzählende Dichtungen historischer Ereignisse. ..... Das volkstümliche Epos. a. Die epischen Dichtungen, in welchen das Heroenleben in sei­ nen nationalen Beziehungen ausgeführt ist. (Deutsche JliaS).

54

60 79 87

88

Inhalt.

XVII Seite.

I). Die epischen Dichtungen, in welchen die Thaten der Helden mehr auf besondere, vereinzelte Interessen gerichtet find. (Deutsche Odyssee). .................................................................

B.

1. 2.

3.

Lyrische

Poesie.

Die Bedeutung und die Kunstform des Minnegesangs. . . . Die besonderen Richtungen des Minnegesangs. a. Der Frauendienst. ...................................................................... b. Der Gottesdienst..................................................................... . c. Der Herrendienst........................................... ..... .......................... Die Entwickelungsstufen des Minnegesangs und der Uebergang desselben in die Spruchdichtung nebst den Darstellungsformen der didaktischen Poesie. ...........................................................................

C.

96

100

104 110 114

119

Poesie.....................

126

Zweites Kapitel. Die Prosa..............................

133

Didaktische

Vierte Periode. Von der Mitte des 14. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.

Einleitung.

1. 2. 3.

Die politische Lage und der Culturzustand Deutschlands. . . . Die Sprache und Verskunst. . ...................................................... Die Dichter und die Dichtungsarten.............................

136 143 147

Erstes Kapitel. Die Poesie.

A.

Epische

Poesie.

I. Verfall und Absterben der epischen Dichtung.

1. 2. 3. 4. 5.

Die deutsche Heldensage......................................................................... Das romantische Epos........................................................................... Legenden.................................................................................................... Romantische Novellen und Balladen. ........................................... Erzählungen von Zeitgeschichten und erzählende Allegorien. . .

H.

1. 2.

Die neue Gestaltung der volksmäßigen epischen Darstellungs weise.

Die zeitgemäße Umgestaltung des Thierepos. ................................. Die Volksnovelle und der Schwank....................................................

Lyrische

B. I.

1.

149 150 153 154 154

160 163

Poesie.

Der Meistergesang.

Bedeutung und Kunstform des Meistergesangs.

......

166

Inhalt.

XVIII

Seite.

2.

Die Gegenstände des Meistergesangs und die bedeutendsten Mei­ stersänger

II. Das Volkslied 1.

2.

Das weltliche Volkslied........................ a. Das lyrische Volkslied. . . . b. Das epische Volkslied. . . . Das religiöse Volkslied.........................

C.

Dramatische

...........................................

169

170 173 175 177 179

Poesie.

1. 2.

Die Entstehung des Dramas. . . . Die dramatischen Dichter.......................

Poesie....................

191

1. 2. 3.

Die didaktischen Gedichte in Rede- und Spruchsorm...................... Didaktische Dichtungen in erzählender Form..................................... Dialogisirte didaktische Gedichte. . . . . . . ♦ . . . .

192 197 200

D.

Didaktische

...........................................

183 188

Zweites Kapitel. Die Prosa

I. Die Prosaromane und Volksbücher nebst dem satirischen Roman. 1. Die aus dem Kerlingschen und Bretonischen Sagenkreise her­ vorgegangenen Prosaromane 2. Legendenhafte und romantisch novellenartige Stoffe. ... 3. Volksmäßige novellenartige Stoffe 4. Der satirische Roman 11. Die oratorische, didaktische und geschichtliche Prosa 1. Die oratorische und didaktische Prosa 2. Die geschichtliche Prosa Chronologische Uebersicht der deutschen National-Literatur. Anmerkungen

200

202 202 205 210 214 217 218 225 228 234

Einleitung. L)i- Geschichte eines Volks hat zu ihrem Gegenstand theils die socialen und politischen Zustände,

theils den Culturzustand,

die

Religion, die sittliche Bildung und Kunst und Wissenschaft; wäh­

rend uns dort Thaten und Begebenheiten entgegentreten, die zu ihrem innersten Grund und Kern die Freiheit haben und die Ei­

genthümlichkeit des

Volks in

seiner fortschreitenden Entwickelung

enthüllen, werden wir hier eingeführt in das Gedankenleben, sen Ziel die Wahrheit ist.

des­

Das höhere geistige Leben, wie es von

Ideen bewegt wird, strebt nach Offenbarung und giebt sich Exi­ stenz theils in dem socialen und politischen Leben, theils in Kunst und Wissenschaft.

In letzterer Beziehung können die Ideen ent­

weder durch einen äußeren Stoff in der Kunst (Architektur, Pla­ stik und Malerei) dargestellt werden oder durch die Sprache, das welches der bildsamste Stoff ist, insofern er nicht dem Geiste äußerlich bleibt, sondern von dem umfassendste Darstellungsmittel,

Geiste selbst unmittelbar erzeugt wird.

Die Darstellung der Ideen

vermittelst der Sprache unterscheidet sich,

jenachdem das Ideale

durch die schöpferische Phantasie in individuellen Gestalten belebt und erscheinend zur Anschauung gebracht wird oder der Gedanken­

inhalt auf allgemeine Weise durch Begriffe seine Entfaltung und Entwickelung erhält.

Getragen werden Kunst und Wissenschaft von

dem religiösen und sittlichen Bewußtseyn

und sind zugleich bedingt

durch die Freiheit des politischen und socialen Lebens; sie bilden

hauptsächlich die Grundlage der Literatur, die alle Geisteserzeug­

nisse umfaßt, welche durch die Sprache vermittelt in schriftlicher Aufzeichnung verbreitet und festgehalten werden. Die National­ literatur als einem bestimmten Volke angehörig erhält durch die engere Beziehung zur Sprache

Beschränkung.

des

einzelnen Volks

eine nähere

Da sie der Ausdruck des nationalen Geistes ist, so

Biese deutsche Literaturgeschichte, i.

1

2

Einleitung.

prägt sie sich vorzüglich in solchen Werken aus, in welchen die in­ dividuelle Ausfassungsweise am lebendigsten wirksam ist.

Der Dich­

ter ist es aber, welcher nach dem individuellsten Ausdruck seiner inneren Anschauungen strebt,

der Sache erwecken will,

indem er nicht bloß die Vorstellung

sondern sie in sinnreichen Bildern zu­

gleich für die Einbildungskraft und das Gefühl hervortretcn läßt, und hier macht sich besonders die poetische Natur der Sprache gel­

tend, welche den

poetischen Gedanken

im Dichter mit

erzeugt.

Die Poesie steht mit den nationalen Anschauungen und der Mut­ tersprache in dem innigsten Zusammenhang, und Grundlage aller

In den Dich­ tern gewinnt das Volksbewußtseyn zuerst einen festen Mittelpunkt:

Nationalliteratur ist daher das dichterische Schaffen.

sie verkünden in Liedern die kühnen Thaten der Helden des Volks,

auch religiöse und sittliche Lehren wissen sie in Bildern und Gleich­ nissen lebendig zu gestalten und führen somit am unmittelbarsten

in das Leben die Gesinnungen, Volks ein.

Gefühle und Anschauungen ihres

Das Wahre und Gute gewinnt zuerst im Besonderen

seinen Ausdruck und der Gedanke wird dadurch für die Empfin­ dungen und Gefühle belebt. Poesie, Wissenschaft und Beredsam­ keit sind in den ältesten Zeiten jedes Volks noch nicht von einan­

Je mehr sich aber die

der gesondert, wie es später der Fall ist.

Welt in ihren verschiedenartigen Erscheinungen

dem Bewußtseyn

erschließt und je mannigfaltiger der Stoff wird, der sich bei einer

ausgebreiteteren Cultur der näheren Betrachtung und Behandlung ausdrängt, um so mehr macht sich das Bedürfniß einer neuen Dar­

stellungsweise geltend, und diese wird in der Prosa gewonnen, in welcher sich der schaffende poetische Geist der Nation gleichfalls thä­

tig zeigt.

Es durchdringen sich im Verlauf der fortschreitenden

Cultur Wissenschaft und Poesie immer mehr, ihre festgesteckten Grenzen aufgeben:

ohne daß sie jedoch

die Poesie gewinnt von den

Schätzen des Wissens an innerem Gehalt

und

die Wissenschaft

überkömmt von der Poesie die Anmuth der Form und die bestimm­ tere, individuellere Auffassung der Dinge.

Es müssen daher in der

Nationalliteratur außer den Werken der Poesie besonders auch die­ jenigen Geistesarbeiten in Prosa berücksichtigt werden, in welchen bestimmte Anstände und Interessen der Menschheit in selbstgcwähl-

ter Form so dargestellt werden, daß dadurch das Gemüth in eine besondere Stimmung versetzt und die Einbildungskraft belebt wird.

Wie solche Werke sowol ihrer Form als auch ihrem inneren Wesen so üben sie,auch eine natio-

nach ein nationales Gepräge tragen,

Einleitung.

3

nale Wirkung aus und sondern sich somit von den literarischen Er­

zeugnissen anderer Nationen bestimmt ab. Diejenigen Schriften, welche der gelehrten Forschung und einer

besonderen Wissenschaft gewidmet sind, wo die Form der Darstel­

lung durch die Natur des Stoffs vorgeschrieben ist, und wo cs sich

nicht handelt um nationale Anschauungen, Gesinnungen, Ansichten und Stimmungen, sondern um Ermittelung und klare Auffassung der Thatsachen, um Feststellung und Ueberlieferung von Ansichten

und Ueberzeugungen,

solche Schriften stehen der Nationalliteratur

am fernsten; sie gehören der Fachliteratur an, welche nicht die Ge­

sammtheit der Gebildeten in

der Nation berücksichtigt,

nicht die

Nationalbildung an sich im Auge hat, sondern nur einen bestimm­ ten Kreis von Gelehrten.

Dagegen gehören zur Nationalliteratur

die Schriften solcher Männer,

welche durch den Reichthum und

die Tiefe ihrer Gedanken und Ideen einer neuen Geistesrichtung, die

schon überall in der Nation vorhanden, aber noch nicht zum kla­

ren Bewußtseyn gekommen ist, Ausdruck verleihen und als die Verkündiger einer neuen Epoche durch den Ernst ihres Charakters und durch den ahnungsvollen Blick ihres Genius allgemeine An­ ziehungskraft ausüben.

Außerdem giebt es mannigfaltige Mittel­

glieder zwischen Poesie und Wissenschaften,

Gattungen der Dar­

stellung, in welchen nicht der Gelehrte als Gelehrte spricht, son­ dern in rein menschlichem Interesse sich an alle Gebildeten der Na­

tion und an den ganzen Menschen wendet und die Wissenschaft ins Leben einzuführen strebt; hier macht sich besonders der Ernst und die Tüchtigkeit der Gesinnung,

stigkeit des Charakters geltend.

die Entschiedenheit und Fe­

Während die tiefere Auffassung

des Lebens und die Ergründung der Wahrheit das Ziel der Wis­ senschaft ist, während die Poesie das Leben auf bedeutungsvolle

und sinnreiche Weise in ihren Gebilden und Gestaltungen abspie­ gelt, kämpft der Charakter für das Leben und sucht Zustände und

Ueberzeugungen hervorzurufen oder wankend zu machen.

Hier auf

diesem Gebiete stellt sich die Redekunst von selbst ein, welche die

Darstellungsformen und Hülfsmittel der Poesie benutzt, um die

Einbildungskraft zu beleben und auf das Gemüth zu wirken. Das Rhetorische der Darstellung erzeugt sich unmittelbar aus einem überwiegenden praktischen Interesse und findet sich daher bei prak­ tischen Völkern und sittlich bewegten Menschen.

Es

ergiebt sich nun aus

dem Wesen der Nationalliteratur,

daß in derselben die Poesie eine vorzügliche Berücksichtigung findet,

1 *

4

Einleitung.

und unter den Darstellungen der Prosa sind die Werke der Philosophie,

besonders

hervorzuheben

der Geschichte und Beredsamkeit,

insofern sich in ihnen außer dem rein Menschlichen zugleich die Tiefe und der Ernst des nationalen Charakters ausprägt. Die Geschichte der Nationalliteratur faßt diese in ihrem Wer­ den, in ihrer genetischen Entwickelung auf, und da die Poesie den

eigentlichen Mittelpunkt bildet, so stellt sie besonders das Entste­ hen,

Fortwachsen

und

die Wandelung des

poetischen Schaffens

dar, und hat hierbei die Gestaltung der Sprache, der Prosodie und Verskunst zu berücksichtigen, weil dies die äußeren Seiten der Poesie

sind, welche mit der Fortentwickelung derselben auf das engste zu­ sammenhängen, und außerdem muß die Darstellung rücksichtlich der ersten Anfänge der Poesie auf die Bolkssage zurückgehen und deren allmählige Ausbildung zu verfolgen suchen, und hier verdient, wo wenig erhalten ist,

auch das Unbedeutende Beachtung,

was auch

von den Prosawerken in ihrem ersten Entstehen gilt, welche in ih­

rer frühsten Periode fast alle heranzuziehen sind, um die Anschauung

soviel als möglich zu ergänzen und zu vervollständigen.

Da nun

die ideellen Bestrebungen des Volks sich in seiner Literatur abspie­ und diese sich besonders kund geben in dem religiösen und sittlichen, in dem socialen und politischen Leben, so müssen alle diese Lebensrichtungen des Volks in ihrem Einfluß auf die Gestal­ tung der Literatur dargestellt werden; denn hierdurch wird es erst

geln,

möglich,

jede Zeit in ihrer geistigen Ausbildung kennen zu lernen

und die literarischen Erscheinungen in ihrer Eigenthümlichkeit und

in ihrem innern Wesen aufzufassen.

Die ältere Zeit. Bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts.

Erste Periode. Bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts.

L

Ursprung und Sprache der Germanen.

Der Länderstrich, welcher sich südlich vom kaspischen Meer nach

N.W. zum Kaukasus und nach S.O. nach Indien erstreckt, bil­ det einen Mittelpunkt, von wo sich unter verschiedenen Umständen

und zu verschiedenen Zeiten sich die einzelnen Völkerschaften nach verschiedene» Richtungen ausbreiteten. Von hier kam der thrakisch-pelasgische Volksstamm, aus welchem die Griechen und Römer hervortraten, und besetzte die südlichen Halbinseln Europa's, während später der keltische Volksstamm das mittlere und westliche Europa bis nach Britanien einnahm. Nachrückende Völ­ kerschaften drängten die früher eingewanderten nach dem Westen und die später einwandernden Germanen waren es, welche den Volksstamm der Kelten auf die westlichsten Länder und Punkte Europa's beschränkten, sich über die Ostseeländer bis in die Mitte von Skandinavien ausbreiteten und ganz Deutschland im W. bis an den Rhein, im S. bis an die Donau und in S.O. bis an die Theiß einnahmen. Der germanische Sprachstamm gehört zu der indisch­ germanischen Sprachenfamilie, welche sich von den Ufern des Gan­ ges in verschiedenen Aesten zuerst über mehrere Theile des westli­ chen Asiens und dann fast über ganz Europa verbreitet hat. Der germanische Sprachstamm begreift in sich: 1. die Altnordische Sprache, woraus die Isländische mit ihren Töchtern, der Däm-

6

Bis in die Mitte des vierten Jahrhunderts,

Erste Periode.

schen und Schwedischen, hervorgegangen ist;

2. die Ostdeutsche

oder Gothische Sprache, die srüh erlosch; 3. die Niederdeut­ sche Sprache, wozu die Angelsächsische, die Friesische, die Lltsächder Plattdeutschen

sische Sprache nebst ihren Nachkommen,

und

Holländischen, gehört; 4. die Oberdeutsche Sprache, wozu Longobarden, Baiern, Burgunder, Allemannen und Franken zu rech­

nen sind. [1]

Die Buchstabenschrift (Runschrift) war schon srüh

den alten Germanen bekannt. [2J

Dem Runenalphabet ist das

gothische verwandt,

legte später dasselbe in seiner

und

Ulfilas

Bibelübersetzung zu Grunde und vervollständigte es.

Runen scheint

verwandt zu seyn mit ritzen, scribere, y§ä. cap. 3.), in welchen man vor dem Beginn des Kampfs den sogenannten Hercules pries; der dröhnende Wiederhall des Gesanges (baritus) galt als ein Orakel für den Ausgang der Schlacht. [5] Ferner werden Lieder aus den vaterländischen Helden Armin angeführt (Tao. ann. 2, 88.), und noch andere kriegerische Gesänge vor der Schlacht und beim Mahl (Tacit. annal. 1, 65; bist. 2, 22; 4, 18.). JvkNaNdes, der Geschichtschreiber der Gothen aus dem 6. Jahrhundert, hat

8

Zweite Periode.

Bon der Mitte des vierten und Paulus Diaconus aus

manche Liederstoffe aufbewahrt,

dem 8. Jahrhundert hatte in seiner Geschichte der Langobarden hi­ storische Lieder dieses Volksstamms vor sich, der in Italien sich ge­

gen römischen Einfluß bewahrend die alte Sagengeschichte festhielt. Endlich lassen sich in diesem Zeitraum auch noch die ersten Gestal­

tungen von denjenigen Sagen suchen, Umgestaltung durch

bendiger

das

welche sich in beständig le­

Mittelalter

hindurch erhielten,

nemlich von der Siegfriedssage und von der Thiersage. Die erstere ist in ihrer ältesten Gestalt durchaus heidnisch und kam wahr­

scheinlich aus Deutschland erst nach Scandinavien in Liedern, die in der Darstellungsweise den Edden ähnlich waren. [6]

Für das

hohe Alter der Thiersage zeugen besonders die Namen der beiden Haupthelden Isengrim und Reinhart. [7] Diese Sagen vom Fuchs, Wolf, Bären, dessen Königthum später auf den Löwen übertragen wurde, sellschaft an,

gehören den Menschen der ursprünglichen Ge­

wo noch ein vertrauliches Band zwischen Thier und

Mensch geschlungen war. [8]

Die Freude an der Natur ist die

Seele dieser Dichtungsart, wie sie den Germanen besonders eigen­ thümlich war.

Zweite Periode. Von der Mitte des 4. Jahrhunderts bis in die Mitte des 12. Jahrh»nderts.

Erster Abschnitt. Bis gegen das Ende des 8.

1.

Jahrhunderts.

Die Völkerwanderung.

Schon längst vor der Völkerwanderung waren die Germanen mit den gebildeten Römern in Berührung gekommen sowol in ver­

schiedenen

Kriegen

als

auch

in

freundschaftlichen

Beziehungen.

Deutsche Schaaren wurden zu römischen Kriegsdiensten gebraucht; Arminius und Marbod erhielten

in Rom

ihre Erziehung.

Mit

den Völkerbewegungen, welche seit dem Markomannenkrieg (166) beginnend die germanischen Völker nach den Grenzen des römischen Reiches hindrängten, traten die kleineren Völker immer mehr zurück,

wie die Friesen, Chauken, Brukterer, Kalten; es bildeten sich int

bis in die Witte des zwölften Jahrhunderts.

9

3. Jahrhundert größere Völkerbündnisse zum Angriff auf die römi­ schen Provinzen: die Alemannen im oberen Germanien, die Franken am Niederrhein, die Sachsen an den Küsten der Nord­ see, die Gothen, Vandalen und Burgunder im östlichen Germanien. Zu einer großen, folgereichen Völkerbewegung gab

375 das Eindringen der Hunnen von Asien her Veranlassung. Viele germanische Völkerschaften verließen den vaterländischen Bo­ den und erlagen mehr oder weniger dem Einfluß römischer Bil­

dung, wie die Gothen, Burgunder, Franken, Vandalen, Angel­ sachsen, Longobarden. Von einer neuen Gefahr wurden die ger­ manischen Völkervereine, die sich in den römischen Provinzen nie­ dergelassen hatten, bedroht, als die Hunnen, welche seit 444 un­ ter Einem Anführer, dem gewaltigen Attila, vereinigt waren, die weströmischen Lander ansielen. Dieser große Völkerzug führte das östliche Europa gegen das westliche in den Kampf und auf der catalaunischen Ebene kam es 451 zur großen Völkerschlacht, in welcher die westgothische Tapferkeit die europäische Cultur von dem Mongolenthum errettete. Von Neuem richteten sich die Waf­ fen der Germanen gegen die Ueberreste der römischen Herrschaft, welche bald auch dem Namen nach aufhörte (476). In Italien stiftete Theodorich das-ostgothische Reich 492, welches aber wie das vandalische Reich in Afrika, den Feldherrn des Justinian erlag. Gleichzeitig mit Theodorich stiftete der Merowinger Chlod­ wig im nördlichen Gallien das Frankenreich und dehnte es durch Unterwerfung der Alemannen nach Osten und durch Besiegung der Westgothen nach Süden bis an die Pyrenäen aus. Seine Söhne unterwarfen später die Burgunder und Thüringer. Mit dem Zuge der Longobarden endlich, die sich unter Alboin nach Zerstörung des Gepidenreichs in Italien niederließen (568), haben die Wande­ rungen der deutschen Völker ein Ende, und die dadurch entstan­ dene Bevölkerung war die Grundlage zur weiteren Gestaltung der neu entstandenen Staaten. 2.

Die Einführung des Christenthums.

Nachdem jene gewaltigen Völkerbewegungen, die ganze Na­ tionen ergriffen und auf die Umgestaltung ihrer äußeren und inne­ ren Zustände den nachhaltigsten Einfluß ausübten, sich beruhigt hatten und feste, geordnetere Staatszustände sich zu entwickeln be­ gannen, da ging unter allen Einwirkungen, welches das deutsche Volk von außen erfuhr, die großartigste und durchgreifendste vom

10

Zweite Periode. Von der Mitte des vierten

Christenthum aus,

zu dessen Trager das bildsame Volk der Ger­

manen bei seinem sittlich kräftigen und gesunden Sinn und bei der

vorwiegenden Innerlichkeit seines religiösen Bewußtseyns berufen war.

Es bildete das Christenthum einerseits das bindende Glied,

das den deutschen Stamm mit den großen Culturvölkern des Al­ terthums verknüpfte, andererseits war es die Macht, durch deren Einfluß sich die Völker als Glieder einer und derselben Menschheit anerkennen

lernten.

Unter Constantin (306 — 337) war die

christliche Religion 311

zur Staatsreligion erhoben.

Als Schutz­

herr der christlichen Kirche berief Constantin 325 das erste allge­

meine Concil nach Nicäa, wo die Streitigkeiten zwischen Athana­ sius und Arius über die btioovoia und bf-iotovola zu Gunsten des ersteren entschieden wurden.

Doch die Streitigkeiten erneuerten

sich immer wieder, und nahmen nach Constantin an Heftigkeit und

Schärfe zu, indem durch die Theilnahme der Kaiser der Streit nur größere Leidenschaftlichkeit erhielt und die innere Zerrüttung ver­

mehrt wurde.

Das

Christenthum

schien sich in Streittheologie

auflösen zu wollen, als Theodosius (379 — 395 ) das Nicäi-

sche Glaubensbekenntniß auf einer Synode zu Constantinopel (381) auch für den Orient als Norm festsetzte, somit die Herrschaft der

Rechtgläubigen begründete, und diejenigen,- welche sich zu dieser

Lehre bekannten, katholische Christen nennen ließ.

aus dem römischen Reich vertrieben,

Die Arianer,

brachten die christliche Reli­

gion zu den Germanischen Völkerschaften, und es wurde im We­ sten des Reichs der Arianismus verbreitet, der an den Gothen, Vandalen und Burgundern eifrige Freunde fand. Die Anhäng­ lichkeit an die Arianische Lehre ward für die gothische Herrschaft in Italien die Hauptursache des Untergangs, und sie führte später

vorzüglich auch den Umsturz des Longobarden-Reichs in Italien herbei, während Chlodwig seine Macht dadurch fester begründete,

daß er sich zum katholischen Priesterthum bekannte und vom dama­ ligen Pabst den Namen des allerchristlichsten Königs erhielt. Unter den Germanen hatten zuerst die Westgothen das Chri­ stenthum empfangen; von diesen ging es über zu den Ostgothen und zu den sprachverwandten Vandalen und Gepiden. Um die weitere Verbreitung und Befestigung des Christenthums

Gothen erwarb sich seit 348,

Ulfilas (geb. um 318,

+ 388),

große Verdienste durch seine Bibelübersetzung,

bei

den

Bischof

von der

sich bedeutende Bruchstücke erhalten haben, die zu den ältesten deut­ schen Sprachdenkmälern gehören.

Sie sind enthalten theils in dem

bis in die Mitte des zwölften Jahrhundert-.

11

codex argenteus, der zu Upsala aufbewahrt wird, theils in dem codex Carolinus, der sich in Wolfenbüttel befindet. In der neue­ ren Zeit wurden noch andere Bruchstücke von A. Mai und C. O. Castiglione in der ambrosianischen Bibliothek in Mailand ent­ deckt. (Gesammt - Ausgabe von Gabelentz und Lobe, Altenburg 1836 — 1842, in zwei Bänden.) Als die Ostgothen sich in Ita­ lien niedergelassen hatten, verdrängte die lateinische Sprache nach

und nach das Gothische, und die Wcstgothen in Spanien zeigten sich noch nachgiebiger gegen das Romanische. Nach den Gothen sind die Angelsachsen das erste deutsche Volk, bei dem eine christlich-gelehrte Bildung und Literatur sich entwickelte. Der neue Glaube erschien im Geleit einer fremden Sprache, und es stand daher im Gefolge des Christenthums außer der lateinischen Sprache die römische Bildung. Angeeignet wurde das Christenthum der latei­ nischen Sprache durch die Bibelübersetzung von Hieronymus dem Heiligen (geb. 331, f 420), welcher dadurch einer der größten Vermittler zwischen dem Orient und Occident wurde, wahrend in

seinem Zeitgenossen Augustinus (geb. 354, f 403) die Theologie des lateinischen Westens ihren Gipfelpunkt erreichte. Zur weiteren Verdreitung römischer Bildung trugen vorzüglich die Verbindungen bei, welche von Rom aus durch die Missionare mit dem Ausland angeknüpft wurden. So sandte der Pabst Gregor der Große den Abt Augustin 596 zu den Angelsachsen, und hier schlug das Chri­ stenthum so tiefe Wurzeln, daß England, Schottland und Irland im 7. und 8. Jahrhundert eine Anzahl begeisterter Glaubensboten hervorbrachte [9], vor Allen Bonifaciuß, welcher der Apostel der Deutschen wurde (718 — 815). Er befestigte das Christenthum im Innern des Landes unter den Franken, Thüringern, Hessen, Baiern, stiftete neue Bisthümer: Würzburg, Erfurt, Regensburg, gründete die Abtei zu Fulda, und brachte vor Allem die fränkische Kirche in enge Verbindung mit Rom, welche bald noch mehr durch die politischen Verhältnisse befördert ward, indem der Pabst dem Pipin die Merowinger entthronen half. 3.

Wie nationale ergeben. deutende

Einwirkung der Völkerwanderung auf die Sagen- . Poesie. — Die Sagenkreise.

die Einführung des Christenthums umgestaltend auf die Poesie einwirkte, wird sich aus dem folgenden Abschnitt Durch die Völkerwanderung erlitt sie zunächst eine be­ Umwandelung sowol wegen des Zurücktretens als auch

12

Zweite Periode.

Von der Mitte des vierten

wegen des Verschwindens früher mächtig gewesener Völkerschaften.

Da die nationale Poesie eng verbunden ist mit der Oertlichkeit und den Erinnerungen der Heimath,

so mußte in jenem großartigen

Wogen der Stämme und mit der Besitznahme ganz neuer Wohn­

plätze der früheren Poesie Grund und Boden entzogen werden. verloren die Gesänge,

Es

die sich an die alte Heimath knüpften, ihr

Verständniß und ihr Interesse; denn die frühere Heimath war den später Geborenen unbekannt.

Lieder, worin Helden gefeiert, Be­ geriethen in Vergessenheit,

gebenheiten erzählt wurden,

da ganze

Stämme untergingen, neue Geschlechter emporkamen, neue Völker­ bündnisse geschlossen wurden,

überhaupt ganz neue Bestrebungen

und Erinnerungen das Aeltere verdrängten.

Einen neuen poeti­

schen Stoff erzeugten die Jahrhunderte der Völkerwanderung: die früheren kleinen Ereignisse, welche an bestimmte Persönlichkeiten,

an eine begrenzte Oertlichkeit, an einen leicht übersehbaren Zeitraum

der Begebenheiten geknüpft waren, wurden durch die großen Welt­ ereignisse verdrängt, und die kleineren thatkräftigen Könige traten zurück vor den großen, mächtigen Herrschern, wie Theodorich und

Attila; diese bildeten fortan den Mittelpunkt, und ihrer sucht sich die Poesie zu bemächtigen und knüpft daran die aus früherer Zeit überlieferten Sagen.

Es entstanden Sagenkreise,

faltig mit einander in Verbindung gebracht wurden,

die mannig­ und immer

neu verjüngte sich die Sagenpoesie, erhielt Erweiterung und Um­ gestaltung nach dem Charakter der Zeit. [10] Die nördlich wohnenden Germanen, wozu auch die scandinavischen Germanen gehören,

hielten am längsten fest an alter Ver­

fassung und angestammten Sitten;

denn

das Christenthum fand

hier erst im 11. Jahrhundert eine festere Begründung.

Es haben daher die hier in der Volkstradition lebenden Sagen die meisten Spuren hohen Alterthums aufbewahrt.

Der Mensch erscheint der

Natur gegenüber zuerst abhängig von ihr und ahnt große, geheime

Kräfte in ihr, namentlich sind es die großartigen Naturerscheinun­ gen, das unendliche Meer, die hohen Eisberge, die endlosen Nächte, welche die Phantasie des Nordländers mit ungeheuren Bildern er­ füllen, und leicht schreitet sie über das Wirkliche hinaus und die

Poesie zieht alles ins Mysteriöse, Räthselhafte, Dämonische;

Rie­

sen, Zwerge, Ungeheuer aller Art stellen sinnbildlich die geheimniß­

voll wirkenden Kräfte der Natur dar. In der Nordischen Sage ist das Mythische vorherrschend [11], welches alles Einzelne in

unmittelbare Beziehung auf das Göttliche bringt, und auf dersel-

13

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts. ben beruhen

die Halbgötter des altgermanischen

Volksglaubens.

Mythischen Ursprung verräth die Sage von Beowulf, dem Füh­

rer der Angeln, welcher mit übermenschlicher Kraft begabt men­ schenfeindliche Ungeheuer bekämpft und in solchem Kampf zuletzt

seinen Untergang findet. gehört zu

Das

angelsächsische Lied von Beowulf

den ältesten unter den vorhandenen

epischen

deutschen

(Ausgabe von Kemble 1833. Zweite Ausgabe. 1835. 37.). Ferner ist auch der kunstreiche Schmid Wielant mythischen Ur­ Gedichten

sprungs ;

er

verkehrt

mit

Dann hat

die Lüfte.

Valkyrien

gelähmt

wird hernach am Fuß

und

Schwanenjungfern,

und fliegt im

Siegfrieds

ganze

Federkleid

Natur

durch

deut­

noch

liche Spuren des Uebermenschlichen an sich: er wird von Regino,

einem Alb, erzogen, von Brunhilt, einer Valkyrie, geliebt, von

Gripir, dem weisen Mann, über sein Schicksal belehrt; er trägt den unsichtbar machenden Helm, ist unverwundbar und besitzt den

Die ältere Edda, eine Sammlung altnor­ die Sage von

Nibelungenhort [12].

discher Gesänge aus dem 8. Jahrhundert enthält

Sigurd, dem Siegfried des Nordens, außerdem findet sie sich auch in der Völsung-Saga (Die Lieder der Edda von den Nibelun­ gen, stabreimcnde Verdeutschung nebst Erläuterungen von L. Ettmül-

ler.

Sobald

Zürich 1837.). [13]

die Siegfriedssage

aus dem

Gebiet der Götter- und Dämonenwelt heraustritt und ihre Hel­ den als bloße Menschen erscheinen läßt, giebt sie sich durch Namen

und Oertlichkeit als eine fränkische zu erkennen.

Mit der Sieg­

friedssage verschmolzen später die burgundischen Sagen vom Kö­ nige Gundichar, deren Inhalt sich auf ein geschichtliches Ereig-

niß bezog, auf den Untergang des Königs Gundichar mit den Scinigen durch den Hunnenkönig Attila (436).

Bei den südöstli­

chen Germanen erzeugte sich eine Fülle von Sagen, die in enger Verbindung mit den Begebenheiten der Völkerwanderung stehen. Es wird zunächst von Jornandes (De ret>. geticis c. 41.) eines Gesanges

Erwähnung

Catalaunischen

dorich fortgetragen

nisse zurück,

ward.

die Leiche

des

aus

Westgothenkönigs

gefallenen

Am weitesten gehen

dem

Theo­

aber die Zeug­

die sich auf die Sage von dem Gothenkönige Er-

manrich beziehen;

ihrer gedenkt

gethan, womit

Schlachtfelde

das

diese Sage reicht bis in den Norden, und angelsächsische Lied

von Beowulf.

Im Sü­

den Deutschlands wurde diese Sage mit der Dietrichssage verknüpft. Ermanrich hat der Frau seines Rathgebers Sibech

Gewalt angethan;

dieser um sich

zu rächen verleitet

den

14

Von der Mitte des vierten

Zweite Periode.

Kaiser durch arglistige Rathschläge, sich

Geschlecht zu vernichten.

selbst in seinem eigenen

Schon hat Ermanrich den Sohn und die

Harlunge, seine Neffen, gemordet;

jetzt kommt die Reihe an Die­

trich, der sich durch die Flucht rettet. Dietrich hat wahrscheinlich

in

Der große Sagenkreis von

dem historischen Theodorich

dem

Großen seinen Anlehnungspunkt; früh schon trat diese Sage in

Verbindung mit den Sagen von Etzel, welche an den geschicht­

lichen Attila ihren Anknüpfungspunkt zu haben scheinen. [14] Mit ihnen verband sich auch die Sage von dem mehr mythischen Rü­

diger,

des Walther und der Hilde­ Unabhängig von diesen größeren Sagenkreisen hat sich die

so wie die Geschichte

gunde.

Sage von der Gudrun erhalten.

Das Alter derselben, welches

besonders auf die Küsten der Nordsee hinweist,

der Aufnahme

geht hervor aus eines Stücks derselben unter die Eddalieder [15].

Im niederen Germanien endlich, vorzüglich bei den Franken, war die Lhiersage heimisch,

und ward über den Rhein nach

Flandern und Nordfrankreich verpflanzt.

Bei den großen Wande­

rungen der deutschen Völker und den Berührungen der Stamme unter sich wurden ihre Lieder vertragen und verpflanzt: der An­ gelsachse überkam die gothischen Sagen von Ermanrich, der Nord­ länder die fränkische von Siegfried, der Franke die flandrische von

Wolf und Fuchs.

Mit dieser Abtrennung von dem heimischen Bo­

den erlitt die Sage mannigfaltige Umbildungen, indem sie von der ächten Ueberlieferung geschieden war;

die Phantasie erhielt freien

Spielraum und das fremde Volk behandelte die fremde Sage mit aller Willkühr. 4.

Die Sänger- und Verskunst.

Die nationale Sagenpoesie ging unmittelbar aus dem Glau­ ben, Leben und den Schicksalen des Volks hervor; jeder, wes Stan­ des er war, dichtete und sang Lieder, je nachdem er sich dazu ge­

trieben fühlte.

Doch schon früh gab es einen eigenen Stand der

Sänger und Spielleute,

welche auf die Gestaltung und Fortpflan­

der heimischen Sagen einen bedeutenden Einfluß ausübte. Es waren wandernde Sänger, welche ein Gewerbe daraus mach­ zung

ten, die alten Heldenlieder vor Hohen und Niedrigen zu fingen;

Cither und Harfe sind die begleitenden Instrumente, die Fidel.

später auch

Doch verschmähten es auch Helden und Könige nicht,

tapfere Thaten zur Harfe zu

von Beowulf heißt der,

singen.

Im angelsächsischen Liede

welcher die alten Sagen vorträgt,

ein

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts.

15

ruhmbeladener Held, aber auch an mehreren Stellen der Dichter des Königs; dagegen übernimmt auch der alte König beim Feste das Amt der Sänger und singt zur Harfe tapfere Thaten [16]. Der alte Ausdruck für den Vortrag der Volksdichtungen ist sin­ gen und sagen [17]; ursprünglich gehört beides nothwendig zu­ sammen, indem sagen den Ausdruck der Gedanken durch Worte bezeichnet und singen die gesangartige Deklamation. Die äußere Form für die älteste Poesie war der Stabreim, Alliteration, welche das erste äußere Zeichen ist, wodurch dem Ganzen das Ge­ präge der Dichtung gegeben wird. Das Schema des Stabreims ist folgendes: je zwei Verszeilen allitcriren und zwar zwei Wör­ ter der ersten mit einer der zweiten; hierdurch wird die Alliteration ein Bindemittel der Verszeilen und es giebt sich in ihr die erste metrische Rhythmik zu erkennen, die das Einzelne mit durchgrei­ fender Bestimmtheit zusammenhält [18].

Zweiter Abschnitt. Von Karl dem Großen bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts.

Einleitung.

1.

Einfluß Karl's des Großen auf die Bildung seines Volks. — Blüthe und Verfall der Kloster- und Domschulen.

Karl der Große (768— 814) war dazu berufen, die Stürme der Völkerwanderung zu Ende zu bringen und auf den Trümmern

der alten Welt eine neue Ordnung der Dinge zu begründen. Die kraftvoll waltenden Karolingischen Majordomus hatten hierzu den Grund gelegt. Fest band Karl die gesammten germanischen Staa­ ten, die sich seit der Völkerwanderung gebildet hatten, zu einem großen Ganzen zusammen: durch seine Unterwerfung der Sachsen (772 — 803) ward das nördliche, Deutschland dem fränkischen Reich einverleibt; der Zug gegen die spanischen Araber (778) sicherte das Abendland vor der weiteren Verbreitung des Muhamedanismus; die Kriege mit den Longobarden (774) führten die Vereinigung des nördlichen Italiens mit der fränkischen Monarchie und die Wiederherstellung des abendländischen Kaiserthums (800) herbei, und endlich wurden 811 die Normannen hinter die Eider zurückgetrieben, so daß der Umfang des Reichs von der Eider und Elbe bis zur Tiber, vom Ebro bis zur Oder und Raab ging.

16

Zweite Periode. Von der Mitte des vierten

Sowol durch neue Gesetze als auch durch Aufrechthaltung der alten sicherte Karl im Innern seines großen Reichs Ruhe und Wohl­ stand, und auf die Bildung wirkte er durch Gründung wissen­ schaftlicher Anstalten. Er war bestrebt durch Unterrichtsanstalten sowol für die Lehrer als für das Volk, das für die künftigen Ge­ schlechter vorzubereiten, was von der Gegenwart nicht zu hoffen war; namentlich trug er zunächst Sorge für die Bildung der Geistlichkeit, und von dieser Zeit beginnt der Einfluß und die Thätigkeit der Geistlichen, welche bis zum 11. Jahrhundert die hauptsächlichen Träger der Bildung wurden. Das Religiöse ward das ausschließliche Interesse, die bewegende Macht der Zeit, und die römisch-christliche Kirche wurde ein Anhaltspunkt für an­ tike Bildung. In seiner nächsten Umgebung sah Karl am liebsten Gelehrte: Alcuin aus England ward sein Lehrer, Peter v. Pisa erhielt den Namen seines Grammatikers und Paul Diaconus ertheilte dem Kaiser Unterricht in der lateinischen und griechischen Literatur. Für deutsche Sprache und Literatur sorgte er durch Sammlung alter Heldenlieder, und er beabsichtigte selbst eine deut­ sche Grammatik abzufassen und wollte die vaterländischen Monats­ und Windnamen bestimmen. Alcuin (geb. 731, t 804), welcher die Schule zu Tours leitete, ward der Begründer der Gelehr­ samkeit in Frankreich. Nach dem Borbilde von der Schule zu Tours stiftete Alcuin's Schüler, Hrabanus Maurus (geb. 776, f 856) die Klosterschule zu Fulda, und wurde der eigent­ liche Schöpfer wissenschaftlicher Bildung in Deutschland. Die Lehr­ gegenstände, welche vorgetragen wurden, waren eingetheilt in das Trivium (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) und Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik). Dadurch daß Hrabanus das grammatische Studium nicht bloß auf das Lateini­ sche beschränkte, sondern auch der deutschen Sprache zuwandte, gab er den ersten Anstoß für die Ausbildung der Muttersprache, die neben der lateinischen zur Schriftsprache zu erheben er hauptsächlich bemüht war. Diesen Eifer für die deutsche Sprache verbreiteten seine Schüler auch nach anderen Bildungsstätten, nach Hirschau, St. Gallen, Reichenau, Weißenburg, Corvey. Aus diesen Be­ strebungen gingen die lateinisch-deutschen Glossen über altes und neues Testament hervor. Sollte das deutsche Volk die Lehren des Christenthums kennen lernen, so mußten sie ins Deutsche übertra­ gen werden; es war aber vorher nöthig, daß die deutsche Sprache zur Bezeichnung christlicher Begriffe gebildet werde, und aus dieser

17

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts.

Unterwerfung der Muttersprache durch das Christenthum erzeugte

sich für die Literatur jener Zeit die sogenannte althochdeutsche

Sprache [19a], in der das Fränkische vorherrschend ist. Es gewann das wissenschaftliche Leben, wie es durch die christlich-römische Bil­

dung vermittelt war und zugleich

dem Vaterländischen sich

zu­

wandte, unter Karl's nächsten Nachfolgern Ludwig dem Frommen

(814—40) und Ludwig dem Deutschen (843—76) eine immer be­

stimmtere Gestaltung, welche beide auch deutsche Dichtkunst begün­ stigten, insofern sie geistlichen Zwecken diente.

Durch den Vertrag

von Verdun (843) war Deutschland als besonderes Königreich an­ erkannt und erhielt eigene, unabhängige Herrscher, welche die Ein­ heit deutscher Völker fester begründen und sie zu gemeinschaftlichen

Thaten und Interessen hinleiten konnten. Das deutsche Volk tritt von jetzt an immer entschiedener aus den übrigen germanischen

Stämmen, welche im Süden und Westen romanisirt wurden, her­ aus und bildete in politischer, kirchlicher und rechtlicher Verfassung, in Sitten, Lebensart und Sprache einen bestimmten, individuellen

Volkscharakter aus. Es wurde indeß schon unter Ludwig dem Deutschen die Ruhe des Vaterlandes vielfach gestört durch die Ein­

fälle der Normannen und Slaven, wozu später noch die Angriffe

der Ungarn kamen.

Hierdurch erlitt auch die Klosterbildung in

manchen Theilen Deutschlands eine bedeutende Störung, ja wurde

in einigen Provinzen fast ganz Heinrich I. (919—936) ein

vernichtet.

geordneter

Erst

nachdem durch

Zustand

wiederhergestellt

war, erwachte von Neuem unter den Ottonen wissenschaftliches Streben, und altklassische Bildung erhielt einen neuen Aufschwung,

indem sie vorzüglich durch die erneuerte Verbindung mit Italien (962) und durch den in Folge von Otto's II. (973 — 83) Verhei-

rathung herbeigeführten Verkehr mit dem griechischen Reich begün­ stigt wurde. Wie Karl der Große sich von Gelehrten umgeben sah, so hatte Otto l. seinen Gerbert, seinen Gunzo; es trat eine Menge neuer Klöster hervor, und außerdem entstanden die Domund Stistsschulen, wo Könige und Fürsten des In- und Auslan­

des ihre Söhne unterrichten ließen. Die Geistlichen traten nach und nach immer mehr aus ihrer mönchischen Beschränktheit heraus, in der sie nur mit Singen und Beten, mit Glossiren und Ueber»

setzen beschäftigt waren; sie lernten das Alterthum, die Sagen der

Vorzeit schätzen und wandten sich dem Leben der Gegenwart zu. Es zeigen sich die Folgen der klassischen Studien in den lateinisch

geschriebenen Werken des Widukind (t 1004), des Dietmar, Biese deutsche Literaturgeschichte I.

2

18

Zweite Periode.

Von der Mitte des vierten

Bischofs von Merseburg (t 1018) und des Lambert von Aschaf­ fenburg (+1077).

Eine neue Störung erlitt aber vom 11. Jahr­

hundert an die wissenschaftliche Bildung dadurch, daß die Geistlich­

keit bei dem Zunehmen ihrer Macht und ihres Reichthums gänzlich

verweltlichte,

und die reichen

Domherrn

schlecht besoldeten

Vi-

carien den Unterricht überließen, wodurch die Schulen nach und nach in Werfall geriethen.

Die fränkischen Könige begünstigten

weniger die Geistlichkeit, als die sächsischen, und zeigten nicht den

regen Eifer für Kunst und Wissenschaft.

Sie waren mehr auf das

Praktische und Politische gerichtet; denn ihre Aufgabe war, sich fest­ zusetzen gegen die Großen des Reichs und gegen die Kirche, und hierbei stützten sie sich auf die Städte und niedere Ritterschaft. Es werden daher in dieser Zeit Klagen über den Verfall ächter Ge­ lehrsamkeit vernommen, wie sie Williram, Abt zu Ebersperg in

Baiern (t 1085) in der lateinischen Vorrede zu seiner Uebersetzung und Auslegung des Hohenliedes ausspricht.

2.

Einwirkung des Christenthums auf die Poesie der Deutschen.

Auf dem Gebiete der nationalen Literatur war schon in Folge der Völkerwanderung ein bedeutender Umschwung eingetreten; neue

Bestrebungen hatten in den neu gestifteten Staaten das Aeltere verdrängt. Die Sammlung der Lieder, welche Karl der Große veranstalten ließ, gerieth bald in völlige Vergessenheit.

Mit dem

Christenthum aber hatte eine ganz neue Cultur festen Fuß gewon­

nen, und es wurde hierdurch die ganze Denk- und Anschauungs­ weise umgewandelt. Durch diese Aenderung in den Grundlagen des nationalen Daseins und mit dem Hereindrängen einer neuen Zeit mußte das Interesse für die alte epische Poesie verloren gehen, indem ihr für eine weitere lebendige Fortentwicklung die innersten Wurzeln abgeschnitten waren. Hierzu kam, daß die Geistlichkeit dem Volksgesange widerstrebte, sowol den Volksliedern

(winiliod), die in fröhlicher, leichtfertiger Laune in den Häusern, auf den Stra­ ßen, in der Nähe der Kirchen, ja in denselben gesungen wurden,

ihres

wegen

unzüchtigen

Inhalts

(Otfried sagt: laicorum cantus

der Volkssage wegen der in derselben ent­ heidnischen Elemente. Solche Gesänge der Volks­

obscoenus), als auch

haltenen

poesie

nannte

lica), welche

man auch Teufelsgesänge (carmina diabosich speciell auf die Lieder bezogen, welche gegen

die Mitte des 9. Jahrhunderts auf den Gräbern der Verstorbenen

19

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts.

Außerdem gab es Zauberlieder und Zau­

gesungen wurden. bersprüche [19b],

Das Bestreben der Geistlichkeit war darauf

gerichtet, jede Erinnerung der heidnischen Zeit zu vernichten, und

wenn auch das Volk noch festhielt an seinen alten Gesängen, so war doch das mit der christlichen Religion hereindringende Princip

mächtiger: das Christenthum und die römische Bildung sollte für

uns Deutsche erworben werden. Das geistliche Interesse herrschte vor, und weil die Literatur nur eine christlich-römische seyn sollte, so blieb das Volk von derselben ausgeschlossen und dem Volksge­ sang wurde die innerste Triebkraft entzogen. Es entstand zunächst

eine geistliche, mönchische Literatur, die sich kund gab im Uebersetzen und Auslegen biblischer Stücke, in Glaubensbekenntnissen, Beicht­ formeln, Predigten; hierdurch wurde erst der deutsche Sprachstoff

zu kirchlichem Gebrauch gebildet

und der Sprachschatz erweitert.

Nachdem das Christenthum gesichert war und sich der Stoff christ­

licher Geschichten bald erschöpft hatte, machten sich die Geistlichen,

indem ihr Blick sich mehr auf die lebendige Gegenwart richtete, vertrauter mit dem

Bolksgesange.

Sie lernten

die Sagen der

Vorzeit schätzen und lenkten aus die Ereignisse und Personen der

Gegenwart ihre Aufmerksamkeit.

Die Zeitbegebenheiten besonders

unter den Ottonen waren von der Art, daß sie beitrugen zur Wie­ derbelebung der Heldensage; die Einbrüche der Ungarn erneuerten das Andenken an die alte Hunnensage. Der Bischof Pilgerin von Passau (t 991) soll einen deutschen Dichter aufgefordert ha­

ben, die Thaten der Avaren und Hunnen unter den sächsischen Kaisern zu besingen, namentlich Otto's I. Ungarnkriege; in diesem Gedichte waren auch die Thaten Rüdiger's von Bechelaren enthal­ ten, der stets als Zeitgenosse Pilgerin's erscheint. Die Einschiebung des Bischofs Pilgerin in das Nibelungenlied muß in der Ottonenzeit stattgefunden haben, und so sand das Christenthum Eingang in die Nibelungen.

Es griffen also die Geistlichen ein in die Dich­

tung des Volks, in welche durch Einflechten christlicher Sitten und

Vorstellungen das Christenthum eindrang.

Vor allem bot die rö­

mische Kunstpoesie den Geistlichen die Form dar, in welcher sie Stoffe sowol aus der Sagenzeit als aus der geschichtlichen Gegen­

wart behandelten. Durch lateinische Muster an ein größeres epi­ sches Ganze gewöhnt, verknüpften sie einzelne Sagen zu einer be­ stimmteren Einheit und bereiteten die größeren Epen der Folgezeit

vor.

So kam es denn, daß die eigentliche Literatur Deutschlands

vom 10. Jahrhundert an eine lateinische wurde: es wurde die 2*

SV

Zweite Periode. Bon der Mitte des vierten

deutsche Heldensage

lateinisch behandelt,

wovon

das

bedeutendste

Denkmal der Waltharius ist von Eckehard I. in St. Gallen (t 973), ein Gedicht, welches auf der Grenzscheide des heroischen

Geschmacks steht, während ein anderes lateinisches Gedicht aus der

Ottonenzeit, Ruodlieb, von einem Mönch in Tegernsee, dieBolkssage nur leicht berührt und jene abenteuerlichen Geschichten ein­ flechtet, wodurch es nach dem ritterlichen Zeitalter hinüberneigt und den romantischen Geschmack einleitet. Ferner beschäftigten sich die Mönche in den niederländischen Klöstern vom 10. Jahrhundert an mit lateinischer Bearbeitung der Thiersage von Wolf und Fuchs. Solche lateinische Gedichte, welche die alte Volkssage behandelten, wurden

die Grundlage späterer Dichtungen, als die Sagenpoesie von Neuem in der Volkssprache behandelt wurde, und bilden den Uebergang

von dem Aussterben der althochdeutschen Poesie zu dem Aufblühen

der mittelhochdeutschen [20a], Außerdem wandten sich aber auch die mit besonderer Vorliebe der Zeitgeschichte zu: man brachte die Thaten der Könige und Kaiser in lateinische Hexame­ Geistlichen

ter, wovon als Beispiel

sich

das Lobgedicht der Nonne Ros­

witha auf Otto I. darbietet. Es entstand eine Art von Gelegen­ heitsgedichten, eine Hvfpoesie in panegyrischem Ton. Solche latei­

nische Gedichte verleugnen den geistlichen Stand ihrer Urheber nicht;

das historische Element in denselben erscheint in einem durch das Geistliche gleichsam gebundenen Zustand [20b], Dies tritt auch her­

vor in den wenigen historischen Liedern deutscher Spracht aus dieser Zeit, die aber dadurch mehr an Interesse gewinnen, daß sie,

in einer jungen, lebensvollen Sprache entstanden, eine größere Frische und Lebendigkeit kund geben, als die lateinischen Gedichte in römi­

scher Kunstform. Es entwickelte sich also, nachdem seit der Ein­ führung des Christenthums die Nation in zwei Stände, in Geist­

liche und Laien geschieden war, ein Gegensatz zwischen der kirchlich Der Bolks-

gelehrten Literatur und der nationalen Sagenpoesie.

gesang ward noch gepflegt und fortgepflanzt von den wandernden Sängern und Spielleuten, welche alte Heldenlieder „vor Hof und an den Straßen" sangen und bei der allgemeinen Freude am Ge­

sang überall gastfreie Aufnahme fanden. Diese durch fahrende Sänger gepflegte Volkspoesie ward durch die Gegenwirkung der

Geistlichkeit zurückgedrängt, bis endlich die Geistlichen sich auch der

Volksgesänge bemächtigten und eine neue Heldensage hervorriefen, aus der zwar das Heidnische verdrängt war, in der sich aber noch

viele ältere Erinnerungen erhielten.

21

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts. A.

Sprache und Verskunst.

Was die Sprache betrifft, so wurde seit der Stiftung der frän­ kischen Monarchie der fränkisch hochdeutsche Dialect, das Althoch­

deutsche, die Grundlage der Literatur, welches im 10. Jahrhundert auch unter den sächsischen Kaisern fortdauerte.

In der Verskunst

herrscht das Gesetz der Betonung, nach welchem die stark betonten

Sylben, die Hebungen, gezählt werden.

Es werden nemlich die

Verse weder nach Füßen gemessen, noch auch bloß die Sylben ge­ zählt, sondern es besteht jeder Vers aus einer bestimmten Zahl von Hebungen; vor und zwischen diesen können die Senkungen fehlen

und die Hebungen auf Hinter einander folgenden Sylben stehen. Jede Verszeile hat vier Hebungen und zwei solcher Verse werden zu einer Langzeile verbunden, die durch die Alliteration zusammen­

gehalten wird.

Am längsten erhielt sich die Alliteration im Nor­

den, und erlag in Hochdeutschland, dann auch in Sachsen dem Endreim, da sie die dichterische Form heidnischer Gesänge

war.

Bis ins 8. Jahrhundert machte sich die Alliteration

gel­

tend und sie erscheint auch noch in der niederdeutschen Evange­ lienharmonie des 9. Jahrhunderts. Zur Alleinherrschaft gelangt der Reim in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, der in sei­ ner musikalischen Natur der christlich-romantischen Gefühlsweise am entsprechendsten ist [21a], In Otfried's Evangelienharmonie ver­ schafft er sich Geltung und fällt, oft noch als bloße Assonanz, auf die letzte Hebung jedes Verses, und verbindet je zwei Verse, die

einzeln aus vier Hebungen bestehen, zu einer Langzeile.

Die alt­

hochdeutschen Gedichte mit Endreimen sind strophisch, und gewöhn­

lich bilden vier Verse oder zwei Langzeilen eine Strophe. Die aus diesem Zeitabschnitt noch erhaltenen Denkmäler der Literatur scheiden sich nach dem Gegensatz der kirchlich-gelehrten Li­ teratur und der Volkspoesie.

Erstes

Capitel.

Die kirchlich-gelehrte Literatur.

L

Die Poesie.

Der Inhalt der christlichen Religion war nicht von Anfang an mit dem nationalen Leben erzeugt, er war nicht volksmäßig,

sondern kam aus der Fremde, und ging erst auf dem Wege ein« langen Bermittelung in das Volksbewußtseyn über.

Es konnten

daher nicht alle thätig seyn in der poetischen Gestaltung dieses be-

22

Zweite Periode.

Bon der Mitte des vierten

deutsamen von Außen gegebenen Stoffes, sondern dies Geistlichen und Gelehrten anheim.

siel

den

Die Poesie der Kirche ging

von einer künstlich vermittelten Erfahrung, von der Gelehrsamkeit au§; sie war ein Werk der Reflexion und des redlichen Eifers der

Frömmigkeit und ward gepflegt in der stillen, einsamen Zelle des Klosters, daher sie öfter matt,

unlebendig und farblos wird im

Gegensatz der Volkspoesie, welche in der Blüthe und Frische des

Lebens entsteht.

Vor Allem wichtig war es, den Inhalt der christ­

lichen Religion dem Volksbewußtseyn näher zu bringen.

Hier sind

es nun die Vorstellungen von Gott dem Vater als Schöpfer der

Welt, von Gott dem Sohn, welcher die aus der Einheit mit Gott herausgetretene Welt erlöst, und vom heiligen Geist, welcher sich

offenbart in der Gemeinschaft der Heiligen und in der fortwähren­ den Ausscheidung des Bösen, bis in dem Wiederkommen Christi

die letzte Ausscheidung erfolgt, das jüngste Gericht, die Vernichtung

alles Endlichen und durch die Zerstörung des Bösen die Wieder­

bringung und Heiligung

aller Dinge.

Die höchste Bestimmtheit

gewinnt aber das christliche Bewußtseyn in dem Anschauen des Lebens des Gottmenschen selbst; sein Leben ist das Vorbild der Menschheit und schließt die Lehre zugleich für alle Zeiten in sich;

hier tritt mit voller Klarheit das Leben in Gott hervor, die Hin­ gebung an den himmlischen Vater, welche Frieden und Seligkeit

wirkt. Der Glaube führt ein in die innere Beziehung zum Vater im Himmel und eröffnet ein übersinnliches Universum, eine über­

schwengliche Welt, welche die Erde tief unter sich liegen läßt, den Schmerz über den Untergang alles Endlichen überwindet und in

Gott die ewige Versöhnung feiert. Hieraus ging jene dem Mit­ telalter eigenthümliche mönchisch-asketische Weltverachtung hervor. An die Stelle des Glücks der Ehre tritt die Gnade, ein Werkzeug Gottes zu seyn, an die Stelle des kühnen auf sich selbst vertrauen­ den Muthes die Demuth, welche die Stärke nur durch die Hülfe von oben gewinnt. Ueberwunden wurde das heidnische Element des Heroenthums, welches sich in rüstiger Thatkraft und Selbst­

sucht offenbart, und alle Gewalt sowol der sinnlichen als geistigen Kraft nur auf das irdische Daseyn gerichtet hat. Die Lust an tollkühner Wagniß, an Schlachtgewühl und kriegerischer That gab

der Entsagung, dem Gebet, der Uebung kirchlicher Pflichten Raum; das gesammte Streben ward ein innerlicheres, von der Weltlichkeit abgewandt und auf das Göttliche, Jenseitige allein gerichtet.

Die

widerstandslose Hingebung an den göttlichen Geist kann aber nur

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts.

23

gewonnen werden durch die Anschauung des menschgewordenen Gottessohns, und das Leben Jesu war daher recht eigentlich der ursprünglichste Gegenstand, der sich in dem frommen, gläubigen Ge­ müth der Geistlichen poetisch gestaltete, um hierdurch das christliche Bewußtseyn im Volke zu erzeugen.

Da die verschiedenen Evan­

gelien verschiedene Seiten in dem Bilde des Gottmenschen hervor­

heben, so war es Bedürfniß, dies Verschiedene in eine Einheit zusammenzufasscn,

woraus

die

Evangelienharmonien

hervor­

gingen. Ludwig der Fromme soll einem berühmten sächsischen Dichter

eine poetische Bearbeitung der Bibel aufgetragen haben, wovon höchst wahrscheinlich ein Theil die uns erhaltene altsächsische Evan­

gelienharmonie, der Heljand, ist, worin wir das bedeutendste,

fast einzige Denkmal

der

allsächsischen

Sprache besitzen (Ausgabe

von Schweller von 1830.) [21b]. Der Dichter soll ein Bauer gewesen seyn, den eine übernatürliche Stimme zur Abfassung heiliger Gesänge berufen habe. Soviel geht aus der poetischen Dar­ stellung selbst

mit Gewißheit hervor,

daß

der

Dichter

mit der

Volkspoesie vertraut war, von der sich in dem Gedicht viele Spuren zeigen, und außerdem ist die äußere Form die frühere

der Alliteration. Der Verfasser des Heljand ist von seinem Gegen­ stand tief durchdrungen und mit entschiedener Liebe an der Sache schließt er sich streng an die Erzählung der Evangelien. Er erlaubt sich nur dort Abweichungen, wo der Gegenstand selbst bei großen

und erhabenen Scenen zur epischen Ausführung und Ausschmückung Gelegenheit darbot, wie beim bethlehemitischen Kindermord und bei

der Beschreibung des jüngsten Gerichts, in welcher sich Anklänge finden aus den Vorstellungen des scandinavischen Heidenthums, be­

sonders aus den Eddischen Liedern am Schluß der Voluspa. Die epische Erzählung ist durchaus vorherrschend, in welcher die der ursprünglichen Volksdichtung eigenthümlichen Umschreibungen und

Wiederholungen vorkommen. Eine allegorische Deutung findet sich nur in der Geschichte von dem geheilten Blinden. Nirgends drängt sich die Persönlichkeit des Dichters mit seinen Reflexionen und mo­ ralischen Betrachtungen hervor. Dagegen hat Otfried, Schüler

des Hratanus Maurus, ein gelehrter Mönch im Benedictinerkloster zu Weißenburg im Elsaß, mit größerem Bewußtseyn von der Kunst eine epische Behandlung der evangelischen Geschichte versucht in ei­

nem Gedicht von fünf Büchern, das er zwischen 863 und 872

24

Zweite Periode. Bon der Mitte des vierte«

verfaßte

und

(Ausg. v. Graff.

welches

ist

unter

dem

Namen

Krist

es ist das älteste Denkmal alt­ Otfried will mit bestimmt ausgespro­

Königsberg 1831.);

hochdeutscher Reimpocsie. chener

bekannt

Entgegensetzung

gegen

die

Volksdichtung

die

Geschichte

des Gottmenschen darstellen und mit Bezugnahme auf latei­ nische Vorbilder aus der klassischen und christlichen Zeit den Franken ein christliches Heldenepos schenken, das auch in der äußeren Form, indem er an die Stelle der bisher üblichen Al­

literation den Reim einführt, nichts vermissen lassen soll, um Ein­ gang in den Sinn des Volks zu finden. Hier zeigt sich also der erste Anfang der Kunstpoesie, welche sich ihrer als Kunst be­ wußt wird und über die Form reflectirt.

Otfried besinnt sich jeden

Augenblick über seiner Arbeit, kritisirt über seine Sprache, verzwei­ felt an seiner Fähigkeit und betheuert sein Unvermögen, so heilige Dinge in seiner Sprache auszudrücken; diese ruht nicht auf der durchgebildeten Unterlage der Volkspoesie, die er verschmäht, sondern er ringt mit dem Sprachstoff zur Förderung einer höheren Dich­ tung und bezeichnet die Volkssprache als eine »«gebändigte, die sich nicht unter die Zucht der Regeln bringen lasse. Sein Gedicht ent­

halt in 15000 Versen das Leben, die Lehre, den Tod, die Aufer­ stehung und die Himmelfahrt des Heilandes, aber nicht in der Form eines zusammenhängenden Epos, sondern in einzelnen Lie­ dern; nicht die Erzählung ist, wie im Heljand, die Hauptsache,

sondern die Anwendung, die eingestreuten moralischen Betrachtun­ gen und mystischen Erklärungen. Ueberall mischt der Dichter sein Gefühl ein und unterbricht die Erzählung mit seinen mystisch geist­

lichen und moralischen Deutungen.

Wie sehr sich seine Persönlich­

keit mit ihren eigenen Reflexionen hervordrängt, sieht man an der

Bergpredigt, welche der Verfasser des Heljand viel genauer aus­ führt,^ als Otfried, der auf den Text selbst verweist; er hört sich viel lieber selbst predigen, als daß er die Predigt des Evangeliums

treu übersetzte.

Eigene Empfindungen spricht er mit vieler Innig­

keit aus z. B. da, wo er an die Abreise der Magier in ihr Va­

terland eine Betrachtung über die Sehnsucht des Menschen nach seinem überirdischen Vaterlande knüpft; hier ist der Ausdruck der Weltverachtung beredt und geht aus einem tief bewegten Inneren

hervor [22]. Es giebt nur noch einzelne Fragmente althochdeutscher Poesie, welche biblische Stoffe behandeln.

Das älteste ist das Wesso-

28

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts.

Berlin 1827.) aus dem Ende deS 8. Jahrhunderts, welches mit einer Schöpfungsgeschichte beginnt,

brunner Gebet (Au-g. v. Wackernagel.

die in Alliterationsform dargestellt ist, und daran schließt sich ein Gebet an Gott in Prosa. Ein nicht viel älteres Bruchstück, das nur später um die Mitte des 9. Jahrhunderts niedergeschrieben ist,

handelt vom Ende der Welt, unter dem Titel Muspilli (Ausgabe v. Schmetter.

München

1832.);

die Form ist alliterirend, aber schon

in ihrer Ausartung und in ihrem Hinwelken begriffen.

Der Ge­

genstand ist das jüngste Gericht, und es lassen sich hier Erinnerun­ gen aus alten heidnischen Dichtern, wie an der entsprechenden Stelle

des Heljand, nicht verkennen, besonders da, wo dargestellt wird der

Streit der himmlischen und höllischen Geister um die gestorbene Seele, der Kampf des Antichrists mit Elias, dessen Blut, welches aus seinen Wunden herabfließt, den Brand der Erde erregt [23].

Das einzige poetische Ueberbleibsel aus dem 11. Jahrhundert ist der Merigarto oder Meergarten d. i. Welt, von welchem sich ein Fragment erhalten hat. Das Ganze scheint eine Art Weltbeschreibung gewesen zu seyn. In Bezug auf die äußere Form läßt sich hier schon die Ausartung deutscher Verskunst mit Endreimen wahrneh­

men, die bis gegen das Ende des nachfolgenden Jahrhunderts fort­ dauert (s. unten).

2.

Die Prosa.

Die Prosawerke der althochdeutschen Literatur haben vorzugs­

weise ein philologisches Interesse, um in Uebersetzungen aus dem Lateinischen, zunächst in Beichtformeln, Glaubensbekenntnissen, Jnterlinearversionen von Hymnen und Psalmen den Einfluß des Chri­

stenthums auf Bildung und Erweiterung des Sprachschatzes erken­ nen zu lassen.

setzung der

Die von einem Unbekannten herrührende Ueber«

Tatianischen

wichtigste Prosadenkmal

Evangelienharmonie

ist

das

aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhun­

derts (daraus da« Evangelium Matthäi herausgegeben v. Schmetter.

Stutt­

1827.). Bon dem alten Testament wurden am liebsten diejenigen Bücher behandelt, in welchen das Christen­ gart und Tübingen

thum

sich

schon

angedeutet findet,

Andeutungen durch naivere her

gehört

hundert

oder

und

man

Notker's Psalmenübersetzung aus

(Ausgabe von Graff

1839.),

entwickelte diese

künstlichere Auslegung. und

aus

Hier­

dem

10.

Jahr­

dem

11.

Jahr-

Zweite Periode. Von der Mitte des vierten

26

hundert

Uebersetzung

Williram's

Hohenliedes (A>,sg. von Hoffmann 1827.),

und

Auslegung des

welches

als

eine Alle­

gorie vom Verhältniß Christi zur Kirche behandelt wird. Außer­ dem suchte man auch in der Natur nach Symbolen des göttli­ chen Waltens: in Gestirnen und Elementen, in Steinen und Me­

tallen, in Pflanzen und Thieren sollte man das Zeugniß der wun­ derbaren Geschichte Gottes sehen.

Hierher gehört aus

dem 11.

Jahrhundert die Uebersetzung einer lateinischen Schrift von den Eigenschaften der Thiere, der Physiologus oder die Reda

umbe diu Her, eine Umdeutung der Eigenschaften verschiedener Thiere auf Christus und den Teufel,

versehen mit Bibelstellen

und guten Lehren für die sündige Menschheit.

Man wandte sich

auch der Uebersetzung antiker Stoffe zu; hier sind

nennen

die Verdeutschungen

Mercurii et philologiae,

besonders zn

des Marcianus Capella de nuptiis

des Bvethius de consolatione philoso-

phiae, und eines Theils des Aristotelischen Organons, die yoglai und das Buch neol f.ourjvelag (Au4g. von Graff 1837.);

alle drei wahrscheinlich von demselben Notker, der die Psalmen übersetzte. Die meisten dieser Arbeiten entstanden in den Klöstern zu Fulda und besonders in St. Gallen, wo der Uebersetzerfleiß der

Karolingischen Zeit fortdauerte. Wie durch Ulsila's Bibelübersetzung das Griechische Einfluß ausübte auf die Gothische Sprache, und griechische Wendungen und Wortfügungen zur Folge hatte, ebenso wirkte auf das Althochdeutsche

die lateinische Sprache ein, indem in den Uebersetzungen aus dem Lateinischen alle Eigenheiten lateinischer Constructionen nachgebildet wurden, die Wortfolge, die Participien, die Auslassung der Artikel

und Hülfswörter, selbst die Flexionen der Endungen. Es zeigte unsere Sprache in der Aneignung fremder Constructionsweisen eine große Elasticität, und in den Flexionen und Wortwandlungen eine Bildungsfähigkeit, die durch die lateinischen Muster geweckt und be­ lebt wurde.

Zweites Capitel.

Die

V o l k s p o e s i e.

Die Volkspoesie war ein reines Erzeugniß des sich in seiner Fülle kräftig entwickelnden Lebens; ihre Stoffe gingen unmittelbar

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts.

27

aus dem Bewußtseyn des Volkes hervor, und es hatten alle in näherer oder entfernterer Beziehung Theil an der Hervorbringung

der Sage, welche durch die Dichter nur zu sinnlicher, lebensvoller Ge­ staltung gelangte. Zusammenhängende Dichtungen mit planmäßiger Entwicklung der Sagen bestanden vor dem 12. Jahrhundert noch nicht, sondern es wurden einzelne bedeutende Ereignisse aus der

Heldensage herausgehoben und poetisch behandelt in rasch fortschrei­ tender Darstellung, die in ihrem kurz gedrungenen Ausdruck nicht lange bei einem Punkte verweilt und in dramatische Lebendigkeit

Es bildete sich bald ein bestimm­

der dialogischen Form übergeht.

ter Kreis von Redewendungen, Bildern und Anordnungen, gewisse

stehende Formeln und Umschreibungen, wodurch den Sängern die poetische Umkleidung des Stoffs erleichtert wurde. Das älteste Lied, welches die Reihe der Denkmäler unserer Volkspoesie

eröffnet,

ist

das

Hildebrandslied (W. Grimm:

de Hildebrando antiquissimi carminis tentonici fragmentum. 1830.), wel­ ches die Eigenthümlichkeit der alten Heldenlieder erkennen läßt. Es gehört dem Anfänge des 9. Jahrhunderts an, stammt aber seiner Grund­

lage nach aus früherer heidnischer Zeit.

Es wurde aus mündlicher

Ueberlieferung im nördlichen Deutschland niedergeschrieben, und die

Sprache ist mehr niederdeutsch, als hochdeutsch. Vermuthlich haben wir hier die eigentliche fränkische Mundart des 8. Jahrhunderts; denn die Franken waren, wie Sachsen und Friesen, ursprünglich ein

niederdeutscher Stamm; sie wohnten am Niederrhein, an der Maas und Mosel.

Die Form des Hildebrandsliedes ist alliterirend in

geregeltem rhythmischem

Versbau [24], wie er oben bezeichnet ist. In einfacher Sprache und dramatischer Darstellungsweise ist es den Eddaliedern ähnlich, welche gleichfalls nicht in ruhiger Entfaltung und gleichförmigem epischem Fortschreiten den ganzen Umfang der Sage

darstellen,

sondern

diese

als

bekannt

voraussetzen,

einen

einzelnen Punkt herausheben und auf ihn in scharf und genau be­ zeichnendem Ausdruck und in dramatischer Lebendigkeit den vollen

Glanz der Dichtung fallen lassen.

Der ^Inhalt des Hildebrandslie­

des gehört der Dietrichsage an: „Dietrich von Bern ist vor Odoachern geflohen; Hildebrand hat ihn begleitet, und Frau und Kind daheim gelassen. Rach langen Jahren

kehrtHildebrand zurück; auf seiner Rückfahrt nach Bern trifft er mit seinem Sohn Hadubrand zusammen; Vater und Sohn erkennen einander nicht; Hildebrand fragt seinen Gegner, wer er sey, und hört, daß sein eigener

28

Zweite Periode.

Bon der Mitte de- vierten

Sohn ihm gegenüber stehe. Hadubrand aber steht eine» Betrüger in ihm, und der Unglaube des leichtfertigen Jungen dem ehrlichen Alten gegenüber veranlaßt den Zweikampf."

Bei der Beschreibung des Kampfes bricht das Gedicht ab; der Schluß fehlt.

Das Lied selbst erzählt nicht, daß Hildebrand auf

dem Wege sich befunden und einsam vorgeritten sey; es beginnt gleich dramatisch: Vater und Sohn stehen sich einander gegenüber,

und ehe es zum Kampf kommt, entspinnt sich ein lebhaftes Ge­ spräch, das mit der Lage beider sehr wohl bekannt macht [25a]. Es tritt uns in dem Gedichte jenes urkräftige Heldenwesen in seiner Würde und Reinheit entgegen, wie es während jener Wanderzeiten sich offenbarte in Verherrlichung der eigenen Körperkraft und in unbändiger Kampflust.

Da das Hildebrandslied der einzige Rest ist von der reichen

Volksdichtung aus dem 8. bis zum 10. Jahrhundert, so sind wir, um unsere Anschauung von dem alten Volksgesang zu ergänzen und zu vervollständigen, auf die lateinischen Gedichte angewiesen,

in welchen die Geistlichen die Volkssage behandelten.

Unter diesen

Gedichten steht der Waltharius vom Mönch Ecke Hard oben an, da in dieser Uebertragung eines älteren deutschen Gedichts [25b] der ächte Charakter der Heldensage bewahrt ist (Au-g. v. I. Grimm und

A. Schmeller: lateinische Gedichte des 10. uTtb 11. Jahrhunderts. Göttin­ gen 1838.). Der Stoff ist entlehnt aus der hunnisch-burgundischen

Sage:

„Walther, ein Aquitanischer Prinz, ist als Geißel am Hof Etzels und verliebt fich in Hildegunde, eine Burgundische Prinzesfin, die eben­ falls als Geißel stch bei Etzel aufhält. Beide besttzen das Vertrauen ihrer Herrscher und Hildegunde wird zur Oberaufseherin aller Schätze gemacht. Bei einem schwelgerischen Mahl schläfert Walther die Hun­ nen ein und entführt in der Nacht die Geliebte, welche eine Menge der kostbarsten Kleinode mitnimmt. Walther wird am Rhein auf dem Wege von WormS nach seiner Heimath Aquitanien (WaSkonien) vom König Gunther, der nach den Schätzen der Fliehenden lüstern ist, angefallen, doch befiegt er ihn nebst den Wormser Helden; er verliert seine rechte Hand, Günther einen Fuß und Hagen ein Auge." Aecht deutsch sind die kecken Scherzreden, welche die verwundet im

Grase liegenden Helden mit einander führen. Wir erhalten in dem Gedicht ein zusammenhängendes Bild von jener Heldenzeit, das uns den Kampfesmuth darstellt, die unüberwindliche Körperkraft,

das stolze Selbstvertrauen und die Geringschätzung gegen Wunden

29

bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts.

und Tod im Kampf; die antiken Vorbilder, Virgil und Homer,

geben der Darstellung nur den äußeren Schmuck. Wie die deutsche Heldensage, wurde auch die alte Thiersage

von Geistlichen lateinisch bearbeitet, namentlich im 12. Jahrhundert in Flandern. Während der Anarchie und Parteikämpfe unter Hein­ rich IV. war vorzüglich der Niederrhein und das Belgische Gebiet

ein Zufluchtsort für Bildung und Gelehrsamkeit, und es traten in Flandern die lateinischen Dichter der Wolfs- und Fuchssage hervor;

der Isengrimus entstand in Südflandern und der Reinardus vulpes

in Nordflandern.

Die Thiersage erhielt besonders in den Gegenden

ihre weitere Ausbildung, wo Hang zum Stillleben und zur Na­ turfreude, ein Sinn für die kleineren menschlichen Verhältnisse vor­

herrschend war, wie in Flandern, der Heimath der Genremalerei, der Landschaft- und Viehstücke. Außerdem entwickelte sich hier auch nebst Tyrannenhaß und Achtung des

früh republikanischer Sinn

bürgerlichen Lebens [26a], und dies steht in einer inneren Beziehung

zu der Thierdichtung, die recht eigentlich alles Höherstrebende ver­ spottet, das die Menschen bei der ihnen eigenthümlichen Schwäche

zur Verirrung führt.

Der Isengrimus umfaßt zwei Abenteuer der

Thiersage, die Krankheit des Löwen und die damit in Verbindung

gebrachte Wallfahrt der Gemse. Der Reinardus vulpes ist umfangs­ reicher und erzählt in 6596 Versen zwölf Abenteuer, worin Wolf und Fuchs

hauptsächlich

handelnd

auftreten.

Dadurch daß

die

Thierwelt in ihrem Thun und Treiben ein Gegenbild des Men­

schenstaats wird, kommt ein ironischer Zug in die Behandlung des

Stoffs, der auf der materiellen Seite des Menschen haftet.

In

den lateinischen Gedichten ist Polemik gegen den höheren Klerus vorherrschend. In der Zeit der fränkischen Kaiser, als der erste Kampf zwischen Geistlichen und Laien begann, ward das Gedicht der Thiersage zum ersten Mal bedeutend, und als dieser Kampf

zwischen Staat und Kirche zur Zeit der Reformation einen neuen Aufschwung erhielt, vollendete sich das Gedicht.

Unter den Liedern, welche sich auf Helden und Begebenheiten der Gegenwart

beziehen,

ist

uns

das

Ludwigslied

(AuSg. von Docen. München 1813.), welches in der Strophe den Sieg verherrlicht, den Ludwig III.,

Frankreich,

Sohn Ludwigs

des

Stammlers

881

erhalten

Otfriedschen König von bei Sau-

court über die Normannen erfochten hatte. Es ist noch bei Ludwigs Lebzeiten gedichtet, der bald nach jener Schlacht,

30

Zweite Periode. Von der Mitte des vierten ic.

im Jahr 883, starb.

Aus dem Inhalt des Liedes sehen wir, daß

der Verfasser desselben ein Geistlicher war, und wir erkennen zu­

gleich, wie der Sinn jetzt ganz auf das Christliche und dessen Er­

fassung gerichtet wird und hierin alles geistige Bewußtseyn seinen Mittelpunkt finden soll. Nicht mehr ist die Schilderung des Kampfs und Verherrlichung der Tapferkeit der Zweck, sondern der Sieger

wird eingeführt als ein Diener Gottes, als ein durch die Gnade Gottes Auserkorner, Hülfe zu bringen gegen die Normannen, welche

als Unglück wegen moralischen Verderbs zur Prüfung gesandt sind

[26b], So erscheint Ludwig als ein Gotteskämpfer und im Glanze eines von Gott berufenen Streiters.

Es fehlt im Lied selbst alle

individuelle Bezeichnung der Oertlichkeit und der Kämpfenden; nur

gegen Ende folgt in einer lebendigen Sprache eine kurze Beschrei­ bung des Kampfes.

Aus den Chronikenschreibern wissen wir, daß dergleichen Lieder häufig in Folge verschiedener Zeitereignisse gedich­

tet wurden.

Hierher gehört auch noch der halb lateinische, halb

deutsche Leich auf Otto den Großen [27a], der durch diese Zu­ sammensetzung schon seinen geistlichen Ursprung zu erkennen giebt.

Es wird Otto's

zweite

Versöhnung

mit seinem

Bruder Hein­

rich besungen, und es ist hier ein Beispiel gegeben von der schon

unter Otto I. sich bildenden lateinischen Hofpoesie, wie sie sich aus den lateinischen Sequenzen, einer kirchlichen Liedcrgattung des 9. Jahrhunderts, entwickelte. In dieser Art von Volksdichtung der Geistlichen ist auch der Ursprung des religiösen Volksliedes zu su­ chen. Dies bestand anfangs in weiter nichts als in dem Rufe Kyrie eleison, den das Volk bei Processionen entweder allein sang

oder zur Begleitung lateinischer Hymnen der Priester; erst seit der Mitte des 9. Jahrhunderts mögen einzelne Geistliche diesen Ruf durch Vorsetzung deutscher Verse erweitert haben [27b].

Dritte Periode. Von der Mitte des 12. bis gegen die Mitte des

14. Jahrhunderts.

Einleitung. t.

Culturzustand unter den Hohenstaufen.

In der vorigen Periode war dadurch, daß mit dem Christen­ thum eine neue Cultur festen Fuß gefaßt und die Denk- und An­

schauungsweise des Volks umgewandelt hatte, das religiöse Interesse die bewegende Macht der Zeit geworden. Die Geistlichen waren die Träger der Bildung und wußten ihren Einfluß auf die verschiede­

nen Sphären des Lebens geltend zu machen.

Nachdem nun die

Idee des Christenthums sich in die Wirklichkeit hineingebildet und

das geistliche Element Volk und Sprache durchdrungen hatte, tra­ ten andere Richtungen hervor, die bisher zurückgehalten und unter­

drückt waren.

DaS weltliche Princip befruchtet von der

neuen

Bildung suchte sich Anerkennung zu verschaffen und es gestaltete sich ein neues geistiges Leben.

Schon die fränkischen Kaiser hatten

gleich von Anfang an die Geistlichkeit weniger begünstigt, als die Ottonen; bestrebt das königliche Ansehen zu befestigen suchten sie die Macht des Klerus zu schwächen: es wurden die höchsten geist­ lichen Stellen mit Unwürdigen besetzt, die Klosterschulen erhielten

die frühere Unterstützung nicht mehr, die Disciplin in denselben gerieth in Verfall und die höheren Geistlichen verfolgten mehr welt­

Es hörte die geistliche Macht auf das allein berech­ tigte und wirksame Princip der Zeit zu sein; die weltlichen Mächte liche Zwecke.

strebten zur Geltung und Mitherrschaft zu gelangen. Der Geist­ lichkeit genügte es nicht mehr auf bloß ideale Weise das Weltliche zu durchdringen, sie wollte demselben gegenüber sich auch als Be­

herrscherin erhalten; sie wollte selbst eine weltliche Macht werden.

Wie das Weltliche den Trieb in sich hat, sich zu vergeistigen; so hatte die Kirche in sich den Trieb, sich zu verweltlichen, und wie in der Literatur der Geistlichen, so ward auch im Innern der Kirche

selbst der religiöse, geistliche Inhalt durch die historische, die politi­ sche Tendenz überwogen und verdrängt. Es entstand ein geistliches und weltliches Reich, die beide mit einander in Kampf grriethen.

Es trat der geistlichen Macht der Kirche gegenüber die weltliche

32

Dritte Periode.

Bon der Mitte des zwölften

Macht des Kaisers, und während die sächsischen und die beiden

ersten fränkischen Kaiser die Gewalt des Pabstes mehr oder weni­

ger in Abhängigkeit von sich zu erhalten wußten, erlitt seit Hein­ rich IV. (1056—1106) die weltliche Macht des Kaisers der päbst-

lichen gegenüber einen plötzlichen Umschwung. Es wurde die Ober­ gewalt der Kirche über den Staat, die Hierarchie begründet, woraus sich der Kampf zwischen Kaiser und Pabst, zwischen Staat und

Kirche entspann, der 200 Jahre bis Rudolph von Habsburg (1273 — 91) fortgeführt wurde, und dann nach 60 Jahren unter

Heinrich VII. von Luxemburg (1308—13) von Neuem begann, bis endlich in Folge der großen Kirchentrcnnung vom Jahre 1378 an die Macht der Hierarchie in ihrem innersten Wesen erschüttert wurde.

Während dieses großartigen Kampfes, in welchem es sich nicht um die zufälligen Persönlichkeiten der Kaiser und der Päbste handelte, sondern um eine neue Gestaltung des öffentlichen Lebens, trat im

deutschen Reich eine zerstörende Spaltung ein zwischen der kaiser­ lichen und päbstlichen Partei, zwischen den Gibellinen und Wel­ fen.

Dieser Kampf mußte die Gemüther um so mächtiger aufre­

gen, als hier die wesentlichsten Mächte des sittlichen Lebens in Collision geriethen, einerseits die Treue gegen das weltliche Oberhaupt,

andererseits die gänzliche Hingabe an das Oberhaupt der Kirche. Der Einzelne sah sich aus dem sicheren Bewußtseyn seines Zusam­

menhangs mit dem Allgemeinen herausgeriffen; die ungetrennte Einheit zwischen Staat und Kirche, zwischen Kaiser und Vasallen war gebrochen. Bei dem allmähligen Auflösen des objectiven Zu­ sammenhangs des Einzelnen mit dem Ganzen, bei der ernsteren

Gestaltung, welche das Leben gewann, konnte es nicht mehr mit der Unbefangenheit, wie früher, betrachtet werden; der Drang von Außen forderte auf zur Einkehr ins Innere des Gemüths, trieb hin zur Schwärmerei der Einbildungskraft und führte über das Gege­

bene und Wirkliche in ein Unendliches und Unbegrenztes.

Das

Christenthum, welches bisher der Innerlichkeit des Einzelnen mehr als ein Aeußeres gegenüber gestanden hatte, drang ein in das In­ nere des Gemüthslebens, und es galt jetzt die religiösen Lehren ins

Herz, in die eigene Gesinnung aufzunehmen und darnach Thun

und Denken zu gestalten.

Das Christenthum ward national und

verschmolz sich mit dem Germanenthum immer inniger zu einer glücklichen Einheit.

Eine tiefere Ansicht von der Welt und dem

Leben verklärte die Wirklichkeit durch Glauben und himmlifcheLiebe.

Das Ahnungsvolle und Sehnsüchtige

der

aufkeimenden inneren

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

33

Regungen richtete den Blick des sinnigeren Menschen von der Au­ ßenwelt auf sein Inneres, von dem Diesseits auf das Jenseits.

Diese durch Betrachtung und Reflexion vermittelte subjectivere Rich­ tung

trug wesentlich

bei zu der neuen

Gestaltung

Poesie, förderte die erste Blüthe der Lyrik

der

epischen

und bedingte auch das

Alles Irren und alle Unsicherheit, alles unruhige Gähren und Drängen bei dem Hervorbrechen der

Auskommen des Lehrgedichts.

neuen Zeitrichtung gewann erst durch die höheren Bestrebungen der Hohenstausischen Kaiser einen festeren Haltpunkt und fand eine be­

stimmtere Gestaltung und die schönste Nahrung in den Kreuzzügen, welche die Herzen mit der reinsten Begeisterung erfüllten, zur rei­ cheren Entfaltung des Gemüthslebens beitrugen, die Phantasie be­

fruchteten und die schöpferische Thätigkeit der Poesie hervorriefen.

2.

Blüthe und Verfall des Rittcrthums.

Die großartigen

Unternehmungen

der Hohenstaufen, welche

durch Gründung einer Erbmonarchie das Kaiserthum in seiner al­ ten Größe und Herrlichkeit wiederherstellen und Deutschland hier­

durch zu dem bedeutsamsten Mittelpunkt der neu entstandenen Reiche erheben wollten, die Kreuzzüge ferner, welche bezweckten das heilige

Land von den Ungläubigen zu befreien und den irdischen Schau­ platz des Erlösers als ein weltliches Besitzthum zu erringen, alles

dies führte die verschiedenartigsten Kriegszüge, Fehden, Eroberungen

herbei, und es konnte daher Träger der neuen Zeitrichtung nur der­

jenige Stand werden, der bisher allein die Kriegsführung zur aus­

schließlichen Bestimmung

und That seines Lebens gemacht hatte.

Dies war der Ritterstand, der seinen Ursprung hatte in der alt­

germanischen Sitte, die Körperkraft für den Krieg zu üben und

keine Beleidigung ungeahndet zu lassen. Stolzes Vertrauen auf die eigene Kraft und eifersüchtige Behauptung des persönlichen Wer­ thes und der freien Unabhängigkeit bilden die Grundlage des Rit­

terwesens, welches zugleich in eine nähere Beziehung zum Lehnwe­ sen trat, das aus der in den Germanen tief gewurzelten Neigung

hervorging, freiwillig die Freiheit aufzuopfern zum Dienste eines Mächtigeren. Einem selbsterwählten Könige oder Fürsten zu dienen verletzte die Würde des freien Mannes nicht, sondern war ehren­ haft; keine Ehre ohne Dienst.

Unter den schwachen Karolin­

gern ward es bei dem Vorherrschen des Faustrechtes für den Ein­

zelnen immer mehr ein Bedürfniß, sich einem Mächtigeren anzu­ schließen, um dessen Schutzes und Schirmes gewiß zu seyn. Festere

Biese deutsche Literaturgeschichte. I.

3

34

' Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

Abgeschlossenheit erhielt der Ritterstand am Hofe der Karolinger durch die Ritterspiele, die spater, namentlich seit Heinrich I. sich zu Reichsturnieren ausbildeten. Im Verlauf der Zeiten wurde es im­ mer mehr Sitte, Lehne nur an solche zu geben, deren Vorfahren zu Roß Kampfdienst geleistet hatten. So stand im 11. Jahrhundert der Ritterstand dem freien Bürgerstand gegenüber, und seit dem 13. Jahrhundert wurden die geschlagenen Ritter allein milites ge­ nannt und bildeten eine Genossenschaft, das Schildesamt. In Folge der Kreuzzüge, auf welchen die Ritterburtigen den Kern bil­ deten, sah sich der Ritterstand als ein durch alle Nationen vertheiltes und durch eigenthümliche Rechte zusammenhängendes und gleich­ gestelltes Adelsvolk an. Geweckt wurde der Rittergeist zuerst in Spanien im Kampf gegen die Mauren und gewann seinen Ruhm und Glanz in Don Rodrigo Diaz Cid (t 1099). Ferner regten in Sicilien die Kampfe der Normannen unter Roger (1060 — 1090) gegen die Saracenen mächtig den Rittergeist an. Beson­ deren Anklang fand das Ritterwesen im südlichen Frankreich, na­ mentlich am Hofe der Grafen von Provence, und es gestaltete sich hier die ritterlich-höfische Bildung, welche sich von da nach Nord­ frankreich, und durch die Normannen nach England und Sicilien, durch die burgundisch-kastilianische Eroberung nach Spanien und endlich durch die engere Verbindung Burgunds mit dem Kaiserreich nach Deutschland verbreitete. Es ging daher besonders von Frank­ reich die äußere Gestaltung des ritterlichen Lebens aus, dessen Blüthe für Deutschland gegen Ende des 12. Jahrhunderts beginnt. Durch die Kämpfe gegen die Mauren in Spanien und gegen die Sara­

cenen in Sicilien war die Ritterschaft schon erregt und gespannt, daher die Predigten eines Mönchs Peters von Amiens eine so große Begeisterung in Piacenza und Clermont hervorrufen konnten. Von Frankreich ging der erste Kreuzzug (1095—99) aus; er wurde be­ sonders von provenzalischen, französischen und normannischen Rit­ tern unternommen, während in Deutschland die Begeisterung für die neue Idee sich erst später um die Mitte des 12. Jahrhunderts zeigte, aber von desto reinerer, nachhaltigerer Wirkung war. Durch die Kreuzzüge erhielt das Ritterwesen seine bestimmtere Gestal­ tung. Es mußte, abgesehen von der adeligen Geburt, die Ritter­ würde durch die verschiedenen Stufen der Pagen- und Knappen­ dienste erworben werden, bis endlich bei der Schwertleite der Ritterschlag erfolgte. Es legte der Knappe, bevor er zum Ritter ausgerusen wurde, den Eid ab, stets die Wahrheit zu reden und

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

35

das Recht zu behaupten, die Religion, ihre Diener und Tempel, Schwache und Unvermögende, Wittwen und Waisen, unschuldige Frauen und ihren guten Namen zu vertheidigen und Ungläubige

zu verfolgen.

Der Ritterstand ward die höchste weltliche Würde

der Christenheit, eine Würde,

die auch Könige und Königssöhne

erhalten mußten, um in den Augen der Zeitgenossen ein Kämpfer und Held zum Dienste Gottes, der Frauen und der Ehre zu seyn.

Es wurde in jener wilden, gewaltthätigen Zeit die Ritterschaft eine Schule des Gehorsams, der Unterwürfigkeit unter dem Gesetz, der

Sittlichkeit und der Bildung eines für alles Große und Erhabene empfänglichen Heldengeschlechts.

Dem Waffenruhm war jetzt ein

höheres Ziel gesteckt; die Tapferkeit hatte nicht mehr einen Werth durch sich selbst, sondern insofern sie durch den Gebrauch für das

Göttliche geweiht war und in Verbindung trat mit den christlichen Lugenden der Demuth, Milde und Liebe; Tapferkeit und Thaten­

drang verfolgten heilige Zwecke und waren dem Irdischen abge­ wandt [28], Religion und Ritterthum waren die Grundelemente des damaligen Lebens und stellten sich in ihrer gegenseitigen Durch­

dringung besonders in den geistlichen Ritterorden dar, in welchen das Christenthum zur lebendigeren, concreteren Verwirklichung ge­ langte. Außerdem wurde die unbändige Kampf- und Herrschlust,

der heldenmäßige Egoismus des Ritters gemildert durch sein Ver­ hältniß zu den Frauen, welche eigentlich die Lenkerinnen des trotzi­ gen Männergeschlechts wurden. Die Verehrung der Frauen war ein den alten Germanen eigenthümlicher Zug [29], und der Glaube, daß denselben etwas Heiliges inwohne, fand in dem Christenthum um so reichere Nahrung als die heilige Jungfrau Maria die von

den Engeln gesegnete und gebenedeiete unter den Frauen war, welche als die Vermittlerin zwischen Gott und dem Menschen der from­

men Empfindung und Vorstellung näher sich anschloß.

Der reli­

giös begeisterte Ritter glaubte das menschliche Abbild der reinen Himmelskönigin in jeder Jungfrau erblicken und mit Inbrunst feiern zu müssen.

Das Weib erhielt ihren Werth an und für sich;

der Geist der Anmuth, welcher sich in der schönen Gestalt offen­ barte, bildete die Anziehungskraft und erzeugte die schwärmerische Verehrung des Weibes. Hierdurch entstand die heroisch zarte Stim­ mung, das weiche, zarte Herz hinter Stahl und Eisen. Eine Dame

der Gedanken und des Herzens durfte dem rechten Ritter nicht feh­ len; zu ihrer Verherrlichung griff er oft zu den Waffen, um mit seinem Schwerte ihre hohe Tugend, ihre Schönheit und Liebens-

3*

36

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

Würdigkeit zu beweisen und dadurch sich ihre Gewogenheit zu ge­ winnen.

Die Aufopferung des Ritters,

den Frauen das Schönste

des Lebens darzubringen, forderte die Galanterie, sowie in dem

besten Anstand vor ihnen zu erscheinen eine Forderung der Courtoisie war, welche das äußere Benehmen nicht bloß im geselligen

Umgang, sondern auch im Gefecht, im Zweikampf, beim Turnier

regelte.

In diesem Verhältniß zu den Frauen zeichnete den Ritter

Treue, Zartgefühl und Milde aus, so wie die Frauen Sittsamkeit, Häuslichkeit, Ehre, Zucht, Reinheit der Sitten. sich eine Anmuth der Geselligkeit,

Hieraus erzeugte

welche das Gewöhnliche erhöhte

und verschönerte, und in einem rosigen

Schimmer erscheinen ließ.

Es entstand eine höfische Bildung, eine höfische Liebe, eine hö­

fische Familieneinrichtung unter den formellen, exclusiven Gesetzen eines in sich abgeschlossenen Standes; eine gewisse Etikette, ein Ceremoniell, kurz das Eonventivnelle wurde das allgemeine Band

des ritterlichen Lebens, wie es besonders von den Rittern in Frank­ reich zuerst ausgebildet wurde.

Jene höfische Bildung rief als ihre

schönste Blüthe eine Kunstpoesie hervor, die unter dem Schutz

des ritterlichen Adels sich um so mehr von dem Geist der alten volksthümlichen Sitte und dem volksthümlichen Heldengesange ent­ fernte, als sie in nähere Beziehung trat zu den das Ritterthum bewegenden Ideen.

Diese höfische Kunstpoesie bildete sich zuerst

unter den Provenzalen aus; das kunstreiche Dichten (trobar) ward die Würze der geselligen Unterhaltung, und die Poesie wurde be­ sonders als Kunst in der Form ihrer äußeren Erscheinung, als ein

heiteres Spiel (gaya ciencia) in kunstreichen Sylbenmaßen, Rhyth­ men und Reimen betrachtet [30].

Für Deutschland war vorzüglich

die Regierung Friedrich's I. und Heinrich's VI. ein goldenes Zeit­

alter, nach welchem das nachkommende Geschlecht sich zurücksehnte. Im Inneren des Reichs wuchs der Wohlstand mit der Zunahme

und Erweiterung des Handels; die Hohenstaufen begünstigten die Städte und fuhren fort sie mit Freiheiten zu begaben, und sowol im südlichen als auch nördlichen Deutschland gelangten die Städte

durch einen lebendigen Binnenhandel zum Wohlstand.

Doch vor

Allem gewann der Ritterstand ein solches Ansehen, daß er eine be­

sondere Stütze des Throns werden konnte.

Als der herrschende

Stand wurde der Adel der reichste und durch den Reichthum als

das unerläßlichste Mittel zum irdischen Preise konnte er die adlige Tugend, die Milde, die Freigebigkeit und die Gastlichkeit im vol­ len Maaße ausüben.

Der Aufwand wuchs, wenn Könige und

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

37

Fürsten sich besuchten, dann boten sie alles auf, um sich in Pracht und Freigebigkeit zu übertreffen. Bei Königswahlen, Reichstagen, Vermählungen, Turnieren und Schwertleiten zeigten sich die festli­ chen Zusammenkünfte weltlicher und geistlicher Fürsten und Herren in vollem Glanze. An solchen Hoffesten entfaltete sich alle Pracht des irdischen Daseyns und rauschte in frischem Spiel vorüber; es fand eine Durchdringung des Irdischen mit dem Geistigen statt, welche das Leben in einem erhöhten, veredelten Licht erscheinen ließ. Die ritterlichen Sänger verkündeten preisend den Glanz der Gegen­ wart und den Genuß irdischer Herrlichkeit; das innere und äußere Leben stand in schönem Einklang; die Poesie war in die Wirk­ lichkeit hereingeführt und gestaltete sich als Gegenwart. Doch nicht lange dauerten diese glücklichen Verhältnisse; hat ein Zeitalter sein Höchstes erreicht, so müssen wir auf Rückschritte gefaßt seyn. Der Umsturz der öffentlichen Verhältnisse zog auch das übrige Leben nach sich. Nach dem Tode Heinrich's VI., der seinen Sohn Fried­ rich als dreijährigen Knaben hinterließ, traten große Verwirrun­ gen ein in Folge der Streitigkeiten zwischen Welfen und Gibellinen. Friedrich II. (1215—50) gelangte endlich zur Regierung und mit hohem Sinn und in großartiger Thätigkeit blieb er den Grund­ sätzen der Fürsten seines Stammes in Behauptung der Rechte des Reichs getreu, doch erlag er endlich dem gewaltigen Kampf und schloß würdig die Reihe der für die Hoheit und den Glanz des deutschen Kaiserthums begeisterten Hohenstaufen. Nach seiner Re­ gierung zerfiel das Ansehen und die Macht des deutschen Reichs immer mehr unter ausländischen Königen während des Interreg­ nums (1254 — 73). Seitdem Heinrich Raspe, der Pfaffenkönig, durch päbstliches Geld zum Gegenkönig gewonnen war, wurde die Bestechlichkeit gleichsam geheiligt. Tiefe Wunden wurden dem Reich durch des Pabstes Hartnäckigkeit geschlagen, der nur einen Kaiser dulden wollte, welcher unter seinem Einflüsse stände. Ver­ nichtet war das kaiserliche Ansehen und kein deutscher Fürst wollte die verachtete Krone annehmen; auswärtige Fürsten erkauften den Königstitel. Wenn auch Rudolph von Habsburg (1273 — 91) Ruhe und Ordnung wieder herstellte, so verloren doch seine Nach­ folger alle großartigen Beziehungen des Reichs zum Ausland aus den Augen und waren nur auf die Vergrößerung ihrer Hausmacht bedacht. Das Ritterthum, welches die Stütze des Reichs gewesen war, gerieth in Verfall; die Ideen, welche den Geist der Ritter­ schaft geweckt und belebt hatten, verloren ihre Bedeutung. Mit

38

Von der Mitte des zwölften

Dritte Periode.

