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German Pages 256 [257] Year 2015
Jens M. Schmittmann Haftung von Organen in Krise und Insolvenz
RWS-Skript 380
Haftung von Organen in Krise und Insolvenz 2015
von Prof. Dr. Jens M. Schmittmann
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Köln
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Vorwort „Quidquid agis prudenter agas et respice finem!“, heißt es beim griechischen Dichter Aesopus, der 600 Jahre ante Christum natum lebte, in Fabel 45. Diese Erkenntnis sollte der beurkundende Notar schon bei der Gründung einer Gesellschaft den Gesellschaftern und Geschäftsführern mit auf den Weg geben. Bei der Gründung einer Gesellschaft werden die Gesellschafter und Geschäftsleiter in aller Regel noch nicht an das Ende der Gesellschaft denken, insbesondere nicht, dass das Ende der Gesellschaft durch einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeläutet werden könnte. Gründer sind optimistisch, sie glauben an ihre Geschäftsidee und vertrauen darauf, dass bei einer Kapitalgesellschaft oder haftungsbeschränkten Personengesellschaft eine persönliche Haftung der Akteure, seien es Gesellschafter, Geschäftsleiter oder Aufsichtsräte ausscheidet. Das Gegenteil ist der Fall: das deutsche Gesellschaftsrecht sowie zahlreiche weitere Rechtsvorschriften schaffen ein komplexes System von Haftungsnormen, die sich für Gesellschafter und Geschäftsleiter und Aufsichtsräte in Krise und Insolvenz von einer abstrakten Rechtslage zu einer konkreten und oft existenzbedrohenden Gefahr entwickeln. Der vorliegende Band zeigt die Haftungsgefahren bei Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und weiteren Rechtsformen auf, beschreibt die sich stellenden Problemfelder und gibt Hinweise zur Haftungsvermeidung. Die Darstellung folgt im Wesentlichen der Rechtsprechung des BGH und dokumentiert die in der Literatur vertretenen Positionen. Das Buch soll dem Praktiker helfen, seine Position darzustellen und seine Ziele zu erreichen. Es richtet sich sowohl an Insolvenzverwalter und ihre Anwälte als auch an Organe und ihre rechtlichen Vertreter. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Ende April 2015 ausgewertet und im Text berücksichtigt. Der Band lebt von einer über 15 Jahre praktizierten Tätigkeit des Verfassers im Bereich Insolvenzverwaltung und seiner inzwischen über 10 Jahre ausgeübten Lehrtätigkeit an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in den Bereichen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht. Der Verfasser dankt dem geschätzten Kollegen Rechtsanwalt und Notar a. D. Dr. Harald Schulz, Essen, der ihn für das Konkurs- und Insolvenzrecht begeistert hat und ihn an seiner jahrzehntelangen Berufserfahrung hat teilhaben lassen, sowie seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin cand. iur. Cassandra Gödde, LL.B., Düsseldorf, für ihre zuverlässige, effiziente und fruchtbare Mitarbeit bei der Korrektur des Manuskripts.
Essen, im Mai 2015
Jens M. Schmittmann
V
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
Vorwort ............................................................................................................ V Literaturverzeichnis ................................................................................... XIII A. Einführung ................................................................................... 1 ........ 1 I.
Insolvenzen in Deutschland ......................................................... 1 1. Historische Entwicklung ...................................................... 3 2. Einordnung von Krise bis zur Insolvenz ........................... 14 a) Stakeholderkrise .......................................................... 16 b) Strategiekrise ................................................................ 18 c) Produkt- und Absatzkrise ........................................... 21 d) Erfolgskrise .................................................................. 23 e) Liquiditätskrise ............................................................ 25 3. Statistiken ............................................................................ 30 4. Volkswirtschaftliche Bedeutung ........................................ 34
II. Strukturen des deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechts ........................................................................... 1. Organe im Gesellschaftsrecht ............................................ a) Juristische Personen .................................................... aa) Verein .................................................................. bb) Gesellschaft mit beschränkter Haftung ............. cc) Aktiengesellschaft ............................................... dd) Genossenschaft ................................................... b) Personengesellschaften ................................................ 2. Organe im Insolvenzrecht .................................................. a) Verlustanzeigepflicht ................................................... b) Insolvenzantragspflicht ............................................... c) Massesicherungspflicht ............................................... d) Rechtsfolgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder einer Abweisung mangels Masse ........................ e) Inhabilität .....................................................................
38 41 41 42 47 50 55 58 65 66 67 70
........ 1 ........ 1 ........ 3 ........ 3 ........ 3 ........ 4 ........ 4 ........ 5 ........ 5 ...... 13 ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
13 14 14 14 15 15 16 16 17 17 17 18
74 ...... 19 83 ...... 20
III. Pflichten des Insolvenzverwalters ............................................. 88 ...... 21 IV. Rolle der Berater in Krise und Insolvenz .................................. 97 ...... 23 B. Innenhaftung ........................................................................... 102 ...... 25 I.
Einführung ................................................................................ 103 ...... 25
II. Haftung in der Gründungsphase ............................................. 106 ...... 25
VII
Inhaltsverzeichnis Rn.
1. 2. 3. 4.
Vorgründungsgesellschaft ................................................ Vorgesellschaft .................................................................. Besonderheiten bei der Verwendung von Vorratsund Mantelgesellschaften ................................................. Handelndenhaftung bei der wirtschaftlichen Neugründung ....................................................................
Seite
107 ...... 25 108 ...... 26 122 ...... 28 138 ...... 32
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit ...... 1. Überblick ........................................................................... a) Aktiengesellschaft ...................................................... b) Gesellschaft mit beschränkter Haftung ................... c) GmbH & Co. KG ...................................................... d) Business Judgement Rule .......................................... 2. Aktivlegitimation .............................................................. a) Aktiengesellschaft ...................................................... b) Gesellschaft mit beschränkter Haftung ................... 3. Passivlegitimation ............................................................. a) Aktiengesellschaft ...................................................... aa) Vorstand ............................................................ bb) Faktischer Vorstand .......................................... cc) Aufsichtsrat ....................................................... b) GmbH ........................................................................ aa) Geschäftsführer ................................................. bb) Aufsichtsrat ....................................................... 4. Pflichtverletzung ............................................................... a) Pflichtverletzung im laufenden Geschäftsbetrieb .... aa) Aktiengesellschaft ............................................. bb) Gesellschaft mit beschränkter Haftung ........... b) Pflichtverletzung in der Krise ................................... aa) Aktiengesellschaft ............................................. bb) Gesellschaft mit beschränkter Haftung ...........
140 141 142 146 147 150 152 153 157 171 172 173 179 184 187 187 193 197 198 199 210 268 269 280
IV. Haftung bei Insolvenzreife ...................................................... 1. Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife .................................................................... a) Zahlungsunfähigkeit .................................................. b) Überschuldung .......................................................... c) Rechtsnatur des Anspruchs ...................................... d) Begriff der Zahlung ................................................... e) Privilegierte Zahlungen ............................................. aa) Vermeidung einer straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgung ................ bb) Vermeidung einer persönlichen Haftung ....... cc) Zahlungen zur Nachteilsabwendung ............... 2. Haftung für Zahlungen an Gesellschafter nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 92 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 64 Satz 3 GmbHG) ........................................................
287 ...... 59
VIII
288 293 299 309 311 325
...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
...... ...... ...... ...... ...... ......
32 32 33 33 33 34 34 35 35 38 38 38 39 41 41 41 42 43 43 43 45 56 56 58
59 59 61 63 64 66
327 ...... 66 336 ...... 68 339 ...... 69
343 ...... 70
Inhaltsverzeichnis Rn.
3. 4. 5. 6. 7.
Seite
Anrechnung von Gläubigerforderungen ......................... Berücksichtigung von Anfechtungssachverhalten .......... Verschulden ....................................................................... Verjährung ......................................................................... Besonderheiten bei der prozessualen Durchsetzung ...... a) Gerichtsstand ............................................................. b) Vergleich über Haftungsansprüche .......................... Sanieren oder Ausscheiden ...............................................
357 361 369 374 379 379 390 395
...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
72 73 74 75 76 76 78 79
V. Haftung des Aufsichtsrates ...................................................... 1. Aktiengesellschaft ............................................................. 2. Gesellschaft mit beschränkter Haftung ........................... 3. Aufsichtsrat bei einer GmbH & Co. KG ........................
398 398 409 423
...... ...... ...... ......
80 80 82 85
8.
C. Außenhaftung .......................................................................... 425 ...... 87 I.
Einführung ................................................................................ 427 ...... 87
II. Vertragshaftung ........................................................................ 1. Bürgschaft .......................................................................... 2. Schuldbeitritt ..................................................................... 3. Garantie .............................................................................
428 429 432 435
...... ...... ...... ......
87 87 88 88
III. Vertrauenshaftung .................................................................... 438 ...... 89 1. Rechtsscheinhaftung wegen fehlenden Rechtsformzusatzes .......................................................... 439 ...... 89 2. Haftung wegen Pflichtverletzung vor oder bei Vertragsschluss („c. i. c.“) ........................................... 454 ...... 92 IV. Deliktische Haftung ................................................................. 1. Deliktische Zuweisung des § 31 BGB .............................. 2. Haftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO) .......................... a) Grundlagen ................................................................ b) Schaden ....................................................................... 3. Haftung wegen Betruges (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB) .......................................................... 4. Haftung wegen Untreue (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB) .......................................................... 5. Haftung wegen Bankrotts (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 283 StGB) .......................................................... 6. Haftung wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB) ........ 7. Haftung nach dem BauFordSiG ....................................... 8. Unterlassene Insolvenzsicherung von Wertguthaben (§ 8a AltTZG/§ 7d Abs. 1 SGB IV a. F.) .........................
464 ...... 94 465 ...... 94 474 ...... 95 475 ...... 96 482 ...... 97 497 .... 100 502 .... 101 506 .... 102 510 .... 102 555 .... 110 561 .... 112
IX
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
9.
Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) .................................................. 566 .... 113 10. Haftung wegen Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) ................................................................... 574 .... 115 V. Durchgriffshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs .............. 1. Vermögensvermischung ................................................... 2. Unterkapitalisierung ......................................................... 3. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs ............
576 577 585 590
.... .... .... ....
115 115 117 118
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung ............................. 595 .... 119 1. Haftung von Personen ...................................................... 597 .... 119 a) Haftungstatbestände innerhalb der Abgabenordnung ....................................................... 598 .... 119 aa) Haftung der gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten ........... 599 .... 120 (1) Grundlagen ................................................ 602 .... 120 (2) Haftung in der (vorläufigen) Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren .... 610 ..... 121 (3) Haftung nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ............................. 611 .... 122 (4) Pflichten und deren Verletzung ............... 614 .... 122 (5) Grundsatz der anteiligen Tilgung ............. 625 .... 124 (6) Besonderheiten bei der Lohnsteuerhaftung ............................................. 628 .... 125 (7) Schaden und Haftungsquote .................... 630 .... 125 (8) Kausalität ................................................... 635 .... 126 (9) Verschulden ............................................... 638 .... 127 bb) Haftung des Vertretenen, des Steuerhinterziehers, des Steuerhehlers und des Teilnehmers ................................................ 647 .... 129 cc) Haftung des Eigentümers ................................. 660 .... 130 dd) Haftung des Übernehmers eines Unternehmens .................................................. 672 .... 133 b) Haftungstatbestände außerhalb der Abgabenordnung ....................................................... 682 .... 135 aa) Haftung nach Einkommensteuergesetz .......... 683 .... 135 bb) Haftung nach Umsatzsteuergesetz .................. 690 .... 136 cc) Haftung nach Versicherungsteuergesetz ......... 691 .... 136 dd) Haftung nach Erbschaft- und Schenkungssteuergesetz ................................... 693 .... 136 2. Haftung von Sachen .......................................................... 698 .... 137 3. Akzessorietät der Haftung ............................................... 707 .... 139 4. Subsidiarität der Haftung ................................................. 710 .... 139 5. Verhältnis der Steuerhaftung zu § 93 InsO ..................... 714 .... 140
X
Inhaltsverzeichnis Rn.
VII. Firmenbestattung ..................................................................... 1. Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile ........................ 2. Wechsel des Geschäftsführers .......................................... 3. Sitzverlegung .....................................................................
721 726 730 733
Seite
.... .... .... ....
141 142 143 143
VIII. Gerichtsstand .......................................................................... 741 .... 145 D. Enthaftung des Organs ........................................................... 747 .... 147 I.
Einführung ................................................................................ 748 .... 147
II. Exkulpation durch sachverständige Beratung ......................... 1. Ermittlung des Beratungsbedarfs ..................................... 2. Auswahl eines geeigneten Beraters .................................. 3. Information des Beraters durch das Organ ..................... 4. Auftragserteilung (Art und Umfang) .............................. 5. Überprüfung des erteilten Rats auf Plausibilität ............. 6. Handeln gemäß Beratungsempfehlung ............................ 7. Mitverschulden ..................................................................
750 756 760 774 779 790 796 799
.... .... .... .... .... .... .... ....
147 148 149 151 152 153 154 155
III. Abdingbarkeit von Haftungsansprüchen ................................ 801 .... 155 1. Abdingbarkeit durch Vertrag ........................................... 802 .... 155 2. Abdingbarkeit durch Insolvenzplan ................................ 813 .... 157 IV. Erlass von Haftungsansprüchen .............................................. 1. Erlass durch Vertrag .......................................................... a) Grundlagen ................................................................ b) Aktiengesellschaft ...................................................... c) Gesellschaft mit beschränkter Haftung ................... d) Genossenschaft .......................................................... 2. Erlass durch Insolvenzplan ...............................................
815 821 821 822 827 829 831
.... .... .... .... .... .... ....
158 158 158 159 160 160 160
V. Insolvenzanfechtung und Haftungsansprüche ....................... 844 .... 162 E.
D&O-Versicherung ................................................................ 851 .... 165
I.
Grundlagen ............................................................................... 853 .... 165
II. Deckungskonzept ..................................................................... 864 .... 166 1. Versicherungsnehmer ....................................................... 865 .... 167 2. Abschluss ........................................................................... 870 .... 167 III. Gegenstand der Versicherung .................................................. 879 .... 168 IV. Leistungsausschlüsse ................................................................ 890 .... 170 F.
Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz .................... 896 .... 171
I.
Haftung von Beratern in der Krise .......................................... 898 .... 171 1. Grundlagen ........................................................................ 899 .... 171
XI
Inhaltsverzeichnis Rn.
a)
2. 3. 4. 5.
Vertragliche Haftung ................................................. 900 aa) Beratungspflichten im Allgemeinen ................ 908 bb) Beratungspflichten bei Insolvenzreife ............. 917 cc) Mitverschulden des Organs .............................. 919 b) Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ........ 930 aa) Reichweite des Schutzbereichs ......................... 936 bb) Geschützter Personenkreis .............................. 947 cc) Durchsetzung in der Praxis .............................. 954 c) Deliktische Haftung .................................................. 960 aa) Haftung wegen Beteiligung an einer Insolvenzverschleppung ................................... 961 bb) Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Schutzgesetz ...................................................... 968 Rechtsanwälte .................................................................... 983 Steuerberater ...................................................................... 991 Wirtschaftsprüfer ............................................................ 1005 Unternehmensberater ..................................................... 1024
II. Haftung von Beratern nach Verfahrenseröffnung ................ 1. Grundlagen ...................................................................... 2. Auftrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ........ a) Umstellung des Geschäftsjahres ............................. b) Zuordnung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten ........................................... c) Unterbrechung von Rechtsstreitigkeiten ...............
1045 1045 1053 1055
Seite
.... .... .... .... .... .... .... .... ....
171 173 175 175 177 178 181 182 183
.... 184 .... .... .... .... ....
185 187 188 191 194
.... .... .... ....
199 199 200 200
1059 .... 201 1063 .... 202
III. Verjährung der Beraterhaftung .............................................. 1067 .... 203 G. Strafrechtliche Haftungsrisiken .......................................... 1076 .... 205 I.
Insolvenzverschleppung ......................................................... 1078 .... 205
II. Betrug ...................................................................................... 1090 .... 208 1. Strafbarkeit der Organe des Schuldners ........................ 1092 .... 208 2. Strafbarkeit des Insolvenzverwalters ............................. 1095 .... 208 III. Untreue ................................................................................... 1099 .... 209 1. Strafbarkeit der Organe .................................................. 1101 .... 209 2. Strafbarkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters ...... 1104 .... 210 IV. Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen .............. 1112 .... 211 V. Bankrott .................................................................................. 1118 .... 212 VI. Sonstige Tatbestände .............................................................. 1131 .... 213 Stichwortverzeichnis ................................................................................... 215
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XXX
A. Einführung I. Insolvenzen in Deutschland Insolvenzen spielen sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich eine bedeutende 1 Rolle. Insolvenzen als Folge wirtschaftlichen Scheiterns existieren seit Jahrtausenden und stellen sich regelmäßig als Folge einer fortgesetzten Krise dar. Im Folgenden wird die historische Entwicklung von Insolvenzen in Deutsch- 2 land beschrieben sowie die Einordnung von Krisen dargestellt. Darüber hinaus informieren aktuelle Statistiken über die Anzahl von Insolvenzen. Die Erörterung der volkswirtschaftlichen Bedeutung von Insolvenzen schließt den Abschnitt ab. 1. Historische Entwicklung In der Zeit vor Inkrafttreten der Konkursordnung (KO) war das „Insolvenz- 3 recht“ in Deutschland ebenso zersplittert wie das Recht im Übrigen. In Preußen galt die Konkursordnung vom 8. Mai 1855. Die Entstehung der 4 preußischen Konkursordnung war wesentlich vom französischen Handelsgesetzbuch, dem Code de Commerce vom 12. September 1807, beeinflusst. Vollmershausen, Vom Konkursprozess zum Marktbereinigungsverfahren, S. 98.
In Bayern war der „Gant“ in der Bayerischen Zivilprozessordnung vom 1. Feb- 5 ruar 1869 geregelt. Die Wurzeln des bayerischen Gantprozesses liegen sowohl im römischen als auch im gemeinen Recht. Vollmershausen, Vom Konkursprozess zum Marktbereinigungsverfahren, S. 158, 189.
Während z. B. in Preußen und Bayern das „Insolvenzrecht“ dem Verfahrens- 6 recht zugerechnet wird, ist im französischen Recht das Insolvenzrecht Teil des Handelsrechts. Damit versteht das französische Recht das wirtschaftliche Scheitern noch als Bestandteil des kaufmännischen Handelns. Eine einheitliche Kodifikation trat am 1. Oktober 1879 in Form der Kon- 7 kursordnung, die zu den sog. „Reichsjustizgesetzen“ gehört und zum Teil als deren „Perle“ bezeichnet wird, in Kraft. Im Jahre 1872 war durch von Hagens ein „Entwurf der Deutschen Gemeinschuldordnung“ entworfen worden. Dieser wurde nach diversen Änderungen durch eine vom Bundesrat eingesetzte Kommission und dem Bundesrat selbst schließlich am 21. Dezember 1876 in dritter Lesung angenommen und mit dem Einführungsgesetz am 10. Februar 1877 veröffentlicht. Siehe Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, Einleitung KO, S. 6.
In der zeitgenössischen Literatur wird ausgeführt, dass das Konkursverfahren 8 zum Zweck hat, „den zur Zeit vorhandenen Gläubigern des Schuldners, die 1
A. Einführung
jetzt Conkursgläubiger heißen, während er selbst Gemeinschuldner heißt, aus seinem zur Zeit vorhandenen Activvermögen, soweit es der Zwangsvollstreckung und somit überhaupt dem Angriffe der Gläubiger unterliegt, der sog. Concursmasse, eine gemeinsame und gerechte Befriedigung zu verschaffen. Demnach wird durch die Eröffnung des Conkursverfahrens die bisherige Entwicklung der Vermögensverhältnisse des Gemeinschuldners gehemmt und gleichsam in ihrem derzeitigen Stande festgehalten. Die im Zeitpunkte der Conkurseröffnung vorhandenen Schulden sollen nach Maßgabe ihres Standes in diesem Zeitpunkte aus dem in dem gleichen Zeitpunkte vorhandenen Activvermögen nach Maßgabe seines Standes in demselben soweit als möglich getilgt werden.“ Siehe Fitting, Das Reichs-Conkursrecht und Concursverfahren, S. 19 f.
9 Im Laufe der Jahre wurden an der Konkursordnung erhebliche Mängel festgestellt, insbesondere „die schlechte Verzahnung von Konkurs- und Vergleichsverfahren, die inneren Schwächen der VerglO (Vergleichswürdigkeitsprüfung, Fristen, Verwalterkompetenzen, Fehlen einer Vergleichsanfechtung), die geringe Vorbeugung gegenüber dem Phänomen der Masselosigkeit (im Jahre 1991 wurden 74,6 % der Insolvenzverfahren mangels Masse nicht durchgeführt, ZIP 92, 523), Schwächen des Konkursanfechtungsrechts, die mangelnde Gleichbehandlung der Gläubiger, z. B. aufgrund des Fiskalprivilegs nach § 61 Nr. 2, die unzureichende Ausrichtung der KO und VerglO auf Fragen der Unternehmensinsolvenz, Fortsetzung der deutschen Teilung usw.“ So Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, Einleitung KO, S. 7.
10 Daraufhin wurde die Konkursordnung durch die Vergleichsordnung von 1935 (RGBl. 1935 I, S. 321), die ein separates Zwangsvergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses regelte, ergänzt, allerdings wurden die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Siehe Karsten Schmidt, InsO, Einleitung Rn. 2.
11 Im Jahre 1978 wurde zur Vorbereitung der Insolvenzrechtsreform eine vom Bundesminister der Justiz tatsächlich initiierte Rechtsstudie vorgelegt. Die Frage nach „Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht“ wurde vom 54. Deutschen Juristentag im Jahre 1982 behandelt. Die vom Bundesminister der Justiz eingesetzte Kommission für Insolvenzrecht legte 1985 den „ersten Bericht“ und 1986 den „zweiten Bericht“ vor. Der Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung wurde bereits mit BT-Drucksache 12/2443 vom 15. April 1992 vorgelegt. Siehe Karsten Schmidt, InsO, Einleitung Rn. 5.
12 Die Insolvenzordnung (InsO) vom 5. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 2866) ist gemäß Art. 110 Abs. 1 EGInsO am 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Sie ist seither mehrfach geändert worden, insbesondere durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen
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I. Insolvenzen in Deutschland
(MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. 2008 I. S. 2026), das Haushaltsbegleitgesetz 2011 (HBeglG 2011) vom 9. Dezember 2010 (BGBl. 2010 I S. 1885), das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7. Dezember 2011 (BGBl. 2011 I S. 2582) und das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 (BGBl. 2013 I S. 2379). Vgl. zu den Neuerungen Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 4 ff.
Insbesondere das MoMiG hat erhebliche Auswirkungen auf die Haftung von 13 Organen in Krise und Insolvenz, da nicht nur die Insolvenzantragspflicht (einschließlich der Strafbarkeit einer verspäteten oder unterlassenen Insolvenzantragstellung), vom Gesellschaftsrecht (GmbHG, AktG etc.) in die Insolvenzordnung (§ 15a InsO) überführt worden ist, sondern auch umfassende Neuregelungen über den Nachrang von Gesellschafterleistungen (§§ 39, 44a, 135 und 143 InsO) erfolgt sind. 2. Einordnung von Krise bis zur Insolvenz Insolvenzen kündigen sich an. Nach der subjektiv geprägten Einschätzung 14 von Geschäftsführern und Vorständen tritt die Insolvenz zwar regelmäßig „schlagartig“ ein; tatsächlich lässt sich aber regelmäßig die Abfolge bestimmter Phasen unterschiedlicher Krisenformen beobachten, bevor die Illiquidität eintritt. Der nachfolgende Abschnitt zeichnet diese Entwicklung kurz nach. Der IDW Standard: Anforderung an die Erstellung von Sanierungskonzep- 15 ten (IDW S 6) vom 20. August 2012, der aus der Praxis entstanden ist und dem die Literatur weitgehend folgt, unterscheidet sechs Krisenstadien: a) Stakeholderkrise Unter dem Begriff der „Stakeholderkrise“ wird eine Krise auf der Ebene der 16 Stakeholder verstanden, die oft durch Konflikte zwischen diesen Gruppen und ihren Mitgliedern entstehen. Als Stakeholder werden insbesondere Mitglieder der Unternehmensleitung und der Überwachungsorgane, Gesellschafter, Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, Banken und andere Gläubiger verstanden. Vgl. IDW S 6 Rn. 65.
Kennzeichnend für die Stakeholderkrise ist der schleichende Eintritt der 17 Konsequenzen. Vgl. IDW S 6 Rn. 66.
b) Strategiekrise Infolge der Stakeholderkrise tritt häufig eine Strategiekrise ein. Die Folge 18 sind unangemessene oder ineffektive Innovationen und Investitionen. Vgl. IDW S 6 Rn. 67.
3
A. Einführung
19 Der Verlust von Marktanteilen, der wiederum einen Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit indiziert, ist häufig infolge der Strategiekrise zu erkennen. Mögliche Ursachen liegen in einer unklaren oder fehlenden strategischen Ausrichtung oder in nachhaltigen Fehleinschätzungen der Wettbewerbssituation oder Marktentwicklung. Vgl. IDW S 6 Rn. 68.
20 Die Strategiekrise ist aufgrund ihres Charakters langfristig angelegt. Sie berührt regelmäßig die Grundlagen des Unternehmens und ist nur schwer zu korrigieren. Vgl. Trutnau, in: Kraemer/Vallender/Vogelsang, Kap. 1 Rn. 22; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 33.
c) Produkt- und Absatzkrise 21 Eine Produkt- und Absatzkrise kann sich infolge einer Strategiekrise entwickeln. Wenn die Nachfrage nach den Hauptumsatz- und Erfolgsträgern nicht nur vorrübergehend zurückgeht, liegt eine Produkt- und Absatzkrise vor, in deren Folge die Vorratsbestände ansteigen und die Kapitalbindung zunimmt. Vgl. IDW S 6 Rn. 71.
22 Die Gründe einer Produkt- und Absatzkrise liegen qualitativ in nicht ausreichenden Marketing- oder Vertriebskonzepten, Sortimentsschwächen, Schwächen in der Produkt- und Servicequalität, mangelnder Liefertreue, Fehlern in der Preispolitik sowie einer mangelhaften oder fehlenden Vertriebssteuerung. Vgl. Weniger, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 6 Rn. 13.
d) Erfolgskrise 23 Eine Erfolgskrise resultiert aus einer Stakeholder- oder Strategiekrise bzw. einer Produkt- und Absatzkrise, sofern kein wirksames Gegensteuern erfolgt. Zunächst werden die Eigenkapitalkosten nicht mehr verdient, sodann kommt es zu starken Gewinnrückgängen und schließlich zum Verlust bis zum vollständigen Verzehr des Eigenkapitals. Vgl. IDW S 6 Rn. 72.
24 Infolge der sinkenden Eigenkapitalquote tritt eine Kreditunwürdigkeit des Unternehmens ein, die dazu führt, dass die zur nachhaltigen Sanierung erforderlichen Mittel sich unter den gegebenen Umständen nicht mehr beschaffen lassen und eine Sanierung ohne Kapitalzuführung, gegebenenfalls auch unter Änderung der bisherigen Gesellschafterstruktur, nicht mehr erreicht werden kann. Vgl. IDW S 6 Rn. 73.
4
I. Insolvenzen in Deutschland
e) Liquiditätskrise Eine Liquiditätskrise liegt vor, wenn der finanzielle Handlungsspielraum des 25 Unternehmens zunehmend verengt wird und keine hinreichende Liquidität zur Verfügung steht. Die Liquiditätskrise ist im Regelfall der Übergang der Krise zur Insolvenz in Form der Zahlungsunfähigkeit. Vgl. Trutnau, in: Kraemer/Vallender/Vogelsang, Kap. 1, Rn. 29; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 32.
Ein Insolvenzrisiko wird durch die eingetretenen Liquiditätsschwierigkeiten 26 indiziert, sofern keine oder nur unzureichende Maßnahmen ergriffen werden. Vgl. IDW S 6 Rn. 75.
Komplexe Finanzierungsstrukturen aufgrund einer Vielzahl bilateraler Be- 27 ziehungen zu Finanzgebern mit heterogener Interessenlage oder unausgewogene Zusammensetzung der Finanzierung mit Eigenkapital, Fremdkapital und hybriden Finanzierungsformen verschärfen häufig die Liquiditätskrise. Vgl. IDW S 6 Rn. 76.
Die Liquiditätskrise wird selten durch externe Begebenheiten ausgelöst, z. B. 28 einen größeren Zahlungsausfall durch die Insolvenz eines Kunden, sondern aufgrund der Erwirtschaftung einer liquiden Unterdeckung. Vgl. Weniger, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 6 Rn. 15.
Die Liquiditätskrise führt zur Insolvenzreife, wenn einer der nach der Rechts- 29 form des Schuldners maßgeblichen Insolvenzeröffnungsgründe vorliegt. Vgl. IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) vom 27.3.2015, IDW-FN 2015, 202 ff. = Wpg Suppl. 1/2015, Rn. 18.
3. Statistiken In den letzten Jahren ist die Zahl der Insolvenzverfahren deutlich zurückge- 30 gangen. Während im Jahre 2010 noch 153.549 Insolvenzverfahren eröffnet wurden, worunter sich 31.009 Unternehmensinsolvenzverfahren befanden, kam es in den Jahren 2013 und 2014 lediglich noch zu 129.269 bzw. 132.231 Insolvenzverfahren, worunter lediglich 25.995 bzw. 24.085 Unternehmensinsolvenzverfahren waren. Die Gesamtentwicklung lässt sich wie folgt darstellen:
31
5
6
8 834
8 610
8 024
6 832
5 842
4 360
1995
1994
1993
1992
77 237
1997
95 035
2004
2003
1996
115 470
2005
8 963
143 781
2006
1998
149 489
2007
12 255
140 979
2008
1999
147 974
2009
19 698
153 549
2010
2000
145 702
2011
61 691
137 653
2012
25 230
129 269
2013
2001
123 231
2014
2002
eröffnete Insolvenzverfahren
Jahr
10 919
14 401
18 054
20 735
22 846
24 529
24 984
21 542
21 357
22 360
21 551
22 134
21 450
19 279
15 607
13 206
12 107
12 935
12 770
11 798
10 826
10 264
9 924
mangels Masse abgelehnte Insolvenzverfahren
37
73
67
56
53
35
30
241
1 204
1 736
1 186
1 352
1 789
1 805
2 042
1 902
2 116
1 998
2 139
1 918
1 819
1 799
1 716
eröffnete Vergleichsverfahren/ Schuldenbereinigungsplan angenommen
15 302
20 298
24 928
28 785
31 471
33 398
33 977
34 038
42 259
49 326
84 428
100 723
118 274
136 554
161 430
164 597
155 202
162 907
168 458
159 418
150 298
141 332
134 871
insgesamt
Insolvenzen
10 920
15 148
18 837
22 344
25 530
27 474
27 828
26 476
28 235
32 278
37 579
39 320
39 213
36 843
34 137
29 160
29 291
32 687
31 998
30 099
28 297
25 995
24 085
darunter: Unternehmensinsolvenzen
A. Einführung
2 087
2 081
1 851
1971
1970
1969
3 056
1975
2 013
2 702
1976
1972
2 607
1977
3 482
2 228
1978
2 596
2 206
1979
1974
2 420
1973
3 162
1981
1980
3 872
1984
3 747
4 292
1985
4 043
4 098
1986
1982
3 800
1987
1983
3 403
3 649
1989
1990
1988
3 564
3 214
1991
eröffnete Insolvenzverfahren
Jahr
1 727
1 862
2 168
2 397
2 681
3 870
5 886
6 519
6 837
6 411
6 047
6 639
8 418
11 764
12 252
12 826
14 512
14 695
13 743
12 238
11 204
10 029
9 740
mangels Masse abgelehnte Insolvenzverfahren
304
324
252
209
301
462
355
181
147
104
81
94
107
152
145
91
105
82
84
57
57
42
39
eröffnete Vergleichsverfahren/ Schuldenbereinigungsplan angenommen
3 809
4 201
4 437
4 575
5 515
7 722
9 195
9 362
9 562
8 722
8 319
9 140
11 653
15 876
16 114
16 760
18 876
18 842
17 589
15 936
14 643
13 271
13 323
insgesamt
Insolvenzen
2 494
2 716
2 971
3 097
4 000
5 976
6 953
6 808
6 929
5 949
5 483
6 315
8 494
11 915
11 845
12 018
13 625
13 500
12 098
10 562
9 590
8 730
8 837
darunter: Unternehmensinsolvenzen
I. Insolvenzen in Deutschland
7
8
2 864
2 714
3 167
3 286
1954
1953
1952
1951
1950
1 211
1 447
1 628
1 509
1 528
1 569
1 329
1 208
1 034
921
947
859
958
1 009
1 219
1 269
1 261
1 531
1 676
mangels Masse abgelehnte Insolvenzverfahren
1 721
1 620
1 236
1 331
1 257
885
732
770
569
430
343
348
296
333
309
267
382
530
331
eröffnete Vergleichsverfahren/ Schuldenbereinigungsplan angenommen
5 735
5 802
5 274
5 387
5 489
4 708
4 327
4 027
3 535
3 025
2 958
2 823
2 786
3 132
3 281
3 157
3 615
4 337
3 827
insgesamt
Insolvenzen
5 168
4 932
4 782
4 882
4 936
4 095
3 697
3 423
2 943
2 414
2 358
2 247
2 005
2 120
2 203
2 070
2 530
3 159
2 602
darunter: Unternehmensinsolvenzen
Statistisches Bundesamt, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Insolvenzen/lrins01.html;jsessionid=D2834C4F21D11F6373DB82FAE1A5C342.cae1 (Stand: 30.4.2015).
2 974
1955
Quelle:
2 442
2 497
1956
2 044
2 198
1 770
1959
1958
1 742
1960
1957
1 573
1 690
1962
1963
1961
1 810
1 853
1964
2 040
1 659
1966
1967
1965
1 906
2 399
1968
eröffnete Insolvenzverfahren
Jahr
A. Einführung
I. Insolvenzen in Deutschland
Innerhalb der Unternehmensinsolvenzen fallen starke Unterschiede in der 32 Insolvenzhäufigkeit nach den einzelnen Bundesländern auf. Die Insolvenzhäufigkeit wird vom Statistischen Bundesamt jeweils auf 10.000 Unternehmen berechnet. Vorne liegen Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Die geringste Insolvenzhäufigkeit weist Baden-Württemberg auf. Insolvenzen Bundesländer
2012
2013
Insolvenzhäufigkeiten 2014
2012
2013
2014
Anzahl Baden-Württemberg
2 169
2 017
1 796
48
45
40
Bayern
3 286
3 018
2 947
54
50
49
Berlin
1 286
1 278
1 305
91
89
91
608
584
544
67
64
60
Brandenburg Bremen
230
231
273
102
103
122
Hamburg
781
1 009
1 035
86
111
113
1 548
1 660
1 492
62
67
60
375
311
308
67
56
55
2 314
2 227
2 186
84
81
80
10 548
8 799
7 823
157
131
117
Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz
1 094
1 085
971
70
70
63
Saarland
352
345
322
100
99
92
Sachsen
1 388
1 255
1 082
92
84
72
657
708
573
97
106
86
1 143
1 026
987
101
91
88
Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Deutschland
518
442
441
68
58
58
28 297
25 995
24 085
87
80
74
Quelle: Statistisches Bundesamt, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ GesamtwirtschaftUmwelt/UnternehmenHandwerk/Insolvenzen/Tabellen/ HaeufigkeitLaender.html (Stand: 30.4.2015).
Bei einer Betrachtung nach Rechtsformen zeigt sich, dass die Einzelunter- 33 nehmen und Freiberufler mit 8.555 eröffneten Insolvenzverfahren im Jahre 2014 vor den Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit 7.459 Verfahren (davon 846 Verfahren über Unternehmergesellschaften [haftungsbeschränkt]) liegen, während z. B. im Jahre 2011 noch 12.373 Insolvenzverfahren über das Vermögen von Einzelunternehmern und Freiberuflern eröffnet worden sind. Zugleich wurde über das Vermögen von 7.896 Gesellschaften mit beschränkter Haftung das Insolvenzverfahren eröffnet. Offenbar bedingt durch die Einführung der Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt ist die Zahl der Insolvenzverfahren über das Vermögen von Limiteds von 195 eröffneten Insolvenzverfahren im Jahre 2011 auf 165 Verfahren im Jahre 2012 und lediglich noch 135 bzw. 97 Verfahren in den Jahren 2013 und 2014 zurückgegangen: 9
10
2009 Einzelunternehmen, Freie Berufe, Kleingewerbe u. Ä. Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) GmbH und Co. KG GbR GmbH GmbH ohne Unternehmergesellsch. (haftungsbeschr.) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) AG bzw. KGaA Private Company Limited by Shares (Ltd) Genossenschaften Sonstige Rechtsformen 2010 Einzelunternehmen, Freie Berufe, Kleingewerbe u. Ä. Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) GmbH und Co. KG GbR GmbH GmbH ohne Unternehmergesellsch. (haftungsbeschr.) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) AG bzw. KGaA Private Company Limited by Shares (Ltd) Genossenschaften Sonstige Rechtsformen 2011 Einzelunternehmen, Freie Berufe, Kleingewerbe u. Ä. Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) GmbH und Co. KG
Rechtsformen
2462 100 397 182 4415 – – 61 599 7 149 2414 110 433 167 4563 – – 94 463 3 220 2271 73 397
13336 199 1097 245 8004 – – 191 236 11 212 12373 183 1068
Schuldenbereinigungsplan angenommen
Beantragte Verfahren mangels Masse abgewiesen
13152 240 1228 284 8690 – – 235 310 11 165
eröffnet
Insolvenzverfahren (Unternehmen) (Anzahl)
x x x
x x x x x – – x x x x
x x x x x – – x x x x
A. Einführung
9375 164 1219 200 8051 7311
Einzelunternehmen, Freie Berufe, Kleingewerbe u. Ä. Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) GmbH und Co. KG GbR GmbH GmbH ohne Unternehmergesellsch. (haftungsbeschr.)
1445 65 333 122 4170 3125
1783 73 357 126 4131 – – 46 201 3 266
11335 152 1142 208 7809 – – 197 165 15 288
2013
144 4269 – – 58 269 3 222
Schuldenbereinigungsplan angenommen
Beantragte Verfahren mangels Masse abgewiesen
269 7896 – – 166 195 8 235
eröffnet
GbR GmbH GmbH ohne Unternehmergesellsch. (haftungsbeschr.) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) AG bzw. KGaA Private Company Limited by Shares (Ltd) Genossenschaften Sonstige Rechtsformen 2012 Einzelunternehmen, Freie Berufe, Kleingewerbe u.Ä. Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) GmbH und Co. KG GbR GmbH GmbH ohne Unternehmergesellsch. (haftungsbeschr.) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) AG bzw. KGaA Private Company Limited by Shares (Ltd) Genossenschaften Sonstige Rechtsformen
Rechtsformen
Insolvenzverfahren (Unternehmen) (Anzahl)
x x x x x x
x x x x x – – x x x x
x x – – x x x x
I. Insolvenzen in Deutschland
11
12
Quelle:
740 182 135 – 162 1397 56 319 99 4083 2813 1270 36 102 – 116
1045 46 178 – 148
Schuldenbereinigungsplan angenommen
Beantragte Verfahren mangels Masse abgewiesen
x x x x x x x x x x x
x x x x x
Statistisches Bundesamt, abrufbar unter https://www-genesis.destatis.de/genesis/online;jsessionid=8239A26C2EEB8B651538A181F4A8C1EA.tomcat_GO_1_2?operation=previous&levelindex= 3&levelid=1428341507664&step=3 (Stand: 30.4.2015).
8555 136 1129 180 7459 6613 846 163 97 – 158
eröffnet
Ab 2006 ohne ,Private Company Limited by Shares (Ltd)‘ und ohne ,Genossenschaften‘. (C)opyright Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015 Stand: 6.4.2015/19:31:47
Sonstige Rechtsformen:
Einzelunternehmen, Freie Berufe, Kleingewerbe u. Ä. Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) GmbH und Co. KG GbR GmbH GmbH ohne Unternehmergesellsch. (haftungsbeschr.) Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) AG bzw. KGaA Private Company Limited by Shares (Ltd) Genossenschaften Sonstige Rechtsformen
2014
Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) AG bzw. KGaA Private Company Limited by Shares (Ltd) G e n o ss e n sc h a ft e n Sonstige Rechtsformen
Rechtsformen
Insolvenzverfahren (Unternehmen) (Anzahl)
A. Einführung
II. Strukturen des deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechts
4. Volkswirtschaftliche Bedeutung Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Insolvenzverfahren zeigt sich in viel- 34 fältiger Weise, insbesondere aber hinsichtlich der in den einzelnen Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen und in der Zahl der verlorengehenden Arbeitsplätze. Im Gesamtjahr 2014 wurden insgesamt lediglich 123.231 Insolvenzverfahren 35 eröffnet, wovon 126.681 Arbeitnehmer betroffen waren. Das voraussichtliche Forderungsvolumen belief sich auf 35.320.200.000,00 €. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2014, S. 11.
Im Gesamtjahr 2013 wurden noch insgesamt 129.269 Insolvenzverfahren er- 36 öffnet, wovon 173.541 Arbeitnehmer betroffen waren. Das voraussichtliche Forderungsvolumen belief sich auf 37.823.700.000,00 €. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2013, S. 11.
Dies sah vor einigen Jahren noch gänzlich anders aus. Im Gesamtjahr 2011 37 wurden insgesamt 153.549 Insolvenzverfahren eröffnet, wovon 131.292 Arbeitnehmer betroffen waren. Die voraussichtlichen Forderungen beliefen sich auf 38.998.210.000,00 €. Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2011, S. 10.
II. Strukturen des deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechts Das deutsche Gesellschafts- und Insolvenzrecht ist vom Dualismus zwischen 38 Kapital- und Personengesellschaften geprägt. Trotz der zahlreichen Unterschiede in beiden Rechtsregimen lässt sich aber dem Grundsatz nach der Wille des Gesetzgebers erkennen, insbesondere die Gläubiger der Gesellschaft zu schützen. Vgl. zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl. I 2008 S. 2026 ff.
Die Haftung der Organe von Gesellschaften steht derzeit in der Diskussion und 39 war insbesondere Thema beim 70. Deutschen Juristentag in Hannover 2014. Vgl. Beschlüsse des 70. Deutschen Juristentags in Hannover 2014, NJW-aktuell 40/2014, 17, 21.
Obgleich verschiedene Bereiche des Gesellschafts- und Insolvenzrechts har- 40 monisiert worden sind, zeigen aktuelle Entwicklungen, z. B. in dem Verfahren Suhrkamp, dass die Schnittstellen zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht mitnichten endgültig geklärt sind.
13
A. Einführung Vgl. BGH, Beschl. v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14 = NJW 2014, 436 ff.; Bassermann, INDat Report 2/2015, 42 f.; Böcker, ZInsO 2015, 773 ff.; Fölsing, ZInsO 2013, 1325 ff.; Meyer, DB 2015, 538 ff.; Möhlenkamp, BB 2013, 2828 ff.; Müller, DB 2014, 41; Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414 ff.; Prütting, in: Festschrift Kübler, S. 567 ff.; Schäfer, ZIP 2013, 2237 ff.; Schäfer/Reuter, INDat Report 2/2015, 30 ff.
1. Organe im Gesellschaftsrecht a) Juristische Personen 41 Das BGB kennt als juristische Personen die Vereine (§§ 21 ff. BGB) und die Stiftungen (§§ 80 ff. BGB). Die Vorschriften über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), die Aktiengesellschaften (AG), die Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und die Genossenschaften sind in eigenen Gesetzen (GmbHG, AktG und GenG) niedergelegt. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, eine Europäische Gesellschaft (Societas Europaea – SE) oder eine Europäische Stiftung (Fundatio Europaea FE) zu gründen. aa) Verein 42 Die Organe eines Vereins sind die Mitgliederversammlung (§ 32 BGB) und der Vorstand (§ 26 BGB), der durch Beschluss der Mitgliederversammlung bestellt wird (§ 27 Abs. 1 BGB). Gemäß § 31 BGB ist der Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtung begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. 43 Gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 BGB hat der Vorstand im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Wird die Stellung des Antrags verzögert, so sind die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 BGB für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; sie haften als Gesamtschuldner. 44 Sind Organmitglieder oder besondere Vertreter unentgeltlich tätig oder erhalten sie für ihre Tätigkeit eine Vergütung, die 720,00 € jährlich nicht übersteigt, haften sie gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 BGB dem Verein für einen bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten verursachten Schaden nur bei Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. 45 Auf die Vorschriften hinsichtlich der Stiftungen (§ 80 ff. BGB) wird im Einzelnen mangels praktischer Relevanz nicht eingegangen. Vgl. BGH, Urt. v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 ff. = WM 2015, 143 ff. = NZG 2015, 38 ff.
46 Die Insolvenzantragspflicht einer Stiftung ergibt sich aus §§ 86 Abs. 2, 42 Abs. 2 BGB. Vgl. Graf-Schlicker/Bremen, InsO, § 15a Rn. 4.
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II. Strukturen des deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechts
bb) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Die Organe der GmbH sind die Gesellschafterversammlung (§ 48 GmbHG), 47 die das Organ Geschäftsführer (§§ 6, 35 ff. GmbHG) bestellt. Die Geschäftsführer sind gemäß § 41 GmbHG verpflichtet, für die ordnungs- 48 gemäße Buchführung der Gesellschaft zu sorgen. Sie haben gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden. Gegebenenfalls besteht bei einer GmbH ein Aufsichts- und Beirat. Die Haftung der Organe wird im Einzelnen später noch vertieft dargestellt 49 (siehe Rn. 102 ff.). cc) Aktiengesellschaft Organe der Aktiengesellschaft sind der Vorstand (§§ 76 ff. AktG), der Auf- 50 sichtsrat (§§ 95 ff. AktG) und die Hauptversammlung (§§ 118 ff. AktG). Der Hauptversammlung steht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG insbesondere das Recht zu, die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats zu beschließen. Der Aufsichtsrat hat gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Geschäftsführung zu überwachen. Der Aufsichtsrat bestellt gemäß § 84 Abs. 1 AktG die Mitglieder des Vorstands. Der Vorstand hat gemäß § 91 Abs. 1 AktG dafür zu sorgen, dass die erfor- 51 derlichen Handelsbücher geführt werden. Darüber hinaus hat der Vorstand gemäß § 91 Abs. 2 AktG geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Besteht ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals, so hat der Vor- 52 stand gemäß § 92 Abs. 1 AktG unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen. Nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung darf der Vor- 53 stand gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG keine Zahlungen leisten, sofern sie nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG. Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzten, sind der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Mit wenigen Ausnahmen gelten die Vorschriften über die Sorgfaltspflicht 54 und Verantwortlichkeit des Vorstands für die Aufsichtsratsmitglieder sinngemäß (§ 116 Satz 1 AktG). Die Kommanditgesellschaft auf Aktien ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet (Komplementär), und die übrigen an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften (Komman15
A. Einführung
ditaktionäre). Die Vorschriften über die Kommanditgesellschaft auf Aktien sind in §§ 278 ff. AktG niedergelegt. dd) Genossenschaft 55 Die Organe der Genossenschaft sind die Generalversammlung (§§ 43 ff. GenG) und der Vorstand (§§ 24 ff.), der von der Generalversammlung gewählt und abberufen wird. 56 Die Vorstandsmitglieder haben gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 GenG bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaft anzuwenden. Für Pflichtverletzungen haften sie gemäß § 34 Abs. 2 GenG. 57 Der Aufsichtsrat hat den Vorstand gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 GenG bei dessen Geschäftsführung zu überwachen. Er kann gemäß § 38 Abs. 1a Satz 1 GenG einen Prüfungsausschuss bestellen, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses sowie der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems befasst. Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder gilt gemäß § 41 GenG die Regelung des § 34 GenG über die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß. b) Personengesellschaften 58 Die im BGB geregelte Grundform der Personengesellschaft ist die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, §§ 705 ff. BGB. Die Führung der Geschäfte der Gesellschaft steht gemäß § 709 Abs. 1 BGB den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. Für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich. Gesellschaftsverträge sehen dazu bisweilen eine andere Regelung vor. Für die Verbindlichkeiten einer GbR haften ihre Gesellschafter als Gesamtschuldner. 59 Personenhandelsgesellschaften sind weiterhin die offene Handelsgesellschaft (§§ 105 ff. HGB) und die Kommanditgesellschaft (§§ 161 ff. HGB) sowie die hier nicht weiter relevante stille Gesellschaft (§§ 230 ff. HGB). 60 Bei der offenen Handelsgesellschaft (OHG) ist bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt. Bei der Kommanditgesellschaft wird zwischen den persönlich haftenden Gesellschaftern (Komplementären) und den Gesellschaftern, deren Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage beschränkt ist (Kommanditisten), unterschieden. Bei der OHG sind zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft gemäß § 114 Abs. 1 HGB alle Gesellschafter berechtigt und verpflichtet, während bei der Kommanditgesellschaft gemäß § 164 Satz 1 HGB die Kommanditisten von der Führung der Geschäfte ausgeschlossen sind. 61 Die persönlich haftenden Gesellschafter (Komplementäre) haften gemäß § 128 HGB für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. 16
II. Strukturen des deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechts
Als weitere Personengesellschaften sind die Partnerschaftsgesellschaften an- 62 gehöriger freier Berufe (PartG) sowie die Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB) zu nennen, die im Folgenden aber keine weitere Berücksichtigung finden. Im deutschen Gesellschaftsrecht gilt der Grundsatz des „numerus clausus“, 63 sodass ein „Typenzwang“ herrscht, der nur die gesetzlich vorgesehenen Gesellschaftsformen sowie deren Kombinationen, z. B. die AG & Co. OHG oder die GmbH & Co. KG, kennt. Die Wahl der Gesellschaftsform erfolgt oftmals vorrangig unter steuerlichen 64 Gesichtspunkten. Regelmäßig werden aber auch Themen wie Geschäftsführung und Vertretung, insbesondere aber auch die Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten maßgeblich für die Wahl der Unternehmensform sein. 2. Organe im Insolvenzrecht Die Rolle der Organe in Krise und Insolvenz ist facettenreich. Insbesondere 65 das Kapitalgesellschaftsrecht ist darauf ausgerichtet, bereits frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen. a) Verlustanzeigepflicht Ist ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals eingetreten, so hat der 66 Vorstand einer Aktiengesellschaft unverzüglich eine Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies gemäß § 92 Abs. 1 AktG anzuzeigen. Bei der GmbH muss die Gesellschafterversammlung gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG unverzüglich einberufen werden, wenn die Hälfte des Stammkapitals verloren ist. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung ist gemäß § 401 Abs. 1 AktG bzw. § 84 Abs. 1 GmbH strafbewehrt mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe. b) Insolvenzantragspflicht Bei Kapitalgesellschaften (§ 15a Abs. 1 InsO) oder haftungsbeschränkten Per- 67 sonenhandelsgesellschaften (§ 15a Abs. 2 InsO) ist das Vertretungsorgan ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung verpflichtet, einen Eröffnungsantrag (Insolvenzantrag) zu stellen. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung ist gemäß § 15a Abs. 4 InsO mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bewehrt. Die Insolvenzantragspflicht wurde durch das MoMiG vereinheitlicht. Zuvor 68 war die Pflicht zur Insolvenzantragstellung unter § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG a. F., § 64 Abs. 1 GmbHG, §§ 130a Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 HGB a. F., § 99 Abs. 1 GenG geregelt. Vgl. Harder, NJW-Spezial 2013, 469 f.
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69 Die Insolvenzantragspflicht des Vereins ergibt sich aus § 42 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die verspätete Insolvenzantragstellung führt beim Verein zu einer Schadensersatzpflicht der Vorstandsmitglieder als Gesamtschuldner, § 42 Abs. 2 Satz 2 BGB. c) Massesicherungspflicht 70 Mit Eintritt der Insolvenzreife sind die Organe zur Massesicherung verpflichtet. Sie dürfen keine Zahlungen mehr leisten, es sei denn, dass diese auch nach dem Zeitpunkt des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters/Geschäftsmannes vereinbar sind (Erstattungsanspruch gemäß § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 64 Satz 1 GmbHG, § 99 GenG). Bei der offenen Handelsgesellschaft und bei der Kommanditgesellschaft entsteht bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht oder einem Verstoß gegen die Massesicherungspflicht ein Schadensersatzanspruch (§§ 130a Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB). 71 Wird gegen eine GmbH ein Insolvenzantrag gestellt, hat der Geschäftsführer über die rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnisse der von ihm vertretenen Gesellschaft einschließlich gegen Gesellschafter und ihn selbst gerichteter Ansprüche Auskunft zu erteilen. Er ist hingegen nicht verpflichtet, über seine eigenen Vermögensverhältnisse und die Realisierbarkeit etwaiger gegen ihn gerichteter Ansprüche Angaben zu machen. So BGH, Beschl. v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, NZI 2015, 380 Rn. 14 mit Anm. Kluth; nach Auffassung der Vorinstanz (LG Münster, Beschl. v. 3.9.2014 – 5 T 326/14, ZInsO 2015, 411 ff.) erstreckt sich die Auskunftspflicht auch auf die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Organs.
72 Die Ersatzpflicht nach §§ 130a, 177a HGB entfällt für Zahlungen nach Insolvenzreife, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. Der als Ausgleich erhaltene Gegenstand muss nicht noch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhanden sein. Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt, in dem die Masseverkürzung durch einen Massezufluss ausgeglichen wird. So BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, NZI 2015, 133 ff. mit Anm. Kruth = DStR 2015, 180 ff. = WM 2015, 77 ff. = DB 2015, 55 ff. mit Anm. Strohn = ZIP 2015, 71 ff., dazu EWiR 2015, 69 (Splieth); Gehrlein, ZInsO 2015, 477, 483; Theiselmann/ Verhoeven, DB 2015, 671, 672.
73 Das Organ haftet für Insolvenzverschleppungsschäden, die nicht in einer Masseschmälerung durch Zahlung bestehen, nach § 15a Abs. 1 InsO i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB und nicht nach § 64 Satz 1 GmbH, §§ 130a Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB. So BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 ff. = NZI 2015, 133 ff. mit Anm. Kruth = DStR 2015, 180 ff. = WM 2015, 77 ff. = DB 2015, 55 ff. mit Anm. Strohn, dazu EWiR 2015, 69 (Splieth).
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d) Rechtsfolgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder einer Abweisung mangels Masse Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Rechtskraft des Be- 74 schlusses, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird, werden die Gesellschaften aufgelöst (§ 262 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 GmbHG, § 81a Nr. 1 und Nr. 2 GenG, § 131 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB). Von der Auflösung ist die Löschung zu unterscheiden, die gemäß § 393 FamFG 75 erfolgt, insbesondere wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft durchgeführt worden ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Gesellschaft noch Vermögen besitzt (§ 394 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Die Vermögenslosigkeit i. S. d. § 394 Abs. 1 FamFG ist nicht mit Unterbilanz, Überschuldung oder Masseunzulänglichkeit gleichzusetzen. Sie liegt nur vor, wenn nach kaufmännisch-wirtschaftlicher Betrachtungsweise überhaupt keine Zugriffs- und Verteilungsmasse für die Gläubiger mehr zur Verfügung steht. So OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.8.2014 – 11 Wx 92/13, ZIP 2015, 39 f. = NZI 2014, 930.
Zwar enden die Ämter eines Vorstands oder Geschäftsführers mit Eröffnung 76 des Insolvenzverfahrens nicht, allerdings wird ihre Handlungskompetenz durch § 80 Abs. 1 InsO, wonach das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht, überlagert. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens behalten die Organe einer juristischen 77 Person ihre Stellung. Sie nehmen allerdings nur noch Aufgaben wahr, die nicht die Insolvenzmasse betreffen. So OLG Hamm, Beschl. v. 2.9.2014 – 27 W 97/14, ZInsO 2014, 2452 f.
Die gesellschaftsrechtlichen Strukturen bleiben erhalten, sodass die Organe 78 weiterhin verfahrensrechtliche Befugnisse und Pflichten wahrzunehmen haben, z. B. die Einberufung einer Gesellschafter- oder Hauptversammlung, Abberufung und Bestellung eines Geschäftsführers oder Vorstands. Vgl. BayObLG, 1.7.1987 – 8 U 55/83, NJW-RR 1988, 1119; OLG Nürnberg, 20.5.1990 – 1 U 2275/89, NJW-RR 1992, 230.
Auch die Beschlussfassung über Satzungsänderungen oder Kapitalerhöhungen 79 obliegt nach wie vor den Gesellschaftern, während die Kompetenzen des Insolvenzverwalters sich auf alle das Vermögen der Gesellschaft betreffenden Angelegenheiten erstrecken, z. B. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen. Vgl. Sternal, in: Karsten Schmidt, InsO, § 80 Rn. 65.
Hinsichtlich der Registeranmeldungen ist der Insolvenzverwalter in den An- 80 gelegenheiten verpflichtet, die im Zusammenhang mit der Ausübung der Verwaltungs- und Verwertungsrechte stehen. Vgl. BGH, Urt. v. 18.12.1980 – VII ZR 43/80, NJW 1981, 822.
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81 Hinsichtlich der Beschlussfassung über eine Umfirmierung besteht die Zuständigkeit des Insolvenzverwalters. Vgl. LG Essen, Beschl. v. 4.5.2009 – 44 T 3/09, ZIP 2009, 1583.
82 Die Anmeldung der Abberufung bzw. die Bestellung eines Geschäftsführers sind nicht von der Insolvenzmasse berührt, sodass eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters nicht besteht. Vgl. OLG Köln, Beschl. v. 11.7.2001 – 2 Wx 13/01, NJW-RR 2001, 1417 = NZI 2001, 470.
e) Inhabilität 83 Vorstand (§ 76 Abs. 3 AktG) oder Geschäftsführer (§ 6 Abs. 2 GmbHG) kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. Neben anderen Inhabilitätsgründen führen eine Insolvenzverschleppung, die Begehung von Insolvenzstraftaten sowie sonstige Verstöße gegen gesellschafts- und handelsrechtliche Strafvorschriften zu einem Ausschluss vom Amt für die Dauer von fünf Jahren. Dies gilt auch, wenn die Person im Ausland wegen einer vergleichbaren Tat verurteilt worden ist. So Kretschmer, ZWH 2013, 481, 482.
84 Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass die deutschen Registergerichte regelmäßig keine Kenntnis von derartigen Verurteilungen erlangen werden. Auch die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung in Form der nicht rechtzeitigen Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 15a Abs. 4, 3. Altern. InsO) führt zu einer Amtsunfähigkeit als Geschäftsführer einer GmbH. So OLG Celle, Beschl. v. 29.8.2013 – 9 W 109/13, ZIP 2013, 191 = NZI 2013, 852 f. = ZInsO 2013, 2069 f. = ZWH 2013, 495 ff. mit Anm. Bunnemann; vgl. dazu auch Anm. Floeth, NZI 2013, 853 ff.
85 Die rechtskräftige Verurteilung wegen einer der vorgenannten Straftaten führt dazu, dass der Vorstand oder Geschäftsführer dieses Amt nicht mehr ausüben kann. Die Bestellung fällt als solche automatisch weg, sodass die Person im Handelsregister aufgrund der unrichtig gewordenen Eintragung als Vorstand oder Geschäftsführer kraft Gesetzes gelöscht werden muss (§ 395 FamFG). So OLG Celle, Beschl. v. 29.8.2013 – 9 W 109/13, ZIP 2013, 1914 = NZI 2013, 852 f. = ZInsO 2013, 2069 f. = ZWH 2013, 495 ff. mit Anm. Bunnemann; vgl. dazu auch Anm. Floeth, NZI 2013, 853 ff.; OLG München, Urt. v. 15.9.2009 – 5 U 1721/09, NZI 2010, 474, 475; vgl. dazu Wolf, StuB 2014, 734 f.
86 Im Ausland begangene vorsätzliche Straftaten, nicht jedoch bloße Ordnungswidrigkeiten, führen zur Amtsunfähigkeit. So OLG München, Beschl. v. 18.6.2014 – 31 Wx 250/14, ZInsO 2014, 2177.
87 Nach der Vorschrift des § 6 Abs. 5 GmbHG haften die Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft auf Schadensersatz, wenn sie vorsätzlich oder grob
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III. Pflichten des Insolvenzverwalters
fahrlässig einer inhabilen Person die Führung der Gesellschaft überlassen haben, wobei folgende Fallgruppen in Betracht kommen: x
Förmliche Bestellung einer amtsunfähigen Person
x
Eintritt der Amtsunfähigkeit bei einem bestellten Geschäftsführer
x
Führung der Gesellschaft durch eine Person, die nicht förmlich bestellt ist. Vgl. Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, Rn. 8.16 ff.; Wolf, StuB 2014, 734, 735.
III. Pflichten des Insolvenzverwalters Der Insolvenzverwalter ist die zentrale Person des Insolvenzverfahrens. Mit 88 dem Insolvenzeröffnungsbeschluss ernennt das Insolvenzgericht gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Insolvenzverwalter. Dabei muss es sich gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO um eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person handeln. Massive Gefahren für die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters bestehen 89 allerdings seit dem ESUG, da das Gericht gemäß § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO nunmehr von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Verwalters nur abweichen darf, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Die Gläubiger, die aufgrund ihrer Stellung eine maßgebende Rolle im Gläubigerausschuss spielen, werden sich, bevor sie eine Person zum Insolvenzverwalter vorschlagen, über die von ihr weiter beabsichtigten Schritte informieren und insbesondere Erkundigungen dazu einziehen, ob der – in Betracht gezogene – Insolvenzverwalter z. B. beabsichtigt, Ansprüche gegen sie geltend zu machen. Hier gerät der – möglicherweise – seitens der Gläubiger bereits angesprochene Kandidat leicht in eine kritische Situation, da er zum einen aus Vergütungsinteresse bestellt werden möchte, was davon abhängt, dass die maßgebenden Gläubiger ihn einstimmig dem Gericht gegenüber vorschlagen, und er andererseits gegenüber der Gläubigergesamtheit verpflichtet ist, also z. B. gegenüber den ungesicherten Dienstleistern und Lieferanten, die lediglich dann eine Aussicht auf Befriedigung haben, wenn es dem Insolvenzverwalter gelingt, Anfechtungs- und Haftungsansprüche geltend zu machen. Allein an diesem kleinen Ausschnitt der Gesamtproblematik zeigt sich, wie viele Risiken sich für das Ziel des Insolvenzverfahrens, eine „gemeinschaftliche“ Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 1 Satz 1 InsO) herbeizuführen, ergeben. Vgl. Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 1 Rn. 24.
Die Auswahl des Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht wird als 90 „Schicksalsfrage“ des Insolvenzverfahrens angesehen, sodass dem Verwalter ein „Heldenmythos“ anhaftet.
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A. Einführung Vgl. Jaeger/Weber, Konkursordnung, § 78 Rn. 2; Mönning, Beteiligung der Gläubiger bei der Auswahl des Insolvenzverwalters, in: Festschrift für Klaus Hubert Görg, S. 291, 294.
91 Da die Insolvenzmasse gemäß § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, umfasst, ist es Sache des Insolvenzverwalters, auch Sonderaktiva zu ermitteln und die sich ergebenden Ansprüche, insbesondere Insolvenzanfechtung sowie Geschäftsführer- und Gesellschafterhaftung geltend zu machen. Vgl. Lüttke, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 35 InsO Rn. 170.
92 Der Insolvenzverwalter ist dafür verantwortlich, dass die Ziele des Insolvenzverfahrens, die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung und die Sanierung, die gleichberechtigt nebeneinander stehen, erreicht werden. Dazu gehört im Rahmen einer ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung die Ermittlung des Zeitpunktes des Eintritts der materiellen Insolvenz und der sich daraus ergebenden Ansprüche. So LG Dresden, Urt. v. 31.5.2013 – 10 O 3091/12, ZIP 2013, 1440 = ZInsO 2013, 1319.
93 Unterlässt der Insolvenzverwalter geeignete Maßnahmen, so greift gegebenenfalls eine Haftung gemäß § 60 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, Anfechtungs- und Haftungsansprüche zu ermitteln. Er muss die Chancen und Risiken eines etwaigen Prozesses gegeneinander abwägen. Zur klageweisen Geltendmachung von Ansprüchen zugunsten der Masse ist er nur verpflichtet, wenn die Klage Erfolg verspricht und wirtschaftlich vertretbar ist. Vgl. Brandes/Schoppmeyer, in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 60 Rn. 14; Thole, in: Karsten Schmidt, InsO, § 60 Rn. 15; LG Krefeld, Urt. v. 6.2.2014 – 3 O 271/13, ZIP 2014, 410 ff.
94 Es ist Sache des Insolvenzverwalters, aus der sog. „Ist-Masse“ die „Soll-Masse“ herbeizuführen und dabei insbesondere auch Ansprüche gegen Organe zu ermitteln und geltend zu machen. Vgl. Bork, ZIP 2005, 1120, 1121; Pape, ZInsO 2007, 1080, 1083.
95 Unterlässt der Insolvenzverwalter die Geltendmachung realisierbarer Ansprüche, so macht er sich gegenüber den Insolvenzgläubigern, nicht aber gegenüber dem Geschäftsführer, schadensersatzpflichtig. So BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 ff. = ZIP 1996, 420 ff. = NJW 1996, 850 f. Rn. 8; dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh).
96 Der Insolvenzverwalter muss kraft seiner Persönlichkeit in der Lage sein, die Geltendmachung dieser Ansprüche voranzutreiben, ohne sich dabei von den
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IV. Rolle der Berater in Krise und Insolvenz
Betroffenen beeinflussen zu lassen oder gar im Hinblick auf mögliche weitere Bestellungen von einer Geltendmachung dieser Ansprüche abzusehen. IV. Rolle der Berater in Krise und Insolvenz In der Krise eines Unternehmens werden durch die Organe häufig Beratungs- 97 leistungen von Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern bewusst nachgefragt. Die organschaftlichen Vertreter notleidender Unternehmer nehmen solche Beratungsleistungen gezielt in Anspruch, um später ihre Exkulpation zu erreichen. Ein organschaftlicher Vertreter einer Gesellschaft verletzt seine Insolvenzan- 98 tragspflicht nicht schuldhaft, wenn er bei fehlender eigener Sachkunde zur Klärung des Bestehens der Insolvenzreife der Gesellschaft den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm daraufhin erteilten Antwort dem Rat folgt und von der Stellung eines Insolvenzantrags absieht. Vgl. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NZI 2007, 477 ff. = ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
Eine Hinweis- und Warnpflicht des Steuerberaters auf die Pflichten der Or- 99 gane bei möglicher Insolvenzreife im Falle eines allgemeinen Mandats besteht zwar nach Auffassung des BGH nicht, allerdings haftet der Steuerberater, wenn er im Rahmen eines ihm erteilten Mandats die Steuerbilanz erstellt und in unzutreffender Weise erklärt, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vorliege. Vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, NZI 2013, 438 ff. Rn. 21 = ZIP 2013, 829, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert); BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 212/13, ZIP 2013, 1332 ff. = NZI 2013, 793 ff.; vgl. Luttmann, ZInsO 2013, 1777 ff.; Schmittmann, StuB 2013, 385 f.; Klusmeier, ZInsO 2013, 1347 ff.; Schmittmann, StuB 2014, 536 f.; Schmittmann, Neueste Entwicklungen bei der Steuerberaterhaftung in der Krise, FOM-Newsbox Wirtschaft- und Steuerrecht, Ausgabe 062 vom 15.7.2014, http://www.fom.de/forschung/ projekte/laufende-projekte/fom-newsbox-steuer-undwirtschaftsrecht.html (Stand: 30.4.2015).
Spitzt sich die Krise zu, wird häufig von Bankenseite verlangt, dass ein Un- 100 ternehmensberater beauftragt wird, dem weitreichende Kompetenzen eingeräumt werden, insbesondere im Hinblick auf Verfügungen von Bankkonten sowie Gesprächen mit Kunden und Lieferanten. Hier stellen sich schnell Fragen der faktischen Geschäftsführung sowie der Haftung von Unternehmensberatern, Banken und sonstigen Kreditgebern. Vgl. Nerlich, in: Festschrift für Görg, S. 317 ff.
Die Beraterhaftung wird unter Rn. 899 ff. thematisiert.
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B. Innenhaftung Unter Innenhaftung wird die Haftung der Organe gegenüber der Gesell- 102 schaft verstanden. Sie kann in allen Phasen des Unternehmens zum Tragen kommen, insbesondere allerdings in Krise und Insolvenz. I. Einführung Wer mit einem Einzelkaufmann oder einer Personengesellschaft kontrahiert, 103 hat die Möglichkeit, wegen seiner Forderung auf das gesamte Vermögen des Einzelkaufmanns bzw. der persönlich haftenden Gesellschafter der Personengesellschaft zurückzugreifen. Für Verbindlichkeiten einer Kapitalgesellschaft steht den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG § 2 GenG) ein. Die Kapitalgesellschaften sowie die haftungsbeschränkten Personenhandels- 104 gesellschaften räumen somit einem Unternehmer die Möglichkeit ein, wirtschaftlich tätig zu werden, ohne dabei das gesamte Vermögen dem (potentiellen) Zugriff der Gläubiger auszusetzen. Die Gesellschaft – von Paulus zutreffend als „virtuelle Schöpfung“ bezeichnet – führt dazu, dass die Haftung sich auf das Vermögen, das der Gesellschaft übertragen worden ist oder das sie erworben hat, erstreckt. So Paulus, in: Festschrift für Görg, München, 2010, S. 361, 366.
Weil die Haftung auf das Vermögen der Gesellschaft beschränkt ist, und der 105 Gesellschafter somit die Möglichkeit hat, sich durch die Leistung des Grundoder Stammkapitals von der persönlichen Haftung „freizukaufen“, muss andererseits ein Instrumentarium geschaffen werden, mit dem sichergestellt wird, dass diese Haftungsmasse nicht nur ordnungsgemäß aufgebracht wird, sondern auch erhalten bleibt. Das deutsche Recht sieht daher eine Vielzahl von Anspruchsgrundlagen gegen Gesellschafter und Organe vor, die zur Erhaltung der Haftungsmasse dienen. II. Haftung in der Gründungsphase Die Haftung beginnt folgerichtig bereits in der Gründungsphase. Kapitalge- 106 sellschaften entstehen in mehreren Schritten. Entschließen sich zwei oder mehrere Personen, eine Kapitalgesellschaft zu gründen, entsteht zunächst bis zur notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages eine sog. Vorgründungsgesellschaft. Vgl. BGH, Urt. v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148 ff. = ZIP 1984, 950 ff.
1. Vorgründungsgesellschaft Bei der Vorgründungsgesellschaft handelt es sich regelmäßig um eine Gesell- 107 schaft bürgerlichen Rechts oder, sofern bereits ein vollkaufmännisches Han25
B. Innenhaftung
delsgewerbe betrieben wird, eine OHG, die das Ziel hat, eine Kapitalgesellschaft zu gründen. Es handelt sich bei der Vorgründungsgesellschaft um eine selbstständige Gesellschaft, die regelmäßig durch Zweckerreichung (Abschluss des Gesellschaftsvertrages und Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister) endet. Vgl. Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO Rn. 1.
