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German Pages 201 [212] Year 1949
v. LENGERKEN / ALLGEMEINE Z O O L O G I E
EINFÜHRUNG IN DIE
ALLGEMEINE
ZOOLOGIE
FÜR STUDIERENDE DER NATURWISSENSCHAFTEN LANDWIRTSCHAFT UND MEDIZIN
VON
Dr. H A N N S V. L E N G E R K E N O. P R O F E S S O R D E R Z O O L O G I E
Mit 208 Abbildungen
1949 VERLAG
WALTER
DE G R U Y T E R
& CO.
vorm. G. J. Göechen'sche Verlagehandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp.
R E R L I N W 35
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. W a l l e r de Gruyter & Co., vorm. G. J . Göschen'sche V e r l a g s h a n d l u n g , J . Guttentag, V e r l a g s b u c h h a n d l u n g , Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp. Berlin W 35 Archiv-Nr. 52 82 49. Printed in Germany D r u c k : Thormann & Goetsch, Berlin S W 61
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E s gibt eine Reihe ausgezeichneter deutschsprachiger Lehr- und Handbücher der Zoologie. Das Verzeichnis am Schluß dieses Buches weist die bekanntesten und besten unter ihnen nach. Da aber einerseits die vorhandenen, meist umfangreichen Lehrbücher gegenwärtig im Buchhandel nur sehr schwer oder garnicht zu haben sind, und da andererseits bei den Studierenden ganz allgemein ein dringendes Bedürfnis nach kurzgefaßten Lehr- und Lernbüchern besteht, haben Verlag und Verfasser sich entschlossen die vorliegende ,,Einführung -in die Allgemeine Zoologie" herauszubringen. Bei der Beurteilung des Buches wolle man die Absicht des Verfassers, eben nur in kurzgefaßter Form die Grundlagen zu bringen, im Auge behalten. Die Stoffauswahl, und die Art der Disponierung sind das praktische Ergebnis langjähriger Vorlesungen des Verfassers an der Universität Berlin. Bei der Auswahl des Stoffes hofft der Verfasser einem allzu fühlbaren Subjektivismus ausgewichen zu sein. Daß der Verfasser dem mustergültigen „Grundriß der allgemeinen Zoologie" von A. K U H N viel verdankt, möge gesagt sein. Die bestens bekannte und bewährte „Vergleichende Physiologie der Tiere" von K O N R A D H E R T E R , Sammlung Göschen, Verlag de Gruyter, wird jedem Studierenden neben den vorliegenden „Grundlagen" unentbehrlich sein. Berlin, Sommer 1949 Hanns von
Lengerken
INHALT Α. V o m U r s p r u n g Zoologie
des L e b e n s
und
von den A u f g a b e n
der 1
B. V o n d e r Z e l l e u n d i h r e n L e i s t u n g e n 1. Kennzeichnung des Lebens 2. Die Zelle 3. Die Zellvermehrung 4. Die Reifungsteilungen der Geschlechtszellen 5. Die Befruchtung . 6. Die Vererbung 7. Die Entwicklung der Einzeller 8. Die Entwicklung der Vielzeller bis zum Becherkeim und die Keimblätterbildung
3 3 3 5 7 8 10 23
C. V o n d e n G e w e b e n u n d i h r e n A u f g a b e n 1. Deckgewebe 2. Drüsengewebe 3. Stützgewebe 4. Blut und Lymphe 5. Muskelgewebe 6. Nervengewebe (Sinnes- und Nervenzellen)
27 27 28 28 30 31 32
.
24
D. V o n d e n O r g a n s y s t e m e n u n d i h r e n L e i s t u n g e n 1. Die Körperdecke und ihre Sonderbildungen 2. Das Sklelettsystem, die Muskulatur und die Bewegung 3. Die Sinnesorgane und das Nervensystem 4. Die Stoffwechselorgane Ernährungssystem Atmungssystem Kreislaufsystem (Hormone) Ausscheidungssystem
36 36 41 55 73 73 86 92 101
E. F o r t p f l a n z u n g u n d G e s c h l e c h t s o r g a n e
105
F. D i e Κ e i m e η t w i c k 1 u η g d e r C h ο r d a t i e r e
117
G. U m w e g e d e r E n t w i c k l u n g i m T i e r r e i c h
121
H. D i e U m b i l d u n g d e r A r t e n ( A b s t a m m u n g s l e h r e , kismus und Darwinismus
Lamark134
I. Ü b e r b l i c k ü b e r d a s v e r e i n f a c h t e n a t ü r l i c h e S y s t e m . . . 144 Κ. D i e w i c h t i g s t e n Haustiere L. D i e
wichtigsten
gärtnerisch
Parasiten
des
Menschen
und
der 146
landwirtschaftlich,
schädlichen Tiere
forstlich
und 158
Stichwortverzeichnis
177
Lehr- und H a n d b ü c h e r
201
Faust:
Such er den redlichen Gewinn! Sei er kein schellenlauter Tor! Es trägt Verstand und rechter Sinn Mit wenig Kunst sich selber vor; Und wenn's euch -Ernst ist, was zu sagen, Ist's nötig, Worten nachzujagen? Goethe
A. Vom Ursprung des Lebens und den Aufgaben der Zoologie1) Ursprung de? Lebens. Wenn die KANT-LAPLACE'sche Theorie richtig ist, so h a t sich die Erde aus dem gasförmigen über den feuerflüssigen bis zu ihrem heutigen Zustand entwickelt. Nach menschlichem Erkenntnisvermögen kann daher das Leben auf ihr erst entstanden sein, als die hierfür günstigen Bedingungen gegeben waren, als u. a. der Erdball entsprechend abgekühlt war, das Wasser sich zum flüssigen Zustand verdichtet hatte und eine Atmosphäre vorhanden war. Unser Denken fordert, daß das Lebendige aus dem Unbelebten entstanden sei, und daß das,'was wir Leben nennen, entweder durch Urzeugung auf der Erde selbst entsprang oder von einem anderen Himmelskörper auf den Erdball gelangte. Für diese theoretischen Annahmen besitzen wir jedoch keine aus der Erfahrung abgeleiteten Beweise. Wir wissen also nichts über den Ursprung des Lebens, da wir in der Jetztzeit alles Lebendige aus gleichfalls Lebendigem entstehen sehen. Wir erkennen aber aus der Erdgeschichte, daß das Leben anfänglich an einfachere Formen gebunden war, zu denen im Laufe von unvorstellbaren langen Zeiträumen stufenweise höher entwickelte Lebewesen hinzutraten. Aufgabe der Zoologie kann es nicht sein, über den Ursprung des Lebens, über seinen Zweck und Wert zu philosophieren. Die Tierkunde behandelt nur das v o m menschlichen „Wissen" Erfaßbare der tierischen Lebewesen. Zoologie ist daher die Wissenschaft von den Tieren und so nebst der Botanik ein Teil der Lebenskunde oder Biologie2). Die Zoologie kann die Tiere nach ihrem äußeren und inneren B a u beschreiben Morphologie3; und Anatomie4), wobei Zellenlehre (Zytologie 5 ) und 6 Gewebelehre (Histologie ) wichtige Teilgebiete sind. Sie kann die Lebensäußerungen der Tiere als Leistungen erforschen {Physiologie1), die Verbreitung der Tiere auf der Erde (Tiergeographie) und ihre Beziehungen zu ihrem Lebensraum (Oeko-
2) 3)
4) 5)
6) 7) 1
Von Von Von Von Von Von Von
griech. griech. griech. griech. griech. griech. griech.
ζόοη = Tier und logos = Lehre. bios = Leben. morphe = Gestalt. anätomos = aufgeschnitten. kytos = Höhlung. histis = Gewebe. physis = Erzeugung.
v. L e n g e r k e n , Z o o l o g i e
2
Vom Ursprung des Lebens und den Aufgaben der Zoologie
logie1) feststellen, sie in eine Ordnung bringen (Systematik 2 ) und aus den erhaltenen Resten ausgestorbener Formen in den Erdschichten 3 ) einen Teil der vermutlichen Stammesgeschichte der Tiere ablesen. Hinzu kommt die Vererbungslehre (Genetik4). Außerdem hat die Tierkunde als angewandte Zoologie vielfältige Beziehungen zu praktischen Betätigungsgebieten des Menschen. Das Leben „erklären" kann die Zoologie keineswegs, auch nicht mitteles der Chemie und Physik oder durch eine andere Hilfswissenschaft. Auch für den Zoologen ist das Wesen des Lebens ein Rätsel. Trotzdem bleibt als lockendes Endziel der Tierkunde bestehen, nach Gesetzmäßigkeiten im lebendigen Geschehen zu foi sehen und die Ursachen der Lebensäußerungen zu ergründen. 1)
Von Von Von 4 ) Von
2) 3)
griech. griech. griech. griech.
oikos = Haus. systema = Zusammenstellung. paleios — alt „Paläozoologie". qinos = Geschlecht.
Β. Yon der Zelle und ihren Leistungen 1. Kennzeichnung des Lebens
Das Leben ist an den Stoff gebunden, der sich aus Grundelementen zusammensetzt, die auch im Bereich der leblosen Materie vorkommen. Aber die organische» Verbindungen sind sehr verwickelt gebaut und finden sich nur in Lebewesen. Es· sind das v o r allem kohlenstoffhaltige Verbindungen
w i e Eiweiße, Kohlehydrate,
Fetter
Sterine und Phosphatide. Hinzu kommen einfachere anorganische Verbindungen,, vor allem Wasser (bis über 80% der Gesamtmasse) und verschiedene Salze. — Das·· Eiweiß ist der eigentliche Träger des Lebens.
Alles Lebendige hat eine Gestalt, d. h. es ist scharf gegen seine Umwelt abgegrenzt. Die kleinste lebensfähige Gestaltung ist die Zelle. 2. Die Zelle
Die Zelle zeigt alle Eigenschaften des Lebens, nämlich Reizbarkeit und Bewegungy die Fähigkeit des Stoffwechsels, der Vermehrung undder Entwicklung.
Die meist wan-
dungslose1)
tierische Zelle (Abb. 1) besteht im wesentlichen aus dem Zelleib (Zettplasma,2), dem in der Regel in Einzahl vorhandenen, bläschenförmigen Kern (Nucleus3), dem Kernkörperchen (Nucleolus 4 ) soma6).
und dem Zentralkörperchen5)
(Zentro-
Kern und Plasma stehen in Wechselbeziehung zu einander. Plasma und K e r n sind
jedes für sich allein nicht lebensfähig. Um den Peinbau der Zelle untersuchen zu können, wendet man Pärbemethoden an. Das Plasma ist art verschieden. Man kann sagen, daß es so viele Plasma-Ab Wandlungen gibt, wie Tierarten vorhanden sind. Das Zellplasma ist ein meist grauer Stoff,, der flüssige und feste Einschlüsse enthalten kann. Es zeigt einen wohl vorwiegend schaumigen Feinbau. Es besteht chemisch aus den stets vorhandenen Hauptelementen: Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff. Fast stets vorhanden sind: Schwefel
und Phosphor (Merkformel: COHN SP). Meist angetroffen werden: Natrium,
Kalium,.
Kalzium, Magnesium und Chlor. Als Spurenelemente treten auf: Eisen und Mangan. Selten sind Brom und andere Elemente. Die Elemente treten in Verbindungen aufT nämlich als Eiweiße, Zellfette, Salze und Wasser. *) Die Pflanzenzellen haben dagegen eine Wand (Membran). Jede von ihnen ist ein Kämmerchen = c4llula. Daher die Bezeichnung „Zelle". 2 ) Von griech. pläsma = Gebilde. 3 ) Von lat. nucleus = Kern. 4 ) Kleiner Kern. 5 ) Der Pflanzenzelle fehlt meist ein Zentralkörperchen. *) Von lat. centrum = Mittelpunkt und griech. soma = Leib. 1*
4
Die Zelle und ihre Leistungen
Das Plasma ist physikalisch ein sehr verwickeltes kolloidales System. Unter Kolloid, verstellt man eine Zerteilung1), deren Teilchen kleiner als Vioooo mm sind. — Das Plasma besitzt eine große Verwandtschaft zu Wasser2). Sein Festigkeitszustand schwankt daher je nach der Anwesenheit von Wasser von flüssig- bis elastisch-fest, d. h. vom Sol- zum Gelzustand. Der Übergang von Sol- zum Gelzustand ist umkehrbar. Deshalb kann das Plasma je nach Bedarf von einem in den anderen Zustand übergehen. Der Kern ist nicht immer kuglig. Er tritt auch als stab-,hufeisen-,rosenkranzartiges oder verästeltes Gebilde auf. Manchmal sind mehrere Kerne in einer Zelle vorhanden (ζ. B. bei vielen Einzellern.) Der Kern ist von einem feinen Häutchen (Kernmembrafi) umgeben (Abb. 1) und mit Kernflüssigkeit angefüllt. Diese ist von einem Kerngerüst durchsetzt, in das feine Brocken eingelagert sind, die man wegen ihrer leichten Färbbarkeit als Kf Chromatin3) bezeichnet. Ein oder mehrere KernAbb. 1. Tierische Zelle. Chr. Kerngerüst mit Chroma- körperchen sind dem Kern eingelagert. Der Kern tinbrocken, Kf Kernflüssigkeit, Km Kernhaut (Kernmembran), Kp Kernkörperchen, PI Zellplasma, Zk Zentralkörperchen.
t m t
Nucleinsäuren.
Das winzige Zentralkörperchen ist das Bewegungs- oder Energiezentrum der Zelle, was sich
bei der Zellteilung erweist (siehe S. 5). Die kleinsten Zellen findet man unter den männlichen Geschlechtszellen (0,003 mm). Die Eier dagegen gehören zu den größten Zellen. Auch das Straußenei hat nur den Wert einer Zelle. ' Die Reizbarkeit des Zellplasmas und somit der Zelle erweist sich, wenn man ζ. B. ein von seiner Gallerthülle befreites Froschei mit einem Haar berührt; es zuckt zu-
sammen.
Bewegung legen Einzeller, weiße Blutzellen (siehe S. 30), männliche Fortpflanzungszellen u. a. an den Tag. In jeder Zelle spielen sich bei den Teilungsvorgängen (siehe S. 5) verwickelte Bewegungserscheinungen ab. Jede Zelle nimmt Stoffe auf und gibt AbbauproAbb. 2. Schema der direk- dukte ab; sie atmet und ernährt sich. Sie hat also ten Teilung eines Einzellers einen Stoffwechsel. (Amöbe). Die Zelle vermehrt sich und läßt bei Vielzellern als Eizelle aus sich heraus auf verwickelte Weise ein neues Lebewesen entstehen, d. h. sie hat die Fähigkeit der Entwicklung (siehe S. 24). Tiere, die sich über den Zustand der Einzelligkeit nicht hinaus entwickeln, bezeichnet man als Einzeller (Frotozoa). Ihnen stehen die aus zahlreiche Zellen aufgebauten Vielzeller oder Gewebstiere (Me'.azoa) gegenüber (siehe S. 24). So wird 2) 3)
Disper&ion Es ist hydrophil. Von griech. chroma = Farbe.
Zellvermehrung
5
die Zelligkeit zum Einteilungsprinzip des Tierreiches in seine beiden Unterreiche. Lebewesen, die scheinbar nicht den Wert einer Zelle erreichen, weil ihnen ein einheitlicher K e r n fehlt, sind die Spaltpilze (Bakterien) und Spirochaeten1). Bei ihnen ist jedoch der Kern in Gestalt feiner Körnchen auf den ganzen Plasmakörper verteilt (Abb. 164). Viren (Virus-Arten), Erreger wichtiger Krankheiten von Mensch, Tier- u n d N u t z pflanzen, stehen vielleicht auf der Grenze zwischen Unbelebtem und Belebtem. Besonders wichtig, vor allem als Grundlage für das Verständnis des Vererbungsganges ist 3. die Zellvermehrung Wenn eine Zelle einen gewissen Bereitschaftszustand erreicht hat, beginnt sie sich zu teilen. Man unterscheidet: a) die direkte Zellteilung, bei der sich K e r n u n d Plasma einfach durchschnüren, bis zwei gleich große Tochterzellen vorhanden sind. Diese Art der Zellteilung k o m m t vielleicht nur bei einigen Einzellern vor (Abb. 2); b) die indirekte Zellteilung. Mitose. Sie ist ein verwickelter, auch bei Einzellern sich abspielender Vorgang, in dessen Verlauf sich die Chromatinbröckchen im K e r n zu faden-, schleifen-, hufeisen- oder hackenförmigen Kernschleifen oder Chromosomen2) zusammenballen (Abb. 3). Gleichzeitig beginnt das Zentralkörperchen seine Tätigkeit. Es teilt sich, und seine Hälften wandern zu den Polen der Zelle. Zwischen ihnen spannt sich die Kernspindel aus, deren Fäden an die Kernschleifen herantreten, die sich, nachdem sich das Kernhäutchen aufgelöst hat, in der Äquatorebene der Zelle angeordnet haben. Das stufenweiste Fortschreiten der Zellteilung läuft weiter, indem sich die Chromosomen der Länge nach hälften. Bald schnürt sich der Plasmaleib ein, die Hälften der Kernschleifen weichen auseinander u n d werden von F ä d e n der Spindel wie mittels kleiner Seile zu den Polen hingezogen. Hier wird die Aufgabe des Zentralkörperchens als Bewegungsmittelpunkt der Zelle besonders deutlich. J e t z t schnürt sich der Zelleib völlig durch. I n jeder Tochterzelle bildet sich ein K e r n , die Kernschleifen werden undeutlich, lösen sich jedoch nicht auf, u n d die Zentralkörperchen kommen zur Ruhe. Wie auch bei der direkten Teilung wachsen die Tochterzellen durch Nahrungsaufnahme zur Größe der Ausgangszelle heran, bis sie sich abermals zu teilen in der Lage sind. Das Wesen der indirekten Teilung besteht darin, das Chromatin möglichst gleichmäßig auf die Tochterzellen zu verteilen, so daß eine jede mengenmäßig gleichartig bedacht wird. Außerdem erhält jede Teilzelle die gleiche Anzahl von Kernschleifen, wie sie die Mutterzelle besaß. I n unserem Beispiel (Abb. 3) sind vier Chromosomen als vorhanden angenommen. Da jede Tochterzelle infolge der Längsteilung der Kernschleifen wiederum vier Chromosomen zugeteilt erhält, bleibt die Ausgangszahl von vier Kernschleifen erhalten. ]
) Hierher gehört die Spirochseta 'pallida, der Erreger der Syphillis (Abb. 164). ) Von griech. chroma = Farbe und soma = Körper.
2
6
Die Zelle und ihre Leistungen
Da jede Tierart eine für sie bezeichnende Zahl von Kernschleifen besitzt, spricht man von dem Gesetz der zahlenmäßigen Artbeständigkeit (Artkonstanz) der Chromosomen. Die Vorgänge bei der indirekten Kernteilung sorgen also dafür, daß dieses Gesetz eingehalten wird 1 ).
Die gewöhnlichen Körperzellen der Vielzeller vermehren sich stets unter gleichzeitiger Längsteilung der Kernschleifen. Aber auch deren Geschlechtszellen, die nach ihrem gestaltlichen Wert Zellen sind wie andere auch, unterliegen bis zu einem gewissen Zeitpunkt dem gleichen Vorgang, nämlich so lange, bis durch fortlaufende Vermehrungsteilungen eine hinreichende Menge von Urgeschlechtszellen vorhanden ist, deren jede mit der für sie zuständigen Zahl von Chromosomen ausgerüstet ist. Darm aber beginnen Bei der Mitose werden unterschieden: Pro-, Meia-, Ana- und Telophase.
7
Reiflingsteilung 4. Die Reifungsteilungen der Geschlechtszellen
Die männliche liefert eine
Urgeschlechtszelle
0
Vorsamenzelle I. Ordnung1)
Θ
Die weibliche Urgeschlechtszelle liefert ein Vorei I. Ordnung2).
