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German Pages 159 [160] Year 1996
TTB
Touristik-Taschenbücher Herausgegeben von Professor Dr. Heinrich-Rudolf Lang Bisher erschienene Bände: Bartl u.a., GeoLex, 2. Auflage Schmeer-Sturm, Gästeführung, 3. Auflage
Gästeführung Grundkurs zur Vorbereitung und Durchführung von Besichtigungen
Von
Dr. Marie-Louise Schmeer-Sturm unter Mitarbeit von
Walter Springer 3., überarbeitete Auflage
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Alle nicht eigens gekennzeichneten Artikel wurden von Marie-Louise Schmeer-Sturm verfeßt, Kapitel 1.4, 3.4.1, 3.4.2, 3.4.3 stammen von Walter Springer
Die Deutsche Bibliothek - dP-Einheitsaufnahme Gästeführung : Grundkurs zur Vorbereitung und Durchführung von Besichtigungen / von Marie-Louise Schmeer-Sturm. Unter Mitarb. von Walter Springer. - 3., Überarb. Aufl. - München ; Wien: Oldenbourg, 1996 (Touristik-Taschenbücher) Bis 2. Aufl. ud.T.: Schmeer-Sturm, Marie-Louise: Trainingsseminar für Gästefuhrer ISBN 3-486-23853-1 NE: Schmeer-Sturm, Marie-Louise; Springer, Walter
© 1996 R, Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hofmann Druck Augsburg GmbH, Augsburg ISBN 3-486-23853-1
r
Inhalt Vorwort
7
Einleitung
8
1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.4 2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.2.8 2.3 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3
Die Didaktik der Gästeführung Zielorientiertes Vorgehen bei der Planung und Durchführung einer Gästeführung Richtziele Inhaltliche Ziele Kunstgeschichtliche und geschichtliche Ziele Ziele aus dem gesellschaftlichen Bereich Exkurs: „alternative" Stadterkundung Besichtigungsobjekte im Reisegebiet „Instrumentale Ziele" im Dienste der „Kulturtechnik" Ziele im Bereich der Einstellungen und Werthaltungen Dramaturgie und Erlebnis (Springer) Geschichtliche Daten und Fakten und ihre Präsentation in der modernen Gästeführung Der Wert der Geschichte für die Bildung einige philosophische Vorüberlegungen Grundsätze der geschichtlich orientierten Gästeführung Bezüge zur Gegenwart Anschaulichkeit Sachliche Richtigkeit Darstellung gegensätzlicher Standpunkte Exemplarisches Vorgehen Personalisierung Quellenbefragung Elementarisierung Geschichte und Sozialwissenschaften im Hinblick auf die Gästeführung Allgemeine Grundsätze für die praktische Planung, Organisation und Durchführung von Gästeführungen Die Strukturierung des Programms Strukturierung durch Begriffsbildung Strukturierung durch Fragen: Ansätze für eine kommunikative Führung Die zeitliche Strukturierung des Besichtigungsprogramms
12 12 18 19 19 21 23 34 38 39 39 43 44 46 47 51 53 53 55 56 58 59 65 69 69 70 75 79
3.2 3.3 3.3.1
3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.3
Das Prinzip der Motivierung Das Prinzip der Aktivierung Aktivierung durch Einbeziehung in die Programmplanung? Aktivierung zur Kommunikation untereinander Das Prinzip der Anpassung Anpassung an unterschiedlichste Gruppen (Springer) Technik der Aufbereitung eines Führungsobjektes für verschiedene Zielgruppen (Springer) Exemplarische Präsentation eines Führungsobjektes für drei verschiedene Zielgruppen am Beispiel der alten Burse der Tübinger Universität (Springer) Anpassung an die soziale Situation der Gruppe oder einzelner Teilnehmer Anpassung an die physische Lage der Gruppe und einzelner Gäste Das Prinzip der Differenzierung des Führungsangebotes Die äußere Differenzierung Die innere Differenzierung Das Prinzip der Rhythmisierung im zeitlichen, inhaltlichen und methodischen Bereich Rhythmisierung im zeitlichen Bereich Rhythmisierung im inhaltlichen Bereich Rhythmisierung im methodischen Bereich Das Prinzip der „Erfolgssicherung" Die Wiederholung Die Übertragbarkeit von Führungsinhalten Die Wertung des Gesehenen
4
Stadtrundfahrt und Stadtrundgang
121
5
Checklisten zu Problembereichen bei Gästeführungen als Bewertungsmaßstab für Übungen
125
3.3.2 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3
3.4.4 3.4.5 3.5 3.5.1 3.5.2 3.6
6 6.1 6.2 6.3
Berufsbild „Gästeführung" im europäischen Vergleich Begriffliche Unterscheidungen Die Ausbildungssituation in der Bundesrepublik Situation der Gästeführertätigkeit in einigen ausgewählten Ländern Europas
84 89 92 92 93 94 97
98 108 109 111 111 112 112 112 113 116 116 117 117 119
133 133 134 140
Anmerkungen
145
Literaturhinweise
147
Vorwort Vorliegendes Buch geht auf zahlreiche Gästeführerseminare zurück, die von Marie-Louise Schmeer-Sturm und Walter Springer für das Tübinger Verkehrsamt bzw. die Gebietsgemeinschaft Schwäbische Alb oder von der Verfasserin für verschiedene Fremdenverkehrsämter, StattreiseOrganisationen, die Bayerische Verwaltungsschule sowie als Einführung in ein neues pädagogisches Tätigkeitsfeld in Seminaren an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Fachbereich Pädagogik) bzw. an der Fachhochschule München (Fachbereich Betriebswirtschaft/ Touristik) durchgeführt wurden. Die Konzeption hält sich zum Teil an die Dessertation von Marie-Louise Schmeer-Sturm mit dem Titel „Handbuch der Reisepädagogik. Didaktik und Methodik der Bildungsreise am Beispiel Italien", die in den übernommenen Kapiteln für die Belange des