2. Vorgesellschaft 108 Mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages entsteht die von der Vorgründungsgesellschaft zu unterscheidende Vorgesellschaft, deren Existenz bis zur Eintragung in das Handelsregister reicht. Mit Eintragung in das Handelsregister erlangt die Gesellschaft Rechtsfähigkeit. Alle Aktiva und Passiva gehen auf die Kapitalgesellschaft über, ohne dass es eines besonderen Rechtsaktes bedürfte. Vgl. Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO Rn. 3.
109 Die Vorgesellschaft ist weder Gesellschaft bürgerlichen Rechts noch Verein, sondern Gesamthandsgesellschaft eigener Art. Sie ist ein von ihren Gründern bzw. Gesellschaftern verschiedenes körperschaftlich strukturiertes Rechtsgebilde mit eigenen Rechten und Pflichten. Sie ist rechtsfähig sowie im Rechtsstreit parteifähig. So BGH, Urt. v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, ZIP 1998, 109 ff. = NJW 1998, 1079 ff.; BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 ff. = ZIP 2006, 2267 ff., dazu EWiR 2007, 289 (Krolop); Hüffer, AktG, § 41 Rn. 4.
110 Da eine Kapitalgesellschaft vor der Eintragung in das Handelsregister als solche nicht existiert, hat der Gesetzgeber die sog. „Handelndenhaftung“ eingeführt. Dies bedeutet, dass wer vor der Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen handelt, persönlich haftet. Handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner (§ 41 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG und § 17 Abs. 1 GenG). 111 Das von der Rechtsprechung entwickelte sog. „Vorbelastungsverbot“ wurde vom BGH aufgegeben, indem er entschieden hat, dass die Rechte und Pflichten aus solchen Geschäften mit der Eintragung der GmbH voll auf diese übergehen. So BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 ff. = NJW 1981, 1373 ff.
112 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gesellschafter in Fällen, in denen durch vorzeitigen Geschäftsbeginn Verpflichtungen begründet worden sind, keine Haftung trifft. Die Gesellschafter haften für die Differenz, die sich aus solchen Vorbelastungen zwischen dem Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt der Eintragung ergibt, nach den Grundsätzen der sogenannten „Unterbilanzhaftung“.
26
II. Haftung in der Gründungsphase So BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 219 ff. = ZIP 1981, 394 = NJW 1981, 1373 ff.; Hüffer, AktG, § 41 Rn. 8.
Der BGH lässt sämtliche Aktiva und Passiva der Vorgesellschaft, auch so- 113 weit sie aus nicht durch die Satzung gedeckten Geschäften stammen, nahtlos auf die GmbH übergehen. Der Übergang der Verbindlichkeiten kann dazu führen, dass die Stammeinlage im Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister nicht mehr vorhanden ist, sodass der Gesellschafter den Fehlbetrag in Geld ausgleichen muss. Dieser – so der BGH – „Unversehrtheitsgrundsatz“ ist nicht buchstäblich, sondern wertmäßig zu verstehen. Das eingebrachte Sachvermögen soll bei Aufstellung einer Bilanz einen Aktivüberschuss in Höhe der Stammkapitalziffer aufweisen. So BGH, Urt. v. 9.3.1981 – IX ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 ff. = NJW 1981, 1373 ff.
Die Gründer trifft in Höhe des unterdeckten Betrages eine unbeschränkte 114 anteilige Innenhaftung. Eine Außenhaftung ist damit nicht verbunden, sodass ein Gläubiger der Gesellschaft, der diese Anspruchsgrundlage für sich fruchtbar machen will, zunächst die Vorgesellschaft in Anspruch nehmen und nach Titulierung gegen die Vorgesellschaft deren Ausgleichsansprüche gegen die Gründer pfänden lassen muss. So Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO Rn. 12.
Die Gesellschafter haften nach den Grundsätzen der Unterbilanzhaftung 115 nur, soweit sie der Geschäftsaufnahme zugestimmt haben. So Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO Rn. 12; Goette, DStR 1997, 924; Goette DStR 1999, 207 ff.; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 11 Rn. 12.
Zur Geltendmachung des Anspruchs ist es erforderlich, eine Vermögensbi- 116 lanz auf den Stichtag der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zu erstellen. Der Haftungsanspruch umfasst auch eine bereits eingetretene Überschuldung, sodass der Anspruch gegen den Gesellschafter den Betrag des Stamm- oder Grundkapitals übersteigen kann. So Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO Rn. 13; Hüffer, AktG, § 41 Rn. 9; BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 303 = ZIP 1989, 27, dazu EWiR 1989, 55 (Schmidt).
Die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen von Ansprüchen nach den 117 Grundsätzen der Unterbilanzhaftung trägt grundsätzlich die Gesellschaft bzw. im Falle der Insolvenz der Gesellschaft der Insolvenzverwalter. So OLG Rostock, Urt. v. 4.6.2014 – 1 U 51/11, ZInsO 2014, 1498 ff.
Mehrere Gesellschafter haften anteilig nach dem Verhältnis ihrer durch Über- 118 nahme begründeten Einlagepflichten.
27
B. Innenhaftung So BGH, Urt. v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, MDR 1997, 665 ff. = ZIP 1997, 679 ff., dazu EWiR 1997, 463 (Fleischer); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 ff. = ZIP 2006, 668 ff. = ZGR 2006, 875 ff. mit Anm. Bayer/Lieder, dazu EWiR 2006, 565 (Naraschewski).
119 Der Anspruch aus Unterbilanzhaftung ist grundsätzlich wie ein Anspruch auf Leistung fehlender Bareinlagen zu behandeln und unterliegt deshalb nach der Rechtsprechung des BGH denselben strengen Regeln der Kapitalaufbringung wie die ursprüngliche Einlageschuld. Der Grundsatz der realen Kapitalaufbringung führt zu einem automatischen Erlöschen des Anspruchs durch faktische Zweckerreichung infolge anderweitiger Auffüllung des Haftungsfonds. Der aus der Unterbilanz haftende Gesellschafter kann gegen den Anspruch aus Unterbilanzhaftung nicht einseitig mit Forderungen, die er gegen die Gesellschaft hat, aufrechnen. So BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 ff. = ZIP 2006, 668 ff. = ZGR 2006, 875 ff. mit Anm. Bayer/Lieder, dazu EWiR 2006, 565 (Naraschewski).
120 Bislang ungeklärt ist die Frage, ob eine Ausfallhaftung nach dem Vorbild des § 24 GmbHG in Betracht kommt, wenn einer oder mehrere Gründer nicht in der Lage sind, die Verpflichtung aus der Verlustdeckungspflicht zu erfüllen. Dies wird weitgehend abgelehnt. So OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.12.1997 – 1 U 170/97, AG 1999, 131, 132 = ZIP 1998, 1961, dazu EWiR 1998, 1011 (Kort); LG Heidelberg, Urt. v. 11.6.1997 – 8 O 97/96, AG 1998, 197, 198 = ZIP 1997, 2045 (Wiedenmann, S. 2029), dazu EWiR 1998, 51 (Reiff).
121 Nach Auffassung von Hüffer und Heidinger ist eine Verantwortung jedes Gründungsgesellschafters für die Aufbringung des Kapitals zu bejahen, sodass eine Ausfallhaftung eingreift. So Hüffer, AktG, § 41 Rn. 9 b; Heidinger, GmbHR 2003, 189, 195.
3. Besonderheiten bei der Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften 122 Besonderheiten ergeben sich bei der Verwendung sog. Vorrats- und Mantelgesellschaften. 123 Vorratsgesellschaften liegen vor, wenn diese Gesellschaften von vornherein nur mit dem Unternehmenszweck „Verwaltung eigenen Vermögens“ gegründet worden sind und beabsichtigt ist, die Anteile vor Aufnahme des Geschäftsbetriebes zu veräußern. Bei Mantelgesellschaften hingegen war bereits vor Übertragung der Anteile eine Unternehmenstätigkeit aufgenommen, später aber eingestellt oder deutlich reduziert worden. Die Übernahme der Anteile von Mantelgesellschaften dient im Regelfall der Erzielung von steuerlichen Vorteilen, der Erlangung öffentlich-rechtlicher Genehmigungen wie Börsen28
II. Haftung in der Gründungsphase
zulassungen o. Ä., die nicht rechtsgeschäftlich übertragen werden können, oder der insolvenzfreien Liquidation. Vgl. Altmeppen, NZG 2003, 145 ff.; Böing/Schmittmann, InsbürO 2005, 333 ff.; Bräuer, ZInsO 2007, 966 ff.; Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433 ff.; Gronstedt, BB 2003, 860 ff.; Habersack, AG 2010, 845 ff.; Herchen, DB 2003, 2211 ff.; Johlke/Bormann, ZInsO 2000, 486 ff.; Kallmeyer, DB 2003, 2583 ff.; Meilicke, BB 2003, 857 ff.; Nolting, ZIP 2003, 651 ff.; Peus, NZG 2003, 610 ff.; Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Schmidt/Kuleisa, InsbürO 2009, 301 ff.; Schumacher, DStR 2003, 1884 ff.; Schütz, NZG 2004, 746 ff.; Strohn, ZInsO 2009, 1417 f.; Thaeter, DB 2003, 2112 ff.; Thaeter/Meyer, DB 2003, S. 330, DB 2003, 539 ff.; Wälzholz, NZG 2005, 203 ff.
Die Gründung einer Kapitalgesellschaft, bei welcher der in der Satzung ange- 124 gebene Gegenstand des Unternehmens gar nicht oder doch zumindest vorerst nicht verwirklicht werden soll („sog. Fasson- oder Vorratsgründung“) dient dem Zweck, eine juristische Person auf Vorrat zu schaffen, die erst später bei Bedarf im Wege der sog. Mantelverwendung – vielfach, aber nicht notwendigerweise nach Erwerb durch andere Gesellschafter und unter Auswechselung ihrer Organmitglieder sowie unter Änderung des in der Satzung angegebenen Unternehmensgegenstandes und ihres Sitzes – unternehmerischer Verwendung zugeführt werden soll. Hintergrund ist regelmäßig die Absicht der Gründer, einem späteren Nutzer, 125 insbesondere auch Erwerber, bei Bedarf sofort eine Kapitalgesellschaft für den angegebenen oder jeden beliebigen anderen Zweck zur Verfügung stellen zu können, um ihm die mit der (Neu-)Gründung einer Kapitalgesellschaft zum Zwecke der Erlangung der Haftungsbeschränkung verbundenen erheblichen und zeitraubenden Gründungsformalitäten einschließlich etwaiger dabei auftretender Haftungsgefahren zu ersparen. Grundsätzlich ist die Gründung von Vorratsgesellschaften zulässig, wenn die 126 Bestimmung der Gesellschaft, als sog. Mantel für die spätere Aufnahme eines Geschäftsbetriebs zu dienen, bei der Bezeichnung des Unternehmensgegenstandes deutlich klargestellt wird (sog. „offene Vorratsgründung“). Dies geschieht durch die Angabe des Unternehmensgegenstandes „Verwaltung des eigenen Vermögens“. Eine unwirksame sogenannte „verdeckte Vorratsgründung“ liegt vor, wenn der Unternehmensgegenstand dahin unzutreffend angegeben wird, dass er in absehbarer Zeit nicht verwirklicht werden soll. So BGH, Urt. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 119, 323 ff. = NJW 1992, 1824 ff. = ZIP 1992, 689 ff., dazu EWiR 1992, 673 (Kraft).
Der BGH hat diese Rechtsprechung zur Aktiengesellschaft später auch auf die 127 Gesellschaft mit beschränkter Haftung übertragen. Auch die Verwendung des Mantels einer „auf Vorrat“ gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung stellt wirtschaftlich eine Neugründung dar. Auf diese wirtschaftliche Neugründung durch Ausstattung der Vorratsgesellschaft mit einem Unter29
B. Innenhaftung
nehmen und erstmalige Aufnahme ihres Geschäftsbetriebs sind die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des GmbHG einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden. So BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 ff = ZIP 2003, 251 (m. Bespr. Nolting, S. 651), dazu EWiR 2003, 327 (Keil).
128 Es ist somit erforderlich, dass die Geschäftsführer analog § 8 Abs. 2 GmbH versichern, dass die in § 7 Abs. 2 und Abs. 3 GmbHG bezeichneten Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt sind und dass sich der Gegenstand der Leistungen – weiterhin oder jedenfalls wieder – endgültig in ihrer freien Verfügung befindet. Die Tatsache der Wiederverwendung eines zwischenzeitlich leer gewordenen Geschäftsmantels ist gegenüber dem Registergericht offenzulegen. Diese Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung ist mit der – am satzungsmäßigen Stammkapital auszurichtenden – Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 GmbHG zu verbinden. Die reale Kapitalaufbringung ist sowohl bei der Mantelverwendung als auch bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft durch entsprechende Anwendung des Haftungsmodells der Unterbilanzhaftung – bezogen auf den Stichtag der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht – sicherzustellen. So BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 ff. = ZIP 2003, 1698 (m. Bespr. Kesseler, S. 1790), dazu EWiR 2003, 967 (Keil).
129 Nach der Rechtsprechung des BGH kommt neben der Unterbilanzhaftung auch eine Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG in Betracht, wenn vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Geschäfte aufgenommen werden, ohne dass alle Gesellschafter dem zugestimmt haben. So BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 ff. = ZIP 2003, 1698 (m. Bespr. Kesseler, S. 1790), dazu EWiR 2003, 967 f. (Keil).
130 Trotz der vorstehenden Leitlinien der Rechtsprechung des BGH ist es nicht grundsätzlich schädlich, mit einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft zu arbeiten. Es sollte aber Sorge getragen werden, dass sämtliche Möglichkeiten der Haftungsvermeidung ergriffen werden. Es ist somit wie folgt vorzugehen: x
Offenlegung der Verwendung eines leeren Gesellschaftsmantels gegenüber dem Registergericht.
x
Versicherung, dass die gesetzlich gebotenen Leistungen auf die Stammeinlage im Anmeldezeitpunkt bewirkt sind und sich der Leistungsgegenstand weiterhin endgültig in der freien Verfügung des Geschäftsführers befindet. Vgl. Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO, A Rn. 21c.
30
II. Haftung in der Gründungsphase
In der Folgezeit ist durch den Insolvenzverwalter vielfach eine Haftung von 131 Gesellschaftern und Geschäftsführern nach den Grundsätzen der BGH-Rechtsprechung geltend gemacht worden. Eine Anzahl von Sachverhalten gelangte zum BGH, der somit die Chance erhielt, seine Rechtsprechung zu präzisieren: Eine Mantelverwendung, auf die die Regeln der sog. „wirtschaftlichen Neu- 132 gründung“ anwendbar sind, kommt nur in Betracht, wenn die Gesellschaft eine „leere Hülse“ ist, also kein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpfen kann. Eine „leere Hülse“ in diesem Sinne liegt nicht vor, wenn die Gesellschaft nach Gründung und Eintragung konkrete Aktivitäten zur Planung und Vorbereitung der Aufnahme ihrer nach außen gerichteten Geschäftstätigkeit im Rahmen des statutarischen Unternehmensgegenstandes entfaltet. So BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, NZI 2010, 316 f. = ZIP 2010, 621 (m. Bespr. K. Schmidt, S. 857), dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont).
Werden Ansprüche aus den Ansätzen der Vorbelastungshaftung bei Vorrats- 133 und Mantelverwendungen oder aus dem Grundsatz der wirtschaftlichen Neugründung geltend gemacht, so ist der Kläger, im Regelfall der Insolvenzverwalter, darlegungs- und beweispflichtig. So BGH, Urt. v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, KTS 1998, 219 ff. = ZIP 1997, 2008 f., dazu EWiR 1998, 33 (Wilken); BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09 = NZI 2010, 316 f. = ZIP 2010, 621 (m. Bespr. K. Schmidt, S. 857), dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont).
Der Ausgangspunkt für die Prüfung der Höhe der Haftung ist nicht der 134 Zeitpunkt der Aktivierung der Vorratsgesellschaft, sondern derjenige der Erklärung gemäß §§ 7 Abs. 3, 8 Abs. 2 GmbHG. So Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO A Rn. 23.
Erst durch die Erklärung gegenüber dem Registergericht wird diesem die 135 Möglichkeit einer Gründungsprüfung geschaffen. Die Versicherung der Geschäftsführer muss sich allein auf den Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft beziehen. Zur Sicherstellung der realen Kapitalaufbringung haften die Gesellschafter in jeder Variante der Mantelverwendung nach Maßgabe der für die Vor-GmbH entwickelten Vorbelastungshaftung. Für diese Haftung ist der Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht maßgeblich. So OLG Jena, Beschl. v. 27.9.2006 – 6 W 287/06, ZInsO 2007, 159, 161 = ZIP 2007, 124, dazu EWiR 2007, 433 (Naraschewski).
Der Höhe nach erstreckt sich die Haftung der Gesellschafter und der Ge- 136 schäftsführer auf die statutarische Kapitalziffer. Dies gilt sowohl bei Vorrats31
B. Innenhaftung
und Mantelgesellschaften, wobei der BGH zutreffend darauf hinweist, dass ein Mantelverwender nicht irgendeinen am gesetzlichen Mindeststammkapital orientierten, hypothetischen, sondern den konkreten Gesellschaftsmantel mit dem konkreten satzungsmäßigen Stammkapital, das auch höher sein kann als das gesetzliche Mindestkapital, verwendet. Der Rechtsverkehr hat damit ein schützenswertes Interesse daran, dass gegebenenfalls durch die Gesellschafter und Geschäftsführer eine Auffüllung des gesellschaftsvertraglich vereinbarten Grund- oder Stammkapitals stattfindet. So BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 ff. = NJW 2003, 3198 ff. = ZIP 2003, 1698 (m. Bespr. Kesseler, S. 1790), dazu EWiR 2003, 967 f. (Keil).
137 Eine haftungsbegründende Voraussetzung ist allerdings, dass die Gesellschafter der Geschäftsaufnahme vor der Anmeldung zugestimmt haben. Anders als bei der Neugründung ist allerdings eine Minderung des Grund- oder Stammkapitals zwischen Anmeldung und Eintragung der Änderung des Unternehmensgegenstandes unbeachtlich. So Kuleisa, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, Anhang zu § 35 InsO A Gründerhaftung Rn. 23.
4. Handelndenhaftung bei der wirtschaftlichen Neugründung 138 Bei einer wirtschaftlichen Neugründung einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft kommt eine Haftung der handelnden Person analog § 11 Abs. 2 GmbHG nur dann in Betracht, wenn die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen worden sind und dem nicht alle Gesellschafter zugestimmt haben. So BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11 = NZI 2011, 776 f. = ZIP 2011, 1761 ff., dazu EWiR 2011, 639 (Nolting/Grünberg).
139 Versichert der Geschäftsführer bei der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung der Wahrheit zuwider, dass sich das Stammkapital endgültig in seiner freien Verfügung befindet, haftet er analog § 9 Abs. 2 GmbHG. So BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, NZI 2011, 776 f. = ZIP 2011, 1761 ff., dazu EWiR 2011, 639 (Nolting/Grünberg).
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit 140 Während der laufenden Unternehmenstätigkeit kommen verschiedene Haftungstatbestände in Betracht, die rechtsformabhängig geregelt sind. 1. Überblick 141 Lange Zeit fielen die rechtlichen Möglichkeiten der Geltendmachung einer Haftung für unsorgfältige Geschäftsführung gemäß § 93 Abs. 2 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG und ihre tatsächliche Umsetzung auseinander. Die Literatur konstatiert hier eine „Bisshemmung“, die daraus resultiert, dass oft32
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
mals weder Vorstände noch Geschäftsführer über hinreichende finanzielle Möglichkeiten verfügen, den von ihnen angerichteten Schaden zu ersetzen. Dies hat sich mit einer weitgehenden Verbreitung von D&O-Versicherungen (siehe dazu Rn. 851 ff.) geändert. Vgl. Bayer, NJW 2014, 2546.
a) Aktiengesellschaft Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hat gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Ge- 142 sellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Vorstandsmitglieder haben gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden und haften gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG für den Schaden, der der Gesellschaft aus ihren Pflichtverletzungen entsteht. Im Anwendungsbereich des Sparkassengesetzes Nordrhein-Westfalen haften 143 Sparkassenvorstände nach § 93 AktG. So BGH, Beschl. v. 15.9.2014 – II ZR 112/13, ZIP 2015, 370 f. = NZG 2015, 310 f. = NJW-Spezial 2015, 145 (LS).
Die Aufgabe des Aufsichtsrates ist die Überwachung der Geschäftsführung, 144 § 111 Abs. 1 AktG. Der § 116 Satz 1 AktG gilt für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder, § 93 AktG (mit Ausnahme von § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG) über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder gilt sinngemäß. Aufsichtsratsmitglieder haften sowohl gegenüber der Gesellschaft (Innen- 145 haftung) als auch gegenüber Dritten (Außenhaftung). Vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, § 13 Rn. 981 ff. und 1030 ff.
b) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Die Geschäftsführer einer GmbH haben gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG in den 146 Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden und haften der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG solidarisch für den entstandenen Schaden, wenn sie Obliegenheiten verletzten. c) GmbH & Co. KG Eine Besonderheit gilt bei der GmbH & Co. KG. Wenn sich aus dem zwi- 147 schen dem Geschäftsführer und der Komplementär-GmbH zustande gekommenen Dienstverhältnis ergibt, dass die wesentliche Aufgabe der GmbH darin besteht, die Geschäfte der Kommanditgesellschaft zu führen, erstreckt sich der Schutzbereich des Dienstvertrages im Hinblick auf die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG auch auf die Kommanditgesellschaft.
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B. Innenhaftung So BGH, Urt. v. 25.2.2002 – II ZR 236/00, ZIP 2004, 984 ff. = NJW-RR 2002, 965 ff.; BGH, Urt. v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353 ff. = ZIP 1995, 738, dazu EWiR 1995, 677 (Westermann); BGH, Urt. v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321 ff. = NJW 1980, 589 ff. (zur Publikums-KG); vgl. Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 3.
148 Bei der GmbH & Co. KG ist eine Zahlung aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft an einen Gesellschafter der Komplementär-GmbH oder einen Kommanditisten eine nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlung, wenn dadurch das Vermögen der GmbH unter die Stammkapitalziffer sinkt oder eine bilanzielle Überschuldung vertieft wird. Wenn der Zahlungsempfänger (auch) Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist, ist es für seine Haftung nach § 30 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich ohne Bedeutung, ob daneben eine natürliche Person als Komplementär unbeschränkt haftet. So BGH, Urt. v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, ZIP 2015, 322 ff. Rn. 9, dazu EWiR 2015, 207 (Paefgen/Schneider); vgl. Gummert, DStR 2015, 761.
149 Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH haftet nach § 43 Abs. 3 GmbHG für nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlungen aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft an einen Gesellschafter der KomplementärGmbH gegenüber der Kommanditgesellschaft. So BGH, Urt. v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, ZIP 2015, 322 ff. Rn. 12.
d) Business Judgement Rule 150 Bei der Aktiengesellschaft ist die „Business Judgement Rule“ in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifiziert, wonach eine Pflichtverletzung nicht vorliegt, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Vgl. Bicker, ZWH 2013, 473, 474.
151 Dies wird entsprechend auch für die Geschäftsführer einer GmbH angenommen. Vgl. Buchta/Ott, ZInsO 2015, 288 ff.
2. Aktivlegitimation 152 Der Schadensersatzanspruch bei der Innenhaftung steht der Gesellschaft zu. Er wird in der Praxis im laufenden Geschäftsbetrieb eher selten geltend gemacht. Sein Anwendungsbereich ist allerdings häufiger Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit einem Organwechsel oder bei Streitigkeiten zwischen Gesellschaftergruppen und bei einem Gesellschafterwechsel.
34
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit Vgl. Sieg, Tendenzen und Entwicklungen der Managerhaftung in Deutschland, DB 2002, 1759, 1762; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 10.
a) Aktiengesellschaft Wird ein Vorstandsmitglied gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG in Anspruch ge- 153 nommen, wird die Gesellschaft gemäß § 112 Satz 1 AktG durch den Aufsichtsrat gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Regelung verfolgt den Zweck, eine unbefangene, von möglichen Interessen- 154 kollisionen und darauf beruhenden sachfremden Erwägungen freibleibende Vertretung der Gesellschaft sicherzustellen. Es ist auf eine typisierende Betrachtungsweise abzustellen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Gesellschaft im Einzelfall auch vom Vorstand angemessen vertreten werden könnte. So BGH, Urt. v. 24.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796 f. = AG 1991, 269 f.; BGH, Urt. v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, WM 1990, 630 f. = NJW-RR 1990, 739 f., dazu EWiR 1990, 909 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 13.2.1989 – II ZR 209/88, NJW 1989, 2055 ff. = ZIP 1989, 497 ff., dazu EWiR 1989, 429 (Ebenroth); BGH, Urt. v. 8.2.1988 – II ZR 159/87, BGHZ 103, 213 ff. = ZIP 1988, 367 f.; BGH, Urt. v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381 ff. = NJW 1987, 254 f., dazu EWiR 1986, 1165 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858 = NJW 1981, 2748 f. = MDR 1982, 34.
Der Aufsichtsrat entscheidet in eigener Zuständigkeit, ob die Geltendma- 155 chung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand erforderlich ist. Bei der Aktiengesellschaft kann der Anspruch gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 156 AktG und gemäß § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG ausnahmsweise auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können. Dabei muss der Gläubiger auf Leistung an sich selbst, nicht an die Gesellschaft klagen. So Hüffer, AktG, § 93 Rn. 34.
b) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Bei der GmbH kann gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG ein besonderer Prozessver- 157 treter durch die Gesellschafterversammlung für einen Rechtsstreit gegen den Geschäftsführer bestellt werden. Die Gesellschafterversammlung muss aber von der Möglichkeit des § 46 Nr. 8 GmbHG allerdings keinen Gebrauch machen. Kann die Gesellschaft durch weiter vorhandene Geschäftsführer satzungsgemäß vertreten werden, ist dies nicht zu beanstanden. So BGH, Urt. v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, NJW-RR 1992, 993 f. = ZIP 1992, 760 ff., dazu EWiR 1992, 1001 (Bork); BGH, Urt. v. 26.10.1981 – II ZR 72/81, WM 1981, 1353 f.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 33.
35
B. Innenhaftung
158 Bei Rechtsstreitigkeiten mit ausgeschiedenen Geschäftsführern ist § 46 Abs. 8 GmbHG zwar anwendbar, die Gesellschaft kann aber durch einen neuen Geschäftsführer so lange vertreten werden, wie die Gesellschafterversammlung nicht von ihrer Befugnis Gebrauch macht, einen – anderen – besonderen Vertreter zu bestellen. So BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, NZG 2012, 502 ff. = ZIP 2012, 824 ff., dazu EWiR 2012, 377 (Nolting); BGH, Urt. v. 24.2.1992 – IX ZR 79/91, ZIP 1992, 760 ff. = WM 1992, 731 ff.; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 31/91, WM 1992, 224 ff. = ZIP 1992, 171 ff., dazu EWiR 1992, 571 (Zimmermann).
159 Verfügt die Gesellschaft über einen – auch fakultativen – Aufsichtsrat, so wird sie im Rechtsstreit mit ihrem ehemaligen Geschäftsführer gemäß §§ 52 Abs. 1 GmbHG, 112 AktG durch den Aufsichtsrat und nicht durch die Geschäftsführer vertreten, sofern nicht in der Satzung etwas anderes geregelt oder von der Gesellschafterversammlung beschlossen worden ist. So BGH, Urt. v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117 ff. = NZI 2008, 104 ff. Rn. 8; BGH, Beschl. v. 26.4.2006 – 149/06, DStR 2007, 1358 f.; Drescher, Die Haftung des GmbHGeschäftsführers, Rn. 38.
160 Verfügt die Gesellschaft lediglich über einen einzigen Geschäftsführer, so muss für die Verfolgung des Anspruchs ein besonderer Vertreter bestellt werden. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 36.
161 Bei der GmbH besteht kein eigenständiger Anspruch des Gesellschafters gegen den Geschäftsführer. So OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.1.2006 – 14 U 64/05, ZIP 2006, 1050 (LS) = GmbHR 2006, 759 ff.
162 Ist ein Gesellschafter der Auffassung, es solle ein Anspruch gegen den Geschäftsführer geltend gemacht werden, so muss er zunächst versuchen, die Gesellschafterversammlung nach § 46 Nr. 8 GmbHG zu veranlassen, einen besonderen Vertreter zu bestellen. Führt dies nicht zum Erfolg, kommt ausnahmsweise eine actio pro socio in Betracht. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 42 f.
163 Das Recht des Gesellschafters auf eine unmittelbare Klage ist nur gegeben, wenn eine Klage der Gesellschaft undurchführbar, durch den Schädiger selbst vereitelt worden oder infolge der Machtverhältnisse in der Gesellschaft so erschwert ist, dass es für den betroffenen Gesellschafter ein unzumutbarer Umweg wäre, die Gesellschaft erst zu einer Haftungsklage zu zwingen. So BGH, Urt. v. 29.4.2004 – II ZR 14/03, ZIP 2005, 320 ff. = NZG 2005, 216 f.; Gehrlein, ZIP 1993, 1525 ff.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 43.
36
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
Bei der GmbH ist für die Geltendmachung des Anspruchs ein Gesellschafter- 164 beschluss erforderlich. So BGH, Urt. v. 21.4.1986 – II ZR 165/85 = BGHZ 97, 382 ff. = ZIP 1986, 979, dazu EWiR 1986, 997 (Roth).
Wird der Anspruch durch einen Gesellschaftergeschäftsführer gegen einen 165 früheren Geschäftsführer geltend gemacht, so bedarf es einer förmlichen Beschlussfassung nicht. Es genügt, wenn er den Anspruch geltend macht. So BGH, Urt. v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, NZG 2009, 1385 f. = ZIP 2009, 2335 ff., dazu EWiR 2010, 151 (Schodder); BGH, Urt. v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, ZIP 1997, 199 ff. = WM 1997, 224 ff., dazu EWiR 1997, 303 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 27.3.1995 – II ZR 140/93 = WM 1995, 838 ff. =ZIP 1995, 643 ff., dazu EWiR 1995, 893 (Weipert).
Soll der Anspruch gegen einen früheren Geschäftsführer geltend gemacht 166 werden, so ist eine Beschlussfassung erforderlich, weil der Gesellschafterversammlung als oberstem Gesellschaftsorgan vorbehalten bleiben soll, ob ein Geschäftsführer wegen Pflichtverletzung belangt und die damit verbundene Offenlegung innerer Gesellschaftsverhältnisse trotz der für Ansehen und Kredit der Gesellschaft möglicherweise abträglichen Wirkung in Kauf genommen werden soll. So BGH, Urt. v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708 ff. = NZG 2004, 962 ff.; BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 ff. = ZIP 1999, 1352 (m. Anm. Altmeppen, S. 1354), dazu EWiR 1999, 835 (Wilhelm).
Das Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses stellt kein Erfordernis für die 167 Zulässigkeit der Klage dar. Es handelt sich um eine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Anspruch der Gesellschaft. So BGH, Urt. v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708 ff. = NZG 2004, 962 ff.; BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 ff. = ZIP 1999, 1352 (m. Anm. Altmeppen, S. 1354), dazu EWiR 1999, 835 (Wilhelm).
Ist über das Vermögen der Gesellschaft bereits das Insolvenzverfahren eröff- 168 net, so bedarf es einer Beschlussfassung nicht mehr, da im Insolvenzverfahren die Interessen der Gesellschaftsgläubiger an einer Vermehrung der Masse den Vorrang genießen, während ein Schutzbedürfnis der in der Regel nur abzuwickelnden Gesellschaft nicht mehr gegeben ist. So BGH, Urt. v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708 ff. = NZG 2004, 962 ff.; BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 ff. = ZIP 1999, 1352 (m. Anm. Altmeppen, S. 1354), dazu EWiR 1999, 835 (Wilhelm).
Einer Beschlussfassung bedarf es ebenso wenig bei einer „masselosen“ Liqui- 169 dation.
37
B. Innenhaftung So BGH, Urt. v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708 ff. = NZG 2004, 962 ff.; BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 ff. = ZIP 1999, 1352 (m. Anm. Altmeppen, S. 1354) ff., dazu EWiR 1999, 835 (Wilhelm); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 20.
170 Gemäß § 47 Abs. 4 GmbHG gilt ein Stimmverbot für Gesellschafter, die durch die Beschlussfassung wirtschaftlich betroffen sind. Dies gilt bei einer Abstimmung gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG für einen Geschäftsführer, der in Anspruch genommen werden soll und zugleich Gesellschafter ist. Es kann von einem Gesellschafter nicht erwartet werden, dass er einen Prozessvertreter auswählt, der gegen ihn die Interessen der Gesellschaft besonders nachdrücklich vertritt. So GmbH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 31/91, BGHZ 116, 353 ff. = ZIP 1992, 171, dazu EWiR 1992, 571 (Zimmermann), dazu EWiR 1992, 571 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 ff. = ZIP 1986, 429, dazu EWiR 1986, 371 (Hommelhoff).
3. Passivlegitimation 171 Der Anspruch richtet sich gegen das Organ, also den Vorstand oder Geschäftsführer, sowie gegen die Mitglieder des Aufsichtsrates. a) Aktiengesellschaft 172 Anspruchsgegner sind die Mitglieder des Vorstands sowie gegebenenfalls des Aufsichtsrates. aa) Vorstand 173 Gemäß § 77 Abs. 1 AktG gilt bei der Aktiengesellschaft mit einem mehrgliedrigen Vorstand der Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung. So Hüffer, AktG, § 77 Rn. 6.
174 Abweichende Regelungen können gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG durch Satzung oder Geschäftsordnung bestimmt werden, sodass das gesetzliche Modell der Gesamtgeschäftsführung durch eine flexiblere Lösung ersetzt wird. So Hüffer, AktG, § 77 Rn. 9.
175 Hinsichtlich der Gestaltung besteht ein weitgehender Spielraum. Es bleibt jedoch bei der allgemeinen Aufsichtspflicht jedes Vorstandsmitglieds zur Selbstkontrolle. So Hüffer, AktG, § 77 Rn. 15.
38
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
Im Falle einer wirksam geregelten Geschäftsverteilung wandelt sich die 176 Pflicht des einzelnen Vorstandsmitglieds zur Leitung der Gesellschaft in eine allgemeine Aufsichtspflicht. So Hüffer, AktG, § 93 Rn. 13a.
Bei mehreren Vorstandsmitgliedern besteht ungeachtet von internen Zuständig- 177 keitsverteilungen oder Delegationen auf andere Personen die Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Pflichten der Gesellschaft. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 10, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 ff. = NZI 2001, 194 ff. = NJW 2001, 469 ff.; BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 ff. = ZIP 1996, 2017, dazu EWiR 1997, 37 (Schneider).
Dem nicht betroffenen Mitglied des Organs verbleiben kraft seiner Allzu- 178 ständigkeit gewisse Überwachungspflichten, die ihn zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch das zuständige Mitglied des Organs nicht mehr gewährleistet ist. So BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 370 ff. = ZIP 1996, 2071 ff. Rn. 20, dazu EWiR 1997, 37 (Schneider); BGH, Urt. v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, NJW 1990, 2560 ff. = ZIP 1990, 1413 ff., dazu EWiR 1990, 1017 (Marxen); BGH, Urt. v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, NJW-RR 1986, 1293 f. = ZIP 1987, 1050, dazu EWiR 1986, 587 (Weipert).
bb) Faktischer Vorstand Streitig ist, ob auch die faktische Tätigkeit als Vorstandsmitglied ohne Be- 179 stellungsakt zur Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG führen kann. Bejahend: Fleischer, Zur aktienrechtlichen Verantwortlichkeit faktischer Organe, AG 2004, 517, 512, 523 ff.; ablehnend: Hüffer, AktG, § 93 Rn. 12.
Nach zutreffender Auffassung sind die Grundsätze der faktischen Geschäfts- 180 führung sowohl bei der GmbH als auch bei der Aktiengesellschaft anwendbar. Als „faktischer Vorstand“ einer AG kann angesehen werden, wer ohne förmlich dazu bestellt oder im Handelsregister eingetragen zu sein, im Einverständnis der Gesellschafter die Stellung des Vorstands tatsächlich einnimmt. So BGH, Urt. v. 28.6.1966 – I StR 414/65, BGHSt 21, 101 ff. = NJW 1966, 2225 Rn. 23; BGH, Urt. v. 10.6.1958 – 5 StR 190/58, GmbHR 1958, 179; BGH, Urt. v. 20.1.1955 – 4 StR 492/54, BGHSt 7, 157 ff.; BGH, Urt. v. 5.10.1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314 ff. = NJW 1954, 1854 ff.; Graf-Schlicker/Bremen, InsO, § 15a Rn. 5; Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 326 ff.; Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 406 ff.; Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, Der Aufsichtsrat im System der Corporate Governance, S. 163, 168 f.
39
B. Innenhaftung
181 Für die Beurteilung der Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt und als Konsequenz seines Verhaltens sich wie ein nach dem Gesetz bestelltes Organmitglied zu verantworten hat, ist auf das Erscheinungsbild seines Auftretens abzustellen. Es ist für die zivilrechtliche Haftung, anders als für die strafrechtliche Verantwortlichkeit, nicht erforderlich, dass der Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt. Es reicht aus, wenn der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat. So BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550 ff. = ZVI 2006, 48 f., dazu EWiR 2005, 731 (Bork); BGH, Urt. v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1114 f. = NZG 2005, 755 f.
182 Für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist es erforderlich, dass das faktische Organ mit Einverständnis der Gesellschafter das Amt ohne förmliche Bestellung faktisch übernommen hat, es tatsächlich ausübt und gegenüber dem formellen Geschäftsführer eine überragende Stellung einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat. So BGH, Urt. v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14 und 4 StR 324/14, ZIP 2015, 218 f. = NJW 2015, 712 f. Rn. 3 = NZI 2015, 186 f. mit Anm. Floeth; BGH, Urt. v. 13.12.2012 – 5 StR 407/12, ZIP 2013, 313 ff. = NZG 2013, 239 f. Rn. 7; BGH, Urt. v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62 ff. = ZIP 2000, 1390 Rn. 11.
183 Die Ermittlung, ob eine Person faktisches Organ ist, erfolgt nach Indizien. Es wird angenommen, dass die Stellung dann als überragend angesehen werden kann, wenn die Person von den acht klassischen Merkmalen im Kernbereich der Geschäftsführung, und zwar x
Bestimmung der Unternehmenspolitik,
x
Unternehmensorganisation,
x
Einstellung von Mitarbeitern,
x
Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern,
x
Verhandlungen mit Kreditgebern,
x
Gehaltshöhe,
x
Entscheidung der Steuerangelegenheiten und
x
Steuerung der Buchhaltung
mindestens sechs erfüllt. Vgl. BGH, Urt. v. 10.7.1996 – 3 StR 50/96, NJW 1997, 66 ff. = wistra 1996, 344 ff.; BayObLG, Urt. v. 20.2.1997 – 5 St RR 159/96, 1936 f.; LG Augsburg, Beschl. v. 15.1.2014 – 2 Qs 1002/ 14, ZInsO 2014, 2579, 2580; Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156;
40
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 326 f.; Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, S. 163, 168 f.
cc) Aufsichtsrat Die Mitglieder des Aufsichtsrates haften zunächst für ihre eigenen Pflicht- 184 verletzungen. Gemäß § 111 Abs. 1 AktG hat der Aufsichtsrat die Geschäftsführung zu überwachen. Dabei scheidet eine Kontrolle jedweder Maßnahme des Vorstands aus. Vielmehr geht es um die Überwachung der Leitungsmaßnahmen des Vorstands. So Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 111 Rn. 3.
Einzelne Mitglieder des Aufsichtsrates können allerdings in die Pflichtenstel- 185 lung des Vorstands einrücken, wenn sie aufgrund ihres Verhaltens zum faktischen Vorstand werden. Hier ist auf die vorstehend ermittelten Kriterien abzustellen. Mischen sich Mitglieder des Aufsichtsrates soweit in die Geschäftsführung 186 der Gesellschaft ein, dass eine Gesamtwürdigung den Rückschluss darauf erlaubt, dass sie die Führung der Geschäfte an sich gezogen haben, sind sie als faktische Vorstände mit den daraus folgenden zivil- und strafrechtlichen Folgen anzusehen. So Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, Aufsichtsratstätigkeit in der Unternehmenskrise, S. 163, 169.
b) GmbH aa) Geschäftsführer Bei der GmbH gilt grundsätzlich gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 GmbHG der 187 Grundsatz der Gesamtvertretung, es sei denn, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt. Somit haften bei Pflichtverletzungen mehrere Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft als Gesamtschuldner. So BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 ff. = ZIP 2012, 1071, dazu EWiR 2012, 415 (Paefgen, W./Dettke); BGH, Urt. v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117 Rn. 3; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 295.
Ebenso wie bei der Aktiengesellschaft gilt auch bei der GmbH der Grund- 188 satz der Allzuständigkeit. Dieser Grundsatz sowie die gemeinsame Verantwortung der Geschäftsführer bewirken, dass sich keiner darauf zurückziehen kann, seine Tätigkeit auf sein Ressort zu reduzieren. Jedem Geschäftsführer obliegt aufgrund der Generalverantwortlichkeit eine Überwachungspflicht hinsichtlich der weiteren Geschäftsführer. So BGH, Urt. v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050 ff. = NJW-RR 1986, 1293 f.
41
B. Innenhaftung
189 Die Haftung gemäß § 43 GmbHG ist nicht auf den im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf den faktischen Geschäftsführer. So BGH, Urt. v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 ff. = ZIP 2001, 1458, dazu EWiR 2001, 917 (Keil); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 80; Schmittmann/Himmelskamp, StuB 2006, 326 ff.
190 In das Handelsregister kann lediglich eine natürliche Person als Geschäftsführer eingetragen werden, da eine juristische Person nicht Geschäftsführer sein kann. Daher scheidet auch eine faktische Geschäftsführung durch eine juristische Person aus. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 85.
191 Es kommen aber als faktische Geschäftsführer organschaftliche Vertreter anderer juristischer Personen in Betracht. So Strohn, DB 2011, 158, 163; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 86; a. A. Fleischer, GmbHR 2011, 337, 343; Fleischer/Schmolke, WM 2011, 1009, 1012.
192 Neben der beherrschenden Stellung ist es auch erforderlich, dass das faktische Organ ein Handeln mit Außenwirkung vornimmt. So BGH, Urt. v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14 und 4 StR 324/14, ZIP 2015, 218 f. = NJW 2015, 712 f. Rn. 3 = NZI 2015, 186 f. mit Anm. Floeth; BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZR 104/07, ZIP 2008, 1329 ff. Rn. 4, dazu EWiR 2008, 681 (Blaschke); BGH, Beschl. v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, ZIP 2008, 1026 ff. Rn. 5, dazu EWiR 2009, 237 (Kleinschmidt, Andreas/Lau).
bb) Aufsichtsrat 193 Bei der GmbH kann die Existenz eines Aufsichtsrates aufgrund mitbestimmungsrechtlicher Regelungen (Mitbestimmungsgesetz 1976, Drittelbeteiligungsgesetz und Montan-Mitbestimmungsgesetz) oder einer Regelung im Gesellschaftsvertrag beruhen. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 36.
194 Ist nach dem Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bestellen, so verweist § 52 Abs. 1 GmbHG im Wesentlichen auf die Vorschriften des Aktiengesetzes. 195 Die Mitglieder des Aufsichtsrates haften nicht für Verletzungen der Geschäftsführer, aber für die Verletzung von eigenen Beratungs- und Überwachungspflichten. Diese können auch darin liegen, dass der Geschäftsführer aufgrund mangelnder Überwachung Gelegenheit hatte, Pflichtverletzungen zu begehen. So haften die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrates einer GmbH bei Verletzung ihrer Überwachungspflicht hinsichtlich der Beachtung des Zahlungsverbotes aus § 64 Satz 1 GmbHG, wenn die Gesellschaft
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III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
durch die regelwidrigen Zahlungen in ihrem Vermögen i. S. d. §§ 249 ff. BGB geschädigt worden ist. So BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 ff. = NZI 2010, 913 ff. = NZG 2010, 1186 ff.; Rn. 11 = ZIP 2010, 1988 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1973), dazu EWiR 2010, 713 (Vetter); vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 2010, 1319 ff.
Im Rahmen der Überwachung der Tätigkeit des Geschäftsführungsorgans 196 und der Kontrolle seiner Handlungen, hat der Aufsichtsrat auch die Pflicht, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführungsorgan zu prüfen. Kommt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass sich der Vorstand schadensersatzpflichtig gemacht hat, muss er aufgrund einer sorgfältigen und sachgerecht durchzuführenden Risikoanalyse abschätzen, ob und in welchem Umfang die gerichtliche Geltendmachung zu einem Ausgleich des entstandenen Schadens führt, ohne dass Gewissheit, dass die Klage zum Erfolg führen wird, erforderlich ist. So BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 ff. = ZIP 1997, 883, dazu EWiR 1997, 677 (Priester).
4. Pflichtverletzung Die in Betracht kommenden Pflichtverletzungen können im laufenden Ge- 197 schäftsbetrieb (siehe Rn 198 ff.), in der Krise (siehe Rn. 268 ff.) oder bei Insolvenzreife (siehe Rn. 287 ff.) begangen werden. a) Pflichtverletzung im laufenden Geschäftsbetrieb Schon während des laufenden Geschäftsbetriebs kann es zu Pflichtverletzungen 198 kommen. aa) Aktiengesellschaft Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG kann der Aufsichtsrat die Bestellung zum 199 Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei der Gesellschaft.
200
So BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 674 ff. = NZG 2007, 396 ff. Rn. 11; Hüffer, AktG, § 84 Rn. 27.
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B. Innenhaftung
201 In der Rechtsprechung wurden in der Vergangenheit folgende Fälle als grobe Pflichtverletzungen angesehen, die zu einer Abberufung des Vorstands berechtigen: x
Schädigung des Ansehens der Aktiengesellschaft durch anrüchige Spekulationsgeschäfte. So BGH, Urt. v. 25.1.1956 – VI ZR 175/54, WM 1956, 865.
x
Mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat. So BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239 ff. = NJW 1956, 906 ff.
x
Aneignung von Gesellschaftsvermögen. So BGH, Urt. v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29 f.; OLG Stuttgart, Urt. v. 13.März 2002- 20 U 59/01, AG 2003, 211, 213.
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Entgegennahme von Schmiergeldern in Form sog. „Kick-Backs“. So OLG München, Urt. v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06, AG 2007, 361, 363.
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Vermögensverfall des Vorstandsmitglieds, insbesondere Abgabe der Vermögensauskunft oder Insolvenz. So OLG Hamm, Urt. v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119.
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Fälschung von Belegen. So OLG Hamm, Urt. v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119.
202 Darüber hinaus unterliegen Vorstandsmitglieder gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 AktG einem Wettbewerbsverbot dahin, dass sie ohne Einwilligung des Aufsichtsrates weder ein Handelsgewerbe betreiben noch im Geschäftszweig der Gesellschaft für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen dürfen. Verstößt ein Vorstandsmitglied gegen dieses Verbot, so kann die Gesellschaft gemäß § 88 Abs. 2 Satz 1 AktG Schadensersatz fordern. 203 Gemäß § 91 Abs. 1 AktG hat der Vorstand dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Handelsbücher geführt werden. Die Buchführungspflicht der Aktiengesellschaft folgt aus § 238 Abs. 1 HGB i. V. m. §§ 3 Abs. 1 und Abs. 6 HGB und bezweckt den Gläubigerschutz durch Selbstkontrolle sowie Dokumentation der Geschäftsvorfälle. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Pflicht. Im Außenverhältnis trägt der Vorstand die Buchführungsverantwortung. Im Innenverhältnis ist er verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. So Hüffer, AktG, § 91 Rn. 2.
204 Darüber hinaus hat der Vorstand gemäß § 91 Abs. 2 AktG geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, 44
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Die Regelung des § 91 Abs. 2 AktG ist durch Art. 1 Nr. 9 KonTraG vom 27. 205 April 1998 (BGBl. I 1998 S. 786) geschaffen worden. Die Regelung verpflichtet nicht nur zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen, sondern auch zur Einrichtung eines Überwachungssystems. Damit trifft den Vorstand eine Bestandssicherungsverantwortung. So Hüffer, AktG, § 91 Rn. 4.
Auf der ersten Stufe besteht eine Verpflichtung, die Früherkennung bestands- 206 gefährdender Entwicklungen durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten. Hierbei kann es sich um die Aufnahme risikobehafteter Geschäfte (Derivatehandel, Termingeschäfte), Verstöße gegen Vorschriften der Rechnungslegung oder gegen sonstige gesetzliche Vorschriften handeln. Eine Bestandsgefährdung liegt vor, wenn sich nachteilige Veränderungen auf Vermögens-, Ertrags- oder Finanzlage der AG wesentlich auswirken können. So Regierungsbegründung KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; Hüffer, AktG, § 91 Rn. 6.
Die vorstehend umschriebenen Entwicklungen müssen früh erkannt werden. 207 Dies ist dann der Fall, wenn sie dem Vorstand so rechtzeitig bekannt werden, dass ihnen noch so beizeiten entgegengewirkt werden kann, dass sie keine bestandsgefährdenden Ausmaße annehmen. So Regierungsbegründung KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; Hüffer, AktG, § 91 Rn. 7.
Auf der zweiten Stufe ist ein Überwachungssystem einzurichten. Dabei sind 208 nicht die risikoträchtigen Entwicklungen zu überwachen, sondern die Einhaltung der eingeleiteten Maßnahmen. Damit ist insbesondere die unternehmensinterne Kontrolle, ob das Veranlasste auch geschieht, namentlich ob in Revision und Controlling die von ihnen gewonnenen Kenntnisse zeitnah dem Vorstand weiter vermittelt werden, gemeint. So Hüffer, AktG, § 91 Rn. 8.
Gemäß § 92 AktG ergeben sich bei Verlust in Höhe der Hälfte des Grund- 209 kapitals, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit weitere Pflichten, die gesondert unter Rn. 287 ff. behandelt werden. bb) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung existiert eine breite Kasuistik 210 von Pflichtverletzungen bei laufendem Geschäftsbetrieb. Vgl. Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 22 ff.; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 28 ff.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 116 ff.
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B. Innenhaftung
211 Im Folgenden werden lediglich exemplarisch einige für die Praxis bedeutsame Einzelfälle herausgestellt: 212 Maßstab für ein richtiges Verhalten des GmbH-Geschäftsführers sind sämtliche Gebote, die ihm vom GmbHG oder anderen Gesetzen auferlegt werden, wobei der Geschäftsführer beim Treffen unternehmerischer Entscheidungen zwangsläufig Risiken eingeht. Unternehmerisches Handeln ist grundsätzlich mit Risiken verbunden. Einem Geschäftsführer ist das Eingehen von Risiken nicht schlechthin verwehrt, was inzwischen auch in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Niederschlag gefunden hat, wonach eine Pflichtverletzung nicht vorliegt, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (vgl. Rn. 150). Dieser Gedanke dürfte auch im GmbH-Recht anwendbar sein. Vgl. Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 22; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 125; Fleischer, ZIP 2004, 685, 692; Hauschka, GmbHR 2007, 11, 12.
213 Die Sorgfaltspflichten bei Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften stimmen überein. So BGH, Urt. v. 6.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 281 ff. = ZIP 2002, 2314 ff. = NJW 2003, 358 ff. Rn. 6 f., dazu EWiR 2003, 225 (Sommer).
214 Ob eine Entscheidung pflichtwidrig ist oder nicht, ist nicht lediglich eine Frage der Erreichung des Erfolges. Bei unternehmerischen Entscheidungen liegt nicht allein deswegen Pflichtwidrigkeit vor, weil der erstrebte Erfolg nicht eingetreten ist. Der Anspruchsgegner ist bereits dann entlastet, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. So BGH, Urt. v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 ff. = NZG 2011, 549 ff. Rn. 19; BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, ZIP 2009, 223 f. = NZG 2009, 117 f.; BGH, Beschl. v. 18.6.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 ff. = NZG 2008, 751 ff.
215 Eine Enthaftung des Geschäftsführers kommt nur in Betracht, wenn er in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpft und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoption sorgfältig abschätzt und den erkennbaren Risiken Rechnung trägt. So BGH, Urt. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 ff. = NZG 2008, 751 ff. Rn. 11.
216 Der Geschäftsführer ist zu einem rechtmäßigen Verhalten nach außen verpflichtet. Er handelt in jedem Falle pflichtwidrig, wenn er für die GmbH
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III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
Verpflichtungen gegenüber Dritten eingeht, von denen von vornherein feststeht, dass die Gesellschaft sie nicht wird erfüllen können. So BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 ff. = NJW 2008, 2437 ff. Rn. 28 = ZIP 2008, 1232 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1201), dazu EWiR 2008, 493 (Bruns).
Die Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die den Geschäfts- 217 führern einer GmbH bzw. den Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft aufgrund ihrer Organstellung obliegen, umfassen auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (sog. „Legalitätspflicht“). So BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, NJW 2012, 3439 ff. Rn. 22 = ZIP 2012, 1552 ff., dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen, W./ Causevic); BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 ff. = ZIP 2008, 1232 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1201), dazu EWiR 2008, 493 (Bruns); BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 ff. = ZIP 1996, 2017 ff., dazu EWiR 1997, 37 (Schneider).
Der Geschäftsführer hat grundsätzlich den Unternehmensgegenstand zu be- 218 achten. Er ist zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er Geschäfte abschließt, die durch den Unternehmensgegenstand nicht gedeckt und der Gesellschaft nachteilig sind. Der Unternehmensgegenstand darf allerdings nicht nur über, sondern auch nicht unterschritten werden. Will sich der Geschäftsführer von einem in der Satzung vorgesehenen Geschäftsfeld trennen, so hat er dazu die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen. Umgekehrt ist es dem Geschäftsführer nicht gestattet, die unternehmerische Tätigkeit der GmbH auf Bereiche auszudehnen, die durch den Unternehmensgegenstand, wie er in der Satzung niedergelegt ist, nicht gedeckt sind. Vgl. Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 28; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 140; BGH, Urt. v. 5.11.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 ff. = NJW 1993, 57 ff. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen).
Gesetz und Satzung bilden lediglich den rechtlichen Rahmen für das Handeln 219 der Unternehmensleitung. Für den Erfolg unternehmerischen Handelns, also die Umsetzung der unternehmerischen Ziele, sind jedoch regelmäßig wirtschaftswissenschaftliche und praktische Bedingungen bestimmend. Daraus folgt, dass für die ordnungsgemäße Leitung eines Unternehmens sowohl Rechtmäßigkeits- als auch Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte maßgeblich sind. So OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, AG 1996, 773 ff. = ZIP 1996, 1083 ff., dazu EWiR 1996, 555 (Bork).
Aus dieser Legalitätspflicht folgt die Pflicht zur Compliance, die auch als 220 „Kind der Legalitätspflicht“ bezeichnet wird, und die Pflicht, Gesetzesverstöße von Unternehmensangehörigen bereits im Vorfeld durch Schutzvorkehrungen zu verhindern. Die Compliance-Pflicht ist ein Unterfall der Lega-
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B. Innenhaftung
litätspflicht, zumal der Geschäftsführer zu einer internen Überwachung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Mitarbeiter verpflichtet ist. Vgl. Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 143; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 145.
221 Eine unmittelbare oder mittelbare Anwendung des „Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK)“ der Regierungskommission DCGK zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften (vgl. § 161 AktG) kommt für die GmbH nicht in Betracht, da der DCGK auf börsennotierte Gesellschaften ausgerichtet ist. Vgl. Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 147.
222 Hinsichtlich des Risikomanagements ist in § 91 Abs. 2 AktG ausdrücklich geregelt, dass der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten hat, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs hat die in das Aktiengesetz implementierte Regelung ausdrücklich Ausstrahlungswirkung auf Gesellschaften anderer Rechtsform, insbesondere der GmbH. Bei einer größeren GmbH ist daher ebenso wie bei der AG ein Frühwarnsystem mit einem Risikomanagement zu installieren. Vgl. BR-Drucks. 892/97, S. 37; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 152.
223 In kleinen, gut überschaubaren Unternehmen mit geringer Risikoexposition soll es nach Auffassung von Fleischer eines institutionalisierten Risikofrüherkennungssystems nicht bedürfen. Gleichwohl ändert dies nichts daran, dass der Geschäftsführer ein Minimum an Beobachtungspflichten zur Krisenfrüherkennung zu erfüllen hat. So Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 61.
224 Ein Geschäftsführer ist verpflichtet, Vertragsangebote zu kalkulieren. Werden die Angebote von Mitarbeitern erstellt, hat der Geschäftsführer, bevor das Angebot verbindlich wird, wenigstens überschlägig anhand der Unterlagen zu überprüfen, ob die Kalkulation richtig sein kann. So BGH, Urt. v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, NJW 1972, 154 f. = DB 1971, 2353 f.
225 Eine Pflichtverletzung begeht auch ein Geschäftsführer, der an ein unbekanntes Unternehmen Waren auf Kredit verkauft, ohne die Verhältnisse und geschäftlichen Möglichkeiten dieses Unternehmens zu prüfen und sich ausreichende Sicherheiten geben zu lassen. So BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, GmbHR 1981, 191 f.
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III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
Sofern sich aus Unterlagen eines beauftragten Wirtschaftsprüfers bzw. Hin- 226 weisen des Betriebsrates ergibt, dass die Voraussetzungen für die Beanspruchung von Kurzarbeitergeld vorliegen, hat der Geschäftsführer dieses zu beantragen. So BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 281 ff. = ZIP 2002, 2314 ff. = NZG 2003, 81 ff. Rn. 11 ff., dazu EWiR 2003, 225 (Schimmer).
Die Erbringung von Anzahlungen durch einen Geschäftsführer an eine im 227 Gründungsstadium befindliche GmbH auf einen PKW-Verkauf, ohne die Anzahlungen durch Aval- oder Vertragserfüllungsbürgschaften abzusichern, entspricht nicht den Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsmannes. So OLG Koblenz, Urt. v. 23.12.2014 – 3 U 1544/13, ZIP 2015, 224 f. (LS) = ZInsO 2015, 262 ff. = NJW-Spezial 2015, 80 f. (n. rkr.).
Eine Pflichtverletzung ist gegeben, wenn der Geschäftsführer mit einem Be- 228 rater einen Vertrag über Beratungsleistungen abschließt und die in Rechnung gestellten Honorare bezahlt, obwohl er hätte erkennen müssen, dass der Berater persönlich über keine ausreichende Qualifikation verfügt und die abgerechneten Leistungen für die Gesellschaft unbrauchbar gewesen seien. Die Lebenserfahrung lehrt, dass ein Rechtsreferendar im Vorbereitungsdienst in der Regel nicht über Kenntnisse der Betriebswirtschaft mit den besonderen Fachrichtungen „Marketing und Vertrieb“ verfügt, die ihn befähigen, zu einem nicht unerheblichen Honorarsatz eine fachlich-qualifizierte, entgeltliche Unternehmensberatung anzubieten und durchzuführen. So BGH, Urt. v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, ZIP 1997, 199 ff. = NJW 1997, 741 f. Rn. 9, dazu EWiR 1997, 303 (Zimmermann).
Im Rahmen seiner Treuepflicht obliegt es dem Geschäftsführer grundsätz- 229 lich, keine persönlichen Vorteile für sich – über die vereinbarte Vergütung hinaus – zu ziehen. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 156.
Eine Pflichtverletzung liegt nicht nur dann vor, wenn der Geschäftsführer 230 unmittelbar „in die Kasse greift“, sondern auch dann, wenn er darauf hinwirkt, dass eine ihm nach dem Anstellungsvertrag nicht zustehende Vergütung von der Gesellschaft angewiesen wird. Auszahlungen von Gehalt an Geschäftsführer haben im Rahmen des geschlossenen Geschäftsführerdienstvertrages zu erfolgen. Eine Vergütung über die Festlegung im schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag hinaus kommt nur in Betracht, wenn dieser Vertrag wirksam abgeändert worden ist. Dies obliegt der Entscheidung der Gesellschafterversammlung. So BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117 ff. = NZG 2008, 1004 f.
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B. Innenhaftung
231 Ein Geschäftsführer darf auch ohne ausdrückliches Verbot im Geschäftsbereich seiner Gesellschaft für eigene Rechnung keine Geschäfte machen und insbesondere auch keine Arbeitnehmer der Gesellschaft unentgeltlich für private Arbeiten heranziehen. So BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, NJW 1976, 797 = DB 1976, 249 f.
232 Ein Geschäftsführer ist zwar grundsätzlich verpflichtet, sog. „Baugeld“ i. S. d. Gesetzes über die Sicherung von Bauforderungen (Bauforderungssicherungsgesetz) nicht pflichtwidrig zu verwenden (vgl. dazu auch Rn. 557 ff.). Wird Baugeld von dem Geschäftsführer einer GmbH allerdings nicht zur Bezahlung der Bauhandwerker, sondern „für baufremde Ausgaben“ – also für andere Gesellschaftszwecke – eingesetzt, so entsteht dadurch zwar möglicherweise dem Bauunternehmen, nicht aber ohne Weiteres auch der Gesellschaft ein Schaden. So BGH, Urt. v. 21.3.1994 – II ZR 260/92, ZIP 1994, 872 ff. = NJW-RR 1994, 806.
233 Die Vergabe von Spenden stellt im Ausgangspunkt aufgrund Sozialadäquanz eine Geschäftsführungsmaßnahme dar, soweit sich die Spende im Rahmen des Angemessenen bewegt. Anhaltspunkte für die Angemessenheit sind neben der Ertragslage der Gesellschaft auch die Verkehrsüblichkeit der Spende und die Nähe des unterstützten Zwecks zum Unternehmensgegenstand. So Fleischer in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 105.
234 Nach anderer Auffassung muss der Geschäftsführer – außer bei Bagatellzuwendungen – die Einwilligung der Gesellschafter einholen. Dies soll zumindest dann gelten, wenn er nicht einer seit Längerem geübten Praxis der Spendenvergabe folgt. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 159; Kind, NZG 2000, 567, 573.
235 Jede Spende, also auch die alltägliche und im Rahmen einer seit Längerem geübten Praxis liegende Spende mindert notwendigerweise den Gewinn, sodass es zweckmäßig sein dürfte, hinreichend konkrete Regelungen im Rahmen der Geschäftsordnung festzusetzen, innerhalb derer der Geschäftsführer ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung Spenden veranlassen darf. Geht die Spende über diesen Rahmen hinaus, so ist in jedem Falle die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen. 236 Eine klare Regelung liegt nicht nur im Interesse der Gesellschaft, sondern auch im Interesse des Organs. Das Organ hat gegebenenfalls auch mit strafrechtlichen Vorwürfen zu rechnen, wenn aus dem Vermögen einer Gesellschaft Zuwendungen zur Förderung von Kunst, Wissenschaft, Sozialwesen oder Sport gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt eine Strafbarkeit wegen Untreue i. S. v. § 266 StGB in Betracht, wenn eine gravie-
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III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
rende gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung vorliegt, die aufgrund einer Gesamtschau der gesellschaftsrechtlichen Kriterien zu bestimmen ist. Dabei sind bedeutsam: fehlende Nähe zum Unternehmensgegenstand, Unangemessenheit im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage, fehlende innerbetriebliche Transparenz sowie Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich Verfolgung rein persönlicher Präferenzen. So BGH, Urt. v. 6.12.2001 – I StR 215/01, BGHSt 47, 181 ff. = NZG 2002, 471 ff., dazu EWiR 2002, 305 (Wessing).
Während Spenden altruistischer Natur sind, also eine Gegenleistung durch 237 den Empfänger nicht erfolgt, handelt es sich beim Sponsoring, jedenfalls soweit es sich um einen angemessenen Leistungsaustausch handelt, um einen Vertrag mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. Auch der Abschluss eines Sponsoringvertrages kann eine Pflichtverletzung sein, z. B. weil die ausgetauschten Leistungen zum Nachteil der Gesellschaft unangemessen sind. Wird nach außen hin ein Sponsoringvertrag abgeschlossen, handelt es sich al- 238 lerdings aufgrund des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung um eine verschleierte Spende; so liegt in jedem Falle eine Pflichtverletzung vor. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gegebenenfalls die von der GmbH erbrachte Leistung im Falle ihrer späteren Insolvenz gemäß § 134 InsO angefochten werden kann. Eine – auch strafrechtlich relevante – Pflichtverletzung liegt vor, wenn Ver- 239 mögensbestandteile mittels fingierter Geschäftsvorfälle und inhaltlich unrichtiger Buchungsvorgänge aus der Buchhaltung des Unternehmens ausgesondert und in eine im Ausland verdeckt geführte Kasse transferiert werden. Die Einrichtung und Unterhaltung einer „Kriegskasse“ im Ausland verletzt die Pflichten des Organs, da durch Auslassen tatsächlicher und Hinzufügen fingierter Vorfälle in den Geschäftsbüchern nicht nur das Finanzamt getäuscht wird, sondern auch Gesellschafterrechte missachtet werden. So BGH, Urt. v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, BGHSt 55, 266 ff. = ZIP 2010, 1892 ff. = NZG 2010, 1190 ff., dazu EWiR 2010, 797 (Wessing).
Eine Strafbarkeit gemäß § 266 Abs. 1 StGB ist bereits dann gegeben, wenn 240 erhebliche Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens entzogen und vorenthalten werden. Auf die Absicht, dass Geld im wirtschaftlichen Interesse des Treugebers zu verwenden, kommt es dabei nicht an. So BGH, Urt. v. 29.8.2008 – 2 StR 587/07, BGHSt 52, 323 ff. = ZIP 2008, 2315 (m. Bespr. Sünner, ZIP 2009, 937), dazu EWiR 2009, 253 (Marxen/Taschner).
Gegen eine Pflichtverletzung spricht nicht, dass der Geschäftsführer auf 241 Weisung der Gesellschafter gehandelt hat. Ein den Treubruchtatbestand ausschließendes Einverständnis der Mehrheit der Gesellschafter kommt ledig-
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B. Innenhaftung
lich dann als Enthaftungsgrund in Betracht, wenn auch die Minderheitsgesellschafter mit der Frage der Billigung der Pflichtwidrigkeit befasst waren. So BGH, Urt. v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, BGHSt 55, 266 ff. = ZIP 2010, 1892 ff. = NJW 2010, 3458 ff. Rn. 36.
242 Nach außen hin ist der Geschäftsführer grundsätzlich uneingeschränkt zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Im Innenverhältnis kann allerdings vereinbart sein, dass der Geschäftsführer für bestimmte, im Gesellschaftsvertrag oder seinem Anstellungsvertrag genannte Geschäfte die Zustimmung der Gesellschafter einholen muss. Ein Verstoß gegen eine solche Regelung stellt sich als Pflichtverletzung dar. So BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZR 67/07, ZIP 2008, 1431 (LS) = NZG 2008, 622 f. = DStR 2008, 1599 ff.
243 Der Geschäftsführer einer GmbH darf seine eigenen wirtschaftlichen Vorteile nicht verfolgen, sondern hat bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben nur das Wohl des Unternehmens im Auge zu haben, sodass er z. B. bei der Aussicht, für eine mit der Erstellung von Wohnraum befasste gemeinnützige Gesellschaft von ihr benötigte Grundstücke zu erwerben, alles zu unterlassen hat, was einen solchen Erwerb verhindert. So BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, ZIP 1989, 1390 (m. Bespr. Fleck, ZIP 1991, 1269) = NJW-RR 1989, 1255 ff., dazu EWiR 1989, 779 (Gravenhorst).
244 Für das Vorliegen einer Pflichtverletzung ist es irrelevant, ob der Geschäftsführer die Kenntnis von einer Geschäftschance privat oder im Rahmen seiner Geschäftsführertätigkeit erhalten hat. So BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84 = NJW 1986, 585 f. = ZIP 1985, 1484 f., dazu EWiR 1985, 991 (Koch).
245 Zwar ist ein Geschäftsführer rechtlich nicht gehindert, sein Dienstverhältnis zu kündigen und sich einen anderen beruflichen Wirkungskreis zu suchen; dabei darf er aber diesen Wechsel nicht unter Mitnahme einer Geschäftschance vollziehen, den auch die GmbH nutzen könnte. So BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, ZIP 1985, 1484 ff. = NJW 1986, 585 ff., dazu EWiR 1985, 991 (Koch).
246 Eine Pflichtverletzung scheidet aus, wenn die Gesellschafterversammlung die Zustimmung zu dem Eigengeschäft des Geschäftsführers erklärt hat. So BGH, Urt. v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, ZIP 1989, 986 ff. = NJW 1989, 2687 ff., dazu EWiR 1989, 695 (Bergmann).
247 Während im Zeitraum der Stellung als Geschäftsführer ein Wettbewerbsverbot bereits kraft Gesetzes besteht, unterliegt der Geschäftsführer nach Ablauf der Amtszeit nur dann einem Wettbewerbsverbot, wenn dies vertraglich vereinbart und rechtsgültig war. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 191 f.
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III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nur gültig, wenn es zeitlich, 248 örtlich und gegenständlich angemessen begrenzt ist, ohne dass auf den Geschäftsführer einer GmbH die an dem arbeitsrechtlichen Schutz von Handlungsgehilfen orientierten Vorschriften der §§ 74 ff. HGB anwendbar sind. So BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719 ff. = NZG 2008, 753 = DStR 2008, 1842 f.; BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 11/07, ZIP 2008, 1379 ff. = NZG 2008, 664 f. = DStR 2008, 1394 f.; BGH, Urt. v. 4.3.2002 – II ZR 77/00, ZIP 2002, 709 f. = NJW 2002, 1875 ff., dazu EWiR 2002, 521 (Freiherr v. Hoyningen-Huene).
Zu berücksichtigen ist die verfassungsmäßig durch Artt. 2, 12 GG geschützte 249 Freiheit auf Berufsausübung, die durch die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes nicht unangemessen eingeschränkt werden darf. So BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1 = ZIP 1984, 954 ff.
Ein über einen Zeitraum von zwei Jahren hinausgehendes Wettbewerbsver- 250 bot überschreitet das in zeitlicher Hinsicht notwendige Maß. Sofern vertraglich ein fünfjähriges Wettbewerbsverbot vereinbart war, kann die Geltungsdauer auf den zulässigen Rahmen von zwei Jahren reduziert werden. So BGH, Urt. v. 29.9.2003 – II ZR 59/02, ZIP 2003, 2251 ff. = NZG 2004, 35 f. = AnwBl. 2004, 186 f. (Steuerberater/Wirtschaftsprüfer).
Ist das Wettbewerbsverbot allerdings räumlich, gegenständlich und zeitlich 251 nicht angemessen, kommt eine Reduktion gemäß § 139 BGB nicht in Betracht. Vielmehr ist das Wettbewerbsverbot insgesamt nichtig. So BGH, Urt. v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089 ff. = MDR 1997, 953 ff. (Tierarzt).