Ergebnis
2 Vorsamen-der
-
zeilenEßrdngimj
2 Voreier
tReifeteilung —> (Π") Ergebnis »J IReifeteilung
A
U.Ordng
W
- (V) © © © 1 reifes Ei 3 Richtungskörper
Greife Samenzellen 1
2
3
4
4
a bb. 4. Sih^mx dsr Reifungjtsilungin der — a m ärmlich 3n, —b weiblichen Geschlechtszellen. Im Beispiel nehmen wir an, daß die Kerne der Urgeschlechtszellen vier Chromosomen besitzen. Die Reifung der männlichen Geschlechtszellen setzt damit ein, daß jede Vorsamenzelle I. Ordnung durch die 1. Reifeteilung, die wie eine gewöhnliche Zellteilung verläuft (siehe Abb. 3), in zwei gleichgroße VorSamenzellen II. Ordnung zerfällt, deren jede noch vifer Kernschleifen enthält (Abb. 4a). Beim nächsten Teilungsschritt, der als 2. Reifeteilung bezeichnet wird, teilt sich jede Vorsamenzelle II. Ordnung in zwei gleichgroße Zellen, deren jede nur zwei Kernschleifen aufweist, d. h. die Längsteilung der Chromosomen ist unterblieben, und die Kernschleifen sind als ungeteilte Gebilde in gleicher Anzahl, nämlich, zu je zwei, auf die Tochterzellen verteilt worden. Die jetzt vorhandenen vier gleichwertigen Gebilde wandeln sich schließlich in vier reife Samenzellen (Samenfäden) um, jede mit dem Material iür zwei Chromosomen ausgestattet. Die 1. Reifeteilung wird als Gleichheitsteilung (Äquationsteilung) bezeichnet, weil jede Tochterzelle die ursprüngliche Chromosomenzahl erhält. Die 2. Reifeteilung heißt Rückbildungsteilung (Reduktionsteilung, Meiosis), weil während ihres Verlaufes die Zahl der Chromosomen gehälftet wird. Die Reifung der weiblichen Geschlechtszellen läuft der der männlichen in den 2)
= =
Spermatocyte. Ovocyte.
8
Die Zelle und ihre Leistungen
Grundzügen parallel. Das weibliche Vorei I.Ordnung (Abb. 4b) liefert durch Gleichheitsteilung zwei Voreier II. Ordnung mit je vier Chromosomen, jedoch erhält nur eine Tochterzelle, nämlich das zukünftige Ei, die Hauptmasse des Körperplasmas. Die kleinere Tochterzelle, die der größeren dicht anliegt 1 ), heißt 1. Richtungskörper (Polzelle). I m Verlauf der 2. Reifeteilung schnürt das Vorei einen 2. Richtungskörper ab, während sich oft der 1. Richtungskörper gleichfalls teilt, so daß nun vier Teilungszellen mit je zwei Kernschleifen vorhanden sind. Jedoch haben wir nur in der einen großen Zelle das Reifet vor uns. Die drei kleinen Richtungskörper besitzen für das weitere Geschehen keinerlei Wert. Sie gehen zu Grunde. I m männlichen Geschlecht entstehen also aus einer Vorsamenzelle I. Ordnung vier gleichwertige, leistungsfähige Samenzellen. Das Vorei I. Ordnung ergibt dagegen nur ein reifes Ei und drei rückgebildete Eier. Dieser Vorgang wird verständlich, wenn man bedenkt, daß das Ei aus sich das zukünftige Lebewesen hervorgehen läßt. Es braucht daher eine möglichst große Menge Plasma. Die Reifeteilungen können in beiden Geschlechtern auch in umgekehrter Reihenfolge verlaufen, so daß zuerst die Rückbildungsteilung auftritt, auf die dann die Gleichheitsteilung erfolgt. Das Wesen der Reifung der Geschlechtszellen besteht darin, daß in beiden Geschlechtern durch die Rückbildungsteilung die Zahl der Chromosomen gehälftet wird. 5. Die Befruchtung Wenn bei der Befruchtung der Kopf eines Samenfadens in das Ei eindringt (Abb. 5b), so bringt er die Hälfte der für die Art eigentümlichen Chromosomen mit. Da das Ei gleichfalls die halbe Zahl der Kernschleifen besitzt, in unserem Beispiel zwei Chromosomen, so enthält das befruchtete Ei wieder die für die Art bezeichnende Summe der Kernschleifen, und das Gesetz von der zahlenmäßigen Artbeständigkeit der Chromosomen (siehe S. 6) wird gewahrt. Bei der Befruchtung dringt nur ein einziger beweglicher Samenfaden, der aus ,Kopf, Zwischenstück und Schwanz besteht (Abb. 5a) an einer meist vorgebildeten Stelle des Eies, dem Befruchtungshügel, ein und zwar so, daß der Schwanz außerhalb des Eies bleibt und nur Kopf und Zwischenstück des Samenfadens in das Eiplasma gelangen (Abb. 5b). Sofort bildet das Ei eine Hülle (Abb. 5b), um das Eindringen weiterer Samenzellen zu verhindern. J e t z t quillt der Kopf des Samenfadens auf und wandert auf den Kern der Eizelle zu. Aus dem Zwischenstück des Samenfadens ist das Zentralkörperchen frei geworden, das mit der Ausbildung einer Plasmastrahlung beginnt 2 ). Bald hat der männliche K e r n die Größe des weiblichen erreicht. Beide liegen dicht nebeneinander. Man spricht jetzt von einem weiblichen und einem männlichen Vor- oder Halbkern. I n jedem Halbkern hat sich die Hälfte der für die Art beständigen Chromosomenzahl herausgebildet, in unserem Beispiel sind es je zwei Kernschleifen (Abb. 5c). Nachdem sich die Kernhäutchen aufgelöst haben, der Zentralkörper je einen seiner beiden Teilstücke an die Pole der Eizelle 1
) In der Abb. 4b sind beide Zellen getrennt voneinander gezeichnet, um den Vorgang besser mit der Reifung der männlichen Geschlechtszellen vergleichen zu können. Das gleiche gilt auch für die übrigen Eichtungskörper. 2 ) Das Ei besitzt kein Zentralkörperchen.
9
Befruchtung
geschickt und sich die Kernspindel ausgebildet hat, sehen wir vier Chromosomen in der Äquatorebene des kugeligen Eies angeordnet, und zwar stammen zwei von ihnen von der Mutter und zwei vom Vater (Abb. 5d).
c*
ö
Abb. 5. Schema der Befruchtung. : —a Ei mit Eihügel und Samenfaden (K Kopf, Ζ Zwischenstück, S Schwanz) undmit $ weiblichem Halbkern;— Kern des Samenfadenkopfes quillt auf, Zk Zentralkörperchen; — c $ weiblicher, Q männlicher Vorkern mit je zwei Chromosomen; — d die vier Chromosomen, 2 vom 2 vom 5 stammend, haben sich in der Äquatorebene des Eies angeordnet. — Mütterliche Anteile weiß, väterliche schwarz (weiteres siehe Text).
Das Wesen der Befruchtung besteht also in der Vereinigung eines weiblichen und eines männlichen Halbkernes, deren jeder die Hälfte der artbeständigen Kernschleifen mitbringt. Während weibliche und männliche Geschlechtszellen im Hinblick auf ihre Plasmamengen verschieden sind (die Samenzelle besitzt nur verschwindend wenig Körperplasma), stimmen beide in bezug auf die Zahl ihrer Chromosomen überein. Wenn die Kernschleifen gestaltlich voneinander verschieden sind, was sehr häufig der Fall ist, so erkennt man (Abb. 6), Abb. 6. daß z.B. einem hakenförmigen Chromosom des weib- Schema einer Kernschleifengarnitui· aus paarweise lichen Vorkernes ein ebenso gestaltetes Chromosom des angeordneten, unter sich männlichen Vorkernes entspricht. Die Kernschleifen treten verschieden gestalteten demnach in der befruchteten Eizelle paarweise auf1). Der Chromosomen, je 1 Paarling jedes Paares stammt vollständige Chromosomensatz besteht je nach der Tier- vom Vater, der andere art also aus 2, 4, 6, 8 usw. Kernschleifen, oder anders von der Mutter. ausgedrückt, aus 1, 2, 3, 4 usw. Paaren von Kernschleifen. J e ein Paarling eines Paares stammt vom „Vater", der andere von der „Mutter".
«ff^fj:
J
) Ausnahme: Geschlechtschrcmosomen (s. S. 19).
10
Die Zelle und ihre Leistungen
Die reifen Geschlechtszellen besitzen nur die halbe „Chromosomengarnitur", bei der Befruchtung wird der volle „Chromosomensatz" erreicht. Die Halbzahl der Kernschleifen bezeichnet man als haploid1), die Ganzzahl als diploid2). Die befruchtete Eizelle hat die Fähigkeit zur Entwicklung, d. h. sie läßt aus sich das fertige Tier direkt oder auf verschlungenen Umwegen hervorgehen (siehe S. 24 u. 120). Die Entwicklung des Eies geschieht durch fortlaufende Teilungen, deren jede nach dem Beispiel der gewöhnlichen Zellteilung (siehe Abb. 3) verläuft. 6. Die Vererbung Unter Vererbung versteht man die Übertragung der Anlagen der Eltern auf ihre Nachkommen. Da das befruchtete Ei die körperliche Grundlage für das gesamte aus ihm hervorgehende Lebewesen ist, so müssen die Wurzeln der Vererbung aller Anlagen in diesem Ei gesucht werden. Dadurch wird die Vererbung zu einer Leistung der Zelle. Wir wissen, daß die befruchtete Eizelle im wesentlichen aus Plasma und Kern besteht. Folglich kommen diese beiden Bildungen als Träger des gesamten Erbgutes, des Idiotypus3), in Frage. Zunächst ist zu betonen, daß nicht die Eigenschaften selbst, sondern deren A nlagen vererbt werden. Diese müssen nun entweder an den Kern oder das Eiplasma gebunden sein. I. Vererbung durch den Kern. Ist der Kern Träger der Vererbung, so haben wir in den Chromosomen die stofflichen Grundlagen für die Erbanlagen vor Augen. Nur in diesem Falle kann eine Erbanlage als Erbfaktor oder Gen*) bezeichnet werden. Die Gene sind nicht wahllos über die einzelnen Kernschleifen verteilt, sondern Abb. 7. a Teil einer Kernschleife an feinste Bauteile der Chromosomen gebunden. Beim ruhenden Kern. Auf sonders an Riesenkernschleifen in den Speicheldrüsen einem Fädchen (Chromo- von Stechmücken erkennt man den Feinbau der Chronema) sind Chromatinbröckchen (Chromome- mosomen. Jede Kernschleife setzt sich hier aus zahlren) aufgereiht. — bTeil reichen gedrehten Fädchen, den Chromonemen, zusameiner Riesenkernschleife men5) (Abb. 7b), auf die Chromatinbröckchen, die Chroaus zahlreichen Fädchen 6 bestehend, auf die Chro- momeren ), in bestimmten Abständen aufgereiht sind. momeren aufgereiht sind. In den Kernschleifen anderer Zellen sind nur ein bis zwei Fädchen (Chromoneme) mit perlschnurartig angeordneten Chromomeren vorhanden (Abb. 7 a). Nach Ansicht der Genetiker, die die Chromosonentheorie der Vererbung vertreten, sind in diesen Chromomeren die Gene lokalisiert, und zwar sind bestimmte Gene an bestimmte Chromomeren gebunden, so daß in jeder Kernschleife die Erbfaktoren in einer festgelegten Reihe, entsprechend der Chromomerenanordnung, liegen. Da alle. Kernschleifen, Von griech. haplöos = einfach. Von griech. dipldos = doppelt. Von griech. idios = besonders und typos = Gepräge. Von lat. gSnere = erzeugen. Einzahl „das Chromonema". ) Von griech. chroma = Farbe und mSros = Teil.
2 ) 3 ) 4 ) 6 ) 6
11
Vererbung
auch wenn sie vorübergehend (siehe S. 5) in vielen Fällen im Zellkern nicht sichtbar sind, sich niemals auflösen, sondern auch dann stets als vorübergehend auseinander gezogener Verband bestehen bleiben*), so sind die Gene gleichfalls in einer ganz bestimmten Reihenfolge im
Abb. 8. Teil eines Kernschleifenpaares (schematisch). Im väterlichen (v) und mütterlichen (m)
Chromosom angeordnet.JedeKem-
Chromosom liegen entsprechende Chromomeren
schleife hat somit ihre festgelegte
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1112 V — #··~φ'·#>·#·-·—φ······φ»-φ·-.φ..φ.. # .. —#···£•-#-·#···—φ—••·φ·-·φ...φ..φ.·*.irrW1y f 1 Z j J 6 8 8 ' ^ ' 10 11 12
einander gegenüber.
Erbfracht. Da nun gleichartige Chromosomen im befruchteten Ei immer paarweise auftreten, und da der eine Paarling von der Mutter, der andere aber vom Vater stammt (siehe S. 12), so tritt jedes Gen do-ppelt auf. In den Kernschleifenpaaren liegen entsprechende väterliche und mütterliche Gene einander gegenüber (Abb. 8). Infolgedessen erhält ein Lebewesen für jedes Merkmal eine doppelte Anlage, einmal vom Vater und einmal von der Mutter. An sich genügt eine einfache (haploide) Garnitur von Anlagen zur Ausbildung eines vollkommenen Tieres. Man hat u. a. unbefruchtete Froscheier künstlich zur Entwicklung gebracht. Der daraus entstandene Frosch war daher rein mütterlicher Herkunft. Manche Tiere legen Eier, die sich von Natur aus regelmäßig. ohne Befruchtung entwickeln. Das ist ζ. B. bei der Honigbiene der Fall, bei der die Drohnen aus unbefruchteten Eiern entstehen, d. h. sie entwickeln sich aus Eiern, die nur die haploide Zahl der Chromosomen und somit auch nur ein einziges Gen für jedes Merkmal besitzen. Die Summe aller Anlagen (Gene), die im Zusammenspiel mit den Einflüssen der Außenwelt zur Gestaltung eines Lebewesens führen, nennt man Erbbild oder Genotypus2), die Summe der sichtbar gewordenen Eigenschäften wird als Erscheinungsbild oder Phänotypus3) bezeichnet. Da die Gene an die Kernschleifen gebunden sind, müssen sie deren Schicksal unterworfen sein. Die Anlagen werden daher mit den ihnen zugeordneten Chromosomen bei den Rückbildungsteilungen der Geschlechtszellen (siehe S. 7). voneinader getrennt, und zwar erhält jede reife Ei- und Samenzelle von jedem Genpaar entweder nur das mütterliche oder das väterliche Gen. Es ist dem Zufall überlassen, ob das mütterliche oder väterliche Chromosom mit seinen Genen nach diesem oder jenem Pol der Teilungsspindel rückt (Abb. 9). Man sagt, die elterlichen Anteile werden bei der Rückbildungsteilung in den reifenden Geschlechtszellen frei kombiniert4). Dieser Vorgang spielt sich in den weiblichen und männlichen Zellen ab, so daß später bei der Befruchtung (siehe Abb. 5) die väterlichen und mütterlichen Gene durch die Vereinigung der Halbkerne in verschiedener Weise wieder zusammentreten können. x)
2) 3)
4)
Man spricht daher von der Individualität der Chromosomen. Von lat. genere = erzeugen und griech. typo-s = Gepräge. Von griech. phaino = ich komme zum Vorschein und typos = Gepräge. = zusammengestellt.
12
Die Zelle und ihre Leistungen
So lange sich die Eltern in wesentlichen Merkmalen nicht unterscheiden, läßt sich im Hinblick auf das Verhalten der einzelnen Erbanlagen im Erbgang nichts erkennen. Sobald aber in bezug auf eine Eigenschaft, ζ. B. Farbe oder Form, die Eltern voneinander verschieden sind, läßt sich durch Kreuzung oder Bastardierung die Vererbung der Anlagen für bestimmte Eigenschaften verfolgen. Die Mendelschen Gesetze. Die Gesetzlichkeiten, die der Vererbung bei Kreuzung von Eltern zugrunde liegen, die sich in mindestens einem Merkmal unterscheiden, wurden 1 8 6 4 von dem Brünner Augustinermönch GREGOR M E N D E L an
%
Vit
%
V*
Abb. 9. Das Auseinanderweichen der väterlichen und mütterlichen Kernschleifen und somit auch der ihnen zugeordneten Erbanlagen während der Rückbildungsteilung (Reduktionsteilung) der Geschlechtszellen. Bei zwei Chromosomenpaaren kann die paarige Anordnung der Schleifen in der Äquatorialebene vor der. Furchung auf zweierlei Weise erfolgen. Welcher Paarling dabei „oben" oder „unten" zu liegen kommt, ist dem Zufall überlassen. Das Ergebnis der Rückbildungsteilung besteht bei zwei Chromosomenpaaren in vier Möglichkeiten der freien Kombination der Gene in den reifen Geschlechtszellen des Kindes. Jede reife Geschlechtszelle enthält von jedem Genpaar nur ein väterliches oder mütterliches Gen.
Pflanzen entwickelt. Ihm zu Ehren heißt die Vererbungsforschung, der die Chromosomentheorie der Vererbung zugrunde liegt, Mendelismus. Man spricht von Medelschen Erbanlagen oder Genen und sagt, daß ein Merkmal mendelt, wenn es den Mendelschen Gesetzen im Erbgang gehorcht. Die Mendelschen Gesetze gelten nur, wenn als Elternpaar Vertreter reiner Rassen verwendet werden, d. h. wenn sie in bezug auf das zu untersuchende Merkmal reinerbig oder homozygot1) (gleichgepaart) sind. Die befruchtete Eizelle hat in diesem Falle vom Vater und von der Mutter die gleiche Erbanlage erhalten. Weisen die Eltern aber Verschiedenheit im Hinblick auf die Erbanlage für eine bestimmte J)
Von griech. homös = gleich und Zygote = befruchtete Eizelle.
13
Vererbung
Fi
F2
F3
aa
a a
α ο
Abb. 10. Kreuzung mit 1 Merkmalspaar (monohybride Kreuzung) mit mittlerem^ intermediärem) Erbgang. Hühner, Merkmalspaar: schwarzes Gefieder Α und weißes Gefieder a. AA diploide Erbformel für das reinerbige schwarze, aa für das reinerbige weiße, Aa für das mischerbig gesprenkelte Tier, Α und a haploide Erbformel für die reifen Geschlechtszellen. Aufspaltung der gesprenkelten Bastarde stets im Verhältnis 25% zu 50% zu 2 5 % .
14
Die Zelle und ihre Leistungen
Eigenschaft auf, so entsteht bei der Befruchtung ein mischerbiges (spalterbiges) oder heterozygotes1) Wesen. Vorbedingungen für die Gültigkeit der Mendelschen Gesetze ist ferner, daß die Kreuzungsprodukte reinerbiger Eltern durch Inzucht weiter fortgepflanzt werden. Die zur Bastardierung verwendeten, sich also mindestens in einem Merkmal unterscheidenden, reinrassigen Eltern bezeichnet man als P-Generation (Parentalgeneration 2 ). Die von ihr gelieferten Bastarde stellen die FyGeneration (1. Filialgeneration 3 ) dar. Durch Kreuzung der Angehörigen der P r Generation unter sich erhält man die FyGeneration. Durch weitere Inzucht entstehen die P 3 -, P - G e n e ration usw. (Abb. 10 u. 11). Bastardiert man ein Tier der P-Generation mit einem Elterntier, so erhält man eine Rückkreuzung R. Wenn sich die Tiere der P-Generation nur in einem Merkmalspaar (Genpaar) unterscheiden, z.B. in der Gefiederfarbe: schwarzes Männchen u n d weißes Weibchen, oder umgekehrt: weißes Männchen u n d schwarzes Weibchen, so spricht man von einer monohybriden4) Kreuzung (Abb. 10 u. 11). Sind die Eltern in zwei Merkmalspaaren voneinander verschieden, so bezeichnet man die mit ihnen vorgenommene Kreuzung als dihybride5). Eine trihybridee) Kreuzung ist eine solche, bei der sich die Ausgangstiere in drei Merkmalspaaren unterscheiden. Die einander gegensätzlichen Gene bezeichnet man mit Buchstabenpaaren, ζ. Β. Α für Schwarzfederigkeit und a f ü r Weißfederigkeit (Abb. 10). Ein reinrassiger schwarzer H a h n hat demnach die Erbformel (diploid) AA, da er sowohl von seinem Vater als auch von seiner Mutter j e ein Gen für schwarze Gefiederfarbe erhalten hat (Abb. 10). Eine reinrassige, weißfederige Henne hat die Erbformel aa aus entsprechenden Gründen. i . Mendelsches Gesetz = UniformitätsgesetKreuzt man in Ρ reinrassige Eltern miteinander, die sich in einem Genf aar voneinander unterscheiden, so sind alle Nachkommen inF1 unter sich gleich {uniform).—Da die männlichen und die weiblichen Geschlechtszellen gleichwertig vererben, muß es gleichgültig sein, ob ζ. B. ein schwarzer H a h n mit einer weißen Henne oder ein weißer Hahn mit einer schwarzen Henne gepaart wird (Abb. 10). Ein reinrassiger schwarzer H a h n kann nur unter sich gleichwertige reife Samenzellen mit der haploiden Genformel Α u n d eine reinrassige weiße Henne nur Eier mit der haploiden Genformel a bilden. Die Bastarde in P j erhalten alle die Erbformel Aa. Sie sind spalterbig u n d phänotypisch sämtlich untereinander gleich (uniform) gezeichnet, nämlich weiß und schwarz gesprenkelt, d. h. sie stehen im Hinblick auf ihre Gefiederfarbe in der Mitte zwischen den Eltern. Man bezeichnet ein solches Verhalten als mittleren oder intermediären1) Erbgang. Kreuzt man eine Gartenschnecke mit ungebändertem Haus mit einer anderen der gleichen Art, die aber ein gebändertes Gehäuse auf weist, (Abb. 11) vorausgesetzt, daß beide sich als reinrassig erwiesen haben, so erhält man in F x nur ungebänderte Gehäuse. Die Mischlinge zeigen phänotypisch das Merkmal des einen 1
) ) а ) 4 ) 5 ) б ) 7 )
2
Von Von Von Von Von Von Von
griech. Mteros = ungleich. lat. parSntes = Eltern. lat. filia = Tochter. griech. mönos = gleich und hybrida = von zweierlei Abkunft. griech. dis = zwei. griech. tri — drei. lat. inter = zwischen und medium = Mitte.
