Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und politische Willensbildung: Ein Aspekt des Legitimationsproblems in Verfassungsrecht, Verfassungspraxis und Verfassungstheorie [1 ed.] 9783428433292, 9783428033294


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German Pages 287 Year 1975

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Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und politische Willensbildung: Ein Aspekt des Legitimationsproblems in Verfassungsrecht, Verfassungspraxis und Verfassungstheorie [1 ed.]
 9783428433292, 9783428033294

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 261

Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und politische Willensbildung Ein Aspekt des Legitimationsproblems in Verfassungsrecht, Verfassungspraxis und Verfassungstheorie

Von

Otto Ernst Kempen

Duncker & Humblot · Berlin

OTTO E R N S T

KEMPEN

Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und politische Willensbildung

Schriften zum öffentlichen Band 261

Recht

Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und politische Willensbildung E i n A s p e k t des L e g i t i m a t i o n s p r o b l e m s i n V e r f a s s u n g s r e c h t , Verfassungspraxis u n d Verfassungstheorie

Von

Dr. Otto Ernst Kempen

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

ISBN 342803329 9

Vorwort

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich u m meine von den Professoren Helmut Ridder und Christoph Sasse betreute Dissertation. Das Manuskript wurde i m Januar 1973 abgeschlossen. Später erschienene Literatur konnte nur ausnahmsweise berücksichtigt werden. Den Gießener Hochschullehrern, Kollegen und Freunden, die meine Arbeit durch ihr Verständnis und ihre kritische Anteilnahme gefördert haben, möchte ich auch an dieser Stelle danken. Otto Ernst

Kempen

Inhaltsübersicht Einleitung

11

DARSTELLENDER T E I L

Amtliche Öffentlichkeitsarbeit in der BRD Kapitel

I: Methoden

amtlicher

19

Öffentlichkeitsarbeit

19

A. Information u n d Informationspolitik

20

B. Methoden mittelbarer Öffentlichkeitsarbeit

25

C; Methoden unmittelbarer Öffentlichkeitsarbeit Kapitel II: Die Öffentlichkeitsarbeit kutive in der BRD

von Justiz,

< Legislative

und

Exe-

25

27

A . Justiz

27

B. Legislative

32

C. Exekutive

38

I. Allgemeines I I . Die Öffentlichkeitsarbeit ebene

38 auf Gemeinde-, K r e i s - u n d Landes."...'

1. Mittelbare Öffentlichkeitsarbeit

Kapitel

38 39

2. Unmittelbare Öffentlichkeitsarbeit

40

3. Die Rundfunkanstalten der Länder

44

III:

48

Die Öffentlichkeitsarbeit

der Bundesregierung

A . Allgemeines

48

B. Das Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung

49

I. E n t w i c k l u n g des B P A I I . Rechtscharakter u n d Aufgaben I I I . Organisation u n d Haushaltsmittel des B P A 1. Organisation 2. Haushaltsmittel des B P A

49 49 53 53 54

8

Inhaltsübersicht I V . Die mittelbare Öffentlichkeitsarbeit des B P A i m I n l a n d

55

V. Die unmittelbare Öffentlichkeitsarbeit des B P A i m I n l a n d

62

V I . Z u m Selbstverständnis der Regierungssprecher

76

V I I . Pläne f ü r einen Ausbau u n d die Neuorganisation des B P A

77

C. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien

81

D. Die Bundeszentrale f ü r politische B i l d u n g

83

Kapitel IV: Vergleichende Betrachtung kative, Legislative und Exekutive

der Öffentlichkeitsarbeit

VERFASSUNGSRECHTLICHER Kapitel

in Judi-

TEIL

I: Fragestellung

Kapitel II: Staates"

Amtliche

85

95 Öffentlichkeitsarbeit

und

„Meinungsfreiheit

Kapitel III: Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik Kritik der bisherigen Diskussion)

(Darstellung

des

und

103

106

A . Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe integrierender Staatsleitung

106

I. Öffentlichkeitsarbeit als „Staatspflege" (Herbert Krüger)

108

I I . Öffentlichkeitsarbeit als staatsleitende (R. Smend u n d U. Scheuner)

Regierungstätigkeit

110

1. Darstellung

110

2. K r i t i k

118

I I I . Öffentlichkeitsarbeit als Instrument effizienter „Demokratizität" (W. Leisner) 125 1. Darstellung

125

2. K r i t i k

132

I V . Legitimation durch loyales Vertrauen. Z u r tischen Einordnung der Diskussion

verfassungstheore-

144

B. Die Lehre v o n der „staatsfreien" politischen Willensbildung des Volkes 156 I. Darstellung

156

II. Kritik I I I . Legitimation durch demokratische Meinungsbildung. Z u r fassungstheoretischen Einordnung der Diskussion C. Zwischenergebnis

159 ver-

169 176

Inhaltsübersicht Kapitel IV: Demokratische arbeit

Willensbildung

und amtliche

9 Öffentlichkeits-

177

A. Die F u n k t i o n demokratischer Publizität i m demokratischen Willensbildungsprozeß 179 I. Z u r Weimarer Diskussion (C. Schmitt, G. Leibholz, R. Smend) . . 179 I I . Die F u n k t i o n parlamentarischer dem Grundgesetz

Verhandlungspublizität

unter

184

I I I . Folgerungen f ü r die verfassungsrechtliche Zulässigkeit amtlicher Öffentlichkeitsarbeit 200 B. Parlamentarische Exekutivkontrolle als Informationsvermittlung

202

I. Gesetzesvorbehalt u n d Leistungsverwaltung I I . Informierende Exekutive

Kontrollrechte

des Parlaments

202 gegenüber

der

C. Die demokratische Publizitätspflicht der Exekutive

208 214

I. Z u r verfassungsrechtlichen Begründung exekutivischer Publizitätspflichten 214 I I . Z u m subjektiven Recht auf Information

221

D. Der Funktionsverlust des Parlaments u n d die Tendenz zur Ausschaltung parlamentarischer Publizität 225 I. Die Exekutive als Steuerungszentrum i m „organisierten K a p i talismus" 225 I I . Konsequenzen für die F u n k t i o n amtlicher Öffentlichkeitsarbeit 239 1. Das Technokratie-Konzept 2. Legitimation durch Verfahren fahren

240 u n d Legitimation der

Ver-

242

3. Parlamente u n d Presseämter als Institutionen zur Sicherung von Massenloyalität 246 E. Verfassungsrechtliche Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit . . 252 I. Die Verfassungswidrigkeit amtlicher Werbung 1. Amtliche Werbung als Konsequenz „demokratischer ständigkeit" der Regierung?

252 Eigen-

252

2. Tatsacheninformation als funktionales Äquivalent zur Parlamentspublizität 257 3. Staatliche Finanzierung oppositioneller Öffentlichkeitsarbeit als Konsequenz des sog. Parteienstaates? 262 4. Ergebnisse u n d Abgrenzungen

265

I I . Über institutionelle A l t e r n a t i v e n zur exekutivischen Öffentlichkeitsarbeit 268

Literaturverzeichnis

271

Einleitung Die ständig intensivierte Öffentlichkeitsarbeit amtlicher Stellen, insbesondere i m Bereich von Regierung und Verwaltung, w i r d i n der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion zunehmend als problematisch empfunden. Jürgen Habermas beschreibt den Zwang zur „Beschaffung von Legitimation" für den Staat i m „entwickelten Kapitalismus" als das „wichtigste Systemproblem" der Epoche 1 . Tatsächlich hat der wirtschaftsplanende Staat einen ungleich höheren Bedarf an Konsens und Folgebereitschaft seitens seiner Bürger als der klassische Nationalstaat, w e i l die von i h m übernommene Verantwortung für den gesamtökonomischen Prozeß (vgl. A r t i k e l 109 GG) dazu zwingt, wirtschaftliche und soziale Erschütterungen aufzufangen, die bei zunehmender Kapitalkonzentration immer fundamentaler werden. Diese durchgreifende Verantwortlichkeit verlangt deshalb eine entsprechend umfassende staatliche Steuerungsmacht gegenüber divergierenden Einzelinteressen. Die hierfür notwendige beschränkte Autonomie des Staates ruht, wie vor allem Claus Offe hervorgehoben hat 2 , weitgehend auf manipulierter, d. h. disponibler Unterstützung und Anpassung der Massen 3 . Da die Willensbildungskapazität der hierdurch strukturell überforderten Parlamente diesen wachsenden Legitimationsbedarf des Staates nicht länger deckt, nimmt die Verwaltung das Motivationsmanagement mehr und mehr i n eigene Regie, indem sie die Bevölkerung durch werbende Öffentlichkeitsarbeit planvoll loyalisiert, mobilisiert oder abwiegelt. Unter solchen Umständen setzen politische Entscheidungen „langfristig angelegte Strategien der Aufklärung und Bewußtseinsbildung" 4 durch administrative Loyalitätssteuerung, also amtliche Öffentlichkeitsarbeit, voraus.

1

Theorie u n d Praxis, S. 14. Vgl. z. B. Das politische Dilemma der Technokrate. 3 Vgl. dazu P. v. Oertzen, Thesen zur Strategie u n d T a k t i k des demokratischen Sozialismus i n der Bundesrepublik Deutschland, Die neue Gesellschaft 1974, S. 166 f. 4 «iF. W. Scharpf, Reformpolitik i m Spätkapitalismus, S. 142. f

12

Einleitung

Der angedeutete Befund einer „politischen Legitimationskrise" 5 , die durch strategisch eingesetzte „Meinungspflege" aufgefangen werden soll, ist auch von konservativer Seite festgestellt worden 6 . Er gilt überdies nicht nur für den bundesdeutschen Bereich, sondern — w e i l strukturbedingt — auch für die anderen westlichen Industriesysteme 7 . Während das Problem amtlicher Öffentlichkeitsarbeit also i n der politikwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Literatur durchaus erkannt worden ist, konnte aus verfassungsrechtlicher und verfassungstheoretischer Sicht hier bis vor kurzem noch ein „echter Fall von Literaturlücke" festgestellt werden 8 . Möglicherweise haben sich die noch immer vorwiegend begrifflich und nicht wirklichkeitswissenschaftlich orientierten Juristen irreführen lassen durch die Bezeichnung „Öffentlichkeitsarbeit", die den Zweck der hierunter verstandenen meinungslenkenden Aktivitäten eher verdeckt. So w i r d diese Tätigkeit von Albert Oeckl , einem „Lehrbeauftragten für Öffentlichkeitsarbeit", höchst diffus beschrieben als „das bewußte, geplante und dauernde Bemühen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen i n der Öffentlichkeit aufzubauen und zu pflegen" 9 . Nach Hans Hämmerlein 10 w i r d dabei allerdings weder öffentlich noch i m Dienste der Öffentlichkeit gearbeitet, sondern ausschließlich i m A u f trag bestimmter Interessen die Öffentlichkeit „bearbeitet". Bei all diesen vieldeutigen Erklärungsversuchen geht es „ u m die öffentliche Benennung und Bezeichnung" von Institutionen, deren Ziel der öffentliche Einfluß und der Einfluß auf die öffentliche Meinung ist 1 1 . Die von Oeckl angedeutete „Vertrauenspflege" bedeutet dann: „erwünschte Meinungen entstehen zu lassen und unerwünschte zu verhindern suchen" 12 . Öffentlichkeitsarbeit wäre dann eine i n diesem Sinne gezielte Einflußnahme auf die Meinung einer unbestimmten Anzahl von Menschen, der sog. „Öffentlichkeit" über das Objekt dieser Tätigkeit. Solche Öffentlichkeitsarbeit betreiben staatliche Stellen i n mannigfacher Form. Ihre Tätigkeit w i r d zwar häufig formell nicht als Öf5

Dazu J. Habermas , Legitimationsprobleme i m Spätkapitalismus, S. 96 ff. • Vgl. E. Forsthoff , Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, M e r k u r 1968, S. 407 ff. 7 Vgl. z . B . R. Miliband, Der Staat i n der kapitalistischen Gesellschaft, S. 244 f., 307; M. Duverger , Demokratie i m technischen Zeitalter, S. 151. 8 H. Ridder, AöR 1968, S. 402. 9 A. Oeckl, Handbuch der Public Relations, S. 42 f. 10 Öffentlichkeit u n d Verwaltung, S. 70. 11 W. Mühlbradt , Handbuch f ü r Öffentlichkeitsarbeit T e i l I, S. 5. 12 R. Wassermann , „Justiz u n d Public Relations" D R i Z 1963, 294 ff., 296.

Einleitung

fentlichkeitsarbeit bezeichnet, sondern t r i t t unter Haushaltstiteln wie „Aufklärung" oder „Information" der Bevölkerung auf, doch handelt es sich materiell stets um Öffentlichkeitsarbeit i m beschriebenen Sinn. Methoden und Grenzen solcher Tätigkeit lassen sich dem Begriff der Öffentlichkeitsarbeit nicht entnehmen 13 . Gerade diese Neutralität ermöglicht es aber, die ganze „Bandbreite" verschiedener Einflußmöglichkeiten auf die öffentliche Meinung von der reinen Tatsachenmitteilung bis zur Propaganda als der „bewußt betriebenen Beeinflussung von Glaubensweisen, Wertschätzungen, Einstellungen und schließlich des Handelns besonders m i t M i t t e l n der Massenkommunikation" 1 4 als Öffentlichkeitsarbeit zu bezeichnen und dadurch eine treffendere, aber möglicherweise decouvrierende Benennung (z. B. Propaganda) zu vermeiden. Das Wort Propaganda würde nicht nur unerwünschte Assoziationen an das „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda" des nationalsozialistischen Staates hervorrufen, sondern — ebenso wie der Begriff „Werbung" — i n den Angesprochenen möglicherweise das Gefühl wecken, überredet anstatt überzeugt zu werden. Besonders staatliche Stellen bedienen sich deshalb gern der neuen Bezeichnung 16 . Immerhin deuteten aber die Sprecher der Bundesregierung, Diehl und Ahlers, i m Frühjahr 1968 an, daß der Staat i n einigen Jahren zu den „ M i t t e l n der Propaganda" greifen werde 1 6 . M i t der „modernen Benennung" mag eine gewisse Tendenz weg vom „agitatorischen Moment der Propaganda" und h i n „zur Darstellung verläßlicher, wahrheitsorientierter Informationen" 1 7 verbunden sein, doch sind vielfach nur die Methoden der Beeinflussung subtiler geworden. So antwortete der damalige Sprecher der Bundesregierung, von Hase, auf die Frage, welche Methoden er anwende, wenn er Öffentlichkeitsarbeit betreiben 13 Dies gilt übrigens auch f ü r das anglo-amerikanische W o r t „public relations", so daß es k e i n „Mißbrauch" dieses Begriffes wäre, die „ m i t unsauberen M i t t e l n betriebene Propaganda, A g i t a t i o n oder Meinungsmanipulat i o n " als public relations zu bezeichnen. So aber H. Löckenhoff, „Public relations", Diss. Bln. 1958. 14 E. Baumgarten, Stichwort „Propaganda", Sp. 535. Vgl. K. Löwenstein, Verfassungslehre, S. 359: Unter „Propaganda" versteht m a n gewöhnlich die Benutzung von „Personen, Worten, Gegenständen, Symbolen oder anderen Repräsentationstechniken, u m die Psyche u n d damit die Verhaltensweisen derer, an die sich wenden, auf die Ziele derjenigen zu lenken, die sich ihrer bedienen". 16 So enthielt z . B . der Bundeshaushaltsplan f ü r das Rechnungsjahr 1969 zwar mehrere T i t e l f ü r „Öffentlichkeitsarbeit" (z.B. Kap. 0403 T i t e l 309) u n d „public relations" (z.B. Erläuterungen zu Kap. 0403 T i t e l 300) jedoch keinen f ü r „Propaganda". 16 C. Ahlers, Leserbrief i n SZ v. 1./2.3.1968, S. 86; G. Diehl, BT, Sten. Ber., 5. Wahlperiode, 177. Sitzung v. 29. 5.1968, S. 1513 A . 17 Vgl. E. Baumgarten, Stichwort „Propaganda", Sp. 536.

14

Einleitung

wolle: „ W i r wenden alles an, was Erfolg verspricht. Ich würde sagen, es ist alles erlaubt, was nicht der Gesetzgeber ausdrücklich anders bestimmt, und es ist alles erlaubt, was Takt und gute Sitten möglich machen 18 ." Derart unbestimmte Arbeitskriterien erlauben es, Zweifelsfälle stets als unlösbare „Geschmacksfragen" hinzustellen 19 . Da „überzogene . . . Formulierungen oft wirksamer sind als mehr nüchterne Formulierungen" entscheidet letztlich die (Werbe-)„Wirksamkeit" über die Auswahl solcher M i t t e l 2 0 , weil die „Bundesregierung auch ein wenig Werbung treiben muß" 2 1 . Heute hält man es i m B P A für selbstverständlich, daß amtliche Öffentlichkeitsarbeit zugleich Werbung bedeutet. A l l e Bemühungen diese Tätigkeit als „Information" und „Aufklärung" zu tarnen, seien allenfalls historisch begreifbar, w e i l jede Forderung nach reiner I n formation ohne Werbung „keine praktische Bedeutung mehr" habe 22 . Das Etikett „Öffentlichkeitsarbeit" verschleiert also den wahren Charakter der dadurch benannten Tätigkeit mehr, als daß es i h n klärend kennzeichnete. Wenn i m Folgenden vor allem auch die verfassungsrechtlichen Schranken solcher Tätigkeit bestimmt werden sollen, muß daher zunächst u m des Realitätsbezuges w i l l e n die „Verfassungswirklichkeit" dargestellt werden, also jene staatliche A k t i v i t ä t , welche sich heute hinter dem Etikett „Öffentlichkeitsarbeit" tatsächlich verbirgt. Anlaß zu dieser dem verfassungstheoretischen Teil der Arbeit vorangestellten Beschreibung der Verfassungswirklichkeit war jedoch nicht nur diese mangelnde Bestimmtheit des Begriffs „amtliche Öffentlichkeitsarbeit", sondern der Verdacht, daß sich das Verfassungsleben in der Bundesrepublik Deutschland hier — ebenso wie i n anderen Bereichen — von der Konzeption des Grundgesetzes entfernt hat und sich noch weiter zu entfernen droht. Die verfassungsrechtliche Untersuchung innerstaatlicher Öffentlichkeitsarbeit wurde nämlich durch A r t i k e l 20 I I 1 GG angeregt, nach welchem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Dahinter steht der Gedanke, „jeder Mensch (habe) das Recht, über die Geschicke des Gemein18 „Öffentlichkeitsarbeit — Wege zu einer informierten Gesellschaft" Z V + Z V 1966, S. 1618. Vgl. auch K . G. v. Hase, „Probleme der öffentlichen Meinungsbildung", S. 41. 19 So Conrad Ahlers als Leiter des B P A vor dem Bundestag (BT, Sten.Ber. 6. Wahlperiode, 70. Sitzung v. 8.10.1970, S. 3858 (C). 20 Ebd., S. 3858 (D). 21 Ebd., S. 3860 (A). 22 H. Küffner, Darf die Regierung so etwas tun? i n : Praktischer Journalismus, Nr. 129/71, S. 8.

Einleitung

wesens . . . zu verfügen". Dieses Hecht läßt „das Bewußtsein, das . . . die Gesellschaft von sich selber hat, zum Politikum und dessen . . . Induktion zur Bedingung einer jeden künftigen Herrschaft" werden 2 3 . Jede gezielte Lenkung solchen Bewußtseins der Wählerschaft i n eine bestimmte Richtung durch staatliche Stellen enthielte dann i n ihrem Kern eine Umkehrung des verfassungsmäßigen Verhältnisses von Volk und Staatsgewalt. Die Beeinflussung der Meinungs- und Willensbildung des Volkes ist jedoch neben sachlicher Information — wie gezeigt — gerade der Zweck aller Öffentlichkeitsarbeit, die sich nicht auf reine Tatsacheninformation beschränkt. Hier w i r d eine Diskrepanz zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit sichtbar. Unter „Verfassungswirklichkeit" soll hier die gesamte soziale Wirklichkeit i m Gemeinwesen verstanden werden, welche als verfassungswidrige Realität auch i m Gegensatz zu den Normen der geschriebenen Verfassung stehen kann. Der Begriff „Verfassungswirklichkeit" scheint auf eine — i n Wahrheit häufig gerade nicht bestehende — Kongruenz zwischen normativer Verfassung und politischer Wirklichkeit hinzuweisen. Tatsächlich bezeichnet er lediglich die verfassungsrelevante W i r k lichkeit. Die Anwendung des Begriffs soll dieser Wirklichkeit also keineswegs normierende K r a f t i m Sinne der „normativen K r a f t des Faktischen" Georg Jellineks beilegen. Ist dies klargestellt, so kann der Begriff entgegen der K r i t i k und dem Vorschlag K . Hesses24 weiterhin verwendet werden, zumal er unverändert von der Staatsrechtslehre und Politischen Wissenschaft benutzt w i r d 2 5 . Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der i m Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelten amtlichen Öffentlichkeitsarbeit ist das Verhältnis von normativer Verfassung und Verfassungswirklichkeit entscheidend. Dieses Problem w i r d i m verfassungsrechtlichen Teil der Arbeit zu behandeln sein. Zwar sind Wirklichkeit und Rechtsnorm „korrelativ aufeinander bezogen" 26 , doch ergibt sich für das Verfassungsrecht angesichts der weithin fehlenden „Androhung des organisierten physischen Zwanges" 2 7 eine faktische Abhängigkeit von der Realität. Hierdurch darf der 23 ff. M. Enzensberger, Bewußtseins-Industrie, i n : Einzelheiten I , S. 7, 11. Vgl. auch K. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 361: „ W e r die Massenkommunikationsmittel beherrscht, beherrscht die Wählerschaft; w e r die Wählerschaft beherrscht, beherrscht den politischen Prozeß". 24 Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 20. 25 z.B. von E. Forsthoff, i n : Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, 401 ff.; W. Hennis, Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit. 26 ff. Heller, Staatslehre, S. 294. 27 ff. Heller, Staatslehre, S. 294; vgl. auch K . Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung, S. 18.

16

Einleitung

normative Charakter der Verfassung jedoch den jeweiligen Machtverhältnissen nicht anheimgegeben werden. „Es gibt vielmehr realisierbare Voraussetzungen, unter denen die rechtliche Verfassung auch i m Konfliktsfall ihre normative K r a f t zu bewähren vermag 2 8 ." Z u diesen Voraussetzungen zählen nicht nur ein verfassungstreues Bewußtsein des Volkes und eine intakte Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern ebenso die — stets von neuem ins Bewußtsein zu hebende — Erkenntnis, daß sich alle staatlichen Handlungen letztlich am Maßstab der Verfassung zu legitimieren haben. Gerade diese dauernde Legitimation hat jedoch allein i n den grundgesetzlich vorgeschriebenen Formen der politischen Willensbildung zu erfolgen. Die banale Einsicht, nach der Verfassungsrecht i n seiner W i r k k r a f t durch die konkreten Lebensverhältnisse bedingt ist, darf also nicht zur Richtschnur einer sich dann dem Wandel der tatsächlichen Verhältnisse adaptierenden Verfassungsauslegung, wie Hesse sie versteht 2 9 , werden. Dadurch würden Verfassungsnormen schließlich auf weitgesteckte Willkürgrenzen reduziert. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts macht diese Gefahr zunehmend deutlich 8 0 . Dennoch kann Verfassungsinterpretation nicht lediglich als Normwissenschaft betrieben werden, sondern hat stets auch den entsprechenden Ausschnitt der Verfassungswirklichkeit i m Auge zu behalten 3 1 . Dieser Blick auf die jeweilige soziale und politische W i r k lichkeit soll aber nur der Erkenntnis des vom Grundgesetz aktuell Gewollten dienen, keinesfalls jedoch die tatsächlichen Verhältnisse dort an die Stelle von Verfassungsnormen setzen, wo die Bereitschaft zu ihrer Durchsetzung nicht mehr vorhanden zu sein scheint 32 . Angesichts unserer politischen Realität, i n der Rechtsfragen häufig „außerhalb der Legalität" als Machtfragen behandelt werden, erscheint es besonders wichtig, die normative K r a f t der Verfassung zu betonen und damit die grundgesetzlichen Prinzipien des Rechtsstaates, der demokratischen Legitimation und des Sozialstaates durchzusetzen. Angesichts unserer politischen Realität n i m m t es allerdings auch nicht wunder, daß die durch staatliche Öffentlichkeitsarbeit möglicher28

K . Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung, S. 18. Die normative K r a f t der Verfassung, S. 15. 80 Vgl. z.B. BVerfGE 28, S. 243ff.; hierzu O. E. Kempen, Staatsraison über Verfassungsraison? J Z 1971, S. 452 ff.; BVerfGE 30, S. 1 ff.; hierzu P. Häberle, JZ 1971, S. 145 ff. u n d H. H. Rupp, N J W 1971, S. 275 ff. 31 K . Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien i m modernen Staat, W D S t R L Heft 17, 1959, S. 15. 82 Dies ist eine Gefahr, der auch die Lehren Hellers u n d Hesses i m Grenzf a l l unterliegen dürften, vgl. J. Esser, Vorverständnis u n d Methodenwahl i n der Rechtsfindung, S. 32. Z u m älteren Diskussionsstand, W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates. 29

Einleitung

weise bewirkte Pervertierung der politischen Willensbildung des Volkes i n der schmalen Literatur zur Öffentlichkeitsarbeit i n der Bundesrepublik Deutschland bisher kaum Beachtung gefunden hat. So untersteht die Öffentlichkeitsarbeit der Regierimg i m Rechtsstaat nach Leisner 33 zwar dem verfassungsmäßigen Demokratiegebot, aus welchem eine allgemeine Pflicht zur Information folgen soll 3 4 , doch bleibt die Frage nach einer tendenziellen Perversion der demokratischen Willensbildung durch alle über die reine Informationstätigkeit hinausgehende Öffentlichkeitsarbeit ungestellt. Frage und A n t w o r t klingen an bei Gisela Sänger* 5: Nach i h r beruht die Demokratie „darauf, daß die freie Meinung die Regierungsbildung bestimmt und nicht die Regierung die Meinungsbildung" 3 6 . Diese wichtige Erkenntnis w i r d jedoch lediglich aus einer unzulänglichen — weil individualistisch-isolierenden — Interpretation des A r tikel 5 GG gewonnen; es fehlt die verfassungsrechtlich stringente Beweisführung. Das Bundesverfassungsgericht erklärt zwar, „daß es den Staatsorganen grundsätzlich verwehrt ist, sich i n bezug auf den Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen" 3 7 , schränkt dann aber m i t vorsichtigen Worten wieder ein: „ . . . unbedenklich (ist) die sogenannte Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften, soweit sie — bezogen auf ihre Organtätigkeit — der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben, sowie die künftig zu lösenden Fragen" darlegt und erläutert 3 8 . Bisher hat lediglich Helmut Lenz apodiktisch die Ansicht vertreten, daß werbende Öffentlichkeitsarbeit der Regierung stets illegitime Übergriffe eines Staatsorgans i n den Prozeß der freien Meinungs- und Willensbildung enthalte 3 9 . Zunächst soll daher untersucht werden, ob die Staatsorgane (im weitesten Sinne verstanden) i n der Bundesrepub l i k Deutschland mittels einer als Öffentlichkeitsarbeit bezeichneten Induktion bestimmter Meinungen, Denkweisen und Bewußtseinsinhalte herrschen oder jedenfalls zu herrschen versuchen. Nach einer Darstellung der Ziele staatlicher Öffentlichkeitsarbeit i n der BRD werden die angewendeten Methoden anhand exemplarischer Fälle erläutert und deren Wirkungen beschrieben. Als Öffentlichkeitsarbeit werden dabei 83

Öffentlichkeitsarbeit der Regierung i m Rechtsstaat. Öffentlichkeitsarbeit, S. 83 f. 85 F u n k t i o n amtlicher Pressestellen i n der demokratischen Staatsordnimg, S. 57 f. 86 F u n k t i o n amtlicher Pressestellen, S. 58. 87 BVerfGE 20, S. 56 ff., 99. 38 BVerfGE 20, S. 100. 89 I n Hamann / Lenz, A r t . 5, A n m . A 1, (S. 182). 34

2

Kempen

18

Einleitung

nur solche Aktivitäten staatlicher Stellen dargestellt, durch welche Einfluß auf das „Meinen" der Bevölkerung gewonnen werden soll. Man könnte diese Tätigkeiten als „aktive" Öffentlichkeitsarbeit gegenüber einer „passiven", die Informationen sammelnden (vgl. etwa den i n § 8 1 lit. a der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien definierten Teilbereich der Aufgabenstellung für das Presse- und I n formationsamt der Bundesregierung) Tätigkeit bezeichnen, doch ginge eine derart weite Definition über den bisherigen Sprachgebrauch hinaus und würde den ohnehin schon wenig klar umrissenen Begriff noch diffuser werden lassen. Das mannigfache Auftreten des Staates auf dem sogenannten politischen Meinungsmarkt 4 0 (etwa durch Informationspolitik, Werbung und Propaganda) w i r d danach auf seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit untersucht. Dabei soll die i m Ausland betriebene und auf das Ausland gerichtete Öffentlichkeitsarbeit 41 außer Betracht bleiben, w e i l von i h r wenig Einfluß auf die innere demokratische Meinungs- und Willensbildung ausgeht. Über den dargelegten Anlaß dieser Arbeit ginge es schließlich auch hinaus, eine Gesamtdarstellung der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit i n der Bundesrepublik Deutschland geben zu wollen.

40 Vgl. zu diesem Begriff: A. Arndt , Begriff u n d Wesen der öffentlichen Meinung, S. 19. 41 Vgl. hierzu z. B. G. Wettig , P o l i t i k i m Rampenlicht.

DARSTELLENDER T E I L

Amtliche Öffentlichkeitsarbeit i n der B R D Kapitel

I

Methoden amtlicher Öffentlichkeitsarbeit Amtliche Öffentlichkeitsarbeit (wie sie nach dem einleitend Gesagten hier verstanden wird) stellt sich als eine Abfolge von amtlichen A k t i o nen auf dem Sektor der Kommunikation zwischen staatlichen Stellen und Bürgern dar. Sinnvolle Kommunikation setzt zweierlei voraus: Die Auswahl eines Themas und den Austausch der über den gewählten Gegenstand gebildeten Ansichten 1 . Derartige Kommunikation ist also nur denkbar, wenn alle Partner über jenen Gegenstand, das mögliche Thema, hinreichend informiert sind. Insofern kann sich auch amtliche Öffentlichkeitsarbeit darauf beschränken, lediglich Informationen zu liefern, aufgrund derer diskussionsfähige Meinungen entstehen sollen. Die „Doppelstruktur" der Kommunikation bleibt auf diese Weise erhalten. Sie geht hingegen verloren, wenn die kommunikative A k t i o n bewußt an passive Empfänger gerichtet wird, wenn sie so gestaltet ist, daß jeder Empfänger die Mitteilung zwar aufnehmen, jedoch nicht darauf antworten kann und soll. Derartige unbeantwortbare Kommunikation gibt häufig neben einer Information zugleich auch die „richtige" Meinung an und muß insofern als „Manipulation" qualifiziert werden 2 . Unter „Manipulation" sind nämlich ganz allgemein Handlungen oder Vorgänge zu verstehen, „die einen Menschen instand setzen, Entscheidungen anderer zu steuern, ohne sich selbst der Gefahr einer entsprechenden Gegensteuerung auszusetzen" 3 . Charakteristische M i t t e l solcher gewollt einseitigen, also autoritären, Kommunikation sind vor allem die Verschmelzung von Thema und 1

Vgl. N. Luhmann, öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 2 ff., 7. Vgl. N. Luhmann, öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 8. 8 D. Mackay , Technik der Information u n d die Manipulierbarkeit Menschen, Zeitschrift f ü r evangelische E t h i k 12 (1968), S. 147. 2

2*

des

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1. Teil, Kap. I : Methoden amtlicher Öffentlichkeitsarbeit

Meinung, „psychotechnisches Arrangement" (Luhmann) 4, bewußte Weglassung i n der Tatsachendarstellung sowie die Moralisierung der Kommunikation. Amtliche Öffentlichkeitsarbeit bedient sich derartiger M i t t e l einseitiger Kommunikation i n mannigfacher Kombination. Bevor i m Folgenden einige Ziele und Methoden dieser Öffentlichkeitsarbeit kurz dargestellt und exemplifiziert werden, bedarf es daher (ohne der späteren Darstellung tatsächlich angewendeter Methoden i m einzelnen vorzugreifen) einer allgemeinen Einordnung jener M i t t e l amtlicher Öffentlichkeitsarbeit. A. Information und Informationspolitik Amtliche Öffentlichkeitsarbeit w i r d großenteils unter den Bezeichnungen „Information" 5 und „ A u f k l ä r u n g " 6 betrieben. Reine „Reklame" ohne jede Tatsachenmitteilung — wie sie i n der Wirtschaftswerbung teilweise üblich ist („Das strahlendste Weiß meines Lebens") — ist kaum denkbar, wenn auch gewisse Formen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit wie etwa die regierungsamtlichen Zeitungsanzeigenkampagnen („Die Richtung stimmt"), nach Form und Inhalt der „Reklame" sehr nahe kommen können. Der Begriff „Information" deckt bei extensiver Auslegung fast alle Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit von der reinen Tatsachenmitteilung bis h i n zur Propaganda. Nach Leisner 7 können Informationen gegeben werden: (1) Als reine Tatsachenübermittlung ohne Werbung (Tatsacheninformation), (2) als Bericht m i t wertender Stellungnahme zu den Nachrichten (wertende Information), (3) i n beiden Formen (etwa durch besondere Intensität der Kommunikation oder der Werbung) als wertende Information (Propaganda). Je nachdem ob hierbei der werbende oder informierende Akzent stärker ist, kann man von Suggestions- oder Informationswerbung sprechen 8 . 4 Darunter sind insbesondere Informationen durch bestimmte tabuisierte Persönlichkeiten, zu bestimmter Stunde, i n bestimmten Situationen zu v e r stehen. 6 z. B. die Bezeichnung „Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung", weiter z. B. Bundeshaushaltsplan 1969, Kap. 0403 Erl. zu T i t e l 314. 6 z. B. Bundeshaushaltsplan 1969, Kap. 1002 T i t e l 650. 7 Öffentlichkeitsarbeit, S. 28 f. 8 Z u der Terminologie vgl. J. Klaus / W. Kerber, Stichwort „Werbung" Sp. 585 ff.

A . Information u n d Informationspolitik

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Wenn sich Tatsachenwiedergabe (bei der meist schon eine wertende Auswahl vorliegt) und Werbung auch häufig nicht m i t letzter Schärfe trennen lassen, so sind jeweils doch Schwerpunkte i n der einen oder der anderen Richtung zu erkennen. Dabei w i r d sich der Werbungscharakter auch aus der Verbreitungsform einer Aussage, ihrer sprachlichen Intensität, dem Adressatenkreis sowie der häufigen Wiederholung ablesen lassen. Derartige Kriterien ermöglichen allerdings nur Aussagen über die werbende Qualität einer Information als solcher und mögen deshalb für die Beurteilung privatwirtschaftlicher Werbemethoden ausreichend sein. Die Öffentlichkeitsarbeit der privaten Wirtschaft beschränkt sich nämlich überwiegend darauf, i m Umsatzinteresse frei ausgewählte, mehr oder minder werbeintensive Informationen zu geben, u m hierdurch bestimmte Interessen des Publikums zu wecken und i m bereits interessierten Publikum bestimmte Meinungen entstehen zu lassen oder zu verhindern. Es handelt sich bei dieser privaten Öffentlichkeitsarbeit allenfalls u m eine freiwillige und begrenzte Selbstdarstellung Privater gegenüber einem selbstgewählten Publikum. Amtliche Öffentlichkeitsarbeit bedeutet demgegenüber grundsätzlich eine Offenlegung und Bekanntmachung von Vorgängen, Entscheidungen und Plänen aus dem staatlichen, d. h. i m engeren Sinn „öffentlichen" Bereich. Da die „Staatsgewalt" aber überwiegend nicht tatsächlich öffentlich ausgeübt wird, bedarf es der Informationen über die Ausübung der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung, für jene Instanz, die solche Gewalt i n einem rationalen Verfahren verleihen soll und die damit zum Kontrollorgan wird, die Wählerschaft. Anders als i m Bereich der privatwirtschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit handelt es sich hier also keineswegs u m ein selbstgewähltes Publikum, sondern u m einen nicht w i l l k ü r l i c h begrenzbaren und allseitig zuständigen Adressatenkreis 9 . Bedenkt man, daß der Wähler eine Entscheidung hauptsächlich aufgrund derartiger durch Massenkommunikation vermittelter Informationen treffen muß, so w i r d deutlich, i n welchem Maße amtliche Öffentlichkeitsarbeit machtbegrenzend oder machtpotenzierend w i r k e n kann. Derartige Abhängigkeiten ermöglichen den amtlichen Stellen i n ihrem Bestreben, erwünschte Meinungen entstehen zu lassen und unerwünschte Ansichten zu verhindern, die Methode der sog. Informationspolitik. Es handelt sich dabei u m die bewußte Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Aus9 Diese verfassungsrechtliche Ausgangslage verkennt H. Hämmerlein, (Wege u n d Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, S. 49 f.), indem er den Unterschied zwischen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit u n d privatwirtschaftlicher Werbung allein auf die i m staatlichen Bereich nicht bestehende Wettbewerbssituation zurückführt.

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1. Teil, Kap. I : Methoden amtlicher Öffentlichkeitsarbeit

richtung und Verbreitung bestimmter Nachrichten und die Auswahl oder Zurückhaltung anderer Nachrichten 10 mit dem Zweck öffentliche K r i t i k = Kontrolle zu verhindern oder zu bekämpfen, und statt dessen unkritische Loyalität der Bevölkerung gegenüber bestimmten Maßnahmen zu schaffen. „Informationspolitik zu betreiben" und die „deutsche Bevölkerung von der Richtigkeit des eingeschlagenen politischen Wegs zu überzeugen", hielt der frühere Sprecher der Bundesregierung, von Hase, für die Aufgabe des B P A 1 1 . Voraussetzung eines derartigen „news-management" ist das Informationsmonopol, über das z. B. moderne Regierungen i n vielen Fällen verfügen. Es erlaubt einseitige Informationen, welche den Handelnden i n positivem Licht erscheinen lassen, ebenso wie das Unterschlagen ungünstiger Nachrichten. Nicht umfassende Information, sondern einseitige Auswahl bestimmen dann die Öffentlichkeitsarbeit. I m demokratisch verfaßten Staat m i t grundrechtlich garantierter Pressefreiheit wäre eine m i t plumpen Unterschlagungen arbeitende Nachrichtenpolit i k allerdings relativ leicht durchschaubar. Die angewendeten M i t t e l sind daher subtil und äußerst yielfältig: Hierher gehört der Zeitpunkt einer Information (auch der Veröffentlichung von Gesetzentwürfen), die Reihenfolge und Häufung bestimmter Nachrichten ebenso wie die finanzielle Subventionierung bestimmter Presseorgane und die P r i v i legierung bestimmter Journalisten durch Einladungen zu Informationsgesprächen i m kleinen Kreis. Ein recht häufig verwendetes und meist unbemerktes informationspolitisches M i t t e l ist die „Nachrichtenmanipulation". Dabei werden durch geschickte Formulierung bestimmte Akzente gesetzt oder verschoben, die beim Empfänger unbewußte, also emotional bestimmte Einstellungen hervorrufen sollen 12 . Informationspolitische Absichten stehen auch hinter den immer wieder zu beobachtenden offenen oder versteckten Pressionen seitens amtlicher Stellen gegen die Berichterstattung und Personalpolitik von „Massenmedien" i n der Bundesrepublik. Wer bei seiner Bestandsaufnahme der „Tätigkeit des Bundespresseamtes" auch die werbende „Intensität der (regierungsamtlichen) Öffentlichkeitsarbeit" untersuchen w i l l 1 8 , darf daher nicht — wie Leisner — 10

E. Dovifat, Zeitungslehre, Bd. I, S. 59 f. Probleme der öffentlichen Meinungsbildung, S. 35 u n d 42. 12 Klassisches Beispiel solcher Nachrichtenmanipulation ist die durch Bismarck gekürzte u n d danach veröffentlichte Formulierung des A n t w o r t telegramms Wilhelms I. auf die „Emser Depesche". Vgl. hierzu: H. Helbling, „Chamade u n d Fanfare. Z u r Redaktion der Emser Depesche" N Z Z N r . 317 v. 12. 7. 70, S. 53. 13 So Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 26 ff. 11

A . Information u n d Informationspolitik

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allein die Äußerungen des Amtes selbst auf ihren werbenden Gehalt untersuchen, w e i l dann nicht nur die eigentlich akzentuierenden Begleitumstände bestimmter Nachrichten, sondern vor allem die nicht i m Rahmen der Nachrichtenvermittlung betriebene Informationspolitik völlig außer Betracht bleibt. Es entsteht dann ein ganz unvollständiges B i l d amtlicher Öffentlichkeitsarbeit. Hinsichtlich der werbenden Absicht und Wirkung bleibt es z.B. gleich, ob eine Nachricht vom amtlichen Informanten selbst verzerrt worden ist, oder i n dieser Absicht an einen Vermittler (Presse) gegeben wird, von dem man weiß oder annimmt, daß er sie verzerren wird. Schließlich gerät auch das bewußte Verschweigen bestimmter Informationen oder die Beeinflussung von Journalisten nicht ins Blickfeld einer derart auf die amtl. Äußerungen eingeschränkten Betrachtungsweise. I m übrigen können bekanntlich auch „reine" Informationen erheblichen Werbungs- und Propagandaeffekt durch Form und Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung erhalten. Wer lediglich auf die werbende Substanz amtlicher Äußerungen selbst abstellt, verrät ein — wie noch zu zeigen ist — falsches Verständnis von der Funktion des Staatsvolkes i n der Demokratie: Er begreift es als konsumierendes Publikum und nicht als prinzipiell allzuständige Legitimations- und Kontrollinstanz. Aus dem einleitend dargestellten Ziel dieser Arbeit ergibt sich, daß besonderes Interesse gerade auch auf die amtliche Informationspolitik als gezielte Meinungsbeeinflussung gerichtet werden muß. Da jedoch Organisationsschemata und die unterschiedlichen Bezeichnungen der Öffentlichkeitsarbeit i n den Haushaltsplänen die tatsächlich angewendeten Methoden häufig nur verschleiern und keine Rückschlüsse auf eine bestimmte Informationspolitik zulassen, müssen Methoden und Ziele der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit vor allem an Beispielen erläutert werden. Ein weiteres M i t t e l der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit, das nicht als „Information" bezeichnet, w o h l aber i n informationspolitischer A b sicht eingesetzt werden kann, ist die amtliche Meinungsäußerung oder Stellungnahme, die selbst keine Tatsachenübermittlung enthalten, sofern man von der „Tatsache" absieht, daß z. B. die Regierung eben jene Meinung v e r t r i t t 1 4 . I m Vordergrund steht hier jedoch nicht diese Tatsache, sondern die i n der amtlichen Meinungsäußerung selbst enthaltenen Ansichten und Wertungen, die ihrerseits mehr sachlich oder werbend geprägt sein können, jedenfalls aber das Siegel staatlicher Autorität tragen. Informationsvermittlung, amtliche Meinungsäußerungen und werbende Stellungnahme sowie informationspolitische Maßnahmen kenn14 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 26, bezeichnet die Weitergabe v o n Regierungsauffassungen jedoch gerade deshalb als Informationstätigkeit.

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1. Teil, Kap. I : Methoden amtlicher Öffentlichkeitsarbeit

zeichnen die Breite der ganz allgemein als „Öffentlichkeitsarbeit" bezeichneten amtlichen Tätigkeit 1 5 . Diese Öffentlichkeitsarbeit, welche sich ganz überwiegend der M i t t e l moderner „Massenkommunikation" 1 6 bedient, läßt sich i n unmittelbare und mittelbare Öffentlichkeitsarbeit unterteilen. Unter mittelbarer Öffentlichkeitsarbeit w i r d die „Pressearbeit" verstanden, d. h. die Information der Journalisten, welche ihrerseits über Presse, Rundfunk und Fernsehen i h r Publikum unterrichten 1 7 . Die unmittelbare Öffentlichkeitsarbeit wendet sich hingegen direkt an das Publikum, etwa durch Flugblätter und Plakate, aber auch durch die Verteilung von Büchern, Broschüren und Zeitschriften sowie die Vorführung von Filmen. Dies ist der ursprüngliche Bereich der Werbung. Die Nachrichtenträger w i r d man überwiegend m i t Tatsacheninformationen bedenken, w e i l die Gefahr besteht, daß ein vorherrschend werbender Gehalt über die kritische Verarbeitung dieser Medien herausgefiltert w i r d und damit der propagandistische Effekt verloren geht 1 8 . Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, welche „die deutsche Bevölkerung von der Richtigkeit des eingeschlagenen politischen Weges zu überzeugen" 19 bemüht ist, w i r d sich dennoch überwiegend der mittelbaren Öffentlichkeitsarbeit bedienen. I h r kommt nicht nur das Informationsbedürfnis der Journalisten entgegen, sondern auch die Tatsache, daß eine amtliche Stelle, wenn sie durch geschickte Auswahl von Informationen und Informationsvermittlern eigene „Informationspolitik" betreibt 2 0 , als „hidden persuador" unsichtbar bleibt. Die eigentliche Werbung m i t propagandistischem Gehalt („Suggestionswerbung" i m Gegensatz zur „Informationswerbung" 2 1 ) w i r d dagegen als unmittelbare Öffentlichkeitsarbeit 15 A l s „Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung" bezeichnete auch der ehemalige Leiter des B P A , v. Hase, seine Tätigkeit insgesamt (Probleme d. öff. Meinungsbildung, S. 33), ähnlich auch W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 34. 16 „ U n t e r Massenkommunikation verstehen w i r jene F o r m der K o m m u n i kation, bei der Aussagen öffentlich (also ohne begrenzte u n d personell definierte Empfängerschaft) durch technische Verbreitungsmittel (Medien) i n d i rekt (also bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz z w i schen den Kommunikationspartnern) u n d einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem u n d Aufnehmenden) an ein disperses P u b l i k u m (...) v e r m i t t e l t werden", G. Maletzke, Psychologie der Massenkommunikation, S. 32. 17

Vgl. Handbuch der Öffentlichkeitsarbeit, T e i l I V , S. 2. Handbuch f ü r Öffentlichkeitsarbeit, a.a.O.; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 37. 19 K. G. v. Hase, Mitteilungen des Übersee-Clubs, März 1964, S. 42. 20 Der ehemalige Bundespressechef v. Hase hat auch dies als Aufgabe des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung bezeichnet, M i t t e i l u n gen des Ubersee-Clubs März 1964, S. 35. 21 Z u dieser Terminologie vgl. J. Klaus/W. Kerber, Sp. 585 ff., Stichwort „Werbung", Sp. 585 ff. 18

C. Methoden unmittelbarer Öffentlichkeitsarbeit

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direkt an den „Konsumenten" gerichtet, u m die volle Wirkung „jener Dynamik" sicherzustellen, welche „wesentlicher Inhalt der Werbung wie der Propaganda" ist 2 2 . B. Methoden mittelbarer Öffentlichkeitsarbeit Grundsätzlich könnte man auf amtliche „Pressearbeit" verzichten, wenn sämtliche Amtsgeschäfte prinzipiell öffentlich geführt würden. Dann bestünde die mittelbare Öffentlichkeitsarbeit lediglich darin, die Journalisten frei i m offenen staatlichen Raum recherchieren zu lassen. Daß dies der Praxis i n der BRD nicht entspricht, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Zwar normieren die meisten Landespressegesetze einen Auskunftsanspruch für die Presse, doch bleibt die behördliche Arkansphäre durch weitgefaßte Auskunftsverweigerungsrechte i n den Landespressegesetzen gewahrt 2 3 . Infolgedessen ist neben den Auskünften eventuell vorhandener Pressestellen und den von Ihnen ständig herausgegebenen Informationen (Pressedienst) vor allem die Pressekonferenz das Feld der mittelbaren Öffentlichkeitsarbeit. Einzelauskünfte, Interviews, Tagungen und Konferenzen geben Gelegenheit zur weiteren Information an ausgewählte Journalisten. Bei Auslandsreisen von Politikern bestehen ähnliche Möglichkeiten, w e i l die Zahl der begleitenden Journalisten regelmäßig begrenzt ist. Als „mittelbare Öffentlichkeitsarbeit" w i r d man schließlich auch die Versuche amtlicher Stellen bezeichnen können, organisatorisch unabhängige Kommunikationsmedien, wie Rundfunk, Fernsehen und Nachrichtenagenturen i n eine bestimmte Richtung zu lenken. C. Methoden unmittelbarer Öffentlichkeitsarbeit Wie schon angedeutet, kann unmittelbare Öffentlichkeitsarbeit die mittelbare Pressetätigkeit nicht ersetzen, sondern nur (allerdings besonders wirksam) ergänzen und verstärken. Erst i n der Kombination 22

W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 37. § 4 I I L P G Baden-Württemb., Bayern, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westf., Rheinl.-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein, § 3 I Nr. 1 - 3 L P G Hessen. Vgl. hierzu H. Ridder, Das Recht auf Information, S. 19 ff. I n den U S A schuf der Freedom of Information A c t von 1962 einen weitgehenden Informationsanspruch f ü r jeden Staatsbürger, welcher i n seinen A u s nahmen wesentlich enger u n d konkreter als die deutschen Landespressegesetze ist. Bei uns w i r d ein vergleichbarer Anspruch allein der Presse zugestanden, während z. B. auch i n Schweden die allgemeine „Aktenöffentlichk e i t " verfassungskräftig garantiert ist. Diese Rechtslage verkennt der damalige Sprecher der Bundesregierung, Conrad Ahlers, als er i n einem Vortrag erklärte, keine Gesellschaft Europas sei so gut informiert w i e die der B u n desrepublik (ZV + Z V 1967, S. 1908). 23

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1. Teil, Kap. I : Methoden amtlicher Öffentlichkeitsarbeit

der verschiedenen Methoden erhält Öffentlichkeitsarbeit die stärkste Wirkung 2 4 . „Klassische" Medien unmittelbarer Öffentlichkeitsarbeit sind A n nonce, Flugblätter und Plakate. So bezeichnete Staatssekretär Ahlers eine i m Herbst 1970 von der Bundesregierung durchgeführte Anzeigenkampagne als „normale Arbeit der werbenden Information" 2 5 . Die Etats für amtliche Öffentlichkeitsarbeit erlauben daneben auch die Verteilung von Büchern, Broschüren und Zeitschriften. Hinzu kommen Filmvorführungen sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen 28 . Zur unmittelbaren amtlichen Öffentlichkeitsarbeit sind schließlich auch die Veröffentlichungen, Vorträge und Ansprachen nicht nur aller m i t der Öffentlichkeitsarbeit speziell betrauten Personen, sondern auch der Amtsträger bzw. der „Organwalter" selbst zu zählen, soweit das Gesagte mit dem jeweiligen A m t i n sachlicher Verbindung steht.

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Vgl. Handbuch f ü r Öffentlichkeitsarbeit, T e i l I V , S. 31. BT-Sten.Ber., 6. Wahlperiode, 70. Sitzung v o m 8.10.1970, S. 3857 (C). 26 Vgl. z. B. Bundeshaushaltsplan f ü r das Jahr 1967, Kap. 0635 Erläuterungen zu T i t e l 300 (Sacharbeit der Bundeszentrale f ü r politische Bildung) sowie Kap. 0403 Erläuterungen zu Tit. 314 (Öffentlichkeitsarbeit „Inland"). 25

Kapitel

II

Die Öffentlichkeitsarbeit von Justiz, Legislative und Exekutive in der BRD A. Justiz Wenn i m folgenden die Öffentlichkeitsarbeit der „Justiz" i n der BRD kurz beschrieben werden soll, so sind unter dem Begriff „Justiz" nicht nur die Gerichte, sondern auch die Staatsanwaltschaften und die auf den justiziellen Bereich bezogene Tätigkeit der Justizministerien zusammengefaßt. Nachdem seit Jahren immer wieder das gestörte Verhältnis von Justiz und Öffentlichkeit und die Rechtsfremdheit der Bürger beklagt worden war, gab der unter dem Thema „Justiz und Öffentlichkeit" 1963 i n Kassel veranstaltete 12. Deutsche Richtertag einen Anstoß zur Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit i n der Justiz. Heute haben alle größeren Gerichte Pressereferenten eingesetzt, deren Aufgabe zumeist nebenamtlich von einem Richter oder Staatsanwalt wahrgenommen wird. Justizpressestellen 1 bestehen auch bei den Landesjustizministerien — sind jedoch ebenfalls — bis auf SchleswigHolstein und Hessen — nur m i t nebenamtlich tätigen Referenten besetzt. Ein Pressereferat besteht auch beim Bundesministerium der Justiz. Dem Pressereferenten obliegt dort die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die „Arbeit und Ziele des Ministeriums" 2 , so wie die Abhaltung von Pressekonferenzen. Da es sich hierbei u m nichtrichterliche Tätigkeit handelt, ist der Pressereferent i m Zweifelsfall weisungsgebunden. A u f einer jährlichen Tagung treffen sich die Pressereferenten des Bundes und der Länder zu einem Erfahrungsaustausch und besprechen die weitere Gestaltung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Justiz. 1966 wurden i n K i e l dabei folgende Aufgaben genannt 3 : 1 I n Preußen w u r d e n Justizpressestellen aufgrund der A V des Preußischen Justizministers v o m 16.3.1928 („Richtlinien f ü r die Beziehungen z w i schen Justiz u n d Presse") eingerichtet (JMB1. S. 169). 2 K . - H . Biederbick / W. Recktenwald , Das Bundesministerium der Justiz, S. 33. E i n gesonderter T i t e l f ü r Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums ist i m Haushaltsplan f ü r das Rechnungsjahr 1970 allerdings nicht ausgewiesen. 8 „Presse- u n d Öffentlichkeitsarbeit der Justiz soll verstärkt werden" Z V + Z V 1966, S. 2268.

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1. Teil, Kap. I I : Öffentlichkeitsarbeit v. Justiz, Legislative, Exekutive

„Fortlaufende Aufklärung über aktuelle Rechtsfragen der Gesetzgebung und der Rechtsanwendung; Mitteilungen über die Arbeit der Justizverwaltung, der Gerichte, der Staatsanwaltschaften und des Strafvollzugs, Mitteilungen von Urteilen vor allem der Zivilgerichte, der Sozial-, Verwaltungs- und Finanzgerichte . . . , Beiträge der Pressereferenten oder der durch sie vermittelten Richter und Staatsanwälte i n den Zeitungen, i m Hörfunk und i m Fernsehen, Aufklärung der Journalisten über rechtliche Fragen der Zeitungsarbeit . . . , Rechtsunterricht an Schulen, Berufsschulen und Volkshochschulen; Broschüren und Plakate für die Öffentlichkeitsarbeit..." usw. I m übrigen faßte die Justizministerkonferenz folgenden Beschluß: „Das starke Interesse der Öffentlichkeit an der Rechtspflege erfordert eine umfassende Unterrichtung über das Recht und über die Tätigkeit der Justizorgane. Daher ist eine Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit erforderlich, die über die herkömmliche Pressearbeit hinausgeht und durch die die Rechtsfremdheit der Bevölkerung überwunden werden kann. Die Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den Aufgaben der Pressereferenten. Die Justizverwaltungen sollten einen Referenten i n ihrem Ministerium einsetzen, der sich i n aktiver Tätigkeit m i t der Öffentlichkeitsarbeit befaßt 4 ." Diese Zielsetzung entspricht alten, vielfach geäußerten Forderungen von Journalisten und Juristen 5 , die jedoch bisher keineswegs i n dem beschriebenen Umfang verwirklicht worden sind 6 . Immerhin sammelt jetzt z.B. der Pressereferent beim OLG Schleswig regelmäßig alle die Öffentlichkeit interessierenden U r teile aufgrund derer dann vom Pressesachbearbeiter des Landesministers der Justiz für Schleswig-Holstein Pressemitteilungen angefertigt werden, die ihrerseits i m Basisdienst von dpa erscheinen 7 . Seit 1962 sprechen i n der vom Kieler Landgerichtspräsidenten veranstalteten Vortragsreihe „Justiz und Presse" Staatsanwälte, Richter und Journalisten über einschlägige Themen. Weiterhin sind an Berufs4

Z V + Z V 1966, S. 2269. Vgl. etwa E. Klabunde, „Justiz, Öffentlichkeit u n d Presse", S. 7 ff.; H. K. J. Ridder, Empfiehlt es sich, die vollständige Selbstverwaltung der Gerichte i m Rahmen des Grundgesetzes gesetzlich einzuführen? (1953), S. 133; R. Wassermann, D R i Z 1963, 294ff.; H. Bührke, D R i Z 1966, S. 5 f f . ; ferner: „Justiz u n d Öffentlichkeit", Sieben Beiträge zur Frage der Beziehungen z w i schen der Justiz u n d den Kommunikationsmitteln, herausgegeben v o n H. Reynold. 6 Vgl. etwa Erhard Becker, Beilage „Der Journalist" Heft 1, 1968, S. 8, 9; H. Bührke, Justiz u n d Öffentlichkeit, S. 30 f. 7 H. Bührke, D R i Z 1966, S. 5, 7. 5

A . Justiz

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und Volkshochschulen viele Richter und Staatsanwälte als juristische Dozenten tätig 8 . Immer wieder w i r d allerdings betont, die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz dürfe keine „Meinungspflege" betreiben 9 , ferner wolle man der Öffentlichkeit, kein „mittels Propaganda und Reklame . . . manipuliertes, von der Wahrheit abweichendes B i l d . . . vom Sein und Wirken" der Justiz vermitteln 1 0 sowie kein „Managertum der Werbung" 1 1 betreiben. I n der Tat lassen die für die Pressearbeit der Justiz von den zuständigen Landesministerien erarbeiteten Richtlinien keinen Raum für derartige Werbung. So betonen die „Richtlinien für die Zusammenarbeit der Justizbehörden m i t der Presse des Landesministers der Justiz für SchleswigHolstein" — A V d J M v. 14.12.1955 12 — daß „nur durch persönliche Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis . . . ein Vertrauensverhältnis (zwischen Justizbehörde und Presse) geschaffen werden (kann)" 1 3 . Vorgesehen sind „Pressebesprechungen" (u. a. Vorträge und „Aussprachen über allgemeine Fragen des Rechts"). Außerdem ist den Gerichtsberichterstattern i n kurzen Zeitabständen eine Übersicht zuzuleiten, „über die demnächst anstehenden Termine zur Hauptverhandlung, die die Öffentlichkeit interessieren können. Bei umfangreichen, rechtlich schwierigen oder bedeutungsvollen Verfahren" w i r d empfohlen, „die Journalisten vor der Verhandlung i n den Prozeßstoff einzuführen" 1 4 . Die Möglichkeit, gerade i n „bedeutungsvollen Verfahren" I n formationspolitik durch einseitige Auswahl und Ausrichtung von Informationen und Informationsvermittlern zu betreiben, besteht nur dann, wenn diese Verfahren nicht öffentlich geführt werden, besonders also i m strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. So zeigt es sich, daß die Pressestellen der Staatsanwaltschaften i m Ermittlungsverfahren i n sog. politischen Strafsachen von größerer Bedeutung zur Manipulation von Nachrichten neigen. Dieser Methode hat sich beispielsweise die Pressestelle der Bundesanwaltschaft i n ihren Mitteilungen über das gegen das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" wegen Verdachts des Landesverrats (§§ 99,100 StGB) eröffnete Ermittlungsverfahren bedient. 8

H. Bührke, D R i Z '66, S. 9. H. Bührke, Justiz u n d Öffentlichkeitsarbeit, S. 26. 10 R. Wassermann, Justiz u n d public relations, DRiZ 1963, S. 294 ff., 296. 11 E. Becker, J u s t i z k r i t i k ist heute notwendiger denn je, S. 9. 12 SchlHA 1956, S. 43. 18 A V unter I I , ebd., S. 44. 14 A V unter V I I I . ebd., S. 45. 9

1. Teil, Kap. I I : Öffentlichkeitsarbeit v. Justiz, Legislative, E x e k u t i v e

Das Verfahren wegen eines i m „Spiegel" Nr. 41 vom 10.10.1962, S. 33, veröffentlichten Artikels „Bedingt abwehrbereit" war m i t nächtlichen Durchsuchungen der Geschäftsräume des „Nachrichtenmagazins" eingeleitet worden. Diese Durchsuchungen zur Nachtzeit wurden erst am 2.11.1962 auf einer von der Bundesanwaltschaft i n Karlsruhe veranstalteten Pressekonferenz damit begründet, daß „Gefahr i m Verzuge" gewesen sei 15 . A m 29.10.1962, drei Tage nach jener nächtlichen Aktion, hatte die Bundesanwaltschaft den Sprecher des Bundesjustizministeriums für die am selben Tage stattfindende Bundespressekonferenz jedenfalls noch nicht über diese Begründung inhaltlich unterrichtet. Es blieb zunächst bei der Beteuerung, „daß hier sicherlich der Fall der Gefahr i m Verzuge vorgelegen h a t " 1 6 . Eine genaue Darstellung der Ereignisse hat die Bundesanwaltschaft dann erst i m „Spiegel-Bericht der Bundesregierung" 17 am 5. Februar 1963 gegeben. Dieser nicht gerechtfertigten Geheimhaltung entspricht eine ebensowenig begründete „Dramatisierung" des Falles i n der M i t teilung der Pressestelle der Bundesanwaltschaft vom 22.10.1962, wonach die Durchsuchungen wegen eines Ermittlungsverfahrens „auf Grund von Veröffentlichungen erfolgten, die sich m i t wichtigen Fragen der Landesverteidigung i n einer A r t und Weise befaßten, die den Bestand der Bundesrepublik sowie die Sicherheit und Freiheit des deutschen Volkes gefährdet" 1 8 . M i t Recht hat J. Seifert 19 betont, daß es i n der Praxis der Ermittlungsorgane sonst üblich sei, sich bei der Angabe von Straftatbeständen auf den Gesetzeswortlaut zu beschränken, so daß es i m „Spiegel-Fall" hätte heißen müssen, daß der „Spiegel" Tatsachen veröffentlicht habe, deren Geheimhaltung für das Wohl der Bundesrepublik erforderlich ist (§ 99 StGB). Überflüssig war m i t h i n der den Ermittlungsgegenstand zur nationalen Sicherheits- und Existenzfrage hochspielende Zusatz: „ . . . die den Bestand der Bundesrepublik sowie die Sicherheit und Freiheit des deutschen Volkes gefährdet." Es besteht der Verdacht, daß m i t dieser unnötigen Dramatisierung von Informationen der sachlich nicht gerechtfertigte 20 Umfang der Er16 B u l l e t i n des Presse- u n d Informationsamts der Bundesregierung, 6. November 1962, Nr. 205, S. 1740. 16 Protokoll der Bundespressekonferenz, unkorrigiertes Manuskript, M o n tag, den 29. Oktober 1962, abgedruckt i n : Die Spiegel-Affaire, Band I, S. 434, 437. 17 B u l l e t i n des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 23 v. 5. 2.1963, S. 194 - 204. 18 „Strafverfahren (!) gegen das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel", B u l l e tin, 31.10.1962, Nr. 203, S. 1716. 19 Die Spiegel-Affaire, Band I, S. 160. 20 Der B G H hat die Angeschuldigten Ahlers u n d Augstein durch Beschluß v. 13.5.1962 — 6 StE 4/64 — = N J W 1965, S. 1187 ff. mangels Beweises außer Verfolgung gesetzt.

A . Justiz

3i

mittlungen (Besetzung aller Redaktionsräume sowie der Fernsprechzentrale) und ihre spektakulären Begleitumstände (nächtliche Festnahme des Redakteurs Conrad Ahlers i n Torremolinos durch die spanische Polizei am 27.10.1962) motiviert und die K r i t i k der Öffentlichk e i t 2 1 zum Schweigen gebracht werden sollte. Dem Zweck, eine erregte Öffentlichkeit zu beruhigen, entsprach es andererseits, jene rechtlich höchst zweifelhaften „Begleitumstände" zu bagatellisieren. Die Bundesanwaltschaft hatte den richterlichen Durchsuchungsbefehl zum Anlaß genommen, alle Redaktionsräume „auf die Anwesenheit von Angehörigen des Verlages" zu überprüfen und anschließend die Türen dieser Räume zu verschließen und zu versiegeln 22 . Hierzu wurde durch die Pressestelle der Bundesanwaltschaft i n Karlsruhe am 27.10.1962 lediglich mitgeteilt 2 3 , daß „am 26. Oktober 1962 auf Anordnung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs die Geschäftsräume des Nachrichtenmagazins Der Spiegel i n Hamburg und Bonn durchsucht worden" seien. Seifert kennzeichnet diese Information treffend als „Bagatellisierung" der tatsächlichen Vorgänge, welche die irrige Annahme hervorrufen mußte, als sei die Durchsuchimg bereits abgeschlossen24. Solches Verhalten der Pressestelle läßt den Schluß zu, daß hier die zu erwartende K r i t i k der Öffentlichkeit m i t Hilfe von manipulierten Nachrichten von vornherein eingeschläfert werden sollte. I n der Tat waren der Zeitpunkt und die A r t des Vorgehens später Ausgangspunkt aller kritischen Stellungnahmen 2 5 . Immerhin kann das beschriebene Verhalten der Bundesanwaltschaft i m Ermittlungsverfahren gegen den „Spiegel" nicht unmittelbar auf Pressionen seitens der Bundesregierung zurückgeführt werden, w e i l die Rolle der Minister Höcherl, Stammberger und Strauß i m Zusammenhang m i t der „Spiegel-Affaire" am 27.10.1962 noch nicht bekannt war. Derartige Informationspolitik von Justizpressestellen ist natürlich allein i m nichtöffentlichen Stadium eines Verfahrens möglich, w e i l es nur hier der Vermittlung durch amtliche Öffentlichkeitsarbeit bedarf. Insofern ist die Manipulation von Nachrichten durch Justizpressestellen wohl recht selten 28 . 21

Vgl. hierzu Th. EUwein / M . Liebel f I. Negt, Die Spiegel-Affaire, B a n d I I . Vgl. den Spiegel-Bericht des Bundesministers der Justiz an den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, H e r r n Dr. K o n r a d Adenauer, v o m 31. Januar 1963, Anlage, Bericht des Bundesministers des I n n e r n über die Ermittlungshandlungen i n Bonn u n d H a m b u r g seit dem 26. Okt. 1962, abgedruckt i n „Die Spiegel-Affaire" B a n d I, S. 533 ff., 534. 23 B u l l e t i n des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung, 31.10.1962, Nr. 203, S. 1716. 24 „Die Spiegel-Affaire", B a n d I, S. 162. 25 „Die Spiegel-Affaire", B a n d I I , S. 67. 26 Vgl. aber die Kontroverse zwischen der Bundesanwaltschaft u n d dem Oberlandesgerichtspräsidenten a.D. Richard Schmid aus Anlaß des PätschProzesses, D R i Z 1966, S. 13, 90. 22

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1. Teil, Kap. I I : Öffentlichkeitsarbeit v. Justiz, Legislative, Exekutive

B. Legislative Die Öffentlichkeitsarbeit der Legislative, also der Kommunal- und Landesparlamente sowie von Bundestag und Bundesrat, zeigt ein recht einheitliches Bild. Prinzipielle Öffentlichkeit der Sitzungen — die gleichwohl selten von Zuhörern besucht werden — hemmt offenbar ebenso wie die Verschiedenartigkeit der von ihnen vertretenen politischen Parteien — das Interesse der Abgeordneten an aktiver parlamentarischer Öffentlichkeitsarbeit. A n dieser Stelle sei zunächst nochmals darauf hingewiesen, daß unter „Öffentlichkeitsarbeit" nicht die schlechthin „öffentliche" d. h. jede nicht geheime Tätigkeit als solche zu verstehen ist, weil der Begriff dann gänzlich konturlos und damit sinnentlehrt würde. Es handelt sich vielmehr u m Aktivitäten, die speziell auf die Veröffentlichung bestimmter, an sich unzugänglicher Vorgänge gerichtet sind und die häufig zugleich noch weitergehende Ziele verfolgen (insbesondere Einflußnahme auf die Meinungen der Adressaten). Insofern kann sich die Öffentlichkeitsarbeit prinzipiell öffentlich tagender Parlamente nur auf — allerdings seltene — nicht-öffentliche Sitzungen und die regelmäßig geheimen Verhandlungen bestimmter Ausschüsse beziehen. Sie kann aber auch der Verbreitung von Debatten über die beschränkte Öffentlichkeit der Sitzungssäle hinaus, also der Herstellung einer größeren Öffentlichkeit durch Anregung und Unterstützung der Parlamentsberichterstattung sowie der Aufklärung über Funktion und Arbeitsweise von Parlamenten dienen. Demgemäß gehören Parlamentsreden, mögen sie auch „zum Fenster hinaus" gehalten worden sein, ebensowenig zur Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente 27, wie etwa staatsanwaltliche Plädoyers zur Öffentlichkeitsarbeit der Justiz zu zählen sind. Deshalb sollte man Parlamentsdebatten auch nicht als eine der Regierungs-Öffentlichkeitsarbeit entgegenwirkende „parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit" bezeichnen (obwohl solche Debatten diese Wirkung haben können) 28 . Versteht man den Begriff i n oben beschriebenem Sinn, so betreiben die Parlamente keine eigene Öffentlichkeitsarbeit. Von der Gemeindevertretung bis hinauf zum Bundestag beschränkt man sich meist darauf, Schulklassen die Stellung und Funktion der Legislative von Par27 Regelmäßig handelt es sich hierbei jedoch u m „public-relations" des einzelnen Abgeordneten bzw. seiner Partei. 28 So aber W. Schmidt, Chancengleichheit der Fraktionen unter dem Grundgesetz, Der Staat 9 (1970), S. 481 ff., 491. Mißverständlich auch H. Rid der, (Grundgesetz u n d Öffentlichkeitsarbeit, S. 59), der von „Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des staatlichen Organgefüges" spricht. Ä h n l i c h w i e hier unterscheidet H. Hämmerlein, Wege u n d Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, S. 50.

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lamentariern erklären zu lassen und den Besuchern — sofern gerade Sitzungen stattfinden — die Zuschauertribünen zu öffnen. Derartige Führungen finden i m Bundestag ständig statt 2 9 , i n anderen Parlamenten zum Teil nur aus gegebenem Anlaß. Für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages stellte der Bundeshaushaltsplan noch 1968 lediglich 250 000 D M für die „Einführung von Erzieher- und Jugendgruppen i n die Arbeit der Volksvertretung sowie für Informationen, Publikationen u. ä." 3 0 zur Verfügung. Dieser Beitrag wurde i m Haushaltsjahr 1971 auf 1 M i l l i o n D M erhöht. I m selben Haushaltsjahr standen für die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages, d. h. zur umfassenden Unterrichtung über aktuelle Tätigkeit sowie Organisation und Arbeitsweise des Parlaments, eine weitere M i l l i o n D M bereit 3 1 . Nachdem eine amerikanische Studie festgestellt hatte, daß allein die Deutschen i m Vergleich m i t US-Amerikanern, Briten, Italienern und Mexikanern administrative Entscheidungen den legislativen vorziehen 3 2 und weiterhin bekannt wurde, daß 85 °/o der deutschen Bevölkerung noch nie etwas über die Tätigkeit ihres Wahlkreisabgeordneten i m Bundestag gehört hatten 3 3 , sprachen sich Abgeordnete aller drei dort vertretenen Parteien i n der Sitzung vom 27. März 1969 für die Verstärkung der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit aus. Zugleich wurden die M i t t e l für einen Stab von Fachjournalisten bewilligt, welcher der Öffentlichkeit die Arbeit des Bundestages durch Broschüren und Filme erläutern soll 3 4 . Dieser Stab nahm seine Tätigkeit zu Beginn des Jahres 1970 als „Presse- und Informationszentrum i m Deutschen Bundestag" auf. I n drei Referaten soll „praktische Arbeitshilfe für Abgeordnete und Zeitungsleute" 3 5 geleistet werden. Geplant ist u. a. die Edition einer „Parlaments-Korrespondenz" für Parlamentarier und Journalisten m i t Berichten über Beschlüsse des Bundestages, die Arbeit i n den Ausschüssen und über Fragestunden, Hearings sowie alle Parlamentsaktivitäten, ferner sind Tagungsveranstaltungen vorgesehen. Außerdem sollen eigene Dia-Serien, Tonband-Aufnahmen und Fernseh-Aufzeichnungen, Bildbände und Broschüren an Schulen und Partei-Organisationen verteilt werden. Damit diese „Selbstdar29

E t w a 5 M i l l i o n e n Besucher bis 1961. Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1968, Kap. 0201, Erl. zu T i t e l 308. 31 Bundeshaushaltsplan f ü r das Haushaltsjahr 1970, Kap. 0201, Tit. 53101 u n d Erläuterungen hierzu. 32 G. A. Almond / S. Verba, The Civic Culture, S. 218, 225 f. 33 Jahrbuch der öffentlichen Meinung I, S. 161; I I , S. 174; I I I , S. 262. 34 Vgl. K . ü . von Hassel, B u l l e t i n des B P A Nr. 40 v. 28. 3.1969, S. 342, 344. 35 So K . U. von Hassel nach einem Bericht i n : „Der Spiegel", 24. Jahrg. Nr. 4 v. 19.1.1970, S. 29. 30

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Stellung" des Bundestages parteipolitisch neutral bleibt, untersteht das „Presse- und Informationszentrum" der Aufsicht eines aus dem Bundestagspräsidenten, drei seiner Stellvertreter und drei Abgeordneten zusammengesetzten Komitees 3 6 . Ende November 1971 erschien das erste Heft einer vom Presse- und Informationszentrum des Bundestags herausgegebenen illustrierten Zeitschrift unter dem Titel „Parlament aktuell" i n einer Auflage von 500 000 Exemplaren. I n diesem graphisch recht aufwendig gestalteten Blatt wurden die Arbeit der Bundestagsabgeordneten, der Parlamentsausschüsse und des Ältestenrates allgemein verständlich und reich bebildert dargestellt. Gleichzeitig versuchte man die häufig monierte schwache Besetzung des Parlaments i n Plenardebatten zu rechtfertigen und andererseits vielfach anzutreffende Vorurteile gegen heftige politische Kontroversen i m Plenum abzubauen. Die an sich sehr wichtige Aufklärung über die Arbeit der „Spitzen der Fraktionen" beschränkte sich freilich auf großformatige Abbildungen der jeweiligen Fraktionsvorsitzenden 87 . Bislang jedoch befaßte sich allein die (als rechtsfähige Bundesanstalt i m Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern errichtete) „Bundeszentrale für politische Bildung" m i t der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit. So finanzierte sie beispielsweise i m Sommer 1969 eine Auflage der Zeitschrift „Limes" von einer M i l l i o n Exemplaren als Sonderdruck. Darin wurden die Arbeit des Bundestages und der Tagesablauf eines Parlamentariers am Beispiel je eines Abgeordneten der drei Fraktionen geschildert. Mitglieder des Bundestags konnten die Schrift zum Verteilen i n ihren Wahlkreisen kostenlos bestellen. Die „Bundeszentrale für politische Bildung" gibt ferner die Wochenzeitung „Das Parlament" heraus, i n welcher ausführliche Teile der Bundestagsdebatten i n Protokollform veröffentlicht werden. Da ihre Auflage über 100 000 Exemplare beträgt, ist „Das Parlament" für einen breiteren Leserkreis zur wichtigsten dokumentarischen Quelle geworden, zumal die privaten Abonnements der offiziellen „Stenographischen Berichte" 1000 nicht übersteigen. Die demgegenüber recht hoch er36

Vgl. „Eigene Werkszeitung",/Der Spiegel, 24. Jahrg. Nr. 4 v. 19.1.1970, S. 29. 37 I n SPD-Kreisen wurde kritisiert, daß Günter Fraschka zu den verantwortlichen Redakteuren des Blattes gehört, w e i l Fraschka als Herausgeber der Zeitschrift „ L i m e s " i m Jahre 1968 neben „Public-Relations-Aufsätzen" f ü r die Bundeswehr auch eine scharfe K r i t i k an der Ost-Politik des damaligen Außenministers Willy Brandt veröffentlicht hatte. Seinerzeit waren v o m Verteidigungsministerium 15 000 Exemplare dieses Heftes angekauft worden. Schon i m Bundestagswahlkampf 1965 hatte Fraschka die u m s t r i t tene CDU-Wahlillustrierte „65 — eine Zeitung f ü r jedermann" v e r a n t w o r t lich redigiert. Vgl. hier U. Hoffmann, Parlamentsauftrag f ü r „ L a n d s e r - A u t o r " FR v. 27.11.1971).

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scheinende Auflage der Wochenzeitung „Das Parlament" w i r d allerdings kaum durch private Abonnements als vielmehr durch die gebührenfreie Verteilung der Zeitung an Schulen, Jugendverbände, Bundeswehreinheiten und kirchliche Organisationen erreicht 38 . Die Vermittlung von Parlamentsdebatten bleibt m i t h i n überwiegend der privaten Presse, dem Rundfunk und Fernsehen überlassen, wobei die Bedeutung von Presseberichten für Parlamente m i t beschränktem Kompetenzbereich zunimmt und schließlich auf unterster Ebene (Lokalparlament — Lokalpresse) fast zur einzigen Informationsquelle der Bürger wird. Auch i m Programm der Landes-Rundfunkanstalten und des regionalen Fernsehens nehmen Berichte aus den Landesparlamenten nur einen schmalen Raum ein und unterscheiden sich insofern nicht sehr von der Berichterstattung aus dem Bundestag. Dabei scheinen die zum öffentlichen Verhandeln verpflichteten Parlamentarier (vgl. z. B. A r t . 42 I 1 GG) grundsätzlich sogar eine gewisse Scheu vor breiter Öffentlichkeit zu haben. Immerhin waren Direktübertragungen aus dem Bundestag bei Plenarsitzungen Anlaß zu öffentlicher K r i t i k sowohl an dem von vielen abwesenden Mitgliedern anscheinend bekundeten Desinteresse wie auch an der durch „Fraktionszwang" hervorgerufenen Uniformität der vertretenen Ansichten 39 . Der Beschluß des Ältestenrates des Bundestages vom Jahre 1958, wonach Direktübertragungen von Rundfunk und Fernsehen nur zu formellen Anlässen gestattet werden sollten, ist 1963 geändert worden. Nunmehr dürfen m i t Genehmigung des Präsidenten alle Plenarsitzungen von Rundfunk und Fernsehen aufgenommen und i n Ausschnitten gesendet werden, während Direktübertragungen nur bei Debatten von besonderem öffentlichem Interesse zugelassen werden sollen. Hinter dieser immer noch restriktiven Regelung steht sicherlich auch der Einfluß der Regierung, die i n derartigen Übertragungen einen weiteren Anstoß für unwillkommene K r i t i k sah 40 . Andererseits dürfte die spärliche Resonanz parlamentarischer Tätigkeit i n der Bundesrepublik dann auf ein Versagen der Parlamentsberichterstattung deuten, deren politische Funktion unter solchen Umständen i n der Vermittlung des Öffentlichkeitsprinzips liegt 4 1 . Die eigentlichen Ursachen jenes Publizitäts-Defizits wurzeln jedoch — mindestens soweit es den Bundestag und die Länderparlamente angeht — noch tiefer: Der Schwerpunkt parlamentarischer Tätigkeit liegt heute eindeutig i n den Beratungen der grundsätzlich nicht öffentlich 88

Vgl. „Das Parlament" 11. Jahrg. v. 25.10.1961, S. 8 f. Vgl. hierzu G. Loewenberg, Parlamentarismus, S. 498. 40 Vgl. G. Loewenberg, Parlamentarismus, S. 498. 41 Vgl. H. Haftendorn, Die politische F u n k t i o n der Parlamentsberichterstattung, Publizistik 1961, S. 290 ff. 39

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tagenden 42 Ausschüsse 43 . Immerhin kann der jeweilige Bundestagsausschuß heute i m Gegensatz zu der starren Regelung des § 73 I a. F. GeschOBT 44 i m Einzelfall die Öffentlichkeit durch Beschluß zulassen (§ 73 I I 2 GeschOBT). Das mangelnde Verständnis vieler Abgeordneter für die Funktion parlamentarischer Öffentlichkeit zeigte sich jedoch deutlich, als der Bundestag den FDP-Antrag, Ausschüsse nach Vorbild des Bayrischen Landtags prinzipiell öffentlich tagen zu lassen, mit großer Mehrheit ablehnte. Obwohl i n der Antragsbegründung darauf hingewiesen worden w a r 4 5 , daß die Öffentlichkeit häufig von Parlamentsbeschlüssen i n 2. und 3. Lesung überrascht werde, deren Entstehungsgeschichte i n den Ausschüssen ihr fremd sei und deren Tragweite sie nicht übersehen könne, glaubte jene Mehrheit offenbar, eine „gute politische Diskussion könne allein i m „Konversationsstil" geheimer Beratungen" gedeihen 46 . Wenn das Parlament solchermaßen seine politischen Auseinandersetzungen ins Geheime verlegt, w e i l das öffentliche Erarbeiten „schwieriger Kompromisse" unvorstellbar erscheint 47 , dann bleibt als Funktion von Plenardebatten nur eine „gesteuerte Integrat i o n " 4 8 durch wohlvorbereitete Schaukämpfe 49 während die Vermittlerrolle zwischen Regierung und Öffentlichkeit nahezu vollständig aufgegeben wird. Die letzte Aufgabe nimmt die Exekutive heute i m Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit zu Lasten der Aktualität parlamentarischer Diskussion weitgehend selbst wahr 5 0 , indem man Massenmedien und Verbände über bestimmte Vorhaben, Pläne und Ansichten eher als das Parlament unterrichtet 5 1 . Nach § 25 GGO I I steht es der Bundesregierung etwa frei zu entscheiden, ob es geboten ist, Mitgliedern des Bundestages Gesetzentwürfe vor ihrer Verabschiedung durch das Kabinett zugänglich zu machen. I n seiner A n t w o r t auf eine „kleine Anfrage" zur Informationspolitik seines Ministeriums 5 2 betonte der Bundesmi42 Vgl. z. B. § 73 Abs. 2 Satz 1 GeschOBT i. d. F. der Bekanntmachung v o m 22. 5.1970. 43 Hierzu H. Rausch / H . Oberreuter, Parlamentsreform i n der D u n k e l kammer?, S. 150. 44 I n der Bekanntmachung v o m 28.1.1952. 45 Durch den Abg. Moersch (FDP) i n der 240. Sitzung des B T am 18. 6.1969 (BT-Sten.Ber., S. 13305 D). 46 So der Abg. Dichgans (CDU/CSU) i n der 240. Sitzung des B T (BT-Sten. Ber., S. 13307 C). 47 So Abg. Dichgans, a.a.O. 48 J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 226. 49 Vgl. G. Loewenberg, Parlamentarismus, S. 463. 60 Vgl. G. Loewenberg, Parlamentarismus, S. 503 f. 61 Vgl. dazu allgemein: ü . Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, i n : Festschrift für Ad. Arndt, S. 399. 52 BT-Drucksache VI/1817.