Friedrich's II. Tode hörten wenigstens für Deutschland die Kreuz­ züge auf; der Kampf galt schon mehr für den weltlichen Besitz und

weltliche Ehre als für den Erlöser; man wollte das heilige Land

besitzen, nicht bloß befreien; man wollte ritterlichen Ruhm erwer­

ben, nicht christlichen. Der Zwiespalt zwischen der inneren von der Phantasie geschaffenen Welt und der äußeren trat ins Bewußtseyn; die idealen Grundlagen des ritterlichen Lebens,

die Schwärmerei

der Liebe, des Glaubens und der Ehre wurden erschüttert.

Der

Geist entschwand, welcher das Ritterthum ins Leben gerufen hatte;

es blieben nur hohle Formen und Ceremonien übrig.

An die Stelle

idealer Begeisterung traten materielle, selbstsüchtige Bestrebungen, und es beschäftigten sich die Ritter, statt Kunst und Poesie zu pfle­

gen, mit Befehdungen

und Wegelagerungen.

Mitten

aus

dem

Verfall des Reichs hob sich der Bürgerstand in blühenden Wohl­ stand empor und stieg um so höher, je mehr das Ritterthum zerfiel. Die Grundlage seines Wohlstandes ward der Gewerbfleiß und der Handel und hierdurch wurde er der Träger einer neuen Zeitrich­ tung, die auf Erwerb, Reichthum, Sicherung der Interessen, kurz,

auf das Praktische und Reale gerichtet, den geraden Gegensatz bil­ dete zu der idealen und zugleich phantastischen Anschauungsweise

der Ritterwelt, welche die wirklichen Zustände sowol der Vergan­ genheit als Gegenwart nicht in ihrem naturgemäßen, verständigen Zusammenhang auffaßte.

Mit dem Emporkommen

des Bürger­

standes begann eine neue Entfaltung von Kräften, womit eine we­ sentliche Erweiterung unseres Daseyns verbunden war. Das Lehns-

wesen

im

Mittelalter

war

die Zeit

des

noch

unausgebildeten

Staatslebcns, wo die einzelnen Persönlichkeiten der Ritter ihr Wir­ ken und Handeln mehr aus spröder Willkür bestimmen konnten, ohne darin durch die feste Ordnung eines organisirten Staatslebens gehemmt zu werden;

dagegen bildete sich erst das Recht und das

Sittliche in Form des Gesetzes, dem jeder seinen Eigenwillen un­ terzuordnen hat, durch die Corporationen der Bürgerschaft in den

Städten aus, welche die Grundlage eines durch Verfassung und Gesetz befestigten Zustandes wurden. 3.

Einfluß der inneren und äußeren Verhältnisse Deutschlands auf die Gestaltung der Literatur.

Seitdem die Bildung nicht mehr auf den geistlichen Stand beschränkt war, sondern auch der Laienstand diese in sich ausgenom­

men hatte, seitdem die Geistlichen mit der Volksbildung vertrauter

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

39

und die Laien mit der religiösen Bildung bekannter geworden wa­ ren, konnte sich die lateinische Sprache nicht mehr in ihrer Allein­ herrschaft erhalten, sondern die bisher vernachlässigte Volkssprache gelangte wieder zu Ansehen. Es traten auf den Kreuzzügen Geistliche und Laien einander näher, und da die Begebenheiten im Orient alle Volksklassen zu Hause gleichmäßig interessirten, so konnten die lateinischen Nachrichten um so weniger genügen. Je mehr die Theilnahme an den Thaten der Ritterschaft wuchs, desto schneller versöhnten sich die Gelehrten mit der Volkssprache; es trat das Interesse an Büchern hervor, an epischen Erzählungen, die vorgelesen, hergesagt, nicht mehr, wie früher, unter Begleitung eines Instruments gesungen wurden. Der lebendige Verkehr zwi­ schen den einzelnen abendländischen Völkern erleichterte die Erler­ nung fremder Sprachen und führte den Austausch der mannigfach­ sten Bildungselemente herbei. Es ging daher die geistige Bildung aus dem ausschließlichen Besitz der Geistlichen auf den allgemeine­ ren der Ritterschaft über; sie ward aus kirchlich gelehrter zur poe­ tischen Bildung, und der Ritterstand, der menschlich fühlte und dachte, führte zuerst aus Natur und Wahrheit zurück. Es blieben freilich zunächst die Geistlichen noch thätig in der Abfassung von erzählenden Gedichten, in welchen sie Mythen und Ge­ schichten des Alterthums, volksthümliche Sagen und Legenden an einander reihten und zu einem größeren Ganzen verknüpf­ ten mit dem vorherrschenden Zweck der Belehrung und Erbau­ ung, und diese größeren epischen Erzählungen bilden von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts den Uebergangspunkt zu den epischen Dichtungen der höfischen Kunstpoesie. Es war die Masse von Sagen und Erzählungen um so mehr angewachscn, als die Kreuzzüge der Phantasie und Wis­ senschaft ein unermeßliches Feld öffneten, indem sie die Wunder des Orients ausschlossen, mit den hochgebildeten Arabern bekannt mach­ ten und mit Byzanz, der Bewahrerin von den Resten antiker Bil­ dung. Man gelangte auf diese Weise zu einer dunklen Kenntniß der Sagen- und Geschichtskreise der ganzen Welt. Das universal­ historische Interesse war geweckt und es trat das Bedürfniß ein, sich der neu eröffneten Welt geistig zu bemächtigen. Da es aber der Zeit an der Fähigkeit fehlte, sich auf historischem Wege und mit kritischem Verstände der neu aufgeschlossenen Welt zu nähern, so machte sich die Phantasie geltend, welche mit dem Stoff willkürlich schaltete, ihn im Geiste ausschmückte, vergrößerte und in beliebige

40

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

Verhältnisse brachte, und hier zeigte sich die geistige Elasticität, mit welcher man das Fremde mit dem Einheimischen, das Antike mit

dem Modernen vermischte (f. unten die Kaiserchronik).

Indem

man den beweglichen Mythen und Sagen ihre volksthümliche Be­

deutung nahm, wurden sie als willkommener Stoff der Alles um­ schaffenden Phantasie zum willkürlichen Spiel anheimgegeben. Das

Christenthum als das universell Geistige bildete den Mittelpunkt für

die Verknüpfung der verschiedenartigen Elemente.

Die ritterlichen

Helden der antiken Sage werden Vorkämpfer und Verfechter der

christlichen Kirche, und so wurden alle anderen fremdartigen Stoffe in den allgemeinen Kreis der christlichen Zeitvorstellungen hinein­

gezogen. In dieser Entkleidung -des antiken Mythus vom Natio­ nalen offenbart sich die subjective Willkür der Phantasie, und es

liegt in dieser gegenseitigen Durchdringung von Antikem und Mo­

dernem, von Germanischem und Romanischem, von Heidenthum und Christenthum ein Hauptbestandtheil des Romantischen, in wel­ chem die Idee des Christenthums das Alles beherrschende und be­

stimmende Moment ist [31].

Ueber diese Welt des Romantischen

verbreitet sich als ideelles, geistiges Element das Wunderbare,

indem die Alles bezwingende Macht der übersinnlichen Welt des Glaubens alle Schranken der natürlichen Welt durchbricht. Die

Gegenwart selbst war voll von Zeugnissen von der unwiderstehlichen Seitdem plötzlich die ganze Christenheit zu

Macht des Glaubens.

einem großen vorher nie gekannten Bund gegen das Heidenthum

zusammengetreten war und der Pabst als Haupt der Kirche die großen Völkerzüge gegen den Orient leitete uud befeuerte, da galt der

Kampf nicht mehr dem Reiche dieser Welt, sondern dem ewigen Reiche des wahren Gottes. Voll heiligen Glaubens an den, der aller Welt Sünde trägt, zog man in den Kampf, um in geistiger Freude sich zu erheben über alles Leid.

Von jetzt beginnt jene

schrankenlose Herrschaft des Gemüths und der Empfindung.

Tau­ send und aber Tausende aus allen Völkern des Abendlandes ström­ ten zur Fahne des Kreuzes; dieselbe Begeisterung herrschte in den

Schlössern der Fürsten und in der niederen Hütte des Landman­ nes; Räuber, Einsiedler, Weiber traten aus ihrer Verborgenheit,

Kinder aus ihrer Unmündigkeit.

Diese Wunder sah man auf der

Erde, und andere am Himmel und in den Wolken: der Heiland

selbst stieg vom Himmel herab, um die Streiter in ihren Kämpfen zu stärken; die Gräber öffneten sich und Karls des Großen Geist mahnte die Völker zum Kampfe gegen die Ungläubigen.

In den

41

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

Gotteshelden und Frohnkämpfen des Tages sah man den heiligen Geist wirken und den Antrieb der Gottheit, der nichts unmöglich

ist.

Sollte daher eine weltliche Sage Antheil erregen, so mußte

sie an Wunderbarkeit und Seltsamkeit der

Legende,

welche die

Wunderthaten der Märtyrer darstellte, gleich kommen.

Die Dar­

stellung frommer, Gott geweihter Tapferkeit erzeugte im Gegensatz

des altheroischen Epos die romantische Epopöe, welche in den Gestaltungen des Ritterthums

die

reichste

Nahrung

fand.

Die

Kraft des Gemüths ist hier der geistige Hebel, welche nebst Phan­

tasie und Sinnlichkeit den Verstand überwiegt.

Höhere Ideen lei­

ten den Ritter: Ehre, Treue, Liebe, welche ihren Mittelpunkt in

der Kraft des Gemüths haben.

Die Ehre verwirklicht sich in der

Form der Tapferkeit; der Ritter muß es sich in seinem Dienst so

schwer als möglich machen; darin besteht seine Wehrhaftigkeit und

sein Kampfesmuth; er sucht Gelegenheit, wo er seine Kraft zur Vertheidigung der Unschuld und zum Kampf gegen die Ungläubi­

gen bewähren kann; wo er diese Gelegenheit findet, das ist zufällig (Abenteuer).

Durch die Treue ist der Ritter an seinen Lehnsherrn

geknüpft, doch beruht dieselbe auf seiner freien Wahl.

Das Lehns-

wefen gliederte zwar das öffentliche Leben, es bildete aber keine ge­ setzliche Nothwendigkeit; die Treue und Anhänglichkeit war abhän­

gig von dem Willen des Individuums. Es begünstigten daher die äußeren Zustände des Staats, wo dem Einzelnen die Möglichkeit gelassen war sich selbst gelten zu machen, das poetisch-romantische

Leben des Ritters.

Er besaß Freiheit und Selbstständigkeit, um

sich in seinen ideellen Bestrebungen zu bethätigen und konnte den

Zweck und den Inhalt seines Thuns ganz aus seinem Innern hervortrrten lassen. Wenn nun die innere Empfindung allein der Phantasie den Stoff zum Schaffen und Wirken liefert, dann ist

der Urbergang zum Phantastischen leicht, welches entspricht der Will­ kür des Abenteuerlichen. Gottes- und Frauendienst, Andacht und Minne, christliche Heiligkeit und ritterliche Hösischkeit sind die Ge­ genstände des romantischen Epos, welchem wechselnde Begebenhei­

ten, verschlungene Schicksale der Helden, wunderbare Abenteuer und Zufälle wesentlich sind. Die äventiure ist die willkommene Muse, welche die Sage ihrem Inhalt nach überliefert; doch in der Ent­

wickelung und Darstellungsweise macht sich die durch sinnige Be­ trachtung und Reflexion vermittelte subjective Richtung geltend. Es gestaltet der Dichter die überlieferte Sage nach seinem inneren Be­ dürfniß und tritt mit seiner Subjektivität in den Vordergrund,

42

Dritte Periode.

Bon der Witte des zwölften

nicht bloß in dem poetischen Vor- und Nachreden, sondern auch

mitten in der Erzählung bricht er mit seinem Ich, mit seinen per­ sönlichen Verhältnissen zu seiner Dichtung hervor [31b], Das We­ sen des Ritterthums und die Liebe geben

ihm Veranlassung

zu

mannigfachen oft aus der Moral entspringenden Bemerkungen; auch

der Kunst wendet er seine sinnigen Betrachtungen zu; es will der Dichter durch seine Persönlichkeit, seine Empfindungen und Re­

flexionen gelten.

Außerdem giebt sich in der Darstellungsweise des

romantischen Epos das Vorherrschen des Subjectiven besonders zu

erkennen in den Schilderungen der inneren Bewegungen des Her­ zens, wie sie namentlich von der Minne erzeugt werden.

Diejeni­

gen Sagenstoffe, welche die Grundzüge des ritterlichen Lebens ent­

hielten, Andacht, Liebe, Ehre, Hang zu Abenteuern, wurden aus­ schließlich von den ritterlichen Dichtern gewählt, und da sie solche

Stoffe nicht in den alten volksthümlichcn Sagen sanden, die noch ganz von der heidnischen auf Sclbstverherrlichung beruhenden Ta­ pferkeit durchdrungen waren, so wählten sie ausländische, wälsche

Sagenstoffe, wie sie sich namentlich in Frankreich und England ge­ bildet hatten, die, entstanden auf dem christlichen und ritterlichen Boden des romantischen Völkerlebens, gleich von ihrem Ursprung an die christliche Tapferkeit und überhaupt die Grundzüge der ro­ mantischen Ritterschaft enthüllen.

Solche ausländische Stoffe ge­

statteten eine freiere Umbildung und konnten durch Einflechten von Episoden, Nebenpersonen und Nebenumständen mannigfaltiger

erweitert werden, als die volksthümlichen Stoffe, in welchen sich noch die allen gemeinsame Sittlichkeit des altgermanischen Bölksthums abspiegelte, aber nicht der Geist eines in sich abgeschlossenen Standes. Daher das Sichabwenden der ritterlichen Sänger von

der lebendigen Poesie, die noch in den Volkssagen vorhanden war. Auch ergreifen sie nicht die lebendigen Interessen der Gegenwart, die großartigen Kämpfe der Hohenstaufen, sondern schließen sich an die sagenhaften Nachklänge einer fremden Vorzeit, ja sie wenden

sich zurück zu den Sagcnstoffen der antiken Welt, wie sie dieselben durch die späthellenische und byzantinische Literatur, in welche das

Christenthum bereits eingedrungen war, überliefert erhalten hatten. Hierdurch waren diese antiken Stoffe der modernen Anschauungs­

weise schon näher gerückt und in der poetischen Behandlung erhiel­ ten sie noch mehr Farbe, Sitte, Tracht, kurz das ganze Gepräge

der Gegenwart und wurden hierdurch vollständig in den allgemei­

nen Kreis der Zeitvorstellungen herübergezogen.

43

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

4.

Die Sagenstoffe der ritterlichen und geistlichen Poesie.

Zwei Sagenkreise treten als die vorherrschende Grundlage des

rotnantischen Epos hervor: der fränkische und der bretonische. Der fränkische oder kerlingische Mittelpunkt Karl den Großen.

Sagenkreis

hat zu seinem

Die Quelle für diese Sage ist die

Chronik eines Mönchs, welcher sich den Namen des Turpin, Erz­

bischofs von Rheims und Zeitgenossen von Karl dem Großen, bei­ legt. Sie stammt wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 12. Jahr­ hunderts und gründet sich auf alte Nationalsagen [32], wie deren

bei den alten Franken bis ins 9. Jahrhundert vorkamen. In dem fränkischen Sagenkreise sind zwei Richtungen zu unterscheiden. Die

eine stellt Karl den Großen nebst seinen fränkischen Helden als Kämpfer der Kirche den Saracenen gegenüber dar. Karl's Zug nach Spanien und seine merkwürdigen Schicksale ließen ihn in der

Glorie eines Gotteskämpfers, eines bewaffneten Heilandes erschei­

nen, und seine zwölf Pairs in dem Glanz von gottberufenen rit­ terlichen Aposteln und Märtyrern.

Das große Thema, welches die

damalige Zeit bewegte, war der Kampf des Lichts und der Fin­

sterniß, des Glaubens gegen den Unglauben.

Daher auch in der gegenwärtigen Periode gegen diese Richtung der Sage die zweite

ganz zurücktritt, in welcher der Kaiser im Kampf gegen seine auf­ rührerischen Vasallen erscheint.

Es fand indeß die Karlssage auch

in der ersteren den Zeitideen ganz angemessenen Richtung weniger

Aufnahme in Deutschland, da sie den historischen Erinnerungen an

Karl den Großen zu sehr widerstrebte, wogegen der bretonische

Sagenkreis, der sich an den sagenhaften König Artus anschloß,

eine viel umfassendere und mannigfaltigere Bearbeitung erhielt, weil derselbe bei der schwächeren

historischen Grundlage der Phantasie

eine viel freiere Umbildung und Erweiterung gestattete.

Die Sage

von König Artus, dem Vertheidiger der britischen Nationalität und

des Christenthums gegen die Gewalt der Sachsen, ging hervor aus den Volksgesängen walisischer Barden und kam mit auswandern­ den Briten nach Bretagne.

Auf diese Weise verbreitete sich diese

Sage in Nordfrankreich und kam später wieder an den Hof der

Normannischen Könige von

England.

Durch

diese

mehrmalige

Verpflanzung der Sage erhielt dieser ganze Sagenkreis mannigfal­ tige Umbildungen: Artus ward zu einem Abbilde Karl's auS der

fränkischen Sage und Merlin, sein Lehrer, zu einem Zauberer. Die Vorliebe für das Wunderbare war seit den ältesten Zeiten bei den

Celten heimisch, jene Märchenwelt, in welcher Riesen und Wald-

44

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

männer, Drachen und Schätze bewachende Schlangen, wunderbare Quellen und Bäume, böse und wohlgesinnte Feen sich wirksam zei­

gen.

Eine hauptsächliche Quelle für den bretonischen Sagenkreis

ist Gottfried von Monmouth, welcher die zu seiner Zeit (1130 —1152) verbreiteten uralten bretonischen Nationallieder und Sagen

aus dem Britischen in die Form einer Chronik in lateinischer Prosa brachte.

Merlin war der Freund und Rathgeber des Oberfeldherrn

der Briten, Uther-Pendragon,

der auf Merlin's Rath

alle

Ritter an einer runden Lasel versammelte, die sich durch ritter­

liche Tugenden, Stärke und Tapferkeit, hohe Geburt und Lehnstreue auszeichneten.

Diese Tafelrunde sollte auf 50 berechnet seyn Biele strebten nach

und gegenwärtig nur von 49 besetzr werden.

dem leeren Platz und jeder Unberufene büßte seine Verwegenheit mit plötzlichem Tod.

Dieser Platz war bestimmt für den Sohn

des Oberfeldherrn, für Artus, den Merlin erzog.

An diese Tafel

zugelassen zu werden war der höchste Preis aller Anstrengungen, Tugenden, Verdienste und gefährlicher Proben, und die Dichter er­ kannten in diesem Orden das Ideal alles ritterlichen Lebens und Strebens.

Doch war in diesen Sagen zunächst nur die weltliche

Seite des Rittcrthums begriffen, und es ist hier nicht, wie in der

Karlssage, die Lehnsabhängigkeit der Vasallen vorherrschend, son­ dern die Ritter stehen einander fast gleich und sitzen deshalb an einer runden Tafel, damit Keinem ein Vorrang gegeben werde. Der Thatendrang wird hier auch nicht sowol durch zusammen­ hängende große Zwecke hervorgerufen als vielmehr durch den Zufall, in Folge dessen der eine oder der andere Ritter sich selbst aussordert

oder aufgefordert wird, einer Unbestimmtheit von Thaten sich rück­

sichtslos hinzugeben. Das Abenteuerliche bildet hier daher recht eigentlich den Mittelpunkt. Es sind die Thaten besonders gerichtet auf den Schutz des von Riesen, Zauberern und anderen Ungethümen bedrängten weiblichen Geschlechts, welches den Befreier mit dem reichen Lohn der Minne beglückt. Daher ist auch in den Dich­ tungen aus diesem Sagenkreis die Liebe ein vorwiegendes Ele­ ment. Da nun aber in der Zeit der religiösen Begeisterung wäh­ rend der Kreuzzüge alles in eine nähere Beziehung zu der Idee

der Kirche und des Glaubens trat, so mußten auch die Sagen von der Tafelrunde mit dem allgemeinen religiösen Interesse um so mehr in Verbindung treten, als die geistlichen Ritterorden entstanden. Es ward daher die Artussage verknüpft mit den Sagen vom heili­ gen Gral, [32a], in welchen

die

verschiedenartigsten

Elemente

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

45

von priesterlichen Vorstellungen celtischen Ursprungs und mystisch­ theologischen Anschauungsweisen christlicher Zeit sich gegenseitig durch­ dringen. Früh schon richtete sich das Interesse für das Religiöse auf eine tiefere Erforschung und Auffassung der christlichen Lehren und es erzeugte sich hieraus ein Streben nach theologischem oder religiösem Wissen, wie es sich offenbarte theils in Spitzfindigkeiten des Scholasticismus theils in den Allegorien und Symbolen einer christlichen Mystik. Da die Hierarchie jede freiere Gestaltung der christlichen Lehre hemmte, so entstanden die Geheimlehren der Gnostiker, welche im nördlichen Spanien, im südlichen Frank­ reich, im südwestlichen Britanien ihren Sitz hatten. Vorzüglich war Gallicien ein Hauptsitz des Gnosticismus und er verbreitete sich von dort über das südliche und westliche Frankreich. Der Tempel auf dem Berge Monsalvatsch galt als ein Mittelpunkt, er ist Nach­ bild des Tempels von Jerusalem und ein Bild der Welt. Die T em p leis en sind die Priester, welche den heiligen Becher, den Gral, bewahren. Einen entschiedenen Einfluß auf die Ausbildung der Gralsage übte die Stiftung des Tempelh errn-Ordens aus, in welchem gleichfalls gnostische Geheimlehren geltend waren. Schon der Name der Templer (templiers) und Templeisen deutet auf ihre Verwandschaft. Gral, im Altfranzösischen greal oder graal, bezeichnet eine Schüssel, und der heilige Gral ist das Gefäß, das durch das letzte Abendmahl des Heilandes geweiht war; in demselben Gefäß sing Joseph von Arimathia das Blut auf, wel­ ches Christus am Kreuz vergoß. Die Verbindung nun der Gral­ sage mit der Sage von Artus geschieht dadurch, daß Artus und seine Ritter den Gral suchen, dessen Hüter die Templeisen sind; denn das beseligende Anschauen des Grals nimmt, wie der Hei­ land, selbst dem Tode seine Macht. Die Hauptpersonen in den Sagen vom Gral sind Ti tu re l, welcher dem Gral die köstliche Kapelle und das Schloß zu Monsalvatsch erbaut, ferner Parcival, für den die Welt mit ihren Kämpfen und Abenteuern nur ein Durchgang, eine Schule ist, um in zurückgezogener Einsamkeit den wahren Beruf zu finden, nämlich Hüter des heiligen Grals zu werden; endlich ist noch der Priesterkönig Johannes zu nennen, der im Jndierland herrscht, wohin der Gral, um ihn gegen jede Unbill zu bewahren, geführt wird. Von französischen Dichtern wurden diese Sagen vielfach bearbeitet, namentlich von dem Pro­ venzalen Kyot (um die Mitte des 12. Jahrhunderts) und von Chretien de Troyes (gegen Ende des 12. Jahrhunderts) aus Nord-

46

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

srankreich, wo namentlich durch die trouveres die in Volkssagen und lateinischen Chroniken aufbewahrten epischen Stoffe mit gro­

ßer Ausführlichkeit poetisch behandelt wurden.

Solche französische

Dichtungen sanden in der zweiten Hälfte des

12. Jahrhunderts

durch Übersetzungen und Bearbeitungen in Deutschland Eingang und verdrängten die volksthümlichen Sagenstoffe. Es wurden aber diese aus fremden Sagenkreisen und Dichtungen entlehnten Stoffe

von den deutschen Dichtern mit mehr Kunst, Innigkeit und Tiefe behandelt. Die Stoffe für die geistliche Poesie fanden in dieser Periode

eine Erweiterung.

Man suchte, nachdem in den Evangelienharmo­

nien durch das Leben Jesu das christliche Bewußtseyn geweckt war, nach neuen kirchlichen Stoffen, welche der eignen Phantasie noch

größeren Spielraum gewährten, und einen solchen Stoff fand man vorzüglich in dem Leben der heiligen Jungfrau, zumal da in dem Mariencultus ein neues Versöhnungsmittel zwischen Gott und der sündigen Menschheit gewonnen war [32b].

Hieran schloß sich die

Legendenpoesie; was nämlich die Geschichte Christi und der himm­

lischen Jungfrau in erhabenen Zügen darstellte, das entfaltete sich durch die Legende auch im gewöhnlichen Leben. Die Heiligen und Märtyrer sind Menschen, welche ihr irdisches Daseyn zur Ein­

heit mit dem göttlichen zu erheben keinen Kampf scheuten.

Von den antiken Stoffen endlich, welche die Dichter dieser Periode behandelten, wurden vornehmlich solche gewählt, in denen die Berührung des Orients mit dem Occident sich darstellte, zuerst in vorhistorischer Zeit im trojanischen Krieg, und dann am Schluß

des altgriechischen Lebens in den Zügen Alexander's des Gro­ ßen nach dem Orient.

Außerdem fanden Ovid's Metamorphosen

Berücksichtigung, insofern in denselben neben dem Wunderbaren die

Liebe ein bedeutendes Moment bildete.

Für den trojanischen Krieg

wurden als Quellen benutzt die angeblich aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzten Werke des Dictys Cretensis und des Bares Phrygius, von welchen es schon im 12. Jahrhundert französische

Uebersetzungen gab.

Virgil und Ovid scheinen auch nicht unmittel­

bar als Quellen benutzt zu seyn. Für die Alexander-Geschichte legte man zum Grunde die theils auf griechischer, theils auf morgenlän­

discher Ueberlieferung beruhende Alexandersage, welche durch die la­ teinischen Uebersetzungen des

verbreitet wurde.

Pseudo-Kallisthenes

im

Abendlande

bi- gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

47

Es gab außerdem noch eine große Menge von vereinzelten Rittergeschichten und Legenden, von Novellen.und Schwanken (con-

tes und fabliaux), welche ihren Ursprung im Orient, in Arabien, Persien, Indien hatten und durch griechische und besonders lateinische Sammelwerke vermittelt von französischen Dichtern bearbeitet wurden

[32c] und so nach Deutschland herüberkamen.

5. Verhältniß der höfischen Dichtkunst zur Volkspoefie und, die volksthümlichcn Sagcnstoffe. So sehr auch die Einwirkung der französischen Poesie der hei­ mischen Heldensage die edelsten Kräfte entzog und solchen Stoffen

zuwendete, in denen die Ideen des modernen Ritterthums ausge­ prägt waren, so erhielten doch die alten einheimischen Sagen fort­ währende Pflege durch die Volkssänger. Unter diesen ergiebt sich ein Unterschied, je nachdem sie als fahrende Spielleute die Sagenstoffe in roher Verknüpfung, wie diese aus alter und neuer Zeit, aus Morgen- und Abendland zusammengehäuft waren, zur Unterhaltung der Menge vortrugen oder als geachtetere wandernde Sänger an die Höfe und auf die Burgen der Ritter kamen, dort

gerne gesehen und beschenkt entlasten wurden. Auf jenen fahren­ den Leuten, die hauptsächlich nur bei den Bauern und dem niede­ ren Bürgerstand Eingang und Begünstigung fanden, lastete eine tiefe Verachtung, und sie trugen in späterer Zeit zu dem Ent­

arten

der erzählenden Volkspoesie

geachteteren Volkssänger mehr

bei,

während

sich durch

die reine Heldensage

erhielt,

die

und

durch sie zugleich eine Rückwirkung von der höfischen Kunstpoesie

auf die Gestaltung des epischen Volksgesangs vermittelt war. das Verhältniß der Volksdichter zu den höfischen Dichtern

Für darf

man nicht unberücksichtigt lassen, daß sowol jene als auch diese ge­ wissermaßen eine Schule durchzumachen hatten.

Abgesehen davon, daß die alten Volkslieder stets gesungen wurden, war die me­ trische Form von der Art, daß ihre Handhabung gelernt werden

mußte; hierzu kam nun bald auch ein bestimmter Kreis von ste­ henden Formeln und Umschreibungen, die durch ihr Ansehen typisch wurden. Die Regeln und Fertigkeiten, die man bei Abfassung von

Liedern und bei deren Vortrag anwandte, pflanzte sich durch Erb­

schaft und Lehre fort.

Die kunstmäßige Gestaltung der höfischen

Poesie setzt aber noch entschiedener eine durch Ueberlieferung und Lehre vermittelte Fortbildung voraus. Da oft die ärmeren unter den höfischen Dichtern, wie auch die Volksdichter, aus der Kunst

48

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

ein Erwerbsmittel machten, so schlossen sie sich an einen bewährten

Meister an, um von ihm außer den musicalischen Fertigkeiten auch

das Technische der Poesie zu erlernen. Die Kunstregeln aus nie­ dergeschriebenen Liedern zu entnehmen, war um so weniger mög­ lich, als viele Dichter namentlich aus dem Ritterstand des Lesens und Schreibens unkundig waren [33]; daher mündlicher Unterricht

vorausgesetzt werden muß. Aermere Kunstjünger also, die das Dichten und Singen zu ihrem Lebensberuf machen wollten, suchten ältere und erfahrne Dichter auf, und verweilten eine Zeit lang bei

ihnen. Vornehme Kunstjünger, welche die Kunst nur zum Vergnügen ausübten, sanden bei dem Wanderleben der Sänger von Gewerbe leicht einen Kunsterfahrnen, von dem sie die nothwendigsten Regeln lernten. AAmahlig bildete sich eine Art von Kunstschule aus: der Gleichgesinnte schloß sich zum Gleichgesinnten näher an, der Jüngere an den Ael-

teren, der Schüler an den Meister; einzelne Fürstenhöfe [33b], wie

der des Landgrafen Hermann von Thüringen, vereinten auch wol auf eine Zeit lang die Meister aller Farben und Gegenden.

Wer

die Dichtkunst zu seiner eigentlichen Beschäftigung gewählt und es in derselben zu einer gewissen Stufe von Vortrefflichkeit gebracht batte, hieß Meister. Da nun die Volksdichter an den Höfen Aufnahme und Beifall fanden, so müssen sie auch öfter eine Be­ ziehung zu den höfischen Dichtern gewonnen haben, so daß ein un­

mittelbarer Verkehr zwischen ihnen stattfand; ja es kommt vor, daß Spielleute aus der Hand höfischer Dichter Lieder empfingen, um sie zu singen [34]. Die Volksängcr mußten hierdurch auch ver­

trauter niit der Kunstpoesie werden, und da man durch die epische Poesie des 12. Jahrhunderts an ein größeres Ganze der Sagen­

darstellung gewöhnt war, so verband man die einzelnen alten Hel­ denlieder und brachte sie durch Einschieben von neuen Strophen in Zusammenhang.

Hieraus entstand das Nibelungenlied [35], in

welchem alle großen Gestalten der alten Sagenpoesie versammelt sind. Es liegen ihnen theils fränkisch-burgundische, theils ostgothische Sa­ gen zum Grunde, welche früher vereinzelt von wandernden Sän­ gern und Spielleuten waren fortgepflanzt worden.

Bei dem all­

der Geister im 12. und 13. Jahrhundert wurde das Nibelungenlied, welches schon in der Zeit der Ottonen gemeinen Aufschwung

wieder ausgenommen und umgestaltet war, von Neuem ein Gegen­

stand der Ueberarbeitung, ohne daß jedoch

die neuen Sänger ge­

wagt hätten, der alten Tradition mehr als das äußere Kostüm der Zeit zu leihen, welches besonders im ersten Theil, der die Sieg-

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

49

friedssage behandelt, hervortritt, wo sogar aus Siegsricd die senti­ mentalen Regungen der höfischen Minne übertragen sind, während im zweiten Theil, der Chriemhildens Rache enthält, das höfische Ritterwescn viel weniger, die alte Heldenzeit viel deutlicher erscheint in ihrer harten, wilden, ungebändigten Gestalt.

Alle Charaktere

sind dem Gehalte der ächten Volkssage gemäß scharf ausgeprägt

und sie ließen weniger die Umbildung durch die subjective Willkür

des Dichters zu, als

dies bei den wälschen Sagenstoffen der Fall

war, die aus fremden Büchern entlehnt wurden.

Die Erinnerung

an die alte Heldensage wurde mit um so größerer Innigkeit und Wärme wieder ausgenommen, als das allgemein Menschliche, das

sittliche Element, darin das vorherrschende war im Gegensatz der conventionellen Bildung eines in sich abgeschlossenen Ritterstandes

[35b],

Einen wesentlichen Einfluß übte auf die Umgestaltung der

Volkspoesie die schriftliche Aufzeichnung der Sage. Nur das Ni­ belungenlied beruft sich aus mündliche Sage, dagegen die übrigen

Denkmäler der Volkspoesie sich auf beides zugleich beziehen, auf das Buch und die mündliche Sage. Durch die schriftliche Auf­ zeichnung wurde einerseits eine mangelhafte und verderbte Aufzeich­

nung möglich, andererseits wurde die Sorge für die Erhaltung im Gedächtniß verringert und eine lückenhafte Kenntniß der Sage be­ günstigt. So lange die Sänger sich noch auf keine Schrift stütz­ ten, waren die Lieder der Natur der Sache gemäß kürzer; dagegen begünstigte die Schrift epische Ausführlichkeit, größere Compositionen, Zusätze, Ueberarbeitungcn und eigenmächtige Verknüpfungen. Durch diese freiere Behandlung entstand jenes Gemisch von Altem und Modernem, jenes Anlehnen bekannter Namen der Volkssage und Geschichte an das Märchenhafte und Wunderbare, indem die Zaubergeschichten des Orients mit ausgenommen wurden, so daß

die ursprüngliche Gestaltung

der Volkssagen

fast ganz verwischt

wurde, wie dies besonders in Herzog Ernst und König Ro­ ther hervortritt. Doch war die Nibelungen- und die Die­ trich sage durch ihr Ansehen so geheiligt, daß Niemand sie auf

solche Weise durch freiere Hinzudichtung und Erdichtung umzuge­ stalten wagte; da die ältesten Erinnerungen des Volkes darin nie­ dergelegt waren.

Die Dietrichsage war in Süd- und Norddeutsch­

land allgemein beim Volke verbreitet und

lebte im Munde der

Volkssänger, doch gelangte sie nicht, wie die Nibelungensage, zu einer bestimmten poetischen Abrundung. Die in Scandinavien ent­ standene Vilkina- oder Niflungasaga ist eine Sammlung von

Biese deutsche Literaturgeschichte I.

4

50

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

Dietrichsagen und durch Bekanntschaft Scandinavischer Männer mit Deutschen, vermittelt; zu einem solchen Verkehr bot besonders die Hansa im 13. Jahrhundert Gelegenheit. Von deutschen Volkssän­

gern wurde die Dietrichsage in einer Reihe von Gedichten in das

des Fabelkreiscs

Gewand

von Riesen

und Zwergen

eingekleidet;

überall tritt aber die altheroische Tüchtigkeit der Gothischen Helden

hervor und jene magische Welt spielt mehr äußerlich um jene mar­

kige Gestalten, damit ihre selbstbewußte Kraft sich desto glänzender Während das Nibelungenlied und die epischen Er­

entfalte.

zählungen, die sich an die Dietrichsage anschließen, die Thaten

der Helden in ihren nationalen Beziehungen darstellen, giebt es ei­

nen Kreis von Volkssagen, die auf dem Boden des Heroenlebens

mehr das Geschick Einzelner als solcher darstellen und einen mehr heiteren Kreis zum glücklichen

fassen.

Ende führender Dichtungen um­

Hierher gehören besonders Gudrun, dann Otnit und

Hug- und Wolfdietrich. 6.

Die Sprache, die VerSknnst und die Dichtungsarten.

Die Dichtersprache des 12. Jahrhunderts stellt sich als eine weitere Entwickelung und Fortsetzung der älteren Sprache dar und

bildet eine Uebergangsperiode vom Althochdeutschen

zum Mittel­

hochdeutschen. Die Grundlage dieser Dichtersprache ist hoch­ deutsch mit einer mehr oder minder starken Einmischung niederdeut­ scher Formen und Wörter, und diese Mischung giebt sich besonders in den weltlich erzählenden Gedichten zu erkennen. Im Zeitalter der Ottonen und vorzüglich unter den fränkischen KaisM erhielt

die Bildung und die vaterländische Dichtung in den nördlichen und nordwestlichen Gegenden Deutschlands, die von den Unruhen und Parteikämpfen weniger betroffen wurden, noch am meisten Pflege und Förderung, und als die Dichter später unter den kunstlieben­

den Hohenstaufen nach dem Süden zogen, entstand diese Mischung des Hochdeutschen mit niederdeutschen Elementen [36].

fasser geistlicher Gedichte, die im südlichen

Deutschland

Die Ver­ heimisch

waren, hielten das reine Hochdeutsch in ihren Werken fest.

Wäh­

rend der Herrschaft der Hohenstausischen Kaiser wurden nach und

nach von den Dichtern die niederdeutschen Bestandtheile aus der Sprache immer mehr ausgesondert und es bildete sich jenes reine

Mittelhochdeutsche, in welchem der süddeutsche Dialekt vor­ herrscht, wie er besonders von Schwaben aus in Baiern, Oester­

reich, Thüringen Hofsprache geworden war.

Als die Sprache der

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

51

höheren und gebildeten Stände ward das Mittelhochdeutsche die allgemeine Dichtersprache, deren sich selbst niederdeutsche Dichter be­ dienten. Das Mittelhochdeutsche ward daher der reichste Träger sowol der eigentlichen romantischen Poesie als auch der gebildeten Bolkspoesie. Was die Entwickelung des Mittelhochdeutschen aus dem Althochdeutschen anbetrifft, so veränderte sich mit dem Entste­ hen der feineren, höfischen Gesellschaft bei dem schnelleren Sprechen die Betonung der Sylben und namentlich schliffen sich nach und nach die vollen Vocale der Bildungs- und Flexionssylben ab. Dies allmählige Abstreifen der starken und bestimmteren Formen war aber nicht eine Hemmung, sondern Förderung der freien Entfaltung des geistigen Lebens. Die Sprache verlor zwar an Kraft und Volltönigkeit, gewann aber an Geschmeidigkeit, an melodischem Klang, an Lebensfrische und Feinheit individueller Bezeichnung und an durchsichtiger Klarheit. Die Verskunst mußte zunächst dadurch, daß sich die Sprache gerade in prosodischer Hinsicht veränderte, schwankend werden und in Verfall gerathen, was schon im 11. Jahrhundert begann (vergl. d. Merigarto) und bis etwa zum letzten Viertel des 12. fortdauerte. Im Ganzen erhielt sich der Otfriedische Vers mit vier Hebungen; doch fehlten die Gesetze über Anwendung dieser Hebungen, nachdem durch Abschwächung der Endsylben sich die Zahl tieftoniger zu Vershebungen tauglicher Sylben vermindert hatte. Es stehen daher öfter neben ganz kurzen Versen übermäßig lange; man hielt sich blos an die Bindung zweier Zeilen durch den Reim, und dieser ist noch nicht völliger Gleichklang, sondern oft nur Assonanz. Da die erzählenden Gedichte bloß vorgelesen wurden, so machte sich eine um so größere Willkür in der Vers­ messung geltend, da die begleitende Musik keine Schranke aufer­ legte. Es löste sich daher auch die strophische Form auf, eben weil man nicht mehr an Gesang dachte, und die Erzählung entfaltete sich mehr in fortlaufenden Reimpaaren. Wie schwer es den Dich­ tern der Uebergangsperiode wurde die Sprache für Reim und Vers zu beherrschen sieht man aus den Worten des unbekannten Ver­ fassers der Legende von Pilatus, wenn er im Eingänge zu seinem Gedicht bemerkt, daß man über die Widerspenstigkeit der deutschen Zunge klage, die sich schwer bevogtcn (beherrschen) lasse; doch wenn man sie nur recht tüchtig bearbeite, so werde sie schon gelinder gleich dem Stahl unter den Schlägen auf dem Amboß. Dieser unbekannte Dichter ist als der unmittelbare Vorläufer Heinrich's von Veldeke anzusehen, welcher die reineren Vers- und Reim-

4*

52

Dritte Periode.

gesetze herstellte.

Bon der Mitte des zwölften

Es giebt sich nun aber die eigentliche Kunst des

Versbaues weniger in der erzählenden, als in der lyrischen Poesie

zu erkennen; in jener sind die kurzen Vcrspaare von drei oder vier

Hebungen mit klingenden oder stumpfen Reimen die gewöhnliche

Versart, welche aus dem Otfriedschen Vers hervorging. Nach der Abschleifung der Bildungs- und Flexionssylben geschah nämlich den vier Hebungen Abbruch, da die letzte tonlose Sylbe nicht mehr die

Kraft einer Hebung hatte und es trat dafür der klingende Reim ein, welchen Otfried nicht kennt.

Es hat daher der Vers mit kur­

zen Reimpaaren bei stumpfen Reimen vier Hebungen, bei klingen­

den aber nur drei. Diese Versart ist durch den Wechsel der He­ bungen und Senkungen, durch mehrsylbige Auftacte der größten Mannigfaltigkeit, bald langsamerer, bald rascherer Bewegung fähig.

Durch die Verkettung von Reiin und Gedanken schreitet der Sinn beständig aus einem Reimpaar in das andere hinüber und so wird

die Aufmerksamkeit des Lesers fortwährend gefesselt. Ein Ruhepunkt wird erst da gewährt, wo der Leser dessen bedarf, indem alsdann,

um die Pause hervorzubringen, dem letzten aufgegebenen Reim sein

Gegenpart hinzugefügt wird. Der Fortschritt stellt sich also in die­ ser Figur dar abbc, cdde und so fort, bis der Schluß mit dieser Reimfolge effgg gemacht wird [36b]. Dieser Vers wurde auch für die didaktische Poesie gebraucht, und überhaupt waren solche

Dichtungen in fortlaufenden Reimpaaren ohne strophische Gliede­ rung nicht zum Singen, sondern zum Sortefen bestimmt. Vor der Mitte des 13. Jahrhunderts wurde eine künstlichere Strophenbil­ dung in erzählenden Gedichten nicht angewandt, nur daß Wolfram

von

Eschenbach

in

seinem Titurcl eine vierzeilige Strophe

sich

Dagegen ist für die volksthümlichen Dichtungen die Ni­ belungen- oder Heldenstrophe eigenthümlich, welche vierzeilig bildete.

ist. Die einzelnen Verse bestehen aus zwei Halbzeilen, die in eine Langzeile von sechs Hebungen zusammengefaßt sind; nur die zweite Hälfte des vierten Verses hat vier Hebungen, so daß die letzte Langzeile sieben Hebungen zählt.

Es sind also die drei ersten Verse

gleich gebaut, der letzte aber hat Eine Hebung mehr.

Für den Nibelungenvers bewirkte die klingende Cäsur in der ersten Hälfte der

Langzeile den Verlust Einer Hebung und in forderte ihn die Gleichmäßigkeit.

der zweiten Hälfte

Da nun der klingende Reim in

der Cäsur dem stumpfen am Schlüsse nicht entsprach, so verlegte sich der Reim aus dem Schlüsse der

Schluß der Langzeile [37].

beiden Halbzeilen auf den

Es hat das ganze Nibelungenlied keine

bis gegen die.Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

53

klingenden Reime und die Mittelreime sind selten, nur die im Röhnschen Heldenbuch (f. unten vierte Periode) enthaltenen Ge­ dichte: Otnit, Hug- und Wolfdietrich, Etzels Hofhaltung, der große Ro­ sengarten haben die Mittelreime durchgängig. Der strophische Bau des Nibelungenverses zeigt, daß er zum Singen bestimmt war und führt näher ein in den kunstvollen Strophenbau der Minnesänger. Es zerfiel nämlich für den Gesang die Nibelungenstrophe in drei Theile: die beiden ersten Verse haben dieselbe Melodie, mit dem dritten hebt aber eine neue Weise an. In dieser Eintheilung giebt sich das Grundgesetz des deutschen Strophenbaues zu erkennen [38], welches darin besteht, daß in jeder Strophe zwei gleich gebaute Theile (Stollen oder Aufgesang) mit entsprechender Reimstel­ lung nacheinanderfolgen und dann ein dritter Theil (Abgesang) anhebt, der sein eigenes Maaß und seine eigene Reimstcllung hat (s. unten die lyrische Poesie). In dieser Periode bildet die volksthümliche Dichtung nicht mehr den ausschließlichen Gegensatz zu der geistlichen, sondern zu der höfischen Kunstpoesie. Von den Dichtungsarten erzeugten sich dem ritterlichen Leben entsprechend das Epos und das lyrisch'e Gedicht als die beiden vorzüglichsten Offenbarungen des romantisch ritterlichen Geistes. Es entwickelte und vollendete sich das ro­ mantische Epos und neben diesem gelangte auch das Volks­ epos zu seiner letzten Umbildung und Gestaltung. Die lyrische Poesie, welche die subjektive Empfindung, das eigene Innere des Dichters hervortreten läßt, mußte in dieser Periode um so mehr ihre besondern Gestaltungen gewinnen, als eine mehr subjective Auffassungsweise die ganze Zeitrichtung beherrschte. Das Lyrische, welches im heroischen Epos sich nur als die Empfindung Anderer zu erkennen giebt und somit im Epischen gleichsam noch gebunden erscheint, tritt selbstständig hervor als Ausdruck der eigenen Ge­ müthsbewegungen des Dichters. Die dramatische Poesie, welche scharfe Charakteristik, individuelles Leben und innere Wahrheit der Darstellung fordert, konnte noch keine Gestaltung erhalten bei Dichtern, welche statt aus dem frischen Quell der Gegenwart zu schöpfen, sich an die Sagenstoffe des Auslandes anschlvssen, statt sich an den lebendigen Interessen der Gegenwart zu betheiligen, in erkünstelten Gefühlen und Lebenslagen sich bewegten. Es gab frei­ lich schon in früher Zeit Mimen, Histrionen und Joculatoren, doch diese waren nichts als Gaukler und Possenreißer, die umherzogen, um bei Feierlichkeiten, Hochzeiten und Gelagen durch Tanz, Gesang

54

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

und mimische Späße zu belustigen. Fern lag es den höfischen Dichtern, diesen mimischen Spielen eine kunstmäßigere Anordnung zu geben und sie zum Gegenstand poetischer Gestaltung zu machen, da sie lieber erträumten und idealen Zuständen als den wirklichen Einrichtungen des Lebens sich zuwendeten. Wie nun die epische Poesie in den Weltchronikcn den Uebergang machte zu einer be­ stimmteren, concreteren Auffassung der Wirklichkeit, ebenso geht die lyrische Poesie, als nach dem Untergang der Hohenstaufen sich in den ernsten und trüben Zeiten der politischen Wirren das Nach­ denken auf den Beruf, die Bestimmung und Pflicht des Menschen richtete, durch das Gnomische und Didaktische über zu einer tiefe­ ren Erfassung der Wahrheit. Die poetische Form ist sowol in den Weltchroniken als auch in den didaktischen Gedichten dem Inhalt äußerlich; doch man griff zu ihr, da man eine ausgebildete Versund Reimkunst vorfand, während die Prosa noch keine bestimm­ tere Ausbildung erhalten hatte; denn einerseits blieb noch immer die lateinische Sprache fast ausschließlich das Organ der Wissen­ schaft, andererseits fügte sich, wenn man in deutscher Sprache für die Laien und Ungelehrten schrieb, alles in die dem Zeitalter ge­ läufige poetische Aufsassungs- und Darstcllungswcise.

Erstes Capitel. Die Poesie. A. Epische Poesie. 1. Die vorbereitende Zeit. Bevor die höfische Kunstpoesie sich vollständig entwickelte, ge­ staltete sich erst das Mittelhochdeutsche zur allgemeinen Schrift- und Dichtersprache (s. oben), und cs wurden die ersten Versuche zu größeren, zusamnicnhängendcren epischen Dichtungen gemacht, die aber noch der künstlerischen Durchbildung entbehrten, besonders auch in Rücksicht der äußeren Form in Versbau und Reim. Es befand sich die Literatur zunächst noch in den Händen der Geistlichen, von welchen biblische Stoffe behandelt wurden. Die christliche Poesie war in den Evangelienharmonien von der Person Christi als ihrem Mittelpunkt ausgegangen und hatte sich auch den­ jenigen alttestamentlichen Stoffen zugewandt, welche Vorbedeutun­ gen und Beziehungen auf den Messias enthielten. Diese Richtung verfolgte die geistliche Poesie noch zu Anfang des 12. Jahrhunderts, und hierher gehört namentlich die sogenannte Görlitzer Evan-

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

55

gelienharmonie „vom Leben und Leiden Jesu, vom Antichrist und jüngsten Gericht", und außerdem eine Bearbeitung der Bü­

cher Moses (Genesis und ein Theil des EroduS), welche die Bezie­ hungen auf den Heiland sorgfältig hervorhebt [40].

des 12. Jahrhunderts erweiterte

sich

Um die Mitte

der Kreis dieser christlichen

Dichtungsweise; sie nimmt das Legendenartige und Didaktische in sich auf und wählte zu ihren Stoffen die Geschichte der Jünger,

des Antichrists, der Maria, des Pilatus.

Unter den poetischen Be­

handlungen dieser christlichen Sagenstoffe ist besonders hervorzuhe­ ben das Leben der Jungfrau Maria von Wernher, Mönch zu Tegernsee, 1173 gedichtet und nachher überarbeitet.

Dies Ge­

dicht umfaßt nur das Leben der Jungfrau bis zur Rückkehr aus Aegypten in drei Büchern oder Liedern.

Bon demselben ist nur

ein Bruchstück des älteren Textes erhalten; die spätere Ueberarbei-

tung aus dem Ende

des

Jahrhunderts

(AuSg. in Hoffmann'S Fundgruben).

besitzen

wir vollständig

Das Gedicht vertritt die Periode

der reineren, keuschen, von ächter Frömmigkeit durchdrungenen Le­

gendendichtung am schönsten und würdigsten [40b], und vermittelt den Ucbergang einerseits zu dem Lyrischen, zu der verehrenden Besingung

der Jungfrau Maria, und andererseits zu den Legenden, in wel­ chen sich immer individueller, in der auf das rein Menschliche basirten Besonderheit, die fromme Gesinnung ausspricht. Außerdem ist noch zu nennen die Legende von Pilatus, die unvollständig erhalten ist; der Verfasser ist unbekannt; er zeigt schon, obgleich

alter als Veldeke, eine größere Genauigkeit in Vers und Reim,

als bisher üblich war (f. oben) und steht am Ausgang der von Geistlichen in dieser Uebergangsperiode geübten Poesie.

Zwei von Geistlichen verfaßte Werke

der Poesie, die Kai­

serchronik und das Annolied, bezeichnen deutlich den Uebergang der geistlichen Dichtung in die ritterliche Romantik und lassen einerseits erkennen, wie durch die Berührung mit den fremden

Völkern des Occidents und des Orients das universalhistorische In­

teresse geweckt, und andererseits, wie der christliche Heroismus, der in Folge der Kreuzzüge die Bewunderung der Zeit auf sich zog,

der Mittelpunkt aller Dichtung wird und jeden Stoff, sogar aus der alten Geschichte oder aus der Volkssage umbildete und in die

durch den ritterlichen Geist vermittelten Zeitvorstellungen umsetzte. Die Kaiserchronik, welche bald nach 1160 verfaßt wurde, ist

ein an die Geschichte der alten und neuen römischen Kaiser angeDie Kaiser, deren Würde

knüpfles Legenden- und Novellenbuch.

56

Dritte Periode. Don der Mitte de» zwölften

seit Cäsar den Völkern geläufig war, sind es, an die sich die Schick­ sale der Völker anknüpsten, und es lehnt sich daher an sie alles ge­ schichtliche Leben für die äußere Auffassung an. Seitdem Karl und Otto die römische Kaiserkrone erworben hatten, schmolz in der Vorstellung das römische und deutsche Kaiserreich zusammen. Die Kaiserchronik beginnt mit der Geschichte Cäsar's, mit seinen Krie­ gen in Deutschland und mit Pompejus, und geht bis auf Con­ rad III. Sie richtet sich gleich im Anfang gegen die Sagen des Germanischen Volksthums, verwirft diese ganze Sagenwelt als ein unhistorisches, nicht beglaubigtes Daseyn und hebt dagegen die Le­ gende als die ächte Wirklichkeit hervor. Die an einander gereihte römische und deutsche Kaisergeschichte bildet den Rahmen für die verschiedenartigen Erzählungen, die vorzugsweise in Legenden be­ stehen und sich mit kleinen Geschichten, Schwänken und Novellen ganz weltlicher Art mischen. Die Art und Weise, wie Altes und Neues in der Geschichte hier willkürlich durch einander gemischt wird, und wie die Phantasie mit dem historischen Stoff ihr Spiel treibt, sehen wir an dem wunderlichen Durcheinanderwerfen der einzelnen Ereignisse aus der Geschichte: unter Tiberius wird Je­ rusalem zerstört, und diese Zerstörung "kommt dann unter Vespasian noch einmal vor. Nach Nero regiert Tarquinius u.f. f. [41]. Das Annolied enthält einen Lobgcsang auf den heiligen Anno, Erz­ bischof von Köln (AuSg. von Goldmann. Leipzig 1816.) [42]; es ge­ hört der deutschen Personensage an, die aber in ihrem Zusammen­ hänge mit der Universalhistorie entwickelt wird. Das Gedicht be­ ginnt mit der Schöpfung der Welt, redet vom Fall des Menschen, Erlösung durch Christus, Aussendung der Apostel, kommt von den Heiligen auf Köln, wo viele Märtyrer ruhen, dort auch Anno. Des Mannes Lob und der Preis der Stadt führt den Dichter auf die Gründer der ersten Städte, auf Ninus und Semiramis und auf Babylon; der Traum Daniel's führt auf die vier Weltreiche, auf die Löwin von Babylon, den Bären von Persien, auf den Leopar­ den, der den Alexander bedeutet, und auf den Eber der Römer. Hier kommt nun der Dichter auf Cäsar, auf seine Kriege in Deutschland, wie sie auch die Kaiserchronik enthält, und auf die Schlacht mit Pompejus, die mit Lebendigkeit geschildert wird. Dann redet er von Augustus und von der Gründung Kölns durch Agrippa, von den fränkischen Bekehrern, deren Einer Bischof von Köln und sein drei und dreißigster Nachfolger Anno war. Hier beginnt der Preis des Heiligen und es folgt was sich aus seinem

57

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. aus

Wandel und Leben zu seinem Ruhme,

seinem Beispiel zur

Nachahmung, aus seinen Wundern zur Verherrlichung sagen läßt.

Durch zwei von Geistlichen verfaßte epische Dichtungen wur­ den die Sagen von Karl und Alexander im 12. Jahrhundert aus

dem

Französischen

landslied

vom

auf

deutschen

Pfaffen

(Ausg. von W. Grimm.

Boden

Konrad

verpflanzt.

zwischen

Das

No­

1173 und 1177

Göttingen 1838.) stellt den Kampf des Glau­

bens gegen den Unglauben in Karl's Kriegen gegen die Araber in Spanien dar [42b].

„Das Gedicht beginnt mit einem kurzen Anruf an Gott, daß er dem Dichter verleihen möge Wahrheit zu künden vom Kaiser Karl, wie die­ ser durch seine Siege über die Heidenschaft das Gottesreich gewann. Ein Engel erscheint Karln und beruft ihn im Namen Gottes zum Werke der Heidenbekehrung. Der Kaiser versammelt seine 12 Pairs; diese erklären sich bereit zum Kampf und der Krieg wird in Spanien eröff­ net. Im Rathe der stolzen Heiden wird beschlossen Friedensboten ab­ zusenden; an ihrer Spitze steht Blanscandiz. Wegen Zweifels aber an des Heidenkönigs Marsilies Treue wird im Rathe der 12 Pairs be­ schlossen, Abgesandte an den Heidenkönig zu schicken. Karl will den Roland, Olivier, Turpin nicht von sich lassen, und Genelun, Roland's Stiefvater muß die Gesandschaft übernehmen. Dieser rächt sich durch Verrath, indem er das Heer der Franken in die Hände der Feinde lie­ fert. Die ausgezeichnetsten Helden fallen nach einander; da läßt Ro­ land auf seinem Horn Olifant den Nothruf erschallen. Karl eilt her­ bei und findet seine Helden todt; unsäglicher Jammer ergreift sein Herz und furchtbar ist seine Rache. Das Schlachtgeschrei erneut sich und Karl endet glorreich den Kamps. Genelun wird auf seiner Flucht ergriffen und vor ein Gottesgericht gestellt; den Zweikampf für ihn übernimmt sein Neffe Pinabel und auf Seiten der Franken stellt sich Dietrich entgegen; dieser ist siegreich, und Genelun durch das göttliche Urtheil der Verrätherei überwiesen wird auf wilde Pferde gebunden zu Tode geschleift."

Das

Lied

von

Alexander,

gedichtet

vom

Pfaffen

Lamprecht im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts (abgedruckt in

Maßmann's Denkmälern deutscher Sprache. enthält zwei Theile: [43]

Th. 1.

Quedlinburg 1837.)

„Der erste Theil ist geschichtlich und bleibt in den Grenzen der Wahr­ scheinlichkeit. Es wird dargestellt Alexanders Geburt, seine Jugend­ geschichte, sein Aussehen, seine rasche Entwickelung (BucephaluS). Sein Vater will ihm alle Gewalt über sein Land geben, was Alexander ab­ lehnt und nur um Waffen bittet. Es folgen seine Eroberungszüge bis zu dem Kriege gegen Porus, König von Indien. Nach blutiger Schlacht kommt es zum Zweikampf. Die Griechen bleiben siegreich. Der zweite Theil enthält Alexanders Züge bis an's Ende der Welt und seine ge-

58

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

fahrvolle Rückkehr durch die Schrecknisse der Wüsten und Wälder. Als Alexander zu den äußersten Enden der Welt gekommen war, denkt er heim an seine Mutter und an seinen Lehrer, und er schreibt ihnen ei­ nen Brief von Leid und Freud seiner Fahrten. Er stellt dar das Wun­ derland, ferner das Zauberland der Kandare und das Land der Ama­ zonen; in diesen Sagen aus der Ferne lag der Hauptreiz für das Mittelalter. Alexander der Eroberer ans Ende der Welt gelangt ist nicht zufrieden mit seinem Ruhm und wird vom Hochmuth gegen das Paradies getrieben, um Tribut von den englischen Chören zu fordern. Ein Alter, der auf das Getöse vor der hohen, starken Mauer erscheint, mahnt Alexandern an sein ewiges Heil und giebt ihm einen kostbaren Stein, dessen Eigenschaften ihn eines Besseren belehren würden. Alexan­ der läßt ab und kommt nach manchen Drangsalen nach Griechenland zurück. Die Eigenschaften des Steines werden ihm von einem viel berühmten, entfernt wohnenden Juden erklärt: der gierige, unersättliche Mensch gleiche dem Stein, der die eine Schale niederzieht, soviel Gold man auch in die andere hineinlegt; Thorheit ist es, das Paradies äußerlich zu erfechten; sterblich ist der Mensch und an Flüchtigkeit gleicht er der Feder; mit Staub und Erde wird er gemischt und diese seine Schwachheit wiegt alle menschliche Wunderthaten wieder auf. Alexander entläßt den Alten reichlich beschenkt, er wandelt sein Gemüth, läßt ab von Stolz und Hochmuth, und herrscht viel herrlich über sein Reich."

Es wurde in dieser Uebergangsperiode auch die deutsche Volks­

sage behandelt, doch machte sich hier jene

oben bezeichnete Vermi­

schung von einheimischen und orientalischen Sagen geltend, wovon

besonders der König Rother und der Herzog Ernst eine nä­ here

Anschauung

gewahren.

Der König Rother

ist um

die

Mitte des 12. Jahrhunderts gedichtet (Ausg. in Maßmann's Gedich­ ten des 12. Jahrhunderts. Th. II. Quedlinburg 1837); der Verfasser ist unbekannt [44].

die sich

Dem Gedichte liegt eine deutsche Sage zu Grunde,

in einer reineren Ueberlieferung in der Vilkina-Saga er­

halten hat.

Es bezieht sich der Dichter des Rother auf ein älte­

res „Lied" und „Buch", doch sind

die

ursprünglichen Züge der

Sage durch die Verlegung des Schauplatzes nach Constantinopel

und Italien und durch die willkürlichen Erdichtungen fast unkennt­

lich geworden. „Der König Rother sucht nach einer Jungfrau, welche ihm zum Weibe ziemen mögte; sein Freund Leupolt giebt den Rath um die wun­ derschöne Tochter des Kaisers Constantin zu werben; doch die Abge­ sandten werden eingekerkert. Run geht Rother selbst (mit den Riesen Asprian und Widolt) nach Constantinopel unter dem Namen Dietrich; List hilft gelingen. Die Tochter will ihm wohl, er giebt sich ihr zu erkennen, und sie verschafft den gefangenen Gesandten allerlei Bequem-

Lis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

59

lichkeiten. Rother siegt für Constantin über den König Imelot von Babylon, und Rother, vom Kaiser mit der Siegesnachricht vorausge­ sandt, entführt, vorgebend Amelot sey Sieger, die Geliebte. Der Va­ ter raubt sie ihm wieder durch List. Rother schifft sich mit einem gro­ ßen Heer nach Griechenland und begiebt sich als Pilger nach Constantinopel, was unterdessen Imelot erobert hat, und durch List und Kampf gelingt es ihm endlich, sein Weib zu befreien."

Der Herzog Ernst, nach einem lateinischen Gedicht in dem

letzten Viertel des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich von einem Geist­ lichen

verfaßt,

zeigt deutlich,

wie das

das Nationale und Antike neben

Einheimische

und Fremde,

einander hervortritt; wir begeg­

nen hier der altgriechischen Vorstellung von der geographischen Ferne und von den Landern und

Menschen an den Weltenden, wie sie

im Laufe der Zeiten unter alexandrinischen und morgenländischen

Einflüssen sich

gestaltet

hatten [45].

Wir haben von der älteren

Bearbeitung nur noch einzelne Bruchstücke (abgedruckt in Hoffmanns Fundgruben 1. Th.); spatere Bearbeitungen

aus dem 13. Jahrhun­

dert sind vollständig erhalten (herausg. von Hagen und Büsching in den deutschen Gedichten des Mittelalters.

Berlin 1808.).

Das Gedicht ent­

hält zwei ganz ungleichartige Theile. „Der erste Theil stellt die Entzweiung des Herzog's Ernst mit sei­ nem Stiefvater Otto und seine Verbannung dar, worauf Ernst mit dem Grafen Wezel in ferne Lande zieht; hier folgen nun im zweiten Theil die Reisewunder des Orients, durch welche das Gedicht in der damaligen Zeit erst seinen Reiz gewann. Es wurde an den Helden einer Sage bald dies die geringste Forderung, daß er im Orient be­ kannt seyn mußte. Ernst kommt auf seinen Fahrten zu einem Schna­ belvolk, zum Maguetberg, zu dem Lande Arimaspy, dessen Einwohner Cykropydes nur Ein Auge mitten auf der Stirn haben; diesen steht Ernst bei gegen die „Blatefuffe," wofür aus Dankbarkeit ihm ein Herzogthum geschenkt wird; er kämpft ferner gegen Langohren, gegen Vö­ gel, von denen er die Pygmäen befreit und gegen das Riesenvolk in Kananea. Nach sechsjährigem Aufenthalt segelt Ernst mit einem Schiffe nach dem heiligen Lande ab, wo er große Thaten verrichtete. Sein Ruf erscholl in die Heimath, und seine Mutter Adelheid bittet ihn um seine Rückkehr. Er kehrt zurück und wird durch Adelheid mit Otto versöhnt." Ein

Seltenstück

zu König Rother ist Salman

und Mo-

rolt, worin ein volksthümlicher Sagenstoff mit dem Orientalischen in Verbindung gebracht ist.

Das Gedicht hat nicht die gewöhn­

lichen kurzen Reimpaare, sondern fünfzeilige Strophen, der vierte Vers ohne Reim ist.

in welchen

Es stellt dar die Schicksale der

Gemahlin Salman's, der schönen Salome, Tochter des indischen

60

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwvlsten-

Königs Cyprian, ihre Entführung und die mancherlei List, womit sie Morolt, Salman's Bruder, wieder erlangt, bis er sie tobtet [46a].

Morolt erscheint in dem Gedicht immer als der, welcher des Kö­

nigs Rathlosigkeit aufhebt und ihm in Bezug auf sein Weib aus

Wir werden hier eingeführt in die Prosa der Ehe, und nähern uns der reellen, gemeinen Wirklichkeit, welche der Verlegenheit hilft.

sich besonders in der Bolkspoesie des 14. und 15. Jahrhunderts

geltend machte, wo unser Gedicht in einer neuen Umgestaltung er­

scheint.

Die Weisheit des orientalischen Salomo contrastirt gegen

den einfachen, aber alles durchdringenden Mutterwitz Morolt's, der in dem späteren Gedicht als Bauer in ungeschlachteter Gestalt den derben Volkswitz erkennen läßt. Endlich fand in dieserUebergangsperiode auch noch die Thier­ sage eine poetische Bearbeitung

durch Heinrich den Gliche-

säre, welcher nach einem französischen Werk im 12. Jahrhundert den Reinhart Fuchs [46b]

in hochdeutscher Mundart dichtete;

doch von dieser Bearbeitung sind nur einzelne Bruchstücke vorhan­

den ; die spätere Umarbeitung ist aus dem 13. Jahrhundert (herausg.

in Z. Grimm's Reinhart Fuchs), deren Verfasser sich am Schlüsse gleichfalls Heinrich der Glichesäre nennt, und besonders hervorhebt, wie er das dem ersten Verfasser weniger geläufige metrische Gesetz in Bezug auf Reim und Vershebungen bestimmter durchgeführt

habe [47].

Der deutsche Reinhart Fuchs enthält außer dem Aben­

teuer von der Ursache der Krankheit des Löwen nichts, was sich nicht auch in den französischen Dichtungen wiederfände; der un­

heilvolle Ausgang der Krankheit des Königs ist dem deutschen Ge­ Mit dem lateinischen Reinardus vulpes be­ dasselbe nur in den vier ersten Abenteuern und zum Theil in der Erzählung von der Berufung der Thiere an den Hof

dicht eigenthümlich.

rührt

sich

und von der Krankheit und Heilung des Löwen.

2.

Blüthe und Verfall der höfischen erzählenden Poesie. a.

Die romantische Epopoe.

Die eigentlich mittelhochdeutsche ritterliche Poesie beginnt mit Heinrich v. Veldeke [48], welcher der erste deutsche Ro­

mantiker ist, aus dem die Sprache des Herzens und der Em­ pfindung hervordrang.

Bei ihm zeigt sich schon die ganze Eigen­

thümlichkeit des ritterlichen Epos; die Vorliebe für fremde Stoffe und die selbstständige Bearbeitung derselben nach den das Zeitalter

61

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

beseelenden ritterlichen Ideen, wodurch alles Fremde in den allge­

meinen Kreis der Zeitverstellungen hineingezogen wird und in der

Farbe, Tracht und Gesinnung der Gegenwart erscheint.

Heinrich

v. Veldeke war von Geburt ein Westphale und dichtete den größ­

ten Theil seiner En eit am Clever Hofe; er gab seine Arbeit der

Gräfin von Cleve zum Lesen, bei deren Hochzeit mit dem Land­ grafen von Thüringen sie ihm aber von dem Grafen von Schwarz­ burg entwandt wurde.

Er kam darauf nach Thüringen und er­

hielt durch Vermittelung des Pfalzgrafen von Thüringen, des Bru­ ders des Landgrafen, seine Arbeit zurück, die er nach einer neun­ jährigen Unterbrechung noch vor 1136 beendigte [49]. Seine Quelle war nicht Virgilius, sondern eine französische Bearbeitung (Ausgabe

v. Beldeke'S Encit in C. H. Müller'S Sammlung deutscher Gedichte auS dem XII—XIV. Jahrhundert. Bd. I. Abtheil. 2. Berlin 1784.). Seitdem die lyrische Dichtkunst begann die Freuden und Qualen deS eige­ nen minnebewegten Herzens zu

ihrem

Gegenstand

zu

machen,

drängte sich das Bedürfniß auf, in ähnlicher Weise auch die Hel­

den des Epos zu behandeln, sie in ähnlichem Geist empfinden und handeln zu lassen, und in Veldeke wird cs sichtbar, wie sein

er­

regtes Innere, das eine Nahrung für die Seele sucht, sich gegen jede Weitläuftigkeit äußerer Begebenheiten sträubt, gegen das rein

Epische, welches nichts für Gefühl und Empfindung darbot. Es erscheint daher in seinem Gedicht fast überall das Hervortretcn der be­ sonderen Ereignisse matt und schwächlich.

Dürftig erzählt Veldeke

Troja's Untergang, die Episode von Laocoon bleibt weg; ebenso dürftig ist das Abenteuer mit der Dido, der Niedergang des Acneas in Begleitung der Cumanischen Sibylle zu den Todten und

die Schau von der Zukunft der römischen Geschichte; die Gefechte zwischen den Trojanern und Lateinern sind ermüdend und die Epi­ sode von Nisus und Euryalus geht kalt vorüber.

Aber bei dem

Schicksal der tapferen Camilla erhebt sich der Schwung des Dich­ ters und verweilt mit Liebe bei der Schilderung des Begräbnisses

und Grabmals der edlen Amazone [50].

Die größte Gunst ver­

schaffte aber der Eneit die Einführung der Minne, wie das Minne­

lied den Gegenstand behandelte.

Es nehmen nemlich einen großen

Umfang in der Eneit die Episoden ein, welche die Liebe der Lavi-

nia und des Aeneas schildern und die Scenen vorführen zwischen der Liebenden und ihrer Mutter, die sie dem Turnus zu vermählen

denkt.

Dies sind die dem Dichter eigenthümlichsten Parthien, die

mit solcher Vorliebe behandelt sind, daß man in ihnen die Haupt-

62

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

tendenz des Dichters erkennt; sie sind, wie in Herzog Ernst die Irrfahrten, das was dem Zeitgeschmack gemäß war und dem Buche

befriedigte Leser verschaffte. Es ist hier auch die Minne mit deut­ scher Wärme, Innigkeit und Reinheit in das Epos eingeführt: die Gespräche der Lavinia und ihrer Mutter zeichnen sich aus durch

Herzlichkeit, innige Unschuld und Naivität.

Der zärtliche Brief

der Lavinia an Aeneas und jene Dialoge sind für spätere Dichter, wie sie selbst erwähnen, klassisches Vorbild geworden. Gottfried

von Strasburg sagt in seinem Tristan (SS. 4736 ic.) von ihm:

„er impfte das erste Reis (der Poesie) in deutscher Zungen, wor­ aus seitdem Gezweig entsprungen, von denen die Blüthen kamen, aus deren Kelch sie entnahmen die Kunst meisterlicher Erfindung." Da nun Veldeke die Reimkunst und die Sprache der mittelhoch­ deutschen Poesie zuerst gestaltete, indem er von der ungebundenen

Willkür zu reimen überführte zu einem bestimmteren Gesetz; da 'er ferner die Zeiten des großen Friedrich Barbarossa gesehen und man

in seinem Gedichte mit Behagen

dem Verkehr

der Ritter

und

Frauen folgt, und in seinen Liebesscenen den vollen Ton des Her­

zens vernahm, so wurden die späteren Dichter, von dem ehrwürdi­ gen Alten begeistert, zur Bewunderung hingerissen und verehrten in ihm einen Repräsentanten des wundervollen Lebens unter Fried­ rich, einer Zeit, auf die eben die nächste Zukunft auch in allen an­

deren Verhältnissen mit schmerzlicher Sehnsucht zurückblickte.

Den eigentlichen Höhepunkt gewann das ritterliche Epos durch drei Dichter, auf welchen die ganze Größe der epischen Kunstpoesie dieser Zeit beruht.

Diese Dichter sind

Hartmann voll

der

Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Stras­ burg, welche sich in ihren größeren epischen Dichtungen fast aus­ schließlich dem bretonischen Sagenkreise zuwandten, weil man hier

die Grundzüge der romantischen Ritterschaft auf eine dem Zeitge­

schmack angemessene Weise ausgeprägt fand [51].

Es wurden die

britischen Artus-Romane im 12. Jahrhundert in ihrer einfachen, noch unausgebildeten Gestalt eingeführt, zuerst der Tristan von Eilhart von Oberg um 1170 und dann der Lanzelot von

Ulrich von Zazichoven (1192), wo die Erziehung eines Kna­ ben fern von der Welt, irrende Ritter und Abenteuer das Charak­ teristische dieser Romane im Allgemeinen bezeichnen.

Die epische Erzählung selbst sollte nur Unterhaltung und Zeitvertreib gewähren und es war auch dem Heinrich von Veldeke der Gedanke fremd,

daß die Poesie einen höheren Zweck als zeltkürzende Unterhaltung

63

Lis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

habr.

Wenig fand sich bis dahin eigentlich innerer Beruf zum

Dichten, und Ulrich von Zazichoven sagt am Ende seines Gedichts von Lanzelot, wie er auf lieber Freunde Bitte sich der Noth an­ genommen habe, das wälsche Buch in deutschen Reimen wiederzu­ geben.

Indeß führte die höhere Würde des Standes der Dichter

auf die Würde der Kunst selbst,

und es wurde zugleich das Be­

dürfniß eines Kunstprincips geahnet, welches die Dichtkunst über

den bloßen Zeitvertreib erhebe [52], Hartmann, Dienstmann zu Aue [53], ward das eigentliche Vorbild und bewunderte Muster der höfischen Kunst unserer Ritter­

sänger und bildete Sprache und Vortrag stufenmäßig zu der Frei­ heit und Eleganz aus, in der sie an den Höfen erscheinen durfte [54].

Von der konventionellen

Bildung und

Standessitte,

der

Courtoisie und Galanterie geht das innere Leben der ritterlichen

Dichtungen aus; nicht werden natürliche Leidenschaften im Men­ schen, nicht natürliche Verwickelungen in den äußeren Verhältnissen

die Triebfedern der Handlungen, sondern die Launen der Damen, die Grillen der Herren, die Convenienz der Cirkel. Es erzeugte

sich unter den Formen der Rittersitte eine Anmuth und Feinheit des geselligen Lebens, aus welchem alle Härten und Rohheiten ent­ fernt wurden und dies spiegelt sich besonders in Hartmann's Dich­ tungen ab, der in seinen Sympathien mit Verträglichkeit, Dul­ dung, Bescheidenheit und jeder geselligen Tugend den sanftesten Charakter erkennen läßt, und die weichsten und feinsten Gesinnun­

gen in Bezug auf das gesellige Leben offenbart. Das böse Prin­ cip ist daher in seinen Dichtungen, wie auch in den nachfolgenden Ritterromanen, besonders von dem Friedensstörer Keye, dem Neider

und Schwätzer, dem Feinde der Gesellschaft vertreten [55].

Auf

Frömmigkeit und Güte ist das Gemüth der ritterlichen Dichter ge­ richtet: sie kehren den Lästerern und Tadlern den Rücken und wen­ den sich mit ihren Erzählungen blos an die Guten, die Gutes und

Gutgemeintes gut aufnehmen. Sie wollen den guten Willen wie die gute That angesehen wissen [56]. Vor allen aber hervorstechend ist Hartmann's herzliche Innigkeit in den Schilderungen von Liebe

und Freundschaft, und seine außerordentliche Sanftmuth, die über seine Dichtungen verbreitet ist. Die Zeit seiner Blüthe liegt zwi­ schen 1198 und 1210; das Rittergedicht Erek und die Legende

vom heiligen Gregorius auf dem Steine.stammen aus seiner früheren Lebensperiode; die Erzählung der arme Hein­ rich

und das Rittergedicht Iw ein aus der späteren.

Zu den

64

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

beiden hierhergehörigen Rittergedichten ist der Stoff aus der Fremde

genommen, sie sind bearbeitet nach den Gedichten der Chretien de Troyes und gehören dem bretonischen Sagenkreis an. In Erek und Enite (herausg. von Haupt. Leipzig 1839.) hat Sprache und Reim noch nicht die Reinheit der späteren Werke. Hervortretend

ist die Erzählung, wie Erek, der Königssohn, zur Rache eines ihm unbewehrt in Gegenwart der Königin Ginover zugefügten Schimpfs

auszieht, und die edelgeborne Enite in armseligen Kleidern findet,

aus welchen ihre Schönheit um so mehr hervorleuchtet, und sich mit ihr sogleich verlobt; dann von ihrem Baker mit trefflicher Rü­ stung versehen, das Abenteuer mit dem Sperber besteht, im Siege

über Jther zugleich sich rächt und mit Enitcn an Artus Hof ehren­

voll zurückkommt.

Ein Hauptpunkt der Geschichte liegt darin, daß

Erek über der Pflege der Liebe die Ausübung der Tapferkeit eine

Zeit lang vergißt, dann aber von Enite selbst daran erinnert in

den Kampf auszieht und von seiner Geliebten auf den Abenteuern begleitet wird.. Verdunkelt

diese frühere

ward

Dichtung

Hart-

mann's durch seinen Iw ein, den Ritter mit dem Löwen (Ausgabe

von Beneke und Lachmann. Berlin 1827. 2. Ausgabe 1843.). Dieses Gedicht wurde vorzüglich das Muster der höfischen Poesie und ent­ hält viele vorbildliche Grundzüge für spätere Rittergedichte. Hart­ mann spricht gleich im Eingang die Idee aus, welche ihn im Jwein leitete: „Wer an rechtes Gute sich kehrt mit seinem Muthe, dem folget Glück und Ehre." „Jwein, Ritter der Tafelrunde, erschlägt bei einem wunderbaren Brunnen den Besitzer desselben, heirathct dessen Gattin Laudilik durch Bermittelung ihres Kammermädchens Lunete; er geht auf Abenteuer aus mit seinem Freunde Gawan, vergißt darüber die angelobte Frist der Rückkehr, wird selbst, als er von einem Abgesandten seiner Frau daran erinnert wird, wahnsinnig; darauf durch eine Salbe geheilt, be­ freiet er vom Lindwurm einen Löwen, der ihn auf seinen neuen Aben­ teuern begleitet. Er kämpft gegen den Riesen Harpin, erscheint als Retter auf einer Burg, wo gefangene Weiber in ärmlicher Kleidung arbeiten müssen, und kämpft endlich für ein Fräulein, welcher die Schwester ihr Erbthcil unrechtmäßig entziehen will; für diese tritt Ga­ wan als Kämpfer auf; beide Kämpfer erkennen einander nicht; das Gefecht bleibt unentschieden; in einem Zwiegespräch erkennen sie sich. Jwein kehrt zu seiner Gattin zurück und Laudine vermittelt die Ver­ söhnung."

Hartmann's Erzählungsweise

zeichnet sich

aus durch

einen

schlichten und zugleich sinnvollen Ausdruck, durch liebliche Klarheit

und Gemüthlichkeit der Darstellung.

Gottfried von Strasburg in-

bis gegen die Mitt« deS vierzehnten Jahrhunderts.

65

seinem Tristan (53. 4619—92) rühmt Hartmann's so sinnige wie zierliche Rede, sein treffendes, krystallhellcs, zu Herzen gehendes, anmuthiges Wort; daher ihm mit Recht der Kranz und Lorbeer­ zweig des Preises gebühre. Wolfram von Eschenbach stammte aus einem fränkischen adligen Geschlecht, dessen Stammsitz wahrscheinlich das im Nord­ gau bei Ansbach gelegene Schloß und Städtchen Eschenbach war [57], Als unbegüterter Ritter führte er ein unstetes Leben und wanderte von einem Hof zum anderen; am längsten verweilte er auf der Wartburg, am Hofe des gesangliebenden Fürsten Hermann von Thüringen. Da seine Geburt in die Negierungszeit Friedrich's Barbarossa fällt und sein Tod in die Regierungsperiode Friedrich's II., so umfaßt sein Leben die Zeit, in welcher das Hohenstausische Herr­ scherhaus seinen höchsten Glanz erreichte. Er ist der tiefsinnigste und großartigste unter den Dichtern des Mittelalters, in welchem seine weisheitsvolle Kunst sprüchwörtlich war. Seine epischen Ge­ dichte sind: Parcival, Titurel, Willehalm (AuSg. seiner Werke von Lachmann. Berlin 1833.). Während Hartmann die Liebenswürdigkeit und Anmuth seines Gemüths in seine Dichtungen hineintrug, ohne jedoch die erzählten Begebenheiten mit freiem poetischen Geiste zu behandeln und eine eigene großartige Weltanschauung darin zu offenbaren, erreichte Wolfram dagegen die . Höhe des künstlerischen Standpunkts, von welchem aus er den Vorgefundenen rohen Stoff mit einer gestal­ tenden Idee durchdrang und demselben dadurch die belebende Seele einhauchte. Im Gegensatz seiner Vorgänger, welche, wie Hart­ mann, bei dem Mangel einer klaren Erkenntniß des poetischen Be­ rufs noch eine furchtsame Bescheidenheit in dem Umgang mit der Muse zu erkennen geben, tritt Wolfram bei der für das poetische Schaffen gewonnenen Klarheit seines Wollens mit edlem Selbst­ gefühl auf, und wenn ihm auch Ritterpreis höher als Sängerpreis steht, so ist er doch wie zum Schwertkampf auch zum Sanges­ kampfe bereit, und weist den Schwachkopf in die ihm gebührenden Schranken, der nicht seinem Gedankenfluge zu folgen vermöge, der nicht fähig sey, seine Dichtung zu begreifen [58]. Es tritt daher auch seine Persönlichkeit um so entschiedener in seinen Dichtungen hervor, und er unterbricht oft geflissentlich den Gang der Erzäh­ lung und streut, bald vorwärts- bald zurückblickend, Betrachtungen ein, in denen er die thätige Theilnahme der Leser mit in Anspruch nimmt und zugleich selbst die Zustände seiner eigenen Person offen Biese deutsche Literaturgeschichte, i. 5

66

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

darlegt. Die Hinneigung zum Didaktischen ist ihm besonders ei­ gen und giebt sich gleich im Eingang des Parcival zu erkennen [59]. Der Parcival ist das bedeutsamste Gedicht, in welchem das Fühlen und Denken der mittelaltrigen Welt mit allen ihren Ge­ gensätzen concentnrt erscheint. In demselben wird, ganz dem We­ sen der romantischen Poesie gemäß, der innere Mensch mit seinem Kämpfen und Ringen zum Gegenstand gemacht, und aus der äuße­ ren Welt werden wir in die neue ideale Gemüthswelt versetzt [60]. Den in einer französischen Bearbeitung des Provenzalen Kyot ge­ gebenen Sagenstoff macht Wolfram zum Träger der Idee, welche er in denselben hineinarbeitet, und gestaltet durch dieselbe die ein­ zelnen Theile zu einem in sich zusammenhängenden Ganzen. Die Eintheilung des Gedichts in sechszehn Bücher hat Lachmann über­ liefert gefunden; in diesen Abschnitten ist der Inhalt organisch ge­ gliedert. An die Spitze des ganzen Werks stellt der Dichter die Eendenz und den ethischen Standpunkt seines Epos; er will zei­ gen, wohin der Zweifel den Menschen führe, was ihn veranlasse, wie er. verhütet und gelöst werden könne. „Gleich nach dem Eingang folgt in den beiden ersten Büchern die Vorgeschichte Parcivals, die Geschichte seines Vaters Gamuret, welcher der tapfere, unbezwingliche Ritter ist, den der Thatendrang von Ort zu Ort und zuletzt in den Tod treibt. Seine Gattin Herzeloide, von tiefem Seelenschmerz über die Todesnachricht ergriffen, genas darauf am vierzehnten Tag eines Sohnes, des Parcival. Vom dritten bis zum sechsten Buch ist Parcival der Held des Epos, der uns in seiner fortschreitenden Entwickelung vorgeführt wird. Den ritterlichen Keim, welchen der Vater auf den Sohn vererbt hat, hemmt die Mutter im Wachsthum, indem sie das Kind in tiefer Abgeschiedenheit erzieht und ihm die Welt und das Ritterleben verdeckt. Seine sinnigere Natur blickt in der Sehnsucht durch, mit welcher er dem Gesänge der Vögel lauscht; diese ahnungsreiche Naturfreude stört er sich aber, wie sein späteres Lebensglück, durch Ungestüm und Einfalt, indem er die Sän­ ger erschießt, und bald bricht in seinem Gemüth der Trieb auf, zu wissen was Gott sey. Von der Mutter über Gott belehrt, welcher der Inbegriff alles Lichts und Glanzes und der Allhelfer sey, und überden schwarzen, untreuen Höllenwirth, und vor dem Wanken des Zweifels gewarnt, ist er als Knabe entschieden, Gott zu dienen und den Teufel zu bekämpfen. Bald fährt nun aber, ohne daß die Mutter es verhü­ ten konnte, die ihm lange verhaltene und verborgene Wirklichkeit glän­ zend an ihm vorüber, indem lichtgeharnischte Ritter an seinem Aufent­ halt vorbeiziehen, die ihm strahlend scheinen wie der Gott, von dem ihm seine Mutter gesagt; aubetend fällt er vor ihnen nieder, wird aber durch sie über Ritterthum belehrt, und nun kann die Mutter ihn «ich

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

67

mehr zurückhalten, da er sich sehnt in dies reizende Leben zu kommen. Die bekümmerte Mutter denkt ihn wieder zu sich zurückzuführen, wenn sie ihn recht lächerlich in die Welt schickt, die ihm so feierlich lockend schien. Sie legt ihm ein Narrenkleid an, empfiehlt ihm aber Achtung vor Greisen und Bewerbung um Frauenkuß und Ring. Sein erstes Hineintappen in die Welt bei seiner Narrentracht, die buchstäbliche Be­ folgung der Lehren seiner Mutter hat wie überhaupt der erste Eintritt in die Welt wegen des Contrastes der Einbildung in dem Jüngling mit der Realität etwas Komisches und zugleich Rührendes in sich [61]. Parcival bei der ersten Täuschung, als die Wirklichkeit des Lebens nir­ gends den glänzenden Bildern seiner jugendlichen Phantasie entspricht, und als ihn an dem ersehnten Hofe des Artus namentlich das zucht­ lose Betragen des lästersüchtigen Keye abstößt, zieht sich in sich zurück und seine ernste Unbefangenheit schwindet. Sein Thatendurst treibt ihn weiter und von einem Tafelrunder Jther erkämpft er sich die rothe Rüstung, die er über sein Narrenkleid legt. Er sprengt auf Jthers Roß davon und kommt am Abend zu der Burg des alten Gurnamanz, und Parcival nach der Mutter Lehre „Greisen zu folgen" ge­ horchte ihm gerne und wird in ritterlicher Zucht unterwiesen. Gurnamanz läßt ihn das Narrenkleid ablegen und giebt ihm manche Lebens­ regel, unter welchen er Eine hervorhebt: „fraget nicht zu viel! doch seid auch maulfaul nicht, und laßt, daß Rede und Gegenrede paßt, Bedachtsamkeit die Worte wählen." Des alten Gurnamanz Tochter Liaze regt neue Gefühle in P.'s Brust auf, doch da sein Herz Streites begehrt, reitet er aus und befreit die Königin Condwiramur von Pelrapeire von einer lästigen Belagerung, er wirbt um ihre Hand und erhält mit ihr ein Königreich. Bis hierher ist Parcival in immerwäh­ rendem Fortschritt begriffen. Von einer ahnungsreichen Naturpoesie ist er eingegangen in die Verständigkeit des Weltlebens, und hat Bildung, Ehre, eine Gattin und mit ihr ein Königreich erlangt. Jetzt ergreift ihn Sehnsucht nach seiner Mutter, und um sie wieder zu sehen nimmt er Urlaub von der Gattin. In sich gekehrt und mit sich beschäftigt rei­ tet er früh allein von dannen. Zufällig kommt er jetzt nach Monsalvas und gelangt zur Anschauung der Wunder des Grals; doch ver geheimnißvolle Cultus, der eine höhere Welt im Diesseits ahnen läßt, geht an seinen Augen vorüber, und er unterläßt die verhängnißvolle Frage um Aufklärung, welche die Belehrung seiner Mutter ergänzend, ihm die Erkenntniß dessen, dem er diente, gegeben und ihn zum Hüter des Grals erhoben und den König Anfortas von namenlosen Leiden befreiet haben würde. Mit Hohn wird er von dannen gestoßen, und er geht dem Kummer entgegen, den er früher nicht gekannt. Es be­ ginnt seine Prüfungszeit. Auf seiner Weiterreise wird er von Sigune über die Bewandtniß der unterlassenen Frage belehrt; klagend reitet er weiter und kommt wieder mit der Tafelrunde zusammen. Eines Mor­ gens findet er den Weg verschneit; ein Falke, der von Artus Falknern entronnen, zu dem Verirrten gekommen war, würgte Gänse, und drei Blutstropfen, welche auf den Schnee fielen, erinnerten Parcival an Con-

5*

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Dritte Periode.

Bon der Mitte des zwölften

dwiramurs blühende Jugendschönheit. Er ist in süßen und schmerzlichen Gedanken versunken, und fast träumend besiegt er SegramorS undKepe, die ihn anrennen. Gawan bringt ihn endlich ganz zu sich und führt ihn zu Artus, wo er von allen freudig als Ritter anerkannt uud mit Ehre überhäuft wird. Hier auf dem Gipfel des weltlichen Glücks trifft ihn das Entsetzliche. Die Gralsbotin, Cundrie la fordere, naht und verflucht den gefeierten Helden, weil er die Frage nicht gethan habe, und erklärt die Tafelrunde für geschändet durch seine Gegenwart. Ver­ zweifelnd an der Macht und Liebe Gottes, dem er treu gedient zu ha­ ben glaubt, sagt er Gott seinen Dienst auf und will den Haß des nicht mehr Allmächtigen tragen. So reitet er fort, den Gral und somit die Offenbarung dessen suchend, von dem er äußerlich sich lossagt. Seine sinnigere Natur treibt ihn auf diesen ungebahnten Pfad, und seiner in­ neren Besserung und Heiligung überlassen, tritt er eine Zeit lang in den Hintergrund [62], während der weltlich-ritterliche Gawan hervortritt und im Gegensatz von Pardval durch materielle Gewalt der Besieger unheimlicher Zaubermächte wird. Mit dem siebenten Buch be­ ginnt der zweite Hauptabschnitt und wir begleiten zunächst Gawan auf seine Heldenthaten bei der Belagerung von Beaurocher, und im achten Buch auf sein Abenteuer mit Antikonien, in dessen Folge ihn die äuße­ ren Verhältnisse auf die Fahrt nach dem Gral werfen, während den Parcival sein innerer Drang dorthin treibt. Diesem folgen wir im neunten Buch auf seinem Pfade in einsamem Walde, wo er Sigune als Klausnerin wiederfindet, die in ihrem Unglück bei ihrem heilig ver­ klärten Seelenschmerz bestimmt ist, Pardval zu Gott hinzuleiten; sie zeigt ihm eine Spur des Weges nach Monsalvas, die sich jedoch bald im Dickicht des Waldes verliert. Ein Templeise reitet Pardval an, der jenen seines Pferdes beraubt, aber trauert, daß er nicht zum Gral kam. Da, am Charfreitage, trifft er auf einen Zug von Büßenden, die ihn zu Trevrezent's Klause geleiten. Der fromme Trevrezent, das kirchliche Leben repräsentirend, belehrt den Verzweifelnden über Gott, über die Wunder des Grals, über den Ursprung der Leiden des Anfortas; er zeigt ihm in der Schmach, die ihn getroffen, die strafende Gerechtigkeit Gottes, da er, wiewohl unbewußt, seinen Verwandten Jther erschlagen und durch seine Entfernung den Tod seiner Mutter verursacht habe. Parcival, von bitterer Reue ergriffen, verzweifelt an dem Heil seiner Seele, aber von Trevrezent hingewiesen auf die Gnade Gottes, der demüthige Reue verzeihe, gewinnt er wieder Trost und Vertrauen. So geheilet scheidet er mit der Hoffnung, endlich den Gral und dann sein liebes Weib noch wieder zu finden. Unterdeß thut sich vor Gawan die Welt voll Wunder auf und voll lockender Abenteuer; der Ruhm ist sein Geleitsmann und das Glück. Wir folgen ihm vom achten bis zum dreizehnten Buch auf seinen Abenteuern mit Orgueilleusen, Gramoflanz auf Chateau-Merveille bis zu den Festen von Joflanze, wo Gawans Ruhm seinen Höhepunkt erreicht [63]. Hier tritt der gralforschende Pardval wieder hervor und geräth in den Kampf mit den Weltkindern Gawan, ohne ihn zu erkennen, und Gramopflanz.

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

69

Während der Freude eines dreifachen Vermählungsfestes ist Parcival betrübt, und Sehnsucht nach dem Gral und seinem Weibe treiben mit dem Morgengrauen ihn fort zu neuer Irrfahrt. Er trifft auf einen prächtig gewappneten heidnischen Ritter, und fast schon besiegt gewinnt er durch die Kraft des Gebets die Oberhand, doch sein Schwert zer­ bricht, indem er den Todes streich gegen den Gegner führen will. Par­ cival entdeckt in den Fremden seinen Halbbruder Feirefiz und führt ihn jubelnd in Artus' Lager. Jetzt nachdem sein weltlicher Ruhm vor al­ len Helden der Tafelrunde bewährt ist, erscheint die Gralsbotin, die Cundrie la fordere und verkündet, daß der Gral ihn zum König ge­ wählt habe. Er wird nach Monsalvas geführt, wo er sofort den AmfortaS heilt, und vereint mit seiner Gattin der Seligkeit des GralkönigthumS theilhaftig wird. Hier schwindet alle irdische Herrlichkeit, al­ ler Glanz und Ritterpreis gegen die himmlische Krone, die fortan Parcival'S Haupt umstrahlt."

Die Frage, was Gott sey, der Zweifel über sein Wesen und die Lösung desselben giebt dem Gedichte seine innerste, unvergäng­ liche Bedeutung.

Auf der Entwickelung der inneren Seelenzustände

liegt der Hauptaccent; wir sehen Parcival in steter Umwandelung

begriffen: er geht von der Naivität eines schuldlosen Naturstandes über in die Verständigkeit des Weltlebens, von diesem zur An­

schauung räthselhaster Mysterien, zur Ahnung einer höheren Welt in der irdischen, von da zum Zweifel an Gott, zum Kampf mit dem Zweifel und endlich zur Versöhnung [64], Hierin offenbart sich der Ernst einer tiefen Weltanschauung: Wolfram's erhabener

Sinn wendet sich, vom Irdischen unbefriedigt,

in mystischer An­

schauung dem Himmlischen und Ewigen zu [65]. Seinen großen Bestrebungen und Gedanken entsprechend erscheint sein Dichten in schwerem, tiefsinnigem Ausdruck und läßt ein sprachgewaltiges Rin­

gen mit der reichsten Gedankenfülle erkennen.

Seine Sprache ist

daher originell, bilderreich, mystisch, oft dunkel, und bietet Beispiele dar von den mannigfaltigsten Erscheinungen der mittelhochdeutschen Wortfügung. Bei seinem Bestreben in der Erzählung und Schil­ derung das Bedeutsame hervortreten zu lassen macht sich die Hin­

neigung zum Allegorischen und Didaktischen geltend [66], und es

erzeugt sich hieraus der Wechsel von

Erzählung, Belehrung und

Betrachtung, wobei sich unwillkürlich seine Herzensergießungen her­ vordrängen. Bei dem Bewußtseyn, welches sein denkender, beob­

achtender Geist über den Widerspruch zwischen der inneren träumischen Welt des Gemüths und

dem äußeren Leben gewann, er­

zeugte sich vermöge dieses Contrastes öfter eine ironische, launige Denkungsweise [67] und zeigt sich in den Uebergängen vom Ernsten

70

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

zum Komischen, vom Geistlichen zum Weltlichen.

Die mannig­

faltigsten contrastirenden Darstellungen ziehen sich durch das ganze Gedicht hindurch und concentriren sich in dem Hauptgegensatz zwi­

schen der stetigen frommen Ritterschaft des Grals und der wandcr-

und abenteuerlustigen Tafelrunde, zwischen den heiligen Wundern von Monsalvas und den unheimlichen Zaubern von Chateau-Merveille, zwischen dem gläubig ringenden Parcival und dem weltlich­ ritterlichen Gawan.

Die Erzählungen selbst haben das Eigenthüm­

liche, daß der Dichter sie nur bis zu einem gewissen Punkt fort­ führt, dann, während der Leser auf den Ausgang gespannt ist, sie abbricht und nachdem er durch Anrcihung anderer, ganz verschiede­

ner Fabeln das Interesse von Neuem erregt hat, den früher ver­ lassenen Faden wieder aufnimmt, um die verschlungenen Knoten endlich mit geschickter Hand zu lösen [68].

Er

wählt selbst als

Gleichniß für sein Erzählen die Sehne am Bogen (s. Parciv. 241,

8 seq.): „diejenigen, welche nur zum Schluß dringen, um ihre Neu­ gierde zu befriedigen, die wollen mit gerader Sehne schießen und ein Bock oder ulmcner Stock würde besser seines Liedes Sinn durch­

dringen als sie."

Er fordert von dem Zuhörer daß das Lied nicht

zum einen Ohr hinein, zum anderen hinausgehe, sondern in ihm

einen Spiegel der Welt, ein Buch der Weisheit und ewig wahrer

Lehre erblicke. Das zweite, oben angeführte Gedicht von Wolfram, der Ti-

turel, ist nur noch in zwei Bruchstücken vorhanden; wahrscheinlich hat Wolfram selbst nicht mehr gedichtet und ist über der Vollen­ dung des Ganzen gestorben.

Er bildete sich für dieses Epos eine

mehr lyrische Strophe von vier Langzeilen, und wir besitzen noch

170 Strophen. „Das erste Fragment von 131 Versen giebt zuerst in kurzen Umrissen ein lebendiges Bild von dem greisen Helden Titurel, und erzählt wie Frimutel König des Grals ward und feine beiden Töchter, Joifianc und Herzeloidc hinaus in die Ehe giebt; dann kommt der Dichter auf seine beide Lieblinge Tschionatulander und Sigune, deren Jugendliebe mit unaussprechlicher Zartheit geschildert wird, namentlich tritt die Wahrheit und Innigkeit der Empfindung in dem Geständniß der sehn­ süchtigen Sigune an Herzeloidc von ihrer Liebe zu Tschionatulander hervor; hier hat der Dichter die zartesten Seelenzustände belauscht und für so feine Empfindungen den rechten Ton, das rechte Wort und das rechte Zeitmaß der Periode getroffen. DaS zweite Fragment von 39 Strophen enthält die Geschichte von dem Bracken GardiviaS mit dem Seile, fie reicht aber nur bis dahin, wo Tschionatulander zum zweiten Mal zur Erwerbung des Bracken auözieht. Vielleicht wollte Wolfram

bis gegen die Mitt« des vierzehnten Jahrhunderts.

71

in der Episode von Sigune und Tschionatulandrr das Ideal der rein­ sten Liebe, Treue und Hingebung darstellen." Fortgesetzt und abgeschlossen hat um die Mitte des 13. Jahr­

hunderts das ganze Gedicht ein Unbekannter in einer sicbenzeiligen Strophe unter Wolfram's

Namen [69].