Der Geschäftsführer ist in seiner privaten Lebensgestaltung frei, sodass z. B. 252 keine Verpflichtung besteht, gefährliche Sportarten zu meiden oder eine gesundheitsgefährdende Lebensführung zu ändern. Freilich kommt eine außerordentliche Kündigung wegen Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch ebenso in Betracht wie die Aufforderung an den Geschäftsführer, im Falle von konkreten Zweifeln an seiner Diensttauglichkeit oder Leistungsfähigkeit, eine ärztliche Untersuchung zu verlangen. So Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 168.
Hat ein Geschäftsführer eine Geschäftschance der Gesellschaft nicht genutzt 253 und wird ihm daher eine Pflichtverletzung vorgeworfen, so kann er sich nicht damit exkulpieren, die Gesellschaft sei wegen fehlender Finanzmittel gar nicht in der Lage gewesen, die Geschäftschance selbst wahrzunehmen. Darüber hinaus liegt in vielen Fällen lediglich eine Schutzbehauptung vor. Sollte tatsächlich eine Realisierung der Geschäftschance durch die Gesell53
B. Innenhaftung
schaft wegen eines Liquiditätsmangels nicht möglich sein, so ist es dem Geschäftsführer gleichwohl zuzumuten, die Gesellschafterversammlung um Zustimmung zur Durchführung als Eigengeschäft zu bitten. So Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 185.
254 Auch der Einwand des Geschäftsführers bei einem Eigengeschäft, die Geschäftschance sei ihm durch einen „persönlichen Freund“ angetragen worden und ein Bezug zur GmbH bestehe nicht, vermag ihn nicht zu entlasten. Als Geschäftsführer ist er „immer im Dienst“. Vgl. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 13.5.1997 – 11 U (Kartell) 68/96, GmbHR 1998, 376, 378; Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 186.
255 Eine Treuwidrigkeit des Geschäftsführers liegt auch vor, wenn er sich anlässlich eines Vertragsschlusses für die Gesellschaft von Dritten Provisionen versprechen lässt, Schmiergelder annimmt oder sonstige Vorteile fordert oder annimmt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Gesellschaft ein Schaden entstanden ist. So BGH, Urt. v. 2.4.2001 – II ZR 217/99, NJW 2001, 2476, 2477 = ZIP 2001, 958; BGH, Urt. v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, WM 1992, 691, 693; BGH, Urt. v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, WM 1983, 498, 499 = ZIP 1983, 689; RG, Urt. v. 23.5.1919 – I 376/18, RGZ 96, 54 ff.; Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 193.
256 Der Geschäftsführer verstößt auch gegen seine Verpflichtungen, wenn er sein Amt zur Unzeit niederlegt. So Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 194.
257 Die Amtsniederlegung des alleinigen Geschäftsführers und Gesellschafters einer GmbHG ist auch nach vorheriger Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen und trotz § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG und § 15a Abs. 3 InsO rechtsmissbräuchlich. So OLG Dresden, Beschl. v. 18.12.2014 – 5 W 1326/14, ZIP 2015, 581 ff., dazu EWiR 2015 (Wachter); OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 11.11.2014 – 20 W 317/11, ZIP 2015, 478 ff.; OLG München, Beschl. v. 29.5.2012 – 31 Wx 188/12, ZIP 2012, 1559 ff.; OLG München, Beschl. v. 16.3.2011 – 31 Wx 64/11, ZIP 2011, 866 ff.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2010 -25 Wx 56/10; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, ZIP 2001, 25 ff.
258 Zwar fehlt dem GmbHG (anders als §§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG, 34 Abs. 1 Satz 2 GenG) eine ausdrückliche organschaftliche Verschwiegenheit. Diese ist aber – zumal ihre Existenz in § 85 GmbHG vorausgesetzt ist – allgemein anerkannt, sodass Geschäftsführer über vertrauliche Angaben sowie betriebs-
54
III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
und Geschäftsgeheimnisse, die ihnen durch ihre Tätigkeit als Geschäftsleiter bekanntgeworden sind, Stillschweigen zu wahren haben. So Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 199; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 25.
Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, die nicht offenkundig sind und nach 259 dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen der Gesellschaft auch nicht offenkundig werden sollen, also Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wie die Unternehmens-, Finanz- und Investitionsplanung, Absatzdaten, Kundenlisten und Kalkulationen, Fertigungsverfahren, Erfindungsleistungen und Konstruktionen sowie wesentliche Personalentscheidungen. So BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329; Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 202.
Ist bei mehreren Geschäftsführern eine Kollegialentscheidung erfolgt, so 260 liegt eine Pflichtverletzung des überstimmten Geschäftsführers vor, wenn er es unterlässt, ihm alles Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um die Gesellschaft zu einem rechtmäßigen Verhalten zu veranlassen. So BGH, Urt. v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 131 f. = ZIP 1990, 1413; Fleischer, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, § 43 Rn. 251.
Eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers liegt auch vor, wenn er Verträge 261 über Leistungen des Geschäftsführers durch andere Gesellschaften des Geschäftsführers schließt. So OLG Naumburg, Urt. v. 23.1.2014 – 2 U 57/13, ZIP 2014, 1735 ff.
Ebenso liegt eine Pflichtwidrigkeit vor, wenn Geschäftsführungsaufgaben 262 entgeltlich auf Dritte übertragen werden. So OLG Koblenz, Urt. v. 1.4.2014 – 3 U 752/13, ZInsO 2014, 1763 ff.
Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Geschäftsführer Ansprüche der Ge- 263 sellschaft gegen die Gesellschafter verjähren lässt. Darüber hinaus besteht eine Selbstprüfungspflicht des Geschäftsführers. Eine 264 Gesellschaft mit beschränkter Haftung muss daher für eine Organisation sorgen, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht. So BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 = NZI 2012, 812 ff. = NZG 2012, 940 ff., dazu EWiR 2012, 559 (Schodder).
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B. Innenhaftung
265 Damit ist der Geschäftsführer zur Einführung eines Krisenüberwachungssystems verpflichtet. So Thiele, ZInsO 2014, 1882 ff.
266 Ob eine Pflicht zur Sanierung besteht, ist fraglich. Vgl. Kolmann, Schutzschirmverfahren, Rn. 80 ff.
267 Fraglich ist die Haftung von Organmitgliedern für nicht zur Auszahlung gekommene Abfindungen. Hier kommt die Sachwalterhaftung gemäß § 311 Abs. 3 BGB zwar grundsätzlich in Betracht, allerdings genügt das eigenwirtschaftliche Interesse am Erhalt der Vorstands- oder Geschäftsführerposition nicht, um eine Haftung zu begründen. So BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 ff. = NZG 2014, 1022 ff. = NJW 2014, 2669 ff.
b) Pflichtverletzung in der Krise 268 Der Pflichtenkreis der Organe verdichtet sich in der Krise. Die einzelnen Krisentypen und -phasen sind bereits oben dargestellt. Als signifikantes Indiz für eine Krise sieht der Gesetzgeber bei Kapitalgesellschaften einen Verlust in Höhe der Hälfte des Grund- bzw. Stammkapitals an. aa) Aktiengesellschaft 269 Ergibt sich bei Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtmäßigem Ermessen anzunehmen, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals besteht, so hat gemäß § 92 Abs. 1 AktG der Vorstand unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen. 270 Die Pflicht, die Hauptversammlung einzuberufen und Verlustanzeige zu erstatten, dient der Information der Hauptversammlung über die krisenhafte Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft. Weiterhin soll durch die Einberufung der Hauptversammlung die Handlungsfähigkeit der Aktionäre hergestellt werden, die ansonsten nicht tätig werden können. Die Hauptversammlung kann geeignete Maßnahmen treffen, insbesondere Kapitalveränderungen (§§ 229 ff., 182 ff. AktG) oder gegebenenfalls die Auflösung (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG) beschließen. Vgl. Hüffer, AktG, § 92 Rn. 1.
271 Die Vorschrift des § 92 Abs. 1 AktG dient nicht der Information der Öffentlichkeit. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Nebenfolge. So BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, NJW 1979, 1829, 1831 = MDR 1980, 126 ff.
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III. Haftung während der laufenden Unternehmenstätigkeit
Die Pflicht des Vorstands gemäß § 92 Abs. 1 AktG ist gegeben, wenn ein 272 Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals besteht. Dies bedeutet, dass das Gesellschaftsvermögen nur noch die Hälfte des Nennkapitals deckt. So Hüffer, AktG, § 92 Rn. 2.
Der Verlust ist dem gesamten offen ausgewiesenen Eigenkapital gegenüber- 273 zustellen. So BGH, Urt. v. 8.10.1958 – II ZR 348/56, AG 1958, 293; OLG Köln, Urt. v. 5. Main 1977 – 14 U 46/76, AG 1978, 17, 22.
Die Feststellung eines Verlustes in Höhe der Hälfte des Grundkapitals ist 274 entweder bei Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder nach pflichtmäßigem Ermessen anzunehmen. Die Ermittlung erfolgt hinsichtlich Ansatz und Bewertung grundsätzlich nach den Regeln, die für den Jahresabschluss gelten. So Hüffer, AktG, § 92 Rn. 3.
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 AktG muss der Vorstand 275 unverzüglich die Hauptversammlung einberufen und Verlustanzeige erstatten. Dies bedeutet nicht nur, dass der Vorstand die Verlustanzeige zur Tagesordnung unmissverständlich ankündigen muss, sondern auch einen Hauptversammlungstermin bestimmen muss, der unnötige Verzögerungen verhindert. Ist bereits Insolvenzantrag gestellt, bedarf es im Hinblick auf den Zweck des 276 § 92 Abs. 1 AktG der Einberufung einer Hauptversammlung nicht mehr. So Hüffer, AktG, § 92 Rn. 5.
Bei einem Verstoß gegen § 92 Abs. 1 AktG entsteht ein Schadensersatzan- 277 spruch der Aktiengesellschaft gegenüber dem Vorstand. Die Gesellschaftsgläubiger hingegen sind nicht berechtigt, aus § 92 Abs. 1 AktG Schadensersatzansprüche geltend zu machen, da die Norm lediglich Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Aktiengesellschaft, nicht aber ihrer Gläubiger ist. So BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76 NJW 1979, 1829, 1831; Hüffer, AktG, § 92 Rn. 15.
Darüber hinaus ist die strafrechtliche Sanktion zu berücksichtigen. Wer es als 278 Mitglied des Vorstands entgegen § 92 Abs. 1 AktG unterlässt, bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen, wird gemäß § 401 Abs. 1 AktG mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Bei Fahrlässigkeit beträgt der Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, § 401 Abs. 2 AktG. Im Gegensatz zum Zahlungsverbot aus § 92 Abs. 2 AktG dient die Verlust- 279 anzeigepflicht gemäß § 92 Abs. 1 AktG nicht dem öffentlichen Interesse der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter. Gleichwohl dürfte die Regelung gesell-
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B. Innenhaftung
schaftsvertraglich nicht abdingbar sein, zumal ein Verstoß strafbewehrt ist, was indiziert, dass der Gesetzgeber die Norm für relevant hält. bb) Gesellschaft mit beschränkter Haftung 280 Bei der GmbH kommt ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer, der entgegen § 49 Abs. 3 GmbHG die Gesellschafterversammlung nicht einberufen hat, ein Schadensersatzanspruch in Betracht. Dies setzt allerdings voraus, dass der Verstoß gegen § 49 Abs. 3 GmbHG für den Schaden ursächlich ist, dieser also hätte durch rechtzeitiges Handeln abgewendet werden können. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 16.
281 Gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG muss die Gesellschafterversammlung unverzüglich „berufen“ werden, wenn sich aus der Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Bilanz ergibt, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist. 282 Ebenso wie bei der Aktiengesellschaft dient die Verlustanzeigepflicht dem Interesse der Gesellschafter. Es soll die Installation eines Frühwarnsystems gefördert werden, um gegebenenfalls eine Organisation oder Sanierung in die Wege zu leiten. Der Gläubigerschutz ist lediglich als Reflex anzusehen. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 11; Priester, ZGR 1999, 533, 536.
283 Maßgeblich für die Anwendung von § 49 Abs. 3 GmbHG ist die rechnerische Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 12.
284 Ebenso wie bei der Aktiengesellschaft ist die Einberufung der Gesellschafterversammlung ebenso unverzüglich zu bewirken wie die Bestimmung des Termins. 285 Gemäß § 84 Abs. 1 GmbHG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es als Geschäftsführer unterlässt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen. Bei Fahrlässigkeit beträgt der Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, § 84 Abs. 2 GmbHG. 286 Bei der GmbH wird vertreten, dass die Pflicht gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG im öffentlichen Interesse liegt und daher nicht zur Disposition des Gesellschaftsvertrages steht. Die Gesellschafter können aber ad hoc auf die Einberufung verzichten. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 49 Rn. 17.
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IV. Haftung bei Insolvenzreife
IV. Haftung bei Insolvenzreife Insbesondere während einer bereits eingetretenen Insolvenzreife, aber vor 287 Stellung des gebotenen Insolvenzantrags bestehen besondere Pflichten der Organe. 1. Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife Sowohl bei den Kapitalgesellschaften als auch den haftungsbeschränkten Per- 288 sonenhandelsgesellschaften besteht ein Zahlungsverbot, nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat (§ 92 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 64 Satz 1 GmbHG und § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB). Die Vorstandsmitglieder, die gegen das Zahlungsverbot verstoßen, sind der 289 Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet. Die Geschäftsführer einer GmbH sind der Gesellschaft gemäß § 64 Satz 1 290 GmbHG zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Die organschaftlichen Vertreter einer haftungsbeschränkten Personenhandels- 291 gesellschaft sind bei Verstoß gegen das Zahlungsverbot gemäß § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB der Gesellschaft gegenüber gemäß § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Sämtliche Zahlungsverbote knüpfen an den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit 292 oder die Feststellung der Überschuldung an. a) Zahlungsunfähigkeit Von Zahlungsunfähigkeit geht die Rechtsprechung aus, wenn eine innerhalb 293 von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners mehr als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. So BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 ff. = ZVI 2013, 65 ff. = NZI 2013, 140 ff., dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613) = ZVI 2006, 577 ff., dazu EWiR 2007, 113 (Wagner).
Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies die gesetzliche 294 Vermutung der Zahlungsunfähigkeit.
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B. Innenhaftung So BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 f. = NZI 2012, 663 f.; BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 ff. = ZVI 2011, 452 ff., dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 ff. = ZVI 2008, 299 ff. = NZI 2007, 517 ff.; BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 ff. = ZVI 2013, 65 ff. = NZI 2013, 140 ff. Rn. 20, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen).
295 Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. So BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 ff. = ZVI 2013, 65 ff. = NZI 2013, 140 ff. Rn. 20, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 f. = NZI 2012, 663 f. Rn. 8; BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 ff. = ZVI 2011, 452 ff. = NZI 2011, 589 ff. Rn. 10, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel).
296 Die Zahlungsunfähigkeit kann durch eine Liquiditätsbilanz festgestellt werden. Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten zu setzen. So BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 ff. = ZVI 2013, 65 ff. = NZI 2013, 140 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 f. = NZI 2012, 663 f. Rn. 8.
297 Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer daraufhin deutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. So BGH, Urt. v. 12.12.2006 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 ff. = ZVI 2013, 65 ff. = NZI 2013, 140 ff. Rn. 20, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 f. = NZI 2012, 663 f. Rn. 11; BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 ff. = ZVI 2011, 452 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel). Hilfreich in diesem Zusammenhang ist auch der IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 27.3.2015, IDW-FN 2015, 202 = Wpg Suppl. 1/2015, Rn. 18; vgl. dazu Frystatzki, NZI 2014, 840 ff.; Schmittmann, StuB 2014, 607 ff.
298 Als Beweisanzeichen für Zahlungsunfähigkeit bzw. Zahlungseinstellung kommen nach der sog. „wirtschaftskriminalistischen Methode“ x
Schließung des Geschäftslokals,
x
Verlegung des Geschäftssitzes zur Begründung einer anderen Gerichtszuständigkeit,
x
Kreditkündigungen durch Banken,
60
IV. Haftung bei Insolvenzreife
x
Wechsel des Hauptlieferanten zur Inanspruchnahme anderweitigen Lieferantenkredits,
x
Zahlungen mit vordatierten Schecks,
x
Abgabe der eidesstattlichen Versicherung,
x
Häufung von Pfändungen,
x
Nichtbezahlung von existenzbedingten Betriebskosten, fruchtlose Vollstreckung,
x
Nichtzahlung oder schleppende Zahlung von Löhnen und Gehältern,
x
Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen,
x
Nichtzahlung von Umsatzsteuerrückständen,
x
Flucht des Schuldners,
x
Wechselproteste sowie
x
Einräumung der Zahlungsunfähigkeit durch den Schuldner
in Betracht. Vgl. BGH, Beschl. v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, NZI 2013, 970 ff. = ZIP 2013, 2469, dazu EWiR 2014, 121 (Floeth); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 f. = NZI 2012, 663 f.; BGH, Urt. v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, ZIP 2008, 706 ff. = NZI 2008, 299 ff., dazu EWiR 2008, 533 (Dörnscheidt); BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 ff. = NZI 2006, 591 f. = NJW-RR 2006, 1422 f.; Schmittmann/Theurich/ Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 2 Rn. 48.
b) Überschuldung Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen 299 des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 InsO zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht bei den Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. In den Jahren 1998 bis 2008 galt gemäß § 19 Abs. 2 InsO a. F., dass eine bi- 300 lanzielle Überschuldung, wenn die Fortführungswerte die Passiva nicht decken, stets auch eine Überschuldung im Rechtssinne ist. Durch das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpaketes zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz) vom 17.10.2008 (BGBl. I 2008
61
B. Innenhaftung
S. 1982) wurde die vorstehende Fassung von § 19 Abs. 2 InsO n. F. eingeführt. So Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19 Rn. 4; Priebe, ZInsO 2014, 2013, 2021.
301 Der Überschuldungstatbestand besteht somit aus den gleichwertigen Merkmalen der rechnerischen Überschuldung und dem Fehlen einer positiven Prognose. Überschuldung im Rechtssinne liegt vor, wenn beides gleichzeitig vorliegt. Es ist somit sowohl die bilanzielle Überschuldung als auch das Fehlen einer positiven Prognose zu prüfen. So Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19 Rn. 13.
302 Die bilanzielle Überschuldung ist Vermutungstatbestand, da durch die Formulierung „es sei denn“ eine Ausnahme zum Ausdruck gebracht werde. So Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19 Rn. 16.
303 Die rechnerische Überschuldung wird anhand eines Überschuldungsstatus geprüft. Vgl. Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 19 Rn. 20; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 2 Rn. 66 ff.
304 Dem Insolvenzverwalter liegt regelmäßig lediglich eine Handelsbilanz vor. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt einer Handelsbilanz lediglich indizielle Bedeutung zu. Legt der Insolvenzverwalter für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind. Der Insolvenzverwalter muss dabei nicht jede denkbare Möglichkeit ausschließen, sondern nur naheliegende Anhaltspunkte – beispielsweise stille Reserven bei Grundvermögen – und die von dem Geschäftsführer insoweit aufgestellten Behauptungen widerlegen. So BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 229/11, ZIP 2014, 168 ff. = NZI 2014, 232 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2014, 409 (Ruppert); BGH, Beschl. v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, ZIP 2011, 1410 f. = NZI 2011, 601 f. = MDR 2011, 933 f. Rn. 4; BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 ff. = NZI 2011, 709 f. Rn. 33, dazu EWiR 2011, 503 (Kort); BGH, Beschl. v. 26.4.2010 – II ZR 60/09, ZIP 2010, 1443 ff. = WM 2010, 1415 ff. Rn. 11, dazu EWiR 2010, 641 (Nikoleyczik/Olk).
305 Gläubiger der Erstattungsansprüche gemäß § 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG und § 130a HGB ist die Gesellschaft. Der Anspruch wird tatsächlich allerdings regelmäßig erst im Insolvenzverfahren geltend gemacht, sodass die Anspruchsverfolgung praktisch lediglich durch den Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren stattfindet. 62
IV. Haftung bei Insolvenzreife Vgl. Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 492.
Wird das Insolvenzverfahren aufgehoben, z. B. nach Bestätigung eines Insol- 306 venzplans, verliert der Insolvenzverwalter die Befugnis, den Anspruch geltend zu machen. So BGH, Urt. v. 7.7.2008 – II ZR 26/07, ZIP 2008, 2094 ff. = NZI 2008, 561 ff. = NZG 2008, 711 ff.
Der Insolvenzverwalter kann sich den Anspruch der Gesellschaft gegen die 307 Organe allerdings an sich selbst als Treuhänder abtreten, sodass ihm persönlich – als Treuhandzessionar – der Anspruch zusteht und von ihm auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens noch verfolgt werden kann. Dadurch wird ein Rückfall des Anspruchs an die Gesellschaft vermieden. So BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, ZIP 2008, 546 ff. = NZI 2009, 340 f. = NZG 2008, 304 ff. Rn. 9.
Wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostende- 308 ckender Masse abgewiesen, so hat jeder einzelne Gläubiger der Gesellschaft, der gegen diese einen vollstreckbaren Titel besitzt, die Möglichkeit, den Anspruch zu pfänden und aus gepfändetem Recht gegen das Organ zu verfolgen. So BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896 ff. = WM 2000, 2158 f. = NZI 2001, 87 f., dazu EWiR 2000, 1159 (Keil).
c) Rechtsnatur des Anspruchs Es handelt sich um einen Ersatzanspruch der Gesellschaft eigener Art und 309 nicht um einen Schadensersatzanspruch. So Gehrlein, ZInsO 2015, 477, 479.
Ein Schaden der Gesellschaft ist daher nicht erforderlich. Es geht um den 310 Schaden, der der Gläubigergemeinschaft durch den Verstoß gegen die Massesicherungspflicht entstanden ist. Die verbotswidrigen Zahlungen dienen in der Regel der Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft und führen bei dieser nur zur Verkürzung der Bilanzsumme, nicht aber zu einem Vermögensschaden i. S. d. §§ 249 ff. BGB. Verringert wird nur die Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führt. Diesen Drittschaden stellt das Gesetz – geleitet von dem Ziel, die Gesamtheit der Gläubiger der Aktiengesellschaft durch Wahrung von Neutralität bei der Bewirkung von Zahlungen in der Krise vor Schäden in Gestalt einer Verminderung ihrer Quote durch masseschmälernde Leistungen zu schützen – einem Schaden der Gesellschaft gleich. So BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 ff. = NZI 2010, 913 ff. = NZG 2010, 1186 ff.; Rn. 14 = ZIP 2010, 1988 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1973), dazu EWiR 2010, 713 (Vetter); BGH, Urt. v. 26.3.2007 – I ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 ff. = NZI 2007, 418 ff. = KTS 2007, 485 ff. Rn. 7;
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B. Innenhaftung vgl. Schmidt, ZIP 2008, 1401 ff.; BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 ff. = NZI 2011, 196 ff. = ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240), dazu EWiR 2001, 329 (Priester).
d) Begriff der Zahlung 311 Zahlung ist jede masseschmälernde Leistung. So BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10,. = NZI 2012, 569 ff. = AG 2012, 371 ff. Rn. 21 = ZIP 2012, 867, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 ff. = NZI 2009, 486 ff. = NZG 2009, 582 ff. = NJW 2009, 1598 ff. Rn. 20, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/Breßler).
312 Der Zahlungsbegriff in § 92 Abs. 2 AktG, § 64 Satz 1 GmbHG und § 130a Abs. 2 HGB ist weit auszulegen. So BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 ff. = NZI 2009, 486 ff. = NZG 2009, 582 ff. = NJW 2009, 1598 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/Breßler); BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143 ff. = NZI 2000, 120 ff., 184 = ZIP 2000, 184, dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 ff. = NJW 1994, 2220 ff. = ZIP 1994, 1103, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); vgl. Hirte, NJW 1995, 1202 ff.
313 Eine Zahlung liegt auch dann vor, wenn ein Scheck auf ein debitorisch geführtes Konto eingereicht und mit dem Schuldsaldo verrechnet wird oder der Geschäftsführer eine Abbuchung duldet. So BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 ff. = ZIP 2008, 184 ff. = NZI 2000, 120 ff. Rn. 9, dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 ff. = NZI 2009, 486 ff. = NZG 2009, 582 ff. = NJW 2009, 1598 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/Breßler).
314 Unter den Begriff der Zahlung fällt auch die Vereinbarung einer Verrechnung, die zur Befriedigung eines Gläubigers und damit zu einer Leistung zulasten des Gesellschaftsvermögens führt. So BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 ff. = NZI 2012, 569 ff. = NZG 2012, 547 ff., dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
315 An einer Masseschmälerung und damit an einer Ersatzpflicht fehlt es, wenn von einem debitorischen Konto an einen Gläubiger überwiesen wird, sofern die Bank nicht über eine Sicherheit aus dem Gesellschaftsvermögen verfügt. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 26, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 ff. = NZI 2009, 486 ff. = NZG 2009, 582 ff. = NJW 2009, 1598 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/Breßler); BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 (m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401) = NZI 2007, 418 ff. = KTS 2007, 485 ff.; ablehnend Karsten Schmidt, ZIP 2008, 1401, 1405.
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IV. Haftung bei Insolvenzreife
An einer Zahlung mangelt es, wenn diese nicht vom Geschäftsführer oder einem 316 Mitarbeiter veranlasst worden ist, sondern z. B. in der Zwangsvollstreckung aufgrund einer Kontopfändung erfolgt. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 28, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 ff. = NZI 2009, 486 ff. = NZG 2009, 582 ff. = NJW 2009, 1598 ff., dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/Breßler); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 ff. = NZG 2009, 550 ff. Rn. 18 = ZIP 2009, 860, dazu EWIR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
Mit „Zahlungen“ sind über reine Geldzahlungen hinaus alle Leistungen ge- 317 meint, die das Gesellschaftsvermögen schmälern. So BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 ff. = ZIP 1994, 1103 ff. = NJW 1994, 2220 ff. Rn. 27 = ZIP 1994, 1103, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm).
Es kann sich daher bei „Zahlungen“ auch um sonstige masseschmälernde Maß- 318 nahmen handeln, z. B. die Erbringung von Dienstleistungen oder Warenlieferungen durch die insolvente Gesellschaft. Auch dadurch vermindert sich das Vermögen der Gesellschaft. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 639.
Bei Warenlieferungen liegt auf der Hand, dass es sich hier um eine Masse- 319 schmälerung handelt und daher der Warenwert als Zahlung anzusehen ist. Problematisch ist die Einordnung von Dienstleistungen, weil das Vermögen nicht unmittelbar geschmälert wird. Gleichwohl hat das OLG Düsseldorf z. B. Speditionsfahrten als verbotene Zahlungen eingeordnet. So OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.1995 – 6 U 272/93, WM 1996, 1922 ff. = GmbHR 1996, 616 ff. = EWiR 1996, 851 (Priester).
Einer besonderen Betrachtung bedürfen Zahlungen, die sich als Gläubiger- 320 tausch darstellen oder bei denen Vermögen im Wege des Aktivtausches lediglich umgeschichtet wird. Vgl. Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 644.
Das Organ einer insolvenzreifen Gesellschaft muss aufgrund seiner Masseer- 321 haltungspflicht dafür sorgen, dass Zahlungen von Schuldnern der Gesellschaft nicht auf ein debitorisch geführtes Bankkonto der Gesellschaft geleistet werden. So BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 ff.
Ein Verstoß gegen die Massesicherungspflicht liegt auch vor, wenn ein Sche- 322 ckeinzug auf ein debitorisches Konto erfolgt. Insoweit liegt eine Zahlung an die Bank vor.
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B. Innenhaftung So BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 (m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401).
323 Erfolgt die Leistung aus einem debitorischen Konto, für das eine nicht ausgeschöpfte Sicherheit durch die Gesellschaft bestellt ist, liegt eine inkriminierte Leistung vor, weil über die Belastung der Gesellschaft Sicherheit zulasten der Masse geleistet wird. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 26, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, NZI 2010, 313 ff. = NZG 2010, 346 ff. = ZIP 2010, 470 f., dazu EWiR 2010, 357 (Hangebrauck).
324 Ein masseneutraler Gläubigertausch, der weder die verteilungsfähige Vermögensmasse berührt noch zum Nachteil der Gläubigergesamtheit geht, liegt vor, wenn Zahlungen von einem debitorischen Konto an einzelne Gesellschaftsgläubiger erfolgen und die Bank über keine diese deckenden Gesellschaftssicherheiten verfügt. So BGH, Urt. v. 25.1.2010 – II ZR 258/08 Rn. 10; BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 (m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401); BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 ff. = KTS 2000, 115 ff. = ZIP 2000, 184, dazu EWiR 2000, 295 (Noack).
e) Privilegierte Zahlungen 325 Die Erstattungspflicht scheidet hinsichtlich von Zahlungen aus, die auch nach dem Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (§ 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 64 Satz 2 GmbHG und § 130a Abs. 1 Satz 2 HGB). 326 Privilegierte Zahlungen liegen vor, wenn der Geschäftsleiter (das Organ) durch die Zahlung eine eigene straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Verantwortung vermeidet, einer persönlichen Haftung entgeht oder die Zahlung zur Nachteilsabwendung geboten ist. aa) Vermeidung einer straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgung 327 Der BGH hat früher die Auffassung vertreten, dass das Bestreben des Geschäftsführers, sich durch die Zahlung einer persönlichen deliktischen Haftung, etwa aus dem Gesichtspunkt des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB zu entziehen, unbeachtlich ist. So BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 ff. = NJW 2001, 1280 ff. Rn. 23 = ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Urt. v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, BGHZ 144, 311 ff. = NZI 2001, 301 ff. = ZIP 2000, 1339, dazu EWiR 2000, 1123 (Marxen/Elsner).
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IV. Haftung bei Insolvenzreife
Erst im Jahre 2007 hat der BGH diese Rechtsprechung aufgehoben und ent- 328 schieden, dass ein organschaftlicher Vertreter, der bei Insolvenzreife der Gesellschaft den sozial- oder strafrechtlichen Normbefehlen folgend Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherung oder Lohnsteuer abführt, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters handelt und nicht der Gesellschaft gegenüber erstattungspflichtig ist. So BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. = ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock) = NJW 2007, 2118 ff. mit Anm. Altmeppen; vgl. Wilhelm, ZIP 2007, 1781 ff.
Dies entspricht auch der Rechtsprechung der Strafsenate des BGH: Der 329 Grundsatz der Massesicherung berührt nicht die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB, wenn ein Verantwortlicher, der bei Insolvenzreife die fehlende Sanierungsmöglichkeit erkennt, das Unternehmen weiterführt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen. So BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 ff. = ZVI 2005, 490 ff. = NStZ 2006, 223 ff.
Dem Geschäftsführer ist es nicht zuzumuten, dem Grundsatz der Massesi- 330 cherung Folge zu leisten, wenn er sich durch das Unterlassen der Zahlung einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzt. So BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07 = NJW 2009, 295 ff. Rn. 10 = ZIP 2008, 2220, dazu EWiR 2009, 201 (Wilkens); BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 6, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 ff. = NJW 2008, 2504 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06 = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 12 = ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
Hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge ist lediglich das Nichtabführen 331 der Arbeitnehmerbeiträge strafbar. Das Nichtabführen der Arbeitgeberbeiträge ist sanktionslos. Somit kann lediglich die Zahlung des Arbeitnehmerbeitrags zur Sozialversicherung eine privilegierte Zahlung sein. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2011, 257 f. (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 f. = WM 2009, 1514 f. = NZG 2009, 913 f. Rn. 6, dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 ff. = NJW 2009, 295 ff. Rn. 10; BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 6, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06 = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 12 = ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
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B. Innenhaftung
332 Eine privilegierte Zahlung liegt auch vor, wenn der Geschäftsführer Leistungen aus Geldmitteln erbringt, die die GmbH treuhänderisch zur Weiterleitung erhalten hat. Anderenfalls droht ihm eine Strafbarkeit gemäß § 266 StGB. Sich dieser Gefahr auszusetzen, ist dem Geschäftsführer nicht zumutbar. So BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 ff. = NJW 2008, 2504 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder).
333 Diese Grundsätze gelten nicht nur für den Fall einer Strafbarkeit wegen Unterlassen der Zahlung, sondern auch bei einer Konsequenz in Form einer Ordnungswidrigkeit. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb).
334 Die Nichtabführung fälliger Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen wird als Ordnungswidrigkeit gemäß § 26b UStG geahndet. Bei einbehaltener Lohnsteuer ergibt sich die Tatbestandlichkeit hinsichtlich einer Ordnungswidrigkeit aus § 380 AO i. V. m. § 41a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb).
335 Der Geschäftsführer ist ebenfalls berechtigt, Rückstände zu zahlen, da auch hier eine straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit besteht. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb).
bb) Vermeidung einer persönlichen Haftung 336 Kommt das Organ (Geschäftsleiter) seiner Massesicherungspflicht nach, verletzt er damit seine Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile aus §§ 28d, 28e Abs. 1 SGB IV und § 66a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB bzw. zur Zahlung der Lohn- und Umsatzsteuer aus § 41a EStG, § 18 UStG i. V. m. §§ 69, 34 AO. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 ff. = NZI 2009, 71 f., dazu EWiR 2009, 201 (Wilkens); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06 = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. = ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
337 Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Geschäftsführer bei noch vorhandenen liquiden Mitteln solange zur Zahlung der fälligen Lohnsteuer verpflichtet, bis ihm gegebenenfalls nach einem Antrag auf Eröffnung des In-
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IV. Haftung bei Insolvenzreife
solvenzverfahrens durch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die Verfügungsbefugnis entzogen wird. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht dazu, dass der Geschäftsführer die einbehaltene Lohnsteuer nicht mehr abführen muss. So BFH, Urt. v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228 = ZIP 2009, 122 ff. = DStRE 2009, 310 ff.
Die Privilegierung greift lediglich dann ein, wenn es sich um eine gesetzliche 338 Haftung handelt. Leistet der Geschäftsleiter Zahlungen, um eine persönliche Haftung aus Vertrag, z. B. Bürgschaft, zu vermeiden, handelt es sich nicht um eine privilegierte Zahlung. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 700.
cc) Zahlungen zur Nachteilsabwendung Sinn und Zweck des Zahlungsverbotes ist es, die verteilungsfähige Vermö- 339 gensmasse einer insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. So BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184 ff. = NZI 2000, 120 ff. = NZG 2000, 370 f. Rn. 9, dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088 ff. = DB 1974, 910 f. Rn. 7.
Der Geschäftsleiter („das Organ“) darf allerdings noch Zahlungen erbringen, 340 die zur Abwendung größerer Nachteile für die Insolvenzmasse erforderlich sind und somit einen Ausnahmetatbestand darstellen. So BGH, Beschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 f. = NZI 2007, 679 f. = KTS 2007, 485 Rn. 4.
In dieser Weise privilegierte Zahlungen können z. B. dann vorliegen, wenn 341 bei noch bestehender Sanierungsmöglichkeit der Geschäftsbetrieb aufrechterhalten werden soll und zu diesem Zwecke etwa Zahlungen für Strom, Wasseroder Gaslieferungen zur Aufrechterhaltung der Produktion bezahlt werden. So BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZIP 2008, 72 f. = ZVI 2008, 55 f. = NZI 2008, 126 f.; BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264) ff. = NZI 2001, 196 ff. = ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240, dazu EWiR 2001, 329 (Priester)
Es reicht allerdings nicht aus, dass das Organ glaubt, eine Sanierung sei mög- 342 lich. Der Geschäftsleiter muss sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft Klarheit verschaffen, bevor er einen Dritten mit aufwendigen Sanierungsbemühungen zulasten des Gesellschaftsvermögens beauftragt. So BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 f. = NZI 2007, 679 f. = NZG 2007, 678 ff.
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B. Innenhaftung
2. Haftung für Zahlungen an Gesellschafter nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 92 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 64 Satz 3 GmbHG) 343 Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG vom 23.10.2008, BGBl. I 2008 S. 2026 ff.) wurde das Zahlungsverbot nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung in § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG und § 64 Satz 3 GmbHG auf Zahlungen an Aktionäre/Gesellschafter erstreckt, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG bzw. § 64 Satz 2 GmbHG bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar. 344 Die Regelung bezweckt den Schutz der Gläubigergesamtheit vor (unzulässiger) Vermögensverschiebung. So Regierungsbegründung, BT-Drucks. 16/6140, S. 52.
345 Die Vorschrift steht zwischen der Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen, mit denen das Kapital der Gesellschaft zurückgezahlt wird, und der Existenzvernichtungshaftung. So Regierungsbegründung, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 740; Hüffer, AktG, § 92 Rn. 21.
346 Eine gleichlautende Regelung findet sich auch bei haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften, §§ 130a Abs. 1 Satz 3, 177a Satz 1 HGB. 347 Anspruchsgegner ist der Geschäftsführer der Gesellschaft, der im Zeitpunkt der Zahlung im Amt war. Der Anspruch kann sich auch gegen einen faktischen Geschäftsführer richten. So Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1518.
348 Sanktioniert werden hier ausschließlich Zahlungen an Gesellschafter. So Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1519.
349 Die Haftung gemäß § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 64 Satz 3 GmbHG und § 130a Abs. 1 Satz 3 HGB setzt voraus, dass die Zahlung an Gesellschafter zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen musste. Demnach kommt es auf die Kausalität an. Somit reicht eine Eignung der Zahlung zur Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit nicht aus. Bleibt die Zahlungsunfähigkeit aus, z. B. weil die Gesellschaft – aus welchen Gründen auch immer – neue Liquidität erhält, ist auch kein Raum für eine Haftung des Geschäftsführers gegeben. So Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1519; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 173; Gehrlein, Das neue GmbHRecht, Rn. 112.
350 Die Zahlungsunfähigkeit wird durch eine Zahlung an den Gesellschafter nicht i. S. d. § 64 GmbHG verursacht, wenn die Gesellschaft bereits zah-
70
IV. Haftung bei Insolvenzreife
lungsunfähig ist. Nach der Rechtsprechung des BGH verlangt die Regelung, dass die Zahlung zur Zahlungsunfähigkeit führen musste. Eine fällige Forderung des Gesellschafters ist in der Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen. So BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 ff. = NZI 2012, 1009 ff. = DStR 2012, 2608 ff. Rn. 7 = ZIP 2012, 2391 (m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2013, 801), dazu EWiR 2013, 75 (Bork).
Fällige Gesellschafterforderungen sind bei der Beurteilung der Verursachung 351 der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen. Wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig ist, hat der Geschäftsführer den Anspruch des Gesellschafters nicht zu befriedigen, sondern Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). Entsprechend der früheren Regelung des § 30 Abs. 1 GmbHG a. F. besteht eine Durchsetzungssperre für die Gesellschafterforderung. Der „Nachrang“ der Gesellschafterforderung gegenüber den Forderungen anderer Gläubiger soll durch die insolvenzrechtlichen Regelungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bzw. § 135 Abs. 1 InsO) gewahrt werden. Eine Nichtberücksichtigung von Gesellschafterforderungen als fällige Forderungen in der Liquiditätsbilanz brächte nach Auffassung des BGH die Gefahr mit sich, dass eine Insolvenzantragstellung zeitlich verschleppt werde, obwohl nicht einmal der Gesellschafter bereit ist, die Gesellschaft weiter zu finanzieren. So BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 ff. = NZI 2012, 1009 ff. = DStR 2012, 2608 ff. Rn. 12 = ZIP 2012, 2391 (m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2013, 801), dazu EWiR 2013, 75 (Bork).
Im Rahmen von Zahlungen durch den Geschäftsführer an die Gesellschafter 352 besteht eine Bindung seinerseits an Weisungen der Gesellschafter nicht. Das auf der Haftung des Geschäftsführers basierende „Zahlungsverbot“ soll der Gefahr vorbeugen, dass bei sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit von den Gesellschaftern Mittel entnommen werden. Nur wenn die Gesellschaft den Mittelabfluss verweigern kann und der Geschäftsführer nicht den Mittelabfluss unter Inkaufnahme der eigenen Haftung bewirken muss, kann dieses Ziel erreicht werden. So BT-Drucks. 16/6140, S. 46; BGH, Urt. v. 19.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 ff. = NZI 2012, 1009 ff. = DStR 2012, 2608 ff. Rn. 18 = ZIP 2012, 2391 (m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2013, 801), dazu EWiR 2013, 75 (Bork).
Der Begriff der „Zahlung“ entspricht der Ausgangsnorm, sodass „Zahlungen“ 353 auch andere Leistungen als Geldleistungen sein können. So Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 756.
Nach dem Wortlaut werden nur Zahlungen an Gesellschafter erfasst. Es sind 354 Gesellschaftern aber Dritte gleichzustellen, die mit dem Gesellschafter verbunden sind, sodass die Zahlung ihm mittelbar zugutekommt. 71
B. Innenhaftung So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 768.
355 Der Geschäftsleiter haftet nur, wenn ihn Verschulden trifft, wobei Fahrlässigkeit genügt und vom Gesetz vermutet wird. Eine Entlastung kommt in Betracht, wenn der Geschäftsleiter eine kontinuierliche Finanzplanung erstellt und sich daraus kein Anhaltspunkt für eine drohende Zahlungsunfähigkeit ergibt. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 788; Gehrlein, Das neue GmbH-Recht, Rn. 114.
356 Der Anspruch richtet sich auf Ersatz der geleisteten Zahlung. Dem Organ (Geschäftsleiter) ist nach Erstattung gemäß § 255 BGB analog ein eventueller Ersatzanspruch gegen den Gesellschafter abzutreten. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 791.
3. Anrechnung von Gläubigerforderungen 357 Hat der Geschäftsleiter entgegen der ihm obliegenden Massesicherungspflicht an Gläubiger gezahlt, die für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) geworden wären, so nehmen diese, da ihre Forderung aufgrund der Zahlung untergegangen ist, nicht mehr am Insolvenzverfahren teil. Dadurch wird die schuldnerische Gesellschaft entlastet. Umgekehrt hätte der Gläubiger, wenn nicht gezahlt worden wäre, nur eine Insolvenzquote erhalten. Ein Geschäftsleiter, der dem Verbot der Massesicherung zuwider masseverkürzende Leistungen erbracht hat, kann den Insolvenzverwalter nicht auf andere Möglichkeiten der Rückführung der ausgezahlten Beträge verweisen oder den Erstattungsanspruch im Voraus um den zu diesem Zeitpunkt regelmäßig nicht feststellbaren Betrag kürzen, den der durch die verbotene Zahlung begünstigte Gläubiger erhalten hätte oder sich gar mit einer bloßen Sicherstellung bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens begnügen. 358 Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Geschäftsleiter verpflichtet, den ausgezahlten Betrag ungekürzt zu erstatten. Eine Bereicherung der Insolvenzmasse wird dadurch vermieden, dass ihm in dem Urteil vorzubehalten ist, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen. Der ihm zustehende Anspruch deckt sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte. So BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 32 = ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240), dazu EWiR 2001, 329 (Priester).
359 Der Geschäftsleiter muss nicht ausdrücklich beantragen, dass ihm seine Rechte vorbehalten bleiben. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 702.
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IV. Haftung bei Insolvenzreife
Der Vorbehalt erfolgt im Urteil von Amts wegen.
360
So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 30, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb).
4. Berücksichtigung von Anfechtungssachverhalten Zahlungen, die der Geschäftsleiter entgegen der Massesicherungspflicht er- 361 bracht hat, unterliegen häufig auch der Insolvenzanfechtung, insbesondere wenn sie an Gläubiger erfolgt sind, die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hatten. In diesem Falle wird der Insolvenzverwalter prüfen, auf welchem Wege er die in Konkurrenz zueinander stehenden Ansprüche für die Insolvenzmasse am effizientesten nutzbar machen kann. Hier spielen für den Insolvenzverwalter verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle, z. B. muss er die Anzahl der führenden Anfechtungsprozesse, die sich ergebenden rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten sowie die Bonität der Anfechtungsgegner berücksichtigen. Zugleich wird der Insolvenzverwalter aber auch abwägen, ob der in Anspruch genommene Geschäftsleiter wirtschaftlich in der Lage sein wird, den gegen ihn erhobenen Anspruch auch tatsächlich zu befriedigen. Die erfolgreiche Ausübung eines Anfechtungsrechts kommt dem haftenden 362 organschaftlichen Vertreter zugute, wenn die haftungsbegründende masseschmälernde Leistung, etwa eine Zahlung an einen Gläubiger der Schuldnerin, dadurch ausgeglichen wird. So BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 ff. = NZI 2014, 813 ff. = NZI 2014, 1069 ff. Rn. 14, dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch); BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 = NJW 1996, 850 f. = ZIP 1996, 420 ff., dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh); Priebe, ZInsO 2014, 2013, 2019.
Grundsätzlich ist ein Insolvenzverwalter unter Berücksichtigung der Er- 363 folgsaussichten und wirtschaftlichen Vertretbarkeit verpflichtet, Insolvenzanfechtungsansprüche durchzusetzen. So LG Krefeld, Urt. v. 6.2.2014 – 3 O 271/13, NZI 2014, 410 ff.
Ein Insolvenzverwalter, der die Geltendmachung von Insolvenzanfechtungs- 364 ansprüchen pflichtwidrig unterlässt, macht sich gegebenenfalls auch wegen Untreue (§ 266 StGB) strafbar. Vgl. Weyand, ZInsO 2014, 1934, 1939.
Ein Leistungsverweigerungsrecht steht dem Geschäftsleiter hinsichtlich des 365 Erstattungsanspruchs nicht zu. So BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 ff. = NJW 1996, 850 f. Rn. 6 = ZIP 1996, 420, dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh).
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B. Innenhaftung
366 Der Insolvenzverwalter ist lediglich gegenüber der Gläubigergemeinschaft zur Insolvenzanfechtung verpflichtet und verletzt daher allenfalls Schadensersatzpflichten gegenüber den Konkursgläubigern. Eine Rechtspflicht zur Anfechtung besteht gegenüber dem Geschäftsführer nicht, da er nicht zu den geschützten „Beteiligten“ gehört. So BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 ff. = NJW 1996, 850 f. Rn. 8 = ZIP 1996, 420, dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh).
367 Es muss allerdings sichergestellt werden, dass die Insolvenzmasse hinsichtlich ein und derselben Zahlung nicht gleichzeitig Ersatz vom Geschäftsleiter erlangt und zusätzlich noch den Anfechtungsanspruch gegen den Zahlungsempfänger für die Insolvenzmasse durchsetzt. Ebenso wie der Anspruch auf die Insolvenzquote (siehe Rn. 358) an den in Anspruch genommenen Geschäftsleiter abgetreten werden kann, ist auch die vorliegende Problemlage dadurch zu bereinigen, dass dem Geschäftsführer der insolvenzanfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch i. S. v. § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO abgetreten wird. So OLG Oldenburg, Urt. v. 10.5.2004 – 15 U 13/04, ZIP 2005, 317 (LS) = GmbHR 2004, 1014 f.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 709.
368 Nach neuerer Rechtsprechung des BGH ist auch der insolvenzanfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch abtretbar. Insbesondere kann die Rückgewähr eines anfechtbar aus dem Vermögen des Schuldners weggegebenen Vermögensgegenstandes durch dessen Übertragung an einen anderen Gläubiger als die Insolvenzmasse ohne Veränderung des Anspruchsinhalts erfolgen. So BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114 ff. = NZI 2011, 486 ff. = NZG 2011, 873 f., dazu EWiR 2011, 433 (Huber).
5. Verschulden 369 Aus den Formulierungen in § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 64 Satz 2 GmbHG und § 130a Abs. 1 Satz 2 HGB wird unterstellt, dass der Geschäftsleiter die Insolvenzreife kennen oder erkennen muss, sodass sein Verschulden vermutet wird. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 656.
370 Die Haftung setzt Verschulden voraus, wobei die einfache Fahrlässigkeit genügt. Maßstab ist die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, ohne dass es auf die individuellen Fähigkeiten des in Anspruch genommenen Geschäftsleiters ankommt. Insbesondere mangelnde Sachkenntnis entschuldigt ihn nicht. So BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 = NZI 2012, 812 ff. = NZG 2012, 940 ff. Rn. 9, dazu EWiR 2012, 559 (Schodder).
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IV. Haftung bei Insolvenzreife
Die Erkennbarkeit der Insolvenzreife reicht als Ausgangspunkt des subjek- 371 tiven Tatbestandes aus, wobei die Erkennbarkeit als Teil des Verschuldens vermutet wird. So BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 = NZI 2012, 812 ff. = NZG 2012, 940 ff. Rn. 10, dazu EWiR 2012, 559 (Schodder); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 ff. = NZI 2011, 452 ff. = NZG 2011, 624 ff. Rn. 38, dazu EWiR 2011, 503 (Kort); BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184 ff. = ZIP 2000, 184 ff. = KTS 2000, 115 ff., dazu EWiR 2000, 295 (Noack).
Die Möglichkeiten der Enthaftung des Geschäftsleiters, insbesondere durch 372 die Einholung von qualifiziertem Rechtsrat, werden an anderer Stelle behandelt (vgl. Rn. 750). Nach der Rechtsprechung des OLG Nürnberg trifft die Gesellschaft trotz 373 der Darlegungs- und Beweislast der Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 2 AktG, „die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt zu haben“, die Darlegungs- und Beweislast für den behaupteten Schaden und dessen Verursachung durch ein Verhalten des Geschäftsleiters in dessen Pflichtenkreis. So OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.9.2014 – 12 U 567/13, ZIP 2015, 427 ff. Die Berufung wurde vom OLG Nürnberg (Beschl. v. 28.10.2014 – 12 U 567, ZIP 2015, 430 f.) zurückgewiesen.
6. Verjährung Hinsichtlich der Verjährung wird bei Aktiengesellschaften zwischen börsen- 374 notierten und nicht börsennotierten Gesellschaften unterschieden. Gemäß § 93 Abs. 6 AktG verjähren die Ansprüche bei Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, in zehn Jahren. Bei anderen Aktiengesellschaften verjähren die Ansprüche nach fünf Jahren. Bei der GmbH verjähren die Ansprüche gemäß § 64 Satz 4 GmbHG i. V. m. 375 § 43 Abs. 4 GmbHG in fünf Jahren. Auch bei haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften beträgt die 376 Verjährungsfrist gemäß § 130a Abs. 2 Satz 6 HGB fünf Jahre. Die Verjährung beginnt mit Entstehung (§ 200 Satz 1 BGB) des Anspruchs, 377 also mit dem Zeitpunkt, in dem die die Masse schmälernde Zahlung geleistet oder die schmälernde Maßnahme ergriffen worden ist. So BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 ff. = NZI 2009, 486 ff. = NZG 2009, 582 ff. = NJW 2009, 1598 ff. Rn. 20, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/Breßler).
75
B. Innenhaftung
378 In der Regel nimmt der Insolvenzverwalter den Geschäftsleiter nicht lediglich wegen einer Zahlung in Anspruch, sondern wegen einer Vielzahl von Zahlungen, die geleistet worden sind. Bei mehreren, gegen die Massesicherungspflicht verstoßenden Zahlungen setzt jede Handlung eine neue Verjährungsfrist in Lauf. So BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 ff. = NZI 2009, 486 ff. = NZG 2009, 582 ff. = NJW 2009, 1598 ff. Rn. 20, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens/Breßler); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 ff. = NZG 2008, 908 ff. Rn. 14, dazu EWiR 2009, 23 (Kort).
7. Besonderheiten bei der prozessualen Durchsetzung a) Gerichtsstand 379 In der Regel wird der Insolvenzverwalter ein Interesse daran haben, den Rechtsstreit am Sitz der Gesellschaft zu führen. Dies setzt voraus, dass dieses Gericht, sofern der in Anspruch zu nehmende Geschäftsleiter keinen Gerichtsstand im Inland hat, international zuständig ist. 380 Der BGH dem EuGH folgenden Fragen zur Auslegung von Artt. 49, 54 AEUV und Art. 4 EuInsO vorgelegt: 381 „Betrifft eine Klage vor einem deutschen Gericht, mit der ein Direktor einer private company limited by shares englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird, die er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet hat, das deutsche Insolvenzrecht i. S. d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO?“. 382 Verstößt eine Klage der vorstehenden Art gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV? BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 ff. = NZI 2015, 85 ff. mit Anm. Mock, dazu EWiR 2015, 99 (Müller); Gehrlein, ZInsO 2015, 477 ff.
383 Das OLG Köln nimmt eine internationale Zuständigkeit des (deutschen) Gerichts am Sitz der Gesellschaft an, weil der Anspruch entweder formell insolvenzrechtlich einzuordnen ist (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) oder aber das Gericht des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) angerufen werden kann. So OLG Köln, Beschl. v. 9.6.2011 – 18 W 34/11, NZI 2012, 52 f. = NZG 2012, 233 f.
384 Das OLG Karlsruhe vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Anspruch aus Geschäftsleiterhaftung wegen Verstoß gegen die Massesicherungspflicht um einen Anspruch aus unerlaubter Handlung i. S. v. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO handelt, sodass aus diesem Grunde die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts am Sitz der Gesellschaft anzunehmen ist. 76
IV. Haftung bei Insolvenzreife So OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.12.2009 – 13 U 102/09, ZIP 2010, 2123 f. = NZI 2010, 291 = NZG 2010, 509 f.; a. A. Haas NZG 2010, 495 ff.
Für Klagen gemäß § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 43 Abs. 3 GmbHG gegen Be- 385 klagte aus Staaten des Lugano-Übereinkommens sind nach Auffassung des BGH die inländischen Gerichte international zuständig. So BGH, Hinweisbeschl. v. 3.6.2014 – II ZR 34/13, ZIP 2014, 1986 ff. = WM 2014, 1766 ff., dazu EWiR 2014, 715 (Cranshaw).
Die Brüssel Ia-VO (EU) Nr. 1215/2012 hat mit Wirkung zum 10.1.2015 die 386 frühere VO (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen abgelöst. Vgl. ZIP aktuell 35, ZIP 5/2015, A 10.
Das Landgericht Darmstadt hat dem EuGH die Frage vorgelegt hat, ob die 387 Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet worden ist, für eine Klage des Insolvenzverwalters gegen den Geschäftsführer der Schuldnerin auf Ersatz von Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet worden sind, zuständig sind. So LG Darmstadt, Beschl. v. 15.5.2013 – 15 O 29/12, ZIP 2013, 1839 f. = NZI 2013, 712 ff.
Der EuGH hat wie folgt geantwortet:
388
„1. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft eröffnet worden ist, nach dieser Bestimmung für die Entscheidung über eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zuständig sind, die der Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft gegen deren Geschäftsführer auf Rückzahlung von Beträgen erhebt, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden. 2. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft eröffnet worden ist, für die Entscheidung über eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zuständig sind, die der Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft gegen deren Geschäftsführer auf Rückzahlung von Beträgen erhebt, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet wurden, wenn der Geschäftsführer seinen Wohnsitz nicht in einem anderen Mitgliedstaat hat, sondern wie im Ausgangsverfahren in einem Vertragsstaat des am 30.10.2007 unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, dessen Abschluss im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom 27.11.2008 genehmigt wurde.“
77
B. Innenhaftung EuGH, Urt. v. 4.12.2014 – Rs. C-295/13, ZIP 2015, 196 ff. = NZI 2015, 88 ff. mit Anm. Poertzgen, dazu EWiR 2015, 93 (Mankowski).
389 Der (deutsche) Insolvenzverwalter kann freilich auch in einem anderen Mitgliedstaat gegen den Geschäftsleiter vorgehen. In diesem Falle hat das Gericht des anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union das deutsche Recht so anzuwenden, wie es die deutschen Gerichte in diesem Falle getan hätten. So Audiencia Provincial Barcelona, Urt. v. 6.3.2013 – 431/2012 – 2 a, NZI 2013, 576 ff. mit Anm. Paulus.
b) Vergleich über Haftungsansprüche 390 Grundsätzlich kann ein Vergleich oder eine anderweitige Regelung zwischen der Gesellschaft und dem (ehemaligen) Organmitglied geschlossen werden. Dabei ist allerdings bei der Aktiengesellschaft zu berücksichtigen, dass den Gläubigern gegenüber gemäß § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG die Ersatzpflicht weder durch einen Verzicht oder Vergleich der Gesellschaft noch dadurch aufgehoben wird, dass die Handlung auf einem Beschluss der Hauptversammlung beruht. Vgl. Bayer/Scholz, ZIP 2015, 149 ff.; Seibt/Cziupka, DB 2014, 1598 ff.; LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570 ff. mit Anm. Bachmann, ZIP 2014, 579 ff., dazu EWiR 2014, 175 (Hahn); nachdem die Hauptversammlung der Siemens AG am 27.1.2015 dem Vergleich zugestimmt hat, starb Heinz-Joachim Neubürger am 5.2.2015 durch eigene Hand; vgl. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ex-siemensfinanzchef-heinz-joachim-neubuerger-gestorben-13413421.html; http://www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/ ex-siemens-finanzvorstand-neubuerger-begeht-selbstmord-a1017002.html (Stand: 30.4.2015).
391 Der Gesellschaft gegenüber tritt die Ersatzpflicht gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG nicht ein, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht. Allerdings verlangt das Gesetz, dass ein hinreichender Zeitraum zwischen dem Entstehen des Anspruchs und dem Verzicht liegt, sodass die Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG erst drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen kann, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile zusammen 10 % des Grundkapitals erreichen, zur Niederschrift Widerspruch erhebt. Die zeitliche Beschränkung gilt gemäß § 93 Abs. 4 Satz 4 AktG nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. 392 Vergleichbare Vorschriften finden sich weder für die GmbH im GmbHG noch im HGB für die haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaft. Bei der GmbH besteht gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG grundsätzlich die Zuständig-
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IV. Haftung bei Insolvenzreife
keit der Gesellschafterversammlung, und ob die Regelung des § 93 Abs. 4 Satz 3 und Satz 4 AktG analog anwendbar ist, ist unklar. Vgl. Hasselbach, Der Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder, DB 2010, 2037 ff.; Thole, Rn. 417 ff.
Weiterhin ungeklärt ist die Wirksamkeit von Schiedsabreden über Ansprüche 393 gegen Organe. Vgl. Herresthal, ZIP 2014, 345 ff.; Leuering, NJW 2014, 657 ff.
Problematisch sind auch Einzelfragen des Gesamtschuldnerregresses unter 394 Organmitgliedern. Vgl. Fischer, ZIP 2014, 406 ff.
8. Sanieren oder Ausscheiden Unter der schlagwortartigen Zusammenfassung „Sanieren oder Ausscheiden“ 395 wird seit wenigen Jahren die Diskussion geführt, ob ein Gesellschafter, der nicht bereit ist, im Zuge einer Sanierung weitere Mittel zur Verfügung zu stellen, aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann. Vgl. Schöne, ZIP 2015, 501 ff.; Miras, DStR 2011, 318 ff.; Bohlken/Sprenger, DB 2010, 263 ff.; Schmidt, JZ 2010, 125 ff.; Wagner, NZG 2009, 1378 ff.
Der BGH nimmt dies an und hat entschieden, dass für den Fall, dass die Ge- 396 sellschafter einer zahlungsunfähigen und überschuldeten Publikumspersonengesellschaft mit der im Gesellschaftsvertrag für Änderungen des Vertrags vereinbarten Mehrheit beschließen, die Gesellschaft in der Weise zu sanieren, dass das Kapital „herabgesetzt“ und jedem Gesellschafter freigestellt wird, eine neue Beitragspflicht einzugehen („Kapitalerhöhung“), dass ein nicht sanierungswilliger Gesellschafter aber aus der Gesellschaft ausscheiden muss, so sind die nicht zahlungsbereiten Gesellschafter aus gesellschaftlicher Treuepflicht jedenfalls dann verpflichtet, diesem Gesellschafterbeschluss zuzustimmen, wenn sie infolge ihrer mit dem Ausscheiden verbundenen Pflicht, den auf sie entfallenden Auseinandersetzungsfehlbetrag zu leisten, finanziell nicht schlechter stehen, als sie im Falle der sofortigen Liquidation stünden. So BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 ff. = NZI 2009, 907 ff. = NZG 2009, 1347 ff. = ZfIR 2010, 503 = ZIP 2009, 2289 (m. Bespr. Holler, ZIP 2010, 1678), dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster). Zur Anwendung dieser Grundsätze auf eine Publikumsgesellschaft in Gestalt einer GbR: OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.6.2014 – I-16 U 149/13, ZIP 2014, 2183 ff., dazu EWiR 2015, 177 (Berjasevic); Meyer, ZIP 2015, 256 ff.
Regelt der Gesellschaftervertrag einer Publikumspersonengesellschaft, dass 397 eine Kapitalerhöhung auch im Krisenfall nur einstimmig beschlossen werden kann und das Nichterreichen der Einstimmigkeit zur Folge hat, dass die zu-
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B. Innenhaftung
stimmenden Gesellschafter berechtigt sind, ihre Einlagen zu erhöhen, während die nicht zustimmenden Gesellschafter eine Verringerung ihres Beteiligungsverhältnisses hinzunehmen haben, so sind die zahlungsunwilligen Gesellschafter nicht aus gesellschaftlicher Treuepflicht verpflichtet, einem Beschluss zuzustimmen, dass ein nicht sanierungswilliger Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768 ff. = NZG 2011, 510 ff., dazu EWiR 2011, 417 (Binkowski).
V. Haftung des Aufsichtsrates 1. Aktiengesellschaft 398 Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft hat gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Geschäftsführung zu überwachen. Gemäß § 116 Satz 1 AktG gilt für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder § 93 AktG mit Ausnahme des Abs. 2 Satz 3 AktG über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß. Den Aufsichtsrat selbst trifft die Massesicherungspflicht gemäß § 92 Abs. 2 AktG, die zur Erstattungspflicht gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG führt, zunächst nicht. Die Pflichten des Aufsichtsrates in der Krise verdichten sich dahin, dass er zwar nicht in die Geschäftsleitung eingreifen darf, aber alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen muss, insbesondere zusätzliche Berichte anfordern, häufiger zu Sitzungen zusammentreten und dafür sorgen muss, dass der Vorstand mit Personen besetzt ist, die in der Lage sind, die Krise zu lösen. So Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, Der Aufsichtsrat im System der Corporate Governance – Betriebswirtschaftliche und juristische Perspektiven, S. 165, 171; Hüffer, AktG, § 111 Rn. 7; Schmidt-Hern, in: Müller/Rödder, Beck’sches Handbuch der AG, § 17 Rn. 61.
399 In der Krise muss der Aufsichtsrat insbesondere prüfen, ob der Vorstand aufgrund der Krise personell verändert werden muss. Der Aufsichtsrat hat dazu eine umfassende Analyse der Krisenursachen vorzunehmen und dabei festzustellen, ob personelle Veränderungen im Vorstand geeignet sind, der Krise entgegenzusteuern. So Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, Der Aufsichtsrat im System der Corporate Governance, S. 163, 171.
400 Die Pflicht zur Einberufung einer Hauptversammlung gemäß § 92 Abs. 1 AktG bei Verlust des hälftigen Grundkapitals trifft zwar den Vorstand und ist gemäß § 401 AktG strafbewehrt, gleichwohl ist der Aufsichtsrat verpflichtet, den Vorstand zur Erfüllung der Einberufungspflicht anzuhalten. So RG, Urt. v. 7.6.1939 – II 199/38, RGZ 161, 129, 133 ff.; Schmidt-Hern, in: Müller/Rödder, Beck’sches Handbuch der AG, § 17 Rn. 62.
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V. Haftung des Aufsichtsrates
Der Aufsichtsrat hat gemäß § 111 Abs. 3 Satz 1 AktG eine Hauptversamm- 401 lung einzuberufen, wenn es das Wohl der Gesellschaft erfordert. Unterlässt der Vorstand der Gesellschaft eine gesetzlich gebotene Einberufung, so ist der Aufsichtsrat nicht lediglich berechtigt, sondern verpflichtet, die Hauptversammlung selbst einzuberufen. So Hüffer, AktG, § 111 Rn. 13; Schmidt-Hern, in: Müller/Rödder, Beck’sches Handbuch der AG, § 17 Rn. 62; Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, Der Aufsichtsrat im System der Corporate Governance, S. 163, 171.
Ist eine Gesellschaft nach Kenntnis des Aufsichtsrates insolvenzreif, so hat 402 dieser darauf hinzuwirken, dass der Vorstand rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellt und keine Zahlungen leistet, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht vereinbar sind. Die Mitglieder des Aufsichtsrates, die hiergegen schuldhaft verstoßen, können der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein. Das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG richtet sich zwar nur an den Vorstand als geschäftsleitendes Organ der Aktiengesellschaft, den Aufsichtsrat treffen aber Informations-, Beratungs- und Überwachungspflichten. So Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, Der Aufsichtsrat im System der Corporate Governance, S. 163, 171; Manger, Das Informationsrecht des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand – Umfang und Grenzen, NZG 2010, 1255 ff.
Der Aufsichtsrat muss sich ein genaues Bild von der wirtschaftlichen Situa- 403 tion der Gesellschaft verschaffen und insbesondere in einer Krisensituation alle ihm nach §§ 90 Abs. 3, 111 Abs. 2 AktG zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausschöpfen. So BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 ff. = NZI 2009, 490 ff. = NZG 2009, 550 ff. Rn. 15, dazu EWiR 2009, 493 (Keim/Giershaus); BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 ff. = NZG 2009, 107 ff. Rn. 21 = ZIP 2009, 70 (m. Bespr. Altmeppen, S. 49), dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
Stellt der Aufsichtsrat dabei fest, dass die Gesellschaft insolvenzreif ist, hat 404 er darauf hinzuwirken, dass der Vorstand rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellt und keine Zahlungen leistet, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht vereinbar sind. Erforderlichenfalls muss der Aufsichtsrat ein ihm unzuverlässig erscheinendes Vorstandsmitglied abberufen. So BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, Rn. 15, ZIP 2009, 860; Poertzgen, ZInsO 2010, 785, 788; Schmittmann, in: Grundei/ Zaumseil, Der Aufsichtsrat im System der Corporate Governance, S. 163, 171.
Die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO trifft ebenfalls 405 lediglich die Mitglieder des Vorstands, nicht aber die Mitglieder des Aufsichtsrates.
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B. Innenhaftung
406 Eine originäre Insolvenzantragspflicht für die Mitglieder des Aufsichtsrates ergibt sich nur, wenn die Gesellschaft führungslos ist. Im Falle der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft ist gemäß § 15a Abs. 3 InsO auch jedes Mitglied des Aufsichtsrates zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. Für die Erkenntnis steht es gleich, wenn sich ein Gesellschafter der Kenntnisnahme offensichtlicher Fakten bewusst verschließt. So Karsten Schmidt, in: Karsten Schmidt, InsO, § 15a Rn. 23.
407 Weiterhin kommt eine Verpflichtung des Aufsichtsrates, Insolvenzantrag für die Aktiengesellschaft zu stellen, in Betracht, wenn der Aufsichtsrat oder Mitglieder des Aufsichtsrates sich soweit in die Geschäftsführung der Gesellschaft einmischen, dass sie als faktischer Vorstand angesehen werden können. So Schmittmann, in: Grundei/Zaumseil, Der Aufsichtsrat im System der Corporate Governance, S. 163, 168.
408 Ein Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO führt allerdings nicht zu einer Innenhaftung, sondern zu einer Außenhaftung, sodass die weiteren Auswirkungen dort (vgl. Rn. 474 ff.) erörtert werden. 2. Gesellschaft mit beschränkter Haftung 409 In der Regel ist bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ein Aufsichtsrat nicht zu bilden. 410 In bestimmten Fällen ist nach Mitbestimmungsrecht bei der GmbH nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976, dem Drittelbeteiligungsgesetz und im Montanbereich gemäß Montanmitbestimmungsgesetz und Mitbestimmungsergänzungsgesetz bei Erreichen bestimmter Größenkriterien obligatorisch ein Aufsichtsrat einzurichten. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 36.
411 Im Übrigen steht es im Ermessen der Gesellschafter, in der Satzung (Gesellschaftsvertrag) der GmbH einen fakultativen Aufsichtsrat, der auch die Bezeichnung Verwaltungsrat, Beirat, Gesellschafterausschuss etc. tragen kann, vorzusehen. In diesen Fällen ist grundsätzlich auf die Regelung im Gesellschaftsvertrag abzustellen. Vgl. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 1183 ff.
412 Ist nach dem Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bestellen, so sind gemäß § 52 Abs. 1 GmbHG, § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und Satz 2, § 95 Satz 1, § 100 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5, § 101 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, §§ 105, 107 Abs. 4, §§ 110 bis 114, 116 AktG i. V. m. § 93 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AktG, § 124 Abs. 3 Satz 2, §§ 170, 171
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V. Haftung des Aufsichtsrates
AktG entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist. Sofern im Gesellschaftsvertrag eine Regelung fehlt, sind die in Bezug genom- 413 menen Regelungen im Aktiengesetz anwendbar, die in sachgerechter Weise in Regelungsstruktur und Begriffssystem der GmbH einzupassen sind. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG § 52 GmbHG Rn. 5.
Da § 52 Abs. 1 GmbHG auch auf § 116 Satz 1 AktG verweist, gelten die Aus- 414 führungen zur Aktiengesellschaft (siehe Rn. 398 ff.) zunächst sinngemäß. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Einordnung des fakultativen 415 Aufsichtsrates in das Organsystem der GmbH einer differenzierenden Betrachtung bedarf. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 16.
Einen „echten“ Aufsichtsrat wird man nur dann annehmen können, wenn das 416 fakultative Organ unentziehbare Aufsichtsbefugnisse hat und mit Organwaltern besetzt ist, die zur Überwachung der Geschäftsführung auch in der Lage sind. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 52.
Ebenso wie bei der Aktiengesellschaft gehört zu den Rechten und Pflichten 417 des Aufsichtsrates die Kontrolle der Legalität, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung einschließlich der retrospektiven Kontrolle der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Unternehmensführung, insbesondere auch bei Einzelgeschäften, die für die Liquidität und Rentabilität der Gesellschaft von Bedeutung sind. So Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 22; LG Stuttgart, Urt. v. 29.10.1999 – 4 KfH O 80/98, 2462, 2463, dazu EWiR 1999, 1145 (Kort); LG Bielefeld, Urt. v. 16.11.1999 – 15 O 91/98, ZIP 2000, 20 ff., dazu EWiR 2000, 107 (v. Gerkan).