Gästeführers überarbeitet, mit vielen praktischen Beispielen aus Deutschland angereichert sowie mit Übungsaufgaben versehen wurde. Geplant wurde das Buch als Unterlage für weitere GästeführerSeminare, aber auch für den interessierten Gästeführer, der keine Gelegenheit hat, an einem Seminar teilzunehmen. Die beiden Autoren sind seit vielen Jahren in München bzw. Tübingen als Gästeführer tätig und haben auch Erfahrungen mit dem weiterführenden Bereich der Reiseleitung, der in dem Buch „Reiseleitung", ebenfalls im Oldenbourg-Verlag erschienen, beschrieben wird. Anregungen gab neben der eigenen praktischen Tätigkeit ein Seminar beim DSF (Deutsches Seminar für Fremdenverkehr), Gespräche mit Winfried Ripp (Initiator der Berliner „Stattreisen"), mit Peter Zimmer ( A D A C ) , Werner Müller („Modellseminare" des Studienkreises für Tourismus e. V. in Starnberg in Zusammenhang mit transfer e. V.)und Prof. Dr. Erich Wasem, der das Entstehen und den Fortgang dieser Arbeit als reise- und museumspädagogisches Anliegen förderte. Der Dank gilt weiterhin dem ehemaligen Tübinger Verkehrsdirektor, Herrn Prof. Heinrich Lang, sowie den Seminarteilnehmern, die durch Beispiele und Anregungen zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben. Marie-Louise Schmeer-Sturm
7
Einleitung Seit ungefähr fünfzehn Jahren verzeichnen Verkehrsämter, Museums-, Kirchen- und Schlösserverwaltungen eine gewaltige Nachfragesteigerung nach Führungen. Volkshochschulen, die bis in die siebziger Jahre noch Mühe hatten, für Exkursionen und Führungen rentable Teilnehmerzahlen zu erreichen, melden nun Überbelegungen insbesondere bei Sonderanstellungen. Hauptgrund für diese Veränderungen mag das veränderte Freizeitverhalten sein. Die erhöhte Nachfrage nach Führungen, Aktiv- und Bildungsfahrten ist eine Antwort auf die Übersättigung durch passiven Medienkonsum. Der Bedarf an populärwissenschaftlicher Literatur in den Bereichen der Kunst- und Kulturgeschichte weist auf den gleichen Trend: Geschichte und die aktive Auseinandersetzung damit sind „in". Mit der Nachfragesteigerung nach Führungen haben sich zugleich Ansprüche und Erwartungen geändert, die die Besucher an die Führungen stellen. Der „Fremdenführer" von gestern - etwa der Hausmeister, der sich durch ein paar auswendig gelernte Zahlen und Fakten ein Zubrot verdient, aber auch der pensionierte Schulmeister, der als lebendige Dorfchronik den Besucher mit Fluten präziser Jahreszahlen bombardiert - ist nicht mehr in der Lage, den Ansprüchen des Publikums zu genügen. Der heutige Führungsteilnehmer weiß eine fortschrittlich gestaltete Führung zu schätzen und ist auch bereit, sie zu honorieren. An den modernen Gästeführer werden nun Anforderungen gestellt, die weit über das Speichern und Wiedergeben von Fakten und „Histörchen" hinausgehen. Im Idealfall sollte er die Fähigkeiten eines Historikers, Kunstkenners, Geographen, Psychologen und Pädagogen in sich vereinigen. Darüber hinaus sollte er auch noch Animateur, Dramaturg und Schauspieler sein. Der Gästeführer muß sich daher nicht nur mit seinem „Führungsobjekt" und dessen historischem und kulturellem Umfeld beschäftigen, er sollte auch in der Lage sein, diese Informationen didaktisch und methodisch so aufzubereiten, daß der Gast von der ersten bis zur letzten Minute der Führung seinen Ausführungen folgt und sein Interesse am Fremdenverkehrsort und seinen Sehenswürdigkeiten sowie an geschichtlichen Zusammenhängen geweckt wird. Die Zustimmung, vielleicht sogar die Begeisterung, die eine gelungene Führung bei den Teilnehmern auslöst, wirkt sich einerseits auf die posi8
tive Bewertung des betreffenden Ortes, andrerseits auch auf den Gästeführer selbst aus, der sich dadurch in seiner Arbeit bestätigt sieht. Gestärkt durch dieses positive „Feedback" wird der Führer versuchen, seinem Führungsobjekt möglichst viele interessante Seiten abzugewinnen, selbst wenn er gezwungen ist, dieselbe Tour mehrmals am Tage abzulaufen. Das vorliegende Buch gibt dem Gästeführer Hinweise, wie er sein Führungsobjekt unter inhaltlichen und methodischen Gesichtspunkten aufbereiten kann. Dabei ist natürlich die intensive Auseinandersetzung mit dem speziellen Führungsobjekt und seinem Umfeld nicht ersetzbar. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Didaktik von Gästeführungen. Dabei werden die Erstellung von möglichen Zielen sowie die dramaturgische Verknüpfung der verschiedenen zeitlichen und inhaltlichen Akte eines Führungsverlaufes zunächst theoretisch vorgestellt und anhand von praktischen Beispielen erläutert. In angefügten Übungsaufgaben kann der Gästeführer die besprochenen Prinzipien auf sein eigenes Betätigungsfeld übertragen. Die inhaltliche und methodische Aufbereitung von Informationen behandelt das zweite Kapitel, in dem verschiedene Möglichkeiten der Präsentation historischer Fakten vorgestellt werden. Im dritten Teil werden allgemeine Grundsätze für die praktische Planung, Organisation und Durchführung von Gästeführungen aufgezeigt. Im vierten Kapitel wird detailliert Funktion, Aufbau und Vorbereitung von Stadtrundfahrten und Stadtrundgängen beschrieben. Das fünfte Kapitel enthält Checklisten, anhand derer der Gästeführer Problembereiche des Inhalts und der Organisation von Führungen und des eigenden Verhaltens überprüfen kann. Im letzten Kapitel wird das Berufsbild Gästeführung im europäischen Vergleich dargestellt; hier erhält der Leser einen Überblick über die unterschiedlichen Aus- und Weiterbildungsformen für Gästeführer in verschiedenen Ländern. Eine abschließende Literaturauswahl bietet dem Gästeführer einen Überblick über verschidene Hilfsmittel zur inhaltlichen Aufarbeitung von Standard-Führungsobjekten. 9