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nister für Bildung und Wissenschaft dementsprechend am 24. 2.1971, daß neben der Unterrichtung des Bundestages „auch das Interesse der Öffentlichkeit an bildungspolitischen Fragen berücksichtigt werden (müsse), so daß Unterrichtung der parlamentarischen Gremien und der Öffentlichkeit häufig Hand i n Hand gehen. Eine Verzögerung der Information der Presse führt häufig zu ungenauen oder spekulativen Presseäußerungen zu den Vorhaben der Bundesregierung" 53 . Diese unerwünschte Verzögerung wäre i n der Tat eingetreten, wenn man zunächst allein den nicht öffentlich tagenden Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft informiert hätte. Tatsächlich bewirkt die Verlegung parlamentarischer Tätigkeit vom Plenum i n die Ausschüsse also nicht nur einen fortschreitenden Verfall des Öffentlichkeitsprinzips, sondern stärkt zugleich die publizistische Position der Regierung. Hieran hatte sich auch nichts geändert, nachdem die Bundesregierung auf Ersuchen des Ältestenrates seit Februar 1973 begonnen hatte, den Bundestag während der Sitzungsperioden unmittelbar und zeitlich vor der allgemeinen Pressekonferenz des Regierungssprechers über die jeweiligen Kabinettsbeschlüsse i m Plenum zu unterrichten. Das dafür vereinbarte Verfahren, welches die aktuelle Kurzinformation allein ins Regierungsermessen legte und sie auf eine halbe Stunde beschränkte, wovon 20 Minuten dem Kabinett und 10 Minuten für Fragen reserviert waren, ließ eine wirklich aktuelle Erstinformation der Öffentlichkeit kaum erwarten. Vor allem, w e i l den Abgeordneten jeweils nur eine Frage zustand und w e i l der Ältestenrat — gegen die Stimmen der Opposition — eine anschließende, kritisch auf den Regierungsbericht bezogene „aktuelle Stunde" bewußt nicht vorgesehen hatte, gelang es den Regierungsvertretern sehr bald, auch diese Kabinettsberichte als Gelegenheit zur öffentlichen Selbstdarstellung zu nutzen, l i m i n den dann folgenden Pressekonferenzen — wie schon zuvor — die eigentlich interessanten Informationen direkt an die Medien zu geben. Noch i m selben Jahr wurde diese „aktuelle Kurzinformation" i m Bundestag, die sich offensichtlich aus strukturellen Gründen nicht hatte bewähren können, deshalb wieder abgeschafft. Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, daß die Parlamente als legislative Einheiten wenig selbständige Öffentlichkeitsarbeit treiben und eine kommunikative Vermittlungsfunktion zwischen Exekutive und Öffentlichkeit kaum wahrnehmen 5 4 .

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BT-Drucksache VI/1881. Vgl. G. Loewenberg, Parlamentarismus, S. 503 f.

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C. Exekutive Unter Exekutive soll hier der gesamte Bereich der Staatsverwaltung i m weitesten Sinne von den unteren Verwaltungsbehörden und der kommunalen Selbstverwaltung über die Verwaltung der Bundesländer und die Landesregierungen bis hin zur Bundesverwaltung und Bundesregierung verstanden werden. I . Allgemeines

Umfang, Methoden und Zielsetzung der Öffentlichkeitsarbeit i n der Exekutive können i m Folgenden nur skizzenhaft dargestellt werden. Auch i m Bereich der Exekutive w i r d die Öffentlichkeitsarbeit überwiegend von Pressestellen besorgt. Pressestellen bestehen bei allen Bundesministerien, bei den Landesregierungen sowie bei den meisten Landkreisen und kreisfreien Städten, nicht jedoch bei den einzelnen Fachbehörden, die überwiegend nicht aktiv mit der Presse verkehren 5 5 , w o h l aber der Auskunftspflicht nach dem jeweiligen Landespressegesetz unterliegen. Da die Arbeit der amtlichen Pressestellen allgemein als „Daseinsvorsorge" i n der Form schlichter Hoheitsverwaltung aufgefaßt w i r d 5 6 , sind sie m i t h i n als „Behörden" 5 7 i n die Verwaltungsorganisation eingegliedert und unterliegen der Dienstaufsicht sowie den Weisungen vorgesetzter Behörden, mindestens aber des jeweiligen Regierungschefs. I I . Die Öffentlichkeitsarbeit auf Gemeinde-, Kreis- und Landesebene

Umfang und Methoden der Öffentlichkeitsarbeit sind auf Gemeinde-, Kreis- und Landesebene sehr unterschiedlich. Hinsichtlich der Intensität amtlicher Öffentlichkeitsarbeit besteht ein hauptsächlich durch den verschiedenen Umfang der bereitgestellten M i t t e l zu erklärendes Gefälle von der Landesebene hinab zu den Gemeinden. Darüber hinaus ist auch das Bedürfnis nach aktiver Öffentlichkeitsarbeit i n kleineren Verwaltungseinheiten geringer, weil Wirkungen und Fehlleistungen der Verwaltung dem einzelnen i n einem überschaubareren regionalen Verwaltungsbereich wesentlich offenkundiger sind. Der Bürger kann sich hier häufig noch selbst ein B i l d von der staatlichen Tätigkeit machen, ohne der Vermittlung durch Dritte i n Presse, Rundfunk und 85 Vgl. Gisela Sänger, F u n k t i o n amtlicher Pressestellen i n der demokratischen Staatsordnung, S. 28. 66 Vgl. z.B. G. Sänger, F u n k t i o n amtlicher Pressestellen . . . , S. 72 ff.; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 50 ff. 67 Vgl. zu diesem Begriff ff.-J. Wolff, Verwaltungsrecht I I , § 76, S. 74 ff.

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Fernsehen zu bedürfen. M i t zunehmender Bevölkerungsdichte und einer i m Zuge der Verwaltungsrationalisierung angestrebten Vergrößerung unterer Verwaltungseinheiten w i r d die Öffentlichkeitsarbeit i n Zukunft sicher auch i n diesen Bereichen ausgeweitet und intensiviert werden. 1. Mittelbare

Öffentlichkeitsarbeit

Ihre Funktion als Auskunftsstellen nehmen die Presseämter nicht nur durch Einzelauskünfte und Vermittlung von Auskünften der Fachbehörden wahr, sondern vor allem i n den aus aktuellem Anlaß oder regelmäßig abgehaltenen Pressekonferenzen. Pressekonferenzen veranstalten jedoch auch die „Landespressekonferenzen", Zusammenschlüsse der i n einem Bundesland tätigen Journalisten, die ihrerseits Behördenoder Regierungsvertreter einladen, zu bestimmten Ereignissen Stellung zu nehmen und Auskünfte zu geben. Sehr häufig verteilen die Befragten auf vervielfältigten „Waschzetteln" vorbereitete Erklärungen an die Presse. Erfahrene Journalisten warnen davor, von solchem „sauber aufbereitete(n) M a t e r i a l " 5 8 „unbesehen eine als Information verkleidete Meinung zu übernehmen" 6 0 . Der Wunsch nach unverändertem Abdruck steht auch hinter dem an die Presse Niedersachsens regelmäßig verteilten „NiedersachsenDienst", einer Sammlung von berichtenden und kommentierenden Beiträgen für Landespolitik, deren honorarfreier Abdruck „auch ohne Quellenangabe gestattet" ist, eine Möglichkeit, von der vor allem die Provinzzeitungen Gebrauch machen 60 . Dem „Niedersachsen-Dienst" entspricht nach Zweck und Aufmachung der wöchentlich von der Staatskanzlei i n Hessen ebenfalls zum „honorarfreien Abdruck auch ohne Quellenangabe" herausgegebene „Hessendienst". Beim „Hessendienst" handelt es sich fast ausnahmslos u m positive Leistungs- und Erfolgsberichte der Hessischen Landesregierung 61 , die jeweils m i t umfangreichem Zahlenmaterial belegt werden. Jeder A r t i k e l nennt den Ministerpräsidenten oder zuständigen Fachminister namentlich 6 2 , ohne daß hierm i t zugleich eingehendere Informationen über die Arbeit der einzelnen Behörde verbunden wären. Die den Ministern i n den M u n d gelegten Mitteilungen bleiben unverbindlich und sind damit dem gesamten Stil 68 A. von Cube („Vorwärts"), Das Instrumentarium der öffentlichen M e i nungsbildung, S. 261. 59 ff. Schuster („Süddeutsche Zeitung"), P o l i t i k m i t Nachrichten, politische Studien Heft 181 (1968), S. 530. 80 Vgl. G. Sänger, F u n k t i o n amtlicher Pressestellen, S. 33 A n m . 45. 61 Dies t r i f f t auf 14 von insgesamt 15 i m M a i 1968 erschienenen A r t i k e l n des „Hessendienst" zu. 62 Minister x „sagt", „ t e i l t m i t " , „konstatiert", „stellt fest", „ e r k l ä r t " , „betont".

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des jeweiligen Textes so sehr angepaßt, daß die namentliche Erwähnung der Regierungsmitglieder hier allein den Sinn haben kann, ihre Popularität dadurch zu steigern, daß alle Leistungen der Verwaltung stereotyp m i t diesen Persönlichkeiten verbunden werden. I m Rahmen ihrer mittelbaren Öffentlichkeitsarbeit veranstalten viele Pressestellen schließlich Besichtigungsfahrten, Empfänge und Diskussionsabende sowie Journalistentees für die Presse. So veranstaltete die Staatliche Pressestelle Hamburg 1967 neben hundert Pressekonferenzen auch Journalisten-Essen, parlamentarische Bierabende m i t Pressegästen sowie die alljährliche Bewirtung der Chefredakteure von Hamburger Zeitungen und Zeitschriften 63 . 2. Unmittelbare

Öffentlichkeitsarbeit

I n den Bereich der unmittelbaren Öffentlichkeitsarbeit, die sich direkt an den Bürger wendet, gehören die „Staatsanzeiger" der Landesregierungen als offizielle Verkündungsorgane amtlicher Bekanntmachungen und Mitteilungen für die Verwaltung. Rein amtliche Verkündungsorgane sind auch die von vielen Landesministerien herausgegebenen Mitteilungsblätter. Nur i n Rheinland-Pfalz w i r d eine „Staatszeitung" herausgegeben. I m Gegensatz zu solchen rein amtlichen Informationsblättern enthalten die meisten „Amtsblätter" oder „Stadtanzeiger" häufig daneben oder ausschließlich Leistungs- und Erfolgsberichte der Verwaltung. Diesem Zweck dient etwa auch die von der Hessischen Staatskanzlei herausgegebene kostenlose Zeitschrift „Hessen heute", welche über „Leben, Wirtschaft und K u l t u r des Landes" berichtet. Interessanterweise enthält diese Zeitung großenteils Artikel, die dem „Hessendienst" entnommen sind und m i t h i n eigentlich zum Abdruck i n der privaten Presse vorgesehen werden. A u f diese Weise unterstützen sich unmittelbare und mittelbare Öffentlichkeitsarbeit gegenseitig. Die unzureichend oder gar nicht i n der Presse wiedergegebenen amtlichen Beiträge werden dem Publikum i n der Zeitschrift „Hessen heute" dann unmittelbar (amtlich) dargeboten. Neuerdings geben auch Gemeinden solche „positiven Eigenberichte" i n Zeitungsform heraus. So erschien erstmals am 20. Dezember 1968 das „Crailsheimer Stadtblatt", ein wöchentliches Anzeigenblatt, das an die Haushalte kostenlos verteilt wird. I m redaktionellen Teil dieser vom Crailsheimer Bürgermeister herausgegebenen Zeitung sollen die Einwohner über „kommunalpolitische Vorgänge aus dem Rathaus obj e k t i v " informiert werden, u m die nach Meinung des Bürgermeisters 63

Vgl. Der Spiegel Nr. 28 v. 8.4.1968 (»Werbung i n Watte'), S. 34.

C. Exekutive

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„unkorrekte und nicht objektive Berichterstattung" des einheimischen privaten Lokalblattes auszugleichen 64 . Verbreitet werden schließlich Fotoserien zu bestimmten Themen der Landespolitik i n Plakatform 6 5 zum Aushang i n Behörden, Schulen und auch privaten Ladengeschäften, sowie reich bebilderte Kalender m i t offiziellen Leistungsberichten 66 , illustrierten Broschüren 67 und sehr oft aufwendig gestaltete Bildbände. Die Kosten solcher Publikationen stehen meist i n keinem Verhältnis zu ihrem Informationswert 6 8 , doch glaubt man bei den verantwortlichen Stellen i m Wert der äußeren Gestaltung nicht nur den Wert der dargestellten Erfolge, sondern auch die Wichtigkeit der behandelten Themen unterstreichen zu können 6 9 . Die Zahl derartiger Informations-Broschüren der Gemeinden, Städte, Kreise und Länder steht nicht fest, sie w i r d aber häufig viel zu niedrig eingeschätzt 70 , zumal Kommunal- und Landespolitiker (ebenso auch die Mitglieder der Bundesregierung) anscheinend nur Interesse an Darstellungen der ihnen persönlich mehr oder weniger offen zugeschriebenen Leistungserfolge i m jeweiligen Verwaltungsbereich haben. Keine der erwähnten Plakatserien, Zeitschriften, Broschüren und Kalender verzichtet nämlich auf Portraits der jeweils verantwortlichen Politiker, die meist auch selbst i n Beiträgen und Zitaten ausführlich zu Worte kommen 7 1 . Da diese Form von Öffentlichkeitsarbeit der für jeden Wahlkampf geschätzten Publizitätspflege dient, stellen jene Politiker für solche Zwecke die M i t t e l zur Verfügung 7 2 . Dabei ist der Informationswert dieser Veröffentlichungen (deren Anzahl vielfach unterschätzt wird) höchst zweifelhaft. Sie arbeiten ganz überwiegend m i t 64 Vgl. hierzu, „Der Bürgermeister als Anzeigenblatt-Verleger" i n Z V + Z V 1969 (Heft 1), S. 25. 65 z. B. die wiederum von der Staatskanzlei i n Hessen verteilte P l a k a t serie „Hessen vorn". 66 z.B. der kostenlos verteilte „Gießener Kreiskalender", herausgegeben „ i n Zusammenarbeit m i t der V e r w a l t u n g des Landkreises Gießen". 67 z. B. „Was i n Bayern geschah. Die Staatsregierung berichtet" Herausgeber: Bayrische Staatskanzlei; „Hessen heute. Eine Dokumentation der hessischen Landesregierung." Herausgegeben v o m Hessendienst der Staatskanzlei; „ H a m b u r g heute — morgen", Der Rechenschaftsbericht 1966/70 des Senats der Freien u n d Hansestadt. 68 Vgl. insoweit die für das L a n d Schleswig-Holstein gedruckte Schrift „ S - H 70", die mehrere sachliche Fehler enthielt u n d deshalb eingestampft u n d f ü r ca. 15 000,— D M neugedruckt werden mußte, vgl. hierzu „Wieder m a l stolz" i n „Der Spiegel" Nr. 13 (24. Jahrg. 1970), S. 103. 69 H. Hämmerlein, Öffentlichkeit u n d Verwaltung, S. 108. 70 Ebd., S. 108. 71 Beispielsweise enthielt die erwähnte Plakat-Illustrierte „Hessen v o r n " i n jeder Ausgabe ein Foto des Hessischen Ministerpräsidenten u n d E i n f ü h rungen Georg-August Zinns zum jeweiligen Thema. 72 Vgl. H. Hämmerlein, Öffentlichkeit u n d Verwaltung, S. 108.

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Zahlen, Statistiken sowie graphisch-mathematischen Schaubildern und verlassen sich dabei auf den „weit verbreiteten Glauben, daß Quantität stets auch ein Ergebnis von Qualität ist". Dem Leser w i r d mit Hilfe von Statistiken ein scheinbar objektives B i l d der für oder von der Bevölkerung erbrachten Leistungen vorgestellt, während solche Statistiken ihre ohnehin begrenzte Aussagekraft nur anhand von Vergleichen i n einem entsprechenden Gesamtzusammenhang entfalten können. „Aus der Statistik, die nur ein Hilfsmittel der Diagnose sein w i l l und kann, w i r d aber allzuoft eine Medizin für die politische Therapie gebraut, die die Verwaltung m i t dem Stempel der Objektivität versehen und dem Bürger i n ihren Informationen anbieten soll. Das ist Leistungspropaganda und nicht Leistungsinformation 7 3 ." Besonders zu Wahlkampfzeiten geben Landesregierungen neuerdings schließlich auch Anzeigen i n allgemeinen Tageszeitungen auf. Als die CDU während des Landtagswahlkampfes i n Hessen 1970 auf die steigenden Verbraucherpreise hinwies und diese Entwicklung als eine Folge der Wirtschaftspolitik der Bundestagskoalition von SPD und FDP bezeichnete 74 , erklärte nicht nur die hessische SPD, man wolle hierdurch „Panikmachen, Angst verbreiten" 7 5 . Auch der hessische Wirtschaftsminister forderte hierauf i n einer Zeitungsanzeige: „Unverantwortliches Preisgerede darf Sie nicht unsicher machen", denn „die Preiswelle ist gebrochen" 76 . Die befürchtete „Unsicherheit" des Lesers konnte sich dabei allein auf dessen Wahlentscheidung zugunsten der i n Hessen regierenden SPD beziehen. Derartige amtliche Anzeigen dienten m i t h i n eindeutig der Wahlwerbung für die Regierungspartei. Die Regierung informierte schließlich auch nicht über die Wirtschafts- und Preispolitik der Regierung, sondern begnügte sich statt dessen m i t allgemeinen, an das Gefühl des Wählers appellierenden Behauptungen, wie: „Es ist uns noch nie so gut gegangen wie heute . . ." 7 7 . Wesentlich informativer sind hingegen die i n Taschenbuchform erscheinenden Nachschlagwerke „Hessen-ABC" und „Niedersachsen", die i n lexikalischer Form über Persönlichkeiten, Aufgaben, Leistungen und Institutionen der jeweiligen Landespolitik berichten. Auch der F i l m w i r d als M i t t e l unmittelbarer Öffentlichkeitsarbeit von den Kommunen und Ländern mehr und mehr eingesetzt. I n ein73

Ebd., S. 108. Vgl. z.B. die Anzeige der C D U i n FR v. 29.10.1970: „Preisfrage: Sind die Räuber von Schiller nicht w i r k l i c h ein Drama?" 75 Vgl. z. B. die Anzeige der SPD i n FR v. 3.11.1970: „Was hat Hessen von Kiesinger, Strauß u n d Barzel nach dem 8. Nov. zu erwarten?" 76 Vgl. FR 26.10.1970. 77 Vgl. FR 26.10.1970. 74

C. Exekutive

zelnen Lichtspielhäusern Nordrhein-Westfalens laufen sogar kommunale „Filmspiegel" als Beiprogramm 7 8 . Die einzelnen Behörden geben Arbeiten zu bestimmten Themen über Stadt-, Kreis- und Landesbildstellen i n Auftrag und stellen sie dann kulturellen Institutionen, Schulen und Vereinen zur Verfügung. Das Münchener „Institut für F i l m und B i l d " — eine Gründung der Länder — bietet den Landesbildstellen für Unterrichts- und Informationszwecke geeignete Streifen an. Es handelt sich dabei u m Filme, an deren Produktion das Institut entweder selbst beteiligt war oder von denen es Kopien gekauft hat, weil ihre Tendenz den beschriebenen Zwecken entspricht. Einzelne solcher i m Auftrag von Ländern und Gemeinden hergestellte Filme laufen sogar i m Beiprogramm der Filmtheater, doch setzt dies jeweils voraus, daß sie von der Filmbewertungsstelle der Länder i n Wiesbaden m i t einem Prädikat ausgezeichnet und deshalb von der Vergnügungssteuerpflicht nach Landesrecht befreit worden sind. M i t glieder der beiden Ausschüsse (Bewertungs- und Hauptausschuß) dieser Bewertungsstelle werden zwar von den Ländern berufen (Art. 3 der Verwaltungsvereinbarung zwischen den Ländern der Bundesrepublik vom 20. 9.1957 79 ), doch sind sie bei der Begutachtung der Filme unabhängig und keinen Weisungen unterworfen (Art. 7). Einige i n staatlichem Auftrag hergestellte Filme, die ihren Auftraggeber i m Vorspann nannten oder seine Repräsentanten sogar selbst auftreten ließen, sind von der Bewertungsstelle zurückgewiesen worden, offenbar w e i l sie als „Werbung" für diesen staatlichen Auftraggeber angesehen wurden und jegliche Werbung — jedenfalls für wirtschaftliche Erzeugnisse — nach § 10 I lit. c der Verfahrensordnung für die Ausschüsse der F i l m bewertungsstelle 80 — nicht prädikatisiert werden kann. H. HämmerZein 81 führt diese ablehnenden Entscheide der Bewertungsstelle darauf zurück, daß „Bedienstete der Verwaltung" unter den Ausschußmitgliedern i n der Minderheit seien und folgert dann, daß „die Länder wohl einmal prüfen (müssen), was zur Objektivierung des Verfahrens bei der Filmbewertung geschehen kann" 8 2 . Eine solche Schlußfolgerung kann i n diesem Zusammenhang nur bedeuten, daß die Filmbewertungsstelle der Länder mehr i n den Dienst amtlicher Öffentlichkeitsarbeit gestellt werden soll. Inwiefern eine verstärkte Beteiligung mindestens formell doch nicht weisungsgebundener Verwaltungsbediensteter i n den Ausschüssen die vermehrte Prädikatisierung staatlicher Filme bewirken und gleichzeitig zur „Ob78 79 80 81 82

H. Hämmerlein, Öffentlichkeit u n d Verwaltung, S. 94. Hess.StAnz. 1957, S. 1071 ff.; U F I T A 27, S. 352 ff. Hess.StAnz. 1963, S. 1424. H. Hämmerlein, Öffentlichkeit u n d Verwaltung, S. 96. Ebd., S. 96.

44

1. Teil, Kap. I I : Öffentlichkeitsarbeit v. Justiz, Legislative, Exekutive

jektivierung des Verfahrens bei der Filmbewertung" beitragen könnte, bleibt ungeklärt. 3. Die Rundfunkanstalten

der Länder

Die elf i n den Bundesländern bestehenden Landesrundfunkanstalten haben den Landesregierungen i n den jeweiligen Rundfunkgesetzen oder Anstaltssatzungen Verlautbarungsrechte eingeräumt, d. h. angemessene83 Sendezeiten für die Bekanntgabe von „Gesetzen, Verordnungen und wichtigen Mitteilungen" 8 4 . Dies gilt auch für das von diesen Landesrundfunkanstalten und dem Sender Freies Berlin durch die „Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland (ARD)" ausgestrahlte Fernsehprogramm. Der Staatsvertrag über die Errichtung der Anstalt des öffentlichen Rechts „Zweites Deutsches Fernsehen" enthält i n § 5 ebenfalls ein solches Verlautbarungsrecht der Landesregierungen. Abgesehen von diesen amtlichen Verlautbarungen und Mitteilungen w i r d das Programm durch die Rundfunkanstalten redaktionell selbst gestaltet; die Verwaltung ist an einzelnen Sendungen allenfalls i m Rahmen der Materialsammlung oder beratend beteiligt. Bei allen Rundfunk- und Fernsehanstalten überwachen entweder der jeweilige Rundfunkrat 8 5 , der Verwaltungsrat 8 6 oder beide Organe 87 die Einhaltung der von den Rundfunkgesetzgebern aufgestellten Programmgrundsätze. Diese Programmgrundsätze verpflichten die Landesrundfunkanstalten dem Sinne nach zu einer unabhängigen, von 88 So ausdrücklich § 3 Nr. 4 des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk (HessR-G), § 6 des Staats Vertrages über den Norddeutschen Rundfunk (NDR-V), § 6 des Staatsvertrages über den Südwestfunk (SWF-V), nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 806 über die Veranstaltung von Rundfunksendungen i m Saarland (SaaR-G) ist die „erforderliche" Sendezeit zur Verfügung zu stellen. 84 So z. B. § 3 Nr. 4 HessR-G. 85 A r t . 7 Abs. 3 Nr. 6 u. 7 Gesetz über die Errichtung u n d die Aufgaben einer Anstalt des öffentl. Rechts „Der Bayerische R u n d f u n k " (BayR-G), § 9 Nr. 2 HessR-G; § 6 Nr. 2 Gesetz über die Errichtung u n d die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts „Radio Bremen" (RBrem-G); § 7 I l i t . b Gesetz über die Errichtung einer Rundfunkanstalt „Sender Freies B e r l i n " (SFB-G); § 15 I I 3 SaaR-G; § 5 b Satzung f ü r den „Süddeutschen R u n d f u n k " i n Stuttgart (SDR-S). 86 § 14 I I I 1, N D R - V ; § 14 I V 1 Gesetz über den „Westdeutschen Rundfunk K ö l n " (WDR-G); i n diesen Anstalten w i r k t aber ein „Programmbeirat" an der Programmgestaltung m i t (§ 16 I I I 1 N D R - V , § 18 I WDR-G). 87 § 9 I 2 des Staatsvertrages über den Südwestfunk (Rundfunkrat) u n d A r t . 19 I 2 der Satzung des Südwestfunks (Verwaltungsrat) der Satzung des Südwestfunks (SWF-S); § 13 I (Fernsehrat) u n d § 16 I I des Staatsvertrages über die Errichtung der Anstalt des öffentlichen Rechts „Zweites Deutsches Fernsehen" (ZDF-V), nach dem der Verwaltungsrat die Tätigkeit des I n t e n danten überwacht, zu der auch die Programmgestaltung gehört (K. P. Jank, Die Rundfunkanstalten der Länder u n d des Bundes, S. 86).

C. Exekutive

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demokratischer Gesinnung getragenen Programmgestaltung; zum Teil w i r d ausdrücklich hervorgehoben, daß der Sender nicht Werkzeug einer Regierung sein darf 8 8 . I n allen Rundfunkräten, denen die Programmüberwachung allein obliegt, werden mindestens 10 °/o89, höchstens 40 °/o90 der Mitglieder von staatlichen Organen entsandt oder gewählt. Grundsätzlich entsendet auch keine Regierung mehr als einen Vertreter i n diese Rundfunkräte, der Anteil der Kommunalvertreter ist schließlich ebenso gering 9 1 . Beim Westdeutschen und Norddeutschen Rundfunk w i r d der die Programmgestaltung überwachende Verwaltungsrat ausschließlich vom Rundfunkrat gebildet 9 2 . Alle Mitglieder dieser Rundfunkräte wiederum sind von den Landtagen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen 9 3 , doch dürfen beim NDR höchstens 8 der 24 und beim WDR höchstens 4 der 21 Rundfunkratsmitglieder zugleich Landtags-(Bürgerschafts-)abgeordnete sein 94 . Für den Rundfunkrat des Südwestfunks gilt das zu den anderen Rundfunkräten Gesagte. I n den Fernsehrat des Z D F (66 Mitglieder) entsenden die kommunalen Spitzenverbände (Städtetag, Städtebund, Landkreistag, Gemeindetag) vier Vertreter 9 5 , die beteiligten elf Länder je eine von der zuständigen Landesregierung bestimmte Person 96 und der Bund drei von der Bundesregierung ausgewählte Vertreter 9 7 . 14 Vertreter aus dem gesellschaftlichen Bereich werden von den Ministerpräsidenten der Vertragsländer berufen 9 8 . I n keiner anderen Anstalt hat die staatliche Exekutive einen vergleichbaren Einfluß auf die Auswahl der Ratsmitglieder 9 9 . I n den Verwaltungsrat dieser Anstalten entsenden die jeweiligen Regierungen drei (SWF) 1 0 0 bzw. vier (ZDF) 1 0 1 von jeweils neun Mitgliedern nach ihrer 88 § 3 S. 3 Satzung der Rundfunkanstalt „Sender Freies Berlin", § 2 I I 3 Satzung f ü r den „Süddeutschen R u n d f u n k " i n Stuttgart, § 5 I I SWF-V. 89 Radio Bremen (10,5%), vgl. K. P. Jank, Die Rundfunkanstalten der Länder u n d des Bundes, S. 27 A n m . 57. 90 Bayerischer R u n d f u n k (39,6 %>), K . P. Jank, a.a.O., S. 27 A n m . 57. 91 K . P. Jank, S. 26. N u r i m Rundfunkrat des Süddeutschen Rundfunks sitzt kein Regierungsvertreter. 92 § 12 I 1 N D R - V , § 9 I W D R - G . Höchstens 4 der 8 Verwaltungsratsmitglieder des N D R dürfen dabei einer gesetzgebenden Körperschaft der Länder oder des Bundes angehören (12 I 2 NDR-V). 93 § 8 I I 1 NDR-V, 8 I I 1 WDR-G. 94 §§ 8 I I 3 N D R - V ; 8 I I I W D R - G . 95 § 14 I lit. o, Z D F - V . 96 § 14 I l i t . a Z D F - V . 97 § 14 I l i t . b Z D F - V . 98 § 14 l i t . r, I I I Z D F - V . 99 K . P. Jank y S. 39; O. Bachof / G. Kisker, Rechtsgutachten, S. 62 A n m . 3. 100 § 12 I I 3 SWF-V. 101 § 17 I l i t . a (3 Vertreter der Länder) lit. b (1 Vertreter des Bundes).

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1. Teil, Kap. I : Öffentlichkeitsarbeit v. Justiz, Legislative, Exekutive

Auswahl, die allerdings nicht gleichzeitig dem Rundfunkrat angehören dürfen. Es ergibt sich, daß die Landes- und Gemeindeexekutive — abgesehen von dem inhaltlich ziemlich beschränkten Verlautbarungsrecht der Regierungen — über die Rundfunk- und Fernsehanstalten kaum direkt bestimmenden Einfluß auf das Programm i m Sinne unmittelbarer amtlicher Öffentlichkeitsarbeit nehmen kann. Von Fall zu F a l l versuchen jedoch auch die Landesregierungen durch öffentliche K r i t i k sowie durch versteckte und offene, aber selten öffentliche Pressionen gegen Intendanten und verantwortliche Sendeleiter die Programmgestaltung und Personalpolitik zu beeinflussen. Derartige Beeinflussungsversuche von seiten der Landesregierungen dürften jedoch nur vereinzelt unternommen werden, weil sich der angestrebte Erfolg meist wesentlich sicherer und unauffälliger über die zwar weisungsfreien 102 , jedoch an die Regierungsparteien gebundenen Mitglieder der das Programm überwachenden Rundfunkorgane erreichen läßt. Solche Möglichkeiten bestehen vor allem dort, wo die Mitglieder der Aufsichtsorgane entweder ausschließlich 103 oder i n größerer Z a h l 1 0 4 von staatlichen Organen bzw. von politischen Parteien 1 0 5 entsandt oder gewählt werden. Tatsächlich w i r d „ i n diesen Gremien sehr ausführlich darüber diskutiert, ob diese oder jene Bildfolge nicht diffamierend oder jedenfalls einseitig geschnitten gewesen sei: gegen eine bestimmte Person oder gegen einen Stand; . . . ob W i l l y Brandt i n der Tagesschau nicht doch häufiger zu sehen sei als L u d w i g Erhard . . . " 1 0 6 . Wirksamer und dauerhafter als i n solchen idyllisch-demokratisch geschilderten Diskussionen um Einzelprobleme können die Landes(Bundes-)regierungen ihren Einfluß auf Programmgestaltung und Personalpolitik durch die Wahl des hierfür verantwortlichen Intendanten durchsetzen. Die Intendantenwahl obliegt bei allen Rundfunkanstalten dem Rundfunkrat oder dem Verwaltungsrat 1 0 7 , beim Zweiten Deutschen Fernsehen dem Fernsehrat 1 0 8 . Die Unterstützung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit und der jeweiligen Regierungspolitik auch durch gezielte 102

Vgl. z. B. § 14 V I I I 1 Z D F - V . So beim N o r d - u n d Westdeutschen Rundfunk. 104 Beim Bayerischen Rundfunk 39,6 °/o, beim Hessischen Rundfunk 37,5 %>, beim Süddeutschen Rundfunk 22,4 %, beim Südwestfunk 32,6 °/o (Zahlen nach K . P. Jank, S. 27 A n m . 57), beim Sender Freies B e r l i n 33,3 % der Mitglieder des Rundfunkrates. 105 B e i m Zweiten Deutschen Fernsehen 19,3% (die Zusammensetzung entspricht dem Stärkeverhältnis i m Bundestag, § 14 I lit. c, ZDF-V) der M i t g l i e der des Fernsehrates. Weitere 22,6% werden von den Landesregierungen u n d der Bundesregierung entsandt. 106 H. Heigert, Das Fernsehen, S. 207. 107 A r t . 12 I RBremG, § 18 I 1 N D R - V , § 14 I WDR-G. 108 § 19 1 1 Z D F - V . 103

C. Exekutive

aktuelle Einflußnahmen auf Programmgestaltung und Personalpolitik seitens regierungsparteigebundener Mitglieder der Rundfunk- und Verwaltungsräte bleibt unauffällig. Nur die Rundfunkräte des Bayerischen und des Süddeutschen Rundfunks verhandeln nämlich öffentlich. So konnte der Bundessprecher der CDU, Rathke, i m Oktober 1968 beim „Godesberger Gespräch" 109 erklären, es sei der CDU „dann und wann gelungen", politisch mißliebige Fernseh Journalisten „abzuschießen" 1 1 0 . I n diesem Zusammenhang nannte Rathke die Namen einiger abgelöster Redakteure der vom NDR ausgestrahlten zeitkritischen Fernsehsendung „Panorama" (v. Paczensky, Kogon, Fest) 1 1 1 . Rathke kritisierte ferner den derzeitigen „Panorama"-Moderator Merseburger wegen einer Sendung („Worüber jetzt mit Ulbricht reden?"), i n der die Ostpolitik der damaligen Regierung Kiesinger angegriffen worden war. Schon kurz zuvor hatte der frühere Sprecher der Bundesregierung, von Eckardt, demselben Journalisten i m Pressedienst der CDU Meinungsmanipulation vorgeworfen: „Wie lange w i l l man politischen Roßtäuschern noch erlauben, Millionen von Fernsehzuschauern ihre Ansichten aufzuzwingen?" 1 1 2 . Solche Äußerungen von maßgeblichen Politikern einer Regierungspartei lassen den Schluß zu, daß die nach den Satzungen der Rundfunkanstalten weitgehend ausgeschlossene unmittelbare amtliche Öffentlichkeitsarbeit hier durch mittelbare Einflußnahmen auf Programmgestaltung und Personalpolit i k seitens regierungsparteigebundener Mitglieder der Aufsichtsorgane ersetzt wird. N u r durch Öffentlichkeit der Beratungen aller Rundfunkräte kann es möglicherweise gelingen, daß solche Bemühungen, „unbequeme journalistische Mahner zum Schweigen zu bringen, und Tendenzen von Landesregierungen, Rundfunkräte unter Druck zu setzen, zum Teil bereits i m Ansatz aufgedeckt werden könnten oder aus Scheu vor dem Licht der Öffentlichkeit ganz unterbleiben" 1 1 3 . Auch diese Regelung dürfte aber nicht immer sichere Abhilfe gewährleisten, sind doch drei den Landesregierungen besonders unangenehme Kritiker, nämlich v. Cube, Guggenheimer und Szczesny, gerade aus dem Bayerischen Rundfunk entfernt worden, obwohl der Rundfunkrat dort öffentlich verhandelt 1 1 4 . 109 Die „Godesberger Gespräche" werden von einem durch den Verleger Lothar von Balluseck gegründeten Politischen Club veranstaltet. 110 FR v. 22.10.1968. 111 FR v. 22.10.1968. 112 SZ v. 21.10.1968. 113 H. Meyn, Z u r Transparenz der politischen Ordnung i n der Bundesrepublik, S. 28. 114 Vgl. hierzu G. v. Paczensky, Die Folgen der Ä r a Adenauer i m Fernsehen, S. 130.

Kapitel

III

Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung A. Allgemeines Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung als dem Regierungsorgan der Bundesrepublik Deutschland obliegt dem Presse- und Informationsamt. Daneben besteht jedoch i n jedem Bundesministerium eine Pressestelle, die prinzipiell unabhängig vom Presse- und Informationsamt als der „zentralen Informationsbehörde i n der Bundesrepublik Deutschland" 1 ist. Nach einer Mitteilung des B P A entfielen 1965 von 259 i n der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung tätigen Personen (ohne Schreibkräfte und technische oder Verwaltungsbedienstete) 141 auf das Presse- und Informationsamt und 114 auf die Bundesministerien 2 . Insgesamt nimmt die Öffentlichkeitsarbeit der Ressorts zu 3 . Tatsächlich versuchen die einzelnen Ministerien ihre Zuständigkeitsbereiche auszudehnen, insbesondere wenn sich ein Minister angegriffen, mißverstanden oder ungenügend beachtet fühlt 4 . I n Koalitionsregierungen dürfte dabei die Parteizugehörigkeit der einzelnen Minister eine wesentliche Rolle spielen. Als die Sprecher der damaligen Bundesregierung, Dieliii und Ahlers, i m Jahr 1968 das Nebeneinander i n der Öffentlichkeitsarbeit durch die Errichtung einer „Bundeszentrale für Öffentlichkeitsarbeit" beseitigen wollten, hatten sie neben einer scharfen parlamentarischen Opposition 5 und einer ebenso kritischen Presse® vor allem die großen Bundesministerien gegen sich.

1 So H. Küffner, Leiter der Abteilung I I I (Inland) des BPA, i n einem Vortrag i m Publizistischen Colloquium des Instituts für Publizistik an der F U B e r l i n über Öffentlichkeitsarbeit am 6.11.1967 nach einer Tonbandaufzeichnung. 2 Vgl. W. Mühlbradt, Handbuch für Öffentlichkeitsarbeit I I , S. 3 f. 8 1968 standen den Ministern r u n d 104 M i l l i o n e n D M f ü r ihre Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung, während der Etat des B P A 112,5 M i l l i o n e n D M betrug. 4 H. Küffner, Vortrag. 6 Vgl. hierzu BT-Sten.Ber. 183. Sitzung v o m 26. 6.1968, 9901 B bis 9908 D. 6 Vgl. z.B. P. R. Dreher, „Braucht Bonn mehr Propaganda?" SZ v. 25.6. 1968, S. 4.

B. Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung

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B. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung I . Entwicklung des BPA I m H e r b s t 1949, u n m i t t e l b a r nach G r ü n d u n g d e r B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , w u r d e das „Presse- u n d I n f o r m a t i o n s a m t d e r B u n d e s r e g i e r u n g " ( B P A ) a u f W e i s u n g des d a m a l i g e n B u n d e s k a n z l e r s Konrad Adenauer e i n g e r i c h t e t 7 . E i n J a h r später v e r f ü g t e das A m t schon ü b e r 176 M i t a r b e i t e r u n d e i n e n E t a t v o n 5,7 M i l l i o n e n D M . Diese rasche E n t w i c k l u n g h a t sich bis i n d i e G e g e n w a r t fortgesetzt. 1959 w a r d e r P e r s o n a l b e s t a n d a u f 444 Personen, d e r H a u s h a l t a u f r u n d 45,8 M i l l i o n e n D M angewachsen. 1968 r e s ü m i e r t e d e r s t e l l v e r t r e t e n d e Sprecher d e r B u n d e s r e g i e r u n g , Conrad Ahlers: „ D i e B u n d e s r e g i e r u n g h a t sich i m L a u f e d e r J a h r e i n d e r technischen A p p a r a t u r des Presseamtes e i n I n s t r u m e n t geschaffen, das e i n e r G r o ß m a c h t w ü r d i g w ä r e 8 . " I I . Rechtscharakter und Aufgaben D e n n o c h i s t d e r R e c h t s c h a r a k t e r des B P A b i s h e u t e w e d e r gesetzlich noch d u r c h e i n e n besonderen O r g a n i s a t i o n s e r l a ß festgelegt. D e r B u n d e s h a u s h a l t s p l a n f ü r das H a u s h a l t s j a h r 1970 beschreibt d i e A u f g a b e n des A m t e s i n d e r V o r b e m e r k u n g z u m K a p i t e l 0403 (Presseu n d Informationsamt der Bundesregierung): „Das Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung hat den Bundespräsidenten u n d die Bundesregierung auf dem gesamten Nachrichtensektor laufend zu unterrichten. Es muß die hierfür erforderlichen Verbindungen zu den Nachrichtenträgern des I n - u n d Auslandes unter Einsatz modernster technischer M i t t e l unterhalten. Ferner obliegen i h m die laufende E r f o r schung der öffentlichen Meinung als Unterlage für die politische A r b e i t der Bundesregierung u n d die Förderung des deutschen Nachrichtenwesens i m I n - u n d Ausland, auch auf den Gebieten von Bildberichterstattung, F i l m , F u n k u n d Fernsehen. Das Presse- u n d Informationsamt ist zugleich die Hauptstelle der Bundesregierung f ü r den Verkehr m i t der Presse u n d allen sonstigen Nachrichtenträgern u n d hat dabei die P o l i t i k der Bundesregierung gegenüber den Organen des Nachrichtenwesens zu vertreten. Es hat weiterh i n die deutsche Bevölkerung über die politischen Ziele der Bundesregierung zu unterrichten. I m Zusammenwirken m i t dem Auswärtigen A m t obliegt i h m schließlich die politische Information des Auslandes unter deutschen Gesichtspunkten . . . Diese letztere Aufgabe erfordert infolge der w e l t p o l i tischen Entwicklung u n d intensiver Aufklärungsbemühungen anderer Staaten erhöhte Aufmerksamkeit u n d Annäherung an den heutigen Stand des internationalen Informationswesens." 7 Über das Verhältnis Adenauers zum B P A sowie über die „Bundespressechef" Heinrich Böx, Paul Bourdin, Heinrich Brand, Fritz von Twardowski u n d Felix von Eckart berichtet A. Baring, Außenpolitik i n Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 31, 37 ff. 8 „Der Spiegel" Nr. 42 (22. Jg.) v. 14.10.1968, S. 30.

4

Kempen

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

A n dieser Stelle soll noch nicht untersucht werden, ob sich diese Aufgabenbestimmung i m Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen hält. Immerhin aber liegt hier die Grundlage der Zuteilung von Haushaltsmitteln und damit die wichtigste Richtlinie für die praktische Arbeit des Amtes, während die wesentlich engere Aufgabenstellung des BPA nach § 81 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien 9 als Tätigkeitsbegrenzung i n der Praxis offenbar bedeutungslos 10 bleibt. Ein die Aufgaben des B P A festlegender Organisationsakt besteht zwar nicht, doch w i r d man die Einrichtung des Amtes als einen solchen Organisationsakt ansehen müssen 11 . Da dieser rein tatsächliche Organisationsakt keine Aufgabenstellung für das A m t enthält, kann m i t Leisner 12 angenommen werden, daß die jeweilige Bundesregierung „dessen Tätigkeit innerhalb des haushaltsrechtlichen Rahmen gewollt hat". Demgegenüber kommt der „Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien" lediglich kompetenzverteilende Funktion innerhalb der Regierung zu. Sie kann infolgedessen die Aufgaben des Amtes insgesamt nicht begrenzen 13 . Nach § 81 I V GGO bedürfen jedoch „Verlautbarungen des Presse- und Informationsamtes über Arbeiten eines Ministeriums . . . des Einvernehmens m i t diesem . . . " . Die Ministerien wiederum unterrichten das A m t „so bald und soweit wie möglich über Absichten und Maßnahmen, die eine Erörterung i n der Öffentlichkeit erwarten lassen" (§ 81 V GGO). Abweichende Vereinbarungen zwischen den einzelnen Ministerien und dem Presse- und Informationsamt bedürfen der Zustimmung des Kabinetts (§ 81 V I GGO). Angesichts des vielfach werbenden Charakters der Öffentlichkeitsarbeit des Amtes ist diese Vorschrift besonders i n Koalitionsregierungen durchaus sinnvoll. Sie dient dazu, die i n solchen Regierungen wegen unterschiedlicher — möglicherweise sogar entgegengesetzter — Wahlinteressen auseinanderstrebenden Tendenzen i n der Öffentlichkeitsarbeit der M i nisterien zu harmonisieren und dem B P A den Rang einer Zentralinstanz zu verleihen. Bis 1958 war das Presseamt allerdings organisatorisch und haushaltsrechtlich nur eine Abteilung des Bundeskanzleramts. Seit dem 1. J u l i 1958 wurde diese Abteilung m i t der Ernennung Felix von Eckardt's zum (weisungsgebundenen) Staatssekretär haushalts- und organisa9 „(a) Untersuchungen der Bundesregierung über die Verlautbarungen der i n - u n d ausländischen Nachrichtenträger u n d der anderen Organe öffentlicher Meinungsbildung (Film, Publikationen); (b) Informationen der Nachrichtenträger u n d anderer Organe der öffentlichen Meinungsbildung über die P o l i t i k der Bundesregierung." 10 Vgl. auch W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 14 ff. 11 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 17. 12 Öffentlichkeitsarbeit, S. 18. 13 I m Ergebnis ebenso: Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 17 f.

B. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

51

tionsrechtlich selbständig sowie dem Bundeskanzler unmittelbar unterstellt. Die Stellung einer Obersten Bundesbehörde 14 hat es hierdurch jedoch nur als Teil einer Obersten Bundesbehörde „Bundesregierung" erhalten. Der Bundesminister des Innern hält das A m t i n seinem Schreiben vom 10. Januar 1963 dagegen entweder für eine selbständige Oberste Bundesbehörde oder einen organisatorisch weitgehend verselbständigten Teil einer Obersten Bundesbehörde „Der Bundeskanzler" oder nur i n Verbindung m i t dem Bundeskanzler für eine Oberste Bundesbehörde 15 . Betrachtet man jedoch die i m Bundeshaushaltsplan und i n der GGO umrissenen Aufgaben des Amtes, so zeigt sich, daß der zwar weitgehend verselbständigten Organisation des Amtes nur ein begrenzter eigener Entscheidungsbereich i n untergeordneten Fragen zukommt, während die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit ansonsten ganz überwiegend Ausdruck der Regierungstätigkeit des Kabinetts ist. I m übrigen erscheint der Begriff „Oberste Bundesbehörde" überhaupt nur dann sinnvoll, wenn er lediglich die „ i n keinem organisationsrechtlichen Nachordnungsverhältnis mehr stehenden" Behörden bezeichnet 16 . Da das B P A jedoch dem Bundeskanzler unmittelbar nachgeordnet ist, stellt es auch insofern keine „selbständige" Oberste Bundesbehörde dar. Die Einordnung des Amtes i n eine Oberste Bundesbehörde „Der Bundeskanzler" mag wegen jener Weisungsunterworfenheit naheliegen, doch spricht dagegen, daß es sich u m ein „Presse- und Informationsamt der Bundesregierung" handelt und seine Aufgabenstellung auf die Tätigkeit der gesamten Bundesregierung bezogen ist 1 7 . Dem A m t kommt demgemäß auch keine „Richtlinienkompetenz" für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesminister zu, sondern lediglich eine Koordinationsfunktion 1 8 i m Rahmen seiner umfassenden Zuständigkeit für die gesamte regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit. Folgerichtig haben der Leiter des Amtes und sein Stellvertreter das Recht zur Teilnahme an den Kabinettssitzungen. Tatsächlich allerdings arbeitete das B P A bisher weitgehend als Presseamt des Bundeskanzlers. Dies ist auf die ununterbrochene Kette von christlich-demokratischen Kanzlern von 1949 bis 1969 und deren 14 Vgl. zu diesem Begriff A. Röttgen, Bundesregierung u n d Oberste B u n desbehörden, DöV 1954, S. 5 f., ferner (aufzählend) Hans J. Wolff, V e r w a l tungsrecht I I (Organisations- u n d Dienstrecht) § 82 I a 1, S. 143. 15 Z i t i e r t nach N. Kaps / H. Küffner, S. 74. 16 Vgl. E. W. Böckenförde, Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 239. 17 Die Einordnung des B P A i n den Einzelplan 04 des Bundeshaushaltsplanes widerspricht dem nicht. Auch die M i t t e l des Bundesnachrichtendienstes werden i m Rahmen dieses Einzelplanes bereitgestellt, ohne daß es sich deshalb u m einen T e i l der Obersten Bundesbehörde „Der Bundeskanzler" handelte. 18 Vgl. § 81 GGO.

4*

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

Weisungsbefugnis zurückzuführen. Unter ihnen ist „dieses A m t geradezu ein Instrument zur Verhinderung eigenständiger Pressepolitik durch die Ressorts geworden" 1 9 . I m übrigen sind die Planstellen überwiegend von Mitgliedern der CDU/CSU besetzt worden, so daß ein „überlebter Hausgeist der Kameraderie" 2 0 entstehen konnte. Zwar ergab eine i m Jahre 1969 unter Leitung von Renate Mayntz-Trier angestellte Untersuchung des BPA, daß insgesamt die Parteipräferenzen der Mitarbeiter etwa gleichmäßig zwischen CDU/CSU (36,8%) und SPD (34,8 °/o) verteilt waren, daß jedoch i n der wichtigen Inlandsabteilung (CDU = 53,6 °/o; SPD = 17,9 °/o) und der Publikationsabteilung (CDU = 45,8 °/o; SPD = 29,8 °/o) die CDU-Anhänger ganz erheblich überwogen. Auch unter den Referenten war diese Gruppe doppelt so stark wie die der SPD-Anhänger 2 1 . Nicht zuletzt dieses Selbstverständnis dürfte ein Motiv für die Mißachtung der Verlautbarungspflicht des § 81 I I GGO sein, wie sie besonders während der CDU/CSU-SPD-Regierung seit 1967 zeitweilig zu beobachten w a r 2 2 . Diese dem rechtlichen Status des Amtes zuwiderlaufende Praxis mag folgendes Beispiel illustrieren: Eine Zeitungsanzeige, die unter dem Motto: „Die Bundesregierung informiert" am 21. 9.1968 vom BPA veröffentlicht wurde, sollte die Erfolge der Finanz- und W i r t schaftspolitik seit Ende 1967 betonen und deshalb m i t dem Porträt der Ressort-Minister Strauß (CSU) und Schiller (SPD) illustriert werden. Erst zwei Tage vor der Veröffentlichung wurde i m Bundeswirtschaftsministerium bekannt, daß vom B P A außerdem ein Foto des Bundeskanzlers Kiesinger (CDU) an die Stelle des zunächst vorgesehenen Bundesadlers gesetzt worden und der christlich-demokratische Koalitionspartner damit entgegen den ursprünglichen Plänen optisch „überrepräsentiert" war. I n „Bonner SPD-Kreisen" wurde dieser Vorgang „als weiteres Indiz dafür (gewertet), daß das Bundespresseamt bemüht sei, die CDU und ihren Vorsitzenden, Bundeskanzler Kiesinger, besonders herauszustellen" 28 . Auch gegenüber solchen Tendenzen ist daran festzuhalten, daß das B P A organisationsrechtlich ein Teil der Bundesregierung ist. Sein Aufgabenbereich richtet sich hingegen tatsächlich nach den i n der Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel erteil19 20

S. 15.

W. Hennis, Richtlinienkompetenz u n d Regierungstechnik, S. 177. „Kiesingers Informationskrieg", i n : „Capital", 7. Jg. Nr. 9 (Sept. 1968),

21 Angaben nach C.-C. Kaiser, Das Regiment der Polit-Werber, Die Zeit Nr. 32 v. 7. 8.1970. 22 I m September 1968 bestätigte der Sprecher des SPD-Vorstandes, Sommer, „daß führende SPD-Politiker die A r b e i t des Presse- u n d Informationsamtes u n d die sich i m m e r deutlicher abzeichnende unveränderte Begünstigung der CDU/CSU u n d deren Politiker durch das A m t m i t wachsender Besorgnis verfolgen". Vgl. FR v. 11.9.1968. 23 V. Hoffmann, „Streit u m eine Bundesanzeige", FR v. 20.1.1968.

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ten Ermächtigungen, denen auch die innere Organisation des Amtes angepaßt ist. I I I . Organisation und Haushaltsmittel des B P A 2 4

1. Organisation A n der Spitze des BPA steht ein weisungsgebundener Staatssekretär „als Sprecher der Bundesregierung", für den die allgemeine, aber irreführende 2 5 Bezeichnung „Bundespressechef" lange Zeit üblich war, und sein Stellvertreter sowie die i m A m t tätigen Ministerialdirektoren, die jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können (vgl. § 36 Abs. 1 Nr. 1, 4 BBG), wie dies z. B. dem Leiter der Abteilung „ A l l gemeine Verwaltung" nach Bildung der SPD/FDP-Regierung 1969 widerfuhr. Das A m t gliedert sich i n sechs Abteilungen: Allgemeine Verwaltung (I) Nachrichten (II) Inland (III) Ausland (IV) Bild, Ton, Publikationen (V). Die Abteilung I I (Nachrichten) sammelt täglich aktuelle Nachrichten, die — zu Informationsberichten (sog. Nachrichtenspiegel) aufbereitet — der „Binneninformation" dienen, also den Regierungsmitgliedern und Ministerien, den deutschen Auslandsvertretungen und „einzelnen politischen Persönlichkeiten" 26 , sowie den politischen Parteien (einschl. der Opposition) zugeleitet werden. Der Information nach außen, d.h. der eigentlichen Öffentlichkeitsarbeit, dient die Tätigkeit der Abteilungen I I I (Inland), I V (Ausland) und V I (Information, Chef vom Dienst, Bulletin). Auch die Abteilung V (Bild, Ton, Publikationen) erarbeitet Material lediglich für diesen Zweck — wenn auch meist m i t weniger aktuellem Schwerpunkt. Für unsere Untersuchung sind daher nur die Abteilungen I I I , V und V I interessant. Die Abteilung „Inland" sammelt zunächst Informationen und verbreitet sie dann i n ihrer Öffentlichkeitsarbeit weiter. Leisner 27 hat 24 Genauere Auskünfte als die hier notwendig fragmentarische Darstell u n g der Organisation u n d Haushaltsmittel des B P A geben N. Kaps / H. Küffner, Das BPA. 25 Vgl. hierzu K . G. v. Hase, Probleme der öffentlichen Meinungsbildung, S. 28. 26 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 30. 27 Öffentlichkeitsarbeit, S. 31.

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

festgestellt, daß beide Funktionen sich hier kaum trennen lassen; stets sei die Rede von „Verbindungen zu Organisationen", wobei ein „kaum zu entwirrender Synkretismus von Empfang und Abgabe von Information" bestehe. Das Schwergewicht dürfte aber doch bei der Öffentlichkeitsarbeit liegen, zumal die Abteilung den Jahresbericht und den Tätigkeitsbericht der Bundesregierung („Deutsche Politik") sowie den sog. „kleinen Tätigkeitsbericht" redaktionell betreut. Hierbei steht also die „Regierungspolitik" i m Vordergrund, während etwa die von derselben Abteilung herausgegebenen „Aktuellen Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik" allgemeinere Aspekte berücksichtigen. Unter der SPD/FDP-Regierung wurde i m Januar 1970 angekündigt, daß vor allem die Abteilung „Inland" und darin wiederum die Referate für Wirtschafts- und Finanzpolitik erweitert werden sollten 28 . Der Abteilung obliegen auch die klassischen Aufgaben eines Regierungspresseamtes: Information über die Regierungstätigkeit und Regierungserklärungen i m „Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung", „Chef vom Dienst". Die Abteilung V produziert Rundfunksendungen sowie Kino- und Fernsehfilme des BPA. Für die Filmproduktion des Amtes stellt Leisner als „Generaltendenz" fest: „Öffentlichkeitsarbeit mit deutscher allgemeiner Situation und deutscher Leistung. Zurücktreten der Regierungspolitik" 2 9 . U m so stärker sind die für das Inland bestimmten Rundfunksendungen von der jeweiligen Regierungspolitik geprägt. Hier berichten überwiegend Ministerialbeamte i n „Kommentaren und Interviews i n deutschen Rundfunksendern" über die Politik und Verwaltung der Bundesregierung sowie über den Stand der Gesetzgebung. I m übrigen ist ein beträchtlicher Teil der Arbeit i n Abteilung V den Problemen Gesamtdeutschlands gewidmet. 2. Haushaltsmittel

des BPA

1970 standen dem A m t insgesamt 117 Millionen D M und 735 M i t arbeiter zur Verfügung (im Haushaltsjahr 1971 betrug der Etat rund 122 Millionen DM). Hiervon waren allein 67 Millionen D M für die „Politische Öffentlichkeitsarbeit, Ausland" 3 0 bestimmt, während lediglich rund 10,5 Millionen D M auf die Öffentlichkeitsarbeit i m Inland 3 1 entfallen. 28

Vgl. „Eine Datenbank i m Presseamt", F A Z v. 9.1.1970. Öffentlichkeitsarbeit, S. 33. 80 Bundeshaushaltsplan f ü r das Haushaltsjahr 1970, Einzelplan 04, K a p i t e l 03, T i t e l 53103. 81 Einzelplan 0403 T i t e l 53103: 9,5 M i l l i o n e n (Öffentlichkeitsarbeit „ I n land"); T i t e l 53105: 180 000 (Tätigkeitsbericht der Bundesregierung); T i t e l 29

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Diese Zahlen täuschen jedoch. Schon 1963 wurden rund 55 von insgesamt 87,4 Millionen D M für die Öffentlichkeitsarbeit des B P A i m Ausland verwendet. Der ehemalige Sprecher der Bundesregierung, von Hase, hielt dies für einen beinahe „optimalen" Betrag 3 2 . Berücksichtigt man, daß dieser A n t e i l dementsprechend seit 1963 nur unwesentlich erhöht und i n seinem Verhältnis zum Gesamtetat des B P A sogar verringert worden ist, so liegt es nahe, daß die „zur Verfügung des Bundeskanzlers für die Förderung des Informationswesens" (sog. Reptilienfonds) vorhandenen 7 Millionen D M 3 3 sowie weitere 4 M i l l i o nen D M für die Öffentlichkeitsarbeit i n Verteidigungsfragen 34 nunmehr ganz bei der Öffentlichkeitsarbeit i m Inland verwendet wurden 3 5 . Damit dürften die eigenen M i t t e l des B P A für die Öffentlichkeitsarbeit i m Inland 1970 rund 21 Millionen D M betragen haben. I V . Die mittelbare Öffentlichkeitsarbeit des BPA im Inland

Die eigentliche Bedeutung des BPA insbesondere für die mittelbare Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ergibt sich jedoch weniger aus den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln, sondern vielmehr aus seiner Stellung als der „zentralen Informationsbehörde i n der Bundesrepublik Deutschland". Wegen seiner Funktion als Sprachrohr der Bundesregierung sind alle Nachrichtenagenturen und Massenmedien auf die mittelbare Öffentlichkeitsarbeit des Amtes unbedingt angewiesen. Dreimal wöchentlich finden allgemeine internationale 53106: 670 000 (Bulletin des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung (Deutsche Ausgabe)); T i t e l 531 02: 115 000 (Bundesbildstelle); T i t e l 531 08: 30 000 (Erwerb von F i l m e n einschl. der Verwertungsrechte für das Filmarchiv). I m Haushaltsentwurf der Regierung f ü r 1972 sind für „Öffentlichkeitsarbeit I n l a n d " 11,5 M i l l i o n e n D M vorgesehen. 32 K.-G. v. Hase, Der Informationsdienst der Bundesregierung, österr. Zeitschr. f ü r Außenpolitik 1963, S. 357: „Eine weitere Steigerung würde meines Erachtens keinen dem A u f w a n d angemessenen Ertrag bringen". 33 Einzelplan 0403 T i t e l 531 01. 34 Einzelplan 0403 T i t e l 531 02. 35 Den Erläuterungen des Bundeshaushaltsplans 1970 ist hierzu nichts zu entnehmen. So heißt es zwar bei T i t e l 531 01 (früher T i t e l 300), dieser Ansatz schließe „ i m Rahmen der aktuell politischen Information die public-relations-Arbeit i m I n - undAusland . . . ein", doch w i r d die Verwendung dieses „Reptilienfonds" lediglich durch einen Unterausschuß des Haushaltsausschusses des Bundestags u n d durch das i n § 3 a Nr. 1 des Gesetzes über die Einrichtung u n d Aufgaben des Bundesrechnungshofs bestimmte K o l l e g i u m überprüft, i m Haushaltsplan jedoch nicht aufgeschlüsselt. Die Erläuterungen zu T i t e l 53102 nennen p r i m ä r die „Vertiefung u n d ständige Aufrechterhalt u n g einer inneren Verteidigungsbereitschaft der deutschen Öffentlichkeit", daneben jedoch auch die „Förderung des Verständnisses f ü r den deutschen Verteidigungsbeitrag i n I n - u n d Ausland". V o n den i m einzelnen hierfür veranschlagten Kosten dienen jedoch lediglich 250 000 D M (für „Reisen von Ausländern zum Besuch der Bundeswehr") ausdrücklich der Öffentlichkeitsarbeit i m Ausland.

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

Pressekonferenzen statt, bei denen „alle Fragen gestellt werden können" 3 6 . Daneben gibt das BPA täglich seine schriftlichen „Mitteilungen an die Presse" heraus, die den Journalisten i n ihre Abholfächer gelegt werden. Weiterhin erteilt man einzelne Auskünfte an Journalisten, oder vermittelt solche Fragen an die zuständigen Fachbehörden. Der Bundespressekonferenz (ca. 300 Mitglieder) und dem Verein der Auslandspresse i n Bonn gehören insgesamt etwa 450 Journalisten an. M i t der Begründung, daß dieser Kreis für die Mitteilung von „Hintergrundinformationen" „ v i e l zu groß" 3 7 sei, werden i m Rahmen sogenannter Informationsgespräche beim „Bundespressechef", Bundeskanzler oder einzelnen Ministern ausgewählte Journalisten aus gegebenem Anlaß persönlich informiert. Derart privilegierende, überwiegend als „vertraulich" bezeichnete Informationen verpflichten die Journalisten dann zur „Wahrung völliger Diskretion", die — vor allem wohl aus Furcht vor Versiegen der guten Informationsquelle — fast nie durchbrochen w i r d 3 8 . Gelegentlich dürfen diese Hintergrundinformationen nämlich auch verbreitet werden. Sie erscheinen dann m i t dem Hinweis: „Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet . . . " . Über jene Informationskanäle werden auch solche „gezielten Indiskretionen" veröffentlicht, die unterdessen „zum regulären Handwerkszeug der internationalen Politik" geworden sind 3 9 . Die Auswahl der solchermaßen näher ins Vertrauen gezogenen Journalisten ist — dem früheren „Bundespressechef" von Hase zufolge — „informationspolitische Maßarbeit" 4 0 , wobei das Auswahlprinzip angeblich „möglichst fair" gehandhabt w i r d 4 1 . Derartige „Fairneß" findet jedoch ihre Grenzen an den politischen Zielen der Informanten. Zwar w i r d beteuert, daß man sich nicht auf die „Einladung regierungsfreundlicher' Journalisten beschränke 42 , doch hielt beispielsweise Bundeskanzler Adenauer die Runde der Teilnehmer seiner „Pressetees" bewußt klein und relativ konstant m i t der Begründung, schließlich sei er „hier der Hausherr" und könne sich einladen, wen er wolle 4 3 . Entscheidendes Auswahlkriterium für solche Exklusiv-Einladungen dürfte damals wie heute die Erwartung sein, daß die Gäste später i m Sinne des Einladenden kommentieren und berichten werden. Dieser mehrfach 36

K . - G . v. Hase, Der Informationsdienst der Bundesregierung, S. 354. N. Kaps / H. Küffner, Das B P A , S. 89. 88 K . - G . v. Hase, Der Informationsdienst der Bundesregierung, S. 356. 89 JV. Kaps / H. Küffner, Das B P A , S. 89. 40 K.-G. v. Hase, Der Informationsdienst der Bundesregierung, S. 354. 41 N. Kaps / H. Küffner, Das B P A , S. 89. 42 F. v. Eckardt, E i n unordentliches Leben, S. 176. 43 R. Strobel, Adenauers letzte Mahnung an die Presse: „Die Presse muß vielmehr aufklären", Z V + Z V 1967, S. 645. Vgl. hierzu auch A. Baring, Außenpolitik i n Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 41. 37

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geäußerte Verdacht 4 4 läßt sich zwar nur schwer konkretisieren, aber gelegentlich doch an Beispielen bestätigen. Nachdem CDU/CSU und SPD i m Dezember 1966 die „Große Koalition" eingegangen waren, l u d der Sprecher des SPD-Vorstandes, Frank Sommer, zu Informationsgesprächen i n die Bonner Zentrale seiner Partei ein, wo der stellvertretende Regierungssprecher, Conrad Ahlers, den anwesenden Journalisten Auskünfte erteilte. Zugelassen waren alle eingeschriebenen Mitglieder der SPD. Als der FDP-Bundestagsabgeordnete Werner Mertes dies i m FDP-Pressedienst kritisierte, erklärte es Sommer als sein „gutes Recht", nach eigenem Gutdünken Journalisten zu Informationsgesprächen einzuladen, bei denen auch Conrad Ahlers anwesend sei 45 . Ahlers selbst strich u. a. das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" von der Gästeliste für ein Informationsgespräch beim Bundeskanzler m i t der Begründung: „ I h r schreibt ja doch, was i h r wollt"46. Daß man von den Teilnehmern derartiger Informationsgespräche eine journalistische Unterstützung der eigenen politischen Ziele, also positive Würdigung i n der Presse erwartet und die Gäste entsprechend auswählt, läßt sich auch aus einer anderen Tatsache schließen. Zu vielen Informationsgesprächen werden nämlich nur Journalisten eingeladen, die „kommentierfähig" sind, also Korrespondenten, die i n Leitartikeln, Glossen oder Kommentaren das von der Bundesregierung oder den Ministern vorgelegte Informationsmaterial verarbeiten 4 7 . Die erhoffte publizistische Unterstützung kann jedoch überwiegend nur i n positiven Kommentaren geleistet werden, während sich etwa die von den Agenturen verbreiteten Nachrichtenmeldungen weniger eignen. Nur soweit gezielte Indiskretionen verbreitet werden sollen, w i r d man sich der Nachrichtenagenturen bedienen. Als Bundesaußenminister Willy Brandt Anfang Oktober 1968 überraschend mit dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko zu einem politischen Gespräch zusammenkam, meldete die Deutsche Presse-Agentur, daß die „Anregung" zu diesem Gespräch von „sowjetischer Seite" gekommen sei. Diese Meldung beruhte offenbar auf Informationen aus „Kreisen der deutschen Delegation i n New Y o r k " 4 8 . Sie wurde am 9. Oktober 1968 i n der deutschen Presse sowie i n Rund44 Vgl. z. B. „Unbehagen über neue Informationspolitik der Bundesregierung, Z V + Z V 1967, S. 138. 45 F D P - K r i t i k an der Informationspolitik der Bundesregierung, Z V 4- Z V 1967, S. 75. 49

Der Spiegel, Nr. 42 v. 14.10.1968: „Große Lage", S. 30 ff., S. 44. Unbehagen über neue Informationspolitik der „Koalitionsregierung" Z V + Z V 1967, S. 138. 48 SZ v. 10.10.1968, S. 1. 47

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

funk und Fernsehen verbreitet, am selben Tag aber von der sowjetischen Botschaft i n Bonn scharf dementiert. Ersichtlich handelte es sich hierbei um fehlgeschlagene Informationspolitik des deutschen Außenministeriums. Tatsächlich hätten solche Gespräche die deutsche Öffentlichkeit „wieder i n der Auffassung bestätigen" können, „daß die Ostpolitik der Bundesregierung doch erfolgreich sei" 4 9 . Hieran waren nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts i n die CSR am 21. August 1968 und einer anschließenden feindseligen Agitation der UdSSR gegenüber der Bundesregierung erhebliche Zweifel entstanden. Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund mußte die Nachricht, daß sich die Sowjets u m das Gespräch m i t Brandt bemüht hätten, den Eindruck eines sich nun doch abzeichnenden Erfolges der bundesdeutschen Ostpolitik erheblich verstärken. Während durch solche Informationen bei künftigen Wählern entsprechend falsche Vorstellungen hervorgerufen werden sollten, dient das Aufrechterhalten von Informationslücken einer Perpetuierung von falschen Vorstellungen i n der Bevölkerung. Stets geht es darum, sich einer unkritischen Zustimmung breiter Wählerschichten zu versichern. Während diese Methode der Informationspolitik doch nur selten angewandt wird, ist die Beeinflussung der Berichterstattung durch Einladungen ausgewählter Journalisten recht häufig. So lädt das B P A regelmäßig kleine Gruppen von Journalisten für einige Tage nach Bonn ein, wo dann Zusammenkünfte m i t leitenden Ministerialbeamten und Regierungsmitgliedern stattfinden. A u f höherer Ebene setzt sich die Auszeichnung bestimmter Journalisten m i t der Einladung zu den internen Informationsgesprächen i m Presseamt fort und „endet beim Kanzlertee" 5 0 . Die ohnehin schon nach informationspolitischen Gesichtspunkten ausgewählten Gäste stehen also überdies unter dem psychologischen Druck einer verpflichtenden Auszeichnung. Noch verpflichtender aber als die Anwesenheit bei mehr oder minder intimen Informationsgesprächen ist jedoch die kostenlose Teilnahme an Auslandsreisen von Regierungsmitgliedern. Regelmäßig werden hier einer größeren Anzahl von Journalisten kostenlose Begleitflüge zur Verfügung gestellt. Gerade angesichts dieser Praxis hält Eschenburg 61 die „allzu großen Fonds der öffentlichen Hand" für eine „Gefährdung der Unabhängigkeit der Presse". Die von i h m festgestellte „Kontrollerweichung aus immaterieller Gefälligkeitsinterdependenz" dürfte vom B P A und den Ministerien als „informationspolitische Maßarbeit" bewußt einkalkuliert und eingesetzt werden. 49 60 51

Vgl. F A Z v. 10.10.1968, „Das Gespräch Brandt—Gromyko i n New Y o r k " . K . - H . Flach, Macht u n d Elend der Presse, S. 75. „Kritische Betrachtungen eines Zeitungslesers", S. 187.

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Während der deutsch-sowjetischen Verhandlungen über einen Gewaltverzichtsvertrag Ende Juli/Anfang August 1970 war auf beiden Seiten „absolute Vertraulichkeit" zugesagt und auf den amtlichen Pressekonferenzen des Regierungssprechers von Wechmar auch eingehalten worden. Dennoch führten die an den Verhandlungen beteiligten Bundestagsabgeordneten Achenbach (FDP) und Wienand (SPD) interne Besprechungen m i t ihnen nahestehenden Chefredakteuren und Berichterstattern. Andere Journalisten sahen i n dieser „doppelgleisigen Informationspolitik" eine „Fortsetzung der Bonner Verhältnisse m i t ihren Gruppen und Cliquen" 6 2 . Den Erfolg derartiger Pressepolitik mag ein weiteres Beispiel i l l u strieren: Schon bevor die Gesetze über bauliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (Schutzbautengesetz) 53 und über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung (Selbstschutzgesetz)54 i m September 1965 verabschiedet wurden, waren sowohl das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren wie auch die hierzu vorgesehenen Maßnahmen auf heftige öffentliche K r i t i k gestoßen: „Es kam allen (bei diesem Gesetzgebungsverfahren Beteiligten) darauf an, ein Stück Legislatur möglichst geräuschlos über die Runden zu bringen 5 5 ." Unmittelbar nach der Verabschiedung erging an einige Journalisten die Einladung des „an wohlwollender Propaganda interessierten Bundesinnenministeriums", das Zivilschutzsystem der Vereinigten Staaten an Ort und Stelle zu studieren. Theo Sommer, der als Redaktionsmitglied der Wochenzeitung „Die Zeit" an dieser Reise teilnahm, gewann zwar von der „ A l p traumwelt" der „totalen Luftschutzdemokratie" i n den USA eine „quälende Vorstellung", schrieb aber dennoch nie eine Zeile darüber" 5 6 bis zu dem Zeitpunkt, als das bisherige Selbstschutzgesetz zwei Jahre später wegen Geldmangels 57 i m neuen Katastrophenschutzgesetz 58 aufging, d. h. bis seine Verwirklichung praktisch unterblieb. Erst jetzt, als das durch Dankespflichten auferlegte Schweigen ohne Schaden für die Gastgeber gebrochen werden konnte, teilte der Journalist seine negativen Eindrücke m i t und fügte entschuldigend hinzu, er habe „gehofft" (!), „daß es am Ende so kommen werde". Ein klassisches Beispiel

52 53 M 55

S. 1. 66

So H. Pörzgen, A m dritten Tag k o m m t die Krise, F A Z v. 30. 7.1970. B G B l . I, S. 1232. B G B l . I, S. 1240. Th. Sommer, Wenn der A n g r i f f droht, Die Zeit, 20. Jg. Nr. 23 v. 4. 6.1965,

„Aktentasche gegen A t o m b l i t z " , Die Zeit, 22. Jg 1967, Nr. 43, S. 5. Schon durch das Haushaltssicherungsgesetz v o m 20. Dezember 1965 (BGBl. I, S. 2065) w a r die A n w e n d u n g der Schutzgesetze großenteils wegen der schlechten Finanz- u n d Wirtschaftslage ausgesetzt worden. 58 BGBl. I , S. 776. 57

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

für „Kontrollerweichung aus immaterieller Gefälligkeitsinterdependenz", die hier allerdings schon materielle Züge gewinnt, ein sehr beweiskräftiges Beispiel dazu, weil derselbe Journalist das Bestreben der Regierung, i n dieser Sache öffentliche K r i t i k zu vermeiden, vorher durchaus zutreffend öffentlich kritisiert hatte. A u f der Grenze zum Bereich unmittelbarer Öffentlichkeitsarbeit liegen schließlich direkte Geldzuwendungen des B P A an einzelne Journalisten. Hierbei handelt es sich jedoch insofern um mittelbare Öffentlichkeitsarbeit, als das BPA i n den hierdurch möglicherweise veranlaßten Veröffentlichungen weder als Urheber noch als „Anreger" genannt werden möchte. Wie weit es sich hierbei u m reine Auftragsarbeiten handelt, ist schwer festzustellen. Immerhin wurden etliche Journalisten, besonders i n Wahlkampfzeiten, zu „gut honorierten" Berichten und Situationsanalysen aufgefordert 59 . So war 1961 i m Zusammenhang m i t der „Hohmann A f f a i r e " 6 0 bekannt geworden, daß Journalisten Zuwendungen aus dem „Reptilienfonds", den „zur Verfügung des Bundeskanzlers zur Förderung des Informationswesens" i m Bundeshaushaltsplan 61 bereitgestellten Mitteln, erhalten hatten 6 2 . Der damalige Leiter des Amtes, von Eckardt, betonte demgegenüber, daß es sich auch bei diesen Zuwendungen lediglich u m „Reisespesen" gehandelt habe 63 . Eine Überprüfung dieses Dementis ist nicht möglich, weil die Verwendung jener Haushaltsmittel der Kontrolle des Parlaments entzogen war, doch dürften z. B. vom BPA angeregte Berichte über Kongreßbesuche oder Informationsreisen bei großzügigen Tagegeldern eine ähnliche Wirkung wie unmittelbare Zuwendungen haben. I n diesen Zusammenhang gehören schließlich auch die regelmäßigen Zuwendungen aus dem sogen. „Reptilienfonds" an ausgewählte politische Presseorgane, zu denen nicht nur die von Mitgliedern der Freien Demokratischen Partei herausgegebene Zeitschrift „liberal" (bis 1967), sondern auch die rechtsradikale „Deutsche Soldaten-Zeitung" (bis 1955) gehörten. Als Gegenleistung für derartige Subventionen w i r d offenbar unkritisches journalistisches Wohlverhalten erwartet. So empfing zwar die „Bundeskorrespondenz" für ihre regierungsfreundlichen A r t i k e l jährlich 500 000 D M 6 4 , doch wurden der Zeit59

A. Baring, Außenpolitik i n Adenauers Kanzlerdemokratie, S. 46. Regierungsamtmann Hohmann i m B P A hatte Gelder aus dem sogen. „Reptilienfonds" (Bundeshaushaltsplan, Einzelplan 04, K a p i t e l 03; damals T i t e l 300) unterschlagen. 61 Einzelplan 04, Kap. 03, T i t e l 300. 62 Vgl. hierzu Der Spiegel, 15. Jg., Nr. 7 v. 7.2.1961, „ P u l v e r i n der Kiste", S. 15 f. 63 Vgl. „Zuwendungen an Journalisten", i n : „Der Journalist" 1964 Heft 2, S. 4. 64 Der Spiegel, 22. Jg., Nr. 42 v. 14.10.1968, „Große Lage", S. 30 ff., 41. 60

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schrift „liberal" alle Zuwendungen gestrichen. Sie hatte i m J u n i 1967 unter der Überschrift „Kiesinger und keine Alternative" einen sehr kritischen A r t i k e l von Rolf Schroers gedruckt, der nach Ansicht des stellvertretenden Sprechers der Bundesregierung, Ahlers, „die Grenzen des politischen Geschmacks (überschritt), zumal es sich bei der Zeitschrift u m eine Publikation handelt, die aus einem Haushaltstitel des Bundeskanzleramts Zuwendungen erhält" 6 5 . Die „gehässige Tonart" der K r i t i k an Bundeskanzler und Ministern hielt Ahlers für nicht „staatspolitisch wertvoll" und verfügte die Streichung der Subvention an „liberal". Zur mittelbaren Öffentlichkeitsarbeit m i t informationspolitischer Absicht w i r d man auch die zahlreichen Versuche des Bundespresseamts zählen müssen, durch Interventionen Einfluß auf die Berichterstattung von Presse, Rundfunk und Fernsehen zu nehmen. So beschwerte sich der stellvertretende Regierungssprecher Ahlers beim Chefredakteur der Nachrichtenagentur Associated Press i n Frankfurt über deren Bonner Korrespondenten Heinz Scholl, w e i l dieser Nachrichten manipuliere und sie „journalistisch zu geschickt" aufmache 66 . Scholl hatte i n seiner Agentur am 8. August 1968 aus Bonn gemeldet: „ M i t Recherchen über neue Vorwürfe, die von Ost-Berlin wegen der politischen Vergangenheit von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger erhoben worden sind, haben amtliche Stellen i n Bonn begonnen." Ahlers hatte am folgenden Tag vor der Bundespressekonferenz scharf 67 dementiert, w e i l dieser Satz „den falschen Eindruck erweckte, als sei eine amtliche Untersuchung der politischen Vergangenheit des Bundeskanzlers eingeleitet worden". I n diesem Zusammenhang sprach Staatssekretär Diehl später i n einem Interview 6 8 von dem „bemerkenswerten Phänomen" der innerdeutschen Dienste ausländischer Agenturen, die nach Ahlers 60 „alles t u n müssen, u m sich aus der deutschen Innenpolitik herauszuhalten" 70 . Anfang August 1968 war ein RundfunkKommentar von Gerold Benz, Bonner Korrespondent des Süddeutschen Rundfunks, Anlaß zu einer K r i t i k Diehls, weil sich jener Kommentar auf die falsche Behauptung stütze, „sowjetische Truppen seien schon i n Prag einmarschiert". Als „der Journalist einer Aufforderung zur Aus65

Z i t i e r t nach „Ahlers sperrt Reptilienfonds für FDP-Zeitschrift", i n : Z V + Z V 1967, S. 1284. 66 Der Spiegel, 22. Jg., Nr. 42 v. 14.10.1968, „Große Lage", S. 30 ff., 45 f. 67 „reine Erfindung". 68 W. Höf er, „Attacken von allen Seiten", i n : Die Zeit, Nr. 38 v. 20.9.1968, S.4. 69 Z i t i e r t nach O. Köhler, „ D P A i m Einsatz", Der Spiegel, 26. Jg. Nr. 41 v. 7.10.1968, S. 34. 70 Die Nachrichtenagentur „ U n i t e d Press International" hat ihren deutschen Dienst 1971 eingestellt.