Der BGH überträgt die Grundsätze der Haftung der Mitglieder eines Auf- 418 sichtsrates bei der AG nicht uneingeschränkt auf die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrates einer GmbH. Dieser habe zwar auch die Pflicht, die Rechtmäßigkeit des Handelns der Geschäftsleitung und damit auch die Einhaltung des mit dem Eintritt der Insolvenzreife entstehenden Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG – insoweit inhaltsgleich mit § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG – zu überwachen. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen diese Überwachungspflicht sind je- 419 doch nach der Rechtsprechung des BGH im Recht der GmbH anders geregelt als im Aktienrecht. So verweist § 52 Abs. 1 GmbHG auf die Schadensersatznorm des § 116 AktG nur mit der ausdrücklichen Einschränkung „i. V. m. § 93 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AktG“. Damit wird § 93 Abs. 3 AktG für den fakultativen Aufsichtsrat über die nur partielle Verweisung in 83
B. Innenhaftung
§ 52 GmbHG gerade nicht in Bezug genommen, anders als in den entsprechenden Vorschriften über den obligatorischen Aufsichtsrat einer GmbH (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Drittelmitbestimmungsgesetz, § 25 Abs. 1 Nr. 2 Mitbestimmungsgesetz, § 3 Abs. 2 Montanmitbestimmungsgesetz, § 3 Abs. 1 Satz 2 MontanMitbestG, § 6 Abs. 2 InvG). 420 Für eine Ersatzpflicht der Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrates, die ihre Überwachungspflicht hinsichtlich der Einhaltung des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG verletzt haben, fehlt die in § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG angeordnete Gleichstellung des Zahlungsabflusses mit einem Schaden der Gesellschaft i. S. d. §§ 249 ff. BGB. Daraus schließt der BGH, dass die Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrates der Gesellschaft nur dann ersatzpflichtig sind, wenn durch die Zahlung ausnahmsweise ein eigener Schaden der Gesellschaft entstanden ist, im Übrigen aber – und damit im Regelfall – mangels eines ihr entstandenen Schadens nicht haften. So BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 ff. = NZI 2010, 913 ff. = NZG 2010, 1186 ff.; Rn. 21 = ZIP 2010, 1988 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1973), dazu EWiR 2010, 713 (Vetter).
421 Bilden die Gesellschafter einer GmbH freiwillig einen Aufsichtsrat („fakultativer Aufsichtsrat“), wollen sie damit – soweit sie von ihrer in § 52 Abs. 1 GmbHG eröffneten Regelungsbefugnis keinen Gebrauch machen – nicht von der dualistischen Struktur der GmbH abweichen. So BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 ff. = NZI 2010, 913 ff. = NZG 2010, 1186 ff.; Rn. 26 = ZIP 2010, 1988 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1973), dazu EWiR 2010, 713 (Vetter); BGH, Beschl. v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48 ff. = ZIP 1997, 978 ff. = NJW 1997, 1985 ff. Rn. 13.
422 Die Gesellschafter einer GmbH, die einen fakultativen Aufsichtsrat bilden, wollen lediglich ein Gremium schaffen, das für die Gesellschafterversammlung als dem maßgeblichen Willensbildungs- und Kontrollorgan der Gesellschaft Teilaufgaben der Überwachung der Geschäftsführer übernimmt und sicherstellt, dass diese die Geschäfte so führen, wie es dem wohlverstandenen Interesse der Gesellschafter entspricht. Anders als der obligatorische Aufsichtsrat ist der fakultative Aufsichtsrat deswegen nicht im Interesse der Allgemeinheit in die Pflicht genommen und hat keine über seine ihm von der Gesellschafterversammlung übertragenen Aufgaben hinausgehenden öffentlichen Belange zu bewahren, sodass er grundsätzlich nur für solche Schäden i. S. d. §§ 249 ff. BGB einzustehen hat, die der Gesellschaft – und nicht bei gesellschaftsfremden Dritten – entstanden sind. So BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 ff. = NZI 2010, 913 ff. = NZG 2010, 1186 ff.; Rn. 26 = ZIP 2010, 1988 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1973), dazu EWiR 2010, 713 (Vetter); unter Hinweis auf RG, Urt. v. 7.6.1939 – II 199/38, RGZ 161, 129, 138 f.; RG, Urt. v. 19.4.1910 – II 400/09, RGZ 73, 392, 393.
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V. Haftung des Aufsichtsrates
3. Aufsichtsrat bei einer GmbH & Co. KG Bei einer haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaft, etwa der GmbH 423 & Co. KG, kann ebenfalls ein Beirat, Verwaltungsrat, Gesellschafterausschuss etc. gebildet werden, der allerdings nicht per se den aktienrechtlichen Aufsichtsratsregelungen folgt, da § 52 Abs. 1 GmbHG nicht anwendbar ist. Dies kann aber durch eine vertragliche Regelung in der Satzung eingeführt werden. Vgl. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 63; Haack, BB 1993, 1607 ff.; Rinze, NJW 1992, 2790 ff.; Hölters, DB 1980, 2225 f.
Der BGH hat zur Haftung eines Beirats einer Publikumsgesellschaft auf 424 Schadensersatz Stellung genommen. Vgl. BGH, Urt. v. 22.10.1984 – II ZR 2/84, NJW 1985, 1900 ff. = ZIP 1985, 31 ff., dazu EWiR 1985, 109 (Hommelhoff).
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C. Außenhaftung Unter Außenhaftung wird die Haftung der Organe verstanden, bei denen 425 nicht die Gesellschaft Anspruchsinhaberin ist, sondern Dritte. Im Wesentlichen resultieren die Tatbestände der Außenhaftung aus Vertrag, Vertrauen oder Delikt. Anders als die Ansprüche aus Innenhaftung, die sich regelmäßig aus den ein- 426 schlägigen gesellschaftsrechtlichen Normen ergeben und daher rechtsformabhängig geregelt sind, ergeben sich die Außenhaftungsansprüche aus allgemeinen Vorschriften und sind daher – sofern nichts anderes erwähnt ist – sowohl bei Kapitalgesellschaften als auch haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften anwendbar. I. Einführung Wer mit einer Kapitalgesellschaft oder einer haftungsbeschränkten Perso- 427 nenhandelsgesellschaft in Geschäftsbeziehung tritt, ist sich regelmäßig darüber bewusst, dass das haftende Vermögen seines Geschäftspartners schnell erschöpft sein kann und in einem Insolvenzverfahren lediglich mit einer geringen Quote gerechnet werden darf. Es liegt daher nahe, dass er entweder schon bei Eingehung der Geschäftsbeziehung oder während der laufenden, noch ungestörten Geschäftsbeziehung versucht, durch vertragliche Reglungen seine Befriedigungsaussicht zu verbessern. Ist dies nicht erfolgt und der Anspruch gegen den Vertragspartner realistischerweise nicht mehr durchsetzbar, so liegt es nahe, deliktische Ansprüche gegen die handelnden Personen zu prüfen, insbesondere wenn der Vorwurf einer Insolvenzverschleppung erhoben worden ist. II. Vertragshaftung Eine vertragliche Haftung kommt in Betracht, wenn der Geschäftspartner 428 neben den Ansprüchen gegen seinen ursprünglichen Vertragspartner über vertragliche Ansprüche gegen Gesellschafter oder Dritte aus Bürgschaft (siehe Rn. 429 ff.), Schuldbeitritt (siehe Rn. 432 ff.) oder Garantie (siehe Rn. 435 ff.) verfügt. 1. Bürgschaft Ein weit verbreitetes Sicherungsmittel ist die Bürgschaft. Bei einer Bürgschaft 429 verpflichtet sich der Bürge gemäß § 765 BGB gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Als Bürgen kommen neben den Organen der Gesellschaft insbesondere Ban- 430 ken in Betracht. Die Motivation für die Hereinnahme einer Bürgschaft des Organs liegt zum einen in der Hoffnung, dass dieser im Falle der Leistungsunfähigkeit der Gesellschaft für diese leistet. Im Hinblick auf die vielfältigen
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C. Außenhaftung
Haftungskonsequenzen eines Insolvenzverfahrens ist einerseits festzustellen, dass gegen die bürgenden Organe regelmäßig nur mit geringem oder gar keinem wirtschaftlichen Erfolg vorgegangen werden kann. Andererseits verspricht sich der Gläubiger von der Bürgschaft des Organs im laufenden Geschäftsbetrieb eine gesteigerte Sorgfalt und insbesondere das Bestreben, dass gerade gegenüber dem durch die Bürgschaft gesicherten Gläubiger keine Erfüllungsrückstände eintreten. 431 Bei der Bürgschaft handelt es sich gemäß § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB um eine akzessorische Sicherheit, sodass die Haftung des Bürgen in Höhe und Bestand von der Hauptverbindlichkeit abhängt. Die Bürgenhaftung ist darüber hinaus regelmäßig auch gemäß § 771 Satz 1 BGB subsidiär, sodass der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern kann, solange nicht der Gläubiger eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat. Dies gilt freilich nicht, wenn gemäß § 773 Abs. 1 BGB die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen ist. Vgl. Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1562; Sprau, in: Palandt, BGB, Einführung vor § 765 Rn. 6 ff.
2. Schuldbeitritt 432 Das Gesetz kennt mit § 414 BGB lediglich die Schuldübernahme; es ist allerdings unstreitig, dass der rechtsgeschäftliche Schuldbeitritt als reiner Verpflichtungsvertrag zulässig ist. So RG, Urt. v. 17.10.1904 – VI 587/00, RGZ 59, 233 ff.; Grüneberg, in: Palandt, BGB, Überblick vor § 414 Rn. 2.
433 Ein Schuldbeitritt führt dazu, dass der Gläubiger einen zweiten Schuldner erhält, seinerseits aber nur gegenüber seinem ursprünglichen Vertragspartner leistungspflichtig ist. Der Schuldbeitretende haftet gleichrangig neben dem Schuldner, sodass es sich – anders als bei der Bürgschaft – nicht um ein akzessorisches Sicherungsmittel handelt. So Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1562.
434 In der Praxis verlangen bisweilen Leasinggeber und Warenlieferanten einen Schuldbeitritt des Organs. Auch hier besteht die Motivation einerseits darin, gegebenenfalls gegen den Schuldbeitretenden vorgehen zu können, aber anderseits auch darin, diesen zu vertragsgemäßem Verhalten anzuhalten. 3. Garantie 435 Der Begriff der Garantie ist weit. Zum Teil verwendet das Gesetz den Begriff „Garantie“ für die Übernahme einer Einstandspflicht im Sinne einer verschuldensunabhängigen Haftung im Rahmen eines anderen Vertrages. Zum anderen wird eine Garantie dann angenommen, wenn der Garant sich verpflichtet, den Gläubiger (Garantienehmer) im Garantiefall so zu stellen, als
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III. Vertrauenshaftung
sei der geplante Erfolg eingetreten oder der befürchtete Schaden nicht entstanden. Der Garantievertrag entspricht nicht der Bürgschaft, insbesondere handelt es 436 sich nicht um eine akzessorische Haftung. So Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1562; Sprau, in: Palandt, BGB, Einführung vor § 765 Rn. 16.
In der Praxis ist es eher selten, dass Organe gegenüber Gläubigern der Gesell- 437 schaft eine Garantie abgeben. III. Vertrauenshaftung Die Vertrauenshaftung kommt in Betracht bei Rechtsscheinhaftung wegen 438 fehlenden Rechtsformzusatzes (siehe Rn. 439 ff.) oder Haftung wegen Pflichtverletzung vor oder bei Vertragsschluss (c. i. c.) (siehe Rn. 454 ff.). 1. Rechtsscheinhaftung wegen fehlenden Rechtsformzusatzes Gemäß § 4 AktG muss die Firma der Aktiengesellschaft die Bezeichnung 439 „Aktiengesellschaft“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung enthalten. Dies gilt gemäß § 4 Satz 1 GmbHG auch für die GmbH. Gemäß § 80 Abs. 1 AktG und § 35a GmbHG sind die Rechtsform und der Sitz der Gesellschaft, das Registergericht des Sitzes der Gesellschaft und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, sowie die Namen der Organe mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen anzugeben. Diese Angabepflichten gelten gemäß § 125a Abs. 1 HGB und § 177a HGB 440 auch für die OHG sowie die KG. Die Firma einer Genossenschaft muss gemäß § 3 GenG die Bezeichnung 441 „eingetragene Genossenschaft“ oder die Abkürzung „eG“ enthalten sowie gemäß § 25a Abs. 1 GenG Pflichtangaben auf dem Briefbogen machen. Das deutsche Handelsrecht ist vom Grundsatz der unbeschränkten Haftung 442 geprägt, sodass ein Geschäftspartner darauf vertrauen darf, es mit einem unbeschränkt haftenden Geschäftspartner zu tun zu haben, sofern er keine anderweitige Information erhält. So Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1562.
Wird bei Vertragsverhandlungen und insbesondere bei Vertragsschluss durch 443 das Zeichnen der Firma ohne den Rechtsformzusatz das berechtigte Vertrauen des Geschäftsgegners auf die Haftung mindestens einer natürlichen Person hervorgerufen, haften nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung der organschaftliche Vertreter der Gesellschaft und gegebenenfalls auch jeder andere Vertreter des Unternehmens, sofern er den Rechtsformzusatz fortgelassen hat.
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C. Außenhaftung So BGH, Urt. v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, ZIP 1991, 1004 ff. = NJW 1991, 2627 ff. mit Anm. Canaris, dazu EWiR 1992, 359 (Medicus).
444 Dass die Rechtsscheinhaftung auslösende Vertrauen wird nicht bereits durch einen mündlichen Geschäftsabschluss ausgelöst. Vielmehr ist die „Zeichnung“ des Vertreters unter Fortlassung des Rechtsformzusatzes oder die ausdrückliche mündliche Verneinung des Handelns für die Gesellschaft erforderlich. So BGH, Urt. v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, ZIP 1996, 1511 ff. = NJW 1996, 2645 ff.
445 Der für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Geschäftsverkehr Auftretende haftet – gleichgültig, ob dies der Geschäftsführer selbst oder ein anderer Vertreter ist – aus dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinhaftung analog gemäß § 179 BGB dann, wenn er durch sein Zeichnen der Firma ohne Rechtsformzusatz das berechtigte Vertrauen des Geschäftsgegners auf die Haftung mindestens einer natürlichen Person hervorgerufen hat. Diese Grundsätze gelten nicht nur in Bezug auf deutsche Rechtsformen, sondern auch in Bezug auf ausländische Rechtsformen, wenn der durch den für sie auftretenden Vertreter verursachte Rechtsschein in Deutschland entstanden ist und sich dort ausgewirkt hat (hier: Besloten Vennootschap). So BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, ZIP 2007, 908 ff. = NJW 2007, 1529 ff. = DStR 2007, 863 ff., dazu EWiR 2007, 513 (Lamsa).
446 Das durch das Fortlassen des Zusatzes der Rechtsform verursachte Vertrauen in die unbeschränkte persönliche Haftung des Firmeninhabers wird nicht dadurch zerstört, dass sich die wirklichen Verhältnisse aus dem Handelsregister ergeben. Im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs muss auch ohne vorherige Einsicht in das Handelsregister im laufenden geschäftlichen Kontakt erkennbar sein, mit wem der Vertrag geschlossen werden soll. So BGH, Urt. v. 18.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990, 2678, dazu EWiR 1990, 649 (Hirte).
447 Die Rechtsscheinhaftung hängt nicht davon ab, dass zuvor die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft festgestellt worden ist, da es sich bei der Rechtsscheinhaftung nicht um eine subsidiäre Ausfallhaftung für den wirklichen Unternehmensträger handelt. So BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990, 2678 ff., dazu EWiR 1990, 649 (Hirte).
448 Die Rechtsscheinhaftung greift lediglich ein, wenn der Geschäftspartner die wahren Verhältnisse nicht gekannt und sich im Vertrauen auf die unbeschränkte Haftung seines Vertragspartners auf das Rechtsgeschäft eingelassen hat. Es ist Sache des beklagten Handelnden, der den Rechtsschein erzeugt hat und dessen Rechtsfolgen nicht gegen sich gelten lassen will, die Kenntnis des Gegners von den wahren Verhältnissen vorzutragen und zu beweisen. 90
III. Vertrauenshaftung So BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990, 2678 ff., dazu EWiR 1990, 649 (Hirte).
Als besonders schutzwürdig werden von der Rechtsprechung die Geschäfts- 449 partner von Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) angesehen, da diese lediglich über ein geringes Stammkapital verfügen. Wird für eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) mit dem Rechtsformzusatz „GmbH“ gezeichnet, besteht eine Rechtsscheinhaftung des Handelnden wegen unzureichender Information der Geschäftspartner über die gesetzlich angeordnete Kapitalausstattung der Gesellschaft bis zur Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlichen Stammkapital der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) und dem Mindeststammkapital einer GmbH. Dies ist darin begründet, dass das von vornherein (stark) verminderte Stammkapital der Unternehmergesellschaft als Variante der GmbH dem Rechtsverkehr gegenüber zwingend offenzulegen ist, was sich in § 5a Abs. 1 GmbHG niederschlägt, wonach eine Abkürzung des Zusatzes „haftungsbeschränkt“ nicht zulässig ist. Daher darf der Zusatz erst recht nicht weggelassen werden, sondern ist buchstabengetreu zu verwenden. So BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 ff. = NJW 2012, 2871 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2012, 697 (Heckschen).
Setzt der für eine UG (haftungsbeschränkt) Handelnde zurechenbar den 450 Rechtsschein einer potentiell günstigeren Haftungssituation aufgrund einer besseren Kreditwürdigkeit der Gesellschaft, haftet er gegenüber dem Vertragspartner, der hierauf gutgläubig vertraut hat, neben dem Unternehmensträger als Gesamtschuldner. Er kann sich dieser Haftung nicht dadurch entziehen, dass er das Stammkapital der Unternehmergesellschaft bis zur Höhe eines verursachten Rechtsscheins auffüllt und die UG (haftungsbeschränkt) damit in die Lage versetzt, die eingegangene Verbindlichkeit selbst zu erfüllen. Vielmehr begründet § 179 BGB eine schuldunabhängige Garantiehaftung, die allein auf dem Umstand basiert, dass die unmittelbar auftretende Person durch die dem Vertragspartner gegenüber abgegebene sachlich unzutreffende Erklärung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. So BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 ff. = NJW 2012, 2871 ff. Rn. 24; BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NZG 2007, 426 f. = ZIP 2007, 908 (m. Bespr. Altmeppen, S. 889), dazu EWiR 2007, 513 (Lamsa).
Ist der Handelnde von einem Dritten in Anspruch genommen worden, so ist 451 es seine Sache, im Innenverhältnis Ausgleich von dem wirklichen Rechtsträger zu verlangen. Damit trägt er dessen Insolvenzrisiko, was nach der Rechtsprechung des BGH allerdings angemessen ist. So BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 ff. = NJW 2012, 2871 ff. Rn. 25; BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600 ff. = NJW 1990, 2678 ff.
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C. Außenhaftung
452 Existiert der vermeintliche Unternehmensträger (noch) nicht, haftet der Handelnde unmittelbar nach § 177 ff. BGB. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 903; BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 193/01, NJW-RR 2005, 1585 f. = MDR 2005, 1394 f. (zur Anwaltshaftung).
453 Ein Verstoß gegen § 5a GmbHG führt nach Auffassung des LG Düsseldorf nicht ohne Weiteres zur persönlichen Haftung desjenigen, der die Firma falsch angegeben hat. Vielmehr sind weitere, vertrauensbegründende Aspekte erforderlich. Gegen die Annahme der Inhaberschaft einer natürlichen Person spricht nach Auffassung des Gerichts, dass in diesem Falle der Zusatz „e. K.“ erforderlich gewesen wäre. Schon die Verwendung der Bezeichnung „UG“ soll nach Auffassung des Gerichts geeignet sein, beim Vertragspartner erkennen zu lassen, dass es sich um eine juristische Person handelt. In dem entschiedenen Fall bestand allerdings die Besonderheit, dass es sich um einen geschäftlich erfahrenen Vertragspartner gehandelt hat, dessen Aufsichtsrat mit Steuerberatern und Juristen besetzt war. Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 16.10.2013 – 9 O 434/12, ZIP 2014, 1174 ff. (rkr.).
2. Haftung wegen Pflichtverletzung vor oder bei Vertragsschluss („c. i. c.“) 454 Die §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB kommen gegenüber dem Vertragspartner in Betracht („culpa in contrahendo“). Die Pflichtverletzung besteht hier regelmäßig in der Verletzung von Sorgfalts- und Obhutspflichten, z. B. die unterlassene Aufklärung über eine wirtschaftlich angespannte Lage. So Bitter, ZInso 2010, 1561, 1563.
455 Der Anspruch aus c. i. c. richtet sich regelmäßig gegen den (zukünftigen) Vertragspartner, also gegen die Gesellschaft. So Bitter, ZInsO 201, 1561, 1563.
456 Eine Erstreckung der Haftung aus c. i. c. auf die Person, die für die Gesellschaft gehandelt hat, kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn besondere Umstände hinzutreten, z. B. wirtschaftliches Eigeninteresse des Vertreters oder Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens. 457 Die Vertreterhaftung wegen wirtschaftlichem Eigeninteresse wurde vom Reichsgericht für Fälle entwickelt, in denen der Vertreter der eigentliche Vertragsinteressent war und nur aus formalen Gründen nicht selbst als Vertragspartei, sondern als Vertreter auftrat („procurator in rem suam“). So RG, Urt. v. 1.3.1928 – VI 258/27, RGZ 120, 249, 252 f.
458 Nach der Rechtsprechung des BGH war ein die Haftung begründendes Eigeninteresse angenommen worden, wenn das handelnde Organ an der Gesellschaft als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter beteiligt war.
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III. Vertrauenshaftung So BGH, Urt. v. 23.2.1993 – VIII ZR 325/81, BGHZ 87, 27 ff. = ZIP 1983, 428 ff.; BGH, Urt. v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, ZIP 1982, 1435 ff. = NJW 1983, 676 ff.
An dieser Rechtsprechung hat der BGH nachfolgend nicht mehr festgehal- 459 ten, sondern das Vorliegen weiterer Voraussetzungen verlangt, wobei auch die Hingabe von Sicherheiten nicht ausreicht. So BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 ff. = ZIP 1994, 1103 ff. = NJW 1995, 1202 f. mit Anm. Hirte.
Eine Eigenhaftung des Vertreters kann sich auch unter dem Gesichtspunkt 460 der Vertreterhaftung wegen in Inanspruchnahme eines besonderen persönlichen Vertrauens ergeben. Zwar nimmt das Organ, wenn er für die Gesellschaft in Vertragsverhandlungen eintritt, grundsätzlich nur das normale Verhandlungsvertrauen in Anspruch, für dessen Verletzung der Vertragspartner, also die Gesellschaft, einzustehen hat. Wenn von dem Vertreter gegenüber dem Vertragspartner allerdings ein zusätzliches, von ihm selbst ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen hervorgerufen wird, ist ein besonderes persönliches Vertrauen gegeben. So BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 ff. = ZIP 1994, 1103 ff. = NJW 1995, 1202 f. mit Anm. Hirte; BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, NJW-RR 1991, 1312 ff. = ZIP 1991, 1140 ff., dazu EWiR 1992, 161 (Medicus).
Eine haftungsrechtlich relevante Inanspruchnahme eines besonderen persön- 461 lichen Vertrauens liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn sich das Verhalten des Organs darin erschöpft, eine Aufklärung über die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft, zu der er angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage verpflichtet wäre, zu unterlassen. So BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 ff. = ZIP 1994, 1103 ff. = NJW 1995, 1202 f. mit Anm. Hirte; BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140 ff. = NJW-RR 1991, 1312 ff.
Die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens kann gegeben 462 sein, wenn der Geschäftsführer als Vertragsvermittler mit Hinweis auf seine außergewöhnliche Sachkunde oder seine besondere persönliche Zuverlässigkeit dem Vertragspartner eine zusätzliche, von ihm persönlich ausgehende Gewähr für das Gelingen des in Aussicht gestellten Geschäfts gibt. So BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 157/88, NJW 1990, 389 f. = ZIP 1989, 1455 ff., dazu EWiR 1990, 265 (Miller); Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1565.
In der Praxis ist eine Haftung aus Übernahme besonderen persönlichen Ver- 463 trauens kaum von Bedeutung, da die Voraussetzungen regelmäßig nicht gegeben sind. So Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1565.
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C. Außenhaftung
IV. Deliktische Haftung 464 Die deliktische Haftung greift ein, wenn keine vorhandenen vertraglichen Ansprüche bestehen, allerdings die Tatbestandsmerkmale eines gesetzlichen Haftungstatbestandes bestehen, der insbesondere aus strafrechtlichen Vorschriften resultieren kann, aber auch aus sonstigen Haftungsgründen. 1. Deliktische Zuweisung des § 31 BGB 465 Nach der für alle juristischen Personen sowie die GbR geltende Norm des § 31 BGB ist der Verein, also die Gesellschaft, für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand (das Organ), ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtung begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. So Ellenberger, in: Palandt, BGB, § 31 Rn. 3; BGH, Urt. v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, BGHZ 154, 88 = ZfIR 2003, 745 (LS) ff. = ZIP 2003, 664 ff. = NJW 2003, 1445 ff.; BGH, Urt. v. 8.2.1952 – I ZR 92/51, NJW 1952, 537, 538.
466 Die Regelung des § 31 BGB ist keine haftungsbegründende, sondern eine haftungszuweisende Norm. So BGH, Urt. v. 23.3.2010 – VI ZR 57/09, ZIP 2010, 1122 ff. = NZG 2010, 587 ff. Rn. 38, dazu EWiR 2010, 515 (Bernau).
467 Sind für die unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen über das allgemeine Verschulden hinaus subjektive Elemente Voraussetzung, wie dies z. B. bei § 826 BGB oder 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB der Fall ist, müssen diese Voraussetzungen auch in der Person des Verrichtungsgehilfen erfüllt sein. So BGH, Urt. v. 23.3.2010 – VI ZR 57/09, ZIP 2010, 1122 ff. = NZG 2010, 587 ff. Rn. 38, dazu EWiR 2010, 515 (Bernau); BGH, Urt. v. 29.6.1956 – I ZR 129/54, NJW 1956, 1715 f. = DB 1956, 916.
468 Der Vorsatz im Rahmen deliktischer Ansprüche wird nicht grundsätzlich vermutet, sodass den Geschädigten grundsätzlich die Beweislast für das Verschulden des Schädigers, bezogen auf die Schutzgesetzverletzung, trifft. So BGH, Urt. v. 23.3.2010 – VI ZR 57/09, ZIP 2010, 1122 ff. = NZG 2010, 587 ff. Rn. 38; BGH, Urt. v. 1.7.2008 – XI ZR 411/06, ZIP 2008, 1673 ff. = ZfIR 2008, 742 (LS) = NJW 2008, 2912 ff.; BGH, Urt. v. 13.12.1984 – III ZR 20/83, NJW 1985, 1774 f. = JZ 1985, 540 f.
469 Ungeachtet dessen, dass nach § 31 BGB die Gesellschaft für Schäden haftet, die ihr organschaftlicher Vertreter im Rahmen seines Aufgabenkreises einem Dritten zugefügt hat, kommt eine eigene Haftung des Organs in Betracht, wenn er persönlich den Schaden durch eine unerlaubte Handlung herbeigeführt hat.
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IV. Deliktische Haftung So BGH, Urt. v. 11.7.1995 – VI ZR 409/94, NJW 1995, 1369 f.; BGH, Urt. v. 29.9.1987 – VI ZR 300/86, NJW-RR 1988, 671 f.; BGH, Urt. v. 25.1.1984 – VIII ZR 227/82, ZIP 1984, 439 ff. = NJW 1984, 2284 ff.
Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers einer GmbH greift ein, wenn 470 er eine nicht im Eigentum der GmbH stehende Sache veräußert. So BGH, Urt. v. 12.3.1996 – VI ZR 90/95, ZIP 1996, 786 ff. = NJW 1996, 1535 ff., dazu EWiR 1996, 591 (Müller).
Eine solche deliktische Haftung gemäß §§ 31, 823 Abs. 1 BGB gegenüber einem 471 Sicherungsnehmer kommt in Betracht, wenn der Geschäftsführer fahrlässig Sicherungsgut veräußert. So OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.1.2014 – 4 U 49/13 (rkr.), GmbHR 2014, 481 ff., dazu EWiR 2014, 773 (Schodder).
Handelt nicht der Geschäftsführer selbst, sondern ein Mitarbeiter, trifft den 472 Geschäftsführer keine deliktische Haftung, da nur die Gesellschaft Geschäftsherr i. S. v. § 831 BGB ist. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 952; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, ZIP 2012, 1552 ff. = NZG 2012, 992 ff. = NZI 2012, 941 ff.; BGH, Urt. v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 ff. = NJW 1990, 976 ff. = ZIP 1990, 35, dazu EWiR 1990, 357 (Brüggemeier).
Wenn der Geschäftsführer über die Pflichten aus der Organstellung hinaus 473 weitere Pflichten übernommen hat, die er nicht nur für die Gesellschaft als deren Organ zu erfüllen hat, sondern die ihn aus besonderen Gründen persönlich gegenüber dem Gläubiger trafen und den Schutz von dessen Vermögensinteressen zum Gegenstand hatten, kommt eine Außenhaftung des Geschäftsführers einer GmbH in Betracht. So BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, ZIP 2012, 1552 ff. = NJW 2012, 3439 ff. Rn. 26, dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen/ Causevic).
2. Haftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO) Eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung kommt unter verschiedenen 474 Gesichtspunkten in Betracht. Die Regelung des § 823 Abs. 2 BGB ist eine allgemeine deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage, die den Täter gegenüber dem Geschädigten verpflichtet, den aus der deliktischen Handlung resultierenden Schaden zu ersetzen. Über § 823 BGB hinausgehend erweitert § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB den Schutz auf das Vermögen des Geschädigten, das durch § 823 Abs. 1 BGB nicht geschützt ist. Haftungsvoraussetzung ist der die Schädigung eines Rechtsguts verursachende Verstoß gegen eine Schutznorm. So Sprau, in: Palandt, BGB, § 823 Rn. 56.
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C. Außenhaftung
a) Grundlagen 475 Der organschaftliche Vertreter einer Kapitalgesellschaft oder einer haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaft ist gemäß § 15a Abs. 1 InsO bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur Insolvenzantragstellung ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung verpflichtet. 476 Bei einer Führungslosigkeit trifft die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 3 InsO bei einer GmbH auch jeden Gesellschafter und bei einer führungslosen Aktiengesellschaft oder Genossenschaft auch jedes Mitglied des Aufsichtsrates. Eine Insolvenzantragspflicht des Gesellschafters bzw. Mitglieds des Aufsichtsrates besteht nicht, wenn diese Person von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis hat. 477 Bei Führungslosigkeit einer insolventen GmbH ist zur Stellung eines Insolvenzantrags jeder Gesellschafter berechtigt und auch verpflichtet. Ist Gesellschafterin der insolvenzreifen GmbH eine ebenfalls führungslose GmbH, so sind deren Gesellschafter berechtigt und verpflichtet, den Insolvenzantrag für die insolvente Gesellschaft zu stellen. So LG München, Beschl. v. 29.7.2013 – 14 T 15462/13, ZInsO 2014, 1166.
478 Die Bestimmung des § 15a Abs. 1 InsO ist Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gesellschaftsgläubiger. So OLG Hamm, Beschl. v. 7.2.2014 – 9 U 224/13, ZInsO 2014, 840 ff.; umfassend: KPB/Preuß, InsO, § 15a Rn. 84.
479 Schon zu den Vorgängernormen, die noch im Gesellschaftsrecht angesiedelt waren (§ 64 Abs. 1 GmbHG a. F., § 92 Abs. 2 AktG a. F., § 99 Abs. 1 GenG a. F., §§ 130a Abs. 1, 177a HGB a. F.), war entschieden, dass es sich um Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB gehandelt hat. So BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 ff. = ZIP 1994, 1103 ff. = NJW 1995, 1202 ff. mit Anm. Hirte; BGH, Beschl. v. 20.9.1993 – II ZR 292/91, NJW 1993, 2931 ff. = DStR 1993, 1714 ff. = ZIP 1993, 1543 (Gerd Müller, S. 1531, Wilhelm, S. 1833), dazu EWiR 1993, 1095 (Roth).
480 Sämtliche Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer sind – unabhängig von einer möglichen Ressortverteilung – zur Insolvenzantragstellung verpflichtet. Diese Verpflichtung kann auch nicht durch Gesellschaftsvertrag oder Gesellschafterbeschluss abbedungen werden. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1101.
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IV. Deliktische Haftung
Die Gesellschaft ist berechtigt, ein Vorstandsmitglied oder einen Geschäfts- 481 führer, der die Insolvenzantragspflicht verletzt, außerordentlich gemäß § 826 Abs. 1 BGB zu kündigen. So BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365 ff. = NJW 2005, 3069 ff.; vgl. Gehrlein, BB 2005, 1700 ff.; Haase/Sommermeyer, GmbHR 2005, 1051 ff.
b) Schaden Das Verbot der Insolvenzverschleppung dient nicht nur der Erhaltung des 482 Gesellschaftsvermögens, sondern hat auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfond vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden. So BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 ff. = NZI 2014, 25 f. = KTS 2014, 316 ff. Rn. 7 = GmbHR 2014, 89 ff. mit Anm. Poertzgen, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann).
Hinsichtlich des Schadens, der durch eine Insolvenzverschleppung entsteht, 483 ist zwischen dem Altgläubiger- und dem Neugläubigerschaden zu unterscheiden. Vgl. KPB/Preuß, InsO, § 15a Rn. 85 ff.
Der Schaden des Altgläubigers besteht in der durch die Insolvenzverschleppung 484 bedingten Masse- und Quotenverminderung. Der Schaden des Neugläubigers liegt darin, dass er der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geldoder Sachmittel zur Verfügung gestellt hat, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen. So BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 ff. = NZI 2014, 25 f. = KTS 2014, 316 ff. Rn. 7 = GmbHR 2014, 89 ff. mit Anm. Poertzgen, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann); BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 ff. = DStR 2012, 1872 ff., dazu EWiR 2012, 525 (Schodder) Rn. 13; BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 ff. = NZI 2011, 452 ff. = NJW 2011, 2427 ff. Rn. 40, dazu EWiR 2011, 503 (Wachter); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 ff. = NZG 2007, 347 ff. Rn. 13 = ZIP 2007, 676, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 ff. = ZIP 2005, 1734 ff. = NZI 2006, 58 ff.
Einem Neugläubiger steht der Ersatz des Vertrauensschadens zu, der da- 485 durch entsteht, dass der Gläubiger mit dem Schuldner einen Vertrag schließt und eine Vorleistung erbringt. So BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 ff. = NZI 2014, 25 f. = KTS 2014, 316 ff. Rn. 7 = GmbHR 2014, 89 ff. mit Anm. Poertzgen, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann).
Neugläubiger haben bei einem schuldhaften Verstoß der Geschäftsführer gegen 486 die Insolvenzantragspflicht einen Anspruch gegen diese auf Ausgleich des
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C. Außenhaftung
Schadens, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft getreten sind. So BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 ff. = NZI 2014, 25 f. = KTS 2014, 316 ff. Rn. 7 = GmbHR 2014, 89 ff. mit Anm. Poertzgen, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann); BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 ff. = DStR 2012, 1872 ff. Rn. 13, dazu EWR 2012, 525 f. (Schodder); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 ff. = NZI 2011, 452 ff. = NJW 2011, 2427 ff. Rn. 40, dazu EWiR 2011, 503 (Wachter); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 ff. = ZIP 2007, 676 ff. = NZG 2007, 347 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 ff. = ZIP 2005, 1734 ff. = NZI 2006, 58 ff.
487 Hat eine insolvenzreife GmbH die von ihr geschuldete vertragliche Leistung nicht ordnungsgemäß erbracht und ist dadurch die Schädigung des Vermögens des Vertragspartners der GmbH durch deliktisches Handeln eines Dritten begünstigt worden, besteht darin unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Insolvenzantragspflicht kein die Haftung des Geschäftsführers der GmbH für den eingetretenen Schaden auslösender innerer Zusammenhang zwischen der Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch den Geschäftsführer und dem Vermögensschaden des Vertragspartners der GmbH. So BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, NZI 2015, 234 ff. = ZIP 2015, 267, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
488 Der geschädigte Neugläubiger ist – gegebenenfalls Zug um Zug gegen Abtretung seiner Forderung gegen die Schuldnerin – so zu stellen, wie er stünde, wenn er mit der insolvenzreifen Gesellschaft keinen Vertrag geschlossen hätte. Der somit auf den Ausgleich des negativen Interesses gerichtete Schadensersatzanspruch umfasst nicht den aus dem abgeschlossenen Geschäft mit dem Schuldner entgangenen Gewinn; der Neugläubiger kann allerdings einen Gewinn ersetzt verlangen (§ 252 BGB), den er ohne den Vertragsschluss mit dem Schuldner anderweitig hätte erzielen können. So BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09 Rn. 40; BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 ff. = DStR 2012, 1872 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 ff. = NZI 2011, 452 ff. = NJW 2011, 2427 ff. Rn. 40, dazu EWiR 2011, 503 (Wachter); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = NZG 2007, 347 ff. = ZIP 2007, 676 ff. Rn. 13, dazu EWIR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734 ff. = NZI 2006, 58 ff.; BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 ff. = NZG 2009, 750 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 ff. = NZG 2007, 347 ff. Rn. 13 = ZIP 2007, 676 ff., dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche).
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IV. Deliktische Haftung
Während der Altgläubigerschaden durch den Insolvenzverwalter geltend ge- 489 macht wird, haben die Neugläubiger einen unmittelbaren Anspruch gegen das Organ der Gesellschaft, der von ihnen auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch außerhalb des Verfahrens geltend gemacht werden kann. So Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 59.
Der Quotenschaden der Altgläubiger ist durch den Schutzzweck des § 15a 490 Abs. 1 InsO auf den Betrag beschränkt, um den sich die Masse und damit ihre Quote infolge der Insolvenzverschleppung verringert hat. So BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 = ZIP 1994, 1103; BGH, Urt. v. 28.4.1997 – II ZR 20/97, ZIP 1997, 1542.
Ein weitergehender Schaden ist vom Schutzbereich der Insolvenzantrags- 491 pflicht nicht erfasst, sodass z. B. der durch die Insolvenzverschleppung eingetretene Verlust insolvenzfester Sicherungsrechte nicht erstattungsfähig ist. So Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 347.
Ein Vermieter, der dem Mieter vor Insolvenzreife Räume überlassen hat, ist 492 regelmäßig Altgläubiger und erleidet keinen Neugläubigerschaden infolge der Insolvenzverschleppung, wenn er sich bei Insolvenzreife nicht von dem Mietvertrag hätte lösen können. Der Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht ist bei Begründung eines Dauerschuldverhältnisses vor Insolvenzreife nicht ursächlich für den Vertragsabschluss und damit für die Geld- oder Sachleistung nach Insolvenzreife. Vielmehr ist der Gläubiger aufgrund der vertraglichen Beziehung zur Leistung verpflichtet. So BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 ff. = NZI 2014, 25 f. = KTS 2014, 316 ff. Rn. 7 = GmbHR 2014, 89 ff. mit Anm. Poertzgen, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann).
Lediglich dann, wenn das Dauerschuldverhältnis mit Insolvenzeröffnung endet 493 oder gekündigt werden kann oder eine Lösung vom Vertrag bei Stellung eines Eröffnungsantrags möglich ist, kann die Fortsetzung des vertraglichen Verhältnisses darauf beruhen, dass der Gläubiger seine Leistung im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft fortsetzt, obwohl er sich bei Kenntnis der Insolvenzreife vom Vertrag gelöst hätte. So BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 ff. = NZI 2014, 25 f. = KTS 2014, 316 ff. Rn. 7 = GmbHR 2014, 89 ff. mit Anm. Poertzgen, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 ff. = ZIP 2007, 676 ff. Rn 13, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche).
Ein Neugläubigerschaden ist z. B. bei einem sog. „Kreditgewährungsscha- 494 den“ gegeben, den eine Bank im Rahmen eines der GmbH eingeräumten Kontokorrentkredits erleidet, soweit sich dessen Saldo in der Insolvenzverschleppungsphase erhöht. Damit erwirbt die Bank eine (wertlose) Forderung 99
C. Außenhaftung
gegen die GmbH, aus der sich eine Haftung gegen den Geschäftsführer ergibt. So BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 ff. = NZG 2007, 347 ff. Rn. 13 = ZIP 2007, 676 ff., dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 ff. = NJW 1994, 2220 ff = ZIP 1994, 1103 ff.
495 Auch Honoraransprüche von Rechtsanwälten können einen Neugläubigerschaden darstellen. Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.3.2013 – I-24 U 204/12, n. v.
496 Aus einer Insolvenzverschleppung ergibt sich darüber hinaus noch die Verpflichtung zur Leistung eines Massekostenvorschusses gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 InsO. Diese Norm, die in der Praxis kaum Anwendung findet, stellt eine Art Schadensersatz für unterlassene oder verspätete Insolvenzantragstellung dar. So Keller, in: Karsten Schmidt, InsO, § 26 Rn. 41.
3. Haftung wegen Betruges (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB) 497 Der Straftatbestand des Betruges (§ 263 StGB) ist Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB. So Sprau, in: Palandt, BGB, § 823 Rn. 69.
498 In der Krise einer Kapitalgesellschaft spielt der Eingehungsbetrug eine große Rolle. Bei einem gegenseitigen Vertrag besteht nach Treu und Glauben für den einen Vertragsteil die Rechtspflicht, eine bei ihm nach dem Vertragsschluss eingetretene Zahlungsunfähigkeit dem vorleistungspflichtigen Vertragsgegner zu offenbaren. So BGH, Urt. v. 15.6.1954 – 1 StR 526/53, BGHSt 6, 198 f. = NJW 1954, 1414 f.; OLG Köln, Beschl. v. 9.7.2013 – 19 U 34/13, ZInsO 2014, 2453, 2455; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 17.
499 Grundsätzlich gilt, dass das Eingehen einer Zahlungsverpflichtung konkludent die Erklärung der Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit enthält, sodass der Vertragspartner zur Vorleistung bereit ist. Der Tatbestand des § 263 StGB ist erfüllt, wenn der Täter im Moment des Eingehens der Vertragsverpflichtung seine Zahlungsunfähigkeit kennt. Dies ist freilich nicht gegeben, wenn er erst etwa ein Jahr nach der Warenbestellung die eidesstattliche Versicherung abgibt. So AG Neukölln, Urt. v. 18.7.2008 – 20 C 68/08, ZVI 2009, 85, 86.
500 Gläubiger versuchen bisweilen durch Strafanzeigen gegen die Organe des Schuldners ein Ermittlungsverfahren in Gang zu setzten, um damit Druck auf den organschaftlichen Vertreter in der Hoffnung auszuüben, dass er den
100
IV. Deliktische Haftung
Schaden ausgleicht. Sieht die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht, wird das Strafverfahren zum Teil gemäß § 153a Abs. 1 StPO mit der Auflage eingestellt, dass der Täter dem Geschädigten den entstandenen Schaden zu ersetzen hat. Damit ist dann das Ziel des Anzeigeerstatters erreicht. Vgl. Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 18.
Problematisch ist in aller Regel der Nachweis, dass das Organ im Zeitpunkt 501 der Eingehung der Verbindlichkeit wusste, dass die Gesellschaft bei Fälligkeit nicht wird zahlen können. Hierbei fehlt dem Anzeigeerstatter oftmals die Kenntnis über die wirtschaftlichen Verhältnisse der späteren schuldnerischen Gesellschaft, da er z. B. nicht über betriebswirtschaftliche Auswertungen, Informationen über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen etc. verfügt. 4. Haftung wegen Untreue (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB) Eine Haftung wegen Untreue kommt ebenfalls in Betracht, da § 266 StGB 502 Schutzgesetz i. S. v. § 823 BGB ist. So Sprau, in: Palandt, BGB, § 823 Rn. 69.
Soweit der Straftatbestand der Untreue (§ 266 StGB) gegenüber der Gesell- 503 schaft verübt wird, haftet das handelnde Organ unmittelbar gemäß § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG, ohne dass es eines Rückgriffs auf die deliktische Haftung bedarf. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 985.
Die Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Ge- 504 schäfte der Gesellschaft aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG bestehen grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft, sodass bei der Verletzung dieser Pflichten grundsätzlich lediglich Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen das Organ bestehen. Insbesondere ergibt sich aus der Stellung als Geschäftsführer einer GmbH bzw. Mitglied des Vorstands einer Aktiengesellschaft keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern. So BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 ff. = NZI 2012, 1552 ff. = NZI 2012, 941 ff. Rn. 22 = ZIP 2012, 1552, dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen, W./Causevic).
Eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht i. S. d. § 266 Abs. 1 2. Alt. 505 StGB liegt auch nicht in der Verpflichtung des Auftraggebers, die von ihm gemäß § 17 Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOB/B einbehaltene Sicherheit auf ein Sperrkonto einzuzahlen (§ 17 Nr. 6 Abs. 1 Satz 3 VOB/B/B). So BGH, Urt. v. 25.5.2010 – VI ZR 205/09, BGHZ 185, 378 ff. = ZfBR 2010, 658 ff. = NJW 2010, 2948 ff. Rn. 14.
101
C. Außenhaftung
5. Haftung wegen Bankrotts (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 283 StGB) 506 Die Insolvenzstraftatbestände (§§ 283 ff. StGB) schützen – neben individuellen Interessen – in erster Linie die Insolvenzmasse im Interesse der gesamten Gläubigerschaft. So BGH, Urt. v. 22.2.2001 – 4 StR 421/00, NJW 2001, 1874 ff. = NZI 2001, 496 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2002, 125 (Wessing); BGH, Urt. v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371 ff. = NJW 1980, 406 ff.
507 Bislang hatte in der Praxis eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 283 ff. StGB keine nennenswerte Bedeutung, da aufgrund der bislang herrschenden „Interessentheorie“ eine Strafbarkeit bei eigennützigen Motiven des Organs ausschied. Vgl. Bitter, ZInsO 2010, 1561, 1569; vgl. zur Interessentheorie BGH, Beschl. v. 14.12.1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136 = NZI 2001, 97; BGH, Urt. v. 20.5.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127 ff. = NJW 1981, 1793 f.
508 In der Anwendung der Interessentheorie entsteht eine Ungleichbehandlung von Einzelkaufleuten und GmbH-Geschäftsführern. Die Anwendung der „Interessenformel“ führt zu einer dem Schutzzweck zuwiderlaufenden Zurückdrängung der Delikte des Insolvenzstrafrechts bei vermögensschädigenden und damit in der Regel masseschmälernden Verhaltensweisen zum Nachteil von Handelsgesellschaften. Der BGH hält daher an der Interessentheorie nicht mehr fest. So BGH, Beschl. v. 10.1.2012 – 4 Ars 17/11, wistra 2012, 191; BGH, Beschl. v. 15.9.2011 – 3 StR 118/11, ZIP 2011, 2403 ff. = NStZ 2012, 89 ff., dazu EWiR 2012, 399 (Brammsen).
509 Somit kommen auch deliktische Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 283 StGB gegen die Organe in Betracht. 6. Haftung wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB) 510 Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB ist auch das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird gemäß § 266a Abs. 1 StGB bestraft. 511 Gemäß § 266a Abs. 2 StGB wird ebenso bestraft, wer als Arbeitgeber der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung vorenthält. 102
IV. Deliktische Haftung
Gemäß § 266a Abs. 6 StGB kann das Gericht in diesen Fällen von einer Be- 512 strafung absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich ernsthaft darum bemüht hat. Der Anspruch richtet sich – sofern mehrere Geschäftsführer bestellt sind – 513 gegen sämtliche Geschäftsführer. Sie sind für die Erfüllung der öffentlichrechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, unabhängig von der internen Zuständigkeitsverteilung oder einer Delegation auf andere Personen, verantwortlich. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 6, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 10.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 ff. = NZI 2001, 194 ff. = NJW 2001, 469 ff.; BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 370 ff. = ZIP 1996, 2071 ff. Rn. 20, dazu EWiR 1997, 37 (Schneider).
Zur Annahme des Vorsatzes reicht es aus, wenn der Geschäftsführer eine für 514 möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt. Ist die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Resort eines anderen Geschäftsführers zugewiesen oder auf Angestellte übertragen, muss der Geschäftsführer im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist, und durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 11, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 ff. = NZI 2001, 194 ff. = NJW 2001, 469 ff.; BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 370 ff. = ZIP 1996, 2071 ff., dazu EWiR 1997, 37 (Schneider).
Eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäfts- 515 ablauf innerhalb der Gesellschaft bieten Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 11, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99; ZIP 2001, 422 ff. = NZI 2001, 194 ff. = NJW 2001, 469 ff.; BGH, Urt. v. 15.10.1996 – V ZR 315/95.
Die Bestimmung des § 24 Abs. 1 SGB IV, wonach Säumniszuschläge zu er- 516 heben sind, ist kein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB. So BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, ZVI 2012, 189 ff. = WM 2012, 660 ff. Rn. 12; BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR
103
C. Außenhaftung 247/09, BGHZ 187, 337 ff. = WM 2011, 88 ff. Rn. 24 = ZIP 2011, 37, dazu EWiR 2011, 261 (Riedemann); BGH, Urt. v. 18.11.2010 – IX ZR 67/10, ZVI 2011, 93 ff. = KTS 2011, 363 ff. Rn. 16; BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 238/07, ZIP 2008, 2075 ff. = WM 2008, 2125 ff. = NJW 2008, 3557 ff., dazu EWiR 2009, 79 (Kuhn); BGH, Urt. v. 11.6.1985 – VI ZR 61/84, ZIP 1995, 996 ff. = MDR 1996, 43 f.
517 Die Nichtzugehörigkeit des Säumniszuschlags gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV zu den Schutzgesetzen des § 823 Abs. 2 BGB hat darüber hinaus in der Insolvenz des Einzelunternehmers, der Arbeitgeber ist, sowie im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Organs (Geschäftsführer oder Vorstand) zur Folge, dass der Säumniszuschlag nicht als Deliktforderung i. S. v. § 302 Nr. 1 InsO angemeldet werden kann. Die Säumniszuschläge i. S. v. § 24 Abs. 2 SGB IV werden daher von der Erteilung der Restschuldbefreiung erfasst. 518 Bei der Regelung des § 266a StGB sind zwei Besonderheiten zu berücksichtigen. Den Arbeitgeber trifft die Verpflichtung zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge auch dann, wenn die den Arbeitnehmern zustehenden Löhne ganz oder teilweise gar nicht ausgezahlt werden. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 992.
519 Ebenfalls besteht eine Verpflichtung zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen, wenn Arbeitnehmer nicht angemeldet, sondern illegal beschäftigt werden. Bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich das Bruttoentgelt nach den sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben. Daran knüpft die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge an. Vorenthalten i. S. v. § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge, da der Straftatbestand des § 266a StGB sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet ist. So BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, ZIP 2009, 473 ff. = NJW 2008, 528 ff. Rn. 14, dazu EWiR 2009, 219 (Floeth).
520 Eine strafbare Veruntreuung von Arbeitsentgelt liegt lediglich hinsichtlich des Arbeitnehmeranteils, nicht aber des Arbeitgeberanteils vor. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR196/09 Rn. 19, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 f. = WM 2009, 1514 f. = NZG 2009, 913 f. Rn. 6, dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann).
521 Die Vorenthaltung eines Beitrags ist gegeben, wenn der Beitrag am Fälligkeitstermin nicht bezahlt worden ist und der Gesellschaft die Zahlung möglich wäre. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 996.
522 Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV werden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Mo104
IV. Deliktische Haftung
nats fällig, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt. Der Tatbestand der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB ist bereits bei 523 der schlichten Nichtzahlung am Fälligkeitstage gegeben. So BGH, Urt. v. 1.10.1991 – VI ZR 374/90, ZIP 1991, 1511 ff. = NJW 1992, 117 ff., dazu EWiR 1992, 79 (Marxen).
Abweichungen können sich aus der Satzung einer Krankenkasse ergeben. Ist 524 dort zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ein „Fälligkeitstermin“ und ein von diesem abweichender „Zahlungstag“ bestimmt, wird der geschuldete Beitrag erst mit dem „Zahlungstag“ fällig. So BGH, Urt. v. 18.11.1997 – VI ZR 11/97, ZIP 1998, 31 ff. = NZG 1998, 153 ff. = NJW 1998, 1306 f., dazu EWiR 1998, 277 f. (Pape)
In der Krise werden bisweilen lediglich noch Teilzahlungen erbracht oder eine 525 Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Sozialversicherungsträger abgeschlossen. Werden keine Vollzahlungen erbracht, richtet sich die Tilgungsreihenfolge grundsätzlich nach § 4 BVV (Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages, Beitragsverfahrensordnung, BGBl. I 2006, 1138). So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers. Rn. 1001.
In der Praxis ist dem Geschäftsführer anzuraten, für den Fall, dass lediglich 526 Teilleistungen erbracht werden können, eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung vorzunehmen, wonach – zur Vermeidung der eigenen straf- und zivilrechtlichen Haftung – mit einem ausdrücklichen Tilgungsbestimmungsvermerk auf die Arbeitnehmeranteile am Sozialversicherungsbeitrag gezahlt wird. Das Gesetz geht davon aus, dass dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Fällig- 527 keit hinreichende Liquidität zur Verfügung steht, um Sozialversicherungsabgaben zu leisten. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Zahlung aus Barmitteln, Krediten oder sonstigen Mitteln erfolgen soll. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1003.
Der Tatbestand des § 266a StGB liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber die 528 Verbindlichkeit gegenüber dem Träger der Sozialversicherung bei Fälligkeit wegen Zahlungsunfähigkeit nicht erfüllen kann. So BGH, Urt. v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05, ZIP 2007, 541 ff. = ZVI 2007, 427 ff. = NZI 2007, 416 f. Rn. 17.
Das geschäftsleitende Organ einer juristischen Person ist verpflichtet, geeig- 529 nete Vorkehrungen zu treffen, um ausreichende Liquidität zur Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge bei Fälligkeit bereitzustellen. Der Tatbestand 105
C. Außenhaftung
des § 266a StGB ist auch dann verwirklicht, wenn das geschäftsleitende Organ diese Pflicht verletzt und der Beitragsschuldner zum Fälligkeitszeitpunkt zahlungsunfähig ist. Kraft seiner Organisationsgewalt hat das geschäftsleitende Organ sicherzustellen, dass die der Körperschaft obliegenden Aufgaben durch die damit betrauten Personen auch tatsächlich erfüllt werden. So BGH, Beschl. v. 12.6.2012 – II ZR 105/10, DStR 2012, 2451 ff.; BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304 ff. = ZIP 1997, 412, dazu EWiR 1997, 561 (Marxen).
530 Das geschäftsleitende Organ einer juristischen Person hat kraft seiner Organisationsgewalt sicherzustellen, dass die der Körperschaft obliegenden Aufgaben durch die damit betrauten Personen auch tatsächlich erfüllt werden. So BGH, Beschl. v. 12.6.2012 – II ZR 105/10, DStR 2012, 2451 ff. Rn. 5; BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 10, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber).
531 Eine den Straftatbestand ausschließende Unmöglichkeit liegt nicht vor, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung noch Zahlungen an andere Gläubiger, z. B. den Vermieter, in übersteigender Höhe geleistet hat. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 10, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber).
532 Es entlastet das Organ auch nicht, wenn von dritter Seite ein „Sanierungsbeauftragter“ in die Geschäftsleitung entsandt wird und sich der eingehenden Gelder bemächtigt. So BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 ff. = ZIP 1996, 2017 ff. Rn. 26, dazu EWiR 1997, 37 (Schneider).
533 Eine tatbestandsausschließende Unmöglichkeit liegt weiterhin nicht vor, wenn die Zahlungsunfähigkeit bedingt vorsätzlich herbeigeführt worden ist, indem das Organ pflichtwidrig gehandelt hat, z. B. zwischen der Auszahlung der Löhne und Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung Leistungen an andere Gläubiger erbracht worden sind. Dabei ist es unbeachtlich, ob hinsichtlich der Leistungen an andere Gläubiger eine „kongruente Deckung“ anzunehmen ist. So BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, WM 1997, 577 ff. = NJW 1997, 1237 ff. = ZIP 1997, 412 ff., dazu EWiR 1997, 561 (Marxen).
534 Ein geschäftsführendes Organ kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine Zahlung unterblieben sei, da bereits Insolvenzantrag gestellt ist. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1014.
106
IV. Deliktische Haftung
Erst wenn das Insolvenzgericht zumindest einen Zustimmungsvorbehalt 535 (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. InsO) oder ein allgemeines Verfügungsverbot (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. InsO) angeordnet hat, verliert das geschäftsführende Organ die Möglichkeit, Zahlungen vorzunehmen. Sowohl ein Strohmann als auch ein faktischer Geschäftsführer können Täter 536 i. S. v. § 266a StGB sein, sodass sie auch gemäß § 823 Abs. 2 BGB haften. So (Rn. 1118); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1022 ff.; vgl. auch: Scheidler, , VR 2015, 150 ff.; Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 406 ff.
Eine Haftung setzt voraus, dass der in Haftung Genommene im Zeitpunkt 537 der Fälligkeit noch geschäftsführendes Organ war. Ist er vor dem Fälligkeitszeitpunkt abberufen worden, scheidet eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB aus, selbst wenn er im Fälligkeitszeitpunkt noch im Handelsregister eingetragen war. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1026; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2002 – 22 U 99/02, GmbHR 2003, 420.
Auch der Geschäftsführer einer Vor-GmbH haftet, da § 14 Abs. 1 Nr. 1 538 StGB auch auf Vor-Gesellschaften juristischer Personen anwendbar ist. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1028; a. A.: KG, Urt. v. 4.7.2001 – 29 U 9/01, ZIP 2002, 438 ff. = NZG 2002, 483 ff.
Eine Haftung gemäß § 11 Abs. 2 GmbHG (sog. „Handelndenhaftung“) 539 scheidet allerdings aus, da die Norm lediglich für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten gilt. Sozialversicherungsbeiträge sind nicht rechtsgeschäftlich, sondern gesetzlich begründet. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1029.
Der Straftatbestand des § 266a StGB kann lediglich vorsätzlich erfüllt werden. 540 Zur Annahme des Vorsatzes reicht es aus, wenn das geschäftsführende Organ eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 10, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 ff. = ZIP 1996, 2017 ff., dazu EWiR 1997, 37 (Schneider); BGH, Urt. v. 1.10.1991 – VI ZR 374/90, ZIP 1991, 1511 ff. = NJW 1992, 177 ff., dazu EWiR 1992, 29 (Marxen).
Das geschäftsführende Organ muss nicht die Absicht gehabt haben, die Bei- 541 träge auf Dauer vorzuenthalten. Es genügt der Wille, sie am Fälligkeitstage nicht abzuführen.
107
C. Außenhaftung So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1031.
542 Der hier ausreichende bedingte Vorsatz ist bereits gegeben, wenn der Geschäftsführer eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 11, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 ff. = NZI 2001, 194 ff. = NJW 2001, 469 ff., BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, ZIP 1997, 412.
543 Für den Vorsatz i. S. v. § 266a Abs. 1 StGB ist das Bewusstsein und der Wille erforderlich und ausreichend, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen. Daran kann es fehlen, wenn Zahlungsversuche unternommen worden sind und die anstehende Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge mit der kontoführenden Bank abgestimmt war. Ein geschäftsleitendes Organ darf dann erwarten, dass ein in das Abstimmungsverfahren einbezogener Scheck auch eingelöst wird. In einem solchen Falle hat das geschäftsführende Organ die Nichtzahlung der Beiträge weder billigend in Kauf genommen noch sich damit wenigstens abgefunden. So BGH, Urt. v. 1.10.1991 – VI ZR 374/90, ZIP 1991, 1511 ff. = WM 1991, 2113 ff. = NJW 1992, 177 ff.
544 Auch eine Stundung der fälligen Sozialversicherungsbeiträge kann den Vorsatz entfallen lassen. So BGH, Urt. v. 1.10.1991 – VI ZR 374/90, ZIP 1991, 1511 ff. = WM 1991, 2113 ff. = NJW 1992, 177 ff.
545 Zwischen der Pflichtverletzung (Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge) und dem eingetretenen Schaden muss Kausalität bestehen. Der ersatzfähige Schaden des Sozialversicherungsträgers entfällt, wenn der Sozialversicherungsträger die vom geschäftsführenden Organ pflichtgemäß geleisteten Zahlungen später nach den Bestimmungen über die Insolvenz- oder Gläubigeranfechtung hätte zurückzahlen müssen. So BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, ZVI 2012, 189 ff. = WM 2012, 660 ff. Rn. 11; BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, BGHZ 187, 337 ff. = WM 2011, 41 ff. = ZIP 2011, 37 ff., dazu EWiR 2011, 261 (Riedemann); BGH, Urt. v. 18.4.2005 – V ZR 61/03, ZIP 2005, 1026 ff. = WM 2005, 1180 ff. = NZI 2005, 447 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn); BGH, Urt. v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80 ff. = WM 2001, 162 ff. = KTS 2001, 155 ff., dazu EWiR 2001, 185 (A. Schmidt).
546 Das geschäftsführende Organ kann nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass es die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht gezahlt habe, weil ansonsten ein Erstattungsanspruch wegen Verstoßes gegen die Massesicherungspflicht (§ 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 64 Satz 1 GmbHG, § 99 GenG) aus-
108
IV. Deliktische Haftung
gelöst worden wäre. Eine Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG (und damit auch gemäß § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG und § 99 GenG) scheidet aus, wenn es nach Eintritt der Insolvenzreife rückständige Umsatz- und Lohnsteuer an das Finanzamt und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt. Einem geschäftsführen Organ kann mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden, nach Eintritt der Insolvenzreife fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht an die zuständige Einzugsstelle zu zahlen, um damit im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger im nachfolgenden Insolvenzverfahren zu handeln, sich aber gleichzeitig der Strafbarkeit gemäß § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie der Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB auszusetzen. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 4/09, ZIP 2010, 368 f. = WM 2010, 409 f. = NZG 2010, 305 f. Rn. 4.
Das Haftungsrisiko für das geschäftsführende Organ gemäß § 823 Abs. 2 547 BGB i. V. m. § 266a StGB führt nicht zu einer besonderen Dokumentationspflicht. Weiterhin tritt auch keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ein, selbst wenn objektiv feststeht, dass der Pflichtenverstoß erfolgt ist. So BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026 ff. = WM 2005, 1180 ff. = NZI 2005, 447 ff., dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn).
Der Insolvenzverwalter muss daher darlegen und gegebenenfalls beweisen, 548 dass im Haftungszeitraum keine Unmöglichkeit vorgelegen hat. Dazu reicht es aus, dass der Insolvenzverwalter z. B. vorträgt, dass die spätere Schuldnerin im maßgeblichen Zeitraum noch Zahlungen an andere Gläubiger geleistet hat, die die fälligen Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitnehmeranteil) überstiegen haben. So BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 f. = NZG 2008, 628 f. = DStR 2008, 1492 f. Rn. 10, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber).
Die Beweislast für eine mögliche Anfechtbarkeit trägt der Geschäftsführer, 549 da es sich um einen typischen Kausalverlauf handelt. So BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, ZVI 2012, 189 ff. = WM 2012, 660 ff. Rn. 11; BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 ff. Rn. 14; BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03; BGH, Urt. v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80 ff. = WM 2001, 162 ff. = NZI 2001, 138 f. = KTS 2001, 155 ff., dazu EWiR 2001, 185 (Kuhn).
Der Straftatbestand des § 266a StGB bezieht sich lediglich auf den Arbeit- 550 nehmeranteil des Sozialversicherungsbeitrags. Daher kommt eine Ersatz-
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C. Außenhaftung
pflicht auch lediglich hinsichtlich des Arbeitnehmer-, nicht aber hinsichtlich des Arbeitgeberanteils in Betracht. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 f. = WM 2009, 1514 f. = NZG 2009, 913 f. Rn. 6, dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann).
551 Ebenfalls nicht von der Haftung umfasst ist der Säumniszuschlag (§ 24 Abs. 1 SGB IV). So BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, ZVI 2012, 189 ff. = WM 2012, 660 ff. Rn. 12; BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, BGHZ 187, 337 ff. = ZIP 2011, 37 ff. = WM 2011, 88 ff. Rn. 24; BGH, Urt. v. 18.11.2010 – IX ZR 67/10, ZVI 2011, 93 ff. = KTS 2011, 363 ff. Rn. 16; BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 238/07, ZIP 2008, 2075 ff. = WM 2008, 2125 ff. = NJW 2008, 3557 ff. Rn. 2, dazu EWiR 2009, 79 (Kuhn).
552 Rechtsverfolgungskosten sowie Verzugs- und Prozesszinsen sind von der Haftung umfasst. So BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, ZVI 2012, 189 ff. = WM 2012, 660 ff. Rn. 11.
553 Seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes gilt für die Verjährung der Ansprüche gegen das geschäftsführende Organ die regelmäßige kenntnisabhängige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Diese beträgt drei Jahre. Der Beginn der Verjährungsfrist richtet sich nach dem Kenntnisstand der Bediensteten der für die Vorbereitung und Verfolgung des Regressanspruchs zuständigen Abteilung der Behörde oder öffentlichen Körperschaft. So BGH, Beschl. v. 12.6.2012 – II ZR 105/10, DStR 2012, 2451 ff. Rn. 2.
554 Zu den anspruchsbegründenden Umständen gehört auch die Zahlungsfähigkeit der GmbH, sodass Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Einzugsstelle nicht schon mit dem Ausbleiben der Zahlungen gegeben sind. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1077.
7. Haftung nach dem BauFordSiG 555 Nach dem Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (BauFordSiG v. 1.6.1909, RGBl. 1909, 449) ist der Empfänger von Baugeld verpflichtet, das Baugeld zur Befriedigung solcher Personen, die an der Herstellung oder dem Umbau des Baues aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Kaufvertrages beteiligt sind, zu verwenden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BauFordSiG). Gemäß § 2 BauFordSiG werden Baugeldempfänger bestraft, welche ihre Zahlungen eingestellt haben oder über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und deren in § 1 Abs. 1 BauFordSiG bezeichnete Gläubiger zur Zeit der Zah-
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IV. Deliktische Haftung
lungseinstellung oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens benachteiligt sind, wenn sie zum Nachteil der bezeichneten Gläubiger den Vorschriften des § 1 BauFordSiG zuwider gehandelt haben. Die Regelung des § 1 Abs. 1 BauFordSiG (früher: GSB) ist Schutzgesetz 556 i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. So BGH, Urt. v. 8.1.1991 – VI ZR 109/90, WM 1991, 905 ff. = BauR 1991, 237 ff.
Ein geschäftsführendes Organ haftet gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 557 BauFordSiG (seinerzeit: GSB) persönlich, wenn er vorsätzlich Baugelder i. S. d. § 1 BauFordSiG zweckwidrig verwendet hat und deshalb eine einem Bauunternehmer zustehende Werklohnforderung nicht erfüllt wird. So BGH, Urt. v. 19.8.2010 – VII ZR 169/09, WM 2010, 2090 ff. = ZfBR 2010, 777 ff. = BauR 2010, 2107 ff. Rn. 10; BGH, Urt. v. 8.1.1991 – VI ZR 109/90; BGH, Urt. v. 24.11.1981 – VI ZR 47/80, NJW 1982, 1037 ff. = MDR 1982, 478 ff.
Neben der Haftung des im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers 558 kommt auch eine Haftung des faktischen Geschäftsführers in Betracht. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1264; KPB/Preuß, InsO, § 15a Rn. 29; OLG Hamburg, Beschl. v. 9.9.2009 – 11 U 148/08, BauR 2010, 639 ff.; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 10.12.2013 – 3 K 1632/12, DStRE 2015, 434, 437 (rkr.).
Das in Haftung genommene Organ muss vorsätzlich gehandelt haben, wobei 559 bedingter Vorsatz genügt. Der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges muss als möglich und nicht völlig unwahrscheinlich erkannt und gebilligt werden. Dies ist bereits dann der Fall, wenn der Täter sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang und überhaupt das Nichtvorliegen des objektiven Tatbestandes vertrauen zu können, und wenn er es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. So BGH, Urt. v. 13.12.2001 – VII ZR 305/99, ZfIR 2002, 191 f. = WM 2002, 861 f. = NJW-RR 2002, 740.
Gemäß § 1 Abs. 4 BauFordSiG trifft die Beweislast den Empfänger des Bau- 560 geldes, wenn die Baugeldeigenschaft oder die Verwendung streitig ist. Der Nachweis zweckentsprechender Verwendung des Baugeldes ist geführt, wenn feststeht, dass Baugläubiger in Höhe des Baugeldbetrages befriedigt worden sind. Demnach muss der Kläger beweisen, dass der Empfänger des Baugeldes zumindest in Höhe der Forderung des Geschädigten Baugeld erhalten hat und dass davon nichts mehr vorhanden ist, ohne dass die fällige Forderung des Anspruchsstellers befriedigt worden wäre. So BGH, Urt. v. 19.8.2010 – VII ZR 169/09, WM 2010, 2090 ff. = ZfBR 2010, 777 ff. = BauR 2010, 2107 ff. Rn. 17.
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C. Außenhaftung
8. Unterlassene Insolvenzsicherung von Wertguthaben (§ 8a AltTZG/§ 7d Abs. 1 SGB IV a. F.) 561 Eine Vereinbarung über Altersteilzeitarbeit führt in der Regel zum Aufbau eines Wertguthabens. Übersteigt das Wertguthaben den Betrag des dreifachen des Regelarbeitsentgeltes gemäß § 6 Abs. 1 AltTZG einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Sozialversicherungsbeitrag, ist der Arbeitgeber gemäß § 8a AltTZG verpflichtet, das Wertguthaben einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag mit der ersten Gutschrift in geeigneter Weise gegen das Risiko seiner Zahlungsunfähigkeit abzusichern. 562 Nach der früheren Regelung des § 7d Abs. 1 SGB IV hatten die Vertragsparteien im Rahmen ihrer Vereinbarungen nach § 7 Abs. 1a SGB IV (Altersteilzeit) Vorkehrungen zu treffen, die der Erfüllung der Wertguthaben einschließlich des auf sie entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers dienen, soweit (1.) ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht besteht und (2.) das Wertguthaben des Beschäftigten einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag einen Betrag in Höhe des dreifachen der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. 563 Die Regelung des § 7d Abs. 1 SGB IV a. F. (heute: § 8a AltTZG) ist kein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB, dessen Verletzung zu einer deliktischen Haftung wegen unterbliebener Insolvenzsicherung führen kann. Die Formulierung des § 7d Abs. 1 SGB IV a. F. lässt erkennen, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer verpflichtet sind, an der Gewährleistung des Schutzes mitzuwirken, sodass eine klare Zuweisung der Verantwortung für den Insolvenzschutz als Voraussetzung für eine individuelle Haftung des Geschäftsführers einer GmbH auf Schadensersatz fehlt. So BAG, Urt. v. 12.4.2011 – IX AZR 229/10, NZG 2011, 1422 ff. = DB 2011, 2538 ff. = BB 2012, 2955 f. Rn. 52; BAG, Urt. v. 13.12.2005 – IX AZR 436/04, BAGE 116, 293 ff. = ZIP 2006, 1213 ff. = NZI 2007, 184 (LS) Rn. 42, dazu EWiR 2006, 637 (Plagemann).