Es umsaßt das Gedicht

die drei schon früher bezeichneten Momente der Titurelsage: 1) die Stiftung des Ordens; 2) den Kampf der menschlichen Freiheit mit der strengen, den eigenen

Willen ausschließenden

Nothwendigkeit

des Grals; 3) das Fortführen des Grals nach dem Orient.

Die

Personen, an welche sich die Geschichte des Grals anknüpft, sind Titurel, Anfortas und Trcvrezent, Tschionatulander und Sigune,

Herzeloide und Parcival,

und endlich der Priesterkönig Johannes.

Da Wolfram den Parcival schon behandelt hatte, so ist dessen Ge­

schichte von dem Dichter verkürzt und alle Vorliebe dem Tschiona­ tulander und der Sigune zugcwandt.

Den Schluß der Titurelsage

bildet das irdische Paradies: zu dieser materiellen Beendigung ist die Anlage schon in der äußeren Anschauung

der Reliquie enthal­

Die romantische Poesie fordert eine tiefere Versöhnung durch

ten.

die Verklärung des Schmerzes in der Seligkeit des inneren Friedens.

An Titurel und Parcival reiht sich noch zur Ausfüllung der Gralsage der Lohengrin, welcher fälschlich schrieben ist.

dem Wolfram zugc-

Das Ganze beginnt mit einem Stück aus dem Wart­

burgkrieg (s. unten), das wahrscheinlich älter als das übrige Ge­ dicht, schon früher vorhanden und vom Dichter als Einleitung be­ nutzt wurde.

Der unbekannte Dichter, vielleicht aus der Mitte des

14. Jahrhunderts, verfaßte dies Gedicht in einer zehnzeiligcn Strophe

(AuSg. v. GörreS.

Heidelberg 1813.).

„Lohengrin, der Ritter vom Schwan, Sohn Parcival'ö, kommt in einem von einem Schwan geführten Schifflein nach Brabant, vermählt fich mit der Herzogin Elfang, die feinen Namen nie erfragen soll; als sie es thut, holt das Schiff den Lohengrin wieder zum Gral ab, und ohnmächtig stürzt die unglückliche Herzogin zu Boden. Eingeflochten ist eine Chronik der sächsischen Kaiser [70], worin sich eine Mischung fremd­ artiger Elemente zu erkennen giebt, wie im Herzog Ernst."

In dem

dritten

oben

angeführten

Gedicht

Wolfram's,

im

Willehalm, wandte sich unser Dichter der christritterlichen karo­ lingischen Sage zu; den Stoff dazu nahm er aus einem französi­

schen Buch, das ihm der Landgraf Hermann zu bearbeiten auf­

Er wählte aus der großen

trug.

Masse von

Sagen nur einen

Theil:

„Wilhelm von Oranse oder der Heilige entführt die schöne Arabele

im Morgenlande, die Vater, Gatten, Kinder und Götter verlassen hatte, um dem Christenthum und dem christlichen Gatten anzugehören; in der Taufe erhielt sie den Namen Kiburg. Ihr erster Gemahl Tpbalt und ihr mächtiger Vater Teramer ziehen mit zahllosen Schaaren heran und der Kampfplatz ist auf dem Plane zu Alischanz. Vivianz, Wilhelms tapferer Ritter, wird von Teramer auf den Tod verwundet und stirbt in den Armen Wilhelms, der sich muthig nach Oranse durchschlägt, welches von den Heiden belagert wird. Wilhelm wendet sich um Hülfe nach Frankreich und erhält von König Ludwig ein Heer nebst dem star­ ken Rennewart. Indeß hat Kiburg mit ihrem Vater ein theologisches Gespräch über den rechten Glauben. Endlich naht Wilhelm mit dem Hülfsheer zur Entsetzung von Oranse. In einem Fürstenrath vor der Schlacht spricht Kiburg zu den Rittern und entwickelt die Gründe, der Helden zu schonen. Der Kampf beginnt und die Heiden werden über­ wunden, doch Rennewart ist verschwunden und nirgends zu ent­ decken [71]."

Den Anfang der Sage zu diesem Gedicht, die sich auf das Geschlecht der Grafen von Narbonne bezog, aus welchem Wilhelm abstammte, hat Urlich von dem Türlin zwischen 1252 — 78 hinzugedichtet, so wie das Ende über die Schicksale des Rennewart Ulrich von Turheim um 1250. Meister Gottfried von Straßburg, wahrscheinlich in Straßburg geboren, ist kein adelig-ritterlicher Dichter, sondern ein bürgerlich-gelehrter, wie schon die Bezeichnung „Meister" anzeigt [72]. In ihm stellt sich die Blüthe der weltlichen Ritterdichtung in ihrer vollen Farbenpracht dar, indem er uns hineinführt in das innere Gefühlsleben der weltlichen Ritterschaft, aus welchem der Minnegesang hervorging. Gottfried, der sich in Harmonie sieht mit jener Wirklichkeit, geht ganz in jenes innere Gefühlsleben ein und wird der heitere, liebenswürdige Dichter, welcher die höchsten Reize des Lebens zu versammeln, die schönsten Genüsse zu bereiten, die heiterste Umgebung zu gestalten weiß, kurz der überall die Phan­ tasie auf das lieblichste beschäftigt, während Wolfram dagegen, der in Opposition mit dem planlosen, wirren Wesen der handelnden Welt in das Gedankenleben jener Zeit einführt, der ernstere, achtungswerthere Mensch ist, welcher mehr Kopf und Herz beschäftigt, als die Phantasie, und ein bestimmtes Ziel verfolgt. Gottfried zeigte schon in der Wahl seines Stoffes, daß er die erotische An­ muth als die höchste Feier der irdischen Liebe hinstellen wollte. Den Stoff zu seiner Dichtung lieferte ihm ein französisches Ge­ dicht des Thomas von Bretagne; doch durch seine künstlerische Be­ handlung belebte nnd vergeistigte er diesen Stoff und gestaltete

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

73

daraus eine ihm eigenthümliche und originale Dichtung Tristan und 3folbe [72b] (Ausg. von v. d. Hagen. Breslau 1823, und von Maßmann.

Leipzig 1843.).

„Tristan ist der Sohn Riwalins von Parmenie und Blanscheflurs, der Schwester des Königs Marke von Cornwallis; er ist geboren von einem Verführer und einer Verführten; sein Vater fällt vor seiner Ge­ burt in einem Kriege mit dem benachbarten Fürsten Morgan, seine Mutter stirbt aus treuer Liebe zu dem Gatten bei seiner Geburt und der Sohn erhält von diesen betrübenden Umständen den symbolischen Namen Tristan, der Traurige. Der getreue Marschal Rual nahm das Kind zu sich, damit ihm keine Gefahr von Morgan, dem das Land unterworfen wurde, bereitet werde. Sorgfältig wurde er erzogen und mit dem siebenten Jahr einem weisen Mann übergeben, um fremde Sprache in fremden Ländern zu lernen und der Bücher Lehre anzufan­ gen. Diese Bücherwissenschaft und dieser Zwang war der Beginn sei­ ner Sorge, die ihm seinen blühenden Muth verdorrte; doch wandte er seinen ganzen Sinn daran; auch lag er emsig dem Saitenspiel ob und daneben allen ritterlichen Künsten. Wir werden hier eingeführt in die Erziehung und das Leben eines höfischen Ritters, der im Gegensatz zu dem einsam und in rein menschlichen Gefühlen emporgewachsenen Parcival mit liberalem Unterricht, mit seinen Manieren und weltmänni­ schen Sitten auferzogen wird. Wunderbar schnell wuchs der Knabe in seiner Ausbildung, und wegen seiner Schönheit und Anmuth entführten ihn Norwegische Kaufleute, um ihn zu verkaufen; doch als sie einen ausbrechenden Sturm für eine Strafe des Himmels hielten, setzten sie den jungen Tristan aus und überließen ihn seinem Schicksal. Er be­ fand sich in Cornwallis und ward an Marke'S Hof geführt, wo er sich als flinkes, gewandtes Bürschchen, durch seine zierliche Art zu jagen, durch seine Verständigkeit, Kunstfertigkeit und Musik allgemein beliebt machte. Da kommt endlich auch Rual, der seinen Tristan überall ge­ sucht hatte, an Marke'S Hof in bettelhaftem Pilgergewand; doch Tri­ stan erkennt ihn wieder, stürzt ihm weinend in die Arme, und Rual entdeckt dem König und Tristan den wahren Thatbestand. Auf Rual'S , Bitte läßt der König den Tristan zum Ritter schlagen, und hier folgt in einer berühmten Stelle das Lob deutscher Dichter [73], die würdig wären, Tristan's Schwertleite zu verherrlichen. Nachdem Tristan die Ritterwürde erhalten hatte, zieht er aus, um den Tod seines Vaters an Morgan zu rächen; diesen erschlägt er und erobert seine väterlichen Lande wieder. Darauf befreiet er Cornwallis von einem furchtbaren Tribut an Irland, den der gefürchtete Morolt eintrieb. Im Zweikampf tödtete er diesen, wird aber selbst von einem vergifteten Pfeil desselben getroffen und verfällt in eine unheilbare Krankheit. Nur Morolt's Nichte, die zauberkundige Jsold in Irland kann Hülfe gewähren, und diese weiß er sich zu verschaffen, indem er als Spielmann verkleidet sich an den Strand von Dublin aussetzen läßt, und durch sein Harfen­ spiel und seinen Gesang Zutritt erhält zu der Königin Jsold, welche

74

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

ihm Heilung verspricht, wenn er die junge Jsold in seiner Kunst un­ terrichte. Jsold wird Meisterin der holden Kunst und Tristan gesundet, der unter dem Vorwand, Weib und Kind Wiedersehen zu wollen, ent­ lassen wird. Nach Cornwallis zurückgekehrt bringt er die junge Jsold in Vorschlag, Marke's Gemahlin zu werden. Er übernimmt selbst die Werbung, und erkämpft die junge Königin durch die Erlegung eines Drachen, der das Land verwüstete, und führte Jsold als Braut seines Oheims und Königs nach Cornwallis über. Bisher war Tristan hoch­ gefeiert als Sänger, als Ritter, als Verfechter der Freiheit in der Ueberwindung Morolts, als Sieger über Ungeheuer in der Erlegung des Drachen in Irland. Seine Heldenthaten zeigen ihn noch als ei­ nen Jüngling, in welchem noch keine innere Regung laut geworden ist. Er sieht jene Jsold zum ersten Mal kalt, er räth selbst dem.-Marke um sie zu werben, er selbst übernimmt die gefährliche Werbung und richtet sie treulich aus. Jetzt tritt aber auf der Meerfahrt der verhängnißvolle Zaubertrank ein, welchen die alte Jsold Brangänen mitgegeben, damit sie ihn ihrer Tochter und deren Gemahl am Hochzeitstag in den Wein schütten sollte, um beide dadurch unauflöslich an einander zu ketten. Eines Tags aber vergreift sich auf der Fahrt nach Cornwallis Brangäne und schenkt arglos Isolden und Tristan den Zaubertrank ein und bestimmt dadurch das Geschick derselben auf immer. Der Trank deutet symbolisch das plötzliche Erwachen der schlummernden Liebe an, und hier zeigt sich des Dichters Kunst in der Seelenmalerei, um den Aus­ bruch der Gefühle in Jsold darzustellen. Tristan und Jsold gehören ihrer innersten Herzensneigung nach einander an, und doch ist Jsold schon verlobt und zwar mit Tristan's Oheim; Tristan hat selbst für den Oheim sie geworben, ist aber ergriffen von unwiderstehlicher Leidenschaft für sie, wie Jsold für ihn; dennoch bringt er sie ihrem Oheim, aber die Liebenden können nicht von einander lassen. Hier beginnt daher der dunkle Schatten der Lüge, welche sich darstellt in einer Reihe von In­ triguen und Täuschungen des gutmüthigen Ehemannes Marke. Tristan erscheint jetzt in der Gewalt jener allmächtigen, zauberisch wirkenden Regungen der ersten Liebe, die sich hier in ihrer unwiderstehlichen Stärke offenbart, indem sie den Todhaß zweier Seelen versöhnt und an seine Stelle Treue bis zum Tode setzt, aber andererseits auch den schönen Bund zweier Verwandten trennt und zu schmählichem Verrath verleitet, den reinsten Charakter verdirbt und den thatenlustigen Tristan, den Ret­ ter seines Oheims, den Eroberer seines eigenen Landes, den Drachentödter, plötzlich der Welt entzieht, so daß seine ganze Thatkraft auf­ hört und er nur Sinn hat für die kleinen Machinationen, die ihm sein neues Bündniß mit Jsold eingiebt. Marke fortwährend getäuscht und betrogen entläßt endlich die beiden Liebenden von seinem Hofe und übergiebt sie ihrem Geschick. Sie ziehen in einen einsamen Wald und finden ihre Stätte in einer schönen, geräumigen Höhle, wo sie ein idyl­ lisches Leben führen, über welches die frische, gesunde Freude an dem Leben in der Natur verbreitet ist. In diesem Leben der Wonne stört sie Marke und läßt sie, von ihrer Unschuld überzeugt, an seinen Hof

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

75

zurückkehren. Diese Rückberufung in die Welt zieht aber in Folge neuer Täuschung die Trennung der Liebenden herbei, und Tristan durch­ zieht nun Spanien, Deutschland, Frankreich in mancherlei Abenteuern; endlich kommt er an den Hof des Herzogs von Arundel und wird Ge­ nosse von dessen Sohn Kahedin. Dieser hatte eine schöne Schwester Isolde mit überaus weißen Händen. Tristan wird durch ihre Reize, durch ihren Namen, durch momentane Reue über sein voriges Verhält­ niß verwirrt und die Sophistik der Liebe treibt ihn zur Untreue und giebt ihn der rächenden Vergeltung Preis. Mit dem Zustand von Tristan's Unentschlossenheit bricht Gottfried's Gedicht ab. Fortgesetzt ist dasselbe um 1250 durch Ulrich von Turheim, und genauer und sorgfältiger, mehr in Gottfried's Stil, durch Heinrich von Frei­ berg. Tristan heirathct die Jsold mit den weißen Händen, aber sein Ring erinnert ihn an die ferne Geliebte und er vermeidet jede Gemein­ schaft mit der Angetrauten. Endlich als er seinem Schwager Kahedin zu einem unerlaubten Umgang mit der Gattin eines mächtigen Ritters Nampotenis behülflich ist, wird er tödlich verwundet. Er sandte des­ halb nach England, die blonde Jsold zu holen. Ein weißes Segel sollte verkünden, wenn sie käme. Ein weißes Segel taucht auf am Horizont. Ein Schiff, ruft Jsold, die ans Fenster getreten war. Die Farbe? fragt Tristan; schwarz, erwiedert sie. Da stirbt er. Dieblonde Jsold kommt, findet den Geliebten todt, stürzt über ihn, bedeckt ihn mit ihren Küssen und stirbt. Marke, der jetzt erst erfuhr, wie die Liebe der Todten durch den Zaubertrank hervorgerufen sey, bauete für fie ein Kloster und ließ auf ihrem Grabe einen Rosenstrauch und eine Wein­ rebe pflanzen, die ihre Zweige in einander verflochten."

Im Tristan wird das Verhältniß zur Geliebten zu einer ewi­ gen Geschichte der schuldigen Liebe, und Gottfried hat hier die Schwäche und Macht der Liebe, ihre Tod und Haß besiegende Kraft, wie ihre ohnmächtige Sophistik in ergreifender Wahrheit dargestellt. Er hatte selbst in seinem Leben den Grundton seines Liedes, Lieb und Leid, Wonne und Weh herzinnig empfunden und spricht es selbst öfter in eigener Person vortretend aus; doch singt er davon nicht in dem Tone Wolfram's, daß Jammer unser Be­ ginnen sey und daß wir mit Jammer ins Grab kommen, sondern er kennt nur das Leid der Liebe als eine Süßigkeit und als eine Würze der Freude, denn die der Liebe inwohnende Freudigkeit sauge aus dem tiefsten Schmerze Honig und finde in jedem Hemmniß nur neue Nahrung und erhöhten Genuß. Während Wolfram voll Lebensernst ist, der sich bis zur Mystik und Melancholie steigert, und ganz versenkt in die Würde des Ritterstandes, dessen conventionelle Formen er durch tiefere Auffassung zu rechtfertigen sucht, und endlich für ausgezeichnet galt durch seine Gelehrsamkeit mit

76

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

mystischen Schriften, ist dagegen Gottfried ganz erfüllt von Lebens­

heiterkeit, bis zur Freigeistcrei aufgeklärt, welche sich gegen alle conventionelle Verhältnisse richtet, ja alle Moral und alle Satzungen

des Glaubens, die der ungehemmten Gluth der Liebe entgegentreten, in den Hintergrund rückt; er wird bei seinem Ankämpfen gegen die

Uebertreibungen der Wundermähren und gegen alle gelehrten Osten­

tationen vom reinsten Kunstsinn geleitet, und will aus der Dich­ tung entfernt wissen, was an den Ernst einer tiefen Weltanschau­

ung erinnert, was den Geist in ein Grübeln und Nachdenken ver­ senkt, ihn abzieht von dem heiteren Genuß der Gegenwart und unter Hinweisung mtf ein unbestimmtes unbekanntes Jenseits das

Diesseits könnte bedeutungslos und nichtig erscheinen lassen.

Sein

Buch soll den Traurigen froh, den Unglücklichen heiter stimmen, seine düsteren Gedanken zerstreuen,

ihn mit der Gegenwart ver­

söhnen, und indem er zum Gegenstand seines Gedichts die Liebe

machte, traf er hiermit nicht bloß den rechten Mittelpunkt der Ge­ müthswelt überhaupt, sondern zugleich auch den verwandtesten Ton, der bei der Richtung des ritterlichen Hoflebens in den Herzen der

Hörer einschmeichelnd wiederklang.

Entschieden und auf bewußte

Weise tritt bei ihm die Richtung auf Seelenschilderung hervor, die auf alle in der bisherigen Poetenmanier üblich gewordenen Be­ schreibungen der äußerlichen Erscheinungen einzugehen verschmäht, wenn sie nicht zugleich Ausdruck des Inneren sind.

So lyrisch er

daher auch ist und tief ergriffen von dem Gegenstand seines Epos, so ist seine Lyrik doch plastisch und offenbart sich in seiner Kunst, mit welcher er in der äußeren Gestalt die innere erkennen und mit

der gediegensten Objcctivität alle Erscheinungen und Verhältnisse in

hellen Bildern vor uns entstehen läßt. Fern ist er von aller my­ steriösen Frommheit und läßt alles Wunderbare vor der Realität des Gemüths in den Hintergrund treten, und versteht das Wirk­

liche so darzustellen, daß es in seiner höchsten Gegenwart mit der

Kraft des Wunderbaren oder vielmehr noch tiefer wirkt [74]. Alles ist bei ihm Leben, Anmutb und schalkhaft lächelnde Grazie, und entschieden richtet er sich gegen Wolfram's schwierige Darstellung

und kühne Behandlung der Sprache, gegen die theilweise trockene

Herzählung seltsamer Abenteuer und Wundergeschichten, gegen die Einmischung der Wissenschaft und religiösen Mystik.

Gottfried ge­

braucht von solcher Manier das Bild von dem auf der Wort-Heide

wild umhersetzenden Hasen und nennt Wolfram den Wilderer in der Erzählung,

welche aus Büchsen und schwarzen Büchern ge-

bi- gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

schüttelt, erst durch Glossen verständlich werde.

77

Diese Wilderer der

Märe wollen mit dem Baumstamme Schatten geben, anstatt mit

dem grünen Lindenblatte, mit belaubten Zweigen und Aesten; ihr dürrer Schatten thut den Gästen sehr selten im Auge wohl und

man geht nicht mit Herzenslust von ihnen. Es erzeugte sich also ein Gegensatz zwischen Wolfram und Gottfried, der sich später in unserer Literatur noch öfter wiederholen sollte [74b],

In den drei Dichtern Hartmann,

Wolfram und

vollendete sich die Kunst des ritterlichen Epos [75].

Gottfried

Die nachfol­

genden epischen Dichter des 13. und 14. Jahrhunderts schlossen sich an diese großen Vorbilder an sowohl in den selbstständig von ihnen

begonnenen Dichtungen als auch in der Fortsetzung früher unvol­ lendet gelassener Werke. Muster für die erzählende Dichtung wur­ den in der nächsten Zeit besonders Hartmann und Gottfried, wäh­ rend die spätere Zeit, die sich dem Dunklen und Mystischen zu­

wandte, mehr

auf Wolfram's Manier einging.

An Hartmann

zunächst schloß sich besonders Wirnt von Grafenberg in seinem

Wigalois (AuSg. von Beneke.

Berlin 1819.) an, in welchem er die­

selbe reine Sprache, dieselbe Klarheit, Einfalt und Anmuth in der Darstellung zeigt, wie Hartmann. „Wigalois ist Gawan's Sohn, der in Korentin, dem Lande der schö­ nen Sarit, die grauenvollsten Abenteuer besteht, einen Drachen erschlägt und einen büßenden in Feucrflammen umgehenden Geist befreit, der ihm Gawan als seinen Vater nennt. Nach vielen anderen Abenteuern wird er mit Satte vermählt und ladet seinen Vater zu sich."

Während sich Hartmann in seinem Jwein mehr im Mensch­ lichen hielt, geht Wirnt mehr ins Zauberische über und vorzüglich ist ihm die Darstellung des Grauenhaften gelungen. In der freie­

ren subjektiven Behandlungsweise seines Stoffs hatte Wolfram auf ihn Einfluß ausgeübt. Er folgte nicht einem Buche, sondern einer ihm von einem Knappen vorgetragenen Erzählung, die er frei be­ arbeitete. Er läßt häufiger noch als Hartmann seine Persönlichkeit

hervortreten, indem er die Leere und Geringfügigkeit seines Sagen­ stoffes empfindend, mancherlei Betrachtungen einflicht, wie sie ihm

Menschenkenntniß, Sagen- und Dichterkunde, und Moral eingege-

ben haben.

Mit dem Hinneigen zum Didaktischen tritt zugleich,

abweichend von Hartmann's Vergnüglichkeit, ein gewisser Mißmuth über die Gegenwart ein und der sehnende Rückblick in die alte Zeit.

Wie Wirnt dem Hartmann am nächsten steht, so lehnt sich an Gottfried Konrad Flecke, welcher, wie Gottfried die Schuld in

78

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

der Liebe darstellt, so in seinem Flos und Blankflos (herauSg.

in C. H. Müller's Sammt. Th. 2. schuldigen Liebe behandelte.

Berlin 1781.) die Geschichte der un­

„Flos, der Sohn eines Arabischen Königs wird mit Blankflos, der Tochter einer gefangenen Gräfin von Auvergne erzogen; die Kinder lie­ ben sich innig, und als der Vater die Neigung seines SohneS entdeckt, entläßt er ihn in die Fremde und verkauft Blankflos an morgenlän­ dische Kaufleute. Den zurückkehrcnden Sohn sucht er durch ein präch­ tiges für Blankflos errichtetes Grabmal zu täuschen, aber die Mutter entdeckt dem Jammernden den Betrug. Nun eilt er Blankflos zu su­ chen, findet sie beim Sultan in Babylon, und wird vom Pförtner in einem Korb mit Rosen zu ihr gebracht. Der Sultan entdeckt ihre Liebe, will die Liebenden verbrennen, wird aber, da sich keiner von ihnen durch einen Zauberring retten will, gerührt, verzeiht ihnen, sie kehren ins Vaterland zurück, wo indessen der Vater von Flos gestorben war und der Tod also dies Hinderniß hinwcggeräumt hatte."

Wie in Tristan Stofe und Wein die ganze Dichtung deuten, so ist hier durch Rose und Lilie die schuldlose, selige Liebe symbo­

lisch angedeutet.

Auf dem wunderbaren Grabmal, was der Vater

des Flos erbauen ließ, sitzt Flos aus einer Rose und Blankflos aus

einer Lilie; mannigfaches, von Gold getriebenes Gezweig rankt sich herum; künstliche Vögel sitzen in dem Laube und von Zeit zu Zeit begrüßen sich die lieblichen Kinder mit einigen Worten und offen­

baren sich ihr süßes Geheimniß der Sehnsucht und des Genusses. Der Dichter hat mit großer Naivität in einer leichten, anmuthigen Sprache die Unschuld dieser reinen Liebe gezeichnet und nur bisweilen fällt die Darstellung ins Tändelnde und Weichliche.

Die Abhängigkeit der erzählenden Dichter um die Mitte des 13. Jahrhunderts zeigt sich besonders in den Fortsetzern vonWolsram's und Gottsried's unvollendet gelassenen Werken, wie in Ul­

rich von

dem

Türlin,

in

Ulrich von Turheim und in

Heinrich von Freiberg (s. oben) [76].

Unter den Dichtern,

welche sich an Gottfried anschlossen, zeichnen sich noch am meisten

aus Konrad von Würzburg, der den trojanischen Krieg, und Rudolf von Ems, der den Wilhelm von Orlens und die Sa­

gen von Alexander bearbeitete. Das Charakteristische der Dichter in dieser Zeit der Nachblüthe ist, daß sich die äußere dichterische Form in einer großen Fertigkeit erhält, die Materie an Umfang wächst (Konrad's trojanischer Krieg enthält etwa 60000 Reimzei­ len), und das Bedeutungsvolle des Inhalts, die Kunstmäßigkeit

der inneren Form und Conception in den Hintergrund tritt.

In

. bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

79

den kleineren Erzählungen, die wir weiter unten kennen lernen wer­

den, sind sie noch am glücklichsten.

Die fremden Sagenkreise wa­

ren wegen ihrer Gehaltlosigkeit am schnellsten erschöpft, und es trug

die höfisch erzählende Poesie um so mehr den Keim der Zerstörung in sich, als sie auf keinen nationalen Grundlagen ruhte, sondern

sich nur unter dem Einfluß des Ritterthums entwickelte und daher mit dem Verschwinden der edlen und würdigen Begriffe vom Rit­

terwesen die innerste Triebkraft verlor.

In den unruhigen, trüben

Zeiten der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wo Landfrieden­

bruch, Selbsthülfe, Gräuel und Gewaltthaten aller Art sich geltend machten, wandten die frommeren Gemüther sich von dem Weltli­

chen hinweg auf das Geistliche und suchten für die unter der Sün­ denlast seufzende Menschheit neue Heilmittel in den Wundern der

Heiligengeschichte; diese geistlichen Neigungen fanden ihren Anknü­ pfungspunkt an die Wolframsche Richtung auf religiöse Mystik und

Weihe des inneren Lebens, welche Richtung daher bei den düsteren

Gestaltungen der Zeitereignisse immer überwiegender wurde, so daß

selbst Dichter, die sich sonst an Gottfried angeschlossen hatten, wie z. B. Rudolf von Ems, sich zur Rettung ihres Seelenheils den

heiligen Gegenständen zuwandten.

Es zieht sich daher die Dich­

tung auf die Legende zurück, von wo aus sie im 12. Jahrhun­

dert zu dem ritterlichen Epos vorgeschritten war, und, da man sich andererseits von den abenteuerlichen Rittergeschichtcn immer mehr einer verständigeren Beschauung der Wirklichkeit zuwandte, tritt der

Legende gegenüber die historische Reimchronik [77]. b.

Legenden und andere kleinere Erzählungen (Novellen).

Während die epische Poesie die großen Verhältnisse der Na­ tionen in ihrer weltgeschichtlichen Bewegung abspiegelt und bedeu-

deutende, weltgeschichtliche Personen und Begebenheiten zu ihrem Mittelpunkt hat, versetzen uns die kleineren Erzählungen auf den Boden des beschränkteren Privat- und Familienlebens, auf welchem

die einzelnen Ereignisse und Vorfälle sich zutragen.

Schon in der

Arthursage treten die großen Verhältnisse in den Hintergrund und das individuelle Leben einzelner Helden bildet den Mittelpunkt; in­ dessen bleibt noch immer ein gewisser Zusammenhang der Handlun­ gen der Individuen mit dem Großen und Ganzen des weltgeschicht­ lichen Zustandes der Nation erkennbar. Je mehr dieser Zusammen­ hang schwindet und der Werth des Einzelnen in seiner Subjektivi­ tät sich geltend macht, um so mehr treten die besonderen Stände

80

Dritte Periode.

Bon der Mitte des zwölften

und Verhältnisse deS Lebens in den Vordergrund, und das Natio­

nale zersplittert sich in die Individualitäten des bürgerlichen und gesellschaftlichen Lebens.

Es kommt nun hier darauf an, wie die­

sen beschränkteren Zuständen und Begebnissen eine allgemeine Be­

deutung gegeben wird.

Diese Bedeutung gewinnen sie dadurch, je

nachdem sie den religiösen und kirchlichen Glauben oder ein allge­

meineres Weltbewußtseyn zur Grundlage haben.

Auf dieser ver­

schiedenen Beziehung zu dem religiösen oder weltlichen Bewußtseyn beruht im

Allgemeinen der

Unterschied zwischen

Legende

Novelle. Die Legende [78] versetzt uns in diejenigen Kreise,

in

und wel­

chen das subjective Glauben und Thun der Einzelnen die Wahr­

heit deS Christenthums in ihrer unwiderstehlichen Macht kund thut, so daß auch die besonderen Verhältnisse des Lebens in der Mög­ lichkeit ihrer Heiligung sich darstellen und die Idee des Christen­ thums sich in der auf das rein Menschliche basirten Besonderheit

immer individueller vollzieht und

verwirklicht.

Das

Wunder

bildet den Brennpunkt der Legende, weil in dem Glauben die all­ durchdringende, schöpferische Macht Gottes wirksam ist, der nichts Widerstand zu leisten vermag.

Das Selbstbewußtseyn, durch den

lauteren Gedanken mit dem einzig wahren Gott geeinigt, ist un­

bezwinglich.

Diese Einigung mit Gott kann aber nicht errungen

werden ohne Schmerz, welcher sich offenbart in dem Abthun des Irdischen, in dem Verläugnen alles Endlichen. Das Herz wird brechen, aber aus seiner Zerknirschung immer wieder die unwandel­ bare Seligkeit als schönste Frucht zurückerhaltcn.

Daher ist der

Schmerz ein ebenso nothwendiges Moment für die Legende als das Wunderbare.

Je nachdem nun in derselben das überwiegende In­

teresse mehr auf der richtigen Erkenntniß oder mehr auf der leben­

digen Bethätigung des Glaubens beruht, darnach scheidet sich das

theoretische oder praktische Element der Legende.

Von den Legenden, welche das Interesse an der Erkenntniß des Glaubens hervortreten lassen, giebt besonders Barlaam und

Josaphat von Rudolf von Ems (Ausg. v. Köpke. Königsberg 1818,

und von Pfeiffer. Leipzig 1843.) eine nähere Anschauung. Der Dich­ ter schrieb diese heilige Geschichte sowol in ausdrücklichem Gegensatz gegen den Lug und Trug der weltlichen Aventiuren überhaupt, als auch besonders um seine eigenen weltlichen dadurch abzubüßen. Er benutzte ein lateinisches Buch, das eine Uebersetzung einer griechi-

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

81

schen Legende war, in der sich eben der mönchische und dialektische

Geist der Byzantinischen Kirche abspiegelt. „Josaphat, der Sohn des reichen und mächtigen Indischen Königs Avenier, ist von dem alten Weisen Barlaam in das Christenthum eingewciht und ausgenommen. Vergebens sucht der Vater ihn zu den heimischen Göt­ tern zurückzusühren; der Sohn weiß mit so unwiderstehlichem Eifer die Sache des Christenthums zu vertheidigen, daß Chaldäer, Griechen, Aegppter und Juden siegreich widerlegt werden. Fruchtlos bleiben gegen Josaphat auch alle Versuchungen, die ihm von dem Zauberer Theo das bereitet werden. Nun theilt der Vater das Reich mit seinem Sohn, wird endlich selbst Christ und zieht sich nach Niederlegung der Regie­ rung in die Einsamkeit zurück. Nach dem Tode des Vaters legt auch Josaphat die Krone nieder, um in dem einsamen Einsiedlerleben frei zu bleiben von den feindlichen Einflüssen des Weltlichen."

Wahrend in dieser Legende alle nicht christlichen Religionen von der christlichen überwunden werden, enthält der heilige Sylve­ ster von Konrad von Würzburg (AuSg. von W. Grimm.

Göt­

tingen 1841.) eine Vertheidigung der christlichen Religion gegen die

jüdische.

In dem Wunder des Juden, der durch Nennung eines

einzigen magischen Namens einen ungeheuren Stier todt zu Boden

wirst, wird dargestellt, daß der falsche Glaube zwar die Macht habe,

zu todten, aber nicht lebendig zu machen [79].

Sylvester erweckt

den Stier durch ein Gebet wieder, und durch diesen Beweis über­ zeugt läßt sich sowol die Kaiserin Helena als der mitgekommene

Schwarm der Juden taufen.

Die Legende von den beiden Jo­

hannes durch Heinzelin von Constanz bleibt innerhalb des

Christenthums stehen. „Von zwei Klosterjungfrauen verehrt die eine ausschließlich den Täu­ fer, die andere den Jünger Johannes; so oft sie einander begegnen, streiten sie über den Vorzug des einen und des anderen, bis sie endlich durch eine Vision ihrer Heiligen, die sie beide in Einer Nacht haben, enttäuscht werden."

Wenn in Barlaam und Josaphat die allgemeinen Vorstellun­ gen sich noch zu individuellen Gestalten zusammenfassen, tritt in

Sylvester das Epische schon zurück und die theologische Dialektik ist

vorwiegend. In der Legende von den beiden Johannes ist das Dia­ lektische so hervortretend, daß die Begebenheit mit den Klosterjung­ frauen nur den äußeren Rahmen bildet für das dogmatische Ge­

mälde.

Ganz in Reflexion übergehend ist die Legende von der

heiligen Martina durch Hugo von Langenstein, welcheebenfalls nicht durch die bloße Erzählung, sondern mit Allegorien und

moralischer Lehre zu wirken sucht. Biese deutsche Literaturgeschichte I.

Hugo's Vortrag ist, wie bei 6

82

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

Rudolf von Ems und bei Konrad von Würzburg

nach Gottfried

gebildet und zeigt Reinheit und Natürlichkeit neben schmuckvoller

Breite und

Gewandtheit.

Verwandt mit Hugo von Langenstein

ist der unbekannte Dichter des Passionale sowol der Sprache und

dem leichten Vortrag, so wie der ganzen Tendenz nach.

Das Pas-

fionale ist eine Legendensammlung und umfaßt die Geschichte der

Maria, der Apostel und anderer Heiligen [79b], Das praktische Element der Legende macht sich vorzüglich in dem heiligen Georg von Reinbot von

Durne

(abgedruckt in

Hagen's und Büsching's deutschen Gedichten. Bd. I. Berlin 1808.) geltend.

Wenn die theoretische Legende an die Zeiten erinnert, wo das Chri­ stenthum

gegen

die alte Wissenschaft sich als die höhere Wahrheit

zu bewähren hatte, so erinnert die praktische an die Christenverfol­

gungen unter den Kaisern, und

ihr Wesen besteht darin, daß der

Glaube im Conflict mit der Wirklichkeit, die er umzubilden bestrebt

ist, stets siegreich erscheint über die gcsammle Natürlichkeit und die

höchste weltliche Macht.

Neinbot, welcher am Hofe Herzog Ottos

des Erlauchten von Baiern (1231—53) lebte, bearbeitete auf Bit­ ten des Herzogs und der Herzogin seine Legende nach einem wälschen

Buch

Wolfram.

und schloß sich in

Es zeigt sich

seiner Darstellungsweise ganz an

bei ihm neben

einer

fließenden

schönen

Gabe der Schilderung Geschmacklosigkeit in einzelnen Zügen, neben

einschmeichelnder Leichtigkeit der Erzählung ein Haschen nach Bil­ dern und Schwulst in der Diction, neben kraftvoller Beredsamkeit

voll Feuer religiöser Begeisterung der schwere mystische apokalyp­ tische

Ton,

der im

jüngeren

Titurel seinen höchsten Punkt er­

reicht [80].

„Der heilige Georg ist der jüngste unter den drei Söhnen Mark­ grafs Gcorius von Palästina. Bei seiner Geburt zeigten sich wunder­ bare Naturerscheinungen und ließen seine große Bedeutsamkeit ahnen. Georg theilte sich mit seinen Brüdern in den Kampf gegen die Heiden und wählte Kappadocien. Nach fünf ruhmgekrönten Jahren übergiebt er seinen Brüdern die eroberten Länder, und spricht gegen fie seinen Entschluß aus, an den kaiserlichen Hof zu gehen, um die Märtyrerkrone zu verdienen. Hier hat der Dichter Gelegenheit, die Macht und Ge­ walt der Rede zu entfalten, mit welcher Georg seinen Brüdern die Nothwendigkeit darthut, dem göttlichen und ewigen Leben das irdische und vorübergehende zu opfern. Georg kommt nach Constantinopel, ent­ deckt sich als Christ und fordert so die öffentliche Meinung gegen sich heraus. Er wird bald inS Gefängniß geworfen, verläßt aber den Glauben nicht, welcher sich in ihm als die schöpferische Kraft des Gött­ lichen darstellt. Im finstern Thurm glänzt er mit der Klarheit des

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

83

Sonnenlichts, dürre Säulen macht er blühend und wunderbare Speise ernährt ihn. Die Kaiserin Alerandrina bewegt er zur Annahme des Christenthums. Er wird auf's Rad geflochten, allein Engel hüten ihn, und er schläft sanft und ersteht wieder. Die gemißhandelte Kaiserin heilt er, so daß sie in jugendlicher Schönheit dasteht. Er wird mit ei­ ner Hornsäge in Stücke zerschnitten und in einen Sumpf geworfen, aber von Gott wunderbar wieder zusammengeheilt; es folgen noch viele andere Leiden und Wunder, bis er nach Ertragung vieler Qualen stirbt, um die Krone des Lebens zu empfangen."

Je weniger sich nun die innere Ueberzeugung nach außen be­ thätigt und sich immer mehr, ohne umbildend in die Weltlichkeit einzugreisen, auf sich selbst zurückzieht, desto weiter entfernt sich die Legende von der wahren Menschlichkeit und verweilt bei der Dar­

stellung passiver Zustände einer stillen und strengen Frömmigkeit, die sich die grausamsten Bußübungen auferlegt, wie sich dies darstellt

in dem Leben der

heiligen Elisabeth [81].

So lange der

Schmerz sich in dem Abthun des Irdischen als nothwendiges Mo­ ment zur Heiligung offenbart und in dem Kampf gegen die ver­

derbte Wirklichkeit der Innen- und Außenwelt hervortritt, so lange hat er seine Wahrheit und die Legende ihre Bedeutung; sobald er sich aber als Selbstqual geltend machen will in dem Lossagen von

aller Verbindung mit der Wirklichkeit, verliert er seine Wahrheit und die Legende ihre Poesie. Je mehr die christliche Idee die ver­ schiedenen Sphären des wirklichen Lebens durchdrang, um so mehr gestaltete sich

ein

allgemeines Weltbewußtseyn, welches

von der

christlichen Idee als seiner festen Grundlage getragen wurde. Es wurde somit dem Weltlichen, insofern es von dem Princip des Chri­

stenthums durchdrungen war, seine Berechtigung zuerkannt und der Conflict des Glaubens mit der Weltlichkeit ward minder schroff,

der Kampf und der Schmerz minder heftig. So stellte sich in der Geschichte dem klösterlichen Leben und der beschaulichen Einsamkeit

das wirkliche Leben in seinen verschiedenartigen politischen und ge­ sellschaftlichen Zuständen gegenüber. Indem die endlichen Interessen der Stände und Individualitäten hervortreten, um sich geltend zu machen, kommt es auf ihre höhere oder geringere Berechtigung an.

einseitigen, egoistischen Zwecke heben sich selbst auf, stehen beschämt da vor dem höheren Gottesbewußtseyn und wenden sich

Die

diesem zu, indem der Finger Gottes deutlich zeigt, wohin der welt­

liche Mensch sich zu richten habe. Auf der Umwandelung des kirch­ lich-gläubigen Bewußtseyns zu dem allgemeineren christlichen Welt­ bewußtseyn, welches nicht mehr abstrahirt von den wirklichen Zu6*

84

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

standen des Lebens, beruht der Uebergang der Legende zur Novelle. Auf diesem Uebergangspunkt steht Hartmann's Erzählung, der arme Heinrich (herausg. von den Gebrüdern Grimm. Berlin 1815.), welche daher als eine legendenartige Novelle bezeichnet wer­

Der Dichter spricht im Eingang aus, wie ihm die

den kann.

Dichtkunst schon nicht mehr ein bloßer Zeitvertreib sey, sondern ein

Mittel, trübe Stunden sanfter zu machen.

Als eine nicht unwür­

dige Beschäftigung gilt es ihm, zu erzählen, was Gottes Ehre för­

dere und ihm der Menschen Liebe erwecke, indem er ihnen nicht blos Angenehmes mittheile, sondern solches, was zu ihrer Besserung gereiche, und er fügt den frommen Wunsch hinzu: zählung

lese

wer seine Er­

oder vorlesen höre, der bitte zu Gott um sein Heil

der Seele; man sage ja

Andern Schuld bitte.

auch, der erlöse sich selber, der für des

In der Erzählung selbst geht das Contem-

plative ganz in die Handlung auf, und die einseitigen Zwecke ver­ nichten sich selbst, indem sie höheren, geistigen dienstbar werden. „Der Ritter Heinrich war in der Mitte irdischen Glücks stolz gewor­ den, und meinte, wie die Weltthoren, es sey ihm ohne Gott gekom­ men, so daß er wenig an Gott gedachte; da trifft ihn zur Strafe seines weltlichen Uebermuths die unheilbare Krankheit der Miselsucht. Die edle Hingebung einer Jungfran, der Tochter seines DwnstmanneS, ist in unbefangener Liebe bereit, sich aufzuopfcrn für den armen Heinrich, indem sie nach dem AuSspruche eines in Salerno befragten ArzteS ihr Herz will ausschneiden lassen, um mit ihrem Blute den Kranken zu heilen. Schon steht der Arzt wie ein alter Opferpriestcr mit dem ge­ schärften Messer da, als das Opfer unterbrochen wird und Gott an dem reinen Willen sein Genügen hat. Der Ritter wird um solcher hinge­ benden Liebe willen von seiner Krankheit befreit und macht das holde Mädchen zu seiner Frau [82]."

Hierher gehört

auch

noch

die

Erzählung

von, der Kaiserin

Crescentia, die schon in der Kaiserchronik vorkommt, und ferner der König im Bade,

der im Stolze aus seine Herrschermacht

aus allen Exemplaren der Bibel die Worte: deposuit potentes de sede zu vernichten suchte.

Durch Gottes Fügung wird sein Sinn

zur Demuth umgewandelt.

Aehnlich ist die Tendenz der Erzählung

vom guten Gerhard durch Rudolf von Emss82d]. Endlich kann hier noch genannt werden Konrad's von Würzburg Engel­ hard und Engeltrut, wo die Freundschaft Engelhard's mit Die­

trich und seine Liebe zu Engeltrut, der Tochter des Dänenköniges,

besonders

hervortretend ist; die Erzählung schließt mit

Dietrichs

Aussatz und seiner Heilung durch das Blut der Kinder Engelhards.

85

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

Wie nun die Legende als der religiös-kirchlichen Anschauung entsprechend sich an das geistliche epische Gedicht anschlicßt, und das umfassendere Epos in derselben herabsteigt in die kleinere Erzäh­

lung, ebenso läßt sich die romantische Epopöe von der Größe und Allgemeinheit ihrer Anschauung herab zur romantischen No­ velle. Auf den Uebergangspunkt steht Flos und Blankflos

von Konrad Flecke.

Schon in Gottfried's Tristan ist die Liebe

nicht mehr bloß ein Moment im Ganzen der Dichtung, sondern

zieht alle übrigen Seiten des reellen Daseyns in ihren Kreis; sie wird das Princip und der einzige Inhalt des Epos, und um In­

teresse für diesen Inhalt in seiner Jsolirung zu erwecken, muß die

molivirt

Begebenheit an der Charakterentwickelung der Personen

Der Dichter des Tristan vermogte es aber, seiner einfa­

werden.

chen Erzählung ein großes Interesse zu geben und seinen Helden

zu einem Repräsentanten der Zeit, zu einem epischen Helden zu

bilden, indem er auf seiner reinen Kunsthöhe das Leben von dem Zufälligen entkleidete und die Wirklichkeit durch das Normale sei­

ner dichterischen Anschauung in dem Glanz des Ideals erscheinen ließ.

Auf dieser Höhe der ästhetischen Anschauung hält sich Kon­

rad Flecke nicht, sondern in seiner Dichtung „Flos und Blankflos"

tritt deutlich hervor der Uebergang zur Unterhaltungspoesie,

zur

Novelle, welche statt des Tiefsinnigen und Erhabenen, das Anmuthige und Leichtverständliche fordert zur Befriedigung einer hör- und leselustigen Zeits83j.

Mit der Novelle sind wir auf den Boden

der einzelnen Leidenschaften und natürlichen Triebe versetzt, die sich für sich wollen geltend machen, und ihre Einseitigkeit und Nichtig­ keit an den höheren Lebenszwecken erfahren. Die romantische Novelle zunächst hängt noch zusammen mit dem romantischen Sinn der Rit­ terwelt, und in diesen kleinen Erzählungen bewähren sich diejenigen Dichter, welche die Nachblüthe der epischen Kunstpoesie darstellen,

wie Rudolf von Ems, Konrad von Würzburg und Stricker.

der

Vor allen zeigt Konrad sein Talent des Erzählens in

den Novellen, in welchen der Stoff ihn nicht überwältigte. ihm ist Kaiser Otto mit dem Barte (hcrausg. v. Hahn.

Von Qued­

linburg 1838.): Ritter Heinrich von Kempten, vom Kaiser verstoßen, wird später dessen Retter in Gefahr und gewinnt des Kaisers Gnade wieder.

Ferner dichtete Konrad den Schwanenritter

(gebt, in

den altd. Wäldern der Brüd. Grimm ui.), welche die Sage von Lo-

hengrin auf eine andere Weise auffäßts83bj. Endlich ist noch von Kon-

86

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

rad zu nennen das Herzmär oder das Mär von der Minne,

dessen Stoff die Ballade vom Castellan von Couci zu Grunde liegt. Je mehr der Dichter nun eingeht in die niederen Kreise des

Lebens, um so mehr treten ihm die verschiedenartigen Zustände der

gemeinen Wirklichkeit entgegen, in welcher das bunte Spiel der menschlichen Willkür das leitende Princip ist. Es erscheint eine Welt voll von Widersprüchen und Ungereimtheiten, ohne Ordnung und Gesetzmäßigkeit. Eine solche Welt kann sich aber nicht behaup­

ten, sondern sie fällt in sich selbst zusammen, und indem Zufall und Willkür, Schwäche und Verkehrtheit, Irrthum und Thorheit sich selbst gegenseitig aufreiben, vollzieht sich zuletzt doch immer das

Gute und Vernünftige.

Die einzelnen Leidenschaften und natürli­

chen Triebe vermögen sich in ihrer Einseitigkeit keine Geltung zu verschaffen, sondern zerschellen an der höheren ideellen Wirklichkeit

und gewähren den Eindruck des Komischen, und somit wird das

Lächerliche und Schalkhafte das neue Princip der novellenartigen

Erzählung.

Die Sinnlichkeit, die verbotene Liebe, die sich selbst

überstürzende List sind die Grundbestimmungen der gemeinen Wirk­ lichkeit, und Ironie, Laune, Witz müssen über diese Welt ihren

Zauber ausschütten, um sie für eine poetische Auffassung geeignet zu machen [84]. Meier Helmbrecht, von Wernhcr dem Gar­ tenäre, (Ausg. von Bergmann in den Wiener Jahrb. der Liter. Bd. 85. 1839.) giebt eine lebensvolle Darstellung von einem übermüthigen

Bauern, welcher der Feldarbeit müde, und nach dem unabhängige­ ren Leben der höheren Stände begierig, sich wider Willen seines Vaters, eines wohlhabenden und redlichen Landwirths, aus der Heimath entfernt, eint Zeit lang unter Rittern und Räubern in ausgelassenem Leben umherstreift und zu einem Besuch ins elter­ liche Haus zurückkehrt, um auch seine Schwester, die er für einen seiner Spießgesellen zur Braut bestimmt hat, abzuholen.

Diese ist

auch bereit, ihm zu folgen, und schon soll die Hochzeit gefeiert wer­

den, da wird die ganze Bande aufgehoben und die verdiente Strafe über die Urheber verhängt.

Der Verfasser dieser Erzählung, welche

reich an individuellen Zügen ist, lebte etwa um 1230—40 und war

vielleicht aus der niederösterischen Gegend des Manhartes, wohin er auch seine Geschichte des übermüthigen Bauern versetzt.

In dieser

Art von Novellen hat auch Konrad v. Würzburg sein Talent bewährt bei der ihm eigenthümlichen Leichtigkeit seinerErzählungsweise, beider Empfänglichkeit seiner Phantasie für die verschiedenartigsten Si­ tuationen und bei der Gewandtheit, den Punkt hervorzuheben, um den

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

87

es sich handelt (Ausg. sämmtlicher Erzählungen Konrad's in v. d. Hagen'S Sammlung „Gesammtabenteucr" 1838.). Es erhielt indeß die schwankartige Novellenpoesie vorzüglich erst mit dem Emporkommen des dritten Standes in der folgenden Periode als Volks No­

velle ihre Ausbildung, in welcher der Kaufmann, der Handwer­ ker, Bürger und Bauer in ihren Beziehungen zum geistlichen und

adligen Stande gezeigt werden. Der Stricker, welcher um 1230

in Oesterreich dichtete, gab in seinem Pfiffen Amis (Ausg.inBenecke's Beitr. z. altd. Sprache und Liter. Bd. I. H. 2. Göttingen 1832.) dieser Volksnovelle die erste bedeutende Gestaltung. In Oesterreich,

wo diese Erzählung gedichtet ist, zeigte sich die lustige, leichte Stim­ mung auch im Leben, und es geben sich

zugleich hier die ersten

Spuren zu erkennen, wie die volksthümliche Dichtung in die ritter­

liche eindrang. „Amis ist ein pfiffiger, verschmitzter Pfaffe in England und wird von seinem Bischof gehaßt, der ihm seine Pfründe zu nehmen droht, wenn er ihm nicht Geld gäbe. Dies verweigerte Amis mit der Antwort, daß er seine Kirche nicht verlieren könne, weil er ihr vorzustehen wisse, und man solle ihn deshalb prüfen. Nun folgen die Fragen des Bischofs, welche Amis alle durch seine Beweise ad hominem zu vernichten ver­

steht."

Es macht sich hier der gesunde Menschenverstand, der Mutterwitz geltend, der später in Eulenspiegel eine so bedeutende Rolle spielt, c.

Erzählende Dichtungen Historischer Ereignisse.

Die Darstellungen der Historie in Versen und Reimen führen immer bestimmter vom Epos und Roman zur geschichtlichen Wirk­

lichkeit über, und die poetischen Chroniken sind das Ende, worin

sich das Epos verläuft.

In denselben ist es nicht mehr um den

Sinn der Sagen und um eigentliche Dichtung zu thun, sondern blos um die Materie; nicht die Poesie ist mehr Zweck, sondern sie

wird zum Mittel, das Geschehene zu Nutz und Frommen zu über­

liefern.

Es handelte sich nur um das Stoffartige, indem man das

historisch Gewußte in einem wenigstens äußerlich formellen Zusam­ menhang darzustellen strebte; daher diese poetischen Chroniken fort­

während der Erweiterung und Vermehrung fähig waren. Rudolf von Ems, der schon in seinem Wilhelm von Orlens, sich wahr­

scheinlich anlehnend an die Geschichte Wilhelm's des Eroberers, ins Prosaische des alltäglichen Lebens gerathen war, dichtete eine Welt­

chronik, welche die alttestamentlichen Geschichten bis zu Salomo's Tod umfaßte; sie sollte ursprünglich ein geistliches Gedicht werden,

88

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

mit welchem Rudolf die alte Schuld seiner weltlichen lügenhaften Mären wieder gut machen wollte. Später im 14. Jahrhundert

wurde diese Weltchronik durch Heinrich von München fortge­

setzt und zu einem Sammelplatz von Geschichten, Sagen und Dich­ tungen der verschiedensten Art gemacht. Der Wiener Johann oder

Jansen der Enenkel, Rudolfs Zeitgenosse, verfaßte gleichfalls eine Weltchronik, welche sowol alttestamentliche Geschichte bis auf Simson, als auch Sagen- und Profangeschichte bis auf Kaiser Friedrich I. enthält. Er schrieb auch ein Fürstenbuch von

Oesterreich, welches vielleicht ein Theil der Weltchronik werden sollte; es macht den Uebergang zu den Specialchroniken, und

somit treten hier die beiden Hauptseiten der Geschichtschreibung ne­

ben einander, welche entweder auf Darstellung des Besonderen ge­ richtet ist oder das Besondere in Zusammenhang mit dem Allge­ meinen bringt, um die Geschichte im Ganzen zu übersehen. Mit

Ottokar von Hornek aus Steiermark, der eine Reimchronik von Oesterreich schrieb, wird der sagenhafte Charakter in diesen poe­

tischen Chroniken immer mehr abgelegt, welche daher schon als hi­

storische Quellen angesehen werden dürfen.

Ottokar's Reimchronik

umfaßt die Geschichte von Oesterreich-Steiermark von 1250—1309. Sie beginnt mit dem Untergang des Hohenstaufschen Hauses und reicht bis zur Thronbesteigung Heinrich's VII.

Er hält sich zum

Theil noch in dem Ton der ritterlichen Dichtung, und schließt sich namentlich an Wolfram von Eschenbach an, auf welchen er sich öf­ ter mit Ehrerbietung bezieht; doch wird er überall durch die ge­

schichtliche Schwere seines historischen Stoffs in die Prosa herunter­ gezogen, und vorherrschend bleibt der nüchterne Ton der annalisti« schen Erzählung.

3. a.

Das volkstümliche Epos. [85]

Die epischen Dichtungen, in welchen das Heroenleben in seinen nationalen Beziehungen aufgefaßt ist. (Deutsche Ilias.)

Die deutsche Heldensage, die in ihrer lebendigen Fortgestaltung

zunächst durch die kirchlich-gelehrte Poesie der Geistlichen und dann später durch die romantische Poesie des Ritterthums gehemmt wurde,

war ausschließlich nur von den Volkssängern und Spielleuten (f. oben) gepflegt und fortgebildet worden. Es konnte daher das volks-

thümliche Epos nicht die höchste Stufe möglichster Vollendung er­

halten, da nicht alle Stände der Nation ununterbrochen der Aus-

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

89

bildung desselben zugewandt blieben, und hierzu kam noch, daß die unübersehbare Ausdehnung der deutschen Heldendichtung selbst, die so viele kleinere auf historischen

oder mythischen Ueberlieferungen

der einzelnen Völkerstämme ruhende Kreise umfaßte, ein Hinderniß ihrer Ausbildung zu einem einzigen Epos wurde. Nur der Mit­ telpunkt der deutschen Heldensage gestaltete sich in dem Nibelun­

genlied zu einem abgeschlossenen Ganzen, welches daher nicht das abgesonderte Erzeugniß eines einzelnen Dichters, sondern ein Werk der Gesammtheit, ein durch Jahrhunderte fortwachsendes Erzeugniß

vieler Geschlechter ist.

Als Nationalepos

hat das Nibelungenlied

einen großen historischen Hintergrund [86], wenn auch die Sage von einander weit entfernte, hervorragende historische Personen und Ereig­

nisse aus einer bedeutsamen Vergangenheit einander genähert hat. Siegfried, die Burgundischen Könige, Attila, Dietrich von Bern sind Träger der deutschen Heldensage, und hinzukamen in Folge der Erwei­

terung und Umgestaltung des Sagenstoffes während des 10. Jahrhun­ derts historische Personen, wie BischofPilgrin und Markgraf Rüdiger.

Abgeschlossen wurde das Nibelungenlied, als die Sage noch in vol­ ler Frische im Volke lebte.

Es wurden die einzelnen epischen Lieder oder Rhapsodien der Volkssänger in zwei Haupttheilen von unbe­

kannten Dichtern um 1210 zusammengestellt [87]; daher verdankt das Nibelungenlied seine Vollendung in Sprache und Versbau dem Aufschwung der höfischen Poesie, so sehr es sonst in allen anderen

Beziehungen außer der herrschenden Richtung der damaligen Zeit stand, weshalb auch Anspielungen auf ein Gedicht von den Nibe­ lungen in den erzählenden Werken der höfischen Dichter nicht vor­

kommen [88].

Der Stoff unseres Nationalepos liegt in den ge­

meinsamen Handlungen und Begebenheiten ganzer Volksmassen, in denen i>ie Stärke des Gemeingefühls waltet [89]; nicht folgen wir in den Nibelungen einem einzelnen Helden, der unsere Aufmerk­ samkeit allein auf sich zieht, sondern wir stehen in einer Welt von

Menschen, die nicht blind in Abenteuer stürzen, sondern von einer außer ihnen liegenden Gewalt in ein großartiges Verhängniß ge­ stürzt werden.

Es ist hier nicht eine Reihe von zufälligen Aben­

teuern neben einander gestellt, sondern es sind Handlungen, deren

Anfang, Mitte und Ende, deren Entstehen und Fortbildung so ver­ folgt wird, daß alle Ereignisse einfach und nothwendig aus einan­

der entspringen, und nichts von der Willkür des Dichters, nichts von seiner Betrachtung oder seiner Empfindung abhängig erscheint; alles ist dem Willen und den Leidenschaften der Menschen angehörig,

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften und diese Leidenschaften treten den Charakteren der handelnden Per­

sonen gemäß nach allen Verzweigungen hin rührend und furchtbar hervor.

Es herrscht im Nibelungenlied die rein plastische objective

Kunst der Darstellung, wie sie das Epos fordert ohne Einmischung der Persönlichkeit des Dichters, der nur an einzelnen Stellen seinen Antheil am Stoffe leise ausdrückt, da hier tief ergreifend das ewig sich wiederholende Räthsel des menschlichen Daseyns, der

Wechsel

von blühendem Leben und trauervollem Tod, von Freud und Leid hervortritt, so daß der Dichter gleich im Eingang seines Liedes auf diesen Wechsel hinweist, und das ganze Gedicht als eine reiche Aus­

führung des Satzes erscheint, den die junge Chriemhild im ersten Gesang ahnungsvoll ausspricht „wie Liebe lohnt mit Leid;"

wel­

cher Ausspruch auch am Ende des Gedichts als die Erfüllung der früheren Ahnung

wiederholt wird.

Vorausverkündigungen

künftigen

Es

liebt

der Dichter solche

Schicksals und jeder Haupt­

theil erhält vorwärts und rückwärts seine befriedigende Begründung.

Der Nibelunge Not [90] (Ausg. von Lachmann.

Berlin erste

AuSg. 1826. zweite Ausg. 1841.) umfaßt neun und dreißig Aventiu-

ren in zwei Hauptabschnitten: der erste geht bis zum Tode Sieg­ frieds und dem Wittwenstande seiner Chriemhilde (Avent. 1—19); der zweite von der Vermählung Chriemhildens mit Etzel bis zum

Untergang

der

Burgunder

durch

Chriemhildens

Rache

(Avent.

20 - 39.). „Gleich von vorne herein wird die Aufmerksamkeit hingeleitet aus Chriemhild, das königliche Mädchen, welches sich zu Worms in der Pflege ihrer Brüder, Gunther, Gernot, Giselher, der Könige von Bur­ gund, befindet. Einen Traum ihrer Jugend [91], wie sie einen wilden Falken auferzieht, den ihr zwei Adler entreißen, deutet ihr die Mutter Ute auf den künftigen Mann, den sie dereinst wohl behüten möge, daß er nicht von seinen Feinden Schaden nehme. Dieser Jugendtraum enthält die Vorbedeutung ihres übrigen Lebens. Von hier geht das Ge­ dicht nach den Niederlanden hinüber, um die durch ihre innere Bezie­ hung zusammengehörigen Personen sogleich neben einander zu stellen. Siegfried, der Sohn Sigmunds und SigelindS, erhält auf einer Son­ nenwende [92] die Ritterwürde, wodurch ein Abschnitt in seinem Le­ ben bezeichnet ist, welcher dem Wendepunkt in Chriemhildens Leben entspricht, wo sie durch den Traum die Ahnung gewinnt, ihr Leben müsse an das des Mannes sich knüpfen. Der Ruhm von Chriemhildens Schönheit zieht den jungen Ritter nach Worms, damit er um ihre Liebe werbe. Unter Besorgnissen entlassen ihn die Eltern. Als die fremden Ritter in dem herrlichen Aufzug nach des Königs Gunther Burg reiten, da staunt sie alles an, und Gunther läßt, ehe die fremden Gäste vor ihn kommen, Hagen von Tronecke vor sich rufen, der Siegfried- wun-

-Ls gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

91

derbare Jugendthaten erzählt. Damit nun Siegfried Chriemhildens Hand erhalte, ist es nöthig, daß er dnrch tapfere Thaten und große Dienste, die er ihren Brüdern erweist, sie als Preis gewinne. Daher die Episode des Kriegs gegen die Sachsen und Dänen, wo Siegfried den neuen Freunden seinen redlichen Eifer bewährt und sich hohen Ruhm erwirbt. Bei den zur Siegsfeier in Worms angestellten Festen erblickt er die, welche er lange im Herzen getragen, zum erstenmal. Um nun den König Gunther noch mehr sich zu verpflichten, findet er Gele­ genheit hierzu in dem Beistand, den er dem König bei der Werbung um die starke Brunhilde auf Jsenland [93] leistet. Er giebt fich, damit er des Königs Ansehen noch erhöhe, für dessen Dienstmann aus, und trägt über Brunhilde, welche die im Wettkampf unterliegenden Freier tödten ließ, den Sieg davon mit Hülfe der Tarnkappe. Als Preis für so große Dienste erhält Siegfried Chriemhildens Hand/iind glanzvoll wird sowol Chriemhildens als Brunhildens Hochzeit gefeiert. Die Theilnahme Siegfrieds an Gunther's Brautfahrt schürzt den Knoten für die Verwickelung der ganzen Handlung. Mit den aus Gun­ ther's Schwäche hervorgegangenen Täuschungen beginnt das Böse, wel­ ches das Gute und mit ihm auch das Glück nach und nach vernichtet. Siegfried war mit Chriemhild in die Niederlande zurückgekehrt und lebte mit ihr eine Reihe glücklicher Jahre. Für Brunhilde ist es indeß befremdend, daß Siegfried als Dienstmaun ihres Gemahls gar nicht wieder in Worms erscheine. Dieser Stolz Brunhildens veranlaßt Sicgfried's und Chriemhilden's Besuch zu Worms. Das Uebermaaß der Liebe Chriemhilden's, welche durch Lobpreisung ihres Siegfried vor al­ len anderen Helden den Stolz Brunhildens reizt, führt den Hadez der beiden Frauen herbei, welche fich beim Kirchgang den Vortritt streitig machen, zumal da Brunhilde den Siegfried nur für einen Dienstmann Gunthers hält. Nun erfährt fie durch Chriemhilde die List, womit fie von Siegfried bezwungen worden sey. Die von Schaam und Zorn er­ füllte Brunhilde vertraut fich dem Dienstmann Hagen an, der fich zum Werkzeug ihrer Rache hergiebt. Er entlockt der Chriemhilde das Ge­ heimniß,, an welcher Stelle Siegfried verwundbar sey. Es wird eine Jagd veranstaltet; ahnungsvoll, von bösen Träumen geängstet nimmt Chriemhild Abschied von ihrem Siegfried. Das muntere Waldesgrün, der rauschende Jagdlärm, das spielende Erlegen des Wildes, die frohe Laune und der Scherz Siegfrieds, wie er einen lebendig gefangenen Bären durch die Küche laufen läßt, contrastiren mit dem anschleichenden Mord zu der ergreifendsten Wirkung. Siegfried fällt unter Hagen's Speerstichen und weissagt sterbend den umstehenden Königen seine un­ ausbleibliche Rache. Chriemhilde beharrt Jahre lang in schweigender Wittwentrauer; endlich bringt Hagen äußerlich eine Aussöhnung mit ihren Brüdern zu Stande, in Folge deren der Nibelungenhort, Siegfried's Morgengabe, nach Worms gebracht wird; diesen versenkt er aber, um Chriemhilden alle Macht und allen Einfluß zu entziehen, in den Rhein [94]. Durch Siegfrieds Mord war die Ehre BrunhildenS wiederhergestellt und durch die Aussöhnung die Entzweiung in der Gunther-

92

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften schen Familie äußerlich gehoben. Doch auf Hagen lastete eine schwere Schuld, und die unergründliche Liebe und Treue ChriemhildenS mußte die strafende Rache zum Vollzug bringen. Auf diese Rache, welche den Inhalt des zweiten Haupttheils in unserem Gedicht auSmacht, wird wiederholt im ersten hingedeutet. Chriemhilde wollte schon Worms ver­ lassen und sich zu der neu gestifteten Abtei ihrer Mutter begeben, da wirbt Etzel um ihre Hand; Chriemhilde entschließt sich, diese Werbung anzunehmen, nachdem Rüdiger's Zusage ihr die Hoffnung gewährt, ihre Rache befriedigen zu können. Nachdem sie sieben Jahre mit Etzel ge­ lebt, weiß sie, wie einst Brunhild ihrem Gemahl anlag Siegfried ein­ zuladen, Etzeln zu bestimmen, ihre Verwandte kommen zu lassen. Etzels Botschaft trifft in Worms ein; die alte Königin Ute warnt, von be­ deutsamen Träumen gewarnt; doch Hagen greift durch, indem er des Willens spottet, der sich durch Träume bestimmen lasse. Auf der Reise durch Franken erhält Hagen an der Donau durch die weissagenden Meer­ weiber und durch die wunderbare Rettung des Kaplans die völligste Gewißheit der Zukunft. Er zertrümmert daher, nachdem er die Helden über die Donau übergesetzt hat, daS Schiff, an der Rückkehr verzwei­ felnd, ohne aber von dem Gedanken an den Untergang zerknirscht zu werden.'Das Abenteuer mit den räuberischen Baiern, Gelfrat und Else, contrastirt mit dem Aufenthalt der Burgunden zu Bechlarn in Rüdiger's Burg, wo Achtung, Freundschaft und Liebe auf unvergeßliche Weise hervortreten. Von Rüdiger geleitet setzen nun die Burgunden durch Oesterreich längs der Donau ihren Weg zu den Hunnen fort. Dietrich reitet ihnen entgegen und warnt sie vor Chriemhilden; diese empfängt tzur ihren Bruder Giselher mit einem Kuß und schließt Hagen von al­ ler Gemeinschaft mit sich auS, der in seiner großartigen Furchtlosigkeit und Festigkeit nichts unterläßt, sie zu reizen. Mit dem Spielmann Volker verbunden fitzt Hagen aus einer Bank, als Chriemhilde sich nä­ hert, von einer Schaar aufgereizter Hunnen umgeben. Um seine Ge­ sinnung offen darzulegen bleibt Hagen und mit ihm Volker fitzen, und er gesteht der Königin unerschrocken den Mord Siegfrieds. Jetzt treibt Chriemhild Etzel's Bruder Blödelin durch lüsterne Hoffnung auf eine Heirath in den Kampf gegen die Burgunden; doch er wird erschlagen. Kühne Lust, den mächtigen Hagen zu bestehen, treibt Jring, einen Dienst­ mann des Dänenkönigs, in den Kampf; er wird aber von Hagen er­ stochen. Der Dänenkönig und der Thüringerfürst Jrnfrid dringen zur Rache heran; beide werden getödtet. Chriemhilde verheißt nach Hagen's Auslieferung den Burgunden Frieden; dies wird aber mit Abscheu zu­ rückgewiesen. Darauf läßt die Königin, als es Nacht geworden, den Saal anzünden, um die Recken im Qualm der Gluth zu ersticken. Zwi­ schen Feuersflammen und Blutströmen ist Hagen überall voran, nach dessen Rath die Helden den entsetzlichen Durst durch das Trinken des Bluts aus den Wunden der frisch erschlagenen Feinde löscheü. Jetzt reißt die äußere Nothwendigkeit des Vasallenverhältnisses auch Rüdi­ gern in den Kampf gegen die ihm eng verbundenen Burgunden. Er fällt durch Gernot's Schwert und alle Bechlaren kommen um. Da er-

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

93

hebt sich Dietrich, vom Geist der Rache für feinen theuren Rüdiger ge­ trieben. Furchtbar ist fein Gefecht mit den gewaltigen Helden; er, der Unbesiegbare, tödtet sie nicht, sondern gebunden bringt er sie vor Chriemhild, welche beide erschlägt. Diese That zu rächen, zieht der alte Hilde­ brand das Schwert und tödtet Chriemhilde. Etzel, Dietrich, Hildebrand sind allein übrig geblieben, um den Schmerz der Sehnsucht nach den Geschiedenen ihr Leben hindurchzutragen."

Hier haben wir mehr die Katastrophe einer Tragödie, als den ruhigen Ausgang eines Epos.

Es bleibt hier nichts mehr zu hof­

fen, dagegen in Homer's Ilias der unendliche Hintergrund das

Große ist.

Eine ganze Welt von Geschlechtern und Stämmen sinkt

in jenem verhängnißvollen Sturme unter, und es sind von diesem Grabe, nicht wie von Jlion's Mauern, viele Rückfahrten möglich. In dem griechischen Gedicht gehört zwar der frühe Tod des ersten

Helden und der Untergang Troja's zu dem Kreis der Sage; aber

beides wird als erst bevorstehend und in der Ferne gezeigt. Hektor's Leichenfeier schließt als die letzte und höchste Verherrlichung seines Siegers die Handlung der Ilias vollendend und tief beru­

higend ab, indem Achill vor Priamus seine Leidenschaft bezwin­ gend zum anerkennenden Gefühl des menschlichen Looses gelangt. Das Eigenthümliche des Nibelungenliedes dagegen besteht eben darin, daß es auf die scheidende Heroenzeit der Deutschen gebaut ist. In sicherer und bestimmter Entwickelung werden wir der furcht­

baren Endkatastrophe zugeführt, ahnungsvoll wird diese vorbereitet, und der Dichter sucht nicht zu wirken durch Mannigfaltigkeit von Episoden [95], die einen Reichthum von Verhältnissen und Zustän­

den in den Kreis der Darstellung ziehen, sondern die Hauptwirk­ samkeit besteht in den inneren Conflicten und Gegensätzen, in dem

künstlich geschürzten Knoten, in den spannenden Erwartungen, in

der Entfaltung der Charaktere, kurz gerade in dem, was eigentlich dramatisch ist. Das aus dem Dunkel treffende Schicksal hängt nicht mit dem geheimnißvollen Walten einer Götterwelt zusammen,

wie bei Homer, beruht auch nicht auf jenem an dem Nibelungen­ horte haftenden Fluch, wie in den Edden, sondern geht aus dem Charakter der handelnden Personen hervor. Chriemhild und Hagen sind die Träger des Schicksals, indem sie durch Eigenwillen sich nebst Freunden und Feinden ins Verderben reißen. Die Klage (herausg. als Anhang in Lachmann'S Nibelungen Not.

2. AuSg. Berlin 1841.), in kurzen Reimpaaren verfaßt [96], enthält zuerst eine allgemeine Uebersicht des Nibelungenliedes in seinem letzten Theil, besonders ein Aufzählen der letzten Mordscenen.

Der

94

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

Untergang der Burgunden wird hier anders motivirt, nemlich durch den alten Fluch, der auf dem Raube des Schatzes lag, undChriem-

hildens Rache wird mit ihrer Treue entschuldigt, indem sie An­ fangs nur an Hagen sich zu rächen beabsichtigt hätte, aber wider ihren Willen den mörderischen Kampf angefacht habe, der mit den Schuldigen zugleich die Rächer hinraffte.

Es erhebt sich die große

Klage über die Todten, als man anfängt den Saal zu räumen.

Erzählt wird der Jammer Etzel's, Dietrich's, Hildebrand's;

der

Weheruf erschallt auch an der Donau entlang bis zum Rhein hin in das Burgundische Königshaus. Groß ist der Jammer der Markgräfin von Bechlarn und ihrer Tochter; schwer leidet Brun-, Hilde; geringen Ersatz bietet ihr nur die Erhebung ihres Sohnes zum König. Die alte Mutter Ute stirbt vor Gram. Dietrich zieht in seine Heimath.

Die Sagen von Siegfried und den Burgundischen Königen,

von Etzel und Dietrich sind die Sagen deutschen Stammes, die den volksthümlichen Dichtungen zu Grunde liegen. Wie man nun von einzelnen volksmäßigen Rhapsodien fortschritt zu einem größeren Umfang, indem man das Einzelne verband und, das Zufällige und Fremdartige ausscheidend, die Breite des Stoffs fallen ließ, so ver­ folgte man seit der Mitte des 13. Jahrhunderts eine entgegenge­

setzte Richtung [97], indem man einzelne Verwickelungen und Kämpfe welche die Bestandtheile eines größeren Ganzen waren, besonders hervorhob, und somit in die einzelnen Sagentheile wieder zurück­

trat.

In solchen Bearbeitungen der heimischen Sagenstoffe machte

sich theils stoffliche Erweiterung geltend theils auch die Einwirkung fremder Sagenkreise und zugleich giebt sich bei dem immer mehr zunehmenden Verfall des Ritterthums das Hinarbeiten auf das

Komische und Spaßhafte zu erkennen. Die Sage von Siegfried gehört zu der ältesten unserer volks­ thümlichen Dichtungen; seine Jugendgeschichte wurde besonders für sich behandelt, indem einzelne hierauf bezügliche Lieder zusammen­

gefügt wurden. Wir haben keine der ursprünglichen Darstellungen mehr; denn später (aus dem 15. Jahrhundert) ist der Hörnene

Siegfried [98].

Die Dietrichsage wurde in ihren verschiedenen einzelnen

Momenten mehrfach behandelt, namentlich wurde Dietrich's Jugend­ leben, Siegfried's früherer Geschichte entsprechend, mit mancherlei Abenteuern ausgeschmückt, in denen er mit Riesen und Drachen im

Kampf liegt [98b].

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

95

Das Eckenlied und der Riese Siegenot [99], beide in ei­

ner dreizehnzeiligcn Strophe (der

sogenannten

führen uns ein in die Kämpfe gegen Riesen.

Berner Weife),

In beiden Gedich­

ten wird eine einzige Begebenheit dargestellt mit vielen kleinen in­

nerlich zusammenhängenden Episoden. Im Riesen Siegenot (herausg. von Laßberg. Am Rhein 1830.) wird erzählt, wie einst Diet­ rich den alten Hildebrand aus den Händen eines Riesenweibes ge­

rettet habe, und wie es ihm jetzt Hildebrand in ähnlicher Weise vergilt.

Bedeutender ist das Eckenlied (herSg. v. Laßberg.

1832.).

Drei Riesen, Ecke, Fasolt und Ebenrot hüten drei Jungfrauen zu Köln; diese wünschen den berühmten Dietrich zu sehen, und Ecke

macht sich auf den Weg, den Helden zu holen; wird aber von ihm, sowie auch die beiden anderen Riesen besiegt, und die Jungfrauen werden von dem Geschick befreit, sich den Riesen vermählen zu müssen. Der kleine Rosengarten oder Zwerg Laurin (hersg. v. Ettmüllcr. Jena 1829.), in kurzen Reimpaaren abgefaßt [100], führt

ein in die Welt der Zwerge.

„Simild, die Tochter BiterolfS, Herzogs von Steycrmark, wird von dem Zwcrgkönig Laurin entführt. Dietrich mit seinen Helden kommt in Laurin's Rosengarten, den Wittich zerstört, worüber sich ein Kampf entspinnt; doch Dietrich bleibt Sieger. Laurin führt nun die Helden in sein unterirdisches Reich, um ihnen alle Herrlichkeiten zu zeigen; er schläfert sie dort alle hinterlistig ein und sperrt sie in einen Thurm, aus dem sie Simild befreit. Darauf Kampf der Helden, Ueberwindung der Riesen und Zwerge." In Laurin tritt die neckische nnd zugleich tückische Sinnesart der

Zwerge hervor.

Auf bie. Entzweiung Dietrich's mit seinem Oheim Ermanrich beziehen sich die Gedichte: Alphart's Tod, Dietrich's Ahnen

und Flucht ztl den Hunnen, endlich die Ravennaschlacht. (Abdrücke von allen diesen Ged. in v. d. Hagen'S und Primisser'S Helden­ buch. 2 Th. Berlin 1820. 25.) Das zuerst genannte Gedicht ist in

der vierzeiligen Heldcnstrophe abgefaßt [101]; Alphart, Hildebrand's Neffe und Wolfhart's Bruder kämpft von einer Warte siegreich gegen Ermanrich's Helden, bis Wittich und Heime ihn treulos erschlagen. Dietrich rächt seinen Tod. Hier kehrt, wie in

Siegfried's Geschichte, der schnöde und schnelle Untergang eines ju­ gendlichen Heldenlebens, wieder. Die beiden anderen Gedichte zeigen,

daß die Dichter derselben nähere Kenntniß von den höfischen Romanen hatten; sie erinnern an Gottfried und in den Schilderungen der

96

Dritte Periode.

Schlachten

und

Bon der Mitte des zwölften

in den Klagerufen an den Titurel.

Die Ra­

vennaschlacht ist in einer sechszeiligen Strophe verfaßt. Burgundische Sagen sind verbunden mit gothischen in

dem

großen Rosengarten (herauSg. von W. Grimm. Göttingen 1836.); das Gedicht, welches zu den besten Producten seiner Zeit gehört, ist in der Heldenstrophe verfaßt [102]. „Die schöne Königstochter Chriemhild zu Worms ladet die Könige Etzel und Dietrich mit ihren Mannen zum Kampf in ihren Rosengar­ ten. Rosenkränze und Küsse werden den Siegern als Lohn verheißen. Die zwölf Amelungcn besiegen die Burgunder; Mönch Jlsan den Volker."

Als Mittelpunkt zeichnet sich Dietrich's Kampf mit Siegfried aus, und entschieden tritt in diesem Gedichte das Spaßhafte und

Burleske hervor, welches als ächt volksthümlich erscheint, indem mit dem aufkommenden bürgerlichen Leben das Ritter- und He-

roenthum ins Lächerliche herabgezogen wird.

Das Ausreiten nach

Rosen und Küssen mit Gefahr des Lebens findet Dietrich nebst sei­

nen Helden schnakisch und sonderbar. Vor Allem ist aber in dem Mönch Jlsan ein ächt komischer Charakter geschaffen, der, indem er Mönch seyn soll, aber mit der That Ritter ist, in einem bestän­ digen Widerspruch lebt, dessen er sich wohl bewußt ist, und in hei­

terer Laune damit spielt [103]. Eine deutsche Sage mit deutschen Zügen wird in der Manier der Artusromane [104] im Biterotf dargestellt (herausg. von v. d. Hagen und Büsching in den deutsch. Ged. des Mittelalt.

Bd. ll.

Berlin

1820.). Das Gedicht istin kurzenReimpaaren verfaßt. Biterolf ist von

seiner Heimath getrennt; sein Sohn Dietlieb zieht aus ihn zu su-

chen, trifft mit den Königen zu Worms zusammen. Die Geschichte des Kampfs zwischen Vater und Sohn, die einander nicht kennen; die immer zum Heil ausschlagende Vermittelung Rüdiger's und der Kampf der Burgunder mit den Gothen sind die wesentlichsten Züge

dieses Gedichtes.

b. Die epischen Dichtungen, in welchen die Thaten der Helden mehr auf besondere, vereinzelte Interessen gerichtet sind. (Deutsche Odyssee.)

Es treten in diesen Gedichten die allgemeinen nationalen Be­ ziehungen mehr in den Hintergrund und wir werden eingeführt in das häusliche Leben, in welchem die Frauen den bedeutsamen Mit­

telpunkt bilden. Die Jungfrau, erscheint als ein Kleinod, welches errungen werden muß, und die Kämpfe und Schicksale der Helden

sind auf diesen Zweck gerichtet.

Es wird daher das Weib selbst

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

97

Gegenstand der Sage und ihre Charakteristik Aufgabe der poetischen Darstellung, in welche der häuslichen Sphäre entsprechend ein idyl­ lischer Ton eindringt. Die Ausfassunzsweise gestaltet sich subjectiver, das Gemüthsleben tritt mehr hervor, und es sind die Schil­ derungen der Frauen von großer Anmuth und Wahrhert. Dies zeigt sich besonders in dem Gedicht von der Gudrun (herausg. v. Ziemann. Quedlinburg 1835., und von Vollmer. Leipzig 1845. nebst einer inhaltreichen Einleitung von Albert Schott.), welches wahrscheinlich, wie der Nibelunge Not, aus einzelnen Volksliedern zusammengesetzt ist [105]. Es sind hier drei ursprünglich gewiß nicht zu einander ge­ hörige Theile zu einem Ganzen verknüpft, von welchen namentlich die beiden letzten ohne Zweifel auf ächten Volksliedern beruhen. Das Gedicht ist in der Heldenstrophe abgefaßt, die sich aber da­ durch von dem Nibelungenverse unterscheidet, daß die beiden letzten Langzeilen klingend reimen und die letzte Halbzeile fünf Hebungen enthalt.

„Hagen, Siegebant's und Ute's Sohn, wird von einem Greifen ent­ führt in sein Nest, wo drei Königstöchter mit ihm dasselbe Schicksal theilen. Wunderbarer Weise wird er der Wildniß entrissen und nach der Rückkehr zu seinen Eltern mit einer der drei Jungfrauen, Hilde von Indien, vermählt, und übernimmt die Regierung seines Vaters von Eyerland. An diesen ersten Theil, dessen märchenhafter Inhalt an die britischen Romane erinnert, reiht sich ein zweiter Theil der Sage. Hagen's Tochter ist Hilde, welche der Vater so sorgsam aufzieht und so eifersüchtig auf sie ist, daß er nicht einmal der Sonne und dem Winde gönnt sie zu berühren, geschweige einem Mann. Hettel von Hegelingen läßt sie durch seine Dienstmannen, Frute, Horand und Wate, welche sich als Kaufleute verkleiden, listig entführen. Hagen will die Tochter zurückerkämpfen, aber die Schlacht nimmt einen friedlichen Ausgang. Hilde wird an der Seite Hettels Königin von Hegelingen, und der Vater läßt der Tochter zur Gespielin Hildburg von Portugal, eine jener drei Königstöchter, die eine unvergängliche Schönheit hatte. Innig ist der Abschied des Vaters von seiner geliebten Tochter; er bringt sei­ ner Gattin beruhigende Nachrichten von Hilde. Besonders hebt sich in diesem zweiten Theil die Scene hervor, wo Wate mit seiner Stärke den Hof in Erstaunen setzt, und Horand so wunderbar singt. Mit dem dritten Theil beginnt der eigentliche Kern des deutschen Ge­ dichts. Dem König Hettel wurden zwei Kinder geboren, Ortwin, wel­ chen der alte Wate erzieht, und Gudrun, der schönen Mutter schönere Tochter, welche deshalb der Vater so hoch hielt, wie Hagen einst die Mutter, und es wurden viele Freiwerber abgewiesen. Dies war dem König Hartmut von der Normandie wiederfahren. Zugleich hatte Her­ wig von Seeland vergeblich um sie geworben; er greift zu den Waffen und dringt in die Stadt; Gudrun scheidet die Kämpfenden und wird Biese deutsche Literaturgeschichte, i. 7

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

98

Herwigs Braut. Nun aber fällt Hartmut in Hegelingen ein und führt Gudrun und Hildburg hinweg. Hettel verfolgt Hartmut, es entspinnt sich ein heftiger Kampf, der lebendig geschildert ist; Hettel erliegt und wird von Hartmut's Vater, Ludwig, getödtet. Gudrun wird gefangen nebst Hildburg nach der Normandie geführt. Mit dem Aufenthalt der gewaltsam entführten Gudrun in der Normandie öffnet sich die Blüthe des Gedichts. Da Gudrun bei ihrer Treue gegen Herwig es verschmäht, Hartmut zu -eirathen, so wird sie von dessen Mutter Gerlind zu den niedrigsten Arbeiten gezwungen. Hartmut'S Schwester, die sanfte Or­ trun, hatte Mitleid mit ihr und suchte ihre Leiden zu lindern. Gudrun gehorcht allen Launen der alten Gerlind, allen ausgesuchten Quälereien mit Entrüstung aber auch mit Adel, und obgleich zu dem Gesinde herab­ gewürdigt, steht sie immer über demselben. Ihre Mutter Hilde rüstete indeß eine Flotte, auf welcher Ortwin und Herwig nach einer gefähr­ lichen Meerfahrt landen. Den Jungfrauen Gudrun und Hildburg, welche am Strande waschen, erscheint dort in Vogelgestalt ein Engel, der sie anredet und ihnen die Ankunft des Heeres und zweier Boten verheißt. Jetzt erwacht Gudrun'S Sehnsucht nach der Heimath und mit inniger Theilnahme erkundigt sie sich nach ihrer Mutter, nach Bruder und Ge­ liebten, nach dem biederen Horand und dem alten Wate. Am folgenden Tage muß Gudrun wieder am Meer mit Hildburg die Wäsche reini­ gen, da erscheint eine Barke; Herwig und Ortwin kommen, und eS er­ folgt eine schöne Erkennungsscene. Ortwin will aber Gudrun nicht heimlich rauben, er will Hartmut in seiner Burg bezwingen. In Gu­ drun ist jetzt, nachdem sie den Bruder und den Geliebten gesprochen, ein edleS Selbstgefühl erwacht und sie wirft die Kleider, die sie waschen sollte, in die Fluth, und als sie heim kommt, wendet sie die entehrende Strafe, womit Gerlind droht, dadurch ab, daß sie sich willig erklärt, dem Hartmut anzugehören. Doch mit dem ersten Morgenstrahl stößt der Wächter ins Horn, die Burg ist belagert. ES beginnt ein wüthender Kampf; König Ludwig fällt, Gerlind wird ermordet, aber Hartmut mit Hildburg, Ortwin mit Ortrun, Gudrun mit Herwig verheirathet."

Es löst sich in diesem

Gedicht alle ängstliche Verwickelung

drohet mehr und erinnert an den

fröhlich aus; die Vernichtung

Ernst des

Lebens, als daß

sich vollführte.

bestehenden

sie an der

Wirklichkeit

Wie in dem Nibelungenliede besonders die heroi­

schen Stimmungen und Aeußerungen der kriegerischen Tapferkeit,

des Zornes,

der Rache

hervortreten,

so

in Gudrun die zarte­

ren Stimmungen der Innigkeit und Treue, der Zucht und Keusch­

heit, und die beiden Gedichte

gehören

daher zu den kostbarsten

Ueberbleibseln unserer poetischen Vorzeit, weil uns in ihnen der

Geist, die Gesinnung, die Sitten, das ganze innere und äußere Le­ ben unserer Vorfahren am reinsten und unmittelbarsten entgegen­ treten.

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

99

In Otnit, Hug- und Wolfdietrich (in der Heldenstrophe) f106j bezieht sich die Handlung besonders auf das Erkämpfen der Jung­

frau zum Weibe, außerdem tritt aber namentlich in Wolfdietrich auch die Treue der Vasallen gegen ihre Lehnsherrn und die Anhänglich­ keit des Lehnsherrn an seine Vasallen als ächt deutscher Grundzug hervor.

In dem Gedichte Otnit (herausg. von Mone. Berlin 1821.,

und von Ettmüller. Zürich 1838.) ist es Nachaol, König von Syrien, welcher jedem, der um seine Tochter wirbt, den Tod droht. Otnit, der aufstrebende Heldenjüngling faßt den Entschluß um die schöne Prinzessin zu werben; die versammelten Fürsten geloben ihm den Eid der Treue und versprechen ihm eine große Heeresmacht, doch wird die Fahrt selbst noch eine Zeit lang aufgeschoben; da geht der

ungeduldige Otnit allein aus Abenteuer aus und trifft unter einer mysteriösen Linde auf einen Zwerg, der ihn hohnneckt und ihm end­ lich offenbart, daß er sein Vater ist. Dies ist der heitere Zwerg­

könig Alberich, der die heidnische und finstere Zwergnatur eines Laurin ganz abgelegt hat und ein guter Christ und zärtlicher Vater ist; seiner gewaltigen Macht sich bewußt läßt er dieselbe in spie­

lender Form, in gutmüthigen und lustigen Neckereien hervortreten. Durch die zauberische Hülfe Alberich's erkämpft Otnit die Tochter

des Heidenkönigs Nachaol, die in der Taufe Sydrat genannt wird. Nachaol sendet in Otnit's Land aus Rache den Jäger Velle mit Würmern, die zu gewaltigen Drachen erwachsen und das Land verwüsten.

Hugdietrich, ein junger König von Constantinopel, gelangt verkleidet zur Königstochter Hilteburg, welche ihr Vater in einen

unzugänglichen Thurm eingespcrrt hatte, und zeugt mit dieser einen Sohn, den Hilteburg im Walde aussetzt, wo ihn Wölfe ernähren, weshalb er den Namen Wolfdietrich erhält. Diesen vertreiben

später seine Brüder und nehmen den alten Berchtung von Me­ ran, welcher Wolfdietrichen als dem Erstgebornen treu geblieben

war, gefangen.

Allein zieht Wolfdietrich aus, schließt mit Otnit

Freundschaft, und macht mit ihm eine Fahrt zum heiligen Grabe. In mannigfachen Abenteuern wird er umhergetrieben, und hatte

viel von einer Zauberin, der rauhen Else, zu leiden.

Nach Otnit's

Tod erlegt er die Drachen in dessen Land und wird Sydrat's Ge­ mahl. Er wandte sich darauf nach Constantinopel, besiegte seine Brüder und befreite vor Allem seine getreuen Dienstmannen.

Die Regierung übergiebt er darauf seinem Sohn, er selbst geht ins Klo­ ster und stirbt nach einem heftigen Kampf mit den höllischen Geistern.

7*

100

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

Im Wolfdietrich zeigt sich, wie in das volksthümliche Epos fremdartige Elemente sich cinmischtcn, die nicht unmittelbar aus den

Sagen des Volks hervorgingen, sondern Verwandtschaft zu erkennen geben sowol mit britischen als fränkischen Romanen. Es verlor die alte Sage mit ihrer Dichtung immer mehr an Bedeutung, je le­ bendiger und kräftiger sich das bürgerliche Leben dem Heroen- und

Ritterthum gegenüber entwickelte, und wie die romantische Epopöe in die Novelle überging, so das volksthümliche Epos in die Volks­ novelle.

B.

1.

Lyrische

Poesie.

Die Bedeutung und die Kunstform des Minnegesangs.

Während im Epos die objective Darstellung der Thaten einer

von gemeinsamen Unternehmungen bewegten Menschenwelt das We­ sentliche ist und der Dichter mit seinen Gefühlen und Reflexionen

zurücktritt und nur die Empfindungen Anderer ausspricht, wird da­ gegen in der lyrischen Poesie die Empfindung des Dichters selbst­

ständig, indem er sie als seine eigene hinstellt.

Der lyrische Dich­

ter schaut in das eigene Bewußtseyn, in die Erfahrung des Herzens und der subjektiven Vorstellung und spricht den Gehalt und die Bis gegen das 13. Jahrhun­ dert hin war das epische Element der Kern der Poesi'e im Mittel­

Thätigkeit des inneren Lebens aus.

alter; dann drängte sich das Lyrische auch in das Epos ein, sodaß That und Handlung in den Hintergrund trat, um nur der Schil­ derung der Seelenzustände und Licbesempsindungen Raum zu ge­

statten.

Heinrich von Veldeke hatte der Sprache des Herzens und

der Empfindung zuerst Ausdruck verliehen, und in den Liebesempsindungen erwachte die sehnende selige Bewegung des Gemüths,

das sich über sich selbst zu besinnen anfängt und seine Gefühle über der Liebe Lust und Leid jn mannigfachen Tönen entäußert.

Es

quillt die lyrische Poesie aus dem Gemüth des Einzelnen hervor,

während das Epos aus dem Gemüth des Ganzen entspringt; ihr selbstständiges Erscheinen knüpft sich im Mittelalter an das Liebes­

lied, an den Minnegesang.

Die Lieder sind Herzensergießungen,

in denen die Seele des Einzelnen seine Lust überdenkt und sich an

seiner Trauer weidet; das Subjective leuchtet hervor auch aus dem spielenden Wohlgefallen an den Tönen und Klängen der Sprache,

an den mannigfaltigen Verschlingungen der Reime [107]. Der Umfang und die Intensität der .Empfindung, wie sie sich in der

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

101

mittelaltrigen Lyrik ausspricht, ist bedingt durch die Idealität der christlichen Liebe, in welcher nicht etwas Besonderes und Reales, wie Familie, Staat, Volk das Band des Interesses bildet, sondern das rein Menschliche, das in Jedem Anerkennung fordert. Diese Idealität der christlichen Liebe erzeugte eine Innigkeit und Reinheit der Empfindung wie sie die antike Welt nicht auS sich erzeugen konnte. Am anschaulichsten trat zunächst die Geltung des Einzel­ nen als solchen in dem Verhältniß der beiden Geschlechter zu ein­ ander, in dem Frauendienst hervor [108], wie er vermittelt war sowol durch die den Germanen eigenthümliche Verehrung der Frauen als auch durch die Anbetung der Jungfrau Maria. Jede Dame als solche wurde von dem Ritter geehrt; es gebührte sich einer je­ den die seinste Artigkeit zu erzeigen, ihr mit der größten Zartheit und anmuthigsten Sitte zu begegnen. Die Frauen wurden als das Höchste des Lebens, als die Krone der Schöpfung gepriesen und der Minnegesang bildete daher den Ausgangungspunkt und zugleich den Mittelpunkt der mittelaltrigen Lyrik. Es bezeichnet Minne die innere Bewegung des Gemüths, ein Gedenken, Erinnern (meinen alth. meinan) [109], überhaupt die gedankenvolle, reflcctirende Stimmung, die sich endlich in Ergüssen von Gefühlen und Empfin­ dungen kund giebt. Mit je größerer Innigkeit man sich hingab dem Gottes- und Frauendicnst, desto heiliger und sehnsüchtiger wurde die Stimmung der Herzen und um so mehr schwand das aus­ schließliche Wohlgefallen an Waffenthaten, am alten Epos und am historischen Liede, das sich mit äußeren Begebenheiten in ruhiger Erzählung beschäftigte, und man wandte sich auf die Geschichte der Seele. Bei den deutschen Minnesängern läßt das innere Seelen­ leben mit allen seinen Wundern bald das thatkräftige Handeln in den Hintergrund treten, während dagegen bei den Troubadours be­ sonders das äußere bewegte Leben, die Kriegslust, der Wetteifer, Vasallentreu, Standesstolz sich in ihren Liedern abspiegelt [110]. Wie sich nun vom Volksgcsang das Rittcrepos in Folge der neuen höfischen Bildung ablöste, ebenso schied sich auch im Lyrischen und hier noch bestimmter der Minnegesang vom Volksgesang [110b], indem bei der unzertrennlichen Verbindung von Lied und Gesang sowol die Sprache als auch der musikalische Vortrag nach bestimm­ teren Kunstgesetzen behandelt wurde. Im Bewußtseyn einer höhe­ ren Kunstfertigkeit nannten sich die Dichter Meister den Volks­ sängern gegenüber, und es gestaltete sich unter dem Einfluß der hö­ fischen, ritterlichen Bildung der Minnegesang als Meistergesang.

102

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

Die Dichter sahen sich durch die kunstmäßigere Behandlung ihrer

Lieder auf eine höhere Stufe erhoben, von welcher sie auf die Volks­

sänger mit Geringschätzung herabblickten und dies um so mehr, als

bei den glänzenden Hofhaltungen, bei den Festen und Turnieren der Ritter die einfachen Weisen des Volksliedes nicht mehr genüg­ ten.

Einfluß übte auf die Gestaltung des deutschen Minnegesangs

die etwas früher beginnende Dichtkunst der Troubadours aus [111], doch so sehr er auch derselben in Art und Geist ähnlich erscheint, so

nahm er doch eine ihm eigenthümliche Richtung.

Es konnte

nicht fehlen, daß das Ritterthum bei verschiedenen Völkern in dem­ selben Zeitraum ähnliche Erscheinungen hervorrief und daß auch die

Poesie in gewissen Grundzügen übcreinstimmte [112];

doch

kann

von einer Nachahmung und Uebertragung des Provenzalischen um so weniger die Rede seyn, als eine gewisse Selbstständigkeit schon in der subjectiven Natur der lyrischen Poesie liegt.

Die erreglicheren süd­

lichen Gegenden in Frankreich, und in Deutschland der Rhein, Oesterreich, Baiern, Schwaben, die Schweiz erscheinen fast aus­ schließlich im Besitz der lyrischen Kunst [112s].

Je bewußter die Dichtkunst von den ritterlichen Sängern aus­ geübt ward und je mehr Ansehen diese an den Höfen gewannen,

und von Königen und Fürsten geehrt und reich belohnt wurden, um so größere Sorgfalt wandte man der künstlerischen Form zu [112b]. Die reine süddeutsche Mundart bildete sich als die Hof­ sprache immer bestimmter aus, der Versbau fügte sich immer stren­

geren Regeln, und gerade hierdurch scheidet sich der Kunstgesang

vom Volksgcsang, daß dort hinter der Form der Stoff zurücktritt, während hier die Form wenig, der Stoff alles ist. Jedoch hat an der jugendlichen frischen Minnepoesie alle Kunst noch das Ansehen der Natürlichkeit; Nachtigallen haben die Dichter sich selbst genannt und eben dies Gleichniß des Vogelgesangs bezeichnet treffend ihren reichen und doch so einfachen, nie zu erfassenden Ton, in welchem jeden Augenblick die alten Schläge in immer neuer Modulation

wiederkehren [113]. Der Volksgesang hatte seiner allgemeinen Na­ tur gemäß nur ein einziges Maaß, die Nibelungenstrophe ausgebil­ det; dagegen entwickelte sich im höfischen Kunstgesang der Mannig­ faltigkeit der subjectiven Stimmungen gemäß ein großer Reichthum

von Weisen und Tönen.

Ton hieß was wir Maaß, Weise

was wir Melodie nennen; doch umfaßt Weise gewöhnlich Maaß

und Melodie und wird entgegengesetzt dem Wort, dem Gedicht, das der Weise untergelegt wird. Jeder Meister erfand seinen eigenen

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhundert».