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

spräche i m BPA nicht nachkam", machte Diehl seine K r i t i k dem Intendanten des Senders gegenüber geltend 71 . Während es sich bei den bisher erwähnten Fällen jeweils u m (nachträgliche) K r i t i k des BPA's handelte, die dann allerdings zugleich als entsprechende Warnung für die Zukunft verstanden werden mußte, war die Intervention des stellvertretenden Regierungssprechers Ahlers beim Redakteur der Sendung „Internationaler Frühschoppen" des Westdeutschen Rundfunks, Werner Höf er, unmittelbar auf die Gestaltung der nächsten Sendung gerichtet. Zu diesem für den 3. März 1968 geplanten Fernseh-Gespräch „Über den publizistischen Umgang m i t Staatsoberhäuptern" war auch Henri Wannen, Chefredakteur der Illustrierten „stern", eingeladen worden. Er hatte den damaligen Bundespräsidenten kurz zuvor i n seinem B l a t t 7 2 scharf angegriffen („bedauernswerte Figur", „kleinkariert"). Ahlers versuchte — Höf er s Worten zufolge — „sehr lange, sehr deutlich und i n immer neuen Wendungen . . . klarzustellen, daß die Teilnahme Nannens der Bundesregierung unerwünscht sei" 7 3 . Als die Einladung dennoch nicht rückgängig gemacht wurde, erklärte Ahlers, das BPA werde nun seinerseits eine Stellungnahme zur Affaire veröffentlichen 74 . A m 3. März 1968 betonte er dann als stellvertretender Regierungssprecher i n einem Zeitungsinterview, die Bundesregierung betrachte die Einladung an Nannen als ein „unmögliches Verfahren dieser Anstalt" und „unerträglich" 7 5 . A u f der Grenze zur unmittelbaren Öffentlichkeitsarbeit liegt die aus dem „Reptilienfonds" finanzierte „private" Werbung für die jeweilige Regierungspolitik. Die 1951 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise" (AdK) empfing für derartige Propaganda-Verträge jährlich 2,1 Millionen DM. Ähnlichen, als „staatsbürgerliche Bildungsarbeit" bezeichneten Zwecken diente die ebenfalls von CDU-Mitgliedern betriebene „Mobilwerbung-GmbH", i n deren Filmwagen Werbevorführungen stattfanden. Erst 1967, als der Bundeshaushaltstitel 300 auf acht Millionen D M reduziert wurde, entfielen diese Subventionen. V. Die unmittelbare Öffentlichkeitsarbeit des BPA im Inland

Zur unmittelbaren Öffentlichkeitsarbeit des B P A gehört zunächst die Wiedergabe von „Regierungserklärungen" 76 , die ausdrücklich als amtlich gekennzeichnet werden und diejenigen Sachgebiete betreffen, die 71

Der Spiegel, 26. Jg. Nr. 39 v. 23. 9.1968, „ K n i c k i n der Gondel", S. 27. „Eine Chance für Heinrich L ü b k e " i n „stern" 29. Jg. Nr. 9 v. 27.2.1968. 78 Der Spiegel, 26. Jg. Nr. 11 v. 11. 3.1968 „Öfter so", S. 36. 74 Der Spiegel, ebd. 75 „ W e l t am Sonntag" Nr. 9 v. 3.3.1968, „Schwere Spannungen Regierung — W D R u m Höfers Frühschoppen", S. 1. 78 Z u diesem Begriff vgl. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 23 f. 72

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eine parlamentarische Regierungserklärung umfaßt 7 7 . Hierunter fallen auch alle sich auf solche Gebiete beziehenden Richtigstellungen, die von Regierungsmitgliedern abgegeben werden. Keine Regierungserklärungen sind hingegen die amtlichen Berichte, welche Leisner 76 ebenfalls unter den Begriff der „Regierungserklärung i m weiteren Sinn" subsumieren w i l l . Das Wort „Regierungserklärung" würde hierdurch eine schwer abgrenzbare, diffuse Bedeutung erhalten und somit jede Begrifflichkeit verlieren. Dann wären nämlich Zeitungsanzeigenkampagnen wie jene unter dem Titel „Die Bundesregierung informiert" oder die von mehreren Ministerien herausgegebenen Broschüren wie „Heute für morgen" (Notstands-Broschüre des Bundesministers des Inneren) als „Regierungserklärungen" zu betrachten. Echte Regierungserklärungen, also persönlich abgegebene Erklärungen des Bundeskanzlers und der Regierungsmitglieder veröffentlicht vielmehr als einziges regierungsamtliches Organ das „Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung". Darüber hinaus werden hier Interviews und Reden der Bundesminister zu grundsätzlichen Fragen ihrer Ressorts sowie fachbezogene A r t i k e l aus den M i n i sterien und regierungsamtliche Pressemitteilungen veröffentlicht. Bei einer Auflage von etwa 19 000 Exemplaren (1969) und dem Grundsatz, daß „bei der Beschaffung und Redaktion des Manuskriptmaterials . . . Sorgfalt und Genauigkeit den Vorrang vor der Aktualität (haben)" 79 , dürfte die publizistische Wirkung der „Bulletins" über ein fachlich interessiertes Publikum hinaus nicht allezu groß sein. Diese Einschränkung gilt nicht für die bewußt allgemein gehaltenen Arbeiten der A b teilung (V) Bild, Ton, Publikationen. Das B P A läßt Fernsehfilme für die Serien „Dolmetscher i n unserer Zeit", „Städte-Serie", „Lebendige Demokratie" und „Persönlichkeiten" herstellen, wobei sich die Filme der beiden letzteren Serien ganz überwiegend m i t der Regierungspolitik befassen. Regierungspolitik sowie Erläuterungen von Gesetzesvorhaben und neuen Gesetzen bestimmt auch die vom BPA betreuten oder hergestellten Sendungen 80 i n den Rundfunkprogrammen der Länderanstalten und der „Deutschen Welle". Die eigenen Sendungen des Amtes bestreiten „fast ausschließlich" Ministerialreferenten 81 , während i n „Ge77 So wurde die Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts v o m 28.10. 1969 auf Anfrage v o m B P A i n F o r m einer Broschüre versandt u n d durch eine v o m B P A herausgegebene Zeitungsbeilage i m Dezember 1969 ausschnittweise verbreitet. 78 Öffentlichkeitsarbeit, S. 24. 79 So N. Kaps / H. Küffner, Das BPA, S. 124. 80 Vgl. hierzu N. Kaps / H. Küffner, Das B P A , S. 148. 81 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 33.

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samtdeutschen Sendungen" oder Berichten über die Entwicklungshilfe ebenso wie i n den von dieser Thematik beherrschten Filme (z.B. „Städte-Serie") amtliche Stimmen naturgemäß weniger hervortreten. Ob deshalb gerade i n den „Gesamtdeutschen Sendungen", wie Leisner meint 8 2 , die „Regierungspolitik" zurücktritt, erscheint allerdings zweifelhaft, wenn man bedenkt, daß die Deutschlandpolitik seit jeher, mindestens nach außen, mit i m Zentrum der „Regierungspolitik" gestanden hat. Es liegt näher, hierin wirksame, weil indirekte und amtlichen U r sprung verschleiernde Werbung für die Deutschlandpolitik der Regierung zu sehen. Die eher sachlichen und offen mit „Regierungspolitik" befaßten Ministerialberichte sind demgegenüber weit weniger werbewirksam. Ganz eindeutig i n den Bereich der Werbung gehört nach äußerer Form und Inhalt die ständig steigende Zahl der von der Bundesregierung veröffentlichten Anzeigen i n Zeitungen und Zeitschriften. Schon i m Bundestags wähljähr 1967 hatte der damalige Bundeskanzler Erhard für solche Zeitungsanzeigen unter dem Motto: „Mitbürger fragen — der Kanzler antwortet" etwa zwei Millionen D M aus M i t t e l n des Bundeshaushalts ausgegeben. Dies veranlaßte die sozialdemokratische Oppositionspartei seinerzeit wegen „Mißbrauch(s) von Steuermitteln", „eklatanter Verletzung des Haushaltsrechts" sowie „unerlaubter Partei- und Personalwerbung" das Bundesverfassungsgericht anzurufen. I m Januar 1969 nahm die Antragstellerin jenen Antrag auf Feststellung, daß die Regierung „verschleierte Parteienfinanzierung" betrieben habe, zurück 8 3 . Die Regierungsparteien der „Großen Koalition" vom Herbst 1967 haben diese Methode der Werbung dann jedoch i n umfangreichen, aus Haushaltsmitteln finanzierten Anzeigenkampagnen fortgesetzt, deren Kosten i m Frühjahr 1969 rund eine M i l l i o n D M erreicht hatten. Nachdem einer Umfrage zufolge „68 °/o der Bevölkerung" derartige Anzeigen i m Werbungsstil der gewerblichen Wirtschaft „ f ü r richtig" hielten 8 4 , startete die Anzeigenreihe „des Presse- und Informationsamtes" unter dem Motto „Die Richtung stimmt". Das A m t wurde bei der formalen Ausgestaltung von einem Beratergremium aus der privaten Werbewirtschaft unterstützt. Es handelte sich u m die Werbeagenturen Hegemann (Düsseldorf), Fähnrich (Essen), Iwag (Berlin), Schulze van Loon (Hamburg) und die „Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit" (Düsseldorf) 85 . 82

Öffentlichkeitsarbeit, S. 33. Vgl. „Propaganda: Unsittliche Vorstellungen", Der Spiegel, 22. Jg. Nr. 7 v. 10. 2.1969, S. 50. 84 Vgl. „Die Bundesregierung setzt auf Anzeigenwerbung", i n : Z V + Z V 1967, S. 1750, 1751. 83

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Die erste Anzeigenreihe wies auf die bis zum 31. Oktober 1967 befristeten steuerlichen Sonderabschreibungen hin, eine andere informierte über die Mehrwertsteuer, die dritte schließlich wollte „Verständnis für die mittelfristige Finanzplanung" wecken und darüber hinaus „Optimismus verbreiten" 8 6 und damit ebenso wie die anderen Anzeigen zu privaten Investitionen anregen. Anzeigen i n den Boulevardblättern enthielten Antworten der Bundesminister Strauß und Schiller auf selbst gestellte Fragen wie „Was bezwecken die Konjunkturprogramme?" oder „Wie sicher sind unsere Arbeitsplätze?". Wenn auch der anpreisend-werbende Ton dieser A n zeigenserien unüberhörbar ist, so enthielten sie doch vielfach sachlichnützliche Informationen. I n der Folgezeit trat dieser informatorische Gehalt immer mehr i n den Hintergrund zugunsten eines schließlich ganz vorherrschenden propagandistischen Stils. Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs u m einen bloßen Wechsel der Methoden: Die Anzeigen haben vielmehr eine neue Aufgabe bekommen. Bestand i h r Zweck zunächst darin, beschlossene Gesetze zu erläutern, so wollte man nun unkritische Loyalität und Solidarität mit den GesetzesuorZagen der Regierung hervorrufen. I m Zentrum dieser werbenden Öffentlichkeitsarbeit stand die Regierungsvorlage für das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes (sog. Notstandsverfassung) 87 . Derartige Absichten w u r den zuerst i n einem als Zeitungsbeilage für etwa 1,2 Millionen D M gedruckten Leistungsbericht der Regierung offenbar. Zwischen den selbstgefälligen Behauptungen („Die Politik der deutschen Regierung erwirbt i m Ausland Vertrauen") und nichtssagenden Formeln („Die deutsche Kohle und der deutsche Bergmann haben eine Zukunft"!) dieser m i l lionenfach unter dem Motto „ Z w e i Männer — Eine Aufgabe" (damit waren der Bundeskanzler Kiesinger und der Vizekanzler Brandt gemeint) verbreiteten Broschüren findet sich auch ein „ Z u m Schutz jedes einzelnen" betitelter Absatz über die Notstandsgesetze, der als t y p i sches Beispiel für unsachliche, irreführende und beschönigende Regierungspropaganda gelten muß: „Die Regierung schafft Notstandsgesetze, damit i n der Stunde der Gefahr nicht unbedacht, nicht w i l l k ü r l i c h , nicht nach Kriegsrecht gehandelt werden muß. Notstandsgesetze, i n ruhigen Zeiten besonnen erarbeitet, sind sinn85 Der Bundesrechnungshof hat i n seinem Bericht über die Haushaltsführung des Bundes kritisiert, „daß diese Aufträge ohne Ausschreibungen vergeben wurden", vgl. „Rechnungshof kritisierte Ausgaben des Bundespresseamtes, Z V + Z V 1969, S. 913. 86 Die Bundesregierung setzt auf Anzeigenwerbung, Z V + Z V 1967, S. 1750, 1751. 87 Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes v o m 24. J u n i 1968, B G B l . I, S. 709.

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voller u n d wahren die Freiheit des Bürgers besser als Beschlüsse, die unter dem Zwang der Ereignisse gefaßt werden müssen. Wer Feuerlöscher anschafft, ist kein Brandstifter. Wer Notstandsgesetze verabschiedet, w i l l k e i neswegs einen Notstand. A b e r beide sorgen vor. Wenn es brennt — auch Naturkatastrophen können furchtbar sein —, k a n n m a n keine Feuerwehr mehr aufstellen. Deshalb Notstandsgesetze, die alles, was i m Zustand der Gefahr notwendig ist, unter parlamentarischer Kontrolle halten! W i r brauchen auch i m Falle des Notstandes Nahrungsmittel u n d Strom; Verkehr u n d Produktion müssen trotzdem fließen, der Staat muß handlungs- u n d lebensfähig bleiben. Notstandsgesetze also zum Schutz unserer Gemeinschaft, zum Schutz jedes einzelnen Bürgers."

Hier fehlt jegliche Information über den Inhalt der „Notstandsgesetze", so daß der unkundige Leser den — zum Teil falschen — Behauptungen der Broschüre schutzlos ausgeliefert ist. I m Vertrauen auf dieses Informationsdefizit werden als „Stunde der Gefahr" lediglich „Naturkatastrophen" vorgestellt, obwohl der sog. Katastrophenfall i m Rahmen jener Neuregelung eine ganz nebensächliche Bedeutung hat, zumal ein solcher unbewaffneter „technischer Hilfseinsatz" der Bundeswehr i n Katastrophenfällen auch nach A r t . 143 GG w o h l gerechtfertigt werden konnte 8 8 . I m Mittelpunkt der Neuregelungen und der dagegen gerichteten öffentlichen K r i t i k zu Anfang des Jahres 1968 standen vielmehr die anderen, hier auch nicht andeutungsweise erwähnten, Fälle des sog. „inneren Notstandes", also der bewaffnete Einsatz von Streitkräften und Polizei i m Innern „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes" (jetzt A r t . 87 a IV, 91 GG) sowie die Erweiterung des „Verteidigungsfalles" auf den nicht näher definierten „Spannungsfall" des A r t . 80 a GG und die i n Zusammenhang hiermit vorgesehenen Grundrechtseinschränkungen. Wer unter dem Motto „Die Bundesregierung informiert" von den „Notstandsgesetzen" handelt und dabei alle zentralen Probleme dieser Verfassungsänderungen, welche zugleich i m Mittelpunkt aktueller öffentlicher K r i t i k standen, unterschlägt, der unterläßt nicht etwa nur eine notwendige Information, sondern erregt bewußt Irrtümer über seine wahren Absichten. Unter Ausnutzung der Autorität regierungsamtlicher Veröffentlichungen hat die Bundesregierung i n der Zeitungsbeilage „ Z w e i Männer — Eine Aufgabe" den Bürger über Umfang und Problematik der wichtigsten Verfassungsänderungen seit 1949 getäuscht und damit auch die hierzu geäußerte öffentliche K r i t i k diffamiert. Daß es sich überhaupt u m Verfassungsänderungen handelt, w i r d verschwiegen. Lediglich i m Zusammenhang m i t der geplanten Finanzreform liest man an einer ganz anderen Stelle des Blattes: „Das Grundgesetz muß i n einigen Punkten 88 Vgl. R. Hoffmann, der Bundeswehr, S. 113.

Innerer Notstand, Naturkatastrophen u n d Einsatz

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geändert werden. Dazu brauchen w i r die Mehrheit der großen Koalition." Zweck derartig verfälschender und verniedlichender Behauptungen, von denen man hofft, daß sie nicht tatsächlich hinterfragt werden, ist es, unkritische Loyalität und Solidarität beim Leser hervorzurufen. Erst am 25. M a i 1968 erschien i n allen größeren Tageszeitungen der Bundesrepublik eine ganzseitige „Anzeige des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung". Darin heißt es u.a.: „Die Bundesregierung hat sich unter Eid verpflichtet, Schaden von unserem Volk abzuwehren. Dazu gehört auch die Vorsorge für den Fall, daß w i r angegriffen werden. Das ist der Sinn der Notstandsgesetze . . . Jetzt sind die Rechte jedes Bürgers auch i m Notstand gesichert . . . Das ist die Wahrheit. Nichts ist geheim. Jeder sollte den Text der Notstandsgesetze lesen. Jeder kann sich informieren (Sie erhalten ausführliche Informationen auf Wunsch vom Bundesminister des Inneren."). Trotz der pathetischen Versicherung „Das ist die Wahrheit" w i r d i n dieser Anzeige der I r r t u m erweckt, Sinn der „Notstandsgesetze" sei nur die Vorsorge für den Fall eines militärischen Angriffs (sog. äußerer Notstand); die Regelungen für den Fall des „inneren Notstandes" bleiben unerwähnt. Überdies hatte zur Zeit der Veröffentlichung die entscheidende zweite Lesung des verfassungsändernden Gesetzes i m Bundestag bereits stattgefunden 89 . Die Aufforderung, sich zu informieren, kam m i t h i n zu spät. Allerdings war zu Anfang des Jahres 1968 schon eine vom Bundesminister des Innern herausgegebene, illustrierte Broschüre über die „Notstandsgesetze" m i t dem Titel „Heute für morgen. Oder: Vorsorge" erschienen. Sie war Lesezirkelmappen beigelegt worden und enthält überwiegend großformatige Fotos. Der Text informiert unkritisch und grob über den Inhalt der „Notstandsgesetzgebung" und nennt die geäußerte K r i t i k „dumme(s) Gerede" 90 , enthält jedoch auch einen Hinweis auf die vom Bundesminister des Inneren auf Anfrage kostenlos verteilten Informationsbroschüren „Tatsachen — Meinungen. Informationen zur Notstandsgesetzgebung" und „Schwarz auf Weiß" (Texte des verfassungsändernden Gesetzentwurfs vom März 1967 91 sowie der schon verabschiedeten sog. einfachen Notstandsgesetze) 92 . Aber auch der hierin wiedergegebene Regierungsentwurf wandelte sich i m entscheidenden Zeitpunkt, also i n den letzten Wochen vor der zweiten Lesung des verfassungsändernden Gesetzes, zur Falschinforma89

174. u n d 175. Sitzung am 25. u. 26. M a i 1968. „Heute für morgen. Oder: Vorsorge", S. 10. Bundestagsdrucksache V/1879. 92 „Schwarz auf Weiß" Nr. 1/67 enthält den Regierungsentwurf f ü r eine Notstands Verfassung; Nr. 3/67 die Sicherstellungsgesetze; Nr. 4/67 den Regierungsentwurf f ü r die Erweiterung des Katastrophenschutzes sowie das Zivilschutzkorpsgesetz. 90

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tion. A m 4. A p r i l 1968 hatte der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags den Notstandsverfassungsgesetz-Entwurf der Bundesregierung nämlich i n wichtigen Punkten geändert 93 . Diese Neufassung ist dann nach Zustimmung des Innenausschusses am 15. und 16. M a i 1968 als Regierungsentwurf i n zweiter Lesung beraten worden, ohne daß sie der Öffentlichkeit amtlich bekannt gemacht worden wäre. Insofern kam das Informations-Angebot i n jener Zeitungsanzeige vom 25. Mai 1968 zu spät, obwohl der Text des Regierungsentwurfs vom März 1967 schon vorher auf Anfrage h i n kostenlos verschickt wurde 9 4 . A m 29. und 30. M a i 1968 verabschiedete der Bundestag das „17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes" i n der neuen Fassung nach dritter Lesung. Zwei Tage darauf erschien i n allen größeren deutschen Tageszeitungen eine doppelseitige „Anzeige des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung". Sie enthielt erstmals den Wortlaut der geänderten und neu eingefügten Grundgesetzartikel. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung beschränkte sich also i m Stadium der Diskussion dieser bedeutsamsten Verfassungsänderung auf propagandistische sowie vielfach falsche Behauptungen und vermied die sachliche Information der Bürger. Erst nachdem das Notstandsverfassungsgesetz beschlossen war, konnte das Volk vor die nunmehr „vollendeten Tatsachen" gestellt werden. Das B P A hatte übrigens zur Propagierung des Notstandsverfassungsgesetzentwurfs die i m Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1968 unter dem Titel „Öffentlichkeitsarbeit I n l a n d " 9 5 bereitgestellten M i t t e l (7 Mill.) auf einen entsprechenden Beschluß der Bundesregierung um etwa 2,6 Millionen D M überziehen müssen. Dies ging aus einem Bericht des Bundesministers der Finanzen über die das Haushaltsgesetz überschreitenden Mehrausgaben der verschiedenen Ressorts hervor. Der Bericht begründete jene Etatüberschreitung damit, daß die Beratungen der Entwürfe zu einer nicht vorhersehbaren Diskussion dieser Grundgesetzänderung sowie zu Demonstrationen und Gewaltmaßnahmen geführt hätten: „Dadurch w i r d es notwendig, die deutsche Bevölkerung i n einer umfassenden Sofortaktion über den sonst üblichen Rahmen hinaus über die Notstandsgesetze aufzuklären 9 6 ." Spätere Anzeigen unter dem alten Motto: „Die Richtung stimmt" setzten den Stil und die Methode einer i m Januar 1968 veröffentlichten 93

Ausschußdrucksache V/90. Das p r i v a t gegründete K u r a t o r i u m „Notstand der Demokratie" hatte den Wortlaut des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes nach den Beschlüssen des Rechtsausschusses allerdings am 22. A p r i l 1968 v e r öffentlicht. 95 Kap. 0402 T i t e l 314. 96 Vgl. hierzu V. Hoffmann, M i l l i o n e n für „Notstandspropaganda", FR v. 13. 8.1969, S. 1. 94

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Annonce „ W i r sind auf dem richtigen Weg" fort 9 7 . Damals wurde zu den Stichworten „Wohlstand", „Sicherheit", „Frieden" und „Fortschritt" die Politik der „Großen Koalition" i m Jahre 1967 i m werbendaffirmativen Stil eines Erfolgsberichtes ohne jeglichen Informationswert dargestellt. Ähnliche Zeitungsanzeigen warben i m September für die Wirtschaftspolitik (Schlagzeile: „Unsere Wirtschaft ist wieder i n Schwung — ein sicheres Fundament für unsere Zukunft") 9 8 , i m Oktober für die geplante Finanzreform von Bund und Ländern (Schlagzeile: „Bund, Länder und Gemeinden Hand i n Hand") 9 9 , anschließend i m November wurde das Arbeitsförderungsgesetz gelobt (Schlagzeile: „Wer füttert morgen 11 500 Computer?") 1 0 0 und für die Verkehrspolitik geworben (Schlagzeile: „Freie Fahrt m i t dem Leber-Plan") 1 0 1 . I m März 1969 warben Anzeigen für die Hochschulpolitik der Bundesregierung (Schlagzeile: „Reformen sind besser als Revolten") 1 0 2 . Daneben erschienen derartige Regierungsanzeigen auch zu regionalen Problemen wie etwa zur sogenannten Ruhrkrise i m Steinkohlenbergbau. Obwohl jede dieser Annoncen erklärt, daß die „Bundesregierung (hierdurch) informiert", werden in diesen überwiegend ganzseitigen Werbeserien nicht die Maßnahmen der Bundesregierung erklärt, sondern lediglich (häufig auch objektiv) unüberprüfbare Erfolgs-Behauptungen aneinandergereiht. Eine scheinbare Ausnahme von solcher propagandistischen Reklametätigkeit des B P A ist die i m November 1968 vom A m t herausgegebene illustrierte Zeitungsbroschüre „Frieden, Nahrung, Energie entscheiden die Zukunft der Welt". Sie enthält eine durch grafische Tabellen veranschaulichte Information über die Leistungsfähigkeit von Kohle, ö l und Uran als Energieträger und erklärt, warum der steigende Energiebedarf i n der Bundesrepublik künftig nur noch über Kernkraftwerke gedeckt werden kann. Es w i r d dargestellt, daß solche Kraftwerke nicht nur die billigsten Energieerzeuger, sondern zugleich — entgegen herkömmlichen Auffassungen — i n vielem sicherer und zuverlässiger als andere Kraftwerke betrieben werden. Damit rechtfertigt man zugleich — i n einer auch dem Laien verständlichen A r t — die öffentlichen Ausgaben zur Förderung der energiewirtschaftlichen Nutzung von Uran. Derart sachlich-aufklärerische Information ist jedoch — wie gezeigt — eine recht seltene Ausnahme innerhalb der unmittelbaren Öffentlichkeitsarbeit des BPA. Allerdings muß gerade auch diese Informationsbroschüre wiederum auf dem Hintergrund der bei ihrem Erscheinen geführten öffentlichen Diskussion über den sog. 97

z. B. F A Z v. 4.1.1969. z. B. SZ v. 21. 9.1969. 99 z. B. FR v o m 21.10.1968. 100 z. B. FR v. 9.11.1968. 191 z. B. F A Z v. 23.11.1968. 102 z. B. FR v. 22. 3.1969. 98

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„Atomsperrvertrag" gesehen werden, dessen Unterzeichnung die Partei des verantwortlichen Hessortministers (G. Stoltenberg, CDU) bekämpfte. Gerade jener Vertrag w i r d i m Text aber nicht erwähnt. Wesentlich durchsichtigere Zwecke verfolgte die ebenfalls vom Bundesminister für wissenschaftliche Forschung i m J u l i 1969 herausgegebene Zeitungsbeilage „Sind w i r für das Jahr 2000 vorbereitet?". I n ähnlicher Aufmachung w i r d hier über die staatliche Wissenschaftsförderung, den Nutzen der Weltraumforschung, Kernkraftwerke und deutsche Leistungen i n neuen Technologien (Datenverarbeitung, Atomschiffe) berichtet, w i r d das Schwinden „technologischer Lücken" der deutschen Wissenschaft beschworen und beteuert: „Die Aufgaben sind erkannt". Z u dieser Zeit hatte die Diskussion über den Rückstand der deutschen Wissenschaft gegenüber internationaler Konkurrenz, die i m Vergleich mit anderen Ländern bescheidene staatliche Bildungsförderung i n der BRD und die wissenschaftspolitische Desorientierung der westdeutschen Hochschulplanung einen neuen Höhepunkt erreicht. Eine Serie des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" 1 0 3 stellte den durch die Unruhen an deutschen Universitäten ohnehin schon erschreckten Lesern die Krise i n Forschung und Lehre ausführlich dar. M i t einer Zeitungsbeilage trat nun das Ministerium dieser K r i t i k nicht ausdrücklich entgegen, sondern ignorierte die öffentliche Diskussion, verschwieg die Mißstände und stellte dem u m Vergleichszahlen verlegenen Leser die staatliche Wissenschaftsförderung als vorbildlich hin. Ganz offensichtlich sollte berechtigte öffentliche K r i t i k hier vor den Bundestagswahlen i m Herbst 1969 durch unvollständig-irreführende Darstellung beruhigt werden. Die Reklame-Serie „Die Richtung stimmt" hatte schließlich i m November 1968 m i t dem Kauf von zunächst fünf Millionen Zündholzschachteln (Preis 35 000 DM) einen kuriosen Höhepunkt erreicht. A u f diesen Schachteln wurde für die Wirtschaftspolitik der Regierung m i t dem Hinweis geworben, daß man i h r „Neuen Aufschwung, Stabilität und Vollbeschäftigung" verdanke. Seither sind die Anzeigenaktionen und Zeitungsbeilagen seltener geworden. Erfolgskontrollen auf die Wirksamkeit der Anzeige und ihren „Erinnerungswert" bei den Lesern durch Meinungsbefragungsinstitute hatten nämlich die Erkenntnis gefördert, daß derartige A n zeigenaktionen einzuschränken seien, „ u m die natürliche Abnutzung solcher Maßnahmen und ein zu schnelles Sinken der Aufmerksamkeitswerte zu verhindern" 1 0 4 . Dennoch hat auch die i m Herbst 1969 von SPD 103 „ M i t dem L a t e i n am Ende", „Serie über Krise u n d Z u k u n f t der deutschen Hochschulen" begann i n „Der Spiegel", 23. Jg. Nr. 26 v. 24. 6.1969. 104 Bericht des Bundesrechnungshofes über die Haushaltsrechnung des Bundes f ü r das Haushaltsjahr 1966, zitiert nach „Rechnungshof kritisierte Ausgaben des Bundespresseamts", Z V + Z V 1969, S. 913.

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und FDP gebildete Regierung jene Anzeigenkampagne („Die Bundesregierung informiert") durch eine Zeitungsbeilage m i t schlagzeilenhaften Auszügen aus der Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts ( „ A u f richtigem Kurs") fortgesetzt 105 . Mehr als bisher sollten Anzeigen vor allem in kleineren und mittleren Tageszeitungen erscheinen 106 . I m Zusammenhang m i t der am 27. Oktober 1969 erfolgten DM-Aufwertung wurden 120 Millionen D M aus dem Bundeshaushalt als Ausgleich für die hierdurch verursachten Verluste der Landwirtschaft bereitgestellt und eine 3prozentige Erstattung der Mehrwertsteuer an Landwirte beschlossen. Eine Anzeige („Die Bundesregierung informiert. Unseren Bauern w i r d nichts geschenkt") 107 , des B P A erklärte hierzu, daß es sich dabei nicht u m Subventionen handele. Angesichts der damals trotz jener Währungspolitik ständig steigenden Preise wurde i m Januar 1970 eine Anzeige veröffentlicht, welche die Verbilligung einiger weniger Lebensmittel als „Erfolg der DM-Aufwertung" darstellte 1 0 8 . Wie schon zuvor versicherte das B P A auch diesmal selbstgewiß, die Bundesregierung liege auf „richtigem Kurs", obwohl damals bereits abzusehen war, daß die Verbraucherpreise trotz der Aufwertung weiter steigen würden. Durch die fortgesetzt inflationäre Entwicklung veranlaßt, gab die Regierung schließlich i m Mai 1971 den Wechselkurs der D M gegenüber dem Dollar frei, nachdem die EWG-Partner zuvor kurzfristig und lediglich aus formalen Gründen informiert worden waren. Von diesem Schritt, der die für den Juni 1971 vorgesehene Verringerung der Wechselkurs-Bandbreiten i m EWG-Bereich vereitelte und deshalb besonders i n Frankreich erhebliche Verstimmung hervorrief, behauptete das B P A i n einer Zeitungsanzeige 109 , er sei „ i m europäischen Geist" erfolgt. Demgegenüber hatte die Regierung i n einer zuvor veröffentlichten gemeinsamen Resolution der EWG-Staaten zugegeben, daß fluktuierende Wechselkurse „unter normalen Umständen m i t dem guten Funktionieren der Gemeinschaft unvereinbar" seien 110 . Auch die i n derselben Anzeige enthaltene Behauptung, geplante „Reformen werden v e r w i r k licht", erwies sich angesichts der aus konjunkturpolitischen Gründen notwendigen Sparbeschlüsse zum Bundeshaushalt (welche übrigens auch erhebliche Etatkürzungen für das B P A enthielten) als falsch. Kurz darauf erklärte z. B. der Bundesminister für Bildung und Wissen105 Gleichzeitig w u r d e die Regierungserklärung auch i m W o r t l a u t u n d i n betont sachlicher Aufmachung als Broschüre v o m B P A verbreitet. 106 Vgl. U . - K . Heye, Klarmachen, w a r u m was geschieht, SZ v. 30.10.1969. 107 z. B. i n Wetzlarer Neue Zeitung v. 29.12.1969. 108 „Die Bundesregierung informiert: Billigere Lebensmittel", z . B . Wetzlarer Neue Zeitung v. 16.1.1970. 109 „Die Bundesregierung informiert: Das geht Sie alle an", Der Spiegel, 25. Jg. Nr. 1 v. 17. 5.1971, S. 19. 110 Vgl. „europäische gemeinschaft" 1971, Heft 6, S, 21,

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schaft, Leussink, daß die vorgesehenen Bildungsreformen wegen ihrer hohen Kosten erst nach 1975, also nicht mehr innerhalb der laufenden Legislaturperiode, durchgeführt werden könnten 1 1 1 . Dagegen fehlte i n der Anzeige jede sachliche Information zur währungspolitischen Bedeutung der vorgenommenen Maßnahmen. Die Bevölkerung wurde also irregeführt, anstatt über weithin unverstandene volkswirtschaftliche Zusammenhänge aufgeklärt zu werden und damit Maßstäbe für eine kritische Beurteilung der Regierungspolitik zu gewinnen. I m Herbst 1970 — unmittelbar vor den Landtagswahlen i n Hessen und Bayern — setzte das B P A die Serie „Die Bundesregierung informiert" wieder i n überregionalen Tageszeitungen fort. Eine Anzeige zum „Thema Nr. 1", den steigenden Wohnungsmieten, unterstrich die „Sofortmaßnahmen" der Regierung: Erhöhung des Wohngeldes, Finanzierung des Wohnungsbaus sowie Gesetzesvorhaben zum Ausbau des Mieterkündigungsschutzes 112 . Interessenten wurde auf Anforderung die „Mietfibel" des BPA als Information über die Rechte von Mietern und Vermietern zugesandt. Der weitverbreiteten Auffassung, die schon unter der Regierung Kiesinger begonnene Strafrechtsreform sei ein Zeichen mangelnder Entschlossenheit zur Verbrechensbekämpfung, versuchte man i n einer Anzeige („Dem Verbrechen keine Chance") mit melodramatisch formulierten Versicherungen zu begegnen: „So darf es nicht weitergehen. Verbrecher müssen wirkungsvoller bekämpft werden. W i r werden sie jagen: Mörder und Totschläger, SittlichkeitsVerbrecher, Autoknacker und Diebe, Betrüger und Erpresser, Rauschgifthändler, Bombenleger und Terroristen. Unerbittlich jagen. Tag und Nacht. Über alle Landesgrenzen hinweg. Die Bundesregierung sorgt für Sicherheit und Ordnung". Diese finster beschworene Entschlossenheit zum Selbstverständlichen benutzte populäre „law and order"-Emotionen, u m die i m Rahmen des Bundeshaushalts unerhebliche Verdoppelung des Etats des Bundeskriminalamtes i m Wahlkampf werbewirksam herauszustellen 113 . Nach der Unterzeichnung des Deutsch-Sowjetischen Vertrages am 12. August 1970 ließ das B P A eine Chronik der Verhandlungen i m „comic-strip"-Stil zeichnen und m i t dem Vertragstext auf einem farbi111

Vgl. H. H. Lührig, FR v. 9. 6.1971, S. 1. „Die Bundesregierung informiert: Thema Nr. 1: Die Mieten", FR v. 29. 9.1970. 118 „Die Bundesregierung informiert: Dem Verbrechen keine Chance . . SZ v. 3./4.10.1970. M i t Recht schrieb die „ F r a n k f u r t e r Rundschau" hierzu: „ W e r i n dieser F o r m für sich w i r b t , entwertet alle Bemühungen, das Strafgesetzbuch zu liberalisieren oder den Strafvollzug humaner zu gestalten", „Verbrecherjagd", FR v. 6.10.1970, S. 3. Hierzu, sowie zu dieser Anzeigenserie insgesamt, vgl. die Diskussion i n der 70. Sitzung des Bundestages v. 8.10.1970 (BT, Sten.Ber., 6. Wahlperiöde, S. 3857 ff.). 112

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gen Textblatt an Gewerkschaften, Kirchen, Schulen und Verbände verteilen, da — einer Umfrage zufolge — 57 °/o der Bevölkerung den Wortlaut des Abkommens nicht kannten. Vor allem aber dürfte diese Veröffentlichung gleichfalls angesichts des überwiegend als Regierungserfolg gewerteten Vertragsschlusses auf den zur selben Zeit stattfindenden Landtagswahlkampf i n Hessen und Bayern gezielt gewesen sein. Gleichzeitig erschien das Bulletin des B P A v. 17. 8.1970 i n einer Sonderausgabe 114 , welche Materialien und Berichte zum Vertragswerk i n betont sachlicher Auswahl enthielt. Unter den dort veröffentlichten Aufsätzen aus der Feder von Regierungsmitgliedern und hohen Beamten findet sich allerdings keine kritische Stellungnahme. Das BPA verbreitete dieselbe Zusammenstellung auch i n einer Ende 1970 herausgegebenen 264 Seiten starken Broschüre, jedoch erweitert u m eine Sammlung zustimmender Pressekommentare, welche in der Ausgabe 1971 u m den Text des entsprechenden Vertrags m i t Polen ergänzt wurde. I m Herbst 1971 gab das B P A ein farbigillustriertes Heft unter dem Titel „Reformen heute — Sicherheit für morgen" als „ Z w i schenbilanz der Bundesregierung" heraus. Darin wurden die i n der laufenden Legislaturperiode beschlossenen Gesetze zur „Sozial-/Gesellschaftspolitik", „GesundheitsVorsorge" und „Bildung" als Leistungen der Regierung dargestellt, sowie auf außenpolitische Ereignisse, vor allem die Vertragsschlüsse i n Moskau und Warschau vom 12. 6. und 7.12.1970 hingewiesen. Anschließend erschienen wieder mehrere Zeitungsanzeigen des B P A zu aktuellen politischen Themen. So war die Regierung für das neue Ehescheidungsrecht m i t der Behauptung, nach einer Scheidung werde „künftig der wirtschaftlich Stärkere dem wirtschaftlich Schwächeren (in der Regel also der Mann der Frau) Unterhalt zu zahlen haben" 1 1 5 , obwohl der Regierungsentwurf den geschiedenen Gatten prinzipiell auf eigene Erwerbstätigkeit verweist und von dieser Selbstunterhaltungspflicht nur eng begrenzte Ausnahmen zuläßt, die wirtschaftliche K r a f t der „Partner" also grundsätzlich gerade nicht berücksichtigt. M i t Recht ist diese Anzeige daher i n einem Zeitungskommentar als „reine Propaganda" bezeichnet worden 1 1 6 . Als irreführend erwies sich auch das i n der nächsten Anzeige gegebene Versprechen, die „Bildungsbombe" durch den Bau von Schulen und Hochschulen, die Einführung der Gesamtschule und Vorschulerziehung, berufliche Fortbildung, Umschulung und Erwachsenenbildung zu „entschärfen"; alle diese Probleme würden „gemeinsam von Bund 114

Nr. 109/S. 1093 - 1156. „Eheleute sind Partner — auch dann, w e n n es einmal schief geht," Der Spiegel, 25. Jg. Nr. 22 v. 11.10.1971, S. 25. 116 „Reine Propaganda", F A Z v. 18.10.1971, S. 2. 115

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

und Ländern angepackt" 117 . Noch i n derselben Woche verabschiedeten zwar die Kultusminister der Länder gemeinsam m i t dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft den Zwischenbericht der gemeinsamen Bildungsplanungskommission, aber schon am darauffolgenden Wochenende beschlossen die Regierungschefs der Länder unter dem Eindruck unzureichender Finanzhilfen des Bundes, die Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit eines gemeinsamen Bildungsplans zu überprüfen 1 1 8 . Kurz darauf distanzierten sich die CDU-regierten Länder von wesentlichen Teilen der Reformvorschläge, während der parteilose „Wissenschaftsminister" Leussink demissionierte 110 . Schließlich wurden auch außenpolitische Ereignisse für die Anzeigenwerbung verwendet. Als die Staaten Dänemark, Großbritannien, I r land und Norwegen am 22. 9.1972 den Beitrittsvertrag zu den Europäischen Gemeinschaften unterzeichnet hatten, nahm die Bundesregierung i n einer Zeitungsanzeige für sich i n Anspruch, den Weg hierzu geebnet zu haben. Daneben enthielt der Text globale Informationen über die Wirtschaftskraft der Gemeinschaften, Zahlen, die damals ohnehin täglich i n der Presse genannt wurden und m i t h i n kaum Neuigkeitswert hatten. Für die Behauptung, Europa werde nunmehr „auch politisch" zusammenrücken und eine „europäische Außenpolitik" entwickeln, sprach damals zwar eine verbreitete Euphorie 1 2 0 , nicht jedoch die Politik der Mitgliedsstaaten oder gar die der Bundesregierung selbst. So müßte die von Außenminister Scheel befürwortete Ernennung spezieller Europa-Minister gerade das kooperative anstelle des integrativen Elements der Gemeinschaft stärken. Auch die Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 brachte schließlich kaum Fortschritte i n der außenpolitischen Integration der EWG-Länder. Nach der ersten Lesung der sog. Ostverträge m i t den UdSSR vom 12. 8.1970 und m i t Polen vom 7.12.1970 i m Bundestag veröffentlichte die Bundesregierung Anfang März 1972 zwei Zeitungsanzeigen, in denen die i n der Parlamentsdebatte von ihr vorgetragenen Argumente für die „Ostpolitik" der sozialliberalen Koalition wiederholt wurden 1 2 1 . 117 „Die Bildungsbombe. Wehe, w e n n sie losgeht!", Der Spiegel, 25. Jg. Nr. 43 v. 18.10.1971, S. 27. 118 Vgl. dazu „Herbe Enttäuschung", Der Spiegel, 25. Jg. Nr. 44 v. 25.10. 1971, S. 97. 119 Vgl. dazu „Knüllerchen auf Lager", Der Spiegel, 26. Jg. Nr. 6 v. 31.1. 1972, S. 20. 120 Vgl. Th. Löffelholz, Gefährliche Euphorie, Europäische Gemeinschaft 1/1972, S. 17. 121 „Die Bundesregierung informiert: Europa wartet auf unsere Entscheidung", FR v. 4.3.1972; „Die Bundesregierung informiert: Das steht zur E n t scheidung: Handeln oder A b w a r t e n " , FR v. 6.3.1972; „Die Bundesregierung informiert: Unsere Nation braucht Frieden u n d Entspannung. Besonders die Menschen i n Berlin", B i l d am Sonntag v. 5.3.1972.

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Trotz eines protestierenden Hinweises des Generalsekretärs der oppositionellen CDU darauf, daß die Diskussion hierdurch auf eine Ebene verlegt worden sei, auf welche seine Partei nicht folgen könne 1 2 2 , folgt zu Anfang A p r i l vor der letzten Lesung der Verträge eine weitere Regierungsanzeige, i n welcher die ablehnende Haltung der Opposition als alternativlose Schädigung deutscher Interessen dargestellt wurde 1 2 3 . A u f dem Höhepunkt des Landtagswahlkampfs i n Baden-Württemberg wurde dasselbe Thema von zwei Anzeigen noch einmal aufgenommen, i n denen Bundeskanzler Brandt und Bundesaußenminister Scheel das „Risiko des Scheiterns" dieser Verträge und der dann befürchteten Isolierung der BRD beschworen 124 . Obwohl die „Ostpolitik" der damaligen Bundesregierung i m Zentrum jenes Wahlkampfes stand und jene Anzeigen folglich als Wahlhilfe für die Koalitionsparteien FDP und SPD wirken mußten, bemängelte der SPD-Pressedienst bereits i m Juni die regierungsamtliche Informationspolitik, der es nicht gelungen sei, die Leistungen der Regierung dem Bürger so nahe zu bringen, daß sie sich hinreichend als Argumente für den (vorgezogenen) Bundestagswahlkampf i m Herbst 1972 verwenden ließen. Hier bestehe vielmehr ein „außerordentlicher Nachholbedarf" 1 2 5 . Dies zeigt deutlich, daß das BPA auch von der SPD nunmehr als legitime Wahlwerbungsagentur der Regierungspartei(en) eingeschätzt wird. Mindest hintergründig diente etwa auch eine als Postwurfsendung versandte aufwendige Bild-Broschüre über das Transitverkehr-Abkommen zwischen der BRD und der DDR vom 17.12.1971 zu solchen Zwecken 1 2 6 . Zu Beginn des Bundestagswahlkampfs i m Oktober 1972 beteuerten Bundeskanzler Brandt (SPD) und Außenminister Scheel (FDP) i n einer Anzeige des B P A gegenüber scharfen Angriffen der CDU/CSU-Opposition: „Unser Land ist i n Ordnung! . . . Unsere Bilanz ist g u t 1 2 7 . " Wie sehr es sich hierbei u m eine die Wahlkampagne der Regierungsparteien ergänzend begleitende Regierungswerbung handelt, zeigt ein wenig später veröffentlichtes, fast inhaltsgleiches SPD-Inserat m i t der Überschrift „ W i r können stolz sein auf unser L a n d 1 2 8 . " Daß die Bundeswahlkampf-Unter122

„Kraske greift Anzeigenaktion an", F A Z v. 6. 3.1972. „Die Bundesregierung informiert: Die Entscheidung steht bevor", stern Nr. 15 v. 2. 4.1972, S. 189. 124 „Die Bundesregierung informiert: Liebe Landsleute", FR v. 14.4.1972; „ D i e Bundesregierung informiert: Liebe Mitbürgerinnen u n d Mitbürger!", FR v. 15.4.1972. 125 „SPD-Informationspolitik bemängelt", FR v. 5. 6.1972. 126 „ P o l i t i k der V e r n u n f t " . Herausgegeben v o m Bundesministerium f ü r innerdeutsche Beziehungen, Bonn, Nd. 4/72. 127 FR v. 30. 9.1972. 128 FR v. 4.10.1972. Ähnliche Vorgänge spielten sich zu gleicher Zeit — aber unter umgekehrtem parteipolitischen Vorzeichen — i n Bayern ab, w o die CSU-geführte Landesregierung auf Angriffe der SPD-Opposition m i t 123

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

Stützung des BPA für SPD und FDP 1972 insgesamt dennoch vergleichsweise bescheiden blieb, dürfte vor allem daran gelegen haben, daß der aufgelöste Bundestag den von der „sozialliberalen" Bundesregierung vorgelegten Haushaltsentwurf abgelehnt hatte, so daß lediglich die i n A r t . I l l I, 112 GG vorgesehenen Ausgaben verfassungsrechtlich zulässig waren, zu denen man die für amtliche Werbung veranschlagten M i t t e l jedenfalls insoweit offenbar nicht rechnen wollte.

V I . Zum Selbstverständnis der Regierungssprecher

Die hier dargestellten repräsentativen Beispiele zur mittelbaren und unmittelbaren Öffentlichkeitsarbeit des BPA konnten keineswegs dessen gesamte Tätigkeit darstellen, wohl aber zeigen, i n welchem Ausmaß und mit welchen M i t t e l n die jeweilige Bundesregierung über ihr Presseamt die politische Meinungsbildung zu beeinflussen und zu lenken versucht. Das A m t ist immer mehr zu einem „Werbebüro der Bundesregierung" 1 2 9 geworden. Eine entsprechende Auffassung von den A u f gaben des Amtes hegen dessen Leiter schon seit Jahren. So schreibt F. v. Eckardt über seinen Amtsantritt als Leiter des BPA (1952): „Ich war nun schon der Fünfte i m A m t innerhalb von zwei Jahren, und der Kanzler brauchte eine wirksame Unterstützung durch das Presseamt, eine Popularisierung seiner Politik i m I n - und Ausland. Dazu standen für das Jahr 1953 Wahlen vor der Tür, die schließlich gewonnen werden mußten, sollten nicht alle bisherigen Anstrengungen umsonst sein. Die Interessenlage war also eindeutig, und ich war entschlossen, sie zu nutzen i m Dienste der gemeinsamen Sache 180 ." v. Eckardts Amtsnachfolger, K . G. v. Hase (seit 1962), formulierte vorsichtiger, doch i n der Sache ähnlich. Seiner Ansicht nach ist es die Aufgabe des BPA, „ I n formationspolitik zu betreiben" und die „deutsche Bevölkerung von der Richtigkeit des eingeschlagenen politischen Weges zu überzeugen" 1 3 1 , überdies stehe das B P A „ i n den eigenen Angelegenheiten Rede und Antwort, denen gegenüber kaum oder nur sehr schwer völlige Unbefangenheit zu bewahren i s t " 1 3 2 . Dieses freimütige Eingeständnis mangelnder Objektivität regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit w i r d also mit der fehlenden Distanz zu der als „eigene Angelegenheit" des BPA verstandenen Regierungspolitik entschuldigt. Tatsächlich w i r d derartige „Parteilichkeit" aber weit eher durch die Zielsetzung der einer als Zeitungsanzeige veröffentlichten positiven Leistungsbilanz antwortete: „Die Bayerische Staatsregierung stellt fest", i n SZ v. 16.11.1972. 129 So Th. Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft, i n Deutschland, S. 742. 130 E i n unordentliches Leben, S. 162. 131 Probleme der öffentlichen Meinungsbildung, S. 35 u n d 42. 132 Der Informationsdienst der Bundesregierung, S. 355.

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Öffentlichkeitsarbeit hervorgerufen: Die Bevölkerung soll von der Richtigkeit des bereits „eingeschlagenen" politischen Weges überzeugt werden. Es gilt also bereits getroffene Entscheidungen und vollendete Tatsachen, die man nicht mehr zurücknehmen w i l l , nachträglich bekannt zu machen und gleichzeitig u m akklamative Zustimmung zu werben. Auch Conrad Ahlers gab als Chef des B P A offen zu, daß politische Öffentlichkeitsarbeit einen „werbenden Charakter" habe 1 3 3 , und bezeichnete die „werbende Information" folgerichtig als „normale Arbeit" seines Amtes 1 3 4 . Nach Auffassung des Leiters der Abteilung „Inland" i m BPA schließlich haben alle Forderungen, die eine Beschränkung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit auf Information, d. h. ein Verbot der Werbung erstreben, „keine praktische Bedeutung mehr". A l l e Versuche, die tatsächlich betriebene Regierungswerbung für eine als „Information" getarnte „Aufklärung" auszugeben, könnten „nicht . . . als ein die Wirklichkeit abdeckendes Argument gelten". Heute sei allgemein anerkannt, daß „Informationspolitik die Öffentlichkeitsarbeit einschließe, und wer — wie die Regierung — Öffentlichkeitsarbeit treibe, der treibe auch Werbung. Dies wisse auch die Opposition, die sich i m Falle eines Regierungswechsels derselben M i t t e l und Methoden bedienen würde 1 3 5 .

V I I . Pläne für einen Ausbau und die Neuorganisation des BPA

Die Pläne für eine Neuorganisation und den Ausbau des B P A sind alt. Schon 1951 forderte die CDU auf ihrem Parteitag i n Karlsruhe die Schaffung eines Bundesministeriums für das Informationswesen, ein Vorschlag, der zwei Jahre danach von Staatssekretär Otto Lenz — ebenfalls vergeblich — aufgegriffen wurde. Die Erinnerung an das Goebbels'sche „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" war damals jedoch noch zu frisch, so daß die Realisierung derartiger Pläne — vor allem der scharfen K r i t i k i n - und ausländischer Presseorgane wegen — verhindert werden konnte. Erst i n einem Gutachten vom M a i 1966 glaubte der „Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit i n der Verwaltung" die Bedenken gegen eine starke Stellung des zentralen Informationsorgans nunmehr als ausgeräumt betrachten zu können 1 3 6 . Allgemein würden auch i m Ausland Presse- und Infor133

Mehr Demokratie wagen!, i n : Die Neue Gesellschaft, 1970, S. 751. BT, Sten.Ber., 6. Wahlperiode, 70. Sitzung, 8.10.1970, S. 3857 (C). 135 H. Küffner, D a r f die Regierung so etwas tun?, i n : Praktischer Journalismus Nr. 129/71, S. 8. 136 N. Kaps / H. Küffner, Das Presse- u n d Informationsamt der Bundesregierung, S. 76. 134

1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

mationsministerien oder ähnlich aufgebaute Ämter und weitere mit öffentlichen M i t t e l n geförderte Institutionen für die Öffentlichkeitsarbeit als unentbehrliche Aufgabenträger angesehen. Welche „Stellung und Gestalt i m Zuge dieser Entwicklung der zentralen Informationsbehörde i n der Bundesrepublik gegeben werde, sei eine politische Entscheidung" 187 . I m Juni 1968 schließlich sollte diese Entscheidung offenbar fallen, nachdem i m Kabinett der von Staatssekretär Diehl und seinem Stellvertreter Ahlers entwickelte und vom Staatssekretär i m Bundeskanzleramt, Carstens, unterzeichnete Plan zur Entwicklung einer „Bundeszentrale für politische Öffentlichkeitsarbeit" vorgelegt wurde, den ein „Staatssekretär-Ausschuß" auch schon beraten hatte 1 3 8 . Dieser Kabinettsvorlage zufolge sollten Kompetenzen und Haushaltsmittel für die bis dahin auf das B P A und 19 Ministerien verteilte regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit großenteils auf die neue Bundeszentrale übertragen werden. Die Bundeszentrale sollte i n drei A b teilungen (Presse, Fernsehen und Rundfunk) gegliedert werden. Als Aufgaben wurde insbesondere die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Arbeit der Bundesregierung und sämtlicher Ministerien sowie eine zentrale Gestaltung der „Werbeaufträge" 1 3 0 genannt. Da die Koordinierung der Öffentlichkeitsarbeit einzelner Bundesministerien nach der GGO dem B P A obliegt, muß der Zweck jenes Planes die Übernahme neuer Aufgaben für die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit gewesen sein. Hinweise auf eine derartig erweiterte Zielsetzung hatte der stellvertretende Leiter des Amtes und M i t verfasser der Kabinettsvorlage, Conrad Ahlers, schon einen Monat vor Veröffentlichung des Plans am 9. M a i 1968 i n einem Vortrag vor der „Deutschen Journalisten-Union" i n Frankfurt/Main gegeben: „ . . . ich glaube, daß es nicht bestreitbar ist, daß w i r i n Deutschland mehr und mehr Presseorgane von großer Bedeutung und hohem Niveau feststellen können, die man unter den Begriff einer »engagierten Kampfpresse 4 subsumieren muß . . . Ich sage voraus, daß der Zeitpunkt kommen wird, . . . i n nicht allzu ferner Zukunft . . . , daß dann der Staat zu einer Selbstverteidigung greifen muß, und d. h. was diesen Bereich angeht, er w i r d zu den M i t t e l n der Propaganda greifen müssen, und w i r werden uns nach meiner Ansicht heute schon überlegen müssen, inwieweit w i r als Gesellschaft dem demokratischen Staat das M i t t e l der Propaganda als M i t t e l der Selbstverteidigung gegen antidemokratische Bewegungen zubilligen w o l l e n " 1 4 0 . 137

N. Kaps / H. Küffner, a.a.O., S. 76. Vgl. „Presseamt: Große Lage", Der Spiegel, 22. Jg., Nr. 42 v. 14.10.1968, S. 30 ff., S. 49. 139 So V. Hoffmann, „Bundesregierung plant Propaganda-Zentrale", FR v. 22. 6.1968, S. 1. 138

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Angesichts dieser vermeintlichen und von Ahlers nicht völlig zurückgewiesenen Zielsetzung der geplanten „Bundeszentrale" 1 4 1 reagierten auch die von i h m nicht als „engagierte Kampfpresse" bezeichneten Blätter ebenso kritisch 1 4 2 wie Sprecher der FDP-Opposition i n der 177. und 183. Sitzung des Bundestages am 29. M a i und 26. J u n i 1968. A m 29. M a i hatte Staatssekretär Diehl auf mehrere Fragen des Abgeordneten Moersch (FDP) den Frankfurter Vortrag seines Stellvertreters Ahlers i n der Form abgeschwächt, i n den Folgerungen jedoch aufrecht erhalten 1 4 3 . I n der Sitzung vom 26. Juni 1968 antwortete Diehl auf Fragen des Abgeordneten Moersch (FDP) hinsichtlich der geplanten Bundeszentrale für Öffentlichkeitsarbeit, es sei beabsichtigt, „das weitgehend unkoordinierte Nebeneinander der Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien und des Presse- und Informationsamtes auszuräumen und eine Form wirksamer Zusammenarbeit zu entwickeln" 1 4 4 . Als Vorbild hierfür diene die vom Auswärtigen A m t und dem B P A getragene Einrichtung „Inter Nationes" 1 4 6 . Nachdem jedoch auch SPD- und CDU/ CSU-Abgeordnete K r i t i k an jener Vorlage geäußert hatten 1 4 6 , beschloß das Bundeskabinett am 26. Juni 1968 derartige Pläne nicht weiter zu verfolgen, übertrug jedoch einem Staatssekretär-Ausschuß eine Bestandsaufnahme der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit sowie Vorschläge für deren bessere Koordinierung. Die nunmehr vorbereiteten Vorschläge wurden i m September 1968 bekannt. Danach sollte bei der Bundesregierung i n erster Linie eine Datenbank, also ein Computer-System als modernstes „Regierungsinformationssystem der Welt" eingerichtet werden. Das eigens für derartige Fragen i m B P A eingerichtete Referat „Datenverarbeitung" schlug vier Subsysteme für die geplante Datenbank vor: politische Informationen, juristische Informationen, statistische Informationen 140

C. Ahlers, Leserbrief SZ 1., 2., 3. 6.1968, S. 86 (Zitat nach dem stenografischen Protokoll des Vortrags). 141 Ahlers sprach später von einem „ i n erster L i n i e technischen Werbe(!)apparat", vgl. „Bundeszentrale f ü r Öffentlichkeitsarbeit stark umstritten", Z V + Z V 1968, S. 1179. 142 z. B. K . R. Dreher, Braucht Bonn mehr Propaganda?, SZ v. 25. 6.1968, S. 4. 143 „ A b e r Sie müssen — auch nach der Äußerung von H e r r n Ahlers — es so verstehen, daß das i n seinen Gedanken als eine Abwehrmaßnahme k o n zipiert worden ist, w e n n nämlich nicht das berufliche Ethos u n d die eigene Einsicht innerhalb einer bestimmten Sparte des Journalismus dazu führt, daß die Manipulation der Nachrichtengebung entweder stark zurückgeht oder — noch besser — v ö l l i g aufgegeben w i r d " , Sten.Ber. B T , 5. Wahlperiode, 177. Sitzung v. 29. 5.1968, S. 9513 (A). 144 Sten.Ber. BT, 5. Wahlperiode, 183. Sitzung v. 26. 6.1968, S. 9901 (B). 145 Ebd., S. 9901 (D). 146 Vgl. Sten.Ber. BT, 5. Wahlperiode, 188. Sitzung: Ausführungen der A b geordneten Raffert (SPD), S. 9914 f., u n d Schulze-Vorberg (CDU/CSU), S. 9916 f.

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1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

und ein integriertes System für das Kassen-, Haushalts- und Rechnungswesen des Bundes (im Finanzministerium) 1 4 7 . Ein derartiges Computer-System soll den Erkenntnissen der an den Planungen beteiligten „Heidelberger Studiengruppe für Systemforschung" 148 zufolge auch politische Planspiele der Regierung und damit eine „Früherkennung von Konflikten" ermöglichen und „Aufwand-Nutzen-Analysen" für Gesetzentwürfe durchführen. Während der SPD/FDP-Regierung wurden diese Vorhaben besonders von Bundesminister Ehmke unter dem Gesichtspunkt der Koordinierung von Regierungsaufgaben vorangetrieben. Insofern ging die Planung weit über Probleme der Öffentlichkeitsarbeit hinaus auf eine Reorganisation des Regierungssystems, durch welches dem Parlament die wichtigsten Entscheidungen möglicherweise endgültig zugunsten des Regierungsapparates entzogen würden. Zwar sollen die gespeicherten Informationen auch dem Parlament zur Verfügung stehen, doch entscheidet bekanntlich die Programmierung über den Wert derartiger EDV-Systeme. Deshalb w i r d die Bedienung dieses Instruments „auf natürliche Weise Regierungssache sein" 1 4 9 . Für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nach außen wäre diese Entwicklung zwar nur von mittelbarer, aber doch — wegen des dann enorm angewachsenen Informationsvorsprungs und der daraus folgenden Möglichkeiten für eine Informationspolitik — von nicht übersehbarer Bedeutung. Das gesamte Projekt war allerdings schon früher geplant 1 5 0 und kann insofern nicht als direkter Ersatz für die gescheiterte Entwicklung einer „Bundeszentrale für politische Öffentlichkeitsarbeit" begriffen werden. Die dem Staatssekretärs-Ausschuß übertragenen Aufgaben deuten jedoch darauf hin, daß nunmehr lediglich an eine Intensivierung der „Datensystem-Pläne" gedacht ist. So wurden i m Januar 1970 die ersten praktischen Versuche an einem ausschließlich m i t politischem Material gefütterten Computer i m BPA 147 Vgl. L. Hermann, Marschiert der „Große B r u d e r " auf Bonn?, SZ v. 13.11.1968, S. 3. 148 Es handelt sich bei dieser Studiengruppe u m ein Forschungsteam, das sich m i t der Systemanalyse von Forschungstätigkeiten u n d Forschungsorganisation beschäftigt u n d das i n diesem Rahmen auch der Bundesregierung Unterlagen zur langfristigen Forschungsplanung u n d Förderungsprogrammen liefern soll (vgl. Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1968, Kap. 3102, Erläuterungen zu T i t e l 612). Den finanziellen Zuschußbedarf dieser Studiengruppe deckt das Bundesministerium f ü r wissenschaftliche Forschung aus Haushaltsmitteln (a.a.O., Kap. 3102 T i t e l 612). 149 F. K . Fromme, Totalrevision des Grundgesetzes, ZfPol 17 (1970), S. 103 A n m . 37. I n einer Entschließung des Bundestags v o m 28. 3.1969 wurde die Bundesregierung i m m e r h i n ersucht, darauf hinzuwirken, daß „ . . . vor jeder Entscheidung über die weitere Einführung der Datenverarbeitung alle Möglichkeiten aufgezeigt werden, soweit Fragen der K o n t r o l l f u n k t i o n oder des Informationsanspruchs des Parlaments berührt werden" (BT, 5. Wahlperiode, 216. Sitzung v. 28. 3.1969, S. 12472 B. 150 Die M i t t e l hierfür hielt der Bundeshaushaltsplan 1968 schon bereit, vgl. dort z. B. Kap. 0403, T i t e l 320.

C. Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien

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unternommen 1 5 1 . Seit 1971 schließlich w i r d i m Presseamt ein eigener „Informationsdienst" für Nachrichtenredaktionen vorbereitet, wie der i n einigen Bundesländern bereits besteht 1 5 2 .

C. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien Jedes Bundesministerium hat eine eigene Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet, die m i t sehr unterschiedlichen Mitteln ausgerüstet sind. Immerhin standen den Ministerien 1968 rund 104 Millionen D M für ihre überwiegend für den inländischen Bereich 1 5 3 bestimmte Öffentlichkeitsarbeit zu. Da derartige Aufgaben des jeweiligen Geschäftsbereichs von den Ministern selbständig und i n eigener Verantwortung wahrgenommen werden (vgl. A r t . 65 I I GG), ist Regierungssprecher Diehl zufolge ein „weitgehend unkoordinierte(s) Nebeneinander der Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien und des Presse- und Informationsamtes" entstanden. Besonders i n Koalitionsregierungen läßt sich diese Erscheinung unschwer aus der nicht nur i m Regierungsbereich vorherrschenden Auffassung von Öffentlichkeitsarbeit als Werbung für kommende Wahlen verstehen. Das Motiv für den Widerstand der Minister gegen jene Pläne zur Gründung einer „Bundeszentrale für politische Öffentlichkeitsarbeit" ist hier zu suchen 154 . Nur der Bundesminister des Auswärtigen läßt die „Politische Öffentlichkeitsarbeit ,Ausland'" ebenso wie der Bundesminister der Verteidigung die „Öffentlichkeitsarbeit i n Verteidigungsfragen" vom B P A wahrnehmen 1 5 5 , doch unterhalten beide Ministerien daneben eigene Referate für Öffentlichkeitsarbeit. I m Sommer 1970 entwickelte der Sprecher der Bundesregierung, Ahlers, i n einer Kabinettsvorlage folgende Vorschläge zu einer Verbesserung der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit: Es sollten technische Voraussetzungen für eine tägliche Schaltkonferenz zwischen der Inlandsabteilung des BPA und den Sprechern der M i n i sterien geschaffen werden. Ferner empfahl Ahlers, das Ergebnis der Schaltkonferenzen mehrmals wöchentlich als „Nachrichten der Bundesregierung" zu veröffentlichen. Die Ministerien reagierten zurückhal151 152

S. 1.

Vgl. Eine Datenbank i m Presseamt, F A Z v. 9.1.1970. Vgl. R. Z., Erleuchtung aus Bonn, Die Zeit, 26. Jg. Nr. 26 v. 14. 5.1971,

153 Hingegen ist vor allem die „Unterrichtung der Öffentlichkeit über E n t wicklungshilfe" (Haushaltsplan f ü r das Rechnungsjahr 1970, Bd. I I , V e r w a l tungshaushalt 1970/71, Kap. 2302 T i t e l 531 01) f ü r das Ausland bestimmt. 154 Vgl. z.B. C. Ahlers, i n : »Capital', 7. Jg. Nr. 9 (Sept. 1968), S. 15: „ H a u p t matador dagegen w a r Wirtschaftsminister Schiller". 155 Vgl. Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1970, Bd. I I , V e r w a l tungshaushalt 1970/71, Kap. 0403 T i t e l 531 05 (69,5 M i l l i o n e n DM) u n d T i t e l 531 02 (4 M i l l i o n e n DM).

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Kempen

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1. Teil, Kap. I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

tend und machten ihre Mitarbeit davon abhängig, daß jede Einflußnahme auf ihre Arbeit durch eine „Oberaufsicht" des BPA als „Propagandazentrale" unterbleibe 1 5 6 . A u f eine Schilderung der ministeriellen Öffentlichkeitsarbeit kann i m Rahmen dieser Arbeit, i n der es nicht auf eine umfassende Bestandsaufnahme, sondern auf eine Schilderung von Intensität und Methoden amtlicher Öffentlichkeitsarbeit und deren Analyse ankommt, verzichtet werden. Insgesamt steht hier weniger die Tagespolitik i m Vordergrund als vielmehr der amtliche Erfolgsbericht, die Statistik sowie die i n Broschürenform veröffentlichten Reden des jeweiligen Ressortchefs. Häufig erscheinen derartige Berichte auch i n den regelmäßig oder sporadisch von einzelnen Ministerien herausgegebenen Druckschriften, für die ein sehr erheblicher Teil der bereitgestellten M i t t e l verwendet wird. I n seiner A n t w o r t auf eine „Kleine Anfrage" der Fraktion der FDP führte Staatssekretär Diehl am 14. Februar 1968 vor dem Bundestag etwa 160 regelmäßig oder unregelmäßig erscheinende Publikationen der Ministerien an, die 1967 insgesamt ca. 12,5 Millionen D M kosteten 1 5 7 . Hierunter fallen allerdings neben den erwähnten Broschüren und Werbeschriften auch Ministerialblätter, laufende Pressemitteilungen, wissenschaftliche Dokumentationen (z. B. das Geologische Jahrbuch) sowie die Zeitschriften unterstellter Organisationen (z. B. des Bundesluftschutz Verbandes). Etwa 60 Publikationen von dritten Stellen kauften die Ministerien nach Auskunft Diehls 1967 für etwa 5,8 Millionen DM. Hierunter fallen einerseits Periodika (z. B. „Wehrwissenschaftliche Rundschau"), andererseits einzelne Sonderdrucke und andere großenteils nur pauschal erwähnte Veröffentlichungen. Darüber hinaus warben die Ministerien für ihre Politik durch Schallplatten-, F i l m und Tonbandschauen, „ InformationsVeranstaltungen", „Journalistenreisen", Maternseiten, Artikeldienste und Ausstellungen, Rundfunk-Fernsehsendungen und Wochenschauberichte (7,3 Millionen DM). Diese Aufstellung, die fast den gesamten Katalog der beschriebenen Methoden amtlicher Öffentlichkeitsarbeit umfaßt, gab Diehl auf die von i h m nicht beanstandete Frage, „ i n welcher sonstigen Form die Bundesregierung und einzelne Ministerien für ihre Politik" werben 1 5 8 , die Tatsache regierungsamtlicher Werbung ist für das BPA m i t h i n offenbar selbstverständlich.

166 V. Hoffmann , „Zusammennarbeit ja, Propagandazentrale nein", FR v. 15. 7.1970. Der Bundeshaushaltsplan 1971 sieht insgesamt 176 000 D M f ü r die — zur Ermöglichung einer „Schaltkonferenz" technisch notwendige — Gegensprechanlage vor, vgl. R. Müller, FR v. 12.10.1971, S. 3. 157 Vgl. Dt. Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucksache V/2593. 158 Vgl. Dt. Bundestag, 5. Wahlperiode, Drucksache V/2593, S. 10.

D. Bundeszentrale für politische B i l d u n g

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D. Die Bundeszentrale für politische Bildung Die durch Erlaß vom 25. November 1952 159 als rechtsfähige Bundesanstalt i m Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern errichtete „Bundeszentrale für Heimatdienst" wurde durch Erlaß vom 18. M a i 1963 160 i n „Bundeszentrale für politische Bildung" umbenannt. Sie hat — einer Vorbemerkung i m Bundeshaushaltsplan zufolge — die Aufgabe, „auf überparteilicher Grundlage . . . i m deutschen Volk das Verständnis für politische Sachverhalte zu wecken, das demokratische Bewußtsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen M i t arbeit zu stärken" 1 6 1 . Dabei bestand die „Sacharbeit" der Bundeszentrale 1968 vor allem aus Zuschüssen für die Wochenzeitung „Das Parlament", Arbeitstagungen, Lehrgängen, Vortragsreihen sowie i n eigenen Artikeln, Maternserien, Fernsehsendungen, ferner i n der Herstellung und Verteilung staatsbürgerlicher Information auch durch „Förderung, Herstellung und Versendung des politischen Buches" 1 6 2 . Auch die Bundeszentrale für politische Bildung bedient sich also fast aller Methoden moderner Öffentlichkeitsarbeit, wobei für die „Sacharbeit" i m Haushaltsjahr 1968 12 Millionen D M ausgewiesen waren 1 6 3 . Wie sich schon aus dem — allerdings fallengelassenen — Plan einer ähnlich strukturierten „Bundeszentrale für politische Öffentlichkeitsarbeit" ergibt, sah die Bundesregierung einen grundsätzlichen Unterschied zwischen politischer Bildung und politischer Werbung. I n ihrer schriftlichen A n t w o r t auf eine entsprechende Große Anfrage der Bundestagsfraktion der F D P 1 6 4 hat die Bundesregierung dementsprechend ausgeführt: „Politische Werbung verfolgt i m allgemeinen das Ziel, die Zustimmung des Bürgers für bestimmte aktuelle politische Ziele und Entscheidungen zu gewinnen. Politische Bildungsarbeit ist demgegenüber letztlich darauf gerichtet, die Bürger zu befähigen, sich aufgrund eigener Einsichten zu politischen Fragen ein kritisches, selbständiges Urteil zu bilden und sich für die Durchsetzung dessen, was sie als richtig erkannt haben, i n demokratischer Weise einzusetzen 165 ." Dabei sah die Bundesregierung damals „eine Situation entstanden, die es allen gesellschaftlichen Kräften und auch dem Staat dringend gebie159 180 161

0635.

GMB1., S. 214. GMB1., S. 214. Bundeshaushaltsplan f ü r

das Haushaltsjahr

1970, Vorbem. zu Kap.

162 Bundeshaushaltsplan f ü r das Haushaltsjahr 1970, Kap. 0635, Erläuter u n g zu T i t e l 532 21. 163 Bundeshaushaltsplan, Kap. 0635, T i t e l 532 21. 184 Bundestags-Drucksachen V/2356, V/3297. 165 „Das Parlament", 18. Jg., Nr. 48 v. 20.11.1968, S. 2 unter I V . ; vgl. i m übrigen hierzu K . W. Wippermann, Die publizistische Tätigkeit der Bundeszentrale für politische Bildung.

84

1. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung

tet, dem verbreiteten Unbehagen entgegenzuwirken und das Bewußtsein vom Wert unserer freiheitlichen Staatsordnung und den Möglichkeiten ihrer zeitgerechten Fortentwicklung zu stärken". Daher dürfe politische Bildung „nicht zu kritischer Distanziertheit gegenüber den Vorgängen der Politik führen, sondern muß die Bereitschaft wecken und die Fähigkeit stärken, von Fall zu Fall i m Rahmen der gegebenen Möglichkeiten politisch verantwortungsvoll zu handeln" 1 6 6 . Ebenso wie sich hiernach allgemeine politische Einstellungen und aktuelles Verhalten schließlich doch begegnen und politische Bildungsarbeit somit sehr wohl längerfristige politische Werbung bedeuten kann, leisten tatsächlich auch das BPA sowie die Pressereferate der Bundesministerien „wichtige Hilfen für die politische Bildungsarbeit" 1 6 7 .

166 167

„Das Parlament", 18. Jg., Nr. 48 v. 20.11.1968, S. 1 f. Ebd., S. 1.

Kapitel

IV

Vergleichende Betrachtung der Öffentlichkeitsarbeit in Judikative, Legislative und Exekutive Unsere Bestandsaufnahme i m judikativen, legislativen und exekutiven Bereich der Staatstätigkeit hat als Gegenstände amtlicher Öffentlichkeitsarbeit vor allem Entscheidungen, Vorgänge und Pläne der Exekutive gezeigt. Dies erklärt sich prima facie unschwer daraus, daß gerichtliche und parlamentarische Entscheidungen (letztere nur soweit sie Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit von Parlamenten sind) überwiegend i n öffentlichen Verfahren gewonnen werden. Soweit hier dennoch Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird, geschieht dies hauptsächlich durch objektive informierende Darstellung der jeweils wahrgenommenen Funktionen (Aufbau der Gerichtsorganisation; Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens). Werbende Öffentlichkeitsarbeit beschränkt sich also grundsätzlich auf den Bereich der Exekutive. Dabei erweist sich die Kennzeichnung jener Tätigkeit als „Werbung" allerdings als unzulänglich, w e i l hierdurch nicht alle angewendeten Methoden der Meinungssteuerung (im Gegensatz zur Tatsachen-Information) erfaßt werden. Wie eingangs schon angedeutet, handelt es sich u m einseitige, unbeantwortbare Kommunikation. Diese — häufig technisch bedingte — Einseitigkeit w i r k t sich grundsätzlich zunächst nur auf die Themenwahl der Kommunikation aus. Sie w i r d jedoch zur Manipulation, wenn Thema und Meinung untrennbar verschmolzen werden, wenn „psychotechnisches A r rangement" oder Moralisierung der Kommunikation nur eine bestimmte Meinungsbildung über den mitgeteilten Gegenstand erlauben sollen 1 . Wo amtliche Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Zweck eingesetzt wird, dient sie nicht der Informationsvermittlung als Grundlage relat i v unabhängiger Meinungsbildung, sondern der Meinungssteuerung. Die Adressaten staatlicher Werbung werden dabei nicht als eine aufgrund kritischen Urteils zu rationaler Legitimation fähige Instanz, sondern als lediglich akklamationsberechtigtes Publikum angesprochen: Meinungssteuernde Öffentlichkeitsarbeit stellt keine Handlungsalternativen als Beurteilungsgrundlage einer beabsichtigten Politik dar, 1

Vgl. N. Luhmann,

Öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 8 f.

86

1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

sie w i r b t vielmehr um unkritische Zustimmung für längst gefallene Entscheidungen. Derartig meinungssteuernde Öffentlichkeitsarbeit findet sich jedoch nicht i n allen Bereichen der Exekutive. Vielmehr nimmt — unserer Bestandsaufnahme zufolge — das hierin artikulierte Bedürfnis nach Legitimation durch öffentlichen Konsens, Billigung und Akklamation i n dem Maße zu, i n welchem die rechtliche Legitimation und Determinierung einzelner staatlicher Aufgaben und Tätigkeiten durch Verordnungen, Gesetze und Pläne abnimmt. Dementsprechend verhält sich die meinungssteuernde Intensität amtlicher öffentlichkeitsarbeit tendenziell umgekehrt proportional zur Intensität der rechtsförmigen Programmierung des jeweiligen staatlichen Entscheidung sb er eichs. Da die gesetzlich durchnormierten Bereiche staatlicher Verwaltung bereits legislativ generell vorgezeichnet, d. h. parlamentarisch prinzipiell gebilligt sind, scheinen sie über diese mittelbare demokratische Legitimation hinaus zumindest unter dem Aspekt der politischen W i l lensbildung keiner weiteren Publizität zu bedürfen. Insofern könnte die Konzentration exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit auf die ministerielle Vorbereitung von Gesetzen und auf Maßnahmen der — jedenfalls praktisch nur durch globale Haushaltsermächtigungen begrenzten — „Leistungsverwaltung" durchaus als sachgerecht erscheinen. Es fragt sich freilich, ob die für eine demokratische Willensbildung des Volkes notwendige Publizität des Exekutivsektors tatsächlich der mehr oder minder präzisen Programmierung einzelner Bereiche i n adäquater A b stufung entspricht. Deshalb sollen die exekutivischen Entscheidungstypen, auf welche Öffentlichkeitsarbeit sich jeweils bezieht, zunächst nach dem Grad ihrer rechtlichen Vorprogrammierung unterschieden werden. Diese entscheidungstheoretische und von normativen Programmstrukturen her zu gewinnende Einordnung 2 erlaubt gerade auch hinsichtlich demokratischer Legitimationspflichten eine wesentlich exaktere Erfassung des Exekutivbereichs als die herkömmliche Globalaufteilung i n Verwaltungshandeln und politisches Handeln. Juristisch gesehen stellt Verwaltungshandeln ein gesetzmäßiges Handeln dar. Es ist grundsätzlich derart an Gesetz und Recht gebunden, daß alle Eingriffe i n die Privatsphäre und alle gestaltenden Maßnahmen auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung, die öffentlich finanziert werden müssen, einer gesetzlichen Ermächtigung, mindestens aber 2 Sie wurde schon von H. A. Simon, Das Verwaltungshandeln, S. 2 ff.; v e r wendet, später von N. Luhmann aufgegriffen u n d systemtheoretisch abgewandelt (vgl. z. B. Lob der Routine, S. 117 ff.). Inzwischen sind „Programms t r u k t u r " u n d die „Programmierungsfunktion des Rechts" geläufige Begriffe der neueren Rechtstheorie geworden, vgl. z. B. J. Esser, Vorverständnis u n d Methodenwahl i n der Rechtsfindung, S. 14, 35, 113; W. Schmidt, Die Programmierung von Verwaltungsentscheidungen, AöR 96 (1971), S. 325, 336.

1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

der haushaltsmäßigen Deckung bedürfen. Entscheidungstheoretisch handelt es sich hierbei überwiegend u m die Ausführung von Konditionalprogrammen i n Gesetzesform 3 durch Routineentscheidungen nach dem allgemeinen Muster der Rechtsnormen: Wenn A — dann B. Bestimmte Informationen lösen, sobald sie eintreffen, bestimmte Entscheidungen aus, wobei das Gesetz offenläßt, wann und wie oft derartige Situationen eintreten 4 . Solche Programme dienen vor allem untergeordneten Stellen als Entscheidungsprämissen. Die hierdurch ausgelösten Amtshandlungen sind — ebenso wie die meist ähnlich strukturierten justiziellen Entscheidungen — keine Gegenstände meinungssteuernder Öffentlichkeitsarbeit. Seltener finden sich Zweckprogramme i n Form von Haushaltsplänen (z.B. durch Bereitstellung öffentlicher M i t t e l für Straßen- und Krankenhausbau oder die Einrichtung von Bildungsstätten), die den behördlichen Handlungsspielraum erheblich vergrößern, w e i l sie die Wahl unter einer gewissen Anzahl von M i t t e l n zur Durchsetzung des vorgegebenen Zwecks eröffnen 5 . Regelmäßig sind solche Zweckentscheidungen daher nicht i m einzelnen vorgeschrieben und bedürfen dann häufig einer zusätzlichen Legitimation. Die Durchführung dieser Zweckprogramme w i r d infolgedessen vielfach von meinungssteuernder Öffentlichkeitsarbeit begleitet, u m den für notwendig erachteten Konsens zu sichern (vgl. z. B. die Zeitungsanzeigen der Bundesregierung zur Verkehrspolitik). Freilich treten Konditionalprogramme und Zweckentscheidungen tatsächlich niemals i n reiner Form auf und können nur schwerpunktmäßig unterschieden werden. Stets finden sich i m konditionalen Handlungsplan offene Alternativen (durch „Informationsdefizite"), die dann nach Zweckgesichtspunkten auszuwählen sind, während Zweckentscheidungen bei der Auswahl des optimalen Mittels stets konditionale „Nebenbedingungen" zu beachten haben 6 . Dementsprechend ist der zuletzt skizzierte Zweck-Entscheidungssektor typischerweise gesetzlich programmiert und legitimiert. 3 Vgl. hierzu N. Luhmann, Politische Planung, S. 277; Recht u n d A u t o m a t i o n i n der öffentlichen Verwaltung, S. 35 ff. ; Legitimation durch Verfahren, S. 130. 4 Vgl. N. Luhmann, Lob der Routine, S. 118; vgl. auch den engeren Routinebegriff bei F. Naschold, Organisation u n d Demokratie, S. 59. 5 Vgl. N. Luhmann, Lob der Routine, S. 118 ff.; Legitimation durch V e r fahren, S. 130; F. Naschold, Organisation u n d Demokratie, S. 59 f. • Die abstrakte Entgegensetzung beider Programmtypen bei N. Luhmann (z. B. Legitimation durch Verfahren, S. 130) ist daher nicht haltbar. Programme können n u r konditional konstruiert werden, wobei das Ausmaß unvermeidbarer Zweckelemente bewußt unterschiedlich gefaßt werden u n d i n „Zweckprogrammen" sogar überwiegen kann. Z u r K r i t i k an Luhmanns Programmbegriffen vgl. W. Schmidt, Die Programmierung von V e r w a l tungsentscheidungen, A Ö R 96 (1971), S. 321 ff.; J. Esser, Vorverständnis u n d Methodenwahl i n der Rechtsfindung, S. 142 ff.

88

1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

Gerade an dieser Programmierunng und Legitimation fehlt es aber i n dem Bereich, auf welchen sich unseren Feststellungen zufolge die meinungssteuernde Öffentlichkeitsarbeit bezieht. Gegenstände der Informationspolitik und amtlichen Werbung sind vor allem Pläne und Programme (regelmäßig i n Gesetzes- und Verordnungsform), also ausgearbeitete Entscheidungsprämissen für die zuvor beschriebene Verwaltungstätigkeit 7 i n Form von Innovationsentscheidungen, die den bisher gesetzten Rahmen überschreiten (Beispiele hierfür finden sich etwa i n den Anzeigen des B P A „Die Richtung stimmt" zur Finanzreform, zum Arbeitsförderungsgesetz, zur Hochschulpolitik usw.). Dazu gehören ferner die sog. Krisenentscheidungen 8 zur aktuellen Beseitigung externer (Außenpolitik) oder interner Störungen (Beispiele amtlicher Öffentlichkeitsarbeit hierzu: Anzeigen des B P A zur Wirtschaftspolitik der „großen Koalition" i m Jahre 1967 oder zur DM-Aufwertung i m Jahre 1970, Faltbroschüre zum deutsch-sowjetischen Gewaltverzichtsvertrag) und schließlich die Entscheidungen über Entscheidungsentlastungen 9 , also etwa die Übertragung bestimmter staatlicher Kompetenzen auf supranationale Organisationen (EWG, NATO). Dieser gesamte Entscheidungssektor umfaßt nicht nur den (Aufgaben-)Bereich der Regierung 10 als eine „Kombinierung und Koordination vielfachen Ermessens" 11 , sondern auch einen großen Teil des kommunalen Tätigkeitsfeldes. Verfassungsrechtlich gesehen w i r d hierdurch auch die gesetzgebende Funktion der Parlamente beschrieben, verfassungssoziologisch hingegen handelt es sich bei der Erarbeitung von solchen Entscheidungen, Plänen und Programmen ganz überwiegend u m exekutivische Tätigkeit: Drei Viertel aller vom Bundestag verabschiedeten Gesetze waren von der Ministerialbürokratie erarbeitete Regierungsentwürfe 1 2 . Da dieser Sachverhalt i n dem — die Kenntnisse der Parlamentarier regelmäßig weit übersteigenden — Sachverstand und Informationswissen einer den Exekutivspitzen zur Verfügung stehenden Verwaltung begründet ist, dürfte es sich i n Landes- und Kommunalparlamenten ähnlich verhalten. Konzentriert sich die amtliche Öffentlichkeitsarbeit also — entgegen den eingangs angedeuteten Erfordernissen demokratischer Willens7 Vgl. hierzu N. Luhmann, Politische Planung, S. 285 f.; E. Guilleaume, Politische Entscheidungsfunktion u n d Verwaltungsstruktur, S. 5. 8 Vgl. F. Naschold, Organisation u n d Demokratie, S. 60. 9 F. Naschold, Organisation u n d Demokratie, S. 60 f. 10 Vgl. hierzu U. Scheuner, Der Bereich der Regierung; ferner F. Knöpf le, I n h a l t u n d Grenzen der „Richtlinien der P o l i t i k " i m Bereich der Regierung. 11 So W. Leisner, Regierung als Macht kombinierten Ermessens, S. 729 ff. 12 G. Loewenberg, Parlamentarismus, S. 325 ff. Z u den Funktionen der Bundesministerialverwaltung vgl. z. B. J. Kölble, Grundprobleme einer Reform der Ministerialverwaltung, ZfPol 17 (1970), S. 118 ff.