15
Vererbung
Ρ
\
AA
s
a a
Fi
Aa Fz AA 25%
Aa
4
aA
25%
aa
25%
i
25%
AA
AA
AA
aa
AA
α
Aa
aA
aa
AA
Aa
oA
aa
AA
a a
a
«α α Ϊ
a
4-
a
a
Abb. 11. Kreuzung mit 1 Merkmalspaar (monohybride Kreuzung) mit überdeckendem (dominantem) Erbgang. Gärtenschnecke. Merkmalspaar: ungebändertesA und gebändertes a Gehäuse. Α überdeckt a. Aufspaltung der Bastardes stets im Verhältnis 7 5 % : 2 5 % .
Elters1). Dieses Merkmal herrscht also vor, es verdeckt das Gegenmerkmal, und man spricht deshalb von einem überdeckenden oder dominanten2) Erbgang. Das sichtbar gewordene Merkmal wird als vorherrschend {dominant), der nicht zur Auswirkung gelangte Partner als unterdrückt (rezessiv3) bezeichnet. Das vorherrschende Merkmal wird mit einem großen Buchstaben, ζ. Β. A, das unterdrückte mit dem entsprechenden kleinen Buchstaben a gekennzeichnet. ) Man sagt „Der Elter". ) Von lat. dominäri = vorherrschen. 3 ) Von recddere = zurückweichen. J
2
16
Die Zelle und ihre Leistungen
2. Mendelsches Gesetz = Spaltungsgeset^ = Gesetz von der Reinheit der reifen Geschlechtszellen. Kreuzt man die Tiere der Bestardgeneration F1 untereinander, so erhält man in F2 eine Aufspaltung der Nachkommen in einem bestimmten Zahlenverhältnis, wobei die Merkmale der Großeltern wieder rein herausmendeln. Die Zahlenverhältnisse der Spaltung sind verschieden, je nachdem, ob es sich um ein unterdrücktes A a X oder herrschendes Merkmal handelt. a) Beim intermediären (mittleren,) Vererbungsgang A AA Aa (Abb. 10) gleichen in F 2 25 v. H. der Nachkommen dem einen, 25 v. H. dem anderen Großeltern, 50 v. H. den ina aA 0 a termediären Bastarden von F x . Wie aus den Erbformeln (Abb. 10) hervorgeht, sind die den Großeltern gleichenden Abb. IIa. KombinaTiere reinrassig. Züchtet man sie unter sich weiter, so spaltionsquadrat für die ten sie in F2 usw. nicht auf. Sie bilden je eine reine Linie Möglichkeiten des Zusammentretens der von in unserem Beispiel schwarzen und weißen Hühnern. Erbanlagen in F 2 bei Die Mischlinge jedoch spalten, untereinander gepaart, immer einer Kreuzung mit 1 wieder im Zahlenverhältnis 25 v. H.: 25 v. H.: 50 v. H. oder Merkmalspaar. anders ausgedrückt auf. b) Beim dominanten (überdeckenden) Erbgang (Abb. 11) spalten die Nachkommen in F 2 im Zahlenverhältnis 75 v. H. zu 25 v. H. oder zu -J auf. Äußerlich, dem Erscheinungsbild nach, gleichen der Tiere dem einen, dem anderen Großeiter. Züchtet man aber die Schnecken, die das vorherrschende Merkmal zeigen, weiter, so zeigt sich, daß sie in bezug auf ihren Genbestand verschieden sind. Nur von ihnen züchtet in F3 rein weiter, ^ (50 v. H.) erweisen sich als Mischlinge, die immer wieder im Verhältnis 3:1 weiter spalten. Das Beispiel lehrt, daß man von dem Erscheinungsbild nicht ohne weiteres auf die Genbeschaffenheit schließen darf. Im Falle „Schnecke" liegt also nur phänotypisch das Zahlenverhältnis 3:1 vor, genotypisch ist es genau wie im Falle „Hühnerrasse" 1:2:1. Will man bei dominantem Erbgang feststellen, ob ein Tier mit dominantem Merkmal in F 2 rein- oder spalterbig ist, so nimmt man eine Rückkreuzung des fraglichen Tieres mit einem rezessivem Großeiter vor. Abb. 12. Schema der RückIst der Prüfling reinerbig, so ergibt die R-Kreuzung kreuzung eines F2-Mischling5 nur Nachkommen mit dem vorherrschenden Merk(Aa)mitdemrezessivenGroßmal, ist er ein Bastard, so erhält man bei diesem elter (aa) im Falle der Vorh3rrschaft des Merkmals A. Verfahren 50 v. H. rezessiv gleicherbige und 50 v. H. Mischlinge (Abb. 12). Bei den Mischlingen in Fj und F2 gibt es im männlichen und weiblichen Geschlecht zwei Sorten reifer Geschlechtszellen in gleicher Zahl, nämlich 50 v. H. mit dem einen Gen Α und 50 v. H. nur mit dem anderen Gen a der gegensätzlichen Anlagen, durch die sich die reinerbigen Ausgangstiere unterscheiden (Abb. 10 bei F1). Die in den Mischlingen vereinigten Erbanlagen (Aa)1) werden bei der Bildung Ein
solches
Gewpaar
wird
„Allel"
genannt.
17
Vererbung
GG ss / \ Gs Gs_gS X
gg SS / \ gS
4m Ί* Ί*
Fi
GgSs
\ 9 cT
Cs Gg SS
GGSS 6
gs Gg SS
ggss
GG Ss
6g Ss
GG Ss
GgSs
Gg Ss
gg Ss
Gs
95
** GgSs
η
GG ss
X
m gg ss
f^ Gg ss
1 6
s
Gg ss
gg ss
Abb. 13. Kreuzung mit 2 Merkmalspaaren (dihybride Kreuzung), Kaninchen. Merkmalspaare: glatthaarig/angorahaarig u n d : schwarz/weiß = Gg und Ss. In ist glatthaarig dominant über angorahaarig g; schwarz S dominant über weiß s. In F 2 ergibt das Kombinationsviereck 16 Verwirklichungen dei Vereinigungsmöglichkeiten der 4 rj und 4 $ reifen Geschlechtszellen. In der Diagonale die (stärker eingerahmten) 4 doppelt reinerbigen (homozygoten) Tiere. der reifen Geschlechtszellen wieder voneinander getrennt, d. h. gespalten. Daher birgt jede reife Geschlechtszelle von einem Anlagenpaar nur ein Gen, d. h. sie ist immer rein in bezug auf das Merkmalspaar, mit dem experimentiert wird. I m Beispiel Hühnerrasse (Abb. 10) enthält jede reife Geschlechtszelle der Bastarde nur A 2 v. L e n g e r k e n ,
Zoologie
18
Die Zelle und ihre Leistungen
oder a. Daher spricht m a n von dem Gesetz der Reinheit der reifen Geschlechtszellen1). Kreuzt man Aa-Tiere (Bastarde) untereinander, so vereinigen sich die männlichen und weiblichen Geschlechtszellen, die entweder Α oder a besitzen, durchaus zufällig. Es ist dem Spiel des Zufalls überlassen, ob z.B. eine A-Samenzelle sich mit einem A- oder a-Ei bei der Befruchtung vereinigt, jedoch gibt es bei einer Kreuzung mit einem Merkmalspaar nur 4 Möglichkeiten der Vereinigung der Erbanlagen (Abb. 11 a). Diese Möglichkeiten entsprechen den Verwirklichungen im Falle „Hühnerrasse" und „Schnecke" (Abb. 10 u. 11 F 2 ). Schon aus den bisherigen Darlegungen geht hervor, daß die Erbanlagen bei Bastardierungen selbständig bleiben, frei kombiniert werden und sich unabhängig voneinander vererben.
3. Mendelsches Gesetz — Gesetz
von
der freien Kombination der Gene =
Unabhängigkeitsgesetz. Kreuzt man reine Rassen, die sich in mehreren Merkmalspaaren voneinander unterscheiden, so werden die Gene frei kombiniert und die einzelnen Erbanlagen unabhängig voneinander vererbt. Eine Kreuzung mit 2 Merkmalspaaren (dihybride Kreuzung) bei gewissen Kaninchenrassen ergibt die in Abb. 13 dargestellten Verhältnisse. Die zwei Merkmalspaare sind hier: Glatthaarig (G) und angorahaarig (g) sowie schwarz (S) und weiß (s). Die reinerbigen Eltern haben die Erbformel GGss und ggSS. Sie bilden die reifen Geschlechtszellen Gs und gS. Die Bastarde in F j sind doppelt-spälterbig GgSs. Da glatthaarig G und schwarz vorherrschend sind, müssen alle Bastarde in F x schwarz und glatthaarig (Uniformitätsgesetz) sein. Bei der Reifung der Geschlechtszellen von F x werden G von g und S von s getrennt und in den reifen Geschlechtszellen frei kombiniert. Es entstehen im £ und im ? 2 ) Geschlecht je 4 Sorten von Geschlechtszellen mit den Erbformeln: GS, gS, und Gs und gs. Die dem Zufall überlassene Vereinigung der verschiedenen Geschlechtszellen ergibt in F 2 4 χ 4 = 16 Möglichkeiten der Verwirklichung, (d. h. die Nachkommen von F 1 spalten in F 2 auf (Spaltungsgesetz) und jede Anlage wird unabhängig von allen anderen vererbt. Aus dem Kombinationsviereck (Abb. 13) kann abgelesen werden, daß das Zahlen Verhältnis von schwarz: weiß = 12:4 = 3:1 ist, und daß glatthaarig: angorahaarig sich verhält wie 12:4 = 3:1. Jedes der beiden dominanten Merkmale vererbt sich also einzeln für sich wie im Falle „Schnecke" (s. S. 15). Dem Erbbild (Genotypus) nach sind neun verschiedene Typen vorhanden. Unter ihnen befinden sich vier doppelt reinerbige (in der Diagonale des Vierecks stärker eingerahmt), die als reinrassige Tiere rein weiter gezüchtet werden können, sobald man jedes mit seinesgleichen paart. Unter diesen vier reinrassigen befinden sich zw6i Neuheiten GGSS und ggss. Der Tierhalter ist demnach in der Lage, durch Kombinationszucht neue >Rassen zu erhalten und in einem Nachkommen gegensätzliche Merkmale zu vereinen, die ursprünglich auf zwei Großelterntiere verteilt waren. Man kann für Kreuzungen mit drei und mehreren Merkmalspaaren die möglichen Kombinationen der Erbanlagen im voraus errechnen. Die Bestimmung des Geschlechts als Vererbungserscheinung. Bei vielen Tieren i) = Gameten. Zeiclicn für „männlich" und für „weiblich".
19
Vererbung
befinden sich neben den gewöhnlichen Kernschleifen in den Körper- u n d Keimzellen besonders gestaltete Geschlechtschromosomen, durch die das Geschlecht des zukünftigen Abkömmlings bestimmt wird. Oft sind in den $ Zellen zwei einander gleiche Geschlechtschromosomen vorhanden, die als x-Chromosomen bezeichnet werden, während in den cJ-Zellen nur ein ^-Chromosom angetroffen wird, das mit einem gestaltlich verschiedenen y-Chromosom gepaart sein k a n n (Abb. 14). Dieses y-Chromosom ist bei manchen Tierarten völlig rückgebildet. D a n n h a t das c?-Geschlecht ein Chromosom weniger und somit eine ungerade Zahl von Kernschleifen. Man unterscheidet deswegen einen XYTyfi von einem XO-Typ. H a t das $ xx u n d das ilA l i n t . p r
sirVh
lirirl
mif
ΓΙΑΤΪΊ
Ci^him
.ΤΑΓ1Ρ»Γ
Yon den Organsystcmen und ihren Leistungen
ständige Wurzel schwillt ζ α einem Spinalganglion an, das zahlreiche Spinalganglienzellen birgt, die rein sensible Funktion haben. Die von Sinneszellen oder von freien Nervenendigungen in der Haut aufgenommenen Reize werden als Erregungen durch eine sensible Nervenfaser (Abb. 91) über eine bipolare 1 ) Ganglienzelle in das rückenständige Horn der grauen Masse weitergeleitet. Meist wird die Erregung an eine Schaltnervenzelle weitergegeben, die wiederum an eine im bauchständigen Horn der grauen Masse gelegene motorische Nervenzelle herantritt. Diese entsendet eine motorische Faser zum Erfolgsorgan (ζ. B. Muskel). Eine derartige Leitungsbahn von der Sinneszelle über das Rückenmark zum Erfolgsorgan ist ein einfacher Refhxbogen. Meist sind viele Schaltzellen vorhanden, die zahlreiche Reflexbögen miteinander koppeln. Dadurch, daß einerseits die sensiblen Nervenfasern Ausläufer in das Gehirn senden und daß andererseits von dort motorische Fasern ins Rückenmark zurücklaufen und mit motorischen Nervenzalien in Kontakt treten (Abb. 91), können die Reflexe unter die hemmende oder fördernde Kontrolle des Gehirns gelangen. Reflexe, die nur über das Rückenmark ausgelöst werden, sind beim Menschen vorwiegend nicht vom Willen abhängig, sondern laufen automatisch ab. Vom Willen beeinflußt werden können nur solche Handlungen der Erfolgsorgane, die ihre Antriebe durch Leitungsbahnen erhalten, die über das Gehirn führen.
71
Abb. 92. Ε Eingeweidenervensystem des Menschen, R Rückenmark.
Automatisch ablaufende Handlungen, unbedingte Reflexe, spielen im Leben selbst der höchsten Tiere eine große Rolle. Auch verwickelte Instinkthandlungen, ζ. B. der sozialen Insekten, verlaufen rein automatisch, sie sind erblich festgelegte Reaktionen auf äußere und innere Reize. Höhere Tiere lernen vieles durch Erfahrung und verknüpfen Erlerntes sinngemäß zu „einsichtigen" Handlungen. Ob Tiere ,,Bewußtsein" haben, wissen wir nicht sicher. Das sympathische2) oder Eingeweidenervensystem versorgt die inneren Organe, ζ. B. den Darm, die Blutgefäße, das Herz u. a. und bildet aaf ihnen Nervennetze. Es unterliegt nicht dem Willen. In Gestalt von zwei Grgnzsträngen, die aus sympathischen Ganglien bestehen, die miteinander der Länge nach verbunden sind, liegt es unterhalb dar Wirbalsäule (Abb. 92). Die Stränge stehen durch Nervenäste mit den Spinalnerven in Verbindung. 1) 2)
Nervenzelle mit zwei Neuriten. Vom grieeh. sympathein = mitempfinden.
72
Ernährungssystem
4. Die Stoffwechselorgane I m Organismus werden d a u e r n d Stoffe aufgenommen, ab- u n d u m g e b a u t sowie abgegeben. E s f i n d e t also ein ständiger Stoffwechsel s t a t t . D u r c h Verbrennung (Oxydation, Oxybiose) v o n zugeführten Stoffen gewinnt das Zellplasma die zur E r h a l t u n g des Lebens notwendige Energie. V e r b r a n n t werden K o h l e h y d r a t e , Eiweiße u n d F e t t e . Die hierbei freiwerdende Energie wird in andere Energieformen, hauptsächlich in K ö r p e r w ä r m e u n d Bewegung umgewandelt. E s findet im Organismus d e m n a c h auch ein Energiewechsel s t a t t . W e n n zugeführte Stoffe umgewandelt werden u n d zum A u f b a u des K ö r p e r s Verwendung finden, spricht m a n von Baustoffwechsel·, den Vorgang der V e r b r e n n u n g von Stoffen im K ö r p e r zum Zweck der Gewinnung von Energie f ü r die Arbeit des Organismus n e n n t m a n Betriebsstoffwechsel. Die Leistungen des Stoffwechsels werden vollbracht im Z u s a m m e n w i r k e n des I . Ernährungs-, I I . Atmungs-, I I I . Kreislauf- u n d IV. Ausscheidungssystems. I. Das Ernährungssystem Viele parasitäre Einzeller, ζ. B. Trypanosoma-Arten, nehmen die gelöste N a h r u n g durch die Körperoberfläche auf. A m ö b e n können a n jeder Stelle ihres K ö r p e r s Nahrungsbrocken sich einverleiben u n d m i t Verdauungsbläschen umgeben (Abb. 62 a). Die gelöste N a h r u n g gelangt direkt d u r c h die Bläschen w a n d in den Zelleib. Die Reste werden wieder ausgestoßen. Das Pantoffeltierchen (Paramaecium) besitzt bereits Organellen f ü r die N a h r u n g s a u f n a h m e : Mundfeld v , Zellmund u n d Zellschlund ο
0
Abb. 93. a Bau eines einfachen Schwammes: Ε äußeres, En inneres Blatt, Μ Mesenchym mit Zellen, Ρ Porenkanal, G- Magenraum (Gastrairaum), 0 Auswurfsöffnung (Osculum). Pfeile deuten den Wasserstrom im Körper (nur links eingezeichnet) an. •— b Kragengeißelzellen Κ mit Kragen und Geißeln. N' Nahrungsbrocken werden von den Geißelzellen an Wanderzellen W abgegeben. Ν Nahrungsbläschen, Κ Kern.
Von den Organsystemen und ihren Leistungen
(Abb. 62 b). Im Körper wandernde Verdauungsbläschen sorgen auch hier für die Auswertung der aufgenommenen Algen oder Bakterien, deren Überbleibsel durch einen Zellafter hinausbefördert werden. Die Einzeller verdauen Kohlehydrate, Eiweiße und Fette wie die Vielzeller. Die Einzeller verdauen innerhalb der Zelle ( i n t r a z e l l u l ä r e Verdauung) —· Der gleiche Vorgang spielt sich bei den Schwämmen ab, deren ganzer Körperhohlraum {Gastrairaum1) bei einfachen Formen von Kragengeißelzellen ausgekleidet ist (Abb. 93 a). Diese erzeugen mit ihren Geißeln einen Wasserstrom. Das Wasser dringt durch seitliche Porenkanälchen der Körperwand ein und verläßt den Schwammkörper
73
Abb. 94. Süßwasserpolyp (Längsschnitt, Schema): Ε äußeres, En inneres Blatt, St Stützlamelle, Μ Magen, Md Mund.
durch eine Auswurföffnung 2 ). Die herbeigestrudelte Nahrung klebt außen am Kragen der Geißelzelle fest und gelangt von hier in deren Plasmaleib, um dann an Wanderzellen weitergegeben zu werden, die die Brocken in Verdauungsbläschen einschließen (Abb. 93b). — Die Nesseltiere verschlingen ihre Beute. Der Süßwasserpolyp tötet kleine Krebse mittels der Nesselkapseln, die, zu Batterien vereinigt, besonders in den Fangarmen sitzen. Die Kapsel befindet sich in einer Nesselzelle, enthält eine giftige Flüssigkeit und einen spiralig aufgerollten Schlauch (Abb. 34a). Wird ein feiner Fortsatz der Zelle berührt, so explodiert die Kapsel, und der mit großer Kraft herausgeschleuderte Faden kann den Chitinpanzer der Beute durchschlagen. Der schlauchförmige Körper der Polypen enthält einen einheitlichen Magenraum, der sich in die Fangarme fortsetzt, die den Mund umstellen (Abb. 94). Das innere Blatt (Entoderm) kleidet den Magen in Gestalt einer Schicht von bewimperten Zellen aus, von denen ein Teil als einzellige Drüsen eine verdauende Absonderung auf die Beute ergießt, die auf diese Weise außerhalb der Magenwandzellen vorverdaut wird (extrazelluläre Verdatiung). Dann aber verleiben sich andere Wandzellen die Nahrung ein und verdauen innerhalb eines Nahrungsbläschens nach Art der Amöbe intrazellulär. Reste werden durch den Mund nach außen befördert und die gelösten Nahrungsbestandteile von Zelle zu Zelle weiterverteilt. Die Korallenpolypen haben einen gekammerten Magenraum. Der stiel!) Vom griech. gastSr 2) 0senium,.
