226 66 107MB
German Pages 619 [624] Year 1994
Buddecke GRUNDRISS DER BIOCHEMIE
Eckhart Buddecke
GRUNDRISS DER BIOCHEMIE Für Studierende der Medizin, Zahnmedizin und Naturwissenschaften 9., neubearbeitete Auflage
W DE
G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994
Prof. Dr. med. Eckhart Buddecke Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie an der Universität Münster/Westfalen Waldeyerstr. 15 D-48149 Münster Das Buch enthält über 400 Formeln, Tabellen und Diagramme I.Auflage 1970 2. Auflage 1971 2. Auflage (Nachdruck) 1972 3. Auflage 1973 Italienische Auflage 1974 4. Auflage 1974 S.Auflage 1977 O.Auflage 1980 Spanische Auflage 1983 7. Auflage 1984 S.Auflage 1989 9. Auflage 1994
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. CIP- Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Buddecke, Eckhart:
Grundriß der Biochemie für Studierende der Medizin, Zahnmedizin und Naturwissenschaften / Eckhart Buddecke. 9., neubearb. Aufl. - Berlin ; New York : de Gruyter 1994 ISBN 3-11-014407-7
Copyright © 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin. Druck: Gerike GmbH, Berlin. — Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer Buchgewerbe GmbH, Berlin. — Einbandgestaltung: Hansbernd Lindemann, Berlin.
Auch darf nicht geleugnet werden, daß wir persönlich einem Buch gar manchen Druckfehler verzeihen, indem wir uns durch dessen Entdeckung geschmeichelt fühlen. Goethe
Vorwort Seit der Erkenntnis der Universalität molekularbiologischer Lebensvorgänge hat sich die Biochemie zu einer Grundlagenwissenschaft entwickelt, deren Ergebnisse alle biologischen Disziplinen in steigendem Maße beeinflussen. Molekularbiologie, Mikrobiologie, Virologie und Genetik sind umfangreiche biochemische Spezialgebiete geworden. Die Medizin hat mit Anwendung biochemischer und molekularbiologischer Methoden und der Kenntnis zahlreicher „Molekularkrankheiten" ein naturwissenschaftliches Fundament erhalten. Die progressive Zunahme des biochemischen Fachwissens erfordert eine überschaubare und zusammenfassende Darstellung der Biochemie. Der vorliegende Grundriß gliedert den Wissensstoff in die Kapitel „Stoffe und Stoffwechsel", „Stoffwechselregulation" und „Funktionelle Biochemie der Organe und Gewebe". Er soll dem Mediziner und Biologen einen ersten Einblick in die Chemie der Lebensvorgänge vermitteln, den Interessierten rasch informieren und zu ausführlichem Studium anregen. Für den Arzt und Studierenden der Medizin sind darüber hinaus die vielfältigen Beziehungen der Biochemie zur Medizin und ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Klinischen Chemie von Interesse. Die Tatsache, daß viele Krankheiten ihre Ursache in gestörten physiologisch-chemischen Reaktionen haben und die Biochemie häufig zu ihrer Erkennung beitragen kann, wurde an zahlreichen Beispielen unter Berücksichtigung der durch die Approbationsordnung für Ärzte bestimmten Lernziele und bewußter Einführung in die pathologisch-biochemische Propädeutik erläutert. Sie sollen das Verständnis und Erlernen klinischen Fachwissens erleichtern. Bei den Bestrebungen einer stärker problemorientierten Ausbildung des Arztes hat die Patho-Biochemie an Bedeutung gewonnen. Für eine erweiterte und vertiefte Darstellung pathobiochemischer Zusammenhänge wird auf das Lehrbuch der Pathobiochemie* verwiesen. Der Frage, ob das Gesamtgebiet der Biochemie in einem Buch des vorliegenden Umfanges ohne bedenkliche Vereinfachungen dargestellt werden kann, steht die berechtigte Forderung des Studierenden nach einem übersichtlichen Basiswissen gegenüber, das in angemessenem Zeitraum zu erwerben ist und ihn in die Lage versetzt, Probleme der Medizin oder Biologie als biochemische bzw. molekularbiologische Probleme zu erkennen. Aus diesen Erwägungen heraus mußte auf viele lehrreiche Einzelheiten — vor allem auf die Mechanismen biochemischer Reaktionen, die Biochemie der Pflanzen und zum größten Teil auch der Mikroorganismen — verzichtet werden. Ebenso fehlen eine Erörterung der zugrundeliegenden experimentellen Beweise und eine Beschreibung methodischer Grundlagen, die in bewährten Praktikumsanleitungen und Standardwerken biochemischer Arbeitsmethoden dargestellt sind. Anregungen für ein Studium der Originalliteratur geben bibliographische Hinweise, die neben Standardwerken vorwiegend neuere Monographien und Übersichtsartikel aus Fachzeitschriften - auch in englischer Sprache - enthalten. * E. Buddecke, M. Fischer, Pathophysiologie, Pathobiochemie, Klinische Chemie, Walter de Gruvter. Berlin · New York. 1992.
VIII
Vorwort
Bei der Neubearbeitung der 9. Auflage wurden alle Kapitel kritisch redigiert und einzelne Abschnitte entsprechend dem Wissenschaftsfortschritt neugefaßt oder eingefügt. Ebenso wurde der Gegenstandskatalog für die Ärztliche Vorprüfung (1988)* im Fach Chemie für Mediziner und Biochemie bei der Bearbeitung eingehend berücksichtigt. Mein Dank gilt zahlreichen Fachkollegen**, meinen Mitarbeitern und vielen Studenten für Verbesserungsvorschläge, Anregungen zu Ergänzungen und konstruktive Zuschriften. Dem Verlag Walter de Gruyter & Co. danke ich für verständnisvolle Zusammenarbeit. Münster, Juli 1994
E. Buddecke
* Stoffgrundlagen für die schriftlichen Arztlichen Prüfungen. Sammlung von Gegenständen, auf die sich der schriftliche Teil der Ärztlichen Vorprüfung bezieht. IMPP Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen. ** K. H. Bässler, Mainz; G. Buse, Aachen; K. Decker, Freiburg; K. v. Figura, Göttingen; A. Hasilik, Marburg; D. Häussinger, Freiburg; E. Hecker, Heidelberg; H.C.Heinrich, Hamburg; H. Holzer, Freiburg; P. Jungblut, Hannover; W. u. H. Kersten, Erlangen; B. Kadenbach, Marburg; H.Kresse, Münster, G. Mersmann, Münster; K.Norpoth, Essen; J. Rauterberg, Münster; R.Schauer, Kiel; G. Siebert, Würzburg; H. Sies, Düsseldorf; V. Ullrich, Konstanz; H. G. Zachau, München; E. Zimmermann, Münster.
Inhaltsübersicht Nomenklatur
Reaktionsschemata
XVI
XVII
Tabelle der Abkürzungen
XVIII
SI-Einheiten
XXIII
A. Stoffe und Stoffwechsel I. Bauprinzip und Stoffwechsel lebender Organismen
3
1. Chemische Zusammensetzung 2. Stoffwechsel als Merkmal lebender Organismen 3. Die Zelle als Zentrum des Stoffwechsels .
3 4 5
II. Kinetik und Energetik biochemischer Reaktionen
7
1. Kinetik 2 . Energetik (Thermodynamik) chemischer Reaktionen 3. Chemische Reaktion und Katalyse
7 . . . . 10 12
III. Enzyme
14
1. Das Prinzip enzymkatalysierter Reaktionsketten 14 2. Natur und Wirkungsweise der Enzyme 15 3. Enzymkinetik (Geschwindigkeit enzymkatalysierter Reaktionen) 17 4. Enzyme mit sigmoider Sättigungskinetik 21 5. Temperatur- und pH-Abhängigkeit enzymatischer Reaktionen 21 6. Enzymspezifität 23 7. Multiple Enzymformen und Isoenzyme 23 8. Regulation der Enzymaktivität 24 9. Hemmung enzymatischer Reaktionen 26 10. Wirkungsweise der Enzyme in der lebenden Zelle 28 11. Ribozyme 29 12. Nomenklatur, Systematik und Aktivitätseinheiten der Enzyme 29 13. Medizinisch-diagnostische Bedeutung d e r Enzymologie . . . 3 1
IV. Coenzyme
1. Coenzyme, Cosubstrate und prosthetische Gruppen von Enzymen 2. Coenzyme und Vitamine 3. Einteilung und Nomenklatur der Coenzyme 4. Energiereiche Nucleosidtriphosphate als Coenzyme
33
33 33 33 35
X
Inhaltsübersicht 5. Gruppenübertragende Coenzyme 6. Wasserstoff-, Elektronen- und SauerstofT-übertragende Coenzyme
V. Aminosäuren
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
49
77
Biologische Bedeutung und Strukturprinzip 77 Struktur u n d Biosynthese d e r Nucleinsäurebausteine . . . . 7 8 Struktur und Funktion der Nucleinsäuren 84 Desoxyribonucleinsäure (DNA) 84 DNA-Methylierung 92 DNA-Rekombination und DNA-Polymorphismus 92 Analyse von Genpolymorphismen und genetischen Defekten . 93 Transponierbare Gene 95 Übertragung der genetischen Information von DNA auf RNA 95 Messenger-Ribonucleinsäure (mRNA) 97 Ribosomale RNA (rRNA) 100 Transfer-Ribonucleinsäure (tRNA) 102 Proteinbiosnythese 104 Hemmstoffe der Nucleinsäure- und Proteinbiosynthese . . . 1 0 7 Regulation der Genexpression bei Prokaryonten 110 Regulation der Genexpression bei Eukaryonten 111 Mutation und DNA-Reparatur 115 Viren 118 Übertragung von DNA 122 Gentechnologie 123 Abbau der Nucleinsäuren und Nucleotide 127 Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels 131
VII. Proteine 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
45
Chemie und Eigenschaften der Aminosäuren 49 Übersicht über den Stoffwechsel der Aminosäuren 50 Essentielle und nichtessentielle Aminosäuren 54 Transaminierung und Desaminierung von Aminosäuren . . . 55 Decarboxylierung der Aminosäuren 56 Harnstoffbildung 60 Stoffwechsel individueller Aminosäuren 62 Peptidbindung und Peptide 74 Struktur und Funktion biologisch aktiver Peptide 74
VI. Nucleinsäuren
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.
38
Chemische Struktur Quartärstruktur von Proteinen Klassifizierung der Proteine Zusammengesetzte und modifizierte Proteine Eigenschaften der Proteine Abbau von Proteinen Molmasse (Molekulargewicht) und Molekülform Trennung von Proteingemischen
134 134 140 141 143 145 146 147 148
Inhaltsübersicht
XI
VIII. Kohlenhydrate
151
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
151 151 155 158 158 164 165 167 171 176 185 188 191
Die Stoffklasse der Kohlenhydrate Monosaccharide Oligo-und Polysaccharide Stoffwechselwege der Glucose Glykolyse Gluconeogenese Regulation der Glykolyse und Gluconeogenese Pentosephosphatzyklus Glykogen Spezielle StofTwechselwege der Glucose Glykoproteine Proteoglykane Polysaccharide der Bakterienzellwand
IX. Lipide 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Biologische Funktion und Klassifizierung 195 Chemie und Eigenschaften biogener Fettsäuren 197 Übersicht über den Stoffwechsel der Fettsäuren und Lipide . . 1 9 9 Acyl-Coenzym-A-Verbindungen 199 Synthese und Abbau von Fettsäuren 200 Entstehung und Abbau von Ketonkörpern 207 Stoffwechsel der ungesättigten Fettsäuren 209 Neutralfette (Triglyceride, Triacylglycerine) 211 Glycerolphosphatide 212 Sphingolipide 216 Steroide 218 Polyisoprenoidsynthese 227 Carotinoide 227 Stoffwechsel des Fettgewebes 230
X. Porphyrine 1. 2. 3. 4.
Chemie und Nomenklatur Porphyrinbiosynthese Porphyrinproteine Abbau
XI. Citratzyklus 1. 2. 3. 4. 5.
195
233 233 234 238 242
246
Bedeutung 246 Oxidation des Pyruvats 247 Reaktionen und Enzyme 247 Regulation 249 Beziehungen des Citratzyklus zu anabolen und katabolen Reaktionen des Intermediärstoffwechsels 250 6. Nebenwege und Kurzschlüsse 251
XII
Inhaltsübersicht XII. Biologische Oxidation 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Prinzip der Atmungskette 253 Redoxpotentiale der Enzyme der Atmungskette 253 Wasserstoff- und Elektronentransport in den Mitochondrien . 255 Energieübertragung in der Atmungskette 256 Transport des NAD-Wasserstoffs in die Mitochondrien . . . 258 Regulation der Atmungskette 259 Enzyme der Atmungskette 260 Hemmstoffe der Atmungskette 262 SauerstofF-aktivierende Enzyme 262 Peroxidasen und Katalase 264
XIII. Wasserhaushalt 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
253
265
Wasser als Lebensfaktor 265 Physikalische und chemische Eigenschaften des Wassers . . . 265 Funktionen des Wassers 266 Funktionelle Verteilung des Wassers 267 Wasseraustausch 268 Bilanz des Wasserhaushaltes 268 Störungen des Wasserhaushaltes 269
XIV. Mineralhaushalt
271
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
271 273 276 277 280 281 282 285 286 290
Elektrolythaushalt Säure-Basenhaushalt Acidose und Alkalose Regulation des Säure-Basenhaushalts Natrium, Kalium, Chlorid Magnesium Calcium, Phosphat Schwefel Eisen Spurenelemente
B. Stoffwechselregulation I. Prinzipien der Stoffwechselregulation 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Selbstregulation durch Rückkopplung Kontrolle der Genexpression durch Induktion und Repression Allosterische Regulation Regulation durch Metabolitkonzentrationen Enzymkonkurrenz Enzymkaskaden Enzymaktivitätsänderung durch chemische Modifikation . . . Limitierte Proteolyse
297 297 298 298 301 303 303 304 305
Inhaltsübersicht II. Hormone 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.
XIII 306
Einführung Hormonwirkung durch „Zweiten Boten" Schilddrüsenhormone Thyreoidea stimulierendes Hormon (TSH, Thyrotropin) und Thyrotropin-Releasing Hormon (Thyroliberin, TRH) . . . . Nebenschilddrüsenhormon (Parathormon) Calcitonin (Thyrocalcitonin) Hormone des Nebennierenmarks (Katecholamine) Insulin Glukagon Wachstumshormon, STH (Somatotropin, Somatotropes Hormon) und Somatomedine Hormone der Nebennierenrinde ( N N R ) Adrenocorticotropes Hormon (ACTH, Corticotropin) und Corticotropin Releasing Hormon (CRH) Übersicht über Sexualhormone Androgene Estrogene und Gestagene Pro-Opiomelanocortin-Peptide (POMC-Peptide) Epiphysenhormon Melatonin Hormone des Hypophysenhinterlappens (HHL) Atriales natriuretisches Hormon (Atriopeptin) Serotonin (Enteramin) Histamin Erythropoetin Plasmakinine Renin-Angiotensin-System Eikosanoide: Prostaglandine, Thromboxane und Prostazykline Eikosanoide: Leukotriene Neurohormone Hormone des Gastro-Intestinaltraktes Lymphokinine, Cytokine und Wachstumsfaktoren
306 307 318 322 323 326 327 331 339 340 343 350 351 352 356 360 360 361 363 363 365 366 366 367 368 372 372 372 374
III. Vitamine
378
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.
378 379 380 381 382 383 383 385 388 389 389 391 395 398 399 401
Definition und Klassifizierung Thiamin Riboflavin Nicotinamid Pantothensäure Biotin Folsäure Cobalamin Pyridoxin -Liponsäure Phyllochinon Retinol Calciferol Tocopherol Ascorbinsäure Vitaminähnliche Wirkstoffe
'.
XIV
Inhaltsübersicht C. Organe und Gewebe I. Zelle und subzelluläre Strukturelemente 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. I1.
405
Trennung subzellulärer Partikel Zellkern Mitochondrien Ribosomen, Endoplasmatisches Retikulum und Golgi-Komplex Lysosomen Zytoplasma Zellmembran Stofftransport durch die Zellmembran Intrazelluläre Protein-Transportprozesse Zytoskelett Zell-Zell- und Zell-Matrix-Wechselwirkungen
406 407 409 411 412 414 414 415 420 422 424
II. Blut 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Funktion und Inhaltsbestandteile Erythrozyten Blutgruppensubstanzen Granulozyten, Lymphozyten, Makrophagen, Thrombozyten Blutplasma Blutplasmaproteine Lipoproteine Enzyme im Serum Blutzucker Blutgerinnungssystem
426 426 427 432 . 434 435 435 438 443 444 445
III. Leber 1. 2. 3. 4. 5.
453
Die Leber im Intermediärstoffwechsel 453 Biotransformationsreaktionen 454 Bildung und Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit . . . . 458 Pathobiochemie der Leber 462 Leberfunktionsproben 463
IV. Ernährung, Verdauung und Resorption von Nährstoffen . . . . 465 1. 2. 3. 4. 5.
Bildung und Verwertung von Energiespeichern Ernährung und Nährstoffe Verdauungssekrete Abbau und Resorption von Nährstoffen Bakterielle Abbauvorgänge im Intestinaltrakt und Bildung der Faeces 6. Formula-Diät und parenterale Ernährung
V. Niere und Urin 1. Funktion 2. Harnbildung und Regulation der Nierentätigkeit
465 467 470 473 478 480 481 481 481
Inhaltsübersicht 3. 4. 5. 6. 7.
Kontrolle der Nierentätigkeit Störungen der Nierentubulusfunktion Zusammensetzung des Harns Nierenfunktionsprüfungen Extrakorporale Dialyse und Hämoperfusion
VI. Muskelgewebe 1. 2. 3. 4.
Baubestandteile Energiestoffwechsel des Muskels Erregung, Kontraktion, Relaxation Klinisch-chemische Diagnostik von Muskelerkrankungen
VII. Nervengewebe 1. 2. 3. 4.
Chemische Zusammensetzung Blut-Hirn-Schranke Energiestoffwechsel Signalverarbeitung im Nervensystem
VIII. Binde- und Stützgewebe 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Stoffwechsel und Bausteine des Bindegewebes Kollagen Elastin Proteoglykane Gelenkknorpel Knochen, Knochenbildung und Mineralisation Störungen des Bindegewebsstoffwechsels
IX. Wachstum 1. Wachstum und Differenzierung 2. Bösartiges Wachstum
X. Immunchemie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Mechanismen der Immunabwehr Antigene Zellen des Immunsystems Struktur der Immunglobuline Immunglobulinbiosynthese Antigen-Antikörper-Reaktion Komplementsystem Immunpathobiochemie
Bibliographie
XV 483 483 484 486 487
489 489 491 494 . . 497
499 499 501 501 502
509 509 509 514 514 517 519 522 525 525 526
533 533 533 536 541 542 545 546 547 551
Namen und Daten zur historischen Entwicklung der Biochemie . . 5 6 1 Sachregister
565
Nomenklatur Abkürzungen. Die Internationale Union für Reine und Angewandte Chemie (IUPAC = International Union for Pure and Applied Chemistry) und die Internationale Union für Biochemie und Molekularbiologie (IUBMB) haben Regeln für die Verwendung von Abkürzungen und Symbolen chemischer Namen herausgegeben, die in der Biochemie von Interesse sind. Die in diesem Buch verwendeten Abkürzungen folgen den Regeln der IUPAC und IUBMB. In Anpassung an den allgemeinen Gebrauch wurde eine Reihe zusätzlicher Abkürzungen aufgenommen. lonisationszustand von Säuren und Basen. Bei der Darstellung organischer Säuren, saurer und basischer Gruppen mit chemischen Formeln wurde in der Regel der lonisationszustand nicht berücksichtigt. Aus Gründen der Vereinfachung wurde jeweils der nicht-ionisierte Zustand dargestellt. Säuren und ihre Anionen werden als Synonyma gebracht. SI-Einheiten. Für die Angabe von Normbereichen (Referenzbereichen) bzw. Resultaten klinisch-chemischer Untersuchungen soll das internationale System der Maßeinheiten (Systeme International d'Unites, Sl-System) verwendet werden. Das SISystem ist von zahlreichen Staaten (u. a. Schweiz, Österreich und Bundesrepublik Deutschland) offiziell angenommen und z. T. gesetzlich vorgeschrieben (Bundesrepublik Deutschland: Gesetz über Einheiten im Meßwesen vom 2. 7. 1969 (Bundesgesetzblatt I, S. 709)). Das Gesetz schreibt den Gebrauch der SI-Einheiten bei der Übermittlung von Meßergebnissen für die Bundesrepublik Deutschland ab 1 . 1 . 1978 vor. Im Text sind neben Werten in SI-Einheiten z.T. auch Meßwerte in konventionellen Einheiten angegeben. Auf Seite XXIII sind Basisgrößen der SIEinheiten und von den Basisgrößen abgeleitete Einheiten zusammengestellt. Eine Umrechnungstabelle erlaubt die rasche Umwandlung konventioneller Einheiten in SI-Einheiten. Bei der Umrechnung von Zahlenwerten von Kalorien (cal) in Joule (J) wurde auf- bzw. abgerundet. Internationale Vereinheitlichung der Nomenklatur. Obwohl Empfehlungen der IUPAC bzw. IUB für die Schreibweise chemischer Verbindungen im deutschsprachigen Raum nicht existieren, erscheint in manchen Fällen eine Angleichung an die international gebräuchliche englische Schreibweise zweckmäßig. Außer der bereits eingeführten Schreibweise für lod (statt Jod) und Ethanol, Ethyl- (statt Äthanol, Äthyl-) werden die Bezeichnungen Inositol (statt Inosit), Glycerol (statt Glycerin) und Sorbitol (statt Sorbit) verwendet. Dagegen hat sich die Bezeichnung Cholesterol (statt Cholesterin) in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur bisher nicht durchgesetzt.
Reaktionsschemata Chemische Reaktionen sind durch einen Reaktionspfeil ( ·-) gekennzeichnet. Er gibt die jeweils darzustellende Reaktionsrichtung an, schließt jedoch die Reversibilität der Reaktion nicht aus. Soll der reversible Charakter der Reaktion betont werden, so sind die Reaktionspartner durch zwei in entgegengesetzte Richtung weisende Reaktionspfeile verbunden (.«. *^). Reaktionsfolgen, bei denen ein (oder mehrere) Zwischenprodukt(e) nicht in die schematische Darstellung aufgenommen wurde(n), sind durch einen unterbrochenen Reaktionspfeil ( ·-) gekennzeichnet. Ein gestrichelter Reaktionspfeil ( ·-) bezeichnet einen Stoffwechselnebenweg oder gibt an, daß die Reaktion nur unter bestimmten — im Stoffwechsel meist nicht gegebenen — Bedingungen reversibel ist. Ist bei Enzym-katalysierten Reaktionen das Enzym angegeben, steht es — eingerahmt - jeweils rechts neben oder über dem (den) Reaktionspfeil(en). Bei Teilnahme eines Coenzyms, eines Cosubstrats und/oder anderer Cofaktoren an einer enzymkatalysierten Reaktion sind diese in abgekürzter Schreibweise dargestellt, und die Reaktionsrichtung ist durch einen zusätzlichen gewinkelten Reaktionspfeil ("~7\"") kenntlich gemacht. Ist die Reaktion reversibel und wird sie durch das gleiche Enzym katalysiert, so gilt der gewinkelte Reaktionspfeil auch für die Rückreaktion ( * j f \ ). Enzyme, Coenzyme und andere Cofaktoren (z. B. H2O, Amino-, Methylgruppen usw.) sind jedoch nur insoweit angegeben, als es für die jeweilige Darstellung und deren Verständnis wesentlich ist. Bei Gruppenübertragungsreaktionen, Wasserstofftransfer oder zur Kennzeichnung von Gruppen (Resten) innerhalb eines Moleküls ist — soweit dadurch bessere Übersichtlichkeit erreicht wird — die betreffende Gruppe bzw. der Wasserstoff durch farbigen Überdruck hervorgehoben.
Tabelle der Abkürzungen
1. Abkürzungen für L-Aminosäuren
3-BuchstabenSymbol
1 -BuchstabenSymbol
Ala Arg Asn Asp Cys Gin Glu Gly His He Leu Lys Met Phe Pro Ser Thr Trp Tyr Val Hyl
A R N D C Q E G H I L K M F P S T W
Hyp
—
v —
Aminosäure Alanin Arginin Asparagin Asparaginsäure Cystein Glutamin Glutaminsäure Glycin Histidin Isoleucin Leucin Lysin Methionin Phenylalanin Prolin Serin Threonin Tryptophan Tyrosin Valin Hydroxylysin Hydroxyprolin
2. Symbole für monomere Einheiten in Makromolekülen oder in phosphorylierten Verbindungen (ohne Aminosäuren)
Symbol
monomere Einheit
A
Adenosin
C
Cytidin
d dRib
„desoxy" in Kohlehydraten und Nucleotiden 2-Desoxyribose
Fru Fuc
Fructose L-Fucose
Tabelle der Abkürzungen
XIX
Symbol
monomere Einheit
Gal Glc G GlcN GlcNAc GlcUA (GlcA) Glx
Galaktose Glucose (auch G, wenn keine Verwechslung mit Guanosin möglich ist) Guanosin Glucosamin N-Acetylglucosamin Glucuronsäure Glutaminsäure oder Glutamin
I
Inosin
Man MNAc
Mannose N-Acetylmuraminsäure
NeuAc
N-Acetylneuraminsäure
Orn
Ornithin anorganisches Phosphat Phosphoryl-(Esterphosphat) Pyrophosphat (Diphosphat) Pyrophosphoryl-(Diphosphatester) Ribose Thymidin Desoxyribosylthymin Uridin D-Xylose
3. Abkürzungen für halbsystematische oder Trivialnamen
Acetyl-CoA ACTH ADP AMP ANP Apo-A(B, C, D, E) AST (GOT) ATP
Acetylcoenzym A Adrenocorticotropin, adrenocorticotropes Hormon Adenosin-5'-diphosphat Adenosin-5'-phosphat Atriales natriuretisches Peptid Apolipoprotein A (B, C, D, E) Aspartat-Amino-Transferase Adenosin-5'-triphosphat
CAM cAMP CDP cGMP CK CM P
Zell-Adhäsions-Molekül Cyclo-AMP Cytidin-5'-diphosphat Cyclo-GMP Kreatin-Kinase Cytidin-5'-phosphat
XX
Tabelle der Abkürzungen
CSF CTP DNA DOPA EGF EI ELISA FAD FGF (aFGF, bFGF) FMN FolH4
GABA G-CSF GDP
GIP GMP GSH GSSG -GT GTP
freies Coenzym A Coenzym A in Thioesterbindung Coenzym A in Thioesterbindung (in Formeln) Kolonie-Wachstum stimulierende Faktoren (Colony Stimulating Factors) Cytidin-5'-triphosphat Desoxyribonucleinsäure Dihydroxy-phenylalanin Epidermaler Wachstumsfaktor (Epidermal Growth Factor) Enzymimmunoassay Enzyme Linked Immuno Sorbent Assay Flavinadenindinucleotid Fibroblasten Wachstumsfaktor, a = saurer, b = basischer (Fibroblast Growth Factor) Riboflavin-5'-phosphat Tetrahydrofolsäure -Aminobuttersäure Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor Guanosin-5'-diphosphat Gastric inhibitory peptide Guanosin-5'-phosphat Glutathion oxidiertes Glutathion -Glutamyl-Transferase Guanosin-5'-triphosphat
[H] HDL HHL Hb, HbCO, HbO2
H + + eLipoproteine hoher Dichte Hypophysenhinterlappen Hämoglobin, Kohlenmonoxid-Hämoglobin, O2-Hämoglobin
IDL IDP IGF IL IgA (IgG, IgM) IMP ITP I. P. LCAT LDH LDL
Lipoproteine mittlerer Dichte Inosin-5'-diphosphat Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor Interleukin Immunglobulin Typ A (G, M) Inosin-5'-phosphat Inosin-5'-triphosphat Isoelektrischer Punkt Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase Lactat-Dehydrogenase Lipoproteine geringer Dichte
MetHb MHC MSH
Methämoglobin Haupt-Histokompatibilitätskomplex Melanozyten-stimulierendes Hormon
Tabelle der Abk rzungen
NAD NADH 2 NADP
NADPH 2 NGF NMN NNR PAPS PCR PDGF
XXI
NAD + , Nicotinamidadenindinucleotid NADH + FT, reduziertes NAD NADP + , Nicotinamidadenindinucleotidphosphat (fr her TPN) NADPH + FT, reduziertes NADP Nervenwachstumsfaktor (Nerve Growth Factor) Nicotinamidmononucleotid Nebennierenrinde 3'-Phosphoadenosin-5'-phosphosulfat, 3-Phosphoadenelylsulfat Polymerase-Kettenreaktion Thrombozyten Wachstumsfaktor (Platelet Derived Growth Factor)
RFLP RIA RNA
Restriktionsfragment-L ngenpolymorphismus Radioimmunoassay Ribonucleins ure
STH
Somatotropes Hormon
UDP UDPG UMP UTP
Uridin-5'-diphosphat Uridin-5'-diphosphat-glucose Uridin-5'-phosphat Uridin-5 '-triphosphat
VIP VLDL
Vasoactive intestinal peptide Lipoproteine sehr geringer Dichte
4. Symbole in der Enzymkinetik
v
Geschwindigkeit einer enzymatischen Reaktion
V
Geschwindigkeit einer enzymatischen Reaktion bei Substrats ttigung (= Maximalgeschwindigkeit) MICHAELIS-Konstante. Substratkonzentration, bei der v = V/2 ist.
Ks
Assoziationskonstante des Enzym-Substratkomplexes
Ki
Inhibitorkonstante. Dissoziationskonstante des EnzymInhibitorkomplexes
L· l· Λ +Π' Λ — η
Geschwindigkeitskonstanten der Hin- und R ckreaktion beim n. Schritt einer enzymatischen Reaktion
U
Enzymeinheit. Eine Einheit ist die Menge eines Enzyms, welche die Umwandlung von l μηιοί Substrat/Min, unter definierten Bedingungen katalysiert.
kat
Neue Enzymeinheit (Katal). Ein Katal ist die Menge eines Enzyms, welche die Umwandlung von einem mol Substrat/sec unter definierten Bedingungen katalysiert.
XXII
Tabelle der Abkürzungen
5. Allgemeine Abkürzungen und Symbole
Ä
Angström-Einheit (l Ä = 0,1 nm)
Abb.
Abbildung
Atm
Atmosphäre (1/760 Atm = l Torr = l mm Hg = 133,3 Pa)
e" g
Elektron Erdbeschleunigung (Fallbeschleunigung = 9,81 m/sec2)
Kap.
Kapitel
Min. (min) Mol.-Gew. Std. Stdn.
Minute Molekulargewicht, Molmasse, relative molare Masse Stunde Stunden
Tab.
Tabelle
UV z. T. 0
Ultraviolett zum Teil Durchmesser
>
0 (positiv)
Endergone Reaktion, die nur unter Energiezufuhr (in Form von Arbeit, nicht aber in Form von Wärme!) ablaufen kann.
AG = 0
Keine Reaktion, es herrscht Gleichgewicht.
AG° bezeichnet die Änderung der freien Enthalpie eines Systems unter Standardbedingungen, d. h. bei l molarer Konzentration der Reaktionspartner, einem Druck von l O5 Pa und einer Temperatur von 298° K. Die freie Enthalpie hat die Dimension J/mol bzw. cal/mol und ist der höchste theoretisch erreichbare Wert für die
Energetik (Thermodynamik) chemischer Reaktionen
11
nutzbare Energie, die bei einem Umsatz von l mol der Reaktionspartner verfügbar wird. Reaktionsenthalpie und Reaktionsentropie. Die freie Reaktionsenthalpie hängt für isotherme und isobare Vorgänge nach AG =
- TAS
mit 2 weiteren thermodynamischen Größen zusammen, die wie folgt definiert sind: = Reaktionsenthalpie (Dimension J/mol bzw. cal/mol) ist die mit der Umsetzung verbundene Änderung des gesamten Energieinhalts des Systems (Wärmeenergie, elektrische Energie, Lichtenergie, mechanische Arbeit u. a.)· T
= absolute Temperatur gemessen in Kelvin (K); T = t (°C) + 273. T ist bei Umsetzung in lebenden Organismen annähernd konstant.
AS
= Reaktionsentropie (Dimension J · K ™ 1 · mol" 1 bzw. cal · K ~ ' · mol~'). Sie ist die durch die Reaktion bewirkte Änderung des Ordnungszustands im System. Größere positive Werte für AS ergeben sich bei dem Übergang fest —* flüssig, flüssig —» gasförmig oder bei Reaktionen, bei denen die Zahl der Teilchen zunimmt oder wenn bei einer Umsetzung in Lösung gasförmige Moleküle entstehen.
AH kann ein negatives oder positives Vorzeichen haben. Es gilt AH < 0 (negativ) Exotherme Reaktion (Erwärmung der Umgebung) AH > 0 (positiv) Endotherme Reaktion (Abkühlung der Umgebung) Mißt man AH bei der Verbrennung von Nahrungsstoffen (Kohlenhydrate, Lipide, Proteine) ergeben sich Werte zwischen — 1 7 und —38 kJ/g bzw. zwischen —4 und -9 kcal/g). Aus der Gleichung AG = AH — TS folgt, daß der Ablauf einer Reaktion A + B —» C + D um so mehr begünstigt ist, je negativer seine Reaktionsenthalpie AH und je positiver seine Reaktionsentropie AS ist. Konzentrationsabhängigkeit der freien Reaktionsenthalpie. Für die meisten chemischen Reaktionen herrschen keine Standardbedingungen, d. h. die Reaktionspartner liegen nicht in l molarer Konzentration vor. Damit ergibt sich für die freie Reaktionsenthalpie ein anderer Wert, der sich nach folgender Formel berechnen läßt. [C] · [D] AG = AG° + R · T · In [A] · [B] R = Gaskonstante 8,314 J · K" 1 - m o l " 1 bzw. 1.98 cal · K' 1
1
.
Die Formel macht den Einfluß der Konzentration der Reaktionspartner deutlich: Wäre z. B. die Konzentration von [A] · [B] sehr groß gegen die Konzentration von [C] · [D], könnte die Reaktion A + B —»C + D auch dann spontan von links nach rechts verlaufen, wenn AG° ein positives Vorzeichen hätte. Aus der Formel ergibt sich ferner ein Zusammenhang zwischen der freien Reaktionsenthalpie unter Standardbedingungen AG° und der Gleichgewichtskonstanten K nach 0° = - R T
12
Kinetik und Energetik biochemischer Reaktionen
Für die Reaktion Fumarat + Wasser —» Malat beträgt die freie Reaktionsenthalpie unter 1 Standardbedingungen AG° = -3,68 kJ · bzw. -0,88 kcal · mol~ l . Dies bedeutet, daß unter Standardbedingungen die Reaktion spontan von links nach rechts ablaufen würde und bis zur Einstellung des Gleichgewichts pro mol Umsatz maximal 3,68 kJ nutzbare Energie vom System an die Umgebung abgegeben würde. Wäre umgekehrt die Konzentration von Malat groß gegen die Konzentration von Fumarat, würde sich zwar auch das durch die Gleichgewichtskonstante festgelegte Gleichgewicht einstellen, AG der Reaktion Fumarat + Wasser —» Malat hätte jedoch ein positives Vorzeichen. Die Reaktion könnte aber in umgekehrter Richtung spontan von rechts nach links (Malat —»· Fumarat + Wasser) ablaufen. Energetische Kopplung von Reaktionen. In der Biochemie werden endergonische Reaktionen (AG = 0 oder positiv) in vielen Fällen dadurch zur Reaktion gebracht, daß sie mit einer zweiten exergonisch verlaufenden (also energieliefernden) Reaktion (AG = negativ) „gekoppelt" werden. Auf diese Weise werden auch aus energetischen Gründen praktisch irreversible Reaktionen umkehrbar. Im Gleichgewichtszustand ist AG = 0, unabhängig davon, ob die Reaktion endergonisch oder exergonisch verlaufen ist und unabhängig von der ursprünglichen Konzentration der Reaktionspartner. Elektrisches Potential. Die bei einer chemischen Reaktion auftretende freie Energie steht weiterhin in direktem Zusammenhang mit dem elektrischen Potential nach folgender Gleichung: G = E-F-n
E = Spannung (Dimension: Volt (V)) F = Elektrizitätsmenge, die von einem Grammäquivalent Elektronen transportiert wird (= 96 500 Coulomb) n = Zahl der übertragenen Elektronenäquivalente.
Eine Bestimmung der freien Energie aufgrund dieser Beziehung ist durch Potentialmessung, aber natürlich nur bei solchen Reaktionen möglich, bei denen Elektronenübertragungen stattfinden.
3. Chemische Reaktion und Katalyse Ein Katalysator kann die Gleichgewichtslage einer Reaktion nicht verschieben. Das folgt aus der Tatsache, daß K Glcichg eine Konstante für eine gegebene chemische Reaktion darstellt, und die freie Energie in Gegenwart eines Katalysators nicht verschieden sein kann. Ein Katalysator kann jedoch die Einstellung der Gleichgewichtslage beschleunigen, d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen. Die Reaktion Fumarat > Malat läuft nämlich in wäßriger Lösung bei Zimmertemperatur auch dann nicht ab, wenn sich die Reaktionspartner nicht im Gleichgewicht befinden. Dieser Zustand wird als metastabil bezeichnet. Erst nach Zufuhr eines gewissen Energiebetrages — der „Aktivierungsenergie" — kann die Reaktion eintreten. Je höher die Aktivierungsenergie, um so geringer ist die Bereitschaft der Reaktionspartner zur Reaktion. Die Aktivierungsenergie kann z. B. durch Erwärmen der Lösung zugeführt werden. Eine andere Möglichkeit besteht im Zusatz eines Katalysators, der in der Lage ist, die Aktivierungsenergie herabzusetzen und damit die Einstellung des Gleichge-
Chemische Reaktion und Katalyse
13
wichtes zu beschleunigen. Im Stoffwechsel der lebenden Zelle übernehmen Enzyme (alte Bezeichnung Fermente) die Rolle der Katalysatoren. Sie gehören - mit Ausnahme der Ribozyme (S. 29) - in die Stoffklasse der Proteine, sind also makromolekulare Verbindungen mit einer Molmasse von etwa 10 000 bis l O6. Energiediagramm einer nichtenzymatischen und enzymkatalysierten Reaktion = Aktivierungsenergie für die nichtenzymatischen Reaktion (2) = Aktivierungsenergie für die Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes (3) = Aktivierungsenergie für die enzymkatalysierte Reaktion © = Nettobetrag der Änderung der freien Energie (AG)
'a. m .c
Nichtenzymatische Reaktion
to
c g
S (0 CC
Enzymkatalysierte Reaktion Energieniveau der
'
Ausgangsprodukte > c HI
'
Energieniveau der Reaktionsprodukte Reaktionskoordinate
Im Gegensatz zu den aus der Chemie bekannten Nichtprotein-Katalysatoren wie H , OH oder Metallionen weisen die Enzyme eine hohe Wirkungsspezifität auf, d. h. sie katalysieren jeweils nur eine sehr geringe Anzahl chemischer Reaktionen (von vielen thermodynamisch möglichen), meistens nur eine bestimmte. Nur für diese Reaktion wird die Aktivierungsenergie so weit herabgesetzt, daß die Reaktion mit meßbarer Geschwindigkeit in Richtung auf den Gleichgewichtszustand abläuft. Eine enzymkatalysierte Reaktion verläuft nach dem Prinzip der Zwischenstoffkatalyse, wobei sich ein kurzlebiger Enzym-Substratkomplex (S. 16) bildet, aus dem in einer Folgereaktion ein Enzym-Produktkomplex entsteht, der schließlich zum Enzym und dem (den) Reaktionsprodukt(en) zerfällt. +
III. Enzyme
1. Das Prinzip enzymkatalysierter Reaktionsketten Die in lebenden Organismen ablaufenden Stoffumwandlungen würden sich in Abwesenheit von Enzymen mit unmeßbar kleiner Geschwindigkeit vollziehen. Erst die Gegenwart von Enzymen bewirkt eine Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit in einer für den Stoffwechsel und die laufende Energiegewinnung erforderlichen Größenordnung. Trotzdem wird auch in der lebenden Zelle das Gleichgewicht einer chemischen Reaktion niemals erreicht. Dies hängt damit zusammen, daß die entstehenden Reaktionsprodukte praktisch immer durch eine Folgereaktion verbraucht werden oder ihre Konzentration durch Diffusion und Abtransport durch die Zirkulation ständig sehr klein bleibt. Von diesem Prinzip macht die Zelle in weitem Umfang durch Reaktionsketten und Reaktionszyklen Gebrauch, bei denen eine große Anzahl von Einzelreaktionen hintereinander geschaltet ist und das Reaktionsprodukt der ersten Reaktion durch die nächste Reaktion fortlaufend verbraucht wird. Auf diese Weise wird nicht nur die Gleichgewichtseinstellung einer Reaktion im lebenden Organismus niemals erreicht (ein echtes Gleichgewicht stellt sich nur beim Tod der Zelle und Stillstand des Stoffwechsels ein), sondern der Verlauf der chemischen Reaktion oder einer Reaktionsfolge vollzieht sich auch vorzugsweise in einer Richtung (unidirektional). Die Situation ist ähnlich wie bei einer Wassermühle, bei der das Wasser prinzipiell in beiden Richtungen bewegt werden kann, der Fluß jedoch praktisch immer nur in einer Richtung erfolgt. Ist die Zufuhr des Substrates A in der Zeiteinheit konstant und wird das letzte Reaktionsprodukt als Endprodukt des Stoffwechsels (Z) laufend entfernt, so stellt sich eine von der Aktivität der Enzyme abhängige „stationäre Konzentration" der Zwischenprodukte (B — Y) — ein sog. „Fließgleichgewicht" (steady state) - ein, das für die jeweilige Stoffwechsellage charakteristisch ist (Schema S. 15). Auf diese Weise können auch Energie-verbrauchende Reaktionen (man nehme an, die Reaktion A > B sei endergon), bei denen das Reaktionsprodukt (B) nur in sehr geringer Menge gebildet wird, vollständig ablaufen, da das Zwischenprodukt B durch die Reaktion 2 laufend entfernt und die Einstellung eines Gleichgewichtes auf diese Weise ständig vermieden wird. Die Reaktion B > C muß dann aber exergon sein, d. h. daß das der Gesamtreaktion A > C ein negatives Vorzeichen trägt. Auch die lebende Zelle kann als ein Fließgleichgewichtssystem betrachtet werden, bei dem die Reaktionsprodukte - also die Zwischenprodukte des Stoffwechsels, auch Metabolite genannt — über lange Zeiträume eine relativ konstante Konzentration aufweisen. Zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts ist eine ständige Zufuhr von Substraten und Energie notwendig. Die große Anpassungsfähigkeit dieses Fließgleichgewichtes zeigt sich schon darin, daß seine Konstanz gewahrt bleibt, trotz starker Schwankungen im Stoffwechsel, die durch Nahrungsaufnahme, Arbeitsleistung oder wechselnde Außentemperatur bedingt sind.
Natur und Wirkungsweise der Enzyme
15
Sc hema der Zelle als Fließgleichgewicht(steady state)-Syst E + P geschwindigkeitsbestimmend für die Gesamtreaktion wird, daß also k+2 ES). Die Reaktionsgeschwindigkeit ist in diesem Falle nur gering und proportional der Substratkonzentration. Bei Zunahme der Substratkonzentration (2) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes von E und S und damit die Geschwindigkeit der Reaktion. Bei [S] = K m liegt die Hälfte des Enzyms in freier Form, die andere Hälfte als Enzym-Substrat-Komplex vor, so entspricht die Substratkonzentration einer Halbsättigung des Enzyms ([E] — [ES]). Es wird halbmaximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht. Bei hoher Substratkonzentration (3) liegt alles Enzym als Enzym-Substrat-Komplex vor ([E] V
^^
^
X X^SX^v Nx^Nx^N H 3 C' 0
2 [H] V
\
/ 2 [H]
0
- y· Phosphoenolpyruvat) zugeführt werden nach dem Prinzip der oxidativen Decarboxylierung. Glycin. Eine Synthese ist aus Serin durch Hydroxymethyltransfer, aus Glyoxylsäure durch Transaminierung, aus Cholin durch Oxidation und Demethylierung möglich. Die ersten beiden Reaktionen sind reversibel. Beim Hydroxymethyltransfer ist Tetrahydrofolsäure (FolH4) Coenzym. Glycin wird nicht nur als Baustein von Proteinen, sondern auch für zahlreiche Biosyntheseprozesse (Biosynthese des Kreatins, der Porphyrine, der Purine u. a.) benötigt. Auch an Konjugations- bzw. Entgiftungsreaktionen in der Leber (Bildung der Glycocholsäure bzw. der Hippursäure) ist Glycin beteiligt. Zusammen mit Glutaminsäure und Cystein ist Glycin ferner Baustein des Glutathion ( -Glutamylcysteinylglycin). Serin ist an der Synthese von Phosphatiden und des Sphingosins beteiligt. In Glykoproteinen und Proteoglykanen kann es die Bindung zwischen Kohlenhydrat und Protein vermitteln. Die reversible Phosphorylierung von Serinresten in Proteinen kann zur Änderung der Aktivität von Enzymproteinen (S. 26) bzw. zur Änderung der Funktion von Proteinen führen. Serin kann neben dem Übergang in Glycin (Umkehrung der Synthese) durch eine Pyridoxalphosphat-abhängige Dehydratase über eine Aldiminverbindung in aAminoacrylsäure überführt werden, aus der unter Wasseraufnahme Pyruvat und NH 3 entstehen.
64
Aminosäuren Biosynthese und Abbau von Glycin und Serin CH 3 H C-N^CH 3 | 3 CH 2
Enzymdefekte bei Oxalose "4Th bzw. ^Th
H 2 C-OH
-> "
Cholin ! • *
,- _
ct-KetoGlutamatGlutamat glutarat g|y0xylat^^ Transaminas 3 /
3
X
H - -
H S |
1
COOH Sarkosin 1 :
\ H_C-O-(?) 2 I ^
^-
_ -
_
/ \
£
/ "X
GlycinOxidase
COOH Glycin
\ [
Hydroxymethyl, FolH 4 "X,
\ H20 C-OH I
NH
3J
HC=O " rnr,u COOH Glyoxylsäure
COOH
COOH
CH , 3 w COOH
3-Phosphoglycerat
Serin
Pyruvat
1
1
2
COOH COOH Oxalsäure
/ / /
/ , / \ ^ \ / > \N(°IH4 C°2 \\ 4, V m—»-
N-Formyltetrahydrofolsäure Glykolsäure
\ · 2-Hydroxy1J7~*" 3-keto·/ adipinsäjre a-Keto9lutarat
Angeborene Störungen des Glycinstoffwechsels. • Bei der seltenen, geschlechtsgebunden-dominant vererbten Iminoglycinurie werden bei normalem Glycinplasmaspiegel große Mengen Glycin (bis l g/24 Stdn.) mit dem Urin ausgeschieden. Die Ursache ist ein Glycin, Prolin und Hydroxyprolin betreffender Defekt bei der Rückresorption im Nierentubulus (Kap. Niere, S. 482). • Bei der angeborenen Oxalose l und Oxalose 2 entstehen unabhängig von der Zufuhr von Nahrungsoxalat große Mengen von Oxalsäure im Stoffwechsel und werden mit dem Harn ausgeschieden (Oxalurie). Die Folge ist eine Ablagerung von Calciumoxalat im Nierenparenchym und in den ableitenden Harnwegen (Steinbildung). Der Stoffwechseldefekt dieser Erkrankungen liegt in einer Blokkierung der Weiterreaktion von Glyoxylsäure (Abb.). Die Blockierung dieser Abbauwege begünstigt die Oxidation der Glyoxylsäure zu Oxalat. Alanin kann im Stoffwechsel leicht durch Transaminierung aus Pyruvat entstehen bzw. durch Abbau in Pyruvat übergehen. Neben seiner Verwendung als Proteinbaustein scheint es keine speziellen Funktionen zu erfüllen. Bei Mikroorganismen ist D-Alanin Baustein des Mureins (S. 193). In den Zellwänden von Streptococcus faecalis ist D-Alanin z. B. zu 40—50%, bei Streptococcus aureus zu 65% enthalten. Threonin ist eine essentielle Aminosäure. Der Threoninabbau führt zu PropionylCoA oder über einen alternativen Nebenweg zu Glycin und Acetaldehyd, der weiter zu Acetyl-CoA reagiert.
Stoffwechsel individueller Aminosäuren
65
Valin, Leucin, Isoleucin. Das gemeinsame Kennzeichen dieser drei verzweigten Aminosäuren ist ihre Unentbehrlichkeit für höhere Organismen, denen eine Synthese des verzweigten C-Gerüstes nicht möglich ist. Auch ihr Abbau wird durch die gleiche Initialreaktion eingeleitet, bei der unter Desaminierung (oxidative Desaminierung oder Transaminierung) und oxidativer Decarboxylierung zunächst die um ein C-Atom ärmere CoA-aktivierte Fettsäure entsteht. Der Abbau des Valins führt über Methylmalonsäuresemialdehyd zum SuccinylCoA. Eine Besonderheit beim Abbau des Leucins ist die biotinabhängige CO2-Fixierung, die analog der Bildung von Malonyl-CoA aus Acetyl-CoA (Kap. Lipide, S. 201) erfolgt. Das dabei entstehende ß-Hydroxy-ß-methylglutaryl-CoA nimmt eine Schlüsselposition bei der Synthese des Cholesterins ein. Endprodukte des Abbaus sind Acetoacetat und Acetyl-CoA. Isoleucin. Nach Desaminierung und oxidativer Decarboxylierung erfolgt Spaltung in Acetyl-CoA und Propionyl-CoA, das zum Succinyl-CoA weiter reagiert. Die Ketoacidurie (Ahornsirupkrankheit) ist eine vererbbare Stoffwechselstörung der verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin. Nach der Desaminierung bleibt der Abbau - aufgrund eines Enzymdefektes — auf der Stufe der aKetosäuren bzw. -Hydroxysäuren stehen, die im Harn ausgeschieden werden. Durch den Abbaublock kommt es ferner zu einer etwa lOfachen Erhöhung des Plasmaspiegels von Leucin, Isoleucin und Valin, die ebenfalls ausgeschieden werden und deren Zersetzungsprodukte dem Harn einen eigentümlichen charakteristischen Malzgeruch (Ahornsirup) verleihen. Die Krankheit ist von schweren, vor allen Dingen das Zentralnervensystem betreffenden Entwicklungsstörungen (pathologisches Encephalogramm, klonische Krämpfe, Atemnot, Cyanosis) begleitet, die im Kindesalter zum Tode führen, wenn nicht eine diätetische Beschränkung der Zufuhr von Leucin, Isoleucin und Valin erfolgt. Glutaminsäure, Glutamin, Asparaginsäure, Asparagin. Glutaminsäure, Asparaginsäure und ihre Säureamide sind weit verbreitete, nie fehlende Proteinbausteine. Durch die Säureamidbildung verlieren die -Carboxylgruppe der Glutaminsäure bzw. die ß-Carboxylgruppe der Asparaginsäure ihren Säurecharakter. Die Säureamidgruppe hat aber keine basischen Eigenschaften. Die der Glutaminsäure und Asparaginsäure entsprechenden -Ketosäuren sind Glieder des Citronensäurezyklus, die beide an den Transaminierungsvorgängen großen Anteil haben. Glutaminsäure und Asparaginsäure können also leicht synthetisiert werden. Im Stoffwechsel wird Glutamin für Biosynthesen (z. B. Purinund Aminozuckersynthese) benötigt, im Nierentubulus spielt Glutamin als NH 3 Donator (Neutralisation von Säuren) eine Rolle. Glutaminsäure ist ferner die Vorstufe für die Biosynthese von Ornithin, Prolin und Hydroxyprolin. Asparaginsäure ist Aminogruppendonator bei der Harnstoffbiosynthese (S. 60). Biogene Amine der Glutaminsäure und Asparaginsäure S. 59. Die Pyroglutaminsäure entsteht durch innermolekulare Säureamidbindung der ctAmino- und -Carboxylgruppe der Glutaminsäure. Sie ist N-terminale Aminosäure einiger Peptidhormone (z. B. des TRH, S. 322). Die -Carboxyglutaminsäure ist Baustein des Prothrombins (S. 446) und calciumbindender Proteine des Knochengewebes.
66
Aminosäuren Beziehungen zwischen Arginin-, Ornithin- und Glutaminsäurestoffwechsel und Prolinbiosynthese
Ornithin
, a-Ketoglutarsäure l
Transaminase Citrullin
NO
r -Glutaminsäuresemialdehyd
Glutaminsäure
l l
NAD
NADH 2
HC V C-COOH ^N X H -Pyrroliden-5-carbonsäure
Abbau
Pyruvat
Abbau
Glyoxylsäure
I ct-Ketp"^ y-Hydroxyglutarsäure
Arginin entsteht im Harnstoffzyklus und geht unter Wirkung der Arginase in Ornithin über (Harnstoffzyklus, S. 60), kann aber auch für die Proteinbiosynthese oder andere Arginin-abhängige Biosynthesen verwendet werden. In Protaminen und Histonen, die als basische Proteine in den Zellkernen lokalisiert sind, kommt Arginin bis zu 80% vor. Arginin ist Substrat der NO-Synthetase, die in den Endothelzellen des Blutgefäßsystems Arginin zu Stickstoffmonoxid (NO) und Citrullin umsetzt. Da NO zu einer Erschlaffung des Gefäßtonus führt, wird es auch als EDRF (Endothelial Cell Derived Relasing Factor) bezeichnet. Die Guanidinogruppe des Arginins kann ferner zusammen mit Glycin die Guanidinoessigsäure bilden, die durch Methylierung in Kreatin umgewandelt wird (Kap. Muskel, S. 493). Lysin ist eine essentielle Aminosäure. In vielen Carboxylasen ist die -Aminogruppe des Lysins Verknüpfungspunkt zwischen Biotin (Coenzym) und Protein (Apoenzym). Lysin fehlt in den meisten Getreideproteinen, die daher keine biologisch
Stoffwechsel individueller Aminosäuren
67
vollwertigen Proteine sind. Hydroxylysin ist als Aminosäure im Kollagen, Trypsin und Chymotrypsin vorhanden. Der ziemlich komplizierte Abbau verläuft über ein zyklisches Intermediärprodukt, die Pipecolinsäure (A'-Piperidin-ö-carbonsäure), aus der nach oxidativer Ringöffnung Glutaryl-CoA und schließlich Acetoacetyl-CoA bzw. Acetyl-CoA (Abb.) entstehen. Methionin, Cystein und Cystin. Die schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin, Cystein und Cystin sind die wichtigste Quelle des organisch gebundenen Schwefels. Der Schwefelgehalt der Proteine beruht auf dem Gehalt an diesen Aminosäuren. Der im Stoffwechsel gebildete Sulfatschwefel leitet sich vom Cystein ab. Die essentielle Aminosäure Methionin ist nicht nur Proteinbaustein, sondern nimmt an zahlreichen Methylierungsreaktionen im Intermediärstoffwechsel teil, ist also ein wichtiger Methylgruppendonator.
Methionin als Methylgruppen-Donator r
H 9 C-S-CH, 2 CH 2 HC-NH COOH
Methionin-aktivierendes Enzym
/ ATP
\ © + ©-©
L-Methionin
H C— S— Adenosylrest H„C CH, -^- ^ i HC-NH
^»
.9-AHf?nn^
/
ATP
ADP,©
Formylglycinamidinribonucleotid
MM' 2
CH
I CO fRibl-CP)
5-Aminoimidazol-4carbonsäureribonucleotid
5-Aminoimidazolribonucleotid
o II ^ ^c.
10|11, / Asporoginsäure, ATP
\ Fumarsöure ADP,®
HN l l^f
u 2
IM l
5-Aminoimidazol-4carboxamidribonucleotid
FormylFolH 4
FolH. H2O
c- N x \ II CH f
/
^ ,-^ l
Inosinsäure
In der Abbildung sind die beteiligten Enzyme numeriert. Es bedeuten: 1 = Ribose-5-phosphat-ATP-Pyrophosphatkinase 2= Glutaminphosphoribosylpyrophosphat-Amidotransferase 3= 5-Phosphoribosyl-1 -amin-Glycintransferase 4= Glycinamidribonucleotid-Transferase 5= Formylglycinamidribonucleotid-glutamin-Amidotransferase 6= Formylglycinamidinribonucleotid-Zyklase 7= 5-Aminoimidazolribonucleotid-Carboxytransferase 8= 5-Aminoimidazol-4-N-succinocarboxamidribonucleotid-Synthetase 9 = 5-Aminoimidazol-4-carboxamidribonucleotid-Lyase 10= 5-Aminoimidazol-4-carboxamidribonucleotid-Transformylase 11 = Inosinicase tion an den Kohlenstoffatomen 6 und 2 das Adenosin-5-phosphat (AMP) bzw. das Guanosin-5-phosphat (GMP) entstehen. Die Synthese ist endergonisch. Bis zum GMP werden insgesamt 11 ATP benötigt, miteingerechnet diejenigen ATP-Moleküle, die für die Glutaminbildung bzw. Formylaktivierung verbraucht werden. Den Mechanismus der Purinbiosynthese und die dabei beteiligten Enzyme zeigen die beiden Schemata.
Struktur und Biosynthese der Nucleinsäurebausteine
81
Synthese der Purinnucleotide (II) Biosynthese von Adenosinmonophosphat und Guanosinmonophosphat '..) l |
/\
--N
x
I > ^M^N 7 ©-[Rib]
lnosin-5'-phosphat (IMP) IMP-AspartatLigase
IGDP
g?,
NAD
Dehydrogenase
Xanthosinp hosphat
Adenylc succinat
Glutamin
AdenyloSuccinatLyase
IMP-
N J DH2
^^
GMPSynthetase
^Fumarat G\u,AMP^ 1
NH„ 1 2
r>
k-C
^
—N
Adenosin-5'-phosphat (AMP)
O II
H
ij
2N'^NX^
:
N
x ;> 1
Guanosin-5'-phosphat (GMP)
Biosynthese der Pyrimidinbasen. Der Pyrimidinring wird durch Ringschlußreaktion zwischen Carbamylphosphat und Asparaginsäure gebildet. Die Reaktion wird durch den Enzymkomplex A katalysiert (Abb.), an dem die CarbamylphosphatSynthetase II, die Aspartat-Carbamoyl-Transferase und die Dihydro-Orotase beteiligt sind. Die entstehende Dihydroorotsäure wird zu Orotsäure dehydriert und diese mit Phosphoribosyl-pyrophosphat zum Nucleotid Orotidin-5-phosphat umgesetzt. Die durch Decarboxylierung entstehende Uridylsäure wird durch Aminobzw. Methylgruppenübertragung zur Cytidylsäure (CMP) bzw. Thymidylsäure (dTMP). Die Synthese des dTMP verläuft (wegen der Reduktion der Ribose zu Desoxyribose s. u.) über die Reaktionsfolge UMP > UDP > dUDP > dUMP > dTMP. Biosynthese der Desoxyribose. Für die DNA-Biosynthese ist eine Umwandlung der Ribose in die Desoxyribose erforderlich. 2-Desoxyribose entsteht jedoch nicht direkt als freier Zucker oder als Zuckerphosphat im Stoffwechsel, sondern durch Reduktion der Ribose nach deren Einbau in ein Nucleotid. Die Umwandlungsreaktion wird durch eine Ribonucleosiddiphosphat-Reduktase katalysiert, welche die Ribose auf dem Niveau der Nucleosiddiphosphate zu Desoxyribose reduziert und sowohl Purin- als auch Pyrimidinnucleotide als Substrate umsetzt. Cofaktoren dieser Reaktion sind das Flavoprotein Thioredoxin und (bei manchen Bakterien) 5'Desoxyadenosyl-Cobalamin (Coenzymform des Cobalamin, S. 383).
82
Nucleinsäuren
Biosynthese der Pyrimidinbasen HOOC .. H N l
i~N"" Carbamylphosphat
X
COOH
Asparaginsäure
——— ®,H,0
IfEi ; ^Komplex A
Dihydroorotsaure Ubichinon
>S Ubihydrochinon'
^
DihydroorotsäureDehydrogenase
Orotsäure 1 V ^^COOH H
5-Phospho-ribosyl1-pyrophosphat -
Orotidin-5-phosphatPyrophosphorylase
Pyrophosphat -^i, Orotidin-5-phosphat
CO
Orotidin-5-phosphatDecarboxylase
UMP (Uridinmonophosphat) Uridylsäure Rlb1-5-(P) UTP Uridintriphosphat
dUMP Desoxyuridinmonophosphat Methylen-FolH 4
Glutamin, ATP Glu, ADP
FolH,
b-s-®CTP (Cytidintriphosphat)
dTMP (Thymidinmonophosphat) Thymidylsäure
Struktur und Biosynthese der Nucleinsäurebausteine
83
Die 2'-DesoxyribonucIeotide werden durch die gleichen Symbole ausgedrückt, doch wird ihnen das Präfix „d" vorangesetzt. Guanyl-desoxyribosyl-5'-diphosphat wird als dGDP abgekürzt. Biosynthese der Desoxyribose-Nucleotide Nucleosidm inophosphat (z.B. GMP)
1
NucleosidiJiphosphat (Z.B. GDP) /SH
NADP^,
j^· Thioredoxin Nv
y^
v.
SH ^
ThioredoxinReduktase
Ribonucleosiddiphosphat-Reduktase
NADPH.-^^^ Thioredoxin^l ' 2 \s
Desoxynucleosiddiphosphat (z.B. dGDP)
Biosynthese der Nucleotide und ihre Regulation. Bei der Purin- bzw. Pyrimidinbiosynthese werden primär die Nucleosidmonophosphate gebildet. Als Substrate der sich anschließenden Nucleinsäuresynthese werden jedoch die energiereichen Triphosphate benötigt. Ihre Bildung erfolgt durch Umwandlung der Monophosphate über die Diphosphate in die entsprechenden Triphosphate nach dem im nachstehenden Schema dargestellten Prinzip. Dabei wird für jeden Phosphorylierungsschritt (Reaktion: Monophosphat > Diphosphat bzw. Diphosphat >· Triphosphat) ein ATP benötigt. Die Umwandlung der Ribonucleotide in die Desoxyribonucleotide vollzieht sich wie schon beschrieben. Regulation der Nucleotidsynthese. Die Synthese der Purinnucleotide unterliegt einer Rückkopplungshemmung durch die Mononucleotide IMP, AMP und GMP derart, daß eine Erhöhung ihrer stationären Konzentration die Startreaktion (5'-Phosphoribosyl-l'-pyrophosphat + Glutamin > 5'-Phosphoribosylamin + Glutaminsäure + Pyrophosphat) hemmt. Es handelt sich also um eine allosterische Hemmung der Glutaminphosphoribosylpyrophosphat-Amidotransferase (S. 80). Analog wird die Biosynthese der Pyrimidinnucleotide durch CTP über einen Rückkopplungsmechanismus gehemmt. Hier erfüllt das Endprodukt der Synthesekette, das CTP, gleichzeitig die Funktion eines Steuermetaboliten, der die im Zytosol lokalisierte glutaminabhängige Carbamylphosphat-Synthetase II durch allosterische Hemmung reguliert (mitochondriale Carbamyl-Synthetase I, S. 60). Bei der Synthese der Desoxynucleotide wirken dATP und dGTP als allosterische Inhibitoren der Reaktion GDP > dGDP bzw. CDP > dCDP. In allen diesen
84
Nucleinsäuren Schema der Nucleotid-Biosynthese Purinbiosynthese
Pyrimidinbiosynthese
1
1
IMP
UMP
1 AMP
GMP
«~GTP\ - **"""^
ADP
1 1
dADP
riATP
^-UTP-·
RNA ^ ^^*"··^ /~\·
UMP
dUDP
f IP Jr
rllU/Vi IMP Q
G DP
1
dGDP
1 1 1 1
dTMP 1
— dGTP-^
^-^
-^*^*^
^-dCTP-«
DMA
^
^^*N^
dCDP
dTDP
dTTP
Fällen erfolgt also die Regulation durch Rückkopplung an einer strategisch wichtigen Stelle bzw. an einem Verzweigungspunkt im Stoffwechsel (Kap. Stoffwechseire gulation, S. 297).
3. Struktur und Funktion der Nucleinsäuren Die Gesamtmenge an DNA und RNA innerhalb einer Zelle ist unterschiedlich. Hefezellen enthalten bis 40%, Bakterien bis zu 15% und die nucleinsäurereichsten Säugetiergewebe (Thymus) bis zu 1% Nucleinsäure (bezogen auf das Trockengewicht). Das Mengenverhältnis DNA : RNA kann zwischen 20: l und 0,5 : l variieren. Aufgrund der chemischen Konstitution, der makromolekularen Struktur und der Funktion lassen sich verschiedene Nucleinsäuretypen voneinander unterscheiden. Alle Nucleinsäuren bilden jedoch eine funktionelle Einheit, da sie bei der Proteinbiosynthese in spezifischer Weise und festgelegter Folge zusammenwirken. Eine Übersicht gibt die nachstehende Tabelle, in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels sind Struktur, Stoffwechsel und Funktion der einzelnen Nucleinsäuren näher beschrieben.
4. Desoxyribonucleinsäure (DNA) Chemie. Desoxyribonucleinsäuren sind Polynucleotide, deren Bausteine Phosphat. 2-Desoxyribose und die Purin- bzw. Pyrimidinbasen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin sind. Die Desoxyribose-Reste sind durch 3',5'-Phosphodiesterbindungen, die Basen mit dem C-Atom l der Desoxyribose verknüpft. Eine DNA ist also ein
Desoxyribonucleinsäure (DNA)
85
Molekülstruktur und Lokalisation von eukaryotischen Nucleinsäuren DNA = Desoxyribonucleinsäure
Bezeichnung
RNA = Ribonucleinsäure
Molekulare Struktur
Lokalisation und Funktion
DNA
Molare Masse 106-109, Doppelhelix DNA-Gehalt (Mensch): 7,0x10 12 g/Zellkern
Zellkern, Chromosomen, Mitochondrien* Träger der genetischen Information, Triplett (3 Basen) = genetische Informationseinheit, ca. 3 109 Basenpaare im Genom somatischer Zellen des Menschen
cDNA (Complementäre DNA)
Molare Masse variabel
Durch reverse Transkription mit RNA als Matrize (experimentell) gewonnene einsträngige —» doppelsträngige DNA
hnRNA (prämRNA) (Heterogene nucleäre RNA)
Molare Masse 10 5 -2X10 7 1500-30000 Nucleotide
Zellkern. Synthesevorstufe der mRNA
mRNA (Messenger RNA) (Boten-RNA)
Molare Masse 1 -5 105 Einzelstrang, 1 -3% der Gesamt-RNA
Zellkern, Zytoplasma. Modifizierte „Negativ-Kopie" der DNA, Überträger der genetischen Information von DNA zum Protein, Halbwertszeit: Minuten (Prokaryonten) bis Stunden (Eukaryonten)
tRNA (Transfer RNA)
Molare Masse 2,5 104, 75-85 Nucleotide, 15-20% der Gesamt-RNA
Zytoplasma. Spezifischer Überträger für Aminosäuren, Matrizen-Erkennungsregion (Anticodon) korrespondiert mit Codon der mRNA
rRNA (Ribosomale RNA)
28 S, 5,8 S und 5 S in 60 S Ribosomenuntereinheit 18 S in 40 S Ribosomenuntereinheit
Endoplasmatisches Retikulum** „Mikrosomenfraktion". Bildet mit ribosomalen Proteinen 80 S Ribosomen
snRNA (Small Nuclear RNA)
100-200 Nucleotide
Wirkt bei enzymatischer Entfernung von Intronsequenzen aus der hnRNA mit
scRNA (Small Cytoplasmatic RNA)
129 Nucleotide
Erkennung von Proteinen, die für den Export aus der Zelle bestimmt sind
Die mitochondriale DNA wird als mtDNA bezeichnet, die mitochondrialen RNA-Typen (S. 407) erhalten das Präfix mt. Die prokaryotischen Ribosomen der Mitochondrien und Mikroorganismen (70 S) bestehen aus 50 S und 30 S Ribosomenuntereinheiten (s. S. 100).
86
Nucleinsäuren Computer-Darstellung der DNA-Doppelhelix
Doppelhelikale Struktur der DNA (B-Form)
weiß: Purin- und Pyrimidinbasen schwarz: Desoxyribose- und Phosphatresle
Anordnung komplementärer DNA-Stränge in Gegenrichtung dR = Desoxyribose • · · = Wasserstoffbrückenbindungen
Kleine Furche
Große Furche
3,4nm (10 Basenpaare)
2 nm-
Kettenmolekül relativ einfacher Primärstruktur (Formel S. 134). Ihre makromolekulare Struktur (Abb.) läßt sich wie folgt beschreiben: • Ein DNA-Molekül besteht aus zwei um eine gemeinsame Achse gewundenen Nucleinsäureketten, die eine Doppelhelix mit konstanten geometrischen Abmessungen bilden. Die Basen sind in das Innere der Doppelhelix gerichtet. Jeder Base der einen Kette steht eine Base der zweiten Kette gegenüber. Die gegenüberstehenden Basen bilden untereinander Wasserstoffbrückenbindungen (in den Abb. durch · · · gekennzeichnet) aus. Da die Basen beider Stränge z. T. weiter entfernt sind, z. T. näher zusammen liegen, weist die Doppelhelix große und kleine Furchen auf. Die Doppelhelix besitzt eine Ganghöhe von 3,4 nm. Das entspricht ca. 10 Basenpaaren/Windung. • Die Basen der DNA sind in aperiodischer Folge angeordnet. Durch die Basensequenz der einen Kette wird jedoch die Sequenz der anderen Kette festgelegt und zwar steht das Adenin immer dem Thymin und das Guanin immer dem Cytosin gegenüber (und umgekehrt). Adenin und Thymin sowie Guanin und Cytosin sind komplementäre Basen, sie bilden „Basenpaare". Das Gesetz der Basenpaarung erklärt die Beobachtung, daß in der DNA verschiedener Organismen Adenin und Thymin bzw. Guanin und Cytosin immer im äquimolaren Verhältnis vorhanden sind, während das Verhältnis A + T zu G + C innerhalb verschiedener Organismen variieren kann. • Innerhalb eines DNA-Moleküls verlaufen die korrespondierenden Ketten in Gegenrichtung, d. h. in der einen Kette verlaufen die Phosphodiesterbindungen in Richtung 5' > 3', in der zweiten Kette dagegen in Richtung 3' -> 5'.
Desoxyribonucleinsäure (DNA)
87
Basenkorrespondenz doppelsträngiger DNA Im DNA-Molekül ist der Doppelstrang zu einer Schraube verdrillt (Helixstruktur).
O
dRib
-H...C,
N
H
dRIb
0---H— N
H
Die DNA erfüllt im Organismus zwei grundlegende Funktionen. Sie besitzt 1. die Fähigkeit zur Replikation (identischen Verdoppelung) und ist 2. Träger der genetischen Information (des genetischen Code, DNA-Code). DNA-Replikation. Bei der Zellteilung somalischer Zellen wird das genetische Material vollständig (diploider Chromosomensatz) und unverändert an die Tochterzellen weitergegeben. Die Teilung einer Zelle muß also mit einer identischen Verdopplung ihrer DNA einhergehen. Die Verdopplung der DNA bei der Zellteilung erfolgt durch die sog. semikonservative Replikation der DNA und verläuft bei Prokaryonten und Eukaryonten nach dem gleichen Prinzip. Dabei werden die beiden komplementären Stränge der DNA voneinander getrennt und an jedem dieser Stränge wird ein komplementärer Gegenstrang synthetisiert. Bausteine für diese Synthese sind die energiereichen Triphosphate, die sich nach dem Gesetz der Basenkorrespondenz an den (Eltern-)Referenzstrang, beginnend vom 3'-OH-Ende, anlagern. Das DNA-Replikationsenzym (DNA-Replikase) ist ein membrangebundener Multienzymkomplex mit hohem Organisationsniveau und zahlreichen Einzelfunktionen (Abb.). Die DNA wandert während des Replikationsprozesses gleichsam durch einen Multienzymkomplex-Tunnel, in den die DNA-Elterndoppelhelix einfährt, und 2 DNA-Tochterhelices am anderen Ende herausgleiten. Bei Prokaryonten beginnt die Replikation an einem Startpunkt und läuft mit einer Geschwindigkeit von 16 000 Nucleotiden ( = 1 6 Kilobasen)/sec ab. Bei Eukaryonten ist die Replikation mit 2,6 Kilobasen/sec langsamer, auf einem Chromosomen existieren aber ca. 6000 Replikationsstartpunkte. Der Replikationsprozeß weist folgende Merkmale auf: • Da einerseits beide DNA-Stränge gleichzeitig repliziert werden, andererseits die DNA eine doppelhelikale Struktur besitzt, müssen die beiden Elternstränge für
88
•
•
•
•
•
Nucleinsäuren
den Replikationsprozeß voneinander getrennt werden. Für diese Entspiralisierung der Doppelhelix und das Auseinanderhalten der beiden Stränge zur Replikation sind mehrere Hilfsenzyme erforderlich: Helicasen entspiralisieren kurze DNA-Bereiche direkt oberhalb des Replikationsortes, die für die Trennung eines einzelnen Basenpaares nötige Energie wird durch die Hydrolyse von ATP-Molekülen gewonnen. Sobald eine Abschnitt entspiralisiert wird, wird ein DNA-bindendes Protein fest an jeden der getrennten Stränge gebunden, um sie an einer erneuten Basenpaarung zu hindern. Die schnelle Entspiralisierung des Elternstranges, die mit einer Geschwindigkeit von 4500 Umdrehungen/Minute erfolgt, wird dadurch ermöglicht, daß einer der DNA-Stränge vorübergehend geöffnet und nach einer oder mehreren Umdrehungen mit großer Präzision wieder geschlossen wird. Das vorübergehende Spajten und Wiederzusammenfügen wird durch Topoisomerasen (bei Prokaryonten DNA-Gyrase) bewirkt. Die DNA-Synthese beginnt an jedem der komplementären Stränge mit einem RNA-Startstück, das mit Hilfe einer Primase (DNA-abhängige RNA-Polymerase) synthetisiert wird und nur aus 40—60 Ribonucleotidresten besteht. Die Syntheserichtung ist stets 5' > 3', wobei die Matrize in 3' » 5' Richtung abgelesen wird. An das RNA-Startstück werden dann mit Hilfe der DNA-Polymerase III 1000—2000 Desoxyribonucleotideinheiten angefügt, deren Basensequenz komplementär zur Basensequenz des DNA-Matrizenstranges ist. Der RNA-Primer wird dann mit Hilfe der 5' > 3'-Exonucleaseaktivität der DNA-Polymerase I entfernt. Jede Ribonucleotideinheit wird nach ihrer Entfernung durch ein Desoxyribonucleotid ersetzt, wobei die DNA-Polymerase I mit ihrer Polymeraseaktivität wirksam wird. Die Verbindung der diskontinuierlich wachsenden DNASegmente erfolgt durch eine DNA-Ligase. Sie knüpft Phosphodiesterbindungen zweier benachbarter DNA-Segmente, wobei ATP als Energielieferant benötigt wird. Da die DNA-Einzelstränge in der Doppelhelix antiparallel verlaufen, und daher die Syntheserichtung der DNA-Polymerase III in den beiden neusynthetisierten DNA-Strängen (5' > 3') jeweils verschieden verläuft, kann nur an einem Strang — dem Leitstrang — die DNA-Synthese kontinuierlich verlaufen, während sie am anderen Strang (Verzögerungsstrang) in Form von Fragmenten mit etwa 1000 Basen (Okazaki-Fragmente) synthetisiert wird. Die diskontinuierliche Synthese des Verzögerungsstranges, dessen Fragmente durch die DNA-Ligase verknüpft werden, ermöglicht es, daß die primäre 5' » 3' Syntheserichtung des neu synthetisierten Verzögerungsstranges schließlich zu einem Gesamtwachstum in 3' » 5' Richtung führt. Sowohl die DNA-Polymerase III als auch die DNA-Polymerase I besitzen die Fähigkeit, Fehler bei der Replikation, die durch Einbau eines falschen Nucleotides entstehen können, zu erkennen und zu beseitigen. Erkennt die DNA-Polymerase ein falsches Nucleotid, wandert sie zurück, entfernt das falsche Nucleotid mit Hilfe der 3'-Exonucleaseaktivität, fügt das richtige Nucleotid ein und setzt dann die Replikation fort. Diese Korrekturlesefunktion der DNA-Polymerasen ist so effizient, daß die Gesamtfehlerrate bei der DNA-Replikation nicht größer ist als ein Irrtum/10 9 —10 10 Nucleotidreste.
Desoxyribonucleinsäure (DNA)
89
• Da jeder der beiden gebildeten Tochter-Doppelstränge einen Eltern-DNA-Strang enthält, wird diese Art der Verdopplung als „semikonservativ" bezeichnet. DNA-Code. Die Information (der Code) für die Synthese aller Genprodukte, d. h. aller von einer Zelle gebildeten Enzyme und Strukturproteine, ist in der Basensequenz der DNA niedergelegt. Der Code ist gewissermaßen mit einer Schrift vergleichbar, die nur die vier Symbole ATGC enthält. Die Reihenfolge, in der die vier Symbole (vom freien 3'-OHEnde in Richtung auf das 5'-OH-Ende der DNA) angeordnet sind, stellt den verschlüsselten (codierten) Text der genetischen Schrift dar. Da ein DNA-Molekül etwa 1,5 · l O5 bis 4,5 · l O6 Basenpaare (bei Bakteriophagen bzw. Bakterien) enthält, ist die Zahl der möglichen Anordnungen der Basen in einer ganz bestimmten Reihenfolge nahezu unendlich groß. Mit den vier Zeichen des genetischen Alphabetes A, T, C, G läßt sich ein Codesystem darstellen, mit dem die spezifische Struktur jedes von der Zelle gebildeten Proteins programmiert werden kann. Da die natürlichen Proteine aus etwa 20 verschiedenen Aminosäuren bestehen, und jedes Protein wiederum eine bestimmte und festgelegte Aminosäuresequenz besitzt, muß die Buchstabenschrift der Basensequenz im DNA-Molekül der 20-Buchstabenschrift der Aminosäuresequenz im Proteinmolekül entsprechen. Die „Entschlüsselung" des genetischen Codes hatte folgende grundlegende Ergebnisse: • Im DNA-Molekül codiert je eine Gruppe von drei aufeinanderfolgenden Basen eine Aminosäure. Ein solches Basen-Triplett ist eine Codierungseinheit. (Das „Code-Lexikon" ist im Abschnitt über die mRNA in diesem Kapitel wiedergegeben.) • Der Code ist nicht überlappend, die Tripletts schließen lückenlos unmittelbar aneinander an, d. h. ein Triplett bedeutet einen Aminosäurerest, das unmittelbar darauf folgende Triplett den nächsten Aminosäurerest usw. (Abb.). • Der Code ist universell. Für alle bisher untersuchten biologischen Systeme hat — von wenigen Ausnahmen abgesehen — die gleiche Basenfolge die gleiche Bedeutung. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels werden der Mechanismus der Informationsübertragung und die Beziehungen zwischen genetischem Code und Proteinbiosynthese erklärt. Genom und Gene. In der Zelle sind die Chromosomen das stoffliche Äquivalent der DNA. Die 46 Chromosomen des Menschen (diploider Chromosomensatz) enthalten 46 DNA-Moleküle (l Chromosom = l DNA-Molekül). Jede Somazelle des menschlichen Organismus besitzt die gleiche Anzahl gleicher Chromosomen, also auch die gleiche DNA-Ausstattung und damit die gleiche genetische Information. Von der gesamten genetischen Information, die jeder Zelle zur Verfügung steht und als Genom bezeichnet wird, machen die einzelnen Zellen der Organe und Gewebe jedoch in ganz unterschiedlichem Umfang Gebrauch. Dies erklärt ihre unterschiedlichen biochemischen Leistungen und Funktionen. Das Genom somatischer Zellen des Menschen besteht aus etwa 3 X l O9 Basenpaaren. Nur 3 — 5% des Genoms entfallen auf Protein- und mRNA-codierende Sequenzen, der Rest des Genoms kodiert für tRNA, rRNA und sn-RNA und enthält Promotor-, Regulator-, Intron- und Intergen-Sequenzen sowie Bereiche unbekannter Funktion.
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Nucleinsäuren Schema der semikonservativen DNA-Replikation 5'
5' 3'
3' 5' DNA-ElternDoppelhelix
3'
DNA-ReplikaseMultienzymkomplex "Leitstrang"
5' 3'
5' 3'
3' 5'
3' 5'
2 DNA-TochterDoppelhelices "Verzögerungsstrang"
jT|Topoisomerase. Kurzzeitiges, enzymatisches Öffnen und Wiederschließen der DNA-Stränge.
] Primase (RNA-Polymerase). Synthetisiert RNA-Startstücke.
El Helikase. Entspirallisierung kurzer DNA-Abschnitte.
] DNA-Polymerase MI. Synthese und Anheftung der DNAKette an RNA-Startstück.
[3] DNA-bindendes Protein (dna B-Protein). Verhindert erneute Basenpaarung.
] DNA-Polymerase I. Beseitigt und ersetzt RNA-Startstück, füllt Lücken mit DNA. Korrektur-lesendes Reparaturenzym.
[U Kontinuierlich durch DNA-Polymerase III synthetisierter DNA-Strang (RNA-Startstück nicht eingezeichnet).
] DNA-Ligase. Verbindet DNA-Teilstücke
Schema der Biosynthese von DNA-Teilstücken dR = Desoxyribose, P = Phosphat, A = Adenin, G = Guanin, C = Cytosin, T = Thymin
DNAPolymerasen 3'
DNAMatrizenStrang
Korrespondierende Desoxyribonucleotide
DNAMatrizenStrang
NeusynPyrothetisierter phosphat DNA-Strang Reste
Desoxyribonucleinsäure (DNA)
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Repetitive Sequenzen. Die DNA nahezu aller Eukaryonten enthält Abschnitte, in denen sich bestimmte DNA-Sequenzen mehrfach wiederholen (repetitive Sequenzen). Ihre Länge variiert je nach Art zwischen 130 und 300 Basen. Bei Menschen (und bei Säugetieren) ist eine repetitive Sequenz — die sog. „Alu-Familie" - ungefähr 300 000 mal - über das gesamte Genom verteilt — vertreten. Die Alu-Familie trägt ihren Namen nach der in ihr vorkommenden Nucleotidsequenz
I
• · · AGCT· · · • · · TCGA · · ·
T Diese Sequenz ist die Erkennungsregion für das Alu-Restriktionsenzym (aus dem Mikroorganismus Arthrobacter luteus). Hochrepetitive Sequenzen sind in den Zentrosomen der Kerne lokalisiert. Es handelt sich um Gene für die 5 Haupthistone (S. 407), die in einer repetitiven Einheit von 7000 Basen (= 7 kb) zusammengefaßt sind und sich beim Menschen 30—40 mal wiederholen. Schema der Lokalisation eines Gens auf der DNA Die DNA-Teilstücke, die die Synthese eines bestimmten Proteins (z.B. eines Enzyms) kodieren, werden als Exons, die dazwischenliegenden Teilstücke als Introns bezeichnet. Die Exons 1 - n stellen die Nucleotidsequenzen des zu exprimierenden Gens dar. Exons und Introns können jeweils aus mehreren 100 Nucleotiden bestehen.
DNA
l C G l
l l l l l l l AAATGCT TTTACGA l l l l l l l
Intron
Exom
l l AT TA l l
l l GT CA l l
l A T l
l l GT CA l l
l A T l
Intron
l l l GAT CTA l l l
l C G l
l C G l
Exon?
l A T l
l l AT TA l l
l G C l
Intron
l C G l
l A T l
l l l l ACGT TGCA M l l
Exon n
l A T l
DNA
Intron
Zahl der Nucleotide und Introns in menschlichen Genen
Protein ß-Kette des Hb Insulin Albumin Katalase LDL-Rezeptor Faktor VIII Dystrophin*
Zahl der Nucleotide (Angabe in Kilobasen) Gen mRNA
1,5
0,6
1,7 11 34 45 186 >200
0,4 1,4 1,6 5,5 9,0 17
Zahl der Introns im Gen
2 2 7 12 17 25 >50
Skelettmuskelprotein. Bei progressiver Muskeldystrophie (S. 497) liegt ein Defekt des Dystrophie-Gens vor.
Gene. Der Abschnitt des DNA-Moleküls, der ein Protein (z. B. ein Enzym oder eine RNA) codiert, wird als Gen bezeichnet. Gene sind also Funktionseinheiten im genetischen Material, denen definierte Nucleotidabschnitte der DNA entsprechen. In vielzelligen Organismen ist das Gen, das für ein bestimmtes Protein codiert,
92
Nucleinsäuren
meist nicht in einem zusammenhängenden Abschnitt, sondern in verschiedenen Teilstücken auf der DNA vorhanden. Die Teilstücke, in denen der Bereich eines eukaryotischen Gens repräsentiert ist, werden als Exons bezeichnet und sind durch Basensequenzen, die keine Information für die Synthese des betreffenden Proteins liefern - sogenannte Introns — unterbrochen (Abb.). So besteht z. B. das Gen für die ß-Kette des Hämoglobins (S. 238) aus 3 Exons mit 240, 500 und 250 Basen, die durch 2 Introns mit 120 bzw. 550 Basen voneinander getrennt sind (Tab.). Die Zahl der Strukturgene des Menschen sind auf über 50000 geschätzt. Von etwa 1000 Genen kennt man die komplette Nucleotidsequenz.
5. DNA-Methylierung Bei den Wirbeltieren sind 3 — 6% der Cytosinreste der DNA methyliert. 5-Methyicytosin ist besonders häufig, doch können auch die NH 2 -Gruppen des Cytosins am C-Atom 6 bzw. 4 methyliert werden (N 6 -Methylcytosin, N4-Methylcytosin). Die Methylierung erfolgt nach der Biosynthese vorzugsweise in CG-reichen Regionen der doppelsträngigen DNA durch DNA-Methylasen (Methyl-Transferasen), wobei das Methionin-Derivat S-Adenosylmethionin (S. 67) als Methyldonator fungiert. Das spezifische Methylierungsmuster ist für die unterschiedliche Genexpression verantwortlich und wird auch bei Zellteilung oder DNA-Reparatur beibehalten bzw. ergänzt. Die Methylierung beeinflußt die Wechselwirkung der DNA mit Proteinen und kann die Bindungsfähigkeit u. a. für Transkriptionsfaktoren, SteroidhormonRezeptoren und Restriktionsenzyme verändern. Transkriptions-, Differenzierungsund Replikationsprozesse werden dadurch kontrolliert. Die DNA des fertilisierten Säugetiereis wird nach der Implantation partiell demethyliert und nach einem individuellen Muster de novo remethyliert.
6. DNA-Rekombination und DNA-Polymorphismus Der normale biologische Austausch oder die Anfügung von Genen verschiedener Herkunft unter Bildung eines veränderten Chromosoms das repliziert, transkribiert und exprimiert werden kann, wird als genetische Rekombination bezeichnet. Sie kann in verschiedenen biologischen Situationen und auch unter natürlichen Bedingungen vorkommen. Beim Menschen erfolgt die genetische Rekombination u. a. nach der Vereinigung von Ei- und Spermazelle, von denen jede die im haploiden Chromosomensatz vorhandenen Gene für den diploiden Chromosomensatz der Tochterzelle und aller weiteren durch Teilung entstehenden Zellen des wachsenden Organismus beisteuert. Bei der DNA-Rekombination werden die Chromosomen der Eizelle und der Spermazelle an jeweils homologen Punkten geteilt, ausgetauscht und zu neuen Genkombinationen wieder zusammengefügt. Die Nachkommen weisen somit ein Sortiment von charakteristischen genetischen Merkmalen auf, die von beiden Elterntei-
Analyse von Genpolymorphismen und genetischen Defekten
93
len stammen, aber doch eine neue (individuelle!) Kombination von genetischen Anlagen beider Elternteile darstellt. Genpolymorphismus und Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismus. Das menschliche Genom ist nicht für alle Individuen identisch, sondern weist Unterschiede in der Basensequenz auf. Solche Strukturvarianten der Gene - auch Allele genannt — beruhen auf Punktmutationen oder (seltener) Deletionen, Insertionen, Duplikationen oder lokalen Rearrangements, die alle zu einer Veränderung der Basensequenz führen. Dieses als DNA-Polymorphismus bezeichnete Phänomen bedingt, daß sich für jedes Individuum die beiden von den Eltern ererbten Gene in einzelnen Basen voneinander unterscheiden. Die Unterschiede betreffen ca. 0,2% der Basenpaare. Bei einem Bestand von 3 X l O9 Basenpaaren im menschlichen Genom sind das etwa 6 x l O6 unterschiedliche Basenpaare zwischen 2 Individuen. Der DNA-Polymorphismus hat ferner die Konsequenz, daß bei der enzymatischen Spaltung der genomischen DNA (die man z. B. aus den peripheren Leukozyten oder Amnionzellen des Probanden gewinnen kann) DNA-Fragmente entstehen, die nicht für alle Individuen die gleiche Länge (d. h. Anzahl der Basen) besitzen können, da Punktmutationen zur Bildung einer neuen bzw. zum Verlust einer bereits vorhandenen Schnittstelle des Enzyms führen. Konsequenterweise können nach enzymatischer Spaltung des menschlichen Genoms mit einem Restriktionsenzym (das in jedem Fall eine hohe Spezifität besitzt, S. 127) bei Eltern und Kindern (Geschwistern) unterschiedlich lange DNA-Fragmente entstehen. Dies hat zu der Bezeichnung Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismus (RFLP) geführt.
7. Analyse von Genpolymorphismen und genetischen Defekten Eine molekularbiologische Analyse der genomischen DNA des Menschen wird in zunehmendem Maße für die Diagnose maligner Tumoren und Erbkrankheiten sowie für den Nachweis der genetischen Identität oder Verwandtschaft zweier verschiedener DNA-Proben eingesetzt. Für diese Untersuchungen wird die DNA aus Zellkernen weißer Blutzellen, Amnionzellen, Chorionzottenzellen (pränatale Diagnostik), Spermatozoen oder Gewebsproben isoliert und mit Hilfe folgender molekularbiologischer Techniken identifiziert und analysiert: • Southern-Blot-Technik und RFLP. Die zu untersuchende DNA wird mit Restriktions-Endonucleasen in Fragmente gespalten, die dann elektrophoretisch aufgetrennt, auf Nitrozellulose übertragen („Blotting") und dort fixiert werden. Falls durch Mutationen Erkennungssequenzen für Restriktions-Endonucleasen zerstört oder neu geschaffen werden, läßt sich für die gebildeten DNA-Fragmente eine veränderte elektrophoretische Mobilität nachweisen. Die Detektion und Identifizierung der DNA-Fragmente erfolgt mit geeigneten (radioaktiv oder anderweitig markierten) Gensonden (Oligo- bzw. Polynucleotide), die spezifisch mit bestimmten DNA-Fragmenten hybridisieren. Dieses als Southern-Blot-Technik bezeichnete Verfahren läßt sich zur Bestimmung des RFLP ausnutzen. • Northern-Blot-Technik. Es handelt sich um ein Verfahren, das analog dem Southern-Blot abläuft, jedoch dem Nachweis von RNA dient. Die aus Zellen bzw.
94
Nucleinsäuren
Gewebe isolierte einsträngige mRNA wird nach Trennung durch Gelelektrophorese und Transfer auf eine Trägermatrix fixiert und mit einer markierten DNAöder RNA-Sonde hybridisiert. Die Northern-Blot-Technik* erlaubt u.a. den Nachweis und die Quantifizierung der für ein gesuchtes Protein spezifischen mRNA. • Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR). Die PCR ist eine Methode zur Amplifizierung (Vermehrung von DNA- (und RNA-)Sequenzen in vitro. Die PCR macht molekulare Analysen von DNA möglich, die in 100 oder weniger Leukozyten oder in einer einzigen Haarwurzel enthalten sind. Die Spezifität der PCR basiert auf dem Einsatz von 2 Oligonucleotiden (sog. Primer), die zu den Enden der zu vermehrenden Zielsequenz auf der UrsprungsDNA komplementär sind. In einem Vermehrungszyklus werden die beiden Stränge der zu amplifizierenden DNA zunächst durch Erhitzen getrennt, so daß die Primer an beide DNA-Stränge binden können. Jeder der DNA-Einzelstränge wird dann mit Hilfe einer hitzestabilen DNA-Polymerase — beginnend am Primer — kopiert. Die DNA-Denaturierung erfolgt bei 91 °C, die DNA-Polymerase-Reaktion bei 60-70°C. Der Vermehrungszyklus kann (in vollautomatisch arbeitenden Geräten) mehrfach wiederholt werden. Primer-DNA und die für die Synthese der neuen DNA-Stränge notwendigen Desoxynucleosidtriphosphate werden zu Beginn der Reaktion im Überschluß zugegeben. Ihre Konzentration nimmt mit jedem Vermehrungszyklus ab. Da in jedem Reaktionszyklus beide Stränge eines DNA-Moleküls als Matrize genutzt werden, nimmt die Zahl der DNA-Moleküle im Gesamtverlauf einer PCR exponentiell zu. So werden aus einem DNA-Molekül im l. Zyklus 2 Moleküle, dann 4, 8, 16, 32 usw. Bei 30 Zyklen vermehrt sich die Ursprungs-DNA um den Faktor l O9. Die PCR-Technik vereinfacht die Diagnostik in vielen Bereichen der Medizin. Das gilt für den Nachweis von Virus-DNA oder -RNA, für die Feststellung somalischer Mutationen, die zur Bildung von Tumoren führen, und für forensische Zwecke (DNA-abhängige Personenidentifizierung). Die PCR erleichtert ferner die Erkennung der Ursachen von monogenen Erbkrankheiten und den Nachweis von Sequenzpolymorphismen im Genom, die nicht unbedingt zur Krankheit führen, aber zu Krankheiten disponieren. • DNA-Fingerabdruck-Technik. Im menschlichen Genom existiert eine große Zahl kurzer, sich wiederholender DNA-Sequenzen (10-15 Basenpaare), die als MiniSatelliten bezeichnet werden. Sie enthalten identische (oder nahezu identische) zentrale Sequenzen. Markierte DNA-Sonden, die aus zentralen Sequenzen bestehen, sind in der Lage, mit korrespondierenden Sequenzen einer genomischen DNA, die durch RFLP und Southern-Blot-Technik fragmentiert und elektrophoretisch getrennt wurde, zu hybridisieren. Mit dieser Technik lassen sich für eine individuelle DNA bis zu 80 Fragmente verschiedener Länge nachweisen, die einen individuellen genetischen Fingerabdruck darstellen. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein anderes, nicht verwandtes Individuum das gleiche Fingerabdruck-Muster • Die Bezeichnung Southern-Blot erfolgte nach dem Erstbeschreiber E. M. Southern/Edinbourgh. Die Begriffe „Northern-Blot" und „Western-Blot" (S. 148) entstammen dem Laborjargon, sind aber allgemein akzeptiert.
Übertragung der genetischen Information von DNA auf RNA
95
aufweist, beträgt 3 X 10~". Die Bedeutung der Methode liegt in ihrer Anwendung für forensische Zwecke (Vaterschaftsnachweis, Nachweis der Identität zweier verschiedener DNA-Proben). Die meisten, den RFLP verursachenden Polymorphismen, die mit einer Häufigkeit von etwa l : 1000 Basenpaaren auftreten, erlauben eine Realisierung desselben Phänotyps. Die Bedeutung für die Genanalyse liegt jedoch in der Tatsache, daß Restriktionspolymorphismen in unmittelbarer Nähe von Krankheitsgenen liegen können und auf diese Weise feststellbar ist, ob innerhalb einer Familie ein Mitglied das veränderte Gen besitzt oder nicht. Dies konnte z. B. für die Sichelzellanämie, für das Lesch-Nyhan-Syndrom, für die Phenylketonurie und Thalassämie oder den Apolipoprotein C II-Mangel mit Hilfe des Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismus nachgewiesen werden. Auch Restriktionspolymorphismen, die in der weiteren Umgebung des Krankheitsgens liegen, lassen sich mit dieser Methode erkennen. Dies gilt z. B. für die Hämophilie A, die Alzheimersche Krankheit, die Duchennesche Muskeldystrophie und die Retinitis pigmentosa. Der RFLP erlaubt die Entscheidung, ob ein Individuum in Bezug auf einen Gendefekt homozygot oder heterozygot ist.
8. Transponierbare Gene Innerhalb eines eukaryotischen Genoms gibt es Gene, die ihre ursprüngliche Position verlassen und andere Orte im Genom aufsuchen (sog. „Mobile Gene"). Solche mobilen Genelemente werden transponierbare Elemente oder Transposons genannt. Transponierbare Gene enthalten an beiden Enden kurze Basensequenzen - sogenannte Insertionssequenzen — die ihnen das Einfügen an verschiedenen Stellen des Chromosoms durch spezifische Enzymsysteme, welche die Insertionssequenzen erkennen, ermöglichen. Mobile Gene sind vermutlich ein Hauptmerkmal jeder DNA. Ihre Existenz ist bei Hefe, Parasiten und der Fruchtfiiege Drosophila durch Klonierung und Sequenzanalyse belegt. So können z. B. Trypanosomen - die Erreger der Schlafkrankheit - ihre zahlreichen Oberflächenantigene (>100) durch Transposition ständig austauschen und sich so der immunologischen Abwehr des Wirtsorganismus immer wieder entziehen.
9. Übertragung der genetischen Information von DNA auf RNA Die DNA enthält zwar die Information für die Synthese aller von ihr codierten Proteine, ist jedoch nicht die direkte Matrize für die Proteinsynthese. Die genetische Information der DNA muß vielmehr zunächst auf RNA übertragen werden. Dieser Vorgang wird als Transkription bezeichnet, da hierbei die in der Basensequenz der DNA verschlüsselte Information auf die korrespondierende Basensequenz der RNA „umgeschrieben" (aber noch nicht übersetzt) wird.
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Nucleinsäuren Schema der Biosynthese einer Ribonucleinsäure Syntheserichlung
»_ Wanderungsrichtung der RNA-Polymerase
5'-Phosphatp e n d e d e r R N A ~*N ' ho Phosphat V P DNA . abhängige "*" RNA-Polymerase
ATP, GTP CTP.UTP
5'-Phosphatende der DNA 3'-OH-EndederDNA
Transkription. Die Informationsübertragung von DNA auf RNA vollzieht sich durch die Synthese einer in der Regel einsträngigen RNA, die sich an der Nucleotidsequenz eines bestimmten DNA-Abschnittes orientiert. Dabei fungiert einer der beiden Stränge der DNA als „codogener" Strang, so daß die jeweils gebildete RNA eine komplementäre Sequenz von Ribonucleotiden aufweist. Bausteine für diese Synthese sind die vier Ribonucleosidtriphosphate (anstelle des Thymins steht also Uracil und anstelle der Desoxyribose eine Ribose), die sich zu einer komplementären Reihenfolge ordnen und aus denen sich durch die DNA-abhängige RNA-Polymerase die RNA aufbaut (unter Eliminierung von Pyrophosphat). Manche RNAPolymerasen sind aus mehreren Untereinheiten aufgebaut und besitzen neben ihrem katalytischen Zentrum eine Erkennungsregion für das Startsignal (Promotor, S. 111) und eine Haftstelle für die Bindung an den codogenen DNA-Strang. Während der Anlagerung der RNA-Polymerase entspiralisiert sich ein kurzer Abschnitt der DNA. Unter sukzessivem Einbau der jeweils korrespondierenden Ribonucleotidphosphate bewegt sich das Enzym entlang des abgelesenen DNAStranges. Der jeweils fertiggestellte Abschnitt der RNA löst sich sogleich ab. Nach diesem Prinzip werden unter der Wirkung 3 verschiedener RN A-Polymerasen (I, II, III) drei verschiedene RNA-Typen hergestellt: Messenger-RNA (II), ribosomale RNA (I) und Transfer-RNA (III). Diese drei RNA-Typen haben verschiedene Funktionen, wirken aber im Rahmen der Proteinbiosynthese synergistisch. (Tab.). Die RNA-Polymerasen unterscheiden sich von den DNA-Polymerasen dadurch, daß sie kein Startermolekül (Primer) benötigen und auch keine Nucleaseaktivität besitzen. Posttranskriptionaler Fertigungsprozeß. Bei der Transkription eines DNA-Abschnittes werden zunächst Exons und Introns zu einer gemeinsamen einsträngigen Syntheseprodukte der eukaryotischen DNA-abhängigen RNA-Polymerasen l, II und III Enzym RNA-Polymerase 1 RNA-Polymerase I I RNA-Polymerase I I I
Syntheseprodukte* Ribosomale 28 S, 18 S und 5,8 S rRNA m R N A (hnRNA) tRNA, Ribosomale 5 S rRNA
nach posttranskriptionaler Modifikation der primären DNA-Transkripte.
Messenger-Ribonucleinsäure (mRNA)
97
RNA umgeschrieben. Das Primärprodukt der Transkription ist also nicht die funktionsfähige RNA, sondern eine höhermolekulare Vorstufe, aus der durch chemische Modifikation der Basen und enzymatisches Herausschneiden nicht benötigter Teilsequenzen die verschiedenen RNA-Typen entstehen. Dabei können RNA-Fragmente durch Ligasen in neuer Kombination miteinander verknüpft werden. Zu den chemischen Modifikationen, die an den RNA-Vorstufen ablaufen, gehören die Übertragung von Methyl- bzw. Hydroxymethyl-, Acetyl-, Isopentylresten, die Umwandlung von Uridin in Pseudouridin oder der Ersatz des Sauerstoffs in Uridin durch einen Schwefel (4-Thiouridin). Bemerkenswert ist, daß die Methylierung einer Uridinbase der tRNA in 5-Position zu einem Ribothymidinrest führt.
