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German Pages 156 [157] Year 2009
WISSEN KOMPAKT
Dominique Soulas de Russel Isabel Gomez
Grundsätze des Wirtschaftens
Verlag Wissenschaft & Praxis
WISSEN KOMPAKT
Dominique Soulas de Russel Isabel Gomez
Grundsätze des Wirtschaftens
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-89673-486-0
© Verlag Wissenschaft & Praxis
Dr. Brauner GmbH 2009 Nußbaumweg 6, D-75447 Sternenfels Tel. +49 7045 930093 Fax +49 7045 930094 [email protected] www.verlagwp.de
Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany
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Vorwort Sehr geehrte Leserinnen und Leser, wir bedanken uns herzlich für Ihr Interesse an G RUN DSÄTZE
DES
W IRTSCHAFTEN S .
Die Väter der Volkswirtschaftslehre als eigenständige Wissenschaft verwendeten in ihren Schriften eine einfache und verständliche Sprache. Zur Erläuterung ihrer Theorien griffen sie zu allgemeinverständlichen Beispielen aus dem Alltag. So erklärte Francois Quesnay den Begriff der Wertschöpfung an seinem Beispiel des Landwirts, der „mehr erntet als er säht“. Adam Smith veranschaulichte die Vorteile der Arbeitsteilung anhand eines Stecknadel-Produzenten, der nach der Aufteilung der Arbeitsschritte mehr produziert als zuvor. Die beiden wären zweifelsohne verdutzt, wenn sie sich heute mit den Theorien und Auslegungen der meisten ihrer Nachfolger beschäftigten: Der Gebrauch von Fachtermini, Kurven und Gleichungen hat aus ihrer offenen Lehre eine komplexe Wissenschaft gemacht, deren Zugang nur Eingeweihten vorbehalten ist. Interessierte Laien und Studienanfänger stoßen auf eine schwer passierbare Wand. Meist arbeitet man sich mit Mühe durch Fachliteratur und beschäftigt sich mit Details, um dann – erst später – einen Überblick über das weite Feld der Volkswirtschaftslehre zu erhalten. Es bedarf also einer richtungsweisenden und fachübergreifenden Einführung, die ein stabiles und klares Gerüst für die weiterführenden Vertiefungen bildet. Und dafür eignet sich die Orientierung an den alten, gesellschaftsnahen Meistern. Die Einführung in die Volkswirtschaftslehre darf nicht auf eine zeitlose, trockene und befremdende Materie reduziert werden, denn sie beruht auf dem Verständnis sozialer Interaktion. Die Volkswirtschaftslehre ist und bleibt vom Wesen her eine Gesellschafts- und Humanwissenschaft. Die Betrachtungsweise dieser Arbeit bietet in diesem Sinne die Besinnung auf die humanere Seite der Volkswirtschaftslehre an.
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VORWORT
Das folgende Werk entstand durch Zusammenarbeit zwischen Prof. Dr. jur., Dr. phil. Dominique Soulas de Russel und Isabel Gomez. Für sprachliche und orthografische Anmerkungen gilt unser herzlicher Dank Herrn MA Thomas Kraus. Für die Realisation dieses Werkes gilt ein besonderer Dank dem Verlag Wissenschaft & Praxis, der sich als kompetenter und leistungsstarker Partner erwiesen hat. Ganz besonders möchten wir uns an dieser Stelle auch persönlich bei Herrn Dr. Brauner bedanken, der uns die Veröffentlichung dieses Werkes ermöglichte. Die Autoren hoffen, dass dieses Werk den Leser anspricht, als hilfreich und unterhaltsam zugleich empfunden wird und einige Vorurteile gegenüber der Volkswirtschaftslehre aus dem Weg räumt.
Dominique Soulas de Russel
Isabel Gomez
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Inhaltverzeichnis Abbildungsverzeichnis ............................................................................... 9 Tabellenverzeichnis.................................................................................. 11 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................ 13 Glossar ..................................................................................................... 15 1
Einführung – Warum wirtschaften? ................................................ 21 1.1 Was ist Volkswirtschaftslehre und welche Aufgaben erfüllt sie? ................ 21 1.2 Was ist Fundamentalökonomie und warum bedient sie sich des Instruments der „Lagen“?.................................................................... 23
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Die Ebenen der Volkswirtschaftslehre ............................................ 27 2.1 Unterschiedliche Blickwinkel ................................................................... 27 2.2 Mikro- und Makroökonomie..................................................................... 29 2.3 Vereinfachung durch Modelle .................................................................. 30 2.4 Das Ökonomische Prinzip........................................................................ 33 2.5 Positive und Normative Ökonomie .......................................................... 35
3
Die Lage der Überlebenswirtschaft................................................. 37 3.1 Das Individuum........................................................................................ 37 3.2 Die Erkenntnis über die wirtschaftsrelevanten Bestandteile....................... 38 3.2.1 Bedürfnisse.................................................................................. 38 3.2.2 Güter ........................................................................................... 42 3.2.3 Produktionsfaktoren..................................................................... 44 3.3 Anwendungsbeispiel Wirtschaftskreisläufe ............................................... 46
4
Die Lage der Tauschwirtschaft........................................................ 53 4.1 Das Leben in der Gemeinschaft................................................................ 53 4.2 Erweiterung der wirtschaftsrelevanten Bestandteile................................... 53 4.2.1 Das Bewusstwerden über die Knappheit...................................... 53 4.2.2 Arbeitsteilung als Lösung des Knappheitsproblems ...................... 54 4.3 Geld als Steuerungssystem im Wirtschaftskreislauf ................................... 58 4.4 Anwendungsbeispiel: Europäische Geldpolitik ......................................... 62
8 5
INHALTSVERZEICHNIS Die Lage der sich regelnden Agrargemeinschaft............................. 65 5.1 Das Leben in einer Gemeinschaft mit verstärkter Wirtschaftstätigkeit........ 65 5.2 Auf dem Weg zu einer Regelung des Wirtschaftens.................................. 65 5.2.1 Die griechischen Grundvorstellungen.......................................... 66 5.2.2 Die christlichen Vorstellungen..................................................... 71 5.2.3 Der Merkantilismus ..................................................................... 72 5.3 Historisches Beispiel: Kameralismus in Deutschland ................................ 75
6
Die Lage der Wirtschaftsintensivierung .......................................... 77 6.1 Das Leben in Organisations- und Führungsstrukturen ............................... 77 6.2 Eine Wirtschaftstheorie entsteht ................................................................ 78 6.2.1 Die Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft .................................. 78 6.2.2 Einordnung der VWL als Wissenschaft......................................... 83 6.2.3 Die drei Hauptprobleme der VWL............................................... 86 6.2.4 Die Wirtschaftsstruktur als Positionsindikator .............................. 89 6.3 Historisches Beispiel: Die sektorale Entwicklung Deutschlands ................ 96
7
Die Lage der wirtschaftsgeordneten Nationalstaaten ..................... 99 7.1 Das Leben in einer Wirtschaftsordnung .................................................... 99 7.2 Die Theorie muss geordnet werden .......................................................... 99 7.2.1 Grundbegriffe und Einteilungskriterien ........................................ 99 7.2.2 Die Grundordnung der Zentralverwaltungswirtschaft ................ 103 7.2.3 Die Grundordnung der Marktwirtschaft ..................................... 112 7.2.4 Mischordnungen ....................................................................... 116 7.2.5 Die Soziale Marktwirtschaft ....................................................... 120 7.3 Anwendungsbeispiel: Das „magische Sechseck“..................................... 123
8
Die Lage der internationalen Konzentration................................. 129 8.1 Eine globale Gemeinschaft ..................................................................... 129 8.2 Moderne Strukturen und übergeordnete Institutionen............................. 130 8.2.1 Über das nationale Denken hinweg: Internationale Arbeitsteilung und relative Kostenunterschiede ... 130 8.2.2 Außenhandelspolitik und Integration ......................................... 134 8.2.3 International relevante Strukturen und Organisationen .............. 137 8.3 Anwendungsbeispiel: Die europäische Integration ................................. 143
9
Die Lagen der Zukunft – Keine Prognose...................................... 149
Literatur ................................................................................................. 153
9
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die "Lagen" der Fundamentalökonomie ........................... 25 Abbildung 2: Perspektive der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre.......... 28 Abbildung 3: Modellbildung .................................................................. 30 Abbildung 4: Modelltypen nach Fragestellung ....................................... 32 Abbildung 5: Die Maslowsche Bedürfnispyramide................................. 40 Abbildung 6: Moderne Bedürfnistheorie der Wohlfahrtsforschung ......... 41 Abbildung 7: Klassifikation von Gütern.................................................. 43 Abbildung 8: Kreislauf einer geschlossenen VW ohne Staat und Vermögensänderungen .............................................. 47 Abbildung 9: Kreislauf einer geschlossenen VW ohne Staat mit Vermögensänderungen ............................................... 48 Abbildung 10: Kreislauf einer geschlossenen VW mit Staat und Vermögensänderungen .............................................. 49 Abbildung 11: Kreislauf einer offenen VW mit Staat und Vermögensänderungen .............................................. 51 Abbildung 12: Entwicklungsstufen und Geldmengenbegriffe ................... 60 Abbildung 13: Wirkungskette und Instrumente der Geldpolitik................ 63 Abbildung 14: Das tableau économique .................................................. 80 Abbildung 15: Einordnung und Untergliederung der VWL....................... 84 Abbildung 16: Sektorale Wirtschaftsstruktur............................................. 90 Abbildung 17: Alterspyramide Deutschland 2001.................................... 92 Abbildung 18: Alterspyramide Deutschland 2050.................................... 92 Abbildung 19: Stilisierte Alterspyramide eines Entwicklungslands............ 93 Abbildung 20: Anteile der Sektoren an den Erwerbstätigen in % im Zeitablauf .................................................................... 96
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 21: Anteile der Sektoren an der BWS in % im Zeitablauf ........ 97 Abbildung 22: Säulen der marxistischen Zentralverwaltungswirtschaft... 107 Abbildung 23: Kreislauf einer Zentralverwaltungswirtschaft ................... 109 Abbildung 24: Kluft zwischen Markt- und Zentralverwaltungswirtschaft 111 Abbildung 25: Kreislauf einer Marktwirtschaft........................................ 116 Abbildung 26: Phasen der Jahresplanung der ehemaligen DDR mit Planungsebenen ....................................................... 117 Abbildung 27: Säulen der Sozialen Marktwirtschaft ............................... 121 Abbildung 28: Die Zahlungsbilanz und ihre Teilbilanzen ...................... 126 Abbildung 29: Das magische Sechseck der Sozialen Marktwirtschaft ..... 128 Abbildung 30: Integrationsmodelle mit Beispielen ................................. 137 Abbildung 31: System der Vereinten Nationen....................................... 141 Abbildung 32: Säulen der Europäischen Union...................................... 145
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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Die klassische Bedürfnistheorie .............................................. 38 Tabelle 2: Die klassischen Produktionsfaktoren ...................................... 45 Tabelle 3: Vor- und Nachteile nationaler Arbeitsteilung.......................... 57 Tabelle 4: Arten von Kartellen ................................................................ 95 Tabelle 5: Die Einteilung der Wirtschaftssysteme.................................. 102 Tabelle 6: Versorgungs- und Festlegungsziele ....................................... 108 Tabelle 7: Vor- und Nachteile internationaler Arbeitsteilung................. 133 Tabelle 8: Klassifikation internationaler Organisationen........................ 139
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Abkürzungsverzeichnis A
Arbeit
Abb.
Abbildung
abzgl.
abzüglich
B
Boden
BIP
Bruttoinlandsprodukt
bspw.
beispielsweise
BWL
Betriebswirtschaftslehre
bzw.
beziehungsweise
EG
Europäische Gemeinschaft
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl/Montanunion
EK
Einkommen
EU
Europäische Union
EURATOM
Europäische Atomgemeinschaft
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWWU
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
ESZB
Europäisches System der Zentralbanken
EZB
Europäische Zentralbank mit Sitz in Frankfurt am Main
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
HH
Haushalt/e
i. e. S.
im engeren Sinn
INGO
Internationale Nicht-Regierungsorganisation
IO
Internationale Organisation/en
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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
i. w. S.
im weitesten Sinn
Jh.
Jahrhundert/e
K
Kapital
PF
Produktionsfaktor/en
PJZS
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
Tab.
Tabelle
UN
Unternehmen
UNO
United Nations Organization/ Vereinte Nationen
VGR
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
VWL
Volkswirtschaftslehre
WTO
World Trade Organization/ Welthandelsorganisation
ZB
Zahlungsbilanz
IGO
Intergovernmental Organizations/ Regierungsorganisation/en
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Glossar Aggregation
Zusammenfassen mehrerer einzelner Größen anhand eines gleichartigen Merkmals. Z. B. ergibt sich aus der Zusammenfassung der Nachfrage aller Haushalte nach Milch die Gesamtnachfrage nach Milch.
Allokation
Verteilung der zur Güterproduktion benötigten Faktoren mit dem Ziel der größtmöglichen Nutzenstiftung für die Bedürfnisbefriedigung der Konsumenten und Produzenten.
Ausländer
Ein Wirtschaftssubjekt mit festem Wohnsitz außerhalb der betrachteten Volkswirtschaft. Die Staatsangehörigkeit spielt dabei keine Rolle.
Bedürfnisse
Das Verlangen, einem empfundenen oder tatsächlichen Mangel Abhilfe zu schaffen. In der VWL werden materielle Bedürfnisse über Güterkonsum befriedigt.
Ceteris paribus
Lat.: „wobei alles Weitere gleich bleibt“. In Modellen wird immer nur eine Einflussgröße verändert, alle weiteren werden konstant gehalten, damit der genaue Einfluss der veränderten Größe bestimmt werden kann. Damit können vereinfachte Modelle der Wirklichkeit bezüglich der Auswirkungen von Veränderungen einzelner Größen betrachtet und bewertet werden.
Deduktiv
Schlussfolgerungsweise vom Allgemeinen auf das Besondere. Aus allgemeinen Theorien werden spezielle Einzel-
16
GLOSSAR erkenntnisse gewonnen. Aus gegebenen Prämissen bzw. Annahmen werden auf rein logischem Weg mit Notwendigkeit folgende Schlüsse abgeleitet.
Devisen
Forderungen auf andere Währungen innerhalb eines geschlossenen Währungsgebietes. Dazu gehören ausländische Konten und Wertpapiere und in fremder Währung geführte Konten im Inland. Teilweise wird auch ausländisches Bargeld als Devisen bezeichnet. Devisen werden auf dem Devisenmarkt gehandelt.
Distribution
Einkommensverteilung in der Bevölkerung einer Volkswirtschaft.
Endogen
Griech.: „im Inneren erzeugt“. Modellgrößen werden als endogen bezeichnet, wenn sie in einem Modell eine abhängige, also zu erklärende, Variable darstellen. Ihr Wert ergibt sich aus der Modellstruktur und den exogenen, also erklärenden, Variablen des Modells.
Ex-ante
Lat.: "zuvor" oder "im Voraus"
Exogen
Griech.: „etwas liegt außerhalb“ oder „durch äußere Ursachen entstanden“. Modellgrößen werden als exogen bezeichnet, wenn sie in einem Modell eine unabhängige, also erklärende, Variable darstellen. Exogene Variablen sind damit diejenigen Größen eines Modells, die frei gewählt und verändert werden können. Mit ihnen können die endogenen, also die zu erklärenden, Variablen eines Modells beeinflusst werden.
Ex-post
Lat.: "hinterher" oder "Im Nachhinein".
GLOSSAR
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Fazilitäten
Von lat.: facilitas = Leichtigkeit. Eine von einer Geschäftsbank eingeräumte Möglichkeit, innerhalb festgelegter Grenzen kurzfristig Kredite in Anspruch zu nehmen oder Guthaben anzulegen. Hier vor allem im Zusammenhang mit dem ESZB verwendet. Die Zentralbanken ermöglichen den Geschäftsbanken Liquidität innerhalb eines kurzen Zeitraumes.
Geldmengen
Die Geldmenge ist der gesamte Bestand an Geld, der in einer Volkswirtschaft zur Verfügung steht. Dabei wird, je nach Liquidität, in M1, M2 und M3 unterschieden. M0 ist die Geldbasis. Die Geldmenge kann durch Geldschöpfung erhöht und durch Geldvernichtung gesenkt werden.
Güter
Mittel zur Befriedigung materieller Bedürfnisse.
Homo oeconomicus
Lat.: „der wirtschaftliche tätige Mensch“. Ein volkswirtschaftliches Modell, in dem das Individuum unter den Annahmen der vollständigen Information und vollkommener Markttransparenz seinen Eigennutzen maximiert. Er handelt dabei ausschließlich rational und hat feststehende persönliche Präferenzen.
Induktiv
Schlussfolgerungsweise, wobei von einem besonderen Einzelfall eine allgemeingültige Regel abgeleitet wird.
Inländer
Ein Wirtschaftssubjekt mit festem Wohnsitz innerhalb der betrachteten Volks-
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GLOSSAR wirtschaft. Die Staatsangehörigkeit spielt dabei keine Rolle.
Input
Engl.: Eingabe. Im volkswirtschaftlichen Kontext: Produktionsfaktoren, bspw. Arbeitseinsatz
Knappheit
Ursache des Wirtschaftens. Ergibt sich aus der ungleichen Relation zwischen Bedürfnissen (mit dem Ziel der Bedürfnisbefriedigung) und Gütern (als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung).
Makroökonomie
Griech.: Zusammengesetzt: "groß", "Haus" und "Gesetz". Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, in welchem Struktur, Leistungsfähigkeit, Verhalten und Entwicklung der Gesamtwirtschaft untersucht wird.
Mikroökonomie
Griech.: Zusammengesetzt: "klein", "Haus" und "Gesetz". Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, in welchem das wirtschaftliche Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte und die Allokation von knappen Ressourcen und Gütern über den Markt untersucht wird.
Multiplikatoreffekt
Größe, durch welche die Auswirkungen von zusätzlichen Ausgaben des Staates, der privaten Haushalte, der Unternehmen oder des Auslands auf das Volkseinkommen gemessen wird. Bedeutung hat der Effekt vor allem für die Beschreibung der Konjunktur, des Wachstums und für Entscheidungen über den Einsatz wirtschaftspolitischer Mittel.
Ökonomisches Prinzip
Auch Rational- oder Wirtschaftlichkeitsprinzip. Fundamentale Annahme der Volkswirtschaftslehre. Es besagt, dass
GLOSSAR
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Wirtschaftssubjekte aufgrund der Knappheit Input und Output ins Verhältnis setzen und entsprechend ihrer persönlichen Präferenzen effizient handeln. Ein Individuum, welches nach dem ökonomischen Prinzip handelt, wird als Homo oeconomicus bezeichnet. Opportunitätskosten
Entgangene Erlöse, die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden. Also die Kosten der entgangenen Möglichkeiten.
Output
Engl.: Ausgabe. Produktionsergebnis durch den Einsatz von Input (Produktionsfaktoren)
Produktionsfaktoren
Klassisch: Arbeit, Kapital und Boden. Auch: technisches und organisatorisches Wissen. Werden eingesetzt, um Güter zur Bedürfnisbefriedigung zu produzieren.
Transaktionskosten
Transaktionskosten sind diejenigen Kosten, die durch die Benutzung des Marktes entstehen. Dazu gehören i. w. S. auch Kosten der Informationssuche.
Wettbewerbsfunktionen
Klassische: Verteilungsfunktion, Konsumentensouveränität, optimale Faktorallokation, Anpassungsflexibilität, Förderung des technischen Fortschritts, Kontrolle der wirtschaftlichen Freiheiten.
Wirtschaftsordnung
Die reale Ausgestaltung des Wirtschaftsgeschehens in einer Volkswirtschaft. Realer Rahmen, in welchem wirtschaftlich Prozesse ablaufen.
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GLOSSAR
Wirtschaftssubjekte
Alle Teilnehmer am Wirtschaftsleben. Private Haushalte, Unternehmen, öffentliche Haushalte und bei internationalem Handel die jeweiligen Subjekte des Auslandes.
Wirtschaftssystem
Die idealtypische und richtungsweisende Grundvorstellung eines Staates über den Aufbau und Ablauf seiner wirtschaftlichen Prozesse.
Wirtschaftsverfassung
Die Gesamtheit aller rechtlichen Vorschriften, die für die Wirtschaftsordnung bedeutsam sind. Verfassungen von Bund und Ländern und wirtschaftlich relevante Bundes- und Landesgesetze.
Zahlungsbilanz
Erfasst alle ökonomischen Transaktionen (Leistungs- und Finanztransaktionen), die zwischen In- und Ausländern innerhalb eines bestimmten abgelaufenen Zeitraums (meistens ein Jahr) getätigt werden.
.
21
1
Einführung – Warum wirtschaften?
1.1 Was ist Volkswirtschaftslehre und welche Aufgaben erfüllt sie? Volkswirtschaftslehre – Die Lehre von der Wirtschaft eines Volkes. So könnte man, ausgehend von der gängigen Bezeichnung, den Inhalt dieser Wissenschaft definieren. Doch damit wird man der Volkswirtschaftslehre (VWL) nicht gerecht, umfasst sie doch wesentlich tiefere und weitere Inhalte. Wie die alte Bezeichnung „Nationalökonomie“ ist „Volkswirtschaftslehre“ ein ungünstig gewählter Begriff: Zu eng für die Betrachtung der Weltwirtschaft – der wirtschaftlichen Verflechtungen zweier oder mehrerer Länder auf Basis makroökonomischer Kennzahlen – und zu breit für die Betrachtung mikroökonomischer Vorgänge – der Interaktion einzelner Wirtschaftssubjekte. Zudem wird der politische Aspekt ausgeblendet. Eine gängige internationale Bezeichnung der Disziplin ist daher „political economy“. Ob und inwiefern die Politik mit der Funktionsfähigkeit einer Wirtschaft zu tun hat, wird in einem späteren Kapitel eingehend beleuchtet. In der gängigen Literatur finden sich zahlreiche Definitionen der Disziplin. Und sie alle unterscheiden sich inhaltlich nur marginal. Wirtschaftliches Ziel einer Gesellschaft ist der effiziente Einsatz von Produktionsfaktoren zur Herstellung von Gütern, um die Bedürfnisse der Mitglieder einer Gesellschaft zu befriedigen. Die Güter sind dabei das Mittel zur Zielerfüllung. Das Problem dabei ist, dass die Menge der Bedürfnisse die Anzahl der Güter übersteigt, das Ziel kann also mit den verfügbaren Mitteln nicht erreicht werden. Diese Situation wird als Knappheit bezeichnet und ist sowohl Ursache des Wirtschaftens als auch ein Betrachtungsgegenstand der Volkswirtschaftslehre. Diese umfasst folglich die ganzheitliche Betrachtung allen wirtschaftlichen Handelns, auf mikroökonomischer sowie nationaler und internationaler makroökonomischer Ebene. Da die Bezeichnung „Volkswirtschaftslehre“ nicht ganz den Kern der Disziplin trifft, liegt es nahe, sich der Materie über die Aufgaben der Volkswirtschaftslehre zu nähern. Diese können vereinfacht als Beschreiben – Erklären – Gestalten des wirtschaftlichen Geschehens definiert werden:
22
KAPITEL 1 EINFÜHRUNG – WARUM WIRTSCHAFTEN?
•
Beschreiben: Zum einen ist es Aufgabe der Volkswirtschaftlehre, den IstZustand des wirtschaftlichen Geschehens zu beschreiben. Beispiel: Wie viele Autos exportieren deutsche Autohersteller in das Ausland? Dazu werden Daten gesammelt und strukturiert. Durch die Zählung aller exportierten Autos aller deutschen Hersteller erhält man die Antwort auf die Frage.
•
Erklären: Eine weitere Aufgabe der VWL besteht darin, das wirtschaftliche Geschehen zu analysieren und zu erklären. Dies geschieht mit Hilfe von Hypothesen und Modellen.
•
Gestalten: Eine weitere Aufgabe der VWL ist die Prognose des zukünftigen wirtschaftlichen Geschehens. Nur so kann die Volkswirtschaft von den wirtschaftlichen und politischen Institutionen gestaltet werden.
In den folgenden Kapiteln soll Fachfremden die Denkweise, Struktur und Entwicklung der Volkswirtschaftslehre näher gebracht werden. Dazu wird die Volkswirtschaft in so genannte „Lagen“ eingeteilt. Eine ausführliche Begründung und Beschreibung dieser Einteilung wird im Folgepunkt 1.2 ausgearbeitet. In Kapitel 2 folgt eine Darstellung der wichtigsten theoretischen volkswirtschaftlichen Instrumente, die gleichzeitig den Unterschied zwischen Volks- und Betriebswirtschaftslehre erklären. In den Kapiteln 3 bis 8 werden die bereits genannten „Lagen“ einzeln ausführlicher beschrieben und anhand praktischer Beispiele erläutert. Das letzte Kapitel 9 enthält moderne Denkansätze, die als Ergänzung oder Alternative zu den traditionellen Denkschulen und Theorien der Volkswirtschaftslehre in den letzten Jahrzehnten entstanden sind.
KAPITEL 1 EINFÜHRUNG – WARUM WIRTSCHAFTEN?
23
1.2 Was ist Fundamentalökonomie und warum bedient sie sich des Instruments der „Lagen“? Die Volkswirtschaftslehre beschreibt und analysiert die Ursachen und Funktionsweisen des Wirtschaftens und versucht, wirtschaftliche Prozesse auf Basis von erklärbaren Zusammenhängen zu optimieren. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich darauf, die grundsätzlichen Rahmenbedingungen – ob naturgegeben oder vom Menschen erschaffen – der Wirtschaftstätigkeit zu beschreiben. Diese Fundamentalökonomie beschreibt die wirtschaftlichen Prinzipien und ermöglicht es, die Grundlagen der vorhandenen ökonomischen Strukturen zu erfassen. Wir verwenden den Namen Fundamentalökonomie, weil das wirtschaftliche Fundament der Gesellschaft Inhalt der Betrachtungen ist. Unsere heutige Volkswirtschaft ist das vorläufige Ergebnis von Gegebenheiten, Erfahrungen und Entdeckungen, welche sich im Laufe einer Entwicklung aneinander gereiht haben. Die fundamentalökonomische Sicht soll daran erinnern, dass Wirtschaften als soziales Phänomen, als Produkt kulturell bedingter Antworten auf die grundsätzliche Frage der Versorgung entsteht und sich entwickelt. Dabei wird von der Darstellung der Wirtschaft als eine technisch zu bearbeitende Faktenmasse Abstand genommen. Unsere Epoche zeigt, dass entscheidende Daten und Ereignisse der mathematisierten Betrachtung gänzlich entkommen. Bestes Beispiel dafür ist die momentane Finanzkrise. Trotz Erfahrungen mit Wirtschaftskrisen, wie nach dem Schwarzen Freitag oder den Ölkrisen der vergangenen Jahrzehnte, ist es nicht gelungen, die aktuelle Krise zu verhindern. Trotz ökonomischer Theorien und Modellen zur Identifikation der betroffenen Märkte gelang es nicht, die Krise rechtzeitig zu erkennen und zeitnah durch politische Maßnahmen zu verhindern. Die mathematisierte Darstellung der Wirtschaft verhindert es, die Dynamik der Ökonomie zu begreifen und die unterschiedliche Relevanz ihrer Bestandteile voneinander zu differenzieren. Die Fundamentalökonomie versucht dementsprechend, mit dieser eindimensionalen Darstellungsweise zu brechen: Sie betont die Relativität wirtschaftlicher Konzepte und bietet ein dynamisches, kritisches und kreatives Orientierungssystem an. In der Fundamentalökonomie spielt der Begriff der Lage eine zentrale Rolle. Das Wort wird hier gleichzeitig in seinen zwei Hauptbedeutungen verwendet, sowohl im Sinne von Position als auch von Schicht. Die Beschreibung
24
KAPITEL 1 EINFÜHRUNG – WARUM WIRTSCHAFTEN?
einer gegebenen wirtschaftlichen Lage kann als Darstellung einer funktionierenden Wirtschaftsgemeinschaft oder als die Schilderung einer (gegebenenfalls früheren) Etappe einer anderen Wirtschaftsgemeinschaft verstanden werden. So entspricht die so genannte „Lage der Überlebenswirtschaft“ (vgl. Kapitel 3) sowohl in etwa den heutigen ökonomischen Strukturen von Amazonas-Indios als auch einer früheren Entwicklungsstufe westeuropäischer Volkswirtschaften. In diesem Sinne handelt es sich um keine rein geschichtliche Betrachtung, die höchstens als komparative ex-post-Analyse eine gegebene wirtschaftliche Entwicklung vorrangig faktisch erfasst. Die fundamentalökonomische Überlegung ist auch keine wertende Übung, sondern eine neutrale, systematische Betrachtung des Weges und Inhaltes menschlichen Wirtschaftens. Durch die Beschreibung der Lagen soll dem/r LeserIn unsere postindustrielle Wirtschaft als logische Konsequenz eines allmählichen, stufenartigen Prozesses verständlich gemacht werden. Ihr Dasein als Übergangszustand und ihre Relativität werden dabei deutlich unterstrichen. Bildlich kann man sich die Lagen als Jahresringe eines Baumes vorstellen. Im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten kam Schicht um Schicht dazu. Die aufeinander aufbauenden Ringe bedingen sich: Ohne den Kernring („Die Lage der Überlebenswirtschaft“) hätten die äußeren Ringe (bspw. die „Lage der internationalen Konzentration“) kein Fundament, auf welches sie aufbauen können. Alle Ringe bilden zusammen den Baum, sie sind für seine Existenz verantwortlich und erzählen zugleich seine Geschichte. Auch Verletzungen an einem Baum sind Jahre später noch erkennbar – der Jahresring ist unterbrochen oder weist Veränderungen gegenüber den anderen Ringen auf. Auch eine Wirtschaftskrise hinterlässt ihre Spuren, und ihre Nachwirkungen sind im schlimmsten Fall noch in den folgenden Generationen spürbar. Der Baum kann von außen jedoch allenfalls so betrachtet werden, wie er in diesem Moment vor uns steht. Es ist nicht abschätzbar, wann ein neuer Jahresring sein Wachstum beendet hat und wie dieser Ring genau aussehen wird. Auch in der Volkswirtschaftslehre ist es schwierig, weitere Lagen zu prognostizieren, da sich wirtschaftliche Prozesse zusehends dynamisieren und immer schwerer erfasst werden können. Das folgende Schaubild zeigt diesen bildlichen Aufbau der Lagen.
KAPITEL 1 EINFÜHRUNG – WARUM WIRTSCHAFTEN?
Die Lage der wirtschaftsgeordneten Nationalstaaten (Kap. 7)
25
Die Lage der sich regelnden Agrargemeinschaft (Kap. 5) Die Lage der Tauschwirtschaft (Kap. 4) Die Lage der Die Lage der WirtschaftsÜberlebenswirtschaft intensivierung (Kap. 3) (Kap. 6)
Die Lage der internationalen Konzentration (Kap. 8)
Abbildung 1: Die "Lagen" der Fundamentalökonomie Quelle: Eigene Darstellung
Ab Punkt 3 werden die sechs Lagen der Volkswirtschaftslehre beschrieben und analysiert. Nach der Schilderung der Rahmenbedingungen und der sozialen Verhältnisse jeder Lage werden die charakterisierenden wirtschaftsrelevanten Bestandteile der jeweiligen Lage beschrieben. An diese theoretischen Strukturen wird jeweils ein praxisbezogenes Beispiel angeschlossen. Doch zunächst soll ein Verständnis für die volkswirtschaftliche Betrachtungsweise geschaffen werden. Dazu werden in Kapitel 2 die Ebenen der Volkswirtschaftslehre beschrieben.
27
2
Die Ebenen der Volkswirtschaftslehre
2.1 Unterschiedliche Blickwinkel Bereits in Punkt 1.1 wurde erwähnt, dass der Kerngedanke des Wirtschaftens der effiziente Einsatz von Produktionsfaktoren zur Produktion von Gütern ist. Diese dienen der Bedürfnisbefriedigung einer Gesellschaft. Die Effizienz ist nicht nur einer der Untersuchungsgegenstände der Wirtschaftswissenschaften, sondern zeigt sich auch in der Art von Arbeitsteilung, die innerhalb der Wirtschaftswissenschaften stattfindet. Die Betriebswirtschaftslehre (BWL) untersucht überwiegend Organisationen und betrachtet dabei besonders den Ablauf interner wirtschaftlicher Prozesse. Dabei werden sowohl theoretische als auch praktische Ziele verfolgt. Die Theorie beschäftigt sich mit der Grundlagenforschung und der Beschreibung des Ist-Zustandes. Deren Erkenntnisse fließen in der praktischen Umsetzung als unmittelbare oder direkte Beeinflussung wirtschaftlicher Abläufe in die jeweiligen Organisationen ein. Die Betrachtung erstreckt sich dabei mittlerweile von Handelsunternehmen über Industrie- und Dienstleistungsunternehmen bis hin zu Non-Profit-Organisationen und der öffentlichen Verwaltung, was dafür gesorgt hat, dass sich die Identität der BWL im Lauf der Zeit geändert hat. In der klassischen theoretischen Interpretation ist das Gewinnprinzip noch vorherrschend, also eine Organisationsgestaltung, die zu maximalem Gewinn führt. In der Realität müssen jedoch meist weitere Gesichtspunkte beachtet werden, da reine Gewinnmaximierung zahlreiche, gesellschaftlich wichtige Aspekte beeinflusst. Ein Beispiel dafür sind Entlassungen aus betriebswirtschaftlichen Gründen: Während sie einzelwirtschaftlich sinnvoll erscheinen und zur finanziellen Rettung eines Unternehmens beitragen können, sind sie gesamtwirtschaftlich kritischer zu hinterfragen, da sie bspw. den Konsum beeinflussen, dessen Veränderung gesamtwirtschaftliche Folgen für alle Mitglieder eines Landes hat.1 Die VWL betrachtete dagegen alle wirtschaftlichen Abläufe innerhalb eines definierten Gebietes. Zu den in der BWL betrachteten Organisationen kommen weitere so genannte Wirtschaftssubjekte – wirtschaftliche Akteure, die
1
Vgl. Gabler 2004a:442ff
28
KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
wirtschaftliche Prozesse beeinflussen und steuern. Die Zusammenhänge zwischen den Wirtschaftssubjekten stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen. Sicher gibt es in beiden Wirtschaftswissenschaften Überschneidungen bezüglich der betrachteten Objekte, der Ziele und der Methoden. Weder kommt die BWL ohne gesamtwirtschaftliche, noch die VWL ohne einzelwirtschaftliche Erkenntnisse aus. Doch gravierender sind die Unterschiede. Während die BWL die Einzelwirtschaft aus einer Art „Froschperspektive“ betrachtet, liegt der Erkenntnisbereich der VWL auf der Metaebene, sie betrachtet wirtschaftliche Zusammenhänge aus der „Vogelperspektive“, wie das folgende Schaubild verdeutlicht.
Abbildung 2: Perspektive der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre Quelle: Eigene Darstellung
Der wichtigste Unterschied besteht jedoch in der Anwendung unterschiedlicher Methoden. Die BWL beschreibt Erfahrungen und Beobachtungen, sie arbeitet induktiv, versucht also aus einem bestimmten Beispiel eine allge-
KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
29
meingültige Regel aufzustellen. Ob man aus einem Einzelfall eine universelle Regel ableiten darf und kann, ist wissenschaftlich jedoch zweifelhaft. Die VWL erfasst die komplexen Zusammenhänge innerhalb ihres Untersuchungsbereichs in abstrakten Modellen. Sie geht dabei deduktiv vor. Das heißt sie leitet Sachverhalte aus den Modell-Annahmen logisch ab und überprüft diese Annahmen empirisch, also durch Beobachtungen oder Umfragen.