Es ist klar, daß die in diesem Buch aufgezeigten Methoden nicht als starre Muster zu betrachten sind. Jeder wird sich vielmehr nach seinen persönlichen Stärken und Schwächen Zwischenlösungen erarbeiten. Deshalb wurde in diesem Buch auch auf katalogartige Multiple-choiceFragen und „Rezepte" verzichtet. Nicht zuletzt sind es die Individualität und der persönliche Stil des Gästeführers, die den Gast faszinieren - nicht der perfekte, aalglatte Einheitsgästeführer. Viele der vorgestellten Methoden und Arbeitstechniken werden für erfahrene Kollegen nicht unbedingt überraschend neue Erkenntnisse darstellen. Der einfühlsame und engagierte Gästeführer wird vieles schon ähnlich realisiert haben, ohne daß er sich dabei mit den theoretischen Grundlagen auseinandergesetzt hätte. Abgesehen von einer guten Organisation - hier ist eine Einführung in die Gepflogenheiten vor Ort durch das Fremdenverkehrsamt unabdingbar - , einer inhaltlichen und methodischen Aufbereitung der Führungsgegenstände, ist die Fähigkeit, sich in unterschiedlichste Menschen und Gruppen einzufühlen, eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Gästeführung. Hier sind den Möglichkeiten eines „Arbeitsbuches" wie dem vorliegenden natürlich Grenzen gesetzt. Bei der Konzeption dieses Buches sind wir von „klassischen" Führungen ausgegangen. In den letzten Jahren sind alternative Führungskonzepte entwickelt worden, so ζ. B. die „antifaschistischen Stadtrundfahrten" durch den Deutschen Gewerkschaftsbund in München, ökologische Rundfahrten in Wien durch die „Wiener Stattwerkstatt" sowie gegenwartsbezogene Stadtrundgänge in Berlin mit kritischen Themenstellungen und vorgehend nach dem Konzept der „Spurensuche" durch die „Stattreisen Berlin". Diese alternativen Denkmodelle haben in die erweiterte Neuauflage dieses Buches Eingang gefunden. Anregungen aus der „alternativen Szene" können die althergebrachte Führung sicherlich mit neuen und interessanten Akzenten versehen. Als Denkanstöße für mögliche zukünftige Bereiche der Gästeführung sollen einige Stichwörter genannt werden, deren Ausführung jedoch den vorliegenden Rahmen gesprengt hätte: Information für Frauen (Fraueninfothek), Konzeption einer „Kulturmeile" oder eines Lehrpfades, „Jugendkiosk" (ζ. B. Intertreff mit Reiseberatung in Frankfurt), Angebote nach dem Home-business-System (ζ. B. Vermittlung von interessen- und altersbezogener Betreuung und „Führung" für Einzel10
personen und Kleingruppen, die wissen wollen, wie Leute im bereisten Land ihren Altag und ihre Hobbys erleben). Eine wichtige Institution im Hinblick auf eine Durchsetzung des Berufsbildes Gästeführung und eine Verbesserung der Aus- und Fortbildung ist der am 13. 11. 1994 gegründete Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e. V. Er begreift sich als Dachorganisation der lokalen und regionalen Gästeführer-Vereinigungen in Deutschland (Mitgliedsbeitrag pro Mitglied im Ortsverein DM 20.-, Einzelmitgliedschaft als „Auslaufmodell" DM 70.- Jahresbeitrag). Der Sitz des Bundesverbandes der Gästeführer in Deutschland e. V. (BVGD) ist Köln, Geschäftsstelle: Rennbahnstr. 99,50 737 Köln, Tel.: 0221-7406439, Fax: 0221-7406019. Der BVGD hat sich folgende Ziele gesetzt: • Pflege von Kontakten und Austausch von Erfahrungen zwischen allen in Deutschland tätigen Gästeführern • Vertretung der beruflichen Interessen seiner Mitglieder • Sicherung eines Qualitätsstandards der Gästeführer durch ein bundesweit einheitliches Qualifizierungskonzept. • Erteilung eines Zertifikates für Qualifizierungsmaßnahmen entsprchend den Richtlinien des Bundesverbandes der Gästeführer in Deutschland e. V. (BVGD) • Schaffung und Durchsetzung eines eigenständigen Berufsbildes als Voraussetzung der rechtlichen und sozialen Absicherung der Gästeführer • Mitarbeit in allen mit dem Tourismus befaßten Gremien in Deutschland • Vertretung seiner Mitglieder auf internationaler Ebene und Zusammenarbeit mit europäischen Berufsverbänden wie der FEG Der Bundesverband der Gästeführer in Deutschland möchte in der Öffentlichkeit dei Bedeutung des Inlandstourismus als Wirtschaftszweig mit Zukunft deutlich machen. Dabei verweist er auf die Rolle der Gästeführer als Garanten eines qualitativ hochstehenden Tourismus. Last but not least bitten wir die Gästeführerinnen um Verständnis, daß wir der Einfachheit halber in der Regel von Gästeführern sprechen, obwohl die Damen in diesem Beruf sehr stark vertreten sind. 11
1 Die Didaktik der Gästeführung Das erste Kapitel ist schwerpunktmäßig auf inhaltliche Fragen gerichtet; es behandelt die Didaktik der Gästeführung, wobei „Didaktik" verstanden wird als Theorie der Bildungsinhalte, ihrer Auswahl und Anordnung.