103

Ton nebst der dazu gehörigen Sangweise und in der Regel für jedes neue Lied eine neue Weise. Bei der hieraus sich erzeugen­ den großen Mannigfaltigkeit von Tönen herrschte ein gemeinsames in dem Wesen aller Kunst tief begründetes Gesetz vor, wodurch die Vielheit zur Einheit erhoben wird. Dies ist das Gesetz der Dreitheiligkcit [114], das schon vorkommt in den ältesten und einfach­ sten Liederformen des von Kürenberg, bei welchem sich noch das volksthümliche Maaß der Nibelungenstrophe findet [115], und ebenso in den Liedern des Spervogel und Dietmar's von Eist. Nach diesem Gesetz besteht jede Strophe aus drei Gliedern, deren zwei, die Stollen, gewöhnlich gleich und symmetrisch in den sich entsprechenden Versen gemessen und gereimt sind; das dritte aber, der Abgesang, sein eigenes Maaß und seine eigene Reimstellung hat. Die Stollen gehen gemeiniglich voran, und der Abgesang schließt; bisweilen nehmen aber auch jene diesen in die Mitte. Unter den strophischen Gedichten ist die Lied- und Spruchform zu unter­ scheiden. Das Lied besteht gewöhnlich aus mehreren Strophen, ein Spruch dagegen meist nur aus einer einzigen. In der Lied­ form sind die Verse in der Regel kürzer, der Bau leichter schwe­ bend, das Ganze musicalischer, daher sie besonders zu Ergüssen von Gefühlen und Empfindungen dient; dagegen die Spruchform auf eine mehr recitativische Vortragsweise berechnet zu seyn scheint und zum Ausdruck gedankenvoller, reflectirender Stimmung dient [116]. Das Gesetz der Dreitheiligkeit herrscht aber in der Regel auch in den Sprüchen, wie in den Liedern. Den strophischen Gedichten entgegengesetzt ist die Le ich form, welche keinen folgerecht durchge­ führten Strophenbau hat, sondern vielerlei Töne von ungleicher Struktur zu einem größeren, meist sehr belebtem Ganzen verbindet; der musicalische Vortrag gliederte das Ganze. Diese Leichform ist ursprünglich aus der alten Kirchenmusik hervorgegangen und diente zu ernsten, religiösen Gesängen, doch später wurden in dieser Form auch weltliche Lieder gedichtet, Lob- und Klagesänge, und vorzüg­ lich die heiteren Reien und Tänze [117]. Rücksichtlich des Inhalts ist bei den Minneliedern festzuhalten, daß der Augenblick für die Dichter'das Element war, in dem und für den sie lebten, die Freude der Gegenwart Quell und Lohn ih­ res Gesanges. Sie dichteten und sangen für sich, unbekümmert um das Interesse, das Andere daran nehmen mogten, und suchten ihren Gegenstand lieber durch eine neue Anordnung der Reime, als durch neue und auffallende Gedanken hervorzuheben [118]. Nicht das

104

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

Große und Bedeutsame der Zeitereignisse war Gegenstand ihres Gesanges; nicht Politik, nicht Krieg, sondern ihren Stoff fanden sie in dem Verhältniß zur umgebenden Natur, im Genuß des schö­ nen Maien und der ländlichen Freude, im Zusammenseyn mit Freunden bei Trinkgelagen und vor Allem im Verhältniß der bei­ den Geschlechter zu einander. Die verschiedenen Richtungen, welche der Minnegesang nahm, gingen hervor aus den bestehenden Ver­ hältnissen des höfisch-ritterlichen Lebens, und sind bedingt durch den Frauendienst, den Gottes- und Herrndienst [118b], 2. Die besonderen Richtungen des Minnegesangs. a« Der Frauendienst.

Aus dem Franc »dienst gingen die erotischen Lieder hervor und erscheinen als Lieder der Sehnsucht, der Hoffnung, der Treue, der beglückten Liebe oder der Hoffnungslosigkeit. Hierher gehören auch die Tanzlieder, die Reicn, welche wirklich getanzt wurden, und dem Inhalte nach meist Mai- und Minnelieder waren, bald freu­ dig, bald klagend oder zürnend. Der Tanz stellt in seinen sich immer lösenden und wieder verbindenden Wendungen die Unend­ lichkeit der Liebesempsindung symbolisch dar. Ferner erscheinen die Liebeslieder als Tag- und Wächterlieder, in welchen die Vergäng­ lichkeit und die durch Merker oder Kläffer veranlaßte Unsicherheit der endlichen Lust geschildert wird; sie sind romanzenartig oder dra­ matisch gehalten, indem der Wächter die Liebenden warnt, sich nicht überraschen zu lassen. Endlich gehören hierher auch noch die Wech; sclgesänge zwischen den Liebenden, und die Botenlieder, die von Boten vor den Frauen gesungen wurden. Die Liebeslieder treten in eine nähere Beziehung zu der Natur, welche die Seligkeit der Liebenden mitfeiert. Im Beginn des Lenzes treffen sich die Lie­ benden auf der grünenden Haide und vor dem belaubten Walde, wo die Vögelein singen; auf dem Wiesenplan vor der Linde be­ ginnt der Reien; auf Blumen und Klee betten die Liebenden sich eine Ruhestätte. Den falben Herbst, die öde Haide, den unsanften Winter schildert der Schwermüthige und Hoffnungslose. Unter den Dichtern, welche erotische Lieder sangen, sind die ältesten der von Kürenberg und Dietmar von Eist [119]. Bei dem ersten, der wahrscheinlich aus der alten Burg Kürenberg bei Kinzingen in Breisgau herstammte, treten besonders die Wech­ sellieder hervor, welche zu den ältesten gehören und deutlich den

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

105

Uebergang der epischen Dichtart in die lyrische bezeugen durch In­ halt, Form und Darstellung; sie sind romanzcnartig und haben in ihrer Anlage etwas Dramatisches. Dietmar von Eist, aus dem Thurgau, schließt sich zunächst an den von Kürenberg sowol in der romanzenartigen Darstellungsweise als auch in der unstrophischen Form der erzählenden Dichtart; doch leitet er andererseits schon zu den kunstvollen Strophcnarten der Folgezeit über [120]. Seine Lieder zeichnen sich durch Innigkeit, Lebhaftigkeit und Mannigfal­ tigkeit aus. Mit Heinrich von Veldeke, dem westphälischen Edelmann, beginnt die eigentliche höfische Kunstpoesie; er schlug den Ton der Minnepoesie an und gestaltete die Strophen kunstreicher; die unvollkommenen Reime, welche bei den früheren Dichtern auf bloßer Assonanz beruhten [120b], werden bei ihm seltener, indem sich immer bestimmter völliger Gleichlaut der Vocale und Conso­ nanten für das Reimgesetz herausstellt. An Heinrich von Veldeke schloß sich unmittelbar sein Zeitgenoß Friedrich von Husen, ein Pfälzer, der 1190 als Kreuzfahrer getödtct wurde; seine Lieder be­ ziehen sich größtentheils auf die Kreuzfahrt, und sprechen Sehnsucht nach der Heimath und der Geliebten aus. Der Strophenbau zeigt auch bei ihm eine größere Mannigfaltigkeit, doch sind, wie bei Veldeke, die einfachen Weisen vorherrschend [121]. Diesen einfachen Charakter haben auch die Lieder Kaiser Heinrich's und Heinrich's von Rugge, eines Thurgauers. Mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts erschließt sich das Minnelied zur schönsten Blüthe. Heinrich von Morungen, nach seiner Sprache ein Niederdeut­ scher, muthmaßlich aus der Nähe von Göttingen, singt ernst und tiefempfindend das Leid, welches der Süßigkeit heftiger Liebe stets beigemischt ist; seine Darstellung zeichnet sich durch Lebendigkeit aus, sowie durch Sinnigkeit und Fülle von neuen und bedeutsam gewendeten Biwern. Die Strophen sind häufig, wie bei Veldeke, noch einfach; doch herrschen die künstlicheren Formen vor [122]. Ferner spricht Reinmar der Alte, der sich besonders am Hofe des Herzogs Leopold VI. von Oesterreich aufhielt, sein Liebesgefühl in einem anhaltenden Klageton aus, durch den nur bisweilen eine Zeit der Lust hindurchzieht. Aus seinen Liedern blickt eine sinnvolle Treuherzigkeit; so viel und so lange er auch über die Härte der Geliebten klagt, dennoch harret er aus und ist getreu bis ans Ende. Er hört nicht auf zu singen, und freut sich selbst seines langen sü­ ßen Kummers; er setzt hierin seine Meisterschaft und dauerndes Lob, obgleich die Freunde sein stetes Klagen verdrießt. Besonders

106

Dritte Periode. Don der Mitte des zwölften

Hervortrend sind bei ihm die Botcnlieder.

Der Strophenbau ge­

winnt mannigfaltige Formen und der Reim zeigt sich in noch grö­

ßerer Reinheit als bei Veldcke [123],

Hartmann von derAue

singt in gewohnter gemüthvoller Weise von der Minne; es giebt sich bei ihm im Allgemeinen eine männlich getroste Heiterkeit und zuwei­

len selbst gutmüthige Schalkheit zu erkennen [124]. Wolfram von

Eschenbach singt mit lebendig erregtem Gefühl von der Süßig­

keit und Bitterkeit der mit der Minne verknüpften Empfindungen. Ueberwiegend sind unter seinen Liedern die Wächterlieder, für deren

Erfinder Wolfram gehalten wird; fast alle diese Lieder haben einen kunstreichen Bau [125]. Dieser ernsten Lyrik trat gleichzeitig ge­ genüber die muthwillig scherzende, wie sie durch Nithart sich ge­ staltete.

Dieser Sänger stammte aus einem

edlen Geschlecht in

Baiern und begab sich, als er die Gunst der baierschen Herzöge verloren hatte, nach Oesterreich. Hier gab es schon früh im 13. Jahrhundert einen wohlhabenden Mittel- und Bauernstand, der sich

in Aufwand und luxuriösem Leben dem Ritterstand nahe drängte, und dessen Neid und Mißgunst erregte. Eine lebendige Anschauung

von dem Leben der Bauern giebt uns Meier Helm brecht, von Wernher dem Gartenäre (s. oben). Nithart's Lieder schildern in derber nichts verhehlender Lebendigkeit die munteren Feste der

Landbewohner, ihren Tanz, Spiel und Muthwillen, den bäurischen

Uebermuth, der kein Maaß hält, die Raufsucht, welche ohne blutige Köpfe kein Fest für recht beschlossen hält. Diese Lieder bilden daher

den grellsten Kontrast zu der in den eigentlichen Minneliedern herr­ schenden Sentimentalität. Absichtlich nähern sie sich dem Ton der Volkspoesie auch in der äußeren Form, im Strophenbau und in den Reimen, welche öfter in volksmäßiger Weise ungenau sind. Oester liegt aber in den Liedern Nithart's das Parodische andererseits auch in der Künstlichkeit der Form, indem sie die kunstreich gegliederten

Reimgebäude des Minnegesangs noch zu überbieten suchen; dieser schrankenlose Uebermuth wirkt bei dem Widerspruch zwischen Form und Inhalt ergötzlich [125b]. Wenn nun auch diese Lieder in der länd­

lichen Volkspoesie ihre Grundlage und Veranlassung haben, so wa­

ren sie doch keineswegs für die Bauern bestimmt, sondern Nithart sang sie den Hofleuten zur Ergötzung vor, und hier war der Spott

angebracht, mit dem er die Plumpheit der Bauern und ihre ebenso ungeschickte als hochmüthige Putzsucht schilderte [126]. Lachmann hat daher treffend diese Nithart's Lyrik die höfische Dorfpoesie

genannt.

Sie fand großen Anklang und zahlreiche Nachahmer,

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

107

vorzüglich in Oesterreich, in Baiern und der Schweiz, und sie ge­ wann immer bestimmter die Richtung zum Travestiren der ernsten und schwärmerischen Minne. Man nannte diese Poesien wie mit einem Gattungsnamen Neidharte, die sich oft nur in gemeinem Witz und in unzüchtigen, schwankartigen Geschichten bewegen. Es wurde auf Nithart eine Menge von Schwänken übertragen, in

denen er die Rolle eines Hofnarren spielt.

Die Weise Nithart's

ahmte besonders Tanhuscr nach, der, von Geburt ein Baier, sich auch am österreichischen Hof aufhielt.

Wenn seine Lieder sich auch

nicht so tief in die bäurischen Kreise herabziehen, so drehen sie sich doch nur um die derbere handgreifliche Minne.

Es kündigt sich

hiermit der Verfall des Frauendienstes und der höfischen Minnedichtung an. Man gleitet nach und nach ins Gemeine und eben

Derbe herab, aus dem feierlichen Ton der Ritterdichter ins Bur­ leske und geräth somit in die Parodie und Travestie des Minne­

liedes.

Dieses gerieth durch die Berührung mit den unteren Klas­

sen des Volks um so mehr in Verfall, als der Frauendienst selbst entartete und die Richtung auf sinnlichen Genuß gewann [127]. Vor der Mitte des 13. Jahrhunderts gehören noch

Zeit an Otto

von

Bodenlaube,

der besseren

Graf von Henncberg,

Ulrich von Singenberg Truchseß zu St. Gallen. Der erstere gehört zu den älteren gemüthlichen und gewandten Dichtern; in

einem seiner Lieder gebraucht er das schöne Bild von der in süßer Sehnsucht die Seele aussingenden Nachtigall, welche laut der Sage die Brust gegen den Dorn der Rose, ihre Liebe, drückt [128]. Ul­

rich von Singenberg's Minnelicder zeugen von großer Innig­ keit der Empfindung; nichts geht ihm über Frauen-Ehre und Wür­

digkeit, und keineswegs soll man wegen der Schlechtigkeit einer Einzigen sie alle schmähen, sondern umgekehrt. Wer nicht aus Herzens Grunde singt gleicht einem bemalten Schreine, der Falsch­

heit verdeckt[129]. Eine Mittelklasse zwischen den bäurischen Neid -

harten und den zarten Poesien des Morungen und seiner Geistes­

verwandten bilden die Lieder von zwei schwäbischen Dichtern, nemlich von Gottfried von Nifen und von Ulrich vonWinter-

stetten; die Lieder des ersteren stellen vorzüglich ländliche Scenen

aus der nächsten Umgebung dar und bewegen sich im kleinen Kreise von Mai und Minne; es sind größtentheils Tanzlieder [130]. Mit ihm hat am meisten Aehnlichkeit Schenk Ulrich von Winter-

stetten sowol in Bezug auf Inhalt, als aufWeise und Strophen­

zahl der Lieder.

Gerne verweilt er, wie Nithart, unter dem Volk

108

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

bei Sang und Lanz rind Minneschwank [131].

des 13. Jahrhunderts

Seit der Mitte

zeigt sich namentlich in dem Oesterreicher

Ulrich von Lichtenstein, wie der Frauendienst in einen Zustand

von Abspannung und Ueberspannung, von Ausartung und wun­ derlichem Crremoniel gerathen war, und wie die Minnedichtung

selbst,

aus der aller lyrischer Sinn und jede innige Empfindung

schwand, und nur

sich

gewissen

durch

stehend

gewordenen

eine vollendete Kunstform,

Sprache und durch kunstreichen Versbau sich von

Lichtenstein

hat

in

seinem

Gefühlen zuwandte eine zierliche

durch

auszeichnete.

Frauendienst

(1255)

Ulrich

und

dem Frauenbuch (1257) (AuSg. von Lachmann mit Anmerkungen von

Karajan. Berlin 1841.) eine Selbstbiographie gegeben, und macht uns

anschaulich, in welcher Weise Minne-

und Ritterthat, Leier und

Schwert in jener Zeit mit einander verbunden waren; er führt uns

in die Entstehung und Beziehung des Minnegesangs ein, indem wir erst die Situation, sodann das aus ihr sich entwickelnde Lied erblicken [132].

Seine Sprache ist zierlich und voll Anmuth und

der Versbau wohllautend und kunstreich, doch rücksichtlich des In­ halts zeigt sich, was für eine abstracte Verehrung, welch' abgötti­ scher Dienst der Frauen es war, denen, gleich jenseitigen, überirdi­

schen Wesen der Poet sich nur von Ferne, demüthig, mit Seufzern

und Winseln zu nahen wagt.

Er nimmt alle Liebesquälerei auf

sich und tragt von seiner Herrin alles, was ihr einfällt, mit Ge­ duld, und wenn auch dieser Dienst sich zwar in Gedanken über die Sinnlichkeit zur rein geistigen Verehrung erhebt, so ist doch bei al­

ler Minneschwärmerei das Begehren auf sinnlichen Genuß gerichtet.

In den späteren Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts streifte der Ge­ sang aus der Minnepoesie entweder in die schalkhafte Weise des

Nithart und Tanhüser über oder gerieth in die ernste, reflectirende Richtung der didaktischen Poesie.

Seitdem die österreichischen Dich­

ter, sich abwendend von den aristokratischen Lebens- und Kunstprin­

cipien, die Convenienz und Fraucnmoral verspotteten und an deren

Stelle die frische, frohe Lust des Volks setzten, bewegte sich der Gesang dieser bürgerlichen und anderer ihnen ähnlichen Dichter in derben Liebesromanzen, in üppigen Tanz- und Mailiedern, inTrink-

und Schmausgesängen, die auf das Volkslied der späteren Zeiten

im 15. und 16. Jahrhundert überführen.

An diese Richtung schlos­

sen sich einzelne höher gestellte Dichter mit etwas nobler Gesinnung

an, und nährten und förderten das bürgerliche Element, wie die Herzoge Heinrich von Breslau, Otto von Brandenburg,

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. Johann von Brabant [133].

109

Es fehlte freilich nicht an Ver­

suchen, um das alte .Minnelied ganz in der alten Weise zu halten,

und am besten trifft diesen alten Ton der Minnelieder Konrad der Schenk von Landeck; ihm hat die Geliebte geboten freudig zu singen und so schwebt sein Muth sonnenhoch und er singet Win­

ter und Sommer sehnliche Lieder vor Allen zu ihrem Preise; in Gedanken an sie schaut er in ein Paradies; ihr rother Mund ist

eine thauige Rose; sie heilt kräftiger als Kräuter und Steine die Herzenswunden, welche die Minne ihm schoß.

So

singt er in

Freuden und die Jahre gehen ihm heiter dahin; die Geliebte ist des

Mannes Freudenspiegel und der Heiles Hort seines Herzens. Bei ihm finden sich die leichteren, einfacheren, minder verschlungenen Töne, und er steht in aller Hinsicht dem Gottfried von Nifen und

Ulrich von Winterstetten am nächsten [134].

Auf ähnliche Weise

hat auch der Kanzler aus Steiermark Mai- und Minnelieder ge­ dichtet, die zu gemeinsamer Freude auffordern, und leicht und leb­ haft sind und nicht ohne neue Wendungen.

In dem Auffordern

der Alten und Jungen zum Reigen unter der Linde und in den

Begrüßungen der Maien- und Sommerwonne spricht er es wieder­ holt aus, daß die Minne darin das reizendste ist. Seine Weisen sind einfach, doch hat er bei seiner Vielseitigkeit auch künstlicher

zusammengesetzte Töne, allein es geht darüber der eigentliche poe­ tische Gedanke selten verloren, sondern mit sprachlicher Gewandtheit

bewahrt der Dichter ein geschicktes Ebenmaaß zwischen Sinn und

Form [135].

Dagegen fehlte allen übrigen Dichtern, die sich im

alten Thema des Minnegesangs behaupten wollten, trotz der Vers­ künstelei der lyrische Sinn, und sie entbehren jeder innigen Em­ pfindung und des fesselnden Gedankens. Es konnte der alte Minne­ gesang sich nicht mehr behaupten, ohne ein neues Element zuzu­

lassen, welches sich mit dem Emporkommen des Bürgerstandes hercindrängte. Außer dem ernsthaften Ton des Spruchgedichtes

ward jetzt die Richtung auf das Parodische und Burleske immer mehr vorherrschend. An Nithart's und Tanhlsser's Manier schlos­ sen sich die Schweizer Steinmar (um 12'76) und Hadloub

(um 1300) [136]. Oesterreich, Oberbaiern, Tyrol und die südlichen Theile von Deutschland bis in die Schweiz sind die Gegenden, wo man jetzt auch wagt, Wein, Tanz und Gesang neben den Wei­ bern zu Gegenständen der lyrischen Dichtung zu machen. Man

singt den Preis des Herbstes und Winters, statt wie sonst den Som­ mer, und in ihrem Gefolge Schmaus und Zeche [137]. Wir werden

110

Dritte Periode.

Bon der Dritte des zwölften

zurückgeführt aus der phantastischen Nitterwelt mit ihrer überspann­ ten Sentimentalität unter Menschen unseres Fleisches und Blutes,

und es eröffnet sich, wie sich dies schon oben bei dem Hervorbilden der Volksnvvelle zeigte, die gemeine Wirklichkeit, und wir begegnen am Ende des 13. Jahrhunderts

Dichtungen, wie der Wiener

Meerfahrt (AuSg. von Mailath und Köffinger.

Pesth 1817.) und dem

Weinschwelg (Ausg. in W. Wackernagel'S altdeut. Lesrb. 2. A. 8. 575-86.),

wo das Zechen als das eigentliche Lebenselement er­

scheint, namentlich sehen wir im Weinschwelg einen Trinker, wie

er immer im Anfang und daher eben so sehr immer im Ende bleibt. Jeder Zug aus der gewaltigen Kanne ist ihm neu. Wenn er mehre

hundert Schluck gethan hat, so meint er,

nun erst beginne er zu

Wahrend in das eigent­ liche Minnelied sich das Volksmäßige eindrängte, nahm der Minne­

zu schmecken, was der Wein fei; [138].

gesang in seinen beiden anderen Richtungen besonders das gelehrte

und didaktische Element in sich auf. b. Der Gottesdienst.

In dem eigentlichen Minnelied ist die sinnliche und geistige Seile der Liebe noch in ungetrennter Einheit aufgefaßt. Die sinn­

liche Seite findet ihr Gegenbild in der Natur, welche die Seligkeit

der Liebenden mitfeiert, und hieraus quillt die Freude am Licht der Sonne, an den bunten Blumen, an den Blüthen und Bäumen, an dem süßen Gesang der Vögel im Walde hervor. Je mehr in der weiteren Entwickelung des Minnegesangs die Liebe die Rich­ tung auf den sinnlichen Genuß erhielt, um so bestimmter sonderte

sich die geistige Seite der Liebe ab und gewann die ideale, in das Religiöse übergehende Richtung, welche den Blick in das Himm­

lische hinauszieht und, vom Irdischen sich abwendend, belebt wird durch die Anschauung des Schmerzes, der in der demüthigen Er­ gebung und Selbstverleugnung erst das Bewußtseyn des Göttlichen

hervortreten läßt.

War durch die Anschauung von dem Leben, Lei­

den und Sterben des Heilandes lebendig die Idee der ewigen Liebe und Versöhnung erzeugt, welche als die That des Gottmenschen in

den Evangelienharmonien ihre epische Darstellung sand, so bot sich der lyrischen Empfindung besonders die Jungfrau Maria dar, diegnaden-

reiche Mutter, welcher sich das bedrängte Herz in fester Zuversicht zuwendet.

Sie ward daher ein Hauptgegenstand

des

geistlichen

Minneliedes; in ihr concentrirte sich alle Macht und aller Zauber des Gemüths, das alle heiligen Empfindungen des Glaubens und

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

111

der Liebe in sich erklingen läßt; cs wurde die Anbetung der Him­

melskönigin mit der reinsten Andacht gesungen.

So erweckt die

himmlische Liebe den Gedanken des höheren Geisteslebens, welcher

alle irdischen Gefühle und Vorstellungen vernichtet, den inwendigen Menschen verklärt und zum Bewußtseyn seines unvergänglichen Wesens, zum Genuß seiner Seligkeit bringt.

Viele Lieder sind

ganz verloren in die Anschauung des unendlichen Geistes, der Tri­ nität, und suchen in den Abgrund der Kräfte zu blicken, aus denen

alle Dinge entquellen; sie gehen bei dem Erfassen des geheimniß­ vollen Waltens des göttlichen Geistes in das Mystisch-Gelehrte der

didaktischen Poesie über.

Endlich erzeugte das Bewußtseyn

der Sünde als der Entzweiung Sehnsucht nach Versöhnung.

von

mit Gott den Drang und die

In den Kreuzzügen war ein neuer

Weg zum Heil der Seelen gewonnen; der Streiter für Christus fand im Tode Vergebung der Sünde und die Krone der Märtyrer.

Daher spricht sich in vielen Kreuzfahrtliedern das beseligende Ge­ fühl aus, die Sünde im Kampfe auf dem heiligen Boden vernich­ ten und die Seele läutern zu können. Der älteste unter den geistlichen Dichtern ist Meister Spervogel am Rhein; er gehört der zweiten Hälfte des 12. Jahrhun­ derts an. Von ihm haben wir ein herzliches Weihnachtslicd, worin

der Dichter bereuet, so lange dem Höllenwirthe gedient zu haben; daran schließt sich ein Osterlied. Durch seine übrigen Gedichte steht er an der Spitze der Spruchdichtung.

In Rücksicht der äußeren

Form hat er mit den ältesten Minnesängern Kürenbcrgcr und Diet-

marvonEist dies gemein, daß sich die Reime häufig begnügen mit unvoll­ ständigem Zusammenklang; doch schließt er sich nicht, wie die beiden ge­

nannten Dichter, in Tonweise und Inhalt, dem alten Heldenliede an, sondern seine Töne sind künstlicher, als namentlich bei Kürenberg [139].

Ferner haben wir von Heinrich von Rugge aus Thurgau, der wie Husen und Reinmar der Alte, einen Kreuzzug unternahm, ei­

nen Leich auf das heilige Grab, der gleich auf die Nachricht von Friedrich's I. Tod (1190) gedichtet ist und zu einer neuen Kreuz­ fahrt auffordert [140].

Auch Hartmann von der Aue nahm Theil an dem Zuge nach dem gelobten Lande in Folge des TodeS seines Dienstherr», mit dessen Verlust ihm alle Freude schwand. Es war dieselbe Kreuzfahrt, bei welcher Husen ritterlich siel, wor­ auf Rugge zur Rache des unglücklichen Ausgangs auffordert. Cha­

rakteristisch tritt in Hartmann's Kreuzliedern der Gedanke hervor,

112

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

daß die Fahrt an sich nicht versöhnen könne, sondern daß das Ge­

müth, das Innere selbst den Kampf Christi in sich durchleben müsse/

daher die sinnliche Gegenwart des geheiligten Bodens nur als ein Erregungsmittel genommen werden könne. Hartmann mahnt daran,' das Kreuz nicht allein auf dem Kleide, sondern auch im Herzen zu

tragen [141],

Vor allem ist aber unter den geistlichen Minnedich­

tern Gottfried von Straßburg hervorzuheben, von dem wir einen Lobgesang auf die heilige Jungfrau besitzen (am besten herauSg.

von Haupt in der Zeitschr. IV. p. 513 sqq.). Gottfried stellt diesen überschwenglichen Gegenstand in einer Fülle lieblicher und bedeut­ samer Bilder dar und schlingt alle Gebilde zu einem unverwplklichen

Kranz in

einander

in

einer wohlklingenden,

krystallhcllen

Sprache und in einem künstlichen vielreimigen Strophenbau.

Von

dem Lobe der Mutter Gottes geht der Dichter zum Lobe ihres Sohnes über und feiert ihn in derselben Art, zum Theil mit den­ der Mutter-Gottes Sohn ist auf geheimnißvolle Weise zugleich Vater, Mutter, Bruder, Schwester; es verschmilzt

selben Bildern;

sich daher das Lob des Sohnes und des VaterS unauflöslich, wie

ihre Personen in der Dreieinigkeit, und dies ist so unaussprechlich, daß weder Engel, noch Weib und Mann es vollenden kann.

Die­

ser Hymnus ist das größte Resultat der geistlichen Lyrik unseres

Mittelalters [142].

Unter den jüngeren geistlichen Minnedichtern

nach der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts

ist hier besonders Reinmar der Zweier zu nennen, welcher am Rhein zu Hause war, aber in Oesterreich ausgewachsen ist und sich viel in Böhmen aufhielt.

Er gehört zu denjenigen Minnedichlern, bei welchen das

erotische Element von dem religiösen und politischen in den Hin­ tergrund gedrängt wird; wir haben von ihm bloß cinstrophige Ge­ dichte (Sprüche), die fast alle aus gleiche Weise gebildet sind und später Reinmar's Frau-Ehrenton genannt wurden [143]. Bei Reinmar tritt besonders die Verehrung der Jungfrau hervor; die­

ser wendet er seine Liebe zu, und dem, der nach Liebesfreuden sich sehne, will er ein freudenreiches Lager angeben; das minniglichste

Bett sind die bloßen Kniee im Gebet zu ihr, deren Güte Aller Freudcnlager und Decke ist. Er grübelt über die Bedeutung des Namens Maria, und das Geheimniß der Menschwerdung beschäf­ tigt ihn vielseitig.

Er beginnt mit der ewigen Dreieinigkeit und

der uranfänglichen Minne, durch welche Gott zur heiligen Jung­

frau niederkam, und Mensch und Weltheiland ward wie die Vor­ bilder des alten Testaments verkündigten und die Sinnbilder der

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. vier Evangelisten.

113

Auch Heinrich von Sax, der seinen Namen

hatte von der hohen Burg Sax im Rheinthale unweit Feldkirch,

besingt andächtig die heilige Jungfrau und Mutter Gottes als die höchste göttliche Minne nach den in lateinischen Hymnen gebräuchlichen Vorbildern des alten Testaments, besonders des Hohenliedes; sein geist­ liches Minnelied gehört mit zu den bedeutendsten Liedern dieser Art [144]. Vorzüglich ist aber Konrad von Würzburg hervorzuheben, des­

sen goldene Schmiede (herausg. von W. Grimm.

Berlin 1840.)

einen kunstvollen Schmuck, ein Geschmeide der Himmels- und Er­

den-Königin darbieten sollte.

Alle Bilder und Gleichnisse, welche

die Marienminne überliefert hatte, werden hier wie Edelsteine zu

einem kostbaren Geschmeide zusammengefügt.

Doch fehlt hinter die­

sem Bilderprunk die innige Empfindung, die zugleich das Herz er­ wärmen könnte. Der Dichter beklagt im Eingang, sich auf Gottfried's Lobgesang beziehend, sein Ungeschick: er sitze nicht auf grü­ nem, von süßer Rede thauigem Klee, aufwelchem würdiglich Meister Gottfried von Straßburg saß, der als ein kunstreicher Hauptschmidt gülden Gedicht würkte und die heilige Jungfrau besser gerühmt und

gepriesen hätte [145]. Ferner war Meister Rumeland, ein Sachse, bei der hohen Würde, die er der Dichtkunst beilegt, bestrebt, sie auch würdig anzuwenden, zum Lobe Gottes, zu frommen Betrach­

tungen und lehrreichen Sprüchen [146]. Endlich ist noch Hein­ rich von Meißen zu nennen, der den Beinamen Frauenlob deshalb führte, weil er in Widerspruch mit anderen Dichtern von

den beiden Benennungen Frau und Weib jene über diese erhob.

Von ihm sind zwei Leiche auSzuzeichnen, der eine auf die Jung­

frau Maria, dem das Hohelied zum Grunde liegt, der andere vom heiligen Kreuze. Der erste Leich ist mit den wundersam­ sten Bildern der Natur und heiligen Geschichte geschmückt in einer kühnen, oft gewaltsamen, schweren

Sprache

und

Wortbildung,

und zugleich in seltsam gehäuften Reimen, indem das Gedicht von einfachen Sätzen zu den größten, bis zu zweimal 23 Reimzeilen

aufsteigt.

Der Leich vom heiligen Kreuze ist der geheimnißreichste

und dunkelste.

Dreieinigkeit,

Er hebt an mit dem Uranfange, dem Worte, der

die unerschöpflich

durch

Bilder

abgespiegelt wird.

Dann folgen die Vorbilder der Geburt, des Todes und der Auf­ erstehung Christi, ferner die Geschichte diesesbaum, endlich

des Kreuzes

die Bedeutung, Findung und

Kreuzes [147]. Biese deutsche Literaturgeschichte I.

vom Para­

Wunder des 8

114

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften c. Der Herrendienft.

Wie aus dem Frauen- und Gottesdienst, so gingen endlich auch

aus dem Herrendicnst verschiedenartige Lieder hervor, besonders Lob- und Strafgedichte, sowie Klaggesänge auf berühmte

Verstorbene.

Die Lob- und Straflieder waren an Fürsten und Rit­

ter gerichtet, an deren Höfen und auf deren Burgen die ritterlichen

Sänger sich hin- und herziehend aufhielten.

Diese Gedichte gingen

aus ganz persönlichen Beziehungen hervor, und es handelte sich in diesen um die Milde oder Kargheit der fürstlichen Gönner. Die Minnesänger faßten zunächst von den öffentlichen Zuständen nur das Persönliche auf, nemlich die Politik nur in der Person des

Fürsten und zu dieser wiederum ihre eigene persönliche Beziehung, ob die Fürsten sich mild oder karg bezeigen, ob sie die edle San­

geskunst verehren oder verachten, ob sie den Dichtern freundliche

Stätte bei sich bereiten oder sie zur mühseligen Wanderschaft nö­ Die Minnesänger, meist unbegüterte Edelleute, bildeten

thigen.

gleichsam eine kleine poetische Gefolgschaft ihres Fürsten, und sie

empfingen von ihm Lohn und Unterhalt (miete), die sie nicht als ein bloßes Almosen erbettelten, sondern als ein Recht ihres Stan­ des in Anspruch nahmen. Einzelne Höfe, wie die zu Thüringen

unter Landgraf Hermann, und zu Oesterreich unter den Babenbergschen Herzögen, waren berühmt wegen ihrer Freigebigkeits148f.

Doch gab es unter den Dichtern auch Einzelne, die sich über die

bloß persönlichen Beziehungen zu einer Theilnahme an den öffent­ lichen Angelegenheiten der Zeit erhoben, die Gegner ihrer Ansichten über das allgemeine Wohl bekämpften und die Zeitgenossen zudem

aufforderten, was ihnen für die Ehre des Vaterlandes und für die Aufrechthaltung des Ansehens der Kirche nöthig erschien. Je mehr aber das Reich nach und nach verfiel, um so mehr wurden im All­

gemeinen nur Klagen über die politische Verwirrung Deutschland's und über die Entartung der Geistlichkeit und des Adels laut, bis nach und nach auch diese verstummen, und dagegen sich um das

Ende des 13. Jahrhunderts die an weltliche und geistliche Herren gerichteten Lobgedichte häufen, deren Interesse bei ihrem gezierten, schmeichlerischen, manerirten Ton nur darauf ausgeht, sich die Gunst

und Freigebigkeit der Großen zu erwerben oder zu bewahren [149]. In dem Maaße wie die Unterstützung durch die Großen der Welt

aushört, tritt die Selbstgefälligkeit der Dichter bei ihrem schulmä­

ßigen Zusammentreten und gewerbmäßigen Treiben immer stärker

hervor und mit den häufigeren Lobsprüchen auf die höhere Würde

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

115

der Kunst zeigt sich zugleich der Verfall der Würde der Künstler. Wie sehr jenen Sängern alle Regententugenden, wie Entschieden­ heit,

Thätigkeit, politische Umsicht,

für nichts galten, wenn die

Hauptsache fehlte, die Freigebigkeit, sehen wir an ihrem Auftreten

gegen Rudolf von Habsburg, der ein zu guter Wirth war, als daß er sich der fahrenden Sänger angenommen hätte, sondern sie im Gegentheil von sich entfernt hielt und an ihrer Stelle lieber Hof­

narren duldete [150], —

Unter den hierher gehörigen Dichtern ist

der älteste Spervog el, von welchem wir eine schöne Todtenklage

um den guten Wernhard von Steinberg besitzen.

Mit dem Tode

Wernhard's beklagt der Dichter noch drei andere Herrn, welche auf des fahrenden Sängers Bekanntschaft in Deutschlands hindeuten [151].

verschiedenen Gegenden

Ebenso besitzen wir von Reinmar

dem Alten ein schönes Klagelied auf den Tod Leopolds VI. von Oesterreich, der in den letzten Tagen des Jahres 1194 starb, als

er sich gerade zu einem neuen Kreuzzug rüstete [152].

Ferner be­

rührt Reinmar der Zweter in mehreren Gedichten seine Ver­ hältnisse, wie sie sich während seiner Wanderschaft im Herrn- und Hofdienst gestalteten. Er sagt, daß im Lande hie und da noch Herren säßen, welche Frau Ehre bei sich wol behausen mögten, wenn sie nur nicht ein so starkes Gefolge hätte, als Treue, Stete, reine Sitte, Sorge, Schaam, Keuschheit, Milde, Mannheit, De­

muth, Wahrheit, Gehorsam;

so aber irre sie umher;

aber wohl

dem, der sie aufnehme. Frau Milde hat manchen Herrn, jedoch keinen Knecht; die Herrn sind so hochmüthig, daß sie dieselbe nicht in ihr Herz aufnehmen, sondern unter einer Bank warten lassen; bes­

ser lebte sie vormals bei ihren Knechten, die fröhlich in ihren Dienst traten. Von Reinmar haben wir auch ein bilderreiches Loblied auf Kaiser Friedrich II., in welchem er zugleich eingeht auf die öffent­ lichen Verhältnisse, besonders aus den Kampf zwischen Kaiser und Pabst.

Vom Pabst bemerkt er, daß der Bann aus fleischlichem

Zorn nicht Gottes Bann sey, und wer unter der Stole fluchet und

bannet und zugleich unter dem Helme raubet und brennet, der will

mit beiden Schwertern streiten, anders als St. Peter.

Der Pabst

wird ermahnt, der Kirche in den Mund zu schauen, ob alle ihre Orden gesund sind, ob unter den Bärten ihr nicht Gräber in der

Kehle stecken; Simonie und Häresie sollte ferne von ihr seyn [153].

Bruder Wernher, fahrender Sänger aus Schwaben, hat ein gehaltvolles Klaglied hinterlassen über den Tod des Herzogs Lud­

wig von Baiern, der 1231 ermordet wurde.

Er beklagt auch den

8*

116

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

Herzog Friedrich von Oesterreich noch zwanzig Jahre nach dessen

Tode und preiset andere edele Herren aus des Herzogs Landen. Wernher hat viele Jahre manche Lande durchfahren, und will, so lange er die Zunge rühren kann, die Alten und die Jungen schel­

ten, jene die von Kindheit an in Schanden gelebt und diese, die ohne Tugend aufwachsen; sein Gesang soll nur die Milden, nicht die bösen Reichen loben [154].

Ferner klagt Marner, ein fah­

render Sänger aus Schwaben,

daß, wohin er

auch der

Lande

komme, die Reichen karg sind und den Schatz über alles lieben, da doch vergrabener Schatz und verborgener Sinn der Welt so viel

frommt, wie des Geiers Geruch, des Raben Schlund, des Adlers Griff. Von ihm. sind auch mehrere Loblieder, eins auf den Schwa­

benherzog Konradin, ein anderes auf den v. Henneberg u. a. m. [155]. Auch Friedrich von Sonnenberg schildert sich öfter als einen fahrenden Sänger, der von seiner Kunst lebe; er kam weit umher, am meisten verweilte er in dem heimischen Süd­ deutschland, vorzüglich am Bairischen Hof.

Viele seiner Gedichte

beziehen sich auf die Fürsten und Höfe, und auf die Verhältnisse

der Sänger zu ihnen und anderen Herren.

Welcher Herr bei rei­

chen Einkünften sich von seinem Dienstmann an Milde beschämen läßt, dessen muß dieser sich schämen.

Wahre Fürsten halten Kunst

hoch, welche sie ehret und erfreut; Gott selber hält sie werth, denn sie ist heilig und nimmt von Würdigen Gut um Gottes willen.

Der Dichter ruft aus: Ihr Fürsten, Herren, wahre Edlen, gebet um Gottes, um der Kunst willen; es gereuet euch nimmer [156]. Auch Konrad von Würzburg nahm Gut und Ehre und wan­

derte auf seine Kunst; am meisten scheint er sich am Oberrhein

aufgehalten zu haben. Er beklagt das Schicksal der Kunst und stellt in einer Allegorie: die Klage der Kunst, den Kampf verwah­ ren und unächten Kunst dar. Er schilt ferner mannigfach die kar­ gen Herrn: sie verscharren ihr Gut; Mailied verstummt vor der Unmilde, diese ist ärger als der Winter, der doch Hoffnung läßt [157]. Der Schulmeister von Esselingen schmähte besonders, wie auch der Meister Stolle und der Unverzagte, auf Rudolf

von Habsburg [158]. Ferner will Rumeland den wahrhaft rei­ chen und zugleich demüthigen Herren fröhlich singen und sagen,

und ihrer Milde gedenken, daß sie seiner Kunst gedenken auch erfreuen.

und ihn

Die von Gott zum Guten erdachte Kunst ist an

sich gut und unschuldig an ihrem Mißbrauch; der Künstler soll bei großer Kunst demüthig seyn, dann erhebet Gott ihn dem Edelmanne

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. gleich.

117

Rumeland hat auch Lobgedichte gesungen auf Erich VIII.

von Dänemark und auf Ludwig von Baiern [159].

In dieser Elo-

gen-Dichtung thut sich auch Hermann Damen hervor, ein wan­ dernder Sänger, wahrscheinlich aus Ober-Sachsen. Seine Lobge­

dichte beziehen sich vorzüglich auf norddeutsche Fürsten; außerdem beklagt er die älteren verstorbenen Dichter, wie Reinmar, Walther, Wolfram, Heinrich von Ofterdingen, Klinsor, und rühmt den Meis­

ner und Konrad [160].

Frauenlob endlich singt gleichfalls Lob­

gedichte auf Erich VIII., auf Wizlav von Rügen und andere deutsche Fürsten, so wie Klagelieder auf den Tod Kaiser Rudolfs, Heinrich's von Breslau und Konrad's von Würzburg.

Die Fürsten

und Herren werden in allen Weisen ermahnt, Selbsthcrren zu seyn, sich gute Räthe zu erwählen, und vor allen fürstlichen Tugenden sich der Hauschre, Gastlichkeit und Milde zu befleißigen und Nach­ ruhm zu erwerben; das letzte vorzüglich in Bezug auf die Sän­

ger [161]. Derjenige Dichter, welcher sich in allen drei Richtungen des Minnegesanges auf der wahren Kunsthöhe hielt, ist Walther von der Vogelweide (Ausg. seiner Lieder von Lachmann. 1. Ausg. Berlin

1827. 2. N. Berlin 1843. Uebels, von Simrock nebst Erläuterungen von W. Wackernagel. Berlin 1833. 2 Thl.) [162]. Seine Heimath läßt sich nicht bestimmen, ob sie Franken oder Schwaben oder die Schweiz,

oder, wie Lachmann nachweist, Oesterreich war. Sein dichterisches Wirken umfaßt die glänzendste Zeit der altdeutschen Liederkunst; seine Lieder reichen hinauf in die erste Blüthe des Minnegesangs im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, und reichen hinunter in

den Uebergang dieser Dichtungsweise zur Betrachtung und zum Lehrhaften gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts. Er war ade­ ligen Standes und hat in Oesterreich singen und sagen gelernt; in seinem wandernden Leben kam er in Verbindung mit König Phi­

lipp, den Kaisern Otto IV. und Friedrich II., von welchem letzteren er ein Reichslehn erhielt, ferner mit dem Landgrafen Hermann, mehreren österreichischen Herzögen und anderen weltlichen und geist­ lichen Herren.

Er scheint auch an dem Kreuzzuge Friedrich's II.

1228 — 29 Theil genommen zu haben; er starb bald nach 1230 und soll zu Würzburg begraben seyn. Walther hat in seiner frü­

hen Periode gesungen von der Heide, von den Blumen und von schönen Frauen, welches die Bestandtheile des eigentlichen Minne­

liedes sind.

Er ermahnt die Jugend, nach Herzeliebe zu werben;

der verlieret die Tage, dem nie von rechter Liebe ward weder wohl

118 noch weh.

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften Minne ist ein Hort aller Tugenden, ohne Minne wird

nimmer ein Herz recht froh.

Er preist die Frauen; sie werden mit

dem Frühling verglichen, und die Frage, was die Herzen mehr er­ freue, zu ihren Gunsten entschieden.

Aus dieser Verbindung des

Lobes der Frauen mit dem des Frühlings ergiebt sich eine Reihe

der frischesten

und

anmuthigsten

Lieder.

Er betrachtet auch die

Schönheit und den Werth der Frauen, fast ohne eigenen Anspruch,

als eine glänzende Erscheinung, die er in das Ganze seiner Welt­

anschauung aufnimmt.

Er hat aber auch sich dem Lob und Preis

einer einzelnen Herrin gewidmet; doch ist dann nicht die tiefere und

anhaltende Leidenschaft, die zärtliche Innigkeit, das Versinken in einem Gefühl dasjenige, was Walthcr's Minnelieder auszeichnet, wie bei

Reinmar dem Alten oder Heinrich von Morungen, sondern es macht sich öfter ein edles Selbstgefühl geltend, und der Dichtrr läßt sich

nicht von seinem Gegenstand ganz beherrschen; seine schöpferische Dichtungskraft waltet frei darüber, und er wirkt, wenn nicht durch

die innigste Empfindung der Seele, doch durch die sinnliche Kraft

der Darstellung und den Farbenglanz seiner Lebensbilder. Als die Liebe und der Liebesgesang seine alte Würde verlor, und die Un­

fuge eindrang, da zog er sich aus dem Minnegcsang zurück.

Die

Kunst ist ihm eine hohe Sache, und darum entrüstet er sich gegen

die Verderber und Entwürdiger derselben.

Er klagt darüber, daß

es solcher, die das rechte Singen stören, jetzt ungleich mehr gebe, denn die es gerne hören. „Diejenigen, welche so freventlich schallen,

thun wie die Frösche in einem See, denen ihr Schreien so wohl behagt, daß die Nachtigall davon verzagt, so sie gern mehr sänge.

Wer doch die Unfuge von den Burgen stieße! Bei den Bauern mögte sie wohl seyn, von denen ist sie hergekommen." Er be­ zieht sich hiermit auf die Nitharte, welche den, ritterlichen Gesang störten. Es trauert der Dichter über die Verdrängung des höfischen Gesangs und der Freude, welche Minne, Sitte und Fröhlichkeit ge­ Vielfach ge­

währen würden, wenn sie beisammen bleiben dürften.

täuscht von der Welt zieht er sich zuletzt resignirend auf sein In­ neres zurück, aber ohne Bitterkeit und Härte.

Er hat der Welt

Freuden genoffen und wendet ihr mit Bewußtseyn und Ueberzeu­ gung den Rücken zu.

In einer Reihe von Gedichten sagt er der

Welt und ihren Freuden ab und wendet sich von der weltlichen zu

der geistlichen Minne [163],

und die gefeierte Herrin

wird

die

Jungfrau Maria, deren keuscher Leib den umfing, den Höhe, Tiefe, Länge nie umgreifen mögte. Als den Vater aller Menschen erkennt

119

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

er den Herrn: ihm dienen Christen, Juden und Heiden, der alle

lebende Wunder nährt, und am reinsten erscheint des Dichters An­ betung da, wo er vor Gott sich nicderwirft, als dem

Unbegreifli­

chen, den zu erforschen alle Mühe bei Tag und bei Nacht verloren

ist, den keine Predigt und keine Glaubenssatzung

erklärt.

Außer­

dem ist Walther ein begeisterter Herold der Kreuzzüge und wir ha­

ben von ihm mehrere Kreuzlieder, die theils zum Kreuzzuge auf­ fordern,

theils das Heer in seinem

begeisterten

Zuge darstellen,

theils die Freude und Wonne aussprechen, den heiligen Boden er­

reicht zu haben.

Ueberall zeigt sich, wie der Dichter die Sache

des Kreuzes mit dem ungetheiltesten Eifer ergriffen hat [164]. Was endlich die aus dem Herrndienst hcrvorgegangenen Lieder betrifft, so ist Walther in dem Werben um Gunst und Gabe der Fürsten

dem Gebrauche der Zeit und dem äußeren Bedürfnisse gefolgt, doch hat er ebenso sehr jene Tugend der Milde auf wahrhaft dichterische Weise gepriesen, als auch mitten im Gewirr der Höfe sich einen

freien Blick erhalten.

Unabhängig von seinen persönlichen Bezie­

hungen verbreitet er sich auf eine objective Weise über die allgemei­

nen geistigen Interessen des Staats und der Kirche [165], er ver­ theidigt die Unabhängigkeit des Reichs von der Kirche, und mit

edlem Unwillen tritt er gegen das Unwesen des römischen Hofes auf. Er trauert über die Zerrüttung des Vaterlands und klagt den Pabst an, dessen Umtriebe den Zwiespalt herbeigeführt, und überall ist Vaterlandsliebe die Seele von diesen den Zeitereignissen gewid­

meten Liedern. Der Umgang mit den Mächtigen hat sein Urtheil über die wahren Vorzüge des Menschen keineswegs getrübt. Die Erfahrungen eines vielbewegten, reichen Lebens werden oft zu Sprü­ chen, so daß an Walther die Spruchpoesie sich fortentwickelte; es tragen seine Gedichte überhaupt das Gepräge der Welterfahrenheit,

des Ernstes, der Betrachtung.

3. Die Entwickelungsstufen des Minnegcsangs und der Ucbergang desselben in die Spruchdichtung nebst den Darstellungsformen der didaktischen Poefie.

Anfangs war im Minnegesang eine große Einfachheit in In­ halt und Form vorherrschend, indem die Empfindung sich anspruchs­

los entäußerte und eine gefühlvolle Naivität sich kund gab.

Bei

allen Minnegesängen in der ersten Zeit kann man die Innigkeit und Herzlichkeit keinen Augenblick verkennen. Die höchste Blüthe,

wie seinen Ursprung, gewann der Minnegesang, als er an den Hö-

120

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

fen herrschte und von fürstlichen und ritterlichen Gönnern belohnt und mitgetrieben fröhlich sich ausbreitete.

Damals war noch die Fuge, die Höfischheit d. h. edlere Bildung, feinere Sitte an den Höfen gesangliebcnder Fürsten herrschend, und hofelicher Ge­

sang stand gegenüber dem Unfuge, der Dörperheit, der Aus­

druck Meister gegenüber den Schnarrenzerms166j.

Die einfa­

chen Tonweisen sind Anfangs die häufigeren, und unter diesen be­

sonders die von sieben und acht Zeilen,

und zwar so, daß

der

Stoll 3, der Abgesang 4 Zeilen, nicht ganz so oft, daß der Stoll

2, der Abgesang 6 Zeilen hat, am seltensten, daß er aus 4, der Abgesang aus 2 besteht [167], Die Mitte und der Gipfel der ly­ rischen Dichtkunst des Mittelalters stellt sich nach ihren verschiedenen

Richtungen in Walther von der Vogelweide dar, welcher sich vor den übrigen lyrischen Dichtern auszeichnet, sowol wo er minniglich, scherzend, spieleüd ist, als auch wo er ernst, lehrend, rügend, und für die Weltherrlichkeit des Vaterlands, wie für die Religion begeistert ist. Er

kräftigte zuerst das jugendlich spielende Minnelicd zur Männlichkeit, unt> aus der Blüthe der Phantasie und der Empfindung reifte ihm die Frucht des Gedankens, so daß er die Formen des Minneliedes aus­

dehnte, damit sie vermögend würden, die Sache des Vaterlandes,

die Angelegenheiten des Reiches und der Kirche zu fassen.

Meisterschaft offenbart sich bei seinen Einklang von Inhalt und Form; er sam zusammen, sondern er schafft sie lebendige Entfaltung des Gedankens,

Seine

Liedern in dem vollkommenen

setzt seine Gedichte nicht müh­ von innen heraus; durch die

des Bildes erhält das Gedicht

seine Selbstständigkeit und seine Begrenzung; ist der Gedanke dar­ gelegt, das Bild hingestellt, so ist auch das Gedicht abgeschlossen. Auf diese Weise wird der Gegenstand durch die Form harmonisch begrenzt und die Form durch den Gegenstand vollständig ausgefüllt.

Für das bloße Spiel mit Formen ist Walther zu gedankenreich,

und eben deshalb sind auch seine Formen in der Mannigfaltigkeit einfach. Er führt uns durch den hohen, den niederen und den mittleren Sang, aber stets geht der Inhalt gleichen Schritts mit

der Form und schon der äußere Bau seiner Gedichte läßt auf ihren Gegenstand schließen [168].

Bei Ulrich von Lichtenstein findet

diese innere Einheit von Inhalt und Form nicht mehr statt; wir

haben freilich bei ihm die zärtlichste Sprache und den wohllautend­ sten Versbau, doch fehlt, trotz dem daß sich bei ihm vorzüglich das erotische Leben entfaltet, die Innigkeit der Empfindung und die Energie des Gedankens.

Den Uebergang aus der Epoche der fri-

bis gegen die Mitte des vierzehntem Jahrhunderts.

121

schen Kunstpoesie zur formell spielenden, an der Reflexion kränkeln­ den stellt am entschiedensten Konrad von Würzburg dar; die überkünstliche Verwickelung des Strophenbaus führt zu abgeschmack­ ten Spielereien und eitelen Reimtandeleren.

So kehrt in einem

Gedichte Konrad's derselbe Reim sechszehnmal wieder und in einem

anderen Minnelied ist Wort für Wort gereimt.

Die späteren, der

Kanzler, Regenbogen, Frauenlob trieben dies noch zu wei­

teren Extremen, so daß der Wechsel und

die Verschlingung

der

Reime sich immer künstlicher gestaltet, und die Wiederholung der Reime bis zwanzig, ja bis gegen sechszig steigt [169]. Rücksichtlich des Inhalts macht sich prunkende Gelehrsamkeit und überladener Bilderschmuck geltend. Als mit dem Beginn des Interregnums die Zerrüttung im Reiche überhand nahm, und der trübe Sinn sich auf das Elend

der Gegenwart und auf eine düstere Zukunft richtete, als die Für­ sten und Ritter der Minnelieder nach und nach ermüdeten, und

auch durch den Drang der politischen Ereignisse von der heiteren Kunst abgezogen wurden, da sahen sich die Sänger immer mehr

auf sich selbst angewiesen, und zogen sich auf ihr Inneres zurück; es erwachte in ihnen das Verlangen, den Weltlauf zu ergründen,

die göttlichen und menschlichen Dinge zu betrachten und nach dem leitenden Zweck des Lebens zu suchen, und je mehr die Sache des

Vaterlandes, die Angelegenheiten des Reichs und der Kirche ins Auge gefaßt wurden, je mehr sich überhaupt die Wichtigkeit des Stoffs hervordrängte, um so merklicher mußte das zartere Spiel

der Poesie erliegen und die Reflexion in einseitiger Trockenheit und Es wandten sich die Dichter von dem eigentlichen Minneliede ab und gaben überhaupt die ritterli­ prosaischer Blöße hervortreten.

chen Stoffe der Kunstpoesie um so mehr auf, als sich das Bürger-

thum immer entschiedener herausbildete und eine größere Bedeutung gewann. Die Poesie erhielt daher unter diesen Umständen die be­ stimmte Richtung auf das Lehrhafte und Gnomische, auf das Mo­

ralische und Geistliche, und dieser Uebergang zur didaktischen Spruch­ dichtung zeigte sich schon bei Walther von der Vogelweide. Bei dem allgemeinen Suchen nach einem moralischen Haltpunkt stand

er sowol als auch Wolfram von Eschenbach als die unerschüttertsten Muster von allen Meistern da [170]. Von Wolfram nahm man die religiöse Stimmung, das Ucberschwengliche und Mysteriöse sei­

ner Dichtungsmanier, von Walther dagegen die Einmischung in die praktischen Verhältnisse, die Welt- und Menschenkenntniß,

122

Dritte Periode.

Von der Mitte des zwölften

die umsichtige Verständigkeit und eben hieraus ging jene volksthümliche, hellere, frischere Richtung hervor, aus der sich die volksmä­

ßige von den Vorurtheilcn des kirchlichen und adligen Ceremoniels

unabhängige Moral entwickelte, die in der Reformation erst völlig siegte.

Der bedeutendste Repräsentant von den neuen Bestrebungen

der Dichter ist Reinmar der Zweter, der sich vielfach an Wal­

ther anschließt und ihn seinen Meister nennt, aber die Darstellungs­ weise von Wolfram entlehnt. Er nimmt eine feindliche Stimmung

gegen das Minnewesen überhaupt und weist auf die Liebe zu Gott und der Jungfrau Maria hin; seine Poesie nimmt einen ernsten, feierlichen Charakter an, ganz so, wie sich dies oben im Epos zeigte bei den Dichtern, die aus der Schule Gottfrieds sich auf

ernste, religiöse Stoffe richteten.

Diese veränderte Richtung zeigt

sich auf gleiche Weise bei Bruder Wernher, bei Friedrich v. Sonnenberg, bei Konrad von Würzburg, bei welchem sich der Uebergang zur gelehrten und bürgerlichen Dichtung, wie im

Epos, so auch in der Lyrik entschieden darstellt, endlich bei Mar­

ner und Ru me land. Sie jammern über den Verfall des Frauen­ dienstes, der höfischen Zucht, der Kunst, und obwohl sie im Osten und Norden neue Zufluchtsstätten an den Höfen suchten, so haben

sie doch alle die Armuth der fahrenden Sänger und die Theilnahmlosigkeit der Höfe und Edlen an der Kunst zu beklagen. Es ließen

daher die Dichter von dem Wanderleben ab, und aus die engere Heimath beschränkt thaten sie sich zusammen, um sich nur zu Danke zu singen, nicht wie früher den Rittern und Frauen. Es sollte dem Anspruch der Kenner allein genügt werden, und auf bestimmte Singetage concentrirte sich der Wetteifer der Meister. Bei diesem formelleren sich Abschließen drang ein gelehrter Charakter in die Poesie und es entstand die Dichtung der Gnomiker.

Ein ganz

anderer Wetteifer zeigte sich jetzt, als damals, wo es galt, den Frauen und Rittern zu gefallen; es handelte sich um Weisheit und um die Kenntniß aller freien Künste [1'71]. Man strebte nach dem Bedeutsamen, Tiefsinnigen; man richtete sich auf das Innere und erkannte überall Abbilder des moralischen und religiösen Lebens.

Wie man die Form der Worte, das Spielen mit Reimen aufs Höchste trieb und durch deren geheimnißvolle Stellung das Geheim­

nißreiche zu ehren suchte, so schöpfte man andererseits aus allen freien Künsten, aus allen Gebieten der Natur, um neue reizende

Gleichnisse zu erfinden [171a].

In dieser Richtung zeichnete sich

schon Reinmar der Zweter aus, und dieselbe verfolgten auch,

123

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

außer den obengenannten, Stolle, der Meißner, Boppo, der Kanzler, Meister Alexander. Es erzeugte sich ein eigen­

thümlicher Wetteifer, es entstanden Streitigkeiten und Reibereien, die sich größtenthcils um Aeußcrlichkeitcn der Gedichte und Persön­

lichkeiten drehten [171b], und bei der Reizbarkeit und naiven Selbst­ gefälligkeit dieser Leute zeigte der Einzelne nächt üble Lust, sich über alle Andere hinwegzusetzen.

Frauenlob stiftete zu Mainz einen Sängerorden, wo Wettstreite gehalten wurden, und wo die San­

geskunst eine schulmäßige Einrichtung erhielt. land und

Barthel Regenbogen über die

Er stritt mit Rume-

Ausdrücke

Weib und

Frau, und mit Regenbogen über die Erschaffung des

Teufels.

Frauenlob und Regenbogen beschließen im Anfang des 14. Jahr­ hunderts den Kreis dieser Dichter und leiten auf den spateren Mei­

stergesang der Bürger über.

Ihren Hauptsitz hatte diese gelehrte

Poesie der Gnomiker am Ober-Rhein; dort war Reinmar gebürtig; dorthin zog sich Frauenlob; Regenbogen suchte dort die vortrefflich­ sten Sänger auf und den Meißner preist Konrad darum/ daß er

die Sänger am Rhein bezwungen habe. Die Darstcllungsformen, die in der Poesie der Gnomiker öfter wiederkehren und noch bestimmter in der eigentlichen

didaktischen

Poesie hervortrcten, sind Sprüchwörter[172], Priameln, Fa­ beln, Räthsel. In den Sprüchwörtern werden sittliche Grund­ sätze für das gesellige Leben als einzelne Wahrnehmungen ausge­ sprochen, die eine allgemeine Wendung erhalten. Der Gedanke, die allgemeine Bedeutung tritt nicht selbstständig für sich heraus, sondern ein einzelner Fall aus der Alltäglichkeit des Lebens wird

das Poetische beruht hier auf der Bildlichkeit des Ausdrucks und auf der Vorliebe für Alli­

in allgemeiner Bedeutung genommen;

teration und Reim.

Sprüchwörter ohne Bildlichkeit des Ausdrucks

nähern sich den Sittensprüchen oder Gnomen, in welchen der Gedanke an und für sich und ohne Rücksicht auf einen äußeren

Gegenstand ausgesprochen

wird.

Während

das Sprüchwort

die

Sache einfach hinstellt und sich mit schlichter Einkleidung begnügt, verbindet die Priamel (praeambulum) eine Reihe von sinnlichen

Anschauungen,

die an sich mit einander nicht in Verbindung zu

stehen scheinen, bis zuletzt der allgemeine Gedanke hervortritt, wel­ cher für die Verknüpfung so verschiedenartiger Vorstellungen die Lösung enthält. Es wird zur Erregung größerer Erwartung erst

lange präambulirt bis endlich im letzten Verse der Aufschluß

erfolgt [172b].

Die Priamel hat daher Aehnlichkcit einerseits mit

124

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

dem Räthsel in Bezug auf die Verbindung scheinbar widersprechen­

der Vorstellungen, andererseits mit dem Epigramm rücksichtlich des Schlusses, welcher auf eine witzige Erklärung einzelner Anschauun­ gen hinausläuft.

Die Fabel (bispel und bischaft) enthält allge­

meine Lebens- und Klugheitsrcgeln, sie zeigt namentlich an Thier­ charakteren den Lauf der Welt im Allgemeinen, wie er stets gewe­

sen und ewig bleiben wird; ihr Wesen beruht darauf, daß ein Beispiel für alle gilt. Das Räthsel endlich ist theils symbolischer Natur, insofern die Bedeutung, das Allgemeine, der Gedanke ver­

hüllt wird; theils allegorischer Natur, insofern der Gedanke anzedeutet wird durch Aneinanderrcihen verschiedenartiger Vorstellungen, in welchen die Bedeutung auf bildliche Weise enthalten ist.

Der

Gedanke, welcher die einzelnen Vorstellungen zur Einheit verknüpft, wird absichtlich verhüllt und die Lösung besteht eben darin, diesen allgemeinen Gedanken zu finden.

In dieser Zurückführung der ein­

zelnen verschiedenartigen Vorstellungen auf die ihnen zum Grunde liegende Bedeutung liegt das Reizende und Anziehende, und es

offenbart sich hier der Witz des Scharfsinns und die Beweglichkeit der Combination.

Im Mittelalter spielt das Räthsel in der deut­

schen Poesie namentlich in dem gegenwärtigen Abschnitt eine große

Rolle [173] und es wird das Lösen von Räthseln geradezu als ein Zeichen von tieferer Kenntniß und Weisheit genommen. Das Sprüchwörtliche und namentlich der Sittenspruch

tritt

besonders bei Spervogel hervor, dem ältesten unter den Gnomi­

kern. Seine einzelnen Sprüche bezeichnet er selbst bescheiden: wie geringe seine Kunst sey, so spreche er doch solche Worte, die nie­

mand

hehlen solle;

das , Kleid mache nicht den Mann, und ein

Wolf bleibt Wolf auch im Zobelpelze. Er gebraucht auch Fabeln im Geiste der alten Thiersage, und auch die Priamel findet sich schon bei ihm [174]. Bei Reinmar dem Zweier und dem Marner finden wir gleichfalls Fabeln [175], bei Stolle Fabeln

und Räthsel [176], bei dem Meissner tritt außer der Fabel auch das Sprüchwörtliche hervor [177], bei B op po ist öfter die Dar­

stellungsweise epigrammatisch schließend, den Priameln gleich [178]. Bei Meister Alexander und Regenbogen finden wir beson­ ders Räthsel [179], und bei Frauenlob Priameln, Fabeln und

Räthsel [180]. Eine Verbindung der oben bezeichneten Elogendichtung und der gnomischen gelehrten Poesie haben wir in dem Sängerkrieg auf der Wartburg (herausg. von Ettmüller. Ilmenau 1830.) [182],

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

125

in welchem sich zwei Theile bestimmt von einander unterscheiden lassen.

Der erste Theil in einer künstlichen langen Strophe,

in

dem sogenannten Thüringer Herrenton ist panegyrisch; es wird um Herrenlob gestritten in der althergebrachten und allgemein beliebten

Form des Räthsels: Heinrich von Osterdingen erhebt den Herzog Leopold von Oesterreich über alle Fürsten, Walther von

der Vogelweide den Landgrafen von Thüringen.

Der von sei­

nem Gegner bedrängte und schon wankende Ofterdingen ruft den Zauberer Klinsor aus Ungerland zu Hülse, einen Mann, der in magischer Wissenschaft tief erfahren ist und Umgang mit dem Teu­ fel pflegt. Dieser erste Theil ist der ältere und stützt sich auf meh­

rere historische Ueberlieferungen; er rührt vielleicht von einem ein­ zigen Verfasser her und gehört etwa in das letzte Viertel des 13.

Jahrhunderts.

Der zweite Theil ist in einer weniger feierlichen,

kürzeren und nachdrücklichen Strophe abgefaßt, ten schwarzen Ton.

in dem sogenann­

Es wird hier von der Würde des Gönners

auf die höhere Würde des Preisenden übcrgegangen und diese wird

dem zuerkannt, welcher das höhere Bewußtseyn der Wahrheit be­ sitzt. Wolfram und Klinsor sind die vorzüglichsten Kämpfer, und der Streit selbst wird in mystischen Räthseln geführt, die sich auf Unsterblichkeit, auf Leben und Tod, auf Bekehrung von der Sünde,

auf Offenbarung, Macht, Gerechtigkeit und Gnade Gottes bezie­ hen. Wolfram kämpft als der Laie, Klinsor als der in mystische Priesterweisheit Eingeweihte; jener ist durch den Glauben, dieser

durch seine magische Wissenschaft mächtig; jener in sich selber sicher, dieser im Bunde mit dem Teufel; kurz es

an die Untrüglichkeit

und

steht hier der Glaube

Allgemeingültigkeit des

Christenthums

gegenüber der aus dem Naturglaubcn hcrvorgegangenen Magie, die nach dem heidnischen Orient als ihrem Vaterland zurückweist. Es werden die Räthsel durch die Kunst des Teufels gestellt und durch die Gunst der Engel gelöst.

Dieser zweite Theil rührt ge­

wiß von mehreren Verfassern her und erhielt je' länger

je mehr

Nachträge und Erweiterungen, daher auch die Handschriften sehr von einander abweichen. Manches aus den in Frauenlob's Zeit üblichen Wettstreiten mogte nach und nach Eingang finden in dies

Gedicht, und es kann daher der zweite Theil erst in den Beginn

des 14. Jahrhunderts gesetzt werden. Wolfram von Eschenbach wird hier verherrlicht als der Vertreter der edleren und besseren Denk- und Handlungsweise vergangener Zeit.

Während er von

seinen Zeitgenossen vielfach verkannt, angegriffen und verunglimpft

126

Dritte Periode. Von der Mitt« des zwölften

wurde, ward er dagegen in späterer Zeit der Mittelpunkt, um den sich viele versammelten, welche sich angezogen fühlten von dem tief religiösen, ächt christlichen Geist, der sich durch die Werke dieses Meisters hindurchzieht. In der wunderbaren Dichtung des Wart­ burgkrieges stellt sich eine eigenthümliche Mischung des Epischen, Lyrischen und Didaktischen dar, und diese drei Richtungen der Poesie durchkreuzen sich vielfach in den poetischen Productionen dieser Pe­ riode, was aus den bestehenden Verhältnissen des höfisch-ritterlichen Lebens hervorging. Wie nemlich der Frauendienst die Quelle des lyrischen Minnegesanges war, so wurde der Gottesdienst des Rit­ terstandes, je nachdem er Sache der Empfindung oder der Betrach­ tung ist, Quelle theils für lyrische, theils für didaktische Dichtung und endlich aus dem Herrndicnst mit seiner höfischen Sitte und aus der sich immer mehr geltend machenden humanen Bildung ging die didaktische Lebens- und Sittenkritik hervor, die bald als Lehre, bald als Satire erscheint, bald als kurzer Spruch, bald als poetischer Sermon und Paränrse. C.

Didaktische Poesie. [182]

Wenn früher die höfischen Gedichte rücksichtlich des Herren­ dienstes aus den unmittelbaren, persönlichen Beziehungen hervor­ gingen, in welchen die Dichter zu den einzelnen Fürsten und rei­ chen Rittern standen, so erweiterte sich dagegen mit dem Verfall der höfischen Zucht der Gesichtskreis der Dichter, indem sie die allge­ meinen Zustände des Vaterlandes ins Auge faßten, und über die großen inneren Angelegenheiten des Menschen, über seine Bestim­ mung und Pflicht, über seinen Beruf ihren Empfindungen und Be­ trachtungen Ausdruck verliehen. Es interessirte nicht mehr das thatenvolle Leben aus den idealisirten Zuständen der Sagenwelt, sondern man sing an die Sitten des herrschenden Standes, welche den Erzählungen alter Ueberlieferung zu Grunde lagen, für sich zu betrachten, sie von den Thaten, die durch sie hervorgerufen waren, zu trennen und sie mit den verwandten wirklichen Zuständen zu vergleichen. Schienen daher die ritterlichen Mären als Beispiele des Guten für die Jugend wohl berechnet, so sollte der reife Mann doch ohne Gleichniß wissen, was das Gute, was Frommheit, Tu­ gend und Zucht dem Wesen nach sey [183]. Auf diese Weise ent­ standen die Lehrdichtungen, welche vom Sprüchwort ausgehend, die im Bewußtseyn des Volks und der Zeit ausgeprägte Lebensweis-

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

127

heit und Moral in Sprüchen und poetischen Sermonen oder in

dem Gewände von Fabeln, Parabeln und Erzählungen vortrugen. Es herrscht in denselben ein objectiver, epischer Charakter, daher auch die kurzen Reimpaare gewählt wurden, und obgleich die dich­ terische Form dem Inhalt mehr äußerlich ist, so griff man doch zu

dieser, theils weil die Prosa noch

nicht ausgebildet war und der

poetische Ausdruck sich jedem beliebigen Stoffe leicht und bequem anschmiegte theils weil die poetische Form sich als die zweckdien­ lichste darstellte, um den Lehren Eingang zu verschaffen. Je leben­ diger die moralische Gesunkenheit der Zeit empfunden wurde, um

so entschiedener machte sich

das Bestreben geltend, einen besseren

moralischen Zustand herbeizuführen, und es haben die Lehrdichtun­ gen jener Zeit ihren Werth gerade in der Tüchtigkeit der Auffassung und Gesinnung, wie in der Schärfe und Popularität der Sprache.

Walther von der Vogclweide bildet in seinen Sprüchen über die öffentlichen und privaten Verhältnisse des deutschen Lebens, die,

voll Welt- und Menschenkenntniß, aus einem kräftigen, deutschen Sinne und Gemüthe geflossen sind, den Mittelpunkt, an welchen sich die Lehrdichtungen der nächstfolgenden Zeit anschlossen [184],

Seit dem Fall der Hohenstaufen zeichnet das deutsche Volk den

romanischen Nationen gegenüber eben dies aus, daß es mit seiner bürgerlichen Entwickelung eine volksthümliche, kraftvolle Moral und

Religiosität entfaltete, die über das Standesmäßige und Conven­ tionelle des Adels und der Geistlichkeit den Sieg errang. Zu den schönsten Ueberresten der

älteren

didaktischen Poesie

gehört der Winsbeke (herausg. in Bcnecke'S Beiträgen zur Kenntniß der altd. Sprache und Literat. 1. 2. Göttingen 1832.); dieser enthält die Ermahnungen, mit denen der greise Vater seinen Sohn ins Leben

entläßt; sie gehen aus einer milden und zugleich kräftigen Gesin­ nung hervor, die das Gleichgültige der äußeren Sitte und Convenienz bei Seite liegen läßt und den Blick auf das Ewige richtet.

Die ethischen Maximen sind von ächter Religiosität und Herzens­

innigkeit durchwärmt.

Die Winsbeckin

enthält Ermahnungen

der Mutter an die Tochter s185j. Beide Gedichte sind strophisch ab­

gefaßt.

Ferner gehört hierher der welsche Gast Thomasins

von Zerclar, welches 1216 verfaßt wurde und seinen Namen hat nach dem Vaterlande des Verfassers, der aus Friaul gebürtig

auch in seiner Sprachdarstellung die Eigenthümlichkeiten des Wel­ schen nicht verläugnet [186]. In dem Eingänge giebt er das Ver­ hältniß seines Werkes zu den Dichtungen seiner Zeit an und be-

128

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

zeichnet sehr bestimmt den Uebergang von der epischen zur didakti­ schen Poesie.

Es genügen ihm nicht mehr die Phantasiebilder der

ritterlichen Mären, die seinem Jugendalter und seinen kindischen Vorstellungen genügt hätten; er sucht das Wesen der Dinge und

der Menschen zu ergründen und trifft aus die Hauptgebrechen der Zeit.

Er widerstrebt den conventionellen Standesansichten von der

sittlichen Wirkung der Liebe und erhebt sich über die Vorstellungen

der aristokratischen Welt, in denen er mehr oder weniger mogte

befangen seyn in dem verloren gegangenen welschen Buch, das

er über höfisches Leben und höfische Sitte

schrieb.

In

dem deutschen Buch, dagegen legt er die Vorurtheile über die Stan­ desunterschiede ab. Hier erklärt er, daß ber- Adel nur aus der Güte des Herzens und Gemüths hervorgehe, und er will dem Wech­ sel der Welt gegenüber ein Ewiges und Dauerndes aufstellen. Er kommt daher auf die Lehre von der Stete (sittlichem Grundsatz), welche den Mittelpunkt seines Werkes bildet.

Nicht ist er bestrebt,

seinen Lehren einen poetischen Körper zu geben, sondern er umhüllt

sie blos mit dem Gewände der dichterischen Sprache, und hier und da mit dem Schmucke der Allegorie.

Ueber die Vorurtheile des

und besten ritterliche Moral erhob er sich zu einem rein menschlichen Sittcngesetz und zur Achtung menschlicher Selbststän­

Adels

digkeit und Kraft durch die humane Bildung, welche er aus den Lehren und Schriften der alten Philosophen gewann. Er war, wie Sokrates, bemüht, die Philosophie aus der Schule auf den

Menschen zu beziehen und sie wie dem Gemüthe so auch dem na­

türlichen Menschenverstände anzueignen.

Wenn er nun auch mit

seiner großen Belesenheit in antiken Schriften viel ächt Deutsches verbindet und aus der volksmäßigen Moral viel Bildliches und Spruchartiges entlehnt, so gewann sein Werk doch wegen der ge­ lehrten Richtung nicht den rechten Eingang ins Volk. — Die Spruchdichtung, welche bei den gnomischen Dichtern von Spervo-

gel, Walther und Reinmar dem Zweter an mehr und mehr ins

Lyrische überging und bald einen gelehrten, dogmatischen und ascetischen Charakter annahm, erhielt in Freidank's Bescheiden­ heit (herausg. von W. Grimm.

Göttingen 1834.) eine mehr objective

Behandlung, insofern der Dichter mit seinen individuellen Gefühls­ zuständen hinter der im Volke überlieferten Spruchweisheit zurück­

tritt [187].

Ob der Name Freidank ein angenommener ist oder

nicht, bleibt unentschieden.

Das Gedicht ist in Syrien abgefaßt

(1229), wohin Freidank in dem Kriegsheere Friedrich's II. gekommen

dis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

129

war. Der Ausdruck Bescheidenheit bezeichnet in der mittel­ hochdeutschen Sprache das Bescheidwissen, also Einsicht, richtige Beurtheilung der Dinge. Es schließt sich das Gedicht in manchen Punkten so eng an Walther von der Vogelweide, daß man sogar diesen für den Verfasser gehalten hat. Der Dichter ist auf ein um­ fassendes Erkennen gerichtet und entfaltet in einer Reihe unter sich nicht näher verbundener Betrachtungen über Religion, Moral und Politik die reichste Lebensanschauung. Er geht von der Trinität und Erschaffung der Welt aus, kommt dann auf die Menschwer­ dung Gottes, auf die Entstehung des Bösen, auf die Tugenden und Laster der Individuen, Stände und Regierungen, und beur­ theilt namentlich scharf öie Stellung des Pabstes und Kaisers. Al­ les von einem höheren Standpunkte aus betrachtend erscheinen ihm die irdischen Verhältnisse im Lichte des Ewigen. Keine Richtung des bewegten Menschenlebens läßt er unberührt, und entwirft in kurzen Kernsprüchen von diesem ein lebensvolles Bild, so daß sein Gedicht die sprüchwörtliche Weisheit des Volks auf eine klare, le­ bendige Weise in sich concentrirt. Die volksthümlich - moralische Richtung liegt hier mit der religiös-dogmatischen neben einander, das Sprüchwort des Volks als verständige Klugheitsregel und auf die Beobachtung des Volks gegründet neben christlichen Sprüchen und den Lehren einer religiösen Mystik und Allegorie. Wie der Verfasser sich nach der Seite der weltlichen Angelegenheiten hin an Walther anschließt, so in religiöser Beziehung an Wolfram [188], so daß er zwischen beiden gleich getheilt ist, und daher die Vermu­ thung von Walther's Autorschaft nicht hinlänglich begründet er­ scheint. Einen Uebergang zu den geistlichen Dichtungen dieser Zeit, wie wir sie oben schon in Konrad von Würzburg und Rudolf von Ems haben kennen gelernt, bildet für die didaktische Poesie der Stricker (dessen kleinere Gedichte herauSg. von Hahn. Quedlinb. 1839), der um 1230 in Oesterreich dichtete. Sein Name ist vielleicht ein angenommener, um die Arbeiten des Dichters als kunstreiche Ge­ webe zu bezeichnen. Er schließt sich noch an die ritterliche Poesie an und sucht sich eine milde Ansicht vom Leben zu erhalten, ob­ gleich die alte Herrlichkeit des Ritterlebens verschwunden ist [189]. In dem Gedichte Frauenehre fühlt er sich seinem Gegenstände nicht mehr gewachsen; desto mehr liegt aber das Gedicht, die Klage, in seinem Gesichtskreise. Die Freude, der belebende Mit­ telpunkt jener herrlichen Zeit, ist dahin; dennoch predigt Stricker im Sinne der alten Ritterschaft, die Welt nicht mit schwarzen Biese deutsche Literaturgeschichte. I. 9

130

Dritte Periode. Von der Mitte des zwölften

Augen anzusehen. Er tröstet sich mit dem Christenthum; man solle gegen die irdische Freude die himmlische eintauschm. Buße, Reue, Beichte sind das Thema seiner kleinen moralischen Erzählungen; dabei kennt er aber noch nichts von Heiligen und der Gottesmut­ ter und deren Fürsprache für uns; sein Vertrauen steht noch direct auf Gott. Ein Sammelwerk, die Welt, umfaßt einen großen Kreis von Beispielen, Fabeln, Reden und Schwanken. Hier er­ scheint zuerst die Fabel mit ihrer moralischen Nutzanwendung und erhielt sich von jetzt an eine dauernde Aufmerksamkeit [190]. — Es trat nun aber in der didaktischen Poesie auch die mystisch-scholasti­ sche Gelehrsamkeit hervor und führte in besonderen Sittengemälden mystisch-gelehrte Allegorien durch. Es gehört hierher das Buch der sieben Grade, die Staffeln des Gebets, auf welchen die reine Seele in Vergessenheit des Irdischen stufenartig zum Himmel steigt, und aus dem Ende des 13. Jahrhunderts die Tochter von Syon des Bruders Lamprecht von Regensburg, wo das beliebte Gleichniß von der Seele Vermählung mit Gott ausgeführt ist. Ferner gab Heinrich von der Neuenstadt, ein Wiener Arzt aus dem Anfänge des 14. Jahrhunderts, ein Gedicht heraus: „Unseres Herren Zukunft." Die Erzählung verweilt mit besonderem Wohlgefallen im Ueberirdischen; im dritten Buch wird unseres Herrn Zukunft nach vier Rücksichten dargestellt: 1. wie er vom Himmel kommt; 2. wie er in reine Herzen und Gedanken kommt; 3. wie er seinen Tod für unsere Sünde bot; 4. wie er am jüng­ sten Gericht kommt. Der Endchrist wird mit besonderer Vorliebe behandelt; die Darstellung geht auf das Furchtbare aus; sie will zerknirschen und bußfertig machen durch Schreckniß und Drohung [191]. Solche und ähnliche allegorische Darstellungen führen zu den volksmäßigen Sittenpredigten, die um 1300 in größeren Sam­ melwerken erschienen. — Der poetische Sermon und die Manier des geistlichen Redners giebt sich am anschaulichsten in dem Renner des Hugo vonTrimberg (herausg. vom historischen Ver­ eine zu Bamberg. 3. Heft. 1833-36.) zu erkennen. Hugo von Trimberg war in Bamberg (1260—1309) Schulrector, und wir haben hier also einen gelehrten Dichter, in welchem sich die religiös-dog­ matische Richtung mit der volksthümlich-moralischen verbindet, je­ doch so daß die erstere vorherrschend ist. Der Renner ist ein mo­ ralisches Sammelwerk, welches nach dem eigenen Gleichniß des Verfassers wie ein ungezügeltes Roß dahin rennt und durch alle Lande rennen soll. Es ist hierdurch zugleich der verschiedenarsig«

131

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jmhrhunderts.

und planlose Inhalt des Buchs bezeichnet.

Dem Dichter ist die

heilige Schrift die Kaiserin aller Künste und er eifert gegen die welt­

liche Weisheit der sieben freien Künste, welche das einfältige Leben verkehrten.

Gift ist jede Kunst, die nicht mit der heiligen Schrift

recht stimmt, und daher'empfiehlt er im Gegensatz der heidnischen Philosophen

Entschieden richtet er sich

die heiligen Kirchenväter.

gegen die Lectüre von Ritterromanen und weltlichem Lügenwerk. Von den wenigen namhaften Dichtern, die er seiner Zeit noch zu­

schreibt, hebt er den Marner hervor und setzt ihm den Konrad von Würzburg nach, der ihm zu gelehrt ist; denn an deutschen Gedich­ ten gezieme sich das nicht, was die Laien nicht verständen.

Wie

Freidank greift er überall in die lebendige Wirklichkeit ein; er kennt das Volk und sein Treiben in allen Klassen und Ständen.

Den Hintergrund seiner Lehren bildet vorzüglich die Erwerbsucht und Strebsamkeit der wetteifernden Stände, der Ritter, Bürger, Geist­

lichen und Bauern, die sich im 14. Jahrhundert das Gleichgewicht

hielten [192]; denn je mehr die alte Reichsverfassung sich auflöste, um so bestimmter entwickelte sich die Selbstständigkeit der Corporationen und mit dieser die Freiheit

der

Individuen, welche in

Willkür und Zügellosigkeit ausartete. In der Darstellungsweise Hugo's beruht das Poetische aus den unzähligen Beispielen, Gleich­ nissen, Parabeln, Geschichtchen,

Anekdoten und Erzählungen, mit Das Volksmäßige des Sprüchwörtlichen steht neben dem Mystisch-Allegorischen der Gno­

denen er seine Sätze erläutert und belebt.

miker, doch wendet der Dichter sich vorzugsweise an den schlichten Verstand, und sein Bestreben ist darauf gerichtet, das Volk mit

den biblischen Lehren bekannt zu machen, und es bereitete daher der Renner mehr als andere Bücher den Boden in den deutschen Mittelklassen, auf welchem nachher die Reformation wurzeln konnte. Zu den moralischen Sammelwerken der

damaligen Zeit,

wie sie

schon mit Fridank's Bescheidenheit und Stricker's Welt beginnen, gehört auch der Edelstein des Bonerius (herausg. von Beneke.

Berlin 1816.), eines Predigermönchs zu Bern, der um 1330 diese Sammlung von Fabeln erscheinen ließ, die einfach und schmucklos

einen Schatz von weisen Lehren enthalten, daher auch dies Buch,

wie der Renner, zu den beliebtesten des deutschen Mittelalters ge­ hörte [192b]. Die Lehre ist dem Wesen der Fabel gemäß die Haupt­ sache, und diese wird, meist in Form des Sprüchworts, mit großer

Sicherheit und Klarheit in einfacher Sprache ausgesprochen, die einen anschaulichen Gegensatz bildet von der trüben Gelehrsamkeit

9*

132

Dritte Periode. Bon der Mitte des zwölften

der Gnomiker. Es wird hier die allgemeingültigste Regel der Sitte und des Verkehrs unabhängig von- jeder religiös-dogmatischen

oder standesmäßigen Beziehung dargestellt in dem

schmucklosesten

Gewand. Nicht liegt, wie vielfach bei den Fabeln des Strickers, der Hauptnachdruck auf dem Geschickten der Schilderung, auf dem Ueberraschenden der Anekdote oder auf dem Muthwillen des Schwan­

kes, sondern von diesen der Fabel fremdartigen Elementen hat sich die Darstellungsweise des Bonerius größtentheils frei gemacht [193]. Ueberall tritt bei ihm gründliche Welt- und Menschenkenntniß her­

vor, und auch, wie im Renner, Haß gegen die bloße Schul-Ge­ lehrsamkeit;

doch weist

er gleichfalls mitten aus

Treiben, worin sich seine Fabeln bewegen,

neres Leben zurück.

erschien

um

1337

dem weltlichen

auf ein geistliches, in­

Etwas spater, als Boner's Fabelsammlung, das Schachzabelbuch des Konrad von

Ammenhausen, eines Mönchs zu Stein am Rhein; es ist dies

eine Bearbeitung nach einem lateinischen Werk des Dominikaners Jakob de Cessoles (1290).

Das Schachspiel und seine Figuren

giebt Veranlassung, um daran die mannigfaltigsten Anekdoten, ge­ schichtliche Züge, Lehren und Sittenpredigten anzuschließen [194], In einigen sinnbildlichen Deutungen erinnert Konrad an die My­

stiker, sonst ist die Darstellungsweise des Renners vorherrschend. Das zweite Buch handelt von den Hauptfiguren, den Landvögten, und ist besonders gegen alle mögliche politische Gebrechen gerichtet.

Dann folgen im dritten Buch die Wenden (Fanten), die Bauern, und es werden dieLandleute und Handwerker dargestellt. Hier geht Konrad noch tiefer, als Hugo von Trimberg, in die natürlichen Ab­

theilungen der Betriebmenschen ein, und wendet den unteren Klaffen

besondere Ausmerksamkeit zu, was charakteristisch ist für die dama­ ligen Dichter, die sich immer mehr in der Wahl ihrer Stoffe von

den höheren Ständen und deren eigenthümlichen Lieblingsneigun­ gen entfernen. Wir haben uns somit immer mehr dem Zeitalter der Prosa genä­

hert, die ein Eigenthum des Volks ist und, als pedestrische Rede, der Erfahrung dient und den Bedürfnissen des praktischen Lebens.

133

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

Zweites

Capitel.

Die Prosa. [195] Es konnte sich die Prosa nur vor und nach der aristokratischen Literatur der höfischen Kunstpoesie gestatten und zur weiteren Ent­ wickelung gelangen. Mit dem Emporkommen des Bürgerstandes

und mit der entschiedenen Richtung auf die sittliche Bildung der unteren Volksklassen regte sich in der Sprache wie in den Zustän­ den das Zeitalter der Prosa, und diese erhielt daher ihre Ausbil­

dung zunächst nicht durch die Wissenschaft, die in ihrer gelehrten Abgeschlossenheit ferne blieb von der Einwirkung auf das Volk, da sich für die Begriffe der scholastischen Philosophie

die lateinische

Sprache einmal festgestellt hatte und durch das neu erwachte Stu­ dium des römischen Rechts noch mehr in ihrem Ansehen befestigt wurde, weshalb auch die Universitätsgelehrten sie überhaupt als das

ausschließliche Organ für die Mittheilung ansahen.

Eine Vermit­

telung zwischen der Gelehrsamkeit und Volksbildung konnte, abge­ sehen von den Werken der didaktischen Poesie, nur durch Homilien, Predigten und andere erbauliche Schriften gewonnen werden.

Die

älteren Homilien aus dem 12. und dem Anfänge des 13. Jahr­ hunderts sind größtentheils nur Nachbildungen lateinischer Muster

aus den früheren Zeiten der Kirche, und sie erinnern in ihrer Form an die althochdeutschen Uebersetzungen [196].

Dasselbe

zeigt sich

auch in den übersetzten und erläuterten Psalmen in einem Wind­

berger Codex zu München (herausg. von Graff. 1839.)

und in der

Uebersetzung einer religiös-moralischen Abhandlung, des tractatus Nortperti de virtutibus; beide aus dem 12. Jabrhundert. Ein neuer Aufschwung kam in die Lehrprosa der Predigten durch die Mystiker, welche freilich erst in der folgenden Periode von ent­

schiedenem Einfluß sind, doch auch schon jetzt anfangen sich an das Volk zu wenden und ein inneres geistliches Leben durch Läuterung

des Gemühts zu erwecken bestrebt sind. Es traten Prediger­ mönche in Deutschland auf, die sich mit regem Eifer der Bildung des Volks annahmen[197]; namentlich waren es die Minoriten

(Franciscaner — fratres minores), welche diese Richtung pflegten.

Aus ihrer Mitte gingen die besten Volksredner hervor, wie die Mi­

noriten Bruder David von Augsburg, und dessen Schüler, Berthold von Regensburg [198]. David von Augsburg ge­ hört mit zu den ersten, die bei der Einsührung des Franciscaner-

Ordens in Augsburg (1243) dort ihren Sitz nahmen.

Er war

134

Dritte Periode. Don der Mitte des zwölften

Professor der Theologie und übte als solcher während einer Reihe

von Jahren den wohlthätigsten Einfluß aus.

Mit besonderer Liebe

hing er an seinem Schüler Berthold, den er auf seinen vielen Rei­ ES giebt von ihm noch einzelne

sen durch Deutschland begleitete.

Reden und Abhandlungen in deutscher Sprache, welche von einem

ebenso tiefen als humanen Geiste zeugen, und in Form und Inhalt zu den schönsten Denkmälern alter Prosa gehören.

Der berühmteste

Prediger des 13. Jahrhunderts war aber Berthold, wahrscheinlich

gebürtig aus Augsburg, und Bruder des Ordenshauses zu Regens­ burg, wo auch sein Geschlecht ansäßig war. Seine Wirksamkeit fällt zwischen 1247—1272.

Predigend zog er in Baiern, Oester­

reich, Böhmen umher und sah oft, indem er seine Kanzel auf den

Gipfeln der Bäume aufschlug, ungeheure Menschenmassen um sich versammelt.

sein Todesjahr wird

Als

1272 angegeben.

Seine

Predigten zeichnen sich durch Lebendigkeit und Herzlichkeit aus; das

Rhetorische geht hervor aus dem inneren Drange des Gefühls; der Ausdruck ist ungezwungen, volksthümlich und bilderreich. Immer sind es die innigsten religiösen Ueberzeugungen, die Berthold in be­ redter Sprache in seinen Predigten vortrug.

Die Gegenstände, die er behandelt, und seine Ansichten, die er ausspricht, erkennen wir öfter in dem Renner von Hugo von Trimberg wieder, und diese Uebereinstimmung hat, abgesehen von der gemeinschaftlichen Quelle in den Kirchenvätern, ihren Grund in den Zeitzuständen, deren

Hauptgebrechen geschildert und angegriffen werden, und hieraus er­ klärt sich auch der große Eindruck, den Berthold's Predigten mach­ ten.

Er steht an

der Spitze

einer neuen Richtung

menschlicher

Bildung und eröffnete durch seine Darstellungsweise neue Bahnen, wodurch er Muster wurde für seine und für die nachfolgende Zeit.

— Wie nun durch die Predigten die höheren, geistigen Interessen des Volks gefördert wurden und dies zugleich die Prosa in ihrer

Ausbildung begünstigte, ebenso ward sie auch andererseits gefördert durch Abfassung von solchen Denkmälern, die sich auf das recht­ liche und politische Leben des Volks bezogen [199].

Je mehr sich

die städtischen Corporationen immer entschiedener auszubreiten be­ gannen, bildete sich

mit ihnen die deutsche Canzleisprache.

Durch Rudolfs von Habsburg Verordnung wurde das Deutsche zur Sprache des Reichstags und der Landesgesetze erhoben. Ob­ gleich hierdurch das Oberdeutsche in seiner Herrschaft über die an­ deren Dialekte bevorzugt wurde, so führten doch die Rechtsbücher, die Land-

und

Stadtrechte die

Trennung der Dialekte

herbei.

bis gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts.

135

Der Sachsenspiegel (herausg. von Homeper. Berlin 1835 — 44.) wurde von einem sächsischen Ritter Eyke von Repgow zwischen

1215 und 35 wahrscheinlich in einer niederdeutschen Mundart aus den im nördlichen Deutschland gültigen Gesetzen und Rechtsgewohnheiten zusammengestellt, dann auch ins Oberdeutsche umgeschrieben und in beiden Gestalten vielfach umgearbeitet und erweitert.

Der

Schwabenspiegel (herausg. zum Theil von W. Wackernagel. Zürich

und Frauenfeld 1840.) wurde aus dem noeh unerweiterten Sachsen­ spiegel und zum Theil aus dem Kirchenrecht von einem oberdeut­ schen Geistlichen noch vor 1276 zusammengetragen. Er gehört mit zu den bedeutendsten Denkmälern deutscher Prosa; der schwäbische Dia­

lekt zeigt hier eine große Bildsamkeit und läßt schon Numerus und sinnreiche Satzfügungen erkennen. Im Laufe des 13. Jahrhunderts entstanden noch die Land- und Stadtrechte und die Auszeichnungen

von Rechtsentscheidungen, die sogenannten Weisthümer (herausg.

von I. Grimm.

Göttingen 1839-42.).

tende Stadt, die nicht ihre

Es

gab

bald

keine

bedeu­

Statuten und Rechtsbücher in der

Volkssprache besaß. — Es finden sich ferner auch schon die An­ fänge geschichtlicher Darstellung in deutscher Prosa; denn dem 13. Jahrhundert gehört noch die sogenannte Repgowsche oder Sach­ senchronik an, und dem Anfang des 14. Jah.hunderts das St. Galler Geschichtsbuch Christians des Küchemeisters, die neuen Casus monasterii St. Galli. — Eine Art wissenschaftlicher Auffassung der Natur haben wir in dem Gespräch zwischen Mei­ ster und Jünger über die Weltlehre und über die Meinauer

Naturlehre. Wie die Reimchroniken die ersten Versuche popu­ lärer Geschichtserzählung bezeichnen, so stellen die Prosaromane

am unmittelbarsten den

Uebergang der Poesie in die Prosa dar.

Hierher gehört ein Bruchstück eines vielleicht aus dem Französischen ins Niederdeutsche übersetzten Prosaromans, dessen Inhalt zu den

Rittergeschichten des bretonischen Kreises gehört [199b]. Dies sind die Anfänge deutscher Prosa, die erst in der folgen­

den Periode von größerer Bedeutung werden und eine umfassen­ dere Ausbildung dieser Redegattung herbeiführen.

Vierte Periode. Von der Mitte des 14. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.

E i n l e i t u n g.

1.

Die politische Lage und der Culturzustand Deutschlands.

Das deutsche Reich zersplitterte seit dem Fall des Hohenstaufschen Kaiserhauses immer mehr in seine einzelnen Theile, indem sich die alten Bande lockerten, welche das Ganze bisher zusammen­ gehalten hatten. Rudolf von Habsburg hatte es nicht vermögt, die kaiserliche Macht vollständig wieder geltend zu machen und von oben herab Recht und Ordnung zu sichern. Die Grundlagen des mittelaltrigen Staats waren durch ihre innere Entartung erschüt­ tert; die alten Formen hatten sich ausgelebt und die neuen Ideen, welche die Zeit bewegten, konnten noch nicht die ihnen entsprechende Wirklichkeit gewinnen. Die Geistlichkeit sank durch habsüchtige Bestrebungen in ihrem Ansehen, der Adel war durch kostbare Kriegs­ züge geschwächt und hörte auf Mittelpunkt der Gesittung zu seyn; Rohheit, Raublust, Gewaltthat nahm unter ihm immer mehr Ueber« Hand; die Fürsten verfolgten selbstsüchtige Zwecke und strebten nach landesherrlicher Gewalt und die Kaiser waren hauptsächlich besorgt für die Erweiterung ihrer eigenen Hausmacht. Ein neues, frisches Leben regte sich in den Städten, um die zerrüttete Ordnung, den gesunkenen Wohlstand, die alte Biederkeit der Sitte wieder herzu­ stellen. Es waren von den Saliern und Hohenstaufen die Städte wenigstens so weit gefördert und begünstigt worden, daß sie selbst­ ständig zwischen Fürsten und Adel hineintreten konnten. Doch auch sie verfolgten zunächst particuläre Zwecke; sie waren auf Sicherung ihrer Interessen gerichtet, mit Erwerb neuer Vortheile, mit Errin­ gung neuen Reichthums beschäftigt. Losgetrennt vom Staat, ohne Theilnahme für die gemeinsamen Angelegenheiten des Vaterlandes nahmen sie nur auf ihre eigenen Zustände und Bedürfnisse Rück­ sicht. Es bewegte sich überhaupt das Leben des Mittelalters in besonderen, für sich abgeschlossenen Kreisen, innerhalb deren der Einzelne seine Befriedigung suchte. Doch geriethen diese verschiedenen Lebenssphären in mannigfache Collisionen, und es erzeugten sich hier­ aus Kämpfe zwischen Fürsten und Adel, zwischen Adel und Städ-

137

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

ten, zwischen den Patriciern und Zünften innerhalb der Städte. Alle Stände blickten in feindseliger Haltung auf einander und wa­

ren stets kampfgerüstet [200].

Es mußte daher ein- Zustand eintre-

ten, dessen Anblick etwas Chaotisches hatte; es waren die Zeiten der allgemeinen Fehde [201].

Die Formen des öffentlichen Lebens,

welche das Mittelalter hervorgerufen hatte, geriethen in den Kampf

gegen einander, in welchem sie sich gegenseitig aufrieben. In allen übrigen Reichen von Europa zeigten sich ähnliche Unordnungen [202], und bei dem Bestreben, denselben ein Ziel zu setzen, erhoben sich

aus der allgemeinen Verwirrung selbstständige das Chaos mit star­ ker Hand ordnende Gewalten. Ucberall zeigt sich eine neue Zeit im Werden und man ringt nach Abwerfung mannigfaltigen Drucks.

Während nun in den übrigen Ländern das Königthum als centrale Gewalt stark genug war, die widerstrebenden Mächte in ihrer Un­ abhängigkeit zu beugen, den fremden Einfluß auszuschließen und

durch nationale Bestrebungen die Völker um sich zu vereinigen und ihnen das Bewußtseyn ihrer Einheit einzuflößen, war dies in

Deutschland nicht möglich, wo das Oberhaupt des Staats, wie auch der Adel, an Macht und Bedeutung verlor, wogegen die niederen Stände sich auf eine außerordentliche Weise hoben. Dem Kaiser

trat schon früh mit Erfolg der Stand der Fürsten entgegen, welche die Hierarchie des Pabstes begünstigten, um das Gewicht der kai­

serlichen Oberherrschaft

zu schwächen;

während

der

Streitigkei­

ten zwischen Kaiserthum und Pabstthum hatte sich das deutsche Fürstenthum in den Besitz fast aller Vorrechte der Landesho­

heit gesetzt.

Absichtlich

wählte

man

am Ende des 13. und im

Anfang des 14. Jahrhunderts die Oberhäupter aus verschiede­ nen Häusern, damit die kaiserliche Macht sich nicht consolidiren

könne.

Es hörte daher Deutschland fast gänzlich auf,

ein Ge-

sammtstaat zu seyn, indem die Kraft der Nation in Zersplitterung

des Ganzen nach gar mannigfachen Richtungen auseinander ging; jeder suchte nur sich zu helfen, so gut er konnte, suchte nur sich

selbst zu befriedigen,

unbesorgt, wie es dem Ganzen dabei gehe.

Jeder wollte mächtig und wo möglich reich werden.