2.2 Mikro- und Makroökonomie Auch innerhalb der Volkswirtschaftslehre findet Arbeitsteilung statt. So wird die Volkswirtschaftslehre in der Theorie in Mikro- und Makroökonomie unterteilt. Dabei analysiert die Mikroökonomie die Wirtschaftsleistungen einzelner Wirtschaftsobjekte – also Haushalte und Unternehmungen – und deren Interaktion auf den Märkten.2 In der Makroökonomie hingegen werden zu Sektoren aggregierte Gruppen von Wirtschaftssubjekten betrachtet. Bspw. entsteht aus der Gesamtheit aller Haushalte der Sektor „Haushalte“, welcher wiederum den Sektoren „Ausland“ oder „Unternehmen“ gegenübergestellt wird. Der Unterschied besteht nicht darin, dass in der Makroökonomie „das Ganze“ betrachtet wird – gesamtheitliche Modelle gibt es auf mikroökonomischer Ebene ebenfalls, bspw. das Allgemeine Gleichgewichtsmodell. Der Unterschied liegt in der Aggregation von Wirtschaftseinheiten und Märkten zu einer aussagekräftigen, makroökonomischen Gesamtgröße. Die Handhabung makroökonomischer Modelle wird dadurch erleichtert. Jedoch können durch die Aggregation Informationen verloren gehen, diese so genannten Aggregationsfehler verfälschen die Modelle.3
2 3
Vgl. Bartling/Luzius 2008:7 und Mankiw 2004:30 Vgl. Bartling/Luzius 2008:7, Dascher 2007:120 und Mankiw 2004:30
30
KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
2.3 Vereinfachung durch Modelle Gregory N. Mankiw bezeichnet Modelle in seinem Standardwerk „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“ kurz und knapp als „(E)ine Vereinfachung der Realität, um sie besser zu verstehen4“. Dabei können jedoch nicht alle Elemente der Realität gleichzeitig in einem Modell abgebildet werden – dies stünde im Gegensatz zum Anspruch der Vereinfachung. Welche Elemente in ein Modell einfließen, und welche ausgeklammert werden, hängt vom Adressaten und dem Verwendungszweck des Modells ab. Ziel eines jeden Modells ist der Erkenntnisgewinn bzgl. eines bestimmten Gegenstandes. Variablen sind dabei diejenigen Größen oder Mittel, die zur Erkenntnisgewinnung eingesetzt werden. Ein Modell kann grafisch, verbal oder mathematisch dargestellt werden. Aus Gründen der Vereinfachung wird hier die Modellbildung nur verbal erläutert. Modellbereich
Exogene (erklärende) Variablen
Hypothese
Endogene (zu erklärende) Variablen
Störvariablen
Unbekannte Variablen
Nicht betrachtete bzw. zu vernachlässigende Zusammenhänge zwischen Variablen
Zu vernachlässigende Variablen
nicht betrachteter Bereich
Abbildung 3: Modellbildung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Stobbe 1983:30ff
4
Mankiw 2004:24
KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
31
Exogene Variablen sind diejenigen Einflussfaktoren, deren Wirkung auf die endogene Größe – der zu erklärende Gegenstand – als gegeben und wichtig angesehen wird. Welche Variablen endogen oder exogen sind, hängt von der Fragestellung, also dem Ziel des Modells, ab. Das Ziel kann von den zur Verfügung stehenden Mitteln abhängig sein. Jedoch ist es ebenso denkbar, dass die Mittel vom zu erreichenden Ziel abhängig sind. Zusätzlich enthält das Modell Störvariablen oder Zufallsvariablen. Durch sie fließt auch der nicht betrachtete Bereich des Modells in die Berechnungen mit ein. Der nicht betrachtete Bereich besteht zum einen aus unbekannten Variablen, bspw. Verhaltensmuster von Wirtschaftssubjekten. Da der Modellbilder nicht weiß, wie ein Wirtschaftssubjekt handeln wird, kann er diese Handlung nicht berechnen. Auch Variablen, deren Einfluss auf die zu erklärende Größe zu vernachlässigen ist, und nicht betrachtete bzw. zu vernachlässigende Zusammenhänge zwischen Variablen sind Teile des nicht betrachteten Bereichs. Mit der Ceteris paribus–Klausel (c.p. = lat. „wobei alles Weitere gleich bleibt“) werden die Variablen aus dem nicht betrachteten Bereich konstant gehalten. Je nach Fragestellung wird nicht nur entschieden, welche Variablen endogen oder exogen sind. Auch der Modelltyp ist von der Fragestellung und den Adressaten anhängig. Abbildung 4 gibt einen groben Überblick über die verschiedenen Formen und ihre Merkmale. Der Erklärungsanspruch eines Modells ist jedoch begrenzt. Nicht alles kann dadurch erschöpfend erklärt werden. Zum einen, weil die Auswahl der essentiellen Einflussfaktoren schwierig ist, zum anderen wegen der bereits angesprochenen Schwankungen menschlicher Verhaltensweisen.5 So müssen Modelle in der Realität durch empirische Beobachtungen bestätigt oder falsifiziert werden. Entpuppt sich das Modell bei der empirischen Überprüfung als falsch, werden Ziele und Mittel erneut abgestimmt und die endogene Variable neu erklärt.
5
Vgl. Baßeler et al 2006:6f und Dascher 2007:2
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KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
Was wird betrachtet?
Zu welcher Zeit wird betrachtet?
Wie lange wird betrachtet?
Kurzfristig
Partialmodell Teilausschnitt der Wirtschaft wird betrachtet. Beispielsweise der Arbeitsmarkt.
Gesamtmodell
Statisches Modell Betrachtung zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Veränderung von Variablen zeigt schnell Auswirkung. Variablen können schnell verändert werden.
Langfristig
Dynamisches Modell
Gesamtheit aller Märkte wird abgebildet. Beispielsweise im keynesianischen Totalmodell.
Betrachtung des zeitlichen Ablaufs volkswirtschaftlicher Prozesse.
Änderungen ziehen langfristig Konsequenzen nach sich. Variablen können nicht kurzfristig verändert werden.
Abbildung 4: Modelltypen nach Fragestellung Quelle: Eigene Darstellung
Ein Modell ist somit ein sehr hilfreicher Kniff, um bei komplexen Fragen den Überblick nicht zu verlieren. Tatsächlich kann man nicht ganz ohne Mathematik auskommen, sie ist eine Grundlage für das Verständnis zählbarer und erklärbarer Zusammenhänge zwischen Wirtschaftssubjekten. Zwar ist es möglich, ökonomische Modelle gänzlich ohne Formeln und Diagramme zu vermitteln, aber die formalen Methoden schaffen oft ein tieferes Verständnis, da viele ökonomische Fragestellungen von Veränderungen handeln. Und Steigungen sind ein hervorragendes Instrument, um solche Veränderungen zu verstehen und darzustellen, da sie die Veränderungen in Beziehung zu möglichen Ursachen setzen.6 Doch aus diesem Grund lastet der VWL der Ruf an, eine sehr trockene und mathematisierte Wissenschaft zu sein. Ein Überschuss an Mathematik ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einer höheren Qualität des Modells. Vielmehr besteht der Trick in der 6
Dascher 2007:10
KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
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Konstruktion und Anwendung des adäquaten Modells bezüglich der Fragestellung.7 Diese Arbeit soll jedoch nicht ganz so tief in die Sphären der VWL eintauchen. Es soll vermittelt werden, warum die VWL wichtig ist und welches die Grundzüge des wirtschaftlichen Handelns sind. Dazu bedarf es keiner Formeln.
2.4 Das Ökonomische Prinzip Das Ökonomische Prinzip (auch: Rational- oder Wirtschaftlichkeitsprinzip genannt) bezeichnet einen fundamentalen Grundsatz der Wirtschaftstheorie: Nach dem Ökonomischen Prinzip setzt jedes Wirtschaftssubjekt aufgrund der Knappheit von Gütern Input und Output in Relation und handelt entsprechend seiner persönlichen Präferenzen. Diese drücken sich bei Haushalten als Nutzenmaximierung und bei Unternehmen bspw. als Gewinnmaximierung aus. Ein Individuum, das bei vollständiger Information über alle Handlungsalternativen und deren Konsequenzen und bei vollkommener Markttransparenz nach dem Rationalprinzip entscheidet und handelt, wird als Homo oeconomicus bezeichnet8. Ihm wird unterstellt, dass es aus einem bewussten Motiv und nicht aus einem Reflex, einer unbewussten Reaktion, heraus handelt. Rationales Handeln ist folglich ein Verhaltensaspekt, der aus der Knappheit von Mitteln (hier: Gütern) zur Erreichung eines Ziels (hier: Bedürfnisbefriedigung) erwächst.9 Ist der Output vorgegeben (bspw. in Form einer bestimmten Produktionsmenge) soll der Input (der Einsatz von Produktionsfaktoren) so gering wie möglich gehalten werden, um das Ziel zu erreichen. Man spricht in diesem Fall vom Minimalprinzip. Ist der Input vorgegeben (bspw. in Form eines bestimmten Budgets), soll mit den vorhandenen Mitteln ein möglichst großer Output erreicht werden. In diesem Fall wird das Maximalprinzip angewendet. In der Praxis überwiegen jedoch meist komplexere Aufgaben, bei denen weder das zu erreichende Ziel noch die zur Verfügung stehenden Mittel fest vorgegeben sind. Es muss folglich unter mehreren Alternativen diejenige ausgewählt werden, bei welcher der Input und Output innerhalb eines bestimmten Rahmens in einem möglichst optimalen Verhältnis zuein7
Lachmann 2006:4 Vgl. Gabler 2004c:1410 9 Vgl. Brodbeck 2007:188f 8
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KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
ander stehen. Dieses Optimalprinzip (auch Extremumprinzip genannt) gilt als allgemeinere Form des Rationalprinzips. Allerdings sind auch dem Rationalprinzip Grenzen gesetzt. Der Grundsatz beruht auf einer der häufigsten Annahmen volkswirtschaftlicher Modelle: Vollständige Information. Dies würde bedeuten, dass jedes Wirtschaftssubjekt bei jeder anstehenden Entscheidung alle relevanten Informationen bezüglich der Entscheidungsmöglichkeiten hat und daraus erkennen kann, welche Möglichkeit die effizienteste und damit rational ist. Nun ist jedem Individuum aus dem Alltag bekannt, dass diese Annahme sehr selten zutrifft. Ein weiterer Kritikpunkt ist die im Rationalprinzip unterstellte Unabhängigkeit von Bedürfnissen und Zielen. Das würde bedeuten, dass jeweils nur die zu erreichenden Ziele relevant sind. Davon unberührte Bedürfnisse werden außen vor gelassen. Ich habe bspw. die Ziele „zur Arbeit gehen“ und „mich abends mit Freunden treffen“. Beide Ziele möchte ich innerhalb eines Tages erreichen. Ich kann jedoch nicht damit rechnen, dass ich genau einen halben Tag pro Ziel zur Verfügung habe. Denn innerhalb dieses Tages werde ich Bedürfnisse haben, die ich befriedigen muss. Hunger, Durst oder das banale Bedürfnis mich zu duschen, wenn ich von der Arbeit komme und bevor ich mich mit meinen Freunden treffe. Es bestehen somit sehr wohl Abhängigkeiten zwischen Zielen und Bedürfnissen. Das Rationalprinzip beachtet diese jedoch nicht. Ein dritter Kritikpunkt ist die Nichtbeachtung außerökonomischer Bedürfnisse. So spielen bspw. Emotionen im Alltag eine große Rolle. Sie sollen jedoch, laut Rationalprinzip, eine Entscheidung nicht beeinflussen. Auch diese Annahme ist in der Realität nicht immer gegeben, wird jedoch im Modell des Homo oeconomicus ebenfalls unterstellt. Auch die Annahmen der vollständigen Information, wie oben bereits beschrieben, und der vollkommenen Markttransparenz sind realitätsfremd. Obwohl der Homo oeconomicus folglich kein konstantes ökonomisches Verhalten beschreibt, ist er zur Erforschung rationalen Verhaltens als Modell unter bestimmten Annahmen äußerst hilfreich. Dieses Modell lässt sich jedoch keineswegs in die Realität übertragen. Wie in Punkt 3.2.1 noch beschrieben wird, entwickeln sich Bedürfnisse individuell – vor allem, wenn Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst etc. gestillt sind. Demnach ist auch die Definition von rationalem Verhalten individuell, Entscheidungen werden nach individuellen Einschätzungen einer Situation getroffen und nicht nach einem schematisierbaren kollektiven Verhaltensmuster. Die VWL soll als Handlungstheorie oder Theorie der menschlichen Ra-
KAPITEL 2 DIE EBENEN DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE
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tionalität gesehen werden. Denn dadurch ist sie weit davon entfernt, menschliches Verhalten auf mechanische Strukturen reduzieren zu wollen.10
2.5 Positive und Normative Ökonomie Eine weitere Form der Arbeitsteilung innerhalb der Ökonomie ist die Unterscheidung in normative und positive Ökonomie. Die positive oder beschreibende Ökonomie befasst sich mit der Beschreibung wirtschaftlicher Fakten. Diese Fakten werden auf ihre empirische Gültigkeit überprüft und führen zur Annahme oder Verwerfung ökonomischer Modelle und Theorien. Es werden Fragen behandelt wie: Welche Auswirkungen hat Freihandel auf die Bewohner eines Wirtschaftsraums? Warum ging das Wirtschaftswachstum nach der Deutschen Einheit zurück? Diese Fragen werden mithilfe analytischer Methoden und durch empirischen Nachweis beantwortet und die Welt damit so beschrieben, wie sie ist.11 Die normative Ökonomie befasst sich mit ethischen Ansichten und Werturteilen. Sollen die Rüstungsausgaben gesenkt werden, damit mehr Investitionen in das Gesundheitswesen getätigt werden können? Soll der Verkauf von Medikamenten über das Internet erlaubt werden? Auf diese Fragen gibt es keine eindeutig richtigen oder falschen Antworten, da sie nicht ausschließlich über ökonomische Fakten beantwortet werden können. Als Lösungsansätze für diese Fragen dient die politische Debatte, da analytische Methoden hier überfordert sind. Die normative Ökonomie befasst sich folglich damit, wie die Welt sein könnte.12.
10
Vgl. Brodbeck 2007:189 Vgl. Mankiw 2004:31f und Samuelson/Nordhaus 1998:30 12 Vgl. Mankiw 2004:31 und Samuelson/Nordhaus 1998:31 11
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3 Die Lage der Überlebenswirtschaft Nachdem nun die grundlegenden Methoden der Volkswirtschaftslehre vorgestellt wurden, folgen in den nächsten Kapiteln die Lagen der Fundamentalökonomie. Wie bereits beschrieben, bauen sie aufeinander auf und bilden so Kreise von in sich abgeschlossenen Entwicklungen. In diesem Kapitel wird die erste Lage der Fundamentalökonomie, „Die Lage der Überlebenswirtschaft“ beschrieben. Sie kann als Ausgangslage ökonomischen Handelns verstanden werden, auf welcher die nachfolgenden Lagen aufbauen. Wie auch in den darauf folgenden Kapiteln werden zuerst die sozialen Verhältnisse, also die Zusammensetzung an Wirtschaftssubjekten innerhalb der jeweiligen Lage, beschrieben. Anschließend werden die wirtschaftsrelevanten Bestandteile der jeweiligen Lage vorgestellt und analysiert. Im Anschluss folgt ein Beispiel zur Verdeutlichung.
3.1 Das Individuum Wirtschaftssubjekte in der Lage der Überlebenswirtschaft sind einzelne Individuen, isolierte Familien oder höchstens kleine, oft instabile Sippen, welche in einer meist feindlichen Natur um das Überleben kämpfen. Dieser Kampf kann als intuitive Selbstversorgung beschrieben werden, die im Rahmen der natürlichen Gegebenheiten stattfindet: Tiere, Beeren oder Wurzeln werden je nach Vorhandensein gejagt und gesammelt, vorhandene Höhlen bieten Schutz vor der Witterung. Die Selbstversorgung dominiert das noch nicht vorhandene wirtschaftliche Leben, es findet kein Tausch auf einem Markt im mikroökonomischen Sinn – als Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, über welches sich Preise bilden – statt. Die Kenntnisse der Individuen und Sippen stammen aus eigenen Erfahrungen und nur zu einem geringfügigen Teil aus Überlieferungen. Ihre Sprachen und damit die Kommunikationsmöglichkeiten untereinander und mit Fremden sind rudimentär und begrenzt. Diese Lage entspricht im Groben der Vorstellung, die man von der Vorgeschichte bzw. den so genannte Naturvölkern hat.
38
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
3.2 Die Erkenntnis über die wirtschaftsrelevanten Bestandteile 3.2.1 Bedürfnisse Die Wirtschaftssubjekte der Überlebenslage stehen am Anfang der Wirtschaftstätigkeit. Sie werden sich erst darüber bewusst, dass ihnen im Kampf um das Überleben eine bestimmte Menge Güter in einer bestimmten Qualität zur Verfügung stehen. Diese Güter können zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung verwendet werden. Dazu müssen sich die Individuen in dieser Lage über ihre persönlichen Präferenzen – die genaue Ausprägung und die Reihenfolge ihrer Bedürfnisse – klar werden. Die klassische Bedürfnistheorie geht dabei von zwei Arten von Bedürfnissen aus: Existenzund Kulturbedürfnisse. In Tabelle 1 werden diese Arten von Bedürfnissen näher erläutert.
Existenzbedürfnisse
Kulturbedürfnisse
(primäre Bedürfnisse)
(sekundäre Bedürfnisse)
Definition
Verlangen des Körpers, welches mit dem Verhalten verbunden ist, dieses beheben zu wollen
Verlangen des Geistes bzw. Begehren nach etwas, welches mit dem Verhalten verbunden ist, dieses beheben zu wollen
Herkunft
angeboren
angelernt
Mangel-Gefühl
Begehren (Wunsch)
„Needs“
„Wants“
Kategorie
Ausdruck
Bei Nichterfüllung
Tabelle 1:
Tod
Frust
biologisch bedingt
psychologisch bedingt
Die klassische Bedürfnistheorie Quelle: Eigene Darstellung
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
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1943 veröffentlichte der amerikanische Psychologe Abraham Harold Maslow ein neues Modell der Bedürfnishierarchie (vgl. Abb. 5, S. 40), um die Motivation von Personen zu beschreiben. Die Bedürfnisse stehen hier nicht mehr nebeneinander, sondern bauen aufeinander auf. Außerdem erweiterte er die klassische Theorie um weitere Bedürfniskategorien. Die unteren drei und Teile der vierten Stufe sind Defizitbedürfnisse. Ihre Befriedigung ist elementar und hat keine weitere Motivation zur Folge. Wenn man nicht mehr durstig ist, hat man keine Motivation mehr, etwas zu trinken. Allerdings bleiben auch diese Bedürfnisse nicht ewig befriedigt, so kommt das Bedürfnis zu trinken zurück, wenn man sich bspw. körperlich betätigt hat. Die Bedürfnisse der fünften und teilweise der vierten Stufe sind Entwicklungsbedürfnisse oder unstillbare Bedürfnisse. Sie können nicht erschöpfend befriedigt werden. Nach einem beruflichen Erfolgserlebnis hat man unweigerlich das Bedürfnis, diesen Erfolg zu übertreffen. Das Bedürfnis nach Erfolg entwickelt sich ständig weiter. 1970 hat Maslow dieses Modell erweitert und eine neue oberste Stufe, die Transzendenz – die Suche nach einer das individuelle Selbst übersteigenden und außerhalb des beobachtbaren liegenden Dimension – hinzugefügt. Meist wird die Pyramide jedoch mit der Selbstverwirklichung als abschließende Stufe dargestellt. Die oberen Bedürfnisse der Pyramide bestimmen die Motivation umso stärker, je intensiver die unteren Bedürfnisse befriedigt wurden. Wenn ich satt, ausgeschlafen und frisch geduscht bin, kann ich mich in Ruhe auf die Befriedigung eines nicht überlebenswichtigen Bedürfnisses konzentrieren und bspw. ein Treffen mit Freunden arrangieren. Wenn ich jedoch hungere und übermüdet bin, ist mir meine soziale Anerkennung wahrscheinlich eher egal. In Krisensituationen werden Bedürfnisse demnach von oben nach unten „gestrichen“.
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
En tw i
ck lu ng sb ed ür fn iss e
40
Selbstverwirklichung Æ nach Individualität etc.
Soziale Wertschätzung
De fiz itb ed ür
fn
iss e
Æ nach Anerkennung, finanziellem Reichtum etc.
Soziale Bedürfnisse Æ nach Familie, Freunden, festen sozialen Strukturen etc.
Sicherheitsbedürfnis Æ nach festem Arbeitsplatz, Recht und Ordnung etc.
Körperliche Existenzbedürfnisse Æ nach Essen, Trinken, Schlaf etc.
Abbildung 5: Die Maslowsche Bedürfnispyramide Quelle: Eigene Abbildung nach A. H. Maslow
Seit Mitte der 60er Jahre wird im Bereich der Wohlfahrtsforschung eine Definition von Wohlfahrt über Sozialindikatoren angestrebt. Dabei stehen keine makroökonomischen, monetären Indikatoren wie bspw. das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vordergrund, sondern soziale Indikatoren. Die so genannte Sozialindikatorenbewegung ist eine amerikanische Idee. Sie beinhaltet ein System der sozialen Gesamtrechnung als Alternative zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, sowie die Messung der langfristigen Indikatoren des sozialen Wandels und der Bedeutung des sozialen Wandels über Daten der Umfrageforschung. 1968 wurde in Schweden die erste Level-of-Living-Umfrage durchgeführt, in der Mittel und Wege der individuellen Kontrolle und Bestimmung der Lebensbedingungen analysiert wurden. Es handelt sich dabei also um eine objektive Betrachtung sozialer Indikatoren, die im Gegensatz zur subjektiven Bewertung der Zufriedenheit der Bürger einer Volkswirtschaft stehen. Der finnische Soziologe Erik Al-
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
41
lardt verband diese beiden Theorien in seinem Konzept des Having-LovingBeing. Darin beschreibt er die Wohlfahrtsentwicklung als Verbesserung der objektiven Lebensbedingungen und des subjektiven Wohlbefindens der Individuen. Darunter zählen bei Allardt ausreichende Ressourcen, also eine ausreichende Ausstattung mit materiellen Gütern (having), sowie die Zugehörigkeit zu einem sozialen Umfeld, etwa das Bedürfnis nach Zuneigung und Anerkennung (loving) und die Möglichkeit der individuellen Identitätsbildung (being).13 Die Bedürfnisse stehen bzw. entwickeln sich hier also nicht mehr nebeneinander oder sukzessive, sondern gleichzeitig, wie aus der Abbildung unten ersichtlich wird. Je nach Erziehung, sozialem und kulturellem Umfeld, Gelegenheiten, Möglichkeiten und Zufällen entfalten die Wirtschaftssubjekte ihre Bedürfnisstrukturen unterschiedlich stark. Diese Theorie räumt zum ersten Mal die Möglichkeit einer individuellen Bedürfnisgestaltung ein: Menschen wollen nicht mehr alle dasselbe und handeln entsprechend ihren persönlichen Präferenzen, die nicht mehr so einfach zu klassifizieren sind. having
loving
being
Abbildung 6: Moderne Bedürfnistheorie der Wohlfahrtsforschung Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Allardt 1993
13
Vgl. Zapf 2002:10ff; Noll 1999:3ff und Allardt 1993:88ff
42
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
Auch die Unterscheidung nach Individual- und Kollektivbedürfnissen ist möglich. Jedoch muss dabei bedacht werden, dass Bedürfnisse nur von Individuen empfunden werden können. Es ist letztlich nicht möglich, einem Kollektiv ein eindeutiges und für alle Individuen innerhalb des Kollektivs gültiges Bedürfnis zuzuordnen. Die Unterscheidung bezieht sich hier darauf, wie bzw. von wem die Bedürfnisse befriedigt werden. Kollektivbedürfnisse, bspw. das Bedürfnis nach Bildung, werden – je nach Staatsform – durch komplett oder teilweise vom Staat zur Verfügung gestellte Güter befriedigt. Individuelle Bedürfnisse, bspw. nach Nahrung, werden hingegen privat befriedigt.14 3.2.2 Güter Güter sind, einfach ausgedrückt, Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. Dabei können alle im Punkt 3.2.1 genannten materiellen Bedürfnisse von Gütern befriedigt werden. In der Theorie der Volkswirtschaftslehre existieren verschiedene Kategorisierungen von Gütern. Diese Klassifikationen sind jedoch auf einen Kern reduziert, das heißt, die Betrachtung findet wie mit einer Art „Tunnelblick“ statt. Eine alles abdeckende Klassifikation aller Güter ist nicht möglich. Letztlich auch, da es zu Überschneidungen zwischen Gütern und Produktionsfaktoren kommt. Den meisten Klassifikationen in der Wirtschaftsliteratur liegt die Unterscheidung nach Knappheit und Nützlichkeit in wirtschaftliche und freie Güter zu Grunde. Unter freien Gütern versteht man hierbei Naturgüter. Diese können jedoch begrenzt sein, bspw. durch die Menge, in der sie zur Verfügung stehen. Daraus ergibt sich die weitere Einteilung in freie und begrenzte Naturgüter. Wirtschaftliche Güter lassen sich dagegen mehrfach unterteilen. Zum einen können sie nach Beschaffenheit und Produzierbarkeit unterteilt werden. Hierbei werden die Merkmale ‚materiell’ und ‚immateriell’, sowie ‚beliebig vermehrbar’ und ‚nicht beliebig vermehrbar/ nicht produzierbar’ verwendet. Die Abbildung zeigt ausgewählte, in der Wirtschaftsliteratur gängige, Klassifikationen von Gütern ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.15
14 15
Vgl. Baßeler et al 1981:41 Vgl. Baßeler et al 1981:41ff, Güntzel 2007:36ff und Hieber 2009:19ff
Produzierbare Güter
Dienstleistungen
Wiederverwendbar (Auto, Zahnbürste)
Verschwinden beim Verzehr (Apfel)
Vorleistungen wie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe
Verbrauchsgüter
Investitionsgüter
Gebrauchsgüter
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Baßeler et al 1981:41ff, Güntzel 2007:36ff und Hieber 2009:19ff
Abbildung 7: Klassifikation von Gütern
Gebrauchsgüter
Verbrauchsgüter
Produktionsfaktoren i.w.S. ( Maschinen, Werkzeuge) in Unternehmen
à la carte, individuell (Arzt)
Pauschales Angebot (Transport mit Bahn)
Produktionsgüter
Persönliche DL
Sachliche DL
„unsichtbare“ Güter
Dienen der unmittelbarenBedürfnisbefriedigung in Haushalten
beliebig vermehrbar
Sachgüter
Konsumgüter
nicht beliebig vermehrbar bzw. produzierbar (Kunstwerke)
Wirtschaftliche Güter (von Wirtschaftssubjekten durch Bearbeitung erstellt)
„körperliche“ Güter
Durch Bearbeitung
Begrenzt durch ihre Menge, bzw. ihre Belastbarkeit ( Wasser, Luft)
Naturgüter
Singuläre Güter
-Freie Verwendung durch jeden -unentgeltlich -unerschöpflich (Wasserkraft, Sonne, Erdwärme, Wind)
Freie Naturgüter
Naturgüter
(der Natur entnehmbar)
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT 43
44
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
3.2.3 Produktionsfaktoren Produktionsfaktoren bezeichnen die „zur Produktion verwendeten Güter materieller und immaterieller Art, deren Einsatz für das Hervorbringen anderer wirtschaftlicher Güter aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen notwendig ist16“. Die Faktormengen (Input) werden im Produktionsprozess kombiniert, um zu einem gewünschten Produktionsergebnis (Output) zu gelangen. In der Geschichte der volkswirtschaftlichen Theorie wurden zahlreiche Kategorisierungen von Produktionsfaktoren vorgenommen. In der klassischen Theorie zählen Arbeit, Kapital und Boden zu den Produktionsfaktoren. Dabei bezeichnet der Boden ursprünglich Ackerland. Im Zuge der Ausbeutung von Bodenschätzen und der Verknappung natürlicher Produktionsmittel wie Wasser oder Luft wird mittlerweile vom Produktionsfaktor Umwelt oder Natur gesprochen. Der Produktionsfaktor Arbeit ist dafür verantwortlich, aus Rohstoffen gebrauchsfertige Güter entstehen zu lassen. Arbeit hat eine quantitative (die Anzahl der Arbeitskräfte) und eine qualitative (die Ausbildung der Arbeitskräfte) Seite. Diese qualitative Seite wird in der modernen Wirtschaftstheorie auch in einem vierten Produktionsfaktor Wissen abgebildet. Dieses Wissen drückt sich sowohl technisch (Innovation und Fortschritt durch ständige Weiterentwicklung und „lebenslanges Lernen“) als auch organisatorisch (effizientere Produktion durch Prozessoptimierung) aus. Technisches Wissen (Know-how) kann entsprechend auch dem Faktor Kapital zugeordnet werden. Der Faktor Kapital wird zunächst ausschließlich in seiner realwirtschaftlichen Funktion verstanden – als Sachkapital. Darunter versteht man Gebäude, Maschinen oder Werkzeuge, also produzierte Faktoren, die ihrerseits zur Produktion von Gütern eingesetzt werden. Den drei klassischen Produktionsfaktoren stehen Lohn, Bodenrente und Profit als entsprechende Einkommensarten gegenüber17. Die modernere Wirtschaftstheorie unterscheidet die klassischen Produktionsfaktoren zudem in originäre (A und B) und derivative (K) Faktoren. Arbeit und Boden sind vorhanden und müssen nicht explizit hergestellt werden. Wenn sie jedoch zur Neige gehen, können sie nicht wieder hergestellt werden. Kapital (und auch Wissen) muss dagegen explizit hergestellt wer-
16 17
Gabler 2004f: 2404f ebenda
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
45
den. Bei Zerstörung kann Kapital wieder hergestellt werden – ebenso technisches und organisatorisches Wissen.
Boden (B)
Arbeit (A, W oder L)
Kapital (K)
Quantitativ Eine vom Menschen erbrachte Leistung (≠ Tier, Roboter)
•Als Anbauboden •Als Standort •Als Rohstofflieferant
Æ Ein berechenbares Entgelt ist vorhanden (Hausarbeit ist keine Arbeit im Sinne der VWL, da diese Arbeitsleistung schwer zu erfassen ist und in keine Statistik eingeht)
ÆAlle natürlichen Ressourcen sind Bestandteile des Produktionsfaktors Boden (Meere, Seen, Weltall)
Qualitativ (auch als 4. Faktor „Wissen“) Anstieg der Qualität der Arbeit durch Ausbildung sowie organisatorisches Wissen zur Ablaufoptimierung
•Produktionsgüter •Technisches Wissen (Know-how) •Vorräte (abgebaute Rohstoffe, Halbfertigprodukte) Gemeinsamer Nenner: Konsumverzicht Ohne Konsumverzicht ist keine Bildung von Kapital möglich. ÆDie VWL betrachtet „Kapital“ als Realkapital und nicht als Geldkapital. Geld ist nur ein systembedingtes Zahlungsmittel.
Æ Schwer messbar!
Tabelle 2:
Die klassischen Produktionsfaktoren Quelle: Eigene Darstellung
Eine weitere Einteilung, die Güter und Produktionsfaktoren gemein haben, ist die Kategorisierung nach ihren technischen Beziehungen: Homogene Güter und Produktionsfaktoren sind in ihrer Funktion gleich. Die Entscheidung, von welchem Anbieter Strom geliefert werden soll, hängt alleine vom Preis ab. Heterogene Güter und Produktionsfaktoren unterscheiden sich in ihrer Funktion. Die Entscheidung für ein Auto einer bestimmten Marke hängt von den persönlichen Präferenzen des Käufers ab. Substitutive Güter und substitutionale Produktionsfaktoren sind in unterschiedlichen Graden austauschbar. Vollkommene Substitute sind bspw. Butter und Margarine. Unvollkommene Substitute unterscheiden sich bspw. in ihrer Qualität geringfügig, dienen aber dem Erreichen desselben Ziels. Auch Arbeit und Kapital sind teilweise substitutionale Produktionsfaktoren. Bspw. können Ma-
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KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
schinen, die als Kapitalanlagen gelten, menschliche Arbeit ersetzen. In manchen Industrien wird Arbeit auf diese Weise sogar komplett durch ein Mehr an Kapital ersetzt. Komplementäre Güter und limitationale Produktionsfaktoren ergänzen sich teilweise oder vollständig. Vollkommen komplementäre Güter oder vollkommen limitationale Produktionsfaktoren werden zusammen nachgefragt und gekauft, da sie nur gemeinsam konsumiert oder verwendet werden können. So brauche ich für die Funktionsfähigkeit eines Autos auf jeden Fall Benzin. Unvollkommen komplementäre Güter oder unvollkommen limitationale Produktionsfaktoren ergänzen sich zwar, werden aber auch einzeln nachgefragt. Die Zutaten für einen Milchkaffee kann ich ebenso getrennt wie zusammen genießen, für einen Milchkaffee brauche ich jedoch unbedingt Milch und Kaffee. Indifferente Güter und Produktionsfaktoren sind ohne jeglichen Zusammenhang, bspw. werden Schuhe und Dauerlutscher komplett unabhängig voneinander nachgefragt.
3.3 Anwendungsbeispiel Wirtschaftskreisläufe Die Beziehungen zwischen Gütern und Produktionsfaktoren können in einfachen Kreislaufdiagrammen dargestellt werden. Dabei kann zwischen unterschiedlichen Kreisläufen je nach Lage unterschieden werden. Im Laufe der in den folgenden Kapiteln beschriebenen Entwicklung kommen weitere Wirtschaftssubjekte und Institutionen zu den bestehenden Subjekten aus der ersten Lage hinzu. Zunächst besteht der Wirtschaftskreislauf jedoch nur aus Haushalten (HH) und Unternehmen (UN), wie in Abbildung 8 ersichtlich ist. Haushalte stellen die Nachfrageseite dar, da sie entsprechend ihrer Bedürfnisse Güter nachfragen. Für die Produktion dieser Güter sind die Unternehmen, die Anbieter von Gütern, zuständig. Allerdings können Unternehmen ohne den aus den Haushalten stammenden Produktionsfaktor Arbeit nicht produzieren. Zumindest nicht in den ersten Lagen des Wirtschaftens, in denen die Wirtschaftsgemeinschaft noch weit entfernt von mechanisierten Arbeitsvorgängen und dem Einsatz von Maschinen ist. Die Arbeitsleitung der Mitglieder eines Haushalts wird als Faktorleistung bezeichnet.
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
47
Konsum
Konsumausgaben
HH
UN
Faktoreinkommen (Lohn)
Monetärer Strom (Geldstrom) Realer Strom (Güterstrom)
Faktorleistungen (z.B. Arbeit)
Abbildung 8: Kreislauf einer geschlossenen VW ohne Staat und Vermögensänderungen Quelle: Frenkel/John 2006:5ff
Der Arbeitsleistung steht ein Faktorentgelt in Form von Lohnzahlungen zu, es findet hier also ein Tausch von Arbeitsleistung gegen eine bestimmte Bezahlung, zunächst durch Güter, später durch Geld, statt. In der weiteren Entwicklung kommen mit der Entstehung des Bankwesens die so genannten Vermögensänderungen (siehe Abbildung 9) in den Kreislauf.