1.1 Zielorientiertes Vorgehen bei der Planung und Durchführung einer Gästeführung Was suchen Teilnehmer von Gästeführungen? Wollen sie in erster Linie unterhalten sein oder möchten sie etwas dazulernen? Wenn man die Besucher der Einfachheit halber gemäß dieser Fragestellung in zwei Gruppen einteilt, so erfahren wir durch Forschungsergebnisse des Studienkreises für Tourismus folgendes über die Wünsche und Motivationen der zweiten Gruppe: Bildungs- und Studienreisende, die häufig auch diejenigen sind, die an geschichtlich und kunsthistorisch orientierten Gästeführungen teilnehmen, fahren fort, um „ganz neue Eindrücke zu gewinnen, etwas ganz anderes kennenzulernen" (62,8 % gegenüber 31,4% der Durchschnittsreisenden) und um „den Horizont zu erweitern, etwas für Kultur und Bildung zu tun" (72,7% gegenüber 19% der Durchschnittsreisenden), während die von den Durchschnittsreisenden genannten Motive „abschalten, ausspannen" (32,2% gegenüber 70,9·%), „frische Kraft sammeln" (25,2 % gegenüber 47,4 %) und „viel ruhen, nichts tun, nicht anstrengen" (9,7 °/o gegenüber 35,7 %) bei ihnen deutlich weniger genannt werden. 1 Diese Teilnehmerkreise besuchen also in erster Linie deshalb fremde Gegenden und Orte, um durch Eindrücke und Erlebnisse hinzuzulernen - dies natürlich nicht in einer schulmäßig trockenen und leistungsorientierten Atmosphäre, sondern im Rahmen anspruchsvoller Unterhaltung. Je nach Zusammensetzung der Gruppe und der Art einzelner Teilnehmer wird bei den einen das Bildungs-, bei den anderen das Unterhaltungsmotiv überwiegen. Wie sich der Gästeführer auf die unterschiedlichen Gruppenwünsche einstellen kann, wird im Kap. 3.4 „Das Prinzip der Anpassung" ausführlich dargestellt werden. 12
„Anspruchsvolle Unterhaltung" ergibt sich nicht von alleine durch das Runterspulen von Daten und Fakten einerseits, von Witzen und Anekdoten andrerseits. Sie muß inhaltlich und methodisch sorgfältig geplant sein, wozu im folgenden einige Hinweise gegeben werden sollen. Nach Besichtigungen geht es dem Besucher oft so, daß er zwar ein Kaleidoskop von Eindrücken mitnimmt - diese jedoch unstrukturiert und ohne Zusammenhang bleiben; es gelingt der Gästeführung nicht, ein geschlossenes Gesamtbild vom Fremdenverkehrsort bzw. vom Führungsgegenstand zu vermitteln. Wünschenswert wäre deshalb eine thematische Gesamtkonzeption der Führung und eine davon abhängige didaktische Planung, die die Eindrücke strukturiert und bestimmten Themen unterordnet, sie in eine bestimmte Ordnung bringt, zielorientiert vorgeht. Welches übergreifende Thema soll gestellt werden? Bei dieser Frage spielen Ausbildung und Interesse des Gästeführers bzw. der Gästeführerin sicherlich eine wichtige Rolle. Die Ziele sollen aber nicht nur nach den persönlichen Vorlieben und Interessen des Gästeführers erstellt werden, sondern sind vorrangig am Bestand der Führungsdenkmäler, an der entsprechenden Wissenschaft (im allgemeinen Geschichte und Kunstgeschichte) und einer ihr entsprechenden Vermittlung zu orientieren. Die Festlegung der Ziele bei einer Rundfahrt wird erleichtert dadurch, daß man die Führungsdenkmäler etwa einer München-Besichtigung wie in folgender Abbildung auflistet und sie historischen Epochen (oder gegebenenfalls anderen Themen) zuordnet. Für die Zuordnung wurde bei längeren Bauzeiten die dominierende Baugestalt gewählt. Aus der Abbildung geht klar hervor, daß in diesem Abschnitt der Stadtrundfahrt von den Denkmälern her die Epoche des Klassizismus mit elf Objekten dominiert, an zweiter Stelle die des Historismus, und daß das Mittelalter mit vier Objekten ganz kompakt im Abschnitt 2 1 - 2 4 (Isartor bis Altes Rathaus) behandelt werden kann. Der Gegenwartsaspekt kommt, wenn man vom äußeren Erscheinungsbild der Denkmäler ausgeht, erst im zweiten Teil der Stadtrundfahrt stärker zum Tragen (Olympiagelände, BMW-Gebäude), sollte ansonsten aber an möglichst vielen Stellen integriert werden (ζ. B. Oper: aktuelle Erfolge oder Premieren, Feldherrnhalle: Hitlers Marsch auf die Feld13
Sinneinheiten einer Stadtrundfahrt am Beispiel München I. Lenbachplatz 2. Karolinenplatz
14. Residenz: Maximilianischer Trakt
Mittelalter 14. u. 15. Jh.