Daher wur­

den die idealen Richtungen der früheren Zeit mit dem derbsten Ma­ terialismus vertauscht, die größte Feinheit ritterlicher Sitte mit der rohesten Gewaltthätigkeit, der Frauendienst mit Kampf- und Er­

werblust, der Aufenthalt am Hof mit Hinterhalt und Raubzügen, die Treue gegen den Lehnsherrn mit Eigenwillen und Faustrecht. Die Negierungsgeschichte Ludwig's des Baiern (1314—4'7) giebt

138

Vierte Periode. Bon der Mitte des vierzehnten

ein lebendiges Abbild seiner Zeit; hier zeigen sich am deutlichsten alle Mangel und Gebrechen, die eine Uebergangsperiode zu einer neuen Zeit mit sich führt. Es war ein seltsames Ringen und Drängen überall; alles voll von Widerspruch und Mißklang. Das Leben strebte vorwärts, die Gewohnheit hielt zurück. Erst als die Fürsten sich in ihren Rechten vom Pabst Johann XXII. angegriffen sahen, da nahmen sie sich ihres Kaisers ernstlich an. Es kam zu dem Churverein zu Rense (1338), nach welchem der Kaiser, nach­ dem er von den Churfürsten gewählt, nicht mehr der Bestätigung des Pabstes bedürfe. Wäre nun auf alte Treue und auf Ausdauer zu bauen gewesen, so hätte sich trotz der mannigfaltigen Verwicke­ lungen die Regierung Ludwig's glücklich und erfolgreich gestalten können. Er hatte auch den Bürgerstand auf seiner Seite, der oft genug aus den Städten die Priester trieb, indem die Excomniunication des Kaisers für ungültig erklärt wurde. Außerdem hatte er den sehr mächtigen Minoritcn-Orden auf seiner Seite als eine Stütze gegen den Pabst; dieser Orden that zuerst den bedeutsamen Schritt, sich auf die Entscheidung eines allgemeinen Concils zu berufen [203]. Doch erkannte Ludwig recht wohl, daß das Recht verschwunden und daß Gerechtigkeit immer nur gewaltsam geltend gemacht wer­ den könnte. Er mußte sich gestehen, daß er das, was er als Kai­ ser seyn sollte, nicht seyn könne, und aus dem Bewußtseyn dieses Mißverhältnisses gingen seine mannigfaltigen Versuche hervor, theils um sich mit dem Pabst auszusöhnen, theils um seine Mittel und seine Macht zu erweitern. Er gerieth in ein Schwanken zwischen Demuth und Opposition gegen die Kirche, und zeigte Bereitwillig­ keit, bald die irdische Krone der himmlischen, bald diese jener zu opfern. Es kamen zu den Zerwürfnissen im Innern des Reichs noch andere Uebel, die das allgemeine Unglück vermehrten, Ueberschwemmungen, Mißwachs und Hungersnoth, und in deren Folge eine furchtbar verheerende Pest. Solche Erscheinungen führten zu einer düsteren Weltanschauung, zu Bußbetrachtungen, zu einer re­ ligiös-mystischen Stimmung. An großartige, gemeinsame Unterneh­ mungen, welche das Nationalgefühl hätten wecken und beleben kön­ nen, war nicht zu denken; denn es fehlte dem Kaiser die Macht und das Ansehen, wodurch die nöthige Einheit hätte bewirkt wer­ den können. Was Karl IV. (1347 —1378) that, um durch die sogenannte goldene Bulle (1356) die Verfassung des Reichs festzu­ stellen, brachte nichts weniger als einen lebendigen Zusammenhang unter den verschiedenen Gliedern des Reichs hervor. Seitdem er

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

139

selbst seinen Sitz in Böhmen aufgeschlagen, trat mehr als ein Jahr­ hundert lang kein Kaiser mit eigenthümlicher Macht im Reiche auf. Ja Friedrich III. (1440—93) ward sieben und zwanzig Jahre lang von 1444—71 gar nicht im Reiche gesehen. Daher kam es, daß die centrale Gewalt auf die Fürsten, und hauptsächlich auf die Churfürsten überging. Endlich trat Kaiser Maximilian (1493 — 1519) in der Zeit mannigfacher Gährungen und neuer Geburten auf, und es schien sich in ihm die alte Herrlichkeit des Ritterthums erneuern zu wollen. Mit einem ritterlichen Sinn verband er Rasch­ heit und Kühnheit in Kriegen, in Staasverhältnissen und Gemsenjagden, aber er hatte weniger Beharrlichkeit und Glück. Das Geld achtete er nicht und stand bei seinen oft abenteuerlichen Unterneh­ mungen immer zurück hinter der schlauen, kalt berechnenden Poli­ tik der Könige von Frankreich und Spanien. Lebendig wurde in dieser Zeit von vielen Mitgliedern des Reichs das Bedürfniß ge­ fühlt, daß dem morschgewordenen Reichsgebäude eine neue Grundlage gegeben werden müsse, und entschieden war das Streben nach einer or­ ganischen Weiterentwickelung der politischen Zustände [204], Die Fest­ setzung eines ewigen Landfriedens (1495) und die Einrichtung des Reichskammergerichts zu Wetzlar sollte die neue Grund­ lage auf dem Boden der Reichsverfassung schaffen. Doch' die Ter­ ritorialmacht war schon zu stark geworden, als daß man sich hätte, wie früher dem Kaiser, der Idee eines allumfassenden Ganzen un­ terordnen wollen, und gerade dadurch, daß man an dem Bestehen­ den rüttelte und eine lebendige Einheit nicht zu, Stande brachte, mußte eine allgemeine Gährung veranlaßt werden. — Wie das

Kaiserthum, so verlor auch das Pabstthum, welches bisher eine centrale Gewalt in der gesammten christlichen Welr ausgeübt hatte, nach und nach immer mehr an Macht und Ansehen. Es büßte schon seine Selbstständigkeit ein, als 1305 sein Sitz nach Avignon verpflanzt wurde. In Deutschland war durch den Churverein ge­ gen den Pabst ein Kern des Widerstandes gewonnen; um diesen zu pflegen und zu entwickeln, dazu dienten die Verwirrungen des Schisma's unter Sigismund (1410 — 1437), und die Wirkungen der Concilien. In dem Kostnitzer Concil (1414) war die Unter­ ordnung des Pabstes unter dasselbe ausgesprochen. In der Ver­ brennung Hussens endlich ward dessen reformatorischer Geist erst recht lebendig, welcher den furchtbaren Hussitenkrieg (1420 — 36) entzündete. Es wurden hierdurch immer mehr die Blicke des

140

Vierte Periode. Bon der Mitte des vierzehnten

Volks auf die Kirche hingclenkt, und die eingewurzelte Vorstellung von der Unfehlbarkeit des Pabstes verlor ihre Bedeutung. Mit dem Abblühen der Cultur der Aristokratie hatte das deutsche Volk eine große Periode seiner Entwickelung vollendet; ein anderer Theil tritt allmählig in den Vordergrund und beseitigt nebst der politischen Geltung der vornehmen Klassen, der Geistlich­ keit und des Adels, auch die denselben eigenthümliche Bildung. Es hatten sich nach und nach die alten socialen Verhältnisse gelöst, welche sich gründeten auf die politische und militärische Bedeutung des Adels. Das Kriegswesen, bisher vom Adel allein gehandhabt, erlitt eine vollkommene Umgestaltung. Nach Erfindung des Schieß­ pulvers (um 1354) trat an die Stelle der Lanze die Flinte, an die Stelle des geharnischten Reiters das Fußvolk, und dies bestand aus Handwerkern und Bauern. Somit war der Adel aus dem alleinigen Besitz der Waffen gedrängt und dieselben wurden auch dem Volk zu Theil. Das deutsche Fußvolk unter dem Namen der Landsknechte bekannt, war neben ’ben Schweizern das beste. Fer­ ner war die bisherige Bildung in ihren Formen erstarrt, sowol die conventionel höfische, als auch die Schulweisheit, wie siederScholasticismus erzeugt hatte; statt dessen machte sich die Natürlichkeit und Einfachheit der Auffassung, der gesunde, grade Verstand und der Mutterwitz vorzüglich in den niederen Klaffen geltend, und wie Vas Volk den Adel aus dem alleinigen Besitz der Waffen ver­ drängte, so verdrängte es die Gelehrten mit ihrer trüben Schul­ weisheit aus der Literatur; es erhob sich die Volkspoesie. Eine neue Befruchtung sanden die Gelehrten aber in dem Wiederauf­ blühen der klassischen Studien, welche namentlich im 15. Jahrhun­ dert durch die Schüler des Thomas a Kempis zu Zwoll (f 1471) nach Deutschland verpflanzt wurden (205), Männer wie Rudolph Agricola, Gerhardt de Groote, Conrad Celtes, und be­ sonders Reuchlin verbreiteten mit Begeisterung das Studium der antiken Sprachen, und die Erfindung der Buchdruckerkunst (1436 — 54) erleichterte die Verbreitung der wissenschaftlichen Bildung und die Anlegung von Bibliotheken. Schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts erhielt der gelehrte Stand durch Gründung von Universitäten (zu Prag 1348, Wien 1385, Heidelberg 1387, Köln 1388, Erfurt 1392, und in den ersten Decennien des 15. Jahr­ hunderts zu Würzburg, Leipzig, Ingolstadt, Rostock) eine bestimm­ tere Gestaltung und der Wissenschaft wurde eine größere Unabhän­ gigkeit und Selbstständigkeit gesichert. Wenn auch zunächst noch

bis zum Ende des sechszehnten JajhrhundertS.

141

die Scholastik den Geist der freien Forschung beengte, so wurden doch später die Universitäten diejenigen Stätten, an welche sich alle bedeutenden Erscheinungen auf dem

Gebiet« des

geistigen Lebens

anlehnten; die Reformation ging von ihnen aus und die klassischen

Studien fanden hier die sorgfältigste Pflege.

Indessen blieb der

gelehrte Stand zunächst ohne Einwirkung auf unsere Nationallite­ ratur; diese ging beim Werfall der ritterlichen Dichtung entschieden

in die unteren Volksklassen herab und machte daher den langsamen Gang mit der' bürgerlichen Entwickelung der gesummten Nation von unten herauf mit durch.

Die volksthümliche Dichtung ward so

sehr der Gegenstand des allgemeinen Interesses, daß sie, besonders

seit der Reformation auch die Gelehrten an sich zog, welche, wo sie deutsch schrieben, Volksdichter wurden, wie Sebastian Frank und

Ulrich von Hutten, und selbst auch in lateinischen Gedichten, na­

mentlich in Komödien sich an den Ideen

der Zeit und für das

Volkswohl betheiligten, roje dies z. B. bei Nicodemus Frisch-

lin (aus dem Würtembergischen 1547—90) und Thomas NaoJa wir sehen in Luther, Hutten, Hans Sachs alle drei mittels

georg (aus Straubingen 1511—63) der Fall roar [205a].

altrige Stände, die Geistlichen, Ritter, Bürger, das volksthümliche Element der Dichtung vertreten. Es gestaltete sich im deutschen Volk mit seiner bürgerlichen Entwickelung eine kraftvolle Moral

und Religiosität, welche die konventionelle Standessitte und Bil­ dung des Adels und der Geistlichkeit überwand, wogegen in den romanischen Ländern die aristokratische und hierarchische Bildung über die Regungen des Volks das Uebergewicht behauptete, daher sich auch

hier die Poesie in der Pflege der bevorrechteten Stände erhielt; die

eigentlichen romantischen Stoffe wurden zur eleganten Form erhoben

unter dem Einfluß der antiken Literatur [205b], welcher die roma­ nischen Sprachen näher standen; weshalb die classische Periode der Literatur hier schon um Jahrhunderte früher eintrat [206]. Dage­

gen gab man in Deutschland die romantischen Stoffe vollständig auf, indem der Bürgerstand Träger der sittlichen und geistigen Bil­

dung wurde. Dieser verfolgte bei seiner Beschäftigung mit dem Stofflichen, bei seiner Betriebsamkeit und Industrie, bei seinem Handel im Gegensatz des Ueberschwenglichen und Abenteuerlichen

der ritterlichen Zeit reelle, praktische Zwecke; es hoben sich die Städte durch ihre eigene Kraft empor, durch Fleiß und Arbeitsam­ keit, durch weise Gesetze und sparsame Wirthschaft, und zu diesen friedlichen Eigenschaften kam hinzu Muth und Tapferkeit im Kriege;

142

Von der Mitte des vierzehnten

Vierte Periode.

denn alle Bürger ohne Ausnahme waren zur Vertheidigung ihrer

Stadt verpflichtet; jedes Gewerk bildete eine besondere Abtheilung des Heeres, die Vollbürger den schwer bewaffneten oder berittenen

Theil desselben.

Schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurde

gegen die mannigfaltigen Bedrückungen und Störungen des Faust­

rechts der Rheinbund gestiftet, und bald darauf die Hanse, de­

ren Flotten die ganze nördliche Küste von Deutschland beherrschten.

Der Ritterstand vereinigte sich gleichfalls, um der kräftig empor­ blühenden Macht der Städte Widerstand

standen im 14. Jahrhundert

zu leisten und es

die Adelsverbindungen.

ent­

Seit 1367

etwa bestand in Schwaben eine mächtige Gesellschaft von Rittern, die Schlegler oder Martinsvögel genannt; ihnen trat entgegen der Bund der Schwäbischen und Fränkischen Städte. Durch solche Kämpfe wurde die geistige Kraft der Nation gestählt und erhöht, und bei dem Bestreben, sich zu erhalten oder höher zu stellen, durch­

drang Rührigkeit und geistige Bewegung das ganze Volk, in wel­ chem der Bürgerstand recht eigentlich den Kern bildete.

Zwischen

das 14. und 16. Jahrhundert fallen die Zeiten, in denen der Bür­

ger und Handwerker seine glänzendste Stellung in Deutschland ein­

nahm [208], und dies ist auch die Zeit, wo Deuschland das reichste und blühendste Land von Europa war. Beinahe alle Länder ver­ sah es mit den Erzeugnissen seines Fleißes; viel Geld floß in das Reich, wenig ging aus.

Diese Macht und Herrschaft des Bürger­

standes stützte sich auf sittliche Bildung und geistige Vorzüge. Durch Fleiß, Ordnung und Sparsamkeit, durch Ausübung der häuslichen

und bürgerlichen Pflichten wurde jene volksthümliche Moral her­ vorgerufen, in welcher der Geist für die verschiedenartigen Bestre­ bungen immer mehr Kraft und Stärke gewann, und alles Veral­

tete und Erstarrte, das hemmend entgegenstand, mit lebensfrischer

Energie bekämpfte.

In eben diesem Kampf gegen die sich feindlich

entgegensetzenden Mächte der Hierarchie und des Feudalwesens liegt

das Hinausgehen aus dem Mittelalter, das eigentlich Reforma­

torische, in dessen Kern die Freiheit des Geistes hervorleuchtet,

die ihr Ziel zunächst in der Reformation der Kirche erreichte, einem Ereignisse, bei dem wieder einmal die ganze Nation und je­ der Einzelne betheiligt war; denn es galt den Kampf um Gewis­

sens- und Glaubensfreiheit.

Da sich nun die neue Triebkraft für

Umgestaltung des Alten in dem Volke regte und besonders in dem Gewerbe treibenden Bürgerstand sich concentrirte, so gab sich auch in allen Lebensäußerungen eine gewisse Derbheit, Rohheit und Härte

bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts.

143

kund; es machte sich das Praktische vor dem Ideellen, das Mate­ rielle vor dem Formellen, der Verstand vor dem Gefühl geltend, und es mußte daher auch in der Literatur der frühere poetische En­ thusiasmus vor den praktischen Tendenzen der Zeit zurücktreten. 2. Die Sprache und Verskunst. [208b] Nachdem sich im 13. Jahrhundert eine durch alle deutsche Lande geltende Dichtersprache in der höfischen Mundart festgesetzt hatte, machten sich dagegen mit dem Verfall der höfischen Bildung, als kein Stand, keine Provinz oder Stadt mehr Ton angebend war, die einzelnen, unausgebildeteren Volksmundarten wieder geltend, wodurch nicht bloß an die Stelle der Zierlichkeit und Angemessen­ heit des Ausdrucks Rohheit und Geschmacklosigkeit trat, sondern überhaupt alle Sicherheit des Ausdrucks verloren ging, und die größte Willkür in Anwendung der Sprachformen herrschend wurde. Aus dem Schwanken des Sprachgebrauchs und der Verwirrung der bisher üblich gewesenen grammatischen Regeln erzeugte sich in der Sprachdarstellung eine Anarchie, welche ein treues Abbild vom damaligen Zustand des deutschen Reichs giebt. Besonders zeigte sich die Gesunkenhcit der Sprache in der Poesie; denn wenn auch der prosaische Stil noch holperig und kunstlos war, so gestal­ tete er sich doch in lebendiger, natürlicher Frische, wogegen der poe­ tische Stil mit dem Verschwinden aller dichterischen Kraft theils zur niedrigsten Plattheit herabsank, theils in den geschmacklosesten Ueberladungen sich gefiel. Während zur Zeit der poetischen Litera­ tur des 13. Jahrhunderts das Niederdeutsche ganz zurückgetreten war und keine weitere Ausbildung erhalten hatte, trat es im 14. und 15. Jahrhundert, als der Norden Deutschlands wieder einen thätigeren Antheil an der Literatur nahm, literarisch fruchtbar sowol in poetischen als besonders prosaischen Productionen hervor. Das Niederdeutsche wirkte auf die hochdeutsche Schriftsprache ein, sowie umgekehrt diese Einfluß auf jenes gewann, um so mehr als man ursprünglich hochdeutsch geschriebene Werke ins Niederdeutsche über­ trug. Außerdem wirkte auf das Niederdeutsche zum Nachtheil sei­ ner Reinheit die niederländische Mundart ein, welche sich in Folge der Nachblüthe des ritterlichen Epos in den Niederlanden eigen­ thümlich gestaltet hatte und sich immer mehr von der niederdeut­ schen Mundart ablöste. So bestanden nun die mittelhochdeutsche und niederdeutsche Sprache in der poetischen und prosaischen Lite­ ratur neben einander, bis das Niederdeutsche nach der Mitte des

144

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

16. Jahrhunderts nach und nach wieder aus der Literatur ver­ schwindet. Das Schwanken zwischen dem Hoch- und Niederdeut­ schen und die allgemeine Verwilderung, welche durch die willkür­

liche Vermischung verschiedener Mundarten entstanden war, wurde erst

überwunden durch

die lebensfrische

Gestaltung,

die

Sprache in Luther's Bibelübersetzung erhielt [209].

unsere Durch

diese entwickelte sich das Neuhochdeutsche, welches, entstanden

aus einer Verschmelzung der beiden Hauptmundarten des Ober-

und Niederdeutschen, den vereinigten Sprachsatz des deutschen Volks Es gingen diese beiden Hauptmundarten in den mittle­

enthielt.

ren Landschaften Deutschlands südlich vom Harz in einander über, und da von hier die deutsche Reformation ausging, so entwickelte sich zugleich das Neuhochdeutsche als die protestantische Bücher­

sprache.

Treffend bemerkt daher I. Grimm [210]: „man darf das

Neuhochdeutsche in der That als den protestantischen Dialekt be­ zeichnen, dessen freiheitathmende Natur längst schon, ihnen unbe­ wußt, Dichter und Schriftsteller des katholischen Glaubens über­ wältigte." Luther benutzte als Grundlage seiner Sprache die in der sächsischen Canzelei übliche hochdeutsche Mundart, damit, wie er selbst sagt, Ober- und Niederländer ihn verstehen wogten. Es zeich­

nete sich nemlich Meißen und Ober-Sachsen dadurch aus, daß die allgemeine hochdeutsche Sprache dort am reinsten und besten gespro­ chen wurde. Es war damals in Sachsen ein blühendes, regsames Leben, hervorgerufen durch Handel, Bergbau und Gewerke, und dies übte auch einen Einfluß auf die Sprache aus, welche aus­ drucksfähig wurde und geschickt für die mannigfaltigen Verhältnisse

der Wirklichkeit. Wenn es nun auch nicht ohne Bedeutung war, daß Luther in einem Lande lebte und wirkte, wo die Sprache sich freier von der allgemeinen Verwilderung erhalten hatte, so bil­ dete sich doch seine Sprachschöpfung dadurch eigenthümlich, daß er nicht bloß das Vorgefundene neu belebte, sondern daß er es zu er­

heben wußte zum Ausdruck christlicher Anschauung und Gesinnung, die seine Sprache als der wahre Lebensathem durchdringt und ihr das Gepräge seines Geistes und die Wärme seines Gemüths

ausdrückte.

Aus dem reichen Schatze unserer Sprache hob er das

Innerlichste und Geistigste zuin Ausdruck der Religion hervor und verband hiermit einerseits eine Reinheit und Sicherheit, womit er

in den einen und ewigen Sinn der heiligen Schrift eindrang, an­ dererseits eine Besonnenheit, Ruhe und Achtsamkeit, womit er dem verborgenen Sinn des Bibelwortes nachstrebte, so daß eben hierdurch

bis zum Ende deS sechszehnten Jahrhunderts.

145

bei der Kraft und Tiefe seines von dem göttlichen Geist durchdrun­

genen Gemüthes die ganze Herrlichkeit des göttlichen Wortes in

seine Uebersetzung überging und

auf dem neuen und fremden Bo­

den ein heimathliches Land, ein neues Vaterlaud wiederfand. So­ mit wurde die deutsche Bibelsprache, wie Luther sie schöpferisch bil­ dete, zugleich die erste Offenbarung unserer Sprache in ihrer ganzen gemüthlichen, religiösen und poetischen Stärke. Poesie und Prosa treten in Luther's Diction als eine in Geist und Formen verschmol­ zene Einheit auf, und diese an religiöser Begeisterung entsponnene

Einheit wurde die Grundlage der neuhochdeutschen Gesammtsprache,

worauf sich die ganze moderne Darstellung der nachfolgenden Lite­ ratur stützt, die keine wesentliche Zerlegung in einen poetischen und

prosaischen Sprachgebrauch mehr zuläßt [211]. Es ist daher auch die Bibel der große Nationalschatz der deutschen Literatur geworden; sie wurde ein Volksbuch, welches mit Sprache, Leben und Sitte in den genauesten, umfassendsten Zusammenhang trat, und für die

verschiedenen deutschen Volksstamme einen Vereinigungspunkt bil­ dete, wie er bei der Gestaltung der äußeren politischen Verhältnisse in Deutschland nicht gewonnen werden konnte, und es bewährte sich die deutsche Nation gerade hierdurch als die eigentliche Träge­

rin des Christenthums, daß sie bei der Tiefe und Innerlichkeit ih­ res Gemüthslebens die Bibel zu einem solchen Nationaleigenthum zu machen wußte. Aeußerlich trat diese Einheit dadurch hervor, daß die Sprachverwirrung der deutschen Mundarten beseitigt wurde und eine Sprachvereinigung aller Stämme gewonnen, in welcher die individuellen Dialektverschiedenheiten durchdrangen, und hieraus gestaltete sich «ine allgemeine Schrift- und Büchersprache,

sich

die Sprache der Gebildeten, das Hochdeutsche. Luther hatte so­ mit eine Sprache geschaffen, die sich durch grammatische Festigkeit und Reinheit, durch Verständlichkeit und Schärfe der Bezeichnung, sowie durch Fülle, Wärme, Innigkeit und Adel auszeichnete. Der Religion hatte er die Muttersprache für immer erobert; die Pre­ digt, das protestantische Kirchenlied und alle Dichtung, welche da­

mit zusammenhing, mußte deutsch bleiben. Vor allem zeigte sich aber die neue Sprachschöpfung in der Prosa wirksam, während in

den meisten Gedichten,

auf welche das Kirchliche nicht einwirkte,

die hochdeutsche Sprache noch unrein, ungelenk und hart erscheint,

voll von Willkürlichkeiten und grammatischen Unrichtigkeiten.

Die Verwilderung der Verskunst ging besonders daraus her­ vor, daß man nicht mehr organische Kürzen und Längen in den Biese deutsche Literaturgeschichte I.

10

146

Vierte Periode.

Wortstämmen

unterschied;

Bon der Mitte des vierzehnten hierdurch wurde das alte Verhältniß

zwischen tonlosen und stummen Sylben verändert, was zugleich auch

auf die Bestimmung der Nebenaccente in mehrsylbigen Worten ein­ wirkte.

Es entstand zuerst ein Schwanken, welches zuletzt gänzliche

Willkür in Veranschlagung des

Sylbenwerthes

nicht nur beim

Reime, sondern auch bei dem ganzen Versbau zur Folge hatte. Daher blieb bei der Vernachlässigung aller Gesetze der Sylbenmes-

sung nur noch Sylbenzählung übrig.

Diese Entartung des Vers­

baues ist im 16. Jahrhundert vorherrschend, nur daß sich in mehr volksmäßigen und einfacher geformten Dichtungen noch eine Nach­

wirkung des alten Grundgesetzes über das Verhältniß der Senkun­ gen zu den Hebungen erkennen läßt. Auch in dem Reimgebrauch entstand eine wesentliche Veränderung daraus, daß man die Kürzen

in den Stämmen mehrsylbiger Wörter nicht unterschied, denn da­ durch gingen alle zweisylbig stumpfen und die dreisylbig klingenden

Reime verloren [212],

Ferner begnügte man sich zur Bindung der

Verszeilen oft mit der bloßen Assonanz, und es reichte häufig eine größere oder geringere Aehnlichkeit des Klanges hin.

Man griff

auch wol, um die Rcimwörter zu finden, zu provinziellen Formen,

oder man verstümmelte die Wörter gewaltsam oder man setzte Syl­ ben hinzu, und so führte der Reim zu einer völligen Zügellosigkeit in Anwendung der grammatischen Formen, und es ging alles Ge­ fühl für Sprachrichtigkcit verloren. Unter den Versarten blieb auch während dieses Zeitraums der Vers von vier Hebungen der üb­

lichste; doch verlor die Behandlung desselben an Genauigkeit und Bestimmtheit mit dem geschwundenen Gefühl für die ursprüngliche

Kürze vieler Wortstämme und auch an Mannigfaltigkeit in der Aufeinanderfolge von Hebungen und Senkungen;

zuletzt

Vers nicht mehr ein vierhebiger, sondern ein achtsylbiger.

Bau der Strophen endlich wurde das Gesetz

ist der In dem

der Dreitheiligkeit

noch beobachtet, namentlich in dem eigentlichen Kunstlied der Mei­

sterschulen, wogegen es in manchen volksmäßigen Liedern weniger

deutlich heraustritt.

In den Meisterschulen aber trat an die Stelle

der Kunst immer mehr Künstelei und Geschmacklosigkeit (f. unten Meistergesang). Bei der allgemeinen Verbreitung der seit dem 13. Jahrhundert üblich gewordenen Dichtformen und bei der gro­ ßen Willkür, mit welcher man dieselben behandelte, entstand eine handwerksmäßige Reimerei, indem man das Verschiedenartigste, was jedes poetischen Gehalts entbehrte, in Reime brachte [213], und

hierzu fühlten sich Leute aus allen Volksklassen berufen, daher sich

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

gerade in der Poesie der Verfall und

147

die Entartung der Sprache

am entschiedensten darstellt. 3.

Die Dichter und die Dichtungsarten.

Seitdem die großen und kleinen

Fürsten

ihren Schutz

den

Dichtern entzogen hatten und die Liebe zu poetischen Genüssen an

den Fürstenhöfen und auf den Ritterburgen geschwunden war, wurde

auch die Zahl der Dichter aus dem Adelstände immer geringer, und es ging der Preis der Sangeskunst an die Bürger über, und hierin offenbart sich ein Gesetz der naturgemäßen Entwickelung, daß nemlich in dem einzelnen Volk von denjenigen Kreisen der Gesellschaft, innerhalb deren das geschichtliche Leben sich concentrirt und die für

die praktische Bewegung ihrer Zeit die Grundlage bilden, zugleich auch die Dichtung vertreten und beherrscht wirb [214], Es lassen sich zwei Hauptklassen von Dichtern unterscheiden, welche die Poesie vorzugsweise pflegten, nemlich solche, welche die Poesie als aus­

schließliches oder mithelfendes Erwerbsmittel benutzten und dann

solche, welche die Poesie in besonderen Vereinen oder Corporationen kunstmäßig oder vielmehr professionsmäßig trieben. Die Ersteren, die Dichter von Gewerbe, nannte man Gehrende; sie zogen noch

an großen und kleinen Höfen herum und trugen dort entweder die umgearbeiteten Volkssagen singend oder lesend eor [215] (Kaspar von der Röhn im 15. Jahrhundert) oder sie besangen in Preis­ gedichten ihre jedesmaligen Dienstherrn (Michael B eh ei m). Es

verloren aber diese dem Handwerksstande angehörigen Dichter nach und nach ihre Bedeutung und sanken an Werth als Dichter und

Bei der roheren Sinneswcise des Adels mußten sie immer mehr als dienend und zuletzt als Spaßmacher erscheinen. In dieser Abstufung erblicken wir sie zunächst als Wappendich­ als Personen.

ter, welche für Turniere gereimte Wappenbeschrcibungen mit Lobund Ehrenreden auf die Inhaber der Wappen verfertigten (Peter

Suchenwirt). Als auch die Turniere aufhörten, mußten die Dich­ ter sich bei den Bürgern in Dienst begeben, indem sie als Prit­ schenmeister [215b] bei den Schützenfesten, ähnlich wie bei den

Turnieren, eine Art Herold vorstellten und außerdem Lustigmacher bei den Festlichkeiten waren.

Hierher gehören auch die Spruch -

sprech er, welche bei Hochzeiten und anderen festlichen Gelegen­ heiten, früher noch etwa bis ins 14. Jahrhundert an den Höfen, später in den Städten die Gäste durch Verse aus dem Stegereif

belustigten.

So sehen wir, wie die wandernden Sänger sich all-

10*

148

Vierte Periode.

Bo« der Mitte des vierzehnten

mählig aus den höheren Lebenskreisen zurückziehen; die Gering­

schätzung, welche sie dort je länger je mehr erfuhren, mußte es ih­

nen nahe legen, daß es besser sey, wenn auch der Sängerberuf sie trieb, lieber zu Hause bei ihrem Handwerk zu bleiben.

Der Hof­

gesang der Ritter, der Wappengesang der Knappen und Herolde

hörte auf, der Schulgesang der Handwerksmeister und das freie Lied der ledigen Gesellen aller Art trat an die Stelle. Diejenigen bür­

gerlichen Sänger also, welche in besonderen vereinen die holdse­ lige Kunst der Dichterei nach bestimmten, immer künstlicher wer­ denden Regeln ausübten, bilden die zweite Hauptklasse der Dichter und hießen Meistersänger, die sich von der Klaffe der Gehren­

den dadurch unterscheiden, daß sie in einer selbstständigen, unabhän­ gigen Lage, indem ihr Handwerk das Erwerbmittel bildete, sich in

den Feierstunden der edlen Sangeskunst Hingaben zu einem ehrba­

ren Zeitvertreib.

Da bei der Richtung auf das Praktische und bei dem Vor­ herrschen der bürgerlichen Cultur statt Phantasie und Begeisterung sich gesunder Menschenverstand und kalte Berechnung geltend machte, so mußte in den poetischen Bestrebungen eine immer größere

Verflachung Eintreten, und dagegen die Prosa eine immer selbst­ ständigere Ausbildung erhalten.

Die epische Ritterdichtung war

-mit dem Verfall des Ritterlcbens selbst erschüttert, und die Ver­ suche an einzelnen süddeutschen Höfen von Fürsten, diese Dichtung

wieder lebendig zu machen, mußte erfolglos seyn, da sie sich in sich Das neu sich regende Leben giebt sich auf der Seite der bürgerlichen Dichtung kund in der Volksnovelle,

selbst überlebt hatte.

der schwankartigen Erzählung, welche ein Spiegelbild des gemei­ nen Weltlaufs mit seinen drolligen Zufälligkeiten, seinen Irrungen und Thorheiten darbietet.

Die lyrische Poesie geht in der äuße­

ren Form des Meistergesangs unter und zeigt nur in den Volksliedern eine eigenthümliche Kraft. Die didaktische Poesie hebt sich aber den Zuständen der Zeit gemäß besonders hervor, und vorzüglich die Satire, um das ganze Treiben der Welt als ein verkehrtes, als ein Narrenthum wie in einem Spiegel zu re-

flectiren. Hier konnte den Anforderungen, welche man an die Poesie

machte,

am

meisten genügt werden;

denn

man

verlangte nicht

Wohlklang und Vollendung der Form, nicht durchdachte Composition und geschickte Durchführung, sondern vor Allem Eindringlich­ keit und Mannigfaltigkeit in moralischen Winken, Sprüchen, Leh­

ren, Bemerkungen, und hierfür waren Männer von tüchtiger Ge-

149

bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts.

sinnung wirksam, die mit gesundem Menschenverstand begabt sich einen klaren Blick erhielten in die Verhältnisse und Zustände ihrer Ihre Dichtungen sind das Product des Witzes und scharfer

Zeit.

Beobachtung, und weil ihre Poesie, als hervorgegangen aus der

lebendigen Empfindung der inneren Zustände des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens, ihnen im Herzen oder im Kopf wirklich

lebt, so hat sie bei aller Breite und Unbeholfenheit doch Frisches, Stärkendes, Erquickliches.

etwas

Die dramatische Poesie end­

lich erhielt in dieser Periode ihre erste Entwickelung, namentlich tritt

sie entschiedener in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. Diese Entwickelung des Dramas hängt zusammen mit den ersten Regungen des öffentlichen Lebens, nachdem man mit den Stoffen

der Unterhaltung aus der Ferne und der Vergangenheit zu sich selbst zurückkehrte und die Zustände der Gegenwart ins Auge faßte. Alles in der Literatur tritt jetzt um so mehr in Bezug auf ein

schaulustiges Volk, wie früher auf eine hörlustige Gesellschaft. Wie das Epos auf dem Grunde der Vergangenheit ruht, so das Drama

auf dem der Gegenwart [216],

Erstes Capitel.

Die Poesie.

A. I.

Epische

Poesie.

Verfall und Absterbcn der epischen Dichtung. 4. Die deutsche Heldensage.

Wie sich schon seit der Mitte des 13. Jahrhunderts und 14. das alte Volksepos auflöste in- einzelne Sa-

besonders im

gentheile, aus

denen es sich zu einem größeren Ganzen gestaltet

hatte, so treten im 15. Jahrhundert Sagensammlungen hervor, indem man eine Reihe von Umarbeitungen alter Sagentheile zu­ sammenfaßte. Diese Sagen wurden mehr oder weniger erweitert, und namentlich waren sie in Sprache und Versart auf zeitgemäße

Weise umgeändert. müller.

Solche Sagen waren Otnit (AuSg. von Ett-

Zürich 1838.), Hug- und

Wolfdieterich,

Rosengarten und Lau rin (Ettmüllcr.

der große

1839.), welche zusammen,

die ersten drei aus der alten vierzeiligen Strophe in achtzeilige ge­ bracht, unter dem Titel der Helden Buch oft herausgegeben

wurden. Ferner erschienen einzeln das Eckenlied und der Riese Siege not in der alten dreizehnzeiligen Strophe. Alle diese Dich-

150

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

hingen wurden nebst anderen verwandten Inhalts, wie sie gerade am gangbarsten waren, absichtlich beschnitten und verkürzt durch

Kaspar von der Röhn in seinem Heldenbuche um 1472 her­

ausgegeben (Ausg. in v. d. Hagen's und Primiffen's Heldenbuch. Berlin 1825.) [217]. Kaspar von der Röhn war aus Münnerstadt in Franken gebürtig, und in ihm haben wir uns etwa einen Volks­ dichter zu denken, der den früher von Hof zu Hof ziehenden ritter­ lichen Sängern nachahmte und seine Bearbeitungen deutscher Hel­ densagen theils selbst las oder sang, theils sie auch für andere Bänkelsänger verfertigte. Die Abkürzungen, welche er mit den

Sagen vornahm, beweisen, wie man der Langweiligkeit der Ritter­ gedichte überdrüßig war, und in der geistlosen rohen Behandlung, die sich auch in der Sprache kund giebt, stellt sich das volksthüm-

liche Epos vor seinem Erlöschen auf der tiefsten Stufe der Entar­ tung dar.

Wie wir in dem Hörnenen Siegfried (aus dem

15. Jahrhundert) die frühere lockere Gestalt einzelner volksmäßiger

Rhapsodien kennen lernen, so treffen wir endlich in diesem Zeitraum auf das einzelne rhapsodische Lied, das in seiner ältesten Form sich

aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts erhalten hat, nemlich auf das Hildebrandslied, von welchem wir nun auch den Schluß erfahren, der in dem alten Hildebrandslied für uns nicht erhalten ist [218]. 2. Das romantische Epos.

Die Zeit der freien Production war vorüber und an ihre Stelle trat der Sammelgeist.

Wie Kaspar von der Röhn die deutsche

Heldensage behandelte, ebenso verkürzte und bearbeitete Ulrich Fürterer in der Strophe des jüngeren Titurel die Sage von Artus und dem heiligen Gral, und verknüpfte damit die Sage von dem

Argonautenzug und dem trojanischen Krieg.

Diese cyclische Dich­

tung, welche er dem Herzog Albrecht IV. widmete,

1470 heraus.

gab er um Wie wir in dem Herzog Albrecht einen späteren

vereinzelten Gönner der Ritterpoesie kennen lernen,

so in Ulrich

gürterer den matten Abglanz einer Art höfischen Dichters, welcher sich die längst veralteten Redeweisen, Ausdrücke und Wendungen

der alten ritterlichen Poesie anzueignen sucht, dabei aber in die un­ ritterliche Darstellungsweise seiner Zeit und seiner bürgerlichen Dich­ tung zurückfällt und die Härten seiner provinziellen Sprache mit

hineinbringt. Am meisten Selbstständigkeit zeigte sich noch in der Behänd-

151

bis zum Ende deS sechszehnten Jahrhunderts. lung des Karolingischen Sagenkreises.

Im Gegensatz zu

den britischen Sagen, welche sich vorzüglich auf das innere See­ lenleben bezogen, boten die fränkischen Vasallensagen mehr That­ sächliches dar, eine größere Mannigfaltigkeit in den Begebenheiten, eine größere Schärfe in der Zeichnung der Charaktere.

Was in

der ersten Gestaltung dieses Sagenkreises aus der Karolingischen Zeit von dem Kampf der Vasallen gegen ihren Lehnsherrn war überliefert worden, trat in der feineren Zeit der höfischen Poesie in

den Hintergrund, und Karl erscheint in der Glorie eines Gottes­ kämpfers gegen die Ungläubigen. Da nun im Laufe der Zeiten Anarchie, Raubsucht, Selbsthülfe und Verwirrung in den Reichen und namentlich in Deutschland wiederkehrt, tritt auch die alte Roh­ heit in diesen Sagen wieder hervor und wird mit neuen Farben

aufgefrischt.

Der König Karl hat seine Würde gegen den Stolz

und Trotz der Vasallen nur mit Drangsal geltend zu machen, und er ist mehr als einmal daran, das komische Beispiel des Wollens und Nichtkönnens zu geben.

Die beiden Hauptfiguren in diesem

Sagenkreise sind außer Karl Reinold von Montalban und Malagis [219].

Reinold ist der mächtige Vasall, der dem Kö­

nige zu fühlen giebt, daß er nur durch den Dienst seiner Leute

König sey; er ist der Inbegriff aller Heldenkraft, dem Dietrich von Bern vergleichbar.

Malagis ist ein Zauberer und Reinold's Vetter; er besitzt seine magische Stärke nicht unmittelbar von Natur, wie

die Zwergkönige, auch nicht wie die Heiligen durch den Glauben,

Seine Bildung

sondern er hat sie durch das Studium erworben.

verdankt er seiner sorgfältigen Freundin, der Fee Oriande und der

Erziehung ihres Bruders, des Zauberers Baudri.

Er ist der In­

begriff aller Gelehrsamkeit, die in ihm praktisch wird, und sich in

neckischen Zaubereien und in der Herrschaft über die Höllengeister offenbart; er weiß die Jungen alt, die Alten jung zu machen, in

verschlossene Gemächer einzudringen und den Teufel selbst zum Be­ sten zu haben. Mit Reinold steht er im Bunde, dessen schlagfertige Thatkraft er durch seine Wissenschaft zu ergänzen vermag.

Die

beiden hierher gehörigen Gedichte sind Malagis und Reinold

von Montalban (Haimonskinder), welche zuerst aus dem Fran­ zösischen im Anfänge des 14. Jahrhunderts ins Flandrische über­ gegangen sind und von da in deutschen Uebersetzungen erschienen

mit starken Resten des plattdeutschen Dialekts.

In Flandern, wo

sich mit der frühen Gestaltung des bürgerlichen Lebens auch das

Thierepos weiter ausbildete, erhielten jene Gedichte die satirischen

152

Vierte Periode.

Don der Mitte de- vierzehnten

Züge gegen das Ritterwesen, die dann auch in Deutschland, dessen bürgerliche Entwickelung jetzt eifrig beginnt, soviel Beifall fanden, und später auch in Ariost's Gedicht hcrvortreten, welches ein treues

Bild des

haltungslosen Treibens

der Ritterschaft entwirft.

In

Malagis ist deutlich die Lehre des Reineke als der Gedanke des ganzen Gedichts zu erkennen, daß Behendigkeit vor Stärke gehe

und daß die Macht unterliege der Weisheit.

Dies zeigt sich in dem Verhältnisse des Malagis zu dem Helden Vivien, den er überall besiegt, worin sich eben der Sieg des Adels geistiger Macht über

den Adel des bewaffneten Ritterthums darstellt.

In der Behand­

lung schwindet die heilige Scheu vor dem Ritterwesen, der niedere

Stil des Thiergedichts macht sich geltend und die niederländische Der Zauberschwank besonders

Burleske verdrängt das Höfische.

gewinnt die Oberhand über die ritterlichen Aventiuren, der gelehrte

Held ragt über die kriegerischen und sein eulenspicgelischer Diener

Spiet (immer die Krot genannt) wieder über ihn hinaus. Berücksichtigung des Vvlksgcschmacks ist unverkennbar.

Die

An Mala­

gis reiht sich das Gedicht Reinold von Montalban. Reinold, der jüngste unter den Söhnen Haymons, sieht sich in seiner Fa­ milie von Karl verletzt, und geht von der Ergebenheit in den Starr­ Er hatte von seinem Vater das vor­

sinn der Empörung über.

treffliche Roß Bayard erhalten und führt die gewaltige Klinge Florenberg; ihm zur Seite steht der Nekromant Malagis. Un­ ter Karl's

keckem Heldenadel ragt Roland

mit

seinem Schwert

Durand al hervor. Der lange Kampf bewegt sich vor Montal­ ban, dem Schlöffe der Haimonskinder. Das Charakteristische liegt in dem blutigen und dem von aller zarteren Empfindung Entblöß­ ten. Grausamkeit, Gleichgültigkeit gegen Menschenleben und Fühl­

losigkeit gegen Marter und Schmerz sind die hervortretenden Ei­ genschaften, wie sie den Zeiten eigen sind, die vor unserer höfischen Ritterdichtung gelegen waren. Der Vortrag wird ganz volksmä­ ßig ; die Redensarten und Sprüchwörter des Volks finden Eingang,

der Geschmack am Gräßlichen ist vorherrschend,

alles wird stark

aufgetragen wie in den Wachstuchbildcrn und Erzählungen der Bänkelsänger. Der Sinn für das rein Epische war geschwunden; man suchte moralische und intellectuelle Belehrung; darauf ging das sittliche Bedürfniß in dem Mittelstände und den untern Klassen

und dahin wandte sich auch die Poesie.

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

153

3. Legenden.

Die Legende strebte zur prosaischen Auffassung hin, seitdem ihr Zusammenhang mit der Kunstpoesie aufgehört hatte, und sie diente nur den asketischen Bußübungen.

Es handelt sich jetzt nicht mehr,

wie in den früheren Legenden, die Wahrheit des Christenthums ge­ gen Andersgläubige aufzuzeigen, auch nicht darum, Martern zu er­ dulden um des christlichen Glaubens willen, sondern um den ab­ soluten Werth des Glaubens und des Duldens lebendig zu erhal­

ten.

Der Leib soll getödtet werden, damit der heilige Geist Herr­

schaft in dem Subject gewinne; das Vertrauen auf Gott, auf den

Heiland, auf Maria soll ein ganz unbedingtes seyn, sowol um sich um die Gewalt der je stärker sie ist, sich die

aus Noth und Angst zu erretten, als auch

Sünde zu überwinden,

gegen welche,

Macht der göttlichen Hülfe, des Gebets und des unbedingten Ver­ trauens in um so hellerem Lichte zeigt.

Die verschiedenen gereim­

ten Mariengcschichten und Heiligenleben, die vom 14. bis zum 16.

Jahrhundert gedichtet oder in andere Dialekte umgesetzt wurden,

zeigen nur eine breitere Entfaltung und Vervielfältigung des Stoffs und haben bei ihrer Anknüpfung

an Oertlichkeiten und Personen

aller Art bloß locale Bedeutung. Unter den

Mariengeschichten kann hier hervorgehoben werden

das Gedicht Peter Suchenwirts, eines österreichischen fahren­ den Sängers, die sieben Freuden Mariä, wobei ihm Konrad von Würzburg ein leuchtendes Vorbild war [220].

Unter der großen Zahl von Legenden lassen sich besonders aus­ zeichnen: Theop Hilus, Zeno und die Reisen des heiligen Brandamus, alle drei in niederdeutscher Sprache (Ausg. in P. I. BrunS romantische und andere Gedichte in altplattdeutscher Sprache. Berlin und Stettin 1798.) [221]. Die poetische Behandlung zeigt sich hier in

tiefer Entartung, und nicht viel besser in den hoch­ unter denen genannt werden kann

deutschen Legendendichtungen,

das Leben der heiligen Elisabeth, das schon oben ange­

führt und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts von Joh.

Rote noch einmal bearbeitet wurde.

Bei Hans Sachs endlich

legt die Legende das Klösterliche und Wunderbare ganz ab und

nähert sich der schwankartigen Erzählung mit der Tendenz der mo­

ralischen Belehrung.

Es gehört hierher die Legende von St. Pe­

ter und der Geis [222].

154

Vierte Periode. Bon der Mitte des vierzehnten 4.

Romantische Novellen und Balladen.

Die romantischen Novellen haben, wie die Balladen, Liebe, Treue, Ritterlichkeit zu ihrem Inhalt in ganz subjektiver Weise,

indem die allgemeinen nationalen Beziehungen in den Hintergrund treten.

Es

werden Begebenheiten

und

Schicksale Einzelner als

solcher dargestellt, und in der balladenartigen Auffassungsweise tritt

der subjektive Antheil, das ethische Interesse des darstellenden Dich­ Unter den

ters hinzu.

Novellen kann hier ausgezeichnet werden

die Königstochter von Frankreich, gedichtet um 1400 von

Hans von Bühel, der am Hofe des Erzbischofs von Cöln lebte und unter den erzählenden Dichtern dieser Periode zu den bessern

gehört.

Er bearbeitete auch einen anderen sehr beliebten Stoff das

Leben Diokletians oder das Buch von den sieb.en Mei­

stern nach einer aus dem Lateinischen gefertigten deutschen Prosa

(Ausg. von A. Keller. Quedlinburg 1841.) [223], Ferner wurde von Johann von Soest (1471—80) die Margarethe (oder die Kinder) von Limburg, die zuerst ins Niederländische aus dem Französischen übertragen war, für den Churfürsten Philipp von der

Pfalz bearbeitet.

Die Liebe macht hier den Hauptinhalt.

Altes

und Neues durchdringt sich in der Behandlung des Stoffs auf

eigenthümliche Weise; das Rittcrleben steht neben bürgerlichen Ver­ hältnissen, und das rein Menschliche tritt in den Seelenschildereien

mit naiver Sicherheit hervor [224]. Es gehören hierher auch vereinzelte Wunder- und Liebesge­ schichten, zum Theil balladenartig bearbeitet, wie die vom Herzog

Ernst, von Heinrich dem Löwen; ferner das Lied vom ed­ len Möringer und von den Vitalienbrüdern Klaus Stürze­ bacher und Götte Michael [225]. 5.

Erzählungen von Zeitgeschichten, und erzählende Allegorien.

Die historischen Reimchroniken hören nach und nach auf, in­ dem sie der prosaischen Geschichtschreibung weichen.

Indeß gaben

zu größeren oder kleineren Reimwerken theils einzelne Persönlich­

keiten aus der Zeitgeschichte Veranlassung, theils öffentliche Bege­ benheiten verschiedener Art, wie Kriegszüge, Fehden, Belagerungen,

Bürgertumulte, Festlichkeiten, rind es erhielten sich bis gegen Ende

des 16. Jahrhunderts solche epische Darstellungsweisen.

Sie gin­

gen nicht sowol aus subjektivem Antheil an der Sache selbst, als aus dem Interesse hervor, sich gewissen Personen als Gönnern zu

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhundert».

155

empfehlen, und daher sind hier besomders solche Dichter zu nennen, die sich mit ihren Lob- und Ehrenreden noch an die Höfe der Fürsten und Ritter drängten.

Zwei Dichter sind es vorzüglich,

Peter Suchenwirt und Hans Rosenplüt, der Kampf des Alten und Neuen darstellt.

in welchen sich

Sie sind aus bürger­

lichem Stande, aber zum Theil noch im Hofwescn befangen, wie

auch in den Regeln der alten höfischen Kunst; sie sind Wappen­ dichter, und als solche traten sie bei großen Herren auf, so lange die Turniere sich erhielten.

Von

seiner wandernden Lebensweise

hatte Peter den Beinamen Suchen wirt (AuSg. von Priimsser

P. Suchenwirt's Werke. Wien 1827.); er lebte meistens in Wien, dem Hoflager der Herzoge, war ein genauer Kenner der Wappen, an deren Beschreibung sich die Lob- und Ehrenredcn der Inhaber die­

ser Wappen anschlossen. Mit der Geschichte der vornehmsten Oesterreichischen Häuser war Suchemvirt sehr vertraut und erzählte bei dem Tode von angesehenen Männern aus diesen Häusern de­ ren Geschichte als das beste Zeugniß ihres tugendsamen Wandels. Er hat fast die ganze Zeitgeschichte berührt, indem er die Begeben­

heiten und Thaten brr Helden seiner Zeit in und außer seinem Auch Hans Rosenplüt (1430 — 60) reiste an den Höfen der deutschen Fürsten herum, beschäftigte sich mit Heraldik und mahlte Wappen, welche er erklärte, und nannte

Vaterland erzählt[226].

die Gedichte, die sich hierauf bezogen, Wappenreden.

Doch ist

er ein ganz bürgerlich gesinnter Mann und wendet sich von dem Ritterwesen ab.

Das an Mannigfaltigkeit und Bewegung reiche

Leben der unteren Klassen zog er in den Kreis seiner Poesie und

eröffnete die Volksmanier der Dichtung, die Schwänke und Fast­ Tadelt er in seinen Sprüchen alle Stände, so liegt doch der Nachdruck auf dem Tadel des Ritterwesens; lobt er, so übertrifft nichts die Herrlichkeit seiner Vaterstadt Nürnberg. Er nachtsspiele.

preist den hochweisen Rath, den getreuen Hirten der Stadt, die

gehorsame Gemeine, die wohlgezogene Priesterschaft, die Wohlthä-

tigkeits-Anstalten u. dgl. m.

Er schrieb auch

ein Gedicht „vom

Kriege zu Nürnberg", wo sich besonders der Kamps bei Hem-

Zeigt sich an Rosenplüt, wie entschieden mit den unteren Klassen neue Begriffe aufkamen und ein neuer pach hervorhebt [227].

Geschmack sich bildete, so giebt sich in Michael Beheim (geb. 1421), dem Weinsberger Weber, zu erkennen, wie unrettbar das Alte sei­

nem Untergang entgegeneilte und die höfische Kunst Hinstarb. Von seiner wanderlustigen, kräftigen Natur getrieben, wollte er versu-

156

Vierte Periode. Bon der Mitte des vierzehnte»

chen, die freie und persönliche Geltung des Poeten an den Höfen

der Großen für sich zu erneuern, mußte aber die Erfahrung ma­ chen, daß in dieser Zeit der Poet als solcher seine Bedeutung ver­ loren hatte und nichts galt, wenn er nicht auftrat als Bürger und

Er pries seine jedesmaligen Dienstherrn, sang ihnen

Zunftgenosse.

von Karl und Artus vor, aber das Hofgesinde suchte ihn überall zu verdrängen, und so wurde er denn vor die Thür gestoßen. Aber er war unermüdlich genug, sein Glück anderswo zu versuchen; doch

alle seine Versuche waren vergeblich.

Er hat als Kriegsmann und

Dichter bei mehreren Fürsten und Herren in und außerhalb Deutsch­

land in Diensten gestanden, namentlich auch bei Kaiser Friedrich III.

Sein Buch von den Wienern (herauSg. v. Karajan. Wien 1843.) stellt den von dem

Dichter selbst milerlebten Aufruhr der Wiener

unter Friedrich III. dar [228].

Unter den

erzählenden Gedichten,

welche sich auf Zeitereignisse bezogen, ist aus dem 16. Jahrhundert

vorzüglich hervorzuheben Fischart's glückhaftes Schiff (HerauSg. v. Tübingen 1828.). Es schließt sich an die Beschreibungen von Freischießen und Schützenfesten, welche von eigens dazu bestell­

Halling.

ten Pritschenmeistern angefertigt wurden.

So wichtig man sonst

ein Turnier betrachtet hatte, so wichtig hielt man die Bürgerfeste, welche an deren Stelle getreten waren.

Solche Ehrengedichte ge­

hörten recht eigentlich der Volkspoesie an, und Fischart (s. unten)

zeigt, wie er das Alltägliche dieser Dichtungsweise zu beleben und zu heben wußte. Die Erzählung ist malerisch und voll

poetischen

Lebens. Sie hat zum Gegenstand eine Wasserfahrt, Anzahl Züricher Schützen im Laufe Eines Tages

welche eine

(20.

Juni

1576)

von

ihrer

Stadt

ausführte

bis

Straßburg,

wo ein großes Armbrustschießen statt fand, und preist die Züricher Rhcinfahrer, die in Einem Tage einen in Zürich gekochten Hirse­ brei noch warm nach Straßburg brachten. Je mehr aus den Helden-, Ritter- und Heiligensagen das in­ nere Leben geschwunden war, um so mehr wandte sich die ritter­

liche Romantik allegorischen Erzählungen zu, welche eben dann ent­ stehen,

wenn

die schöpferisch

gestaltende Dichterkraft nicht mehr

vorhanden ist, um das Ideelle durch lebensvolle Handlung im'Besondern zur Anschauung zu bringen, und statt dessen bloße Personisication von allgemeinen Zuständen und abstracten Eigenschaften

angewandt wird.

In der gegenwärtigen Periode wurde, da das

alte Minnelied verschwunden war, die Minne ein Lieblingsgegen­

stand der Reflexion.

Sie gestaltete sich allegorisch als Frau Minne

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

157

oder Frau Venus, und jeder Dichter zog nun einmal darauf aus, die mächtige Göttin zn sehen, und im Traum oder auf träumeri­ schen Fahrten und Spaziergängen in ihr Land, ihre Stadt, Insel,

Burg, Berg, Garten zu gerathen. Man suchte sie um so mehr auf, als die Göttin seit geraumer Zeit aus der menschlichen Ge­ sellschaft verstoßen war, und eine neue Minne Eingang gefunden hatte. Je weiter ab von der ritterlichen Zeit, desto mehr erscheint

die Minne als ein verlockendes, zu sündhaften Leidenschaften ver­ führendes böses Wesen, als Heidin und Teufelin. Suchenwirt

hat mehrere allegorische Darstellungen, in welchen die Grundidee sich darauf bezieht, daß die wahre, hohe, reine Minne verstoßen ist,

und mit ihr die Stetigkeit, Treue, der Rittersinn und Edelmuth, die falsche Minne mit ihrem Gefolge Eingang bei dem entarteten Geschlecht gefunden ljat[229]. Hadamar von Laber (um 1450)

faßte das Minneleben unter dem Bilde der Jagd auf in seinem Gedichte von der Minne Jagd.

Zu den größeren Werken dieser

Art gehört die Mohrin Hermanns v. Sachfenheim (1453), welche zum Theil eine sagenhafte Grundlage hat.

Hermann ist

ein schwäbischer Ritter, der 1458 starb. „Der Dichter selbst wird, als er mal in lustiger Aue spazierte, an den Hof der Venus gezaubert, und dort wegen mehrfacher Verge­ hen gegen die Majestät der Göttin vor Gericht gestellt und mancher­ lei Beschimpfungen Preis gegeben. Seine Hauptgcgnerin ist eine Moh­ rin Brinhild. Er wird aufgefordert zur Verleugnung Gottes und zur Anbetung Muhamcds, doch er beharrt bei seinem Glauben. Die Haupt­ beschuldigung gegen ihn lautet auf Untreue, daß er zwei Geliebte zu gleicher Zeit gehabt habe; die Klage wird vor dem König Da »Häu­ ser, dem Gemahl der Frau Venus geführt. Die ganze Verhandlung ist ins Parodische gezogen; denn der Oberrichter ist sich selbst nicht des besten Beispiels bewußt, und Frau Venus ist eine Heidin. Der Ange­ klagte appellirt an die Frau Abenteuer, und theilt unterdessen dem Groß­ hofmeister mehrere Nachrichten über Deutschland mit, und hier gewinnt die Satire des Dichters freien Spielraum und ist besonders freigebig mit Angriffen auf die Geistlichkeit. Endlich nimmt stch der getreue Eckart, ein alter grauer Bruder, des Angeklagten an, und erwirkt bei der Königin heimliche Vergebung seines Fehlers."

Das Gedicht ist nicht ohne poetischen Gehalt, nur verliert es sich in unmäßiger Breite; die volksthümliche Auffassungsweise dringt hervor und beseitigt bisweilen das Trockene der allegorischen Per-

sonisication. Es wurden auch Zeitereignisse in das Gewand der Allegorie gekleidet; hierher gehört besonders Teuerdank (Ausg. von Haltaus,

158

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

Quedlinburg 1836.), welches Gedicht den Verfall der romantischen

Poesie am klarsten darstellt.

Wirklichkeit und allegorische Dichtung

sind hier in schleppender Breite in

einander verschmolzen.

Der

Plan des Gedichts rührt vom Kaiser Maximilian I. selbst her und

wurde auch theilweise von ihm ausgeführt, dann aber zur Ueberarbeitung und Vollendung seinem Geheimschreiber Melchior Pfin-

z ing (geb. zu Nürnberg 1481, gest, als kaiserlicher Rath zu Mainz 1535) übergeben.

Das Gedicht will die Ereignisse aus dem Leben

eines wirklichen Individuums darstellen, und ist deshalb historisch

wie die Reimchroniken, zugleich ist aber damit verbunden der Hang zur Reflexion über die Bestimmung des Menschen, über seine sitt­ liche Kraft, nnd zu diesem Zweck werden Eigenschaften, Zustände und Triebfedern als handelnde Wesen aufgcführt.

Die wirklichen

Personen werden verborgen unter sinnbildlichen Namen, deren Schlüssel am Ende des Werks beigesügt ist, und in diesen erklären­ den Bemerkungen parodirt der Verfasser auf bewußtlose Weise sich selbst, indem bei den entschieden allegorischen Stellen bemerkt wird, poetisch gestellt. Es vereinigt daher Teuerdank das Interesse an dem Geschehen mit dem Didaktischen

die Handlungen seyen hier

in der Form der geheimnißvollen Allegorie. Da nun außerdem noch die königliche Entstehung des Buchs hinzukam, welche ihm

eine kostbare Ausstattung verschaffte, so erklärt sich daraus der große

Beifall, den dieses Gedicht fand.

Es steht ähnlich da, wie Maxi­

milian selbst in der Geschichte, der in seinem Innern uud Aeußern den Kampf eines untergehenden und eines neu ausstehenden Zeit­ geistes, der Schwärmerei und des Verstandes, der Ritterlichkeit und

des Bürgerthums, so unverkennbar abspiegelt. Die erste, pracht­ volle Ausgabe dieses Buchs wurde 1517 fol. in Nürnberg vollen­ det und ist ein Denkmal des Erfindungsgeistes damaliger Zeit und

ihrer mechanischen Fertigkeit.

Dargestellt wird in dem Gedichte

„die Jugendgeschichte Marimilian's bis zu seiner Vermählung mit der Prinzessin Maria von Burgund. Die Prinzessin heißt Ehrenreich, ihr Vater Ruhmreich, Maximilian Tcuerdank und dessen Führer Ehren­ hold. Die bösen Hauptleute, in welchen die Motive der Handlung liegen, find Fürwittig (Jugend), Unfalo (Unglücksfällc), Nepdelhart (poli­ tische Feinde). Nach und nach siegt der Held über diese bösen Haupt­ leute und läßt sie hinrichtcn. Er verlobt sich mit der Prinzessin und ihr zu Ehren wird ein großes Turnier angestellt, wo Tcuerdank sich als ritterlicher Kämpfer hervorthut im französischen, italienischen, deut­ schen Stechen, und zuletzt seiner Braut gelobt, einen Kreuzzug nach dem heiligen Grabe zu unternehmen."

159

-iS zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

Aus der bisherigen Entwickelung geht hervor, wie sich das Volksmäßige jetzt geltend macht, und wie selbst in den Ritterroman

volksthümliche Auffassungsweise und Manier eindringt.

Schon in

der vorigen Periode nimmt das Minnelied in Nithart, Tanhuser, Hadlaub nach und nach den Volkscharakter und einen bäurischen Ton an; an die Stelle der aristokratischen Standesmoral tritt in

den didaktischen Dichtern eine allgemein rein menschliche, welche auf den innern Adel des Menschen sich bezieht; an die Stelle der ge­ lehrten Spruchdichtung tritt die verständliche, populäre Fabel, und

endlich zeigten sich auch schon die Anfänge der Volksnovelle in ihrer schwankartigen Manier.

In vielen Rittcrgedichten der gegenwärti­

gen Periode sinkt das erotische Element ganz hinab ins Derbe und

Rohe, oder es spricht sich wenigstens eine Verachtung der Weiber

aus.

Nach und nach fügte sich der dichtende Ritter,

und

daö

Herablaffen ritterlicher Poeten in die populäre Manier, sowie an­ dererseits das Hinaufstreben gewerblicher Sänger nach dem alten

Ritterton giebt sich im Lied und in größeren Dichtungen zu erken­

nen, wie auch im wirklichen Leben der Bauer zum Edelknecht, der Ritter zum Räuber ward.

Es strebte die gesammte poetische Lite­

ratur, je mehr das Bürgerthum sich befestigte, aus den oberen nach

den unteren Kreisen herab, und als im 15. und 16. Jahrhundert die Literatur ganz in die Hände des Volks gekommen war, so konnte die Ritterdichtung sich nicht mehr halten. Es trat freilich innerhalb des Ritterstandes selbst noch eine Reaction ein und man wollte, wenn auch der Geist der Ritterzeit aus dem Leben ge­

schwunden war, doch noch diese glanzvolle Vergangenheit int An­ denken erhalten. An einzelnen süddeutschen Höfen von Oesterreich, Baiern, Würtemberg und der Pfalz entstand ein Wetteifer un­

ter Fürsten und Fürstinnen, Rittergedichte in eine mehr zeitgemäße Sprache zu übersetzen oder übersetzen zu lassen, Handschriften alter

Gedichte für Bibliotheken zu sammeln und Dichter heranzuziehen und zu beschäftigen. Ein solcher Sammler war der bairische Ritter Jacob Püterich von Reichartshausen,

der einen im Titu-

relstone gedichteten Ehrenbrief (1462) [230] an die Erzherzogin Mathilde von Oesterreich richtet, in welchem er ein Verzeichniß der Sammlung seiner Ritterbücher giebt; doch klagt er zugleich in die­

sem Brief über den Spott, den er seiner Liebhaberei wegen von

den Hofleuten dulden müsse. Im 16. Jahrhundert schwand das Interesse für die alten Ritterbücher gänzlich. Der Bürgerstand als der Träger der neuen Zeitrichtung bemächtigte sich der Poesie, in

160

Vierte Periode. Don der Mitte des vierzehnten

welcher daher der volksthümliche Ton entschieden vorherrschend wird.

Wir werden eingesührt in die verschiedenartigen Kreise der gemei­

nen Wirklichkeit,

in welchen das Komische, das Lächerliche und

Schalkhafte das Princip der epischen Darstellungsweise ist.

II. Die neue Gestaltung der volksmäßigen epischen Darstellungsweise. 4. Die zeitgemäße Umgestaltung des Thiercpos. Die Thiersage hatte während

des

wieder erneuerte Theilnahme gefunden.

Mittelalters In

eine immer

Flandern, wo früh

eine republikanisch gesinnte Bürgerschaft sich gebildet hatte, erhielt die Thiersage im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts

ihre erste

Gestaltung im Isengrimus und Reinardus vulpes (s. oben zweite Periode), und erschien darauf nach der Mitte des 12. Jahrhun­ derts auch auf deutschem Boden in dem Reinhart Fuchs des Glichesere (s. oben dritte Periode). Der einmal kunstmäßig auf­

gefaßte Stoff fand dann wiederum in Flandern wahrscheinlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts die reinste und naturgemäßeste Ausbildung durch Willem, der wie I. Grimm vermuthet, den Beinamen die Matoc führte, und diese Bearbeitung erhielt un­ gefähr hundert Jahre später durch einen unbekannt gebliebenen

Landsmann des Willem eine in Hinsicht auf Gehalt und Form viel tiefer stehende Fortsetzung [231]. Diese beiden ungleichartigen Theile enthält die Flandrische Dichtung Reinaert, und aus die­ ser ging gegen Ende des 15. Jahrhunderts (um 1470 — 90) die niederdeutsche Bearbeitung Reineke de Vos (Ausg. von Hoffmann

von Fallersleben. Breslau 1834.) hervor, die nach einer nicht ganz unglaublichen Ueberlieferung von Nicolaus Baumann herrührt [232). Diese Bearbeitung bildet den Abschluß in der Entwickelung der Thiersage, und zwar in einem Dialekt, welcher der Eigenthüm­

lichkeit dieser ganzen Dichtung am entsprechendsten ist; denn überall,

wo dieselbe auch behandelt wurde, findet sich das Anschließen an das Niedrige und Platte der alltäglichen Gemeinheit zum Contraste gegen das Sublime und Wunderbare in dem Stil des Ritterepos. Der Reineke erschien zuerst 1498 in Lübeck und traf gerade in die

Zeit, wo Alles auf Reformen in Staat und Kirche sann.

Erst

jetzt faßte man den Sinn der längst bekannten Thiersage noch be­

stimmter auf, und der Verfasser des Reineke verfolgte nach gewon­

nener Einsicht in den Hergang des gemeinen Weltlaufs mit be­ wußtem Streben die satirische Polemik gegen die herrschenden Stände,

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

161

welche auch schon, namentlich in Bezug auf den höheren Klerus, in den früheren lateinischen Bearbeitungen sich mehr von selbst dar­ geboten hatte. Während nun der Dichter des Reinaert sich mit der allgemein poetischen Wirkung seines Werks begnügt und mehr nur den ästhetischen Gegensatz gegen die Ritterepen und ihre Ten­ denzen bildet [233], strebt der Dichter des Reineke nach einer mo­ ralischen Wirkung und giebt dem Ganzen eine entschieden satirische Wendung. Er will darüber ein Verständniß eröffnen, wie die Feh­ ler der Menge auf der Schuld der Oberen beruhen, und wie nur List und Klugheit überall hindurchhelfe, und eben deshalb kann die zweite Beichte des Fuchses, welche diese Einsicht in den gemeinen Weltlauf ausspricht, recht eigentlich als der Mittelpunkt des Gedichts angesehen werden, in welchem das Anarchische, Thierische und Rohe, wie es sich in der Wirklichkeit bei den aufgelösten und erschlafften Banden des mittelaltrigen Staats darstellte, zur leben­ digen Anschauung gebracht ist. Die Selbstsucht kann nicht besser als durch die thierische Natur dargestellt werden. Das Gedicht geht von der Ankündigung eines allgemeinen Landfriedens aus; der Uebereinkunft nach soll jede Zwistigkeit und Feindseligkeit aufhören, aber der Wirklichkeit nach überläßt sich jeder seiner Willkür. Die Forderung des Rechts ist freilich vorhanden, doch indem die thieri­ schen Individuen, jedes für sich, auf dies Recht dringen, verletzt jeder Einzelne das Recht des Anderen. Diesen Widerspruch deckt Reineke Fuchs auf, indem er mit dem Köder der Begehrlichkeit den Egoismus der Thiere erregt, durch welchen sie sogleich das Interesse für das Allgemeine, in dessen Dienst sie zu stehen vorgeben, zu ver­ nachlässigen sich getrieben fühlen. In dem Haupthelden des Ge­ dichts spricht sich daher recht eigentlich das Bewußtseyn über die Schlechtigkeit der Welt aus, worauf sich die aus dem Weltlauf abstrayirte Moral gründet, daß man nemlich nur mit List und Schlauheit sich durch die Schlechtigkeit der niederträchtigen Masse hindurchkämpsen könne. Zugleich wird hier das alte Lied gesungen: die Fehler der Menge ist die Schuld der Oberen; dort wird das mißliche Beispiel gegeben, die Prälaten machen den Vorgang, der König raubt selbst; Keiner sagt's und klagt's dem Anderen; die Großen rauben und genießen mit; die Geistlichkeit sagt: „gebt mir das Eure, laßt mir das Meine." Seiner Ueberlegenheit sich be­ wußt ist Reineke Fuchs der absolut Gewissenlose, der eben so sehr die politische Autorität als die kirchliche verachtet; dabei weiß er aber die Sprache des Vaterlandsfreundes mit eben solcher GeBiese deutsche Literaturgeschichte. I. 1 j.

162

Von der Mitte des vierzehnten

Vierte Periode.

wandtheit und Biegsamkeit zu führen, als er den Frommen zu spie­ len versteht.

Außerdem besitzt er die Bildung des Wüstlings,

der sich nicht so unmittelbar dem Genusse der Begierde überlaßt,

sondern mit demselben die Sicherheit und den Kitzel einer behaglich aus­ kostenden Sinnlichkeit zu vereinigen weiß. Während daher die an­ deren Thiere durch die Rohheit ihres Begehrens in Noth und Ge­ fahr gerathen, wird er von der Angst des Unglücks mehr nur in

der Vorstellung getroffen, als daß er wirklich in dasselbe geräth. Das Princip der Selbstsucht ist in Reineke Fuchs nach allen Seiten

hin durchgcführt, und

ihn selbst sehen wir am Schlüsse des Ge­

dichts zum Kanzler des Reichs erhoben. Hierdurch wird dies Thier­ epos charakteristisch für die ganze Zeit, wo nach der inneren Er­ schlaffung der Feudalherrschaft und der Hierarchie auch im öffent­

lichen Leben das Princip der Selbstsucht vollkommen

losgelassen

war, das auf dem Gebiet des Staats erst durch Hervorbildung der souverainen Herrschaft und auf dem Gebiete des kirchlichen Le­ bens durch die Reformation überwunden werden sollte. Da auf diese Weise das Gedicht den innersten Nerv der Zeit traf, so fand

es einen außerordentlichen Beifall, und es wurde in mannigfalti­

gen Ausgaben immer von Neuem wieder aufgelegt. Den großen Einfluß, welchen Reineke Fuchs auf das ganze Jahrhundert besonders als satirisches Sittenbuch ausübte, erkennt

man an dem Froschmeuseler des Georg Rollenhagen (geb. 1542 zu Bernau, gest, als Rector der Schule zu Magdeburg 1609), der in der Vorrede zu seinem Gedicht die Vortrefflichkeit des Rei­ neke

hcrvorhcbt, und

zugleich

berichtet,

wie er als

Student zu

Wittenberg 1566 durch die Vorlesungen des Professor's Veit Ortel von Winsheim über die homerische Batrachomyomachie zu einer

Bearbeitung derselben angeregt sey. Aus dieser Jugendarbeit ging der Froschmäuscler hervor, welcher erst 1595 erschien. Rollenhagen verwandelt das alt-griechische Scherzgedicht in ein didaktisches und legt darin seine ganze Lebensweisheit nieder.

Er will lachend der

Welt die Wahrheit sagen, da sie die ernste nicht mehr verstehe; man lerne sie vielleicht von Fröschen und Mäusen. Während die

Didaktik bisher moralisch und religiös war, gestaltete sie sich jetzt mehr weltlich und politisch.

Von den rein moralischen Doctrinen

machte man den Uebergang zu Betrachtungen über das Staats-, Schul- und Kirchenregiment, und eben dies Thema wird mit Vor­

liebe von Rollenhagcn behandelt, und die epische Einkleidung geht in das Didaktische über.

Im ersten Buch tritt besonders die Lehre

bis zum Ende des sechszeynten Jahrhunderts.

163

hervor, wie alles seine natürlichen Feinde habe, und dies wird durch eine Reihe von Fabeln und Erzählungen anschaulich gemacht, und auf eigenthümliche Weise macht der Dichter die Thiere zu Reprä­ sentanten politischer Stände. Im zweiten Buch, das als Mittel­ punkt des Gedichts angesehen werden kann, bildet die Herodoteische Versassungsberathuug die Grundlage; es sind hier die sich weit ausspinnenden Gespräche zwischen dem König der Frösche Baus­ back und dem Kronprinzen der Mause Bröseldieb, worin Rol­ lenhagen seine Ansichten über daZ weltliche und geistliche Regiment darlegt, und hier zeigt sich die bürgerliche gegen das Höfische ge­ richtete Gesinnung und der Haß gegen das weltliche Bestreben der Priester, wie im Reineke Fuchs. Erst im dritten Buch geht der Krieg zwischen den Fröschen und Mäusen vor sich, in welchem diese nach tapferer Gegenwehr erliegen und die Frösche nur mit Hülfe der Krebse, der geharnischten Kriegsleute, den Sieg davon tra­ gen [234]. 2. Die Volksnovellc und der Schwank.

Während sich die endlichen Interessen der Stände und der Individuen im Leben hervordrängen, um sich geltend zu machen, tritt ihnen gegenüber die Weltklugheit, die sich zunächst dar­ stellt in der Ironie, welche die einzelnen Leidenschaften und natür­ lichen Triebe in dem Zusammenstößen mit dem objectiven Leben zerschellen läßt an dem höheren Bewußtseyn, das als das Ideelle über den einseitigen Bestrebungen schwebt. Dies zeigt sich schon in der epischen Behandlung des Salm an und Morolt, wo die unermeßlichste Weisheit sich den Banden der Endlichkeit nicht entziehen kann, weshalb das Einseitige derselben in thörigten Bestrebungen sich kund giebt. Die Wcltklugheit nimmt aber eine andere Gestalt an, indem sie sich darstellt als Erkennt­ niß der Dinge zu endlichen und partikularen Zwecken, und ihre Stärke hat in dem Mutterwitz, der bei der engeren Beschrän­ kung des Lebenskreises schärfer das Besondere beobachtet und zu seinen Zwecken verwendet. Der Weltklugheit steht dann gegenüber die Einfalt und Verblendung, die Dummheit und Beschränktheit, die sich als Mittel für die Zwecke Anderer gebrauchen läßt. Dies giebt sich schon in dem Pfaffen Amis des Stricker zu erkennen. Zu dieser Klugheit gesellt sich in dem Bewußtseyn ihrer Ueberlegenheit die Schadenfreude, mit welcher der Beschränktheit und Thorheit gegenüber die besonderen Zwecke vollzogen werden. Mit 11*

164

Vierte Periode.

Bon der Mitte des vierzehnten Verstanhesüberlegenheit verbindet sich

dieser Lust an der eigenen

auch die Freude, alles was nicht die platteste und nacktste gemeine

Wahrheit ist, anzugrcisen und die tiefere Wahrheit zu entstellen,

woraus die grundsätzlich feindselige Stimmung gegen alles Ideelle hervorgcht. Auf diese Weise erhält sich die Klugheit über allen Verhältnissen, durch die der Einzelne an die bürgerliche Welt ge­ fesselt ist, und als Hauptmoral ergiebt sich, daß sie als die einzige

Tugend höher als Alles stehe und durch werde.

sie die Welt beherrscht

Diese Lehre tritt entschieden im Reineke Fuchs hervor;

es heißt dort, daß bei dem jetzigen Weltlauf die einfache Wahrheit nichts mehr verfange, da nur der Kläffer und die List bei den

Fürsten beliebt sey. Diese Weltklugheit ist wirksam in den Indi­ viduen aus den untersten Schichten des Volks und sie wird eine natürliche Waffe gegen die Convenienz und die äußeren Bevorzugun­

Wir steigen somit in die unterste Stufe

gen der höheren Stände.

des Volkslebens hinab und gelangen zu den Erzählungen, wozu

der Stoff um

schwankartigen

so reicher wurde,

seitdem

Narren an den Höfen den Hofdichtern in den Weg traten, und Narrenfeste und Narrenorden aufkamen. Der Pfaffe Amis war noch ein Ausländer; jetzt fehlte es aber nicht mehr an einheimiIchen Originalien, und wie die Hofnarren persönlich der Existenz

der Hofpoeten gefährlich wurden, so halfen die schwankartigen Poe­ sien immer mehr die Rittcrdichtung untergraben, und dies geschah zunächst in den äußersten Grenzlanden, in Oesterreich und den Nie­ derlanden, wo alles, was die Ritterpoesie untergrub, vorzugsweise heimisch ist [235].

Die beiden Hauptrepräsentanten des Volkswitzes in Süddeutsch­ land sind im 14. Jahrhundert Neidhart Fuchs [236] und der

Pfaff von Kalenberg.

Der erstere wird unter Otto dem Fröh­

lichen (ff 1339), dem Herzog von Oesterreich, der seiner lustigen Gesell­ schaften wegen berühmt war, aus einem Ritter ein Hofnarr. Der Pfaff von Kalenberg lebte gleichfalls an dem HofeOtto's; erhalte als Student sich durch eine Tracht Prügel seine Pfarrei verdient, und trieb nun seine Schnurren mit den Bauern. Philipp

Frankfurter brachte die Schnurren des Kalenbergcr in Reime

(v. d. Hagen'S Narrenbuch.

Berlin 1811.). Zm 15. Jahrhundert wurde ausgenommen,

das epische Gedicht Salman und Morolt wieder

und es erschien um 1450 Salomon und Markolph umgedich­ tet von Gregor v. Hayden (In v. d. Hagen'S «. Büsching'S deut­

schen Gedichten des Mittelalters.

Bd. I.

Berlin 1805.).

Markolph tritt

165

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

hier als Bauer in ungeschlachteter Gestalt mit seinem ebenso un­ auf, und die Kraft des Mutterwitzes in einem

flätigen Weibe

simplen Bauern verschafft sich Geltung gegen die Salomo.

Weisheit des

Markolph drängte sich aus dem rohen Haufen in die

höfischen Kreise,

und

ist

der

erste

Hofnarr,

mit

dessen

Na­

men dies Amt auch bezeichnet wurde. Im 16. Jahrhundert bildet Peter Leu von Hall ein Seitenstück zu dem Pfaffen von

Kalenberg.

Während dieser als Student

es schnell zum Psaffen

bringt, gelangt jener vom Blockträger endlich

zum

Amte

eines

seine meisten Scherze und Streiche

laufen darauf hinaus, durch allerlei List sich Vortheil und Genuß zu verschaffen; Pfaffen, und

doch sind sie unschuldiger und abgestumpfter als die des Amis und Kalenbergers. Seine Geschichte brachte Achilles Jason Wid­

mann in Reime. In der schwankartigen Erzählung zeichnete sich noch Hans Rosenblüt (um 1450) aus, auch schrieb

ferner

Hans Folz, der etwas jüngere Zeitgenosse von Rosenblüt, Schwänke; er war auS Worms gebürtig, und lebte als Barbier und Meister­ sänger zu Nürnberg. Vor allen aber ragte Hans Sachs (geb.

zu Nürnberg 1494, wo er als Schuhmacher 1576 starb) in seinen poetischen Erzählungen hervor [237], zu welchen er den Stoff in ver­ schiedenartigen Schriften fand, in der Bibel, in Uebersetzungen der Klassiker, in den geslis Romanorum (einer Sammlung von No­ vellen aus der späteren griechischen und römischen Zeit), in Boccaz

und historischen Büchern.

Er giebt in seinen Erzählungen nicht

einen platten Abdruck des Lebens, sondern ein freies Abbild.

Er

dichtete besonders seit seinen fünfziger Jahren Schwänke (AuSg. v.

I. Ad. Nasser. Kiel 1827.), die aus dem öffentlichen ins Privatleben überführen. Er betrachtet die Stände aus ihrem Verhältnisse zur menschlichen Natur und Vernunft überhaupt und stellt das einsei­ tige Treiben der Menschen in seiner Unmittelbarkeit hin, behandelt

es humoristisch, indem er die Thorheiten und Verkehrtheiten auf­ deckt, und hier bewährt sich die Treue und Wahrheit seiner Welt­

beobachtung, der kluge Blick, mit welchem er in das bewegte Men­ Mit besonnener Mäßigung sah er dem Ameisengewimmel der Menschen unverwirrt zu und führte das Volk schenleben hineinschaute.

vor den Spiegel seiner wahrhaften Gemälde.

Sein

Spott und

Muthwille ist nicht mit Schadenfreude verbunden, sondern wird von der Liebe getragen,

besser werden

welche die Hoffnung nährt, daß es werde

und daß auch das tollste Weltwirrwesen am Ende

ein Ende finden müsse.

166

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten B. Lyrische Poesie.

I. Der Meistergesang. [237b] -1. Bedeutung und Kunftform des Meistergesangs.

Das

Minnelied hatte sich

einerseits

in

Nithart,

Tanhuser,

Hadlaub an das Volksmäßige angeschlossen und schritt bis zur Pa­ rodie der sentimentalen Minne fort; andererseits nahm es den ern­ sten Eon des Spruchgedichts in sich auf und ging, ins Moralische

und Geistliche über, was besonders von Reinmar dem Zweier an bis auf Frauenlob hinab das Vorherrschende blieb.

Wie sich jene

heiteren Liederweisen der Nithartschen Richtung auch noch

spater

fortsetzen in einzelnen adligen Dichtern, in Hugo von Montfort (geb. 1317, gest. 1423) und in Oswald von Wolkenstein (geb. 1363, gest. 1445) [238], welche die erstorbene ritterliche Ly­ rik neu zu beleben suchten, und deren Lieder bei dem Anschließen an den Volksliederton in das eigentliche Volkslied zurückführen, ans dem diese Liedergattung hervorgegangen war, ebenso erhielt die

gelehrte gnomische Dichtung ihre Fortsetzung in der gelehrten und religiösen Lyrik des 15. Jahrhunderts, welche vorzugsweise das Thema des Meistergesanges wurde. Rücksichtlich der Form war der Minnegesang je länger je mehr in die bloße Künstlichkeit

der Reimverschlingungen entartet, und je leichter die Kunstfertigkeit

ward, um so gleichgültiger war der Inhalt und leerer an Poesie. Die Lust des Lebens, welche sich in den Minncliedern ausgespro­ chen hatte, war verklungen. Die Hofpoesie und das fröhliche Wan­ dern der Sänger schwand nach und nach dahin, und die Bürger in den Städten rechneten es sich zur Ehre an, eine Kunst zu för­

dern, in der mehrere ihrer Vorfahren geglänzt hatten.

Seitdem

Frauenlob in Mainz die erste Genossenschaft bürgerlicher Sänger gestiftet hatte, traten später in mehreren Städten ehrsame Bürger

zu gemeinschaftlicher Ausübung und Förderung der edlen Sanges­ kunst zusammen. Je mehr diese Vereine sich in sich abschlossen, um so mehr wurde jede Berührung mit den fahrenden Sängern von Gewerbe vermieden, besonders seit dem Ausgang des 15. Jahr­

hunderts.

Bis dahin gab es noch hin und wieder Meistersänger,

welche von ihrer Kunst lebten und den Hoflagern nachgingen (Mi­

chael Beheim und Hans Rosen bl üt); aber im 16. Jahrhun­

dert trieben sie die Dichtkunst nur neben ihrem bürgerlichen Ge­ werbe als Mittel zur Verbreitung der Ehre und. Furcht Gottes, so wie zur Beförderung eines ehrbaren christlichen Wandels und als

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

167

einen sittsamen Zeitvertreib. Mit tüchtiger Gesinnung wurde von ihnen die Poesie ergriffen; eine Anzahl wackerer Meister versam­ melte sich zu bestimmten Zeiten, und wendete die Feierstunden und Feiertage dazu an, der Sangeskunst seit ihrem Verfall an den Fürsten- und Ritterhöfen Liebhaber und TheiLnehmer zu erhalten. Der wahre Meistersanger hatte seinen eignen Herd und nährte sich von seiner Hande Arbeit; er brauchte daher nicht um des Fürsten Gunst zu buhlen, und somit wurde der Meisteu-gefang zugleich die Grundlage zu der neueren unabhängigen Dichtung, die als eine edle Beschäftigung eine innere Befriedigung gewährt, die des Lohns von Außen nicht bedürftig ist. Die Meistersänger trieben ihre Kunst fern von aller Anmaßung und in inniger Verehrung ihrer Lehrer; sie sangen zu ihrem eigenen Vergnügen und machten nie Ansprüche darauf, öffentlich aufzutreten. Bei dem engbegrenzten, auf das Praktische gerichteten Sinn der Bürger trat an die Stelle ritterli­ cher und romantischer Gefühle moralischer Ernst und ein lehrhaftes Wesen, und es waren ihrem auf sittliche Tüchtigkeit und religiöse Frömmigkeit sich stützenden Sinn die Versuche in geistlichen Liedern und in gereimten Erzählungen biblischer Stoffe am naturgemäßesten, und eben hierdurch wirkte der Meistergesang auf die Reinheit der Sitten ein; weshalb auch bei der Beurtheilung desselben mehr Gewicht auf das Sittliche, als auf das Aesthetische gelegt werden muß. Der moralische Ernst der Bürger verwandelte die freie Be­ weglichkeit der Poesie in eine trockene Gesetzmäßigkeit; aus der Be­ mühung, die Regeln der Poesie inne zu bekommen, entstanden die Poetiken oder Tabulaturen, worin Prosodie, Metrik und Rhe­ torik vorgetragen wurde. Die älteste bekannt gewordene Tabulatur ist die aus der Meisterschule in Straßburg vom Jahr 1493. Nicht das lebendig angeregte Gefühl ist das Princip des Meistergesangs, sondern die Reflexion auf die poetische Form; daher die vorgeschrie­ bene künstliche Versart den Gedanken modelt, und je gezierter Vers und Reim, desto geringer ist die freie Bewegung und Natürlichkeit des Gefühls. Ueber das Aufkommen des Meistergesangs hat sich eine eigenthümliche Tradition erhalten: es sollen nemlich die 12 ältesten Meister vom Kaiser Otto 1. 962 nach Pavia citirt seyn, wo sie sich vor den Professoren und dem Pabst Leo VIII. hören lie­ ßen, um sich über ihre Orthodoxie und ihre Tüchtigkeit auszuwei­ sen. Nachdem sie dies zur allgemeinen Befriedigung gethan hat­ ten, wurden sie vom Kaiser mit einer goldenen Krone beschenkt. Diese Sage spricht die frühe öffentliche Anerkennung der Sanges-

168

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

fünft aus und läßt zugleich die Hinneigung des Meistergesangs zur Theologie und Naturwissenschaft erkennen, wie sie der gnomischen Dichtung eigenthümlich war, als deren Fortsetzung sich der Mei­ stergesang darstellt. Im Jahr 1378 verlieh Carl IV. den Meister­ sängern Corporationsrechte und ertheilte ihren Singschulen Freiheits­

briefe.

In Mainz wurden die schriftlichen Gerechtsame der Dich­

terzunft, ihr Wappenbrief und die goldene Krone aufbewahrt. Es mußte sich unter den Händen der Handwerker die Poesie selbst zum Handwerk gestalten und als solches trat sie auch äußerlich auf; sie hatte ihre Meister und Gesellen, ihre Jnnungsrechte und Gebräuche. JcdeSingschule machte einen

in

die Mitglieder waren größtentheils

sich geschlossenen Verein aus; Handwerker, bisweilen

Geistliche und Gelehrte (Heinrich von Müglin).

auch

In dem Verein

wurde Jeder nach dem besonderen Grade seiner Kunstfertigkeit ein­ gereiht und benannt. Wer die Tabulatur noch nicht recht verstand, hieß ein Schüler; wer alles darin wußte, ein Schulfreund; wer etliche Töne vorsingen konnte, ein Singer; wer nach anderen

Tönen Lieder machte, ein Dichter; wer einen Ton erfand, Mei­ ster; alle in die Gesellschaft Eingeschriebene hießen Gesellschaf­

ter.

Bei der Aufnahme mußte sich jeder verpflichten, kein Mei-

sterlied auf Gassen, bei Gelagen oder anderen gemeinsamen Schwel­ gereien zu singen. Das Lied, welches stets für den Gesang bestimmt

wat[239], hieß Bar und war strophisch; die Strophen oder Ge­ sa tze des Bars bestanden aus zwei Absätzen oder Stollen, wor­ auf der Abgesang mit eigener Melodie folgte. Die Versarten hie­ ßen Gebäude und ihre Melodie Ton oder Weise. Wenn der neu erfundene Ton fehlerfrei befunden

war, so wurde er gekrönt und

erhielt einen besonderen Namen, theils nach dem Namen des Mei­

sters, theils nach Blumen, Farben, Metallen und Thieren.

Da

die Erfindung eines neuen Tons darin bestand,

Reime, mehr Sylben und

daß man mehr eine andere Verschlingung der Reime

ersann, so steigerte sich die Zahl der Sangweisen bis gegen 400.

Die Töne von

5

bis 8 Reimen

sind

selten,

die

zwanzigrei-

migen weit häufiger, ja man vermehrte die Reimzahl der Töne

bis auf 100 und darüber, in der besten Meinung, auf diese Weise

in der Kunst immer weiter vorzuschreiten.

An der Spitze jeder

Singfchule standen die Merker, welche über die ganze Ordnung wachten, und die Richter über die vorgetragenen Gesänge waren:

di»'M«! achtete auf den Inhalt, daß nichts der Bibel und der

christlichen Gestmmng Widersprechendes verkomme; ein zweiter rich-

169

bis zum Ende des sechSzchnten Jahrhunderts.

tete sein Augenmerk auf den Bau des Bars, ein dritter auf Reim Nach dem Urtheil der

und Sprache, ein vierter auf die Melodie. Merker wurden die Preise zuerkannt.

Der erste Sieger erhielt den

König-Davids-Harfen-Preis, der in einem aus Goldblech geschlage­ nen Bilde König Davids mit der Harfe bestand. Die übrigen Preise bestanden gewöhnlich aus kleinen Kränzen von Gold- oder Silberblech.

Der Werth war gering, aber

die Ehre

bedeutend.

Sonn- und Feiertagen Nachmittags in einer Kirche statt, wo jedes Mitglied Die großen angesagten Zusammenkünfte fanden an

der Schule zu erscheinen verbunden war; die gewöhnlichen Zusam­

menkünfte wurden in den Herbergen gehalten. 2.

Die Gegenstände des Meistergesangs und die bedeutendsten Meistersinger.

Der Stoff für den Meistergesang war in der Regel aus der Bibel entlehnt; es wurden auch wohl wahre und ehrbare weltliche Begebnisse samt schönen Sprüchen aus der Sittenlehre zugelassen,

doch nur bei dem Freisingen; seltener faßte man Verhältnisse der unmittelbaren Wirklichkeit auf, um daraus Stoff zu

Lob- und

Strafliedern aus bestimmte Personen und Corporationen zu gewin­

nen. Es wurden auch bisweilen für die Ballade und den Schwank geeignete Stoffe in Meistertüne gebracht; am seltensten aber wählte

man die Liebe und die mit ihr verbundene Freude an der Natur zum Gegenstände des Meistergesangs. In dem Haupt singen, wo die Merker ihr Amt verrichteten, waren nur Lieder erlaubt, de­ ren Gegenstände aus der Bibel entnommen waren. Es drang daher

im 14. und 15. Jahrhundert die ganze scholastische Dogmatik mit ihren Grübeleien und Spitzfindigkeiten über Dreieinigkeit, Erbsünde

u. dgl. m. in

den Meistergesang

ein,

und

namentlich

im

15.

Jahrhundert alles, was sich auf den fast noch mehr als früher in

Aufnahme gekommenen Mariadienst bezog, und was außerdem sonst noch für mystische Bilder von der Seele Vermählung mit Gott i,n Umlauf waren.

Erst im 16. Jahrhundert

ließ man in den pro­

testantischen Singschulen die scholastische Dogmatik, alles Mystische

und Bodenlose fahren, und hielt sich an Luther's Bibel und Ka­ techismus. Die Oerter, wo der Meistergesang blühte, stimmen mit den Gegenden des Minnegesangs überein und sie weisen hauptsächlich auf das südliche und mittlere Deutschland hin. Im 14. Jahrhun­ dert blühte der Meistergesang vornehmlich zu Mainz, Straßburg,

Frankfurt, Würzburg, Prag; im 15. Jahrhundert zu Nürnberg

170

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

und Augsburg; im 16. Jahrhundert in Regensburg, Ulm, Mün­ chen, Breslau, Görlitz, ja bis nach Danzig hinauf.

Unter den

Meistersängern können besonders hervorgehoben werden: Heinrich von Müglin, Dr. der Theologie zu Prag, aus der zweiten Hälfte

des 14. Jahrhunderts, er steht in einer näheren Beziehung zu der gelehrten Frauenlobschen Manier; sein langer Ton ist der erste der vier gekrönten. Ferner gehört Suchensinn am Ende des 14.

Jahrhunderts noch zu den wandernden Meistersängern. seitigste Dichter im

15.

Jahrhundert ist

Der viel­

Muscatblüt, welcher

alle Seiten der damaligen Dichtungsweisen in sich vereinigte, Minne-

und Naturlieder von volksthümlicher Einfalt, gekünstelte Meister­

gesänge, Sprüche der Gnomiker, Schwänke in der Art Rosenblüts, schwülstig-religiöse Gesänge und Marienlieder in Frauenlobs Ma­

Ans dem 16. Jahrhundert ist Hans Sachs zu nennen, der fruchtbarste Meistersänger, der aber nicht sowohl durch

nier [2396].

seine Meisterliedcr,

als vielmehr durch seine andern Dichtungen,

die gerade nicht für die Meisterschule bestimmt waren, am tiefsten auf seine Zeit einwirkte.

Endlich ist noch Adam Puschmann

anzuführen (geb. 1532, gest. 1600),

der Görliher Schuster,

ein

Schüler H. Sachsens, dem er in einem meisterlichen Lobgedicht ein

schönes Denkmal der Liebe gesetzt hat. Er schrieb: „Gründlicher Be­ richt der deutschen Reimen und Rithmen" (herauSg. Görlitz 1574. 4.

und Frankfurt 1596. 8.), unt> ist zugleich vorbedeutend für Schlesien, wo später von den Gelehrten der erste Versuch gemacht wurde, mit

Hülfe der altklassischen Poesie eine neue Poetik und Prosodie her­

zustellen.

II.

Das Volkslied. [240]

Das Volkslied ist, insofern es tief wurzelt in dem Geist und der Gesinnung des Volks, die lebendige, unversiegbare Quelle aller

wahren Dichtung. Früh entwickelte sich bei der Empfänglichkeit der Germanen für die Natur, bei ihrer Gemüthsinnigkeit und Liebe zur Freiheit und Selbstständigkeit der deutsche Volksgesang; er ist uralt, weil von früh an die Dichtung Eigenthum des Volks war. Zurückgedrängt wurde er während der zweiten Periode durch die ge­ lehrte Poesie der Geistlichkeit, ohne daß er deshalb aufhörte, son­

dern er erhielt sich fortwährend lebendig, und aus ihm gestaltete sich durch ein gebildeteres Gefühl für Sprachform, Reim und Ge­ danken der ritterliche Minnegesang, der durch die kunstmäßigere

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

171

Behandlung und bei den Anforderungen der höfischen Bildung den Volksgesang auch während der dritten Periode in den Hintergrund treten ließ, bis endlich das Volk als dritter Stand sich immer mehr zum Bewußtseyn seiner Freiheit erhob und mit der Entartung des Ritterwesens seine Ausfaffungsweise in allen Gattungen der Poesie geltend machte, so daß auch im Minnegesang die volksmäßige Rich­ tung eines Steinmar und Hadlaub zum Volkslicde zurückführte, welches jetzt erst erkennbarer aus seinem Dunkel hervortritt und zunächst alles das auffaßte, was in dem Minnegesang allgemein Menschliches, von der Standessitte Unabhängiges, enthalten war [241], Die liebe Sommerzeit, der Mai, die Vögel, der Wald, der Anger, die Blumen waren ein Lieblingsthcma, und es wurden in Oesterreich, Steiermark, Tyrol, Ober-Bayern, in der Schweiz die Lieder ländlicher Lustbarkeiten, die Reien und Tänze gesungen, wie sie die Nithartsche Poesie erzeugt hatte. Doch bald erhob sich das Volkslied selbstständiger und unabhängiger von allen Reminiscenzen, und die Poesie, die noch nicht lange das Besitzthum geschlosiener Kreise gewesen war, wird im Volksgesang jetzt das freie Eigenthum einer ganzen Nation. Keinem Stande mehr angehörig verbreitet sich das Volkslied über Deutschland und wird von den verschieden­ artigsten Individuen der niederen Volksklassen gepflegt, und es of­ fenbarte sich hier die große Sangeslust und die poetische Gesangs­ kraft des deutschen Volks. Besonders ertönte der Volksgesang zuerst int Süden, vorzugsweise von den Gegenden des Niederrheins her, wohin uns die Limburger Chronik zeigts241d], die, um 1340 begonnen, den mittleren und letzten Theil des 14. Jahrhunderts umfaßt uud zuerst vom Jahr 1343, etwa um dieselbe Zeit als der bürgerliche Gesang sich anfing schulmäßig zu gestalten, Volkslieder erwähnt und auch einzelne Strophen und die Anfänge derselben anführt, welche „man in deutschen Landen sang und die gemein waren zu pfeiffen und zu wampen und zu Aller Freude durch ganz Deutschland." Das Wesentliche des Volksliedes besteht darin, daß sein Inhalt unabhängig von allem Standesccremoniel dem Geistes­ und Gemüthsleben der Nation angehört [242]. Die allgemein rein menschlichen Zustände der Liebe in ihren verschiedenartigen Situa­ tionen des Abschieds, der Trennung, des Wiedersehens, die allge­ meine Stimmung der Zeit, wie sie sich gleichmäßig in allen Volks­ klassen kundgiebt, irgend ein durch seinen tragischen Ausgang interessirender Vorfall, alles dies sucht sich im Volksliede Ausdruck zu verschaffen. Wer in sich Talent fühlte, solcher Stoffe von all-

172

Vierte Periode.

Von der Mitte deS vierzehnten

gemeiner Wirkung sich zu bemächtigen und sie dichterisch zu gestal­ ten und zur lebendigen Anschauung zu bringen, der dichtete und

sang ein Lied, welches unwillkürlich aus dem Gemüth, aus der von

Freud oder Leid bewegten Brust entsprungen, auch auf das Ge­ müth wieder zurückwirkte. Das ächte Volkslied spricht das aus, was Tausende empfinden, und ist daher gleichsam ein Erzeugniß der Gesammtheit und der Einzelne als Dichter tritt in den Hinter­

grund, weshalb auch die Namen der Volksliederdichter selten bekannt ftnb[242b]. Die Chronikenschreiber bewahrten nur die Lieder auf als Denkmäler der Zustände und der Ereignisse in der Zeit. Indem der innere Gehalt

des Volksliedes

sich auf so allgemein gültige

Weise ausspricht, bleibt es nicht in dem engen Raum einer Sing­ schule, sondern wie ein fliegendes Blatt eilt es in alle Welt hin­

aus, und pflanzt sich fort von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr [243]. Da sich nun im Volksliede das unmittelbare subjektive

Pathos geltend macht, und aus dem Dichter die Empfindung spricht, von der er ganz erfüllt und heftig oder tief bewegt ist, so concentrirt sich auch in der Darstellung bei der Intensität des Gefühls­ inhalts alles auf den inneren Ton und Accent' der Empfindung, und es wird nicht einem verstandesmäßigen Gedankenzusammen­ hang genügt, sondern die Gedanken und Vorstellungen werden lose

mit einander verknüpft, für die Einbildungskraft wird eine Reihe

einzelner Eindrücke hingestellt, welche nur zusammengehalten werden durch die in dem Ganzen waltende Gefühlseinheit, die öfter durch

den wiederkehrenden Refrain sich stärker hervorhebt.