48
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
Konsum
Konsumausgaben
HH
UN
Faktoreinkommen (Lohn)
Faktorleistungen (z.B. Arbeit)
Sparen der HH
Vermögensänderungen
Sparen der UN
Investitionen der UN Monetärer Strom (Geldstrom) Realer Strom (Güterstrom)
Abbildung 9: Kreislauf einer geschlossenen VW ohne Staat mit Vermögensänderungen Quelle: Frenkel/John 2006:5ff
Sowohl Haushalte als auch Unternehmen geben nicht ihr komplettes Faktorentgelt oder ihre gesamten Gewinne direkt wieder aus – sie sparen. Das Einkommen eines Haushaltes wird in Konsum und Sparen unterteilt. Der Teil des Einkommens, der nicht für Konsumausgaben verwendet wird, wird gespart. Die produzierten Güter, die nicht für den Konsum produziert wurden, werden folglich investiert. Das Einkommen, das von einem Haushalt nicht konsumiert wird, entspricht folglich den Investitionen. Daher geht kein monetärer Strom vom Vermögensänderungskonto zurück zu den Haushalten. Diese Spareinlagen werden nun auf Konten bei Banken einbezahlt und für späteren Konsum (im Falle der Haushalte) oder spätere Investitionen (bei den Unternehmen) ausgegeben. Im nächsten Schritt, welcher in dieser Arbeit in Kapitel 7 mit der Entstehung einer in der Verfassung verankerten Wirtschaftsordnung beschrieben wird, kommt ein weiterer Mitspieler hinzu: Der Staat (siehe Abbildung 10). Er ist nicht nur dafür verantwortlich, die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
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zu schaffen und zu kontrollieren, er ist als aktives Wirtschaftssubjekt ein Teil der Wirtschaftsprozesse. Zum einen beschäftigt er in seinen Verwaltungsbereichen Bürger. Deren Faktorleistung wird wie bei der Arbeit in Unternehmen mit einem Faktorentgelt bezahlt. Zudem besteht zwischen Haushalten und Staat eine Beziehung, die auf der Abgabe von Steuern des Haushaltes abzüglich der vom Staat erhaltenen Transferleistungen beruht. Als Transferleistungen bezeichnet man Sach- oder Geldleistungen, die ohne eine Gegenleistung erhalten werden. Beispiele dafür sind das Elterngeld oder auch Ausbildungshilfen wie das BAföG. Der Staat tritt neben den Haushalten auch als Nachfrager auf und bezieht auch Güter von Unternehmen. Der entsprechende finanzielle Gegenstrom sind die Staatsausgaben, also alle Ausgaben, die vom Staat an Unternehmen fließen. Zudem bezahlen auch die Unternehmen Steuern an den Staat, welche dieser zur Finanzierung seiner Aufgaben verwendet. Davon abgezogen werden die staatlichen Transferleistungen an Unternehmen, die so genannten Subventionen. Zuletzt besteht natürlich auch zwischen Staat und Bankenwesen eine Verbindung, da der Staat ebenfalls spart und Investitionen tätigt. Konsum
Konsumausgaben
Faktorleistungen
HH
Vom Staat bezogenes Einkommen
Güter Staatsausgaben
Staat
UN
Steuern abzgl. Subventionen
Steuern abzgl. Transferleistungen Sparen des Staates
Investitionen des Staates Faktoreinkommen (Lohn)
Faktorleistungen (z.B. Arbeit)
Sparen der HH
Vermögensänderungen
Sparen der UN Investitionen der UN
Monetärer Strom (Geldstrom) Realer Strom (Güterstrom)
Abbildung 10: Kreislauf einer geschlossenen VW mit Staat und Vermögensänderungen Quelle: Frenkel/John 2006:5ff
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KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
Als letzter Akteur, sowohl in diesem Beispiel als auch im Laufe der in dieser Arbeit dargestellten Entwicklung, kommt das Ausland hinzu (siehe Abbildung 11). In jeder ausländischen Volkswirtschaft, mit der die eigene Volkswirtschaft Außenhandel aufnimmt, bestehen dieselben Beziehungen zwischen den nationalen Wirtschaftssubjekten Haushalte, Unternehmen, Staat und den Vermögensänderungen. Zudem bestehen nach der Aufnahme von Handel auch Beziehungen zwischen den einzelnen nationalen und den ausländischen Wirtschaftssubjekten. Die nationalen Haushalte konsumieren jetzt auch im Ausland. Dieser Konsum besteht nicht nur aus dem Kauf eines ausländischen Produktes bspw. im Internet, sondern auch aus Dienstleistungen, die Inländer aus dem Ausland oder im Ausland beziehen, darunter vor allem touristische Dienstleistungen. Zwischen in- und ausländischen Unternehmen besteht eine enge Beziehung, die sich aus den Ausgaben und Erlösen durch Im- und Exporte von Gütern ergibt. Zusätzlich bestehen natürlich Beziehungen zwischen den öffentlichen Haushalten der inund ausländischen Volkswirtschaften. Auch hier werden bspw. zwischen Mitgliedern eines Staatenbündnisses wie der EU Transferleistungen gezahlt, um bspw. schwächere Regionen oder Sektoren zu unterstützen. Auch Internationale Organisationen wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds oder die Vereinten Nationen unterstützen ihre Mitglieder durch Transferleistungen, die aus den Mitgliedsbeiträgen bezahlt werden. Diese vier Wirtschaftskreisläufe bilden die in den folgenden Kapiteln beschriebenen Entwicklungsstufen kompakt ab. Die jeweiligen monetären Größen werden in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfasst und bilden eine Grundlage für politische Entscheidungen bzgl. des Wirtschaftens.
KAPITEL 3 DIE LAGE DER ÜBERLEBENSWIRTSCHAFT
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Ausgaben für Güterimport Konsum Erlöse aus Güterexport Konsumausgaben
Faktorleistungen
HH
Vom Staat bezogenes EK
Güter
Staat
Staatsausgaben
UN
Ausland
Steuern abzgl. Subventionen
Steuern abzgl. Transferleistungen Sparen des Staates
Investitionen des Staates Faktoreinkommen (Lohn)
Konsum der HH im Ausland Faktorleistungen (z.B. Arbeit) Sparen der UN
Sparen der HH
Vermögensänderungen
Investitionen der UN Leistungsbilanzsaldo des Inlands
Monetärer Ströme (Geldströme) Realer Strom (Güterstrom)
Abbildung 11: Kreislauf einer offenen VW mit Staat und Vermögensänderungen Quelle: Frenkel/John 2006:5ff
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Die Lage der Tauschwirtschaft
4.1 Das Leben in der Gemeinschaft Angeführt vom Gedanken der Produktionssteigerung nutzen die Wirtschaftssubjekte vorhandene Ressourcen im Lauf der Zeit systematischer. Die zu Halbnomaden weiterentwickelten Gesellschaften haben einfache Werkzeuge entwickelt, Tiere domestiziert und betreiben Ackerbau, was sie zu relativer Sesshaftigkeit führt. Die dadurch entstehende Stabilisierung und Sicherheit hat eine zahlenmäßige Vergrößerung der Gruppe zur Folge (Dörferbildung). Die Isolierung einzelner Haushalte ist geringer; sie teilen Aufgaben untereinander auf und ergänzen ihre Selbstversorgung durch die Überschussproduktion anderer Haushalte. Dadurch entsteht ein Tauschbzw. Bestellungsmarkt. Festere religiöse Vorstellungen sind vorhanden, teilweise bereits mit Funktionsträgern. Die gebrauchte Sprache hat eine höhere Vokabelzahl. Dadurch wird die Kommunikation erleichtert und Tauschgeschäfte werden ermöglicht. Die Vergrößerung der Gesellschaft hat zur Folge, dass sich die Bedürfnisse dieser Gesellschaft in Qualität und Quantität erhöhen. Im folgenden Teil wird die nun entstehende Knappheit als Diskrepanz zwischen Bedürfnissen und Produktionsmöglichkeiten betrachtet, sowie ein Lösungsansatz dieses Problems in Form von nationaler Arbeitsteilung besprochen. Die bisherigen Sektoren der Wirtschaft – Haushalte und Unternehmen – werden erweitert, zusätzlich wird die Volkswirtschaft um einen weiteren Bestandteil erweitert: Geld als Tauschmittel zur Senkung der Transaktionskosten.
4.2 Erweiterung der wirtschaftsrelevanten Bestandteile 4.2.1 Das Bewusstwerden über die Knappheit Die Gesellschaft der Tauschwirtschaft muss sich mit der Diskrepanz zwischen Zielen und Mitteln befassen. Einem gegebenen Bestand an Produktionsfaktoren steht das Ausmaß ständiger Entwicklung gegenüber. Der Bestand an Boden kann nicht erweitert werden. Es ist jedoch möglich die Bewirtschaftung des Bodens zu intensivieren. Der Produktionsfaktor Arbeit kann, durch ein Mehr an Arbeit, intensiviert oder, durch Bevölkerungswachs-
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KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
tum, erweitert werden. Das Kapital als Produktionsfaktor kann durch die Verbesserung der Bildung und die Intensivierung von Forschung und daraus resultierenden Innovationen im technischen Bereich erweitert werden. Der Volkswirt ist der „Verwalter“ dieser entstandenen Knappheit. Seine Aufgabe ist es, das relativ wenig Vorhandene so effizient wie möglich zur Produktion einzusetzen. Wie kann unter den gegebenen Umständen effizient produziert werden? Der Volkswirt muss versuchen, die Güter- und Geldströme innerhalb des Wirtschaftskreislaufs (vgl. Punkt 3.3) einander anzugleichen. Es soll nicht mehr und keinesfalls weniger produziert werden, als benötigt wird. Die anstehende Arbeit muss sinnvoll unter den Mitgliedern der Gesellschaft aufgeteilt werden, damit sich eine effizientere Produktion entwickeln kann. 4.2.2 Arbeitsteilung als Lösung des Knappheitsproblems Die ursprünglichste Art der Arbeitsteilung fand zwischen Frau und Mann statt und wird in ihrem Ursprung als naturgegeben betrachtet: Frauen sicherten die Fortpflanzung der Art; Männer sicherten das Überleben, indem sie Nahrung beschafften – sie produzierten. Bei manchen Naturvölkern ist diese Aufteilung noch heute zu beobachten. Während die Männer auf die Jagd nach Tieren gehen, schwere Arbeiten auf den Feldern verrichten und für die Instandhaltung der Hütten o. ä. sorgen, kümmern sich die Frauen um die Erziehung der Kinder, das Zubereiten der Mahlzeiten und erledigen leichtere Arbeiten in der Landwirtschaft. In der betrachteten „Lage“ lässt sich bald feststellen, dass dadurch der Output überproportional steigt. Ausgehend vom zentralen Punkt der Arbeitsteilung, der Spezialisierung, entwickelte sich zunächst die Berufsdifferenzierung. Die Domestizierung von Tieren hatte bspw. das Bedürfnis nach Arbeitskräften zur Folge, die sich um die Pflege dieser Tiere kümmerten. In dieser Entwicklungsstufe entstanden die Berufe, die nach und nach – gemäß dem Spezialisierungsgedanken – weiter unterteilt wurden. Das Berufsbild des Schmieds erhielt eine Unterkategorisierung – den Hufschmied. Ebenso erging es wohl dem Lederer. Stellte er zunächst alle erdenklichen Produkte aus Leder her, entstand aus seinem Beruf unter anderem der Beruf des Sattlers. So arbeitete jeder entsprechend seiner besonderen Fähigkeiten in jeweiligen Berufen und konnte entsprechend seine Produktivität erhöhen.
KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
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Adam Smith analysiert die Arbeitsteilung in seinem Buch „Inquiry into the Nature & Causes of the Wealth of Nations“ erstmals wissenschaftlich. Er beschreibt den Sinn der Arbeitsteilung anhand der Stecknadelproduktion: Ein Arbeiter alleine fertigt 20 Stecknadeln pro Tag. Dazu zieht er zuerst Draht in eine gerade Form und härtet ihn. Anschließend zwickt er davon Stücke ab. Er spitzt ein Ende des Drahts an, setzt den Kopf auf das stumpfe Ende und verpackt anschließend die fertige Stecknadel. Segmentiert man diesen Fertigungsprozess in seine Teilprozesse und setzt mehrere Arbeiter in der Produktion ein, so erreicht man einen Output von 48.000 Nadeln pro Tag. Dieses berühmte Beispiel Adam Smiths erklärt die technische Arbeitsteilung, in der ein bereits bestehender Produktionsprozess im Sinne der Spezialisierung in Teilprozesse zerlegt wird. Diese Teilprozesse werden entweder von einem spezialisierten Arbeiter innerhalb eines Betriebes übernommen, was innerbetriebliche Arbeitsteilung genannt wird. Oder ein spezialisierter Betrieb übernimmt die Prozesse in der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung. Weitet sich die zwischenbetriebliche Arbeitsteilung auf verschiedene Betriebe innerhalb einer bestimmten Region und später innerhalb eines bestimmten Landes aus, ist die Rede von regionaler und nationaler Arbeitsteilung. Diese werden weiterhin in vertikale und horizontale Arbeitsteilung unterschieden. Bei vertikaler Spezialisierung entsteht eine Arbeitskette von der Urproduktion von Rohstoffen bis hin zur Verarbeitung fertiger Produkte. Die Zusammenarbeit findet auf verschiedenen Produktionsstufen statt: Der Bauer bewirtschaftet und erntet ein Weizenfeld ab, der Müller mahlt das Korn zu Mehl, und der Bäcker verarbeitet das Mehl zu Brot. In der horizontalen Spezialisierung werden Produktionsprozesse auf derselben Stufe auf spezialisierte Betriebe verteilt: Ein Unternehmen fertig Motoren, ein weiteres Reifen und ein drittes Unternehmen die Karosserie. Erst im letzten Schritt werden diese fertig produzierten Einzelteile von einem vierten Unternehmen zu einem Auto zusammengebaut. Die Spezialisierung und die Zerlegung von Prozessen fördern die Geschicklichkeit von Menschen und die Weiterentwicklung individueller Fähigkeiten. Sie produzieren mehr und qualitativ hochwertigere Güter in derselben Zeit und steigern somit ihre so genannte Arbeitsproduktivität, nicht nur innerhalb eines Unternehmens sondern innerhalb ganzer Industrien – je nach Ausbreitung der Spezialisierung. Durch die erhöhte Produktivität lohnen sich Investitionen für Arbeitgeber. Egal ob diese Investitionen sich in neuen
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KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
Werkzeugen, Maschinen oder Fahrzeugen ausdrücken – sie sind die Grundlage für technischen Fortschritt. Dieser wirkt sich positiv auf den Wohlstand ganzer Volkswirtschaften aus, da er die gesamtwirtschaftliche Effizienz steigert18. Jedoch sind aus der Entwicklung der Arbeitsteilung nicht nur Vorteile entstanden. Je ausgeprägter die Arbeitsteilung ist, desto komplexer wird das Handelsnetz, das die wirtschaftlichen Aktivitäten der einzelnen Gesellschaftsmitglieder miteinander verknüpft. Die gegenseitige Abhängigkeit steigt, was Individuen, Unternehmen und Sektoren vor allem in Krisenzeiten anfällig für Versorgungsprobleme macht. Tabelle 3 fasst die Vor- und Nachteile nationaler Arbeitsteilung zusammen. Insgesamt überwiegen die Vorteile von Spezialisierung und Arbeitsteilung die Nachteile bei Weitem. Allerdings nur unter der Bedingung gesetzter Rahmenlinien. Verteilungs-, Lenkungs- und Versorgungsprobleme können durch wirtschaftspolitische Maßnahmen gemindert werden. Diese werden in Kapitel 7 angesprochen. Für innerbetriebliche Probleme wurden moderne Lösungen gefunden. Entspezialisierung von Arbeitskräften findet durch Aufgabenbereicherung (Job Enrichment) und -erweiterung (Job Enlargement) statt. Dabei werden komplementäre Tätigkeiten zur Hauptaufgabe übernommen bzw. wird aus mehreren extrem spezialisierten Stellen eine vielseitigere neue Position geschaffen. Weitere Möglichkeiten sind Job Rotation (der Tausch von Arbeitsplätzen mit etwas unterschiedlichen Aufgaben) und Teamwork in teilautonomen Gruppen, die ihre Arbeitsteilung und Zeitplanung intern selbst bestimmen können.
18
Vgl. Straubhaar 2006:58
KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
Nachteile der nationalen Arbeitsteilung
Vorteile der nationalen Arbeitsteilung
• Bessere Ausnutzung der individuellen Fähigkeiten und Neigungen und damit Steigerung der individuellen
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• Gegenseitige Abhängigkeit der Wirtschaftssubjekte führt zu Versorgungsproblemen in Krisenzeiten
Leistungsfähigkeit • Durch die Komplexität der Wirtschaftsprozesse entstehen • Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit der Güterproduktion
Lenkungs- und Verteilungskonflikte, es bilden sich Machtpositionen
• Niedrigere Kosten durch den Einsatz spezialisierter und damit kostengünstigerer Massenproduktion • Entwicklung und verbesserte Anwendung des technischen
• Extreme Spezialisierung hat eine Verringerung der Mobilität der Arbeitskräfte zur Folge • Die Arbeitsteilung erfordert eine straffe Arbeitsdisziplin, diese kann durch den Bezugsverlust zum Produkt
Fortschritts
abhanden kommen • Schnellere Ausbildungen von neuen Arbeitskräften: Kürzere Einarbeitungszeit in handwerklichen und
• Monotonie und Einseitigkeit der Arbeit, die zu physischen
industriellen Berufen sowie schnellere Studiengänge im
und psychischen Nachteilen (u.a. Motivationslosigkeit)
Hochschulsektor
führen können.
Tabelle 3:
Vor- und Nachteile nationaler Arbeitsteilung Quelle: Eigene Darstellung
Die interessanteste Folge der Arbeitsteilung ist jedoch die Entstehung eines Tauschmarktes, selbst auf der ursprünglichsten Stufe der bewussten Arbeitsteilung. Jeder spezialisierte Arbeiter produziert eine bestimmte Anzahl von Gütern und tauscht seine Überschussproduktion gegen andere Güter ein. Mit der steigenden Komplexität dieses Tauschmarktes steigt auch der Aufwand, den ein Wirtschaftssubjekt pro Tauschaktion betreiben muss. Der Bäcker möchte ein Stück Fleisch, der Metzger benötigt ein neues Messer und der Schmied dringend Brot. Gibt es mehrere Schmiede, muss der Metzger erst einmal herausfinden, welcher Schmied das beste Messer für die geringste Anzahl Fleischstücke bietet. Die Informationssuche stellt einen Aufwand dar, der Kosten verursacht, und evtl. kommt dabei heraus, dass kein Schmied in der Nähe Messer gegen Fleisch tauscht. Der Metzger muss nun herausfinden, was er dem Schmied sonst als Bezahlung bieten kann. Er holt wieder Informationen ein, findet heraus, dass der Schmied
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KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
Brot braucht, tauscht beim Bäcker Fleisch gegen Brot und dieses beim Schmied gegen das neue Messer. Durch indirekten Tausch hat er bekommen, was er will, jedoch werden auch indirekte Transaktionen mit steigender Komplexität und Größe der Wirtschaft unsinniger. Die Volkswirtschaftstheorie spricht hier von einem Anstieg der Transaktionskosten, die als „Reibungsverluste“19 bei ökonomischen Transaktionen beschrieben werden können. Erforderlich war eine Art universelles Tauschmittel, welches überall anerkannt ist und die Anzahl der Transaktionen und damit die Transaktionskosten mindert: Geld.
4.3 Geld als Steuerungssystem im Wirtschaftskreislauf Der Übergang von der Tausch- zur Geldwirtschaft begann mit dem Einsatz nichtverderblicher Güter wie Fellen, Schmuck oder Öl – so genanntes Warengeld – als Zwischentauschgut beim Handel. Bei einigen Naturvölkern waren Muscheln oder Steine Zahlungsmittel. Aus den Anforderungen an ein anerkanntes Tauschmittel – Lager- und Transportfähigkeit sowie Zählbarkeit – entwickelte sich Warengeld zu Münzgeld. Es zeichnete sich durch seine höhere Wertbeständigkeit gegenüber Warengeld aus. Zudem war es leichter zu transportieren und zählbarer und damit vergleichbarer. Aus den Anforderungen an das Geld ergeben sich ebenfalls seine Funktionen. Durch das Gleichsetzen einer Geldeinheit mit dem Wert einer bestimmten Warenmenge erfüllt Geld die Funktion als Recheneinheit und Wertmesser. Geld kann nicht verderben, damit ändert sich der Wert einer Einheit Geld im Lauf der Zeit bestenfalls nur unwesentlich, bspw. wenn zu viel oder zu wenig Geld auf dem Markt ist. Daher erfüllt es die Funktion als Wertaufbewahrungsmittel. Als Zwischentauschmittel senkt Geld die Transaktionskosten der Marktteilnehmer und wurde so zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Es erfüllt somit auch die Funktion als allgemeines Tauschmittel.20 Zunächst entsprach der Tauschwert einer Münze noch dem Wert des kostbaren Materials – meist Gold oder Silber. Mit der Entwicklung der Münzprägung im Laufe der Jahrhunderte verlor die Münze mehr und mehr an Eigenwert. Sie wurden immer kleiner und wurden zunehmend aus Legierun-
19 20
Gabler 2004g:2961f Vgl. Gabler 2004c:1159
KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
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gen hergestellt. Papiergeld entstand zunächst als Ersatz für Münzgeld. Es handelte sich dabei um Papierscheine mit Wertangabe und Siegel, die zum Empfang der ausgewiesenen Summe berechtigten und die zwingend angenommen werden mussten. Erneut entwickelte sich das Geldwesen aus Gründen der besseren Transportfähigkeit weiter. Der nächste Schritt erfolgte durch die Entstehung des Bankwesens. Banken schaffen einen „Liquiditätsausgleich innerhalb des dem Wertestrom der Sachgüter und Dienstleistungen entgegengerichteten [sic!] Geldstroms21“. Sie schaffen Tauschmöglichkeiten für liquide Mittel in unterschiedlichster Form, bieten die Möglichkeit der Verwahrung liquider Mittel über bestimmte Zeiträume und sie überlassen Privatpersonen, Unternehmen oder öffentlichen Haushalten zeitweilig Geld in Form von Krediten.22 Diese finanziellen Transaktionen gehen als Vermögensänderungen in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ein und können in einer Erweiterung des Wirtschaftskreislaufes einfach abgebildet werden. Die HH und UN bringen ihr nicht zu Konsumzwecken ausgegebenes Geld auf die Bank als so genanntes Buch- oder Giralgeld. Bargeldlose Überweisungen und Zahlungen wurden möglich und mit zunehmender Effizienz sanken die Transaktionskosten eines Tauschgeschäftes weiter. Der vorerst letzte Schritt in der Entwicklung des Geldes sind so genannte Wertkarten. Sie werden mit einem bestimmten Guthaben aufgeladen, von dem Einkäufe abgebucht werden. Abbildung 12 zeigt die schematische Darstellung der Entwicklung und die Einteilung der verschiedenen Geldarten in Geldmengen. Geldmengen sind Aggregate, in die der gesamte Geldbestand entsprechend seiner Liquidität eingeordnet wird. Die Liquidität ist der Grad der Verfügbarkeit. Geldmittel der Geldmenge M1 sind schnell verfügbar. Bargeld hat man in der Tasche und kann jederzeit damit bezahlen, Sichteinlagen aus Giralgeld können mit einer Bankkarte am Automaten abgehoben werden oder dienen per Überweisung schnell als Zahlungsmittel. M2 beinhaltet M1 sowie Einlagen mit bestimmten mittelfristigen Laufzeiten und Kündigungsfristen. M3 umfasst M2 sowie alle weiteren Einlagen, die langfristig angelegt und damit am wenigsten verfügbar sind23.
21
Gabler 2004a:300 Vgl. Gabler 2004a:300 23 Vgl. Gabler 2004c:1162 22
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KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
Entwicklungsstufen und Geldmengenbegriffe
Warengeld
Metallgeld
Bargeldumlauf
M1 Buch-/ Giralgeld täglich fällige Sichteinlagen
M2 Einlagen mit einer vereinbarten Laufzeit von bis zu 2 Jahren
M3
Einlagen mit einer vereinbarten Kündigungsfrist bis zu 3 Monaten
Repo-Geschäfte Geldmarktfondsanteile, Geldmarktpapiere, Schuldverschreibungen bis zu 2 Jahren
Abbildung 12: Entwicklungsstufen und Geldmengenbegriffe Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Gabler 2004c:1162
Die Einteilung des Geldes in Geldmengen ist ein Erkenntnisgegenstand der Geldtheorie, die alle „Beziehungen zwischen den geldwirtschaftlichen Größen untereinander und jene zwischen Geld- und Güterwirtschaft unter Berücksichtigung internationaler Verflechtungen24“ umfasst. „Sie erklärt, welche Rolle die einzelnen Größen, wie z. B. Geld, Kredit und Zins, im Wirtschaftsablauf spielen25“. Sie untersucht auch den Prozess der Geldschöpfung durch das Bankensystem: Die Geschäftsbanken, diejenigen Kreditinstitute, die sich mit allen relevanten Bereichen des Bankgeschäfts befassen, vergeben aus ihren liquiden Mitteln Kredite, die in der Regel zur Finanzierung von Gütern und Dienstleistungen eingesetzt werden. Somit werden auch Kredite wieder als Einlagen in Banken eingezahlt. Zusätzliche
24 25
Gabler 2004c:1167 ebenda
KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
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Kredite bilden somit Einlagen, welche die Geldmenge erhöhen und damit entsteht Geld.26 Allerdings sind die liquiden Reserven der Geschäftsbanken durch den so genannten Mindestreservesatz begrenzt. Diese Mindestreserven an Geldmenge müssen die Banken zur Sicherung der Einlagen behalten. Eine einzelne Bank kann nur im Umfang ihrer freien Liquiditätsmittel Kredite gewähren. Die Gesamtheit der Geschäftsbanken kann jedoch ein Mehrfaches an Krediten vergeben und damit ein Mehrfaches an Geld schaffen, denn mit Kreditgewährung einer Bank entstehen bei anderen Banken Einlagen und damit zusätzliches Geld.27 Die Geldpolitik „beinhaltet alle Maßnahmen, die aufgrund geldtheoretischer Erkenntnisse zur Regelung der Geldversorgung und des Kreditangebots der Banken unter Beachtung der gesamtwirtschaftlichen Ziele ergriffen werden28“. Oberstes Ziel der Geldpolitik ist die Erhaltung des Geldwertes innerhalb der Volkswirtschaft (Preisniveaustabilität) und die Stabilität der Kaufkraft nach außen. Dazu wird vor allem die umlaufende Geldmenge gesteuert, da Geld auf der einen Seite so knapp sein muss, dass der Geldwert nicht leidet, auf der anderen Seite muss jedoch die ausreichende Versorgung der Wirtschaft mit Geld gewährleistet sein. Die Geldmenge wird über die Beeinflussung der Zinssätze (Zinspolitik) und der Liquidität der Geschäftsbanken (Liquiditätspolitik) gesteuert. Träger der Geldpolitik waren im Raum der Europäischen Union bis Ende 1998 die nationalen Zentralbanken. Seit Anfang 1999 ist das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) mit der Europäischen Zentralbank (EZB) Träger der Geldpolitik in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). Da Deutschland Teil der Europäischen Union ist und folglich geldpolitisch dem ESZB untersteht, sollen die Instrumente zur Erfüllung der geldpolitischen Ziele im folgenden Beispiel in Punkt 4.4 auf europäischer Ebene behandelt werden.
26
Vgl. Gabler 2004c:1222 und 1167 Vgl. Gabler 2004c:1167f 28 Gabler 2004c:1163 27
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KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
4.4 Anwendungsbeispiel: Europäische Geldpolitik Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), welches für die Geldund Währungspolitik der Europäischen Gemeinschaft zuständig ist, besteht aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Notenbanken (in Deutschland die Deutsche Bundesbank) der Mitglieder der Europäischen Währungsunion (EWU). Dazu gehören alle Länder, in denen der EURO als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt wurde. Das ESZB ist von politischen Weisungen unabhängig, zentrales Organ ist der Rat der EZB. Er entscheidet über den grundsätzlichen geldpolitischen Kurs der Gemeinschaft und koordiniert die Konditionen und den Einsatz geldpolitischer Instrumente. Ziel der Geldpolitik des ESZB ist Preisniveaustabilität, das heißt die Sicherung und Stabilisierung des Binnenwertes der Währung. Die Aufgaben des ESZB sind die Durchführung einer einheitlichen Geldpolitik, die Durchführung von Devisengeschäften, die Haltung und Verwaltung der offiziellen Währungsreserven der Mitgliedsländer sowie die Gewährleistung der reibungslosen Funktion der Zahlungsströme. Das obere Ziel der Preisniveaustabilität ist dabei stets zu beachten. Die EZB hat dabei das ausschließliche Recht, Banknoten auszugeben und den Umfang der Münzprägung zu genehmigen. Zur Gestaltung der Geldpolitik steht dem ESZB ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung. Im Rahmen dieser Arbeit sollen diese jedoch nur kurz erwähnt werden, Abbildung 13 verdeutlicht die Zusammenhänge der Instrumente. Offenmarktgeschäfte sind ein Instrument des ESZB, darin sind die Hauptrefinanzierungsinstrumente und die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte sowie Feinsteuerungsoperationen und strukturelle Operationen enthalten. Auch ständige Fazilitäten, unterteilt in Spitzenrefinanzierungs- und Einlagefazilitäten bilden ein Instrument. Das Mindestreservesystem kann ebenfalls zur Beeinflussung der Geldpolitik dienen. Während Offenmarktgeschäfte und Fazilitäten die Geldbasis direkt beeinflussen, wirkt das Mindestreservesystem über einen Multiplikatoreffekt auf die Geldmenge und darüber auf den Zinssatz. Der Zinssatz wiederum beeinflusst sowohl Investitionen und Konsum als auch das Preisniveau.29
29
Vgl. Hohlstein et al 2003:276ff und Gabler 2004b:971ff
KAPITEL 4 DIE LAGE DER TAUSCHWIRTSCHAFT
Beschäftigung
Preisniveau
Gesamtwirtschaftliche Produktion Investitions- und Konsumnachfrage
Zinssatz
Geldmenge
Mindestreservesatz
Multiplikator
Offenmarktoperationen Spitzenrefinanzierung Einlagenfazilität
Geldbasis
Devisenmarkt Wechselkurssystem
Abbildung 13: Wirkungskette und Instrumente der Geldpolitik Quelle: Hohlstein et al 2003:279
63
65
5
Die Lage der sich regelnden Agrargemeinschaft
5.1 Das Leben in einer Gemeinschaft mit verstärkter Wirtschaftstätigkeit Die etablierte Gemeinschaft umfasst nun zahlreiche Sippen und integriert teilweise sogar fremde Gruppenangehörige. Die Gemeinschaft wächst stetig und hat städtische Formen angenommen, welche eine Organisation erfordern. Es beginnt dementsprechend die Suche nach effizienten Lösungen, um sowohl inneren Spannungen vorzubeugen als auch den territorialen Anspruch zu stärken. Aus der jeweiligen Kultur heraus geborene Weltbilder und Hierarchien und die daraus folgenden Machtansprüche bestimmter Schichten bzw. Kasten sind maßgebend bei der Entwicklung von Organisationsformen. Auf den von Agrargütern dominierten Märkten erleichtert das Geldsystem den umfangreichen Güteraustausch zwischen den spezialisierten Produzenten. Die unterschiedlichen Systeme der Gemeinschaftsführung verfügen durch eine Organisationsstruktur über politische Mittel, welche ermöglichen, Wirtschaftsabläufe und Interessenkonflikte durch Duldungen, Genehmigungen und Verbote entscheidend zu regeln. Diese dritte Lage ist die unabdingbare Folge der vorhergehenden: Die Gesellschaft fühlt sich verpflichtet, ihr ökonomisches Teilsystem unter Kontrolle zu bringen, welches sich mehr als die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme entwickelt hat. Im Folgenden werden diejenigen Überlegungen und Entwicklungen besprochen, die zu einem geregelten Ablauf des wirtschaftlichen Handels führten. Von einer kompletten Wirtschaftsordnung kann noch nicht die Rede sein – diese wird in einem späteren Kapitel behandelt – wohl aber vom allmählichen Entstehen der Wirtschaftswissenschaften und somit einer wirtschaftlichen Theorie.