1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

bildung — i m Bereich der Exekutive vor allem auf die (weitgehend determinierende) Vorbereitung legislativer Entscheidungen durch die Regierung, so könnte dies darauf deuten, daß die hierfür verantwortlichen Politiker — dem herkömmlichen Verständnis folgend — lediglich die (institutionell verstandene) Regierungstätigkeit für politisch legitimierungsbedürftig und demokratisch mitbestimmungsfähig halten. Demgegenüber zeigt unsere Darstellung speziell der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit jedoch, daß solche zumeist werbenden Bemühungen um Zustimmung und Loyalität kaum einer vielleicht fälschlich angenommenen Verfassungspflicht zur „Staatsleitung durch Meinungsbildung" 1 3 nachkommen wollen, sondern i n Wahrheit ganz überwiegend von Wahlinteressen bestimmt sind. Wäre solche Öffentlichkeitsarbeit nämlich nur als aufklärende Information über Regierungsaktivitäten gedacht, u m der Bevölkerung auf solche Weise wenigstens eine kritischen Einblick i n die Kabinettsgeschäfte zu ermöglichen, so müßte man folgerichtig ganz auf den — gerade i n der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit vorherrschenden-propagandistischen und manipulativen Stil parteipolitischer Wahlwerbung verzichten, zumal die der Regierungspolitik gewidmeten öffentlichen Parlamentsdiskussionen auch den Kabinettsmitgliedern hinreichend Gelegenheit zu werbenden Überzeugungsversuchen bieten könnten. Der prononciert meinungssteuernde Charakter einer weitgehend auf den Regierungsbereich beschränkten amtlichen Öffentlichkeitsarbeit zeigt indessen deutlich, daß es hierbei primär u m Wahlwerbung, kaum aber um fundierte politische Willensbildung geht. Selten w i r d die Doppelfunktion der Exekutivspitzen als staatliche Organwalter (Behördenchefs) und (Partei) Politiker so deutlich wie i n der Zielsetzung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit. Unserer Bestandaufnahme zufolge betrifft die meinungssteuernde Öffentlichkeitsarbeit fast ausschließlich den Kompetenzbereich von jeweils durch Wahlen neu zu konstituierenden Organen. Tatsächlich w i r d Demokratie i n einer komplexen Gesellschaft westlicher Prägung heute weithin verstanden „als ein politisches System, das regelmäßig verfassungsrechtliche Möglichkeiten für den Wechsel der Regierenden vorsieht, und als sozialer Mechanismus, der es dem größtmöglichen Teil der Bevölkerung gestattet, durch die Wahl zwischen mehreren Bewerbern für ein politisches A m t auf wichtige Entscheidungen Einfluß zu nehmen" 1 4 . Dementsprechend zielt das Handeln der gewählten Politiker an der Verwaltungsspitze mindestens hintergründig stets auch auf Wahlgewinne und Stellenbesetzungen. Die erarbeiteten Pläne, Programme und Entscheidungen sind (unter anderem) von diesem Zweck her mo13 14

Vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 77. 5. M. Lipset, Soziologie der Demokratie, (Political Man), S. 33.

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1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

tiviert: Machtbildung durch Konsens 15 . Solche Aktivitäten könnten dam i t objektiv zugleich eine spezifische Funktion für die Verwaltung erfüllen: Ausarbeitung „konsensfähiger" Themen und Programme sowie Legitimation von Entscheidungen durch „Bilden und Testen von Konsens" hierfür 1 6 . Dem heutigen Verständnis der Politiker und Verwaltungsbeamten entsprechend ließe sich dieser Komplex sozialer Prozesse, welche Konsens und Anerkennung von Verwaltungsentscheidungen sicherstellen sollen, der Politik und nicht der programmausführenden Verwaltung zuordnen 17 . Wenn man m i t dem Begriff des Politischen den verfassungsrechtlichen Bereich innerhalb des Staates bezeichnet, i n dem die eigentlichen Kernvorgänge des Kampfes u m die Leitung i m Volke und der Durchsetzung der eigenen Auffassung, sowie die Tätigkeit der m i t der Leitung des Staates betrauten Repräsentanten sich abspielen 18 , so wären damit zugleich die „Öffentlichkeitsarbeit-intensiven" Kompetenzbereiche umschrieben. Sie könnten dann auch verfassungstheoretisch der Politik zugeordnet und damit von den stärker rechtlich programmierten, also möglicherweise hinreichend legitimierten Verwaltungsfunktionen abgesetzt werden. Diese Möglichkeit ist i m verfassungsrechtlichen Teil der Arbeit zu untersuchen. Für die Analyse unserer Bestandsaufnahme genügt es jedoch vorerst festzustellen, daß sich alle meinungssteuernde Öffentlichkeitsarbeit vor allem auf die Tätigkeit der wahlabhängigen Exekutive, d. h. auf den am wenigsten rechtlich vorprogrammierten Entscheidungssektor i m Staate, bezieht. Handlungen innerhalb dieses Kompetenzbereichs bedürfen prinzipiell einer Legitimation durch Wählerkonsens. Staatliche Werbung soll insofern nicht nur Wahlgewinne vorbereiten 1 9 , sondern gleichzeitig ständige Zustimmung durch Akklamation bzw. Schweigen bewirken. Infolgedessen finden sich derartige Aktivitäten nicht nur auf 16 Vgl. J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus u n d Demokratie, S. 456 ff.; N. Luhmann, Politische Planung, S. 285; Es g i l t die M a x i m e : „Handle so, daß wenigstens der Schein deiner Handlungen dich die nächste W a h l gewinnen läßt" (R. Wildenmann / W. Kalteileiter, Funktionen der Massenmedien, S. 19). 16 Vgl. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 183 f.; Theorie der Verwaltungswissenschaft, S. 74; Politische Planung, S. 271; auch F. W. Scharpf, Die planende V e r w a l t u n g i n der Demokratie, S. 22, angedeutet schon bei R. Smend, Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat, S. 82. 17 Vgl. N. Luhmann, Politische Planung, S. 271, 284 ff. 18 So U. Scheuner, Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen . . . , S. 259 f. 19 Überdeutlich bei der Unterstützung Adenauerscher Wahlkampagnen durch das BPA. Vgl. auch W. Leisner, f ü r die Öffentlichkeitsarbeit i m Bereich der Regierung: „Die Regierung setzt . . . Informationsarbeit ein, u m ihre Stellung zu behaupten u n d zu festigen, u m so an der Macht zu bleiben oder diese zu erweitern" (Öffentlichkeitsarbeit, S. 72).

1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

Regierungsebene, sie begleiten vielmehr die Tätigkeit der gewählten Verwaltungsspitzen auch auf dem kommunalen Sektor. Der soeben verwendete Politikbegriff ist institutionell geprägt, w e i l er das Politische vor allem von den Interessen gewählter Exekutivspitzen her zu verstehen sucht. Faßt man Politik dagegen als Handlungsbegriff, nämlich als das „soziale Wählen untereinander ausschließenden Handlungsmöglichkeiten" 20 , so ergibt die Analyse tendenziell dasselbe Ergebnis: I n dem Maße, i n dem die rechtsförmige Programmierung des staatlichen Entscheidungsbereichs abnimmt, also der „politische" Spielraum alternativer Handlungsmöglichkeiten wächst, nimmt nach unseren Beobachtungen die Intensität amtlicher Öffentlichkeitsarbeit zu. Tatsächlich läßt sich i m demokratischen Rechtsstaat keine trennscharfe Grenze zwischen „ P o l i t i k " und „Verwaltung" ziehen, w e i l die innerhalb der Verwaltungsprogramme verbleibenden Entscheidungsräume nicht nach dezisionistischem Belieben, sondern dem das Programm tragenden Konsens entsprechend ausgefüllt, also wenigstens mittelbar demokratisch legitimiert werden müssen 21 und möglicherweise sogar einer weiteren demokratischen Legitimation der speziell „Betroffenen" bedürfen. Der entgegengesetzte „institutionelle" Politikbegriff impliziert also eine Begrenzung demokratischer Partizipation auf den schmalen Sektor der durch periodische Wahlen (und d. h. durch Stellenbesetzungen) vom Volk direkt zu treffenden Entscheidungen. Eben dies entspricht jedoch dem auch heute überwiegenden Selbstverständnis der Verwaltungsbeamten als einer von gewählten Politikern geführten „neutralen Leistungsbürokratie" 2 2 . So ist es zu erklären, daß dem sich von der untersten staatlichen Verwaltung hinauf zur Regierung kontinuierlich verbreiternden Handlungsspielraum die Intensität staatlicher Öffentlichkeitsarbeit keineswegs direkt korrespondiert, sondern intensive Public-Relations-Arbeit fast ausschließlich von der wahlabhängigen Exekutive geleistet wird. Demgegenüber scheint das Fehlen solcher Werbung i m parlamentarischen Bereich der festgestellten Abhängigkeit meinungssteuernder Öffentlichkeitsarbeit von aktuellen Wahlinteressen zu widersprechen. Rechtlich beruht der größte Teil aller von der gewählten Exekutive ausgearbeiteten Entscheidungen auf gesetzlicher Grundlage und w i r d 20 So R.-R. Grauhan, Politikwissenschaftliche Forschung zur Verwaltung, D Ö V 1970, S. 587; ähnlich W.-D. Narr, L o g i k der Politikwissenschaft — eine propädeutische Skizze, S. 21 ff. 21 Vgl. F. W Scharpf, Die planende V e r w a l t u n g i n der Demokratie, S. 22; W. Leisner, Regierung als Macht kombinierten Ermessens, S. 728 f.; K. Hesse, Grundzüge, S. 212 f.; Th. Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 55. 22 ff.-J. Wolff, Verwaltungsrecht I I , § 107 I 8 c (S. 404).

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1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

erst durch parlamentarische Beschlüsse gewählter Abgeordneter verbindlich. Daß Parlamente dennoch keine Werbung treiben, läßt sich m i t der Öffentlichkeit ihrer Sitzungen allein nicht begründen, weil deren Publizitätswirkung, wie festgestellt, recht beschränkt ist. Der scheinbare Widerspruch erklärt sich jedoch daraus, daß die Parlamente heute der regierungsgeführten Exekutive praktisch nicht mehr als legislative Einheit gegenübertreten. Entgegen dem Eigenverständnis vieler Parlamentarier besteht anstelle des gewaltenteilenden Gegensatzes von Legislative und Exekutive i n der politischen Praxis ein Dualismus von Regierung und Mehrheitsparteien einerseits und Opposition andererseits 23 . Diese Entwicklung bewirkte zugleich die oben erwähnte Verlagerung des eigentlichen Entscheidungsprozesses i n den Exekutivbereich. Da die gewählten Exekutivspitzen überwiegend nicht nur Mitglieder, sondern Spitzenfunktionäre der regierenden Parteien sind 2 4 , und da heute alle Parteien einen permanenten Wahlkampf führen, bleiben Regierungsfraktionen meist auf Akklamation und rhetorische Unterstützung der Parlamentsvorlagen des jeweiligen Exekutiv Vorgangs beschränkt 25 . Obwohl derartige Ergebnisse häufig zusätzlich i n Parlamentsausschüssen vorbereitet werden, ändert dies die eingetretene Gewichtsverlagerung nicht, w e i l die Ministerialbürokratie auch hier regelmäßig bereits ausgearbeitete, d. h. die Alternativen einengende, „Formulierungshilfen" vorlegt 2 6 . Funktional handelt es sich übrigens bei solcher vorbereitenden Ausschußtätigkeit u m Verwaltungsarbeit 2 7 . Die Mehrheitsfraktionen der Parlamente haben so die „plebiszitäre Selbstdarstellung" ihrer Parteien übernommen, indem sie die Leistung der Regierung würdigen, deren Vorhaben erläutern und ihre Erfolge öffentlich herausstellen. Sie besorgen damit einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit für die jeweiligen Exekutivspitzen, so daß „gerade die aufwendigsten Plenarveranstaltungen . . . eher den Eindruck einer gemeinsamen Sitzung der public-relations-Abteilungen verschiedener Parteien als den eines rationalen Interessenstreits, der verbindliche Handlungsorientierungen 23 Vgl. H. Rausch / H. Oberreuter, Parlamentsreform i n der D u n k e l k a m mer?, S. 149; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 292 f. 24 Vgl. hierzu N. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 130 f. 25 Wie sehr diese Entwicklung auch v o m B P A schon internalisiert ist, zeigt die Broschüre „ Z w e i Männer, eine Aufgabe", i n der es u. a. heißt: „Die Regierung (also nicht das Parlament! O. E. K.) schafft Notstandsgesetze . . . " . 26 Vgl. C. Arndt, Parlament u n d Ministerialbürokratie, S. 270 ff.; Die sich aufdrängende Feststellung, daß der Bundestag seine verfassungsmäßigen Funktionen heute „ n u r noch unzulänglich auszuüben vermag", ist w e i t h i n unbestritten (W. Euchner, Der Parlamentarismus der Bundesrepublik als Gegenstand politikwissenschaftlicher Untersuchung, PVS 10 (1969), S. 390 m. w. N. 27 ff.-J. Varain, Das Parlament i m Parteienstaat, PVS 5 (1964), S. 345.

1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

erst hervorbringt", wecken 28 . Freilich reicht die verfassungsrechtlich vorgesehene Publizität parlamentarischer Verhandlungen für die manipulativen Zwecke der jeweils Regierenden bei weitem nicht mehr aus. Entsprechend der — zugunsten weitgehender exekutivischer Selbststeuerung — schwindenden Bedeutung der Parlamente, die ohnehin kaum Gelegenheit für ungestörte propagandistische Selbstdarstellung bieten, ziehen die Exekutivspitzen jetzt eine — ihrer faktisch autonomen Machtposition adäquate — autonome Eigenwerbung durch weisungsgebundene Presseämter vor. Wegen der aufgezeigten Funktionseinheit der Mehrheitsfraktionen mit den gewählten Exekutivspitzen ist die jeweilige Opposition ihnen gegenüber stets benachteiligt, da sie nicht von amtlichen Pressestellen unterstützt wird. Es kennzeichnet die politische Bedeutung, die man diesen Ämtern i m Dauerwahlkampf der Parteien zumißt, daß sowohl SPD wie auch CDU als Oppositionsparteien i m Bundestag die Regierungswerbung der Form nach kritisierten, eine organisatorische Beschränkung des BPA jedoch niemals ernsthaft gefordert haben, sondern statt dessen die Errichtung eines „Oppositionspresseamtes" verlangten 2 9 . Die Tatsache, daß alle Exekutivspitzen dennoch mehr und mehr auf eine parlamentarische Selbstdarstellung verzichten und es vorziehen, öffentliche Loyalität durch eine unmittelbar an den Bürger gerichtete, bürokratisch organisierte Eigenwerbung herzustellen, spiegelt — mehr noch als die Forderung nach einem „Oppositionspresseamt" — zwei verfassungspolitische Entwicklungen: Die Verlagerung des politischen Entscheidungsprozesses i n die Exekutive und — hierdurch bedingt — die Unfähigkeit der Parlamente, i n der breiten Bevölkerung Loyalität integrativ zu wecken, d. h. einen Verfall ihrer sozialen (im Gegensatz zur rechtlichen) Legitimationskapazität. I m übrigen dürfte die Werbewirksamkeit der von Rundfunk und Fernsehen übertragenen Plenardebatten auch deshalb nicht allzu hoch eingeschätzt werden, weil die jeweilige oppositionelle Gegenposition (programmatisch) i n derartigen Veranstaltungen m i t vorgeführt wird. Ergebnis: Quantität und werbende Intensität amtlicher Öffentlichkeitsarbeit richten sich grundsätzlich danach, wie sehr die einen bestimmten Kom28

C. Offe, Politische Herrschaft u n d Klassenstrukturen, S. 172. Vgl. O. Uhlitz, Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung u n d Parteifinanzierung, Recht u n d Politik, Heft 3, 1966, S. 14, f ü r die SPD unter H i n weis auf die i m Text dargestellte parlamentarische Interessenlage (a.a.O., S. 12) u n d der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete u n d Bundesvorsitzende der „Jungen Union", J. Echternach, i m Zusammenhang m i t einer Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Informationspolitik der Bundesregier u n g i m J u n i 1970 (FAZ v. 27. 6.1970). 29

1. Teil, Kap. I V : Vergleichende Betrachtung

petenzbereich wahrnehmenden staatlichen Amtswalter sich von öffentlicher Zustimmung abhängig glauben. Besonders i m unmittelbaren Bereich der jeweils durch Wahlen neu zu konstituierenden Organe soll mittels werbender Überredung und Informationspolitik die Kontinuität einer auf Konsens, Zustimmung und Akklamation gegründeten politischen Macht, sollen vor allem Wahlsiege gesichert werden. Außerhalb dieses Sektors w i r d amtlich kaum geworben und auch die Informationstätigkeit ist dort wesentlich geringer. Insgesamt richten sich Quantität und werbende Intensität der Öffentlichkeitsarbeit tendenziell zwar nach dem Grad der rechtsförmigen Programmierung des jeweiligen Kompetenzbereichs, doch entspricht die Intensität solcher Bemühungen deshalb nicht notwendig dem verfassungsrechtlichen Legitimationszwang für die dort anfallenden Entscheidungen. Die Konzentration der Öffentlichkeitsarbeit i m Exekutivbereich schließlich spiegelt eine Verlagerung des politischen Entscheidungsprozesses von den Parlamenten i n den bürokratisch organisierten Verwaltungssektor und damit auch eine Schwächung der parlamentarischen Legitimations- und Integrationsfunktionen.

VERFASSUNGSRECHTLICHER T E I L

Kapitel I

Fragestellung Entsprechend den Vorstellungen der hierfür verantwortlichen Stellen soll amtliche Öffentlichkeitsarbeit die politische Willensbildung des Volkes zu jeweils angesprochenen Themen mehr oder minder werbend beeinflussen und damit vielfach zugleich Loyalität i n Form von I n differenz, Zustimmung oder Unterstützung hervorrufen. Folgerichtig werden derartige Aktivitäten bewußt auf solche Sachgebiete und Problembereiche beschränkt, deren Behandlung den einzelnen als Wähler, d. h. bei seinen i m staatlichen Bereich unmittelbar rechtswirksamen Entscheidungen, für die Partei der zuständigen Politiker einnehmen könnte. Je weniger eine staatliche Maßnahme also vom Willen eines gewählten Organwalters abhängt, desto uninteressanter w i r d sie für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit. Verfassungsrechtlich scheint dies zunächst auch durchaus unbedenklich. Wo ein bestimmtes staatliches Handeln gesetzlich zwingend vorgeschrieben, d . h . parlamentarisch bereits legitimiert ist, bleibt jenseits des Gesetzgebungsverfahrens offenbar kein Raum für politisch zu verantwortende Entscheidungen und damit für eine weitere (u. a. i m Wahlakt vollzogene) demokratische Mitwirkung. I n dem Maße jedoch, i n dem die normative Vorprogrammierung offener wird, also etwa Ermessenstatbestände, unbestimmte Rechtsbegriffe, globale haushaltsgesetzliche Ausgabeermächtigungen und weitgefaßte Rahmenpläne vielfältige Handlungsalternativen decken, geht jene rechtsförmige Bindungswirkung verloren. Obwohl die dann notwendige Auswahl zwischen mehreren sozialen Handlungsmöglichkeiten deshalb nicht mehr nur realisierende Durchführung gesetzlicher Programme, sondern — je nach der „Offenheit" normativer Richtlinien — zugleich verantwortliche Dezision ist, fehlen die entsprechenden Informationen hier fast völlig. Die Wahlinteressen gewählter Exekutivspitzen motivieren nur eine public-relations-förmige Vermittlung publikumswirksamer A k t i v i täten, nicht jedoch eine — der jeweiligen Offenheit gesetzlicher Programme korrespondierende behördliche Informationsbereitschaft.

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2. Teil, Kap. I : Fragestellung

Nun sind Informationen bekanntlich notwendige Voraussetzung jeder politischen Willensbildung i n einer Demokratie, also jeder M i t wirkung des Volkes und jeder demokratischen Legitimation. Die Grenzen demokratischer M i t w i r k u n g sowie der hiervon abhängigen amtlichen Informationspflichten sind der Verfassung zu entnehmen. Nach A r t . 20 I I 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Sie w i r d i n Wahlen und Abstimmungen sowie — ständig demokratisch vermittelt — durch die Staatsorgane ausgeübt (Art. 20 I I 2 GG). Die demokratische Vermittlung vollzieht sich i m Wege permanenter politischer Willensbildung des Volkes zu allen sozial bedeutsamen Problemen und mündet immer wieder i n Wahlentscheidungen 1 . Damit aber erweist sich die umfassende Information über alle Staatstätigkeit als Basis demokratischer Legitimation i m grundgesetzlichen Verfassungssystem. Dementsprechend arbeiten die legislativen und judizierenden Instanzen prinzipiell öffentlich, während die Exekutive — soweit sie normat i v programmiert ist — solche Legitimation über die Publizität der Gesetzgebungsverfahren erhält. Dunkel bleiben dann zunächst nur solche exekutivischen Aktivitäten, die von der parlamentarischen Öffentlichkeit nicht oder nur unvollkommen erreicht werden. Verfassungsrechtlich wäre also zu fragen, ob das Grundgesetz hier weitere Öffentlichkeitsarbeit um der politischen Willensbildung des Volkes w i l l e n verlangt oder wenigstens zuläßt, und ob es gegebenenfalls auch amtliche Werbekampagnen deckt. Auszugehen ist deshalb vom Verfassungsbegriff der politischen Willensbildung, deren Feld zumindest dem herkömmlichen Aktionsbereich politischer Parteien entspricht (vgl. A r t . 21 I 1 GG). Unterteilt man die Exekutivkompetenzen nach „klassischem" Schema global i n ausführendes Verwaltungshandeln und politische „Staatsleitung" der Regierung 2 , so müßte sich die politische Willensbildung des Volkes auf jenen institutionell definierten Bereich staatsleitender Regierungstätigkeit sowie auf die i n den parlamentarischen Versammlungen öffentlich verhandelten Themen beschränken. Insofern erschiene dann eine ausschließlich auf allgemeine Probleme bezogene regierungsamtliche Informationspolitik als Annex zur Staatsleitungskompetenz gerechtfertigt. Hält man es schließlich für „selbstverständlich", daß die staatsleitende Instanz i m Rahmen ihrer gesamtgestaltenden Führungskompetenz „gerade i n den entscheidenden Fragen der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft unter Umständen auch von den Überzeugungen und dem Willen des Volkes freimachen und kräftig ,gegensteuern'" müsse3, so könnte sich das dies1

Vgl. BVerfGE 20, S. 56 ff., 98. So z.B. R. Smend, Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat, S. 79; U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 278; BVerfGE 11, S. 77, 85. 3 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 341. 2

2. Teil, Kap. I : Fragestellung

bezügliche Werben u m allgemeine Loyalität als ebenso „selbstverständlich" geboten darstellen, w e i l derartige Öffentlichkeitsarbeit das Aktionsfeld eines „aktiven" Führungsteams durchaus vergrößert. Eine solche partielle Negation und Manipulation des Volkswillens bei der Entscheidung zentraler Probleme widerspricht indessen dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes. Zwar verlangt dieses Prinzip i n seiner grundgesetzlichen Ausgestaltung nicht etwa verbindliche Entscheidungen des Volkes auf allen Ebenen und i n allen Bereichen, wohl aber müssen alle staatlichen Entscheidungen grundsätzlich der dem rechtsverbindlichen Wahlakt vorgängigen politischen Meinungs- und Willensbildung 4 zugänglich gewesen sein, bevor sie gefällt werden. N u r wenn stets die Chance diskursiv-demokratischer Vermittlung bestanden hat, kann das Verfassungsgebot des Ausgehens aller Staatsgewalt vom Volke erfüllt werden. Damit bezieht sich die politische Willensbildung also potentiell auf jede staatliche Dezision, über deren Voraussetzungen das Volk zunächst zu unterrichten wäre. Infolgedessen muß auch jeder Abstrich von dieser Grundvoraussetzung demokratischer Legitimation verfassungsrechtlich begründet werden. Dabei ist diejenige Auslegung geboten, die unter den konkreten Bedingungen der gegebenen Sachlage den Sinn der normativen Ordnung optimal verwirklicht 5 . Die Richtung solcher Optimierung weist das Grundgesetz i n den Verfassungszielen der Demokratie, das Sozial- und des Rechtsstaates (Art. 20 GG). Diese Prinzipien können nur ihrer Zielrichtung nach als „phänomenologisch oder geistesgeschichtlich eindeutig umrissen" verstanden und sodann als „nicht willkürlich abwandelbar" und „von der politischen Wirklichkeit her nicht jeweils m i t einem beliebigen Inhalt" ausfüllbar bezeichnet werden. Ohne solche Einschränkung 6 verkürzt sich das Verständnis jener Begriffe auf historisch-politische Organisationsprinzipien und leugnet implizit ihren „evokativen" Charakter 7 . Zwar sichern die Prinzipien des A r t . 20 I - I I I GG auch bestimmte organisatorische Mindesterfordernisse (vgl. A r t . 79 I I I GG), doch enthalten sie zugleich Zielvorstellungen, d. h. die verfassungsrechtliche Aufgabe, Demokratie über den historischen Minimalstandard i m Augenblick der Verfassungsgebung hinaus durch Abbau fremdbestimmter Herrschaft jeweils optimal zu verwirklichen. Insofern steht das Grundgesetz als demokratische Ordnung historisch i n einer Reihe von Verfassungen, die — besonders i n ihren Grundrechtsgewährleistungen — immer wieder das Versprechen der fort4

Vgl. BVerfGE 20, 56, 98. K . Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen P a r t e i e n . . W D S t R L Heft 17 (1959), S. 15. 6 So aber G. Leibholz, Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit, S. 279. 7 Hierzu A. Arndt, Das nicht erfüllte Grundgesetz, S. 6 ff., 18. 5

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Kempen

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2. Teil, Kap. I : Fragestellung

schreitenden Emanzipation von Herrschaft enthielten, und insofern trägt es die Züge eines emanzipatorischen Handlungsmodells. Folglich ist unter allen realisierbaren Gestaltungen der Verfassung i m demokratischen Staat allein diejenige verfassungskonform, die jenem Ziel am nächsten kommt 8 . Dabei ist freilich mit Recht betont worden, daß das aufklärerische Prinzip menschlicher Emanzipation keine „ex ante identifizierbare — und als Ziel zweckrational verfolgbare — Gewißheit" ist, sondern eine das Risiko politischen Entscheidens nicht ausschaltende Handlungsmaxime sowie eine „ex post verwendbare Beurteilungskategorie" 9 . Unter demokratischem Aspekt erstreckt sich die politische Willensbildung grundsätzlich auf alle politischen Entscheidungen der Staatsorgane. Dabei kann der Begriff des Politischen also nicht restriktiv auf den sog. Bereich der Regierung begrenzt werden, sondern muß jede staatliche Kompetenz zur verbindlichen Auswahl unter alternativen sozialen Handlungsprogrammen erfassen, weil derartige Auswahlentßcheidungen gegenüber den unterlegenen gesellschaftlichen Alternativinteressen stets als Herrschaftsübung wirken. Die Chance herrschaftsminimisierender sozialer Emanzipation ergibt sich aus einer möglichst intensiven Partizipation aller Beteiligten an den politischen Auswahlprozessen, deren Ergebnisse auf diese Weise demokratisch legitimiert werden. Infolgedessen bezieht sich politische Willensbildung unter dem Grundgesetz — jedenfalls soweit es u m den hier interessierenden staatlichen Sektor geht — auf alle Fälle sozialen Wählens unter einander ausschließenden Handlungsmöglichkeiten 10 . Grundbedingung solcher politischen Meinungs- und Willensbildung ist dann die prinzipiell uneingeschränkte, allseitige und öffentliche Information über alle jeweils entscheidungsrelevanten Vorgänge, Bedingungen und Alternativen. Verfassungsrechtlich muß deshalb die Tragweite dieses staatlichen Publizitätsgebots anhand der grundgesetzlichen Ausgestaltung des politischen Meinungs- und Willensbildungs-Prozesses herausgearbeitet und interpretatorisch ständig aktualisiert werden, wobei sich allfällige Publizitätsbeschränkungen primär am normativen K r i t e r i u m der Demokratie zu legitimieren hätten. Besonders die konstitutionellen Organisationsvorschriften für den politischen Willensbildungsprozeß machen diese Notwendigkeit deutlich, w e i l das Grundgesetz hier seine Verwirklichung i m Wege for8 Vgl. dazu jetzt auch A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 252 f. 9 R.-R. Grauhan, G. W. Green, W. Lindner, W. Strubelt, Politikanalyse am Beispiel des Verstädterungsproblems, PVS 22 (1971), S. 419. 10 Z u diesem Politikbegriff vgl. R.-R. Grauhan, Politikwissenschaftliche Forschung zur Verwaltung, D Ö V 1970, S. 587.

2. Teil, Kap. I : Fragestellung

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maier Legitimations-Prozeduren selbst normiert. Entgegen Hesse 11 kann sich eine solche normative Ordnung „ i m Wandel der tatsächlichen Verhältnisse" nicht verändern, ohne daß ihre Normativität, welche als rationale Formung des politischen Kräftefeldes gerade durch die Bewährung i m Konfliktsfall definiert ist 1 2 , letztlich zu Gunsten der jeweiligen „natürlichen, gesellschaftlichen, ökonomischen Gesetzlichkeiten" 1S aufgegeben würde. Wohl aber steigern sich die normativen Anforderungen, welche die Verfassung als fortschreitend zu konkretisierendes, emanzipatorisches Handlungsmodell an die politische Wirklichkeit stellt, i n dem Maße, i n dem gewandelte gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen eine verbesserte tatsächliche Gestaltung der Demokratie, des Sozialund Rechtsstaates ermöglichen. Nicht das zukunftsoffene Verfassungsmodell ändert sich also m i t der faktischen Entwicklung, sondern die tatsächlichen Verhältnisse müssen ständig am normativen Verwirklichungsanspruch dieses Modells optimierend ausgerichtet, d . h . legitimiert werden. Aufgabe des Verfassungsjuristen ist es dann, das jeweils normativ Gesollte i m gesellschaftlich-emanzipatorischen Interesse zu erkennen 14 , zu bezeichnen und so die Verbindlichkeit des Grundgesetzes zu wahren 1 5 . Diese Position beruht also nicht (primär) auf dem wissenschaftstheoretischen Streit über den Inhalt „erkenntnisleitender Interessen" (technisches Erkenntnisinteresse — emanzipatorisches Erkenntnisinteresse) 16 , w e i l ihre Zielrichtung — wie gezeigt — aus der Verfassung selbst hervorgeht. Ohne ein derart normiertes „Vorverständnis" 1 7 wäre der verfassungsrechtliche Gestaltungsauftrag rational nicht zu vermitteln. Er bliebe beliebig und damit nicht konkretisierbar. 11

Die normative K r a f t der Verfassung, S. 15. R. Smend hat dies i n Revision seiner früheren Ansichten (vgl. Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 119 ff.) w o h l erkannt u n d ausdrücklich auf die Probleme von Willensbildung u n d Organisation hingewiesen (Stichwort „ I n t e grationslehre", S. 480). 13 K . Hesse, Die normative K r a f t der Verfassung, S. 17, Hervorhebimg von mir. 14 D a m i t geht die hier vertretene Auffassung über die normlogische M e thode H. Kelsens hinaus. 15 Z u den entsprechenden Problemen einer sozialwissenschaftlichen Demokratietheorie vgl. F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie u n d A n passung, sowie die anrißartigen Notizen W.-D. Narrs i n : N a r r - Naschold, Theorie der Demokratie, S. 22 ff. 16 Vgl. J. Habermas, Erkenntnis u n d Interesse, dazu: B. Badura, E i n neuer P r i m a t der Interpretation?, Soziale Welt 1970/71, S. 321 ff.; Th. W. Adorno, H. Albert u. a., Der Positivismusstreit i n der deutschen Soziologie; M. O. Hinz, Die unverantwortete Wissenschaft, J Z 1971, S. 254 ff. 17 Aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum vgl. zu diesem Begriff J. Esser, Vorverständnis u n d Methodenwahl bei der Rechtsfindung, S. 133 - 138 m. w . N.; ferner K . Hesse, Grundzüge, S. 25 f. 12

7•

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2. Teil, Kap. I : Fragestellung

Insofern ist jene emanzipatorische Interpretationsmaxime demokratischen Verfassungsordnung notwendig immanent.

unserer

Die i n dieser Arbeit gestellte Frage, ob und inwieweit Staatsorgane Ansichten und Einstellungen des Staatsbürgers hinsichtlich staatlicher Tätigkeiten bestimmend beeinflussen dürfen, kann mangels ausdrücklich verfassungsrechtlicher Regelungen daher auch nicht aus einer isolierten Betrachtung des Grundrechts der Meinungsfreiheit beantwortet werden, sondern nur aus der grundgesetzlichen Struktur des politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses als einer Ausformung des Verfassungsprinzips der Demokratie (Art. 20 I GG). Rechtlich könnte dieser Begriff umschrieben werden als „ein Gemeinwesen, i n dem alle institutionelle Machtübung vom Konsens der Gesamtheit her legitimiert wird, i n dem allen Bürgern zu gleichem Recht eine M i t w i r k u n g am politischen Geschehen eröffnet ist, daher jede Ausübung von Bestimmung und Macht nur auf direktem oder indirektem Auftrag des Volkes beruht und nur als gegenständlich und zeitlich begrenztes Mandat unter wirksamer Verantwortung ausgeübt w i r d " 1 8 . Wenn der „Konsens der Gesamtheit" alle institutionelle Machtübung" legitimiert, so limitiert er sie zugleich 19 . Da legitimierender Konsens — ebenso wie entsprechend limitierender Dissens — allein aus den Ansichten und Einstellungen jedes Bürgers zur institutionellen Machtübung herrührt, gewinnt die freie, staatlich nicht gelenkte Meinungsbildung i n der Demokratie verfassungsstrukturelle Bedeutung 20 . Es geht hier also u m die gesellschaftlich-politische Stellung des einzelnen i m Staat (z. B. als Wähler), nicht jedoch u m seine private Position als Abnehmer staatlicher Entscheidungen 21 . Soweit sich amtliche Öffentlichkeitsarbeit, etwa i n Form behördlicher Auskünfte, ausschließlich auf einzelne Rechtsverhältnisse des Privaten zum Staat bezieht (vgl. z. B. den i n § 23 I Zollgesetz eingeräumten A n spruch auf Zolltarifauskunft oder amtliche Bekanntmachungen von Einschulungs- und Steuerterminen usw.), hängt sie m i t der staatlichen Gestaltung des privaten Lebensbereichs zusammen und bleibt daher außerhalb des Blickfelds einer auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß gerichteten Untersuchung 22 . Die Problematik 18 U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen V e r fassungsordnung, Festschrift f. G. Müller, S. 385. 19 Darauf weist H. Ridder, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 33, hin. 20 Vgl. BVerfGE 20, S. 56, 99. Insofern greift Scheuner zu kurz, w e n n er an anderer Stelle (Das Grundgesetz i n der Entwicklung zweier Jahrzehnte, AÖR 95 [1970], S. 358) ausführt, die Demokratie verwirkliche sich „ i m A u f b a u der politischen Organe". 21 Vgl. hierzu N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 150. 22 Z u r verfassungsrechtlichen Problematik derartiger Auskünfte vgl. jedoch J. Pipkorn, Auskunftsansprüche gegenüber Verwaltungsbehörden, D Ö V 1970, S. 171 ff.

2. Teil, Kap. I : Fragestellung

derartiger Auskunftstätigkeit ergibt sich aus dem Verfassungsprinzip des effektiven (gerichtlichen) Rechtsschutzes23 und ist vom Gedanken der Sicherung des einzelnen gegen den Staat beherrscht. Vor allem i n diesem Bereich w i r d also die von Leisner 24 eingehend untersuchte Rechtsnatur amtlicher Öffentlichkeitsarbeit bedeutsam 25 , während sich ein Ergebnis, demzufolge regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit wegen ihrer potentiellen Ersatz- bzw. Vorbereitungs- und Unterstützungsfunktion für die eigentlichen Regierungsakte als „schlichte Regierungstätigkeit" qualifiziert wird, für unsere Fragestellung als wenig hilfreich erweist. Derartige Systematisierung projiziert lediglich die Rechtsnatur der sonst von einem Staatsorgan wahrgenommenen Aufgaben auf seine Öffentlichkeitsarbeit und verleitet dazu, von der Zulässigkeit der einen Tätigkeit auf die der anderen zu schließen, also etwa von dem durch Regierungsakte ausgeübten „hoheitlichen Zwang" auf die „Überredung" zu einem entsprechenden Verhalten 2 6 . Daß dieser Wechsel der Regierungsmethoden verfassungsrechtlich problematisch ist, w e i l Regierungspolitik sich hierdurch vom Gegenstand (Objekt) zum Lenkungsinstrument des politischen Meinungsbildungsprozesses wandelt, w i r d dabei leicht übersehen. So hält Leisner es für möglich, daß staatliche „Meinungspflege" i n bestimmten Fällen dem „Imperium i n jeder Hinsicht gleichsteht" 27 . Solche Gleichwertigkeit ist jedoch verfassungsrechtlich kaum denkbar, w e i l der entscheidende Unterschied nicht i m Ergebnis, sondern i n der Methode solcher Regierungspolitik liegt: Ein Umschwung der „öffentlichen Meinung" ist zwar als Reaktion auf das „Imperium" denkbar, er könnte jedoch nicht „hoheitlich" erzwungen werden. W i r d dieses Kompetenzproblem auf die Frage nach der Rechtsnatur („hoheitliches Handeln") je angewendeter M i t t e l reduziert, so legt die juristische Einordnung der Öffentlichkeitsarbeit i n den hoheitlichen Bereich und ihre — vom Ergebnis her gesehen — Surrogationsfunktion gegenüber dem „Imperium" den Kurzschluß von der Legalität der einen Regierungsmethode auf die der anderen vielleicht nahe: Die Qualifikation bestimmter Maßnahmen als „hoheitlich" sagt über die Kompetenz zu solchem Handeln jedoch ebensowenig aus wie die mögliche Gleichartigkeit der erzielten Ergebnisse. Das eingangs formulierte Problem der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit meinungssteuernder Öffentlichkeitsarbeit des Staates kann 23 J. Pipkorn, Auskunftsansprüche gegenüber Verwaltungsbehörden, D Ö V 1970, S. 171 ff. 24 Öffentlichkeitsarbeit, S. 41 ff. 25 H i e r f ü r ist es z.B. bezeichnend, daß Leisner die Qualifizierung der Öffentlichkeitsarbeit als „verwaltungsprivatrechtliches" Handeln unter H i n weis auf die Rechtsprechung zur Amtshaftung ablehnt, a.a.O., S. 48 f. 26 So W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 85. 27 Öffentlichkeitsarbeit, S. 136.

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2. Teil, Kap. I : Fragestellung

m i t h i n weder aus einer isolierten Betrachtung des Grundrechts der Meinungsfreiheit heraus noch von der Rechtsnatur der jeweiligen amtlichen Tätigkeit her gelöst werden. Eine A n t w o r t muß sich vielmehr aus der Struktur des politischen Willensbildungsprozesses nach dem Grundgesetz ergeben.

Kapitel

II

Amtliche Öffentlichkeitsarbeit und „Meinungsfreiheit des Staates46 Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit amtlicher Öffentlichkeitsarbeit wäre verhältnismäßig leicht positiv zu beantworten, wenn Staatsorgane sich generell als Grundrechtsträger auf A r t . 5 I GG berufen könnten. Gleichgültig, ob man als Meinungen i. S. d. A r t . 5 GG nur wertende Stellungnahmen 1 oder durch Tatsachenmitteilungen 2 ansehen w i l l , wäre jedenfalls die meinungssteuernde Öffentlichkeitsarbeit des Staates ganz überwiegend grundrechtlich geschützt, wenn das jeweilige Staatsorgan insoweit Grundrechtsträger sein könnte. Als Gebietskörperschaften sind Bund, Länder und Gemeinden inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts. Sie werden daher verschiedentlich generell nach A r t . 19 I I I GG ohne nähere Begründung für grundrechtsfähig erklärt 3 , teilweise auch i n ihrer Grundrechtsfähigkeit nur auf den fiskalischen Bereich beschränkt 4 . Amtliche Öffentlichkeitsarbeit dient nicht dazu, erwerbswirtschaftliche Einkünfte zu erzielen 5 , sondern gehört zum hoheitlichen Bereich, denn sie bezieht sich — soweit es hier i n Frage steht — auf die hoheitliche Tätigkeit des jeweiligen Staatsorgans (dagegen gehört die heute nicht selten i n Zeitungsanzeigen betriebene Touristenwerbung großer Städte zu deren erwerbswirtschaftlicher Betätigung i. w. S.). 1 So die h. L . vgl. z.B. H. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 264; U. Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22 (1965), S. 63; H. Lenz, i n : H a m a n n - L e n z , A r t . 5 A n m . B 1, S. 184, die gleichwohl die Abgrenzungsschwierigkeiten zur Tatsacheninformation betont (H. Ridder u n d ü . Scheuner, a.a.O.). 2 R. Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 5 Rn. 55; E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 127. 8 K . G. Wernicke, i n : Bonner Kommentar, A r t . 19, A n m . I I 3 a; H. v. Mangoldt / F. Klein, A r t . 19, A n m . V I 2; H. Peters, hinsichtlich des A r t . 5 G G („Staatsmeinungen"), i n : Die Rechtslage von Rundfunk u n d Fernsehen nach dem U r t e i l des Bundesverfassungsgerichts v o m 18.2.1961, S. 26; aus der Rspr.: V e r f G H N W OVGE Mstr. Lüneburg 14, S. 372, 374; 377, 380; differenzierend K. A. Bettermann, Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Grundrechtsträger, N J W 1969, S. 1321 ff. 4 So z. B. E. W. Fuß, Grundrechtsgeltung f ü r Hoheitsträger?, D V B L . 1958, S. 739 ff. 5 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 44 f.

104 2. Teil, Kap. I I : Öffentlichkeitsarbeit u. „Meinungsfreiheit d. Staates"

Gerade die Grundrechte sollen jedoch „ i n erster Linie die Freiheitssphäre des einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und insoweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie aktive M i t w i r k u n g und Mitgestaltung i m Gemeinwesen sichern. Von dieser zentralen Vorstellung her ist auch A r t . 19 Abs. 3 GG auszulegen und anzuwenden" 6 . Soweit der Staat i m hoheitlichen Bereich dem einzelnen durch j u r i stische Personen des öffentlichen Rechts handelnd gegenübertritt, kann er sich daher nicht nach A r t . 19 I I I GG auf die Grundrechte berufen. Als Adressat der Grundrechte darf er nicht zugleich deren Teilhaber und Nutznießer sein 7 . Anderenfalls wäre schließlich i m Kollisionsfall das Grundrechtsinteresse des Bürgers unabhängig von einem Gesetzesvorbehalt stets gegen das gleichartig geschützte staatliche Interesse abzuwägen. Dies müßte sich als verfassungswidrige Grundrechtsschranke des „Staatsinteresses" auswirken 8 . Daher dürfen sich der Staat und seine Einrichtungen prinzipiell nicht auf Grundrechte berufen, soweit nicht die Verfassung besondere selbstverantwortliche Gestaltungsräume (z. B. i n A r t . 5 I I I 1, 28 I I GG) garantiert. Auch die Regelung von Beziehungen der Hoheitsträger untereinander kann nicht grundrechtlich erfolgen, w e i l hier ebenfalls der „unmittelbare Bezug zum Menschen fehlt" 9 . Es handelt sich dabei vielmehr u m Kompetenzkonflikte, welche durch Zuständigkeitsregelungen entschieden werden müssen 10 . Nur soweit etwa Selbstverwaltungskörperschaften, die zur Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder berufen sind (z. B. Gemeinden, Industrie- und Handelskammern, WRK, VDS), diese Positionen auch nach außen i n Form von Meinungsäußerungen vertreten, u m die hierfür jeweils relevanten staatlichen Entscheidungsprozesse i m Sinne solcher Mitgliederinteressen zu beeinflussen, können sie als (innerorganisatorisch legitimierte) Teilnehmer am kollektiven Meinungs- und Willensbildungsprozeß Grundrechtsträger sein 11 . Die vorliegende Untersuchung handelt jedoch ausschließlich von der nach innen gerichteten, d. h. für den eigenen, „internen" Meinungsund Willensbildungsverlauf der jeweiligen Personal- oder Gebietskörperschaft bestimmten „amtlichen" Öffentlichkeitsarbeit, dessen Er• BVerfGE 21, S. 362, 369. 7 BVerfGE 21, S. 362, 370; G. Dürig, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 19 Rn. 31; H. Lenz, i n : H a m a n n / L e n z , A r t . 19 A n m . B 9 (S. 326); W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 128. 8 Hierauf weist W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 128, hin. 9 BVerfGE 21, S. 362, 370; ebenso W. Rupp-v. Brünneck, Z u r Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Festschrift für A. A r n d t , S. 349 ff., 363 ff. 10 BVerfGE 21, S. 362, 370 f. 11 Vgl. H. Ridder, Das sogenannte politische Mandat von Universität u n d Studentenschaft, 1973, S. 17 ff., 25 ff., 28 ff.

2. Teil, Kap. I I : Öffentlichkeitsarbeit u. „Meinungsfreiheit d. Staates" 105

gebnisse sich möglicherweise auch als „Selbstdarstellung" nach außen niederschlagen und deshalb die Auffassungen und Meinungen der B ü r ger oder Organisationsmitglieder kaum noch beeinflussen dürften. Diese Zusammenhänge erkennt auch Fuß, wenn er das „Problem der Meinungsfreiheit von Hoheitsträgern" i n erster Linie als eine „ K o m petenzfrage" bezeichnet 12 . Grundsätzlich hält er es allerdings für „fraglich, ob ein Hoheitsträger angesichts der m i t seinen öffentlichen A u f gaben verbundenen Handlungsbefugnis der Abstützung durch den Elementarwert der Geistesfreiheit überhaupt bedarf". Diese Zweifel werden lediglich auf die nicht näher begründete Feststellung gestützt, daß es „sicherlich" auch zu den allgemeinen Handlungsbefugnissen eines Hoheitsträgers zähle, „durch seine Organe i n verfassungskonformer Weise seine Meinung zu äußern . . . und Presseerzeugnisse herzustellen und zu verbreiten" 1 3 . Ein derartiger Grundrechtsschutz für Staatsmeinungen ist jedoch — wie dargelegt — keine Frage des Bedürfnisses, sondern bereits verfassungsrechtlich insoweit ausgeschlossen, als derartige Äußerungen sich direkt an den einzelnen (Bürger oder Organisationsangehörigen), also „nach innen" richten und folglich „unmittelbaren Bezug zum Menschen" haben 14 . I m übrigen aber kann sich die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen staatlicher Organe i n der Tat nur aus deren verfassungsrechtlichen Kompetenzen i m Prozeß der politischen Willensbildung ergeben.

12 13 14

Grundrechtsgeltung für Hoheitsträger?, DVB1. 1958, S. 744. Grundrechtsgeltung für Hoheitsträger?, DVB1. 1958, S. 744. Vgl. auch W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 128.

Kapitel

III

Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik Darstellung und K r i t i k der bisherigen Diskussion A. Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe integrierender Staatsleitung I n der bisherigen Diskussion erscheint amtliche Öffentlichkeitsarbeit als staatliches Mittel, u m die Macht zu verbindlichen Entscheidungen besonders i m Regierungsbereich zu legitimieren und diese Legitimität zu erhalten und zu erweitern. Legitimität kann i n solchem Zusammenhang ganz allgemein definiert werden als „eine generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen als verbindlich anzuerkennen" 1 . I m politischen System beruht diese Bereitschaft nun auf doppelter Grundlage: Zum einen auf der institutionellen Struktur des Entscheidungsprozesses 2, zum anderen aber auf der — hiervon offenbar abhängigen — allgemeinen Motivation, kompetenziell gefaßte Dezisionen zu akzeptieren. Da aber niemals Strukturen als solche verbindlich entscheiden, sondern handelnde Menschen als Amtsinhaber, geht es eigentlich immer u m die Legitimität durchsetzbarer Macht- und Herrschaftsansprüche 8 . Analytisch muß dennoch unterschieden werden zwischen der Legitimität von Entscheidungsprämissen und der Legitimation von Entscheidungen selbst 4 . Zunächst gilt es prinzipiell die Voraussetzungen zu normieren, unter denen gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen zustande kommen, und sodann sicherzustellen, daß dieser Verbindlichkeitsanspruch auch eingelöst wird®. 1

N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 28, 32. * Darauf weist P. Graf Kielmansegg, L e g i t i m i t ä t als analytische Kategorie, PVS 12 (1971), S. 367, 371, zutreffend hin. s Vgl. P. Graf Kielmansegg , L e g i t i m i t ä t als analytische Kategorie, PVS 12 (1971), S. 372. 4 N. Luhmann, L e g i t i m a t i o n . . . , S. 31. ö P. Graf Kielmansegg, L e g i t i m i t ä t als analytische Kategorie, PVS 12 (1971), S. 371.

A . Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe integrierender Staatsleitung

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Die Funktionsfähigkeit des politischen Systems beruht m i t h i n vor allem auf dem generalisierten Legitimitätskredit, der ohne Übereinstimmung über das i m Einzelfall sachlich Richtige erteilt wird. Die H i n nahme jeder einzelnen staatlichen Dezision ist sicherlich kaum durch je spezielle Geltungsüberzeugungen motiviert, läßt sich andererseits aber auch nicht nur auf institutionellen Grundkonsens zurückführen®. Bislang bleiben derartige Motivationsstrukturen empirisch zwar weith i n ungeklärt, doch dürften unsere Betrachtungen der gegenwärtigen politischen Praxis dafür sprechen, daß jener Grundkonsens allein nicht ausreicht. Tatsächlich bezieht sich amtliche Öffentlichkeitsarbeit nämlich kaum auf den prinzipiellen Bereich allgemeiner „politischer B i l dung", sondern ganz überwiegend auf spezielle (Entscheidungs-) Situationen, wenn auch höchst selten unmittelbar auf konkrete Einzelfälle. Stets geht es u m konkret-allgemeine Loyalität, nicht jedoch u m generelle Systemlegitimation. Das dürfte sich aber vor allem aus den Wahlinteressen der gewählten Exekutivspitzen erklären, w e i l die Loyalität gegenüber bestimmten Programmen und Vorhaben regelmäßig zugleich den Amtsinhaber stützt, während vorher i m Wahlkampf bestimmte Persönlichkeiten eher für Programme standen. Da sich also gerade die meinungssteuernde Öffentlichkeitsarbeit vom Amtsinhaber her immer mindestens ebenso an den potentiell wählenden wie an den normunterworfenen Bürger richtet, gestattet die bloße Tatsache derartiger A k t i v i t ä t noch keine Rückschlüsse auf ihr Gebotensein i m politischen System. Es leuchtet freilich ohne weiteres ein, daß die Bereitschaft zur Hinnahme staatlicher Anweisungen steigt, wenn die Bevölkerung m i t dem Entscheidungsinhalt einverstanden ist. Ferner scheinen amtliche Werbung und diffus-loyalisierende Darstellungen besonders geeignet, solche Zustimmung schnell und nachhaltig zu gewinnen, also die Leistungsfähigkeit des politischen Systems insgesamt zu steigern. Dabei w i r k t jedoch gerade die intensive Werbung notwendig nur auf Kosten der kritischen Urteilsfähigkeit des Staatsbürgers. Damit stellt sich die große Frage nach den Grenzen der — letztlich nur zu Lasten demokratischer Selbstbestimmung möglichen — Optimierung staatlicher Effizienz, oder — klassisch formuliert — das Problem der Schranken majoritärer Herrschaft aus dem Prinzip egalitärer Freiheit 7 .

6

Ungenau insofern G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 334. Vgl. hierzu etwa L . v. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung i n F r a n k reich, Bd. I I I , S. 226 ff. 7

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik I . Öffentlichkeitsarbeit als „Staatspflege" (Herbert Krüger)

Nach Herbert Krüger dient amtliche Öffentlichkeitsarbeit der elementaren Existenzsicherung des Staates und ist als solche unmittelbar aus dem Staatsbegriff heraus gerechtfertigt 8 : Das „Sein des Staates" beruhe nämlich letztlich auf der „Spontaneität eines entsprechenden Motivierens und Verhaltens seiner Bürger", auf die jedoch „kein unbedingter Verlaß" sei. Deshalb müsse mangelnde „Spontaneität" unablässig durch „besondere Veranstaltungen" ersetzt bzw. stimuliert werden, die Krüger als „Staatspflege" bezeichnet 9 . Unverkennbar geht es hier u m das Problem der Legitimität staatlicher Macht i m oben bezeichneten Sinne, ohne das freilich zwischen allgemeiner System-Legitimität und der Hinnahme spezieller Entscheidungen unterschieden würde. Der diffuse Begriff „Staatspflege" soll jedoch offenbar beides umfassen. Da der Staat, wenn er überhaupt existieren wolle, „als Einheit" existieren müsse, gehöre es zu den legitimen Themen der „Staatspflege", diese Wahrheit und ihre V e r w i r k lichung i m Bewußtsein und i m Verhalten der Bürger immer wieder lebendig zu machen 10 , also generelle „Staatspropaganda" zu betreiben. Die Notwendigkeit, „dem Volk die Staatlichkeit nahezubringen", sei heute mindestens ebenso v i t a l wie die Absatz-Werbung für den Bestand eines Industrieunternehmens 11 , wobei solche Staatswerbung praktisch vor allem i n Form der „Meinungspflege" durchgeführt werden müsse 12 . „Meinungspflege" wiederum kann sich nur auf die Einstellung der Bürger zu speziellen Situationen und Problemen beziehen. Auch die von Krüger genannten Methoden der „Staatspflege" nehmen diesem Begriff wenig von seiner eigentümlichen inhaltlichen Verschwommenheit, lassen jedoch erkennen, daß dem Staat hiermit weitgehende Erziehungskompetenzen zugesprochen werden sollen. Einerseits werden recht harmlos äußerliche Manifestationen wie Staatsarchitektur und Staatsdenkmäler, Staatssymbole und Staatsfeste genannt 13 , andererseits aber auch einige für die freie politische Willensbildung i n einer Gesellschaft offensichtlich höchst gefährliche sozial-psychologisch- und pädagogischpolitische Methoden autoritärer Meinungssteuerung: obrigkeitlichdisziplinierende Erziehung auf obligatorischen Staatsschulen 14 , Pflege 8

Allgemeine Staatslehre, S. 214 ff. Allgemeine Staatslehre, S. 214. 10 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 216. 11 Allgemeine Staatslehre, S. 214. 12 Allgemeine Staatslehre, S. 220. 13 Allgemeine Staatslehre, S. 225 ff. 14 Allgemeine Staatslehre, S. 228 f.

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eines entsprechenden „Geschichtsbewußtseins" 15 sowie staatliche Parteifinanzierung 16 . Vor allem die erzieherische „Staatspflege" erweist sich — Krüger zufolge — inhaltlich als amtliche „Gehormsamspflege" 17 . Insofern gehen derart staatspflegende „Veranstaltungen" ihrer Intensität und Totalität nach weit über alle Aktivitäten hinaus, die i n dieser Arbeit und i n der politischen Praxis der BRD unter den Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" gefaßt werden. Da Krüger jedoch auch die Tätigkeit amtlicher Pressestellen zur „Staatspflege" rechnet 18 , widerspricht es seiner Staatsgesinnungs-Konzeption scheinbar, daß er i m engeren Bereich der Öffentlichkeitsarbeit gerade die Herausgabe von Staatszeitungen mit der Begründung ablehnt, hier liege ein Verstoß gegen den — als existenziell hervorgehobenen — Grundsatz der „NichtIdentifikation" des Staates m i t bestimmten Weltanschauungen allzu nahe 19 . Dieser Widerspruch erweist sich jedoch rasch als vordergründig. Wenn Krügers Staat grundsätzlich auf „Untertanschaft" und allgemeinen Gehorsam gegründet ist, dann bedarf es einer durch Staatszeitungen manipulierten Loyalität nicht mehr, w e i l die hiervon erwartete Identifikations-Haltung jedenfalls ihrer Wirkung nach bereits als generelle Untertan-Disziplin besteht. Damit reduziert sich das Prinzip der Nicht-Identifikation praktisch auf eine Umschreibung weltanschaulicher Neutralität des Staates; es bleibt jenseits dieser engen Bedeutung leerformelhaft-folgenlos 20 und deshalb zur inhaltlichen Begrenzung einer umfassenden erzieherisch-disziplinierenden „Staatspflege" ungeeignet. Die Rechtfertigung staatspflegender Aktivitäten aus den Notwendigkeiten eines autoritär-etatistischen Staatsverständnisses verfehlt überdies auch elementare rechtsstaatliche Erfordernisse. Für diese generalklauselartige Erziehungsermächtigung zur Untertanschaft findet sich weder eine verfassungsrechtliche Grundlage noch die — nach dem Gewaltenteilungsprinzip gebotene — Zuordnung zum Kompetenzbereich bestimmter Staatsorgane 21 . Immerhin soll derartige „praktische Staatspflege" Krüger zufolge hauptsächlich die „Einheit des Gemeinwesens" als das „wichtigste Element der Staatsexistenz" fördern 2 2 . Da er sich für sein Verständnis solcher „Staatspflege" auf die Integrationslehre Rudolf Smends beruft 2 3 und i n enger Anlehnung an integra15

Allgemeine Staatslehre, S. 209. Allgemeine Staatslehre, S. 566 f. 17 Allgemeine Staatslehre, S. 983. 18 Allgemeine Staatslehre, S. 230. 19 Allgemeine Staatslehre, S. 231. 20 Vgl. die treffende K r i t i k Erwin Steins i n : N J W 1965, S. 2384 ff. 21 Vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 65, der diesen Auffassungen Krügers dennoch „westlich-demokratische Sicht" bescheinigen zu können glaubt. 22 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 224. 23 Allgemeine Staatslehre, S. 215, Fn. 7. 16

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tionstheoretische Vorstellungen 2 4 gerade die Sphäre der Regierung als „einen eigenartigen und selbständigen Bereich" neutralisierend-zusammenführender Einheitsbildung versteht 2 5 , dürfte er die „Staatspflege" zu den hervorragendsten Regierungsaufgaben zählen 26 . Ein erheblicher Teil der hierunter gefaßten Aktivitäten wie z. B. die staatliche Erziehung und Bautätigkeit unterliegt allerdings so offensichtlich anderen Kompetenzen, daß eine umfassende Zuordnung gleichwohl unmöglich bleibt. Diese eindeutig aus dem Regierungsbereich herausfallende Gegenstände der Staatspflege betreffen jedoch durchweg die allgemeine Systemloyalität. Dagegen fiele die Legitimation spezieller staatlicher Entscheidungen, also vor allem die von m i r als „amtliche Öffentlichkeitsarbeit" behandelte informierende und werbende Staatstätigkeit unter die Regierungskompetenzen, wie Krüger sie versteht. Für i h n besteht die „erste Trefflichkeit der Politik . . . einer Regierung i n ihrer K r a f t der Integration" 2 7 . Daher muß nunmehr die zugrunde gelegte Auffassung vom „Bereich der Regierung" näher untersucht werden. I I . Öffentlichkeitsarbeit als staatsleitende Regierungstätigkeit (R. Smend und U. Scheuner)

I. Darstellung Die Herkunft der Krügrerschen Auffassung aus dem Integrationsgedanken w i r d vollends deutlich, wenn man sich daran erinnert, daß Smend den Staat nur i n einem ständigen Prozeß gelebter Erneuerung verwirklicht sieht, den er als „Integration" bezeichnet 28 . Für ihn ist der Staat nur, „ w e i l und sofern er sich dauernd integriert, i n und aus den Einzelnen aufbaut — . . ." 2 Ö . Freilich nennt Smend unter den Integrationsmethoden nirgends die „Staatspflege" oder gar amtliche Öffentlichkeitsarbeit. Dennoch liegt es i n der Konsequenz seiner Lehre, derartige Aktivitäten als spezifische M i t t e l integrierender Einheitsbildung zu rechtfertigen. 24

Vgl. dazu R. Smend, Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat u n d das Problem der Staatsform, S. 79 ff.; U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, i n : Festgabe f ü r R. Smend (1952), S. 268 ff. 25 Allgemeine Staatslehre, S. 691. 26 So explizit H. Hämmerlein (Wege u n d Grenzen der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit), der sich auf H. Krüger beruft (S. 50), u n d sodann ausführt: „ F ü r die Öffentlichkeitsarbeit nach innen ist die Staatsaufgabe der Repräsentation der bevorzugte Anlaß, den Staat als I n s t i t u t i o n der Öffentlichkeit als Vertrauensobjekt darzustellen" (ebd., S. 54). 27 Allgemeine Staatslehre, S. 691. 28 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 136. 29 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 138.

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Darauf weist zunächst die Bewertung der Öffentlichkeitswirkung parlamentarischer Verhandlungen hin, die als „Anregung des politischen Lebensvorgangs, der Meinungs- und Partei- und Mehrheitsbildung, des politischen Gesamtbewußtseins, öffentlicher Meinung, aktiver politischer Gemeinschaftswirklichkeit überhaupt" 3 0 zum Bereich „funktioneller Integration" 3 1 gezählt werden. Nach Smend „liegt der Sinn der Öffentlichkeit als Moment heutiger politischer Ordnung" i n ihrer „Integrationswirkung" 3 2 . Dabei erklärt sich seine Einschätzung parlamentarischer Publizität daraus, daß sie, ähnlich wie Wahlen, „integrierende Kämpfe" sichtbar macht, nämlich „öffentliche Debatten, Abstimmungen, Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Regierung . . . " . Deren integrierende K r a f t werde z. B. besonders bei der „Feststellung und K r i t i k von Regierungsprogrammen" deutlich 3 3 . Nach unseren Feststellungen ist die moderne Regierungswerbung wesentlich von Wahlinteressen geprägt und somit auch als Fortsetzung der vom Dauerwahlkampf beherrschten Parlamentsdebatten m i t anderen M i t teln anzusehen. Diese werbende Öffentlichkeitsarbeit könnte dann gleichfalls als „funktionelle Integration" gerechtfertigt werden. Jene Integrationswirkung parlamentarischer Öffentlichkeit w i r d nun zwar noch heute immer wieder betont 3 4 , doch war dieser Effekt von Anfang an unverkennbar nur eine — allerdings durchaus erwünschte — Folgewirkung der Parlamentsdebatte, ohne ihr eigentlicher Gegenstand zu sein. Selbst wenn das Parlament heute tatsächlich als eine vom Volk akzeptierte „staatliche Durchgangsstelle des sozialen (und politischen) Friedens" und damit als Legitimationsbasis des hierin verkörperten bürgerlich-kapitalistischen Herrschaftssystems w i r k t 3 5 , so beruht diese Legitimationsfunktion gerade auf der Glaubwürdigkeit öffentlicher Auseinandersetzung gegensätzlicher Interessen. Andernfalls würde sich die Bevölkerung nämlich „gar nicht auf das parlamentarische Spiel einlassen" 36 . Parlamentarische Debatten sollen also nicht selbst und unmittelbar Einheit herstellen, sondern gesetzgeberische Entscheidungen indirekt 30

R. Smend, A r t . Integration, i n : Evangelisches Staatslexikon, Sp. 804. Vgl. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 148 ff., 152,154, 201. 32 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 201. 33 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 201. 34 Vgl. z.B. G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 95; E. Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L Heft 16 (1958), S. 32; J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 226; Th. Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 42 Rn. 1; Th. Ellwein / A. Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, 1. Teil, S. 244; H. Rausch / H. Oberreuter, Parlamentsreform i n der Dunkelkammer?, S. 142. 35 So J. Agnoli, Die Transformation der Demokratie, S. 63. 86 J. Agnoli, Die Transformation der Demokratie, S. 62. 31

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legitimieren, d . h . n u r mittelbar integrierend w i r k e n . Darüber hinaus scheint jede weitere aktiv-stimulierende Integrationstätigkeit, w i e z. B. die auf spezielle Dezisionen bezogene regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit allerdings überflüssig zu sein. Versteht man die „ W i r k l i c h k e i t des staatlichen Lebens" jedoch m i t Smend als eine sich zum „souveränen Willens verband" integrierende werthafte K u l t u r - u n d Sozialordnung, so w i r d dieses System erst i m bewußt gesteuerten Zusammenschluß aller staatlichen Integrationsfaktoren „zu einheitlicher Gesamt Wirkung" vollendet 3 7 . N u n kennt die Funktionenlehre des Gewaltenteilungsstaates allerdings überhaupt keine derartige „ F u n k t i o n m i t spezifischer Integrationsaufgabe", welche solche letzte Einheit a k t i v zu verwirklichen hätte. I n der gewaltenteilenden Verfassungsordnung ist auch das Parlament als (legislative) Teilgewalt n u r Integrationskomponente. Nach integrationstheoretischem Verständnis w i r d aber gerade jene zusammenfassende Aufgabe oberster „staatliche(r) Wesensbesinnung u n d -durchsetzung" i m modernen Staat aus der „ N a t u r der Dinge" heraus notwendig u n d „ k a n n " deshalb nicht allein dem Zusammenspiel der Gewalten überlassen bleiben". Infolgedessen habe sich eine besondere Staatstätigkeit entwickelt, die eigens diesem Zwecke zu dienen bestimmt sei, die Regierung 38. Da dieser Begriff der Regierung auf die oberste L e i tung des Staatsganzen abstellt, reicht er „ i m K e r n über die Unterscheidung der Gewalten hinaus" 3 0 . F u n k t i o n a l gehe es bei der Regierung u m eine Zusammenfassung des politischen Willens des Staates, die Kooperation seiner höchsten Organe, die Bestellung der leitenden Personen, „ k u r z u m Handlungen der politischen Staatsführung" 4 0 . Die politische Staatsführung wiederum obliege zuvörderst dem Verfassungsorgan Regierung, als demjenigen „ T e i l der Exekutive, i n dem es u m die schöpferische Entscheidung, die politische I n i t i a t i v e u n d die zusammenfassende L e i t u n g des Staatsganzen . . . g e h t " 4 1 . Funktionaler u n d organisatorischer Regierungsbegriff erweisen sich — da gleichermaßen von der „Staatsleitung" her definiert — als weitgehend identisch 4 2 . Der damit als staatsleitende Tätigkeit gekennzeichnete „Bereich der Regierung" deckt sich Smend 4 3 u n d Scheuner 44 zufolge m i t der 37

Verfassung und Verfassungsrecht, S. 171. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 211; ähnlich U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 270 f., 278 f. 39 U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 268. 40 U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 277. 41 U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 278. 42 H. Lenz, Der Umfang der gerichtlichen Prüfungsbefugnis..., S. 62, hat darauf hingewiesen, daß Scheuner (Der Bereich der Regierung, S. 278) den Begriff m i t ständig oszillierendem Sinngehalt verwendet. 43 Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat, S. 79; Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 213. 88

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„Sphäre des Politischen i m Staate", welche ihrerseits m i t der „obersten Zielsetzung", der „Selbstbestimmung des Staates" inhaltlich zusammenfallen soll 4 5 . Trotz ihrer schillernden Unbestimmtheit wurde diese Definition bis heute vielfach unkritisch übernommen 46 . A u f die eigentümliche logische Struktur der Deduktion ist dennoch zunächst nicht einzugehen, w e i l das dort zugrunde gelegte Verständnis des Politischen vielleicht eine präzisere Erfassung des Regierungsbereiches ermöglicht, und zugleich die kompetenzförmige Zuordnung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit i n diesen Sektor gestattet. Scheuner begreift Politik als schöpferische Entscheidung über die das staatliche Ganze berührenden Ziele und die Erringung und Ausübung sozialer Macht zu ihrer Durchsetzung. Politik ist damit insofern auf Macht gerichtet, als sie i m sozialen Ganzen Einfluß zu erlangen und gegen widerstrebende Kräfte ihre Absichten zu verwirklichen sucht 47 . „Macht" w i r d hierbei „ausschließlich als ein geistiges Phänomen" verstanden. Auch dem machtmäßigen Einsatz physischen Zwanges liege eigentlich der Gehorsam der Gewaltunterworfenen (von Scheuner euphemistisch als „Machtträger" bezeichnet), als „Annahme der Machtübung durch die Allgemeinheit" zugrunde 48 . Darum erscheint Macht vor allem als „psychische Einflußmöglichkeit, Bewirken des Gehorsams gegen die auch ohne eigene Prüfung angenommene Weisung und Anordnung, Erwartung der normalen Durchsetzbarkeit der von der Leitung kommenden Direktiven" (Hervorhebung von mir) 4 9 . Diese „Leitung" wiederum obliegt der Regierung, „die Ziele weist, und die Menschen nach ihnen auszurichten weiß" (Hervorhebung von mir) 5 0 . Insofern erscheint regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit, besonders i n Form von Werbung für die jeweilige Regierungspolitik, als hervorra44

Der Bereich der Regierung, S. 275, 277. U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 275; Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen, i n : Festgabe f ü r R. Smend (1962), S. 253. 46 Vgl. z.B. P. Badura, Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1837; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 17; K . Hesse, Grundzüge, S. 213; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 689 ff.; Th. Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 62 Rn. 3; anscheinend auch BVerfGE 11, 77, 85. Die definitorische Doppelbedeutung w i r d nicht durchschaut von N. Gehrig, Parlament — Regierung — Opposition, S. 12 f., der den Begriff lediglich i m funktionalen Sinn verwendet. Kritisch hingegen H. Lenz, Der Umfang der gerichtlichen Prüfungsbefugnis, S. 6 2 1 ; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 75 ff.; Regierung als Macht k o m binierten Ermessens, J Z 1968, S. 727 ff. 47 Der Bereich der Regierung, S. 272. 48 U. Scheuner, Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen, S. 253. 49 U. Scheuner, Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen, S. 254; vgl. auch H. Krügers Verständnis der „Staatspflege" als „Gehorsamspflege", Allgemeine Staatslehre, S. 983. 50 U. Scheuner, Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen, S. 254. 45

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gendes M i t t e l der Staatsleitung, nämlich als lenkende Machtüburig durch psychische Einflußnahme 5 1 . Damit wäre zwar die funktionale Eignung, nicht aber die kompetenzförmige Rechtmäßigkeit solcher meinungssteuernden Aktivitäten einer Regierung dargetan. Scheuner versteht die Regierung jedoch als denjenigen Teil der Exekutive, i n dem es u m die „schöpferische Entscheidung . . . " sowie die zusammenfassende Leitung des Staatsganzen geht 5 2 und folgert daraus, daß derartig schöpferische Entscheidungen zwar nicht überverfassungsmäßig, wohl aber einer „volle(n) inhaltliche(n) Gebundenheit des Tuns" entzogen seien 53 . Da die oberste politische Staatsführung indes notwendig einem zusammenfassenden, also „oberhalb des Prinzips der Gewaltentrennung" stehenden 54 Organ, der Regierung, zukommt 5 5 und da deren politische Entscheidungen normativ kaum begrenzt sind, bleibt die inhaltliche, d. h. kompetenzmäßige Ausfüllung des Begriffs der „Staatsleitung" auch verfassungstheoretisch der Regierung weithin selbst überlassen 56 . I m Scheunersckien Verständnis erweist sich die typischerweise auf sozialen Einfluß, auf Macht gerichtete regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit zwangsläufig als legitimes, genuin gubernatives Handeln, dessen integrative Wirkung dem Maße seiner werbenden Intensität entspricht. Regierungspropaganda und „Staatspflege", wie Herbert Krüger sie — ausgehend von derselben Regierungstheorie 57 — versteht, wären als ideales M i t t e l politisch zusammenfassender Staatsführung hervorragend gerechtfertigt. Innerhalb des weiten dynamisch-irrationalen Kräftefelds der Politik, das von vorausschauenden verfassungsrechtlichen Normen kaum begrenzt scheint 58 , legitimiert sich amtliche Öffentlichkeitsarbeit — besonders wenn sie über die bloße Information hinaus werbend-propagandistisch w i r k t — als zulässige „Staatsleitung durch Meinungsbildung" und „Integration ohne Gewalt" 5 9 . Es mag zunächst so aussehen, als werde die i n der Weimarer Zeit konzipierte Integrationstheorie damit überinterpretiert. Wie sehr je61

Vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 76. Der Bereich der Regierung, S. 278. 53 Der Bereich der Regierung, S. 279 f. 64 17. Scheuner, Grundfragen des modernen Staates, Recht — Staat — W i r t schaft, Bd. I I I , S. 146; R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 211. 65 Vgl. U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 283; Diskussionsbeitrag, W D S t R L Heft 16 (1958), S. 123. 66 Vgl. H. Lenz, Der Umfang der gerichtlichen Prüfungsbefugnis, S. 62 f., wo auf die Ähnlichkeit dieser Theorie m i t dezisionistischen Vorstellung Carl Schmitts hingewiesen w i r d ; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 76. 57 Allgemeine Staatslehre, S. 690 f. 68 Vgl. U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 279 f.; ff. Krüger, A l l g e meine Staatslehre, S. 691 ff. 59 Vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 77. 62

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doch die modernen, von Smend noch nicht berücksichtigten und bei Scheuner jedenfalls nicht explizit erwähnten Regierungsmethoden den eigentlichen Intentionen der Integrationslehre entsprechen, w i r d erst vollends klar, wenn man den Integrationsvorgang i. S. d. neueren Systemtheorie deutet 6 0 und m i t Luhmann als „Generalisierung von Kommunikationen" begreift 6 1 . Für Luhmann hatte Smend ein „zentrales staatsbildendes Phänomen" gesehen, das nur von der „Ebene des Erlebens i n die Ebene des informativen Verhaltens transponiert" werden müsse, damit man seine „Funktion für Problemlösungen i n Handlungssystemen" analysieren könne, anstatt lediglich das Gemeinschaftserlebnis als Integrationssubstrat zu beschreiben 62 . „Die integrierende Funktion der Kommunikationsprozesse" besteht dann darin, „daß i h r Mitteilungssinn direkt oder indirekt auf Handlungssysteme verweist" und damit zugleich die „ E x i stenz bestimmter Handlungssysteme impliziert", so daß das System (für Smend: der Staat) i m „Austausch der Kommunikationen" konstituiert wird. Smends Beitrag zur Festgabe für Wilhelm Kahl über „Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform" aus dem Jahre 1923 stützt diese Interpretation mehr noch als seine große A b handlung „Verfassung und Verfassungsrecht" (1928). 1923 kennzeichnete er die Integration nämlich als einen notwendig kommunikativen „Vorgang der Auseinandersetzung von Gegensätzen" („durch Kämpfe der öffentlichen Meinung und Wahlen, durch parlamentarische Erörterung und Abstimmung"), i n dessen Verlauf schließlich die „Resultante der allgemeinen staatlichen Richtung und Wesensart immer wieder neu gewonnen" werde 6 3 . 1927 erscheint Integration demgegenüber als bereits latent vorhandene „geistige Realität" einer dauernd erlebten nationalen Gemeinschaft, als schon vorgeformte „geistig-soziale W i r k lichkeit" des „überempirisch aufgegebene(n) Wesen(s) des Staates" 64 . Hier w i r d also der staatlich organisierte Vorgang zu einem i m Gemeinschaftserlebnis erfahrenen Produkt umgebildet, das die staatliche W i l lenseinheit gerade wegen der Zwangsläufigkeit „dauernden Neuerlebt60 Verbindungen zwischen Integrationslehre u n d den systemtheoretischen Auffassungen bei T. Parsons u n d D. Easton zieht auch M. H. Mols, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie, S. 253 ff., 256 ff. 61 Grundrechte als Institution, S. 47. 62 Grundrechte als Institution, S. 46. 63 Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat, S. 85 (Hervorhebungen v o n mir). Die zitierten Passagen beziehen sich zwar ausdrücklich n u r auf die „Staatsform" des Parlamentarismus, doch hat Smend diese „dynamisch-dialektische" Integration von gesellschaftlicher Willensbildung zu staatlicher Entscheidung „vermöge der überall vorhandenen konstitutionellen Einschläge" auch auf die „übrigen Staatsformen" beziehen wollen (ebd., S. 87). 64 Vgl. Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 138 f.

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werdens" (Smend) immanent voranstellt 6 5 . Der gesellschaftliche Integrationsverlauf ist zu einem allgemeinen Integrationserlebnis geworden; Ablauf und Ergebnis der Integration vermischen sich zu einer irrationalen Erlebniseinheit, die nur noch als solche beschrieben werden kann. Heute gehen Smends wissenschaftliche Nachfahren wie Scheuner m i t Recht nicht mehr von einer vorgegebenen nationalen Gemeinschaft aus, weil die staatliche Gewalt „moderne(r) gesellschaftswissenschaftliche(r) Einsicht" zufolge nicht länger als „bestehende Willenseinheit" zu behandeln 6 6 und nicht „als etwas Vorfindliches" vorauszusetzen ist 6 7 . Wohl aber soll die „politische Einheit des Staates" als Ergebnis eines die unterschiedlichen sozialen Kräfte zu „einheitlichem Handeln und W i r ken" zusammenführenden Prozesses ständig „aufgegeben" sein 68 . Der daraus abzuleitenden „Formierungsbedürftigkeit des pluralistisch aufgespaltenen Volkswillens" 6 9 zu einheitlichem Konsens soll eine „Vorformung der politischen Willensbildung" dienen, die sich i n der öffentlichen Meinungsbildung sowie i n Verbänden und politischen Parteien vollzieht 7 0 . Dieser „Prozeß der Formung der politischen Richtung des Staates" 71 kulminiert schließlich i n staatlichen Entscheidungen als dem verbindlichen „Ausdruck" jenes Volkswillens 7 2 . Hierdurch aktualisiert sich zugleich der „Staat als ideelle Einheit" und realisiert damit die aufgegebene Integration 7 3 . I n der Kahl-Festschrift hatte Smend den Parlamentarismus bereits ganz ähnlich beschrieben als „einen Vorgang der Auseinandersetzung von Gegensätzen" m i t der „Resultante 65 Vgl. W. Bauer, Wertrelativismus u n d Wertbestimmtheit i m K a m p f u m die Weimarer Demokratie, S. 274. 68 U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen V e r fassungsordnung, i n : Festschrift für Gerhard Müller, S. 379 ff., 380. 67 K . Hesse, Grundzüge, 4. Aufl., S. 5. 68 So K . Hesse, Grundzüge, S. 5, der i n den ersten drei Auflagen seines Lehrbuchs an dieser Stelle (Fn. 21) darauf hingewiesen hat, daß der Begriff „politische Einheitsbildung" i m wesentlichen m i t dem von R. Smend i n „ V e r fassung u n d Verfassungsrecht" entwickelten Integrationsbegriff übereinstimme, das Entscheidende des „Vorgangs" jedoch weniger i m einheitsbildenden Erleben als i m bewußten Gestalten u n d Zusammenwirken zu erfassen suche. Ganz ähnlich V. Scheuner: „ B i l d u n g u n d Gewinnung eines einheitlichen Staatswillens aus der Auseinandersetzung verschiedener politischer u n d sozialer K r ä f t e " (Die Parteien u n d die A u s w a h l der politischen L e i t u n g i m demokratischen Staat, D Ö V 1958, S. 641 ff., 642. 69 K . Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien i m modernen Staat, V V D S t R L Heft 17 (1959), S. 18. 70 ü . Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22 (1965), S. 28. 71 U. Scheuner, D Ö V 1958, S. 642. 72 U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen V e r fassungsordnung, S. 380 f. 73 U. Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen V e r fassungsordnung, S. 380.