564 Eine Haftung des geschäftsführenden Organs einer juristischen Person für die Erfüllung rechtsgeschäftlich begründeter Ansprüche kommt lediglich dann ausnahmsweise in Betracht, wenn er dem Vertragsgegenstand besonders nahesteht und bei wirtschaftlicher Betrachtung gewissermaßen in eigener Sache handelt oder er gegenüber dem Vertragspartner in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und damit die Vertragsverhandlungen beeinflusst hat, was nicht vorliegt, wenn er es lediglich unterlassen hat, eine Aufklärung über die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft vorzunehmen. So BAG, Urt. v. 12.4.2011 – IX AZR 229/10, NZG 2011, 1422 ff. = DB 2011, 2538 ff. = BB 2012, 2955 f. Rn. 46; BAG, Urt. v. 13.12.2005 – IX AZR 436/04, BAGE 116, 293 ff. = ZIP 2006,
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IV. Deliktische Haftung 1213 ff. = NZI 2007, 184 (LS) Rn. 42, dazu EWiR 2006, 637 (Plagemann).
Unter dem Gesichtspunkt von § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 565 StGB kommt ausnahmsweise die Haftung eines geschäftsführenden Organs in Betracht, wenn er einem in Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmer unter Einschaltung eines Tatmittlers wahrheitswidrig vorspiegelt, das von ihm während der Arbeitsphase verdiente, aber an ihn noch nicht zur Auszahlung gelangte Arbeitsentgelt sei gegen eine Insolvenz des Arbeitgebers gesichert. So BAG, Urt. v. 12.4.2011 – IX AZR 229/10, NZG 2011, 1422 ff. = DB 2011, 2538 ff. = BB 2012, 2955 f. Rn. 52; BAG, Urt. v. 13.12.2005 – IX AZR 436/04, BAGE 116, 293 ff. = ZIP 2006, 1213 ff. = NZI 2007, 184 (LS) Rn. 42, dazu EWiR 2006, 637 (Plagemann).
9. Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) Ein geschäftsführendes Organ einer Gesellschaft, das durch eine Insolvenz- 566 verschleppung einen nicht vom Schutzbereich des § 15a Abs. 1 InsO abgedeckten Vermögensschaden der Arbeitsverwaltung verursacht, kann grundsätzlich gemäß § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein. So BGH, Urt. v. 13.10.2009 – VI ZR 288/08, ZIP 2009, 2439 f. = NZI 2010, 74 f. = NZG 2010, 114 ff. Rn. 7, dazu EWIR 2010, 389 (Barnert); BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140 ff. = NJW-RR 1991, 1312 ff. = DStR 1991, 1429 f.
Der Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i. S. d. § 826 BGB kann er- 567 füllt sein, wenn der als unabwendbar erkannte „Todeskampf“ eines Unternehmens so lange wie möglich hinausgezögert wird und dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird. So BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 ff. = NZI 2008, 242 ff. Rn. 15 = ZIP 2008, 361, dazu EWiR 2008, 527 (Blank).
Einer Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 826 BGB steht auch nicht 568 entgegen, dass seitens der Gesellschaft darauf vertraut worden ist, dass die Sanierungsbemühungen durchgreifen. Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann ausscheiden, wenn der für die Stellung des Insolvenzantrags Verantwortliche den Antrag unterlassen hat, weil er die Krise den Umständen nach als überwindbar und darum Bemühungen um ihre Behebung durch einen Sanierungsversuch als lohnend und berechtigt ansehen durfte. So BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 ff. = NZI 2008, 242 ff. Rn. 17 = ZIP 2008, 361 ; BGH, Urt. v. 22.6.1989 – IX ZR 164/88, BGHZ 108, 123 ff. = NJW 1989, 3155 ff. = ZIP 1989, 926, dazu EWiR 1989, 919 (Hanisch); BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 ff. = ZIP 1984, 572 ff. = NJW 1988, 1893 ff.; BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 ff. = NZI 2008, 242 ff.
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C. Außenhaftung
569 Eine Haftung gemäß § 826 BGB kommt darüber hinaus auch in Betracht, wenn gegenüber Vertragspartnern, mit denen risikoreiche Verträge eingegangen werden, die Offenbarung der Vermögenslage der Gesellschaft unterlassen wird. So BGH, Urt. v. 16.3.1995 – II ZR 152/91, ZIP 1992, 694 f. = NJW-RR 1992, 1061 ff. = GmbHR 1992, 363 ff.; BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140 ff. = NJW-RR 1991, 1312 ff. = GmbHR 1991, 409 ff.
570 Bei einem auf Dauer angelegten Kooperationsvertrag trifft den Geschäftsleiter auch persönlich die Pflicht, Kooperationspartner nicht zu schädigen, indem ihnen nach Insolvenzantragstellung noch Aufträge erteilt werden, aus denen sie voraussichtlich nur noch im Rahmen einer Insolvenzquote bedient werden können. Der Geschäftsleiter haftet dann gemäß § 826 BGB persönlich. So OLG Köln, Beschl. v. 9.7.2013 – 19 U 34/13, ZInsO 2014, 2453, 2454.
571 Ein Fall von § 823 BGB liegt dann vor, wenn die Zahlungsfähigkeit nur „durch geschickte Ausnutzung von Zahlungszielen und rechtzeitige Anforderung von Abschlagszahlungen“ aufrechterhalten werden kann und die Gesellschaft „laufend auf Kosten erst in der Zukunft erwarteter Gewinne“ lebt. Eine einseitige Risikoverlagerung auf die Gläubiger stellt sich als Verstoß gegen die guten Sitten dar. So BGH, Urt. v. 30.11.1978 – II ZR 204/76, NJW 1979, 2104 f. = GmbHR 1979, 89 f.
572 Allein die Einstellung des Geschäftsbetriebs einer juristischen Person stellt sich nicht als Fall der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB dar. Die Gesellschafter einer juristischen Person sind nicht verpflichtet, deren Geschäftsbetrieb im Interesse von Gesellschaftsgläubigern im bisherigen Umfang fortzuführen. Es steht ihnen frei, die Beendigung des Geschäftsbetriebs und die Auflösung der Gesellschaft zu beschließen, Warenbestände zu veräußern, die Geschäftstätigkeit einzuschränken oder andere Maßnahmen zu treffen, durch die sich die Vollstreckungsaussichten von Gesellschaftsgläubigern vermindern. Im Falle der Betriebseinstellung sind insbesondere die Vorschriften über die Insolvenzantragspflicht und gegebenenfalls entstehende insolvenzspezifische Ansprüche wie erstattungs- und insolvenzrechtliche Rückgewähransprüche zu berücksichtigen, allein die Einstellung des Geschäftsbetriebs zieht aber – ohne das Hinzutreten besonderer Verwerflichkeit – keine Schadensersatzpflicht nach § 826 BGB nach sich. So BGH, Urt. v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, ZIP 1996, 637 f. = NJW 1996, 1283 f. = GmbHR 1996, 366 f.
573 Der Anspruch gemäß § 826 BGB kommt nur dann zur Anwendung, wenn über den Anfechtungstatbestand hinausgehende besondere Umstände das Sittenwidrigkeitsurteil tragen.
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V. Durchgriffshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs So BGH, Urt. v. 12.2.1996 – II ZR 279/94 ZIP 1996, 637 f. = NJW 1996, 1283 f. = GmbHR 1996, 366 f. Rn. 9; BGH, Urt. v. 16.2.1972 – VIII ZR 189/70, NJW 1972, 719 ff. = MDR 1972, 861 f.
10. Haftung wegen Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) Nach § 130 Abs. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer als Inhaber eines Be- 574 triebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen zu Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Das Schutzgut der Regelung des § 130 OWiG ist in erster Linie das Interesse 575 der Allgemeinheit an der Schaffung und Aufrechterhaltung einer innerbetrieblichen Organisationsform, mit der den von einem Unternehmen als der Zusammenfassung von Personen und Produktionsmitteln ausgehenden Gefahren begegnet wird. Der BGH sieht den Sinn des § 130 OWiG in der Erstreckung der Sanktionsmöglichkeit auf den Unternehmensträger. Es handelt sich demnach nicht um ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB. So BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 ff. = NJW 1994, 1801 ff. = ZIP 1994, 867, dazu EWiR 1994, 681 (von Gerkan).
V. Durchgriffshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs Eine Durchgriffshaftung der Gesellschafter gegenüber Dritten unter dem 576 Gesichtspunkt des Rechtsformmissbrauchs kommt wegen Vermögensvermischung (siehe Rn. 577 ff.), Unterkapitalisierung (siehe Rn. 585 ff.) und Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs (siehe Rn. 590 ff.) in Betracht. 1. Vermögensvermischung Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 13 Abs. 2 GmbHG und § 2 GenG haftet 577 für Verbindlichkeiten der Aktiengesellschaft, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und der Genossenschaft den Gläubigern gegenüber nur das Gesellschafts- bzw. Genossenschaftsvermögen. Es ist daher für die Interessen der Gläubiger unabdingbar, dass es nicht zu 578 einer Vermischung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen kommt. Das Trennungsprinzip führt dazu, dass grundsätzlich eine Durchgriffshaf- 579 tung auf die Aktionäre, Gesellschafter und Genossen nicht eingreift. Allenfalls wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen rechtsmissbräuchlich ist, kommt ausnahmsweise eine Durchbrechung des Trennungsgrundsatzes in Betracht. 115
C. Außenhaftung So BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12 ff. = NZG 2008, 670 ff. = ZIP 2008, 364 (m. Bespr. Hofmeister, ZIP 2009, 161), dazu EWiR 2008, 293 (Haertlein/Primaczenko); Reuter, NZG 2008, 650 ff.; Hofmeister, ZIP 2009, 161 ff. – „Kolpingwerk“.
580 In der „Gamma“-Entscheidung hat der BGH bestätigt, dass eine Existenzvernichtungshaftung (vgl. dazu unter Rn. 587 ff.) des Gesellschafters an die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens anknüpfe und sie allein als besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung einordne. So BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 ff. = NZG 2008, 547 ff. = ZIP 2008, 1232 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1201), dazu EWiR 2008, 493 (Bruns); Veil, NJW 2008, 3264 ff.; Weber/Sieber, ZInsO 2008, 952 ff.; Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff.
581 Eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Vermischung von Gesellschafts- und Privatvermögen wird bei sog. „Waschkorblagen“ angenommen, wofür allerdings nicht einzelne Privatentnahmen der Gesellschafter ausreichen, sondern vielmehr es an einer Vermögensabgrenzung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen fehlt. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 918.
582 Wird, z. B. durch undurchsichtige Buchführung oder auf ähnliche Weise, die erforderliche Vermögensabgrenzung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen vermischt, dürfen sich die Gesellschafter auf die rechtliche Selbstständigkeit der Gesellschaft als juristische Person nicht berufen, sodass sie so zu behandeln sind, als hätten sie das von der Gesellschaft betriebene Handelsgeschäft selbst ohne Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen geführt. So BGH, Urt. v. 16.9.1985 – II ZR 675/84, BGHZ 95, 330 ff. = GmbHR 1986, 78 ff. = ZIP 1985, 1263 (m. Bespr. Lutter, S. 1425 u. Kort, ZIP 1988, 681), dazu EWiR 1985, 885 (Hommelhoff).
583 Bei der Durchgriffshaftung wegen „Vermögensvermischung“ handelt es sich nicht um eine Zustands-, sondern eine Verhaltenshaftung, die den Gesellschafter im Wege des Wegfalls des Haftungsprivilegs nur trifft, wenn er aufgrund des von ihm wahrgenommenen Einflusses als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter für den Vermögensvermischungstatbestand verantwortlich ist. So BGH, Urt. v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85 ff. = ZIP 2006, 467 ff. = NZI 2006, 365 ff. = KTS 2007, 65 ff.
584 Der Insolvenzverwalter ist befugt, den Anspruch aus Durchgriffshaftung gegen die Gesellschafter geltend zu machen, wobei er für das Vorliegen einer unkontrollierbaren Vermischung des Gesellschafts- mit dem Privatvermögen darlegungs- und beweispflichtig ist. Das bloße Fehlen einer „doppelten Buchführung“ reicht als Nachweis für eine „Vermögensvermischung“ nicht aus. 116
V. Durchgriffshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs So BGH, Urt. v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85 ff. = ZIP 2006, 467 ff. = NZI 2006, 365 ff. = KTS 2007, 65 ff. Rn. 15.
2. Unterkapitalisierung In der „Trihotel“-Entscheidung hat der BGH die Grundzüge der „Existenz- 585 vernichtungshaftung“ (dazu sogleich unter Rn. 587 ff.) neu definiert, indem er diese als besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 8236 BGB) einordnet. So BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = WM 2007, 1572 ff. = NZI 2007, 603 ff. = ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681), dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm); Theiselmann, GmbHR 2007, 904 ff.; Altmeppen, NJW 2007, 2657 ff.; Dauner-Lieb/Tettinger, ZGR 2008, 34 ff.; Osterloh-Konrad, ZHR 2008, 274 ff.; Weller, ZIP 2007, 1681 ff.
Von der Frage einer Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs ist die 586 Frage einer Haftung wegen Unterkapitalisierung zu trennen. Die Haftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs i. S. eines „kompensationslosen Eingriffs“ steht ein Unterlassen hinreichender Kapitalausstattung i. S. einer „Unterkapitalisierung“ nicht gleich. Die Existenzvernichtungshaftung soll als Entnahmesperre wirken, indem sie 587 die sittenwidrige, weil insolvenzverursachende oder -vertiefende „Selbstbedienung“ des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft durch die repressive Anordnung der Schadensersatzpflicht in Bezug auf das beeinträchtigende Gesellschaftsvermögen ausgleichen soll. Das Unterlassen der Absicherung von Ansprüchen der Gläubiger durch hinreichende Kapitalausstattung steht dem nicht gleich. So BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 ff. = NZG 2008, 547 ff. = DStR 2008, 1293 ff. Rn. 13 = ZIP 2008, 1232 (m. Bespr. Altmeppen, S. 1201), dazu EWiR 2008, 493 (Bruns); Waclawik, DStR 2008, 1486 ff.; Veil, NJW 2008, 3264 ff.; Weber/Sieber, ZInsO 2008, 952 ff.; Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff.
Das BAG lehnt ebenfalls einen Haftungsdurchgriff auf die Gesellschafter 588 wegen Unterkapitalisierung einer juristischen Person ab. So BGH, Urt. v. 10.2.1999 – 5 AZR 677/97, ZIP 1999, 878 ff. = NZI 1999, 279 ff. = KTS 1999, 401 ff., dazu EWiR 1999, 603 (Keil); BAG, Urt. v. 9.9.1998 – 8 AZR 1989/97, ZIP 1999, 24 ff. = NZI 1999, 34 ff. = NZG 1999, 116 ff. = KTS 1999, 133 ff.
Eine Haftung wegen „Unterkapitalisierung“ kommt allerdings in Betracht, 589 wenn sich die Gesellschafter nicht auf das Trennungsprinzip berufen dürfen, weil es sich um eine unzulässige Rechtsausübung handelt und die Rechtsform der juristischen Person offenkundig dazu benutzt worden ist, einen von der Rechtsordnung nicht mehr zu billigenden Erfolg herbeizuführen. Der Missbrauch, der an den Grundsätzen von Treu und Glauben zu messen ist,
117
C. Außenhaftung
kann sowohl in der missbräuchlichen Gründung und dem Einsatz der juristischen Person bestehen als auch in der missbräuchlichen Berufung auf die rechtliche Selbstständigkeit einer zunächst ohne Missbrauch gegründeten juristischen Person. So BSG, Urt. v. 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, BSGE 56, 76 ff. = ZIP 1984, 1217 ff. = NJW 1984, 2117 ff.
3. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs 590 Die „Existenzvernichtungshaftung“ des Gesellschafters knüpft an die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens an und ordnet sie – in Gestalt einer schadensersatzrechtlichen Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft – als besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) ein. Zwischen den Erstattungsansprüchen aus §§ 31, 30 GmbHG und Schadensersatzansprüchen aus Existenzvernichtungshaftung besteht Anspruchsgrundlagenkonkurrenz. So BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = WM 2007, 1572 ff. = NZI 2007, 603 ff. = ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681), dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm).
591 Der „existenzvernichtende Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Respektierung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während der Lebensdauer der GmbH dar. Die dem Gesellschafter als Verhaltenspflicht auferlegte Rücksichtnahmepflicht ist das systemimmanente normative Korrelat der Instrumentalisierung einer Kapitalgesellschaft als haftungsbegrenzende Institution. So BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = WM 2007, 1572 ff. = NZI 2007, 603 ff. Rn. 25 = ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681), dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm).
592 Die Existenzvernichtungshaftung soll wie eine das gesetzliche Kapitalerhaltungssystem ergänzende, aber deutlich darüber hinausgehende „Entnahmesperre“ wirken, indem sie die sittenwidrige, weil insolvenzverursachende oder vertiefende „Selbstbedienung“ des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft durch die repressive Anordnung der Schadensersatzpflicht in Bezug auf das beeinträchtigte Gesellschaftsvermögen ausgleicht. So BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = WM 2007, 1572 ff. = NZI 2007, 603 ff. Rn. 28 = ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681), dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm).
593 Bei der Haftung nach den Grundsätzen der Haftung wegen „existenzvernichtenden Eingriffs“ handelt es sich um eine reine Innenhaftung, bei der die Gesellschaft als unmittelbar an ihrem – freilich zweckgebundenen – Vermögen Geschädigte die Gläubigerin des Anspruchs ist. Es handelt sich um eine Ersatzhaftung i. S. d. Einstehenmüssens für die durch den Entzug von Gesellschaftsvermögen herbeigeführte Insolvenzreife der Gesellschaft oder die Vertiefung ihrer Insolvenz. Ein Direktanspruch des geschädigten Gläubigers 118
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
besteht nicht. Er stünde im Widerspruch zu dem in den Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG verwirklichten Grundsatz, dass der Gläubigerschutz durch die Gesellschaft mediatisiert bzw. die gläubigerschützende Haftung zugunsten der Gesellschaft „kanalisiert“ wird. So BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = WM 2007, 1572 ff. = NZI 2007, 603 ff. Rn. 33 = ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681), dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm).
Zu berücksichtigen ist freilich, dass außerhalb des Insolvenzverfahrens ein 594 geschädigter Gläubiger gegebenenfalls aufgrund eines Titels gegen die Gesellschaft nach Pfändung und Überweisung der Gesellschaftsansprüche gegen den Gesellschafter vorgehen kann. So BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. = WM 2007, 1572 ff. = NZI 2007, 603 ff. Rn. 36 = ZIP 2007, 1552 (m. Bespr. Weller, S. 1681), dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm).
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung Die Haftung gegenüber der Finanzverwaltung umfasst die Haftung von Per- 595 sonen (siehe Rn. 597 ff.) und die Haftung von Sachen (siehe Rn. 698 ff.). Die Finanzverwaltung verfügt überdies über das Privileg, (vermeintliche) Haftungsansprüche durch Bescheid (§ 191 AO) festsetzen zu können, sodass der (mögliche) Haftungsschuldner darauf verwiesen ist, sich gegen den Bescheid zur Wehr zu setzen. Gemäß § 33 Abs. 1 AO ist Steuerpflichtiger nicht nur, wer eine Steuer schuldet, 596 sondern auch wer für eine Steuer haftet. 1. Haftung von Personen Vorrangig ist die Haftung von Personen, die sich aus Vorschriften der Abgaben- 597 ordnung (siehe Rn. 598 ff.) oder aus anderen Gesetzen (siehe Rn. 682 ff.), insbesondere dem EStG, dem Versicherungssteuergesetz (VersStG) und dem ErbStG ergeben kann. Schließlich können sich auch Haftungstatbestände aus dem Gesellschaftsrecht zugunsten der Finanzverwaltung ergeben. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, Kap. 15 Steuerhaftungsrecht, S. 441, 442.
a) Haftungstatbestände innerhalb der Abgabenordnung Die Haftungstatbestände innerhalb der Abgabenordnung knüpfen an die 598 Pflichten der gesetzlichen Vertreter, der Vermögensverwalter und der Verfügungsberechtigten (§§ 34, 35 AO), Steuerhinterziehung (§§ 70, 71 AO) oder an bestimmte andere Sachverhalte, z. B. Organschaft (§ 73 AO), Haftung des Eigentümers von Gegenständen (§ 74 AO) oder Betriebsübernahme (§ 75 AO) an. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 442.
119
C. Außenhaftung
aa) Haftung der gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten 599 Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. 600 Die gleiche Verpflichtung trifft gemäß § 34 Abs. 3 AO Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht. 601 Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremdem Namen auftritt, hat gemäß § 35 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. (1) Grundlagen 602 Als Haftungsschuldner kommen zunächst die geschäftsführenden Organe von Gesellschaften in Betracht. Die Verpflichtung trifft somit den Vorstand einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft ebenso wie den Geschäftsführer einer GmbH oder den persönlich haftenden Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft. So BFH, Urt. v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491 ff. = BStBl. II 2009, 348 ff. = ZIP 2007, 1604 ff. Rn. 9 = ZIP 2007, 1604, dazu EWiR 2007, 523 (Beck).
603 Neben den in das Handelsregister eingetragenen gesetzlichen Vertretern einer Gesellschaft kommen auch faktische Vorstände und Geschäftsführer als Verfügungsberechtigte i. S. v. § 35 AO als Haftungsschuldner in Betracht. 604 Verfügungsberechtigter ist jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und die Fähigkeit besitzt, im Außenverhältnis wirksam zu handeln, d. h. die bürgerlich-rechtliche Verfügungsmacht innehat und diese auch tatsächlich nach außen ausübt, indem z. B. Zahlungen geleistet und entgegengenommen, Kreditverhandlungen geführt sowie sonstige Handlungen vorgenommen worden sind. So BFH, Urt. v. 21.2.1989 – VII R 165/85, BFHE 156, 46 ff. = BStBl. II 1989, 491 ff. = BFH/NV 1989, 22 ff. Rn. 7 f.
605 Die Stellung als haftender Geschäftsführer ist unabhängig davon, ob ein Anstellungsvertrag vorliegt. Es kommt lediglich darauf an, ob der Geschäftsführer als solcher auftritt und die Geschäfte im streitbefangenen Zeitraum geführt hat. So BFH, Beschl. v. 31.3.2000 – VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322 ff. = GmbHR 2000, 1211 ff. Rn. 12.
606 Die Vorschriften der §§ 34, 35 AO gelten nicht nur für Gesellschaften mit Rechtsformen nach deutschem Recht, sondern auch für Gesellschaften mit 120
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
ausländischen Rechtformen, sofern sie in Deutschland tätig werden, z. B. den Director einer Limited. So BFH, Urt. v. 15.2.2011 – VII R 66/10, BStBl. II 2011, 534 ff. = BFH/NV 2011, 1040 f. = DB 2011, 976 f. Rn. 19.
Die Haftung trifft auch einen sog. „Titular-Geschäftsführer“, der keine Lei- 607 tungsmacht hat und ohne Kontrolle über die Zahlungsströme ist. Selbst wenn die Geschäftsführungstätigkeit durch sachverständige Sanierungsexperten wahrgenommen wird, kommt ein Haftungsprivileg für einen „Titular-Geschäftsführer“ nicht in Betracht, da mit der Pflichtenstellung des gesetzlichen Vertreters eine uneingeschränkte Freistellung von der Erfüllung steuerlicher Pflichten – einschließlich etwaiger Überwachungspflichten – nicht vereinbar wäre. So BFH, Beschl. v. 12.5.2009 – VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589 ff. Rn. 13.
Ebenso kommt ein Haftungsprivileg für einen im Konzern tätigen Geschäfts- 608 führer nicht in Betracht. Auch hier ist eine uneingeschränkte Freistellung von der Erfüllung steuerlicher Pflichten – einschließlich etwaiger Überwachungspflichten – aufgrund der zwischen mehreren Unternehmen bestehenden Organisationsstruktur nicht zu vereinbaren. So BFH, Beschl. v. 12.5.2009 – VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589 ff. Rn. 13; BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246 ff. Rn. 15.
Das geschäftsführende Organ darf zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten 609 externe Hilfe in Anspruch nehmen. Ist er aufgrund seiner persönlichen Kenntnisse und Erfahrung zur ordnungsgemäßen Pflichterfüllung nicht in der Lage, ist eine solche Maßnahme sogar geboten. Allerdings darf der Geschäftsführer nicht blind auf die gewissenhafte Aufgabenwahrnehmung des für die GmbH tätigen Dritten vertrauen und auf eine Überwachung gänzlich verzichten. Vielmehr hat er sich fortlaufend über den Geschäftsgang zu unterrichten, sodass ihm Unregelmäßigkeiten nicht über einen längeren Zeitraum verborgen bleiben können. So BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246 ff. Rn. 14; BFH, Urt. v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106 ff. = BStBl. II 1991, 284 ff. = BFH/NV 1991, 13 ff. Rn. 23; BFH, Urt. v. 5.3.1985 – VII R 134/80, BFH/NV 1986, 61 ff. Rn. 6.
(2) Haftung in der (vorläufigen) Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren Streitig ist, ob nach Insolvenzantragstellung bei einer vorläufigen Eigenver- 610 waltung (§§ 270, 270a InsO) oder im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) eine persönliche Haftung des geschäftsführenden Organs in Betracht kommt. Eine Klärung durch die Rechtsprechung ist bislang nicht erfolgt.
121
C. Außenhaftung Vgl. Frind, ZInsO 2015, 22 ff.; Lemken/Schmittmann, InsbürO 2015, [im Druck]; Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1406 ff.; Kahlert, ZIP 2012, 2089, 2090.
(3) Haftung nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen 611 Mit Anordnung von Sicherungsmaßnahmen verliert das geschäftsführende Organ die rechtliche Möglichkeit, über Vermögen der Gesellschaft zu verfügen. Daher ist es ihm nicht mehr möglich, die fälligen Steuerzahlungen zu erbringen. Für Insolvenzverfahren, die nach dem 31. Dezember 2010 beantragt worden sind, gilt die Neuregelung in § 55 Abs. 4 InsO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 2011, wonach Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten. Damit hat das Haftungsrisiko des geschäftsführenden Organs erheblich an Bedeutung verloren. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 443.
612 Der sog. „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. v. § 34 Abs. 3 AO, wohl aber ein sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter, wenn ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet worden ist. So BFH, Beschl. v. 16.10.2009 – VIII B 246/04, BFH/NV 2010, 56 f. = AnwBl. 2010, 92 f. Rn. 6 f.
613 Nicht als Verfügungsberechtigter wird angesehen, wer eine ihm übertragene Verfügungsbefugnis überschreitet und lediglich über Gelder verfügt. So BFH, Beschl. v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591 f. = ZIP 2009, 2255 f.
(4) Pflichten und deren Verletzung 614 Die gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten haben – soweit die Verwaltung reicht bzw. sie die Pflichten rechtlich und tatsächlich erfüllen können – die steuerlichen Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO) und insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO). 615 Werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der den vorgenannten Personen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder werden Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt, haften die Vertreter. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 443.
122
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
Die Haftung nach der Abgabenordnung ist eine öffentlich-rechtliche Haf- 616 tung, die nicht abdingbar ist. So BFH, Urt. v. 27.3.1990 – VII R 26/89, BFHE 161, 190 ff. = BStBl. II 1990, 939 ff. = BFH/NV 1990, 81 ff.
Die Haftung der gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfü- 617 gungsberechtigten nach der Abgabenordnung gilt grundsätzlich – sofern sie nicht durch die Vorschriften aus anderen Gesetzen modifiziert wird – für alle Arten von Steuern und Abgaben. So Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 356.
Die Tatbestandsvoraussetzungen ergeben sich aus § 69 Satz 1 AO.
618
So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 69 AO Rn. 5; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 444.
Es handelt sich um folgende Voraussetzungen: x
Zugehörigkeit zum Personenkreis der §§ 34, 35 AO
x
Pflichtverletzung
x
Eintritt eines Haftungsschadens
x
Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schadenseintritt
x
Schuldhaftigkeit des Handelns des Haftenden.
619
Ist der (vermeintliche) Haftungsschuldner zum Personenkreis der §§ 34, 35 620 AO gehörig, so kommt eine Haftung grundsätzlich bei einer Pflichtverletzung in Betracht. Dies gilt unabhängig davon, ob die Pflichten durch positives Tun, z. B. durch Abgabe einer inhaltlich unzutreffenden Steuererklärung, oder durch Unterlassen, z. B. Nichtabgabe einer Steuererklärung, verletzt werden. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 69 AO Rn. 12; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 444.
Wird eine juristische Person von mehreren Personen gesetzlich vertreten, ist 621 grundsätzlich jede von ihnen für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten verantwortlich. Durch eine interne Aufgabenverteilung kann diese Verantwortlichkeit zwar nicht völlig aufgehoben, aber begrenzt werden. So BFH, Beschl. v. 4.5.1998 – I B 116/96, BFH/NV 1998, 1460 ff. Rn. 14.
Die Begrenzung, auf die sich auch die Haftung auswirkt, setzt jedoch voraus, 622 dass von vornherein klar und eindeutig – und somit schriftlich – festgelegt worden ist, welcher der gesetzlichen Vertreter für welche Aufgabe zuständig ist. So BFH, Beschl. v. 4.5.1998 – I B 116/96, BFH/NV 1998, 1460 ff. Rn. 14; BFH, Urt. v. 26.4.1984 – V R 198/79, BFHE 141, 443 ff. = BStBl. II 1984, 776 ff. = ZIP 1984, 1345 ff.; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 10.12.2013 – 3 K 1632/12, DStRE 2015, 434, 435 (rkr.).
123
C. Außenhaftung
623 Eine von vornherein schriftlich festgelegte Aufgabenverteilung gilt nur insoweit und so lange, wie kein Anlass besteht, an der exakten Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den hierfür zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln oder so lange allgemein die wirtschaftliche Lage des Vertretenen für eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten keinen Anlass gibt. So BFH, Beschl. v. 21.8.2000 – VII B 260/99, BFH/NV 2001, 413 f. Rn. 6.; BFH, Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443 ff. = BStBl. II 1984, 776 ff. = ZIP 1984, 1345 ff.
624 Bei dem Vorhandensein mehrerer gesetzlicher Vertreter können diese zwar im Innenverhältnis untereinander bestimmen, wer die steuerlichen Pflichten zu erfüllen hat. Dies schließt aber die Haftung bzw. die Gesamtverantwortlichkeit des nach der internen Vereinbarung für die Erfüllung der steuerlichen Angelegenheit nicht zuständigen gesetzlichen Vertreters nicht grundsätzlich aus. Jeder einzelne gesetzliche Vertreter ist bei einer sich abzeichnenden nahen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Vertretenen gehalten, sich um die Gesamtbelange des Vertretenen zu kümmern. So BFH, Beschl. v. 21.8.2000 – VII B 260/99, BFH/NV 2001, 413 f. Rn. 6.
(5) Grundsatz der anteiligen Tilgung 625 Die Verpflichtungen der in §§ 34, 35 AO genannten Personen, für die Steuerzahlungen zu sorgen, bestehen grundsätzlich auch in der Krise, allerdings mit der Besonderheit, dass nach Steuerarten zu differenzieren ist. Bei der Umsatzsteuer gilt der „Grundsatz der anteiligen Tilgung“. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 444.
626 Der „Grundsatz der anteiligen Tilgung“ sieht vor, dass, wenn zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung stehen, die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Steuerschuld nur in dem Umfang trifft, in dem der Verpflichtete das Finanzamt gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat. So BFH, Beschl. v. 31.3.2000 – VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322 ff. = GmbHR 2000, 1211 ff. Rn. 16; BFH, Urt. v. 5.9.1989 – VII R 61/87, BFHE 158, 13 ff. = BStBl. II 1989, 979 ff. = BFH/NV 1989, 45 ff. Rn. 6.
627 Der zur Umsatzsteuer entwickelte „Grundsatz der anteiligen Tilgung“ gilt auch für die übrigen Steuern und Nebenleistungen mit Ausnahme der Lohnsteuer. So BFH, Beschl. v. 31.3.2000 – VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322 ff. = GmbHR 2000, 1211 ff. Rn. 16; BFH, Urt. v. 12.5.1992 – VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785 ff. = GmbHR 1993, 187 (LS.) Rn. 8.
124
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
(6) Besonderheiten bei der Lohnsteuerhaftung Besonderheiten gelten bei der Haftung für Lohnsteuer. Hier gilt der 628 „Grundsatz der anteiligen Tilgung“ nicht. Die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten stellt regelmäßig eine – wenn nicht vorsätzliche – zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines Vertreters dar. Weder Zahlungsschwierigkeiten noch Zahlungsunfähigkeit des Vertretenen ändern an dieser Pflicht etwas. Sie schließen auch ein Verschulden bei der Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten des Vertretenen aus. So BFH, Beschl. v. 21.12.1998 – VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745 ff. = GmbHR 1999, 881(LS) Rn. 8; BFH, Urt. v. 29.5.1990 – VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283 ff. Rn. 13.
Reichen die dem Vertreter zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung 629 der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne (einschließlich des in ihnen enthaltenen Steueranteils) nicht aus, so darf der Vertreter die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch verbleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-)Löhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. So BFH, Beschl. v. 21.12.1998 – VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745 ff. = GmbHR 1999, 881 (LS) Rn. 8; BFH, Urt. v. 6.3.1990 – VII R 63/87, BFH/NV 1990, 756 ff. Rn. 17; BFH, Urt. v. 26.7.1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512 ff. = BStBl. II 1998, 859 ff. = BFH/NV 1988, 1 ff. = ZIP 1989, 519, dazu EWiR 1989, 433 (Onusseit).
(7) Schaden und Haftungsquote Der Haftungsschuldner sollte zweckmäßigerweise an der Ermittlung der 630 Haftungsquote mitwirken. Unterlässt er dies, kann dem Finanzamt nicht vorgeworfen werden, wenn es eine Haftungsquote in der Nähe von 100 % schätzt. So BFH, Beschl. v. 19.11.2012 – VII B 126/12, BFH/NV 2013, 504 ff. Rn. 14.
Eine Haftung setzt darüber hinaus den Eintritt eines Haftungsschadens vor- 631 aus, also dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Eine Haftung scheidet aus, wenn der Primärschuldner die Steuerschuld bezahlt hat. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 445.
Sollen Ansprüche gegen den Haftungsschuldner geltend gemacht werden, 632 müssen die Ansprüche gegen den Erstschuldner dem Grunde und der Höhe nach feststehen, ohne dass es allerdings einer Festsetzung bedarf. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 69 AO Rn. 14.
125
C. Außenhaftung
633 Es kommen insbesondere fünf Varianten des Haftungsschadens in Betracht: x
Nichtfestsetzen von Ansprüchen,
x
nicht rechtzeitige Festsetzung von Ansprüchen,
x
Nichterfüllung von Ansprüchen,
x
nicht rechtzeitige Erfüllung von Ansprüchen oder
x
Zahlung von Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 445.
634 Ergibt sich bei der Veranlagung einer Gesellschaft z. B. ein Umsatzsteuerrückstand, so ist im Falle der Geschäftsführerhaftung bei Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft in die Berechnung der Haftungssumme (sog. anteilige Umsatzsteuer) auch die Liquiditätslage im Vorauszahlungszeitraum und nicht nur im Veranlagungszeitpunkt einzubeziehen, wenn der Steuerrückstand darauf beruht, dass in vorwerfbarer Weise zu niedrige Vorauszahlungen erbracht worden sind. So BFH, Urt. v. 12.4.1988 – VII R 131/85, BFHE 153, 199 ff. = BStBl. II 1988, 742 ff.; BFH, Urt. v. 14.7.1987 – VII R 188/82, BFHE 150, 312 ff. = BStBl. II 1988, 172 ff. = ZIP 1987, 1545, dazu EWiR 1988, 111 (Philipowski).
(8) Kausalität 635 Die Pflichtverletzung der in §§ 34, 35 AO genannten Personen muss auch für den Haftungsschaden ursächlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre. So BFH, Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443 ff. = BStBl. 1984, 776 ff. = ZIP 1984, 1345 ff. Rn. 32.
636 Für die Frage der Kausalität ist die Adäquanztheorie maßgeblich, sodass darauf abzustellen ist, ob die Pflichtverletzung allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet ist, den Erfolg zu verursachen. So BFH, Urt. v. 17.2.1989 – III R 35/85, BFHE 156, 355 ff. = BStBl. II 1990, 263 ff. = BFH/NV 1989, 26 ff. = ZIP 1989, 1112, dazu EWiR 1989, 947 (Halaczinsky).
637 Hinsichtlich der Kausalität wird diskutiert, ob diese entfällt, wenn die geleistete Zahlung insolvenzrechtlich gemäß §§ 129 ff. InsO anfechtbar wäre. Die Haftung des geschäftsführenden Organs entfällt auch nicht infolge einer im Falle der Zahlung zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO. Die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung hindert nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer zuzurechnen. Hypothetische Kausalverläufe bleiben außer Betracht. 126
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung So BFH, Urt. v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228 ff. = BStBl. II 2009, 129 ff. = ZIP 2009, 122 ff. Rn. 18; BFH, Urt. v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18 ff. = HFR 2008, 167 ff. Rn. 16; ebenso FG Köln, Urt. v. 6.11.2014 – 13 K 1065/13, ZIP 2015, 743 ff. (Revision anhängig: BFH – VII R 3/15); FG Köln, Urt. v. 12.9.2008 – 8 K 5677/01, EFG 2006, 86; FG Köln, Urt. v. 12.9.2005 – 8 K 5395/01, EFG 2006, 241; FG SchleswigHolstein, Urt. v. 1.9.2005 – 2 K 174/04, EFG 2006, 321; a. A. FG Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.7.2004 – 1 V 30/04, EFG 2004, 1425; FG Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.8.2004 – 1 V 49/03, EFG 2005, 2; FG Saarland, Urt. v. 20.12.2004 – 2 V 385/04, EFG 2005, 680; FG Münster, Urt. v. 23.6.2004 – 7 K 5031/00, EFG 2006, 13; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 10.12.2013 – 3 K 1632/12, DStRE 2015, 434, 437 (rkr.); FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 13.10.2005 – 6 K 2803/04, EFG 2006, 83; FG Düsseldorf, Urt. v. 10.1.2006 – 10 K 4216/02, EFG 2006, 618.
(9) Verschulden Der Haftende muss schließlich auch schuldhaft gehandelt haben. Die Schuld 638 bezieht sich auf die Pflichtverletzung und nicht darauf, dass die Ansprüche nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. So BFH, Urt. v. 11.12.1990 – VII R 85/88, BFHE 163, 119 ff. = BStBl. II 1991, 282 ff. = BFH/NV 1991, 21 ff.; BFH, Urt. v. 12.4.1988 – VII R 131/85, BFHE 153, 199 ff. = BStBl. II 1988, 742 ff.
Vorsätzlich handelt, wer die Pflichten gekannt und ihre Verletzung gewollt 639 hat, wobei ausreicht, dass der Haftende die Pflichtverletzung vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hat. Es kommt nicht darauf an, ob er die Pflichtverletzung gewünscht hat. So BFH, Beschl. v. 12.7.1983 – VII B 19/83, BFHE 138, 424 ff. = BStBl. II 1983, 655 ff. = ZIP 1983, 1121 f.
Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Haftende die Sorgfalt, zu der er nach den 640 Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande war, außer Acht gelassen hat und infolge dessen weder den Erfolg, den er bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte voraussehen können, nicht vorausgesehen hat (sog. „unbewusste Fahrlässigkeit“) oder den Eintritt des Erfolges zwar für möglich gehalten, aber darauf vertraut hat, er werde nicht eintreten (sog. „bewusste Fahrlässigkeit“). So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 69 AO Rn. 25; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 359.
Der Geschäftsführer hat sich mit den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen 641 vertraut zu machen. Die ordnungsgemäße Beachtung der gesetzlichen Vorschriften steuerlicher Art kann von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden.
127
C. Außenhaftung So BFH, Urt. v. 6.10.2009 – I R 25/09, BFH/NV 2010, 620 ff. = GmbHR 2010, 447 ff.; BFH, Urt. v. 7.3.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 ff. = GmbHR 1996, 69 ff.
642 Auf sein eigenes Unvermögen, seinen Aufgaben als Geschäftsführer nachzukommen, kann sich niemand berufen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss vielmehr von der Übernahme des Geschäftsführeramtes absehen bzw. es niederlegen. So BFH, Beschl. v. 5.3.1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 ff. Rn. 18; BFH, Beschl. v. 5.3.1985 – VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422 Rn. 9.
643 Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens indiziert den Schuldvorwurf. So BFH, Urt. v. 5.3.1998 – VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 ff. Rn. 22.
644 Das geschäftsführende Organ kann sich gegen die Steuerhaftung auch nicht mit dem Argument zur Wehr setzen, es hätte mit einer Steuerzahlung gegen die Massesicherungspflicht gemäß § 93 Abs. 1 AktG, § 64 GmbHG verstoßen. Diese Argumentation greift nicht, weil Steuerzahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters i. S. v. § 93 AktG bzw. § 64 Satz 2 GmbHG vereinbar sind. Führt das geschäftsführende Organ – auch nach Eintritt der Insolvenzreife – fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen ebenso wie einbehaltene Lohnsteuer nicht an das Finanzamt ab, begeht es eine mit einer Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO i. V. m. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG. So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 ff. = WM 2011, 406 ff. = NZI 2011, 196 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BFH, Urt. v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228 ff. = BStBl. II 2009, 129 ff. = ZIP 2009, 122 ff. Rn. 21; BFH, Beschl. v. 4.7.2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059 f. Rn. 6; BFH, Urt. v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491 ff. = BStBl. II 2009, 348 ff. = ZIP 2007, 1604 ff. Rn. 20., dazu EWIR 2007, 523 (Beck).
645 Bei dem Anspruch gemäß § 69 AO handelt es sich um eine Schadensersatzhaftung. So BFH, Urt. v. 1.8.2000 – VII R 110/99, BFHE 192, 249 ff. = BStBl. II 2001, 271 ff. = BFH/NV 2001, 84 ff. Rn. 11; BFH, Beschl. v. 11.6.1996 – I B 60/95, BFH/NV 1995, 7 ff. = GmbHR 1997, 139 f. Rn. 14; BFH, Urt. v. 26.7.1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512 ff. = BStBl. II 1988, 859 ff. = ZIP 1989, 519 ff. Rn. 7, dazu EWiR 1989, 433 (Onusseit).
646 Die Höhe der Haftung ergibt sich daher unabhängig vom Grad des Verschuldens grundsätzlich allein aus der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den bei dem Fiskus eingetretenen Vermögensschaden. Die Haftung ist dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. So BFH, Urt. v. 1.8.2000 – VII R 110/99, BFHE 192, 249 ff. = BStBl. II 2001, 271 ff. = BFH/NV 2001, 84 ff. Rn. 11.
128
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
bb) Haftung des Vertretenen, des Steuerhinterziehers, des Steuerhehlers und des Teilnehmers Im Interesse des staatlichen Steueraufkommens erfolgt über §§ 70, 71 AO 647 eine Erstreckung der Haftung auf den Vertretenen, den Steuerhinterzieher, den Steuerhehler sowie den Teilnehmer. Wenn die in den §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftende werden, so haften gemäß § 70 Abs. 1 AO die Vertretenen, soweit sie nicht Steuerschuldner sind, für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Die Regelung beruht auf § 153 VereinszollG und anderen ebenfalls vor 1919 648 bereits existierenden Vorschriften der damaligen Tabak-, Zigaretten- und Weinsteuergesetze, die verhindern sollten, dass Steuerausfälle eintreten, weil die hinterzogenen oder leichtfertig verkürzten Beträge von den in §§ 34, 35 AO genannten Personen nicht geleistet werden können. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 70 AO Rn. 1; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 446.
Da die Norm lediglich dann eingreift, wenn der Vertretene nicht zugleich 649 Steuerschuldner ist, ist der Anwendungsbereich der Norm in der Praxis lediglich auf einzelne Bereiche der Zölle, Verbrauchsteuern und der Einfuhrumsatzsteuer beschränkt. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 70 AO Rn. 2; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 446.
Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer 650 solchen Tat teilnimmt, haftet gemäß § 71 AO für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 AO. Die Haftungsnorm kommt nur zur Anwendung, wenn der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder der Steuerhehlerei (§ 374 AO) erfüllt sind. So BFH, Urt. v. 25.10.2005 – VII R 10/04, BFHE 211, 19 ff. = BStBl. II 2006, 356 ff. = NJW 2006, 1550 ff.
Der Versuch der Steuerhinterziehung oder der Steuerhehlerei reicht nicht aus, 651 da der Versuch mangels Schadenseintritt keine Haftung begründen kann. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 448.
Die Haftung aus § 71 AO richtet sich – ebenso wie bei § 69 AO – auf Scha- 652 densersatz. So BGH, Beschl. v. 25.9.2012 – 1 StR 407/12, DStR 2013, 268 ff. = HFR 2013, 449 ff. = wistra 2013, 67 ff.
129
C. Außenhaftung
653 Durch die Haftung aus § 71 AO soll der durch die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder die Steuerhehlerei (§ 358 AO) verursachte Vermögensschaden des Fiskus ausgeglichen werden. So BFH, Urt. v. 13.7.1994 – I R 112/93, BFHE 175, 489 ff. = BStBl. II 1995, 198 ff. = HFR 1995, 189 ff.
654 Haftungsschuldner gemäß § 71 AO sind nicht nur der oder die Täter, sondern auch Anstifter und Gehilfen, also Teilnehmer. Das Fehlen eines die Strafbarkeit nach §§ 370, 374 AO begründeten persönlichen Merkmals hindert die Haftung nicht. So BFH, Beschl. v. 27.5.1986 – VII S 5/96, BFH/NV 1987, 10 f.
655 Eine Haftung gemäß § 71 AO scheidet aus, wenn der mutmaßliche Haupttäter anonym bleibt. So BFH, Urt. v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFHE 240, 195 ff. = BStBl. II 2013, 526 ff. = ZIP 2013, 1018 ff.
656 Es ist Sache der Finanzverwaltung, den Sachverhalt zu ermitteln und zu beweisen, dass der Straftatbestand erfüllt ist. Dabei ist die Finanzbehörde weder an die Rechtsauffassung noch die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts gebunden. So BFH, Urt. v. 10.10.1972 – VII R 117/96, BFHE 107, 168 ff. = BStBl. II 1973, 68 ff.
657 Die Finanzbehörde wird sich in der Praxis jedoch die strafrechtlichen Feststellungen des Strafgerichts zu eigen machen, um ihren eigenen Aufwand zu begrenzen. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 448.
658 Die Haftung gemäß § 71 AO erstreckt sich auf die verkürzten Steuern, die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie die Hinterziehungszinsen, nicht aber auf die Säumniszuschläge. So BFH, Urt. v. 21.1.2004 – XI R 3/03, BFHE 205, 394 ff. = BStBl. II 2004, 919 ff. = wistra 2004, 313 ff.
659 Auch die Haftung gemäß § 71 AO wird durch Haftungsbescheid gemäß § 191 AO festgesetzt, indem die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen durch die Finanzverwaltung schlüssig dargelegt werden. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2 AO zehn Jahre. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 448.
cc) Haftung des Eigentümers 660 Durch die Haftungsnorm des § 74 AO soll verhindert werden, dass betriebliche Steuerschulden eines Unternehmens ausfallen, weil die dem Betrieb die-
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VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
nenden Gegenstände einem Dritten gehören und daher nicht unmittelbar zur Vollstreckung zur Verfügung stehen. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 451.
Gehören Gegenstände, die einem Unternehmen dienen, nicht dem Unter- 661 nehmer, sondern einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person, so haftet gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 AO der Eigentümer dieser Gegenstände mit diesen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Erstattungen stehen dem gemäß § 74 Abs. 1 Satz 3 AO gleich. Eine wesentliche Beteiligung liegt vor, wenn der Haftungsschuldner gemäß § 74 Abs. 2 AO zu mehr als 25 % am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist oder auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt. Ob ein Gegenstand einem anderen gehört, ist eine zivilrechtliche Vorfrage, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu lösen ist. Zurechnungsvorschriften des Steuerrechts, z. B. § 39 AO finden keine Anwendung. Als Haftungsschuldner kommt ein Sicherungsnehmer nicht in Betracht. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 74 AO Rn. 3; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 451.
Die Haftung des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Eigentümers 662 von Gegenständen, die er diesem Unternehmen überlässt, erstreckt sich auch auf ein überlassenes Erbbaurecht, das dem Unternehmen als Betriebsgrundlage dient. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 451.
Die Haftung nach § 74 AO wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der dem 663 Unternehmen überlassene Gegenstand nicht im Eigentum des Haftenden, sondern im Eigentum einer Kommanditgesellschaft steht, wenn an der KG ausschließlich der Haftende oder eine andere am Unternehmen wesentlich beteiligte Person beteiligt sind. So BFH, Urt. v. 23.5.2012 – VII R 29/10, BFH/NV 2012, 1924 ff.; BFH, Urt. v. 23.5.2012 – VII R 28/10, BFHE 238, 16 ff. = BStBl. II 2012, 763 ff. = NZG 2012, 1158 ff., dazu EWiR 2012, 745 (Schmittmann). Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG, Beschl. v. 17.9.2013 – 1 BvR 1928/12, BFH/NV 2014, 142 ff. = ZIP 2013, 2105 ff. = ZfIR 2013, 826 ff.
Es reicht aus, dass die Gegenstände dem Unternehmen „nicht lediglich vorrü- 664 bergehend“ dienen. Es muss sich nicht um Gegenstände handeln, die wesentliche Betriebsgrundlagen sind. So BFH, Beschl. v. 15.9.2000 – V B 93/00, BFH/NV 2001, 199.
131
C. Außenhaftung
665 Die Haftung nach § 74 AO richtet sich gegen die Person des Eigentümers der Gegenstände, ist aber dinglich beschränkt, weil der Eigentümer nur „mit“ den Gegenständen haftet, die er dem Unternehmen überlassen hat. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 452.
666 Die Regelung des § 74 AO soll bewirken, dass das Finanzamt hinsichtlich der Befriedigungsmöglichkeiten für seine Steuerforderungen so (aber auch nicht besser) steht, wie wenn die dem Unternehmen von dem Haftungsschuldner lediglich zur Nutzung überlassenen Gegenstände zu dem Vermögen des Unternehmens gehörten. Es soll dem an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Dritten verwehrt sein, dem Finanzamt Vollstreckungssubstanz vorzuenthalten oder zu entziehen, obwohl das Unternehmen unter Nutzung der betreffenden Gegenstände betrieben wird und daher die durch diesen Betrieb entstehenden Steuerforderungen – jedenfalls typischerweise – gerade auf der Nutzung der überlassenen Gegenstände (zumindest mit-)beruhen. So BFH, Urt. v. 28.1.2014 – VII R 34/12, BStBl. II 2014, 551 f. = BFH/NV 2014, 1114 f. = HFR 2014, 762 ff. Rn. 8.
667 Aus diesen Erwägungen ist es der Finanzverwaltung auch nicht möglich, die gegen den Eigentümer festgesetzte Haftungsforderung mit seinem auf Zahlung von Geld gerichteten Umsatzsteuerguthaben zu verrechnen. Dem steht insbesondere entgegen, dass der Haftungsschuldner nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO nur „mit“ den dem Unternehmen überlassenen Gegenständen haftet. Bleibt die Zahlung des Haftungsschuldners auf die Haftungsforderung aus, kann nicht in sein gesamtes Vermögen vollstreckt werden, sondern nur in die Gegenstände, deretwegen er in Anspruch genommen worden ist. So BFH, Urt. v. 28.1.2011 – VII R 34/12, BStBl. II 2014, 551 f. = BFH/NV 2014, 1114 f. = HFR 2014, 762 f. Rn. 7.
668 Die Haftung gemäß § 74 AO ist auf Betriebssteuern beschränkt. Dies sind Steuern, die nach dem anspruchsbegründenden Tatbestand des Steuergesetzes für ihre Entstehung das Vorhandensein eines Unternehmens voraussetzen und infolgedessen bei Nichtunternehmern nicht anfallen können, also z. B. Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Verbrauchsteuer bei Herstellungsbetrieben, Rückforderung von Investitionszulagen, nicht hingegen allerdings Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Erbschaftsteuer. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 74 AO Rn. 15; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 452.
669 Der Haftungsumfang wird in zeitlicher Hinsicht durch das Bestehen der wesentlichen Beteiligung und durch die Dauer begrenzt, auf welche die Gegenstände dem Betrieb des Unternehmens dienen. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 74 AO Rn. 16; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 452.
132
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
In gegenständlicher Hinsicht erstreckt sich die Haftung des an einem Unter- 670 nehmen wesentlich beteiligten Eigentümers nach § 74 AO nicht nur auf die dem Unternehmen überlassenen und diesem dienenden Gegenstände. Sie erfasst in Fällen der Weggabe oder des Verlustes von Gegenständen nach der Haftungsinanspruchnahme auch die Surrogate, z. B. Veräußerungserlöse oder Schadensersatzzahlungen. So BFH, Urt. v. 22.11.2011 – VII R 63/10, BFHE 235, 126 ff. = BStBl. II 2012, 223 ff. = HFR 2012, 246 ff. Rn. 19.
Die Haftung nach § 74 AO ist verschuldensunabhängig und wird durch Haf- 671 tungsbescheid gemäß § 191 AO geltend gemacht. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 452.
dd) Haftung des Übernehmers eines Unternehmens Die Finanzverwaltung soll durch die Haftungsnorm des § 75 AO vor dem 672 Verlust des Haftungssubjekts durch Unternehmensübergang geschützt werden. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 452.
Wird ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens ge- 673 sondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet, so haftet gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AO der Erwerber für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, und für Steuerabzugsbeträge, vorausgesetzt, dass die Steuern seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet werden. Die Haftung beschränkt sich gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 AO auf den Bestand des übernommenen Vermögens. Den Steuern stehen gemäß § 75 Abs. 1 Satz 3 AO die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich. Die Regelung gilt gemäß § 75 Abs. 2 AO nicht für Erwerber aus einer Insolvenzmasse oder für Erwerber im Vollstreckungsverfahren. Der Begriff des „Unternehmens“ i. S. d. § 75 AO ist identisch mit dem Be- 674 griff aus § 2 Abs. 1 UStG. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 75 AO Rn. 4; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 453.
Die Haftung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AO ist ausdrücklich auf den Bestand 675 des übernommenen Vermögens zu beschränken, wobei eine genaue Bezeichnung der Haftungsgegenstände nicht geboten ist. So BFH, Urt. v. 14.5.2013 – VII R 36/12, BFH/NV 2013, 1905 f. = HFR 2013, 1077 f. Rn. 12.
Im Rahmen der Haftung gemäß § 75 Abs. 1 AO kommt es auf die Pfändbar- 676 keit der übertragenen Vermögensgegenstände gemäß § 295 AO, § 811 Abs. 1
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C. Außenhaftung
Nr. 5 ZPO nicht an. Gegenstände, die im früheren Unternehmen unpfändbar waren, müssen nicht auch im übernehmenden Betrieb zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlich sein. Darüber hinaus können sie im Falle ihrer Veräußerung zur Erfüllung des Haftungsanspruchs beitragen. So BFH, Urt. v. 14.5.2013 – VII R 36/12, BFH/NV 2013, 1905 f. = HFR 2013, 1077 f. Rn. 18.
677 Wird ein Unternehmen i. S. d. § 75 AO von mehreren Personen zum Miteigentum nach Bruchteilen erworben, so haften sie aufgrund der gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung als Gesamtschuldner. Der Haftungsschuldner kann Einwendungen nicht nur gegen die Haftungsschuld, sondern auch gegen die Steuerschuld erheben, für die er als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, soweit nicht die Voraussetzungen des § 166 AO erfüllt sind. So BFH, Urt. v. 12.1.2011 – XI R 11/08, BFHE 232, 389 ff. = BStBl. II 2011, 477 ff. = NZG 2011, 715 ff. Rn. 26.
678 Auf die Kenntnis des Erwerbers von den Steuerrückständen kommt es nicht an. So BFH, Urt. v. 4.2.1974 – IV R 172/70, BFHE 112, 110 ff. = BStBl. II 1974, 434.
679 Die Ansprüche müssen bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber festgesetzt oder angemeldet sein, um diesen vor einer späteren, gegebenenfalls überraschenden Haftung zu schützen. Vgl. Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 75 AO Rn. 57; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 454.
680 Der Kauf eines Unternehmens außerhalb des Insolvenzverfahrens stellt aufgrund der Norm des § 75 AO ein erhebliches Risiko für den potentiellen Erwerber dar, sodass dieser regelmäßig versuchen wird, den Abschluss des Unternehmenskaufvertrages davon abhängig zu machen, dass der Veräußerer durch eine Bescheinigung der Finanzverwaltung den Nachweis erbringt, dass Steuerrückstände nicht vorhanden sind. Weiterhin ist auch denkbar, eine Bescheinigung der Finanzverwaltung vorzulegen und den sich ergebenden Betrag bei der Bemessung des Entgeltes zu berücksichtigen. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 454.
681 Die Geltendmachung der Haftung gemäß § 75 AO erfolgt durch Haftungsbescheid gemäß § 191 AO. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 454.
134
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
b) Haftungstatbestände außerhalb der Abgabenordnung Zwar findet sich der Kern der Haftungstatbestände in der Abgabenordnung, 682 gleichwohl gibt es aber auch in den Einzelsteuergesetzen praktisch relevante Haftungsbestimmungen. aa) Haftung nach Einkommensteuergesetz In der Praxis spielt die Bedeutung der Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers 683 eine erhebliche Rolle. Der Arbeitnehmer ist gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer, die gemäß § 38 Abs. 1 EStG durch den Abzug vom Arbeitslohn erhoben wird. Der Arbeitgeber hat gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten. Der Arbeitgeber wird im Rahmen der Lohnsteuer als Steuereintreiber für den 684 Staat tätig. Trotz der Steuerschuldnerschaft des Arbeitnehmers soll sichergestellt sein, dass der Arbeitgeber seiner Anmeldungs- und Abführungsverpflichtung nachkommt. Daher sieht die Bestimmung des § 42d Abs. 1 EStG eine Haftung des Arbeitgebers für die Lohnsteuer des Arbeitnehmers vor. Vgl. zu den Einzelheiten: Schmittmann, in: Jesgarzewski/ Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 455.
Eine weitere praktisch relevante Haftung ergibt sich im Zusammenhang mit 685 der Kapitalertragsteuer. Aus § 43 Abs. 1 EStG ergibt sich im Einzelnen, bei welchen Kapitalerträgen die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag („Kapitalertragsteuer“) einbehalten wird. Grundsätzlich ist der Schuldner der Kapitalertragsteuer der Gläubiger der Kapitalerträge (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG). Im Entstehungszeitpunkt der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG) hat im Grundsatz der Schuldner der Kapitalertragsteuer den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG). Vgl. Griesel, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 41, 57; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 456.
Bei Bauleistungen ist bei Vorliegen der Voraussetzung im Übrigen ein Steuer- 686 abzug gemäß §§ 48 ff. EStG vorzunehmen. Die „Bauabzugsteuer“ ist keine eigene Steuerart, sondern eine besondere Erhebungsform der Einkommenund Körperschaftsteuer. Vgl. im Einzelnen: Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 1594.
Gemäß § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG haftet der Leistungsempfänger für einen 687 nicht oder zu niedrig abgeführten Abzugsbetrag, es sei denn, dass ihm im Zeitpunkt der Gegenleistung eine Freistellungsbescheinigung (§ 48b EStG) vorgelegen hat, auf deren Richtigkeit er vertrauen konnte, § 48a Abs. 3 Satz 2 EStG. 135
C. Außenhaftung
688 Die Anrechnung der „Bauabzugsteuer“ erfolgt gemäß § 48c Abs. 1 EStG, sodass nicht nur gegenwärtige, sondern auch zukünftige Lohnsteuerforderungen gesichert sind. So FG München, Urt. v. 24.9.2009 – 7 K 1238/08, EFG 2010, 147 ff. = DStRE 2011, 156 f.
689 Bei beschränkt Steuerpflichtigen wird die Einkommensteuer im Wege des Steuerabzugs nach Maßgabe von § 50a EStG erhoben, was insbesondere bei Künstlern und Sportlern von erheblicher Bedeutung ist. Der Schuldner der Vergütung hat den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers (Steuerschuldner) vorzunehmen, sobald die Vergütung dem Gläubiger zufließt, § 50a Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 EStG. Der Schuldner der Vergütung haftet gemäß § 50a Abs. 5 Satz 4 EStG für die Einbehaltung und Abführung der Steuer. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 457.
bb) Haftung nach Umsatzsteuergesetz 690 Das Umsatzsteuergesetz sieht verschiedene Haftungstatbestände, z. B. § 13c UStG, vor. Vgl. Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 457 f.
cc) Haftung nach Versicherungsteuergesetz 691 Der Versicherungsteuer unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Versicherungsteuergesetz (VersStG) die Zahlung des Versicherungsentgelts aufgrund eines durch Vertrag oder auf sonstige Weise entstandenen Versicherungsverhältnisses. Steuerschuldner der Versicherungsteuer ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VersStG der Versicherungsnehmer. Vgl. Nacke, DStR 2013, 335, 341 f.
692 Der Versicherer hat gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 VersStG die Steuer für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten. Er haftet für die Steuer gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 VersStG. In den Fällen, in denen die Entgegennahme des Entgelts einem Bevollmächtigten übertragen worden ist, haftet auch der Bevollmächtigte für die Steuer (§ 7 Abs. 1 Satz 4 VersStG). Vgl. Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 458.
dd) Haftung nach Erbschaft- und Schenkungssteuergesetz 693 Der Erbschaft- und Schenkungssteuer unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 EStG der Erwerb von Todes wegen, die Schenkungen unter Lebenden, die Zweckzuwendungen sowie das Vermögen einer Stiftung unter den im Einzelnen im Gesetz geregelten Voraussetzungen.
136
VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
Steuerschuldner ist gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG der Erwerber; bei einer 694 Schenkung ist auch der Schenker, bei einer Zweckzuwendung der mit der Ausführung der Zuwendung Beschwerte und im Übrigen die Stiftung Steuerschuldner. Die Regelung des § 20 Abs. 1 ErbStG ist verfassungsgemäß. Sie ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange die Haftung des Schenkers für die Steuerschuld des Beschenkten nicht auf die Leistungsfähigkeit des Schenkers, sondern auf andere Sachgründe, z. B. die Übernahme der Entrichtung der geschuldeten Steuer durch Vertrag oder kollusive Steuerumgehung von Haftendem und Steuerpflichtigem, gestützt ist. So BVerfG, Beschl. v. 18.12.2012 – 1 BvR 1509/10, BFH/NV 2013, 492 ff. = ZEV 2013, 99 ff. = HFR 2013, 258 ff. Rn. 13.
Gemäß § 20 Abs. 3 ErbStG haftet der Nachlass bis zur Auseinandersetzung 695 (§ 2042 BGB) für die Steuer der am Erbfall Beteiligten. Hat der Steuerschuldner den Erwerb oder Teile desselben vor Entrichtung 696 der Erbschaftsteuer einem anderen unentgeltlich zugewendet, haftet der andere gemäß § 20 Abs. 5 ErbStG in Höhe des Wertes der Zuwendung persönlich für die Steuer. Gemäß § 20 Abs. 6 ErbStG haften Versicherungsunternehmen, die vor Ent- 697 richtung oder Sicherstellung der Steuer die von ihnen zu zahlende Versicherungssumme oder Leibrente nach außerhalb von Deutschland zahlen oder außerhalb Deutschlands wohnenden Beteiligten zur Verfügung stehen. Die gleiche Haftung trifft gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG Personen, in deren Gewahrsam sich Vermögen des Erblassers befindet, soweit sie das Vermögen vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder Sicherstellung der Steuer in ein Gebiet außerhalb von Deutschland bringen oder außerhalb Deutschlands wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellen. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 458 f.
2. Haftung von Sachen Eine Sachhaftung liegt gemäß § 76 Abs. 1 AO vor, wenn verbrauchsteuer- 698 pflichtige Waren und einfuhr- und ausfuhrpflichtige Waren ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden Steuern dienen. Die Sachhaftung gilt für Ein- und Ausfuhrabgaben und Verbrauchsteuern, z. B. bei Bier, Kaffee und Mineralöl. Eine Anwendung auf die Umsatzsteuer – außer in Fällen der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 21 Abs. 1 UStG – kommt auch in analoger Anwendung der Regelung nicht in Betracht. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 76 AO Rn. 1; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 459.
Da Sachen nicht abgaben- oder steuerpflichtig sein können, geht die Formu- 699 lierung am Kern der Regelung vorbei. Vielmehr schafft die Norm ein Pfand-
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C. Außenhaftung
recht, das zur Sachhaftung in Form eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses führt. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 76 AO Rn. 2; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 459.
700 Das Pfandrecht führt im Insolvenzverfahren zu einem Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 4 AO, das freilich in der Regel nicht werthaltig ist, da es der Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff. InsO, nach Verfahrenseröffnung unterliegt. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 459.
701 Zum Beispiel entsteht zwar an dem Bier, das der Schuldner im vorläufigen Insolvenzverfahren braut, eine Sachhaftung zur Sicherung der Biersteuer, die aber wegen objektiver Gläubigerbenachteiligung nach Verfahrenseröffnung angefochten werden kann. So BGH, Urt. v. 9.7.2009 – IX ZR 86/08, ZIP 2009, 1674 ff. = ZVI 2009, 370 ff. Rn. 36; vgl. dazu Gundlach/Flöther, NZI 2009, 646 f.; Schmittmann, ZInsO 2009, 1949 f.
702 Der Haftungstatbestand greift bereits mit Beginn der Gewinnung oder Herstellung verbrauchsteuerpflichtiger Waren oder mit dem Verbringen in den Geltungsbereich des Gesetzes, § 76 Abs. 2 AO. 703 Die Haftung verwirklicht sich durch die Beschlagnahme als vollziehbarer Verwaltungsakt, die bewirkt, dass die Behörde die Sachen in Gewahrsam behält oder wie bei der Pfändung nach §§ 276, 336 Abs. 2 AO in Gewahrsam nimmt. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 76 AO Rn. 9; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 459.
704 Die Beschlagnahme kann unabhängig davon erfolgen, ob die Abgaben- oder Steuerschuld entstanden ist. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 76 AO Rn. 8; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 459.
705 Die Sachhaftung ist akzessorisch, sodass sie gleichzeitig mit der Steuerschuld erlischt, § 76 Abs. 4 Satz 1 AO. Darüber hinaus erlischt sie gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 AO mit der Aufhebung der Beschlagnahme oder dadurch, dass die Waren mit Zustimmung der Finanzbehörde in einen steuerlich nicht beschränkten Verkehr übergehen. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 460.
706 Gegen die Beschlagnahme ist gemäß § 347 AO Einspruch möglich. Bei der Anordnung der Beschlagnahme handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 76 AO Rn. 11; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 460.
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VI. Haftung gegenüber der Finanzverwaltung
3. Akzessorietät der Haftung Haftung im Steuerrecht ist akzessorisch, sodass die Geltendmachung eines 707 Haftungsanspruchs ausscheidet, wenn der zugrunde liegende Steueranspruch erloschen ist. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 460.
Der Grundsatz der Akzessorietät verlangt für die Inanspruchnahme des Haf- 708 tungsschuldners nicht, dass die Steuerschuld gegen den Erstschuldner bereits festgesetzt worden ist. Ein Haftungsbescheid kann ergehen, ohne dass zuvor ein Steuerbescheid gegen den Erstschuldner ergangen ist. So BFH, Beschl. v. 21.5.2004 – V B 212/03, BFH/NV 2004, 1368 f. Rn. 15.
Von der Festsetzung der Haftungsschuld zu unterscheiden ist die Zahlungs- 709 aufforderung gegenüber dem Haftungsschuldner. Gemäß § 219 AO darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zulasten eines anderen zu entrichten, § 219 Satz 2 AO. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 460 f.
4. Subsidiarität der Haftung Die Finanzverwaltung muss nach dem Grundsatz der Subsidiarität mindes- 710 tens den Versuch unternehmen, in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners zu vollstrecken, § 219 Satz 1 AO. Die Finanzverwaltung ist allerdings nicht verpflichtet, die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen zu versuchen. So Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 461.
Selbst wenn die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen nicht aus- 711 sichtslos ist, so ist es gleichwohl unter dem Gesichtspunkt des Ermessens von der Finanzverwaltung zu erwarten, dass sie überprüft, ob gegebenenfalls unbewegliches Vermögen in hinreichendem Umfang vorhanden ist, in das vollstreckt werden kann. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 219 AO Rn. 5; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 461.
Die Finanzverwaltung braucht im Übrigen eine Vollstreckung auch dann 712 nicht zu versuchen, wenn eine Eintragung in das Schuldnerverzeichnis vor-
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C. Außenhaftung
liegt, ein Insolvenzantrag mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen worden ist, ein eröffnetes Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt oder lediglich Auslandsvermögen vorhanden ist. So Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 219 AO Rn. 6; Schmittmann, in: Jesgarzewski/Schmittmann, Steuerrecht, S. 441, 461.
713 Ein Gesellschafter einer im Insolvenzverfahren befindlichen Kapitalgesellschaft darf so lange nicht in Anspruch genommen werden, wie noch die Möglichkeit besteht, dass die Finanzverwaltung die Steuerschuld durch Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen der Gesellschaft tilgt. So BFH, Urt. v. 21.9.1993 – V R 119/91, BFHE 172, 308 ff. = BStBl. II 1994, 83 ff. = ZIP 1994, 50 ff.
5. Verhältnis der Steuerhaftung zu § 93 InsO 714 Gemäß § 93 InsO kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. 715 Die Innenhaftung der persönlichen Außenhaftung von Gesellschaftern ist Zweck der Bestimmung. So Karsten Schmidt, ZGR 1996, 209, 224; ders., in: Karsten Schmidt, InsO, § 93 Rn. 1.
716 Im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger schließt § 93 InsO den Zugriff einzelner Gläubiger durch den schnelleren Zugriff auf das Gesellschaftervermögen aus. So BGH, Urt. v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 ff. = ZIP 2002, 1492 ff., dazu Kessler, ZIP 2002, 1974 ff. und EWiR 2003, 335 (Welzel).
717 Persönlich haftende Gesellschafter sind gesetzliche Vertreter i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO, sodass diese auch der Haftung gemäß § 69 AO unterliegen. Eine Sperrwirkung des § 93 InsO sieht die Rechtsprechung nicht. Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters nach § 93 InsO bezieht sich nur auf die Ansprüche aus der gesetzlichen akzessorischen Gesellschafterhaftung, sodass die Finanzverwaltung durch § 93 InsO nicht gehindert wird, nach Verfahrenseröffnung einen Anspruch aus §§ 69, 34 AO gegen den persönlich haftenden Gesellschafter geltend zu machen. So BGH, Urt. v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 ff. = ZIP 2002, 1492 ff., dazu Kessler, ZIP 2002, 1974 ff., dazu EWiR 2003, 335 (Welzel).