5.2 Auf dem Weg zu einer Regelung des Wirtschaftens Auf der Suche nach leitenden Prinzipien für die Organisation ihrer Wirtschaftstätigkeit kann sich die Gemeinschaft aus drei Quellen bedienen. Die griechischen Grundvorstellungen sind ein Beispiel für philosophische Leit-
66
KAPITEL 5 DIE LAGE DER SICH REGELNDEN AGRARGEMEINSCHAFT
sätze. Die christlichen Vorstellungen sind ein Beispiel für religiöse Leitsätze. Dieses Beispiel gilt jedoch auch für nicht-christliche Gemeinschaften. Diese handeln nach ihren jeweiligen religiösen Prinzipien. Der Merkantilismus ist ein Beispiel für politische Leitsätze zur Organisation der Wirtschaftstätigkeit. Politik wird hier als die Kunst verstanden, eine Gemeinschaft zu gestalten und zu führen sowie Macht zu erlangen und zu behalten. 5.2.1 Die griechischen Grundvorstellungen Die ältesten uns bekannten Lösungen zur Regelung einer Wirtschaftsgemeinschaft entstammen den Überlegungen der griechischen Philosophen. Vieles spricht zwar für dafür, dass bereits mit dem Entstehen der Schrift erste diesbezügliche Überlegungen angestellt wurden, bspw. im Alten Ägypten und den meisten antiken Hochkulturen. Allerdings sind dafür kaum schriftliche Beweise vorhanden. Die griechischen Denker und Philosophen waren neugierige Gelehrte, deren Bestreben es war, das Funktionieren der Gesellschaft und somit der ihnen bekannten Welt zu verstehen und zu systematisieren. Die „Wissenschaft“, wie wir sie heute kennen und definieren, war noch nicht vorhanden, man beschäftigte sich einfach mit allgemeinverständlichen Fragen des Lebens. Die Philosophen arbeiteten aufgrund einer Überzeugung, auf der ihr ganzes Wirken basierte. Es ist weder möglich noch beabsichtig, einen wissenschaftlichen Gültigkeitsanspruch an ihre Erkenntnisse zu stellen. Sie beruhen auf den im Rahmen der praktischen Philosophie getroffenen Überlegungen – und nicht auf dem ökonomischen Theorien zugrunde liegenden Rationalprinzip. Die ersten, schriftlich festgehaltenen wirtschaftlichen Überlegungen traf der Komödiendichter Aristophanes bereits 405 v. Chr. Er beschreibt in seinem Werk „Die Frösche“ die Verdrängung der alten attischen Münze durch neu geprägtes „Notgeld“ aus Bronze. Rund 2000 Jahre später entdeckte der englische Kaufmann und Finanzberater von Elisabeth I., Sir Thomas Gresham, das nach ihm benannte Greshamsche Gesetz. Es besagt, dass minderwertiges Geld das wertvollere Geld verdrängt, da jeder sich bemüht, mit dem schlechteren Geld zu bezahlen und das bessere Geld zu horten.30 An diesem Punkt kommen wir zu einer wichtigen Beobachtung bei der Bestimmung des Einflusses der ersten sozio-ökonomischen Überlegungen auf das
30
Vgl. Leschke S. 194
KAPITEL 5 DIE LAGE DER SICH REGELNDEN AGRARGEMEINSCHAFT
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Entstehen und den Verlauf der Wirtschaftstheorie: Vor allem in der modernen Epoche der Wirtschaftstheorie ist die Größe des Einflusses umstritten. Man kann nun behaupten, Aristophanes sei der eigentliche Entdecker des Geshamschen Gesetzes. Da seine Überlegungen, wie im letzten Abschnitt beschrieben, jedoch auf keiner „wissenschaftlichen“ Grundlage basieren, wäre diese Behauptung recht vermessen. Zumal er mehr Dichter als Philosoph war und in seinen Werken einfach nur seine direkte Umgebung reflektiert. Dasselbe gilt für die Erkenntnisse der anderen Philosophen, wobei gesagt werden kann, dass mit fortschreitender Zeit und der sich damit entwickelnden Systematisierung der Erkenntnisse auch deren Einfluss auf die Wirtschaftstheorie in den nachfolgenden Epochen stieg. Xenophon (430 - 354 v. Chr.) befasst sich in seinem Werk „Oikonomikos“ mit einzelwirtschaftlichen Fragestellungen, bspw. der Haushaltsführung und der landwirtschaftlichen Bewirtung eines Gebietes. Ebenso behandelt er die Unterschiede in der beruflichen Arbeitsteilung zwischen der Stadt und dem Land. Er kommt zu dem Schluss, dass der Wohlstand der Stadt und deren Bürger von der Landwirtschaft abhängt – eine Aussage, die sich im 18. Jahrhundert in der Lehre der Physiokraten wiederfindet31. In einem weiteren Werk „Über die Staatseinkünfte“ beschreibt er eine Art Finanzplan zur Sanierung der Stadt Athen durch den Ausbau des Bergbaus. Dieser sei kurzfristig ergiebiger als die Landwirtschaft, da der Outputanstieg durch den Einsatz von mehr Arbeitskraft höher ist als der Anstieg in der Landwirtschaft. Xenophon erkennt Übereinstimmungen zwischen individuellem und kollektivem Interesse und spricht sich dafür aus, den Handel durch wenige Restriktionen so frei wie möglich zu gestalten und durch die Gemeinschaft zu unterstützen. Der Staat soll vor allem in Krisenzeiten eingreifen, sich ansonsten aber aus dem wirtschaftlichen Geschehen weitestgehend zurückziehen.32 Xenophon wird daher auch als philosophischer Vater der liberalen Wirtschaftstheorie sowie der Wirtschaftsordnung der freien Marktwirtschaft betrachtet. Der Philosoph Platon (427 - 347 v. Chr.) war ein Schüler Sokrates´ und erlebte dessen Anklage vor Gericht, die sein Weltbild erschütterte: Ihn schockierte die moralische Verkommenheit der Gesellschaft und er beklagte die grundsätzlichen Mängel im politischen System Athens. Seine Forderungen 31 32
Vgl. Ziegler S. 2 Vgl. Kolb 2004:2
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KAPITEL 5 DIE LAGE DER SICH REGELNDEN AGRARGEMEINSCHAFT
nach einem von Philosophen regierten Idealstaat führt er in seinem Werk „Politeia“ aus. Im Gegensatz zu Xenophon besteht für Platon sehr wohl ein großer Unterschied zwischen Eigeninteresse und Allgemeinwohl. Durch Habgier und Egoismus werden Schwache benachteiligt und die Solidarität geht zugrunde. Es muss ein aus Philosophen bestehender Regierungsapparat regulierend einschreiten, damit jeder Bürger sich gemäß seiner Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne des Allgemeinwohls in die Gemeinschaft einbringt. Platon zeichnet dazu eine genaue Hierarchie, die aus drei Ständen besteht, die jeweils mit besonderen Tugenden ausgestattet sind. Handwerker und Bauern zeichnen sich durch „Besonnenheit“ aus und verkörpern „das Begehrende“, „Wächtern“ wird die „Tapferkeit“ zugeschrieben, sie repräsentieren „das Muthafte“, während die „Philosophenherrscher“ durch die Tugend der „Weisheit“ „das Vernünftige“ im Staat darstellen. In seinem späteren Werk „Nomoi“ (Die Gesetze) lockert er die strengen Regeln in seinem Idealstaat etwas auf, bspw. in dem er nicht mehr nur Philosophen zutraut, die Gesellschaft zu führen. Auch alle anderen Staatsbürger haben nun die Möglichkeit und Fähigkeit zur Mitbestimmung, allerdings nur, wenn sie im Rahmen der Gesetze handeln. Platon bleibt jedoch bei seiner Aussage, dass nur eine strenge Regulierung alles wirtschaftlichen Handelns zu Wohlstand und einem gerechten Staat führt. Staatliche Eingriffe sollen die von ihm angeprangerte Habgier bändigen. Zum Beispiel sollen Preise festgesetzt werden, damit Schwächere nicht benachteiligt werden und die Gesellschaft erhalten bleibt. Er wird daher als philosophischer Vater eher konservativer Wirtschaftstheorien sowie der Wirtschaftsordnung der sozialistischen Verwaltungswirtschaft nach Karl Marx betrachtet. Vor allem in der Moderne – nach dem Zweiten Weltkrieg und im Rahmen der darauf folgenden wirtschaftlichen Neuordnung der Welt – wurde Platons Idealstaat heftig kritisiert. Karl Popper sieht auch in der abgeschwächten Form der „Politeia“ einen Vorläufer eines totalitären und menschenunwürdigen Systems, welches im Gegensatz zu einer demokratischen Gesellschaft steht.33 Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) kann als derjenige Philosoph betrachtet werden, dessen Überlegungen den größten Einfluss auf die Entstehung der Wirtschaftstheorie als Wissenschaft hatten. Er suchte einen Mittelweg zwischen den Philosophien Xenophons und Platons und versuchte, diese zu33
Vgl. Kolb 2004:2f
KAPITEL 5 DIE LAGE DER SICH REGELNDEN AGRARGEMEINSCHAFT
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sammenzuführen. Auch in Aristoteles´ Abhandlungen zu Wirtschaft und Staat in seinem Werk „Politik“ herrscht das „Primat der Politik, die Unterordnung des Ökonomischen unter das Politische, die politische Verantwortung für das Ganze“34. Aristoteles differenziert zwischen dem naturgemäßen Warentausch, durch den die Haushaltsführung effizient wird, und dem naturwidrigen Warentausch, den er als „gewinnsüchtige(..) Erwerbskunst“35 bezeichnet. Es soll zweckmäßig und nicht gewinnbringend gewirtschaftet werden. Zudem erkannte Aristoteles bereits den Unterschied zwischen Tauschwert und wahrem Wert von Gütern. Am Beispiel eines Schuhs erklärt er, dass dieser zum einen seinen wahren Wert durch den Gebrauch als Schutz des Fußes erhalte. Zum anderen erhalte er einen Tauschwert, da er gegen andere Güter eingetauscht werden kann36. Daraus ergeben sich nach Aristoteles auch die unterschiedlichen Funktionen des Geldes, welches eben als Tauschmittel eingesetzt wird und dadurch die Kosten beim Import und Export von Gütern in oder aus weit entfernten Ländern senkt. Geld ist jedoch ebenfalls ein „Garant, daß [sic!] der Austausch im Bedarfsfall immer stattfinden wird, auch wenn im Augenblick nichts vonnöten ist“37. Er erkennt darin die Funktion als Wertaufbewahrungsmittel. Zur Funktion als Recheneinheit schreibt er, ebenfalls in der Nikomachischen Ethik: “Geld also ist jenes Ding, das als Wertmesser Messbarkeit durch ein gemeinsames Maß und somit Gleichheit schafft.“38 „Geld gezeugt von Geld“39, die Erhebung von Zinsen auf verliehenes Geld, bezeichnet Aristoteles als „Wucher“ und dementsprechend als am wenigsten naturgemäßen Erwerb. In solchen Fällen muss die Politik regulierend eingreifen, bspw. durch ein von ihm empfohlenes Verbot von Zinsgeschäften in einem Staat. Der Staat besteht für ihn aus Bürgern, die sich nicht über ihre Herkunft oder ihren Wohnort definieren, sondern über ihre aktive Teilnahme an der Politik des Staates. Die jeweilige Verfassung bestimmt, wer Bürger und somit mit Bürgerrechten ausgestattet ist und wer nicht. Die Frage nach der besten Verfassung beantwortet Aristoteles danach, wer herrscht und zu wessen Nutzen geherrscht wird. Eine Verfassung ist dann gerecht und am besten, wenn zum Nutzen aller regiert wird, und dann schlecht und ungerecht,
34
Kolb 2004:5 Aristoteles Pol. I, S. 23ff [1257a,b] zitiert nach Kolb 2004:5 36 Vgl. Ziegler S. 6 37 Aristoteles Nikomachische Ethik S. 107 [1133b] zitiert nach Kolb 2004:6 38 ebenda 39 Aristoteles Pol. I S. 28 [1258b] zitiert nach Kolb 2004:6 35
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KAPITEL 5 DIE LAGE DER SICH REGELNDEN AGRARGEMEINSCHAFT
wenn zum Nutzen des oder der Herrschenden regiert wird. So kommt er zu dem Schluss, dass Tyrannei, Oligarchie und Demokratie schlechte Verfassungen sind. Die Alleinherrschaft ist zu instabil, die Oligarchie geht fälschlicherweise davon aus, dass Bürger, die hinsichtlich ihres Besitzes ungleich sind, dadurch in allen Hinsichten ungleich sind, und die Demokratie begründet einen Konflikt zwischen Freiheit und der Einhaltung der Verfassung. Als gute Verfassungen bezeichnet er die Monarchie, die jedoch durch ihre Charakteristik als bloße Herrschaftsform und nicht als Verfassung angesehen werden kann. Die Aristokratie ist die nach Aristoteles beste Verfassung. Dabei muss die Regierung nicht zwangsläufig aus Adeligen bestehen, auch normale Bürger, die sich verdient gemacht haben, können in einem aristokratischen System herrschen. Da ihm diese Verfassungsform jedoch unrealistisch erscheint, erfindet er eine Mischform aus Oligarchie und Demokratie, in der sich das Streben nach Reichtum und Gleichheit ausgleicht. Diese so genannte „Politie“ zeichnet sich durch die Einteilung der Ämter nach der Klassenzugehörigkeit der Bürger und einen breiten Mittelstand als Stabilisator aus. In der „Politie“ herrscht eine Freiheit auf Bewährung, wenn die liberalen Mechanismen versagen, muss der Staat eingreifen, bspw. über das oben erwähnte Zinsverbot oder durch Preiskontrollen. Obwohl Aristoteles´ Beitrag zur Entwicklung der Wirtschaftstheorie ebenso umstritten ist wie der Einfluss seiner Vorgänger, kann doch festgestellt werden, dass seine Erkenntnisse eine nachhaltige Auswirkung auf alle nach ihm kommenden Denker und Nationalökonomen im modernen Sinne hatten. Auch wenn deren Erkenntnisse teilweise auf einer Abkehr von der aristotelischen politischen Philosophie beruhen. Vor allem im 20. Jahrhundert lebten seine Ideen wieder auf und bildeten die philosophische Grundlage moderner staatlicher Mischformen, bspw. der Sozialen Marktwirtschaft.40 Die ökonomischen Beiträge in der römischen Antike beschränken sich auf Abhandlungen aus den Bereichen Landwirtschaft und Recht und sind vor allem im römischen Reich angesammelte Formulierungen in Bezug auf Geld, Preise und Tausch. Generell zeichnet sich diese Epoche jedoch eher durch die Übernahme der griechischen Erkenntnisse aus, wobei diese im Laufe der Entwicklung zunächst an Bedeutung verloren und in Vergessenheit gerieten.41
40 41
Vgl. Kolb 2004:4ff Vgl. Kolb 2004:8f
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5.2.2 Die christlichen Vorstellungen Erst im Mittelalter finden sich weitere Spuren sozio-ökonomischer Überlegungen im Rahmen der Lehre der Scholastik. Unter Scholastik (von lat. Scholastica = Schulwissenschaft) versteht man die Bemühungen der frühen Theologen, die Theologie mit Vernunft zu untermauern und in ein gesellschaftliches System einzufügen. Es handelt sich bei der Scholastik somit nicht explizit um ein bestimmtes wissenschaftliches oder gar ökonomisches Dogma, sondern vordergründig um die Verwissenschaftlichung von Erkenntnissen. Dazu bedienten sich die so genannten Kirchenväter der Ideen und Methoden der griechischen Philosophen. In der Früh-Scholastik (ca. 9. 12. Jh.) orientierten sich die Kirchenväter vor allem an Platon, wirtschaftsbezogene Erkenntnisse finden sich in dieser Epoche jedoch kaum. Erst mit Albertus Magnus und Thomas von Aquin wurden in der so genannten Hoch-Scholastik (13. Jh.) ökonomische Sachverhalte thematisiert. Beide versuchten, wirtschaftliche Erscheinungen mit der Theologie in Einklang zu bringen. Typisch für das Mittelalter sind die Fragen nach dem gerechten Preis und dem Zinsverbot. Bezüglich der Preissetzung kommt Thomas von Aquin eine verhältnismäßig liberale Rolle zu. Er nimmt eine Position zwischen freier Preisbildung auf Märkten und staatlicher Preisfixierung ein; Eingriffe des Staates sind jedoch erlaubt und bei Bedarf sogar notwendig. Bezüglich des Zinsverbotes spricht er sich für ein Verbot von zu riskanten Zinsgeschäften aus. Er stand Zinsgeschäften generell skeptisch gegenüber, sprach sich aber durchaus für eine im Mittelalter vergleichsweise freie Wirtschaftstätigkeit aus. In der Spät-Scholastik (14. und 15. Jh.) zeichnete sich eine Ablösung des Wirtschaftsdenkens von der theologischen Lehre ab. Vor allem die Frage nach dem Geldwert und -wesen war in dieser Epoche Gegenstand der Überlegungen. Eine Frage, mit der sich, wie wir nun wissen, bereits Aristoteles beschäftigte. Allgemein kann die Scholastik als die Zeit der „Verschulung“ des Denkens gesehen werden. Es bildeten sich Lehranstalten und Universitäten, die christliche Bevölkerung wurde nach und nach gebildeter. Das Wissen wurde in Fächer unterteilt, durch die Konzentration auf einzelne Bereiche wurden rasche Fortschritte in der Bildung erreicht. Diese Zeit wird auch als Beginn der europäischen, abendländischen Dominanz und der damit einhergehenden Macht bezeichnet. Mit dem Fortschreiten der Trennung von Theologie und Naturwissenschaft, der steigenden Bildung der Bevölkerung und der Belebung der antiken Schriften und Theorien begann die Epoche der Renaissance in Europa. Sie
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ist geprägt von der Spaltung der Kirche – der Reformation, die ebenfalls einen Einfluss auf die Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit hatte. Martin Luther (1483 - 1546) lehnte die Lehre der katholischen Kirche ab. Er fand einen Widerspruch zwischen dem Wort Gottes in der Bibel und dem System des Katholizismus. Luther befürwortete eine strenge Lebensweise mit Gebeten und der Rückbesinnung auf Gott. Luxus, Besitz und Macht lehnte er ab. Daraus resultierten seine Forderungen nach einer kontrollierten und beschränkten Wirtschaftstätigkeit im Sinne Platons. Die Obrigkeit ist für diese Beschränkung zuständig und muss dahingehend respektiert werden. Johannes Calvin (1509 - 1564) vertrat dieselben theologischen Ansichten, war jedoch wesentlich radikaler in der Umsetzung. In seiner Prädestinationslehre kommt er zu dem Schluss, dass Gott bei der Verteilung von Gnade willkürlich handelt, d. h. manche Gläubige werden mit mehr Gnade bedacht als andere. Die nach ihm benannten Calvinisten interpretierten diese Lehre jedoch nicht im Sinne Calvins: Sie glaubten, dass alles, was geschieht, gottgewollt ist. Erfolg und Reichtum sind entsprechend als Folge eifrigen Gebetes und Verzicht auf weltlichen Luxus zu sehen, da Gott gute Christen mit mehr Gnade versieht als schlechte Christen oder gar Ungläubige. Reichtum ist nicht länger verwerflich, sondern ehrwürdig – dieses Umdenken kann somit als die Geburt kapitalistischer Tendenzen betrachtet werden. 5.2.3 Der Merkantilismus Der Begriff des Merkantilismus (von lat. mercari = „Handel treiben“) entstand vermutlich erst am Ende dieser politisch durch den Absolutismus und geistesgeschichtlich vom Rationalismus und der Aufklärung geprägten Epoche. Es handelt sich dabei nicht um eine in sich geschlossene Wirtschaftstheorie, sondern um eine Ansammlung verschiedener wirtschaftspolitischer Ideen, die durch die Rahmenbedingungen des Absolutismus miteinander verbunden sind. Als zeitliche Abgrenzung kann dabei das 16. - 18. Jh. dienen. Wie in der bisherigen Entwicklung sind auch die theoretischen wirtschaftlichen Ansätze als Teil einer ganzheitlichen Weltanschauung zu sehen. Diese basiert nicht mehr auf theologischen und noch nicht auf rationalen Grundsätzen, sondern auf der „partikuläre(n) Einheit des nationalen und territorialen Staates“42. In dieser Epoche haben die Philosophie und vor allem die Theologie keinen Platz mehr – zeitgenössische Fragen bzgl. Politik 42
Bürgin 1961:309 zitiert nach Kolb 2004:17
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und Wirtschaftstätigkeit überwiegen und die Macht der absolutistischen Herrscher wird zum Leitmotiv ihres Handelns. Der Absolutismus ist geprägt von der Kolonialpolitik der europäischen Staaten und dem Streben nach politischer und finanzieller Macht. Das Erlangen von Reichtum und Macht ist demnach auch der Zweck des Wirtschaftens: Die staatliche Macht soll mit wirtschaftlichen Mitteln ausgedehnt werden43. Die Ausbeutung der rohstoffreichen Kolonien in Übersee wird zur zentralen Einnahmequelle der Kolonialmächte wie Frankreich, Spanien, Großbritannien, Portugal und der Niederlande. Mit den so gewonnenen Einnahmen finanzieren die absolutistischen Herrscher ihre Heere und luxuriösen Schlösser, das entstehende Beamtentum sowie – vor allem – die heimische Produktion. Strukturelle Maßnahmen fördern Handel und Verkehr, der Aufbau größerer Betriebsformen wie Manufakturen und Verlage erlaubt es, den Produktionsfaktor Arbeit effizienter einzusetzen. Unter diesen Bedingungen lassen sich zwei wirtschaftliche Lehren des Merkantilismus unterscheiden: Die Geldlehre und das Theorem von der aktiven Handelsbilanz.44 Bereits Ende des 16. Jh. entstand eine rohe Fassung der Quantitätstheorie des Geldes vor dem Hintergrund einer schlagartigen Erhöhung der Preise in Folge des Edelmetallzuflusses aus den europäischen Kolonien. Als Erfinder der Quantitätstheorie gilt der Franzose Jean Bodin. Sie besagt, dass sich Güterpreise proportional zur Geldmenge verändern. Staatliche Edelmetallreserven galten als Maßstab für die wirtschaftliche und militärische Kraft eines Staates. Diejenigen Staaten, die keine Gold- oder Silberminen in Kolonien kontrollierten, deckten ihren Bedarf an Geldmitteln durch eine aktive Außenhandelsbilanz. Diese besteht, wenn die Exporte in einem bestimmten Zeitraum die Importe wertmäßig übersteigen. Ein Staat gleicht seinen höheren Export durch den Zufluss an Gold und Silber aus. Eine aktive Handelsbilanz bewirkt eine Steigerung des Edelmetallschatzes, dessen Höhe wiederum mit Reichtum im Sinne von Wohlstand und politischer Stärke gleichgesetzt wurde. Ausgehend von diesem Gedankengebilde stellten die Merkantilisten entsprechende wirtschaftspolitische Forderungen zur Unterstützung und Umsetzung ihrer wirtschaftlichen Überlegungen. Die merkantilistischen Lehren wurden in den verschiedenen europäischen Ländern unterschiedlich umgesetzt. In Großbritannien und in den Nieder43 44
Vgl. Lachmann 2006:48ff Vgl. Kolb 2004:17
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landen spricht man vom Kommerzialismus. Er war geprägt durch die Förderung des Außenhandels und geringe Eingriffe des Staates in das wirtschaftliche Geschehen. Einen besonderen Stellenwert im Rahmen der wirtschaftstheoretischen Vorläufer nimmt die merkantilistische Spielart des Colbertismus in Frankreich ein. Zum einen, weil der namensgebende Wirtschaftsund Finanzberater des französischen Königs Ludwig XIV., Jean-Baptiste Colbert, in seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik fast alle Charakteristiken des Merkantilismus vereinte. Zum anderen, weil das Scheitern seiner Maßnahmen als Grund für die Herabwirtschaftung der französischen Landwirtschaft gilt und dadurch die Entstehung der physiokratischen Lehre mit bedingte. Die Physiokraten werden als die Erfinder der ersten volkswirtschaftlichen Theorie gesehen und werden im Punkt 6.2 näher erläutert. Zu Beginn seiner Tätigkeit als Finanzverantwortlicher sorgte Colbert für die Weiterentwicklung des nationalen Gewerbes, indem er unter anderem infrastrukturelle Verbesserungen veranlasste. Er ersetzte die direkte Steuerlast durch eine höhere Verbrauchssteuer und setzte eine einheitliche Rechtsordnung durch. Durch die Abschaffung der Binnenzölle entstand eine einheitliche Zollgrenze, die sich durch sehr hohe Schutzzölle gegenüber Dritten auszeichnete: ganz im Sinne der protektionistischen Wirtschaftspolitik. Der Aufbau einer mächtigen Handels- und Seeflotte wurde durch den Ausbau des Manufakturwesens finanziert. Produktionsprozesse in den entstandenen Fabriken unterstanden der strengen Planung und Kontrolle durch Staatsbeamte. Wirtschaft wurde zum Selbstzweck betrieben, kein absolutistischer Herrscher hatte ein wirkliches Interesse an einem politischen oder wirtschaftlichen Diskurs. Nach dem Tode Colberts setzte Ludwig XIV. die Religionsfreiheit außer Kraft. Das hatte zur Folge, dass die Hugenotten, die einen großen Teil der Arbeiterschaft ausmachten, zu Flüchtlingen wurden und das Land verließen. Dieser Umstand und die Tatsache, dass ein Großteil der Finanzen dem verschwenderischen Lebensstil der Obrigkeit und deren sinnlosen Kriegsfeldzügen zum Opfer fiel, zerstörten das innere Gleichgewicht Frankreichs. Die Bürger wurden sich mit dem aufkommenden Zeitalter der Aufklärung zudem darüber bewusst, dass sie zwar den Lebensstil ihrer Herrscher finanzierten, jedoch keinerlei politisches Mitspracherecht hatten. Es wurde Zeit für ein neues Leitbild und neue Ideen bezüglich des Wirtschaftens.
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5.3 Historisches Beispiel: Kameralismus in Deutschland Der Kameralismus (von lat. Camera = fürstliche Schatzkammer) bezeichnet die merkantilistische Spielart im territorialstaatlichen Deutschland nach dem 30-jährigen Krieg. Die deutschen Staaten waren nach dem Krieg wirtschaftlich am Ende und hatten zudem erhebliche Bevölkerungsverluste zu beklagen. Ziel war es, die Wirtschaftskraft neu zu beleben und dadurch die Machtposition gegenüber dem Ausland zu stärken. Es ist vielleicht der Ironie, ganz sicher aber der historischen Entwicklung zu verdanken, dass Deutschland noch heute von seinen Einwohnern als „Beamtenstaat“ bezeichnet wird – wobei diese Charakterisierung nicht unbedingt positiv besetzt ist. In den Zeiten des Kameralismus wurde genau dieser Beamtenstaat als wertvollste nationale Eigenschaft bezeichnet und elementar für die kulturelle Entwicklung der Nation angesehen. Man kann eher von einer Verwaltungslehre, als von einer Wirtschaftslehre sprechen. Im Mittelpunkt stand die fiskalische Ordnung, über welche die Bereicherung der fürstlichen Schatzkammer angestrebt wurde. Da sich der Kameralismus über fast drei Jahrhunderte erstreckte, wird er in der gängigen Literatur in drei Entwicklungsphasen beschrieben. Gelenkt vom humanistischen Gedanken und den auf Luther und Calvin zurückzuführenden Berufs- und Prädestinationslehren wurden zu Beginn vor allem juristische und finanzpolitische Problemstellungen erörtert, die meist mit sozialwissenschaftlichen Vorstellungen und Ideen verflochten waren. Die Pflichterfüllung stand im Mittelpunkt und bildete die Basis für den entstehenden Verwaltungs- und Beamtenapparat, der die Geschehnisse in den deutschen Territorialgebieten lenkte. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Staats- und Kameralverwaltung rückte die politische Ökonomie in den Vordergrund. Die so genannte „Peupelierung“, das angestrebte Bevölkerungswachstum, war wichtiger als eine aktive Handelsbilanz: Die heimische Produktion erlangte immer mehr an Bedeutung und wurde mehr und mehr gefördert. Die Obrigkeit wurde als Dienerin des Gemeinwohles betrachtet und eine institutionelle Ordnung auf Basis richtiger Proportionen befürwortet. Ziel der Wirtschaftspolitik war neben der Anhäufung von Reichtümern in Form von Gold und Edelmetallen auch die Gewährleistung des nationalen Wohlstandes durch die Förderung der heimischen Produktivität.
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KAPITEL 5 DIE LAGE DER SICH REGELNDEN AGRARGEMEINSCHAFT
Im letzten Abschnitt des Kameralismus ist die Wirtschaftspolitik von der Staatslehre des aufgeklärten Absolutismus geprägt. Johann Heinrich von Justi (1717 - 1771) verfasste in diesem Zeitraum Schriften, in denen er bereits Institutionen, Ziele und Mittel erwähnte und teilweise sogar auf die Auswirkungen des Instrumenteneinsatzes zu sprechen kommt. Er trennt die Staatsund Ordnungslehre von der reinen Wirtschaftslehre und betrachtete die Gegenstände differenzierter. Sein geistiger Nachfolger, Joseph von Sonnenfels (1733 - 1817) vermutete sogar schon einen Zusammenhang zwischen Bevölkerungs- und Beschäftigungswachstum: Mit einem Anstieg der Bevölkerung wird die Steuerlast des einzelnen Bürgers vermindert. Durch den Bevölkerungsanstieg erhöht sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes und damit der Güterumschlag, was eine höhere Beschäftigungsrate zur Folge hat. Dieser Entwicklung ist es wahrscheinlich auch zu verdanken, dass sich die merkantilistische Art und Weise des Wirtschaftens in Form des Kameralismus wesentlich länger hielt als die französischen und englischen Pendants.
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Die Lage der Wirtschaftsintensivierung
6.1 Das Leben in Organisations- und Führungsstrukturen Mit der steigenden Komplexität der Wirtschaft als Folge der Arbeitsteilung und des Einsatzes von Geld als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel sowie als Wertmesser wird der Markt immer unüberschaubarer. Koordinierungsmechanismen regeln die Beziehungen zwischen Menschen, Gütern und Produktionsfaktoren. Die Vorstellungen bzgl. der optimalen Art und Weise des Wirtschaftens sind zahlreich und basieren auf philosophischen Ideologien und Erfahrung. In dieser Gemeinschaft herrscht eine rege Wirtschaftstätigkeit. Die spezialisierten Wirtschaftsakteure produzieren für einen anonymen Markt und sind gewillt ihre Leistungen zu maximieren. Dafür sind sie auf der ständigen Suche nach Methoden und Rezepten (gegenüber welchen sie besonders aufnahmebereit sind). Diese Haltung kennzeichnet ebenfalls die Organisations- und Führungsstrukturen, welche meist innovationsfördernd wirken. Die Ökonomie tendiert zu einer Verselbstständigung, insbesondere gegenüber religiösen Vorstellungen. In den vorherigen „Lagen“ wirkten Denker, die anlässlich anderer – philosophischer, religiöser oder kultureller – Überlegungen gegebenenfalls etwas Wirtschaftsrelevantes gesagt haben. Sie waren Kaufleute, Beamte oder einfach nur Adelige mit zu viel Zeit und wirtschaftlichem Interesse. Sie waren jedoch keinesfalls Wirtschaftswissenschaftler i. e. S.
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6.2 Eine Wirtschaftstheorie entsteht 6.2.1 Die Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. (…) Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.45“ Im Laufe des 18. Jh. erstarkte das Bürgertum und begann, seine Rolle in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft neu zu definieren. Als Indikator für Reichtum und Wohlstand galt nicht mehr länger die gefüllte Schatzkammer des Herrschers, sondern die Landwirtschaft.46 Aus der Not der landwirtschaftlichen Bevölkerung und der schlechten Finanzlage des Staates heraus kam es in der zweiten Hälfte des 18. Jh. in Frankreich zu einer Gegenbewegung zur merkantilistischen Wirtschaftspolitik Colberts: Die vom Menschen geschaffene und daher unvollkommene Ordnung müsse der natürlichen Ordnung angenähert werden, wozu diese mittels der Vernunft zuerst ermittelt werden musste. In diesem Rahmen wird die mechanische Gesetzlichkeit des Wirtschaftens zu einer natürlichen Ordnung, der es zu folgen gilt. Die Gruppe französischer Intellektueller, die sich diesbezüglich Gedanken machten nennt man Physiokraten (Physiokratie = Herrschaft der Natur). Physiokraten gelten als die erste nationalökonomische Schule in der heutigen engen Auslegung des Begriffes. Sie befürworteten eine liberale Wirtschaftspolitik ohne staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsprozess. Fehlte der merkantilistischen Rezeptsammlung noch das theoretische Fundament, so gründen die Erkenntnisse der Physiokraten auf rational-mechanischen Fundamenten. Sie sehen die Ökonomie als exakte wissenschaftliche Disziplin und lassen damit das Zeitalter der Vermutungen hinter sich. Trotzdem haben sie nach wie vor einen ganzheitlichen Anspruch und die Absicht, ein System inklusive ökonomischer, politischer, sozialphilosophischer und ethischer Teilbereiche zu bilden. Die Geburtsstunde der VWL, darin ist sich die Literatur einig, schlägt 1758 mit einer Veröffentlichung des französischen Arztes Francois Quesnay (1694-1774): „Analyse du tableau économique“. Dieser erste stationäre Wirtschaftskreislauf bildete alle Wertströme zwischen verschiedenen Wirt45 46
Kant 1976:55 zitiert nach Reiß 2007:16 Reiß 2007:16
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
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schaftseinheiten ab. Quesnay und die Physiokraten teilten die Gesellschaft in drei Klassen bzw. Sektoren ein. Den Sektor der Landwirtschaft bzw. der Pächter als produktive Klasse („classe productive“), den Sektor der Grundeigentümer als distributive Klasse („classe distributive“), die aus dem Königshaus, dem Adel und dem Klerus bestand, und schließlich den Sektor der gewerblichen Wirtschaft als sterile Klasse („classe stérile“), die aus Handwerkern, Manufakturisten und Kaufleuten bestand. Dieser letzte Sektor hat in Quesnays „Tableau économique“ eine rein umformende und keine wertsteigernde Funktion. Aus dem Tableau geht hervor, dass einzig der Boden Quelle des Reichtums ist. Durch seine Bewirtschaftung erhöht sich die reale Gütermenge und damit der Ertrag. Die eigentliche Arbeiterklasse („petit peuple“) spielt keine Rolle im Tableau, da sie nur konsumiert und keinerlei Wert bringt. Das „Tableau économique“ existiert in verschiedenen Darstellungen (Abbildung 14 ist eine vereinfachte Version in Kontenform). Auch werden in ihm die Stromgrößen nicht immer vollständig dargestellt und sind teilweise nicht eindeutig von den Bestandsgrößen zu unterscheiden. Die Wertsteigerung eines Gutes durch weitere Verarbeitung wird ebenfalls außer Acht gelassen. Nichtsdestotrotz ist eine Anwendungsform des Tableaus heute als Input-Output-Mechanismus bekannt und die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung leitet sich ebenfalls daraus ab. Das wohl erstaunlichste ist, dass das Tableau bereits eine Gleichgewichtsidee enthält: Das Gleichgewicht ist gegeben, wenn die Grundeigentümer die Hälfte der ihnen zufallenden Erträge in die landwirtschaftliche Produktion reinvestieren. Damit ist die Reproduktion gewährleistet. Würde die verteilende Klasse der Grundbesitzer bspw. das Geld horten, würde das Gleichgewicht gestört werden und die Reproduktion wäre nicht mehr gesichert.
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Produktive Klasse
L
Distributive Klasse
G
L
Sterile Klasse
G L
L
L
L
G
„p
t“ ne uit rod
/P
G
ht ac
L = Ausgaben / Einnahmen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (einschl. Rohstoffe) G = Ausgaben / Einnahmen für gewerbliche Erzeugnisse (Im Maßstab: 0,8 cm2 ≈ 1 Mrd.)
Abbildung 14: Das tableau économique Quelle: Kolb 2004:45
Aus der zunehmenden Schuldenlast des französischen Herrscherhauses und der wachsenden und als ungerecht empfundenen steigenden Steuerbelastung der Bevölkerung resultierte der zweite große Beitrag der Physiokraten zur Wirtschaftstheorie: ihre Steuerlehre. Insbesondere durch das vermutlich unter der Mitarbeit von Quesnay entstandene Werk „Théorie de l´impôt“ des Marquis de Mirabeau 1760. Zwar wurde der „impôt unique“, die Alleinsteuer, bereits früher gefordert, die Physiokraten brachten die Alleinsteuer jedoch erstmals in einen gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang. Die Physiokraten vertraten eine Art ökonomischen Liberalismus: Die Aufgabe des Staates reduzierte sich auf die innere und äußere Sicherung, die Bildung und die Verbesserung der Infrastruktur. Der Staat soll sich nur rahmengebend, nicht aber am Wirtschaftsprozess selbst beteiligen. Mit dieser Minderung der Aufgaben ging eine Reform der Staatseinnahmen bezüglich der Einführung einer Grund(renten)steuer als Alleinsteuer einher.
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1776 veröffentlichte der Schotte Adam Smith (1723 - 1790) die erste ausführliche Studie über die Ökonomie in seinem Buch: „Inquiry into the Nature & Causes of the Wealth of Nations“ (Untersuchung des Wesens und der Ursachen des Reichtums von Nationen). Er gilt damit als Gründer und einer der Hauptvertreter der Klassischen Schule der Nationalökonomie, die von der naturrechtlich, rationalistischen Denkweise der Aufklärung geprägt war. Smith wurde in eine Zeit des Umbruchs hineingeboren – die Maximierung individueller Freiheit und damit die Minimierung von Herrschaft im weitesten Sinne waren zum Leitmotiv geworden. Dazu kam eine utilitaristische Grundhaltung: Ein ökonomischer Vorteil des Einzelnen muss nicht zum Nachteil des anderen werden, das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl wird angestrebt. Nicht mehr der Boden wird als alleiniger wohlstandserzeugender Faktor betrachtet, sondern die Arbeitskraft tritt in den Vordergrund. Smith beginnt sein Werk demnach auch mit ausführlichen Betrachtungen zur Arbeitsteilung. Zum ersten Mal wird die Ökonomie unabhängig von anderen Systemen betrachtet. Der Mensch bewegt sich demnach in so genannten Zwecksystemen (politisches System, wirtschaftliches System, religiöses System etc.) und handelt, je nachdem in welchem System er sich gerade befindet, als homo oeconomicus, homo politicus, homo religiosus etc. Das Handeln ist von Zweckmäßigkeit geprägt. Die britische Klassik lässt sich in drei Phasen einteilen. Adam Smith gilt als Vertreter der Optimisten. Seiner „unsichtbaren Hand“ des Marktes gelingt es theoretisch, das nicht nur in Großbritannien um sich greifende Problem der strukturellen Arbeitslosigkeit durch den Wettbewerb lösen zu lassen. Ebenso glaubte Smith, dass das Eigeninteresse des Einzelnen zum Wohl Aller beiträgt, da nutzenmaximierendes individuelles Handeln unter bestimmten ethischen Prämissen zu einer Nutzenmaximierung des Kollektivs führt. Genau diese ethischen Prämissen sind einer der Knotenpunkte in Smiths Werk: Adam Smith bezeichnete sich als Moralphilosophen, obwohl er im Rahmen seines Studiums auch Ökonomie hörte. Als sein Hauptwerk betrachtete er das bereits 1759 erschienene Werk „The Theory of Moral Sentiments“ (Theorie der ethischen Gefühle). Darin legt er bereits den Grundstein für sein zweites Buch über den Wohlstand der Nationen. In der Theorie der ethischen Gefühle ist bereits von der „unsichtbaren Hand“ die Rede, allerdings erklärt er dabei ausführlich, unter welchen ethischen Bedingungen diese „Hand“ ausschließlich funktionieren kann. Die von ihm dargestellten Voraussetzungen stehen jedoch im Gegensatz zu den Vorausset-
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KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
zungen des rationalen Handelns, welche in der modernen Wirtschaftstheorie angenommen werden. Die „unsichtbare Hand“ wird als universeller, aus dem Nichts entstehender, Mechanismus verstanden, der staatliches Eingreifen überflüssig macht. Es ist nicht sicher, ob Adam Smith sich über die heutige Auslegung seines Werkes besonders gefreut hätte. Ein weiterer Kritikpunkt an Smiths Thesen ist die Tatsache, dass sie zum Zeitpunkt der Niederschrift keineswegs neu waren. In seinem Buch finden sich jedoch kaum Zitate und Hinweise auf Quellen. Der österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter (1883 - 1950) bemerkte, dass Smiths Werk „keine einzige analytische Idee oder Methode und kein analytisches Prinzip enthält, daß [sic!] im Jahre 1776 völlig neu gewesen wäre47“. Trotzdem war Smith der Erste, der diese Ansammlung von ökonomischem Wissen im Rahmen eines ganzheitlichen Systems verständlich niederschrieb. Die Kritikpunkte relativieren sein Werk zwar etwas, machen es aber keinesfalls weniger bewundernswert. Während Adam Smith die steigende Arbeitslosigkeit in Schottland und Großbritannien als Erwachsener erlebte, wurden Thomas Robert Malthus (1766 - 1834) und David Ricardo (1772 - 1823) mitten in das Elend hinein geboren. Sie werden als die Pessimisten unter den Klassikern der Nationalökonomie bezeichnet. Sie glaubten nicht an die Übereinstimmung individueller Präferenzen mit denen der Allgemeinheit und erkennen grundsätzliche Unterschiede und Konflikte zwischen Grundbesitzern und Kapitalisten, sowie zwischen Kapitalisten und Arbeitern. Auch interpretieren sie das Naturgesetz anders als die Physiokraten oder Smith: Ihr Gesetz des sinkenden Bodenertrags besagt, dass der Bewirtschaftung des Bodens Grenzen gesetzt sind. Da die Produktivität des Bodens abnimmt und die Bevölkerung weiterhin wächst (Großbritannien war zu dieser Zeit von einer Art Bevölkerungsexplosion geprägt), sehen sie eine sehr düstere Zukunft bezüglich der Befriedigung der elementaren Bedürfnisse wie Hunger. Sie wurden auch deshalb als Pessimisten bezeichnet, weil sie nicht daran glaubten, diese Entwicklung sei aufzuhalten. Sie waren wenig innovationsbegeistert und glaubten nicht an den Fortschritt. Die von Malthus aufgestellte Theorie der Bevölkerungsfalle wird heute vor allem von Globalisierungsgegnern herangezogen. In seiner Theorie geht Malthus davon aus, dass die Bevölkerung
47
Schumpeter 1965:241 zitiert nach Kolb 2004:53
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
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exponentiell wächst, während die Nahrungsmittelproduktion linear steigt. Dadurch gehen Nahrungsmittelangebot und -nachfrage im Lauf der Zeit auseinander, was einen Preisanstieg sowie das Sinken der Reallöhne unter das Existenzminimum zur Folge hätte. Damit seien die Armut und die Not der britischen Bevölkerung zu seiner Zeit zu begründen. Mittlerweile wurde diese Theorie falsifiziert, Malthus hatte nicht mit der raschen Entwicklung von Technologie, zunächst vor allem im landwirtschaftlichen Bereich, gerechnet. Zudem unterschätzte er die produktivitätssteigernde Wirkung von Arbeitsteilung und Massenproduktion sowie die Tatsache, dass verteilungspolitische Maßnahmen seine Berechnungen verändern. Sein geistiger Freund David Ricardo wird zwar auch als „Pessimist“ bezeichnet, trug aber durch seine Ausführungen zur Wohlfahrtssteigerung durch die Ausnutzung komparativer Vorteile bei Arbeitsteilung zur Entschärfung von Malthus düsteren Ausblicken bei. John Stuart Mill (1806 - 1873) gilt als Skeptiker unter den Klassischen Nationalökonomen, aufgrund seiner skeptischen Haltung gegenüber den liberalen Verallgemeinerungen und Patentlösungen bezüglich des Staates, der Gewerkschaften und der Industrie. 6.2.2 Einordnung der VWL als Wissenschaft Wo ist nun aber der Platz dieser im 19. Jh. geborenen Wirtschaftswissenschaft im großen Spektrum der Wissenschaften? Wie bereits erwähnt, löste sich die Ökonomie durch die Klassiker von der Politik und der Betrachtung der Gesellschaft. Die Abbildung 15 soll einen Überblick über die Stellung der VWL als wissenschaftliche Disziplin in der Gesamtheit der Wissenschaften geben.