10. Messenger-Ribonucleinsäure (mRNA) Voraussetzung für die Biosynthese eines Proteins ist die Übertragung der im Zellkern an der DNA lokalisierten Information an den Ort der Proteinbiosynthese, die an den Ribosomen stattfindet. Dazu wird die genetische Information der DNA in eine Funktionsform umgewandelt, die Basensequenz der DNA wird — wie eben beschrieben - in eine genau entsprechende Basensequenz der RNA „transkribiert". Diejenige RNA, welche die Information für die Synthese eines (oder mehrerer) Proteins(e), also den entsprechenden DNA-Abschnitt als „Negativkopie" enthält, wird Messenger-RNA (mRNA) genannt, da sie nach ihrer Synthese in das Zytoplasma gelangt und dort an Ribosomen gebunden wird. Der Vorgang ihrer Synthese wird als Transkription, das katalysierende Enzym als RNA-Nucleotidyl-Transferase bzw. RNA-Polymerase II bezeichnet. Bei der Synthese der mRNA entsteht als primäres Transkriptionsprodukt zunächst eine Vorstufe, die heterogene nucleäre RNA (hnRNA, prä-mRNA), die Intron- und Exonabschnitte als Kopien in gleicher Anordnung enthält wie die DNA. Die mRNA unterliegt einer posttranskriptionalen Modifikation: • In einer ATP-abhängigen Reaktion wird eine 100-200 Adenylreste enthaltende Poly-A-Sequenz mit Hilfe einer Polyadenylat-Polymerase an das 3'-Ende der hnRNA angeheftet. • Aus der heterogenen nucleären RNA werden die informationstragenden Exonkopien enzymatisch herausgeschnitten und zu der betreffenden mRNA zusammengefügt (Abb.). • Während der Synthese der mRNA (prä-mRNA) wird am 5'-Ende ein 7-MethyIguanosinrest über eine Triphosphatbrücke mit dem Molekül verbunden (Abb.). Das 7-Methylguanosindiphosphat ist in ungewöhnlicher Weise über eine 5'-5Bindung mit dem 5'-Phosphatende der mRNA verknüpft. Diese Modifikation wird auch als 5'-Kappe (5'-cap) bezeichnet. Diejenigen RNA-Abschnitte, welche Kopien des Introns darstellen, können Proteine codieren, die an der Regulation der Transkription und Modifikation der RNA beteiligt sind. Die enzymatische Entfernung der Intron-RNA-Abschnitte und die präzise Zusammenfügung der aufeinander folgenden Exon-RNA-Abschnitte geschieht unter Mitwirkung der nur im Zellkern vorkommenden kleinen nucleären RNA (small
98
Nucleins uren Synthese einer Messenger-RNA durch posttranskriptionale Modifikation einer heterogenen nucle ren RNA (Pr -mRNA) DNA '""l Exon l | Intron
| Exon 2 |
Inrron
| Exon 3 |'"'' DNA
Exon 1 - 3 = Nucleotidsequenz des zu exprimierenden Gens
CAP
Transkription
7-Με-Ο-(ρ)·(?)-(ρ)-ΓΕχοπ l l
In'ron
l Exon 2 |
Infron
| Exon 3 |-Poly-AMP
Heterogene nucle re RNA ( h n R N A = pr -mRNA)
I
Intron
Basenmodifikation Ausschneiden der Introns durch spezifische Endonucleasen
Infron
7-Me-G(p)-[Exon l l l Exon 2 [ | Exon 3 [-Poly-AMP Verkn pfung durch RNA-RNA-Ligasen mRNA
-Poly-AMP
| Transport ins Cytosol 5'-CAPEnde
mRNA
l-Poly-AMP
Funktion der s n R N A bei der posttranskriptionalen Modifikation der hnRNA Enzymatisches Herausschneiden von Intronsequenzen und Zusammenf gen ("Splei en") von Exonsequenzen EXON 1
INTRON
EXON 2 snRNA
. snRNA \ \
"Ί txoN 1 --^ l Γθ- χ ΕΧΟΝ~ΤΊ""
3'-OH-Ende
Messenger-Ribonucleinsäure (mRNA)
99
nuclear RNA, snRNA). Die snRNA hält als Matrize die beiden Exonenden vorübergehend so zusammen, daß die enzymatische Spaltung durch Endonucleasen und das Wiederzusammenfügen durch Ligasen stets an der richtigen Stelle erfolgt (Abb.). Die snRNA erfüllt ihre Funktion in Assoziation mit 7—10 verschiedenen Proteinen. Diese im Zellkern nachweisbaren kleinen Ribonucleoproteinpartikel werden snRNPs (small nuclear ribonucleoproteins, „snurps") genannt. Die snRNA erfüllt ihre Funktion in Assoziation mit verschiedenen Proteinen, die wegen ihrer Affinität zu der Uridin-reichen snRNA als U-Proteine (Ui, U2 usw.) bezeichnet werden. Den schematischen Aufbau einer mRNA zeigt die folgende Abb. Schematischer Aufbau einer mRNA
5'-Ende
7-MethylGuanosin©-©
5'-terminale Basen
Kopfgruppe ('Cap1)
N 6 -MeAdenosin häufig
ÄUG
Startsignal
Basensequenz des codierten Protein
UAG UAC UGA
3 Basen (=1 Codon) pro Aminosäure
Stopsignal
o ~lc
\/-
*?' Fnrio
Basen Ne-MeAdenosin häufig 100-250 Basen
30-200 Basen
Reverse Transkription. Bei RNA-Tumorviren (S. 115), in menschlichen Tumorzellen, aber auch - in geringerem Ausmaß — in menschlichen Organzellen kann die Transkription auch in umgekehrter Richtung verlaufen. Die RNA wird hier als codogener Strang für die Biosynthese einer komplementären DNA verwendet, die den genetischen Code enthält und ihrerseits als Matrize für die Bildung zahlreicher neuer RNA-Moleküle dienen und unter Umständen aber auch in das Genom der Wirtszelle eingebaut werden kann. Diese Synthese wird durch eine „reverse Transkriptase" (RNA-abhängige DNA-Polymerase) katalysiert, die nicht mit anderen DNA-synthetisierenden Enzymen identisch ist. Genetischer Code der mRNA. Die Basensequenz der mRNA bestimmt die Aminosäuresequenz des gebildeten Proteins. Durch die vier Basen der mRNA (A, G, C, U) lassen sich unter Ausnutzung aller Kombinationsmöglichkeiten durch einen Triplettcode (s. o.) 43 = 64 Codons, also theoretisch 64 verschiedene Aminosäuren darstellen. Zwar werden diese 64 Codierungsmöglichkeiten auch ausgenützt, aber nur dadurch, daß für einen Teil der 22 codierten Aminosäuren nicht nur ein Triplett, sondern mehrere Tripletts existieren. Einige Tripletts lassen sich keiner Aminosäure zuordnen. Sie symbolisieren Anfang und Ende der Peptidkette. Das Codelexikon der mRNA ist in nachstehender Tabelle zusammengefaßt. Für den Code gelten folgende Aussagen: • Der Aminosäurecode ist degeneriert (s. u.); denn für jede Aminosäure existieren mehrere Codons (mit Ausnahme von Trp und Met). Trotzdem ist ein gewisses System erkennbar (zwei invariable Basen in der ersten und zweiten, eine variable Base in der dritten Position des Tripletts). • Chemisch ähnliche Aminosäuren besitzen auch einen ähnlichen Codon. Die Aminosäuren Asparagin und Glutamin werden jedoch unabhängig von Asparagin- und Glutaminsäure codiert, d. h. die Amidierung der Glutaminsäure
100
Nucleinsäuren Lexikon des genetischen Code (Triplettcode der mRNA)***
2. Base
1 . Base
3. Base
U
C
A
G
Phe Phe Leu Leu
Ser Ser Ser Ser
Tyr Tyr
Cys Cys
*
Trp
U C A G
c
Leu Leu Leu Leu
Pro Pro Pro Pro
His His Gin Gin
Arg Arg Arg Arg
U C A G
A
lie lie He Met"
Thr Thr Thr Thr
Asn Asn Lys Lys
Ser Ser Arg Arg
U C A G
Val Val Val Val
Ala Ala Ala Ala
Asp Asp Glu Glu
Gly Gly Gly Gly
U C A G
U
G
*
*
* bedeutet Kettenende ** bedeutet auch Kettenanfang bzw. N-Formyl-Met *** Im Code der mitochondrialen mRNA bedeuten ADA = Met, UGA = Trp, AGA = Stop, AGG = Stop
bzw. Asparaginsäure erfolgt schon vor der Aminosäureaktivierung und nicht erst nach der Proteinbiosynthese. • Für die Aminosäuren Hydroxyprolin und Hydroxylysin sind keine Codezeichen vorhanden. Diese Aminosäuren werden erst nach der Inkorporation in die Polypeptidkette durch Hydroxylierung von Prolin- bzw. Lysinresten gebildet (Kap. Binde- und Stützgewebe). • Der Aminosäurecode ist für alle bisher untersuchten Formen des Lebens (einschließlich der Viren) gültig. Er ist universell, d. h. im Experiment sind auch gemischte Systeme, in denen Nucleinsäuren aus Bakterien, Pflanzen und Tieren kombiniert werden, für die Proteinbiosynthese voll funktionsfähig. Der Code der mitochondrialen mRNA weist geringfügige Abweichungen auf (Tab.). In Mikroorganismen ist die mRNA kurzlebig (wenige Minuten!). Nachdem sie 10—20mal als Matrize für die Synthese eines Proteins gedient hat, wird sie abgebaut. In tierischen Geweben kann sie mehrere Stunden bis Tage existieren.
11. Ribosomale RNA (rRNA) Ort der zellulären Proteinbiosynthese sind die Ribosomen. Sie sind subzelluläre Partikel (Kap. Biochemie der Zelle, S. 409), die aus ribosomaler Nucleinsäure und Proteinen im Verhältnis 1 : 1 bis 2: l bestehen und aus zwei Untereinheiten zusam-
Ribosomale RNA ( r R N A )
101
Bildung ribosomaler 28, 18 und 5,8 S RNA aus einer gemeinsamen 45 S RNA Synthesevorstufe (Prä-ribosomale RNA) durch posttranskriptionale Modifikation DNA
| Transkription | 45 S RNA (Synthesevorstufe) 5'-Phosphatende
3'-OH-Ende Enzymatische Basenmethylierung und partieller Abbau durch Endonucleasen
Molekulargewicht
18 S RNA
28 S RNA
5,85 RNA
6,5x 105
1,75x 10e
4 x 104
mengesetzt sind (Abb.). In der Ultrazentrifuge haben Ribosomen eine Sedimentationskonstante von 70 S (Mitochondrien, Prokaryonten) bzw. 80 S (Eukaryonten). Daten über die Untereinheiten der Ribosomen sowie die Zahl ihrer Nucleinsäuren und Proteine enthält die Tabelle. Bei Eukaryonten entstehen die verschiedenen rRNA-Typen aus RNA-Vorstufen (präribosomale RNA, prä-rRNA), die durch die RNA-Polymerase I bzw. RNAPolymerase III gebildet werden (Tab. S. 96). Aus einer 45 S präribosomalen RNA entstehen die rRNA-Typen 28 S, 18 S und 5,8 S (Abb.). Aus einer 30 S präribosomalen Vorstufe wird die 5 S rRNA gebildet. Die Umwandlung der präribosomalen RNA in die rRNA erfolgt durch Spaltung mit Hilfe von Endonucleasen. Gleichzeitig laufen zahlreiche Methylierungsreaktionen ab, die meistens an der 2'-Hydroxylgruppe der Riboseeinheiten erfolgen. Ribosomale Nucleinsäuren und Proteine verbinden sich zu einer definierten Quartärstruktur. Sie verleiht den Ribosomenuntereinheiten die für die ProteinbioPhysikochemische Kenngrößen und Aufbau von Ribosomen bei Prokaryonten (Bakterien, Mitochondrien) und Eukaryonten (tierische Zellen)
Sedimentationskoeffizient
Prokaryont
1
Ribosom
Eukaryont
70S
j
1
80S
j
Ribosomenuntereinheiten
50 S
30 S
60S
40 S
rRNA (ribosomale RNA)
23 S 5S
16S
28 S 5,8 S 5S
18S
34*
21
54
30
Zahl der ribosomalen Proteine Molare Masse x 10
6
32-35, je nach Bakterienspezies
1,8
2,8
1,0
2,7
4,0
1,3
102
Nucleinsäuren
synthese notwendige Enzymaktivität, ihre Fähigkeit zur Zusammenlagerung, sowie zur Bindung der mRNA (S. 97), der Aminoacyl- bzw. Peptidyl-tRNA (S. 102), sowie der Initiations-, Elongations- und Terminationsproteine. Neben ihrer katalytischen Funktion als Enzyme der Proteinbiosynthese sind einige ribosomale Proteine spezialisiert auf die Wechselwirkung mit Rezeptoren des endoplasmatischen Retikulums und werden Ribophorin I und II genannt (S. 143). Mit mehreren Ribosomen verbindet sich die Messenger-RNA (mRNA) zum Polyribosom oder Polysem.
12. Transfer-Ribonucleinsäure (tRNA) Die tRNA ist eine einsträngige Ribonucleinsäure mit 75 bis 85 Nucleotidresten. Innerhalb der tRNA-Kette stehen sich komplementäre Basen gegenüber, die durch Wasserstoffbrücken untereinander verbunden sind. Dadurch ergibt sich als Sekundärstruktur eine „Kleeblattfigur", im dreidimensionalen Raum jedoch eine intermolekulare Duplexstruktur, die der DNA-Doppelhelix analog ist und 10—11 Basenpaare/Drehung enthält (Abb.). Für die meisten Aminosäuren gibt es mehrere Transfer-Ribonucleinsäuren, die sich in ihrer Basensequenz unterscheiden. Das 3'OH-Ende ist jedoch bei allen tRNA identisch und besitzt stets die Basensequenz CCA. Das 5'-OH-Ende hat meist, aber nicht immer die Struktur eines Guanosin5'-phosphats. Der endständige Adenosinrest ist an der freien 3'-OH-Gruppe der Ribose nicht phosphoryliert. Die Basensequenz der Transfer-Ribonucleinsäuren ist bekannt. Ein Beispiel gibt die Abbildung (S. 103). Bei der tRNA-Synthese entsteht zunächst eine Vorstufe - prä-tRNA —, aus der enzymatisch Basensequenzen am 3'-OH- und 5'-Phosphatende entfernt werden. Dieser posttranskriptionale Fertigungsprozeß umfaßt weiterhin die zusätzliche Anfügung der Trinucleotidsequenz (CCA) am 3'-OH-Ende und eine Modifikation einzelner Basenreste, die in Methylierung, Desaminierung oder Reduktion besteht. Die tRNA besitzt drei charakteristische Eigenschaften: • Aminosäurebindung und Aminosäuretransfer. Die tRNA vermag an ihrem 3'OH-Ende die für sie spezifische Aminosäure kovalent zu binden. Die Bindung wird in einer als Aminosäureaktivierung bezeichneten mehrstufigen Reaktion geknüpft. Zunächst reagiert die freie Aminosäure unter der katalytischen Wirkung der Aminoacyl-transfer-RNA-Synthetase mit ATP unter Eliminierung von Pyrophosphat zu einer Aminoacyl-AMP-Verbindung. In ihr ist die Carboxylgruppe der Aminosäure mit der Phosphatgruppe des AMP in gemischter SäureanhydridVerbindung verknüpft und wird unmittelbar auf die tRNA übertragen, wobei unter Ablösung des AMP-Restes die Carboxylgruppe des Aminosäurerestes vorwiegend mit der freien 2'-OH-Gruppe der Ribose am Kettenende der tRNA eine Esterbindung eingeht. Die Aminoacyl-transfer-RNA-Synthetase ist ein streng spezifisches Enzym; für jede Aminosäure ist ein eigenes Enzym vorhanden. Die Aminosäureaktivierung spielt sich im Zytoplasma, in den Mitochondrien und möglicherweise in geringem Umfang auch im Zellkern ab. Das Reaktionsschema
Transfer-Ribonucleinsäure (tRNA)
103
Grundstruktur der tRNA-Moleküle in zweidimensionaler „Kleeblattform" (A) und dreidimensionaler Darstellung (B) = Pseudouridin. · · · = komplementäre Basen
DihydroUridinArm
variabler ExtraArm Anticodon-Arm
Anticodon-Arm
faßt den Vorgang der Aminosäureaktivierung zusammen. Die AminosäureacyltRNA überträgt bei der Proteinbiosynthese den Aminoacyl-Rest auf die wachsende Polypeptidkette. Matrizenerkennungsregion der tRNA. Jede tRNA besitzt innerhalb ihrer Kette ein Triplett, das dem mRNA-Codon „ihrer" Aminosäure komplementär ist und daher „Anticodon" oder Matrizenerkennungsregion genannt wird. Die tRNA ist also einerseits die Transportform für die aktivierte Aminosäure (Transport Zytoplasma > Ribosom), andererseits die Adaptationsform für die spezifische Einfügung der Aminosäure in die Polypeptidkette. Die mit der tRNA verknüpfte Aminosäure kann nachträglich durch chemische Manipulation in eine andere überführt werden (z. B. Cystein in Alanin), ohne daß sich dadurch an der Spezifität der tRNA etwas ändert. Mehrdeutigkeit der 3. Phase. Im Aminosäure-Code der mRNA (S. 100) besitzen fast alle Aminosäuren mehrere Tripletts, deren erste beide Basen (mit wenigen Ausnahmen) immer identisch sind, die sich jedoch in der letzten Base unterscheiden. Bei der Basenkorrespondenz des Anticodon der tRNA mit dem Codon der mRNA erfolgt die Paarung der beiden ersten Basen nach dem gleichen Prinzip wie in der DNA. Die Paarung der letzten Base ist hier jedoch — abweichend von dem Gesetz der Basenpaarung - mehrdeutig. So kann z. B. G (als l. Base im Anticodon) mit C oder U (3. Base im Codon), U mit A oder G und I mit U, C oder A korrespondieren (Tab.). Diese Mehrdeutigkeit der 3. Base der tRNA wird als „Wobble-Hypothese" (Crick) bezeichnet. Sie ist Teil der „Degeneration" des genetischen Code (S. 99).
104
Nucleinsäuren Aminosäureaktivierung bei der Proteinbiosynthese = Adenyl,
© = Cytosyl,
@ = Ribosyl) Aminosäurerest O
Amino- ·« säure /
O II
"y ^TAdenxl-r-ribosyl-5' — O — Pi — O — C —CH--|R'| AMP-Rest O NH, (P)—(P)
ATP
Aminoacyl-AMP t-RNA AminoacyltRNA-Synthetase
2 ADP
ATP
AMP
AMP —-
Aminosäurerest O II
t-RNA
00-(p)-(O-(p)-003 - o - c - CH 3'-Endedert-RNA
NH„
Aminoacyl-transfer-RNA
Mögliche Basenpaarungen zwischen tRNA (Anticodon) und mRNA (Codon)
3. Base Codon
1 . Base Anticodon
C A U G l
G U A oder G C oder U U, C oder A
13. Proteinbiosynthese Bei der Proteinbiosynthese laufen zunächst räumlich voneinander getrennte Teilprozesse ab: • Synthese der informationstragenden mRNA im Zellkern, die anschließend in das Zytoplasma gelangt und sich dort mit mehreren Ribosomen zum Polysom verbindet. • Aufnahme der Aminosäure in die Zelle (sofern die Aminosäure nicht in der Zelle selbst hergestellt wird) und ihrer Übertragung auf die tRNA (s. o.)· • Die eigentliche Proteinbiosynthese, an der die mit Aminosäuren beladenen tRNA-Moleküle, die mRNA, Ribosomen, Enzyme und Cofaktoren beteiligt sind. Hierbei wird der genetische Code „übersetzt". Der Vorgang nennt sich
Proteinbiosynthese
105
daher auch Translation. Er ist nachfolgend für den in Prokaryonten ablaufenden Prozeß näher beschrieben. Peptidsynthese am Ribosom. Die Proteinbiosynthese am Ribosom läßt sich in drei Phasen unterteilen: 1. Startreaktion, 2. Kettenverlängerung und 3. Syntheseende und Ablösung. • Startreaktion. Je ein Molekül N-Formyl-methionyl-tRNA und mRNA, deren Triplett (ÄUG) das Signal „Kettenanfang" codiert, lagern sich an eine 30 S Ribosomenuntereinheit an und bilden den Initialkomplex. Die Komplexbildung erfordert die Gegenwart von Mg 2+ , GTP und drei Initiationsfaktoren (IF-1, IF-2, IF-3). An diesen 30 S Initiationskomplex lagert sich die 50 S-Ribosomenuntereinheit an, wodurch der funktionstüchtige 70 S Initiationskomplex entsteht. Dieser besitzt 2 Bindungsstellen: den Akzeptorbezirk (Aminosäurebezirk) und den Donorbezirk (Peptidylbezirk), an denen die Aminosäure- bzw. Peptidreste tragenden tRNA-Moleküle so gebunden werden, daß sie mit dem Codon (Triplett) der mRNA korrespondieren. Die N-Formyl-methionyl-tRNA hält den Akzeptorbezirk besetzt, wobei ihr Anticodon gleichzeitig mit dem Triplett ÄUG der mRNA (am 5'-Phosphatende) korrespondiert. • Kettenverlängerung. Dieser Prozeß ist ein sich stetig wiederholender Zyklus, bei dem sich verschiedene Phasen unterscheiden lassen: a) die N-Formyl-methionyl-tRNA bildet zusammen mit dem Elongationsfaktor EF-Tu und GTP einen ternären Komplex, der vom Akzeptorbezirk auf den Donorbezirk des Ribosoms rückt und dadurch der folgenden Aminoacyl-tRNA das Signal für die Besetzung des nächsten Codontripletts am Akzeptorbezirk gibt. Das dabei aus GTP entstehende GDP bleibt zunächst an den Elongationsfaktor EF-Tu gebunden bis es durch die Einwirkung eines weiteren Elongationsfaktors EF-Ts abgelöst wird. Der entstehende Tu-Ts-Komplex wird durch Bindung an ein neues GTP-Molekül gespalten, so daß sich der Tu-GTP-Komplex zurückbildet und für den nächsten Kettenverlängerungsschritt zur Verfügung steht. b) Eine mit der 50 S bzw. 60 S Untereinheit des Ribosoms assoziierte PeptidylTransferase überträgt zunächst die erste, dann das entstehende Di-, Tri-, Tetrapeptid usw. jeweils auf die nächste eintretende Aminoacyl-tRNA. Bei jedem Übertragungsschritt wird eine Peptidbindung geknüpft und das gebildete Peptid vom Donorbezirk auf den Akzeptorbezirk weitergereicht. c) Die um eine Aminosäure verlängerte Peptidyl-tRNA rückt von dem Akzeptorbezirk auf den Donorbezirk, wobei die leere tRNA freigesetzt wird. Diese Translokation ist von der Mitwirkung eines dritten Elongationsfaktors (EF-G) und der Spaltung von GTP zu GDP und anorganischem Phosphat abhängig. Die jeweils freiwerdende tRNA kann erneut mit „ihrer" Aminosäure beladen werden. Während dieses Vorgangs wandert das Ribosom sukzessiv Triplett für Triplett an der mRNA entlang, so daß man die Ribosomen mit einer Nähmaschine verglichen hat. • Kettenende. Die Synthese des Proteins wird so lange fortgesetzt, bis das Triplett UAG das Kettenende, d.h. die Fertigstellung des Proteinmoleküls signalisiert. Nach der Fertigstellung des Proteins erfolgt seine hydrolytische Ablösung von der letzten tRNA am Donorbezirk, wobei die Terminationsproteine R-l und R-2 mitwirken. Das Polysom dissoziiert in mRNA sowie in die 50 S und 30 S Unter-
106
Nucleinsäuren Schematische Darstellung der Peptidkettenverlängerung am Ribosom bei der Proteinbiosynthese Die Peptidyltransferase überträgt den Peptidylrest -© von der am Donorbezirk gebundenen Peptidyl-t-RNA auf die am Akzeptorbezirk gebundene Aminoacyl-t-RNA. Durch anschließende Translokation des Ribosoms rückt die Peptidyl-1-RNA vom Akzeptor- auf den Donorbezirk. = N-Formyl-Met (4) = Ser (5) = Ala © = Val (7) = Phe
Anticodon dert-RNA
5'-Phosphat
3'-OH m-RNA Akzeptor- / Wanderungsrichbezirk / tung des Ribosoms
einheilen des Ribosoms, die erneut in den Zyklus der Proteinbiosynthese eintreten können. Das am N-terminalen Kettenende stehende N-Formylmethionin (Synthesebeginn!) wird durch ein besonderes Enzym wieder entfernt. In Eukaryonten beginnt die Proteinbiosynthese ebenfalls mit einem N-terminalen Methioninrest, der jedoch keine Formylgruppe trägt. Der N-Terminus der meisten Proteine trägt aber deshalb kein Methionin, da bei der cotranslationalen Modifikation die N-terminale (Met-tragende) Signalsequenz (Prä-Pro-Sequenz) wieder entfernt wird (S. 144). Der ganze Vorgang der Proteinbiosynthese läuft mit großer Geschwindigkeit ab: in einer Sekunde können von einem Ribosom bis zu 1000 Peptidbindungen geknüpft, also mehrere Proteinmoleküle hergestellt werden. Den erforderlichen Energieaufwand verdeutlicht die Tatsache, daß für die Synthese jeder Peptidbindung 4 energiereiche Nucleosidtriphosphate (2 ATP für die Bildung der Aminoacyl-tRNA, 2 GTP während der Elongationsphase) notwendig sind. Bei der Proteinbiosynthese am Ribosom erfolgt die Übersetzung (Translation) des Nucleinsäurecodes in die Proteinstruktur. Da die Basentripletts der DNA bzw. mRNA in der gleichen Ordnung folgen wie die Aminosäuren in der Polypeptidkette, stellt jedes Protein eine co-lineare Abbildung des entsprechenden Nucleinsäureabschnittes dar. Zusammenfassung der Proteinbiosynthese. Die genetische Information wird in der DNA gespeichert und durch Transkription auf die mRNA übertragen. In der Translationsphase wird die Information unter Beteiligung der Ribosomen und durch spezifische Wechselwirkung von mRNA und Aminoacyl-tRNA in die entsprechende Proteinstruktur übersetzt (Abb.).
Hemmstoffe der Nucleinsäure- und Proteinbiosynthese
107
14. Hemmstoffe der Nucleinsäure- und Proteinbiosynthese Das System der Nucleinsäure- und Proteinbiosynthese kann durch zahlreiche, chemisch definierte Substanzen, die eine Zelle von außen her erreichen, beeinflußt werden. Eine Hemmung auf ganz verschiedenen Ebenen des Zellstoffwechsels ist möglich, oft resultiert aber nicht nur eine selektive, sondern eine generelle Hemmung des Zellstoffwechsels. Das Studium der Wirkung und des Angriffsortes solcher Inhibitoren ist auch für die Medizin von großer praktischer Bedeutung geworden; denn in vielen Fällen lassen sich die beobachteten Hemmeffekte auch therapeutisch ausnutzen. So werden manche Hemmstoffe als Antibiotika bei der Behandlung von Infektionskrankheiten oder als Cytostatika bei malignem Zellwachstum (Carcinom, Leukämie) verwendet. Nach ihrem Angriffsort bzw. Wirkungsmechanismus lassen sich die Hemmstoffe wie folgt klassifizieren: Hemmstoffe der Purinbiosynthese. - (S. hierzu die beiden Reaktionsschemata auf S. 80, 81). Die Glutaminantagonisten Azaserin (O-Diazo-acetyl-L-serin) und 6Diazo-5-oxo-norleucin (DON) hemmen die Purinbiosynthese auf der Stufe der Übertragung des Glutaminamidostickstoffs auf das Phosphoribosyl-l'-pyrophosphat, ferner den Einbau des C-Atom 8 (Transformylase) in das Puringerüst und die Überführung des Xanthosinmonophosphats in das Guanosinmonophosphat. 6-Mercaptopurin blockiert die Adenylo-Succinase (Reaktion: Adenylosuccinat > Adenosinmonophosphat), so daß das aus Inosinmonophosphat und Aspartat gebildete Succinoadeninnucleotid nicht weiterreagieren kann. Hemmstoffe der Pyrimidinbiosynthese. 5-Fluor-uracil wird in der lebenden Zelle zu 5-Fluor-UMP und weiter zu 5-Fluor-dUMP metabolisiert. Das Desoxyderivat inhibiert spezifisch die Thymidilat-Synthetase und damit die DNA-Synthese. Das 5Fluor-UMP wird nach Phosphorylierung zum 5-Fluor-UTP in die RNA eingebaut. Ferner hemmt das 5-Fluor-uracil in vivo die Bildung von 70 S Ribosomen. 5-Bromuracil bzw. 5-Iod-uraciI können als Thyminanaloge aufgefaßt werden, bei denen die Methylgruppe in Position 5 durch Brom bzw. lod substituiert ist. Auf diese Weise wird es von der Zelle anstelle von Thymin akzeptiert und in die DNA eingebaut. Die Matrizeneigenschaften der DNA werden durch Bromuracil zwar nur relativ wenig verändert, doch ist ihre Strahlenempfindlichkeit (gegen UV bzw. ionisierende Strahlen) gesteigert. 5-Iod-uracil läßt sich daher als Chemotherapeutikum gegen DNA-Viren bei Infektionen der Cornea des Auges (UV-Einwirkung!) verwenden. Hemmstoffe der DNA-Replikation. Durch Alkylierungsreaktionen können komplementäre DNA-Stränge „vernetzt" und bei der Replikation nicht mehr getrennt werden. Beispiele für alkylierende Agentien sind das Mitomycin C (aus Streptomyces caespitosus), das ein Ethyleniminringsystem besitzt oder N-Lost-Verbindungen wie z. B. Cyclophosphamid. Durch die Vernetzung der DNA wird gleichzeitig auch die Transkription (RNA-Synthese) gehemmt (Abb.). Cytosinarabinosid, eine nucleotidanaloge Verbindung, in der die Ribose durch eine Arabinose ersetzt ist, hemmt die DNA-Polymerase und damit selektiv die DNABiosynthese. Eine ähnliche Wirkung hat Azidothymidin (S. 121). Gyrasehemmer. Die DNA-Gyrase der Prokaryonten sorgt durch Spaltung und das Wiederzusammenfügen der DNA für eine Entspiralisierung der Doppelhelix wäh-
108
Nucleinsäuren Alkylierende Vernetzung zweier DNA-Stränge durch ein N-Lost-Derivat (z. B. Zyklophosphamid)
Die beiden Guaninreste der DNA-Stränge 1 und 2 bilden kein korrespondierendes Basenpaar. P)—dRib—[P
OH
1. DNA-Strang + 2HCI CH2-CH2-CI
R l—N N
(P)— d R i b - ( P 2. DNA-Strang
rend der Replikation, Transkription, Rekombination und Reparatur. Gyrasehemmer (durch einen Piperazinring substituierte Chinolon-Carbonsäurederivate, z. B. Ciprofloxacin) interferieren mit dem Wiederverschließen der DNA-Stränge und führen dadurch zu einem Zusammenbruch des Bakterienstoffwechsels. Die Topoisomerase vielzelliger Eukaryonten (S. 88) ist nicht betroffen. Die Folsäureantagonisten Aminopterin und Metothrexat greifen als Inhibitoren sowohl in die Biosynthese der Purinbasen als auch der Pyrimidinbasen (s. u.) ein. Hemmstoffe der Transkription. Rifampicin, seine Derivate und chemisch ähnlich gebaute Antibiotika sind starke Hemmstoffe der DNA-abhängigen RNA-Polymerase. Das Antibiotikum wirkt jedoch species-spezifisch, d. h. nur auf Bakterien. Die entsprechenden Enzyme aus Eukaryonten werden nicht gehemmt. Aktinomycin D (aus Aktinomyceten) und Daunorubicin besitzen heterozyklische Ringsysteme, die in der Lage sind, mit DNA Komplexe zu bilden, indem sie sich flach über oder unter ein Guanin-Cytosin-Paar in die DNA-Helix einschieben (Intercalation) und dadurch die Tätigkeit der RNA-Polymerase bei der Ablesung des DNA-Referenzstranges und in höheren Konzentrationen auch die Aktivität der RNA-Polymerase hemmen. Wegen ihrer Toxizität werden sie nicht als Antibiotika, sondern als Zytostatika eingesetzt. a-Amanitin — ein Gift des Knollenblätterpilzes Amanita phalloides — ist ein zyklisches Oktapeptid mit mehreren ungewöhnlichen Aminosäuren, das die Fähigkeit besitzt, sich an die RNA-Polymerase II fest anzulagern und dadurch die Transkription, d. h. die Bildung der prä-mRNA (hnRNA) zu blockieren. Hemmstoffe der Translation. Einige, z. T. auch zur Chemotherapie benutzte Substanzen greifen direkt in den Prozeß der Proteinbiosynthese ein. Puromycin, ein
Hemmstoffe der Nucleinsäure- und Proteinbiosynthese
109
Antibiotikum aus Streptomyces purum bzw. alboniger, ist nicht nur bei Bakterien, sondern auch in tierischen Zellen wirksam. Auf Grund seiner chemischen Struktur als „Pseudonucleotid" (Formel) vermag das Puromycin als Antimetabolit der Aminoacyl-tRNA zu wirken, und zwar wird es anstelle einer Aminosäure an das Carboxylende der wachsenden Peptidkette (d. h. der bereits gebildeten Peptidyl-tRNA) gebunden. Die nachfolgende Aminoacyl-tRNA kann nicht mehr mit dem Puromycinrest reagieren. Dadurch kommt es zum Kettenabbruch, d.h. zur vorzeitigen Beendigung der Proteinbiosynthese und zur Ablösung des Proteinbruchstücks vom Ribosom.
HOCH
O — CH.
Puromycin
Die Wirkung des Streptomycins besteht darin, daß es sich mit der 30 S Untereinheit der Ribosomen verbindet, wobei das Streptomycin bindende Ribosomenprotein seine Konformation ändert. Dadurch treten gehäuft Fehler beim Ablesen des Codes auf (vorwiegend an den Pyrimidinresten der mRNA), so daß eine geordnete Weitergabe der genetischen Information nicht mehr gewährleistet ist. Es kann zur vollständigen Hemmung der Proteinbiosynthese kommen. Streptomycin wird als Antibiotikum bei vielen Infektionskrankheiten verwendet, da Bakterien „streptomycinempfindlicher" sind als Säugetierzellen. Gelegentlich werden die Infektionserreger „streptomycinresistent". Dieser Zustand tritt ein, wenn sich das Streptomycin-bindende Protein der 30 S Ribosomenuntereinheit durch Mutation so verändert, daß keine Streptomycinbindung zustande kommt. Einen anderen Angriffspunkt haben Chloramphenicol und Erythromycin, deren Inhibitorwirkung an der 50 S Ribosomenuntereinheit (von Prokaryonten) angreift und die entweder die Peptidyltransferase (Chloramphenicol) oder die Translocase (Erythromycin) blockieren. Tetrazykline hemmen die Proteinbiosynthese, indem sie die Bindung der Aminoacyl-tRNA an den mRNA-Ribosomenkomplex verhindern. Cykloheximid (Actidion) hemmt die Elongation durch Bindung an die 60 S-Ribosomenuntereinheiten eukaryoter Zellen (Hefe, Pilze, höhere Pflanzen, tierische Zellen) nicht jedoch an die 50 S-Ribosomen der Bakterien. Es wird daher hauptsächlich zur Behandlung von Pilz- bzw. Hefeinfektionen verwendet.
110
Nucleinsäuren
15. Regulation der Genexpression bei Prokaryonten Bei Bakterien wird die Genaktivität vorwiegend auf der Ebene der Transkription reguliert. Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus der Genkarte von dem Bacterium E. coli, das ein ringförmiges Chromosom (Doppelstrang-DNA-Molekül) besitzt. Der dargestellte Ausschnitt wird als Lac-Region bezeichnet. In der Lac-Region sind alle Gene lokalisiert, welche die Enzyme ß-Galaktosid-Transacetylase, ß-Galaktosid-Permease und ß-Galaktosidase determinieren. Diese Enzyme, deren Synthese stets gemeinsam stattfindet, werden von E. coli benötigt, wenn Lactose als Kohlenstoff- oder Energiequelle verwendet werden soll. Die Synthese dieser Enzyme unterliegt einem Regelmechanismus, an dem die Strukturgene, das Operatorgen und Regulatorgen beteiligt sind. Die Strukturgene (ac, y, z) und das Operatorgen (o) bilden eine Funktionseinheit: das Operon, dessen Aktivität durch ein Regulatorgen (i) kontrolliert wird. Die Regulation vollzieht sich in der Weise, daß das Regulatorgen - das nicht in unmittelbarer Nachbarschaft des von ihm regulierten Operons liegen muß - eine mRNA liefert, deren Syntheseprodukt ein Represser ist. Neben dem Operatorgen gibt es noch einen weiteren Kontrollort, den Promotor. Am Promotor wird die Transkription begonnen, d.h. an dieser Stelle auf der DNA heftet sich die RNA-Polymerase an und bewegt sich dann an der DNA entlang auf die Strukturgene ac, y, z zu, wenn ihr Fortschritt nicht durch den am Operator gebundenen Repressor blockiert wird. Der Repressor unterdrückt die Aktivität des Operatorgens (o), so daß die Synthese der (polycistronischen) mRNA für die Strukturgene (ac, y, z) ausbleibt. In Anwesenheit des Repressers ist das Operon also inaktiv, eine Synthese der für die Strukturgene spezifischen Enzyme (ß-Galaktosid-Transacetylase, ß-GalaktosidPermease, ß-Galaktosidase) findet nicht statt. Bei Anwesenheit eines spezifischen Substrates (z. B. Lactose) reagieren jedoch Substratmoleküle mit dem Repressor und inaktivieren ihn, so daß der Repressor jetzt nicht mehr die Wirkung des Operatorgens behindert und damit die von dem Regulationsmodell der Proteinbiosynthese Induktion bzw. Repression der Lac-Region bei E. Coli Ausschnitt aus der Genkarte von E. Coli
o
P
r i-mRNA
Induktor (Lactose)
Repressor (bindet an Operator)
Lactose-Repressor-Komplex (bindet nicht an Operator)
D
z
y
ac
l
l
l
DNA
Polycistronische Lac-mRNA
ß-Galaktosidase
ß-GalaktosidPermease
i = Regulatorgen p= Promotor
ß-GalaktosidTransacetylase
o = Operator z, y, ac = Strukturgene
Regulation der Genexpression bei Eukaryonten
111
betreffenden Operon gesteuerte Enzymsynthese „induziert" wird. Ein Substrat, das die Enzymsynthese auf diese Weise zu induzieren vermag, wird daher „Induktor" genannt. Ist das Substrat verbraucht, d. h. durch das induzierte Enzym umgesetzt, hört auch die Bildung der entsprechenden Enzyme wieder auf, da der Represser nicht mehr durch Substratmoleküle inaktiviert wird. Ein Induktor muß nicht immer Substrat des induzierten Enzyms, er kann auch eine Substrat-ähnliche Verbindung sein. Ein anderer Regulationsmechanismus besteht wahrscheinlich darin, daß ein Regulatorgen einen inaktiven (Apo-)Repressor bildet. Dieser vermag nicht mit dem Operatorgen zu reagieren, so daß an dem betreffenden Operon ständig Information abgelesen, d. h. mRNA gebildet wird, welche - entsprechend der Zahl der Strukturgene — die Synthese eines oder mehrerer Enzyme veranlaßt. Sind genügend Syntheseendprodukte unter der Wirkung der Enzyme entstanden, so reagieren diese mit dem (Apo-)Repressor zum aktiven Represser, der nun seinerseits mit dem Operatorgen reagiert und das Operon inaktiviert. Das den Repressor komplettierende Syntheseprodukt wird als „Corepressor", das Synthesesystem als reprimierbar bezeichnet. Repressoren sind Proteine von hoher Spezifität, die sich darin ausdrückt, daß sie einerseits ein Zentrum zur Erkennung des Operatorgens und andererseits eine spezifische Bindungsstelle für den Induktor bzw. Corepressor besitzen. Ihre Eigenschaften lassen sich am einfachsten erklären, wenn man annimmt, daß Repressor bzw. Aporepressor allosterische Proteine sind, deren Konformation sich bei Bindung des Induktors bzw. Corepressors ändert. Der in reiner Form dargestellte Repressor der Lac-Region von E, coli ist ein saures Protein (LP. 5, 6), das die für allosterische Proteine typische Quartärstruktur aufweist und aus 4 Untereinheiten von je 40 000 Molmasse besteht.
16. Regulation der Genexpression bei Eukaryonten Die Transkription und ihre Regulation verläuft bei Eukaryonten nach dem gleichen Prinzip wie bei Prokaryonten, ist jedoch im Detail komplexer. Eine Kontrolle der Genexpression (Proteinbiosynthese) kann sowohl auf der Ebene der Transkription als auch der Translation erfolgen. Gene, die für eine mRNA codieren, werden in ihrer Aktivität bei Eukaryonten durch 2 DNA-Abschnitte reguliert, die vor dem Startcodon (ÄUG) für die mRNA-Synthese liegen: Promotoren und Enhancer bzw. Silencer. Regulation der Transkription. Ein Promotor ist in unmittelbarer Nähe (25-30 Basenpaare) vor dem Startcodon für die RNA-Synthese („stromaufwärts"; englisch: „upstream") lokalisiert. Er besteht aus einer AT-reichen Region, der sog. „TATABox" und einer oder mehreren DNA-Sequenzen, die jeweils 8—12 Basen lang sind und als Upstream Promotor Elements (UPE) bezeichnet werden. Ein häufiger Vertreter der UPE ist die „CAAT-Box" (Abb.). Der Promotor ist die Erkennungsregion für die RNA-Polymerase und erforderlich für einen präzise lokalisierten Beginn der Transkription (RNA-Synthese).
112
Nucleinsäuren
Eine weitere Kontrolle der Transkription erfolgt durch Regulator-Elemente, die als Enhancer (Verstärker) oder Silencer (Dämpfer) bezeichnet werden. Es sind DNA-Sequenzen, die mit Induktor-Proteinen oder anderen an der Genregulation beteiligten Proteinen in Wechselwirkung treten und dadurch die Promotor-gesteuerte Transkriptionsrate erhöhen oder abschwächen. Sie wirken bei der Expression gewebsspezifischer Proteine mit. Promotorsequenz eines eukaryotischen Gens CAAT- und/ oder TATA-Box dienen als Erkennungsregion (= Promotor) für die DNA-abhängige RNA-Polymerase I I I . Start der Transkription Richtung der RNA-Synthese
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DNA-Doppelhelix 1 -65
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DNA-Doppelhelix !-" -25
1 0
1 +10
Der Mechanismus der Enhancerwirkung ist nicht völlig geklärt. Überraschenderweise können sie die Promotor-gesteuerte Transkriptionsrate unabhängig davon erhöhen, ob sie vor und hinter einem Promotor lokalisiert sind. An die Enhancersequenzen binden Hormone, die als Induktoren die Transkriptionsrate regeln. DNA-bindende Proteine. Die Spezifität der Transkriptionskontrolle verlangt, daß Regulatorproteine mit hoher Spezifität an die betreffenden DNA-Abschnitte binden. Hierfür sind die Regulatorproteine mit spezifischen DNA-bindenden Strukturen ausgerüstet. Dazu gehören: • Das Zink-Finger-Motiv. Diese Struktur ist gekennzeichnet durch eine Aminosäuresequenz der Polypeptidkette des Regulatorproteins in der 2 Cysteinreste dicht nebeneinander liegen und nach 12—13 Aminosäuren 2 weitere nebeneinander liegende Cystein- oder Histidinreste folgen. Die 4 Cystein- bzw. 2 Cystein-/2 Histidinreste binden je ein Zink-Ion (Abb.). Ein Regulatorprotein kann mehrere Zink-Finger enthalten, von denen jeder mit 5 Basenpaaren der DNA einen Kontakt entwickeln kann. Zink-Finger-Proteine sind u.a. der Transkriptionsfaktor III A, die Familie der Steroidhormon- und Schilddrüsenhormon-Rezeptoren (S. 314) und der Calcitriolrezeptor. • Das Helix-turn-Helix-Motiv. Die DNA-bindende Teilstruktur einiger Regulatorproteine besteht aus je 20 Aminosäuren, die 2 -Helices bilden, die durch eine kurze Umkehrschleife miteinander verbunden sind. Eine der -Helices bindet spezifisch an die große Furche des betreffenden DNA-Abschnitts. Die HomöoBox-Proteine* gehören in diese Gruppe. • Homöo-Box-Proteine reagieren mit DNA-Sequenzen, die Homöo-Box-Gene enthalten und kontrollieren deren Expression. Die Homöo-Box-DNA ist in der Evolution (von Insekten bis zum Menschen) hoch konserveriert und für die Ausbildung des grundlegenden Körperbauplans während der Embryogenese verantwortlich.
Regulation der Genexpression bei Eukaryonten
113
Das Leucin-Zipper-Motiv. Einige DNA-bindende Proteine, zu denen u.a. die Onkogene c-myc und c-fos (S. 529) zählen, bilden helikale Strukturen aus, bei denen in jeder 7. Position ein Leucinrest steht. Das bedeutet, daß bei 8 helikalen Windungen 4 Leucinreste in gleicher Position der -Helix nebeneinander liegen und über hydrophobe Wechselwirkungen mit den Leucinresten einer zweiten
Modell der Genaktivierung Zu Beginn der Transkription treten die Aktivatorproteine der Enhancer-Sequenz mit den Schwänzen des Histon H4 in Wechselwirkung. Dadurch löst sich das Nucleosom unter Abspaltung der Histone H2A und H2B teilweise auf. An die dabei freiwerdende TATA-Box heften sich die Basisproteine an, die wiederum mit den Aktivatorproteinen der Enhancerregion in Wechselwirkung treten, so daß durch Einwirkung auf die Transkriptions-lnitiationsstelle und Anlagerung der DNA-abhängige RNA-Polyrnerase die Transkription (Synthese der prä-mRNA) beginnen kann. His = Histone, TATA = TATA-Box Tl = Transkriptions-lnitiationsstelle Nucleosom
nrrin jEnhanceri Enhancer-Sequenz mit Aktivatorproteinen
00 RNAPolymerase DNA-abhängige RNA-Polymerase
/'"') (
) abgespaltene Histonpartikel
prä-mRNA
gleichartig gebauten Helix einen „Reißverschlußartigen" Kontakt (engl. Zipper) eingehen können. Die Raumstruktur des Proteins wird dadurch so stabilisiert, daß deren DNA-bindende Domäne die für eine Anlagerung an die DNA erforderliche Konformation erhält.
114
Nucleinsäuren Ausschnitt aus der Polypeptidkette eines DNA-bindenden Proteins der Zinkfingerfamilie C = Cysteinreste
H = Histidinreste
Zinkfinger (ca. 30 Aminosäurereste)
V Aminosäurereste
Kontrolle auf der Ebene der Translation. Während die Expression eines Gens in Prokaryonten vorwiegend auf der Ebene der Transkription reguliert wird, ist in Eukaryonten, die über eine stabilere mRNA verfügen, auch eine Kontrolle auf der Ebene der Translation möglich. So wird z. B. bei der Hämoglobinbiosynthese die Bildung der Globin-Proteinketten durch das freie nicht proteingebundene Häm (das aus der Porphyrinbiosynthese stammt) gesteuert. Fehlt das Häm, kommt die Synthese der Proteinketten dadurch zum Erliegen, daß aus einer c AM P-abhängigen Enzym-inaktiven Kinase eine aktive, 2 katalytische Untereinheiten enthaltene Kinase entsteht. Dadurch wird eine Phosphorylierungskaskade ingang gesetzt (Abb.), die zur Inaktivierung des für die Proteinbiosynthese notwendigen Initiationsfaktors eIF-2 (elF = eukaryontische Initiations-Faktoren) führt.
Schematische Darstellung der Interaktion der Cystein/Histidin-Zinkfinger mit DNA Jeder der folgenden Zinkfinger lagert sich an der entgegengesetzten Seite der Doppelhelix an
Auch die Lebensdauer einer mRNA trägt zur Regulation der Proteinbiosynthese auf der Ebene der Translation bei. So beträgt z. B. die Lebensdauer der mRNA in Prokaryonten (z. B. E. coli Bakterien) wenige Minuten, in Eukaryonten dagegen ca. 14 Tage. Eine Unterbrechung der Translation ist durch Abbau der mRNA möglich. Hierbei wird eine Endonuclease durch ein Oligonucleotid der ungewöhnlichen Struktur pppA2'p5'A2'p5'A aktiviert. Das Oligonucleotid wird aus ATP synthetisiert.
Mutation und DNA-Reparatur
115
Hemmung der Biosynthese von Globinketten durch Inaktivierung des Initiationsfaktors elF-2 Die zur Hemmung von elF-2 führende Phosphorylierungskaskade wird in Abwesenheit von freiem Häm in Gang gesetzt. (R = regulatorische, C = katalytische Untereinheit der cAMP-abhängigen Kinase)
cAMP-abhängige inaktive Kinase 2 R-Untereinheiten ATP p
cAMP-abhängige aktive Kinase 2 C-Untereinheiten
cAMP-abhängige inaktive Kinase 2 C- und 2 R-Untereinheiten
Hemmung durch Häm
TJ-©
17. Mutation und DNA-Reparatur Mutation. Als Mutation bezeichnet man vererbbare Änderungen der DNA, die in einem Basenaustausch, aber auch in einem Verlust oder der Addition von Basensequenzen bestehen kann. Mutationen können spontan auftreten oder durch energiereiche Strahlung (Röntgen, UV u. a.) bzw. Chemikalien („mutagene Substanzen") ausgelöst werden. Je nach Ausmaß der Mutation unterscheidet man große Erbänderungen (Chromosomenmutationen) und kleine Erbänderungen (Punktmutationen). Eine Punktimitation betrifft die Änderung der DNA auf einem eng umschriebenen Abschnitt ggf. lediglich die Abwandlung einer einzigen Base der DNA: • Desaminierung. Substanzen, die Punktmutationen durch Desaminierung auslösen, sind z. B. Hydroxylamin, das Cytosin zu Uracil umwandelt oder Nitrit, das die Umwandlung von C > U, A > Hypoxanthin und G > Xanthin bewirkt. Cytosin und Adenin unterliegen in nicht unerheblichem Ausmaß einer spontanen Desaminierung zu Uracil bzw. Hypoxanthin. • Tautomerisierung. Mutationen können auch durch spontane Tautomerisierung entstehen. So kann z. B. die Base Adenin (selten) als Iminotautomer vorliegen und dann mit Cytosin anstatt mit Thymin ein korrespondierendes Basenpaar bilden. Aus dieser atypischen A > C-Basenpaarung würde bei der nächsten Replikation eine A > T- bzw. eine G » C-Paarung entstehen. • Thermische Depurinisierung. Im menschlichen Genom gehen täglich 5000 Purinbasen durch thermische Abspaltung (37 °C!) der N-Glykosylbindung zwischen dem Desoxyriboserest und N 8 der Purinbase verloren und müssen in einem Reparaturprozeß ersetzt werden. • UV-Dimerisierung von Thyminbasen. Einwirkung von ultraviolettem Licht kann zur Dimerisierung von zwei unmittelbar benachbarten Thyminbasen führen.
116
Nucleinsäuren
Bleibt die Reparatur (s. u.) aus, kann es bei der DNA-Replikation zu Brüchen oder Schleifenbildungen innerhalb des neugebildeten DNA kommen. • Wird im Rahmen einer Mutation eine Base ausgetauscht, so bezeichnet man diesen Vorgang als Transition, wenn z. B. eine Purinbase gegen eine andere Purinbase ausgetauscht wird, dagegen als Transversion, wenn es zum Austausch einer Purinbase gegen eine Pyrimidinbase oder umgekehrt kommt. Große Chromosomenänderungen. Chromosomenmutationen betreffen den Verlust, das Hinzukommen oder die Umlagerung einzelner Segmente eines Chromosoms und treten als strukturelle Chromosomenaberrationen oder Chromatidaberration in Erscheinung. Ein Beispiel ist das Auftreten des „Philadelphia-Chromosoms" bei der chronisch-myeloischen Leukämie. Dabei kommt es zur Deletion am Chromosom 22, wobei das Bruchstück meist auf dem Chromosom 9 nachzuweisen ist. Chromosomenbrüche können auch durch ionisierende Strahlen oder mutagene Chemikalien ausgelöst werden, unter denen u. a. alkylierende Agenzien (z. B. Stickstofflost, Epoxide, Ethylenimine oder Zyklophosphamid) wirksam sind. Auch der Einbau strukturanaloger Verbindungen (5-Fluor-Desoxyuridin, Cytosin-Arabinosid) oder Einschieben oligozyklischer aromatischer Verbindungen in den DNADoppelstrang (Aktinomycin, Ethidiumbromid) verursachen Mutationen. DNA-Reparatur. Eine Strukturänderung der DNA-Basensequenz hat zunächst den Charakter einer Prämutation, wird aber zur Mutation, wenn der Defekt bei der Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben wird. Viele Zellen besitzen jedoch die Fähigkeit, die beschädigte DNA, speziell durch UV gebildete Thymin-Dimere, zu erkennen und zu entfernen. Dies erfolgt entweder durch eine enzymatische lichtabhängige Spaltung der Dimeren in die Monomeren (Photoaktivierung) oder (häufiger) durch die sogenannte Exzisionsreparatur. Dabei wird die DNA in unmittelbarer Nähe der Schadstelle (z. B. Thymindimere) durch eine Endonuclease „eingeschnitten" und der Abschnitt des mutierten DNA-Stranges durch die Exonucleaseaktivität der DNA-Polymerase aus der DNA heraushydrolysiert. Die entstandene Lücke wird durch eine de novo-Synthese mit Hilfe der gleichen DNA-Polymerase geschlossen, wobei der intakte Komplementärstrang als Matrize dient und die Verknüpfung zwischen neusynthetisiertem DNA-Stück und altem DNA-Strang durch eine DNA-Ligase erfolgt (Abb.). Die DNA-Reparatur ist eine „Antimutation". Bei der Reparatur kurzer Strangabschnitte (Abb.) kommt es zu einer Verschiebung der Schnittstelle („Nick-Translation"). An einer Einzelstrang-DNA ist keine Reparatur möglich. Spezifische N-Glykosidasen erkennen und entfernen die durch spontane Desaminierung aus Cytosin und Adenin entstehenden Uracil- bzw. Hypoxanthinbasen. Der dadurch entstandene Defekt wird von einer spezifischen Endonuclease ausgeschnitten und anschließend nach dem Prinzip der Schnittstellenverschiebung (NickTranslation) repariert. Auch alkylierte Basen werden auf ähnliche Weise entfernt und durch die korrekten Nucleotide ersetzt. Schlüsselreiz für die Aktivität der Reparaturenzyme ist die räumliche Verzerrung (Konfigurationsänderung) des betroffenen DNA-Stranges, wie sie z. B. nach Bildung von Thymindimeren oder bei Insertion von Basen in einem der beiden DNAStränge eintritt. Primär ist die Reparatur auf die Integrität der DNA-Replikation gerichtet. Die Aktivität der Reparaturenzyme ist daher während der DNA-Teilung 4—6mal intensiver als während der GQ- oder GpPhase (S. 525).
Mutation und DNA-Reparatur
117
DNA-Reparatur Fehlerfreie Kurzstrangreparatur unter Verschiebung der Schnittstelle. [T] Endonuclease, [U - S] DNA-Polymerase 1, GH DNA-Ligase
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Reparaturdefekte. Xeroderma pigmentosum-Kranke können infolge eines genetischen Defektes, der jedes der an der Reparatur beteiligten Enzyme betreffen kann, Thymindimere aus ihrer DNA nicht vollständig entfernen und sind extrem empfindlich gegen Sonnenlicht. Aus den entstehenden warzenartigen Gebilden der Haut entwickeln sich langsam bösartige Tumoren. Molekularkrankheiten. Eine vom Organismus nicht beseitigte Mutation wird bei der DNA-Replikation an die Tochter-DNA weitergegeben und kann die Synthese eines Proteins mit fehlerhafter Struktur oder das völlige Ausbleiben der Synthese eines Proteins zur Folge haben. Bei Punktmutationen, welche die erste oder zweite Base eines Tripletts betreffen, wird eine fehlerhafte mRNA gebildet und in der Peptidkette eine Aminosäure gegen eine falsche ausgetauscht. Die Funktion des Proteins kann bereits dadurch erheblich verändert werden. Dies ist z. B. beim Sichelzellhämoglobin und weiteren Hämoglobinopathien (S. 429) der Fall. Fallen eine Base oder zwei aufeinanderfolgende Basen eines Tripletts durch Mutation aus, wird von dieser Stelle ab die Triplettsequenz - und natürlich auch die Aminosäuresequenz des Proteins - völlig verändert. Der Verlust eines Basentripletts hat dagegen nur die Folge, daß eine Aminosäure innerhalb der Peptidkette (bei sonst unveränderter Sequenz) fehlt. Ist das Genprodukt ein Enzymprotein, so kann dessen katalytische Aktivität bis zur vollständigen Inaktivität herabgesetzt sein. Viele erbliche Störungen des Aminosäure-, Kohlenhydrat-, Lipid-, Porphyrin-, Purin- und Pyrimidinstoffwechsels hat man als Enzymdefekte identifiziert. In den entsprechenden Kapiteln ist darauf hingewiesen. Auch die angeborenen Transportdefekte haben ihre Ursache in fehlenden oder falschen Struktur- oder Enzymproteinen. Mit immunologischen
118
Nucleinsäuren
Methoden läßt sich nachweisen, daß ein Protein mit fehlerhafter Struktur trotz seiner biologischen Inaktivität ständig von der Zelle synthetisiert wird, jedoch eine nur kurze Halblebenszeit besitzt. Die Mutation eines Regulatorgens im Bereich eines Promotors oder Enhancers hat zur Folge, daß das betreffende Protein überhaupt nicht synthetisiert wird. Ein Beispiel ist das völlige oder weitgehende Fehlen der ß-Kette im Hämoglobin A bei der ß-Ketten-Thalassämie.
18. Viren Viren sind die Erreger zahlreicher, z. T. schwerer Infektionskrankheiten. Im Tierversuch lassen sich durch bestimmte Viren auch Tumoren erzeugen (Kap. Bösartiges Wachstum, S. 526). Als Modelle genetischer und molekularbiologischer Forschung sind sie aber deshalb von hervorragendem Interesse geworden, weil der Vorgang der Virusvermehrung als Muster für alle Fortpflanzungsvorgänge in der belebten Natur gelten kann. Das Virus ist die kleinste selbständige reproduktionsfähige Einheit. Es besitzt zwar eine informationstragende Nucleinsäure, aber kein eigenes Enzymsystem und keinen eigenen Stoffwechsel, um diese genetische Information zu realisieren. Chemische Zusammensetzung. Kleine Viren bestehen nur aus einer Protein- und einer Nucleinsäurekomponente. Die größeren Virusarten enthalten außerdem noch Lipide und Kohlenhydrate und können auch über eigene Enzyme verfügen. Die Schematische Struktur des humanen Immundefizienz-Virus (HIV I) HIV ist ein Retrovirus. 2 RNA-Moiokiile. an die mehrere reverse Transkriptasemoleküle gebunden sind, befinden sich im Innern der ikosaedrisch angeordneten Core-Proteinmoleküle (Nucleocapsid). Der Ikosaeder ist von einer Hüllproteinschicht und einer Lipid-Doppelmembran umgeben, in die Glykoproteme (Envelope) eingelagert sind.
Querschnitt [T|Virus-RNA S] Inneres Hüllprotein P 18 E] Hüll-Glykoprotein GP 120
Reverse Transkriptase [5] Lipid-Doppelmembran
[3j Nucleocapsid-Protein [6] TransmembranGlykoprotein GP41
Viren
119
Beispiele humanpathogener Viren
Virustyp
DNAViren
RNAViren
Größe des Viruspartikels (nm)
Mol. -Gew. x 10 6 d e r Nucleinsäure
Krankheitsbilder
Adenoviren
70-90
23
Nasopharyngitis, Konjunktivitis
Herpesviren
100
54-92
Pockenviren Papovaviren
230 300 5-50
160 3-5
Windpocken, Herpes, Burkitt-Lymphom Pocken Papillome (Warzen)
Picornaviren
20-30
2-2,8
Poliomyelitis, Nasopharyngitis
Reoviren
60-70
15
20 100 150-300 35-40 100
2-6 4-8 3 10-13
Gruppe*
Arboviren Paramyxoviren Togaviren Retroviren
Erkrankung der Luftwege, Enteritis Encephalitis, Gelbfieber Masern, Mumps Röteln Erworbenes ImmundefizienzSyndrom (AIDS)
* Innerhalb der einzelnen Gruppen kennt man zahlreiche Untergruppen. So werden bei den Adenoviren 30 verschiedene serologische Typen, bei den Arboviren mehr als 200 Typen unterschieden. Die Gesamtzahl der humanpathogenen Virusarten beträgt mehr als 400.
morphologische Struktur der kleinen Viren ist dadurch charakterisiert, daß der Proteinanteil die Nucleinsäure schützend umhüllt oder direkt mit ihr verbunden ist. Die Schutzhülle bezeichnet man als Capsid. Die Proteinhülle selbst besteht aus zahlreichen kleinen identischen Proteineinheiten (Capsomere). Das Capsid ist fast immer symmetrisch aufgebaut. Eine Ikosaeder- oder Helixstruktur sind häufig. Bei Bakteriophagen (s. u.) kann das Capsid noch einen Schwanz enthalten. Der Durchmesser der Viren mit kubischer Symmetrie liegt zwischen 25 und 300 · 10 7 cm. Nach dem Typ der Nucleinsäure, die ein Virus enthält, unterscheidet man DNAund RN A-Viren. Im Gegensatz zu den zellulären Organismen besitzen Viren jeweils nur einen Typ von Nucleinsäure, entweder DNA oder RNA, die doppelsträngig oder einsträngig sein kann. Die Virusnucleinsäure (DNA oder RNA) kann ein offener oder geschlossener Doppelstrang, aber auch ein ringförmiger oder offener Einzelstrang sein und enthält, wie bei jedem anderen zellulären Lebewesen, die gesamte genetische Information, die erforderlich ist, um die eigene Replikation zu erreichen. Diese Replikation ist allerdings nur in Verbindung mit den Synthesemechanismen einer lebenden Wirtszelle möglich, in die das Virus eindringen muß. Solche Wirtszellen, die dem Virus ihren Syntheseapparat zur Verfügung stellen, können tierische oder pflanzliche Zellen oder Bakterien sein. Viren, die Bakterien als Wirtszellen benutzen, werden als Bakteriophagen bezeichnet. Neben Viren und Bakteriophagen existieren Viroide, kleinste infektiöse und pathogene RNA-Moleküle, die lediglich aus 330-380 Ribonucleotiden bestehen (Molmasse ca. 120000) und Kulturpflanzen befallen können.
120
Nucleinsäuren
Mechanismus der Virusvermehrung in der Wirtszelle. Die Virusvermehrung verläuft in verschiedenen Phasen, die in ihrer zeitlichen Reihenfolge genau gesteuert werden und bei denen auch eine genaue Regulation zwischen Virusfunktion und Zellstoffwechsel besteht. Eine Vermehrungsphase dauert im allgemeinen 6—8 Stdn. und verläuft in folgenden vier Stufen: • Adsorption des Virus an die Zelle. Beim Mechanismus der Virusadsorption an die Zelle spielen Molekularbewegungen, elektrostatische Kräfte und virusspezifische Rezeptoren der Zellmembran (z. B. N-Acetylneuraminsäure für Influenzavirus) eine wesentliche Rolle. • Penetration und Aufnahme des Virus in die Zelle. Die Art und Weise des Eindringens des Virus in die Zelle ist unterschiedlich. Während Bakteriophagen ihre Nucleinsäure in die Zelle „injizieren", wobei das Hüllprotein draußen bleibt, werden andere Viren durch Phagozytose von der Zelle aufgenommen. Bei Retroviren nimmt das Virion mit der Membran der Wirtszelle Kontakt auf. Beim humanen Immundefizienz-Virus (HIV I) sind dabei das G 120 des HIV (Abb.) und der CD4-Rezeptor der T-Lymphozyten beteiligt. Die Virusmembran (Abb.) verschmilzt mit der Plasmamembran der Zelle und der Inhalt des Virions (Nucleocapsid) gelangt in das Zytoplasma der Wirtszelle. • Virusvermehrung in der Zelle. Bei den DNA-Viren beginnt die Vermehrung im Zellkern der Wirtszelle mit der Synthese einer „frühen virusspezifischen RNA", die sich an die Ribosomen der Wirtszelle anlagert, und deren Protein-Syntheseapparat für den eigenen Bedarf einsetzt. Auf diese Weise werden zunächst die „frühen Virusproteine" gebildet. Gleichzeitig werden alle Syntheseprozesse der Zelle gehemmt, die mit denen der Virusvermehrung in Konkurrenz stehen. Die Virusnucleinsäure enthält also Gene, die einmal den Prozeß der Virussynthese codieren und zum anderen den Stoffwechsel der Wirtszelle kontrollieren. Anschließend erfolgt die Replikation der Virus-DNA und die Synthese der „späten Virus-RNA" und „späten Proteine". Sind alle Bausteine des Virus in genügender Anzahl hergestellt, so erfolgt die Vereinigung zum kompletten Virus. • Freisetzung des neugebildeten Virus aus der Zelle. Das Virus wird entweder durch Zerstörung der Wirtszelle (mit Hilfe lytischer Enzyme) frei oder durch einen aktiven Exkretionsprozeß ausgeschleust. Das Freiwerden kann explosionsartig oder kontinuierlich erfolgen. Die Anzahl der in einer Zelle gebildeten Viren variiert je nach Art von 100—1000 und mehr. Bleibt die Zelle intakt, kann sie mehrere Generationen von Virusteilchen ausscheiden. Retroviren verlassen die Wirtszelle durch Knospung, wobei sie die Lipide ihrer äußeren Hüllmembran großenteils von der Membran der Wirtszelle beziehen. Bei einsträngigen RNA-Viren kann die RNA direkt als Messenger ((+)-Strang) dienen, der die Information für die Bildung der Kapselproteine und einer RNAabhängigen(J) RNA-Polymerase enthält. Bei einsträngigen RNA-Viren, die nur über einen (-)-Strang verfügen, beginnt die Synthese mit der Bildung eines virusspezifischen RNA (+)-Stranges, der Messengereigenschaften aufweist. Bei doppelsträngigen (±)-RNA-Viren wird zunächst nur der informationstragende (+)-RNAStrang transkribiert (asymmetrische, konservative Transkription). Die übrigen Prozesse der Virusvermehrung (Bildung von Hüllproteinen, Enzymproteinen u. a.) entsprechen den Vorgängen der Vermehrung von DNA-Viren.
Viren
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Bei Retroviren und verschiedenen Tumorviren, die eine einsträngige (+)-RNA und eine virusspezifische reverse Transkriptase (RNA-abhängige DNA-Polymerase) enthalten, wird in der Wirtszelle zunächst eine virusspezifische doppelsträngige zirkuläre DNA synthetisiert, die in den Zellkern gelangt und dort in das Genom der Wirtszelle integriert wird. Diese Integration führt bei Tumorviren zur malignen Transformation (S. 526) und ist bei Retroviren Voraussetzung für die weitere Vermehrung. Aus der integrierten viralen DNA werden dann sowohl die genomische Virus-RNA transkribiert, deren Translation zur Bildung virusspezifischer Proteine führt. Interferon. Die einem Virus ausgesetzten Wirtszellen sind jedoch nicht wehrlos, und nicht jede Virusinfektion führt auch zur intrazellulären Virusvermehrung. Die Zelle verfügt nämlich über einen natürlichen Schutzmechanismus, indem sie eine Virusinfektion mit der Bildung von Interferon beantwortet. Humanes Interferon ist ein aus 166 Aminosäuren bestehendes Glykoprotein. Es kann von Leukozyten ( -Interferon), Fibroblasten (ß-Interferon) und Lymphozyten ( -Interferon) gebildet werden und entfaltet antivirale, antiproliferative und immun-regulatorische Effekte. Nach Virusbefall einer Zelle wird eine spezifische mRNA gebildet, mit deren Hilfe die Zelle innerhalb von 1 — 3 Stunden Interferon synthetisiert. Nach 4—12 Stunden gelangt das Interferon aus der Zelle, kann durch rezeptorvermittelte Endozytose von nichtinfizierten Zellen aufgenommen werden und vermag hier sowohl die Transkription viraler Nucleinsäuren als auch deren Translation in virale Proteine zu inhibieren, so daß die Zelle gegen Befall mit Virus resistent wird. Da sowohl Interferon aus der infizierten Zelle als auch exogen zugeführtes Interferon in nicht-infizierte Zellen eindringen können, wurde Interferon bereits erfolgreich für die klinische Behandlung von Virusinfektionen (Herpesinfektionen des Auges, Hepatitis B-Infektion), aber auch für die Behandlung menschlicher Tumoren (Osteosarkom, Lymphogranulomatose) eingesetzt. Interferon ist nicht spezifisch für ein bestimmtes Virus, d. h., es schützt gegen die verschiedensten Viren, ist aber artspezifisch, d.h. nur in Individuen der Art wirksam, in der es gebildet wurde. Auch schützt es die Zelle lediglich vor der Infektion. Ein anderer Schutzmechanismus besteht darin, daß die Virus-DNA nach Eindringen in die Wirtszelle von zelleigenen Nucleasen abgetastet und evtl. zerstört wird, so daß die Infektion zum Stillstand kommt. Die Kenntnisse der biochemischen und molekularbiologischen Prozesse während der Virusvermehrung bieten nicht nur naturwissenschaftliche Aspekte. Die Aufklärung der einzelnen Phasen der Infektion einer Zelle und der sich anschließenden intrazellulären Vermehrung des Virus haben auch die theoretischen Grundlagen für die Erkennung und Behandlung von Viruskrankheiten gelegt und verschiedene Wege für eine Chemotherapie gewiesen. Die Entwicklung des Poliomyelitisimpfstoffes, bei dem Poliovirusmutanten mit abgeschwächter Neuropathogenität zur Immunisierung (Antikörperbildung, Kap. Immunchemie, S. 541) verwendet werden, sind z. B. das Ergebnis genetischer Forschung. Die Beobachtung, daß man die Interferonbildung nicht nur durch Viren, sondern auch durch doppelsträngige RNA anregen kann, eröffnet weitere Möglichkeiten einer Virusprophylaxe mit großer Breitenwirkung.
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Nucleinsäuren
Antivirale Substanzen. Die Zahl der Substanzen, die in der Gewebekultur und im Tierversuch einen antiviralen Effekt zeigen, ist außerordentlich groß. Bisher haben jedoch nur wenige Wirkstoffe in der Humanmedizin eine praktische Bedeutung erlangt wie etwa das lod-Desoxyuridin bei der Behandlung der Herpes simplexKeratitis (Virusinfektion der Hornhaut des Auges) oder das Amantadin bei der oralen Prophylaxe der Influenza-A-Virusinfektionen. Für die Behandlung von Infektionen mit Retroviren (z. B. AIDS) wird Azidothymidin (3'-Azido-2',3'-didesoxythymidin, AZT) eingesetzt. AZT wird in der Wirtszelle zu AZT-triphosphat umgesetzt und inhibiert die für Retroviren obligate reverse Transkriptase der Virus RNA zu DNA durch kompetitive Hemmung des Einbaus von dTTP und Kettenabbruch (nach fälschlichem Einbau eines AZT-triphosphats während der DNA-Synthese). Es besitzt eine lOOmal höhere Affinität zur reversen Transkriptase von HIV als zur DNA-Polymerase von Säugetierzellen. Prione. Auch proteinartige infektiöse Partikel (Prion-Proteine) können als krankheitsauslösende Agenzien fungieren, indem sie für die Ablesung einer in der Wirtszelle normalerweise vorhandenen stummen genetischen Information sorgen, also als Genaktivatoren wirken, unter deren Einfluß unphysiologische (krankmachende) Genprodukte exprimiert werden. Die Creutzfeld-Jakob-Erkrankung (eine seltene fortschreitende funktioneile Störung des menschlichen Kleinhirns), der Rinderwahnsinn (BSE, bovine spongiöse Enzephalitis) und die Traberkrankheit, die mit neurologischen Störungen bei Schafen und Ziegen einhergeht, gehören zu den durch Prione ausgelösten Erkrankungen.
19. Übertragung von DNA Die Bakterien- und Phagengenetik hat zahlreiche Beweise für die Möglichkeit einer Übertragung von DNA von einer Zelle auf eine andere geliefert. Die z. T. klassischen Experimente sind nicht nur für die Genetik grundlegend, sondern beweisen auch die prinzipielle Möglichkeit einer experimentellen Veränderung genetischen Materials einschließlich einer Korrektur genetischer Defekte. Folgende Mechanismen der DNA-Übertragung sind zu unterscheiden: Transformation. Isoliert man von bestimmten Bakterienstämmen (z. B. Pneumokokken) reine DNA und setzt sie der Kultur eines anderen Pneumokokkenstammes zu, der ein typisches Merkmal (z. B. die Fähigkeit zur Kapselbildung) durch Mutation verloren hat, so werden die isolierten DNA-Moleküle von den mutierten Zellen aufgenommen. Es kommt dann zu einer Rekombination zwischen der aufgenommenen DNA und der DNA der Wirtszelle, die dadurch die Fähigkeit zur Kapselbildung - genetisch verankert - wiedererhält. Maligne Transformation. Bei manchen DNA-Tumorviren und bei RNA enthaltenden Retroviren (S. 120) findet nach ihrem Eindringen in die eukaryote Wirtszelle keine Replikation der Virus-DNA bzw. der durch reverse Transkription gebildeten Virus-DNA und auch keine Auflösung der Wirtszelle statt, stattdessen wird die Virus-DNA in das Genom der Wirtszelle als Provirus integriert. Dieser Prozeß wird als Transformation bezeichnet. Die transformierte Zelle besitzt also neben ihrer
Gentechnologie
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eigenen DNA zusätzlich Virus-DNA und gewinnt dadurch neue genetisch verankerte und vererbbare Eigenschaften. Transformierte Zellen unterscheiden sich von normalen Zellen häufig in ihrem Wachstumsverhalten und der chemischen Struktur rer Zelloberfläche. Werden transformierte Zellen aus der Gewebekultur einem geeigneten Wirt injiziert, so können sie sich wie Krebszellen verhalten und malignes Wachstum zeigen (s. Kap. Bösartiges Wachstum, S. 526). Transduktion. Als Transduktion bezeichnet man eine Übertragung von DNA zwischen 2 Bakterienzellen, bei der „transduzierende" Bakteriophagen (s. o.) die Übertragung vermitteln. Wenn sich solche Phagen in einer Wirtszelle vermehren, so packen sie gelegentlich ein Stück Wirtszell-DNA in ihre Proteinhülle ein. Die eingepackte Bakterien-DNA kann dann bei Infektion der nächsten Bakterienzelle freigesetzt und durch Rekombination in die DNA der Bakterienzelle eingebaut werden. Eine Transduktion ist auch zwischen Bakterienzellen und menschlichen Zellen möglich. Der das Bakterium E. coli infizierende Phage (Lambda) kann z. B. die Erbinformation des Gal-Operons bei seiner Vermehrung in der E. co/i-Zelle übernehmen und auf menschliche Fibroblasten, die in Zellkulturen gehalten werden, übertragen. Das Gal-Operon von E. coli enthält den DNA-Abschnitt, der die für die Galaktoseverwertung notwendigen Enzyme codiert: Galaktokinase, Gal-l-(P)Uridyltransferase und UDP-Galaktose-4-Epimerase (S. 179). Setzt man die -Phagen menschlichen Fibroblastenkulturen von Patienten zu, die an Galaktosämie (Mangel an Gal-l-(P)-Uridyltransferase) leiden, so nimmt ein Teil der Fibroblasten das vom Phagen übertragene Gal-Operon auf und inkorporiert es in die eigene DNA. Die so behandelten Zellen vermögen danach das fehlende Enzym wieder zu synthetisieren, sind also „geheilt". Transfektion. Auch reine DNA läßt sich mit Hilfe verschiedener Techniken in intakte lebende Eukaryontenzellen einführen (s. Gentherapie S. 126). Injiziert man z. B. in Mäuseembryonen in einem sehr frühen Teilungsstadium fremde Gene bzw. Fremd-cDNA, kommt es im Idealfall zur Integration der Fremd-DNA in die Keimbahn des Wirtsorganismus, so daß die neue Eigenschaft auch vererbbar ist. Bei einer anschließenden Austragung der genetisch manipulierten Embryonen in weiblichen Tieren kommt es zur Entwicklung sog. „transgener" Organismen (S. 126). In manchen Fällen wird das in die Keimbahn des Wirtsorganismus integrierte FremdDNA auch exprimiert, wie z. B. bei der aus Herpes-simplex-Viren stammenden Thymidin-Kinase-cDNA. Die Fremd-DNA kann sich aber auch als „stummer Passagier" verhalten und überhaupt nicht exprimiert werden.
20. Gentechnologie Die bei der genetischen Rekombination ablaufenden Prozesse, wie sie z. B. spontan bei der Übertragung von DNA-Segmenten aus bakteriellen Chromosomen in Bakteriophagen beobachtet werden, lassen sich auch im in vitro Experiment nachvollziehen. Durch den Einsatz spezifischer DNA-spaltender Restriktionsendonucleasen (S. 127) ist es möglich, DNA-Segmente beliebiger Herkunft in BakteriophagenDNA oder in die DNA verschiedener bakterieller Plasmide einzufügen. Solche
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Nucleinsäuren
Empfanger-DNA-Moleküle für eine Fremd-DNA werden als Vektor bezeichnet. Plasmide sind kleine ringförmige DNA-Moleküle, die 5-10 · l O3 Basen enthalten, und sich innerhalb der Bakterienzelle autonom und unabhängig von der bakteriellen chromosomalen DNA replizieren können. Bei Einfügung eines Segments einer Fremd-DNA in ein Bakterienplasmid bildet sich eine rekombinante DNA, die aus Anteilen verschiedener DNA-Moleküle besteht (hybrides Plasmid). Bei entsprechender Vermehrung in der Bakterienzelle erhält man eine homogene Population der rekombinanten DNA. Die Homogenität leitet sich aus der Tatsache ab, daß alle bei der Vermehrung des Hybridplasmids gebildeten Fremd-DNA-Molekülabschnitte von einem einzigen DNA-Molekül abstammen. Dieser Vorgang wird als „Klonierung" der DNA* bezeichnet. Die Plasmide zahlreicher Bakterien tragen Gene für Enzyme, die Antibiotika abbauen können und dem Bakterium damit Antibiotikaresistenz verleihen. Ein Plasmid aus E. coli (pBR 322) trägt z. B. Resistenzgene gegen Ampicillin und Tetracyclin. Innerhalb dieser Gene befinden sich Erkennungsregionen für Restriktionsenzyme (S. 127). Wenn man in eines dieser beiden Resistenzgene ein Stück Fremd-DNA einsetzt, wird es inaktiviert. Die erfolgreiche Eingliederung von Fremd-DNA in eines der Resistenzgene läßt sich also leicht an der fehlenden Resistenz gegen das jeweilige Antibiotikum erkennen. Die Methode der Konstruktion rekombinanter DNA-Moleküle ist schematisch in der folgenden Abbildung dargestellt. Dabei werden sowohl die aus einer Bakterienzelle isolierte Plasmid-DNA als auch die für eine Klonierung vorgesehene Fremd-DNA (die aus einer beliebigen Spenderzelle stammen, aber z. B. auch durch reverse Transkription aus einer bestimmten mRNA hergestellt sein kann) der Wirkung einer Restriktionsendonuclease unterworfen, welche innerhalb der DNA-Sequenz spezifische Spaltorte erkennt. Die DNA-Spaltstücke werden anschließend mit Hilfe einer Ligase wieder zu ringförmigen hybriden DNA-Molekülen verknüpft. Von entscheidender Bedeutung für die praktische Anwendung der Gentechnologie ist die Tatsache, daß das hybride Plasmid nach Inkorporation in eine Wirtszelle auch die genetische Information der eingefügten Fremd-DNA exprimiert. So sind z. B. die Gene von Proinsulin, Somatotropin, a- und ß-Globinkomponente des Hämoglobins, des Somatostatins und Interferons mit Erfolg in E. coli „geklont" und von den E. coli-Bakterien exprimiert worden. Für eine wirksame Expression setzt man die eukaryotische cDNA so in das Plasmid (oder einen geeigneten Vektor) ein, daß sie hinter einem aktiven bakteriellen Promotor liegt. Auch die umgekehrte Art von DNA-Rekombination ist möglich. So wurde z. B. das E. coli-Gen für das Enzym Hypoxanthin-Phosphoribosyl-Transferase durch Transfektion in die Hautfibroblasten eines Patienten mit Lesch-Nyhan-Syndrom (S. 132) inkorporiert. Das in das Genom der Hautfibroblasten inkorporierte E. coli-Gen wurde exprimiert und bildete das beim Lesch-Nyhan-Syndrom fehlende * Ursprünglich bezeichnete das Wort „Klon" eine Population von Zellen oder Organismen, die alle durch asexuelle Vermehrung aus einer einzigen Zelle oder einem einzigen Organismus hervorgegangen sind, so daß alle Individuen die gleiche genetische Konstitution besitzen. Nachdem es gelungen ist, Gene bzw. definierte DNA-Abschnitte in Bakterien oder Bakteriophagen zu vermehren, spricht man analogerweise von „Gen- bzw. DNA-Klonierung".
Gentechnologie
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In-vitro-Synthese rekombinanter DNA-Moleküle
WIRTSZELLE (z. B. E. Coli)
DONORZELLE
IPIasmicH !~Chromosomen-
|~Genomische~] _DNA__
mRNA beliebiger Herkunft
Reverse Transkription Reduplikation
Plasmid-DNA (isoliert aus E. Coli)
Zur Klonierung vorgesehene doppelhelikale DNA
cDNA
Fremd-DNA-Anteil mit neuer genetischer Information
Plasmid-DNAAnteil -CTTAAG Rekombinante DNA
Aufnahmer der Plasmid-DNA in Wirtszelle Mögliche Fusionierung mit Chromosomen-DNA
WIRTSZELLE mit R E K O M B I N A N T E R DNA 'Plasmid -| [Chromosomen^ DNA DNA
Expression neuer Genprodukte
126
Nucleinsäuren
Enzym. Auf diese Weise konnte in vitro der genetische Defekt einer menschlichen Zelle durch Einbau des entsprechenden Bakteriengens korrigiert werden. Eukaryotische Gene einer Species sind auch mit dem Genom einer anderen Species rekombiniert und zur Expression gebracht worden. So ließ sich das KaninchenGen für die Hämoglobin -Kette in Mäusezellkulturen einbauen und exprimieren, und in das Genom von Mäusen wurde ein menschliches Somatotropin-Gen inkorporiert, worauf die Tiere etwa doppelte Körpergröße erreichten (transgene Mäuse). Die Durchführung von Versuchen unter Anwendung der DNA-Rekombinationstechnologie unterliegt gesetzlichen Bestimmungen (Gentechnikgesetz der BRD) und ist anmeldungs- bzw. genehmigungspflichtig. Gen-Bibliotheken. Wird das gesamte Genom eines vielzelligen Organismus (das in jeder somatischen Zelle vorhanden ist) nach Spaltung durch Restriktions-Endonucleasen in Fragmente mit einer Länge von ~ 20 Kilobasen in einen geeigneten Vektor verpackt (z. B. in den Phagen gt 11), entsteht eine genomische Bibliothek (genomic library), in der viele Gene in intakter Form vorhanden sind. Für die Herstellung einer cDNA-Bibliothek benötigt man die gesamte mRNA eines Gewebes (oder einer Zellinie), von der man durch reverse Transkription und mit Hilfe der DNA-Polymerase eine doppelsträngige DNA gewinnt und in einen Vektor verpackt. Befindet sich eine Gen-Bibliothek in einem Vektor, in dem die eingeführte rekombinante DNA auch das von ihr codierte Genprodukt (Protein) exprimiert, spricht man von einer Expressions-Bibliothek. Definierte Klone von Gen-Bibliotheken dienen der Gewinnung von biologisch aktiven Wirkstoffen (z. B. Insulin, STH, t-PA), die in der Humantherapie eingesetzt werden. Auch Wachstumsfaktoren und Cytokine, die sonst nicht oder nur schwer zugänglich wären, können auf dem Wege der DNA-Rekombinationstechnologie hergestellt werden. Die Gen-Bibliotheken kann man mit geeigneten Oligo- oder Polynucleotidsonden (eng. probes) mit Hilfe der Southern- oder Northern-Blot-Technik nach DNAKlonen durchmustern, die ein größeres Teilstück des gesuchten Gens oder der cDNA enthalten. Voraussetzung ist, daß die verwendete Sonde in ihrer Basensequenz der Basensequenz (d. h. der Aminosäuresequenz) des gesuchten Expressionsprodukts komplementär ist. Aus mehreren, sich überlappenden positiven DNA-Klonen läßt sich dann oft die vollständige Basensequenz des Gens bzw. der cDNA und damit auch die Aminosäuresequenz des gesuchten Proteins aufklären. In einer Expressions-Bibliothek kann auch mit spezifischen Antikörpern nach dem Klon gesucht werden, der das gesuchte Protein exprimiert. Gentherapie. Unter Gentherapie versteht man den Transfer von neuem genetischen Material in die somatischen Zellen eines menschlichen (oder tierischen) Empfängerorganismus. Eine Veränderung von Zellen der humanen Keimbahn ist durch das Embryonenschutzgesetz untersagt, die Therapie bleibt also auf den betroffenen Patienten beschränkt (somalische Gentherapie). Die Gentherapie nützt die (durch die Molekularbiologie entwickelte) Technik aus, rekombininante Gene in somatische Zellen einzufügen und nach Integration in das Genom der Wirtszelle zur Expression zu bringen. Hierfür stehen 2 Verfahren zur Verfügung: • beim indirekten Gentransfer (sog. ex vivo-Methode) werden dem Empfängerorganismus Zellen (z. B. weiße Blutzellen) temporär entnommen, in der Zellkultur
Abbau der Nucleinsäuren und Nucleotide
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einem Gentransferverfahren unterworfen (Transfektion) und dem Empfängerorganismus wieder zugeführt. • Bei dem in situ-Verfahren wird das neue genetische Material in geeigneter „Verpackung" (z. B. virale Vektoren, Liposomen, Kopplung an Rezeptoren) direkt durch intravenöse Injektion eingebracht und von bestimmten Zelltypen aufgenommen. Bevorzugte Zielorte für den in situ-Gentransfer sind z. B. Lunge (Behandlung der zystischen Fibröse) und Leber (Behandlung homozygoter LDLRezeptordefekte). Das Hauptproblem der Gentherapie ist das Erreichen einer möglichst hohen Aufnahmerate des genetischen Materials durch die Empfängerzellen. Als effektiv erwiesen hat sich u. a. die Integration von Nucleinsäuren in das Genom replikationsdefizienter Retro- oder Adenoviren, mit denen die zu verändernden Zellen infiziert werden. Die Risiken liegen dabei in der zufälligen, (noch) nicht bestimmbaren Integrationsstelle der neuen DNA im Genom. Weiterhin kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß primär replikationsdefiziente Viren durch Rekombination ihre Vermehrungsfähigkeit wieder erlangen oder zu einer Überexpression von Proliferations-regulierenden Onkogenen führen.
21. Abbau der Nucleinsäuren und Nucleotide Der ständigen Synthese von Nucleinsäuren (vorzugsweise RNA) entspricht ein enzymatischer Abbau. Sofern es sich nicht um wachsendes Gewebe bzw. um Vorgänge der Zellteilung handelt, laufen Synthese und Abbau in gleichem Ausmaß ab, so daß die Menge der Nucleinsäure innerhalb einer Zelle konstant bleibt. Isotopenversuche haben ergeben, daß die DNA einer sich nicht teilenden Zelle einen äußerst geringen Umsatz aufweist, daß dagegen die RNA-Typen variable biologische Halbwertszeiten besitzen. In der Leber nimmt die Halbwertszeit in der Reihenfolge mRNA, tRNA, rRNA zu. Die biologische Halbwertszeit einer mRNA kann zwischen wenigen Minuten (bei Bakterien) bis zu mehreren Wochen (tierische Zellen) liegen. Ebenso variiert der RNA-Umsatz von Gewebe zu Gewebe. Die Syntheserate nimmt z. B. in der Reihenfolge Intestinum, Testes, Milz, Leber, Niere ab. Eine Steigerung der Proteinbiosynthese, wie sie durch viele Hormone ausgelöst werden kann, ist Folge einer vermehrten Synthese und absoluten Zunahme der RNA. Der Abbau der Nucleinsäuren wird durch die in allen Zellen vorhandenen Endonucleasen (Desoxyribonucleasen und Ribonucleasen) eingeleitet. Unter ihrer depolymerisierenden Wirkung entstehen Oligo- bzw. Mononucleotide, die zu Nucleosiden hydrolysiert und schließlich durch Nucleosid-Phosphorylasen (oder Nucleosidasen) in freie Basen und Zucker (bzw. Zuckerphosphate) zerlegt werden. Die Pyrimidinbasen können vollständig abgebaut werden, die Purinbasen werden beim Menschen nach Umwandlung in Harnsäure mit dem Harn ausgeschieden. Endonucleasen. In tierischen Zellen ist eine Magnesium-abhängige Desoxyribonuclease mit einem pH-Optimum zwischen 7,0 und 8,0 in den Mitochondrien vorhanden, während eine saure Desoxyribonuclease in den Lysosomen lokalisiert ist. Die im Pankreassekret vorhandene und bei der Verdauung wirksame Desoxyribonucle-
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Nucleinsäuren Abbau der Nucleinsäuren Nucleinsäure-Protein-Komplexe (z. B. Nucleosomen, Ribosomen)
Nucleinsäure (DNA, RNA)
Proteine (z. B. Histone, ribosomale Proteine)
Endonucleasen: Desoxyribonucleasen Ribonucleasen Oligo-(Mono- )nucleotide Exonucleasen: Oligonucleotidphosphodiesterasen Mononucleotide Mononucleotidasen (Phosphomonoesterasen)
anorganisches Phosphat
Nucleoside N-Glykosidase
Ribose Desoxyribose
Purin- bzw. Pyrimidinnucleosid-Phosphorylase
Purin-, Pyrimidinbasen
Ribose-1phosphat
äse liefert hauptsächlich Oligonucleosid-5'-phosphate und spaltet bevorzugt Bindungen zwischen Desoxypurin- und Desoxypyrimidin-nucleotiden. Von den zellulären Ribonucleasen sind ebenfalls zwei Typen bekannt: eine diffus innerhalb der Zelle verteilte mit alkalischem pH-Optimum und eine saure lysosomale Ribonuclease. Die Pankreas-Ribonuclease ist ein gut charakterisiertes (auch synthetisch hergestelltes) Enzym, das innerhalb der RNA-Kette spezifisch diejenigen 5'-Phosphatesterbindungen angreift, die von einem Pyrimidinnucleotidrest zur benachbarten Ribose führen. Spaltprodukte sind folglich Oligonucleotide mit einem Pyrimidin-ribose-3'-phosphatende bzw. Pyrimidin-ribose-3'-phosphatmononucleotide, die immer dann entstehen, wenn in der Kette zwei Pyrimidinbasen benachbart waren. Die katalytische Wirkung der Ribonuclease verläuft in zwei Schritten, und zwar findet zunächst eine Transphosphorylierung mit Übertragung der 5'-Phosphatesterbindung der benachbarten Base auf die 2'-Hydroxygruppe des Pyrimidinnucleotidrestes statt, so daß ein Pyrimidinnucleosid-2',3'-monophosphatdiester entsteht. Im zweiten Schritt kommt es dann zur Hydrolyse des intramolekularen Diesters zur 3'-Monophosphatverbindung.
Abbau der Nucleinsäuren und Nucleotide
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Wirkungsprinzip der Restriktionsenzyme (Endonucleasen)
1
I I I I I G A A T T C C T T A A G 1 1 1 1 1
t
DNADoppelhelix
Restriktionser tdonuclease Eco Rl
1
«X 4 -[— r
G r c e r . G I
/
/ H,
1 .._.
^ AMP) bzw. die Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyl-Transferase (Hypoxanthin bzw. Guanin + 5'-Phosphoribosyl-l'-pyrophosphat > IMP bzw. GMP) beteiligt. Da das auf diese Weise gebildete IMP bzw. GMP auch ein allosterischer Inhibitor der Purinbiosynthese (S. 93) ist, spielt diese Reaktion bei der Regulation der Purinbiosynthese eine wichtige Rolle. Die Uratbildung findet vorzugsweise in der Leber statt, von dort erfolgt der Transport über den Blutstrom in die Niere und Ausscheidung durch aktive Exkretion im Tubulussystem. Die tägliche Harnsäureausscheidung ist ein Maß für den Purinabbau, dessen Umfang jedoch nicht nur durch den endogenen Purinstoffwechsel, sondern auch durch Aufnahme von Nahrungspurin bestimmt wird. Abbau der Pyrimidinbasen. Der Pyrimidinring wird beim Abbau der Pyrimidinbasen nach vorheriger Hydrierung hydrolytisch gespalten. Dabei werden Uracil bzw. Thymin unter Aufhebung der 5,6-Doppelbindung zu Dihydrouracil bzw. Dihydrothymin reduziert. Cytosin wird zuvor zu Uracil desaminiert. Durch die hydrolytische Ringöffnung entstehen ß-Ureidopropionsäure (aus Cytosin und Uracil) bzw. ß-Ureidopropionsäure (aus Thymin), die nach Desaminierung (N|) und Decarboxylierung (C2) zu ß-Alanin bzw. ß-Aminoisobuttersäure und schließlich zu Acetat bzw. Propionat weiter abgebaut werden.
22. Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels Der Uratpool beträgt beim Menschen normalerweise 1,0g. Der Abb. sind Werte für den täglichen Uratumsatz zu entnehmen. Bei der primären Hyperuricämie (Gicht) ist die Menge auf 15-25 g erhöht. Diese Vermehrung kommt bei einem
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Nucleinsäuren Urat-Stoffwechsel des Menschen Endogene Uratsynthese durch Abbau von Nucleinsäuren und Nucleotiden 0,3 g / 2 4 h
Nahrungspurine, Abbau zu exogenem Urat 0,2 g / 24 h
l URAT-POOL | l ~1,5g l L ,._, l Renale Ausscheidung 0,3 g / 2 4 h
Extrarenale (intestinale) Ausscheidung, mikrobieller Uratabbau 0,2 g / 24 h
Teil der Fälle durch vermehrte endogene Purinbiosynthese zustande, häufig scheint jedoch eine verminderte Exkretion im Tubulusapparat vorzuliegen. Liegt eine Hyperuricämie infolge vermehrter Synthese vor, so läßt sich die Harnsäurebildung durch Allopurinol (ein synthetisches Strukturanaloges des Hypoxanthins) reduzieren. Allopurinol ist nicht nur ein kompetitiver Hemmer der XanthinOxidase, sondern wird nach Umwandlung im Stoffwechsel in ein Pseudonucleotid auch zu einem wirksamen allosterischen Inhibitor der Glutaminphosphoribosylpyrophosphat-Amidotransferase (Schrittmacherenzym der Purinbiosynthese, S. 80). Bei der durch vermehrte Purinbiosynthese bedingten Form der Gicht wird ein großer Teil des vermehrt gebildeten Purins, d. h. des primär entstehenden Inosin5-phosphats nicht in Nucleinsäuren oder Nucleotide eingebaut, sondern direkt zu Hypoxanthin, Xanthin und Harnsäure abgebaut. Ein wichtiges Symptom der Gicht ist der erhöhte Harnsäurespiegel im Blut (normal bis 5 mg/100 ml) und im Urin. Wegen der Schwerlöslichkeit der Harnsäure kommt es zur Ablagerung von Na-Monouratkristallen in den Gelenken („Gichttophi") mit schmerzhaften Entzündungen (Arthritis urica) und zur Bildung von Nierensteinen. Das Leiden ist durch anfallsweises Auftreten gekennzeichnet. Eine sekundäre Hyperuricämie (sekundär erhöhter Harnsäurespiegel) wird bei Krankheiten mit hohem Nucleinsäureumsatz beobachtet. Hierzu gehören z. B. Polyzythämie und Leukämie. Der Zerfall der vermehrten Blutzellen kann zur Überschwemmung des Organismus mit Nucleinsäureabbauprodukten und zu Gichtanfällen (sekundäre Gicht) führen. Ein Defekt der Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyl-Transferase (s. o.) liegt beim Lesch-Nyhan-Syndrom vor, bei dem wegen der gestörten Resynthese von Hypoxanthin zu IMP und von Guanin zu GMP die intrazelluläre IMP- und GMPKonzentration extrem erniedrigt sind. Die dadurch bedingte Regulationsstörung bei der Synthese der Purine (S. 83) führt zu einer etwa 20fachen Steigerung der Purinbiosynthese mit entsprechend verstärktem Abbau und erhöhtem Harnsäurespiegel im Blut und in den Geweben (Gicht). Die klinischen Symptome dieser rezessiv vererbbaren X-chromosomalgebundenen Krankheit sind verzögerte geistige Entwicklung, aggressives Verhalten und Tendenz zur Selbstverstümmelung. Weitere X-chromosomale Störungen des Purinstoffwechsels betreffen Enzymdefekte der 5'-Phosphoribosyl-l-pyrophosphat-Synthetase, bei denen es infolge Über-
Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels
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aktivität des Enzyms bzw. Resistenz gegen die Rückkopplungshemmung durch AMP oder GMP zur Hyperurikämie kommt. Bei den autosomal rezessiven Defekten der Adenosin-Desaminase (ADA) oder der Purinnucleosid-Phosphorylase, welche die T-Lymphozyten betreffen, kommt es zu Ausfallen des Immunsystems. Bei dem (autosomal) vererbbaren Mangel an Orotidin-5'-phosphat-Pyrophosphorylase kommt es zu Akkumulation von Orotsäure im Serum. Die damit verbundene Orotacidurie führt zu Störungen des Wachstums, der geistigen Entwicklung und zu einer hyperchromen Megaloblastenanämie, kann aber durch exogene Zufuhr von Uridin, das durch die Uridinkinase rasch zu UMP umgesetzt wird, behandelt werden.
VII. Proteine
1. Chemische Struktur Proteine enthalten eine variable, aber für jedes Protein konstante Zahl von Aminosäuren. Sie besitzen die Struktur von Polypeptiden (Kap. Aminosäuren, S. 75) und können aus einer Polypeptidkette bestehen, sich aber auch aus mehreren Polypeptidketten zusammensetzen. In einem Protein entspricht die Zahl der Peptidbindungen (n—1) der Zahl der am Aufbau beteiligten Aminosäuren (n). Viele Proteine enthalten neben Aminosäuren noch andere Bausteine (Kohlenhydrate, Farbstoffe, Lipide, Metalle usw.). Die Zahl der bisher bekannten Proteine beträgt weit über 10 000, von denen viele in reiner Form dargestellt wurden. Die Proteine sind, zumindest bei den höheren Tieren, die quantitativ am stärksten beteiligten Bausteine der lebenden Substanz. Leber-, Muskel- und Nierengewebe bestehen zu 70 — 80% ihres Trockengewichtes aus Proteinen. Der größte Teil der zellulären Proteine sind Enzyme, die z. T. in löslicher Form, z. T. in strukturgebundener Form vorliegen. Proteine mit Spezialfunktionen sind u. a. die kontraktilen Muskelproteine, das Hämoglobin und die Serumproteine. Mechanische Aufgaben haben die extrazellulären Proteine Kollagen und Elastin und das Keratin der Haare und Hornsubstanzen. Primärstruktur. Die für ein Protein charakteristische (und genetisch festgelegte) Reihenfolge (Sequenz) der Aminosäuren wird als Primärstruktur bezeichnet. Bei einfachen, aus einer Polypeptidkette bestehenden Proteinen besitzt die am Kettenanfang stehende Aminosäure eine freie Aminogruppe, die am Kettenende stehende eine freie Carboxylgruppe. Entsprechend werden die Kettenenden eines Proteins bzw. die dort stehenden Aminosäuren als N-terminal bzw. C-terminal bezeichnet. Die Aufklärung der Primärstruktur ist für eine große Anzahl von Proteinen (und Polypeptiden) gelungen. Für die Aufklärung der Primärstruktur stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung: • Das rein dargestellte Protein wird durch ein proteolytisches Enzym in verschiedene Peptide zerlegt und für jedes Peptid die Aminosäuresequenz ermittelt. Das Verfahren wird mit einem anderen proteolytischen Enzym wiederholt. Bei Nachweis überlappender Aminosäuresequenzen der analysierten Peptide läßt sich die Primärstruktur des Proteins ermitteln. Das Restpeptid bleibt erhalten und kann erneut umgesetzt werden. In vollautomatisch arbeitenden Proteinsequenzanalysatoren läßt sich auf diese Weise die Sequenz von 20 bis 50 Aminosäuren - vom N-terminalen Ende beginnend - ermitteln. Bei der Analyse der Aminosäuresequenz von Peptiden (oder Proteinen) wird das Peptid mit Phenylisothiocyanat (PITC) umgesetzt und reagiert in schwach alkalischer Lösung mit der N-terminalen Aminosäure des Peptids zum Phenylthiocarbamylderivat. In schwach saurer Lösung zyklisiert die Aminosäure unter Abspaltung von Peptid zum Phenylthiohydantoinderivat. • Eine andere Möglichkeit der Aminosäuresequenzanalyse von Proteinen ergibt sich, wenn man das Gen bzw. die cDNA des betreffenden Proteins erfolgreich
Chemische Struktur
135
Doppelbindungscharakter der Peptidbindung und Trans-Konf iguration der Peptidkettenreste (-^
»- = Bindungswinkel)
R 120
CH l
°
TCH
Standardbindungslängen N H - C H R 0,146 nm NH-CO CO-CHR
0,124nm 0,151 nm
H
„geklont" hat. Aus der Basensequenz der DNA, die man schnell und genau analysieren kann, läßt sich die Aminosäuresequenz des Proteins ableiten. Kettenkonformation. In Lösung besitzen die Polypeptidketten keine regellose Struktur, sondern nehmen eine ganz bestimmte räumliche Anordnung (Konformation) ein. Für die Konformation einer Peptidkette, die auch als Sekundärstruktur bezeichnet wird, sind zahlreiche Formen möglich, deren Grundlage die Bindungswinkel und die prinzipiell freie Drehbarkeit der C—C- bzw. C-N-Bindungen der Peptidkette sind. Die Peptidbindung kann in verschiedenen mesomeren Formen vorliegen und erhält damit den Charakter einer partiellen Doppelbindung, die energetisch begünstigt ist. Daher ist die Peptidbindung planar und für die Substituenten eine eis- oder trans-Konfiguration möglich. In den natürlichen Peptiden und Proteinen ist die trans-Konfiguration bevorzugt. Welche der möglichen Kettenkonformationen ein Protein unter physiologischen Bedingungen einnimmt, hängt von zusätzlich zur Peptidbindung vorhandenen Bindungen ab, wobei folgende Bindungstypen unterschieden werden: • Wasserstoffbrückenbindung. Zwischen dem Sauerstoffatom und dem Stickstoffatom zweier Peptidbindungen kann sich, wenn ihr Abstand etwa 2,8 A beträgt, eine Wasserstoffbrücke ausbilden. Obwohl die Bindungsenergie der einzelnen Wasserstoffbrücke sehr klein ist (8,4-42 kJ/mol), kann durch ihre große Zahl die Kettenkonformation wesentlich beeinflußt werden. Eine schematische Darstellung zweier antiparallel oder parallel angeordneter Peptidketten zeigt, daß jede (oder jede zweite) Peptidbindung an einer Wasserstoffbrücke beteiligt sein kann. Auf diese Weise entsteht ein „Peptidrost", bei dem zwei (oder auch mehrere) Peptidketten nebeneinander in einer Ebene liegen, dabei aber eine typische Faltung („Faltblattstruktur") einnehmen. Die in der Abbildung angegebene Identitätsperiode von 7,27 Ä verkürzt sich durch die Faltung um 5 bis 10%. Eine weitere, sehr häufig angetroffene Kettenkonformation ist die Spirale, die durch Ausbildung der Wasserstoffbrücken innerhalb einer Peptidkette zustande kommt. Röntgendiffraktionsmessungen haben erwiesen, daß diese aufgrund theoretischer Erwägungen (Pauling und Corey) als wahrscheinlichste Anordnung
136
Proteine "Peptidrost" mit antiparallelen Peptidketten N-terminal
C-terminal
\ C= O HN \ HC — R
0 =C \ NH · · R —CH \ C = O· HN \ HC — R
o
HC — R — r HN
HN \ HC — R
R —CH \
R-CH \
R-CH \ C= O
O= C
N NH
R —CH \
C= 0
HN \ C=O
N-terminal
HN \ HC — R
0=C
R —CH \ NH
N-terminal \ . NH
c=o
R —CH \ NH
7,27 A
O=C \ HC — R — L
NH R —CH \ C=
• · HN \ C= 0
"Peptidrost" mit parallelen Peptidketten
HN \ HC — R
\ NH
' HN \ HC — R \ NH R —CH \ C= 0 ' HN \ HC — R
O= C \ NH
O= C \
R —CH \ C= 0
R-CH \
NH
:= o
vorausgesagte Kettenstruktur tatsächlich existiert. Die als -Helix bezeichnete Spiralform der Kette benötigt für eine Umdrehung im Durchschnitt 3,7 Aminosäurereste und weist eine Ganghöhe von 5,44 Ä auf. • Kovalente Bindungen. Neben der Peptidbindung ist die wichtigste und häufigste kovalente Bindung in Proteinen die Disulfldbindung, die sich durch Dehydrierung der SH-Gruppen zweier Cysteinreste ausbildet. Der Einfluß der Disulfidbrücken auf Formkonstanz und Stabilität eines Proteins ist erheblich. Disulfidbindungen können innerhalb einer einzigen Polypeptidkette auftreten oder der Verknüpfung verschiedener Polypeptidketten dienen. Die Bindungsenergie kovalenter Bindungen beträgt 126-419 kJ/mol. • Heteropolare (lonen-)Bindung. Die funktionellen Gruppen saurer oder basischer Aminosäuren liegen im physiologischen pH-Bereich vollständig oder teilweise in ionisierter Form vor. Zwischen den sauren (elektronegativen) und basischen (elektropositiven) Gruppen der sauren bzw. basischen Aminosäure können elektrostatische Anziehungskräfte (Bindungsenergie 42-84 kJ/mol) auftreten, welche die Konformation der Polypeptidkette beeinflussen und stabilisieren. • Apolare (hydrophobe) Bindung. Die aliphatischen und ein Teil der aromatischen Aminosäuren weisen apolare Bereiche (Bereiche gleichmäßiger Elektronenverteilung) auf. Infolge kurzzeitiger Asymmetrie der Elektronenverteilung und vor-
Chemische Struktur
137
Modell einer -Helix mit stabilisierenden Wasserstoffbrückenbindungen ( . . . ) Es sind nur die vor der Helixachse ( ) liegende Windungsabschnitte dargestellt.