718 Die Rechtswirkungen aus § 93 InsO erstrecken sich nicht auf solche Ansprüche, die deshalb gegen die Gesellschafter bestehen, weil diese aus einem
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VII. Firmenbestattung
von den handelsrechtlichen Haftungsbestimmungen unabhängigen Rechtsgrund, insbesondere einer rechtlich selbstständigen eigenen Verpflichtung, für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen haben. So BGH, Urt. v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 ff. = ZIP 2002, 1492 ff., dazu Kessler, ZIP 2002, 1974 ff. und EWIR 2003, 335 (Welzel); BFH, Beschl. v. 2.11.2001 – VII B 155/01, BFHE 197, 1 ff. = BStBl. II 2002, 73 ff. = ZIP 2002, 179 ff. = NZI 2002, 173 ff., dazu EWiR 2002, 217 (Wessel).
Der Anspruch der Finanzverwaltung nach §§ 69, 34 AO beruht auf einem ei- 719 genständigen, von § 161 Abs. 2 i. V. m. § 128 HGB unabhängigen abgabenrechtlichen Haftungstatbestand, der besondere, den handelsrechtlichen Normen fremde Merkmale – vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung steuerrechtlicher Pflichten – enthält und auch inhaltlich abweichend ausgestaltet ist. So BFH, Beschl. v. 15.11.2002 – VII B 105/12, BFH/NV 2013, 587 f.
Die Anwendung der Rechtsprechung des BGH und des BFH führt zu einem 720 „Windhunderennen“ zwischen der Finanzverwaltung und dem Insolvenzverwalter, das gerade das von § 93 InsO gewünschte Ergebnis einer Haftungskonzentration in sein Gegenteil verkehrt. Während der Insolvenzverwalter darauf verwiesen ist, die ihm durch § 93 InsO zur Durchsetzung zugewiesenen gesellschaftsrechtlichen Ansprüche vor dem Zivilgericht titulieren zu lassen, hat die Finanzverwaltung das Privileg, diese gegen die Gesellschafter durch Haftungsbescheid gemäß § 93 InsO selbst zu titulieren. Es liegt auf der Hand, dass die Finanzverwaltung sich dadurch, insbesondere zeitliche, Vorteile verschafft. Vgl. Schmittmann, Abgabenrechtliche Haftungsfragen in der aktuellen Rechtsprechung des BFH, StuB 2013, 223 f.
VII. Firmenbestattung Der Begriff der „Firmenbestattung“ ist zwar dem Gesetz fremd, er wurde 721 aber insbesondere im Rahmen der Schaffung des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I 2008 S. 2026) im Rahmen der Gesetzesbegründung verwendet. So konstatiert die Gesetzesbegründung, dass in Bestattungsfällen die Beteiligten eine Intransparenz der Beteiligungsverhältnisse bewusst herbeiführen oder zumindest jedes Interesse an der Offenlegung der Gesellschafterstellung gegenüber dem Registergericht vermissen lassen. So BT-Drucks. 16/6140, S. 68.
Weiterhin wird festgestellt, dass Bestattungsfälle dadurch gekennzeichnet 722 sind, dass das inländische Geschäftslokal häufig geschlossen wird und die Geschäftsführer „abtauchen“ oder ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen. So BT-Drucks. 16/6140, S. 78.
141
C. Außenhaftung
723 Regelmäßig werden im Rahmen einer „Firmenbestattung“ sämtliche Geschäftsanteile übertragen, der Geschäftsführer ausgewechselt, eine Sitzverlegung durchgeführt sowie die Geschäftsunterlagen und eventuell frühere Aktiva beiseite geschafft. Vgl. Schmittmann/Gregor, InsbürO 2006, 410 ff.; Mai, InsbürO 2008, 449 ff.; Hey/Regel, GmbHR 2000, 115 ff.; Pape, ZIP 2006, 877 ff.; Schmittmann, InsbürO 2004, 287 ff.; Singer/Greck, StuB 2006, 82 ff.; Hirte, ZInsO 2003, 833 ff.; Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513 ff.; Schröder, DNotZ 2005, 596 ff.
724 Die Firmenbestattung selbst stellt keinen eigenen Straftatbestand dar, allerdings werden im Zusammenhang mit Firmenbestattungen häufig Straftatbestände begangen, z. B. Bankrott. Vgl. BGH, Beschl. v. 15.11.2012 – III StR 199/12, ZInsO 2013, 555 ff.
725 Firmenbestattungen sind bei allen haftungsbeschränkten Rechtsformen denkbar, insbesondere bei der Aktiengesellschaft und der GmbH. So OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.4.2013 – 2 (7) Ss 89/12 – AK 63/12, NZI 2013, 653 ff. (zur Aktiengesellschaft); BGH, Beschl. v. 15.11.2012 – 3 StR 199/12, ZInsO 2013, 555 (zur GmbH) = ZIP 2013, 514, dazu EWiR 2013, 295 (Brammsen/Ceffinato).
1. Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile 726 Eine Firmenbestattung ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass sämtliche Gesellschaftsanteile auf eine Person, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland oder aber jedoch keine vertieften Beziehungen zu Deutschland hat, übertragen werden. Vgl. Schmittmann/Gregor, InsbürO 2006, 410, 411; BGH, Beschl. v. 15.11.2012 – 3 StR 199/12, ZInsO 2013, 555 ff. Rn. 11; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, NZI 2013, 909 f. = ZIP 2013, 2463.
727 Werden die Geschäftsanteile an einer Kapitalgesellschaft an einen Erwerber veräußert, der eine faktische Liquidation durchführen soll, ohne etwa noch offene Forderungen zu realisieren und Gläubiger zu befriedigen, stellt sich dies als erhebliches Beweisanzeichen dafür dar, dass die Durchsetzung von Erstattungsansprüchen bewusst unterlassen wird. So BGH, Urt. v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, BGHZ 165, 343, 348 = ZIP 2006, 243 ff. = NZI 2006, 155 ff. = GmbHR 2006, 316 ff. mit Anm. Blöse.
728 Zum Teil wird die Abtretung von Geschäftsanteilen in diesen Konstellationen bereits als nichtig angesehen. So AG Memmingen, Beschl. v. 2.12.2003 – HRB 8361, RPfleger 2004, 223 = StuB 2004, 991 f. mit Anm. Singer.
142
VII. Firmenbestattung
Es wird allerdings auch vertreten, dass die Nichtigkeit von Gesellschafterbe- 729 schlüssen lediglich einen Ausnahmetatbestand darstellt, der eng auszulegen sei. So OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.4.2013 – 2 (7) Ss 89/12 – AK 63/12, NZI 2013, 653, 655; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, NZI 2013, 909 = ZIP 2013, 2463.
2. Wechsel des Geschäftsführers Im Rahmen von „Firmenbestattungen“ ist regelmäßig zu beobachten, dass 730 zu Geschäftsführern Personen bestellt werden, die entweder mit dem neuen Gesellschafter identisch sind oder aus seinem Umfeld stammen. So Schmittmann/Gregor, InsbürO 2006, 410, 411.
Es ist umstritten, ob die Bestellung eines neuen Geschäftsführers in den ge- 731 schilderten Konstellationen wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist. Dies wird zum Teil angenommen. So AG Memmingen, RPfleger 2004, 223 = StuB 2004, 991 f. mit Anm. Singer, 952; LG Potsdam, Beschl. v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, NZI 2013, 909 f. = ZIP 2013, 2463; Weng, NZI 2013, 656 f.
Demgegenüber wird vertreten, dass die Bestellung eines neuen Geschäftsfüh- 732 rers nicht allein deshalb nichtig ist, weil sie im Rahmen einer sog. Firmenbestattung erfolgt. So OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.4.2013 – 2 (7) Ss 89/12 – AK 63/12, NZI 2013, 653 ff. mit abl. Anm. Weng.
3. Sitzverlegung Um die Zuständigkeit eines entlegenen Insolvenzgerichts zu begründen wird 733 häufig eine Sitzverlegung durchgeführt, die zugleich auch dem Ziel einer erschwerten Sachverhaltsaufklärung dient. Weiterhin wird angestrebt, am bisherigen Firmensitz neue Geschäfte ungestört vom Insolvenzverfahren über das Vermögen der „alten“ Gesellschaft zu betreiben. So Graf-Schlicker/Kexel, InsO, § 3 Rn. 13; Schmittmann/Gregor, InsbürO 2006, 410, 412.
Das angegangene Insolvenzgericht hat zunächst seine örtliche Zuständigkeit 734 zu prüfen. Im Rahmen dessen sind die zur örtlichen Zuständigkeit vorgetragenen Umstände zu würdigen und gegebenenfalls der Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären. Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei dem nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständigen Gericht nicht eröffnet ist, kann es eine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden. So BGH, Beschl. v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442 = ZVI 2006, 157 = NZI 2006, 164 = StuB 2006, 408 mit Anm. Singer; Pape, ZIP 2006, 877 ff.
143
C. Außenhaftung
735 Die Rechtsprechung sieht eine Sitzverlegung, die im Zuge einer völligen Einstellung des Geschäftsbetriebs vorgenommen wird und das Ziel hat, das Insolvenzverfahren fernab vom bisherigen Sitz der Schuldnerin zu betreiben, als nichtig an. So AG München, Beschl. v. 1.4.2005 – 1506 IN 356/04, ZIP 2005, 1052, AG Regensburg, Verfügung vom 26.9.2005 – 96 AR 608/05, n. v.; Schmittmann/Gregor, InsbürO 2006, 410, 412; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 4 Rn. 234.
736 Indizien für eine solche Nichtigkeit sind insbesondere die systematische Erschwerung der Aufklärung der Vermögensverhältnisse sowie der Verwendung von Anschriften der Verfahrensbevollmächtigten oder von Firmenbestattern als angeblichen Firmensitz. So Schmittmann/Gregor, InsbürO 2006, 410, 412.
737 Verfügt eine Kapitalgesellschaft bei Stellung eines eigenen Eröffnungsantrags aus ihrer Sicht nicht mehr über nennenswerte Vermögensgegenstände, so ist in der Antragsbegründung der Verbleib des Gesellschaftsvermögens zu erläutern und die Entwicklung zu schildern, die zu der gegenwärtigen Vermögens- und Finanzlage geführt hat. Wird durch die Gesellschaft angegeben, dass keinerlei Vermögenswerte vorhanden sind, wird damit eine Abweisung des Insolvenzantrags mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse provoziert, sodass ein solcher Antrag als rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann, weil er auf scheinbar gesetzmäßigem Wege die Voraussetzungen für die Auflösung und anschließende Löschung der Gesellschaft im Handelsregister schafft und zugleich der Zugriff der Gläubiger auf das Gesellschaftsvermögen vereitelt oder zumindest wesentlich erschwert wird. So AG Duisburg, Beschl. v. 2.1.2007 – 64 IN 107/06, ZIP 2007, 690 = NZI 2007, 354 ff. mit Anm. Schmittmann.
738 Sind Haftungsansprüche bereits verwirklicht und sind die Gesellschaftsanteile übertragen und/oder ein neuer Geschäftsführer wird bestellt, so können diese ungeachtet der „Firmenbestattung“ weiterhin verfolgt werden. Die „Firmenbestattung“ stellt sich somit letztlich als ungeeignete Maßnahme gegen die Haftungsinanspruchnahme dar, wobei vielfach durch die Firmenbestatter gegenüber den Anteilsverkäufern unzutreffende Erwartungen geweckt werden. Richtig ist freilich, dass die Geltendmachung dieser Ansprüche aufgrund des „Verschwindens“ von Geschäftsunterlagen deutlich erschwert ist. Vgl. Schmittmann/Gregor, InsbürO 2006, 410, 414.
739 Sind die Geschäftsunterlagen allerdings tatsächlich verschwunden, ist es häufig den in Anspruch genommenen Altgeschäftsführern nicht mehr möglich, sich substantiiert gegen die erhobenen Ansprüche zu verteidigen. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1131.
144
VIII. Gerichtsstand
Nach Einstellung der werbenden Tätigkeit ist die Verlegung des Verwal- 740 tungssitzes als rechtsmissbräuchlich anzusehen. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 1134; OLG Schleswig, Beschl. v. 4.2.2004 – 2 W 14/04, ZIP 2004, 1476 (LS) = NZI 2004, 264; OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.1.2009 – 8 AR 32/08, ZIP 2009, 1928.
VIII. Gerichtsstand Soll ein Organ gerichtlich in Anspruch genommen werden, stellt sich für den 741 Anspruchsteller zunächst die Frage, bei welchem Gericht der Prozess anhängig zu machen ist. Der Gerichtsstand richtet sich nicht nach der EuInsVO, sondern nach der 742 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Der Begriff „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ in Art. 3 Nr. 5 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass Klagen erfasst werden, die von einem Gläubiger einer Aktiengesellschaft erhoben werden, um zum einen ein Mitglied des Verwaltungsrates dieser Gesellschaft und zum anderen einen Anteilseigner der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftbar zu machen, weil sie es zugelassen haben, dass die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb weiterführt, obwohl sie unterkapitalisiert war und einem Liquidationsverfahren unterworfen werden musste. So EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – Rs. C-147/12, ZIP 2013, 1932 ff.; vgl. dazu Freitag, ZIP 2014, 302 ff.
Der Begriff „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder ein- 743 zutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass dieser Ort bei Klagen, in denen ein Mitglied des Verwaltungsrates oder ein Anteilseigner einer Aktiengesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftbar gemacht werden soll, an dem Ort belegen ist, an dem der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft und die damit verbundene finanzielle Lage anknüpfen. So EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – Rs. C-147/12, ZIP 2013, 1932 ff.
Handelt es sich um Sachverhalte, die einen Bezug außerhalb der Europäischen 744 Union haben, ist gegebenenfalls eine Anwendbarkeit des Lugano-Übereinkommen I und II gegeben. Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist begründet, wenn der Kläger die erforderlichen Tatsachen für eine im Inland begangene unerlaubte oder dieser gleichgestellten Handlung des Beklagten schlüssig behauptet. So BGH, Urt. v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13 Rn. 19; BGH, Urt. v. 15.11.2011 – XI ZR 54/09, BKR 2012, 78 ff.; BGH, Urt. v. 5.10.2010 – VI ZR 159/09, BGHZ 187, 156 ff. = ZIP 2010, 2264 ff. Rn. 14, dazu EWiR 2010, 795 (Baumert).
145
C. Außenhaftung
745 Werden gegen das Organ einer Gesellschaft Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend gemacht, so bilden den Gegenstand des Verfahrens nicht ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag i. S. v. Art. 5 Nr. 1 Lugano-Übereinkommen I bzw. Art. 5 Nr. 1 Buchst. A Lugano-Übereinkommen II. Eine internationale Zuständigkeit kann sich aus Art. 5 Nr. 3 Lugano-Übereinkommen II ergeben. So BGH, Urt. v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13 Rn. 20.
746 Haben beispielsweise Organe einer Gesellschaft in Deutschland den Tatbestand einer unerlaubten Handlung verwirklicht, z. B. indem sie in Deutschland ohne Erlaubnis Finanzdienstleistungen erbracht haben, kommt eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Betracht. So BGH, Urt. v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13 Rn. 37.
146
D. Enthaftung des Organs Eine Enthaftung liegt in erster Linie im Interesse des Organs, das Rechts- 747 sicherheit hinsichtlich einer möglichen Inanspruchnahme erlangen will. Zunächst wird eine Einführung in das Thema Enthaftung des Organs (siehe Rn. 748 f.) gegeben, bevor der in der Praxis wichtige Fall der Exkulpation durch sachverständige Beratung (siehe Rn. 750 ff.) dargestellt wird. Weiterhin werden die Abdingbarkeit von Haftungsansprüchen (siehe Rn. 801 ff.) und der Erlass von Haftungsansprüchen (siehe Rn. 815 ff.) behandelt, bevor der Wechselwirkung zwischen Insolvenzanfechtung und Haftungsansprüchen (siehe Rn. 844 ff.) nachgegangen wird. I. Einführung Das Interesse des organschaftlichen Vertreters liegt darin, nach Möglichkeit 748 bereits im Vorfeld, also durch vertragliche Vereinbarung auszuschließen, im Laufe seiner Tätigkeit oder nach Abschluss dieser Tätigkeit mit Haftungsansprüchen der Gesellschaft konfrontiert zu werden. Eine solche Regelung ist allerdings schwerlich möglich. Im Laufe der Tätigkeit kann sich das Organ aber gegebenenfalls durch die 749 Einholung sachverständiger Beratung – und der Befolgung von deren Ratschlägen – exkulpieren, was allerdings nach der Rechtsprechung des BGH an eine Vielzahl von Voraussetzungen gebunden ist. Weiterhin wird häufig im Rahmen der Beendigung der Organtätigkeit eine Gesamtregelung getroffen, in der auch alle eventuellen Haftungsansprüche abgegolten sein können, wobei auch hier die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung von verschiedenen Voraussetzungen abhängt. Schließlich wird auch diskutiert, ob durch einen Insolvenzplan eine Regelung hinsichtlich von Haftungsansprüchen getroffen werden kann. II. Exkulpation durch sachverständige Beratung Das Organ nimmt gegebenenfalls selbst oder für die Gesellschaft die Bera- 750 tung durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer in Anspruch. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn das Organ nicht selbst hinreichend sachkundig ist, um absehen zu können, ob z. B. ein Insolvenzantrag erforderlich ist. Grundsätzlich gilt zwar, dass sich jedes Organ die für seine Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse verschaffen muss, es kann aber den Mangel an Kenntnissen durch die Inanspruchnahme sachverständiger Beratung ausgleichen. Das Organ haftet grundsätzlich nur für eigenes Verschulden. Wenn das Vor- 751 standsmitglied eine Hilfsperson in die Erfüllung eigener Verbindlichkeiten einschaltet, kommt eine Zurechnung des Verschuldens beauftragter Dritter nach § 278 BGB in Betracht.
147
D. Enthaftung des Organs So BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 294/09, Rn. 17; BGH, Urt. v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 66.
752 Wird im Namen der Gesellschaft, durch das Organ, ein Dritter eingeschaltet, so bedient sich das Organ regelmäßig der Hilfe Dritter nicht zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten, sondern wird im Pflichtenkreis der Gesellschaft tätig. So BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 ff. = NZG 2011, 1271 ff. = WM 2011, 2092 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2011, 793 (Vetter).
753 Ausgangspunkt für die Exkulpation durch die Inanspruchnahme sachverständiger Beratung ist die Rechtsprechung, wonach ein organschaftlicher Vertreter einer Gesellschaft seine Insolvenzantragspflicht nicht schuldhaft verletzt, wenn er bei fehlender eigener Sachkunde, zur Klärung des Bestehens der Insolvenzreife der Gesellschaft, den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm daraufhin erteilten Antwort dem Rat folgt und von der Stellung eines Insolvenzantrags absieht. So BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
754 Ein organschaftlicher Vertreter darf sich grundsätzlich auf einen unabhängigen, fachlich qualifizierten Rat verlassen. So BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 14, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
755 Eine erfolgreiche Exkulpation durch sachverständige Beratung ist aber an verschiedene Voraussetzungen geknüpft: 1. Ermittlung des Beratungsbedarfs 756 In der Krise einer Gesellschaft stellen sich in der Regel komplexe Rechtsfragen, die auch ein ansonsten hinreichend kundiges Organ nicht selbst beantworten kann. Kann das Organ z. B. nicht zuverlässig prüfen, ob für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose besteht, so muss es sich dazu fachkundig beraten lassen. So Lutter, DB 1994 129, 135; BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103 ff. Rn. 32.
757 Im Hinblick auf die Erstattungspflicht gemäß § 64 Satz 2 GmbHG gehört es zu den Pflichten eines organschaftlichen Vertreters, sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets zu vergewissern. Das Organ handelt daher fahrlässig, wenn es sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und die für die Insolvenzantragspflicht erforderlichen Kenntnisse verschafft.
148
II. Exkulpation durch sachverständige Beratung
Verfügt er persönlich nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, muss das Organ sich extern beraten lassen. So BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
Eine Exkulpation durch die Einholung fachlicher Beratung kommt allerdings 758 nur dann in Betracht, wenn sie allein zu dem Zweck erfolgt, vorhandene und ernstliche Zweifel oder Unsicherheiten hinsichtlich der Folgen einer Entscheidung oder des Bestehens einer Rechtspflicht auszuräumen. So Decker, GmbHR 2014, 72, 74.
Zum Teil ist zu beobachten, dass die Einholung eines Expertenrates nur er- 759 folgt, damit sich das Organ später entlasten kann. In einer solchen Sachverhaltskonstellation, die freilich in der Praxis nur schwer nachweisbar sein dürfte, besteht bereits keine Notwendigkeit zur Einholung fachkundiger Expertise, sodass diese auch keine entlastende Wirkung mehr haben kann. Vgl. Decker, GmbHR 2014, 72, 74.
2. Auswahl eines geeigneten Beraters Die Auswahl eines geeigneten Beraters obliegt dem handelnden Organ. Da- 760 bei ist grundsätzlich zunächst davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer bereits kraft seiner Zulassung zum Berufsstand geeigneter Berater ist. Vgl. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 ff. = NZG 2011, 1271 ff. = WM 2011, 2092 ff.; Müller, NZG 2012, 981, 982; Decker, GmbHR 2014, 72, 75.
Darüber hinaus ist das Organ gehalten, die spezifische Sachkunde des Berufs- 761 trägers zu prüfen. Dies obliegt dem Organ selbst. So OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386 ff. = NZG 2010, 141 ff. = WM 2010, 120 ff., dazu EWiR 2010, 477 (Moritz Becker/Laubinger).
Der BGH nimmt inzwischen an, dass nach den konkreten Umständen des 762 jeweiligen Einzelfalles, bei dem auch die Größe des zu beurteilenden Unternehmens zu berücksichtigen sein kann, die Beratung nicht nur durch Wirtschaftsprüfer, sondern geeignete Angehörige anderer Berufsgruppen gleichfalls zur Entlastung des Geschäftsführers genügen kann. So BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
Richtigerweise dürfte darauf abzustellen sein, dass allein die Zugehörigkeit 763 zum Berufsstand der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer nicht ausreicht, um das Organ zu exkulpieren. Vielmehr ist zu verlangen, dass der als Berater in Aussicht genommene Berufsträger über hinreichende 149
D. Enthaftung des Organs
Spezialkenntnisse verfügt, die z. B. durch die Qualifikation als „Fachanwalt für Insolvenzrecht“ nachgewiesen werden können. Ob bei den Steuerberatern die Bezeichnung „Fachberater für Sanierung und Insolvenzverwaltung“ als ausreichend angesehen werden kann, ist schon deshalb problematisch, weil es sich nicht – wie beim Fachanwalt – über eine staatlich verliehene Bezeichnung handelt, sondern lediglich um eine auf privatrechtlicher Basis gewährte Gestattung der Führung dieser Bezeichnung. Indes wird man nicht den Maßstab anlegen können, den z. B. § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO an den Aussteller der Bescheinigung stellt, die dem Insolvenzgericht gemeinsam mit dem Antrag auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens vorgelegt werden muss. Hier wird verlangt, dass die Person „in Insolvenzsachen erfahren“ ist. Vgl. Undritz in Schmidt, § 270b InsO Rn. 6; Hirte, ZInsO 2011, 401, 403.
764 Neben der Fachkompetenz ist erforderlich, dass der Berater unabhängig ist, sich also bei der Erteilung des Rates nicht von sachfremden Gründen leiten lässt und ergebnisoffen ist. Vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386 = NZG 2010, 141, 144; Decker, GmbHR 2014, 72, 75.
765 Schädlich ist die Vorbefassung des Beraters, also z. B. die Prüfung durch den bisherigen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. In diesem Falle besteht zumindest die Besorgnis, dass eine objektive Prüfung nicht stattfindet, weil der bisherige Berater sich in einem Spannungsfeld zu einer möglicherweise eigenen Haftung befindet, weil er z. B. im Rahmen des nunmehr erteilten Auftrages bemerkt, dass er eine bereits seit Längerem bestehende Insolvenzreife nicht rechtzeitig erkannt hat. Es ist also nicht zweckmäßig, den bisherigen Berater zu beauftragen, da mit guten Gründen behauptet werden kann, dass ihm die Unabhängigkeit fehlt. 766 Nach anderer Auffassung ist das Problem der Vorbefassung auf der Ebene der Plausibilitätsprüfung zu lösen. Es wird daher empfohlen zur Vermeidung von Darlegungs- und Beweislastproblemen einen Zweitgutachter zu beauftragen. So Decker, GmbHR 2014, 72, 76.
767 Weiterhin problematisch ist die Beratung durch Mitarbeiter des Unternehmens, also insbesondere durch Juristen der eigenen Rechtsabteilung. 768 Grundsätzlich kann auch ein interner Berater unabhängig sein. So Decker, GmbHR 2014, 72, 75; Wagner, BB 2012, 651, 655; Strohn, CCZ 2013, 177, 182.
769 Versuchen allerdings die Organe oder Dritte, auf die Beurteilung durch den internen Berater Einfluss zu nehmen, so kann seine Unabhängigkeit bereits bezweifelt werden. So Decker, GmbHR 2014, 72, 75; Schneider, DB 2011, 99, 103.
150
II. Exkulpation durch sachverständige Beratung
Zum Teil wird behauptet, dass die Stellungnahme eines externen Beraters 770 nicht grundsätzlich einen höheren Stellenwert hat als die interne Beratung durch die eigene Rechtsabteilung. So Decker, GmbHR 2014, 72, 75; Merkt/Myloch, NZG 2012, 525, 528; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 140.
Im Hinblick darauf, dass der interne Berater, selbst wenn er als Rechtsanwalt 771 zugelassen sein sollte, letztlich in einem Arbeitsverhältnis zur Gesellschaft steht, ist m. E. der Stellungnahme eines externen Beraters ein höherer Stellenwert beizumessen. Vgl. auch Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 249.
Völlig zu Recht hat der BGH darauf hingewiesen, dass die Ausübung des Be- 772 rufs des Syndikusanwalts nicht als selbstständige anwaltliche Tätigkeit i. S. d. § 5 FAO anzusehen ist. Die Tätigkeit des Syndikus für seinen Dienstherrn entspricht gerade nicht dem Grundsatz der freien Advokatur. Es handelt sich nicht um eine freie Berufsausübung, die das Bild des Rechtsanwalts bestimmt. So BGH, Beschl. v. 18.6.2001 – AnwZB 41/00, NJW 2001, 3130 f. = BRAK-Mitt. 2001, 297 Rn. 4; vgl. dazu EWiR 2001, 1137 (Posegga).
Auch wenn im Einzelfall dem unternehmensinternen Berater die Fachkom- 773 petenz nicht abgesprochen werden kann, so erscheint es aus Sicht der Organe der Gesellschaft nicht als zweckmäßig, es bei einer internen Stellungnahme bewenden zu lassen. Vielmehr dürfte es zweckmäßig sein, einen externen Berater hinzuzuziehen. 3. Information des Beraters durch das Organ Eine Exkulpation kommt darüber hinaus auch nur dann in Betracht, wenn 774 das Organ gegenüber dem Berater die Verhältnisse der Gesellschaft umfassend darstellt und die zur Erledigung des Auftrags erforderlichen Unterlagen offenlegt. So BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 ff. = NZG 2011, 1271 ff. = WM 2011, 2092 ff. Rn. 18; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781 = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
Die Entlastung des Geschäftsführers scheitert daher, wenn entscheidungser- 775 hebliche Informationen zurückgehalten oder unzutreffende Angaben gemacht werden. So Decker, GmbHR 2014, 72, 76; Binder, AG 2012, 274, 286.
151
D. Enthaftung des Organs
776 Das Organ darf aber darauf vertrauen, dass der Berater fehlende Unterlagen nachfordert oder gegebenenfalls konkrete Nachfragen stellt, sofern sich Informationslücken ergeben. So Decker, GmbHR 2014, 72, 76; Binder, AG 2012, 885, 893.
777 Im Falle von Informationslücken ist der Berater gehalten, sich durch entsprechende Nachfragen die erforderlichen Informationen zu verschaffen. Werden ihm allerdings von vornherein lediglich völlig unzureichende Informationen zur Verfügung gestellt oder gar unrichtige Auskünfte erteilt, ist es nicht Sache des Beraters, zunächst überhaupt den zugrunde liegenden Sachverhalt zu ermitteln. 778 Im Übrigen muss es sich auch um entscheidungserhebliche Informationen gehandelt haben, also Informationen, bei denen nicht ausgeschlossen ist, dass in Kenntnis dieser Umstände ein anderes Prüfungsergebnis zutage getreten wäre. So Decker, GmbHR 2014, 72, 76.
4. Auftragserteilung (Art und Umfang) 779 Eine Exkulpation des Organs kommt nur in Betracht, wenn der Prüfungsauftrag nach Art und Umfang ordnungsgemäß erteilt wird. 780 Schon aus Gründen der Nachweisbarkeit und insbesondere um spätere Streitigkeiten hinsichtlich des Umfangs des Prüfungsauftrags zu vermeiden, sollte dieser in Schriftform erteilt werden. So Decker, GmbHR 2014, 72, 76; BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 ff. = NZG 2011, 1271 ff. = WM 2011, 2092 ff. Rn. 18.
781 Grundsätzlich ist es auch denkbar, dass ein mündlicher Auftrag zur Erteilung eines mündlichen Rechtsrates erteilt wird, z. B. wenn es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt handelt oder die Sache außergewöhnlich eilbedürftig ist. So Decker, GmbHR 2014, 72, 76.
782 Allerdings ist es in Fällen, in denen aufgrund von Eilbedürftigkeit zunächst dem mündlich erteilten Rat gefolgt wird sinnvoll, diesen später schriftlich bestätigen zu lassen. 783 Hinsichtlich der Art des Auftrags ist es grundsätzlich sinnvoll, diesen nicht nur auf die Prüfung von möglichen Insolvenzantragsgründen zu erstrecken, sondern zugleich von dem Berater eine Stellungnahme zu Handlungs- bzw. Unterlassungspflichten der Organe zu verlangen. 784 Das Organ haftet grundsätzlich nur für eigenes Verschulden. Wenn das Vorstandsmitglied eine Hilfsperson in die Erfüllung eigener Verbindlichkeiten
152
II. Exkulpation durch sachverständige Beratung
einschaltet, kommt eine Zurechnung des Verschuldens beauftragter Dritter nach § 278 BGB in Betracht. So BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 294/09, n. v., Rn. 17; BGH, Urt. v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 66.
Wird im Namen der Gesellschaft durch das Organ ein Dritter eingeschaltet, 785 so bedient sich das Organ regelmäßig der Hilfe Dritter nicht zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten, sondern wird im Pflichtenkreis der Gesellschaft tätig. So BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 ff. = NZG 2011, 1271 ff. = WM 2011, 2092 ff. Rn. 17.
Die Auftragserteilung kann z. B. darauf gerichtet sein, die Insolvenzreife zu 786 einem bestimmten Stichtag zu überprüfen. Im Rahmen des Auftrags sollte auch vereinbart werden, dass der Auftragnehmer eine Liquiditätsbilanz fertigt. So BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 15, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
Hinsichtlich des Auftrags ist darüber hinaus auch zu regeln, bis wann das 787 Prüfungsergebnis vorliegen soll. So Decker, GmbHR 2014, 72, 77; Nowak, GmbHR 2012, 1294, 1299.
Für den Fall, dass das Organ bereits erkannt hat, dass ein Insolvenzgrund 788 vorliegen könnte, ist auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfungsergebnisses hinzuwirken. So BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 ff. = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
Das Organ darf sich gerade nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung 789 begnügen, sondern muss auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfungsergebnisses hinwirken. So BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
5. Überprüfung des erteilten Rats auf Plausibilität Eine Enthaftung des Organs kommt darüber hinaus auch nur in Betracht, 790 wenn das Organ das Prüfungsergebnis einer Plausibilitätskontrolle unterzieht. So BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2012,
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D. Enthaftung des Organs 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 ff. = NZG 2011, 1271 ff. = WM 2011, 2092 ff. Rn. 18; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 18, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
791 Diese Pflicht zur Plausibilitätskontrolle ist nicht delegierbar und somit vom Organmitglied selbst vorzunehmen. Es ist zu empfehlen, die vorgenommene Plausibilitätskontrolle schriftlich zu dokumentieren, um gegebenenfalls im Haftungsprozess den Beweis des fehlenden Verschuldens führen zu können. So Decker, GmbHR 2014, 72, 77; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; Müller, NZG 2012, 981, 983.
792 Der Umfang der erforderlichen Plausibilitätskontrolle ist im Einzelnen unklar, insbesondere hinsichtlich der Tiefe der Plausibilitätskontrolle. Es wird daher für ausreichend erachtet, wenn sich das Organ darauf beschränkt, das Prüfergebnis zu kontrollieren und zu überprüfen, ob die zur Verfügung gestellten Unterlagen vollständig und hinreichend einbezogen worden sind. So Decker, GmbHR 2014, 72, 77.
793 Der Experte ist auf die Zweifel der Geschäftsleitung gegebenenfalls hinzuweisen und aufzufordern, das Prüfungsergebnis zu überarbeiten, insbesondere wenn es Begründungslücken enthält oder logische Denkgesetze verletzt worden sind. So Decker, GmbHR 2014, 72, 77.
794 Ebenso wie der Expertenrat schriftlich erteilt werden sollte, sind auch die zusätzlichen Ausführungen grundsätzlich in Schriftform einzufordern, wobei es allerdings bei Eilentscheidungen auch ausreichend sein kann, wenn mündliche Erläuterungen gegeben werden. So Decker, GmbHR 2014, 72, 77.
795 Bei einer mündlichen Erläuterung sollte das Organ allerdings im eigenen Interesse darauf achten, dass die Ausführungen des Experten später zumindest in Schriftform zusammengefasst und zur Akte genommen werden. 6. Handeln gemäß Beratungsempfehlung 796 Zur Enthaftung reicht es nicht aus, wenn sich das Organ unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und unter Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person hat beraten lassen sowie das Prüfungsergebnis einer Plausibilitätskontrolle unterzogen hat. So BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 ff. = NZI 2012, 567 ff. = NZG 2012, 672 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 ff. = NZG 2011, 1271 ff. = WM 2011, 2092 ff. Rn. 18; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265
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III. Abdingbarkeit von Haftungsansprüchen (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) = NZI 2007, 477 f. = NJW 2007, 2118 ff. Rn. 18, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
Das Organ muss sich darüber hinaus auch in einer Weise verhalten, die durch 797 den Rat des Experten gedeckt ist. So Decker, GmbHR 2014, 72, 77.
Handelt das Organ der Gesellschaft in einer Weise, die nicht mehr von dem 798 Expertenrat gedeckt ist, nimmt es damit gegebenenfalls „unternehmerisches Ermessen“ in Anspruch. Die damit einhergehenden rechtlichen Risiken sind somit aber nicht mehr exkulpationsfähig. So Decker, GmbHR 2014, 72, 78.
7. Mitverschulden Im Rahmen der Enthaftung ist zu berücksichtigen, dass ein etwaiger Scha- 799 densersatzanspruch gegen den Experten, der grundsätzlich der Gesellschaft bzw. später der Insolvenzmasse zusteht, durch ein der Gesellschaft analog § 31 BGB zuzurechnendes Mitverschulden ihres Organs erheblich gemindert oder gar ganz ausgeschlossen sein kann. So BGH, Urt. v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 ff. = WM 2015, 143 ff. = NZG 2015, 38 ff. Rn. 22; BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 29 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe); BGH, Urt. v. 10.12.2009 – V R 42/08, BGHZ 183, 323 = NZG 2010, 145 ff. Rn. 54; ZIP 2010, 284, dazu EWiR 2010, 267 (Wahl/Nikoleyczik); Luttmann, ZInsO 2013, 1777 ff.
Dieses Mitverschulden ist allerdings weniger eine Frage der Möglichkeit der 800 Exkulpation des Organs, sondern vielmehr eine Frage der Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz, die unter Rn. 899 ff. erörtert wird. III. Abdingbarkeit von Haftungsansprüchen Die Abdingbarkeit von Haftungsansprüchen kommt gegebenenfalls durch 801 Abdingbarkeit durch Vertrag (siehe Rn. 802 ff.) und Abdingbarkeit durch Insolvenzplan (siehe Rn. 813 f.) in Betracht. 1. Abdingbarkeit durch Vertrag Der „gewöhnliche Arbeitnehmer“ genießt im Arbeitsrecht das Privileg, dass 802 nach den Grundsätzen zur „Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Tätigkeit“ zu verfahren ist. So BGH, Urt. v. 21.12.1993 – VI ZR 103/93, NJW 1994, 852 ff. = NZV 1994, 143 ff. = ZIP 1994, 480 ff., dazu EWiR 1994, 247 (Ackmann).
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D. Enthaftung des Organs
803 Arbeitnehmer haften für Schäden, die sie bei der Verrichtung gefahrgeneigter Arbeit fahrlässig verursacht haben, dem Arbeitgeber gegenüber nur nach folgenden Grundsätzen: Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist, wobei die Gesamtumstände von Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind. So BAG, Beschl. v. 27.9.1994 – GS – 1/89 (A), BAGE 78, 56 ff. = NJW 1995, 210 ff. = ZIP 1994, 1712, dazu EWiR 1995, 345 (Kaiser); BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, BAGE 101, 107 ff. = NJW 2003, 377 ff. = ZIP 2002, 1909 ff., dazu EWiR 2002, 1073 (Otto).
804 Die mit den Grundsätzen der gefahrgeneigten Tätigkeit zusammenhängenden Fragen bedürfen hier aber keiner weiteren Behandlung mehr, da diese Grundsätze zwar noch für leitende Angestellte, nicht aber für Organe von juristischen Personen gelten, soweit die Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Unternehmensleitung begangen worden ist. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 378; Lutter, GmbHR 2000, 301, 312.
805 Die arbeitsrechtlichen Grundsätze können daher zugunsten des Organs keine Anwendung finden, zumal die arbeitsrechtlichen Prinzipien im Konfliktfall hinter den gesellschaftsrechtlichen Erfordernissen zurücktreten müssen. So Goette, in: Festschrift Wiedemann, S. 873, 888.
806 Darüber hinaus ergibt sich auch aus dem Dienstvertrag, zwischen dem Organ und der Gesellschaft, unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze, allenfalls eine Abdingbarkeit von Ansprüchen der Gesellschaft gegen das Organ, die allerdings die Möglichkeit Dritter, gegen das Organ vorzugehen, unberührt lässt. Die Grundsätze zur Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Tätigkeit gelten ohnehin nicht zulasten eines außerhalb des Arbeitsverhältnisses stehenden Dritten. So BGH, Urt. v. 21.12.1993 – VI ZR 103/93, ZIP 1994, 480 ff. = NJW 1994, 852 ff. = NZV 1994, 143 ff. Rn. 15.
807 Ein vertraglicher Haftungsausschluss ist zwar denkbar, allerdings wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Haftung eines Organs nur bedingt vertraglich beschränkt werden kann, wofür z. B. die Regelung des § 93 Abs. 4 AktG spricht. Es liegt im Interesse der Gläubiger der Gesellschaft, dass die durch das Handeln des Organs geschmälerte Haftungsmasse durch die Geltendmachung des Ersatzanspruchs gegen das Organ wieder aufgefüllt wird. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 393.
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III. Abdingbarkeit von Haftungsansprüchen
Sofern man einen vertraglichen Haftungsausschluss für zulässig erachtet, 808 kann jedoch nicht die Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden. So Joussen, GmbHR 2005, 441, 446; Habersack, in: Festschrift Ulmer, S. 150.
Auch der Frage der Zulässigkeit eines Verzichts im Rahmen einer „General- 809 bereinigung“ wird unter Erlass von Haftungsansprüchen (Rn. 818 ff.) nachgegangen. Im Übrigen kommt eine Abdingbarkeit nicht in Betracht, wenn es sich um 810 Ansprüche handelt, auf die nicht verzichtet werden kann, z. B. im Hinblick auf die Kapitalaufbringung, die Kapitalerhaltung und die Auffüllung der Insolvenzmasse durch den Erstattungsanspruch für Zahlungen, die nach Insolvenzreife geleistet worden sind. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 402.
Von der Frage des vertraglichen Haftungsausschlusses ist die Frage eines 811 vertraglichen Freistellungsanspruchs zu unterscheiden. Grundsätzlich wird es für zulässig erachtet, dass die Gesellschaft das Organ für den Fall von der Haftung freistellt, dass das Organ einen Haftungstatbestand gegenüber einem Dritten, nicht aber gleichzeitig gegenüber der Gesellschaft verletzt hat. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 387; Scholz/Schneider, § 43 GmbHG Rn. 351.
Diese Frage spielt allerdings unter praktischen Gesichtspunkten keine Rolle, 812 da im Falle der Geltendmachung von Ansprüchen durch den Insolvenzverwalter ein vertraglicher Freistellungsanspruch gegen die Gesellschaft wertlos ist. 2. Abdingbarkeit durch Insolvenzplan Ist über das Vermögen des Organs das Insolvenzverfahren eröffnet worden, 813 so können auch Ansprüche der Gesellschaft und Dritter gegen das Organ Gegenstand des Insolvenzplans sein, selbst wenn es sich um deliktische Ansprüche handeln sollte. Sog. Deliktforderungen (§ 302 Nr. 1 InsO) sind von der Schuldbefreiung durch den erfüllten Insolvenzplan nur ausgenommen, wenn er dies bestimmt. So BGH, Beschl. v. 17.12.2009 – IX ZR 32/08, NJW-Spezial 2010, 343 Rn. 2.
Es handelt sich bei dieser Konstellation allerdings nicht um die Abdingbar- 814 keit, sondern um einen Erlass, dessen Einzelheiten unter Rn. 818 ff. (Erlass von Haftungsansprüchen) dargestellt werden.
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D. Enthaftung des Organs
IV. Erlass von Haftungsansprüchen 815 Während es bei der Abdingbarkeit von Haftungsansprüchen um eine Regelung geht, die getroffen wird, bevor der Haftungsfall eingetreten ist, betrifft der Erlass von Haftungsansprüchen Ansprüche, die zumindest dem Grunde nach bereits feststehen. 816 Diese Haftungsansprüche, die durch Vertrag (siehe Rn. 821 ff.) oder Insolvenzplan (siehe Rn. 831 ff.) erlassen werden können, sind Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts. 817 Im Übrigen kommt eine Enthaftung auch durch Gesellschafterbeschluss in Betracht, sofern dieser nicht pflichtwidrig ist. So Decker, GmbHR 2014, 72, 78; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 120.
818 Ein Handeln und Unterlassen des Organs im – auch stillschweigenden – Einverständnis mit sämtlichen Gesellschaftern lässt eine Pflichtverletzung i. S. v. § 43 Abs. 2 GmbHG entfallen. So BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945 ff. = NZG 2003, 528 f., dazu EWiR 2004, 443 (Sinewe); BGH, Urt. v. 15.11.1999 – II ZR 122/98, ZIP 2000, 135 = NZG 2000, 204 f. = NJW 2000, 576 f.
819 Das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter lässt die Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft allerdings nur entfallen, soweit die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter gegenüber der GmbH reicht. So BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945 ff. = NZG 2003, 528 f. Rn. 5, dazu EWiR 2004, 443 (Sinewe); BGH, Urt. v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128 ff. = NZG 2002, 1170 ff. = NZI 2003, 117 ff., dazu EWiR 2003, 119 (Blöse).
820 Das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter ist somit unbeachtlich, wenn ein Verstoß gegen Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsgrundsätze in Rede steht oder die Gesellschaft vor existenzvernichtenden Eingriffen geschützt werden muss. So BGH, Urt. v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945 ff. = NZG 2003, 528 f. Rn. 5, dazu EWiR 2004, 443 (Sinewe) BGH, Urt. v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 ff. = ZIP 2002, 848, dazu EWiR 2002, 679 (Blöse).
1. Erlass durch Vertrag a) Grundlagen 821 Der Erlass durch Vertrag (§ 397Abs. 1 BGB) ist lediglich eine Form der Erledigung. Es kommen ebenso ein negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB), ein gerichtlicher sowie außergerichtlicher Vergleich (§ 779 BGB) oder
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IV. Erlass von Haftungsansprüchen
ein Prozessvergleich in Betracht. Darüber hinaus wird in Aufhebungs- und Abfindungsvereinbarungen regelmäßig eine Klausel aufgenommen, die regelt, dass alle Ansprüche der Gesellschaft gegen das (ausscheidende) Organ oder alle gegenseitigen Ansprüche abgegolten sein sollen. So Krieger/Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rn. 53; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 28.
b) Aktiengesellschaft Bei der Aktiengesellschaft regelt § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ausdrücklich, dass 822 die Gesellschaft erst drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen kann, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen, zur Niederschrift Widerspruch erhebt. Die zeitliche Beschränkung gilt gemäß § 93 Abs. 4 Satz 4 AktG nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. Die Vorschrift umfasst neben einem ausdrücklichen Verzicht oder Vergleich 823 auch einen Klageverzicht der Gesellschaft (§ 306 ZPO) oder ein Anerkenntnis der Gesellschaft gegenüber einer negativen Feststellungsklage des Vorstandmitglieds (§ 307 ZPO). Weiterhin wird von der Vorschrift auch die Stundung des Ersatzanspruchs umfasst. So Krieger/Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rn. 53.
Ein Vergleich oder Verzicht soll erst vereinbart werden, wenn das mögliche 824 Schadensausmaß hinreichend überschaubar ist. So Krieger/Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rn. 54; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 28.
Die zeitliche Begrenzung gilt nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsun- 825 fähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. Es reicht aus, wenn ein außergerichtlicher Vergleich geschlossen wird, selbst wenn an diesem nur ein einziger Gläubiger beteiligt ist. So Krieger/Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rn. 55; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 30.
Wird der Vergleich geschlossen, um damit eine Einstellung des Insolvenzver- 826 fahrens gemäß §§ 213 ff. InsO zu erreichen, ist die Frist ebenfalls unbeachtlich. So Krieger/Sailer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 93, Rn. 55; Hüffer, AktG, § 93 Rn. 30.
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D. Enthaftung des Organs
c) Gesellschaft mit beschränkter Haftung 827 Eine vergleichbare Regelung findet sich im GmbHG nicht. Aber auch bei dieser Rechtsform steht der Gläubigerschutz im Vordergrund. Es ist nicht einzusehen, dass Ansprüche gegen Geschäftsführer nicht verfolgt werden, solange es unbefriedigte Gesellschaftsgläubiger gibt, die aus eventuellen Ansprüchen gegen die Geschäftsführer befriedigt werden könnten. 828 Es spricht daher einiges dafür, die Regelungen aus dem Aktiengesetz auch auf die GmbH anzuwenden. Ebenso Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 98; Burgard, ZIP 2002, 827, 839.
d) Genossenschaft 829 Bei der Genossenschaft gilt ebenfalls eine Sonderregelung. Den Gläubigern gegenüber wird die Ersatzpflicht gemäß § 34 Abs. 5 Satz 2 GenG weder durch einen Verzicht oder Vergleich der Genossenschaft noch dadurch aufgehoben, dass die Handlung auf einem Beschluss der Generalversammlung beruht. Ist über das Vermögen der Genossenschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so übt gemäß § 34 Abs. 5 Satz 3 GenG während dessen Dauer der Insolvenzverwalter oder Sachwalter das Recht der Gläubiger gegen die Vorstandsmitglieder aus. 830 Diese Regelung aus dem Genossenschaftsgesetz verdeutlicht, dass es sich um eine gläubigerschützende Regelung handelt, sodass er nicht zur Disposition der Gesellschaft steht. Lediglich dem Insolvenzverwalter bzw. Sachwalter wird die Kompetenz eingeräumt, sich über den Anspruch zu vergleichen. 2. Erlass durch Insolvenzplan 831 Der Erlass durch Insolvenzplan kann in zwei Varianten auftreten: Es kann sich um einen Insolvenzplan über das Vermögen des verantwortlichen Organs handeln oder aber um einen Insolvenzplan über das Vermögen der Gesellschaft. 832 Eine Regelung in einem Insolvenzplan über das Vermögen des haftungsverpflichteten Organs ist ohne Weiteres möglich, zumal dies bereits vom Wortlaut des § 93 Abs. 4 Satz 4 AktG gedeckt ist. Eine strengere Regelung ist auch für die GmbH oder die Genossenschaft weder ersichtlich noch erforderlich. 833 Eine gesetzliche Regelung, ob im Insolvenzplan auch Haftungsansprüche gegen Organe geregelt werden können, fehlt. Gemäß § 217 Satz 1 InsO können die Befriedigung der Gläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Verfahrensabwicklung und die Haftung des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in einem Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden. Es
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IV. Erlass von Haftungsansprüchen
handelt sich hier allerdings um die Frage der Haftung der Organe und nicht um die Haftung des Schuldners, sodass bereits nach dem Wortlaut einiges dafür spricht, dass eine Regelung im Insolvenzplan über das Vermögen der Gesellschaft nicht möglich ist. Zum Teil wird allerdings in der Literatur die Auffassung vertreten, dass im 834 Insolvenzplan über das Vermögen der Gesellschaft aus sachlichen und wirtschaftlichen Gründen bestimmt werden kann, dass Haftungsansprüche nicht geltend gemacht werden. So Buchalik/Hiebert, ZInsO 2014, 109.
Demnach soll es möglich sein, in den Insolvenzplan einen Verzicht oder eine 835 Abgeltungsklausel aufzunehmen. Die Protagonisten dieser beratergesteuerten Auffassung vertreten die Position, dass der Verzicht auf die Geltendmachung dieser Ansprüche eine Folge der – unstreitig anerkannten – Gläubigerautonomie und damit nicht insolvenzzweckwidrig sei. So Buchalik/Hiebert, ZInsO 2014, 109, 115.
Diese Auffassung ist auch nicht deswegen zutreffend, weil jeder, neben den 836 im Gesetz genannten Plan Betroffenen und auch im Übrigen jeder andere Dritte – freiwillig –, in den Plan einbezogen werden kann. So Spliedt, in: Schmidt, InsO, § 217 Rn. 7.
In dieser Konstellation geht es aber darum, dass ein Dritter im Insolvenzver- 837 fahren über das Vermögen der Gesellschaft eine Verpflichtung übernimmt. Da auch die Insolvenzverwalterhaftung gemäß §§ 60 f. InsO nicht disponibel 838 ist, insbesondere hinsichtlich eines Verzichts auf Haftungsansprüche wegen unvollständiger Darstellung der Vermögensverhältnisse, z. B. wegen der krisentypischen Sonderaktiva aus Gesellschafter-, Organ- und Beraterhaftung, ist auch für eine Enthaftung des Organs im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft kein Raum. Vgl. zur Insolvenzverwalterhaftung: Spliedt, in: Schmidt, InsO, § 217 Rn. 19.
Die ins Feld geführte Gläubigerautonomie ist regelmäßig das „Recht des 839 Stärkeren“ und kann daher nicht hinreichend legitimieren, dass auf Haftungsansprüche gegen Organe verzichtet werden kann. So Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1413.
Insbesondere Banken haben oftmals auch ein Interesse daran, dass die organ- 840 schaftlichen Vertreter geschont werden, da diese gegenüber der Bank aufgrund von Schuldbeitritten, Bürgschaften und ähnlichen Personalsicherheiten haften. Macht der Insolvenzverwalter Haftungsansprüche gegen die Organe geltend, fließen die vom Organ gezahlten Beträge in die Insolvenzmasse und stehen zur Verteilung an alle Gläubiger zur Verfügung. Darüber hinaus haben auch andere Gläubiger durchaus Interesse an einer Schonung der Organe,
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D. Enthaftung des Organs
damit ihnen selbst eine entsprechende Haftungsmasse verbleibt. Haftet das geschäftsführende Organ für die nicht abgeführten Arbeitnehmeranteile am Sozialversicherungsbeitrag gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB, so kann der Sozialversicherungsträger gar kein Interesse daran haben, dass das geschäftsführende Organ vom Insolvenzverwalter z. B. auf Erstattung der nach Eintritt der Insolvenzreife abgeflossenen Beträge in Anspruch genommen wird. 841 Auch die Finanzverwaltung wird mittelbar begünstigt, wenn das geschäftsführende Organ vom Insolvenzverwalter „verschont“ wird. Die Finanzverwaltung kann selbst nach einer mit einem Insolvenzplan bewirkten „teilweisen“ Befreiung des schuldnerischen Unternehmens von der Steuerschuld noch den organschaftlichen Vertreter gemäß §§ 34, 69 AO in Anspruch nehmen. So BFH, Beschl. v. 15.5.2013 – VII R 2/12, BFH/NV 2013, 1543 f. = StuB 2013, 834, dazu EWiR 2013, 691 (Hieber).
842 Der Fortbestand eines wirksam festgestellten Haftungsbescheids wird durch die im gestaltenden Teil des Insolvenzplans festgestellten Wirkungen nach Auffassung des BFH nicht berührt, sodass die Finanzverwaltung ein besonderes Interesse daran hat, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens über die Gesellschaft noch ein leistungsfähiges Organ zur Verfügung zu haben, um gegen dieses – durch selbstgeschaffenen Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 AO – vorgehen zu können. Ebenso Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1414.
843 Nach alledem sprechen die besseren Argumente dafür, eine Enthaftung durch Insolvenzplan als unzulässig anzusehen. V. Insolvenzanfechtung und Haftungsansprüche 844 Die Enthaftung des Organs könnte letztlich dadurch eintreten, dass der Insolvenzverwalter darauf verwiesen wird, dass er so lange keine Haftungsansprüche gegen geschäftsführende Organe geltend machen kann, bis sämtliche Insolvenzanfechtungsansprüche geltend gemacht und die Insolvenzmasse dadurch angereichert ist. Mit dieser Argumentation versuchen bisweilen geschäftsführende Organe, sich dem Erstattungsanspruch zu entziehen. An dieser Argumentation trifft zu, dass der Insolvenzverwalter einen entgegen der Massesicherungspflicht gezahlten Betrag nicht einmal im Wege der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) vom Zahlungsempfänger und andererseits vom geschäftsführenden Organ zurückfordern kann. 845 Nach zutreffender Auffassung ist das in Anspruch genommene Organ nicht berechtigt, die Erfüllung der Ansprüche auf Erstattung von Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet worden sind gegenüber der Masse mit der Begründung zu verweigern, der Insolvenzverwalter der Gesellschaft habe es unterlassen, aussichtsreiche Anfechtungsrechte geltend zu machen.
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V. Insolvenzanfechtung und Haftungsansprüche So BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 = NJW 1996, 850 f. = ZIP 1996, 420 ff., dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh).
Dessen ungeachtet ist der Insolvenzverwalter freilich verpflichtet, zu prüfen, 846 ob durch anfechtbare Handlungen aus dem Vermögen des Schuldners etwas veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist und ein Rückgewähranspruch gemäß § 143 InsO besteht. So LG Krefeld, Urt. v. 6.2.2014 – 3 O 271/13, NZI 2014, 410 ff.
Ein Insolvenzverwalter, der einen aussichtsreichen insolvenzrechtlichen Rück- 847 gewähranspruch nicht geltend macht, unterliegt gegebenenfalls einer Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB. Vgl. Weyand, ZInsO 2014, 1934, 1939.
Ein Insolvenzplan kann vorsehen, dass dort eine Regelung hinsichtlich der in- 848 solvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähransprüche getroffen wird. Erbringt der Anfechtungsgegner allerdings keine „echte“ Gegenleistung, sondern macht seine Zustimmung zum Insolvenzplan von der Nichtgeltendmachung der Anfechtungsansprüche abhängig, ist die Grenze der Lauterkeit überschritten und die Vereinbarung möglicherweise nichtig. Ebenso Pape, in: Festschrift Kübler, S. 487, 498.
Hat das geschäftsführende Organ auf den Erstattungsanspruch gezahlt, ist 849 ihm der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO zur gegebenenfalls eigenen Rechtsverfolgung gegenüber dem Zahlungsempfänger abzutreten. So OLG Oldenburg, Urt. v. 10.5.2004 – 15 U 13/04, ZIP 2005, 317 (LS) = GmbHR 2004, 1014 f. = MDR 2004, 1383 ff.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 711.
Der Insolvenzverwalter wird daher nach sorgfältigem Ermessen entscheiden, 850 ob es zweckmäßiger ist, die insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähransprüche gemäß § 143 Abs. 1 InsO gegen die einzelnen Zahlungsempfänger geltend zu machen oder den Haftungsanspruch gegen das geschäftsführende Organ.
163
E. D&O-Versicherung Die D&O-Versicherung („Directors-and-Officers“-Versicherung) hat in 851 Deutschland lange Zeit ein Schattendasein geführt, obgleich die Anfänge einer Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter in Deutschland in das Jahr 1895 zurückgehen und diese Art der Versicherung in den Vereinigten Staaten sowie in Großbritannien seit beinahe einhundert Jahren eine Standardmaßnahme darstellt. Es handelt sich bei der D&O-Versicherung um eine spezielle Art von Vermögensschadenhaftpflichtversicherung. Das Unternehmen schließt für seine Organe und gegebenenfalls leitenden Angestellten, also zugunsten Dritter, eine Versicherung ab, die Vermögensschäden abdecken soll, die das Organ ausgelöst hat. Vgl. Andresen/Schaumann, ZInsO 2010, 1908 ff.; Dauner-Lieb/ Tettinger, ZIP 2009, 1555 ff.; Gädtke/Wax, AG 2010, 851 ff.; Heße, NZI 2009, 790 ff.; Ihlas, D&O: Directors & Officers Liability; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung; Olbrich, Die D&O-Versicherung; Schmitt, Organhaftung und D&O-Versicherung; Steinkühler/Kassing, VersR 2009, 607 ff.; Wedemann, ZIP 2014, 2469 ff.; Werner, ZInsO 2014, 1940 ff.
Insbesondere in der Insolvenz spielt die D&O-Versicherung eine bedeutende 852 Rolle, da aufgrund der häufig fehlenden Leistungsfähigkeit der Organe eine Massemehrung durch die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Organe nur dann zu einem tatsächlichen Massezufluss führt, wenn auch ein leistungsfähiger Schuldner, also hier die Versicherung, zur Verfügung steht. I. Grundlagen Die D&O-Versicherung basiert auf folgenden Grundsätzen:
853
Es handelt sich um eine Berufshaftpflichtversicherung für Leitungs- und 854 Aufsichtsorgane, die die Tätigkeit dieses Personenkreises als Organe des Unternehmens abdeckt. Die D&O-Versicherung enthält auch Elemente einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung sowie einer Rechtsschutzversicherung. Mit einer D&O-Versicherung können sämtliche ehemaligen, gegenwärtigen 855 und künftigen Mitglieder des Vorstands, der Geschäftsführung, des Aufsichtsrates, Verwaltungsrates oder Beirates, deren Vertreter, faktische Mitglieder, leitende Angestellte und Compliance Officer eines Unternehmens sowie Generalbevollmächtigte, Zollbeauftragte und eingetragene Lebenspartner versichert werden. Im Rahmen der D&O-Versicherung übernimmt der Versicherer die Prüfung 856 der Sach- und Rechtslage, sowie die Freistellung von begründeten Ansprüchen. Im Übrigen wehrt er unbegründete Ansprüche ab, was gleichbedeutend mit der Führung von Rechtstreiten und Übernahme der Kosten ist. Vgl. Allianz, https://business.allianz.de/produkte/haftpflicht/ d-o-versicherung/ (Stand: 30.4.2015).
165
E. D&O-Versicherung
857 Mittelbar hat die D&O-Versicherung in das Aktiengesetz Einzug gehalten. Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ist bei Abschluss einer Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitglieds gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft durch die Gesellschaft ein Selbstbehalt von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Hälfte des 1 ½-fachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorzusehen (§ 93 Abs. 2 Satz 3 AktG). 858 Eine entsprechende Regelung findet sich in Ziff. 3.8 DCGK (Deutscher Corporate Governance Kodex), der den Selbstbehalt auch auf eine D&OVersicherung für den Aufsichtsrat erstreckt. 859 Die derzeitige Regelung von § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG wurde durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31.7.2009 (BStBl. I 2009, 2509 ff.), eingeführt. 860 Durch den obligatorischen Selbstbehalt soll der Vorstand von pflichtwidrigen Handlungen abgehalten werden. Die Regelung hat damit eine Präventionswirkung. So Hüffer, AktG, § 93 Rn. 18a.
861 Das Gesetz regelt nicht, welche Rechtsfolgen sich aus dem Abschluss einer Versicherung ohne Selbstbehalt ergeben. Abgesehen davon, dass der Abschluss einer Versicherung ohne Selbstbehalt bereits eine Pflichtwidrigkeit darstellen dürfte, kann die Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder jedenfalls in der Höhe des Mindestselbstbehalts Ansprüche geltend machen. So Hüffer, AktG, § 93 Rn. 18b.
862 Zahlt die Gesellschaft die Versicherungsprämie, so stellt sich die Frage, ob es sich insoweit um eine (Sach-)Vergütung handelt, die – soweit Aufsichtsratsmitglieder betroffen sind – entweder in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt werden muss. Da der Abschluss einer solchen Versicherung in erster Linie den Vermögensinteressen der Gesellschaft dient, ist ein Vergütungscharakter nicht gegeben. So Drygala, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 113 Rn. 12; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, § 13 Rn. 1038.
863 Die Beiträge zu einer D&O-Versicherung werden auch von der Finanzverwaltung nicht als steuerpflichtige Einkünfte angesehen. So Bundesfinanzministerium, Schreiben vom 24.1.2002 – S 2332 161 – 35, S 2245 – 21 – 31 2, DStR 2002, 678 = AG 2002, 287; Loritz/Wagner, DStR 2012, 2205, 2209 f.
II. Deckungskonzept 864 Das Deckungskonzept der D&O-Versicherung basiert darauf, dass das Unternehmen Versicherungsnehmer ist (siehe Rn. 865 ff.) und der Abschluss 166
II. Deckungskonzept
des Vertrages in der Weise erfolgt, dass beim Vertragsabschluss die Gesellschaft von dem Organ vertreten wird (siehe Rn. 870 ff.). 1. Versicherungsnehmer Bei der D&O-Versicherung ist regelmäßig Versicherungsnehmer – und da- 865 mit Prämienschuldner – das Unternehmen. Das Organ ist versicherte Person, sodass es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung i. S. v. §§ 43 ff. VVG handelt. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 454; Schüppen/Sanna, ZIP 2002, 550, 551; OLG München, Urt. v. 15.3.2005 – 25 U 3940/04, ZIP 2005, 1556 ff. = DB 2005, 1675 ff.
Im Rahmen einer D&O-Versicherung verspricht der Versicherer dem Versi- 866 cherungsnehmer Versicherungsschutz unter anderem für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung der organschaftlichen Tätigkeit bei der Versicherungsnehmerin begangenen Pflichtverletzung für einen Vermögensschaden auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. So BGH, Urt. v. 12.9.2012 – IV ZR 171/11, ZIP 2012, 2112 = NZG 2012, 1399 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 431 (Schimmer).
Regelmäßig enthält der Versicherungsschutz dahin Einschränkungen, dass 867 keine Personen- und Sachschäden versichert werden, sondern lediglich Vermögensschäden. Darüber hinaus werden auch Ansprüche aus der Produkthaftpflicht und im Zusammenhang mit Umweltschäden nicht versichert. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 458.
Die Haftung für Vorsatz und wissentliche Pflichtverletzungen, nicht jedoch 868 die Haftung für grob fahrlässiges Verhalten, sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 458; Lange, DStR 2002, 1674, 1676; Kiethe, BB 2003, 537 ff.; Koch, WM 2007, 2173, 2180.
Die Haftung für Handlungen außerhalb des Geschäftsgegenstandes ist eben- 869 falls ausgeschlossen. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 458.
2. Abschluss Die Gesellschaft wird beim Abschluss des D&O-Versicherungsvertrages von 870 ihren Organen vertreten. Differenziert ist zu betrachten, welche Voraussetzungen für den Abschluss einer Versicherung erforderlich sind. Bei der Aktiengesellschaft geht § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG von der Zulässigkeit 871 des Abschlusses einer Versicherung für den Vorstand aus. Es ist ein Selbstbehalt von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des 1 ½fachen der festen jährlichen Vergütung vorzusehen. Eine Zustimmungsbe167
E. D&O-Versicherung
dürftigkeit zum Abschluss des Versicherungsvertrages durch die Hauptversammlung besteht nicht. 872 Hinsichtlich des Aufsichtsrates kann grundsätzlich eine D&O-Versicherung abgeschlossen werden, was Ziff. 3.8 DCGK ausdrücklich vorsieht. Es gibt jedoch keine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber ihren Aufsichtsratsmitgliedern, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. So BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 ff. = NZG 2009, 550 ff. Rn. 23, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
873 Der BGH hat offengelassen, ob der Vorstand für den Abschluss einer D&OVersicherung zugunsten der Aufsichtsratsmitglieder zuständig ist oder ob die Prämienzahlung einen Vergütungsbestandteil darstellt. So BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07; ZIP 2009, 860 ff. = NZG 2009, 550 ff. Rn. 23, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
874 Bei der GmbH liegt die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Versicherung gemäß §§ 46 Nr. 5 und Nr. 8 GmbHG bei der Gesellschafterversammlung. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 461.
875 Ein ohne Beschluss der Gesellschafterversammlung eingegangener Versicherungsvertrag ist gleichwohl wirksam. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 461.
876 Gesetzlich ist bei der GmbH – anders als bei der AG – ein Selbstbehalt nicht vorgeschrieben. 877 Auch bei der GmbH besteht ohne Vereinbarung in der Satzung oder im Anstellungsvertrag keine Verpflichtung, für den Geschäftsführer eine D&OVersicherung abzuschließen. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 463.
878 Hatte der Geschäftsführer gegen die Gesellschaft einen Anspruch auf Abschluss einer D&O-Versicherung, kann der Nichtabschluss der Versicherung zu einem Schadensersatzanspruch führen. So Koch, GmbHR 2004, 160, 167.
III. Gegenstand der Versicherung 879 Der Versicherungsnehmer, die Gesellschaft, hat einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer zur Durchsetzung ihrer Ersatzansprüche gegen den Versicherten, das Organ. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 469.
880 Im Bereich der Haftpflichtversicherung sind die Haftpflichtfrage und die Deckungsfrage unabhängig voneinander und in getrennten Prozessen zu verhandeln (sog. „Deckungsprinzip“). 168
III. Gegenstand der Versicherung So OLG Köln, Urt. v. 2.9.2008 – 9 U 151/07, VersR 2008, 1673 ff. = GmbH-Report 2009, R 38 = r&s 2008, 468 ff.
Bei einer Haftpflichtversicherung ist der Versicherer gemäß § 100 VVG ver- 881 pflichtet, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten aufgrund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache geltend gemacht werden, und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Gemäß § 108 Abs. 2 VVG kann die Abtretung des Freistellungsanspruchs an 882 einen Dritten nicht durch allgemeine Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden. Ob gleichwohl noch die Möglichkeit besteht, einen Abtretungsausschluss zu vereinbaren, ist im Einzelnen streitig. Vgl. Armbrüster, NJW 2009, 187, 192; Schimmer, Versicherungsrecht 2008, 875, 879; Böttcher, NZG 2008, 645, 647; Koch, WM 2007, 2173, 2177.
Ist über das Vermögen des Versicherungsnehmers, also der Gesellschaft, das In- 883 solvenzverfahren eröffnet, kann der Dritte gemäß § 110 VVG wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen. Hat der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls den Anspruch des 884 Versicherungsnehmers auf Freistellung anerkannt oder zu Unrecht abgelehnt, kann gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 VVG jede Vertragspartei das Versicherungsverhältnis kündigen. Ein gegen den Versicherungsnehmer ergangenes Urteil ist für den Versiche- 885 rer bindend, da § 106 Satz 1 VVG regelt, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer innerhalb von zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Anspruch des Dritten mit bindender Wirkung für den Versicherer durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist, vom Anspruch des Dritten freizustellen hat. Hat der Versicherungsnehmer den Dritten bereits befriedigt, so hat der Versicherer die Entschädigung gemäß § 106 Satz 2 VVG an den Versicherungsnehmer zu zahlen. Die D&O-Versicherung folgt dem sog. „Claims-made-Prinzip“. Maßgebend 886 für den Versicherungsfall ist nicht das Schadensereignis, sondern die Geltendmachung eines Anspruchs gegen das Organ. So Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rn. 476.
Gemäß Ziff. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermö- 887 gensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB-AVG) ist ein Versicherungsfall die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages. Ein Haftpflichtanspruch ist geltend gemacht, wenn gegen eine versicherte Person ein Anspruch schriftlich erhoben wird oder ein Dritter der Versicherungsnehmerin, einer Tochtergesellschaft oder der versicherten Person schriftlich mitteilt, einen Anspruch gegen eine versicherte Person zu haben. 169
E. D&O-Versicherung
888 Versicherungsschutz besteht gemäß § Ziff. 3.1 AVB-AVG für während der Dauer des Versicherungsvertrages eingetretene Versicherungsfälle wegen Pflichtverletzungen, die während der Dauer des Versicherungsvertrages begangen wurden. Wird eine Pflichtverletzung durch fahrlässige Unterlassung verursacht, gilt sie im Zweifel als an dem Tag begangen, an dem die versäumte Handlung spätestens hätte vorgenommen werden müssen, um den Eintritt des Schadens abzuwenden. 889 Gemäß Ziff. 3.4 AVB-AVG (“Notice of Circumstance-Regelung”) haben die versicherten Personen die Möglichkeit, dem Versicherer während der Laufzeit des Vertrages konkrete Umstände zu melden, die eine Inanspruchnahme der versicherten Personen hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. IV. Leistungsausschlüsse 890 Die Leistungsausschlüsse können sich aus Gesetz oder Versicherungsbedingungen ergeben. 891 Der Versicherer ist gemäß § 103 VVG nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat. 892 Im Falle der Insolvenz der Versicherungsnehmerin oder eines Tochterunternehmens erstreckt sich die Deckung für die versicherten Personen des betroffenen Unternehmens gemäß Ziff. 3.5 AVB-AVG nur auf Haftpflichtansprüche infolge von Pflichtverletzungen, die bis zum Eintritt der Insolvenzreife begangen worden sind. 893 Weitere Ausschlüsse sind in Ziff. 5 AVB-AVG geregelt. Ausgeschlossen sind demnach insbesondere Haftpflichtansprüche wegen vorsätzlicher Schadenverursachung (Ziff. 5.1 AVB-AVG), wegen Rückzahlung oder Rückgabe von Bezügen, Tantiemen oder sonstigen Vorteilen (Ziff. 5.2 AVB-AVG), wegen Schäden durch von der Versicherungsnehmerin oder einer Tochtergesellschaft in den Verkehr gebrachten Produkte, Arbeiten oder sonstige Leistungen (Ziff. 5.3 AVB-AVG), wegen Schäden durch Umwelteinwirkungen (Ziff. 5.4 AVB-AVG) sowie sonstigen, im Einzelnen genannten Sachverhalten. 894 Verletzt die Versicherungsnehmerin eine Obliegenheit aus dem Vertrag (Ziff. 7.3 AVB-AVG), kann der Versicherer den Vertrag gemäß Ziff. 8.1 AVB-AVG innerhalb eines Monats ab Kenntnis von Obliegenheitsverletzungen fristlos kündigen, es sei denn, dass die Pflichtverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruhte. 895 Die Versicherungsnehmerin verliert gemäß § 8.2 AVB-AVG ihren Versicherungsschutz, wenn sie eine Obliegenheit aus dem Vertrag vorsätzlich verletzt, es sei denn, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung ursächlich war.