Betriebswirtschaftslehre
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
Wirtschaftspolitik (theoretisch und konkret) Ökonomische und Empirische Wirtschaftsforschung als Hilfsmittel
Volkswirtschaftstheorie
Rechtswissenschaften
Wirtschaftsgeographie
Wirtschaftsgeschichte
Quelle: Eigene Darstellung
Volkswirtschaftslehre
Finanzwissenschaft
Abbildung 15: Einordnung und Untergliederung der VWL
VWL braucht BWL BWL braucht VWL
Wirtschaftswissenschaften Politik- und Sozialwissenschaften
Naturwissenschaften
Unternehmensleitung, Personalwirtschaft, Beschaffung, Fertigung, Absatz, Finanzwirtschaft, Kontrolle (Rechnungswesen), Institutionelle Spezialfragen (Marketing etc.)
Volkswirtschaftskunde Geistes-/Sozial-/Kulturwissenschaften
Realwissenschaften
Wissenschaften
Ideal-/Exakte Wissenschaften
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KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
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Unter der großen Überschrift Wissenschaften kann zunächst eine Unterscheidung zwischen Realwissenschaften, welche die Realität abbilden, und Ideal- oder Exakten Wissenschaften erfolgen. Die Exakten Wissenschaften wie Mathematik, Statistik, Methodologie und Logik sind instrumentelle Hilfen der Realwissenschaften und unterstützen sie bei der Erkenntnisgewinnung durch formale Methoden. Unter Realwissenschaften fallen diejenigen Disziplinen, die entweder die ohne menschliche Hilfe bestehende Natur (Naturwissenschaften wie bspw. Biologie und Chemie) oder vom Menschen geschaffene Systeme (Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften) zum Untersuchungsgegenstand haben. In diesen zweiten Bereich fallen die Wirtschaftswissenschaften als eigenständige wissenschaftliche Disziplin. Sie bedienen sich der instrumentellen Hilfe der Exakten Wissenschaften, so entstanden die Ökonometrie und die Empirische Wirtschaftsforschung aus der Notwendigkeit der empirischen Überprüfung theoretischer Hypothesen: Sie vereinen Ökonomie, Mathematik und Statistik. Zudem haben Erkenntnisse aus den Nachbardisziplinen wie Rechts-, Sozial- und Politikwissenschaften eine direkte Bedeutung für viele ökonomische Fragestellungen. Innerhalb der Wirtschaftswissenschaften setzten sich zunächst nur die Volkswirtschaftslehre und die Finanzwissenschaft als universitäres Fach durch. Die Betriebswirtschaftslehre entstand, nachdem sie im 19. Jh. in Vergessenheit zu geraten drohte, außeruniversitär in Handelsschulen aus der neben der Kameralwissenschaft bestehenden Handelswissenschaft. Heute ist eine weitgehende Integration beider Disziplinen zu beobachten. Erkenntnisse aus beiden Bereichen sind für den jeweils anderen Bereich essentiell. Die Wirtschaftsgeschichte erforscht zum einen wirtschaftsbezogene Handlungen und Einrichtungen der Menschen in früheren Zeitaltern und analysiert diesen Prozess zum anderen48. Ein besonderer Teil der Wirtschaftgeschichte stellt die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften bzw. des Wirtschaftsdenkens, die so genannte Dogmengeschichte, dar (siehe Kapitel 5.2 und 6.2.1). Die Wirtschaftsgeographie untersucht das Verhältnis von Wirtschaft und Raum und erstellt dabei Struktur- und Prozessmechanismen. Sie
48
Vgl. Gabler 2004h:3368f
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erfasst und bewertet durch wirtschaftliches Handeln entstandene Verbreitungsmuster und Organisationsformen49. Die VWL lässt sich weiterhin in vier Teildisziplinen einteilen. Die Volkswirtschaftskunde beschreibt konkrete wirtschaftliche Erscheinungen. Diese tatsächlichen Daten bilden die Grundlage theoretischer Forschung. Sie ist die beschreibende Vorstufe der volkswirtschaftlichen Theorie und der Wirtschaftspolitik. Die Volkswirtschaftstheorie beschäftigt sich mit der Frage, warum etwas so ist, wie es in der Volkswirtschaftskunde dargestellt wird. Durch die theoretische Analyse wirtschaftlicher Erscheinungen erklärt die Theorie grundsätzliche wirtschaftliche Zusammenhänge. Dabei werden Kausalaussagen getroffen, die durch empirische Beobachtungen bestätigt werden müssen. Die Theorie der Wirtschaftspolitik untersucht die Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen auf gegebene ökonomische Ziele. Aus den Kausalaussagen der Wirtschaftstheorie werden theoretisch fundierte Mittel-Ziel-Relationen abgeleitet sowie Diskrepanzen zwischen einem gegebenen Ziel und der tatsächlichen Lage ermittelt. Aus der Überprüfung des Mitteleinsatzes zur Erreichung eines gegebenen Ziels ergeben sich so genannte Finalaussagen, die in der konkreten Wirtschaftspolitik als Handlungshilfen für politische Entscheidungen dienen. Die vierte Disziplin, die Finanzwissenschaft, wird teilweise auch als eigenständige wirtschaftswissenschaftliche Disziplin betrachtet und beschäftigt sich mit den Besonderheiten des staatlichen ökonomischen Handelns. Untersuchungsgegenstand ist der Einfluss der öffentlichen Haushalte, der Gebietskörperschaften (Gemeinden, Länder), der Körperschaften des öffentlichen Rechts (Bildungseinrichtungen, Gefängnisse) sowie der supranationalen Haushalte (EG, UNO) auf den Wirtschaftsprozess. 6.2.3 Die drei Hauptprobleme der VWL Bis zu diesem Punkt in der Entwicklung der VWL als Wissenschaft und der Anwendung volkswirtschaftlicher Erkenntnisse auf die Gesellschaft scheint alles logisch aufeinander aufzubauen und sozusagen zu einem „Happy End“ zu führen. Tatsächlich aber bestehen innerhalb der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen zahlreiche Diskrepanzen bezüglich verschiedener Aspekte. Diese Diskrepanzen drücken sich bspw. in methodologischen 49
Vgl. Gabler 2004h:3367f
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
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(formal-analytisch vs. ethisch beeinflusst) und philosophischen (Grad der durch die Staatsform bestehenden wirtschaftlichen und politischen Freiheit) Diskussionen aus. Wie bereits in Kapitel 2.4 angesprochen, ist das Rationalprinzip mit seinem homo oeconomicus eine kritisch zu betrachtende Grundlage der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie. Die folgenden drei Hauptprobleme der VWL basieren entsprechend auf diesem Prinzip. 1. Die Wirtschaftswissenschaften können keine absoluten Wahrheiten erbringen. Menschliches Verhalten lässt sich nicht gänzlich durch mathematische Formeln beschreiben und auf Automatismen reduzieren. Das wiederholte Scheitern von – nur – kurzfristigen Prognosen, welches sich in konjunkturellen Unregelmäßigkeiten und dauerhaften und kurz aufeinander folgenden Wirtschaftskrisen ausdrückt, ist Beweis dafür. Zudem entwickelt sich die Forschung zu langsam, als dass sie die ständig neu auftretenden wirtschaftlichen Phänomene in ihrer Gänze erfassen könnte. Infolge dessen ist die Aussagekraft der Wirtschaftstheorie und damit auch die Wirkungskraft wirtschaftspolitischer Instrumente beschränkt. Bildlich gesprochen wird der nicht betrachtete Modellbereich im Verhältnis zum betrachteten Modellbereich mit seinen erklärenden Variablen immer größer. Und je größer der Bereich wird, über den keine Aussage getroffen werden kann, desto ungenauer und unrealistischer wird die Gesamtaussage. 2. Die Auswahl und die Behandlung der von der VWL behandelten Phänomene enthält immer eine Wertung und kann daher zu Interessenskonflikten führen. Es ist dem Menschen nicht möglich zu handeln, ohne dabei einen über die rein rationale Entscheidung hinausgehenden Beweggrund zu haben. Die Entscheidung, einen Apfel zu kaufen ist natürlich zum einen von einem rational zu behandelnden Hungerbedürfnis bedingt. Die Wahl des Apfels jedoch nicht. Aus dem breiten Angebot wird auf Grund persönlicher Präferenzen ausgewählt: Da liegen grüne und rote Äpfel, Äpfel aus Italien und vom Bodensee, Äpfel, die süßlich oder säuerlich schmecken etc. Zusätzlich hängt von der Präferenz des Konsumenten ab, ob er den Apfel in einem Supermarkt kauft, in einem kleinen Obstladen oder auf dem Wochenmarkt. Oder ob er den Apfel einfach auf der Wiese des Nachbarn pflückt. Auf gesellschaftlicher Ebene führt dies dazu, dass bspw. die Entscheidung, den Arbeitsmarkt theoretisch zu untersuchen zu einer wirtschaftspolitischen
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Handlungsempfehlung führt, die ethisch geprägt ist. Liberale Wissenschaftler tendieren zu liberalen Empfehlungen im Sinne eines freien Marktes, der durch die „unsichtbare Hand“ zu einem Gleichgewicht findet. Konservative Wissenschaftler raten zu mehr Regulierung und staatlichen Eingriffen, bspw. durch Veränderungen gesetzlicher Regelungen zum Arbeitslosengeld etc. Wie jeder Mensch handelt ein Wirtschaftswissenschaftler – bewusst oder unbewusst – ethisch und moralisch geprägt. Diese Prägung bedingt Interessenskonflikte auf allen wirtschaftlichen Ebenen. Soll das Unternehmen Mitarbeiter entlassen oder die Ausgaben senken? Ist eine freie oder soziale Marktwirtschaft die bessere Staatsform? Ist die Preisstabilität einer Volkswirtschaft wichtiger als die nachhaltige Nutzung ihrer Umwelt in Form ihrer natürlichen Ressourcen? Die Fragen, die sich aus diesem Problem ergeben, sind zahlreich. 3. Das Effizienzkriterium der VWL veranlasst zur Produktion über ein gesundes Maß hinaus. Wird das Rationalprinzip konsequent angewendet, dann wird das Wirtschaften immer effizienter. Teilweise auf Kosten anderer, gesellschaftlich wichtiger Bereiche. Als Konsequenz wird bspw. die Umwelt ungenügend (bis gar nicht) berücksichtigt. Eine weitere Konsequenz ist die geringe Sozialverträglichkeit der Entwicklung im Bereich des Arbeitseinsatzes. In den letzten Jahrzehnten tauchten zahlreiche so genannte Zivilisationskrankheiten auf, die teilweise auf die Reduktion des Menschen auf seine Funktion als „Humankapital“ zurückgehen. Eine weitere Folge der ständigen Gewinnmaximierung spiegelt sich in der Gestaltung der Verteilung von Einkommen wider: Die Kluft zwischen Kapitaleignern und einfachen Arbeitern wird ständig größer. Die Erkenntnis dieser Probleme begründet den heute gewonnenen Abstand zur früheren, rein modell-ökonometrischen Erfassung der Ökonomie. Sie bietet ein unerschöpfliches Anwendungsfeld für neuere ökonomische Methoden und Ansätze aus den Bereichen der Neuen Politischen Ökonomie, der experimentellen Theorie oder der Chaos-Theorie, sowie neuen Erkenntnissen anderer wissenschaftlicher Disziplinen. Dem Rationalprinzip entspringen jedoch auch Lösungen zur Bewältigung der oben genannten Probleme der VWL in der Praxis. Kapitel 8 erläutert ein weiteres Problem der VWL und einen Lösungsansatz dafür: Innerhalb einer geschlossenen Volkswirtschaft bestehen Wachstumsgrenzen für alle wirt-
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89
schaftlichen Faktoren. Durch die Aufnahme von Handel mit anderen Volkswirtschaften kann die Produktion durch die Nutzung komparativer Vorteile effizienter werden und dabei den Wohlstand der handelnden Volkswirtschaften erhöhen. Zuvor ist jedoch wichtig, die Voraussetzungen für internationalen Handel zu erläutern. Dazu muss zunächst die Position einer Volkswirtschaft im globalen Umfeld bestimmt werden und ein System bestehen, welches den internationalen Handel zwischen zwei oder mehreren Ländern regelt. 6.2.4 Die Wirtschaftsstruktur als Positionsindikator Ein wichtiger Indikator für die Bestimmung der wirtschaftlichen Position einer Volkswirtschaft im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften ist die jeweilige Wirtschaftsstruktur. Darunter versteht man die Art und Weise, wie die Wirtschaftssubjekte in einer Volkswirtschaft aufgebaut sind. Die Unterschiede im Aufbau lassen folglich Unterschiede in der Produktionskapazität, dem Wohlstand, der Außenverflechtung etc. verschiedener Nationen erkennen. Um den Überblick nicht zu verlieren, wird die Wirtschaftsstruktur in vier Teilstrukturen unterteilt: Produktions-, Regional-, Bevölkerungsund Markt- und Unternehmensstruktur. Die Produktionsstruktur einer sich in der Lage der Wirtschaftsintensivierung bzw. Industrialisierung befindenden Volkswirtschaft erfährt einen krassen Wandel. In den 1930er Jahren analysierten Jean Fourastié und Colin Clark die Arbeitsproduktivität (im Sinne der Wertschöpfung pro eingesetzter Arbeitseinheit) verschiedener Wirtschaftsbereiche und teilten diese in drei Sektoren ein: Der primäre Sektor (vor allem Landwirtschaft und Urgewinnung) zeichnet sich durch mittelmäßigen technischen Fortschritt und damit durch eine mittelmäßig ansteigende Arbeitsproduktivität aus. Der sekundäre Sektor (vor allem verarbeitendes Gewerbe wie Industrie und Handwerk) ist der Sektor mit dem größten technischen Fortschritt. Der tertiäre Sektor (vor allem Dienstleistungen wie Handel und Verwaltung) zeichnet sich durch geringen oder gar keinen technischen Fortschritt aus. Fourastiés Theorie ist jedoch nur zeitweise gültig. Die Entwicklung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien hat dazu geführt, dass der tertiäre Sektor einen größeren technischen Fortschritt erfährt als die ersten beiden
90
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
Sektoren. Die oben genannten Entwicklungen werden auch als quartiärer Sektor (Informationssektor) zusammengefasst (siehe Abbildung 16).50
Sektoren der Volkswirtschaft
Quartiärer
Sektor
Information und Kommunikation
Private Organisationen ohne Erwerbscharakter
Information
Gebietskörperschaften und Sozialversicherung
Verarbeitendes Gewerbe
Banken und Versicherungen
Verkehr und Nachrichten
Sonstige DL und Freie Berufe
Handel
Tertiärer Sektor Dienstleistungsgewerbe
Baugewerbe
Sekundärer Sektor Produzierendes Gewerbe
Industrie
Bergbau, Wasser, Energie
Land- und Forstwirtschaft Fischerei
Urgewinnung
Produzierendes Handwerk
Primärer Sektor
Abbildung 16: Sektorale Wirtschaftsstruktur Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hohlstein 2003:649f und Schäfers
Heute dient die sektorale Wirtschaftsstruktur zum einen als Indikator für den Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft. Entwicklungsländer mit geringem Einkommen pro Kopf haben einen großen primären Sektor in dem verhältnismäßig viele Arbeitskräfte beschäftigt sind (so genannte Agrargesellschaften). Länder mit mittlerem Einkommen pro Kopf, so genannte „Schwellenländer“ erwirtschaften ihr Einkommen überwiegend im sekundären Sektor (so genannte Industriegesellschaften). In entwickelten Ländern mit hohem Einkommen pro Kopf finden sich die meisten Beschäftigten im tertiären Sektor (so genannte Dienstleistungsgesellschaften). Durch den fort50
Vgl. Hohlstein et al 2003:649f und Rürup/Sesselmeier 2001:630f
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
91
laufenden Strukturwandel und die zahlreichen und schnellen Innovationen im Bereich der modernen Information und Kommunikation wandeln sich hoch entwickelte Volkswirtschaften immer mehr von Dienstleistungs- zu Informationsgesellschaften. Das heißt, die Beschäftigung im quartiären Sektor nimmt zu. 51 Die Regionalstruktur basiert auf den unterschiedlichen natürlichen Gegebenheiten innerhalb einer Volkswirtschaft. Somit ist auch die wirtschaftliche Integration der verschiedenen Regionen in den nationalen Wirtschaftsprozess unterschiedlich hoch. In modernen Volkswirtschaften wird eine aktive Strukturpolitik betrieben, um die Unterschiede zwischen den Regionen zu verkleinern. In Deutschland wird diese Anpassung über den Länderfinanzausgleich geschaffen. Nach der deutschen Wiedervereinigung gab es gravierende Unterschiede zwischen den Regionen, vor allem hinsichtlich der Infrastrukturen in Ost- und Westdeutschland. Die westdeutschen Industrien waren demnach wesentlich effizienter und hatten eine höhere Wertschöpfung als die östlichen Industrien. Unter Bevölkerungsstruktur versteht man die Zusammensetzung der Bevölkerung einer Volkswirtschaft. Sie lässt sich in Form einer Pyramide, der so genannten Alterspyramide, beschreiben. Die Alterspyramide ist eine grafische Darstellung der amtlichen Bevölkerungsstatistik hinsichtlich der Altersstruktur der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Geschlecht unterteilt. Auf der vertikalen Altersachse werden jeweils rechts und links die Häufigkeiten für die unterschiedlichen Altersklassen beider Geschlechter abgetragen. Dabei werden Fertilität, Mortalität und Migration widergespiegelt. Die Beispiele zeigen verschiedene Alterspyramiden der deutschen Bevölkerung in den Jahren 2001 und 2050 (Abbildungen 17 und 18) sowie, zum Vergleich, die stilisierte Alterspyramide eines beliebigen Entwicklungslandes heute (Abbildung 19). Dabei wird deutlich sichtbar, wie sich die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung im Lauf der Jahre ändert: Die Tendenz geht zu einer alternden Bevölkerung, die im Jahr 2050 die meisten Häufigkeiten in der Altersklasse um 60 Jahre aufweist. Bereits heute liegt das durchschnittliche Alter bei rund 40 Jahren. Deutlich erkennbar ist auch, dass die Geburten immer weniger werden.
51
Vgl. Hohlstein et al 2003:649f; Rürup/Sesselmeier 2001:630f und Staroske 1995:27ff
92
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
Alter in Jahren 100 90 80 70 60 50
Männer
40
Frauen
30 20 10 0
Anzahl in 100 000
Anzahl in 100 000 600
300
300
600
Abbildung 17: Alterspyramide Deutschland 2001 Quelle: Eigene Darstellung nach Gabler 2005a:96
Alter in Jahren 100 90 80 70 60 50
Männer
40
Frauen
30 20 10 0
Anzahl in 100 000
Anzahl in 100 000 600
300
300
600
Abbildung 18: Alterspyramide Deutschland 2050 Quelle: Eigene Darstellung nach Gabler 2005a:97
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
93
Die Pyramiden sind bewusst nach oben offen gehalten, da durch die Verbesserung der medizinischen Möglichkeiten die Lebenserwartung der Menschen steigt. War ein Alter von 90 oder gar 100 Jahren im letzten Jahrhundert noch die absolute Ausnahme, ist dieses hohe Alter heute keine Besonderheit mehr. Alter in Jahren 100
90 80
70 60 50
Männer
40
Frauen
30 20 10 0
Anzahl
Anzahl
Abbildung 19: Stilisierte Alterspyramide eines Entwicklungslands Quelle: Eigene Darstellung
In Entwicklungsländern zeigt sich ein anderer Trend: Die Pyramide, die hier ihren Namen erst verdient, ist nach unten weit geöffnet und steht für eine dynamische Bevölkerung. Das bedeutet, dass in Entwicklungsländern die Fertilitätsrate höher ist als in Industrienationen, es werden schlicht mehr Kinder geboren. Da die medizinische Versorgung weniger gut ausgeprägt ist als in Industrienationen, sterben die Menschen zu einem früheren Zeitpunkt, was die Bevölkerung insgesamt jünger macht als die Bevölkerungen der Industrienationen. Die Markt- und Unternehmensstruktur ist das letzte wichtige Kriterium bei der Einordnung von Volkswirtschaften. Bestehen die Märkte aus vielen oder wenigen Unternehmen? Handelt es sich überwiegend um kleine, mittlere oder große Unternehmen? Allgemein sind die Volkswirtschaften entwickel-
94
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
ter Länder durch eine starke Konzentration zahlreicher großer Unternehmen gekennzeichnet. Je stärker die Konzentration der Wirtschaft, desto größer ist die Dominanz einiger weniger, großer Unternehmen. Die Konzentration ist dabei eine Folge von internem und externem Wachstum. Während internes Wachstum als Resultat einer guten Unternehmenspolitik bezeichnet werden kann, entsteht externes Wachstum nicht durch internes Wachstum, sondern durch geschickte Strategien und Manöver. Beide Wachstumsarten lassen sich verbinden, wenn zum Beispiel ein gutes Produkt mit einer entsprechend guten Strategie vermarktet wird. Die so gewonnene Macht der Unternehmen soll nun nach außen stabilisiert werden. Dies ist durch die Bildung von Konzernen, Kartellen, Gemeinschaftsunternehmen oder Fusionen möglich. Als Konzern versteht man einen rein wirtschaftlichen Zusammenschluss von juristisch selbstständig bleibenden Firmen. Jede Firma behält ihren Namen, ihr Logo etc. Ziel eines Konzerns ist nicht die Marktbeherrschung, sondern die Rationalisierung des Produktionsablaufs. Gewinnpoolung oder gegenseitige Dividendenzahlungen gewährleisten das gegenseitige Interesse an der Wirtschaftlichkeitssteigerung.52 Dabei kann nach Art der produktionstechnischen Zusammenfassung in vertikale, horizontale und diagonale Konzerne unterschieden werden. Vertikale Konzerne verbinden verschiedene Produktionsstufen miteinander. Sie bearbeiten ein Gut vom Urprodukt bis zur Vermarktung des fertigen Produktes in einer Produktionskette, z. B. Krupp-Thyssen, Hoechst. Horizontale Konzerne sind so genannte Konglomerate oder Mischkonzerne. Es bestehen keine leistungsmäßigen Zusammenhänge mehr zwischen den einzelnen Konzernfirmen, die Produktionsstufen werden gemischt, z. B. Dr. Oetker, die vom Backpulver bis zum Öltanker alles produzieren. Ein Kartell ist eine vertragliche Verbindung von wirtschaftlich und juristisch selbstständig bleibenden Unternehmen desselben Wirtschaftszweiges zur Einschränkung der Konkurrenz. Kartelle unterliegen aus diesem Grund dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen im Deutschen Kartellrecht. Es gibt verschiedene Arten von Kartellen, von denen eine Auswahl in der folgenden Tabelle 4 genannt und erläutert wird. Generell sind abgestimmte Verhaltensweisen, so genannte kartellrechtliche Vereinbarungen verboten,
52
Vgl. Gabler 2004d:1751
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95
wenn sie eine „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken“. Auch so genannte Frühstückskartelle oder Gentlemen’s Agreements sind, obwohl sie formlos oder mündlich vereinbart werden, nicht zulässig. Es gibt jedoch auch Ausnahmen, so genannte Anmelde- oder Erlaubniskartelle. Diese Möglichkeit besteht, wenn die Kartellbildung im öffentlichen Interesse ist, bspw. bei der Stromversorgung.53 Arten von Kartellen
Beschreibung
Zulässig oder Unzulässig
Preiskartell
Kartellrechtliche Vereinbarung selbstständiger Unternehmen über Preise.
Nach §1 GWB bzw. Art. 81 EGV unzulässig
Quotenkartell
Kartellrechtliche Vereinbarung, bei der der Absatz einheitlich organisiert ist.
Nach §1 GWB unzulässig
Syndikat
Kartellrechtliche Vereinbarung, bei der die Verpflichtung der Vertragsbeteiligten durch gemeinsame Organisation abgesichert ist.
Verstoß gegen das Kartellrecht, jedoch nach §5II GWB als Erlaubniskartell freistellbar.
Normen- und Typenkartell
Kartellrechtliche Vereinbarung zur Festsetzung einheitlicher Normen.
Verstoß gegen das Kartellrecht, jedoch nach § 21 GWB als Anmeldekartell freistellbar
Angebots- und Kalkulationsschematakartell
Kartellrechtliche Vereinbarung zur Vereinheitlichung der Leistungsbeschreibung und Preisgliederung bei Ausschreibungen
Nach § 5IV GWB als Anmeldekartell vom Kartellverbot ausgenommen
Kartellrechtliche Vereinbarung zwischen Partnern einzelner Auslandsmärkte bzgl. Absatzquoten, Exportkartell
Grundpreis und einzuräumenden Konditionen. Häufig unter der Bedingung, Exporte nur über das Kartell zu tätigen.
Rabattkartell
Kartellrechtliche Vereinbarung zur Festlegung einheitlicher Funktions-, Umsatz- oder Mengenrabatte.
Einkaufskartell
Kartellrechtliche Vereinbarung zum gemeinsamen Einkauf von Waren oder zur gemeinsamen Beschaffung gewerblicher Leistungen.
Tabelle 4:
Nach Kartellrecht nicht zulässig, jedoch nach §130 II GWB zulässig, wenn sich die daraus resultierende Wettbewerbsbeschränkungen nicht im Geltungsbereich des GWB auswirken.
Nach §1 GWB bzw. Art. 81 EGV unzulässig
Nach § 4 II GWB freistellbar
Arten von Kartellen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Gabler 2005d:1653f
Die Bildung von Gemeinschaftsunternehmen ist eine moderne Form der Konzentration, die häufig praktiziert wird. Dabei wird ein Unternehmen von mehreren anderen Unternehmen gegründet oder gekauft und anschließend auch gemeinsam geleitet. Bspw. ist Thyssen-Krupp an mehr als 115 Gemeinschaftsunternehmen beteiligt.
53
Vgl. Gabler 2004d:1653f
96
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
Die Fusion als Form der Konzentration ist zwar sehr altmodisch, wird aber in letzter Zeit wieder vermehrt praktiziert. Dabei verschmelzen bisher selbstständige Unternehmen zu einem rechtlich und wirtschaftlich einheitlichen Neu-Unternehmen, Trust genannt. Eine Vorstufe des Trusts ist der Pool, eine Art Probelauf für die Unternehmen. Diese Form ist vor allem bei Banken sehr beliebt.
6.3 Historisches Beispiel: Die sektorale Entwicklung Deutschlands Die Entwicklung Deutschlands lässt sich sehr gut an der Entwicklung der Sektoralstruktur ablesen. Hierfür können zwei Methoden angewendet werden. Zum einen kann der Anteil der einzelnen Sektoren an der Bruttowertschöpfung einer Volkswirtschaft betrachtet werden. Eine zweite Möglichkeit ist die Betrachtung der Anteile der Sektoren an den Erwerbstätigen.
Anteile der Sektoren an den Erwerbstätigen in %
Anteile in %
80 60 40 20 0 1950
1960 1. Sektor
1970
1980 2. Sektor
1990
2000
3. Sektor
Abbildung 20: Anteile der Sektoren an den Erwerbstätigen in % im Zeitablauf Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Darstellung
2008
KAPITEL 6 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSINTENSIVIERUNG
97
Anteile in %
Anteile der Sektoren an der BWS in % 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1950
1960 1. Sektor
1970
1980 2. Sektor
1990
2000
2008
3. Sektor
Abbildung 21: Anteile der Sektoren an der BWS in % im Zeitablauf Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Darstellung
Aus beiden Graphiken wird ersichtlich, dass Deutschland kurz nach 1970 zur postindustriellen Gesellschaft wurde. Ungefähr seit diesem Zeitraum übertrifft der Beitrag des tertiären Sektors den Beitrag des sekundären Sektors zur Bruttowertschöpfung in Abbildung 21. Ebenfalls übertrifft der Anteil der Beschäftigten im tertiären Sektor den Anteil der Beschäftigten im sekundären Sektor, wie Abbildung 20 zeigt. Bei dieser Darstellung ist jedoch zu beachten, dass bis 1990 nur das ehemalige deutsche Bundesgebiet ohne die neuen Bundesländer betrachtet wurde. Trotzdem ergibt sich ein Überblick über die Entwicklung Deutschlands von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft.
99
7
Die Lage der wirtschaftsgeordneten Nationalstaaten
7.1 Das Leben in einer Wirtschaftsordnung Die durch die Industrialisierung steigende Intensität der internationalen Wirtschaftstätigkeit und die Interessensverschärfung bringen die Wirtschaftsgemeinschaften zur Festlegung genauer und zwingender ökonomischer Spielregeln. Diese basieren auf und unterstehen dem Prinzip der Souveränität und unterscheiden sich von Land zu Land, auch wenn ähnliche Entwicklungen zu ähnlichen Regelungen führen. Im folgenden Punkt 7.2 werden zunächst die Bestandteile dieser Lage definiert und erklärt. Anschließend werden die beiden Hauptkoordinationsformen sowie die aus ihnen entstandenen Mischordnungen erläutert. Am Beispiel des Magischen Vielecks soll die Schwierigkeit der vollkommenen Umsetzung wirtschaftlicher und politischer Pläne anhand eines Koordinationsmechanismus erläutert werden.
7.2 Die Theorie muss geordnet werden 7.2.1 Grundbegriffe und Einteilungskriterien Als Wirtschaftssystem bezeichnet man die idealtypische und richtungsweisende Grundvorstellung eines Staates über den Aufbau und Ablauf seiner wirtschaftlichen Prozesse. In einer arbeitsteiligen Welt sind diese Organisationsstrukturen sehr komplex und umfassen zahlreiche Elemente. Aus diesem Grund ist die genaue Definition des Begriffs Wirtschaftssystem schwierig. Am häufigsten wird es definiert als „die Gesamtheit der rechtlichen Vorschriften, Koordinationsmechanismen, Zielsetzungen, Verhaltensweisen und Institutionen, die den Aufbau und Ablauf einer Volkswirtschaft bestimmen.54“ Die Grundvorstellung über den Ablauf und Aufbau des wirtschaftlichen Prozesses ist dabei nicht wirtschaftlich bedingt, sondern weltanschaulicher Natur (politisch, ethisch, philosophisch) und historisch bedingt. 54
Baßeler et.al 2006:26
100 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN Während das Wirtschaftssystem ein idealtypisches Modell darstellt, ist die Wirtschaftsordnung als die „realisierte Ausgestaltung des Wirtschaftsgeschehens in einer Volkswirtschaft“55 zu betrachten. Sie ist der reale Rahmen, in welchem wirtschaftliche Prozesse ablaufen. Als Wirtschaftsverfassung bezeichnet man die Gesamtheit aller rechtlichen Vorschriften, die für die Wirtschaftsordnung bedeutsam sind. Darunter fallen nicht nur die Verfassungen von Bund und Ländern, sondern auch die wirtschaftlich relevanten Bundes- und Landesgesetze wie bspw. die Vorschriften gegen Wettbewerbsbeschränkung, die Steuergesetze und das Tarifvertragsrecht56. Die Wirtschaftsverfassung stellt den Kern unserer Wirtschaft dar, da in ihr die nur schwer zu verändernden Rahmenlinien der Wirtschaftstätigkeit verankert sind (z. B. Sozialstaatlichkeit). Wie in Kapitel 6.2.2 erwähnt, erfordert die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung die Koordination der komplexer werdenden Wirtschaftsprozesse. Zum einen müssen die Produktionspläne der Produzenten untereinander abgestimmt werden. Das heißt die Gewinnung von Rohstoffen sowie die Produktion von Zwischen- und Endprodukten müssen aufeinander abgestimmt werden, da sonst Über- oder Unterproduktion droht. Zum anderen müssen die Produktionspläne mit den Konsumplänen der Haushalte verglichen werden, um anhand der Bedürfnisse der Haushalte die optimale Produktionsmenge und -struktur herauszufinden. Kurz, es müssen folgende Fragen geklärt werden: Was und wie viel soll wie und für wen produziert werden? Voraussetzung für die Koordination ist ein Informations- und Sanktionssystem. Das heißt, die Produzenten brauchen Informationen über die Bedürfnisse der Konsumenten und müssen dazu motiviert werden, entsprechend dieser Bedürfnisse zu produzieren. Der Mechanismus, mit dessen Hilfe das komplexe wirtschaftliche Geschehen koordiniert werden soll, kann in zwei Hauptverfahren unterteilt werden. Zum einen die zentrale Planung, bei der eine übergeordnete Instanz die wirtschaftliche Planung übernimmt, indem sie Konsum- und Produktionsmenge bestimmt und die jeweiligen Preise festlegt (auch vertikale Koordination genannt). Hier spricht man von einer Zentralverwaltungswirtschaft. Zum anderen die dezentrale Planung, bei der die Unternehmen und Haushalte über Produktion und Konsum entscheiden 55 56
Neubäumer/Hewel Hrsg. 2005:13 Vgl. Baßeler et al 2006:26
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 101 und sich die Preise über den Angleich von Angebot und Nachfrage auf dem Markt regeln. Hier spricht man von Marktwirtschaft.57 Bei der Zentralverwaltungswirtschaft dient die Erfüllung eines Plans als Motivation. In der Marktwirtschaft steht das Eigeninteresse der Wirtschaftssubjekte im Mittelpunkt. Ebenso verhält es sich bei den Untersystemen des Wirtschaftssystems. In der Zentralverwaltungswirtschaft bestehen ein staatliches Bankensystem, staatliche Sozialvorsorge, staatliche Umweltkontrolle und staatliche Kontrolle über den Außenhandel. Diese Bereiche werden in der Marktwirtschaft privat bereitgestellt und von Eigeninteresse und -verantwortung bestimmt. Zudem besteht kein staatliches Monopol beim Außenhandel. Vergleicht man beide Systeme nach den Ergebnissen des Produktionsprozesses, wird in der Zentralverwaltungswirtschaft nach einem geplanten gesellschaftlichen Bedarf produziert. In der Marktwirtschaft haben die Konsumenten die Souveränität und bestimmen die Produktion durch ihre Nachfrage. Ein weiteres Kriterium zur Einteilung von Wirtschaftssystemen ist die Eigentumsordnung, also die Frage nach dem Eigentum an Produktionsmitteln, welches zwei grundsätzliche Formen annehmen kann: Privateigentum und Gemeinschaftseigentum. Sind die Produktionsmittel Privateigentum spricht man von einem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Befinden sich die Produktionsmittel im Eigentum des Staates, spricht man von einem sozialistischen Wirtschaftssystem.58 Aus diesen beiden Einteilungskriterien und den entsprechenden Bezeichnungen ergibt sich die folgende grobe Einteilung der idealtypischen Wirtschaftssysteme.