H
/ o
H V.C
iWÖ
N
0,54 nm Ganghöhe (= 3,6 Aminosäurereste)
' O
übergehender Dipolausbildung können zwischen den apolaren Resten solcher Aminosäuren schwache Anziehungskräfte (van der Waals'sche Kräfte) auftreten. Dies trifft z. B. für die Methylgruppe des Alanins, die aliphatischen Reste des Valins, Leucins und Isoleucins und die zyklischen Reste von Phenylalanin zu. Die Lipiddoppelschicht von Membranen durchquerenden (transmembranöse) Proteine besitzen meist eine (oder mehrere) aus hydrophoben Aminosäuren bestehende(n) Domäne(n), die meist eine -Helixstruktur aufweist (S. 415). Proteinkonformation. Die räumliche Anordnung der Polypeptidkette eines Proteins, die durch die Summe aller beschriebenen Bindungskräfte und Wechselwirkungen der Polypeptidkettenabschnitte untereinander zustande kommt, wird als Tertiärstruktur oder Proteinkonformation bezeichnet. Die Tertiärstruktur kennzeichnet den Verlauf der Kette im dreidimensionalen Raum und macht Aussagen über die Form des Proteinmoleküls. Proteine nehmen meist eine bestimmte, durch Primärstruktur und Konformation der einzelnen Abschnitte der Polypeptidkette gegebene Konformation ein, die dem Zustand größter Stabilität entspricht. Allosterische Enzymproteine (S. 24) können jedoch in 2 verschiedenen, reversibel ineinander überführbaren Proteinkonformationen vorliegen. Im gelösten Zustand nehmen Proteine häufig die Form eines Rotationsellipsoids ein, in dem das Achsenverhältnis 2: l beträgt (globuläre Proteine). Sehr langgestreckte Ellipsoide mit einem Achsenverhältnis bis 30: l sind für fibrilläre Proteine (Prokollagen, Fibrinogen, Myosin) charakteristisch. Eine Kugelform wird nur bei den Lipoproteinen des Blutserums (Kap. Blut, S. 428) beobachtet und ist durch deren hohen Lipidanteil (bis zu 90%) bedingt.
138
Proteine Beispiele intramolekularer Bindungen in Proteinen
(Nichtpeptid-Bindungen) Peptidkette
Peptidkette
C=O H —N / Wasserstoff\ \ Brückenbindung /
S S kovalente Bindung \
II
t
heteropolare
/
Glu \_C-0® H 3 N-V Lys
Phe
\
Phe apolare Bindung
Die Tertiärstruktur eines Proteins muß mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse geklärt werden. Dieses komplizierte und einen hohen Arbeits- und Rechenaufwand erfordernde Verfahren wertet die bei der Röntgendurchstrahlung der kristallinen Proteine erhaltenen Beugungsbilder aus und gibt Aufschluß über die Art der Atome und über die Atomabstände (Auflösungsvermögen etwa 1,5 Ä). Das erste Protein, von dem alle Einzelheiten seines räumlichen Aufbaus bekannt wurden, war das Myoglobin. Das aus Röntgenbeugungsmustern abgeleitete Grundgerüst des Chymotrypsins zeigt die Abbildung. Chaperone. Die Faltung einer neusynthetisierten Polypeptidkette zu einer definierten Raumstruktur (Konformation) ist die Voraussetzung für die Übernahme spezifischer Funktionen innerhalb oder außerhalb der Zelle. Der ungefalteten, aus dem ribosomalen Syntheseprozeß stammenden, flexiblen Proteinkette steht eine sehr große Anzahl von Faltungswegen offen, von denen aber nur eine sehr beschränkte Anzahl zur nativen Konformation des Proteins führt. In vitro verläuft eine solche Faltung weit langsamer als in der Zelle. Die Zelle verfügt über eine Reihe von Enzymen und Proteinen, welche die Bildung der korrekten Struktur beschleunigen und vermitteln: die Chaperone. Dazu gehören u. a. die Prolyl-Isomerasen und die Disulfid-Isomerasen, die die besonders langsamen Schritte der cis-trans-Isomerisierung der Peptidbindung von Prolylresten und die Knüpfung bzw. Lösung von Disulfidbrücken beschleunigen. Während der Proteinbiosynthese liegt eine große Anzahl nascierender Polypeptidketten in ungefaltetem Zustand vor und exponiert hydrophobe Oberflächen. Da-
Chemische Struktur
139
Raumstruktur des Chymotrypsin-Moleküls Das dreidimensionale Modell wurde abgeleitet aus Röntgenbeugungsmustern des kristallinen Chymotrypsins. Die funktionellen Reste sind nur für die am aktiven Zentrum des Enzyms beteiligten Aminosäuren (His 57, Asp 102, Ser 195) angegeben.
durch wird die richtige Faltung anderer Polypeptidketten verhindert. Die Zelle verfügt jedoch über Mechanismen, die solchen Störungen entgegenwirken und eine Faltung nascierender Polypeptidketten zur funktionell aktiven Struktur gewährleisten. Auch diese Aufgabe übernehmen Chaperone, die reversibel an die hydrophoben Oberflächen binden und so das Erreichen einer korrekten Konformation des Proteins oder die Assoziation von Proteinen zur Quartärstruktur unterstützen. Nach Abschluß dieses Prozesses sind die Chaperone jedoch nicht Bestandteil des reifen Proteins. Chaperone werden in vielen Fällen bei der Einwirkung von Stressfaktoren oder erhöhter Temperatur (Hitzeschockproteine, Hsp) in vermehrter Menge gebildet.
140
Proteine
Der Faltungsweg der Proteine in der Zelle ist vergleichbar mit der spontanen Faltung der Polypeptidkette in vitro. Dennoch verbraucht die Zelle hierfür Energie (ATP), die notwendig ist, um die Faltungsvorgänge zu kontrollieren, zu beschleunigen, zu koordinieren und die Bildung von Nebenprodukten (z. B. Aggregate) zu verhindern.
2. Quartärstruktur von Proteinen Die Untersuchung zahlreicher einheitlicher Proteine verschiedenster Herkunft hat ergeben, daß sie nicht aus einer, sondern aus mehreren Polypeptidketten bestehen. Solche Proteine sind also Komplexe aus mehreren Polypeptidketten, von denen sich stets eine gleiche Zahl zu einer funktioneilen Einheit verbindet, ohne daß die einzelnen Polypeptidketten durch Peptidbindungen oder andere kovalente Bindungen miteinander verknüpft wären. In Lösung lassen sich solche komplexen Proteine unter geeigneten Bedingungen (Variation des pH) in die einzelnen Polypeptidketten, die man auch als Untereinheiten („Subunits", „Protomere") bezeichnet, zerlegen (dissoziieren) und wieder zusammenfügen. Der Aufbau eines Proteins aus einer definierten Anzahl von Untereinheiten (die selbst den Charakter eines Proteins haben) wird als Quartärstruktur bezeichnet (Schema). Durch chemische Modifikation der Protomeren kann sich die Quartärstruktur eines Proteins - im Falle eines Enzyms auch die enzymatische Aktivität — ändern. So liegt z. B. die inaktive Phosphorylase b (S. 175) in der dimeren Form vor, geht jedoch nach Phosphorylierung (ein Phosphatrest je Untereinheit) in die enzymaktive tetramere Form (Phosphorylase a) über.
Schema der Quartärstruktur eines aus 4 Proteinuntereinheiten bestehenden Proteins Die reversible Assoziation bzw. Dissoziation der Proteinuntereinheiten kann mit Konformationsänderung verbunden sein.
Quartärstruktur (tetramere Form)
Proteinuntereinheiten (monomere Form)
Klassifizierung der Proteine
141
Das Prinzip der Quartärstruktur ist weit verbreitet und läßt sich fast immer dann nachweisen, wenn die Molmasse eines Proteins über 100 000 liegt. So besteht z. B. das Humanhämoglobin A aus vier Polypeptidketten (2 - und 2ß-Ketten). Auch zahlreiche Enzyme besitzen eine Quartärstruktur. Die Lactat-Dehydrogenase, Alkohol-Dehydrogenase (Hefe) und Katalase (Rinderleber) bestehen aus je 4, die Glutamat-Dehydrogenase (Rinderleber) aus 40 Proteinuntereinheiten. Am Aufbau des Poliomyelitisvirus (Typ II) sind etwa 130, des Tabakmosaikvirus sogar 2130 Polypeptidketten als Untereinheiten beteiligt. Da die Ketten oft nicht identisch sind - die Lactat-Dehydrogenase kann sich aus 4 Polypeptidketten vom Typ H (Herzmuskel) oder Typ M (Muskel) oder aus beiden Typen zusammensetzen - ist auch bei konstanter Anzahl der Untereinheiten die Bildung verschiedener hybrider Moleküle möglich, die sich im Falle der Lactat-Dehydrogenase im Auftreten fünf verschiedener multipler Enzymformen (Isoenzyme) äußert.
3. Klassifizierung der Proteine Von den >10 000 bekannten Proteinen, die Enzyme, Hormone, Rezeptoren, Transport- und Strukturproteine umfassen, sind zahlreiche in ihrer Primärstruktur aufgeklärt. Die dabei gewonnenen Kenntnisse erlauben jedoch keine systematische Ordnung innerhalb der Stoffklasse der Proteine. Da zudem alle Proteine aus Aminosäuren bestehen, werden als Unterscheidungskriterien meistens die Löslichkeit, die Form und die chemische Zusammensetzung und — falls vorhanden — auch ein Nichtproteinanteil herangezogen. Auf diese Weise erklärt sich die (eigentlich nicht befriedigende) Einteilung der Proteine in globuläre, fibrilläre und zusammengesetzte Proteine, die nachstehende Tabelle wiedergibt. Klassifizierung von Proteinen nach Molekülform Globuläre Proteine Albumin Globuline Histone Protamine Prolamine
Fibrilläre Proteine Kollagen Elastin Seidenfibroin Keratin Fibrinogen Myosin
Nichtprotein-Anteil Glykoproteine Nucleoproteine Phosphoproteine Chromoproteine Lipoproteine Metalloproteine
Globuläre Proteine. Diese Gruppe umfaßt zahlreiche Proteine, u. a. viele Enzyme und Proteohormone und hat ihren Namen nach der Form eines Rotationsellipsoids erhalten. Sie sind löslich in Wasser oder in wäßrigen Salzlösungen, schwachen Säuren und Basen. Die Bezeichnung Albumin und Globuline wird nur noch auf die Blutplasmaproteine (s. d.) angewandt. In destilliertem Wasser sind Albumine gut, Globuline nur mäßig löslich. Die Löslichkeit der Globuline nimmt bei Zugabe von Neutralsalzen zu.
142
Proteine
Histone und Protamine sind aufgrund ihres hohen Gehalts an Arginin (etwa 30% bzw. 85%) basische Proteine, enthalten jedoch kein Tryptophan und Tyrosin. Sie besitzen ein relativ geringes Mol.-Gew. (l l -22x l O3), sind im Zellkern mit Nucleinsäuren assoziiert (S. 406) und werden bei Erhitzen in wäßriger Lösung nicht ausgefällt (denaturiert). Die Prolamine umfassen eine Gruppe von Getreideproteinen, die reich an Proiin (15%) und Glutaminsäure (45%) und — als Besonderheit — in 50proz. Ethanol löslich sind. Die in diese Gruppe gehörenden Proteine Zein (aus Mais) und Gliadin (aus Weizen) besitzen kein bzw. nur sehr wenig Lysin. Fibrilläre Proteine. Fibrilläre Proteine sind durch ihre Faserstruktur gekennzeichnet. Sie besitzen die Form eines langgestreckten Ellipsoids, dessen Achsenverhältnis l : 30 oder mehr betragen kann. Da ein Teil von ihnen in Wasser unlöslich ist, sind genaue Form und Mol.-Gew. nicht bestimmbar. Beispiele sind: • Das im Tierreich weitverbreitete und bei Säugetieren bis zu etwa 30% des Gesamtkörperproteins ausmachende Kollagen ist in Wasser, verdünnten Säuren und Laugen unlöslich und in nativer Form resistent gegenüber vielen proteolytischen Enzymen. Mit einem Gehalt von 30% Glycin, 12-14% Hydroxyprolin und 12% Proiin weist es eine charakteristische, bei den Säugetieren außerordentlich konstante Aminosäurezusammensetzung auf. Kollagen besitzt eine hochgeordnete makromolekulare Struktur (Kap. Binde- und Stützgewebe, S. 509). Durch Kochen in wäßriger Lösung wird Kollagen denaturiert und in lösliche Gelatine überführt. • Das in Sehnen, Arterien und elastischem Gewebe enthaltene Elastin verdankt seine mechanischen Eigenschaften dem hohen Gehalt an apolaren Aminosäuren (das Elastin aus dem Lig. nuchae beim Rind enthält z. B. 27% Gly, 23% Ala, 12% Leu und lie, 17% Val, 12% Pro). Seine Peptidketten sind durch die atypischen Aminosäuren-Derivate Desmosin und Isodesmosin (Kap. Binde- und Stützgewebe, S. 514) miteinander verknüpft. Elastin ist wie Kollagen unlöslich und resistent gegen zahlreiche Proteasen, besitzt jedoch keine geordnete makromolekulare Struktur. • Das Protein aus dem Spinndrüsensekret der Seidenraupe - das Seidcnfibroin - enthält 42% Gly, 30% Ala, 16% Ser und 12% Tyr, ist wasserunlöslich und Protease-resistent. • Das in Haaren (Wolle) und Hornsubstanzen (Nägel, Hufe, Gehörn) enthaltene Hauptprotein ist Keratin. Seine Formkonstanz und mechanischen Eigenschaften erklären sich aus seinem hohen Gehalt an Cystin. Menschliches Haar besitzt 14-16% Cystin, dessen Disulfidbrücken die in -Helixstruktur angeordneten Peptidketten des Keratins miteinander verknüpfen und stabilisieren. Bei Dehnung des Keratinmoleküls im feuchten Zustand tritt eine Konformationsänderung vom -Keratin ( -Helixstruktur) zum ß-Keratin (Faltblattstruktur) mit parallel angeordneten Peptidketten ein. • Fibrinogen und Myosin sind lösliche Faserproteine, die beide dem a-Keratintyp angehören. Das Fibrinogenmolekül hat eine Länge von 650 A und einen Durchmesser von 20 Ä. Über ihre Funktion ist im Kapitel Blut (S. 446) bzw. Muskel (S. 489) berichtet.
Zusammengesetzte und modifizierte Proteine
143
4. Zusammengesetzte und modifizierte Proteine Besitzt ein Protein neben Aminosäuren einen nicht aus Aminosäuren bestehenden Baubestandteil, so wird die Nichtaminosäure-Gruppe als prosthetische Gruppe bezeichnet. Als prosthetische Gruppe können Kohlenhydrate, Nucleinsäuren, Lipide, Chromogene, Metalle oder Metalloporphyrine fungieren, die in kovalenter, heteropolarer oder koordinativer Bindung mit dem Proteinanteil verknüpft sein können. Solche zusammengesetzten Proteine werden - entsprechend der chemischen Natur ihrer prosthetischen Gruppe als Glykoproteine (Glykoproteide), Nucleoproteine (Nucleoproteide), Lipoproteine (Lipoproteide), Chromoproteine (Chromoproteide), Metalloproteine (Metalloproteide), Hämoproteine (Hämoproteide) bezeichnet. Die Synthese zusammengesetzter bzw. modifizierter Proteine ist das Ergebnis eines „Fertigungsprozesses" (engl. processing), der schon während der ribosomalen Synthese des Proteins („cotranslational") beginnen oder sich unmittelbar danach („posttranslational") abspielen kann und häufig mit einem Transport des Proteins in das endoplasmatische Retikulum verbunden ist. Cotranslationaler Proteintransport. Die Synthese beginnt bei solchen Proteinen meist mit einem N-terminalen hydrophoben „Signalpeptid", das die Fähigkeit besitzt, die Membran des endoplasmatischen Retikulums zu durchdringen. Da der Transport dieser Proteine jedoch cotranslational, d. h. während der Proteinbiosynthese in das endoplasmatische Retikulum erfolgt, müssen sich die Ribosomen zuvor über spezifische Bindungsmechanismen an die Membran des endoplasmatischen Retikulums anlagern. Dies geschieht unter Vermittlung von Signalerkennungspartikeln (SRP, engl. signal recognition particle), die einerseits mit einem in die Membran des endoplasmatischen Retikulums integrierten SRP-Rezeptor und andererseits mit der Signalsequenz der wachsenden Polypeptidkette in Wechselwirkung treten. Nach diesem primären Anlagerungsprozeß bindet sich das Ribosom an zwei Membranproteine Ribophorin I und II -, die die Funktion eines Ribosomenrezeptors besitzen. Dabei wird SRP wieder in das Zytosol entlassen. (Abb.). Während des Durchtritts des Proteinmoleküls durch die Membran des endoplasmatischen Retikulums wird das Signalpeptid enzymatisch abgespalten (und wahrscheinlich abgebaut). Eigenschaften von Signalpeptiden
12-35 Aminosäuren lange (meist) N-terminale Teilsequenz des Proteins Methionin bildet meist N-terminale Aminosäure besitzt wenigstens eine basische Aminosäure in der Nähe des N-Terminus enthält eine zentrale Gruppe hydrophober Aminosäuren Abspaltung durch eine Signalpeptidase, Spaltstelle ist ein Alaninrest
Posttranslationale Proteinmodifikation. Im endoplasmatischen Retikulum können Proteine in der verschiedensten Weise chemisch modifiziert werden oder sich mit Nichtprotein-Bausteinen verbinden. Für den Export aus der Zelle bestimmte Proteine gelangen weiter in den Golgi-Apparat, der das Endprodukt in Sekretionsvesikeln verpackt, die ihren Inhalt schließlich an den Extrazellulärraum abgeben.
144
Proteine Cotranslationaler Proteintransport in das endoplasmatische Retikulum \~7 = Signalerkennungspartikel (SRP), = SRP-Rezeptor,
....
= wachsende Polypeptidkette
| = Ribosomen-Rezeptor (Ribophorin l und I I )
Ribosom -
mRNA
???ii...
RAUM DES E NDOPLASMATISCHEN
RETIKULUMS
Signalpeptidase
MEMBRAN DES ENDOPLASMATISCHEN R E T I K U L U M S
Für die cotranslationale oder posttranslationale chemische Modifizierung des Proteinmoleküls bestehen folgende Möglichkeiten: • Eine nachträgliche enzymatische Entfernung terminaler oder nicht-terminaler Peptidbruchstücke eines Proteins kann auch unabhängig von seinem Transport durch die Membran des endoplasmatischen Retikulums erfolgen. Beispiele hierfür sind die Umwandlungsreaktionen Proinsulin > Insulin (S. 331), Prokollagen > Kollagen (S. 512) oder die Aktivierung der intestinalen Proteasevorstufen Chymotrypsinogen und Trypsinogen. • Die kovalente Verknüpfung von Proteinen mit Oligosaccharid- bzw. Polysaccharidresten führt zur Bildung von Glykoproteinen bzw. Proteoglykanen (S. 184). Bei ihrer Synthese können einzelne Monosaccharidreste mit Sulfat oder (seltener) mit Phosphat verestert werden. Auch Coenzyme wie z. B. Biotin (S. 43) oder Liponsäure (S. 44) werden kovalent mit dem Enzymprotein verbunden. • Einzelne Aminosäurereste des Proteinmoleküls können einer chemischen Modifikation unterliegen. Beispiele sind die Oxidation der Mercaptogruppen von jeweils 2 Cysteinresten zum Disulfid, die Umwandlung von Prolin- bzw. Lysinresten in Hydroxyprolin- bzw. Hydroxylysinreste (S. 510), von Glutaminsäureresten in -Carboxyglutaminsäurereste (S. 45) oder die intramolekulare Ringbildung eines N-terminalen Glutaminsäurerestes zum Pyroglutaminsäurerest. Auch eine enzymatische Abspaltung z. B. der Säureamidgruppe von Asparagin- bzw. Glutaminresten oder der -Aminogruppe von Lysinresten (S. 513) ist möglich. • In den Nucleoproteinen ist eine Nucleinsäure mit einem oder mehreren Proteinmolekülen in nicht-kovalenter Bindung verknüpft. Beispiele sind die Nucleosomen (S. 407), die Ribosomen (S. 100) und manche Viren, die ausschließlich aus Nucleinsäure und Protein bestehen (S. 118).
Eigenschaften der Proteine
145
Die reversible Phosphorylierung von Serin- bzw. Tyrosinresten ist ein Prinzip der chemischen und funktionellen Modifikation von Proteinen und Enzymen. Chromoproteine. Als chromophore Gruppen können Porphyrine (Hämoglobin, Cytochrom, Eisenporphyrinenzyme), Flavinderivate (Flavoproteine) oder Caroline (Astaxanthin-Protein) mit dem Protein in haupt- oder nebenvalenter Bindung verknüpft sein und verleihen dem Molekül Farbstoffnatur. Lipoproteine. Die Verbindung von Proteinen mit Lipiden spielt namentlich für den Lipidtransport im Blut und in den Körperflüssigkeiten eine Rolle. Die Serumproteine enthalten zahlreiche Lipoproteintypen (Kap. Blut, S. 438). Fettsäuren können jedoch durch Thioesterbindung mit Cysteinresten von transmembranösen Proteinen verknüpft werden und durch hydrophobe Wechselwirkung mit den Membranlipiden zur Verankerung des Proteins in der Membran beitragen. Dies ist z. B. beim Transferrinrezeptor (S. 288) der Fall. Metalloproteine. Kupfer, Eisen und Zink werden als Proteinkomplexe transportiert und sind funktioneller Bestandteil von Metalloenzymen (Kap. Spurenelemente, S. 290).
5. Eigenschaften der Proteine Proteine als Ampholyte. Die Zahl der freien sauren und basischen Gruppen in einem Protein wird durch die Zahl seiner sauren bzw. basischen Aminosäuren bestimmt. Die Anwesenheit solcher geladener Gruppen verleiht den Proteinen Ampholytcharakter. Das bedeutet, daß die Proteine in Abhängigkeit vom pH-Wert des Lösungsmittels die Eigenschaften einer Säure (Kationen) oder einer Base (Anionen) besitzen können. Derjenige pH-Wert des Lösungsmittels, bei dem die Zahl der kationischen und anionischen Ladungen gleich, d. h. die Nettoüberschußladung des Proteins = 0 ist, wird als isoelektrischer Punkt (I. P.) bezeichnet. Der I. P. ist für jedes Protein eine konstante Kenngröße. In Glykoproteinen (S. 184) und Proteoglykanen (S. 188) beeinflussen auch Neuraminsäurereste (und Phosphatreste) bzw. Carboxyl- und Sulfatgruppen Nettoladung bzw. isoelektrischen Punkt des Moleküls. Die Pufferwirkung der Proteine (Kap. Säure-Basenhaushalt, S. 273) ist durch ihren Ampholytcharakter bedingt. Aufgrund ihres pK-Wertes tragen jedoch beim pH-Wert des Blutes bzw. der Körperflüssigkeiten weniger die freien Carboxylgruppen (Asp, Glu) und basische Gruppen (Lys, Arg) als vielmehr die Imidazoliumgruppe des Histidins zur Pufferwirkung bei (Tab. S. 276). Enthält ein Protein Sequenzen von Aminosäuren, die vorwiegend hydrophobe funktionelle Reste tragen, wird dadurch eine Wechselwirkung mit Lipiden begünstigt. Dies ist z. B. bei der hydrophoben Domäne transmembranöser Proteine der Fall. Löslichkeit von Proteinen. Die Löslichkeit eines Proteins hängt einerseits von seiner Aminosäurezusammensetzung, seinem Mol.-Gew. und seiner Molekülform, andererseits auch von der Art des Lösungsmittels, vom pH der Lösung und der Konzentration und Natur der anwesenden Elektrolyte ab. Eine Ausfällung von Proteinen tritt bei Zusatz hoher Neutralsalzkonzentrationen (z. B. Ammoniumsulfat), aber
146
Proteine pK-W erte ionisierter Gruppen in Proteinen
Aminosäure
Funktionelle Gruppe
pK-Wert (25° C)
Salz- bzw. Säureform R
His
Imidazolrest
H+
+
= N
Pyruvat, 2. Fructose-6-phosphat > Fructose-1,6-bisphosphat, 3. Glucose > Glucose-6-phosphat nicht einfach reversibel sind. Vielmehr wird die Rückreaktion durch spezielle Stoffwechselwege umgangen oder durch andere Enzyme katalysiert (Abb. S. 161). 1. Die Reaktion Phosphoenolpyruvat » Pyruvat liefert ATP, ist nicht reversibel, da die Rückreaktion eine freie Energie von +61,9 kJ/mol erfordert, ATP jedoch nur —30,5 kJ/mol zur Verfügung stellen könnte. Die Rückbildung des Pyruvats
Regulation der Glykolyse und Gluconeogenese
165
zum Phosphoenolpyruvat führt über eine Mehrschrittreaktion, die insgesamt zwei energiereiche Nucleosidphosphate erfordert und z. T. im mitochondrialen Raum abläuft. Zunächst wird Pyruvat nach Passage der Mitochondrienmembran im mitochondrialen Raum in einer ATP-, Biotin- und CCVabhängigen Reaktion in Oxalacetat umgewandelt. Da Oxalacetat den mitochondrialen Raum nicht verlassen kann, wird es durch die mitochondriale Malat-Dehydrogenase zu Malat reduziert, das aus dem mitochondrialen Raum in das Zytoplasma zurücktransportiert und dort durch die zytoplasmatische Malat-Dehydrogenase wieder zu Oxalacetat oxidiert wird. In einer GTP-abhängigen Decarboxylierungsreaktion wird das zytoplasmatische Oxalacetat schließlich in Phosphoenolpyruvat überführt. 2. Die Reaktion Fructose-1,6-bisphosphat » Fructose-6-phosphat wird durch die Fructose-1,6-bisphosphat-Phosphatase katalysiert. Es ist ein Schlüsselenzym in dem Sinne, daß seine Anwesenheit darüber entscheidet, ob ein Gewebe zur Gluconeogenese fähig ist oder nicht. Fructose-1,6-Bisphosphatase wurde in Leber, Niere und (in geringer Konzentration) auch im Skelettmuskel nachgewiesen. 3. Die Reaktion Glucose-6-phosphat > Glucose, die gewissermaßen die „Rückreaktion" der Hexokinasereaktion darstellt, wird durch die Glucose-6-phosphatase katalysiert. Das Enzym ist notwendig für die Abgabe freier Glucose aus der Leber an das Blut und spielt bei der Homöostase des Blutzuckers eine wichtige Rolle. Das Enzym ist in Leber, Niere und Intestinum vorhanden, fehlt jedoch in Muskulatur und Fettgewebe. Die Muskulatur kann aus ihrem Glykogenvorrat also keine Glucose an das Blut abgeben. Die Bedeutung der Gluconeogenese für die Bereitstellung von Glucose-6-phosphat bzw. Glucose im Stoffwechsel des Menschen zeigt sich bei (genetisch bedingtem) Mangel an Fructose-1,6-bisphosphat-Phosphatase. Die Stoffwechselveränderungen sind durch eine nach 8—16 stdg. Fasten einsetzende schwere Hypoglykämie und einen Anstieg der Blutlactat-, Pyruvat- und Ketonkörperkonzentration (mit Begleitacidose) gekennzeichnet. Bilanz der Gluconeogenese. Für die Neubildung von einem mol Glucose-6-phosphat aus zwei mol Pyruvat und dessen Einbau in Glykogen müssen sieben energiereiche Phosphate (4 ATP, 2 GTP, l UTP) aufgewendet werden. Die Energie wird dadurch gewonnen, daß 20% des Pyruvats zu Acetyl-CoA decarboxyliert und weiter im Citratzyklus zu CO? + H?O oxidiert werden. Dabei entstehen pro 5 mol Pyruvat 15 mol ATP.
7. Regulation der Glykolyse und Gluconeogenese Der Umsatz der Glucose in der Glykolyse und die Neubildung von Glucose durch die Gluconeogenese müssen den Erfordernissen des Stoffwechsels angepaßt werden. Hierfür stehen verschiedene Regulationsmechanismen zur Verfügung. Ein Regelprinzip besteht darin, daß die Synthese von Enzymen der Glykolyse oder Gluconeogenese durch ein Hormon induziert oder reprimiert wird und dadurch Enzymaktivitätsänderungen eintreten. Dieser Effekt, der sich erst nach einigen Stunden manifestiert, dient jedoch nicht nur der Steuerung des Glucoseumsatzes auf zellulä-
166
Kohlenhydrate
rer Ebene, sondern koordiniert auch den Glucosestoffwechsel der verschiedenen Organe und ist ein wichtiger Faktor bei der Aufrechterhaltung eines konstanten Blutzuckerspiegels. Ein zweiter Regelmechanismus besteht in einer direkten allosterischen Hemmung oder Aktivierung eines Glykolyseenzyms. Als Inhibitoren oder Aktivatoren hat man Reaktionsprodukte der Glykolyse bzw. des Citratzyklus und Coenzyme (ATP, AMP), aber auch Hormone (Glukagon, Adrenalin) erkannt, die über Cyclo-AMP als allosterische Effektoren wirken. Solche Regeleffekte treten rasch ein. Die reversible Umwandlung der an der Regulation der Glykolyse und Gluconeogenese beteiligten Enzyme erfolgt z. T. durch Phosphorylierung bzw. Dephosphorylierung. In der Hungerphase, im Streß (Einfluß von Adrenalin) und bei Diabetes mellitus (Kohlenhydratmangel) liegt das Gluconeogenese-Enzym Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase in der phosphorylierten Form vor. In der dephosphorylierten Form ist dagegen die an der Glykolyse beteiligte Pyruvatkinase aktiv. Die Phosphorylierungsreaktionen werden über Cyclo-AMP durch eine ATP-abhängige Proteinkinase katalysiert, während die Dephosphorylierungsreaktionen durch spezifische Proteinphosphatasen vorgenommen werden (s. a. Tab. S. 304). Die nachfolgende Tabelle zeigt, welche Enzyme der Glykolyse bzw. Gluconeogenese sich an der Regulation beteiligen. Regulation der Aktivität von Enzymen der Glykolyse und Gluconeogenese
Enzym
Aktivator
Glykolyse Glucokinase Phosphofructokinase Fructose-2,6-bisphosphat, AD P, AMP Fructose-1 ,6-bisphosphat Pyruvatkinase
Gluconeogenese Pyruvatcarboxylase
Acetyl-CoA, Adrenalin*, Glukagon* Phosphoenolpyruvat- Glukagon* Carboxykinase Adrenalin*, Glukagon*, Fructose-1 ,63-Phosphoglycerat, ATP, Bisphosphatase Citrat
Hemmer
Repressor
N-Acetylglucosamin ATP, Citrat, NADH 2 , Fettsäuren ATP, Citrat, NADH 2 , Fettsäuren, Succinyl-CoA
Glukagon*
Induktor Insulin Insulin Insulin
Glucocorticoide Glucocorticoide Glucocorticoide
ADP
Glukagon*
Insulin Insulin
Fructose- 1,6bisphosphat, AMP
Insulin
* über Cyclo-AMP
Bei der Regulation der Glykolyse nimmt die Phosphofructokinase die Position eines Schrittmacherenzyms ein. Sie unterliegt sowohl einer hormonellen Kontrolle (Insulin) als auch einer allosterischen Aktivitätskontrolle. Bei hohem Glucoseangebot (Glucoseresorptionsphase) kann die Aktivität der Phosphofructokinase zusätzlich über folgenden Mechanismus gesteigert werden:
Pentosephosphatzyklus
167
Bei einem Anstieg der Konzentration von Fructose-6-phosphat als Folge des erhöhten Substratdurchsatzes in der Glykolyse kann ein Teil des Fructose-6-phosphats durch eine Phosphofructokinase 2 in einer Nebenreaktion in Fructose-2,6bisphosphat umgewandelt werden. Fructose-2,6-bisphosphat ist kein Metabolit, sondern hat ausschließlich Signalfunktion und ist ein wirksamer allosterischer Aktivator der Phosphofructokinase. Bei Absinken der stationären Fructose-6-phosphat-Konzentration wird das Fructose-2,6-bisphosphat durch eine spezifische Phosphatase wieder in den Glykolysemetaboliten Fructose-6-phosphat zurückverwandelt.
8. Pentosephosphatzyklus Eine direkte Oxidation des Glucose-6-phosphats kann über einen Reaktionsweg erfolgen, der nach ihren Entdeckern als „Warburg-Dickens-Horecker-Zyklus" oder auch Pentosephosphatzyklus (im englischen Schrifttum als „Hexosemonophosphat-Shunt") bezeichnet wird. Das Prinzip dieses Stoffwechselweges besteht darin, daß Glucose-6-phosphat durch Dehydrierung vom Aldehyd zur Säure und durch nachfolgende Decarboxylierung unter Freisetzung von CO2 in Pentose-5-phosphat umgewandelt wird. Der dabei entstehende Wasserstoff wird auf NADP übertragen. Das Pentosephosphat wird in einer Reaktionsfolge umgesetzt, in deren Verlauf intermediär Zuckerphosphate mit 3, 4, 5, 6 und 7 Kohlenstoffatomen entstehen. Endprodukte sind Fructose6-phosphat und Glycerolaldehyd-3-phosphat, die über die Glykolyse erneut in den Pentosephosphatzyklus eingeschleust werden können. Eine Übersicht gibt das Schema (NADPH 2 = NADPH + H + ). Reaktionsmechanismus. Glucose-6-phosphat wird durch die Glucose-6-phosphatDehydrogenase (sog. „Zwischenferment") zum Lacton des Gluconsäure-6-phosphats oxidiert. Die Reaktion erfordert divalente Kationen (Mg 2+ , Mn 2 + oder Ca 2 ') und NADP als Coenzym. Die Hydrolyse des Säurelactons zum Gluconsäure-6-phosphat wird durch Gluconsäurelacton-6-phosphat-Hydrolase (Lactonase) katalysiert. Es schließt sich ein zweiter oxidativer Schritt an, der mit der Decarboxylierung des Gluconsäure-6-phosphats zu Ribulose-5-phosphat endet. Dabei wird das Kohlenstoffatom l des Gluconsäure-6-phosphats als CO2 entfernt und der entstehende Wasserstoff wiederum durch NADP aufgenommen. Intermediär wird 3-Ketogluconat-6-phosphat gebildet. Ribulose-5-phosphat ist das Substrat zweier Enzyme: die Ribulose-5-phosphat3-Epimerase bewirkt eine Umwandlung des Ribulose-5-phosphats in das 3-epimere Xylulose-5-phosphat. Die Ribulose-5-phosphat-Ketolisomerase führt zur Bildung von Ribose-5-phosphat. Die Umwandlung ist analog der Isomerisierung von Glucose-6-phosphat zu Fructose-6-phosphat. In der nachfolgenden Transketolasereaktion wird der Ketozucker Xylulose-5phosphat in Glycerolaldehyd-3-phosphat und ein C 2 -Bruchstück zerlegt, das aus den ersten beiden C-Atomen des Xylulose-5-phosphats stammt. Das C2-Bruchstück entspricht einem Glykolaldehyd, der als „aktiver" Glykolaldehyd vom Coen-
168
Kohlenhydrate Pentosephosphat-Zyklus Glucose-6-phosphat NADP-
r
Glucose-6-phosphatDehydrogenase
— NADPhV Gluconsäurelacton-6-phosphal
HjO.
reduktive Stoffwechselprozesse
Glucono-6-phosphatLactonase
Gluconsäure-6-phosphat -— NADP Gluconsäure-6-phosphat· Dehydrogenase - NADPH 2 3-Ketogluconsäure-6-phosphat
ccy
Spontane Reaktion
Ribulose-5-phosphat "^" Ribose5-phosphatKetolisomerase Xylulose-5-phosphat
Ribose-5-phosphat · Zur
Purin- und Pyrimidinbiosynthese Glycerolaldehyd-3-phosphat
Sedoheptulose-7-phosphat
Xylulose-5phosphat
Erythrose-4phosphat
Fructose-6-phosphat
Glycerolaldehyd-3phosphat
Fructose-6phosphat
zur Glykolyse
Pentosephosphatzyklus
169
Stoffwechselprodukte des Pentosephosphatzyklus (Enzyme und Coenzyme s. Übersichtsschema) —i ] | = "aktiver" Glykolaldehyd 1 1 * \_L
o
U
^/ ,/
r\ OH
i
o
l\ ( )H
/
H 0V
r
Glucose-6-phosphat
HOV" ]—
OH
Gluconsäurelacton6-phosphat
!' CHO
l?_=o_J
1
HCOH
1
1
HOCH
HCOH 1
1
HCOH
HCOH
|
1
CH20-©
Ribose5-phosphat
CH.O-© i Xylulose5-phosphat
1
/.coo®
OH
Gluconat-6-phosphat
HC-OH |
HC-OH 1 CH.-O-© / Ribulose5-phosphat
2
[c=p__j' 1JCH.OH) *
c=o
—_/r
/ "
1
OH
J-OH / i\ OH
>°
U
> HÖH
CH 2 OH
-0-©
CH.-0-©
CH2-0-©
J
r
CH„OH ^ C=0
1
HOCH
1
HCOH 1
CHO 1
HOCH 1
HCOH
HCOH
HCOH
CHO
HCOH t
HCOH
HCOH
HCOH
1
CH„O-© £ Sedoheptulose7-phosphat
t
1
CH20-©t Erythrose4-phosphat
1 1
1
1
CH.O-© CHjO-© t FructoseGlycerolaldehyd6-phosphat 3-phosphat
zym der Transketolase — dem Thiaminpyrophosphat — übernommen und auf Ribose-5-phosphat übertragen wird. Dadurch wird ein Ketozucker mit sieben C-Atomen, das Sedoheptulose-7-phosphat gebildet. Sedoheptulose-7-phosphat und Glycerolaldehyd-3-phosphat werden dann miteinander in der Transaldolasereaktion umgesetzt, bei der eine 3-Kohlenstoffeinheit des Sedoheptulose-7-phosphats (C-Atom 1-3) mit Glycerolaldehyd-3-phosphat reagiert und Erythrose-4-phosphat und Fructose-6-phosphat entstehen. Die Transaldolase benötigt kein gruppenübertragendes Coenzym. Während das Fructose-6-phosphat als Endprodukt des Pentosephosphatzyklus wieder der Glykolyse zugeführt wird, verbindet sich das Erythrose-4-phosphat in einer zweiten Transketolasereaktion mit aktivem Glykolaldehyd, für den wiederum Xylulose-5-phosphat als Donator dient. Es entstehen Glycerolaldehyd-3-phosphat und Fructose-6-phosphat, die beide als Endprodukte des Pentosephosphatzyklus in die Glykolyse eingehen oder erneut dem Pentosephosphatzyklus zugeführt werden können. Bilanz. Aus einem Glucose-6-phosphat-Molekül entstehen durch direkte Oxidation ein Pentosephosphat, ein CO2 und zwei NADPH 2 Glucose-6-phosphat + H 2 O + 2 NADP —> Pentose-5-phosphat + CO2 + 2 NADPH + 2 H 4 .
Da sowohl das Endprodukt Fructose-6-phosphat (nach Isomerisierung zu Glucose6-phosphat) als auch das Glycerolaldehyd-3-phosphat (nach Kondensation zu Hexose-6-phosphat) wiederholt einer direkten Oxidation im Pentosephosphatzyklus
170
Kohlenhydrate
unterworfen werden können, lautet die Bilanz bei vollständiger Oxidation eines Glucose-6-phosphat-Moleküls zu CO2: Glucose-6-phosphat + 12 NADP + 6 H2O
> 6 CO2 + 12 NADPH 2 + (P)
Physiologische Bedeutung und Regulation. Die Bedeutung des Pentosephosphatzyklus für den Gesamtstoffwechsel besteht in der Bildung des intermediären Pentosephosphats und des NADPH 2 . • Das NADPH 2 ist eine wichtige Quelle für die Versorgung anderer reduktiv verlaufender Stoffwechselprozesse. Dazu gehören u. a. die zytoplasmatische Fettsäuresynthese, die sich nur in Anwesenheit von NADPH 2 vollziehen kann, die Cholesterinbiosynthese und zahlreiche Hydroxylasereaktionen. Es ist deshalb verständlich, daß in Organen mit lebhafter Fettsäuresynthese (Leber, Fettgewebe, lädierendes Milchdrüsengewebe) und entsprechendem Bedarf an NADPH 2 der Pentosephosphatzyklus einen bedeutenden Anteil der Glucoseverwertung ausmacht (bis zu 60% in der lädierenden Milchdrüse). Aber auch in anderen Geweben mit hohem NADPH 2 -Verbrauch (Nebennieren, Testes, Erythrozyten) findet man eine hohe Aktivität der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase. • Das im Pentosephosphatzyklus entstehende Ribosephosphat kann für die Synthese von Nucleinsäuren und Nucleotiden verwendet werden. Beim Menschen wird die Hauptmenge des dafür benötigten Ribose-5-phosphats auf diese Weise gebildet. Auch Organe mit nur geringer Glucose-6-phosphat-Dehydrogenaseaktivität (z. B. Skelettmuskel) sind zu einer ausreichenden Ribose-5-phosphatbildung fähig, da hier dessen Synthese auf dem Wege der „Rückreaktion" aus Glycerolaldehyd-3-phosphat und Fructose-6-phosphat über die Transketolase-Reaktion erfolgt. Purin- und Pyrimidinbiosynthese (S. 78) sind von einer Bereitstellung von Ribose-5-phosphat bzw. 5-Phosphoribosyl-l-pyrophosphat abhängig. • Bei Mikroorganismen und Pflanzen werden für die Biosynthese essentieller Aminosäuren (Histidin, Tryptophan, Phenylalanin, Tyrosin) 5-Phosphoribosyl-lpyrophosphat bzw. Erythrose-4-phosphat als Ausgangsmaterial benötigt. Schrittmacherenzyme des Pentosephosphatzyklus sind die beiden NADP-abhängigen Enzyme Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase und Gluconsäure-6-phosphatDehydrogenase. Die Aktivität der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase wird nicht nur kompetitiv durch NADPH + H + gehemmt, sondern auch über einen Rückkopplungsmechanismus durch die Lipidsynthese kontrolliert, und zwar wird dieses Enzym durch Acyl-CoA-Verbindungen gehemmt. Werden also die bei der Fettsäuresynthese gebildeten Acyl-CoA-Verbindungen nicht zur Lipidsynthese verbraucht, so wird durch sie die Nachlieferung von NADPH 2 gestoppt, und die weitere Synthese von Acyl-CoA-Verbindungen kommt zum Stillstand (s. auch Regulation der Fettsäuresynthese, S. 205). In der Leber kann der Pentosephosphatzyklus durch die stationäre NAD- bzw. NADP-Konzentration reguliert werden und zwar wird bei Erhöhung der NADKonzentration die Glykolyse, bei Erhöhung der NADP-Konzentration der Pentosephosphatzyklus stimuliert. Insulin führt im epididymalen Fettgewebe der Ratte zu einer erheblichen Zunahme der C l-Oxidation der Glucose (s. auch Kap. Hormone, S. 334).
Glykogen
171
Insulin führt über eine Induktion der Schrittmacherenzyme des Pentosephosphatzyklus zu einer erheblichen Zunahme der C l-Oxidation der Glucose. Umgekehrt wird die Aktivität der Schrittmacherenzyme des Pentosephosphatzyklus bei Hunger und Diabetes gedrosselt.
9. Glykogen Im tierischen Organismus enthält praktisch jedes Gewebe Glykogen, wenn es auch nur in Leber und Muskel in nennenswertem Umfang gespeichert wird. Chemie. Glykogen ist ein ausschließlich aus Glucose aufgebautes Polysaccharid (Homoglykan) mit stark verzweigter Struktur. Nach drei bis fünf Glucosemolekülen, die in ot-l,4-glykosidischer Bindung verknüpft sind, erfolgt eine Verzweigung der linearen Kette durch Bildung einer a-l,6-glykosidischen Bindung. Die am reduzierenden Ende stehende Glucose ist über die phenolische OH-Gruppe eines Tyrosinrestes mit dem Protein Glykogenin glykosidisch verknüpft. Da die vom C-Atom l ausgehende -glykosidische Bindung der Glucosemoleküle axial angelegt ist und mit der äquatorial orientierten C4-Hydroxylgruppe des nächsten Glucosemoleküls glykosidisch verknüpft ist, kann es nicht zu einer fadenförmigen Anordnung der Molekülkette kommen (wie z. B. bei Cellulose), sondern je sechs Glucopyranoseeinheiten sind spiralig (helikal) „aufgewickelt". Glykogen hat eine Molmasse von 2 bis 20· l O6, besteht also aus 12000 bis 120000 Glucosemolekülen. Da alle Glucosemoleküle glykosidisch gebunden sind, gibt das Glykogen keine Reduktionsproben. Da Glykogen als Makromolekül osmotisch nahezu inaktiv ist, stellt es eine besonders vorteilhafte Speicherform für Glucose dar. Die menschliche Leber enthält - in Abhängigkeit von der Stoffwechsellage und Ernährung - 20 bis 150 g Glykogen (d.h. bis zu 10% ihres Eigengewichtes), im Skelettmuskel liegt die Konzentration zwischen 0,1 und 1% und läßt sich auch bei reichlicher Kohlenhydratzufuhr nicht steigern. Im Hunger sinkt der Glykogengehalt der Leber bis auf 0,1% ab, wird aber auch bei andauernder Nahrungskarenz durch Gluconeogenese aus Proteinen auf dieser Höhe gehalten. Synthese und Abbau. Synthese und Abbau von Glykogen verlaufen auf verschiedenen Stoffwechselwegen. Eine Übersicht gibt folgendes Schema (S. 173). Glykogensynthese (Glykogenese). Die Speicherung von Glucose im Glykogen erfolgt in der Weise, daß an die Polysaccharidketten des Glykogens ein Glucosemolekül nach dem anderen angelagert wird. Liegt die Glucose als Glucose-6-phosphat vor, so wird dieses zunächst mit Hilfe der Phosphoglucomutase in Glucose-1-phosphat umgewandelt. Diese durch die Phosphoglucomutase katalysierte Reaktion ist zwar in der Bilanz eine Phosphatverschiebung innerhalb des Moleküls, in Wahrheit übernimmt Glucose-6-phosphat jedoch von dem in phosphorylierter Form vorliegenden Enzym einen Phosphatrest am C-Atom l und läßt dafür seinen 6-Phosphatrest am Enzym zurück, der dann vom nächsten Glucose-6-phosphat-Molekül wieder am C-Atom l angelagert wird. Die Phosphatgruppe am C-Atom l des Glucose1-phosphats stammt also jeweils aus einem anderen Substratmolekül.
172
Kohlenhydrate Schema der makromolekularen Struktur und des Aufbaus des Glykogens (Ausschnitt) oo =a(1 -4) glykosidische Bindung
·ο =α(1 -4) glykosidische Bindung
·· = a(1-6) glykosidische Bindung
Protein
Seitenkette
Verzweigung CH.OH CH 0 OH 1_J_0 J-J—0 / \ / \N / V \ V V i_A OH A_O-\OH Λ_ο-ΑθΗ \l l/ \l l/ \ T^
T
α
OH
(1-4)
l
Γ α (1-4)
OH
l
CH 2 OH
\N / V Λ_ο-\ΟΗ γ
Γ α (1-4)
\l
OH
I
\ N Λ-Ο-l/
"" Π
OH
Hauptkette (α(1-4) glykosidisch gebundene Glucosemolek le)
Das entstehende Glucose-1-phosphat reagiert dann mit UTP zu UDP-Glucose, Bei dieser Reaktion gibt UTP Pyrophosphat ab. Von beiden Phosphatresten in der Uridindiphosphatglucose stammt also eins aus Glucose-1-phosphat und eins aus dem UTP. Das katalysierende Enzym ist die UDP-Glucose-Pyrophosphorylase. Die UDP-Glucose (UDPG) erh lt dadurch das notwendige Gruppen bertragungspotential, das die Vorbedingung f r die glykosidische Ankn pfung ihres Glucoserestes an das Glykogen ist. Als Akzeptor ben tigt sie entweder ein Glykogenmolek l oder ein hochmolekulares Dextrin. Man bezeichnet solche Molek le, ohne die eine Reaktion „nicht in Gang" kommt, als „Starter- oder Primer-"Molek le. Die bertragungsreaktion wird durch die UDPG-Glykogen-Glucosyltransferase, die sog. Glykogen-Synthase, katalysiert. Der bertragene Glucosylrest wird am nichtreduzierenden Ende einer Haupt- oder Seitenkette in 1,4-glykosidischer Bindung angelagert. Das bei jeder bertragungsreaktion entstehende Uridindiphosphat wird durch ATP zu UTP regeneriert. Erreicht die Kette durch wiederholte Anlagerung eines Glucosemolek ls 8 bis 12 Glucosereste, so tritt ein zweites Enzym — die Amylo-1,4 > 1,6-Transglykosidase — in Aktion, die die letzten 6 bis 7 Glucosemolek le als Hexa- bzw. Heptasaccharid
Glykogen
173
Synthe se (Glykogenese) und Abbau (Glykogenolyse) d es Glykogens ülucose-ö-(jj; _^
"-
;ose '\
LilL
1
Phospl-loglucomu läse
S
UTP. ^ ^ ~. *s ©-©
V
OH
HO
OH
Mannose-6-phosphat PhosphomannoseMutase Mannose-1 -phosphat GTPx ©-©> GDP-Mannose-
OH GDP-Fucose
DolicholdiphosphatOligosaccharide
Synthese von Glykoproteinen
D-Mannose, L-Fucose. Polymere der Mannose werden im Pflanzenreich als Mannane (Hefe, Steinnuß) und Hemicellulosen gefunden und als „Pflanzengummi" bezeichnet. In den höheren Organismen des Tierreiches ist die Mannose regelmäßiger Bestandteil der Glykoproteine. Die L-Fucose, ein 6-Desoxyzucker (6-Desoxy-L-galaktose), bei dem die primäre alkoholische Gruppe zur Methylgruppe reduziert ist, ist Baustein von Polysacchariden zahlreicher Meeresalgen (Fucus serratus, Ascophyllum nodosum}. Im Tierreich kommt sie in den Oligosacchariden der Milch (beim Menschen), ferner in vielen Glykoproteinen u. a. in den Blutgruppensubstanzen (bis zu 12-18%) vor. Die Biosynthese von Mannose und Fucose verläuft über einen gemeinsamen Stoffwechselweg und geht von Fructose-6-phosphat aus (Abb.). D(—)-Fructose. D-Fructose — wegen der negativen optischen Drehung (—92,4°) auch als Laevulose bezeichnet - ist im Pflanzenreich weit verbreitet und kommt in freier Form in Fruchtsäften, als Disaccharid in der Saccharose (Tab.), als Trisaccharid z. B. in der Raffinose und in polymerer Form u. a. in den Knollen der Dahlienwurzeln (Inulin) und im Topinambur vor. Das Inulin besteht aus 30 bis 4Q Fructoseresten, die in 1,2-glykosidischer Bindung verknüpft sind. Inulin kann im Säugetierorganismus nicht verwertet werden. Als „Clearance-Substanz" findet Inulin Anwendung in der Nierenfunktionsdiagnostik (Kap. Niere, S. 487).
Spezielle Stoffwechselwege der Glucose
181
Bei fetalen S ugetieren findet sich freie Fructose im Blut (10 bis 20 mg/100 ml), Plazenta und Leber bilden aus Glucose ber Sorbitol freie Fructose. Auch die Samenfl ssigkeit enth lt freie Fructose (Bildung in den Samenblasen unter Wirkung der Androgene) in einer Konzentration von 100 bis 200 mg/100 ml beim Menschen bzw. 700 bis 1000 mg/100 ml beim Stier. Die Bestimmung der Fructosekonzentration in der Samenfl ssigkeit spielt in der andrologischen Diagnostik (erworbener und angeborener Hypogonadismus) eine Rolle. Stoffwechsel der F ructose CH 2 OH
Hexokinase Glucokinase
H-C-OH
Glu
HO-C-H
ι
NADPHj
H-C-OH
( Slucoseο- phosphat i I
AldoseReduktase
H-C-OH CH 2 OH Ο , , , Ι , ί ι , ,1
te.
^^
hrungsDrbitol
^
Sor
litol
NAD\^
1 ,
SorbitolDehydrogenase
HOH2C / ° \ O H
\ OH
H(
KH.OH
Γ
-D-Fructofuranose
2
^ N a hrungsuctose
1
ι
| Hexokinase|
.. *~ Fmc
ructose6- phosphat
|Fructokinase| ADP^
t
Fruct os^\ 1-pho sphat
Glykolyse ' '
1-Phosphofructaldolase
^-— Dihydroxyacetonphosphat
'^—-^ Glycerolaldehyd
TriosephospriatIsomerase Glycerolaldehyd3-phosphat
ΑΤΡχ^ ADP
*S
NAD
l
Glycerolaldeh\/d3-phosphat
i
\
|Triose-Kinase| NADH 2
AldehydD ehydrogenase
r
Glycerols.Jure
^ G lycerols ureKinase ADP^ ι lycerat
Nahrungsfructose wird vom S ugetierorganismus rasch verwertet, wobei zwei Stoffwechselwege eingeschlagen werden k nnen. ber die Hexokinasereaktion kann die Fructose in Fructose-6-phosphat berf hrt und in die Glykolyse eingeschleust werden, doch hat dieser Abbauweg nur geringe Bedeutung. In der Leber wird der
182
Kohlenhydrate
Hauptanteil der Fructose durch eine spezifische Fructokinase in Fructose-1-phosphat und weiter durch die Fructose-1 -phosphat-Aldolase in Dihydroxyacetonphosphat und Glycerolaldehyd umgewandelt (s. Schema). Die Aldolase besteht aus vier Untereinheiten, von denen es drei verschiedene Typen (A, B, C) gibt, aus denen 12 verschiedene Isoenzyme kombiniert werden können. Das Isoenzym A4 kommt fast ausschließlich in der Muskulatur vor und setzt vorzugsweise Fructose-1,6-bisphosphat um. Das in Leber und Niere lokalisierte Isoenzym B4 besitzt dagegen hohe Aktivität gegenüber Fructose-1,6-bisphosphat und Fructose-1-phosphat und wird daher auch als 1-Phosphofructaldolase bezeichnet (Abb.). Die Fructoseverwertung über die Fructokinasereaktion hat bei Diabetes mellitus besondere Bedeutung, da hierdurch die Insulin-abhängige Glucokinasereaktion (s. d.) umgangen wird. Der ATP-Gewinn beträgt beim Abbau der Fructose zu Pyruvat zwar nur ein Mol ATP/mol Fructose, doch ist der Stoffwechselweg Fructose > Pyruvat um zwei Schritte kürzer als der Weg Glucose > Pyruvat. Das gleiche gilt für den Alkohol Sorbitol, der in der Leber durch die Sorbitol-Dehydrogenase in Fructose umgewandelt werden und Insulin-unabhängig verwertet werden kann. Die Verwertung von Fructose (bzw. Sorbitol) durch den Diabetiker wird jedoch durch die Kapazität der Fructokinase (bzw. Sorbitol-Dehydrogenase) limitiert («= 50 g/Tag). Die Fructokinase phosphoryliert Fructose zehnmal schneller als die Hexokinase Glucose. Das Dihydroxyacetonphsophat kann entweder über den Glykolysestoffwechsel unter Gewinn von zwei ATP zu Pyruvat abgebaut werden oder nach Isomerisierung und Rekondensation zu Fructose-1,6-bisphosphat in Glucose übergehen. Der in der Phosphofructaldolasereaktion (Isoenzym B4) gebildete Glycerolaldehyd kann auf 2 alternativen Stoffwechselwegen Anschluß an die Glykolyse finden. Bei der angeborenen Fructoseintoleranz liegt ein Defekt der Untereinheit B der Aldolase (s. o.) vor, der sich auf Leber und Niere auswirkt. Da das sich nunmehr anhäufende Fructose-1-phosphat eine Hemmung der glykogenabbauenden Phosphorylase, der Fructose-1,6-bisphosphat-Aldolase und der Fructose-1,6-bisphosphat-Phosphatase bewirkt, kommt es nicht nur zu einer Störung des Glykogenabbaus, sondern auch zur Hemmung der Gluconeogenese. Durch Fructosebelastung läßt sich daher eine charakteristische Senkung des Blutzuckerspiegels auslösen, die bis zum hypoglykämischen Schock führen kann. Aminozucker. Die Aminozucker D-Glucosamin (2-Amino-2-desoxyglucose) und DGalaktosamin (2-Amino-2-desoxygalaktose) werden in der Natur als Bestandteil zahlreicher Oligo- und Polysaccharide angetroffen. Allerdings liegen die stark basischen Aminozucker im natürlichen Zustand selten mit freier Aminogruppe, meist in N-substituierter Form vor. Als Substituenten sind Acetyl-, Sulfonyl- und Methylgruppen bekannt. Bei den Bakterien sind die Aminozucker Bestandteile der Zellwandpolysaccharide (zusammen mit Muraminsäure) und auch in vielen Syntheseprodukten niederer Organismen, vor allen Dingen in Antibiotika — hier jedoch meist in abgewandelter Form - enthalten. Im Tierreich ist N-Acetylglucosamin in der Klasse der Insekten und Crustaceen Baustein des Chitins [GlcNAc-ß(l -4)GlcNAc-ß(l -4]n, eines Homoglykans, das als Gerüst- und Stützsubstanz (Muscheln und Hummerschalen) fungiert und an Eiweiß gebunden ist. Bei den Säugetieren sind die Aminozucker als Bestandteil der Glykosaminoglykane der Zwischenzellsubstanz mesenchymaler Gewebe (Knorpel, Knochen, Haut,
Spezielle Stoffwechselwege der Glucose
183
Biosynthese der Aminozucker CH 2 OH
Fructose-6-phosphat Glutamin .
O
Glutamin bildende GlucosaminphosphatIsomerase
Glutaminsäure' Glucosamin-6-phosphat
Glucosamin
GlucosaminphosphatAcetyltransferase
ADP
ATP
N-Acetylglucosamin-6-phosphat
N-Acetylglucosamin
N-Acetylglucosamin(p)-Mutase
ADP
ATP
N-Acetylglucosamin-1 -phosphat UTP
UDP-N-AcetylglucosaminPyrophosphorylase UDP-N-Acetylglucosamin-4Epimerase
UDP-N-Acetylglucosamin ~^~
UDP-N-Acetylgalaktosamin
Synthese von Glykoproteinen Glykosaminoglykanen
Synthese von Glykoproteinen Glykolipiden Glykosaminoglykanen
Arterien usw.) und der Glykoproteine (Blutplasmaproteine, Blutgruppensubstanzen, Mucine u. a.) regelmäßig vertreten. Die Aminozucker werden in allen Organen am Ort ihres Bedarfs aus Intermediärprodukten des Glucosestoffwechsels gebildet. Die intrazellulär verlaufende Biosynthese geht vom Fructose-6-phosphat aus, das in einer Aminierungsreaktion (Glutamin als Aminogruppen- und Energiedonator) in Glucosamin-6-phosphat übergeht, das nach Acetylierung und Umwandlung in das N-Acetylglucosamin-1phosphat in die Uridindiphosphatverbindung überführt wird. UDP-GlcNAc und
OH
H H HOH.C-C-C 2
COOH
|8 |7
HO OH
H.C-C-N 0H
ß-N-Acetylneuraminsäure
184
Kohlenhydrate
das in einer Epimerisierungsreaktion entstehende UDP-GalNAc sind Substrat der Biosynthese der Glykosaminoglykane bzw. der Glykoproteine. Neuraminsäure. Die substituierte Neuraminsäure - ein Ketozucker (S. 152) - ist in Mikroorganismen und im Tierreich weit verbreitet. Die Aminogruppe (C-Atom 5) liegt stets als N-Acetyl- oder N-Glykolylgruppe vor, jedoch können auch die freien Hydroxylgruppen durch Acetyl- bzw. Glykolylgruppen substituiert sein. Die substituierten Neuraminsäuren, die immer in ketosidischer Bindung mit anderen Zuckerbausteinen verknüpft sind, also nicht im freien Zustand existieren, werden Sialinsäuren genannt. Viele Glykoproteine (s. u.) und Glykolipide, insbesondere die Ganglioside des Nervensystems enthalten Neuraminsäure (Kap. Lipide, S. 217). Aus dem Kolostrum (von Mensch und Rind) hat man Sialyllactose isoliert. In den Zellwänden von Bakterium E. coli ist ein aus N-Acetylneuraminsäure bestehendes Polysaccharid - die Colominsäure - vorhanden.
Biosynthese der Neuraminsäure CTP = Cytidintriphosphat, CMP = Cytidinmonophosphat - UDP-N-Acetylglucosamin
UDP' N-Acetylmannosamin-6-
N-Acetylmannosamin Phosphoenolpyruvat v
^Phosphoenolpyruvat
. Pyruvat
N-Acetylneuraminsäure
N-Acetylneuraminsäure-9-
CTP
CMP-N-Acetylneuraminsäure "aktivierte Neuraminsäure"
Synthese von
Glykoproteinen Glykolipiden
Bakterienzellwänden Colominsäure
Di- und Trisacchariden (z. B. in Milch)
Die Biosynthese der Neuraminsäure geht von N-Acetylmannosamin bzw. N-Acetylmannosamin-6-phosphat aus, die in einer Kondensationsreaktion mit Phosphoenolpyruvat N-Acetylneuraminsäure bzw. N-Acetylneuraminsäure-9-phosphat bilden. Das N-Acetylmannosamin entsteht aus UDP-N-Acetylglucosamin in einer 2Epimerasereaktion, bei der gleichzeitig eine Spaltung in UDP und N-Acetylmannosamin erfolgt. Die freie N-Acetylneuraminsäure wird in Gegenwart von CTP in die aktivierte CMP-N-Acetylneuraminsäure überführt. Sie ist Substrat zahlreicher Synthesereaktionen (s. Reaktionsschema).
Glykoproteine
185
11. Glykoproteine Die Glykoproteine sind eine große, im Tier- und Pflanzenreich weitverbreitete und lebenswichtige Stoffklasse. Zahlreiche Enzyme, Hormone und Serumproteine (einschließlich der Blutgerinnungsfaktoren und Immunglobuline), ferner die löslichen Blutgruppensubstanzen und die schleimigen Sekrete der Tiere sind Glykoproteine. Weiterhin sind sie regelmäßige Bausteine biologischer Membranen (Membranen tierischer Zellen und subzellulärer Partikel). Bakterien enthalten — von wenigen Ausnahmen abgesehen — keine Glykoproteine. Chemie. Das Strukturprinzip der Glykoproteine besteht darin, daß eine, mehrere oder zahlreiche Kohlenhydratgruppen durch hauptvalenzartige Bindung mit einem Protein verknüpft sind. Am Aufbau der Kohlenhydratkomponente, die in vielen Fällen ein verzweigtes Oligosaccharid darstellt, sind häufig Galaktose, Mannose, N-Acetylaminozucker (2-Acetamido-2-desoxyhexosen), L-Fucose und Neuraminsäure (Sialinsäure) beteiligt. Die Zahl der Kohlenhydratgruppen schwankt in weiten Grenzen. Ovalbumin — ein Glykoprotein aus dem Eiklar — enthält nur eine prosthetische Gruppe, das Glykoprotein aus den Submaxillarisdrüsen der Schafe dagegen 800 (aus N-Acetylneuraminsäure und N-Acetylgalaktosamin bestehende) prosthetische Gruppen. Entsprechend große Variationen findet man im Kohlenhydratgehalt, der beim Kollagen nur etwa 1%, beim Ovalbumin 3%, beim Submaxillarisprotein 42% und den Glykoproteinen mit Blutgruppenaktivität (S. 433) bis zu 85% beträgt. Die Verknüpfung zwischen Kohlenhydrat und Proteinanteil erfolgt über eine glykosidische Bindung, an der einerseits der am reduzierenden Ende der KohlenhyStrukturprinzip komplexer hybrider und mannosereicher Glykoproteine Die alle Typen gemeinsame (durch eine unterbrochene Linie gekennzeichnete) Pentasaccharidstruktur ist mit einem Asparaginrest des Proteins über eine N-glykosidische Bindung verknüpft. NeuAc a2, 3 oder 6 l Gal
NeuAc l a2, 3 oder 6 Gal
Gal
Man
Man
Man
1 4
I
|ß |ß1,4 Jß1,4 a1.2J a1.2J a1,2J GIcNAc GIcNAc GIcNAc Man Man Man Man Man ß1,2l p1,2i P1,2l ct1,3\ / , 1 1,2 1,3\ / ,6 --- " ---" ---" ---V r -----V r -Man Man Man Man Man Man
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|
GIcNAc jßM ±Fuc -·- GIcNAc
a1,3\
XoJ ,6 1,3 , l Man —- GIcNAc Man 1 4 ' |P1,4 GIcNAc GIcNAc Jß1.4 | P 1 ,4 GIcNAc GIcNAc
Protein -»- ---- Asn ---- ---- Asn--------Asn komplex
hybrid
mannosereich
l
186
Kohlenhydrate
Strukturprinzip von Glykoproteinen mit O-glykosidisch gebundenen Oligosaccharidresten
Gal
P1,3
a.2,3 I NeuAc
»~ GalNAc
a2,6 l NeuAc
Ser(Thr)
NeuAc
2,6
'—*- GalNAc
1,3
-—»- Ser(Thr)
·
Humanes Erythrozytenmembran-Glykoprolein
Submaxillarismucin
dratgruppe stehende Monosaccharidrest, andererseits die funktioneile Gruppe eines Aminosäurerestes der Proteinkomponente beteiligt ist (Abb.). Eine O-glykosidische Bindung eines N-Acetylaminozuckerrestes an einen Seryl- bzw. Threonylrest oder eine N-Glykosylbindung eines Aminozuckerrestes an die Amidgruppe eines Asparaginrestes sind häufige Bindungstypen. Eine O-glykosidische Bindung eines Galaktoserestes an einen Hydroxylysinrest ist für die verschiedenen Kollagentypen (S. 411) charakteristisch. Die weiteren am Aufbau des Kohlenhydratanteils beteiligten Monosaccharide sind in glykosidischer Bindung untereinander verknüpft. Stoffwechsel. Bei der Biosynthese der Glykoproteine schließt sich an die ribosomale Synthese des Proteinanteils eine Glykosylierung, d. h. die Übertragung von Kohlenhydratresten auf das Protein an. Die Glykosylierung setzt — bei den Glykoproteinen vom N-glykosidischen Typ — noch während der Proteinbiosynthese ein, ist also ein cotranslationaler Vorgang. Die Synthese N-glykosidisch und O-glykosidisch gebundener Kohlenhydratreste verläuft nach unterschiedlichen Mechanismen: • Bei der Biosynthese von Glykoproteinen, die N-glykosidische an Asparagin gebundene Oligosaccharidreste tragen, beginnt die Synthese der Kohlenhydratkomponente noch während der Proteinbiosynthese (cotranslational) mit der Übertragung eines Dolicholdiphosphat-gebundenen Oligosaccharidrestes, der 3 Glucose-, 9 Mannose- und 2 N-Acetylglucosaminreste enthält (Schema, S. 185) und in N-Glykosylbindung mit einem Asparaginrest des Proteins verknüpft wird, der innerhalb der Sequenz -Asn-X-Thr/Ser- liegt (X = beliebige Aminosäure). Das durch Transfer des Oligosaccharidanteils entstehende Glykoprotein ist eine Vorstufe, aus der in einem „Trimmprozeß" zunächst die Glucose und ein Teil der Mannosereste wieder abgespalten werden. Das entstehende mannosereiche Glykoprotein kann bereits das Syntheseendprodukt darstellen (z. B. Thyroglobulin, IgM). Mannosereiche Glykoproteine können jedoch durch Übertragung von N-Acetylglucosaminphosphatresten (aus UDP-N-Acetylglucosamin) und nachfolgende enzymatische Entfernung des N-Acetylglucosaminrestes in phosphorylierte mannosereiche Glykoproteine umgewandelt werden, die in terminaler Position Mannose-6-phosphatreste tragen. Dies ist z. B. bei zahlreichen lysosomalen Enzymen der Fall, bei denen die Mannose-6-phosphat-Gruppen ein Erkennungssignal für die Bindung an Rezeptoren darstellen. In einem alternativen Modifikationsprozeß können die mannosereichen Oligosaccharide durch Abspaltung eines Teils der Mannosereste und sequentieller An-
Glykoproteine
187
Schema der Biosynthese N-Asparagin-gebundener Oligosaccharide in Glykoproteinen Nach der primären Übertragung des Oligosaccharidanteils von Dolicholphosphat erfolgt die Abspaltung von Monosaccharidresten durch spezifische Glykosidasen und der Transfer von Monosaccharidresten durch spezifische Glykosyltransferasen unter Mitwirkung korrespondierender nucleotidaktivierter Zucker. =Glc e = G l c N A c o = Man A = F u c
= Gal = NeuAc
MEMBRAN DES ER
c-mRNA MEMBRAN DES ER
Phosphoryliertes Mannose-reiches G lykop rotein
Protein
Mannosereiches Glykoprotein Glykoprotein (Hybrider Typ)
Glykoprotein (Komplexer Typ)
heftung von N-Acetylglucosamin-, Galaktose und N-Acetylneuraminsäureresten in Glykoproteine vom hybriden bzw. komplexen Typ umgewandelt werden. Der Transfer der einzelnen Monosaccharide wird jeweils durch die bereits glykosidisch gebundenen Zucker in spezifischer Weise gesteuert. Die Glykosyltransferasen sind akzeptorspezifische Enzyme. Dem komplexen Glykoproteintyp gehören zahlreiche Blutplasmaglykoproteine (z. B. Transferrin, Caeruloplasmin, Haptoglobin, Prothrombin u. a.) an. • Bei der Biosynthese O-glykosidisch gebundener Oligosaccharidreste beginnt die Synthese mit der Übertragung eines N-Acetylgalaktosamins auf einen Sermoder Threoninrest des Proteins. Es ist ein posttranslationaler Prozeß, der im Golgi-Apparat abläuft. Die beteiligte N-Acetylgalaktosaminyltransferase wählt unter den zahlreichen möglichen Akzeptoraminosäuren des Proteins mit großer Spezifität bestimmte Serin- bzw. Threoninreste aus und orientiert sich dabei an der Sequenz der benachbarten Aminosäuren. Die Synthese schreitet dann durch sequentielle Anheftung weiterer Monosaccharide fort, wobei akzeptorspezifische Glykosyltransferasen und UDP-, GDP- und CMP-Monosaccharide als Donorsubstrate mitwirken. Da Glykoproteine mit O-glykosidisch gebundenen Oligosaccharidresten häufig im Sekret der Schleimhäute des Respirations- und Intestinaltraktes zu finden sind, werden sie auch als Glykoproteine vom Mucintyp bezeichnet. Besitzt ein Glykoprotein mehrere Oligosaccharidreste, können sie z. T. über Oglykosidische- und z. T. über N-Glykosyl-Bindungen mit dem Protein verknüpft sein. Dabei können die N-glykosidisch gebundenen Oligosaccharide entweder dem mannosereichen, dem hybriden oder dem komplexen Typ angehören. Da die Oligo-
188
Kohlenhydrate
saccharidgruppen eine verzweigte Struktur aufweisen, werden nach der Zahl der Seitenketten bi-, tri-, tetra- (usw.) antennäre Strukturen unterschieden. Zum Abbau gelangen die Glykoproteine in die Lysosomen (S. 412). Unter der Wirkung spezifischer lysosomaler Glykosidasen werden die Monosaccharide der prosthetischen Gruppe schrittweise vom nichtreduzierenden Ende her hydrolytisch entfernt. Funktion. Die spezifische Wechselwirkung der Oligosaccharidsequenz eines Glykoproteins mit komplementären Strukturen (Proteine oder Nichtproteine) anderer Moleküle, Zellorganellen oder Zellen ist die Grundlage vieler biologischer Phänomene, zu denen u. a. die Zell-Zellerkennung, die Bindung von Zellen an extrazelluläre Strukturen, die rezeptorvermittelte Endozytose von Glykoproteinen durch Zellen oder Gewebe und die Antigen-Antikörper-Bindung gehören. So werden z. B. zahlreiche Glykoproteine des Blutplasmas nach enzymatischer Entfernung ihrer Neuraminsäurereste an den präterminalen Galaktoseresten von den Leberzellen „erkannt", gebunden und rasch aufgenommen, während sie als intakte Glykoproteine mehrere Tage lang im Blut verbleiben. Auch phosphorylierte Mannosereste können die Erkennungsregion eines Glykoproteins bilden. Bei den Glykoproteinen mit Hormonwirkung, zu denen u. a. viele Hormone des Hypophysenvorderlappens (TSH, FSH, LH, CG) zählen, ist der Kohlenhydratanteil für die biologische Wirkung unentbehrlich und bildet vermutlich die Erkennungsregion für spezifische Zellmembranrezeptoren der Erfolgsorgane. Die cotranslationale Glykosylierung eines Proteins ist in vielen Fällen die Voraussetzung dafür, daß die vorgesehene Konformation und biologische Aktivität des gebildeten Glykoproteins erreicht und stabilisiert wird. Dies gilt u. a. für viele Glykoproteine der Zellmembran. Glykoproteine sind regelmäßige und charakteristische Bestandteile der Sekrete des Verdauungs-, Bronchial- und des Genitaltraktes. Ihre hohe Molmasse und ihr hoher Hydratationsgrad verleiht diesen Sekreten ihre hohe Viskosität und ihre mechanischen Eigenschaften als Gleitmittel.
12. Proteoglykane Proteoglykane sind Kohlenhydrat-Proteinverbindungen, in denen eine variable Anzahl von Polysaccharidketten mit einer Molmasse von 20-60 000 und häufig zusätzlich eine ebenfalls variable Anzahl von Oligosaccharidresten mit einem Proteinteil in kovalenter Verbindung verknüpft sind. Die Polysaccharidketten der Proteoglykane sind durch ihr Molekulargewicht, durch eine unverzweigte Linearstruktur und durch Aufbau aus regelmäßig sich wiederholenden Disaccharideinheiten gekennzeichnet. Da am Aufbau der repetierenden Disaccharideinheit immer Aminozucker beteiligt sind, haben die Polysaccharide der Proteoglykane den systematischen Namen Glykosaminoglykane erhalten. In der Literatur ist der ältere Name Mucopolysaccharide noch weit verbreitet. Glykosaminoglykane. Glykosaminoglykane sind anionische Linearpolymere, die alternierend einen N-acetylierten (bzw. N-sulfatierten) Aminozucker und eine
Proteoglykane
189
Uronsäure (bzw. Galaktose) und mit Ausnahme des Hyaluronats s. u. — stets auch Estersulfatgruppen enthalten. Von den periodisch sich wiederholenden Disaccharideinheiten können 50—1000 zu langen unverzweigten Kettenmolekülen zusammentreten. Von den Glykosaminoglykanen sind 8 verschiedene Typen bekannt, die alle die gleichen Konstitutionsmerkmale aufweisen, sich jedoch durch ihre Monosaccharidkomponente bzw. durch ihren Sulfatgehalt und den Typ der glykosidischen Bindung der Monosaccharidreste unterscheiden. Die chemische Struktur der konstituierten Disaccharideinheiten zeigt das folgende Schema (S. 190). • Hyaluronat ist in der Nabelschnur, im Glaskörper des Auges, in der Grundsubstanz des Bindegewebes, in der Synovialflüssigkeit und in geringerer Konzentration auch in anderen Organen vorhanden und ist das einzige der in tierischen Organismen vorhandenen Glykosaminoglykane, das auch von Mikroorganismen (Streptokokken) gebildet wird. Hyaluronat (Synonym: Hyaluronan) wird als proteinfreies Polysaccharid synthetisiert und gehört nicht in die Stoffklasse der Proteoglykane. Vom Chondroitinsulfat, das als Proteoglykan in einer Konzentration bis zu 40% des Trockengewichtes im Knorpelgewebe, aber auch in anderen Organen, z. B. in Arterien und in der Cornea des Auges vorkommt, sind die isomeren Verbindungen Chondroitin-4-sulfat, Chondroitin-6-sulfat und Dermatansulfat bekannt. • Im Heparansulfat liegen Aminozucker- und L-Iduronsäurereste stets in a(l-4)-, die Glucuronsäurereste dagegen in ß(l-4)-glykosidischer Bindung vor, außerdem enthält Heparansulfat anstelle der Acetamidgruppen z. T. Sulfamidgruppen. Ferner befinden sich in einigen Disaccharideinheiten Estersulfatgruppen am CAtom 6 der Glucosaminreste und am C-Atom 2 der Iduronsäurereste. Die Sulfatgruppen des Heparansulfat sind in 4—6 Disaccharideinheiten langen Domänen des Moleküls angereichert. • Heparin besteht aus den gleichen Disaccharideinheiten wie Heparansulfat, weist aber einen höheren Sulfatierungsgrad auf. Für die Blutgerinnungs-hemmende Wirkung des Heparins sind 3-O-Sulfatestergruppen des Glucosamins essentiell. • Keratansulfat ist in der Cornea des Auges (Typ I) und im Knorpelgewebe (Typ II) vorhanden (Tab.). Chondroitinsulfat, Dermutansulfat, Heparansulfat und Keratansulfat liegen in nativer Form stets an Proteine gebunden als Proteoglykane vor. Heparin wird nach enzymatischer Abspaltung von der Proteinkomponente in Mastzellen in granulärer Form gespeichert und auf adäquate Reize hin (z. B. allergische Reaktionen) freigesetzt. Über die Verbreitung der Glykosaminoglykane in Säugetierorganen, ihre Funktion, ihren Stoffwechsel und Stoffwechselströmungen wird im Kap. Binde- und Stützgewebe (S. 514) berichtet. Proteoglykanbiosynthese. Die intrazellulär verlaufende Biosynthese der Proteoglykane läßt sich in zwei Phasen einteilen: In der ersten Phase vollzieht sich die ribosomale Synthese der kohlenhydratfreien Proteinkomponente der Proteoglykane, die an das endoplasmatische Retikulum abgegeben wird (S. 143). Dort erfolgt zunächst die Übertragung N-glykosidisch gebundener Oligosaccharide. Nach Weiterleitung in den Golgi-Apparat beginnt die Synthese der Glykosaminoglykan-Seitenketten. Dabei erfolgt die Verknüpfung von Glykosaminoglykanen und Proteinkomponente
190
Kohlenhydrate
jedoch nicht direkt, sondern über eine Kohlenhydrat-Proteinbindungsregion (Formel-Schema), die für Proteoglykane mit Chondroitinsulfat, Dermatansulfat und Heparansulfat als Seitenketten durch ein Tetrasaccharid der Struktur GlcA-GalGal-Xyl repräsentiert wird. Die D-Xylose ist in O-glykosidischer Bindung mit der Hydroxylgruppe eines Serin- oder Threoninrestes an das Protein gebunden. Anschließend kommt es durch schrittweise Anlagerung der am Aufbau des Glykosaminoglykans beteiligten Monosaccharide zum Wachstum der Polysaccharidkette, wobei deren Sequenz durch die Spezifität der beteiligten Enzyme festgelegt wird. Bei der Synthese des Proteokeratansulfats der Cornea des Auges wird das primär übertragene N-glykosidisch gebundene Oligosaccharid im Golgi-Apparat enzymatisch modifiziert und partiell zur Keratansulfat-Seitenkette verlängert (Tab.). Die für die Synthese der Glykosaminoglykane benötigten Monosaccharide werden als UDP-Monosaccharide (UDP-GalNAc, UDP-GlcNAc, UDP-Gal, UDPXyl) bereitgestellt. Während oder unmittelbar nach der Polysaccharidsynthese vollzieht sich die Umwandlung von Glucuronsäure- in Iduronsäurereste (Dermatansuifatbiosynthese) und die Übertragung von Estersulfat durch Sulfo-Transferasen. Da die Spezifität der bei der Synthese beteiligten Glykosid- und Sulfo-Transferase zwar sehr hoch, aber nicht absolut ist, kann es zur Bildung hybrider Glykosaminoglykanseitenketten, zu unregelmäßiger Sulfatierung und variabler Molmasse der Polysaccharidkette kommen. Da Dermatansulfat stets aus Chondroitinsulfat entsteht und die hierfür notwendige enzymatische Umwandlung der D-Glucuronsäure- in L-Iduronsäurereste meist nicht quantitativ erfolgt, bilden Chondroitinsulfat und Dermatansulfat häufig hybride Glykosaminoglykane, in denen sie in kopolymerer Struktur innerhalb der gleichen Polysaccharidkette vorliegen (S. 191). Nach Beendigung der Synthese werden die für den Export bestimmten Proteoglykane in Sekretionsvesikeln verpackt, die nach Fusion mit der Zellmembran ihren Inhalt an den extrazellulären Raum abgeben. Ein Teil der Proteoglykane verbleibt als Strukturkomponente in integrierter oder assoziierter Form an der Zellmembran. Unter den Glykosaminoglykanen bildet das Hyaluronat insofern eine Ausnahme, als dessen Synthese nach einem abweichenden Mechanismus verläuft. Im Gegensatz zur Proteoglykanbiosynthese wird Hyaluronat als ein proteinfreies hochmolekulares Polysaccharid synthetisiert, dessen Bausteine (Glucuronsäure, N-Acetylglucosamin) als UDP-Derivate durch eine zellmembranintegrierte Hyaluronat-Synthase alternierend zu einem langen Fadenmolekül miteinander verknüpft werden. Während der Synthese wird das Hyaluronat durch die Membran aus der Zelle ausgeschleust. Makromolekulare Struktur der Proteoglykane. Proteoglykane können Chondroitinsulfat, Dermatansulfat, Heparansulfat (oder Heparin) und Keratansulfat als Glykosaminoglykankomponente enthalten. Hyaluronat ist dagegen kein Bestandteil eines Proteoglykans, sondern als Glykosaminoglykan in proteinfreier Form vorhanden. Proteoglykane vom „großen" und „kleinen" Typ. Beim Chondroitinsulfat-Proteoglykan aus hyalinem Knorpel können bis zu 100 Chondroitinsulfatketten und 20—30 Keratansulfatketten mit dem Proteinmolekül verknüpft sein. Das Chondroitinsulfat/Dermatansulfat-Proteoglykan aus der Arterienwand weist dagegen nur 4—6 Glykosaminoglykanseitenketten und ein aus Schweinehaut isoliertes Proteoglykan
Polysaccharide der Bakterienzellwand
191
Schema der Struktur von Proteoglykanen und Hyaluronat CS = Chondroitinsulfat, DS = Dermatansulfat, HS = Heparansulfat, KS (I) = Keratansulfat (Cornea), KS (II) = Keratansulfat (Knorpel), HA = Hyaluronat, 4/6SO3 = 4- bzw. 6-Sulfat ( ) = nicht regelm ig vorhandene Substituenten Die repetierenden Disaccharideinheiten sind tarbig unterlegt.
GAGTyp
_, //-Λ,-Ι Glykosaminoglykan (GAO) ΠΓΛ °'· 3 Γ Η Ι Ν Α -
1 4
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nur eine Dermatansulfatseitenkette auf. Auf diese Weise variieren die Molmassen der Proteoglykane zwischen l X I0 5 und 3 X l O6. Mehrere Proteoglykanmolek le k nnen im Extrazellul rraum zusammen mit Hyaluronat spezifische Aggregate mit einer Molmasse von mehreren 100 Millionen bilden (S. 514).
13. Polysaccharide der Bakterienzellwand Bakterien besitzen eine mehr oder weniger feste, wasserunl sliche, 150 bis 350 dicke Zellwand, die ihre zytoplasmatische Membran umgibt. Sie verleiht der Bakterienzelle Form und Festigkeit und sch tzt sie gegen die osmotische Druckdifferenz zwischen Zellinnerem und Au enfl ssigkeit.
/TL
,
192
Kohlenhydrate
Die innerste Schicht der Zellwand, die direkt der zytoplasmatischen Membran der Bakterienzelle aufliegt, besteht aus einem Polysaccharid-Peptidkomplex (Peptidoglykan), der als Murein (lat. murus = Wand) bezeichnet wird und bei allen Bakterien vorkommt. Die äußeren Schichten der Bakterienzellwand sind sehr komplex aufgebaut und variieren je nach Bakterienart. Bei den grampositiven Bakterien macht der Mureinanteil 10—50% aus, von den übrigen Wandbestandteilen seien folgende Komponenten als Beispiele erwähnt: a) Bakterien-spezifische Proteine, wie bei manchen Staphylokokken, b) Polymere aus Glycerol- oder Ribitol-Phosphat mit glykosidisch gebundenen Zuckerresten (Teichonsäuren, gr. = Wand) in Staphylokokkenstämmen, c) Polymere aus N-Acetylgalaktosamin und Glucuronsäure (Teichuronsäure) in B, subtilis, d) Polymere aus L-Rhamnose und N-Acetylglucosamin (Polysaccharid C) in Streptococcus pyogenes. Alle Polysaccharide sind wahrscheinlich kovalent an Peptidreste oder Glykopeptidreste gebunden. Bei gramnegativen Bakterien beträgt der Anteil des Mureins an der Zellwand etwa 10%. Die äußeren Wandanteile enthalten Lipoproteine, Lipopolysaccharide und Polysaccharide. Besonders intensiv untersucht ist die Gruppe Lipopolysaccharide bei Enterobacteriaceen (Salmonellen, Colibakterien). Die nicht aus Murein bestehenden Bausteine der Bakterienzellwand sind für viele biologische Eigenschaften der Bakterien verantwortlich. Sie enthalten z. B. die für Bakterien spezifischen Antigene und die Rezeptoren für Phageninfektionen. Manche dieser Bausteine sind wirksame Endotoxine, andere stehen wiederum mit der Virulenz in Zusammenhang. Murein. Die Grundstruktur des Mureins besteht aus einem Polysaccharid, das alternierend aus zwei ß-l,4-glykosidisch verknüpften Monosacchariden zusammengesetzt ist: aus N-Acetylglucosamin und N-Acetylmuraminsäure. Die Muraminsäure kann als 3-O-D-Lactatether des N-Acetylglucosamins bezeichnet werden. Im Murein aus Staphylococcus aureus ist jede Muraminsäure über die Carboxylgruppe mit der terminalen Aminogruppe eines Tetrapeptids carbamidisch verknüpft, und die Tetrapeptide sind alle durch Pentaglycin miteinander verbunden. Auffällig ist das Vorkommen von D-Aminosäuren (o-Glutamin, D-Alanin) im Peptidanteil. Anstelle des Lysins steht bei manchen Bakterienarten eine , -Diaminopimelinsäure. Nimmt man an, daß die Polysaccharidketten das Bakterium ringförmig umschließen, so bildet das Murein ein netzartiges Riesenmolekül, das als ein geschlossener Beutel die gesamte Bakterienzelle umgibt. Das aus Hühnereiweiß isolierte, aber auch in menschlichen Sekreten nachgewiesene Lysozym vermag Murein in lösliche Bruchstücke zu spalten. Lysozym greift die Polysaccharidkette an der glykosidischen Bindung zwischen N-Acetylmuraminsäure- und N-AcetylglucosaminRest an. Die Biosynthese des Mureins ist eingehend untersucht worden. Dabei werden zunächst in einer längeren Synthesekette Disaccharid-Peptide vom Typ |
(Gly)5
GlcNAc-MNAc-L-Ala-D-Gln-Lys-D-Ala-D-Ala gebildet, die an UDP gebunden und dann auf ein Pyrophosphatphospholipid übertragen werden. Unter Abspaltung des terminalen D-Ala wird das Murein dann in
Polysaccharide der Bakterienzellwand
193
Ausschnitt aus einem Peptidoglykan der Bakterienzellwand von Staphylococcus aureus Polysaccharidkette (MNAc = N-Acetylmuraminsäure)
MNAc GIcNAc
MNAc
MNAc
GIcNAc
"!
MNAc
GIcNAc
MNAc L-Ala GIcNAc I GIcNAc ' l MNAc D-Ala D-GIn l I L-Ala D-Gin —L-Lys l l I :;! D-Ala- G l y - G l y - G l y - G l y - G l y -L-Lys " I l D-Ala- G l y - G l y - G l y - Gly- G l y - L - L y s ^ \ ^^^ D-Ala — · Peptidbrücken (D-GIn = D-Glutamin)
einer Polymerisations- und Quervernetzungsreaktion zum Makromolekül zusammengefügt. Bei der Aufklärung des Mechanismus der Mureinsynthese hat man auch Einblick in die Wirkungsweise des Penicillins erhalten. Penicillin verhindert die Quervernetzungsreaktion der Peptideinheiten untereinander. Die Strukturanalogie der CO-N-Bindung im Lactamring des Penicillins (S. 76) zu der Peptidbindung des terminalen D-Ala-D-Ala-Restes erklärt die kompetitive Hemmwirkung des Penicillins. Unter Penicillineinwirkung kommt es zur Lyse der Bakterien. Polysaccharide gramnegativer Bakterien. Die äußere Schicht der Zellwand gramnegativer Bakterien enthält Polysaccharide, die Teil eines Lipoprotein-Polysaccharidkomplexes (sog. O-Antigen) sind. Während Protein- und Lipidkomponente bei den verschiedenen Bakterien chemisch relativ ähnlich gebaut sind, weist die Zusammensetzung der Polysaccharidkomponente eine geradezu überwältigende Variation auf. So kann man z. B. unter den Salmonellen 1000 verschiedene Serotypen unterSchematischer Aufbau der Zellwand gramnegativer und grampositiver Bakterien (P = Proteine bzw. Glykoproteine) Zellwand gramnegativer Bakterien
Zellwand grampositiver Bakterien
Außen LIPOPOLY- ! SACCHAR1D
l l
LIPOPOLYSACCHARID
3 AAA 1
AAi -25 nm
r~\
l
PEPTIDOGLYKAN (MUREIN)
PEPTIDOGLYKAN ( M U R E I N ) PERIPLASMATISCHER RAUM
••?T?0??nmr
4AAAAAUAAAA... Innen
Außen
l
ZELLMEMBRAN
PERIPLASMATISCHER RAUM
-20 nm
.AAAAAAAC ZELLMEMBRAN
Innen
194
Kohlenhydrate Schematischer Ausschnitt aus der Struktur des Lipopolysaccharid A Abe = Abequose (3,6-Didesoxy-D-galaktose), Rha = L-Rhamnose (6-Desoxy-L-mannose) Hep = Heptose (L-Glycero-D-mannoheptose), KDO = 2-Keto-3-desoxyoctansäure Ethanolamin 1 ® fAbe 1 Man — Rha — Ga 1
GlcNAc
Gal
(?)
l
I
I
KDO
f Fettsäure Glc ^Ac — Fettsäure \- Fettsäure r Fettsäure
— Glc — Gal — Glc — Hep— Hep — KDO — Glc NAc — Fettsäure
\- Fettsäure O-Seitenkette
Oligosaccharid-Basisstruktur
Lipid A
scheiden, denen definierte Differenzen in der chemischen Zusammensetzung des Polysaccharidanteils (O-Seitenkette) entsprechen. Am Aufbau des Polysaccharids sind mehr als 20 verschiedene — z. T. bei der Isolierung der verschiedenen Polysaccharide erstmalig aufgefundene — Zucker beteiligt. Gemeinsam scheint den einzelnen Bakterienstämmen lediglich ein Grundgerüst mit wenigen „Basalzuckern" zu sein (Oligosaccharidbasisstruktur). Eine wichtige Eigenschaft der Lipopolysaccharide ist ihre pyrogene (Fieber erzeugende) und toxische Wirkung, die noch in einer Dosis von 0,001 g/kg Körpergewicht nachweisbar ist. Die Toxizität, für die der Lipid-A-Anteil des Moleküls verantwortlich ist, entsteht durch Bindung des Lipopolysaccharids an den CD14Rezeptor von Makrophagen, die dadurch zur Produktion von TNF- und den Interleukinen l und 6 angeregt werden.
IX. Lipide
Mit dem Begriff der „Lipide" wird eine Stoffklasse bezeichnet, die ubiquitär im Tier- und Pflanzenreich verbreitet ist, deren Untergruppen in ihrer chemischen Struktur jedoch nur sehr entfernte Verwandtschaft aufweisen. Ihr gemeinsames chemisches Merkmal ist lediglich der Besitz lipophiler Gruppen. Dies bedingt einerseits ihre gute Löslichkeit in Ether, Chloroform, Benzol und anderen organischen Lösungsmitteln, andererseits ihre Unlöslichkeit in Wasser. Eine systematische chemische Klassifikation der Lipide ist also wegen der chemischen Heterogenität nicht sinnvoll.
1. Biologische Funktion und Klassifizierung Funktion. Einige Lipidklassen (Phospholipide, Sphingolipide, Gallensäuren, nichtveresterte Fettsäuren und - in geringerem Maße - auch nicht-verestertes Cholesterin enthalten in ihrem Molekül sowohl hydrophobe (wasserunlösliche) als auch hydrophile (wasserlösliche) Gruppen und werden daher als amphipathische Moleküle bezeichnet. Sie besitzen die Fähigkeit zur Ausbildung von Doppelschichten oder Mizellen, durch die eine Trennung wäßriger und nicht wäßriger („öliger") Phasen erfolgt. Dies ermöglicht u. a. die Bildung von Zellmembranen, Mizellen und Lipoproteinen.
Physiologische Bedeutung amphipathischer Lipide bei der Bildung von Lipiddoppelschichten. Mizellen und Lipoproteinen B
D
A = hydrophobe (nicht-polare) Gruppe/Phase B = hydrophile (polare) Gruppe/Phase
Amphipathisches Lipidmolekul (z. B. Phospholipid : nicht-verestertes Cholesterin)
B
ononoo
B
Lipiddoppelschicht (z. B. Membran eukaryonter Zellen)
Mizelle 2. B. GallensäureFettsäu rekomplex
Lipoprotein mit Membranassoziiertem Apolipoprotein (Apo) z.B. LDL, HOL
196
Lipide
• Membranlipide. Lipide sind essentielle Bestandteile jeder lebenden Zelle und integrierende Strukturelemente der Membran eukaryonter Zellen und ihrer subzellulären Partikel. Sie sind dadurch aufs engste mit dem Stofftransport in die Zelle und innerhalb der Zelle verknüpft. Zusammen mit Proteinen bilden sie organisierte Lipiddoppelstrukturen (S. 414) und verwirklichen das Prinzip der Substrukturierung der Zelle durch Trennung lipophiler und hydrophiler Bezirke und tragen so zur topochemischen Selektivität der Stoffwechselprozesse in der Zelle bei. • Die Lipoproteine des Blutplasmas (S. 438) stellen eine spezielle Transportform der Lipide dar, mit deren Hilfe sich der Lipidaustausch der Gewebe und Organe vollzieht. • Der Gehalt der Lipide im zentralen Nervensystem und im Nervengewebe ist auffällig hoch (40% des Trockengewichtes). Die ausgesprochene Spezifität der Lipide des Zentralnervensystems und ihre Konstanz, auch unter extremen Stoffwechselbedingungen, deutet auf besondere Funktionen hin (Kap. Nervengewebe, S. 499). Wegen ihrer vitalen Funktion wird auch bei Nahrungsmangel nicht auf sie als Energiequelle zurückgegriffen. • Durch eine spezielle Form des Organfettes werden manche Organe eingehüllt und in ihrer regelrechten anatomischen Position fixiert (z. B. Fett des Nierenlagers). Deshalb darf das Organfett im Gegensatz zu den Depotfetten (s. u.) bei Körpertemperatur nicht flüssig sein. Ein großer Anteil langkettiger gesättigter Fettsäuren sorgt bei diesen Fetten für einen hohen Schmelzpunkt. Das Unterhautfettgewebe schützt den Organismus vor mechanischen Insulten und infolge seiner Isolierwirkung vor Wärmeverlusten (Wasser- und Polartiere). • Die Depotfette dienen - ähnlich wie die Kohlenhydrate — als Energiereserven. Vor allem in der Bauchhöhle und im Unterhautzellgewebe können bei Energieüberschuß große Lipidmengen gespeichert (vorwiegend Neutralfette) und bei Bedarf wieder mobilisiert und dem Stoffwechsel zur Verfügung gestellt werden. • Wichtige Wirkstoffe wie zahlreiche Hormone, Vitamine, Farbstoffe und die Gallensäuren gehören der Stoffklasse der Lipide an. Klassifizierung. Die Stoffklasse der Lipide läßt sich in folgende Untergruppen teilen: • Neutralfette sind Fettsäureester des Glycerols (Triglyceride, Triacylglycerole). • Glycerolphosphatide ähneln in ihrer Struktur den Neutralfetten, enthalten jedoch anstelle einer Fettsäure einen Phosphorsäurerest und einen meist Stickstoff-haltigen Substituenten. • Sphingolipide besitzen statt des dreiwertigen Alkohols Glycerol den zweiwertigen Aminoalkohol Sphingosin. Neben einer Fettsäure können sie einen Phosphorsäurerest und eine Stickstoff-haltige Base oder ein Mono- bzw. Oligosaccharid als Bestandteil enthalten. • Die Steroide sind Derivate des Cyclopentanoperhydrophenanthrens, eines alizyklischen gesättigten Kohlenwasserstoffs. • Die Carotinoide sind Polymere des Isoprens. Wegen ihrer Biosynthese aus dem gleichen Isoprenderivat werden die Steroide und Carotinoide in der Klasse der Polyisoprenoide oder Isoprenoidlipide zusammengefaßt. Chemie und Stoffwechsel der genannten Lipiduntergruppen sind in den Abschnitten 8 bis 12 dieses Kapitels behandelt.
Chemie und Eigenschaften biogener Fettsäuren
197
2. Chemie und Eigenschaften biogener Fettsäuren Die Fettsäuren sind obligate Baubestandteile der Neutralfette, Glycerolphosphatide und Sphingolipide. Auch in der Klasse der Steroide sind sie fakultative Vertreter (Cholesterinfettsäureester). Die Kenntnis der Struktur und des Stoffwechsels der Fettsäuren ist die Grundlage für die Biochemie der Lipide. Ihrer chemischen Struktur nach sind Fettsäuren M onocar bonsäure n der aliphatischen Reihe. In den biologisch wichtigen Lipiden treten sehr verschiedene Typen von Fettsäuren auf, gesättigte und ungesättigte, solche mit gerader und ungerader Anzahl von C-Atomen und verzweigte Fettsäuren. Bei den natürlichen Fetten kommen jedoch praktisch nur geradzahlige und meist unverzweigte Fettsäuren vor, und unter diesen sind wiederum diejenigen mit 16 und 18 C-Atomen stark bevorzugt. Eine Übersicht geben die Tabellen. Die C-Atome der Fettsäuren werden fortlaufend mit arabischen Ziffern numeriert. Das C-Atom der Carboxylgruppe trägt die Nummer l. Bei Verwendung von griechischen Buchstaben zur Stellungsbezeichnung ist das -C-Atom - wie bei Aminosäuren — das der Carboxylgruppe benachbarte C-Atom (Abb.). Kurzschreibweise und C-Atom-Numerierung gesättigter und ungesättigter Fettsäuren
17
15 13 11 9
7
5
O II
3
r
A/VVVVWVi
18
16
U
12
10
8
6
A
nH
2
Stearinsäure (C 18)
O 10_ 9
r
Ölsäure(C18:1) O 16
15 13 12 10 9
r
Linolensäure (C 18:3)
Die Fettsäuren liegen im Organismus meist nicht in freier Form, sondern als Fettsäureester vor. Freie Fettsäuren sind stark oberflächenaktive Substanzen und würden aufgrund ihrer Seifenwirkung zu einer Zerstörung biologischer Strukturen führen. Freie Fettsäuren entstehen jedoch durch Einwirkung von Laugen auf Fettsäureester - ein Vorgang, den man als „Verseifung" bezeichnet und der bei der Analyse und Konstitutionsermittlung der Fette eine große Rolle spielt. Die Kettenlänge der gesättigten Fettsäuren und die Anzahl der ungesättigten Fettsäuren bestimmen den Schmelzpunkt eines Neutralfettes. Ungesättigte Fettsäuren befinden sich besonders reichlich in pflanzlichen Ölen (Schmelzpunkt —2 bis
198
Lipide Gesättigte Fettsäuren
Trivial-Name
Chemischer Name
Formel
Mol.Gew.
Vorkommen
Essigsäure
Ethansäure
C2H4O2
60,05
n-Buttersäure
Butansäure
C4H802
88,11
Capronsäure Caprylsäure
Hexansäure Octansäure
C6H12O2 C8H16O2
116,16 144,22
Caprinsäure
Decansäure
C10H2002
172,27
Laurinsäure
Dodecansäure
C12H24O2
200,32
Hauptbestandteil von Pflanzenfetten, in tierischen Depotfetten, in Milchfett und Fischtranen
Myristinsäure
Tetradecansäure
C14H28O2
228,38
1 -5% fast aller Fette pflanzlichen und tierischen Ursprungs, besonders Milchfett, Palmöl, Fischtran
Palmitinsäure
Hexadecansäure
C16H32O2
256,43
Bestandteil aller natürlichen Fette pflanzlichen und tierischen Ursprungs
Stearinsäure
Octadecansäure
C18H3602
284,49
Arachidinsäure
Eicosansäure
C20H40O2
312,45
Hauptbestandteil vieler tierischer Fette, in Pflanzenfetten In Fetten pflanzlicher Samen (z. B. Erdnuß)
Behensäure
Docosansäure
C22H44O2
340,59
In Pflanzensamen, in Sphingolipiden, pathologisch vermehrt bei Lipidosen
Lignocerinsäure
Tetracosansäure
C24H4gO2
366,65
In Sphingomyelinen und Sphingoglykotipiden, Pflanzenfetten, Bakterien und Insektenwachsen
Cerotinsäure
Hexacosansäure
C26H5202
396,70
Frei und gebunden in Bienenwachs und Wollfett
Im Intermediärstoffwechsel als CoAVerbindung, Stoffwechselprodukt bei Bakterien In Spuren in vielen Fetten (z. B. Butter) In Spuren in vielen Fetten In pflanzlichen und tierischen Fetten Häufiger Bestandteil von Tier- und Pflanzenfetten
Einfach ungesättigte Fettsäuren Trivial-Name
Chemischer Name
Formel
Mol.Gew.
Crotonsäure
Transbutensäure
C4H602
Palmitoleinsäure
A9-Hexadecensäure
C16H3002
254,42
Ölsäure
A9-Octadecensäure
deH-wOa
282,47
Erucasäure
A13-Docosensäure A15-Tetracosensäure
C22H42O2 C24H4g02
338,58 366,63
Nervonsäure
86,09
Vorkommen Als Crotonylrest Zwischenprodukt im Fettsäurestoffwechsel Im Depot- und Milchfett der Tiere, in Fisch- und Pflanzenölen In allen natürlichen Fetten, am weitesten verbreitete ungesättigte Fettsäure (z. B. 1/3 der Fettsäuren des Milchfettes) In Samenölen (Rapsöl, Erdnußöl) Cerebroside
Acyl-Coenzym- A- Verbindungen
199
Mehrfach ungesättigte Fettsäuren Trivial-Name
Chemischer Name 9 12
Linolsäure
· -Octadecadiensäure ( -6)
Linolensäure
A 9,i2.i5. Oc t a decatriensäure ( -3)
Arachidonsäure
A5'8'11'14-Eicosatetraensäure ( -6)
Eicosapentaensäure Clupanodonsäure
A5,8.11.14,17.Ejcosa.