3. Königsplatz 4. Lenbachvilla 5. Technische Universität
(Ausschnitt)
15. Feldherrnhalle Spätrenaissance/ Manierismus (Kurfürst Maximilian)
16. Residenz: Festsaaltrakt ' 17. Hofgarten
5. Alte Pinakothek 7. Neue Pinakothek
Barock (Kurfürst Ferdinand/ Maria u. Max Emanuel)
18. MaximilianstraBe 19. Oper
8. Akademie 9. Siegestor 10. Universität
Klassizismus 1. Hälfte 19. Jh. (Könige Max I./Josef u. Ludwig I.)
II. Staatsbibliothek 12. Odeonsplatz 13. Theatinerkirche
20. Residenz: Königsbau '21. Isartor i 22. Alter Hof k
Historismus 2. Hälfte 19. Jh. (König Maximilian II., Prinzregent Luitpold)
23. Dom
' 24. Altes Rathaus 25. Neues Rathaus * 26. Mariensäule
20. Jh.
herrnhalle, Alte Pinakothek: Säureanschlag auf Dürerbilder, Lenbachvilla: aktuelle Ausstellungen). Einige Beispiele sollen Themen einer inhaltlichen Gesamtkonzeption verdeutlichen: - Funktion einer mittelalterlichen Stadt (Architektur, Berufe und Zunftwesen, Familie, Handel, Politik, Verteidigung, Versorgung, Hygiene usw.) - Die Bedeutung der Universität für unsere Stadt (Gründungsgeschichte, Bevölkerungszusammensetzung früher - heute, wissenschaftliche Errungenschaften in Vergangenheit und Gegenwart, ihre Bedeutung für das Wachsen, den Aufschwung, die Entwicklung der Stadt, Probleme der Studenten früher - heute) 14
-
Dichter und Denker in unserer Stadt 500 Jahre Architektur in unserer Stadt (Stilentwicklung) Ludwig I. und München Die Reformation und ihre Bedeutung für . . . Von der Z u n f t zum industriellen Großbetrieb. Arbeiten in Sindelfingen - Museum: Entwicklung des Möbels von der Gotik bis zum Jugendstil - Ökologie: Von den Gerbervierteln zur Sondermüllentsorgung, 400 Jahre ökologische Probleme in X-stadt - Glotzelfingen - vom Alpdorf zum Naherholungsgebiet - Von der Dreifelderwirtschaft zum EG-Musterbetrieb. Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Strukturen in unserer Region - Vom Bauernaufstand zur Bürgerinitiative - Demokratie in X-dorf - Bauer, Bürger, P f a f f e , Fürst - Menschen und Menschengruppen in Y-hausen Das Thema der inhaltlichen Gesamtkonzeption kann nun in verschiedene Unterthemen aufgegliedert werden, die den einzelnen Besichtigungspunkten zugeordnet werden. Dadurch entsteht eine inhaltliche Gliederung. Beispiel (nach einem Aufsatz von Marie-Louise Schmeer in der Zeitschrift „Animation" 4/1985, S. 210: „Führer, Fremde, Frustrationen"): Ein zielorientiert vorgehender Gästeführer würde ζ. B. bei einer Stadtrundfahrt in München, das stark durch klassizistische Bauweise geprägt ist, im allgemeinen den Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert legen. Im folgenden Plan wird ein Abschnitt einer Stadtrundfahrt in München dargestellt. Die hervorgehobenen Objekte im Fahrtverlauf sind in der Zeit König Ludwigs I., also in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, entstanden und bilden während der Rundfahrt Teilaspekte eines immer wiederkehrenden Themas: der Grundkonzeption.
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Orte
daran zu erläuternde Themen
Abfahrt Hauptbahnhof
München als Verkehrsknotenpunkt, U- und S-Bahn
Lenbachplatz
Bauweise des Historismus
Karolinenplatz, Obelisk
Aufgestellt von Ludwig I. zum Gedenken an die Gefallenen des Rußlandfeldzuges Napoleons 1812, Bayern: Königreich durch Napoleons Gnaden
Königsplatz
Bauherr: Ludwig I., Architektur (Klenze) von griechischer Antike bestimmt, Ludwig als Philhellene, sein Sohn Otto wurde König von Griechenland
Lenbachvilla
Kunst des „Blauen Reiters" und Bedeutung der modernen Malerei in München
Alte Pinakothek
Bauherr: Ludwig I., Architektur (Klenze) von italienischen Palastbauten Norditaliens beeinflußt, Ludwig als Gemäldesammler
Neue Pinakothek
Modernes Gebäude, im Inneren Gemälde aus der Zeit des 19 Jh. und Ludwigs I.