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der allgemeinen staatlichen Richtung und Wesensart" 74 . Unter gegenwärtigen Aspekten scheint es dann fast, als reduziere sich der Staat zu „einem Stück Selbstorganisation der modernen Industriegesellschaft" 75 . Tatsächlich liegt das scheinbar „Zwangsläufige am Integrationsprozeß" jedoch nicht i n der „Aufgegebenheit" (Hesse) eines sich autonom zu staatlicher Einheit aktivierenden Volkes, sondern, wie Luhmann mit Recht betont, „ i n der Tatsache, daß alles Verhalten i m staatlichen Relevanzbereich einen generalisierten, systembezogenen Ausdruckswert hat, ob es w i l l oder nicht, w e i l die Kommunikationschancen entsprechend strukturiert und institutionalisiert" sind 7 6 . Als „informatives Geschehen" ist Integration daher nur deshalb möglich, weil diese Kommunikation sich immer auf bereits existierende institutionelle Strukturen des Staates bezieht, die ihrerseits ständig als „spezifische Handlungen von Individuen i n besonderen Rollen" 7 7 konkretisiert werden. Folglich sind die „pluralistischen" Willensbildungsprozesse an diesem institutionellen Gegenüber, an staatlichen Entscheidungen und Möglichkeiten ausgerichtet. Damit aber werden die mehrheitlich gewählten Inhaber von Staatsämtern selbst zu Kommunikationspartnern und ihre Aktivitäten zu Faktoren i m Integrationsablauf. Dementsprechend hebt Hesse hervor, daß der „Staat" nicht allein als die aus dem „pluralistischen" Prozeß resultierende „politische Einheit" zu verstehen sei, weil damit das „institutionelle Moment moderner Staatlichkeit" übersehen werde. Vielmehr erhalte der Staat „Wirklichkeit und Leben nur i n dem sich bedingenden Nebeneinander jener beiden bewegenden und erhaltenden Faktoren, i n denen sich die Polarität von Rationalisiertem Gefüge 4 und ,irrationalem Spielraum 4 widerspiegelt" 7 8 . Ähnlich sieht es Scheuner: „Der Staat als ideelle Einheit besteht und aktualisiert sich i m Handeln von Personen . . . 7 Ö ." Dann vollzieht sich der staatliche „Lebensprozeß" i m Wege einer ständigen „wechselseitigen Beeinflußung und Einwirkung" zwischen der „politischen Leitung" und dem Volk. Zugleich könne es „keinen von der Einw i r k u n g der institutionellen Organe freien Raum politischer Meinungsbildung geben, w o h l aber Grenzen der zulässigen Formen des Einflusses" 80 . Uber diesen Hinweis hinaus w i r d zur Abgrenzungsfrage freilich nichts ausgeführt. 74

Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat, S. 85. K . Hesse, W D S t R L Heft 17 (1959), S. 18. 76 Grundrechte als Institution, S. 47 f. 77 N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 46. 78 W D S t R L Heft 17 (1959), S. 19. 79 Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 380; Hervorhebung von mir. 80 Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 381. 75

2. Teil, Kap. I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

Indem Scheuner jedoch derartige Einwirkungen auf das Volk für zulässig und erforderlich hält, weist er den Regierenden eine durchaus aktive Rolle bei der gesellschaftlichen Willensbildung zu. Dies ergibt sich auch aus seiner Ansicht, die staatlichen Formen und Verfahren der Willensbildung seien „daran orientiert", aus der Pluralität der i m Volk vorhandenen Auffassungen eine „am Mehrheitsentscheid und Konsens ausgerichtete politische Bestimmung zu formieren" 81. Da die zusammenfassende staatliche Einheitsbildung 8 2 , wie oben dargestellt, der — vor allem auf psychischem Einfluß beruhenden — Regierungsmacht obliegen soll, w i r d speziell die werbende Öffentlichkeitsarbeit als typische Methode regierungsseitig gesteuerter Intergration legitimiert. Eine gewisse Abhängigkeit gesellschaftlicher Willensbildung von der jeweiligen Regierungspolitik wäre dem „staatlichen Lebensprozeß" deshalb immanent und ebenso unvermeidbar wie die damit verbundene Schwächung kontrollierender K r i t i k , die letztlich weithin vom jeweiligen Regierungsermessen abhinge. 2. Kritik Die K r i t i k der Regierungstheorie Scheuners hat bei der Bestimmung des Begriffs „Regierung" einzusetzen. Dieser Begriff soll dem „Wesen des Politischen" entnommen werden, w e i l Regieren als oberste Staatsleitung auf das „Ganze des Staates" gerichtet sei 83 und sich folglich m i t dem Begriff des Politischen, der ebenfalls „vom Ganzen des Staates aus" definiert w i r d 8 4 , inhaltlich decke 85 . Da beide Begriffe also gleichermaßen von einer jeweils schon vorausgesetzten Funktion der zusammenfassenden Leitung des Staatsganzen her bestimmt sind, stellt Scheuners Ableitung des Regierungsbegriffs insofern eine petitio principii dar. Bei jener (von Smend aus der „Natur der Dinge") vorausgesetzten Leitungsfunktion handelt es sich freilich keineswegs u m eine Leerformel, denn dementsprechend umfassende, über die Gewaltenteilung hinausreichende Kompetenzen werden — wie w i r gesehen haben — dem Verfassungsorgan „Regierung" als höchstem Machthaber zugeschrieben 86 . Derart übergreifende Befugnisse stehen der Regierung i m gewaltenteilenden System des Grundgesetzes (vgl. A r t . 20 Abs. 2 81 Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 380; Hervorhebung von m i r . 82 Der Einheitsbegriff ist bis heute die zentrale Kategorie der Staatsauffassung Scheuners, vgl. Probleme der staatlichen Entwicklung der Bundesrepub l i k , D Ö V 1971, S. 1 ff., 2. 83 U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 268. 84 Der Bereich der Regierung, S. 272. 85 Der Bereich der Regierung, S. 275. 86 Vgl. U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 268, 278.

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GG) jedoch gerade nicht zu und können der Verfassung selbst für den Verteidigungsfall nicht entnommen werden, weil dann der Gemeinsame Ausschuß (Art. 53 a GG) die Rechte von Bundestag und Bundesrat wahrnimmt (Art. 115 e Abs. 1 GG), das Gewaltenteilungsprinzip also rechtlich erhalten bleibt 8 7 . Vor allem aber ist die zentrale Aufgabe der „Staatsleitung" verfassungsrechtlich nicht auf die Regierung beschränkt Wo dem Parlament das Budgetrecht zusteht (Art. 110 GG), das K a binett von seinem Vertrauen abhängig ist und jederzeit gestürzt werden kann (Art. 68 GG), wo das Parlament schließlich kraft seiner Gesetzgebungsgewalt und kraft des Vorrangs des Gesetzes fast jede beliebige Angelegenheit an sich ziehen kann, da kommt i h m rechtlich auch ein erheblicher Teil der politischen Staatsführung zu 8 8 . Diese Verfassungsrechtslage berücksichtigend hat Scheuner später entgegen seiner früheren Ansicht unter „Staatsleitung" „ i n erster Linie die Tätigkeit der Gesetzgebung und der Regierung, d. h. der richtungsbestimmenden Staatsorgane" verstehen wollen 8 9 . M i t der Ausdehnung des Begriffs „Staatsleitung" auf den Legislativsektor freilich verliert der hiervon abgeleitete Parallelbegriff „Regierung" seine kompetenzbegründende Bedeutung. Die verfassungsrechtlichen Kabinettszuständigkeiten dekken den funktional verstandenen Regierungsbereich dann nämlich nur noch partiell. Vor allem die der obersten Staatsleitung aus der „Natur der Dinge" zugeordnete „spezifische Integrationsaufgabe" könnte nicht ohne weiteres dem exekutivischen Führungsanteil zugeschlagen werden, so daß die entsprechende kompetenzielle Rechtfertigung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit zunächst entfiele. Eine klare A b grenzung ergäbe sich jedoch, indem man den legislativen Führungsanteil auf ausdrückliche Verfassungskompetenzen beschränkte, während der verbleibende exekutivische Machtbereich wiederum nur von den Erfordernissen der Verwirklichung oberster staatlicher Einheit bestimmt wäre. Da die erstrebte integrative Einheit aber notwendig nur einer ebenfalls einheitlichen Oberleitung aufgegeben werden kann 9 0 , sind entsprechende Ermächtigungen auch nur für monistische Regierungs87 Vgl. i m übrigen die Nachweise bei ff. Lenz, Der Umfang der gerichtlichen Prüfungsbefugnis, S. 63 ff.; zustimmend W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 75. 88 Vgl. ff. Lenz, Der Umfang der gerichtlichen Prüfungsbefugnis, S. 69 f. („Kombinierte Befugnisse"); W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 75; E. Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L Heft 16 (1958), S. 38, u n d R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 333, sprechen i n m. E. nicht sehr glücklicher Terminologie von „Staatsleitung zur gesamten Hand". 89 U. Scheuner, Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen, S. 260; ähnlich i n : Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, i n : Festschrift für Hans Huber, S. 231, 240. 90 Vgl. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 211; U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 277.

2. Teil, Kap. I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

systeme integrationstheoretisch sinnvoll begründbar. Insofern erscheint das Postulat einer höchsten Integrationsinstanz als „kleinen Kreises regierender Personen" 91 oberhalb der Gewalten durchaus konsequent. Sobald jedoch zugestanden wird, daß die „Staatsleitung" nach der Verfassung dualistisch aufgeteilt ist, lassen sich aus diesem Begriff weder spezifische oberste Integrationsaufgaben noch entsprechend umfassende Ermächtigungen für ein an solcher „Staatsleitung" beteiligtes Verfassungsorgan juristisch folgerichtig herleiten. I n der politischen Wirklichkeit stehen sich heute freilich — wie w i r gesehen haben — nicht Regierung und Parlament, sondern Regierung und Regierungspartei(en) einerseits und Opposition andererseits gegenüber. Da Fraktionsspitzen und Regierungsmitglieder regelmäßig den Führungsgremien ihrer Parteien angehören und denselben politischen Zielen des Regierungsprogramms verpflichtet sind, beherrscht dieser „kleine Kreis" mit seinen politischen Grundentscheidungen nunmehr tatsächlich Parlament und Regierung. Ungeachtet rechtlicher Kompetenzverteilungen ist das parlamentarische Regierungssystem dadurch zum „monistischen Regime" geworden, und es drängt mit seinem exklusiven Führungsteam über die Gewaltenteilung i m Sinne einer Funktionsdifferenzierung hinaus 9 2 . Das Wirken jenes Führungsteams w i r d vom integrationstheoretischen Regierungsbegriff m i t h i n durchaus zutreffend beschrieben. Indessen ist dieser Politiker-Kreis kein Verfassungsorgan, wenn er auch unter der Regierung Kiesinger als „Kreßbonner Kreis" faktisch eine gewisse formelle Position erlangt hatte. Er kann folglich nicht Träger irgendwelcher aus seiner tatsächlich-parakonstitutionellen Funktion hergeleiteter Kompetenzen sein. Daß seine Mitglieder i n ihrer Eigenschaft als Organwalter (Minister, Abgeordnete) derartige Ermächtigungen dem jeweiligen Führungsteam vermitteln, erscheint m i r aus diesen und den oben angeführten Gründen auch unter integrationstheoretischen Voraussetzungen kaum denkbar 9 3 . Die undemokratischen Grundstrukturen der integrationstheoretischen Regierungsauffassung zeigen sich jedoch weniger an solchen Widersprüchen zu — vom Grundgesetz ohnehin nicht konsequent durchgeführten — Gewaltenteilungsprinzipien, als vielmehr i n seinem Ver91 U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 283; Diskussionsbeitrag, W D S t R L Heft 16 (1958), S. 123. 92 Vgl. U. Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, i n : Festschrift für Gebhard Müller, S. 397; G. Leibholz, Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments, S. 299; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 292 f. 93 I m m e r h i n bemerkt Scheuner i n diesem Zusammenhang, die Staatslehre tue gut, „neben der Ausdeutung der Verfassungsnormen auch die i n ihrer A n w e n d u n g sich vollziehende faktische Entwicklung nicht aus dem Auge zu verlieren" (Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 402).

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ständnis „jenes kleinen Kreises regierender Personen" als obersten Souveränitätsträgers. Politische Entscheidungen i m — verfassungsrechtlich nur unvollständig und global verantwortlichen — Gubernativbereich 94 vertrügen keine vollinhaltliche Bindung als Ausführung von Verfassungsnormen, sondern seien wesensmäßig „selbständige Zielsetzung" 95 . Da diese Selbständigkeit also ausschließlich von der ganz allgemeinen, den unterschiedlichsten Konkretisierungen offenen (und schon deshalb hierfür kaum geeigneten) Regierungsaufgaben staatsleitender Integration begrenzt ist, w i r d das Regierungsgremium hierdurch faktisch souverän gestellt 96 . Dieses System beruht dann weitgehend auf dem „Vertrauen . . . , hier werde eine Regierung für das Volk geführt" 9 7 . Gerade die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit, die der Staatsleitung selbst dient, indem sie unmittelbar integrierend w i r k t , wäre nach werbender Intensität und Ausmaß normativ nicht beschränkt, sondern allein vom integrativen Selbstverständnis der insofern dezisionistisch Regierenden abhängig. So verstandene Öffentlichkeitsarbeit enthielte dann als Staatswerbung zugleich legitimerweise eine steigende Tendenz zur Propaganda, w e i l ihr Integrationseffekt m i t zunehmendem propagandistischen Raffinement zwangsläufig wächst. Von oben gelenkte psychotechnische Integration — vor allem mittels unterschwelliger Staatspropaganda — müßte auf die Dauer alle alternativen Meinungsbildungen und damit schließlich jede demokratische Willensbildung erdrosseln. Nur i m günstigsten Fall perpetuiert solche ständig gesteuerte Massenloyalität lediglich den i m westlichen Zwei-(Volks-)Parteiensystem gegenwärtig bereits fortgeschrittenen Trend zur amputierten „Demokratie" wechselnder Führungseliten 9 8 . Eine Regierungstheorie, die solchermaßen blindes Vertrauen i n den guten Willen der Regierenden an die Stelle verfassungsrechtlicher Bindungen setzt und überdies gezwungen ist, demokratische Legitimation letztlich weithin durch psychische Machtübung zu substituieren, erscheint unvereinbar m i t einer demokratischen Verfassungsordnung, derzufolge alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat (Art. 20 I I 1 GG) und die mindestens insofern auch normativ determiniert wird. 94

17. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 280. 17. Scheuner, Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen, S. 260; Hervorhebung v o n m i r . 96 Vgl. H. Lenz, Der Umfang der gerichtlichen Prüfungsbefugnis, S. 63. 97 17. Scheuner, Diskussionsbeitrag, W D S t R L Heft 16, S. 124; ähnlich i n : Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22, S. 28. 98 Vgl. 17. Scheuner, Diskussionsbeitrag, W D S t R L Heft 16, S. 124: „Das System vertraut auf die . . . B i l d u n g einer politischen Elite . . . " , die „das V e r trauen rechtfertigt, hier werde eine Regierung für das V o l k geführt". Nach H. Krüger obliegt die Aufgabe der „staatlichen Integration" einer „führenden Schicht" (Allgemeine Staatslehre, S. 361 ff.). 95

2. Teil, Kap. I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

I m System der integrationistischen Staatslehre könnten sich Legitimation und Grenzen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit dagegen allenfalls aus den Prinzipien staatlicher Einheitsbildung und des „Gemeinwohls" ergeben. Wenn der Staat ein „kontinuierlicher Lebensprozeß" ist, i n dem die verbindliche „politische Richtung" majoritär aus der „freien Auseinandersetzung der Kräfte" geformt w i r d " , so ist das Ergebnis als „Ausdruck des Volkswillens" mehr als ein bloßer Interessenkompromiß, nämlich „ideelle Einheit" 1 0 0 . Diese „Einheit" beruhe nämlich auf dem „Grundkonsens" aller und stehe insofern qualitativ über den partikulären Gruppenegoismen. Deshalb dürfen die mehrheitlich Regierenden auch ständig harmonisierend und lenkend auf den sie konsensual tragenden Integrationsvorgang der „Vorformung der politischen W i l lensbildung" einwirken. Zwar verselbständigt sich die „Staatsleitung" hierdurch immer mehr, doch läßt sich dies schließlich mit der von Scheuner betonten Notwendigkeit einer gemeinwohlorientierten I n stanz rechtfertigen. Der einzelne sei heute nämlich so sehr von gesellschaftlichen Machtgruppen abhängig, daß es notwendig werde, „den staatlichen Institutionen oberhalb dieser Gruppen eine am Gemeinwohl orientierte Aufgabe und Stellung zu erhalten" 1 0 1 . Damit ließen sich inhaltliche Grenzen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit allein aus der normativen Ordnung des „politischen Lebensprozesses" und des darin beschlossenen Gemeinwohlgebots ableiten. Bereits Smend hatte betont, daß die Verfassung die „gesetzliche Normierung einzelner Seiten" des auf die „Herstellung der Lebenstotalität des Staates" gerichteten Integrationsablaufes ist 1 0 2 . Blieb auch die Bedeutung des Lebensbegriffes der Integrationstheorie ziemlich u n k l a r 1 0 8 , so wurde sie jedenfalls für die Verfassungsinterpretation als „Lebenswirklichkeit", modern gesprochen als „Verfassungswirklichkeit", konkretisiert. Soweit eine Verfassung diese Lebenswirklichkeit 99

U. Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22 (1965), S. 28. U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen V e r fassungsordnung, S. 380. 101 Das Grundgesetz i n der Entwicklung zweier Jahrzehnte, AöR 95 (1970), S. 353 ff., 377; D Ö V 1971, S. 5; ähnlich R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 220, 296, 341; vgl. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 763 ff. 102 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 189. 100

103 N. Luhmann zufolge bestand seine F u n k t i o n p r i m ä r i m Schutz vor empirischer K o n t r o l l e (Grundrechte als Institution, S. 44 Fn. 14). Z u r Herk u n f t des von Smend „geradezu zum Range eines Arguments erhobenen Wortes ,Leben'" sowie zu den Verbindungen von Integrationslehre u n d den Theorien W. Diltheys u n d Th. L i t t s vgl. H. H. Mols, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie?, S. 144; dort (S. 173) findet sich auch eine Verteidigung der „hermeneutischen Erkenntnishaltung" Smends, die seinen Aussagen „die Gewißheit des Zeugnisses des gebildeten Bürgers" (!) verliehen haben soll.

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nicht strikt i m einzelnen festlege und ihr gegenüber „als streng heteronome Norm" gelten wolle, lasse sie daher der „Integrationstendenz des Verfassungslebens und seiner Neigung zur Selbstgestaltung freien L a u f " 1 0 4 . Wegen dieser Vermutung zugunsten der autonomen Normativität politischer Realitäten 1 0 6 müßte auch die i m Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnte Öffentlichkeitsarbeit als Integrationsfaktor par excellence i n diesen sich faktisch legitimierenden Bereich fallen. Tatsächlich rechtfertigt z.B. Häberle die derzeitige „Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften" ganz global, indem er von der „Totalität des Lebensprozesses, i n dem sich Staat und Volk i n ständiger Begegnung, Wechselwirkung und Verklammerung i m Rahmen der Verfassung verwirklichen", ausgeht 106 , allein m i t der Begründung, daß „diese Öffentlichkeitsarbeit unter den Bedingungen heutiger Wirklichkeit (!) dem demokratischen Willensbildungsprozeß unverzichtbar" zugehöre 107 . Der verfassungsfremde Begriff des „staatlichen Lebensprozesses" bietet m i t h i n keine rechtliche Begrenzung derartiger Öffentlichkeitsarbeit. Dasselbe gilt von dem fiktiven, auf etatistische Einheitsvorstellungen basierten Gemeinwohlprinzip. Verbindliche Entscheidungen werden heute nämlich nicht von einer „desinteressierten, ,gemeinwohlorientierten' Instanz" getroffen, sondern von Exponenten der jeweils über den Staatsapparat gebietenden „regierenden" Gruppen 1 0 8 . Die rasch wachsende Verflechtung technologischer, ökonomischer und sozialer Prozesse hat zu einer entsprechend gestiegenen politischen Abhängigkeit an sich antagonistischer gesellschaftlicher Gruppen geführt. I m Verlauf dieser Entwicklung übernahm der Staat als umfassende Gebietsorganisation die Garantie privater Lebensbedingungen durch Steuerung und Lenkung jener interdependenten Prozesse, indem er immer größere Teile des gesellschaftlich erarbeiteten Sozialprodukts an sich zog, u m es sodann mehr oder minder gezielt zu verteilen. Der politische Kampf gesellschaftlicher Kräfte u m die staatliche Macht ist damit vor allem eine Auseinandersetzung über diese Umverteilungskompetenz. M i t Recht betont Preuß daher, daß diese Auseinandersetzung „keine irgendwie geartete wirkliche oder io4 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 191; zur K r i t i k an diesem V e r fassungsverständnis vgl. W. Bauer, Wertrelativismus u n d Wertbestimmtheit i m K a m p f u m die Weimarer Demokratie, S. 285 ff. los v g l . auch U. Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 402. 106 Unmittelbare staatliche Parteifinanzierung unter dem JuS 1967, S. 64 ff., 66 f. 107 JuS 1967, S. 69. 108 Vgl. U . K . Preuß, Z u m staatsrechtlichen Begriff des S. 163.

Grundgesetz,

öffentlichen,

2. Teil, Kap. I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

geistige, geschweige denn ökonomische oder soziale Homogenität der Gebietsbevölkerung" hervorzubringen vermag, sondern lediglich die zeitlich limitierte Verfügungsmacht über den — als solchen zunehmend entpolitisierten — Staatsapparat für die je überlegenen politischen Kräfte 1 0 9 . I m parlamentarischen System w i r d die Kompetenz zu verbindlichen Entscheidungen also durchaus einseitig für jeweils eine Wahlperiode an die parteimäßig mehr oder minder festgefügte regierende Mehrheit übergeben. Wenn sich deren Interessen i m Ergebnis nicht ebenso einseitig durchsetzen, so liegt das daran, daß bestimmte außenstehende Gruppen nicht übergangen werden können, w e i l eine sanktionsförmige Verweigerung ihrer Mitarbeit die Funktionsfähigkeit des politischen Systems insgesamt gefährden müßte. Damit erweisen sich staatliche Entscheidungen immer deutlicher als Kompromisse der regierenden Kräfte m i t Vertretern „konfliktsfähiger" Interessen, nicht aber als Produkte geläuterter Gemeinwohlerkenntnis. Wie wenig verbindliche Dezisionen als Substrat solcher Auseinandersetzungen gar die „politische Einheit" des Ganzen verkörpern, w i r d klar, wenn man bedenkt, daß nicht konfliktsfähige Interessen i n jene Kompromisse kaum eingehen 110 . Gegenläufige Tendenzen könnten hier allenfalls aus dem sozialen Bereich politischer Minoritäten heraus entwickelt werden, nicht jedoch von den primär unter dem „Konsens" konfliktmächtiger Interessen regierender Mehrheiten. Die Regierung kann deshalb weder zum Repräsentanten „ideeller Einheit" und eines abstrakten „Gesamtwohls" hypostatiert werden, noch wäre es verfassungsrechtlich zulässig, jenen majoritären Konsens vermittels amtlicher Propaganda gegen Alternativkonzepte zu immunisieren. Den Regierenden fällt damit zwar die verfassungsmäßig begrenzte Kompetenz zu rechtsverbindlichen Entscheidungen, nicht aber die Befähigung zur allgemeingültigen Konkretisierung eines vereinheitlichten „Gemeinwohls" zu, das sie i m Wege werbender Öffentlichkeitsarbeit durchsetzen dürften. Autoritäre Fiktionen wie „politische Einheit" und „Gemeinwohl" vermögen deshalb ebenso wenig wie die hiervon abgeleiteten verfassungsfremden Globalbegriffe „Integration" und „Staatsleitung" rechtliche Kompetenzen für konkretes Staatshandeln zu begründen. Leisner hat derartige Versuche polemisch auf eine „eigenartige Unterwanderung des Staatsrechts . . . durch die allgemeine Theorie" zurückzuführen versucht 1 1 1 , doch halte ich diese Erklärung für gefährlich allgemein. Sie legt den I r r t u m nahe, daß staatstheoretische Fundierun109 110 111

Z u m staatsrechtlichen Begriff des öffentlichen, S. 163, 169. Vgl. dazu C. Offe, Politische Herrschaft u n d Klassenstrukturen, S. 182 ff. Öffentlichkeitsarbeit, S. 78.

A . Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe integrierender Staatsleitung

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gen dem verfassungsrechtlichen Denken generell schadeten. Demgegenüber wäre gerade heute, da „Demokratie als Kernstruktur der Verfassung" normiert ist 1 1 2 , eine demokratische Theorie unerläßliche Basis aller Staatsrechtslehre. Die Integrationstheorie allerdings hat ihre „Erkenntnis von der Dialektik des Ich- und Kollektivbegriffs" 1 1 3 nicht verfassungsrechtlich aufzulösen vermocht und vernachlässigt deshalb — wie Smend selbst erkannt hat — eben das demokratische Element der Willensbildung fast völlig 1 1 4 . Hier liegt der Grund für die konstitutionelle Unzulänglichkeit entsprechender Regierungstheorien. Dabei schlagen sich autoritär verwurzelte Staatsvorstellungen heute nicht i n Diktaturpostulaten, sondern i n einseitiger Betonung des Repräsentationsprinzips als „absorptiver" Repräsentation 116 nieder, der ein formaler Wahlakt als demokratische Legitimation ansonsten ungebundener Gemeinwohl-Repräsentanten genügt 1 1 6 . M i t Recht hat Scheuner i n diesem „aristokratischen Element" die Gefahr einer zu großen Entfernung der Staatsleitung von der legitimierenden Bestellung durch das Volk und „ i n dem Schwinden der für jede Repräsentation nötigen Nähe zum Volk die spezifische Entartungsmöglichkeit eines repräsentativen Systems" gesehen 117 . Gerade die integrationistische Regierungsauffassung leistet diesem verfassungswidrigen Zustand indessen theoretischen Vorschub, indem sie solcher „Entartung" lediglich die Notwendigkeit des „Vertrauens" der Repräsentierten i n die Integrität der Repräsentanten entgegenstellt 118 . I I I . Öffentlichkeitsarbeit als Instrument effizienter „Demokratizität" (W. Leisner)

1. Darstellung Leisner möchte solche Fehler der integrationistisch beeinflußten Staatslehre bewußt vermeiden und sucht deshalb die „Öffentlichkeitsarbeit der Regierung i m Rechtsstaat" aus dem „Staatsziel der Demo112 So R. Smend, Deutsche Staatsrechtswissenschaft vor hundert Jahren — u n d heute, i n : Festschrift für Ad. A r n d t , S. 451 ff., 460. 113 Vgl. R. Bartelsperger, Die Integrationslehre Rudolf Smends als G r u n d legung einer Staats- u n d Rechtstheorie, S. 17. 114 R. Smend, Stichwort „Integrationslehre", S. 480. 115 Z u diesem Ausdruck vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 673, 677. 116 Vgl. z. B. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 893. 117 Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, S. 231. I n teressanterweise behandelt Scheuner die „Staatsleitung" i n diesem Zusammenhang erstmals als eine „Regierung und Parlament" übertragene Aufgabe. 118 Vgl. U. Scheuner, AöR 95 (1970), S. 371.

2. Teil, Kap. I : Öffentlichkeitsarbeit a s Regierungstechnik

kratie" heraus zu rechtfertigen 119 . Da alle Staatsgewalt nicht unmittelbar vom Volke ausgehen könne, sei die demokratische Zielbestimmung dahin aufzufassen, daß die Staatsgewalt „ i n größtmöglicher Nähe zum Volke" ausgeübt werden müsse. Nur dann könne sich die speziell für eine repräsentative Demokratie lebenswichtige öffentliche Meinung i m Wege der Meinungsäußerungsfreiheit, Pressefreiheit und Oppositionsmöglichkeit sinnvoll entfalten. Wertende, kritische Meinungsbildung erscheint jedoch nur anhand von Informationen möglich. Damit aber werde die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Regierungsarbeit und ihre Ziele nicht nur zu einem M i t t e l demokratischen Regierens, sondern stelle „den Endzustand selbst her, dem die Demokratie zustrebt" 1 2 0 . I n der Tat kann die „öffentliche Meinung" nur dort „irgendwie ,mitregieren'" 1 2 1 , wo sie informiert ist, mit-vorherzusehen vermag und selbst echte Alternativen hervorbringen kann 1 2 2 . I n dem Maße, i n dem informierende Öffentlichkeitsarbeit damit als Grundbedingung demokratischer Willensbildung erscheint, müßte sich „allgemein werbendes Handeln der Regierung" dem demokratischen „Mit-Regieren des Volkes, also dem „Staatsziel Demokratie" abtäglich erweisen. Werbung w i l l nämlich nicht Material für freie Meinungsbildung liefern, sondern deren Ergebnisse zielgerichtet beeinflussen: Meinungen steuern, ein bestimmtes Verhalten hervorrufen, kurz Menschen psychisch lenken. Dementsprechend hält Leisner werbende Öffentlichkeitsarbeit für unzulässig, soweit sie die freie Diskussion lenkt oder unterdrückt. Dennoch soll die Regierung ihre Arbeit nicht nur als „kalte Tatsache, sondern m i t werbender Wärme" vortragen dürfen, w e i l der „Versuch, das Volk für etwas zu gewinnen, nicht als undemokratisch angesehen werden" könne, soweit solches nicht oppositionellen Kräften unmöglich gemacht werde. Diese Behauptung freilich w i r d unter einer demokratischen, auf dem Volkssouveränitätsprinzip basierenden Verfassung solange leerformelhaft bleiben, wie nicht die Wendung „das Volk für etwas gewinnen" inhaltlich genauer bestimmt ist. Von seiner Ausgangserwägung her, derzufolge Regierungsmaßnahmen i n einer Demokratie vor allem „diskutabel" sein müßten, versucht Leisner den werbenden Charakter regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit nun dadurch zu rechtfertigen, daß er sie stets als Diskus119

Öffentlichkeitsarbeit, S. 82 ff. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 63. 121 So der Ausdruck Leisners, Öffentlichkeitsarbeit, S. 84. 122 Vgl. hierzu auch H.-U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 92 ff., 102 f., wo Öffentlichkeit staatlichen Handelns grundsätzlich zutreffend als Funktionsvoraussetzung der sog. Kommunikationsgrundrechte (insbes. A r t . 5, 8, 9 GG) herausgearbeitet w i r d . 120

A . Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe integrierender Staatsleitung

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sionsbeitrag i m öffentlichen Disput gewertet sehen möchte. N u r das relative K r i t e r i u m einer „Diskussionswahrheit" sei deshalb solcher Werbung angemessen, m i t der die Regierung auf andere ähnliche Thesen i m politischen Meinungskampf quasi debattierend erwidere. Da das Staatsziel der Demokratie ein Gegenspiel solcher „ThesenWahrheiten" zwingend voraussetze, könne die Verfassung den „Inhalt von Äußerungen, Mitteilungen, Stellungnahmen . . . gar nicht allein nach dem (angeblichen) Wahrheits- oder ,Tatsachen'-Gehalt beurteilt wissen w o l l e n " 1 2 3 . Diese Folgerung ist indessen kaum haltbar, weil sie auf falschen Prämissen beruht. Demokratisch zu rechtfertigen wäre die Verbreitung regierungsamtlicher „Thesen-Wahrheiten" nur, wenn sich Regierung und Aktivbürgerschaft hierbei i n permanenter Diskussion als gleichberechtigte und gleich-informierte Partner interaktiv gegenüberständen. Andernfalls handelte es sich u m bloß autoritäre Meinungslenkung. Eine einigermaßen „herrschaftsfreie" Kommunikation setzt insbesondere voraus, daß stets sofort und (informations-) fundiert entgegnet werden kann, wie dies etwa i n Parlamentsdebatten zwischen Regierung und Abgeordneten durch institutionelle Vorkehrungen (Fragerecht, Regierungsverantwortlichkeit) ermöglicht werden soll. Vergleichbare organisatorische Voraussetzungen für eine ständige interaktive Kommunikation von Regierung und Aktivbürgerschaft kennt unser parlamentarisches System kaum. Der repräsentative Staatstypus schließt das direkte „Gespräch" m i t den Regierenden praktisch aus. Die Kommunikation bleibt hier notwendig einspurig, w e i l Entgegnungen des Bürgers regelmäßig nur institutionell, d.h. allein indirekt vermittelt werden. Unter solchen Bedingungen w i r k t jede an die Bevölkerung gerichtete Regierungswerbung folglich nicht als Diskussionsbeitrag zur kooperativen Erarbeitung von Entscheidungen, sondern einseitig, unbeantwortbar und manipulativ als psychische Herrschaftsausübung. Auch Leisner weiß sehr wohl, daß amtliche Öffentlichkeitsarbeit heute gerade zu solchen Zwecken eingesetzt w i r d : Die Position der Regierung zu festigen, u m so „an der Macht zu bleiben oder diese zu erweitern" 1 2 4 . Da derartige Bemühungen also nicht einem Diskussionsund Entscheidungspartner, sondern dem zwangsläufig eher passiven Publikum gelten, läßt RegierungsWerbung sich seihwerlich als subjektiver Beitrag zu einer allgemeinen Diskussion rechtfertigen. Für Leisner ist das von i h m herangezogene Diskussionsmoment freilich auch nur ein durchaus sekundärer Aspekt des Problems. Amtliche Öffentlichkeitsarbeit sei nämlich gerade „nicht primär der Freiheits123 124

W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 86. Öffentlichkeitsarbeit, S. 72.

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

Sicherung, sondern ganz ersichtlich einem rechtlich faßbaren anderen Prinzip zugeordnet: dem der „Effizienz der technischen Verwaltungsarbeit". Folglich solle sie „nicht . . . so sehr die ,Freiheitlichkeit 4 der Deutschen stärken", sondern ziele „auf etwas Elementares, auf dem allein jene aufbauen kann: auf reinen Rechtsgehorsam 11125. Besonders die Exekutive als „letzter ausführender und als wichtigster A r m des Staates" sei auf den „Rechtsgehorsam" der Normunterworfenen bei der letzten Normkonkretisierung notwendig angewiesen. Die Rechtfertigung und Erklärung der Gesetze und Verordnungen sowie künftiger gesetzgeberischer Vorhaben obliege deshalb als Öffentlichkeitsarbeit rechtlich der Verwaltung, nicht der Legislative 1 2 6 . So müsse der Staatsbürger etwa auf dem sich ausbreitenden Feld des (nicht öffentlich beschlossenen) Verordnungsrechts aufgeklärt werden, u m ihm die Befolgung zu erleichtern und den Einsatz unnötigen Hoheitszwanges zu verhindern 1 2 7 . Zwar seien „aus technischem wie politischen Gründen" Einzeldirektiven bei der Ermessensausübung, der Behördenorganisation und der Motivation von Verordnungen besonders auf Regierungsebene regelmäßig nicht öffentlich. Jedoch reiche es hier für das Informationsbedürfnis der Staatsbürger aus, „gemeinsame höchste Prinzipien" bekanntzugeben, auf denen Einzelmaßnahmen beruhen 1 2 8 . Gerade der Regierungsbereich stellt nach Leisner eine typische Kombination von Ermessensmacht auf den Gebieten der Gesetzes-, Verordnungs- und Verwaltungspolitik zur einheitlichen Regierungspolitik dar 1 2 9 . Die hierbei notwendigen Koordinationsaufgaben erforderten auch aus diesen Gründen die „Darstellung der generellen Entscheidungssituation". Die rechtsstaatliche Forderung nach prinzipieller Voraussehbarkeit mache solche Darstellungen des „allgemeinen Entscheidungsraums" auch dann notwendig, wenn darin „noch keine konkrete Dezision" erfolgt sei oder erfolgen könne. Hierdurch werde die „oft sehr breite Informationstätigkeit des B P A " gedeckt 130 . N u n sichert freilich allein die Bekanntgabe von Vorschriften, allgemeinen Richtlinien und Plänen noch nicht ihre Befolgung, d. h. den effizienzsteigernden „Rechtsgehorsam". Folgerichtig sieht Leisner deshalb die Aufgabe amtlicher Öffentlichkeitsarbeit zugleich darin, den hierfür erforderlichen „Zwang" durch das billigere und mildere M i t tel der „Überredung" zu ersetzen. Aus den erwähnten Gründen kann 125

W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 81, Hervorhebungen von mir. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 95. 127 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 91; ebenso H.-U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 124. 128 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 96. 129 Öffentlichkeitsarbeit, S. 95 f.; Regierung als Macht kombinierten E r messens, JZ 1968, S. 727 ff. 180 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 96. 126

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vermittels derart überredender Öffentlichkeitsarbeit freilich wiederum nur ganz generell und unspezifisch zu grundsätzlichem Rechtsgehorsam gegenüber staatlichen Entscheidungen motiviert werden. Es geht also um die Anregung, Erhaltung und Intensivierung „allgemeiner Loyalität" 1* 1. Sicherlich erleichtert eine solche Grundeinstellung der Bevölkerung die Normanwendung und steigert die Effizienz der Exekutive. Diese Effizienz Verstärkung w i r d u m so größer, je mehr man über neutrale „Aufklärungstätigkeit" hinaus durch intensive Werbung Verständnis und schließlich einverständliche Zustimmung weckt. Konsequent folgert Leisner, daß die „Verwaltungsaufgabe der Regierung" einen Auftrag zur allgemeinen Loyalitätssteigerung durch generelle Aufklärung und durch Werbung enthalte. Bei dem heutigen Ausmaß der Verwaltungsaufgaben sei der umfassende Charakter dieser Rechtfertigung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit „kaum zweifelhaft", solange „noch irgendein Bezug auf jene Aufgaben" bestehe 132 . Entsprechende Werbekampagnen könnten auch nicht als „undemokratisch" angesehen werden: Soweit dies „ehrlich-spontane Zustimmung" auslöse, komme,,, vom Volk 4 i m besten Sinne die ,Gewalt* als konkrete Selbstdisziplin und allgemeine L o y a l i t ä t " 1 3 3 . „Unbestritten" primäres Organisationsprinzip der Hoheitsgewalt — und damit auch der Regierung — sei gerade dieser — von Leisner als „Demokratizität" bezeichnete — Zustand. „Demokratizität" setze solche Öffentlichkeitsarbeit deshalb „zwingend" voraus und rechtfertige jede Intensität dieser Bemühungen, soweit sie nicht „diskussionsfeindlich" w i r k t e n 1 3 4 . Auffälligerweise bemüht der Autor zur allgemeinen Rechtfertigung der Tätigkeit des B P A also nicht länger das zunächst anvisierte „Staatsziel Demokratie", sondern verwendet einen neuen, verfassungsfremden Begriff. Die Gründe hierfür werden jedoch erst i m weiteren Verlauf des Gedankenganges deutlich. Vorerst fragt man sich, wo die Schranken amtlicher Öffentlichkeitsarbeit liegen, d. h. wie die vage Grenze der „Diskussionsfeindlichkeit" rechtlich genauer bestimmt wird. Leisner qualifiziert regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit zunächst — analog zum Begriff der „schlichten HoheitsVerwaltung" — als „schlichte Regierungstätigkeit" 1 3 5 und sieht dann i n den Grundrechten notwendig „punktuelle Schranken der Informationstätigkeit" 1 3 6 . Ein131 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 85, 92, 95; ähnlich auch H.-U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 124. 132 Öffentlichkeitsarbeit, S. 95. 133 Öffentlichkeitsarbeit, S. 85. 134 Öffentlichkeitsarbeit, S. 86. 135 Öffentlichkeitsarbeit, S. 86 - 103. 136 Öffentlichkeitsarbeit, S. 120.

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Kempen

2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

schlägig seien vor allem die i n A r t . 5 GG niedergelegten Rechte. Hinsichtlich der Informationsfreiheit, insbesondere zum Auskunftsrecht der Presse w i r d zutreffend festgestellt, daß hiervon angesichts der weiten Ausnahmeregelungen i n den Landespressegesetzen kaum mehr als die Pflicht der Behörde übrigbleibe, abzuwägen, ob und inwieweit der Informationsanspruch durch überwiegende öffentliche oder private Gegeninteressen ausgeschlossen werde 1 3 7 . Dies sei indessen keineswegs demokratieschädlich, w e i l eine Verstärkung der Auskunftspflicht zur „Uniformierung der Information" führen müsse und damit als „Bedrohung der Freiheit" w i r k e 1 3 8 . Das Ausmaß der Öffentlichkeitsarbeit könne dem Grundrecht der Meinungsfreiheit ohnehin nicht entnommen werden, es ergebe sich nicht aus A r t . 5 GG, sondern allein aus dem Verständnis des „Staatszieles der Demokratizität" 1 3 9 . Immerhin sei amtliche Öffentlichkeitsarbeit „geeignet", die Rechte aus A r t . 5 GG „schwer zu beeinträchtigen" 1 4 0 . Aus dieser Möglichkeit dürfe jedoch entgegen H. Lenz141 nicht auf ein generelles Verbot von „Staatsmeinungen" und staatlicher Werbung geschlossen werden. Einerseits sei die Trennung von Information und Werbung nämlich praktisch undurchführbar, andererseits müßten entsprechende Versuche „die Exekutive i n undynamische Technizität verbannen" und den „propagandistischen" Angriffen von Parlament und Opposition derart aussetzen, daß es „keinen Sinn mehr" hätte „ u m eine Macht zu kämpfen, deren Besitz zur immobilen Zielscheibe macht" 1 4 2 . Nach Leisner soll Öffentlichkeitsarbeit lediglich nicht so „intensiv werden, daß sie staatlichem Zwang i n ihren Auswirkungen i n etwa gleichkommt". Es dürften dabei „keine wesentlichen (!) Einbrüche i n die Meinungsfreiheit der Bürger" erfolgen 1 4 3 . Insgesamt sei dann alles zu vermeiden, „was oppositionellen oder anderen nichtstaatlichen Kräften eine gleichgewichtige Öffentlichkeitsarbeit unmöglich machen könnte" 1 4 4 . Angesichts der unbestimmten Weite solcher fast gänzlich offenen K r i t e r i e n 1 4 5 fragt sich auch Leisner, ob eine diesen Spielraum v o l l ausschöpfende Öffentlichkeitsarbeit i n ihrer „unmittelbaren Beeinflussung der öffentlichen Meinung und dam i t des Wahlausgangs, i n der Verstärkung . . . der Schlagkraft der 137

Öffentlichkeitsarbeit, S. 124 f. Öffentlichkeitsarbeit, S. 126. 139 Öffentlichkeitsarbeit, S. 132. 140 Öffentlichkeitsarbeit, S. 133. 141 Rundfunkorganisation u n d öffentliche Meinungsbildungsfreiheit, J Z 1963, S. 338 ff., 342 f. Z u r Darstellung dieser Auffassung vgl. unten S. 156. 142 Öffentlichkeitsarbeit, S. 136 f. 143 Öffentlichkeitsarbeit, S. 138. 144 Öffentlichkeitsarbeit, S. 139. 145 H. Lenz, i n : H a m a n n / L e n z , A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182), zufolge w i r d hier „nicht eine einzige trennscharfe M a r k e " zwischen Information u n d Propaganda gesetzt. 138

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Regierungsparteien" und schließlich infolge der „allgemeinen Loyalitätssteigerung gegenüber der Regierungsgewalt" die „Machtprämie" 1 4 6 , der Regierenden über ein Maß hinaus vergrößere, das m i t dem legalen Machtbesitz der Mehrheitsparteien „weder ausdrücklich noch denknotwendig verbunden" sei 1 4 7 . Dennoch w i r d selbst dieses Bedenken zurückgewiesen. Die Prämie des Machtbesitzes sei nämlich dadurch kompensiert, daß regierungsmäßige Machtübung ständig kritisiert und deshalb der Gefahr des Machtverlustes ausgesetzt werden, daß also eine „Abnutzung der Macht" stattfinde 1 4 8 . Die Allgemeinheit von „Entscheidungsnotwendigkeiten" i m Regierungsbereich bedingte ein sehr allgemeines „ B i l d " solcher generellen Situationen. Überdies könne die „psychologische Anspannung" bei einem stets kritisierten Handeln nur dann gemildert werden, wenn auch „aktive Verteidigung i n Form gemäßigter Propaganda (!) für die Regierungstätigkeit" ermöglicht werde. Schließlich verstärke jede Regierungs-Öffentlichkeitsarbeit als „Material zur Antithesenbildung" die Machtchance der Opposition. Bestärkung wie Verminderung der Machtprämie bestünden als „institutionelle Möglichkeiten" i n der Funktion des B P A und rechtfertigten dessen Tätigkeit allgemein. Da sich das Ausmaß dieser Wirkungen jedoch „quantitativ nicht rechtlich fassen" lasse, lägen hierin „keinerlei allgemeine oder spezielle Schranken" 1 4 9 . Den trotz alledem unleugbaren Vorsprung der Regierungsseite rechtfertigt Leisner schließlich unter Hinweis auf die „Redezeitentscheidung" des Bundesverfassungsgerichts 1 5 0 m i t der selbständigen Stellung der Regierung als obersten Exekutivorgans i m Verfassungsgefüge 151 . Die Argumentation kehrt also zu dem früher hervorgehobenen Gedanken einer generellen Legitimation amtlicher Öffentlichkeitsarbeit zurück: Regierungstätigkeit als Ermöglichung der Normanwendung durch aufklärende Werbung und allgemeine Loyalitätssteigerung 1 5 2 . Alle dargestellten Grenzen dieser Tätigkeit sind von Leisner bewußt weit — und damit kaum praktikabel — gefaßt: Nicht vor „jeder fernen Möglichkeit der Beeinträchtigung frem146

Vgl. hierzu C. Schmitt, Legalität u n d Legitimität, S. 291 f. Öffentlichkeitsarbeit, S. 154. 148 Öffentlichkeitsarbeit, S. 154. 149 Öffentlichkeitsarbeit, S. 155; vgl. hierzu auch den ähnlichen Gedankengang bei H.-17. Jerschke (Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d I n f o r mationsrecht der Presse, S. 154 ff.), der i n diesem Zusammenhang den Beg r i f f der „Staatspflege" (H. Krüger) wiederaufnimmt. 160 BVerfGE 10, S. 4 ff., 19; hierzu kritisch: A. Arndt, Das nicht erfüllte Grundgesetz, S. 19; H. Ridder, I n Sachen Opposition: A d o l f A r n d t u n d das Bundesverfassungsgericht, S. 337. 151 Öffentlichkeitsarbeit, S. 158 f. 152 Öffentlichkeitsarbeit, S. 95. 147

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der Rechte" habe das B P A zurückzuweichen, die jeweiligen Schranken müßten vielmehr „eindeutig und schwerwiegend" überschritten sein 1 5 3 . Nun wäre ein umfassende, lupenreine Information dem eingangs als Staatsziel der Demokratie hervorgehobenen „Prozeß echter, demokratischer Meinungsbildung" 1 5 4 zweifellos dienlicher. Leisner zufolge soll regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit jedoch — ebenso wie alle anderen „Tathandlungen" der Hoheitsverwaltung (im Gegensatz zur „Eingriffsverwaltung" verstanden) — stets „unter dem höchsten Rechtsgrundsatz, wenn nicht Rechtssatz der Effizienz des Handelns" stehen 155 . Da eine effizient arbeitende Exekutive vor allem auch dem Zwang zu genereller Loyalitätsbeschaffung unterliege 1 5 6 , dürfe ihre Öffentlichkeitsarbeit auch nicht unmittelbar am demokratischen Prinzip der „Freiheitssicherung" gemessen werden, sondern habe von Rechts wegen zuvörderst Effizienz, Durchschlagskraft, Genauigkeit und Zielstrebigkeit der Arbeit sicherzustellen, „ w e i l hier die Effizienz zum Recht" werde. Die Grundrechtsverwirklichung bleibt demgegenüber subsidiär 1 5 7 . Das Demokratiegebot könnte hier folglich nur gelten, soweit der vorrangige Effizienzaspekt es zuläßt. Offenbar aus diesem Grund wurde regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit nicht direkt dem „Staatsziel Demokratie", sondern einem aus primären Effizienzgesichtspunkten elastisch reduzierten „Grundsatz der Demokratizität" unterstellt 1 5 8 . Ob „Demokratizität" dann ganz allgemein ein funktionsgerechtes Verhältnis von Effizienz und Demokratie bezeichnen soll, ist den Ausführungen Leisners nicht sicher zu entnehmen. Die Öffentlichkeitsarbeit des B P A jedenfalls erscheint als notwendiges M i t t e l effizienter „Demokratizität" vollauf legitimiert. 2. Kritik Für Leisner dient amtliche Öffentlichkeitsarbeit nach alledem nicht einer Erweiterung demokratischer Partizipationsmöglichkeiten, sondern i n erster Linie der „Überredung" zum „Rechtsgehorsam". Die legitimierende Aufgabe solcher Bemühungen w i r d vor allem i n der Durchsetzung von Entscheidungen gesehen anstatt i n einer Beteiligung an der Entscheidungsfindung. Letztlich geht es also darum, diffuse Zustimmung i n Form von „konkrete(r) Selbstdisziplin und allgemeine(r) 163

Öffentlichkeitsarbeit, S. 165. Öffentlichkeitsarbeit, S. 84. 155 Öffentlichkeitsarbeit, S. 165; vgl. zur „Effizienz" als Grenze der Öffentlichkeitspflicht der Exekutive H.-U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exek u t i v e u n d Informationsrecht der Presse, S. 141 ff. 156 Öffentlichkeitsarbeit, S. 81, 95. 157 Öffentlichkeitsarbeit, S. 165. iss vgl, Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 85. 164

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L o y a l i t ä t " 1 5 0 der Gewaltunterworfenen hervorzurufen (Grundtendenz: werbende Öffentlichkeitsarbeit), nicht aber darum, ein sachverständiges Problembewußtsein bei kritisch-verantwortlichen Bürgern zu wecken (Grundtendenz: objektive Information). Diese Reduzierung des Demokratieprinzips dürfte bereits i m Ansatz der Untersuchung liegen. Nicht der konstitutionell normierte Willensbildungsprozeß, anhand dessen regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit als ein Instrument der Meinungsbeeinflussung zu legitimieren wäre, steht i m Mittelpunkt, sondern jene „neue Erscheinungsform der Regierungstätigkeit" selbst 160 . Da Öffentlichkeitsarbeit hierbei tatsächlich allein von ihrer äußeren „Erscheinungsform", von ihren faktischen Auswirkungen, d. h. ihrer „Output-Leistung" (Steigerung des Rechtsgehorsams) her beurteilt wird, kann sie unschwer der gleichfalls unter solchen Effektivitätsaspekten (Ermöglichung effizienter Normanwendung i m weiteren Sinn) verstandenen „Demokratizität" unterstellt und als solche gerechtfertigt werden. Sein Hauptargument gewinnt Leisner damit lediglich aus dem quasi sichtbaren „Endeffekt" amtlicher Öffentlichkeitsarbeit unter Vernachlässigung von Entstehungsbedingungen und -kosten derartiger Ergebnisse. Zwangsläufig erschöpft sich die Beweisführung überwiegend i n einer Pauschalbeschreibung wirklicher Vorgänge ohne präzise rechtliche Analysen zu bieten. Elementare Voraussetzung jeden Rechtsgehorsams ist nun — neben der Rechtskenntnis — unbestritten eine ganz generelle, noch nicht auf konkrete Vorschriften bezogene Bereitschaft, normativen Handlungsanweisungen überhaupt zu folgen. Tatsächlich können heutzutage Rechtsvorschriften sowie die dazugehörenden amtlichen Materialien und Erläuterungen stets i n der berechtigten Erwartung bekannt gemacht werden, daß sie schließlich auch befolgt würden. Die Wurzeln derart allgemein loyalen Verhaltens sind empirisch bislang ungelöst. Leisner sieht sie offenbar vor allem alternativ i n „Zwang" und „Überredung". Dabei scheidet die Furcht vor Sanktionen als regelmäßiger Beweggrund für solche Loyalität wegen der Lückenhaftigkeit des staatlichen Überwachungsapparates und wegen des häufigen Verzichts auf Androhung gesetzlicher Zwangsmaßnahmen aus 1 6 1 . Auch die bloße Kenntnis über Gegenstände staatlicher Gesetz- und Verordnungsgebung kann angesichts eines durchaus dürftigen konkreten Informationsstandes der Bürger keinesfalls bestimmendes Motiv 169

W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 85.

160

So W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, Vorbemerkung. Ä h n l i c h R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 168.

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sein. Bei der allgegenwärtigen Fülle sonstiger Informationen bleibt die Lektüre von Gesetzblättern sicherlich seltene Ausnahme. Zur effizienten Rechtsverwirklichung genügt es ohnehin, wenn einige besondere Berufsgruppen (z. B. Rechtsanwälte, Steuerberater oder Verbandsgeschäftsführer) speziell unterrichtet sind. Darüber hinaus scheinen „Ignoranz und Apathie die wichtigsten Vorbedingungen für einen weithin unbemerkten Austausch der Paragraphen, für die Variabilität des Rechts, und insofern für das System" zu sein 1 6 2 . Eine öffentliche Diskussion aus je aktuell entfachtem — mehr allgemeinem oder auch persönlichem — Interesse w i r d damit nicht geleugnet. Nur dürfte sie die grundsätzliche Bereitschaft zum Rechtsgehorsam gegenüber den (meist später) beschlossenen Rechtsvorschriften kaum verstärken. Solche Bereitschaft beruht gegenwärtig ersichtlich auf psychischen Beweggründen, die eher unabhängig von der Kenntnis eines jeweils konkret Gewollten existieren; nämlich auf der allgemeinen Loyalität gegenüber den i m geordneten Verfahren ergangenen Entscheidungen 163 . Bereits diese oberflächliche Betrachtung bestätigt Leisners Behauptung, daß Öffentlichkeitsarbeit als „ A u f r u f zum Rechtsgehorsam" eine „allgemeine Loyalitätssteigerung" bewirken kann. Derartige Bemühungen müßten ferner u m so wirksamer sein, je mehr sie anstelle konkreter Tatsacheninformation globale politische Situationsbilder lieferten. Leisner wendet sich folgerichtig auch gegen den „oft allzu sehr ,egalitär geweckten* Staatsbürger" 1 6 4 . Tatsächlich beherrschen entsprechende Tendenzen seit langem die Praxis: Öffentlichkeitsarbeit dient hier weniger dem rechtsstaatlichen Ziel der Normenklarheit, sondern soll vor allem prinzipielles Einverständnis m i t der jeweiligen Staatspolitik wecken und vertiefen. Sicherlich steigern auch solche allgemeinen Darstellungen diffuser „Entscheidungsräume", „ i n denen noch keine konkrete Dezision steht" 1 6 5 , zugleich die Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns, dessen Verwirklichung erleichtert wird, wenn sich der Bürger auf bestimmte Anforderungen relativ frühzeitig einstellen kann. Wiederholte Hinweise auf diese rechtsstaatliche Nebenwirkung 1 6 6 täuschen jedoch nicht darüber hinweg, daß Leisner die Legitimation amtlicher Öffentlichkeitsarbeit weniger unter diesem Gesichtspunkt, 182

N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 191. R. Herzog (Allgemeine Staatslehre, S. 168) spricht i n diesem Zusammenhang v o m „geistigen Einfluß" des Staates auf den Bürger, während nach Ansicht N. Luhmanns (Legitimation durch Verfahren, S. 193) hier ein „generalisiertes System ver trauen" w i r k t . 164 Öffentlichkeitsarbeit, S. 94. 165 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 96. lf l « Öffentlichkeitsarbeit, S. 91, 92, 93, 96; vgl. auch H . - ü . Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 122 ff. 188

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als vielmehr „realistisch" i n der primären Aufgabe der Motivierung effizienzsteigernden Rechtsgehorsams durch allgemeine Loyalitätsmaximierung sieht. Hieran zeigt sich, daß das Leistungskriterium, auf welches „Effizienz" i m Regierungsbereich bezogen wird, m i t Scheuners (an Max Weber angelehnter) Definition von politischer Macht weitgehend identisch ist. Die Ermöglichung der Normanwendung durch allgemeine Loyalitätssteigerung bedeutet nämlich nichts anderes als „Bewirken des Gehorsams gegen die auch ohne eigene Prüfung angenommene Weisung und Anordnung, Erwartung der normalen Durchsetzbarkeit der von der Leitung kommenden Direktiven", also Festigung der Macht als „psychischer Einflußmöglichkeit" i m Scheunerschen Sinn 1 6 7 . Wohl vermeidet Leisner i n seiner Arbeit den vieldeutigen Begriff der Macht tunlichst 1 6 8 , doch entspricht das von i h m hervorgehobene Leistungsziel genereller Loyalitätssteigerung deutlich einem — bei Scheuner nur vage anklingenden — expliziten Verständnis von Macht i n der neueren systemtheoretischen Organisationssoziologie. Macht w i r d dort als spezieller Mechanismus der Kommunikation i m politischen System begriffen, und zwar als „Mechanismus der Übertragung von Selektionsleistungen", die durch Entscheidung erbracht worden sind 1 6 9 . Die psychisch-kommunikative Funktion besteht darin, daß der Mächtige andere motivieren kann, seine Entscheidungen als Verhaltensprämissen zu übernehmen, also eine (politische!) Selektion aus einem Bereich möglicher Verhaltensalternativen als bindend zu akzeptieren 170 . Als „Integration" bezeichnet dieses Prinzip bei Smend und Scheuner den eigentlichen Zweck staatsleitender Regierungspolit i k 1 7 1 , für Leisner stellt es als „allgemeine Loyalitätssteigerung" das typisch demokratizitäre Verfahren zur Ermöglichung der Normanwendung durch die (regierende) Exekutive dar. Das hierfür geeignetste und deshalb generell legitime Medium ist i n jedem F a l l eine möglichst intensive, bis zur Werbung und Propaganda gesteigerte amtliche Öffentlichkeitsarbeit. 167 So Scheuners Definition i n „Das Wesen des Staates u n d der Begriff des Politischen i n der neueren Staatslehre", S. 254. 168 E r spricht lediglich davon, daß die Regierung die Informationsarbeit einsetze, „ u m an der Macht zu bleiben" (Öffentlichkeitsarbeit, S. 82). Dies ist jedoch ersichtlich n u r eine umgangssprachliche Gleichsetzung von „Macht" u n d „Regierungsamt". 169 Vgl. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 25; K . W . Deutsch, Politische Kybernetik, S. 171: „ . . . als Macht verstehen w i r die Fähigkeit einer Person oder Organisation, ihrer U m w e l t die Extrapolation oder Projektion ihrer inneren S t r u k t u r aufzuzwingen." 170 Vgl. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 25. 171 Vgl. e. B. 17. Scheuner, Der Bereich der Regierung, S. 272.

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Jenes effektiv identische Ziel der Steigerung staatlicher Macht zur Entscheidungsdurchsetzung erklärt nunmehr auch, weshalb amtliche Öffentlichkeitsarbeit beiden Theorien zufolge vor allem der Regierung — und nicht etwa dem Parlament — obliegen soll. Dies, weil gerade die Regierung die Funktionen staatlicher Willensbildung und Willensverwirklichung i n unmittelbar konkretem Handeln staatsleitend vereinige zu einer letzten, über die Gewaltenteilung hinausreichenden integrierten Einheit 1 7 2 , welche fortlaufend stimuliert werden müsse. Leisner präzisiert dieses — von Smend aus der „Natur der Dinge" begründete — Verständnis lediglich. Der typische Aspekt regierender Exekutive liege i n einer besondern Ermessenskombination: Dasselbe Organ, welches Gesetze anregt und durchsetzt, spezialisiert sie zugleich i m Verordnungsweg und führt sie schließlich aus. Regierungspolitik bestehe deshalb i n einer „Vereinheitlichung nicht-öffentlicher Direktiven". Alle hierauf bezogene Tätigkeit des B P A müsse demnach als „ein Integrationsvorgang von eminenter Bedeutung i m Smendschen Sinne" gewertet werden 1 7 3 . Exekutive als „Macht kombinierten Ermessens" stelle dann tatsächlich eine eigentümliche „Einheit der Staatsgewalt" her und könne wenigstens faktisch zu einer A r t von „Staatsleitung" werden 1 7 4 . Dennoch weicht Leisners Auffassung anscheinend i n einem entscheidenden Punkt von den integrationstheoretischen Vorstellungen ab. I m Gegensatz zur weithin selbständigen Regierungsexekutive bei Scheuner erscheint die „Macht kombinierten Ermessens . . . fest an die Gesetzeslage gebunden" 1 7 5 . Unterstützende Öffentlichkeitsarbeit dürfte sich demzufolge freilich auch nur auf diesen gebundenen Bereich, d. h. auf parlamentarisch bereits gefällte Entscheidungen beziehen, was schon nach Leisners eigener Darstellung nicht zutrifft. Deshalb zielt die Feststellung vom Annexcharakter solcher Tätigkeit deutlich auf einen erweiterten Regierungsbegriff, der die allgemeinen Richtlinien der Politik i m Regierungsprogramm mitumfaßt. Regierungsprogramme enthalten nämlich zugleich eine Vorschau auf künftige Regierungs- wie auf Gesetzgebungspolitik 176 . „Regierung" w i r d hier — entsprechend der modifizierten Anschauung Scheuners — als Zusammenarbeit zwischen Legislativmehrheit und Exekutivspitze i n einem — durch „parteipolitische und persönliche Sachzwänge" geforderten — Führungsteam begriffen 1 7 7 . Diese faktische Entwicklung 172

Vgl. R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 211; U. Scheuner,

Der Bereich der Regierung, S. 268, 277. 173 Öffentlichkeitsarbeit, S. 95 f. 174 W. Leisner, Regierung als Macht kombinierten Ermessens, J Z 1968, S. 730. 175 W. Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, D Ö V 1969, S. 405 ff., 409. 176 Vgl. W. Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, D Ö V 1969, S. 409. 177 Vgl. W. Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, D Ö V 1969, S. 410.

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sei sachgerecht, w e i l der parlamentarische Staat nur existieren könne, „solange die geteilte Gewalt mündet i n die eine Dezision" 1 7 8 . Da nun aber gerade die Exekutive als letzter ausführender und wichtigster A r m des Staates ganz besonders auf den „Rechtsgehorsam" der Normunterworfenen angewiesen ist, soll ihr die notwendige allgemeine Loyalitätssteigerung auch hinsichtlich der Staatspolitik i m Ganzen obliegen 1 7 9 . Grundsätzlich schließt Leisner dennoch einen souveränen Bereich der Regierung mit selbständiger Gestaltungsmacht aus 1 8 0 . Er gesteht dem Regierungsorgan jedoch immerhin „ein gewisses Maß an rechtlicher Ungebundenheit" zu. Diese rechtliche Ungebundenheit bezeichne den typischen Ermessensspielraum der Exekutivspitze, innerhalb dessen unter mehreren Verhaltensalternativen frei gewählt werden dürfe. Wie ein solcher Raum rechtlich begrenzt sein soll, bleibt allerdings offen 1 8 1 . Sicher erscheint nur, daß er durch jede A r t von Regierungswerbung tendenziell faktisch erweitert wird. Wo die von Parlament und Aktivbürgerschaft ständig zu kontrollierende und zu stimulierende (d. h. rechtlich gebundene!) Regierung psychischen Einfluß unablässig i n Form von „allgemeiner Loyalität" mittels werbender Öffentlichkeitsarbeit akkumulieren darf, da sinkt die Kontrollfähigkeit jener demokratischen Instanzen i m Maße ihrer zwangsläufig wachsenden Regierungsabhängigkeit. Es wurde bereits betont, daß Loyalität und generelle Zustimmung — wie Leisner sie versteht — machtsteigernd wirken. I m modernen organisationssoziologischen Sinn besteht „Macht" nämlich „darin, daß man nicht nachgeben muß, sondern die Umwelt oder eine andere Person zum Nachgeben zwingen kann. „Macht" bedeutet dann „Priorität der Leistung (Output) gegenüber der Empfänglichkeit (Intake), bedeutet die Möglichkeit zu reden anstatt zuzuhören" 1 8 2 . Hier treten die negativen Auswirkungen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit auf den demokratischen Prozeß zutage. Da Leisner sich vorwiegend u m die Rechtfertigung solcher Tätigkeiten unter dem einseitigen Zweckaspekt der Steigerung des „Rechtsgehorsams" bemüht, vernachlässigt er derartige „Nebenfolgen" fast zwangsläufig. Wie gezeigt, fördert solche Öffentlichkeitsarbeit nämlich nicht allein die der Exekutive zugeschriebene Rechtsverwirklichung, also die Durchsetzung bereits getroffener Ent178

W. Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, D Ö V 1969, S. 411. Vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 95. 180 Regierung als Macht kombinierten Ermessens, JZ 1968, S. 728. 181 Regierung als Macht kombinierten Ermessens, JZ 1968, S. 730. 182 K . W . Deutsch, Politische Kybernetik, S. 171. I m Original: „ . . . t o have power means not to have to give in, and to force the environment or the other person to do so. Power . . . is the p r i o r i t y of Output over intake, the a b i l i t y to t a l k instead of listen" (The Nerves of Government, p. 111). 179

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Scheidungen, sondern sie beeinflußt zugleich nachhaltig den notwendig vorgängigen Entscheidungsfindungs- und Legitimationsprozeß selbst. Diese psychische Steuerung greift damit über i n das Vorfeld der Dezision, i n die Diskussion von Alternativen, d. h. i n den verfassungsrechtlichen Bereich der demokratischen Meinungs- und Willensbildung. Amtliche Werbung w i r k t dort als übermächtiger — weil exklusiv informierter — Diskussionsbeitrag. Vom allein berücksichtigten und deshalb stets zentral erscheinenden Zweck effizienter Normdurchsetzung her sind solche „Nebenwirkungen" nicht zu erfassen. Folglich w i r d die i n einer Demokratie existentielle Frage, wo die Grenzen der Regierungswerbung liegen, d. h. wie der demokratische Willensbildungsprozeß vor manipulativ-autoritärer Herrschaft regierender Eliten normativ geschützt ist, nicht als Grundlagenproblem behandelt, sondern als „besonderes Problem" minimalisiert 1 8 3 . Infolgedessen bleiben von dem — i n seiner strukturbestimmenden Bedeutung verkannten — Demokratieprinzip dann nur „punktuelle Schranken für die Informationstätigkeit" übrig. Diese — vor allem an den Kommunikationsgrundrechten sowie an der verfassungsrechtlichen Stellung der Opposition entwickelten — Begrenzungen sind bewußt so vage und unpräzise gehalten, daß eine Trennung zwischen Werbung und Information ausscheidet 184 . Leisners Endergebnis, wonach die jeweiligen Schranken überdies „eindeutig und schwer überschritten sein" müssen, enthält schließlich eine Vermutung für die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit i m Zweifelsfall. Als Begründung dient der „höchste . . . Rechtssatz der Effizienz des Handelns", konkret der Regierungszweck möglichst effizienter Normdurchsetzung. Die hier neu eingeführte Legitimationskategorie „Effizienz" w i r d indes nicht näher definiert 1 8 5 . I m Zusammenhang m i t politischen Organisationen bezieht sich der Effizienzbegriff regelmäßig auf die „OutputLeistung" des jeweiligen sozialen Systems, also auf die Anpassungsund Aufgabenbewältigung der dieser Organisation gestellten Proble183

Öffentlichkeitsarbeit, S. 120 f. Vgl. ff. Lenz, i n : Hamann / Lenz, A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182). 185 Auch ff.-ZJ. Jerschke k o m m t bei seinen Überlegungen zur „ V e r w a l tungseffizienz" über apodiktische Verweise („Der . . . demokratische Rechtsstaat . . . setzt notwendig eine funktionsfähige u n d verantwortliche Regierung voraus", BVerfGE 9, S. 268 ff., 281) u n d Behauptungen („Verwaltungsarbeit muß effektiv sein") nicht hinaus, vgl. Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 142 u n d 143. Neuerdings hat Leisner demgegenüber zutreffend erkannt, daß eine allgemeine „verfassungsrechtliche N o r m " der Effizienz i. S. e. „optimalen Zweck-Mittel-Relation" staatlichen Handelns „nichts aussagen" würde. Auch eine „Zielerreichungseffizienz" lasse sich „ k a u m begründen" (Effizienz als Rechtsprinzip, S. 24). 184

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me 1 8 6 . Die „Output-Leistung" eines Staates bemißt sich dann primär nach seiner Fähigkeit zur Setzung und Durchsetzung verbindlicher Entscheidungen 187 . Neuerdings ist der Nachweis unternommen worden, daß eine Verstärkung so definierter Staatseffizienz auch durch Steigerung demokratischer Partizipation, d. h. durch erhöhte Beteiligung der Bürger am Entscheidungsfindungsprozeß möglich sei 1 8 8 . Demgegenüber w i r k t amtliche Öffentlichkeitsarbeit nach Leisner jedoch kaum als Partizipationserweiterung, sondern i n erster Linie mittels „Überredung" zum „Hechtsgehorsam" effizienzsteigernd. Insofern bleiben „Effizienz" und „Macht" i m Sinne von psychischer Lenkungskapazität weithin identisch. Zwar soll Regierungswerbung i n Richtung auf das „komplizierte Staatsziel der Demokratie" volksnah und diskussionsfördernd wirken, dies aber nur, u m den andernfalls notwendigen „Zwang" überredend durch Zustimmung i n Form von „konkrete(r) Selbstdisziplin" zu ersetzen. Der hierzu herangezogene Grundsatz effizienter Demokratizität kann solche Zwecke indessen juristisch nicht rechtfertigen. Das zugrundegelegte Prinzip der „Effizienz des Handelns" ist nämlich keineswegs „höchster Rechtsgrundsatz", sondern ein allgemeines Rationalitätskriterium, welches w o h l i n vielen Bereichen gelten mag, i m Verfassungsrecht aber eine subsidiäre Kategorie darstellt 1 8 9 . Wo alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen soll, ist demokratische Willensbildung (im verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Prozeß) höchstes Prinzip. Die Methoden zur notwendigen Durchsetzung bereits demokratisch getroffener Entscheidungen haben sich dann ebenfalls an diesem Grundprinzip zu legitimieren, nicht jedoch an einem hiervon weitgehend losgelösten, auf „Output-Leistung" orientierten Effizienzbegriff. Die Rollen des Bürgers als Souveränitätsträger und Gewaltunterworfener lassen sich nicht völlig trennen. Beides fällt zwar bei politischen Opponenten, den Vertretern überstimmter Minderheiten, auseinander, doch w i r d von ihnen nur Einsicht i n die Verbindlich186

S. 29.

Vgl. W.-D. Narr,

i n : W.-D. N a r r / F . Naschold, Theorie der Demokratie,

187 R. Herzog nennt diese Fähigkeit die quantitativ zu bestimmende „innere Souveränität" eines Staates, Allgemeine Staatslehre, S. 187. 188 Vgl. F. Naschold, Demokratie u n d K o m p l e x i t ä t , i n : C. K o c h / D . Senghaas, ed., Texte zur Technokratiediskussion, S. 246 ff., 278; ders. Organisation u n d Demokratie. A l s Programm einer politischen Theorie postulieren dies auch W.-D. Narr, Theoriebegriffe u n d Systemtheorie, S. 9, u n d F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie u n d Anpassung, S. 24 f. 189 So jetzt auch W. Leisner, demzufolge die „Verfassung . . . i m Ganzen effizienzneutral" ist (Effizienz als Rechtsprinzip, S. 25). Insgesamt biete das Verfassungsrecht „keinen Ansatz f ü r ein Effizienzprinzip (ebd., S. 30).

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keit der Mehrheitsentscheidungen verlangt, nicht jedoch zustimmendes Einverständnis als Sinneswandel des zur Wahrheit Bekehrten. Was schließlich den gleichgültigen Bevölkerungsteil betrifft, so bleibt als staatliches „Antiapathicum" eine umfassende politische Information, auf Grund derer der einzelne sich dann selbst — und damit die ganze Sache mit — entscheiden kann. Die grundgesetzliche Ordnung beruht eben auf der politischen Selbstbestimmung des Menschen (vgl. A r t . 2 I i. V. m. A r t . 20 I, I I 1 GG), an der sich auch die Methoden notwendiger Rechtsdurchsetzung i n erster Linie zu legitimieren haben. Bei Leisner w i r d dieses Verhältnis tendenziell umgekehrt: Unter primären Effizienzaspekten reduziert sich das Demokratiegebot zur subsidiär-punktuellen Begrenzung aus A r t . 5 GG und der Forderung nach oppositionellen Chancen. Da solche weitgesteckten Grenzen heutzutage i n etwa eingehalten werden, fällt es kaum auf, daß diese isolierte Rechtfertigung der Öffentlichkeitsarbeit von einseitigen ZweckLeistungskriterien her nur unter Vernachlässigung demokratieschädlicher „Folgekosten" möglich ist. Gelegentliche Regierungswechsel scheinen überdies zu bestätigen, wie sehr die befürchtete Abhängigkeit der Wählerschaft von der jeweiligen Regierung faktisch durch eine „Abnutzung der M a c h t " 1 9 0 ausgeglichen wird. Solche Argumente sind indessen nur beweiskräftig, wenn die (in der BRD ziemlich seltene) Tatsache eines Regierungswechsels allein schon das konstitutionelle Demokratiegebot hinreichend erfüllt, wenn sich Verfassung und „Verfassungswirklichkeit" insoweit also decken. Es ist jedoch kaum zu übersehen, daß die von wechselnden Regierungen betriebene Öffentlichkeitsarbeit deren Macht zwar nicht dauerhaft befestigt, tatsächlich aber eine offensichtlich vorhandene allgemeine politische Apathie i m Wege diffuser Loyalitätssteigerung perpetuiert, statt durch sachliche Information konkrete Meinungs- und Willensbildung anzuregen 191 . Diese Alternative hätte verfassungsrechtlich geprüft werden müssen, ehe die „Verfassungswirklichkeit" unbefangen zur Rechtfertigung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit herangezogen wurde. Zugleich w i r d deutlich, wie sehr der als höchster Regierungsgrundsatz verwendete Effizienzbegriff den unzulässigen Schluß 190 So W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 154; H.-U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 155. 191 Vgl. dazu H. Küffner, Darf die Regierung so etwas tun?, Praktischer Journalismus, Nr. 129/71, S. 8: „ . . . e i n e Regierung, die f ü r ihre A r b e i t u n d ihre Leistung w i r b t , stützt sich auch i n ihrer Werbung auf die sie tragenden Parteien, u n d die Opposition, die diese Werbung kritisch verfolgt, weiß, daß sie sich i m Falle eines Regierungswechsels derselben M i t t e l u n d Methoden bedienen würde, bedienen müßte."

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von der bloßen Tatsache bestimmter staatlicher Aktivitäten auf deren normative Zulässigkeit nahelegt, weil er die angewandten Methoden einseitig unter Zweck-Aspekten wertet. Typisch für diese verkürzte Betrachtungsweise ist auch die Verengung des sog. Übermaßverbots oder Verhältnismäßigkeitsprinzips zum volkswirtschaftlichen Gebot des ökonomisch kleinsten, „mildesten" oder „schlichtesten", also billigsten Mittels. Leisner billigt es z. B. aus dem Übermaßverbot heraus, daß die Verwaltung „Aufklärung und Überredung" als „schlichtestes M i t t e l " an die Stelle des „Imperiums" (das ist der mit der Möglichkeit des „Erfüllungszwanges" ausgestattete staatliche Befehl) 1 9 2 setzt. Andernfalls würde nämlich die „gesamte Verwaltung sofort zusammenbrechen", w e i l sie es m i t „sehr — oft allzusehr — ,egalitär-geweckten' Staatsbürgern" zu t u n habe 1 9 3 . Dahinter steht die Auffassung, daß sich solche Bürger heute nicht allein auf Grund der bloßen Bekanntgabe demokratisch-beschlossener Staatsdirektiven zum Gehorsam bewegen lassen. Hierfür sei entweder noch physischer Zwang erforderlich (wofür die vorhandenen Zwangsmittel nicht ausreichten) oder eine mittels „Überredung" hervorgerufene generelle Zustimmung gegenüber den angestrebten Zielen. Abgesehen davon, daß diese empirisch nicht belegte Behauptung angesichts der täglichen Verwaltungspraxis kaum zutreffen kann, ist „Überredung" nur aus der Sicht der Exekutive das „schlichtere", nämlich billigere Mittel. Den „egalitär-geweckten" Bürger hingegen, der sich selbst durch die (stets vorgängige) allgemeine Androhung von Gewalt nicht zum Gehorsam bewegen ließe, dürfte manipulativ-überredende „Stimulation" hierzu objektiv mindestens ebenso beeinträchtigen wie der statt dessen ersparte physische Zwang. Demgegenüber betont Leisner zwar ausdrücklich, amtliche Öffentlichkeitsarbeit dürfe „keine wesentlichen (?) Einbrüche i n die Meinungsfreiheit" bewirken, also nicht derart intensiv werden, daß sie „staatlichem Zwang i n etwa gleichkommt" 1 9 4 . Gerade diese Tendenz ist jedoch durchaus angelegt i n seiner Auffassung, wonach anstatt grundrechtlicher Positionen vor allem die Effizienz der Arbeit sicherzustellen sei. Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz werden dann letztlich ebenfalls als Ausprägungen solcher Effizienzprinzipien verstanden 1 9 5 . Auch hier bleibt „Effizienz" indes eine faktisch-deskriptive Größe, die — einmal zur 192

193 194

Vgl. hierzu G. Jellinek,

Allgemeine Staatslehre, S. 429.

W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 94.

Öffentlichkeitsarbeit, S. 138. Ähnliche Ansichten über die „geistige Einflußnahme" als „das mildere M i t t e l zur Durchsetzung staatlicher D i r e k t i v e n " w i e Leisner äußert auch R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 170,181 f. 195

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Norm erhoben — der „Verfassungswirklichkeit" fast automatisch legitimierende K r a f t verleiht. Dabei soll keineswegs bestritten werden, daß die tatsächliche Öffentlichkeitsarbeit des B P A auch allgemeine K r i t i k an der jeweiligen Regierung ermöglichen kann, ja i n gewisser Hinsicht sogar diffuse „Volksnähe" herzustellen vermochte. Sofern zugleich das „erforderliche Informationsmaterial" geboten wird, ergibt sich manchmal auch Gelegenheit zu „freien wertenden Stellungnahmen", deren dann unvorhersehbare Ergebnisse zwar nicht erwünscht sein mögen, aber doch „ i n Kauf genommen werden" müssen 196 . Diese Möglichkeit gelegentlich wertender Äußerungen i m Publikum dient bei Leisner freilich nur der Rechtfertigung amtlicher Werbung, die er als notwendige Verteidigung der Regierung gegen solche Angriffe i m politischen Disput begreift 1 9 7 . Abgesehen davon, daß bereits die rechtlich-institutionellen Voraussetzungen eines solchen Disputs (vgl. oben S. 127) — und damit auch der entsprechenden Folgerungen — fehlen, w i r d jeder über das Gebot der „Volksnähe" möglicherweise hinausreichende demokratische Anspruch an die Öffentlichkeitsarbeit des B P A nirgends ernsthaft diskutiert: Ermöglicht diese als Methode effizienter Normdurchsetzung für erforderlich gehaltene Tätigkeit zugleich eine nach Maßgabe des normativen Demokratiegebots ausreichende Einsicht i n staatliche Bereiche, d. h. Partizipation des Staatsbürgers? Die unter dem Aspekt der Volkssouveränität fundamentale Frage nach dem notwendigen Umfang und Charakter amtlicher Informationen stellt sich allerdings kaum, wenn man den Sinn des demokratischen Staatsziels auf den vagen Hinweis beschränkt sieht, i n jeder „Demokratie" solle die ,„öffentliche Meinung 4 . . . nur irgendwie (!) ,mitregieren'" 1 9 8 . Damit w i r d der Blick fast zwangsläufig mehr auf die Rolle des Bürgers als Normunterworfener denn auf die als Souveränitätsträger gelenkt. Hierin liegt zugleich der tendenziell autoritäre K e r n des aus solcher Anschauung abgeleiteten Grundsatzes der „Demokratizität", demzufolge es genügen soll, daß „Volksnähe" gesichert und K r i t i k an der Regierung möglich" ist 1 9 9 . Quantität und Qualität der Öffentlichkeitsarbeit richten sich dabei nach vorrangig gubernativen Zweckgesichtspunkten, wobei nur ein unbestimmtes M i n i m u m an „Volksnähe" und Kritikmöglichkeit erhalten bleiben muß. Folgerichtig stellt Leisner auch die Grundrechtsbindung der Tätigkeit des BPA letztlich unter einen extensiven Generalvorbehalt zugunsten etatistischer Effizienz. Solche konturlosen „Schranken" ver196 197 198 199

W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 83. Öffentlichkeitsarbeit, S. 86. So W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 84. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 86.

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schwimmen dann notwendig bis zur Grenze exekutivischen Beliebens: Werbung und Propaganda werden — ähnlich wie bei Scheuner — letztlich dem einer möglichst reibungslosen Rechtsdurchsetzung verpflichteten Regierungsermessen anheimgestellt. Insgesamt bietet das verfassungsfremde K r i t e r i u m effizienter Demokratizität — auch hierin der Integrationslehre vergleichbar — m i t h i n kaum mehr als eine affirmative Rechtfertigung bestehender Zustände, jedoch keinen Maßstab für kritisch-normative Analyse. Anmerkungsweise habe ich bereits darauf hingewiesen, daß Leisner selbst neuerdings „Effizienz" als Verfassungsprinzip grundsätzlich ablehnt. Eine solche Kategorie sei normativ nicht aussagekräftig, weshalb die Verfassung „ i m Ganzen effizienzneutral" bleibe 2 0 0 und nicht mehr als die „Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Organe" fordere 2 0 1 . So müsse „Produktionseffizienz" zwar als Grundsatz fiskalischer W i r t schaftlichkeit angestrebt werden, bleibe i m Bereich der Hoheitsverwaltung jedoch auf „untergeordnete Zweck-Mittel-Relationen" beschränkt 202 . Eine Zweck- oder „Zielerreichungseffizienz", die „vor allem als Rechtsverwirklichungseffizienz (!) denkbar" sei 2 0 3 , könne es i m Rechtsstaat „überhaupt nicht geben" 2 0 4 . Besonders i m „Bereich der Regierung" erweise sich „Wirksamkeit" deshalb keineswegs als „machtvoller Rechtsgrundsatz", sondern als „ein Trümmerhaufen früherer Staatsideen", den es schleunigst abzutragen gelte 2 0 5 . Diese Auffassung entspricht i m Ergebnis der von m i r vorgetragenen K r i t i k und scheint daher auf einen weitgehenden Widerruf der kritisierten Rechtfertigung werbender Öffentlichkeitsarbeit hinauszulaufen. Solche Konsequenzen zieht Leisner indessen nicht. Seine frühere Schrift zur „Öffentlichkeitsarbeit der Regierung i m Rechtsstaat" w i r d In der neuen (1971) — damals bereits angekündigten 2 0 6 — Untersuchung zur „Effizienz als Rechtsprinzip" nirgends erwähnt. Daraus ist zu schließen, daß er die damals geäußerten Gedanken zur Normverwirklichung durch werbende Loyalitätssteigerung inhaltlich aufrechterhalten möchte. Deshalb dürften sich die — nicht einmal ausdrücklichen — Korrekturen auf allenfalls Terminologisches beschränken. Schließlich enden auch die jüngsten Äußerungen Leisners über „Effizienz" i n mystischem Zwielicht: I m Staat sei „Allmacht", „ w e i l er wesentlich nicht M i t t e l nutzt, sondern Ziele, Grenzen setzt", und: „Der 200

Effizienz als Rechtsprinzip, S. 24 f. Effizienz als Rechtsprinzip, S. 30 f. 202 Effizienz als Rechtsprinzip, S. 58. 203 Effizienz als Rechtsprinzip, S. 37. 204 Effizienz als Rechtsprinzip, S. 58. 201

205 206

Effizienz als Rechtsprinzip, S. 26 f. Öffentlichkeitsarbeit, S. 165.