170
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz Die Haftung von Beratern in der Krise ist in der jüngeren Zeit vermehrt in 896 den Fokus von Rechtsprechung und Literatur gerückt, nachdem zum einen in vielen Fällen durch die durch den Insolvenzverwalter in Anspruch genommenen Organe versucht worden ist, sich bei Beratern schadlos zu halten und zum anderen, weil Insolvenzverwalter im Hinblick auf die teilweise wirtschaftliche Nichtdurchsetzbarkeit von Ansprüchen gegen die Organe Ansprüche gegen Berater, die in aller Regel versichert sind, geltend gemacht haben. Zudem gehen Insolvenzverwalter, von Fällen der sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB abgesehen, bei der Führung eines Rechtsstreits gegen einen Berater kein Haftungs- und Prozesskostenrisiko ein. So Ehlers, BB 2014, 131, 132.
Diese Entwicklung ist dadurch befördert worden, dass der BGH in einer 897 ganzen Reihe von Entscheidungen seine Rechtsprechung, insbesondere zur Haftung von Steuerberatern, konkretisiert hat. I. Haftung von Beratern in der Krise Der nachfolgende Abschnitt stellt zunächst die Grundlagen der Haftung 898 von Beratern in der Krise dar (siehe Rn. 898 ff.), bevor auf die Besonderheiten bei Rechtsanwälten (siehe Rn. 983 ff.), Steuerberatern (siehe Rn. 991 ff.), Wirtschaftsprüfern (siehe Rn. 1005 ff.) und Unternehmensberatern (siehe Rn. 1024 ff.) eingegangen wird. Vgl. Gehrlein, DStR 2014, 226 ff.; 281 ff.; Gräfe, DStR 2010, 618 ff.; 669 ff.
1. Grundlagen Der Berater kann aus vertraglicher Haftung (siehe Rn. 900 ff.), aus Vertrag 899 mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (siehe Rn. 930 ff.) sowie aus Delikt (siehe Rn. 960 ff.) haften. a) Vertragliche Haftung Die vertragliche Haftung knüpft an einen zwischen dem Beratenen und dem 900 Berater geschlossenen Vertrag an. Ob ein wirksamer Vertrag zustande gekommen ist, richtet sich nach den allgemeinen, zivilrechtlichen Grundsätzen, sodass es erforderlich ist, dass seitens des Beratenen und des Beraters auf den Abschluss eines Vertrages gerichtete Willenserklärungen, die auch konkludent sein können, abgegeben worden sind. Es ist stets zweckmäßig, Beratungsverträge schriftlich abzuschließen, schon deshalb, damit später keine Streitigkeiten über den Umfang der geschuldeten Beratung sowie das vereinbarte Honorar entstehen. Vgl. Schaaf/Mushardt, DB 2013, 1890, 1892.
171
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
901 Ein Beratungsvertrag kommt nach der Rechtsprechung des BGH konkludent zustande, wenn das Verhalten des anderen Teils von dem Berater bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach Treu und Glauben als eine auf den Abschluss eines entsprechenden Vertrages gerichtete Willenserklärung aufzufassen war und sein nachfolgendes Verhalten als Annahme des Auftrags gedeutet werden durfte. Dabei sind im Interesse der Rechtssicherheit an die Annahme eines Beratervertrages durch schlüssiges Verhalten strenge Anforderungen zu stellen. So BGH, Urt. v. 22.7.2004 – IX ZR 132/03, NJW 2004, 3630 ff. = WM 2004, 1825 ff. Rn. 8; BGH, Urt. v. 21.3.1991 – IX ZR 186/90, NJW 1991, 2084 ff. = WM 1991, 1567 ff. Rn. 12 (jeweils zum Anwaltsvertrag).
902 Ein Beratungsvertrag mit den Zuhörern kommt nicht zustande, wenn ein Berufsträger in der Gesellschafterversammlung seines Mandanten einen Fachvortrag hält. So OLG Hamm, Urt. v. 1.3.2012 – 34 U 68/11, n. v.; Gräfe/ Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, Rn. 25; Wastl/Pusch, NWB 2014, 2352 ff.
903 Vom rechtsverbindlichen Beratungsvertrag ist die Leistung aus Gefälligkeit abzugrenzen. Vgl. Kayser, ZIP 2014, 597, 603; Ehlers, DStR 2010, 2154, 2157.
904 Beispiel: Führt ein Landrat anlässlich einer Festveranstaltung ein Gespräch mit einem Bankmitarbeiter, in dem es um eine Finanzierung geht, kann regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass die Bank mit Bindungs- oder Verpflichtungswillen handelt. So BGH, Urt. v. 16.10.1990 – XI ZR 165/88, NJW 1991, 352 f. = WM 1990, 1990 ff., dazu EWiR 1991, 41 (Eckert).
905 Wird ein Rat außerhalb des Büros des Beraters und außerhalb des Betriebs des Mandanten anlässlich eines gesellschaftlichen Kontaktes, z. B. bei einem Spaziergang, auf dem Tennisplatz, bei einem Grillfest oder bei einem sonstigen zufälligen Zusammentreffen erteilt, kann in der erteilten Beratung nicht ohne Weiteres der Abschluss eines Beratungsvertrages gesehen werden. So Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, Rn. 29.
906 Bei Honorarstreitigkeiten, mit denen der Berater den Mandanten in Anspruch nimmt, liegt die Darlegungs- und Beweislast nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen hinsichtlich des Vertragsschlusses, der Reichweite des Vertrages und des geschuldeten Honorars beim Berater. 907 Wird der Berater in die Haftung genommen, so kehrt sich dies um, da der Beratene bzw. sein Insolvenzverwalter nunmehr die Darlegungs- und Beweislast für das Zustandekommen des Vertrages sowie Art und Umfang der 172
I. Haftung von Beratern in der Krise
Beratung hat. Hierbei besteht allerdings für den Anspruchsteller der Vorteil darin, dass der Berater regelmäßig seine Beratungsleistungen abgerechnet haben dürfte, sodass seinerseits kaum mit Erfolg behauptet werden kann, ein Vertrag sei nicht zustande gekommen. Gleichwohl ist denkbar, dass es zu Streitigkeiten hinsichtlich des Umfangs der geschuldeten Beratung kommt. Daher liegt es auch im Interesse des Beratenen, schon vor Beginn der Beratung Art und Umfang des zu erteilenden Auftrages zu fixieren. aa) Beratungspflichten im Allgemeinen Welche Aufgaben der Berater zu erfüllen hat, bestimmt sich nach der Recht- 908 sprechung des BGH nach Inhalt und Umfang des erteilten Mandats. So BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 ff. = NZI 2013, 438 ff. = WM 2013, 802 ff. = DStR 2013, 1151 ff. Rn. 14, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert); BGH, Urt. v. 4.3.1987 – IVa ZR 222/85, NJW-RR 1987, 1375 ff. = BB 1987, 1204 f., dazu EWiR 1987, 459 (Späth); BGH, Urt. v. 26.1.1995 – IX ZR 10/94, BGHZ 128, 358 ff. = WM 1995, 721 ff. = NJW 1995, 958 f. (zur Steuerberaterhaftung); vgl. Schmittmann, StuB 2014, 536 f.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Steuerberater verpflichtet, sich 909 mit den steuerlichen Punkten zu befassen, die zur pflichtgemäßen Erledigung des ihm erteilten Auftrages zu beachten sind. Nur in den hier durchgezogenen Grenzen des Dauermandats hat er den Auftraggeber auch ungefragt über die bei der Bearbeitung auftauchenden steuerrechtlichen Fragen zu belehren. So BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12 Rn. 14; BGH, Urt. v. 6.12.1979 – VII ZR 19/79, MDR 1980, 303 = DB 1980, 685; BGH, Urt. v. 28.11.1966 – VII ZR 132/64, DB 1967, 244 = WM 1967, 72 f. (zur Steuerberaterhaftung); vgl. Schaaf/Mushardt, DB 2013, 1890 ff.
Zu den vertraglichen Nebenpflichten des Beraters gehört es gemäß § 242 910 BGB, den Mandanten vor Schaden zu bewahren und auf Fehlentscheidungen, die für ihn offen zutage liegen, hinzuweisen. So BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 ff. = NZI 2013, 438 ff. = WM 2013, 802 ff. = DStR 2013, 1151 f. Rn. 14, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert); BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 6/02, WM 2005, 1904 ff. = NJW-RR 2005, 1511 = DStR 2006, 160 ff. = BRAK-Mitt. 2005, 259 ff. mit Anm. Grams; BGH, Urt. v. 7.5.1991 – IX ZR 188/90, WM 1991, 1303 ff. = MDR 1991, 725 ff. (zur Steuerberaterhaftung).
Ein Berater muss grundsätzlich davon ausgehen, dass der Mandant beratungs- 911 bedürftig ist. Selbst für den Fall, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer selbst Rechtsanwälte sind, einen Rechtsanwalt mit der Prüfung der Erfolgsaussicht einer Klage beauftragt, bleibt es bei dem anwaltsvertraglichen Anspruch des Mandanten auf umfassende Beratung.
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz So BGH, Urt. v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 ff. = NJW 2012, 2435 ff. Rn. 20 = WM 2012, 1351 ff. = ZIP 2012, 1413 ff., dazu EWiR 2012, 553 (Weipert).
912 Dem Rechtsanwalt obliegt die rechtliche Bearbeitung eines ihm anvertrauten Falles auch im Verhältnis zu einem rechtskundigen Mandanten. So BGH, Urt. v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 = WM 2012, 1351 ff. = NJW 2012, 2435 ff. Rn. 20 = ZIP 2012, 1413 ff., dazu EWiR 2012, 553 (Weipert); BGH, Urt. v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, WM 2001, 98 ff. = BGH, Urt. v. 29.4.1993 – IX ZR 101/92, ZIP 2001, 33 = WM 1993, 1508 ff. = NJW 1993, 2045 ff.; BGH, Urt. v. 19.12.1991 – IX ZR 41/91, WM 1992, 739 ff. = NJW 1992, 820 f.
913 Die bestmögliche Entscheidungsvariante kann auch bei einem Mandanten, der über einschlägige Kenntnisse verfügt, nicht ohne fachlich qualifizierten Berater ermittelt werden. So Ehlers, BB 2014, 131, 137.
914 Ein Berater hat dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. So BGH, Urt. v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 ff. = WM 2012, 1351 ff. = NJW 2012, 2435 ff. Rn. 22 = ZIP 2012, 1413 ff. = dazu EWiR 2012, 553 (Weipert); BGH, Urt. v. 7.2.2008 – IX ZR 149/04, WM 2008, 946 ff. = NJW 2008, 2041 ff.; BGH, Urt. v. 1.3.2007 – IX ZR 261/03, BGHZ 171, 261 ff. = WM 2007, 1183 ff. = ZIP 2007, 1410 ff., dazu EWiR 2007, 743 (Ring) (zur Haftung eines Rechtsanwalts); Zugehör, in: Festschrift Fischer, S. 617, 619.
915 Der Rechtanwalt muss die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken nicht nur benennen, sondern auch deren ungefähres Ausmaß abschätzen. So BGH, Urt. v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 ff. = WM 2012, 1351 ff. = NJW 2012, 2435 ff. Rn. 22 = ZIP 2012, 1413 f, dazu EWiR 2012, 553 (Weipert); BGH, Urt. v. 6.2.1992 – IX ZR 95/91, WM 1992, 742 ff. = NJW 1992, 1159 ff., dazu EWiR 1992, 557 (Preis); BGH, Urt. v. 8.12.1983 – I ZR 183/81, BGHZ 89, 178 ff. = ZIP 1984, 459 ff. = NJW 1984, 791 ff. (zum Rechtsanwaltsvertrag).
916 Zweck der Steuerberatung ist es, die dem Auftraggeber fehlende Sach- und Rechtskunde auf diesem Gebiet zu ersetzen. Die pflichtmäßige Steuerberatung anlässlich der Aufstellung von Jahresabschlüssen und Erarbeitung von Steuererklärungen verlangt nach der Rechtsprechung des BGH sachgerechte Hinweise über die Art, die Größe und die mögliche Höhe eines Steuerrisikos, um den Auftraggeber in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung in seinen steuerlichen Angelegenheiten vermeiden zu können. Der Auftraggeber muss imstande sein, nach den erhaltenen Hinweisen seine Interessen und erheblichen Steuerrisiken selbst abzuwägen. 174
I. Haftung von Beratern in der Krise So BGH, Urt. v. 23.2.2012 – IX ZR 92/08, ZIP 2012, 777 ff. = NJW-RR 2012, 828 ff. = BRAK-Mitt. 2012, 154 f. Rn. 11; BGH, Urt. v. 20.10.2005 – IX ZR 127/04, ZIP 2006, 1538 ff. = WM 2005, 2945 ff. = NJW-RR 2006, 273 ff.
bb) Beratungspflichten bei Insolvenzreife Welche Beratungspflichten bei eingetretener Insolvenzreife bestehen, hängt 917 von der Art und dem Umfang der in Anspruch genommenen Beratung ab und kann daher nicht allgemein beantwortet werden. Unter Rn. 986– 1047 wird im Einzelnen dargestellt, welche Haftung den ein- 918 zelnen Berufsgruppen zukommt. cc) Mitverschulden des Organs Der Berater kann sich, soweit er aus Vertragsverpflichtung in Anspruch ge- 919 nommen wird, auf Mitverschulden des Organs berufen. Vgl. Kayser, ZIP 2014, 597, 604; Zugehör, in: Festschrift Fischer, S. 617, 629.
Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mit- 920 gewirkt, so hängt gemäß § 254 Abs. 1 BGB die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Verschulden i. S. d. § 254 BGB ist der vorwerfbare Verstoß gegen Gebote des 921 eigenen Interesses. Es handelt sich somit um die Verletzung einer gegen sich selbst bestehenden Obliegenheit. So Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 254 Rn. 1.
Es handelt sich um ein „Verschulden gegen sich selbst“.
922
So BGH, Urt. v. 27.11.2008 – VII ZR 206/06, ZfIR 2009, 283 (m. Bespr. Schwenker/Wessel, S. 279) = NJW 2009, 582 ff. Rn. 30.
Das Mitverschulden des geschäftsführenden Organs wird dem Unternehmen 923 analog § 31 BGB zugerechnet und kann dazu führen, dass der mögliche Schadensersatzanspruch erheblich gemindert wird oder sogar ganz ausgeschlossen ist. So BGH, Urt. v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 = WM 2015, 143 ff. = NZG 2015, 38 ff. Rn. 22; BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 29 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe); BGH, Urt. v. 10.12.2009 – VII ZR 42/08, BGHZ 183, 323 ff. = NZG 2010, 146 ff. = ZIP 2010, 284 ff., dazu EWiR 2010, 267 (Wahl/Nikoleyczik); BGH, Beschl. v. 23.10.1997 – III ZR 275/96, NJWE-VHR 1998, 39, 40.
175
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
924 Die Frage des Mitverschuldens erfordert eine, zuvörderst dem Tatrichter obliegende, von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängige Bewertung. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 29 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe); BGH, Urt. v. 25.6.1991 – X ZR 103/89, WM 1991, 1774 ff. = NJW-RR 1991, 1240 f.
925 Wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat, hängt gemäß § 254 Abs. 1 BGB die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 30 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe).
926 Bei der Jahresabschlussprüfung lässt eine vorsätzliche Irreführung des Prüfers seine Ersatzpflicht nach der Rechtsprechung des BGH nicht ohne Weiteres gänzlich entfallen. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 30 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe); BGH, Urt. v. 10.12.2009 – VII ZR 42/08, BGHZ 183, 323 ff. = WM 2010, 185 ff. Rn. 56 = ZIP 2010, 284 ff. = dazu EWiR 2010, 267 (Wahl/Nikoleyczik).
927 Der Mitverschuldenseinwand ist aber zu beachten, wenn dem Auftraggeber, der gemäß § 322 Abs. 2 Satz 2 HGB in eigener Verantwortung den zu prüfenden Jahresabschluss aufzustellen hat, und dem Prüfer nur Fahrlässigkeit anzulasten ist. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 30 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe).
928 Nach der Rechtsprechung des BGH kann bei der Bewertung des wechselseitigen Verschuldensgrades, insbesondere die Schwere der dem Abschlussprüfer vorzuwerfenden Pflichtverletzung, also etwa das Ausmaß, in dem das Ergebnis der Prüfung von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht, von Bedeutung sein. Der Abschlussprüfer hat der Geschäftsführung Anlass gegeben, die gebotene Selbstprüfung der wirtschaftlichen Lage zu vernachlässigen und risikoträchtige Geschäfte einzugehen, wenn er anstelle der tatsächlich verwirklichten Überschuldung einen erheblichen Vermögensüberschuss attestiert. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 30 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe).
176
I. Haftung von Beratern in der Krise
Ein Mitverschulden kommt insbesondere dann in Betracht, wenn dem Ab- 929 schlussprüfer lediglich anzulasten ist, das Vermögen der Gesellschaft infolge einer Überbewertung der stillen Reserven gleich hoch wie ihre Verbindlichkeiten angesetzt und deswegen eine Überschuldung abgelehnt zu haben. In diesem Falle muss dem Geschäftsführer bewusst sein, den Geschäftsbetrieb nur bei Vermeidung weiterer Verluste unter strikter Wahrung der Kostendeckung fortsetzen zu dürfen. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 30 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe).
b) Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird insbesondere dann 930 relevant, wenn der Anspruch gegen den Berater nicht von dem Vertragspartner selbst, also im Regelfall von der Gesellschaft, geltend gemacht wird, sondern vom geschäftsführenden Organ, insbesondere dann, wenn das Organ selbst Haftungsansprüchen, insbesondere von Gläubigern oder vom Insolvenzverwalter des Unternehmens, ausgesetzt ist. Es ist zwischen dem gesetzlich geregelten Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 931 BGB), bei dem ein Dritter unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu fordern, und der Rechtsfigur des „Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“, der von der Rechtsprechung entwickelt worden ist, bei der der Anspruch auf die geschuldete Hauptleistung allein dem Gläubiger zusteht, bei der der Dritte jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten, aber auch Hauptleistungspflichten einbezogen ist, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen kann, zu unterscheiden. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 8.6.2004 – X ZR 283/02, ZIP 2004, 1810 = ZfIR 2005, 114 (LS) = WM 2004, 1869 ff. = NJW 2004, 3420 ff., dazu EWiR 2005, 341 (Graf); vgl. Plathner, DStR 2013, 1349, 1350; Schmittmann, StuB 2013, 385 f.
Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beruht auf einer maßgeb- 932 lich durch das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprägten ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB), der zugrunde liegt, dass der Vertragsschuldner die Leistung nach dem Vertrag so zu erbringen hat, dass bestimmte Dritte nicht geschädigt werden. Daraus zieht die Rechtsprechung den Schluss, dass einem einbezogenen Dritten im Falle der Schädigung ein eigener Ersatzanspruch als sekundärer vertraglicher Leistungsanspruch gegen den Schuldner zusteht. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff.
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz Rn. 14, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 20.4.2004 – X ZR 250/02, BGHZ 159, 1 ff. = WM 2004, 1887 ff = ZfIR 2005, 96 (m. Anm. Balzer, S. 101) = ZIP 2004, 1814, dazu EWiR 2005, 67 (Frisch); vgl. Kayser, ZIP 2014, 597, 599.
933 Schutzwirkungen zugunsten Dritter werden von der Rechtsprechung allgemein bei Verträgen angenommen, mit denen der Auftraggeber von einer Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt (z. B. öffentlich bestellter Sachverständiger, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater), ein Gutachten oder eine gutachtliche Äußerung bestellt, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2013, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 18, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257 ff. = NZG 1998, 437 f. = ZIP 1998, 826, dazu EWiR 1998, 985 (Veil).
934 Der BGH hat diese Grundsätze auch in Fällen zur Anwendung gebracht, in denen ein Abschlussprüfer mit der Prüfung einer Kapitalgesellschaft betraut ist, wenn sich für ihn nur hinreichend deutlich ergibt, dass von ihm anlässlich dieser Prüfung eine besondere Leistung begehrt wird, von der gegenüber einem Dritten, der auf seine Sachkunde vertraut, Gebrauch gemacht werden soll. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 18, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
935 Eine Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn für den Abschlussprüfer erkennbar ist, dass von ihm im Drittinteresse eine besondere Leistung erwartet wird, die über die Erbringung der gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtprüfung hinausgeht. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 18, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 7.5.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 ff. = ZIP 2009, 1166, dazu EWiR 2009, 503 (Fölsing); BGH, Urt. v. 6.4.2006 – III ZR 256/04, BGHZ 167, 155 ff. = WM 2006, 1052 ff. = ZIP 2006, 954, dazu EWiR 2006, 403 (Linnerz).
aa) Reichweite des Schutzbereichs 936 Der Berater muss sich darüber im Klaren sein, dass die Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs stets vom Einzelfall abhängig ist und daher nur schwer vorhersehbar ist. 937 Nach der Rechtsprechung des BGH sind das Bestehen und die Reichweite eines etwaigen Drittschutzes durch Auslegung des jeweiligen Vertrages zu ermitteln.
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I. Haftung von Beratern in der Krise So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
Hinsichtlich eines Abschlussprüfers hat der BGH entschieden, dass nicht 938 angenommen werden kann, dass der Abschlussprüfer ein so weites Haftungsrisiko zu übernehmen bereit ist, wie es sich aus der Einbeziehung einer unbekannten Vielzahl von Gläubigern, Gesellschaftern oder Anteilserwerbern in den Schutzbereich ergäbe. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); kritisch: Müller, ZInsO 2013, 2181, 2187; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – III ZR 424/04, ZIP 2006, 854.
Wenn die Vertragsteile allerdings übereinstimmend davon ausgehen, dass die 939 Prüfung auch im Interesse eines bestimmten Dritten durchgeführt und das Ergebnis diesem Dritten als Entscheidungsgrundlage dienen soll, liegt in der Übernahme des Auftrages die schlüssige Erklärung des Prüfers, auch im Interesse des Dritten gewissenhaft und unparteiisch prüfen zu wollen. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, ZIP 1998, 826, dazu EWiR 1998, 985 (Veil).
Ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kommt im Falle der Ab- 940 schlussprüfung in Betracht, wenn die Bilanz im Blick auf den Anteilserwerb durch einen bestimmten Dritten oder mit Blick auf eine Kreditvergabe durch einen bestimmten Dritten verwendet werden soll. So BGH, Urt. v. 14.6.1012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 19, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96; BGH, Urt. v. 19.12.1996 – IX ZR 327/95, ZIP 1997, 419 f. = WM 1997, 359 ff. = NJW 1997, 1235 f., dazu EWiR 1997, 293 (Gladys); BGH, Urt. v. 26.11.1986 – IVa ZR 86/85, ZIP 1987, 376 ff. = NJW 1987, 1558 ff. = MDR 1987, 477 ff., dazu EWiR 1987, 591 (Gräfe).
Begeht der organschaftliche Vertreter einer Gesellschaft eine Straftat oder 941 eine Ordnungswidrigkeit und wird aus diesem Grunde zu einer Geldstrafe oder Geldbuße verurteilt, hat er diese grundsätzlich aus seinem eigenen Vermögen aufzubringen. Dies schließt allerdings nicht aus, dass er Rückgriff bei dem Steuerberater der Gesellschaft nehmen kann. Lassen sich hinsichtlich einer im Strafbefehlsverfahren verhängten Geldstrafe wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung des Mandanten keine konkreten Feststellungen zur objektiven Tatbestandsseite treffen, so kann der Steuerberater, der unrichtige Angaben bei der Steuererklärung gemacht hat, verpflichtet sein, den durch die verhängte Geldstrafe entstandenen Vermögensschaden zu ersetzen.
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz So BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 189/09, WM 2010, 993 ff. = wistra 2010, 354 ff., dazu EWiR 2010, 633 (Gräfe).
942 Der Geschäftsführer kann darüber hinaus auch als Dritter in den Schutzbereich eines Umsatzsteuermandates einbezogen sein, welches die GmbH erteilt hat. Der Geschäftsführer einer GmbH darf ebenso wie die GmbH als Vertragspartnerin im Hinblick auf die vertragliche Haftung darauf vertrauen, dass die von der Gesellschaft beauftragten Steuerberater die anstehenden steuerlichen Fragen fehlerfrei bearbeiten, ohne dass von seiner Seite eine Kontrolle notwendig ist. So BGH, Urt. v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, ZIP 2011, 2475 ff. = wistra 2012, 76 ff. = NZG 2011, 1384 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2012, 75 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 189/09 Rn. 9; vgl. Schmittmann, StuB 2012, 74 f.
943 Besorgt der Steuerberater auch die Buchführung der Gesellschaft für die Vorbereitung der Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuererklärungen der GmbH, kann sich der organschaftliche Vertreter auf die Erledigung verlassen. Im Rahmen des Auftrages ist der Berater verpflichtet, die Geschäftsunterlagen des Mandanten anzufordern, zu sichten, auf abziehbare Vorsteuern zu prüfen und steuerfreie Umsätze auszuscheiden. So BGH, Urt. v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, ZIP 2011, 2475 ff. = wistra 2012, 76 ff. = NZG 2011, 1384 ff. Rn. 13, dazu EWiR 2012, 75 (M. Wagner).
944 Wird der Geschäftsführer von der Finanzverwaltung in Haftung genommen, kann er sich nicht durch den Hinweis auf Fehler des Steuerberaters exkulpieren. Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Steuerberater aber den Geschäftsführer einer von ihm betreuten GmbH vor den Nachteilen zu schützen, die sich für ihn persönlich aus unrichtiger oder unvollständiger Darstellung steuerlich bedeutsamer Vorgänge der GmbH gegenüber dem Finanzamt ergeben. Seine Beraterpflicht besteht auch darin, den Geschäftsführer der Mandantin davor zu bewahren, sich durch Verletzung seiner steuerrechtlichen Geschäftsführerpflichten der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme gemäß §§ 69, 191, 219 AO auszusetzen. Daran ändert die nach § 69 AO vorausgesetzte Schuldform mindestens grober Fahrlässigkeit des Geschäftsführers ebenso wenig etwas wie der zur Begehung einer Steuerstraftat erforderliche Vorsatz. So BGH, Urt. v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, ZIP 2011, 2475 ff. = wistra 2012, 76 ff. = NZG 2011, 1384 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2012, 75 (M. Wagner) vgl. Kayser, ZIP 2014, 597, 600; Schmittmann, StuB 2012, 74 f.
945 Die unsorgfältige Führung der Bücher, die schlechte Erfüllung der Beraterpflicht bei der Vorbereitung von Umsatzsteuervoranmeldungen einer GmbH und Nachlässigkeit in der Wahrnehmung der Mitwirkungspflicht des Mandanten bei der Ermittlung des Sachverhalts begründen nach der Rechtsprechung des BGH ein spezifisches Haftungsrisiko für den oder die Geschäfts-
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I. Haftung von Beratern in der Krise
führer, denen bei Zahlungsschwäche der GmbH von der Finanzverwaltung mangelhafte Kontrolle der Beratertätigkeit vorgeworfen wird. Die Vermeidung dieses Risikos liegt im Schutzbereich der Beraterpflichten. Die GmbH hat ein Interesse daran, ihren Geschäftsführer im Falle seiner haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nicht stets selbst schadlos halten zu müssen. So BGH, Urt. v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, ZIP 2011, 2475 ff. = wistra 2012, 76 ff. = NZG 2011, 1384 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2012, 75 (M. Wagner).
Wenn zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und dem Haftungsvor- 946 wurf gegen den Geschäftsführer ein spezifischer Risikozusammenhang besteht, mangelt es weder an der Leistungsnähe noch am Gläubigerinteresse, sodass dem Geschäftsführer ein Anspruch gegen den Steuerberater zustehen kann. So BGH, Urt. v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, ZIP 2011, 2475 ff. = wistra 2012, 76 ff. = NZG 2011, 1384 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2012, 75 (M. Wagner).
bb) Geschützter Personenkreis Der geschützte Personenkreis ist im Einzelfall anhand der konkreten Um- 947 stände zu ermitteln. Der Jahresabschluss oder etwaige Äußerungen zu seinem voraussichtlichen 948 Inhalt dienen nicht nur den Interessen der Gesellschaft, die den Jahresabschluss in Auftrag gibt, sondern auch den Gesellschaftern. Die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft stellt sich für die Gesellschafter des Unternehmens als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen dar. Dabei kann es sich um das Ergreifen zur Insolvenzvermeidung zulasten eigener Vermögenswerte geeigneter Vorkehrungen handeln oder die Veranlassung einer Liquidation oder der Einleitung des Insolvenzverfahrens. Daher sieht der BGH die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft in den Schutzbereich über die Prüfung der Insolvenzreife der Gesellschaft als einbezogen an. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 24, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
Die Sanierung einer Gesellschaft gelingt im Regelfall nicht ohne Mitwirkung 949 ihrer Gesellschafter, sodass die Interessen der Gesellschaft und des Gesellschafters bei der Feststellung einer etwaigen Insolvenzreife auch aus dem Blickwinkel eines Beraters aufs engste miteinander verwoben sind. Gesellschafter und Geschäftsführer werden zur Orientierung über eine Insolvenzgefahr den Rat des Abschlussprüfers der Gesellschaft einholen, weil dieser über ihre finanzielle Lage aufgrund der Vertrautheit mit ihren Verhältnissen und dank seiner besonderen Fachkunde am besten im Bilde ist.
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 25, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
950 Der Berater kann sich in dieser Situation nicht der Einsicht verschließen, dass er über die vermögensmäßigen Belange der Gesellschaft hinaus zugleich auch diejenigen des Gesellschafters und des Geschäftsführers, die von der Insolvenz ebenso unmittelbar wirtschaftlich betroffen sind, zu wahren hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn Alleingesellschafter und Geschäftsführer personenidentisch sind und daher gleich gerichtete Interessen haben. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 25, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
951 Dem Berater muss bewusst sein, dass seine gegenüber der Gesellschaft erteilten Auskünfte auch gegenüber dem Gesellschafter und Geschäftsführer verwendet werden. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 25, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
952 Der Geschäftsführer wird auch insbesondere deshalb in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen, weil er im Falle der Missachtung der Insolvenzantragspflicht erheblichen Haftungsfolgen ausgesetzt ist. Daher besteht auch ein Anspruch des Geschäftsführers gegen den Sachverständigen. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 25, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
953 Der Geschäftsführer ist auch schutzwürdig, da das Risiko der Inanspruchnahme wegen verspäteter Insolvenzantragstellung eine typische Begleiterscheinung einer fehlerhaften Bilanzierung ist. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 30, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 31.10.2011 – IX ZR 193/10 Rn. 9.
cc) Durchsetzung in der Praxis 954 Der Anspruch steht dem geschützten Dritten, also dem Gesellschafter oder Geschäftsführer zu. Dieser kann den Anspruch, sofern der Anspruchsgegner nicht freiwillig zahlt, nach den allgemeinen Grundsätzen geltend machen. 955 Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so fällt der Anspruch der Gesellschaft gegen den Berater in die Insolvenzmasse und kann vom Insolvenzverwalter ohne Weiteres geltend gemacht werden. Aus einer verspäteten Insolvenzantragstellung entsteht der Gesellschaft allerdings regelmäßig kein Schaden, da die Tilgung von Verbindlichkeiten lediglich zu einer Bilanzverkürzung führt. 182
I. Haftung von Beratern in der Krise
Der Freistellungsanspruch des geschäftsführenden Organs gegen den Berater 956 wegen des der Insolvenzmasse gegen das geschäftsführende Organ zustehenden Erstattungsanspruchs fällt nicht in die Insolvenzmasse, sondern steht dem geschäftsführenden Organ als geschütztem Dritten aus dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu. Er kann für die Insolvenzmasse gleichwohl nutzbar gemacht werden, wobei das weitere Vorgehen davon abhängig ist, ob der Geschäftsführer kooperativ ist. Handelt es sich um einen kooperativen Geschäftsführer, der zur Zusammen- 957 arbeit mit dem Insolvenzverwalter bereit ist, so kann dieser den ihm gegen den Berater zustehenden Anspruch an den Insolvenzverwalter zur eigenen Rechtsdurchsetzung abtreten. Dies hat für das geschäftsführende Organ den Vorteil, dass es nicht mit den Kosten der Rechtsverfolgung belastet wird und sich nicht selbst um die Informationsbeschaffung zu kümmern hat. Für den Insolvenzverwalter besteht der Vorteil einer Abtretung des Anspruches darin, dass er oder eine von ihm beauftragte spezialisierte Kanzlei den Anspruch durchsetzen kann und unmittelbar auf den gesamten Datenbestand aus dem Insolvenzverfahren zurückgreifen kann. Gegebenenfalls besteht auch beim Insolvenzverwalter und seiner Kanzlei ein höherer Grad an Spezialisierung hinsichtlich der Durchsetzung insolvenzspezifischer Ansprüche. Ist das geschäftsführende Organ nicht zu einer Abtretung des Anspruches 958 bereit, bleibt dem Insolvenzverwalter lediglich die Möglichkeit, zunächst gegen das geschäftsführende Organ vorzugehen und einen Titel zu erwirken. Ist ein Titel gegen das geschäftsführende Organ ergangen, so kann der Insolvenzverwalter im Wege der Zwangsvollstreckung den Anspruch des geschäftsführenden Organs gegen den Berater durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss pfänden und sich zur Einziehung übertragen lassen. Sodann hat er die Möglichkeit, den Anspruch aus gepfändetem Recht im eigenen Namen außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen. So Schmittmann, ZInsO 2008, 1170, 1173.
Gegen den Insolvenzverwalter arbeitet in dieser Konstellation die Zeit. Zieht 959 sich die Geltendmachung gegen das geschäftsführende Organ hin, z. B. weil dieses den Rechtsstreit verschleppt, umfangreiche Beweisaufnahmen notwendig sind oder der Rechtsstreit über mehrere Instanzen zu führen ist, droht der Anspruch des Geschäftsführers bereits verjährt zu sein, bevor der Insolvenzverwalter diesen aus gepfändetem Recht geltend machen kann. Auch daher ist der „Abtretungslösung“ der Vorrang einzuräumen. c) Deliktische Haftung Die Haftung des Beraters kann sich auch aus Delikt ergeben, wobei hier die 960 Rechtsdurchsetzung insbesondere deshalb erschwert ist, weil auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes regelmäßig Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten bestehen.
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
aa) Haftung wegen Beteiligung an einer Insolvenzverschleppung 961 Gegen das geschäftsführende Organ kommen regelmäßig Ansprüche aus Insolvenzverschleppung in Betracht (vgl. dazu Rn. 287 ff.). Eine Insolvenzverschleppung liegt vor, wenn ein gesetzlich gebotener Insolvenzantrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig gestellt wird. Es handelt sich hierbei um ein strafrechtlich relevantes Delikt, das gemäß § 15a Abs. 4 StGB bei einer antragspflichtigen Gesellschaft mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft wird. Täter der Insolvenzverschleppung können – je nach Rechtsform – der Geschäftsführer bzw. Vorstand sowie der faktische Geschäftsführer bzw. faktische Vorstand sein (vgl. Rn. 179 ff., 189). 962 Bei der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist gemäß § 15a Abs. 3 InsO auch jeder Gesellschafter, im Falle der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrages verpflichtet, es sei denn, diese Person hatte von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. Vgl. zur Täterqualifikation: Schmidt/Herchen, in: Schmidt, InsO, § 15a Rn. 65; KPB/Preuß, InsO, § 15a Rn. 35.
963 Fahrlässiges Handeln steht gemäß § 15a Abs. 5 InsO unter Strafe. 964 Eine mittäterschaftliche Begehung der Insolvenzverschleppung durch den Steuerberater scheidet aus, da dieser nicht tauglicher Täter sein kann. Allenfalls ist eine mittäterschaftliche Begehung durch den Steuerberater denkbar, wenn er – ausnahmsweise – faktisches geschäftsführendes Organ der späteren Schuldnerin ist. Voraussetzung ist aber eine Teilnahme des Steuerberaters an einer Tat des geschäftsführenden Organs. 965 Nach der Rechtsprechung kommt eine Beihilfe des Steuerberaters nicht in Betracht, wenn er sich lediglich „berufsadäquat“ verhält. Hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat benutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ. So OLG Köln, Beschl. v. 3.12.2010 – III – 1 Ws 146/10 – 128 DStR 2011, 1195 f. = StuB 2011, 280; kritisch dazu Schmittmann, ZInsO 2011, 105, 106; apologetisch Weber/Buchert, ZInsO 2009, 1731, 1738.
966 Der Berater kann Anstifter einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat sein. So Bales, ZInsO 2010, 2073, 2075.
967 Ungeachtet dessen, dass von der Rechtsprechung als zweifelhaft angesehen wird, ob die bloße Fortführung der steuerberatenden Tätigkeit nach pflicht-
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I. Haftung von Beratern in der Krise
gemäßem Hinweis auf die Überschuldung und die Insolvenzantragspflicht den strafrechtlichen Vorwurf der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung begründen kann, soll die Haftung gemäß § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sein. Die Gesellschaft müsse sich aus der Abwägung des beiderseitigen Verursachungsanteils gemäß § 31 BGB das Handeln ihres Geschäftsführers zurechnen lassen. So LG Köln, Urt. v. 29.3.2012 – 2 O 238/11, DStR 2013, 680 ff. Rn. 17.
bb) Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Schutzgesetz Ebenso wie beim geschäftsführenden Organ kann sich eine Haftung auch aus 968 § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Schutzgesetz ergeben (vgl. Rn. 474). Es ist jeweils zu prüfen, ob der Berater, der in Haftung genommen werden 969 soll, als Täter in Betracht kommt. Eine Mittäterschaft des Beraters kommt allerdings bei Sonder- bzw. Pflicht- 970 delikten nicht in Betracht. Sonderdelikte wie Amtsdelikte oder militärische Straftaten nach dem WStG können nur von Amtsträgern oder Soldaten begangen werden. Eigenhändige Delikte sind ebenfalls nicht der Mittäterschaft oder mittelbaren Täterschaft zugänglich. Bei § 15a InsO handelt es sich um ein Sonderdelikt, das lediglich von dem 971 antragspflichtigen Organ begangen werden kann, sodass eine Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft des Beraters ausscheidet, sofern dieser nicht – ausnahmsweise – faktisches geschäftsführendes Organ des Unternehmens ist. Vgl. Graf-Schlicker/Bremen, InsO, § 15a Rn. 14.
In Betracht kommt allerdings eine Anstiftung i. S. v. § 26 StGB. Als Anstifter 972 wird gemäß § 26 StGB gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Bestimmen bedeutet Verursachen – auch Mitverursachen – des Tatentschlusses in einem anderen, gleichgültig durch welches Mittel. So BGH, Urt. v. 20.1.2000 – 4 StR 400/99, BGHSt 45, 373, 374; BGH, Urt. v. 23.3.2000 – 4 StR 10/00, NStZ 2000, 421; BGH, Urt. v. 25.4.2002 – 4 StR 152/01, NJW 2002, 2724, 2727; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 97.
Anstiftung kommt insbesondere zum Bankrott (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB) in 973 Betracht, z. B. wenn der Berater den Unternehmer darauf verweist, durch fingierte oder rückdatierte Sicherungsübereignungen Vermögensbestandteile beiseite zu schaffen, um diese für einen unternehmerischen Neuanfang zu nutzen. So Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 98.
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
974 Der Rat, Bücher nicht mehr zu führen oder verschwinden zu lassen, ist ebenso als Bankrott strafbewehrt. So Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 98.
975 Anstiftung zur Gläubigerbegünstigung begeht, wer seinen vor der Insolvenz stehenden Mandanten dazu veranlasst, zur Sicherung rückständiger Honorare Forderungen abzutreten oder Übereignungen vorzunehmen. So BGH, Urt. v. 19.1.1993 – 1 StR 518/92, wistra 1993, 147 f.; Bittmann/Geyer, Insolvenzstrafrecht, § 28 Rn. 28.
976 Eine Strafbarkeit des Beraters kommt ebenfalls in Betracht, wenn er an einer – auch nach Inkrafttreten des MoMiG unzulässigen – verdeckten Sachgründung mitwirkt. Vgl. Heckschen, DStR 2009, 166; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 99.
977 Auch eine Anstiftung zur Insolvenzverschleppung kommt in Betracht, wenn der Berater die Insolvenzreife des Unternehmens kennt, allerdings das geschäftsführende Organ – aus welchen Motiven auch immer – von der Insolvenzantragstellung abhält. Vgl. Bittmann/Geyer, Insolvenzstrafrecht, § 28 Rn. 34; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 99; Bales, ZInsO 2010, 2073, 2075.
978 Als Gehilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener Tat Hilfe geleistet hat. 979 Im Allgemeinen genügt zur Beihilfe das Schaffen günstigerer Vorbedingungen für die Haupttat, beispielsweise psychische Stärkung der Tatbereitschaft, Erleichterung der Tatausführung, Übernahme von Abwehr- oder Warnfunktion gegen mögliche Störungen, Beschleunigung des Taterfolges etc. So Lackner/Kühl, StGB, Kommentar, § 27 Rn. 2.
980 Beihilfe zum Bankrott bzw. zur Untreue leistet ein Berater, der in Kenntnis der wahren Umstände fingierte Sicherungsübereignungsverträge entwirft oder ein Verschieben von Vermögensgegenständen mittels rückdatierter Treuhandverträge ermöglicht. So Bittmann/Geyer, Insolvenzstrafrecht, § 28 Rn. 29; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 101.
981 Beihilfe zur verspäteten Insolvenzantragstellung leistet ein Berater, der den Unternehmer in seinem Entschluss bestärkt, die Antragsfrist zu überschreiten, um eine Sanierung zu versuchen. So Lange, DStR 2007, 954, 955; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 101.
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I. Haftung von Beratern in der Krise
Auch psychische Beihilfe ist denkbar, z. B. dadurch, dass der Berater das ge- 982 schäftsführende Organ in seinem Tatentschluss bestärkt und ihm ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit vermittelt. So Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 102; Meixner/Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rn. C 894.
2. Rechtsanwälte Die Haftung des Rechtsanwalts erfolgt in aller Regel aufgrund eines Dienst- 983 vertrages, da der Rechtsanwalt nur ausnahmsweise einen Erfolg schuldet. So Gehrlein, Anwalts- und Steuerberaterhaftung, S. 1.
Der Rechtsanwalt hat Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, ihm 984 den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären. So Gehrlein, Anwalts- und Steuerberaterhaftung, S. 22.
Der Rechtsanwalt schuldet eine eingehende und erschöpfende Belehrung. Er 985 hat dem Mandanten eine zutreffende Vorstellung von den Handlungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteilen zu vermitteln. So Gehrlein, Anwalts- und Steuerberaterhaftung, S. 23.
Regelmäßig ist zunächst zu klären, worauf sich die Beauftragung des Rechts- 986 anwalts und der geschlossene Mandatsvertrag beziehen. Anders als bei Steuerberatern, die regelmäßig mit der laufenden Steuerberatung im Wege eines Dauermandats beauftragt sind, werden Rechtsanwälte im Regelfall mandatiert, um eine konkrete Aufgabenstellung zu lösen, z. B. einen bestimmten Sachverhalt zu beurteilen, einen Vertrag zu entwerfen oder einen Rechtsstreit zu führen. Im Rahmen einer solchen Mandatierung erhält der Rechtsanwalt in aller Regel nur die Informationen, die zur Erledigung der Aufgabe erforderlich sind und keinen Gesamtüberblick über das Unternehmen des Auftraggebers. Darin unterscheidet sich die anwaltliche Tätigkeit von der Tätigkeit des Steuerberaters, der schon allein aufgrund der Durchführung der Finanzbuchhaltung einen umfassenden Überblick erhält und daher auch Kenntnis der wirtschaftlichen Situation seines Auftraggebers hat. Dies wird beim Rechtsanwalt lediglich in Sonderkonstellationen der Fall sein, z. B. dann, wenn er im Rahmen seiner Tätigkeit Buchhaltungsunterlagen erhält oder ihm Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Mandanten bekannt werden. Wird ein Rechtsanwalt von einer insolvenzantragspflichtigen Gesellschaft 987 mandatiert und ist bereits ein Insolvenzgrund eingetreten, hat der Rechtsanwalt die geschäftsführenden Organe auf ihre Pflichten hinzuweisen sowie die aus einem schuldhaften Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht resultierenden Haftungsfolgen zu belehren. Wird der Rechtsanwalt in dieser Situation beauftragt, einen außergerichtlichen Vergleich anzustreben, wird die Durchführung des Insolvenzverfahrens umgangen. 187
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz So BGH, Urt. v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33 ff. = NZI 2001, 81 ff. = KTS 2001, 148 ff. Rn. 14.
988 Strebt der Mandant eine rechtlich bedenkliche Maßnahme an, so hat der Rechtsanwalt ihn auf die Rechtslage hinzuweisen, die gegen den beabsichtigten Weg sprechenden Gründe zu erläutern und über die bei Verstoß gegen die gesetzliche Regelung drohenden Risiken zu belehren. So BGH, Urt. v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99 ZIP 2001, 33 ff. = NZI 2001, 81 ff. = KTS 2001, 148 ff. Rn. 14; BGH, Urt. v. 6.2.1992 – IX ZR 95/91, WM 1992, 742 ff. = NJW 1992, 1159 ff.
989 Die Haftung des Rechtsanwalts scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Mandant auch anwaltlich beraten wird, z. B. wenn eine Genossenschaft gemäß § 54 GenG durch einen Verband betreut wird. Allein daraus kann der Rechtsanwalt nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass dem Vorstand der Genossenschaft die Insolvenzantragspflicht bewusst ist. So BGH, Urt. v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99 ZIP 2001, 33 ff. = NZI 2001, 81 ff. = KTS 2001, 148 ff. Rn. 15.
990 Wird im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung ein unverfallbarer Anspruch auf betriebliche Altersversorgung vereinbart, hat der Rechtsanwalt den Berechtigten auf eine mangelnde Insolvenzsicherung des Anspruches hinzuweisen und haftet gegebenenfalls für die entstehenden finanziellen Nachteile, falls die zahlungsverpflichtete Gesellschaft später insolvent wird. So BGH, Urt. v. 21.7.2005 – IX ZR 49/02, ZIP 2005, 1925 ff. = NJW 2005, 3275 ff. = BRAK-Mitt. 2005, 260 mit Anm. Chab; Gehrlein, Anwalts- und Steuerberaterhaftung, S. 26.
3. Steuerberater 991 Die Haftung des Steuerberaters weist folgende Besonderheiten auf: 992 Welche Aufgaben der Steuerberater zu erfüllen hat, richtet sich nach Art und Umfang des erteilten Mandats. So BGH, Urt. v. 26.1.1995 – IX ZR 10/94, BGHZ 128, 358 ff. = WM 1995, 721 ff. = NJW 1995, 958 ff. Rn. 12; BGH, Urt. v. 4.3.1987 – IVa ZR 222/85, NJW-RR 1987, 1375 ff. = VersR 1987, 565 ff. Rn. 15.
993 Der Steuerberater hat seinen Auftraggeber auch ungefragt über die bei der Erledigung des Auftrages auftauchenden steuerrechtlichen Fragen, insbesondere auch über die Möglichkeit einer Steuerersparnis zu belehren. Der Steuerberater muss davon ausgehen, dass sein Auftraggeber in der Regel in steuerlichen Dingen unkundig und vielfach deshalb auch gar nicht in der Lage ist, von sich aus die entsprechenden Fragen zu stellen. So BGH, Urt. v. 6.12.1979 – VII ZR 19/79, MDR 1980, 303 = DB 1980, 685 Rn. 17; BGH, Urt. v. 1.7.1971 – VII ZR 295/69, VersR 1971, 956 ff. = DB 1971, 2010 f. Rn. 23.
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I. Haftung von Beratern in der Krise
Steuerberatern ist gemäß § 57 Abs. 3 Nr. 3 StBerG ausdrücklich „eine wirt- 994 schaftsberatende, gutachtliche oder treuhänderische Tätigkeit sowie die Erteilung von Bescheinigungen über die Beachtung steuerrechtlicher Vorschriften in Vermögensübersichten und Erfolgsrechnungen“ erlaubt, sodass ein Steuerberater sich grundsätzlich wirksam verpflichten kann, die Insolvenzreife eines Unternehmens zu prüfen. So Kayser, ZIP 2014, 597, 605; Schmittmann, StuB 2012, 716 f.
Auch im Rahmen eines Dauermandats ist der Steuerberater nicht verpflich- 995 tet, die Gesellschaft bei Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass es Pflicht des Geschäftsführers ist, eine Überprüfung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, ob Insolvenzreife eingetreten ist und gegebenenfalls gemäß § 15a InsO Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden muss. So BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 ff. = WM 2013, 802 ff. = NZI 2013, 438 ff. Rn. 15, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert); vgl. Kayser, ZIP 2014, 597, 599; Schmittmann, StuB 2013, 385 f.
Der BGH hält eine solche Verpflichtung schon deshalb für unzumutbar, weil 996 die Unterdeckung in der im Rahmen des Steuerberatungsvertrages erstellten Bilanz zwar einen indiziellen Hinweis auf die möglicherweise drohende oder bereits eingetretene Überschuldung geben kann, sie aber nicht ausweist. Die Überschuldung i. S. v. § 19 Abs. 2 InsO kann nur durch Aufstellung einer Überschuldungsbilanz, die anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als die vom Steuerberater zu fertigende Bilanz, festgestellt werden. Daher ist die insolvenzrechtliche Überschuldung aus der Handelsbilanz nicht ohne Weiteres zu entnehmen. So BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 ff. = WM 2013, 802 ff. = NZI 2013, 438 ff. Rn. 16, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert); BGH, Beschl. v. 8.3.2013 – IX ZR 102/11, WM 2012, 665 f. Rn. 5; BGH, Beschl. v. 28.4.2008 – II ZR 51/07, NJW-Spezial 2008, 469; kritisch: Schwarz/Schwarz, ZInsO 2013, 1344 ff.
Anders liegt es freilich, wenn der Steuerberater ausdrücklich beauftragt wird, 997 die Insolvenzreife einer Gesellschaft zu prüfen. Insoweit handelt es sich um einen Werkvertrag, sodass Schadensersatzansprüche gemäß § 634 Nr. 4 BGB in Betracht kommen. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 12, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); vgl. Kayser, ZIP 2014, 597, 598.
Macht der Steuerberater im Rahmen eines solchen Auftrages unrichtige An- 998 gaben über die Insolvenzreife der Gesellschaft, können Schadensersatzansprüche entstehen.
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 31, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
999 Ist der Steuerberater lediglich mit der Erstellung der Steuerbilanz beauftragt, erklärt er aber gleichwohl, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vorliegt, so haftet er der Gesellschaft wegen der Folgen der dadurch bedingten verspäteten Insolvenzantragstellung. Führt er unter Bezug auf Rangrücktrittsvereinbarungen und den Firmenwert aus, dass die gezeigte bilanzielle Überschuldung lediglich eine „Überschuldung rein bilanzieller Natur“ sei, so erklärt er damit, eine insolvenzrechtliche Überschuldung sei nicht gegeben. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 f. (Gräfe); das OLG Celle, Urt. v. 6.4.2011 – 3 U 190/10, DStRE 2012, 646 ff., hält einen Steuerberater für verpflichtet, ungefragt auf eine bilanzielle Überschuldung hinzuweisen und eine Prüfung der Überschuldung anzuregen.
1000 Gerade der Hinweis auf die Rangrücktrittsvereinbarungen und den Firmenwert offenbart, dass der Steuerberater eine über die steuerliche Bilanzierung hinausgehende Leistung erbracht hat und die Bewertung vorgenommen hat, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vorliegt. Auf die Richtigkeit dieser Auskunft darf die Gesellschaft vertrauen. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe).
1001 Der gegebenenfalls zu ersetzende Schaden ist nach der Differenzhypothese zu ermitteln. So BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 ff. = WM 2013, 1323 ff. = NZI 2013, 793 ff. Rn. 19 = ZWH 2013, 500 ff. mit Anm. Püschel, dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe).
1002 Der lediglich mit der Aufstellung einer Handels- und/oder Steuerbilanz beauftragte Steuerberater hat stets zu prüfen, ob nach dem Going-ConcernGrundsatz (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) zu bilanzieren ist. Danach ist bei der Bewertung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat in einem Positionspapier vom 13.8.2012 umfassend zum „Zusammenwirken von handelsrechtlicher Fortführungsannahme und insolvenzrechtlicher Fortbestehensprognose“ Stellung genommen und dabei insbesondere Indikatoren genannt, die gegen die Regelvermutung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit sprechen. Dabei ist zwischen finanziellen Umständen (z. B. übermäßige kurzfristige Finanzierung langfristiger Vermögenswerte, Ausschüttungsrückstände oder Aussetzen der Ausschüttung und Unfähigkeit, Zahlungen an Gläubiger bei Fälligkeit zu leisten) und betrieblichen Umständen (z. B. Ausscheiden von Füh-
190
I. Haftung von Beratern in der Krise
rungskräften in Schlüsselpositionen ohne adäquaten Ersatz, Engpässe bei der Beschaffung wichtiger Vorräte und anhängige Gerichts- oder Aufsichtsverfahren gegen das Unternehmen, die zu Ansprüchen führen können, die wahrscheinlich nicht erfüllbar sind) zu unterscheiden. Tritt ein Steuerberater im Rahmen eines rein steuerrechtlichen Mandats in 1003 konkrete Erörterungen über eine etwaige Insolvenzreife der von ihm beratenen Gesellschaft ein, so treffen ihn weitergehende vertragliche Hinweispflichten. So BGH, Beschl. v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, ZIP 2014, 583 f. = NZI 2014, 308 f. = WM 2014, 577 f. Rn. 4, dazu EWiR 2014, 385 (Zilkens).
Der Berater muss mit Rücksicht auf die vielfältigen mit einer möglichen In- 1004 solvenzreife des Unternehmens verbundenen rechtlichen Folgen dem Mandanten einen Weg aufzeigen, der ihm die Feststellung ermöglicht, ob eine Insolvenz vorliegt oder nicht. Der steuerliche Berater kann seinen Pflichten dadurch nachkommen, dass er aufgrund eines ihm gesondert zu erteilenden Auftrages selbst eine verbindliche gutachterliche Stellungnahme abgibt. Sieht sich der steuerliche Berater – sei es wegen fehlender Fachkunde oder mit Rücksicht auf eine komplexe Tatsachengrundlage – dazu nicht in der Lage, ist er verpflichtet, den Mandanten darauf hinzuweisen, dass er zum Zwecke der erbetenen Klärung einem geeigneten Dritten einen Prüfauftrag erteilt. So BGH, Beschl. v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, ZIP 2014, 583 f. = NZI 2014, 308 f. = WM 2014, 577 f. Rn. 5, dazu EWiR 2014, 385 (Zilkens).
4. Wirtschaftsprüfer Gemäß § 2 Abs. 1 WPO haben Wirtschaftsprüfer die berufliche Aufgabe, be- 1005 triebswirtschaftliche Prüfungen, insbesondere solche von Jahresabschlüssen wirtschaftlicher Unternehmen, durchzuführen und Bestätigungsvermerke über die Vornahme und das Ergebnis solcher Prüfungen zu erteilen. Weitere erlaubte Tätigkeiten sind in § 2 Abs. 2 WPO (Beratung und Vertretung in Steuerangelegenheiten) und § 2 Abs. 3 WPO (Tätigkeit als Sachverständiger, Berater und Treuhänder) geregelt. Der Abschlussprüfer ist gemäß § 323 Abs. 1 Satz 1 HGB zur gewissenhaften 1006 und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Verletzt er vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflichten, ist er der Kapitalgesellschaft und, wenn ein verbundenes Unternehmen geschädigt worden ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 823 Abs. 1 Satz 3 HGB). Wenn § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB eine gesetzliche Haftung (nur) gegenüber der Kapitalgesellschaft und dem verbundenen Unternehmen regelt, bedeutet dies nach der Rechtsprechung des BGH nicht, dass damit eine vertragliche Haftung des Abschlussprüfers gegenüber Dritten nach Maßgabe der Grundsätze zur Dritthaftung Sachverständiger von vornherein ausgeschlossen wäre.
191
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 17, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann); BGH, Urt. v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257 ff. = ZIP 1998, 826 ff. = NZG 1998, 437 f.
1007 Soweit der Wirtschaftsprüfer Aufgaben übernommen hat, die auch ein Steuerberater hätte erledigen dürfen, so gelten grundsätzlich die vorstehend (siehe Rn. 991 ff.) aufgeführten Haftungsgrundsätze. 1008 Im Rahmen der Haftung des Abschlussprüfers wegen Nichterkennens einer Bilanzfälschung stellt es keinen groben Fehler dar, wenn der Abschlussprüfer von der Routine der vorangegangenen Jahre nicht abweicht und er die Funktionsweise des Warenwirtschaftssystems sowie dessen konkreten Einsatz nicht durch unmittelbaren Einblick in den virtuellen Datenbestand überprüft. So OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.7.2013 – 4 U 278/11, DStR 2013, 2240 ff. = DStRE 2014, 186 ff. = DB 2013, 2324 ff.
1009 Eine Haftung des Abschlussprüfers wegen Missachtung der ihm aus § 823 Abs. 1 Satz 1 HGB obliegenden Pflichten tritt hinter eine der zu prüfenden Gesellschaft zuzurechnende vorsätzliche Bilanzfälschung des Geschäftsführers vollständig zurück, solange der Pflichtverstoß des Abschlussprüfers die Grenze zur groben Fahrlässigkeit nicht erreicht. So OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.7.2013 – 4 U 278/11, DStR 2013, 2240 ff. = DStRE 2014, 186 ff. = DB 2013, 2324 ff.
1010 Ein häufiger Anwendungsfall der Wirtschaftsprüferhaftung ist die Haftung bei Abgabe eines fehlerhaften Testats in einem Wertpapierprospekt betreffend die Prüfung von Gewinnprognosen. Vgl. BGH, Urt. v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, ZIP 2014, 972 ff. = WM 2014, 935 ff. = NZG 2014, 741 ff., dazu EWiR 2014, 483 (Müller).
1011 Gegebenenfalls kommen auch Schadensersatzansprüche gegen Wirtschaftsprüfer wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten aus einem Mittelverwendungskontrollvertrag (hier: Beteiligung an einem Medienfond) in Betracht. Vgl. BGH, Urt. v. 10.7.2014 – III ZR 177/12, n. v.
1012 Ein Wirtschaftsprüfer haftet den Anlegern wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung, wenn er sich als Experte in den Dienst eines von ihm geprüften, kapitalsuchenden Unternehmens stellt und dem Vertrieb Verkaufsargumente liefert, die objektiv falsch sind, und er sich rücksichtslos über die Interessen potentieller Anlageinteressenten hinwegsetzt, die seine Äußerungen im Vertrauen auf seine berufliche Integrität und seine fachliche Autorität zur Grundlage ihrer Entscheidung machen. So BGH, Urt. v. 13.11.2013 – VI ZR 336/12, ZIP 2014, 82 ff. = AG 2014, 84 ff. = NJW 2014, 383 ff., dazu EWiR 2014, 319 (Allmendinger).
192
I. Haftung von Beratern in der Krise
Ein Wirtschaftsprüfer kann ausdrücklich mit der Prüfung der Insolvenzreife 1013 eines Unternehmens beauftragt werden. Es handelt sich dann um einen Werkvertrag i. S. v. § 631 BGB. Vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 9, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
Zu den Hauptleistungspflichten des Wirtschaftsprüfers gehört der Hinweis 1014 auf die Notwendigkeit eines Insolvenzantrags. So Meixner/Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rn. C 851.
Bei der Prüfung der Insolvenzreife handelt es sich nicht um eine gesetzlich 1015 vorgeschriebene Prüfung i. S. v. § 319 Abs. 1 HGB, die – abhängig von der Größe des Unternehmens – Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern vorbehalten ist. So BGH, Urt. v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 ff. = ZIP 2012, 1353 ff. = NZI 2012, 853 ff. = NZG 2012, 866 ff. Rn. 11, dazu EWiR 2012, 509 (Westermann).
Der Wirtschaftsprüfer ist nach IDW PS 270 zur Berichterstattung an die ge- 1016 setzlichen Vertreter verpflichtet, wenn er im Rahmen seiner Prüfungshandlungen Anhaltspunkte für eine Insolvenzgefahr erkennt. So Meixner/Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rn. C 857.
Im Rahmen einer Pflichtprüfung können sich Pflichtverletzungen insbeson- 1017 dere durch einen Verstoß gegen die Gewissenhaftigkeit, Verschwiegenheit, Neutralitätspflicht oder durch einen Verstoß gegen das Verbot der Verwertung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ergeben. So IDW, Wirtschaftsprüferhandbuch, Teil A Rn. 556.
Ein Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt kann z. B. vorliegen, wenn eine 1018 Saldenbestätigung nicht eingeholt wird oder wenn aus dem im Rahmen einer Stichprobe aufgedeckten Fehler die Prüfung auf diesem Tätigkeitsfeld nicht intensiviert wird. Eine Verpflichtung des Wirtschaftsprüfers, jeden Buchungsvorgang umfassend zu prüfen, reicht allerdings nicht aus. So IDW, Wirtschaftsprüferhandbuch, Teil A Rn. 556.
Weiterhin kommt eine Haftung des Wirtschaftsprüfers aus unerlaubter Hand- 1019 lung, § 823 BGB, in Betracht. So IDW, Wirtschaftsprüferhandbuch, Teil A Rn. 574.
Die Vorschriften der WPO in der Berufssatzung stellen keine Schutzgesetze 1020 i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB dar. So IDW, Wirtschaftsprüferhandbuch, Teil A Rn. 575.
Als Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB sind allerdings z. B. §§ 332, 333 1021 HGB, §§ 403, 404 AktG und §§ 263, 264 a, 266, 283 ff. StGB anzusehen. So IDW, Wirtschaftsprüferhandbuch, Teil A Rn. 575.
193
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
1022 Die Haftung eines Wirtschaftsprüfers kommt auch aus § 826 BGB in Betracht, wobei eine sittenwidrige Schädigung voraussetzt, dass dem Wirtschaftsprüfer in einem solchen Maße Leichtfertigkeit nachgewiesen werden kann, dass sie als Gewissenlosigkeit zu beurteilen ist. So IDW, Wirtschaftsprüferhandbuch, Teil A Rn. 576, unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 12.12.1978, WM 1979, 326 ff.
1023 Deliktische Ansprüche gegen Wirtschaftsprüfer sind in der Praxis kaum durchsetzbar, da der Berufsträger entweder nicht mit Vorsatz gehandelt hat oder dies zumindest nicht nachweisbar ist. So Meixner/Schröder, Wirtschaftsprüferhaftung, Rn. C 893.
5. Unternehmensberater 1024 Während bei Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ein Berufsrecht besteht und es sich um eine staatlich erteilte Berufszulassung handelt, die an strenge Anforderungen anknüpft, ist die Begrifflichkeit „Unternehmensberater“, „Sanierungsberater“ oder schlicht „Berater“ unreglementiert. 1025 Die Haftung des Unternehmensberaters folgt den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. So Nerlich, in: Festschrift Görg, 2010, S. 317 ff.; Schmittmann, ZInsO 2011, 545 ff.; Ehlers, NZI 2008, 211 ff.
1026 Sofern der Unternehmensberater beauftragt wird, die Insolvenzreife eines Unternehmens zu prüfen, so gelten die gleichen Anforderungen, als sei der Auftrag einem Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer übertragen worden (siehe Rn. 997, 1026). 1027 Sofern der Unternehmensberater – was ohne Weiteres zulässig sein dürfte – mit der Ausarbeitung eines Sanierungskonzepts beauftragt wird, ist der Auftragsgegenstand abzugrenzen. Sofern die Parteien sich auf die Erstellung eines Sanierungskonzepts gemäß IDW S 6 (Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten) beziehen, sind die Vorgaben des Instituts der Wirtschaftsprüfer zu berücksichtigen. Vgl. Kuss, WPg 2009, 326 ff.; Ehlers, NZI 2008, 211 ff.
1028 Kernbestandteile eines Sanierungskonzepts i. S. d. IDW-Standards (Tz. 7) sind: x
Die Beschreibung von Auftragsgegenstand und -umfang,
x
die Darstellung der wirtschaftlichen Ausgangslage,
x
die Analyse von Krisenstadium und -ursachen,
x
die Darstellung des Leitbildes des sanierten Unternehmens,
x
die Maßnahmen zur Bewältigung der Unternehmenskrise und
x
ein integrierter Unternehmensplan.
194
I. Haftung von Beratern in der Krise
Nur auf der Grundlage dieser Kernbestandteile kann gemäß IDW S 6 (Tz. 8) 1029 eine Aussage zur Sanierungsfähigkeit abgeleitet werden; die Beurteilung nur einzelner Problembereiche und Maßnahmen reicht hierfür nicht aus. Ist als Auftragsgegenstand nicht die Erstellung eines Sanierungskonzepts 1030 i. S. v. IDW S 6 vereinbart, so sind die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Anforderungen zu berücksichtigen. Das Vorliegen eines tauglichen Sanierungskonzepts ist eine Tatsachenfrage, die vom Gericht gegebenenfalls durch Beweisaufnahme geklärt werden muss. Ein Sanierungskonzept setzt im Wesentlichen voraus: x
Beschreibung des Unternehmens,
x
Analyse des Unternehmens,
x
Krisenursachenanalyse,
x
Lagebeurteilung,
x
Leitbild des sanierten Unternehmens,
x
Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens und
x
Planverprobungsrechnung. So OLG Köln, Urt. v. 24.9.2009 – 18 U 134/05, NZI 2010, 49 ff. = WPg 2011, 441 ff. = GmbHR 2010, 251 ff.
Gegenstand einer Sanierungsberatung sind: x
der Nachweis der Sanierungsfähigkeit,
x
die Erarbeitung eines Sanierungskonzepts,
x
die Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen,
x
das Sanierungscontrolling und
x
gegebenenfalls die Bewertung der Alternativlösung zur Liquidation.
1031
So Ehlers, NZI 2008, 211, 212.
Im Zusammenhang mit der Insolvenzanfechtung (damals: Konkursanfech- 1032 tung) wurde entschieden, dass eine Gläubigerbenachteiligung bei Vorliegen eines ernsthaften Sanierungsversuches ausscheidet, wenn die Gewährung einer inkongruenten Sicherung den Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuches bildete. Dazu reicht die Hoffnung des Schuldners, sein Unternehmen retten zu können, nicht aus, wenn die dazu erforderlichen Bemühungen über die Entwicklung von Plänen und die Erörterung von Hilfsmöglichkeiten nicht hinausgekommen sind. So BGH, Urt. v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 226 ff. = WM 1993, 270 ff. = NJW-RR 1993, 238 ff. Rn. 26, dazu EWiR 1993, 161 (Onusseit); BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 ff. = ZIP 1984, 572 ff. = NJW 1984, 1893 ff. Rn. 51.
195
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
1033 Ein tauglicher Sanierungsversuch liegt vielmehr erst bei Existenz eines in sich schlüssigen Konzeptes, das jedenfalls in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt ist und infolgedessen auf der Seite des Schuldners zur Zeit der angefochtenen Rechtshandlung ernsthafte und begründete Aussichten auf Erfolg rechtfertigt, vor. So BGH, Urt. v. 12.11.1992 – IX ZR 238/91 Rn. 26; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, ZIP 1984, 572.
1034 Sowohl für die Frage der Erkennbarkeit der Ausgangslage als auch für die Prognose der Durchführbarkeit ist auf die Beurteilung eines unvoreingenommenen – nicht notwendigerweise unbeteiligten – branchenkundigen Fachmanns abzustellen, dem die vorgeschriebenen oder üblichen Buchhaltungsunterlagen zeitnah vorliegen. So Schmittmann, ZInsO 2011, 545, 547; unter Hinweis auf: BGH, Urt. v. 1.2.1956 – IV ZR 249/55, NJW 1956, 585 ff. = BGH, Urt. v. 2.2.1955 – IV ZR 252/54, NJW 1955, 1272 ff.; BGH, Urt. v. 2.11.1955 – IV ZR 103/55, NJW 1956, 417 ff.; BGH, Urt. v. 9.7.1953 – IV ZR 242/92, BGHZ 10, 228 ff. = NJW 1953, 1665 f. = MDR 1953, 603 f.
1035 Das Konzept muss von erkannten und erkennbaren tatsächlichen Gegebenheiten ausgehen und darf nicht offensichtlich undurchführbar sein. Die Prognose der Durchführbarkeit muss die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysieren und die Krisenursachen sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfassen. Dies gilt grundsätzlich auch für den Versuch der Sanierung eines kleineren Unternehmens, weil dabei ebenfalls Gläubiger in für sie beträchtlichem Umfang geschädigt werden können. Das Ausmaß der Prüfung kann dem Umfang des Unternehmens und der verfügbaren Zeit angepasst werden. So BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248 ff. = NZG 1998, 181 ff. = KTS 1998, 251 ff. Rn. 25, dazu EWiR 1998, 225 (Gerhardt); BGH, Urt. v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276 ff.
1036 Ob der organschaftliche Vertreter des Unternehmens mit der Abwendung der Insolvenz und aufgrund von Sanierungsbemühungen rechnen darf, hängt nach der Rechtsprechung im Wesentlichen davon ab, ob der Sanierungsversuch objektiv sachgerecht angelegt wurde. So BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248 ff. = NZG 1998, 181 ff. = KTS 1998, 251 ff. Rn. 27, dazu EWiR 1998, 225 (Gerhardt).
1037 Eine Haftung des Unternehmensberaters kommt in Betracht, wenn das von ihm erstellte Werk mangelhaft ist. Als Mängel sind insbesondere anzusehen: x
Fehlen einer Einleitung,
x
Nichtnachvollziehbarkeit des Basis-Mengengerüstes,
196
I. Haftung von Beratern in der Krise
x
Fehlen der Krisenursachenanalyse,
x
Pauschalisierungen („erwartete Nachfrage- und Umsatzsteigerung“, „Senkung der Entsorgungskosten“ und „Verbesserungspotential in der Nutzung von Verbundeffekten“),
x
Fehlen der Darstellung der Unternehmensentwicklung,
x
sehr globale und wenig konkrete Sanierungsmaßnahmen,
x
allgemeine Power-Point-Präsentationen und
x
Nichterkennbarkeit der Prämissen einer Planverprobungsrechnung. So OLG Köln, Urt. v. 24.9.2009 – 18 U 134/05, NZI 2010, 49 ff. = WPg 2011, 441 ff. = GmbHR 2010, 251 ff.