Schwabing
Amüsier-, Studenten-, Künstlerviertel
Siegestor und Ludwigstraße Bauherr: Ludwig I., Architektur (Klenze und Gärtner) von italienischen Palastbauten und der römischen Antike beeinflußt Universität
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Durch Ludwig I. von Landshut nach München verlegt
Die Möglichkeiten des Gästeführers, auf Gesamtprogramme von Reisegruppen hinsichtlich einer besseren Strukturierung einzuwirken, sind relativ gering, außer es besteht längerandauernde Zusammenarbeit. Unbedingt sollte er sich jedoch, bevor er eine Reisegruppe übernimmt, bei der Fremdenverkehrsstelle, dem Reisebegleiter oder Fahrer über Programm und Zusammensetzung der Gruppe informieren, um ein zielgruppenspezifisches Programm anbieten und sich von Inhalten, Methoden, evtl. auch von der Kleidung her auf die Gruppe einstellen zu können. Somit ist es auch möglich, bereits Bekanntes und noch im Programm Vorgesehenes in die Erklärung mit einzubeziehen. Vor der Führung wird der Besucher ζ. B. in folgender Form kurz über das angestrebte Ziel informiert, damit er sich darauf einstellen kann: „In den nächsten zwei Stunden möchte ich Ihnen auf unserer Rundfahrt die wichtigsten Gebäude Münchens zeigen, wobei wir vor allem viele Paläste, Plätze und Straßenzüge aus der Zeit König Ludwig I., also aus der Zeit des Klassizismus Anfang des 19. Jh., kennenlernen werden." So wünschenswert die Zielorientierung der Gästeführung auch ist, so sehr ist auf der anderen Seite vor übermäßiger Spezialisierung und zu starker Beschränkung auf ein Thema zu warnen. Insbesondere wenn sich die Besichtigung über längere Zeit erstreckt, ist mit einer Übersättigung der Teilnehmer zu rechnen; dasselbe gilt für die Beschränkung auf nur eine Betrachtungsweise (ζ. B. die nur kunstgeschichtliche, die nur politische usw.). Es sollten also durchaus Besichtigungspunkte aus einem weiteren Umfeld herangezogen werden, wenn sie in einen Zusammenhang oder auch herausgearbeiteten Gegensatz zum Hauptthema gesetzt werden können. Beispiel: Thema „Unsere Stadt im Mittelalter" - Bauten der Bürger und Zünfte und ihr Leben, Selbstbewußtsein durch blühenden Handel im Mittelalter - Paläste - Lebensstil der Oberschicht im Mittelalter - Kirchen und Klöster - geistliches Leben, wirtschaftliche und kulturelle Funktion der Klöster im Mittelalter und später - moderne Universitätsbauten am Stadtrand: Bildungssituation heute im Vergleich zum Mittelalter - Barockschloß - Niedergang eines selbstbewußten Bürgertums ζ. Z. des Absolutismus und Kontrastierung zur Stellung des Bürgers und Herrschers im Mittelalter 17
Aufgabe: Formulieren Sie für Ihren Fremdenverkehrsort jeweils ein Hauptthema, dem die Besichtigungseinheiten untergeordnet werden könnten. Notieren Sie zu „Ihrem" Besichtigungsobjekt andere Denkmäler, die damit in Zusammenhang stehen oder ähnlich sind bzw. Objekte, die dazu im Gegensatz stehen!
1.2 Richtziele Die Ziele eines Rundgangs oder einer Besichtigung können vom Gästeführer auf der Rieht-, Grob- und Feinzielebene festgelegt und in Beziehung zu den Besichtigungsobjekten gesetzt werden. Der weltanschauliche Hintergrund bei der Erarbeitung der inhaltlichen Ziele wird durch die auf oberstem Abstraktionsniveau stehenden, noch unpräzisen Richtziele vorgegeben. Diese werden teilweise vom Veranstalter im Prospekt vorgegeben (insbesondere bei religiös motivierten Fahrten oder bei Reisen, die aus öffentlichen Mitteln gefördert werden, ζ. B. Begegnungsprogrammen). Nachdem es bisher noch keine pädagogische Theorie der Gästeführung, noch keine allgemeine Ausbildung und somit weder Lehrpläne noch Bestimmungen über Richtziele gibt, sollen folgende Ziele vorgeschlagen werden: (Der Besucher soll. . .) 1. historische, politisch-gesellschaftlich-soziale, wirtschaftliche, religiöse, geographische Grundstrukturen der bereisten Region bzw. des besuchten Ortes kennenlernen 2. die kulturellen Hintergründe der Kunst kennenlernen 3. sich der geschichtlich bedingten Relativität der eigenen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen bewußt werden 4. „Sehen lernen" und Kunstwerke und/oder geographische Erscheinungen beschreiben 5. sich in dem neuen Gebiet bzw. der fremden Stadt allein zurechtfinden können 6. Kommunikationsbarrieren überwinden 7. die Bereitschaft entwickeln, sich für eine gesunde Umwelt einzusetzen, die Bedeutung eines um weit- und sozialverträglichen Tourismus erkennen sowie sich dementsprechend verhalten 18
Die fortwährende Besinnung auf diese Richtziele, deren schwerpunktmäßige Gewichtung von Stadt zu Stadt und von Region zu Region unterschiedlich sein wird, ist unerläßlich, von ihnen werden alle übrigen Ziele bestimmt. „Jedes einzelne Besichtigungsobjekt, jede Anlage, Stadt usw. muß zwar in ihrer künstlerischen, architektonischen, historischen usw. Eigenart erläutert werden, aber es ist auch als Teil des größeren, vom obersten Lernziel definierten Zusammenhang und damit exemplarisch dafür und darauf hin zu deuten. In jedem Einzelobjekt muß deshalb der Gesamtzusammenhang angedeutet werden: Es ist einerseits auf das bereits Erarbeitete hinzuweisen und andererseits daran ein weiterer Teil jenes Gesamtzusammenhangs auszulegen",2 der am Ende der Rundfahrt oder Besichtigung für alle sichtbar geworden sein sollte. Insbesondere auswendig gelernte Schloßführungen nach dem Schema: „Links sehen Sie eine schöne japanische Vase aus dem 17. Jahrhundert, rechts einen Renaissanceschrank aus dem Jahre 1589, in der Mitte einen florentinischen Tisch mit Einlegearbeiten aus dem Jahre 1625" usw. lassen einen notwendigen Gesamtzusammenhang, ein Gefühl der Sinnhaftigkeit oft schmerzlich vermissen.