57 58
Vgl. Baßeler et al 2006:24f ebenda
102 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN
Eigentumsordnung
Privateigentum an Produktionsmitteln
Gemeineigentum an Produktionsmitteln
Dezentrale Planung
Kapitalistische Marktwirtschaft
Sozialistische Marktwirtschaft
Zentrale Planung
Kapitalistische Zentralverwaltungswirtschaft
Sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft
Koordinationsmechanismus
Tabelle 5:
Die Einteilung der Wirtschaftssysteme Quelle: Baßeler et al 2006:28
Auch Preisbildungs- und Unternehmensformen mit unterschiedlichen Maximen können als Einteilungskriterien herangezogen werden59. Da sich diese beiden Unterscheidungen jedoch aus den oben genannten Einteilungen nach Eigentumsordnung und Koordinationsmechanismus ergeben, wird an dieser Stelle auf eine ausführliche Erläuterung verzichtet. Im Folgenden werden die zwei idealtypischen Wirtschaftssysteme – Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft – vorgestellt und die aus ihnen hervorgegangenen realtypischen Mischformen von Wirtschaftsordnungen beschrieben.
59
Vgl. Lachmann 2006:25
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 103 7.2.2 Die Grundordnung der Zentralverwaltungswirtschaft Dieses idealtypische Wirtschaftssystem erhielt seinen Namen durch die Koordinationsfunktion einer zentralen, übergeordneten Instanz. Diese ist für das Erstellen der Wirtschaftspläne aller Wirtschaftssubjekte verantwortlich. Dabei kann man zwischen sozialistischen und nichtsozialistischen Zentralverwaltungswirtschaften unterscheiden. Beide Formen unterscheiden sich durch das Eigentum an Produktionsmitteln, welches bei der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft in staatlichem und bei der nichtsozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft in privatem Besitz ist. 7.2.2.1 Nichtsozialistische Zentralverwaltungswirtschaften Als ständige, nichtsozialistische Zentralverwaltungswirtschaften werden diejenigen Wirtschaftsordnungen bezeichnet, die sich durch Privateigentum auszeichnen, jedoch in ihrer wirtschaftlichen Koordination von einer Planungsinstanz abhängig sind. So sind bspw. die eng an religiöse Vorstellungen gekoppelten wirtschaftlichen Ideale des europäischen Mittelalters als Zentralverwaltungswirtschaft zu betrachten. Ebenso die Wirtschaftsordnungen in Ländern wie dem Iran, dem Sudan oder Syrien. Ziel ist es hier, den Bürger über die Wirtschaft zu seinem religiösen Heil zu zwingen. Eine weitere Ausprägung findet sich in den rechtsautoritär geprägten Wirtschaftsordnungen von Volkswirtschaften mit Militärregime (Südamerika), wie es auch Deutschland Ende der 1930er Jahre der Fall war. Vor dem Zeitalter der Aufklärung war auch das absolutistische Staatsbild einer Zentralverwaltungswirtschaft ähnlich, jedoch ohne entsprechende wirtschaftliche Reflexion der politischen Entscheidungen. Es wurde aus einem Machtmotiv heraus gehandelt, die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit war dabei zweitrangig. Im Rahmen der absolutistischen Herrschaft auf dem europäischen Kontinent wurden zahlreiche Kolonien in Übersee gegründet, deren Wirtschaftstätigkeit sich ausschließlich an den Anforderungen des Mutterlandes orientierte. Die Volkswirtschaften der Kolonien wurden auf Produktionen ausgerichtet, die für fremde Interessen von Vorteil sind. Noch heute haben Entwicklungsländer mit diesen unpassenden Produktionsstrukturen zu kämpfen: Sie gelten mit als Grund für ihre wirtschaftliche Unterentwicklung. Als zeitbedingte, systemfremde Zentralverwaltungswirtschaften werden diejenigen Wirtschaftsordnungen bezeichnet, die aufgrund einer Notlage entstanden sind und eigentlich nicht im Interesse der Volkswirtschaften und
104 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN Regierungen sind. Im Grunde sind diese Länder marktwirtschaftlich orientiert. Die kurzfristige Änderung der Wirtschaftsordnung kann verschiedene Gründe haben: 1. Überwindung von Wirtschaftskrisen: Bspw. nahmen die USA unter Präsident Roosevelt während der Weltwirtschaftskrise und dem keynesianischen New Deal stark verwaltungswirtschaftliche Züge an. 2. Überwindung von Katastrophenfolgen: Bspw. nach Überschwemmungen, Erdbeben oder Vulkanausbrüchen. Die Wirtschaft muss in diesem Fall vor Plündereien geschützt werden. Die Sicherung der Grundversorgung steht im Vordergrund. Erst dann kann über einen Wiederaufbau nachgedacht und entschieden werden. 3. Kriegswirtschaft: Nach und während Bürgerkriegen müssen Kampfgebiete wie Katastrophengebiete behandelt werden, die Grundsicherung steht im Mittelpunkt der Aktivitäten. Zudem können auch spezielle Bereiche einer Wirtschaft zentral geplant werden während andere Bereiche marktwirtschaftlich bleiben, bspw. im Rahmen der entstehenden Ökologisch normierte Ökonomie. Ihr liegen keine politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zugrunde, sondern „biologische“ Gegebenheiten. Umweltneutrale Güter, PF oder Produktionstechniken werden geduldet, umweltschädliche verboten und umweltfreundliche gefördert. 7.2.2.2 Sozialistische Zentralverwaltungswirtschaften Grundprinzip der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft ist, neben der namensgebenden Koordinationsfunktion einer zentralen Instanz, die Verstaatlichung der Produktionsmittel und die damit einhergehende dauerhafte zentrale Preisfestsetzung. Bereits in der griechischen Antike schrieb der Philosoph Platon von einem von Philosophenherrschern geführten Idealstaat. Die „allwissenden“ Herrscher sollten dabei die Gemeinschaft vor der Habgier des Einzelnen schützen. Bei Plato stand der Koordinationsmechanismus im Vordergrund. Aber
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 105 erst 1818 wurde in Trier Karl Marx geboren. Sein erstes Werk war das 1848 erschienene „Manifest der kommunistischen Partei“. Darin hatte Marx die wichtigsten Erkenntnisse seiner frühsozialistischen Vorgänger zusammengefasst und daraus eine wirtschaftspolitische Theorie entwickelt. Gemeinsam mit Friedrich Engels verfasste er ab 1867 „Das Kapital“. Für Karl Marx wird von der Gesamtproduktion jeder Art von Volkswirtschaft nur ein Teil verbraucht. Der überschüssige „Mehrwert“ fließt in einer kapitalistischen Wirtschaft den Kapitaleigentümern – den Kapitalisten – zu. Er erklärt seine These anhand der Beschreibung eines Arbeitstages: Ein Arbeiter, der zehn Arbeitsstunden leistet, erhält als Lohn gerade genug, um seine Leistungsbereitschaft (z. B. durch die Aufnahme von Nahrung, dem Wohnen in festen Verhältnissen und der Möglichkeit, Kleider kaufen zu können) wieder herzustellen. Um diese der Reproduktion der Leistungsbereitschaft dienenden Güter zu produzieren, benötigt man aber nur sieben Stunden. Dieser Unterschied, „Mehrwert“ genannt, erhält die kleine Gruppe, die die Maschinen besitzt und somit über Löhne und Preise eigennützig entscheiden kann. Nach dem Motto: „Du arbeitest an meinen Maschinen zu meinen Konditionen. Die Sachen, die Du brauchst, werden auf meinen Maschinen hergestellt – also kaufst Du auch zu meinem Preis!“. Als Lösung für diesen Missstand kommt für Marx nur die Enteignung der Produktionsmittel in Frage, da dadurch die Kapitalisten ihre Machtinstrumente verlieren. Die sozialistisch-kommunistische Gesellschaft entsteht durch die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln.60 Daraus folgen drei Konsequenzen: 1. Eine klassenlose Gesellschaft entsteht 2. Der Überschuss wird in Form von öffentlichen Gütern verteilt und der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt 3. Die Gesellschaft orientiert sich bei der Produktion am sozialen Nutzen eines Gutes und nicht mehr am Profit Im Laufe der Geschichte wurde mehrmals versucht, die Theorie der marxistischen Lehre zu verwirklichen. Als 1870/71 im Zuge des deutsch-französischen Krieges Bismarck Paris besetzte, schlug er damit Napoleon III. in die
60
Vgl. Kolb 2004:89ff
106 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN Flucht. Das in Paris entstandene politische Vakuum wurde von der so genannten „Pariser Kommune“ in Form einer sozialistischen Regierung gefüllt. Diese Regierung überdauerte jedoch nur einige Monate – von März bis Juni 1871. Das Problem war die schlechte Versorgungslage im besetzten Paris. Während der russischen Oktober-Revolution im November 1917 unter ihrem Anführer Lenin wurde die Herrschaft des Zaren beendet und eine sozialistische Regierung gebildet. Allerdings bestand das russische Volk zu dieser Zeit zu einem großen Teil aus Analphabeten – sie waren schlicht weg nicht in der Lage, ihre Betriebe selbst zu verwalten. Als Folge wurde die Neue Ökonomische Politik eingeführt, und die kapitalistischen Spielregeln galten für weitere zehn Jahre, in denen neue sozialistische Führungskader ausgebildet wurden. Erst 1928 wurde der erste sozialistische Fünf-Jahres-Plan erstellt und in Folge die Kapitalisten vertrieben. Der Realkommunismus in Russland endete 1992. Die Theorie der marxistischen Lehre hat jeweils eine große Schwäche bzw. Stärke: Es handelt sich um eine zeitlose Theorie, die auf Basis von Prinzipien konstruiert ist und deshalb immer und überall gilt. Gleichzeitig bedeutet diese Theorie die Abwesenheit von Praxisbezug. Es fehlt an konkreten Hinweisen, wie man die Ziele der Theorie durchführt (z. B. Enteignungen). Die marxistische Lehre muss deshalb immer von Pragmatikern ergänzt werden. Zunächst tat Lenin dies. Er interpretierte die marxistische Lehre im klassischen Sinn, genau wie Stalin. Er gilt als radikalster Umsetzer der marxistischen Theorie. Mao Tse Tung in China und Fidel Castro in Kuba passten die eigentlich für Industrieländer erdachte Theorie den Gegebenheiten ihrer Entwicklungsländer an und adaptierten die auf Industriearbeiter gemünzte Theorie für ihre Landarbeiter. Die Grundstrukturen der marxistischen Verwaltungswirtschaft blieben dabei annähernd gleich. Sie basiert auf zwei Säulen: Der öffentlichen Befugnis über die Produktionsmittel und der Behördenplanung.
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 107
Öffentliche Befugnis über die Produktionsfaktoren
Behördenplanung
Abbildung 22: Säulen der marxistischen Zentralverwaltungswirtschaft Quelle: Eigene Darstellung
Das zur Produktion benötigte Kapital wird vergesellschaftet. Das bedeutet, dass die Allgemeinheit über die Produktions- und Investitionsgüter verfügt, mit denen man andere Güter herstellen kann. Die Produktionsfaktoren sind Volks- oder Kollektiveigentum. Dabei darf das Kollektiveigentum nicht mit Kollektivismus verwechselt werden. In der marxistischen Theorie hat der Staat zwar die Verfügungsgewalt über strategisch relevante Produktionsgüter, nicht aber über Konsumgüter. Der Staat ist dabei nur ausführendes Organ, die Entscheidungsbefugnis liegt bei der Partei. Aus dem Kollektiveigentum ergeben sich drei der Marktwirtschaft gegensätzliche Konsequenzen: 1. Es kommen keine freien Verträge zustande 2. Es entsteht kein Wettbewerb 3. Die Verantwortung ist sozialisiert, d. h. es besteht keine Individualhaftung Oberziel der Behördenplanung ist die Bedarfsdeckung: Die Partei soll das allgemeine Wohl immer im Auge behalten und regelt alle Fragen der Wirt-
108 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN schaft gemäß eines genau ermittelten Bedürfnis-Produktion-Planes. Es gibt keinen Raum für private Planung. Das Zentralkomitee als oberstes Organ legt die Prioritäten der zehn in Tabelle 6 genannten Ziele fest:
5 „Versorgungsziele“
5 „Festlegungsziele“
Verbesserung der Versorgung
Festlegung der • Steigerungsrate des Sozialproduktes. • Produktionsstandorte und der Instrument
• mit Rohstoffen und Energieträgern.
• Aufteilung der Produktionsfaktoren auf
• mit Agrargütern. • mit Investitionsgütern (Maschinen). • mit Kollektivgütern (öffentliche Güter). • mit Konsumgütern.
der Regionalentwicklung. die volkswirtschaftlichen Sektoren. • der Preise von Gütern und Produktionsfaktoren. • des Import- und Exportvolumens
Tabelle 6:
Versorgungs- und Festlegungsziele Quelle: Eigene Darstellung
Die Steigerung des Sozialproduktes in prozentualen Veränderungen gegenüber dem Vorjahr wird in Marktwirtschaften als Wachstumsrate bezeichnet und erst am Ende des Jahres aus makroökonomischen Kennzahlen der wirtschaftlichen Entwicklung errechnet (ex-post, im Nachhinein). Hier wird sie ex-ante (Anfang des Jahres, im Voraus) bestimmt. Produktionsstandorte bzw. Instrument der Regionalentwicklung ergeben sich in Marktwirtschaften nur langsam aus der Wirtschaftstätigkeit heraus. Ein Unternehmen wird sich dort ansiedeln, wo es Absatzchancen sieht, steuerrechtliche Vorteile hat oder eine verbesserte Infrastruktur vorfindet. Die Preise für Güter und Produktionsfaktoren sind in marxistisch gesteuerten Wirtschaftssystemen so genannte „politische Preise“. Güter, die ideologisch „sauber“ sind und die man verbreiten möchte, werden günstig verkauft – die „verwerflichen“ Gü-
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 109 ter dafür umso teurer. Ein Beispiel dafür sind so genannte Mischkalkulationen. Ein Trabbi kostete in der Herstellung ca. 3.000 DM, verkauft wurde er jedoch für ca. 15.000 DM. In vielen marxistischen Ländern waren diese Mischkalkulationen ein Grund für das Scheitern des Systems: Funktionäre haben sich selbst bedient und bspw. Luxusautos, die der Bevölkerung nicht zur Verfügung standen, gefahren. Auch die exakte Planung des Import- und Exportvolumens ist sehr kompliziert, da auch in sozialistischen Volkswirtschaften eine kaum überschaubare Anzahl an Gütern produziert wird. Der Wirtschaftsprozess einer modernen marxistischen Volkswirtschaft kann ohne die Entwicklung informationstechnischer Innovationen (z. B. über Input-Output-Tabellen und Materialbilanzen) nicht geplant werden. Als Schaubild dargestellt ergibt sich aus den oben genannten Prämissen der Kreislauf in Abbildung 23.
Geplanter Privatkonsum
Plansoll
Öffentl. Konsum & öffentl. Güter Gemischter „Topf“ Æ Mischkalkulation
Geplante Konsumausgaben
Planende Verwaltung
Geplante Mittel für A, B und K
Zentralkomitee
HH
UN Löhne
Parteimitglieder Geplante Kosten
Vergütung von K und B
Geplanter Arbeitseinsatz
öffentl. Dienst
Boden & Kapital
Geplanter Faktoreinsatz
Monetärer Strom (Geldstrom) Realer Strom (Güterstrom)
Abbildung 23: Kreislauf einer Zentralverwaltungswirtschaft Quelle: Eigene Darstellung
110 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN Grundsätzlich bietet die marxistische Theorie eine Möglichkeit der sozialharmonischen Gestaltung der Wirtschaft. Sozial im Sinne des wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechts Aller über die Mitgliedschaft in Räten. Die Startchancen sind unter allen Bürgern gleich verteilt und die Versorgung mit Grundbedarfs- und öffentlichen Gütern ist gesichert. Harmonisch im Sinne der Möglichkeit, den Wirtschaftsprozess ausgeglichen zu gestalten. Durch die Planung ist die Vollauslastung der Produktionsfaktoren möglich. Dadurch kann Arbeitslosigkeit vermieden werden. Durch die Planung ist die Stabilität der Volkswirtschaft gesichert. Es gibt keine Konjunkturschwankungen und damit keine strukturellen Krisen. Zudem können strukturschwache Regionen oder Industrien rasch durch Schwerpunktplanung entwickelt und gefördert werden. Das ist in einer Marktwirtschaft nur langfristig durch finanzielle Anreize möglich. Jedoch bestehen kaum mehr Volkswirtschaften mit einer auf der marxistischen Theorie basierenden Wirtschaftsordnung. Das System ist sozusagen an seiner Wirklichkeitsfremdheit gescheitert. Die indirekte Entscheidungsstruktur hat in den meisten sozialistischen Ländern zur Schaffung von Privilegien der Parteifunktionäre geführt. So hat Russland bspw. noch heute mit der Macht und dem Reichtum der ehemaligen Parteikader zu kämpfen. Zudem hat die Einschränkung der Vertragsfreiheit eine schlechtere Produktionsqualität zur Folge, da das Kollektiveigentum und die zentrale Planung Anreize zur Effizienz zerstören. Eine weitere Folge dessen ist die nachlassende Motivation der Bevölkerung, ihren Teil zur Bedürfnisbefriedigung der Gesellschaft beizutragen. Das Gesellschaftseigentum an Maschinen bspw. hat zur Folge, dass mit der Maschine weniger sorgsam umgegangen wird, als würde diese in Privatbesitz sein. Zudem ist natürlich nicht jeder Wirtschaftsprozess einer modernen Volkswirtschaft planbar. Von Seiten der Planungsbehörde gesehen besteht das gravierende Problem der Datenerfassung und der falschen Bedarfsdeckung: Es ist nahezu unmöglich, den persönlichen Präferenzen aller Individuen bei der Produktionsplanung zu entsprechen oder diese überhaupt zu erfassen. Die Folge ist Missproduktion und damit einhergehend die steigende Unzufriedenheit der Bevölkerung. Von Seiten der Gesellschaft betrachtet führt die starre Planung zur Inflexibilität bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Naturkatastrophen etc. Die Kehrseite der Möglichkeit der schnellen Förderung schwacher Sektoren oder Regionen ist die Vernachlässigung nicht prioritärer Branchen. Eine ungleiche Gesamtentwicklung ist die Folge.
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 111 Zudem kann Fortschritt und Innovation in Marktwirtschaften schneller entstehen und umgesetzt werden, da Unternehmen und Märkte wesentlich flexibler sind. Im Vergleich zu Volkswirtschaften mit marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen entsteht eine Kluft, die Abbildung 24 zeigt. Entwicklung
Marktwirtschaft
Kluft = Rückständigkeit
Zentralverwaltungswirtschaft
Zeit
Abbildung 24: Kluft zwischen Markt- und Zentralverwaltungswirtschaft Quelle: Eigene Darstellung
Die Frage, die sich bei der Betrachtung sozialistischer Systeme grundsätzlich stellt, ist Folgende: Ist der Mensch so sozial veranlagt, dass er trotz Verzicht auf seine individuelle Bedürfnisbefriedigung bereit ist, für die Allgemeinheit zu arbeiten oder sucht er nur seinen persönlichen Vorteil? Zu beachten ist, dass bei der Bewertung ausschließlich die wirtschaftliche Seite der marxistischen Theorie betrachtete wurde. Eine gesellschaftliche Betrachtung bzgl. der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des marxistischen Systems würde zu weit führen und ist zudem nicht der Anspruch der Arbeit.
112 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 7.2.3 Die Grundordnung der Marktwirtschaft Vor der Entstehung der VWL im 16. bis 18. Jh. war die merkantilistische Wirtschaft von der Willkür der absolutistischen Herrscher geprägt. Die Physiokraten verlangten eine Abschaffung künstlicher Herrschaft über die natürliche Ordnung und begründeten damit die Idee des Liberalismus. Die klassischen liberalen Nationalökonomen in der ersten Hälfte des 19. Jh. vertraten entsprechend ein liberales Wirtschaftssystem. In Adam Smiths Modell der Freien Marktwirtschaft werden Produktion und Konsum vom Markt gesteuert. Der Staat bildet lediglich den rechtlichen Rahmen und stellt öffentliche Güter bereit. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes sorgt dafür, dass Angebot und Nachfrage zu einem Gleichgewicht finden, selbst wenn jedes Wirtschaftssubjekt Eigennutz maximierend handelt. Eine weitere Grundlage bildet Max Webers (1864 – 1920) Theorie des rationalen Handelns, die besagt, dass dem Handeln der Wirtschaftssubjekte immer und ausschließlich ein Zweck-Mittel-Kalkül zugrunde liegt und sie somit rational und marktkonform handeln. Die Marktwirtschaft zeichnet sich durch die dezentrale Koordination des Wirtschaftsgeschehens über die Nachfrage von Haushalten und das Angebot von Produzenten auf einem Markt aus. Jedes Wirtschaftssubjekt plant seine Aktivitäten für sich selbst, im Idealfall nach dem Rationalprinzip, wobei in der Praxis meist das bereits in Punkt 2.4 erwähnte Optimalprinzip (Maximaler Erfolg durch minimalen Mitteleinsatz) gilt. Auf dem Markt treffen die Individualpläne der Wirtschaftssubjekte zusammen, wodurch sich Preise für Güter und Produktionsfaktoren bilden. Damit die Wirtschaftssubjekte nach dem ökonomischen Prinzip planen und handeln können und Wettbewerb entstehen kann, muss die Wirtschaftsordnung die folgenden, in der Wirtschaftsverfassung rechtlich festzulegenden, Voraussetzungen enthalten: 1. Ein funktionierendes Geldwesen mit einem unabhängigen Bankensystem, 2. offene Märkte, um Wettbewerbsbeschränkungen zu umgehen, 3. die Sicherung des Privateigentums, 4. Vertragsfreiheit,
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 113 5. die volle Individualhaftung, also die individuelle Haftung aller Wirtschaftssubjekte bei Nicht-Übereinstimmung ihrer jeweiligen Wirtschaftspläne mit dem Ist-Zustand, und 6. eine „möglichst weitgehende Konstanz der Wirtschaftspolitik61“, um die Wirtschaftsplanung der Wirtschaftssubjekte nicht durch unkalkulierbare staatliche Eingriffe zu beeinträchtigen. Innerhalb dieses staatlichen Ordnungsrahmens hat der Wettbewerb verschiedene Funktionen zu erfüllen. Die so genannten klassischen Wettbewerbsfunktionen lassen sich wie folgt kategorisieren62: • Die Verteilungsfunktion sorgt dafür, dass sich die Verteilung von Einkommen „nach der Leistung für den Markt im Sinne einer Überwindung der Güterknappheiten zwischen Angebot und Nachfrage richtet63“. • Die Konsumentensouveränität sorgt dafür, dass die Konsumenten das Güterangebot über ihre persönlichen Präferenzen bestimmen. • Die optimale Faktorallokation lenkt die Produktionsfaktoren in ihre produktivste Einsatzmöglichkeit. • Durch die Anpassungsflexibilität findet eine laufende Anpassung von Gütern und Produktionsmöglichkeiten statt. • Die Förderung des technischen Fortschritts führt zu ständiger Innovation und damit neuen Produkten und Produktionsmethoden. • Die Kontrolle der wirtschaftlichen Freiheiten begrenzt als außerökonomische Funktion die wirtschaftliche Macht von staatlicher Seite. Durch diese Wettbewerbsfunktionen ist der Markt theoretisch in der Lage sich selbst zu regulieren. Der Staat gibt nur den Ordnungsrahmen vor, innerhalb dessen Grenzen gewirtschaftet werden muss. Was ist nun aber dieser scheinbar allmächtige Markt, der im Verlauf dieses Textes bereits des Öfteren angesprochen, aber noch nicht offiziell und ausreichend vorgestellt wurde?
61
Bartling/Luzius 2008:46 Vgl. Bartling/Luzius 2008:46f nach Walter Eucken und Gabler 2004h:3332 63 Bartling/Luzius 2008:47 62
114 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN Der Markt ist der Mechanismus, auf dem die Nachfrage der Konsumenten auf das Angebot der Produzenten trifft – der Markt koordiniert folglich die Wirtschaftspläne der Wirtschaftssubjekte. Durch dieses Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage entsteht ein Preis für ein bestimmtes Gut. Er ergibt sich aus der Höhe der Nachfrage im Vergleich zum verfügbaren Angebot der Produzenten. Fragen alle Bewohner einer Volkswirtschaft Autos nach und können die Produzenten nur eine bestimmte Menge an Autos anbieten, steigt der Preis für ein Auto mit der zunehmenden Differenz aus Angebot und Nachfrage. Ein niedriger Preis entsteht, wenn ein Gut öfter angeboten als nachgefragt wird. Dieser Preis dient zum einen als Indikator für die verfügbare Menge eines Gutes und zum anderen, als Folge, gibt er Informationen über die Wirtschaftspläne der Wirtschaftssubjekte. Die Wirtschaftssubjekte werden sich zuerst auf dem Markt über Angebot, Nachfrage und Preis informieren, bevor sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten planen. Eine praxisbezogene und statistisch nachweisbare Definition des Begriffes könnte lauten, dass der Markt • die Summe sämtlicher Tauschbeziehungen, • die ein bestimmtes Gut, • in einem bestimmten Raum, • zu einem bestimmten Zeitpunkt betreffen ist. Dabei hat in einer Marktwirtschaft jeder freien Zugang zum Markt. Auch organisierte Märkte wie Börsen oder Auktionen sind für jeden – über Vertretungen – zugänglich. Man spricht von einem Offenen Markt. Bezüglich der Art der Güter unterscheidet man zwischen Gütermärkten (Sachgüter, Dienstleistungen etc.), Faktormärkten (Produktionsfaktoren) und dem Geldmarkt. Auch bezüglich des Raumes können Unterscheidungen getroffen werden. Es gibt lokale, regionale, nationale und internationale Märkte. Jedoch entwickeln sich diese Bezeichnungen mit der Volkswirtschaft weiter. So werden heute auch Weltregionen beinhaltende Märkte als regional bezeichnet, bspw. gilt der europäische Binnenmarkt als regionaler Markt. Auch in der zeitlichen Abgrenzung von Märkten wird unterschieden. Je nach Gut oder Faktor werden Tage, Monate, Quartale oder Jahre statistisch betrachtet und analysiert.
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 115 Es gibt verschiedene Darstellungen marktwirtschaftlicher Wirtschaftskreisläufe. Die folgende Abbildung 25 soll vor allem den Unterschied zum in Abbildung 23 dargestellten Kreislauf einer Zentralverwaltungswirtschaft herausstellen. Die Planung von Seiten der Zentralbehörde wird durch die Regulierung des Wettbewerbs über Güter- und Faktormärkte ersetzt. Dabei gibt der Staat durch Gesetze und Wettbewerbspolitik die Spielregeln des Wirtschaftens vor. Die Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben erhält der Staat durch Steuern und Abgaben, die von allen Wirtschaftssubjekten zu leisten sind. Die Vorteile eines marktwirtschaftlichen Systems liegen in der Flexibilität der Wirtschaftsprozesse. Konkurrenz und ständige Produktoptimierung, die sich aus der veränderten Nachfrage der Haushalte im Zeitverlauf ergeben, tragen zur Erhöhung des Lebensstandards bei. Die Unternehmen produzieren effizient, Qualität und Quantität der Produktion werden gesteigert. Nachteile ergeben sich aus der Gefahr von Machtkonzentrationen und der damit unwirksam werdenden Funktion des Preismechanismus zur Regulierung von Angebot und Nachfrage. Damit wird die Einkommensverteilung ungleichmäßig, die Kluft zwischen Arbeitnehmer und -geber wird in Folge immer größer, es entsteht Arbeitslosigkeit. Die ökonomisch Starken dominierten die ökonomisch Schwachen, die sich in der Konsequenz zu Verbänden (bspw. Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen etc.) zusammenschließen, um ihre Machtposition innerhalb der Gemeinschaft zu stärken.64
64
Vgl. Bartling/Luzius 2008:37ff
116 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN
Konsumgüter
Produzierte Güter
Gütermarkt
Konsumausgaben
Umsatz
Gesetzgebung und Wettbewerbspolitik Steuern und Abgaben
Transferleistungen
HH
Staat
UN Subventionen
Steuern Faktoreinkommen
Kosten
Gesetzgebung und Wettbewerbspolitik
Faktorleistung (A, B und K)
Faktormarkt
Faktoreinsatz
Monetärer Strom (Geldstrom) Realer Strom (Güterstrom)
Abbildung 25: Kreislauf einer Marktwirtschaft Quelle. Eigene Darstellung
7.2.4 Mischordnungen Nachdem zwei Idealsysteme vorgestellt wurden, sollen nun realitätsnahe Mischsysteme von Wirtschaftsordnungen betrachtet werden. Meistens werden Teile der Marktwirtschaft und der sozialistischen Verwaltungswirtschaft gemischt. Auch die Form der absoluten Verwaltungswirtschaft entstammt den Lehren von Karl Marx. Dabei werden in einer „Mikroplanung“ sowohl Produktion als auch Konsum festgelegt. Die absolute ist die radikalste Form der Zentralverwaltungswirtschaft, in der keinerlei Kooperation mit dem kapitalistischen Ausland stattfindet. Diese Form wurde bspw. unter Enver Hoxha in Albanien, in China während der rotgardistischen Revolution und in Kambodscha unter Pol Pot 1975 - 1978 praktiziert.
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 117 Die indirekte Verwaltungswirtschaft setzte die Marx´sche Theorie weniger eng um. Der Bevölkerung werden bestimmte Freiheitsgrade eingeräumt. So dürfen bspw. Werktätige ihre Ersparnisse und ihren Konsum frei einteilen, zudem herrscht freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl im Rahmen der gegebenen (unter Umständen beschränkten) Möglichkeiten. Weitere Charakteristika sind die Planungsdiskussion, die in drei Planungsphasen (siehe Abbildung 26 am Beispiel der DDR) stattfindet, die Öffnung gegenüber dem kapitalistischen Ausland (Im- und Export sowie Joint-Ventures) sowie die Möglichkeit kleinerer privater Wirtschaftstätigkeiten (z. B. Gaststättengewerbe mit max. drei Angestellten in der ehemaligen DDR). Zudem findet keine Mikroplanung mehr statt: Detailfragen werden auf Betriebsebene geklärt und sind nicht im Plan enthalten. Diese Wirtschaftsordnung setzte sich in fast allen europäischen sozialistischen Staaten durch, in der Republik China sowie in Nordkorea und Burma. 1. Phase
2. Phase
3. Phase
Planentwurf
Entwurfsänderung
Planverfügung
Phasen
Planungsebene:
Branchen (Vereinigungen Volkseigener Betriebe, direkt unterstellte Kombinate)
Beschluss des
Vorläufiger
Zentrale (Ministerrat, Staatl. Plankommission, Ministerien)
Beratung 5
1 Planansatz
Verteidigung von Plankorrekturen Aufschlüsselung der 2 Zentralansätze
Betriebe (Volkseigene Betriebe, sonstige Kombinate)
4
6 Zentralplans
Aufschlüsselung des Zentralplans 7
3
8
Plandiskussion und -verteidigung Jan. Feb.
Feb.
März
April
Mai
Juni
Juli
Kennziffer als Soll-Vorgabe Aug.
Sept. Okt.
Nov.
Dez.
Vorjahr
Abbildung 26: Phasen der Jahresplanung der ehemaligen DDR mit Planungsebenen Quelle: Bartling/Luzius 2008:41
Jan.