Im Rahmen eines Honorarprozesses hatte das OLG Celle den Fall eines Sa- 1038 nierungsberaters zu beurteilen, der sich vom Mandanten stets die Mängelfreiheit der Arbeiten bestätigen ließ, dessen Sanierungskonzept aber bereits schon folgende Mindestbestandteile nicht enthielt: x
Kommentierter innerer Betriebsvergleich,
x
Aggregation einzelner Größen der Gewinn- und Verlustrechnung,
x
Vergleichsangaben zu Wettbewerbern und Branchendaten,
x
tatsächliches Stärken-Schwächen-Profil mit Wettbewerb,
x
Marketingangaben (unter Preisbildung, Werbung, Sponsoring) und
x
Strukturanalyse der Finanzsituation. So OLG Celle, Urt. v. 23.10.2003 – 16 U 199/02, ZIP 2003, 2118 ff. = NJW 2003, 3638 ff., dazu EWiR 2004, 163 (Nolting).
Trotz eines vom Mandanten unterzeichneten Schuldanerkenntnisses sowie 1039 der ihm abverlangten Erklärung, wonach die Honorarforderungen zur Zahlung fällig und nicht bestritten sind, hat das OLG Celle – unter Feststellung der Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit dieser Erklärung – keine Pflichterfüllung des Auftrages konstatiert und dem Auftraggeber Gewährleistungsansprüche zugesprochen. Das Gericht hat insbesondere beanstandet: „Es handelt sich insgesamt überwiegend um eine lediglich beschreibende Darstellung der betrieblichen Gegebenheiten, die in weiten Teilen unvollständig ist. Daten und Fakten aus der Branche, über die Wettbewerber vor Ort, die konkrete Markt- und Wettbewerbsposition des Unternehmens, über die örtliche und die regionale Entwicklung fehlen in dem Analysebericht vollständig … Der wesentliche Aspekt des Marketing (Produktangebot, Kundengewinnung, Kundenansprache, Preisbildung, Werbung, Verkaufsförderung, Sponsoring) des Unternehmens wird nicht erwähnt und dementsprechend auch weder untersucht noch bewertet …
197
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz Zur Finanzsituation des Unternehmens wird keine praktisch verwertbare Aussage gemacht, obwohl gerade darin eine hochgradige Existenzgefährdung zu erkennen ist. Die Struktur der Finanzdaten (Eigenkapital, Fremdkapital, die verschiedenen Darlehen, die vorhandenen Kredite) wird nicht analysiert … Die sogenannten Erkenntnisse der Analyse bestehen aus einer Reihe von Aufzählungen und allgemeinen Aussagen, die so für fast jedes Unternehmen getroffen werden können. Die Geschäftsführer des Unternehmens werden überhaupt nicht erwähnt, nach Durchsicht der 56-seitigen Analyse weiß der Leser nicht, was der Gärtnereibetrieb überhaupt macht …“ So OLG Celle, Urt. v. 23.10.2003 – 16 U 199/02, ZIP 2003, 2118 ff. = NJW 2003, 3638 ff., dazu EWiR 2004, 163 (Nolting).
1040 Die Haftung des Sanierungsberaters kommt auch unter dem Gesichtspunkt der faktischen Geschäftsführung in Betracht, wenn sie – wie Nerlich berichtet – zu selbstbewusstem Auftreten neigen, indem sie der Geschäftsführung erklären, der Bank „Meldung“ zu machen, wenn es an der Mitwirkung seitens der Geschäftsführung fehlt. So Nerlich, in: Festschrift Görg, S. 317, 319.
1041 Die Prognose der Überlebensfähigkeit des Unternehmens ist grundsätzlich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept (Ertrags- und Finanzplan) herzuleiten. Eine positive Fortbestehensprognose für die Gesellschaft setzt aber nicht voraus, dass die Einschätzung aufgrund eines Ergebnis- und Finanzplans als Bestandteil eines Sanierungskonzepts getroffen worden ist. Es kommt nicht auf eine retrospektive Betrachtung (ex post), sondern auf die Sicht eines ordentlichen Geschäftsmannes unter Zugrundelegung der im maßgeblichen Zeitpunkt vorhandenen Erkenntnisse (ex ante) an. So Schmittmann, ZInsO 2011, 545, 550; unter Hinweis auf: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 20.3.2009 – 10 U 148/08.
1042 Unternehmensberater, die die Geschäfte des Unternehmens nicht nur begleiten, sondern in ihrer gesamten Bandbreite abwickeln, Zahlungsvergleiche schließen oder in die Auftragsabwicklung eingreifen, können als faktische Geschäftsführer mit allen haftungsrechtlichen Konsequenzen angesehen werden. So Nerlich, in: Festschrift Görg, S. 317, 319; Schmittmann, ZInsO 2011, 545, 551.
1043 Das Institut der faktischen Geschäftsführung und die sich daraus ergebenden Haftungsfolgen sind nach der Rechtsprechung des OLG München restriktiv bei Fallkonstellationen anzuwenden, in denen wenig eigenes, nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln des Betroffenen vorliegt, welches aber zum Zwecke der Konsolidierung und Rettung eines finanziell angeschlagenen Unternehmens vorgenommen wird. So OLG München, Urt. v. 8.9.2010 – 7 U 2568/10, ZIP 2010, 2295 ff. = WM 2010, 40 ff. = NZI 2011, 52 f., dazu EWiR 2011, 317 (Kleinschmidt, Andreas/Dinh Van).
198
II. Haftung von Beratern nach Verfahrenseröffnung
Für eine restriktive Auslegung ist eine Notwendigkeit nicht gegeben. Eine 1044 Haftung ergibt sich nicht daraus, dass jemand faktischer Geschäftsführer ist, sondern daraus, dass jemand eine Pflicht verletzt und dadurch einen Schaden verursacht. So Schmittmann, ZInsO 2011, 545, 551.
II. Haftung von Beratern nach Verfahrenseröffnung 1. Grundlagen Gemäß § 115 Abs. 1 InsO erlischt ein vom Schuldner erteilter Auftrag, der 1045 sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bezieht, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Norm dient dem Schutz der Verwaltungshoheit des Insolvenzverwalters. So BT-Drucks. 12/2443, S. 151; Ringstmeier, in: Karsten Schmidt, InsO, § 115 Rn. 2.
Der mit einem Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Unter- 1046 nehmensberater geschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag erlischt daher mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ohne dass es einer Erklärung des Insolvenzverwalters bedarf. Der Beauftragte hat gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 InsO, wenn mit dem Auf- 1047 schub Gefahr verbunden ist, die Besorgung des übertragenen Geschäfts fortzusetzen, bis der Insolvenzverwalter anderweitig Fürsorge treffen kann. Der Auftrag gilt gemäß § 115 Abs. 2 Satz 2 InsO insoweit als fortbestehend. Mit seinen Ersatzansprüchen aus dieser Fortsetzung ist der Beauftragte gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 InsO Massegläubiger. Hat sich jemand durch einen Dienst- oder Werkvertrag mit dem Schuldner 1048 verpflichtet, ein Geschäft für diesen zu besorgen, so gilt gemäß § 116 Satz 1 InsO die Bestimmung des § 115 InsO entsprechend. Die Vorschrift betrifft Dienst- oder Werkverträge, bei denen der Schuldner Geschäftsherr ist. Im umgekehrten Falle, also der Insolvenz des Geschäftsbesorgers, gilt die Vorschrift weder unmittelbar noch analog. So Ringstmeier, in: Karsten Schmidt, InsO, § 116 Rn. 8.
Der Auftragnehmer muss zunächst mit dem Insolvenzverwalter Kontakt 1049 aufnehmen und gegebenenfalls auf laufende Fristen etc. hinweisen. Das Unternehmensinsolvenzverfahren wird in aller Regel nicht sogleich nach Eingang des Insolvenzantrages eröffnet, sondern durchläuft zunächst ein vorläufiges Insolvenzverfahren, sodass genügend Gelegenheit besteht, eine Kontaktaufnahme herbeizuführen. Ebenso Ringstmeier, in: Karsten Schmidt, InsO, § 115 Rn. 12.
Solange der Beauftragte die Eröffnung des Verfahrens ohne Verschulden 1050 nicht kennt, gilt gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 InsO der Auftrag zu seinen
199
F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
Gunsten als fortbestehend. Mit den Ersatzansprüchen aus dieser Fortsetzung ist der Beauftragte gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 InsO Insolvenzgläubiger. 1051 Ein Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch aufgrund eines durch den Insolvenzverwalter erteilten neuen Auftrages tätig werden. Hier gelten hinsichtlich der Haftung die allgemeinen Vorschriften. 1052 Besonderheiten gelten bei Ansprüchen des Schuldners auf höchstpersönliche Dienstleistungen. Ansprüche des Schuldners auf eine höchstpersönliche Dienstleistung unterliegen nicht dem Insolvenzbeschlag, weil sie nicht übertragbar sind. Die Übertragung des Anspruchs auf eine Dienstleistung ist gemäß § 613 Satz 2 BGB nur „im Zweifel“ ausgeschlossen. Sofern der Schuldner einen Berater in der Krisensituation seines Unternehmens beauftragt, so ist die Beratungsleistung nicht übertragbar. So BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 69/12, ZIP 2013, 586 ff. = ZVI 2013, 242 ff. = NZI 2013, 434 ff. Rn. 10, dazu EWiR 2013, 449 (Junghans).
2. Auftrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens 1053 Wird der Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Auftrag des Insolvenzverwalters tätig, so hat er sich insbesondere – neben den üblichen Pflichten – mit den Besonderheiten im Insolvenzverfahren zu befassen. Sofern er die dazu erforderlichen Kenntnisse nicht hat, hat er sich diese zu verschaffen. 1054 Die nachfolgenden Beispiele sollen verdeutlichen, welche Besonderheiten von hoher Haftungsrelevanz sind: a) Umstellung des Geschäftsjahres 1055 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ein neues Geschäftsjahr. Das durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene neue Geschäftsjahr umfasst wiederum einen Zeitraum von zwölf Monaten, § 240 Abs. 2 Satz 2 HGB. Es ist gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO auf die Stunde der Eröffnung abzustellen. 1056 Es liegt regelmäßig im Interesse des Insolvenzverwalters – schon aus Gründen der Praktikabilität und Kostenersparnis – zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zurückzukehren. Bislang war umstritten, welche Anforderungen an die Rückkehr zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zu stellen sind. Vgl. Schmittmann, in: Karsten Schmidt, InsO, § 155 Rn. 20 ff.; Graf-Schlicker/Breitenbücher, InsO, § 155 Rn. 16.
1057 Der Insolvenzverwalter ist befugt, den mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens neu beginnenden Geschäftsjahresrhythmus zu ändern. Das kann durch eine Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister, aber auch durch eine sonstige Mitteilung an das Registergericht, geschehen. 200
II. Haftung von Beratern nach Verfahrenseröffnung So BGH, Beschl. v. 14.10.2014 – II ZB 20/13, ZIP 2015, 88 ff. = NZI 2015, 168 ff. = NJW-RR 2015, 245 ff. = DB 2015, 239 f. mit Anm. Schmittmann, dazu EWiR 2015, 223 (Wachter).
Die Vorschrift des § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO ist in verschiedener Hinsicht 1058 haftungsträchtig. Zum einen muss der Berater den Insolvenzverwalter auf diese Vorschrift hinweisen, damit nicht Kosten für Jahresabschlussarbeiten anfallen, die zu einem nichtigen – weil für ein nicht existierendes Geschäftsjahr – erstellten Jahresabschluss entstanden sind. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Berater darauf hinwirkt, dass zum satzungsmäßigen Geschäftsjahr zurückgekehrt wird, um damit unnötige Kosten zu vermeiden und einen Gleichlauf zwischen dem steuerlichen Veranlagungszeitraum sowie dem Geschäftsjahr nach Insolvenzeröffnung zu erreichen. b) Zuordnung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten Nach der Rechtsprechung des BFH kommt es durch die Eröffnung des In- 1059 solvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile. So ist z. B. zwischen der Insolvenzmasse und dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen zu unterscheiden. Weiterhin sei die Vermögensmasse „Altunternehmen“ abzugrenzen. Dadurch sei der Grundsatz der Unternehmenseinheit aber nicht beeinträchtigt, da es ausreiche, dass die Summe der für alle Unternehmensteile insgesamt festgesetzten oder angemeldeten Umsatzsteuer der Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen entspricht. Aus dieser Aufteilung folgt, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Berichtigung der Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung erfolgt und eine weitere Berichtigung gemäß § 17 UStG im Zeitpunkt der Vereinnahmung durch den Insolvenzverwalter erforderlich ist. Der BFH hält die Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung für uneinbringlich, da der Schuldner die Befugnis verliert, die Forderung einzuziehen. So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 = ZIP 2011, 782 ff. (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/FriedrichVache, S. 1595) = BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff.; Dobler, ZInsO 2011, 823, ZInsO 2011, 1098, dazu EWiR 2011, 323 (Mitlehner); Dobler, ZInsO 2012, 208 ff.; Heinze, DZWIR 2011, 276 ff.; Kahlert, DStR 2011, 921 ff.; Kahlert, ZIP 2015, 11 ff.; Onusseit, DZWIR 2011, 239 = ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595), dazu EWiR 2011, 323 (Mitlehner), Onusseit, DZWIR 2011, 353 ff.; Roth, ZInsO 2014, 309 ff.; Schacht, ZInsO 2011, 1787 ff.; Schmittmann, ZIP 2012, 249 ff.; Schmittmann, StuB 2012, 874 f.; Stadie, UR 2013, 158 ff.; Wäger, UR 2013, 673 ff.; Welte/ Friedrich-Vache, ZIP 2011, 1595 ff.
Die Rechtsprechung wurde vom BFH dahin weiterentwickelt, dass für den 1060 Fall, dass das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit all-
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
gemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit dem Recht zum Forderungseinzug bestellt, Steuerbetrag und Vorsteuerabzug für Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht oder bezogen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen sind. Gleiches gilt für den Steuerbetrag und den Vorsteuerabzug aus Leistungen, die das Unternehmen danach bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht. So BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, ZIP 2014, 2451 (m. Bespr. Kahlert, ZIP 2015, 11), dazu EWiR 2015, 19 (Schmittmann).
1061 Die zutreffende Einordnung von Verbindlichkeiten als Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten gehört zu den Kernaufgaben des Insolvenzverwalters und seiner Berater. Zur Vermeidung von Schäden für die Insolvenzmasse ist es daher zwingend, dass der Berater die sich ständig weiterentwickelnde Rechtsprechung des BFH und gegebenenfalls auch des EuGH berücksichtigt. 1062 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden gemäß § 240 Satz 1 ZPO die die Insolvenzmasse betreffenden Verfahren unterbrochen, um Störungen durch einen laufenden Prozess von einem Insolvenzverfahren fernzuhalten und dem Insolvenzverwalter ausreichend Überlegungs- und Prüfungszeit einzuräumen, über eine Fortführung des Verfahrens zu entscheiden. So Sternal, in: Karsten Schmidt, InsO, § 85 Rn. 2.
c) Unterbrechung von Rechtsstreitigkeiten 1063 Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängig sind, können gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO in der Lage, in der sie sich befinden, vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. 1064 Im Falle der Eigenverwaltung wird mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein anhängiger Rechtsstreit gemäß § 240 ZPO unterbrochen. Das Recht zur Wiederaufnahme des Rechtsstreits steht im Falle der Eigenverwaltung dem Schuldner selbst zu, da diesem die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO verbleibt. So BFH, Urt. v. 27.2.2014 – V R 21/11, ZIP 2014, 894 (LS).
1065 Hebt der Insolvenzverwalter ein Verfahren auf, in dem die Entscheidung über die Kosten – auch für einzelne Instanzen – noch nicht abschließend getroffen wurde, tritt er zulasten der Masse in die Verantwortlichkeit für den Prozess ein und übernimmt bewusst das Prozessrisiko für das gesamte Verfahren. Unbeachtlich ist, ob der Insolvenzverwalter ein bereits anhängiges Verfahren vorfindet, in dem Feststellungen über Insolvenzforderungen getroffen wurden, oder ob ein solches Verfahren erst nach Verfahrenseröffnung anhängig wird. Abzustellen ist darauf, dass die nach Abschluss des Verfahrens entstehende
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III. Verjährung der Beraterhaftung
Kostenforderung i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf eine Handlung des Insolvenzverwalters zurückgeht. So BFH, Beschl. v. 20.12.2013 – II E 18/12, ZIP 2014, 1600 = NZI 2014, 381 ff. mit Anm. Schmittmann.
Im Hinblick auf die mögliche Belastung der Insolvenzmasse mit den Kosten 1066 des Rechtsstreits, hat der Berater des Insolvenzverwalters besonders sorgfältig zu prüfen, ob der Rechtsstreit Aussicht auf Erfolg hat. Wenn ein Rechtsstreit aufgenommen wird, für den hinreichende Erfolgsaussichten bestehen und wird dadurch die Insolvenzmasse mit Masseverbindlichkeiten belastet, haftet dafür auch der Berater, wenn er den Insolvenzverwalter nicht hinreichend belehrt hat. III. Verjährung der Beraterhaftung Der Anspruch gegen einen Berater kann nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg 1067 geltend gemacht werden, wenn er verjährt ist. Es handelt sich zwar um eine Einrede, es ist aber grundsätzlich zu erwarten, dass ein in Anspruch genommener Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater die Einrede der Verjährung erheben wird. Früher galten für Rechtsanwälte (§ 51b BRAO a. F.), Steuerberater (§ 68 1068 StBerG a. F.) und Wirtschaftsprüfer (§ 51a WPO a. F.) hinsichtlich der Verjährung Sondervorschriften. Nunmehr gilt die allgemeine Verjährungsregelung gemäß §§ 195, 199 BGB, wonach die Regelverjährung drei Jahre beträgt und mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die mit der Primär- und Sekundärverjährung des alten Rechts zusammen- 1069 hängenden Fragen können hier nicht im Einzelnen behandelt werden. Vgl. dazu Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, Rn. 850 ff.
Die Verjährung eines gegen einen rechtlichen Berater gerichteten Ersatzan- 1070 spruchs beginnt zu laufen, wenn der Mandant den Schaden und die Pflichtwidrigkeit des Beraters erkannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat. Rät der Berater zur Fortsetzung des Rechtsstreits, hat der Mandant in der Regel auch dann keine Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit des Beraters, wenn das Gericht oder der Gegner zuvor auf eine Fristversäumung hingewiesen hat. So BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, ZIP 2014, 624 ff., dazu EWiR 2014, 211 (Römermann).
Der Mandant eines Rechtsanwalts ist in der Regel nicht fachkundig, hat seine 1071 rechtlichen Belange dem dazu berufenen Fachmann anvertraut und kann daher
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F. Haftung von Beratern in Krise und Insolvenz
dessen etwaige Fehlleistungen – eben wegen seiner Rechtsunkenntnis – nicht erkennen. So BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, ZIP 2014, 624 ff. Rn. 15; BGH, Urt. v. 12.12.2002 – IX ZR 99/02, WM 2003, 928 ff.
1072 Die Fachkunde des Rechtsanwalts und das Vertrauen seines Auftraggebers begründen typischerweise im Rahmen eines Anwaltsvertrages eine Überlegenheit des Anwalts gegenüber seinem regelmäßig rechtsunkundigen Mandanten. So BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, ZIP 2014, 624 ff. Rn. 15.
1073 Für ein fehlerhaftes Verhalten des Anwalts ist aus Sicht des Mandanten regelmäßig kein Anhalt im Sinne grob fahrlässiger Unkenntnis gegeben, wenn der in Betracht kommende Fehler im Rechtsstreit kontrovers beurteilt wird und der Anwalt gegenüber dem Mandanten oder in Ausübung des Mandats nach außen hin die Rechtsansicht vertritt, ein Fehlverhalten liege nicht vor. Der Anwaltsvertrag ist in besonderer Weise durch gegenseitiges Vertrauen geprägt. So BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, ZIP 2014, 624 ff. Rn. 17; BGH, Urt. v. 7.2.2013 – IX ZR 138/11, ZIP 2013, 1284 = WM 2013, 942 ff. Rn. 12.
1074 Ein Mandant des Rechtsanwalts muss – selbst wenn er über eine juristische Vorbildung verfügt – sich darauf verlassen können, dass der beauftragte Anwalt die anstehenden Rechtsfragen fehlerfrei beantwortet und der erteilte Rechtsrat zutreffend ist. So BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, ZIP 2014, 624 ff. Rn. 17; BGH, Urt. v. 24.6.1993 – IX ZR 216/92, NJW 1993, 2747, 2750.
1075 Es ist nicht Sache des Mandanten, den Anwalt zu überwachen oder dessen Rechtsansichten durch einen weiteren Rechtsberater überprüfen zu lassen. So BGH, Urt. v. 6.2.2014 – IX ZR 245/12, ZIP 2014, 624 ff. Rn. 17; BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 189/09, WM 2010, 993 ff. Rn. 14; BGH, Urt. v. 9.12.1999 – IX ZR 129/99, NJW 2000, 1263, 1265.
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G. Strafrechtliche Haftungsrisiken Besondere Sorgfalt ist auf die Vermeidung der Begehung von Straftatbestän- 1076 den in der Insolvenz zu legen. Dies betrifft sowohl die Begehung von Straftatbeständen durch die organschaftlichen Vertreter der Gesellschaft selbst oder Mitarbeiter als auch die Begehung von Straftatbeständen durch Berater, insbesondere in Form der Beihilfe zu insolvenznahen Straftaten. Vgl. Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht; Bales, ZInsO 2010, 2073 ff.; Bittmann, Insolvenzstrafrecht: Handbuch für die Praxis; Bittmann, ZGR 2009, 931 ff.; Bittmann, ZInsO 2009, 1437 ff.; Brettner, Die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15 a InsO; Büttner, ZInsO 2009, 841 ff.; Dannecker/ Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht; Dehne-Niemann, wistra 2009, 417 ff.; Frind, ZInsO 2015, 22 ff.; Frings, Die zivil- und strafrechtliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers in der Insolvenz, S. 183 ff.; Goez, Zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Risiken des Steuerberaters: Grundlagen, Gefahrenschwerpunkte, Vermeidungsstrategien; Gratopp, Bilanzdelikte nach § 331 Nr. 1, Nr. 1 a HGB; Habetha, Bankrott und strafrechtliche Organhaftung; Habetha, NZG 2012, 1134 ff.; Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 406 ff.; Köllner/Cyrus, NZI 2015, 16 ff.; Kraatz, Wirtschaftsstrafrecht; Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht; MüllerGugenberger, Wirtschaftsstrafrecht: Handbuch des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz; Prade, ZInsO 2012, 436 ff.; Priebe, InsbürO 2014, 313 ff und 386 ff.; Reschke, Untreue, Bankrott und Insolvenzverschleppung im eingetragenen Verein; Richter, NZI 2002, 121 ff.; Schädlich, Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht (§15 a Abs. 1 InsO): Die Manifestation der Insolvenzreife als Voraussetzung eines eingeschränkt-objektiven Sorgfaltsmaßstabs bei der fahrlässigen Insolvenzantragspflichtverletzung; Schmittmann, BBB 2006, 372 ff.; Schmittmann, BBB 2007, 30 ff.; Schmittmann, ZSteu 2004, 308 ff.; Schramm, NStZ 2000, 398 ff.; Steinbeck, Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung; Uhlenbruck, ZInsO 1998, 250 ff.; Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts; Weiß, Strafbare Insolvenzverschleppung durch den director einer Ltd.; Wessing, NZI 2003, 1 ff.; Weyand, ZInsO 2014, 1934 ff.; Weyand, ZInsO 2011, 745 ff.; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte: Unternehmenszusammenbruch und Strafrecht; Worms, Insolvenzverschleppung bei der „deutschen“ Limited – Der grenzüberschreitende Umzug von Kapitalgesellschaften nach Umsetzung des MoMiG.
Erfahrene Staatsanwälte berichten, dass bei 80 bis 90 % aller Unternehmens- 1077 insolvenzverfahren Straftaten begangen werden und nach wie vor eine immens hohe Dunkelziffer besteht. Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, S. 5.
I. Insolvenzverschleppung Eine Insolvenzantragspflicht für natürliche Personen ist dem deutschen Recht 1078 fremd. Zwar sollte der Restschuldbefreiung begehrende Schuldner berücksich205
G. Strafrechtliche Haftungsrisiken
tigen, dass gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO die Restschuldbefreiung auf Antrag versagt werden kann, wenn der Schuldner im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet oder ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat, dies aber keine „versteckte“ Insolvenzantragspflicht natürlicher Personen begründet. So BGH, Beschl. v. 16.2.2012 – IX ZB 209/11, NZI 2012, 330 ff. = Verbraucherinsolvenz aktuell 2012, 37 mit Anm. Köke.
1079 Die früher in den gesellschaftsrechtlichen Einzelgesetzen normierte Insolvenzantragspflicht (vgl. Rn. 13) wurde durch das MoMiG zur allgemeinen Insolvenzantragspflicht gemäß 15a InsO für Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkte Personengesellschaften umgestaltet. So Brettner, Die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15 a InsO; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 62.
1080 Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben gemäß § 15a Abs. 1 InsO die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Die Regelung gilt zuvörderst für juristische Personen, aber auch für alle Personen(Handels-)Gesellschaften, bei denen nicht mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Die Haftungsbeschränkung führt somit zu einer strafbewehrten Insolvenzantragspflicht. So Bittmann, ZGR 2009, 931, 944 ff.; Graf-Schlicker/Bremen, InsO, § 15a Rn. 4; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 62.
1081 Im Falle der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung i. S. v. § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ist auch jeder Gesellschafter, im Falle der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft (§ 78 Abs. 1 Satz 2 AktG) oder einer Genossenschaft (§ 24 Abs. 1 Satz 2 GenG) ist gemäß § 15a Abs. 3 InsO auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. 1082 Wer entgegen der Bestimmung den Eröffnungsantrag nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig stellt, wird gemäß § 15a Abs. 4 InsO mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Bei fahrlässiger Begehung wird der Täter gemäß § 15a Abs. 4 InsO mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft. 1083 Ein Täter der Insolvenzverschleppung gemäß § 15a InsO kann neben dem im Handelsregister eingetragenen Organ der Gesellschaft auch ein faktisches Organ sein. So Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 326 ff.; Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 15a InsO Rn. 6.
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I. Insolvenzverschleppung
Verfügt die Gesellschaft über mehrere Organträger, so ist jedes einzelne per- 1084 sönlich für die Antragsstellung verpflichtet, wobei die Erfüllung der Antragspflicht zugleich alle anderen Pflichtigen entlastet. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 15a InsO Rn. 7.
Die Tathandlung des § 15a InsO liegt im Unterlassen der Stellung eines In- 1085 solvenzantrages. Die Antragsstellung hat ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu erfolgen. Daraus ergibt sich, dass es sich bei dieser Frist um eine Höchstfrist handelt, die nicht wegen vermeintlich „sinnvoller“ Sanierungsversuche überschritten werden darf. So Uhlenbruck, ZInsO 1998, 250 ff.; Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 15a InsO Rn. 14.
Hat ein Gläubiger Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, 1086 entfällt dadurch die Insolvenzantragspflicht für die Organe des Schuldners nicht. Erst mit der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt die Antragspflicht weg. So BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, BGHSt 53, 24 ff. = wistra 2009, 117 ff. = ZIP 2008, 2308 ff. Rn. 22 ff., dazu EWiR 2009, 235 (Schorck/Ganninger); Graf-Schlicker/Bremen, InsO, § 15a Rn. 8.
Im Liquidationsstadium lebt die Insolvenzantragspflicht nach einer Abweisung 1087 des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse nicht wieder auf, wenn Geldmittel eingehen, die zur Deckung der Verfahrenskosten ausreichen. Bei durchgängiger Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung steht einer Strafbarkeit das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. So BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, BGHSt 53, 24 ff. = wistra 2009, 117 ff. = ZIP 2008, 2308 ff. Rn. 31, dazu EWiR 2009, 235 (Schorck/Ganninger).
Regelmäßig wenden Organe gegen den Vorwurf der strafbewehrten Insol- 1088 venzverschleppung ein, ein „vermeintlich taugliches Sanierungskonzept“ habe zur Unterlassung des Insolvenzantrages geführt. Darin liegt ein regelmäßig vermeidbarer Verbotsirrtum, der die Schuld nicht entfallen lässt. Vgl. Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 15a InsO Rn. 25.
Der Straftatbestand des § 15a InsO lässt lediglich eine Täterschaft des Or- 1089 gans zu. Dies schließt allerdings eine Teilnahme in Form der Beihilfe nicht aus. Gemäß § 27 Abs. 1 StGB ist Beihilfe die vorsätzliche Hilfeleistung zur Vorsatztat eines anderen. Objektiv muss die Beihilfehandlung zwar für den Taterfolg nicht ursächlich gewesen sein, die tatbestandsmäßige Handlung aber gefördert, erleichtert oder den Täter in seinem Entschluss zur Tatbegehung bestärkt haben. Im Falle der Strafbarkeit gemäß § 15a InsO ist in subjektiver Hinsicht neben dem entsprechenden Vorsatz des Täters zumindest 207
G. Strafrechtliche Haftungsrisiken
die Erkenntnis des Gehilfen erforderlich, dass das Organ den Insolvenzantrag trotz gegebener Insolvenzreife pflichtwidrig unterlässt. So BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734 ff. = ZBB 2006, 42 ff. Rn. 12.
II. Betrug 1090 Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird gemäß § 263 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 1091 Der Straftatbestand des Betruges spielt in Krise und Insolvenz eine erhebliche Rolle. Dies gilt sowohl für die Organe des Schuldners (siehe Rn. 1092 ff.) als auch für den Insolvenzverwalter (siehe Rn. 1095 ff.) selbst. 1. Strafbarkeit der Organe des Schuldners 1092 Im Zusammenhang mit der Krise eines Unternehmens, aber auch bei zahlungsunfähigen Verbrauchern spielt der Betrug in Gestalt des Eingehungsbetruges eine erhebliche Rolle. Bei einem gegenseitigen Vertrag besteht nach Treu und Glauben für den einen Vertragsteil die Rechtspflicht, eine bei ihm nach dem Vertragsschluss eingetretene Zahlungsunfähigkeit dem vorleistungspflichtigen Vertragsgegner zu offenbaren. So BGH, Urt. v. 15.6.1954 – 1 StR 526/53, BGHSt 6, 198 f. = NJW 1954, 1414 f.; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 17.
1093 Grundsätzlich gilt, dass das Eingehen einer Zahlungsverpflichtung konkludent die Erklärung der Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit enthält, sodass der Vertragspartner zur Vorleistung bereit ist. So BGH, Urt. v. 15.6.1954 – 1 StR 526/53, BGHSt 6, 198 f. = NJW 1954, 1414 f.
1094 Die Organe sollten in der Krise vor Auslösung einer Bestellung oder eines sonstigen vergleichbaren Rechtsgeschäfts prüfen, ob das der anderen Vertragspartei geschuldete Entgelt bei Fälligkeit auch gezahlt werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist die andere Vertragspartei darauf hinzuweisen, um das Tatbestandsmerkmal der Täuschung zu vermeiden, oder aber von der Bestellung abzusehen. 2. Strafbarkeit des Insolvenzverwalters 1095 Eine Strafbarkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters kommt unter dem Gesichtspunkt des Eingehungsbetruges in Betracht, wenn er Bestellungen auslöst, aber nicht mit Sicherheit feststeht, dass das geschuldete Entgelt bei Fälligkeit gezahlt werden kann. 1096 Die Überprüfung, ob bei Fälligkeit gezahlt werden kann, ist dem Insolvenzverwalter ohne Weiteres möglich, da er ohnehin verpflichtet ist, sich ständig einen Überblick darüber zu verschaffen, ob Masseunzulänglichkeit besteht. 208
III. Untreue
Sowohl eine verfrühte als auch eine verspätete Erklärung der Masseunzulänglichkeit stellt sich als Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten i. S. v. § 60 InsO dar. So Schmittmann, in: Pape/Uhländer, InsO, § 208 Rn. 16.
Auf insolvenzspezifische Gefahren des Geschäfts muss der Insolvenzverwalter 1097 grundsätzlich nicht hinweisen. Eine Strafbarkeit besteht freilich, wenn der Insolvenzverwalter wider besseres Wissen ausdrücklich behauptet, die Insolvenzmasse sei leistungsfähig. So Wessing, NZI 2003, 1 ff.; Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 263 StGB Rn. 14.
Eine Strafbarkeit des Insolvenzverwalters wegen Betruges ist auch im Rahmen 1098 der Beantragung der Vergütung denkbar. Die Betrugsstrafbarkeit kommt insbesondere in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter falsche tatsächliche Angaben im Vergütungsantrag macht. Darüber hinaus sind falsche Bewertungen betrugsrelevant, wenn bei der Rechnungsstellung konkludent die Einhaltung der InsVV mit erklärt wurde. Eine Strafbarkeit kommt nur in Betracht, wenn der subjektive Tatbestand erfüllt ist, was bei Unwissenheit oder schlichtem Vergessen nicht in Betracht kommt. Es besteht für den Verwalter, der sich auf Unwissenheit beruft, freilich das Risiko, sich für weitere Bestellungen durch das Insolvenzgericht zu disqualifizieren. So Bittmann, ZInsO 2009, 1437, 1440.
III. Untreue Während die Bankrottdelikte gemäß § 283 ff. StGB dem Gläubigerschutz 1099 dienen, bezweckt die Regelung des § 266 StGB den Schutz des Vermögens, das der Pflichtige zu betreuen hat. So BGH, Urt. v. 4.11.1997 – 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293 ff. = wistra 1998, 103 f. = NStZ 1998, 495 ff. mit Anm. Bittmann (Haushaltsuntreue).
Der Straftatbestand der Untreue kann sowohl die Organe (siehe Rn. 1101 ff.) 1100 als den (vorläufigen) Insolvenzverwalter (siehe Rn. 1104 ff.) treffen. 1. Strafbarkeit der Organe Die Tathandlung der Untreue besteht beim Missbrauchstatbestand in der Ver- 1101 letzung der im Innenverhältnis bestehenden Pflichten. Diese Pflichten ergeben sich in der Regel aus der Beziehung zwischen Treugeber und Treupflichtigem, sind also je nach dem Aufgabenkreis des Treupflichtigen verschieden. So Lackner/Kühl, § 266 StGB Rn. 6.
Beim Treubuchstatbestand besteht die Handlung in einer Verletzung der spezi- 1102 fischen Treuepflicht. Sie kann neben rechtsgeschäftlichem Handeln auch durch jedes tatsächliche Verhalten (Tun oder Unterlassen) begangen werden. So Lackner/Kühl, § 266 StGB Rn. 15.
209
G. Strafrechtliche Haftungsrisiken
1103 Häufige Fälle aus der Praxis sind beim Untreuetatbestand die Nichtherausgabe erlangter, persönlichkeitsgebundener Vorteile wie Schmiergeldzahlungen oder tatsächlich nicht geschuldete Provisionen. Vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.2014 – 3 StR 28/11, NJW 2014, 2299 ff. = NStZ 2014, 397 ff. Rn. 5; BGH, Beschl. v. 31.3.2008 – 5 StR 631/07, wistra 2008, 262 ff. Rn. 5.
2. Strafbarkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters 1104 Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht, oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird gemäß § 266 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 1105 Auch ein (vorläufiger) Insolvenzverwalter kommt als Täter i. S. d. § 266 StGB in Betracht. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266 StGB Rn. 9.
1106 Die in der Vergangenheit zutage getretenen Fälle von Untreue durch den Insolvenzverwalter reichen von „Kick-Back-Geschäften“, die freilich nur dann strafbar sind, wenn der Insolvenzmasse ein Schaden zugefügt worden ist, bis zu pflichtwidrigen Entnahmen aus Insolvenzmassen in einer Größenordnung von mehreren Millionen Euro. Vgl. Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266 StGB Rn. 17; BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, ZIP 2014, 2242 (m. Bespr. Ampferl/Kilper, ZIP 2015, 553) = NJW 2015, 64 ff. = NZI 2015, 166 ff., dazu EWiR 2014, 781 (Krüger).
1107 Eine Untreue durch den Insolvenzverwalter kann bereits vorliegen, wenn er neben dem Gericht mitgeteilten Anderkonto (sog. „Insolvenztreuhandkonto“) weitere Konten einrichtet, auf denen Geld des schuldnerischen Unternehmens „außerhalb des Insolvenzverfahrens“ gesammelt wird. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266 StGB Rn. 12.
1108 Eine Strafbarkeit wegen Untreue kommt darüber hinaus auch in Betracht, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO die zwingende Befriedigungsreihenfolge des § 209 InsO verletzt. Vgl. Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266 StGB Rn. 15a.
1109 Eine Befriedigung einzelner Altmassegläubiger durch den Insolvenzverwalter, insbesondere zur Vermeidung der persönlichen Haftung gemäß § 61 InsO, kann ebenfalls den Straftatbestand der Untreue erfüllen. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266 StGB Rn. 16a.
210
IV. Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen
Bei einer täterschaftlichen Verurteilung nach § 283 StGB kommt die Beihilfe 1110 zur Untreue in Tateinheit in Betracht, nachdem der BGH seine Rechtsprechung zur Interessenformel aufgegeben hat. So BGH, Beschl. v. 15.5.2012 – 3 StR 118/11, BGHSt 57, 229 ff. = ZIP 2012, 1451 ff. = wistra 2012, 346 ff., dazu EWiR 2012, 609 (Wessing).
Übernimmt eine Aktiengesellschaft eine gegen ein Organ der Gesellschaft fest- 1111 gesetzte Geldstrafe – Auflage – oder – Buße –, so liegt darin weder eine Strafvereitelung (§ 285 StGB) noch eine Untreue (§ 266 StGB), wenn die Entscheidung über die Übernahme der Geldstrafe – Auflage – oder – Buße – durch die Hauptversammlung (§ 93 Abs. 4 AktG) erfolgt ist. Die Regelung des § 93 AktG soll ausschließen, dass der Vorstand durch eine pflichtwidrige Handlung der Gesellschaft dauerhaft einen Nachteil zufügt. Ersetzt die Gesellschaft dem Vorstand eine strafrechtliche Sanktion, die für eine Handlung verhängt wird, die gleichzeitig gegenüber der Gesellschaft pflichtwidrig ist, fügt die Gesellschaft sich selbst einen Nachteil zu, den eigentlich der Vorstand zu tragen hätte. So BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, ZIP 2014, 1728 ff. = NZG 2014, 1058 ff. = wistra 2014, 452 ff. Rn. 18, dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer); vgl. Selter, ZIP 2015, 714.
IV. Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozial- 1112 versicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird gemäß § 266a Abs. 1 StGB bestraft. Gemäß § 266a Abs. 2 StGB wird ebenso bestraft, wer als Arbeitgeber der für 1113 den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung vorenthält. Gemäß § 266a Abs. 6 StGB kann das Gericht in diesen Fällen von einer Be- 1114 strafung absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich ernsthaft darum bemüht hat. Täter des § 266a StGB können vorinsolvenzlich das im Handelsregister ein- 1115 getragene Organ und das faktische Organ sein. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266a StGB Rn. 10.
Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter kommt mangels Verfügungs- 1116 befugnis als Täter nicht in Betracht. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266a StGB Rn. 25; a. A. Richter, NZI 2002, 121, der eine Strafbarkeit als Unterlassungstäter annimmt, wenn der schwache vor-
211
G. Strafrechtliche Haftungsrisiken läufige Verwalter die Zustimmung zur Abführung der Arbeitnehmeranteile unterlässt.
1117 Der starke vorläufige Insolvenzverwalter und der Insolvenzverwalter kommen als Täter in Betracht, wobei der starke vorläufige Verwalter lediglich außerhalb des Insolvenzgeldzeitraums eine Straftat gemäß § 266 StGB begehen kann. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 266a StGB Rn. 26.
V. Bankrott 1118 Die zentrale Norm des Insolvenzstrafrechts ist der Bankrott gemäß § 283 StGB, der sowohl tatbestandsbezogene als auch informationsbezogene Bankrotthandlungen erfasst. Vgl. Habetha, Bankrott und strafrechtliche Organhaftung; Habetha, NZG 2012, 1134 ff.; Schmittmann, ZSteu 2004, 308, 311.
1119 Die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen zielen auf die Verlagerung des Vermögens ab, während die informationsbezogenen Bankrotthandlungen unrichtige Informationen über den Vermögensbestand betreffen. So Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 11 Rn. 50.
1120 An dieser Stelle kann nicht auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Bankrotts eingegangen werden. Die „Bankrottdelikte“ umfassen darüber hinaus noch die Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB), die Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) sowie die Schuldnerbegünstigung (§ 283d StGB). 1121 Den Tatbeständen ist gemein, dass die Strafbarkeit voraussetzt, dass der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist (§ 283 Abs. 6 StGB). 1122 Die Bankrotttatbestände haben auch für Berater des Schuldners besondere Bedeutung. So Bales, ZInsO 2010, 2073, 2076.
1123 Die Bankrottatbestände sind Sonderdelikte. Die objektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen aus § 283 Abs. 6 StGB müssen in Bezug auf das jeweilige Vermögen bzw. Unternehmen eingetreten sein. So BGH, Urt. v. 13.2.2014 – 1 StR 336/13, NSTZ 2014, 469 ff. Rn. 64, dazu EWiR 2015, 55 (Floeth).
1124 Die Organe von Kapitalgesellschaften sollten stets darum bemüht sein, eine Verurteilung gemäß §§ 283 ff. StGB zu vermeiden, da eine Verurteilung wegen dieser Delikte zur Inhabilität als Organ auf die Dauer von fünf Jahren seit der Rechtskraft des Urteils führt und die Zeit nicht angerechnet wird, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist (§ 6 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 76 Abs. 3 Satz 2 AktG). Im Recht der Genossenschaft (§§ 24 ff. GenG) fehlt überraschenderweise eine vergleichbare Regelung. 212
VI. Sonstige Tatbestände
Als Beispiele für Tathandlungen gemäß § 283 StGB kommen insbesondere Ein- 1125 ziehung von Forderungen über fremde Konten, nicht gerechtfertigte Sicherungsübereignungen und Transfer von Geldern auf Fremdkonten in Betracht. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 283 StGB Rn. 13.
Darüber hinaus sind in der Praxis insbesondere das Unterlassen der Führung 1126 von Handelsbüchern oder deren Manipulation von Bedeutung. Vgl. Schmittmann, ZSteu 2004, 308 ff.; Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 283 StGB Rn. 22 ff.
Täter der Bankrottdelikte ist der Schuldner. Bei Kapitalgesellschaften trifft 1127 die strafrechtliche Verantwortlichkeit sowohl die im Handelsregister eingetragenen Organe als auch die faktischen Organe. So Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 406 ff.
Bei Personenhandelsgesellschaften trifft die Strafbarkeit die geschäftsfüh- 1128 renden Gesellschafter. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 283 StGB Rn. 50.
Ein Berater des Schuldners kommt ebenfalls als Täter in Betracht. Erhält der 1129 Steuerberater z. B. Unterlagen des Unternehmens wegen ausstehender Honorarforderungen zurück, ist damit der Bankrottstraftatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 7 StGB erfüllt, ohne dass sich der Steuerberater auf ein Zurückbehaltungsrecht i. S. d. § 273 BGB berufen kann. So Borchardt, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 283 StGB Rn. 53.
Eine Strafbarkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters hinsichtlich der Bank- 1130 rottdelikte scheidet aus. Differenzierend Bales, ZInsO 2010, 2073, 2079.
VI. Sonstige Tatbestände Im Übrigen kann beobachtet werden, dass in der Krise auch häufig die Tat- 1131 bestände des Verstrickungs- und Siegelbruchs (§ 136 StGB), der falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB), der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und der Vollstreckungsvereitelung (§ 288 StGB) begangen werden. Auch die Tatbestände aus dem HGB, insbesondere die unrichtige Darstel- 1132 lung in der Bilanz (§ 331 HGB) sind zu beobachten. Vgl. dazu Gratopp, Bilanzdelikte nach § 331 Nr. 1, Nr. 1a HGB; Schmittmann, ZSteu 2004, 308 ff.; Schmittmann, BBB 2006, 372 ff.; Schmittmann, BBB 2007, 30 ff.
Regelmäßig sind auch Steuerstraftaten, §§ 370 ff. AO, in zeitlichem Zusam- 1133 menhang mit der Krise einer Gesellschaft anzutreffen.
213
Stichwortverzeichnis
Abdingbarkeit – Haftung 801 ff. – Insolvenzplan 813 f. – Vertrag 802 ff. Abfindung 267 Abweisung mangels Masse – Insolvenzantragspflicht 1087 Aktiengesellschaft – Aufsichtsrat 398 ff. – DCGK 221 – Führungslosigkeit 476 – Hauptversammlung 270 – Insolvenz 50 ff. – Krise 269 ff. – Legalitätspflicht 217 – Pflichtverletzung 199 ff. – Risikomanagement 222 – Überwachungssystem 205 – Verlustanzeigepflicht 270 – Wettbewerbsverbot 202 ff. – Zahlungsverbot 279 Aktivlegitimation – Schadensersatzanspruch 152 ff. Akzessorietät – Steuerhaftung 707 ff. Altersteilzeit 561 ff. Altgläubiger 483 ff. – Vermieter 492 f. Amtsniederlegung 256 ff. – Unzeit 256 Amtsunfähigkeit 83 ff. Aneignung von Gesellschaftsvermögen 201 Anfechtungssachverhalte – Haftung 844 ff. Anrechnung von Gläubigerforderungen – Vorbehalt von Amts wegen 360 Arbeitsrecht – Anwendbarkeit 805
– gefahrgeneigte Tätigkeit 804 Aufsichtspflichtverletzung – Haftung 574 f. Aufsichtsrat 184 ff. – Einberufung einer Hauptversammlung 400 ff. – faktischer Vorstand 185 f., 406 ff. – fakultativer Aufsichtsrat 420 ff. – GmbH 409 ff. – Haftung 195 ff., 398 ff. – Haftung in der Krise 399 – Insolvenzantragspflicht 405 – Kenntnis der Insolvenzreife 402 ff. – Schadensersatzanspruch 420 ff. – Sorgfaltspflicht 398 ff. – Überwachungspflicht 416 ff. Auftragserteilung – Berater 779 ff. – Form 781 – Nachweis 780 Außenhaftung 425 ff. – Bürgschaft 429 ff. – Garantie 435 ff. – Schuldbeitritt 432 ff. – Vertragshaftung 428 ff. – Vertrauenshaftung 438 ff.
Bankrott
973, 1118 ff. – Beihilfe 980 – faktischer Geschäftsführer 1127 – Interessentheorie 507 f. – Schadensersatzanspruch 506 ff. – Strafbarkeit des Beraters 1129 Bauabzugsteuer – Haftung 686 ff. Bauforderungen – Haftung 555 ff. 215
Stichwortverzeichnis
Baugeld 232 – Haftung 555 ff. Beihilfe – Bankrott 980 Beitragsvorenthaltung 510 ff. – Vorsatz 543 Belegfälschung 201 Berater 97 ff. – Auftragserteilung 779 ff. – Auswahl 760 – Beratungsbedürftigkeit des Mandanten 911 f. – Beratungspflichten 908 ff., 917 ff. – fehlende Kenntnisse 228 – Haftung 101, 896 ff., 899 ff. – Handeln gemäß Empfehlung 796 ff. – Information durch Organe 774 ff. – mangelnde Qualifikation 228 – Pflichtverletzung 912 ff. – Plausibilitätsprüfung 766 – Sachkunde 761 – Überprüfung der Ergebnisse 790 ff. – Unabhängigkeit 764 – Vergütung 906 ff., 1045 ff. – Vorbefassung 765 – Warn- und Hinweispflicht 99 f. Beraterhaftung – Bankrott 973 – Beteiligung an Insolvenzverschleppung 961 ff. – Buchführung 943 – Dauermandat 995 ff. – deliktische 960 ff. – Durchsetzung 954 ff. – Exkulpation des Geschäftsführers 944 f. – geschützter Personenkreis 947 ff. – Gläubigerbegünstigung 975
216
– Grundsatz des sichersten Wegs 914 – Insolvenzverschleppung 977 – Mittäterschaft 970 – Mitverschulden 799 f., 919 ff. – Rechtsanwälte 983 ff. – Reichweite 936 ff. – Risikoaufklärung 915 – Schaden 925 – Schutzgesetze 1021 – Steuerberater 991 ff. – Straftaten 1076 ff. – Umsatzsteuer 942 – Unternehmensberater 1024 ff. – verdeckte Sachgründung 976 – Verjährung 1067 ff. – Verstoß gegen Schutzgesetz 968 ff. – Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 930 ff. – vertragliche Haftung 900 ff. – Vertragsschluss 902 ff. – Wirtschaftsprüfer 1005 ff. Beratung – Enthaftung der Organe 750 ff. – Ermittlung des Bedarfs 756 ff. – Steuerhaftung 609 Berufsfreiheit 249 Berufshaftpflichtversicherung 854 Berufsträger – fachliche Qualifikation 753 Betrug 1090 – Schadensersatzanspruch 497 ff. – Vergütung 1098 Biersteuer – Steuerhaftung 701 ff. Bilanzfälschung 1008 ff., 1131 Bürgschaft 429 ff. Bürgschaften 227 – Massesicherungspflicht 338 Business Judgement Rule 150 f., 212
Claims-made-Prinzip – D&O-Versicherung 886 f.
Stichwortverzeichnis
Compliance 220 Controlling 208 Culpa in contrahendo 454 ff.
D&O-Versicherung
851 ff. Abschluss 870 ff. Claims-made-Prinzip 886 f. DCGK 858 Deckungskonzept 864 ff. Haftpflichtversicherung 881 ff. – Leistungsausschlüsse 890 ff. – Prämienzahlung 862 – Selbstbehalt 857 ff., 871 ff. – Versicherungsgegenstand 879 ff. – Versicherungsnehmer 865 ff. – Versicherungsschutz 866 DCGK 221 – D&O-Versicherung 858 Delikt – Beraterhaftung 960 ff. – Haftung 464 ff. – Wirtschaftsprüfer 1019 Dienstvertrag – Geschäftsführer 230 Durchgriffshaftung 576 ff. Durchsetzung – Beraterhaftung 954 ff. – – – – –
Eigenkapital 273 Eigentümer – Steuerhaftung 660 ff. Eigenverwaltung – Haftung 610 – Unterbrechung Rechtsstreitigkeiten 1064 Einbeziehung in Steuerberatungsvertrag – Geschäftsführer 942 ff. Eingehungsbetrug 498, 1090 Einkommensteuergesetz – Steuerhaftung 683 ff. Enthaftung 215, 747 ff. – Beratungsergebnis 796 ff.
– Einholung von Rechtsrat 372, 750 ff. – Gesellschafterbeschluss 241 – Gläubigerautonomie 839 f. – sachverständige Beratung 750 ff. Erbschaft- und Schenkungssteuergesetz – Steuerhaftung 693 ff. Erfolgskrise 23 f. Ersatzpflicht – Vergleich 390 ff. Erstattungsanspruch 305 – Abtretung 307, 356 – Anfechtungssachverhalte 361 ff. – Anrechnung von Gläubigerforderungen 357 ff. – Durchsetzung 379 ff. – Enthaftung der Organe 757 – internationale Zuständigkeit 379 – Niederlassungsfreiheit 382 – Pfändung 308 – privilegierte Zahlungen 325 ff. – Rechtsnatur 309 – Schaden 310 – Vergleich 390 ff. – Verjährung 374 ff. – Verschulden 355 – Zahlung 311 Existenzvernichtung 587 ff. Exkulpation 758 – Auftragserteilung 779
Faktischer Geschäftsführer
189 ff., 1040 – Außenwirkung 192 – Bankrott 1127 – Insolvenzverschleppung 1083 – Massesicherungspflicht 347 – Sozialversicherungsbeiträge 536 Faktischer Vorstand 179 ff., 406 ff. – Kriterien 183
217
Stichwortverzeichnis
– strafrechtliche Verantwortlichkeit 182 Finanzverwaltung – Haftung 595 ff. – Haftungsbescheid 842 Firmenbestattung 721 ff. – Geschäftsanteilsübertragung 726 ff. – Geschäftsführerwechsel 730 ff. – Kostendeckung 737 – Sitzverlegung 733 ff. Fiskalprivileg 9 Förderung 236 Fortbestehensprognose 1041 – Prüfung 1002 Frühwarnsystem 282 Führungslosigkeit 1081 – Aktiengesellschaft 476 – Genossenschaft 476 – GmbH 476
Gamma-Rechtsprechung
580 Gant 5 Garantie 435 ff. Geldstrafe – Übernahme durch Gesellschaft 1111 Generalbereinigung 809, 818 ff. Genossenschaft – Führungslosigkeit 476 – Insolvenz 55 ff. – Pflichtverletzung 213 Gerichtsstand 741 ff. Geschäftsanteilsübertragung – Firmenbestattung 726 ff. Geschäftsführer – Alkoholmissbrauch 252 – Amtsniederlegung 256 ff. – Dienstvertrag 230 – Einbeziehung in Steuerberatungsvertrag 942 ff. – Informationsnutzung 215 – Inhabilität 83 ff. – Medikamentenmissbrauch 252
218
– Selbstprüfungspflicht 264 – Verschwiegenheitspflicht 258 ff. – Wettbewerbsverbot 247 – Zuständigkeit 188 Geschäftsführerwechsel – Firmenbestattung 730 ff. Geschäftsführung – Übertragung auf Dritte 262 Geschäftsvorfälle – fingierte 239 Gesellschafter – Weisungen 352 Gesellschafterhaftung – Verhältnis Steuerhaftung 714 ff. Gesellschaftsrecht – Organe 41 ff. – Strukturen 38 ff. Gesellschaftsvermögen – Eingriff 591 ff. Gläubigerautonomie 839 f. GmbH – Aufsichtsrat 193 ff., 409 ff., 419 ff. – Business Judgement Rule 212 – dualistische Struktur 421 – faktischer Geschäftsführer 189 ff. – Führungslosigkeit 476 – Geschäftsführer 187 ff. – Geschäftsgeheimnisse 259 ff. – Gesellschaftsvertrag 412 ff. – Haftung 210 ff. – Insolvenz 47 ff. – Kapitalaufbringung 135 f. – Kollegialentscheidung 260 ff. – Legalitätspflicht 217 – Mitbestimmung 410 – Pflichtverletzung 210 ff. – Unternehmensgegenstand 218 – Verlustanzeigepflicht 280 ff. GmbH & Co. KG – Aufsichtsrat 423 f. Going-Concern-Grundsatz 1002
Stichwortverzeichnis
Grundkapital – Aktiengesellschaft 270 – Verlust 270 Grundsatz der anteiligen Tilgung 625 ff. – Umsatzsteuer 627 Grundsatz des sichersten Wegs 914, 983 Gründungsphase – Haftung 106 ff.
Haftung – Abdingbarkeit 616, 801 ff. – Abgabenordnung 598 ff. – Aktiengesellschaft 142 ff., 173 ff. – Akzessorietät 707 ff. – Altersteilzeit 561 ff. – Anfechtungssachverhalte 844 ff. – Aufsichtspflichtverletzung 574 f. – Aufsichtsrat 184 ff. – Bauabzugsteuer 686 ff. – Baugeld 555 ff. – Berater 896 ff. – Business Judgement Rule 150 f. – deliktische 464 ff. – Durchgriffshaftung 576 ff. – Eigeninteresse 457 ff. – Eigenverwaltung 610 – Einzelkaufmann 103 – Erlass durch Insolvenzplan 831 ff. – Erlass durch Vertrag 821 ff. – Existenzvernichtung 587 ff., 590 ff. – faktischer Geschäftsführer 603 – Finanzverwaltung 595 ff. – Geschäftsführer 599 ff. – Geschäftsführung 141 ff. – GmbH 146 – GmbH & Co. KG 147 ff. – Gründungsphase 106 ff.
– Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens 460 ff. – Innenhaftung 102 ff. – Insolvenzsicherung von Wertguthaben 561 ff. – Insolvenzverschleppung 474 ff. – Kapitalertragsteuer 685 – Kapitalgesellschaft 104 ff. – Kausalität 635 ff. – Kooperationsvertrag 570 – Lohnsteuer 628 ff. – Mantelgesellschaft 122 ff. – Massesicherungspflicht 288 ff. – negative Feststellungsklage 824 – Neugründung 125 f. – Rechtsverfolgungskosten 552 – Sanierungsversuch 568 – Schutzschirmverfahren 610 – Sicherungsnehmer 471 ff. – Steuerberater 991 ff. – Steuern 595 ff. – Steuerschaden 633 ff. – strafrechtliche Verantwortlichkeit 1076 ff. – Subsidiarität 710 ff. – Umstellung des Geschäftsjahres 1055 ff. – Unterkapitalisierung 585 ff. – Unternehmensberater 1014 ff. – Unternehmenstätigkeit 140 ff. – Unternehmergesellschaft 449 f. – Vemögensvermischung 577 ff. – Verjährung 1067 ff. – Verschulden 370 ff. – Vorgesellschaft 108 ff. – Vorgründungsgesellschaft 107 – Vorratsgesellschaft 122 ff. – vorsätzliche sittenwidrige Schädigung 566 ff. – Vorstand 173 ff., 599 ff. – Wirtschaftsprüfer 1005 ff. – Zuweisung 465 ff.
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Stichwortverzeichnis
Haftungsansprüche – Erlass 815 ff. – Insolvenzanfechtung 844 ff. Haftungsausschluss – Vertrag 807 Haftungskonzentration 720 ff. Handelndenhaftung 129 f., 138 ff. – Sozialversicherungsbeiträge 539
IDW – Standard Anforderungen an Sanierungskonzept 1027 ff. Inhabilität 83 ff., 1124 Innenhaftung 102 ff. – Durchgriffshaftung 576 ff. – Existenzvernichtung 590 ff. – Vermögensvermischung 577 ff. Insolvenz – Aktiengesellschaft 50 ff. – Berater 97 ff. – Eröffnung 74 ff. – Genossenschaft 55 ff. – GmbH 47 ff. – Personengesellschaften 58 ff. – Sicherung von Wertguthaben 561 ff. – Stiftung 45 Insolvenzanfechtung – Haftungsansprüche 844 ff. Insolvenzantrag – Abweisung mangels Masse 308 – Sozialversicherungsbeiträge 534 Insolvenzantrag – Abweisung mangels Masse 74 Insolvenzantragspflicht 67 ff., 480 ff., 1079 f. Insolvenzen – Statistik 30 ff. – Volkswirtschaft 34 ff. Insolvenzforderungen – Prozesskosten 1065 – Umsatzsteuer 1059 ff.
220
Insolvenzmasse 91 – Anfechtungssachverhalte 363 ff. – Bereicherung 367 – Leistungsfähigkeit 1097 Insolvenzrecht – Geschichte 3 ff. Insolvenzreife 475 ff. – Erkennbarkeit 371 ff. – Zahlungsunfähigkeit 293 ff. – Zahlungsverbot 288 ff., 418 Insolvenzstatistik 30 ff. – Bundesländer 32 – Rechtsformen 33 Insolvenzstraftaten 1076 ff. Insolvenzverschleppung 474 ff., 496, 1078 ff. – Altgläubigerschaden 489 ff. – Beraterhaftung 961 ff. – Betrug 497 – Massekostenvorschuss 496 – Schaden 482 ff. – Sonderdelikt 971 ff. – Täterschaft 1089 Insolvenzverschleppungsschaden 73 Insolvenzverwalter – Altgläubigerschaden 489 ff. – Einhaltung der Befriedigungsreihenfolge 1108 – Haftung 93 ff., 838 – Heldenmythos 90 – Persönlichkeit 96 – Pflichten 88 ff. – Sozialversicherungsbeiträge 1117 – Strafbarkeit 1095 ff. – strafrechtliche Verantwortlichkeit 364 – Unabhängigkeit 89 – Untreue 1104 ff. – Vergütung 1098
Kapitalaufbringung 135 Kapitalausstattung 587 Kapitalerhaltung 586, 592
Stichwortverzeichnis
Kapitalertragsteuer – Haftung 685 Kapitalgesellschaft – Firmenbestattung 737 – Trennungsprinzip 579 Kausalität – Adäquanztheorie 636 – Steuerhaftung 635 ff. Kick-Back-Geschäfte 201, 1106 Kommanditisten 60 Komplementär 60 f. Konkursordnung 3 ff. Kostendeckung – Firmenbestattung 737 Kreditgewährungsschaden 494 Kriegskasse 239 Krise 515 – Aktiengesellschaft 269 ff. – Berater 97 ff. – Erfolgskrise 23 f. – Früherkennung 206 – Liquiditätskrise 25 ff. – Pflichtverletzung 268 ff. – Produkt- und Absatzkrise 21 f. – Stakeholderkrise 16 f. – Strategiekrise 18 f. Krisenfrüherkennung 206, 265 Kurzarbeitergeld 226
Legalitätspflicht
217, 417 Liquidität – Sozialversicherungsbeiträge 529 Liquiditätsbilanz 296 Liquiditätskrise 25 ff. Lohnsteuer – Abführungspflicht 336 ff. – Haftung 628 f. Lugano-Übereinkommen 385, 744
Manipulation der Handelsbücher 1126 Mantelgesellschaft 122 ff.
Massesicherungspflicht 70 ff., 288 ff., 311 ff. – Anfechtungssachverhalte 361 ff. – internationale Zuständigkeit 384 – Lohnsteuer 334 – Rückgewähranspruch 368 – Sanierung 341 f. – Sozialversicherungsbeiträge 327 ff., 546 f. – Steuerschaden 644 – Umsatzsteuer 334 – Verjährung 378 – Vermeidung persönlicher Haftung 336 ff. – Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung 327 ff. – Verschulden 369 ff. – Zahlungen an Gesellschafter 343 ff. – Zumutbarkeit 330 Masseverbindlichkeiten – Prozesskosten 1065 – Umsatzsteuer 1059 ff. Missverhältnis 238 Mitverschulden 919 ff. MoMiG 68
Neugläubiger
483 ff. – Beratungskosten 495 Neugründung 125 Nichtabführung Sozialversicherungsbeiträge 1112 Niederlassungsfreiheit 382
Passivlegitimation – Schadensersatzanspruch 171 ff. Personengesellschaften – Insolvenz 58 ff. – Sanierung 396 ff. Pfandrecht – Steuerhaftung 699 f. Pflichtverletzung 214 – Aktiengesellschaft 199 ff.
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Stichwortverzeichnis
– – – –
D&O-Versicherung 868 Gesellschafterbeschluss 819 f. Kausalität 946 Sozialversicherungsbeiträge 545 ff. – Steuern 614 ff. – Steuerschaden 643 – vor Vertragsschluss 454 ff. Plausibilität von Beratungsergebnissen 766 – Überprüfung 790 ff. Produkt- und Absatzkrise 21 f. Provision 255 Prozesskosten – Insolvenzforderungen 1065 – Masseverbindlichkeiten 1065
Rangrücktrittserklärung – Prüfung Steuerberater 1000 Rechtsanwalt – Belehrung des Mandanten 988 – Beraterhaftung 983 ff. – Hinweis Insolvenzreife 987 – Reichweite des Mandats 986 Rechtsformmissbrauch – Durchgriffshaftung 576 ff. Rechtsformzusatz – Fortlassen 445 f. Rechtsscheinhaftung 439 ff. – Ausfallhaftung 447 Rechtsstreitigkeiten – Kosten 1066 – Unterbrechung 1063 Rechtsverfolgungskosten – Haftung 552 Reichsjustizgesetze 7 Ressortverteilung 480 Risikomanagementsystem 222 ff.
Sachhaftung
698 ff. – Akzessorietät 705 – Rechtsmittel 706 Sanierung 341 f., 395 ff. – Sanierungsbeauftragter 532
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Sanierungsbeauftragter – Haftung 532 Sanierungsberatung – Gegenstand 1031 ff. Sanierungskonzept 1033 – Auftragsgegenstand 1030 ff. – Bestandteile 1028 ff. – Durchführbarkeit 1034 f. – Insolvenzverschleppung 1088 – Mängel 1037 ff. Sanierungsversuch 1032 ff. – Haftung 568 Säumniszuschläge 516 ff. Schaden – Neugläubiger 483 ff. Schaden – Altgläubiger 483 ff. Schaden – Differenzhypothese 1001 Schadensersatzanspruch – Aktiengesellschaft 153 ff. – Aktivlegitimation 152 ff. – Bankrott 506 ff. – D&O-Versicherung 852 ff. – Eingehungsbetrug 498 ff. – GmbH 157 ff. – Passivlegitimation 171 ff. – Säumniszuschläge 517 ff. – Verlustanzeigepflicht 277 – Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen 510 ff. Schmiergeldannahme 201, 255 Schuldbeitritt 432 ff. Schutzschirmverfahren – Haftung 610 Selbstbehalt – D&O-Versicherung 857 ff., 871 ff. Selbstprüfungspflicht 264 Sicherungsmaßnahmen – Haftung 611 – Sozialversicherungsbeiträge 535 f. Sitzverlegung – Firmenbestattung 733 ff.
Stichwortverzeichnis
Sozialadäquanz 233 Sozialversicherungsbeiträge – Abführungspflicht 327 ff., 336 ff. – Anfechtungssachverhalte 549 – faktischer Geschäftsführer 536 – Fälligkeit 541 – Massesicherungspflicht 546 f. – Pflichtverletzung 545 ff. – Stundung 544 – Tilgung 529 – Tilgungsbestimmung 525 f. – Verjährung 553 f. – Vorenthalten 510 ff. Spekulationsgeschäfte 201 Spenden 233 ff. Sponsoring 237 ff. Stakeholderkrise 16 f. Steuerberater – Aufstellung Steuerbilanz 999 – Dauermandat 995 ff. – Haftung 991 ff. – Hinweispflichten 1003 – Prüfung Fortbestehensprognose 1002 – Prüfung Insolvenzreife 997 – Prüfung Rangrücktrittserklärung 1000 – Überschuldungsprüfung 996 f. – unrichtige Angaben 998 Steuerhaftung 595 ff. – Akzessorietät 707 ff. – Anfechtungssachverhalte 637 – Bauabzugsteuer 686 ff. – Biersteuer 701 ff. – Eigentümer 660 ff. – Eigenverwaltung 610 – Einkommensteuergesetz 683 ff. – Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz 693 ff. – Grundsatz der anteiligen Tilgung 625 ff. – Hinterziehungszinsen 658 – Höhe der Haftung 646
– – – – – – – – – – –
Pfandrecht 699 f. Sachen 698 ff. Schaden 630 ff. Schutzschirmverfahren 610 Steuerhehler 647 ff. Steuerhinterzieher 647 ff. Subsidiarität 710 ff. Übernehmer 672 ff. Umsatzsteuer 690 Unternehmenskauf 680 Verhältnis Gesellschafterhaftung 714 ff. – Verschulden 638 ff. – Versicherungsteuergesetz 691 ff. Steuerhehler – Haftung 647 ff. Steuerhinterzieher – Haftung 647 ff. Steuerhinterziehung 1133 Steuern – Beratung 609 – Haftung 595 ff. – Pflichtverletzung 614 ff. Steuerschaden – Massesicherungspflicht 644 Steuerschuldverhältnis 615 Stiftung 45 stille Reserven 305 Strafbarkeit – Insolvenzverwalter 1095 ff. – Organe 1092 ff. Strategiekrise 18 f. Subsidiarität – Steuerhaftung 710 ff.
Trennungsprinzip 579, 589 Treuwidrigkeit 255 Überlebensfähigkeit – Prognose 1041 Übernehmer – Steuerhaftung 672 ff. Überschuldung 299 ff. – bilanzielle 302
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Stichwortverzeichnis
– Fortführungsprognose 299 ff. – Handelsbilanz 304 – rechnerische 301 – stille Reserven 305 Überschuldungsstatus 303 Überwachungspflicht 416 ff., 515 Überwachungssystem – Aktiengesellschaft 205 Umsatzsteuer – Abführungspflicht 336 ff. – Grundsatz der anteiligen Tilgung 627 – Haftung 690, 1059 ff. – Insolvenzforderungen 1059 ff. – Masseverbindlichkeiten 1059 ff. Umstellung des Geschäftsjahres – Haftung 1055 ff. Unterbilanzhaftung 115 ff. Unterkapitalisierung – Haftung 585 ff. Unternehmensberater – faktischer Geschäftsführer 1040 – Haftung 1014 ff., 1037 ff. Unternehmensführung 504 Unternehmenskauf – Steuerhaftung 680 Unternehmergesellschaft – Fortlassen Rechtsformzusatz 449 f. – Haftung 449 f. Untreue 236, 1099 ff. – Schadensersatzanspruch 502 ff. – Treubruchstatbestand 241 Urkundenfälschung 1131
Verein
42 ff. Vergleich – Zustimmung Hauptversammlung 390 ff. Vergleichsordnung 9 f. Vergütung 229 Verjährung – Beginn 377 – Beraterhaftung 1067 ff.
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– Erstattungsanspruch 374 ff. – Sozialversicherungsbeiträge 553 f. Verlustanzeigepflicht 66 – Aktiengesellschaft 270 – Feststellung des Verlustes 274 – GmbH 280 ff. – Insolvenz 276 – öffentliches Interesse 279 – Sanktionen 277 Vermieter – Altgläubiger 492 f. Vermögensabgrenzung 582 Vermögensbetreuungspflicht 505 Vermögensvermischung – Haftung 577 ff. Vermögenverschiebung 344 Versicherung 851 ff. Versicherung an Eides statt 1131 Versicherungsteuer – Haftung 691 ff. Verstrickungs- und Siegelbruch 1131 Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 930 ff. Vertragshaftung 428 ff. Vertrauenshaftung 438 ff. – Rechtsscheinhaftung 439 ff. Vertrauensschaden – Neugläubiger 485 ff. Volkswirtschaft 34 ff. Vollstreckungsvereitelung 1131 Vorgesellschaft – Haftung 108 ff. Vorgründungsgesellschaft – Haftung 107 Vorratsgesellschaft 122 ff. – Aktivierung 134 Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – Wirtschaftsprüfer 1012, 1022 Vorstand – faktischer 179 ff. – Haftung 173 ff. – Inhabilität 83 ff.
Stichwortverzeichnis
– Vermögensverfall 201 – Wettbewerbsverbot 202 ff.
Warenkredit 225 Warn- und Hinweispflicht 99 f. Waschkorblage 581 Wettbewerbsverbot 202, 247 ff. – Begrenzung 251 Wirtschaftsprüfer – Berichtspflicht 1015 ff. – Erkennen einer Bilanzfälschung 1008 – Erkennen Insolvenzgefahr 1016 – Haftung 1005 ff. – Prüfung Insolvenzreife 1013 ff. – Schadensersatzanspruch 1006 ff.
– Verletzung Aufklärungspflicht 1011 – vorsätzliche sittenwidrige Schädigung 1012
Zahlung – Begriff 311 ff. – Masseschmälerung 315 – Nachteilsabwendung 339 ff. – privilegierte 325 ff. Zahlungseinstellung 294 ff. Zahlungsunfähigkeit 293 ff. – Ermittlung 296 ff., 350 ff. – Herbeiführung 533 – wirtschaftskriminalistische Methode 298 Zahlungsverbot 288 ff.
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