1.3 Inhaltliche Ziele Programme von Gästeführungen beziehen sich zumeist auf geschichtliche und kunstgeschichtliche Denkmäler. Dadurch liegt es nahe, den historischen Aspekt als Leitgedanken zu wählen, zumal in der modernen Geschichtsdidaktik auch der Gegenwartsbezug eine wichtige Rolle spielt.
1.3.1 Kunstgeschichtliche und geschichtliche Ziele Es hat einfache Gründe, daß die inhaltlichen Ziele von Gästeführungen bisher weitgehend mit Objekten aus dem Bereich der Geschichte und insbesondere der Kunstgeschichte gekoppelt sind: Der Gast sieht etwas Schönes und Interessantes, das einen Gegensatz zum Alltag darstellt. Auch haben kunstgeschichtliche Besichtigungsobjekte nach ihrem Berühmtheitsgrad (bei Insidern nach ihrem Unbekanntheitsgrad) einen gewissen Prestigewert. 19
Wie nun bereitet sich der Gästeführer vor, um der Forderung nach einer thematischen Gesamtkonzeption gerecht zu werden? Parallel zur inhaltlichen Erarbeitung setzt er die Besichtigungspunkte mit Zielen der Rieht-, Grob- und Feinzielebene in Beziehung und erarbeitet sich somit ein didaktisches Grundmuster. Beispiel Augsburg Richtziele 1, 2, 3, 4 Besichtigungsort Grob- und Feinziele St.-Anna-Kirche, Die Gäste sollen die Bedeutung der Reformation Lutherbild für Augsburg kennenlernen. Fuggerkapelle
Die Gäste sollen „sehen lernen" und die Renaissanceelemente teilweise selbst suchen, teilweise mit dem Gästeführer erarbeiten. Sie sollen sich mit der Familie der Fugger und ihren wichtigsten Repräsentanten, ihrer Bedeutung für die Wirtschaft und den sozialen Bereich auseinandersetzen (wird in der Fuggerei und im Fuggerpalast wieder aufgenommen und vertieft). Sie sollen einen Einblick in die materiellen Lebensverhältnisse verschiedener Bevölkerungsschichten zur Zeit der Renaissance (hier reiches Patriziat, in Maximilianstraße Bürgertum, in Fuggerei untere Volksschichten) gewinnen.
Weitere Beispiele sollen nur noch stichpunktartig herangezogen werden: - Berlin: Brandenburger Tor. Architektonische Herkunft von antiken Triumphbogen. Geschichtliche Bedingungen der Erbauungszeit. Vergleiche mit anderen Triumphbogen der Klassik, Renaissance, des Klassizismus. Politische Bedeutung in der jüngeren Geschichte. - Hamburger Hafen: von der Hanse zum modernen Überseehandel. Wirtschaftliche Bedeutung des Hafens. Der Hafen und seine Umgebung. Bevölkerungsschichten am Hafen. Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Romantik und Realität. Arbeitslosigkeit der Nautiker. - Kunsthandwerkliches Museum: Entwicklung von Typen, Formen, Ornamenten, Materialien, Verarbeitungsmethoden, Arbeitsbedingungen. 20
- Heidelberger Universität: Universitäten im Spätmittelalter - Universitäten heute. Studentenleben gestern - heute. Verhältnis von Studenten und Bürgern im Wandel der Geschichte. Universitätsjubiläum und Tourismus. Aufgabe: Überlegen Sie sich, welche wichtigen Grob- und Feinziele Sie an „Ihrem" Besichtigungsobjekt anstreben und formulieren Sie diese!