= Magen.
Abb. 95. Darmsystem einer Qualle: Μ Magen und Mund. Rd Radialgefäß mit Geschlechtsdrüse, F 1 ( F 2 Fangarmkanäle, R Ringkanal.
74
Ernährungssystem
förmige Magen der. Quallen hängt wie ein Klöppel in der Glockenwö^bung (Abb. 95). Von ihm gehen Radialkanäle aus, die sich in die Fangarme fortsetzen und durch einen Ringkanal miteinander verbunden sind 1 ). Die Nahrung wird besonders von dqn oft sehr zahlreichen Radialkanälen direkt an die Körpergewebe abgegeben. Der Mund befördert die unbrauchbaren Reste wieder nach außen. Das Ernährungssystem der Würmer ist nicht einheitlich. Die meist räuberischen Strudelwürmer und die als Innenparasiten lebenden Saugwürmer haben afterlose Därme, die bei größeren Arten in zahlreiche Blind 7 Schläuche verzweigt sind (Abb. 96). Durch diese reiche Gliederung wird erreicht, daß die Nahrung unmittelbar an alle Teile des Körpers herangebracht werden kann, da dem Darm außer der Verdauung auch der Transport der Nahrung obliegt. Die Bandwürmer sind in hochgradiger Anpassung
Abb. 96. Verästeiter Darm des Großen Leberegels: Μ vorderer Saugnapf mit Mund, Β Bauchsaugnapf.
an die parasitäre Lebensweise im Darm ihrer Wirte durch das gänzliche Fehlen eines Darmes ausgezeichnet. Sie nehmen die Nahrung, von der sie umspült sind, durch die Haut auf. Die gleichfalls oft als Innenparasiten lebenden Fadenwürmer, wie ζ. B . die Spulwürmer, haben dagegen einen durchgehenden Darm mit Mund und After. In der Gruppe der Ringelwürmer ist der Humus und welkende Pflanzenteile verschlingende Regenwurm mit einem gestreckten Darmrohr versehen. Auf den Mund folgen ein Schiundkopf {Pharynx), der Schlund (Oesophagus), ein Kröpf und ein Muskelmagen. Der anschließende Darm weist eine rückenständige Einfaltung zur Vergrößerung der verdauenden Fläche auf. Der medizinische Blutegel verfügt über paarweise angeordnete seitliche Blindsäcke des Darmes, die als Vorratsbehälter für das aufgesogene Blut dienen. Er schneidet mittels.dreier in Y-Form angeordneter Kiefer die Haut des Wirts an und scheidet in die Wunde eine Speicheldrüsenflüssigkeit ab, die durch ein Ferment 2 ) die Gerinnung des Blutes verhindert.
Abb. 97. Darmsystem eines Insektes (Schema): Κ Kopf, S Speicheldrüsen, Kr Kröpf, Μ Muskelmagen, Β Blindschläuche des Mitteldarms Mi, Mg Nierenorgane (Malpighische Gefäße),Ε Enddarm, Α After.
Die Ernährungsverhältnisse der Gliederfüßler sind sehr verschiedenartig. Der Verdauungskanal gliedert sich in der Regel in Vorder-, Mittel- und Enddarm. Der Wasserfloh (Daphnia) strudelt sich die Nahrung (meist KieselSolch ein Darmsystem das gleichzeitig verdaut und die Nahrung transportiert, wird als Gastrovaslculärsystem bezeichnet. 2)
Hirudinin.
Yon den Organsystemen und ihren Leistungen
75
algen) m i t Hilfe der Beine in den Mund, der in einen kurzen Schlund (Vorderdarm) f ü h r t , a n den sich ein gestreckter Mitteldarm a n - . schließt, der als paarige Blindsäcke zwei Anhänge besitzt, die gleichzeitig als Verdauungsdrüsen u n d nahrungsaufsaugende (resorbierende 1 ) Organe dienen. Der kurze E n d d a r m befördert den K o t (Exkremente) aus dem K ö r Abb. 98. Längsschnitt durch per (Abb. 118). D e r F l u ß k r e b s J a ß t die meist den Kopf der Weinbergschnecke (Schema): Μ Mund, Ok Oberkietierische N a h r u n g m i t den Mundgliedmaßen fer, L Lippe, Ζ Zunge mit Reib(1 P a a r Kiefer, 2 P a a r Unterkiefer a n d 3 P a a r platte R, Mh Mundhöhle; daneben Kieferfüße). Die Brocken gelangen in einen Reibplatte stärker vergrößert. kurzen Schlund u n d von dort in einen sackförmigen, geräumigen K a u m a g e n , der kräftige chitinige Z ä h n e e n t h ä l t , die die N a h rung weiter zerkleinern. I n den Mitteldarm sondert eine große, aus zahlreichen Schläuchen zusammengesetzte Verdauungsdrüse ihr Sekret a b (Abb. 119). — E n t sprechend der sehr verschiedenen Ernährungsweise sind die Mundwerkzeuge der Insekten sehr mannigfaltig ausgebildet. E s h a n d e l t sich u m u m g e w a n d e l t e Beinanlagen, die nach B a u u n d Leistung eingeteilt werden in kauende (beißende), ζ. B . K ä f e r , R a u p e n , saugende, ζ. B. Schmetterlinge, leckend-saugende, ζ. B. Bienen u n d stechend-saugende, ζ. B. Wanzen, Stechmücken. Speicheldrüsen sind oft v o r h a n d e n . D e r V o r d e r d a r m gliedert sich vielfach in Kröpf u n d Muskelmagen (Proventrikel), der als K a u - oder S e i h a p p a r a t dient u n d infolgedessen m i t K a u z ä h n e n oder Seihborsten a u s g e s t a t t e t sein k a n n . Der Mitteldarm, die eigentliche S t ä t t e der Verdauung, zeigt oft zahlreiche Blindschläuche, die Verdauungsflüssigkeit liefern.
Abb. 99. Darmsystem (Schema): — a einer Schnecke, — b eines Tintenfisches (Sepia): Μ Mund, S1 Schiundkopf, U Unter-, 0 Oberkiefer, Sch Schlund, S Speicheldrüse, Μ Magen, Β Blindsack desselben mit einmündendem Lebergang, dieser mit bauchspeicheldrüsenartigen Anhängen P, h 1 Mitteldarmdrüse sog. „Leber", L 2 echte Leber, D Darm, Ε Enddarm, A After. x
) Von lat. res orbere = in sich zurückschlucken.
76
Ernährungssystem
An der Grenze zwischen Mittel- und Enddarm münden,zahlenmäßig undartlich sehr verschiedenen, die schlauchförmigen Nieren {Malpighische Gefäße . Der Enddarm, der eine sackartige Enderweiterung aufweisen kann,fördert die Exkremente nach außen (Abb. 97). Manche Insekten erbrechen Magensaft auf die Beute (ζ. B . große Laufkäfer, Fliegenmaden, Larve des Gelbrandes) und saugen den so vor der Mundöffnung (extraintestinal2) vorverdauten
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Unter den Weichtieren sind die Schnecken Verzehrer von tierischer und pflanzlicher Nahrung. Der Mund Abb. 100. Kauapparat eines Seeigels (von der Sohnecken führt in einen Sehlund^ Ä Ä Ä P i S , ^ köpf, der ζ. B . bei der Weinberggesetzte Skelett trägt in der Mitte fünf r a d i ä r angeordnete kräftige Zähne. Schnecke einen chitinigen halbmondförmigen Oberkiefer enthält (Abb. 98), gegen den eine mit einer aus zahlreichen Chitinzähnchen zusammengesetzte Reibplattes) bewegt werden kann, um die Nahrung zu zerraspeln. In den Schiundkopf münden Speicheldrüsen (Abb. 99a). Der Mitteldarm ist zum sackartigen Magen erweitert. Die großen Mitteldarmanhangsdrüsen (unrichtig als,,Leber" bezeichnet) stellen ein Sekret her und resorbieren die Nahrung. Derartige Drüsen münden auch in den Magen der Teichmuschel, die organische Bestandteile durch die Tätigkeit der Flimmern der Mundlappen aufnimmt, um sie durch den kurzen Sehlund in den geräumigen Magen zu befördern, an den sich der in iU cjp Schlingen liegende Darm anschließt, rRä der durch das Herz hindurchgeht. SÖ--R Die Tintenfische (Kopffüßler) erfassen c/V>n C\5vftf> ® e u t e (Fische, Krebse u.a.) mit den Fangarmen und zerkleinern sie η fift mit den hornigen Kiefern (der Unterπ* /'TTrliT (T kiefer greift über den Oberkiefer, \\ (/""""Μ Abb. 99b) sowie mit der Reibplatte C^/^-^^^fhrj des Schiundkopfes. Der langgestreckte Sehlund endet in einen gedrungenen , ^ ^ τ HCT Magen, in dessen Blindsack eine paarige ^ ^ Leber ihr Sekret ergießt. Es handelt ν A ? sich bei den Tintenfischen bereits um Abb. 101. Darmsystem eines Seesterns (von der Bauchseite), Μ Magen, R Radialschlauch mit drüsigen Anhängen, Α After.
Nach einem italienischen Anatomen benannt. 2) = außerhalb des Darmkanals oder praeoral = vor der Mundöffnung. 3) Bädula.
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eine echte Leber (wie bei den Wirbeltieren), d a sie nur als Drüse arbeitet, sich aber a n der A u f s a u g u n g der N a h r u n g nicht beteiligt. Stachelhäuter verschlingen ihre N a h r u n g wie die Seesterne oder zerkleinern sie m i t Hilfe von Z ä h n e n wie viele Seeigel (Abb. 58Z u. 100). Bei Seesternen, die ihren Magen vorstülpen können, k o m m t auch V e r d a u u n g vor der M u n d ö f f n u n g vor. Der D a r m der Seesterne besteht aus einem sackförmigen Magen, von dem 5 , P a a r e m i t drüsigen A n h ä n g e n ausgestattete Blindschläuche in die Arme ausstrahlen (Abb. 101). D e r D a r m der Seeigel ist in Schlingen gelegt (Abb. 58D). Ahnlich wie die Manteltiere strudelt auch das Lanzettfischchen mittels der Flimmerung des Kiemendarmes (Abb. 45 K d ) organische Bröckchen i n den a b gestreckten D a r m , der mit einem After endet. Der Abb. 102. G-iftzahn einer Mitteldarm t r ä g t einen großen drüsigen Blindsack Klapperschlange, — a („Leber"). seitlich, — b im Querschnitt, vergrößert. GiftD a s D a r m s y s t e m der Wirbeltiere unterscheidet sich kanal schwarz. von d e m der meisten Wirbellosen dadurch, d a ß die drüsigen A n h ä n g e : Speicheldrüsen, Leber u n d Bauchspeicheldrüse (Pankreas) sich nicht m e h r a n der A u f s a u g u n g der gelösten N a h r u n g beteiligen, sondern n u r S ä f t e (Sekrete) herstellen, die in den Verdauungsk a n a l gelangen. Die eigentliche Verdauung vollzieht der D a r m . Wir u n t e r scheiden Vorder-, Mittel- u n d Enddarm, die im einzelnen innerhalb der Wirbeltiere Besonderheiten aufweisen. — I m Gegensatz zu den R u n d m ä u l e r n , die mit d e n in Kreisen angeordneten H o r n z ä h n e n der Mundhöhle die H a u t ihrer Wirtstiere anschneiden, u m deren B l u t zu saugen, sind die meisten Fische Schlinger. H ä u f i g verfügen sie über wurzellose, auf den Kiefern oder auf anderen Knochenteilen' der Mundhöhle festgewachsene, oft gewechselte Knochenzähne. Schiundzähne sind nicht selten. D e r Vorderd a r m ist von Kiemenspalten beidseitig durchbrochen (Abb. 122 a) u n d f ü h r t in den nicht immer Abb. 103. Bezahnung des Oberkiefers eines deutlich abgesetztenMagen. W ä h Krokodils. rend Speicheldrüsen fehlen, sind Leber- und Bauchspeicheldrüse als A n h a n g d r ü s e n des Mitteldarms v o r h a n d e n . E i n e Gallenblase fehlt o i t . — Die meisten Lurche verschlingen lebende Tiere, wobei ihnen τι. U . einfache spitze Z ä h n e zum F e s t h a l t e n der B e u t e dienen. Frösche ( R d n a ) •erhäschen kleinere Tiere mittels der aus d e m Maule h e r a u s k l a p p b a r e n klebrigen Zunge. I h r e Larven, K a u l q u a p p e n , zerschäben die N a h r u n g m i t H o r n k i e f e r n u n d hornigen Papillen. Der Schlund geht in den geräumigen Magen über. I n den Mittel•darm entsenden Leber u n d Bauchspeicheldrüse ihre Sekrete. A m E n d d a r m ist eine H a r n b l a s e als Ausstülpung zu erkennen. E s folgt als E r w e i t e r u n g die Kloake, in •dieNieren- u n d Geschlechtsausfuhrgänge einmünden. — Die Kriechtiere verschlingen
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in der Regel ihre meist tierische Beute. Manche Schildkröten leben von Vegetabilien. Die wurzellosen, hakenförmig rückwärts gekrümmten Zähne der Schlangen stehen auf den Kiefern- und Gaumenknochen und „harken" die Beute beim Verschlingen in den Verdauungskanal hinein. Bei den Giftschlangen kommen im Oberkiefer stehende große spitze, mit Giftdrüsen in Verbindung stehende aufrichtbare Giftzähne (Abb. 102) hinzu, durch deren Einwirkung die lebende Beute getötet wird (Blutgift). Die kegelförmigen, zum Kauen ungeeigneten Zähne der Krokodile (Abb. 103) sind in den Kiefern in „Alveolen" befestigt. Die Schildkröten haben einen scharfrandigen Hornschnabel, der an den der Vögel erinnert. Die Darmverhältnisse ähneln denen der Lurche. — Die Vögel verschlingen oder zerkleinern die Nahrung. Ihre Kiefer sind, je nach der Ernährungsweise, mit verschieden gestalteten Hornscheiden (Schnäbeln) umkleidet. Die oft sehr bewegliche Zunge wirkt beim Nahrungs-
Dd Dickdarm, Kl Kloake, R Rectum, W Wurmfortsatz. In die Kloake münden die Η Harn- und die Sa Samenleiter (beim $ der nur linksseitig entwickelte „Legedarm" (Eileiter). — Verdauungsdrüsen: Sp Speicheldrüsen (beim Vogel nicht eingezeichnet), L Leber mit G Gallenblase und Gallengängen, Ρ Bauchspeicheldrüse (Pankreas).
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Abb,105. G-ebißhälfte eines Raubtiers (Wolf): S Schneidezähne, Dentesincisivi, Ε ( F ) Eckzähne (Fangzähne, Dent, canini); es folgen die Backenzähne (Molares, Molaren), von denen zwei zu Reißzähnen R umgestaltet sind. Der Wolf hat in jeder Hälfte des Ober- und Unterkiefers 3 Schneidezähne, 1 Eckzahn sowie oben 6 und unten 7 Backenzähne. Die Zahnformel lautet demnach 3.1.7 3.1.6
erwerb, ζ. B. bei den Spechten, und beim Zerkleinern mit. Der lange Schlund ist vielfach mit einem Kröpf ausgestattet (Abb. 104 a), in dem die Nahrung aufgeweicht wird. Im Kröpf der Taube wird außerdem ein breiiges Sekret zur ersten Atzung der Nestjungen zubereitet. Bei Körnerfressern, ζ. B. Huhn, folgt auf den Drüsenmagen ein mit kräftiger Muskulatur versehener Kaumagen, in dem das Putter unter Mitwirkung von aufgepickten Steinchen zermahlen wird. Der Dünndarm (mit dem Zwölffingerdarm [Duodenum] beginnend) ist lang und geht an der Stelle der Einmündung von oft paarig vorhandenen Blinddärmen in den Dickdarm (Enddarm) über, der sich zu einer Kloake erweitert. Leber und Bauchspeicheldrüse münden in den Dünndarm. Eine Gallenblase ist meist vorhanden 1 ). Speicheldrüsen fehlen einigen Arten, die wässerige Nahrung zu sich nehmer. — Die Säugetiere zerkleinern meist die Nahrung. Hierfür dienen die bewurzelten Zähne, die stammesgeschichtlich von den Hautzähnen der Haie abgeleitet werden und einmaligem Wechsel unterliegen (Milchgebiß und endgültiges Gebiß). In Wechselbeziehung zur Nahrung sind sie sehr verschieden gestaltet. Man unterscheidet Schneide-, Eck- und Backenzähne (Vorbackenzähne und eigentliche Backenzähne 2 ), Abb. 105). Die Schneidezähne sind bei den Nagern zu ständig nachwachsenden, meißeiförmigen Nagezähnen geworden; die Eckzähne sind bei Raubtieren spitze Fangzähne (Abb. 105), bei Schweinen sind sie zu aus dem Maul herausragenden Hauern umgestaltet; bestimmte Backenzähne der Raubtiere besitzen als Reißzähne besonders spitze Grate (Abb. 105). Die Kauflächen der Backenzähne entsprechen in ihrer Gestaltung der Nahrung, hei Fleischfressern sind sie mit Spitzen versehen, bei Pflanzenfressern mit feilenartig angeordneten Schmelzfalten, bei Allesfressern mit Kauhöckern. Die Bartenwale haben keine Zähne, dafür hängen von den Rändern des Oberkiefers brettartige, mit Fransen ausgestattete Hornplatten herunter, die i r ihrer Gesamtheit einen Seihapparat für die planktonische 3 ) Nahrung bilden. Der in den Kiefern eingekeilte Säugetierzahn besteht aus Krone und Wurzel (Abb. 106). Das Zahnbein {Dentin) ist im typischen Fall im Wurzelteil von Zement umkleidet und von einer Wurzelhaut umhüllt. Die Krone wird von sehr' widerstandsfähigem Schmelz geschützt. Das Tauben haben ζ. B. keine Gallenblase. ) Praemolaren und Molaren. 3 ) Plankton = schwebende Kleinlebewelt des Wassers. 2
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Zahnbein birgt die Fulpa, eine mit lebendem Gewebe gefüllte Höhlung, in die Blutgefäße und Nerven hineinziehen. Die bewegliche, muskelreiche Zunge unterstützt den Kauvorgang, formt die Bissen und wirkt beim Schlucken mit. Aus der aufgenommenen Nahrung müssen die Stoffe gewonnen werden, die zum Baustoff- und Betriebsstoffwechsel erforderlich sind, also in der Hauptsache neben Wasssr und Salzen Kohlehydrate, Eiweiße und Fette. Dieses Ziel wird durch die Verdauung erreicht, ein Vorgang, bei dem dievomKörper selbst erzeugten Fermente (= Enzyme) eine wichtige Rolle spielen. Fermente sind Stoffe, durch deren Anwesenheit jeweilig gewisse Bestandteile der Nahrung chemisch gespalten werden, wobei die Fermente selbst in den Spaltungsprodukten nicht nachweisbar sind. Fermente wirken demnach dach Art von Katalysatoren, ein jedes auf einen ganz bestimmten Stoff. Die fermentative Bearbeitung der Nahrung setzt bereits in der Mundhöhle ein, in die paarige Speicheldrüsen (Abb. 104b) als Sekret erhebliche Mengen von wasserhellem Speichel ergießen, der als Ferment das Ptyalin (Speicheldiastase) enthält. Es spaltet Kohlehydrate, d. h. es verwandelt Polysacharide in Monosacharide, unter denen der Traubenzucker ( = Dextrose) das wichtigste ist. Außer dieser Mundverdauung gibt es noch eine Magen- und Mitteldarmverdauung. Die Nahrung gleitet den langen Schlund hinunter und gelangt in den Magen. Er ist ζ. B. beim Menschen und Hund ein einfacher, quergestellter Sacke, bei den Wiederkäuern jedoch bildet der Schlund drei Vormägen: Pansen-, Netz- und Blättermagen (Abb. 107). Die eingespeichelte Pflanzennahrung wird zuerst in den geräumigen Pansen und anschließend in den viel kleineren Netzmagen (Haube) verbracht. In beiden steht die Nahrungsmasse unter dem Abb. 106. Einwurzeliger SäugeEinfluß von Zellulose spaltenden Bakterien. Da tierzahn(Längsschnitt, Schema): den Säugetieren Zellulase, d. h. ein Zellulose Κ Krone, W Wurzel, S Schmelz, Ζ Zahnbein, Ζ t Zement; Ρ Pulpa aufschließendendes Ferment fehlt, ist die Tätigkeit mit Blutgefäßen Β und Nerv Ν ; der Bakterien für die Ausnutzung der Nahrung Kn Kieferknochen. von Bedeutung. Pansen und, Haube können als bakterielle Gärkammern bezeichnet werden 1 ). Von der Haube aus wird der Mageninhalt bissenweise in den Mund erbrochen und wiedergekäut, um dann wieder verschluckt zu werden. Jetzt wandert der Speisebrei in den Blättermagen und schließlich in den Labmagen (Abb. 107), der dem Magen anderer Säugetiere entspricht. Wasser und verflüssigte Bestandteile der Nahrung passieren direkt durch einen Spalt des Schlundes, die Schiundrinne, in den Labmagen. Im Magen der Säuger, der durch einen Ringmuskel, den Pförtner, vom Darm abgeschlossen werden kann, unterscheidet man verschiedene Regionen, die sich je nach Vorkommen und Beschaffenheit der verschiedenen Magendrüsen unterscheiden. Von besonderer Wichtigkeit ist der Magengrund, der FundusdrüsenPanseninfusorien, besonders im Pansen des Weideviehs reichlich vorhanden, sind an der Aufschließung der Zellulose nicht beteiligt.