Hier herrscht

keine Reflexion, keine Beschreibung von Situationen, sondern un­ mittelbar werden wir durch wenige keck hingeworfene Striche in

dieselbe versetzt.

Alles ist voll Leben in einem dramatischen, rasch

abspringenden Gang; kurz wird der Wechsel in Raum und Zeit angedeutet. Der Drang einer tiefen Anschauung fordert Gedrun­ genheit, und um den inneren Gefühlsinhalt für die Anschauung

schnell entstehen zu lassen, werden die Naturelemente der Sprache und Metrik ergriffen, Refrains, alliterirende Anfänge, wiederholte

oder ähnlich klingende Verse, und andere wirksame Laut- und Ton­ verbindungen. Dies führt unmittelbar hin auf das Musikalische; in den Worten sind überall die Empfindungen angedeutet, deren weitere Ausführung der Musik überlassen ist, so daß erst durch sie,

durch die oft wunderbare Uebereinstimmung der Melodie mit dem Text, das Ganze gehoben wird.

Die Volkslieder sind daher recht

eigentlich für den Gesang bestimmt; sie sollen gesungen werden;

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhundert».

173

das ist ihre Natur; die Musik ist aber eine Tochter der Empfin­ dung, sie kann nichts ausdrücken, als was Empfindung ist. Durch die begleitende Musik wird die in dem Liede waltende Gemüths­ einheit noch mehr herausgestellt, und es tritt der innere Zusammen­ hang hervor, den die kurz hingeworfenen Gedanken und Bilder vor dem Gefühle der poetischen Anschauung haben. Die Volkslieder unterscheiden sich, je nachdem in denselben die verschiedenartigen irdischen Beziehungen des Volkslebens aufge­ faßt werden, oder auf dem religiösen Element, aus der Beziehung zu einer höheren, übersinnlichen Welt der Hauptnachdruck liegt; hieraus ergiebt sich das weltliche und das religiöse Volks­ lied. Das weltliche Volkslied unterscheidet sich wieder insofern als die innern Gemüthsstimmungen die Hauptgrundlage bilden und das Lyrische durchweg vorherrscht, oder die Theilnahme an dem Historischen und Politischen des Vaterlands das epische Element hervortreten läßt. 4. Das weltliche Volkslied.

In der Zeit zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert, wo der Bürger- und Handwerkerstand seine glänzendste Stellung in Deutsch­ land einnahm, entwickelte sich die Volkspoesie und gelangte zur schönsten Blüthe. Es war dies die Zeit der großen inneren Thä­ tigkeit der Nation, wo man neue Richtungen und Bahnen ver­ folgte, neue Lebensformen zu gestalten strebte, ohne daß die alten schon überwunden und beseitigt waren. Eine allgemeine Wähligkeit, eine Fülle kräftiger Gefühle regte sich; die inneren Widersprüche zwischen Altem und Neuem wurden tiefer im Gehalt, mannigfalti­ ger in der Zahl, und in dieser gährungsreichcn Zeit war der Indivi­ dualität ein größerer Spielraum gestattet. Die Freiheit, die Zwangs­ losigkeit, ja die anarchische Zügellosigkeit erzeugte in allen Ständen eine scharfe Eigenthümlichkeit, und der Leichtsinn, die Sinnlichkeit, die Derbheit und der unverwüstliche Humor fand reiche Nahrung in den öffentlichen Lustbarkeiten, in den Fastnachtsspielen, bei den Processionen und Maskeraden, bei den Kirchmeffen, den Schützen­ festen u. dgl. m. Ueberall regte sich frische Volkslust, man gönnte dem Menschen sein Toben und seine Thorheit, man ließ der Fast­ nacht ihre klingenden Schellen, um alle Narrheit mit auf den Weg zu geben; selbst die sittsamen, ehrenfesten Bürger traten aus dem gewöhnlichen Geleise ihres Lebens, und es galt damals, was Göthe ausspricht:

Vierte Periode.

174

Don der Mitte des vierzehnten

Löblich wird ein tolles Streben, Wenn es kurz ist und mit Sinn; Heiterkeit zum Erdenleben Sey dem flüchtgen Rausch Gewinn.

Es war ein lachlustiges Jahrhundert; die goldene Zeit der Hof­ narren, und es liegt in vielen Volksliedern das Poetische in der freien sorglosen Heiterkeit, wie sie sich darstellt sowol in dem armen

Bettler als in dem flotten Reitersmann, in dem wilden Lands­ knecht, wie in dem wandernden Handwerks bursch [244]. Jeder pfiff sich und sang sich sein Liedchen und entäußerte darin sein innerstes Gefühl: leichten Sinn bei wenigem Besitz, leichten Trost beim

Nichtbesitz, beim Wein ein lustiges Versetzen aus der jammervollen Umgebung in eine glückliche Ideenwelt, alles dies ward in lebens-

srischen Liedern besungen, und so wie Einer es heraus gesungen

hatte, entzündete es unzählige Herzen.

Dagegen spricht sich in an­

deren Volksliedern eine tiefe und ächte Sentimentalität aus, und

ein wehmüthiger Zug ist über ihnen ausgebreitet, wie über dem

Ernst des Lebens, das sie abspiegeln.

Aeußerlich einfach deuten sie

auf ein weiteres tiefes Gefühl hin, das ihnen zu Grunde liegt, sich

aber nicht deutlich auszusprechen vermag; das Herz bleibt in sich gedrungen und gepreßt, und hält sich, um sich dem Herzen verständ­

lich zu machen,

an äußere Umstände und Erscheinungen,

die aber

sprechend genug sind, um die Anwendung auf das Gemüth und

die Empfindung zu erhalten. Mit Einer Wendung, Einem Anstoß wird die entsprechende Empfindung ruckweise angeregt und hierdurch

Rührung oder Erschütterung hervorgebracht.

Die ganze Macht der

lyrischen Poesie giebt sich hier zu erkennen. Bei der großen Innerlichkeit des deutschen Volks, womit eben so sehr die entschiedene Richtung unserer Dichtung auf das Didak­

tische zusammenhängt, wie andererseits auch das

Abwenden

von

dem Thatsächlichen und von den großen historischen Erscheinungen, drängt sich das Volkslied zuerst hervor als der individuelle Aus­ druck von inneren Seelenzuständen [244b], von menschlicher Em­ pfindung und Leidenschaft,

und das Liebeslied ist es,

worin

sich das Sinnige und Tiefe, das Naive und Unschuldige in prägnan­ ter Weise offenbart ohne das Große und Reizende in Handlun­

gen

und

Motiven.

Die

Handlung

tritt

zurück;

fühlsdeclarationen; man gewahrt viel Liebesschmerz, Liebeshandlung.

es sind Ge­ aber

wenig

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhmnderts.

175

a. Das lyrische Volkslied,

Hier kommen zunächst diejenigen Lieder iin Betracht, welche von einer subjectiveren Auffassungswcisc ausgehend der Ausdruck von allgemein menschlicher Empfindung sind, und es ist wiederum die Liebe, welche am tiefsten und reichsten die innere Gefühlswelt of­ fenbart. In den Liebesliedern lassen sich unterscheiden diejenigen, welche der schwermüthigen und tragischen Sphäre angehören, von denen, die sich in einer heiteren, komischen Sphäre bewegen. In den ersteren wird mit Zügen der innersten Wahrheit dargestellt das Schwebende, Auflösende der Liebessehnsucht, die Oede der ver­ schmähten Liebe, das Bange des Abschieds, das Verzehrende der Trennung und Entfernung; namentlich offenbart sich die Tiefe der Empfindung in den Scheideliedern, und die magische Kraft der Liebe zeigt sich darin, wie sie das von ihrer Wonne ent­ blößte Leben dahinraffl. Dieser Schwermuth gegenüber steht auf der anderen Seite die Oberfläche des Scherzes und der Tändelei; es macht sich die Schalkhaftigkeit, die Laune, der Muthwille gel­ tend und läßt besonders die materielle Seite der Liebe hervortreten, die sich in Zweideutigkeit und Obscönität bewegt, jedoch in der bes­ seren Zeit des Volkslieds während des 15. Jahrhunderts noch mit einer gewissen Naivität und gesunden Derbheit, während erst später im 16. Jahrhundert die größere Rohheit in das Volkslied einzog. Es erhält außerdem das Liebeslied des Volks, wie der Minnege­ sang, nicht selten die Grundlage seines Ausdrucks an der wieder­ kehrenden Frühlings- und Sommcrnatur, und diese wird auch öfter selbstständig für sich besungen. Ferner gehören zu der Reihe von Volksliedern, welche Ausdruck menschlicher Leidenschaft sind, die Trinklieder, die namentlich gegen das 16. Jahrhundert hin im­ mer häufiger werben [245], während in der früheren Zeit nur Wein­ grüße und Weinsegen verkommen, z. B. von Rosenblüt in kurzen Reimpaaren abgefaßt. In den Weinliedern herrscht eine große Lebendigkeit und ein Reichthum von scharfsinnigen Bildern; es zeigt sich hier die frischeste Lebenslust. Unter den Volksliedern, welche ihren Grund mehr in äußerli­ chen, objectiven Verhältnissen haben, bieten sich zunächst diejenigen dar, welche die mannigfaltigen Zustände der Familie zu ihrem Ge­ genstände wählen. Die Familie geht von der Ehe aus, in wel­ cher die Poesie der Liebe in die Prosa des Lebens übergeht und in dem Hochzeitsliede sich noch lebendig vernehmen läßt. Es rei­ hen sich hier an die Wiegen- und Kinderlieber und es rrgiebt

176

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

sich aus dem sich entfaltenden Kinderleben eine ganze Folge von

Liedern.

Die Familien erhalten ferner ihre nähere Bestimmtheit in

den Korporationen der verschiedenen Stände, die sich wiederum be­ stimmter danach individualisiren, ob die Beschäftigung sich auf die Natur als solche bezieht oder auf einen Gewerksstand in der Stadt.

Nach diesem Unterschiede erhalten die Volkslieder durch Ton und Inhalt ihre besondere Färbung, indem sie auf der einen Seite das ländliche, auf der anderen Seite das städtische Leben zu ihrer Grund­

lage haben, und dort mehr das Gefühl, hier Verstand und Witz das gestaltende Element für das Lied ist. Auf sinnreiche Weise verschafft die Volkspoesie dem Alltäglichen und Gewöhnlichen poe­ tischen Ausdruck, und weiß diejenigen Beschäftigungen zu treffen, welche in der Natur und an der Natur arbeiten und deshalb Ge­

stalten von anschaulicher Lebendigkeit und Eigenthümlichkeit darbie­ ten. Es entsteht hieraus eine große Fülle und Mannigfaltigkeit von Liedern: die Fischer-, Jäger- und Hirtenlieder; die Lieder des Acker- und Weinbauers, des Gärtners, Köhlers und

Bergbauers.

In

dem

Handwerksstande

giebt

zunächst das

Zünftige des Gewerbes nicht nur Veranlassung zu den Abschieds-,

Wander- und Grußliedern der Handwerksgesellen,

sondern

auch zu den Lob- und Spottliedern auf die verschiedenen

Handwerke. Unter den Handwerken selbst heben sich besonders diejenigen hervor, welche neben Verstand Kraftübung erfordern

(Zimmermann, Maurer, Schmied), oder ein freieres Bewe­ gen und Umherschwärmen gestatten (Fuhrmann, Postillon, Besenbinder) oder eine charakteristische abstechende Tracht haben (Schornsteinfeger, Nachtwächter). Scheerenschleifer,

Die minutiöseren Beschäftigungen der Schneider, Schuster, Friseure und Schreiber werden mehr Gegenstände von Spott­ liedern.

Ueber die beschränktere Sphäre des Gewerbes erhebt sich

der Kaufmann's-, Soldaten- und Gelehrtenstand. An den ersten knüpft sich die Betrachtung von dem Wechsel des irdi­ schen Glücks und von den Mitteln, es zu erjagen und festzuhalten;

an den Soldatenstand seine Tapferkeit, Todesverachtung, Muth u. Der Gelehrte endlich hat nur eine Periode seines Lebens, wo er in den Kreis des Volksliedes kommt. Es ist die Zeit, wo er

dgl.

sich erst vorbereitet auf ein bestimmtes Amt und daher noch frei ist

von den Beschränkungen des prosaischen Lebens. Der Student ist es, welcher mit keckem Muthwillen der beschränkten Philisterwelt

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

177

gegenübertritt, die eigene Gelehrsamkeit bei Wein und Bier parodirt, und sich in mannigfaltigen Thorheiten und Narrheiten austobt. Es gehen endlich die Volkslieder aus der Sphäre der ständi­ schen Partikularität über auf die Betrachtung der allgemeinen Zu­ stände der Zeit, wodurch sich die Eigenthümlichkeit des Volksliedes immer mehr verwischt, indem Witz, Urtheil, Reflexion das gestal­ tende Element des Liedes wird, weshalb auch der dichterische Ge­ halt meist sehr unerheblich ist. Diese Richtung tritt auch erst vor­ nehmlich im 16. Jahrhundert hervor. Es sind politische Lieder, von welchen die älteren die an Deutschland's Fürsten und Ritter­ schaft gerichteten Mahn- und Rügclieder sind, während die jüngeren hauptsächlich Angriffe gegen den Pabst und das gestimmte katholi­ sche Kirchenwesen enthalten oder den Kaiser in seinem Streben wider die deutsche Freiheit bekämpfen [246], Die politischen Lieder führen zu einer mit diesen verwandten Klasse von Liedern, nemlich zu den epischen Volksliedern, welche sich aus historische Begebenheiten und Personen beziehen. b. Das epische Volkslied.

Da bei der Zersplitterung des deutschen Reichs, aus der sich noch keine selbstständige und durchgreifende Gewalten herausbilde, ten, von den einzelnen Ständen nur selbstsüchtige Zwecke geltend gemacht wurden und selbst auch die Städte nur eine isolirte Stel­ lung zu der Gesammtheit des Staats einnahmen, so war Gleich­ gültigkeit für die gemeinsamen Interessen des Vaterlandes überall vorherrschend. Es beschränkten sich daher zunächst die historischen oder epischen Volkslieder auf Kriege und Fehden zwischen Adel und Städten, auf Belagerungen und Erstürmungen von Städten und Schlössern, auf Geschichten von Wegelagerern, Land- und Seeräu­ bern. Es fehlte an großartigen Ereignissen, die mächtig genug wa­ ren, um das Interesse eines ganzen Volkes zu erregen, und es kam die Anregung zu dem eigentlichen historischen Volkslied nicht unmittelbar aus Deutschland, sondern sie ging von der Schweiz aus, wo der glorreiche Kampf gegen Oesterreich sich sehr bald zu einem Kampf republikanischer und aristokratischer Principien aus­ bildete und sich in Folge von bedeutsamen Siegen der Begriff ei­ nes einigen, freien, selbstbewußten Volkes lebendig gestaltete. Die Lieder, welche die Schlachten bei Sempach, bei Näfels, bei Mur­ ten besangen, erkämpften dem deutschen Volksliede so gut seine Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von der ritterlichen Poesie, Biese deutsche Literaturgeschichte I. 12

178

Vierte Periode. Bon der Witte des vierzehnten

wie die Schlachten selbst dem Volke, das sie gewann, seine Freiheit[247].

Es kann hier besonders Halb-Suter's Lied auf die

Schlacht bei Sempach (1386) (herausg. in der Züricher Zeitschr. für Vaterland. Alterthumst. 1842. 43. Hst. 4.) und Veit Weber's Lied

auf die Schlacht bei Murten (1476) (herausg. von Heinr. Schreiber. Freiburg 1819.) hcrvorgehoben werden. Beide Dichter hatten in den

Schlachten

selbst

mitgefochten.

Die Erzählung

ist lebendig und

rasch fortschreitend, namentlich in dem Scmpacherlied, wo der Ton

des alten Volksgesangs herrscht; kurz werden die einzelnen Ereig­

nisse skizzirt, oft nur angedeutet, und es bleibt die Ergänzung feh­ lender Mittelglieder der Phantasie der Hörer überlassen; außerdem kehren hier auch wieder die kecken Späße und Ironien, die der

altdeutschen Heldensage eigenthümlich sind.

Ein ähnlicher Kampf,

wie in der Schweiz, wurde an der nördlichen Grenze Deutschlands

bei den Dilhmarscn (1500) geführt und wurde in Volksliedern be­ sungen [248], aus welchen die Vaterlands- und Freiheitsliebe des ehrlichen Bauern gegenüber den stolzen Unterdrückern spricht und das fromme Vertrauen auf Gott, der die Unterdrückten, wenn sie

Recht hätten, nicht würde verderben lassen.

An der östlichen Grenze

Deutschlands gaben die Hussitenkriege in Böhmen Veranlassung zu

historischen Volksliedern.

Während die Schweizerlieder ihre Haupt­

wirkung darin hatten, Mannkraft und Herz für Vaterland und ei­

genen Besitz zu erwecken, gestalteten sich dagegen innerhalb Deutsch­ lands die historischen Lieder nicht so lebendig, zumal da auch die Bewegungen der unteren Stände hier von keinem Glück begleitet waren. Alle großen, bedeutsamen Ereignisse geschahen an den Gren­ zen, und im Innern Deutschlands behielt die Dichtung eine mehr

moralische, als politische Tendenz.

Doch mit der Reformation tra­

ten Ereignisse ein, welche das nationale Bewußtseyn erweckten und

belebten und das historische Volkslied begünstigten.

Es entstand

bald eine reiche Fülle von Liedern, welche die Helden der Reforma­ tion, die Ereignisse des Bauernkrieges, die Schlacht bei Pavia, die Belagerung Wiens durch die Türken, die Kämpfe und Händel der

Fürsten unter sich und mit dem Kaiser zum Gegenstand hatten. Nach der Mitte des 16. Jahrhunderts tritt aber eine gewisse Er­ mattung ein; es schwindet die alte Kraft, Fülle und Lebensfrische;

die Zeit wird immer ernster und prosaischer, und die aus der be­

ginnenden Noth hervorgehenden materiellen Bestrebungen verwischen den poetischen Hauch in den Liedern, welche immer formloser wer­ den und ausarten in gemeine Betrachtungen und rohe Satire.

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

179

2. Das religiöse Volkslied.

Es ist hier zuerst zu berücksichtigen, ob das Religiöse sich zu

erkennen giebt, wie es eingegangen ist in die Beschränkung der na» tionalen Anschauungsweise, oder ob die Religion als die höhere ge­

offenbarte Wahrheit durch Lieder im Volkston ihren Ausdruck ge­ winnt.

In der ersteren Beziehung tritt uns die dichtende Volkssage

entgegen, wie sie einzelne Abschnitte aus dem Leben des Heilandes,

der Maria oder verschiedene Momente aus dem Glaubensleben wei­ ter ausgesührt und für die religiöse Betrachtung lebendig gestaltet

hat.

Hieraus entstanden Lieder von der Anbetung des Christkin­

des, von den Wundern und Leiden des Heilandes, von den Wun» derthaten der Maria; ferner Lieder, die sich bezogen auf die Macht

der Sünde, welche nur durch den Glauben zu Überwinden ist, wie das Lied vom wilden Jäger, vom Tannhäuser, oder die Lieder vom Doctor Faust und die sogenannten Judenlieder, oder das Lied vom Tod und der Ewigkeit. Eindringlich wird in allen diesen Liedern

gemahnt zur Ablegung der Sünde [249]. Die religiösen Volkslieder [250], welche die christliche Wahr­ heit zu ihrer Grundlage haben und die im Ton und Geist des

Volks gedichtet wurden, treten im 14. Jahrhundert besonders zuerst bei Bittgängen, Wallfahrten und Umzügen hervor, auf welchen sie

vom Volke gesungen wurden. Ferner schlossen sich die Lieder an die christlichen Hauptfcste an, wie die Weihnachts-, Oster- und Psingstli'eder, von welchen sich mehrere erhalten haben. Hermann, Benedictinermönch zu Salzburg, war für das geistliche Lied und

den deutschen Kirchengesang thätig. Mit Hülfe eines LaienpriesterS Martin übersetzte er eine Anzahl der damals in der Kirche gesun­ genen lateinischen Hymnen und Sequenzen. Es war dies einer der ersten Versuche, an die Stelle der für die Gemeinde unverständ­

lichen lateinischen Gesänge deutsche zu setzen.

Hermann wurde zu

seiner Uebersetzung von Pilgrim, Erzbischof zu Salzburg und Legat zu Rom (1366—96) aufgefordert, und erhielt zum Lohn sei­

ner Bemühungen eine Ritterpfründe [250b],

Doch wenn sich auch die Dichter bemühten in die Vorstellungsweise des Volks einzuge­ hen, so haben die Lieder selbst doch einen mehr

Charakter.

kirchlich-gelehrten

Am meisten volksmäßig erscheinen die Leisen, welche

die Flagellanten (1349. 1350) zur Zeit der Pest auf ihren Um­ zügen sangen.

Man sing auch in der ersten Hälfte des 15. Jahr­

hunderts an, religiöse Lieder in der Versart beliebter Volkslieder

12*

180

Vierte Periode. Don der Mitte des vierzehnten

zu dichten oder man legte den weltlichen Melodien einen geistlichen

Text unter.

Der fruchtbarste Dichter geistlicher Lieder scheint im

15. Jahrhundert Heinrich von Laufen berg, Dekan des Dom­ capitels zu Freiburg im Breisgau, gewesen zu seyn; seine Wirk­

samkeit fällt zwischen 1415—1458.

Volksmäßiger gestalten sich die

Lieder dadurch, daß sie aus der Betrachtung der göttlichen Offen­

barungen übergehen auf das Wirken derselben im Herzen der Men­ schen und

somit eintreten in die wahrhafte Empfindung, in die

Darstellung des im eigenen Herzen Erlebten.

Ganz im Volkston

ist das Weihnachtslied „In dulci jubilo,“ auS welchem der volle

Es erhielten auch nach und nach ein­

Jubel der Christfreude tönt.

zelne solcher Volkslieder Eingang in die Kirchen, und im Jahr 1492 wurde in einer Synode zu Schwerin den Geistlichen gestat­ tet, die nach der Messe vorgeschriebenen lateinischen Gesänge mit deutschen zu vertauschen. Indeß gewann das Kirchenlied erst seine rechte Selbstständigkeit durch die Reformation, welche die Trennung zwischen Klerus und Laien aufhob, und die Erkenntniß der Sünde und die Erlangung des Heils zur eigenen Herzensangelegenheit je­

des Einzelnen machte. Jetzt erst gestaltete sich das geistliche Lied wahrhaft volksmäßig, indem es das im eigenen Inneren wirklich Erlebte auf allgemein gültige

Weise

aussprach und zugleich ein Luther

Hauptbestandtheil des öffentlichen Gottesdienstes wurde.

war es, der bei der Kraft und Innigkeit seiner religiösen Begei­

sterung der Schöpfer des protestantischen Liedes ward, und der geist­

lichen Lyrik eine neue Gestaltung gab. Seine Lieder, welche aus dem inneren Quell ächter Religiosität und Glaubenskraft hervorgin­ gen, ergriffen die innersten Seiten des Volkslebens und wurden ein

Eigenthum aller Stände und Classen des Volks. Die drückenden politischen Verhältnisse' Deutschlands hatten schon seit langer Zeit das Volk mehr zum frommen Dulden, als zu geisteskräftiger Thä­

tigkeit und frohem Nationalgefühl aufgefordert. Es richtete sich einer gährungsreichen Zeit der Blick nach Innen, und es fanden die Gemüther den einzigen Halt an

in den trostlosen Zuständen

den Tröstungen der Religion; diese ward daher auch eine gemein­ same Angelegenheit

und Luther

Liedern den innersten

tritt

Nerv

in den Mittelpunkt

traf in seinen

der

glaubenskrästigen

Die geistliche

Dichtung

Poesie, und sie blieb,

während

der Zeit.

immer mehr an innerem Gehalte ver­ die einzige poetische Gattung, welche den höheren

das weltliche Volkslied lor,

lange

Gehalt der Poesie bewahrte.

Sowie die Reformation den eng-

181

bis zum Ende des sechszehnten Ja-r-mndertS. sten Bund

zwischen dem Volk und feinen] gelehrten Vorfechtern

vollendete, so verknüpfte sich in dem Kirchenliede das-Volksmäßige mit dem Gelehrten, und da in dem protestaintischen Deutschland sich jetzt die Fortbewegung des geschichtlichen Lebens concentrirte, so

wandte sich auch die Dichtung von dem Süden nach dem Norden

[251].

Es wurde Sachsen, Thüringen, Schlesien die Heimath des

protestantischen Kirchenliedes, und von da

verbreitete sich dasselbe

weiter nach dem Norden, namentlich nach Preußen. seinen 36 Liedern (herauSg. von Winterfeld.

Luther gab in

Leipzig 1840.), die außer

den eigenen Liedern besonders Nachdichtungen von lateinischen Hym­ nen oder Psalmen sind, den Weg an, welchen die nachherige geist­

liche Liederpoesie verfolgte.

Ebenso eröffnete

er bei seiner Begei­

sterung für Musik, die in einer innigen Beziehung zu seiner Fröm­ migkeit stand, neue Bahnen für die Melodien zu den Kirchenliedern,

und vervollkommte und ordnete den Choralgesang der Gemeinde. Er componirte, wie auch seine nächsten Nachfolger- zum Theil selbst seine Lieder oder gab die Melodien dazu an die Hand.

In seinen

Liedern lassen sich zwei Hauptrichtungen unterscheiden, nach welchen

sich das Kirchenlied spater weiter gestaltete: die eine ist das mehr subjective Gelegenheitsgedicht

oder Andachtslied, wie es entsprang aus individueller Lage und Gemüthsstimmung [252]; sol­

chen Andachtsliedern liegen zuweilen Psalmen zu Grunde, ohne daß sie aber eine bloße Paraphrase des Psalmentertes sind, z. B. „Ein' feste Burg" u. s. w. ist nach Psalm 46; „Ach Gott vom Himmel

sieh darin" u. s. w. nach Ps. 12;'„Es woll' uns Gott genädig

seyn" u. s. w. nach Ps. 67; „Aus tiefer Noth schrei ich zu Dir" u. s. w. nach Ps. 130. Die meisten geistlichen Lieder aus älterer Zeit haben ihren Ursprung in bestimmten, individuellen Lebenszu­ ständen; die andere Richtung ist durch das mehr objective religiöse

Glaubenslied bestimmt, welches, zum liturgischen Gebrauch sich eignend, Kirchenlied wurde. In der ersteren Richtung ent­

standen außer den aus individuellen Anlässen hervorgegangenen Lie­ dern die häuslichen Erbauungs- und Andachtsgedichte, welche zu­ gleich die weltlichen Volkslieder verdrängen sollten, weshalb man

auch beliebte Volkslieder mit ihren Melodien in geistliche umdich« tete [253]. In diesen zur Erbauung gedichteten Liedern ist das be­ lehrende Moment vorherrschend, und das musicalische tritt mehr zurück, doch ist beides volksmäßig gehalten.

In dem eigentlichen

Kirchenliede dagegen ist das Didaktische durch das neue Glaubens­ dogma bestimmt und das Musicalische erhob sich in einem mehr

182

Vierte Periode. Bon der Mitte de- vierzehnten

hymnologischen und psalmenartigen Ton über die Volksmelodirn.

Das wahrhaft Poetische im Kirchenliede ist der lebendige, innere Trieb des Glaubens, der in seiner festen Unerschütterlichkeit jene alten Lieder als Wehr und Waffe gegen Noth und Trübsal hervor­

rief.

Die Muse war hier der heilige Geist, welcher Text und Me­

lodie zugleich eingab.

Das protestantische Kirchenlied hielt sich in

der Mitte zwischen dem altkirchlichen lateinischen Hymnus und dem Kirchenliede der Neformirten, welche dem Kirchengesang abgeneigt

jede gefühlsmäßige Erhebung verschmähten; es ist dazu bestimmt,

in einer Gemeinde gesungen zu werden, die sich im gläubigen Ge­

müthe in der Kirche versammelt, um dort Trost und inneren Frie­

den zu gewinnen bei der Vergänglichkeit alles Irdischen. Die geistlichen Liederdichter unter Luther's nächsten Zeitgenos­ sen sind lebendig durchdrungen von den großen Wohlthaten des Erlösungswerkes, das im Glauben ergriffen den ganzen inwendigen Menschen im Thun und Leiden, in seinen Pflichten und Hoffnun­

gen verklären und ein Motiv seiner Besserung und eine Quelle sei­ ner Erheiterung werden soll.

Sie stellen den Inhalt der neuen

Glaubenslehre nicht sowol an sich dar, als vielmehr das dadurch

erregte Gefühl, den im Innern gewirkten Zustand des Gemüths. Michael Weiß, welcher Pfarrer in der Brüdergemeinde zu Lands­

krone war, und um 1540 starb, übersetzte die Gesänge der Hussiten mit ihren mystisch katholischen Bildern. Ihr Zweck ist, den Ernst zum Herrn wiederherzustellen und vom Weltsinn abzurufen; von Weiß ist das bekannte Begräbnißlied: „Nun laßt uns den Leib

begraben."

Erasmus Alberus starb 1553 als Generalsuperin­

tendent in Neu-Brandenburg; seine Lieder sind eindringlich und kräftig; seine polemische Satire gegen die Papisten zeugt von der Zeit der ersten heftigen Anfechtungen. Nicolaus Dr­ ei us geb. 1479 und gegen 1524 Prediger in Stettin („Allein

Gott in der Höh" — „O Lamm Gottes"). Paul v. Sprette n 1484—1554 Bischof in Preußen („Es ist das Heil" — „Ich ruf zu Dir"). Nicolaus Hermann, Cantor zu Joachimsthal in Böhmen, starb 1559 („Erschienen ist der herrlich Tag" — „Lobt Gott ihr Christen allzugleich"); ihm lagen nicht die Theolo­

gen und Gelehrten am Herzen, sondern seine Jugend und seine Bergleute, für die er schlicht und einfältig zu.reimen suchte. Bar­

th ol. Ringwaldt (1530 — 1590), Pfarrer zu Langseld in der

Mark („Allein auf Gott" — „Herr Jesus Christ, Du höchstes

Gut").

Nicolaus Selnecker (1532 — 92),

Superintendent

und Prof, in Leipzig („Ach bleib bei uns Herr Jesu" — „Laß

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts. mich dein seyn" — „Ach Gott wem soll ich klagen").

183 Martin

Schakling (1532—1608), Prediger zu Nürnberg, („Herzlich lieb

hab' ich dich o Herr"). Neben diesen geistlichen Poesien dauerten die gereimten Para­ phrasen biblischer Stücke, namentlich der Psalmen fort; maw hielt für das geistliche Lied mehr das Psalmistische fest, und es entstan­

den verschiedene Psalmcnübcrsetzungen. Schlicht und einfach wur­ den die Psalmen von Hans G am ersseld er (Nürnberg 1542) über­

tragen; kunstreicher und mehrparaphrasircnd von Burkard Waldis (Frankfurt 1553). Die Uebersctzung des Ambrosius Lobwasser

in Königsberg (f 1585) ist schon die kunstreichere Arbeit eines Ge­ lehrten und Sprachkenners (Leipzig 1573), in welcher sich die erste Aufmerksamkeit auf französische Literatur zu erkennen giebt, indem

die Psalmen nicht nach dem Lutherischen Text, sondern nach fran­

zösischen Psalmen übertragen sind. Die geistliche Liederdichtung sank herab,

sobald jener innere

aus dem Glauben hervorgehende Drang der religiösen Begeisterung fehlte. Es traten dann theils trockene Reimereien von Evangelien,

Episteln, von Katechismen und Bibelstellen ein, für die häusliche An­ dacht bestimmt, wie besonders bei Helmbold (1532—1598), theils führte der Gebrauch weltlicher Gleichnisse und Bilder zu den spie­

lenden Tändeleien der katholisirenden Manier, theils wurde auch in

Folge der theologischen Streitigkeiten ein trockener Dogmatismus in den Liedern herrschend. Man kehrte auch zurück zu der meistersängerlichen Richtung der Frauenlobschen Manier mit ihren allego­ rischen und schwülstigen Ausdrücken, und an die Stelle von Luther's

Glaubensfreudigkeit trat eine trübe Ascetik.

Philipp Nicolai

azis Waldeck (1556 —1608), zuletzt Pastor in Hamburg, beginnt in seinen Liedern auf den Erlöser die spielenden Tändeleien mit Bildern, die von dem Verhältniß des Bräutigams zur Braut her­ genommen sind; auch eine trübe ascetische Richtung verfolgte er, indem er sich während seiner Leideszeiten von der Welt weggcwen-

det und sich besonders in die Frage vom ewigen Leben vertieft hatte.

Zu seinen berühmtesten Liedern gehören: „Wie schön leuchtet der

Morgenstern," „Wachet auf, ruft uns die Stimme."

C. Dramatische Poesie. 1. Die Entstehung des Dramas. Den Ausgangspunkt für die Gestaltung der dramatischen Poesie bildete der kirchliche Cultus in seiner Verbindung mit weltlicher

184

Vierte Periode. Don der Mitte des vierzehnten

Lust und Festlichkeit. Die Poesie erzeugt auf naturgemäße Weise aus sich das Drama, nachdem sie das Lyrische und Epische so weit durchgeführt hat, daß beides sich zusammenfaßt zur Handlung, die aus dem innern Wollen und Charakter hervorgehend nur Bedeu­ tung' erhält durch den Bezug auf subjective Zwecke und Leidenschaf­ ten, und, in der Form der unmittelbaren Gegenwärtigkeit vorge­ führt, Alle zur Theilnahme auffordert; weshalb das Drama ein regsames öffentliches Leben voraussetzt. Es entwickelte sich daher dasselbe auch erst um den Ausgang der ritterlichen epischen und ly­ rischen Poesie, nachdem die volksmäßige Auffassungsweise in die einzelnen Dichtungsarten eingedrungen war und ein reicheres Leben sich in dem dritten Stande des Volks entfaltete. Das Drama be­ darf der populärsten Allgemeinheit, da es durch seine Oeffentlichkeit für Alle da seyn und mit der Gewalt der Gegenwart wirken will. Bei der zunehmenden Schaulust ging immer mehr der Sinn für das Plastische auf uud gab sich zu erkennen in der Vorliebe für Allegorien, deren Zweck, ist, das Uebersinnliche zu versinnlichen und der im Innern erfaßten allgemeinen Bedeutung auch nach außen hin eine anschaulichere Entfaltung zu geben [253b]. Da nun die Religion die allgemeine Weltanschauung eines Volks enthält, so gewinnt an derselben das Drama zu seiner Entwickelung eine be­ stimmte Grundlage [254]. Früh lag es schon im Bedürfniß des kirchlichen Cultus, die einzelnen Abschnitte aus dem Leben Christi, besonders die Geburtsgeschichte des Heilandes, seine Leiden, Aufer­ stehung und Himmelfahrt durch mannigfaltige Verbildlichungen der Anschauung näher zu bringen. Dies geschah theils durch Bilder und Gemälde, theils vertauschte man die Gemälde mit sinnbildli­ chen Darstellungen durch wirkliche Personen, nachdem die Ausbil­ dung des mimischen Talents von dem improvisirenden Volksschau­ spiel ausgegangen war. Früh gab es schon Mimen, Histrionen, Joculatoren, welche als Gaukler und Possenreißer umherzogen, um bei Feierlichkeiten, Hochzeiten und Gelagen durch Tanz, Gesang und mimische Späße zu belustigen [254b]. Sie gefielen sich auch in allerhand Mummereien, und schon in der Karolingschen Zeit hatten sie eine Art von Vorstellungen, wobei sie Priester- oder Mönchskleidungen anlegten. Solche Verkleidungen und possenhafte Vorstellungen gingen auch auf christliche Feste über, auf das Weih­ nachtsfest, auf das Fest der heiligen drei Könige. In solchen Auf­ führungen lassen sich die ältesten dramatischen Actionen erkennen, und hierzu gehören auch noch Darstellungen von dem Kampf

185

bis zum Ende deS scchszehnten Jahrhunderts.

zwischen Sommer und Winter, was auch das Lod austreiben

hieß, indem man ein aus alten Lumpen zusammengesetztes Götzen­ bild nebst grünen Tannenbäumen unter Gesängen aus den Straßen umhertrug und dann dasselbe ins Wasser warf [255].

sinnbildlichen

Darstellungen,

durch

welche

Diejenigen

in den Kirchen

dem

Volke eine Anschauung von den göttlichen Offenbarungen in dem Leben Christi gegeben werden sollte, hießen Mysterien [256], wel­

cher Name besonders in Frankreich die übliche Bezeichnung war, während man in Deutschland den allgemeineren Ausdruck Spiel Man verstand unter „Mysterie" zuerst besonders die Kreuzigung, das Begräbniß und die Auferstehung des Heilandes. gebrauchte.

Dies geistliche Spiel hatte daher drei Theile und wurde an drei

Tagen, am Charfreitag, am Sonnabend und Sonntag vor Tagesan­ bruch aufgcführt. Es liegt in der Passionsgeschichte an und für sich schon etwas Dramatisches, indem die evangelische Erzählung

eine Menge Personen redend einführt und um den leidenden Chri­

stus sie gruppirt.

Da nun die herumzichenden Gaukler und Mi­

men vorzüglich an Kirchfesten, wo sich viel Volk zu versammeln

pflegte, ihre Vorstellungen nahe bei den Kirchen auf den Friedhöfen

zu geben pflegten, so rückten ernste und heitere, feierliche und komi­ sche Darstellungen nahe an einander.

Hierzu kam noch, daß die

Gaukler und Mimen die Art und Weise der Mysterien nachahmten, und später als die Festlichkeiten sich erweiterten, auch ihre Hülfe

in Anspruch genommen wurde; hierdurch mischten sich profane Ele­ mente ein und in den ernsten Gang der heiligen Handlung fügten

sich komische und possenhafte Austritte und Reden.

Markt und

Messe mit allen ihren natürlichen Unterhaltungen neben der Kirche boten zu der ernsten Feier das heitere Zwischenspiel dar[257].

An­

knüpfungspunkte für komische, possenhafte Zuthaten fanden sich in denjenigen geistlichen Spielen, welche die Höllenfahrt Christi oder

das Leben der Maria Magdalena vor ihrer Bekehrung zum Ge­

genstand hatten; hier waren die Teufel die lächerlichen Personen [258]; außerdem lag in dem gewinnsüchtigen Judas ein komisches

Element, indem er um die dreißig Silberlinge mit Kaiphas zankt, weil dieser sie ihm in schlechter Münze auszahlt; ferner fand sich bei dem Einkauf der Salben und Spccereien durch die drei Ma­ rien, bevor sie das Grab besuchten, Gelegenheit zu komischen Zwi­

schenspielen; die lustigen Figuren bilden hier ein Kaufmann oder Marktschreier (Rubin) [259], sein Weib und ein Knecht. Anfangs, als der Schauplatz noch die Kirche war, und von

186

Vierte Periode.

Von der Mitte de- vierzehnten

Geistlichen die Mysterien angeordnet und dargestellt wurden, hielt sich die Handlung streng an die Bibel und an die kirchliche Ueber­

lieferung.

Die Darstellung selbst war durchweg ernst gehalten, und

die Sprache für das geistliche Spiel war lateinisch. Unter den bis­

her aufgefundenen Mysterien gilt als das älteste der ludus paschalis de adventu et interitu Antichristi von Wernher von Te­

gernsee aus dem 12. Jahrhundert.

Doch schon im 13. Jahr-

dert wurden zwischen dem lateinischen Tert deutsche Strophen, den Laien zu gefallen eingeschoben. Hierher gehört das aus dem 13.

Jahrhundert überlieferte Leiden Christi [260], welches durchweg gesangweise muß dargestellt seyn; es sind drei deutsche Gesänge ein­

geschoben, und dem Volke zu Liebe erscheint der Teufel, doch nur als stumme Person neben Maria Magdalena und hängt zum Schluffe den Judas. Mit dem 14. Jahrhundert erhält die deutsche Sprache immer mehr das Uebergewicht. Es haben sich noch einzelne dramatisirte Theile der Leidens- und Auferstehungsgcschichte erhalten, wie

die Marien-Klage, aus zwei Theilen

bestehend,

der Passion

nebst der Klage und der Auferstehung (planctus Mariae virginis

und ludus de nocte Paschae); ferner zwei Darstellungen der Auf­ erstehung Christi [261].

Alle diese Stücke sind melodramatisch be­

handelt ; die Reden sind fast durchgängig deutsch.

Auch hat in die­

sen Stücken, mit Ausnahme der Marien-Klage, weltlicher Inhalt und der komische, possenhafte Ton Eingang gesunden. Früh schon erhob sich gegen die Einmischung profaner Elemente in die geistli­ chen Spiele eine Opposition, und es giebt aus dem 13. und 14. Jahrhundert Verbote sowol

der Provinzialsynoden

als auch der

Bischöfe, welche die Aufführung der Schauspiele in der Kirche und

die dabei stattsindenden possenhaften Auftritte untersagten; dennoch erhielten sich diese Spiele und gewannen außerhalb der Kirche noch eine volksmäßigere Gestaltung- Seit dem 15. Jahrhundert, aus welchem wir erst vollständig auf uns gekommene Stücke haben,

wurde die Theilnahme des Volks immer größer, und die Schaulust und die laute Festfreude war überall im

Steigen begriffen;

die

Passionsstücke und Mysterien sind über ganz Deutschland ausge­ breitet; sie treten aus der Kirche auf den Markt, beschäftigen bei der Aufführung eine Masse Personen und füllen öfter mehrere Tage aus[262]. Statt des komischen Zwischenspiels tritt auch bisweilen ein heiliges aus dem alten Testament ein.

Wie das episch geist­

liche Gedicht zur Legende und von dieser auf die Volksnovelle und

den Volksschwank überging, ebenso zeigt sich in dem geistlichen

bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts.

187

Drama ein ähnlicher Verlauf. Den Uebergang von geistlichen Spielen mit biblischem Inhalt zu solchen, die aus der Legende er­ wachsen sind, stellt Marien Himmelfahrt dar, welche aus fünf Handlungen besteht, der Apostel Theilung, Maria Tod, Begräbniß, Himmelfahrt und Zerstörung Jerusalems. Eine dramatisirte Legende ist das Spiel von der h'eiligen Dorothea, der Anfang eines größeren Mysteriums, dessen zweiter Theil vielleicht die Be­ kehrung des Theophilus enthielt. In einer anderen dramatisirten Legende, in dem Spiel von Frau Jütten, 1480 von einem Geist­ lichen, Theoderich Schernberg, sind Himmel und Hölle im Kampfe. Die Teufel gebrauchen die Jutta als Werkzeug zu ihren Zwecken, und erheben sie dafür zum Pabst, bis endlich Christus ihr, nachdem sie ein Kind geboren, durch den Engel Gabriel den Tod senden läßt. Sie kommt in die Hölle, und von den Teufeln ge­ peinigt, fleht sie die Maria um ihre Fürbitte an, und durch Jesu Bermittelung wird sie erlöst und in den Himmel geführt [263]. Bon solchen geistlichen Spielen, in welchen die Elemente des Tra­ gischen und Komischen noch mit einander verbunden sind, war der Uebergang zur Posse leicht, die im Epischen dem volksthümlichen Schwanke entspricht. Die Fastnachtsspiele waren es, welche den Ausgangspunkt für die selbstständige Entwickelung des Komi­ schen bildeten. Während die geistlichen Stücke zu größerem Ernste zurückkehrten und die possenhaften Scenen absonderten, baute sich die Komödie auf dem Grunde der Fastnachtsstreiche auf, die bei verschiedenartigen Vermummungen mimische und allegorische Dar­ stellungen burlesker Art und Stegreifreden von selbst darboten. Zu­ gleich haben aber auch alle Fastnachtslustbarkeiten eine Beziehung auf eine heilige Zeit; denn es folgt alsbald Aschermittwoch, um desto nachhaltiger an den Ernst des Lebens zn erinnern. Am besten charakterisirt die Fastnachtsstreiche das Narren schneiden von Hans Sachs; der Mensch soll sich austobcn, und auch seine letzten Thorheiten los werden, um einer ernsten Zeit desto empfänglicher entgegen zu gehen. Wie nun die geistlichen Spiele in Kirchen und auf öffent­ lichen Plätzen aufgeführt wurden, so sanden die Fastnachtsspiele ihre Stelle in Privathäusern, wo sich gerade lustige Gesellschaften zu Fastnachtsschmauscreien versammelt hatten, und hier trat alle Ausgelassenheit, Derbheit und Unschicklichkeit hervor, wie in der Volksnovelle, welche von dem Verlachen der Thorheiten überging zu einem Verhöhnen alles dessen, was ans Höhere und Ideelle streifte und in einem muthwilligen, schadenfrohen Mutterwitz ihren

188

Vierte Periode.

Mittelpunkt fand [264].

Don der Mitte des vierzehnten Es

erhob sich

daher das Lustspiel in

Deutschland nicht über die Sphäre der Posse, während es in Frank­

reich und Spanien für ein feineres Publicum zugerichtet wurde.

Für die Fastnachtsspiele waren Kupplergeschichten, Ehescandale und

bäurische Hochzeiten die Lieblingsstoffe, und als die geläufigste Form bot sich die Proceßform dar [265]-;' denn der Proceß, wie der Markt und Handel sind die natürlichsten Vorbilder des Schauspiels im

Leben selbst.

Es verband sich das Fastnachtsspiel mit Satiren und

Pasquillen, mit Parodie und Schwank, und ließ sich zu allen Zu­ ständen der gemeinsten Wirklichkeit herab, wo es aller ideellen Würde entkleidet war. 2.

Die dramatischen Dichter.

Für eine durchgreifende Gestaltung und Förderung des Dra­ mas fehlte es in Deutschland an dem Zusammenwirken in einer Hauptstadt, welche, wie in Frankreich und Spanien, als Mittel­

punkt des öffentlichen Lebens, der gesellschaftlichen Sitte und der

geistigen Bildung der Nation sich geltend machte. Diejenige Stadt, welche als die ächte Repräsentantin des deutschen Städtewesens er­ scheint, war Nürnberg[266], wo die neuen Ideen mehr, als an­

derswo, ein Gemeingut des Volkes wurden, in die Massen ein­ drangen und sich des volksthümlichen Bewußtseyns bemächtigten.

Es herrschte in Nürnberg eine Rührigkeit und Thätigkeit unter den

Bürgern, wie sie sich nur gestalten konnte bei einer freien, unge­ hemmten Entwickelung des Volkslebens, und hieraus ging ein gei­ stiger Aufschwung hervor, der sich besonders zu erkennen gab in der

Richtung der Einwohner auf eine freiere, religiöse Gesinnung, und diese wurde noch mehr genährt durch das Studium der classischen

Literatur, welches in bedeutenden, classisch gebildeten Männern An­ regung und Pflege fand.

In Nürnberg finden sich nun auch die An­

fänge des deutschen Schauspiels; denn Rosenplüt (der Schnepperer genannt wegen seiner losen Reden), Hans Folz, Hans Sachs, Probst Ayrer bilden den Kern der dramatischen Poesie des 15. und 16. Jahrhunderts. Die Form ist anfangs höchst dürf­ tig und an dramatische Handlung nicht zu denken; es sind bloße

Dialoge, eine Reihe von Unterredungen und Verhandlungen, die theils auf Ertheilung von Lehren und Rathschlägen ausgehen, theils sich um Tagespolitik und Wochenmarktspäße drehen; die Form der

Priamel wird vielfach benutzt, besonders von Rosenplüt.

Oester

zeigt sich treffende Satire und derber Witz, der aber häufig in grobe

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

189

Die Fastnachtsspiele von Rosenplüt und Folz er­

Zoten ausartet.

heben sich noch nicht über die ersten rohen Anfänge; von dem er­ steren läßt das Spiel „von dem Bauer und dem Dock" und „des

Türken Fastnachtsspiel" schon etwas mehr dramatische Anlage er­ kennen [267], Eine polemische Tendenz gegen das Pabstthum er­ hielt das Fastnachtsspiel in Folge der Reformation und diese Rich­ tung giebt sich zuerst vorzüglich in der Schweiz zu erkennen, wo

sich die religiösen Parteien einander schroff gegenüberstanden.

Der

Berner Maler Nicolaus Manuel (f. Schriften herausg. v. Grüneisen. Stuttgart 1837.) verfaßte zwei Fastnachtsspiele, in denen „die Wahrheit in schimpffs weiß vom pabst und seiner Priesterschaft ge­ meldet wird." Die eigentlich classische Form ward erst später von Hans Sachs ausgenommen, wodurch mehr Handlung und Bewe­ gung in das Drama kam; der Dialog gewann an planmäßiger

Entwickelung, indem man durch antike Dramen eine Vorstellung gewann von der Schürzung und Lösung eines dramatischen Kno­ tens, und die Charaktere wurden in bestimmteren Umrissen gezeich­

net.

Hierauf wirkte hin die Kenntniß von Plautinischen und Te-

renzischen Stücken (Hans Nydhardt übersetzte in Prosa 1486 den Eunuch des Terenz; Albrecht v. Eybe übersetzte 1511 die Me-

nächmen und die Bacchides des Plautus).

Auf Schulen und Uni­

versitäten wurde es Sitte, lateinische Komödien aufzuführen, um die Schüler im Conversationslatein zu üben. Reuchlin gab 1498

seine scenica progymnasmata heraus [268].

Indem nun die Auf­

führung von lateinischen Dramen in den Schulen die Neugierde

spannte, und die Stadt doch auch das sehen wollte, woran sich die

Schule ergötzte, so wurde hierdurch der Uebergang des Schauspiels

aus der Schule in das Volk veranlaßt, und Hans Sachs war es besonders, der in der Behandlung den rechten Ton für das Volk traf; der Stoff

seiner

weltlichen Stücke

ist von der Art, daß

leicht zur Darstellung zubereiten ließen.

Die Schaulust ward immer allgemeiner und besonders im Südwesten in Tübin­ gen, Straßburg, Nürnberg, Heidelberg fanden regelmäßige Auffüh­ sie sich

rungen statt.

Es war für das Drama ein lebendiges Interesse er­

regt, das die Gelehrten mit dem Volke theilten, und von der Theil­ nahme an den Aufführungen schloß sich kein Stand aus. Auf diese Weise war nun eine Vermittelung zwischen dem Alten und Neuen

gewonnen, indem man deutsche Stoffe in der classischen Form und Regelmäßigkeit behandelte. Jetzt sing man auch an, ein Schauspiel in Acte und Scenen zu theilen.

Doch blieb die Auffassung der

190

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

antiken dramatischen Form noch sehr äußerlich. auf den Unterschied

Man kam auch

zwischen Tragödie und Komödie, blieb aber

auch hier bei dem bloß Aeußerlichen stehen, indem Hans Sachs

ein Stück eine Tragödie nannte, wenn es einen ganz traurigen,

Komödie, wenn es einen erfreulichen oder wenigstens tröstlichen Aus­

gang hatte. Man behielt meistens noch die alte allgemeine Bezeich­ nung Spiel für jedes dramatische Gedicht bei. Wie nun haupt­ sächlich durch Hans Sachs das Drama mehr nach

der

antiken

Form volksmäßig behandelt wurde, so erhielten durch ihn auch die

Stoffe für die dramatische Behandlung eine Erweiterung und man

ging von den biblischen Stoffen über auf geschichtliche und novel­ lenartige Begebenheiten oder auf Sagen des Volksepos und auf andere Stoffe, die entweder schon im classischen Alterthum oder bei

den romanischen Nationen dramatisch behandelt waren [269]. Einen

bedeutenden Einfluß übten aber gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf die weitere Gestaltung des volksthümlichen deutschen Dramas

die sogenannten englischen Komödianten aus [270], welche wahrscheinlich selbst Engländer waren und auf ihren Reisen zum

Erwerb ihre Stücke in englischer Sprache aufführten. men wurden deutsch bearbeitet und fanden durch

Diese Dra­

die mannigfal­

tigen aus dem Volksleben gegriffenen Scenen, durch das Possen­

hafte des Narren, durch den Hanswurst [270b], der nicht fehlen durfte, wogte der Gegenstand ernst oder komisch seyn, und endlich durch

ein

geräuschvolles

Schaugepränge

großen

Beifall.

Die

solche Schaustücke in den Hinter­ grund, und der derbe Volksgeschmack drängte sich entschieden wieder Schulkomödien traten gegen

hervor.

Zauberschwänke, Schlachten, Gewitter, Teufelstänze, Auf­

züge, Feuerwerke und Gesang gaben die Unterhaltung ab, und das Fastnachtsspiel und die Narrenposse erhielt wieder neue Bedeutung.

Der Procurator und Notar Jacob Ayrer gegen Ende des 16.

und zu Anfänge des 17. Jahrhunderts, der sich in seinen Fast­

nachtsspielen und den Dramen aus der altrömischen Geschichte an Hans Sachs anschließt, lehnt sich besonders in der dramatischen Behandlung romantischer Geschichten und Novellen vielfach an das

Theater der englischen Komödianten und wirkte durch Lach- und Schreckmittel

auf den

Effect

hin.

In

seinen Fastnachtsspielen

fehlte ihm der leichte Humor und die anziehende Gemüthlichkeit

Hans Sachsens.

Er schrieb auch Singspiele, die ersten dieser

Art, in welchen die Melodien beliebter Volkslieder wiedertönten.

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts. v.

Didaktische

191

Poesie.

In der vorigen Periode entwickelte sich die didaktische Poesie,

indem sie ausgehend vom objectiven Spruch, von der im Bewußt­

seyn des Volks

und der Zeit

ausgeprägten Spruchweisheit, sich

durch die Priamel als die Zusammenfassung vieler einzelnen con-

creten Anschauungen unter einen

allgemeinen Satz des ethischen

Lebens weitergcstaltete zum Lehrgedicht, zu einem umfassenden Er­ kennen der leitenden Principien für die Gefühle, Vorstellungen und Handlungen, um zu beurtheilen, was im Empfinden und Denken

die Wahrhit ausmacht.

Bei dem immer mehr gesteigerten subjec-

tiven Antheil des ethischen Dichters führte die Lehrdichtung endlich zur eigentlichen Sittenpredigt, wie in Hugo's Renner. Durch diese

srüheren didaktischen Gedichte, so wie auch durch Fabeln, moralische Anekdoten und Erzählungen war ein Schatz von Musterbildern des Handelns, von ächter Lebenspraxis und von tüchtiger Nahrung für Herz und Geist gewonnen, so daß eine wirkliche moralische Intel­

ligenz durch das Volk ging, und gerade in Deutschland, wo so viel Sitte bei so viel physischer Gesundheit und Kraft war, eine Rege­ neration möglich wurde, wie sie durch die Reformation herbeigeführt

ward. Bei der allgemeinen Verwirrung und Gährung, die in den öffentlichen Verhältnissen sich zeigte, machte sich als natürlicher Ge­ gensatz in der Tiefe der Nation der gesunde Menschenverstand gel­ tend und warf sich zum Richter der Erscheinungen der Welt auf, und da kein Stand von dem Krebsschaden der öffentlichen Zustände

frei war, so strebte die Dichtkunst vor Allem dahin, den sittlichen

und gesellschaftlichen Zustand zu läutern, und ging immer mehr von allgemeinen moralischen und religiösen Reflexionen über zur Betrachtung der bestehenden Verhältnisse in Kirche und Staat. Der wahrhaften Bestimmung des Menschen gegenüber drängte sich die reelle, erscheinende Welt hervor in dem Zustande ihrer Entar­ tung und Verworfenheit, so daß sich überall die Verzerrung der Idee in den besonderen Gestaltungen des politischen und kirchlichen

Lebens kenntlich machte; hieraus erklärt sich der satirische Cha­ rakterzug in den didaktischen Gedichten dieser Periode, und da der

Widerspruch gegen das Vernünftige als Mangel der rechten Ueber-

legung, als Thorheit aufgefaßt wurde, so'stellte man denselben per­ sönlich in der Gestalt des Narren dar; weshalb die Narren­

poesie eine besondere Bedeutung erhält.

192

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

Die Form, in welcher die didaktischen Gedichte erscheinen, ist entweder rede- und spruchartig, oder erzählend, oder dialogisch. 1.

Die didaktischen Gedichte in Rede- und Spruchform.

Heinrich der Teichner, aus der zweiten Halste des 15. Jahrhunderts, ein Freund und Zeitgenosse Suchenwirts, hält sich noch an die einfache Spruchdichtung, so daß er nur selten die Fa­ bel oder Erzählung zu Hülfe nimmt, weshalb die Lehre das Bei­ spiel fast ganz verdrängt. Er zeigt sich in seinen Spruchgedichten (in trochäischen Versen) als ein ernster, stiller Mann, der dem Gau­ kelspiel der Welt entsagend, mit gesundem Sinn zwar den Lauf der Welt aus der Ferne beobachtet, doch ohne sie aus der Nähe leben­ dig aufzugreifen und dichterisch darzustellen, der die Gebrechen der Zeit kennt, ohne ihre Verderber hart angehen zu können. Auf Hofund Ritterleben giebt er jede Hoffnung auf, spottet des Frauen­ dienstes und wendet sich ab von den parasitischen Hofsängern. So sehr er vom Adel abgeneigt ist, erscheint er doch nicht dem Volke zugewandt. Er wirft richtige Blicke in die Welt, trifft aber den Ton nicht, der sie bekehren könnte, und es gilt von ihm, was er selbst vom Zuschauer beim Schachspiel sagt: er scheint es besser als der Spieler zu verstehen, und sollte er selbst spielen, so würde er es noch schlechter machen [271]. Zu seinem Andenken hat Suchen­ wirt eine kurze, rührende Lobrede verfaßt, in welcher er seinen Freund als das Muster eines biederen Dichters schildert [272]. Suchenwirt lebte am Hose zu Wien und begleitete den Markgrafen Albrecht von Oesterreich auf dem Ritterzug zur Be­ kämpfung der heidnischen Preußen. Seine Lehrgedichte zeigen, daß er sich die Verdorbenheit und Versunkenheit der ritterlichen Welt nicht verhehle (f. das Gedicht „Die red haist der brief") [273], doch ist sein Eifer kein verzweifelter, sondern ein reformatorischer. Er dichtete noch Ehrenreden auf einzelne österreichische Rittersleute und ihre Kriegsthaten, und erscheint recht als die zwischen der älteren und jüngeren Poesie schwebende Mitte. Seine Lehren individualisiren sich gewöhnlich in historischen Thatsachen, wie in seinen Ehren­ reden, und häufig zieht er dem Zeitgeschmack gemäß die allegorische Einkleidung herbei. Es sind deshalb seine Dichtungen lebendiger als die des Teichner, und zeichnen sich, wie Hugo von Montfort ihnen nachrühmt, durch Handgreiflichkeit aus [274]. Hans Vintler, der von sich selbst sagt, daß er „hüpscher vindeler" sey, sammelt aus aller Welt Büchern alle möglichen

193

bis zum Ende des scchsze-nten Jahrhunderts.

Lehren und Beispiele.

In seinem Buch der Tugend, welches

(1487 gedruckt) sich vorzüglich au f ein lateinisches Werk flores vir-

tulum stützt, geht er von der Schilderung der Laster und Tugenden an Beispielen der Vergangenheit zu der Darstellung der Gebrechen seiner Zeit über und macht hauptsächlich die Hoffahrt des Adels, der

Frauen und den herrschenden Aberglauben zum Gegenstand seiner

moralischen Sritif [275].

Am eigenthümlichsten und der Zeitrichtung am entsprechendsten stellen sich die didaktischen Dichtungen in folgenden Dichtern dar:

Sebastian Brant, in Straßburg 1458 geboren, war sechs

Jahr Rechtsgelehrter zu Basel und starb als Kanzler (Stadtschreiber) seiner Vaterstadt 1530.

Er vereinigte die Lebensweisheit, wie er sie

aus den Alten gelernt hatte, auf eine geschickte Art mit der gesunden natürlichen Weisheit und stellt am anschaulichsten den inneren Zusam­

menhang zwischen der humanistischen und volksmäßigen Richtung dar. In seinem Narrenschisf (1494) (herauSg. von Strobel.

Quedlin­

burg 1839.) ging er ganz in die Vorstellungsweise des Volks ein. Er richtet sich gegen die Gebrechen aller Stände und besonders auch gegen das Ueberheben der unteren Stände; sein Gedicht reflectirt

wie in einem Spiegel die in den verschiedensten Gestalten sich zei­

gende Verkehrtheit, so daß sich eben so viele Narren ergeben, die er als die existirende Unvernunft auf seinem Schiff in ihr Vaterland Narragonia fortschaffen will.

Jede Gattung von Narren wird mit

ihren eigenen Schellen nach Schiffsladungen zusammengestellt, die

er mit aller Genauigkeit eines scharfblickenden Beobachters nach dem

Leben schildert

und

mit schonungslosem

Ernste

züchtigt.

Das

Ganze besteht aus 113 Abschnitten, von denen jeder eine besondere Narrheit durchzieht und fast keinen faulen Fleck der Zeit unberührt läßt. Nach Aufhebung der konventionellen Regeln der höfischen Moral und nach Beseitigung aller Hemmnisse überließ man sich in

zügelloser Ausgelassenheit

dem Triebe

der ungezähmtesten Natur.

In dem Capitel „von den groben Narren" bezeichnet Brant den

Grobian [275b], das Rohe und alle Zucht und Anstand Ver­

letzende als den neuen Heiligen, den jetzt jeder feiern will, indem man Narrheit und Sünde mit der Natur entschuldigt, da doch die Vernunft unsere wahre Natur ist.

Entschieden tritt in Brant's Weltansicht und ethischer Beurtheilung die Richtung hervor, durch das Gefühl der Menschenwürde zu bessern; nicht durch die Für­

bitte der Maria, durch Heilthümer und Reliquien ist Sündenver­ gebung zu erhalten, wenn der Mensch nicht selbst sie zu gewinnen

Biese deutsche Literaturgeschichte. I.

13

194 sucht.

Vierte Periode.

Don der Mitte des vierzehnten

Brant betrachtet alle menschlichen Gebrechen als etwas uns

Herabwürdigendes, das unserer Bestimmung entgegen, in widersin­ nige Bestrebungen uns hinreißt, und stellt sie daher als verächtlich

und belachenswerth dar, und erreicht dadurch die Wirkung des Lust­ spiels und der Satire [276]; denn indem wir uns bald als Narren erkennen, sind wir bald geheilt. Es zeigt sich bei ihm überall die

Verschmelzung des christlichen und humanistischen Princips. Kern seiner Lehre ist die Selbsterkenntniß.

Der

Er hält seiner Zeit und

sich selbst den Spiegel vor, der truglos die wahre Gestalt erblicken

läßt.

Er gesteht, daß auch er noch im Narrenkittel gehe und setzt

sich daher selbst in sein Narrenschiff.

Er eifert gegen ein zerstreu­

tes Wiffen, das fruchtlos für das Herz ist, und in Bezug auf die

öffentlichen Dinge klagt er über Abnahme des Christenglaubens und Mangel an Einhelligkeit in Angelegenheiten des Reichs. Sein lebendiges Interesse, eine ächte Volksmoral zu begrün­

den, bewies er darin, daß er die Sittensprüche des Dionysius Cato („Meisters Cato Rath"), welche Lebensregeln in compendiarischer Kürze enthielten, und außerdem Fridank's Bescheidenheit und Hugo's

Renner in zeitgemäßer Form und Sprache bearbeitete.

Wie sehr

er durch sein Narrenschiff den Ton seiner Zeit traf, sieht man aus der großen Anerkennung, die sein Buch überall sand; es erlebte eine Menge Auflagen und Nachdrücke, ward ins Lateinische, Platt­ deutsche, Holländische, Englische und Französische übersetzt, und viel­

fältig commentirt und nachgeahmt. Thomas Murner, geboren 1475 zu Straßburg, strebte als Prediger und Schriftsteller nach dem Ruhme eines Reformators, und

voller Neid und Mißgunst, voll Hochmuth und Dünkel wurde er ein Gegner Luther's, obgleich er das Bedürfniß der Kirchenverbesse­

rung wohl erkannte.

In seiner Narrenbeschwörung (1508) ist

Brant sein Vorbild: jeder Abschnitt hat einen besonderen Titel,

der meistens von einem Sprüchwort hergenommen ist, und vor je­ dem steht ein Holzschnitt ganz in der Manier der Brantschen Holz­

schnitte. Er greift aber in größerer Besonderheit die Gelehrten, Geistlichen, Juristen [277] und Fürsten an, und führt die Satire von dem allgemeinen Standpunkt, auf welchem sie bei Brant steht,

auf den besonderen

der einzelnen

Stände.

Seine Angriffe sind

rücksichtslos und öfter von dem Wohlgefallen an der Grobiansna­ tur eingegeben. Durch Exorcismus will er die Narren aus Deutsch­

land zu den Welschen verjagen.

Voll des derbsten Witzes ist seine

Schelmenzunft (1512), in welcher alle Narren und Schelme als

bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts.

195

Zunftgenossen behandelt und die Zunftarbeiten beschrieben werden, wie Läuse in den Pelz setzen, Ohren melken, sich auf deS Teufels Schwanz setzen u. s. w. Murner ist der Zunftmeister. Es ist hier vorzüglich auf die Laster des Privatverkehrs abgesehen, und es werden Betrüger, Gauner, Schufte aller Art geschildert; namentlich greift Murner seinen eigenen Stand, den geistlichen, auf das bit­ terste an und stellt besonders den Mönchsstand mit seiner Schein­ heiligkeit in seiner ganzen Blöße dar. In der geistlichen Bade­ fahrt (1514) und der Geuchmat, (Geckenwiese) (1515) wiederholt Murner nur seine frühern Witze mit schwächeren Variationen. Später­ hin in seinen Streitigkeiten mit Luther richtete er, das Wesen der Re­ formation verkennend, seine Satire gegen die wilden Ausbrüche des reformatorischen Strebens und sah in Luther nur einen Verführer des Volks und einen Zerstörer des Glaubens (278). Ulrich von Hutten (279), geb. 1488 auf seinem väterlichen Schlosse Stackelberg bei Fulda, stellt den Charakter der edleren deut­ schen Jugend dar, voll feurigen Eifers und rastlosen Strebens. Früh schon hatte ihn entschiedene Abneigung ergriffen gegen Möncherei und Schulzwang, dem er sich durch Flucht aus dem Kloster Fulda zu entziehen wußte. Mit ganzer Seele gab er sich den Alterthums­ wissenschaften hin und trat mit den bedeutendsten Männern der neuen wissenschaftlichen Richtung in Verbindung. Seine häusli­ chen und Privatschicksale lehrten ihn früh den Kampf gegen Noth und Gefahr des Lebens kennen, und führten ihn zu einer Opposi­ tion hin, die sich unmittelbar mit dem Leben in Beziehung setzte, die That, Handlung zu werden strebte. Gegen die Menge feindli­ cher Elemente, die seinen Wünschen und Hoffnungen hemmend in den Weg traten, richtete er seine schärfsten Waffen, und er tadelte auf gleiche Weise den Egoismus der Fürsten, die Rohheit und Brutalität des Adels, den Luxus und die Verweichlichung der Städte. Alles, was die Zeit bewegte, was Jeder, vielleicht unbe­ wußt dachte und fühlte, brachte er mit seinem glühenden Feuereifer zum klaren Bewußtseyn, und somit stellte sich in ihm das Zeitalter mit seinen Ideen, Richtungen und Bestrebungen als ein lebendiges, anschauliches Ganzes dar. Groß war daher der Einfluß, den er durch seine Schriften auf die Mitwelt ausübte: schonungslos wa­ ren seine Rügen höfischer Thorheit, vornehmer Müßiggängerei, der Beschränktheit und Schlechtigkeit scholastischer Unwissenheit, offen sein Haß gegen Volkstäuschung und jedweden Verrath an geheilig13*

196

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

ten Menschenrechten, tief verwundend seine Angriffe auf Pabstge-

walt und Pfaffengreuel.

Verfolgt von Leo X. und verlassen von

seinem Gönner, dem Erzbischof Albrecht von Mainz bekannte er sich 1519 offen zu Luther's Lehre und wandte sich jetzt in der Mutter­ sprache an das deutsche Volk. Im Jahr 1520 erschien seine Klage und Vermahnung gegen die Gewalt des Pabstrs (hersg.

nedst anderen Gedichten von Al. Schreiber. Heidelberg 1810 und 1824.) [280]. Hier zeigt sich die didaktische Poesie auf ihrem Fortgang von der moralischen Predigt durch Brant und Murner zur politi­ schen Rede, von der ruhigeren Haltung der Betrachtung zu dem

leidenschaftlichen Pathos des Handelns.

Die Klagrede schließt mit

dem Aufruf an die frommen Deutschen, daß wenn freundliche Mah­ nung nicht helfe, sie Harnisch und Pferde hätten, die sollten sie ge­ brauchen.

Mit Gottes Hülfe würde das Strafgericht über alle

Widersacher kommen.

„Wohlauf, wir haben Gottes Gunst, wer

wollte in solcher Sache daheim bleiben? Jacta est alea; ich hab's gewagt." Hutten hatte eine Zufluchtsstätte bei Franz von Sickingen gefunden, nach dessen Tode er nach der Schweiz ging, wo seine

letzten Lebenstage verbittert wurden durch die kalte Aufnahme, die

er bei Erasmus fand.

Auf der Insel Uffenau im Züricher-See

erlag er, abgemüdet und von aller Welt verlassen, den 31. August

1523 einem alten Krankheitsübel und sand endlich Ruhe, die ihm auf Erden nie zu Theil geworden war. Hans Sachs steht da als Hauptrepräsentant von der volks­ mäßigen Richtung, welche die deutsche Poesie gewonnen hatte [280b]; sein Leben fällt mitten in die großen einheimischen Ereignisse der

Reformation. Früh hatten die Musen ihn zu dem Werke der Dich­ tung berufen, ihn erleuchtet und mit ihren Gaben belebt, ihn für den Gesang der Tugend, für die Bekämpfung des Lasters, für die

Erheiterung der Traurigkeit begeistert [281]. Die Erstlinge seiner Muse sind vorzüglich der züchtigen Liebe gewidmet, und er preist die Heiligkeit des Ehestandes und geißelt die herrschende Untreue. Mit Wärme ergriff er die neue Lehre Luther's und begrüßte sie in der „Wittenberger Nachtigall" (1523), aus welchem Gedicht

seine entschiedene Stellung zur Reformation hervorleuchtet; er ver­ tritt am besten den gesinnungskräftigen Bürgerstand, wie er sich mit

lebhafter Theilnahme der Reformation zuwandte.

Hans Sachs be­

schäftigte sich von jetzt in seinen Poesien mit dem öffentlichen Le­ ben, mit Kirche nnd Staat; doch bildet er hier den Gegensatz zu Hutten, der Ruhe zur Unruhe, der Selbstbescheidung gegen Selbst-

bis zum Ende de» sechSzchnten Jahrhunderts.

197

vertrauen, der Mäßigung gegen Leidenschaft. Den Gemeinsinn suchte er vor Allem zu beleben 'durch Hinweisung auf das Alter­ thum; er ward ein humanistischer Volkslehrer, indem er nachah­ mend und reproducirend zuerst die Alten von ihrer rein moralischen Seite bei uns einführte. In der zweiten Periode seiner Poesien um die Mitte des Jahrhunderts, wo er die größte Fruchtbarkeit ent­ wickelte [281b], geht er von dem öffentlichen in's Privatleben über und behandelt die Volksnovelle, die schwankartige Erzählung (s. oben), und eröffnete zugleich eine neue Zeit für die Poesie, indem er sich entschiedem dem Drama zuwandte, welches die Hauptform aller Dichtung ist [282]. Johann Fischart (geboren zu Mainz oder Straßburg, und 1591 gestorben) höhnt und geißelt mit der wundersamsten Beweg­ lichkeit des Geistes die Thorheiten seiner Zeit. In seinen Gedichten zügelt das Versmaaß die Ungebundenheit des kühn sich überheben­ den, alle Gesetze des Herkommens überbietenden Geistes. Mit Aus­ schluß des Drama's hat er sich in allen Zweigen der Literatur ver­ sucht. In seiner Flohhatz (1577) schloß er sich dem Thiergedicht an, worin er mit muthwilliger Laune das sich Ueberheben, die Unzu­ friedenheit mit dem Stande darstellt[283]. Eine national-politische Tendenz verfolgt seine Mahnrede an die Deutschen; der An­ laß zu diesem Gedicht ist von einem Deutschland als weibliche Fi­ gur darstellenden Bilde entnommen. Das Höchste seiner genialen Kraft erreichte Fischart in seinen Prosawerken (s. unten). Bartholom. Ringwaldt schrieb ein christliches Spruchge­ dicht „die lautere Wahrheit" (1585), welches in erbaulichen Sinnbildern fortgesetzte Vergleichungen zwischen dem Leben eines Christen und eines Kriegsmannes enthält und hiermit Schilderun­ gen des häuslichen Lebens und eifrige Rügen vieler Ungebührlichkeiten verbindet. Zugleich eröffnet das Gedicht einen Blick in die Streitfragen der Theologie und geht von den rein moralischen Re­ flexionen auf das Staats-, Schul- und Kirchenregiment über, ähn­ lich wie Rollenhagen in seinem Froschmeusler [284]. 2. Didaktische Dichtungen in erzählender Form. Es gehören hierher Fabeln, Allegorien und fingirte Visionen, welche als Einkleidungen von Lehren benutzt wurden. Es hatte die Fabel [285] einen Hauptbestandtheil der alten Lehr- und Spruch­ dichtung ausgemacht, und es-erhielt sich für Aesop und Reineke Fuchs, die beidmHauptquellen von Thier-Fabel und Thier-Sage, das

198

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

Interesse das ganze 16. Jahrhundert hindurch. Anregend wirkte das Beispiel Luther's, der etliche Fabeln nach Aesop für sein Söhn­ lein Hans 1530 drucken ließ, und besonders dahin strebte, die Ein­ mischung des Unzüchtigen und Schwankartigen,ju beseitigen; er wollte den deutschen Aesop „fegen." Er ließ aber sein Fabelwerk liegen und hatte nur mehr anregend gewirkt. Hans Sachs be­ nutzte gleichfalls für seine didaktischen Zwecke die Fabeldichtung; die Erzählung ist bei ihm meist sehr ausgeführt und die moralische Wendung besteht darin, daß er den thierischen Charakter an gewis­ sen Klassen von Menschen nachweist. Wie nun in das Schauspiel das gelehrte Element eindrang, indem es aus dem Privat- und Wirthshaus und von dem Markte in die gelehrte Schule überging, ebenso machte sich auch in der Fabeldichtung nach und nach das Gelehrte immer mehr geltend. Burkard Waldis (dessen Wirk­ samkeit zwischen 1524 — 54 fällt und der seines protestantischen Glaubens wegen viel hatte leiden müssen, namentlich zu Riga, wo er mehrere Jahre in schwerem Gefängnisse schmachtete) war ein welt­ erfahrner, gelehrter Mann. Für seine Fabeldichtung hat er sowol Aesop und Phädrus als auch andere lateinische Nachbildungen be­ nutzt, dabei ist er auch vertraut mit der Volksliteratur, und es zeigt sich bei ihm trotz der Kenntniß des Antiken und Fremden die ganze deutsche Ehrbarkeit nebst einer höchst lebendigen und launi­ gen Darstellungsweise. Er hat 300 fremde Fabeln behandelt, doch mischen sich darunter bei ihm noch vorherrschender, als bei dem Stricker, schwankartige Erzählungen aus der Menschenwelt, nament­ lich besteht das vierte Hundert seiner Fabeln, das größtenteils ihm eigenthümlich angehört, fast nur aus Schwänken und Anekdoten, die theils der Zeitgeschichte, theils der lebendigen Volkstradition an­ gehörten z. B. die Erzählung von dem Sauhirten, der ein Abt wird, die sich schon in der Sage vom Pfaffen Amis findet [285b]. Die Summe der praktischen Lebensweisheit von Burkard Waldis geht, wie bei Hans Sachs, dahin, daß er die Welt unter dem Ein­ fluß des Eigennutzes sieht. Dann drängt sich bei ihm, wie bei Bonerius, das Sprüchwort in seiner Moral hervor und gerne geht er in seinen Nutzanwendungen aus der moralischen in die politische Sphäre über. Endlich kommt er in der polemischen Benutzung der Fabel gegen die Geistlichkeit auf die alte Thiersage zurück, wie fix sich schon in dem lateinischen Remardus darstellte. Seine Sprache und sein Erzählungstqlent zeichnet sich vorthrilhaft vor vielen sei­ ner Zeitgenossen aus. Erasmus A.lberus, Zeitgenosse von Bur-

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

199

kard Waldis, gab 49 Fabeln heraus (1550), in welchen besonders

die protestantische Polemik charakteristisch ist, in der er schonungslos seine Geißel schwingt über die Beschränktheit und Schlechtigkeit der scholastischen Unwissenheit, so daß hier die Heftigkeit und Bitterkeit der epistolae obscurorum virorum in die Volkspoesie übergeht. Seine Darstellungswcise geht ost in das Burleske über, doch fängt er an, die Ausdrücke und Sprachentstellungen der Volksdichtung zu verachten und strebt nach einem bestimmten Sylbenfall des Ver­ ses. Eucharius Eyring endlich, der 1520 zu Königshofen in Franken geboren, von der katholischen zur protestantischen Kirche überging und als Pfarrer im Koburgschen 1597 starb, schrieb seine „Proverbiorum copia, etlich viel hundert lateinischer und teutscher schöner und lieblicher Sprüchwörter mit schönen Historien, Apologis, Fabeln und Gedichten gezieret." Hier zeigt sich deutlich das Auflösen der Fabel ins Sprüchwort, welches früher nur diente zur Erläuterung der Fabel, während Eyring das Sprüchwort mit der Fabel erklärt. „Die Alten spürchwörtern in der Fabel, er fabulire in Sprüchwörtern." Unter den Allegorien [286] ist zu nennen Heinrich's von Müglin Buch der Maide: die verschiedenen Künste und Wis­ senschaften erscheinen vor Karl IV., dem zu Ehren das Gedicht ver­ faßt ist, und geben eine Probe ihres Wissens. Der Rath des Kai­ sers soll den Preis zuerkennen; dieser lehnt es aber ab, und ebenso darauf der Dichter, bis Karl der Theologie den Preis ertheilt, je­ doch die Bestätigung seines Urtheils von der Natur abhängig macht. Die Theologie geht daher unter dem .Geleit der Sitte in das Land der Natur; die Schaar der Tugenden wird herbeigerufen und de­ ren Verhältniß zur Natur besprochen: die Tugenden sind nicht von Natur, sondern ein Ausfluß Gottes; denn die Natur ist erst in Weisheit und der Tugend Kraft gewirkt. Es steht dies Gedicht in einer näheren Beziehung zu der Auffassungsweise der Mystiker, die schon vor der Reformation eine gewisse Reaction gegen das geist­ lose Ceremonienwesen der katholischen Kirche bildeten (s. oben Hein­ rich von der Neuenstadt). Heinrich von Laufenberg, Priester zu Freiburg und seit 1445 Mönch im Johanniterkloster zu Straßburg, dichtete den Spiegel des menschlichen Heils und das Buch der Figuren; letzteres enthält die ganze Folge der Geschichten des alten Testaments von der Schöpfung an, alle als Figuren und Symbole zu Ehren der heiligen Jungfrau; es sind solcher Figuren 136; zuerst kommt die Erzählung, dann die sym-

200

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

bolische Beziehung auf Maria und zuletzt ein kleines Gebet an dieselbe. Der Spiegel ist eine Zusammenfassung von symbolischen Deutungen in Bezug auf einzelne Momente aus dem Leben Maria und Christi. Endlich gehört hierher noch Ringwaldt's Vi­ sion, christliche Warnung des treuen Eckarts, der in ent­ zücktem Gemüthszustande Himmel und Hölle durchwandert, und die Freuden der christlichen Tugend schildert und die Qualen der lasterhaften Thorheit.

3. Dialogisirte didaktische Gedichte. Die dialogische Form der Darstellung eignete sich besonders zur Besprechung und Verspottung von Zeitverhältnisscn. Ulrich von Hutten war mit seinen dem Lucian nachgebildeten Gesprächen [287] vorangegangen, und es schloß sich daran eine Menge von Nachahmungen lateinisch und deutsch. Die Vorliebe für den Dia­ log lag auch in dem Sinn, der für dramatische Form erwacht war, und man nannte solche Dialoge auch Dramen. Die werthvollsten unter diesen sind die sogenannten Kampfgespräche des Hans Sachs, in welchen göttliche und menschliche Wesen allegorisch auftreten und sich über sittliche, religiöse und gesellschaftliche Zustände der Zeit

unterreden. Zweites

Capitel.

Die Prosa. Die prosaische Literatur ward hervorgerufen durch die prakti­ schen Tendenzen der Zeit, bei welchen es theils auf Belehrung an­ kam, namentlich von Seiten der Geistlichen durch Predigten und ascetische Schriften, theils auf Darstellung der wirklichen Zustände

durch geschichtliche und geographische Beschreibungen. Vieles ver­ einigte sich im 14. Jahrhundert und besonders im 15., was die Geister bewegte und den Kreis des Wissens erweiterte: die Erfin­ dung des Compasses (zu Anfang des 14. Jahrhunderts), der Buch­ druckerkunst (1436—54), die Entdeckung von Amerika (1492) und von dem Seeweg nach Ostindien (1498); in allem diesem zeigten sich ganz neue Elemente, welche eine neue Zeit hervorriefen. Leb­ haft wurde der allgemeine Verkehr der Völker unter einander an­ geregt [288], und es entstand das Verlangen, die Erde kennen zu lernen und die bisher dunklen Erdräume aufzuhellen. Wie nun einerseits der zu materielle Stoff des Geschichtlichen und Geogra-

201

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

phischen zu der schicklicheren prosaischen Darstellung hinüberführte, so leitete andererseits der übersinnliche, heilige Stoff der Mystiker

von gebundener zur ungebundenen Rede; die inneren, rein im Geiste

vorgehenden Zustände, wie das ewige

Wort in die Seele gebo­

ren, was das Wesen und Wirken der Gnade, was das Wirken des Worts im Geist ist, alles dies ging über das bildliche Festhalten durch die Phantasie hinaus und konnte nur von dem denkenden Geist erfaßt werden, der in der prosaischen Darstellung den bestimm­

ten, entsprechenden Ausdruck fand.

Eine festere Gestalt gewann

ferner die Prosa durch die Prosaromane [289], welche den Ueber«

gang der Poesie in die Prosa am anschaulichsten bezeichnen.

Es

verlor die epische Ritterdichtung ihre poetische Form und mußte ihren Umfang aufgeben, um sich nur zu erhalten. Alles was in den Rittergedichten der poetischen Einkleidung und den Vorstellun­

gen einer vergangenen Zeit angehörte, ward ausgesondert, und nach

Charakter und Sitte der Zeit umgeändert; vor Allem wurde die

Breite des Inhalts auf das Factische zurückgedrängt und die ein­ zelnen Charaktere derber und handgreiflicher gezeichnet.

Es blieb

indeß noch Abenteuerliches und Phantastisches genug übrig; außer­ dem trat rohe Gewalt und Sinnenlust unverhüllter hervor, und

mit besonderer Vorliebe verweilte man auf dem Ungeheuren und Gräßlichen. Die Behandlungsweise der Rittergedichte in Prosaro­ manen ging von Frankreich aus, wo sich ein zahlreicher und begü­

terter Adel in seinen Vorrechten dem Bürgerstand gegenüber länger erhielt und der Sinn für Abenteuer, für Prunk von Festen und Turnieren lebendiger blieb, als in Deutschland.

Von Frankreich

aus kamen solche Prosaromane durch Vermittelung der Niederlande auch zu deutschen Fürstenhöfen, und vorzüglich waren es fürstliche Frauen, welche aus Verlangen nach Unterhaltungs-Lectüre das In­ teresse an ausländischen Romanen anregten. In Deutschland wur­

den besonders Rittergedichte aus dem fränkischen Sagenkreise bear­ beitet, und zwar aus demselben Grunde, aus welchem sich .diese Stoffe für die epische Behandlung im 13. und 14. Jahrhundert

empfohlen hatten. Ein eigenthümlicher Zug in den Prosaromanen ist das sich Mischen der unteren und oberen Stände nicht bloß in politischen Verhältnissen, sondern auch in den Liebschaften zwischen Die heftige leidenschaftliche Neigung, die sich über Rangverhältnisse hinwegsetzt, wird jetzt ein Hauptthema. Der Ueber« Unebenbürtigen.

gang von jener alten Minne, der sinnigen Liebe der Ritterzeit, zu der neuen sinnlicheren, von der Gedankenliebe zur Herzensliebe, ist

202

Von der Mitte des vierzehnten

Vierte Periode.

charakteristisch.

Die Liebesepisoden, die sonst hinter den Irrfahrten

zurücktraten, wurden in den Ueberarbeitungen besonders hervorge­

hoben, und wie man sonst das Glück der Liebe gepriesen hatte, so

verweilte man jetzt auf den tragisch ergreifenden Ausgängen derselben, da die Leidenschaftlichkeit, welche die Liebe zu begleiten pflegte, zu dem Leid der Liebe hinführte.

Eben hierdurch bilden die Prosaro­

mane den Uebergang zu dem modernen Roman, welcher die Stelle der epischen Poesie vertritts290j.

Manche von den Prosaromanen, in wel­

chen individuelles Leben und scharfe Charakteristik hervortrat, wur­

den in der abgekürzten

Gestalt einer

gedrängten Erzählung zu

Volksbüchern und haben sich in dieser Form Jahrhunderte hindurch

im Volke lebendig erhalten.

I.

Die Prosaromane und Volksbücher nebst dem satirischen Roman.

Wie wir in der epischen Dichtung von den auf volksthümlichen Sagenkreisen ruhenden Epopocen übergingen zu der Legende

und von dieser zu der Novelle und somit von den allgemeinen na­

tionalen Beziehungen Hinabstiegen zu den besonderen Zuständen und Verhältnissen des Lebens, dieselbe Richtung läßt sich auch in den Prosaromanen

und

Volksbüchern

verfolgen.

Da

die

deutschen

Prosaromane vorzugsweise durch Uebersetzungen aus dem Französi­ schen entstanden, so traten die deutschen Volksepen in den Hinter­

grund und wurden nicht in Prosa umgesetzt; nur der hörnene

Siegfried wurde aus unserer heimischen Sage durch Bearbeitung in Prosa zum Volksbuch.

Es gehören daher die größeren Romane

entweder dem Kerlingschen oder dem Bretonischen Sagen­ kreise an. 1.

Die aus dem Kerlingschen und Bretonischen Sagenkreise hervvrgegangenen Prosaromane. [291]

Der Fränkischen Sage gehört an: a) Lother und Maller, einer der frühsten Prosaromane, zuerst von der Herzogin von Lo­

thringen, Margarethe, nach einem lateinischen Buch französisch be­ arbeitet (1405), und dann von ihrer Tochter Elisabeth, Gräfin von Nassau und

Saarbrücken ins

Deutsche übersetzt (1437).



b)

Pontus und Sidonia, aus dem Französischen übersetzt von

Eleonore, Gattin Sigmunds von Oesterreich. Dieser Roman war besonders beliebt ^als Spiegel der adligen Tugend. — c) Die

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

203

Heymonskinder, wo der Kampf der Bourbons, unter Anfüh­ rung ihres Grafen Heymon gegen Karl dargestellt ist (s. oben). — d) Fierabras; hier tritt besonders der Gegensatz des Glaubens gegen den Unglauben, des Christenthums gegen den Islam hervor und damit verknüpft sich das Moment der Liebe, welche durch Floripes, die schöne Schwester des Fierabras, erweckt wird. — e) Octavian; hier ist es nicht der Gegensatz des Königs gegen die Va­ sallen oder des Glaubens gegen den Unglauben; dasjenige, worauf das Interesse beruht, ist die einzelne Persönlichkeit, welche mit ih­ ren besonderen Zwecken in den Mittelpunkt tritt; es ist die Ge­ schichte des Florens in seiner Entwickelung zum Ritter und in sei­ ner Liebe zur holden Saracenin Marcebille. — f) Melusine, welche, in ihrer Fischgestalt heimlich von ihrem Gemahl erspäht, sich gezwungen sieht, von ihm sich zu scheiden und sich wie ihn dem herzzerreißendsten Jammer hinzugeben; zugleich wird sie weis­ sagende Botin des Unglücks in ihrer Familie. — g) Die schöne Magelone; wo die entstehende Liebe, die Schüchternheit des er­ sten Nahens, die Trennung der Liebenden und ihre Wiedervereini­ gung nach vielen Leiden lebendig dargestellt wird. — h) G enovefa; hier ist die treue Liebe des Weibes zu ihrem getäuschten Gatten und ihr gegenüber die verzehrende Leidenschaft eines hoff­ nungslosen Liebenden das Thema, was mit ebensoviel Zartheit als tiefer Rührung dargestellt wird. Es verbindet sich hiermit das Le­ gendenhafte; die in Liebe, Demuth und Stärke sich immer gleiche Pfalzgräsin geräth mit ihrem Säugling in die Einsamkeit des Wal­ des, wo Engel erscheinen, wo die das Geheimniß entdeckende Hirsch­ kuh kommt, und der Pfalzgraf wunderbare Mahnungen vom Him­ mel empfängt. — Aus dem Bretonischen Sagenkreise wurden Tristan, Lancelot vom See und Wigalois in Prosa umgesetzt; unter die­ sen ist der Wigalois der einzige Roman, der aus dem deutschen Gedicht in Prosa übertragen ist. Der Tristan weicht vielfach von dem Gottfriedschen ab: die Vorgeschichte von Tristan's Eltern und die zarte Jugendgeschichte des Helden fehlt ganz. Diejenigen Romane, in welchen die Liebe und das Seelenle­ ben der Liebenden den Mittelpunkt bildet, wurden zusammengefaßt im Buche der Liebe, welches vom Buchdrucker Feierabend 1587 in Frankfurt hcrausgegebcn wurde (in neudeutscher Bearbeitung herausgegeben tu Büsching's und Hagen's Buch der Liebe. I. Th. Ber­ lin 1809; auch von Schwab im Buch der schönsten Geschichten u. Sagen,

204

Vierte Periode.

2 Bde.

Stuttgart 1837.).

Von der Mitte de» vierzehnten

Das Buch der Liebe enthält 12 Romane,

und die Aufnahme des griechischen Romans (Theagenes und Cha-

riclea) [292] beweist, wie sich der neugriechische Geschmack seit dem

15. Jahrhundert mit dem Roman des Ritterthums zu verschmelzen

strebte.

Die griechischen Romane und was sich ihnen Aehnliches

lateinisch oder deutsch nach Deutschland verbreitete führten besonders

von dem Geschmack an dem wirren Abenteuerwesen der Ritterro­ mane zurück zu dem Gefallen am Seelenleben. — An das Buch der Liebe erinnert Wickram's Goldfaden, der 155'7 in Straßburg

Heidelberg 1809.). Er gehört zu den besseren erzählenden Prosawerken dieses Zeitraumes.

gedruckt wurde (erneuert von Cl. Brentano.

Die Grenze dieser Romanliteratur bildet der Amadis von Gallien, ein großer Cyclus von Prosaromanen, der in diesem

Gebiet abschließt. Es wird hier eine Reihe von Helden vorgeführt, die ungefähr für Spanien das sind, was Karl der Große mit sei­ nen 12 Pairs für Frankreich und König Artus mit der Tafelrunde

für England. Der Artursche Sagenkreis ist es hauptsächlich, welcher für die Amadisromane Vorbild wurde; zugleich berufen sich aber die Verfasser auf griechische Romane,

deren Sentimentalität, ge­

dehnte Schilderungen nebst den Wundern und vernunftlosen Un­ möglichkeiten sich in den Amadisromane» wiedersindet.

Die Hel­

den bestehen hier nicht wirkliche Kämpfe, sondern sie haben mit

lauter erkünstelten Schwierigkeiten zu thun; die Feinde, welche ih­

nen entgegentreten, sind schon vorher besiegt, noch ehe die Spitzen ihrer Degen sich berühren. Die phantastische Rohheit dieser Ro­ manhelden führt unmittelbar ins Komische über, und Cervantes parodirte in seinem Don Quixote (1615) die Amadisromane.

Im

spanischen Original umfaßt der Amadis 13 Bücher, denen später

von französischrn Bearbeitern eilf beigefügt wurden.

Cervantes

läßt in der Musterung der Bibliothek des Don Quixote die vier

ersten Bücher des Amadis begnadigen, weil sie nicht nur das erste, sondern auch

das beste und einzige Buch dieser Art seyen, das

Spanien aufzuweisen habe; die anderen aber werden zum Feuer verurtheilt. Jene ersten vier Bücher enthalten den eigentlichen

Amadis von Gallien.

In Deutschland wurde dieser Roman in den

70er Jahren des 16. Jahrhunderts theilweise übersetzt in demselben

Verlage, wo auch das Buch der Liebe erschien, und 1583 kam er in Frankfurt bei Feyerabend in 13 Büchern zusammengestellt in Folio heraus.

205

bis zum Ende des scchszehnten Jahrhunderts.

2.

Legendenhafte und romantisch-novellenartige Stoffe.

Die Legende, wie sie in diesem Zeitraum noch in poetischer Form behandelt wurde, diente nur ascetischen Bußübungen und hob

vorzüglich die Passivität des Glaubens und Duldens hervor (f. oben). In dieser Anffassungsweise ging sie auch in die Prosa über und schloß sich an die Lieblingsfragen und Untersuchungen der My­ Hermann von Fritzlar [292b], wahrscheinlich ein Do­

stiker.

minikaner, gab eine Legendensammlung in Prosa heraus,

„das

Buch von der Heiligen Leb en," welches, wie er selbst sagt,

zusammengelesen ist aus vielen

anderen Büchern und aus vielen

Predigten und aus vielen Lehrern; er ließ es durch einen Anderen zwischen 1343 und 49 niederschreiben.

Wir haben daher in die­

sem Buch von der Heiligen Leben, eine Sammlung von Predigten, welche im Mittelalter sermones de tempore et de sanctis genannt

wurden.

Gewöhnlich haben diese Predigten zwei Theile, den my-

stisch-speculativen und den historischen Theil, worin das Leben des

Heiligen erzählt wird.

Es werden in Hermanns Buch die Lieb­

lingsthemen der Mystiker behandelt, und sein Vortrag ist gewandt und belebt durch Beispiele, welche zwischen Erzählung und Lehre getheilt sind. Während die Legende sich noch hinter Kirchen- und Kloster­

mauern fortpflanzte, ging sie andererseits auch in weltliche, volks­ mäßige Stoffe ein und näherte sich somit der unmittelbaren Wirk­ lichkeit.

Es gehören hierher besonders die Sagen von dem ewi­

gen Juden, von Faust und Fortunat.

Der ewige Jude stellt die Unruhe und Qual des Unglaubens dar, der sich in Ahasverus in seiner ganzen Gewalt zu erkennen giebt, da er Christum, den Mittelpunkt des gesammten Glaubensle­ bens, auf dem letzten Gange zur Schädelstätte von seinem Hause

fortweist und ihm nicht eine kurze Ruhe aus seiner Bank gewährt. Der Herr sagte ihm darauf, daß er von nun an auch keine Rast

und Ruhe haben, sondern wandern und wandeln solle, bis daß er komme. Die ewige Unruhe erscheint also als der Fluch, der auf dem Unglauben ruht, und stellt sich dar in dem Umherstreifen nach

Nord und Süd, und hat zur Folge eine unfreiwillige Unsterblich­

keit, nicht sterben zu können und nicht leben zu wollen.

„Gründ­

liche und Wahrhafftige Relation Von einem Juden, auß Jerusalem, mit Nahmen Ahaßverus u. s. w." hat Chrysostomus Duduläus

206

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

Westphalus gegeben, dem die Geschichte Paulus von Eitgen erzählte,

welcher diesen Juden 1547 in Hamburg gesehen habe. [293], In der Faustsage stellt sich der Gegensatz zwischen Glauben

und Unglauben näher dar als der Zwiespalt im Menschen zwischen

Natur und Geist, Wissen und Glauben, Irdischem und Göttlichem

[294], Die Sage läßt Faustens Abfall aus dem Drange nach Wissen und Erkennen, nach künstlerischem Schaffen und Bilden her­ vorgehen.

Es ist nemlich das Streben von Faust ein egoistisches

und selbstsüchtiges, da er den Zusammenhang der Dinge nur zu

erspähen sucht, um durch die Erkenntniß ihrer inneren Kräfte sie willkürlich gestalten und gebrauchen und sie durch einander vernich­ ten zu können.

Dies Wissen des Natürlichen, welches das Univer­

sum nur zu endlichen Zwecken zu erfassen strebt und nicht als ein

göttliches weiß, gehört der bloßen Naturseite des Menschen an, ist so­ mit durch den Teufel vermittelt und zieht den Verlust des Seelen­

heils nach sich. In jenem künstlerischen Bilden und Schaffen, um nur sich darin zu genießen und den eigenen willkürlichen Neigun­

gen und Leidenschaften zu dienen

liegt der Begriff der schwarzen

Magie [295], die nicht etwa nur mittelbar Böses erzeugt, sondern selbst durch und durch böse und sündig ist. Wie in der Macht

des Glaubens, der Wunder wirkt, Gottes ursprüngliche Kraft wirk­ sam ist, so offenbart sich in der Zauberei die teuflische Macht als das eigentlich Gestaltende.

Der Teufel, von welchem die Sage er­

zählt, ist nicht eine fremde Macht, sondern das innerste Selbst des­

sen, der von allem Göttlichen losgebunden, sich in wildem, gesetz­ losem Walten über die Schranken der Weltordnung zu erheben

strebt.

Zu den heiteren, schwankartigen Streichen, in welchen Faust

mit den Dingen spielt, und Gläser, Messer und Gabel und Affen einen Ball aufführen, ein Donauschiff von seinem Affen ziehen läßt

und auf einem Faß aus Auerbachs Keller reitet,

steht das Böse

und der Bund mit ihm in einem finsteren Contraste.

Das Eigen­ thümliche der Sage ist der kecke Muth, mit welchem Faust den Vertrag mit dem Teufel eingeht, und es zeigt sich hier die der gei­

stigen Natur der Menschen gemäße freie Selbstbestimmung, sich ent­

weder Gott oder dem Teufel zu ergeben.