1.3.2 Ziele aus dem gesellschaftlichen Bereich Bei den meisten Gästeführungen kommen Ziele aus dem gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich des Fremdenverkehrsortes zu kurz, was auch seine Gründe hat. Politische Aussagen des Gästeführers sind weniger gut an Sichtbarem „festzumachen" und werden von den Teilnehmern, auch wenn sie den Tatsachen entsprechen, leicht als Beeinflussung interpretiert, zumal jeder eine andere politische Einstellung hat. Oft erlebt der Gästeführer, daß Teilnehmer den Urlaub als Anti-Alltag erleben und deshalb überhaupt nicht mit Problemen und Schwierigkeiten in dem von ihnen bereisten Land, der von ihnen besuchten Region konfrontiert werden wollen. Der Gästeführer kann sich über Kunstdenkmäler im allgemeinen, zumindest was die äußeren Fakten und Daten betrifft, mühelos in Handbüchern und Führern informieren. Die Kenntnis von sozialgeschichtlichen Hintergründen für Kunst wie auch aktueller Entwicklungen setzt jedoch ein darüber hinausgehendes Engagement voraus: ein Studium von geschichtlichen Quellen, gute Landeskenntnis auch über den eigenen Ort hinaus, regelmäßiges Studium von Tageszeitungen, politischgesellschaftliches Interesse. Aber: Hier kann sich der Gästeführer durch „Spezialitäten" unersetzlich machen, indem er Informationen parat hat, die man in allgemeinen Reiseführern nicht findet. Wie sollen gesellschaftliche Ziele gewertet werden? Das hängt stark von der Region ab: Folgen die Kunstdenkmäler dicht aufeinander, so werden gesellschaftliche Ziele naturgemäß weniger gewichtet als in anderen Regionen, wo in Ermangelung dieser Fülle der Mensch und seine Lebensumstände mehr in den Vordergrund rücken bzw. in Randgebieten, die ζ. B. durch ihre Lage in Grenznähe oder durch wirtschaftliche 21
Unterentwicklung gekennzeichnet sind. Ganz wesentlich ist hierbei auch das Interesse der Teilnehmer, das bei älteren Damen eines Volkshochschulkreises, die zu einer Sonderausstellung kommen, weniger vorauszusetzen ist als bei einer Jugendgruppe der Gewerkschaft oder Besuchern eines Wirtschaftskongresses. Für Personenkreise, die sich schwerpunktmäßig für gesellschaftlich-politische Fragen interessieren, wurden in den letzten Jahren sog. „alternative" und „antifaschistische" Stadtrundfahrten in einigen deutschen Städten entwickelt (ζ. B. München, Berlin, Hamburg, Saarbrücken). Es gibt inzwischen sogar Stadtrundfahrten, die spezielle Themen wie die Frauenfrage im Laufe der Geschichte oder Probleme der Ökologie zum Thema haben. Beispiele für gesellschaftlich orientierte Themen:. Themen Bei ausländ. Gruppen: Das Parteien- und Regierungssystem der Bundesrepublik - Vergleich mit Herkunftsland der Gruppe
Objekte bzw. Orte der Veranschaulichung Staatliche Institutionen, Behörden, Partei- und Wahlplakate, Monumente
Schulsystem und Erziehung in Deutschland im Vergleich zum Herkunftsland der Gruppe Bei ausländ, und deutschen Gruppen:
Schulen, Kindergärten, Universitäten
Unterschiedliche Wohnmöglichkeiten, Durchschnittsverdienste, Lebenshaltungskosten Tourismus als Wirtschaftsfaktor
Luxus-, Bürger-, Elends-, Sanierungsviertel, Einrichtungshäuser, Märkte, Supermärkte Hotel- und Tourismuszentren, touristische Anlagen (ζ. B. Sportanlagen, Skilifte, Loipen, Bergbahnen)
Sozioökonomie anderer Art
Apfelplantagen, Weingüter in Franken und am Rhein, Hopfengärten in der Hallertau Daimler-Benz, Stuttgart
Große Industriebetriebe 22
1.3.3 Exkurs: „alternative" Stadterkundung Besonders stark gewichtet sind gesellschaftliche Ziele bei „alternativen Stadtrundgängen". Einige Initiativen in der Bundesrepublik haben sich zusammengeschlossen. Laut seinem Gemeinschaftsprospekt versteht sich „der .Arbeitskreis neue Städtetouren' (als) Interessenzusammenschluß von Anbietern aus der Jugend-/Erwachsenenbildung und der Kulturarbeit. Seine Mitglieder verfolgen ein neues Konzept des Städtetourismus. Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen Stadterkundungen, die sich an der Stattreisen-Idee orientieren: Stattreisen bedeutet, die Stadt und ihre Umgebung entziffern zu lernen. Es werden Einblicke in historische, kulturelle, politische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen des Stadtgefüges vermittelt. Im Gegensatz zur distanzierten, oft voyeuristischen ReisebusfensterPerspektive ermöglicht Stattreisen das Eintauchen ins städtische Leben, vorzugsweise zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und mit Fahrrädern. Das Wesentliche der Entdeckungstouren ist die Auseinandersetzung mit der von offizieller Seite vernachlässigten Geschichte, vor allem am Beispiel wenig augenfälliger Details. Bekannte Sehenswürdigkeiten werden nicht isoliert betrachtet, sondern in ihren gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt." Weiterbildende Seminare bietet u. a. an: transfer e. V. - Netzwerk für Jugendreisen und internationale Begegnungen im Zusammenhang mit dem Studienkreis für Tourismus, c / o transfer e. V., Ostmerheimer Str. 397, 5000 Köln 91, Tel. (02 2 1 ) 6 9 9 9 9 1 7 . Die Übersicht auf den Seiten 24 und 25 zeigt, aus welchen Anbietern sich der Arbeitskreis zusammensetzt. Winfried Ripp, Initiator der von Berlin ausgehenden Stattreiseidee, beschreibt im folgenden die neuen Konzeptionen der Stadtaneignung für Touristen und Einheimische, die nach den Grundsätzen des „sanften Tourismus" ausgerichtet sind: „Die übliche Form des .Sightseeings' führt durch den Aufbau der Touren und die Auswahl der Orte zur Bestätigung vorhandener Klischees. 23
Name. Anschrift
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Statt R e i s t η Berlin e. V. Stephanstraße 24 1000 Berlin 21 Tel. 0 30/395307Θ Fax 030/3 96 SO 60
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