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

Staat muß sich nicht bestätigen. Er ist nicht, w e i l er w i r k t , er w i r k t , w e i l er ist 2 0 7 ." Von der geäußerten K r i t i k ist daher nichts zurückzunehmen. I V . Legitimation durch loyales Vertrauen Zur verfassungstheoretischen Einordnung der Diskussion

A m Anfang dieses Kapitels habe ich bereits darauf hingewiesen, daß gerade staatliche Gefolgschaftswerbung für die Regierenden die Leistungsfähigkeit des politischen Systems insgesamt zu stärken geeignet ist, daß dies jedoch notwendig allein auf Kosten kritischer Urteilsfähigkeit des Staatsbürgers möglich sei. Damit stelle sich letztlich die Frage nach dem Verhältnis von staatlicher Effizienz und demokratischer Selbstbestimmung, d. h. das klassische Problem der Schranken majoritärer Herrschaft aus dem Prinzip egalitärer Freiheit. I n einer verfassungsrechtlichen Untersuchung zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit braucht die Herrschaftsproblematik freilich nicht voll ausgeschöpft zu werden. Konkret geht es nämlich stets u m die Trennung von Entscheidung und Ausführung, von Partizipation und Rechtsgehorsam, also zugleich u m eine Rollendifferenzierung zwischen Beteiligten und Betroffenen 2 0 8 . Gerade diese Abschichtung scheint nun die Verfassung trennscharf vorzunehmen, indem sie das Maß der Beteiligung des Volkes an staatlichen Entscheidungen i n Form von Wahlen und Abstimmungen (Art. 20 I I 2 GG) kompetenzmäßig festgelegt hat 2 0 9 . Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts i n den „Volksbefragungsurteilen" entspricht die Trennlinie zwischen der Beteiligten- und Betroffenen-Rolle des einzelnen den Grenzen des „status activus", also dem Bereich organschaftlicher M i t w i r k u n g des Staatsvolkes an der „Staatswillensbildung" durch Wahlen und Abstimmungen. Nicht hierher gehöre die Bildung einer „öffentlichen Meinung" als „Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes" (Scheuner) 210. Dann w i r d der maßgebende Gemeinschaftswille also von der Mehrheit jener gebildet, die von der Mehrheit des Volkes gewählt wurden. Dies bedeutet — wie Kelsen treffend hervorhebt —, daß „das politische Recht — und das ist die Freiheit — sich i m wesentlichen zu einem bloßen Stimmrecht abschwächt" 211 . I n drastischer Konsequenz dessen meint Herbert Krüger, 207

Effizienz als Rechtsprinzip, S. 60. Vgl. F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, Die V e r w a l t u n g 1971, S. 23. 209 Vgl. M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29 (1971), S. 60 f. 210 ßVerfGE 8, S. 104 ff., 113; 122 ff., 133. 208

211

V o m Wesen u n d Wert der Demokratie, S. 25.

A . Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe integrierender Staatsleitung

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der Bürger spreche „sein Wort zu den Entscheidungen der Staatsgew a l t i n der Wahl und durch das Parlament — der „Rest" sei „schweigender Gehorsam" 2 1 2 . Insgesamt wäre der Vorgang des demokratischen „Inputs" i n den staatlichen Entscheidungsapparat, die „Vorformung der politischen Willensbildung", diesen Auffassungen zufolge m i t dem Wahlakt grundsätzlich abgeschlossen. A l l e weiteren politischen Prozesse i m System müßten dann als Entscheidungsfindung und Durchsetzung vor allem einem mehr oder weniger optimalen „Output" an effizienter Leistung verpflichtet sein. Gerade diesem Zweck soll schließlich auch die staatsleitende Einheitsbildung der Integrationslehre i n erster Linie dienen 2 1 3 . So kontrastiert Hesse den „irrationalen Spielraum" 2 1 4 demokratischer Beteiligung, i n dem die politische Willensbildung öffentlich vorgeformt werde 2 1 5 , m i t deren verbindlicher Fixierung als „politischer Einheit" i m „rationalisierten Gefüge des Staates" 216 . Dabei leugnet keiner der erwähnten Autoren die Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte sowie der „öffentlichen Meinung" auch für den staatlichen Entscheidungsbereich 217 . Allerdings w i r d deren rechtlich beschränkende und kontrollierende W i r k u n g dann durchaus konsequent auf jene „Vorformung" der i m Wahlakt vollzogenen politischen Willensbildung des Volkes begrenzt 2 1 8 . Von hier aus erscheint es auch folgerichtig, staatliche Werbung und Informationspolitik jedenfalls insoweit für zulässig zu erklären, wie sie sich nicht offensichtlich als Wahlbeeinflussung auswirken müßte 2 1 9 . Dahinter steht — wie bereits angedeutet — die Auffassung, die Beteiligungs-Rolle des Bürgers sei verfassungsrechtlich 212

Allgemeine Staatslehre, S. 893. So W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 19. Nach ff. Krüger verlangen „Richtigkeit u n d Effizienz der staatlichen Gesamtexistenz u n d Gesamtleistung", daß der „ U n t e r t a n den . . . auf i h n entfallenden Beitrag" keinesfalls verweigern darf (Allgemeine Staatslehre, S. 964). 214 Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien i m modernen Staat, W D S t R L Heft 17, S. 19. 215 Grundzüge, S. 62. 216 W D S t R L Heft 17, S. 19; ähnlich 17. Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22, S. 28. 217 Vgl. H.Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 640ff.; U. Scheuner, W D S t R L Heft 22, S. 28 ff.; K . Hesse, Grundzüge, S. 62; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 84; N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 153 f.; R. Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 5 Rdn. 4; ebenso BVerfGE 8, 51 ff., 68; 104 ff., 112 f. 218 U. Scheuner, W D S t R L Heft 22, S. 28; K . Hesse, W D S t R L Heft 17, S. 23; Grundzüge, S. 62; BVerfGE 8, 104 ff., 113 f.; vgl. auch W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 160 ff. 219 So W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 163; zustimmend P. Häberle, Unmittelbare staatliche Parteifinanzierung unter dem Grundgesetz, JuS 1967, S. 69 Fn. 47, hinsichtlich „angemessener" Informationstätigkeit; ähnlich w o h l auch R. Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 5 Rdn. 138. 218

10

Kempen

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auf eine Kompetenz zur Verteilung der „Karten des politischen Spiels" durch Wahlentscheidungen reduziert 2 2 0 . Wenn also lediglich das Verhältnis von Staatsorganen und Wahlvolk, zwischen staatlichen Amtsträgern und dem Bürger als Wähler, kurz die Bedeutung der Wahlen für die künftige Gestaltung staatlicher Politik von der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit nicht lenkend beeinflußt und gelenkt werden darf, so wären Umfang und Intensität zulässiger Öffentlichkeitsarbeit allein von der möglichen Reichweite und dem potentiellen Einfluß der Wahlentscheidungen i m Verfassungssystem begrenzt. Bei nüchterner Betrachtungsweise sind solche Einwirkungsmöglichkeiten des einzelnen freilich gering. So erscheint die politische Wahl unter soziologischem Aspekt als bloße Auswahl zwischen wenigen vorbereiteten Komplexprogrammen und Personengruppen (Parteien), welche nach dem Wahlgewinn i n die Lage versetzt werden, die „Staatsbürokratie besonders nachdrücklich zu informieren". Dem Bürger w i r d damit ein „minimaler unspezifischer und wenig treffsicherer Einfluß" auf das Ganze eingeräumt 2 2 1 . Dementsprechend werde vom Bürger erwartet, „daß er . . . die Legitimität der verbindlichen Staatsentscheidungen anerkennt, die als Ergebnis eines langwierigen, von i h m weder kontrollierten noch eingesehenen Prozesses der Informationsverarbeitung herauskommen" 2 2 2 . Darüber hinaus beruhe die Legitimität staatlicher Entscheidungen jedoch „auf einer A r t von unverbindlichem, halb indifferenten Vertrauen, das sich m i t gewissen Globalvorstellungen über das Funktionieren des politischen Systems begnügt" 2 2 3 . Gerade die Herstellung dieses loyalen Vertrauens obliegt nun nach Leisner der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit und scheint sie damit vor der Verfassung zu rechtfertigen, soweit nicht durch übermächtige Propaganda schwerwiegend i n Wahlentscheidungen eingegriffen wird. Anscheinend entsprechen derartige Auffassungen gerade auch dem betont repräsentativ verfaßten System des Grundgesetzes 224 . Tatsächlich berufen sich diese Autoren auch immer wieder auf das repräsentative Prinzip, das sie freilich kaum als demokratisch verordneten Kommunikationsprozeß 2 2 6 , sondern als „System von Ämtern" begreifen 2 2 6 . Dahinter steht immer noch die liberale Lehre von der Weisungs220 221 222 223

mir.

Vgl. N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 154. N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 150. N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 150. N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 151; Hervorhebung

von

224 Vgl. dazu U. Scheuner, Das Grundgesetz i n der E n t w i c k l u n g zweier Jahrzehnte, AöR 95 (1970), S. 370 f. 225 So aber M. Sobolewski, Politische Repräsentation i m modernen Staat der bürgerlichen Demokratie, S. 429 ff.; Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat, S. 227 ff.

A . Öffentlichkeitsarbeit als Aufgabe integrierender Staatsleitung

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Unabhängigkeit der Abgeordneten, nach der die Volksvertreter die politischen Rechte des Volkes i m Wege „absorptiver Repräsentation" selbständig wahrnehmen 2 2 7 . Gegenüber der deutschen Tradition, Repräsentation vermittels einer „geistesgeschichtlichen" Wesensschau durchaus autoritär als „etwas Existenzielles" 2 2 8 oder als eine „höhere A r t Sein" 2 2 9 zu begreifen, eröffnete der angelsächsische Amts-(„trust"-) Gedanke zwar ein eher pragmatisches Repräsentationsverständnis, das nun Elemente eines demokratischen Auftrags enthält 2 3 0 . Diese Möglichkeiten wurden jedoch kaum fruchtbar gemacht. Statt dessen versuchte man die i m „Amtsgedanken" angelegte Partizipationsverkürzung scheinbar interessengerecht auszugleichen, indem man i h n m i t dem Gemeinwohlprinzip verband und dem A m t damit eine autoritäre Vorgesetzten-Funktion gab: Parlamentarische und regierende Repräsentanten sollten zuvörderst dem vordemokratischen „Gemeinwohl" aller verpflichtet sein 2 3 1 . Das „ W o h l des Volkes" erscheint schließlich als die „einzige Legitimitätsquelle" des modernen Staates 232 . Die demokratische Legitimation für solches Handeln der repräsentierenden Führungselite vermag sich dann freilich nur i m „Vertrauen" darauf zu äußern, „daß das Repräsentierende die Gesamtheit i n ihren vielseitigen Strömungen wirklich darzustellen und hörbar zu machen i n der Lage i s t " 2 3 8 , also einem Vertrauen i n die Integrität und das „Gemeinwohlwollen" der politischen Führung 2 3 4 . Zur Herstellung, Bewahrung und Ver229 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 256 ff.; W. Hennis, Amtsgedanke und Demokratiebegriff, S. 55 ff.; andeutungsweise N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 13 f.; vgl. auch die Hinweise auf den angelsächsischen „ t r u s t " Gedanken bei E. Fraenkel, Die repräsentative u n d plebiszitäre K o m ponente i m demokratischen Verfassungsstaat, S. 343, u n d U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, S. 232. 227 Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat, S. 231, unter Übernahme des von G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 673, 677, geprägten Begriffs. 228 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209, 211. 229 G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32. 280 Vgl. U. Scheuner, W D S t R L Heft 22, S. 29; für die Schweiz vgl. R. Bäumlin, Die K o n t r o l l e des Parlaments über Regierung u n d Verwaltung, SchweizJurVer Heft 3 (1966), S. 187 f.; Z u r Rezeption des „trust"-Gedankens i n der bundesrepublikanischen Repräsentationstheorie vgl. A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 250 f. 25i ygL & Fraenkel, Die repräsentative u n d plebiszitäre K o m p o n e n t e . . . , S. 33; U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, S. 232, 240; W. Hennis, Amtsgedanke u n d Demokratiebegriff, S. 70; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 763 ff.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 220. 232 W. Hennis, Aufgaben einer modernen Regierungslehre, PVS 1965, S. 423. 283 ü . Scheuner, AöR 95 (1970), S. 371. 284 Vgl. U. Scheuner, Diskussionsbeitrag, W D S t R L Heft 16, S. 124; Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, S. 232; W D S t R L Heft 22, S. 28; W. Hennis, Amtsgedanke u n d Demokratiebegriff, S. 55, 60 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 964, 987; N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 150 f., Fn. 30; Legitimation durch Verfahren, S. 193; W. K e -

10*

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tiefung dieses notwendigen Vertrauens scheint gerade werbende Öffentlichkeitsarbeit besonders geeignet zu sein. Auch die modernen „parteienstaatlichen" Wandlungen des Parlamentarismus zwingen nicht einmal zur Modifizierung des auf generelles Vertrauen gegründeten Konzepts elitär-repräsentativer Herrschaft. I m heutigen Parteiensystem werden die eigentlichen Entscheidungen immer stärker „monistisch" von einem „Führungsteam" der Mehrheitspartei(en) getroffen, i n welchem Kabinettsmitglieder und Fraktionsspitzen zusammenwirken. Das „klassisch" dualistische Gegenüber von Parlament und Regierung ist faktisch verdrängt worden von der hauptsächlich personellen Alternative zwischen den Führungsteams der regierenden Partei(en) und der Opposition 2 3 5 . Damit hätte sich lediglich „eine neue Form der repräsentativen Demokratie" entwickelt, i n der vor allem die Führungsteams der Parteien als Repräsentanten fungieren 2 8 6 . Gerade unter den „Gegebenheiten des späten 20. Jahrhunderts" komme es — ganz i m Sinne traditioneller Repräsentationstheorie — darauf an, den „Freiheitsbereich" der von den Parteieliten gebildeten politischen Führungsorgane gegenüber dem interessemäßig gruppierten Wählervolk zu verstärken anstatt zu schwächen 237 . Angesichts der gemeinwohlorientierten Aufgaben des modernen Staates könne nur so „genügend Unabhängigkeit gegenüber der Gesellschaft" gesichert werden 2 3 8 . Ungeachtet aller Zweifel an der verfassungsrechtlichen Stringenz dieser Auffassungen spricht die gegenwärtige politische Praxis durchaus für den Realismus eines derartigen Staatsverständnisses. Solche Realitätsnähe beruht auf einem grundsätzlichen Einverständnis m i t der gegenwärtigen „Verfassungswirklichkeit" und w i r d durch entwenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung am Beispiel der A r b e i t der Bundestagsausschüsse, S. 50; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 220, 341; W. Leisner, Parteienvielfalt bei gleichem Parteiprogramm? D Ö V 1971, S. 653; Skeptisch zum Vertrauensbegriff äußert sich R. Bäumlin, Die K o n t r o l l e der Parlamente über Regierung u n d Verwaltung, S. 197 f. 235 y g i \j m Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, S. 388 ff.; Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 397; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 333; W. Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, S. 409 f.; Parteien Vielfalt bei gleichem Parteiprogramm?, D Ö V 1971, S. 652 f. 236 So R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 296; ähnlich W. Leisner, D Ö V 1971, S. 652 f. 237 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 220; zu den funktionalen Voraussetzungen solcher Autonomie des staatlichen Entscheidungsbereichs vgl. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 164 ff. 238 R . Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 220, 296, 341; vorsichtiger, jedoch i m m e r stärker i n ähnliche Richtung weisend, U. Scheuner, AöR 95 (1970), S. 377; D Ö V 1971, S. 5.

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sprechende, diese Realität weithin adaptierende Interpretationsverfahren ermöglicht. Sie beruht folglich weniger auf der analytischen Präzision der angewandten Methoden, als vielmehr auf der Grundlage allgemeiner, ins Normative gewendeter Erfahrungen. Von ihrem methodischen Ansatz her tragen nämlich alle vorgestellten Theorien stark deskriptive Züge, freilich weniger i m exakt-empirischen als i m spekulativ-intuitiven Sinn 2 3 9 . So nimmt die Integrationslehre R. Smends, von der Scheuner und Krüger maßgeblich beeinflußt sind, ihren Ausgangspunkt vom Verständnis der „Geisteswissenschaft" als „verstehende(r) Wissenschaft" 240 . Da sie i h r Erkenntnisobjekt, die „Integration", sodann als „Vorgang" begreift, postuliert diese Theorie eine „verstehende Verfassungslehre", die dementsprechend zu beschreibend „verstehendem" Vorgehen neigt 2 4 1 und aufgrund persönlicher, i n t u i t i v als typisch erfahrener, Beobachtungen 242 zu halbwegs realistischen Darstellungen gelangen kann. U m dies feststellen zu können, bedarf es keiner Auseinandersetzung m i t der spezifisch Smendschen Spielart phänomenologischer Hermeneutik 2 4 3 , deren Ergebnisse sich mit den Analysen moderner sozialwissenschaftlicher Empirie nicht vergleichen lassen 244 . Vielmehr mag der Hinweis genügen, daß Smend eine „elastische, ergänzende, von aller sonstigen Rechtsauslegung weit abweichende Verfassungsauslegung" gefordert hat, die dem „vielfach i n nicht genau verfassungsmäßigen Bahnen" fließenden politischen Lebensstrom" auch gegen den Verfassungswortlaut textmodifizierend folgen soll, sofern auf diesem Wege nur „der aufgegebene Erfolg befriedigender Integration" tatsächlich erreicht w i r d 2 4 5 . Zwar liegt hierin kein prinzipieller Verzicht auf konstitutionelle Normativität, w o h l aber ein unbestimmter Globalvorbehalt zugunsten tatsächlicher Entwicklungen 2 4 6 . Dies hat erst jüngst wieder W. Hennis bestätigt, der sich ausdrücklich auf das Verfassungsverständnis Smends beruft 2 4 7 . Hennis zu239 v g l . z u diesem typischen M e r k m a l elitärer Demokratietheorien P. Bachrach, Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft, S. 111.

z.B.

240

R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 127. R. Smend w i l l den „IntegrationsVorgang . . . beschreibend, v o n der empirischen Beobachtung her" entwickelt haben (Art. „Integrationslehre", S. 476). 242 Vgl. dazu M.H. Mols, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie? S. 173. 243 Hierzu M . H . Mols, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie? S. 142 ff. 244 Vgl. N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 45 f. 245 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 190. 241

246 Vgl. dazu auch W. Bauer, Wertrelativismus u n d Wertbestimmtheit i m K a m p f u m die Weimarer Demokratie, S. 285 ff. 247 Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit, S. 35.

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folge genügt eine Verfassung häufig nicht den „Bedürfnissen" des „freie(n) politische(n) Lebens eines Gemeinwesens", d.h. der „Staatspraxis", doch müsse solchenfalls durch eben diese „Staatspraxis und durch vernünftige Interpretation Abhilfe" geschaffen werden 2 4 8 . Auch sonst ist es i m Staatsrecht „nicht unüblich", aus (angeblichen) politischen Erfahrungen generalisierend zu argumentieren und damit geradezu von einer „politologischen A x i o m a t i k " auszugehen 249 . Diese pseudo-empirische Methode (auf der — wie bereits dargelegt — auch Leisners Untersuchung zur Öffentlichkeitsarbeit beruht 2 5 0 , verführt dazu, die deskriptiv erfaßte „Verfassungswirklichkeit" als normativ geboten hinzustellen. Freilich werden die erwähnten Repräsentationsauffassungen durch exakte empirische Analysen zur amerikanischen Pluralismustheorie weithin gestützt. So ergab z. B. R. A. Dahls Untersuchung der kommunalen Entscheidungsprozesse i n der Stadt New Häven, daß an den Entscheidungen stets nur eine verhältnismäßig kleine politisch aktive Elite-Schicht beteiligt war, während die restliche Bevölkerung mehr oder weniger apathisch blieb 2 5 1 . Weitere internationale PartizipationsUntersuchungen haben das Ergebnis erhärtet 2 5 2 . Aus diesen tatsächlichen Feststellungen zog die amerikanische Pluralismustheorie vielfach auch normative Schlüsse, die sich i m „realistischen" Konzept eines „democratic elitism" niederschlugen 258 . Hiernach sollen miteinander konkurrierende Eliten wechselnd die „Herrschaft für das V o l k " übernehmen, während die demokratische Mitbestimmung der Nicht-Eliten auf periodische Führungsauswahl und minimale Richtungsbestimmung beschränkt bleibt 2 5 4 . I n diesem Modell, das die Beteiligungsinteressen der führenden Schicht ebenso zu berücksichtigen vorgibt, wie die (Sozial-) Leistungsinteressen der restlichen Bevölkerung, läßt sich schließlich auch politische Apathie positiv interpretieren als konkludent erklärte 248 Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit, S. 36; vgl. auch den Hinweis U. Scheuners auf die Bedeutung der „faktische(n) E n t w i c k l u n g " f ü r die Verfassungsauslegung (Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 402). 249 Vgl. W. Leisner, D Ö V 1971, S. 653. 250 N. Luhmann hat dieser Untersuchung bescheinigt, daß Leisners „ P a u schalverständnis der sozialen W i r k l i c h k e i t " unter sozialwissenschaftlichem Aspekt" keinen Fehleinschätzungen oder Verzeichnungen" zum Opfer gefallen sei (Soziale Welt 18 (1967), S. 285). 251 Vgl. R. A. Dahl, Who Governs?, S. 276 ff. 252 Vgl. z. B. G. Almond / S. Verba, The Civic Culture. Weitere Nachweise bei F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie u n d Anpassung, S. 34 f. Fn. 66. 258 Vgl. dazu den kritischen Literaturüberblick bei P. Bachrach, Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft. 254 Vgl. die Darstellungen bei F. Naschold, Organisation u n d Demokratie, S. 32 f., 48 f.; F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie u n d Anpassung, S. 35 ff., jeweils m. w . N.

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Zufriedenheit, d. h. als stabilisierender Faktor i m saturierten System 2 5 5 . Folglich könnten jene präzis-empirischen Untersuchungen — normativ gedeutet — zur Hechtfertigung der Öffentlichkeitsarbeit etwa des B P A herangezogen werden, das überwiegend allgemein werbende Überblicke und loyal gefärbte Situationsberichte, jedoch wenig eingehende Sachinformationen liefert. Selbst häufig kaum verdeckte amtliche Wahlwerbung für die Regierungsparteien erscheint unter diesen Modellvoraussetzungen zulässig. Wo die gesamte Staatspolitik als „ K o n kurrenzkampf u m die politische Führung" begriffen w i r d 2 5 6 , ist derart wahlrationales Verhalten jedenfalls solange gerechtfertigt, wie es — quasi als „Nebenprodukt" 2 5 7 — positives Systemvertrauen, d. h. stabilisierende Loyalität hervorbringt 2 5 8 . Für unsere verfassungsrechtliche Untersuchung erübrigt es sich, die empirisch begründete Pluralismuskritik i m einzelnen zu referieren. Immerhin darf danach die für eine Umsetzung der Tatsachenerhebungen i n normative Modelle wichtige Behauptung, ein pluralistisches System werde grundsätzlich auch die Interessen der Nicht-Eliten wahrnehmen, ebenso als widerlegt gelten 2 5 9 wie die den Pluralismusgedanken konstituierende Annahme, alle sozialen Interessen seien prinzipiell organisierbar 260 . Dieser K r i t i k könnte freilich leicht m i t einer weiteren Angleichung des normativen Pluralismusmodells an die politische W i r k lichkeit begegnet werden.

258 Vgl. z.B. S.M. Upset Political Man, S. 216ff.; L . W . MübraHh , Political Participation, S. 142 ff., 149 ff.: N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 191; ferner (referierend) F . W . Scharpf , Demokratietheorie zwischen Utopie u n d Anpassung, S. 40 f. m. w . N., u n d W.-D. Narr / F. Naschold , Theorie der Demokratie, S. 157. 288 So J. A. Schumpeter (Kapitalismus, Sozialismus u n d Demokratie, S. 427 ff.), dessen revisionistische, auf einen „modus procedendi" reduziêrtè Demokratietheorie die neueren pluralistischen Modell Varianten maßgebend beeinflußte (Kritisch dazu P. Bachrach, Die Theorie demokratischer E l i t e n herrschaft, S. 30 ff.) u n d auch i n der bundesdeutschen Staatsrechtslehre nachw i r k t (vgl. z. B. W. v. Simson , Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 6). 287 J. A. Schumpeter sieht sogar i n „Gesetzgebung u n d V e r w a l t u n g bloße Nebenprodukte des Kampfes u m die politischen Ä m t e r " , vgl. Kapitalismus, Sozialismus u n d Demokratie, S. 454. 288 Vgl. dazu N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 151; Politische Planung, Jahrbuch f ü r Sozialwissenschaf ten 17 (1966), S. 285; jeweils unter Hinweis auf J. A. Schumpeter , Kapitalismus, Sozialismus u n d Demokratie, S. 427 ff. 280 Bloße Wahlbeteiligung reicht zur Interessendurchsetzung nicht aus; aktive Partizipation jedoch ist vornehmlich auf gehobene sozio-ökonomische Schichten beschränkt. wo v g l . hierzu die kritischen Überblicke bei F. Naschold , Organisation u n d Demokratie, S. 49f., u n d F . W . Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie u n d Anpassimg, S. 43 ff. m. w . N.

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I m vorliegenden Zusammenhang bleibt jedoch die Verwandtschaft pluralistischer Elite-Theorien und absorptiver Repräsentationsauffassungen darin festzuhalten, daß jeweils — abgesehen vom Wahlakt — eine verbreitete politische Apathie beim größten Teil der Bevölkerung vorausgesetzt wird. Den Grund hierfür hat Luhmann mit der i h m eigenen Offenheit dargelegt: Die Gefährdung des etablierten politischen Systems „wächst i n dem Maße, als die gesellschaftliche Mobilität der Kommunikationen und Kontakte und das Vermögen, sich Alternativen vorzustellen, z u n i m m t " 2 6 1 . Dementsprechend bietet vor allem die werbende Öffentlichkeitsarbeit keine alternativen Informationen zur eigenen Meinungsbildung, sondern liefert die Meinung selbst. Der Empfänger soll aufgrund der Darstellung glauben, daß „gute Gründe" für einen Beschluß oder ein Vorhaben vorhanden sind, er soll darauf vertrauen, daß die propagierte Politik jedenfalls begründet ist, damit er sie dann widerstandslos akzeptieren kann, auch wenn er ihr vielleicht nicht freudig zustimmt. Derartige Öffentlichkeitsarbeit dient also der Beruhigung, sie w i l l kritisches Fragen und allzu „schöpferische Unruhe" weitgehend unterbinden, u m auf diese Weise die systemnotwendige Indifferenz zu erhalten. Folglich hält man von beiden beschriebenen Auffassungen her die diffuse Werbung staatlicher Instanzen u m das Vertrauen der Massen für zulässig, wenn nicht sogar für wünschenswert. Die pluralistische Soziologie gewinnt diese Begründung neuerdings auch aus dem K r i t e r i u m der Systemfunktionalität, die Staatsrechtslehre hingegen aus dem absorptiv verstandenen Repräsentationsprinzip sowie vereinheitlichenden Integrationszwecken. Schließlich sind sowohl Pluralismustheorie wie die diskutierten verfassungsrechtlichen Positionen letztlich auf die „Output"-Leistung des politischen Systems, auf funktionale Effizienz h i n konzipiert 2 6 2 und verwenden mehr oder weniger realitätskonforme Methoden. Beide Ansätze arbeiten „deskriptiv-normativ", indem sie den politischen Prozeß sowohl empirisch erklären wie auch durch dieUmformulierung faktischer Strukturen zu verbindlichen Maßstäben oder i m Wege „realistischer" Verfassungsinterpretation als rechtens fixieren möchten 2 6 8 . I m Rahmen rechtlicher Erörterungen kann es freilich nur i n zweiter Linie auf die Wirklichkeitsnähe bestimmter Auffassungen 261

Legitimation durch Verfahren, S. 192. Vgl. dazu f ü r die Pluralismustheorie F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie u n d Anpassung, S. 39, 43; f ü r die Integrationslehre W. Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 19. 268 Z u m pluralistischen Aspekt vgl. F. W. Scharpf, Demokratietheorie z w i schen Utopie u n d Anpassung, S. 42. Auch N. Luhmanns Versuche, das „Schisma" der „deskriptiven" u n d „präskriptiven" Wissenschaften zu überw i n d e n (z. B. Grundrechte als Institution, S. 10), sind als „ d e s k r i p t i v - n o r m a t i v " gekennzeichnet worden, vgl. W. Schmidt, A u f k l ä r u n g durch Soziologie, N P L 1971, S. 345 f. 262

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ankommen (sofern man die Normativität der Verfassung nicht offen zugunsten faktischer Entwicklungen aufgeben will), primär hingegen allein auf eine verfassungstheoretische Grundlegung von juristischer Stringenz. Also operieren die bisher diskutierten Theorievarianten vordergründig m i t staatsrechtlichen Argumenten aus dem repräsentativen Charakter grundgesetzlich normierter Entscheidungsinstanzen. Andererseits werden aber alle (Auslegungs-) Ansätze, die das partizipatorische, d. h. auf Realitätsveränderung gerichtete „evokative" Element der Verfassung hervorheben, gerade unter Hinweis auf den „Realismus" des Repräsentationsprinzips m i t der Begründung, sie seien irreal (!), abgelehnt und schlicht als „Utopie" denunziert 2 6 4 . Eben dieser Punkt bezeichnet jedoch die speziell normative Schwäche jener Theorien, welche — auf die Regelungen des A r t . 20 I I 2 GG fixiert — den Regierungsbereich als politisches Zentrum des Gesamtsystems, sowie Gemeinwohlbindung und loyales Vertrauen der Bevölkerung als seine Legitimitätsprinzipien hinstellen möchten. Hierdurch w i r d Art. 20 I I 1 GG, wonach alle Staatsgewalt „vom Volke ausgeht", auf „eine unverbindliche traditionelle Floskel" reduziert 2 6 5 . Die Bedeutung des jeder normativen Substanz entleerten Grundsatzes der Volkssouveränität bleibt damit auf marginale Fragen des politischen Stils beschränkt, nämlich auf die Maxime, staatliche Entscheidungen möglichst i n „Volksnähe" zu treffen 2 6 6 . Indessen spricht nichts dafür, die Normativität des i m Rahmen von A r t . 20 I I GG völlig gleichrangigen Satzes 1 gegenüber Satz 2 zu leugnen 2 6 7 . Das i n A r t . 20 I GG niedergelegte Demokratieprinzip unterstreicht geradezu die verfassungsrechtliche Bedeutung der anschließend normierten Volkssouveränität als eines tragenden Strukturelements der Verfassung, dessen Minimalisierung auch nicht aus dem „Gemeinwohl"-Gedanken heraus zu rechtfertigen ist. Jedes Gemeinwohlpostulat muß nämlich wegen seiner inhaltlichen Unbestimmtheit zwangsläufig eine m i t den unterschiedlichsten Interessen auffüllbare Leerformel bleiben, die allenfalls dazu taugt, tatsächliche Verhältnisse aus politischen Motiven zu idealisieren 268 , d . h . sie alternativen Entwürfen gegenüber konservierend zu rechtfertigen. Bestenfalls aber 264

Vgl. z. B. W. Hennis, Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie, S. 144 f.; U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie,, S. 407; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 206 f. 265 Vgl. ff. Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften i m Sozialstaat..., Fn. 51 (S. 26 f.). 266 Vgl. z.B. U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, S. 398; Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 395; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 83. 267 Vgl. H. Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften i m Sozialstaat..., Fn. 51 (S. 26 f.). ? 68 Vgl. H. Kelsen, V o m Wesen u n d Wert der Demokratie, S. 21 f.

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w i r d hierdurch eine „metapolitische Illusion" zur Rechtfertigungskategorie erhoben, u m damit die Ergebnisse wirklichkeitsangepaßter „Verfassungskonkretisierung" i m Einzelfall scheinbar normativ abzusichern 2 6 9 . I m politischen Prozeß ist eine neutrale Instanz heute nicht denkbar. Kein Inhaber eines Staatsamtes w i r d durch diese Stellung so sehr aus seinen sozialen Bindungen gelöst, daß er als wirklich „unparteiisch" gelten könnte. Er bleibt vielmehr zwangsläufig zugleich Mitglied der Gesellschaft und damit i n vielfältige Interessen, Ideologien und Traditionen unlösbar verstrickt, er bleibt damit „notwendigerweise Partei" 2 7 0 . Wichtiger erscheint m i r jedoch, daß es — wie bereits hervorgehoben — heute verfassungsrechtlich durchaus legitim ist, wenn die regierende Mehrheit konkrete Interessen v e r t r i t t 2 7 1 . Sie ist hierbei lediglich an die Verfassung gebunden, darf also i n Wahrnehmung solcher Interessen die Möglichkeiten alternativer Meinungs- und Willensbildung keinesfalls beschneiden. Allerdings verstehen jetzt auch moderne integrationistische Ansätze die Verfassung als eine Ordnung zur Regelung von gesellschaftlichen Konflikten durch Kompromisse, stillschweigende Zustimmung oder erfolgreich ausgeübten Zwang. Ziel solcher Auseinandersetzungen bleibt freilich die — nicht mehr als „vorgegeben", sondern als „aufgegeben" verstandene — politische „Handlungseinheit", also eine Einheit funktioneller A r t 2 7 2 . Nachdem das allgemeine Wahlrecht nunmehr auch den Massen und nicht nur begrenzten Schichten politische Einflußmöglichkeiten eröffnet habe, konstituiere diese Einheit den Staat als ein „Stück Selbstorganisation der modernen Industriegesellschaft 273 . M i t der Anerkennung „pluralistischer" Interessenkonflikte scheint die Kategorie des „Gemeinwohls" für solche Theorievarianten nunmehr überholt. Dennoch gibt der neueste Versuch eines integrationistischen Verständnisses des politischen Gemeinwesens i m „Bereich des Öffentlichen" diesen Begriff nicht auf, sondern ersetzt i h n durch einen der „pluralen Struktur des Volkes" entsprechenden „Pluralismus der Gemeinwohlvorstellungen" 2 7 4 . Hiernach gehen die konkurrierenden Gemeinwohlkonzepte i n den öffentlichen Willensbildungsprozeß ein, der wiederum an den Institutionen und Werten der Verfassung als einem „Plan der konkreten guten Ordnung" orientiert sei. Außerhalb jenes 260 Y g i H L e n Z f Rundfunkorganisation u n d öffentliche Meinungsfreiheit, J Z 1963, S. 343; kritisch insbesondere gegenüber dem auf Gemeinwohlillusionen gegründeten Vertrauenspostulat auch A. Arndt, Das nicht erfüllte G r u n d gesetz, S. 10 f. 870 Vgl. M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 53. 271 Vgl. BVerfGE 5, S. 85 ff., 233. 272 K . Hesse, Grundzüge, S. 6. 273 K . Hesse, Grundzüge, S. 8. 274 A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 262.

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Prozesses habe das „Gemeinwohl" dann zwar „keine abstrakt-materielle Wirklichkeit", doch werde es als Postulat einer „guten Ordnung" zum konstitutionellen „Reflexionsgebot" für alle politisch agierenden Gruppen 2 7 5 . Da das von der abstrakt verquollenen Formel einer „guten Ordnung" Begriffene jedoch m i t dem konkreten normativen Programm der Verfassung identisch sein soll 2 7 6 , scheint es fast, als werde mit der Übernahme des Begriffs „Gemeinwohl" lediglich eine schulspezifische Reverenz erwiesen. Dennoch handelt es sich u m mehr als eine terminologische Pflichtübung. Zwar w i r d die Vorstellung einer „vorgegebenen" Einheit des Volkes jetzt abgelehnt, w o h l aber sollen der demokratischen Verfassung i n „den gesellschaftlichen Strukturen . . . Macht- und Kooperationsverhältnisse sowie auch schon Integrationskomponenten »vorgegeben 4" sein, „die vornormativen Charakter haben" 2 7 7 . Damit w i r d das Problem der disponiblen Rechtfertigungskategorie aber nur aus der staatlichen i n die pluralistisch-gesellschaftliche Sphäre gruppenmäßig fixierter Gemeinwohlvorstellungen verlegt. Es ist nicht einzusehen, weshalb dieser Begriff auf der Ebene eines „Pluralismus von Gemeinwohlvorstellungen" vorgefundener sozialer Gruppen eine grundsätzlich andere Qualität gewinnen soll, als wenn man ihn allein der Selbstlegitimation „staatsleitender" Organe reserviert. Sofern nämlich die konkret „vorgegebenen" sozialen Machtverhältnisse als reale „Gruppengesellschaft" w i r k l i c h derart konstitutionalisiert wären, daß die Verfassungsordnung selbst „ i n einem normativen Sinn pluralistisch" 2 7 8 wird, dann wären auch die pluralen Gemeinwohlkonzepte der heute faktisch geschlossenen „Gruppengesellschaft" entsprechend präkludiert. Unterhalb dieses Niveaus der etablierten Gruppen behielte der Begriff damit seine traditionell alternativenfeindliche Funktion. Folglich kann eine „oligopolistische" Relativierung des herrschaftslegitimierenden Charakters der Gemeinwohlformel deren elitäre antidemokratische Stoßrichtung angesichts des grundgesetzlichen Demokratiegebots zwar mildernd kaschieren, nicht aber beseitigen 279 . 275

A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 260 f. A. Rinken selbst erklärt die „gute Ordnung" als „demokratische u n d soziale Verfassung", deren „ L e i t l i n i e n . . . Menschenwürde, . . . Gleichheit u n d Freiheit aller" . . . seien (Das öffentliche als verfassungstheoretisches P r o blem, S. 260). 277 A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 255. 278 So A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 255. 279 M i t Recht stellt G. Stuby i n einer K r i t i k dieser Auffassung Rinkens fest, daß „der gesellschaftliche H i n t e r g r u n d der pluralen K r ä f t e des Volkes letztlich ungefragt" bliebe (Bürgerliche Demokratietheorie i n der Bundesrepublik, S. 122). Fehl geht freilich die Polemik Stubys (ebd., S. 123) gegen den von Rinken zitierten Ausdruck der „irdischen Gemeinwohlverantwort u n g " (Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 285), welcher 276

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

Immerhin bleibt jedoch festzuhalten, daß der „pluralisierte" Gemeinwohlbegriff i m Sinne eines „Reflexionsgebots" keine Rechtfertigung für amtliche Öffentlichkeitsarbeit mehr zu bieten vermag.

B. Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung des Volkes Wer die intensive Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Organe rechtfertigen w i l l , muß eine Verfassungskompetenz für lenkende Einflußnahmen auf den demokratischen Willensbildungsprozeß durch psychische Machtübung finden. Sicher ist die m i t der Stimulierung allgemeiner Loyalität und spezieller Zustimmung bezweckte Legitimitätserhaltung als solche i n jeder Rechtsordnung notwendig. Andererseits können nach A r t . 20 I I 1 GG heute allein demokratische Willensbildung und Beteiligung die (im Vergleich zu der Wirkung amtlicher Werbung freilich wesentlich unsichereren) Grundlagen staatlicher Legitimität sein. Alle Befürworter werbender Öffentlichkeitsarbeit versuchten dieses Dilemma deshalb dadurch zu lösen, daß sie die repräsentativen Staatsorgane von jener Legitimitätsbasis, dem Volk, abhoben und absorptiv verselbständigten. Zur Begründung mußten vordemokratische Staatszwecke (integrierende Einheitsbildung, Gemeinwohl) und extrakonstitutionelle Systemziele (Effizienz) herangezogen werden, die einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhielten. I m Gegensatz hierzu ist Helmut Lenz bei seinen Überlegungen zum Problem amtlicher Öffentlichkeitsarbeit m i t Recht davon ausgegangen, daß die demokratische Ordnung „aufgehoben" sei, wenn das V o l k i n seinen Aktivrechten darauf reduziert werde, „Repräsentanten zu bestellen, die, abgeschottet vor demokratischen Ingerenzen, autonom die parlamentarische Willensbildung lenken, und wenn Parteien deren Ergebnisse und Blanko-Pläne bei der Wahl zur Akklamation stellen" 2 8 0 . I . Darstellung

Lenz hat deshalb versucht, die Grenzen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit konsequent aus der i m Grundgesetz „institutionell geschiedenen Abfolge von der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung über den Wahlakt zur staatsorganisatorischen Willensbildung" und aus den K o m petenzen der Staatsorgane innerhalb dieses Prozesses herzuleiten 2 8 1 . dort i n einem speziellen staatskirchenrechtlichen Zusammenhang kontrastierend verwendet w i r d . 280 Hamann / Lenzs A r t . 21 A n m . A3 a (S. 353). 281 Hamann ¡Lenz, A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182); A r t . 21 A n m . B 8 (S. 364); Rundfunkorganisation u n d öffentliche Meinungsbildungsfreiheit, J Z 1963, S. 338 ff., 342 f.

B . Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

Hiernach vollzieht sich „demokratische Rechtserzeugung" i n folgenden Stufen: „freie Meinungsäußerung -> freie öffentliche Meinungsbildung freie politische Willensbildung der Aktivbürgerschaft -> Organerzeugung i m freien Wahlverfahren -> kompetenzförmige Staatswillensbildung Setzung von Rechtsakten durch spezifische Organtätigkeit." Diese Stufenfolge, so meint Lenz, müßte sich durch eine i m Wege staatsorganschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit verbreitete „Staatsmeinung" umkehren, w e i l der Staat damit i n der Primärstufe „Meinungsformierung" als handelndes Subjekt „lenkend auftrete, obwohl Staatsorgane doch erst als Ergebnis dieses Prozesses gebildet würden, d . h . i m Stadium der „freien politischen Meinungs- und Willensbildung" (auf welche Öffentlichkeitsarbeit einwirken soll) verfassungstheoretisch noch gar nicht existent seien. Innerhalb der dargestellten Stufenfolge könne sich der „demokratische Parteienstaat" deshalb nur i n den „Organhandlungen der Rechtserzeugung und Rechtsanwendung" als den Ergebnissen eines freien Meinungs- und Willensbildungsprozesses äußern, manifestiere sich also ausschließlich innerhalb dieses Bereichs kompetenzförmiger Organwalterakte. „ I m Prozeß der demokratischen Rechtsbildung ist der Staat sanktioniert als Rechtserzeugungsorganisation, die durch die Freiheit des Meinens und Wollens der Normadressaten legitimiert ist, nicht als Meinungserzeugungsorganisation, die rechtliche Setzungen durch das Werben m i t Legitimationsideologien sichert." Für eine derart „normative Betrachtungsweise" sind „Staatsmeinungen" m i t h i n keine „rechtlich relevante Kategorie" und deshalb verfassungsrechtlich illegitim, sobald sie über „amtliche Verlautbarungen, die für die kompetenzförmige Ausübung der Staatsgewalt rechtsmaßgeblich sind (z.B. Regierungserklärungen, Richtlinienentscheidungen, Ansprachen zu national-repräsentativen Anlässen etc.)", hinausgehen 2 8 2 . Dementsprechend stellt jede werbende Öffentlichkeitsarbeit des Staates eine unzulässige Beeinflussung des freien Meinungs- und Willensbildungsprozesses dar. Lenz zufolge kehrt die „Selbstdarstellung der verfaßten Staatsorgane" jenen Prozeß u m „ i n ein System der antizipierten Repräsentation, das von Wahl zu Wahl den Regierungsparteien einen propagandistischen Mehrwert prolongiert" 2 8 3 . Diesen verfassungstheoretischen Überlegungen liegt die Vorstellung einer strikten rechtlichen Trennung von freier politischer Willensbildung einerseits und organschaftlich-kompetenzförmiger Staatsgewaltausübung andererseits zugrunde, wie sie sich i n den Vorschriften der A r t . 282 Rundfunkorganisation u n d öffentliche 1963, S. 338 ff., 342 f. 283 Hamann / Lenz, A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182).

Meinungsbildungsfreiheit,

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21 I und 20 I I GG niederschlage 284 . Derselbe Grundgedanke prägt auch das Parteienfinanzierungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. J u l i 1966 285 . Dort heißt es: „Willensbildung des Volkes und Bildung des staatlichen Willens durch seine verfaßten Organe müssen unterschieden werden", w e i l das Grundgesetz von dieser Unterscheidung i n A r t . 211 GG („Willensbildung des Volkes") und A r t . 20 I I GG („Bildung des Staatswillens") ausgehe 286 . Zwar — so meint das Gericht offenbar i m Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse — seien beide Sphären „auf vielfältige Weise miteinander verschränkt", doch müsse sich — und dies ist wieder als rechtliche Aussage zu verstehen — die Willensbildung i n einer Demokratie „vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volke hin, vollziehen". Da die Staatsorgane gemäß A r t . 20 I I GG erst durch den Prozeß der politischen Willensbildung des Volkes „hervorgebracht" würden, sei es ihnen „grundsätzlich verwehrt", sich hinsichtlich der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu „ b e t ä t i g e n d i e s e r Bereich müsse daher allgemein „staatsfrei" bleiben. „Einwirkungen" der Legislative und Exekutive („Regierung und Verwaltung") auf diesen Prozeß seien nur dann m i t dem Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien und offenen Willensbildung vom V o l k zu den Staatsorganen vereinbar, „wenn sie durch einen besonderen, sie verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt werden können 2 8 7 . Insofern hält das Gericht die „sogenannte Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden K ö r perschaften" für „unbedenklich", „soweit sie — bezogen auf ihre Organtätigkeit — der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben, sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläut e r n " 2 8 8 . Dieser auf die tatsächliche Praxis bezogene Ausnahme-Passus ist zwar weit weniger deutlich als die präzise juristische Abgrenzung bei Lenz, doch entspricht die Position des Gerichts der Lenzschen Grundauffassung so weitgehend, daß die gegen diesen Teil des Parteienfinanzierungsurteil vorgetragene K r i t i k 2 8 9 auch dessen Argumentation t r i f f t 2 9 0 . 284 H. Lenz i n : Hamann / Lenz, A r t . 21 A n m . A 3 a (S. 352). 285 BVerfGE 20, 56 ff. Lenz verweist mehrfach zustimmend auf diese E n t scheidung, vgl. Hamann / Lenz, A r t . 5 A n m . A 1 (S. 183), A r t . 21 A n m . A 3 a (S. 353), B 8 (S. 364). 286

BVerfGE 20, 98. 287 BVerfGE 20, 56 ff., 99. 288 BVerfGE 20,100.

289 Zuletzt H. Zwirner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Parteifinanzierung, AöR 93 (1968), S. 81 ff. u n d G. Leibholz, Z u m Parteiengesetz von 1967, i n : Festschrift f ü r A . A r n d t , S. 179 ff., jeweils m. w. N. 290 Lenz hielt die 1965 erhobene, 1968 jedoch zurückgenommene Organklage der SPD gegen eine „verschleierte Parteifinanzierung" u n d einen „versteckten »Finanzausgleich'" zwischen Staatskasse u n d Regierungsparteien i m Wege

B . Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung I I . Kritik

Gegenstand der K r i t i k ist vor allem die das Parteienfinanzierungsurteil theoretisch tragende Trennung der Willensbildung von V o l k und Staat, welcher die überholte Vorstellung eines starr-unverbundenen Gegenübers beider Sphären i m Sinne der liberalen D o k t r i n des Dualismus von „Staat und Gesellschaft" i m 19. Jahrhundert 2 9 1 zugrunde liege 2 9 2 . Dieses Konzept sei heute verfehlt, weil es einerseits auf einem — die „politische Realität der Parteiendemokratie „mißachtenden — also „wirklichkeitsfremden" Verfassungsverständnis beruhe 2 9 3 und andererseits von einem aus dem Grundgesetz interpretatorisch nicht herzuleitenden Gesellschafts- und Willensbildungsmodell getragen werde 2 9 4 . Der V o r w u r f „unrealistischer Vorstellungen" 2 9 5 w i r d vor allem m i t Beschreibungen der „Verfassungspraxis" begründet, innerhalb derer die politischen Parteien Träger und M i t t l e r eines einheitlichen, untrennbaren, demokratischen Willensbildungsprozesses seien, der die „institutionalisierte Staatswillensbildung" (Gesetzgebung, Regierung) mit umfasse. Infolgedessen erscheint die theoretische Aufspaltung eines derart durchgehend integrierenden Lebensvorgangs, der schließlich zur „Konstituierung und Erhaltung der politischen Einheit" führt, „den Bedingungen heutiger Wirklichkeit" unangemessen 296 . Realitätsangemessen seien hingegen Ergebnisse, die aus einer „wirklichkeitsorientierten Verfassungsinterpretation" gewonnen werden 2 9 7 , deren Ausder — beide Bereiche zu einer „propagandistischen Einheit" (so der Ausdruck i n der Klageschrift nach einer Äußerung des CDU-Abgeordneten Dr. SchulzeVorberg i m Bundestag am 8.10.1970, Sten. Ber. V I , S. 3858 A) verschmelzenden — Öffentlichkeitsarbeit durch die „grundsätzlich richtige Konzeption" des Urteils bereits f ü r „wesentlich präjudiziert" (Hamann / Lenz, A r t . 21 A n m . B 8, S. 364). 291 Vgl. hierzu H. Ehmke, „Staat" u n d „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, i n : Festgabe f ü r R. Smend (1962, S. 24ff.; U . K . Preuß, Z u m staatsrechtlichen Begriff des öffentlichen, S. 83 ff. 292 So vor allem H. Lauf er, Z u r staatlichen Finanzierung der politischen Parteien, Aus P o l i t i k u n d Zeitgeschichte, B 44/1966, S. 27 ff.; Verfassungsgerichtsbarkeit als politischer Prozeß, S. 527; P. Häberle, Unmittelbare staatliche Parteifinanzierung unter dem Grundgesetz, JuS 1967, S. 64 ff., 66 f.; D. Tsatsos, Die Finanzierung der politischen Parteien, ZaöRV 26 (1966), S. 371 ff.; H. Zwirner, AöR 93 (1968), S. 116 f.; U. Scheuner, V e r a n t w o r t u n g u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, i n : Festschrift f ü r Gebh. Müller, S. 379 ff., 381. 293 P. Häberle, JuS 1967, S. 66 ff., 69 ff., H. Lauf er, Verfassungsgerichtsbarkeit u n d politischer Prozeß, S. 526 f., 532. 294 D. Rauschning, Z u r Methode der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die staatliche Parteifinanzierung, J Z 1967, S. 346 ff., 347 f.; P. Häberle, JuS 1967, S. 70 ff.; H. Zwirner, AöR 93 (1968), S. 117 ff.; vgl. auch U. Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 389. 295 H. Lauf er, Verfassungsgerichtsbarkeit u n d politischer Prozeß, S. 527. 298 P. Häberle, JuS 1967, S. 66.

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

gangspunkt aber nicht das (zunächst notwendig) abstrakte Verfassungsmodell ist, sondern der „freie politische Lebensprozeß". Dabei erweise sich etwa auch amtliche Öffentlichkeitsarbeit „unter den Bedingungen heutiger Wirklichkeit dem demokratischen (öffentlichen) Willensbildungsprozeß unverzichtbar" zugehörig, w e i l sie i m realen politischen Leben der „Totalität der Willensbildung" unterfalle 2 9 8 . I m einzelnen bleibe jeweils lediglich zu prüfen, ob z. B. die haushaltsmäßig vorgesehene Parteifinanzierung (oder Öffentlichkeitsarbeit) jenen Prozeß „ i n concreto" beeinträchtigt. Gerade dieser Nachweis fehle aber i m Parteienfinanzierungsurteil 299 . Anders gewendet: „Solange die Verfassung dafür keine Schranke aufstellt, kann die Parlamentsmehrheit alles Mögliche zur »Aufgabe des Staates' erklären . . . , wenn die Verfassung kein eindeutiges Verbot ausspricht 300 ." So sollen die Staatsorgane m i t der „Pflicht" betraut werden dürfen, gelegentlich den Meinungsprozeß von oben nach unten zu lenken 3 0 1 , m i t h i n auch werbende Öffentlichkeitsarbeit zu treiben. Der V o r w u r f mangelnder Wirklichkeitsbezogenheit t r i f f t das k r i t i sierte Konzept indessen nur dann, wenn man i m Bereich der politischen Willensbildung einen weiten, verfassungsrechtlich offenen Raum freier Gestaltung annimmt, d. h. eine tatsächliche Gestaltungsfreiheit, die erst dort endet, wo eindeutige (normative) Verbote empirisch nachweisbar überschritten werden. Abgesehen davon, daß solche — auf die einleitend bereits als Interpretationsmethode abgelehnte Smendsche Integrationslehre zurückgehenden — Vorstellungen 3 0 2 letztlich zur Negation konstitutioneller Normen verführen 3 0 3 , zielt diese K r i t i k an der Lehre von einer „staatsfreien" politischen Willensbildung des Volkes vorbei. Sowohl Lenz wie auch das Bundesverfassungsgericht leugnen hier nämlich gerade einen verfassungsrechtlichen Spielraum, indem sie ihr Konzept aus einer normativen Interpretation des Grundgesetzes herzu297 H. Laufer spricht von einer „realistischen Demokratielehre", V e r fassungsgerichtsbarkeit u n d politischer Prozeß, S. 526. 298 P. Häberle, JuS 1967, S. 69. 299 P. Häberle, JuS 1967, S. 69. Einen konkreten (wohl n u r exakt empirisch zu führenden u n d deshalb k a u m zu erbringenden) Nachweis unzulässiger staatlicher E i n w i r k u n g fordern auch D. Tsatsos, ZaöRV 26 (1966), S. 378; K . Hesse, Grundzüge, 1. A u f l . 1967, S. 74; D. Rauschning, J Z 1967, S. 349. 800 H. Lauf er, Verfassungsgerichtsbarkeit u n d politischer Prozeß, S. 528. 801 H. Lauf er, Z u r staatlichen Finanzierung der politischen Parteien, S. 28 f. 802 I n der K r i t i k Häberles w i r d diese H e r k u n f t besonders deutlich; vgl. etwa die dort verwendeten Begriffe von der „Totalität des Lebensprozesses" u n d des „Integrationsprozesses", i n dem sich V o l k u n d Staat zu einer „ E i n heit" verwirklichen, JuS 1967, S. 66 f., u n d die Darlegungen R. Smends zum „Wesen der Verfassung" i n : Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 187 ff., 189. Hieran anknüpfend auch K . Hesse, Grundzüge, 1. Aufl. 1967, S. 4 f. 303 v g i # a a z u meine Darlegungen i n diesem K a p i t e l unter A I . u n d I I .

B . Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

leiten versuchen und es m i t h i n als die verfassungsrechtlich allein gewollte, zwingend vorgeschriebene Ordnung darstellen. Wenn danach die Staatsorgane durch den Prozeß der politischen Willensbildung des Volkes „erst hervorgebracht" 3 0 4 werden, auf dieser Stufe der „Meinungsformierung" also von Verfassungs wegen gleichsam noch nicht vorhanden sind 8 0 5 , so folgt hieraus bereits ein staatliches Betätigungsverbot, nicht aber nur ein Beeinträchtigungsverbot i n bezug auf jenen Prozeß 306 , wie die K r i t i k e r fälschlich annehmen. Insofern völlig konsequent w i r d i m U r t e i l vom 11. J u l i 1966 auch erklärt, die Verfassungswidrigkeit staatlicher Zuwendungen an politische Parteien hänge nicht davon ab, ob die politische Willensbildung des Volkes infolge der Parteienfinanzierung aus Haushaltsmitteln tatsächlich beeinträchtigt werde 3 0 7 . Treffend weist auch Lenz derart „empirische" K r i t i k als nicht normativ zurück 3 0 8 . Demgegenüber müßte die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung ihrem eigenen Anspruch zufolge allen Angriffen standhalten, die ihre normative Fundierung i m Grundgesetz bestreiten. Zunächst legt jede Abschichtung von gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung die liberal-konstitutionelle Vorstellung zweier „beziehungslos nebeneinander rotierender Systeme" nahe, die nur gelegentlich plebiszitär i n Wahlen miteinander verzahnt werden, obwohl beiden Sphären i n der Demokratie (vgl. A r t . 20 I I GG) „dasselbe persönliche Substrat" zugrundeliegt 3 0 9 . Soweit das Theorem „Staat und Gesellschaft" also eine verfassungsrechtliche Abschottung der „Staatswillensbildung" von „gesellschaftlichen" Einflüssen rechtfertigen sollte, widerspräche es dem demokratischen Verfassungsprinzip der Volkssouveränität (Art. 20 I I 1 GG), wonach die Staatsorgane als „besondere Organe" des Volkes (vgl. A r t . 20 I I 2 GG) ständiger „gesellschaftlicher" Einwirkung offen stehen müßten. Tatsächlich ist das Bundesverfassungsgericht i n den Volksbefragungsurteilen vom 30. J u l i 1958 310 , wo es erstmals eine Willensbildungstheorie darlegte, diesem Mißverständnis nicht entgangen. Dort wurde 804 BVerfGE 20, S. 99. 305

H. Lenz, JZ 1963, S. 342. I n BVerfGE 20, S. 99, heißt es ausdrücklich, es sei „den Staatsorganen... verwehrt, sich i n bezug auf den Prozeß . . . zu betätigen" (Hervorhebung v o n mir). 307 BVerfGE 20, S. 102. Diesen Zusammenhang deutet lediglich H. Zwirner, AöR 93 (1968), S. 119, Fn. 106) an. 308 Vgl. Hamann / Lenz, A r t . 21 A n m . A 3 a, w o der K r i t i k Laufers vorgeworfen w i r d , sie verwechsele „durchgängig Normerkenntnis m i t politischer Tatsachenfeststellung". 809 Vgl. H. Ridder, I n Sachen Opposition — A d o l f A r n d t u n d das Bundesverfassungsgericht, i n : Festschrift für Ad. A r n d t , S. 323 ff., 345. 310 BVerfGE 8, S. 104 ff., 122 ff. 806

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die Beteiligung des „Aktivbürgers" an der „Staatswillensbildung" durch Wahlen und Abstimmungen isoliert von seiner Teilnahme am „gesellschaftlich-politischen" Meinungsbildungsprozeß als einer begrenzten „Vorformung" jener Willensbildung 3 1 1 . Die Volksbefragungsgesetze riefen nach Ansicht des Gerichts zu „Abstimmungen" auf und eröffneten dem Volk hierdurch eine unmittelbare organschaftliche M i t w i r k u n g an der Staatswillensbildung. Infolgedessen konnten diese Gesetze an den entgegenstehenden (bundes-)staatlichen Kompetenznormen gemessen und für verfassungswidrig erklärt werden 3 1 2 . Verkannt blieb dabei, daß jene Befragungen den Aktivbürger lediglich zu rechtsunverbindlichen Meinungsäußerungen über eine mögliche staatliche Entscheidung auffordern sollten, also nur den „gesellschaftlich-politischen" und nicht den „staatsorganschaftlichen" Bereich betrafen. Gegenstand „gesellschaftlich-politischer" Willensbildung ist i n der Demokratie jedoch das gesamte Feld staatlicher Zuständigkeit (vgl. A r t . 20 I I 1 GG) ungeachtet organisatorischer Kompetenzen, die nicht als Barrieren gegen politischen Meinungsdruck i m Sinne einer „absorptiven Repräsentation" verstanden werden dürfen 3 1 3 . Beide Sphären werden erst i n den Entscheidungen des Parlaments verkoppelt, w e i l jeder Abgeordnete allein nach seinem demokratischen Gewissen (vgl. A r t . 38 I 2 i. V. m. A r t . 21 GG), d. h. i n Kenntnis des jeweiligen gesellschaftlichen Meinungsspektrums zu handeln verpflichtet ist 3 1 4 . Diese Verbindung blieb i n den Volksbefragungsurteilen noch übersehen, sie kennzeichnet hingegen die Argumentation i m hier interessierenden Teil des Parteienfinanzierungsurteils. Danach beeinflussen „öffentliche Meinung", Gruppen, Verbände und andere „gesellschaftliche Gebilde" sowie „vor allem" die politischen Parteien die „Entschlüsse der Staatsorgane" i n einer Demokratie von Verfassungs wegen. I n der demokratischen Verfassungsordnung müsse sich die Willensbildung nämlich „vom Volk zu den Staatsorganen" vollziehen 3 1 5 . Das Gericht schirmt hier also den Staat weder von der Gesellschaft ab, noch „distanziert" es „ V o l k " und „Staat" — wie Häberle m e i n t 3 1 6 — i n spätliberalem Trennungsdenken. Es versteht staatliches Handeln eher i m demokratischen Sinne direkter Beteiligung als Funktion der Gesellschaft: Nur der i n einer Richtung, 311 I n BVerfGE 8, S. 51 ff., 68, hatte das Gericht v o m „Vorfeld der p o l i tischen Willensbildung" gesprochen, die es nunmehr insgesamt als „ I n t e g r a tionsprozeß" (!) kennzeichnet (BVerfGE 8, S. 104 ff., 113). 312 BVerfGE 8, S. 114 ff. 813 Vgl. Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat, S. 233 f. 814 Vgl. H. Ridder, I n Sachen Opposition: A d o l f A r n d t u n d das Bundesverfassungsgericht, S. 345; allgemein hierzu M . Sobolewski, Politische Repräsentation i m modernen Staat, S. 437 ff. 815 BVerfGE 20, S. 99. 818 JuS 1967, S. 67; ebenso U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 381.

B. Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

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„vom Volk zu den Staatsorganen" fließende politische Willenstrom erscheint demokratisch, während umgekehrt jede staatliche A k t i v i t ä t i m Bereich gesellschaftlicher Meinungsbildung diesen Prozeßverlauf tendenziell autoritär umpole. „Staat" und „Gesellschaft" sind dann derart miteinander verbunden, daß die „Gesellschaft" als autonome „Energiequelle" politischer Meinungs- und Willensäußerungen den ihr gegenüber intellektuell passiven Staatsapparat zu rechtsverbindlichen Entscheidungen aktivieren und damit zugleich kontrollieren kann. Ähnliches meint H. Ridder, wenn er von der „Publikumsgesellschaft" als „politischem Entscheidungszentrum" spricht 3 1 7 . Für das Bundesverfassungsgericht ergibt sich dieses Verhältnis rechtlich aus A r t . 20 I I GG. Hiernach würden die Staatsorgane durch jenen Willensbildungsprozeß des Volkes, der i n Wahlen einmündet, „erst hervorgebracht" 3 1 8 , sie seien vorher also „von Verfassungs wegen gleichsam noch nicht vorhanden", weshalb jegliche A k t i v i t ä t innerhalb des sie doch erst konstituierenden gesellschaftlichen Prozesses juristisch ausgeschlossen werde 3 1 9 . Dabei übersieht der Senat freilich, daß das V o l k als Staatsvolk ebenso wie die Staatsorgane bereits eine „verfaßte" Größe ist, daß also beide Elemente der politischen Gesamtordnung durch das Grundgesetz gleichzeitig konstitutionalisiert werden und nebeneinander bestehen 820 . I n der Demokratie bildet sich der politische Wille von vornherein i n verfassungsrechtlichen Formen 8 2 1 , denn bereits bevor die als Staatsvolk organisierte Bürgerschaft wählt, entstehen politische Ansichten und Absichten i m grundrechtlich konstituierten Bereich der öffentlichen Meinungsfreiheit 3 2 2 , die damit ihrerseits schon auf Vorgänge i m staatlichen Sektor bezogen gedacht ist. Begriffliche Deduktionen aus einer zeitlich-funktional verstandenen Abfolge von Meinungsbildung und Organkreation wären deshalb juristisch verfehlt. Freilich dürften die Ausführungen des Gerichts wohl eher als Konsequenz aus dem Prinzip der Volkssouveränität i n einer „freiheitlichen Demokratie" zu verstehen sein. Danach w i r d alle staatsorganschaftliche Machtübung allein vom Volk legitimiert und infolgedessen jede staatliche Steuerung 317 Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", i n : Festschrift f ü r Erwin Stein, S. 57 ff., 64. A n anderer Stelle hat Ridder dem Parteienfinanzierungsu r t e i l bestätigt, insoweit „eine schöne u n d überzeugende A b h a n d l u n g über den Meinungsprozeß i n der Demokratie" gebracht zu haben ( I n Sachen Opposition: A d o l f A r n d t u n d das Bundesverfassungsgericht, S. 346). 318 BVerfGE 20, S. 99. 319 H. Lenz, J Z 1963, S. 342. 320 Vgl. p . Häberle, JuS 1967, S. 67; D. Rauschning, J Z 1967, S. 347. 321 Vgl. U. Scheuner, V e r a n t w o r t u n g u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 381; ähnlich schon: Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22 (1965), S. 28. 322 Vgl. H. Ridder, Meinungsfreiheit, i n : Die Grundrechte Bd. 2, S. 265, 285 ff.; BVerfGE 8, S. 112 f., 20, S. 99.

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

des gesellschaftlichen Legitimationsprozesses unzulässig. Die „freiheitliche demokratische" Ordnung des Grundgesetzes 823 soll dem einzelnen die Möglichkeit bieten, „die Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Rechte nicht nur als Beteiligung an, sondern als selbstverantwortliches Tragen der Staatsgewalt" über den bloßen Wahlakt hinaus zu erfahren 3 2 4 . Rechtliche Voraussetzung hierfür ist jedoch die „Gewährleistung der Chancengleichheit aller Potenzen und Einsatzpunkte i m politischen Meinungsprozeß" durch „Limitierung des Majoritätsprinzips". Nur wenn die mehrheitlich errungene staatliche Entscheidungsmacht nicht mittels amtlicher Meinungsmanipulation potenziert werden darf, ist die demokratisch essentielle Chance des Regierungswechsels überhaupt realisierbar 3 2 5 . Daraus folgt, daß den Staatsorganen zwar die majoritär abgestützten politischen Entscheidungen vorbehalten bleiben, ihnen aber jede „Monopolisierung und Direktion der gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung" verboten ist 3 2 6 . Wenn der demokratische Staat kein Obrigkeitsstaat werden soll, muß also der „eigentliche Träger des politischen Lebens die Gesellschaft" sein 3 2 7 . Diese Anschauung liegt offenbar auch den einschlägigen Passagen i m Parteienfinanzierungsurteil und der daraus entwickelten These einer „staatsfreien" Willensbildung des Volkes zugrunde. Freilich kann sich der demokratische Meinungs- und Willensbildungsprozeß nur aus der „Begegnung zwischen Emanationen staatlicher Gewalt und den nicht i n die Staatsorganisation hineingebundenen gesellschaftlichen Kräften" entwikkeln 3 2 8 . I n der Demokratie ist diese Kommunikation unverzichtbare Voraussetzung jeder Legitimation. Da das Grundgesetz aber keine allgemeine Publizität sämtlicher Entscheidungsprozesse i m staatlichen Bereich kennt, müssen solche Vorgänge jeweils publiziert, d. h. der Öffentlichkeit bekannt gemacht und vermittelt werden. Tatsächlich dient amtliche Öffentlichkeitsarbeit heute nicht selten auch solcher Publizitätsvermittlung durch informierende Berichte. Begreift man m i t Ridder das Verhältnis von Staat und Gesellschaft nach dem Grundgesetz i m oben angedeuteten Sinn als einen Prozeß „der Zuordnung, der gegenseitigen Annäherung, Beeinflussung und Durchdringung" 3 2 9 , so schließt also auch das Prinzip der Volkssou323 Z u r Bedeutung dieses Begriffes vgl. H. Ridder, Die öffentliche Aufgabe der Presse i m System des modernen Verfassungsrechts, S. 11 ff.; Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, i n : H. Ridder / E. Heinitz, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 21 ff., 32. 324 H. Ridder, Stichwort „Staat", Sp. 542. 825 ygL Ridder, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 33. 326 H. Ridder, Stichwort „Staat", Sp. 546. 327 H. Ridder, Die öffentliche Aufgabe der Presse i m System des modernen Verfassungsrechts, S. 13. 328 Vgl. H. Ridder, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 32. 829 Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften i m Sozialstaat nach dem Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, S. 14.

B . Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

veränität keineswegs jedwede gegenseitige Beeinflussung oder Einw i r k u n g und damit die gesamte tatsächlich wahrgenommene amtliche Öffentlichkeitsarbeit von vornherein als verfassungswidrig aus. Verboten ist nur die obrigkeitliche Lenkung und Einschnürung der gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung i m Wege eines staatlich manipulierten „publicity management" 8 3 0 , während sachliche Information hingegen als demokratische Grundvoraussetzung unabdingbar geboten bleibt. Damit reduziert sich die globale Forderung nach „staatsfreier" Willensbildung hier auf ein spezielles Abgrenzungserfordernis. Auch das Bundesverfassungsgericht mußte schließlich Ausnahmen zulassen, indem es „Einwirkungen" auf jenen Prozeß für statthaft erklärte, „wenn sie durch einen besonderen, sie verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt werden können" 3 3 1 . Diese weite, zur präzisen Abgrenzung kaum geeignete Formel läßt für die Anerkennung zulässiger Ausnahmefälle erheblichen Spielraum. So nennt das Urteil selbst als Beispiel hierfür pauschal „die sogenannte Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften, soweit sie — bezogen auf ihre Organtätigkeit — der öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern" 3 3 2 . Hier w i r d weder zwischen werbender und informierender Öffentlichkeitsarbeit differenziert, noch w i r d eine verfassungsrechtliche Begründung für die Zulässigkeit solcher Aktivitäten angedeutet. Folglich gestattet die Entscheidung entgegen Lenz 8 3 3 auch kaum einen Schluß auf die Unzulässigkeit amtlicher Regierungswerbung. Statt dessen hat man daraus eine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung für die werbende Tätigkeit des B P A entnommen. Schließlich sind unter Hinweis auf dieses Urteil sogar alle Forderungen nach objektiver, propagandafreier Information als nunmehr praktisch bedeutungslos zurückgewiesen worden 3 3 4 . A l l e inhaltlichen Begrenzungsversuche amtlicher Öffentlichkeitsarbeit sind deshalb so schwierig, weil i n der parlamentarischen Demokratie Anregungen, Einflüsse und Impulse aus dem staatlichen Bereich auch von Rechts wegen ständig auf den gesellschaftlichen Meinungsprozeß themenbildend einwirken. Gerade die Innovations- und Kontrollfunktionen der „öffentlichen Meinung" setzen genaue Kenntnisse des zu programmierenden und zu kontrollierenden staatlichen Entscheidungsfeldes voraus. Das wiederum 330

Vgl. H. Ridder, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 32. BVerfGE 20, S. 99. 332 BVerfGE 20, S. 100. 333 Hamann / Lenz, A r t . 5 A n m . A 1, S. 182. 334 So H. Küffner, Darf die Regierung so etwas tun?, i n : Praktischer Journalismus Nr. 129/71, S. 8. 331

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

erfordert permanente wechselseitige Kommunikation. Diese „balancierende Begegnung der öffentlichen politischen Meinung m i t ihren konkreten Niederschlägen nach der Brechung durch das organisatorische Verfassungsgefüge i n einer echten und fruchtbaren polaren Spannung" 3 3 6 soll rechtlich vor allem durch die i n A r t . 42 GG sowie i n allen Landesverfassungen 336 normierte parlamentarische Publizität und Berichterstattungsfreiheit gesichert werden. Insofern steht das Öffentlichkeitsgebot theoretisch durchaus i m Zentrum der Repräsentativverfassung und des Parlamentsrechts 337 . Es ermöglicht die verfassungsrechtlich verordnete Kommunikation zwischen „ V o l k " und Staatsorganen. I m Verlauf dieses permanenten Disputs dürfen die Konstituenten aber keinesfalls von ihren besser informierten Repräsentanten abhängig werden, w e i l demokratische Legitimation so zur leeren A k k l a mation pervertiert würde. Deshalb hat Lenz versucht, die Forderung nach „staatsfreier politischer Willensbildung" abgrenzend dahin zu präzisieren, daß „den formierten Staatsorganen . . . die M i t w i r k u n g an der Meinungsbildung durch werbende Manifestation verwehrt" ist 3 3 8 . Indessen läßt sich auch eine solche Trennung von Werbung und Information vor dem parlamentarischen Publizitätsprinzip nicht halten. Wo die Parlamente offenstehen, schallen die Reden der Abgeordneten, heute durch moderne Massenkommunikationsmittel verstärkt, heraus. Diese Reden werden also automatisch „zum Fester hinaus" gehalten 3 3 9 und beeinflussen dann die „öffentliche Meinung", indem sie durchaus systemgerecht politische Ansichten vermitteln. Wenn die parlamentarische Debatte heute ganz überwiegend zur werbenden Selbstdarstellung des Regierungslagers einerseits und der Opposition andererseits sowie zur Verkündung ihrer jeweils nicht öffentlich gefaßten Entscheidungen benutzt wird, dann ist diese Entwicklung i m Publizitätsprinzip selbst schon angelegt. Wäre das Parlament heute die repräsentative Stätte der Umformung öffentlicher Meinung i n politischem Gesamtwillen 3 4 0 , als die es theoretisch konzipiert ist, so müßten gerade dann alle Debattenredner stets 835

H. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 279. A r t . 33 I, I I I V e r f B W ; 22 VerfBay; 30 I I I V e r f B l n ; 91 I VerfBrem; 21 VerfHbg; 89, 90 VerfHess; 9 I, I I I VerfNs; 42, 43 V e r f N W ; 86, 87 RhPf; 74, 75 Verf Saar; 11 Verf SchlH. 887 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 216; R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 496; Th. Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / Herzog, A r t . 42 Rn. 1; J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 96 f. 838 I n Hamann / Lenz, A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182) (Hervorhebung von mir). 339 vgL Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L Heft 16, S. 32; G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 95; Th. Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 42 Rn. 1. 836

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Vgl. E. Friesenhahn,

W D S t R L Heft 16, S. 32.

B . Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

versuchen, den politischen Kontrahenten rhetorisch von der Richtigkeit der vorgetragenen Ansicht zu überzeugen: Die Regierung und die sie stützenden Parteien legen ihre Politik dar und verteidigen sich gegen Angriffe der Opposition, welche ihrerseits Alternativen entwickelt. Das Parlament t r i f f t seine Entscheidungen mehrheitlich; Anträge haben also nur dann Erfolgschancen, wenn eine Mehrzahl von Abgeordneten i n Diskussionen für ihre Unterstützung gewonnen werden kann. „ M a n argumentiert gegen die, die als Zustimmende i n Betracht kommen 8 4 1 ." Deshalb ist werbende Überredung des anderen hier ebenso legitim wie leidenschaftlich emotionaler Einsatz. Nachdem Rundfunk und Fernsehen die gesamte Wählerschaft zum potentiellen Auditorium gemacht haben, wurden derart systemimmanente „Überzeugungstendenzen" lediglich verstärkt. Da parlamentarische Beschlüsse heute hauptsächlich auf Regierungsinitiativen zurückgehen und da die regierende Mehrheit regelmäßig oppositioneller K r i t i k ausgesetzt ist, muß die Regierung als mehrheitliche Führungsspitze besonders häufig und intensiv u m parlamentarische Unterstützung ihrer Aktivitäten werben. Auch diese öffentliche Werbung u m Zustimmung des Parlaments sowie — über die Debattenpublizität — des „Volkes" selbst, ist also bereits theoretisch systembedingt und folglich prinzipiell legitim. Gleichgültig, ob solche Bemühungen heutzutage, da fast alle Entscheidungen bereits i n nicht öffentlichen Ausschußsitzungen fallen 8 4 2 , tatsächlich dem Plenum gelten, oder ob sie sich nunmehr ausschließlich an den hierdurch immerhin zugleich informierten Wähler 8 4 8 wenden 8 4 4 , läßt sich das Postulat der „staatsfreien" politischen Willensbildung angesichts so umfassender und intensiver Einflußmöglichkeiten über die Debatten des Parlaments als des institutionell zentralen staatlichen Entscheidungsorgans auch i n Form eines strikten Ausschlusses amtlicher Werbung jedenfalls generell nicht halten. H. Ridder hat versucht, solche Bedenken zu berücksichtigen, indem er das Werbungsverbot durch entsprechende Ausnahmen nochmals einschränkt. Grundsätzlich geht auch er davon aus, daß „Regierungswerbung" den „zu den staatlichen Stellen h i n verlaufenden Meinungsprozeß" umstülpt und „das politische Entscheidungszentrum aus der 341 N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 185; öffentliche M e i nung, PVS 1970, S. 4 f. 342 Vgl. Th. Ellwein f A. Görlitz, Parlament u n d Verwaltung, T e i l 1: Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 252 ff. 343 Darauf weist W. Hennis h i n (Zur Rechtfertigung u n d K r i t i k der Bundestagsarbeit, i n : Festschrift f ü r A. Arndt, S. 155). 344 So z.B. G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 95.

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

Gesellschaft i n die Regierungssphäre" verlagert 3 4 5 . Dennoch soll die Regierung i m Bereich des „Zwischenorganverhältnisses" zum Parlament bei den Abgeordneten für ein bestimmtes Vorhaben „werben" dürfen, freilich „ n u r i n Verbindung m i t umfassender Information" 3 4 6 . Das der werbend vorgeschlagene Entscheidung zugrundeliegende Faktenmaterial soll also jeweils lückenlos offengelegt werden. Schon wegen der bereits begrifflich bedingten Unsicherheit über den Umfang dieser Offenbarungspflicht erscheint es von Ridders Prämissen her zweifelhaft, ob die Regierung derartig informativ angereicherte Werbung auch außerhalb des Plenums verbreiten dürfte. Obwohl Ridder i n diesem Zusammenhang nur von „Zwischenorganverhältnissen" handelt, w ü r den solche parlamentarisch werbenden Regierungsäußerungen ohnehin zwangsläufig publizistische Außenwirkung entfalten. Insofern ist es konsequent, daß der Regierung dann auch das Recht auf allgemeine „ I n formationswerbung" i m Sinne einer Unterrichtung über Regierungsmeinungen zugestanden w i r d 3 4 7 . Zwischen der zulässigen Parlamentswerbung und allgemeiner Öffentlichkeitsarbeit bestünde also lediglich ein qualitativer Unterschied darin, daß Kabinettsmitglieder parlamentarisch für ein bestimmtes Vorhaben ausdrücklich werben dürfen, während Öffentlichkeitsarbeit i m übrigen neben objektiver Information auf Mitteilung subjektiver Regierungsansichten beschränkt ist. Ridder verkennt nicht, daß dies praktisch auf einen „Appell an den politischen Anstand" hinausläuft 3 4 8 . Die von Rechts wegen entwickelten Grenzen einer differenzierten Meinungswerbung innerhalb und außerhalb des Parlaments lassen sich freilich nicht allein unter Hinweis auf den zu den „staatlichen Stellen h i n verlaufenden Meinungsprozeß" begründen, w e i l es sich dabei gerade u m (vom repräsentativen System her bedingte) reflexive Durchbrechungen jenes linear verstandenen Prozeßverlaufs handelt. Nachdem sich der Grundsatz staatsfreier politischer Willensbildung vor allem angesichts parlamentarischer Öffentlichkeitsgebote als nicht durchgängig haltbar und für Differenzierungen nach der Intensität amtlicher Öffentlichkeitsarbeit ungeeignet erwiesen hat, das demokratische Prinzip der Volkssouveränität eine staatliche Steuerung der öffentlichen Meinung jedoch prinzipiell verbietet, sind nunmehr zwei Probleme zu untersuchen: 1. Ist Öffentlichkeitsarbeit neben der parlamentsvermittelten Kommunikation verfassungsrechtlich überhaupt zulässig? 2. Wie w i r d diese Tätigkeit gegebenenfalls grundgesetzlich begrenzt? 845 848 847 848

Grundgesetz Grundgesetz Grundgesetz Grundgesetz

und und und und

„Öffentlichkeitsarbeit", „Öffentlichkeitsarbeit", „Öffentlichkeitsarbeit", „Öffentlichkeitsarbeit",

S. 68. S. 61. S. 68. S. 68.

B . Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung I I I . Legitimation durch demokratische Meinungsbildung Zur verfassungstheoretischen Einordnung der Diskussion

Die Lehre von einer staatsfreien politischen Meinungsbildung beruht auf einem Demokratiebegriff, der den Satz „vom Ausgehen der Staatsgewalt vom Volke immer noch wörtlich" n i m m t 8 4 9 . Da die demokratische Norm hiernach nicht bereits m i t der Veranstaltung periodischer Führungsauswahl, die vornehmlich der „Bildung autonomer legitimer Macht" des Staates dienen soll 8 5 0 , i m wesentlichen erfüllt ist, erweist sich dann die „mündige Publikumsgesellschaft" selbst als politisches „Entscheidungszentrum" des Gesamtsystems 851 . Über den Inhalt des Demokratieprinzips bestehen gewiß die unterschiedlichsten Vorstellungen 8 5 2 , doch läßt sich ein — auch i m Grundgesetz normierter — Kernbereich gemeinsamen Verständnisses eindeutig feststellen: Es geht u m die möglichst vollständige und freie Entwicklung des Menschen (Art. 1 I GG) 8 5 8 durch Beteiligung aller an politischen Entscheidungsprozessen aus gleichem Recht (Art. 20 I, I I 1 GG) 8 5 4 , also u m die — i n Fortführung einer historischen Entwicklung 8 5 5 voranzutreibende politische und soziale Emanzipation von fremdbestimmter Herrschaft 8 5 6 . Der Jurist kann diesen Grundsatz allein i m Rahmen des vorliegenden Verfassungssystems entfalten 8 5 7 , doch ist gerade das demokratische Prinzip heute „primär bestimmendes Element" der staatlichen Gesamtordnung des Grundgesetzes 858 . Insofern erweist sich die verfassungsrechtlich optimale „Beteiligung aller Betroffenen an Auswahlprozessen auf der Grundlage aufgeklärter Bedürfnisse und Möglichkeiten i n herrschaftsfreier und kostenfreier Diskussion" nunmehr als einzig tragfähiges Legiti849

Vgl. H. Ridder, Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 62. So aber N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 164 (Hervorhebung von mir). 861 H. Ridder, Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 64; ähnlich W. Abendroth, Das Grundgesetz, S. 79. 852 Vgl. dazu C. B. Macpherson, Drei Formen der Demokratie. 353 vgi # c.B. Macpherson, D r e i Formen der Demokratie, S. 55; zur V e r bindung m i t A r t . 1 I GG vgl. A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 252. 850

854 Vgl. z.B. W. Abendroth, Das Grundgesetz, S. 87; P. Bachrach, Die Theorie demokratischer Elitenherrschaft, S. 14f.; F. Naschold, Organisation u n d Demokratie, S. 17, 5 0 1 ; F.W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen U t o pie u n d Anpassung, S. 54 f. 865 v g i # dazu H. Heller, Die politischen Ideenkreise der Gegenwart, i n : Gesammelte Schriften Bd. I, S. 267 ff., 309 ff., 375 ff. 856 Vgl. z.B. F. Neumann, Z u m Begriff der politischen Freiheit, S. 133; J. Habermas, Reflexionen über den Begriff der politischen Beteiligung, S. 15 ff.; A.M. Schmehl, A r t . „Demokratie" I I , Staatslexikon, Bd. 11, Sp. 820; A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 252 ff. 857 Vgl. K . Hesse, Grundzüge, S. 52. 868 K . Hesse, Grundzüge, S. 51.