Formel ClQr"l32(J2
8
3
2
C2oH32O2
2
30
2
Mol.Gew.
280,45
Vorkommen
302,48
In Pflanzenölen, reichlich in Lein-, Hanf- und Baumwollsamenöl, im Depotfett der Tiere In Pflanzenölen (Leinöl, Färberdistelöl) und Phosphatiden tierischer Fette In Fischölen und Phosphatiden tierischer Fette (z. B. Leber) In Fischölen
330,51
In Fischölen
278,44
304,48
pentaensäure ( -3) A4,8.12,15.19.Docosa_
^22^34^)2
pentaensäure ( -3)
-6°C), Hammel- und Rindertalg enthalten über 50% Palmitinsäure (Schmelzpunkt 42 bis 52°C). Bei den mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind die Doppelbindungen stets durch einfache C-C-Bindungen getrennt („isolierte Doppelbindungen"). Da die Doppelbindung eine starre Achse innerhalb eines Fettsäuremoleküls entstehen läßt, um die sich die beiden Molekülreste in zwei verschiedenen räumlichen Anordnungen orientieren, ist die Ausbildung zweier geometrischer Isomeren möglich, die man als eis- und trans-Isomere bezeichnet. Unter den natürlichen ungesättigten Fettsäuren wird die cis-Konfiguration meist bevorzugt (z. B. Ölsäure, Linol-, Linolensäure). Bei der cis-Form stellt man sich die beiden Kettenreste auf der gleichen Seite der Bindung vor, bei der trans-Form umgekehrt. Bei mehreren Doppelbindungen ist natürlich eine große Anzahl von eis- und trans-Isomeren möglich. In der Chemie der Sterine spielt dieses Phänomen eine besondere Rolle.
3. Übersicht über den Stoffwechsel der Fettsäuren und Lipide Im Stoffwechsel der Fettsäuren und Lipide nehmen Acetyl-CoA und die CoA-aktivierten Fettsäuren (Acyl-CoA) eine zentrale Position ein. Sie sind energiereiche und reaktionsbereite Thioester (Kap. Coenzyme, S. 40), durch Synthese bzw. Abbau ineinander überführbar und Ausgangspunkt aller weiteren Reaktionen im Lipidstoffwechsel.
4. Acyl-Coenzym-A-Verbindungen Freie Fettsäuren entstehen bei der enzymatischen Hydrolyse von Nahrungslipiden im Intestinaltrakt oder von endogenen Lipiden in der Zelle. Ihr Abbau und Umbau oder ihre Verwendung zur Synthese setzt voraus, daß sie durch Bindung an CoA
200
Lipide Biogenetische Beziehungen der Li[)ide Narungslipide 1
Nahrungskohlenhydrate (Glucose)
1 Pyruvat -*v
Fettsäuren /
l
,/
/
1
\
\
" / Malonyl-CoA
-". Acetyl-CoA;
' ^-••'
Nahrungsproteine (Aminosäuren)
•••^1
^^.. r^"^
Sphingosin Steroide I C h o l e s t e r i n 1" Triglyceride Phospholipide
Sphingolipide
Steroidhormone
Gallensäure
i
Phyllochinon Ubichinon ^-i T Vit. D3
^
in Pflanzen Tokopherole (Vit. E) Carotinoide Terpene Kautschuk
„aktiviert" werden. Diese Aktivierung erfolgt durch die Acyl-CoA-Synthetase (Fettsäure-Thiokinase), welche in Anwesenheit von ATP und CoA die Überführung der Fettsäure in einen energiereichen Thioester (Acyl-CoA) katalysiert, und verläuft in zwei Schritten (Abb.). Das bei der Spaltung von ATP entstehende Pyrophosphat wird weiter zu 2 anorganischen Phosphatmolekülen umgesetzt, so daß für die Aktivierung der Fettsäure 2 energiereiche Bindungen (eine aus ATP, eine aus Pyrophosphat) benötigt werden. Bildung einer CoA-aktivierten Fettsäure Acyl-CoA-Synthetase (Thiokinase) O
O
[T)-(CH 2 ) n -COOH Fettsäure
*HR|-(CH 2 ) n -C-|AMP| -j
7 \ ATP
2fPJ
CoA
u
H2C-OH Glycerol
2. Als alternativer Stoffwechselweg wird im Fettgewebe Glycerol-3-phosphat aus einem Zwischenprodukt des anaeroben Glucoseabbaus gewonnen, und zwar wird das bei der Aldolasereaktion entstehende Dihydroxyaceton-phosphat zu Glycerol3-phosphat reduziert (Abb.). Bei der Triglyceridsynthese werden zuerst zwei Acyl-CoA-Fettsäuren auf Glycerol-3-phosphat übertragen, so daß ein Fettsäurediglycerid-phosphat - auch Phosphatidsäure genannt - entsteht. Das Enzym - eine Acyl-CoA-Glycerol-3-phosphat-Acyltransferase — besitzt keine Spezifität für Fettsäuren bestimmter Kettenlänge, bevorzugt jedoch Fettsäuren mit 16 bis 18 C-Atomen. Eine Phosphatase entfernt den Phosphorsäurerest hydrolytisch und gibt den Weg für die Reaktion mit einem dritten Acyl-CoA frei. Das so gebildete Neutralfett (Triacylglycerol) enthält je nach Lokalisation und Funktion im Organismus Fettsäuren verschiedener Kettenlänge und unterschiedlichen Sättigungsgrades. Leberfett weist den höchsten Gehalt an ungesättigten Fettsäuren auf (Lebertran). Im Fettgewebe hängt die Zusammensetzung sehr von den klimatischen Bedingungen und der Art der Nahrung ab. In warmen Zonen liegt * Glycerin und Derivate werden in Anlehnung an das internationale Schrifttum auch als Glycerol (Glycerol-3-phosphat usw.) bezeichnet.
212
Lipide Biosynthese eines Triglycerids (R = C
' 15H31)
H.C-OH •M -
H2C-0-©
Acyl-CoAGlycerol-3-phosphatAcyltransferase
0
/
II
H^-u-C-R | Phosphatase| .R
2 Acyl-CoA
O
II
\
PH
'
2 CoA
L-Glycerol3-phosphal
M__
-
' ^
L-Phosphatidsäure
D
\ f~U
' Diglycerid (1,2-Diacylglycerol)
O
»-
^/VVVV Acyl-CoA
o H2c-o-cyvvvvvv\
/WVC-O-CH
0
^c-o-CvA/VWWX Triglycerid, Triacylglycerol (Tripalmitylglycerin)
der Schmelzpunkt des Körperfettes höher als in kalten Gegenden. Eine kohlenhydratreiche Diät führt zur Ablagerung höher schmelzender Fette mit vorwiegend gesättigten Fettsäuren und geringer lodzahl. Die lodzahl eines Fettes gibt die Menge lod in Gramm an, die von 100g eines Lipids an die Doppelbindungen seiner ungesättigten Fettsäuren. Abbau. Eine vollständige hydrolytische Spaltung der Triglyceride in Fettsäuren und Glycerol erfolgt im Magen- und Darmkanal durch die Pankreaslipase als Voraussetzung für die Resorption der Nahrungsfette. Lipasen sind jedoch in allen Organen, vor allem im Fettgewebe und im Blutplasma (S. 441), anzutreffen und wirken analog. Der Mechanismus des Lipidabbaus und der Fettsäureresorption ist im Kap. Verdauung (S. 475) beschrieben.
9. Glycerolphosphatide Lecithinbiosynthese. Wird bei der Biosynthese eines Triglycerids auf das intermediär entstehende Fettsäurediglycerid nicht ein dritter Acylrest, sondern ein Phosphorylcholin übertragen, so entsteht ein Glycerolphosphatid (Lecithin). Für diese Reaktion muß das Phosphorylcholin jedoch in geeigneter Weise aktiviert und vorher in CDP-Cholin überführt werden. Lecithin ist jedoch nur einer von zahlreichen Vertretern der Glycerolphosphatide. Die große Zahl der besonders reichlich im Nervengewebe, an Zellmembranen und im Eigelb vorhandenen Phosphatide ergibt sich einerseits aus der Variation der Fettsäuren. Dabei ist die ß-Fettsäure fast immer ungesättigt. Andererseits ist auch ein Ersatz des Cholinrestes durch verschiedene andere Verbindungen möglich. Die so entstehenden Glycerolphosphatide werden als Kephaline (Phosphatidylserin, Phosphatidylethanolamin) bzw. Phosphatidylinositol bezeichnet.
Glycerolphosphatide
213
Schema der Lecithin-Biosynthese CH„
CH
HO — C H . - C H , - N — C H , f.
£-
7 / ATP
J
CH„
r *~©-0-CH„-CH.,-N-CH_ \ 2 2 , 3 ADP CH 3
Cholin
Phosphorylcholin
C —O —C —R II I II R' — C — O — C H O I H2C — O H
|CDP|— O — CH n — CH„ — N — CH„ 2 2 3
Cytidindiphosphat-cholin
Deglycerid
CMP'
O
Hr-0-cA/VV = V\/\A/ CH II
I
H„C-O-P-O-CH_-CH,,-N-CH_
Ou Lecithin (Phosphatidylcholin)
CH
Cholinbiosynthese. Die Stickstoff-haltigen Verbindungen Serin, Colamin und Cholin sind über einen gemeinsamen Syntheseweg miteinander verwandt. Serin wird durch Decarboxylierung zu Ethanolamin (biogenes Amin) und dieses durch dreifache Methylierung in Cholin überführt, wobei S-Adenosylmethionin (S. 67) als Methylgruppendonator dient. Auf jeder Synthesestufe kann das Produkt entnommen und nach Aktivierung durch ATP und CTP in ein Diglycerid eingebaut werden. Es ist jedoch auch möglich, daß z. B. Serin erst nach Einbau in das Phosphatid durch eine Phosphatidylserin-Decarboxylase in Colamin umgewandelt wird. Inositolphosphatide werden nach einem anderen Mechanismus (s. u.) gebildet. Von den Glycerolphosphatiden der Leber bestehen etwa 60% aus Lecithin und 20% aus Colaminkephalin. Der besonders aktive Glycerolphosphatid-Stoffwechsel der Leber erklärt sich daraus, daß die Glycerolphosphatide als Inhaltsbestandteil der Lipoproteine in der Leber gebildet werden und daß andere Organe, die nicht zur ausreichenden Phosphatidsynthese fähig sind, durch die Leber versorgt werden müssen. Die Biosynthese des Lecithins ist vor allem von der Bereitstellung von Cholin abhängig, dessen Synthese jedoch wiederum das Vorhandensein genügender Mengen von Methylgruppendonatoren (hauptsächlich Methionin) voraussetzt. Eiweißarme Diät (Methioninmangel) führt zur Umschaltung der Phosphatid- auf Triglyceridsynthese mit der Folge der Entstehung einer Fettleber (Kap. Leber, S. 463).
214
Lipide
Lungen-Surfactant. Die Pneumozyten II des Embryo produzieren von der 34.—35. Gestationswoche ab ein Grenzflächen-aktives Sekret, das neben geringen Kohlenhydrat- und Proteinanteilen zu = 90% Dipalmitoyl-phosphatidyl-cholin besteht. Es setzt die Oberflächenspannung der Lunge herab und hat Anti-Atelektase-Wirkung. Ein Mangel an Surfactant ist Ursache des Membran-Syndroms bei Frühgeborenen, tritt aber auch (erworben) beim Schocklungen-Syndrom (Respiratory distress syndrom) auf. Inositolphosphatidbiosynthese. Bei der Inositolphosphatidbiosynthese wird die Phosphatidsäure ohne vorherige Entfernung des Phosphorsäurerestes direkt mit CTP umgesetzt. Das CDP-Fettsäurediglycerid reagiert dann mit Inositol. Inositolphosphatide wurden aus Sojabohnen und Gehirngewebe isoliert. Inositol ist ein Hexahydroxycyclohexan (C6H12O6). Von den neun möglichen Isomeren ist jedoch nur das myo-Inositol (auch als meso-Inositol bezeichnet) biologisch aktiv. Inositol wird in Pflanzen (Früchten, Nüssen, Getreide), Hefe, Fleisch und Milch gefunden. Inositolphosphatide sind regelmäßig Bestandteile biologischer Membranen. Ihre funktionelle Bedeutung leitet sich aus der Tatsache ab, daß sie die Vorstufe des als „second messenger" an der intrazellulären Signaltransduktion beteiligten Inositol1,4,5-trisphosphat sind (Kap. Hormone, S. 311). Plasmalogene. Die Synthese der Plasmalogene beginnt - abweichend von der Synthese der übrigen Glycerolphosphatide — mit der Verknüpfung eines Fettsäurerestes mit Dihydroxyacetonphosphat. In dem so entstandenen 1-Acyldihydroxy-
Schema der Phosphatidylinositol-Synthese Phosphatidsäure OH OH
O
H2C — O — C —
R —C —O —CH O ^ l — O — CDP
CDP-Fettsäurediglycerid
CMP O
„,- -
c —o —CH
o
HO H O © - 0 - C H 2 1
KG_..
2 .
3) OH
Phosphatidylinositol
Glycerolphosphatide
215
Plasmalogen -enyl-2-acylglycerin-3-phosphoryl)-cholin
c=c / vWWW H C —O s
—CH I
CH
II
H.C — O — P — O — C H - — C H , — N — C H . 2 , 2 2 ! 3 CH,
OH
aceton-3-phosphat wird die Fettsäure in einer ATP-abhängigen Reaktion gegen einen Fettalkohol mit 16 oder 18 Atomen ausgetauscht. Bemerkenswerterweise wurden die Enzyme, die diese beiden Reaktionen katalysieren, in hoher Konzentration in den Peroxisomen (S. 412) gefunden. Anschließend wird die Ketogruppe zur sekundären Alkoholgruppe reduziert und mit einer ungesättigten Fettsäure verestert. Nach Dephosphorylierung erfolgt die Übertragung von CDP-Ethanolamin (oder CDP-Cholin), wodurch ein Etherphosphatid entsteht. Durch Dehydrierung der 1-Alkylgruppe zur l-Alk-l'-enylgruppe bildet sich das Plasmalogen. Plasmalogene machen 10% der Phospholipide in Muskel und Gehirn aus, sind jedoch auch regelmäßige Begleiter der Phospholipide anderer Organe. Durch ihre Aldehydfettsäuren, die in Enoletherbindung vorliegen, geben sie eine Aldehydreaktion („Plasmalreaktion"), die zum Nachweis der Plasmalogene ausgenutzt werden kann. Die zweite esterartig gebundene Fettsäure ist immer ungesättigt. Abbau der Glycerolphosphatide. Enzyme, welche eine hydrolytische Spaltung der Fettsäuren aus Glycerolphosphatiden bewirken, sind in Leber, Niere, Pankreas und Angriffsorte lecithinspaltender Enzyme
O H 2 C-0-C
•z=\ /r=\ /=\ /=\ Arachidonsäurerest
vVW=WW
.C — O — CH
Ölsäurerest II H 2 C — O — P— O — Cholin
A],A 2 = Phospholipase A, bzw. A 2 (Phosphatid-Acylhydrolase), in Leber u. a. Organen, im Schlangen- und Bienengift. B = Phospholipase B (Lyso-Phospholipase, Lysolecithin-Acylhydrolase), ubiquitär in tierischen Organen. C = Phospholipase C (Lecithin —> Diacylglycerol + Phosphorylcholin bzw. Bisphosphoinositolphosphatid —> Diacylglycerol + Inositoltrisphosphat), in Mucosaazellen des Intestinums und vielen Organen, in Mikroorganismen. D = Phospholipase D (Lecithin —> Phosphatidsäure + Cholin), in Pflanzen.
216
Lipide
anderen Organen, aber auch in Schlangen- und Bienengift und bei Mikroorganismen gefunden worden. Ihren Angriffspunkt gibt das Schema wieder. Unter der Wirkung der Phospholipase AI, bzw. A2, die u. a. in der Mikrosomen- bzw. Mitochondrienfraktion der Leber vorhanden ist, wird nur eine Fettsäure des Phosphatids, und zwar entweder in C|-Position (Phospholipase AI) oder in C2-Position (Phospholipase A2) des Glycerolrestes abgespalten. Das dabei entstehende Lysolecithin, das eine starke Fähigkeit besitzt, rote Blutkörperchen zu lysieren, kann jedoch durch die in vielen Organen nachgewiesene Phospholipase B (Lysolecithin-Acylhydrolase) zu Glycerylphosphorylcholin und Fettsäure gespalten werden. Die Biosynthese der Prostaglandine (S. 368) kann z. B. durch eine Phospholipase-katalysierte hydrolytische Abspaltung einer Arachidonsäure aus membrangebundenen Phospholipiden eingeleitet werden. Eine für Inositolphosphatide spezifische Phospholipase C kann aus phosphorylierten Inositolphosphatiden Inositoltrisphosphat und Diacylglycerol (S. 310) freisetzen.
10. Sphingolipide Im Gegensatz zu den Glycerolphosphatiden enthalten die Sphingolipide kein Glycerol, sondern den Aminoalkohol Sphingosin. Anstelle des Phosphats und der Stickstoff-haltigen Verbindung kann ferner ein Kohlenhydratrest treten. Sphingosinbiosynthese. Sphingosin (Sphingenin) entsteht in einer pyridoxalabhängigen Kondensationsreaktion aus Palmityl-CoA und Serin. Dabei wird unter Decarboxylierung des Serins und Reduktion zunächst Dihydrosphingosin (Sphinganin) und dann durch dessen Dehydrierung durch ein Flavoproteinenzym Sphingosin (A4-l,3-Dihydroxy-2-aminooctadecen) gebildet. Neben dem Sphingosin kommt das gesättigte Dihydrosphingosin (Synthesevorstufe), in Pflanzen auch das Phytosphingosin (4-Hydroxy-dihydrosphingosin) vor. Sphingomyelin. Werden im weiteren Verlauf der Biosynthese an die NH 2 -Gruppe des Sphingosins eine langkettige Fettsäure — besonders häufig ist die gesättigte C24-Fettsäure Lignocerinsäure und die eine Doppelbindung enthaltende Nervonsäure (Tab. der Fettsäuren, S. 198) - und schließlich an die primäre alkoholische Gruppe Phosphorylcholin angehängt, das von CDP-Cholin geliefert wird, so entsteht Sphingomyelin. Die Sphingomyeline, die zusammen mit den Glycerolphosphatiden die Lipidklasse der Phosphatide bilden, sind besonders reichlich im Gehirn vorhanden und bei bestimmten Speicherkrankheiten (S. 219) vermehrt. Ihren Namen haben sie nach ihrem Vorkommen in den Myelinscheiden der Nerven erhalten. Sphingoglykolipide. In der Gruppe der Sphingoglykolipide ist die terminale Hydroxylgruppe des Sphingosins nicht mit Phosphorylcholin verestert, sondern glykosidisch mit einem oder mehreren Monosacchariden (Glucose, Galaktose, Galaktosamin, Neuraminsäure) verknüpft. Je nach der Natur des Kohlenhydratrestes werden Cerebroside, Sulfatide, Globoside, Hämatoside oder Ganglioside unterschieden. Die Kohlenhydrat-freie Grundstruktur der Sphingoglykolipide heißt Ceramid. Bei der Cerebrosidbiosynthese wird zuerst der Acylrest einer CoA-Fettsäure und dann eine Galaktose oder Glucose (als UDP-Gal bzw. UDP-Glc) übertragen.
Sphingolipide
217
CH„ H
H
H
C-C-CH2-0-P-0-CH2-CH2-N^-CH3 I OH NH O' CH„
I
/ \
/
C= O
Sphingomyelin
Ceramidrest
Galaktoserest
H H C —C —CH —
I OH NH l R — C= O
OH
I
Cerebrosid
Beispiele für die Struktur und das Vorkommen der Sphingoglykolipide gibt die Tabelle. Die große Zahl der Sphingoglykolipide ist durch die Variation der chemischen Struktur der Kohlenhydratkomponente bedingt. Die Ganglioside besitzen die Grundstruktur Ceramid-Glc-Gal-GalNAc-Gal, an deren Galaktoseresten ein bis drei Sialinsäurereste ketosidisch gebunden sein können. Das Gangliosid G M ) (Formel) wurde aus der grauen Substanz des Zentralnervensystems isoliert ist jedoch auch in allen Organen nachweisbar. Glykosphingolipide
Typ
Beispiel
Cerebroside
ßGal-Ceramid ßGIc-Ceramid
Ceramid-galaktosyllactosid Ceramid-tetrasaccharid
aGal-ßGal-GIc-Ceramid GalNAc-Gal-Gal-GIc-Ceramid
Hämatosid Gangliosid G D1a
ctNeuAc-Gal-GIc-Ceramid Gal-GalNAc-Gal-GIc-Ceramid
Sulfatide
Gal-3-sulfat-Ceramid
l NeuAc
l NeuAc
Typische Lokalisation weiße Hirnsubstanz, Nervengewebe (Myelin), Leber, Milz, u. a. Niere Serum, Leber, Milz, Zellmembranen Erythrozytenmembran Nervengewebe, graue Hirnsubstanz, Zellmembranen Nervengewebe, Myelin
Weitere Klassifizierung der Cerebroside durch den Typ der Fettsäure (in Klammern): Kerasin (Lignocerinsäure). Phrenosin (u-Hydroxylignocerinsäure), Nervon (Nervonsäure), Hydroxynervon (a-Hydroxynervonsäure).
218
Lipide Struktur der Kohlenhydratkomponente des Gehirngangliosids G M 1 ,OH
CH 9 OH
p-Gal(1-3)p-GalNAc(1-4)p-Gal(1-4)Glc-Cer | NeuAc(2-3)
OH CH 2 OH
HO
CH 3 CNH /- Uroporphyrinogen III und Protoporphyrin > Häm durch hohe O 2 -Partialdrücke gehemmt. Ein weiterer regulierender Faktor ist die Bereitstellung von Succinyl-CoA durch den Citratzyklus. Da sowohl Citratzyklus als auch die -Aminolävulinsäuresyn-
Porphyrinbiosynthese
235
Hämbiosynthese (l) COOH 1 2 CH 2 1 C= O
-AminolävulinsäureSynthase Pyridoxalphosphatabhängig
\ \ \
1—~~\ Succinyl-CoA
/
, 2 CH
,
Spontane D ecarboxylierung
2
V
^ C=O —
r
CoA
HC-NH2
CO,
/
COOH l CH2 ~\ cH,
CH
H-C — NH 1 COOH Glycin
*~ ^ _ 0 l H 2 C-NH 2
a-Amino-ß-ketoadipinsäure
-Aminolävulinsäure
0 0
1 Molekül o-Aminolävulinsäure
-AminolävulinsäureTransaminase
2 Moleküle -Aminolävulinsäure
j
II HC
. /'
II C
H C
H C
H H
COOH
1
, -Dioxovaleriansäure
'' "
COOH" C^OH l CH, ' j. + CH 2
>y >v \
r
H l l CH, ' 0=C
X C^
2.
COOH -AminolävulinsäureDehydratase
X CH 2
2
"2°
2
ur^/-v» nUtX.
ru *-*>'* 2 .^-"7
(
(
u r n -v,
H.C^N/ l H Porphobilinogen
P
4 Moleküle Porphobilinogen
Uroporphyrinogen lSynthase (Desaminase) ^ ^
Uroporphyrinogen I I I Cosynthase (Isomerase) ^
-^
A
T
T
^-
4 [NHj f Uroporphyrinogen
P
P
Uroporphyrinogen I I I (A = --CH 2 -COOH, P = -CH2-CH2-COOH)
these in den Mitochondrien lokalisiert sind, kann Succinyl-CoA einerseits im Citratzyklus umgesetzt, andererseits jedoch für die Hämsynthese verwendet werden. Die stationäre Konzentration des Succinyl-CoA und die Geschwindigkeit seiner Umwandlung zu Succinat werden so zu begrenzenden Faktoren für die Hämsynthese. Die verschiedenen Regulationsmechanismen garantieren eine genau auf den Bedarf abgestimmte Synthese des Häms. Ausfall einer oder mehrerer Regulationsmechanismen kann eine Bildung unphysiologischer Porphyrine zur Folge haben oder zum Einsetzen einer Porphyrinsynthese in Organen führen, in denen sie physiologi-
236
Porphyrine Hämbiosynthese (II) (Die Substituenten der Porphyrinogenringe sind nach alter Numerierung beziffert) Uroporphyrinogen I I I
(1,3,5,8-Tetraessigsäure-2,4,6,7tetrapropionsäure-porphyrinogen)
T
Uroporphyrin I I I
UroporphyrinogenDecarboxylase
Koproporphyrinogen IM
v~
(1,3,5,8-Tetramethyl-2,4,6,7tetrapropionsäure-porphyrinogen)
2CO2, 4 K
Koproporphyrin III
6H
KoproporphyrinogenOxidase ProtoporphyrinogenOxidase ·*- Protoporphyrin
Protoporphyrinogen (1,3,5,8-Tetramethyl-2,4-divinyl6,7-dipropionsäure-porphyrinogen)
* 6H Fe
.
2t
Ferrochelatase
CH 2
& COOH
COOH
Häm (Ferroprotoporphyrin)
scherweise (beim Erwachsenen) nicht stattfindet. In der Pathologie des Menschen sind solche Regulationsstörungen als „Porphyrie" bekannt. Störungen der Porphyrinbiosynthese Erythropoetische Porphyrie. Bei der kongenitalen erythropoetischen Uroporphyrie besteht ein Mißverhältnis in der Aktivität der Uroporphyrinogen I-Synthetase und der Uroporphyrinogen III-Cosynthetase. Dies hat zur Folge, daß neben dem Uroporphyrinogen III auch Uroporphyrinogen I gebildet wird, das für die Hämsynthese nicht verwertet werden kann. Das Uroporphyrinogen I unterscheidet sich vom Uroporphyrinogen III nur durch eine Vertauschung der Substituenten in Posi-
Porphyrinbiosynthese
237
tion 7 und 8. Uroporphyrinogen I ist ein l,3,5,7-Tetraessigsäure-2,4,6,8-tetrapropionsäureporphyrinogen. Es wird selbst und nach Umwandlung zu Uroporphyrin I und Koproporphyrin I in großen Mengen (bis 0,6 g/24 Stdn.) mit dem Harn ausgeschieden. Die Art des Defektes erklärt, warum die Patienten auch zu einer regelrechten Hämsynthese befähigt sind, die wegen der bestehenden Hämolyse oft sogar kompensatorisch gesteigert ist. Die Bildung von Uroporphyrin I und Koproporphyrin I ist keine harmlose Stoffwechselanomalie, sondern ein tödliches Leiden, da Porphyrine vom Typ I in allen Organen und auch in der Haut abgelagert werden, wo sie „lichtsensibilisierend" wirken. Zellen und Gewebe werden überempfindlich gegen Belichtung jeder Art („Photodermatose"). Es kommt zu schweren Nekrosen der Haut, des Ohr- und Nasenknorpels. Bei der erythropoetischen Protoporphyrie, die autosomal dominant vererbt wird, ist die Umwandlung des Protoporphyrins in Häm aufgrund eines Defektes der Ferrochelatase blockiert, so daß der Einbau des zweiwertigen Eisens im Porphyrinring ausbleibt. Das Leiden ist von einer leichten Photodermatose begleitet und führt häufig zu schweren progressiven Lebererkrankungen (Fibröse, Zirrhose). Akute hepatische Porphyrien. Sie umfassen die folgenden Krankheitsbilder: Bei der Porphyria variegata werden aufgrund eines genetischen Defektes der Protoporphyrinogenoxidase — oft ausgelöst durch Pharmaka oder Alkohol — Uroporphyrin und Koproporphyrin III und/oder I mit dem Harn ausgeschieden. Die hereditäre Koproporphyrie ähnelt der Porphyria variegata. Es besteht ein Defekt der Koproporphyrinogen-Oxidase. Bei der akuten intermittierenden Porphyrie werden aufgrund eines Defektes der Uroporphyrinogen I-Synthetase, der eine verringerte Porphyrinsynthese und daher auch eine Derepression der -Aminolävulinsäure-Synthetase zur Folge hat, in der Leber große Mengen -Aminolävulinsäure gebildet, die z. T. in , -Dioxovaleriansäure und durch Decarboxylierung in Succinat umgewandelt wird. Ein großer Teil der vermehrt gebildeten -Aminolävulinsäure und des daraus entstehenden Porphobilinogens und Uroporphyrinogen III wird im Urin ausgeschieden, der beim Stehenlassen eine weinrote Farbe annimmt. Bei dieser Form der Porphyrie besteht jedoch keine Photosensibilität. Chronisch-hepatische Porphyrien. Die chronisch-hepatischen Porphyrien sind immer mit einem chronischen Leberschaden assoziiert. Die Porphyria cutanea tarda, bei der ein genetischer Defekt der Uroporphyrinogen-Decarboxylase vorliegt, wird z. B. durch alkoholtoxischen Leberschaden oder eine Hepatitis ausgelöst. Sie geht ebenfalls mit Lichtsensibilisierung und Pigmentation einher. Auslöser der Porphyria cutanea tarda können aber auch verschiedene Umweltschadstoffe (z. B. Dioxinderivate) und das Fungizid Hexachlorbenzol sein. Sekundäre (symptomatische) hepatische Porphyrien. Bei dieser heterogenen Gruppe von Störungen, hinter denen sich verschiedene pathogenetische Auslöser (z. B. Bleivergiftung, Leberschäden durch Alkohol, Medikamentennebenwirkungen, Fremdchemikalien) verbergen können, sind durch Porphyrinausscheidung mit dem Urin gekennzeichnet. Über die Störung der Hämbiosynthese bei Pyridoxalphosphatmangel ist im Kap. Vitamine (S. 388) berichtet.
238
Porphyrine
3. Porphyrinproteine Die Eisenporphyrinproteine sind Katalysatoren vielfältiger Reaktionen des Stoffwechsels. Sie sind alle direkt oder indirekt an der Verwertung des Sauerstoffs für biologische Oxidationsvorgänge beteiligt, wobei immer der Eisenporphyrinring das „aktive Zentrum" der katalytischen Funktion darstellt, die in der Bindung von Sauerstoff, im Sauerstofftransfer auf Substrate oder im Elektronentransport (Atmungskette) bestehen kann. Nach ihrer Funktion lassen sich folgende Eisenporphyrinproteine unterscheiden: • Hämoproteine (Hämoglobin, Myoglobin, Erythrocruorin), • Cytochrome (Eisenporphyrinproteine der Atmungskette), • Eisenporphyrinenzyme. Hämoglobin. Im Hämoglobin (Hb) ist das Eisenprotoporphyrin (s. Biosynthese) über das zentrale Eisenatom mit einem Proteinmolekül verbunden. Im Gegensatz zum Protein-freien Häm, bei dem das Eisen über heteropolare Bindungen mit dem Pyrrolstickstoff verknüpft ist, ist das Eisen im Hämoglobin mit 6 Liganden verknüpft, von denen 4 aus Pyrrolstickstoffatomen des Harns und zwei weitere aus dem Imidazol-Stickstoff zweier Histidinreste der Proteinkomponente stammen (Abb.). Hb besitzt eine charakteristische Quartärstruktur: 4 Peptidketten (2 a- und 2 ßKetten), die je ein Häm als prosthetische Gruppe und eine Molmasse von 17000 besitzen, lagern sich zu einer molekularen Funktionseinheit (Molmasse ~ 68 000,
Schema der Häm-Proteinbindung im Hämoglobin Etwa 75% der Aminosäuren der Peptidketten des Hämoglobins weisen die Struktur einer -Helix auf. Die 8 Haupt-Helixsegmente .""V!".".'.'; werden mit den Buchstaben A bis H und die ersten Aminosäuren jeder Helix mit 1 bezeichnet. -HisE7
Globin
• His F8
Porphyrinproteine
239
0,338% Fe2+) zusammen. Hämoglobin ist ein allosterisches Protein, das folgende Eigenschaften aufweist: • Die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins verläuft sigmoidal (Abb.)· Dies ist Ausdruck der Tatsache, daß die Sauerstoffbindung kooperativ ist: Die Bindung eines Sauerstoffmoleküls an eine Untereinheit des tetrameren Hämoglobins erleichtert die Bindung des Sauerstoffs an die übrigen Untereinheiten. • Die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins wird durch die Temperatur, den pH-Wert, den CO2-Partialdruck und die Konzentration des 2,3-Bisphosphoglycerats (s. u.) bestimmt. Die Linksverlagerung der Kurve bedeutet eine Zunahme der Sauerstoffaffinität. Das Sauerstoff-beladene Hämoglobin ist eine stärkere Säure als das Sauerstoff-freie Hämoglobin, das nach Abgabe von O2 Protonen binden kann (~ 0,35 mol H + /mol abgegebenes O2). Dies erklärt sich aus der beim Übergang von HbO2 » Hb eintretenden Konformationsänderung des Hämoglobins, bei der das C-terminale Histidin 146 in Wechselwirkung mit der negativen Ladung der Asparaginsäure 94 der ß-Kette tritt und dadurch seinen pK-Wert (und seine Affinität für Protonen) erhöht. Dieses Phänomen wird als Bohreffekt bezeichnet. Er ist von physiologischer Bedeutung, da die Abgabe von Sauerstoff in stoffwechselaktiven Geweben mit hoher CO2-Produktion (z. B. atmender Muskel) begünstigt ist. Umgekehrt fördert die Sauerstoffbindung des Hämoglobins in den Alveolarkapillaren der Lunge die Abgabe von Protonen und CO2. • Die Affinität des Hämoglobins für Sauerstoff wird weiterhin durch 2,3-Bisphosphoglycerat (Synthese S. 428) reguliert. 2,3-Bisphosphoglycerat kann sich nur mit dem Sauerstoff-freien Hämoglobin, nicht jedoch mit dem Sauerstoff-beladenen Hämoglobin verbinden. Daher führt 2,3-Bisphosphoglycerat zu einer Erniedrigung der Sauerstoffaffinität des Hämoglobins. Weitere Funktionszustände des Hämoglobins und einige Hämoglobinopathien sind im Kap. Blut (S. 430) beschrieben. Myoglobin. Das im Muskelgewebe vorhandene Myoglobin ähnelt dem Hämoglobin durch den Besitz der gleichen prosthetischen Gruppe und bezüglich seiner Fähigkeit zur reversiblen O 2 -Bindung, es unterscheidet sich von ihm jedoch dadurch, daß es nur aus einer Peptidkette mit einem Häm als prosthetischer Gruppe besteht (Mol.-Gew. « 17 000, 0,338% Fe2+). Für die Funktion des Myoglobins ist es charakteristisch, daß es bei einem geringeren Sauerstoffpartialdruck als das Hb mit Sauerstoff gesättigt wird. Auch bei der Sauerstoffspannung des venösen Blutes ist noch eine vollständige Beladung des Myoglobins mit Sauerstoff möglich (hyperbole Sauerstoffbindungskurve). Das Myoglobin dient weniger der aktuellen Versorgung des Muskels mit Sauerstoff für die laufenden Oxidationsvorgänge. Es stellt eine Art „Sauerstoffspeicher" dar, der bei kurzfristigen Sauerstoffmangelzuständen des Gewebes entleert wird und so die Atmung auch bei Unterbrechung der O 2 -Zufuhr aufrechterhalten kann. Bei Säugetieren, die aufgrund ihrer Lebensgewohnheiten längere Zeiträume unter Wasser verbringen, findet man besonders hohe Myoglobinwerte. (Der Herzmuskel der Robbe enthält 7 — 8% Myoglobin, der Herzmuskel des Hundes dagegen nur 0,5%). Erythrocruorin. Bei manchen Anneliden und Mollusken findet sich in der extrazellulären Körperflüssigkeit das Hb-ähnliche Erythrocruorin. Das aus Linmodrilm
240
Porphyrine
isolierte Erythrocruorin besteht bei einer Molmasse von 3 · l O6 aus 108 Proteinuntereinheiten, von denen jede eine Hämgruppe besitzt. Die Sauerstoffbindung beträgt ein O 2 /Häm. Das bei Krebsen und anderen Invertebraten gefundene Hämocyanin ist kein Porphyrinprotein sondern ein Cu-protein. Das Tintenfisch-Hämocyanin ist ein Dekamer (Molmasse 3,75 · 106), das 20 Kupferatome enthält. Für die Bindung von einem O2 sind zwei Cu notwendig. Sauerstoffbindungskurven des Hämoglobins Die Kurven [B] und [C] geben verschiedene Möglichkeiten von Abweichungen an, die bei Veränderung des pH-Wertes, des pCOa, der Temperatur oder der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration eintreten können. 1—100-
0)
C
!o _o cn o ••äs
[A] Physiologische Og-Bindungskurve pH 7,4, pCO2 40 mm Hg, T = 37° C [B] pH 7,2, pCO2 T. Temperatur t [2,3-Bisphosphoglycerat] f
— 50
[C] pH 7,6 pCO 2 i, Temperatur J, [2,3-Bisphosphoglycerat] 4, Fetales Hämoglobin
c
in 100
_L t Gewebe
l Venöses Blut
Lunge
Sauerstoffpartialdruck (mm Hg)
Cytochrome (Eisenporphyrinproteine der Atmungskette). Alle Sauerstoff-verbrauchenden Lebewesen (einschließlich der Mikroorganismen) besitzen Cytochrome als Katalysatoren der biologischen Oxidation. Sie können als Coenzyme Elektronenübertragender Enzyme bezeichnet werden. Der Cytochromgehalt der Zellen und das Ausmaß ihrer Atmung gehen meist parallel. Gewebe mit hohem O2-Verbrauch (Herzmuskel, Flugmuskel der Vögel und Insekten) weisen eine hohe Cytochromkonzentration auf. In Haut, Knorpelgewebe, embryonalem Gewebe und Tumoren, die den Energiebedarf vorzugsweise aus der Glykolyse decken, ist der Cytochromgehalt nur gering. Die Funktion der Cytochrome und ihr Synergismus in der Atmungskette ist im Kapitel Biologische Oxidation (S. 255) beschrieben. Die große Zahl der bisher in der Natur nachgewiesenen Cytochrome (mehr als 50) hat man nach der Konstitution des Porphyrinanteils und ihren spektralen Eigenschaften klassifiziert: • Bei den Cytochromen der Klasse a treten mit Gegensatz zum Protoporphyrin (s. Hämbiosynthese) als Substituent eine Formylgruppe und ein Farnesylrest auf.
Porphyrinproteine
241
Das Häm a (Formel) gehört als Baustein der Cytochrom-Oxidase (S. 256) dieser Klasse an. Die Cytochrome der Klasse b besitzen als prosthetische Gruppe ein Häm (wie Hämoglobin), das nichtkovalent an den Proteinanteil gebunden ist. Das Cytochrom P45() wird zu dieser Gruppe gerechnet. In den Cytochromen der Klasse c sind Hämanteil und Protein über eine kovalente Bindung miteinander verknüpft. Beim Cytochrom c (Molmasse 12 000), das Protoporphyrin als prosthetische Gruppe besitzt, sind die beiden Vinylgruppen (2,4) mit zwei Thiolgruppen von Cysteinresten der Proteinkomponente über Thioetherbindungen verknüpft ist (Formel). NH,
>
: —CH — < 1 HO — C H
CH I J , —CH —( CH„
-3
Lys
Cys
Glu
Cys
His
,-? CH,
CH —
2
COOH
CH„
l COOH
Prosthetische Gruppe von Cytochromen der Klasse a
COOH
COOH
Prosthetische Gruppe von Cytochromen der Klasse c
• In den Cytochromen der Klasse d, die bei Bakterien gefunden wurden, weist die prosthetische Gruppe Tetrapyrrolstruktur auf, die Zahl der konjugierten Doppelbindungen ist jedoch geringer als bei den Porphyrinen. Eisenporphyrin-Enzyme. Neben den Enzymen der Atmungskette gibt es weitere Eisenporphyrin-Enzyme, die Sauerstoff als Cosubstrat benötigen. Zu diesen Enzymen gehören neben den Peroxidasen und Katalasen auch viele Oxygenasen und manche Oxidasen. Ihre Wirkungsweise ist im Kapitel Biologische Oxidation (S. 262) beschrieben. Die Chloroplasten höherer Pflanzen und grüner Algen enthalten als Pigment Chlorophyll, das Magnesium als Zentralatom eines partiell hydrierten Porphyrinsystems (Formel) enthält. Die Bedeutung des Chlorophylls für die Lebensvorgänge liegt in der Tatsache, daß es im Rahmen der Photosynthese Lichtenergie in chemische Energie umzuwandeln in der Lage ist. Der Mechanismus der Photosynthese ist in den Lehrbüchern der Biologie beschrieben.
242
Porphyrine
Chlorophyll a
4. Abbau Bildung der Gallenfarbstoffe. Der Abbau der Porphyrinproteine ist vorwiegend am Hämoglobin untersucht worden, das beim Menschen mehr als 80% der gesamten Porphyrinproteine ausmacht. Der Abbau der Nicht-Hämoglobin-Porphyrinproteine vollzieht sich jedoch im Prinzip auf gleiche Weise. Der Abbau des Hämoglobins findet in den retikuloendothelialen Zellen (Monozyten/Makrophagen-System) von Leber, Milz und Knochenmark statt, doch sind die Enzyme des Hämoglobinabbaus überall im Organismus vorhanden. Der Abbau wird durch eine Ringöffnung des Harns eingeleitet, bei der eine Cytochrom P45abhängige Häm-Oxigenase die a(C 5 )-Methinbindung unter CO(Kohlenmonoxid)Elimination spaltet. Dabei ist die Anwesenheit des Eisens notwendig, da das eisenfreie Protoporphyrin keinem oxidativen Abbau zugänglich ist, sondern als solches ausgeschieden wird. Anschließend erfolgt ein Zerfall des Hämoglobins in seine Einzelkomponenten, von denen das Eisen an das Gewebsferritin gebunden und erneut für die Synthese nutzbar gemacht werden kann, während die Globinkomponente nach proteolytischem Abbau Aminosäuren liefert. Das Protoporphyrin erhält durch die Ringöffnung eine lineare Tetrapyrrolstruktur, die für alle Gallenfarbstoffe charakteristisch ist. Der erste chemisch definierte Gallenfarbstoff ist das grüne Biliverdin, das bei vielen Spezies bereits die Endstufe des Blutfarbstoffabbaus bildet und über die Leber und Gallenwege ausgeschieden wird. Ein geringer Teil des Biliverdins stammt aus dem Myoglobin, den Cytochromen und den Eisenporphyrinenzymen. Beim Menschen wird Biliverdin zunächst durch enzymatische Hydrierung in Bilirubin umgewandelt (NAD-abhängige Biliverdin-Reduktase). Extraheptisch gebildetes Bilirubin gelangt anschließend in den Blutkreislauf, wird dort wegen seiner Wasserunlöslichkeit an Serumalbumin gebunden und von den Hepatozyten aufgenommen. Konjugation und Exkretion. Die Aufnahme des Bilirubins in die Leberzelle vollzieht sich durch einen Carrier vermittelten Transport. Innerhalb der Leberzelle wird das Bilirubin zunächst an ein zytoplasmatisches Bindungsprotein - das Ligandin —
Abbau
243
Gallenfarbstoffe HOOC l H„C
CH„ H C
3
COOH l CH„
CH, CH„
HgC
CH
H„C
CH
/>»
-O
"N H
H
H
Biliverdin HOOC
CH, H C
3
CH
COOH
CH,
H C
2
CH
CH,
H3C
// \\ N' H
N' H
Bilirubin HOOC l
COOH
CH, H C
3
CH 2
CH_
H3C
l V N' H
H,C
-3 CH n
H>f N H
,^,\
Urobilinogen (Mesobilirubinogen)
gebunden und dann durch eine mikrosomale UDP-Glucuronsäure-GlykosylTransferase in das Bilirubin-Diglucuronid überführt. Die Konjugation mit Glucuronsäure erfolgt über eine esterglykosidische Bindung an die Carboxylgruppen der Propionsäureseitenketten des Bilirubins (Pyrrolringe C und D) und macht das Bilirubin wasserlöslich und ausscheidungsfähig. Die Ausscheidung des Bilirubin-Diglucuronids in die Gallenkanälchen erfolgt durch aktiven Transport. Nach Ausscheidung mit der Galle vollziehen sich am Bilirubin im Darm unter Einwirkung der reduzierenden Bakterienflora weitere Umwandlungsreaktionen (Abb.). Durch die im Intestinaltrakt vorhandene ß-Glucuronidase kann die Glucuronsäure wieder abgespalten werden, es ist jedoch auch möglich, daß die weiteren Reaktionen am Bilirubin-Diglucuronid selbst ablaufen, da dies leichter hydriert wird als das freie Bilirubin. Bei der Umwandlung von Bilirubin-Diglucuronid zum Mesobilirubin werden die Vinylgruppen zu Ethylgruppen reduziert. Die anschließende Hydrierung der Methinbrücken zu CH2-Gruppen führt zum Urobilinogen. Eine weitere Anlagerung von Wasserstoff erfolgt bei der Reaktion zu Stercobilinogen, bei der die von den
244
Porphyrine Hämoglobinabbau und Bildung der Gallenfarbstoffe Globin-Synthese , .... ... Hämoglobin
ORGANE (Knochenmark, Milz, Retikuloendotheliales System, Leber u. a . )
Eisen-PorphyrinProteine
Häm-Synthese Globin ^Fe2+, CO, H20 Biliverdin ^L | Biliverdin-Reduktase]
t
m •z. m O
• l—l Spezilischer Transport l—
l
Bilirubin Bilirubin-Albumin
BLUT
Bilirubin 2 UDP-GlcUA--J UDP-GIcUAGlykosidtransferase 2 UDP
LEBER
33
Bilirubin-Diglucuronid — | Spezifischer Transport| —
GALLENFLÜSSIGKEIT
Bilirubin-Diglucuronid
DARMTRAKT
cn o m
r
Mesobilileucan (Dipyrrole)
\ Bilifuscin, Mesobililuscin (Dipyrrolpolymere)
t
Mesobilirubin 4H^\ 12 H1 4H Urobilinogen N ^ Stercobilinogen
q ^ Urobilin
o m n m z.
5 jj OI W
Stercobilin
Hydroxylgruppen der Ringe I und II ausgehenden Doppelbindungen hydriert werden. Die Reaktionsfolge endet mit dem Übergang des Urobilinogens in Urobilin bzw. Stercobilinogens in Stercobilin. Dabei handelt es sich um eine Dehydrierung der y-(C]5)-CH2-Gruppe. Die Bilirubinhydrierungsprodukte Urobilinogen und Stercobilinogen sind farblose Chromogene, die durch Oxidation in braune Farbstoffe übergehen können. Neben den Urobilin- und Stercobilinderivaten lassen sich im Stuhl auch Abbauprodukte mit zwei Pyrrolkernen nachweisen. Diese Dipyrrole (Mesobilileukan, Mesobilifuscin und Bilifuscin) entstammen zum größten Teil dem bakteriellen Bilirubinabbau im Darm, z. T. sind sie jedoch Nebenprodukte der Porphyrinbiosynthese. Sie geben dem Stuhl seine normale Farbe. Anhand der Werte des Hb-Abbaus (6,5 g/24 Stdn. beim Menschen) läßt sich die täglich aus dem Häm gebildete Bilirubinmenge mit etwa 220 mg berechnen. Dazu
Abbau
245
kommt noch das aus anderen Prophyrinproteinen und das direkt aus der Porphyrinbiosynthese stammende, aber nicht für die Hb-Bildung verwertete Bilirubin, so daß die täglich mit dem Stuhl als Urobilinogen (bzw. als dessen bakterielle Abbauprodukte) ausgeschiedene Menge etwa 250 mg beträgt. Pathophysiologie der Gallenfarbstoffe. Für die Gallenfarbstoffe ist eine physiologische Funktion nicht bekannt. Ihre Bedeutung für die medizinische Diagnostik beruht darauf, daß sie einen enterohepatischen Kreislauf durchmachen, d. h. nach ihrer Ausscheidung über die Galle in den Darm zusammen mit ihren Umwandlungsprodukten wieder resorbiert werden, im Blutkreislauf erscheinen und erneut über die Leber ausgeschieden werden. Bei herabgesetzter Leberfunktion (akute oder chronische Entzündung), bei Verschluß der ableitenden Gallenwege (Gallengangsstein) oder auch bei vermehrtem Abbau von Hämoglobin, ist die Konzentration der Gallenfarbstoffe im Blutserum und auch die physiologischerweise nur geringe Ausscheidung im Urin erhöht. Verschiedene Formen der Erhöhung von Gallenfarbstoffen im Blut (Ikterus) sind im Kapitel Leber (S. 460) beschrieben. Phototherapie der Hyperbilirubinämie. Unter Einwirkung von Licht einer Wellenlänge von 400—500 nm kommt es zur Photoisomerisierung des Bilirubins, bei der infolge einer strukturellen Veränderung der beiden äußeren Pyrrolringe das Bilirubin in einen instabilen Zustand übergeht und keine intramolekularen Wasserstoffbrücken mehr bilden kann. Das so entstehende „Photobilirubin" bleibt an das Serumalbumin gebunden und wird auch von der Leber aufgenommen, jedoch als wasserlösliche Verbindung ohne Konjugation an Glucuronsäure mit der Galle sezerniert. Diese Befunde sind die Grundlage für die Phototherapie bei Kindern und Patienten mit unkonjugierter Hyperbilirubinämie (S. 460).
XL Citratzyklus
1. Bedeutung Bei ausreichender Sauerstoffversorgung führt der glykolytische Abbau der Glucose nicht zum Lactat, sondern nur bis zum Pyruvat. Aber auch das bei der anaeroben Glykolyse gebildete Lactat kann unter aeroben Bedingungen - vor allem von Leber und Herzmuskel - durch die Lactat-Dehydrogenase wieder zu Pyruvat oxidiert werden, wenn die Pyruvat- und NADH 2 -Konzentration des Gewebes gering ist. Pyruvat entsteht ferner beim Abbau von Aminosäuren (Ala, Ser, Cys). In einer für alle Lebewesen und ihren Energiestoffwechsel grundlegenden Reaktionsfolge kann das Pyruvat zu drei Molekülen CO2 oxidiert werden. Der Pyruvatabbau beginnt mit einer oxidativen Decarboxylierung (Pyruvat-Dehydrogenasereaktion), bei der Acetyl-CoA und CO2 gebildet werden. Das Acetyl-CoA wird dann in einer als Citratzyklus — oder nach seinem Entdecker als Krebs-Zyklus — bezeichneten Reaktionsfolge einer vollständigen Oxidation zu CO2 unterworfen. Der Citratzyklus stellt einerseits den Hauptweg des katabolen Stoffwechsels des Pyruvats bzw. des Acetyl-CoA dar und ist im Pflanzen- und Tierreich allgemein, aber auch bei zahlreichen Mikroorganismen verbreitet. Andererseits liefert er den Wasserstoff für die biologische Oxidation (s. u.) und ist somit aufs engste mit dem Energiestoffwechsel der Zelle verknüpft. Die Enzyme des Citratzyklus sind in den Mitochondrien - in freier Form oder an der Innenseite der inneren Mitochondrienmembran - lokalisiert. Der Citratzyklus dient jedoch nicht ausschließlich dem oxidativen Endabbau des Acetyl-CoA. Seine zentrale Position im Intermediärstoffwechsel erklärt sich darEndabbau des Pyruvats im Citratzyklus Glykolyse
l Lactat
CH -C-COOH
Aminosäuren
ij
Pyruvat
CO
Pyruvat-DehydrogenaseKomplex
CH.-C-JGoA j t .—^ Acetyl-CoA
Oxalacetat
Reaktionen und Enzyme
247
aus, daß einerseits die im Citratzyklus entstehenden Zwischenprodukte und die an ihrer Bildung beteiligten Enzyme entscheidend an anabolen StofTwechselsequenzen (Synthese von Aminosäuren, Purin, Pyrimidin, Porphyrin, Fettsäuren) beteiligt sind und andererseits die Endprodukte zahlreicher kataboler Stoffwechselwege in den Citratzyklus eingeschleust werden. Auch zur Aufrechterhaltung anderer Stoffwechselwege (Harnstoffzyklus, Gluconeogenese) ist der Citratzyklus notwendig.
2. Oxidation des Pyruvats Das bei glykolytischem Glucoseabbau und anderen Abbaureaktionen im Zytoplasma entstehende Pyruvat penetriert in die Mitochondrien und unterliegt dort zunächst einer oxidativen Decarboxylierung durch ein Multienzymsystem, das als Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex bezeichnet wird und Thiaminpyrophosphat, Liponsäure und Coenzym-A als Cofaktoren benötigt. Die Pyruvat-Dehydrogenase (PDH) existiert in einer aktiven (nicht-phosphorylierten) und in einer inaktiven (phosphorylierten) Form. Beide Formen des Enzyms sind unter enzymatischer Katalyse einer ATP-abhängigen PDH-Kinase bzw. einer PDH-Phosphatase ineinander überführbar. Unter dem Einfluß von Insulin, Mg2+ und Ca 2+ ist die Bildung des aktiven Komplexes begünstigt. Im Zustand der Hypoxie (Sauerstoffmangel) liegt die inaktive PDH vor. Der Anteil der aktiven PDH ist ferner mit der mitochondrialen ATP-Konzentration negativ korreliert. Bei der Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion wird Pyruvat zunächst decarboxyliert und als „aktiver Acetaldehyd" an Thiaminpyrophosphat gebunden. Der Aldehyd wird dann unter Oxidation zum Acetat auf die -Liponsäure übertragen, deren Disulfidform dabei gleichzeitig reduziert wird und schließlich an das CoA weitergegeben, das als Acetyl-CoA das Endprodukt der Reaktion darstellt. Das bei der Rückoxidation des Liponsäureamids gebildete FADH2 (nebenstehende Abb.) gibt in einer Folgereaktion den Wasserstoff an NAD weiter, so daß in der Bilanz NADH 2 entsteht. Der ungewöhnliche Übergang des FADH2-Wasserstoffs auf NAD ist in diesem Falle deshalb möglich, weil das FAD hier — im Gegensatz zum FAD der Atmungskette (S. 255) - ein Normalpotential von E' 0 = -0,34 Volt besitzt, damit also ein negativeres Potential hat als das NAD.
3. Reaktionen und Enzyme Das Acetyl-CoA unterliegt im Citratzyklus acht enzymatischen Reaktionen: eine Additionsreaktion führt zur Bildung von Citrat aus Acetyl-CoA und Oxalacetat. Bei dieser Synthese wird eine 2-C-Monocarbonsäure (Acetylrest) mit einer 4-CDicarbonsäure (Oxalacetat) über eine C—C-Bindung verknüpft. Zwei decarboxylierende Reaktionen führen zur Bildung von 2 CO2 unter gleichzeitiger Oxidation. Dabei wird eine 6-C-Tricarbonsäure (Isocitrat) in eine 5-C-Dicarbonsäure (ct-Ketoglutarat) bzw. eine 5-C-Dicarbonsäure ( -Ketoglutarat) in eine 4-C-Dicarbonsäure (Succinyl-CoA) umgewandelt. 2 NADH 2 entstehen als Reduktionsäquivalente.
248
Citratzyklus Oxidative Decarboxylierung von Pyruvat (Pyruvatdehydrogenasekomplex) Pyruvat Thiaminpyrophosphat N C0 0 y
• Liponsäureamid (oxidiert) x Thiamin- * pyrophosphat
•FAD
-Liponsäureamid (reduziert) II H-C — C— [CoA| J
Zwei weitere oxidative Reaktionen verlaufen als Dehydrogenasereaktionen, bei denen FADH2 bzw. NADH 2 als Reduktionsäquivalente entstehen. Zwei enzymatische Reaktionen sind Hydratisierungen, die unter Aufnahme von je einem Molekül Wasser verlaufen. Eine Reaktion führt zur Bildung eines energiereichen Phosphates (GTP), das die bei der Spaltung der energiereichen Succinyl-CoA-Bindung anfallende Energie konserviert. Bei der Umwandlung von Citrat in Isocitrat wird cisAconitat (cis-Aconitsäure) als Intermediärprodukt gebildet, die Reaktion wird jedoch durch ein Enzym — die Aconitase — katalysiert. Der Reaktionsablauf, die Formeln der Zwischenprodukte und die beteiligten Enzyme sind im folgenden Schema zusammengestellt (S. 249). Die Gesamtreaktion verläuft als Bilanz nach folgender Gleichung: Acetyl-CoA + 3 NAD + FAD + GDP + (P) + 2 H2O 2 CO2 + CoA + 3 NADH + 3 H 4 + FADH2 + GTP.
Alle Enzyme des Citratzyklus sind in die Ultrastruktur der Mitochondrien integriert. Malat-Dehydrogenase und Isocitrat-Dehydrogenase sind jedoch nicht ausschließlich in den Mitochondrien lokalisiert, sondern auch im Zytoplasma nachweisbar. Die zytoplasmatische Isocitrat-Dehydrogenase unterscheidet sich von dem mitochondrialen Enzym dadurch, daß sie NADP und Mn 2+ benötigt. Im Gegen-
Regulation
249
Reaktionen des Citratzyklus ATP-CitratLyase
0
H
.
.
Acetyl-CoA
1
-,
-. . .
\\ // ADP CoA \ U
A
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ATP
-COOH h Malat/\ citrat2, HO-C--COOH HO-C -COOH Dehydrogenase O = C-COOHf l Synthetase 1 H2C -COOH ^—j ,»- H 2 C-CUOH / \ *" H 2 C "-COOH L-K,1alat
NAD NADH 2
O^lacetat
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CoA
Ci
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1
(Aconitase) |Fumarase
H
H 2 C-COOH HC-COOH HO-C-COOH H Isocitrat
000
"
HOOC- CH Fum arat 1
1
NAD.
SuccinatDehydrogenase
N
^~
IsocitratDehydrogenase
C02, NADH 2 1
f H 2 C- COOH Sue cinat
^uprinat ThSate GTP CoA
GDP ©
H 2 C-COOH
a-KetoqlutaratDehydrogenase
Ö' Succinyl-CoA
NADH2 CO 2
NAD CoA
H 2 C-COOH = ^ COOH a-Keto glutarat
satz zur mitochondrialen Isocitrat-Dehydrogenase-Reaktion entsteht bei der zytoplasmatischen intermediär enzymgebundenes Oxalsuccinat. Ihre Bedeutung liegt in der Lieferung von Reduktionsäquivalenten für zytoplasmatische Stoffwechselprozesse.
4. Regulation Der Substratumsatz des Citratzyklus im Zustand des Fließgleichgewichtes wird bestimmt durch die Konzentration der Zwischenprodukte, deren biologische Halbwertszeit, durch die Konzentration der beteiligten Coenzyme und die Aktivität der Enzyme. In der Rattenleber liegt die Konzentration der meisten Intermediate des Citratzyklus in der Größenordnung 10~4 M und ihre Halbwertszeit in der Größenordnung von einigen Sekunden. Lediglich die Halbwertszeit des Oxalacetats ist wesent-
250
Citratzyklus
lieh kürzer, so daß dessen Konzentration geschwindigkeitsbestimmend für den Gesamtzyklus werden kann. Die Aktivität einiger Schlüsselenzyme des Citratzyklus ist einer Kontrolle durch verschiedene Metabolite bzw. Cofaktoren unterworfen, die z. T. im Citratzyklus selbst mitwirken, z. T. anderen Stoffwechselwegen angehören. Enzym des Citratzyklus
Aktivator
Inhibitor
Pyruvat-Dehydrogenase Citrat-Synthetase
Pyruvat, AD P, Mg:2 +
Isocitrat-Dehydrogenase (NAD-abhängig) Succinat-Dehydrogenase
ADP, Mg 2+ , Mn 2+
Acetyl-CoA, ATP, NADH 2 ATP, langkettige AcylCoA-Verbindungen, Succ-CoA ATP, NADH 2
Malat-Dehydrogenase
Succinat, Fumarat, Phosphat
Oxalacetat Oxalacetat
Ein Hauptfaktor bei der Regulation des Citratzyklus ist die Hemmung der Citrat-Synthetase durch die mitochondriale ATP-Konzentration, die vorwiegend von der ATP-Bildung in der Atmungskette abhängt (respiratorische Kontrolle des Citratzyklus). Insofern stellt die Hemmung der Citrat-Synthetase durch Erhöhung der ATP-Konzentration bzw. eine Zunahme ihrer Aktivität bei Absinken der ATPKonzentration eine wirksame Rückkopplungskontrolle dar. Eine kompetitive Hemmung verschiedener Enzyme des Citratzyklus wird durch unphysiologische Verbindungen herbeigeführt. So blockieren Fluoracetat bzw. das daraus entstehende Fluorcitrat die Aconitase, Malonat die Succinat-Dehydrogenase und ß-Fluoroxalacetat und Fluormalat die Malat-Dehydrogenase.
5. Beziehungen des Citratzyklus zu anabolen und katabolen Reaktionen des Intermediärstoffwechsels Eine große Zahl von Biosynthesewegen geht von Zwischenprodukten des Intermediärstoffwechsels aus. Das nachfolgende Schema gibt einen Überblick und zeigt, daß die Biosynthese von Kohlenhydraten, Lipiden, Proteinen, Purinen, Pyrimidinen und Porphyrinen Zwischenprodukte des Citratzyklus als Ausgangsmaterial benötigt. Umgekehrt endet nicht nur der Abbau der Kohlenhydrate und der Fettsäuren, sondern auch derjenige zahlreicher Aminosäuren, des Ethanols und des Uracils bzw. Cytosins im Citratzyklus. Darüber hinaus gibt es Reaktionen, die speziell einer „Auffüllung" des Citratzyklus dienen und notwendig werden, wenn Zwischenprodukte des Citratzyklus für Biosynthesen (z. B. Hämoglobinsynthese, Gluconeogenese) entnommen werden. Solche Reaktionen werden anaplerotische Sequenzen genannt. Im Säugetierorganismus ist z. B. die Bildung von Oxalacetat aus Aspartat ein typischer anaplerotischer Stoffwechselweg.
Nebenwege und Kurzschlüsse
251
Beziehungen des Citratzyklus zu anabolen und katabölen Stoffwechselwegen Glykolyse j Pyrimidine, Purine
p-
Phosphoenolpyruva ,
1 __
.— Pyruvat « Asn
—
"" Aspartat
.
—
l
Malat ^
L (1
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11 |{ Succinat
CITRATZYKLUS
Porphyrine —
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"" ^ uccln V' ^°^ "
t Propionyl- ^ CoA
Acf>tyl-(_)oA
Lactat, Ala, Ser, Cys, Gly Fettsäuren, Ethanol Tyr, Phe, Lys, Trp, He, Leu Fettsäuren, Steroide Acetylierungsreaktionen
m
Citrat
t!
il || Isocitrat
u-Keloglutarat
Glu, Pro, Arg, His, Ornithin, Citrullin, Gin
He, Val, Thr, Homoserin, Thymin, ungradzahlige Fettsäuren
6. Nebenwege und Kurzschlüsse Bei höheren Pflanzen und Mikroorganismen, die in bestimmten Stoffwechselsituationen hauptsächlich Lipide als Energiequelle und Stoffreserve benutzen, kann das durch ß-Oxidation entstehende Acetyl-CoA in einer als Glyoxylatzyklus bezeichneten Reaktion in Kohlenhydrate umgewandelt werden, wobei Teilreaktionen des Citratzyklus benutzt werden. Die Reaktionen des Glyoxylatzyklus (Abb.) sind reversibel. Glyoxylat-Zyklus Citrat
Oxalacetat
^- Isocitrat ·
Acetyl-CoA
l
Lipide
Glyoxylat
Malat
-^- Succinat
t Oxalacetat
Phosphoenolpyruvat
l
Kohlenhydrate
252
Citratzyklus
Im Säugetierorganismus existiert z. B. ein Nebenweg des Citratzyklus vom aKetoglutarat zum Succinat, der lediglich im zentralen Nervensystem (S. 506) abläuft und intermediär zur Bildung von -Aminobuttersäure führt. Außerdem sind Harnstoffzyklus und Citratzyklus über eine Kreisreaktion miteinander verknüpft (S. 61). Einen Nebenweg des Succinat zum -Ketoglutarat stellt der Succinatglycinzyklus dar. Seine Initialreaktion gleicht derjenigen bei der Porphyrinbiosynthese: Glycin wird mit Succinyl-CoA zu -Aminolävulinat kondensiert, das unter Desaminierung zu , -Dioxovaleriansäure und weiter zu -Ketoglutarsäure umgewandelt wird.
XII. Biologische Oxidation 1. Prinzip der Atmungskette Das Prinzip der Gewinnung von Energie in biologischen Systemen besteht in der schrittweisen Oxidation der verschiedenen Intermediärprodukte (Substrate) des Stoffwechsels. Die biologische Oxidation verläuft jedoch in der ersten Phase als Dehydrierung der Substrate, und der dabei freigesetzte Wasserstoff bzw. seine Elektronen werden zunächst von einer Serie hintereinandergeschalteter Enzymsysteme übertragen. Erst in der Endphase kommt es zur Oxidation unter Beteiligung des Atmungssauerstoffs, der schließlich die Elektronen des Wasserstoffs aufnimmt. Die bei dieser Reaktion erfolgende Bildung von Wasser ist mit einer Gewinnung von Energie verbunden. +
2e x
* 2H\ »
/ '/
2
^
2
+
216 kJ (52 kcal)
Das Zusammenspiel der Enzyme, die bei der Übertragung des Wasserstoffs bzw. der Elektronen beteiligt sind, wird als Atmungskette bezeichnet. Das gegenüberstehende vereinfachte Schema der Atmungskette zeigt, daß ihre Enzyme Redoxsysteme darstellen (Kap. Coenzyme, S. 45), die bei Hintereinanderschalten durch ihre benachbarten Reaktionspartner reduziert bzw. reoxidiert werden. Das Schema gibt aber nur das Prinzip der Atmungskette, nicht die tatsächlichen Verhältnisse in der Zelle wieder, die weiter unten beschrieben werden.
2. Redoxpotentiale der Enzyme der Atmungskette Die am Wasserstoff- und Elektronentransport beteiligten Enzyme und Cosubstrate der Atmungskette sind Redoxsysteme, deren elektrische Potentiale experimentell bestimmt werden können. Die Messung elektrischer Potentiale erfolgt bei geeignetem Redoxsystem mit einem Potentiometer, das zwischen zwei Halbzellen geschaltet ist. Eine Halbzelle enthält unter Standardbedingungen eine Platinelektrode in l M HC1, die mit Wasserstoff gas (l Atm, 25°C) im Gleichgewicht ist und als Bezugselektrode (Wasserstoffelektrode) bezeichnet wird. Die andere Halbzelle enthält eine l M Konzentration jedes Partners des zu messenden Redoxsystems in oxidiertem bzw. reduziertem Zustand. Die zwischen beiden Halbzellen gemessene Spannung (Volt) ist das Normalpotential E(). Bei der Messung der Redoxpotentiale biologischer Systeme wird nicht auf Standardbedingungen, sondern auf eine Lösung mit dem pH-Wert 7,0 bezogen. Das elektrische Potential wird dann nicht mehr als E0, sondern als E(', (physiologisches
254
Biologische Oxidation
Normalpotential) bezeichnet. Eine direkte Messung mit einem Potentiometer ist allerdings meist nicht möglich. Das physiologische Normalpotential läßt sich jedoch nach Bestimmung der Konzentration der Redoxpartner im oxidierten und reduzierten Zustand berechnen (s. S. 12). Redoxpotentiale von Enzymen bzw. Coenzymen der Atmungskette bei pH 7,0
Redoxsystem H + /H 2 NAD(P)H 2 /NAD(P)
Normalpotential E (Volt) -0,42 -0,32
Liponsäure red./oxid.
-0,29
FMNH 2 /FMN
-0,12
FADH 2 /FAD
0,0
Ubichinon red./oxid. Cytochrom b 2 Fe 2+ /Fe 3+ Cytochrom c, Fe2+/ Fe3 4 Cytochrom c Fe 2 4 /Fe 3 t Cytochrom a Fe2+/ Fe3+ Sauerstoff/Wasser Sauerstoff/Wasserstoffperoxid
+0,10 +0,12 +0,21 +0,25 +0,29 +0,81 +0,30
Die in der Tabelle aufgeführten Werte der elektrischen Potentiale der an der Atmungskette beteiligten Coenzyme geben an, welches Redoxsystem gegenüber einem anderen System als Oxidations- bzw. Reduktionsmittel auftreten kann. Hieraus ergibt sich die Reihenfolge, in der sie in der Atmungskette miteinander reagieren müßten. Bei solchen hintereinandergeschalteten (miteinander gekoppelten) Redoxsystemen wird ein Reaktionsteilnehmer jeweils von dem vorgeschalteten reduziert, während er seinerseits den nachgeschalteten Partner reduziert und dabei selbst wieder oxidiert wird. Die Redoxpotentiale können jedoch in Abhängigkeit von dem Proteinanteil der Coenzyme beträchtlich variieren. Das bedeutet, daß die Reihenfolge der Atmungskettenenzyme unter physiologischen Bedingungen nicht unbedingt der in der Tabelle angegebenen Ordnung entsprechen muß. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil in der Zelle auch der Quotient der Konzentrationen des oxidierten und reduzierten Coenzyms bzw. Cosubstrats das Potential verändert. Das aktuelle, in der Zelle herrschende Redoxpotential (E' n ) ergibt sich aus folgender Gleichung: R ·T [oxidierter Reaktionspartner] En — E(') + In n ·F [reduzierter Reaktionspartner] (Symbole S. 12).
Da zwischen dem elektrischen Potential und der Arbeitsfähigkeit eines Systems (ÄG°) die Beziehung ÄG° = — 0 · F · n (S. 12) besteht, ist ferner eine Berechnung der Energiebeträge möglich, die bei den einzelnen Oxido-Reduktionsvorgängen frei werden.
Wasserstoff-, Elektronen- und Protonentransport in den Mitochondrien
255
3. Wasserstoff-, Elektronen- und Protonentransport in den Mitochondrien In den S ugetierzellen ist die Atmungskette in der inneren Membran der Mitochondrien lokalisiert. Sie bildet dort ein Multienzym- und Protonentransportsystem, dessen Funktionsf higkeit an die Integrit t der Struktur gebunden ist. Durch diese
Schema des Wasserstoff- und elektronen bertragenden Systems der Atmungskette innerhalb der inneren Mitochondrienmembran AUSSEN £p)
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INNERE MITOCHONDRIENMEMBRAN
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Komplex 1 -
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Gegentransportsystem
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256
Biologische Oxidation
Verankerung wird ein funktionsgerechter Synergismus aller Komponenten gewährleistet. Durch vorsichtigen Aufschluß lassen sich aus Mitochondrien einzelne Partikel (Komplexe) gewinnen, die das intakte Elektronen-transportierende System, jedoch nicht das Protonentransportsystem enthalten. Die Lokalisation der Wasserstoff- und Elektronen-übertragenden Enzyme bzw. Komplexe und der Protonenpumpen der inneren Mitochondrienmembran gibt die Abb. in schematischer Form wieder. Komplex I (NADH 2 -Ubichinon-Oxidoreduktase, NADH-Dehydrogenase) katalysiert den Wasserstofftransport von NADH 2 auf Ubichinon und enthält neben dem Flavoprotein ein Eisen-Schwefelprotein. Komplex II (Succinat-Ubichinon-Oxidoreduktase) katalysiert den Wasserstofftransport von Succinat auf Ubichinon. Es enthält außer FAD ein Eisen-SchwefelProtein mit der prosthetischen Gruppe [Fe4S4]. Komplex III (Ubichinon-Cytochrom c-Oxidoreduktase) katalysiert den Elektronentransport von Ubichinon auf Cytochrom c und enthält zwei Moleküle Cytochrom b, ein Molekül Cytochrom GI und ein Molekül Eisen-Schwefel-Protein, sowie drei oder vier Moleküle Strukturprotein und 140 Phospholipidmoleküle. Komplex IV (Cytochrom c-O2-Oxidoreduktase = Cytochrom-Oxidase) katalysiert den Elektronentransport von Cytochrom c auf Sauerstoff und besteht aus 13 unterschiedlichen Polypeptiduntereinheiten (I—XIII), von denen 3 durch das Genom der Mitochondrien codiert werden. Als Coenzym enthält die Cytochrom-Oxidase 2 Häm a (Cytochrom a/a-,) und 2 Cu-Ionen. Komplex V enthält einen aus hydrophoben transmembranösen Proteinen gebildeten Protonenkanal für den Rücktransport von H + -Ionen in die mitochondriale Matrix (Fo-Einheit) und einen an der Innenseite der inneren Mitochondrienmembran lokalisierten sphärischen Partikel, welcher ATP-Synthase-Aktivität besitzt (F r Einheit). Die die ATP-Synthase enthaltene F r Einheit besteht aus zahlreichen Polypeptidmonomeren mit der Zusammensetzung 3, 3, , , . F0- und F r Einheit sind über einen „Stiel" miteinander verbunden. Die Enzymkomplexe I, III und IV sind mit je einem Protonentransportsystem assoziiert. Diese als „Protonenpumpen" arbeitenden Transportsysteme sind asymmetrisch angeordnete transmembranöse Proteine, die mit ihren Enzymkomplexen in der Membran so orientiert sind, daß Protonen (H + -Ionen) nur von der Matrix auf der zytoplasmatischen Seite der inneren Mitochondrienmembran gepumpt werden können, aber nicht umgekehrt.
4. Energieübertragung in der Atmungskette Atmungskettenphosphorylierung. Durch den Transport des Wasserstoffs bzw. der Elektronen über die Enzyme der Atmungskette wird erreicht, daß die bei der Oxidation erhaltene Energie nicht auf einmal freigesetzt, sondern in Teilbeträge zerlegt wird. Die bei den einzelnen Reaktionsschritten freiwerdenden Teilbeträge entsprechen dem elektrischen Potential der jeweils reagierenden Partner der Atmungskette und werden primär für einen Protonentransport von der Mitochondrienmatrix auf
Energieübertragung in der Atmungskette
257
die zytoplasmatische Seite der inneren Mitochondrienmembran verwendet. Der dadurch entstehende Protonengradient entspricht einer protonenmotorischen Kraft, die schließlich für die Synthese von ATP aus ADP und anorganischem Phosphat verwendet wird. Im Gegensatz zu der aus der Chemie bekannten Knallgasreaktion H2 + '/zCS > H2O; = -239 kJ/mol (-57 kcal/mol) wird die bei der biologischen Oxidation freiwerdende Energie nicht vollständig als Wärme frei, sondern zum Teil durch die gleichzeitige Synthese von ATP (aus ADP und anorganischem Phosphat) für die Durchführung endergoner (ATP-abhängiger) Reaktionen erhalten. Diese durch zahlreiche Experimente gut fundierte Kopplung von Elektronentransport, Protonengradient und ATP-Synthese wird als chemiosmotische Hypothese bezeichnet. Exergone Reaktion des NADH + H+-Wasserstoffs mit Sauerstoff zu Wasser Zusammenfassende Gleichung: NADH + H r + 1/2 O2 — NAD * + H2O Änderung der freien Energie: = -216 kJ (-52 kcal)/mol ,_ _ , l l -87 kJ (-21 kcal) -129 kJ (-31 kcal) für ATP-Synthese für Wärmebildung
Mechanismus der ATP-Synthese. Durch den Aufbau eines Protonengradienten von der inneren zur äußeren Seite der Mitochondrienmembran entsteht nicht nur ein pH-Gradient (mit einer pH-Differenz von 1,4 Einheiten) zwischen Matrix und zytoplasmatischer Seite der inneren Mitochondrienmembran, sondern auch ein elektrochemischer Gradient (außen +, innen — ) mit einem Potential von 180-220 mV. Die damit gewonnene Energie wird für die Synthese von ATP aus ADP und anorganischem Phosphat auf folgende Weise genutzt: Über den Komplex V kommt es zu einem energieliefernden Rücktransport der + H -Ionen von der Außenseite der Membran in den mitochondrialen Raum hinein. Dabei wird die Aktivität der ATP-Synthase wie folgt beeinflußt: Die Untereinheiten der ATP-Synthase (s. o.) bilden 3 katalytische Zentren, die sich in ihrer Substratbindungsfähigkeit unterscheiden, aber durch Konformationsänderung ineinander übergehen können. Jedes der 3 katalytischen Zentren kann je nach Konformation ADP + © bzw. ATP mit hoher oder geringer Affinität oder überhaupt nicht binden. Wird ATP mit hoher Affinität an ein katalytisches Zentrum gebunden, lagern sich ADP + © an ein zweites katalytisches Zentrum mit geringer Affinität an. Durch Konformationsänderung geht das katalytische Zentrum mit hoher Substratbindungsaffinität in eine kein Substrat bindende Konformation über und entläßt auf diese Weise das ATP. Gleichzeitig wird aber das katalytische Zentrum mit geringer Substratbindungsfähigkeit in eine Konformation mit hoher Substratbindungsfähigkeit umgewandelt, wobei ADP -l- (P) zu ATP reagieren. Mit der erneuten Anlagerung eines ADP und einem anorganischen Phosphat beginnt ein neuer Zyklus der ATP-Bildung. Die für die Konformationsänderung der katalytischen Zentren notwendige Energie wird durch den Protonenfluß geliefert. Für die Bildung von einem ATP werden 3 Protonen benötigt. Zahlreiche experimentelle Beobachtungen haben ergeben, daß pro verbrauchtem g-Atom Sauerstoff (oder pro Mol oxidierter Wasserstoffe) 3 Mole ATP gebildet
258
Biologische Oxidation
werden. Das Verhältnis von gebildetem ATP zu verbrauchtem Sauerstoff wird als P/O-Quotient bezeichnet. Der P/O-Quotient hat den Wert 3 bei Substraten, die durch NAD dehydriert werden, dagegen den Wert 2, wenn ein Flavoprotein (Komplex II) primärer Wasserstoffakzeptor ist. Dies ist z. B. bei der Oxidation des Succinats zu Fumarat der Fall. Auch bei einer Oxidation von NADPH 2 , das im Cytosol entsteht, können in der Atmungskette nur 2 ATP gebunden werden, da l ATP verlorengeht, wenn der Wasserstoff als Glycerolphosphat vom Cytosol in die Mitochondrien gelangt (s. u.). Das in den Mitochondrien entstehende ATP kann durch die Mitochondrienmembran in den zytoplasmatischen Raum austreten. Hierfür ist die Mitwirkung eines Enzymsystems — der Translokase — notwendig. Die Translokase ist ein Anionengegentransportsystem (Antiport), das die Aufnahme von ADP in die Mitochondrien gegen den Austritt von ATP in das Cytosol katalysiert. Für die mitochondriale ATP-Bildung muß nicht nur ADP, sondern auch anorganisches Phosphat bereitgestellt werden. Die notwendige Einschleusung von anorganischem Phosphat in den mitochondrialen Raum erfolgt mit Hilfe eines Gegentransportsystems, das mitochondriales OH~ gegen zytoplasmatisches anorganisches Phosphat austauscht (S. 410). ATP-Gewinn bei der Glucoseoxidation. Die nachstehende Tabelle zeigt am Beispiel der Glucose den bei vollständiger Oxidation eines Substrates zu CO2 und H2O erzielbaren ATP-Gewinn. Energiebilanz bei der Glucoseoxidation Angabe in mol/mol oxidierte Glucose. Die Berechnung des Gesaml-ATP-Gewinns erfolgt unter der Annahme einer Bildung von 3 mol ATP/mol NADH 2 , 2 mol ATP/mol FADH2 bzw. 1 mol ATP/1 mol GTP.
Reaktionsweg Glykolyse
NADH 2 bzw. FADH2
ATP bzw. GTP
ATP Gesamt
2 ATP
6 bzw. 4* 2
2 NADH 2
Pyruvat-Dehydrogenase
2 NADH 2
6
Citratzyklus
6 NADH 2 2 FADH2
18 4 2
2 GTP
38 bzw. 36*
Bei Annahme einer Einschleusung des zytoplasmatischen NADH + - in die Mitochondrien über Glycerol-3-phosphat.
5. Transport des NAD-Wasserstoffs in die Mitochondrien Im Zytoplasma entstehendes NADH2 kann — wenn es nicht für anderweitige zytoplasmatische Reduktionsvorgänge Verwendung findet - nicht ohne weiteres in der Atmungskette oxidiert werden, da es die Mitochondrienmembran nicht zu passieren vermag. Die Einschleusung des zytoplasmatischen Wasserstoffs in die Mito-
Regulation der Atmungskette
259
chondrien kann jedoch über verschiedene reduzierte Substrate erfolgen. Die nachfolgende schematische Darstellung zeigt dies am Beispiel des Malats. Zytoplasmatisches NADH 2 wird für die Reduktion von Oxalacetat zu Malat verwendet, wobei die zytoplasmatische Malat-Dehydrogenase katalytisch wirkt. Das entstehende Malat passiert die Mitochondrienmembran und wird durch die mitochondriale Malat-Dehydrogenase unter Bildung von mitochondrialem NADH 2 reoxidiert. Das Oxalacetat kann jedoch nicht wieder in das Zytoplasma übertreten, sondern reagiert in einer Transaminasereaktion mit Glutamat zu Aspartat und a-Ketoglutarat. -Ketoglutarat tritt über ein spezielles membrangebundenes Transportsystem wieder in das Zytoplasma über und kann einen erneuten Zyklus des Wasserstoffaustausches durchlaufen. In analoger Weise können zytoplasmatisches ß-Hydroxybutyrat und Succinat durch mitochondriale Enzyme unter Wasserstoffgewinn umgesetzt werden. In der Leber (im Heuschreckenmuskel vorwiegend) ist auch das Glycerol-3-phosphat an der Einschleusung zytoplasmatischen Wasserstoffs in die Mitochondrien beteiligt, das aus dem Zytoplasma in die Mitochondrien penetriert und intramitochondriai durch eine FAD-abhängige Dehydrogenase in Dihydroxyacetonphosphat umgewandelt wird. Das Dihydroxyacetonphosphat diffundiert in das Cytosol zurück. Wasserstofftransport aus dem Zytoplasma in die Mitocho ndrien MDH = Malat-Dehydrogenase, 1 + 2 = spezifische Transportsys teme 1 = Malat/cc-Ketoglutarat-Gegentransportsystem 2 = Glutamat/ Aspartat-Gegentransportsystem ZYTOPLASMA
M L J
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MITOCHONDRIE NMATRIX
MEMBRAN
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-
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NADH 2
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,-—· Aspartat-aminoTransferase ^-*^ a-Ketocllutarat
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6. Regulation der Atmungskette Der Prozeß der Kopplung von Zellatmung und Phosphorylierung von ADP zu ATP wird als Atmungskettenphosphorylierung bezeichnet, da bei der Gewebs- bzw. Zellatmung Protonentransport, Sauerstoffverbrauch und ATP gekoppelte Vor-
260
Biologische Oxidation
gange sind. Zwischen O2-Verbrauch (Atmung) und ATP-Bildung besteht also eine enge Beziehung. Sie drückt sich darin aus, daß eine Gewebsatmung nicht nur an die Gegenwart von ADP und Phosphat gebunden ist, sondern daß auch deren Konzentration den SauerstofTverbrauch entscheidend verändert. Umgekehrt sinkt bei einem Überschuß von ATP und bei niedrigen ADP-Konzentrationen der O2-Verbrauch auf 5-10% der maximalen Werte. Bei sehr hohen ATP-Konzentrationen kann sich der Fluß der Atmungskette sogar umkehren (Reversibilität der oxidativen Phosphorylierung). Diese Selbstregulation der Atmungskette wird als Atmungskontrolle durch den Energiebedarf bezeichnet. Eine Kontrolle der Atmung und ATP-Synthese kann auch über allosterische Effektoren der Cytochrom c-Oxidase (z. B. Nucleotide, Metabolite, Ionen) erfolgen. Die dadurch ausgelöste Konformationsänderung der Cytochrom c-Oxidase vermag die Rate des Elektronentransfers vom reduzierten Cytochrom c auf Sauerstoff und die H + /e~ Stöchiometrie zu verändern und auf diese Weise die Zellatmung zu regulieren.
7. Enzyme der Atmungskette NAD bzw. NADP als Coenzyme der Dehydrogenasen. Die Wasserstoffübertragung von den Substraten auf einen spezifischen Wasserstoffakzeptor wird durch Dehydrogenasen katalysiert. Für die meisten Dehydrogenasen wirken NAD und NADP als Coenzyme (Kap. Coenzyme, S. 45). Ihre Coenzymfunktion ist durch ihre Fähigkeit zur reversiblen Aufnahme von Wasserstoff bedingt. Bei der Wasserstoffaufnahme wird der Pyridinring reduziert. Dabei wird die Lichtabsorption in charakteristischer Weise verändert. Während das Pyridinsystem bei 340 nm kaum Absorption zeigt, hat die Absorption des Dihydro-Pyridinsystems bei dieser Wellenlänge ein charakteristisches Maximum. Das Auftreten dieser Absorption bei 340 nm ist die Grundlage für die Messung enzymatischer Vorgänge, bei denen NADH 2 bzw. NADPH 2 gebildet oder verbraucht werden oder die mit einer solchen Reaktion gekoppelt werden können. Diese Methode hat als optischer Test große Bedeutung in der Enzymologie. NAD und NADP werden in allen Zellen und lebenden Systemen gefunden. Ihre Konzentration und auch das Verhältnis zwischen reduziertem und oxidiertem Anteil ist für die meisten Gewebe eine konstante Größe. Der Gehalt an NADP liegt meist um eine Größenordnung niedriger als der von NAD. Flavinenzyme. Enzyme, die als Coenzyme FMN bzw. FAD enthalten, werden wegen ihrer gelben Farbe als Flavoproteine bzw. gelbe Fermente (Kap. Coenzyme, S. 46) bezeichnet. Die Funktion der Flavoproteine, von denen 20 bis 30 verschiedene Vertreter bekannt sind, ergibt sich aus ihrer Fähigkeit zur reversiblen Aufnahme von Wasserstoff. Im Unterschied zu den Pyridinnucleotiden sind sie häufig kovalent, d. h. in echter Bindung mit dem Protein verknüpft. Flavoproteine und Flavoprotein-enthaltende Enzymkomplexe sind in der Lage, Wasserstoff nicht nur von NADH 2 , sondern auch direkt von Substraten (z. B. Succinat, Acyl-CoA, mitochondriales Glycerin-3-phosphat) zu übernehmen. Der entstehende Wasserstoff wird von den Flavoproteinkomplexen entweder direkt oder — wie beim Acyl-CoA
Enzyme der Atmungskette
261
Absorptionsspektren der oxidierten und reduzicirten Pyridinnucleotide (NAD, NADP) 20
1
1
/\ //•
cn
b
1
Oxidierle Form Reduzierte Form
'\
X
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cu
Extinktion
1
« 5 2 0
\ ''' \
\
\
V 260
300 340 380 Wellenlänge, nm
420
- unter Zwischenschaltung eines elektronentransferierenden Flavoproteins (ETF) auf das Ubichinon der Atmungskette übertragen. Mit den Flavoproteinen der Atmungskette assoziiert sind häufig Eisen-SchwefelProteine. In diesen Eisen-Schwefel-Proteinen, die auch bei Pflanzen und Mikroorganismen weit verbreitet sind, werden 4 Fe3+ und 4 anorganische S 2 ~ durch 4 SHGruppen von Cysteinresten des Proteinanteils komplexiert. Das Schwefel-Eisenzentrum ist an l-Elektronenübergängen beteiligt. Schematische Struktur eines Eisen-Schwefelproteins (Fe4S4) S = Säurestabiler Schwefel; Cys = Cysteinreste der Polypeptidkette des Proteins Das Fe3* befindet sich in komplexer Sulfid-(anorganischer Schwefel) bzw. Merkaptid(Cysteinreste)Bindung. Bei Säurezugabe wird aus dem Komplex fyS freigesetzt. — Polypeptidkette
s. Cys.
Cys
^ \
L Polypeptidkette
Cys
*>
\
\ |
-Fe
\Cys
Auch Molybdän, Kupfer und Zink sind als funktionelle Bestandteile von Flavoproteinen, z. T. jedoch nur bei Mikroorganismen nachgewiesen worden. In einigen Fällen, wie z. B. bei einer Sulfit-Dehydrogenase in Lebermikrosomen, wurde das Eisen als Harn-Eisen erkannt. Formel und Funktion des Ubichinon und der Cytochrome sind in den Kapiteln Coenzyme (S. 47), Porphyrine (S. 241) bzw. vorstehend dargestellt.
262
Biologische Oxidation
8. Hemmstoffe der Atmungskette Viele Einblicke in den Mechanismus der biologischen Oxidation haben sich auch aus einem Studium der Wirkung von Hemmstoffen der Atmungskette ergeben. Unter den Hemmstoffen befinden sich bekannte Gifte und Medikamente. Aufgrund ihres Angriffsortes in der Atmungskette unterscheidet man Hemmstoffe, welche den Elektronentransport (d.h. den Sauerstoffverbrauch) hemmen und solche, die das Sauerstoff-verbrauchende System intakt lassen, aber die ATPBildung hemmen. Die letzteren werden als Entkoppler der Atmungskette bezeichnet. Hemmstoffe der Atmungskette sind z. B. das Amobarbital (Barbitursäurederivat), das die Atmungskette auf der Stufe FMN > Ubichinon unterbricht, das Antimycin A, das die Reaktion Cytochrom b —-» Cytochrom c t hemmt sowie Cyanid und H2S, die Enzymgifte der Cytochrom-Oxidase (Cytochrom a/a3) sind. Zu den Entkopplern der Atmungskette gehören Dinitrophenol und Valinomycin. Unter ihrer Wirkung sinkt der P/O-Quotient unter den Wert 3, da die Menge des gebildeten ATP nicht mehr dem Sauerstoffverbrauch entspricht, obwohl der Sauerstoffverbrauch erhöht sein kann. Das Antibiotikum Oligomycin hemmt Atmung und ATP-Bildung im gleichen Ausmaß, so daß der P/O-Quotient unverändert bleibt. Es stellt also als „Energietransfer-Hemmstoff" einen weiteren Hemmstofftyp dar. Atraktylosid — ein Glykosid aus Atractylis gummifera —ist ein Inhibitor der ATP/ADP-Translocase (S. 255). Ein physiologischer Entkoppler der Atmungskette ist das Thermogenin des braunen Fettgewebes (S. 232).
9. Sauerstoff-aktivierende Enzyme Als Nebenweg bzw. Kurzschluß der Atmungskette kann man alle enzymatischen Reaktionen bezeichnen, bei denen molekularer Sauerstoff mit Substratwasserstoff reagiert. Bei diesen Reaktionen wird zwar Sauerstoff verbraucht, sie verlaufen aber ohne oxidative Phosphorylierung, d. h. ohne ATP-Gewinn. Die beteiligten Enzyme lassen sich bei Fraktionierung der subzellulären Partikel zum Teil in der Mikrosomenfraktion, zum Teil in den Mitochondrien nachweisen. Zu den Enzymen, die solche Reaktionen katalysieren, gehören die aeroben Dehydrogenasen, die Oxidasen, die Dioxygenasen (Pyrrolasen) und die Monooxygenasen. Aerobe Dehydrogenasen. Aerobe Dehydrogenasen übertragen Substratwasserstoff direkt auf molekularen Sauerstoff. Als Reaktionsprodukt entsteht H2O2. Substrat-H2 + O2
* dehydrogeniertes Substrat + H2O2.
Aerobe Dehydrogenasen sind Flavoproteine, die FMN oder FAD, zum Teil auch Molybdän, Eisen und Schwefel als Coenzym bzw. Cofaktoren enthalten. In diese Gruppe gehören die D-Aminooxidasen der Leber und Niere (D-Aminosäure + O2 + H2O > -Ketosäure + NH 3 + H2O2), die außer D-Aminosäuren auch Glycin, D-Lactat und L-Prolin als Substrate umsetzen und die FMN-abhängige L-Amino-
Sauerstoff-aktivierende Enzyme
263
säure-Dehydrogenase (L-Aminosäureoxidase) der Niere mit der generellen Spezifität für L-Aminosäuren (L-Aminosäure + O2 + H2O » -Ketosäure + NH 3 + H 2 O 2 ). In dieser Gruppe finden sich ferner die Xanthinoxidase (Xanthin- bzw. Hypoxanthin + O2 + H2O > Harnsäure bzw. Xanthin + H2O2), die Monoaminoxidase (S. 59) und die Aldehydoxidase der Leber (Aldehyd + O2 + H2O > Säure + H2O2). Das bei den Reaktionen dieses Typs entstehende H2O2 wird durch Katalasen bzw. Peroxidasen weiter umgesetzt. Oxidasen. Bei den Oxidasen wird Kupfer als prosthetische Gruppe verwendet, wobei der Sauerstoff sowohl zu H 2 O als auch zu H2O2 reduziert werden kann. Beispiele sind zahlreiche Phenoloxidasen des Tier- und Pflanzenreichs (o-Diphenol + ' 2 > o-Chinon + H2O), ferner die Protein-Lysin-6-Oxidase (S. 513), die Uricase (Harnsäure + O2 > Allantoin + H2O2), die Ascorbatoxidase (Ascorbat + '/2O2 > Dehydroascorbat + H 2 O) und die Dopaminhydroxylase (S. 328). Bei der Phenol-Oxidasereaktion (Tyrosin » DOPA > Dopachinon) übernimmt das DOPA die Rolle des Wasserstoffdonators, das dabei selbst zum Chinon oxidiert wird. Die Phenol-Oxidasen sind auch im Pflanzenreich weit verbreitet und für das Nachdunkeln der Schnittflächen von Früchten und Pflanzen verantwortlich. Dioxygenasen (Pyrrolasen). Bei den von den Dioxygenasen katalysierten Reaktionen werden beide Sauerstoffatome des an der Reaktion beteiligten molekularen O2 in ein Substrat eingeführt. Es entstehen also weder Wasser noch Wasserstoffperoxid. Meist findet diese Reaktion unter Spaltung eines aromatischen oder heterozyklischen Ringsystems statt. Die Tryptophan-Pyrrolase (Tryptophan + O2 > Formylkynurenin), die Homogentisinsäure-Oxygenase (Homogentisinat + O2 > Maleylacetoacetat) und die Prolin- und Lysin-Hydroxylasen (peptidgebundenes Prolin + O2 + a-Ketoglutarat > peptidgebundenes Hydroxyprolin + Succinat + CO2) sind Beispiele. Bei der Prolin-Hydroxylase wirken Ascorbat und Fe24" mit, ohne sich jedoch direkt an der enzymatischen Reaktion zu beteiligen (S. 510). Monooxygenasen (Hydroxylasen). Auch bei der Monooxygenasereaktion ist molekularer O2 beteiligt. Es wird jedoch nur ein Sauerstoffatom in das Substrat eingeführt, während das andere Sauerstoffatom mit einem Wasserstoffdonator unter Bildung von Wasser reagiert. Hierzu gehört die wichtige mikrosomale Cytochrom P450-Oxygenase. Die durch dieses Enzym katalysierte Hydroxylierung verläuft nach der allgemeinen Gleichung: R + O2 + NADPH + H ^ -—- R-OH + H 2 O + NADP Die für die Reaktion notwendigen Elektronen, die das dreiwertige Eisen des Cytochrom P45() zum zweiwertigen Eisen reduzieren, werden primär von einem Flavoprotein geliefert, das durch NADPH 2 wieder reduziert wird. Cytochrom P4so hat seine Bezeichnung nach seinem Absorptionsmaximum erhalten. Beispiele für die Cytochrom P45()-Monooxygenasen sind die Steroidhydroxylasen (S. 344) und eine in der Mikrosomenfraktion der Leber lokalisierte Hydroxylase, die viele Arylverbindungen und aliphatische Verbindungen (z. B. Anilin » 4Hydroxyanilin) hydroxyliert. Diese Reaktionen spielen bei der „Entgiftung" von Medikamenten und anderen körperfremden Substanzen eine große Rolle. Da bei dieser Reaktion ein Sauerstoffatom zur Hydroxylierung verwendet, das andere jedoch auf Wasserstoff übertragen wird, hat man diese Enzyme auch als „mischfunk-
264
Biologische Oxidation
tionelle Oxidasen" bezeichnet. Die Leber Cytochrom P45(rMonooxygenase ist „induzierbar". Durch orale Zufuhr verschiedener Fremdstoffe (z. B. Phenobarbital, Methylcholanthren oder DDT) läßt sich ihre Aktivität auf das 25-fache steigern. Steroidhydroxylierende Enzyme sind sowohl in den Mikrosomen (C21-Hydroxylierung) als auch in Mitochondrien (Cll-Hydroxylierung) vorhanden. Das Steroidhydroxylase-System enthält neben dem Cytochrom P450, dem Flavoprotein und NAD auch ein Fe-Schwefelprotein (Adrenodoxin, Eo = +0,15 V). An der Hydroxylierungsreaktion ist ferner Ascorbat beteiligt. Als primärer Wasserstoffdonator dient bei allen diesen Reaktionen jedoch nicht nur NADPH2. Bei den Hydroxylierungsreaktionen Phenylalanin > Tyrosin, Tryptophan > Hydroxytryptophan und Tyrosin > DOPA ist z. B. Tetrahydrobiopterin der primäre Wasserstoffdonator.
10. Peroxidasen und Katalase Bei einer Reihe von Oxidasereaktionen entsteht H2O2, das als Zellgift durch die in der Natur und auch in tierischen Geweben weit verbreitete Katalase bzw. Peroxidase umgesetzt wird. Katalase und Peroxidase übertragen beide Wasserstoff auf H2O2. Im Falle der Katalase stammt der Wasserstoff aus einem zweiten H2O2-Molekül, bei der Peroxidasereaktion aus einem geeigneten Substrat, das durch den Wasserstoffentzug oxidiert wird. Beide Enzyme besitzen Häm als prosthetische Gruppe, das sich vom Hb-Häm dadurch unterscheidet, daß das zentrale Eisenatom 3-wertig ist. Ein Katalasemolekül (Molmasse 240 000) besitzt vier Hämgruppen und die hohe molekulare Aktivität von 5 · l O6 (Schutzfunktion gegen Anhäufung von H2O2 in der Zelle!). Die Katalasereaktion verläuft nach der Gleichung 2 H2O2 > 2 H2O + O2. Von den Peroxidasen gibt es zahlreiche Vertreter, die sich durch Substratspezifität und prosthetische Gruppe unterscheiden. Aminophenole, Diamine, Diphenole und Harnsäure sind z. B. Substrate von Peroxidasen, welche die allgemeine Reaktion R-H 2 + H2O2 > R + 2 H2O katalysieren. Bei einem genetischen Mangel an Katalase (Akatalasie, Frequenz 1 : 2 X 1 0 4 ) werden bemerkenswerterweise Krankheitssymptome nicht beobachtet. Offenbar vermag in diesen Fällen die Peroxidase die Katalasefunktionen mit zu übernehmen. Die Glutathionperoxidase der Erythrozyten enthält die Aminosäure Selenocystein (in der das Schwefelatom durch ein Selenatom ersetzt ist!) im aktiven Zentrum und katalysiert den Abbau von H2O2, das in den Erythrozyten bei der Superoxiddismutasereaktion entsteht. In anderen Organen kann das Enzym auch Lipidhydroperoxide als Substrate umsetzen. Bei diesen Reaktionen dient reduziertes Glutathion als Wasserstoffdonator: 2 Glutathion + H2O2
> Glutathiondisulfid + 2 H2O
Die Glutathionperoxidase verhindert eine Akkumulation von H2O2, das die Lebensdauer des Erythrozyten verkürzen oder zellschädigend wirken würde.
XIII. Wasserhaushalt
Wasser- und Elektrolythaushalt bilden eine funktionelle Einheit, da das Körperwasser eine Lösung mit konstantem Elektrolytgehalt darstellt und Konzentrationsveränderungen der Elektrolyte stets zu Veränderungen des Wassergehaltes führen und umgekehrt. Bei der nachfolgenden getrennten Darstellung des Wasser- und Mineralhaushaltes ist diese enge funktioneile Verknüpfung zu berücksichtigen.
1. Wasser als Lebensfaktor Wasser ist ein unumgänglicher Faktor des Lebens. Es gibt Lebewesen, die ohne Licht oder ohne Sauerstoff zu existieren vermögen, es gibt aber kein Lebewesen, das sich auf die Dauer ohne Wasser zu erhalten vermag. Obgleich der Wassergehalt lebender Organismen große Variationen aufweist, ist die Gesamtmenge für jedes Lebewesen konstant. Regelmechanismen sorgen für die Erhaltung dieser Konstanz. Beim erwachsenen Menschen entfallen 60-70% des Körpergewichts auf das Wasser, doch schwankt der Wassergehalt einzelner Organe oder Gewebe in weiten Grenzen. Ein Wasserverlust von 11% des Gesamtkörperwassers - wie er durch 6-7-tägige Flüssigkeitskarenz eintritt - ist nicht mit dem Leben vereinbar. Wassergehalt menschlicher Organe
Organ Glaskörper (Auge) Blut Muskel Haut Skelett Fett Dentin Zahnschmelz
Wassergehalt (%) 98 79 77 72 22 15 10 0,2
Anteil am Gesamtkörperwasser (%)
,Säure"), z. T. als Hydrogenphosphat („Säure-Anion") vorliegt (Tabelle). Hämoglobin-Puffersystem. Die bemerkenswerte Pufferkapazität des Hämoglobins hat ihre Ursache darin, daß Oxyhämoglobin (HbO 2 ) eine stärkere Säure ist als das reduzierte Hämoglobin (Hb). Dies kommt in den Dissoziationskonstanten (K H b = 6,6 · 10 9, Kii bo2 = 2,4 · 10 7 ) der beiden Hämoglobinformen zum Ausdruck. In der Lunge führt die Bildung von HbO2 zur Dissoziation von Wasserstoffionen, welche mit dem HCO3~ reagieren. Das Gleichgewicht zwischen Hydrogencarbonat/Kohlensäure und gelöstem CO2 verschiebt sich daher in Richtung auf CO2, das mit der Atemluft abgegeben wird. Umgekehrt wirkt das HbO2 im Gewebe in dem Maße, wie es seinen Sauerstoff den Zellen zur Verfügung stellt und in die reduzierte Form, d. h. in eine schwächere Säure überführt wird, als Wasserstoffionenakzeptor. Das reduzierte Hb ist somit in der Lage, die im Stoffwechsel gebildete
276
Mineralhaushalt
und in das Blut übergehende Kohlensäure, die zu H + und HCO3 dissoziiert, abzupuffern. Auf diese Weise bleiben pH-Änderungen im Gewebe äußerst geringfügig. Proteinat-Puffersystem. Etwa 20% der Kohlensäure des Blutes sind an Hämoglobin und Plasmaprotein gebunden. Dieser Effekt, der unabhängig von der Pufferwirkung des Hämoglobins ist, kommt dadurch zustande, daß freie Aminogruppen und Imidazolgruppen des Proteinanteils des Hämoglobins oder der Blutplasmaproteine die Fähigkeit zur Pufferung besitzen. Die Imidazolgruppen sind wegen ihres in der Nähe des Neutralpunktes liegenden pK-Wertes von 6,1 besonders pufferwirksam. In den Tubuluszellen der Niere bietet das Ammonium/Ammoniak-System eine weitere Pufferungsmöglichkeit (s. u.). Pufferwirkung von Histidinresten (Imidazolgruppen) und N-terminalen Aminogruppen im Hämoglobin bzw. in Blutplasmaproteinen = Hämoglobin bzw. Protein
R—
3. Acidose und Alkalose Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichtes, die durch Stoffwechselveränderungen hervorgerufen werden und durch ein Defizit oder einen Überschuß an Hydrogencarbonat des Blutes bedingt sind, werden als nichtrespiratorische (metabolische) Acidose bzw. als nichtrespiratorische (metabolische) Alkalose bezeichnet. Ihre Kompensation wird durch vermehrte Elimination von CO2 (Hyperventilation) oder durch vermehrte Retention von CO2 (verminderte Respiration) erreicht. Veränderungen des Kohlendioxid-Partialdruckes führen zur respiratorischen Acidose bzw. Alkalose. Acidose und Alkalose können verschiedene Ursachen haben. Über die bei Acidose und Alkalose eintretenden Veränderungen und ihre möglichen Ursachen gibt nachfolgende Tabelle Auskunft. Bei den vollständig kompensierten Störungen bleiben die Blut-pH-Werte im Normbereich, erst bei Dekompensation treten die für Acidose und Alkalose typischen pH-Abweichungen auf. Mögliche Ursachen bei Störungen des Säure-Basenhaushalts Metabolische Acidose (primäres Absinken der HCO 3 "-Konzentration) Vermehrte Produktion oder vermehrte Zufuhr von (organischen) Säuren (z. B. ß-Hydroxybuttersäure, Acetessigsäure, Milchsäure), (2) Verminderte renale
Regulation des Säure-Basen-Haushaltes
277
Charakteristische Befunde bei Störungen des Säure-Basenhaushalts primär vorliegende Störung l der Kompensation dienende sekundäre Abweichung
pC02
PlasmaBicarbonat
Basenabweichung
Nichtrespiratorische (metabolische) Acidose
I
1
-
Nichtrespiratorische (metabolische) Alkalose
T
+
Respiratorische Acidose
t
t T
+
Respiratorische Alkalose
1
1
-
Art der Störung
WasserstofFionenexkretion (chronische Niereninsuffizienz), (3) Verlust hydrogencarbonatreicher Sekrete des Gastrointestinaltraktes (rezidivierende Diarrhöe, Laxantienabusus). Metabolische Alkalose (primärer Anstieg des HCO·?") (T) Wasserstoffionenverlust (Erbrechen von saurem Magensaft), Kaliumverlust (Saluretika, Conn-Syndrom) mit kompensatorischem Einstrom von Wasserstoffionen in die kaliumverarmten Zellen), (2) Übermäßige (therapeutische!) Hydrogencarbonatzufuhr bei metabolischer Acidose. Respiratorische Acidose (primärer Anstieg des pCO2) (T) Alveoläre Hypoventilation (Somnolenz, Koma, Kreislaufschock), (g) Chronische Form der Ateminsuffizienz (z. B. chronische Bronchitis, Lungenemphysem, Asthma bronchiale), neuromuskuläre Erkrankungen, (3) Dämpfung des Atemzentrums durch Medikamente (Morphin, Barbiturate, Phenothiazine). Respiratorische Alkalose (primärer Abfall des pCO2) (T) Alveoläre Hyperventilation (gesteigerte Kohlendioxidabgabe), Fieber, Thyreotoxikose, (2) Linksinsuffizienz, dekompensierte Leberzirrhose, nephrotisches Syndrom, Salizylatintoxikation, (3) Verdickung der Lungenkapillaren mit Herabsetzung der Sauerstoffdiffusion. Experimentelle Acidose. Ein experimentelles Hydrogencarbonat (Alkali)-defizit kann man durch Zufuhr nichtflüchtiger Säuren bzw. ihrer Ammonium- oder Calciumsalze (NH4C1, CaCl2) erreichen. Da das Ammoniumion in der Leber rasch zu Harnstoff umgewandelt bzw. das Calcium im Dickdarm ausgeschieden wird, muß zur Neutralisation des Chlorid-Anions NaHCO} herangezogen werden. Auf diese Weise werden dem Organismus ständig Basenäquivalente entzogen.