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abschnitt1). Wie der gesamte Verdauungskanal ist auch der Magen von einer Schleimhaut ausgekleidet. I n ihr erkennt man zahlreiche Magengrübchen, deren jede in eine Drüse führt. Die Fundusdrüsen sind schlauchförmig gestreckte einschichtige Drüsenkörper, deren Wandung aus einzelligen Verdauungsdrüsen besteht, die als Hauptzellen und Belegzellen unterschieden werden (Abb. 108). Die zahlreichen kleineren Hauptzellen liefern die Fermente Pepsin und Lab, die größeren Belegzellen stellen Salzsäure her, die durch winzige Zellenkanäle in den Hohlraum des Drüsenkörpers einfließt. Die Magenverdauung spielt sich in d'er Weise ab, daß die vielen Magendrüsen ihre Säfte in den Magenhohlraum abgeben und daß dann unter
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a Abb. 107. Vierteiliger Magen eines Wiederkäuers — a bei geöffneter Schiundrinne und — b bei geschlossener Schiundrinne: S Schlund, Ρ Pansen, Ν Netzmagen = Haube, Β Blättermagen, L Labmagen, R Schiundrinne. Die Pfeillinien zeigen die Bewegung der Nahrung an. Anwesenheit der Salzsäure durch das Pepsin Eiweißkörper in Albumosen und Peptone gespalten werden; es findet eine Peptonisierung des Eiweißes statt. Das L a b andererseits, daß in besonderen Mengen ζ. B . beim Milchkalb vorkommt, ist ein Gerinnungsferment und fällt aus der Milch das Kasein (Parakasein) aus, das vom Pepsin gespalten werden kann. Bei der Mitteldarmverdauung wird die Spaltung der Kohlehydrate und Eiweiße fortgesetzt und die der F e t t e durchgeführt. Die hierfür erforderlichen Fermente liefert in erster Linie die Bauchspeicheldrüse (das Pankreas), deren Ausführgänge — wie auch die der Leber — in den als Zwölffingerdarm2) bezeichneten vorderen Abschnitt des Dünndarmes der Säuger mündet (Abb. 104b). Das Pankreas spendet: 1. Trypsin, das Eiweißkörper in Ergänzung zur Wirkung des Pepsins gleichfalls Von lat. fündus — Grund, Boden. ) = Duodenum.
2
6 v. L e n g e r k e n ,
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peptonisiert und teilweise schon zu Aminosäuren abbaut; 2. Pankreas-Diastase, die die von der Speicheldiastase begonnene Kohlehydratspaltung in Traubenzucker vollendet, sowie 3. Lipase oder Steapsin für die Zerlegung der Fette in Glyzerin und Fettsäuren. Hierbei findet eine Emulgierung1) des sauren Fettes unter Mitwirkung von Gattenflüssigkeit statt. Die Vorgänge im Mitteldarm verlaufen bei alkalischer Reaktion. Im hinteren Abschnitt des Mitteldarmes, dem auf den Zwölffingerdarm folgenden Dünndarmabschnitt, wird die fermentative Verdauung beendet und zwar durch das von Dünndarmdrüsen gebildete Erepsin, das die von Pepsin und Trypsin hergestellten Album osen und Peptone zu Aminosäuren weiter abbaut. Im Enddarm, nämlich dem Dickdarm und seinem Anhang, dem Blinddarm, findet bakterielle Vergärung der Nahrungsbestandteile statt. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die besondere Länge des Blinddarmes mancher Pflanzenfresser, wie ζ. B. der des Kaninchens und anderer Nager. Der Gesamtdarm von Pflanzenfressern ist oft länger als der der Fleischfresser. So ist ζ. B. bei der Katze Darmlänge 4,5 XT , , . 21 — = — , beim Rind ist dies Verhältnis = — . Abb. 108. Magendrüse Körperlänge 1 1 (Fundusdrüse) eines SäuDurch die Verdauung wird die aufgenommene gers: Μ Magengrübchen, Nahrung chemisch in solche Bestandteile zerlegt, die Κ Drüsenkörper, S BeΗ Hauptzellen, resorbiert, d. h. aufgesogen werden können. Dieser legzellen, Ε Schleimhaut (EpiVorgang spielt sich im Mitteldarm ab. Die den ganzen dermis). Verdauungskanal auskleidende Schleimhaut bildet im Mitteldarm zahlreiche Zotten, die die resorbierende Oberfläche außerordentlich vergrößern. Durch die Tätigkeit der lebenden Darmwandzellen gelangt die gelöste Nahrung in die Körperflüssigkeiten des Organismus, und zwar Kohlehydrate (Traubenzucker) und Eiweißkörper (Aminosäuren) direkt ins Blut, Fette aber in besondere Lymphbahnen, die als Chylusgefäße bezeichnet werden. In jeder DarmCH< zotte verläuft ein dünnes Chylusröhrchen (Abb. 109), das von einem Blutgefäßnetz Abb. 109. Mitteldarmzotten: Ε Darmepithel, Α arterieller, V venöser Anteil des Blutgefäßnetzes, Ch Chylusröhrchen.
Eine Emulsion ist — im Gegensatz zur echten Lösung — eine gleichmäßige Verteilung einer Flüssigkeit in einer anderen.
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Abb. 110. Querschnitt durch einen Leberlappen (Lobus) eines jungen Schweines. Das helle Sechseck ist das zwischenlobuläre Bindegewebe. Ζ Zentralkanal, Vp Ast der Pfortader, Ap Leberarterie, Gl· Gallenhaarröhrchen (Kapillare). Leberbälkchen radiär angeordnet. umgeben ist. Kohlehydrate und Eiweiße werden in diese feinen Bluthaarröhrchen aufgenommen und von ihnen weitergeleitet. Die aus dem Darm kommenden Gefäße vereinigen sich zur Pfortader (Abb. 124), die das mit Nährstoffen beladene Blut in die Leber führt. Die feinen Chylusgefäße schließen sich zu einem größeren Chylusrohr zusammen, das in den großen Lymphgefäßstamm, den sog. Milchbrustgang 1 ) (Abb. 124), einmündet, der seinen Inhalt, eine milchig-weißliche Fettemulsion, in die Große Körperhohl vene ergießt. Die Ρ/ortader bildet in der Leber ein Gefäßnetz, das sich beim Austritt aus dieser Drüse wieder zu einer einheitlichen großen Ader, der Lebervene, vereinigt, die, wie der Milchbrustgang, in die große Körperhohlvene mündet. Auf diese Weise gelangen letzten Endes sämtliche Nährstoffe in das Blut. Die braunrote, mehrlappige Leber ist eine Drüse, die sehr verwickelte chemische Leistungen vollbringt. Sie ist aus sechsseitigen Läppchen (Loben 2 ) zusammengesetzt, die bei jungen Tieren durch deutliche Bindegewebswände voneinander getrennt sind, (Abb. 110) später jedoch dicht aneinander stoßen. Die in die Leber eintretende Pfortader teilt sich in stets dünner werdende Äste auf, die in den bindegewebigen Trennungsschichten verlaufen 3 ) und zahlreiche Seitenästchen in Richtung zur Längsachse der Leberläppchen entsenden. Sie münden in die Zentralvene 4 ), die in *) ) 3) 4) 2
= Düctus thoräcicus. Von grieeh. lobös — Lappen. Venae interlobuläres. Vena centralis.
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der Längsachse eines jeden Läppchens entlang zieht. Durch dieses „Gefäßnetz" werden die Kohlehydrate in die Leberzellen abgegeben, die den Traubenzucker in tierische Stärke umwandeln und als solche (Glykogen) speichern. Das Glykogen wird in dem Augenblick, wo es die Leber wieder verlassen soll, in Traubenzucker zurückverwandelt und vom Blutstrom an die Stellen des Verbrauchs verfrachtet. Die Zentralvenen vereinigen sich zu größeren Gefäßen und bilden die Wurzel zu der schon genannten aus der Leber herausführenden Lebervene (Abb. 124). In den bindegewebigen Trennungsschichten finden sich außerdem noch Arterienäste, die die Leber ernähren (Abb. 110 Ap). Auf einem Querschnitt durch ein Leberläppchen (Abb. 110) erkennt man die radiär nach der Zentralvene hin gerichteten „Leberbälkchen", die aus Drüsenzellen bestehen. Im Innern der Bälkchen verlaufen feinste Kanälchen, die das Sekret der Drüsen, die Gallenflüssigkeit sammeln
Abb. 111. Schema eines Leberläppchens: _ Läppchen (Lobus) gepunktet, Ästclien der Pfortader und Zentralvene sowie Ast der Lebervene weiß; Gallengänge schwarz; Pfeile bezeichnen die Richtung der Flüssigkeitsströmungen, Arterien fortgelassen (siehe Text).
und an größere Gallengänge abgeben, die zwischen den Läppchen neben den interlobularen Venen und Arterien verlaufen, um zu immer größer werdenden Gallengängen zusammengefaßt zu werden (Abb. 111). Sie bilden schließlich den aus der Leber heraustretenden großen Gallengang, der seinen Inhalt, meist über eine Gallenblase, an den Mitteldarm abgibt (Abb. 104). Da die Leber außer den angeführten Leistungen auch noch Harnstoff herstellt· (s. unten), so hat sie folgende Hauptaufgaben: 1. sie erzeugt als Sekret die Gallenflüssigkeit zur Unterstützung der Verdauung, 2. sie speichert Glykogen und 3. sie bildet Harnstoff. Sie ist also ein Drüsen-, Speicherund Entgiftungsorgan. Alle diese Tätigkeiten werden von den Drüsenzellen der Leber ausgeübt.
Das Schicksal der vom Blut an alle Stellen des Verbrauchs transportierten Nahrung ist wie folgt: Kohlehydrate (Traubenzucker) und Fette (Fettsäuren und Glycerine) werden in Betriebsstoffwechsel mit 0 2 restlos zu C0 2 und H 2 0 oxydiert 1 ). Sie sind für den Organismus dem nach eine vollkommene Energiequelle. Eiweiße (Aminosäuren) können' hingegen nicht vollständig verbrannt werden und stellen deshalb eine unvollständige Energiequelle dar. Durch Oxydation der Aminosäuren entstehen Ketosäure und Ammoniak (NH 3 ). Ketosäure wird zu Harnsäure oxydiert, die vorwiegend bei Wirbellosen vorkommt. Ammoniak erfährt durch Kohlendioxyd (C0 2 ) eine Umwandlung (Reduktion) zu Harnstoff, der hauptsächlich (s. oben) in der Leber gebildet wird. Im Verlauf des Baustoffwechsels wird aus Traubenzucker Glykogen hergestellt und in der Leber gespeichert. Aus Glyzerin und Fettsäuren baut der Körper Fette auf. Die Aminosäuren verwendet der Organismus zum Aufbau arteigenen *) Man bezeichnet den Oxydationsvorgang im lebenden Gewebe als Oxybiose.
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Eiweißes. Im Bedarfsfall kann der Körper auch Stoffe umbauen; er stellt dann aus Fetten Kohlehydrate, aus Kohlehydraten Fette und aus Eiweiß Kohlehydrate sowie Fette her. Die unbrauchbaren Reste der Nahrung werden nebst Abfällen des Organismus selbst (ζ. B. abgestoßenen Gewebsfetzen) als Kot 1 ) abgegeben, nachdem im ausleitenden Enddarm eine Eindickung der Masse mittels Wasserentzuges durch die Darmwand erfolgte. Wir können nach dem Dargelegten den Ernährungsvorgang gliedern in: Nahrungsaufnahme, Verdauung, Aufsaugung (Resorption) und Kotentfernung. Außer den eigentlichen Nährstoffen brauchen höhere Tiere Ergänzungsstoffe 2 Vitamine ), organische, von Pflanzen gebildete Stoffe. Sie wirken in geringsten Mengen und können wie die Fermente (s. S. 80) als Katalysatoren aufgefaßt werden. Ihr Fehlen verursacht Mangelkrankheiten (Avitaminosen). Die 13 bisher bekannten Vitamine werden mit großen Buchstaben bezeichnet. Sie sind fett- oder wasserlöslich, chemisch verschieden aufgebaut und werden vom Körper in fertiger Form oder als Vorstufen aufgenommen. Das fettlösliche Vitamin D wirkt antirachitisch, sein Fehlen verursacht die englische Krankheit. Das wasserlösliche Vitamin C hat antiskorbutische Wirkung; seine Abwesenheit ist die Ursache des Skorbuts (s. auch Hormone, S. 98). II. Das Atmungssystem Der tierische Organismus braucht zur Aufrechterhaltung seines Lebens ständig Sauerstoff (0.2). Nur einige Innenparasiten, wie gewisse Eingeweidewürmer (ζ. B. Spulwürmer) machen hiervon eine Ausnahme. Sie werden als anaerobe 3 ) Tiere bezeichnet und gewinnen die erforderliche Energie durch Vergärung von Glykogen. Da bei der Verbrennung im Körper 0 2 verbraucht und andererseits Kohlendioxyd (C0 2 ) erzeugt wird, das für den Organismus schädlich ist, so müssen diese Gase
Μ
Abb. 112. a Fächerlunge einer Spinne: Μ Muskeln, Pfeil = Atemöffnung; im Innern der Höhle Blättchen (Lamellen). — b Tracheenkieme einer Eintagsfliegenlarve: Τ Trachee, Κ Kiemenblättchen mit fein verzweigten Tracheenästchen. J)
= Exkremente. Von lat. vita = Leben und Amin — stickstoffhaltige Verbindung. Da die meisten Vitamine kein Ν enthalten, ist der Name Vitamin an sich unzutreffend. 2)
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ausgetauscht werden. E s findet ein fortlaufender Gaswechsel statt, die Atmung. Sie wird meist durch ein besonderes Atmungssystem besorgt. Der Sauerstoff wird der Luft oder dem Wasser entnommen. I m Wasser kann nur der physikalisch „gelöste", nicht der chemisch gebundene Sauerstoff Verwendung finden. I m einfachsten F a l l findet der Gaswechsel durch die Körperoberfläche statt, ζ. B . bei den Einzellern. Auch den niedrigen Gewebstieren, Schwämmen, Nesseltieren und niederen Würmern, fehlen besondere Atmungsorgane. Viele von ihnen erneuern das zur Atmung notwendige sauerstoffhaltige Wasser durch Flimmer- oder Wimperschlag. Bei im Wasser lebenden Ringelwürmern treten bereits verschieden gestaltete dünnwandige Körpervorstülpungen als Kiemen auf, in die hinein sich feine Blutgefäße verzweigen, so daß ein Gasaustausch durch Osmose 2 ) erfolgen kann. Die Blutflüssigkeit, die wie bei den meisten „Bluttieren" dem Gastransport dient (s. S. 30), enthält beim Regenwurm Hämoglobin (s. S. 30).
Abb. 113. Tracheensystem eines Käfers (vereinfacht).
Während kleinere Krebse nur durch die Haut atmen oder Atmungswasser in den Enddarm aufnehmen, verfügen die meisten größeren Arten über Blutkiemen, die in der Regel an den Beinen sitzen. Die büscheligen Kiemen am Grunde der Gangbeine des Flußkrebses sind jederseits von einer Hautfalte, Kiemendeckel, geschützt. Abgesehen von zahlreichen nur durch die Haut atmenden klein e n Milbenarten, finden sich bei den Spinnen (außer Tracheen) Fächerlungen. Sie bestehen aus Höhlen,
die durch eine enge Öffnung nach außen münden. I m Innern sind dünne, von Blut durchflossene Blättchen wie die B l ä t t e r in einem B u c h übereinandergelagert. Besondere Atemmuskeln können den Luftraum verengen und ausdehnen, so daß Luftbewegung in den Lungen entsteht (Abb. 112a). — Die Tracheenatmer unter den Gliederfüßlern sind durch besondere Atmungsorgane ausgezeichnet, die diese Gruppe den Namen gegeben h a t : die Tracheen. E s sind im einfachsten Falle paarige Röhrchen, die jedes durch eine Öffnung (Stigma) mit der Außenwelt in Verbindung stehen, aber noch kein geschlossenes Röhrensystem bilden, wie wir es bei Insekten antreffen. Das oft mit Luftsäcken ausgestattete Tracheensystem beginnt mit ineist seitlich am Körper in einer Reihe liegenden Atemöffnungen, die entweder völlig offen oder sieb- bzw. reusenartig geschlossen sind. Durch besondere Abklemm Vorrichtungen kann hinter dem Stigma das in den Körper führende Tracheenröhrchen verschlossen werden. Die angenähert senkrecht zur Körperlängsachse in den Körper eindringenden Anfangsröhrchen vereinigen sich zu größeren Längsröhrchen (Abb. 113), von denen wiederum Äste mit feinsten Verzweigungen an alle Teile des Organismus herantreten. Das Tracheensystem steht ausschließlich im Dienst der Atmung. Das Blut (die Haemolymphe) hat am Gaswechsel der Insekten keinen Anteil. Die mit spiralig aufgewundenen Chitinleisten ausgekleideten Tracheen 1 ) Osmose = Stoff Übergang zwischen flüssigen Körpern durch eine sie trennende semipermeable Scheidewand.