Zeit
Planjahr
118 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN Die konkurrenzsozialistische Verwaltungswirtschaft, früher auch als lockere Verwaltungswirtschaft bezeichnet, ist eine liberale und ergänzte Form der marxistischen Theorie. Sie wird heute als Übergangslösung zur Marktwirtschaft gewählt. Der Gesamtvorgang des Übergangs wird zerstückelt, was dazu führt, dass einzelne Branchen allmählich marktwirtschaftlich arbeiten, während andere noch zentral geplant werden. Die Planung geschieht hier nur in groben Zügen und reicht nur bis auf die Branchenebene. Es werden nur die Rahmenbedingungen des Wirtschaftsprozesses geplant. Die Betriebe zeichnen sich durch Selbstverwaltung aus und sind teilprivatisiert. Die Arbeitnehmer werden nach Leistung und Qualifikation bezahlt. Diese Form wurde im ehemaligen Jugoslawien, in Ungarn, Algerien und den ehem. Ländern der UdSSR praktiziert. Die Laisser-Faire Wirtschaft erhielt ihren Namen auf Grund des Wahlspruchs der Physiokraten „Laisser-faire, laisser-passer, le monde va de luimême“ („Machen lassen, geschehen lassen, die Welt läuft von alleine“). Sie propagierten eine Naturherrschaft ohne künstlich geschaffene Zwänge durch organisierte Autoritäten im Wirtschaftsleben. So wurden Staat, Lobbys und Gewerkschaften abgelehnt. Dies führt zu einer Vernachlässigung der sozialen Dimension einer Gesellschaft: Die Starken dominieren die Schwachen. Die Laisser-faire Wirtschaft wurde in fast allen Pionierländern durchgeführt, bspw. in den USA vor der Jahrhundertwende, in Australien und Kanada. Noch heute verwirklichen die meisten Entwicklungsländer diese Ordnung im Alltag in den Provinzen, z. B. in Haiti, auf Barbados und in Krisenstaaten. Diese Länder gelten meist als Steuerparadiese, denn wo kein Staat ist, dort fallen auch nur wenige bis keine Steuern an. Allerdings wird durch die teilweise immer wieder auftretenden Unruhen, die hohe Kriminalitätsrate und den niedrigen Lebensstandard in diesen Regionen klar, dass eine Volkswirtschaft ohne eine normative Ebene und ein entsprechendes Ordnungsinstrumentarium nicht konkurrenzfähig ist und eine soziale Dimension braucht. Den Liberalismus als Wirtschaftssystem schlug erstmals Adam Smith in seinem Buch vom Wohlstand der Nationen vor. Er hatte die Vorahnung, dass entgegen der physiokratischen Meinung, der er ja prinzipiell nahe stand, ein bisschen Staat nicht schaden könnte. Er setzte sich für die Theorie des „Nachtwächterstaates“ ein, der sich nur einmischt, wenn die Wirtschaftsprozesse eines Eingriffs bedürfen. Frei nach dem Motto „So viel wie nötig und so wenig wie möglich“ setzte sich Smith für eine minimalistische staat-
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 119 liche Regelung des Eigentums und des Wettbewerbs und die staatliche Versorgung mit elementaren öffentlichen Gütern wie Bildung ein. Diese Wirtschaftsform wurde zu Beginn des 20. Jh. in den meisten modernen Volkswirtschaften praktiziert. So in den USA, Indien, Japan, der Schweiz und auch in Deutschland zwischen dem 2. Weltkrieg und dem Wirtschaftswunder. Die gesteuerte Marktwirtschaft wurde von John Maynard Keynes (1883 1946) konzipiert. Er war schockiert von den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre mit dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse. Diese Geschehnisse zeigten ihm, wie leicht eine Marktwirtschaft aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann. Seine Erkenntnis daraus: Um die Marktwirtschaft zu retten, muss die Marktwirtschaft gedämpft werden. Der Staat muss aktiv in das System eingreifen, wenn man es langfristig erhalten und stabilisieren will. Er plädierte für eine „Antizyklische Wirtschaftspolitik“. So sollen die Volkswirtschaften in fetten Jahren Geld zurücklegen, welches durch erhöhte Steuereinnahmen generiert wird. In Tiefphasen kann dieses ersparte Geld dazu eingesetzt werden, um die Wirtschaft durch Investitionen wieder anzukurbeln (öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen, Investitionen in Infrastruktur etc.). Ein weiterer wichtiger Punkt seiner Erkenntnisse ist der des Deficit Financing: Wenn der Staat nicht genügend Geld in der Tiefphase hat, soll er Schulden machen, um seine Verpflichtungen erfüllen zu können. Die Säule der aktiven Wirtschaftspolitik ist zwar auch in anderen marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen vorhanden, ist dort jedoch weit weniger entwickelt. In der gesteuerten Marktwirtschaft hat der Staat die Schlüsselindustrien unter seiner Kontrolle. Die Investitionen der Unternehmen werden kontrolliert und das Preisniveau geregelt. Es besteht ein Fünf-Jahres-Plan, welcher für staatlich kontrollierte Betriebe verpflichtend ist. Damit besteht auch in dieser marktwirtschaftlichen Form eine indirekte Planung der Wirtschaft, da die Planung dezentral erfolgt und indirekt Auswirkungen auch auf nicht-kontrollierte Wirtschaftssubjekte hat. Es handelt sich um eine sehr kostspielige und autoritäre Ordnung, die heute in dieser Form in Frankreich besteht. Auch Italien und Griechenland versuchten in der Vergangenheit, eine gesteuerte Marktwirtschaft umzusetzen, scheiterten jedoch an den hohen Kosten. Ein weiteres Problem dieser Form, welches sich vor allem in Frankreich zeigt, ist die Inkompatibilität mit der Integration in die Europäische Union. Während auf europäischer Ebene versucht wird, Privatisierungen voranzutreiben und le-
120 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN diglich den Wettbewerb zu regeln, widerspricht dies dem französischen Bestreben, die nationalen Schlüsselindustrien zu kontrollieren. 7.2.5 Die Soziale Marktwirtschaft Der Grundgedanke der Sozialen Marktwirtschaft baut ebenfalls auf den Erkenntnissen von John Maynard Keynes auf. Vor allem Deutschland zeichnet sich heute durch die Soziale Marktwirtschaft aus. Ausgehend von der deutschen Variante des amerikanischen Neoliberalismus – dem Ordoliberalismus – entwickelte die so genannte Freiburger Schule um die Nationalökonomen Walter Eucken (1891 - 1950) und Alfred Müller-Armack eine besondere Form des Liberalismus, der sich durch die Aufstellung einer bestimmten Ordnung – des so genannten Ordo – auszeichnet. Der Staat soll nun nicht mehr kurativ bei Unregelmäßigkeiten eingreifen, sondern präventiv. Aus dem „Nachtwächterstaat“ wird der „Vater Staat“. Der damalige Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Ehrhard (1897 – 1977) setzte die Erkenntnisse der Freiburger Schule in seiner Regierungszeit in die Praxis um. Neben Deutschland praktizieren auch die Benelux-Länder oder Norwegen die Soziale Marktwirtschaft. Das sind allesamt reiche Länder, die sich eine solch luxuriöse Staatsform leisten können. Die Soziale Marktwirtschaft ist heute durch drei Säulen gekennzeichnet, die in Abbildung 27 aufgeführt sind.
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 121
Schutz der Konkurrenz
Sozialpolitik
Aktive Wirtschaftspolitik
Abbildung 27: Säulen der Sozialen Marktwirtschaft Quelle: Eigene Darstellung
Unter Schutz der Konkurrenz versteht man die unter Punkt 7.2.2 bereits angesprochenen klassischen Wettbewerbsfunktionen. Sie garantieren einen reibungslosen Ablauf der marktlichen Prozesse. Insbesondere zeichnet sich die Soziale Marktwirtschaft durch ihre aktive Sozialpolitik aus. Arbeitslosenversicherung, das Kranken- und Rentenversicherungssystem oder die Ausbildungs- und Studienförderung (BaföG) sind Einrichtungen, die typisch sind. Dieses Netz aus Absicherungen mindert die Anzahl derjenigen Bürger, die bspw. bei Arbeitslosigkeit, durch das gesellschaftliche Raster fallen. Es mindert sozusagen die Risiken, die eine leistungsorientierte Marktwirtschaft mit sich bringt. Oberstes Ziel moderner marktwirtschaftlicher Systeme ist die Wohlstandsmaximierung. Dabei ist die Selbststeuerung über den marktlichen Wettbewerb das wichtigste Regulierungssystem. Die zur Erreichung der Wohlstandsmaximierung benötigten Nebenziele werden zudem über eine aktive Wirtschaftspolitik angestrebt. Ein Meilenstein ist dabei die Erfüllung der so
122 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN genannten Allokationsziele. Darunter fallen Wettbewerbsschutz- und -förderung, die Bereitstellung öffentlicher Güter sowie der Umweltschutz. Des Weiteren sind so genannte Distributionsziele zu erfüllen. Dabei handelt es sich um Korrekturen der durch den rein leistungsorientierten Wettbewerb entstandenen Verteilung an Gütern und Produktionsfaktoren. Dabei muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Anreize, auf dem Markt trotzdem Leistung zu erbringen, nicht beeinträchtigt werden. Distributionsziele sind bspw. eine Einkommens- und Vermögensangleichung nach Bedürfniskriterien oder die Förderung bestimmter Industrien oder Sektoren. Weitere Ziele auf dem Weg zur Wohlfahrtssteigerung sind die Stabilitäts- und Wachstumsziele, die als Bestandteile der dritten Säule im unten folgenden Beispiel ausführlich erläutert werden. Dazu kommen nachrangige Ziele, die nur indirekt mit der Erreichung des Oberziels zu tun haben, wie bspw. die Veränderung privater Konsumgewohnheiten in eine nachhaltige Richtung oder die Veränderung der Bevölkerungsstruktur oder -größe.65 Doch welche Mittel stehen der Wirtschaftspolitik zur Zielerreichung zur Verfügung? Als Instrumente bezeichnet man die „Bestimmung, Kontrolle oder Veränderung ökonomischer Sachverhalte66“. Grundsätzlich wird dabei zwischen Ordnungs- und Prozesspolitik unterschieden. Die Ordnungspolitik setzt die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens und bewahrt darin die wirtschaftlichen Freiheiten in einer Marktwirtschaft. Über Prozesspolitik werden Wirtschaftsprozesse gezielt und direkt beeinflusst. Das oberste Ziel der Wirtschaftspolitik – die Schaffung eines funktionsfähigen Marktes durch die Stabilisierung des Wettbewerbs und die Sicherung des Geldsystems – ist also Aufgabe der Ordnungspolitik. Sie beinhaltet sowohl die rechtliche Ordnung in Form von Gesetzen, als auch die institutionelle Ordnung, bspw. in Form einer Finanzverfassung. Das Instrument der Prozesspolitik kann entweder global, also durch die Beeinflussung makroökonomischer Variablen (Geld- und Fiskalpolitik), oder diskretionär, das bedeutet fallweise, auf bestimmte Regionen oder Sektoren bezogen, angewendet werden. In der Praxis können beide Bereiche nicht eindeutig abgegrenzt werden, überall gibt es Elemente der Prozess- und der Ordnungspolitik.67
65
Vgl. Bartling/Luzius 2008:49 Lachmann 2006:231 67 Vgl. Lachmann 2006:231f 66
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 123 In einer Demokratie unterliegt der Einsatz eines politischen Instruments einem schwierigen und vor allem lange andauernden politischen Entscheidungs-, Umsetzungs- und Kontrollprozess. Sowohl bei der Erkennung und Planung des politischen Handlungsbedarfs, als auch bei der Implementierung wirtschaftspolitischer Maßnahmen und der anschließenden Kontrolle und Evaluation der Maßnahmen entstehen so genannte time-lags, Zeitverzögerungen. In der ersten Phase eines solchen Prozesses wird die politische Lage analysiert, wobei der Entscheidungsträger zunächst Informationen besorgt und die Ursachen der Situation analysiert. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Ist-Zustand gesellschaftlich nicht erwünscht ist. Wird Handlungsbedarf gesehen, folgt als nächster Schritt die Planung der Maßnahmen. Dazu werden im zweiten Schritt Ziele und zur Verfügung stehende Mittel geprüft und abgestimmt, Kosten verglichen und die Wirkung der eventuell einsetzbaren Instrumente theoretisch überprüft. Wird eine passende Maßnahme gefunden und in der dritten Phase eingesetzt, muss zuletzt auch das Ergebnis überprüft und ausgewertet werden. Tritt der gewünschte Erfolg nicht ein, beginnt der Prozess von vorne.68 Träger der Wirtschaftspolitik sind auf nationaler Ebene zum einen die öffentlichen Instanzen, sie werden als Gebietskörperschaften bezeichnet, sowie gesetzlich legitimierte Verbände und Organe wie bspw. die Zentralbank im Bereich der Geldpolitik (vgl. Kapitel 4.3). In der Neuen Institutionenökonomik werden zudem weitere Wirtschaftssubjekte als so genannte Einflussträger in den Entscheidungsprozess einbezogen. Dazu gehört neben Parteien, Verbänden, Internationalen Organisationen, den Medien und der Bevölkerung auch die wirtschaftspolitische Beratung. Sie alle verfolgen das Ziel der Eigennutzenmaximierung.
7.3 Anwendungsbeispiel: Das „magische Sechseck“ Seit dem 8.6.1967 ist das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) als rechtliche Regelung für Bund und Länder in Kraft. Darin ist die Pflicht der Gebietskörperschaften, im Rahmen ihrer wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu beachten, geregelt. In § 1 ist geregelt, dass die Maß-
68
Vgl. Lachmann 2006:232f
124 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN nahmen so zu treffen sind, „dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilisierung des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem angemessenem Wachstum beitragen“69. Zusätzlich soll die „Bildung und die Verteilung von Einkommen und Vermögen einbezogen werden“70. Damit sind die Ziele nationaler Wirtschafts- und Finanzpolitik zwar in aller Deutlichkeit gegeben, die Festlegung von Indikatoren und Grenzwerten, um den Grad der Zielerreichung zu benennen, sind jedoch nach wie vor Gegenstand heftiger politischer Diskussionen. Mit der Stabilität des Preisniveaus ist ein konstanter Geldwert, also die Stabilität des Durchschnitts aller Preise gemeint, keinesfalls konstante Einzelpreise, die den Wettbewerbscharakter einer Marktwirtschaft aufheben würden71. Als Indikator für den Erfüllungsgrad dieses Ziels kann der Preisindex für die Lebenshaltung, der so genannte Verbraucherpreisindex dienen. Dazu wird ein Warenkorb aus 750 Güterarten erstellt, die ein mittlerer Haushalt mit mittlerem Einkommen durchschnittlich verbraucht. Die Kosten dieses Warenkorbes werden auf ein Basisjahr bezogen, für welches sich die Ausgaben für diesen bestimmten Warenkorb auf 100 belaufen. Davon ausgehend werden die Veränderungen in Prozent als Steigerungsraten berechnet. In jedem Fall wird eine leichte Zunahme des Preisniveaus von bis zu einem Prozent toleriert. Da solch niedrige Steigerungsraten als Zielvorgaben nur in wenigen Jahren erreicht wurden, wird politisch oftmals ein höherer Wert toleriert.72 Im umfassenden Sinn ist mit Vollbeschäftigung die volle Auslastung aller Produktionsfaktoren gemeint. Als Maßstab für die Zielerreichung wird folglich der Auslastungsgrad des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials gewählt. Im engeren Sinn wird mit Vollbeschäftigung jedoch vor allem die Vollbeschäftigung des Faktors Arbeit bezeichnet. Als Indikatoren gelten dabei die Arbeitslosenquote, das Verhältnis offener Stellen zur Zahl der Arbeitslosen sowie die Zahl der Beschäftigten. Da die Arbeitslosenquote in Deutschland auf zwei verschiedene Arten berechnet werden kann (zum einen die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Verhältnis zur Gesamtzahl
69
Lachmann 2006:225 ebenda 71 Vgl. Bartling/Luzius 2008:209 und Lachmann 2006:226 72 Vgl. ebenda 70
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 125 der unselbstständigen Erwerbspersonen und zum anderen im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Erwerbspersonen), ist diese Zahl als qualifizierter Indikator fraglich. Zudem sagt die Arbeitslosenquote nichts über die Struktur der Arbeitslosigkeit aus. Sie bildet aber immerhin die Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt ab. Zudem ist eine Übereinstimmung der offenen Stellen mit der Zahl der registrierten Arbeitslosen noch lange keine hinreichende Bedingung für Vollbeschäftigung. Die so genannte Mismatch-Arbeitslosigkeit, wenn ein Beschäftigungsverhältnis durch regionale Trennung oder unzureichende Qualifikation nicht zustande kommen kann, besteht weiterhin und sorgt dafür, dass ein arbeitsloser Metzger aus München nicht die freie Stelle eines Bankangestellten in Hamburg übernehmen kann. Lange galt eine Quote zwischen 0,8 und 1,2 Prozent als Ziel, jedoch wurden im Lauf der Zeit die Zielvorgaben den tatsächlichen, ansteigenden Quoten angepasst. Mittlerweile ist die Zielvorgabe abhängig von den tatsächlich realisierbar scheinenden Möglichkeiten.73 Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht kann auf zwei Arten ausgehend von den Salden der Zahlungsbilanz (ZB) bestimmt werden (siehe Abbildung 28). Die ZB, auf deren Basis auch die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung erstellt wird, erfasst alle ökonomischen Transaktionen (Leistungs- und Finanztransaktionen), die zwischen In- und Ausländern innerhalb eines bestimmten abgelaufenen Zeitraums (meistens ein Jahr) getätigt werden, und bildet die Zahlenbasis für die Geld- und Währungspolitik einer Volkswirtschaft. Die Transaktionen werden in den Teilbilanzen Leistungsbilanz, Bilanz der Vermögensübertragungen, Kapitalbilanz und Devisenbilanz bzw. Restposten nach dem Prinzip der doppelten Buchführung gebucht. Formal ist die ZB immer ausgeglichen, daher wird das außenwirtschaftliche Gleichgewicht auf Basis ihrer Teilbilanzen ermittelt. Die Definition eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts, wenn der Saldo der Devisenbilanz Null beträgt, hat den Vorteil, dass darin rechnerisch alle Transaktionen der weiteren Teilbilanzen ebenfalls erfasst sind. Allerdings enthält der Saldo der Devisenbilanz auch Anpassungseingriffe der Zentralbanken oder des Staates, welche den Saldo der Devisenbilanz in eine gewünschte Richtung lenken sollen. Es wird ein Ausgleich aller Importe und Exporte angestrebt, eine ausgeglichene Leistungsbilanz, welche die
73
Vgl. Bartling/Luzius 2008:213f und Lachmann 2006:226
126 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN Handels- und Dienstleistungsbilanz sowie die Bilanzen der Erwerbs- und Vermögenseinkommen sowie der laufenden Übertragungen enthält. Überschüsse in den Teilbilanzen sind in diesem Gleichgewicht nicht ausgeschlossen.74
Zahlungsbilanz Zahlungseingang
Zahlungsausgang
Soll
Haben
I LEISTUNGSBILANZ 1.Handelsbilanz Warenexport
Warenimport 2.Dienstleistungsbilanz
Dienstleistungsexport
Dienstleistungsimport
3.Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen Empfangene Einkommen
Geleistete Einkommen
4.Bilanz der laufenden Vermögensübertragungen Empfangene Übertragungen
Geleistete Übertragungen
II BILANZ DER VERMÖGENSÜBERTRAGUNGEN Empfangene Übertragungen
Geleistete Übertragungen
III KAPITALBILANZ Abnahme der Forderungen/ Zunahme der Verbindlichkeiten Æ Kapitalimport
Zunahme der Forderungen/ Abnahme der Verbindlichkeiten ÆKapitalexport
IV DEVISENBILANZ Zunahme der Verbindlichkeiten Zunahme der Forderungen & Abnahme der Goldbestände & Zunahme der Goldbestände der Zentralbank der Zentralbank
IV SALDO DER STATISTISCH NICHTAUFGLIEDERBAREN TRANSAKTIONEN
Abbildung 28: Die Zahlungsbilanz und ihre Teilbilanzen Quelle: Eigene Darstellung
74
Vgl. Bartling/Luzius 2008:291ff
KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN 127 Ein Mittel zur Erreichung eines ständigen Gleichgewichts durch eine ausgeglichene Devisenbilanz ist die Einführung eines Systems flexibler Wechselkurse. Dabei bilden sich die relativen Preise zweier Währungen auf dem gemeinsamen Devisenmarkt und werden dort durch Angebot und Nachfrage einander ständig angepasst. In einem System flexibler Wechselkurse kann die Politik nur indirekten Einfluss auf den Markt ausüben. Anders in einem System fester Wechselkurse. Dort werden die Wechselkurse von der Regierung an eine fremde Währung (Leitwährung) oder ein Reservemedium wie Gold fixiert und durch die Intervention der Zentralbanken auf dem Devisenmarkt stabil gehalten. Der Staat hat einen entsprechend direkten Einfluss auf den Wechselkurs. Man unterscheidet bei der Festlegung zwischen einer Punktfixierung und einer Bandbreitenfixierung, die flexiblen Wechselkursen nahe kommt, da bestimmte Schwankungen erlaubt sind. Da auch dieses System von Marktkräften beeinflusst wird, besteht eine Interventionspflicht der Zentralbank bei einer Abweichung über dem Maß. Eine Volkswirtschaft mit festen Wechselkursen ist von der Stabilität der Leitwährung oder des Reservemediums abhängig. Die geldpolitische Autonomie ist dadurch gefährdet. Angemessenes und stetiges Wachstum wird über das Bruttosozialprodukt oder das Volkseinkommen und deren Veränderungen gegenüber einer Vorperiode bestimmt. Dabei handelt es sich zwar um keine eindeutigen Wohlstandsindikatoren, jedoch messen sie die gesamtwirtschaftliche Produktion und deren Entwicklung und geben an, was zur Verteilung zur Verfügung steht. Die Zielvorgabe der Wachstumsrate ist ebenfalls von der realen Entwicklung abhängig. Eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung wird als „leistungsgerechte Verteilung bei Abwesenheit extremer Ungleichheiten“75 definiert. Im Laufe der letzten 20 Jahre kam ein weiteres Ziel hinzu: Die Instandhaltung einer lebenswerten Umwelt. Dieses Ziel vervollständigt die Grundlage der heutigen Wirtschaftspolitik Deutschlands. Die aktive Wirtschaftspolitik einer Sozialen Marktwirtschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat immer dann eingreift, wenn eines dieser Ziele besonders gefährdet ist.
75
Lachmann 2006:228
128 KAPITEL 7 DIE LAGE DER WIRTSCHAFTSGEORDNETEN NATIONALSTAATEN
Vollbeschäftigung
Außenwirtschaftliches Gleichgewicht
Neutralität
Preisstabilität
Komplementarität Gerechte Einkommensverteilung
Konflikt Lebenswerte Umwelt
Wachstum
Abbildung 29: Das magische Sechseck der Sozialen Marktwirtschaft Quelle Eigene Darstellung
Dieses Zielbündel trägt nicht umsonst den Beinamen „magisch“: Mit begrenzten ökonomischen Ressourcen müssen zahlreiche Interessen und Forderungen aus den unterschiedlichen Bereichen versorgt werden. Hat die Beeinflussung eines Ziels keine Beeinflussung eines anderen Ziels zur Folge, besteht zwischen den Zielen Neutralität. Komplementarität besteht, wenn sich die Beeinflussung eines Indikators positiv auf einen zweiten Indikator auswirkt. Lässt sich ein Ziel nur auf Kosten eines anderen Ziels erreichen, liegt ein Konflikt vor. Im Zuge der Globalisierung und der damit einhergehenden Diskussion über den Klimawandel gliedern sich die beiden zuletzt genannten Ziele auch in die Agenden weiterer Industrienationen ein. Solche Zielbündel bilden heute also die wirtschaftspolitische Basis fast aller westlichen Länder. Daran ist zu erkennen, dass längerfristige Stabilisierungs- und Wachstumspolitik im Vordergrund wirtschaftspolitischen Handelns steht. Jedoch wird auch deutlich, warum die Zielbündel den Zusatz „magisch“ tragen: Er ist ein Ausdruck dafür, dass die wechselseitigen Abhängigkeiten makroökonomischer Indikatoren Zielkonflikte einschließen und somit nicht alle Ziele gleichzeitig und in vollem Umfang zu erfüllen sind.
129
8
Die Lage der internationalen Konzentration
8.1 Eine globale Gemeinschaft Die Intensivierung der extrem spezialisierten und rationalisierten Massenproduktionen und die Sättigung der eigenen Märkte sprengen die nationalen Grenzen von Volkswirtschaften. Die Ökonomie internationalisiert sich zunehmend, sowohl auf betriebswirtschaftlicher (Konzentration und Bildung so genannter multinationaler Unternehmen) als auch volkswirtschaftlicher Ebene (Aufbau weltweiter oder regional beschränkter Wirtschaftsgemeinschaften). Anfänglich wird diese Entwicklung von den jeweiligen Staaten gefördert und begleitet, bis eine übernationale Ökonomie entsteht, die sich von wirtschaftspolitischen Kontrollen bzw. Beeinflussungen einzelner Nationen befreit und selbstständige Entwicklungen in Gang setzt. Diese Entwicklung wird Globalisierung genannt. Soziale und kulturelle Resistenzen rufen mögliche protektionistische Reaktionen und somit die partielle Rückkehr zur vorigen Lage hervor. Der bisherige wirtschaftliche Kreislauf wird um den ausländischen Sektor erweitert, es entstehen weitere monetäre Ströme zwischen In- und Ausland (siehe Abbildung 11 in Punkt 3.3). Die in Kapitel 6.2.4 besprochenen Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur lassen erkennen, dass Volkswirtschaften in unterschiedlichem Maße mit Produktionsfaktoren ausgestatten sind. Ebenfalls wurden in Kapitel 4.2.2 die Vorzüge der nationalen Arbeitsteilung herausgearbeitet. Nun liegt es nahe, Außenhandel mit einer oder mehreren anderen Volkswirtschaften aufzunehmen, wenn mit der heimischen Produktionskapazität ein Produkt nicht oder nur in unzureichender Güte oder Menge produziert werden kann bzw. die Kosten zur Produktion des Gutes unverhältnismäßig hoch sind. Durch Außenhandel können die komparativen Kostenvorteile bei internationaler Arbeitsteilung realisiert werden. Letztlich ist genau dies entscheidend für die Aufnahme von Außenhandel: Die unterschiedlichen Produktionskosten sowie die Unterschiede in den Güterpreisen der einzelnen Länder. Dazu kommen Vorteile von Produktdifferenzierungen, die ebenfalls im folgenden Unterpunkt erläutert werden. In dieser von der Internationalisierung geprägten Lage spielen Internationale Organisationen (IO) eine besondere Rolle. Sie übernehmen bis zu einem gewissen Grad die staatlichen Aufgaben auf internationaler Ebene. Interna-
130
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
tionalen Organisationen sind dabei verschiedene Rollen zuzuordnen. Zum Einen sind sie notwendige Instrumente der nationalen Politiken. In dieser Rolle werden IO von der staatlichen Diplomatie instrumentalisiert, da sie den Informationsfluss verbessern und die Kommunikation erleichtern und somit bei wirtschaftlichen und politischen Konflikten zwischen Staaten vermitteln oder im besten Fall Konflikte vermeiden können. Des Weiteren werden sie als Foren internationaler Politik betrachtet und fungieren in dieser Rolle weniger als Mittel, sondern als rahmengebende Instanz für Eigennutz maximierende Staaten. Zudem haben sie die Funktion als eigenständiger Akteur, in deren Rahmen die Internationalen Organisationen eigene Ziele verfolgen. Sie fördern die Integration und ziehen dabei immer mehr Politikbereiche in ihre Entscheidungsmacht mit ein. Auch sie werden in den folgenden Punkten vorgestellt und erläutert.
8.2 Moderne Strukturen und übergeordnete Institutionen 8.2.1 Über das nationale Denken hinweg: Internationale Arbeitsteilung und relative Kostenunterschiede Die von Fourastié und Clark entdeckte Einteilung der Wirtschaftszweige ermöglicht es, innerhalb einer Volkswirtschaft schwache und starke Sektoren zu identifizieren. Oder anders ausgedrückt: Was kann das Land besonders gut produzieren und was nicht? Die Ursachen für Außenhandel durch relative Preisunterschiede lassen sich letztlich auf zwei Faktoren zurückführen: Unterschiede in der Produktionstechnik und in der Ausstattung mit Produktionsfaktoren. Das Produktionsverfahren einer Volkswirtschaft hängt von verschiedenen Umständen ab. Zum einen von der unterschiedlichen Verfügbarkeit der Produktionsfaktoren aufgrund der natürlichen Ausstattung eines Landes mit Boden, Klima und Rohstoffen. Das erklärt bspw. den internationalen Handel mit Bodenschätzen: An Bodenschätzen reiche Länder exportieren diese in Länder ohne eigenes Aufkommen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausstattung mit Produktionsfaktoren ergeben sich Kostenunterschiede in der Produktion bestimmter Güter, es ist bspw. günstiger, Orangen in Spanien anzubauen als in Norwegen. Ebenfalls bestehen Unterschiede in der technologischen Ausstattung von Volkswirtschaften. Nicht alle Länder verfügen über den gleichen technologischen Entwicklungsstand.
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
131
Aber auch wenn zwei Volkswirtschaften über die gleichen Produktionsbedingungen verfügen, kann sich Außenhandel lohnen. So ergeben sich aus der unterschiedlichen Ausstattung mit Produktionsfaktoren unterschiedliche Anteile der jeweiligen Faktoren an der Produktion und damit unterschiedliche Preise für die Faktoren. In einem kapitalreichen Land wird der Faktor Kapital im Vergleich zum Faktor Arbeit billiger sein, da Kapital reichlicher vorhanden ist. In einem arbeitsreichen Land wird umgekehrt der Faktor Arbeit billiger sein, da Arbeit reichlicher vorhanden ist als Kapital. Relativ kapitalreiche Länder werden dementsprechend relativ kapitalintensive Güter produzieren (technologisch anspruchsvolle Güter wie Flugzeuge), relativ arbeitsreiche Länder werden ein relativ arbeitsintensives Gut produzieren (bspw. landwirtschaftliche Güter). Nehmen die beiden Länder Außenhandel auf, wird das relativ kapitalreiche Land das relativ kapitalreich hergestellte Gut exportieren und das arbeitsintensive Gut importieren und umgekehrt. Von diesem so genannten Faktorproportionen-Theorem (1933 veröffentlicht) der schwedischen Wissenschaftler Eli Heckscher und Bertil Ohlin ausgehend, lässt sich der Außenhandel auch durch den Produktlebenszyklus der Güter erklären. Jedes Produkt durchläuft demnach nach seiner Markteinführung drei unterschiedliche Entwicklungsstadien. Während der Einführungs- oder Innovationsphase wird das Gut in einem kapitalreichen Land entwickelt und zunächst für das eigene und weitere kapitalreiche Länder produziert. Diese Phase setzt einen hohen technologischen Kenntnisstand voraus, durch den sich hoch entwickelte Industrienationen auszeichnen. In der Reifungsphase kommt die Nachfrage aus weniger entwickelten Volkswirtschaften dazu. Die Produktion wird auf einem mittleren technologischen Niveau ausgeweitet. Dies geschieht zum einen im Industrieland und zum anderen durch die Vergabe von Lizenzen an andere Unternehmen, die nicht notwendigerweise in einem Industrieland angesiedelt sind. Auch mittlere Industrienationen und Schwellenländer kommen dazu in Frage. In der dritten und letzten Phase, der Standardisierungsphase, wird das Know-how auch Entwicklungsländern zugänglich gemacht und die Profitabilität der Produktion wird zur reinen Kostenfrage. Unter Umständen kann in dieser Phase die gesamte Produktion in ein Entwicklungs- oder Schwellenland abwandern. Abschließend soll noch erwähnt sein, dass auch objektive oder subjektive Unterschiede in der Güterqualität eine Ursache für Außenhandel sein können. Beispielsweise beim Autokauf spielen solche persönlichen Präferen-
132
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
zen eine große Rolle. Güter werden in diesem Fall selbst dann im Ausland bezogen, wenn die Preise nicht niedriger sondern gleich oder sogar höher sind. Wichtig ist es, dass diese Begründungen als Kombination anzuwenden sind, da niemals nur eine der Erklärungen die Aufnahme von Außenhandel erschöpfend erklärt. Als Kombination begründen sie den Außenhandel und seine Wohlfahrt steigernde Wirkung für alle Länder. Auch für diejenigen, die auf den ersten Blick Nachteile gegenüber anderen, vielleicht reicheren oder weiter entwickelten Volkswirtschaften haben. Ausschlaggebend sind die Relationen der Produktionskosten, nicht die absoluten Kosten, wie David Ricardo analysierte. Er stellte fest, dass ein Land A, das bei der Produktion zweier Güter jeweils einen absoluten Kostenvorteil gegenüber einem Land B hat, trotzdem an einer Spezialisierung interessiert sein kann, da trotz absoluter Vorteile ein komparativer Nachteil bei der Produktion einer der beiden Güter bestehen kann. In seinem berühmten Beispiel der Tuchund Weinproduktion in Großbritannien und Portugal stellt er fest, dass Portugal für die Produktion von Wein und Tuch einen absoluten Kostenvorteil gegenüber Großbritannien besitzt. Die absoluten Kosten definiert er als Zahl der Arbeitseinheiten, die für die Produktion einer Gütereinheit benötigt werden. Portugal benötigt bei der Produktion beider Güter weniger Arbeitseinheiten als Großbritannien. Für David Ricardo ist jedoch die Betrachtung der Opportunitätskosten bei der Produktion wichtig. Er leitet von ihnen einen komparativen Kostenvorteil für dasjenige Land ab, welches bei der Produktion eines Gutes geringere Opportunitätskosten, ausgedrückt in Einheiten des anderen Gutes, hat. Einfacher anhand des Beispiels ausgedrückt: Portugal hat bei der Produktion beider Güter einen absoluten Kostenvorteil, aber nur bei der Produktion von Wein auch einen komparativen Kostenvorteil, da die Opportunitätskosten für die Tuchproduktion in Portugal höher sind als in Großbritannien. Portugal hat deshalb ein Interesse, sich auf die Weinproduktion zu spezialisieren, Großbritannien wird sich auf die Tuchproduktion spezialisieren 76.Die Mechanismen des RicardoModells gelten heute noch und begründen die große Spezialisierung und ausgeprägte Arbeitsteilung innerhalb sowie zwischen modernen Volkswirtschaften. Doch wie bereits die nationale Arbeitsteilung gezeigt hat, entstehen dadurch nicht nur Vorteile, wie in Tabelle 7 beschrieben wird. 76
Vgl. Krugman/Obstfeld 2006:57ff
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
Vorteile der internationalen Arbeitsteilung
133
Nachteile der internationalen Arbeitsteilung • Gegenseitige internationale Abhängigkeit der Volkswirtschaften (dadurch werden einzelne Volkswirtschaften krisenunsicherer, z. B. während
• Erhöhung der gesamten Produktivität in In- und Ausland. • Gütermenge steigt im Verhältnis zur Gütermenge bei Autarkie Æ Steigerung des Lebensstandards. • Konsum von Gütern, deren Produktion im eigenen Land nicht möglich ist.
des Golfkriegs bezüglich der Versorgung mit Erdöl) • Die Spezialisierung birgt die Gefahr einer einseitigen Hauptproduktion (Beispiel: Maschinenbau wird gefördert, alle anderen Industrien werden abgebaut Æ Was passiert, wenn Maschinen nicht mehr nachgefragt werden?)
• Bessere Ausnutzung der nationalen Fähigkeiten und damit Verbesserung der Position als Standort.
• Durch die Komplexität der Wirtschaftsprozesse entstehen Lenkungs- und Verteilungskonflikte auf internationaler Ebene, es entstehen Machtpositionen.