4. Regulation des Säure-Basen-Haushaltes Das Puffersystem des Blutes und der Extrazellulärflüssigkeit vermag Schwankungen der Wasserstoffionenkonzentration zu verhindern. Dieser Sofortregulation folgt eine Regulation durch die Tätigkeit der Lunge bzw. der Niere oder anderer
278
Mineralhaushalt
Organe, die überschüssige Säure- bzw. Basenäquivalente ausscheiden oder metabolisieren. Regulation durch die Atmung. Ein Anstieg der Kohlensäurekonzentration bzw. der Wasserstoffionenkonzentration im Blut führt über eine Stimulation des Atmungszentrums zu prompter Hyperventilation und Entfernung des überschüssigen CO2 mit der Atmungsluft. Umgekehrt bewirkt ein Absinken der Kohlensäure- oder Wasserstoffionenkonzentration im Blut Hypoventilation und Retention von CO2 im Blut, bis die Normalwerte wieder erreicht sind. Regulation durch die Niere. Außer der flüchtigen Kohlensäure entstehen im Stoffwechsel Milchsäure, Brenztraubensäure, Acetessigsäure, ferner Phosphorsäure und Schwefelsäure. Von den beiden anorganischen Säuren werden pro Tag 50 bis 150mVal mit dem Urin ausgeschieden. Diese Säuren liegen im Blut zunächst als Natrium- bzw. Kaliumsalze vor. Nach ihrer Ausscheidung in der Niere werden die Kationen jedoch im distalen Tubulus teilweise gegen Wasserstoffionen ausgetauscht, wobei zwar der pH-Wert des Urins geringer wird, der Organismus jedoch wertvolle Basen einspart. Bei dieser Baseneinsparung wird entweder das Hydrogencarbonat/Kohlensäuresystem oder das Hydrogenphosphat/Dihydrogenphosphatsystem wirksam. Die für den Austausch des Natriums benötigten Wasserstoffionen werden von der Kohlensäure zur Verfügung gestellt. Um die Reaktion CarbonatDehydratase
H 2 CO 3
—
H2O + CO2
mit hinreichender Geschwindigkeit ablaufen zu lassen, ist die Mitwirkung der Carbonat-Dehydratase erforderlich. Das Enzym beschleunigt die Gleichgewichtseinstellung um das 300fache im Vergleich zur nichtkatalysierten Reaktion. Da die Reaktion H2CO3 - H + + HCO3 augenblicklich abläuft, wird die Bereitstellung von H + nicht zum begrenzenden Faktor. Eine weitere Möglichkeit der Elimination nichtflüchtiger organischer oder anorganischer Säuren — unter gleichzeitiger Baseneinsparung und ohne Säuerung des Urins — ist der Austausch von Natrium gegen Ammoniak. Das Ammoniak entstammt dem Glutamin sowie Aminosäuren, die von der Niere im Rahmen der Gluconeogenese umgebaut werden. Ammoniakbildung und Gluconeogenese sind in der Niere gekoppelte Vorgänge und bei nichtrespiratorischer (metabolischer) Acidose gesteigert. Das Kohlenstoffskelett der glucogenen Aminosäuren wird in Glucose umgewandelt, während der -Aminostickstoff mit Glutamat zu Glutamin umgesetzt wird. Das für die Säureneutralisation bereitgestellte Glutamin kann nicht nur den -Amidstickstoff unter Mitwirkung der Glutaminase, sondern auch den aAminostickstoff für die Säureneutralisation abgeben. Das in der Tubuluszelle gebildete Ammoniak reagiert direkt mit Wasserstoffionen, so daß Ammoniumionen anstelle von Wasserstoffionen ausgeschieden werden, Die Ammoniakbildung spielt vor allen Dingen bei der metabolischen Acidose eine Rolle und wird für eine langfristige Kompensation herangezogen. Die Aktivität der renalen Glutaminase (Kap. Aminosäuren, S. 57) ist bei der Acidose erhöht. Die Möglichkeiten einer Baseneinsparung werden in dem vorstehenden Schema dargestellt.
Regulation des Säure-Basen-Haushaltes
279
Baseneinsparun g in der Niere durch Ausscheidung von Dihydrogenphosp hat anstelle von Hydrogenphosphat (A), durch Rückresori jtion von Natriumhydrogencarbonat (B) und durch A ustausch von Na + gegen NH 4 + (C) BLUT
TUBULUSZELLE
TUBULUSLUMEN
C
°2> 3
.- 1 1+
~_
(A) NaHCO.-»- -
1— C02>
HC0
3~ "^
Na
-f
H" H PO t
-
NaHCO-
- H 2 C0 3
O
p. ·
-—
(B) NJa "~* ~~
NaHCO —- — HCO " ^ o
.
— H2p CC\ 4- W O
co NaCI 2
3
+
11
(C)
^r=
NaHCO,—~ — HC0 3 ~ ^ O
Glutamin —·- Glu + N H _ '
NH 4 CI
Regulation durch die Leber. Die zentrale Rolle der Leber bei der Regulation des Säure-Basen-Haushalts ergibt sich aus zwei grundlegenden hepatischen Stoffwechselprozessen, die strukturell und funktionell getrennt, aber kooperativ an der systemischen Homöostase des pH-Wertes beteiligt sind. Es handelt sich um das Ausmaß der Harnstoffsynthese und die Aktivität der Glutamin-Synthetase. • Die Harnstoffsynthese ist ein Bicarbonat- und Ammoniak-verbrauchender Stoffwechselweg (S. 60). Die bei der Hydrolyse von Proteinen entstehenden bipolaren Aminosäuren liefern beim oxidativen Abbau (neben CO2 und H2O) HCO3 und NH 4 + in etwa äquimolaren Mengen, die durch die in den periportalen Hepatozyten lokalisierte Harnstoffsynthese - je nach Erfordernis des Säure-Basen-Haushalts - bereits vollständig oder nur teilweise verbraucht werden. Die beim Aminosäureabbau anfallenden NH 4 + -Ionen können jedoch — bei nicht vollständiger Ausnutzung durch die Harnstoffsynthese - auch bis zu den perivenösen Hepatozyten (Leberacinus) weitergeleitet und dort durch die Glutamin-Synthetase als Substrat verbraucht („entgiftet") werden. Auf diese Weise kann das beim Aminosäureabbau gleichzeitig anfallende € 3 ~ im Organismus zurückgehalten und
280
Mineralhaushalt
für die Regulation des Säure-Basen-Haushalts eingesetzt werden. Umgekehrt kann die Harnstoffsynthese jedoch durch die Aktivität der ebenfalls periportal lokalisierten Glutaminase gesteigert werden, die zusätzliche NH 4 + -Ionen bereitstellt. • Die Glutamin-Synthetase-Aktivität. Die NH 4 + -verbrauchende Glutamin-Synthetase ist - im Gegensatz zur Harnstoffsynthese und der Glutaminase (s. o.) - in den perivenösen Leberzellen (Leberacinus) lokalisiert. Das Enzym katalysiert ATP-abhängig die Reaktion -Ketoglutarat + 2 NH 4 + > Glutamin. Die über die Pfortader angelieferten NH 4 + -Ionen werden bei ausgeglichener Stoffwechsellage zu =« 70% durch die periportale Harnstoffsynthese und zu *=* 30% durch die perivenöse Glutamin-Synthetase entgiftet. Das als Reaktionsprodukt entstehende Glutamin dient dabei als nicht-toxische Transportform des Ammoniaks im Blut und erreicht die Nierentubuluszelle auf dem Blutweg oder durch Rückresorption aus dem Primärharn. Durch die Nierentubulus-Glutaminase kann das Glutamin NH 4 + -Ionen zur Aufrechterhaltung der pH-Homöostase abgeben.
5. Natrium, Kalium, Chlorid Der erwachsene Mensch verfügt über einen Bestand von etwa 100g Na + (4300 mmol), 150 g K + (3700 mmol) und etwa 100 g Chlorid (2800 mmol). Da Kalium vorwiegend in den Zellen, Natrium jedoch im Extrazellulärraum vorkommt, besitzen zellreiche Organe (Leber, Niere, Muskel) mehr K + als Na + . Zellarme Organe (Knorpel, Haut, Lunge) dagegen, bei denen das Volumen des extrazellulären Raumes dasjenige des intrazellulären Raumes übertrifft, enthalten mehr Na + als K + . Die durchschnittliche Zufuhr und die Ausscheidung an NaCl betragen beim Menschen etwa 15 g und können in Abhängigkeit von den klimatischen Verhältnissen (NaCl-Verlust durch Schwitzen) und der Ernährungsweise stark schwanken. Bei pflanzlicher Nahrung besteht ein größerer Kochsalzbedarf als bei tierischer Nahrung. Die biologische Halbwertszeit des NaCl im menschlichen Körper beträgt 11 Tage. Der Natriumgehalt des Serums ist pathologisch erhöht bei Dehydratation (besonders gefährdet sind Säuglinge), bei Nebennierenrinden-Überfunktion bzw. Behandlung mit Nebennierenrindenhormonen. Eine Erniedrigung des Serum-Na-Gehaltes ist charakteristisch bei übermäßiger Wasseraufnahme (Wasserintoxikation), bei chronischen Nierenerkrankungen, bei Addisonscher Erkrankung, bei Verbrennungen und bei Verlust von Verdauungsflüssigkeiten (Diarrhöe, Erbrechen) und starkem Schwitzen. Ein Anstieg des Kaliumgehaltes im Serum tritt bei ausgedehntem Gewebszerfall, bei Hämolyse und Nebennierenrinden-Insuffizienz ein. Eine Erniedrigung des Kaliumgehaltes liegt bei Nebennierenrinden-Überfunktion (Hyperaldosteronismus), bei chronischen Nierenerkrankungen und nach Anwendung diuresefördernder Medikamente vor. Salzsäurebildung und -Sekretion im Magen. Die Belegzellen der Magenschleimhaut sind in der Lage, eine 0,1 bis 0,01 mol/1 HC1 zu bilden und an das Magenlumen
Magnesium
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abzugeben. Das entspricht einem pH-Wert von 1—2 und einer Anreicherung der Wasserstoffionen gegenüber dem Blut auf das l O 5 — 106fache. Die HCl-Bildung ist eine von einem intakten Stoffwechsel, ausreichender Sauerstoffversorgung und Energiebereitstellung abhängige Leistung der Belegzellen. Das Chlorid entstammt dem Blutplasma, das Wasserstoffion entsteht dagegen aus Wasser bei Hydrolyse eines ATP-Moleküls. In der Bilanz ist die protonenliefernde Reaktion allerdings die Dissoziation von Kohlensäure, da je Mol in das Magenlumen sezernierter HC1 dem Blut je ein Mol Kohlendioxid entnommen und ein Mol Hydrogencarbonat an das Blut abgegeben wird. Bei erhöhter Salzsäureproduktion oder Verlust (z. B. nach Erbrechen von Magensaft) steigt daher die Hydrogencarbonatkonzentration im Blutplasma an, während die Chloridkonzentration absinkt („Hypochlorämische Alkalose"). Schema der Salzsäurebildung im Magen BELEGZELLE
BLUT N
+,,_ HC0 3 ·*
co 2 - —"-CO,\ -^
MAGENLUMEN
KohlensäureDehydratase
/
^HCO ~ " 2
3
^H+
rransport| AI h -Bilduna unaung N .+
cT
^ -.^
^
Akt
r r
·- · · rransport|
* LI
6. Magnesium Magnesium gehört zu den essentiellen Bestandteilen der Gewebe und Körperflüssigkeiten, doch ist über Bedarf, Resorption und Stoffwechsel des Magnesiums noch wenig bekannt. Infolge seiner weiten Verbreitung im Tier- und besonders im Pflanzenreich (Chlorophyll!) ist eine ausreichende Versorgung gesichert. Spontane Magnesium-Mangelsituationen sind bei normaler Ernährung und beim gesunden Menschen nicht zu erwarten. Der Gesamtbestand des menschlichen Körpers beträgt 30 g, der Tagesbedarf liegt zwischen 0,2 und 0,3 g. 50-70% des Gesamtmagnesiums sind in den Mineralien des Knochens festgelegt, doch enthalten alle Organe Magnesium in einer Konzentration von 10—15 mmol/kg Gewebe bei vorwiegend intrazellulärer Konzentration. Die Magnesiumkonzentration des Blutes beträgt 0,9-1,0 mmol/Liter Serum bzw. 2,5-2,75 mmol/Liter Erythrozyten. Die Funktion des Magnesiums als Enzymaktivator läßt sich durch zahlreiche Beispiele belegen. Sie hängt mit der Neigung des Magnesiums zur Komplexbildung mit Polyphosphaten zusammen und drückt sich auch in einer Beteiligung des Magnesiums an allen ATP-abhängigen Reaktionen und der Pyrophosphatasereaktion
282
Mineralhaushalt
aus. Mit ATP bildet Magnesium einen Tetraaquokomplex, in dem die vier koordinativ gebundenen Wassermoleküle durch andere biogene Liganden (Enzyme, Coenzyme) ausgetauscht werden können. Bei solchen „Umorientierungen" des Magnesiumkomplexes werden die Phosphorsäureanhydridbindungen des ATP labilisiert. Das gleiche gilt für enzymalische Reaktionen, die andere energiereiche Phosphate wie UTP, GTP usw. als Cofaktoren benötigen. Magnesium wirkt ferner bei der Biosynthese der DNA und RNA sowie bei der Vereinigung der 30 S und 50 S Ribosomen zu den 70 S Ribosomen. Ein Magnesiumdefizit kann in folgenden pathologischen Situationen eine Rolle spielen: bei gastrointestinalen Erkrankungen mit Resorptionsstörungen, bei Proteinmangelernährung, bei übermäßiger Magnesiumausscheidung im Harn (chronischer Gebrauch von Diurese-fördernden Mitteln) und bei Nierenerkrankungen, bei akutem Alkoholismus, Leberzirrhose und bei endokrinen Störungen (Thyreotoxikose, Hyperparathyreoidismus, primärer Aldosteronismus). Sinkt der Magnesiumgehalt des Blutserums unter 0,65 mmol/1, treten akute Konvulsionen auf. Ein erhöhter Magnesiumgehalt des Serums wird bei Hypothyreoidismus beobachtet. Die gastrointestinale Magnesiumresorption wird vermutlich durch Parathormon gesteuert.
7. Calcium, Phosphat Da im Körper 99% des Calciums (1,5 kg) und über 80% des Phosphats (0,7 kg) im Skelettsystem als Apatit deponiert sind, und die Knochenmineralien ein Reservoir darstellen, aus dem Calcium mobilisiert und in welches überschüssiges Calcium abgegeben werden kann, sind Calcium- und Phosphatstoffwechsel eng miteinander gekoppelt. Die Konstanz des Calciumspiegels in Blut und Körpersäften setzt eine wirksame Regulation der Resorption, der Verteilung und der Ausscheidung von Calcium voraus. Calciumresorption. Die tägliche Resorption von Calcium, das in einer gemischten Nahrung reichlich vorhanden ist, beträgt 0,5—0,8 g. Ein geringerer pH-Wert in der Intestinalflüssigkeit, die Anwesenheit von Citrat (Bildung eines löslichen Calciumkomplexes) und Vitamin D fördern die Resorption. Unlösliche Calciumsalze, wie das Calciumoxalat, das sich in Gegenwart von Nahrungsoxalsäure bildet, oder die unlöslichen Calciumsalze der Fettsäuren („Kalkseifen"), die bei Störungen der Fettverdauung auftreten, verhindern die Resorption. Auch der Calciumphytinsäurekomplex wird nicht resorbiert. Phytinsäure ist ein in Getreidekörnern vorkommendes Inositolhexaphosphat. Freies Ca2+. Im Blutplasma existiert Calcium zum Teil in freier ionisierter Form, zum Teil als Ca-Proteinat (60%). Seine Gesamtkonzentration beträgt 9—11 mg/ 100ml (2,25—275 mmol/1). Nur das freie Ca 2+ -Ion besitzt biologische Aktivität, weil es in der Lage ist, einerseits Zellmembranen zu stabilisieren, andererseits durch lonenkanäle in die Zelle eindringen kann. Im Nervengewebe beeinflußt Ca2+ die Reizschwelle für die Auslösung von Aktionspotentialen (S. 503). Calcium-Calmodulin. Intrazellulär werden zahlreiche biologische Funktionen des Calciums nicht durch die freien Ca 2+ -Ionen ausgeübt, sondern durch den Calcium-
Calcium, Phosphat
283
Calmodulin-Komplex. Calmodulin ist ein aus 157 Aminosäuren bestehendes Polypeptid (Molmasse 17 000) und besitzt 4 Calciumbindungsstellen, die mit steigender intrazellulärer Calciumkonzentration sukzessiv besetzt werden. Der Calcium-Calmodulin-Komplex ist in der Lage, sich reversibel an zahlreiche Enzyme zu binden und damit ihre Aktivität zu beeinflussen. Folgende Beispiele veranschaulichen die Calcium-Calmodulinwirkung: • Regulation der Aktivität der an der Bildung und am Abbau von Cyclo-AMP beteiligten Enzyme. Während die Phosphodiesterase (Cyclo-AMP-abbauendes Enzym) durch Calcium-Calmodulin aktiviert wird, kann die Adenyl-Cyclase (Cyclo-AMP-bildendes Enzym) in Abhängigkeit von der Stoffwechsellage und des beteiligten G-Proteins (S. 308) der Zelle entweder aktiviert oder inhibiert werden. • Aktivierung der Phospholipase A2. Die freigesetzte Arachidonsäure wird für die Prostaglandin- und Leukotrien-Synthese verfügbar (S. 368). • Aktivierung der Phosphorylasekinase, die durch Phosphorylierung die aktive Phosphorylase a bereitstellt und damit die Freisetzung von Glucose-1-phosphat aus Glykogen fördert. • Aktivierung einer spezifischen Proteinkinase, die in der glatten Muskulatur die L-Kette des Myosins phosphoryliert und damit für Aktin bindungsfähig macht (S. 496). • Kontrolle der Zusammenlagerung der Tubulinuntereinheiten zum Mikrotubulussystem (S. 423). • Beeinflussung der Aktivität zahlreicher Proteinkinasen, die durch Phosphorylierung von Enzymen oder Nicht-Enzymproteinen Stoffwechselumschaltungen einleiten. Calciumtransportsysteme. Die unterschiedliche Ca 2+ -Konzentration im extrazellulären und zellulären Raum wird durch membrangebundene Calciumtransportsysteme aufrechterhalten. Das extrazelluläre Calcium (2,5 mmol/1) gelangt in den zellulären Raum (~1 mmol/1) durch passiven Einstrom (sog. Calciumkanal), der das extrazellulär-zelluläre Konzentrationsgefälle ausnutzt. Der Calciumkanal ist ein fakultatives Transportprotein für Ca2"1 -Ionen, der sich bei Änderung des elektrischen Potentials der Zellmembran öffnen oder schließen kann. Seine Blockierung durch pharmakologische Wirkstoffe (sog. „Calciumantagonisten") führt u. a. zur Dilatation des arteriellen Gefäßsystems und wird für eine Behandlung der coronaren Herzkrankheit und des Hypertonus ausgenutzt. Das intrazelluläre Ca2 kann durch 2 Transportsysteme in den extrazellulären Raum zurückgelangen, und zwar entweder durch einen an den Einstrom von Na + gekoppelten Austritt oder durch primär-aktiven ATP-abhängigen Transport aus der Zelle (S. 417). Auch innerhalb der Zelle kann das Calcium aus dem Cytosol in subzelluläre Kompartimente gelangen. So können Mitochondrien Calcium akkumulieren und damit dem Zytoplasma entziehen. Der aktive Transport ist an einen ebenfalls einwärts-gerichteten Phosphattransport gekoppelt und benutzt den mitochondrialen Elektronentransport als Energiequelle. Die Freisetzung von Ca 2+ aus den Mitochondrien in das Cytosol vollzieht sich über ein Na + /Ca 2+ -Gegentransportsystem, bei dem der elektrochemische Na 4 -Gradient als treibende Kraft wirkt. In der quergestreiften und glatten Muskulatur wird Ca2+ nach einem adäquaten Nervenimpuls
284
Mineralhaushalt Ca2+-Transportsysteme durch Membranen AUSSEN Co
Na + -Einstromabhängiger Transport
Co
2l·
Passiver Transport (Ca-Kanal)
Co
ATP
abhängiger Transport
SARKOPLASMATISCHES RETIKULUM
ATP-
abhängiger Transport
Cn
It
Elektronentransportabhängig
Ca-Calmodulin
0 Änderungen von Enzymaktivitäten
2-1
1
MITOCHONDRIUM
ZELLE
durch ein calciumkanalähnliches Transportsystem aus dem sarkoplasmatischen Retikulum freigesetzt und durch ein ATP-abhängiges Transportsystem wieder in das sarkoplasmatische Retikulum zurückgepumpt (Abb.). Calcium und Phosphat im Skelett. In den Knochen und Zähnen liegen Calcium und Phosphat als Carbonatapatit, Fluorapatit und Hydroxylapatit vor. Die mehrere 100Ä langen hexagonalen Apatitkristalle (0 50 Ä) sind extrazellulär lokalisiert und mit ihrer Längsachse parallel zu den kollagenen Fasern des Knochens ausgerichtet. Das Apatit stellt aufgrund seiner großen Oberfläche (200 m2/g) besonders im Bereich der Epiphyse und Spongiosa des Knochens eine labile Phase dar, die einem ständigen Stoffaustausch (Mobilisierung, Einlagerung) unterliegt. Der Prozeß der Verknöcherung ist im Kapitel Bindegewebe (S. 519) beschrieben. Parathormon, Calcitonin und Vitamin D (s. d.) steuern den Mineralstoffwechsel des SkelettSystems. Extrazelluläres und intrazelluläres Phosphat. Der normale Phosphatgehalt des Blutserums wird als anorganischer Phosphor angegeben und beträgt 2-6 mg/dl. Das in allen Organen vorhandene intrazelluläre Phosphat liegt in Form von Nucleinsäuren, Phospholipiden, Phosphoproteinen, Nucleosidphosphaten, Zuckerphosphaten, Kreatinphosphat und anorganischem Phosphat vor. Die reversible Phosphorylierung von Enzymen ist in vielen Fällen mit einer Aktivitätsveränderung verbunden. Ausscheidung. 15% (etwa 0, l g/24 h) des täglich resorbierten Calciums werden mit der Niere, der Rest wird durch den Dickdarm ausgeschieden. Im Gegensatz hierzu wird das Phosphat praktisch vollständig über die Niere eliminiert («= 35 mmol/ 24 h). Auf diese Weise bleibt das physiologische lonenprodukt [Calcium] · [Phos-
Schwefel
285
phat] = 1,5 · l O""6 mol/1 im Harn gering, und es wird vermieden, daß die CalciumPhosphatkonzentration den kritischen Wert des Löslichkeitsproduktes (3,5 · 10~ 6 mol/1) erreicht. Lediglich bei Störungen des Calcium- bzw. PhosphatstofTwechsels (Hyperparathyreoidismus) kann es zur Calciumphosphatbildung in den ableitenden Harnwegen kommen. Eine Übersicht über den Calcium- und Phosphatstoffwechsel gibt das nachfolgende Schema. Calcium- und Phosphat-Stoffwechsel INTESTINALTRAKT
BLUT
NIERE
Nahrungscalcium t Ausscheidung ' -* Calcium Resorption Oxalat Fettsäuren Fluorid \
Ca2+ (ionisiert) und Ca-Proteinat 2,1 -2,7mmol/l
Nahrungsphosphal (Esterphosphat)
Calciumoxalat "Kalkseifen" Calciumfluorid
l
Phosphat ·
anorganisches Phosphat 1,8 -5,1 mmol/l
proximale Tubuluszelle
distale Tubuluszelle
Ca
Phosphat Einbau
Ausscheidung
Ca-Ausscheidung
2+
Mobilisierungg
Hydroxylapatit (2,2 kg) Ca3(PO4)2 · Ca(OH) 2
0,3-1,2g/24h
0,1-0,3g/24h URIN
SKELETT
8. Schwefel Schwefel wird vorwiegend mit den schwefelhaltigen Aminosäuren und nur zum geringen Teil als Sulfat-Schwefel mit der Nahrung aufgenommen. In der Leber unterliegt der Aminosäure-Schwefel (s. Stoffwechsel des Cysteins und Methionins, S. 67) z. T. der Oxidation zu Sulfatschwefel, der entweder als „aktives Sulfat" (PAPS) für Synthesen (Sulfatide, Chondroitinsulfat, Keratansulfat, Heparin u.a.) bzw. Konjugationsreaktionen (Steroidsulfate, Indoxylsulfat) Verwendung findet oder als anorganisches Sulfat in die Zirkulation gelangt und über die Niere ausgeschieden wird. Anorganisches Sulfat kann jedoch bei Bedarf von allen Organen in das „aktive Sulfat" übergeführt und in sulfatesterhaltige Verbindungen eingebaut werden. Ein anderer Weg des Aminosäureschwefels führt über Merkaptopyruvat zum Thiosulfat (S. 458) bzw. zu den Eisen-Schwefel-Proteinen (S. 261). Im Vollblut beträgt der Schwefelgehalt 2-5 mg/100 ml. Ein großer Teil befindet sich jedoch als Glutathion bzw. als Ergothionein in den Erythrozyten. Im Plasma liegt der Schwefel als Aminosäure-(Peptid-)Schwefel, als Estersulfatschwefel und
286
Mineralhaushalt
als anorganisches Sulfat vor. Die tägliche Schwefelausscheidung beträgt 0,6 bis l ,0 g (vorwiegend als anorganisches Sulfat bzw. Estersulfat). Ein Teil des anorganischen Sulfats im Blutplasma entstammt der Tätigkeit der Sulfatasen, die in allen Organen nachweisbar sind. Es sind Sulfatester-spaltende Enzyme mit teilweise ausgeprägter Substratspezifität. Es lassen sich Steroidsulfatasen, Arylsulfatasen und Polysaccharidsulfatasen (z. B. Chondroitinsulfat-Sulfatasen) unterscheiden.
9. Eisen Die Unentbehrlichkeit des Eisens für jede Form organischen Lebens beruht auf seiner Mitwirkung bei Elektronenübertragungsreaktionen (Atmungskette). Bei den höher entwickelten vielzelligen Lebewesen wird ferner die Fähigkeit des komplexgebundenen Eisens zur reversiblen Bindung molekularen Sauerstoffs ausgenutzt. Verteilung und Funktion des Eisens beim Menschen
Gesamtmenge
Hämoglobin Myoglobin Cytochrome Enzym-Eisen Transferrin Ferritin und Hämosiderin nicht identifiziert
Funktion
(g)
(%)
3,1 0,4 0,004 0,005 0,003 0,69
69 9 0,1 0,1 0,1 15
0,3
O2-Transport O 2 -Bindung und -Speicherung Elektronen-Transport Oxidationen u. a. Eisen-Transport im Serum Eisen-Resorption bzw. Speicherform Reserve-Eisen
7
Eisenbestand des menschlichen Organismus. Das Neugeborene enthält 200—300 mg Gesamtkörpereisen. Unter allmählicher Zunahme während des Wachstums erreicht der Eisenbestand beim Erwachsenen einen Wert von 3—5 g. Eisenresorption. Die in 24 Stdn. resorbierte Eisenmenge von l mg stellt etwa 10% des in der Nahrung enthaltenen Eisens dar. 2-wertiges Eisen wird besser resorbiert als 3-wertiges Eisen. Das von der Magenmucosa sezernierte Glykoprotein Gastroferrin fördert die Resorption des zweiwertigen Eisens im Duodenum. Gastroferrin (Molmasse 260 000) kann pro Molekül etwa 280 Eisenionen komplex binden. Die Resorption anorganischen Eisens, die beim Menschen vorwiegend im oberen Dünndarm erfolgt, wird ferner durch die gleichzeitige Anwesenheit verschiedener Substanzen wie z. B. Ascorbat, Succinat, Sorbitol oder Ethanol, aber auch durch endogene Faktoren (Anämie, Hypoxie, Gravidität u. a.) begünstigt. Andere Substanzen (Phosphate, Phytate) verhindern die Resorption. Es ist noch unklar, ob auch Eisen als Porphyrinkomplex resorbiert werden kann. Nach der Aufnahme in die Mucosazelle wird das Eisen durch energieabhängigen Transport an das Blut abgegeben. Eisen, das nicht unmittelbar ins Plasma übertritt, wird in der Zelle an Apoferritin gebunden, das in diesem Zustand als Ferritin be-
Eisen
287
zeichnet wird. Ferritin liegt in einer „Sackgasse" des Transportweges und übernimmt lediglich eine vorübergehende Speicherfunktion. Apoferritin besitzt eine Molmasse von 4,65-4,8 · l O5 und kann bis zu 25% seines Gewichtes an Eisen enthalten. Das Ferritin stellt eine Art Eiseneinschlußverbindung dar, in dem das 3 + wertige Eisen z. T. als Phosphat bzw. Hydroxyd vorliegt, z. T. aber an Sulfhydrylgruppen des Apoferritins gebunden ist. Schema der intestinalen Eisenresorption DARMLUMEN
MUCOSAZELLE
Nahrungs-Eisen (Fe 3+ ) 1 1 |Reduktion| Fe 2 + Eisenbindende Liganden
Zelluläre L iganden -*
Apo-Tra isferrin
j
, /
BLUT
Caeruloplasmin (Ferroxidase 1)
1
—^· e-one a te (l e )
'
^^ ] Apoferritin —
1
3+
Ferr ti (Fe )
11
Fe-Transf« rin (Fe3+)
Eisentransport im Blutserum. Nach Austritt des Eisens aus der Mucosazelle wird es im Blutplasma von dem eisenbindenden Trägerprotein des Blutplasmas, dem Transferrin (synonym Siderophilin), übernommen. Vor der Bindung an Transferrin wird Eisen im Serum durch das Caeruloplasmin (Ferroxidase I) zum dreiwertigen Eisen oxidiert. Die notwendige Mitwirkung des kupferhaltigen Caeruloplasmins bei der Überführung des Eisens in die Serumtransportform belegt die empirisch bekannte Beziehung zwischen Eisen- und Kupferstoffwechsel. Die Transferrinkonzentration beim Erwachsenen beträgt 0,24-0,28 g/100 ml Plasma. Die Gesamtmenge von 7-15 g Transferrin ist beim Menschen zu etwa gleichen Teilen auf Plasma und Extrazellulärraum verteilt. Transferrin hat eine Molmasse von 78000, wandert elektrophoretisch als ß r Globulin und bindet zwei Fe 3+ /Molekül (= 0,125 g Fe3+/100 g Protein). Der Eisentransferrinkomplex besitzt eine rosarote Farbe. Die Eisenkonzentration im Plasma bzw. Serum beträgt bei Männern 90-180 §, bei Frauen 70—150 g/100 ml. Das gesamte zirkulierende Eisen ist an Transferrin gebunden, doch wird hierfür nur etwa ' des Plasmatransferrins benötigt, % stehen als Transportreserve zur Verfügung und werden als latente Eisenbindungskapazität bezeichnet. Die Summe von Plasmaeisen und nicht eisengesättigtem Transferrin wird als totale Eisenbindungskapazität bezeichnet (normal 280-400 g Fe/100 ml Plasma) und ist in der Klinik für die Diagnose vieler Krankheiten (z. B. Hämochromatose oder Transfusionshämosiderose) von Interesse. Bildung des Funktionseisens. 70-90% des Transferrin-gebundenen Eisens werden für die Hämoglobinbiosynthese, der Rest wird für den Aufbau der eisenhaltigen Enzyme verwendet und wandert in die Eisendepots ab. Die Aufnahme des Eisens
288
Mineralhaushalt
in die Zellen der Organe und Gewebe erfolgt unter Mitwirkung von Zellmembrangebundenen Transferrinrezeptoren (Abb.), von denen es mehrere hundert pro Zelle gibt, und ist an die Bereitstellung von Energie gebunden. Während der Hämoglobinbiosynthese nimmt der basophile Erythroblast das meiste Eisen auf, jedoch ist auch der Retikulozyt noch dazu imstande. Ein Eisentransport findet auch durch die Plazenta in den fetalen Kreislauf statt. Schema des Transferrinrezeptors 2 identische über eine Disulfidbrücke verbundene Polypeptidketten sind über eine hydrophobe Domäne und zusätzlich durch 2 thioesterartig gebundene Palmitinsäurereste in der Membran verankert. Die Ektodomäne des Rezeptors kann 2 Transferrinmoleküle binden, von denen jedes mit zwei Fe 3+ -lonen beladen ist.
Heparansulfatketten Transferinmolekül Fe3+ -Ion extrazellulär Palmitinsäurerest in Thioesterbindung
m oii po, o oo···
ZELLMEMBRAN
intrazellulär
(PH KP
H 2 N NH 2
Eisenspeicherung. Das nicht unmittelbar als Funktionseisen benötigte Eisen wird als Ferritin bzw. Hämosiderin abgelagert. Diese Speicherform des Organeisens findet man vorwiegend im Leberparenchym und im retikuloendothelialen System. Das Ferritin besteht aus 24 identischen Peptidketten (Molmasse je 19 500), die zu einem pentagonalen Dodekaeder angeordnet sind und Mizellen von [(FeOOH)8 · (FeO:PO 3 H 2 )] enthalten. Hämosiderin ist ein hochmolekulares Ferritinaggregat mit zusätzlich als Fe(OH)3 gebundenem Eisen, dessen Eisengehalt etwa 35% beträgt. Von dem Gesamtspeichereisen (etwa 0,7 g) enthält die Leber 0,2-0,5 g. Ein Leberschaden kann sich in herabgesetzter Speicherkapazität und Anstieg des Serumeisenspiegels manifestieren. Ferritin im Blutserum. Obgleich Ferritin eine organgebundene Speicherform für Eisen darstellt, ist es auch im Plasma in einer Konzentration von 50-250 g/l nachweisbar. Da das Serum-Ferritin sich als zuverlässiger Parameter für den Sättigungsgrad der Eisenspeicher des Organismus erwiesen hat, ist der Ferritingehalt im Plasma ein Maßstab für die verfügbaren Eisendepots des Körpers und unabhängig vom Gehalt des Transferrin-gebundenen Plasmaeisens. Die Bestimmung des Ferritins erlaubt daher eine Differenzierung verschiedener Anämieformen. Eisenausscheidung. Dem erwachsenen Menschen gehen pro Tag durch Ausscheidung etwa 0,5-1 mg Eisen verloren. Resorption und Ausscheidung bilden also eine
Eisen
289
ausgeglichene Bilanz. Die Eisenausscheidung erfolgt über den Darm (hauptsächlich aus abgestoßenen Darmepithelzellen 500 g/Tag), mit dem Urin (100 g/Tag) und dem Schweiß (100 g/Tag). Bei jeder Blutung geht mit dem Hämoglobin Eisen verloren (l ml Blut enthält 0,5 mg Eisen). Die bei der Menstruation ausgeschiedene Eisenmenge wurde mit 10-30 mg Eisen/Monat bestimmt. Der Eisenverlust durch Gravität und Geburt beträgt etwa 500 mg, 0,5 mg gehen pro Tag durch Lactation verloren. Eine gesteigerte Eisenresorption (S. 286) sorgt in diesen Fällen für Ausgleich. Störungen des Eisenstoffwechsels. Da das Eisen im Organismus in sehr ökonomischer Weise immer wieder verwendet wird und auch die Ausscheidungsfähigkeit für Eisen beschränkt ist, tritt ein Eisenmangel nur sehr langsam ein. Bei negativer Eisenbilanz (Resorptionsstörungen, chronischen Blutungen) greift der Organismus auf seine Ferritin- und Hämosiderinreserven zurück, wobei ein Abbau der Eisenspeicher die Eisenresorption aus dem Darm stimuliert. Allerdings kann trotz normalen oder erhöhten Eisenbestandes nicht genügend Eisen zur Verfügung (z. B. für die Hämoglobinsynthese) stehen, wenn z. B. ein hereditärer Mangel an Transferrin vorliegt, oder wenn bei bestimmten entzündlichen Erkrankungen das Speichereisen nur ungenügend mobilisiert wird. Eine Eisentherapie wird durch perorale Gabe mit (komplexen) Eisensalzen durchgeführt. Eine parenterale Eisentherapie durch intravenöse Injektion ist nur zulässig, wenn feststeht, daß das Serum über eine ausreichende latente Eisenbindungskapazität verfügt. Bei der idiopathischen Hämochromatose führt eine ständig erhöhte Resorption (2-4 mg/Tag) zu einer allmählichen Akkumulation von Eisen, so daß im Alter von 40 Jahren der Gesamteisenbestand 20-40 g betragen kann (Eisenüberladung). Das Eisen wird als Hämosiderin abgelagert, als Folge der pathologischen Speicherung treten Gewebsschäden auf, die vor allem die Leber (Zirrhose), das Pankreas (Diabetes mellitus), weitere endokrine Organe und den Herzmuskel (Herzinsuffizienz) Eisenbestand und Eisenstoffwechsel im menschlichen Organismus l l = Eisenauslausch/Tag in mg Notwendige orale Eisenzufuhr (Nahrungseisen)
Intestinaltrakt
Ausscheidung mit Faeces
Eisenbestand in Erythrozyten: 2700mg
290
Mineralhaushalt
betreffen. In der Haut bildet sich eine charakteristische Bronzepigmentierung aus. Wichtige diagnostische Hinweise gibt das erhöhte Plasmaeisen (mehr als 200 ^ 100 ml) bei gleichzeitig verminderter oder völlig fehlender latenter Eisenbindungskapazität. Die Behandlung erfordert wöchentliche Aderlässe von je 500 ml, bei denen je 250 mg Fe entfernt werden. Eine Eisenüberladung tritt auch bei chronischem Alkoholismus, bei lang andauernder Eisentherapie und ständig wiederholten Bluttransfusionen ein. Wenn ionisiertes Eisen oral in einer Menge aufgenommen wird, die die Eisenbindungskapazität des Blutplasmas übersteigt, kommt es zur akuten Eisenvergiftung, die sich in Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufkollaps und Acidose äußert und in schweren Fällen unter Krämpfen auch zum Tod führt. Die akute Eisenvergiftung, die schon nach oraler Aufnahme von 3 g Eisensulfat eintreten kann, betrifft hauptsächlich Kinder in den ersten Lebensjahren; bei Erwachsenen ist sie selten. Ökonomie des Eisenstoffwechsels. Bei einer durchschnittlichen Lebensdauer der Erythrozyten (in denen fast 70% des Körpereisens enthalten sind) von 2—3 Monaten beträgt die tägliche Synthese- bzw. Abbaurate 8-9 g Hämoglobin. Das bedeutet, daß 25 mg Eisen/Tag benötigt bzw. gewonnen werden. Von dem beim Abbau freiwerdenden Hämoglobineisen werden 95% (=24 mg) erneut in einem eisenabhängigen Syntheseprozeß verwendet. Die Ökonomie des Eisenstoffwechsels bedingt, daß der Mensch von dem bei seiner Geburt vorhandenen Körpereisen einen Teil bis an sein Lebensende festhält.
10. Spurenelemente Kupfer. Das regelmäßige Vorkommen von Kupfer in allen Körperorganen und im Blut deutet auf wichtige Funktionen im Stoffwechsel hin, die jedoch nur teilweise bekannt sind. Kupfer ist Bestandteil verschiedener Enzyme oder für ihre Aktivität notwendig. Der Gesamtbestand des Kupfers beim Menschen beträgt 0,1—0,15 g. Der tägliche Bedarf des erwachsenen Menschen beträgt l —2 mg Kupfer, die über einen noch unbekannten Resorptionsmechanismus im oberen Dünndarm resorbiert werden. Die Serumkupferkonzentration beträgt etwa 90 g/100 ml, von denen 96% an das mit der a 2 -Globulinfraktion des Serums wandernde Caeruloplasmin fest gebunden sind, während 4% locker an das Serumalbumin assoziiert sind. Das Caeruloplasmin ist ein Protein mit einem Mol.-Gew. von 151 000 und bindet 8 Cu 2+ / mol (entsprechend einem Kupfergehalt von 0,34%). Das Kupfercaeruloplasmin hat eine blaue Farbe, es besitzt die enzymatische Aktivität einer Phenol-Oxidase (Ferroxidase I) (S. 287), die zu einer quantitativen Bestimmung ausgenutzt wird. Kupfer ist Bestandteil der Cytochromoxidase, der Katalase, Peroxidase, Tyrosinase, Monoaminoxidase, Protein-Lysin-6-Oxidase (S. 263) und der Ascorbinsäureoxidase (S. 263). In zahlreichen Organen ist Kupfer an Metallothionein gebunden (S. 292). Die kupferhaltige Superoxiddismutase (2 Cu 2+ /mol) der Erythrozyten setzt das bei der Autoxidation des Hämoglobins zu Methämoglobin entstehende Superradikal nach der Reaktion O2T + O 2 ^ + 2 H + » O2 + H 2 O 2
Spurenelemente
291
um. Der dabei entstehende Wasserstoffperoxid reagiert augenblicklich mit der Erythrozytenkatalase bzw. Peroxidase zu Q2 und H2O. Kupfer wird überwiegend mit der Galle, z. T. auch mit dem Urin und mit der Milch ausgeschieden. Zwischen dem Kupfer- und Eisenstoffwechsel bestehen insofern enge Beziehungen, als Kupfer die Resorption von Eisen aus dem Intestinaltrakt begünstigt und für die Hämoglobinsynthese notwendig ist. Bei Kupfermangel entwickelt sich eine hypochrome mikrozytäre Anämie, die nicht durch Eisengaben gebessert werden kann. Störungen des Kupferstoffwechsels. Bei der Wilsonschen Erkrankung ist die Bindung des Kupfers an das Serumcaeruloplasmin gestört und die Ausscheidung von Kupfer über die Galle stark erniedrigt. Das nicht an das Caeruloplasmin gebundene Kupfer reichert sich in den Organen an und wird vermehrt im Urin (normal 50 g/24 h) ausgeschieden. Der Serumkupferspiegel ist erniedrigt. Die bei der Wilsonschen Erkrankung positive Kupferbilanz führt zur Akkumulation des Kupfers, wobei besonders die Leber und der Linsenkern (Teil der Stammganglien) betroffen sind. Die gleichzeitig sich als Folge der Kupferablagerung entwickelnde bindegewebige Durchwachsung der Leber hat zu der Bezeichnung „Hepatolentikuläre Degeneration" geführt. Eine Therapie mit Caeruloplasmin bessert das Leiden nicht. Durch die Gabe kupferbindender Substanzen (z. B. D-Penicillamin) kann jedoch ein Teil des Organ-Kupfers wieder über die Niere zur Ausscheidung gebracht werden. Der Kupfergehalt des Serums ist erhöht bei Infektionen, Glomerulonephritis, Myocardinfarkt, Thyreotoxikose und bei Gabe von Estrogenen. Zink. Zink ist ein essentielles Spurenelement und für Wachstum und regelrechte Funktion des Stoffwechsels notwendig. Der Gesamtbestand des Menschen beträgt 4 g, der Bedarf 10-15 mg/Tag. Das Serumzink (100—120 g/100 ml) ist zu etwa 35% an Proteine gebunden. Zink ist in allen Organen in einer Konzentration von etwa 50 g/g Frischgewicht vorhanden und Bestandteil zahlreicher Enzyme wie z. B. der Alkohol-Dehydrogenase (l Zn/mol), der Glutamat-Dehydrogenase, der Uricase, der Nierenphosphatase, der Carboxypeptidase und der Erythrozyten-Kohlensäure-Dehydratase (Mol.Gew. 31 000), die l Zn 2+ /mol bindet. Der Zinkgehalt der Erythrozyten beträgt 0,7—1,3, der Leukozyten bis zu 30 mg/1012 Zellen. Hohe Zinkkonzentrationen (1000 g Zn/g Frischgewicht) wurden in den Inselzellen des Pankreas gefunden. Den höchsten, für tierische Gewebe überhaupt bekannten Zinkgehalt besitzt das Tapetum lucidum der Caniden, das Zinkcysteinmonohydrat in hoher Konzentration (30-50% des wasserfreien Gewebes) enthält. Im Tierexperiment verursacht Zinkmangel Haarausfall und Parakeratose (pellagraähnliche Dermatitis). Beim Menschen führt Zinkmangel zur Akrodermatitis enterohepatica, die vermutlich auf einem Defekt des enteralen Transportsystems für Zink beruht. Der Serumzinkgehalt ist auch bei Leberzirrhose und Infektionen erniedrigt. Bei der Leukämie enthalten die Leukozyten nur 10% ihrer normalen Zinkmenge. Mangan. Der menschliche Körper enthält etwa 10 —20mg Mangan, das sich auf alle Organe verteilt und innerhalb der Zelle in den Mitochondrien und im endoplasmatischen Retikulum angereichert ist. Mangan aktiviert die Glykosyltransferasen, die für die Synthese von Oligosacchariden, Glykoproteinen und Proteoglykanen verantwortlich sind. Ferner sind die Superoxiddismutase (S. 290), die Leberargi-
292
Mineralhaushalt
nase (S. 60), die saure Phosphatase (S. 413) und die Cholinesterase (S. 504) Mangan-abhängige Enzyme. Mangan wird über den Intestinaltrakt ähnlich wie Eisen resorbiert. Bei Eisenmangel ist die Manganresorption aus dem Intestinaltrakt erhöht, umgekehrt kann die Aufnahme von Mangan durch Eisen kompetitiv gehemmt werden. Cobalt. Die einzige bekannte Funktion des Cobalts ist seine Beteiligung am Aufbau des Cobalamins (Vitamin Bi 2 ). Die Gesamtmenge des Cobalts im menschlichen Körper wird auf l —2 mg geschätzt. In vitro hemmt Cobalt die Cytochrom-Oxidase und Succinat-Dehydrogenase. Im Tierversuch kann es bei intravenöser Zufuhr zu einer selektiven Zerstörung der -Zellen des Pankreas, in geringeren Dosen zu einer überschießenden Bildung der Blutzellen (Polyzythämie) führen. Die Resorption des Eisens aus dem Intestinaltrakt wird durch Cobalt gefördert. Molybdän. Molybdän ist essentieller Bestandteil bestimmter Flavoproteine, wie z.B. der Xanthinoxidase (S. 130), der Nitritreduktase, der Sulfitoxidase und der Aldehydoxidase. Aus dem Intestinaltrakt wird das wasserlösliche sechswertige Molybdän rasch resorbiert. Selen. Selen ist integraler Bestandteil der Glutathionperoxidase (S. 264), die als intrazelluläres Antioxidans eine ähnlich wichtige Rolle wie das -Tokopherol (S. 398) spielt und auch den Vitamin -sparenden Effekt des Selens erklärt. Genaue Angaben über den Bedarf an Selen liegen noch nicht vor. Selenvergiftungen, die in der Selen-verarbeitenden Industrie (Halbleiterelemente, Glas, Farben) beobachtet wurden, sind durch Ausscheidung von Dimethylselenid mit der Atmungsluft (Knoblauchgeruch!) gekennzeichnet (Selenocystein S. 264). Weitere Spurenelemente. lod ist als Spurenelement für die Biosynthese der Schilddrüsenhormone (S. 318) essentiell. Mit empfindlichen Nachweismethoden (wie durch Neutronenaktivierung) lassen sich vor allem im Blut zahlreiche weitere Spurenelemente nachweisen, unter denen Chrom, Barium, Strontium, Arsen und Fluor möglicherweise Bedeutung als Biokatalysatoren besitzen, jedoch auch Cadmium, Aluminium, Gold, Quecksilber, Rubidium und Zinn gefunden wurden. Im Stoffwechsel der Schwermetalle spielt das Metallothionein eine wichtige Rolle. Die ungewöhnlichen Eigenschaften des Metallothioneins sind gekennzeichnet durch seinen hohen Cysteingehalt (33%) und die damit zusammenhängende Fähigkeit zur Bindung von verschiedenen Schwermetallen (7 g-Atome/mol Protein), die mit den Sulfhydrylgruppen der Cysteinreste Merkaptide bilden. Durch Bindung von Cu und Zn an Metallothionein können sich die Zellen ein Reservoir an lebenswichtigen Schwermetallen anlegen. Umgekehrt können für den menschlichen Organismus toxische Schwermetalle wie z. B. Quecksilber oder Cadmium durch Metallothionein unschädlich gebunden werden. Fluor. Der Fluorbestand des erwachsenen menschlichen Organismus beträgt ~ 20 g. Davon sind > 95% als Fluorapatit im Skelettsystem und den Zähnen vorhanden, die 10—70 mg F/100 g Trockensubstanz enthalten. Die besondere funktionelle Bedeutung des Fluorids für die Zähne ergibt sich daraus, daß die Apatitkristalle der Zahnhartsubstanz (3 Ca3(PO4)2 · Ca(OH)2) einen Teil ihrer Hydroxylionen gegen Fluorid austauschen und damit die Härte des Zahnminerals und seine Resistenz gegen Karies zunehmen. Optimale Kariesresistenz wird bei einem Fluoridgehalt von l mg/Liter Trinkwasser erreicht (S. 521). Bis zu einer täglichen Fluo-
Spurenelemente
293
ridaufnahme von ~ 10 mg (6 mg F~/l Wasser) ist die Fluoridbilanz des menschlichen Organismus ausgeglichen, da Überschüsse rasch über die Niere eliminiert werden. Überhöhte Fluoridzufuhr während der Zahnentwicklung (bis zum 10. Lebensjahr) kann die Schmelzbildung beeinträchtigen und zur Zahnfluorose führen (fleckförmige gelb-braune Verfärbung der Zähne). Die Resorption von Fluorid im Intestinaltrakt wird durch die Anwesenheit von Calciumionen beeinflußt. Hoher Calciumgehalt der Nahrung verhindert die Fluoridaufnahme durch Bindung des schwerlöslichen und schlecht resorbierbaren CaF->.
B. Stoffwechselregulation I. Prinzipien der Stoffwechselregulation II. Hormone III. Vitamine
I. Prinzipien der Stoffwechselregulation
1. Selbstregulation durch Rückkopplung Die lebende Zelle steht in ständigem Materie-, Energie- und Informationsaustausch mit ihrer Umwelt, stellt also ein in einem dynamischen Gleichgewicht befindliches „offenes System" dar. Solche Gleichgewichte werden „Fließgleichgewichte" genannt (S. 15). Die Aufrechterhaltung des Fließgleichgewichtes und seine Konstanz gegenüber Störeinflüssen werden durch ständige Kontrolle und Korrektur der beteiligten Zustandsgrößen erreicht. Hierbei macht die Zelle von dem Prinzip der Selbstregulierung durch Rückkopplung in weitem Umfang Gebrauch. Die Tendenz lebender Organismen, die zelluläre und extrazelluläre Konzentration von Stoffwechselzwischenprodukten bzw. Substraten und Endprodukten des Stoffwechsels annähernd konstant zu halten, wird als Homöostase bezeichnet. Die Selbstregelung durch Rückkopplung ist ein Grundprinzip aller lebenden Systeme. Sie setzt einen geschlossenen Kausalkreis (Regelkreis) voraus, in dem die beteiligten Elemente auf sich selbst zurückwirken. Der Begriff des Regelkreises ist der Technik entlehnt, seine Anwendung auf biologische Systeme hat sich jedoch als außerordentlich nützlich erwiesen. Bei der negativen Rückkopplung (Rückkopplungshemmung) wird dasjenige Enzym, das die erste Reaktion eines mehrstufigen Stoffwechselweges katalysiert, durch das Endprodukt (oder ein Zwischenprodukt) des Stoffwechselweges gehemmt. Prinzip der Rückkopplungshemmung von Stoffwechselwegen E = Enzym;
-D = Zwischenprodukte;
A
1 I
E3
E2
E, tar
" R
Z = Endprodukt des Stoffwechselweges
M ** v.
^ L> ·"
^ ·* 7 L
Das gehemmte Enzym ist meist ein allosterisches Enzym und häufig geschwindigkeitsbestimmend für den Ablauf der Gesamtreaktion (Schrittmacherenzym). Beispiele sind die Hemmung der -Aminolävulinsäure-Synthase durch Häm oder Hemmung der Carbamyl-Synthetase I durch CTP. Die positive Rückkopplung dient der Erhaltung und Vermehrung von Kettenund Kreisreaktionen. Der Citratzyklus, dessen Endprodukt Oxalacetat die Voraussetzung für die Bildung des Anfangsgliedes ist, ist ein Beispiel dafür. Die Bildung und Ausschüttung der Hormone werden über eine positive oder negative Rückkopplung kontrolliert. Dabei wirken zum Teil durch die von den Hormonen ausgelösten Stoffwechseleffekte und zum Teil die Hormone selbst oder ihre Konjugations- bzw. Abbauprodukte als Regelgrößen.
298
Prinzipien der Stoffwechselregulation
2. Kontrolle der Genexpression durch Induktion und Repression Die Aktivität eines Gens, d. h. der Prozeß der Transkription bzw. Translation kann im Sinne einer Steigerung oder Drosselung der Genaktivität reguliert werden. Weit verbreitete, hochspezifische Regulationsmechanismen sind die Phänomene der Induktion und Repression. Als Induktoren bezeichnet man Substanzen, die in der Lage sind, durch Genaktivierung die Synthese bestimmter Proteine (Enzyme) auszulösen oder ihre Syntheserate zu steigern. Umgekehrt führen Repressoren zu einer Unterdrückung der Genaktivität und damit zu einer Synthesehemmung der betreffenden Proteine (Enzyme). Weitgehende Stoffwechselumschaltungen können die Folge sein. Induktion und Repression sind am Lactosesystem von E. coli besonders gut untersucht (Kap. Nucleinsäuren, S. 110). Auch bei höheren Tieren ist die Induktion bekannt. Führt man der Ratte z. B. L-Tryptophan zu, so läßt sich ein Anstieg der Tryptophan-Pyrrolase in der Leber feststellen. Auch die Konzentration der Leber-Arginase ist mit der Menge des mit der Nahrung zugeführten Proteins korreliert. Weitere Beispiele für eine Induktion sind die vermehrte Synthese der Adenin-Desaminase durch Adenin oder der Xanthin-Oxidase durch Xanthin. In eukaryotischen Zellen wird eine Induktion durch Reaktion eines Induktorproteins mit „Enhancer-Sequenzen" des betreffenden Gens (S. 112) eingeleitet. Die dadurch ausgelöste Signalkette verläuft über eine partielle Auflösung der benachbarten Nucleosome, Freisetzung der TATA-Box und der Transkriptionsinitiationsstelle, die die spezifische RNA-Polymerase bindet und schließlich die Synthese der proteinspezifischen prä-mRNA in Gang setzt, die über die ribosomale Translation das induzierte Protein bereitstellt, Hormonelle Kontrolle der Genaktivität. Zahlreiche Hormone entfalten ihre Wirkung oder einen Teil ihrer Wirkung über eine Induktion oder Repression der Synthese von Enzymen. Die Steigerung der Aktivität von Enzymen der Gluconeogenese durch Glucocorticoide oder die Induktion der Synthese von Glucokinase durch Insulin (S. 166) sind Beispiele.
3. Allosterische Regulation Während die Regulation des Stoffwechsels durch unterschiedliche Genaktivität nach dem Prinzip der Steigerung (Induktion) oder Hemmung (Repression) der Synthese eines Enzyms arbeitet, vollzieht sich die allosterische Regulation durch Beeinflussung der Aktivität bereits vorhandener Enzyme. Sie beruht darauf, daß Metabolite (Zwischen- oder Endprodukte) eines Stoffwechselweges oder Coenzyme reversibel an das Enzym gebunden werden und dadurch dessen Aktivität steigern oder hemmen. Das Phänomen der allosterischen Aktivierung bzw. Hemmung läßt sich aus folgenden Eigenschaften allosterischer Enzyme erklären: 1. Allosterische Enzyme können aus zwei oder mehr identischen Untereinheiten (Protomeren) bestehen, die miteinander zu einem Oligomeren assozieren. In diesem Fall besitzt jede Proteinuntereinheit ein Zentrum für die Bindung des Substrates (akti-
Allosterische Regulation
299
ves Zentrum) und ein Zentrum für die Bindung eines allosterischen Regulators (allosterisches Zentrum). Der Regulator kann ein Aktivator oder Inhibitor des Enzyms sein. Ein allosterisches Enzym kann jedoch auch aus verschiedenen Untereinheiten zusammengesetzt sein, von denen ein Teil katalytische, ein anderer Teil dagegen lediglich regulatorische Funktionen aufweist. 2. Allosterische Proteine können in mindestens zwei reversibel ineinander überführbaren Konformationcn existieren, wobei die Affinität für das Substrat und/oder den Regulator sich beim Übergang von der einen in die andere Form ändert. Die Bindung des Regulators an das allosterische Zentrum führt zur Konformationsänderung des aktiven Zentrums. Die Folge ist eine Aktivitätsänderung des Enzyms. 3. Der Übergang von der inaktiven zur katalytisch aktiven Konformation kann entweder kooperativ für alle Enzymuntereinheiten nach einem „Alles oder Nichts"Gesetz ablaufen, wobei in Anwesenheit des allosterischen Effektors (Aktivators) die Enzymmoleküle vorzugsweise in der aktiven Konformation vorliegen, oder der Übergang zur enzymaktiven Konformation erfolgt für die einzelnen Enzymuntereinheiten unabhängig voneinander, wobei die Konformationsänderung durch Bindung des allosterischen Aktivators erst induziert werden muß. Die induzierte Konformationsänderung einer Untereinheit beeinflußt dann das Verhalten der benachbarten Untereinheit und bewirkt dadurch ebenfalls kooperatives Bindungsverhalten. Der Aktivator kann nur in einer der beiden Konformationsformen — in diesem Fall in der aktiven — gebunden werden. Für beide Fälle, die als idealisierte Grenzfälle angesehen werden müssen, sind Beispiele bekannt. 4. Allosterische Enzyme zeigen eine von anderen Enzymen abweichende Kinetik. Trägt man auf ein Diagramm die Reaktionsgeschwindigkeit gegen die Substratkonzentration auf, so erhält man eine sigmoid verlaufende Sättigungskurve, die sich in Gegenwart eines allosterischen Inhibitors oder allosterischen Aktivators in charakteristischer Weise verschiebt (Abb.). Da unter diesen Bedingungen auch die doppelt reziproke Auftragung l/v gegen 1/[S] (S. 20) keine Gerade ergibt, ist eine graphische Ermittlung der Michaelis-Konstanten nicht direkt möglich. Unter der Voraussetzung, daß die Bindung eines Substrat- bzw. Effektormoleküls an eine der Proteinuntereinheiten des Enzymmoleküls die Affinität der übrigen Untereinheiten für weitere Substrat- bzw. Effektormoleküle erhöht (induzierte Konformationsänderung), läßt sich der Verlauf der Substratbindungskurve jedoch durch folgende Gleichung beschreiben v V-v
=
[S]11 K'
V = Maximale Reaktionsgeschwindigkeit v = Reaktionsgeschwindigkeit bei der Substratkonzentration [S] n = Zahl der Substrat- bzw. EfTektorbindungsstellen mit Wechselwirkung untereinander K'= Michaelis-Konstante
Die Gleichung wird als „Hill-Gleichung" bezeichnet, da sie der von Brown und Hill für die (ebenfalls sigmoide) Sauerstoffsättigungskurve des Hämoglobins aufgestellten Gleichung analog ist. 5. Allosterische Enzyme, die unter dem Einfluß eines positiven oder negativen Regulators mit Änderung der Michaelis-Konstanten, jedoch ohne Änderung der Ma-
300
Prinzipien der Stoffwechselregulation
ximalgeschwindigkeit reagieren, werden als „K-Typ" bezeichnet. Dies trifft z. B. für die Isocitrat-Dehydrogenase zu, bei der der allosterische Aktivator (ADP) die Michaelis-Konstante in Richtung auf kleinere Werte, der allosterische Inhibitor (ATP) dagegen in Richtung auf höhere Werte verschiebt. Auch bei der Phosphofructokinase, bei der Citrat als allosterischer Inhibitor wirkt, kommt es in Gegenwart von Citrat zu einer Erhöhung des Km-Werts. Bei der Aspartat-Transcarbamylase (Abb.) sind ATP und GTP allosterische Modulatoren (Abb.). Der sehr viel seltenere „M-Typ" eines allosterischen Enzyms liegt dagegen vor, wenn eine Änderung der Maximalgeschwindigkeit ohne gleichzeitige Änderung der Michaelis-Konstanten eintritt. Dies trifft z. B. für die Pyruvat-Carboxylase zu, bei der Acetyl-CoA als allosterischer Aktivator wirkt und konzentrationsabhängig die Maximalgeschwindigkeit des Enzyms, nicht jedoch die Michaelis-Konstante verändert. Die Aspartat-Transcarbamylase unterliegt einer allosterischen Regulation durch CTP (S. 301). Sie besteht aus insgesamt 12 Untereinheiten (Molmasse 300000), von denen 6 ein katalytisches und 6 ein allosterisches (regulatorisches) Zentrum besitzen. Die sigmoide Kurve der Reaktionsgeschwindigkeit allosterischer Enzyme bietet den regeltechnischen Vorteil des Schwellenwertes. Eine Regulierung der Enzymaktivität wird somit schon durch geringe Änderungen der Substratkonzentration möglich.
Allosterische Modulation der Aspartat-Transcarbamylase (A) Allosterische Aktivierung in Gegenwart von ATP (B) Natives Enzym in Abwesenheit allosterischer Effektoren: sigmoide Kinetik (C) Allosterische Hemmung in Gegenwart von CTP: geringe Affinität des Enzyms zum Substrat bei sigmoider Kinetik 5,0
4,0c
>
3,0-
)
c g S ca
CD DC
2,0-
1 1.0
2,5
5,0
7,5
10,0 3
[Aspartat] Mol 10
12,5
15,0
Regulation durch Metabolitkonzentrationen
301
Beispiele für die allosterische Hemmung und Aktivierung von Enzymen
Reaktionskette Pyrimidinbiosynthese Purinbiosynthese Glykogenabbau Glykolyse Fettsäuresynthese Citratzyklus
gehemmtes Enzym Aspartat-Transcarbamylase Glutaminphosphoribosylpyrophosphat-Amidotransferase Phosphorylase b Phosphofructokinase Acetyl-CoA-Carboxylase Isocitrat-Dehydrogenase
Reaktionskette
aktiviertes Enzym
Pyrimidinbiosynthese Glykogensynthese Glykogenabbau Gluconeogenese Glykolyse Citratzyklus Fettsäuresynthese
Aspartat-Transcarbamylase Glykogen-Synthetase (D-Form) Phosphorylase a Pyruvat-Carboxylase Phosphofructokinase Isocitrat-Dehydrogenase Acetyl-CoA-Carboxylase
allosterischer Inhibitor CTP IMP (ATP, ADP)
Glucose-6-phosphat, ATP Citrat, ATP Acyl-CoA ATP allosterischer Aktivator ATP Glucose-6-phosphat ADP Acetyl-CoA ADP, cAMP, Citrat ADP Citrat
Die in der Tabelle zusammengestellten Beispiele sind auch in den entsprechenden Kapiteln erwähnt. Die beiden vorangehenden Abschnitte zeigen, daß die Regulation von Enzymwirkungen durch genetische Rückkopplung (Änderung der Syntheserate des Enzyms) oder durch allosterische Regulation (Änderung der Aktivität des Enzyms) erfolgen kann. Beide Kontrollmechanismen schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus. Bei der Porphyrinbiosynthese hat z. B. das Endprodukt der Synthese — das Häm — gleichzeitig die Funktion eines Repressers und allosterischen Inhibitors der -Aminplävulinsäure-Synthetase (S. 234). Die Änderung der Aktivität eines einzelnen Enzyms hat direkte Auswirkungen auf den Stoffumsatz der Zelle, wenn es „Sdirittmacherenzym" einer Reaktionskette oder Kreisreaktion ist. Es ist einzusehen, daß solche Enzyme den Stoffumsatz ganzer Reaktionsketten beeinflussen können, wenn die durch sie katalysierte Reaktion die geringste Reaktionsgeschwindigkeit aufweist, also den „geschwindigkeitsbestimmenden Schritt" darstellt. Da Schrittmacherenzyme häufig im Zustand der Substratsättigung arbeiten, kann eine Veränderung der Reaktionsgeschwindigkeit meist nicht durch Änderung der Substratkonzentration, sondern nur durch Änderung der Enzymaktivität herbeigeführt werden. Die Kapitel Stoffe und Stoffwechsel enthalten zahlreiche Beispiele für Schrittmacherenzyme. 4. Regulation durch Metabolitkonzentrationen Begrenzende Substrat- und Coenzymkonzentrationen. Unter sonst optimalen Bedingungen hängt die Aktivität eines Enzyms im Bereich unterhalb der Substratsättigung von der Konzentration des angebotenen Substrates ab. Da die MichaelisKonstanten der meisten Enzyme mit Werten zwischen 10"2 bis 10~ 9 mol/1 in der gleichen Größenordnung wie die Konzentration der Metabolie des Zellstoffwech-
302
Prinzipien der Stoffwechselregulation
sels (10~ 2 bis 10~ 7 mol/1) liegen, wird die Geschwindigkeit des Umsatzes in vielen Fällen durch die Konzentration des Substrates bestimmt. Mit steigender Substratkonzentration nimmt bei einem Enzym mit hyperboler Kinetik die Reaktionsgeschwindigkeit bis zum Erreichen der Substratsättigung zu. Ist die Substratsättigung kleiner als der Km-Wert, weist das Enzym die größte Empfindlichkeit auf, da es in diesem Bereich auf Änderung der Substratkonzentration mit größtmöglicher Änderung der Geschwindigkeit reagiert. Dies ist für alle Enzyme unter in vivo-Bedingungen der Fall, bei denen die zelluläre Substratkonzentration zwischen 0,05 Km und l K m liegt. Die Glucokinaseaktivität kann durch Änderung der Glucosekonzentration verändert werden, da der Km-Wert der Glucokinase 15 mol/1 beträgt und die normale Glucosekonzentration des Pfortaderblutes in der Größenordnung von 4 mol/1 liegt. Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit kann im Pfortaderblut die Glucosekonzentration auf 25 mol/1 ansteigen. Da diese Glucosekonzentration noch in der Größenordnung des Km-Wertes der Glucokinase liegt, wird die Aktivität der Glucokinase durch das erhöhte Substratangebot deutlich gesteigert. Diese Regulation ist Teil der Blutzuckerhomöostase. Die Anpassung des Sauerstoffverbrauchs in der Atmungskette an die mitochondriale ADP-Konzentration ist ein typisches Beispiel für die Regulation durch die Konzentration eines Metaboliten. Hoher ATP-Verbrauch und entsprechender Anstieg der ADP-Konzentration im Mitochondrium führen zur Steigerung der Atmungskettenphosphorylierung (ADP + (P) > ATP) und des Sauerstoffverbrauchs. Da Substrate und Coenzyme innerhalb der Zellkompartimente jedoch nicht frei austauschbar sind, ist ihre Konzentration in den einzelnen Zellräumen meist unterschiedlich. Dies gestattet auch eine getrennte Regulation der in den verschiedenen Zellkompartimenten ablaufenden Reaktionsketten. Kompetitive Produkthemmung von Enzymen. Bei der Produkthemmung verbindet sich das Produkt einer enzymatischen Reaktion mit dem aktiven Zentrum des Enzyms, d. h. daß die Affinität des Reaktionsproduktes zum Enzym im Vergleich zur Affinität des Substrates meßbar ins Gewicht fällt. Es resultiert eine kompetitive Hemmung (S. 27). Das Reaktionsprodukt kann jedoch auch mit dem allosterischen Zentrum des Enzyms reagieren und zu einer Konformationsänderung des Proteins (allosterische Hemmung) führen. Auch die Produkthemmung einer enzymatischen Reaktion wirkt im Sinne einer Selbstregulation, da ein Anstau des Reaktionsproduktes die Reaktion so lange verlangsamt oder blockiert, bis die Konzentration des Reaktionsproduktes durch Verbrauch oder Abtransport wieder auf den Wert des stationären Zustandes gesunken ist. Beispiele für die kompetitive Produkthemmung enzymatischer Reaktionen
gehemmtes Enzym Hexokinase ATP-Phosphatase NAD-Glykohydrolase Glucose-6-phosphatDehydrogenase
hemmendes Reaktionsprodukt Glucose-6-phosphat ADP Nicotinsäureamid NADPH
Kompetition mit
ATP ATP NAD NADP
Enzymkaskaden
303
5. Enzymkonkurrenz Konkurrenz zweier oder mehrerer Enzyme um ein Substrat. Eine Regulation des Stoffwechsels ist auch dadurch möglich, daß einem Substrat verschiedene alternative Wege im Stoffwechsel offenstehen. Dies ist dann der Fall, wenn mehrere Enzyme das gleiche Substrat (aber zu verschiedenen Reaktionsprodukten) umsetzen können. Welches der möglichen Enzyme das Substrat schließlich umsetzt, hängt von den Michaelis-Konstanten und den Maximalgeschwindigkeiten, unter Umständen auch von dem Bedarf an Cofaktoren und schließlich auch von der intrazellulären Lokalisation des Enzyms und dem Verteilungsraum des Substrates innerhalb der Zelle ab. Solche Enzymkonkurrenzen, die an Verzweigungsstellen des Stoffwechsels auftreten, wirken durch Änderung der Substratverteilung auf die verschiedenen Stoffwechselwege. Beispiele für Konkurrenz zweier oder mehrerer Enzyme um ein Substrat
Substrat
Konkurrierende Enzyme
Glucose-6-phosphat
Phosphogluco-Mutase Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase Glucose-6-Phosphatase Glucose-6-phosphat-lsomerase UDP-Glucose-Dehydrogenase Glykogen-Synthase Acetyl-CoA-Carboxylase Glucosamin-6-phosphat-Acetylase Citrat-Synthetase Lactat-Dehydrogenase Pyruvat-Dehydrogenase Pyruvat-Carboxylase
UDP-Glucose Acetyl-CoA
Pyruvat
6. Enzymkaskaden Sind in einer Reaktionskette mehrere Enzyme hintereinander geschaltet, von denen das vorangehende das nachfolgende Enzym jeweils aktiviert, entsteht eine enzymatische Kaskade, die zu einer hohen Verstärkung des auslösenden Signals führt. Beispiel ist die am Glykogenabbau beteiligte Phosphorylase a, die über das auslösende Signal (Adrenalin) und 3 enzymatisch katalysierte Kontrollstufen aktiviert wird (S. 175). Das Adrenalinsignal wird auf jeder Stufe verstärkt (Amplifikation) und bleibt auch dann noch wirksam, wenn das unter Wirkung des Adrenalins gebildete cAMP schon wieder abgebaut worden ist (Hysteresiseffekt). Weitere Beispiele sind die Glykogensynthese, bei der 2 enzymatisch katalysierte Kontrollstufen zur Aktivierung der Glykogen-Synthase führen (S. 175) und die Blutgerinnungskaskade, die unter Beteiligung hintereinander geschalteter proteolytischer Enzyme schließlich zur Bildung des Fibrins führt (S. 445).
304
Prinzipien der StofTwechselregulation
7. Enzymaktivitätsänderung durch chemische Modifizierung Die Änderung der Aktivität eines Enzyms kann auch durch Einführung oder Entfernung einer kovalent gebundenen Gruppe (Phosphat-, Adenyl-, ADP-Ribosylrest) oder durch eine andere chemische Veränderung (Oxidation bzw. Reduktion von Thiolgruppen des Enzymproteins) erfolgen. Die Tabelle gibt einige Beispiele. Die zur Aktivierung oder Hemmung eines Enzymproteins führende chemische Modifikation wird jeweils durch spezifische Enzyme katalysiert. Für die Überführung eines Enzymproteins von einer aktiven in eine inaktive Form (oder umgekehrt) werden also jeweils 2 weitere Enzyme benötigt. So wird z. B. die Phosphorylierung eines Enzyms durch eine Protein-Kinase, die Dephosphorylierung durch eine Protein-Phosphatase katalysiert. Bestimmte bakterielle Toxine (z. B. Cholera, Pertussis) sind in der Lage, die ADP-Ribosylgruppe des NAD covalent an die -Untereinheit von G-Proteinen zu koppeln. Diese Toxin-katalysierte ADP-Ribosylierung verhindert die Hydrolyse des GTP zu GDP und resultiert in einer Daueraktivierung des Effektor-Enzyms. So kann das Choleratoxin durch ADP-Ribosylierung der -Untereinheit des GProteins zu einer Daueraktivierung der Adenyl-Cyclase mit Anstieg der intrazellulären cAMP-Konzentration um mehr als das Hundertfache führen. Da cAMP in den Dünndarmepithelien über Protein-Kinasen Chloridkanäle der apikalen Plasma-
Enzymaktivitätsänderung durch chemische Modifizierung Enzym Kohlenhydratstoffwechsel Glykogen-Phosphorylase (a/b) Phosphorylase b-Kinase Glykogen-Synthase Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex Fructose-1,6-Bisphosphatase Lipidstoffwechsel Acetyl-CoA-Carboxylase Acyl-CoA-GlycerolphosphatAcyltransferase Hormon-sensitive Lipase Weitere Enzyme Glutamin-Synthetase* Translocase (Aminoacyl-Transferase) Pyruvat-Lyase* (Pyruvat-CoA) —> Acetyl-CoA + Formiat) Xanthin-Oxidase
Enzym aus E. coli.
Mechanismus der Veränderung des Enzymproteins
Art der Aktivitätsänderung
Phosphorylierung/Dephosphorylierung Phosphorylierung/Dephosphorylierung Phosphorylierung/Dephosphorylierung Phosphorylierung/Dephosphorylierung Phosphorylierung/Dephosphorylierung
Zunahme/Abnahme Zunahme/Abnahme Abnahme/Zunahme Abnahme/Zunahme Abnahme/Zunahme
Phosphorylierung/Dephosphorylierung Phosphorylierung/Dephosphorylierung
Abnahme/Zunahme Abnahme/Zunahme
Phosphorylierung/Dephosphorylierung
Abnahme/Zunahme
Adenylierung/Desadenylierung Anheftung bzw. Entfernung eines ADP-Ribosylrestes Reduktion bzw. Oxidation von SH-Gruppen Reduktion bzw. Oxidation von SH-Gruppen
Abnahme/Zunahme inaktiv/aktiv inaktiv/aktiv Dehydrogenase-/ Oxidase-Aktivität
Limitierte Proteolyse
305
membran reguliert, resultiert eine massive Cl -Sekretion in das Darmlumen, die in Verbindung mit dem gleichzeitigen Na' 1 "- und Wasserverlust zu einer massiven Diarrhöe führt.
8. Limitierte Proteolyse Wird ein Enzym durch limitierten proteolytischen Abbau aus der enzyminaktiven Form (Proenzym) in das aktive Enzym übergeführt (S. 26), kann auch die Geschwindigkeit des proteolytischen Abbaus die Enzymaktivität regulieren.
II. Hormone 1. Einführung Hormone sind Regulationsstoffe (Wirkstoffe), die vom Organismus selbst - oft in anatomisch abgegrenzten sog. endokrinen Organen - produziert werden, auf dem Blutwege ein oder mehrere Erfolgsorgane erreichen und deren Stoffwechsel in charakteristischer Weise beeinflussen. Für die Wirkung eines Hormons sind nur sehr geringe Konzentrationen (meist < 10~8 mol/1) notwendig, die je nach Molmasse < l g bis einige mg betragen. Klassifizierung. Eine Klassifizierung der Hormone ist schwierig, da weder ihre Bildung auf bestimmte Organe beschränkt ist, noch der Hormonbegriff mit genügender Schärfe von dem des endogenen Wirkstoffes zu trennen ist. Eine Aufteilung, wie sie die nachfolgende Zusammenstellung gibt, entspricht einem häufig verwendeten Einteilungsprinzip. Klassifizierung von Hormonen
Neurosekretorische Hormone des Hypothalamus (Releasing Hormone, Liberine, Release Inhibiting Hormone) und der Neurohypophyse Produktion im Hypothalamus bzw. Neurohypophyse Bildungsort und Wirkungsort voneinander entfernt Wirkung auf Hypophysenvorderlappen (Liberine) bzw. Organe (Neurohypophyse) 2. Glandotrope (adenotrope) Hormone Produktion im Hypophysenvorderlappen bzw. Plazenta Bildungsort und Wirkungsort voneinander entfernt Wirkung auf endokrine Organe Beispiele: ACTH, TSH, FSH, LH, ICSH, CG 3. Glanduläre Hormone Produktion in endokrinen Organen (Hypophysenvorderlappen, Nebenniere, Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Pankreas, Testes, Ovar, Plazenta, Zirbeldrüse, Thymus) Bildungsort und Wirkungsort voneinander entfernt Wirkung auf Erfolgsorgane
4. Gewebshormone Produktion vorwiegend im Intestinaltrakt (Magen, Dünndarm) Bildungsort und Wirkungsort in der Nähe oder entfernt Beispiele: Gastrin, Pankreozymin, Sekretin, GIP, VIP 5. Mediatorstoffe Produktion in Organen oder im Blutplasma Bildungsort und Wirkungsort in der Nähe oder entfernt Beispiele: Angiotensinogen, Angiotensin, Kinine, Histamin, Serotonin, Prostaglandine, Leukotriene, Neurotransmitter, Wachstumsfaktoren, Lymphokine, Cytokine
Hormonwirkung durch „Zweite Boten" („Second Messenger")
307
Eine Klassifizierung der Hormone nach ihrer chemischen Struktur ergibt eine Unterteilung in 1. Steroidhormone, 2. von Aminosäuren oder Fettsäuren abgeleitete Hormone und 3. Peptid- oder Proteohormone. Beziehungen zwischen chemischer Struktur und Stoffwechselwirkung lassen sich jedoch bei dieser Einteilung nicht herstellen. Weitere Klassifikationsmöglichkeiten ergeben sich aus dem Wirkungsmechanismus (S. 315) bzw. der Funktion der Hormone (S. 317). Wirkungsweise. Aufschlüsse über die Wirkungsweise eines Hormons lassen sich entweder durch die Beobachtung der Veränderung im Stoffwechsel enthalten, die nach Entfernung der hormonproduzierenden Drüse auftreten, oder aber durch Untersuchung der biologischen Wirkungen nach Zufuhr exzessiver Mengen eines Hormons, wie sie bei physiologischer Überproduktion oder unter experimentellen Bedingungen nach Zufuhr des isolierten Hormons beobachtet werden. Solche Untersuchungen haben gezeigt, daß viele Hormone charakteristische Erfolgsorgane besitzen (z. B. Sexualhormone). Die Organspezifität der Hormone beruht auf der Existenz hormonspezifischer Rezeptoren, die nur von denjenigen Organzellen exprimiert werden, deren Stoffwechsel durch das Hormon kontrolliert wird. Die spezifische Wirkung von Hormonen wird durch folgende Faktoren reguliert: • Biosynthese des Hormons und Abgabe aus dem endokrinen Organ bzw. der synthetisierenden Zelle • Verfügbarkeit von Transportsystemen im Blutplasma • Expression von Hormonrezeptoren an der Plasmamembran oder im Cytosol des Erfolgsorgans bzw. der Zielzelle • Geschwindigkeit des Abbaus und/oder der Ausscheidung des Hormons
2. Hormonwirkung durch „Zweite Boten" („Second Messenger") Die Regulation von Stoffwechselprozessen durch ein Hormon wird durch seine Bindung an einen hormonspezifischen Rezeptor der Zielzelle eingeleitet. Der Rezeptor kann an der Plasmamembran oder im Cytosol der Zelle lokalisiert sein. Bei Kontakt des primär extrazellulären Hormons ändert der Rezeptor seine Konformation und teilt so dem Inneren der Zelle mit, daß außen ein Signal angelangt ist. Dadurch wird wiederum eine intrazelluläre Signalkette ausgelöst, an deren Beginn vielfach ein intrazellulärer zweiter Bote (second messenger) der Hormonwirkung steht. Der zweite Bote setzt weitere Regulationsprozesse in Gang, an deren Ende schließlich die hormonspezifischen Stoffwechselwirkungen stehen. Zu den zweiten Botenstoffen der Hormonwirkung gehören: • zyklisches Adenosinmonophosphat (Cyclo-AMP, cAMP) • zyklisches Guanosinmonophosphat (Cyclo-GMP, cGMP) • Inositoltrisphosphat (IP3) • Diacylglycerol • Calcium-Calmodulin • Rezeptorassoziierte Protein-Kinasen 1. Aktivierung oder Hemmung von Enzymen durch Cyclo-AMP und Cyclo-GMP.
Hormone, die Cyclo-AMP bzw. Cyclo-GMP als second messenger benutzen (Tab.), wirken fast augenblicklich (innerhalb 30—60 sec), indem sie mit dem an den Mem-
308
Hormone
branen der Zellen des Erfolgsorgans lokalisierten spezifischen Rezeptor reagieren und dadurch eine Aktivierung der ebenfalls membrangebundenen Adenyl-Cyclase bzw. Guanyl-Cyclase auslösen. G-Proteine. Die Signalübermittlung von Hormonrezeptoren zur Adenyl-Cyclase erfolgt über ein zwischengeschaltetes GTP-abhängiges G-Protein, das an der zytoplasmatischen Seite der Membran lokalisiert ist und die Funktion eines Regulatorproteins besitzt. Unter der Wirkung der Adenyl-Cyclase kommt es zu einem Anstieg der intrazellulären Konzentration von Cyclo-AMP (3',5'-AMP), das als allosterischer Aktivator auf Enzyme wirkt, die wiederum nachgeordnete Enzyme durch (ATP-abhängige) Phosphorylierung in ihrer Aktivität steigern oder hemmen (Kinasen). Proteinphosphatasen können diese Phosphatgruppen wieder entfernen. Auf diese Weise kann die Zelle zwischen aktiver und inaktiver Form eines Enzyms oder Proteins hin und her schalten, je nachdem, welches Signal sie von außen empfangen hat. G-Proteine sind Heterotrimere, die aus einer a-, ß- und -Untereinheit bestehen. Die Funktionsweise der G-Proteine bei der Signalübertragung verläuft in folgenden Schritten (Abb.).
Funktion der G-Proteine bei der Signalübertragung R = Rezeptor. G = G-Protein mit a, , -Untereinheit, · = Hormon Hormon
AAA
G
AAA
ß,y
G« GTP
Austausch GDP gegen GTP
AAAAAAA Hydrolyse GTP > G D P
G
1
ß,7
Ga GTPj Enzymaktivierung durch Ga-GTP
l Enzym > akt. GTP
AAA
Second messengerSynthese
Hormonwirkung durch „Zweite Boten" („Second Messenger")
309
1. Durch Bindung eines Hormons wird der Rezeptor aktiviert und bindet seinerseits an ein G-Protein. 2. Im G-Protein wird ein primär gebundenes GDP gegen ein GTP ausgetauscht. Dieser Prozeß aktiviert das G-Protein und führt zu Abdissoziation der -Untereinheit von der ß-, -Untereinheit. 3. Die aktivierte GDP-gebundene Untereinheit bindet an ein Effektor-Enzym, das in seiner Aktivität gesteigert oder gehemmt wird und dadurch die Synthese eines second messenger reguliert. 4. Die Hydrolyse des GTP zu GDP beendet die Aktivierung des Effektor-Enzyms. Die GDP-gebundene -Untereinheit dissoziiert vom Enzym und verbindet sich wieder mit den ß-, -Untereinheiten zum kompletten trimeren G-Protein. Adenyl-Cyclase. Für das Adenyl-Cyclasesystem gibt es 2 Typen von Rezeptoren und G-Proteinen, von denen ein Typ die Adenyl-Cyclase stimuliert und damit eine Cyclo-AMP-Bildung auslöst, während der andere Typ die Adenyl-Cyclase inhibiert. In beiden Fällen läuft die Signalkette vom Hormonrezeptorkomplex über das G-Protein zur Adenyl-Cyclase (Abb.). Die G-Proteine bestehen aus drei verschiedenen Untereinheiten ( , , ). Bei Bindung eines Hormons an einen Rezeptor kommt es zur Dissoziation der Untereinheiten, die -Untereinheit bindet GTP und kann alternativ die Adenyl-Cyclase in einen aktiven oder inaktiven Zustand überführen. Die Synthese Cyclo-AMP-abhängiger hormonspezifischer Proteine wird dadurch eingeleitet, daß Cyclo-AMP eine Proteinkinase aktiviert, die ihrerseits ein Enzymprotein, ein DNA-gebundenes (lysinreiches) Histon oder andere nucleäre Proteine phosphoryliert. Dabei wird ein Phosphorsäurerest innerhalb des Zielproteins esterartig an einen Serin- oder Tyrosinrest gebunden. Enzyme können dadurch in ihrer Aktivität gesteigert oder gehemmt werden (S. 304). Bei nucleären Proteinen wird durch die Phosphorylierung die Wechselwirkung zwischen DNA und Kernprotein so verändert, daß der entsprechende DNA-Abschnitt für eine Transkription des Codes freigegeben (dereprimiert) und eine RNAund Proteinbiosynthese ausgelöst wird. Cyclo-AMP kann jedoch auch eine ProCyclo-AMP (cAMP) als "Zweiter Bote" der Hormonwirkung und Regulator des Stoffwechsels R, G = spezifische Rezeptoren (R) und G-Proteine (G) mit stimmulierender (s) bzw. inhibierender (i) Wirkung auf die Adenyl-Zyclase Hormon 1
...A A A
Rs
1
Hormon 2
t
Gs
???·" au,
??? Adenyl-
i I I
I I I MEMBRAN
Zyclase
ATP
Protein (Enzym, Induktor, Represser)
Gi -»-5 -AMP cAMPi Phospho-© iDiesterasei | Protein- j |Kinase(n)i / ATP
X ADP
Protein(Aktivierung oder Inaktivierung)
310
Hormone
tein-Kinase aktivieren, die ein ribosomales Protein phosphoryliert, und somit die Proteinbiosynthese in der Phase der Translation beeinflussen. Das synthetisierte Protein (z. B. Enzymprotein) ist die zellspezifische Antwort auf die Wirkung des Hormons. Eine ähnliche Wirkung wie das Cyclo-AMP besitzt das Cyclo-GMP, das in der Guanyl-Cyclase-Reaktion unter Einwirkung von Hormonen (z. B. von Atriopeptin, S. 363) aus GTP entsteht und durch Aktivierung von Protein-Kinasen ebenfalls an Regulationen im Zellstoffwechsel beteiligt ist. Die Organspezifität der über Cyclo-AMP wirksamen Hormone kommt dadurch zustande, daß lediglich das Erfolgsorgan den hormonspezifischen Rezeptor besitzt. Der Abbau des Cyclo-AMP (Cyclo-GMP) zu 5'-AMP (5'-GMP) erfolgt durch eine Phosphodiesterase (Abb.). 2. Inositol-Trisphosphat und Diacylglycerol als zweite Boten (second messenger) der Hormonwirkung. Auf der Oberfläche zahlreicher Säugetierzellen existieren spezifische Rezeptoren, bei deren Besetzung durch die korrespondierenden Hormone (Tab. S. 315) es — unter Mitwirkung eines G-Proteins — zur Aktivierung einer Zellmembran-gebundenen Phospholipase C kommt, die ihrerseits die Hydrolyse von Phosphatidylinositol-4,5-phosphat zu Inositol-l,4,5-trisphosphat (IP3) und 1,2Diacylglycerol katalysiert. Inositol-l,4,5-trisphosphat setzt intrazelluläre Ca2+-Ionen aus dem endoplasmatischen Retikulum bzw. sarkoplasmatischen Retikulum (Herzmuskel, Skelettmuskel) frei. Intrazelluläres Ca2+ wird nach Bindung an Calmodulin als Calcium-Calmodulin zu einem effektiven Regulator zahlreicher Enzyme. Außerdem löst es in der glatten Muskulatur die Kontraktion aus. Das entstehende Diacylglycerol aktiviert seinerseits eine spezifische zytoplasmatische Proteinkinase C, die über eine noch nicht näher bekannte Signalkette die Zellteilung reguliert und auch an der Entstehung einer malignen Transformation der Zelle beteiligt ist. Calcium-Calmodulin und Diacylglycerol haben damit den Charakter eines „second messengers". lnositol-1,4,5-Trisphosphat und Diacylglycerol als "Second Messenger" = Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphal)
Spezifischer Rezeptor Phospho_ lipase C
Gl· rotein
CYTOSOL
Inositol1,4,5-Trisphosphat
2+
J
stimuliert
Ca -Freisetzung aus Endoplasmatischem Retikulum
Diacylglycerol wirkt auf
Proteinkinase C
Hormonwirkung durch „Zweite Boten" („Second Messenger")
311
Phosphatidyl-lnositol-Zyklus II
•0-CH2
/VWWW/'
0 u . . _ - , , — , .—. ,—. , C- O - C H
/W v v
v Vv
OH
0 n
Phosphatidylinositol
| U H2. C - O - P - OH , \ 'OH /\OH HO/1\* \ J/OH
2 ATP .
X
2
3
ATP-abhängige Phosphatidylinositol-Kinase |
PAnp ^
C-r\\J\
O
u
/WWVWVC~°~ CH2 oII /vv
C - O-
/
/ v W
O " O-P-OH 1 l
CH O
Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat
1 OH \ o OH\OHHO^.».OH
n H,^ - O - P - ^ O H
1
OH
Phosphodiesterase
O n
>^
O-(P)
o
fp)_O/ ^ w i/OH
II
^
^
\
\OH HOyl
C-O-CH
Diacylglycerol l
\
—^
lnositol-1 ,4,5-trisphosphat CH 2 Oh : Phosphomonoesterase
Phosphatidsäure
I
1
CDP-Diacylglycerol
Inositol
—--" —— ~^^( ;DP-Diacylglycerolnositol-Transferase !
Phosphatidyli nositol
Phosphatidylinositol-4,5-phosphat ist ein Derivat des membranintegrierten Phosphatidylinositols (S. 214). Unter der Wirkung spezifischer Kinasen kann Phosphatidylinositol an der 4- und 5-Hydroxylgruppe des Inositols phosphoryliert werden. Auf diese Weise werden Phosphatidylinositol-Moleküle in Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat-Moleküle überführt — die Vorstufe des IP3.
312
Hormone
Die Wirkungsbeendigung des Inositol-l,4,5-trisphosphats und Diacylglycerols erfolgt durch Resynthese zu Phosphatidylinositol. Dazu werden aus dem Inositoltrisphosphat schrittweise die Phosphatgruppen abgespalten und das Diacylglycerol wird zunächst in Phosphatidsäure und dann nach Aktivierung durch Cytidintriphosphat in CDP-Diacylglycerol umgewandelt. Inositol und CDP-Diacylglycerol werden zu Phosphatidylinositol resynthetisiert und in die Membran integriert (Abb.). 3. Calcium-Calmodulin vermittelte Hormonwirkungen. Die Bindung eines Hormons an einen zellspezifischen Rezeptor kann — über eine veränderte Fluidität oder über eine Depolarisierung der Zellmembran - mit einer Öffnung der Calciumkanäle und mit einer erhöhten Aufnahme von extrazellulärem Ca2+ in die Zelle verbunden sein. Das intrazelluläre Calcium wird von Calmodulin (S. 282) unter Konformationsänderung gebunden. Der entstehende Calcium-Calmodulin-Komplex kann als allosterischer Modulator zahlreiche Enzyme in ihrer Aktivität beeinflussen (S. 283). Die Steigerung der Aktivität zahlreicher Proteinkinasen und Phosphorylase-Kinasen durch Calcium-Calmodulin erklärt, warum das Calcium-Calmodulin einen ähnlichen Effekt wie das Cyclo-AMP selbst haben kann. Da das Calcium-Calmodulin aber auch die Adenylcyclase und die Phosphodiesterase in ihrer Aktivität beeinflußt, kann es Hormonwirkungen zusätzlich verstärken oder abschwächen. Auch die Sekretion von Hormonen, die intrazellulär in Granula gespeichert werden, ist von der Wirkung von Calcium-Calmodulin abhängig. Phenothiazinderivate, die als Psychopharmaka eine dämpfende Wirkung haben, können durch kompetitive Bindung an Calmodulin die Wirkung des intrazellulären Calciums abschwächen oder verhindern. Die Freisetzung von Ca2+ aus intrazellulären Depots durch IP3 hat analoge Effekte. 4. Rezeptor-assoziierte Protein-Kinasen. Einige transmembranöse Rezeptoren für Hormone oder Wachstumsfaktoren besitzen in ihrem cytosolischen Abschnitt eine Protein-Kinase, die bei Bindung des Liganden in einer Autophosphorylierungsreaktion mehrere Tyrosinreste ATP-abhängig phosphoryliert. Die Rezeptor-gebundene Tyrosin-Kinase wird damit aktiviert und kann ihrerseits in einer Folgereaktion weitere an der Signalübertragung beteiligte Enzyme oder Proteine unter Mitwirkung von ATP phosphorylieren. Mehrere Enzyme bzw. Proteine können in einer Phosphorylierungs-/Dephosphorylierungs-Kaskade hintereinander geschaltet sein und schließlich die Hormon- bzw. Wachstumsfaktor-spezifischen Stoffwechseleffekte auslösen. 5. Wirkungsweise der Steroidhormone. Unter der Wirkung vieler Hormone läßt sich eine Steigerung oder Hemmung der Protein-(Enzym-)Synthese nachweisen. Dieses Regelprinzip kann sekundär als Folge einer erhöhten intrazellulären Cyclo-AMPKonzentration eintreten (s. o.), aber auch — und zwar über einen ganz anderen Wirkungsmechanismus - durch Steroidhormone ausgelöst werden. Steroidhormone erreichen ihre Erfolgsorgane auf dem Blutweg und werden dabei durch ein spezifisches steroidbindendes Protein der Bluteiweißkörper transportiert. Am Erfolgsorgan wird das Steroidhormon von einem zytoplasmatischen, z. T. auch im Zellkern lokalisierten Rezeptorprotein übernommen, das mit dem Steroidhormon unter Konformationsänderung reagiert. Der „aktivierte" SteroidhormonRezeptor-Komplex gelangt durch das Zytoplasma in den Zellkern (bzw. entsteht
Hormonwirkung durch „Zweite Boten" („Second Messenger")
313
Schema des Rezeptors für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF) Bei Interaktion des EGF mit der Bindungsdomäne des Rezeptorproteins wird die Tyrosinkinase durch Phosphorylierung aktiviert. NH 2
Cysteinreiche Wachstumsfaktor bindende Domänen
EXTRAZELLRAUM
~ _
ZELLMEMBRAN
Transmembranöse Domäne ( -Helix)
.TyrokinaseDomäne
CYTOSOL
COOH
dort) und lagert sich an die für das Steroidhormon spezifische DNA-Region an. Hierfür verfügt der Rezeptor über eine DNA-Bindungsdomäne. Zwei weitere, in Nachbarschaft der DNA-Bindungsdomäne liegende Domänen aktivieren die Transkription mit der Folge einer prä-mRNA-Biosynthese. Der Steroidhormon-Rezeptorkomplex gelangt anschließend in das Zytoplasma, das Hormon verläßt — vermutlich nach chemischer Veränderung — die Zelle, der zytoplasmatische Rezeptor steht zur Wiederverwendung zur Verfügung.
Mechanismus der Steroidhormon-Wirkung BLUT
ZELLE des ERFOLGSORGANS ZELLKERN
Zytoplas-
1
Rezeptor Steroidhormon
^\ LrvJ
y
^ rOi
Hormon-RezeptorKomplex
B
Steroidbindendes Blutplasmaprotein
Gen
»· L_0J
ooof .
'—4
/ ^CX DNA
/ '
\
314
Hormone
Zytoplasmatische Rezeptoren für verschiedene Steroidhormone können in den Erfolgsorganen nebeneinander — möglicherweise sogar in derselben Zelle — vorkommen. Dies erklärt die Organspezifität, aber auch die antagonistische und synergistische Wirkung von Steroidhormonen. Schematische Darstellung der Bindungsdomänen des Glucocorticoid-Rezeptorproteins 1 -777 = Zahl der Aminosäurereste DNABindungsdomäne
GlucocorticoidBindungsdomäne
H2N-
_ Aktivierung der_ Transkription
Die z. T. bessere Wirksamkeit synthetischer Steroidhormone beruht auf einer erfolgreichen Konkurrenz der synthetischen Steroide um die Bindung an den zytoplasmatischen Rezeptor. Auch die Schilddrüsenhormone, Calcitriol und die Retinsäure (S. 392) arbeiten mit intrazellulären (zytoplasmatischen) Hormonrezeptor-Proteinen, die über eine DNA-Erkennungsregion verfügen (Tab.). Die DNA-Bindungsdomäne weist für alle Rezeptoren eine hohe Homologie der Aminosäuresequenz auf. DNA-Erkennungsregion für Hormonrezeptor-Proteine X = beliebige Base, = fehlende Basen DNA-bindendes Protein Glucocorticoid/Progesteron-Rezeptor Estrogen-Rezeptor Thyroidhormon/Retinsäure-Rezeptor
DNA-Erkennungsregion GGTACA XXX TGTTCT AGGTCA XXX TGACCT TCAGGTCA TGACCTG A
Regulation der Hormonwirkung. Im Interesse einer Konstanz des Stoffwechsels ist die Wirkung der Hormone bezüglich Intensität und Dauer einer präzisen Kontrolle unterworfen. Eine solche Kontrolle wird erreicht durch Regulation der Bildung, Ausschüttung und des Abbaus der Hormone. Für einige Hormone übernimmt das Nervensystem durch noch unbekannte Mechanismen die Kontrolle ihrer Bildung und Ausschüttung. Für andere Hormone und die sie produzierenden endokrinen Organe existieren übergeordnete Hormone. Abhängige und übergeordnete Hormone bilden einen Regelkreis, mit dessen Hilfe ihre Bildung und Ausschüttung gesteuert werden. Auch Stoffwechselprodukte, die unter dem Einfluß der Hormone entstehen, können rückwirkend die Aktivität der Hormondrüse beeinflussen (Abb.).
Hormonwirkung durch „Zweite Boten" („Second Messenger")
315
Klassifikation von Hormonen nach ihrem Wirkungsmechanismus 1. Hormone, die über cAMP als second messenger wirken Thyreoidea stimulierendes Hormon (TSH) Adrenalin/Noradrenalin Glukagon Melanozyten stimulierendes Hormon (MSH) Parathormon (PTH) Luteinisierendes Hormon (LH) Calcitonin Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) Choriongonadotropin (HCG) Lipotropin Antidiuretisches Hormon (ADH) Somatostatin 2. Hormone, die über IP3 und/oder Ca 2+ -Calmodulin als second messenger wirken • Thyreotropin-Releasing-Hormon · Gonadotropin-Releasing-Hormone • -adrenerge Katecholamine · Angiotensin II • Acetyl-Cholin 3. Hormone, die über Bindung an intrazelluläre Rezeptoren wirken • Steroidhormone · Calcitriol (1,25-Dihydroxycalciferol) • Schilddrüsenhormone (T3, T4) 4. Hormone, die über Rezeptor-assoziierte Protein-Kinasen wirken • Insulin · Wachstumshormon (STH) • Wachstumsfaktoren (z. B. EGF, · Somatomedine (IGF l, II) PDGF)
Hormonvorstufen. Bei den Proteohormonen (Polypeptidhormonen) ist das primäre im Rahmen der ribosomalen Proteinbiosynthese gebildete Translationsprodukt meist eine Hormonvorstufe mit höherem Molekulargewicht, aus der das wirksame in die Blutbahn abgegebene Hormon erst durch einen postribosomalen Fertigungsprozeß gebildet wird (S. 144).