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

mationskriterium politischer Entscheidungen 859 . M i t Recht hat das Bundesverfassungsgericht daher betont, daß sich die politische Willensbildung i n einer Demokratie „vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volke h i n vollziehen" müsse 860 . Unter diesem partizipatorischen Aspekt eines „Input"-orientierten Demokratieverständnisses erscheint jeder Versuch amtlicher Instanzen, die Ansichten der „Aktivbürgerschaft" über Vorgänge i m staatlichen Entscheidungsbereich werbend zu lenken, folgerichtig als verfassungswidrig, w e i l demokratische Partizipation hierdurch i n pseudoplebiszitäre Akklamation, also der politische Willensbildungsprozeß tendenziell umgekehrt würde. Nun könnte leicht der Eindruck entstehen, als ließen sich die gegensätzlichen Auffassungen zur rechtlichen Zulässigkeit derartiger Werbung allein aus dem jeweiligen Verständnis der Demokratie als einer Regierung „durch" das Volk oder einer Regierung „ f ü r " das Volk zurückführen. Abgesehen davon, daß diese Alternative dem Grundgesetz nicht zugrundeliegt 3 6 1 , erlaubt sie auch keine befriedigende Einordnung der Meinungen. So betont z.B. Scheuner immer wieder die Bedeutung einer „Vorformung der politischen Willensbildung" für die enge Kommunikation zwischen Gewählten und Wählern sowie für den Konsens der Massen gegenüber staatlichen Entscheidungen 862 , eine Formulierung, die das Bundesverfassungsgericht i m 1. Parteienfinanzierungsurteil übernahm 3 6 3 , obwohl sie eine demokratisch durchaus restriktive (die Selbstbestimmung auf vorbereitende Funktionen einengende) Tendenz hat. Unter Hinweis auf EhmJce 364 w i r d der Staat dann als die „Ausdrucksform" angesehen, i n der die „gesellschaftlichen Kräfte sich politisch formen" 3 6 5 . Ehmke selbst faßt die „Institutionen der Meinungs- und Willensbildung und die Führungs-, Koordinations- und Lenkungsinstitutionen eines politischen Gemeinwesens" unter dem Begriff „govern809 F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, Die V e r w a l t u n g 4 (1971), S. 3; vgl. auch H. Heller, Die politischen Ideenkreise der Gegenwart, i n : Gesammelte Schriften Bd. I, S. 329. seo BVerfGE 20, S. 56 ff., 99. 361

Vgl. W. Abendroth, Das Grundgesetz, S. 78 f. Vgl. z.B. Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22, S. 28; Die Parteien u n d die A u s w a h l der politischen L e i t u n g i m demokratischen Staat, D Ö V 1958, S. 643; Das Grundgesetz i n der Entwicklung zweier Jahrzehnte, AöR 95 (1970), S. 371 (mit neuer, die „Verstärkung unmittelbarer M i t w i r k u n g des Volkes" hervorhebender Betonung). 333 BVerfGE 20, S. 56 ff., 98. 362

864 „Staat" u n d „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, i n : Festschrift f ü r R. Smend (1952), S. 23 ff. 385 U. Scheuner, Das Grundgesetz i n der E n t w i c k l u n g zweier Jahrzehnte, AöR 95 (1970), S. 376.

B. Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

ment" zusammen. „Government" bezeichnet hiernach die „integrierenden Bestandteile", also den „organisatorischen Schwerpunkt" des „politischen Gemeinwesens" 866 . Damit entfällt zwar die aus der Gemeinwohlbindung hergeleitete Überordnung des Staates über die „Gesellschaft", deren Meinungs- und Willensbildungsinstitutionen am „government" beteiligt sind, doch beschränkt sich diese Teilhabe auf solche gesellschaftlichen Organisationen, denen es — wie z. B. politischen Parteien — obliegt, „unter Einschmelzung und Ausgleich spezieller Interessen Vorstellungen für die Politik des ganzen Gemeinwesens zu entwickeln", auf soziale Institutionen also, die ihrerseits gemeinwohlorientiert sind 8 6 7 . Da die Integration pluralistischer Kräfte heute m i t h i n vor allem den „starken und verantwortlichen" politischen Parteien übertragen ist 8 6 8 , würde hierdurch die bisher aus eben dieser Aufgabe heraus legitimierte Vorgesetzten-Rolle des Staates jetzt lediglich auch den „staatstragenden", integrationsfähigen Parteien übertragen 8 6 9 . Zugleich lägen die Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit dort, wo Regierungswerbung sich als schwerwiegende Beeinträchtigung der Wahlchancen oppositioneller Integrationsparteien auswirken müßte 8 7 0 . Kürzlich hat Rinken den Ansatz Ehmkes unter stärkerer Berücksichtigung des demokratischen Beteiligungsaspekts weiter „pluralisiert", indem er angesichts einer als „vorgegeben" akzeptierten „pluralen Struktur" des Volkes von einem entsprechenden „Pluralismus der Gemeinwohlvorstellungen" ausgeht und das „Gemeinwohl als Reflexionsgebot" für die am „öffentlichen Verfassungsprozeß beteiligten Gruppen" auffaßt 8 7 1 . Diese Auffassung beruht zwar auf partizipatorischem Demokratieverständnis 8 7 2 , ermöglicht es jedoch zugleich, den gesellschaftlichen status quo faktisch etablierter Gruppen als vornormative Integrationsstruktur legitimierend festzuschreiben 878 . Amtliche Werbung w i r d sich hierdurch freilich kaum rechtfertigen lassen 874 . 886 H. Ehmke, „Staat" u n d „Gesellschaft" . . . , S. 45; zustimmend, w e n n auch unter Ablehnung dieser Terminologie, K. Hesse, Grundzüge, S. 9. 887 H. Ehmke, „Staat" u n d „Gesellschaft" . . . , S. 47. 868 So H. Ehm)ce, „Staat" u n d „Gesellschaft" . . . , S. 47. 869 Z u r K r i t i k vgl. auch U . K . Preuß, Z u m staatsrechtlichen Begriff des öffentlichen, S. 153 f. 870 Z u diesem Ergebnis w a r — w e n n auch von anderen Prämissen her — auch W. Leisner gelangt (Öffentlichkeitsarbeit, S. 163). 871 Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 254 f., 259 ff.; ähnlich schon P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische Bildung, Heft 3, 1970, S. 18 ff. 871 Vgl. A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 252 f. 878 Vgl. G. Stuby, Bürgerliche Demokratietheorien i n der Bundesrepublik, S. 121. 874 Vgl. P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 31.

172

2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

Neuestens spricht auch Scheuner von der „pluralistischen Struktur des Gemeinwohls i n der Demokratie" 3 7 5 . I h m geht es jedoch unverändert um die Frage, wieweit der „heutige Staat i n einer pluralistischen Gesellschaft einen Vorrang des ausgleichenden Gesamtwohls" zu sichern vermag 3 7 6 , also u m die „Notwendigkeit, staatlichen Institutionen Oberhalb dieser Gruppen eine am Gemeinwohl orientierte Aufgabe und Stellung zu erhalten" 3 7 7 , wodurch amtliche Öffentlichkeitsarbeit wieder weithin gerechtfertigt werden könnte. Dennoch w i r d gleichfalls auf die Bedeutung „demokratischer Konsensbildung" durch aktive M i t w i r k u n g und Partizipation der Bürger an den staatlichen Entscheidungen hingewiesen 3 7 8 . Andererseits ignoriert jedoch auch die Lehre von der staatsfreien Willensbildung des Volkes keineswegs das freie Abgeordnetenmandat, denn „gesellschaftliche" und staatlich organisierte Stadien des demokratischen Entscheidungsprozesses werden sorgfältig unterschieden 3 7 9 . Ausgangspunkt ist hier indessen die zutreffende Erkenntnis, wonach die Kompetenz der Abgeordneten den Verfassungssatz nicht aufhebt, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht 380 . Der eigentliche Gegensatz liegt also eher i m unterschiedlichen Verständnis des Grundgesetzes als eines weithin elitär-absorptiven oder eines demokratischpartizipatorischen Repräsentativsystems. Aufschlußreicher erscheint deshalb die Einordnung der Ansichten i n das politikwissenschaftliche Schema der „ i n p u t " - bzw. „output"orientierten Demokratietheorie. Wegen der Bindung aller Verfassungsinterpretationen an konstitutionelle Normen bleibt freilich auch diese Zuordnung relativ unscharf, doch gestattet sie immerhin erhellende Durchblicke auf das meist verschlüsselte „Vorverständnis" des jeweiligen Interpreten. So sind die „propagandafreundlichen" Theorien deutlich vom Regierungsinteresse an „politischer Einheit" her konzipiert (vgl. insbesondere den Ausgangspunkt bei Scheuner und Leisner) 381 und herrschaftlich 875 Rezension zu P. Häberle, öffentliches Interesse als juristisches Problem, D Ö V 1972, S. 142. 376 Probleme der staatlichen E n t w i c k l u n g der Bundesrepublik, D Ö V 1971, S. 5. 377 Das Grundgesetz i n der E n t w i c k l u n g zweier Jahrzehnte, AöR 95 (1970), S. 377. 378 17. Scheuner, Probleme der staatlichen Entwicklung der Bundesrepublik, D Ö V 1971, S. 5. 879 Vgl. BVerfGE 20, S. 56, 98. 880 Vgl. Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat, S. 231. 381 Sehr deutlich auch H. Heller, Staatslehre, i n : Gesammelte Schriften Band I I I , S. 286: „Aufgabe sowohl der gesellschaftlichen w i e der politischen Führung ist es, der öffentlichen Meinung i n den staatlichen Lebensfragen durch L e i t u n g u n d Erziehung eine feste u n d möglichst einheitliche Gestalt zu geben(.) . . . Ohne eine bewußte u n d planmäßige E i n w i r k u n g auf die öffentliche Meinung k o m m t keine Regierung aus."

3B. Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

i?3

geprägt, während die Gegenansicht vom Interesse des regierten B ü r gers aus den demokratischen Beteiligungsaspekt betont. Es ist typisch, daß gerade die „moderne Regierungslehre" (die sich selbst auf die Tradition kameralistischer „Fürstenspiegel" beruft 3 8 2 und nicht zuletzt deshalb entgegen ihrem eigenen Modernitätsanspruch neben der scheinbar perfekten Abstraktion aktueller Systemtheorien eher altväterlichspießig anmutet) m i t ihrem dem Amtsgedanken verpflichteten Repräsentationsverständnis es für eine selbstverständliche Propaganda-Aufgabe der Regierung hält, „das öffentliche Bewußtsein m i t den Realitäten zur Deckung zu bringen" 3 8 3 . Da die parallellaufende Schwächung demokratischer Willensbildung verfassungsrechtlich nicht unmittelbar begründet werden kann, bedient man sich hierzu jener vordemokratischen Globalformeln wie „Integration", „Vertrauen", „Loyalität" und „Gemeinwohl", deren partizipationsfeindlicher Sinn autoritäre W i r k lichkeiten zu rechtfertigen scheint. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß diese verfassungsfremden Blankettbegriffe aus sich heraus keine Legitimationskraft entfalten können. Integration, Gemeinwohl und loyales Vertrauen lassen sich allein i m Wege des rechtlich geordneten demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses gewinnen. Damit erweist sich der am konstitutionellen Entscheidungsablauf normativ ausgerichtete Ansatz bei Lenz, Ridder und dem Bundesverfassungsgericht als der unter dem Grundgesetz einzig vertretbare Rahmen für eine verfassungsrechtliche Beurteilung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit. Die insbesondere der Auffassung von Lenz und dem Parteienfinanzierungsurteil zugrundeliegende einbahnige Koppelung von Willensbildung des Volkes und Bildung des Staats willens 3 8 4 ist jedoch so nicht haltbar. Das darauf gegründete Prinzip, wonach die „öffentliche Meinung" zwar die Entschlüsse der Staatsorgane „beeinflußt", die Staatsorgane sich aber nicht „ i n bezug auf den Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes betätigen" dürfen 3 8 5 , widerspricht — wie bereits dargelegt — der parlamentarischen Entscheidungsstruktur des Grundgesetzes. Das „freie Mandat" der Abgeordneten w i r d nicht zuletzt wegen des Gebots öffentlicher Parlamentsverhandlungen zum demokratischen Mandat. Folglich ist der bewußt kalkulierte Einfluß 382

S. 436.

Vgl. W. Hennis,

Aufgaben einer modernen Regierungslehre, PVS 1965,

888 E. Guilleaume, Regierungslehre, Der Staat 4 (1965), S. 193; vgl. auch W. Hennis,, Aufgaben einer modernen Regierungslehre, PVS 1965, S. 440 f. 884 ß V e r f G E 20, S. 56, 98 f.; Hamann /Lenz, A r t . 21 A n m . A 3 a (S. 352), A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182). 885 ß V e r f G E 20, S. 56, 99; H. Lenz, i n H a m a n n / L e n z , A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182).

174

2. T e i , Kap.

: Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

parlamentarischer Debatten auf die „öffentliche Meinung" durchaus legitim. Die Theorie der „staatsfreien" politischen Willensbildung vernachläßigt solche Wechselwirkungen zu sehr und gelangt deshalb über ihren richtigen Ansatz nicht hinaus. So verharrt Lenz i n apodiktischen Behauptungen 8 8 6 , während das Bundesverfassungsgericht widersprüchliche Ausnahmen gestattet 8 8 7 . Auch der Versuch Ridders, die Zulässigkeit der Regierungswerbung i m Parlament aus dem Charakter eines speziellen „Zwischenorganverhältnisses" zu erklären 8 8 8 , w i r d jener Wechselwirkung nicht v o l l gerecht, w e i l dabei gerade die Außenwirkung parlamentarischer Regierungsaktivität unberücksichtigt bleibt. I m parlamentarischen System ist die Beteiligung aller an den staatlichen Entscheidungen zwangsläufig unvollkommen. Wo sie unmittelbar rechtliche Wirkung entfaltet, wie z.B. i n der Wahl, hat sie überwiegend vermittelnd surrogatäre Funktion. Reale Auswahlentscheidungen zwischen konkreten politischen Alternativen t r i f f t der Wähler kaum. Er bestimmt lediglich den Kreis derer, die schließlich Kompetenzen zu verbindlichen Entscheidungen wahrnehmen sollen 8 8 9 . Vor allem wegen des bloßen Ersatz-Charakters derartiger Beteiligungsformen w i r d fremdbestimmte Herrschaft möglich. I n der Demokratie gilt es dann, diesen Herrschaftsraum möglichst weitgehend zugunsten selbstbestimmter Beteiligung einzugrenzen. Da politische Entscheidungen, d. h. die jeweils konkrete, verbindliche Auswahl einer Alternative aus der Fülle vorgestellter realer Handlungsmöglichkeiten 890 verfassungsrechtlich von einem kleinen Kreis staatlicher Funktionsträger kompetenziell wahrgenommen werden, kommt es darauf an, möglichst alle den gesellschaftlichen Interessen entsprechenden Alternativen i n diesen Entscheidungsvorgang einzubeziehen. Hier liegt die Bedeutung der Parteien, Verbände und organisierten Gruppen sowie der Massenkommunikation, welche durch entsprechende Kommunikations- und Beteiligungsrechte (Art. 5, 8, 9, 10, 17, 21 GG) konstitutionell garantiert werden soll. Insofern werden staatliche Entscheidungen heute theoretisch durch den Grad der Partizipation „aller Betroffenen an Auswahl886

Vgl. Hamann / Lenz, A r t . 5 A n m . A 1 (S. 182). BVerfGE 20, S. 56,100. 888 Vgl. Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 61. 889 Vgl. F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, Die V e r w a l t u n g 1971, S. 3. 300 y g i z u diesem Politikbegriff: R.-R. Grauhan, Modelle politischer V e r waltungsführung, PVS 10 (1969), S. 277; Politikwissenschaftliche Forschung zur Verwaltung, D Ö V 1970, S. 587; W.-D. Narr, L o g i k der Politikwissenschaft — eine propädeutische Skizze, S. 22 f.; ganz ähnliche Vorstellungen bestimmen übrigens auch Luhmanns neuerdings präzisierten Politikbegriff des „immanenten Selbsttranszendierens u n d Kontingentsetzens i m politischen System" (Politikbegriffe u n d die »Politisierung 4 der Verwaltung, S. 218 f.). 887

. Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung

Prozessen auf der Grundlage aufgeklärter Bedürfnisse und Möglichkeiten i n herrschaftsfreier und kostenfreier Diskussion" legitimiert 3 9 1 . Es liegt auf der Hand, daß politische Herrschaft schon wegen der Notwendigkeit einer Auswahl hierdurch nicht aufgehoben, sondern lediglich reduziert werden kann. Voraussetzung dieser demokratischen, konfliktförmigen Herrschaftslegitimierung ist vor allem die Publizität des staatlichen Entscheidungsprozesses 392 . Es entspräche der Stellung des Parlaments als zentralem staatlichen Entscheidungsorgan, wenn die Abgeordneten alle zur Gesetzgebung erforderlichen Vorschläge, Anstöße und alternativen Innovationen den öffentlich artikulierten Interessen ihrer Wähler entnehmen könnten. Die Lehre von der „staatsfreien" politischen Willensbildung des Volkes basiert unausgesprochen offenbar wesentlich auf derartigen Vorstellungen. Daneben ist jedoch i n viel stärkerem Maß dem Innovationspotential der Exekutive über das legislative Initiativrecht ihrer Führungsspitze, der Regierung (Art. 76 Abs. 1 GG), ein Zugang zum Parlament geöffnet. Auch hinter solchen Regierungsvorschlägen stehen bestimmte (stets besonders konfliktsmächtige und deshalb einflußreiche) gesellschaftliche Interessen; nur sind hier jegliche Alternativmöglichkeiten sehr häufig schon i m verwaltungsinternen Arkanprozeß ausgeschieden worden, so daß bei dieser weitaus erfolgreichsten Form der Gesetzesinitiative meist nur noch ein Gegenvorschlag der Opposition parlamentarisch, d. h. öffentlich erörtert wird. Angesichts der parteipolitischen Einheit von Regierung und Regierungsparteien steht heute jedoch auch parlamentarischen Initiativen selten mehr als ein einziger Alternativvorschlag gegenüber. Wegen des Übergewichts erfolgreicher Regierungsvorlagen erscheint das Parlament dann nur als Vermittlungsoder „Kontaktstelle" zwischen der „politischen Führung" und dem Wähler 3 9 3 . Wenn aber i m Parlament öffentlich geworben werden darf, dann könnte also auch „die Öffentlichkeitsarbeit der öffentlichen Gewalt Konsequenz demokratischer Öffentlichkeit i m sozialen Rechtsstaat" sein 3 9 4 . Vom oben angedeuteten Gedanken einer diskursiven 391 Vgl. F . W . Scharpf, Planung als politischer Prozeß, Die V e r w a l t u n g 1971, S. 3. 392 Vgl. z. B. R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 466; J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 228; H. Ridder, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 32 f.; P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3; A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches P r o blem, S. 263. aas v g i t Ellwein / A. Görlitz, Parlament u n d Verwaltung, Teil 1, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 244; G. Loewenberg, Parlamentarismus i m politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 461. 394

So P. Häberle, Öffentlichkeit u n d Verfassung, ZfPol 16 (1969), S. 280; vgl. auch W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 73.

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2. Teil, Kap. I I I : Öffentlichkeitsarbeit als Regierungstechnik

Effektuierung demokratischer Partizipation her wäre solche regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit w o h l eher abzulehnen als Versuch, die parlamentarische Alternativenerörterung zu unterlaufen 3 9 5 . Diese Probleme sollen i m folgenden Kapitel verfassungsrechtlich näher betrachtet werden. C. Zwischenergebnis Unsere kritische Durchsicht der bisherigen Diskussionsbeiträge zum Problem amtlicher, insbesondere politisch werbender Öffentlichkeitsarbeit und ihres Einflusses auf die politische Willensbildung hat ergeben, daß alle bislang für die Zulässigkeit solcher Aktivitäten sprechenden Auffassungen m i t verfassungsfremden Globalbegriffen („Staatspflege", „Staatsleitung", „Integration", „Loyalität", „Effizienz") arbeiten, die einer speziell am grundgesetzlichen Demokratiegebot orientierten K r i t i k nicht standhalten. Auch die Abgrenzungsversuche Leisners erwiesen sich als höchst problematisch. Andererseits ist die Gegenthese einer „staatsfreien" politischen W i l lensbildung des Volkes zwar gerade von demokratischen Beteiligungsaspekten aus konzipiert, läßt sich i n dieser Form jedoch kaum m i t dem parlamentarischen Öffentlichkeitsgebot als einem tragenden Grundsatz mittelbarer Demokratie vereinbaren. Immerhin macht dieser Ansatz deutlich, daß die Lösung des Problems der Intensität amtlicher Öffentlichkeitsarbeit i m Verhältnis von nicht kompetenzförmiger politischer Willensbildung einerseits und staatlich-kompetenzieller Entscheidungsfindung andererseits zu suchen ist. Deshalb gilt es nunmehr, Funktion und Zulässigkeit solcher A k t i v i täten anhand der konstitutionellen Strukturen des politischen Entscheidungsprozesses i m parlamentarischen System des Grundgesetzes zu prüfen. Dabei sind schließlich auch die bislang offenen Fragen zu beantworten, ob Öffentlichkeitsarbeit neben der parlamentsvermittelten Kommunikation verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist und wie diese Tätigkeit gegebenenfalls grundgesetzlich begrenzt wird.

896 So Th. Ellwein / A. Görlitz, Parlament u n d Verwaltung, T e i l 1, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 246 f.; u n d G. Loeweriberg, Parlamentarismus . . . , S. 461, jeweils unter Hinweis auf die Warnung E. Fraenkels vor plebiszitären Entwicklungen (Die repräsentative u n d die plebiszitäre K o m p o nente i m demokratischen Verfassungsstaat, S. 383 f.). Vgl. auch die Bedenken bei W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 73 f., u n d U. Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, i n : Festschrift f ü r Ad. A r n d t , S. 399, sowie J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 216.

Kapitel

IV

Demokratische Willensbildung und amtliche Öffentlichkeitsarbeit Ausgangspunkt unserer Überlegungen zum Verhältnis von demokratischer Willensbildung und amtlicher Öffentlichkeitsarbeit sind einige fast banale Einsichten. I n der demokratischen Verfassungsordnung w i r d die Staatsgewalt durch umfassende Beteiligung möglichst aller Bürger an den politischen Auswahlprozessen legitimiert (Art. 20 I I 1 GG). Das parlamentarische System erstrebt kontrollierende und programmierende Partizipation über periodische, allgemeine und gleiche Wahlen sowie A b stimmungen (vgl. A r t . 20 I I 2 GG) und durch grundrechtliche Garantien für freie politische Kommunikation und Interessenwahrnehmung. Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit dieser Demokratie ist daher die prinzipielle Öffentlichkeit des politischen Prozesses, insbesondere die Publizität des staatlichen Entscheidungsbereichs, denn Beteiligung erfordert Information 1 . Insofern enthält das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip (Art. 20 I GG) entsprechende Öffentlichkeitsgebote und Veröffentlichungspflichten, die sich — w e i l „Öffentlichkeit" primär faktische Offenheit, „Offenbarsein" und Transparenz bedeutet 2 — i m 1 Vgl. hierzu aus der Fülle einschlägiger Äußerungen BVerfGE 20, S. 162, 174; H. Heller , Staatslehre, Gesammelte Schriften Bd. I I I , S. 276, 280; R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 489 f.; H. Ridder, Die öffentliche Aufgabe der Presse i m System des modernen V e r fassungsrechts, S. 12; K . Hesse, Grundzüge, S. 62 f.; U. Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22, S. 78; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 83; R. Bäumlin, Die K o n t r o l l e des Parlaments über Regierung u n d Verwaltung, SchweizJurVerein 1966, Heft 3, S. 238; W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 64, 68; W. Geiger, Die Grundrechte der Informationsfreiheit, i n : Festschrift für A . A r n d t , S. 133; R. Marcic, Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, i n : Festschrift f ü r A. Arndt, S. 271 f.; Ü . K . Preuß, Z u m staatsrechtlichen Begriff des öffentlichen, S. 75 ff.; P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 4, 9 ff.; H. 17. Jerschke , öffentlichkeitsrecht der Presse, S. 68 ff.; 1970, Heft 3, S. 4, 9 ff.; H. U. Jerschke , Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 68ff.; A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 263; M . Kriele, Das demokratische P r i n zip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 65 ff. 2 Vgl. R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 465 f.; W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 42 ff.; R. Marcic, Die

12

Kempen

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

Verfassungsrechtsgebot demokratischer Publizität auch normativ niederschlagen 3 . Die Evidenz solcher demokratischen Fundierung von Öffentlichkeit hat es freilich erleichtert, das Transparenzgebot i n den Himmel verschwommener Wesens- und Wertbegriffe zu entrücken 4 und der praktisch-differenziert-konkretisierenden Argumentation zu entziehen 5 oder es sogar durch bewußt ideologische Hypostasierung ad absurdum zu führen 6 . Jedenfalls erweist sich das Prinzip wegen seiner Allgemeinheit gerade hinsichtlich der wichtigen praktischen Fragen daher noch als relativ unergiebig, wie die Arbeiten Leisners 7 und Jerschkes 8 beweisen. A l l e i n eine normative Klärung der normativen Funktion von Öffentlichkeit für die demokratische Willensbildung unter dem Grundgesetz jedoch könnte Aufschluß darüber erbringen, ob die derzeit praktizierte amtliche Öffentlichkeitsarbeit dem konstitutionellen Transparenzgebot entspricht. I m folgenden soll diese Klärung anhand des einzigen verfassungsrechtlich ausdrücklich normierten Publizitätsgebots, der Öffentlichkeit der Verhandlungen der Volksvertretung (Art. 42 I 1 GG) 9 versucht werden. Erst danach w i r d sich zeigen, wieviel auch rechtspolitisch zu t u n bleibt, u m das prinzipielle Öffentlichkeitsgebot der Verfassung zu erfüllen 1 0 . Da es i m vorliegenden Zusammenhang allein u m staatliche Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, S. 275 ff.; P. Häberle, S t r u k t u r und F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 11. 8 Vgl. R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 470; H. Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften..., S. 14; R. Marcic, Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, S. 288 f.; P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 11. 4 Öffentlichkeit als „Bezeichnung des eigentlichsten aufgegebenen Wesens moderner Staatlichkeit" (R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 470); „ u m der Sinnwirklichkeit modus proprius essendi" (R. Marcic, Die Öffentlichkeit als Prinzip der Demokratie, S. 277); „ u m der Demokratie willen, ,wertbezogen 4 " (P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der öfffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 10). 6 Vgl. die allerdings ins entgegengesetzte E x t r e m verfallende K r i t i k bei W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 53 f. 8 Nämlich als „überflüssige Dekoration, unnütz u n d sogar peinlich" (C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 10). 7 Vgl. Öffentlichkeitsarbeit, S. 82 ff. 8 Vgl. Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 75, 77. 0 Entsprechende Grundsätze gelten f ü r die Vertretungskörperschaften der Länder u n d Gemeinden. 10 Vgl. dazu P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 23 f.

A. Die F u n k t i o n demokratischer Publizität

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Publizität geht, bleiben die komplementären Probleme von Öffentlichkeit und Demokratie i m „gesellschaftlichen" Bereich außer Betracht 1 1 . A. Die Funktion demokratischer Publizität i m demokratischen Willensbildungsprozeß I . Zur Weimarer Diskussion (C. Schmitt, G. Leibholz, R. Smend)

Der Versuch, amtliche Propaganda und Regierungswerbung als integrierende Staatsleitung zu legitimieren, war nur vor dem Hintergrund eines repräsentativ verfaßten Willensbildungpsrozesses denkbar: Wo den „staatsleitenden Organen" eine „echte Repräsentation" eingeräumt ist 1 2 , wo Parlamentarier „ n u r ihrem Gewissen unterworfen" (Art. 38 I 2 GG) und Regierungen wiederum dem Parlament verantwortlich sind, scheint die Staatsleitungskompetenz regierender Eliten auch meinungssteuernde Einflüsse auf die Bevölkerung zu umfassen, zumal auch eine Veränderung demokratischer Beteiligungsformen (Wahlrecht, Parteirecht) möglich ist. Dieses Repräsentationsverständnis bestätigt letztlich die von C. Schmitt prägnant geäußerte Auffassung, wonach das „Repräsentative . . gerade das Nichtdemokratische an dieser »Demokratie 4 " enthalten soll 1 3 . Für den von C. Schmitt stark beeinflußten Repräsentationstheoretiker Leibholz 14 bleibt demgegenüber zwar auch die Repräsentation des Volkes „Demokratie" 1 5 , doch stimmen beide Autoren darin überein, daß das Volk jedenfalls nur als „politische Einheit" 1 6 „ i n seiner politischen Ganzheit" 1 7 repräsentiert werden könne. Repräsentation sei deshalb nur über weisungsunabhängige Abgeordnete als die Vertreter des ganzen Volkes 1 8 denkbar. Solche ideologischen Vorstellungen 19 prägen auch den dieser „existenziellen" Repräsentations11 Vgl. dazu jedoch U. K . Preuß, Z u m staatsrechtlichen Begriff des ö f f e n t lichen; P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 18 ff.; A. Rinken, Das ö f f e n t liche als verfassungstheoretisches Problem, jeweils m. w. N. 12 So R. Herzog f ü r das gegenwärtige System (Allgemeine Staatslehre, S. 341). 13 Verfassungslehre, S. 218. 14 Vgl. hinsichtlich dieses Einflusses A. Röttgen, AöR 19 (1930), S. 290ff.; Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat, S. 13 ff. 15 Das Wesen der Repräsentation, S. 167 A n m . 5 (S. 168). 16 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 210. 17 G. Leibholz, Bemerkungen zu einigen politischen Grundbegriffen, S. 247; Das Wesen der Repräsentation, S. 47 („Repräsentation der politisch-ideellen Einheit des Staatsvolkes"). 18 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 206, 212; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 73,100. 19 Z u r K r i t i k vgl. Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

auffassung zugeordneten Öffentlichkeitsbegriff. Zwar erscheint „Öffentlichkeit" als wesensnotwendige Voraussetzung jeder Repräsentat i o n 2 0 und die Publizität der Parlamentsverhandlungen sogar als „ K e r n des ganzen Systems", doch w i r d öffentlichkeit hier nicht als Vehikel demokratischer Vermittlung und Kontrolle aufgefaßt, sie soll vielmehr der „Darstellung der politischen E i n h e i t " 2 1 dienen. Leibholz hält die „Legitimierung" der Repräsentanten bei Fehlen jeglicher Publizität für ausgeschlossen, „da ohne diese der ,Glaube' an die Repräsentation nicht entwicklungsfähig w ä r e " 2 2 ; nach C. Schmitt hat ein Parlament nur solange repräsentativen Charakter, „als man glaubt, daß seine Tätigkeit i n der Öffentlichkeit liege" 2 3 . Bekanntlich hat Schmitt den Sinn dieser öffentlichen Tätigkeit generell i n der Diskussion weisungsunabhängiger Abgeordneter gesehen: Als Grundprinzipien des Parlamentarismus hätten „Öffentlichkeit und Diskussion . . . nicht weniger als Wahrheit und Gerechtigkeit selbst" bewirken sollen 24 . Leibholz zufolge hatte es der „schöpferische Charakter" öffentlicher Parlamentsdiskussionen i n der „liberalen Demokratie repräsentativ-parlamentarischer Prägung" ermöglicht, die „bestmöglichen Beschlüsse i m Lichte einer höheren Vernunft" zu fassen 25 . Es lag auf der Hand, wie wenig dies hochstilisierte Idealbild eines die „vernünftige Wahrheit und die gerechte Norm" findenden Parlaments 2 6 von öffentlich diskutierenden, unabhängigen Repräsentanten des ganzen Volkes der Weimarer Praxis entsprach. M i t Blick auf die regelmäßig i n geheimen Ausschußsitzungen und Fraktionsabsprachen getroffenen Entscheidungen partei- und interessengebundener Abgeordneter konnte C. Schmitt den Wegfall von Diskussion, Öffentlichkeit und Repräsentation, d.h. der „ideellen Voraussetzungen des Parlamentarismus", die er selbst definiert hatte, theatralisch verkünden 2 7 , konnte Leibholz den Verlust des „früheren schöpferischen Charakter(s)" der Diskussion konstatieren 28 . Entfällt damit die angenommene Funktion parlamentarischer Publizität für eine glaubhafte Repräsentation des Volkes als politischer Einheit gegenüber 20 Vgl. C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 47 ff.; Verfassungslehre, S. 208, 315 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 176 ff. 21 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 207. 22 Das Wesen der Repräsentation, S. 176; Hervorhebung von mir. 23 Verfassungslehre, S. 208 (Hervorhebung von mir); Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 7. 24 Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 61; Verfassungslehre, S. 315. 25 Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 85. 26 So C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 315. 27 Vgl. Verfassungslehre, S. 318 f.; Die geistesgeschichtliche Lage des modernen Parlamentarismus, S. 62 f. 28 Das Wesen der Repräsentation, S. 103; Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 94 f.

A. Die F u n k t i o n demokratischer Publizität

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dem Volk als einer „natürlichen . . . Menschengruppe" 29 , so gewinnt „Öffentlichkeit" beiden Autoren zufolge jetzt i m Zuge einer Entwicklung zu identitären Regierungsformen neue, akklamatorisch-plebiszitäre Bedeutung 30 , die C. Schmitt schließlich i n der nationalsozialistischen Führer-Diktatur verwirklicht sah 31 . Leibholz hingegen entwickelte von hier aus seine bekannte Lehre vom „modernen Parteienstaat" als der „rationalisierten Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie . . . i m modernen Flächenstaat" 32 . Es bedarf nun keiner besonderen Hervorhebung, daß die „plebiszitäre Legitimität" eines cäsaristischen Regimes Schmittscher Prägung selbst intensivste Staatspropaganda rechtfertigt 3 3 . Aber auch die A u f fassung, i n einer funktionierenden parteienstaatlichen Demokratie werde „der Wille der jeweiligen Parteienmehrheit i n Regierung und Parlament m i t dem ,volonté générale* identifiziert" 3 4 , läßt die Verbreitung solchen Gemeinwillens mittels werbender Öffentlichkeitsarbeit legitim erscheinen, zumal es grundsätzlich zulässig sein soll, die „politische Bildungsarbeit" der generell als Teil des „Staatsgefüges" verstandenen Parteien 3 5 staatlich zu finanzieren 36 . I m vorliegenden Zusammenhang genügt es jedoch, kurz auf das von C. Schmitt und G. Leibholz vorausgesetzte „liberal-repräsentative" Publizitätsverständnis einzugehen. Sieht man den Sinn parlamentarischer Öffentlichkeit nämlich allein i n der glaubhaften Repräsentation des Volkes als politischer Einheit, so lassen sich plebiszitärakklamative Formen der Willensbildung zum einen unschwer als historisch folgerichtige verfassungstheoretische Entwicklung propagieren. Zum anderen bietet jener Publizitätsbegriff selbst schon eine funktionale Rechtfertigung werbender Öffentlichkeitsarbeit i m gegenwärtigen parlamentarischen Verfassungssystem, soweit hierdurch die angeblich notwendige Einheitsdarstellung erstrebt wird. Derartige Regierungswerbung könnte dann geradezu als t y p i scher Zwischenschritt i m Ubergang vom liberalen Diskussionsprinzip zu 29

So C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 210. C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22 f.; Verfassungslehre, S. 230 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 118 f.; Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 93, 95. 81 Vgl. schon: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 22 f.; Verfassungslehre, S. 237; Legalität u n d Legitimität, S. 312 ff., 335 ff. 32 Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 93; Das Wesen der Repräsentation, S. 98 ff. 83 Z u r „Propagandatätigkeit i m D r i t t e n Reich" vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 141 ff. 84 So G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 94. 85 So G. Leibholz, V o l k u n d Partei i m neuen deutschen Verfassungsrecht, DVB1. 1950, S. 195. 86 G. Leibholz, Z u m Parteiengesetz von 1967, i n : Festschrift f ü r A . A r n d t , S. 197. 80

182 2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

plebiszitären Formen dargestellt werden. Da die theoretische Stringenz dieser Überlegung freilich von der Richtigkeit des zugrunde gelegten Repräsentation- und Öffentlichkeitsbegriffs abhängt, läßt sie sich relativ einfach widerlegen. Unterdessen hat nämlich Chr. Müller überzeugend nachgewiesen, daß die Repräsentationsauffassungen C. Schmitts und G. Leibholz' h i storisch nicht haltbar sind. Das freie Mandat hat sich nicht erst seit der französischen Revolution ausgebreitet und war m i t h i n keine genuine „Erfindung" des bürgerlichliberalen Parlamentarismus. Vielmehr bestand schon i n allen seit dem Spätmittelalter funktionierenden, d. h. beschlußfähigen Repräsentativversammlungen auch der Grundsatz selbständiger Handlungsvollmachten der Repräsentanten. Eine gewisse Unabhängigkeit von den Konstituenten ist organisationssoziologisch unabdingbare Voraussetzung jeder repräsentativen Beschlußfassung 37 . Damit w i r d zugleich die aus der Konstruktion des freien Mandats abgeleitete Behauptung, plas V o l k könne allein als „politische Einheit" oder „Ganzheit" repräsentiert werden („Vertreter des ganzen Volkes") hinfällig. Ferner widerspricht das B i l d einer Wahrheits- und Gerechtigkeitsfindung mittels parlamentarischer Diskussionen allen sozialpsychologischen Erkenntnissen. M i t Recht ist hierzu bemerkt worden, daß „politische und soziale Fundamentalgegensätze" noch niemals dadurch ausgetragen worden sind, „indem man sich einmal i n Ruhe zusammensetzt und Argumente austauscht" (was freilich nicht bedeute, daß Argumente deshalb überflüssig wären) 3 8 . Als Wahrheitsfindungsautomat hat die Diskussion nirgends funktioniert, weder innerhalb relativ homogener sozialer Klassen (wie z. B. i m parlamentarisch repräsentierten Bürgert u m des 19. Jahrhunderts) noch i m Disput zwischen den Klassen. Entgegen C. Schmitt und G. Leibholz läßt sich schließlich auch das Öffentlichkeitsprinzip keineswegs als begriffsnotwendiges Merkmal aller Repräsentation kennzeichnen, w e i l repräsentative Versammlungen — insbesondere auch das englische Parlament — bis ins 18. Jahrhundert hinein nicht öffentlich tagten 3 9 . Aus den dargestellten Gründen folgt 37

Vgl. Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat, S. 206. M . Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgestz, W D S t R L Heft 29, S. 56 ff. 39 Vgl. F. Glum, Der deutsche u n d französische Reichswirtschaftsrat, S. 28; U. Scheuner, Das parlamentarische Regierungssystem i n der Bundesrepublik, D Ö V 1957, S. 634; Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, S. 226, 231 f.; zustimmend W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 61 Fn. 113; K. Kluxen, Die U m f o r m u n g des parlamentarischen Regierungssystems i n Großbritannien beim Übergang zur Massendemokratie, S. 120, 123; speziell zur englischen E n t w i c k l u n g auch J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 69 ff. 38

A . Die F u n k t i o n demokratischer Publizität

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daher — und dies interessiert i m vorliegenden Zusammenhang besonders, — daß die später aufgetretene „grundsätzliche Tendenz zur Publizität" keineswegs „aus der ideellen Wertbezogenheit der Repräsentation" SchmittsckieT und Leibholzsctier Prägung erklärt werden kann 4 0 . Die These von der repräsentationstechnischen Darstellungsfunktion parlamentarischer Publizität läßt sich freilich auch integrationstheoretisch dahin abwandeln, daß Öffentlichkeit als maßgebliche Integrationsmethode i m Prozeß politischer Einheitsbildung verwendbar ist 4 1 . Dementsprechend liegt der „Sinn der Öffentlichkeit als Moment heutiger politischer Ordnung" für Smend „nicht i m Kontrollbedürfnis der Demokratie", sondern i n der „Integrationswirkung" 4 2 . Auch vom integrationstheoretischen Publizitätsbegriff her ließe sich werbende Öffentlichkeitsarbeit also durchaus rechtfertigen. Dabei bleibt die Smendsehe Lehre vor historisch argumentierender K r i t i k überwiegend bewahrt (was zu ihrer kaum verminderten A k t u a l i t ä t 4 8 , die bis zu systemtheoretischen Umdeutungen reicht 4 4 , wesentlich beigetragen haben dürfte). Anders als C. Schmitt hat sie nämlich die von diesem fälschlich m i t dem Repräsentationsprinzip identifizierten frühkonstitutionellen Begriffe von Diskussion und Öffentlichkeit niemals als verlorene Realitäten hinzustellen versucht 45 , sondern treffend als „Ideologie" gedeutet 4 6 . Folgerichtig konstatiert Smend, daß — selbst wenn diese Ideologie „zerfallen" sei, — ein etwa durch öffentliche Parlamentsverhandlungen bewirkter Integrationseffekt dennoch „bleiben" könne 4 7 . So40

So aber G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 176. Vgl. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 201. V o n hier aus läßt sich unschwer eine Verbindung zur modernen Systemtheorie N. Lühmanns ziehen, derzufolge öffentliche Parlaments Verhandlungen vor allem der „Darstellung von Konsens dienen" (Legitimation durch Verfahren, S. 189). F ü r W. Martens geht es bei der Parlamentspublizität schließlich vor allem u m die „Darstellung" des „Staatswillens" (öffentlich als Rechtsbegriff, S. 61). 42 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 201 Fn. 5 unter Übernahme eines bereits von C. Schmitt (Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 59) gegebenen Hinweises auf G. W. F. Hegel (Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 315 u n d Zusatz, S. 482 f.). Vgl. auch R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 469, m i t Hinweis auf C. Schmitt (Verfassungslehre, S. 316). C. Schmitt wiederum charakterisiert den Parlamentarismus i n Anlehnung an Smend i m m e r h i n als „Integrierungsmethode" (Verfassungslehre, S. 208). 48 Vgl. z. B. die Grundtendenz bei A. Rinken, Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem. 44 Vgl. M. H. Mols, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie. 45 Vgl. C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 7, 10f.; Verfassungslehre, S. 219; ebenso G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 103; Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 94f.; ähnlich auch die Argumentationsbasis bei J. Habermas, S t r u k t u r wandel der Öffentlichkeit, S. 225 ff. 48 Vgl. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 152. 47 Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 153. 41

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

lange parlamentarische Publizität das V o l k also nun tatsächlich irgendwie „integriert", ist sie auch verfassungsrechtlich legitim. M i t h i n bleibt diese Auffassung wegen ihres funktionalistischen Charakters gegen historische Argumente gefeilt. Zwar erscheint es juristisch unzulässig, „Integration" i n den Rang eines Staatsziels zu heben und es aus diesem normativen Anspruch heraus zu rechtfertigen, daß konstitutionelle Publizität als amtliche Öffentlichkeitsarbeit zur „gesteuerten Integration umfunktioniert" 4 8 wird, weil der verfassungsfremde Integrationsbegriff hierdurch zur blankkettartigen Kompetenznorm aufgewertet würde. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, wie sehr bereits die moderne Massenkommunikation die Einflußmöglichkeiten von Parlamentariern auf die sog. öffentliche Meinung vergrößert hat 4 9 . Vielleicht ist schon i n dieser rein technischem Verstärkung des verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsprinzips jenseits aller vorkonstitutionellen Integrationsmodelle jener „Strukturwandel der Öffentlichkeit" zu manipulativ-demonstrativen Formen 5 0 beschlossen, den staatliche Propaganda dann nur intensivieren, nicht aber erst hervorrufen würde 5 1 . I m Folgenden soll deshalb die Funktion parlamentarischer Verhandlungspublizität unter dem Grundgesetz betrachtet werden. I L Die Funktion parlamentarischer Verhandlungspublizität unter dem Grundgesetz

Die scheinbare Plausibilität der Repräsentations- und Öffentlichkeitslehren C. Schmitts und G. Leibholz' rührte vor allem daher, daß der Behauptung, nur „politische Einheiten" seien repräsentationsfähig, die Vorstellung von einer angeblich geschlossenen bürgerlichen Gesellschaft i m 19. Jahrhundert zugrunde liegt 5 2 . Vor dem Hintergrund sozialer Homogenität erscheint das Verständnis von parlamentarischer Öffentlichkeit als „Darstellung der politischen Einheit" jedenfalls nicht abwegig und der Glaube an wahrheitsfördernde Diskussionen grundsätzlich gleichgesonnener Repräsentanten wahrscheinlicher. Demgegenüber deutete allerdings bereits der auch auf dem Kontinent sehr einflußreiche liberale Theoretiker Jeremy Bentham die 48

Vgl. J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 226. Vgl. E. Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L Heft 16 S. 31. 60 Vgl. dazu J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 225 f. 81 Nach K . Kluxen (Die U m f o r m u n g des parlamentarischen Regierungssystems i n Großbritannien beim Übergang zur Massendemokratie, S. 123) w a r der Einfluß der Parlamentsdebatten des britischen Unterhauses auf die Öffentlichkeit bereits i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „größer als umgekehrt". 52 Vgl. z. B. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 314 f. 49

A. Die F u n k t i o n demokratischer Publizität

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Verhandlungspublizität keineswegs als „Darstellung" eines stabilen Repräsentationsverhältnisses, sondern als ein Mittel, das es u. a. den Regierenden ermöglichen sollte, die Wünsche der Regierten kennenzulernen sowie aus der Information der Öffentlichkeit Nutzen zu ziehen, und das zugleich dem Wähler helfe, bei Wahlen vernünftig zu handeln 5 3 . Ist Öffentlichkeit auch nachweisbar kein Wesensbestandteil der Repräsentation (vgl. oben), so dient sie hiernach jedoch der kontrollierenden Anteilnahme des Wählers an parlamentarischen Entscheidungen, also demokratischen Zwecken. I m Verlauf der (aufgrund des allgemeinen Wahlrechts) fortschreitenden Erweiterung der politischen Gesellschaft über schmale besitz- und bildungsbürgerliche Schichten hinaus 5 4 trat diese demokratische Zielrichtung der Publizität immer deutlicher hervor. Dabei zeigte sich nämlich, daß die aus dem Ideenkreis der französischen Revolution überkommenen Vorstellungen von der Einheit des souveränen Volkswillens mindestens solange f i k t i v bzw. illusionär bleiben mußten, wie die sozialen Klassengegensätze erhalten wurden 5 5 . Zwar hat der rapide vollzogene Wandel vom Konkurrenzkapitalismus zum staatlich organisierten Kapitalismus die Klassenantagonismen vielfach überdecken können, doch hat er zugleich die politische Bedeutung interessenspezifischer gesellschaftlicher Organisationen (Parteien, Verbände) entsprechend potenziert. Da soziale Auseinandersetzungen als Folge einer auch organisatorisch geformten Verklammerung von „Staat und Gesellschaft" nunmehr vor allem i m staatlichen Bereich ausgetragen werden 56 , konnte die theoretische Zweckbestimmung des parlamentarischen Öffentlichkeitsprinzips für partizipatorische Interessenvermittlung und Gegenkontrolle, konnte also auch seine demokratische Zielrichtung nicht länger verkannt bleiben. Ferner wurde deutlich, daß „Repräsentation" kaum noch als „Zustand der Übereinstimmung" zwischen staatlicher Politk und repräsentierter Gesellschaft glaubhaft „darzustellen" war, wenn staatliche Entscheidungen ständig durch interessenvermittelnde Maßnahmen antagonistische gesellschaftliche Prozesse dirigieren sollen. Öffentlichkeitsgebot und Kommunikationsgrundrechte zielen vielmehr darauf, demokratische Repräsentation normativ zu ermöglichen. 63

Z i t i e r t nach C. J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S. 355. Z u der parallellaufenden Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft als „politischer Öffentlichkeit" vgl. J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 176 ff., 200 ff. Z u r Bedeutung des Wahlrechts vgl. ebd., S. 139 ff., u n d die dort gegebenen Hinweise auf K . Marx. Z u r K r i t i k des Hegeischen Staatsrechts, Werke Bd. 1, S. 327; Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, Werke Bd. 8, S. 153. 65 Vgl. dazu U. K. Preuß, Z u m staatsrechtlichen Begriff des öffentlichen, S. 285 f. 66 Vgl. U. K. Preuß, Z u m staatsrechtlichen Begriff des öffentlichen, S. 186. 54

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

Beides sind unabdingbare organisatorische Minimalbedingungen, wenn i m parlamentarischen System die emanzipatorische Beteiligung Legitimitätsbasis legaler Dezision sein soll, wie es z. B. das Grundgesetz vorschreibt. Erst unter solchen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen kann sich demokratische Repräsentation als ein Prozeß dauernder „Angleichung" zwischen dem Inhalt staatlicher Entscheidungen und den „Meinungen der Regierten" entwickeln: Die — i n verbindlichen Entscheidungen konkretisierten — Anschauungen der „Regierenden" sollen sich unter dem bestimmenden Einfluß der antizipierten Reaktion der „Regierten" herausbilden 57 . Parlamentarische Repräsentation ist also ein organisierter Prozeß ständig diskursiver Wechselwirkung zwischen den Meinungen staatlicher Organwalter und der Aktivbürger, wobei das Spezifikum der Demokratie darin besteht, „politische Entscheidungen der öffentlichen Meinung anzugleichen und nicht umgekehrt" 5 8 . Dieser Gefahr autoritärer Meinungslenkung „von oben" versucht das Grundgesetz zweifach zu begegnen. Zum einen, indem es i n A r t . 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Demokratie und Volkssouveränität normiert und indem es diese Grundsätze der Disposition des Gesetzgebers, d. h. der Abgeordneten entzieht (Art. 79 I I I GG). Damit ist das m i t dem Wahlakt begründete Rechtsverhältnis zwischen Staatsvolk und Repräsentanten 59 inhaltlich vor allem von den demokratischen Pflichten des Abgeordneten geprägt. Die i n A r t . 21 I I 1 GG enthaltene Bindung aller politischen Parteien an die „freiheitliche demokratische Grundordnung" unterstreicht dieses Pflichtenverhältnis. Gleichzeitig nehmen die „ n u r ihrem Gewissen" unterworfenen, weisungsfreien Abgeordneten (Art. 38 I 2 GG) allerdings ein freies Mandat wahr. I n der Demokratie ist jedoch auch die Staats Willensbildung lediglich Meinungsbildung, die sich zu verbindlichen Entscheidungen verdichtet 6 0 . Theoretisch sollen daher die „ i m Volk gemachten, situationsbedingten Erfahrungen der Entscheidungsbedürftigkeit und der öffentlichen Relevanz einer Sache" jeweils parlamentarische Entscheidungsabläufe i n Gang setzen 61 . Folglich sind alle Mandatsträger ihrem demokratischen Gewissen derart unterworfen, daß sie ihre Entschlüsse pflichtgemäß nur i n Kenntnis der Ansichten und Interessen der 57

Vgl. M. Sobolewski, Politische Repräsentation i m modernen Staat, S. 429; Chr. Müller, Das imperative u n d freie Mandat, S. 230. 58 M. Sobolewski, Politische Repräsentation i m modernen Staat, S. 429; ähnlich BVerfGE 20, S. 56 ff., 99. 5 " V g l . hierzu G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 585 f.; E. Stein, L e h r buch des Staatsrechts, S. 75. 80 Vgl. M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 56. 61 M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 52.

A . Die F u n k t i o n demokratischer Publizität

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Repräsentierten fassen dürfen 6 2 , w e i l andernfalls der demokratische Legitimationsstrom unterbrochen würde und das „freie Mandat" i n autoritäre Herrschaft umschlagen müßte. Staatliche Entscheidungen können also n u r vermittels öffentlich rechtfertigender Kommunikation demokratisch legitimiert werden 6 8 . Folglich hat der Parlamentarier seine Entscheidungen und Stellungnahmen dem Volk gegenüber grundsätzlich zu begründen (Rechenschaftspflicht) 64 . Das geltende Verfassungsrecht kennt allerdings keine Sanktionen i m Fall einer Verletzung dieser Rechenschaftspflicht. Wohl aber sind rechtliche Vorkehrungen getroffen, u m die demokratisch gebotene Rechtfertigung faktisch zu erzwingen. Die begrenzte Dauer einer Legislaturperiode nötigt den Abgeordneten schon um seiner Wiederwahlchancen w i l l e n theoretisch zur Kommunikation m i t seinen Wählern 6 5 . Praktisch freilich können Parlamentarier heute regelmäßig und durchaus risikolos darauf verzichten, i h r Handeln vor ihren Wählern eingehend zu begründen und es damit überprüfbar zu machen. Das liegt nicht allein an der noch immer weit verbreiteten politischen Apathie (die teilweise durchaus auch als Folge mangelnder Kommunikations- und Kontrollbereitschaft der Mandatsträger gedeutet werden könnte), sondern zugleich an der von den Parteieliten bewußt forcierten Entwicklung zur begrenzten Persönlichkeitswahl, i n der es weniger um eine Entscheidung zwischen programmatische Alternativen als vielmehr zwischen kleinen konkurrierenden Führungsteams aus wenigen Spitzenpolitikern geht 6 6 . Hierdurch w i r d das politische Interesse von Sachfragen abgelenkt und demokratische Kontrolle vielfach erfolgreich minimalisiert. Wesentlich bedeutungsvoller für den verfassungsrechtlich notwendigen Interaktionsprozeß w i r d jedoch das Publizitätsgebot für parlamen62 Vgl. H. Ridder, I n Sachen Opposition: A d o l f A r n d t u n d das Bundesverfassungsgericht, i n : Festschrift f ü r A . A r n d t , S. 345. 68 Vgl. M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 52, der freilich das w e n i g faßbare K r i t e r i u m des ,common sense' zum Legitimationskriterium erhebt, das — auch wenn m a n es i. S. v. „ V e r tretbarkeit" u n d „Plausibilität" verwendet (a.a.O., S. 53) — leicht zum bloßen „Gemeinwohl"-Synonym wird. 84 Vgl. W. Steffani, Parlamentarische Demokratie — Z u r Problematik v o n Effizienz, Transparenz u n d Partizipation, S. 35; w o h l auch M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 66; u n d R. Bäumlin, Die K o n t r o l l e des Parlaments über Regierung u n d Verwaltung, Schweiz. Jur. Verein Heft 3, 1966, S. 188; a. A . noch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 586, der freilich einen faktischen, v o m Interesse des Abgeordneten an der Wiederwahl ausgehenden Zwang zu solcher Rechenschaft ann i m m t . Auch R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 340 f., scheint einen f a k t i schen Rechenschaftszwang vorauszusetzen. 66 Darauf hat bereits G. Jellinek (Allgemeine Staatslehre, S. 586) hingewiesen. 86 Vgl. z. B. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 295 f.

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tarische Verhandlungen, w e i l es rechtlich konkret und deshalb praktisch schwerer zu unterlaufen ist. Diese Öffentlichkeitsnorm erscheint damit sowohl als komplementärer Bestandteil des umfassenden Demokratieprinzips 6 7 , wie auch als die zweite wichtige normative Sicherung des Grundgesetzes gegen eine Pervertierung des demokratischen Repräsentationsprozesses zu tendenziell autoritären Herrschaftsformen. Verhandlungspublizität soll die Abgeordneten und Fraktionen, Regierung und Opposition dazu zwingen, ihre Entscheidungen zu begründen und rationale Alternativen zu entwickeln, kurz: Politische Positionen vor der Öffentlichkeit, dem Volk, argumentierend darzulegen. Es geht bei der Parlamentsdebatte also nicht u m die Darstellung einer ideellen politischen „Einheit", sondern u m die Information über politische Meinungs- und Interessengegensätze und die daraus abgeleiteten sozialen Handlungsalternativen 6 8 , die verständlich gemacht, d.h. rational kontrollierbar und damit zugleich öffentlich beeinflußbar werden sollen. Die demokratische Verfassung verbietet es daher, solche Publizität lediglich restriktiv zu obrigkeitlichen Bekanntmachungen zu benutzen, die allein den „Staatswillen . . . zur Darstellung zu bringen" hätten 6 9 . Ebenso unzulässig wäre es aber auch, die von den Fraktionen meist sorgfältig einstudierten Schaukämpfe einer Plenardebatte als großangelegtes Scheinmanöver durchzuführen, u m so die wahren Hintergründe und Interessen, die geheimen Kämpfe und Pressionen, A b sprachen am Rande und jenseits der Legalität, u m also jenes äußerlich unentwirrbare Geflecht von Beziehungen und Informationen hinter den Fassaden offizieller Begründungen vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Zweifellos sind beide Gefahren i n der BRD heute hochaktuell, und speziell die kulissenhafte Gestaltung von Parlamentsdebatten zu einer 67 H. M., vgl. z. B. schon H.-J. Wolff, Organschaft u n d juristische Person, Bd. 2, S. 83f.; E. Fraenkel, Parlament u n d öffentliche Meinung, S. 120; Th. Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, Grundgesetz, A r t . 42 Rn. 1; W. Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, S. 53; Th. Ellwein / A. Görlitz, Parlament u n d Verwaltung, T e i l 1, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 241 f.; A. Hamann, i n : Hamann / L e n z , Grundgesetz, A r t . 42 A n m . A (S. 463); P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische Bildung, Heft 3, 1970, S. 12 Fn. 86; M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 67; M. Hereth, Die Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments, PVS 1970, S. 29 ff.; N. Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, S. 70. 68 Vgl. W. HenniSy Z u r Rechtfertigung u n d K r i t i k der Bundestagsarbeit, i n : Festschrift f ü r A . A r n d t , S. 155; U. Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, i n : Festschrift für A. A r n d t , S. 391; Th. Ellwein / A. Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 240ff.; M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 68. 69 Das scheint W. Martens (öffentlich als Rechtsbegriff, S. 61) jedoch f ü r überwiegend zulässig zu halten.

A . Die F u n k t i o n demokratischer Publizität

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das Publikum illusionierend beruhigenden, d.h. pseudo-legitimierenden Show-Veranstaltung ist bereits mehrfach beschrieben sowie überwiegend kritisch analysiert worden 7 0 . Man hat von dieser manifesten Entwicklung zur parlamentsgesteuerten Integration, diesem Vordringen „demonstrativer" Tendenzen gegenüber „kritischer Publizität" sogar auf die „Fragwürdigkeit der Öffentlichkeit als Organisationsprinzip der staatlichen Ordnung" geschlossen71. Dagegen ist hierin unter systemtheoretischem Aspekt eine als „funktional" akzeptierte Möglichkeit gesehen worden, „die Verwendung unerlaubter Motive zur Vereinfachung der Entscheidungslage" durch nicht öffentliche Koalitionen, Absprachen und Pressionen, hinter der offiziellen „Darstellung des politischen Kampfes" i m parlamentarischen Plenarverfahren kaschierend zu verbergen 72 . Kritische und systemtheoretische Schlußfolgerung widersprechen sich nur scheinbar: Beide verabsolutieren — vom selben zutreffenden empirischen Befund aus 73 — pathologische Züge heutiger Parlamentsöffentlichkeit anhand historisierend liberal-demokratischer bzw. systemfunktionaler Kriterien. Es sind dies jedoch jeweils nur Teilfunktionen des verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgebots. Habermas geht von der Idealvorstellung einer angeblich historischen, aber entschwundenen Realität aus, i n der „öffentlichkeit der Verhandlungen . . . die Kontinuität der vorparlamentarischen mit der parlamentarischen Diskussion, die Einheit der öffentlichkeit und der darin sich bildenden öffentlichen Meinung, m i t einem Wort: das deliberierende Parlament als Mitte, aber eben auch als Teil des Publikums i m Ganzen sichern sollte, und eine Zeitlang auch tatsächlich gesichert h a t " 7 4 . Nur am Rande sei bemerkt, daß hier die aus der politischen Schwäche des deutschen Bürgertums i m 19. Jahrhundert heraus entstandene Doktrin vom Parlament als der öffentlichen Vermittlungsinstanz zwischen monarchischer Staatsgewalt und der lediglich m i t beteiligten bürgerlichen Gesellschaft nachwirkt, eine Doktrin also, die politische Demokratie noch nicht als eigenverantwortliche Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk begreifen konnte. Polemisch und überspitzt gesprochen: Das Parlament als Petitionsorgan des räsonierenden Publikums mochte vielleicht als Artikulationsstätte einer ein70 Vgl. z.B. J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 225ff.; J. Agnoli, Die Transformation der Demokratie, S. 61 ff.; C. Offe, Politische H e r r schaft u n d Klassenstrukturen, S. 171 ff.; N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 189 ff. 71 So J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 226. 72 So N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 189 f. 73 E r findet sich bereits bei C. Schmitt, Z u r geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 62. 74 S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 225.

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heitlich-kritischen öffentlichen Meinung erschienen sein, doch dürfte diese Einheit bürgerlicher K r i t i k spätestens seit dem Erwerb wichtigerer parlamentarischer Mitwirkungsrechte i n die verschiedensten I n teressengruppen und Koalitionen zerfallen sein. I m Verlaufe der zunehmenden staatsinterventionistischen Verklammerung von „Staat" und „Gesellschaft" ist dies immer deutlicher geworden. Habermas unterstellt nun aber für die geltende Verfassungsordnung eben dieses am liberalen Modell orientierte konstitutionelle Gebot „einer politisch fungierenden Öffentlichkeit", welche unverändert an die Idee der öffentlichen Meinung i. S. e. durch Publizität ermöglichten „kritischen Instanz" gebunden sein soll. Infolgedessen müsse die staatsrechtliche und politikwissenschaftliche Analyse heute „an der institutionalisierten Fiktion der öffentlichen Meinung festhalten, ohne sie jedoch unmittelbar i m Verhalten des Staatsbürgerpublikums noch als reale Größe identifizieren zu können" 7 5 . Derartig fiktive Tendenzen lassen sich i m verfassungstheoretischen und politologischen Schrifttum tatsächlich seit längerem nachweisen. G. Jellinek bezeichnet öffentliche Meinung „schlechtweg als die Ansicht der Gesellschaft über Angelegenheiten sozialer und politischer N a t u r " 7 6 Nach D. Schindlers bekannter Definition ist öffentliche Meinung die nichtorganisierte Letztinstanz der Demokratie 7 7 , und für S. Landshut sind Volkssouveränität und öffentliche Meinung identisch 78 . Diesen Erklärungen ist die Betonung der Unorganisiertheit der öffentlichen Meinung gemeinsam. Bereits H. Heller hatte hierzu festgestellt, daß die „Vorstellung von dem führerlosen Entstehen der öffentlichen Meinung" der „Aufrechterhaltung der Fiktion von der herrschaftslosen Formung der Gesellschaft zur politischen Einheit" diene 79 . Eine weitere Fiktion t r i t t hinzu, nämlich die der abstrakten Größe „Gesellschaft", wie sie den konkreten Realitäten so generell jedenfalls nicht entnommen werden kann. Andererseits erfordert der normative Zwang zu demokratischer Legitimation ein sinnfälliges, benennbares und politisch operationables Substrat solcher Legitimität über den periodischen Wahlakt hinaus. Heller hat deshalb zwar die Vorstellung einer aktionsfähigen Einheit der öffentlichen Meinung abgelehnt 80 und den Begriff auf eine „ W i l 75

S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 258. Allgemeine Staatslehre, S. 102; Hervorhebung von m i r . 77 Über die B i l d u n g des Staatswillens i n der Demokratie, S. 63; ebenso R. Smend, Z u m Problem des öffentlichen u n d der Öffentlichkeit, S. 469; H. Lenz, Rundfunkfreiheit u n d öffentliche Meinung, JZ 1963, S. 345. 78 Volkssouveränität u n d öffentliche Meinung, i n : Festschrift f ü r R. Laun, S. 586. 79 Staatslehre, S. 281. 80 Staatslehre, S. 286. 78

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ie F u n k t i o n demokratischer Publizität

lens- und Wertgemeinschaft" zwischen Herrschern und Beherrschten reduzieren wollen 8 1 , zugleich aber der „gesellschaftlichen und politischen Führung" die „Aufgabe" zugesprochen, „der öffentlichen Meinung i n den staatlichen Lebensfragen durch Leitung und Erziehung eine möglichst feste und einheitliche Gestalt zu geben" 82 . Ähnlich elitäre Auffassungen vertritt W. Hennis, der am altliberalen „Begriff der öffentlichen Meinung als repräsentative(r), von der gemeinen Meinung zu unterscheidende(n) Kategorie" festhält 8 3 , u m dann die Legitimität des Parlamentarismus daraus herzuleiten, daß sich seine Repräsentanten „als klügere, besser informierte und einsichtigere Beurteiler politischer Fragen betrachten als die Masse des Volkes" 8 4 . Demnach wären also vor allem die Parlamentarier Träger der öffentlichen Meinung. M i t Recht rügt Habermas, eine hierarchische Repräsentanz dieser A r t lasse sich soziologisch nicht mehr befriedigend bestimmen 85 , übersieht dabei aber die weitgehende Identität von öffentlicher Meinung und repräsentativer Volksvertretung, d. h. die institutionelle Bestimmbarkeit der Formel vom „Parlament als obersten Repräsentant(en) der öffentlichen Meinung" 8 6 . Für E. Fraenkel endlich fällt der außerparlamentarischen („fluiden") öffentlichen Meinung schließlich nur noch „eine A r t Schiedsrichterrolle" zu, nämlich die Wahlentscheidung darüber, wer regieren soll 8 7 . Parlamentarische Repräsentation dient unter diesen Umständen primär der „lebendigen Darstellung des Volksganzen i n einer politischen Versammlung" 8 8 und parlamentarische Publizität i m Stile einer demonstrativen öffentlichen Meinungsschau erscheint vollauf gerechtfertigt. Es ist durchaus konsequent, daß die Vertreter eines mehr auf „Vertrauen" und werbende Integration denn auf Kontrolle und Partizipation gegründeten elitären Repräsentativsystems (Fraenkel, Hennis und Scheuner) auch einen entsprechenden auf parlamentarische Repräsentanz eingeschränkten Begriff der öffentlichen Meinung vertreten, weil andernfalls die von ihnen unterstellte Legitimation durch Vertrauen theoretisch ins Wanken geriete. Eine praktische Auswirkung dieser Ideologie hat N. Luhmann deutlich gemacht: Plenardebatten müssen 81 Staatslehre, S. 278. E. Fraenkel nennt diesen Bereich gemeinsamer G r u n d überzeugungen die „konsolidierte" (im Gegensatz zu tagespolitisch „fluiden") öffentliche Meinung; Demokratie u n d öffentliche Meinung, S. 155. 82 Staatslehre, S. 286. 83 Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie, S. 153; zustimmend w o h l U. Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22, S. 27. 84 Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie, S. 157. 85 S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 259. 88 Vgl. W. Hennis, Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie, S. 156. 87 Demokratie u n d öffentliche Meinung, S. 161. 88 U. Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22, S. 22.

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als politische Schaukämpfe inszeniert werden, u m das Publikum von den tatsächlichen Entscheidungsprozessen abzulenken, u m sein Vertrauen nicht zu untergraben 89 . Solche Auffassungen sind indessen keineswegs neu. Die Vorstellung von einer relativ autonom antizipierten Darstellung der „öffentlichen Meinung" i m Parlament und ihrer erzieherisch integrierenden Funktion findet sich bekanntlich bereits i n der älteren Staatstheorie 90 , für welche jene vielzitierte Auffassung Hegels typisch ist, derzufolge die „Öffentlichkeit der Ständeversammlungen" ein „die Bürger vorzüglich bildendes Schauspiel" sei, i n dessen Verlauf das Volk seine „wahren Interessen erst kennenlerne" und diese nicht etwa nur kundtue 9 1 . Auch die von Habermas als Kennzeichen des bürgerlichen Parlamentarismus hervorgehobene Einheit der Öffentlichkeit dürfte hiernach — jedenfalls was die prätendierte „Kontinuität der vorparlamentarischen m i t der parlamentarischen Diskussion" angeht — bereits gewisse fiktive Züge getragen haben. Es sei dahingestellt, wie weit diese — sowohl durch Interessengegensätze i m bürgerlichen Lager 9 2 wie auch durch technische Kommunikationsschwierigkeiten bedingte — F i k t i v i t ä t damals reichte. Gegenüber der damaligen Situation einer kleinen, sozial relativ homogenen Schicht von Honoratioren hat sich der Exklusivität der politisch entscheidenden Diskussion, hat sich der manipulative Charakter parlamentarischer Debatten und staatlicher Publizität, i m Verlauf der Entwicklung zur antagonistischen Industriegesellschaft spätkapitalistischer Prägung zeifellos rapide potenziert 93 , doch besteht eine Kontinuität des Auseinanderklaff ens von demokratischem Anspruch und politischer Praxis: Der bei Habermas aufgenommene Begriff der „öffentlichen Meinung" war insofern stets mehr oder weniger fiktiv. Als „Organisationsprinzip der staatlichen Ordnung" ist Öffentlichkeit also nicht infolge eines plötzlichen „Funktionswandels des Parlaments" fragwürdig geworden 94 . Gemessen am Legitimationsanspruch eines kritisch partizipierenden Publikums mußte das Vertrauen i n jenes Prinzip selbst während der Glanzzeit des bürgerlichen Parlamentarismus mindestens zweifelhaft sein. Ungeachtet dessen hat sich der Prozeß der öffentlichen Auseinandersetzung als solcher — freilich i n vielfach veränderten Formen — fortgesetzt 95 . 89

Legitimation durch Verfahren, S. 190. Vgl. dazu W. Hennis, Meinungsforschung u n d repräsentative Demokratie, S. 133 ff. 91 Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 315 Zusatz, Werke, Bd. 7, S. 482. 92 Vgl. hierzu M. Dobb, Entwicklung des Kapitalismus, S. 256 ff. 98 Diese Entwicklung w i r d bei Habermas eindringlich beschrieben (Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 199 ff.). 94 So aber J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 226. 95 U. Scheuner, Pressefreiheit, V V D S t R L Heft 22, S. 25. 90

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Nach alledem erscheint es unzulässig, von einem historischen Idealmodell her ohne durchgängige Analyse des geltenden Verfassungsrechts auf die Fragwürdigkeit seiner normativen Öffentlichkeitsgebote zu schließen. Das verfassungsrechtliche Interesse jedenfalls hat vielmehr den Voraussetzungen und Formen zu gelten, unter denen „Öffentlichkeit" heute verwirklicht werden könnte 9 6 . Obwohl das Grundgesetz die Kategorie der öffentlichen Meinung nicht kennt, schafft es über grundrechtliche Garantien und Publizitätsgebote die als notwendig erachteten Funktionsbedingungen für eine unablässige öffentliche Kommunikation zwischen Volk und politisch entscheidenden Instanzen i. S. d. gebotenen demokratischen Willensbildungsprozesses. Heute geht es darum, die konkreten verfassungsrechtlichen Inhalte solcher Normen angesichts der aktuellen Realität unserer Gesellschaft herauszuarbeiten. Dabei hat sich der überkommene Begriff „öffentliche Meinung" als formelhafte Umschreibung einer unter solchen normativen Bedingungen erwarteten sozialen Interaktionsstruktur als hilfreich erwiesen. Erst wenn sich herausstellen sollte, daß die konkretisierte Verfassung die notwendigen Garantien für eine solche soziale Kommunikation nicht bietet, wären z.B. konstitutionelle Publizitätsvorschriften wirklich fragwürdig geworden. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts entsteht „öffentliche Meinungsbildung" heute aus den „vielfältigen, sich möglicherweise w i dersprechenden, ergänzenden, gegenseitig beeinflussenden Wertungen, Auffassungen und Äußerungen des Einzelnen, der Gruppen, der politischen Parteien, Verbände und sonstigen gesellschaftlichen Gebilde . . ." 9 7 . Hier ist öffentliche Meinung nicht mehr als durchgängig erfahrbares Ergebnis, als einheitliche Anschauung verstanden, sondern als ein kommunikativer Vorgang. A l l e weiteren Versuche, aus den beschriebenen Vorgängen konkrete Stellungnahmen der „Allgemeinheit" zu substrahieren, müssen sich heute angesichts des umfassenden demokratischen Beteiligungsgebots entweder autoritär auswirken oder f i k t i v bleiben. So ist auch die von H. Heller 98 an den Legitimitätsbegriff G. Jellineks 99 angelehnte Definition der öffentlichen Meinung als „Willens- und Wertgemeinschaft" faktisch verbreiteter Geltungsüberzeugungen wenig brauchbar. Zum einen läßt sich die dabei implizit vorausgesetzte 96

Vgl. P. Haberle, Öffentlichkeit u n d Verfassung, ZfPol. 1969, S. 277. BVerfGE 8, 104, 113. 98 Vgl. Staatslehre, S. 278. 99 Vgl. Allgemeine Staatslehre, S. 334; ähnlich M. Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, S. 22 ff., 157 ff. 97

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Kempen

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Haltung des bewußten gemeinsamen Geltenlassens gewisser Grundsätze als öffentliches Bewußtsein empirisch kaum nachweisen, zum anderen aber bieten derart radikal reduzierte Minimalstandards keine hinreichend sensiblen Kriterien demokratischer Beteiligung jenseits periodischer Wahlen, weil die „Sanktionsschwelle" auf der Ebene der „Willens- und Wertgemeinschaft" erheblich höher liegt als die „normalen" Reaktionsmöglichkeiten durch Stimmentzug. Demgegenüber scheint es angemessener, das Forum öffentlicher Kommunikation zwischen „ V o l k " und staatlichen Entscheidungsträgern i n der Presse zu sehen und die Massenkommunikationsmittel als Organe der öffentlichen Meinung zu verstehen 100 . Daneben bieten allerdings auch Parteien und Verbände, Vereinigungen und schließlich die „Wissenschaft" (Schulen und Hochschulen) wichtige Artikulationsmöglichkeiten, so daß m i t der Herausstellung der Presse lediglich pars pro toto genommen würde. Überdies kann eine solche „Ortsbestimmung" der öffentlichen Meinung nur wenig über die Struktur und Funktion solcher kommunikativen Vorgänge i n der Demokratie — und das heißt zugleich: über die Bedeutung parlamentarischer Publizität aussagen. I n der „neueren Staatslehre" ist diese Funktion der öffentlichen Meinung ganz allgemein als eine „auf das politische Leben wirkende und wirken wollende Erscheinung" beschrieben worden 1 0 1 ; präziser: als die permanente Form politischer Beteiligung des Volkes an der verbindlichen Rechtssetzung i m staatlichen Entscheidungsbereich jenseits von Wahlen und Abstimmungen. Rechtlicher Fortschritt kann dann zugleich generell als unendlicher „Prozeß von Diskussion und Dezision" gefaßt werden 1 0 2 , wobei die „ i m Volk gemachten situationsbedingten Erfahrungen" von der Dringlichkeit und allgemeinen Bedeutung bestimmter Probleme den parlamentarischen Entscheidungsprozeß i n Gang setzen sollen. Die daraufhin beginnende „kontroverse Reflexion" hat nicht nur die erfahrungsund interessebedingten Meinungen zum jeweils anstehenden Thema einzubeziehen, sondern auch die gesamten sozialen und rechtlichen Auswirkungen der vorgenommenen Entscheidungen nach dem jeweiligen Stande der Wissenschaft m i t zu bedenken 1 0 8 . Da alle solchermaßen relevanten Faktoren aber höchst selten exakt berechnet werden können, andererseits aber die Dringlichkeit aktueller Probleme verbindliche Regelungen erzwingt, bleiben die schließlich gewonnenen Ent100 v g L H Ridder, Meinungsfreiheit, S. 253; Probleme der inneren Pressefreiheit, S. 5 f.; U. Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22, S. 24 f. 101

H. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 252. So M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, Heft 29, S. 52. 103 Vgl. M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 192. 102

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Scheidungen zwangsläufig fast immer nur vorläufig, korrigierbar, ergänzungsbedürftig, also kritisierbar, anfechtbar und künftigen A l t e r nativen gegenüber offen 1 0 4 . Das parlamentarische System lebt insofern von einer permanenten öffentlichen Diskussion, von der sich die vor den Repräsentanten getroffene „Entscheidung über Relevanz und Priorität" rechtfertigen muß 1 0 5 . Diese Rechtfertigung — und d . h . die demokratische Legitimation durch partizipatorische Diskussion, — von der auch das Grundgesetz ausgeht, soll durch die sog. öffentliche Meinung ständig erzwungen werden 1 0 6 . N u n scheint jene Partizipation jedoch infolge des offensichtlichen Mangels an durchgehender Organisation, der vielfältigen Widersprüchlichkeit öffentlich geäußerter A n sichten zu politischen Problemen sowie der Unübersehbarkeit und technischen Kompliziertheit relevanter Themen heute vollends irreal geworden zu sein, so daß die „öffentliche Meinung" wegen des Fehlens greifbarer Ergebnisse, geordneter Kommunikationsstrukturen und allgemein verständlicher Diskussion lediglich als „staatsrechtliche F i k tion" fortlebt 1 0 7 . Derartige Einwände verlieren indessen an Gewicht, wenn man die öffentliche Meinung — wie bereits angedeutet — nicht länger personalisierend als formulierte, empirisch abfragbare, verbreitete politische Auffassimg, sondern als kommunikativen Vorgang begreift und sodann m i t Luhmann als „thematische Struktur öffentlicher Kommunikation" definiert 1 0 8 . Nach dem oben Gesagten geht es darum, den staatlichen Entscheidungsapparat unablässig m i t sozialen Problemen und Alternativen zur Abänderung des Bestehenden, also m i t politischen Themen zu konfrontieren, deren öffentliche Erörterung und verbindliche Behandlung bzw. Lösung als vordringlich empfunden und dargestellt wird. Die verfassungsrechtlich vorausgesetzte Kommunikation braucht solche Themen, u m aus der unendlichen Fülle potentieller Dezisionen das sozial Vordringliche herauszufiltern, u m also m i t Hilfe thematisch bestimmter, mehr oder weniger festgelegter „Sinnkomplexe" ein relevantes Problemfeld zu konkretisieren, auf das man sich gemeinsam beziehen und über das man folglich auch kontrovers diskutieren kann 1 0 9 . Sind z. B. bestimmte soziale Bedürfnisse erst einm a l über den Kreis der unmittelbar Betroffenen und Informierten hinaus i n den Massenmedien derart verbreitet und popularisiert worden, daß der fragliche Problemkreis als allgemein bekannt vorausgesetzt werden darf (z. B. Umweltschutz, Stadtplanung, Schwangerschaftsun104 105

S. 52. 106 107 108 109

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Vgl. M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 192. M . Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, Vgl. schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 586. Vgl. J. Habermas, S t r u k t u r w a n d e l der Öffentlichkeit, S. 258. öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 3. Vgl. N. Luhmann, öffentliche Meinimg, PVS 1970, S. 8.

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terbrechung), so kann über dieses „Thema" jenseits gruppen- und klassenspezifischer Vorverständnisse kommuniziert werden, weil zumindest ein gemeinsam begriffener Gegenstand existiert. Hatte Kriele den Zweck öffentlicher Diskussion i n der „Selektion" und „Prioritätenordnung" gesehen 110 , so zeigt sich jetzt, daß „der Reduktionsmechanismus der politischen Kommunikation, der mit dem Begriff der öffentlichen Meinung erfaßt war, . . . gar nicht aus den Meinungen selbst, sondern aus den Themen politischer Kommunikation" besteht 1 1 1 . Öffentlichkeit herrscht dann dort, wo man sich über bestimmte Themen derart geeinigt hat, daß sich auch die Repräsentanten der politischen Kommunikation hierüber nicht entziehen können 1 1 2 . A u f diese Weise übernimmt die als öffentliche Meinung bezeichnete thematische Strukturierung des öffentlichen Kommunikationsprozesses „die Funktion eines Steuerungsmechanismus des politischen Systems, der zwar Herrschaftsausübung und Meinungsbildung nicht determiniert, aber die Grenzen des jeweils Möglichen festlegt" 1 1 3 . Dies zu gewährleisten ist die primäre Funktion der Publizität parlamentarischer Verhandlungen. Der eigentlich neuralgische Punkt solcher thematischen Steuerung des öffentlichen Entscheidungsprozesses liegt nämlich i n der Schwierigkeit, ein Thema überhaupt i n den Popularitätsbereich zu lancieren. Hierfür sind regelmäßig Zeit, Geld und politische Beziehungen vonnöten. M i t Recht betont Luhmann deshalb, ein Thema müsse schließlich i n die Hände derer übergehen, „die m i t wechselnden Themen Politik treiben" 1 1 4 , also vor allem i n die Hände der Parteipolitiker, speziell der Parlamentarier. Damit aber ist die auf dem Wege über eine öffentliche Diskussion ermöglichte Partizipation letztlich wieder den Berufspolitikern anheimgegeben 115 , w e i l — und soweit! — sie sich den an sie herangetragenen Problemen entziehen können. Gerade solchen Strategien versucht jedoch die Publizität der Parlamentsdebatten gewisse Grenzen zu setzen: Ein Boykott bestimmter Themen kann nämlich angesichts der relativ großen publizistischen Resonanz solcher Verhandlungen selbst schnell wieder zum Thema politischer Opponenten werden. Dies setzt freilich voraus, daß die Behandlung der fraglichen Problematik nicht gegen den Kodex der von allen parlamentarischen Gruppen gemeinsam sanktionierten Über110

Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29, S. 52. N. Luhmann, öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 9. 112 N. Luhmann, öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 18, 21. 113 N. Luhmann, öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 16. 114 öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 14. 115 „Was als management by participation geplant war, w i r d zum participation by management", N. Luhmann, öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 23. 111

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Zeugungen verstößt 1 1 6 oder den — allerdings breiteren — politischen Toleranzbereich der einflußreichsten Massenmedien überschreitet 117 . Parlamentarische Öffentlichkeit erweist sich damit als — begrenzt wirksame — Absicherung eines demokratischen Repräsentationsprozesses, indem sie zu rational begründeter Rechtfertigung politischer Auswahlverfahren und Entscheidungen zwingt. Nicht nur i m bereits erwähnten Bereich sozial ohnehin tabuisierter Randinteressen, sondern auch hinsichtlich der Probleme gesellschaftlich etablierter Gruppen und völlig systemkonformen „Anliegen" gelingt es indessen immer wieder, dieser — angepaßten — thematischen Programmierung zu entgehen und sich dem Zwang der öffentlichen Meinung erfolgreich zu entziehen. Gewisse Vorhaben werden von den an einer bestimmten Lösung interessierten Kreisen solange vertraulich oder auf allgemein unzugänglichem Spezialistenniveau behandelt, bis die verbindliche Entscheidung faktisch bereits feststeht. Erst dann w i r d das Thema als fast „vollendete Tatsache" popularisiert. Solche Methoden verwenden vor allem die mächtigen Wirtschaftsverbände i m Zusammenspiel m i t der Ministerialbürokratie und den nicht öffentlich tagenden Parlamentsausschüssen. Treffend konstatiert Luhmann, daß m i t Hilfe dieser typisch bürokratischen Strategie bestimmte Vorhaben „erst dann an die Öffentlichkeit gebracht werden, wenn ihre Durchführung durch direkten Kontakt m i t den Entscheidungsstellen bereits gesichert ist", u m hierdurch mindestens die Grundzüge eines Projekts der öffentlichen Diskussion zu entziehen 1 1 8 . I m Rahmen unserer Untersuchung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit interessieren allerdings vor allem die Versuche, öffentliche Meinung „pressetechnisch" manipulierend zu umgehen, indem man bestimmte Meinungen zu einem Thema von Anfang an moralisierend diffamiert, bestimmte Ansichten nicht selten unter Einsatz staatlicher Autorität diskriminiert und damit sogleich der Diskussion entzieht, u m so die eigene Lösung als selbstverständlich unterstellen zu können. Derartige Umgehungsmanöver presseförmiger Öffentlichkeitsarbeit spekulieren auf den Informationsrückstand des Publikums und die notwendig hohe Aufmerksamkeitsschwelle der nicht unmittelbar Betrof116 Insofern läßt sich der repressive Charakter eines Systems m i t C. Offe durchaus am Radius der Selektivität der Institutionen, die die F u n k t i o n der Bedürfnisübermittlung tragen (z. B. Parlament), abschätzen (Politische H e r r schaft u n d Klassenstrukturen, S. 164). Bei seiner K r i t i k an dieser Auffassung übersieht Luhmann (öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 27 Fn. 52), daß Offe nicht die unvermeidliche Selektion an sich als Repressionskriterium verwenden w i l l , sondern lediglich das Ausmaß, i n dem bestimmte Interessen bei politischen Auswahlprozessen regelmäßig übergangen werden. I m vorliegenden Zusammenhang geht es allerdings weniger u m solche Fragen der p o l i t i schen Soziologie unseres Systems als zunächst u m die dem parlamentarischen Publizitätsgebot normativ zugewiesene Funktion. 117 Vgl. R. Miliband, Der Staat i n der kapitalistischen Gesellschaft, S. 292 ff. 118 öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 22.