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Abb. 114. Atmungseinrichtungen von Weichtieren. — a Lungenschnecke: Μ Mantelhöhle, die gestrichelte Linie bezeichnet ihre Einengung bei der Ausatmung; Hg Bluthaargefäße im Dach der Mantelhöhle, B1 Blutgefäße, V Vorkammer, Κ Kammer des Herzens, Β Herzbeutel, Ν Niere (Nephridium). — b Kiemenschnecke: Ki Kammkieme. — c Muschel: Sch Schale, Bd Schalenband, Mt Mantel, Kl Blattkieme, F Fuß. — d Kopffüßler (Tintenfisch): Ma Mantelfalte; der Pfeil deutet die Richtung des eintretenden frischen Wassers durch die Mantelspalte an, der Trichter Τ ist verschlossen. —d'Atemhöhle geschlossen, Trichter offen; der Pfeil gibt die Richtung des austretenden verbrauchten Wassers an (a und d in Anlehnung an Η e r t e r).
sind elastisch tmd können durch die Atembewegungen vor allem des Hinterleibes zusammengepreßt und erweitert werden. Wasserinsekten müssen sich zeitweilig an die Oberfläche begeben, um in verschiedener Art Luft aufzunehmen. Manche Larven sind durch Tracheenkiemen, Ausstülpungen der Haut an den Seiten des Körpers (gewisse Eintagsfliegen, Abb. 112b) oder Vorstülpungen der Darm wand in den Hohlraum des Enddarmes hinein (Libellen) in der Lage, dauernd unter Wasser zu atmen. — Unter den Weichtieren atmen viele Schnecken durch die Haut oder mittels Blutkiemen, die wegen ihrer Form als Kammkiemen bezeichnet werden. Es sind mit Wimpern ausgestattete Vorstülpungen, deren in zwei Reihen angeordnete „Zinken" außen mit gasaustauschendem Gewebe überzogen und im Innern
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von feinen Blutgefäßen durchzogen werden. Die Kiemen werden meist in der Mantelhöhle angetroffen (Abb. 114b). Das Atemwasser wird durch Wimperbewegung erneuert. Das Dach der Mantelhöhle der Lungenschnecken (ζ. B. der Weinbergschnecke) ist von einem Netz zarter Blutgefäße ausgekleidet. Die Atemluft wird durch Auf- und Abwärtsbewegung des Bodens der Höhle ausgepreßt und eingesogen (Abb. 114a). Die meisten lungenatmenden Wasserschnecken1) streAbb. 115. Atmungsvorgang bei einem ben zeitweilig an die Oberfläche, um die Knochenfisch (Frontalschnitt, Schema). ·—a Einatmung: Mund geöffnet, Atemluft zu erneuern. Die oft aus doppelMundhöhle erweitert, Kiemendeckel geschlossen, Wasser wird durch die ten Wandungen gebildeten, bewimperten und Mundöffnung (Pfeil) eingesogen. — b durchbluteten Blattkiemen der Muscheln werAusatmung: Mund geschlossen,Mund- den ständig von Wasser um- und durchspült höhle verengt, Kiemendeckel ge(Abb. 114c). In die bei verschlossenem Trichöffnet, Wasser ist an den Kiemen vorbeigeströmt und tritt am Hinter- ter geöffnete Mantelspalte der Tintenfische rand der Kiemendeckel (Pfeil) aus. kann beim „Einatmen" Wasser eindringen und an die in der Höhle in Zwei- oder Vierzahl vorhandenen Kammkiemen gelangen (Abb. 114d). Schließt sich die Mantelspalte, so öffnet sich der Trichter, und das verbrauchte Wasser strömt aus (Abb. 114d). — In der Gruppe der Stachelhäuter sind nur bei den Seegurken2) Atmungsorgane in Gestalt von Wasserlungen bekannt, die als paarig, reich verzweigte Gebilde sich von der Kloake aus in den Körper vorstülpen. — Manteltiere und Lanzettfischchen atmen mit Hilfe des Kiemenkorbes, der von feinsten Bluthaarröhrchen durchsetzt ist (Abb. 121). Bei den Wirbeltieren tritt gleichfalls der Vorderdarm in Beziehung zur Atmung. Die von Bögen gestützten Kiemenspalten der Fische sind Durchbrechungen der Wand des Vorderarmes und der Seiten des Körpers. Sie münden entweder frei (Haie) oder werden von einem Kiemendeckel geschützt (Knochenfische). Die zarten, reich durchbluteten Kiemenblättchen (Abb. 122b) sind auf den Bögen so angebracht, daß sie beim Vorbeiströmen des Wassers den Gasaustausch vornehmen können. Knochenfische saugen bei gleichzeitiger Erweiterung der Mundhöhle und bei geschlossenen Kiemendeckeln Wasser mit dem Mund ein (Einatmung, Abb. 115a), schließen dann den Mund, verengen die Mundhöhle, pressen das Wasser an den Kiemen vorbei und lassen es am Hinterrand der abgehobenen Kiemendeckel austreten (Ausatmung, Abb. 115b). In manchen Fällen tritt (Lungenfische) die durch einen Kanal mit der Mundhöhle in Verbindung stehende und mit Blutgefäßen ausgestattete Schwimmblase3) in den Dienst des Gasaustausches. Zusätzliche Hautatmung ist bei Fischen sehr ausgeprägt. Auch die Lurche machen vom Gaswechsel 2)
Ζ. Β Limnäea und Planorbis. Holothürien.
3) Sie dient sonst zur Regelung des spezifischen Körpergewichtes. Dieses wird kleiner, wenn die Blase sich ausdehnt, es wird dagegen größer, sobald sich die Blase zusammenzieht.
Von den Organsystemen und ihren Leistungen
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-P
/
Abb. 116. a Vogellunge (Schema). Aus dem linken Lungenflügel ist ein Stück herausgeschnitten: L Luftröhre, S unterer Kehlkopf (Syrinx), Β Bronchus, rB rückenständiger, bB bauchständiger Bronchus, Ρ Lungenpfeifen, durch Lufthaarröhrchen miteinander verbunden, 1—4 Luftsäcke, Ο Teil des Oberarmknochens. — b Säugetierlunge, Λ Wand des rechten Lungenflügels abgetragen, um die baumartig verästelten Bronchen zu zeigen, β Luftsäckchen, γ dieses gehälftet: das Ende des Luftröhrenbläschens (Bronchiolus) ist mit Flimmergewebe W ausgekleidet, Ρ Plattenepithel des Säckchens, r L rechte Lunge.
durch die H a u t ausgedehnten Gebrauch. So zweigen sich beim Frosch von den Lungenarterien besondere Gefäße ab, die sich in der H a u t verästeln u n d hier C0 2 abgeben. Larven a t m e n mit Hilfe von büscheligen, meist frei am Kopf vorragenden Kiemen. Die Mundhöhle ausgewachsener Lurche ist von einem mit Blutgefäßen versehenen Gewebe ausgekleidet, das Mundhöhlenatmung erlaubt. Die Lungen werden — wie bei sämtlichen lungenatmenden Wirbeltieren — als paarige sackartige Ausstülpungen des Vorderdarms angelegt. I n ihrem Gas austauschenden Gewebe sind feine Verzweigungen von Blutgefäßen ausgebreitet. Innerhalb der Lurche können die Lungen je nach der von ihnen geforderten Leistung verschiedene Entwicklungsstufen erreichen. Manchmal sind sie nur einfache, glattwandige Säcke, in anderen Fällen springen in ihren Hohlraum Wandleisten vor, durch die die atmende Innenfläche der Lungen erheblich vergrößert wird. Die L u f t wird durch die Nasenlöcher eingesogen und durch Pressung mittels des Mundhöhlenbodens „verschluckt". Die nur lungenatmenden Kriechtiere verfügen über bereits stark gekammerte Lungen. Der linke Lungenflügel der Schlangen ist rückgebildet. Die, äußerlich betrachtet, kleinen Lungen der Vögel sind im I n n e r n sehr verwickelt gebaut. Die lange Luftröhre verzweigt sich dort, wo der untere Kehlkopf
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Atmungssystem
{Syrinx1) ausgebildet ist, in die beiden Bronchen2). Sie dringen in die Lungenflügel ein u n d senden rücken- u n d bauchständige Nebenbronchen aus (Abb. 116b), zwischen denen d ü n n e r e Röhren, die Lungenpfeifen (Parabronchen) eingefügt sind. Diese stehen untereinander durch fein verästelte L u f t h a a r r ö h r c h e n in offener Verbindung. D u r c h das so gebildete L u f t r ö h r e n - K a n a l s y s t e m k a n n ein ständiger L u f t s t r o m u n b e h i n d e r t d u r c h die Lungen gehen u n d den Gasaustausch durch Vermittlung der Blutröhrchen (Blutkapillaren) in den zarten Verästelungen der Lungenpfeifen zu großer Vollkommenheit bringen. Einige größere Bronchen enden in paarige Luftsäcke, die als elastische Polster zwischen den inneren Organen liegen u n d a u c h in die H o h l r ä u m e der größeren K n o c h e n dringen (Abb. 116b). Sie speichern A t e m l u f t u n d pressen ihren I n h a l t beim AusatmungsVorgang wie Bläsebälge d u r c h die Lungen. D a das E i n - und A u s a t m e n in der H a u p t s a c h e von den L u f t säcken bewerkstelligt wird, verändern die L u n g e n bei diesem Vorgang ihren U m f a n g nur sehr wenig. Nebön einer verhältnismäßig geringen H a u t a t m u n g wird der Gaswechsel der Säuger hauptsächlich durch hochentwickelte Lungen bewirkt. Die L u f t r ö h r e gabelt sich in zwei Bronchen (Abb. 116a), die sich innerhalb der L u n g e n b a u m a r t i g i m m e r feiner verzweigen. Jedes Ästchen (Bronchiolus) endet blind in ein traubiges, aus p l a t t e n Zellen a u f g e b a u t e s Säckchen (Abb. 116Un
ug
> Nn
Abb. 128. Schema der Nieren der Säugetiere: Α Nierenarterie, W Wunderknäul (Glomerulus), F Flimmertrichter, Κ Kapsel,. Ug Urnierengang, Vn Vor-, Un Ur-,Nn Nachniere (Pro-, Meso- und Metanephros). und leiten sie in den Enddarm, so daß sie mit dem K o t zusammen hinausgeschafft werden können. Die schlauchförmigen „Nieren" der Schnecken u n d Muscheln beginnen in dem .Herzbeutel mit einem Wimpertrichter. Sie münden bei Schnecken meist als unpaare Organe in der Mantelhöhle (Abb. 114a), bei Muscheln paarig in den Kiemenraum (Abb. 114c). Bei Kopffüßlern (Tintenfischen) finden sich drüsige Venenanhänge, die Abbaustoffe aus dem Blut aufnehmen und in paarige Säcke abgeben; diese stehen wieder durch Wimpertrichter mit dem Herzbeutel in offener Verbindung und ergießen, ihren Inhalt in die Mantelhöhle. Bei Stachelhäutern kennt man nur Wanderexkretionszellen. Die segmental verteilten Nierenkanälchen des Lanzettfischchens beginnen mit flimmernde Zellen in der Leibeshöhle und enden im Kiemenraum. Innerhalb der Wirbeltiere unterscheidet man drei Entwicklungsstufen von Nieren. Die nur während der Keimesentwicklung 1 ) arbeitende Vorniere (Pronephros) besteht aus segmentalen Kanälchen mit Flimmertrichtern, denen aufgeknäulte Arterien-Haarröhrchen, Wunderknäule, gegenüberliegen, aus denen sie die Exkrete entnehmen (Abb. 128Vn). Die bei Fischen und Lurchen dauernd tätige Urniere (Mesonephros) zeigt seitliche Fortsetzungen der Nierenkanälchen. Jeder Fortsatz (Abzweigung) endet in eine doppelwandige Kapsel. Diese umschließt ein Wunderknäul (Glomerulus). Die Wimpertrichter können völlig verschwinden, so daß jedes Kanälchen mit einer Kapsel beginnt (Abb. 128 Un). Vor- und Urnierenkanälchen münden ein jedes für sich in den Urnierengang. Die Urniere ist nur beim Keim a
) Embryonal.
Von den Organsystemen und ihren Leistungen
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der Kriechtiere, Vögel und Säuger in Funktion und wird beim fertigen Tier durch die paarigen Nachnieren ersetzt (Abb. 128 Nn). Die Nachniere (Metanephros) ist ein kompakter oder aus Lappen zusammengesetzter, bei Säugern meist bohnenförmiger, rötlicher Körper, der aus Rinde und Mark besteht. I n die Rinde tritt die Nierenarterie ein (Abb. 124, 8), verzweigt sich in ihr und bildet zahlreiche Wunderknäule, deren jedes von einer Kapsel umgeben ist (Abb. 128). Das zuführende Gefäß des Wunderknäuls (Abb. 127 a) hat einen größeren Durchmesser als das ausführende, so daß das zuströmende Blut im Wunderknäul gestaut wird, wodurch der Durchtritt von Wasser aus dem Knaul in den Hohlraum der doppelwandigen Kapsel unterstützt wird. An sie schließt sich ein Harnkanälchen an, das aus einem gewundenen Anfangsteil und einer abund aufsteigenden Schleife besteht, deren Ausleitungsstück mit anderen zusammen in ein Sammelröhrchen ausmündet. Das Mark der Niere besteht im wesentlichen aus Harnkanälchen, deren Öffnungen auf Nierenpapillen liegen, so daß der Harn in das Nierenbecken (Abb. 128) gelangen kann. Ein Harnleiter befördert den Urin bei den Kloakentieren in die von der Kloake gebildete Harnblase, die ζ. B . manchen Vogelarten fehlt. Der Harnbehälter der Säuger ist eine sackartige Auftreibung des Harnleiters, der eine vom After getrennte Ausführöffnung hat. Während das Wasser aus dem Blut von der Kapsel aufgenommen wird, entzieht besonders die Wand des gewundenen Anfangsteiles des Harnkanälchens dem sie umspinnenden Netz des ausführenden Haarröhrchens (Abb. 127 a) Harnstoff, Harn- und Hippursäure. Die Absonderung der Harnflüssigkeit aus dem Blut ist kein rein physikalischer Vorgang im Sinne einer Osmose, sondern ein Ergebnis der auswählenden Tätigkeit der lebenden Zellen, da die Salzkonzentration im Blut höher ist als im Harn und somit das Konzentrationsgefälle für die Harnabscheidung nicht in Anspruch genommen werden kann.
Ε. Fortpflanzung und Geschlechtsorgane Α. Fortpflanzung D a das Einzelwesen sterblich ist, m u ß es N a c h k o m m e n hervorbringen, die das Leben der A r t fortsetzen, d. h. es pflanzt sich fort. Das geschieht auf verschiedene Weise. Man unterscheidet ungeschlechtliche u n d geschlechtliche Fortpflanzung. Die I. ungeschlechtliche Fortpflanzung beruht auf Teilung u n d auf K n o s p u n g . Bei der Teilung der Einzeller geht das Ausgangstier in seinen N a c h k o m m e n auf. Das ist ζ. B. der Fall bei der Amöbe, die sich nach dem Prinzip der Zellvermehrung (s. S. 5) in zwei gleichgroße, später zur Ausgangsgröße heranwachsende Tochterwesen durch Einschnürung teilt (Abb. 2). Das Pantoffeltierchen v e r m e h r t sich durch Querschnürung, u n d Geißeltierchen teilen sich der Länge nach. Die den Teilstücken fehlenden Organellen werden neu gebildet. Vielteilung bewirkt den Zerfall des Einzellers in viele kleine, einander gleiche Teilstücke, wofür das R a t t e n b l u t t r y p a n o s o m a (Abb. 20) u n d der Malariaerreger 1 ) (Abb. 146) Beispiele liefern. Auch u n t e r W ü r m e r n k o m m t Vermehrung durch Querteilung vor, ζ. B. bei gewissen Strudel· u n d Ringelvvürmern. Ferner vermögen Seesterne einzelne Arme abzuspalten, die d a n n aus sich heraus ein ganzes Tier ergänzen (regenerieren). Korallentiere können sich durch Längsteilung vervielfachen. E i n e besondere A r t der Aufteilung von K ö r perbestandteilen ist die Bildung von Brutknospen2), Abb. 129. Süßwasserpolyp besonders bei Süßwasserschwämmen. Bei E i n t r i t t der in Knospung: K x jüngere, ungünstigen Jahreszeit vereinigen sich bestimmte K 2 ältere Knospe. Zellgruppen des Schwammes zu kugeligen, von Schutzhüllen umgebenen Gebilden, die den Winter überdauern, w ä h r e n d der übrige Schwamm abstirbt. Aus ihnen kriecht im F r ü h j a h r ein kleiner Schwamm hervor. Zwischen Teilung u n d Knospung läßt sich keine scharfe Grenze ziehen. D e r Süßwasserpolyp bildet seitliche Vorstülpungen der K ö r p e r w a n d , die sich zu kleinen Polypen entwickeln (Abb. 129), u m sich d a n n abzuschnüren u n d als Einzeltiere weiterzuleben. Gewisse Ringelwürmer des Meeres lassen durch Knospung, v e r b u n d e n m i t Querteilung a m H i n t e r e n d e des K ö r p e r s eine Reihe von J u n g w ü r m e r n entstehen, die sich einzeln ablösen. Als ständige 1
) Bei der Teilung von Plasmodium bleibt ein Restkörper der Zelle übrig.
2
) = Gemmulae.
Fortpflanzung und Geschlechtsorgane
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Knospung, verbunden mit ringförmigen Querdurchschnürungen, ist die Vermehrung des Polypen der Ohrenqualle (Aurelia aurita) aufzufassen. Die jeweilig oberste Scheibe löst sich los und verwandelt sich in eine Quallenform, aus der die endgültige Med Übe hervorgeht (Abb. 148, 4—7). Der Vorgang wird als Strobilation1) bezeichnet. I n den angeführten Beispielen trennen sich die durch Knospung entstandenen Tochterwesen vom Ausgangstier ab und werden selbständig. I n manchen Fällen bleiben die „Ableger" aber mit dem Stammtier und untereinander in organischem Zusammenhang,. und es kommt zur Stock- oder Koloniebildung. Festsitzende Stöcke gleichartiger Individuen gibt es innerhalb der Geißeltiere (Abb. 130). Als freischwimmende Kolonie ist die Flimmerkugel (Volvox) bekannt. Niedere Gewebstiere wie maiiche Schwämme und viele Meerespolypen treten als Stöcke auf (Abb. 131). Die Knospung der Polypen erfolgt entweder seitlich, unterhalb des ältesten Einzeltieres oder von wurzelartigen Ausläufern aus. Die oft sehr umfangreichen Kolonien der Korallen verdanken ihre Entstehung teils Knospungsvorgängen, teils Abb. 130. Kolonie von Geißeltieren (Polyoeca unvollständiger Längsteilang. Die Lebensgemeinschaft dichotoma). im Stock hat oft zur Vielgestaltigkeit (zum Polymorphismus) der Einzelpersonen im Zusammenhang mit Arbeitsteilung geführt. An der freischwimmenden Kolonie der Staatsquallen 2 ) (Abb. 132) unterscheidet man als umgewandelte Polypen: Schwimmblase, Schwimmglocken, Deckstücke, Fangtiere, Freßpolypen und kleine, sich nicht loslösende Medusen als Geschlechtstiere. Freischwimmende Kolonien sind die Ketten (Abb. 133b) der zu den Manteltieren gehörenden Salpen. Die einzelne lebende Salpe besitzt keine Geschlechtsorgane, hat aber am Hinterende einen Knospenzapfen3), der spiralig auswächst (Abb. 133a) und durch regelmäßige Querschnürung in zahlreiche zwittrige Geschlechtstiere zerfällt, deren jedes ein E i liefert, aus dem sich wieder die Einzelsalpe entwickelt. Nicht nur fertig entwickelte Tiere können sich durch Knospung vermehren, sondern auch Larven sind hierzu in der Lage. So erzeugt die bis Kindskopfgröße erreichende, in inneren Organen (ζ. B . Leber) des Menschen und der Haustiere lebende Finne des nur 5 mm langen Hundebandwurms 4 ) [Abb. 134] durchKnospung nach innen und außen Tochter- und Enkelblasen sowie zahlreiche Köpfe der zukünftigen Bandwürmer. Sich ablösendeTochterblasen verhalten sich wie die Abb. 131. Meerespolypenstock: Von griech. ströbos = Gürtel. P x — Ps Polypen, Mk3—Mk2 2) = Medusenknospen. Μ losgelöste Siphonophoren. 3) = Stölo pröliler. Meduse (Qualle), Ps sproßt 4) = aus einem wurzelartigen AusHülsenbandwurm {Taenia echinococcus). [s. läufer des Stockes hervor. S. 149]
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Fortpflanzung
Fr3 —
F—
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Abb. 132. Freischwimmende vielgestaltige (polymorphe) Kolonie einer Staatsqualle. Am Stiel des Ursprungspolypen F r sitzen: S Schwimmblase, G Schwimmglocken, D Deckstücke, Gm Geschlechtstiere (Medusen), F r l — 3 Freßpolypen, F Fangtiere.