Tabelle 7:
Vor- und Nachteile internationaler Arbeitsteilung Quelle: Eigene Darstellung
Allerdings zeigt das Beispiel Ricardos, dass beide Länder durch die Nutzung der internationalen Arbeitsteilung ihren komparativen Vorteilen entsprechend produzieren, die Überschussproduktion wird in das jeweils andere Land exportiert. Wichtig ist, dass die Produktionskostenrelationen zweier Länder immer unterschiedlich sind. Demzufolge führen Spezialisierung und die Aufnahme von Handel zu einer Wohlfahrtssteigerung in beiden Ländern. Durch die Aufnahme von Handel erweitern sich die Produktions- und Handelsmöglichkeiten beider Länder. Damit verändern sich auch die zum Konsum zur Verfügung stehenden Güter in Qualität und Quantität, der gesellschaftliche Nutzen der Güter steigt. Der freie Handel steigert den Wettbewerb der Unternehmen untereinander und verstärkt dadurch die
134
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
Wachstumsdynamik der tauschenden Volkswirtschaften. Als Folge steigt die Wohlfahrt aller am Außenhandel beteiligten Volkswirtschaften.77 Trotzdem bildet die internationale Wirtschaft keine große Freihandelszone, in der ökonomische Transaktionen völlig unbegrenzt getätigt werden können. Staaten entscheiden sich in ihrer Wirtschaftsordnung entweder für eine offene Wirtschaftspolitik mit reger Außenverflechtung oder eine eher protektionistische Wirtschaftspolitik. Entscheidend für die Entscheidung in der Praxis ist, ob Freihandel die optimale Entwicklung der Produktionskräfte bewirkt und ob er eine gerechte Verteilung des Produktionsüberschusses garantiert. Vor allem in Entwicklungsländern ist dies oft nicht der Fall, da diese überwiegend landwirtschaftliche Produkte exportieren, deren natürliche Nachfragegrenze rasch erreicht ist. Innovation als Basis für langfristiges Wachstum ist in der landwirtschaftlichen Produktion weniger vorhanden als in industriellen Sektoren. Industrieländer wachsen durch Freihandel schneller als Entwicklungsländer, deren Produktionskräfte nicht im selben Maß gefördert werden.78 8.2.2 Außenhandelspolitik und Integration Wie auch in der nationalen Wirtschaftspolitik bestehen in der Außenwirtschaftspolitik Zielkonflikte zwischen den Zielen Freihandel, eigenständige Konjunkturpolitik und stabilen Wechselkursen. Durch Freihandel werden die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung genutzt, die zur Wohlfahrtssteigerung beitragen. Stabile Wechselkurse bieten Sicherheit bei der längerfristigen Planung außenwirtschaftlicher Prozesse. Da jede Volkswirtschaft eigene Vorstellungen bezüglich der nationalen Politik und der Gewichtung nationaler Ziele hat, ist eine eigenständige Konjunkturpolitik wichtig. Um Freihandel betreiben zu können, müssen die Wechselkurse jedoch möglichst flexibel an eventuelle Preisniveauänderungen angepasst werden können. Bei festen Wechselkursen werden Inflationsschwankungen der anderen Länder in das eigene Land übertragen. Es gibt weder Länder, die kompromisslosen Freihandel betreiben, noch weichen die nationalen Konjunkturpolitiken zumindest in den westlichen Industrieländern wesentlich vonein-
77 78
Vgl. Krugman/Obstfeld 2006:57ff Vgl. Baßeler et al 2006:551
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
135
ander ab oder bestehen gänzlich feste Wechselkurse zwischen den meisten Ländern. Kompromisse bestimmen daher den internationalen Handel.79 Den nationalen Regierungen stehen verschiedene Instrumente der Außenhandelspolitik zur Verfügung. Je nach Motiv des Außenhandels wirken sich diese Instrumente positiv oder negativ aus. Werden durch staatliche Eingriffe Wettbewerbsverzerrungen aufgehoben oder profitieren heimische Unternehmen von den Eingriffen, so hat die Außenhandelspolitik positive Auswirkungen auf die Wohlfahrt der Volkswirtschaft. Werden temporäre Maßnahmen jedoch zu Dauereinrichtungen oder schwappen die Auswirkungen des Instrumenteneinsatzes auf dafür nicht geeignete heimische Sektoren über, sind die Auswirkungen negativ. Subventionen, Exportkredite und -garantien sowie Vermarktungshilfeprogramme und Kooperationen fördern den Außenhandel einzelner Sektoren und Unternehmen. Sie unterstützen bspw. schwach außenwirtschaftlich verflochtene Sektoren. Will der Staat die Volkswirtschaft in eine protektionistische Richtung lenken, stehen ihm dabei tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse zur Verfügung. Die Abgrenzung ist dabei schwammig. Im engeren Sinn versteht man unter tarifären Handelshemmnissen Zölle. Weitere Beschränkungen wie Quoten zählen zu den nicht-tarifären Hemmnissen wobei auch diese teilweise tarifärer – also monetärer – Art sind. Das Wort Hemmnisse beschreibt die Wirkungen dieser Instrumente bereits ausreichend: Überwiegend schränken sie den Freihandel empfindlich ein. Ohne sie ist der internationale Handel denselben Mechanismen unterlegen wie der nationale oder Binnenhandel, mit all ihren Vor- und Nachteilen. Um trotz der Nachteile aus dem Freihandel eine konkurrenzfähige heimische Industrie aufzubauen, können Entwicklungsländer bspw. so genannte Schutzzölle auf Importe erheben. Sie schützen die nationale Industrie vor ausländischer Konkurrenz. Dieses Argument gilt jedoch nicht zum Schutz heimischer Wirtschaftszweige in hoch entwickelten Industrieländern, obwohl auch diese auf Schutzzölle zurückgreifen. Dabei gelten die Zölle vor allem für Billiganbieter aus weniger entwickelten Ländern. Es wird jedoch vergessen, dass die Exporteinnahmen anderer Länder von diesen wieder für Importe anderer Güter genutzt werden, und dass die Verbraucher für den Schutz der heimischen Konkurrenz höhere Güterpreise in Kauf nehmen
79
Vgl. Lachmann 2006:294f
136
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
müssen.80 Als nicht-tarifäre Handelshemmnisse werden heute Importquoten und Exportbeschränkungen (heute meist als Selbstbeschränkungsabkommen zwischen Ländern) bevorzugt. Sie sind in ihrer Wirkung gleich wie Zölle: Das importierte Gut wird im Inland teurer und im Ausland billiger. Die Nachfrage sinkt und das Handelsvolumen nimmt ab81. Exportsubventionen wirken dagegen genau umgekehrt: Sie senken den Preis im Importland und erhöhen den Preis im Exportland82. Weitere Handelshemmnisse sind qualitative Beschränkungen wie bspw. das Deutsche Reinheitsgebot für Bier oder die DIN-Norm, Ex- und Importverbote zum Schutz der Bevölkerung (bspw. Drogen, Waffen), die bis hin zu einem Handelsembargo gehen können, sowie Importsubstitutionen zur Förderung von Schlüsselindustrien. Abhängig ist die Erhebung von Handelshemmnissen auch von der Integration, also der Einbindung einer Volkswirtschaft in einen wirtschaftlichen Zusammenschluss – das internationale ökonomische System. Durch die Integration in einen binnenmarktähnlichen Zusammenschluss mehrerer Volkswirtschaften können nationale Vorteile genutzt werden und verstärkt Arbeitsteilung betrieben werden. Von den einzelnen Wirtschaftssubjekten erfordert dieser Prozess eine rasche Anpassung an die neuen Gegebenheiten. Hauptproblem ist dabei die Aufgliederung der Souveränität auf nationale und übergeordnete Einrichtungen.83 Dabei wird zwischen verschiedenen Integrationsstufen oder -modellen unterschieden. In einer Freihandelszone bauen die Mitgliedsstaaten Zölle und nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen für bestimmte Güter ab. Gegenüber Drittstaaten behalten sie jedoch ihre außenwirtschaftliche Autonomie. In einer Zollunion kommen zur Freihandelszone gemeinsame Außenzölle und Beschränkungen der Warenzufuhr aus Drittländern. Bei einem gemeinsamen Markt kommt zur Zollunion die freie Mobilität aller Wirtschaftssubjekte und Produktionsfaktoren innerhalb des gemeinsamen Marktes. Eine Wirtschaftsunion zeichnet sich neben dem gemeinsamen Markt durch eine abgestimmte Wirtschaftspolitik aus, umfangreiche wirtschaftspolitische Zuständigkeiten fallen übergeordneten Einrichtungen zu. Meist wird ein gemeinsames gesetzliches Zahlungsmittel
80
Vgl. Baßeler et al 2006:551ff: Vgl. Krugman/Obstfeld 2006:240ff 82 Vgl. Krugman/Obstfeld 2006:252 83 Vgl. Bartling/Luzius 2008:306 81
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
137
eingeführt und ein gemeinsames Zentralbankensystem besteht. Die nächste Entwicklungsstufe ist ein Staatenbund, der sich zusätzlich zur Wirtschaftsunion durch eine politische Union mit gemeinsamer Regierung und gemeinsamer Außenvertretung auszeichnet. Die Modelle bauen nach der Integration der Mitgliedsstaaten aufeinander auf, wie aus Abbildung 30 ersichtlich wird.
Freihandelszone EFTA (European Free Trade Ass.) NAFTA (North American Free Trade Ass. (Kanada, Mexiko, USA)) Zollunion Zollverein (Vorstufe zur dt. Einheit im 19. Jh.) Gemeinsamer Markt EWG (Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft; Römische Verträge 1957: D, F, I, Benelux) Wirtschaftsunion/ Währungsunion EU mit dem Agrarmarkt Europ. Währungsunion Staatenbund / Bundesstaaten USA (bis 1787) / USA heute
Abbildung 30: Integrationsmodelle mit Beispielen Quelle: Eigene Darstellung
8.2.3 International relevante Strukturen und Organisationen Als Internationale Organisationen bezeichnet man formale Zusammenschlüsse von Regierungen oder Nicht-Regierungen eigenständiger Staaten mit dem Ziel, das gemeinsame Interesse der Mitgliedsstaaten zu verfolgen. Dabei wird in zwischenstaatliche und Internationale Nicht-Regierungsorganisationen unterschieden. Zwischenstaatliche Internationale Organisationen (auch: Regierungsorganisationen; IGOs) gründen auf multilateralen, völkerrechtlichen Verträgen zwischen mindestens zwei Staaten und verfügen über eigene Organe und Zuständigkeitsbereiche. Sie dienen dazu, konkret vereinbarte politische, militärische, wirtschaftliche oder soziale Aufgaben zu
138
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
erfüllen, ohne die Souveränität der Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen84. Bekannteste IGO sind die Vereinten Nationen (UNO), wobei auch die Europäische Gemeinschaft (EG) als Internationale Regierungsorganisation gilt.85 Eine Internationale Nicht-Regierungsorganisation (INGO) ist nach der Definition des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC) in seiner Resolution 288 (X) vom 27. Februar 1950 „jede internationale Organisation, die nicht durch ein zwischenstaatliches Abkommen zustande kommt“. Sie vertreten auf Basis privater Initiative staatenübergreifende politische und gesellschaftliche, aber auch soziale oder ökonomische Ziele. Durch Themensetzung in Medien, Vertretung von Interessen über nationale Grenzen hinweg und konkrete Projektarbeit übernehmen INGOs Funktionen im politischen Willensbildungsprozess. Vor allem in den Bereichen Entwicklungspolitik, Menschenrechte, Humanitäre Hilfe und Ökologie sind INGOs aktiv86. Bekannte Vertreter sind amnesty international, Greenpeace und kirchliche Organisationen. Unterscheiden lassen sich Internationale Organisationen nach der Mitgliedschaft, den Aufgaben, dem geografischen und sachlichen Wirkungskreis und ihren Befugnissen (siehe Tabelle 8).
84
www.bpb.de Vgl. www.cloeser.org 86 Union of International Associations 2006 85
Tabelle 8:
Befugnisse gegenüber ihren Mitgliedern
Sachlich bestimmter Wirkungsbereich
Geografischer Wirkungskreis
Aufgaben
Mitgliedschaft
Merkmal
Beispiele
• Eurocontrol • OPEC Großteil der IO
Speziell Koordinierend
Quelle: Eigene Darstellung
Klassifikation internationaler Organisationen
• EU In geringerem Umfang auch: • Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) • Andengemeinschaft (CAN)
• UN • EG • Vereinigung Südostasiatischer Staaten (ASEAN) • EU bei Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon
Generell
Verpflichtend (diese Organisationen werden auch als Supranationale Organisationen bezeichnet)
Auf Kontinente zugeschnitten: • Afrikanische Union (AU) • Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Auf kleinere Gebiete beschränkt: • Europäische Freihandelsassoziation (EFTA)
UN und der größte Teil ihrer Sonderorganisationen
Weltweit (steht potenziell allen Staaten offen)
Regional
• Internationaler Seegerichtshof (ISGH) • Internationaler Strafgerichtshof (IStGH)
• Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) • Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS)
Sicherheitspolitische Aufgaben: • Garantie militärischer Sicherheit durch • Beistandsverpflichtungen • Konfliktlösungsmechanismen
Rechtssprechende Aufgaben
• Vereinten Nationen (UN) • Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) • Afrikanische Union (AU
Wirtschaftspolitische Aufgaben
• Internationale Arbeitsorganisation (ILO)
Gewährleistung der Grundvoraussetzungen für Frieden. Darüber hinaus gehende Aufgaben: • Armutsbekämpfung • Förderung der Menschenrechte • langfristige Stabilisierung von Regionen nach Konflikten • Neu- bzw. Wiederaufbau lokaler Infrastruktur.
International: • Welthandelsorganisation (WTO) • Weltbankgruppe Regional: • Wirtschaftsorganisationen auf allen Kontinenten. Europa Æ Europäische Gemeinschaft (EG) Südamerika Æ Mercosur Arabische Golfregion Æ Golf-Kooperationsrat Afrika Æ Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS).
• Internationales Olympisches Komitee (IOK)
• Vereinte Nationen (UN) • Europäische Union (EU
Gemischt
Ausprägung
Nichtstaatliche Akteure
Staaten
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION 139
140
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
Die Organisationsstruktur ist bei IGOs und INGOs weitgehend vergleichbar – sie gliedern sich in Organe, darunter mindestens eine Versammlung, in der die Mitglieder der Organisation vertreten sind, und ein Sekretariat, welches die administrativen Aufgaben erledigt. Die Versammlung ist das Hauptbeschlussorgan jeder Internationalen Organisation und legt die Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele fest, das Sekretariat führt diese Maßnahmen aus. Dem Sekretariat steht in der Regel ein Direktor oder Generalsekretär vor. Er hat intern die oberste Weisungsbefugnis inne und vertritt die Organisation nach außen. Zur Entlastung der Versammlung und zur Ermöglichung einer Spezialisierung werden bestimmte Themenbereiche häufig von Spezialorganen mit jeweils eigenen Präsidenten behandelt. Entweder werden diese bereits durch die Gründungsverträge etabliert, oder von den Hauptorganen der Organisation später als Nebenorgane einem bestimmten Bereich zugewiesen. Einige Internationale Organisationen verfügen darüber hinaus über ein rechtsprechendes Organ, das in Dienstrechtsangelegenheiten (bspw. die Verwaltungsgerichte der Vereinten Nationen (UNAT) und der Europäischen Gemeinschaft (EUCST)) oder bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern/Organen über Auslegung/Anwendung des Gründungsvertrages (bspw. die Gerichtshöfe der Vereinten Nationen (IGH) oder der Streitschlichtungsmechanismus der WTO) entscheidet. Mit 192 Mitgliedern sind die Vereinten Nationen (United Nations Organization oder UNO) die größte Internationale Organisation. An ihrem Beispiel soll die Funktionsweise und die Struktur einer Internationalen Organisation erläutert werden. Die UNO ging aus einem Staatenbündnis gegen Deutschland, Japan und Italien im Zweiten Weltkrieg hervor. Die Charta der Vereinten Nationen, die am 24. Oktober 1945 in Kraft trat, bildet als zeitlich nicht begrenzter völkerrechtlicher Vertrag die Verfassung der UNO. Oberstes Ziel der Organisation ist die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Weitere Ziele sind die „Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Nationen, die Förderung der internationalen Zusammenarbeit zur Lösung internationaler Probleme und die Förderung der Menschenrechte“87. Aus den sechs Hauptorganen der Organisation entstand im Laufe der Zeit ein Netzwerk von Sonderorganisatio-
87
Fischer Weltalmanach 2009:591
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
141
nen, Programmen und Sonderorganen, deren Existenz von einem oder mehreren Hauptorganen abhängig ist und die vertraglich mehr oder weniger mit den Hauptorganen verbunden sind. Besonders die vierzehn Sonderorganisationen unter Koordination des Wirtschafts- und Sozialrats sind organisatorisch und finanziell weitgehend selbstständig. Die WTO ist eine von der UNO gänzlich unabhängige Organisation, durch ihre enge Kooperation mit der UNO gilt sie jedoch auch als Bestandteil des Systems der Vereinten Nationen, das in Abbildung 31 dargestellt ist.88
IAEO Æ Int. Atomenergie-Organisation
Hauptorgane Generalversammlung
Sicherheitsrat 5 ständige Mitglieder (China, RUS, FRA, GB, USA) 10 nichtständige Mitglieder Einige Nebenorgane: Friedenseinsätze Int. Strafgerichtshof für das ehem. Jugoslawien u.a.
Wahl
alle Mitgliedsstaaten Einige Nebenorgane: Hauptausschüsse Menschenrechtsrat u.a.
Sonderorganisationen = Autonome Organisationen, die über die Koordinationsmechanismen des Wirtschafts- u. Sozialrates untereinander und mit den UN arbeiten
Wahl
Wirtschafts- u. Sozialrat 54 Mitglieder Einige Nebenorgane: Fachkommissionen Regionalkommissionen
FAO Æ Ernährungs- u. Landwirtschaftsorganisation ICAO Æ Int. Zivilluftfahrt-Organisation IFAD Æ Int. Fonds für landwi. Entwicklung IMO Æ Int. Schifffahrtsorganisation ITU Æ Int. Fernmeldeunion IWF Æ Int. Währungsfonds UNESCO Æ Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNIDO Æ Organisation für industrielle Entwicklung UNWTO Æ Weltorganisation für Tourismus
Weltbankgruppe
Treuhandrat
Sekretariat Generalsekretär Einige Nebenorgane: Friedenseinsätze Hochkommissionen für Menschenrechte u.a.
(funktionslos) Wahl auf Vorschlag des Sicherheitsrates
Wahl
Internationaler Gerichtshof Direkte Berichterstattungspflicht zwischen Haupt- und Hilfsorgan Keine Unterordnung
Den Haag
IBRD Æ Int. Bank für Wiederaufbau und Entwicklung IDA Æ Int. Entwicklungsorganisation IFC Æ Int. Finanz-Corporation MIGA Æ Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur ICSID Æ Int. Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten WHO Æ Weltgesundheitsorganisation WIPO Æ Weltorganisation für geistiges Eigentum WMO Æ Weltorganisation für Meteorologie WPV Æ Weltpostverein
Programme und Fonds Andere Institutionen Forschungs- und Ausbildungsinstitute WTO Æ Welthandelsorganisation
Abbildung 31: System der Vereinten Nationen Quelle: in Anlehnung an Fischer Weltalmanach 2009:592
88
Union of International Associations 2006
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KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
Die Generalversammlung besteht aus Regierungsvertretern der Mitgliedsländer und ist zentrales Organ der UNO. Sie prüft den Haushalt, setzt die Beitragsquoten, über die sich die UNO finanziert fest, bestimmt die Zusammensetzung der Organe, entscheidet mit dem Sicherheitsrat über Aufnahme und Ausschluss von Ländern, wählt die nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und alle Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialrates sowie die Richter des Internationalen Gerichtshofes. Sie erörtert alle Themen, die in den Bereich der Charta der Vereinten Nationen fallen und äußert sich in Form von nicht bindenden Empfehlungen an den Sicherheitsrat. Jedes Mitglied hat bei Abstimmung eine Stimme. Von den 54 Mitgliedern des Wirtschafts- und Sozialrates werden 18 jährlich auf drei Jahre gewählt. Der Rat untersteht der Generalversammlung und berät das UNO-System in den Bereichen wirtschaftliche und soziale Entwicklung, Kultur, Erziehung, Gesundheit und Menschenrechte, ohne jedoch rechtliche oder finanzielle Mittel zu besitzen oder vergeben. Der Rat gibt Studien in Auftrag, beruft Konferenzen ein und verabschiedet Empfehlungen. Der Sicherheitsrat besteht aus fünf ständigen und zehn nicht ständigen Mitglieder, die für jeweils zwei Jahre gewählt werden. Er ist das bedeutendste Organ der UNO und mit weitreichenden Kompetenzen zur Konfliktvermeidung und -lösung ausgestattet. Es kann als einziges Organ verbindliche Beschlüsse treffen, welche der Zustimmung von neun Mitgliedern, einschließlich aller fünf ständigen Mitglieder (die somit ein Vetorecht besitzen), bedürfen. Der Internationale Gerichtshof ist das oberste Gericht der UNO und besteht aus fünfzehn Richtern, die zeitversetzt von Generalversammlung und Sicherheitsrat für neun Jahre gewählt werden. Der IGH entscheidet internationale Verfahren auf Basis des Völkerrechts, seine Entscheidungen sind zwar völkerrechtlich bindend, der IGH verfügt aber über keine Mittel zur Zwangsdurchsetzung. Das Sekretariat wird auch als die Verwaltung der UNO unter dem Vorsitzenden Generalsekretär (seit 1.2.2007 Ban Ki-Moon aus der Republik Südkorea) angesehen. Der Generalsekretär ist zum einen der Verwaltungschef der Mitarbeiter, Soldaten, Polizisten und zivilen Helfer bei Friedenseinsätzen, zum anderen ist er gefragter Diplomat und Vermittler. Er wird auf Vorschlag des Sicherheitsrates auf fünf Jahre gewählt.89
89
Vgl. Fischer Weltalmanach 2009: 591ff und www.un.org
KAPITEL 8 DIE LAGE DER INTERNATIONALEN KONZENTRATION
143
Wie jede Internationale Organisation zeichnet sich die UNO alleine durch die Bemühung aus, Ordnung und Gerechtigkeit in die zahlreichen internationalen Beziehungen zu bringen. An der starren Struktur gibt es jedoch einige Kritikpunkte. Bspw. wird das Vetorecht der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat vor allem von den USA und Russland häufig zur Umgehung von Strafen oder zur Erlangung von Vorteilen missbraucht. Zudem stehen die Bevölkerungsanteile der ständigen Mitglieder an der Weltbevölkerung in keinem Verhältnis zu deren privilegierten Kompetenzen. Eine UNO mit einer Vertretung der Staaten gemäß der jeweiligen Bevölkerung wäre jedoch nur dann handlungsfähig, wenn die Charta grundlegend reformiert würde. Einer solchen Reform stehen jedoch vor allem die ständigen Mitglieder im Wege. Zudem ist die Charta so flexibel interpretierbar, dass damit fast jeder Ideologie gedient ist. Die einzelnen Staaten sind zudem nicht bereit, weite Teile ihrer nationalstaatlichen Kompetenzen an übergeordnete Institutionen abzugeben. So erkennen die USA bspw. Beschlüsse des IGH für US-Bürger nicht an. Trotzdem sind die UNO zu stark mit den USA verwoben, um eine autonome Entscheidung diesbezüglich treffen zu können oder evtl. Sanktionsmaßnahmen einzuleiten.90
8.3 Anwendungsbeispiel: Die europäische Integration Die Europäische Integration ist der wirtschaftlich und politisch bedeutendste Integrationsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2007 besteht die EU aus 27 Mitgliedsländern. Am Anfang dieses Prozesses stand die Gründung der so genannten Montanunion 1951 in Paris, deren Ziel ein gemeinsamer Markt der Mitglieder für Kohle und Stahl war. 1958 folgten die Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit dem Ziel der schrittweisen Errichtung eines gemeinsamen Marktes und der schrittweisen Annäherung der nationalen Wirtschaftspolitiken. Seit 1976 bilden EWG, Montanunion und die zwischenzeitlich gegründete Gemeinschaft EURATOM die Europäischen Gemeinschaften (EG), deren Fusionsvertrag bereits einen gemeinsamen Ministerrat und eine gemeinsame Kommission beinhaltet. Bereits seit Beginn waren die Parlamentarische Versammlung (heute: Europäisches Parlament) und der Europäische Gerichtshof für die drei Gemeinschaften zuständig. Durch die Einheitliche Eu90
Vgl. Fischer Weltalmanach 2009: 591ff und www.un.org
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ropäische Akte 1987 wurden die Organe gestärkt und die Schaffung eines Binnenmarktes bis 1992 vorgeschrieben. Der bisher grundlegendste Einschnitt entstand durch den 1992 in Kraft getretenen Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag von Maastricht), der die Grundlage für alle folgenden Integrationsschritte bildete, insbesondere die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWG) und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Mit der Einführung des Euro als eigenständige und gemeinsame Währung ab 1999 trat der dritte Schritt der EWWG in Kraft. Seit 1992 besteht die EU aus einem Fundament von vier Verträgen und drei Säulen (siehe Abbildung 32). Die erste Säule besteht aus den bereits erwähnten Gemeinschaften EG und EURATOM. Bis 2002 war auch die Montanunion (EGKS) eigenständige Gemeinschaft der dritten Säule. Nach Auslaufen des Vertrags wurde die Montanunion in die EG eingegliedert. Zu den Politikbereichen der ersten Säule gehören insbesondere die Zollunion, der Europäische Binnenmarkt, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWG), die Sozial- und Einwanderungspolitik sowie das Gesundheitswesen. Diese Bereiche sind vergemeinschaftet, das Europäische Parlament hat also Mitspracherechte. Im Gegensatz zur EU besitzen die Europäischen Gemeinschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit, die sie zum Abschluss von Verträgen berechtigt. Die zweite Säule besteht aus der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Hier handelt es sich um eine intergouvernementale Zusammenarbeit, die für die Mitgliedsländer nicht verpflichtend ist. Ebenso verhält es sich bei der dritten Säule, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Durch die Verträge von Nizza und Amsterdam wurden einige der Politikbereiche der dritten Säule vergemeinschaftet, also der EG übertragen. Nach dem Vertrag von Lissabon soll die dritte Säule gar ganz entfallen und alle ihre Politikbereiche supranational entschieden werden.91
91
Vgl. BMVBS
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Europäische Gemeinschaft inkl. EURATOM
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(EG)
(GASP)
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Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
(PJZS)
Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) Vertrag von Maastricht über die Europäische Union (EUV)
Abbildung 32: Säulen der Europäischen Union Quelle: BMVBS
Auf europäischer Ebene wurde 1997 anlässlich des Vertrags von Amsterdam ein Stabilitäts- und Wachstumspakt zu Einhaltung der fiskalischen Disziplin geschlossen, der 1999 in Kraft trat. Er verpflichtet die Mitgliedsländer mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben, konkret bedeutet dies, dass eine Überschreitung des Haushaltsdefizits von 3% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht zulässig ist – außer das Land befindet sich in einer tiefgreifenden Rezession. Gleichzeitig haben sich die Mitglieder der Währungsunion dazu verpflichtet, jährlich mehrjährige Stabilitätsprogramme vorzulegen. Die Einhaltung dieser Programme wird von der EUKommission sowie dem Ministerrat überwacht. Nicht-Mitglieder der Währungsunion müssen entsprechende Konvergenzprogramme vorlegen. Zusätzlich wurde ein so genanntes Frühwarnsystem eingerichtet. Ist ein übermäßiges Defizit bei einem Mitgliedstaat absehbar, kann der Ministerrat dem entsprechenden Land eine Warnung in Form einer Handlungsempfehlung zukommen lassen. Hat ein Staat die Defizitobergrenze erreicht oder überschritten, eröffnet die EU-Kommission ein Defizitverfahren. In diesem Ver-
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fahren wird zuerst entschieden, ob wirklich ein übermäßiges Defizit besteht. Darüber stimmt der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ohne die Stimmen des betroffenen Landes) in Absprache mit der EU-Kommission und dem Wirtschafts- und Finanzausschuss ab. Zudem wird die „Gesamtlage“ bei der Abstimmung berücksichtigt und die Argumente des betroffenen Mitgliedsstaates werden gehört. Stellt der Ministerrat ein Defizit fest, kann das Land innerhalb einer gesetzten Frist Abhilfemaßnahmen einleiten. Die Korrektur sollte dabei innerhalb einer Jahresfrist erzielt werden. Reagiert das Land auch nach einer weiteren Frist von zwei Monaten nicht, können Sanktionsmaßnahmen eingeleitet werden. So kann das betroffene Land zu einer unverzinslichen „Stabilitätseinlage“ zur Korrektur des Defizits verpflichtet werden. Diese Einlage kann sich in eine Geldbuße wandeln, wenn das Land zwei Jahre nach dem Beschluss des Rates diesem nicht Folge geleistet hat. Wird der Referenzwert der Einlage unterschritten oder leistet das Land den Empfehlungen des Rates Folge, werden die Einlagen zurückgezahlt.92 Der Vertrag von Nizza 2003 gilt als bislang umstrittenster Versuch, die vorliegenden Verträge zu revisieren und beinhaltet vor allem institutionelle Reformen zur Sicherung der Handlungsfähigkeit nach den zahlreichen Erweiterungen der EU. Im Verlauf dieser Entwicklung wurden zahlreiche physische, technische und fiskalische Handelshemmnisse zwischen den Mitgliedsländern abgebaut: Es bestehen keine Zollgrenzen mehr zwischen den Mitgliedern, Normen und Prüfverfahren wurden angeglichen. Auch fiskalische Schranken können durch Anpassungsprozesse aus dem Weg geräumt werden, indem die Steuersätze aller Mitgliedsländer harmonisiert werden. Im Abbau dieser Schranken liegt auch eines der Hauptprobleme der EU – der ständigen Erweiterung steht die dadurch erschwerte Vertiefung der EU gegenüber. Auch ein anderes Problem findet seine Ursache hier – die angestrebte politische Union, die durch die Verträge von Nizza 2001 und Lissabon 2007 verankert werden sollte, findet ihre Grenzen bei der Abgabe von nationaler Souveränität an übergeordnete Institutionen. Hier zeigt sich, dass gemeinsame wirtschaftliche Interessen nicht unbedingt als hinreichende Begründung einer gemeinsamen politischen Basis ausreichen. Während der Agrarmarkt
92
Gabler 2004g:2754ff
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und die Wettbewerbspolitik bereits gemeinschaftlich betrieben werden und die EWWG zu einer Einheitswährung geführt hat, wird in den Bereichen Umweltschutz und Klimapolitik trotz der Einsicht, dass eine gemeinsame Politik in diesen Bereichen erstrebenswert ist, heftig diskutiert. Ein wirklich einheitlicher Binnenmarkt erfordert zudem eine gesamteuropäische Gesetzgebung und die absolute Mobilität von Kapital und Produktionsfaktoren. Ein weiterer Schritt wäre eine gemeinsame Außenrepräsentation, wie zum Beispiel durch den Posten eines gemeinsamen Außenministers, wie er im Vertrag von Lissabon vorgesehen ist, sowie die gemeinschaftliche Bereitstellung öffentlicher Güter.93 Es stellt sich nun die Frage, wie dem Problem des im Lauf der Zeit entstandenen „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ zu begegnen ist. Die Kernländer der EU, die reichen Industrienationen wie Deutschland und Frankreich, könnten innerhalb kürzester Zeit eine wirtschaftliche und politische Union vervollständigen. Vor allem in den neueren Mitgliedsländern ist diese Entwicklung in absehbarer Zeit undenkbar, zu unterschiedlich sind sie zum einen in ihrem wirtschaftlichen Fortschritt, zum anderen bei der Anpassung ihrer nationalen Politiken an die Prinzipien der EU. Trotz dieser unterschiedlichen Voraussetzungen gelten auch innerhalb der EU die Vorteile des Freihandels: Die Wohlfahrt in den Ländern steigt durch den Wegfall der Binnengrenzen und die steigende Mobilität der Produktionsfaktoren. Von der Gründung der EU 1958 bis zur Verwirklichung einer Zollunion vergingen rund zehn Jahre. Weitere zwanzig Jahre vergingen bis zur Errichtung eines gemeinsamen Marktes durch die Europäische Akte.94 Mittlerweile sind weitere Länder beigetreten, deren Wohlstand weit unter dem der Gründungsmitglieder und der in den ersten Beitrittsrunden eingegliederten Länder liegt. Die Geschichte der europäischen Integration ist keinesfalls zu Ende geschrieben.
93 94
Vgl. Fischer Weltalmanach 2009: 557ff und Bartling/Luzius 2008: 306ff Vgl. Bartling/Luzius 2008:306
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9 Die Lagen der Zukunft – Keine Prognose „In der Wissenschaft werden die orthodoxen Ansichten einer Periode immer wieder von neuen Entdeckungen aus der Mode gebracht. Wissenschaftliche Schulen unterliegen genauso wie Menschen mit zunehmendem Alter sklerotischen Prozessen. Studenten lernen die heilige Wahrheit von ihren Lehrern und aus sakrosankten Lehrbüchern, wobei die Unzulänglichkeiten der so verbreiteten orthodoxen Doktrinen ignoriert oder als unbedeutend abgetan werden.“95 Die Prognose einer auf die bisher beschriebene Entwicklung folgenden Lage an dieser Stelle würde zu weit gehen. Besonders in der heutigen Zeit wirtschaftlicher Umbrüche in Folge der weltweiten Finanzkrise ist nicht absehbar, wie sich Volkswirtschaften verhalten werden. Es gibt jedoch einige innovative Denkanstöße und Theorieansätze, die sich über die in dieser Arbeit angesprochenen und von Samuelson und Nordhaus als „orthodox“ bezeichneten hinaus bewegen. Innovation und Weiterentwicklung sowie die Evaluation ihrer Auswirkungen ist im gesamtgesellschaftlichen Kontext ebenso wichtig wie für den rein wirtschaftlichen Wohlstand einer Volkswirtschaft. Die zunehmende Globalisierung und die enge wirtschaftliche Vernetzung unserer Nationen ist sowohl Ursache als auch Resultat der entstehenden Informationsgesellschaft. Die zunehmende Dynamisierung der Gesellschaft zeigt sich ebenso in der Wirtschaft: Alles wird schneller, größer, flexibler und damit unberechenbarer. Diese Veränderungen erfordern auch eine Anpassung der volkswirtschaftlichen Theorie. In den vorausgegangenen Kapiteln wurde die Entwicklung verschiedener Theorien bis zum jetzigen Zeitpunkt beschrieben. Immer wieder passten sich die Regierungen, vor allem die der Wirtschaftsmächte, in der Gestaltung ihrer Politik an die veränderten Bedürfnisse an. Doch was kommt nun? In den letzten Jahren entwickelte sich eine Diskussion um den Stand der Ökonomie im Allgemeinen. Mittelpunkt dieser Diskussion ist die Frage, ob die komplexe ökonomische Realität durch die Theorien der bekannten klassischen und neoklassischen Denkschulen hinreichend abgebildet und systematisiert werden kann. Und folglich, ob sie entsprechend wirkungsvol-
95
Samuelson/Nordhaus 1998:692
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KAPITEL 9 DIE LAGEN DER ZUKUNFT – KEINE PROGNOSE
le Beiträge zur wirtschaftspolitischen Gestaltung liefern können. Dabei wird bereits bei den bestehenden Begriffsdefinitionen angesetzt. Ist das Wirtschaftsystem überhaupt ein System, wenn der Begriff „System“ Funktionsfähigkeit voraussetzt? Wozu nützen bestehende Regeln und Prinzipien, wenn es trotz ihrer Einhaltung zu Zusammenbrüchen kommt? Auch der Gleichgewichtsbegriff, die Kategorien Konsum und Einkommen oder der Begriff der Wettbewerbsfähigkeit werden in der alternativen Wirtschaftsforschung kritisch betrachtet. Auch der, vor allem in der Neoklassik, zunehmende Grad der Mathematisierung wird hinterfragt. Es besteht keine Einstimmigkeit mehr darüber, welches Maß an Mathematik und formaler Methodik in der Ökonomie wirklich notwendig ist. Zudem rücken Werte und Normen wieder zunehmend in den Blickpunkt der ökonomischen Forschung. Hauptsächlich in Krisenzeiten, bspw. in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und zunehmender negativer Beeinflussung der Umwelt durch die Industrie, wird in der Wirtschaftsethik nach moralisch basierten Handlungsansätzen zur Lösung dieser Probleme gesucht. Nachhaltigkeit, soziale Sicherheit und Umweltschutz finden Eingang in ökonomische Überlegungen. Es lässt sich eine erhöhte Beschäftigung mit alternativen Forschungsprogrammen beobachten, das Gewicht bspw. der Evolutionsökonomie hat sich spürbar erhöht.96 In der Evolutionsökonomie wird davon ausgegangen, dass kein Marktgleichgewicht besteht. Der ständige Wettbewerb zwischen Gütern, Unternehmensformen und Wirtschaftssystemen sorgt dafür, dass nur diejenigen Wirtschaftssubjekte erfolgreich bestehen können, die sich veränderten Umweltanforderungen und Wettbewerbsbedingungen schneller anpassen als der Rest. Eine weitere, auf Joseph Alois Schumpeter basierende, Auffassung geht in eine ähnliche Richtung. Demnach ist die Evolutionsökonomie ein Teilbereich der Wirtschaftswissenschaften, welcher sich mit durch technischen Fortschritt und Innovation erzeugten Entwicklungen beschäftigt.97 All diese Tendenzen sind Folge der vergangenen Entwicklungen. Ständig lernen die Menschen, und damit auch die Wissenschaft, dazu und versuchen, neue Erkenntnisse in die Gestaltung des jeweiligen Betrachtungsbereichs einfließen zu lassen. Erfolge und Misserfolge einer Lage lassen sich somit erst dann eindeutig feststellen, wenn diese Lage bereits der Vergan96 97
Vgl. Krause 2002:799ff Vgl. Kolb 2005:169ff
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genheit angehört. Trotzdem werden Prognosen zukünftig, auch auf Basis alternativer Wirtschaftstheorien, eine wichtige Grundlage politischer Entscheidungsprozesse bilden und damit einen direkten Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen haben. Sie mindern die Unsicherheit der Wirtschaftssubjekte bzgl. ihrer Entscheidungen und Handlungen. Schon alleine dadurch wird deren Verhalten für Ökonomen durchsichtiger und berechenbarer, was wiederum zur Güte der Prognose beiträgt. Die in dieser Arbeit vorgestellten Grundzüge des Wirtschaftens werden auch in Zukunft Bestand haben, bilden sie doch die fundamentale Basis für die kommenden Ergänzungen und Alternativen. Immer werden Individuen ihre Bedürfnisse mit Gütern befriedigen müssen, zu deren Herstellung sie bestimmte Faktoren einsetzen werden. Dabei bestimmen die staatlich gesetzten Rahmenbedingungen sowie ethische und moralische Grundvorstellungen die Dimensionen und den Ablauf wirtschaftlichen Handelns.
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