Prä-Pro-Hormon
> Pro-Hormon
> Hormon
Er vollzieht sich nach dem Prinzip einer Abspaltung N-terminaler, C-terminaler oder intermediärer Peptidreste unter Einwirkung spezifischer Proteasen und ist an der Membran des endoplasmatischen Retikulums und/oder im Golgi-Apparat lokalisiert. Hormonbestimmungsmethoden. Die kompetitive Radioimmuno-/Enzymimmuno-Bestimmung von Proteohormonen im Blutplasma gehört zu den empfindlichsten, spezifischsten und genauesten Analysen verfahren. Die Spezifität ist durch die diesen Bestimmungsmethoden zugrundeliegenden Antigen-Antikörper-Reaktionen gegeben. Die Empfindlichkeit drückt sich darin aus, daß Antigenmengen in einer Grössenordnung von 10~ 12 bis 10~ 15 noch nachweisbar sind. Die Präzision ergibt sich aus der Genauigkeit der Messung von Radio- bzw. Enzymaktivitäten. Der kompetitive Enzymimmunoassay basiert auf dem Phänomen, daß sich radioaktiv- bzw. enzymmarkiertes und nicht-markiertes Antigen, die sich immunologisch nicht voneinander unterscheiden, um die Bindung an den für sie spezifischen Antikörper konkurrieren. Da die Reaktion reversibel ist und dem Massenwirkungsgesetz ge-
316
Hormone
horcht, stellt sich in Lösung ein für den Reaktionspartner charakteristisches Gleichgewicht zwischen freien (markierten bzw. nicht-markierten) Antigen und freiem Antikörper einerseits sowie dem Antigen-Antikörperkomplex andererseits ein. Da immer mit einer limitierten Menge von Antikörpern gearbeitet wird, liegt neben dem Antigen-Antikörperkomplex stets noch freies Antigen vor, das vom Antigen-Antikörperkomplex abgetrennt wird und dessen Radioaktivität bzw. Enzymaktivität ein Maß für die Konzentration des gesuchten Antigens darstellt. Die Radioimmuno-/Enzymimmuno-Bestimmung läßt sich nicht nur auf Proteine und Peptide (Antigene), sondern auch auf andere Stoffgruppen (Steroide, Arzneimittel u. a.) anwenden, die dabei als Haptene (S. 534) fungieren. Die Steroidhormone des Blutplasmas (und ihre im Harn erscheinenden Ausscheidungsprodukte) können auch mit Hilfe der Gaschromatographie voneinander getrennt und quantitativ bestimmt werden. Medizinische Bedeutung der Hormone. Als Regulatoren des Intermediärstoffwechsels, des Wasser- und Elektrolythaushaltes, des Wachstums, der sexuellen Entwicklung und der Sexualfunktionen sind die Hormone lebenswichtige endogene Wirkstoffe, deren völliges Fehlen in vielen Fällen zum Tode führt. Für den Arzt besteht daher die Aufgabe einer rechtzeitigen Erkennung des Ausfalls oder der Unterfunktion einer Hormondrüse und der Einleitung einer Substitutionstherapie. Auch die Überfunktion einer Hormondrüse kann krankhafte Erscheinungen verursachen. Oft läßt sich die Diagnose einer gestörten Hormonproduktion durch quantitative Bestimmung des Bluthormonspiegels oder eines charakteristischen Hormonabbaubzw, -ausscheidungsproduktes stellen. Auch an Stoffwechselwirkungen, die zu typi-
Prinzip hormoneller Regelkreise HYPOTHALAMUS - Releasing und Release - inhibiting Hormone für ACTH, TSH, STH, FSH, LH
HYPOPHYSENVORDERLAPPEN Glandotrope Hormone ~" -»- ACTH, TSH, STH, FSH, LH " 1
-Stimulation- Hemmung-
-Stimulation - Hemmung hoch
niedrig BLUT Hormonspiegel
ENDOKRINE ORGANE Glanduläre Hormone — (Steroidhormone, Proteohormone, Katecholamine, Schilddrüsenhormone)
ERFOLGSORGANE Aktivitätsänderung, Induktion oder Repression der Synthese von Enzymen Spezifische Stoffwechselleistungen — Spezifische Stoffwechselprodukte
i
Hormonwirkung durch „Zweite Boten" („Second Messenger")
317
sehen Konzentrationsänderungen anorganischer oder organischer Inhaltsbestandteile des Blutplasmas führen, lassen sich Störungen im Hormonhaushalt erkennen. Bei Unterfunktion oder Ausfall eines Hormons ist die Substitution mit dem entsprechenden aus tierischen Organen oder gentechnisch gewonnenem Hormon (z. B. Insulin, STH) möglich und muß oft als Dauertherapie lebenslänglich durchgeführt werden (z. B. Insulinbehandlung). Bei einer Hormonbehandlung müssen alle Proteohormone parenteral, d. h. durch Injektion verabfolgt werden, da sie bei oraler Zufuhr durch die proteolytischen Enzyme des Verdauungstraktes zerstört werden bzw. nicht resorbierbar sind. Dies hat zur erfolgreichen Suche nach oral wirksamen Substanzen geführt, welche die Proteohormone ganz oder teilweise ersetzen können. Bei der Hormonbehandlung muß der Arzt beachten, daß ein zu therapeutischen Zwecken verabreichtes Hormon nicht nur einen primären Substitutionseffekt hat, sondern sekundär auch andere hormonbildende Drüsen anregen oder hemmen kann. Niedermolekulare Hormone werden durch chemische Synthese hergestellt. Darüber hinaus stehen dem Arzt durch chemische Synthese gewonnene hormonanaloge Verbindungen zur Verfügung, welche die natürlichen Hormone an Wirkungsintensität übertreffen oder lediglich eine erwünschte Teilwirkung des betreffenden Hormons aufweisen. Die Lehre von den Hormonen und ihren Wirkungen ist als Endokrinologie ein wichtiges Teilgebiet der Medizin geworden. Die vielfältigen Funktionen der Hormone zeigt die nachfolgende tabellarische Übersicht (Tab.). Klassifizierung von Hormonen nach ihrer Funktion
1. Kontrolle energieliefernder Stoffwechselprozesse Insulin, Glukagon, Katecholamine, Glucocorticoide und übergeordnete hypothalamische und hypophysäre Hormone, Schilddrüsenhormone und übergeordnete hypothalamische und hypophysäre Hormone 2. Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts Mineralocorticoide, Renin-Angiotensin-System, Adiuretin, Atriopeptin, Parathormon, Calcitonin, Calciferole 3. Regulation des Wachstums STH und übergeordnete hypophysäre Hormone, Somatomedine, Androgene 4. Regulation der Fortpflanzung Androgene, Estrogene, Gestagene und übergeordnete hypophysäre und hypothalamische Hormone, Ocytocin 5. Bildung und Sekretion von Verdauungssekreten Gastrin, Sekretin, Cholezystokinin, Histamin 6. Tonusänderung des Gefäß- und Respirationssystems Histamin, Serotonin, Kinine, Prostaglandine, Leukotriene 7. Kontrolle der Zelldifferenzierung und der Zellteilung Lymphokine, Cytokine
318
Hormone
3. Schilddrüsenhormone Die Schilddrüse (Glandula thyreoidea) ist ein beim Menschen 20—25 g schweres, unterhalb des Schildknorpels liegendes, gut durchblutetes Organ, das zahlreiche mit Kolloid gefüllte Drüsenfollikel ohne Ausführungsgang besitzt. Chemisch ist die Schilddrüse durch ihren hohen lodgehalt charakterisiert, der 2 mg lod/g Schilddrüsen-Trockengewicht beträgt. Bis zu V* der Gesamtiodmenge von 50 mg sind beim Menschen in der Schilddrüse festgelegt. Sie übertrifft andere Organe (z. B. Muskel 2 mg Iod/500 g Trockengewebe) um ein Mehrhundertfaches. Die Fähigkeit, lodid auf ein Mehrfaches der Serumkonzentration zu akkumulieren, besitzen neben der Schilddrüse allerdings auch andere Organe (z. B. Speicheldrüsen, Plazenta, Mamma, Magenschleimhaut). Biosynthese. Die Synthese der Schilddrüsenhormone vollzieht sich in den die Drüsenfollikel umkleidenden Epithelzellen nach folgendem Prinzip: Das für die Synthese benötigte lod wird von der Schilddrüse aus dem Blut aufgenommen, wo das lod als lodid in einer Konzentration von 2—5 g/100 ml Serum vorhanden ist. Mit Hilfe einer lodidpumpe, die energetisch mit der ATP-abhängigen Na + /K + -Pumpe gekoppelt ist, ist die Schilddrüse in der Lage, ihre lodkonzentration gegenüber dem Blut auf das mehr als lOOfache zu erhöhen. NH 2
CH 2 —CH-COOH
Thyroxin, 14 (3',5',3,5-Tetraiodthyronin)
NH-
CH ? —CH-COOH
Triiodthyronin, T3 (3',3,5-Triiodthyronin)
Das lodid wird nach der Aufnahme in die Schilddrüsenzelle durch eine lodidPeroxidase zu I 2 oxidiert. Es folgt eine lodierung von Tyrosinresten des Thyreoglobulins, eines in der Schilddrüse gebildeten und in den Follikeln gespeicherten Glykoproteins - lodothyreoglobulin - (Mol. Gew. 660000). Aus je 2 Mono- oder Dilodtyrosinresten des Thyreoglobulins entstehen (unter intermediärer Bildung von Semichinonradikalen) die entsprechenden lodthyronylreste. Unter Einwirkung einer Protease wird das Thyreoglobulin gespalten. Dabei werden die biochemisch aktiven Schilddrüsenhormone Thyroxin, T4 (3',5',3,5-Tetraiodthyronin) und 3',3,5Triiodthyronin T3 in einem Verhältnis 10:1, sowie biologisch inaktive Verbindungen (mono- und diiodierte Thyronine) freigesetzt. T4 und T3 werden an das Blut abgegeben. Unter der Wirkung spezifischer Deiodasen kann T4 in den peripheren Geweben z. T. in T3, z. T. in das weniger aktive reverse T3 (rT3, 3,3',5'-Triiodthyronin) umgewandelt werden. lodaufnahme und Hormonbiosynthese der Schilddrüse unterliegen einer Kontrolle durch das TSH (S. 322). Stoffwechselwirkungen. Die beiden Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) zeigen zwar bezüglich Chemie, Transport im Serum, Wirkungs-
Schilddrüsenhormone
319
Intensität, Wirkungseintritt und Ausscheidung charakteristische Unterschiede (Tab.), doch sind ihre Stoffwechselwirkungen im Prinzip gleich. T4 und T3 haben nur eine geringe Wasserlöslichkeit. Ihr Transport im Serum erfolgt daher überwiegend durch reversible Bindung an Proteine (Tab.). Das Verhältnis von freiem zu proteingebundenem T4 bzw. T3 beträgt im Serum weniger als l : 1000. Biologisch wirksam ist das freie Schilddrüsenhormon, das allein in der Lage ist, die Zellmembran der Erfolgsorgane zu durchdringen. Wirkungsweise. Schilddrüsenhormone binden an ein spezifisches cytosolisches Protein und reichern sich dadurch in den Zellen der Erfolgsorgane an. Der eigentliche Schilddrüsenrezeptor ist ein Zellkernprotein, das nach Bindung an T3 bzw. T4 die Transkription der mRNA für zahlreiche Enzyme (z. B. Glycerophosphat-Dehydrogenase, Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, Cytochrom c) steigert. Hochaffine Rezeptoren für T3 und T4 finden sich auch an der inneren Mitochondrienmembran. Sie sind an der Regulation des O2-Verbrauchs und der ATP-Bildung beteiligt. Diese Basiseffekte führen zu folgenden physiologischen und chemischen Wirkungen: 1. Grundumsatz und kalorigener Effekt. Der Grundumsatz und die Wärmeproduktion des Menschen, d. h. die Energieproduktion bei völliger Körperruhe im nüchternen Zustand, werden durch l mg zusätzliches Thyroxin um 3% erhöht, bei Thyroxinmangel entsprechend herabgesetzt. 2. Wirkungen auf Protein-, Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel. Die Wirkungen der Schilddrüsenhormone auf die Proteinbiosynthese ist dosisabhängig. Physiologische Dosen führen zu einer anabolen Stoffwechsellage mit positiver Stickstoffbilanz, die Ausdruck einer Steigerung der Proteinbiosynthese in Leber, Muskel, Gehirn und anderen Organen ist (s. o.). Bei unphysiologisch hohen Dosen schlägt der Hormoneffekt um in eine katabole Wirkung mit negativer Stickstoffbilanz und erhöhter Kreatininausscheidung (relativer ATP-Mangel bei gesteigertem Proteinumsatz). Die wachstumsfördernde Wirkung der Schilddrüsenhormone (Pubertätsstruma) bzw. ein Wachstumsstillstand nach Thyreoektomie werden dadurch verständlich. Ein Überangebot von Schilddrüsenhormon hat eine herabgesetzte Glucosetoleranz zur Folge, deren Ursachen in einer vermehrten Resorption, einem rascheren Glykogenabbau, Zunahme der Glucose-6-Phosphataseaktivität, Potenzierung der Glukagon- und Katecholaminwirkung (permissiver Effekt, S. 345) und schnellerem Insulinabbau liegen. Unter erhöhten Thyroxindosen wird ferner eine Einschmelzung der Lipiddepots beobachtet. Daß Blutlipid- und Blutcholesterinspiegel dennoch erniedrigt sind, hängt mit dem rascheren Abbau bzw. der vermehrten Umwandlung des Cholesterins in Gallensäuren zusammen. 3. Wirkung auf Zelldifferenzierung und Metamorphose. Thyroxin beeinflußt Wachstum und Teilung von Zellen und Geweben. Sein Fehlen führt zu Wachstumsstillstand und Nichtauftreten der epiphysären Ossifikationszentren. Bei Amphibien läßt sich die Metamorphose (Umwandlung Kaulquappe > Frosch) in jedem Stadium durch Thyroxin verfrüht auslösen oder beschleunigen. Die Metamorphosewirkung ist unabhängig vom kalorigenen Effekt. N-Acetylthyroxin löst zwar die Metamorphose aus, hat aber keine Stoffwechselwirkung. Hyperthyreose (Überfunktion der Schilddrüse). Die von dem Merseburger Arzt Basedow beschriebenen klinischen Symptome der Schilddrüsenüberfunktion sind Schilddrüsenschwellung, Exophthalmus (s. u.) und Tachykardie. Der Exophthalmus
320
Hormone Biosynthese der Schilddrüsenhormone SCHILDDRÜSENZELLE
BLUT
| lodid-Peroxidase] 2
'
/
\
"2°2
H
2
2°
||lodierung|
A HN
Thyreo-
- -,
0=/ v >
r
T
L__J___J
HN
L_
|
]
_
__j
| Konjugation
HC-CH 2 —-OH "^
=/
'
'
1
Thyreoglobulin mit Tetraiodthyronyl (T4) - bzw. Triiodthyronyl (Ta) - Resten
1
| Proteolytische Freisetzung |
| 1 /^X y f ' ^ ' v f N u1 HOOC-CH-CHj— v ( l · ) — O—^_^/ °' NH 2 1 1
1
i n y i u A i n , 14
BlutHormoniod
1 1 HOOC-CH-CH2-^J)-0-6 mg/100 ml, Hyperphosphatämie). Bei Absinken des freien Blutcalciums unter einen kritischen Wert (etwa 0,7 — 0,8 mmol/1) kommt es zu tonischen Krämpfen (tetanisches Syndrom), da die normale Erregbarkeit des Nervensystems von einer ausreichenden Konzentration an Calcium-Ionen abhängig ist. Weitere Symptome einer chronischen Nebenschilddrüsenunterfunktion sind eine Eintrübung der Augenlinse (grauer Star, Cataracta tetanica), Hautveränderungen und psychische Störungen. Substanzen mit Parathormonwirkung. Eine therapeutische Bedeutung besitzt PTH nicht. An seiner Stelle werden das D-Hormon (Calciferol) oder Dihydrotachysterin verwendet, die den gleichen Effekt wie PTH haben, aber oral zugeführt werden können.
326
Hormone
6. Calcitonin (Thyrocalcitonin) In der Nebenschilddrüse, aber auch in den parafollikulären Zellen (sog. C-Zellen) der Schilddrüse und des Thymus von Säugetieren wird ein zweites, den Calciumhaushalt regulierendes Hormon produziert, das Calcitonin. Chemie. Das aus menschlichen Nebenschilddrüsen gewonnene Hormon ist ein Polypeptid aus 32 Aminosäuren mit einer Molmasse von 3600. Die chemische Struktur ist bekannt, die in vitro-Synthese gelungen. Stoffwechselwirkungen. Calcitonin führt bei der Ratte schon in Dosen von 0,05 g zu einer Senkung des Blutcalciumspiegels, die einerseits durch eine stimulierende Wirkung auf die Osteoblasten mit vermehrter Calciumphosphatdeponierung im Skelettsystem, andererseits durch eine Hemmung der Osteoklasten mit Blockierung des Übergangs vom Skelettcalcium zum Blutcalcium zustande kommt. Die gesteigerte Mineralisierung des Skelettsystems führt zu einer gleichzeitigen Senkung des Blutphosphatspiegels. In der Niere wird die Ausscheidung von Calcium und Phosphat unter der Wirkung von Calcitonin erhöht. Calcitonin hemmt weiterhin die Magen- und Pankreassekretion. Krankheiten, die eindeutig auf einen Mangel an Calcitonin zurückgeführt werden können, sind nicht bekannt. Therapeutisch ist Calcitonin bei bestimmten Knochenerkrankungen (Osteoporose), bei Hypercalcämie verschiedenen Ursprungs und bei primärem Hyperparathyreoidismus (S. 324) wirksam. Dabei wird das Lachscalcitonin eingesetzt, das eine gegenüber dem Humancalcitonin geringfügig veränderte Primärstruktur besitzt, aber 20-40mal wirksamer ist.
Regulation des Calciumhaushaltes
NIERE 1,25-Dihydroxycalciferol
NEBENSCHILDDRÜSE Parathormon
SCHILDDRÜSE (parafollikul. Zellen) Calcitonin
Schilddrüsenhormone STH, Glucocorticoide Androgene, Estrogene hoch niedrig Blut-CalciumSpiegel ÜK.tLt 1 1
Calcium-Reservoir (1,5 kg) Calcium-Einbau Calcium-Mobilisierung NIERE Calcium-Ausscheidung (Phosphat-Ausscheidung) INTESTINUM Calcium-Resorption Calcium-Ausscheidung
i
Hormone des Nebennierenmarks (Katecholamine)
327
Regulation des Calciumhaushaltes. Die Konstanz des Blutcalciumspiegels wird durch die antagonistische Wirkung des Blutcalcium-senkenden Calcitonins und des
Blutcalcium-steigernden Parathormons gewährleistet. Die Ausschüttung dieser Hormone wird wiederum durch den Blutcalciumspiegel reguliert. In diesen Regelkreis eingeschaltet ist das Skelett, das 99% der Calciumvorräte des Organismus als Reservoir enthält und überschüssiges Blutcalcium aufnehmen oder fehlendes Blutcalcium ergänzen kann.
7. Hormone des Nebennierenmarks (Katecholamine) Die chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks sind die Bildungsstätten von Noradrenalin und Adrenalin, die man wegen ihrer chemischen Beziehungen zum Brenzkatechin zu den Katecholaminen zählt. Ihre Bildung ist jedoch nicht auf das Nebennierenmark beschränkt, sondern erstreckt sich auf das gesamte sympathische Nervensystem. Katecholamine werden daher auch in Ganglienzellen des sympathischen Nervensystems und im Hypothalamus gefunden. Biosynthese und Chemie. Die Katecholamine leiten sich biogenetisch vom Tyrosin ab, das nach Hydroxylierung zum 3,4-Dihydroxyphenylalanin (DOPA) und Decarboxylierung in das biogene Amin 3,4-Dihydroxyphenylethylamin (Hydroxytyramin, DOPamin) umgewandelt wird. In nichthormonbildenden Organen wie Lunge, Leber und Darm stellt das DOPamin das Endprodukt der Biosynthese dar und macht 90% der Gesamtkatecholamine aus. Im Zentralnervensystem hat DOPamin die Funktion eines Neurotransmitters. Im sympathischen Nervensystem und im Nebennierenmark erfolgt durch spezifische ß-Hydroxylierung die Bildung von Noradrenalin, das durch Methylierung der primären Aminogruppe weiter in Adrenalin (engl. Epinephrin) überführt wird. Noradrenalin und Adrenalin regulieren die Katecholaminsynthese durch eine Rückkopplungshemmung der Tyrosin-Hydroxylase, die als Schrittmacherenzym fungiert. Im Nebennierenmark werden Katecholamine in graunulärer Form — gebunden an ATP - gespeichert. Die Granula enthalten neben dem Hormon und ATP Ca 2+ , Mg 2 + , Dopamin-ß-Hydroxylase und das Protein Chromagranin. Das ATP-Hormon-Verhältnis ist l : 4. Biologische und Stoffwechsel-Wirkungen. 1. Noradrenalin als Neurohormon. Noradrenalin ist die Überträgersubstanz des adrenergischen (sympathischen) Nervensystems (S. 504) und vermittelt die „chemische Erregungsübertragung" auf das nächste Neuron bzw. auf das Erfolgsorgan (z. B. glatte Muskulatur). 2. Vegetative Regulationen der Katecholamine. Adrenalin und Noradrenalin beeinflussen die Herztätigkeit (Frequenz und Schlagvolumen), den Kreislauf (Vasokonstriktion bzw. Vasodilatation), die glatte Muskulatur der Bronchien und des Intestinaltraktes und besitzen zentralerregende Wirkung. 3. Stoffwechselwirkungen. Die Ausschüttung der Katecholamine aus den SpeicherGranula erfolgt in einem Ca 2+ -abhängigen Exozytose-Prozeß unter der Wirkung
328
Hormone Biosynthese der Hormone des Nebennierenmarks OH
OH
OH
L-AminosäureDecarboxylase Pyridoxalphosphatabhängig
UM
lf |^
J
T
CH 2
TyrosinHydroxylase
/
"" L
\ '
Tetrahydrobiopterin HC — NH, Q2 i
1 J
1
Dihydrobiopterin H2O
\
CH 2 ' HC — NH , i
CO2
1 S??^/ 1 T L J
' T
CH 2
H,C — NH, i i
COOH
COOH
Tyrosin
Dopa (3.4-Dihydroxyphenylalanin)
Dopamin (3,4-Dihydroxyphenylethylamin)
OH
3,4-Dihydroxyphenylethylamin-ß-Hydroxylase
/ \ ·
02
H20
OH
A, OH ^^" ^^r^^ Os.
OH
J
CHOH
1 H.C-NH, J. i Noradrenalin
^J^
1
Phenylethanolamin-NMethyltransferase
/
S-Adenosylmethionin
^/^^^ *S r-^ y^
OH
\ · "r"
S-Adenosylhomocystein
Lx.
J
CHOH
H,C— N — CH. J H Adrenalin
cholinergischer und ß-adrenerger Agentien. -Adrenerge Wirkstoffe hemmen die Ausschüttung. Adrenalin bewirkt eine Erhöhung der Konzentration der Glucose, des Lactats und der freien Fettsäuren im strömenden Blut. Dieser Effekt ist bedingt durch eine Aktivierung der Leber- und Muskel-Phosphorylase und der Lipase des Fettgewebes bzw. peripherer Organe. Noradrenalin besitzt keine Wirkungen auf die Phosphorylase b in Leber und Muskel, jedoch auf die Lipase des Fettgewebes. Die Aktivierung der Phosphorylase in Leber und Muskulatur (Kap. Kohlenhydrate, S. 174) kommt über eine Wirkung des Adrenalins auf die Adenyl-Cyclase zustande. Unter Wirkung der Phosphorylase wird in Leber und Muskel aus Glykogen in vermehrtem Maße Glucose-1-phosphat freigesetzt, das in der Leber nach Umwandlung in Glucose-6-phosphat und hydrolytischer Abspaltung des Phosphatrestes (Glucose-6-Phosphatase) als freie Glucose ins Blut abgegeben wird. In der Muskulatur geht jedoch wegen des Fehlens der Glucose-6-Phosphatase der Abbau bis zum Lactat, das dann in das Blut übertritt. Das aus dem Glykogen freigesetzte Glucose-1-phosphat wird in der Leber und im Muskel z. T. zu CO2 und H2O oxidiert. Dadurch erklärt sich der erhöhte Sauerstoffverbrauch dieser Organe unter Adrenalin. Die unter Wirkung des Adrenalins und Noradrenalins erhöhte Cyclo-AMP-Konzentration führt im Fettgewebe zu einer Aktivierung der Fettgewebs-Lipase, welche Triglyceride in Glycerol und freie Fettsäuren spaltet. Da die Freisetzung der Fettsäuren und die Bildung von Acetyl-CoA (ß-Oxidation) mit größerer Geschwindig-
Hormone des Nebennierenmarks (Katecholamine)
329
keit erfolgt als die Oxidation des Acetyl-CoA bzw. dessen Resynthese zu Fettsäuren, erscheinen neben den nichtveresterten Fettsäuren im Blut auch Ketonkörper. Der erhöhte O 2 -Verbrauch des Fettgewebes unter Adrenalin und Noradrenalin ist Ausdruck einer verstärkten Fettsäureoxidation. Die Erhöhung der Konzentration an Lactat und Ketonkörpern im Blut kann sekundär zu einer Erniedrigung des Hydrogencarbonats und zu einer metabolischen Acidose führen. Katecholaminrezeptoren. Die postsynaptische Wirkung des Noradrenalins und die auf dem Blutwege ausgelösten Stoffwechselwirkungen von Noradrenalin und Adrenalin werden über a- und ß-Rezeptoren der Erfolgsorgane vermittelt. Die hohe Organ- und Wirkungsspezifität von Adrenalin und Noradrenalin wird durch das unterschiedliche Verhältnis von a- und ß-Rezeptoren an den Erfolgsorganen erreicht. Die ß r und ß2-Rezeptoren sind mit einer membrangebundenen AdenylCyclase assoziiert, über deren Aktivierung z. B. Glykogenolyse, Lipolyse und Vasodilatation ausgelöst werden. Die cx2-Rezeptoren sind mit dem Phosphatidyl-Inositol-System über spezifische G-Proteine gekoppelt. Störungen der Adrenalinproduktion. Fehlen des Nebennierenmarkgewebes oder dessen experimentelle Entfernung beim Versuchstier bleiben ohne Folgen, da das sympathische Nervensystem das Nebennierenmark bezüglich der Synthese von Katecholaminen vollständig zu ersetzen vermag. Tumoren des chromaffinen Gewebes der Nebennieren oder des sympathischen Grenzstranges, die wegen ihrer grauen Farbe als Phäochromozytome bezeichnet werden, führen dagegen zu schweren Störungen der Herztätigkeit und der Kreislauffunktion. Die Überschüttung des Organismus mit Katecholaminen äußert sich vor allem in einem intermittierenden (später auch permanenten) Hochdruck, der später durch Coronarinsuffizienz und Lungenödem kompliziert wird. Weniger typisch sind Blutzuckererhöhungen, da beim Phäochromozytom meist Noradrenalin stärker vermehrt ist als Adrenalin. Die aus den Triglyceriden des Fettgewebes freigesetzten Fettsäuren sind im Blut häufig mehrere lOOmal gegenüber der Norm erhöht. Die Diagnose eines Phäochromozytoms wird u. a. durch Nachweis der vermehrten Ausscheidung von 3-Methoxy-4-hydroxymandelsäure (Vanillinmandelsäure) — des Hauptabbauproduktes der Katecholamine — im Urin gestellt. Die Normalausscheidung (l-7 mg/24 Stdn.) ist meistens auf Werte über 20 mg/24 Stdn. erhöht. Eine vermehrte Ausscheidung kann auch nach schweren Verletzungen, Verbrennungen, postoperativ oder nach Myocardinfarkt auftreten. Abbau. Der rasche Wirkungsabfall von Adrenalin und Noradrenalin ist nicht nur durch Einsetzen von Gegenregulationsvorgängen (Insulin), sondern auch durch den schnellen Abbau bedingt. Der Hauptabbauweg des Adrenalins und Noradrenalins führt über die O-Methylderivate (S-Adenosylmethionin-abhängige Katechol-O-Methyltransferase) und anschließende oxidative Desaminierung durch eine Monoamin-Oxidase zur 3-Methoxy-4-hydroxymandelsäure, doch ist auch eine Wirkung der Enzyme in umgekehrter Reihenfolge möglich und führt zum gleichen Endprodukt. Regulation der Adrenalinausschüttung. Das aus den Speichern des Nebennierenmarks und dem sympathischen Nervensystem stammende Adrenalin ist vermutlich nur in geringem Maße an der Regulation des Blutzuckers und des Lipidhaushaltes
330
Hormone Abbau des Adrenalins
OH |Monoamin-Oxidasei | Aldehyd-Oxidase]
O —CH„
Katechin-Omethyltransferase
CHOH
H,C— N — CH-3 2 Adrenalin
3-Methoxy-4hydroxymandelsäure "Vanillinmandelsäure")
3,4-Dihydroxymandelsäure
beteiligt, da seine Ausschüttung vorzugsweise durch nervöse Impulse und psychische Erregungsvorgänge, nicht jedoch durch Konzentrationsänderungen der Glucose und freien Fettsäuren des Blutes ausgelöst wird. Die akute Stimulation der Herztätigkeit, des Kreislaufs und der Stoffwechselvorgänge durch Adrenalin dient somit mehr einer Bereitschafts- bzw. Notfallsreaktion, die im Bedarfsfalle eine kurzfristige Maximalleistung des Organismus garantieren soll. Sympathikomimetika. Die einfache chemische Struktur der Katecholamine und die Möglichkeit, durch chemische Synthese strukturanaloge Verbindungen herzustellen, hat zur Auffindung von Wirkstoffen geführt, welche die Wirkungen der Katecholamine nachahmen, dabei jedoch Teilwirkungen auf Herz, Kreislauf, Zentralnervensystem oder glatte Muskulatur in viel stärkerem Maße besitzen. Hierher gehören z.B. Kreislaufmittel wie das l-Phenyl-2-methylaminopropanol (Ephedrin), das stundenlange Blutdrucksteigerungen bewirkt, das (zur Sucht führende!) leistungssteigernde, ermüdungsbeseitigende und euphorisierende Methamphetamin (Pervitin), das über eine Stimulierung der vegetativen Zentren der Hirnrinde (Weckamine) wirkt und auch als Appetitzügler verwendet wird, sowie Asthmolytika, welche die Wirkungen des Isopropylnoradrenalins in verstärktem Maße besitzen und zu einer Erschlaffung der Bronchialmuskulatur führen.
Sympathikomimetika
v 9 CHOH 1 HC — N — CH3 I H CH3
1 -Phenyl-2-methylaminopropanol (Ephedrin)
CH, 1 HC— N — CH J 1 H CH3
1 -Phenyl-2-methylaminopropan (Pervitin®)
Grundstruktur der Beta-Rezeptoren- Blocker
H 2 C-0-[jf] CHOH
CH2
NH H3C - C - C H3, H
["R] = 1-Naphthyl = Propranolol
Insulin
331
Antihypertensiva und ß-Rezeptorenblocker. Die Herabsetzung eines chronisch erhöhten Blutdrucks, der einen Risikofaktor für Herz- und Kreislauferkrankungen darstellt, läßt sich u. a. durch das synthetische -Methyldopa, das als „falscher Transmitter" wirkt, und durch ß-Rezeptorenblocker erreichen, die kompetitiv die ß-Rezeptoren für die Katecholamine blockieren.
8. Insulin Das Pankreasgewebe der Säugetiere und vieler anderer Tierspezies enthält über das Gesamtgewebe verteilt sogenannte Inselzellen, die etwa l — 3% des Pankreasgewebes (beim Menschen etwa 1,5 Mill. Zellen) ausmachen. Sie enthalten verschiedene Zelltypen, von denen die -Zellen das Hormon Glukagon, die ß-Zellen das Insulin und die nur in geringer Menge vorkommenden -Zellen das Somatostatin (S. 343) produzieren*. Chemie. Menschliches Insulin besteht aus zwei Peptidketten ( -Kette = 21 Aminosäuren, B-Kette = 30 Aminosäuren), die über zwei Disulfidbrücken miteinander verknüpft sind. Die -Kette enthält außerdem eine Disulfidbrücke zwischen zwei Cysteinresten in Position 6 und 11. In neutraler Lösung bildet Insulin wasserunlösliche Zinkkomplexe. Der hohe Zinkgehalt der ß-Zellen des Pankreas und die Existenz zinkhaltiger Sekretionsvesikel in den ß-Zellen machen es wahrscheinlich, daß Insulin in den ß-Zellen als Zinkkomplex in einer wasserunlöslichen Depotform gespeichert wird. An der Komplexbildung sind die Imidazolgruppen der Histidinreste in Position 5 und 10 der BKette beteiligt. Eine Insulineinheit entspricht etwa 45 g kristallisierten Insulins, der Tagesbedarf des Menschen beträgt 1,8mg (=etwa 40 Insulineinheiten). Ein großer Teil des therapeutisch eingesetzten Insulins wird gentechnisch hergestellt. Biosynthese. Bei der Biosynthese wird das Insulinmolekül (beim Menschen) zunächst in Form einer einzigen, 107 Aminosäurereste enthaltenden, unverzweigten Polypeptidkette hergestellt (Prä-Proinsulin), das als primäres Translationsprodukt der ribosomalen Biosynthese in den Raum des endoplasmatischen Retikulums sezerniert wird. Dabei wird ein N-terminales, 26 vorwiegend hydrophobe Aminosäuren enthaltendes Peptid proteolytisch abgespalten, wodurch das Proinsulin entsteht. Die Primärstruktur des Proinsulins begünstigt die spontane Ausbildung der Disulfidbrücken. Anschließend wird das nicht benötigte Mittelstück (C-Peptid) enzymatisch entfernt, so daß im fertigen Insulinmolekül zwei Peptidketten vorliegen (Abb.). Dieser Prozeß findet im Golgi-Apparat statt. Das Insulin wird in Sekretionsvesikeln gespeichert, die nach Fusion mit der Zellmembran ihren Inhalt an den perikapillären Raum abgeben. Die Freisetzung von Insulin aus den ß-Zellen ist an die Gegenwart von Ca2+ gebunden. * Die Inselzelltypen werden in der Literatur auch als zeichnet.
-Zellen, B-Zellen und D-Zellen be-
332
Hormone Biosynthese und Sekretion des Insulins B-ZELLE des PANKREAS
BLUTSERUM
Ribosomale Proteinbiosynthese
Humanes Prä-Proinsulin (107 Aminosäurereste)
N-terminales., Peptid
Enzymatische Proteolyse (Endoplasmatisches Retikulum)
Verbindende Peptidkette (C-Peptid)
rs _s I
s
s
-Kette S
S
B-Kette
H„N
Serumproinsulin
Humanes Proinsulin (81 Aminosäurereste) · Enzymatische Proteolyse (Golgi-Apparat) C-Peptid l HOOC
• COOH NH„
•COOH Humanes Insulin (51 Aminosäurereste)-
Sekretion Seruminsulin 10-25
Insulingehalt des Pankreas: 150 - 250 E Insulintagesbedarf: * 40 E
Regulation der Insulinproduktion und Insulinsekretion. Biosynthese und Sekretion von Insulin sind zwei getrennt regulierte Vorgänge, die durch Nahrungsstoffe, Hormone und Pharmaka gesteuert werden. Glucose stellt den physiologischen Stimulus der ß-Zelle für die Synthese und Ausschüttung von Insulin dar. Der Mechanismus der Glucosewirkung erfolgt möglicherweise über einen zellmembrangebundenen „Glucoserezeptor". Die Abspaltung des C-Peptids aus dem Proinsulin wird durch Glucose jedoch nicht beeinflußt. Eine fördernde Wirkung auf die Insulinsynthese üben Glukagon (bzw. Cyclo-AMP) und Wachstumshormon aus. Die Abgabe von Insulin aus den Speichern der ß-Zellen (nicht jedoch die Synthese!) kann außer durch Glucose und andere Zucker (z. B. Mannose, Ribose und Xylitol) auch durch Aminosäuren und Fettsäuren in Anwesenheit von Glucose sowie therapeutisch durch die oral wirksamen Sulfonylharnstoffe (s. u.) angeregt werden. Die Wirkung des Glucosesignals auf die Insulinsekretion wird weiterhin
Insulin
333
durch Glukagon und Sekretin (S. 374) verstärkt. Umgekehrt üben Katecholamine, Somatostatin und das Insulin selbst eine Hemmwirkung auf die Sekretion aus. Insulinrezeptor. In den (insulinabhängigen) Erfolgsorganen (z. B. Muskel, Leber, Fettgewebe) reagiert Insulin mit einem spezifischen Rezeptor der Zellmembran. Der Insulinrezeptor, von dem eine Zelle bis zu 20000 enthalten kann, ist ein integriertes Membran-Glykoprotein, das aus 2 - und 2 ß-Ketten besteht, die durch 3 Disulfidbrücken miteinander verknüpft sind (Abb.). Die am extrazellulären Abschnitt des Insulinrezeptors lokalisierten -Ketten tragen die Insulinbindungsregion, während die auf dem zytosolischen Abschnitt gelegenen ß-Ketten eine Tyrosinkinase-Domäne aufweisen. Schema des Insulinrezeptors Insulin-Bindungs-Region Oligosaccharid-Einheit -Kette
extrazellulär
ZELL-
... intrazellulär
1 1 1 1
MEMBRAN
Tyrosin-Kinase-Aktivität ß-Kette • ATP-Bindung
Eine Bindung des Insulins an den Rezeptor schaltet die Tyrosinkinaseaktivität ein. Der aktivierte Rezeptor phosphoryliert dann ATP-abhängig zwei seiner eigenen Tyrosinreste innerhalb der ß-Ketten. Diese Autophosphorylierungsreaktion des Rezeptors erhöht seine Kapazität, in einer ATP-abhängigen Reaktion Tyrosinreste anderer an der Insulinwirkung beteiligten Proteine (Enzyme) zu phosphorylieren. Dadurch wird eine intrazelluläre Signalkaskade ausgelöst, die schließlich zu den Insulin-gesteuerten Stoffwechselumschaltungen führt. Wirkungsmechanismus. Insulin ist ein anaboles Hormon, das die Verteilung und Aufnahme der mit der Nahrung zugeführten Substrate in die Energiedepots reguliert. Dies betrifft vorzugsweise die zelluläre Aufnahme der Glucose und ihre Speicherung in Leber (und Muskulatur), die Speicherung von Fettsäuren als Triacylglycerole im Fettgewebe und die Aufnahme und Speicherung von Aminosäuren in Proteinen. Die Insulineffekte werden z.T. durch die Tyrosin-Kinaseaktivität des Insulinrezeptors über eine Phosphorylierung von Komponenten der Signalkaskade (Sofortreaktion), z. T. durch eine Erhöhung der Transkriptionsrate Enzym-spezifischer mRNA ausgelöst (Spätreaktion). Die auffallendste Sofortwirkung des Insulins auf den Gesamtorganismus ist eine Senkung des normalen oder erhöhten Blutglucosespiegels, die bei genügend hoher
334
Hormone
Insulindosierung bis zum völligen Verschwinden der Glucose aus dem Blut gehen kann. Dabei kommt es zum hypoglykanischen Schock (s. u.). Insulin besitzt keine ausgesprochene Organspezifität. Es gibt jedoch insulinabhängige Organe, zu denen Muskel, Leber, Fettgewebe, Knorpel, Knochen, Haut, Augenlinse und periphere Nerven gehören, und andere Gewebe bzw. Zellen (lymphatisches Gewebe, Erythrozyten, Niere, Intestinaltrakt), deren Stoffwechsel völlig insulinunabhängig verläuft. 1. Wirkungen des Insulins auf die Zellpermeabilität. In insulinabhängigen Organen wird die Aufnahme von Monosacchariden, Aminosäuren und Fettsäuren durch Insulin erhöht. Dieser Effekt weist keine hohe Spezifität auf. So ist z. B. nicht nur die Aufnahme von Glucose in die Zellen erhöht, sondern ebenso von allen Monosacchariden, welche an den ersten drei C-Atomen die gleiche Konfiguration aufweisen wie Glucose. Dies gilt z. B. für Galaktose (nicht dagegen für Fructose), aber auch für D-Xylose, die im Stoffwechsel gar nicht bzw. sehr langsam metabolisiert und infolgedessen intrazellulär akkumuliert wird. Die Leber ist zwar ein insulinabhängiges Organ, die Aufnahme der Glucose in die Leberzelle erfolgt jedoch insulinunabhängig. 2. Wirkungen des Insulins auf den Kohlenhydratsf o ff Wechsel. An einer vermehrten Synthese von mRNA läßt sich nachweisen, daß Insulin als Induktor von Schlüsselenzymen der Glykolyse und der Glykogensynthese wirkt. Dies läßt sich an einer Aktivitätssteigerung der Glucokinase, der Phosphofructokinase, der Pyruvat-Kinase und der Glykogen-Synthetase nachweisen. Außer dem induktiven Effekt, der erst nach einigen Stunden eintritt, löst Insulin eine Sofortregulation aus, indem es durch Aktivierung spezifischer Phosphatasen, die Pyruvat-Kinase, die Pyruvat-Dehydrogenase und die Glykogen-Synthetase von der inaktiven phosphorylierten in die aktive dephosphorylierte Form überführt. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, daß Insulin gleichzeitig über eine Senkung des cAMP-Spiegels (der Leber) und eine dadurch reduzierte Phosphorylierung der Fructose-6-phosphat-2-Kinase die intrazelluläre Konzentration von Fructose-2,6-bisphosphat erhöht, was zu einer gesteigerten Glykolyse führt. Eine zusätzliche Wirkung entsteht dadurch, daß Insulin die Synthese der an der Gluconeogenese beteiligten Enzyme (Fructose-1,6-Bisphosphatase, Pyruvat-Carboxylase, Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, Glucose6-phosphat-Phosphatase) hemmt. Unter der Wirkung des Insulins kommt es dadurch jedoch nicht nur zu einem verstärkten Abbau von Glucose-6-phosphat und zu einer vermehrten Glykogensynthese, sondern auch zu einem erhöhten Durchsatz im Pentosephosphatzyklus mit vermehrter Bildung von NADPH 2 und CO2. 3. Wirkung des Insulins auf den Lipidstoffwechsel. — Von der mit der Nahrung aufgenommenen Glucose werden — sofern sie nicht unmittelbar dem Abbau und der Oxidation unterliegt — 3% zu Glykogen, jedoch 30% in Lipide umgewandelt. Unter der Wirkung von Insulin laufen beide Prozesse in verstärktem Umfange ab. Die vermehrte Bildung von Fettsäuren bzw. Lipiden ist deshalb möglich, weil durch den Pentosephosphatzyklus NADPH 2 vermehrt bereitgestellt wird. Aber auch eine Aktivitätserhöhung verschiedener Enzyme der Lipidbiosynthese ist daran beteiligt. Die Pyruvat-Dehydrogenase (S. 247), die Acetyl-CoA-Carboxylase, die HMG-CoAReduktase und das Acyl-CoA übertragende Enzym (Veresterung mit Glycerin-3-
Insulin
335
phosphat) sind in ihrer Aktivität gesteigert. Gleichzeitig ist die Bildung von Ketonkörpern gehemmt. Die Förderung der Fettsäuresynthese ist nicht an eine erhöhte Glucosezufuhr gebunden, sondern wird auch dann beobachtet, wenn man z. B. Gewebsschnitten lediglich Acetat als Substrat anbietet. In der lactierenden Brustdrüse, im epididymalen Fettgewebe, im Diaphragma und in der Leber ist unter diesen Bedingungen in Gegenwart von Insulin die Syntheserate für Lipide im Vergleich zu insulinfreien Kontrollen erhöht. Die lipidanabole Wirkung des Insulins wird durch eine erhöhte Aufnahme freier Fettsäuren aus dem Blut in die Gewebe begünstigt. Im Fettgewebe wird dieser Effekt verstärkt durch Aktivierung der zellmembrangebundenen Lipoprotein-Lipase, die aus Lipoproteinen Fettsäuren freisetzt, und durch Hemmung der hormonsensitiven Lipase. Insulin wirkt damit der adrenalininduzierten Fettsäurefreisetzung entgegen. 4. Wirkung des Insulins auf den Proteinstoffwechsel und Wachstum. Die unter Insulinwirkung vermehrte Aufnahme von Aminosäuren in die Zelle ist Ausdruck der Permeabilitätserhöhung der Zellmembran. Eine direkte Wirkung auf die Proteinbiosynthese läßt sich jedoch an einer vermehrten mRNA-Synthese und einem erhöhten Einbau von Aminosäuren in Zellproteine nachweisen. Dieser Effekt tritt jedoch — im Gegensatz zu dem innerhalb weniger Minuten erfolgenden Wirkungseintritt auf den Kohlenhydratstoffwechsel — erst nach Stunden oder Tagen ein. Induktion und Repression insulinabhängiger Enzyme sind auch Voraussetzung für Zellteilung und Wachstum. Die Stimulierung der Aminosäureaufnahme in die Zelle und die Förderung der Proteinbiosynthese sind unabhängige Vorgänge. Der erhöhte Einstrom der Aminosäuren in die Zelle läßt sich auch dann nachweisen, wenn die Proteinbiosynthese im Experiment etwa durch Zugabe von Puromycin blockiert wird. Hyperinsulinismus. Eine vermehrte Bildung und Ausschüttung von Insulin wird bei Inselzelladenomen beobachtet. Das Krankheitsbild ist durch schwere, von Schwächezuständen und Schweißausbrüchen begleiteten Hypoglykämicn charakterisiert, die ohne Behandlung (Glucosezufuhr) zum Bild des hypoglykanischen Schocks mit konvulsivischen Krämpfen, Bewußtlosigkeit und Tod führt (Abhängigkeit des zentralen Nervensystems von ausreichender Glucoseversorgung). Die gleichen Symptome lassen sich durch eine Überdosierung von Insulin herbeiführen. Diabetes mellitus. Ein absoluter oder relativer Insulinmangel kann über folgende pathogenetische Mechanismen zustande kommen (Abb.): 1. Eine Ausschaltung oder Zerstörung oder Funktionsunfähigkeit der ß-Zellen (Pankreatektomie, chronische Pankreatitis, ß-zytotrope Viren, Autoimmunprozesse) oder die Synthese eines fehlerhaften Insulins haben einen totalen Insulinmangel zur Folge. Dieser Zustand ist für den juvenilen Insulinmangeldiabetes charakteristisch: Diabetes mellitus Typ I. Wegen der therapeutisch stets notwendigen Insulinzufuhr wird dieser Diabetestyp auch als insulinabhängiger (engl. insulin dependent) Diabetes mellitus (IDDM) bezeichnet. 2. Der erst im Erwachsenenalter auftretende, pathogenetisch jedoch nicht einheitliche Diabetes mellitus Typ II zeigt keine direkte Insulinabhängigkeit (nicht-insulinabhängiger Diabetes mellitus, NIDDM) und ist durch eine mildere Verlaufsform gekennzeichnet. Der Typ II Diabetes manifestiert sich nicht nur in einer verminder-
336
Hormone Schema zur Pathogenese verschiedener Diabetes mellitus-Typen PANKREAS B-ZELLE
Insulinantagonisten
ERFOLGSORGAN, ZIELZELLE
Insulinwirkungen *· Glucoseaufnahme —^[ Glykogensynthese N. Fettsäuresynthese * Triglyceridsynthese
Nahrungsglucose
Glykogenabbau Gluconeogenese Juveniler Diabetes mellitus Typ l
[4] Gesteigerter Insulinabbau
Diabetes mellitus Typ II Rezeptormangel
El Insulinantikörper
Diabetes mellitus Typ II Inadäquate Insulinproduktion
[H Insulinantagonistische Hormone (Glucocorticoide, STH, Schilddrüsenhormone, Katecholamine)
ten Insulinsynthese-Kapazität der B-Zellen, sondern auch in einer herabgesetzten Insulinempfmdlichkeit (Insulinsensitivität) der Zielorgane (Insulinresistenz). Die Insulinresistenz hat ihre Ursache häufig in einem genetisch bedingten Strukturdefekt des Insulinrezeptors oder in einem Defekt der Rezeptor-gekoppelten intrazellulären Signalübertragung (Postrezeptordefekt). Hauptgründe für die Insulinresistenz sind Adipositas, Fettstoffwechselstörungen und antiinsulär wirksame Hormone (Abb.). Die Insulinresistenz führt zu einem gesteigerten Insulinbedarf, so daß vor allem in der Frühphase des Typ II Diabetes normale oder sogar erhöhte Insulinkonzentrationen im Blut gemessen werden. Im Verlauf des Typ II Diabetes nimmt die Insulinsynthese-Kapazität durch Erschöpfung der Inselzellen jedoch ab. Die Insulinsekretion ist nicht nur vermindert, sondern auch qualitativ gestört, da das Insulin verzögert freigesetzt wird. Eine relativ zu geringe bzw. inadäquate Insulinsekretion wird bei normalgewichtigen älteren Patienten mit Diabetes mellitus („normalgewichtiger Altersdiabetes") beobachtet, ist aber therapeutisch durch Sulfonylharnstoffpräparate (s. u.) günstig zu beeinflussen. Neben den häufigen Diabetes mellitus-Formen I und II kann auch eine Überproduktion von Insulinantagonisten (Glukagon, STH, Glucocorticoide), das Auftreten von Insulinantikörpern, ein beschleunigter Insulinabbau oder die Synthese eines Insulins mit abweichender Primärstruktur zum Diabetes mellitus führen. Primäre Stoffwechselstörungen bei Insulinmangel. Die Symptome des Diabetes mellitus sind durch einen unvollständigen oder fehlenden Ablauf aller jener Stoffwechselprozesse gekennzeichnet, die physiologischerweise durch Insulin unterhalten oder gefördert werden. Hyperglykämie und Glucosurie sind nicht nur die Folgen
Insulin
337
einer Unfähigkeit der Zellen zur Aufnahme der Glucose, sondern auch durch die bei Insulinmangel gesteigerte Gluconeogenese mitbedingt. Die gesteigerte Gluconeogenese ist wiederum eine Folge des bei Insulinmangel extrem erhöhten Glukagonspiegels, der in der Leber zu einer Abnahme der Fructose-2,6-bisphosphatkonzentralion führt und so die Glykolyse inhibiert und die Gluconeogenese stimuliert. Da bei Anstieg des Blutglucosespiegels über Werte von 170—180 mg/100 ml die Rückresorption der Glucose im Tubulussystem der Niere nicht mehr vollständig ist, kommt es zur Ausscheidung von Glucose mit dem Urin. Bei schwerem Diabetes können täglich mehrere hundert Gramm Glucose ausgeschieden werden. Über Glykohämoglobine s. S. 431. Der verminderte Glucoseumsatz im Pentosephosphatzyklus führt zu verminderter Bereitstellung von NADPH 2 für die Fettsäuresynthese, die aus diesem Grunde, aber auch wegen der Hemmung der insulinabhängigen Enzyme der Fettsäuresynthese vermindert ist. Der aus der reduzierten Glykolyse resultierende Abfall der Malonyl-CoA-Konzentration aktiviert außerdem die Carnitinacyl-Transferase I, die in vermehrtem Maße Acyl-CoA-Moleküle in die Mitochondrien transportiert. Der Fettsäureabbau läuft dabei gleichzeitig unverändert oder in verstärktem Maße (Energiegewinn!) weiter, da der bei Insulinmangel erhöhte Glukagonspiegel weiterhin zu einer Mobilisierung der Triacylglyceride aus den Fettgewebsdepots führt. Eine Verwertung des dabei gebildeten Acetyl-CoA über den Citratzyklus ist jedoch wegen des Mangels an Oxalacetat, das für die Gluconeogenese abgezweigt wird, nicht möglich. Als Folge kommt es zu einem Rückstau der Zwischenprodukte des Fettsäureabbaus und zu einem Ausweichen auf die Bildung von ß-Hydroxybuttersäure und Acetessigsäure aus der durch Decarboxylierung Aceton entsteht (über den Mechanismus ihrer Entstehung ist im Kap. Lipide, S. 208, berichtet). Diese als Ketonkörper bezeichneten Stoffwechselprodukte werden ans Blut abgegeben und mit dem Urin bzw. mit der Atemluft (Aceton) ausgeschieden. Bei Insulinmangel ist die Gluconeogenese aus Aminosäuren gesteigert, so daß der Harnstoff im Blut ansteigen kann. Die Gefahren des Diabetes liegen in einer akuten Stoffwechselentgleisung, die durch eine Ketonämie ausgelöst werden kann. Eine Überbeanspruchung der Alkalireserve durch die Ausscheidung der Ketonkörper kann zur metabolischen Acidose und zum diabetischen Coma führen, das durch die narkotischen Wirkungen des Acetons noch verstärkt wird. Da zur Ausscheidung der Ketonkörper und der Glucose große Wassermengen notwendig sind, können Exsikkose und Störungen des Elektrolythaushaltes sekundäre Folgen sein. Im Coma diabeticum müssen daher neben dem Blutzucker zusätzlich die Ketonkörper, der Harnstoff, der Säure-BasenStatus und die Elektrolyte im Blut bestimmt werden. Sekundäre Stoffwechselstörungen. Spätfolgen eines Diabetes mellitus sind eine Hyperlipoproteinämie, die als Risikofaktor die Entstehung einer Arteriosklerose begünstigt und sich vorzugsweise an den Coronararterien (Herzinfarkt), an den Nierengefäßen (Nephrosklerose mit nachfolgendem Hypertonus) und an den Hirngefäßen (Apoplexie, Cerebralsklerose) manifestieren kann. Der diabetische Katarakt (Cataracta diabetica) und die diabetische Neuropathie sind weitere Komplikationen. Die diabetische Mikroangiopathie, die durch Diabetes-spezifische Veränderungen an der Basalmembran der Kapillaren gekennzeichnet ist, steht vermutlich mit der Bildung glykosylierter Hämoglobine (S. 431) und glykosylierter Basalmembranproteine (diabetische Nephropathie) im Zusammenhang.
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Hormone Folgen des Insulinmangels für den Stoffwechsel Insulinmangel
Verstärkte Gluconeogenese
Störung der Glucoseaufnahme des Glucoseverbrauchs
Störung der Fettsäure- und Lipidsynthese Ketonkörperbildung
Gesteigerter Proteinabbau
Hyperglykämie Hyperosmolarität
Ketonämie
Gesteigerte N-Ausscheidung
Glucosurie Osmotische Diurese
Metabolische Acidose
Ketonurie
Diabetisches Koma
Na + - und K + -Verlust (Salze der Ketosäuren)
Störung im Elektrolythaushalt NaCI-Verlust
Zellulärer Wasserentzug Exsikkose
Dehydratation der Hirnzellen
Die Pathogenese des Diabetes faßt das vorstehende Schema zusammen. Die Diagnose eines subklinischen oder latenten Diabetes mellitus ist durch die Bestimmung der Glucosetoleranz im Glucosebelastungstest (S. 445) möglich. Diagnose des Diabetes mellitus. Die Erkennung einer diabetischen Stoffwechsellage erfolgt durch Bestimmung des Nüchternblutzuckers, durch den einseitigen oralen Glucosetoleranztest (S. 445), die Harnglucosebestimmung und gegebenenfalls die direkte quantitative Analyse des Seruminsulins (Normbereich 10—25 /ml Serum) mit Hilfe der Radio/Enzymimmunbestimmung (S. 315). Abbau. Insulin besitzt beim Menschen eine Halbwertszeit von 40 Min., d. h. innerhalb dieser Zeit wird die Hälfte des vom Pankreas an das Blut abgegebenen Insulins abgebaut. Eine in Leber, Niere und Muskel vorhandene Glutathion-Insulin-Transhydrogenase macht das Insulin durch Reduktion der Disulfidbrücken unwirksam. Eine insulinspezifische Protease der Skelettmuskulatur kann am Abbau beteiligt sein. Als Folge einer langdauernden Insulintherapie können im Organismus auch Insulinantikörper gebildet werden, die das Insulin binden und unwirksam machen (s. o.). Orale Antidiabetika. Die hohe Diabetesfrequenz in allen zivilisierten Ländern der Erde (1-2% der Bevölkerung) und die Notwendigkeit einer Behandlung des Diabetes durch ständige parenterale Injektion von Insulin haben zu einer intensiven Suche nach Medikamenten geführt, die auch bei oraler Gabe eine blutzuckersenkende Wirkung besitzen.
Glukagon
339
Strukturprinzip der Sulfonylharnstoffe (Orale Antidiabetika) O
Euglucon® N-4-[2-(Chlor-2-methoxybenzamido)-äthyl]Cyclohexyl-
Die Sulfonylharnstoffe sind eine Verbindungsklasse, die antidiabetische Wirkung dadurch besitzt, daß sie die Ausschüttung des Insulins in den ß-Zellen anregt. Sie sind also nur dann wirksam, wenn endogenes Insulin gebildet wird. Die Biguanide entfalten ihre Wirkung auch im insulinfreien Organismus, indem sie die Glucoseaufnahme in die Zelle steigern und die Gluconeogenese hemmen. Gleichzeitig vermindern sie aber auch die Sauerstoffaufnahme und führen so zu einer schlechteren Ausnutzung der Glucose (Milchsäurebildung). Das Auftreten von Nebenwirkungen (Schwindel, Erbrechen, intestinale Störungen, Lactatacidose) schränkt ihren Gebrauch ein. Eine nichtdiabetische Glucosurie kann bei Nierenschäden mit Defekten des Glucosetransportsystems im Tubulusapparat eintreten (S. 485) und wird als renaler Diabetes mellitus bezeichnet.
9. Glukagon Chemie. Das Glukagon (synonyme Bezeichnung HGF = hyperglykämisch-glykogenolytischer Faktor) ist ein aus 29 Aminosäuren bestehendes Proteohormon. Es wird aus einer höhermolekularen Vorstufe dem Proglukagon - freigesetzt. Die Sekretion des Glukagons unterliegt der Kontrolle durch Somatostatin (S. 342). Stoff Wechsel Wirkungen. Glukagon entfaltet seine Wirkungen in den Erfolgsorganen - vorwiegend Leber und Fettgewebe - über eine Stimulierung der zellmembrangebundenen Adenyl-Cyclase und beeinflußt folgende Stoffwechselprozesse: 1. Kohlenhydratstoffwechsel Bezüglich seiner Wirkung auf den Kohlenhydratstoffwechsel gleicht das Glukagon dem Adrenalin, wirkt jedoch selektiv auf die Leber und nicht auf die Muskulatur. Die glykogenmobilisierende Wirkung, die durch eine Aktivitätssteigerung der Leber-Phosphorylase ausgelöst wird, führt zur Erhöhung des Blutzuckers. Dieser Effekt wird durch eine gleichzeitige Förderung der Gluconeogenese (S. 160) unterstützt. Bevorzugte Substrate der Kohlenhydratneubildung sind Lactat, Pyruvat und aus dem Proteinabbau stammende Aminosäuren. Im Gegensatz zur Adrenalinwirkung wird die Lactatbildung im Muskel jedoch nicht vermehrt. Glukagon besitzt auch keine Wirkung auf den Kreislauf.
340
Hormone
2. Proteinstoffwechsel Glukagon besitzt eine proteinkatabole Wirkung, die sich in einer Zunahme der Ausscheidung von Kreatinin, Harnstoff und Harnsäure im Harn zeigt, und zu einer Abnahme der Muskelmasse, des Lebergewebes und des Gesamtkörpergewichts führt. Die glucoplastischen Aminosäuren werden rasch zu Glucose umgewandelt und verstärken den Gluconeogeneseeffekt des Glukagons. 3. Fettstoffwechsel Durch Aktivierung der hormonsensitiven Fettgewebslipase kommt es zur Freisetzung und vorübergehenden Konzentrationserhöhung nichtveresterter Fettsäuren im Blut, u. U. auch zur Ketonkörperbildung. Die Stimulierung des Stoffwechsels des Fettgewebes führt zu erhöhtem Sauerstoffverbrauch und auch zu erhöhter Glucoseaufnahme. 4. Hormonelle Regulation Glukagon bewirkt eine verstärkte Sekretion von Insulin, Calcitonin und einigen gastrointestinalen Hormonen. Im Duodenum ist ein Darmwandglukagon (Enteroglukagon) nachweisbar, das gleiche chemische, immunologische und biologische Eigenschaften wie das Pankreasglukagon besitzt. Bei enteraler Glucosezufuhr wird es freigesetzt und bewirkt in den Inselzellen des Pankreas eine Ausschüttung von Insulin. Abbau. Ein in der Leber befindliches Enzym spaltet das N-terminale Dipeptid HisSer aus dem Glukagon ab, das damit biologisch unwirksam wird.
10. Wachstumshormon, STH (Somatotropin, Somatotropes Hormon) und Somatomedine Das in den eosinophilen Zellen des Hypophysenvorderlappens gebildete Wachstumshormon ist ein Proteohormon von großer Artspezifität. Alle bisher in reiner Form erhaltenen Hormonpräparate verschiedener Spezies weisen Differenzen in ihrer chemischen Struktur (Zahl und Sequenz der Aminosäuren), ihrem immunologischen Verhalten und ihrer biologischen Aktivität auf. Beim Menschen und Affen besteht das Hormon aus einer einzelnen Proteinkette (188 Aminosäuren), bei Rind und Schaf aus zwei Ketten. Biologische Wirkungen. Das Wachstumshormon macht unter den Hormonen eine Ausnahme insofern, als es nur eine bedingt heterologe Wirkung aufweist. So ist das Rinderwachstumshormon z. B. an Mensch und Affen unwirksam, an der Ratte und am Fisch dagegen biologisch aktiv. Das menschliche Wachstumshormon ist dagegen nicht nur am Menschen selbst, sondern auch an allen anderen bisher geprüften Spezies wirksam. Eine weitere Besonderheit liegt darin, daß die eigentliche Wachstumswirkung des STH und ein Teil seiner Stoffwechselwirkungen nicht durch das Wachstumshormon selbst, sondern über die Somatomedine erfolgt. Somatomedine. Die Somatomedine (= IGF I und II, Insulin-like growth factors) sind 2 einkettige Polypeptide mit 67 bzw. 70 Aminosäuren, die unter dem Einfluß
Wachstumshormon, STH (Somatotropin, Somatotropes Hormon) und Somatomedine
341
des Wachstumshormons in der Leber aus Vorstufen gebildet und an die Zirkulation abgegeben werden. Der IGF I-Rezeptor der Erfolgsorgane weist Strukturhomologien mit dem Insulinrezeptor (S. 333), der IGF II-Rezeptor mit dem Mannose-6phosphatrezeptor (S. 422) auf. Die partielle Strukturhomologie der Somatomedine mit dem Insulin und ihre nachweisbare (allerdings geringere) Affinität zu den Insulinrezeptoren haben zu der Bezeichnung insulinähnliche Wachstumsfaktoren geführt. 1. Wachstumswirkung. Das Wachstum eines Organismus hat zwar die geordnete Funktion des Stoffwechsels und eine ausreichende Ernährung zur Voraussetzung, der eigentliche Wachstumsimpuls geht jedoch von den unter dem STH-Einfluß gebildeten Somatomedinen aus. Er betrifft eine Stimulierung der DNA-Synthese, die im Skelettsystem eine Teilung der Zellen des nichtverknöchernden Knorpels der Epiphysenfugen (Säulenknorpel) und Längen- und Dickenwachstum zur Folge hat. Dieser Effekt ist von einer verstärkten Synthese der extrazellulären Grundsubstanz des Knorpel- und Knochengewebes (Kollagen, sulfatierte Proteoglykane) begleitet. Der Calcifizierungsprozeß ist zwar ein sekundärer Wachstumshormon-unabhängiger Vorgang, doch erhöht das Wachstumshormon auch die Calciumaufnahme des Knochengewebes. Die Wachstumswirkung der Somatomedine erstreckt sich auch auf Fettgewebe und Muskulatur sowie die Haut, in der die Synthese von Extrazellulärsubstanz (Kollagen, Elastin, Hyaluronat, Dermatansulfat) angeregt wird. 2. Wirkungen auf Protein-, Lipid- und Kohlenhydratstoffwechsel. Die Protein-anabole Wirkung des Wachstumshormons ist einmal durch eine beschleunigte Aminosäureinkorporation in die Zelle, zum anderen durch eine direkte Wirkung auf die Proteinbiosynthese bedingt. Die Anregung der Proteinbiosynthese läßt sich durch eine unter STH erhöhten Syntheserate von mRNA nachweisen. Im Gesamtorganismus drückt sich die erhöhte Retention von Stickstoff in einer positiven Stickstoffbilanz aus (insulinähnliche Wirkungen des STH bzw. der Somatomedine). In den Fettstoffwechsel greift STH einerseits durch Hemmung der Lipidsynthese ein, die sowohl in einer herabgesetzten Synthese von Fettsäuren aus Acetyl-CoA als auch in einer Hemmung des Fettsäureeinbaus in die Lipide besteht. Andererseits besitzt STH eine schwach lipolytische Wirkung (Abbau der Lipiddepots), so daß es zu einem Anstieg der freien Fettsäuren im Blut kommt, bei deren Oxidation Energie für die Proteinbiosynthese geliefert wird. Auf den Kohlenhydratstoffwechsel wirken STH-Präparate insulinantagonistisch und diabetogen. Dieser Effekt kommt dadurch zustande, daß STH einerseits die Ausschüttung von Glukagon fördert und andererseits den Wirkungsgrad des Insulins verringert. Unter der STH-Wirkung steigt daher der Blutzuckerspiegel an. Gentechnisch hergestelltes humanes STH besitzt diese diabetogene Wirkung jedoch nicht. Umgekehrt kommt es in der Leber zu einem Anstieg des Glykogengehalts. Dieser Effekt ist z. T. durch eine Förderung der Gluconeogenese durch STH bedingt, z. T. beruht er auf der Wirkung der Somatomedine. 3. Weitere Stoffwechselwirkungen. Die Wirkung des STH auf den Wasserhaushalt ist zu einem Teil ein renotroper Effekt, der in einer Zunahme der Clearance, der tubulären Sekretion, aber auch einer Retention von Kalium, Natrium und Chlorid besteht. Zum anderen Teil ist der unter STH-Einfluß erhöhte Wassergehalt der Gewebe (Turgor der Haut) aber ein Sekundäreffekt, der als Folge einer vermehrten Synthese wasserbindender Glykosaminoglykane anzusehen ist.
342
Hormone
Auch die Erythropoese (Erhöhung der Zahl der Retikulozyten im strömenden Blut) und die Lactopoese (Stimulierung der Milchproduktion) werden durch STH beeinflußt. STH-Releasing-Hormon und Somatostatin. Bildung und Ausschüttung des STH werden durch zwei vom Hypothalamus gebildeten Wirkstoffe kontrolliert. Das STH-Releasing-Hormon (Growth Hormon Releasing Factor, GRF, Somatokinin) stimuliert die Synthese und Abgabe des STH im Hypophysenvorderlappen, während ein zweites die STH-Freisetzung hemmendes Hormon - ein Tetradecapeptid bekannter Struktur - einen gegenteiligen Effekt ausübt und deshalb als Somatostatin bezeichnet wird. Die Tatsache, daß Somatostatin auch in die -Zellen der Langerhansschen Inseln des Pankreas und in den Schleimhautzellen von Magen, Duodenum und Jejunum gebildet und sezerniert wird, erklärt, warum Somatostatin neben seiner hemmenden Wirkung auf die Ausschüttung des Wachstumshormons auch einen direkten inhibierenden Einfluß auf die Sekretion von Glukagon und Insulin ausübt. Bei der Kontrolle des Blutzuckers bilden STH-Releasing-Hormon, Somatostatin, STH, Glukagon und Insulin die Glieder eines Regelkreises, in dem der Blutzukkerspiegel eine Rückkopplungskontrolle auf die Ausschüttung des STH-ReleasingHormons bzw. Somatostatins darstellt. Dabei ist ein neuraler, im Nucleus ventromedialis lokalisierter, Glucoserezeptor beteiligt, der den Blutglucosespiegel registriert (Abb.). Eine Hemmung der Freisetzung von TSH (S. 322) und Prolactin sind weitere Somatostatineffekte. Regulation derSTH-Wirkung —___
i \
t
nung Stimulation 'Freisetzung von lin und Glukagon
r
HYPOTHALAMUS STH-Freisetzung hemmendes Hormon -^ (Somatostatin} STH-freisetzendes Hormon (GRF) -*
"STH (Somatotropin)
1
1
1 niedrig hoch Blut-Glucose 1
·_>
LEBER Somatomedine —^ Somatomedin-Stoffwechsel Wirkungen IGF 1, IGF II
Über- und Unterproduktion. Eine unphysiologisch hohe Bildung und Ausschüttung von Wachstumshormon, wie sie bei Hyperplasie der eosinophilen Zellen des Hypophysenvorderlappens oder Hypophysenadenomen beobachtet wird, führt im jugendlichen Alter zu proportioniertem Riesenwuchs. Nach Abschluß des Wachstums beschränkt sich die Wirkung des STH auf die Akren, d. h. auf Hände, Füße, Unterkiefer sowie die Weichteile des Gesichts (Vergröberung der Gesichtszüge) - ein Symptomenbild, das als Akromegalie bezeichnet wird.
Hormone der Nebennierenrinde ( N N R )
343
Mangel an Wachstumshormon, der auf einer Deletion des STH-Gens beruht, führt zu proportioniertem Zwergwuchs (Nanosomie). Eine Behandlung dieser hypophysären Zwerge ist nur mit gentechnisch gewonnenem (rekombinantem) Wachstumshormon möglich, das sich vom natürlichen Wachstumshormon durch einen zusätzlichen Methioninrest am N-Terminus unterscheidet. Eine Behandlung mit dem natürlichen humanen STH würde zur Bildung von Antikörpern gegen das als fremd erkannte Molekül führen. Eine Behandlung hat außerdem nur Aussicht auf Erfolg, solange die Epiphysenfugen noch nicht verknöchert sind. Bei den Pygmäen in Afrika, die normale STH-Spiegel im Blutserum aufweisen, ist die Ursache des Zwergwuchses ein Defekt des STH-Rezeptors der Hepatozyten mit konsekutiver Erniedrigung des IGF I- und -II-Spiegels.
11. Hormone der Nebennierenrinde (NNR) Im Gegensatz zum Nebennierenmark ist die Nebennierenrinde ein lebenswichtiges Organ, dessen Entfernung immer den Tod des betreffenden Organismus zur Folge hat. Biosynthese und Chemie. Aus der Nebennierenrinde wurden bisher über 50 verschiedene Hormone mit Wirkung auf den Kohlenhydrathaushalt (Glucocorticoide), auf den Kalium-Natrium-Haushalt (Mineralocorticoide) und Hormone mit androgener Wirkung isoliert. Sie sind ausnahmslos Steroidhormone und lassen sich biogenetisch alle vom Progesteron (A4-Pregnen-3,20-dion) ableiten. In der NNR (mit 5 g Cholesterin/100 g Frischgewebe das cholesterinreichste Organ des Organismus) liegt Cholesterin nach seiner Synthese in veresterter Form in zytoplasmatischen Lipidtropfen vor. Die Stimulation durch ATCH aktiviert eine Esterase, das entstandene freie Cholesterin wird in die Mitochondrien transportiert, an C22 und C2o hydroxyliert und durch Abspaltung der Seitenkette in das C 2 i-Steroid Pregnenolon überführt. Das Prinzip der Entstehung der verschiedenen Steroidhormone der NNR aus Pregnenolon bzw. dem daraus entstehenden Progesteron besteht darin, daß durch spezifische Hydroxylasen eine Hydroxylierung des Sterangerüstes an den Positionen 11, 17, 18 und 21 stattfindet. Das Progesteron kann bis zu drei Hydroxylgruppen erhalten (-öl, -diol, -triol). Durch weitere Oxidation der Hydroxylgruppe können daraus eine Aldehydgruppe (18-al) oder Ketogruppen (-on) entstehen (Synthese-Schema). Der Mechanismus der Steroidhydroxylierung ist im Kapitel Biologische Oxidation (S. 262) beschrieben. Unter den Glucocorticoiden sind Cortisol und Corticosteron, unter den Mineralocorticoiden das Aldosteron die wichtigsten physiologischen Vertreter. Transport im Blut. Cortisol und Corticosteron sind im Blut zu 90—95% an ein spezifisches steroidbindendes apGlykoprotein, das Transcortin (S. 437) gebunden, Aldosteron wird dagegen frei bzw. locker an Albumin gebunden transportiert. Ihre Tagesproduktion und ihren Blutspiegel gibt nachfolgende Tabelle wieder. Für Aldosteron existiert kein spezifisches Blutplasmatransport-Protein.
344
Hormone Biosynthese der Nebennierenrinden-Hormone Cholesterin
(Numerierung der C-Atome wie beim Cholesterin) . Pregnenolon (A5-Pregnen-3ß-ol-20-on) | A5-A4-lsomerase 13 ß-Dehydrogenase] irogenase|
Oehydroepiandrosteron
jrM rrr^
CH 2 OH
c=o 21 ß-Hydroxylase|
17-Hydroxy-pregnenolon
c= O
i
• Testosteron (Androgene) Estradiol (Estrogene)
Progesteron (A 4 -Pregnen-3,20-dion)
|17g-Hydroxylase1 l 11 -Desoxycorticosteron (A4-Pregnen-21 -ol-3,20-dion)
Corticosteron (A4-Pregnen-11ß,21-diol3,20-dion)
11-Dehydrocorticosteron (A 4 -Pregnen-21 -ol-3,11,20-trion)
Cortisol Corticosteron Aldosteron Dehydroepiandrosteron
17a-Hydroxyprogesteron (A 4 -Pregnen-17a-ol-3,20-dion)
11-Desoxycortisol (A 4 -Pregnen-17a,21 -diol3,20-dion)
Cortisol (A4-Pregnen-11,17a,21 -triol3,20-dion)
Aldosteron (A 4 -Pregnen-18-al-11 ß,21 -diol3,20-dion)
Cortison (A 4 -Pregnen-17a,21-diol3,11,20-trion)
Hormonproduktion mg/24 Stdn.
Blutplasmaspiegel gesamt*
g/1 00 ml frei
10-20 3,0 0,3 16-21
5-25 1,0 0,003-0,005
1 0,1
Proteingebundenes und freies Steroidhormon
65
0,003 65
Hormone der Nebennierenrinde (NNR)
345
Auch Cortison und 11-Dehydrocorticosteron haben Glucocorticoidwirkung, während Desoxycorticosteron und Desoxycortisol den Mineralstoffwechsel beeinflussen. Bei allen Hormonen sind jedoch immer beide Wirkungen nebeneinander nachweisbar. Stoffwechselwirkungen der Glucocorticoide 1. Förderung der Gluconeogenese. Unter dem Einfluß von Glucocorticoiden kommt es zur Neubildung von Kohlenhydraten (Glucose-6-phosphat, Glykogen) aus Proteinen (Aminosäuren). Direkt meßbare Stoffwechseländerungen sind eine Erhöhung der Konzentration der Glucose, der Aminosäuren, der freien Fettsäuren und des Harnstoffs im Blut, eine erhöhte Stickstoffausscheidung und negative Stickstoffbilanz. Die Glucosetoleranz ist herabgesetzt, der Glykogengehalt der Leber steigt an. Die Glucocorticoide entfalten eine unterschiedliche Wirkung auf periphere Organe und Leber. In den peripheren Organen, insbesondere in der Muskulatur und im Knochengewebe, hemmen sie die Biosynthese, fördern jedoch den Abbau der Proteine (antianaboler Effekt) durch Proteolyse. Die Abnahme des Proteingehaltes kann sich im Knochen infolge des Verlustes an Kollagen in einer Entmineralisierung (Osteoporose) bemerkbar machen. Als Folge des Proteinabbaus nimmt die Konzentration der freien Aminosäuren im Blut zu, die von der Leber aufgenommen und abgebaut werden. In der Leber selbst kommt es durch Enzyminduktion (erkennbar an der Synthese spezifischer mRNA) zu vermehrter Synthese und Aktivitätserhöhung Aminosäure-abbauender Enzyme und der PhosphoenolpyruvatCarboxykinase. Der nicht mehr benötigte -Aminostickstoff wird zu Harnstoff und erklärt die erhöhte Harnstoffkonzentration im Blut und die negative Stickstoffbilanz. Das auf dem Wege der Gluconeogenese gebildete Glucose-6-phosphat wird z. T. zur Glykogensynthese verwendet, die durch eine Aktivitätserhöhung der UDPG-Glykogen-Glykosyltransferase gefördert wird, z. T. aber auch infolge einer Aktivitätserhöhung der Glucose-6-Phosphatase als freie Glucose ans Blut abgegeben. Die Abgabe der Glucose ins Blut wird weiterhin dadurch begünstigt, daß die oxidative Decarboxylierung des Pyruvats zum Acetyl-CoA und damit der oxidative Endabbau der Glucose gehemmt ist und daß die Glucocorticoide weiterhin eine Glukagon- und Katecholamin-synergistische Wirkung haben. Da aber die Glucoseutilisation der peripheren Organe gehemmt ist, kommt es zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels. Dieses Phänomen wird auch als Steroiddiabetes bezeichnet. Die Wirkung auf den Lipidstoffwechsel äußert sich in einer Mobilisation der Lipiddepots und einem Anstieg der freien Fettsäuren und des Glycerols im Blut, der allerdings über einen permissiven Effekt* auf die Katecholaminwirkung zustande kommt. Die unter der Glucocorticoidwirkung gehemmten Oxidationsvorgänge bringen die Gefahr einer Ketonkörperbildung und Erniedrigung der Alkalireserve (Acidose) mit sich. 2. Weitere Stoffwechselwirkungen der Glucocorticoide. In Konzentrationen, die vielfach höher sind als sie der physiologischen Produktion entsprechen, entfalten die * In der Endokrinologie ist ein permissiver Effekt dadurch gekennzeichnet, daß die Anwesenheit eines Hormons in physiologischen Konzentrationen die Wirkung eines zweiten Hormons verstärkt.
346
Hormone Stoffwechselwirkungen der Glucocorticoide ——| gehemmte Reaktion, ORGANZELLE
»
stimulierte Reaktion
BLUT
Aminosäuren
·. Ammo- _ sauren
LEBERZELLE ^ Aminosäuren
|
RNA-, Proteinbiosynthese -Ketoglutarat, Oxalacetat, Succinat, Fumarat, Pyruvat ; Trans* aminasen ^
»
it
Protein
1 •
Glucose- |-· — Glucose-* — Glucose-6-(g) —*- Glykogen ! utilisation Glucose-6-(£) , Acetyl-CoA ·-| Endoxidation Glycerin
,
i
Triglyceride -L
i i
Freie —— Acyl-CoA Fettsäuren"*!
--1 Triglyceride
Glucocorticoide eine Reihe von Wirkungen, die in der Klinik zu therapeutischen Zwecken ausgenutzt werden können. Cortisol bewirkt in entsprechenden Dosen eine generelle Hemmung der Proteinbiosynthese. Da hierbei alle zellulären Abwehrreaktionen, u. a. auch die Fibrinbildung und die Leukozyteneinwanderung in Entzündungsgebiete verlangsamt oder aufgehoben werden, besitzt das Cortisol einen entzündungshemmenden und immunsuppressiven Effekt, der bei überschießenden Abwehrreaktionen (allergische Reaktionen) und bei chronischen Entzündungsvorgängen (Rheuma, Arthritis, Kollagenkrankheiten) und zur Nachbehandlung nach Organtransplantationen ausgenutzt werden kann. Eine besonders ausgeprägte Wirkung auf mesenchymale Organe unterstützt diesen Effekt. Der Effekt der Glucocorticoide beruht auf ihrer Fähigkeit, die Interleukin 1Sekretion durch aktivierte Makrophagen zu blockieren. Interleukin l ist nicht nur ein wichtiger Mediator von Entzündungsprozessen, da es über eine Aktivierung der Phospho-Lipase A2 entzündungsfördernde Substanzen wie das Prostaglandin E2 und den Tumor necrosis Faktor freisetzt, sondern auch auf T-Zellen mitogen wirkt und die Reifung von B-Zellen induziert. Eine Blockade des Interleukin l hat somit antiinfiammatorische und immunsuppressive Effekte. Die ausgeprägte Hemmung der Lymphopoese wird bei der Behandlung von Neoplasien des lymphatischen Systems ausgenutzt. In hohen Dosen und bei längerer Behandlung können Glucocorticoide zu Geschwürsbildung im Magen- und Darmkanal führen (Ulcus ventriculi, Ulcus duodeni). Ursache ist eine erhöhte Sekretion von Salzsäure und Pepsinogen und die reduzierte Abwehrreaktion des Gewebes. Ein noch unbekannter Mechanismus liegt der lebensrettenden Wirkung von Glucocorticoiden bei drohendem Zusammenbruch vitaler Regulationsmechanismen zugrunde, wie sie bei schweren Verletzungen (Unfall, Verbrennungen, Operations-
Hormone der Nebennierenrinde ( N N R ) Synthetisches Glucocorticoid
347
Synthetischer Aldosteronantagonist
O
HO
S —C —CH„
Dexamethason (9a-Fluor-16a-methylprednisolon)
Spironolaction
trauma) oder akuten lebensgefährdenden Erkrankungen (Schock, Status asthmaticus) eintreten. Wegen der hierfür benötigten sehr hohen Dosen spricht man von einer „pharmakodynamischen Wirkung" der Nebennierenrindenhormone. Ihre Anwendung wurde möglich, nachdem man durch chemische Abwandlung der Steroidhormone (mit Einführung in der Natur nicht vorkommender synthetischer Substituenten) hormonwirksame Verbindungen erhalten hatte, welche die Wirkung der natürlichen Hormone in gleicher Dosierung um das 10- bis lOOfache übertreffen. Stoffwechselwirkungen der Mineralocorticoide Das Fehlen der 11-Hydroxylgruppe im Steroidmolekül verstärkt dessen Wirkung auf den Mineralstoffwechsel. Das wirksamste Mineralocorticoid, das Aldosteron, besitzt zwar eine 11-Hydroxylgruppe, sie ist jedoch durch Halbacetalbildung mit der benachbarten Aldehydgruppe am C-Atom 18 maskiert. Aldosteron ist im Mineralstoffwechsel lOOOmal wirksamer als Cortisol. Die Mineralocorticoide regulieren die Verteilung von Natrium und Kalium im zellulären und extrazellulären Raum, ihr Einfluß auf den Elektrolythaushalt zeigt sich besonders deutlich in der Niere. Ihr Angriffspunkt ist der (proximale und) distale Nierentubulus, wo Aldosteron die Synthese von Na + -Kanälen und der Na + / K+-ATPase stimuliert. Ihre Wirkung besteht in einer verstärkten Rückresorption von Natrium-Ionen und einer Sekretion von Kalium-Ionen (bzw. H + oder NH 4 + ). Da diese Elektrolytverschiebungen entsprechende Wasserbewegungen zur Folge haben, kann sich das Flüssigkeitsvolumen der Körperkompartimente unter der Mineralocorticoidwirkung erheblich verändern. Die Natriumchlorid-Retention kann zur Bildung eines „Kochsalzödems" führen, eine verminderte Natriumchlorid-Ausscheidung läßt sich im Schweiß, im Speichel und in der Intestinalflüssigkeit nachweisen. Infolge der vermehrten Ausscheidung von K + ist der Blutkaliumspiegel herabgesetzt. Die auf Kochsalzretention beruhende Ödembildung kann durch natürlicherweise nicht vorkommende synthetische Aldosteronantagonisten behandelt werden. Sie verdrängen aufgrund ihrer analogen chemischen Struktur das Aldosteron von seinem Wirkungsort im Nierentubulus und verhindern damit eine übermäßige Rückresorption von Natriumchlorid, das vermehrt ausgeschieden wird.
348
Hormone
Überproduktion von Nebennierenrindenhormonen. Gutartige oder bösartige Tumoren der Nebennierenrinde, aber auch eine übermäßige Produktion des der Nebennierenrinde übergeordneten Hormons ACTH (s. d.) können charakteristische Symptome hervorrufen. Die Überproduktion kann die Glucocorticoide, die Mineraiocorticoide oder die Androgene betreffen. Neben hormonproduzierenden Tumoren kann die Ursache für eine Überproduktion auch in einem Enzymdefekt liegen, der zwar zur Blockierung des Synthesewegs für ein NNR-Hormon, dafür aber zu entsprechender Mehrsynthese eines anderen NNR-Hormons (oder anderer Hormone) führt. Beim Gushing Syndrom steht die vermehrte Produktion und Wirkung der Glucocorticoide im Vordergrund, doch läßt sich das Krankheitsbild nicht allein dadurch erklären. Zwar sind Osteoporose, Hyperglykämie („Steroiddiabetes") und Muskelschwund Ausdruck eines gestörten Proteinstoffwechsels. Die sich entwickelnde charakteristische Stammfettsucht, das Vollmondgesicht, die Bildung blau-roter Striae am Abdomen und Störungen des Wasserhaushaltes sind jedoch schwieriger zu deuten. Beim primären (adrenalen) Cushing-Syndrom sind meist einseitige Adenome oder Tumoren der NNR, beim sekundären Cushing-Syndrom ACTH-produzierende Adenome oder Tumoren der Hypophyse die Ursache. Beim primären Aldosteronismus (Conn-Syndrom) läßt sich eine erhöhte Produktion und Ausschüttung von Aldosteron nachweisen. Die dadurch bedingte erhöhte Kaliumausscheidung hat eine Kaliumverarmung (Hypokaliämie) des Organismus und sekundär meist eine Nierenschädigung (Albuminurie, mangelnde Harnkonzentration) zur Folge. Daher bleibt eine Ödembildung durch Kochsalzretention paradoxerweise aus. Das Adrenogenitale Syndrom (kongenitale NNR-Hyperplasie) ist durch eine Überproduktion von Androgenen gekennzeichnet, die jedoch ihre Ursache häufig in einem Enzymdefekt der 21ß-Hydroxylase hat mit der Folge einer unzureichenden 21-Hydroxylierung von Progesteron und 17a-Hydroxyprogesteron. Reicht die Restaktivität des defekten Enzyms zur Kompensation aus, liegt der Aldosteronspiegel des Blutplasmas im unteren Normbereich („nichtsalzverlierender Typ"). Bei einem kompletten Defekt bestehen die Symptome eines Aldosteronmangels („salzverlierender Typ"). Bei allen Formen des adrenogenitalen Syndroms ist die Bildung und Sekretion von Cortisol verringert, diejenige der Androgene jedoch erhöht, da die sich anstauenden Synthesezwischenprodukte für eine Mehrsynthese von Androgenen verwendet werden. Die virilisierende Wirkung der Androgene macht sich besonders bei Frauen durch Bartwuchs, Ausbildung der sekundären männlichen Geschlechtsmerkmale (bei gleichzeitiger Rückbildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale), Stimmbruch und starker Muskelentwicklung bemerkbar. Alle diese Symptome können schon in den ersten Lebensjahren eintreten (Pseudopubertas praecox). Fehlen bzw. Unterproduktion von Nebennierenrindenhormonen. Die bei Mangel oder Fehlen an Nebennierenrindenhormonen entstehenden Symptome werden nach dem englischen Arzt T. Addison, der das Krankheitsbild an Patienten mit tuberkulöser Zerstörung der Nebennieren beobachtete, als Addisonsche Krankheit bezeichnet. Sie ist durch Natriumverlust, Kaliumretention (herabgesetzter Na + -, erhöhter K + Blutplasmaspiegel), Exsikkose, Muskelschwäche, Kachexie, niedrigen Blutdruck, Absinken der Körpertemperatur und des Blutzuckerspiegels sowie eine charakteristische Braunpigmentierung der Haut (besonders an den dem Licht ausgesetzten
Hormone der Nebennierenrinde ( N N R )
349
Teilen) und Schleimhäute gekennzeichnet. Viele dieser Symptome lassen sich durch das Fehlen des Aldosterons erklären. So ist die Exsikkose und Bluteindickung eine Folge der erhöhten Kochsalzausscheidung, während die pathologische Kaliumanreicherung in der Muskulatur zu Adynamie führt (rasche Ermüdbarkeit auch bei elektrischer Reizung). Der fehlende Austausch von Wasserstoff- gegen Natriumionen im Nierentubulus bedingt eine Abnahme des Natriumhydrogencarbonats im Plasma und metabolische Acidose. (Zum Problem der Pigmentierung s. unter ACTH bzw. MSH, S. 360.) Unbehandelt führt das Symptomenbild unter Kreislaufkollaps zum Tod. Stoffwechsel und Ausscheidung der Nebennierenrindenhormone. Cortisol und Cortison werden in der Leber unter Reduktion der Ä 4 -Doppelbindung und der C20Carbonylgruppe zu biologisch inaktiven Derivaten umgewandelt und nach Konjugation mit Glucuronsäure (an C 21) oder Sulfat ausgeschieden. Bei chronischen Lebererkrankungen (herabgesetzte Leberfunktion) kann es zu verzögerter Inaktivierung der Steroidhormone und prolongierter Wirkung kommen. Funktionsdiagnostik der Nebennierenrindenhormone • Eine quantitative Bestimmung des Cortisols bzw. Aldosterons im Blutplasma ist durch spezifische Radio/Enzymimmunbestimmung, mit Hilfe fluorometrischer Methoden oder durch die Gaschromatographie möglich und gibt den besten Einblick in die Steroidproduktion der Nebennierenrinde. Zu beachten ist dabei der Tagesrhythmus der Cortisolkonzentration im Blutplasma, der um 6 h morgens ein Maximum erreicht und bis etwa 24 h abfällt. Für quantitative Cortisolbestimmungen im Blut wird der um 08.00 h morgens gemessene Basalwert (10 ± 4 g/ 100 ml Blut) zugrundegelegt. • Der ACTH-Stimulationstest dient zur Feststellung einer (primär oder sekundär) ungenügenden Corticosteroidproduktion durch die Nebennierenrinde. Sie liegt vor, wenn ein erniedrigter Basalwert des Cortisols auch nach Stimulation von 20 E ACTH (= 13 §) nicht ansteigt. • Der Dexamethasonhemmtest erlaubt eine Unterscheidung zwischen einer ACTHabhängigen und autonomen Überproduktion von Glucocorticoiden. Bei Vorliegen eines Cushing-Syndroms jeder Genese mit defektem Regelkreis (Hypothaiamus - Hypophysenvorderlappen — Nebennierenrinde) bleibt der Cortisolspiegel im Blut nach Gabe von 3 mg Dexamethason (s. o.) unverändert erhöht, während bei Stoffwechselgesunden eine deutliche Suppression eintritt. • Beim CHR-Test müssen (bei intakter ACTH-Produktion der HVL) PlasmaACTH und Cortisolspiegel signifikant ansteigen. • Als 17-Ketosteroide faßt man alle jene Hormone und ihre Abbauprodukte zusammen, die am C-Atom 17 eine Ketogruppe tragen. Mit chemischen Methoden werden nur neutrale (androgene) 17-Ketosteroide erfaßt. Die Bestimmung der 17-Ketosteroid-Ausscheidung ist daher ein Maß für die Bildung von Androgenen. Ihre Bildung beim Mann erfolgt nicht nur in den Nebennierenrinden (60%), sondern auch in den Testes (Leydigsche Zwischenzellen, 40%). Infolgedessen ist die Ausscheidung an 17-Ketosteroiden bei der Frau mit 5-15 mg/24 Stdn. niedriger als beim Mann (10 — 20 mg/24 Stdn.). Beim Adrenogenitalen Syndrom und bei Tumoren der Leydigschen Zellen ist die 17-Ketosteroid-Ausscheidung erhöht (mehr als 30 mg/24 Stdn.).
350
Hormone
12. Adrenocorticotropes Hormon (ACTH, Corticotropin) und Corticotropin Releasing Hormon (CRH) Bildung und Ausschüttung der NNR-Hormone werden durch das von den basophilen Zellen des HVL gebildeten ACTH kontrolliert. Die Regulation der Hypophysen-ACTH-Produktion unterliegt wiederum dem im Hypothalamus gebildeten CRH (Corticotropin-Releasing-Hormon). Chemie. Das ACTH der Säugetiere ist ein Proteohormon, das aus einer unverzweigten Kette von 39 Aminosäuren besteht. Für die biologische Wirkung sind jedoch nur die ersten 23 Aminosäuren erforderlich. Es ist bemerkenswert, daß die ersten 13 Aminosäuren des ACTH dem Melanozyten-stimulierenden Hormon (s. d.) entsprechen. CRH ist ein aus 41 Aminosäuren bestehendes Polypeptid, das im Nucleus paraventricularis des Hypothalamus aus höher molekularen Vorstufen (Prä-Prohormon, Prohormon) freigesetzt wird. Stoffwechselwirkungen. Das Erfolgsorgan des ACTH ist die Nebennierenrinde, die unter ACTH-Einwirkung Glucocorticoide vermehrt bildet und an das Blut abgibt. Folgende Wirkungen auf den Stoffwechsel der Nebennierenrinde lassen sich beobachten: • Zunahme der Cholesterinsynthese in der NNR, Abnahme des Depotcholesterins, Erhöhung der Steroidhormonkonzentration. • Die Hydroxylierung der Steroide durch die spezifischen Steroid-Hydroxylasen ist unter ACTH erhöht. Dieser Effekt kommt über eine vermehrte Bereitstellung des für die Hydroxylierungsreaktion notwendigen NADPH 2 , das durch vermehrten Umsatz im Pentosephosphatzyklus bereitgestellt wird. • An der Steroid-Hydroxylase-Reaktion ist Ascorbinsäure indirekt beteiligt. Die Nebennierenrinde ist mit einem Gehalt von 40 mg Ascorbinsäure/100 g Frischgewicht das Ascorbinsäure-reichste Organ im Säugetierorganismus (Ascorbinsäure der Leber 5—15 mg/100 g Frischgewicht). Unter ACTH-Einwirkung nimmt der Ascorbinsäuregehalt der Nebennierenrinde ab. Die ACTH-Wirkung betrifft vorzugsweise die Glucocorticoide, in geringerem Maße jedoch die Bildung und Ausschüttung von Aldosteron. In der Klinik wird ACTH zur Funktionsdiagnostik der Nebennierenrinde (Steigerung der 17-Hydroxycorticoidausscheidung) eingesetzt. Die Zahl der eosinophilen Zellen im strömenden Blut nimmt nach ACTH-Injektion um mehr als 50% ab. Regulation der Nebennierenrindenhormonwirkung. CRH, ACTH und Glucocorticoide sind Glieder eines Regelkreises, der die Glucocorticoidbildung und -ausschüttung überwacht (Abb.). Hohe Glucocorticoiddosen üben eine hemmende Wirkung auf Zwischenhirn bzw. Hypophysenvorderlappen aus und umgekehrt. Kälte und Stress können durch direkte Wirkung auf den Hypothalamus zusätzlich wirksam werden und eine vermehrte ACTH-Ausschüttung veranlassen. Die das Aldosteron produzierende Zona glomerulosa der Nebennierenrinde steht unter dem Regime des Renin, eines proteolytischen Enzyms, das in der Niere gebildet wird und das Angiotensin l freisetzt. Das daraus entstehende Angiotensin II (s. S. 367) stimuliert die Aldosteronausschüttung.
Übersicht über Sexualhormone
351
Regulation der Nebennierenrindenhormon-Wirkung i
^ Renin-AnaiotensinMechanismus
NIERE (juxtaglomeruläre Zellen) Osmorezeptoren Volumenrezeptoren
t
Serum-K + — HYPOTHALAMUS
ACTH-releasing Hormon
t
1
t
I
t
Hemmung Stimulation hoch niedrig Serum-Na +
Kälte, Stress
HVI ^ ACTH
1
' NNR ' Aldosteron Glucocortk:oide
NIERENTUBULUS ZELLE
Hemmung Stimulation | hoch niedrig Serum-Glucocorticoide
I
I
13. Übersicht über Sexualhormone Allgemeines. Ausbildung und Funktion der Fortpflanzungsorgane und die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale stehen beim Menschen und allen höher organisierten Tieren unter hormoneller Kontrolle. Bei den Säugetieren sind auch die Aufnahme des befruchteten Eis durch den Uterus, die Ernährung des wachsenden Fetus und der regelrechte Ablauf der Gravidität von der Anwesenheit der Sexualhormone abhängig. Neben ihren geschlechtsspezifischen Wirkungen lassen die Sexualhormone aber auch Wirkungen auf den Allgemeinstoffwechsel und auf das psychische Verhalten erkennen. Beziehungen zwischen Gonaden und gonadotropen Hormonen. Die Sexualhormone werden in den Gonaden, d. h. in den Testes bzw. im Ovar, z. T. in der Nebennierenrinde und während der Gravidität auch in der Plazenta gebildet. Ihre Bildung und Wirkung ist jedoch abhängig von Hormonen des Hypothalamus und des Hypophysenvorderlappens. Die gonadotropen Hormone des Hypophysenvorderlappens (s. Tab. S. 352) sind für beide Geschlechter gleich, wogegen die Hormone der Gonaden geschlechtsspezifisch und für die Prägung des männlichen bzw. weiblichen Habitus verantwortlich sind. Testes und Ovar sind also Relaisstationen, in denen die geschlechtsunspezifischen Impulse der gonadotropen Hormone der Hypophyse in geschlechtsspezifische Hormonproduktion der Gonaden (Androgene, Estrogene, Gestagene) umgewandelt werden. Die Sekretion der hypophyseotropen Hypothalamushormone wird rückkoppelnd durch die Konzentration der Androgene, Estrogene und Gestagene beeinflußt, die direkt auf hypothalamische Zentren einwirken, und dort zu einer Regulation der Sekretion der Releasing Hormone (Liberine) oder Release Inhibiting Hormone führen, ohne die keine Bildung der Hypophysenhormone zustandekommt. Die FSH- bzw. LH(ICSH)-freisetzenden Hormone (Releasing Hormone) sind Dekapeptide bekannter Aminosäuresequenz. Die Sekretion des Prolactins wird durch die antagonistische Wirkung des Prolactin Releasing bzw. Prolactin Release Inhibiting Hormons kontrolliert (Schema).
352
Hormone Hormonelle Kontrolle bei der Bildung der Sexualhormone
HYPOTHALAMUS Releasing Hormone
ACTHReleasing Hormone
FSHReleaslng Hormon
HYPOPHYSENVORDERLAPPEN Glandotrope Hormone
ACTH
FSH
ENDOKRINE ORGANE
NEBENNIERENRINDE
TESTES (Zwischenzellen)
Glanduläre Hormone
Glucocorticoide (Mineralocorticoide)
!
Androgene
LHProlactinReleasing Releasing und Hormon Inhibiting Hormon
l
LH (ICSH)
l
Prolactin
Gonadotropine
OVAR (Thekazellen, Granulosazellen, Gelbkörper)
Estrogene
PLACENTA
Gestagene
Männliche und weibliche Sexualhormone unterscheiden sich bezüglich ihrer chemischen Struktur, ihrer Wirkung auf Sexualorgane und den Stoffwechsel des Gesamtorganismus. Es besteht jedoch kein Unterschied in dem Sinne, daß männliche Sexualhormone nur vom Mann und die weiblichen Sexualhormone nur von der Frau produziert werden. Vielmehr werden beide Typen sowohl in den Testes wie im Ovar gebildet, ihr Verteilungsmuster bestimmt jedoch die Wirkung im Organismus. Chemie der gonadotropen Hormone des Hypophysenvorderlappens. Eine Übersicht über die Nomenklatur und Chemie der gonadotropen Hormone gibt folgende Tabelle. Mit Ausnahme des Prolactins sind es Glykoproteine, die aus je einer a- und ß-Untereinheit bestehen. Lediglich die -Untereinheit besitzt Hormonaktivität. Ihre biologischen Wirkungen werden bei den männlichen bzw. weiblichen Keimdrüsenhormonen besprochen. Die hypophysären Hormone FSH, LH und Prolactin werden als Gonadotropine (oder Gonadotrophine) zusammengefaßt, die während des ganzen Lebens — bei der Frau also auch in der Menopause - gebildet werden. Das HCG (humane Choriongonadotropin) wird in der Plazenta gebildet. Dehydroepiandrosteronsulfat (Sulfatester des A5-Androsten-3-ol-17-on) stammt aus der Nebennierenrinde und wird nach Aufnahme in die Testes für die Androgensynthese verwendet. Die Regulation der Testosteronbildung und der Feedback-Kontrollmechanismus des Testosterons sind schematisch dargestellt (Abb.).
14. Androgene Biosynthese und Chemie. Männliche und weibliche Keimdrüsenhormone können beide sowohl in den Testes wie auch im Ovar gebildet werden. Daraus erklärt sich ihre enge biogenetische Verwandtschaft. Das nachstehende Biosyntheseschema der Androgene zeigt, daß Progesteron sowohl die Vorstufe der männlichen Keimdrü-
Androgene
353
Tägliche Sekretionsrate und Blutspiegel von Androgenen, Estrogenen und Gestagenen
Sekretion mg/24 h
Hormon 0
Androgene Testosteron* Androstendion** Dehydroepiandrosteron**
Blutspiegel
o?
—
10 1,4 15
0,2 3,3 12
6 0,6 100
c***
0,3 1,4 70
Estrogene Estradiol Estron Gestagene Progesteron
0,02 0,04
0,1 0,5 0,1-0,6
0,15 0,4
0,2-0,6 0,2-0,7
4 30
0,3
2-12
5
* wird nicht in der Nebenniere gebildet ** wird nicht im Ovar gebildet *** Zyklusabhängige Schwankungen bei der nichtschwangeren Frau Gonadotrope Hormone des Hypophysenvorderlappens (Gonadotropine) bzw. der Plazenta
Name
Abkürzungen (Synonyma)
Mol.Gew.
xio
3
l. P.
Kohlenhydratgehalt
Follikel-stimulierendes Hormon
FSH (Follitropin)
34
4,5
16
Luteinisierendes Hormon
LH (Lutropin), ICSH, Zwischenzellstimulierendes Hormon
22,8
7,3
15,5
Lactotropes Hormon,* Mammatropin
22,5
5,7
0
CG (HCG)
25,1
2,9
30-33
Prolactin Choriongonadotropin
* ältere Abkürzung: LTH (Luteotropes Hormon)
senhormone Testosteron und Androsteron (Entfernung der C-Atome 20 und 21 als Acetatrest) als auch der Estrogene ist. Stoff Wechsel Wirkungen. Unter den männlichen Keimdrüsenhormonen besitzt das Testosteron die stärkste androgene Wirkung. Es wird beim Mann in einer Menge von 4—9 mg/24 Stdn. gebildet, die Plasmakonzentration beträgt 0,6 ^ ml (bei der Frau 0,1 ^100 ml), davon ist der überwiegende Anteil an ein sexualhormonbindendes Blutplasmaglobulin (SHBG) gebunden, das in der Leber gebildet wird und Dihydrotestosteron, Testosteron und Estradiol mit abnehmender Affinität bindet.
354
Hormone Regulation der Testosteronwirkung HYPOTHALAMUS Gonadotropin releasing und release inhibiting Hormon
Inhibin
Testosteron
L·
PERIPHERE ORGANE Dihydrotestosteron '·-·- Estrogene
Die zelluläre Wirkform des Testosterons ist das 5a-Dihydrotestosteron. Es entsteht in der Zelle des Erfolgsorgans nach Aufnahme des freien Testosterons in die Zelle unter der Wirkung der 5a-Testosteron-Reduktase, wobei NADH 2 als Wasserstoffdonator fungiert. 1. Genitale Wirkungen. Die genitalen Wirkungen sind durch eine Anregung des Wachstums der männlichen Fortpflanzungsorgane (Samenleiter, Prostata, Vesiculardrüsen und Penis) gekennzeichnet. Dagegen sind Wachstum und Entwicklung der Testes und die Spermiogenese nicht direkt androgenabhängig. Chemisch lassen sich in den Vesiculardrüsen eine Zunahme des Trockengewichtes, ein Anstieg des Fructose- und Citratgehaltes und der Sauerstoffaufnahme sowie eine Zunahme der Mitosen nachweisen. Das Wiederauftreten von Fructose nach Kastration wird als biologischer Test der Androgenwirkung verwendet. Auch die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale (Bartwuchs, Entwicklung der typischen virilen Behaarung, Wachstum des Kehlkopfes) ist androgenabhängig. 2. Extragenitale Wirkungen. Die extragenitalen Wirkungen führen zu einer anabolen Stoffwechsellage des Organismus, vorzugsweise im Bereich des Proteinstoffwechsels. Die proteinanabole Wirkung läßt sich durch eine Stickstoffretention nachweisen, die speziell zu einer Zunahme der Muskelmasse, Steigerung der Proteoglykanbiosynthese im Knorpelgewebe und Retention von Calcium, Phosphat und Kreatinin bei gleichzeitiger Abnahme des Lipid- und Wassergehalts der betroffenen Gewebe führt. Die Wirkung der Androgene auf das Knochengewebe ist dosisabhängig. Kleine Androgendosen, die bis zur Pubertät gebildet werden, bewirken Proliferation des
Androgene
355
Biosynthese der Androgene CH„
c=o Ausscheidung nach Konjugation (Sulfat, Glucuronsäure)
Pregnandiol (Pregnen-3,20-diol)
Progesteron (A 4 -Pregnen-3,20-dion) l
i
Estrogene
Androstendion (A 4 -Androsten-3,17-dion) OH
Testosteron (A -Androsten-17ß-ol-3-on) Androgen 4
[5a-Testosteron-| Reduktase
5a-Dihydrotestosteron (Zelluläre Wirkform)
O
Ausscheidung nach Reduktion,Hydroxylierung und Konjugation (Sulfat, Glucuronsäure}
Androsteron (5a-Androstan-3a-ol-17-on) Schwach androgen
epiphysären Säulenknorpels mit Zunahme der Proteoglykan- und Kollagenbiosynthese (präpubertärer Wachstumsschub). Höhere Konzentrationen fördern die Calciumaufnahme und Calcifizierungsprozesse, führen jedoch auch zu einem Schluß der Epiphysenfugen. Bei Kastration im jugendlichen Alter bleiben nicht nur die virilisierenden genitalen Effekte der Androgene aus, sondern es wird auch der Gesamtstoffwechsel und der Habitus in Richtung eines femininen Typs beeinflußt (charakteristische Verteilung des subcutanen Fettgewebes). Die von der Nebennierenrinde produzierten kleinen Androgendosen führen zu eunuchoidem Hochwuchs, Anabolika und Antiandrogene. Durch chemische Synthese lassen sich nicht nur Präparate mit prolongiertem Androgeneffekt (Depotwirkung) gewinnen, sondern auch virilisierende und anabole Wirkung trennen. Anabolika (wie z. B. das Testosteron-
356
Hormone
derivat Stanozolol) steigern die Proteinbiosynthese und werden bei destruierenden Knochenprozessen (z. B. Osteoporose), bei schlecht heilenden Knochenbrüchen, aplastischen Anämien, reduziertem Allgemeinzustand und bei Zytostatikabehandlung eingesetzt. Die mißbräuchliche Anwendung bei Hochleistungssportlern zur Vermehrung der Muskelmasse ist verboten. Cyproteron und 17-Methyl-B-norTestosteron besitzen antiandrogene Wirkung, da sie die Komplexbildung zwischen Dihydrotestosteron und dem zellulären Rezeptor kompetitiv hemmen. Sie werden therapeutisch beim Prostatacarcinom, ferner zur Triebdämpfung und in Verbindung mit Estrogenen auch zur Behandlung der Akne vulgaris eingesetzt. FSH regt die Spermatogenese an, LH (ICSH) stimuliert die Entwicklung und funktionelle Aktivität der Leydigschen Zwischenzellen und setzt die Produktion und Ausschüttung von Testosteron in Gang. Abbau und Ausscheidung. Die in den Testes, der Nebennierenrinde bzw. im Ovar (s. u.) gebildeten Androgene werden in der Leber in zahlreiche Reduktions- bzw. Hydroxylierungsprodukte umgewandelt und mit Glucuronsäure konjugiert. Die Androgenabbauprodukte werden im Harn als 17-Ketosteroide (S. 349) ausgeschieden.