Mutterblase (Abb. 134). Die Vermehrung durch Knospung kann sogar in die Zeit des frühen Keimes vorverlegt sein, wie es bei winzigen Schlupfwespen der Fall ist, die in Larven anderer Insekten als Innenparasiten leben. Bei ihnen teilt sich der Embryo in zahlreiche, kugelige Zellhaufen, die man als Knospen des Keimes auffassen darf. Aus jeder Knospe entwickelt sich eine Larve (Abb, 135). Dieses Geschehen nennt man Vielkeimigkeit oder Polyembryonie. Sogar bei Säugetieren, nämlich den Gürteltieren (Abb. 44), ist diese Art ungeschlechtlicher Vermehrung des Keimes noch anzutreffen. Bereits auf früherem Entwicklungszustand zerfällt der Embryo je nach Art in 4 bis 12 Teile, die sämtlich zu Gürteltieren werden. Alle Tiere die sich ungeschlechtlich vermehren, verfügen in ihren Geweben über einen Vorrat an Zellen, deren Schicksal noch nicht einseitig festgelegt ist, und die demnach noch im gleichen Sinne ,,allesvermögend" sind wie die Eizellen. Die Fähigkeit einzelner Teile, aus sich heraus die Ganzheit des Organismus entstehen zu lassen, ist dem Neubildungs- oder Regenerationsvermögen1) nahe verwandt, das für jede Wundheilung von grundlegender Bedeutung ist. So können kernhaltige Zellteile den fehlenden Teil neu bilden, Gewebe erzeugen in Verlust geratene Bezirke. Ganze Körperteile, wie Beine von Spinnen und manchen Insekten, der Schwanz x
) Von lat. regener äre = neubilden.
Fortpflanzung und Geschlechtsorgane
107
zapfen (Stolo prolifer) Kz. — b Zwittrige Kettensalpen: Sf Knospenzapfen. und die Beine von Lurchen sowie der Schwanz der Eidechsen können regeneriert werden. Besonders groß ist die Regenerationsfähigkeit bei Nesseltieren, Strudel- u n d Ringelwürmern. Experimente haben ergeben, daß erstaunlich geringe Anteile, nämlich 1 /200 vom Körper des Süßwasserpolypen u n d 1 /100 des Strudelwurmes Planaria, ein ganzes Tier entwickeln können. Mit steigender Organisationshöhe n i m m t im allgemeinen die Fähigkeit zur Neubildung ab, so daß sie bei den Säugern am geringsten ist. Auf dem Vermögen zu regenerieren beruht die Uberpflanzung oder Transplantation1) von Teilstücken an ein und derselben Person, von einem Tier auf das andere der gleichen Art und v o n einem Tier auf ein zweites von anderer Artzugehörigkeit. Durch Transplantationsversuche a n Keimen von Amphibien h a t m a n aufschlußreiche Ergebnisse in bezug auf die Bedingungen des Verlaufes der Entwicklung des Einzelwesens erzielt. Die II. geschlechtliche Vermehrung beruht ihrem Wesen nach auf der Befruchtung, d. h. auf der Verschmelzung zweier Zellen (Gameten) zu einem einheitlichen Gebilde (Zygote). Bei den Gewebstieren sind die Gameten oder Geschlechtszellen, die von den Elterntieren abgesondert werden, gestaltlich als Ei- und Samenzellen voneinander verschieden. Bei den Einzellern, die bei dem Vorgang der Bildung von Gameten völlig in diese übergehen, sind männliche u n d weibliche Zellen nicht immer zu unterscheiden. Die Vereinigung (Copulation) gleichgestalteter Geschlechtszellen wird als Isogamie2) bezeichnet. Oft aber sind große, unbewegliche weibliche Makrogameten u n d kleine, leicht bewegliche männliche Mikrogameten vorhanden (Abb. 146), u n d m a n sprieht dann von Anisogamie 3 ). Die Herabsetzung der Kernschleifenzahl auf die H ä l f t e verläuft bei der Reifung des Einzellers zu Geschlechtszellen grundsätzlich wie bei den Gewebstieren (s. S. 7). Eine besondere F o r m geschlechtlicher Vermehrung tritt bei Wimpertierchen in Gestalt einer vorüberVon lat. transplant are ~ überpflanzen. Von griech. Isos = gleich und gameo = heiraten. ) Von griech. an = ohne, isos = gleich und gameo •= heiraten.
x ) 2 ) 3
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Fortpflanzung
Abb. 134. Finne-des Hülsenbandwurmes, geöffnet: Η Hülle, Tb Tochterblase, iB innere, äB äußere Tochterblase, Κ Kopf.
gehenden Vereinigung, Konjugation1), auf. Zwei Pantoffeltierchen z . B . legen sich nebeneinander u n d bilden v o n Zellmund zu Zellmund eine Plasmabrücke. W ä h r e n d der Großkern beider P a r t n e r zerfällt, m a c h t der K l e i n k e r n Teilungen d u r c h m i t d e m Ergebnis, d a ß n u r ein Restteil von i h m erhalten bleibt, der sich schließlich in einen männlichen u n d einen weiblichen K e r n spaltet. N u n w a n d e r t durch die P l a s m a b r ü c k e der ^ - K e r n des einen P a r t ners zum anderen Tier hinüber u n d verschmilzt d o r t mit dem ? - K e r n . Der so entstandene Verschmelzungskern teilt sich in Groß- u n d Kleinkern u n d die konjugierenden Tiere trennen sich.
I m Bereich der Vielzeller unterscheidet m a n Getrenntgeschlechtlichkeit, bei der Eier u n d Samen in verschiedenen Individuen gebildet werden, u n d Zwittertum (Hermaphroditismus2), eine Vereinigung beider Geschlechter in einem Individium. Die getrenntgeschlechtliche F o r t p f l a n z u n g besteht nicht immer in zweigeschlechtlicher Vermehrung, in deren Verlauf das Ei b e f r u c h t e t wird. E s gibt auch eingeschlechtliche Vermehrung, die Jungfernzeugung oder Parthenogenese), d. h. es werden entwicklungsfähige Eier bzw. lebende J u n g e ohne voraufgegangene B e f r u c h t u n g erzeugt. Getrenntgeschlechtlich vermehren sich u. a. die Süßwasserschwämme, u n t e r den Nesseltieren die Hydra fusca, viele Medusen u n d Korallen, in der Gruppe der W ü r m e r f a s t alle F a d e n w ü r m e r (ζ. B. Spulwürmer, Trichine), u n t e r den Gliederfüßlern sehr viel K r e b s e u n d fast alle Insekten, von den Weichtieren m a n c h e Schnecken u n d Muscheln, die meisten Stachelhäuter, aus dem S t a m m der Chordatiere das Lanzettfischchen u n d — mit A u s n a h m e weniger in dieser Beziehung abgewandelter Knochenfische u n d Lurche Abb. 135. Vielkeimigkeit(Polyembryonie) einer Schlupfwespe. Der Keim ist in — alle Wirbeltiere. Mit der Getrenntzahlreiche Zellkugeln zerfallen, deren geschlechtlichkeit ist oft die Herausbiljede eine Larve liefert. dung von sekundärenGeschlechtsmerkmalen verbunden (s. auch S. 99), die vielfach einen sehr ausgesprochenen Geschlechtsdimorphismus1) verursachen [ζ. B. Geweih des männlichen Rothirsches, Schwanzfedern u n d K a m m des H a h n e s , H o r n des männlichen Nashornkäfers, Zwergmännchen des grünen Eichel wurm es (Bonellia viridis)]. Eingeschlechtliche Fortpflanzung oder Jungfernzeugung wechselt oft m i t zweigeschlechtlicher ab, ist also m i t Generationswechsel (s. S. 121) v e r b u n d e n . D a s ist Von lat. coniungere = vereinigen. ) Von griech. Hermes und Aphrodite. 3 ) Von griech. parthenos = Jungfrau und genesis = Erzeugung. 4 ) Von griech. dis = zweifach und morphe = Gestalt. 2
Fortpflanzung und Geschlechtsorgane
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ζ. B. bei Rebläusen, Gallwespen und Wasserflöhen der Fall. Die Blattläuse bringen mehrere Generationen hindurch parthenogenetisch lebende J u n g e oder unbefruchtet sich entwickelnde Eier hervor, bis schließlich im Herbst Männchen und Weibeben entstehen. Bei der Reblaus und Blutlaus jedoch unterbleibt in Europa die Entstehung von Männchen. Die Pathenogenese vieler zozialer Hautflügler hat einen besonderen Charakter insofern, als es ζ. B. dem Instinkt der Bienenkönigin anheimgestellt ist, ob sie befruchtete D oder unbefruchtete Eier legt. Läßt sie aus der Samentasche beim Yorbeigleiten des Eies Samen austreten, so wird dieses befruchtet, und es entwickelt sich aus ihm ein Weibchen. Erhält ein Ei keinen Samen, so entsteht aus ihm eine Drohne. Auch die stets unbefruchteten Eier der Arbeiterinnen, die verkümmerte Weibchen sind, ergeben stets Männchen. Die unbefruchteten Eier der Biene haben die Reduktionsteilung (s.S.7) durchlaufen und enthalten nur die halbe (haploide) Kernschleifenzahl. Man spricht daher hier von haploider Parthenogenese. Dieser steht Abb. 136. Zwittertum des kleinen bei anderen Tierarten die difiloide Jungfern- Leberegels: 0 Eierstock, S SchalenD Dotterstock, G Dottergang, zeugung gegenüber, d. h. die Eier unterliegen drüse, Ε Eihalter, Η Hoden, $ weibliche, keiner Rückbildungsteilung, so daß sie die cJ männliche Geschlechtsöffnung, Bs Bauchsaugnapf. volle diploide Chromosomenzahl auf weisen. Ms Mund-, Sk Schiundkopf, S1 Schlund, Dr Darm. Wird die Jungfernzeugung in den Larvenzustand vorverlegt, so spricht man von Paedogenesis1). Bereits in den Wimperlarven des Leberegels (Abb. 149, 5, 6,) erscheinen Eizellen, die ich in den Sporocysten parthenogenetisch zu Redien (oder Cercarien) entwickeln. Die Redien erzeugen in gleicher Weise Schwanzlarven (Cercarien), so daß eine Folge von verschiedenen Larven durch parthenogenetische Larvenvermehrung entsteht. Auch die Larven der Mücke Miastor bringen parthenogenetisch Larven hervor. Normales Zwittertum (Hermaphroditismus) besteht darin, daß männliche und weibliche Gonaden Abb. 137. Teilschnitt durch die als getrennte Organe in einem Tier nebeneinander Zwitterdrüse der Weinbergschnecke (schematisiert): Ei Eizellen, Spj^—Sp* verschie1 ) Yon griech. pais, paidos Kind und genesis dene Entwicklungszustände der Samenzellen (Spermien). = Erzeugung.
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Geschlechtsorgan e
vorkommen oder daß Hoden und Eierstock in einer einzigen Drüse, der Zwitterdrüse vereinigt auftreten. Der kleine Leberegel ζ. B. besitzt zwei Hoden mit je einem Samenleiter, der sich beide zu einem unpaaren Ausführgang vereinigen, der mit der S Geschlechtsöffnung mündet. Außerdem ist ein unpaarer Eierstock vorhanden, dessen Eier in die Schalendrüse gelangen und von dort in den in Schlingen gelegten Eihalter befördert werden, dessen Ausfuhröffnung neben dem ο Geschlechtsporus liegt. (Abb. 136). Die Weinbergschnecke dagegen verfügt über eine Zwitterdrüse, in der Eier und Samen entstehen (Abb. 137). Da bei den Schwämmen meistens Eier und Samen zur gleichen Zeit gebildet werden, kann man sie als Zwitter auffassen. Unter den Süßwasserpolypen ist die grüne Hydra 1 ) zwittrig. Quallen sind selten hermaphroditisch. Die Korallen sind nicht eindeutig festgelegt. So läßt ζ. B. die Edelkoralle an einem Polypen beiderlei Geschlechtszellen entstehen, andererseits sind ganze Stöcke entweder nur männlich oder rein weiblich. Die Plattwürmer sind in der Regel Zwitter, ζ. B. Leberegel (Abb. 136) und Bandwürmer. Diese enthalten in jedem Körperabschnitt (in jeder Proglottide) männliche und weibliche Gonaden, die nacheinander reifen. Desgleichen weisen die Ringelwürmer (s. B. Regenwurm, Blutegel) zwittrige Geschlechtsorgane auf. Nur wenig Gliederfüßler (ζ. B. einige Krebse) und Stachelhäuter zeigen Zwittertum. Weichtiere dagegen sind sehr oft Zwitter. In der Gruppe der Chordatiere sind die Geschlechtsformen der Manteltiere (Abb. 133b) sowie wenige Fische und Lurche Hermaphroditen. Da in der Regel die Geschlechtsprodukte der Zwitter nacheinander reifen, wird vermieden, daß Selbstbefruchtung stattfindet. Meistens tritt das männliche Geschlecht zuerst in den Reifezustand ein. Geschlechtliche Zwischenstufen {Intersexe), verschiedengradige Mischung männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere in einem Individium, sind anormale Erscheinungen und dürfen ebenso wie die Gynander, die im äußersten Fall halbseitig männlich und halbseitig weiblich sein können, nicht mit normalem Zwittertum verwechselt werden. B. Geschlechtsorgane Die Geschlechtszellen werden meistens von besonderen Organen, den Gonaden*), d.h. Hoden3) und Eierstöckeni), geliefert. Im einfachsten Falle aber fehlen die Gonaden, und die Geschlechtszellen entstehen zerstreut, wie ζ. B. bei den Schwämmen, wo sie im Mesenchym (s. Abb. 93M) sich bilden. Die Süßwasserpolypen können zeitweilig im äußeren Blatt (s. Abb. 94 E) des Stieles, unterhalb der Fangarme, Hoden und etwas tiefer in der Wand Eier entstehen lassen, jedoch sind diese „Gonaden" nicht an genau bestimmte Stellen gebunden, wie das bei den Quallen der Fall ist, deren Geschlechtsdrüsen sich vielfach in der Nähe der Radiärkanäle (Abb. 95Rd) herausbilden. In den bisher erwähnten Fällen gelangen die Geschlechtszellen direkt nach außen oder zunächst in Hohlräume des Körpers, von wo aus sie ins Freie befördert werden. Die stets in ganz bestimmten Orten des Leibes angelegten Gonaden 2
Chloroh/ydra, viridissima.
) Von griech. gönos = das Erzeugende. 3 ) = Testikel (Testes). *) = Ovarien (Einzahl: Ovarium).
Fortpflanzung und Geschlechtsorgane
III
Abb. 138. Harngeschlechtssystem der Wirbeltiere. Schematisch. Unpaar dargestellt: — a und b Haifische und Lurche; — c und d Kriechtiere und Vögel; — e und f Säuger. Η Hoden, Uk Urnierenkanälchen, Un Urniere, Ug (Hs) Urnierengang (Harnsamengang), Β Blase, Κ Kloake, Es Eierstock, Ε Ei, F Flimmertrichter, El Eileiter, Nh (Uk) Nebenhoden (Urnierenkanälchen), S (Ug) Samenleiter, (Urnierengang), Nn Nachniere, U Gebärmutter, Υ Scheide, Hl Harnleiter, Sb Samenblase, Ρ Prostatadrüse, R Rute (Penis), A After, Κ Keim, Ge Geschlechtsöffnung (in Anlehnung an K Ü H N ) . der höheren Gewebstiere sind meist m i t . besonderen Α usleitungs Vorrichtungen versehen, die m a n als Samen- bzw. Eileiter bezeichnet. D e r Samen k a n n in einer Yorwölbung des Samenleiters, der Samenblase, gestapelt werden (Abb. 138e). Insekten verfügen über eine sackartige Ausstülpung des Eileiters, die Samentasche 1 ), in dem der bei der B e g a t t u n g empfangene Samen gespeichert wird. Die A u s f ü h r gänge der Gonaden sind mit Anhangsdrüsen ausgestattet, die verschiedene Aufgaben zu erfüllen haben. O f t sind Hilfsorgane f ü r die B e g a t t u n g v o r h a n d e n . D a s männliche Begattungsglied wird als Rute oder Penis, die weibliche A u f n a h m e v o r richtung als Scheide oder Vagina bezeichnet. Bei manchen Tieren t r e t e n die Harnausleitungseinrichtungen in den Dienst der Hinausbeförderung der Geschlechtszellen. Man spricht d a n n v o n einem HarnGeschlechtssystem oder Urogenitalsystem. So werden Samen u n d Eier, die in paarigen Gonaden der Leibeshöhlenwand vieler Körperringe der Ringelwürmer sich bilden, 1
) Eeceptäculum
seminis.
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Geschlechtsorgane
A After Β Blase Ε Ei E l Eileiter Es Eierstock G Geschlechtsöffnung Η Hoden Hl Harnleiter Nh Nebenhoden Nn Nachniere Ρ Prostata R Rute Sb Samenblase S1 Samenleiter U Gebärmutter V Scheide Abb. 138. (Erläuterung nebenstehend. Vergl. S. 111.)
meist von den Flimmertrichtern der gleichfalls paarigen Nephridien (Abb. 117N) aufgenommen und nach außen geleitet. Hiervon machen die Regenwürmer insofern eine Ausnahme, als bei ihnen die Gonaden nur einzelnen Segmenten zukommen und besondere Ausführgänge aufweisen, die allerdings umgewandelte Nephridien sind. Bei manchen Weichtieren gelangen Eier und Samen in den Herzbeutel und von dort vermittels der Nephridien in die Mantelhöhle (vgl. Abb. 114a). Die Geschlechtszellen der Wirbeltiere entstehen in paarigen Wucherungen der Leibeshöhlenwand. Die Beförderung des Samens wird vom Ausleitungsapparat der Nieren übernommen, währ-end für die Eier besondere Eileiter vorhanden sind. Bei einfachen Fischen und bei den Lurchen gelangt der Samen durch ausführende Röhrchen 1 ) in einen Teil der Urnierenkanälchen (vgl. S. 102), die ihn in den Urnierengang befördern, der als Harnsamengang bezeichnet werden muß (Abb. 138a). Bei den erwachsenen Kriechtieren, Vögeln und Säugern sind die Urnierenkanälchen zum aufgeknäulten Nebenhoden und der Urnierengang ist zum Samenleiter 2 ) geworden (Abb. 138c). Die sich vom Eierstock lösenden Einzeleier der Wirbeltiere werden von Flimmertrichtern Va.ua efferentia, (Einzahl: Vas ) = Vas deferens.
2
efferens).