Faust steht am Schluß

des Mittelalters als die kräftige Individualität da, welche in der Empfindung der Macht ihrer Freiheit dm Egoismus mit Bewußt­ seyn zum Princip des Lebens macht, und da dieses Princip ein

durch und durch böses und sündiges ist, so läßt die Sage auch ganz konsequent den Faust zur Hölle fahren. — Der älteste Druck von

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

207

dem Volksbuch, zu welchem sich die Faustsage gestaltete, ist vom Jahre 1588 und erschien in Frankfurt am Main. Eine neuere Bearbeitung ist die Ausgabe von Widmann. Hamburg 1599. Zu Luther's Zeit war ein Dr. I. Faust als Zauberer in Sachsen und Schwaben allgemein bekannt, und außerdem wurde dem Mainzer Faust, dem Erfinder der Buchdruckerkunst, manches Diabolische nach­ gesagt; dennoch läßt sich die Sage nicht auf ein einzelnes geschicht­ liches Individuum beschränken, sondern in ihrer Fortbildung faßt sie die einzelnen Züge, in denen sich die ideelle Anschauung von der Macht des Bösen offenbart, zusammen und überträgt sie auf ein allgemeines Individuum, unbekümmert um seine historische Existenz. Im Fortunat tritt die Trostlosigkeit eines bloß äußeren Glücks hervor, welches seine allgemeinste Gestalt im Gelde hat; das höchste zeitliche Glück ist ein unversiegbarer Seckel, den die Göttin Fortuna ihrem Günstling nach seiner eigenen Wahl schenkt; ohne sein Verdienst fällt dem Menschen das zeitliche Glück zu. Dennoch reicht ein solcher Besitz noch nicht hin, um alle Bedürfnisse zu be­ friedigen, denn der Raum wird oft als eine lästige Schranke em­ pfunden; über diese hebt der Wünschelhut hinweg, der zu dem Seckel hinzukommend überall aus einer lästigen Gegenwart erlöst. Doch das Glück erregt Neid, welcher durch List auf den Untergang des Glücklichen sinnt; somit wird dieser in stetem Kreislauf Herum­ getrieben, Trostlosigkeit und Verzweifelung ist daher zuletzt sein Loos. Der älteste bekannte Druck des Volksbuchs vom Fortunat ist 1509 in Augsburg erschienen [296]. Der Fortunat weist in der durch alle Länder treibenden Un­ ruhe auf die weitverbreitete Reiselust hin, welche sich im 15. Jahr­ hundert überall regte. Die Reiscbücher [297] wurden daher eine sehr beliebte Lectüre und sie führen ein in die wirklichen Zustände der Welt, doch zunächst so, wie sie als ein Fernliegendes phantastisch aufgefaßt werden. Es erinnern die Reisebücher in ihrer ersten Ge­ stalt an den Herzog Ernst, welcher selbst ein vielgelesenes Volks­ buch wurde. Es will das Volk von der Ferne nicht das Gewöhn­ liche hören, was es auch bei sich findet, sondern Außergewöhnliches und Wunderbares. Deshalb enthalten die ersten Reisebeschreibun­ gen Wirkliches und Wahres mit fabelhaften Geschichten, Wunder­ sagen und märchenhaften Berichten in buntester Mischung durch­ flochten. Das geistliche Element aber, oder das Legendenhafte tritt ganz in den Hintergrund, nur daß die Anschauung des heiligen Landes den Mittelpunkt der Erzählung bildet. Die berühmteste

208

Vierte Periode.

Von der Mitte des vierzehnten

unter den älteren Reisebeschreibungen ist die detz Engländers Man­ deville (+ 1372), die zu Anfang des 15. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt die weiteste Verbreitung sand. Schon vor ihm war Marco Polo im Orient gewesen; später folgten die Reisen von Monteville und Tavernier; letzterer suchte vorzüglich in die Geheimnisse der Osmanen cinzudringen. Erst allmählig gehen die Reisebücher von dem Gefabelten auf das Historische zurück und erzählen die Gegenstände, wie die Kunde davon entweder durch wirkliche Erfahrung oder durch gelehrte Ueberlieferung vermittelt war. Auf dem Gebiete der Geschichte schließt sich der Prosaroman „Weißkunig," den Maximilian nach seinem Entwürfe durch den Geheimschreiber Marx Treitzsaurwein 1512 ausführen ließ, an Zeitereignisse der Gegenwart an. Er enthält die Geschichte Maximilian's bis auf die Beendigung des Venetianischen Krieges. Die Form der Erzählung ist aber die Allegorie: Maximilian heißt Weißkunig; der König von Frankreich der blaue König; die Niederländer heißen die braune Gesellschaft u. s. w. Es ist dies Werk das prosaische Seitenstück zum Teuerdank. Wie die Legende nun immer mehr einging in weltliche Stoffe und diese ihrem geistlichen Princip gemäß umbildete, bis zuletzt das Weltliche das Vorherrschende wird und an die Stelle der Legende die Volksnovelle tritt, ebenso wird die aus den ritterlichen Stoffen beruhende romantische Anschauungsweise von den volksmäßigen Stof­ fen und von solchen Gegenständen, die der unmittelbaren Gegen­ wart angehören immer mehr verdrängt. Hierher gehören die Er­ zählungen, welche zum Theil noch durch die romantische Anschauungs­ weise vermittelt sind, nemlich das Buch der sieben weisen Meister und die gesta Romanorum. -Der Ursprung von dem Buch der sieben Meister reicht bis nach Indien zu den im Hitopadesa enthaltenen Erzählungen, welche durch Syrien, Persien, Grie­ chenland (der griechische Roman Dolopathos ist aus dem An­ fänge des 13. Jahrhunderts) und durch das Lateinische in die Li­ teratur aller neueren Völker übergingen [298]. Es giebt im Deut­ schen zwei dichterische Behandlungen, die eine von Hans v. Bühel (f. oben), und mehrere prosaische Bearbeitungen.^ Das Stoffliche dieser Erzählungen läßt die romantische Vermischung von Morgen­ ländischem, Griechischem und Römischem, von Altem und Neuem, von Geschichte und Sage erkennen. Zu unterscheiden hat man in dem Buch der sieben weisen Meister die Geschichte selbst und die Novellen; jene dient nur zur Einrahmung und erhält ihren eigent-

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

209

lichen Werth durch die von ihr zusammengehaltenen Erzählungen, welche die allgemein menschlichsten Beziehungen, namentlich aus dem häuslichen und ehelichen Leben zum Gegenstand haben. Das Haupt­ interesse in denselben beruht auf den verschiedenartigen Situationen, die in ihren Verwickelungen einen überraschenden Schluß herbei­ führen und dadurch etwas Pikantes haben. Die einfache und natürliche, aber sittliche Klugheit gewinnt den Sieg über die entsittlichten Lebensrichtungen und das exclusive Wissen der be­ vorzugten Stände. In allen Listen, Kniffen, Betrügereien, Ehescandalen und Rechtshändeln reiben sich die einzelnen Leiden­ schaften und natürlichen Triebe gegenseitig auf und gewähren den Eindruck des Komischen, und eben hierin liegt das volkstümliche Element, wodurch die Novellen der sieben weisen Meister sich so weit verbreiteten und tief in das Volksleben eindrangen. — Die gesta Romanorum ist eine in lateinischer Sprache abgefaßte Samm­ lung von kleinen Historien, Legenden, Anekdoten und Beispielen, die sich vielfach mit der Kaiserchronik (s. oben) berührt. Ihr Ur­ sprung läßt sich bis in die spätere römische Kaiserzeit verfolgen [299]; denn die Entsittlichung des häuslichen und ehelichen Lebens, das durch die frische, jugendliche Kraft der Germanen regenerirt werden sollte, der monarchische Zustand des sich auflösenden Reichs, die gesunkene moralische Kraft, welche die Märtyrer und Heiligen wieder zu beleben ansingen, alles dies spiegelt sich in den Gesten ab. Später erst in den Zeiten des 14. Jahrhunderts kamen die mystischen Auslegungen und Anwendungen auf die Sittenlehre hinzu, deren Urheber wahrscheinlich der Benedictiner Petrus Berchorius (+ 1362) war, der die gangbarste lateinische Redaction von den Gesten veranstaltete. Die älteste deutsche Uebersetzung ist zu Augs­ burg 1489 erschienen. Die Gesten stimmen vielfach mit dem Buch der sieben weisen Meister überein, das auch in dieselben mit ausgenommen ist, doch ohne die geschichtliche Einkleidung, weil die einzelnen Erzählungen selbst die Hauptsache blieben. Es kehren auch hier Sinnlichkeit, verbotene Liebe, die sich selbst überstürzende List als die Grundbestimmungen der gemeinen Wirklichkeit wieder und finden stets in dem individuelleren Leben der Gegenwart ihr Gegenbild, weshalb sie in Italien, Frankreich und Deutschland den größten Anklang sanden. Es wurden ferner auch mancherlei Stoffe aus der unmittel­ baren Gegenwart novellenartig behandelt, wie z. B. Aeneas Sylvius die Novelle Euriolus und Lucretia lateinisch abfaßte, Biese deutsche Literaturgeschichte I. 14

210

Vierte Periode. Von d>er Mitte des vierzehnten

die Niklas von Wyle, Statotschreiber von Eßlingen, in den Jahren 1462 bis 1478, in's Deutsche übersetzte [300]. In Wyle stellt sich vorzüglich, wie auch in Albrecht von Eyb und Hein­ rich von Steinhöwel, der Einfluß dar, welchen die Wieder­ herstellung der classischen Literatur in Italien auf die deutschen Schriftsteller des 15. Jahrhunderts ausübte. Diese lernten außer den Schriften der Alten auch die der italienischen Humanisten ken­ nen, eines Bocaccio, Petrarca, Aeneas Sylvius, Poggio, und na­ mentlich übersetzte Wyle in seiner „Translation oder tütschungen etlicher Bücher" (Eßlingen um 1478) Abhandlungen und Erzählungen dieser Manner, indem er mit richtigem Tacte das auswählte, was auf sein Zeitalter wirkte, z. B. Poggio's Bearbeitung von Lucsan's goldenem Esel, des Aeneas Sylvius Rath an den Herzog Sig­ mund von Oesterreich, ferner die Novelle Guiscard und Sigis­ munde, Euriolus und Lucretia. Diese und ähnliche Schriften der Italiener traten in entschiedene Opposition gegen alles Conventio­ nelle des Rittergeistes und der Ritterdichtung, und in den Novellen herrscht inneres Leben und Gluth und Wahrheit der Empfindung, wodurch sie alle ritterlichen Prostn dieser Zeit übertreffen. In Euriolus und Lucretia tritt an die Stelle vager Minneaben­ teuer ein feuriges Liebesverhältniß aus unmittelbarer Wirklichkeit, und das Interesse daran wird dadurch noch erhöht, daß der Held der Geschichte der kaiserliche Kanzler, Kaspar Schlick war, der während seines Aufenthalts in Siena (1431) ein Liebesverhältniß mit einer vornehmen Sieneserin gehabt hake. Dieser Roman führt am deut­ lichsten aus der romantischen Novelle in die Realität der Gegen­ wart und eröffnet eine ganz neu, Zeit; er steht so verändert gegen die Ritterromane, wie das erotishe Volkslied des 16. Jahrhunderts gegen den Minnegesang.

3.

Volksmäßige wvellenmtige Stoffe.

Während sich in den Novelln das Komische darin zeigte, daß Schwäche und Verkehrtheit, Jrrhum und Thorheit sich selbst ge­ genseitig aufheben, und somit da; Lächerliche und Schalkhafte, die Ironie und Parodie, das Princp der Mvvellenartigen Erzählung wird, kommt das Komische als solches noch bestimmter zur An­ schauung in den einzelnen Persnlichkieiten, welche die komischen Volksbücher vorführen. Wir habn schon in der vorigen Periode

bis zum Ende des sechSzehnten Jahrhunderts.

211

solche Individuen entstehen sehen, in welchen gegenüber der Ge­ walt und Macht der höheren Stände die List

und der Betrug,

und gegenüber der geistigen Cultur der Theologie und der Gelehr­ ten die natürliche Schlauheit, der gesunde Menschenverstand und der

Mutterwitz sich geltend machte. Es stellte sich dies dar in dem Verhältniß des Pfaffen Amis zu seinem Bischof, des Markolph zu

Salomon, und dasselbe zeigte sich im Pfaffen von Kalenberg und

im Peter Leu; auch giebt es sich zu erkennen in Heinr. Stein höwel's Leben des Aesop, welches er seinen aus dem Lateinischen in Prosa übersetzten Fabeln (zwischen 1476 und 1484 zu Ulm) vor­

ausgeschickt hat [301].

Hier wird in Aesop die Einfalt erleuchtet,

und dieser steht dem Philosophen Lanthus gegenüber, wie die ge­ meine, simple Weisheit gegen Dogma, Gelehrsamkeit, Sophistik. Seitdem nun in der Reformation die Emancipation auch des nie­ drigsten Standes ausgesprochen war, welche Idee sich in ihrer gan­ zen Macht in den Bauernkriegen kund gab, steigerte sich die Op­

position der unteren Stände gegen die oberen, und es gingen un­ mittelbar auf dem Boden und aus dem Leben nicht nur des dritten

Standes, sondern auch aus den untersten Volksschichten die komi­ schen Volksbücher hervor, welche sich nach zwei Hauptrichtungen theilen, je nachdem sie mehr den bäurischen Witz oder den städti­

schen, alle Verhältnisse verkehrenden, ironisirenden Spott zur An­

schauung bringen; jener ist durch den Landstreicher Eulenspiegel, dieser durch die Bürger von Schilda vertreten.

der

Novelle tritt jetzt die

An die Stelle

Anekdote, die überall umhergetragene

Sage, in welcher die Pointe das Wesentliche ist; kennt man diese

schon, so verliert die Anekdote größtentheils ihren Reiz, weil das Historische, die eigentliche Erzählung, das Gleichgültige ist. Wir sind somit in der Anekdote zu dem Extrem gekommen, worin das Epische, nachdem es durch den Roman und die Novelle hindurch­ gegangen ist, gänzlich abstirbt; der erzählende Schwank mehr verkürzt

und in Prosa gesetzt wird zur Anekdote, zum Witz. Der Reiz solcher

Erzählungen beruht darauf, wo und wann sie vorgebracht werden. Eigenthümlich ist in dieser komischen Volksdichtung die Zusammen­

häufung innerlich verwandter Anekdoten auf ein einzelnes Subject. So ist Till Eulenspiegel der personificirte Schwank, der National­ narr, und als solcher ein Liebling des Volks geworden [302]. Ob er eine historische Persönlichkeit war, ist, wenn auch sein Grab zu Möllen in Lauenburg gezeigt und wie das irgend eines Nationalhelden 14*

212

Vierte Periode. Bon der Mitte des vierzehnten

hochgehalten wird, ebenso wenig anzunehmen, als die Sage von Faust oder dem ewigen Juden oder von Fortunat sich auf ei­ nen bestimmten Menschen bezieht. Der Name Eulenspiegel weist hin auf eine im 16. Jahrhundert übliche Redensart: „der Mensch erkennt seine Fehler ebensowenig, wie ein Affe oder eine Eule, die in den Spiegel sehen, ihre eigene Häßlichkeit erkennen." Außerdem bezeichnet auch Affenspiegel den gegen menschliche Narrheit vergeblich ausgesprochenen Tadel. Es liegt daher in dem Namen Eulenspicgel die Eigenschaft des thörichten Weisen, in wel­ chem die Welt ihre eigene Thorheit belacht, ohne dieselbe zu be­ merken. Wir haben diese Figur des gemeinen und derben und zu­ gleich platten und rohen VolkswitzeS allmählig entstehen sehen; in Eulenspiegel gewinnt diese Richtung ihren Abschluß. Er ist der letzte unserer fahrenden Leute, auf welchen alle Landfahrer- und Handwerkerwitze versammelt sind. Er ist Gaukler, Arzt, Hofnarr, Kriegs- und Dienstmann, Maler, Neliquienhändler, Scholasticus; er arbeitet in jedem Fach. Alles, was man ihn heißt, thut er, und macht es Niemanden recht, befolgt stets nach den Worten und nicht nach dem Sinn die Befehle seiner Meister; er ist der geborne Sylbenstecher, und nimmt auch die Sprüchwörter beim Worte und parodirt sie. Es ist ihm mit Nichts Ernst, als mit dem Spaß; überall weiß er die Einfalt und Thorheit der Menschen zu verspot­ ten, und da die Wahrheit zu sagen sein Gewerbe ist, so be­ rechtigt ihn dies zu seiner Grobheit. Seine Streiche gehen hervor aus der Lust des Widerspruchs und aus der Schadenfreude an der Einfalt, und hierbei weiß er sich gelegentlich auch Genuß und Vortheil zu verschaffen, doch ist dies mehr zufällig und nicht Hauptzweck; er bringt es für sich auch nicht eben weiter, sondern bleibt armselig und wird dadurch nur zu neuen Streichen aufge­ fordert. Während er fortwährend fremde Zwecke cludirt, macht er selbst dabei Dummheiten, damit Andere über ihn lachen, wobei er denn herzlich mitlacht. Das Komische beruht in dieser Sphäre auf der handgreiflich sinnlichen Auffassung des Contrastes; die äu­ ßere Erscheinung als dem Ideal abgewandt erscheint als häßlich und unflätig. Die gemeine Seite der menschlichen Natur wird zum komischen Zweck aufgedeckt, weshalb Zoten, Unanständigkeiten hier an Ort und Stelle sind; gerade in Benutzung des Unflätigen zur Gestaltung seiner Possen zeigt Eulenspiegel sich besonders stark. Seine Schwänke scheinen um 1483 in niederdeutscher Sprache ausgezeichnet zu seyn. Der älteste bekannte Druck in hochdeut-

blö zum Ende des scchszehntcn Jahrhunderts.

213

scher Sprache ist von 1519; die vollständigste Ausgabe ist die Straßburger von 1543. — Es war ein lachlustiges Jahrhundert, in welchem solche Späße entstanden und so eifrig verschlungen wur­ den; es war die Blüthczcit der Hofnarren [303]. Man sammelte mit großem Eifer alle Späße, und wollte man gefallen, so wählte man das Gewand des Komischen. Oben an steht als Sammlung drolliger Geschichten und witziger Einfälle „Schimpf und Ernst" (1522in Straßburg) von dem Franziscanermönch Johann Pauli, einem ehemaligen Juden und eifrigen Zuhörer Gcilers von Kaisers­ berg, dessen Predigten er auch herausgab. Seine Erzählungen ge­ ben in einer naiven, kräftigen Prosa eine lebensvolle Anschauung von den weisen Naturkindcrn, die ihre Weisheit hinter der Maske der Thorheit vortragen und im Volke ihr Wesen treibend den Sieg feiern über alle nutzlose Grübelei und vornehme Gelehrsamkeit. Aehnliche Sammlungen von Schwänken und Anekdoten sindWickram's Rollwagenbüchlcin (1555), Frey's Gartengescllschaft(1557) u. a. dgl. Eigenthümlich ist aber die Zusammenstellung aller lustigen Volkssagen von übermüthigem Weisheitsdünkel thörichter Städter in den Schildbürgern oder dem Lalenbuch (1598), welches eine wahre Komödie der Spicßbürgerei ist. Hier erscheint die Narrheit nicht mehr vereinzelt, sondern wird gemeindeartig betrie­ ben [304]. Während im Leben Aesop's von Steinhöwel die Ein­ falt erleuchtet wird, wird hier die Weisheit zur Thorheit und sie hat die Narrheit nicht mehr neben sich, wie Salomo den Markolph, oder der Bischof den Amis, oder wie Eulenspiegel mit seinen Nekkereien die ruhigen und verständigen Leute sich gegenüber hat, son­ dern die Weisheit ist mit der Narrheit, der Spaß mit dem Ernst dasselbe. Es soll die Narrheit und Verkehrtheit erklärt und gerecht­ fertigt werden, und darüber kommt cs zur Erfindung einer Reihe von unsinnigen Handlungen und tollen Streichen. Erst macht sich die Weisheit mit Bewußtseyn zur Narrheit, aber hinterher wird diese zur Weisheit und hat daher von der Weisheit das Bewußt­ seyn, daß sie die Narrheit ist. Dieser Widerspruch wird nach al­ len Seiten hin auf das Ergötzlichste entfaltet und kommt in den närrischsten Werken zu Tage, für welche der Schultheiß den Mit­ telpunkt bildet, der seinen inneren Zusammenhang mit Eulenspiegel nicht verleugnet. Wie das Alterthum sein Abdera hatte, so hat auch Deutschland in den einzelnen Ländern solcheOrtschaften, wohin der Volkswitz die Verkehrtheit und Unbeholfenheit der Kleinstädter ver-

214

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

legte: Mecklenburg hat sein Teterow, Braunschweig sein Scheppenstedt, Baiern sein Weilheim, Hessen sein Schwarzenborn und nock­ andere Länder haben anderswo ihr abgelegenes Krähwinkel. Der Finkenritter endlich macht die Lüge zum Princip sei­ ner Erzählungen [305], worin sich ihm die Welt als eine verkehrte abspiegelt, und um für seine Lügenmärchen eine objective Grundlage zu gewinnen, führt er in alle Fernen, in welchen nichts als das Umgekehrte des Gewöhnlichen geschaut wird; er kommt in das Schlaraffenland, wo die steinernen Birnbäume stehen, der Bach brennt, die Bauern mit Stroh löschen, die Hunde von den Hasen gefangen, die Wölfe von den Schafen gehängt werden. Alle er­ denkbaren Unmöglichkeiten werden unter dem Schein der Wahrheit aufgeführt, und es wird hiermit zugleich außer dem damaligen Hange zu Reisen das Fabelhafte der Reisebücher verspottet. Wie auf den Schwänken der Eulenspiegel, auf den Zaubererzählungen der Faust, so baute sich der Finkenritter auf den Lügenmärchen und den Poesieen des Unsinns auf, und ist ein Vorläufer des Capitain Rodomond und des Schelmufski im 17. so wie des Münchhausen im 18. Jahrhundert. 4. Der satirische Roman.

Am bedeutsamsten und großartigsten faßt sich die Polemik ge­ gen die Thorheiten der Zeit nach ihren verschiedenartigsten Erschei­ nungen in Johann Fischart (s. oben) zusammen, einem Manne, welcher das Volksleben und seine Zeit in allen ihren Richtungen kennt [306]. In seinen Schriften giebt sich ebenso sehr die Ener­ gie und sittliche Tüchtigkeit des deutschen Charakters zu erkennen, als die Zerfahrenheit und Zerrissenheit der damaligen Zeit, in wel­ cher, bei dem lebendigen Bewußtseyn von Natur, gesundem Verstand und Derbheit gegenüber der Verstiegenheit, Unnatur und dem Un­ wesen der Scholastiker, Gelehrten und Mönche, eine besondere Vor­ liebe vorherrschend war für jedwede komische Darstellungsweise vom Lächerlichen und Witzigen herab bis zu dem grobianischen Ton der Zotenreißereien. Fifchart kam dieser Lieblingsneigung seiner Zeit­ genossen durch seine bittere Polemik, die er nach allen Seiten hin richtete, auf eine tiefgreifende Weise entgegen, und entwickelte die bewundernswürdigste Productivität in den abenteuerlichsten Einfäl­ len, in den ausschweifendsten Gedankenverbindungen und in der seltsamsten Wortbildung, die sich keck über jedes Maaß und Gesetz erhebt [307]. Er treibt das willkürlichste Spiel mit den Worten

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

215

und setzt es bis ins Unendliche fort, indem er bald der bloßen Klangähnlichkeit zu Liebe neue Zusammensetzungen von Wörtern bildet, bald dem an sich bedeutungslosen Eigennamen durch kleine Umgestaltungen einen halben Sinn abnöthigt. Außerdem gefällt er sich in der Aufhäufung von wunderlichen Beiwörtern und Bei­ namen, und läßt bisweilen, wie z. B. in seiner Schrift „aller Praktik Großmutter" achtzig asyndetisch verbundene Hauptwörter auf einander folgen. Ihn beseelte das Streben, den Fremden zu zeigen, welche herrliche, reiche Sprache „die deutsche Helden­ sprache" sey. Doch seine Sprachschöpfungen tragen ein zu subjectives Gepräge und sind zu sehr aus genialem Muthwillen, der sich nicht zu zügeln vermag, hervorgegangen, als daß seine Ein­ wirkung aus die Ausbildung unserer Sprache von nachhaltigen Folgen seyn konnte. Alle Richtungen seiner polemischen Tendenzen versammelt Fischart in seiner freien Bearbeitung des Gargantua und Pantag ruel nach Rabelais. Wie Rabelais (f 1553) mit seiner Gei­ ßel das Unwesen der Geistlichkeit und pedantischer Gelehrsamkeit traf, und die Ueberschwänglichkeit der Ritterromane persiflirte, wie Cervantes (f 1616) im Don Quixote den Volkswitz seinen gehei­ men Sieg über die Ritterweisheit feiern läßt, während Ariost (f 1533) die Principlosigkeit der Ritterwelt mit heiterer Ironie behandelt hatte, und wie endlich in der Moschaea des Teosilo Folengo (t 1544) sich die absolut burleske Manier geltend machte, so faßt Fischart alle diese Seiten des Komischen zusammen, wie es hervor­ geht aus dem Kampf des Wirklichen mit der Idee, des Materiel­ len mit dem Spirituellen. Gargantua gehörte der altfranzösischen Riesensage an, welche Rabelais benutzte, um an ihm das Unförmiche und Verkehrte, das Maaßlose und Abenteuerliche seiner Zeit darzustellen. Fischart stellt in dem Helden seines Romans das grobianische Geschlecht seiner Zeit dar, und findet überall Gelegen­ heit, sich über Sitten und Liebhabereien seines Zeitalters zu ver­ breiten und satirische Excurse einfließen zu lassen. Bei der Geburt Gargantua's feiern die zu einem Feste geladenen Gäste das be­ rühmte Trinkgelage, wo ein Musterbild einer trunkenen Litanei ge­ geben wird. Der Vater wählt später einen berühmten Lehrer, den Magister Trubalt Holofernes, der sich auf das politische Leben ver­ stand und auf praktische Weisheit und Lehre; bei dieser Gelegen­ heit wird die scholastische Weisheit gegeißelt. Als Gargantua mit seinem Lehrer nach Paris zieht, so läßt dieser ihn anfangs gewähren,

816

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

und es folgt das Treiben eines liederlichen Studenten. Dann be­ kommt Gargantua eine Nießwurzpurganz, und es beginnt ein neuer Lebenslauf; wir erhalten hier eine Anschauung von den Fort­ schritten, welche die Schulbildung und Humanistik gemacht hat. Charakteristisch ist es, wie innerhalb des Romans selbst der Uebergang von den grobianischen Sitten zu feineren und besseren gemacht wird, und in Gargantua's humanistischer Schulbildung ein Gegen­ satz zu dem früheren rohen Naturleben gefunden wird, ganz so wie auch in der Wirklichkeit die classische Bildung mitten aus der bäu­ rischen Volkscultur heraus diese verdrängte und untergrub. Zuletzt wird in dem mehr epischen Theil des Romans der Nutelpautzner Fladenkrieg erzählt, in welchem sich besonders der Mönch JanOnkapaunt auszeichnet, ein Eisenfresser, wie Ulsan. Zuletzt erhält der Mönch die Erlaubniß, sich ein Kloster zu bauen, in welchem aber aller mönchischer Zwang aufgehoben seyn soll. Das Kloster soll ohne Mauern seyn, ohne Uhr und Stundenglas, daß man nicht die Zeit mit Läuten verderbe, und sich nicht nach eines schläfrigen Uhrenrichters Glocke richte, sondern nach der Vernunft. Am Schluß folgt ein knochenknorriges Räthsel mit einer Weissagung gegen das Treiben der Antilutheraner und Jesuiten und mit Hindeutung auf den Lauf und die Erhaltung göttlicher Weisheit. Zu den Schriften, in welchen Fischart die moralischen Gebre­ chen der Zeit züchtigt, gehört: Das Podagrammische Trostbüchlein(1577), eineUebersetzung zweier lateinischen Lobreden auf das Podagra; es wird hier die gliederkrämpsige Fußkitzlerin als wohlthätige Züchtigung der Menschen dargestellt. Das Ehezuchtbüchlein (1578), wo Plutarchs Moralien benutzt sind; es enthält eine Satire auf den ehelosen Stand und ein Lob der Ehe und des Hauswesens. Es wurde die Ehe im

Gegensatz des Cölibats als ein Hauptpunkt der moralischen Ten­ denzen der Zeit behandelt. Aller Praktik Großmutter (1573), eine Nachahmung der Schrift des Rabelais Pantagrueline Prognostication; hier wird das Unwesen der Kalendermacher und Wahrsager gegeißelt. Mit dieser Polemik gegen moralische Gebrechen ist die kirch­ liche verwandt, in welcher Fischart in die Reihe der heftigsten Gegner der Papisten tritt. Die katholischen Reactionen und die Einführung der Jesuiten (Jesuwider, Sauiter) riefen die sa­ tirischen Anfeindungen hervor, und Fischart entfaltet auf diesem

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

217

Gebiete seine burlesk gehaltene Satire mit Aristophanischem Witz, um der gemeinen Seite der menschlichen Natur die gebührende Verachtung und Herabwürdigung zu Theil werden zu lassen. Ge­ schickt wählt er einen einzigen Repräsentanten des zu bekämpfenden Unheils aus, gegen den er alle seine Jnvcctiven richtet, nemlich den Franciscaner Johann Nasus aus Ingolstadt. Besonders hervorzuhebcn ist seine Schrift: accurata effigies pontificum etc. (1573) „Erklärung und Auslegung einer von verschiedentlich zahm und wilden Thieren haltenden Meß" u. s. w. Die Erklärung be­ zieht sich aus den in Stein gehauenen Thieractus im Straß­ burger Münster[308]. Außerdem gehören noch folgende Werke der kirchlichen Polemik Fischart's an: V. St. Dominici des Prediger­ mönchs und St. Francisci artlichem Leben, dem grauen Bettel­ mönch I. F. Nasen dedicirt (1571), und der Barfüßer Sectenund Kuttenstreit. Das berühmteste Werk aber wurde „Bienkorb des heiligen römischen Jmmenschwarms, seiner Hummelszellen oder Himmelszellen" u. s. w. (1579). Endlich das „vierhörnige Jesuiterhütlein" (1580) ist die beißendste, witzigste und treffendste Satire, die jemals gegen die Jesuiten gerichtet ist. Fischart bezeichnet die äußerste Spitze, welche die Volkspoesie in seinem Gargantua erreicht hat, und weist zugleich den Weg nach einer neuen Richtung, wo man aus der Sphäre der grobianischen Literatur heraus zu einer gebildeteren zurückstrebte. Gelehrte und classisch gebildete Männer wandten der deutschen Sprache ihre Auf­ merksamkeit zu und Fischart war vor Allen für den Ruhm und die Fortbildung derselben bemüht. Er versuchte deutsche Hexameter und Pentameter einzuführen, wie sich an dem zu Ende des zweiten Capitels von seinem Gargantua eingeschalteten Gedichte auf die Deutschen zeigt; er wollte dadurch „die Künstlichkeit der teutschen Sprache" bewähren. An Deutschland's 'Westgränze, wo Fischart seine Heimath hatte, namentlich in Straßburg und Heidelberg, gruppirt sich eine Reihe von lyrischen Dichtern, Universitätslehrern und anderen durch Schule und Reisen gebildeten Männern zusam­ men (Paul Melissus, Peter Denaisius, Georg Rud. Weckherlin), die als die Vorläufer der schlesischen Dichter­ schule bezeichnet werden können. II. Die oratorische, didaktische und geschichtliche Prosa.

Die Rede, die belehrende Abhandlung und die geschichtliche Darstellung lassen auf bestimmtere Weise das Wesen der Prosa

218

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

erkennen, die hervorgehend aus der reflectirenden Richtung des Gei­ stes, das Besondere und Allgemeine, welches in der Poesie noch in ungetrennter Einheit vorhanden ist, für die Erkenntniß zu vermit­ teln sucht, und einerseits die Gegenstände entweder nach ihrem factischen oder nach ihrem theoretischen, rationalen Zusammenhang betrachtet, und andererseits durch Mittheilung der Erkenntniß zu­ gleich auf das Gemüth, auf den Willen zu wirken und zum Handeln zu bestimmen strebt. Da nun nach Einführung des Christenthums die Kirche im Besitz der höchsten Erkenntniß war, so konnte die wahrhafte Belehrung, welche dem realen Lebensinhalte die höhere geistige Beziehung giebt, nur von der Geistlichkeit ausgehen. Diese bediente sich aber vorzugsweise der lateinischen Sprache, bis end­ lich in Folge der ritterlichen Poesie das Deutsche eine solche Aus­ bildung gewonnen hatte, daß dasselbe auch für die belehrende Prosa angewandt werden konnte, und schon oben am Schlüsse der vorigen Periode ist gezeigt, wie der Predigermönch Berthold durch seine Darstellungsweise neue Bahnen eröffnete.

1. Die oratorische und didaktische Prosa. Als um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Zeiten großen Elends eintraten, wo Raub, Mord, Eigennutz herrschend wurden, und Seuchen, Erdbeben, Heuschrecken, Hungersnoth die Gemüther beängstigten, da entstand lebendig eine Sehnsucht nach Erbauung und Erwärmung des Herzens, wie sie bei der Entartung des kirch­ lichen Lebens durch einen im äußeren Ceremonienwesen erstarrten Gottesdienst nicht befriedigt werden konnte. Diesem Bedürfnisse kamen hauptsächlich die Dominikanermönche entgegen, welche predigend umherzogen und sich der religiösen Bildung des Volks annahmen. Sie richteten den Blick von der drangvollen, äußeren Welt auf das Innere und das Leben der Seele, und es kehrte in ihrer dem Uebersinnlichen zugewandten contemplativen Richtung alle Strenge eines heiligen Bernhard oder Augustin gegen das weltliche Gelüste wieder und die Werke beider wurden eine Hauptquelle mystischer Weisheit. An der Spitze dieser neuen mystischen Richtung stand vorzüglich Meister Eckarts309s, wahrscheinlich zu Straßburg in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts geboren. Wegen seiner mystischen Lehren ward er als Ketzer verdammt, und lebte und lehrte zuletzt in Cöln, wo sich ein Kreis von Jüngern um ihn versammelte, zu denen vor Allen Tauler und Heinrich Suso gehörten. Die frische, lebendige Innerlichkeit des Gemüths, wie

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

219

sie in den Mystikern hervortrat, bildete die erste fruchtbare Reac­ tion gegen das inhaltslose, erstorbene Formelwesen der katholischen Kirche.

Die Stärke und Wahrheit der Empfindung führte um so

mehr auf die Muttersprache, als diese nur fähig ist, den wahr­ sten Ausdruck für die innersten Empfindungen zu erschaffen.

Bei

dem Streben das Religiöse im Innern des Gemüths zu beleben wiesen die Mystiker von den gelehrten, spitzfindigen Menschcnsatzun-

gen auf die Bibel und das reinere Evangelium hin und predigten

die Einfachheit des patriarchalischen Lebens der ersten Christen und ihre aufopfernde Tugend im Gegensatz von dem anstößigen Prunke

des Clerus.

Da sie ihren Einfluß hauptsächlich auf das Volk gel­

tend zu machen suchten, so förderten sie bei dieser populären Rich­ tung vorzüglich die Ausbildung der Prosa, und wurden auf eine tiesergreisende Weise die Schöpfer derselben, als die St. Galler

Mönche die althochdeutsche Prosa zu bilden im Stande gewesen waren.

Für die Anschauungen des unsichtbaren mußten neue Worte

geschaffen werden, und es gestaltete sich durch daS Streben nach

Ausdrücken für das

übersinnliche Leben der Gedankenwelt zuerst

durch die Mystiker die philosophische Prosa [310].

Am ausgezeichnetsten unter den Mystikern des 14. Jahrhun­ derts ist Johann Taulers311j, welcher als Dominikanermönch an mehreren Orten Deutschlands predigte, vorzüglich aber sich in Straßburg aufhiclt, wo Jahr 1361 starb.

er nach zwanzigjährigem Aufenthalt im

Er lehrte die Menschen in sich gehen, durch gei­

stige Anschauung das Geheimniß der höheren Bestimmung ahnen, im Inneren das selbst finden, was äußerlich nie oder nur höchst

dürftig gegeben ist, selbst gläubig das schaffen, was durch fremde, buch­ stäbliche Ueberlieferung nimmer zu Stande gebracht werden kann.

Bei ihm finden sich die ersten Unterscheidungen des inneren Lebens in die drei Grade der Reinigung, der Erleuchtung und der Verei­

nigung. Er stellt die Mystik in ihrer reinsten Form dar, und seine Predigten bleiben für immer herrliche Denkmäler deutscher Gottes­ furcht, eine unerschöpfliche Fundgrube

für sich selbst ermannende

und aufstrebende evangelische Glaubensfreiheit. In den praktischen Sinn des 15. Jahrhunderts versetzen uns

die Predigten G eiler's von Kai fers berg, die weniger auf Er­ hebung und Erwärmung des Gemüths, als auf Sittenverbesserung berechnet sind.

Geiler war 1445 zu Schaffhausen geboren, stu­

dierte, wie auch Brant, 1475 zu Basel und ward 1478 als Pre­

diger am Münster zu Straßburg berufen, wo er 1510 starb.

Er

220

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

war ein eifriger Vertheidiger der Volkssprache für die Predigt, zu

welcher er die Themata der Capitel aus Brant's Narrenschiff wählte. Offen sprach er über die Gebrechen und Schlechtigkeiten der Zeit, berührte die Einzelnheiten des öffentlichen und häuslichen Lebens) drückt sich derb, für das Volk gemeinfaßlich aus und war

nicht spröd in der Wahl der Bilder und Vergleichungen [312]. Die 146 Predigten, die er im Jahre 1498 über Brant's Narrenschiff hielt, wurden von ihm lateinisch niedergeschrieben, und von I. Pauli theils nach Geilers Vorträgen nachgeschrieben, theils aus dem La­

teinischen übersetzt (Straßburg 1520). Gehoben wurde die Predigt erst durch die Glaubensinnigkeit und Begeisterung der ersten Periode der Reformation. In Luther's Predigten^war der christliche Glaube gefaßt in seiner innerlich frei­

machenden geistigen Wahrheit, welche in den Gläubigen Kraft, Un­ erschütterlichkeit und Seligkeit wirkt.

Luther's Predigtensammlun­

gen in der Hauspostille und Kirchenpostille (1527)

Vorbilder.

dienten

als

Johann Matthesius, zu Rochlitz im Meißnischen

1504 geboren, ging in seinem fünf und zwanzigsten Jahr nach

Wittenberg und wurde der treue Schüler Luthers, Melanchthons, Bugenhagens und anderer damals in Wittenberg lebenden Gelehr­

ten; eine Zeit lang war er auch Luther's Tischgenoffe.

Er starb

1565 als Prediger zu Joachimsthal in Böhmen. Predigtsammlungen enthält seine Sarepta oder Bergpostill (1562), sein Leben Luther's in 17 Predigten (1565) (Neue Ausgabe von Ruff, mit einem Vorwort von A. Neander.

Predigten (1572).

1841.),

endlich

das Leben Jesu

in 25

Doch wurde nur zu bald alle Freiheit und das

innere Leben der Beredsamkeit gehemmt durch dogmatische Gelehr­ samkeit und Polemik. Man suchte die Reinheit der Lehre in dem bloßen Dogma, und die Tugend und Kraft im hartnäckigen Fest­

halten desselben, und gerieth dadurch in ein geistloses Ueberliefern

eines todten Formelwesens.

Ueber diese Engherzigkeit des theolo­

gischen Sectengeistes erhob sich Johann Arndt (geb. 1555 zu Ballenstedt und gest. 1621 als Superintendent zu Celle) [313], ein Volksschriftsteller, durchdrungen von frommer, ächt evangelischer

Gesinnung. Seine Schriften sind die Ergüsse eines vom Lichte des Evangeliums durchleuchteten und durch seine Gotteskraft gehei­ ligten Gemüths, welches überall für das, was es empfindet, den

rechten, zum Herzen gehenden Ausdruck zu finden weiß.

Die didaktische Prosa bildete sich lebensvoll, wie die ora-

torische, durch die Wirksamkeit der Mystiker, welche im Gegensatz

221

bis zum Ende dcS scchszehntcn Jahrhunderts.

der spitzfindigen Gelehrsamkeit geistloser Scholastik sich den inneren

Zuständen des lebendigen Glaubens zuwandtcn, und über das Le­ ben der Seele in Gott und über die Heiligkeit des Wandels tiefer Es entstand eine Reihe von Erbauungsschriften, in

nachforschten.

welchen sich überall ein ernstes Streben und die Tiefe des Gefühls und der Auffassung

kund giebt.

Ta ul er bildet auch hier den

Mittelpunkt, besonders in seiner Abhandlung von den Tugenden

und vor Allem in seinen vier Büchern von der Nachfolge des ar­ men Lebens Jesu (Straßburg 1621).

Heinrich Suso (geb. zu

Constanz 1295, starb 1366), der predigend umherzog nnd überall vom Wolke hochgcfeiert war, wandte sich bei aller Tiefe seiner re­ ligiösen Betrachtung, die er mit Taulcr theilte, von der frommen Beschaulichkeit mehr

einer

unmittelbar

praktischen

Tendenz

zu

[314], Es sind homiletische, allegorische, didaktische Darstellungen von ihm übrig; doch sein Hauptwerk ist das Büchlein von der ewigen Weisheit, das aus Gesprächen zwischen der Weisheit

und ihrem Diener besteht. Aus den Anhängern Tauler's und Suso's bildete sich die Brüderschaft der Jünger der ewigen Weis­ heit (315).

Das reformatorische Princip in den Bestrebungen der

Mystiker und ihre Glaubensinnigkeit richtete später Luther's und der Reformatoren Aufmerksamkeit auf ihre Schriften, welche die Quelle

reiner, unscholastischer Theologie wurde.

Auf der Höhe der my­

stischen Richtung stand Thomas a Kempis (geb. zu Kempen 1380, gestorben 1471), der sich ganz in die Anschauung der gött­

lichen

Dinge versenkte, aber besonders

für das

lebendige,

thä­

tige Christenthum wirksam war und sich überwiegend auf das As-

cetischc richtete.

Unter seinen Schriften zeichnen sich vor allen die

vier Bücher von der Nachfolge Christi (de imitatione Christi libri IV.) aus, die in alle Sprachen übersetzt wurden, und deren hohen Werth Luther gepriesen hat. Der unermüdliche Fleiß, mit wel­ chem Thomas a Kempis dem Lesen der Bibel oblag, leitete ihn zu eigner Prüfung und Nachforschung auf die alten Sprachen, und er

führte die alten classischen Studien ebenso ein, wie auch später die tüchtigsten und wirksamsten Humanisten Bekenner des evangelischen

Protestantismus waren (Erasmus von Rotterdam, Neuchlin). Wie sehr die Lehrprosa nach und nach für gelehrte Erörterungen ausge­ bildet ward, sieht man aus dem Buch von der deutschen

Theologie, dessen Verfasser unbekannt ist, und welches Luther mit einer Vorrede 1516 herausgab (in neuester Zeit hcrausg. von Biesenthal 1842.).

In diesem Buch stellen sich die höheren geistigen

222

Vierte Periode. Von der Mitte des vierzehnten

Bestrebungen der Zeit am anschaulichsten dar und zeugen dafür,

wie tiefe Wurzel schon die reformatorischen Bestrebungen im 15. Jahrhundert geschlagen hatten, und wie deshalb die Reformation der Kirche später so allgemeinen Anklang sand. Dies erkennt auch

Luther selbst an in der Vorrede zu diesem Buch, in welchem zunächst

der Gedanke ausgeführt wird, daß das Vollkommene die Einheit des

Ganzen und seiner Theile ist, und sodann die Lehre von der Ent­ stehung und Vernichtung des Bösen entwickelt wird mit einer sol­

chen Sicherheit der Erkenntniß und Gewalt der Sprache, daß die

nachfolgende Zeit immer von Neuem auf das Buch wieder hinge­ wiesen hat. Dem moralischen Standpunkte Geilers entsprechen auf dem Gebiet der Lehrprosa die Schriften Albrechts von Eybe, wel­

cher aus Franken stammte (geb. 1420, gest. 1475).

Seine Schrif­

ten lehren ihn als

einen durch das Alterthum gebildeten, durch Weltkenntniß erfahrenen, dem Leben und der reinen Freude nicht

abholden Mann kennen.

In seinem Ehestandsbuch tritt uns

die Sprache des bürgerlichen und gesellschaftlichen Lebens dieses Jahr­ hunderts in ihrer ganzen Naivität, ihrer treuherzigen Derbheit und schalkhaften Ehrbarkeit entgegen [316]. In dieser Darstellungsma­ nier wechselt Ernst und Scherz, moralischer und burlesker Ton, wie sich dies auch in Geilers von Kaisersberg Predigten zu erken­ nen giebt. Die Lobrede, welche Albrecht von Eybe der Ehe hält, ist voll lehrreich unterhaltender Erzählungen, und ausgestattet mit

Zeugnissen aus alten und neueren Schriftstellern; die eingeschalte­ ten Novellen, in welche bisweilen die moralischen Abhandlungen

auslaufen, zeichnen sich aus durch gute Erzählung und erinnern an Bocaccio's Darstellungsweise. In Folge der Reformation wurde die Literatur hauptsächlich

eine theologisch-didaktische und theologisch-polemische, und hier bil­ det Luther mit seinen Streit- und Flugschriften den wahren Mit­

telpunkt, da auf ihn alle Fäden der geistigen Bewegung seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts als zu ihrem Endpunkte zusammen­

laufen und an ihn sich alle geistigen Bestrebungen der neueren Jahrhunderte als ihren Anfangspunkt anknüpfen. Unter seinen zahlreichen Schriften können vorzüglich hervorgehoben werden: An

den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520); Vermahnung an alle Christen sich vor Aufruhr

und Empörung zu hüten (1522); an die Bürgermeister und Raths­ herrn aller Städte Deutschlands christliche Schulen aufzurichten

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

223

(1524); große Bekenntniß vom Abendmahl Christi (1528). Durch seinen kleinen und großen Katechismus (1529) wurde die Grund­ lage des Religionsunterrichts beim Wolke gelegt. Außerdem ent­ halten seine Vorreden, Einleitungen und Auslegungen biblischer Bücher, seine Trostschriften und seine Briefe einen reichen Schatz von Belehrungen für Kopf und Herz, und zeugen von der rastlo­ sen Thätigkeit des großen Reformators. Ueberall zeigt sich die auf wahres Gottesvertrauen gegründete Kühnheit und Unerschütterlich­ keit, mit der er die erkannte Wahrheit ins Leben setzte; eben hier­ durch trat er an die Spitze einer neuen Zeitrichtung. Nach Luther drang nur zu bald in die didaktische und polemische Litera­ tur ein engherziger Dogmenstreit und die Wahrheitsliebe wich dem Sectengeist, und an die Stelle lebendiger Herzensfrömmigkeit trat

ein steifes Festhalten an todten Lehrformeln. Nur Johann Arndt war ein rechtes Licht der Frömmigkeit in jener trüben Zeit des Protestantismus; seine Schriften sind einfach und ruhig, in rechter Liebe und Andacht geschrieben. Die vier Bücher vom wahren Christenthum (1605 —1609) wurden nach der Bibel eins der verbreitetsten Erbauungsbücher. Die deutsche Lehrprosa gewann nun nicht weiter eine selbststän­ dige Fortentwickelung, so daß alle Gestaltungen des intellectuellen Lebens eine durchgebildete, nationale Ausdrucksform erhalten hätten. Bei dem eifrigen Studium des classischen Alterthums behauptete das Latein als Gelehrtensprache das Uebergewicht in wissenschaftli­ chen Entwickelungen. Es erhielt sich daher die deutsche didaktische Prosa nur in populären Gattungen. So behandelte Johann Agricola (geb. 1492 zu Eisleben, starb als Hofprediger zu Ber­ lin 1566) den für Sprache und geschichtliche Volkskunde gleich er­ giebigen Schatz deutscher Sprüchwörtcr mit beredter Liebe und gründlicher Einsicht [317]. (Auslegungen deutscher Sprüchwörtcr in drei Sammlungen 1528, 1529 und 1548). Auch Sebastian Frank (geb. zu Donauwörth 1500, starb um 1545) war Samm­ ler deutscher Sprüchwörtcr und schrieb einen sinnreichen Commentar deutscher Sprüchwörtcr, der wichtig ist für die Geschichte der deut­ schen Sprache und ihrer Kraftausdrücke. Diese Sprüchwörtersammlungen vertreten in dieser Periode die früheren didaktischen Dich­ tungen, einen welschen Gast, einen Freidank, einen Renner. — Wie empfänglich das Deutsche war für eine wissenschaftliche Durchbildung und geschickt zur wissenschaftlichen Darstellung, be­ weist der geistvoll erfindungsreiche Künstler Albrecht Dürer (geb.

224

Vierte Periode.

Bon der Mitte des vierzehnten

zu Nürnberg 1471, starb 1528), welcher seine gründlichen Studien

der Natur und Mathematik auf die Malerei anwandte und sie zum

Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung machte.

Seine Werke:

„Unterweysung der Messung mit dem Zirkel und Nichtscheyt in Li­ nien, ebenen und ganzen Corporen" (1525), und „vier Bücher von menschlicher Proportion" (1528) zeichnen sich durch Klarheit und Angemessenheit des Ausdrucks aus.

Auch der vorhin erwähnte

Sebastian Frank, welcher zur schwärmerischen Secte der Wie­ dertäufer gehörte und ein Feind des Pabstthums war,

ohne ein

Anhänger Luther's zu seyn, bildete die Sprache in seiner metaphy­ sischen Behandlung des Christenthums, mit welchem er neuplato­

nische Ideen, namentlich die Lehre von der Weltseele zu verschmel­

zen strebte, für Bezeichnung feinerer Gedankenbeziehungen ouS[318]. Es gehören hierher seine Schriften: Paradoxa oder 280 Wunder­

reden aus heiliger Schrift (Ulm 1534); ferner „daß Gott das einig Ein und höchstes Gut u.s.w. sey" (1543). Es erhielt sich die Mystik auch

noch gegenüber der Lutherischen Lehre, weil man von ihr in Folge

der Feststellung von Dogmen ein neues Pabstthum fürchtete. Diese

mystische Richtung ist besonders

von Sebastian Frank vertreten,

wie auch durch Kaspar Schwenkfcld von Ossig (geb. 1490, starb in der Verbannung zu Ulm 1561). Außerdem trat die Mystik in Opposition gegen die Scholastik und das sich kastenmäßige Ab­ schließen der Gelehrten auf der Universität von der volksmäßigen Bildung. Theoprastus (Paracelsus Bombastus) von Hohen­ heim (t 1541), welcher das theologische Element der Mystik mit

einer tieferen Auffassung der gcheimnißvollen Kräfte der Natur in Verbindung brachte, machte den Versuch in der wissenschaftlichen

Behandlung der Medizin die deutsche Sprache geltend zu machen.

Er verfaßte mehrere seiner Schriften deutsch, z. B. von der Magie

der Welt; von der Natur der Dinge; sieben Bücher von offenen Schäden; große Wundarznei u. a. m. Ihm folgte in der mysti­ schen Richtung Valentin Weigel, Prediger zu

Tschoppau im

Meißnischen (t 1588), der aber dcs theologische Element vor­ walten ließ. Sein „güldener Griff" d. i. Anleitung alle Dinge ohne Irrthum zn erkennen ist eine nystbsche Metaphysik im Sinn

der unmittelbar durch Gott gewirktenErlkenntniß.

Diese mystische,

theosophische Richtung erhielt in Jakob Böhme (t 1624) ihren

Abschluß.

bis zum End« des sechszehnten Jahrhunderts. 2.

225

Die geschichtliche Prosa.

Es ist am Schluffe der vorigen Periode gezeigt worden, wie

durch Abfassung von Urkunden und Statuten in deutscher Sprache

der Gebrauch der Prosa immer mehr gefördert wurde, und es war daher ganz naturgemäß, daß sich aus den Neimchroniken die Prosa­ chronik entwickelte.

Die

chronikenartige

Darstellung

erhielt

sich

längere Zeit; die unlebendige Form der scholastischen Philosophie

übte keinen Einfluß aus, die historischen Begebenheiten nach ihren inneren, geistigen Bezügen und Verbindungen zu erfassen. Die

Chronik giebt die Ereignisse in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge, indem sie den objectiven Gang derselben Schritt für Schritt nach Jahres­ zahl und Datum verzeichnet.

Die Darstellung ist einfach und an­

spruchlos, sie giebt zwar auch Ursachen und Wirkungen an, je­ doch nur in der äußerlichen Form der Zeitfolge und ohne ein be­ stimmteres Bewußtseyn des

inneren Zusammenhangs.

sich innerhalb dieser Chronikenform,

Es macht

entsprechend dem Ucbergang

der poetischen Weltchronikcn in Specialchroniken, auch eine Jndividualisirung des Stoffs geltend, indem man zu Tagebüchern oder Memoiren und zur Selbstbiographie fortschreitet.

Hier ist das sub-

jective Element der Auffassung eben so vorherrschend, wie in der

Chronik das objective; es werden die Gründe und Zwecke der handeln­ den Personen angegeben, doch nur in einer beschränkteren Betrachtungs­ weise, mit bloßer Berücksichtigu ng der besonderen Erscheinungen des Pri­ vatlebens und der nächsten persönlichen Verhältnisse und Berührungen. Die Limburger Chrowik,

angefangen von dem

Limburger

Stadtschreiber Tillmann umdfortgesetzt von Joh. Gensbein (um 1473), ferner des Closeners Straßburgische Chronik und Jacob Twinger's von Königshöfen, des Domherrn zu Straßburg, elsässische Chronik gehören! zu den ältesten Geschichtsbüchern in Die elsässische Chrowik ist ein von Königshofen gemachter Auszug eines größeren noch ungedruckten Werkes; ihr Werth ist aber dadurch sehr verringert,, daß Königshofen den Closener fast gänzlich abgeschrieben hat. Gs haben die Chroniken, um die Sitten Prosa.

und die Lebensweise der Zeit näiher kennen zu lernen, großen Werth; in ihnen erhielten sich auch die gamgbarsten Volkslieder, weshalb sie eine

reichhaltige Quelle für den Vwlksgesang sind, der sich im 15. Jahr­ hundert entwickelte. In bcr ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts gab Johann Rothe, ein

Mönch zu Eisenach, eine thüringi­

sche Chronik heraus, in wcelcher bei aller Einfachheit und Trocken-

Biese deutsche Literaturgeschichte.. I.

15

226

Werte Periode. Bon der Mitte des vierzehnten

heil des Chronikenstils eine poetische Färbung nicht zu verkennen ist. Rothe nahm auch manches von der Legendendichtung, in der er sich versucht hatte, in seine prosaische Darstellung mit hinüber. Ein Fortschritt in der Behandlung historischer Stoffe ist schon vor der Reformation in den Schweizerischen Chroniken wahrzunehmen. Diebold Schilling, von 1465 Gerichtsschreiber in Bern, gab eine Beschreibung der Burgundischen Kriege, in denen er selbst mitgefochten hatte. In dieser Beschreibung sind viele Schweizer

Kriegs- und Siegslieder enthalten. Ferner zeichnet sich die Chro­ nik der Eidgenossenschaft (1507) von Petermann Etterlin, dem Gerichtsschreiber zu Luzern, durch Einfalt der Darstellung aus und durch Richtigkeit des Urtheils, wenn er in seiner Chronik als Zeit­ genosse spricht. Größere Vollkommenheit gewann die historische Darstellung im Laufe des 16. Jahrhunderts, und es zeigte sich bald in einzelnen Geschichtsbüchern auch der wohlthätige Einfluß von

Luthers Schreibart. Johann Thurnmayer, 1477 geboren zu Abensberg in Baiern (Aventinus), der an mehreren Universitä­

ten lehrte, schrieb eine baierische Chronik (1533), wozu er durch vieljährige Forschung mit Umsicht und unbestechlicher Wahrheits­ liebe den Stoff aus urkundlichen Zeugnissen, aus Denkmälern, mündlichen Ueberlieferungen und örtlichen Anschauungen zusammen­ brachte. Seine Darstellungsweise verrieth eine nähere Kenntniß der antiken Geschichtschreiber. Ein fester vaterländischer Gesichts­ punkt leitete ihn: der Bürger sollte in seiner Heimath geschichtlich einheimisch, er sollte mit Achtung vor seinem Sols, mit Liebe für das Große, Wahre und Rechte erfüllt werden; durch Erfahrung und Muster der Vergangenheit, durch Betrachtung dessen, was und wie es geschehen war, sollte die Gegenwart veredelt, die Gesin­ nung der Zeitgenossen gereinigt und gekräftigt und somit eine glück­ lichere Zukunft vorbereitet werden. Seine Darstellung ist gehalt­ voll und freimüthig und zeugt von seiner biederen Denkart. Das Ganze ist in acht Bücher getheilt; das erste handelt von Erschaf­ fung der Welt, Ursprung der uralten Teutschen; das zweite von den römischen Kaisern, und im dritten kommt der Verfasser auf die Baierischen Geschichten. Auch in anderen Chroniken ist es sehr ge­ wöhnlich, daß die Weltgeschichte als einleitend vorausgeschickt wird, welches noch von der Unbehülflichkeit zeigt, den geschichtlichen Stoff zu bewältigen. Aegidius Tschudi, aus Glarus (geb. 1505, gest. 1572), schrieb eine schweizerische Chronik (1531), die sich auszeichnets owol in Ansehung des urkundlichen Stoffs als der treffen-

bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts.

227

den Ansichten und Urtheile, so wie der naiv gedrungenen Sprache. Dann ist noch zu erwähnen die niederdeutsch geschriebene Pommersche Chronik (um 1532) von Thomas Kantzow (wahrscheinlich

1505 zu Stralsund geboren, gest, zu Stettin 1542).

Bei einer

anschaulichen Schilderung und vorurtheillosen Denkart tritt überall

Ehrfurcht vor bürgerlicher Zucht und Ordnung hervor. Der schon öfter erwähnte Sebastian Frank, welcher um die Ausbildung der deutschen Sprache sich große Verdienste erwarb, schrieb auch

mehrere Geschichtsbücher, die sich durch die Art und Weise der Er­

zählung Vortheilhaft auszeichnen; hierher gehört seine „Chronica,

Zeytbuch und Geschychtbibel von Anbegynn bis in dies gegenwer­ tig 1531 Jar;" ferner seine Chronik des ganzen deutschen Landes (1538). Frank's Geschichtsbücher gehören zu den besten Prosawer­

ken des Jahrhunderts. Außerdem ging er zuerst ab von der bloß chronikartigen Erzählung in seinem Weltbuch, Spiegel undBildniß des ganzen Erdbodens (1542).

Es war dies eine Art Kos-

mographie, die alles Merkwürdige enthielt, das auf der Erde ist

und auf ihr gewesen ist; hier werden namentlich auch die verschie­ denen deutschen Provinzen und deren Einwohner treffend geschil­ dert.

Uebertroffen wurde Frank's Weltbuch noch durch die Kos-

mographie (1544) Sebastian Münsters (geb. 1498 zu In­ gelheim, gest. 1552 als Professor zu Basel). Dies Werk blieb lange Zeit Lieblingsbuch der süddeutschen niederen Stände.

phie

Endlich begegnen wir in diesem Zeitraum der Selbstbiogra­ und den Memoires oder Tagebüchern. Götz von Ber-

lichingen (t 1567) schrieb sein eigenes Leben; „ritterliche Tha­ ten Götz von Berlichingens mit der eisernen Hand" (herausg. von

Geffert.

Pforzheim 1843.).

Das Leben des biederen Götz regte Gö­

then an zu seinem Drama gleichen Namens (319).

Die Tagebü­

cher des Ritters Hans von Schweinichen (herauSg. v.Büsching. Breslau 1820-23.) führen uns ein in das entartete Leben des Adels; sie reichen bis 1602. Chronik und Memoir sind die beiden Grundformen der sich entwickelnden Historiographie, auf welchen sich die eigentliche Ge­

schichtschreibung in ihrer höheren, ideelleren Richtung auferbaut (320).

Chronologische Uebersicht der deutschen Nationalliteratur. Zweite Periode. Von der Mitte des 4. bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts.

Viertes Jahrhundert.

360—380.

Des Ulsila's Bibelübersetzung. Sechstes Jahrhundert.

Die Malbergischen Glossen in fränkischer Mundart, die dem salischen Gesetzbuch beigefügt find. Siebentes Jahrhundert.

Vocabularium 8. Galli (Glossen). Zwei Zaubersprüche, die ältesten Proben heidnischer Volkspoefie.

Achtes Jahrhundert. Herrschaft des Althochdeutschen (vom 8. bis zum 12. Jahrhundert.)

Übersetzung des Traktats: de nativitate Domini. Kero's (Mönch's zu St. Gallen) Jnterlinear-Version der Regel des heil. Benedikt. Wessobrunner Gebet. Um 770. Das Hildebrandslied. Neuntes Jahrhundert. Herrschaft der Karolinger (800 — 919).

881.

Muspilli oder vom jüngsten Gericht. Heljand, altsächfische Evangelienharmonie. Otfrieds Cvangelienharmonie, Krist. Uebersetzung von Tatian'S Evangelienharmonie. LudwigSlied.

Chronolog. Uebersicht der deutschen Nationalliteratur.

229

Zehntes Jahrhundert.

Herrschaft der sächsischen Kaiser (919 — 1024).

Notker's III. (Labeo), Mönch's zu St. Gallen Psalmenübersetzung. Leich auf Otto den Großen, halb deutsch, halb lateinisch. (Walther von Aquitanien vom St. Galler Mönch Eckehard.) (Die lateinisch dichtende Nonne Roswitha im Kloster Gandersheim.) Eilstes Jahrhundert.

Herrschaft der Fränkischen Kaiser (1024 — 1125).

Merigarto, eine Art Kosmographie. Uebersetzung des Boethius de consolatione philosophiae. t h^i Übersetzung des Marcianus Capella de nuptiis philoso-l von phiae et Mercurii. 1 ^Otfer Uebersetzung eines Theils des Aristotelischen Organons. ) 1IL

Um 1080. Williram's Paraphrase des Hohen Liedes. Reda umbe diu tier. Zwölftes Jahrhundert. Vorbereitung des Mittelhochdeutschen.

Görlitzer Evangelienharmonie. Freie Bearbeitung der Bücher Mosis. (1100. Isengrimus in Südflandern. 1150. Reinardus vulpes in Nordflandern).

Dritte

Periode.

Von der Mitte des 12. bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts.

Zwölftes Jahrhundert.

Uebergang zu der Blüthe der mittelhochdeutschen höfischen Poesie. Herrschaft der Hohenstaufen (1137—1254). Um 1150. Dietmar v. Aist, ältester bekannter Minnesänger nebst dem Meister Spervogel und dem v. Kürenberg. 1160. Reinhard Fuchs von Heinrich dem Glichesäre. Die Kaiserchronik. 1175. Leben der Jungfrau Maria von Wernher, Mönch zu Te-

gernsee. Tristan von Eilart von Oberg. Das Rolandslied vom Pfaffen Konrad. Das Aleranderlied vom Pfaffen Lamprecht. Salman und Morolt von einem Volksdichter. 1180. Das Annolied. Herzog Ernst. König Rother. Die Legende von Pilatus. 1185. Heinrich v. Beldeke; die Eneit (1184 — 89), theils am Clever, theils am Thüringer Hof.

230

Chronologische Ue-erficht

1199» Lanzelot vom See, von Ulrich v. Zazichoven, einem Baiern. Dreizehntes Jahrhundert. 1200. Heinrich v. Morungen. Hartmann v. d. Aue; Erek und Enite, der heilige Gregorius auf dem Steine, der arme Heinrich, Jwein. Reinmar der Alte. Walther von der Vogelweide (+ 1227). 1205. Wolfram von Eschenbach (t um 1220), Parcival, Titurel, Willehalm von Oranse. 1207 (?) Der Säng erkrie g aufder Wartburg. 1210 (?) Der Winsb ecke und die Winsbeckin. Meister Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde. Das Nibelungenlied. Gudrun. 1215. Der welsche Gast von Thomasin v. Zerkläre. 1215—18. Der Sachsenspiegel. Neidbardt, um 1217 berühmt — 1234, Erfinder der höfischen Dorfpoesie. 1225. Freidank's Bescheidenheit. Reinmar der Zweier (1220—45). 1230. Konrad Flecke; Flos uud Blancflos. Der Stricker; Rolandstied, der Daniel von Blumenthal; der Pfaffe Amis, die Welt (eine Sammlung von Fabeln). 1240. Rudolf v. Ems; Wilhelm von Ortens, Barlaam und Josaphat, Alexanderlied, Trojanischer Krieg, Weltchronik. Wernh er der Gartenäre; Meier v. Helmbrecht. Gottfried v. Reifen und Ulrich v. Winterstetten. 1245. Der Tanhäuser und der Marner. 1250. Reinbot v. Durne; der heilige Georg. Jansen der Enenkel; Weltchronik. Reinhard der Fuchs von Heinrich dem Glichesäre (jüngere Be­ arbeitung). 1255. Ulrich von Lichtenstein; Frauendienst und Frauenbuch. 1260. Bruder Bertholds Predigten. 1270. Konrad v. Würzburg, trojanischer Krieg; verschiedene Erzäh­ lungen von größerem und kleinerem Umfang; die Legende Sylve­ ster; die goldene Schmiede. Konrad, Schenk v. Landeck. 1280. Meister Friedrich v. Sunenburg. Rumeland von Schwaben. Steinmar von Thurgau. 1282. Schwabenspiegel. 1285. Riese Siegenot. Eckenlied. Dietriches Ahnen. Diet­ rich's Flucht. 1290. Der Meisnerl Meister Stolle. Der Unverzagte. Mei­ ster Alexander.

231

der deutschen Nationalliteratur.

Otnit. 1293. Hugo von Langenstein, die Marter der heiligen Martina. 1295. Der Kanzler aus Steiermark. Lohengrin. Lamprecht von Regensburg, die Tochter von Spon. Der Schulmeister von Esselingen. Vierzehntes Jahrhund ert.

1300. Hugo von Trimberg, Renner. Heinrich von Neuenstadt; Unseres Herrn Zukunft, Apollonius von Tyrus. Ottocar von Horneck, Oesterreichische Chronik. 1310. Johann Hadlaub. Barthel Regenbogen.

1320. 1324. 1337. 1340.

Heinrich

Frauenlob. Der große Rosengarten von WormS. Hug- und WolfDietrich. Ravennaschlacht. Ulrich Boner, der Edelstein. Konrad von Ammenhausen, Schachzabelbuch. Hörnener Siegfried. Dietrich's Drachenkämpfe. Etzel's

Hofhaltung. 1349. Hermann von Fritzlar, Buch von der Heiligen Leben.

Vierte

Periode.

Von der Mitte des 14. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.

1350. Iohann Tauler. Heinrich Suso. Heinrich von Müglin, Doctor der Theologie zu Prag; Buch der Maide. Heinrich der Teichner. Die Limburger Chronik. 1362. Closener's straßburgische Chronik. 1370. Peter Suchenwirt, Ehrenreden auf österreich. Große. 1386. Ha lbsuter's Lied auf die Schlacht von Sempach. Jacob Twinger von Königshofen, Elsässische und Straßbur­ gische Chronik. 1390. Muscatblüt. Philipp Frankfurter, der Pfarrer von Kalenberg. Drei Mysterien: Marien Klage, zwei Osterspiele.

Fünfzehntes Jahrhundert. 1400. Hugo v. Montfort. Oswald v. Wolkenstein. 1412. Hans der Büheler; Königstochter von Frankreich, die sieben wei­ sen Meister, das Leben Diocletians. Salomon und Markolph. 1420. Passionale aller Heiligen. 1430. Peter von Dresden, geistlicher Liederdichter. 1440. Heinrich von Laufenberg; Spiegel menschlichen Heils, das Buch der Figuren.

232

Chronologische Uebersicht

1450. Hermann von Sachsenheim, die Mohrin. Allegorische Gedichte: die Jagd des Hadamar von Laber, der Minne Lehre, die Liebe und der Pfennig. Johann Rothe, Leben der heil. Elisabeth. Hans Rosenblüt, der Schnepperer; Schwänke, Priameln, Fast­ nachtsspiele. 1455. Michael Beheim. 1460. Hans Folz, Schwänke und Fastnachtsspiele. Historische Lieder unter den Dithmarsen. 1462. Jacob Püterich; poetische Epistel an eine österreichische Prinzessin über die alten Rittergedichte. 1470. Liederbuch der Clara Hätzlerin. Johann von Soest, Margarethe von Limburg. Albrecht von Eybe; Ehestandsbuch. 1472. Kaspar v. d. Röhn; Heldenbuch. 1476. Veit Weber. Heinrich Steinhöwel; Fabeln des Aesop. 1478. Niclas v. Wyle; Translation ob. Tütschungen etlicher Bücher. 1480. Diebold Schilling; Burgundische Kriege. Theodor Schernberg; das Spiel von Frau Jütten. 1483. Eulenspiegel, zuerst plattdeutsch erschienen. 1487. Ulrich Fürterer; cyclisches Gedicht aus der Artus-und Gralsage. Hans Dintler; Buch der Tugend. 1490. Sebastian Brant; Narrenschiff. 1493. Der edle M öringer. Klauß Narr. 1498. Reineke Vos. Sechszehntes Jahrhundert.

1500. Johann Geiler v. Kaiseröberg. Jason Widmann; Peter Leu. 1507. Petermann Etterlin; Schweizerchronik. 1509. Fortunatus. 1512. Thomas Murner; Narrenbeschwörung, Schelmenzunft. 1515. Der Weißkunig. 1516. Die deutsche Theologie mit Luther's Vorrede. 1517. Der Teuerdank. 1518. Johann Pauli; Schimpf und Ernst. 1517—34. Martin Luther; Bibelübersetzung. Ulrich v. Hutten; Klag und Vermahnung wider die Gewalt des Pabstes. HanS Sachs; Wittenberger Nachtigall; Meisterlieder;

Erzählun­

gen, Schwänke und Fastnachtsspiele. Nicolaus Decius. Paul Speratus von Spretten. Johann Thurnmayr; Baiersche Chronik. Johann Agricola; hundert deutsche Sprüchwörter.

der deutschen Nationaltiteratur.

1540.

1550.

1560. 1570. 1580.

1583. 1587. 1588.

1590. 1597.

1600. 1610.

233

Sebastian Frank; Chronik, Zeitbuch und Geschichtbibel; Chronik der Deutschen; Paradoxa; Sprüchwörter. Thomas Kantzow; Pomerische Chronik. Aegidius Tschudi; Chronik der Schweiz. Erasmus Alberus; Fabeln. Burkard Waldis; Fabeln. Nicolaus Hermann; geistliche Lieder. Johann Matthesius; Predigtsammlungen. Götz v. B erlich in gen; Selbstbiographie. Georg Wickram; das Nollwagenbüchlein, der Goldfaden. Adam Puschmann; Meistersänger. Johann Fischart; Glückhaft Schiff; Gargantua und Pantagruel; Bienenkorb des heil, römischen Jmmenschwarms. Bartholomäus Ringwaldt; geistliche Lieder, die lautere Wahr­ heit, christliche Warnung des treuen Eckart. Valentin Weigel; Bericht und Anleitung zur deutschen Theolo­ gie, güldner Griff. Martin Schallimg. Ludwig Hembold, geistliche Liederdichter. Amadis von Gallien. Buch der Liebe. Historie von Dr. Johann Faust. Eucharius Ey ring, Sprüchwörter. Georg Rollenhagen; Froschmeuseler. Die Schildbürger. Philipp Nicolai; geistliche Lieder. Ritters Hans von Schweinichen Denkwürdigkeiten. Johann Arndt; vier Bücher von wahrem Christenthum. Jacob Ayrer; Comödien, Tragödien, Fastnachtsspiele. Joh. Val. Andreä; christliche Gemäl, geistliche Kurzweil.

Anmerkungen. 1) Vergl. I. Grimm's deutsche Grammatik, d. Einleitung. Grimm ist der Schöpfer und Begründer der deutschen Philologie geworden, indem er durch die gründliche Behandlung der Dialekte unserer Muttersprache den Grundbau und die Fortbildung des germanischen Sprachschatzes ent­ wickelt hat. Allmählig reiste diese ächt deutsche Wissenschaft, welche aus den innersten Regungen des nationalen Bewußtseyns hervorgegangen ist. Schon Gottsched war bestrebt durch die Schätze der altdeutschen Literatur unsere Sprache zu bereichern, und noch tiefer griff Bodmer in die Dlüthenzeit der mittelhochdeutschen Dichtung hinein, und es wurden in dem Kreise der Halberstädter Dichter die Lieder der ,,Minnesänger" Gegenstand der Er­ klärung, Uebersetzung und Bewunderung. Doch aus Mangel eines tiefer eindringenden grammatischen Studiums fehlte das rechte Verständniß und die Einsicht in die allmählige Entwickelung der Hauptmundarten unserer Sprache. Da die Sprache der Abglanz der besonderen Volksthümlichkeit ist, und sich in ihr der Geist des Einzelnen und der Geist der Zeit abspiegelt, so ist zum vollen Verständniß einer Zeit daS Studium ihrer Sprache ein Haupterforderniß, und ebendeshalb schuf Grimm durch seine Grammatik, in welcher er die organische Fortbildung der Dialekte unserer Sprache nachwies, eine so gediegene Grundlage für die deutsche Philologie, welche für die wissenschaftliche Behandlung unserer Nationalliteratur die herrlichsten Früchte trug. Erschienen ist Grimm's deutsche Grammatik. Göt­ tingen 1. Thl. 1819, 2. Ausg. 1822, 3. Ausg. 1840; 2. Thl. 1826; 3. Thl. 1831; 4. Thl. 1837. 2) Vergl. W. Grimm über deutsche Runen. Göttingen 1821. und I. Grimm, deutsche Grammat. 3. A. p. 25 seq. 3) S. I. Grimm'6 deutsche Mythologie. Göttingen 1835. p. 39 seq., p. 67 seq., p. 218 seq. 4) In der geschichtlichen Entwickelung eines jeden welthistorischen Volks läßt sich unterscheiden die Heroenzeit und die Zeit der selbstbewuß­ ten sittlichen und intellectuellen Bildung. Zn der Heroenzeit find Einzelne die Träger des ideellen Lebens, das sich in dem nationalen

Anmerkungen.

235

Geiste zu gestalten beginnt, und das Volk gewinnt das Bewußtseyn seiner selbst in seinen Helden, deren Eigenthümlichkeit keine andere ist als die deS Volks, aber dadurch sich auszeichnet, daß sie in ihnen mit energischer An­ schaulichkeit sich persönlich darstellt, und eben hierin liegt das poetische Element der Heldenzeit. Die Heldenthat ist das Product der freien Kraft, welche noch nicht gehemmt und gestört wird durch ein mannigfaltig geglie­ dertes Staatsleben, in welches der ideelle Gehalt des Volkslebens später übergeht. Wie die Thaten der Heroen aus dem Gefühl der freien Kraft hervorgegangen sind, ebenso frei fühlt sich die Phantasie des Sängers an­ geregt, die Heldenthaten als ein Erlebtes, Angeschautes und Gefühltes in ihrer ganzen Wirkung lebendig darzustellen, und er konnte der freudi­ gen Zustimmung bei allen Zuhörern um so gewisser seyn, als er nur das aussprach, was dem Gemüth des ganzen Volks angehörte und worin jeder Einzelne sich sogleich wiedererkannte. Es schuf daher die erregte Phan­ tasie des Sängers einen Gesang, welcher Herz und Mund aller Volksge­ nossen in gleicher Weise erfüllte und bewegte. Es geht durch das gesammte Volk während seiner Heroenzeit ein gemeinschaftliches poetisches Vermögen, und bei den alten Germanen verschmähten es Helden und Könige nicht, tapfere Thaten zur Harfe zu singen (s. oben p. 14 seq.). Bei der lebendi­ gen Betheiligung an der That selbst kam das volle Pathos in den Gesang, und eben hierauf beruht die Herrlichkeit der altdeutschen volksthümlichen Sangeokunst, welche Naturpoesie war, die der unmittelbare und unbewußte Anfang der Kunst ist. Später bewahrten die fahrenden Sänger und Spielleute den reichen Schatz alter Sagen und Lieder, und weckten, vor Hohen und Niedrigen singend, die alte Gesangesfreude und Liederlust. 5) Klopstock war bestrebt, sich ein Bild von der alten Poesie der Ger­ manen, von dem Bardengesang, zu schaffen, wozu Ossians Gesänge und die scandinavischen Edden die meisten Farben liehen. Vergl. die Ode „der Hügel und der Hain" wo der Charakter des deutschen Urgesangs angegeben wird. Klopstock glaubte uns in seinen Bardietten eine Vorstellung von dem Baritus der Cherusker geben zu können. 6) S. Lachmann, Kritik der Sage von den Nibelungen p. 446 seq. und W. Grimm, die deutsche Heldensage p. 4 seq. Letzteres Buch ist be­ sonders wichtig für den Ursprung und die Fortbildung deutscher Volkssagen. Vergl. Rosenkranz zur Geschichte der deutschen Literatur (Königsberg 1836) p. 8 seq. 7) Ueber die Thiersage ist die gründlichste und erschöpfendste Arbeit I. Grimm's Einleitung zu seiner Ausgabe von Reinhart Fuchs. Berlin 1834. Vergl. Vilmar Gedichte der deutschen National-Literatur (Marburg und Leipzig 1846) p. 15 seq. und 233 seq. 8) Die Thiersage will durch Stoff und Erzählung wirken und hat kei­ nen anderen Zweck als sich selbst; sie ist eine maere; das Thun und Trei­ ben der Thierwelt, die Listen des Fuchses, die Raubgier des Wolfes u. dgl. flößen an und für sich Interesse ein. Hierdurch unterscheidet sich die Thier­ sage von der Fabel, in welcher die Lehre das Ursprüngliche, die Erzählung (spei) das Nebenher ist (bispei); sie will uns den Lauf der Welt darstel-

236

Anmerkungen.

len und hierfür genügt es, die Thiere in solche Situationen und Verhält­ nisse zu bringen, aus welchen sich die morallische Lehre von selbst ergiebt. Vergl. unten Anm. 193. 9) Vergl. Lappen berg's Geschichte von England, 1. Bd. p. 136 seq. und über die Einführung des Christenthums in Deutschland besonders Ozanam, „die Begründung des Christenthums in Deutschland, und die sittliche und geistige Erziehung der Germanen." Aus dem Französischen. München 1845. Außerdem die A. 215 angeführte Schrift von Vilmar. Ueber Bonifacius s. Seiters, „Bonifacius der Apostel der Deutschen; nach seinem Leben und Wirken geschildert." Mainz 1845; doch ist diese Darstel­ lung nicht frei von katholisirenden Tendenzen, und um das Bild des Boni­ facius nach einer sorgfältigeren, unbefangeneren Benutzung der Quellen zu ergänzen vergl. die Recension in der Hallischen atigern. Literaturztg. 1845 No. 232 seq. und vor Allem das in nenester Zeit erschienene Werk: Rett­ berg, Kirchengeschichte Deutschland's. lr Bd. 1. und 2. Lfrg. Es umfaßt diese verdienstliche Schrift bis jetzt die Geschichte Deutschland's in der Rö­ merzeit und im austrasisch-fränkischen Reich bis auf Karl den Großen. 10) S. W. Grimm, die deutsche Heldensage p. 333 seq. 11) Mythus und Sage find die beiden Formen, in welchen sich das geistige Leben eines Volks im Anfang seiner Bildung ausspricht. Der we­ sentliche Inhalt des Mythus ist das Kosmogonische und Theogonische, und hierin giebt sich zu erkennen, welches Bewußtseyn ein Volk über die Ablei­ tung seines Daseyns von dem Ursprünglichen gewonnen hat. Der Mythus ist die nächste unbewußte und zugleich nothwendige Aeußerung des religiö­ sen Gefühls; er entfaltet sich in einer Wellt von Göttern, welche die bewe­ genden Mächte der Natur und des Menschenlebens sind. Seine Ergänzung und Vervollständigung erhält der Mythus durch die Sage, welche einsührt in das bewegte Menschenleben; hier wird sich das Volk seiner Besonderheit anderen Völkern gegenüber bewußt und macht sich in seiner Selbstständigkeit geltend. Die Götter, welche als die idealen Mächte den mythologischen Inhalt ausmachen, bethätigen sich näher in dem selbstständigen Handeln des Volks und gestalten sich individueller, menschlicher in der Heroenwelt, in welcher die im Volke sich entwickelnde geistige Bewegung zum bestimmteren Bewußtseyn gelangt. Die Sage gestaltet sich zum Epos und überliefert das Heldenleben der Vorzeit, die wirklichen Erlebnisse eines ganzen Volkes, und es durchdringt sich hier Wahrheit und Dichtung zu einem unauflöslichen Ganzen. Die Herocnwelt selbst trägt einen mehr mythischen oder epischen Charakter, je nachdem sie mehr den Göttern und Dämonen oder der selbst­ bewußteren Menschenwelt angehört. Das wahrhaft Epische hat seine Ge­ burtsstätte nur in dem Uebergang eines Volks aus der Unbestimmtheit sei­ nes ersten, mythischen Daseyns zur Bestimmtheit seiner geschichtlichen Bewe­ gung; die Helden find der Ausdruck seines beginnenden Bewußtseyns. Hat das Volk nicht mehr in den Helden das Bewußtseyn seiner selbst, sondern in der Constituirung eines politischen Organismus, so beginnt die wirkliche Geschichte. Die Sage ist ebenso Anfang der Geschichte, wie der Mythus Anfang der Sage. 12) S. I. Grimm, deutsche Mythologie p. 220 seq.

Anmerkungen.

237

13) Unter den Edden werden zwei unterschieden, die ältere, Sämundisch e, gesammelt von einem gelehrten isländischen Geistlichen Sämund Sigsusson gegen Ende des 11. Jahrhunderts. Er sammelte von den älteren Skaldenliedern mythologische, welche das Kosmogonische und Theogonische enthalten und unter denen die Völuspa (Weissagung der Völa) den bedeutendsten Platz einnimmt und einen Abriß der gesummten religiösen Anschauung der Skandinavier enthält; außerdem sammelte Sämund Lieder epischen Inhalts, die sich auf die Heroenwclt beziehen, und unter diesen befindet sich auch die Heldensage von Sigurd. Die jüngere Edda rührt von dem nordischen Geschichtsschreiber Snorra Sturleson her aus dem 13. Jahr­ hundert und die poetischen Darstellungen sind hier in der Absicht zusammen­ gestellt, um eine Anleitung zur Poesie zu geben. Außer diesen Edden war der Norden reich an Sagen, unter welchen sich die Volsungasaga aus­ zeichnet, die in 52 Capiteln den ganzen Kreis der ursprünglichen nordischen Sage von Sigurd enthält und aus den älteren Eddenliedern ganze große Stücke anführt. Vergl. Köppen's literarische Einleitung.in die Nordische Mythologie. Berlin 1837. 14) In allen diesen Sagenkreisen von Siegfried, von den burgun­ dischen Königen, von Ermanrich und Dietrich nebst Etzel ist der allgemeine Charakter jener Zeiten der Völkerwanderung ausgeprägt. In den Kämpfen und Heerfahrten um den bloßen Preis der Kraft bildet sich der Ehrgeiz des heroischen Geschlechts jener Wanderzeiten ab. Die Sage wie die Geschichte zeigt uns, wie ein solches Geschlecht mit solchen Bestrebungen sich aufreibt und untergeht. Die Selbstständigkeit handelnder Charaktere ist hier daö Bestimmende und Vorherrschende; das geschichtliche Moment tritt in den Vordergrund und zurücktritt die Beziehung zu Göttern und Dämonen. Der Inhalt der Sage ist thatsächlich, ihr Ausgangspunkt ist das Factum und das Interesse daran; ihren Ursprung gewinnt sie im Gemüth und in der Phantasie, welche unbekümmert ist um Topographie und Chronologie. Die Sage hat durch ihre innere poetische Wahrheit eben so gut das Recht für sich zu bestehen, wie die Geschichte. Man kann deshalb auch nicht aus der thatsächlichen Geschichte die Sage hervorgehen lassen und diese durch jene erklären und rechtfertigen; nur die Färbung des Ganzen, der in ihr waltende Geist macht Anspruch als ein geschichtlich gewesener genommen zu werden. Die dichterische Wahrheit besteht nicht in der Uebereinstimmung der Erinnerung mit der Aeußerlichkeit des Geschehenen, sondern sie will die ideellen Richtungen, welche die Wirklichkeit in vielen zerstreut liegenden Ein­ zelheiten vorführt, zu einer Gesamtanschauung zusammendrängen. So faßt denn auch die deutsche Sage in wenigen hervorragenden Charakteren (Sieg­ fried, Etzel, Dietrich, Hildebrand) das zusammen, was den Sinn des Volks sowohl am klarsten aussprach, als auch am meisten ergriff und zu großen Anschauungen heranbildete, und verwebte damit die Sagen, in denen sich der Untergang hervorragender Geschlechter darstellte. So wie aus der Geschichte hinfort das Faßbare und Einfache verschwindet und an die Stelle der Kraft die Macht tritt, an die Stelle des Vaterlandes die Welt, an die Stelle der Einzelnen Massen, so fehlt es auch der Dichtung, die so große Zeiträume umspannt, an einer fest umgrenzten Einheit. Vergl. Gervinus, Ratio-

238

Anmerkungen.

nalliteratur 1. Ausg. Bd. I. p. 37 seq. und W. Grimm, deutsche Helden­ sage p. 397 seq. 15) S. W. Grimm a. a. O. p. 326 seq. 16) S. a. ö. O. p. 375. 17) Vergl. Lachmann über Singen und Sagen, eine Abhandlung in der Berliner Akademie 1833 und Vilmar a. a. O. p. 24. 18) S. Lachmann über das Hildebrandslied, eine Abhandlung in der Berliner Akademie 1833 und vergl. Ettmüller's stabreimende Verdeutschung der Lieder der Edda p. IX. seq. Eine lebendige Anschauung von der Be­ deutung der Alliteration giebt Vilmar a. a. O. p. 26 seq. 19a) Vergl. Rudolf v. Raumer, Einwirkung des Christenthums auf die althochdeutsche Sprache. Stuttgart 1845. 19b) Vergl. Wackernagel, Wcfsobr. Gebet p. 25 A. 1 und p. 28 über die Teufelsgesänge und über winiliod. Ueber die Zaubergesänge s. W. Grimm, die Runen p.79 seq. und Jak. Grimm über zwei entdeckte Gedichte aus der Zeit des deutschen Heidenthums, Berlin 1842. Diese Bruchstücke gewähren, die ältesten Proben deutscher Poesie (etwa aus dem 7. Jahrhundert) in Alliterationsform, und die darin enthaltenen Zaubersprüche geben einigen Aufschluß über den religiösen Glauben unserer heidnischen Vorfahren. S. G. und F. Scholl deutsche Literaturgesch. I. p. 10 und Vilmar a. a. O. p. 30 seq. 20a) I. Grimm und A. Schmeller lat. Gedichte des 10. und 11. Jahrhunderts. Göttingen 1838. 20b) Vgl. Prutz im literarhistor. Taschenbuch 1843 p. 296 seq. 21a) Vergl. Poggel, Grundzüge einer Theorie des Reimes und der Gleichklänge (Hamm 1834) p. 119 seq., von der Hagen's Minnesänger I. p. XXVII. und Rinne's Innere Geschichte der Entwickelung verdeutschen National-Literatur, 1. Th. p. 245 seq. 21b) Vergl. Vilmar, deutsche Alterthümer in Heliand als Einkleidung der evangelischen Geschichte. Beiträge zur Erklärung des altsächsischen He­ liand und zur inneren Geschichte der Einführung des Christenthums in Deutschland, Marburg 1845, und von demselben, die deutsche National-Li­ teratur p. 33 seq. Ueber den Gegensatz zwischen Volks- und Kunstpoesie s. ebend. p. 48 seq. 22) Ueber die Parallele zwischen Otfried und Klopstock, s. Götzinger, die deutsche Sprache und Literatur 2. Bd. 1. Th. (Stuttgart 1842) p. 85 und 87 und vergl. Gervinus a. a. O. IV. p. 143 seq. 23) Götzinger a. a. O. p. 83 theilt die Schilderung des Streits zwischen Elias und dem Antichrist in neuhochdeutscher Uebertragung mit. 24) Die Gebrüder Grimm haben zuerst nachgewiesen, daß das Frag­ ment des Hildebrandsliedes, welches man für einen Ueberrest einer altpro­ saischen Rittergeschichte hielt, ein Gedicht sey und zwar in alliterirender Form. S. „die beiden ältesten Gedichte aus dem 8. Jahrhundert, das Lied von Hildebrand und Hadebrand, und das Weißenbrunner Gebet." Cassel 1812. Vergl. Lachmann über das Hildebrandslied, s. A. 18. 25a) Das Hildebrandslied gewährt uns eine nähere Anschauung, wie

Anmerkungen. einzelne Ereignisse aus der Heldensage poetisch behandelt wurden, und läßt somit eine der ältesten Formen der Poeste erkennen. Ursprünglich war al­ les poetische Auffassen objectiv, Aussprechen einer Sache, und alle objective Auffassung war Poeste, Aussprechen der Bedeutung, des Allgemeinen, das in dem Besonderen waltet. ES offenbaren stch nemlich in dem Verhältniß, in welchem das Ich zur Welt und die Welt zum Ich steht, die beiden Grundrichtungen des Gemüths, welche die nothwendige Bedingung aller menschlichen Bildung sind, und sie find ursprünglich zugleich und neben ein­ ander vorhanden. In Bezug auf die poetische Darstellung wird daher zu­ nächst entweder das Epische noch im Lyrischen oder das Lyrische im Epischen gebunden erscheinen. Es stnd die lärmenden Lobgesänge auf die Thaten der Volksgötter und Stammhelden, wie sie nach Tacitus die alten Germanen (s. oben p. 7 seq.) sangen, epische Poesie; eS hat jedoch die epische Dar­ stellung einen lyrischen Anflug und auch eine lyrische Form, insofern durch einzelne begeisterte Momente bei religiösen Festen und bei heiteren Gelagen dasjenige, was von den Göttern und Helden in dem Bewußtseyn Aller lebt, einen lebendigen Ausdruck gewinnt; daher auch diese Art von Poefie un­ mittelbar zum Gesänge bestimmt war, und da der Inhalt nicht etwas von einem Einzelnen Ersonnenes und Erfundenes, sondern aus dem gemeinsa­ men Gemüthsleben Hervorgegangenes und somit allen Bekanntes war, so konnten alle Theil nehmen an dem Gesänge, sobald er angestimmt wurde. Nach dem oben A. 11 aufgestellten Unterschied von Mythus und Sage wird stch das Jneinanderseyn des Lyrischen und Epischen so darstellen, daß in den poetischen Gestaltungen der mehr noch mythischen Anschauungsweise eines Volks das Epische in dem Lyrischen gebunden erscheint. Das vorwiegend Lyrische besteht hier darin, daß die ganze Anschauung eine nur innerliche ist, der nichts Gegenständliches, nichts unmittelbar in die Sinne Tretendes ent­ spricht; das Epische giebt stch aber darin zu erkennen, daß hier das religiöse Bewußtseyn eines Volks, der höchste Inhalt also, als ein Gesammteigenthum ausgesprochen wird, und nicht etwas Besonderes, Einzelnes, wie es der sub­ jektiven Empfindung bestimmter Individuen angehört, Ausdruck gewinnt. Es handelt stch auch hier um das Aussprechen eines Objectiven, das allen ge­ meinsam ist, wenn dieses auch der reinen Innenwelt angehört; die Ahnun­ gen des Inneren erscheinen unter der epischen Form der Mythe. Am be­ stimmtesten tritt dieser Standpunkt der Poesie in den beiden Edden uns entgegen, und hier um so reiner als wegen der Abgeschlossenheit des skan­ dinavischen Nordens die mythische Sagenpoesie sich nicht zu einer wahrhaft heroischen Sagenpoesie fortgestaltete. Erst in der Berüh­ rung und in dem Kamps mit anderen Völkern kommt ein Volk zum Be­ wußtseyn seiner selbst, und an die Stelle der göttlichen Mächte treten mensch­ liche Helden, in welchen sich jene concreter individualisiren. In den poeti­ schen Gestaltungen der heroischen Sagenpoeste erscheint zunächst das Lyrische in dem Epischen gebunden; es ist eine epische Lyrik. Die für alle faßliche Heldenthat ist das Hauptsächliche, welchem Ausdruck verliehen werden soll; diese That ist etwas Reales, die Sinne Anregendes, und sie ist zugleich eine Aeußerung des allgemeinen Volksbewußtseyns. Das lyrische Element giebt sich zu erkennen in der Theilnahme an dieser That, die zu einer lebensvollen

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Anmerkungen.

Anschauung gebracht werden soll, und hieraus entsteht die balladenartige Behandlungsweise. Göthe (W. l. H. Bd. 45 p. 333) bemerkt in Bezug auf die Ballade: „der Sänger hat seinen prägnanten Gegenstand, seine Fi­ guren, deren Thaten und Bewegung, so tief im Sinne, daß er nicht weiß, wie er ihn an's Tagelicht fördern will. Er bedient sich daher aller drei Grundarten der Poesie, um zunächst auszudrücken, was die Einbildungskraft erregen, den Geist beschäftigen soll; er kann lyrisch, episch, dramatisch be­ ginnen, und nach Belieben die Formen wechselnd, fortfahren, zum Ende hin­ eilen oder es weit hinausschieben. — — Die ganze Poetik ließe sich an einer Auswahl solcher Gedichte gar wohl vortragen, weil hier die Elemente noch nicht getrennt, sondern, wie in einem lebendigen Nr-Ey, zusammen find, das nur bebrütet werden darf um als herrlichstes Phänomen, auf Goldflü­ geln in die Lüfte zu steigen." Es greifen daher die beiden Gebiete der Poesie, Epik und Lyrik, in ihrem ersten Aufkeimen noch in einander, und zu ihrer Sonderung und Abgrenzung ist ein höherer Grad der geistigen Bil­ dung und Selbsterkenntniß nöthig. Immer wird aber bei einer naturgemä­ ßen Entwickelung die epische Poesie früher zur Reise und Blüthe gelangen, als die lyrische, weil die Bildung und feste Gestaltung des äußeren Lebens der Ausbildung und Reife des innern vorangehen muß. Je mehr ein Volk noch in der rein sinnlichen Anschauung lebt, je weniger es sich gewöhnt hat, auf die Vorgänge im Innern sich zu richten, desto epischer wird sich alle Darstellung durch die Sprache gestalten; je höher aber die Geistes- und Gemüthsbildung steigt, und diese, wie sie daö Christenthum hervorrief, das Vorherrschende ist, einen desto lyrischeren Charakter nimmt jede Darstellung durch die Sprache an. Haben sich nun Epik und Lyrik beide nach einander entwickelt und von einander entfernt, so streben sie auch wieder nach ihrer Vereinigung und diese gewinnen sie in der dramatischen Poesie, welche die inneren Stimmungen und Zustände darstellt, aus denen Begebenheiten und Schicksale hervorgehen. 25b) Zwei kleine Bruchstücke einer deutschen volksmäßigen Bearbeitung des Walther von Aquitanien sind unlängst aufgefunden (s. Maßmann in Haupt's Zeitschr. für das Alterthum 2, 216 seq. und v. d. Hagen Germa­ nia 5, 114 seq.) und bestätigen Grimm's Behauptung, daß das deutsche Gedicht neben der lateinischen Nachbildung, unberührt von dieser, noch spä­ ter bis ins 13. Jahrhundert und vielleicht noch länger fortgedauert habe. 26a) Früh regte sich in den Niederlanden der Freiheitssinn der Einwoh­ ner, welche mit einem kräftigen Verstände ausgerüstet, durch Flüsse und Meere zur Rührigkeit und zum Verkehr unter sich gezwungen und gereizt wurden. Den Boden, worauf sie wohnten und lebten, hatten sie sich größtentheils selber geschaffen und mußten ihn fortdauernd gegen das Anstürmen des Meeres vertheidigen und erhalten. Aus dieser rührigen Thätigkeit ent­ wickelte sich Handel, Industrie und Wohlstand und hiermit verband sich das Streben nach Selbstständigkeit und bürgerlicher Freiheit. DaS Land war getheilt in Herzogtümer, Grafschaften und Reichsstädte, und unter allen verschiedenen Herrschern waren die Grafen von Flandern die mächtigsten, welche die Rechte der Städte ehrten und schätzten. Handel, Industrie, bür­ gerliche Freiheit und städtische Entwickelung schoben daher hier früh schon

Anmerkungen.

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das Ritterthum mit seiner eigentlichen Poesie zur Seite und riefen eine dem bürgerlichen, praktischen Sinne gemäße poetische Literatur hervor. 26b) Gerviuus a. a. O. I. p. 74 vergleicht auf eine belehrende Weise das Ludwigslied mit einem angelsächsischen Liede über Athelstans Sieg, um den Unterschied der geistlichen und weltlichen Auffassung hervortreten zu lassen. 27a) Vgl. Lachmann über die Leiche im Rhein. Museum 1829, und Fer­ dinand Wolf über die Lais 1841. Außerdem die Jahrbücher des deutschen Reichs unter den sächsischen Kaisern, herausg. v. L, Ranke. 1.2. Berlin 1839. 27b) S. Hoffmann's Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luther's Zeit. Breslau 1832. 28) Hierin zeigt sich der Gegensatz des Ritterthums zu dem antiken Heroenthum, in welchem alle Gewalt sowol der sinnlichen als auch geistigen Kraft nur auf das Irdische gerichtet ist. Vergl. meine philos. Propädeut. p. 244 A. 171a). 29) Vergl. I. Grimm's deutsche Mythologie p. 63 und 225; außerdem Einleitung p. XX. 30) S. Brin ckm eier, die provenzalischen Troubadours. Halle 1844. 31) Vergl. über das Romantische meine Philosoph. Propädeu­ tik (Berlin 1845) p. 43 seq. Vilmar a. a. O. p. 139 seq. giebt die Be­ deutung des Romantischen näher au, doch beschränkt er dieselbe zu sehr auf den ursprünglichen Ausgangspunkt des Worts; denn es ist offenbar, daß der Begriff des Romantischen, welchem die Idee des Christenthums bei der Verknüpfung verschiedenartiger Elemente zu Grunde liegt, einen reiche­ ren Inhalt erhielt. In der Entwickelungsgeschichte eines Worts herrscht Anfangs das Individuelle und Besondere vor, später tritt Verallgemeine­ rung und immer größere Vergeistigung ein. 31b) Vergl. GervinuS, Geschichte der poetischen National-Liter. Bd. I. p. 343 seq. (1. A.) und v. d. Hagen's Minnesänger IV. p. 199 seq. 32) Sage und Geschichte fließen in den älteren Zeiten noch unmerklich in einander über, und erst nach und nach gewinnt der sichtende Verstand die volle Herrschaft über die Poesie der Sage. Jedes Volk durchlebt diese Pe­ riode des Uebergangs aus der mythisch-anschauenden Welt in die historische und hat in Schriften davon Zeugniß gegeben: so finden wir bei den Helle­ nen die Logographen und den Herodot; so hatten die Gothen ihren Jornandes, die Longobarden ihren Paul Diaconus, die Franken ih­ ren Pseudo-Turpin, die Bretonen den Gottfr. Monmouth, die Schweizer ihren Etterlin und Tschudy, die Dänen ihren Saro, die Skandinavier Snorro's Heinskringla. S. Clausen's Programm über das Nibelungenlied. Elberfeld 1841, und San-Marte's Leben und Dich­ ten Wolfram's v. Cschenbach 2. Bd. p. 377 und 384. 32a) Vergl. San-Marte a. a. O. 2. Bd. p. 359 seq. und Vilmar a. a. O. p. 150 seq. 32b) Vergl. Gervinus a. a. O. I. p. 133 seq. und p. 427 seq. 32c) Ein Beispiel bietet Eraclius von Meister Otte in der Ausg. von Maßmann, (Quedlinburg u. Leipzig 1842,) dar, wo zugleich von dem Herausgeber das französische Original mitgetheilt ist, und dies gewährt eine Biese deutsche Literaturgeschichte I, Jß

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Anmerkungen.

lehrreiche Vergleichung über die Art und Weise, wie unsere alten Dichter fremde Stoffe bearbeiteten. 33) Die eigentliche Bildung des herrschenden Standes bestand in einer seinen, höfischen Lebensart, und von einer wissenschaftlichen Ausbildung war nicht die Rede. Wer Lesen und Schreiben gelernt hatte, galt schon für hochgebildet. Das gelehrte Wesen überließ man der Geistlichkeit; das ritter­ liche Waffenhandwerk blieb das Hauptgeschäft, neben welchem man auch die Dichtkunst übte. Bergt. San-Marte a. a. O. 1. Bd. p. L seq. und 2. Bd. p. 315 seq. 33b) Vergl. San-Marte a. a. O. 2. Bd. p. 309 seq., welcher den Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen in dem Hohenstaufischen Zeit­ alter vergleicht mit dem Hose zu Weimar in der neueren Zeit. 34) Bergt. Koberstein's Grundriß der Geschichte der deutschen Natio­ nalliter. § 80 A. 2. 35) Vergl. Lachmann über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin 1816. — Anmerkungen zu den Nibelungen und zur Klage. Berlin 1836. Außerdem: W. Grimm: die deutsche Hel­ densage p. 63 seq. — Das wahrhafte Volksepos im Gegensatz des Kunstepos ist durch das eigene Leben des Volks vermittelt; es geht aus der Mitte der Volksgeschichte hervor, aus welcher fich selbstständig zunächst die Sage herausgestaltete und das Hetdenleben der Vorzeit des Volks um­ faßte. Während die epischen Dichtungen, die sich an ausländische Sagen anschlossen, durchaus der Volksthümlichkeit entbehrten und ungeachtet ihrer kunstgemäßen Form doch kein lebendiges Eigenthum des Volks wurden, tritt dagegen in den nationalen Dichtungen unseres Volks die tiefe Erfassung des sittlichen Geistes des deutschen Mittelalters hervor und fand daher im Volke um so lebhafteren Anklang. (Die sittlichen Momente und die poeti­ schen Motive in unserer alten Volkspoesie werden gut hervorgehoben von Vilmar a. a. O. p. 60 seq.). Während ferner die Bearbeiter der fremden Sagenkreise fast alle bekannt sind, blieben dagegen die Namen der Dichter, welche die deutschen Sagenkreise bearbeiteten, unbekannt. Der Dichter fand die Sage schon im Volke vorgebildet und seine ganze Thätigkeit beschränkte sich auf die Form, das Gedicht selbst aber wurde sogleich wieder Eigenthum des Volks. Das dichterisch vollendete Epos gab der Sagenbildung ihren Abschluß. 35b) Gut charakterifirt Gerv inus, Geschichte der poet. Nationalliter. Bd. 1. (erste A.) p. 330 seq. das Conventionelle der mittelaltrigen Ritter­ dichtung: Ceremonie!, Rang, Titel, Hofleben trübt den reinen Quell der Natur, aus dem, wie aus dem Innersten, die Handlungen für Dichtkunst hervorgehen müssen. 36) Vergl. Gervinus a. a. O. 1, p. 243 seq. Grimm nennt diese Sprachentwickelung die mittelniederdeutsche. 36b) Vergl. Simrock's Uebersehung von Hartmann's armem Heinrich. Vorrede p. XV. seq. und Rosenkranz Gesch. der deutschen Poesie im Mit­ telalter p. 466 seq. 37) Vergl. Lachmann über althochdeutsche Betonung und BerSkunst.