15. Estrogene und Gestagene Biosynthese und Chemie der Estrogene. Von den in den Theca-granulosa-Zellen des Ovars gebildeten Estrogenen sind über 20 wirksame Vertreter bekannt, von denen der wirksamste das Estradiol-17ß ist. Estron besitzt etwa % der Wirkung des Estradiols. Nachstehendes Schema zeigt die Biosynthese, die vom A4-Androsten3,17-dion (Androgenbiosynthese, S. 355) ausgeht. Im Blutplasma sind die Estrogene zum größten Teil an das sexualhormonbindende Globulin (S. 353), das Progesteron dagegen an Transcortin (S. 343) gebunden. Estrogene können auch extraovarial aus Androgenen durch periphere Aromatisierung des Steroid-A-Ringes entstehen. Estrogene und Gestagene binden in den Erfolgsorganen an cytosolische Rezeptoren, die nicht nur untereinander, sondern auch zu den Rezeptoren für Cortisol und Schilddrüsenhormone eine auffallende Homologie aufweisen. Stoffwechselwirkungen der Estrogene 1. Genitale Wirkungen. Estrogene regen das Wachstum von Ovar, Tube, Vagina und Uterus an. In der Vagina der Ratte kommt es zu einer charakteristischen Verhornung der oberen Zellschichten, d. h. zu einer Umwandlung der Zellen in das Schollenstadium (biologischer Kolpokeratosetest bei der Ratte). Die Gewichtszunahme des Uterus, die einer echten Zellvermehrung entspricht, geht in ihrer ersten Phase (4—6 Stdn.) mit erhöhtem Glucoseverbrauch, erhöhter Sauerstoffaufnahme sowie Zunahme des Glykogen-, Wasser- und Elektrolytgehaltes einher, in der zweiten Phase (nach etwa 48 Stdn.) wird eine vermehrte RNA- und Proteinbiosynthese (Zunahme des Stickstoffgehaltes) des Gewebes beobachtet. 2. Extragenitale Wirkungen. Estrogene besitzen keine oder eine nur sehr schwache proteinanabole Wirkung auf Muskel, Niere und Leber, fördern aber die Entwick-
Estrogene und Gestagene
357
Biosynthese der Estrogene Progesteron
Testosteron
HO
Estron
Estradiol-17ß 1,3,5(10)-Estratrien-3,17-diol
l l l
i
OH
X — OH
t
Ausscheidung nach Reduktion, Hydroxylierung Konjugation (Sulfat, Glucuronsäure)
Estriol
lung des subcutanen Fettgewebes in einer für den weiblichen Organismus topographisch adäquaten Form. Die lipidanabole Wirkung kommt auch beim männlichen Organismus nach Kastration zum Ausdruck (Mastochsen) oder kann durch Estrogengaben hervorgerufen werden. Mangel an Estrogen in der Postmenopause bewirkt eine Atrophie der Erfolgsorgane (u. a. des Urogenitaltraktes) und Osteoporose. Estrogene bewirken an rasch wachsenden Geweben und an den männlichen Fortpflanzungsorganen eine Mitosehemmung, die sich für eine Therapie des Prostatacarcinoms ausnutzen läßt. Die femininisierende Wirkung der Estrogene (Gynäkomastie) begrenzt allerdings ihre Anwendbarkeit. Inaktivierung und Ausscheidung. Estron und Estradiol sind unter Wirkung einer spezifischen 17ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase ineinander überführbar, wobei NADP als Coenzym fungieren kann. Ihre Inaktivierung in der Leber umfaßt die Substitution am C-Atom 16 (16-ol, 16-on) bzw. am C-Atom 2 (2-ol, 2-methoxy)
358
Hormone
und Konjugation mit Glucuronsäure bzw. Sulfat. Bei unzureichender Leberfunktion — z. B. bei Leberzirrhose — kommt es zu verzögertem Abbau und ungenügender Ausscheidung der Estrogene, die beim Mann zum Anstieg des Plasmaestradiolspiegels und zur Femininisierung mit Gynäkomastie führen kann. Stoffwechselwirkungen der Gestagene. Unter den über 40 verschiedenen Gestagenen, die bisher isoliert wurden, ist Progesteron (Formel S. 344) das wirksamste. Hauptausscheidungsprodukt der Gestagene ist das Pregnandiol. 1. Genitale Wirkungen. Unter dem Einfluß der Gestagene erfährt die Uterusschleimhaut eine Umwandlung vom Proliferationsstadium (Wachstum) zum Sekretionsstadium (Funktion). Bei dieser drüsigen Umwandlung der Uterusschleimhaut erfolgt eine Mobilisierung der Inhaltsstoffe, die zur Ernährung des befruchteten Eies in der ersten Phase der Gravidität in das Uteruslumen abgegeben werden. Auch das Wachstum der Brustdrüsen wird durch die Gestagene angeregt. 2. Extragenitale Wirkungen. Die nicht geschlechtsspezifischen Wirkungen der Gestagene ähneln in vieler Beziehung den Minerale- und Glucocorticoiden der Nebennierenrinde, wenn auch ihre Wirkungen sehr viel schwächer ausgeprägt sind. Eine Mobilisierung von Gewebsproteinen und ihre Verwendung für die Gluconeogenese in der Leber (u. U. bei gleichzeitiger Blutzuckersteigerung und Natriumretention) können beobachtet werden. Die Gestagene werden hauptsächlich als Glucuronide des Pregnan-3,20-diols ausgeschieden. Zusammenwirkung von Gonadotropinen und Sexualhormonen bei der Frau. Unter dem Einfluß von FSH kommt es im Ovar zur Follikelreifung und durch gemeinsame Wirkung von FSH und LH zur Ingangsetzung der Estrogenproduktion. Die Estrogene lösen im Uterus die Proliferationsphase aus, haben aber gleichzeitig — vermutlich über den Hypothalamus - auf den Hypophysenvorderlappen eine hemmende Wirkung (Rückkopplungshemmung), so daß die FSH-Bildung unterbleibt und keine Reifung weiterer Follikel stattfindet. Nachdem FSH und LH den Follikelsprung ausgelöst haben, regen LH und Prolactin die Gelbkörperbildung an und setzen die Gestagenbildung in den Luteinzellen in Gang. Unter der Wirkung der Gestagene beginnt im Uterus die Sekretionsphase (Transformation). Im Hypophysenvorderlappen geht jedoch (ebenfalls unter Zwischenschaltung des Hypothalamus) gleichzeitig die LH- und Prolactin-Bildung zurück, so daß die FSH-Produktion wieder einsetzt. Das Absinken der LH- und Prolactin-Konzentration bewirkt die Rückbildung des Gelbkörpers und das Zurückgehen der Gestagenbildung, die schließlich zur Abstoßung der transformierten Schleimhaut (Menstruation) führt. Prolactin löst im Brustdrüsengewebe das Einsetzen der Lactation aus (lactotropes Hormon), nachdem das Wachstum und die sekretorische Tätigkeit des Brustdrüsengewebes durch Estrogene und Gestagene vorbereitet wurden. Bei Tieren fördert es die Auslösung von Brutinstinkten. Während der Gravidität steigen der Estrogenspiegel des Blutes und die Estrogenausscheidung im Harn deutlich nachweisbar von der 10. Woche ab an, wobei Estradiol am stärksten vermehrt ist. Im Serum liegen die Estrogene vorwiegend als Glucuronid- bzw. Sulfat-Konjugate vor. In den Chorionzotten der Plazenta wird vom 8. Tage nach der Befruchtung an das Choriongonadotropin (CG) gebildet, das im 2. —3. Schwangerschaftsmonat ein Maximum erreicht, während der letzten beiden Drittel jedoch konstant niedrigere Werte aufweist.
Estrogene und Gestagene
359
Synergismus und Wirkungskontrolle weiblicher Keimdrüsenhormone HYPnPHV^FM
— VORDERLAPPEN
FSH LH Prolaktin I 1 H OVAR U TT TT FollikelGelbkörperbildung reifung sprung
1
_ . t . Freisetzende u id Freisetzung hemmende Hormone HYPOTHALAMUS
tl I
UTERUS
*
cretion
Das menschliche Choriongonadotropin (CG, HCG) ist eine Mischung aus Wirkstoffen, die nahezu identisch sind mit den Hormonen FSH, LH und Prolactin aus dem Hypophysenvorderlappen. Sie bewirken in ihrer Gesamtheit eine Umwandlung des Gelbkörpers in das Corpus luteum graviditatis und sorgen durch Stimulierung des Ovars für die während der Gravidität erhöhte Produktion an Estrogenen und Gestagenen. Beide Hormone werden jedoch auch von der Plazenta selbst gebildet. Estrogen- und Progesteronproduktion sind der Gewichtszunahme der Plazenta etwa proportional, so daß ihre Ausscheidung während der Gravidität kontinuierlich ansteigt. Ein immunologischer Schwangerschaftsnachweis basiert auf der Verhinderung einer Agglutination von HCG-beschichteten Latexpartikeln mit einem HCG-Antikörper durch den Harn von Schwangeren, dessen HCG-Gehalt von der 7. Woche der Gravidität ab stark erhöht ist. Hormone der Plazenta. Neben ihrer Funktion als Organ des Stoffaustausches zwischen mütterlichem und fetalem Blut ist die Plazenta als endokrines Organ von Bedeutung. Zu ihren Syntheseprodukten gehören Proteohormone (Choriongonadotropin, das humane plazentare Lactogen, das Chorionthyrotropin und das Chorioncorticotropin) und die Steroidhormone (Estrogene und Gestagene). Wie viele andere Organe ist auch die Plazenta Produktionsstätte von Eikosanoiden. Das humane plazentare Lactogen weist strukturelle Homologien zum Wachstumshormon auf und hat eine dem Prolactin ähnliche Wirkung. Relaxin. Während der Schwangerschaft wird bei vielen Säugetieren und beim Menschen im Corpus luteum und in der Plazenta das Protein Relaxin (Molekülmasse 5520) gebildet. Relaxin bewirkt im kollagenen Bindegewebe der Symphyse und der Ileosakralgelenke eine Auflösung, Quellung und Aufsplitterung der kollagenen Fasern. Die dadurch bedingte Vergrößerung des Beckendurchmessers erleichtert die Geburt. Bei exogener Zufuhr von Relaxin tritt der Effekt innerhalb weniger Stunden ein. Orale Kontrazeptiva. Dauernde Zufuhr von Estrogenen und Gestagenen bewirkt — vermutlich über hypothalamische Zentren — eine Hemmung der Bildung und Sekretion der gonadotropen Hormone der Hypophyse. Dieser Effekt ist die Grundlage der hormonellen Konzeptionsverhütung. Durch die Estrogen- und Ge-
360
Hormone
stagengaben wird die Ovulation unterdrückt, in der Uterusschleimhaut laufen jedoch Proliferations- und Sekretionsphase nebeneinander ab. Nach Absetzen der Hormonzufuhr tritt eine Abbruchblutung ein. Durch Verwendung synthetischer Estrogene, die in der Leber weniger rasch inaktiviert werden (z.B. 17-EthinylEstradiol) ist auch eine orale Anwendung der hormonellen Kontrazeptiva möglich.
16. Pro-Opiomelanocortin-Peptide (POMC-Peptide) Die POMC-Familie umfaßt einige Hormone und Neurotransmitter bzw. -modulatoren, die alle aus einem = 285 Aminosäuren enthaltenen Vorstufenmolekül durch limitierte Proteolyse entstehen. Die Pro-Opiomelanocortin-Peptide werden z. T. im Vorderlappen, z.T. im Hinterlappen der Hypophyse gebildet und können dort, aber auch in peripheren Geweben zu den Wirkstoffen umgesetzt werden (Schema). Ihre wichtigsten Vertreter sind das ACTH, das ß-Lipotropin (ß-LPH), die Endorphine, das corticotropinähnliche Peptid des Hypophysenzwischenlappens (CLIP) und das a- bzw. ß-MSH. Das ß-Lipotropin bewirkt Lipolyse und Mobilisation von Fettsäuren, seine physiologische Bedeutung ist jedoch nur minimal. Unter den Vertebraten besitzen die meisten Kaltblüter die Fähigkeit, ihre Hautfarbe zu verändern und dem jeweiligen Milieu anzupassen. Diese Fähigkeit verleiht ihnen der Besitz besonderer pigmenthaltiger Zellen der Haut (Chromatophoren). Die Melanozyten-stimulierenden Hormone -MSH und ß-MSH fördern die Pigmentbildung und Pigmentverteilung in den Chromatophoren. Das die Aminosäuresequenz 1 — 13 des ACTH enthaltende -MSH entstammt einer höhermolekularen Vorstufe, dem Proopiomelanocorrin (Mol.-Gew. —28 000), aus dem sich nicht nur ACTH, sondern auch die Endorphine (S. 508) und das die Freisetzung von Fettsäuren aus den Triglyceriden des Fettgewebes stimulierende ßLipotropin ableiten.
17. Epiphysenhormon Melatonin Das einzige bisher bekannte Epiphysenhormon ist das Melatonin. Es konnte zwar auch aus den peripheren Nerven und dem Hypothalamus gewonnen werden, wird jedoch dort vermutlich nur gespeichert. Biosynthese und Chemie. In der Epiphyse wird Melatonin in Acetyl-CoA- und SAdenosylmethionin-abhängiger Reaktion aus Serotonin gebildet und hat die Struktur eines 5-Methoxy-N-acetyltryptamins. Biologische Wirkungen. Bei Kaltblütern ist Melatonin ein Antagonist des MSH, da es die Chromatophoren zur Kontraktion bringt und zu einer perinucleären Aggregation des Farbstoffes (Melanin u. a.) führt. Die Hautfarbe hellt sich dadurch auf. Beim Warmblüter hat Melatonin eine eindeutige Wirkung auf Entwicklung und Funktion der Gonaden nicht ausgewachsener Tiere. Unter seinem Einfluß wird die Gewichtszunahme des Ovars und das Einsetzen des Vaginalestrus bei der Ratte unterdrückt. Andererseits hat man bei Adenombildung der Epiphyse („Pinealom") die Symptome einer vorzeitigen Pubertät (Pubertas praecox) beobachtet.
Hormone des Hypophysenhinterlappens (HHL)
361
18. Hormone des Hypophysenhinterlappens (HHL) Aus dem Hypophysenhinterlappen von Säugetieren lassen sich zwei Wirkstoffe — das Ocytocin und das Adiuretin (Antidiuretisches Hormon, ADH) - isolieren. Sie entfalten Wirkungen auf Blutdruck, Diurese und die glatte Muskulatur des Uterus. Die eigentliche Bildungsstätte dieser Hormone sind jedoch nicht die Zellen des Hypophysenhinterlappens, sondern neurosekretorische Neurone des Nucleus supraopticus und paraventricularis im Hypothalamus. Beide Wirkstoffe werden als Prohormone gebildet und sind in dieser Form an Neurophysin I (Ocytocin) bzw. Neurophysin II (Adiuretin) in kovalenter Form gebunden. Neurophysine sind kleine disulfidreiche Proteine. Die Hormonvorstufen gelangen nach ihrer Synthese in den Hypophysenhinterlappen und werden dort in neurosekretorischen Granula gespeichert. Chemie. Ocytocin und Adiuretin sind Nonapeptide, die durch die Existenz einer Disulfidbrücke zwischen den Cysteinresten in Position l und 6 den Charakter zyklischer Peptide erhalten. Beide Wirkstoffe unterscheiden sich lediglich durch die Aminosäuren in Position 3 (lie bzw. Phe) und 8 (Leu bzw. Arg). Ocytocin (Molmasse 1007, I. P. 7,7) wird bei allen Vertebraten, auch bei den Nichtsäugetieren gefunden und im Hypothalamus in Form einer Vorstufe (Molmasse 30 000) gebildet, aus der das aktive Hormon durch Proteolyse freigesetzt wird. Die chemische Struktur ist durch die chemische Synthese bestätigt. Artspezifische Unterschiede wurden bisher nicht gefunden. Hormone des Hypophysenhinterlappens (Neurohormone)
/
Gly-NH 1 Leu 1 Pro 1 ^Cys — Asn^
Ocytocin
Arg
1
^
1 Pro 1
xCys — Asn 1 lie
s s
Gly-NH,
1 Arg
Pro 1
Gin
S 1
Gly-NH
.^Cys — Asn
Gin 1 lie
S 1 S
Gin
S
1
1
S
Phe
\Cys-Tyr'
\Cys- Tyr/
Vasotocin
Adiuretin
Adiuretin (Molmasse 1084, I. P. 10,9) wird nur in der Klasse der Mammalia gefunden. Das Audiuretin des Schweines hat eine von der anderer Spezies und vom Menschen geringfügig abweichende Struktur (Lys anstelle von Arg). Anstelle des Adiuretins wird bei den Nichtsäugern unter den Vertebraten das Vasotocin gebildet. Biologische Wirkungen des Ocytocins. Ocytocin regt die Kontraktion der glatten Muskulatur des Uterus an, doch kann die Kontraktionsbereitschaft durch Estrogene oder Gestagene variiert werden. Estrogene fördern, Gestagene hemmen die Ocytocinwirkung, so daß während einer Gravidität eine nur geringe, gegen Ende der Gravidität, die durch einen drastischen Wiederabfall des Gestagenspiegels
362
Hormone
gekennzeichnet ist, jedoch eine erhöhte Sensibilität für Ocytocin besteht. Darauf beruht die wehenauslösende Wirkung des Ocytocins, von der in der Geburtshilfe (Einleitung der Geburt) Gebrauch gemacht wird. Nach der Geburt beschleunigt Ocytocin die Involution des Uterus und kann zur Behandlung einer postpartalen Uterusatonie eingesetzt werden. Die Ocytocinwirkung ist nicht uterusspezifisch, auch die Kontraktion der glatten Muskulatur des Dickdarms, der Gallenblase und der Harnblase wird angeregt. Eine spezifische Wirkung des Ocytocins auf die Milchdrüse zeigt sich in seiner Fähigkeit, das die Milchgänge auskleidende kontraktile Gewebe (Myoepithel) zur Kontraktion zu bringen. Dadurch wird die in den Drüsenzellen sezernierte Milch aus den Gängen herausgepreßt (Milchejektion). Die Milchbildung und -menge bleiben jedoch unbeeinflußt. Biologische Wirkungen des Adiuretins. Neben cardiovaskulären Wirkungen (Kontraktion der glatten Muskulatur der Blutgefäße, Blutdruckanstieg) hat das Adiuretin entscheidenden Einfluß auf die Rückresorption des Wassers im distalen Tubulusabschnitt der Nierenkanälchen und zwar werden unter seinem Einfluß die nach isoosmotischer Rückresorption verbleibenden 20 l Primärharn im distalen Tubulusabschnitt und den Sammelröhrchen Cyclo-AMP-abhängig bis auf ein Volumen von 1,5—21 rückresorbiert. Angaben über den Wirkungsmechanismus finden sich im Kapitel Niere (S. 483). Adiuretin hat noch in einer Dosis von 0,1 g eine deutliche antidiuretische Wirkung. Wegen seiner Wirkung auf den Kreislauf wurde das Adiuretin früher als Vasopressin bezeichnet. Ausfallserscheinungen. Bei ungenügender Bildung des Adiuretins, aber auch bei Fehlen des Hormonrezeptors am Erfolgsorgan (Rezeptordefekt am Tubulussystem), kommt es zu Störungen des Wasserhaushaltes, die als Diabetes insipidus bezeichnet werden. Je nach Lokalisation des Defektes werden ein zentraler (hypophysärer) und ein peripherer (renaler) Diabetes insipidus unterschieden. Typische Symptome des Diabetes insipidus sind die Ausscheidung großer Mengen (bis 20 l/ Tag) eines hypotonen Harns mit geringem spezifischen Gewicht und ein, infolge des großen Flüssigkeitsverlustes, andauernder Durst (Polydipsie). Beim renalen Diabetes insipidus liegt ein Defekt der ADH-Rezeptoren in der Niere vor. Regulation der ADH-Wirkung HYPOTHALAMUS Ml
^1
^
NUCL. PAHAVbN 1 H. ^ ADH-Synthese 1
HlHL ADH-Speicherung ADH-Ausschüttung
BL JT
Stimu ation:
Hemrnung:
Volumen Osmolalität
Psychische Reize (Schmerz, Angst)
Pharmaka (Äthanol)
[
^
NIERE nisT T U R I N i m SAMMELRÖHRCHEN
Wasserrückresorption
Pharmaka (Nikotin , Äther, Morphin)
Serotonin (Enteramin)
363
Regulation der Adiuretinwirkung. Bildung und Ausschüttung des Adiuretins werden durch das Volumen des Blutplasmas und dessen osmotischen Druck reguliert. Anstieg des osmotischen Druckes und Erniedrigung des Blutvolumens bewirken eine Stimulierung des Hypothalamus und vermehrte Hormonausschüttung, worauf das Erfolgsorgan mit verminderter Diurese reagiert. Absinken des osmotischen Drukkes und erhöhtes Blutvolumen lösen einen gegensätzlichen Effekt aus.
19. Atriales natriuretisches Hormon (Atriopeptin) In den Vorhöfen des menschlichen Herzens wird das atriale natriuretische Hormon - auch Atriopeptin genannt — in Form einer inaktiven Vorstufe (Prä-Prohormon) gebildet und gespeichert. Bei Anstieg des Blutvolumens und Dehnung der Vorhöfe wird das aktive, aus 28 Aminosäuren bestehende Peptidhormon aus der Vorstufe abgespalten und in die Zirkulation abgegeben. Atriopeptin führt zu einer vermehrten Natrium- und Wasserausscheidung durch Beeinflussung zahlreicher Zielorgane: Im Hypothalamus bindet Atriopeptin an Regionen, die Blutdruck und Mineralhaushalt kontrollieren und hemmt die Freisetzung von Adiuretin (Vasopressin), das antidiuretisch und gefäßverengend wirkt (S. 361). Auf die glatte Muskulatur der Blutgefäße hat Atriopeptin einen relaxierenden (Blutdruck senkenden) Effekt. In der Niere hemmt es einerseits die Reninsekretion und damit indirekt die Freisetzung des Blutdruck steigernden Aldosterons aus der Nebennierenrinde, zum anderen aber auch die Rückresorption von Natrium im Tubulussystem und in den Sammelrohren. Dieser Effekt wird verstärkt durch Erhöhung der glomerulären Filtrationsrate. Der zelluläre Wirkungsmechanismus des Atriopeptins besteht in einer Aktivierung der Guanyl-Cyclase unter Erhöhung der intrazellulären cGMP-Konzentration. Gleichzeitig wird die Adenyl-Cyclase gehemmt.
20. Serotonin (Enteramin) Serotonin (5-Hydroxytryptamin) ist in der Natur weit verbreitet und wird beim Säugetier in relativ hoher Konzentration im Zentralnervensystem (Hypothalamus), in der Milz, Lunge und in den argentaffinen („hellen") Zellen des Darmtraktes (deshalb die Bezeichnung Enteramin) gefunden. Im Blut ist Serotonin praktisch nur in den Thrombozyten und Mastzellen vorhanden, wird hier jedoch nicht gebildet, sondern nur gespeichert. Die Konzentration im Vollblut beträgt 0,1-0,3 g/ ml. Intrazellulär findet sich Serotonin hauptsächlich in einer inaktiven (gebundenen) Form vorwiegend in den Mitochondrien. Biosynthese und Chemie. Serotonin ist ein Derivat des Tryptophans, das durch eine Hydroxylase zunächst in 5-Hydroxytryptophan und dann durch eine pyridoxalphosphatabhängige Decarboxylase in das biogene Amin umgewandelt wird.
364
Hormone Biosynthese und Abbau des Serotonins CH„ — C H —COOH l NH„ Tryptophan Tetrahydrobiopterin 02 |Hydroxylase| Dihydrobiopterin H2O
CH„ — C H - C O O H l 5-Hydroxytryptophan
Decarboxylase
Serotonin (5-Hydroxytryptamin)
;
Monoamin-bxidasel Aldehyd-Oxidase I CH 2 -COOH
HO
5-Hydroxyindolessigsäure
Biologische Wirkungen. Serotonin hat Wirkungen auf die glatte Muskulatur der Gefäße, des Respirations- und Gastrointestinaltraktes. Es vermag dosisabhängig vasokonstriktorisch oder -dilatatorisch zu wirken und in die Regulation des Tonus der Bronchialmuskulatur und die Peristaltik des Darmes einzugreifen. Serotonin ist ferner als Neurotransmitter wirksam (Kap. Nervengewebe, S. 505). Abbau. Das hauptsächliche Endprodukt des Serotoninabbaus ist 5-Hydroxyindolacetat, das aus Serotonin nach Abbau durch eine Monoamin-Oxidase und AldehydOxidase entsteht (S. 59). Das Abbauprodukt erscheint physiologischerweise in geringer Konzentration im Urin (2—10 mg/24 Stdn.), ist jedoch beim malignen Carcinoid (Tumor der hellen Zellen des Darmtraktes) stark erhöht (bis 0,5 g/24 Stdn.).
Histamin
365
Die Patienten leiden unter passageren Blutdruckkrisen mit Blutandrang zum Kopf (Flushing), chronischer Diarrhöe und z. T. auch an Bronchospasmen. Eine spätere Beteiligung des Herzens mit Gewebsfibrosierung ist noch unerklärt. Beim Carcinoid liegt nicht nur eine absolut vermehrte Produktion von Serotonin, sondern auch eine Verschiebung in der Relation der Abbauwege vor: Während normalerweise 1% des Tryptophans zu Serotonin umgewandelt wird, beträgt der Anteil beim Carcinoid 60% mit der Folge, daß die Nicotinsäurebildung stark reduziert ist und Pellagra-ähnliche Symptome (S. 382) auftreten können.
21. Histamin Histamin ist im Pflanzen- und Tierreich weit verbreitet. Es findet sich u. a. in den Wirkstoffen des Mutterkorns, in der Brennessel, im Bienengift und im Speicheldrüsensekret stechender Insekten. In den meisten tierischen Geweben ist Histamin in einer Konzentration von 0,01 mg/g Frischgewebe enthalten. Die höchsten Konzentrationen findet man in Lunge, Haut und Gastrointestinaltrakt. In den Mastzellen wird Histamin, an Heparin gebunden, gespeichert. Biosynthese und Abbau des Histamins
,,„„„ L-Histidin
UUBr
| Diaminoxidase ,==yCH [Aldehydoxidasel k -CH„-CH,,-NH„ 2 -LH 2 -NH 2 lAIHfihvrtnxidaspl
*" N
NH Histamin
V |[NH,] 3 |
CH ,==v-CH„-COOH /==\~ 2~
*~ N
NH Imidazol5-essigsäure
Biosynthese und Chemie. Histamin ist das biogene Amin des L-Histidins, aus dem es einmal unter Wirkung einer unspezifischen L-Aminosäure-Decarboxylase entstehen kann, die auch 3,4-Dihydroxyphenylalanin bzw. 5-Hydroxytryptophan umsetzt und in Leber, Hirn, Niere u. a. Geweben vorkommt. Zum anderen existiert in den meisten Geweben eine spezifische Histidin-Decarboxylase, welche die gleiche Reaktion katalysiert, aber nur mit Histidin als Substrat reagiert. Biologische Wirkungen. Histamin bewirkt eine Kontraktion der glatten Muskulatur des Respirations-, Intestinaltraktes und des Uterus, die für die Entstehung pathophysiologischer Zustände (Asthma bronchiale) wichtig sein kann. Auf die glatte Muskulatur der Gefäße hat Histamin dagegen relaxierende Wirkung, so daß es zur Blutdrucksenkung kommt. Außerdem ist die Permeabilität der Gefäße im Kapillargebiet gesteigert, wodurch sich Rötung und Quaddelbildung (Ödem) nach lokaler Histaminapplikation erklären. Eine subcutane Injektion von 0,25-1,0 mg Histamin führt zu starker Sekretionssteigerung von Salzsäure durch die Magenschleimhaut. Das in den Zellen in biologisch inaktiver Speicherform vorliegende Histamin kann durch verschiedene Mechanismen freigesetzt werden. Dies tritt z. B. bei Verletzungen des Gewebes ein. Auch die beim allergischen Schock auftretende Blut-
366
Hormone
drucksenkung ist durch eine Entleerung der Histamindepots mitbedingt. Außerdem wirken viele Pharmaka als „Histaminliberatoren". Dagegen verdrängen die Antihistaminika das Histamin von den Gewebsrezeptoren und können zur Behandlung allergischer Erscheinungen (Heuschnupfen, Heuasthma) eingesetzt werden. Abbau. Histamin wird im Gewebe durch eine Diamin-Oxidase und Aldehyd-Oxidase rasch in Imidazolylessigsäure überführt und damit inaktiviert. Eine Wirkungsbeendigung tritt auch nach enzymatischer N-Acetylierung ein.
22. Erythropoetin Bei Sauerstoffmangel wird in den peritubulären Endothelzellen der Nierenkapillaren sialinsäurehaltiges Glykoprotein (Mol.-Gew. 34000—39000) — das Erythropoetin (EPO) - gebildet und freigesetzt. Biologische Wirkungen. Zusammen mit den Interleukinen l, 3, 4 und 9 beschleunigt EPO die Reifung und Differenzierung der erythroiden Stammzellen des Knochenmarks und führt zu einer Erhöhung der Retikulozyten- und Erythrozytenzahl im peripheren Blut. Das Erythropoetin wird schnell aus der Blutzirkulation entfernt (Halbwertszeit 2 — 3 Stdn.) und z. T. durch die Niere ausgeschieden. Die Ausscheidung ist bei männlichen Individuen größer (1,5-4,0 mg/24 Stdn.) als bei weiblichen (< l mg/24 Stdn.).
23. Plasmakinine Die Plasmakinine sind niedermolekulare, pharmakologisch hochaktive Oligopeptide mit Wirkung auf die glatte Muskulatur der Gefäße, des Intestinaltraktes, der Bronchien und des Uterus. Biosynthese und Chemie. Die Kinine werden aus der a 2 -Globulinfraktion des Blutplasmas durch Einwirkung des Enzyms Kallikrein freigesetzt. Kallikreine sind im Pankreas, in den Speicheldrüsen, in der Darmwand und Zunge, aber auch im Blutplasma selbst, in einer inaktiven Vorstufe (Präkallikrein, Kallikreinogen) vorhanden. Die in ihrer Struktur aufgeklärten Kinine besitzen ein Peptid als gemeinsame Grundstruktur (Bradykinin), von dem sich Kallidin und Methylkallidin durch Substitution eines Lysyl- bzw. Methyllysylrestes am N-terminalen Ende ableiten. Sie wurden aus dem Blutplasma von Rind und Mensch isoliert. Biologische Wirkungen. Plasmakinine besitzen eine kontrahierende Wirkung auf Uterus-, Darm- und Bronchialmuskulatur, eine dilatierende Wirkung dagegen auf die arteriellen Widerstandsgefäße, so daß es zur Blutdrucksenkung kommt. Außerdem erhöhen sie die Gefäßpermeabilität. In der Phase I der Blutgerinnung wird Bradykinin freigesetzt und aktiviert den Faktor XII. Das hereditäre angioneurotische Ödem, bei dem die Kininkonzentration im Blutplasma stark erhöht ist, beruht auf einem Mangel an Kallikreininhibitoren. Bei
Renin-Angiotensin-System
367
Bildung und Abbau von Plasmakininen (X2-Globulinfraktion der Blutplasmaproteine (Kininogen) |Kallikrein| -^
|Präkallikrein|
|_ys _ Arg — Pro — Pro — G ly — Phe — Ser — Pro — Phe — Arg Kallidin (Lysyl-Bradykinin) Arg — Pro — Pro — G ly — Phe — Ser — Pro — Phe — Arg
Bradykinin (Kallidin 9)
Umwandlungsenzym AC E
Abbauprodukte
schweren akuten Pankreasentzündungen kann es nach massiver Freisetzung von Kallikrein und Bildung von Kininen zum letalen Kreislaufschock kommen. Abbau. Im Blut wird Kallidin (Normalwert 2 g/l) durch eine Aminopeptidase rasch zu Bradykinin und dieses durch das für die Bildung des Angiotensin II verantwortliche Umwandlungsenzym (ACE) weiter zu inaktiven Bruchstücken abgebaut. Die Halbwertszeit des Bradykinins im Blutplasma beträgt nur 30 sec.
24. Renin-Angiotensin-System Biosynthese und Chemie. Renin ist ein proteolytisches Enzym mit einem Mol.-Gew. von 43 000 (Mensch), das in den juxtaglomerulären Zellen der Niere gebildet und physiologischerweise in geringen Konzentrationen an das Blutplasma abgegeben wird. Im Blutplasma setzt Renin aus einem Protein der a 2 -Globulinfraktion (dem Angiotensinogen) ein Dekapeptid (das Angiotensin I) frei. Unter Einwirkung des im Plasma vorhandenen Umwandlungsenzyms (Angiotensin Converting Enzyme, ACE) wird aus dem Angiotensin I das carboxylendständige Dipeptid His-Leu abgespalten und das Angiotensin I dadurch in das Oktapeptid Angiotensin II umgewandelt. Angiotensin II wird durch eine Gewebs-Peptidhydrolase (Angiotensinase) zu inaktiven Peptiden abgebaut (Halbwertszeit l Min.). Biologische Wirkungen. Das wirksame Prinzip des Renin-Angiotensin-Systems ist das Angiotensin II, das folgende Wirkungen besitzt: • Angiotensin II stimuliert durch direkte Wirkung auf die Zona glomerulosa der NNR die Aldosteronsekretion und steuert somit dessen Ausschüttung (s. o.). • Angiotensin II ist die stärkste der bekannten vasopressorischen Substanzen und zehnmal wirksamer als das Adrenalin. Intravenöse Injektion führt zu raschem, aber kurzdauernden Anstieg des arteriellen Blutdrucks.
368
Hormone Bildung des Angiotensins l und II a2-Globulin (Angiotensinogen)
Asp-Arg-Val-Tyr-lleu-His-Pro-Phe-His-Leu Angiotensin l (Proangiotensin) His-Leu'
Umwandlungsenzym AC E
Asp-Arg-Vol-Tyr-lleu-His-Pro-Phe
Angiotensin I I | Angiotensinase
Blutdruck-unwirksame Spaltprodukte
• Angiotensin II kann die tubuläre Natriumrückresorption entweder fördern (bei normalem Blutdruck) oder hemmen (bei Hochdruck). Über einen negativen Rückkopplungsmechanismus scheint Angiotensin die Reninsekretion zu hemmen. Klinische Bedeutung. Bei partieller Unterbindung der Nierenarterien (Hypoxämie) sind Reninaktivität im Plasma und infolgedessen auch Angiotensinbildung und Blutdruck erhöht. Beim Menschen findet man häufig einen erhöhten Plasma-Reninspiegel bei Nierenerkrankungen, die mit einer Minderdurchblutung einhergehen und zum Bluthochdruck (renale Hypertonie) führen. Ein wirksames Behandlungsprinzip besteht in der medikamentösen Zufuhr von Inhibitoren des Umwandlungsenzyms (ACE-Hemmer).
25. Eikosanoide: Prostaglandine, Thromboxane und Prostazykline Nomenklatur und Biosynthese. Prostaglandine, Thromboxane, Prostazykline und Leukotriene (S. 372) werden in der Stoffklasse der Eikosanoide zusammengefaßt, da sie alle aus der C20:4-Fettsäure (Arachidonsäure) bzw. der C20:5-Fettsäure (Eikosapentaensäure) synthetisiert werden. Die für die Synthese benötigten mehrfach ungesättigten Fettsäuren entstammen den Phospholipiden der Zellmembran, aus der sie durch die Phospholipase A2 freigesetzt werden. Die Prostaglandine wurden zuerst im Sperma gefunden, stammen jedoch nicht nur — wie ihr Name angibt — aus der Prostata, sondern sind in menschlichen und tierischen Organismen (auch bei weiblichen Individuen) weit verbreitet.
Eikosanoide: Prostaglandine, Thromboxane und Prostazykline
369
Biosynthese der Prostaglandine, Thromboxane und Prostacycline coon
Bishomo-y-Linolensäure ( 8·11 14 -Eikosatriensäure)
Arachidonsäure (Ä 5 - 8 - 11 ' 14 -Eikosatetraensäure)
20
A 5 ' 8 ' 11 ' 14 ' 17 -Eikosapentaensäure
|Zyklooxygenase|
Prostaglandine PGE 1? PGFi„
COOH
Proslaglandine PGE 3 , PGEs,»
OOM
Zykloendoperoxid PGGj
COOH
H
OH
Prostaglandin PGEj
Thromboxan A 2
OH
Prostazyklin PGIj COOH
Prostaglandin
Thromboxan B2
6-Keto-PGF, 0
Die primären Prostaglandine (PG) gehören entweder der -Serie (E t , E2, £3) oder der F-Serie (F )a , F2a, F iu ) an. Sie unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur dadurch, daß die Vertreter der -Serie eine Ketogruppe am C-Atom 9 und eine Hydroxylgruppe am C-Atom 11 tragen, während die 3 Vertreter der FSerie an beiden Positionen des Cyclopentanringes eine Hydroxylgruppe besitzen. Ihre Biosynthese erfolgt aus der Eikosatriensäure, Eikosatetraensäure bzw. Eikosapentaensäure (Abb.). Da die Arachidonsäure (A5,8,ll,14-Eikosatetraensäure) in den meisten Geweben die häufigste Polyenfettsäure ist, ist es nicht überraschend, daß die Prostaglandine PGE2 und PGF2u besonders häufig und in höherer Konzentration angetroffen werden als die übrigen Prostaglandintypen. Die sekundären Prostaglandine, die den Serien A, B, C und D angehören, entstehen vorwiegend durch enzymatische Umwandlung von Prostataglandinen der ESerie.
370
Hormone
In der Biosynthese der Prostaglandine nimmt das intermediär gebildete zyklische Endoperoxid PGG2 eine zentrale Position ein, weil es gleichzeitig die Vorstufe für die Synthese der Thromboxane und Prostazykline darstellt. Biologische Wirkungen. Die biologische Bedeutung der Prostaglandine liegt in ihrer weiten Verbreitung, ihrer hohen Wirksamkeit und der auffalligen Breite und Verschiedenheit ihrer Stoffwechselwirkungen. Sie sind dadurch bedingt, daß • die intrazelluläre Prostaglandinsynthese durch eine Reizung oder Schädigung der Zellmembranen ausgelöst werden kann, wobei in der ersten Phase Phospholipasen aus Membranlipiden Prostaglandin-Synthesevorstufen (ungesättigten Fettsäuren) freisetzen, daß • verschiedene Hormone wie z. B. Bradykinin, Acetylcholin und Histamin, die Synthese und Freisetzung von Prostaglandinen steigern, daß • Prostaglandine sowohl das Adenyl-Cyclase-System als auch das Guanyl-CyclaseSystem stimulieren und dadurch zu einer Steigerung der intrazellulären CycloAMP- und Cyclo-GMP-Konzentration führen können, daß • verschiedene endokrine Organe (Schilddrüse, Nebennierenrinde, Ovarium, Nebenschilddrüse) auf Prostaglandinadministration mit einer vermehrten Sekretion ihrer Hormone antworten und daß sie • nicht gespeichert werden können, ihre Freisetzung durch Neusynthese erfolgt und daß sie durch Diffusion die Nachbarzelle erreichen können. Ihre Halbwertszeit im Blut beträgt weniger als l Min. Die Wirkung der Katecholamine wird durch PGE vermindert, durch PGF dagegen gesteigert. Dies erklärt ihre unterschiedliche Wirkung auf Leber-Phosphorylase und Lipolyse. Der antagonistische Effekt der Prostaglandine zeigt sich auch in der Abschwächung (PGE) bzw. Verstärkung (PGF2) der pressorischen Effekte von Angiotensin und Noradrenalin oder der Erschlaffung (PGE) bzw. Kontraktion (PGF2) der gastrointestinalen Muskulatur. Die antagonistische Wirkung von Thromboxan und Prostazyklin am cardiovaskulären System erfolgt über eine Regelung des Cyclo-AMP-Spiegels der Endothelzellen der Gefäßwände bzw. der Thrombozyten. Die aus Arachidonsäure (C20:4 co-6) und aus Eikosapentaensäure (C20:5 -3) gebildeten Thromboxane bzw. Prostazykline entfalten jedoch unterschiedliche Wirkungen (Tab.). Eigenschaften der aus Arachidonsäure (C20:4 -6) bzw. Eikosapentaensäure (C20:5 gebildeten Eikosanoide
Zelltyp
C20:4
-6
C20:5
-3)
-3
Thrombozyt
Thromboxan A2 • fördert Aggregation und Adhäsion von Thrombozyten • wirkt vasokonstriktorisch
Thromboxan A3 • keine Thrombozytenaggregation und adhäsionsfördernde Wirkung • nicht vasokonstriktorisch
Endothelzelle
Prostazyklin PGI 2 • hemmt Aggregation und Adhäsion von Thrombozyten • wirkt vasodilatatorisch
Prostazyklin PGI 3 • hemmt Aggregation und Adhäsion von Thrombozyten • wirkt vasodilatatorisch
Eikosanoide: Prostaglandine, Thromboxane und Prostazykline ENDOTHELZELLE
371
THROMBOZYT
f Phospholipide
1
[ \ Phospholipase \ t C20:4 1 1 |Zyklooxygenase| PGG2 "* (Endoperoxid)
1
1
PGI 2 (Prostazyklin)
Phospholipide
1 T
| Phospholipase A2 C20:4 |Zyklooxygenase| PGG2 (Endoperoxid) • fördert Freisetzung von ADP und Serotonin 1 :|Thromboxansynthase|
\ TxA2 (Thromboxan)
• hemmt Aggregation und Adhäsion von Thrombozyten
. fördert Aggregation und Adhäsion von Thrombozyten
• relaxiert Gefäßmuskelzellen
• kontrahiert Gefäßmuskelzellen
j
Innerhalb der Niere haben Prostaglandine neben ihrem vaskulären Angriffspunkt direkte tubuläre Funktionen, indem sie vor allem die ADH-Wirkung antagonisieren. Darüber hinaus sind sie bei der Renin-Freisetzung beteiligt, indem sie die Wirkungen pressorischer bzw. antidiuretisch und antinatriuretisch wirkender Systeme modulieren. Am Skelettsystem bewirken die Prostaglandine E, und E2 über eine Stimulation der Osteoklasten eine Mobilisierung von Calcium. Die Hypercalcämie und Osteolyse bei manchen malignen Tumorformen läßt sich damit erklären. Prostaglandine drosseln die Sekretion von Magensaft und haben dadurch einen zytoprotektiven Effekt, indem sie die gastrointestinale Schleimhaut vor Ulcerationen schützen. Die vielfältigen Stoffwechseleffekte der Prostaglandine eröffnen auch zahlreiche therapeutische Anwendungsmöglichkeiten. Sie liegen in der Behandlung von Asthma (krampflösende Wirkung von Prostaglandin EI auf die Bronchialmuskulatur) von Magengeschwüren (Zurückdrängung der Magensekretion) und von Kreislauferkrankungen (blutdrucksenkende Wirkung der Prostaglandine vom E-Typ). Da Prostaglandine Wehen auslösen und die Geburt einleiten können, sind sie (bei direkter Einbringung in das Cavum uteri) auch wirksame Abortiva. Prostaglandine (PGE|) sind Fieber- und Schmerz-erzeugende Substanzen, Thromboxan und Prostazyklin auch an Entzündungsprozessen beteiligt. Auch ein Teil bekannter Medikamente scheint seine Wirkung über eine Beeinflussung des Prostaglandin-Stoffwechsels auszuüben. So beruht z. B. die analgetische und antipyretische Wirkung der Acetylsalicylsäure (Aspirin ®) auf einer Hemmung der Cyclooxygenase. Der Abbau der Prostaglandine erfolgt rasch durch Oxidation am C-Atom 15 und durch die für Fettsäuren typische ß-Oxidation vom Carboxylende her. Die Abbauprodukte der Thrombozyten-Prostaglandine (Thromboxan) erscheinen im Serum z. T. als Malondialdehyd (S. 210).
372
Hormone
26. Eikosanoide: Leukotriene Chemisch mit den Prostaglandinen und dem Thromboxan verwandt sind die Leukotriene. Sie bilden eine Klasse von Wirkstoffen, die ebenso wie Prostaglandine aus Arachidonsäure bzw. aus Eikosapentaensäure synthetisiert (Abb.) und als Mediatoren allergischer und entzündlicher Reaktionen wirksam werden. Der Name dieser Substanzklasse wurde gewählt, weil die Leukotriene in Leukozyten entstehen und 3 konjugierte Doppelbindungen besitzen. Eine Besonderheit der Leukotriensynthese ist die Reaktion des Leukotrien A4 mit Glutathion, das in Thioetherbindung an das C-Atom 6 des Leukotrien A4 angelagert wird. Aus diesem Konjugationsprodukt entstehen durch schrittweise Abspaltung der Glutaminsäure und des Glycinrestes aus dem Glutathion weitere Leukotriene. Die Leukotriene haben histaminähnliche Wirkungen, sind jedoch — auf molare Basis bezogen — 100— lOOOmal wirksamer als Histamin. Ihr Hauptangriffsort ist die glatte Muskulatur der peripheren Verzweigungen der Bronchien, die sie zur Kontraktion anregen. Die Freisetzung der Leukotriene erfolgt im Rahmen allergischer Reaktionen. Dadurch enthalten die Leukotriene eine enge Beziehung zur Pathogenese des allergischen Asthmas. Das aus Arachidonsäure gebildete LT B4 hat für Leukozyten stark chemotaktische, das analoge aus Eikosapentaensäure gebildete LT B dagegen nur schwach chemotaktische Eigenschaften.
27. Neurohormone Für die Signalübertragung und die Regulation im Stoffwechsel des Nervensystems sind Acetylcholin, Noradrenalin, Serotonin, -Aminobuttersäure und weitere Neurotransmitter von besonderem Interesse. Das Noradrenalin ist unter den Hormonen des Nebennierenmarks (S. 327), das Serotonin unter den Gewebshormonen (S. 364), Acetylcholin, -Aminobuttersäure und die Endorphine sind im Kapitel Nervengewebe (S. 505) beschrieben.
28. Hormone des Gastro-Intestinaltraktes Die Sekretion der für den regelrechten Ablauf des Verdauungsprozesses im GastroIntestinaltrakt notwendigen Enzyme wird z. T. durch lokal-stimulierende Wirkungen der Nahrungsbestandteile selbst, z. T. durch das autonome Nervensystem des Intestinaltraktes, z. T. jedoch durch eine Reihe von Peptidhormonen gesteuert, die im Intestinaltrakt gebildet werden. Ihre synergistische Wirkung ermöglicht die Koordination der motorischen und sekretorischen Vorgänge bei der Verdauung. Chemie und biologische Wirkungen sind in nachfolgender Tabelle zusammengestellt.
Hormone des Gastro-Intestinaltraktes
373
Biosynthese der Leukotriene COOH Arachidonsäure |Lipoxygenase|
OOH
COOH 5-Hydroperoxieicosatetraensäu re (5-HPETA) Leukotrien A4
COOH
Neben den in der Tabelle genannten Wirkungen können die gastrointestinalen Hormone als Neurotransmitter (S. 502) fungieren und auch die Aktivität endokriner Organe stimulieren. So vermögen Gastrin, Cholezystokinin und VIP z. B. die Freisetzung von Insulin zu fördern. Im Magen, Duodenum und Pankreas läßt sich auch das ZNS-spezifische Enkephalin nachweisen, das mit Opiat-Rezeptoren reagiert und die Darmmotilität hemmt. Angaben über Enteroglukagon S. 339. Die physiologische Wirkung des Hormons Gastrin ist an die C-terminale Aminosäuresequenz Trp-Met-Asp-Phe-amid gebunden. Ein synthetisches Pentapeptid, das diese Sequenz enthält, ist unter der Bezeichnung Pentagastrin bekannt und wird bei der Magensekretionsanalyse zur (diagnostischen) Stimulierung der HCl-Sekretion verwandt.
374
Hormone Physiologie und Pathobiochemie gastrointestinaler Hormone
Name
Peptidstruktur*
Funktion
Pathobiochemie
Gastrin 1, II
17
Stimuliert HCI-Produktion und -Sekretion im Magenfundus, wirkt histaminähnlich
Zollinger-Ellison-Syndrom, perniziöse Anämie, atrophische Gastritis
Cholezystokinin (Pankreozymin, CCK-PZ)
33
Stimuliert Enzymsekretion des Pankreas, erhöht Enzymgehalt des Pankreassekretes, regt Kontraktion der Gallenblase an
Pankreasinsuffizienz, chronische Pankreatitis, Postgastrektomiesyndrom, irritables Colon, Zöliakie
Sekretin
27
Stimuliert Produktion und Abgabe von Pankreassekret und Galle, hemmt Gastrinproduktion
Zöliakie?, Ulcus duodeni bei Sekretinmangel
VascularIntestinalPeptide (VIP)
28
Hemmt Magensaft- und HCI-Sekretion, relaxiert glatte Muskulatur von Magen und Dickdarm reguliert Durchblutung von Magen und Leber
Verner-Morrison-Syndrom (WDHA-Syndrom)
Somatostatin
14
Hemmung der Gallenblasenkontraktion und der Enzym- und Bicarbonatsekretion des Pankreas
Steatorrhoe, Diarrhöe und Malabsorption bei Hypersomatostatinämie
Pankreatisches Polypeptid
26
Hemmt Magen- und PankreasSekretion, setzt Darmmotilität und Tonus der Gallenblase herab
Endokrin aktive Tumoren des Magen-Darm-Kanals
* Zahl der Aminosäuren
Gastrinbildende Adenome, die oft klein und schwer auffindbar in der Wand des Duodenums, des Jejunums, in Pankreas oder auch an anderen Stellen (z. B. in der Thyreoidea) lokalisiert sind, verursachen eine Dauerstimulation der Belegzellen und damit eine abnorm erhöhte HCI-Sekretion (Zollinger-Ellison-Syndrom).
29. Lymphokine, Cytokine und Wachstumsfaktoren Die Entwicklung und Differenzierung embryonaler Zellen, der Zellen des zirkulierenden Blutes aus ihren Vorstufen bzw. Stammzellen (S. 427) und die Regulation der Proliferation der Zellen aller Gewebe und Organe vielzelliger Organismen unterliegen der Kontrolle durch Cytokine (Lymphokine) und Wachstumsfaktoren. Einen Überblick geben die nachfolgenden Tabellen. Es handelt sich um eine Familie von Polypeptidhormonen mit Mol.-Gew. von 6000—30000, die in einer Konzentration von wenigen g/l (ng/ml) wirksam werden.
Lymphokine, Cytokine und Wachstumsfaktoren
375
Cytokine (A) und Wachstumsfaktoren (B) Die Angaben für die an Bildung und Wirkung beteiligten Zelltypen sind Beispiele
Bezeichnung A
B
Abk.
Zelluläre Quelle
Zielzellen
Interferone , ß,
IF
T-Zellen, NK-Zellen, Melanomzellen, Endothelzellen, Fibroblasten
Makrophagen, T-Zellen, B-Zellen, NK-Zellen
lnterleukin-1
IL-1
Makrophagen, Endothelzellen, B-Zellen, Fibroblasten, Epithelzellen, Osteoblasten
Fibroblasten, Hepatozyten, Muskelzellen, Endothelzellen, Epidermale Zellen, T-Zellen, B-Zellen, Makrophagen, Neutrophile Granulozyten
lnterleukin-2
IL-2
T-Zellen
T- und B-Zellen, Makrophagen
Koloniestimulierende Faktoren
CSF
Fibroblasten, Makrophagen, Monozyten, Endothelzellen, T-Zellen, B-Zellen
Hämatopoetische Stammzellen
lnterleukin-3
IL-3
T-Zellen, Melanozyten, Epidermale Zellen
Hämatopoetische Stammzellen
Interleukine4-9
IL 4-9
T-Zellen, Makrophagen
Hämatopoetische Stammzellen
Erythropoetin Thrombopoetin
EPO TPO
Niere
Hämatopoetische Stammzellen
Tumor-NekroseFaktor-
TNF-u
Makrophagen, T-Zellen
Adipozyten, Endothelzellen, Neutrophile Granulozyten
Epidermaler WF
EGF
Megakaryozyten (TZ), Niere, Epithelzellen
Epi- und Endothelzellen
Insulinähnliche WF l und II
IGF I, II
Hepatozyten
Chondrozyten, Fibroblasten
Saurer und basischer Fibroblasten-WF
sFGF bFGF
Makrophagen, Gehirn, Osteosarkomzellen
Endothelzellen, Fibroblasten, Myoblasten
Thrombozyten-
PDGF
Megakaryozyten (TZ), glatte Muskelzellen, Makrophagen
Bindegewebszellen, glatte Muskelzellen, Neuroglia
Transformierender WF
TGF-ß
Sarkomzellen, Glioblastomzellen, Megakaryozyten (TZ), Knochenzellen
T- und B-Zellen, Fibroblasten, Monozyten, glatte Muskelzellen
Nerven-WF
NGF
Speicheldrüsen, Makrophagen
Neuronale Zellen
WF (AA, AB, BB)
Abk.: WF = Wachstumsfaktor, TZ = Thrombozyten
376
Hormone Biologische Wirkung von Cytokinen (A) und Wachstumsfaktoren (B)
Abk. A
B
IF u,
Funktion bzw. biologische Wirkung (Beispiele) ,
Antiproliferative Wirkung gegen bestimmte Tumorzellen, antivirale Wirkung, stimuliert Expression der MHC-Proteine der Klasse II, aktiviert Makrophagen
IL-1
Anregung der klonalen Teilung und Differenzierung von B- und T-Lymphozyten, Stimulation der Aminosäurefreisetzung in Muskelzellen, der Kollagenbiosynthese in Fibroblasten, der Synthese von Akute-Phase-Protein in Leberzellen, Chemotaxis für neutrophile Granulozyten, Verstärkung der NK-vermittelten Zytotoxizität
IL-2
Aktivierung und Differenzierung von T- und B-Lymphozyten-Klonen, verstärkt Interferon-y-Produktion
IL-3
Unterstützt die Wirkung von Erythropoetin und GM-CSF
IL-4-9
Notwendig für Differenzierung und Reifung von neutrophilen, basophilen und eosinophilen Granulozyten, Monozyten, B- und T-Lymphozyten
CSF
Stimuliert die Bildung von Granulozyten (G-CSF) und/oder Makrophagen (GM-CSF, M-CSF) aus Knochenmarkstammzellen
EPO TPO
Stimulieren Vorläuferzellen in Knochenmark und fetaler Leber zur Bildung von Retikulozyten und Thrombozyten
TNF-u*
Zytotoxische (antineoplastische) Wirkung gegen bestimmte Tumorzellen, verhindert Aufnahme und Speicherung von Triglyceriden in Fettgewebe durch Hemmung der Lipoprotein-Lipase und Lipidbiosynthese
EGF
Fördert Wachstum und Differenzierung während fetaler Entwicklung, Cofaktor von IGF l und II bei der Wundheilung
IGF l, II
Mitogene Stimulation von Chondrozyten der Wachstumsfuge, Bindegewebs- und Fettzellen
sFGF bFGF
Mitogener Effekt auf zahlreiche Zellinien durch Verkürzung der GrPhase des Zellzyklus, fördert Ossifikation von Knorpelzellen
PDGF
Anregung der Proliferation und Migration glatter Muskelzellen des Arteriengewebes und anderer Zellinien, stimuliert Turnover von IP3, induziert Expression von c-myc und c-fos
TGF-ß
Verstärkt oder hemmt (je nach Zelltyp) die Reaktion auf andere Wachstumsfaktoren, steuert bei manchen Zelltypen die Differenzierung, induziert Angiogenese, chemotaktische Effekte
NGF
Fördert Entwicklung, Aufrechterhaltung und Regeneration sympathischer und sensorischer Neurone, Regulation der Neurotransmittersynthese
* TNF- (Kachektin) besitzt Sequenzhomologien und überlappende Wirkung mit TNF-ß (Lymphotoxin).
Lymphokine. Cytokine und Wachstumsfaktoren
377
Cytokine und Wachstumsfaktoren werden durch zelluläre Elemente des Blutes, aber auch von Gewebszellen und Tumorzellen gebildet, erreichen ihre benachbarten Zielzellen über Diffusionsprozesse (parakine Regulation), können aber auch durch die Zielzellen selbst produziert und über eine autokrine Regulation wirksam werden. Cytokine und Wachstumshormone entfalten ihre Wirkung nach Bindung an spezifische Rezeptoren der Zielzellen. Ihre Interaktion mit dem Rezeptor löst intrazelluläre Signalketten aus, an denen cAMP, cGMP, IP3, Diacylglycerol, das Calcium-Calmodulin-System oder spezifische Protein-Kinasen (z. B. Tyrosin-spezifische Protein-Kinasen, Serin/Threonin-spezifische Protein-Kinase C) beteiligt sein können und schließlich Stoffwechselumschaltungen bewirken, die für das betreffende Cytokin oder den Wachstumsfaktor charakteristisch sind. Zahlreiche Cytokin- und Wachstumsfaktoren kooperieren in einem komplexen Netzwerk regulativer Prozesse.
III. Vitamine 1. Definition und Klassifizierung Definition. Vitamine sind Wirkstoffe, die für Wachstum, Erhaltung und Fortpflanzung der Menschen und der höheren Tiere unentbehrlich sind, jedoch im Organismus nicht oder in nicht ausreichender Menge selbst synthetisiert werden können, sondern mit der Nahrung zugeführt werden müssen. Sie werden vom Organismus für die Synthese von Coenzymen benötigt oder sind als solche für den geordneten Ablauf von Stoffwechselvorgängen unentbehrlich. Der Bedarf an einzelnen Vitaminen liegt beim Menschen im Bereich von 0,001-50 mg/Tag. Schlechtere Ausnutzung (Resorptionsstörungen) oder gesteigerter Verbrauch (Wachstum, Gravidität) können den Bedarf erhöhen. Synthese durch Darmbakterien oder Speicherung (nur bei fettlöslichen Vitaminen) können den Bedarf ständig oder zeitweise herabsetzen. Ein Fehlen der Vitamine in der Nahrung oder eine längere Unterschreitung des Tagesbedarfs führt über einen latenten Mangel, der sich lediglich durch unspezifische Symptome zu erkennen gibt (Hypovitaminose), schließlich zu charakteristischen Mangelerscheinungen, die in schweren Formen (Avitaminose) zum Tod des Organismus führen. Mit der Nahrung zugeführte Vitaminüberschüsse werden ausgeschieden, können jedoch (selten) auch schädliche Auswirkungen (Hypervitaminose) haben. Für Medizin und Ernährungsphysiologie sind Fragen der Erkennung und Behandlung von Vitaminmangelerscheinungen, des Nachweises von latenten Vitaminmangelzuständen und des Vorkommens der Vitamine in Nahrungsmitteln von praktischer Bedeutung. Der Begriff Vitamine wurde durch Zusammensetzung der Worte vita (Leben) und Amin (=„stickstoffhaltige" Verbindung) geprägt, ursprünglich jedoch nur auf das Vitamin B] angewandt. Die spätere Ausdehnung auf andere Vitamine ging von der (nicht zutreffenden) Annahme aus, daß alle Vitamine stickstoffhaltige Verbindungen seien. Klassifizierung. Unter den Vitaminen wird im allgemeinen die Gruppe der fettlöslichen und wasserlöslichen Vitamine und der vitaminähnlichen Wirkstoffe unterschieden. Diese Einteilung hat zwar keine Beziehung zu ihrer physiologischen Funktion, doch sind Vorkommen, Resorption, Verteilung und Speicherungsvermögen verschieden. So kann es bei gestörter Lipidverdauung oder Lipidresorption (z. B. bei Gallengangsverschluß oder Mangel an lipidspaltenden Enzymen) infolge der ausbleibenden Resorption der lipidlöslichen Vitamine trotz ausreichender Zufuhr zu Hypovitaminosen kommen. Ein anderes Einteilungsprinzip geht vom Wirkungsmechanismus der Vitamine aus und hat zu einer Klassifizierung in Vitamine mit Coenzymfunktion und Vitamine ohne Coenzymfunktion geführt. Im Kapitel Coenzyme (S. 33) sind Angriffsort und Wirkungsmechanismus der Vitamine mit Coenzymfunktion näher beschrieben, in diesem Kapitel wird auf ihren Stoffwechsel und auf weitere biologische Wirkungen eingegangen. In den Abschnitten 2—12 werden die Vitamine mit Coenzymfunktion,
Thiamin
379
Klassifizierung der Vitamine
Wasserlösliche Vitamine
Lipidlösliche Vitamine
Thiamin (Vitamin B-i) Riboflavin (Vitamin B2) Nicotinamid (Vitamin PP) Pantothensäure Biotin Folsäure Cobalamin (Vitamin B12) Pyridoxin (Vitamin B6) Ascorbinsäure (Vitamin C)
Retinol (Vitamin A) Calciferol (Vitamin D) Tocopherol (Vitamin E) Phyllochinon (Vitamin K)
Vitaminähnliche Wirkstoffe* Meso-lnositol Cholin a-Liponsäure Carnitin (Vitamin T) essentielle Fettsäuren (Vitamin F) Flavonoide
* mit Ausnahme der essentiellen (mehrfach ungesättigten) Fettsäuren wasserlöslich
in den Abschnitten 13-16 die übrigen Vitamine und vitaminähnlichen Wirkstoffe behandelt. Eine Systematik der Vitamine läßt sich auch aus einer vergleichenden biologischen Betrachtung ableiten. Sie ergibt, daß die wasserlöslichen Vitamine und das Vitamin K aufgrund ihrer Coenzymfunktion für jede lebende Zelle unentbehrlich sind, weil sie in grundlegende Stoffwechselvorgänge eingreifen. Diese Vitamine sind für Pflanzen und Mikroorganismen ebenso existenznotwendig wie für vielzellige Organismen. Das Bedürfnis an den fettlöslichen Vitaminen A, E und D und am wasserlöslichen Vitamin C ist dagegen erst auf einer höheren Differenzierungsstufe nachweisbar, wenn spezifische Organfunktionen und die Notwendigkeit zu ihrer Unterhaltung auftreten. Diese Vitamine sind hochspezialisierte Wirkstoffe, die an bestimmte Zell- und Organsysteme gekoppelt sind. Die Abhängigkeit von den Vitaminen A, C und E findet sich in der Phylogenese erst im Bereich der höheren Wirbellosen, während das Vitamin D sogar nur von den Wirbeltieren benötigt wird.
2. Thiamin Synonyma: Vitamin BI, Aneurin, Beri-Beri-Schutzstoff. Eine internationale Einheit (I. E.) = 0,003 mg Thiaminhydrochlorid. Biosynthese und Stoffwechsel. Thiamin (Formel S. 39) wird von Pflanzen und Mikroorganismen synthetisiert und ist dort in freier Form vorhanden. Thiamin wird im Darm rasch resorbiert und vorwiegend in der Leber in das Thiaminpyrophosphat (Coenzym) überführt. • Funktion. Thiaminpyrophosphat ist Coenzym für die Decarboxylierung von aKetosäuren (Pyruvat, a-Ketoglutarsäure, -Ketosäurederivate von Valin, Leucin und Isoleucin) und die Transketolasereaktion (Kap. Coenzyme, S. 40). Bedarf und Mangelerscheinungen. Der Tagesbedarf an Thiamin hängt vom Alter, von der Stoffwechsellage, vom Ausmaß der bakteriellen Eigensynthese der Darm-
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Vitamine
flora und der Anwesenheit Vitamin-abbauender Enzyme in der Nahrung ab. Er beträgt für den erwachsenen Menschen l — 2 m g und wird durch pflanzliche und tierische Nahrungsmittel gedeckt (besonders reichlich in Hefe und Vollkornprodukten). Protein- und kohlenhydratreiche Nahrung erhöht, lipidreiche Nahrung senkt den Thiaminbedarf. Bei Thiaminmangel führt ein Block der Transketolasereaktion (Pentosephosphatzyklus, S. 167) in den Erythrozyten zur Akkumulation von Pentosephosphaten auf das dreifache der Norm. Der biochemische Nachweis kann durch Bestimmung der Transketolaseaktivität in Erythrozythen geführt werden. Auch die Erhöhung des Pyruvat- und Lactatspiegels im Blut als Folge der herabgesetzten Pyruvatdecarboxylierung, die (sekundäre) Acidose und die verminderte Thiaminausscheidung im Urin (normal 50 g/24 Stdn.) geben diagnostische Hinweise. Thiamin ist für alle jene Organe von besonderer Bedeutung, die Pyruvat und Lactat als Energiequelle verwenden (Herzmuskel) bzw. einen hohen Kohlenhydratumsatz oder einen hohen Bedarf an Acetylgruppen (Acetylcholinsynthese) haben (Nervenzellen). Daraus lassen sich die klinischen Ausfallserscheinungen beim Thiaminmangel des Menschen, die sich in Polyneuropathien (Hypovitaminose) äußern bzw. als Beri-Beri (Avitaminose) zusammengefaßt werden, ableiten. • Neurologische Störungen (Neuritis, Areflexie, Paresen). Sie beruhen auf einer degenerativen Veränderung der zentralen und peripheren Nerven. • Störungen der Herzmuskeltätigkeit. Sie führen zur Herzinsuffizienz und Tachykardie mit histologisch nachweisbarem Ödem des Herzmuskels. • Die „nasse Form" der Beri-Beri äußert sich in Ödemen an Rumpf, unteren Extremitäten und Ergüssen in serösen Höhlen. Therapie. Bei Erkrankung des Nervensystems, insbesondere bei nachgewiesenem Thiaminmangel und bei chronischem Alkoholismus, bei dem (vermutlich als Folge einer verminderten Resorption) Thiaminmangel auftritt (Alkoholpolyneuritis), sind tägliche orale Gaben von 20—30mg Thiamin wirksam. Herzerkrankungen sind meist von einem Abfall der Thiaminkonzentration im Herzmuskel begleitet.
3. Riboflavin Synonyma: Vitamin B2, Lactoflavin. Biosynthese und Stoffwechsel. Riboflavin (Formel S. 46) wird in Pflanzen und Mikroorganismen gebildet und ist vor allem in Blattgemüsen, in Hefe, aber auch in allen Organen der Warmblüter und Fische und in der Milch (Name!) vorhanden. Nahrungsriboflavin wird in der Darmwand phosphoryliert und in dieser Form resorbiert. • Funktion. Riboflavin ist als Flavin-mononucleotid (FMN) nin-dinucleotid (FAD) prosthetische Gruppe zahlreicher teine), die an Oxidoreduktionsvorgängen beteiligt und in weisbar sind. Der hohe Riboflavingehalt in der Netzhaut geklärte Beteiligung am Sehvorgang vermuten.
bzw. als Flavin-adeEnzyme (Flavoproallen Organen nachläßt eine noch nicht
Nicotinamid
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Bedarf und Mangelerscheinungen. Der Tagesbedarf des Menschen beträgt l — 2 m g , er ist während der Gravidität erhöht. Riboflavinmangel manifestiert sich vorwiegend in Geweben ektodermalen Ursprungs. In schweren Fällen kommt es an den Augen zur Vaskularisation und Entzündung der Cornea und zur Linsentrübung, an den Schleimhäuten des Mundes und Verdauungstraktes zu Entzündungen (Glossitis, Mundwinkelrhagaden), an der Haut zur Schuppung, Rhagadenbildung und Entzündung (vor allem in den Gelenkbeuge- und Nasolabialfalten). Während der Schwangerschaft kann Riboflavinmangel beim Fetus Skelettanomalien hervorrufen.
4. Nicotinamid Synonyma: Niacinamid, Pellagraschutzfaktor, Vitamin PP. Biosynthese und Stoffwechsel. Säugetiere und die Mehrzahl der Bakterien und Pflanzen können Nicotinsäure aus Tryptophan synthetisieren. Einige Mikroorganismen bilden Nicotinsäure auch aus anderen Aminosäuren (Glutaminsäure, Prolin, Ornithin und Glycin). Nicotinamid ist in allen pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln vorhanden (10 bis 100 mg/100 g Frischgewicht). Nicotinsäure und Nicotinamid erscheinen nach der Resorption aus dem Intestinaltrakt im Blutplasma (75 g/100 ml) und können in allen Organen und Geweben für die Synthese des NAD bzw. NADP verwendet werden (Syntheseschema). NAD kann durch eine Kinase in NADP umgewandelt und durch eine Phosphatase wieder in NAD zurückverwandelt werden. NAD-Biosynthese Nikotinsäure
Tryptophan ! [Trp-Abbau[
Nikotinsäure-ribosyl-5-© s
(P)-(P)"^ Nikotinsäure-Rib-(~p)-(p)-Rib-Adenin Glu-NH 2 ,, Glu.AMR ©-(P Nikotinsäureamid-adenin-dinukleotid (NAD) ATP. iNAD-Kinase] ADP ' i
NADP
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Vitamine
• Funktion. NAD und NADP sind Coenzyme einer großen Zahl von Oxidoreduktasen (Dehydrogenasen), von denen jede im allgemeinen eine bevorzugte, meist sogar absolute Spezifität für NAD oder NADP aufweist. Ihr Wirkungsmechanismus ist im Kapitel Coenzyme (S. 46) beschrieben. Nicotinsäure, nicht aber Nicotinamid, bewirkt in unphysiologisch hohen („pharmakologischen") Dosen (100—300 mg) eine starke Vasodilatation besonders an den Kapillaren und Gefäßen der oberen Körperhälfte. Die Wirkung ist jedoch nur vorübergehend. Der hemmende Einfluß hoher Nicotinsäuredosen 0,5—1,0g) auf die Cholesterinsynthese (Senkung des Blutcholesterinspiegels) kann zur Behandlung einer Hyperlipoproteinämie ausgenutzt werden. Bedarf und Mangelerscheinungen. Der tägliche Nicotinamidbedarf des Menschen liegt zwischen 15 und 25 mg. Ein großer Teil der Symptome der menschlichen Pellagra ist durch Nicotinamidmangel bedingt, obwohl das klinische Gesamtbild meistens durch multiplen Vitamin-B-Mangel überlagert wird. Die Kardinalsymptome sind: • symmetrische, an Gesicht, Hals und Extremitäten auftretende braune Hautpigmentierung (daher der Name „pelle agra" = braune Haut), der ein dunkelrotes Erythem vorangeht und die durch intensive Sonnenbestrahlung ausgelöst wird, • chronische Entzündung der Schleimhäute des Verdauungstraktes (Stomatitis, Glossitis, Gastritis, Enteritis mit Diarrhöe) und mögliche Entwicklung einer Fettleber, • Störungen des zentralen Nervensystems (Delirien, Halluzinationen, Verwirrungszustände) mit Degeneration der Hinter- und Seitenstränge, • Allgemeinerscheinungen sind Wachstumsstillstand (bei Jugendlichen), Gewichtsverlust, Anämie und Exsikkose (als Folge der Diarrhöe). Therapie. Bei Pellagra, nach Röntgenbestrahlung, bei Dermatosen werden 50—500 mg/Tag Nicotinamid gegeben. Die Vitaminwirkung des Tryptophans beträgt '/6o der Nicotinsäure. Höhere Dosen von Nicotinsäure (0,5-1 g) bewirken eine starke Gefäßerweiterung und werden bei Durchblutungsstörung der Extremitäten und Herzkranzarterien verwendet.
5. Pantothensäure Synonyma: Antigrauehaarefaktor der Ratte, Kükenantidermatitisfaktor. Biosynthese und Stoffwechsel. Pantothensäure wird von Pflanzen und Mikroorganismen synthetisiert. Pantothensäure ist in pflanzlichen und tierischen Geweben weit verbreitet (Name!). Funktion. Pantothensäure ist am Aufbau des Coenzym A beteiligt. Eine CoA-Synthese ist auch im Säugetiergewebe möglich, wenn Pantothensäure als Vitamin zugegen ist. Im Fettsäure-Synthetasekomplex erfolgt die Bindung des Acylrestes an die (zentrale) SH-Gruppe eines 4'-Phosphopantothenyl-cysteamins, das wiederum über eine Phosphatesterbindung mit einem Serinrest des Trägerproteins verknüpft ist.
Folsäure
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Die Funktion des CoA bei der Übertragung von Acetyl- und Acylgruppen ist im Kapitel Coenzyme (S. 40) bzw. Lipide (S. 200) beschrieben. Bedarf und Mangelerscheinungen. Der tägliche Bedarf des Menschen ist wegen des verbreiteten Pantothensäurevorkommens schwer zu ermitteln, außerdem kann durch die intestinale Darmflora gebildete Pantothensäure zur Deckung des Bedarfs beitragen. Der Tagesbedarf liegt bei etwa 10 mg.
6. Biotin Synonym: Vitamin H. Biosynthese und Stoffwechsel. Biotin (Formel S. 43) wird von vielen Mikroorganismen und von Pflanzen (in den Blättern) synthetisiert. In den meisten Pflanzen ist Biotin in freier, wasserlöslicher, in tierischen Organen und Hefe dagegen in Proteingebundener, wasserunlöslicher Form vorhanden. Es kann in begrenztem Ausmaß in Leber und Niere gespeichert werden. Bei normaler Diät werden täglich bis zu 200 g Biotin je zur Hälfte mit den Faeces und mit dem Urin ausgeschieden. Funktion. Biotin ist in Protein-gebundener Form die prosthetische Gruppe von Enzymen, die an der CO2-Fixierung bzw. an Transcarboxylierungsreaktionen beteiligt sind. Bedarf und Mangelerscheinungen. Infolge des weitverbreiteten Vorkommens und einer reichlichen Biotinversorgung durch die Intestinalflora hat ein Biotinmangel kaum praktische Bedeutung. Im Tierversuch läßt sich ein Biotinmangel leicht durch Fütterung von rohem Hühnereiweiß erzeugen. Hühnereiweiß enthält das „Avidin" (ein basisches Glykoprotein, I. P. = 10), das stöchiometrische Komplexe mit Biotin bildet und dadurch dessen Resorption verhindert. Der Biotin-Avidin-Komplex wird durch proteolytische Enzyme nicht angegriffen.
7. Folsäure Synonym: Pteroylglutaminsäure. Biosynthese und Stoffwechsel. Die Bezeichnung Folsäure (Formel S. 41) wird auf alle Verbindungen angewandt, welche als chemische Bestandteile einen Pteridinring, eine p-Aminobenzoesäure und einen oder mehrere Glutaminsäurereste enthalten. Bei der Folsäuresynthese, zu der die meisten Mikroorganismen fähig sind, reagieren zunächst ATP, CoA und p-Aminobenzoesäure mit Glutaminsäure zu pAminobenzoylglutaminsäure. Diese verbindet sich dann mit dem Pteridinring (der sich vermutlich von Guanosin ableitet) zur Pteroylmonoglutaminsäure (= Folsäure). In Gegenwart von Sulfonamiden, die Analoge der p-Aminobenzoesäure sind, kommt die Folsäuresynthese der Mikroorganismen zum Erliegen, da die Sulfonamide den Einbau der p-Aminobenzoesäure kompetitiv hemmen. Dies erklärt einer-
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Vitamine
seits die bakteriostatische Wirkung der Sulfonamide, andererseits die Tatsache, daß bei langdauernder oraler Zufuhr von Sulfonamiden Folatmangelzustände beim Menschen auftreten können. Die Schädigung der Darmbakterien, die einen großen Teil der vom Menschen benötigten Folsäure bereitstellen, ist die Ursache. Verbindungen mit Folsäureaktivität sind bei Mikroorganismen sowie im Pflanzen- und Tierreich weit verbreitet. Auf das besonders reichliche Vorkommen in grünen Blättern weist die Benennung hin (Folium = das Blatt). Die natürlich vorkommenden Folsäuren tragen häufig nicht nur eine, sondern 2-7 Glutaminsäurereste in jeweils -peptidischer Bindung und werden als Folsäurekonjugate bezeichnet. In höheren Organismen herrscht jedoch das Monoglutamat (Pteroylmonoglutaminsäure) vor. Funktion. Die biologisch wirksame Form ist nicht die Pteroylglutaminsäure selbst, sondern die 5,6,7,8-Tetrahydropteroylglutaminsäure (Tetrahydrofolsäure, Formel S. 41). Sie entsteht aus der biologisch inaktiven Pteroylpolyglutaminsäure, aus der unter Wirkung von Konjugasen zunächst Pteroylmonoglutaminsäure freigesetzt wird. Diese wird dann durch eine Pyridinnucleotidfolat-Reduktase in zwei Reduktionsstufen über die 7,8-Dihydropteroylmonoglutaminsäure in die 5,6,7,8-Tetrahydropteroylmonoglutaminsäure umgewandelt. Die hydrierten Verbindungen sind auch von den Pteroylpolyglutaminsäuren bekannt. Die Tetrahydrofolsäure (—„Coenzym F") ist Coenzym bei der enzymatischen Aktivierung der Einkohlenstoffeinheiten, bei ihrer oxidativen bzw. reduktiven UmResorption und Stoffwechsel der Folsäure Nahrungsfolsäure Pteroylpolyglutamat (Pteridin-p-NH2-benzoesäure-(Glu)5_7)
Pteroylmonoglutamat =Folsäure Carrier-vermittelte Resorption
DARMLUMEN
MUCOSAZELLE
Folsäure l |Folatreduktase| 7,8-Dihydrofolsäure |Dihydro(olatreduktase |
5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure
5-Methyl-tetrahydrofolsäure BLUT
Cobalamin
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Wandlung ineinander und ihrer Übertragung auf verschiedene Akzeptoren. Sie ist im Kap. Coenzyme (S. 42) beschrieben. Bedarf und Mangelerscheinungen. Bei durchschnittlicher Ernährung werden täglich 150 —200 g Folsäure aufgenommen, doch liegt der Bedarf vermutlich höher, da ein unbekannter anteil der durch die Darmbakterien gebildeten Folsäure hinzukommt und auch bei Patienten mit Folsäuremangelzuständen eine tägliche Dosis von 5-20 mg für eine Beseitigung der hämatologischen Ausfallserscheinungen (s. u.) notwendig ist. Die Teilnahme der Tetrahydrofolsäure-abhängigen Enzyme an der Synthese von Purinkörpern und Thymin (Kap. Nucleinsäuren, S. 80, 82) erklärt ihre fundamentale Rolle für Wachstum und Teilung von Zellen. Wegen ihrer hohen Mitoserate sind die zellulären Elemente des Blutes von einem Folsäuremangel besonders frühzeitig betroffen. Ein Folsäuremangel führt beim Menschen zu einem Absinken des Hämoglobingehaltes im Blut und zu morphologischen Veränderungen der Reifungsformen der Erythrozyten im Knochenmark. Anstelle der Normoblasten treten Megaloblasten auf („Megaloblastenanämie"). Auch Leukopoese und Thrombozytenbildung sind gestört (Leukopenie, Thrombopenie). Therapie. Eine Heilung vermag die Folsäure bei den Megaloblastenanämien zu bewirken, bei denen der Folsäurespiegel im Serum gering (< 5 g/Liter), der Cobalamin-Spiegel dagegen normal ist. Folsäureantagonisten. Ersetzt man die 4-Hydroxygruppe der Folsäure durch eine Aminogruppe, enthält man den Folsäureantagonisten Aminopterin (4-Aminofolsäure). Weitere Antagonisten sind das Amethopterin (4-Amino-10-methylfolsäure) und das Trimethoprim (2,4-Diamino-5-(3,4,5-)trimethoxybenzylpyrimidin). Alle Verbindungen hemmen die Dihydrofolsäure-Reduktase kompetitiv, also die Bildung der coenzymaktiven Form der Folsäure. In Zellkulturen blockiert Aminopterin die Synthese von Nucleinsäuren durch Inhibierung der bei der Synthese des Purinringes ablaufenden Transformylierungsreaktion. Folsäureantagonisten sind sowohl gegen Bakterien (Prokaryonten) als auch an Zellen höherer Organismen (Eukaryonten) wirksam. Aminopterin wird bei der Behandlung der Leukämie hauptsächlich im Kindesalter eingesetzt. Da Aminopterin jedoch die Bildung von Dihydrofolsäure-Reduktase zu induzieren scheint, entwikkeln die Leukämiezellen nach einiger Zeit Resistenz, so daß steigende therapeutische Dosen des Folsäureantagonisten notwendig sind. Das Trimethoprim findet (in Verbindung mit Sulfonamiden) als Bakteriostatikum Verwendung.
8. Cobalamin Synonyma: Vitamin B 12 , Antiperniziosafaktor, Extrinsicfaktor. Chemie Das Cobalamin ist ein Corrinderivat. Das Corrinringsystem unterscheidet sich vom Porphinringsystem dadurch, daß die 4 Pyrrolringe über nur drei Methingruppen verknüpft und die Pyrrolringe teilweise hydriert sind. Im Cobalamin besitzt der Corrinring ein sehr fest gebundenes dreiwertiges Cobalt als Zentralatom, das
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Vitamine Vitamin BIZ H2N-OC-CH2-CH2 H 2 N-OC-CH 2
--CH2-CH2-CO-NH2
CH2-CO-NH2
R = OH = Hydroxocobalamin R = H2O = Aquocobalamin
vier Bindungen zum Corrinring und zwei weitere für das 5,6-Dimethylbenzimidazol und eine anorganische Gruppe (s. Formel) bzw. einen 5'-Desoxyadenosylrest (Coenzym) besitzt. Das Aquocobalamin wird aufgrund seiner Speicherungsfähigkeit in der Leber als die physiologische Depotform des Vitamins angesehen. Biosynthese und Vorkommen. Die Biosynthese von Verbindungen mit Vitamin B [2 Aktivität kann von Bakterien, nicht jedoch von höheren Pflanzen oder Tieren durchgeführt werden. Nicht nur Tiere, auch viele Mikroorganismen sind von diesem Vitamin abhängig. Der Corrinring wird ähnlich wie der Porphyrinring aus -Aminolävulinsäure gebildet. Die zusätzlichen Methylgruppen stammen vom Methionin, das Aminopropanol aus der Decarboxylierung von Threonin. Die Dimethylbenzimidazol-Biosynthese geht vom Riboflavin aus. In Bakterien und tierischen Geweben liegt Vitamin B 12 hauptsächlich in der Coenzymform (s. u.) vor. Beim Menschen kann vom Gesamtbestand des Vitamin B 12 (2—5 mg) l mg in der Leber gespeichert werden. Überschüsse werden mit dem Harn ausgeschieden. Der Blutsefumspiegel liegt zwischen 0,01 und 0,04 g/100 ml und kann mikrobiologisch (unter Verwendung Vitamin B12-abhängiger Mikroorganismen) bestimmt werden. Resorption und Transport. Die Resorption von Vitamin B 12 aus dem Intestinaltrakt ist an die Anwesenheit des „Intrinsicfaktors" gebunden. Der Intrinsicfaktor ist ein physiologischer Bestandteil des Magensaftes und als sialinsäurehaltiges Glykoprotein identifiziert worden. Seine Fähigkeit zur Bindung des Vitamin B [2 und seine Resistenz gegen Pepsin und Trypsin sind die Voraussetzung für die Bildung eines Vitamin B 12 -Intrinsicfaktor-Komplexes, der im Ileum resorbiert wird.
Cobalamin
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Im Blut wird Cobalamin an ein Plasmatransportprotein, das Transcobalamin H, gebunden. Ein zweites Cobalamin-bindendes Protein, das Transcobalamin I, sorgt in der Leber für die Speicherung des Cobalamins als Aquocobalamin (Formel) - eine für wasserlösliche Vitamine einzigartige Situation. Da die Depotform des Cobalamins (Aquocobalamin) mit der Galle ausgeschieden wird und sich am enterohepatischen Kreislauf beteiligt, ist eine vermehrte exogene Zufuhr von Cobalamin erforderlich, wenn der enterohepatische Kreislauf unterbrochen ist. Funktion. Vitamin B !2 wird in tierischen Geweben in zwei Coenzymformen - das 5'-Desoxyadenosylcobalamin und das Methylcobalamin - umgewandelt. Dabei wird nach Reduktion des Co3+ zum Co+ entweder eine aus ATP stammende Desoxyadenosylgruppe oder eine vom S-Adenosylmethionin transferierte Methylgruppe vom Cobalamin übernommen (Schema). Das 5'-Desoxyadenosylcobalamin ist Coenzym der Methylmalonyl-CoA-Mutase, die am Abbau des Propionyl-CoA und damit auch an der Endstrecke des Abbaus von Valin, Threonin und Methionin beteiligt ist. Methylcobalamin wird als Coenzym für die Resynthese des Homocysteins zu Methionin benötigt (Schema). Diese auch von Tetrahydrofolsäure abhängige Reaktion dient der Einschleusung von Ein-Kohlenstoffeinheiten in den Stoffwechsel und ist ein typisches Beispiel für den Wirkungssynergismus von Folsäure und Cobalamin. Bildung der Coenzymformen des Cobalamins ATP
Vitamin Cobalamin (Co3+)
FADH2 und NADH2 abhängige Reduktion - Cobalamin. (Co + ) Methylgruppe
Coenzyme S'-Desoxyadenosylcobalamin (Umlagerung von Alkylresten) Methylcobalamin (Methionin-Synthetase)
Bedarf und Mangelerscheinungen. Aus Versuchen mit 57Co- bzw. 60Co-markiertem Vitamin B 12 wurde der Tagesbedarf des Menschen mit 1-2 g ermittelt. Ein Vitamin Bi 2 -Mangel kann nach teilweiser oder vollständiger operativer Entfernung des Magens (Ausfall des Intrinsicfaktors) oder schweren intestinalen Resorptionsstörungen (Sprue, Kap. Verdauung und Resorption von Nahrungsstoffen) eintreten. Auch die Besiedlung des Intestinaltraktes mit dem Fischbandwurm (Bothriocephalus latus), der ungewöhnlich große Mengen von Vitamin B|2 aufnimmt, kann zu einem Vitaminmangel des Wirtsorganismus führen. Aufgrund der Körperreserven können jedoch auch bei völlig fehlender Vitamin B 12 -Aufnahme mehrere Jahre bis zum Auftreten klinischer Mangelerscheinungen vergehen. Die Zeichen eines Vitamin B12-Mangels treten am erythropoetischen System, dem Nervensystem und der Mund- und Rachenschleimhaut auf. Die Störung der Erythrozytenreifung führt zu einer megalozytären Anämie mit verminderter Erythrozytenzahl. Im Nervensystem kommt es zur Degeneration der Hinter- und Seitenstränge des Rückenmarks, die zu peripheren Empfindungsstörungen, gesteigerten Reflexen, später zu Ataxie und Paralyse führen. Der unbehandelte Vitamin B!2Mangel führt zum Tode und wird zusammen mit den hämatologischen Erscheinun-
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Vitamine De
-Synthese von Methylgruppen aus Einkohlenstoffeinheiten ., 1U , , . , , , Methyl-FolH 4
5,10-MethylenFolH4-Reduktase 5,10-Methylen-FolH4
.. A . Homocystein
Methylgruppentransfer '"
Cobalaminabhängige Methyltransferase
S-Adenosyl-MetMethyltransferase
S-Adenosylmethionin
Einkohlenstoffeinheit
Methionin
Einkohlenstoffdonatoren (z. B. bei Ser-, His-, Trp-Abbau)
Proteinbiosynthese
ATP
gen als „Perniziöse Anämie" bezeichnet. Bei der perniziösen Anämie werden als Ausdruck einer gestörten Vitamin B 12 -Resorption größere Mengen an Vitamin B 12 mit den Faeces ausgeschieden als bei gesunden Individuen. Dies macht deutlich, daß der Schaden nicht in einer unzureichenden Versorgung mit Vitamin B ) 2 liegt, sondern in der fehlenden Fähigkeit zu dessen Resorption. Biochemische Hinweise für einen Vitamin B|2-Mangel sind die Herabsetzung des Vitamin BI2-Spiegels im Blut (weniger als 0,004 g/100 ml) und die um das 10 bis l OOfach erhöhte Aktivität der Serum-Lactat-Dehydrogenase, die aus den Megaloblasten stammt. Therapie. Da ein Vitamin B12-Mangel immer auf unzureichender Resorption, d.h. auf Fehlen des Intrinsicfaktors beruht, muß das Vitamin B 12 therapeutisch parenteral verabfolgt werden. Schon Dosen von l g täglich bewirken vollständige Remission der Vitamin B12-Mangelsymptome. Das Aquocobalamin ist aufgrund seiner elektropositiven Ladung bei pH 7,4 als therapeutische Depotform geeignet, da es am Injektionsort an Proteine gebunden wird und nicht in freier Form über den Harn verlorengeht. Bei einem täglichen Verbrauch von 2,5 g kann eine einzige Injektion von l mg Aquocobalamin den Bedarf für über 100 Tage decken.
9. Pyridoxin Synonyma: Vitamin B6, Adermin, Rattenpellagraschutzstoff. Biosynthese und Stoffwechsel. Pyridoxin (Vitamin B6) wird von vielen Mikroorganismen und wahrscheinlich auch von Pflanzen über noch unbekannte Stoffwechselwege gebildet. In der Natur kommt Vitamin B6 als Pyridoxin (= Pyridoxol), Pyri-
Phyllochinon
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doxal und Pyridoxamin vor. Alle drei Formen besitzen — da im Stoffwechsel ineinander überführbar — Vitaminaktivität. Im tierischen Organismus wird Pyridoxin in einer ATP-abhängigen Phosphorylierungsreaktion in das Coenzym, das Pyridoxalphosphat, überführt. Funktion. Durch seine Fähigkeit zur Bildung einer Schiffschen Base mit Aminosäuren ist Pyridoxalphosphat (Formel S. 39) an zahlreichen Reaktionen von Aminosäuren (Decarboxylierung, Transaminierung, H 2 O-Abspaltung aus Serin und Threonin, H 2 S-Abspaltung aus Cystein (nur bei Mikroorganismen)) beteiligt. Bedarf und Mangelerscheinungen. Der Tagesbedarf des Menschen wird auf 2 mg geschätzt. Die mikrobielle Synthese im Intestinaltrakt trägt zu einem unbekannten Anteil zur Versorgung bei. Aufgrund seiner engen Beziehung zum Aminosäurestoffwechsel ist der Pyridoxinbedarf bei proteinreicher Nahrung erhöht. Obwohl eine normale Ernährung ausreichende Pyridoxinversorgung sichert, sind Mangelerscheinungen bei Kindern und während der Schwangerschaft beobachtet worden. Die Mangelerscheinungen betreffen den Stoffwechsel des zentralen Nervensystems und äußern sich bei Kindern in epileptiformen Krämpfen und Übererregbarkeit. Als Ursache wird die verringerte Aktivität der Glutamat-Decarboxylase und die herabgesetzte Konzentration der -Aminobuttersäure im Gehirn vermutet (Kap. Nervengewebe, S. 506). Beim Erwachsenen beherrschen Dermatosen, Anämie, Muskeldystrophie, Neuritis und in der Schwangerschaft Übelkeit und Erbrechen das Bild des Vitamin B6-Mangels. Die Anämie erklärt sich aus einer Hemmung der pyridoxalphosphatabhängigen -Aminolävulinsäure-Synthetase (Kap. Porphyrine, S. 235). Da in diesem Falle nur die Hämsynthese, nicht jedoch der Eisenstoffwechsel betroffen ist, findet man im hyperplastischen Knochenmark Erythroblasten, in denen sich das für die Hämsynthese bereitgestellte, aber nicht verwertbare Eisen ablagert (sog. Sideroblasten bzw. Siderozyten). Da diese Form der Eisendeposition nutzlos ist, bezeichnet man solche Krankheitsbilder, die auch bei weiteren angeborenen oder erworbenen Störungen der Hämsynthese beobachtet werden, als sideroachrestische Anämie (gr. = unbrauchbar). Bei einigen Defekten pyridoxalphosphatabhängiger Enzyme (z. B. Homocystinurie, Oxalose), die ihre Ursache in einer herabgesetzten Affinität des Apoenzyms zum Coenzym haben, ist eine Therapie mit hohen Dosen Pyridoxin (0,5 —2,()g/ Tag) wirksam.
10.
-Liponsäure s. S. 44.
11. Phyllochinon Synonyma: antihämorrhagisches Vitamin, Vitamin K. Unter den K-Vitaminen sind bisher zwei natürliche und zahlreiche synthetische Verbindungen bekannt, deren Wirksamkeit auf den allen gemeinsamen Grundkörper 2-Methyl-l,4-naphthochinon zurückgeht. Das natürliche Vitamin KI (Phyllochi-
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Vitamine
non, Formel S. 45) besitzt in 3-Position eine Phytylseitenkette, das Vitamin K2 (Farnochinon) eine Farnesylseitenkette. Die natürlichen K-Vitamine gehören zu den fettlöslichen, d. h. wasserunlöslichen Vitaminen. Biosynthese und Stoffwechsel. Die Biosynthese der natürlichen K-Vitamine ist ausschließlich Pflanzen und Bakterien vorbehalten. Während in den Pflanzen sowohl Vitamin KI als auch Vitamin K 2 (hauptsächlich in grünen Blättern) gefunden werden, bilden Bakterien (nicht jedoch Pilze) Vitamin K 2 . Da auch das synthetische 2-Methyl-l,4-naphthochinon, das als Vitamin K3 bezeichnet wird, therapeutische Wirksamkeit aufweist, ist zu folgern, daß im Organismus eine Komplettierung des Grundkörpers durch den Phytylrest möglich ist. Vitamin K erscheint nach der Resorption (vorzugsweise im Jejunum) wegen seiner Fettlöslichkeit zusammen mit den Lipiden zunächst im Lymphgefäßsystem, ist aber auch in konstanter Menge im Blut vorhanden. Funktion. Vitamin K ist notwendig für die Bildung der Blutgerinnungsfaktoren Prothrombin (II), Prokonvertin (VII), Plasmathromboplastinkomponente (IX) und Stuartfaktor (X). Die am besten untersuchte Funktion betrifft die Mitwirkung bei der Synthese des Prothrombins. Nach der Biosynthese des Prothrombins in der Leber werden die ersten 10 N-terminalen Glutaminsäurereste unter der Wirkung einer spezifischen phyllochinonabhängigen Carboxylase in -Carboxyglutaminsäurereste überführt. Die am -C-Atom eingeführten Carboxylgruppen entstammen HCO 3 ~. Für die ebenfalls Vitamin K-abhängige Synthese der Blutgerinnungsfaktoren VII, IX und X ist ein analoger Carboxylierungsmechanismus von Glutaminsäureresten nachgewiesen. Der Besitz der -Carboxylglutaminsäurereste verleiht dem Prothrombin (und den übrigen Blutgerinnungsfaktoren) die Fähigkeit, sich zusammen mit Ca 2+ an Membranphospholipide zu binden. Bei der Aktivierung zu Thrombin wird vom Prothrombin u. a. das die -Carboxylglutaminsäurereste tragende N-terminale Peptid abgespalten. Der damit verbundene Verlust der Membranbindungsfähigkeit führt zur Freisetzung des aktiven (proteolytisch wirksamen) Thrombins. Vitamin K wird außerordentlich rasch metabolisiert, so daß Mangelerscheinungen schon nach 24—48 Stdn. auftreten, zumal auch die Fähigkeit zur Speicherung dieses Vitamins äußerst gering ist. Die Abbauprodukte des Vitamin K, das unverändert weder im Urin noch mit der Galle ausgeschieden wird, sind unbekannt. Bedarf und Mangelerscheinungen. Wegen der umfangreichen Synthese durch die Darmflora spielt die Versorgung mit Vitamin K durch die Nahrung eine nur untergeordnete Rolle, wird jedoch notwendig, wenn das Wachstum der Darmbakterien durch therapeutische Maßnahmen (Antibiotika) gehemmt wird. Beim Neugeborenen können jedoch — solange noch keine Besiedlung des Darmtraktes erfolgt ist Mangelsymptome auftreten, die sich in Blutungsneigung (Hämorrhagien) äußern und ihre Ursache in der Synthese eines nicht carboxylierten und daher nicht funktionsfähigen Prothrombins haben („physiologische Hypoprothrombinämie" des Neugeborenen). Ein Vitamin K-Mangel tritt auch bei Störungen der Gallensekretion auf, da die Gallensäuren für die Resorption des Vitamin K unerläßlich sind. Vitamin K-Antagonisten (z. B. Dicumarol) werden zur Therapie verwendet, wenn eine Herabsetzung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes (z. B. bei Gefahr einer Coronarthrombose) angestrebt wird. Aufgrund seines Wirkungsantagonismus hemmt Dicumarol die Vitamin K-abhängige Carboxylierung der Glutaminsäurereste des
Retinol
391
Prothrombins und der Faktoren VII, IX und X. Die Wirkung des Dicumarols kann - wenn notwendig - durch hohe Vitamin K-Gaben aufgehoben werden, doch muß für den Wirkungseintritt mit einer Latenzzeit von 6-12 h gerechnet werden, die für die Synthese einer ausreichenden Menge an Gerinnungsfaktoren benötigt wird. Da Cumarinderivate auch die Anknüpfung der isoprenoiden Seitenketten an das 2-Methyl-l,4-naphthochinon hemmen, ist nur das komplette Vitamin (Ki bzw. K 2 ) wirksam. CoH 2 5
•O
o
Dicumarol (3,3'-Methylendioxycumarin)
Phenprocumon
(Marcumar^
Therapie und Toxizität. Blutungen oder Blutungsgefahr bei schwerer Hypoprothrombinämie (bedingt durch Überdosierung von Cumarinpräparaten oder bei Vitamin K-Hypovitaminosen, s. o.) sind Indikationen für die Behandlung mit Vitamin K. Die Zunahme der Gerinnungsfaktoren läßt sich durch Normalisierung der Prothrombinzeit verfolgen. Ein Prothrombinmangel, der als Folge eines Leberparenchymschadens (Leberzirrhose, Carcinommetastasen) auftritt, kann jedoch durch Vitamin K nicht beeinflußt werden. Hohe Dosen können bei Neugeborenen zu tödlich verlaufendem massiven Zerfall von Erythrozyten (hämolytische Anämie, Kernikterus) führen.
12. Retinol Synonyma: Vitamin A, Axerophthol. Chemie. Eine internationale Einheit entspricht 0,3 g Vitamin -Alkohol oder 0,6 g reinem ß-Carotin. Vitamin A entsteht aus Carotin, und zwar sind alle Caroline (und Carotinoide), die einen ß-Iononring aufweisen, Vorstufen des Vitamin A und werden daher als Provitamine bezeichnet. Das symmetrisch gebaute, 2-terminale ß-Iononringe enthaltende ß-Carotin liefert bei symmetrischer oxidativer Spaltung zwei Moleküle Vitamin A; aus -Carotin und -Carotin kann dagegen jeweils nur ein Vitamin AMolekül entstehen. Weitere biologische Vorstufen sind Myxoxanthin, Kryptoxanthin u. a. Biosynthese und Stoffwechsel. Die provitaminwirksamen Carotinoide werden ausschließlich von Pflanzen synthetisiert (Kap. Lipide, S. 228), der Vitamin A-Alkohol findet sich dagegen ausschließlich bei Menschen und Tieren, die zu einer Umwandlung der Carotinoide in Vitamin A befähigt sind.