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der meist paarigen Eileiter aufgenommen. Der Eileiter der niederen Wirbeltiere ist ein einfacher Schlauch (Abb. 138b), bei Kriechtieren, Vögeln und Säugern läßt er als besondere Abschnitte Eileiter 1 ), Gebärmutter = Fruchthalter oder Uterus und Scheide mehr oder weniger scharf abgegrenzt unterscheiden (Abb. 138d, f). Bei den Vögeln sind nur linker Eierstock und Eileiter ausgebildet. Das umfangreiche Eiweiß des Vogeleies wird vom Eileiter, die Kalkschale vom Fruchthalter, geliefert. Unter den Säugern legen Schnabeltiere und Ameisenigel Eier mit Schalen. Der Keim der lebendgebärenden (viviparen) Säuger durchläuft die Entwicklung in der Gebärmutter. Die Geschlechtsprodukte aller Kloakentiere gelangen in die Kloake. Bei erwachsenen Säugern 2 ) sind die Mündungen der Harn- und Geschlechtsausführgänge vom After durch eine Hautbrücke, den Damm, getrennt (Abb. 138e, f). Während die eierlegenden Säuger und die Beuteltiere zwei voneinander getrennte Scheiden
Abb. 139. Formen der Gebärmutter bei einscheidigen Säugern, a doppelter, b zweihörniger, c einfacher Uterus: Ο Eileiter, U Gebärmutter, V Scheide.
besitzen und deswegen Zweischeidige (Didelphia) genannt werden, haben alle höheren Säuger nur eine einheitliche Scheide: sie sind Einscheidige (Monodelphia). Die Gebärmutter kann in dieser Abteilung doppelt (zahlreiche Nager), zweihörnig (Huftiere u. a.) oder einfach 3 ) (Mensch, Menschenaffen) sein (Abb. 139). Das Keimplasma, aus dem die reifen Geschlechtszellen hervorgehen, wird von Generation zu Generation ununterbrochen weitergegeben. Es sondert sich in manchen Fällen schon sehr frühzeitig im Ei von dem Körperplasma ab. So ist ζ. B. bei Insekteneiern an deren hinteren Pol ein Plasmateil erkennbar, der die Grundlage für die Urgeschlechtszellen abgibt, sobald die Furchungskerne hier einwandern. Manchmal wird schon bei der ersten Furchungsteilung die eine Tochterzelle zur Keimbahnzelle, d. h. sie läßt aus sich die Urgeschlechtszellen hervorgehen, während die andere Tochterzelle die Körperzellen liefert. Die Herausbildung der Geschlechtszellen von den ersten Furchungsteilungen ab durch die ganze Keimentwicklung hindurch nennt man Keimbahn. Die beweglichen reifen Samenfäden haben meist geißeiförmige Gestalt und Ovidukt. ) Mit Ausnahme der mit Kloake ausgestatteten niedersten Formen (Schnabeltier, Ameisenigel). 8) Uterus duplex, bicörnis und simplex. 2
8 v. L e n g e r k e n ,
Zoologie
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Geschlechtsorgane
bestehen aus Kopf- und Schwanzstück (Abb. 5a), manchmal sind sie amöbenartig (Flohkrebs) oder abgestumpfte Gebilde (Spulwurm) bzw. mit Stacheln besetzt (Krebse). Nicht selten werden sie zu Paketen vereinigt (Spermatophoren). Die Eier sind nur selten amöbenartig beweglich wie etwa bei den Schwämmen. Nach der Befruchtung scheidet das Ei meist eine Dotterhaut ab, um das Eindringen weiterer Samen zu verhindern (Abb. 5). Frei abgelegte Eier haben meist widerstandsfähige Schutzhüllen, so sind ζ. B. die Eier vieler parasitärer Würmer mit Schalen versehen, desgleichen die Eier der Gliederfüßler. Die dotterreiche Eizelle der Vögel (Eigelb) ist von Eiweiß umgeben, das von einer inneren und äußeren Schalenhaut sowie der porösen Kalkschale umhüllt wird. Die Eier des Regenwurms, des Blut-
Abb. 140. a Säugetierei (Ei) mit Kern und Kernkörperchen von der Glashaut und radiär angeordneten Fortsätzen von Follikelzellen umgeben im Eihügel E h ; Eh Follikelhöhle, Fz Follikelzellen, Η Hülle, Β Blutgefäß. — b gelber Körper (Corpus luteum), der sich nach dem Austritt des Eies bildet: F z Follikelzellen, die zu Luteinzellen Lz geworden sind, Bg Bindegewebe. (Sonstige Bezeichnungen^wie bei Fig.'a.)
egels und mancher Insekten (ζ. B. Schaben) liegen in Kapseln (Kokons) geborgen. Eier von Schnecken, Fischen, Lurchen und manchen Wasserinsekten sind mit Gallerthüllen versehen und bilden zusammenhängende Massen in Form von Haufen oder Schnüren, den Laich. Das reife Säugerei wird in einer mit Flüssigkeit gefüllten Blase, dem Eifollikel, angetroffen (Abb. 140a). Es ruht von der radiär gestreiften und mit Poren versehenen Glashaut 1 ) umgeben, im Eihügel und wird von radiär um die Glashaut herum angeordneten Follikelzellen2) ernährt. Die Follikelhöhle wird von zahlreichen Follikelzellen umzirkt, an die sich außen wiederum eine besondere Hülle anschließt. Durch Platzen der Blase gelangt das Ei aus dem Eierstock heraus. Der Rest des Follikels verwandelt sich in den Gelben Körper3). Die von Bindegeweben und Blutgefäßen durchsetzten Follikelzellen wiehern in die Follikelhöhle ein und werden jetzt als Luteinzellen bezeichnet. Der Gelbe Körper, ) = Zona pell-ucida. ) = Zona radiäta. 3) Corpus luteum. 1
2
Fortpflanzung und Geschlechtsorgane
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der nach eingetretener Schwangerschaft, sich lange erhält, gilt als weiblicher Hormonspender (s. S. 99). Was die Bedingtheit des Entwicklungsverlaufes der Eier anbelangt, so gibt es solche Eier, deren Plasma von Anfang an in verschiedenartige Bezirke eingeteilt ist, so daß die an sich untereinander gleichwertigen Furchungszellen (s. S. 24), je nachdem in welchen dieser Bezirke sie gelangen, unter verschiedenen Bedingungen sich entwickeln müssen. Es ist also vom Plasma des Eies schon vorausbestimmt 1 ), welches Organ aus einem bestimmten Plasmateil sich entwickeln soll. D a die verschiedenen Plasmabereiche mosaikartig aneinandergefügt sind, spricht m a n von Mosaikeiern. Die einzelnen Teile des Keimes, die aus einem solchen Ei hervorgehen, sind, wie m a n sagt, fest determiniert, d. h. sie können, wenn m a n sie aus dem natürlichen Verband herausnimmt und anderswo wieder einpflanzt, nichts anderes werden als das, wozu sie von Anfang an bestimmt wurden. I m Gegensatz hierzu stehen die Regulationseier, deren Plasmabezirke nicht so frühzeitig und eindeutig im Hinblick auf ihre Entwicklungsmöglichkeit festgelegt sind. Deshalb können gewisse einzelne Teile dieses Eityps von sich aus den ganzen Keim ergänzen, was die Teile eines Mosaikeies nicht vermögen. Werden z.B. die ersten beiden Tochterzellen eines sich furchenden Froscheies voneinander getrennt, so liefert jede Einzelzelle eine, wenn auch kleinere, so doch vollständige Kaulquappe, u n d diese wiederum einen jungen Frosch. Unvollkommene Durchschnürung eines frühzeitigen Keimes ergibt Doppelbildungen wie etwa zweiköpfige Tiere oder verwachsene Zwillinge. Eine völlige Durchtrennung des Keimes jedoch f ü h r t zur E n t s t e h u n g von eineiigen d. h. aus einem Ei durch Teilung hervorgegangenen Zwillingen, die erbgleich sein müssen. Zwillinge verschiedenen Geschlechts können daher niemals eineiige Zwillinge sein, sondern verdanken zwei verschiedenen Eiern ihre H e r k u n f t . Aber nicht jeder Plasmabezirk des Regulationseies ist stets in der Lage, das „ G a n z e " aus sich wieder herzustellen. F ü r diese Leistung ist für manche Tiere die Anwesenheit eines Organisationszentrums als erforderlich nachgewiesen worden, das auf die Entwicklung bestimmend einwirkt. Das, was aus den Zellen des Keimes werden kann, wenn sie aus ihrem ursprünglichen Verband herausgenommen werden, d.h. der Grad der ihnen a n sich innewohnenden Entwicklungsfähigkeit, wird als prospektive Potenz bezeichnet. Das, was aus den Keimzellen im natürlichen Ablauf der Entwicklung wirklich wird, heißt prospektive Bedeutung. Im Mosaikei ist demnach das Entwicklungsvermögen oder die prospektive Potenz gleich der prospektiven Bedeutung, da die isolierten Ei-Regionen denselben Keimteil herausbilden, den sie auch im ungestörten Zusammenhang mit anderen Teilen des Keimes geliefert haben würden. Beim Regulationsei des Frosches k a n n die eine abgetrennte Tochterzelle des Zweizellenstadiums, die im normalen Verband mit der zweiten Tochterzelle nur ζ. B. die linke Körperhälfte geliefert haben würde, einen ganzen Keim aus sich ergänzen. Die prospektive Potenz dieser Zelle ist demnach in Wahrheit größer als ihre prospektive Bedeutung im ungestörten Entwicklungsgang. Zwischen den ausgesprochenen Entwicklungstypen des Mosaik- u n d des Regulationseies gibt es Übergänge. 1
) = Praedetermination.
F. Die Keim-Entwicklung der Chordatiere Nach Zurücklegung der Eifurchung und Keimblätterbildung (s. S. 25) bleiben einfache Schwämme und Nesseltiere in, ihrer Entwicklung auf dem Zustand des Becherkeimes stehen (Abb. 93 a u. 94). Alle höheren Gewebstiere überwinden durch fortschreitende Differenzierung, d. h. durch Einfaltung, Wucherung, Ein- und Abschnürung sowie Abfaltung von Teilen der Keimblätter. So werden auf diese Weise die Organanlagen ins Leben gerufen, aus denen schließlich die endgültigen Organe des Keimes durch immer feiner gestaltende Umlagerungsarbeit der Gewebe hervorgehen (s. auch S. 27). So entsteht ζ. B. das Rückenmark bei allen Chordatieren aus einer besonderen, verdickten, gestreckten Zellplatte (Neuralplatte) des äußeren Keimblattes (Abb. 141a), indem sich diese zunächst rinnenartig einfaltet (Abb. 141b). Später verwachsen die Ränder der Furche miteinander, und das ringsum geschlossene Nervenrohr liegt nun abgeschnürt unter dem Ektoderm (Abb. 141c). Dieses Neurairohr ist die Grundlage für das gesamte später so verwickelt gebaute Nervensystem (s. S. 67). In ähnlicher Weise nimmt die Rückensaite (Chorda) ihren Ursprung aus einem Zellstreifen des inneren Blattes (Abb. 141a), der sich zunächst der Länge nach einfurcht (Abb. 141b), um sich am Ende als geschlossener Zellstrang vom Entoderm abzuschnüren (Abb. 141c). Die vom mittleren Blatt umschlossene sekundäre Leibeshöhle1), das Coelom2), differenziert sich bei den Chordatieren, entsprechend deren Gliederung in Segmente, durch Einund Abschnüren in die reihig angeordneten, rückenständigen Ursegmente (Muskelsegmente) und die großen, nicht gegliederten Seitenplatten, deren jede ein äußeres3) und ein inneres 4 ) Blatt aufweisen (Abb. 141c). Die drei Keimblätter lassen aber nicht nur den Keim oder Embryo aus sich hervorgehen, sondern liefern bei den Wirbeltieren außerdem Anhangsorgane und Hüllen des Keimes, die nur während des Keimzustandes in Tätigkeit sind. Bei dotterreichen Eiern, wie ζ. B. denen der Fische und Vögel, die eine scheibenförmige Furchung durchlaufen (s. S. 26 u. Abb. 23b), liegt der Keim der Dottermasse als flach ausgebreitetes Schild auf (Abb. 142a). Indem die Bänder des Schildes bauch7 wärts um den Dotter herumwachsen, entsteht ein mit Dotter gefüllter Sack, der Dottersack, der durch einen Gang mit dem Darm des Keimes in offener Verbindung steht, so daß der Dotter als Nahrung verwendet werden kann. In der Folge schnürt sich der Keim ringsum vom Dottersack ab (Abb. 142 b), bis er nur noch durch einen hohlen Stiel mit ihm verbunden ist. Die Abschnürung des Keimes bewirkt eine Aufteilung der Keimblätter und der Leibeshöhle in einen embryonalen und einen außerembryonalen Bereich (Abb. 142b). Der außerembryonale Teil bildet die mehrschichtige Hülle des Dottersackes. Bei Fischen ist nur der Dottersack als einziges Im Gegensatz zur primären Leibeshöhle (siehe S. 24). ) Von griech. koilos = hohl. 3 ) = somatisches Blatt. *) = viszerales Blatt. 8
Abb. 141. Herausbildung der Organanlagen eines Wirbeltierkeimes (schematische Querschnitte durch den Keim eines Lurches). — a Anlage des Rückenmarkes als Neuralplatte Np und der Chorda als Zellstreifen Ch. — b Einfaltung der Neuralplatte mit Rinne R, Einfaltung des Chordazellstreifens. — c Rückenmarksrohr Em und Chorda Ch sind abgeschnürt. Die Ursegmente Us haben sich von den Seitenplatten S abgeschnürt. — äB äußeres, mB mittleres, iB inneres Keimblatt, Ud Urdarm, sL sekundäre Leibeshöhle.(Coelom), vBl inneres und s B1 äußeres Blatt der Seitenplatte des Coeloms. embryonales Anhängsorgan vorhanden (Abb. 144a). Die aus Reptilien, Vögeln u n d Säugern bestehende Wirbeltiergruppe ist durch ein besonderes Hüllorgan des Keimes ausgezeichnet, das Amnion oder die Schafhaut. Die aufgezählten Wirbeltierabteilungen werden deswegen als Amniota bezeichnet u n d den Fischen u n d Lurchen', den Amnionlosen oder Anamnia gegenübergestellt. Bei den Amnioten wird der Keim versenkt, d. h. er wird in eine Furche gebettet, die durch Auffaltung des äußeren Keimblattes (des Ektoderms) und des äußeren Blattes der außenembryonalen Seitenplatte (also eines Teiles des mittleren Keimblattes) entsteht (Abb. 143).
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Die Keimentwicklung der Chordatiere
Abb. 142. a Schildförmige Anlage des Keimes eines Fisches auf dem Dotter (Querschnitt): äB äußeres, iB inneres, mB mittleres Keimblatt; S Seitenplatte der sekundären Leibeshöhle, Us Ursegment, Rm Rückenmark, Ch Chorda. Die Pfeile bezeichnen die Richtung der Umwachsung des Dotters D. •— b Abschnürung des Keims vom in Bildung begriffenen Dottersack bei einem Fisch (Querschnitt): sL x sekundäre Leibeshöhle des Keimes, sL 2 sekundäre Leibeshöhle außerhalb des Keimes. Die oberen Pfeile deuten die Richtung der Abschnürung an. Die Ränder der Auffaltungen verwachsen über dem Rücken des Keimes, und das Amnion schnürt sich von der äußeren Hülle des Keimes, der Serosa1), ab (Abb. 144b). Die Amnionhöhle ist mit einer Flüssigkeit angefüllt, in der der Keim schwimmt. Die mit einem Amnion aufgestatteten Wirbeltierkeime verfügen außer dem Dottersack, dem Amnion, ünd der Serosa noch über eine sackartige Ausstülpung des Enddarms (Abb. 144b), die Alldntois2), in der sich der Harn des Keimes sammelt. Ε
Abb. 143. Bildung der Schafhaut (des Amnions) bei einem Vogel (Querschnitt): Ε Keim, Af sich emporwölbende Amnionfalten, iB inneres, äB äußeres, mB mittleres Keimblatt, sL 2 sekundäre Leibeshöhle außerhalb des Keimes, D Dotter. Die Pfeile bezeichnen die Richtung des Zusammenwachsens der Amnionfalten. 1 ) = Haut, die seröse Flüssigkeit absondert. 2 ) Von griech. all äs, alläntos = Wurst.
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Die Keimentwicklung der Chordatiere D
Ε
Ε
Am
Al
b a Abb. 144. a Fischkeim (Längsschnitt) mit Dottersack: Ε Keim, D Darm, Μ Mund, Α After, D Dotter, sl^ sekundäre Leibeshöhle des Keimes, sL 2 sekundäre Leibes höhle außerhalb des Keimes, äB äußeres, iB inneres, mB mittleres Keimblatt. — b Reptilienkeim (Längsschnitt) mit Am Amnion und Ah Amnionhöhle, S Serosa, Al Allantois und D Dottersack (in Anlehnung an KÜHN). Die Serosa t r i t t bei lebend gebärenden Tieren in den Dienst der E r n ä h r u n g des Keimes. Sie wird bei den höheren Säugern zur Zottenhaut (zum Chorion1), i n d e m sie zottenartige F o r t s ä t z e bildet, die sich wie Wurzeln in die W a n d der G e b ä r m u t t e r einsenken u n d m i t dieser den Mutterkuchen (die Placenta2) formen. Mit einer derartigen Bildung ausgestattete Säuger werden als Flacentalia den Beuteltieren, Aftlacentalia, gegenübergestellt, die keinen M u t t e r k u c h e n besitzen, obgleich auch bei ihnen ein Stoffaustausch zwischen der G e b ä r m u t t e r w a n d u n d der Serosa, des j u n g e n Keimes s t a t t f i n d e t . Man unterscheidet verschiedene B a u t y p e n von Mutterk u c h e n : 1. Die Z o t t e n sind über die ganze Oberfläche der Z o t t e n h a u t v e r s t r e u t (Placenta diffusa, ζ. B. bei Pferd, Schwein); 2. die Z o t t e n stehen in Büscheln gruppenweise (PI. multiplex3), bei Wiederkäuern); die Z o t t e n bilden ein gürtelförmiges F e l d rings u m die Mitte des Chorions (Fl. zondria, bei Raubtieren), u n d 3. die Zotten stehen auf einem scheibenförmigen Gebiet beieinander (Fl. discoidea, ζ. B. bei Affen, Mensch). A n die Z o t t e n h a u t legt sich die Allantoisblase an, deren Stiel von arteriellen u n d venösen B l u t g e f ä ß e n begleitet wird, die sich in die Z o t t e n hinein verzweigen (Abb. 145). Zwischen den feinen Ästen der Blutgefäße des K e i m e s in den Chorionz o t t e n u n d dem B l u t der M u t t e r findet durch die G e f ä ß w ä n d e hindurch ein Austausch von Atemgasen zwischen Mutter u n d K i n d s t a t t . Auf d e m gleichen Wege wird der E m b r y o e r n ä h r t . E i n direktes E i n s t r ö m e n des mütterlichen Blutes in den Kreislauf des K e i m e s findet niemals s t a t t . Bei der G e b u r t lösen sich die Zotten entweder ohne weiteres aus der Gebärm u t t e r w a n d heraus, wie es ζ. B. bei Schweinen u n d Wiederkäuern der Fall ist, oder die Beziehungen zwischen den Anteilen der M u t t e r u n d des Keimes sind so enge, d a ß der ganze M u t t e r k u c h e n sich ablöst u n d als Teil der N a c h g e b u r t ausgestoßen wird. 1
) Von griech. chorion — Haut. ) Von lat. placenta = Kuchen. 3 ) Auch cotyledon aria genannt. 2
G. Umwege der Entwicklung im Tierreiche Durchaus nicht alle Tiere entwickeln sich in gerader Linie zum jungen Lebewesen, das in wesentlichen Zügen bereits seinen Erzeugern gleicht. Sehr viele Organismen aus allen Tierstämmen ( s . S . 143) legen weite Umwege zurück, bis sie ihre endgültige Gestalt erreichen. Bereits im Bereich der Einzeller lassen sich f ü r gewisse Arten ganze Entwicklungskreise aufstellen. Wenn z . B . eine Fiebermücke der Gattung Anopheles1) einen Menschen sticht (Abb 146), so gelangen mit dem Speichel winzige spindelförmige Sporen (Sprorzoiten) von Malariaerregern der Sporzoengattung Plasmodium in das menschliche Blut. Die Sporen vermehren sich zunächst an noch unbekanntem Ort im Wirt auf ungeschlechtlichem Wege durch Vielteilung (Schizogonie 2 ), deren Ergebnis zahlreiche gleichfalls spindelförmige Sporen (Merozoiten) sind, die einzeln in ein rotes B1 .ltkörperchen eindringen 3 ), u m sich in diesem als Parasiten zu je einem amöbenartigen Wesen zu entwickeln, das sich später abrundet. Sein Kern teilt sich in viele kleine Tochterkerne, die zur Peripherie wandern u n d sich mit Plasma umgeben (Rosetten- oder Gänseblümchenstadium). Schließlich zerfällt der Parasit in ebenso viele Teile wie Tochterkerne vorhanden sind, unter Zurücklassung eines Restkörpers. Die durch Zersprengen des Blutkörperchens freiwerdenden Merozoiten dringen einzeln wieder in ein rotes Blutkörperchen ein, und der EntwicklungsVorgang beginnt von neuem (Abb. 146,1—8), um sich noch öfter zu wiederholen. I m Laufe dieses Geschehens bilden sich in den Blutzellen besondere $ und $ Geschlechtsformen des Parasiten aus, die als Makro- und Mikrogametozyten bezeichnet werden (Abb. 146, 9). Diese müssen, u m sich weiterentwickeln zu können, in den Darm einer an einem Fieberkranken saugenden Anopheles (Abb. 146) gelangen. Hier im Darmhohlraum der Fiebermücke wird die Makrogametozyte zum kugeligen Makrogameten, während die Mikrogametozyte in Mikrogameten zerfällt. J e t z t kommt es zu einem Befruchtungsvorgang, indem die