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Anmerkungen.

Abthl. l. II. in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1831. 32, und I. Grimm s Einleitung zu den latein. Gedichten des 10. und 11. Jahrh. 38) S. Hüppe's Lieder und Sprüche der Minnesänger (Münster 1844) p. XXXVII. 39) Das Gesetz der Dreitheitigkeit hat I. Grimm (s. über den alt­ deutschen Meistergesang. Göttingen 1811 ,>. 41 sq.) zuerst erkennen gelehrt. Vergl. Simrock, Gedichte Walther's von der Vogelweide, 1. Th. p. 167. 40) S. Hoffmann'S Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Literatur. 1. Th. Breslau 1830, und Maßmann'ö deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts. 2. Th. 1837. 40b) Vergl. Vilmar a. a. O. p. 199 sq., wo auch p. 207 sq. die Le­ gende von Pilatus näher besprochen wird. 41) S. über den Inhalt des Ganzen die von Maßmann, Heidelberg 1825, erlassene Ankündigung einer vollständigen Ausgabe, die bis jetzt noch nicht erschienen ist. Vergl. außerdem GervinuS 1, p. 156 sq. 42) Vergl. über das Atter des Annoliedes Lachmann über Singen u. Sagen p. 8 und zur Klage p. 288. Eine nähere Anschauung von dem Annoliede zu geben"hat schon Herder versucht; s. sämmtl. Werke zur schö­ nen Literatur und Kunst Bd. 20 p. 178 sqq. 42b) Das Bestreben späterer Zeit nach reinerem Reim und größerer Correctheit rief namentlich im 13. Jahrhundert Ueberarbeitungen der Dich­ tungen aus der Uebergangszeit des 12. Jahrhunderts hervor. So überar­ beitete der Stricker des Pfaffen Konrad Lied. S. H eyd ler's Programm: „Vergleichung des Rolandsliedes vom Pfaffen Konrad und des Karl vom Stricker." Frankfurt 1840. Charakteristisch in den Dichtungen dieser Art sind die oft langen Berathungen und Reden, die umständliche Aufzählung der Helden, der Heerschaaren und der einzelnen Kämpfe. 43) S. GervinuS a. a. O. 1, p. 223 sqq. 44) Vergl. W. Grimm deutsch. Heldens. p. 50 sqq. und Lachmann zur Klage p. 290. 45) Vergl. Gervinus a. a. O. p. 190 sq. und dessen Handbuch der poet. Nationalliter, der Deutschen § 42. 46 t) S. den Inhalt in Genthe's deutsche Dichtungen des Mittelalters 1, p. 275 sqq. Werbungen um nie gesehene Frauen und gewaltsame Braut­ fahrten werden ein stehender Typus. In St. Oswald ist eine abenteuerliche Brautfahrt mit der Legende verbunden. S. Gervinus Handbuch § 42 und 43. Ueber das Versmaß in Salman und Morolt vergl. Vilmar a. a. O. p. 227 sq. 46b) Reinhart, entstanden ausReginhart oder Raginohart, bezeichnet kluger Rath, bcnn regin, ragin bedeutet Rath loonsilmmi. Reineke und Reinke ist niederdeutsche Verkürzung von Reinhart. Die Thiersage, welche mit den Franken über den Rhein wanderte und in den Niederlanden die frühste Ab­ fassung erhielt, kehrte in der Mitte des 12. Jahrhunderts, gerade als in Flandern der reinardus verfaßt wurde, durch die Vermittelung eines fran­ zösischen Werks in ihre Heimath, nach Deutschland zurück. 47) S. Götzinger a. a. O. p. 107, und den Inhalt des Reinhart bei

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Anmerkungen.

Rosenkranz Gesch. der deutsch. Poesie im Mittelalt. p. 600 sgg. und Genthe's deutsch. Dicht, des Mittelalt. 1L p. 392 sgg. 48) Vergl. v. d. Hagen'S Minnesänger iv. p. 72 sgg. 49) S. Anmerkungen zum Jwein von Benecke und Lachmann. I.AuSg. p. 407 sg. 50) S. Rosenkranz a. a. O. p. 365. 51) S. über die charakteristischen Züge der Dichtungen des Bretonischen Sagenkreises San-Marte, Leben und Dichten Wolfram's v. Eschenbach, 1. Bd. p. XX. 52) S. San-Marte a. a. O. Bd. 2. p. 326 sgg. 53) S. V. d. Hagen'S Minnes. IV. p. 261 sgg. 54) S. Gervinus Handbuch § 64. 55) Ueber den Charakter Kepe's vergl. Gervinus Gesch. der d. N. 1. p. 334 sg. Rosenkranz a. a. O. p. 244 und San-Marte a. a. O. 1. Bd. p. 596 sgg. und 2. Bd. p. 333 sg. 56) S. Gervinus a. a. O. p. 327 sg. 57) S. San-Marte a. a. O. 2. Bd. p. 297 sgg. 58) Vergl. San-Marte a. a. O. p. 330 sgg. ' 59) Sehr empfehlenswerth ist Rührmund's Programm „Probe einer Uebersetzung des Wolframschen Parcival nebst Anmerkungen." (Potsdam 1844.) In diesem Programm ist auch vorzüglich der Eingang zum Parci­ val behandelt p. 13 sgg. 60) In diesem Wegwenden von dem Sinnlichen auf das Ueberfinnliche, von dem Gegenwärtigen auf das Zukünftige, von der Außenwelt auf die Innenwelt liegt das Charakteristische der durch das Christenthum vermittel­ ten modernen Poesie, aus welcher Epopöen, wie der Parcival, Dante's divina comedia, Mitton's verlornes Paradies, Klopstock'S Messias hervor­ gingen. 61) Gervinus a. a. O. p. 373 sg. weist darauf hin, wie namentlich Jean Paul das streitende, zwiespältige Wesen der ersten JünglingSjahre ins Auge faßte, ja zergliederte und durch alle feine Werke fast hindurchspie­ len ließ. Bergt, ebend. p. 356 sg. 62) Wie die epische Poesie bei dem Ausmalen äußerer und innerer Zu­ stände verweilt, ebenso stellt sie auch der endlichen Auflösung der Handlung Hemmungen entgegen, wodurch sie von der Durchführung des Haupt­ zwecks nach vielen Seiten hin ableitet und Gelegenheit erhält, uns die To­ talität einer Welt von Zuständen vor Augen zu bringen, die sonst nicht zur Sprache kommen könnten. Hieraus ergeben sich die dem Epos wesentlichen Episoden, welche größtentheils hemmender Art sind. Diese Hemmungen müssen durch die Umstände und durch das ursprüngliche Schicksal wie von selber entstehen. Im Parcival tritt aber das Eigenthümliche hervor, daß er den Grund der retardirenden Umstände wie sein eigenes Verhängniß in sich selbst trägt. Der Dichter sagt selbst (v. 734, 3) Und nun befehl ich all sein Heil Sein ganzes Schicksal seinem Herzen. Parcival's Thaten, sein Irren und Ringen, sein Leid, wie sein endliches Heil, gehen von einem festen einigen Mittelpunkt aus, und beziehen sich

Anmerkungen.

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dahin zurück; das ganze Schicksal des Heldenjünglings wird in dessen eigene Brust gelegt. S. San-Marte a. a. O. 2. Bd. p. 334. 63) In Gawan und überhaupt in dem Treiben der Tafelrunde tritt uns das principlose Hinleben, das Gewirr der Abenteuer ohne Ende, das innere Drängen ohne Ziel und Gegenstand, das dünkelhafte Wesen mit sei­ ner Reizbarkeit entgegeu, wie es in den Artus-Romanen typisch ist; doch im Parcival wird die rohe Kraft der Ritterlichkeit und ihre ziellose Thätigkeit einer höheren untergeordnet und die Rauheit des kriegerischen Lebens von dem Sinnigen des Seelenlebens und von der Hinwendung zum Uebersinnlichen gemildert. Zugleich läßt Wolfram die Ironie, mit welcher er das Treiben der Ritterschaft betrachtete, deutlich hindurchblicken, durch welche später Ariost noch entschiedener das Phantastische der mittelaltrigen Abenteuerlichkeiten sich in sich selber auflösen läßt. Vergl. San-Marte a. a. O. 2. Bd. p. 332. 64) Wohin führt das mühselige Ringen den sinnigen Dulder? Was giebt ihm sein neues Leben zur Entschädigung für die Opfer, die erbrachte? Aus diese Frage nach der Seligkeit des inneren Lebens konnte jene Zeit noch nicht antworten, die nur kaum anfing den Geist und das Herz mehr zu be­ schäftigen. Dante erst schloß diesen Kreis und erledigte diese Frage in seiner großen Trilogie: der Hölle, dem Fegefeuer und dem Paradies. Das Irdische und Weltliche ist das Thema der Hölle, wie in Lamprecht's Alexanderlied, der seinen Alexander von den Pforten des irdischen Paradieses ab­ weist. Die Reinigung der Seele ist der Gegenstand des Fegefeuers und der Mittelpunkt des Parcival, den Wolfram bis zur Pforte seiner wunderbaren von himmlischen Heerschaaren bewachten Burg führt, wogegen in Dante das Paradies der Mittelpunkt des Gedichts ist, nach dem alles hinstrebt und worin der höchste Freudenhimmel aufgeschlossen wird. S. Gervinus a. a. O. p. 365. 65) Wolfram hat in seinem Parcival eine idealisirte Selbstbiographie im Lichte seiner Zeit geschrieben, wie Dante in seiner göttlichen Komödie und Göthe in seinem Faust. S. Rührmund a. a. O. p. 9. 66) Vergl. Rührmund a. a. O. p. 11. 67) Das Humoristische erzeugt sich, wenn der Widerspruch zwischen der Wirklichkeit und der Idee lebhaft empfunden wird und sich damit ein tiefes, innerlich lebendiges Mitgefühl verbindet. Dieser Widerspruch hat sich erst der christlichen Anschauungsweise lebhaft aufgedrungen. Während die Rö­ mer Stoiker waren und den Mängeln und Gebrechen der Zeit durch Tu­ gend und That trotzten, hingen die Griechen ganz an der schönen Gegen­ wart; sie konnten es sich nicht vorstellen, wie ein Mensch, wie Garrick, mit dem einen Auge lächeln und mit dem anderen zugleich weinen konnte, des­ halb dichteten sie ihren Demokrit, der immer lachte, und ihren Heraklit, der immer weinte. Die Repräsentanten deö deutschen Humors siud Hippel und JeanPaul. 68) Ariost, der in seinem rasenden Roland mehr die Herrschaft seiner Willkür als die Festigkeit eines inneren Zusammenhangs blicken läßt, knüpft die Fäden seiner Erzählungen nicht nur locker zusammen, sondern wenn sie auch noch so fest verbunden wären, so zerreißt er sie selbst wie in muth-

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Anmerkungen.

willigem Spiel. Er will eben ergötzen besonders durch die unendliche Ver­ wickelung der Schicksale und Zwecke, durch die mährchenhaste Verschlingung phantastischer Verhältnisse und närrischer Situationen, mit denen er bis zur Leichtfertigkeit hin abenteuerlich spielt. 69) Während Wolfram aus dem weitschichtigen Sagenstoffe, der sich auf den Gral bezog, das ausschied, was sich episch gestalten ließ, suchte der Fortsetzer des Titurel die ganze Gralsage zu umfassen und dehnte sein Ge­ dicht zu einer ermüdenden Breite aus; dabei entwickelt er überall seine aus­ gebreiteten Kenntnisse aus den verschiedenartigsten Zweigen des Wissens, und läßt das priesterliche Element sowol in einer salbungsreichen Sprache als auch in dem hierarchischen Dünkel hervortreten, und in der Darstellung wird Wolfram's Manier bis zur Ueberschwänglichkeit gesteigert. S. GervinuS a. a. O. II. l>- 64 seq. Ein Auszug des Titurel ist von San-Marte a. a. O. 2. Bd. gegeben. Vergl. außerdem Rosenkranz a. a. O. p. 280 seq. Ueber die Strophe des älteren Titurel vergl. Rosenkranz p. 467. 70) ImLohen grin haben wir ein Beispiel, wie die Dichtung Wolfram­ scher Schule, aus Verstiegenheit und Ueberschwänglichkeit herunterstnkend, dem historischen Gedichte und der Reimchronik sich zuwendet. Vergl. Gervinus a. a. O. II. p. 25 seq. und San-Marte a. a. O. 2. B. p. 350 seq. 71) S. Auszüge aus dem Willehalm bei San-Marte a. a. O. 2. Bd. p. 25 seq. und Gervinus a. a. O. 1. Bd. p. 370 seq. 72) S. v. d. Hagen's Minnesänger IV. p. 559 seq. 72b) Vergl. über die weite Ausbreitung der Sage von Tristan und Isolde v. d. Hagen a. a. O. iv. p. f-62 — 608. In der neuesten Zeit wurde von Immermann diese Sage behandelt; es war sein letztes Werk, das ein Bruchstück geblieben ist. S. hierüber: Karl Jmmermann, Blät­ ter der Erinnerungen an ihn, herausg. von F. Freiligrath. (Stuttgart 1842.) p. 96 seq. 73) Diese Wendung ist später von anderen Dichtern nachgeahmt wor­ den; die Stellen finden sich zusammengedruckt in v. d. Hagen'S Minne­ sänger IV. p 863 seq. G erv inuS a. a. O. I. p. 376 macht darauf auf­ merksam, wie Gottfried das Unpoetische dieser Art beschreibender Dichtkunst fühlte, welche prächtige Gegenstände oder glänzende Aufzüge und Waffen oder die schöne Körperbildung eines Menschen mit Aufzählung der einzelnen Theile derselben zu schildern sucht. Der Nachahmung der Stelle in Gottsried's Tristan verdanken wir bei Rudolf von Ems in dessen Alexander zu Anfang des 2ten Buchs und in seinem Wilhelm von Orlens eine ge­ nauere Bestimmung für die Lebenszeit der erzählenden Dichter von Heinrich von Veldeke bis zum Stricker. 74) Vergl. Rosenkranz a. a. O. p. 333. 74b) Vergl. Gervinus a. a. O. H. p. 37 seq. Ueber die Art und Weise, wie Gottfried's Tadel von Wolfram ausgenommen wurde s. San-Marte a. a. O. II. p. 342 seq. 75j Gervinus a. a. O. I. p. 379 seq. spricht von der Trilogie künst­ lerischer Form und stellt Gottfried zu Wolfram wie Euripides zu Aeschylus. 76j Wolfram's Manier wird in Ulrich von Eschenbach zuletzt zur

Anmerkungen.

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völligen Caricatur verzerrt, s. San-Marte a. a. D. 2. Bd. p. 351, und vergl. Gervinus Handbuch § 80. 77) Bergt. Gervinus Handbuch § 75 und 78. 78) Bergt. Herder's Werke zur schönen Kunst und Literatur. Bd. 6. und Rosenkranz a. a. O. p. 181 seq. 79) Bergt. Herder's Legende „Todten und Lebendigmachen." 79b) Bergt. Gervinus Gesch. der poet. Rat. Lit. II. p. 114 seq. 80) Bergt. Gervinus a. a. O. Bd. I. p. 432 seq. 81) S. Vilmar a. a. O. p. 207, wo hauptsächlich diejenigen Stellen hervorgehoben werden, die uns in den Gedanken- und Anschauungskreis je­ ner Zeit versetzen. Strenger urtheilt Gervinus I. p. 426 seq. Auf poetische Weise behandelt Hartmann von der Aue in seiner Legende vom hei­ ligen Gregor auf dem Steine (herausg. von Lachmann. Berlin 1838) den Schmerz über die Sünde; es soll der sündige Mann aus dieser Ge­ schichte das selige Bild nehmen, daß nur dann für seine Sünde Rath werde, wenn er Reue und wahre Buße übe. Konrad's von Würzburg Le­ gende, der heilige Alexius, (herausg. von Maßmann. Quedlinburg und Leipzig 1843 und besser von Haupt, Zeitschr. 3 p. 534 seq.) behandelt vor­ züglich den Schmerz in dem Abthun des Irdischen und hier tritt die Selbst­ qual in dem Lossagen von aller Verbindung mit der Wirklichkeit in ihrer ganzen Strenge hervor. Vergl. über beide Legenden Vilmar a. a. O. p. 203 seq. 82) S. Simrock's Übersetzung des armen Heinrich (Berlin 1830) p. 99 seq. und Grimm, Ausg. des armen Heinrich p. 160 seq. 82b) S. Vilmar a. a. O. p. 220 seq. Es gehört hierher auch die Legende vom Kaiser Eraklius (vergl. A. 32c), welche mehr ins Wun­ derbare hinüberspielt, wie die Erzählung von der Crescentia, aus wel­ cher die erste Hälfte zum Theil entlehnt ist. Es kann auch noch auf die Le­ gende vom Mönch Felix (Rosenkranz p. 206 seq.) hingewiesen werden, welche in einer neueren Dichtung „Erlinde. Der Mensch und die elemen­ tarische Natur" von einem Enkel Göthe's, von Wolfgang dem Jüngeren, benutzt ist (Stuttgart und Tübingen. 1845). In dieser neueren Dichtung wird der große Kampf zwischen Natur und Geist, zwischen Natur und Offen­ barung behandelt. 83) Das Wesen der Novelle tritt am deutlichsten heraus, wenn man berücksichtigt, daß ihr recht eigentlicher Boden die Gesellschaft ist, in welcher die Gabe mit Geist zu reden und zu hören in schönem Ebenmaaß vertheilt ist. Die Gesellschaft liebt es, sich mit Ereignissen und Situationen zu un­ terhalten, sie begnügt sich mit flüchtig angedeuteten Motiven, mit leicht umrissenen, schon fertigen Charakteren. Die Novelle ist eine Episode aus dem bewegten Menschenleben und muß, aus ein bewußtes Ziel lossteuernd, rechts und links mannigfache Aussichten in Welt und Zeit unbeachtet lassen, die im Roman ihre Stelle finden würden, welcher ein ganzes in allen seinen Theilen auch dem Verlaufe der Zeit nach erschöpftes Leben, das Werden und sich Gestalten eines Charakters zur Anschauung bringt; das Publicum, an welches er sich wendet, ist kein wirkliches, sondern ein ideales; es ist die

248

Anmerkungen.

Menschheit selbst oder doch mindestens ein ganzes Volk, das ein Roman­ dichter im Auge hat.

83b) S. Genth, a. a. O. II. p. 280 seq. 84) Vergl. Rosenkranz a. a. O. p. 339 seq. 85) Das nationale Epos, wie es sich ursprünglich auf naturgemäße Weise erzeugt, bringt die der vorhistorischen Zeit angehörige Heldensage zu einer lebensvolleren Gestaltung, indem die poetisch schon vorgebildete Sage schärfere Charakterzeichnung, bestimmtere Oertlichkeit und eine kunstvollere Einheit erhält. Insofern die Heldensage sich auf das Bewußtseyn stützt, welches das Volk in seiner Besonderheit anderen Völkern gegenüber gewon­ nen hat, wird das nationale Epos hauptsächlich die Kriege und Kämpfe fremder Nationen gegen einander darstellen, in welchen alle besonderen Seiten der Volksthümlichkeit heraustreten und zur lebendigen Anschauung kommen. Der Gegensatz selbst zwischen den auf einander getriebenen Na­ tionen giebt sich als ein universalhiftorisch berechtigter zu erkennen, wie zwi­ schen Griechen und Troern, zwischen Burgundern und Hunnen, zwischen Christen und Saracenen, und der Sieg erscheint als der des höheren Prin­ cips über das untergeordnete. Kriegerischer Muth und Tapferkeit zeichnet besonders die nationalen Unternehmungen aus und eignet sich vorzugsweise für die epische Schilderung. Was die epische Darstellung selbst betrifft, so besteht diese darin, daß die Handlung, worauf das Interesse beruht, in der Form bestimmter Thaten und Begebenheiten vorgcführt wird; sie ge­ hören der Vergangenheit an. Das Vergangene wird erzählt; was erzählt wird, ist schon in eine mildernde Ferne gerückt, läßt der Betrachtung mehr Spielraum und gestattet mehr Ruhe. Daher ergiebt sich für die Form der epischen Darstellung die ruhige Entfaltung des stetig Fortschreitenden, wo­ durch auch das Gemüth des Hörerö ruhiger angesprochen und nicht erschüt­ tert wird, wie im Drama. Die lebendigste Anschaulichkeit wird in der epi­ schen Darstellung erreicht mittelst durchgängiger Umständlichkeit und allseiti­ ger Entfaltung. Zur epischen Entfaltung dienen ausmalende Beiwörter, Gleichnisse, Reden, und vor Allem Episoden; durch letztere werden vor­ nehmlich alle verschiedenartigen Zustände, die in näherer Beziehung zur Haupthandlung stehen, in den Kreis der Darstellung gezogen; hierdurch ist die äußere Breite des Epos bedingt, sowie das langsamere Vorschreiten zum Endresultat der Handlung. Die äußeren Umstände und das subjective Wollen der einzelnen Charaktere haben gleiche Berechtigung; denn episch handelt der Einzelne nicht nur frei aus sich und für sich selbst, sondern steht mitten in einer Gesammtheit. Der dramatische Charakter macht sich durch die Art seines Zwecks sein Schicksal selbst; dem epischen Charakter wird es gemacht durch den mächtigen Einfluß der Umstände, welcher dem Menschen sein Loos zutheilt, den Ausgang seiner Handlungen bestimmt. Auf der Art und Weise, wie das Verhängniß eingreift in den Gang der Handlung, be­ ruht das Wunderbare, wobei sich mehr oder weniger die Verbindung der menschlichen Schicksale mit dem Rathschluß, Willen und Handeln höherer, übernatürlicher Wesen wirksam zeigt. 86) Vergl. GervinuS L p. 270 seq. 87) Vergl. oben A. 35.

Anmerkungen.

249

88) S. W. Grimm a. a. O. p. 60 und 380. 89) Da in dem nationalen Epos alle besonderen Seiten der Volksthümlichkeit heraustreten, so gewinnen wir durch dasselbe die Anschauung des nationalen Geistes in seinem sittlichen Familienleben, in den öffentlichen Zuständen des Kriegs und Friedens, in seinen Bedürfnissen, Künsten, Ge­ bräuchen, Interessen, kurz ein treues Abbild von dem sittlichen und intellectuellen Zustande des Volks. Es individualisiren sich im Epos, wie in der Poesie überhaupt, die allgemeinen Zustände in menschlichem Handeln und Empfinden. Die epischen Charaktere entfalten aus sich alle Seiten natio­ naler Gesinnung, indem diese dem Zweck und der Leidenschaft bestimmter Individuen zu Grunde liegen. Die künstlerische Einheit im Epos ergiebt sich daraus, daß die Begebenheit selbst auf's Innigste mit einem Indivi­ duum sich verschmilzt. In dem Nibelungenliede tritt uns eine Mannigfal­ tigkeit von Charakteren entgegen, und die Einheit des Gedichts ruht in Chriemhild: ihre Liebe zu Siegfried, ihre Rache für den gemordeten Gat­ ten, ihr Tod sind die Hauptmomente, worin sich Anfang, Mitte und Ende abschließt, wie in dem zürnenden und versöhnten Achill die Einheit der Ilias sich kund giebt. Dabei hat aber jede Person ihr Recht und ihre Stelle, und die Theilnahme ist an verschiedene Personen gleichmäßig verthcilt. Es spiegeln sich in den Charakteren des Nibelungenliedes die Grundzüge des germanischen Geistes ab: Freiheit und Selbstständigkeit des Einzelnen (Sieg­ fried), die Liebe der Familie, besonders des Weibes lChriemhild), die Treue der Vasallen gegen den Lehnsherrn (Rüdiger, Hagen). Das religiös-kirch­ liche Element durchdringt das Ganze nur äußerlich, weil die deutsche Hel­ densage in der heidnischen Vorzeit wurzelt. Vergl. Zell über die Jliade und das Nibelungenlied (Karlsruhe 1843) p. 238. Rosenkranz a. a. O. p. 105 seq. und Rinne, Innere Geschichte der Entwickelung der deutschen National-Literatur p. 76 seq. 90) Ueber den Namen Nibelunge vergl. Grimm'S deutsche Helden­ sage p. 66 seq. 91) Ueber die ahnungsvollen, prophetischen Träume, die den Frauen zugetheilt werden, s. Zell a. a. O. p. 260. 92) Die Sonnenwende im Sommer ist die vornehmste Zeit der Feste und in den Nibelungen die der Hauptbegebenheiten, welche sind: Siegfried's Nitterweihe, fein Tod und der Burgunder Untergang. 93) Ueber Brunhild s. Grimm'S d. Helds, p. 82 seq. und 383 seq. Nach der nordischen Heldensage war Siegfried mit Brunhild verlobt und hatte ihr Treue geschworen; allein dies war durch Zauber bewirkt und als dessen Kraft gewichen, schwand aus Siegfried's Gemüth das Bewußtseyn des Geschehenen, so daß er Brunhild verließ. 94) Das Eigenthümliche des Nibelungenliedes im Gegensatz der scandinavischen Sage zeigt sich vorzüglich darin, daß das Einfachere, Geschicht­ liche, Naturtreue, Wahrscheinliche und vom Wunderbaren Entfernte das Vorherrschende ist. Die aus dem Norden kommenden Wunder finden in WormS ihre Endschaft: die wunderbare Stärke Brunhildens verschwindet, der Göttersohn Siegfried verliert hier das Leben; hier verschwindet die Tarnkappe, und Balmung finkt zum gemeinen Schwert herab; endlich der

250

Anmerkungen.

Hort wird hier versenkt, welcher im Gedichte als dunkle und räthselhaste Nebensache erscheint, wenigstens ist seine Einwirkung gering. Vergl. über daS Element des Wunderbaren im Nibelungenliede Zell a. a. O. p. 222seq. 95) Gervinus I. p. 268 seq. bemerkt, wie in dem Nibelungenliede selbst nichts liegt, was uns die entscheidende Wichtigkeit Dietrichs und Hil­ debrands erkläre; es hätte in Bezug auf beide ein Blick auf die Zukunft, wie auf ihre Vergangenheit geworfen werden müssen. 96) Vergl. Lachmann's Anmerkungen zu den Nibel. und zur Klage p. 287 seq. und W. Grimm d. Hlds. p. 103 seq. 971 S. Gervinus a. a. O. II. p. 96 und in Bezug auf den Inhalt der hierhergehörigen Gedichte p. 102 seq. 98) S. W. Grimm a. a. O. p. 258. 98b) Vergl. über Riesen, Drachen und Zwerge Rosenkranz a. a. O. p. 60 seq. und Gervinus II. p. 99 seq. 99) S. W. Grimm a. a. O. p. 213 seq. und p. 271 seq. 100) S. W. Grim m p. 356 und Lachmann über Singen und Sagen p. 291. 101) S. W. Grimm p. 236 seq. 102) S. W. Grimm p. 245 seq. 103) Vergl. Gervinus II. p. 105 und Rosenkranz a. a. O. p. 115 seq. 104) S. Gervinus II. p. 194. 105) S. Ettmüller: Gudrunlieder, Zürich und Winterthur. 1841, und besonders Albert Schott in der Einleitung zu Vollmer's Ausgabe der Gu­ drun p. LXV1 seq.; über den Inhalt der Gudrun Gervinus I. p. 274 seq. und Rosenkranz a. a. O. p. 148 seq. 106) S. W. Grimm a. a. O. p. 226 seq. und Gervinus II. p. 99 seq. 107) Während das Epos Stetigkeit des Metrums fordert, entsprechend dem objectiven Gehalt, den es als ein gemeinsames, in sich beruhendes Seyn außer uns zur Anschauung bringt, verlangt die Lyrik, in welcher sich das Allgemeine des sittlichen und religiösen Bewußtseyns nach dem Gefühl und der Anschauung des Einzelnen mannigfaltig individualisirt, Wechsel deS Metrums und Mannigfaltigkeit des Reims, worin sich die Musik der Em­ pfindung symbolisch entfaltet. S. Rosenkranz a. a. O. p. 466 seq. Vergl. v. d. Hagen's Minnesänger I. p. XXVI seq. 108) Vergl. Gervinus a. a. O. I. p. 303 seq. 109) Das Wort minne heißt Liebe und Andenken; es hängt zu­ sammen mit manen erinnern und mit meinen seine Gedanken worauf rich­ ten; bei Wort und That im Sinne haben, lieben. Es entspricht sich minne und manen, wie im Griechischen pevos und pipvrjcrzw, im Lateinischen mens, inemini, moneo. Vergl. meine philos. Propäd. p. 244 A. 171a. 110) S. Gervinus a. a. O. I. p. 289 seq., 292 seq., 295 seq. Die Mnnepoesie ist eine jugendliche, frauenhafte Poesie; die Poesie der Troubadours eine durch und durch männliche Liebespoesie. Vergl. Vil­ mar a. a. O. p. 254 seq. 110b) Vergl. 3. Grimm über den altd. Meistergesang p. 133, 142, 170.

Anmerkungen.

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111) S. Diez, die Troubadours (Zwickau 1826) p. 267, und von der Hagen a. a. O. I. p. XLI. seq. und IV. p. 47 seq. 112) Vergl. A. W. Schlegel's Gedicht „An die südlichen Dich­ ter, deren Lieder ich überseht hatte" Str. 2. 112a) S. I. Grimm a. a. O. p. 127 seq. und Uhland, Walther von der Vogelweide p. 5 seq. 112b) S. Gerviuus a. a. O. I. p. 294 seq. 113) Vergl. I. Grimm a. a. O. p. 37 seq. 114) S. I. Grimm a. a. O. p. 40, und von der Hagen a. a. O. I. p. XXXII. 115) S. I. Grimm a. a. O. p. 28 und 48. 116) S. Simrock, Gedichte Walther's von der Vogelweide L Th. p. 175 seq. 117) S. Simrock a. a. O. p. 174, und von der Hagen a. a. O. I. p. XXXV. 118) Die Lyrik fordert das Individuelle und sucht die Mannigfaltigkeit, dagegen lassen sich die Minnesänger von jener Einen Empfindung von Freude und Leid bestimmen und beruhen beharrlich auf diesem Einen Ge­ fühl. Die eigenthümliche Anschauung bed Einzelnen erhielt noch nicht die innere Vertiefung, daß daraus eine Vielseitigkeit der Auffassung und eine große Verschiedenheit unter den einzelnen Minnesängern hervorging, und dies konnte um so weniger geschehen, als die Welt, in der diese Dichter le­ ben, keine rein menschlichen Zustände darstellt, sondern es war das ganze Ritter- und Hofwesen ein gemachtes und künstliches. Diejenigen Dichter, welche das Langweilige und Gezwungene der conventionellen Hofsitte fühl­ ten, gingen in die entgegengesetzte Sphäre über, wie Nithart und Tanhuser, und wurden derb und gemein. Am meisten drängt sich bei Walther von der Vogelweide das rein Menschliche in ansprechender Form hervor, und er wird eben deshalb ein nationaler Dichter, je mehr er unabhän­ gig erscheint von den bei den verschiedenen Nationen stehend gewordenen Formen des ritterlichen Lebens. Während wir jetzt die höhere Eingebung als die Quelle aller Poesie ansehen, heben die Minnesänger mehr die Er­ scheinung, die poetische Form hervor; uns gilt höher die Kraft des Gestal­ tens, die Bedeutsamkeit des Gedankens, als die gewordene Form; dagegen forderten die Dichter des 13. Jahrhunderts mehr die Ausarbeitung in an­ sprechender Form, in welcher Zierlichkeit und Ebenmaaß herrsche. Sie woll­ ten einerseits sich ihrer Liebesempfindungen entäußern und andererseits den Kenner befriedigen, gleichgesinnten Männern gefallen und solche Kreise er­ heitern, in denen ähnliche Interessen herrschten. Nicht fühlten sie sich beru­ fen auf die Nation zu wirken, diese zu heben und weiterzubilden, daher auch der Minnegesang trotz seiner zierlichen Form keine nachhaltige Wirkung aus­ übte und völlig verstummte, als die höfische Bildung und das enge In­ teresse vornehmer Kreise verschwand. 118>.) Die reichste Quelle für die mittelhochdeutsche Lyrik ist die früher zu Heidelberg, jetzt zu Paris befindliche Handschrift (C), welche den Namen der Manessischen führt nach den Manessen in Zürich (zw. 1280 und 1328), welche Liederbücher sammeln ließen. Diese Manessische Sammlung

252

Anmerkungen.

hat Bodmer und Breitinger 1758 — 59 2 Bde. herausgegeben. Die voll­ ständigste Sammlung der lyrischen Gedichte dieses Zeitraums hat von der Hagen in seinen Minnesängern geliefert. Leipzig 1838. 4 Bde. 4. Der I. und ll. Bd. enthalten die sogenannte Manessische Sammlung; der HL die Ergänzungen aus anderen Sammlungen und der IV. eine Geschichte der Dichter und ihrer Werke. 119) Vergl. über beide v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 109 seq. und p. 111 seq. und s. Lachmann über die ältesten namhaften Lyriker in dessen Ausg. des Walther v. d. Vogelweide, 2. A. p. 198 seq. Endlich Kürenbergii et Alraini Gerstensis cannina carminiinique fragmcnta recensuit Guil. Wackernagel. Berol. 1827. 120) Vergl. Koberstein a. a. O. 2. A. p. 147 seq. 120b) Vergl. v. d. Hagen a. a. O. L p. XXVI. 121) S. über Heinr. v. Veldeke und Fr. Husen v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 72 seq. und p. 150 seq. 122 S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 122 seq. 123) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 137 seq. 124) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 261 seq. 125) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 192 seq. und San-Marte a. a. O. II. p. 10 seq. 125b) Vergl. v. d. Hagen a. a. O. I. p. XXV. 126) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 435 seq. Uhland a. a. O. p. 99 seq. Lachmannzu Walther p. 182 seq. Wackernagel zu Simrock's Walther II. p. 170 und Gervinus a. a. O. I. p. 310 seq. 127) S. v. d. Hagen a. a. O. p. 421 seq. No. 90. Uhland a. a. O. p. 102. Gervinus a. a. O. H. p. 12, 14 seq. und I. p. 304. 128) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 62 seq. No. 14. 129) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 230 seq. No. 48. 130) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 80 seq. No. 17, undGervinus a. a. O. i. p. 317. 131) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 132 seq. No. 36. 132) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 321 seq. No. 77 und über den Inhalt des Frauendienstes Gerv. a. a. O. I. p. 463 seq. und Vilmar a. a. O. p. 270 seq. 133) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 20 seq. 134) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 307 seq. 135) S. v. d. Hagen a. a. O. IV.p. 701 seq. No. 140, und Gervinus a. a. O. 11. p. 34 seq. 136) S. V. d. Hagen a. a. O. IV. p. 468 seq. No. 103 und p. 625 No. 125. 137) Vergl. Gervinus a. a. O. II. p. 12 seq. 138) S. Genth, deutsche Dichtungen des Mittelalters II. p. 206 seq. und 224 seq. Vergl. Rosenkranz a. a. O. p. 343 und Gervinus a. a. O. 1. p. 300. 139) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 688 seq. No. 137 und Kober­ stein a. a. O. § 72. 140) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 158 seq. No. 44.

Anmerkungen.

253

141) S. v. d. Hagen a. a. O. IV, p. 262 seq. 142) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 621 seq, und Gerd. I. p. 440. 143) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 502 seq. No. 113. Gervinus I. p. 461 seq, 144) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 99 seq. No. 21. 145) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 726 No. 25 und 621, und Ger­ vinus I. p. 441. Belehrend ist in W. Grimm'S Ausgabe p. 4 seq. die Zu­ sammenstellung der mannigfaltigen Bilder und Gleichnisse zur Verherrli­ chung der Jungfrau Maria aus den Gesängen anderer mittelhochdeutscher Mariendichter. 146) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 680 No. 136. 147) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 735 seq. 736 No. 26. 148) Vergl. Prutz, Literarhistor. Taschenbuch, 1. Jahrg. 1843, p. 321 seq. 149) Vergl. Docen, „über die deutschen Liederdichter seit dem Erlöschen der Hohenstaufen bis auf die Zeiten Kaiser Ludwigs des Baiern" — im Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst. Jahrg. 1821 April und Mai No. 50-54. 150) S. Prutz a. a. O. p. 323. 151) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 686—89. 152) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 139 seq. 153) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 501. 154) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 517, 519, 521. 155) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 525 seq. No. 118. 156) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 651, 652, 657 seq. No. 133. 157) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 724 ssq. 158) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 453 und GervinuS II. p. 11. 159) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 679 seq. 160) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 744. 161) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 733 seq. 162) Vergl. Uhland's gehaltvolle Abhandlung, „Walther von der Vogelweide, ein altdeutscher Dichter." Stuttgart und Tübingen. 1822. Gervinus L p. 306 seq. und Simrock zu Walther I. p. 177 seq. 217. II. p. 109 seq. 163) S. Uhland a. a. O. p. 142, 144, 152. 164) S. Uhland a. a. O. p. 118 seq. 132, 138. 165) S. Uhland a. a. O. p. 39, 43 seq. 47, 118, 120 seq. 166) S. I. Grimm a. a. O. p. 31 und Uhland a. a. O. p. 98. Aus dörper ist durch Umgestaltung Tölpel entstanden. Dörper ist ein Dörfer, Dorfbewohner. 167) Vergl. I. Grimm a. a. O. p. 70. 168) Bergt. Uhland a. a. O. p. 94-97 und p. 109. 169) Vergl. v. d. Hagen a. a. O. I. p. XXXII. Gervinus a. a. O. II. p. 34. 170) S. Gervinus a. a. O. II. p. 35 seq. 171) S. Gervinus a. a. O. II. p. 31, 39 seq., 41 seq. und I. Grimm a. a. O. p. 32. 171a) Es gingen die scholastischen Begriffe und Dogmen in die Welt-

254

Anmerkungen.

anschauung der Dichter über, und die Poesie hielt sich, nachdem ihr die ei­ gentliche Lebensfrische entschwunden war, an dem gelehrten Wissen fest. Gervinus (Handbuch § 101) bemerkt: „man muß in der Philosophie der Scholastiker die Glossen suchen zu den Sprüchen, die von Räthseln, von apokalyptischer Weisheit, astralogischer Geheimlehre u. s. w. gefüllt sind." Vergl. Gervinus a. a. O. II. p. 141. Gieseler's Kirchengeschichte Jl. 2 y. 463 seq. 171b) Vergl. Gervinus a. a. O. II. p. 49. 172) Vergl. über das deutsche Sprüchwort Gervinus a. a. O» L p. 410 seq. und Eise lein's Einleitung zu seiner Schrift: die Sprüchwörter und Sinnreden des deutschen Volks re. 1840. 172b) Vergl. Lessing's Werke Bd. 13 p. 208. 173) S. Rosenkranz a. a. O. p. 477 seq. und Gervinus a. a. O. H. p. 46 seq. 174) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 688 seq. 175) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 503 seq. und p. 529. 176) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 707. 177) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 722. 178) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 697. 179) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 695 und 637. 180) S. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 737. 181) Vergl. Koberstein's Abhandlung über das wahrscheinliche Alter und die Bedeutung des Gedichts vom Wartburger Krieg. Naumburg 1823. Ueber den Inhalt s. v. d. Hagen a. a. O. IV. p. 741 seq. und Rosenkranz a. a. O. p. 475 seq. Außerdem noch I. Grimm a. a. O. p. 77 seq., San-Marte a. a. O. I. p. 141 seq., II. p. 348 seq. und Gervinus II. p. 50 seq. 182) Die didaktische Richtung der Poesie erhielt sich von jetzt an fast ununterbrochen in unserer Literatur; sie ward in der nächstfolgenden Periode fortgesetzt und war der Ausdruck einer viel bewegten und um große, geistige Interessen ringenden Zeit, indem mit dem Verfall des Adels und der Geist­ lichkeit, dieser beiden Hauptstützen des mittelaltrigen Staats, auch in der Uebergangsperiode des 14. und 15. Jahrhunderts sich das Bedürfniß auf­ drängte, nachzudenken über die Natur und Bestimmung des Menschen, wor­ aus sich besonders durch Laien, welche sich mit der Welt vielseitig bekannt gemacht und einen freieren Blick ins Leben gewonnen hatten, eine gesunde, charaktervolle Lebensweisheit gestaltete. Im 17. Jahrhundert wurde durch Opitz die Lehre der Weisheit und Tugend als der Poesie ältestes Thun und vornehmster Zweck hingestellt, und im 18. Jahrhundert wurde von Hal­ ler bis zu Lessing die Poesie durch religiöse und weltliche Moral beherrscht. ES zeugt dies von der ernst beschaulichen den inneren Lebensmächten, der Religion und Moral, zugewandten Richtung deS deutschen Volks. Ueber das Lehrgedicht als Kunstform bemerkt Göthe, W. l. H. 49 p. 151 seq., daß es unzulässig sey, der lyrischen, epischen und dramatischen noch die di­ daktische hinzuzufügen, denn jene drei ersten seyen der Form nach unter­ schieden und die letztere, welche von dem Inhalt ihren Namen habe, könne

Anmerkungen.

255

nicht in derselben Reihe stehen. Mit Recht bemerkt er, daß die didaktische Poeste ein Mittelgeschöps sey zwischen Poesie und Rhetorik; denn um dem unpoetischen Stoffe den Schein des poetischen Lebens zu geben, muß der di­ daktische Dichter zu rhetorischen Kunstmitteln seine Zuflucht nehmen. Es beruht nemlich das Prosaische der Lehrdichtung auf dem Mangel an subjectiver Lebendigkeit, auf der einseitigen mehr wissenschaftlichen Trennung des Objectiven vom Subjectiveu, indem jenes mehr als äußerer abgesonderter Gegenstand, als Object der Belehrung gefaßt und nicht künstlerisch lebendig als Moment im Leben des Künstlers und aller Menschen dargestellt wird. Denn jedes poetische Kunstwerk muß sich als die schöpferische Gestaltung und Wiedergeburt der in freier Geistesthätigkeit angeschauten Welt und Men­ schenkenntniß darstellen. Das lebendige Walten der schöpferischen Phantasie hört aber auf, wenn Ideen und Ansichten veranschaulicht werden sollen, die in ihrem Zusammenhänge dem festen, unabänderlichen Gesetz des logischen Denkens unterworfen sind. Den Werth der didaktischen Poesie erkennt Göthe um ihrer Popularität willen an, und fügt hinzu, daß selbst der begab­ teste Dichter es sich zur Ehre rechnen sollte, auch irgend ein Capitel des Wiffenswerthen also behandelt zu haben. 183) S. San-Marte a. a. O. H. ,>. 346 und die daselbst aus Gervinus Nationall. I. p. 395 seq. citirte Stelle. 184) S. Gervinu-, Handbuch § 98 und 99. 185) Vergl. Gervinus Nationall. I. p. 340 seq. Den Tert beider Gedichte giebt v. d. Hagen, Minnesänger 1. p. 364 seq., vergl. 111. p. 465 seq. Ueber den Verfasser und über die Entstchungszeit beider Gedichte s. Koberstein a. a. O. § 119. 186) ES fehlt noch an einer Ausgabe des welschen Gastes; eine kritische Ausg. wird von Frommann erwartet. Einzelne Stellen aus dem Ge­ dichte find mitgetheitt von Wackernagel, altd. Les., von G. u. F. Scholl u. von Hüppe. Eine Analyse des Inhalts giebt Gervinus 6. a. £). I. p. 396 seq. 187) Vergl. Gervinus a. a. O. p. 410 seq., und über das Literarhi­ storische s. W. Grimm'ö Ausg. p. X und (Vlll.) 188) Vergl. San-Marte a. a. O. 11. p. 247. 189) S. Gervinus a. a. O. T. p. 420 seq. 190) Vergl. I. Grimm's Reinhart Fuchs CLXXXI seq.i 191) S. Gervinus a. a. O. 11. p. 155 seq. Das Gedicht ist dort nur 100 Jahre zu spät gesetzt. Vergl. über die Zeitbestimmung Ferd. Wolf in Wien. Jahrb. Bd. 56 p. 257. 192) S. Gervinus a. a. O. II. p. 118 seq. Dies Gedicht stand lange, wie Fridank'6 Bescheidenheit, in hohem Ansehen, und wie von diesem ver­ anstaltete Sebastian Brandt auch von dem Renner eine Bearbeitung. Vgl. noch Lesfing's Werke Bd. 13 p. 76 seq. 192b) S. Gervinus a. a. O. II. p, 160 seq. 193) In der damaligen Zeit, wo der didaktische Zweck dem Dichter am Herzen lag, entstanden, wie auch später bei der Vorliebe für die Lehrdich­ tung viele Fabeln und poetische Erzählungen. Der Fabeldichter will uns

den Lauf der Welt zeigen: so ist es stets gewesen, so wird es bleiben. Der

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Anmerkungen.

Stricker nennt daher seine Sammlung von Fabeln die Welt, insofern der Weltlauf auf das Vielseitigste durch Beispiele aus der belebten und un­ belebten Natur soll veranschaulicht werden. Der Fabeldichter interessirt uns nicht für bestimmte Individuen durch Entwickelung ihrer Gesinnungen, Cha­ raktere und Schicksale, sondern er braucht gar keine zusammenhängende Handlung darzustellen, nur die Form muß die erzählende seyn, in welcher er Verhältnisse und Situationen verführt, die den Jnstinct der Thiere zu ihrer Grundlage haben oder irgend ein natürliches Verhältniß aussprechen, z. B. „Man ließ einen Wolf in die Schule gehen; der Schulmeister sagte ihm vor A, B, C; der Wolf antwortete Lamm, Vock, Ziege." (S. Götzinger'6 deutsche Dichter H. p. 502 seq.) Da also die Begebenheit, die der Fabel zu Grunde liegt, nicht ihretwegen da ist, kein Interesse an und für sich darbietet, sondern nur Gelegenheit geben soll, die Lehre daran an­ zuschließen und diese darin zu individualisiren, so folgt für die Fabel, daß die Begebenheit selbst einfach sey und nur aus möglichst wenigen Vorgän­ gen bestehe, ferner daß der Vortrag einfach, klar und kurz sey, endlich daß die zu Grunde liegende Moral aus der Fabel selbst ungezwungen hervor­ trete. Der didaktische Zweck drängt daher das epische Element zurück. Be­ zeichnend ist im Mittelhochdeutschen der Ausdruck bispel für Fabel, welcher die nebenhergehende Geschichtserzählung (spei) bedeutet, so wie auch bischaft auf die herbeigeschaffte, erdichtete Geschichte hinweist. In beiden Ausdrücken liegt, daß die Erzählung das Nebenher, die Lehre der Hauptzweck ist. Da­ gegen wird die epische Erzählung, die nicht etwas Nebenherspielendes, son­ dern Selbstzweck ist, maere genannt, und Reinhart Fuchs giebt sich gleich als maere, nicht als bispel zu erkennen. Der epische Dichter wirkt durch die Begebenheit selbst, durch die Schicksale und Handlungen, die Gesinnun­ gen und Charaktere bestimmter Individuen. Er stellt die Begebenheit als solche hin, ohne zu fragen, welche Lehre darin liegt. Das epische Interesse an einer Handlung beruht nicht auf den Folgerungen, die daraus zum Nutzen und Frommen gemacht werden können, sondern auf dem Ereigniß selbst. Für den Werth eines Epos kommt es auf die sichere Durchführung des Gan­ zen an, auf die vollendete Charakteristik der Personen, die der Dichter nicht vorfindet, sondern in seinem Geiste schöpferisch gestalten muß. Von einer umständlichen Charakterisirung kann aber bei der Fabel gar nicht die Rede seyn, denn sie findet ihre Charaktere vor, dies sind entweder Thier- oder genreartige Individuen (Hans und Peter, Hinz und Kunz, Töffel und Michel, Bramarbas und Else u. dgl. m.), bei deren bloßer Benennung auch dem Unwissendsten sogleich die entsprechende Vorstellung von ihrem Charak­ ter sich aufdrängt. Das Hauptsächliche für den Fabeldichter besteht darin, daß er solche durch ihre eigene Natur schon hinlänglich bestimmte Wesen in Situationen und Verhältnisse bringt, aus denen sich die moralische Lehre von selbst ergiebt. Die Fabeldichter des Mittelalters verlieren sich, bei ihrem Eifer für die Tugend und gegen das Laster, gerne in dem Ausspinnen der praktischen Anwendung der Fabel, so daß die Fabel als bispel wirklich nur beiher spielt. Die eigentlich poetische Erfindung tritt ganz zurück. Bonerius sagt selbst, daß er sein Buch aus dem Lateinischen ins Deutsche ge­ bracht habe. Das Eigenthümliche liegt hauptsächlich in der Anwendung auf

Anmerkungen.

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die Zeitzustände und hierin offenbart BoneriuS ein gesundes, praktisches Ur­ theil. — Vilmar a. a. O. p. 246 seq. entwickelt den Unterschied zwischen Thiersage und Fabel durch den Gegensatz von Naturpoesie und Kunstpoesie.

194) S. GervinuS a. a. O. II. p. 163 seq. 195 i Je mehr sich die Welt in ihren verschiedenartigen Erscheinungen dem Bewußtseyn erschließt, um so mehr tritt daS Bedürfniß ein, sich in der­ selben zu recht zu finden und zu orientiren. Der Verstand fängt an, auf die zunächst liegenden Gründe und Ursachen des Zusammenhangs der Dinge und 'Erscheinungen aufmerksam zu werden, das Einzelne als solches in sei­ ner Acußerlichkeit aufzufaffcn und das Gesetz seiner realen Erscheinung aufzufindcn, das nun losgetrcnnt von dem Sinnlichen selbstständig für sich her­ vorgehoben wird. Während die Poefie das Allgemeine von seiner lebendi­ gen Existenz nicht trennt, bewirkt der Verstand eine neue Anschauungsweise, welche entweder sich ganz einseitig in die Endlichkeit versenkt und sich be­ gnügt das, was ist als bloß Einzelnes aufzunehmen oder den Zusammen­ hang der endlichen Erscheinungen nach den ihnen zum Grunde liegenden Gesetze durch Schlüsse und Folgerungen zu ermitteln. Diese mehr reflectirende Richtung des Geistes, die sich um so mehr geltend macht, als überhaupt das Leben des Volks in Erkenntnissen reicher wird und zugleich praktische, materielle Zwecke verfolgt werden, mußte tut Gegensatz der Poesie eine neue Ausdrucksweise zur Folge haben, die Prosa, welche gerade vorwärtsschrei­ tend (proversa) die Erscheinungen zunächst in ihrer zeitlichen und räumlichen Aufeinanderfolge darstellt, und verweilend auf dem festen Boden der Wirklich­ keit (ö 7tty>s i.oyos) äusieren Zwecken dient. (Vergl. meine philos. Propä­ deutik p. 139 seq.). Die Darstellung des Geschichtschreibers soll der Er­ fahrung und der Wirklichkeit genügen, und ebenso hat der Philosoph und der Redner seine besonderen Zwecke; jener will das Erscheinende, das in der Er­ fahrung Gegebene begreifen, fein höchster Zweck ist die Wahrheit; der Redner will zum Guten oder überhaupt zum Handeln bewegen. Da sich nun in der gegenwärtigen Periode die Prosa noch nicht ausgebildet hatte, so kam es, daß man Geschichte in Reimen schrieb, wie in den Reimchroniken, daß Gelehrsamkeit und scholastisches Wissen in den gnomischen Dichtern hervor­ trat, und daß endlich moralische Betrachtungen, Reden und Predigten in der didaktischen Poesie ihren Platz fanden. I. Grimm in der Einleitung zu den latein. Gedichten des 10. u. 11. Jahrhunderts bemerkt p. VII: „Poesie giebt die Grundlage her zu bein Gedeihen aller Literatur, vermag sie aber nicht allein und ohne hinzutretende geistige Kraft der Prosa aufzubringen. Nachdem das Christenthum die noch aus heidnischer Wurzel entsprossene Dichtung des 8. und 9. Jahrhunderts verabsäumt und ausgerottet hatte, mußte die deutsche Poesie eine Zeit lang still stehen, einer Psianze nicht un­ gleich, der das Herz ausgebrochen ist, und erst im 12. und 13. Jahrhundert begann ihr Stiel auszuschlagen; diesem fröhlichen Wachsthum war dennoch abzuwelken beschicden, weil ihm keine schützende Prosa zur Seite trat. Als im 16. Jahrhundert die deutsche Prosa sich ermannte, fehlte die Macht der Poesie, und der neuversuchten, unvollbürtigen Poesie des 17. Jahrhunderts war die Prosa abgestorben. Endlich im 18. Jahrhundert gelang die VerBiese deutsche Literaturgeschichte I.

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Anmerkungen.

einigung beider, und fortan konnte nichts mehr die Blüthe und Frucht un­ serer Literatur aufhalten." Dem Bedürfnisse dienend und äußere Zwecke verfolgend ist die Prosa nicht mehr das Product des freien Spiels der Gei­ steskräfte, sondern sie wird bedingt durch den gegebenen Stoff, den sie nicht selbstthätig durch sich schaffen und hervorbringen kann, daher sie auch das Metrum ablegt, jenes Zeichen der poetischen Freiheit, an dessen Stelle die kunstvollere Compositiou des Satzes tritt. Es wird sich zwar auch die Phantasie in der Prosa geltend machen, aber auf andere Weise, als in der Poesie. Will der Geschichtschreiber aus den einzelnen Theilen ein Ganzes bilden, so bedarf er der Phantasie, welche, wie beim epischen Dichter, das Vereinzelte ordnet und zur Einheit innerlich verbindet; doch beim Geschichtschreiber ist sie nur Dienerin der Erfahrung, sie wirkt nicht als frei schaffende, sondern nur als verknüpfende Kraft. Ebenso ist dem Redner, dem Philosophen die Phantasie als Verknüpfungsgabe nöthig, insofern sie ihren Gedanken und Ideen eine Form geben müssen, aber immer dient die Phantasie hier einem besonderen Zweck und ist nicht aus sich und durch sich schöpferisch thätig. Es ist daher das Gebiet der Poesie und Prosa scharf von einander gesondert, aber beide führen in ihrer weiteren Entwickelung neben einander zu immer reicheren Gestaltungen des geistigen Lebens. 196) Vergl. Graffs Diutiska II. p. 277 seq., 288 scq., 380seq. Hoffmann's Fundgruben, 1. Thl. Ferner Predigten des 12. und 13. Jahrhun­ derts herausg. v. Roth. Quedlinburg und Leipzig 1839. 197) Vergl. Ley ser's Einleitung zu den von ihm herausgegebenen Pre­ digten des 13. und 14. Jahrhunderts. Quedlinburg und Leipzig 1838. 198) S. Franz Pfeiffer, deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts. Leipzig 1844. und Eilf Predigten von Berthold nebst Auszügen aus den übrigen, herausgegeben durch Kling. Berlin 1824. Besonders kann noch hingewiesen werden auf I. Grimm's Recension von Kling's Ausg. der Bertholdschen Predigten in den Wiener Jahrbüchern der Literat. 1825. Bd. 32. p. 194-257. 199) Vergl. Mundt's Kunst der deutschen Prosa p. 139 seq. 199b) S. das Bruchstück des Prosaromans in Wackernagel's altd. Lese­ buch I. p. 774 seq. Dies Lesebuch gewährt auch von anderen Denkmälern alter Prosa eine lebendige Anschauung. 200) Vgl. Prim isser's Ausg. von Suchenwirt's Werken No. 37, wo der Krieg des Adels mit den Reichsstädten behandelt wird, und das Lie­ derbuch der Clara Hätzlerin herausg. v. Haltaus No. 28 und 29. Außerdem s. Gervinus a. a. O. n. p. 197. 201) Vergl. Ranke's deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 1. Bd. Einleitung (2. A.). 202) S. Gervinus a. a. O. II. p. 192 seq. 203) S. Gervinus a. a. O. II. p. 135 seq. 204) Es waren alle Elemente eines großen Gemeinwesens vorhanden, wenn diese nur zur Einigkeit und kräftigen Geltung gebracht wären: die Reichstage galten als die Mittelpunkte der allgemeinen Gesetzgebung und Verwaltung; ein kaiserliches Gericht war vorhanden; ein Landfriede war schon aufgerichtet, wenn auch vielfach gebrochen; eine Matrikel, nach welcher

Anmerkungen.

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jedes Mitglied des Reichs zur allgemeinen Reichsvertheidigung seine Hülfe stellen sollte, war während des Krieges gegen die Hussiten entworfen. Vgl. Ranke a. a. O. erst. Vd. p. 196. 205) S. N a u mer's Gesch. der Pädagogik. Erst. Bd. p. 60 seq. und Karl Hagen, Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse im Re­ formationszeitalter (Erlangen 1841) p. 132 seq. 205a) S. Gervinus a. a. O. 11s. p. 77 seq. und G. und F. Scholl a. a. O. II. p; 90 seq. 205b) S. Ranke a. a. O. p. 255. 206) Eine unmittelbare Verschmelzung der antiken Formbestimmtheit mit dem Princip des Romantischen wurde von den Italienern zuerst vollbracht, für welche die französische und deutsche Dichtkunst des Mittelal­ ters nur eine Vorschule ward, indem sie den Stoff, welcher ganzen Jahr­ hunderten vor ihnen angehörte, in die ächte Kunstform brachten. Die ita­ lienische Poesie hat daher alle Tendenzen der mittelaltrigen Dichtkunst vollendet: Dante (1265—1321) vollendete das allegorische Ringen der Di­ daktik; Petrarca (1304—74) den Minnegesang; Boccaccio (1313—75) den heiteren und witzigen Stil der Novellen; Ariost (1474 — 1533) das phantastische Ritterepos; Tasso (1544 — 95) das ernste Epos, den Kampf ganzer Völker um heilige Güter; Gua rin i (1537—1612) die Schäferdich­ tung. Auch auf den anderen Gebieten der Kunst entstanden classische Werke; Italien hatte gegen Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. seine großen Maler Leonardo da Vinci (1445 — 1520), Michel Angelo (1474 — 1563), Raphael (1483-1520), Coreggio (1494-1534), Tizian (1477 —1576); seine Baumeister Brunelleschi (1377—1444) und Bramante (1444 — 1514); endlich in der Musik seinen Palästrina (1529 — 1594). Die Spanische Poesie wurde zu einer schärferen Formbestimmung durch die Italienische hingeführt; wenn die Italienische Poesie sich nur im Epi­ schen und Lyrischen vollendete, so machte die Spanische durch den Roman und durch ein reiches Drama die ergänzende Seite zu ihr aus: Monte­ mayor (1520—61) gestaltete nach Italienischen Mustern den Schäferroman; Cervantes (1547 — 1616) steht auf der Spitze der prosaischen Ritterro­ mane, und traf mit feinem Takte das rechte Maaß zwischen dem Idealen und Realen, dem Erhabenen und Gemeinen; Lope de Vega (1562 — 1635) vollendete die elegantere Volkskomödie, sowie Cald eron (1600—87) der Vollender des Mirakels und Mysteriums, der Allegorie und Moralität ist. Bei beiden ist die Convenicnz des Ritterwcsens die Seele ihrer Dra­ men, und namentlich gestaltete sich in Calderon ein bestimmtes System von Ehre, Liebe und Glaube. Es hatte in Spanien, wie im Süden überhaupt, das ernste Ritterepos eine Wiedergeburt gehabt, gegen welches als Gegen­ satz die Dichtung des Cervantes auftrat. Die P or tugiesische Poesie, welche als eine weichere Nebenform der Spanischen erscheint, erreichte ihren Höhepunkt in Camoens (1524 — 69), dessen Lusiade das erste neuere ernste Nationalepos ist, welches den vorzüglich in Ostindien erworbenen por­ tugiesischen Heldenruhm verherrlicht. Die Englische Poesie wurde gleich­ falls rücksichtlich der Form durch die Italienische angeregt; Cha u cer (1328 —1400) bezeichnet den Anfang der Kunstpoesie; er gestaltete besonders die

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Anmerkungen.

Novellenpocsie; Spenser (t 1596) bildete, wie Sidney (1554 — 86) die Schäferpoesie weiter aus und gestaltete das allegorische Epos mit phanta­ stischer Pracht. Doch bewahrte die englische Poesie auch unter der Einwir­ kung der classischen und italienischen Literatur die dem germanischen Volks­ stamm eigenthümliche Innerlichkeit und hatte hierin ein Gegengewicht, daß sie sich nicht ganz hingab an die äußere Form, in welche sich die Italiener in der Marinischen und die Spanier in der Gongaraschen Schule ganz verloren. Die dramatische Poesie bildete bald den Mittelpunkt der poetischen Bestrebungen der Engländer, aus welchen Shakespeare (1564 — 1616) sich als Koryphäe der gesummten volksmäßigeren dramatischen Kunst der neuen Zeit erhob. Die Französische Poesie konnte sich gleich­ falls nicht den Einwirkungen der neuen von Italien kommenden Bildung entziehen; diese machte sich besonders in dem sogenannten Siebengestirn (Ronsard, Jod elle) geltend, welche dasjenige vorbereitete, was das Zeitalter Ludwig XIV. zur Reife bringen sollte; von der Mitte des 17. Jahr­ hunderts an sind Corneille, Racine, Voltaire die Meister der correcten Poesie, in welcher die antike Dichtkunst mit bewußter Nachbildung wegen ihrer formellen Bestimmtheit und Deutlichkeit zur Norm aller Poesie gemacht ist, und hieraus gestaltete sich auf französischem Boden Verständigkeit in der Composition, die übersichtlich seyn sollte, rhe­ torische Kraft und Eleganz in der Ausführung, Beschränkung der Phan­ tasie auf witzige Bilder, eine conventionelle Glätte und leichtsinnige Beweglichkeit des Gemüths. Ueber den Entwickelungsgang, welchen die deutsche Poesie nahm s. meine philos. Propädeutik i>. 224 seq. Bei den Italienern und Spaniern, Franzosen und Engländern war die Völker­ mischung ein Bildungsferment, durch welche eine schnelle Circulation der Ideen, eine vielseitig geistige und politische Entwickelung ins Leben trat, und daher gelangte schon vor drei Jahrhunderten die Italienische, Spani­ sche und Portugiesische Sprache zur classischen Vollendung und Durchbil­ dung, und Franzosen und Engländer erreichten dies Ziel etwas später. Die lebendige Entwickelung einer classischen und verwandten Sprache be­ schleunigte bei den romanischen Völkern den Bildungsproceß. Dagegen hatten die Deutschen, welche ein reines, ungemischtes Volk blieben, eine langsame und späte, aber um so gehaltvollere Entwickelung, und bei ihnen zeigte sich das vorherrschende Streben, das Bedeutsamste und Herrlichste von Innen herauszugestalten. Nach langem und mühseligem Ringen, nach viel­ fachen Verirrungen hat unsere Sprache sich aus sich selbst, ungemischt und unverfälscht, zur Vielseitigkeit, Kraft und Schönheit entfaltet. 207) S. Nhland's Graf Eberhard der Rauschebart. 208) Vergl. Gervinus a. a. O. II. p. 295 seq. 208b) Vergl. Koberstein a. a. O. 2. Aufl. p. 307 seq. 209) Vergl. Marheineke über den religiösen Werth der Bibelüber­ setzung Luther's; zum Theil abgedruckt in Hiecke's Handbuch deutscher Prosa für obere Klassen. Außerdem s. Mundt's Kunst der deutschen Prosa p. 184 seq. 210) I. Grimm, Vorrede zur deutsch. Gram. I. p. XL 211) S. Mundt a. a. O. p. 49.

Anmerkungen.

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212) Belehrend ist Koberstein's Abhandlung über die Sprache des österreichischen Dichters P. Suchenwirt. Naumburg 1828. 4. Eine Fort­ setzung derselben stnd die qnaestiones Suchenwirtianae. 1842. 4. 213) Vergl. Gervinus a. a. O. II. p. 423 seq. 214) S. Prutz, Literarhistor. Taschenbuch 1. Jahrg. 1843. p. 332 seq. 215) S. Koberstein a. a. O. p. 339. A. 215b) Ueber den Ausdruck Pritschmeister s. Freytag de initiis scenicae poesis apud Germanos p. 27 seq. 216) S. Gervinus a. a. O. IT. p. 356 seq. 217) S. Gervinus a. a. O. ll. p. 106 seq. 218) Vergl. Götzinger's deutsch. Literat, I. B. p. 156 seq. Lachmann bemerkt in der A. 18 angeführten Abhandlung p. 124: ,,in dem jüngeren Hildebrandsliede, wie es im 15. bis nach der Mitte des 17. Jahrhunderts gesungen ward, ist bei der milderen Auffassung, daß sich Vater und Sohn nicht kennen, Hauptsache die durch den tapferen Kampf und heilbare Wun­ den befestigte Liebe beider. In dem alten Hildebrandslied erscheint nur der Schmerz des Vaters, der seinen Sohn erkennt und doch mit ihm streiten muß, im Gegensatz mit des Sohnes kampflustigem Unglauben und Uebermuth." 219) S. Gervinus a. a. O. ll. p. 76 seq. und Rosenkranz a. a. O. p. 212 und Schmidt über die Italienischen Heldengedichte aus dem Sa­ genkreis Karls des Großen. Berlin 1820. 220) S. Primiffer's Ausg. p. XXL und p. 300 seq. 221) S. Rosenkranz a. a. O. p. 194, 202 seq., 207 seq. 222) Vergl. Göthe's Legende von St. Peter und dem Hufeisen. 223) S. Gervinus a. a. O. II. p. 172 seq. In der angeführten Aus­ gabe von Keller handelt die Einleitung über die Geschichte und verschie­ denartigen Bearbeitungen der Sage von den 7 weisen Meistern. 224) S. Gervinus a. a. O. II. p. 249 seq. Vgl. über Johannes v. Soest den Singemeister eine Abhandlung von Hoffmann v. Fallersleben in Prutz's literarhistor. Taschenb. 1846. p. 191 seq. 225 > S. Gervinus a. a. O. II. p. 291 seq. 226) Vergl. Primisser in seiner Ausg. von P. Suchenwirt's Wer­ ken, Einleit. p. X. seq. und XII. seq. 227) S. Gervinus a. a. O. II. p. 202 seq. über die metrische Form der Erzählung von dem Siege bei Sempach s. Koberstein a. a. O. 2. Aufl. p. 326 A. e. 228) S. Gervinus a. a. O. IT. p. 210 seq. 228b) Die Allegorie geht aus dem Bedürfniß hervor, sich aus der Prosa der allgemeinen Vorstellung zur poetischen Auffassungsweise zu erheben. Bei der damaligen Richtung der Poesie auf das Lehrhafte war man bestrebt das Didaktische an etwas Faßliches anzulehnen und das Uebersinnliche zu ver­ sinnlichen. Wegen des allgemeinen abstrakten Inhalts bringt es aber die Allegorie nicht zu einer lebendigen Individualität, sondern die allgemeine Bedeutung und die persönliche Gestalt, wodurch diese ausgedrückt wird, sind unabhängig von einander. Der Gestalt werden einzelne Attribute gegeben, aus denen man ihre Bedeutung schließen muß. Daher wird die Allegorie leicht frostig und kahlz denn es fehlt ihr die innere Beseelung, das Leben

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Anmerkungen,

einer bestimmten, sich selbst darstellenden Individualität. Vergl. meine Phi­ losoph. Propädeutik p. 46. 229) S. Primisser a. a. O. p. XIX. seq. Haltaus zu seiner Ausgabe des Liederbuchs der Hätzlerin p. XX. seq. u. Gervinus a. a. O. p. 217 seq. 230) S. v. d. Hagen's Ms. IV. p. 883 seq. 231J In der Zeitbestimmung weicht v. I. Grimm ab Willems: Reinaert de vos. Gent 1836. 232) Ueber den Verfasser s. I. Grimm, Reinhart Fuchs p. CLXXIII seq. 233) Das Thierepos als solches in rein ästhetischer Beziehung hat kei­ nen anderen Zweck als sich selbst d. h. die kunstgemäße Darstellung einer interessanten Begebenheit aus der Thierwelt; es will durch Stoff und Er­ zählung wirken; und führt uns in behaglicher Ausmalung des Einzelnen eine Reihe von Begebenheiten vor, die in ihrer Gesammtheit eine fortschrei­ tende Handlung bilden und zur epischen Einheit gelangen. Die Handlungen selbst haben ihren Grund in der Willensäußerung bestimmter Individuen, welche mit einem fest ausgeprägten Charakter auftreten. In dieser Bezie­ hung übt das Thierepos eine rein ästhetische Wirkung; durch die satirische Tendenz dagegen erhält eS erst einen didaktischen Charakter. Vgl. A. 242b. 234) S. Auszug bei Genthe a. a. O. II. p. 549 seq. und Vilmar a. a. O. p. 342 seq. 235) S. Gervinus a. a. O. II. p. 328 seq. 236) S. v. d. Hagen's Ms. IV. p. 441 und oben über Nithart. 237) S. über Rosenblüt das Liederbuch der Hätzlerin in der Ausgabe von Haltaus p. XXVIII seq. und über Hans Sachs vergl. Vilmar a. a.O. p. 235 seq. 237b) Vergl. I. Grimm über den altdeutschen Meistergesang und Ger­ vinus a. a. O. II. p. 219 seq., Rosenkranz a. a. O. p. 497 seq. und Vil­ mar p. 299 seq. Aeltere Quellen sind: Wagenseil von der Meistersänger holdseliger Kunst Anfang, Fortübung, Nützbarkeiten und Lehrsätzen — hinter seinem Werke de civitate Norimbergensi. Altdorfi 1697. und Puschmann's gründlicher Bericht der deutschen Reime. 1574. 238) S. Haltaus a. a. O. p. XIV seq. 239) S. Gervinus a. a. O. II. p. 283. 239b) S. Haltaus a. a. O. p. XXVI seq. 240) S. Rosenkranz a. a. O. p. 508 seq., Gervinus II. p. 286 seq., Prutz a. a. O. p. 347 seq. und Soltau's Einleitung zu der Sammlung historischer Volkslieder. Leipzig 1836. 241) Für diese Uebergangszeit ist wichtig das Liederbuch deL Clara Hätzlerin s. Haltaus in der Einl. zu s. Ausg. p. X seq. 241b) S. Rosenkranz a. a. O. p. 521 seq. Sammlungen von Volks­ liedern enthält des Knaben Wunderhorn von Arnim u. Brentano. 1806 seq. 3 Bde. Gö rres altdeutsche Volks- u. Meisterlieder. Frankfurt a. M. 1817. Den reichsten Schatz enthalten Uhland's „Althoch- und niederdeut­ sche Volkslieder 1. Abthl. Stuttgart und Tübingen 1844. 3. Abthl. 1845, wo p. 973 seq. die Quellen angegeben werden. Vorzugsweise historische Volkslieder haben gesammelt: O. C. W. Wolff, historische Volkslieder und

Anmerkungen.

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Gedichte der Deutschen. Stuttgart u. Tübingen 1830; Fr. L. v. Soltau, Einhundert deutsche historische Volkslieder. Leipzig 1836. 242) Als es in den beiden letzten Dccennien des 18. Jahrhunderts in der Poesie galt, zurückzukehren zu dem Einfachen, Unverkünstelten und Na­ tionalen gegenüber dem Regelrechten, Conventionellen und Ausländischen, da betheiligten sich besonders Herder und Göthe an dem Volksliede. Herder in d. Blättern von deutscher Art und Kunst. 1773, und die Sammlung sei­ ner Volkslieder erschien 1778, 79. Von Göthe vergl. W. l. H. 33 p. 183 seq. ; 46 p. 295, 366. 242b) Es verhält sich rücksichtlich der Namen des Verfassers das Volks­ lied zum Meistergesang, wie das Volksepos zu dem ritterlichen Kunstepos, wie hier sich der Dichter mit seinem Namen hervordrängt, tritt dort der Verfasser ganz zurück, weil er eben das nur ausspricht, waö in den Ge­ fühlen und Vorstellungen des Volks schon lebendig vorhanden ist; daher ist auch der eigentliche Ueberarbeiter der Thiersage von Reineke Vos nicht mit Bestimmtheit anzugeben. 243) S. das treffliche Gedicht Sallet's „das Volkslied." 244) Ueber das Sorglose eines umherstreifenden Lebens vergl. das Ge­ dicht „der fahrende Schüler" von Johann von Nürnberg bei Genthe a. a. O. II. p. 179 seq. 244b) Anders gestalteten sich die altenglischen Volkslieder, wie sie hervorgingcn aus dem alten Nationalhaß zwischen Wallisern, Engländern und Schotten, und ebenso auch die Volksgesänge der christlichen Spanier in Be­ zug auf ihre Maurenkämpfe. S. Gervinus a. a. O. II. p. 290 seq. Um die Tiefe und Innerlichkeit des deutschen Volksliedes anschaulich zu machen kann erinnert werden an „Schäfer's Klagelied" von Göthe, der in seinen Liedern oft den Ton des Volksliedes auf das Ungesuchteste getroffen hat. Vergl. auch noch Vilmar a. a. O. p. 309 seq. 245) S. Fi schart's Geschichtklitterung Cap. 8 und Hoffmann die deut­ schen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts. Leipzig 1844. 246) S. Prutz a. a. O. p. 385 seq. und die daselbst citirte Monogra­ phie von Vogt über Pasquille u. s. w. in Raumer's histor. Taschenbuch v. I. 1838. 247) S. Gervinus a. a. O. II. p. 199 seq. 248) Die Lieder finden sich in Neocorus Chronik von Dithmarschen, in sächsischer Sprache zum ersten Mal herausg. von Dahlman^n. Kiel 1827. 2 Bde. 249) S. Rosenkranz a. a. O. p. 512 seq. 250) S. Rambach's Anthologie christlicher Gesänge aus allen Jahr­ hunderten der Kirche. Altona 1816-22. 4 Bde. Hoffmann, Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luther's Zeit. Breslau 1832. P. Wakkernagel, das deutsche Kirchenlied von M. Luther bis auf Nie. Hermann u. Ambr. Blaurer. Stuttg. 1841. Vergl. über den Charakter des evange­ lischen Kirchenliedes Vilmar a. a. O. p. 349 seq. 250b) S. G. und F. Scholl a. a. O. I. p. 455. 251) S. Gervinus a. a. O. UI. p. 16 seq. 252) Hans Sachs dichtete während der Drangsale einer sechswö-

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Anmerkungen.

chentlichen Belagerung Nürnbergs das Lied: „Warum betrübst du dich mein Herz." Auch Fürsten dichteten religiöse Lieder: Joh. Friedrich Churfürst v. Sachsen sang in der Gefangenschaft: „Wie 's Gott gefällt, so gefällt mir's auch." Albrecht Markgraf von Brandenburg-Culmbach verfaßte in der Ver­ bannung das Lied: „Was mein Gott will, das gescheh' alle Zeit." Maria von Ungern, Karl's V. Schwester, dichtete das Lied: „Mag ich Unglück nicht widerstehn." 253) S. Gervinus a. a. O. Hl. I>. 18 seq. und Vilmar a. a. O. p. 351 seq. 253b) S. Gervinus a. a. O. H. p. 357 seq. 254) Auch bei den Griechen und Römern schließt sich der Ursprung des Dramas an den religiösen Cultus. Es liegen aber die Entwickelungs­ keime unseres Dramas in einer Zeit des Untergangs der alten nationalen Erinnerungen, daher sich aus diesen Anfängen nicht, wie bei den Griechen ein nationales Drama entfaltete. Ebenso wurde bei den Römern die Ge­ staltung des Dramas gestört durch fremdartige Elemente, die keine Bezie­ hung zur nationalen Cultur hatten. Vergl. in Bezug auf Griechen und Römer Ulrici'S Gesch. der Hellenischen Dichtkunst H. p. 476 seq. u. Bern­ hardts Grundriß der römisch. Litterat, p. 68 seq. und 163 seq. 254b) S. Gervinus a. a. O. H, p. 366. 255) S. Flögel's Gesch. der komischen Litteratur. IV. p. 281 seq. und p. 8 seq. Gervinus II. p. 362 führt ein Gespräch an zwischen dem Tod und einem Bauern, wo der Tod als das böse Princip erscheint, gegen das der Bauer die Würde des Menschen mit Glück vertheidigt; dies Gespräch ist der Idee des Todtentanzes entgegengesetzt, nach welcher der Tod stets als unbeschränkter Gewalthaber aufgeführt wird. S. Rosenkranz a. a. O. p. 591 seq. und von demselben „Zur Geschichte der deutschen Literatur" (Königsberg 1836) p. 24 seq. 256 j Ueber den Namen s. Frey tag de initiis scenicae poesis apud germanos p. 34 seq. Drei Mysterien des 14. Jahrhunderts hat Mone (altdeusche Schauspiele. Quedlinburg 1841) herausgegeben, andere finden sich im 2ten Bande von Hoffmann's Fundgruben. In der neuesten Zeit ist erschienen: Schauspiele des Mittelalters, aus Handschriften herausg. und erklärt von Mone. Erster Band. Karlsruhe 1846. Diese Schrift, welche in Bezug auf das alte Drama eine bedeutende Lücke in der Ge­ schichte unserer Literatur ausfüllt, konnte leider nicht mehr benutzt werden. 257) S. Gervinus a. a. O. H. p. 359. 258) S. Gervinus a. a. O. II, p. 368 und Frey tag a. a. O. p. 29. 259) S. Frey tag a. a. O. p. 26 seq. und 51. 260) S. Frey tag a. a. O. p. 45 seq. 261) S. Frey tag a. a. O. p. 53 seq. 262) S. Gervinus a. a. O. II. p. 363 seq. 263) Auf ähnliche Weise gestaltete sich die dramatische Poesie ungefähr um dieselbe Zeit in den übrigen christlich europäischen Ländern und ging aus dem Bedürfniß hervor, die göttlichen Offenbarungen und die geheimuißvollen Wunder in dem Leben Christi durch allegorisch-plastische Allegorien zur lebendigeren Anschauung zu bringen. S. Rosenkranz Handbuch ei-

Anmerkungen.

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ner allgemeinen Gesch. der Poesie. 3 Th. Halle 1831—33. Ueber die Ent­ wickelung des Dramas in Italien IL p. 342 seq., in Spanien und Portu­ gal 111. p. 46 seq. 123 seqin Frankreich II. p. 127 seq., in England Hl. p. 173 und Ulri ei über Shakespeare's dramat. Kunst p. 2 seq. Am an­ schaulichsten tritt der Gang der Entwickelung des Dramas in der Geschichte des franz. Theaters hervor. Vergl. Mag er's Versuch einer Geschichte und Charakteristik der französischen National-Literatur. 1. Bd. (Wismar 1834) p. 27 seq. und Ninn e's innere Geschichte der Entwickelung der deutschen National-Litterat. I. p. 190 seq. 264) Trefflich entwickelt Gervinus II. p. 368 seq. den Begriff des Lust­ spiels im Gegensatz gegen Epos und Tragödie. 265) Eine tiefer greifende Erklärung von der Darstellungsweise in der Proceßform giebt Gervinus II. p. 373 seq. 266) Vergl. Hagen, Deutschland's literar. und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter (Erlangen 1841) p. 164 seq. 267) S. Gervinus II. p. 209 seq. 268) S. Gervinus II. p. 375 seq. und III. p. 91 seq. 269) Ueber Hans Sachs vergl. Göschel's Unterhaltungen zur Schil­ derung Göthescher Dicht- und Denkweise p. 18 seq. Die große Bedeutung von der Erweiterung der Stoffe für die dramat. Behandlung hebt Gervi­ nus III. p. 105 seq. hervor. Ebenso hatte in der weiteren Gestaltung auch das griechische Drama den mythischen Kreis des Dionysus verlassen und ging einerseits von den Leiden des Gottes während der Winterzeit, wo al­ les blühende Leben vernichtet ist, zu heroischen Stoffen über, in denen das sittlich-religiöse Bewußtseyn des Volks über das Walten des Schicksals in einzelnen Heroengeschlechtern sich ausgeprägt hatte, andererseits ging man von den ländlichen Bacchussesten, wo mit ausgelassener Freude das neue Erwachen der Natur gefeiert wurde, zur scherzhaften Verspottung der öffent­ lichen Zustände über. Weshalb sich aber in Deutschland kein nationales Drama entwickelte, darüber s. Vilmar a. a. O. p. 354 seq. 270) S. Gervinus 111. p. 96 seq. 270b) Addison sagt: ,,es giebt eine Art von Lustigmachern, die der Pö­ bel in allen Ländern bewundert und so sehr zu lieben scheint, daß er sie, nach der gemeinen Art zu reden, aufessen mögte. Ich meine jene herum­ ziehenden Possenreißer, welche jedes Volk nach demjenigen Gericht benennt, das ihm am liebsten ist. In Holland nennt man sie Pickelheringe, in Frank­ reich Jean Potage, in Italien Maccaroni, in England Jack Pudding." Hieran reiht sich auch der deutsche Hanswurst. Peter Probst, ein Zeit­ genosse von Hans Sachs führt in seinem Fastnachtsspiel: „vom kranken Bauer und einem Doctor" (1553) zuerst den Hanswurst ein. Bergl. Gervinus a. a. O. III. p. 102 seq. 271) S. Gervinus II. p. 180 seq. und Haltaus a. a. O. p. XXIH seq. Von Teichner's Spruchgedichten sind bis jetzt nur einzelne gedruckt in den Wiener Jahrb. 1818. Bd. 1. Anz. Bl. p. 26 seq. und in Docen's Miscellaneen II. p. 228 seq. 272) Vergl. Primisser a. a. O. p. XII und p. 64 und 276. 273) S. Primisser a. a. O. p. 68.

266

Anmerkungen.

274) S. Gervinus II. p. 187 seq., Rosenkranz Gesch. der deutsch. Poesie des Mittelalt. p. 578 seq. und Haltaus a. a. O. p. XXII seq. 275) S. Gervinus II. p. 380. 275b) Ueber den lateinischen Grobian des Dedekind und über das Burleske in der deutschen Poesie s. Gervinus III. p. 63 seq. 276) S. Gervinus II. p. 391 und p. 400 seq. wo das Wesen der Satire gut bezeichnet wird. Sobald der Einzelne bei einem lebendigen Gefühl für das Sittliche gegenüber steht einer Welt der Thorheit und des Lasters, und er sich aus der entsittlichten Wirklichkeit, die ihm keine Befrie­ digung bieten kann, in sein eigenes Innere zurückzieht, so erzeugt sich in dem tugendhaften Gemüthe bei dieser Disharmonie des Inneren und Aeußeren eine Verstimmung, die sich entweder mit feiner Ironie und humoristi­ schem Witze oder mit leidenschaftlicher Indignation gegen die umgebende Welt wendet, und gegen sie entweder Spott oder Unwillen ausläßt. Indem unaufgelösten Gegensatz zwischen dem Inneren und Aeußeren liegt das Pro­ saische der Satire. Die wahrhaft poetische Negation der Verkehrtheiten ist die Komik, welche eine ideelle Befreiung von den Thorheiten ist, die man vor sich hat; sie wird zur Satire, wenn das Widersinnige der verkehrten Bestrebungen und Richtungen der Zeit an persönlichen Repräsentanten her­ vorgehoben wird. Die muntere, lachende Gattung der Satire stellt das Falsche und Thörichte in den Handlungen der Menschen unter der Form des Lächerlichen mit Witz und Laune dar; die ernsthafte, strafende Satire zeigt die unwahren, unsittlichen Richtungen und Bestrebungen des Menschen in ihrer verderblichen, hassenswerten Gestalt und straft sie mit Ernst und Nachdruck. (Vergl. Schiller über naive und sentimentalische Dichtkunst und den 2. Thl. meines Handbuchs A. 77.) Die Satire ist mehr wider die Sache, als wider die Person gerichtet; richtet sie sich ausschließlich wider die Per­ son, so wird die Satire zur Persiflage, die entweder vornehme Verachtung ist oder aus glühendem Haß hervorgeht; in beiden Fällen zeigt sich lieblo­ ser Witz, und es fehlt die lächelnde Ruhe, die unverwüstliche Heiterkeit, welche aus dem Gefühl sicherer Ueberlegenheit hervorgeht. Die Selbstver­ lachung ist dem Humoristen eigenthümlich, der mit freier Willkür über sei­ ner eigenen Thorheit steht. Vergl. Vilmar a. a.O. p. 357 wo treffend die Gesichtspunkte hervorgehoben werden, weshalb das 16. Jahrhundert zur Komik und zur Satire gebieterisch herausforderte. 277) Welche Verwirrung durch die Einführung des römischen Rechts ent­ stand, und welche Landplagen die Juristen wurden bei dem Verdrängen des vaterländischen Rechts, darüber s. Hagen, zur politischen Geschichte Deutsch­ lands (Stuttgart 1842) p. 172, 183 und p. 193, 243. 278) Vergl. über M nrne r außer Gervinus II. p. 410 seq. Flögel Gesch. der kom. Liter. III. p. 186 seq., welcher auch p. 207 die nur in we­ nigen Exemplaren erhaltene Schrift Murner's: „Von dem großen lutheri­ schen Narren, wie ihn Dr. Murner beschworen hat" bespricht. Eine nähere Anschauung von dieser satirischen Schrift giebt Vilmar a. a. O. p. 361 seq 279) S. Gervinus II. p. 424 seq., Hagen a. a. O. p. 167 seq., Ranke a. a. O. *p. 424 seq. und Prutz a. a. O. p. 369 seq. Das Denkmal Ul­ richs Hutten, welches in Herder's W. z. Phil. u. Gesch. Bd. 15 p. 88

Anmerkungen.

seq. mitgetheilt ist, gehört Göthen an.

267

Vergl. noch Göthe's W. L H. 48

p. 74 seq. 280) S. Gewinns II. p. 442 seq. 280b) Treffend charakterisirt Gervinns II. p. 459 seq. die neue volksthümliche Poesie als die zweite Hauptrichtung unserer deutschen Dichtung im Gegensatz gegen die frühere ritterliche. 281) S. Göthe, Hans Sachsens poetische Sendung. Ueber die Einwirkung Hans Sachsens auf Göthe s. dessen W. l. H. 26, p. 309 seq. und 48, p. 85. 281b) S. Vilmar a. a. O. p. 339. 282) S. Gervinus II. p. 464 seq. 283) S. Gervinus III. p. 121 seq. 284) S. Gervinus III. p. 57. 285) S. Gervinus III. p. 45 seq. 285b) Vergl. Götzinger's deutsche Dichter I. p. 124 seq. 286) S. Gervinus II. p. 154 seq. 287) S. Hagen a. a. O. p. 208, 218, 245 u. Gervinus II. p. 446 seq. 288) S. Gervinus II. p. 252 seq. 289) S. Gervinus II. p. 229 seq. 290) Wie das eigentliche Epos aus dem ursprünglichen poetischen Welt­ zustand hervorgegangen ist, so hat sich der Roman aus einer bereits zur Prosa geordneten Wirklichkeit entwickelt. Die Bedeutung des Romans liegt eben darin, auf dem Boden des allgemeinen Weltzustandes der Prosa sowol durch die Lebendigkeit der Begebnisse als auch besonders durch die Schick­ sale der Individuen das poetische Element wieder geltend zu machen. Der Reiz des Romanhaften wird dadurch erzeugt, daß mitten aus den verschlun­ genen Verhältnissen und Bedürfnissen des prosaischen Lebens sich die Stimme der Natur vernehmen läßt und die rein menschlichen Rechte des Herzens sich wollen Geltung verschaffen. Der Roman ist im Gegensatz des weltge­ schichtlichen Epos eine poetische Darstellung rein menschlicher Individualität, wie sie sich im Drange der persönlichen und privatgesellschaftlichen oder auch der öffentlichen Verhältnisse behauptet oder ihnen unterliegt. Eine der ge­ wöhnlichsten und für den Roman passendsten Collisionen ist daher der Con­ flict zwischen der Poesie des Herzens und der entgegenstehenden Prosa der Verhältnisse. Der Romanheld steht mit seinen subjectiven Zwecken der Liebe, Ehre und mit seinen sonstigen Idealen gegenüber der bestehenden Ordnung. Wie sich nun aus dem allgemeinen Weltzustand der Prosa das individuelle Handeln des Einzelnen gestaltet, diese individuelle Bildung des Charakters bleibt die Hauptsache des Romans, wodurch er sich von der Novelle unter­ scheidet (s. oben A. 83). Da im antiken Leben das Erste und Letzte die Idee des Staates war und das Individuum ganz in derselben aufging, so wurde ein so großer Werth auf die persönlichen Schicksale des Individuums mindestens in der Art nicht gelegt, daß eine psychologische Entfaltung, wie dessen Charakter sich so und so ausgebildet und seine Lebenserfahrungen diese oder jene Wendung genommen habe, Gegenstand poetischer Darstellung wer­ den konnte. Der Roman will uns in das Haus und ins Herz führen, er gesellt sich uns vertraulich zu und nähert sich auch in einer poetischen Prosa

268

Anmerkungen.

der Sprache des Lebens. Durch die Offenbarung der Gemüthswelt unter­ scheidet er sich als das eigentliche moderne Epos von dem antiken, in wel­ chem das innere Gemüthsleben zurücktritt und die Verschiedenheit der Cha­ raktere sich nur in Handlungen und Begebniffen äußert, die den Grundstoff des Kunstwerks bilden. Im antiken Epos treibt alles nach Außen, nach That und Leben, nach gegenständlichem Daseyn; im Roman wird aber die innere Welt, Gesinnung, Wille, Grundsatz die Hauptsache; dort erläutert die That die Gesinnung, hier dient die Welt der Gesinnung der That zur Er­ klärung. Im Epos liegt die Einheit in der Handlung, von der die Indi­ vidualitäten als das Hinzutretende bedingt werden; im" Roman liegt sie in der Person, in der künstlerischen Abrundung des sich individuell gestaltenden Charakters. Bei dieser künstlerischen Einheit läßt der Roman aber wie das Epos, episodische Unterbrechungen zu, die theils lyrischer, theils epischer Art seyn können, in welchen mannigfache Aussichten in Welt und Zeit eröffnet werden. 291) S. Görres, deutsche Volksbücher. Heidelberg 1807. und vergl. Rosenkranz a. a. O. p. 380 seq. und Rinne a. a. O. p. 212 seq. Herausg. sind „die deutschen Volksbücher für Jung und Alt wieder erzählt" von I. Schwab. Stuttgart 1842. In der neuesten Zeit wird eine sorgfältige Aus­ gabe der deutschen Volksbücher von K. Simrock besorgt. 292) Der griechische Roman gestaltete sich besonders im 3. u. 4. Jahr­ hundert nach Christi Geburt, als griechische Geisteskraft und Sittlichkeit gänz­ lich gesunken war. Früher war schon eine Art von Märchen, Milesische Fabeln genannt, unter dem griechischen Volke verbreitet. In dem lebhaften, wohlhabenden und üppigen Milet, welches an mannigfaltigen Tagesneuig­ keiten und Stadtgeschichten reich war, bot sich des Stoffes genug dar zu unterhaltenden, abenteuerlichen Erzählungen, womit der Erzähler an öffent­ lichen Orten die um sie versammelte Menge unterhielt; ein gewisser Einfluß des Orients ist hier unverkennbar, wo auf ähnliche Weise die Erzähler von Märchen die müßigen Zuhörer ergötzen. Außer den schlüpfrigen und lusti­ gen Milesischen Erzählungen zeigen sich auch Spuren des eigentlichen Ro­ mans, der sich um die Verwickelung einer Liebesgeschichte dreht. Mit be­ sonderer Vorliebe wurden im 4. Jahrhundert solche Romane gedichtet und gelesen. Unter die bekanntesten gehören des Achilles Tatius Liebe des Klitophon und der Leucippe, des Bischofs Heliodorus Aethiopica oder Liebesgeschichte des Theagenes und der Chariklea, des Longus Pastoralien, seine Chloe und Daphnis, und endlich des Chariton Liebesgeschichte zwi­ schen Chärea und Kallirrhoe. Vergl. über den Charakter des griechischen Romans Gervinus I. p. 172 seq. 292h) S. Pfeiffer, deutsche Mystiker des 14. Jahrh. T. p. 147 seq. 293) Vergl. Pischon's Denkmäler der deutschen Sprache H. p. 448 seq. 294) Vergl. Stieglitz über die Sage von Doctor Faust in v. Raumer's histor. Taschenbuch v. I. 1834 p. 127 seq. und Weiße, Kritik und Erläuterung des Götheschen Faust p. 14 seq. In der neuesten Zeit ist er­ schienen „Doctor Johann Faust" von I. Scheible (Leipzig b. Thomas), wo im vierten Abschnitt sich findet: Wortgetreuer Abdruck der ersten Auflage des ersten Buches über Faust, von 1587. (Bisher in Zweifel gezogen, nun

Anmerkungen.

269

aufgefunden.) Gleichfalls in der neuesten Zeit hat K. Simrock herausge­ geben „Doetor Faust, Puppenspiel in vier Aufzügen"; es ist hiermit der Versuch gemacht, das alte Puppenspiel vom Dr. Faust wiederherzustellen. 295) S. Rosenkranz a. a. O. p. 427 seq., Stieglitz a. a. O. p. 136 seq. und Rinne a. a. O. p. 216 seq. 296) Vergl. F. W. V. Schmidts Uebersetzung v. Thom. Dekkers Zauber­ tragödie Fortunatus und seine Söhne (Berlin 1819) im Anhänge p. 161 seq. 297) S. Gervinus a. a. O. II. p. 239 seq. 298) S. Gervinus I(. p. 171 seq. und vergl. A. Keller in der Ein­ leitung zu seiner Ausgabe von Hans v. Bühel's Leben Diocletians. 299) S. Gervinus II. p. 166 seq. Herausgegeben sind die gesta Romanorum v. A. Keller. Bd.1. (Stuttgart undTübingen 1842.) 300) S. Gervinus II. p. 250 seq. 301) S. Gervinus II. p. 334 seq. 302) S. Gervinus II. p. 336 seq. wozugleich dasVerhältniß zwischen unseren komischen Volks- und Hofnarren und den alten cynischen Philoso­ phen angegeben ist. 303) S. Mundt a. a. O. p. 229 seq. und Gervinus II. p. 339 seq. und 347 seq. über die nationale Grundlage der Narrenpoesie jener Zeit; es ist dort des Erasmus Encomium moriae trefflich benutzt. Vergl. Kunz von der Rosen, Kaiser Maximilian's I. lustiger Rath, ein Beitrag zur Geschichte der Hofnarren (München 1841). 304) Ueber den Grundgedanken des Lalcnbuchs ,,von Leuten, die klüg­ lich reden und kindisch handeln" s. W. Grimm's Anmerkung zu seiner Ausg. des Vridanc p. 356 seq. Das Lalenbuch ist später mit einem zweiten Theil noch vermehrt, und das Ganze erschien unter dem Titel der Grillenvertreiber von Agprta. Frankfurt 1670. Vergl. noch v. d. Hagen's Narrenbuch (Halle 1811) im Anhänge. 305) Ueber ältere Lügenmärchen s. Müller's Sammlung deutscher Dich­ ter 3. p. XIV. Maßmann's Denkmäler I. p. 105 seq. und Suchenwirth No. 45. 306) S. Gervinus III. p. 116 seq. und v. Meusebach, der schon seit längerer Zeit eine Ausgabe von Fischart's Werken vorbereitet, in der Hallschen Literatztg. 1829 No. 55 seq. 307) S. Mundt a. a. O. p. 230 seq. Vergl. Vilmar a. a. O. p, 365 seq. 308) S. Flögel's Gesch. der komischen Litterat. Hl. p. 350. 309) S. K. Schmidt's Abhandlung: Meister Eckart; ein Beitragzur Geschichte der Theologie und Philosophie des Mittelalters in den theolog. Studien und Kritiken 1839. 3. Hest p. 663 seq. 310) S. Mundt a. a. O. p. 155 seq. 311) Vergl. K. Schmidt, Joh. Tauler v. Straßburg. Hamburgl841. Tauler's Predigten find herausg. Franks, a. M. 1826. 3 Bde. Die älteste Ausg. erschien in Leipzig 1498. 4. 312) S. Mundt a. a. O. p. 178 seq. 313) Vergl. Joh. Arndt, ein biographischer Versuch von F. Arndt.

270

Anmerkungen.

Berlin 1838. Arndt's sämmtliche Schriften erschienen Leipzig und Görlitz 1734-36. 3 Bde. Fol. 314) S. Heinrich Suso's Leben und Schriften von Diepenbrock. Regensburg 1829, und vergl. Rosenkranz zur Geschichte der deutschen Literat, p. 37 seq. 315) S. die Regel der Brüderschaft der Jünger der ewigen Weisheit (1418) bei Pischon a. a. O. IL p. 249. 316) S. Mundt a. a. O. p. 171 seq. 317) S. Mundt a. a. O. p. 219 seq. 318) S. Mundt a. a. O. p. 324 seq. 319) S. Göthe's Werke l. H. Bd. 25 p. 314; 26 p. 143, 194 seq.; 48 p. 72. 320) S. Gervüius Grundzüge der Historik p. 23 seq. und 33 seq.