392
Vitamine
R = -CH2OH = all-trans-Retinol (Vitamin AI)
R = -C^
H
= Retinal (Vitamin Ai-Aldehyd) 11-cis-Retinal (Sehpigment)
R = -COOH = Retinsäure (Vitamin Ai-Säure)
Vitamin A ist bei Menschen und Tieren in hoher Konzentration in der Leber enthalten. Die höchsten Vitamin -Konzentrationen werden in den Leberölen von Seefischen gefunden (1,5% im Heilbutt- und 4,5% im Thunfischleberöl). Sie enthalten in ihrer Leber Vitamin A h Süßwasserfische dagegen Vitamin A2. Wichtige tierische Vitamin -Quellen sind ferner Kolostrum, Milch, Butter und Eigelb. Vitamin A bzw. die Caroline werden in Gegenwart von Gallensäuren, mit denen sie wasserlösliche Komplexverbindungen bilden, resorbiert. Nach der Resorption werden die Caroline zum Teil schon in den Mucosazellen der Darmschleimhaut, zum Teil in der Leber durch eine dort befindliche Carotinase in Vitamin A umgewandelt. Produkt der Carotinasewirkung, welche zu einer Spaltung der Isoprenkette zwischen C-15 und C-15' führt, ist nicht der Vitamin A-Alkohol, sondern der Vitamin -Aldehyd, der wegen seiner Mitwirkung beim Sehvorgang (s. u.) als all-transRetinal bezeichnet wird. Das all-trans-Retinal kann entweder reduziert und als Vitamin A-Stoffwechsel (ADH = Alkoholdehydrogenase) Vitamin -Ester Carotin (Nahrung) (Nahrung)
Fettsäure
l Este rase]
[Carotinase |
Vitamin -Alkohol (All-trans-Retinol)
Vitamin A-Aldehyd " (All-trans-Retinal)
11-cis-Retinol"
11-cis-Reinal
| Veresterung]
Vitamin A-Palmitat (Speicherform)
Vitamin A-Säure (Retinsäure)
Retinol
393
Fettsäureester gespeichert oder zu Vitamin -Säure (Retinsäure) oxidiert oder zum 11-cis-Retinal isomerisiert werden. 95—99% des Vitamin -Bestandes werden in der Leber gespeichert und sichern den Bedarf für mehrere Monate. Vitamin A ist jedoch in allen Organen nachweisbar. Im Serum erfolgt der Transport der Carotinoide bzw. des Vitamin A hauptsächlich in der VLDL- bzw. LDL-Fraktion. Funktion. Vitamin A ist ein Schutzstoff für das gesamte Ektoderm. Die normale Struktur der epithelialen Gewebe (Haut, Cornea des Auges, Schleimhäute des Respirations-, Digestions- und Urogenitaltraktes) ist Vitamin -abhängig. Diese Wirkungen hängen - zumindest teilweise - mit der Coenzymfunktion des Vitamin A als Retinylphosphat (S. 44) zusammen, da die Integrität von Haut, Schleimhaut und Stütz- und Bindegewebe die ständige Synthese von Glykoproteinen erfordert. Retinylphosphat ist dabei mit dem Transfer von Galaktose- und Mannoseresten beteiligt. Die spezifische Rolle des Vitamin A beim Sehvorgang ist in nachstehendem Schema dargestellt. In den Photorezeptorzellen der Retina (Stäbchen, Zapfen) befinden sich im äußeren Segment zahlreiche parallel angeordnete scheibchenförmige FotorezeptorReaktionskaskade beim Sehvorgang Die bei Dunkelheit bzw. Belichtungsänderung ablaufenden Regenerationsvorgänge sind nicht dargestellt. Licht (Photonen)
l Photoaktiviertes l l Rhodopsin ' ^a[l-trans-Retinal j
l Rhodopsin l 111-cis-RetinaH
> bindet an • aktiviert
iTransducin, l (a,ß,y) | l GDP I
bindet an aktiviert
5'-GMP
offene
geschlossene +
Na -Kanäle der Photorezeptorzelle
394
Vitamine
membranen. Sie enthalten das fotosensitive Rhodopsin (Opsin-11-cis-Retinalkomplex), dessen Proteinanteil (Mol.-Gew. 25 000) die Membran in 7 a-helikal angeordneten Domänen durchzieht. Im Rhodopsin ist das Retinal kovalent an die -Aminogruppe eines Lysinrestes gebunden. Unter dem Einfluß von Licht wird Rhodopsin unter stereoisomerer Umwandlung des 11-cis-Retinals in das all-trans-Retinal innerhalb von Picosekunden „aktiviert". Das fotoaktivierte Rhodopsin aktiviert wiederum den Transducin-GDPKomplex. Transducin, das aus 3 Untereinheiten ( , , ) besteht, gehört zur Familie der G-Proteine. Da ein einzelnes fotoaktiviertes Rhodopsinmolekül mehrere hundert Transducinmoleküle katalytisch aktivieren kann, vollzieht sich hier der erste Amplifikationsschritt der Sehkaskade. Die Bindung des fotoaktivierten Rhodopsins an den Transducin-GDP-Komplex und ein Austausch GDP durch GTP führt zu einer Dissoziation des Transducins bzw. gleichzeitiger Ablösung des fotoaktivierten Rhodopsins, das dann für eine erneute Aktivierung und Bindung von Transducin zur Verfügung steht. Die -Untereinheit des Transducins, die ein GTPMolekül gebunden hält, aktiviert eine Phosphodicstcrasc. die cGMP in 5'-GMP umsetzt. Dadurch kommt es zum Abfall der intrazellulären cGMP-Konzentration, zur Hyperpolarisierung der Sehzelle und zum Schluß der (bei Dunkelheit offenen) Natriumkanäle. Die Änderung des Polarisierungszustands löst an der Synapse der Fotorezeptorzelle ein Signal aus, das zum Zentralnervensystem weitergeleitet und dort verarbeitet wird. Der Vorgang der Lichtaktivierung ist so empfindlich, daß ein Photon bereits zu einem Schluß von 3% der Natriumionenkanäle führt. Bei Beendigung des Lichtreizes oder Belichtungsänderung finden Regenerationsreaktionen statt, in denen das aktivierte Rhodopsin durch eine spezifische Kinase phosphoryliert wird. Das phosphorylierte Rhodopsin wird für ein inhibitorisches Protein — das Arrestin — bindungsfähig, das eine weitere Bindung an das Transducin verhindert. Die Phosphodiesterase wird wieder in einen inaktiven Zustand zurückversetzt, der dadurch eingeleitet wird, daß -Transducin das komplexgebundene GTP zu GDP und anorganischem Phosphat spaltet, wodurch das trimere Transducin ( , , ) restauriert wird. Das phosphorylierte Rhodopsin wird in Opsin und all-trans-Retinal gespalten, das all-trans-Retinal durch eine (mit der Alkohol-Dehydrogenase identischen) Retinal-Reduktase in den Vitamin A-Alkohol (Retinol, Vitamin AI) überführt, der nach Isomerisierung und Oxidation erneut in den Rhodopsinzyklus eintreten kann. Das Oxidationsprodukt all-trans-Retinal, die Retinsäure, entfaltet eine Reihe unabhängiger biologischer und biochemischer Effekte, die sich vorzugsweise an Zellkulturen nachweisen lassen. Dazu gehört eine Steigerung der Zahl der Rezeptoren für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF) und für das 1,25-Dihydroxycalciferol, ferner eine Stimulation der Differenzierung embryonaler Carcinomzellen, eine Steigerung cAMP-abhängiger Proteinkinaseaktivitäten und die reversible Hemmung des Wachstums humanen Brustdrüsencarcinomgewebes unter Organkulturbedingungen. Diese Beobachtungen sprechen für eine Mitwirkung der Retinsäure an der Expression von Genen, welche Proliferation und Differenzierung normaler und maligner Zellen kontrollieren. Retinsäure kann im Stoffwechsel nicht wieder zu Retinol reduziert werden.
Calciferol
395
Bedarf und Mangelerscheinungen. Der tägliche Vitamin -Bedarf beträgt für den erwachsenen Menschen 5000 I. E., Schwangerschaft, Lactation und gesteigerter Stoffwechsel erhöhen den Bedarf (6000-8000 I. E./Tag). Die Ursachen eines Vitamin -Mangels können nicht nur in unzureichender Versorgung mit der Nahrung, sondern auch in einer Beeinträchtigung der Lipidresorption, in der Unfähigkeit zur Bildung von Vitamin A aus Carotin oder dessen Speicherung liegen (z. B. bei Leberzirrhose). Die ersten Symptome des Vitamin -Mangels beim Menschen betreffen Störungen des Nacht- und Dämmerungsehens (Nachtblindheit), während die Abnahme des Vitamin A-Blutspiegels später erfolgt. Der Ausfall der Epithelschutzfunktion äußert sich in Xerosis und Keratinisierung der Cornea des Auges (Xerophthalmie), sowie der Haut und der Schleimhäute (Hyperkeratosis). Bei Jugendlichen werden Störungen des Wachstums und der Knochenbildung, in der Schwangerschaft Mißbildungen des Feten beobachtet. Therapie und Toxizität. Bei der therapeutischen Anwendung von Vitamin A (bei Xerophthalmie 5000 I. E./kg Körpergewicht über 5 Tage) ist die Möglichkeit einer Überdosierung zu berücksichtigen. Sie führt bei Kindern und Jugendlichen zu Haut- und Schleimhautaffektionen, Haarausfall, Gelenkschmerzen, Periostverdikkung der Extremitätenknochen, gelegentlich zur Hemmung des Knochenwachstums und frühzeitigem Epiphysenschluß. Akute Intoxikationserscheinungen (schwere Kopfschmerzen, Erbrechen, Benommenheit) wurden nach Verzehr von Eisbärleber (20 000 I. E. Vitamin A/g Frischgewicht) beobachtet. Vitamin-A-Säure (Retinsäure) besitzt keratolytische Wirkung auf die Haut durch Anregung der Mitosetätigkeit des Follikelepithels der Talgdrüsen und wird als Schälmittel bei Akne vulgaris verwandt.
13. Calciferol Synonyma: D-Hormon, Vitamin D, antirachitisches Vitamin. Eine internationale Einheit (I. E.) = 0,025 g Vitamin D3. Biosynthese und Vorkommen. Die beiden wichtigsten Vertreter der D-Vitamine, das Vitamin D3 und Vitamin D2, entstehen aus Cholesterin (bei Tieren) bzw. Ergosterin (bei Pflanzen), die beide den Charakter von Provitaminen besitzen und im menschlichen Organismus in verschiedene Wirkformen des Vitamin D - Calciferol, 25Hydroxycalciferol und 1,25-Dihydroxycalciferol (Calcitriol) - umgewandelt werden. Der Begriff Vitamin D bzw. Calciferol umfaßt alle vitaminwirksamen Verbindungen. Wegen der Möglichkeit einer nur vom UV-Licht abhängigen Totalsynthese des 1,25-Dihydroxycalciferols und seiner Steroidhormon-ähnlichen Wirkung wird das Vitamin D auch als D-Hormon bezeichnet. Besonders Vitamin D-reich sind Fischlebertrane (Thunfisch 7000-50000 I. E./g), in denen das Vitamin D z. T. verestert ist. Säugetierleber enthält dagegen nur geringe Mengen Vitamin D. Da Cholesterin von Mensch und Säugetieren synthetisiert werden kann, liegt einem Vitaminmangel niemals eine unzureichende Versorgung mit dem Provitamin, sondern eine Störung der Umwandlung des Provitamins in das Vitamin zugrunde.
396
Vitamine Biosynthese der Wirkformen des Vitamin 03 HAUT Nahrungscholesterin
Cholesterin
Endogene Biosynthese
LEBER
NIERE
Intestinale MUCOSAZELLE KNOCHEN NADPH, °2
NADP H
2°
Andere GEWEBE (?)
HO''
Stoffwechsel und Funktion. Vitamin D3 entsteht aus Cholesterin durch Dehydrierung zum 7-Dehydrocholesterin, das unter UV-Strahlung in der Haut in Cholecalciferol* übergeht. Das in der Haut gebildete Cholecalciferol gelangt in die Leber und wird dort unter Mitwirkung eines NADPH 2 - und O2-abhängigen mitochondrialen Enzyms in das 25-HydroxychoIecalciferol umgewandelt, schließlich in die Niere transportiert, in der in einer weiteren Hydroxylierungsreaktion die eigentliche Wirkform, das 1,25-Dihydroxycholecalciferol, entsteht. Von hier aus erfolgt die Versorgung der Vitamin-D-abhängigen Organe (intestinale Mucosa, Knochen u. a. Gewebe). Zwar sind auch die Vorstufen vitaminwirksam, doch entfaltet 25-Hydroxycholecalciferol nur die Hälfte und Cholecalciferol nur ' der Wirkung des 1,25Dihydroxycholecalciferols. Das mit pflanzlicher Nahrung aufgenommene Ergosterin (Formel S. 226) wird im menschlichen Organismus in einer dem Cholesterin analogen Reaktionsfolge in das entsprechende 1,25-Dihydroxyergocalciferol (Wirkform des Vitamin D2) umgewandelt. Mit der Nahrung aufgenommenes Vitamin D2 bzw. Vitamin D3 wird rasch resorbiert, wegen der Fettlöslichkeit jedoch in Abhängigkeit von einer intakten Lipidresorption. Im Blut wird Calciferol (80—150 I. E./100 ml) unter Bindung an ein spezifisches a2-Globulin transportiert. Eine Speicherung des Calciferol (vor allem im * Die Bezeichnung „Cholecalciferol" deutet an, daß sich die 3-Hydroxylgruppe im Ring A - wie bei den Gallensäuren - in -Position befindet.
Calciferol
397
Fettgewebe) ist bis zu einem Zeitraum von etwa 6 Monaten möglich. Die biologische Halbwertszeit des 1,25-Dihydroxycholecalciferols beträgt etwa 20 Tage. Der Abbau des Calciferols erfolgt zu unbekannten Metaboliten. Vitamin D ist nur für Wirbeltiere essentiell und hat folgende Stoffwechselwirkungen: • In der intestinalen Mucosazelle kommt es unter dem Einfluß des 1,25-Dihydroxycalciferols zur Bildung eines spezifischen Calcium-bindenden Proteins (Molmasse 25 000, Calciumbindungsfähigkeit l Ca 2+ /Proteinmolekül). Dieses Protein ist zusammen mit einer calciumabhängigen ATPase und der alkalischen Phosphatase für die Resorption von Calcium aus dem Intestinaltrakt notwendig. Außerdem wird unter der Wirkung des 1,25-Dihydroxycalciferols die Resorption von Phosphat gesteigert. Die Förderung der intestinalen Resorption von Calcium und Phosphat führt zu einem Anstieg des Calcium- und Phosphatspiegels im Blutserum und unterstützt damit das Knochenwachstum und die Verknöcherung. • Bei der Wirkung auf den Knochenstoffwechsel wirkt 1,25-Dihydroxycalciferol zum Teil mit Parathormon synergistisch, da beide Wirkstoffe für die Stimulierung der Osteoklasten und der Osteozyten notwendig sind. Über die Wirkung auf die Osteozyten fördert Calciferol den Mineralisationsprozeß in den Epiphysenfugen der langen Röhrenknochen, indem es die Bildung eines Calcium-transportierenden Proteins anregt. In Gegenwart von Proteinsynthesehemmstoffen (z. B. Aktinomycin D) ist Vitamin D wirkungslos. Die Calcium-mobilisierende Wirkung des Parathormons (S. 323) wird vom Vitamin D dadurch unterstützt, daß es den Calciumtransport aus dem Knochen in den extrazellulären Raum fördert. • In der Niere bewirkt Vitamin D eine Steigerung der Rückresorption von Calcium durch Synthesestimulation eines Calciumionen transportierenden Proteins. • Vitamin D kontrolliert die Aktivität der Parathyreoidea im Sinne einer negativen Rückkopplung, indem es die Bildung der prä-pro-PTH-spezifischen mRNA und die Sekretion von Parathormon supprimiert. Dies läßt sich therapeutisch bei Patienten mit sekundärem Hyperparathyreoidismus und Ostitis fibrosa ausnutzen. Bedarf und Mangelerscheinungen. Calciferol-Mangel während des Skelettwachstums führt zur Rachitis, die vor allem durch ein Ausbleiben der Mineralisierung des neugebildeten Knochens gekennzeichnet ist. Die Symptome der Rachitis sind jedoch Ausdruck einer generalisierten Störung des Calcium- und Phosphatstoffwechsels, die in folgender Kausalkette verläuft: Auf Grund der herabgesetzten intestinalen Resorption von Calcium kommt es zu einem Abfall des Serumcalciumspiegels. Da die Calciumausscheidung die Resorption übertrifft, wird die Calciumbilanz negativ. Das Absinken des Serumcalciumspiegels führt auf dem Wege der Gegenregulation durch das Parathormon (sekundärer Hyperparathyreoidismus!) zu einer Mobilisierung des Skelettcalciums, weshalb der Serumcalciumspiegel bei manifester Rachitis häufig nicht auffällig erniedrigt ist. Die progressive Entmineralisierung des Skeletts einerseits und die als Folge des Vitamin D-Mangels unvollständige Mineralisation des Osteoids andererseits führt zur Knochenerweichung (Osteomalazie) mit charakteristischen Deformierungen des Skeletts (Skoliose, Trichterbrust, Säbelbein, Caput quadratum). Die ausbleibende Calcifizierung stimuliert die Proliferation der Osteoblasten. Eine erhöhte Aktivität der alkalischen Phosphatase in den Zonen der (ausbleibenden) Verknöcherung und im Serum sind die Folge.
398
Vitamine
Bei der engen Verbindung zwischen Calcium- und Phosphatstoffwechsel ist Vitamin D-Mangel durch eine starke Erniedrigung des Serumphosphatspiegels und eine vermehrte Ausscheidung von Phosphat mit dem Urin gekennzeichnet. Eine direkte Wirkung des Vitamin D auf die Nierentubuli (verminderte Phosphatrückresorption) kann dabei eine Rolle spielen. Auch eine vermehrte Parathormonsekretion kann dabei beteiligt sein, obgleich der Wirkungsgrad des (teilweise mit dem Vitamin D synergistisch wirkenden) Parathormons im Vitamin D-Mangel herabgesetzt ist. Auch chronische Nierenerkrankungen können einen Vitamin-D-Mangel verursachen, wenn die Umwandlung des 25-Hydroxycholecalciferols in das aktive 1,25Dihydroxycholecalciferol durch die geschädigten Nierenzellen ausbleibt. Für die Diagnose eines Vitamin D-Mangels sind (neben dem Röntgenbild und den klinischen Zeichen) die erhöhte Aktivität der alkalischen Phosphatase und der herabgesetzte Phosphatgehalt bei normalem oder erniedrigtem Calciumspiegel im Serum von Bedeutung. Therapie und Toxizität. Eine Rachitisprophylaxe ist durch Sonnen- bzw. Quarzlampenbestrahlung oder tägliche Verabfolgung von 400 I. E. Vitamin D möglich. Bei ausgeprägter Rachitis und Osteomalazie sind Tagesdosen von 3000 I. E. Vitamin D nötig. Sehr hohe Einzeldosen (Stoßtherapie) haben den Nachteil, daß das Ausmaß der Resorption ungewiß bleibt. Über mehrere Monate verabreicht (1000-3000 I. E./Tag) wirkt Vitamin D toxisch. Eine Mobilisierung des Skelettcalciums, Erhöhung des Calcium- und Phosphatspiegels im Serum mit entsprechend vermehrter Ausscheidung im Harn sind nachweisbar. Das mobilisierte Calcium wird z. T. in der Niere und in den Blutgefäßen wieder abgelagert. Klinische Symptome sind Kopf- und Gelenkschmerzen, Muskelschwäche, Störungen im Magen- und Darmtrakt. Der Tod kann durch Hemmung der Nierenfunktion eintreten.
14. Tocopherol Synonyma: Vitamin E, Antisterilitätsvitamin der Ratte. Chemie. Vitamin E ist die Gruppenbezeichnung für mindestens sieben Vitamine, die sich chemisch alle vom Tocol ableiten und je nach Substitution des Tocolgrundgerüstes durch Methylgruppen als -, -, -, -, - usw. Tocopherol bezeichnet werden. a-Tocopherol besitzt 3 Methylgruppen (5,7,8) am aromatischen Ring, ßTocopherol 2 Methylgruppen (7, 8). Die Tocopherole sind gelbliche Öle.
Vitamin E (a-Tocopherol) (5,7,8-Trimethyltocol)
Biosynthese und Stoffwechsel. a-Tocopherol wird in Pflanzen gebildet und ist besonders reichlich in keimenden Getreidekörnern (Weizenkeime 200-300 g/100 g) enthalten. Als fettlösliche Vitamine werden die Tocopherole mit der Nahrung zusammen mit den Lipiden aufgenommen.
Ascorbinsäure
399
Tocopherol als Redoxsystem
H20
2[H]
/ H20
2 [H] Tocochinon
Funktion. Aufgrund seiner chemischen Eigenschaften kann Tocopherol als Redoxsystem bzw. als Antioxidans wirken. Die im Stoffwechsel der polymorphkernigen Leukozyten entstehenden toxischen Sauerstoffmetabolite (Superoxidanionen, H2O2, Hydroxylradikale) greifen die Phospholipide der Zellmembran und der subzellulären Partikel durch Peroxidation bzw. Oxidation an. Als „Radikalfönger'''' vermag Tocopherol die Membran-gebundenen ungesättigten Fettsäuren, aber auch Carotine und Thiolgruppen vor dem Angriff der toxischen Sauerstoffmetabolite zu schützen. Für Tocopherol besteht weiterhin eine Beziehung zum SelenstofTwechsel insofern, als Selen den Bedarf an Vitamin E herabsetzt und umgekehrt. Bedarf und Mangelerscheinungen. Der Vitamin -Bedarf liegt beim Säugling bei 0,5 mg/kg Körpergewicht, beim Erwachsenen zwischen 0,1 und 0,2 mg/kg Körpergewicht, ist jedoch von der mit der Nahrung aufgenommenen Menge an Polyenfettsäuren abhängig. Der Tocopherol-Mangel (meist als Folge einer gestörten Lipidresorption) führt beim Versuchstier (Ratte, Kaninchen) zur Störung der Fortpflanzungsfähigkeit (Degeneration des Ovariums, Atrophie des Hodenkeimepithels und Sistieren der Spermiogenese) und des Muskelstoffwechsels mit erhöhter Kreatinausscheidung. Im kollagenen Bindegewebe treten unter Vitamin -Mangel Veränderungen der kollagenen Fasern (herabgesetzte Reißfestigkeit) und Quellung der Grundsubstanz, an den Blutgefäßen erhöhte Durchlässigkeit auf. Beim Menschen sind Tocopherol-Mangelerscheinungen nur wenig ausgeprägt. Ein niedriger Tocopherol-Serumspiegel findet sich häufig bei Frühgeborenen in Verbindung mit vermehrter Kreatinurie und Ceroideinlagerung in der glatten Muskulatur des Intestinaltraktes. Ein Zusammenhang der progressiven Muskeldystrophie des Menschen mit einem Vitamin-E-Mangel besteht jedoch nicht. Therapie. Klare Indikationen für eine therapeutische Anwendung beim Menschen liegen nicht vor. Sie ist aber risikolos, da Vitamin E auch in hohen Dosen (100 mg/ Tag) nicht toxisch ist.
15. Ascorbinsäure Synonyma: Vitamin C, antiskorbutisches Vitamin. Chemie. Die Strukturformel der L-Ascorbinsäure steht auf S. 178. Ascorbinsäure ist das En-diol-lacton der L-Gulonsäure. Ihr Säurecharakter resultiert nicht aus der Carboxylgruppe (C-Atom 1), die in Lactonform vorliegt, sondern aus der Dissoziation des enolischen Wasserstoffs am C-Atom 3.
400
Vitamine
Biosynthese und Vorkommen. Ascorbinsäure wird von höheren Pflanzen und Tieren aus D-Glucose synthetisiert. Der Syntheseweg ist im Kapitel Kohlenhydrate (S. 178) beschrieben. Die Primaten (Menschen, Menschenaffen), das Meerschweinchen sowie einige Vogelarten sind jedoch nicht zur Synthese von Ascorbinsäure fähig, da ihnen das Enzym L-Gulonolacton-Oxidase (Reaktion: L-Gulonolacton > Ascorbinsäure) fehlt. Bei den Säugetieren wird Ascorbinsäure in der Leber, bei Vögeln, Amphibien, Reptilien dagegen in der Niere synthetisiert. Bei Pflanzen sind alternative Wege der Ascorbinsäuresynthese möglich, Mikroorganismen bilden keine Ascorbinsäure und benötigen sie auch nicht. In tierischen Geweben enthalten die Nebenniere (40—50 mg/100 g), Leber (5—15 mg/100 g) und die Milch (2—7 mg/100 ml) die höchsten Ascorbinsäurekonzentrationen. Die wichtigsten Ascorbinsäurequellen im Pflanzenreich sind alle grünen Gemüse und Früchte bzw. Tomaten, Paprika und Citrusfrüchte. Infolge der Oxidationsempfmdlichkeit der Ascorbinsäure entstehen Verluste durch Kochen und Lagerung, in der Milch auch durch Pasteurisierung. Stoffwechsel und Funktion. Die Resorption der Ascorbinsäure im Intestinaltrakt verläuft ähnlich wie bei anderen Monosacchariden. Die Passage der Zellmembran erfolgt wahrscheinlich in Form der lipidlöslichen Dehydroascorbinsäure, die in der Zelle wieder zu Ascorbinsäure reduziert wird. Der Blutplasmaspiegel (1,0mg/ 100ml) steigt nach Aufnahme größerer Ascorbinsäuremengen an und kann dann die Nierenschwelle (1,5 mg/100 ml) erreichen. Ascorbinsäure besitzt stark reduzierende Wirkung, die sich schon im Reagenzglas an der Reaktion mit lodid, Methylenblau, Silbernitrat und zahlreichen anderen reduzierbaren Verbindungen (Reduktionsproben) nachweisen läßt. Die Ascorbinsäure selbst wird dabei zur Dehydroascorbinsäure oxidiert. Ascorbinsäure (Formel S. 178) und Dehydroascorbinsäure bilden ein Redoxsystem, in dem die (nicht eingezeichnete) Monodehydroascorbinsäure (Ein-Elektronenübergang!) als reaktionsfähige Zwischenstufe auftritt. Die Monodehydroascorbinsäure kann durch eine mikrosomale NADH 2 -abhängige Monodehydroascorbinsäure-Reduktase zu Ascorbinsäure rückgebildet werden. Ascorbinsäure ist zusammen mit Fe2+ und molekularem Sauerstoff Cofaktor bei Dioxygenasereaktionen (z. B. p-Hydroxyphenylpyruvat > Homogentisinsäure, S. 71) und Hydroxylierungsreaktionen (z. B. Steroid-Hydroxylasen, S. 263, Prolinbzw. Lysin-Hydroxylasen, S. 513). Ascorbinsäure übt auch eine Schutzwirkung auf Thiamin, Riboflavin, Pantothensäure, Biotin, Folsäure, Vitamin E und Vitamin A aus; andererseits schützen reduzierende Agentien wie Glutathion, Cystein und SH-Proteine die Ascorbinsäure vor Oxidation. Abbau der Ascorbinsäure. S. 178.
Bedarf und Mangelerscheinungen. Die für den Menschen empfohlene tägliche Ascorbinsäuremenge beträgt für Säuglinge 30 mg, für Erwachsene 70 mg. Während der Schwangerschaft und Lactation, bei körperlicher und psychischer Belastung (Stress), sowie im Fieber (vermehrter Abbau des Vitamins) ist der Bedarf erhöht. Vitamin C-Mangel führt zum Skorbut. Seine Symptome bestehen in Blutungsneigung unter die Haut (Kapillarfragilität), in das Zahnfleisch, die Muskulatur, das Fettgewebe und die inneren Organe. Störungen des Kollagenstoffwechsels äußern sich in Veränderungen im Knochenaufbau und -Wachstum, subperiostalen Blutun-
Vitaminähnliche Wirkstoffe
401
gen, Lockerwerden und Ausfallen der Zähne, in rauher und rissiger Haut. Die Symptome erscheinen erst nach einer längeren Periode Ascorbinsäure-freier Ernährung (4—5 Monate) und führen unbehandelt zum Tode. Der Skorbut war früher eine gefürchtete Krankheit der Seefahrer, ist heute jedoch selten. Klinisch wichtig ist die Erkennung eines latenten Ascorbinsäuremangels, dessen Erscheinungen sehr viel weniger charakteristisch (Frühjahrsmüdigkeit, erhöhte Infektanfälligkeit) sind. Seine Diagnose wird aus der Erniedrigung des Plasma-Ascorbinsäurespiegels (weniger als 0,3 mg/100 ml) oder durch Bestimmung der Ascorbinsäureausscheidung im Urin nach einer Testdosis gestellt. Therapie und Toxizität. Bei Ascorbinsäuremangel, aber auch wegen des erhöhten Bedarfs bei Infektionen und nach schweren chirurgischen Eingriffen, wird Erwachsenen täglich bis zu 1,0g verabfolgt. Die reduzierenden Eigenschaften der Ascorbinsäure lassen sich ferner zur Behandlung der Methämoglobinämie (Kap. Blut, S. 431) ausnutzen. Bei langfristiger Therapie mit hohen Ascorbinsäuredosen kann die als Abbauprodukt gebildete Oxalsäure zur Konkrementbildung (Oxalatsteine) in den ableitenden Harnwegen führen.
16. Vitaminähnliche Wirkstoffe Einige Wirkstoffe, die weder Coenzymfunktion besitzen, noch als essentielle Nahrungsbestandteile für den Menschen nachgewiesen wurden, aber unentbehrliche Zellbausteine sind und/oder andere z. T. noch unerforschte Funktionen wahrnehmen, werden als vitaminähnliche Wirkstoffe zusammengefaßt. Zu ihnen gehören das Inositol (Myoinositol S. 214), das als Vitamin T bezeichnete Carnitin (S. 203), die als Vitamin F bezeichneten essentiellen Fettsäuren (S. 209) und die Gruppe der Flavonoide (Vitamin P), die als Grundstruktur das Flavon besitzen und deren Derivate (Rutin, Querketin, Hesperidin u. a.) im Pflanzenreich weit verbreitet sind. Sie beeinflussen z. T. die Permeabilität der Kapillaren (durch Antihistamin- und Antihyaluronidasewirkung) und den Oxidationsstoffwechsel der Zelle.
C. Organe und Gewebe I. Zelle und subzelluläre Strukturelemente II. Blut III. Leber IV. Ernährung, Verdauung und Resorption V. Niere und Urin VI. Muskelgewebe VII. Nervengewebe VIII. Binde- und Stützgewebe IX. Wachstum X. Immunchemie
I. Zelle und subzelluläre Strukturelemente In tierischen Organismen lassen die Zellen der verschiedenen Organe und Gewebe eine mannigfaltige Variation bezüglich Form, Größe, Funktion und strukturellem Aufbau erkennen. Sie ermöglicht den vielzelligen Lebewesen eine Arbeitsteilung durch Spezialisierung auf bestimmte Stoffwechselfunktionen (Sauerstofftransport in Erythrozyten, Sekretbildung in drüsigen Organen, Reizleitung in Nervenzellen, Sekretion und Resorption in Nierenzellen, Kontraktion in Muskelzellen). Zellen mit derartig spezifischen Leistungen zeigen häufig auch spezielle Strukturen, die zu ihrer Funktion in enger Beziehung stehen.
Idealisierte eukaryonte Zelle (Schema einer elektronenoptischen Aufnahme)
Bei den tierischen Zellen lassen sich trotz ihrer Vielgestaltigkeit bestimmte allgemeine Strukturmerkmale erkennen, wie sie das elektronenoptische Bild einer „idealisierten" eukaryoten Zelle in schematischer Form wiedergibt. Die Grundbausteine der Zelle sind in einem hierarchischen System zunehmender Komplexität zusammengefügt, das von einfachen niedermolekularen Verbindungen bis zu makromole-
406
Zelle und subzelluläre Strukturelemente Molekulargewichte von Zellen und Zellbestandteilen Elektrolyte Na + 25 mg/dl gilt als Arterioskleroserisiko. Die Lipoproteine des Blutplasmas dienen der Versorgung aller Organe und Gewebe mit Fettsäuren und Cholesterin. Die Synthese der Lipoproteine kann dabei einerseits in den Mucosazellen des Intestinaltrakts erfolgen. Dort werden unter Verwertung der Nahrungslipide und Synthese spezifischer Apolipoproteine Chylomikronen gebildet und über das Lymphgefäßsystem an die Zirkulation abgegeben (exogener Lipoproteinstoffwechselweg). Andererseits ist auch die Leber — vorzugsweise im nahrungsfreien Intervall bzw. bei lipidfreier Ernährung - an der Lipoproteinbiosynthese durch Bildung von Lipoproteinen sehr geringer Dichte (VLDL) beteiligt (endogener Lipoproteinstoffwechselweg). Im Blut erfolgt dann der Umbau und Abbau der Lipoproteine (Abb.). Exogener Lipoproteinstoffwechsel. Die in den Mucosazellen des Intestinaltraktes gebildeten Chylomikronen enthalten 85-90% Triglyceride, die im Blutplasma durch eine in den Kapillaren von Fett- und Muskelgewebe enthaltende Triglycerid-spaitende Lipoprotein-Lipase abgebaut werden. Die dabei entstehenden freien Fettsäuren werden im Blutplasma an Albumin gebunden und als Albumin-Fettsäure-Komplex den Organen und Geweben angeboten. Durch kontinuierliche Abspaltung von Fettsäuren gehen die Chylomikronen in die triglyceridverarmten Chylomikronenrestkörper — sog. „Remnants" — über, die über ihren Apolipoproteinanteil durch spezifische Rezeptoren der Leber erkannt und aufgenommen werden. Im Leberstoffwechsel werden die Remnants in ihre Lipid- und Proteinanteile zerlegt und weiter verstoffwechselt. Das aus den Nahrungslipiden über die Chylomikronen in die Leber gelangte Cholesterin kann nach Einschleusung in den Cholesterinpool von der Leber vorzugsweise zu Gallensäuren umgewandelt, aber auch für die Synthese von Lipoproteinen genutzt werden. Die Chylomikronen sind für die Trübung des Blutplasmas nach besonders fettreichen Mahlzeiten verantwortlich. Unter der Wirkung der Lipoprotein-Lipase, die aus den Endothelzellen durch Heparin freigesetzt werden kann, klärt sich das postalimentär lipämisch getrübte Plasma innerhalb von 20—30 Min. wieder. Endogener Lipoproteinstoffwechsel. Während die Chylomikronen und ihre Abbauprodukte physiologischerweise nur nach lipidreichen Mahlzeiten auftreten, sind die von der Leber gebildeten Lipoproteine auch im Nüchternblut nachweisbar und Ausdruck eines ständigen Lipidtransports zu den verbrauchenden Geweben. Bei der endogenen Lipoproteinsynthese werden von der Leber VLDL-Partikel gebildet und an die Zirkulation abgegeben. Beim Abbau der VLDL-Partikel durch die Lipoprotein-Lipase entstehen zunächst die IDL-Partikel (Intermediate Density Lipoprotein) und schließlich die cholesterinreichen LDL-Partikel. Ein Teil des IDL bindet sich an die für IDL und LDL spezifischen Apo-B/E-Rezeptoren der Leber, welche die IDL rasch wieder aufnimmt. Ein anderer Teil bleibt länger im Kreislauf
Lipoproteine
441
Exocjene und endogene Wege des Lipoproteinstoffwechsels „Remnants" = Chylomikronenrestkörper LP-Lipase= in d en Kapillaren von Fettgewebe und Muskulatur lokalisierte Lipoprotein-Lipase Ri = Rej:eptorfürdie Endozytose von IDL (Leber) und LDL (Leber, Organe) R 2 = leberspezifischer Rezeptor für die Endozytose von „Remnants" LCAT = Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase CETP = Cholesterinester-Transportprotein
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ENDOGENER LIPOPROTEINSTOFFWECHSEL
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Cholesterinester ORGANZELLE
und geht in LDL über. Auch der größere Teil der LDL-Partikel wird über die Leber-spezifischen Rezeptoren aufgenommen und abgebaut, ein Teil gelangt jedoch in periphere Organe und Gewebe, die das Cholesterin als Membranbaustein oder zur Synthese von Steroidhormonen verwenden. Das von der Leber mit den IDL bzw. LDL aufgenommene Cholesterin führt zu einer Rückkopplungshemmung der HMG-CoÄ-Reduktase (Cholesterinsynthese, S. 221) und somit zu einer verminderten Cholesterinsynthese. Dieser Regelmechanismus kann bei einem genetischen Rezeptormangel (familiäre Hyperlipoproteinämie, Hyperlipoproteinämie Typ II, familiäre Hypercholesterinämie) gestört sein (s. u.).
442
Blut
HDL-Stoffwechsel. Im Stoffwechsel der Lipoproteine nehmen weiterhin die HDL eine zentrale Bedeutung ein. Sie erfüllen verschiedene Funktionen: • Die HDL-Vorstufe („nascent HDL"), die primär die Form eines diskoiden Partikels besitzt, nimmt durch Aufnahme von Apolipoproteinen und Lipiden aus anderen Lipoproteinen eine sphärische Gestalt an. Bei diesem Prozeß bilden sich HDL-Partikel verschiedener Größe, die als HDL b HDL 2 , HDL 3 und HDL4 bezeichnet werden. Die Hauptformen HDL 3 und HDL2 enthalten > 90% des HDL-Cholesterins. • Bei Kontakt mit peripheren Organen und Geweben vermag HDL3 freies Cholesterin zu übernehmen und mit Hilfe der Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase (LCAT) in Cholesterinester zu überführen. Es wird dabei von der weniger Cholesterin-reichen HDL3-Form in die Cholesterinester-angereicherte HDL2-Form überführt. Das veresterte Cholesterin der HDL 2 -Partikel kann mit Hilfe eines Cholesterinester-Transferproteins (CETP) auf andere Lipoproteine (VLDL, IDL, Chylomikronen) übertragen werden. • Die HDL-Partikel werden von der Leber über einen spezifischen Rezeptormechanismus an ihrer Apoprotein-E-Komponente erkannt und aufgenommen. Die im HDL enthaltenen Cholesterinester werden über die Galle ausgeschieden. Hyperlipoproteinämien. Die medizinische Bedeutung der Lipoproteine erklärt sich aus dem Auftreten von Stoffwechselstörungen, die mit einer Erhöhung der Lipoproteinkonzentration einhergehen und als „Hyperlipoproteinämien" bezeichnet werden. Je nach Abweichung vom normalen Lipoproteinmuster (Tab.) und Erhöhung des Triglycerid- und/oder Cholesteringehaltes des Blutserums, werden verschiedene Typen von Hyperlipoproteinämien unterschieden, die z. T. genetische Ursachen haben (primäre Hyperlipoproteinämien) oder Folge einer Grundkrankheit (z. B. Diabetes mellitus) sind (sekundäre Hyperlipoproteinämien). Ihre Erkennung und Differentialdiagnose hat Konsequenzen für die Prognose (Arterioskleroserisiko) und eine gezielte Behandlung (Diät, lipidspiegelsenkende Medikamente). Zwischen der Höhe des Lipidgehaltes des Serums, insbesondere der Höhe der LDL-Fraktion, und dem Risiko des Auftretens einer Arteriosklerose besteht eine positive Korrelation. Die bei der familiären Hypercholesterinämie stark erhöhte LDL-Konzentration hat ihre Ursache in einem hereditären Mangel der IDL- bzw. LDL-Rezeptoren der Leber. Dies hat zur Folge, daß IDL nicht mehr rasch von der Leber aufgenommen wird, sondern im Kreislauf verbleibt und zu LDL umgewandelt wird. Als Folge der fehlenden Aufnahme cholesterinreicher IDL bzw. LDL durch die Leber fehlt auch der Hemmeffekt des freigesetzten Cholesterins auf die endogene Cholesterinbiosynthese der Leber, die maximal gesteigert ist und mit einer ebenfalls gesteigerten VLDL-Synthese reagiert, die ihrerseits wiederum eine Erhöhung der IDL- und LDL-Konzentration bedingt. Umgekehrt wird dem HDL wegen seiner regulierenden Wirkung auf den Lipoproteinstoffwechsel und wegen seiner Fähigkeit, freies Cholesterin aus peripheren Geweben abzutransportieren, eine Arteriosklerose-protektive Wirkung zugesprochen. Lipid- und Lipoproteingehalt des Serums sind von Alter, Geschlecht, von der Rasse, Ernährung, dem Hormonhaushalt, von körperlicher Bewegung und anderen Faktoren abhängig. LDL-Rezeptordefekte. Zur Hyperlipoproteinämie führende Defekte des LDL-Rezeptors, denen entsprechende Mutationen des Rezeptorgens zugrundeliegen, kön-
Enzyme im Serum
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Schema des LDL-Rezeptors
Schema eines LDL-Moleküls -2000 Phospholipid-(O— ) und -1000 nichtveresterte Cholesterin-Moleküle (·—} bilden eine äussere monomolekulare Schicht, um die das Apolipoprotein B-100 paketschnurartig gewickelt ist. Im Innern des kugelförmigen Moleküls befinden sich Triglyceride und Cholesterin-Ester.
Apo B-100
N-glykosidisch gebundene Oligosaccharide
Cystinreiche Bindungsregion
EXTRAZELLULARER RAUM
O-glykosidisch gebundene Oligosaccharide
...AAAA?AAAA...
ZELL-
CYTOSOL COOH
nen sich in vollständigem Fehlen einer Bildung des LDL-Rezeptor-Proteins äußern, aber auch Primärstrukturveränderungen einzelner Domänen des Rezeptorproteins oder Störungen der posttranslationalen Modifikation betreffen. Eine veränderte Primärstruktur der cystinreichen (N-terminalen) LDL-Bindungsregion führt zur Expression funktionsunfähiger LDL-Rezeptoren. Bei Veränderungen der Primärstruktur im Bereich der cytosolischen Domäne vermag sich der LDL-Rezeptor wegen des Verlustes seiner Bindungsfähigkeit mit Clathrin (S. 419) nicht mehr in Endozytosevesikeln anzureichern. Ist dagegen die co/post-translationale Glykosylierung gestört, wird der intrazelluläre Transport des LDL-Rezeptors unterbrochen, der als Halbfertigfabrikat im Golgi-Apparat akkumuliert, aber nicht mehr die Zellmembran erreicht.
8. Enzyme im Serum Im Blutplasma (Serum) des gesunden Menschen lassen sich zahlreiche Enzyme nachweisen. Die Bestimmung ihrer Aktivität und die Erkennung von Aktivitätsveränderungen spielen in der klinischen Diagnostik eine Rolle, weil sie oft Rückschlüsse auf die Erkrankung bestimmter Organe zulassen. Von Interesse ist daher weniger die Funktion als die Herkunft und Aktivität der Serumenzyme, unter denen man zwei Gruppen unterscheidet: • Sekretionsenzyme sind Enzyme, die von einem Organ gebildet, anschließend jedoch sezerniert werden, um ihren eigentlichen Wirkungsort zu erreichen. Die Leber bildet z. B. die (Pseudo-)Cholinesterase, die sie ständig an das Blutserum abgibt (Kap. Leber, S. 464), deren Aktivität im Serum bei Leberschädigung jedoch herabgesetzt ist. Bei der Sekretion der Pankreasenzyme -Amylase und
444
Blut
Lipase in den Ductus pancreaticus wird ständig ein kleiner Teil an das Blut abgegeben. Bei Schädigung des Pankreas (Entzündung) kann dieser Anteil größer und die Aktivität der Serum-Amylase und -Lipase erhöht sein. • Zellenzyme. Etwa 90% der Zellproteine der Organe des menschlichen Körpers bestehen aus Enzymen, die im Zytoplasma, in den Mitochondrien, Mikrosomen, Lysosomen und im Zellkern lokalisiert sind. Von diesen Enzymen treten physiologischerweise nur sehr geringe Aktivitäten und auch meist nur zytoplasmatische Enzyme in das Blutserum über. Höhere Enzymaktivitätsanstiege und das Auftreten mitochondrialer Enzyme im Serum sind stets Ausdruck einer Zellschädigung, wobei die Höhe des Anstiegs der Enzymaktivität parallel mit der Schwere und Ausbreitung der Schädigung einhergeht. Die Austrittsgeschwindigkeit der Enzyme ist abhängig von ihrem Konzentrationsgradienten, ihrem Molekulargewicht und ihrer intrazellulären Lokalisation. Auf die Bedeutung der enzymologischen Diagnostik bei Erkrankungen der Leber, des Herz- und Skelettmuskels ist in den entsprechenden Kapiteln (S. 463 und S. 497) hingewiesen; sie gibt jedoch u. a. auch bei Erkrankungen des Pankreas (s. o.), des Skelettsystems (Anstieg der alkalischen Phosphatase) und beim Prostatacarcinom (Anstieg der sauren Phosphatase) wertvolle Hinweise. Die Elimination der Enzyme aus dem Serum kann in verschiedener Weise erfolgen: Enzyme mit geringer Molmasse ( -Amylase) werden mit dem Harn, andere Enzyme dagegen mit der Galle ausgeschieden. Die meisten Serumenzyme werden jedoch im retikuloendothelialen System abgebaut. Die Serumenzymaktivität ist physiologischen Schwankungen unterworfen, wobei Geschlecht, Alter, Tagesrhythmus, Muskeltätigkeit und Schwangerschaft eine Rolle spielen.
9. Blutzucker Die Konzentration an freier Glucose im Blut ist eine während des ganzen Lebens konstante individuelle Größe, die, unabhängig vom Alter und Geschlecht, nach 12stdg. Fasten 60—100 mg/dl beträgt (lediglich das Neugeborene macht mit 30 mg/ dl eine Ausnahme). Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit steigt der Blutzucker auf 120—130 mg/dl, um nach l bis l Stdn. wieder auf den Nüchternwert abzusinken. Die Glucosekonzentration unterliegt einem feineingestellten Regelmechanismus. Er besteht im Prinzip darin, daß die Leber überschüssige Nahrungsglucose aus dem Blut entfernt und als Glykogen speichert und umgekehrt bei Bedarf Glucose zur Konstanterhaltung des Blutzuckers zur Verfügung stellt. An dieser Regulation sind das Insulin und seine Gegenspieler (Glukagon, Adrenalin, Glucocorticoide, STH und Thyroxin) beteiligt. Bilanzversuche haben ergeben, daß der Mensch etwa 300 mg Glucose/kg Körpergewicht/Std. verbraucht. Diese Glucose wird von der Leber geliefert und kann aus folgenden Quellen stammen: • Nahrungsglucose, die während der intestinalen Stärke- bzw. Glykogenverdauung gebildet wird oder aus anderen Nahrungskohlenhydraten (Saccharose, Lactose) entsteht.
Blutgerinnungssystem
445
• Das Glykogen der Leber und zu einem sehr geringen Anteil das der Niere kann auf dem Wege der Glykogenolyse zu Glucosephosphat abgebaut und nach enzymatischer Entfernung des Phosphatrestes dem Blut als freie Glucose zur Verfügung gestellt werden. • Auf dem Wege der Gluconeogenese kann (hauptsächlich in der Leber) eine Glucosebildung aus allen jenen Nichtkohlenhydraten erfolgen, deren Stoffwechselprodukte in Glucose umgewandelt werden können. Dazu gehören die „glucoplastischen" Aminosäuren (S. 58), ferner die Metabolite des Citratzyklus, Lactat, Pyruvat, Glycerol sowie ungeradzahlige Fettsäuren, da sie beim Abbau Propionsäure liefern. Ein Übertritt der Blutglucose in den Harn (Glucosurie) findet statt, wenn der venöse Blutzucker Werte von 170— 180 mg/dl (Nierenschwelle) übersteigt. Bei diesen Blutzuckerwerten enthält das Ultrafiltrat des Glomerulum mehr Glucose als vom Tubulussystem rückresorbiert werden kann (350 mg/Min.). Eine Glucosurie kann jedoch auch bei einem Defekt im Tubulusrückresorptionssystem eintreten, der meist mit anderen Störungen kombiniert ist und als renaler Diabetes (Kap. Niere, S. 483) bezeichnet wird. Die Fähigkeit des Körpers zur Verwertung einer bestimmten Glucosemenge innerhalb einer bestimmten Zeit wird als Glucosetoleranz bezeichnet und durch den Verlauf der Blutzuckerkurve nach oraler Glucosebelastung (mit z.B. 100g Glucose) kontrolliert. Der Glucosetoleranztest ist ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung von Stoffwechselstörungen. Eine herabgesetzte Glucosetoleranz ist für ein erhöhtes Diabetes mellitus-Risiko bzw. für einen manifesten Diabetes (s. d.) charakteristisch. Eine erhöhte Glucosetoleranz wird bei Unterfunktion der Hypophyse, Nebennierenrinde (z. B. Addisonsche Erkrankung) und beim Hyperinsulinismus beobachtet.
10. Blutgerinnungssystem Eine Gerinnung des Blutes (Hämostase) kann als Folge verschiedener Ereignisse eintreten: • Bei Verletzung der Gefäßinnenwand erhalten die Thrombozyten mit dem subendothelialen Kollagen Kontakt und setzen ihre Plättchenfaktoren frei (primäre Hämostase und Auslösen des Intrinsic-Systems). • Das Extrinsic-System wird dagegen durch Verletzung des Gewebes (Zellzerstörung) und Freisetzung des Gewebsfaktors III in Gang gesetzt (sekundäre Hämostase). • Auch eine intravasale Blutgerinnung im unverletzten Gefäßsystem ist möglich, dann aber immer durch eine Steigerung der Thrombozytenadhäsion verursacht. Bei der Blutstillung sind die Gefäßwand selbst, die Blutplättchen (Thrombozyten) und die in Plasma und extravasaler Flüssigkeit vorhandenen Blutgerinnungsfaktoren beteiligt. Alle 3 Komponenten bilden eine funktionelle Einheit und ergänzen sich gegenseitig. Kein System ist jedoch in der Lage, Funktionsausfälle eines anderen Systems zu kompensieren.
446
Blut
Blutgerinnungsfaktoren. Die Blutgerinnungsfaktoren liegen in inaktiver Form vor und müssen für ihre Wirkung bei der Blutgerinnung aktiviert werden. Die Faktoren werden mit römischen Ziffern, die aktivierte Form durch ein zugesetztes „a" bezeichnet. Der Ablauf der Blutgerinnung läßt sich in verschiedene Phasen einteilen, die das nachfolgende Schema zusammenfaßt. Die Tabelle orientiert über Nomenklatur und Eigenschaften der Blutgerinnungsfaktoren. • Fibrinogen (Faktor I) ist ein Faserprotein mit der Molmasse 330 000. Es besteht aus 3 Paaren von Polypeptidketten (2 a-, 2 ß-, 2 -Ketten, die durch Disulfidbrücken zusammengehalten werden, und weist einen Kohlenhydratgehalt von 3% auf. Fibrinogen gehört in die Gruppe der ß-Globuline des Blutplasmas. Seine Konzentration beträgt 200—300 mg/100 ml Plasma. Bei Einwirkung von Thrombin auf das lösliche Fibrinogen entsteht unlösliches Fibrin. Dabei erfolgt zunächst die proteolytische Spaltung von 4 Arginylglycinbindungen am Fibrinogenmolekül (je Bindung an beiden a- und ß-Ketten), wobei zwei Glykopeptide A und B freigesetzt werden. Das Restfibrinogenmolekül unterliegt einer Polymerisationsreaktion unter Bildung von Wasserstoffbrücken zwischen Imidazol- und Tyrosinresten und Knüpfung heteropolarer Bindungen der Fibrinogenmoleküle untereinander (Fibrin s, s = soluble). Durch den fibrinstabilisierenden Faktor XIII, der die enzymatische Aktivität einer Transglutaminase besitzt (Abb.), werden anschließend kovalente Bindungen geknüpft, an denen Lysin- und Glutaminreste beteiligt sind (Fibrin i, i = insoluble). • Prothrombin (Faktor II) und Thrombin. Prothrombin wird als Vorstufe eines proteolytischen Enzyms (Molmasse 68 700) in der Leber unter Mitwirkung von Vitamin K gebildet (S. 390), das als Coenzym für Übertragung von Carboxylresten auf 10 Glutaminsäurereste im N-terminalen Bereich des Prothrombinmoleküls wirkt. Die dadurch entstandenen -Carboxyl-Glutaminsäuremoleküle sind für eine durch Calciumionen vermittelte Bindung des Prothrombin an die Phospholipidmembranen der Thrombozyten verantwortlich. Die Faktoren V a und Xa spalten vom Prothrombin ein Polypeptid mit der Molmasse 38 000 ab, das nach Konformationsänderung in ein proteolytisch aktives Enzym — das Thrombin übergeht. Substrat des Thrombins ist das Fibrinogen (s. u.). Die Wirkung des Thrombins, das auch die Aktivierung des Faktors XIII zu XIII a katalysiert, wird durch Antithrombin III (S. 448) beendet. • Faktor X. Die Aktivierung des Faktor X durch Komplexbildung mit Faktor V, Phospholipiden und Calcium sind von zentraler Bedeutung für die Bildung des Thrombins und damit für die Auslösung des Gerinnungsvorgangs. Die Aktivierung kann über das intravaskuläre (intrinsic) oder extravaskuläre (extrinsic) System erfolgen und verleiht dem Faktor X a die Aktivität einer proteolytisch wirksamen „Prothrombinase" (Reaktion » Thrombin). Blutgerinnungshemmende Faktoren (Antikoagulantien). Daß das Blut während der Zirkulation im Gefäßsystem nicht gerinnt, geht auf die Wirksamkeit natürlicher gerinnungshemmender Substanzen zurück: • Heparin unterbricht den Gerinnungsvorgang, indem es l. die Umwandlung von Prothrombin zu Thrombin verhindert und 2. bereits vorhandenes Thrombin zusammen mit Antithrombin III unwirksam bindet (s. o.). Heparin wirkt in vitro und in vivo. Im Organismus wird Heparin durch eine Heparinase abgebaut, seine
Blutgerinnungssystem
447
„Intrinsic"- und „Extrinsic"-System der Blutgerinnung Intrinsic System
Extrinsic System
Vorphase: Thrombozytenadh sion, Thrombozytenaggregation und Freisetzung von Pl ttchenfaktoren
XII
-XHa
IX
XI -IXa
. Kontakt. mit vasalen bzw. extravasalen Komponenten des Bindegewebes
"" Vorphase: Zellzerst rung und Freisetzung von Gewebefaktoren
XI-Xlla-Komplex
VIII-IXa-Komplex VIII
Phospholipidmembran2+
jja-^- Aktivierte Protease ι Thrombin
Prothrombin
Xllla Fibrinogen-
Fibrin s —^ Fibrin i
Enzymatische Polymerisation von Fibrinmonomeren Fibrinmonomerkette
Fibrinpolymerkette
H 9 •••N-CH-C···
H ° •••N-CH-C···
I
Lysylrest
I
CH ι 2 CHj
^^ Ca -ab h ngige Transglu aminase (Fakt r X l l l a ) °
Η,Ν-CH, H N-C=O ^
I
~^~
I
C= O 1
CH 0 Glutaminylrest J.u , 2 ••-N-CH-C··· H
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, 2 CH. ^ ι ^ NH
" Ο
Fibrinmonomerkette
CH, 2
•••N-CH-C··· H " Fibrinpolymerkette
XIII
ΓΝΗ3JΊ L
J
448
Blut
antikoagulative Wirkung kann aber auch jederzeit durch intravenöse Injektion von Protamin (einem basischen Protein) unterbrochen werden, da dessen basische Gruppen mit den sauren Gruppen des Heparins in Wechselwirkung treten. • Antithrombin III. Antithrombin III ist ein von der Leber gebildetes Glykoprotein, das mit Thrombin proteolytisch unwirksame Komplexe bildet und dadurch den Gerinnungsvorgang unterbricht. Die Bildung des inaktiven Thrombin-Antithrombin-III-Komplexes wird durch die Anwesenheit von Heparin stark beschleunigt (Abb.). Im Heparin, das der Stoffklasse der Proteoglykane angehört (S. 189), ist lediglich ein kurzer Abschnitt - eine Pentasaccharidsequenz — für die Bindung des Antithrombin III verantwortlich (Abb. S. 450). Über einen ähnlichen Mechanismus hemmt Heparin die Aktivierung des Faktors IX durch den aktivierten Faktor XI und die Aktivierung des Faktors VIII durch den aktivierten Faktor IX.
Strukturmodell des Fibrinogens 3 Paare von Polypeptidketten Aa, Bß und sind durch zahlreiche Disulfidbindungen untereinander verknüpft. Disulfidbindung, ^^ A,B = durch Thrombin abgespaltene Peptide
22,5nm
Disulfidbrücken-reiche Regionen
^- y
Protein C und Protein S. Das von der Leber unter Mitwirkung von Vitamin K gebildete Protein C (besitzt in aktivierter Form Proteaseaktivität) und Protein S zirkulieren im Blut und bilden einen Komplex, der die Faktoren V a und V i l l a inaktiviert und dadurch gerinnungshemmend wirkt. Ihr Fehlen kann die Entstehung von Thrombosen begünstigen. Proteoheparansulfat. Die das Blutgefaßsystem auskleidenden Endothelzellen besitzen an ihrer Oberfläche ebenfalls antikoagulative Strukturen. Sie werden durch membranintegrierte Proteoheparansulfat-Moleküle repräsentiert, deren transmembranöser Proteinanteil in der Membran verankert ist, während die antikoagulativ wirksamen Heparansulfat-Moleküle (S. 189) an der Ektodomäne des Proteinanteils lokalisiert sind. Exogene Antikoagulation: Eine Blutgerinnung kann auch durch künstliche Antikoagulantien verhindert werden. Eine Entfernung oder Maskierung der Calciumionen des Blutplasmas läßt sich durch Zusatz von Oxalat oder Fluorid erreichen, die mit dem Calcium schwerlösliche Salze bilden, oder durch Calciumkomplexbildner, wie z. B. Ethylendiamintetraacetat (EDTA) oder Citrat.
Blutgerinnungssystem
449
Dicumarol ist ein Antagonist des Vitamin K und vermag die Vitamin-K-abhängige Synthese der Faktoren II, VII, IX sowie der Proteine C und S in der Leber zu blockieren. Es wird als Medikament zur Erzeugung einer kontrollierten Hypoprothrombinämie benützt (Kap. Vitamine, S. 391). Fibrinolyse. Unter physiologischen Bedingungen laufen Gerinnung und Fibrinolyse nacheinander, aber auch nebeneinander ab. Ihr Zusammenspiel gewährleistet, daß sich zur Blutstillung Fibrin bildet und dieses bei der Wundheilung wieder abgebaut wird, wenn es seine biologische Funktion erfüllt hat. Daher hat man die Fibrinolyse auch als „Nachphase der Blutgerinnung" bezeichnet. Das fibrinolytische Enzym ist Plasmin, das im Blutplasma aus seiner inaktiven Form (Plasminogen) durch Aktivatoren in das aktive Enzym umgewandelt wird. Nomenklatur und Eigenschaften von
Faktor
Name
1 II
Fibrinogen Prothrombin
III
Thromboplastin
IV
Calcium
V
Acceleratorglobulin (Proaccelerin) Proconvertin
VII
VIII IX
Antihämophiles Globulin Plasmathromboplastinkomponente (Christmas-Faktor)
X
Stuart-ProwerFaktor
XI
Plasmathromboplastinantecedent
XII
Hageman-Faktor
XIII
Laki-Lorand-Faktor (Fibrinstabilisierender Faktor)
Blutgerinnungsfaktoren
Eigenschaften bzw. Funktion ß 2 -Glykoprotein Endopeptidase, durch Faktor Xa aktivierbar Lipoprotein, wird bei Verletzungen freigesetzt In Blut und Gewebe in konstanter Konzentration vorhanden Durch Calcium stabilisierte Protease Durch Kontakt mit Zellfragmenten aktivierbares Enzym Durch Calcium stabilisiertes ß 2 -Globulin ß 2 -Globulin, bildet zusammen mit Faktor V I I I , Calcium und Phospholipiden den Aktivator von Faktor X Arginin-Esterase durch endogene oder exogene Faktoren aktivierbar Substrat von Faktor XII a, an Aktivierung von Faktor IX beteiligt Arginin-Esterase, durch Kontakt mit Fremdoberflächen aktivierbar Transglutaminase, durch Thrombin aktiviert. Verbindet Fibrinmonomere über Peptidbindungen zum Polymer
Bildungsort
Biologische Halbwertszeit
Leber Leber
4-5 Tage 50-60 Stdn.
Zellen
9
Leber
35 Stdn.
Leber
5-6 Stdn.
Milz, RES
6-20 Stdn.
Leber
18-30 Stdn.
Leber
40 -60 Stdn.
RES?
48-60 Stdn.
RES?
52-70 Stdn.
Leber
3-4 Tage
450
Blut Aktivierung und Inaktivierung des Blutgerinnungssystems und der Fibrinolyse Π
BLUTGERINNUNG ThrombinAntithrombin IIHeparin-Komplex
Prothrombin
Inaktivierung durch Bindung an Antithrombin III und Heparin
Aktivierung durch Gewebeaktivatoren Blutaktivatoren ^W Thrombin ^ (Proteolytisches Enzym)
Fibrinogen (Fibrinvorstufe) L
|'
______
Fibrin
Fibrinopeptide „_, (Fibrinspaltprodukte)
Plasmin (Proteolytisches Enzym) ^*^ "^^ Aktivierung durch ^" ^-η • Gewebeaktivatoren (t-PA) • Blutaktivatoren • Exogene Aktivatoren Inaktivierung (Streptokinase, Urokinase) durch Bindung von a r Antiplasmin Inaktivierung durch • Plasminogen-Aktivator1 Inhibitor (PAI-1) Plasmin Plasminogen a 2 -Antiplasmin(1:1)-Komplex FIBRINOLYSE
1
Antithrombin-Bindungsregion des Heparins X = H b z w . S03·, Y = SO3' CH.OX L
COO l
CH OX
—°
o-\OH \l NH l
|
ί
—°
/°^\OY / \
/-O / HNSO,
-_0 /COO V~
J /
χΓνΟΗ
Ο \
λ—π···
_^-Y
c=o CH,
Pentasaccharid-Ausschnitt aus dem Heparinmolek l
Blutgerinnungssystem
451
Endogene Aktivatoren stammen aus verschiedenen Geweben bzw. aus Endothelzellen von Kapillaren und Venen. Der Gewebe-Plasminogen-Aktivator (tPA, t — tissue) bindet in Anwesenheit von Fibrin und Plasminogen an intravasale fibrinhaltige Thromben, so daß Plasminogenaktivierung und Fibrinauflösung nebeneinander und gleichzeitig ablaufen. Als exogene Aktivatoren sind bakterielle Enzyme wie Streptokinase oder Urokinase wirksam. Das Plasmin wird durch Bindung an a2Antiplasmin - ein Serumprotein der a 2 -Globulinfraktion - in einen enzymunwirksamen Komplex überführt. Im gesunden Organismus besteht ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Gerinnung und Fribinolyse (Abb.). Das aktive Fibrinolysin baut jedoch nicht nur Fibrin, sondern auch Fibrinogen ab, bei dessen Spaltung thrombinhemmende Peptide frei werden. Blutgerinnungsstörungen. Eine Erniedrigung der Gerinnungstendenz des Blutes führt zu erhöhter Blutungsbereitschaft (hämorrhagische Diathese). Da bei Blutgerinnungsstörungen jedes der beteiligten Systeme betroffen sein kann, ergibt sich eine Aufgliederung in 1. plasmatisch bedingte hämorrhagische Diathesen, die durch Störungen des Gerinnungs- und Fibrinolysemechanismus gekennzeichnet sind, Plasmatisch bedingte kongenitale und erworbene hämorrhagische Diathesen (A) und Koagulopathien (B) (AT III = Antithrombin IM, a 2 APL = a 2 -Antiplasmin)
A
Faktor
Kongenitaler Defekt
1
Afibrinogenämie und Hypofibrinogenämie Idiopathische Hypoprothrombinämie
II
IV
v VII VIII
IX
X
B
Nicht bekannt „Parahämophilie" (M. Owren) Faktor-VII-Mangel Hämophilie A, Angiohämophilie A Hämophilie B, Angiohämophilie B Faktor-X-Mangel
Erworbener Defekt (Ursache) Verbrauchskoagulopathie bei diversen Grunderkrankungen, gesteigerte Fibrinolyse Leberzellschaden, hämorrhagische Diathese der Neugeborenen, Überdosierung von Cumarinderivaten Nicht bekannt Schwerer Leberparenchymschaden, schwere Fibrinolyse Leberparenchymschaden, Vitamin-K-Mangelzustände, Überdosierung von Cumarinderivaten Schwerer Leberparenchymschaden, Leukämie, intravasale Fibrinolyse Schwerer Leberparenchymschaden, schwere allergische Reaktionen, Leukämie, Überdosierung von Cumarinderivaten Leberparenchymschaden, Vitamin-K-Mangel, Überdosierung von Cumarinderivaten Leberparenchymschaden
XI XII
PTA-Mangel Hageman-FaktorMangel
XIII
FSF-Mangel
Gesteigerte Fibrinolyse
Thrombophilie Miyasato-Syndrom
Leberparenchymschaden, Nephrose, Infektion
AT III u 2 APL
Leberparenchymschaden,
Verbrauchskoagulopathie
452
Blut
2. thrombozytärbedingte hämorrhagische Diathesen, bei denen die Blutungsneigung auf einer zu geringen Zahl oder fehlerhaften Funktion der Thrombozyten beruht und 3. vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen, bei denen eine erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände besteht. Die unter 1.-3. aufgeführten Schäden können angeboren oder erworben sein und auch kombiniert auftreten. Ihre Ursache kann in der ungenügenden Bildung und/oder in einem beschleunigten Abbau der für eine Blutstillung notwendigen Faktoren liegen. Unter den angeborenen Störungen der Blutgerinnung (Koagulopathien) hat die Hämophilie A (eine X-chromosomale Erkrankung) ihre Ursache in einem Mangel an Faktor VIII. Da das Faktor VIII-Gen innerhalb seiner 186000 Basenpaare 26 Exons und 25 Introns enthält, erklärt sich die klinische Heterogenität des Krankheitsbildes, der verschiedene Mutationen zugrundeliegen können, von denen 10 bisher näher beschrieben wurden. Eine erworbene Synthesestörung von Gerinnungsfaktoren tritt z. B. als Folge von Leberparenchymschäden auf. Endogene Plasminogenaktivatoren (tPA) und bestimmte Bakterienenzyme (z. B. Streptokinase aus Streptokokken) sind in der Lage, das Plasminogen katalytisch in Plasmin umzuwandeln (s. o.). Von ihnen macht man therapeutisch Gebrauch bei der Auflösung intravasaler Fibringerinnsel (Thromben). Für eine erfolgversprechende Behandlung muß die Applikation innerhalb weniger Stdn. nach der Thrombusbildung (z. B. Myocardinfarkt) erfolgen. Umgekehrt kann eine erhöhte Fibrinolyseaktivität durch die -Aminocapronsäure unterdrückt werden, welche die Plasminogenaktivierung verhindert. Thrombosen. Eine erhöhte Gerinnungstendenz des Blutes mit Bildung intravasaler Thromben kann durch Verlangsamung der Zirkulation, durch Venenerkrankungen (Varizen), Schäden des Gefäßendothels oder Verminderung der Thrombozytenstabilität entstehen. Auch Fehlen der Proteine C und S oder zu geringe Aktivität des Ob-Antiplasmin (Tab.) begünstigen die Entstehung von Thrombosen.
III. Leber
1. Die Leber im Intermediärstoffwechsel Die Leber ist das zentrale Kontrollorgan des Intermediärstoffwechsels. Als „Durchgangsstation" für den Pfortaderkreislauf (Vena portae) und den großen Kreislauf (Arteria hepatica) nimmt die Leber nicht nur den überwiegenden Teil der aus dem Verdauungstrakt resorbierten Stoffe auf, sondern das gesamte Blut muß das Filter der Leber regelmäßig passieren. In der Minute durchströmen 1—2 Liter Blut die Leber des Menschen. Nach Entfernung der Leber im Tierexperiment tritt unter Absinken des Blutzucker- und Harnstoffspiegels und unter Ansteigen des Aminosäuren- und Bilirubingehaltes im Blut innerhalb weniger Stunden der Tod ein. Viele spezifische Stoffwechselleistungen der Leber sind in den Kapiteln „Aminosäuren", „Proteine", „Lipide", „Kohlenhydrate", „Porphyrine" und „Blut" beschrieben. Sie lassen sich summarisch wie folgt zusammenfassen: • Aminosäure- und N-StoffWechsel. Desaminierung, Transaminierung und Neubildung der (nichtessentiellen) Aminosäuren. Aufrechterhaltung eines konstanten Aminosäurespiegels im Blut Harnstoffsynthese, Harnsäuresynthese Kreatinsynthese Porphyrinabbau und Gallenfarbstoffbildung Bildung von Blutplasmaproteinen einschließlich der hepatogenen Gerinnungsfaktoren Aufnahme von Glykoproteinen des Blutplasmas durch rezeptorvermittelte Endozytose und lysosomaler Abbau. • Lipidstoffwechsel. Kettenverlängerung bzw. Kettenverkürzung der Nahrungsfettsäuren, Neubildung von Fettsäuren aus Kohlenhydraten Synthese, Abgabe und Kontrolle der Blutplasmalipide, vorübergehende Speicherung von Lipiden Metabolisierung der aus den Lipiddepots an das Blut abgegebenen freien Fettsäuren, Bildung von Ketonkörpern bei unvollständigem Fettsäureabbau bzw. gestörter Fettsäuresynthese Cholesterinbiosynthese und Cholesterinversorgung von Organen, deren Eigensynthese nicht ausreichend ist, Bildung von Gallensäuren. • Kohlenhydratstoffwechsel. Speicherung und Mobilisierung von Glykogen und Umwandlung der diskontinuierlich erfolgenden Zufuhr von Nahrungsglucose in eine kontinuierliche Glucoseversorgung des Organismus Unterhaltung des Pentosephosphatzyklus für Fettsäure- und PentosephosphatSynthese Metabolisierung von Galaktose, Fructose und Sorbit Umbau von Glucose in andere Monosaccharide.
454
Leber
• Energiestoffwechsel. Zur Deckung ihres eigenen Energiebedarfs baut die Leber in der Resorptionsphase (bei ausreichendem exogenen Substratangebot) vorwiegend Glucose und Aminosäuren, in der Postresorptionsphase freie Fettsäuren (aus den Lipiddepots) ab.
2. Biotransformationsreaktionen Im Stoffwechsel können für den Gesamtorganismus schädliche oder nicht mehr verwertbare Substanzen auftreten. Sie werden von der Leber durch enzymatische Reaktionen entgiftet oder inaktiviert und für die Ausscheidung über die Nieren bzw. die Gallenflüssigkeit vorbereitet. Dieser Vorgang wird als Biotransformation bezeichnet. Einer Biotransformation unterliegen • Fremdstoffe, die aufgrund ihrer Lipidlöslichkeit leicht vom Organismus aufgenommen aber kaum über die Niere ausgeschieden werden, • die bei unvollständiger Verdauung gebildeten Fäulnisprodukte, • Verbindungen, für die es im Intermediärstoffwechsel keine Abbaumöglichkeit gibt (z. B. Bilirubin), • Arzneimittel und andere nicht metabolisierbare oder giftige Produkte der technischen Umwelt und • Hormone, deren Wirkungsbeendigung durch eine Biotransformationsreaktion eingeleitet wird (z. B. Steroidhormone). Das Prinzip einer Biotransformation besteht darin, daß solche Stoffe in einer ersten Phase zunächst einer chemischen Veränderung z. B. durch Hydroxylierung, Oxidation oder Reduktion unterliegen. In einer zweiten Phase schließt sich die Konjugation mit einem physiologischen Stoffwechselprodukt (Kopplung an Glucuronsäure, Sulfat, Glycin u. a.) an. Toxizität, Bindungsfähigkeit an Proteine bzw. Lipidlöslichkeit der Fremd- bzw. Schadstoffe werden in der Regel dadurch so verändert, daß sie stoffwechselindifferente Ausscheidungsprodukte werden. Chemische Veränderung und Konjugation können jedoch auch selektiv und unabhängig voneinander ablaufen. Biotransformation durch chemische Veränderung. Bei der Entgiftung körperfremder Stoffe durch chemische Veränderung sind Oxidation, Reduktion und hydrolytische Vorgänge häufig. • EthanolstoffWechsel. Der dem Organismus als Genußmittel zugeführte Ethylalkohol wird zunächst zum Acetaldehyd oxidiert. An dieser Reaktion kann entweder die Alkohol-Dehydrogenase der Leber (reversible Reaktion) oder das mikrosomale Cytochrom P45o-abhängige alkoholoxidierende System (irreversible Reaktion) beteiligt sein. Bei niedrigem Alkoholangebot erfolgt der Abbau vorzugsweise durch die Alkohol-Dehydrogenase. Die weitere Oxidation zum Acetat kann entweder unter Mitwirkung einer Aldehyd-Dehydrogenase oder einer Aldehyd-Oxidase (Xanthin-Oxidase) erfolgen. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt beim Abbau des Ethanols ist die Bildung des Acetaldehyds durch die Alkohol-Dehydrogenase bzw. das mikrosomale alkoholoxidierende System. Die Ethanolabbaukapazität der Leber des Menschen beträgt 100 mg/kg Körpergewicht/h und folgt einer Reaktion 0. Ordnung (S. 8). Die Produktion großer
Biotransformationsreaktionen
455
Mengen an NADH + H + bei der Ethanoloxidation führt zu einer Erhöhung des Lactat/Pyruvat- und des Glycerol-3-phosphat/Dihydroxyaceton-phosphat-Quotienten. Am Abbau des Ethanols können sich - allerdings in geringerem Umfang auch die Peroxisomen der Leber (S. 412) beteiligen, deren Peroxidase die Reaktion Ethanol + H 2 O 2 > Acetaldehyd + H2O katalysiert. Auch bei alkoholfreier Nahrung ist immer ein geringer Blutalkoholspiegel (bis l §/ 1 = 0,001% ) vorhanden, da auf einem Stoffwechselnebenweg in der Leber Pyruvat durch einfache Decarboxylierung in Acetaldehyd überführt werden kann. Methanolstoffwechsel. Das mikrosomale alkoholoxidierende System spielt bei der Oxidation des Methanols eine wichtige Rolle. Der Methanolstoffwechsel ist nicht nur wegen der Möglichkeit von Methanolvergiftungen von Interesse, auch aus Nahrungsstoffen (z. B. Pektinen) kann Methanol gebildet werden. Der beim Methanolabbau entstehende Formaldehyd kann weiter zu Formiat oxidiert werden und wird von der Tetrahydrofolsäure unter Bildung von Formyltetrahydrofolsäure übernommen. Die Giftwirkung des Methanols beruht auf dem intermediär entstehenden Formaldehyd und auf der Entwicklung einer metabolischen Acidose durch die aus Formaldehyd gebildete Ameisensäure. E nzymatischer
Abbau von Ethanol und Methanol in der Leber • rvieinanoi NADPH 2
NAD-.
AlkoholDehydrogenase NADH 2 >* X
MikroNADPH 2 02 \ /Qi somales Alkohol NADPX^ oxidierendes V NADP System 2H20 2H20
^"Acetaldeh vd ^ NAD
AlkoholDehydrogenase
*" Hormaldehyd O 2 \^
202
NADH 2
1
i
Acetyl-CoA
AldehydOxidase
/-°2 Nv
H202
i j
Formyltetrahydrofolsäure
Oxidative Umwandlungen. Unter den oxidativen Umwandlungen spielt das mikrosomale Cytochrom P450-abhängige Monooxygenasesystem eine wichtige Rolle. Die durch dieses Enzym katalysierte Hydroxylierung betrifft vor allen Dingen Arzneimittel und Gifte und verläuft nach der allgemeinen Gleichung R + O2 + NADH 2 » R-OH + NAD. Die für die Reaktion notwendigen Elektronen, die das dreiwertige Eisen des Cytochrom P45() zu zweiwertigem Eisen reduzieren, werden primär von einem Flavoprotein geliefert, das durch NADPH 2 wieder reduziert wird. Die Cytochrom 1*450abhängige Hydroxylierungsreaktion ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil zahlreiche Arzneimittel (z. B. Barbiturate, Phenylbutazon), einige Hormone (z. B.
456
Leber
Sexualhormone) oder chemische Agenden (z. B. DDT, polychlorierte Diphenole) die Aktivität der Cytochrom P45()-abhängigen Oxidase über eine Enzyminduktion zu steigern vermögen. Bei der Gewöhnung an Arzneimittel und Gifte kommt dieser Reaktion große Bedeutung zu. Neben Hydroxylierungsreaktionen katalysieren Monooxygenasen auch O-Dealkylierungen nach der Reaktion R — O — C H j —»· R—OH + Formaldehyd und N-Dealkylierungen. Bei Neugeborenen und Kleinkindern ist die Aktivität der mikrosomalen Monooxygenasen und der Glucuronyltransferasen (s. u.) noch gering. Neugeborene sind daher gegen viele Arzneimittel außerordentlich empfindlich. Die hepatische Biotransformation von Pharmaka oder Wirkstoffen kann der Substanz unter Umständen auch höhere Toxizität verleihen. Dies ist z. B. bei der Metabolisierung von E 605 (Diethyl-p-nitrophenyl-thiophosphat) der Fall, das durch oxidative Veränderung in ein wesentlich giftigeres Agens (Diethyl-p-nitrophenyl-phosphat) umgewandelt wird. Auch krebserzeugende Stoffe können durch Biotransformationsreaktion in der Leber entstehen. So wird z. B. das Aflatoxin (S. 527) erst nach Überführung in das Epoxidderivat cancerogen. Reduktive Umwandlungen können an Disulfid- und Nitrogruppen, an Ketonen und Aldehyden, ferner an Azofarbstoffen und an ungesättigten Alkylverbindungen eintreten. Biotransformation durch Konjugation. An die chemische Veränderung von Fremdstoffen oder Metaboliten schließen sich meist Konjugationsreaktionen an, bei denen durch Kopplung an polare (hydrophile) Gruppen wasserlösliche und ausscheidungsfähige Verbindungen entstehen. • Bildung von Glucuroniden. Phenole, Alkohole, aromatische und verzweigte aliphatische Säuren werden häufig als ß-Glucuronide mit dem Harn ausgeschieden. Die Konjugation mit der Glucuronsäure erfolgt in der Leber nach der allgemeinen Gleichung UDP-Glucuronsäure + R - O H
» U D P + R - O - Glucuronid oder O
UDP-Glucuronsäure + R' - COOH - - * U D P + R ' ~ C ~ O - Glucuronid Die Übertragungsreaktion wird durch UDP-Glucuronyl-Transferasen katalysiert. Die entstehenden Glykoside werden als O-Glucuronide (z. B. Phenole, Menthol, Steroidhormone) oder Esterglucuronide (z. B. Benzoesäure, Salizylsäure, Bilirubin) bezeichnet. • Bildung von Schwefelsäureestern. Anstelle einer Konjugation mit Glucuronsäure tritt häufig die Bindung an Schwefelsäure. Dies gilt für Phenole, Alkohole, Indoxyl (s. Tryptophanabbau) und auch für Steroidhormone, die nach der allgemeinen Gleichung „aktives Sulfat" (PAPS) + R - OH 3'-Phosphoadenosin-5'-phosphal + R - O - SO3e unter Mitwirkung einer Sulfotransferase in die Sulfatester überführt werden. Bei der wahlweisen Konjugation mit Sulfat bzw. Glucuronsäure bestehen erhebliche Speziesunterschiede. Sie hängt auch von dem in der Leber verfügbaren Sulfat ab.
Biotransformationsreaktionen
457
• Glycinkonjugation. Aromatische Säuren (Benzoesäure, Zimtsäure und ähnliche Verbindungen) werden z. T. mit Glycin gepaart. Die Bildung des Glycinkonjugates verläuft - wie das folgende Beispiel zeigt - zunächst analog der Fettsäureaktivierung.
C-N-CH2-COOH ATP CoA
AMP
GI
Benzoyl-CoA
Vcin
C
°A
Hippursäure
Die Fähigkeit zur Glycinkonjugation erstreckt sich auch auf die Niere und andere Organe. • Acetylierungsreaktion. Aromatische und aliphatische Amine (z. B. p-Aminobenzoesäure, p-Nitranilin, Sulfonamide) werden acetyliert.
*v
CoA
AMP,©-©'
Taurochenodesoxycholsäure
,
· u··
(3 . 7 . 12a-TrihydroxychoIansäure)
CoA
Taurocholsäure
Glykocheno'desoxycholsäure
Glykocholsäure
_.
INTESTINUM Taurochenodesoxychoisäure Glykochenodesoxycholsäure Mikrobielle mekonjugalion • Desoxycholsäure
Taurocholsäure Glykocholsäure Mikrobielle | Dekonjugation i Cholsäure Mikrobielle Reduktion (7 )
Lithocholsäure (3«-Hydroxycholansäure)
Desoxycholsäure (3 , 12a-Dihydroxycholansäure
·' '-
462
Leber
Gallenkapillaren durch Entzündung) oder Rückstauung der Galle führen zum Verschlußikterus. Die ins Blut übertretenden Gallenfarbstoffe werden z. T. mit dem Harn ausgeschieden, im Gegensatz zu den anderen Ikterusformen mit BilirubinDiglucuronidausscheidung fehlen jedoch die im Darm sekundär aus dem Bilirubin entstehenden Umwandlungsprodukte (Urobilinogen, Urobilin) fast völlig.
4. Pathobiochemie der Leber Schädigungen der Leberzelle durch Gifte, Fremdstoffe oder Infektionen, ferner durch Sauerstoffmangel oder unzureichende Versorgung mit Substraten oder Vitaminen führen zu Reduktion oder Ausfall leberspezifischer Stoffwechselleistungen. Der durch die Schädigung ausgelöste Übergang von einem Funktionsstoffwechsel in einen Schädigungsstoffwechsel ist einerseits gekennzeichnet durch einen Abfall der intrazellulären ATP-Konzentration, durch Erhöhung des NAD/N ADH2-Quotienten und Glykogenschwund, andererseits durch Austritt von Kalium, von Stoffwechselzwischenprodukten sowie zytoplasmatischen, lysosomalen und mitochondrialen Enzymen infolge Schädigung und Permeabilitätserhöhung der Zellmembranen. Im Blutplasma erscheinen Zwischenprodukte des Leberzellstoffwechsels in erhöhter Konzentration (Lactat, freie Fettsäuren, Ammonika, Phenole), während physiologische, an das Blutplasma abgegebene Synthese- bzw. Stoffwechselprodukte der Leber (Glucose, Harnstoff, Harnsäure, Cholesterin, Cholesterin-Ester, Proteine, Blutgerinnungsfaktoren) in ihrer Konzentration stark erniedrigt sind. Schwere akute und durch Zelluntergang (Zellnekrose) gekennzeichnete Schädigung führt zum Tod im Leberkoma. Leberschädigende Substanzen. Ein chronischer Schädigungsstoffwechsel der Leber kann durch länger anhaltende Einwirkung toxischer Substanzen in unterschwelliger Konzentration, wie z. B. Tetrachlorkohlenstoff, Chloroform, Phosphor, Blei, Ethylalkohol oder - bei Disposition der Exponierten - Pharmaka (Tetrazykline, Chlorpromazin, Methotrexat), häufig zu chronischer Hepatitis, Cholestase, Fettleber (s. u.) und/oder Leberzirrhose führen. Eine schwere, nach einer Latenzzeit von etwa 24 Stdn. zum Tode führende Vergiftung bewirken Phalloidin und a-Amanitin, die Toxine des grünen Knollenblätterpilzes. Sie sind zyklische Peptide (Hepta- bzw. Octapeptid) in denen der Peptidring durch eine Schwefelbrücke (zwischen einem Cystein- und Tryptophanrest) nochmals unterteilt ist. Durch Bindung an spezifische Leberzellmembran-Rezeptoren lösen sie über eine Hemmung der Aktindepolymerisierung (Phalloidin) bzw. der DNA-abhängigen RNA-Polymerase ( -Amanitin) eine akute Leberzellnekrose aus. Die fetale bzw. neonatale Leber weist wegen der noch inkompletten Ausbildung von Rezeptoren für leberschädigende Substanzen eine viel geringere Empfindlichkeit oder sogar Resistenz gegen Zellgifte (z. B. Phalloidin) auf. Stoffwechsel der regenerierenden und neonatalen Leber. Das hohe Regenerationsvermögen der Leber zeigt sich in ihrer Fähigkeit, nach Zerstörung oder teilweiser experimenteller Entfernung von Lebergewebe (Hepatektomie) mit einer rasch einsetzenden Steigerung der Mitoserate auf das 60 bis lOOfache und einer Zunahme
Leberfunktionsproben
463
der Aktivität der Enzyme des DNA-, RNA- und Proteinstoffwechsels auf das Mehrfache zu reagieren. Die regenerierende Leber weist auch eine höhere Toleranz gegenüber leberschädigenden Substanzen auf. Fettleber. Die normale Leber besitzt einen Gehalt von 3—4% an Gesamtlipiden (bezogen auf das Frischgewicht). Eine Akkumulation von Lipiden (meist von Triglyceriden), die bis zu 20% des Frischgewichtes betragen kann, wird als Fettleber bezeichnet. Chronische Fettleber führt zu Leberzirrhose (bindegewebige Durchwachsung, Untergang von Leberparenchym und Verminderung der Leberfunktion). Die Ausbildung einer Fettleber kann verschiedene Ursachen haben: • Chronischer Schädigungsstoffwechsel (s. o.). • Bei Ansteigen der freien Fettsäuren im Blutplasma als Ergebnis einer Mobilisation von Lipiddepots (Hunger, Diabetes) oder bei sehr fettreicher Diät, werden die freien Fettsäuren physiologischerweise vom Lebergewebe aufgenommen, verestert und als Plasmalipoproteine wieder an das Blut abgegeben. Übersteigt der Einstrom von freien Fettsäuren die Stoffwechselkapazität der Leber, reichern sich Triglyceride in den Leberzellen an. Der gleiche Zustand tritt ein, wenn aufgrund einer Einwirkung leberschädigender Substanzen die Synthese der Proteinkomponente der Lipoproteine (Apolipoprotein A, B, C, s. S. 439) beeinträchtigt ist. Auch eine generelle Hemmung der Proteinbiosynthese der Leber (z. B. durch Puromycin) führt zur Fettleber. • Alkohol fördert die Synthese von Fettsäuren, da er selbst zu Acetyl-CoA abgebaut wird und pro Mol abgebautes Ethanol 2 mol NADH 2 entstehen, die ihrerseits wiederum die Fettsäuresynthese begünstigen. Wegen der toxischen Wirkung des Acetaldehyds auf die Proteinbiosynthese werden Apolipoproteine nicht in ausreichendem Maße gebildet. Es kommt zur intrazellulären Akkumulation von Triglyceriden (Fettleber) und zur sekundären Hyperlipoproteinämie.
5. Leberfunktionsproben Die Leistungen der Leber im Intermediärstoffwechsel lassen sich durch zahlreiche Leberfunktions- und Integritätsproben überprüfen. Sie sind für die Erkennung und Beurteilung sowie die Verlaufskontrolle von Lebererkrankungen von großer Bedeutung. Verminderung der Syntheseleistung. Da die Leber die meisten Serumproteine bildet, sind die Menge und das Verteilungsmuster der Serumproteine ein wichtiger Indikator für eine intakte Leberfunktion. Aus dem Elektropherogramm der Serumproteine, aus einer Verminderung der Blutgerinnungsfaktoren VII und X sowie des Prothrombin-, Fibrinogen- und Haptoglobingehaltes im Serum lassen sich diagnostische Rückschlüsse ziehen. Verwertungsstörungen. Die Fähigkeit der Leber zur Umwandlung von Galaktose in UDP-Glucose (Kap. Kohlenhydrate, S. 179) nutzt der Galaktosetoleranztest aus. Bei oraler Belastung mit 30 g Galaktose werden von der gesunden Leber innerhalb von 5 Stdn. über 90% verwertet. Es dürfen nicht mehr als 3 g mit dem Urin ausgeschieden werden. Bei hepatogenem Ikterus (s. o.) ist dieser Wert erhöht.
464
Leber
Sekretionsstörungen. Zu den physiologischen Funktionen der Leber gehört neben der Ausscheidung des Bilirubins (s. o.) auch die Ausscheidung von Schwermetallen (z. B. Cu), von Farbstoffen, Medikamenten und von einigen Enzymen (s. u.). Bei Verschlußikterus ist daher nicht nur die Konzentration des Bilirubins, sondern z. B. auch diejenige des Kupfers im Serum erhöht. Enzymdiagnostik der Leber. Enzymaktivitätsbestimmungen im Serum sind für die Diagnose und die Verlaufsbeobachtung von Lebererkrankungen unentbehrlich. Die einzelnen für die Leberdiagnostik verfügbaren Enzyme stehen jedoch in ganz verschiedener Beziehung zur Leberfunktion. Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen: 1. Die Sekretionsenzyme werden in den Parenchymzellen der Leber gebildet und physiologischerweise in das Blutplasma abgegeben. Hierher gehören u. a. die am Gerinnungssystem des Blutes beteiligten Enzyme bzw. Proenzyme (Faktor II, V, VII, VIII und X), das Caeruloplasmin, das Phenoloxidaseaktivität besitzt, und die Pseudo-Cholinesterase, die zusammen mit einer Acetylase die Konzentration des freien Cholins im Serum reguliert. Die Aktivität der Serum-Cholinesterase (normal 1900-3800 mU/ml) und anderer Sekretionsenzyme sinkt bei schwerem Leberzellschaden ab. 2. Exkretionsenzyme. Einige Leberenzyme werden physiologischerweise mit der Galle ausgeschieden und z. T. auch in den Endothelzellen der Gallenkapillaren gebildet. Dies gilt z. B. für die alkalische Phosphatase, die Leucin-Aminopeptidase und die -Glutamyl-Transpeptidase (s. u.). Bei Gallengangsverschluß ist die Aktivität dieser Enzyme erhöht. Sie werden daher auch als „Cholestase-anzeigende Enzyme" zusammengefaßt. 3. Zellständige Enzyme sind Enzyme der Leberparenchymzelle selbst, die intrazelluläre Funktionen ausüben und nur bei Zellschädigung ins Blut übertreten. Gebräuchlich in der Enzymdiagnostik sind die Aspartat-Transaminase AST (= Glutamat-Oxalacetat-Transaminase GOT) und die Alanin-Transaminase ALT (= Glutamat-Pyruvat-Transaminase GPT), deren Spezifität jedoch nicht sehr groß ist, da beide Enzyme auch in anderen Organen vorhanden sind und z. B. auch bei akuten Herzmuskelschäden in erhöhter Aktivität im Serum anzutreffen sind. Da die ALT aber vorwiegend in der Leber vorkommt, ist der Quotient AST/ALT bei akutem Leberschaden (akute Hepatitis) meist < 1,3, bei akutem Herzmuskelschaden jedoch > 1,3. Größere Leberspezifität besitzen die Ornithin-carbamyl-Transferase (OCT), die Sorbit-Dehydrogenase, die Glutamat-Dehydrogenase (GLDH), die IsocitratDehydrogenase und das Isoenzym 5 der Lactat-Dehydrogenase. Das Auftreten der mitochondrialen Glutamat-Dehydrogenase im Serum deutet auf schwere Leberschäden hin. Die Differentialdiagnostik der Lebererkrankungen läßt sich ferner durch die Bestimmung der Aktivität der -Glutamyl-Transpeptidase ( -GT) im Serum erweitern. Dieses membrangebundene Enzym, das in hoher Aktivität in Leber, Pankreas, Milz, Niere und Dünndarm vorkommt, ist ein besonders empfindlicher Indikator für Erkrankungen oder Mitreaktionen der Leber, da es sich von allen bisher untersuchten Enzymen nach akuten Lebererkrankungen zuletzt normalisiert. Die Glutamyl-Transpeptidase eignet sich daher besonders für die Verlaufskontrolle von Erkrankungen der Leber und der Gallenwege und gilt auch als Indikator für einen alkohol-toxischen Leberschaden. Sie überträgt Glutaminsäure, die an ihrer -Carboxylgruppe mit einem Peptidrest verknüpft ist, auf Peptide (z. B. Glycylglycin).
IV. Ernährung, Verdauung und Resorption von Nährstoffen
1. Bildung und Verwertung von Energiespeichern Die vom Menschen mit der Nahrung aufgenommenen organischen Verbindungen werden z. T. zum Aufbau bzw. zur Erneuerung der lebenden Struktur benötigt, z. T. wird die in ihnen ruhende Energie in Arbeit (freie Energie) und Wärme umgewandelt (Energie-Transformation). Alle aus der Nahrung stammenden organischen Verbindungen unterliegen — sofern sie nicht in resorptionsfähiger Form vorliegen - zunächst einem enzymatischen Aufschluß im Intestinaltrakt, der als Verdauung bzw. Digestion (s. u.) bezeichnet wird. Die resorbierten und im Stoffwechsel verwertbaren Nahrungsbestandteile bilden im Organismus ein Reservoir (Sammelbecken des Stoffwechsels, engl. metabolic pool), aus dem Material sowohl für Biosynthesen („Bausubstrate") als auch zur Energiegewinnung („Energiesubstrate") entnommen werden kann. Auch die im Rahmen des katabolen Zellstoffwechsels entstehenden Verbindungen fließen dem Pool wieder zu. Eine strenge Unterscheidung zwischen Energie- und Bausubstraten ist jedoch nicht möglich, da jedes monornere Substrat des Zellstoffwechsels alternativ für Energiegewinn oder für die Synthese von Zellbausteinen verwendet werden kann. Die einzelnen Organe sind dabei allerdings in unterschiedlichem Ausmaß beteiligt (s. u.). Da die Zufuhr exogener Substrate mit der Nahrung jedoch nicht kontinuierlich erfolgt, sondern durch periodischen Wechsel zwischen Nahrungsaufnahme (Resorptionsphase) und nahrungsfreiem Intervall (Postresorptionsphase) gekennzeichnet ist, wird ein Teil der während der Resorptionsphase den Organen zugeführten Substrate zur Bildung von Energiespeichern verwendet, die während der Postresorptionsphase wieder entleert und unter Energiegewinn verwertet werden. Der periodische Wechsel zwischen Energiespeicherbildung und Energiespeicherverwertung wird hormonell reguliert und durch passagere Aktivierung bzw. Inaktivierung von Enzymen gesteuert. Energiespeicherbildung. Die nach Nahrungsaufnahme im Intestinaltrakt durch enzymatischen Aufschluß entstehenden monomeren Bestandteile der Nährstoffe (Glucose, Aminosäuren, Fettsäuren u. a.) werden resorbiert und dem Stoffwechsel zugeführt. Glucose wird — sofern nicht direkt energetisch verwertet — in der Leber und Muskulatur zu Glykogen aufgebaut, kann aber auch in der Leber und im Fettgewebe zu Fettsäuren umgebaut und schließlich im Fettgewebe als Triglycerid gespeichert werden. Die Synthese von Proteinen aus Aminosäuren ist kein spezifischer Prozeß der Energiespeicherbildung, da Proteinbiosynthese und Proteinabbau ein ständig in allen Zellen ablaufender Vorgang ist („Proteinturnover"). Im menschlichen Organismus werden täglich etwa 400 g Proteine auf- bzw. abgebaut. Die Proteinbiosynthese wird aus einem Aminosäurepool gespeist, der sich aus den beim Abbau von Nahrungsproteinen und körpereigenen Proteinen entstehenden Aminosäuren zu-
466
Ernährung, Verdauung und Resorption von Nährstoffen
sammensetzt. Proteine können jedoch — vor allem bei längerer Nahrungskarenz (Hunger, Fasten) — im limitierten Umfang als Energiespeicher genutzt werden (s. u.). Fettsäuren und Monoacylglycerole werden nach der Resorption in den Mucosazellen des Intestinaltraktes zu Triglyceriden resynthetisiert und als Chylomikronen an das Lymphgefäßsystem bzw. Blut abgegeben (S. 476). Die aus den Chylomikronen durch die Triglycerid-Lipase freigesetzten Fettsäuren werden z. T. energetisch von verbrauchenden Organen verwertet, z. T. für eine Lipoproteinsynthese in der Leber verwendet und z. T. im Fettgewebe als Triglyceride gespeichert. Auch Proteinüberschüsse können nach Umwandlung der Aminosäuren in Glucose, in der Leber als Glykogen oder nach Verwendung für die Fettsäuresynthese schließlich als Triglyceride im Fettgewebe gespeichert werden. Die Energiespeicherbildung wird durch Insulin (S. 327) gefördert, das nicht nur die Aufnahme von Glucose, Aminosäuren und Fettsäuren in die Zelle und damit das intrazelluläre Substratangebot steigert, sondern auch die Aktivität zahlreicher Enzyme erhöht, die an der Energiespeicherbildung beteiligt sind (Glykogen-Synthase, Acyl-CoA-Carboxylase, Phosphofructo-Kinase, Pyruvat-Kinase, PyruvatDehydrogenase). Langfristig führt Insulin weiterhin zu einer Konzentrationserhöhung der am anabolen Stoffwechsel beteiligten Enzyme durch vermehrte Synthese. Energiespeicherverwertung. Im nahrungsfreien Intervall (Postresorptionsphase, „Hungerphase") werden aus den Energiespeichern monomere Substrate freigesetzt und zur Deckung des Energiebedarfs verstoffwechselt. Glucose stammt z. T. aus dem Glykogen der Leber, z. T. aus den glucogenen Aminosäuren, die durch Abbau von Protein gewonnen wurden. Von dem gesamten Proteinbestand des menschlichen Organismus (ca. 6 kg) kann jedoch nur ein Anteil von etwa 2 kg (sog. „labile Proteinreserve") zur Energiegewinnung herangezogen werden. Der überwiegende Anteil der labilen Proteinreserve entstammt der Skelettmuskulatur. Die Gewinnung von Glucose aus Aminosäuren (Gluconeogenese) spielt vor allem bei längerer Nahrungskarenz (Hunger, Fasten) eine Rolle, da auch nach Erschöpfung der Glykogenreserven das zentrale Nervensystem und Erythrozyten auf die ständige Zufuhr von Glucose angewiesen sind. Der Umbau von Aminosäuren zu Glucose findet zum größten Teil in der Leber (—80%) und in der Nierenrinde (-20%) statt. Die Mobilisierung der Lipiddepots im Fettgewebe (S. 230) beginnt unter der Wirkung der hormonsensitiven Triglycerid-Lipase (Reaktion Triglycerid > Fettsäure) und wird durch die hormonunabhängige Triglycerid- bzw. MonoglyceridLipase unter Freisetzung von Glycerol und Fettsäuren fortgesetzt. Die aus dem Fettgewebe in die Zirkulation gelangenden Fettsäuren können vom Herzmuskel und der Skelettmuskulatur energetisch verwertet werden. Die Leber baut einen Teil der Fettsäuren - besonders im Zustand eines Kohlenhydratmangels - zu Ketonkörpern um, die wiederum von der Skelettmuskulatur und bei länger dauernder Nahrungskarenz auch vom zentralen Nervensystem metabolisiert werden können. Die Bereitstellung von Substraten aus Energiedepots unterliegt einer Steuerung durch hormonelle und nervale Reize sowie durch motorische Aktivität. Bei Absinken der Glucosekonzentration im Blut kommt es zu Sekretion von Glukagon. Sym-
Ernährung und Nährstoffe
467
Nahrungsbedarf des Menschen bei mittlerer körperlicher Aktivität
Kohlenhydrate 65 % = 450 g
Energiebedarf 11700kJ/24Stdn. 2800 kcal / 24 Stdn.
Essentielle Amino 10 % = 75 g l sauten 10 - 20 g
Bedarf an Mineralien, Vitaminen und Spurenelementen
pathische neurale Reize stimulieren die Sekretion von Katecholaminen (Adrenalin, Noradrenalin), die den Glykogenabbau (Muskel, Leber) und den Triglyceridabbau (Fettgewebe) durch Enzymaktivierung einleiten. Die Glucocorticoide der Nebennierenrinde fördern die Gluconeogenese durch Umbau von Aminosäuren in Glucose. An der Regulation der Energieversorgung des Organismus sind weiterhin das Wachstumshormon (STH) und das Thyroxin beteiligt (S. 318).
2. Ernährung und Nährstoffe Ernährungsnormen. Nationale und internationale Gesellschaften für Ernährung haben Ernährungsnormen aufgestellt, in denen die für einen guten Ernährungszustand wünschenswerte Zufuhr von Nahrungsbestandteilen angegeben ist. Danach soll die tägliche Zufuhr an Gesamtnährstoffen für Männer bzw. Frauen je nach Lebensalter 9200-12 100 bzw. 6700-8800 kJ (2200-2900 bzw. 1600-2100 kcal) betragen. Dabei sollen Proteine 10-15%, Kohlenhydrate 55—70% und Lipide 20—30% der Kalorien* ausmachen. Das entspricht einem Eiweißmmimum von 60-80 g Protein/24 Stdn. Bei der Zufuhr des Nahrungsproteins ist auch der Bedarf an essentiellen Aminosäuren (S. 54) zu berücksichtigen. Dabei ist von Bedeutung, daß tierische Proteine meist einen höheren Gehalt an essentiellen Aminosäuren aufweisen als pflanzliche Proteine, in denen Lysin, Tryptophan, Threonin und Methionin meist nicht in ausreichender Menge vorhanden sind. Ein ausgeglichenes * Joule ist eine von den Basisgrößen der SI-Einheiten abgeleitete Einheit der Energie und ist bei der Angabe von Zahlenwerten vorgeschrieben. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist daneben der Wortstamm „Kalorie" (z. B. Kalorienträger, überkalorische Ernährung) zulässig.
468
Ernährung, Verdauung und Resorption von Nährstoffen
Mischungsverhältnis essentieller Aminosäuren kann jedoch durch Kombination tierischer und pflanzlicher Proteine erreicht werden (z. B. Kartoffel- und HühnereiProtein bzw. Milch- und Weizen-Protein). In der täglichen Nahrungsmenge sollen ferner 0,8g Calcium, 10-15 mg Eisen und ausreichende Mengen an Vitaminen enthalten sein. Über den Bedarf an Vitaminen ist im Kapitel Vitamine (S. 378 ff.) berichtet. Der tägliche Bedarf an essentiellen Fettsäuren liegt bei 2-3 g/4200 kJ (1000 kcal) Nahrungsstoffe. Angaben über den Bedarf an Wasser, Elektrolyten und Spurenelementen sind in den Kapiteln Wasserhaushalt (S. 265) bzw. Mineralhaushalt (S. 271) zu finden. Eine Übersicht mit Angabe von Durchschnittswerten gibt vorstehendes Schema. Körperliche Aktivität, Alter, Klima, Gravidität und Krankheiten können eine Abweichung von den Ernährungsnormen notwendig machen. Kalorimetrie. Kohlenhydrate, Lipide und Proteine sind die Hauptkalorienträger der menschlichen Nahrung. Bei einer Verbrennung im Kalorimeter liefern Kohlenhydrate 17, Lipide 40 und Proteine 23 kJ/g. Bei Verwertung im Stoffwechsel des Menschen ergeben sich — mit Ausnahme der Proteine — ähnliche Werte: Kohlenhydrate 16,7, Lipide 38, Proteine 16,7 kJ/g. Die Abweichung für Proteine gegenüber den im Kalorimeter gewonnenen Werten ist dadurch bedingt, daß als Endprodukt des Proteinstoffwechsels u. a. Harnstoff gebildet wird, der noch (nicht verwertbare) Energie enthält. Umwandlung von Nährstoffen. Im Energiestoffwechsel — nicht jedoch im Synthesestoffwechsel! — können sich Kohlenhydrate, Lipide und Proteine innerhalb gewisser Grenzen vertreten („Isodynamiegesetz"), da sie dem gleichen oxidativen Endabbau (Citratzyklus, Atmungskette) unterliegen. Die Konvertierbarkeit von Proteinen in Kohlenhydrate (Gluconeogenese) bzw. von Kohlenhydraten in Lipide gestattet ferner die Herstellung und Aufrechterhaltung der zur adäquaten Versorgung der verbrauchenden Organe und Gewebe notwendigen Mengenkorrelation der Nährstoffe, die sich vorzugsweise in der Leber vollzieht. Auf diese Weise wird z. B. der Blutglucosespiegel auch bei kohlenhydratfreier Ernährung zur Versorgung der glucoseabhängigen Organe (z. B. Gehirn) aufrechterhalten. Umgekehrt können Kohlenhydratüberschüsse der Nahrung als Depotfette (Triglyceridsynthese aus Glucose im Fettgewebe, S. 230) gespeichert werden. Unterernährung und Hunger. Chronische Unterernährung geht meist mit einseitiger (relativ kohlenhydratreicher- und absoluter Proteinmangel-)Ernährung einher. Sie hat eine negative Stickstoffbilanz (Abbau von Muskulatur), Abnahme des Proteingehaltes im Blutplasma und Kreatinurie zur Folge. Im Verteilungsmuster der Blutplasmaproteine findet man eine elektrophoretisch nachweisbare starke Verminderung des Albumins bei Erhöhung der ß- und -Globuline. Infolge der Mobilisation körpereigener Lipide und gestörter Lipoproteinsynthese der Leber kann es zu einer Fettleber (S. 463) kommen. Einseitige Kohlenhydraternährung (Reis, Mais, Hirse) führt bei der Bevölkerung tropischer Länder (Afrika, Indien, Zentralamerika) zu einer typischen Proteinmangelerkrankung (Kwashiorkor), die vor allem bei Kindern durch Hemmung des Wachstums, Auftreten einer Fettleber, Ödembildung im Bereich der Tibia, der Hände, der Füße und des Gesichtes gekennzeichnet ist. Bei vollständigem Nahrungsentzug (Nulldiät, Fasten) unter erhaltener Flüssigkeits- und Mineralzufuhr kommt es zu charakteristischen Umstellungen des Stoff-
Ernährung und Nährstoffe
469
Umwandlung und V srbrauch von Nährstoffen LEBER
Ketonkörper — i 1 1
Lipide
TERMINALES AXON
Nei rotransmitterVorstL fe . . Tyrosin)
1
V
^ NeurotransmitterVorstufe Ibynthese
^ NERV ENIMPL JLS
Neurotransmitter(z. B. Noradrenalin)
Abbau ^J
1 jSpeicherungj 2+
|Ca - Einstrom | — - (Ja
^^J cAMPvermittelte RückkopplungsHemmung
I1
Pa 2+ .Ri'irl