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fenen 1 1 9 . Es gehört jedoch zu den wichtigsten Funktionen parlamentarischer Publizität, gerade diese verfassungswidrigen — weil die demokratische Beteiligung bewußt unterlaufenden — Strategien wirksam zu vereiteln. Angesichts eines umfassenden Frage- und Interpellationsrechts des Bundestages und seiner Ausschüsse (Art. 43 I GG) 1 2 0 setzt das Grundgesetz beim öffentlich debattierenden Abgeordneten breites Informationswissen, kritisches Interesse und die permanente Bereitschaft zur Formulierung sachverständiger Alternativlösungen zu den jeweils behandelten Problemen voraus. Grundsätzlich sind also für Parlamentsverhandlungen institutionell manipulationsfeindliche Bedingungen normiert, die einseitige, psychotechnisch arrangierte Strategien weitgehend ausschließen. N u r diese gleichmäßige Information aller Debattierenden ermöglicht es, Probleme als Grundlage auch werbend vorgetragener alternativer Lösungen zu thematisieren. A l l e i n die Verhandlungspublizität bewirkt schließlich, daß sowohl die notwendigen Informationen hierzu wie auch die kontroversen Ansichten und Mindermeinungen i n die Öffentlichkeit getragen werden. A u f diese Weise sollte es gelingen, die Absichten der regierenden Mehrheit i n parlamentarischen Debatten sogleich durch konstruktive Gegenargumente zu relativieren und dadurch zum einen mögliche Manipulationen konterkarierend zu verhindern, zum anderen die öffentliche Diskussion inhaltlich zu strukturieren, d. h. den Partizipationseffekt der öffentlichen Meinung zu stimulieren. Vor solchem Hintergrund erklärt sich nicht nur die Feststellung Ridders, wonach eine Regierung vor dem Parlament „ n u r i n Verbindung m i t umfassender Information" werben darf 1 2 1 , sondern auch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Publizitätsprinzips als eines (nur der Zweidrittelmehrheit verfügbaren) Minderheitenrechts (Art. 42 I 2 GG). Nach alledem soll jenes Prinzip i m parlamentarischen System hauptsächlich der Information des Bürgers über politische Kontroversen, d. h. der Anregung, Vertiefung und Fortführung bestimmter, i n der öffentlichen Meinung bereits konkretisierter Problemdiskussionen dienen 1 2 2 . Die vom „ P u b l i k u m " thematisch vorstrukturierte Parlaments-^ 119

Vgl. N. Luhmann, öffentliche Meinung, PVS 1970, S. 22. Vgl. H. v. Mangoldt / F. Klein, Grundgesetz, A r t . 43, A n m . I I I , 1 u n d 2, S. 936 f.; Th. Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g / H e r z o g , A r t . 43 Rn. 1; H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 131 f.; H. Scholler, Die Interpellation i n Theorie u n d Wirklichkeit, Pol. Studien, 1970, S. 406 ff. 121 Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 61. 122 Vgl. U. Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, S. 391; M . Hereth, Die Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments, PVS 1970, S. 30. 120

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debatte hat hierzu weitere Tatsachen sowie rational begründete alternative Lösungsvorschläge i n verständlicher Sprache zu präsentieren 123 , u m auf diese Weise auch das erforderliche Spezialwissen der öffentlichen Kommunikation zugänglich zu machen 124 . A l l e i n unter solchen Voraussetzungen kann die öffentliche Meinung den politischen Entscheidungsablauf steuernd beeinflussen und demokratische Partizipation verfassungskonform ermöglichen. N u r auf diesem Wege schließlich läßt sich die von den Repräsentanten getroffene Entscheidung über „Relevanz und Priorität" vor den Wählern legitimieren, so daß der „demokratische Legitimationszirkel" w i r k l i c h als „ständiger Rechtfertigungsprozeß" funktioniert. Die dabei angestrebte, möglichst umfangreiche Beteiligung aller an der Formulierung und Auswahl alternativer sozialer Handlungsprogramme ist vom Demokratieprinzip her normativ geboten. Zugleich w i r d damit das der Demokratie innewohnende aufklärerische Ziel emanzipatorisch entfalteter Menschenwürde zum Rationalitätskriter i u m politischer Auswahlprozesse. Dies allerdings „nicht i m Sinne einer ex ante identifizierbaren — und als Ziel zweckrational verfolgbaren — Gewißheit, sondern i m Sinne eines, das Risiko politischen Wählens nicht aufhebenden handlungsleitenden Prinzips und einer ex post verwendbaren Beurteilungskategorie" 1 2 5 , anhand derer die Richtigkeit getroffener Entscheidungen immer wieder i n Frage gestellt werden muß. Die hierfür notwendige Artikulierung der Bedürfnisse nach Maßgabe technischen Wissens ist dabei ausschließlich" i m Bewußtsein der politisch Handelnden selber" ratifizierbar 1 2 6 , die sie je von neuem thematisch i n den Prozeß der öffentlichen Meinung einzubringen hätten. Eben diese emanzipatorischen Kommunikationsvorgänge hatte offenbar auch Rtdder i m Sinn, als er den von i h m geprägten Begriff der „öffentlichen Meinungsfreiheit" „auf den Schutz der freien Bildung der öffentlichen Meinung" bezog, „also auf den Schutz der einzelnen Aufbauelemente, der Genese, die bei individueller Meinungsbildung i n natürlicher Freiheit vor dem forum internum des Einzelmenschen erfolgt" 1 2 7 .

123 Vgl. hierzu M. Hereth, Die Öffentlichkeitsfunktion des Parlaments, PVS 1970, S. 36; sowie i n umfassenderem Zusammenhang J. Habermas, Verwissenschaftlichte P o l i t i k u n d öffentliche Meinung, S. 138 ff. 124 Vgl. auch W. Hennis, Z u r Rechtfertigung u n d K r i t i k der Bundestagsarbeit, S. 1551; J. Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d p o l U tisches System, S. 279. 125 So R.-R. Grauham / G. W. Green / W. Linder / W. Strubelt, Politikanalyse am Beispiel des Verstädterungsproblems, PVS 1971, S. 419. 126 J. Habermas, Verwissenschaftlichte P o l i t i k u n d öffentliche Meinung, S. 138. 127 Meinungsfreiheit, S. 265.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit I I I . Folgerungen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit amtlicher Öffentlichkeitsarbeit

I n dem soeben skizzierten modellhaft-theoretischen Verlauf demokratischer Willensbildung spielt parlamentarische Publizität lediglich die — allerdings unverzichtbare — Rolle eines sozialtechnischem Hilfsprinzips. Es soll die Selbstlegitimierung des parlamentarisch gesetzten Rechts durch Beteiligung der davon betroffenen, rechtsunterworfenen Bürger über politische Wahlen, Abstimmungen und Interessenartikulation ermöglichen. Demokratie und Legitimität sind insofern nahtlos aufeinander bezogen: Demokratische Partizipation erlaubt es dem B ü r ger, sich i m Verlaufe eines als beeinflußbar erlebten Rechtsänderungs (-setzungs)-Verfahrens lernend auf das endlich normativ formulierte, d. h. von i h m erwartete Verhalten einzustellen. Er soll also eine verbindliche Dezision als mitverantwortet akzeptieren, obwohl sie die eigenen, hieran geknüpften Erwartungen vielleicht enttäuscht 128 . Jede zusätzliche Motivierung durch werbend-propagandistische Loyalisierungskampagnen staatlicher Instanzen — wie Leisner sie befürwortet — müßte diese freiheitssichernde Balance parlamentarischer Willensbildung empfindlich beeinträchtigen und wäre m i t h i n verfassungswidrig. Freilich stellen sich dem konstitutionell normierten demokratischen Entscheidungsprozeß heute vielfältige weitere Hindernisse wirksam entgegen; insbesondere die ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse, i n denen der einzelne steht, sowie die obligarchischen Strukturen nichtstaatlicher politischer Willensbildungsorganisationen (Verbände, Gewerkschaften, Massenmedien, Parteien), die ihrerseits als etablierte soziale Institutionen den politischen Prozeß kartellmäßig beherrschen und außerhalb ihrer Interessen liegende Alternativprojekte hiervon erfolgreich fernhalten. I m vorliegenden Zusammenhang interessierte jedoch zunächst allein die beschriebene normative Funktion des parlamentarischen Publizitätsgebots bei der Vermittlung sozialer Bedürfnisse in den staatlichen Entscheidungsapparat, also bei der Steuerung und der damit verbundenen demokratischen Legitimierung verbindlicher Dezisionen. Von hier aus läßt sich bereits jetzt feststellen, daß die eingangs beschriebene parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit zur Aufklärung der Bevölkerung über die Tätigkeit gesetzgebender Körperschaften vom Grundgesetz ebenso gedeckt ist wie die Arbeit der Justizpressestellen 129. Beides ist speziell unter dem Aspekt politischer Willensbildung un128

S. 261.

Vgl. hierzu N. Luhmann,

Rechtssoziologie, Bd. 2, S. 259 ff., insbesondere

129 Ebenso H. Ridder, Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 66; P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische Bildung, 1970, Heft 3, S. 13, 17.

A . Die F u n k t i o n demokratischer Publizität

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bedenklich, solange lediglich über die Funktion der legislativen bzw. judikativen Gewalt informiert oder über die ohnehin öffentlichen Gesetzgebungs- bzw. Gerichtsverfahren i. S. e. nur technischen Ausweitung solcher Publizität für die Massenmedien berichtet wird. Die praktisch bedeutsamste und verfassungsrechtlich schwierigste Frage nach der Zulässigkeit exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit läßt sich freilich noch nicht endgültig beantworten. Ein juristisches Argument gegen jede außerparlamentarische Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive ist jedoch vor allem dann aus dem bisher Ausgeführten zu entnehmen, wenn die Verfassung eine so lückenlose Programmierung der Verwaltung durch Gesetze anordnet, daß das allgemeine demokratische Publizitätsgebot stets schon aufgrund der (in den Verfassungen oder parlamentarischen Geschäftsordnungen vorgesehenen) drei Lesungen sowie der amtlichen Bekanntmachungen als erfüllt anzusehen wäre. Die praktisch häufig propagandistische und zwangsläufig stets einseitige, amtliche Öffentlichkeitsarbeit könnte dann zugleich als verfassungswidrig qualifiziert werden, weil sie unmittelbare oppositionelle Alternativen notwendigerweise weitgehend ausschließt und damit die demokratische Funktion parlamentarischer Publizität ständig unterlaufen würde. Tatsächlich enthalten die A r t . 2 I und 20 I I I GG den Grundsatz des „Vorbehalts des Gesetzes". Danach hat das Gesetz „Vorrang vor allen übrigen staatlichen Akten, w e i l es auf der Grundlage unmittelbarer demokratischer Legitimation und i n demokratischen Formen politischer Willensbildung zustandegekommen ist und w e i l sein Vorrang Voraussetzung seiner rationalisierenden und freiheitssichernden W i r kung i s t " 1 3 0 . Die Bedeutung dieses Vorbehalts gesetzlicher Regelung zumindest für alle wichtigeren sozialen Maßnahmen erschließt sich erst aus der Wandlung unserer Verfassungsstruktur von der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts zur modernen parlamentarischen Demokratie. I m Verlauf dieser Entwicklung hat die ehemals monarchische Exekutive ihre souveräne Stellung verloren und ist zur vollziehenden Gewalt i m wörtlichen Sinn geworden, während das Parlament wegen seiner direkten demokratischen Legitimation unter dem Grundgesetz als höchstes Staatsorgan konstituiert wurde 1 3 1 . Volkssouveränität verwirklicht sich dann über die umfassende gesetzesförmige Programmierung administrativen Handelns, und sei es auch nur i n Form haushaltsmäßiger Bereitstellung öffentlicher Mittel: „Ebenso wie die Exekutive ihre demokratische Legitimation erst über das Parlament empfängt, erlangt sie die Ermächtigung zu rechtlich verbind130

K. Hesse, Grundzüge, S. 205.

131

Vgl. D. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 171, 205.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

lichem Handeln gegenüber dem Bürger erst vom Gesetzgeber 182 ." Selbst dort, wo der Regierung eigene verfassungsmäßige Kompetenzen zustehen, unterliegt sie der öffentlichen Kontrolle des Parlaments. Hiernach müßte sich jede selbständige „außerparlamentarische" Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive, speziell aber die vom BPA praktizierte Werbung für bestimmte, gesetzesgebundene Regierungsvorhaben, als Umgehung der steuernd legitimierenden und kontrollierenden öffentlichen Parlamentsdiskussion auswirken und dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit verfallen.

B. Parlamentarische Exekutivkontrolle als Informationsvermittlung I . Gesetzesvorbehalt und Leistungsverwaltung

Die soeben skizzierte Ableitung eines umfassenden, allgemeinen Gesetzesvorbehalts aus dem demokratischen Prinzip i m Grundgesetz bedeutet freilich nicht, die „Exekutive zum stumpfen Befehlsempfänger der Legislative" zu degradieren 188 , denn jedes Gesetz ist schon infolge sprachlich bedingter Ungenauigkeit auslegungsbedürftig. Deshalb setzt die Konkretisierung positiven Gesetzesrechts i m Einzelfall zwangsläufig stets eine durchaus eigenständige Arbeitsweise der Verwaltung voraus 1 8 4 . I m Zuge der Übertragung ständig neuer Aufgaben auf den Staat verstärkt sich dieser Zwang zur abstrakten Gesetzesformulierung, zu einer nur generellen legislativen Programmierung, welche die Regelung möglichst vieler, i m einzelnen unvorhersehbarer Fälle erlaubt, rapide. Dementsprechend verbreiterte sich der eigenverantwortliche Entscheidungssektor der Verwaltung. Der Bereich des verwaltungsrechtlichen Ermessens, also einer relativ offenen Alternativenauswahl innerhalb der Exekutive, wächst erheblich. Angesichts dieser Entwicklung erscheint die gegenwärtige Tendenz zu dogmatischer Einbeziehung des Ermessens i n den Zusammenhang der „unbestimmten Rechtsbegriffe" 185 nicht nur vom rechtsstaatlichen Prinzip her (vgl. A r t . 19 I V GG), sondern auch unter der Voraussetzung eines umfassenden Gesetzesvorbehalts konsequent. Derartige Erkenntnisse der neueren Verwaltungsrechtslehre haben zwar die Effektivität des Rechtsschutzes 132

D. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 171 f. So aber M. Bullinger, Vertrag u n d Verwaltungsakt, S. 94. 184 Vgl. Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 275. iss v g i # d a z u z > b . H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 171 ff., 201 ff., 206. Nach W. Schmidt (Gesetzesvollziehung durch Rechtssetzung, S. 153), ist „Ermessen" heute „das, was der »unbestimmte Rechtsbegriff einstweilen von i h m ü b r i g gelassen hat". 133

B. Parlamentarische Exekutivkontrolle als I n f o r m a t i o n s e r m i t t l u n g

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beträchtlich verbessert, doch konnte eine spezifizierte legislatorische Programmsteuerung allenfalls interpretatorisch unterstellt, keinesfalls jedoch (schon mangels hinreichender Fassungskraft positiver Normierung) tatsächlich hergestellt werden. Angesichts der Zunahme eigenverantwortlicher politischer Auswahlentscheidungen der Verwaltung erweist sich die dogmatische Konstruktion des „unbestimmten Rechtsbegriffs" oder der Generalklausel, sofern sie als Konsequenzen aus dem Gesetzesvorbehalt aufgefaßt werden, höchstens als eine — rechtsstaatlich freilich notwendige — F i k t i o n 1 3 6 . Über Gesetzesvorbehalt und „unbestimmten Rechtsbegriff" vermag parlamentarische Publizität also nur sehr unvollkommen i n die eigenständigen Entscheidungsräume der Exekutive einzudringen. Insofern bieten auch behördliche Verwaltungsvorschriften keinen Ersatz. Es handelt sich dabei (Ermessensund Auslegungsrichtlinien) u m Rechtssätze 137 , deren Verbindlichkeit bisher meist aus dem Prinzip der Rechtsanwendungsgleichheit gewonnen wurde (Art. 3 I GG) und die deshalb ihrer tatsächlichen Bedeutung nach vielfach schon längst den Parlamentsgesetzen so sehr gleichkommen, daß ihre Veröffentlichung „aus rechtsstaatlichen Gründen" neuerdings immer häufiger gefordert w i r d 1 3 8 . A l l e i n um der „Rechtssicherheit" w i l l e n 1 3 9 soll die Verwaltungsvorschrift, das Produkt exekutivischer Willensbildung, publiziert werden, während der eigentliche Entscheidungsprozeß i m behördlichen Arkanbereich verbleibt. Da sie m i t h i n weder vorausgegangene politische Diskussionen noch die möglicherweise sich bietenden Handlungsalternativen zugänglich macht, bietet die Publikation von Verwaltungsvorschriften keine adäquate Alternative zur parlamentarischen Publizität. Dieselben Erwägungen gelten auch hinsichtlich der nach A r t . 82 I 2 GG erforderlichen Veröffentlichung gesetzlich programmierter (vgl. A r t . 80 I 2 GG) Rechtsverordnungen. A l l e bisherigen Überlegungen dieses Abschnitts behandelten die unter demokratischem Aspekt bedenkliche Ausschaltung parlamentarischer Öffentlichkeit i m eigenverantwortlichen Entscheidungsbereich der Verwaltung bei der Ausführung von Gesetzen, d. h. unter Geltung des Gesetzesvorbehalts. 136

Hier k a n n dem Problem der Verknüpfung von „unbestimmtem Rechtsbegriff" u n d Gesetzesvorbehalt nicht nachgegangen werden. Vgl. dazu aber W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtssetzung, S. 133 ff. 137 Vgl. F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 154 ff. (mit umfassender Darstellung der entgegengesetzten, früher herrschenden Auffassung, S. 118 ff.); W. Schmidt, Gesetzes Vollziehung durch Rechtssetzung, S. 257 ff. 138 Vgl. W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtssetzung, S. 260; H. 17. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 45 f., jeweils m. w. N. 139 So K . Vogel, Gesetzgeber u n d Verwaltung, W D S t R L Heft 24 (1966), S. 164.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

Als unmittelbarer Ausfluß eines Rechtsstaatsbegriffs, der die an sich gesetzesfreie Exekutive nur für Eingriffe i n „Freiheit und Eigentum" an gesetzliche Ermächtigungen bindet, ist der Gesetzesvorbehalt nun zwar für den Bereich der sog. Eingriffsverwaltung allgemein anerkannt 1 4 0 , auf dem Gebiet der „Leistungsverwaltung" blieb seine Geltung jedoch äußerst umstritten 1 4 1 . Nachdem sich das Schwergewicht staatlicher Verwaltung immer mehr von den „klassischen" Formen des belastenden Eingriffs i n „Freiheit und Eigentum" auf die aktive Gestaltung der Sozialverhältnisse durch Gewährung von Leistungen und Subventionen verschoben h a t 1 4 2 und nachdem deutlich geworden war, daß die Verteilungsentscheidungen über Gewährung und Verweigerung staatlicher Leistungen ebenfalls als belastende Eingriffe i n einem weiteren Sinne zu werten sind 1 4 3 , lag es nahe, den „klassischen" Gesetzesvorbehalt als „Totalvorbehalt" auch auf diesen nunmehr wichtigsten Bereich öffentlicher Verwaltung auszudehnen. Zwingend w i r d dieser Gedanke unter dem — vor allem von Jesch und Mallmann hervorgehobenen — demokratischen Aspekt: I n der Demokratie des Grundgesetzes manifestiert sich der politische Wille des Volkes i m Parlamentsgesetz, das seinerseits nur den Bindungen der Verfassung unterliegt. Demokratisches Prinzip und Rechtsstaatlichkeit bedingen einander insofern, als die gesamte Verwaltung uneingeschränkt der demokratischen Legitimation bedarf und der programmierenden Steuerung des demokratischen Gesetzgebers unterliegen soll 1 4 4 . Diese Erweiterung des Gesetzesvorbehalts auf die Leistungsverwaltung müßte zugleich eine — freilich, wie bereits gezeigt, nur beschränkt wirksame — Ausdehnung parlamentarischer Publizität auf die heute wichtigsten Exekutivbereiche zur Folge haben. Solche Argumente sind i n der Diskussion hierüber allerdings kaum erwähnt worden 1 4 5 . Stattdessen haben die Gegner eines erweiterten Vorbehalts die Notwendigkeit umfassender gesetzesförmiger Legitimation der Verwaltung bestritten. 140

Vgl. Chr. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 281. Vgl. die Darstellungen des Streitstands bei M. Bullinger, Vertrag u n d Verwaltungsakt, S. 93; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d G r u n d gesetz, S. 210 ff. 142 Vgl. dazu z. B. E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 71. 148 Vgl. dazu die bei Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 283 (m. w. N.), dargestellten Überlegungen. 144 D. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 204 f. u. ö.; W. Mallmann, Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, W D S t R L Heft 19 (1961), S. 1851; ähnlich schon E. Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, V V D S t R L Heft 16 (1958), S. 69 f. (Leitsatz I I 1). 145 N u r H. F. Zacher, V e r w a l t u n g durch Subventionen, V V D S t R L Heft 25 (1967), S. 358 ff., hat auf das Publizitätsproblem hingewiesen, es jedoch nicht unter dem Aspekt demokratischer Willensbildung, sondern des individuellen Rechtsschutzes (Auskunftsanspruch gegenüber Behörden) behandelt. 141

B. Parlamentarische E x e k u t i v k o n t r o l l e als Informations Vermittlung

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Aus A r t . 20 I I GG könne die Exekutive nämlich einen „allgemeinen Verwaltungsauftrag" herleiten, der nicht nur unabhängig von gesetzlichen Ermächtigungen bestehe, sondern „ i m Kernbereich" sogar gegen gesetzgeberische Eingriffe geschützt sei 1 4 6 . Die vollziehende Gewalt werde i n A r t . 20 I I und I I I GG als „verfassungsunmitteibare Funktion" derart neben der gesetzgebenden Gewalt konstituiert, „daß sie an Gesetz und Recht gebunden, nicht aber durch das Gesetz allererst begründet und handlungsfähig gemacht" werden müsse 147 . Nun ist die „ i m pouvoir constituant wurzelnde, institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation der V e r w a l t u n g " 1 4 8 unbestreitbar. Sie steht insofern der Legislative gleich. Aus dieser „verfassungsunmittelbaren" Gleichrangigkeit läßt sich freilich entgegen Ossenbühl 1* 9 nicht folgern, daß diese Funktionslegitimation auch die nur mittelbare personelle demokratische Legitimation der Verwaltung gegenüber der unmittelbaren personellen Legitimation der Parlamente aufwiege 1 5 0 . Verfassungsrechtlich folgt aus der intensiven „personellen" Legitimation der Abgeordneten vielmehr eine programmierende Steuerungskompetenz des Gesetzgebers gegenüber der Verwaltung, weil die Wahlentscheidung des Bürgers gleichzeitig eine Entscheidung über Handlungsprogramme sein soll. A r t . 20 GG normiert das sehr deutlich. Abs. I enthält das demokratische Prinzip i m Grundsatz, i n Abs. I I sind der Ursprung der Staatsgewalt und ihre Funktionsverteilung auf die drei Gewalten geregelt, Abs. I I I hingegen legt den Ablauf staatlicher Entscheidungsprozesse, d. h. die jeweils aktuelle Handlungslegitimation jener Funktionsbereiche fest. Danach ist die Legislative i n ihren Dezisionen nur an die Verfassung gebunden, während das gesamte Verwaltungshandeln (und die Rechtsprechung) inhaltlich von den solchermaßen determinierten Gesetzen gesteuert w i r d 1 5 1 . Jede andere Interpretation liefe auf eine partielle Blankettermächtigung für die Exekutive hinaus. N u r so läßt sich schließlich das i m Demokratieprinzip enthaltene Beteiligungsgebot aller an der Ausübung jeglicher Staatsgewalt v o l l entfalten. Diese Verfas148 So vor allem M . Bullinger, Vertrag u n d Verwaltungsakt, S. 94, unter Hinweis auf B V e r f G E 9, 268, 279 f. 147 E. W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 82 (Hervorhebungen i m Original). 148 F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 199. 149 Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 199 f., 207. 150 Deshalb hat E. W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 81, versucht, aus dem Wandel der „Abgeordneten-Wahlen alten Stils" zu „ K a n z l e r - bzw. Regierungs(chef)wählen oder - a k k l a m a t i o n e n " , also aus der „Verfassungswirklichkeit", eine unmittelbare „personelle" L e g i t i m a t i o n auch der Exekutivspitze abzuleiten. 151 Vgl. F. Mayer, Das verfassungsrechtliche Gebot der gesetzlichen Ermächtigung, i n : Festschrift f ü r H. Nottarp, S. 187 ff., 193.

2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

sungsgrundentscheidung des A r t . 20 I GG entbehrt m i t h i n keineswegs der normativen Substanz 162 , weil die notwendigen rechtlichen Konsequenzen 163 hieraus einer „verfassungsgrundentscheidungskonformen" Auslegung 1 5 4 des A r t . 20 I I I GG deutlich zu entnehmen sind. Dabei rechtfertigt sich der umfassende Gesetzesvorbehalt i. S. e. legislativen Kompetenz zur bindenden Programmauswahl nicht nur von der intensiven personellen Legitimation der Parlamente her, sondern vor allem aus der demokratischen Rationalität parlamentarischer Verfahrensweisen. Hier herrscht das Prinzip diskussionsförmiger Beratung, i n der die gleichberechtigt Verhandelnden ebenso wie die von ihnen kontradiktorisch vertretenen Programmalternativen als gleichrangig behandelt werden. Ferner gilt das Mehrheitsprinzip, das die Auswahl der relativ überzeugendsten Lösungen gewährleisten soll 1 5 5 , und das zugleich durch Minderheitenschutz (Sperrminoritäten) und Widerspruchsrecht wieder relativiert w i r d 1 5 6 . Hinzu kommt das bereits i m letzten Abschnitt behandelte Publizitätsgebot 1 6 7 . Solchen speziell auf die Vermittlung demokratischer Willensbildung zielenden Verfahrensanforderungen verschließt sich die hierarchisch strukturierte Praxis der Verwaltung. Bürokratische Handlungsabläufe zielen vielmehr auf programmgebundene Einzelentscheidungen und können m i t h i n nur Rationalität und Effizienz der Gesetzes ausfuhrung sichern. Diskussion und Widerspruch wären grundsätzlich disfunktional, w e i l die bürokratietypische Organisationsform der Hierarchie auf Anweisung und Gehorsam sowie auf persönliche Kompetenz aufbaut, d. h. der „Logik der deduktiven Aufgabensetzung" entspricht und lediglich reibungslose Programmvollziehung garantiert 1 5 8 . I m demokratischen Staat muß die Zuständigkeit für die ProgrammauswaTii dann jedoch bei demokratisch 152 So aber Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 283. iss v g L dazu den Hinweis W. Mallmanns, Schranken nichthoheitlicher V e r waltung, V V D S t R L Heft 19 (1961), S. 281 (Schlußwort). 154

Vgl. dazu H. Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften i m Sozialstaat nach dem Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, S. 18. 155 Vgl. dazu K. Hesse, Grundzüge, S. 58; H. Kelsen, V o m Wesen u n d Wert der Demokratie, S. 9; M. Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29 (1971), S. 53. 156 Z u der durch Minderheitenschutz, Widerspruchsrecht u n d Mehrheitsprinzip gekennzeichneten spezifisch parlamentarischen Verfahrensrationalität vgl. R.-R. Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, PVS 1969, S. 271, unter Hinweis auf K . W. Deutsch, Politische Kybernetik, S. 337. 157 Z u den legislativen Verfahrensprinzipien von „Diskussion" u n d „Öffentlichkeit" vgl. auch Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 157 ff., insbesondere S. 158 ff., 161 ff. iss v g l . R.-R. Grauhahn, Modelle politischer Verwaltungsführung, PVS 1969, S. 271.

B. Parlamentarische E x e k u t i v k o n t r o l e a s I n f o r m a t i o n s e r m i t t l u n g

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verfahrenden Institutionen liegen, also prinzipiell beim Parlament anstatt bei der Exekutive selbst. Deshalb w i r k t allein das Gesetz als Legitimation der Verwaltung und deshalb bedarf es grundsätzlich auch keiner persönlichen Legitimation des Einzelentscheidungsträgers. Obwohl A r t . 20 GG nach alledem einen umfassenden Gesetzesvorbehalt statuiert, w i r d die Exekutive hierdurch nicht etwa zum undynamischen Vollzugsautomaten der Legislative. Gesetzliche Programme und Pläne belassen der Verwaltung noch einen — wie oben gezeigt wurde — überraschend weiten Raum eigener Programmgestaltung. Überdies verlangt die Verfassung nichts Unmögliches, sondern lediglich ihre optimale Realisierung unter je gegebenen Bedingungen. Dementsprechend konnte der Gesetzesvorbehalt niemals umfassende Regelungspflichten i. S. e. Normierungsgebots auch für subtilste Einzelheiten bedeuten. Das Parlament würde durch solche programmatischen Spezialanweisungen i n seiner Arbeits- und Zeitkapazität offensichtlich vollkommen überfordert. Es geht allein darum, die aus solchen Gründen ohnehin eingeschränkte demokratische Willensbildung und Publizität nicht m i t verfassungswidrigen generalklauselartigen Globalermächtigungen dem exekutivischen Belieben weithin preiszugeben oder partiell auf parlamentarische Ermächtigungen überhaupt zu verzichten. M i t Recht hat Mallmann deshalb ein „Erfordernis gesteigerter, über die Organisations- und Kompetenzregelung hinausragender Gesetzesbindung" für die „Leistimgsverwaltung" jedenfalls insoweit festgestellt, „als sie zur Realisierung des Sozialstaatsgrundsatzes gestaltend auf die Sozialordnung einwirkt und den Bürgern existenzielle Leistungen erb r i n g t " 1 5 9 . Auch die Gegner eines umfassenden Gesetzesvorbehalts haben die Gefahr gesehen, daß derart gesellschaftspolitisch wichtige Entscheidungen der parlamentarischen Diskussion und der aktuellen demokratischen Willensbildung entzogen werden könnten 1 6 0 . Man glaubt jedoch, daß das i m „Vorrang des Gesetzes" 161 liegende Zugriffsrecht des Parlaments auf bisher nur exekutivisch geregelte Gegenstände ausreichenden Schutz hiergegen biete 1 6 2 . Dabei werden jedoch die großen Schwierigkeiten übersehen, unter denen dies bloße legislatorische Er159 Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, W D S t R L Heft 19 (1961), S. 190; ähnlich Ch. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 286. 160 £ w. Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 92, weist darauf hin, daß sich i m Rahmen der „zunehmend sozial-egalitären Gesamtverfassung" Erweiterungen des „klassischen" Gesetzesvorbehalts „ i n einzelnen Beziehungen" ergeben. 161 Vgl. zu diesem ebenfalls i n A r t . 20 GG enthaltenen Prinzip K . Hesse, Grundzüge, S. 205. 162 Vgl. E. W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 90 Fn. 5; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 217.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t

Öffentlichkeitsarbeit

messen von einer regierungstragenden Parlamentsmehrheit gegen die Exekutive ausgeübt werden kann. Insgesamt ist immerhin festzustellen, daß sich die unterschiedlichen Auffassungen zum Umfang des Gesetzesvorbehalts heute hinsichtlich seiner Erweiterung i n den Bereich der „Leistungsverwaltung" hinein einig sind 1 6 3 . Diese Annäherung der Standpunkte ist zweifellos angesichts der enormen Ausweitung staatlicher Lenkungs- und Vorsorgeaufgaben seit dem Ende des zweiten Weltkriegs erleichtert worden, weil es sich dabei um eine Entwicklung handelt, die zwar theoretisch zur Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts zwingt, dies praktisch jedoch zugleich weitgehend verhindert 1 6 4 . Tatsächlich werden heute jedenfalls weite Bereiche bedeutender exekutivischer A k t i v i t ä t keineswegs von parlamentarischen Diskussionen programmierend erfaßt, so daß die diesbezügliche amtliche Öffentlichkeitsarbeit grundsätzlich auch keine Umgehung von Parlamentsfunktionen darstellen dürfte. I I . Informierende Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Exekutive

Das soeben Gesagte könnte indessen sogleich wieder relativiert werden, weil nicht allein die der legislativen Programmierung unterliegenden Sachgebiete, sondern prinzipiell alle Bereiche parlamentarischer Exekutivkontrolle 1 6 5 ebenfalls legitime Gegenstände von Parlamentsdebatten sind. Diese allgemeine politische Kontrolle umfaßt neben der Tätigkeit der Regierung i n ihrer Funktion als Aufsichts- und Leitungsorgan der Verwaltung vor allem ihre A k t i v i t ä t als politisches I n i t i a t i v organ 1 6 6 . I m einzelnen treffen dabei häufig programmierende, dirigierende und nur kontrollierende Maßnahmen zusammen, die jedoch — solange öffentlich verhandelt w i r d — stets auch eine informierende Funktion erfüllen werden. Nachdem bislang vor allem die gesetzlich-programmierende Aufgabe betrachtet worden ist, geht es nunmehr u m die spezifischen Kontrollmittel des Parlaments, also u m das prinzipiell unbegrenzte Fragerecht 163 Z u einer „Mittellösung" vgl. F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 239 ff. 164 Z u den grundrechtlichen Problemen dieser E n t w i c k l u n g vgl. jetzt die Berichte von W. Martens u n d P. Häberle über „Grundrechte i m Leistungsstaat", W D S t R L Heft 30 (1972). 165 v g l . hierzu R. Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung u n d Verwaltung, Schweiz. Juristenverein 1966, Heft 3, S. 171 ff.; G. Leibholz, Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments, S. 295. 166 v g l u. Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 397; G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n der Großen, Kleinen u n d Mündlichen Anfragen i m Deutschen Bundestag, S. 113 ff.

B. Parlamentarische Exekutivkontrolle als I n f o r m a t i o n s e r m i t t l u n g

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und die Einsetzung von öffentlich tagenden Untersuchungsauschüssen (vgl. z. B. A r t . 44 GG), welche jeweils zugleich eine entsprechende Unterrichtung der Öffentlichkeit ermöglichen sollen. Da Enquete-Kommissionen sich die erforderlichen Untersuchungsmaterialien selbst beschaffen können, mag die hierdurch ausgeübte Kontrolle gegenüber den auf Regierungsauskünften angewiesenen I n terpellationen vielleicht effizienter sein, doch werden sie i n der parlamentarischen Praxis einzelfallbezogene Ausnahmen bleiben, während Interpellationen — etwa i n Form der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen nach der Geschäftsordnung des Bundestags (vgl. §§ 105 - 1 1 1 GeschO BT) — zur täglichen Praxis gehören 167 . Außerdem dienen Untersuchungsausschüsse lediglich der nachträglichen Exekutivkontrolle, wohingegen Interpellationen vor allem die präventive Sach- und Richtungskontrolle bezwecken sollen 1 6 8 . Untersuchungen zur Kontrollintensität der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen i m Bundestag bestätigen dies 1 6 9 . Die für jeden demokratischen Legitimationsprozeß unerläßliche Publizität vermögen parlamentarische Anfragen freilich nur dann i n den Exekutivbereich zu tragen, wenn auch eine entsprechende Antwortpflicht der Regierung besteht. Eine solche Verpflichtung auf Fragen „Rede und A n t w o r t zu stehen", w i r d für die Bundesregierung überwiegend aus dem parlamentarischen Recht, Regierungsmitglieder zu zitieren (Art. 43 I GG), entnommen, weil dieses Zitierungsrecht ohne eine komplementäre Auskunftspflicht vielfach leerlaufen müßte 1 7 0 . Da das Zitierungsrecht des A r t . 43 I GG indessen ein Mehrheitsrecht ist, die Interpellationen der §§ 106, 110, 111 GeschO B T jedoch — i m Zuge einer historischen Individualisierung dieses Kontrollmittels 1 7 1 als Fraktions- bzw. Einzelabgeordnetenrechte ausgestaltet sind, wäre dieses Argument nur dann schlüssig, wenn das parlamentarische Fragerecht den A r t . 43 I GG lediglich konkretisieren würde 1 7 2 . Hiergegen sprechen aber nicht nur jene unterschiedlichen Verfahrensvoraussetzungen, sondern auch verfas167 Vgl. dazu die statistischen Angaben bei H. Scholler, Die Interpellation i n Theorie u n d Wirklichkeit, Pol. Studien 1970, S. 406 ff.; G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 117 ff., 150 ff., 161 ff. 168 H. Scholler, Die Interpellation i n Theorie u n d Wirklichkeit, Pol. Studien 1970, S. 409. 169 G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 147, 161,197 f. 170 So H. v. Mangoldt / F. Klein, Grundgesetz, A r t . 43 A n m . I I I 2 (S. 936 f.) i m Anschluß an G. Anschütz, Kommentar zur WRV, A r t . 33 A n m . 1 (S. 213); Th. Maunz, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, Grundgesetz, A r t . 43 Rn. 8; a. A . H. Lechner / K. Hülshoff, Parlament u n d Regierung, § 106 GeschO B T ; E. Stein, Lehrbuch, S. 72, jeweils ohne nähere Begründung. 171 Vgl. dazu den geschichtlichen Überblick bei G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 14 ff. 172 Dies n i m m t offenbar K . Hesse (Grundzüge, S. 235) an.

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Kempen

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

sungshistorische Entwicklungen, denn bereits die Frankfurter und die Preußische Nationalversammlung nahmen 1848 das Interpellationsrecht i n Anspruch, ohne daß damals ein entsprechendes Zitierungsrecht anerkannt gewesen wäre 1 7 3 . Folglich dürfte die Interpellation auch heute keinen Annex der Zitierungsmöglichkeit darstellen 1 7 4 , so daß nach A r t . 43 I GG lediglich das zitierte Kabinettsmitglied antwortpflichtig ist. Dann bestünde eine Redepflicht der Regierung nur auf Verlangen der parlamentarischen Mehrheit 1 7 5 . Nun hat das Grundgesetz aber ebenso wie die Landesverfassungen ein parlamentarisches Regierungssystem install i e r t 1 7 6 , d. h. die jeweilige Regierung i n ihrem Bestand und folglich auch i n ihrer Geschäftsführung dadurch an das Vertrauen des Parlaments gebunden 177 , daß der Regierungschef parlamentarisch gewählt werden muß. Das Zitierungsrecht dient der hierdurch erzwungenen Kooperation zwischen Parlament und Regierung; es ist insofern ein notwendiges Korrelat des parlamentarischen Regierungssystems 178 . Andere aus jenem Zwang zum Zusammenwirken geborene Kontrollmittel finden sich i m Bereich der militärischen Verteidigung (Art. 45 a, 45 b, 87 a GG) sowie auf dem Finanzsektor (Rechnungslegung und Entlastung der Bundesregierung, A r t . 114 GG); vor allem aber gehört das geschäftsordnungsförmig konkretisierte Interpellationsrecht als notwendiger Bestandteil parlamentarischer Regierungsverantwortung hierher. Dieses unerläßliche Hilfsmittel des parlamentarisch-gubernativen Dialogs realisiert also denselben Verfassungsgrundsatz wie das Zitierungsrecht, ohne jedoch von A r t . 43 I GG seinerseits mit umfaßt zu werden. Die ursprünglich auf historische Traditionen zurückgehende Interpellation hat m i t h i n seit der parlamentarischen Demokratie von Weimar eine konstitutionelle Grundlage 1 7 9 . Dabei entspricht die Ausgestaltung der 173

G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 15 ff. So auch H. Scholler, Die Interpellation i n Theorie u n d Wirklichkeit, Pol. Studien 1970, S. 408; G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 81. 176 So G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 81. 178 Vgl. dazu 17. Scheuner, Das parlamentarische Regierungssystem i n der Bundesrepublik, D Ö V 1957, S. 633 ff.; E. Friesenhahn, Parlament u n d Regier u n g i m modernen Staat, V V D S t R L Heft 16 (1958), S. 45. 177 Vgl. zu diesem Essential parlamentarischer Regierungssysteme R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 266. 178 So H. v. Mangoldt / F. Klein, Grundgesetz, A r t . 43 A n m . I (S. 936); ebenso w o h l K . Hesse, Grundzüge, S. 235. Der Versuch von Th. Maunz (Maunz/ D ü r i g / Herzog, A r t . 43 Rn. 1), das Zitierungsrecht als Folge der Gewaltenteilung zu begreifen, erscheint wegen der vagen verfassungsrechtlichen Ausgestaltung dieses Prinzips speziell i m Verhältnis zwischen Parlament u n d Regierung (dazu 17. Scheuner, V e r a n t w o r t u n g u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 397) unhaltbar. 179 Das übersieht G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 82, i n ihrer extrem positivistischen Argumentation. 174

B. Parlamentarische Exekutivkontrolle als Informationsvermittlung

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Großen, Kleinen und Mündlichen Anfrage als Minderheitenrecht i n der Geschäftsordnung des Bundestages speziell der modernen Ausprägung des parlamentarischen Regierungssystems, i n welchem Mehrheitsfraktion(en) und Regierung der meist minderheitlichen Opposition(en) geschlossen gegenüberstehen 180 , welcher deshalb die Regierungskritik und -kontrolle jetzt schwerpunktmäßig obliegt 1 8 1 . Da diese Regierungsform eine Gewährleistung des Interpellationsrechts umfaßt, bedarf es für seine verfassungsrechtliche Fundierung auch keiner weiteren Normierung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Parlament und Regierung, wie sie etwa A r t . 24 I I I Satz 2 und 3 der Bayerischen Verfassung oder A r t . 101 I V der Hessischen Verfassung enthalten 1 8 2 . E i n Fragerecht ist freilich nur dann sinnvoll, wenn i h m die Beantwortungspflicht der Regierung korrespondiert, welche der jeweiligen Verfassung folglich i n verfassungsgrundentscheidungskonformer Auslegung 1 8 3 zu entnehmen ist 1 8 4 . Deshalb steht der Regierung ein Antwortverweigerungsrecht auch nur i n begründeten Ausnahmefällen zu 1 8 5 . Entgegen der Auffassung Schollers 186 gehört dabei auch der sog. „Kernbereich der E x e k u t i v e " 1 8 7 zu den legitimen Gegenständen parlamentarischer Interpellationen. Gerade i m „Initiativbereich der Regierung" wäre die durch Interpellationen erzwungene Information keineswegs bloßer „Selbstzweck", sondern unabdingbare Voraussetzung eines wahlförmig begründeten Vertrauensverhältnisses, das jederzeit durch (konstruktives) Mißtrauensvotum (vgl. z .B. A r t . 68 GG einerseits und A r t . 114 Hessische Verfassung andererseits) beendet werden kann und deshalb nur aufgrund möglichst umfassender Kenntnis der gesamten Regierungspolitik ständig kontrollierend stabil zu halten ist. Gleichgültig, ob man eine von Regierung und Parlament „gesamthänderisch" wahrgenommene Staatsleitung zugrundelegt 1 8 8 oder — richtiger (vgl. den Grundgedanken des wo y g L etwa U. Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 397. 181 K . Hesse, Grundzüge, S. 236. 182 So jedoch H. Scholler, Die Interpellation i n Theorie u n d Wirklichkeit, Pol. Studien 1970, S. 409 m. w. N. 183 Vgl. hierzu H. Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften . . . , S. 18. 184 Ä h n l i c h offenbar H. Trossmann, Parlamentsrecht, S. 151; i m Ergebnis w o h l auch H. Scholler, Die Interpellation i n Theorie u n d Wirklichkeit, Pol. Studien 1970, S. 408; a. A., jedoch m i t zirkelschlüssiger Begründung, G. WitteWegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 82 Fn. 10. 185 Vgl. die zutreffenden Ausführungen u n d Beispiele bei G. Witte-Wegmann. Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 83 ff., 92. 186 Die Interpellation i n Theorie u n d Wirklichkeit, Pol. Studien, 1970, S. 409. 187 Vgl. dazu BVerfGE 9, S. 268 ff., 280 f. 188 So E. Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L Heft 16 (1958), S. 38. 14*

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

A r t . 80 GG!) allein das Parlament als „Führungsorgan" 1 8 0 bzw. als „oberstes Staatsorgan" 1 9 0 betrachtet, dürfen die jeweiligen Gewissensentscheidungen der Abgeordneten (vgl. A r t . 38 I 2 GG) nicht auf blindes Zutrauen gegründet werden, sondern müssen auf permanenter Information beruhen. Da endlich auch die Publizität parlamentarischer Verhandlungen als Minderheitenrecht ausgestaltet ist (vgl. z. B. A r t . 42 I GG), scheint das Parlament nun wirklich die „öffentliche Tribüne" werden zu können, „auf der vor dem ganzen Volk, das durch Rundfunk und Fernsehen i n besonderer Weise an dieser Öffentlichkeit teilnimmt, die Regierung und die sie stützenden Parteien ihre Politik dem Volke darlegen und verteidigen, die Opposition aber diese Politik i n der gleichen Öffentlichkeit angreift und ihre Alternativpolitik entwickelt" 1 9 1 . Unter solchen Voraussetzungen nimmt das Parlament als Informationsmedium eine Vermittlungsfunktion zwischen „politischer Führung" und der A k t i v bürgerschaft wahr und könnte dadurch zugleich verhindern, daß die Regierung aufgrund ihrer Öffentlichkeitsarbeit zum „bestimmenden Integrationsfaktor" eines tendenziell autoritären Systems w i r d 1 9 2 . Konsequenterweise dürfte allein das Plenum die „Stätte der politischen Erstinformation" sein, so daß jede außerparlamentarische Öffentlichkeitsarbeit der Regierung unzulässig wäre 1 9 3 . Diese auf den ersten Blick vielleicht bestechende Argumentation erweist sich jedoch bei näherem Zusehen sowohl normativ wie praktisch kurzschlüssig. Verfassungsrechtlich bindet die aus der parlamentarischen Kontrollaufgabe hergeleitete Informationspflicht gegenüber dem Plenum allein die Kabinettsmitglieder. Da deren Informationskapazität ebenso wie die Kontrollkapazität der Volksvertretung personell wie zeitlich äußerst beschränkt ist und da die Regierung aus eigener Veranlassung i. d. R. nur über relativ unproblematische, d. h. kaum kritisierbare, Angelegenheiten berichten wird, lassen sich k r i t i k - und diskussionswürdige Informationen allein vermittels — meist oppositioneller — Interpellation gewinnen. Rechtlich beschränkt sich die Auskunftspflicht außerdem auf den Gegenstand der gestellten Frage. Die angestrebte Informationsvermit189 So H. Ridder, Rezension zu O. Bachof, Wehrpflichtgesetz u n d Rechtsschutz, D Ö V 1957, S. 511; ähnlich F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 201. 190 So jetzt U. Scheuner, Wirtschaftslenkung i m Verfassungsrecht des modernen Staates, S. 70; R. Hoff mann, Haushaltsvollzug u n d Parlament, S. 32 f. lei E. Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L Heft 16 (1958), S. 31. 192 Vgl. Th. Ellwein / A . Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 244. iss so Th. Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 114.

B. Parlamentarische Exekutivkontrolle als I n f o r m a t i o n s e r m i t t l u n g

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lung bleibt deshalb fast zwangsläufig bruchstückhaft-punktuell 1 0 4 . Zwar mag die Kontrollintensität schriftlicher Anfragen i m allgemeinen höher zu veranschlagen sein als die der mündlichen Interpellationen 1 9 5 , doch entfällt hier entweder die anschließende Debatte, oder aber diese Debatte erschöpft sich — wie es überwiegend bei den Großen Anfragen i m Bundestag geschieht — i n einem nichtssagenden Austausch fraktionell vorbereiteter Deklarationen ohne weitergehenden Informationsw e r t 1 9 6 . Schließlich aber ist jeder Abgeordnete, wenn er gezielte und kontroll-wirksame Fragen stellen w i l l , auf gewisse Vorkenntnisse aus dem Exekutivbereich angewiesen, die er regelmäßig nur den — ihrerseits von amtlichen Pressestellen abhängigen — Massenmedien entnehmen kann. A u f diese Weise w i r d die parlamentarische Vermittlerrolle wegen des durchaus auch sachbedingten Informationsvorsprungs der Regierung bereits weithin entwertet 1 9 7 . Überdies sind die unsystematisch-kasuellen, meist nur auf nachträgliche Feststellung persönlich zu verantwortender Unregelmäßigkeiten gerichteten Formen von Exekutivkontrolle der Realität des langfristig planenden, hochspezialisierten Verwaltungsstaats m i t seinen weitreichenden und deshalb kaum korrigierbaren Dezisionen nicht länger gewachsen 198 . Soweit einzelne Abgeordnete oder bestimmte Ausschüsse neuerdings an Regierungsentscheidungen beteiligt werden 1 9 9 , erhalten sie nicht selten sogar auch Geheiminformationen, doch kommt dies fast nirgends der öffentlichen Vermittlungsfunktion des Parlaments zugute, w e i l hierdurch zwar M i t verantwortung, nicht jedoch parlamentarische Publizität übertragen wird200. Aus allen diesen Gründen reichen die parlamentarischen Kontrollmittel nicht aus, u m die erforderliche Publizität i n den Exekutivbereich zu tragen und damit staatliche Entscheidungsvorgänge und politische Willensbildung der Aktivbürgerschaft demokratisch befriedigend zu vermitteln. Amtliche Öffentlichkeitsarbeit muß insoweit nicht unbedingt eine verfassungswidrige Umgehung öffentlicher Parlamentsdebat194 So hinsichtlich der Kontrollintensität von Mündlichen Anfragen i m Bundestag: G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 199. 195 So G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 161, f ü r die K l e i n e Anfrage i m Bundestag. 196 Vgl. G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 146 ff. 197 Vgl. Th. Ellwein / A. Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 270; G. Witte-Wegmann, Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n . . . , S. 203. 198 vgl w . Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer M i t r e gierung am Beispiel der A r b e i t der Bundestagsausschüsse, S. 27 ff. 19« v g i # hierzu W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme . . . ; U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnimg, S. 401. 2oo v g L Th. EUwein l A. Görlitz, Gesetzgebung u n d parlamentarische K o n trolle, S. 270.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

ten bedeuten. Sie w i r k t dann keineswegs als Konkurrenz parlamentarischer Öffentlichkeit, sondern als notwendig ergänzende Informationsquelle und damit als eine Voraussetzung politischer Diskussion.

C. Die demokratische Publizitätspflicht der Exekutive I . Zur verfassungsrechtlichen Begründung exekutivischer Publizitätspflichten

Eine dem A r t . 42 I 1 GG vergleichbare Normierung exekutivischer Publizität findet sich nirgends. Vielmehr hat die Exekutive i n Deutschland zur demokratischen Öffentlichkeit eher ein — auf monarchische Arkantraditionen zurückgehendes — tiefverwurzeltes „ N e g a t i w e r hältnis" 2 0 1 , das noch längst nicht überwunden ist. Der Versuch, nunmehr ein Recht auf umfassende Information der grundgesetzlichen Informationsfreiheit des A r t . 5 1 1 GG zu entnehmen, scheitert freilich daran, daß hierdurch nur der Zugang zu den bereits bestehenden Informationsquellen gesichert wird, nicht jedoch ein A n spruch auf Erschließung weiterer, amtlicher Informationsmöglichkeiten 2 0 2 . Auch die aus A r t . 5 1 2 GG abgeleitete sog. institutionelle Garantie der Presse oder aus ihrer „öffentlichen Aufgabe" 2 0 3 trägt selbst bei pressefreundlichster Auslegung kein spezielles Publizistenprivileg 2 0 4 auf erschöpfende amtliche Auskunft 2 0 5 . Indessen wäre es vorschnell, hieraus schließen zu wollen, amtliche Informationen würden heutzutage quasi praeter constitutionem gegeben. M i t Recht hat Ridder nämlich schon früh auf das dem Demokratieprinzip inhärente Gebot der Öffentlichkeit der Ausübung aller Staatsgewalt hingewiesen und hieraus entsprechende Informationsverpflichtungen gefolgert 2 0 6 . Nun be101 P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Pol. B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 15. 202 H . M . , vgl. z.B. H. Ridder, Das Recht auf Information, S. 32; H. Lenz, i n : H a m a n n / L e n z , A r t . 5 A n m . B 5 (S. 187); W. Geiger, Die Grundrechte der Informationsfreiheit, S. 123, 125. 203 Vgl. dazu D. Stammler, Die Presse als soziale u n d verfassungsrechtliche Institution, S. 206 ff. 204 So aber z . B . W. Groß, Z u m Auskunftsanspruch der Presse, ArchPR 1965, S. 489 ff., 490; H. 17. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive u n d Informationsrecht der Presse, S. 223 ff.; andeutungsweise auch B V e r f G E 20, S. 162 ff., 176. 105 H. M., vgl. z. B. R. Herzog, i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, A r t . 5 Rn. 137. 206 Meinungsfreiheit, S. 275; Pressefreiheit u n d Staatsgeheimnis, S. 33; Das Recht auf Information, S. 32; ebenso U. Scheuner, Pressefreiheit, V V D S t R L Heft 22 (1965), S. 78; ähnlich w o h l auch W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 84, u n d P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit . . . , Pol. B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 15 f.; vorsichtiger W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 64.

C. Demokratische Publizitätspflicht der Exekutive

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hauptet Jerschke neuerdings gar eine unmittelbare demokratische Legitimation der Exekutive, die vermittels wahlförmiger Zustimmung des Volkes „ i m Wege der Delegation, welche durch das Vertrauen für die regierungsbildende Mehrheitspartei gestützt und durch die Kontrolle i m neuen Wahlakt gerechtfertigt" werde. Die Bonner Verfassung stelle damit ein grundsätzliches Öffentlichkeitsgebot auf, das „wesensmäßig" aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie folge 2 0 7 . Diese Begründung ist jedoch nicht haltbar. Mag die allgemeine Tendenz zur „Kanzler-Wahl" auch tatsächlich sehr stark sein, so sieht das Grundgesetz doch nur eine mittelbare, parlamentarische Regierungwahl vor (ebenso die Landesverfassungen), wenngleich die Exektuive durch A r t . 20 I I GG institutionell ebenso demokratisch konstituiert ist. Obwohl Jerschke das übersieht 2 0 8 , betont er doch zutreffend, daß der generelle Hinweis auf das Demokratieprinzip allein kaum präzise Grundlagen für eine Öffentlichkeitspflicht der Exekutive bietet 2 0 9 . Seine Bemühungen, vor allem die Kommunikationsgrundrechte 2 1 0 zur Konkretisierung heranzuziehen, führen allerdings deshalb kaum weiter, w e i l deren Bedeutung aus verschwommenen Vorstellungen von „einer personalen Wertentscheidung für das Menschenbild" des verantwortlich kommunizierenden Bürgers 2 1 1 erhellen soll, anstatt aus ihrer nüchternen Funktion als Partizipationsnormen i n der Demokratie. I m Ergebnis reduziert sich Öffentlichkeit staatlichen Handelns dann zum „Wertaspekt der Verfassung" 2 1 2 , aus deren „repräsentativem Charakter" Einschränkung gen für das Maß an Publizität erfolgen sollen 2 1 3 , das der Staat dem Bürger über die allgemein zugänglichen Quellen (Art. 5 1 1 GG) zu vermitteln habe. Zwangsläufig gelangen Jerschkes spezielle Überlegungen zur verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitspflicht der Exekutive nicht über den Gedanken hinaus, der Wähler müsse den Gegenstand seines legitimationsspendenden Wahlaktes kennen 2 1 4 , außerdem bedürfe es zur „Legitimationserhaltung" einer ständigen Kommunikation m i t den „staatsleitenden Kräften". Freilich solle diese Kommunikation vor allem den „Glauben" an das Prinzip der Legitimierung stützen. Jerschke übernimmt damit unbesehen Elemente des demokratischen Öffentlichkeitsbegriffs der Repräsentationslehren bei C. Schmitt und G. Leibholz (vgl. dazu oben unter I 1), auf die er ausdrücklich verweist 2 1 5 . 207

Öffentlichkeitspflicht..., Ebenso w i e auch E.-W. reich der Regierung, S. 80 f. 208 Öffentlichkeitspflicht..., 210 Öffentlichkeitspflicht..., 211 Öffentlichkeitspflicht..., 212 Öffentlichkeitspflicht..., 213 Öffentlichkeitspflicht..., 214 Öffentlichkeitspflicht..., 218 Öffentlichkeitspflicht..., 208

S. 74 f. Böckenförde, S. S. S. S. S. S. S.

75. 92 ff. 91. 116. 103. 117 ff. 121, Fn. 25.

Die Organisationsgewalt i m Be-

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

Dem „repräsentativen Charakter der Verfassung" entsprechend sei Publizität an Repräsentation gebunden 216 , die ihrerseits wiederum „generelle Delegation" bedeute. Dann beschränke sich die exekutivische Publizität auf den Bereich genereller regierungsförmiger Repräsentation, weshalb die legitimationsfördernden Informationen hier ebenfalls nur generell zu erfolgen bräuchten 2 1 7 . So bleibt die — zugleich vom „Staatsziel Demokratie" abgeleitete — Öffentlichkeitsverpflichtung der Gubernative letztlich restriktiv an verfassungsfremde Repräsentationsvorstellungen gebunden und auf das relativ unverbindliche Gebot einer volksnahen Öffentlichkeitsarbeit beschränkt 218 . Demgegenüber kann eine an der historischen Zielsetzung des grundgesetzlichen Demokratiegebots orientierte Interpretation dieses nicht lediglich als plakatives „Staatsziel" begreifen, sondern nur als fundamentale Organisationsnorm für eine umfassende, chancengleiche Partizipation aller an den politischen Entscheidungen i m Gemeinwesen. Demokratische Partizipation ist freilich nicht nur als Mitbeteiligung des repräsentativ vertretenen Volkes an den Staatsgeschäften, sondern — und vor allem dies unterscheidet die Weimarer und Bonner Verfassung vom deutschen Konstitutionalismus — als prinzipielle Selbstbestimmung i n sämtlichen Bereichen staatlicher Politik. A l l e i n unter diesem Aspekt können die Funktionsbedingungen der „freiheitlich demokratischen" Grundordnung i n der Praxis einer mittelbaren Demokratie angemessen konkretisiert werden. Gefordert ist die Vermittlung möglichst aller Interessen i n den staatlich-institutionellen Prozeß allgemein verbindlicher Entscheidungsabläufe. Z u Beginn dieses Kapitels hatten w i r gesehen, daß die grundgesetzliche Funktion parlamentarischer Publizität darin besteht, solche demokratische Vermittlung als permanentes, partizipatorisches Diskussionsverhältnis zwischen V o l k und Volksvertretung zu ermöglichen. Der solchermaßen vitalisierte öffentliche Legitimationsprozeß könne angesichts prinzipiell unbegrenzter Kontrollrechte des Parlaments theoretisch auch den gesamten Exekutivbereich erfassen. Dennoch wäre es illusionär, die Abgeordneten deshalb heute als wirkliche „ M i t t l e r zwischen Volk und Regierung" zu betrachten, die aufgrund ihres Wählermandats den Volkswillen kundtun und m i t Hilfe ihres Interpellationsrechts die Regierung „ i n der demokratischen Verantwortung" halten können, wie Friesenhahn meint 2 1 9 . Die moderne Staatsverwaltung ist ubiquitär; ihrem unmittelbar zugreifenden Kontakt kann sich niemand 816

Vgl. Öffentlichkeitspflicht..., S. 64 ff. Öffentlichkeitspflicht..., S. 121. 218 H. 17. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht . . . , S. 75 unter Hinweis auf W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 83, 85. 219 Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, W D S t R L Heft 16 (1958), S. 31. 217

C. Demokratische Publizitätspflicht der Exekutive

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entziehen; zunehmende Verstaatlichungstendenzen ehedem körperschaftlich selbstverwalteter Bereiche (Gemeinden, Universitäten) sind lediglich letzte, verfassungsrechtlich höchst bedenkliche, Konsequenz einer Entwicklung, die seit dem Niedergang des Liberalismus i m 19. Jahrhundert vorkonstitutionelle Administrativ-Traditionen aufgenommen und schließlich auch technisch perfektioniert hat (Datenverarbeitung). Bürokratisch gespeichert und ausgewertet stehen diese umfassenden Basisinformationen — von der behördlichen Hierarchie vermittelt — den Exekutivspitzen auf Abruf zur Verfügung. So erscheint die Exekutive heute als überlegen „informierte Gewalt" par excellence 2 2 0 . I h r Informationspotential war zwar schon von Anfang an für die demokratische Legislative schlechthin unentbehrlich, doch wächst die Informationsnot des Parlaments noch unerläßlich m i t den staatlichen Aufgaben. Das Interpellationsrecht bietet hier — wie w i r sehen konnten — keine zuverlässige Abhilfe. Soll ein Parlament also weiterhin kontrollieren und legitimieren, so müssen i h m von vornherein grundsätzlich dieselben Informationen wie der Regierung zur Verfügung stehen. Deshalb folgert Ridder aus der „Gewährleistung des demokratischen Charakters parlamentarischer Systeme" eine Regierungspflicht zur „zwischenorganschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit" zum Parlament h i n 2 2 1 . Tatsächlich beruht die Kontroll- und Legitimationsstruktur i m „staatlichen Organgefüge" auf dem Informationswissen der Abgeordneten. Dann aber scheint es, als könne den „zwischenorganschaftlichen" Erfordernissen dadurch Genüge getan werden, daß man den Parlamentariern das jeweils relevante Material quasi intern zur Verfügung stellt. Deren Sache bliebe es dann, hieraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen und i n öffentlicher Verhandlung durch Anträge, Interpellationen und Gesetzesinitiativen zu realisieren, so daß die Parlamentsdebatte schließlich auch dem Publikum einen Widerschein jener Regierungsinformationen vermitteln würde. Dieses Verfahren entspricht jedoch lediglich der absorptiven Repräsentation. Es verkürzt die demokratisch legitimierende Kommunikation zwischen Volk und Parlament zugunsten der Repräsentanten, w e i l nur das von den Parlamentsfraktionen herausgefilterte Material publiziert und w e i l damit praktisch kaum mehr als die veröffentlichten Gründe staatlicher Entscheidungen bekannt würden.

220 W. Leisner, Regierung als Macht kombinierten Ermessens, J Z 1968, S. 727 ff., 729. 221 Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 59 f.; zustimmend P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit . . . , Pol. B i l d u n g 1970, Heft 3, S. 16 Fn. 126.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

Wenn aber nur „zensierte" Partien aus dem gesamten Bezugsrahmen einer politischen Entscheidung serviert werden, das wahre Spekt r u m des jeweils Möglichen der Öffentlichkeit also entzogen bleibt, kann kein Außenstehender die i n jeder Dezision verkörperte Auswahl aus dem Bündel potentieller Möglichkeiten selbständig und kritisch beurteilen. Auch die aus parteitaktischen Gründen regelmäßig auf eine einzige Alternative festgelegte Opposition bietet dann keine hinreichende Erweiterung des relevanten Informationsfeldes. Demokratische Partizipation bliebe folglich auf die parlamentarisch gut vertretenen Gruppen beschränkt, während andere kaum eine Beteiligungschance hätten. Nach A r t . 38 I 2 GG müssen sich die Abgeordneten jedoch als „Vertreter des ganzen Volkes", also auch vor den kleinsten Minderheiten legitimieren. Gegensätzliche Positionen lassen sich allerdings nicht gleichzeitig vertreten. Wohl aber enthält A r t . 38 I 2 GG ein Reflexionsgebot, unter „gewissen"-hafter Abwägung aller einschlägigen Interessen und Alternativen zu handeln. Dies setzt freilich voraus, daß die Betroffenen sich ihrer Betroffenheit aufgrund entsprechender Informationen überhaupt bewußt werden können, ihre Belange gegebenenfalls formulieren und an das Parlament herantragen, u m schließlich reflektiert auf die entsprechenden parlamentarischen Maßnahmen oder Unterlassungen politisch zu reagieren. Demokratische Partizipation unter dem Grundgesetz erfordert demzufolge einen potentiell identischen Informationsstand bei Aktivbürgerschaft, Parlament und Exekutive. Folglich hat die Exekutive grundsätzlich alles für die jeweils anstehende politische Entscheidung relevante Material zu veröffentlichen. Dies ist keine Konsequenz bloß „zwischenorganschaftlicher" Kooperation und Kontrolle, sondern folgt unmittelbar zwingend aus A r t . 20 I und I I 1 GG, wonach das souveräne Volk die einzige Legitimationsquelle aller Staatsgewalt i n der Demokratie zu bleiben hat. So läßt sich die gesamtgesellschaftliche (Rechts-) Verbindlichkeit staatlicher Entscheidungen allein dann rechtfertigen, wenn diese Dezisionen aus einem, auf gleicher Faktenkenntnis basierten, öffentlichen, dialektischen Reflexionsprozeß von gesellschaftlicher Meinungsbildung einerseits und staatlich-institutioneller Willensbildung andererseits hervorgehen. Fehlt es auch an einem der Parlamentspublizität entsprechenden ausdrücklichen Öffentlichkeitsgebot an die vollziehende Gewalt, so geht die exekutivische Publizitätspflicht doch insofern über die Aufgabe öffentlicher Parlamentsinformation hinaus, als das Parlament grundsätzlich nur solche Mitteilungen unterbinden kann, die Verhandlungsgegenstände seiner nicht öffentlichen Sitzungen betreffen (vgl. A r t . 42

C. Demokratische Publizitätspflicht der Exekutive

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I 2 GG). Die vollziehende Gewalt selbst ist nämlich nach A r t . 20 I I GG verfassungsrechtlich ebenso unmittelbar demokratisch konstituiert wie Legislative und Rechtsprechung 222 . Aus dieser institutionellen und funktionellen demokratischen Grundlegitimation 2 2 3 folgt bereits ihre prinzipielle demokratische Publizitätsverpflichtung, die allerdings mangels entsprechender (primärer) Öffentlichkeitsgebote nur eine (sekundäre) Berichterstattungs- und Veröffentlichungspflicht bedeuten kann. Allerdings fehlt der Exekutive die unmittelbare personelle Legitimation des direkt gewählten Parlaments, es fehlt also die politische Entscheidungsermächtigung des Volkes 2 2 4 . Die Volksvertretung überträgt diese Handlungsvollmacht begrenzt, widerruflich und unter permanentem Kontrollvorbehalt auf eine Regierung ihres Vertrauens, während die gesetzesgebundene Verwaltung programmförmig Entschiedenes lediglich realisiert. A u f solche Weise kann direkte personelle Legitimation auch der vollziehenden Gewalt — allerdings unterschiedlich intensiv — vermittelt werden. Da Publizität demokratische Legitimation durch politische Meinungs- und Willensbildung ermöglichen soll, entspricht die Öffentlichkeitspflicht des jeweiligen Bereichs seinem speziellen Legitimitätsbedarf, d. h. dem Umfang der dort jeweils gegebenen politischen Entscheidungskompetenz: Verhandelt das Parlament seiner politischen Führungsrolle entsprechend öffentlich, so richtet sich das Ausmaß exekutivischer Berichterstattungspflichten nach dem Grad parlamentarischer Programmierung des einzelnen Tätigkeitsfeldes. Folglich unterliegt die Regierung, deren politische Handlungsermächtigung lediglich durch die Verfassung und das (legitimitätsvermittelnde) Vertrauen der parlamentarischen Mehrheit begrenzt ist, einer intensiven, permanenten Offenbarungspflicht, die vor allem auch den gesamten Sektor ministeriell vorbereiteter Gesetzesinitiativen umfaßt, während das Publizitätsgebot für die „Leistungs"- und „EingriffsVerwaltung jeweils entsprechend schwächer ist, nirgends jedoch A r k a n praktiken gestattet. So entsprechen diese differenzierten Öffentlichkeitsanforderungen der notwendigen politischen Legitimations- und Kontrolldichte auf jenen Gebieten, wobei Publizität mehr Voraussetzung als Konsequenz solcher Kontrolle zu sein hat. Gefordert ist m i t h i n die laufende Berichterstattung aus dem Exekutivbereich, die schon aus zeitlichen Gründen nicht nur vor dem Parlament erfolgen kann, die es 122 Vgl. E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 79 f. 228 Vgl. dazu F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 198 f. 224 Entgegen F. Ossenbühl (Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, S. 199) wiegt die funktionelle Legitimation der V e r w a l t u n g ihre n u r mittelbare personelle Legitimation nicht auf (auch das Parlament ist funktionslegitimiert!), sondern ergänzt sie demokratiegerecht.

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2 Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

dem einzelnen Abgeordneten jedoch gestattet, kritische Themen aufzunehmen, interpellationsförmig zu verfolgen und ihre Behandlung i n bestimmte Richtung zu lenken. Solche Öffentlichkeitsarbeit muß es den Aktivbürgern zugleich ermöglichen, ihre je tangierten Interessen rechtzeitig und fundiert an die Volksvertretung oder Ministerialbürokratie 2 2 5 heranzutragen, die parlamentarische Arbeit kritisch zu diskutieren, sowie vor allem auch die i m Parlament verschwiegenen oder umgangenen wichtigen Fragen diskursiv aufzunehmen, also das Parlament zu kontrollieren. Erst wenn dem einzelnen grundsätzlich dieselben Informationen zuteil werden wie dem Abgeordneten und dem zuständigen Beamten, kann i m verfassungsrechtlichen Bereich des Öffentlichen wirklich legitimiert werden. N u r so könnte sich der demokratische Zirkel permanenter Reflexion über die öffentlichen Angelegenheiten schließen zu einem ständigen kommunikativen Interaktions-Verhältnis „der Zuordnung der gegenseitigen Annäherung, Beeinflussung und Durchdringung" von staatlich-institutionellen Entscheidungsvorgängen und den — i m grundrechtlichen „status politicus" vor obrigkeitlich-majoritärer Pression geschützten — Prozeß „freier" gesellschaftlicher Meinungsund Willensbildung 2 2 6 . Da es hierbei u m die Legitimierung verbindlicher politischer Entscheidungen geht, muß die Exekutive über alle politischen Kompetenzbereiche prinzipiell lückenlos berichterstatten. Faßt man Politik m i t Grauhan als das „soziale Wählen unter einander ausschließenden Handlungsmöglichkeiten" 2 2 7 , so müssen insbesondere die zur Auswahl stehenden Alternativen dargestellt werden. Hiernach unterliegt speziell das Regierungshandeln der grundsätzlich unbegrenzten Öffentlichkeitspflicht, w e i l es einen eigenständigen Gubernativsektor als autonomen Raum der Exekutive nicht gibt, hier vielmehr „koordiniertes", kontroll- und legitimationsbedürftiges Ermessen geübt w i r d 2 2 8 . Allerdings darf sich die öffentliche Berichterstattungspflicht hier wie i n den anderen, politisches Ermessen konkretisierenden oder politische Dezisionen vorbereitenden Exekutivbereichen zunächst auf laufende allgemeine Tätigkeitsbereiche sowie Mitteilung der für die politische Meinungsbildung „relevanten Hauptfakten" 2 2 9 beschränken. Soweit i n der gegebenenfalls einsetzenden Diskussion zu einzelnen 225 Vgl. hierzu § 23 I 1 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Bes. Teil. 226 y g L Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften , . . , S. 14, 26 ff.; ders., Stichw. „Meinungsfreiheit", Sp. 651. 227

Politikwissenschaftliche Forschung zur Verwaltung, D Ö V 1970, S. 587. Vgl. W. Leisner, Regierung als Macht kombinierten Ermessens, JZ 1968, S. 727 ff. 229 Vgl. ff. Faber, Innere Geistesfreiheit u n d suggestive Beeinflussung, S. 89, unter Hinweis auf H. Ridder, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 32. 228

C. Demokratische Publizitätspflicht der Exekutive

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Themen ausführliche Informationen verlangt werden, erweitert sich diese Offenbarungspflicht dementsprechend. I I . Zum subjektiven Recht auf Information

Während die eher routinemäßige Berichterstattung zwangsläufig von den Behörden selbst (z.B. durch schriftliche Tätigkeitsberichte oder Pressekonferenzen) wahrzunehmen ist, werden die eigentlich politisch bedeutsamen Spezialinformationen i m Einzelfall aus Anlaß aktueller Kontroversen überwiegend (außer bei Interpellationen) von der Presse veranlaßt und sodann verbreitet. Damit steht die Presse i n der repräsentativen Demokratie „als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern i n Parlament und Regierung. Sie faßt die i n der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch i n Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der i m Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können" 2 3 0 . Die soeben beschriebene „öffentliche Aufgabe der Presse" 231 , welche auch i n den Pressegesetzen der Länder als Funktion vorausgesetzt, nicht aber etwa als Pflicht dekretiert worden ist 2 3 2 , besorgen heute vor allem auch Rundfunk und Fernsehen. Ihre „Funktion der Legitimationsbeschaffung durch Konfliktdarstellung und -Vermittlung" können diese B i l dungs- und Informationsträger freilich nur i n optimaler Unabhängigkeit von den zu kontrollierenden und legitimierenden staatlichen Entscheidungsinstanzen erfüllen 2 3 3 . Hieraus folgt ein wesentliches A r g u ment gegen die amtliche Informationswerbung und Propaganda, die i m K e r n eine manipulative Umkehrung des zu den staatlichen Stellen h i n verlaufenden Meinungsprozesses darstellt 2 3 4 . Freilich können exekutivische Tätigkeitsberichte ohnehin meist nur überblickartig gerafftes „Rohmaterial" und allenfalls Ansatzpunkte für jenen kontroversen Meinungsprozeß liefern, so daß die eigentlich diskussionskonstituierenden politischen Detailinformationen erst i m jeweiligen Diskussions verlauf überwiegend auf Anregung und Drängen von Journalisten erteilt werden müssen. Selbst wenn die behördlichen Eigenberichte die „neu230 BVerfGE 20, S. 162, 175. 231 Vgl. BVerfGE 20, S. 162, 175. 232 y g i hierzu W. Mallmann, Pressepflichten u n d öffentliche Aufgabe der Presse, JZ 1966, S. 625 ff., 631; D. Stammler, Die Presse als soziale u n d verfassungsrechtliche Institution, S. 206 ff.; H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht . . . , S. 223 ff. 233 H. Ziegler, Z u r inneren Pressefreiheit, D Ö V 1971, S. 654 ff., 657; vgl. auch BVerfGE 20, 162, 175. 284 Vgl. H. Ridder, Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 68.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

ralgischen Punkte" also unzulässigerweise zu vertuschen oder zu beschönigen suchen, dürften sich die Chancen propagandistischer Beeinflussung hierdurch doch entsprechend verringern. Vor allem Jerschke hat deshalb aus der „öffentlichen Aufgabe" der Presse einen verfassungsrechtlichen Informationsanspruch des Journalisten gegen Organe der vollziehenden Gewalt ableiten wollen 2 3 5 . Ein solches besonderes Informationsrecht für Publizisten kann dem Grundgesetz jedoch nicht entnommen werden, denn die verfassungsrechtliche Basis exekutivischer Öffentlichkeitspflichten ist nicht jene — zweifellos unentbehrliche und konstitutionell anerkannte — Vermittlungsfunktion der Massenmedien, sondern allein die i m Demokratieprinzip normierte Selbstverwaltung sowie die hierdurch implizierte Partizipation aller Bürger bis zu den kleinsten Minoritäten i m Wege öffentlicher Meinungs- und Willensbildung. Die Informationsaufgabe der vollziehenden Gewalt besteht also — genau wie es für die parlamentarische Publizität ganz selbstverständlich ist — gleichermaßen gegenüber jedem Bürger. Das Grundgesetz sieht keine ein exklusives Auskunftsrecht begründende Repräsentation des Volkes durch die Presse vor; vielmehr w i r k e n die Massenmedien ähnlich wie Parteien (vgl. A r t . 21 I 1 GG) und Vereinigungen (vgl. A r t . 9 GG) lediglich bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Das exklusive Auskunftsrecht für Journalisten würde der Presse eine vormundschaftsähnliche Rolle übertragen, die nicht nur deshalb verfassungswidrig wäre, w e i l das Publikum rechtlich keinen Einfluß auf die Redaktionspolitik hat, sondern vor allem, weil — und das ist die Folge des ersten Einwands — die Presse weder i n der Lage, noch gewillt oder (abgesehen von den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten) verpflichtet ist, sämtliche politischen Strömungen und Interessen angemessen zu vertreten. Speziell die privatwirtschaftliche Pressestruktur, aber auch der wachsende parteipolitische Einfluß i n den Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten, garantieren heute recht zuverlässig, daß unterprivilegierte Minderheiten, deren Interessen naturgemäß eher auf einschneidende Veränderungen als auf Erhaltung der sie benachteiligenden Zustände gerichtet sind, i m Spektrum der presseöffentlichen Meinung unterrepräsentiert bleiben 2 8 6 . Ein auf Journalisten beschränktes Auskunftsrecht würde den 235 Öffentlichkeitspflicht, S. 223 ff., 230 f., 239; ebenso früher schon M . Löffler, Der Informationsanspruch der Presse u n d des Rundfunks, N J W 1964, S. 2278; W. Groß, Z u m Auskunftsanspruch der Presse, ArchPR 1965, S. 490; B. Leihe, Probleme der Tätigkeit des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung, M D R 1969, S. 445; w o h l auch H. Ridder, Staatsgeheimnis u n d Pressefreiheit, S. 37; ü . Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L Heft 22 (1965), S. 78; P. Lerche, Stichw. „Presse, Pressefreiheit", Sp. 1603. 236 v g L dazu R. Miliband, Der Staat i n der kapitalistischen Gesellschaft, S. 292 ff.; H. Holzer, Gescheiterte Aufklärung?, S. 119 ff.; E. Hennig, Die Abhängigkeit der Massenmedien von den Werbeeinnahmen u n d dem Anzei-

C. Demokratische Publizitätspflicht der Exekutive

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faktischen Ausschluß solcher Gruppen aus der allgemeinen Diskussion juristisch perfektionieren, indem diese auch rechtlich vom staatlichen Informationsstrom abgeschottet blieben. Angesichts dessen erscheint es naiv, i m Recht auf „freien Zugang zu den Presseberufen" hier einen Ausgleich sehen zu wollen 2 3 7 . Selbst wenn nämlich die notwendige „ i n nere Pressefreiheit" gewährleistet wäre, vermöchte doch niemand ein nur annähernd spiegelgetreues A b b i l d aller Interessen i n den Massenmedien zu garantieren. I m Bereich der normativ chancengleichen Teilnahme jedes einzelnen an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung w i r k t ein exklusiver Informationsanspruch von Journalisten zwangsläufig chancenverzerrend, einseitig und selektiv, d. h. als grundgesetzwidrige Einschnürung des demokratischen Prozesses an seiner politischen Basis. Dem konstitutionellen Publizitätsgebot für die Exekutive entspricht also — wie oben unter 1. bereits dargelegt — weder ein verfassungsrechtlicher Informationsanspruch des einzelnen noch ein besonderes Auskunftsrecht der Presse 238 . Bislang korrespondiert dieser lex imperfecta lediglich der Anspruch jedes Auskunftsersuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung der Behörde bei der Auskunftserteilung 2 3 9 , doch bleibt es drängende verfassungsrechtliche Aufgabe des demokratischen Gesetzgebers, die Formen und Verfahren eines entsprechenden subjektiv öffentlichen Informationsrechts zu schaffen 240 . Soweit die Landespressegesetze heute schon einen speziellen Auskunftsanspruch für die Presse normieren (vgl. z. B. § 3 des Hessischen Pressegesetzes), enthalten auch sie wegen ihrer weiten, unbestimmt formulierten, generalklauselartigen Ausnahmen kaum mehr als die bereits erwähnte Ermessenspflicht zur Abwägung darüber, ob dieser Anspruch i m Einzelfall durch überwiegende öffentliche oder private Gegeninteressen ganz oder teilweise ausgeschlossen w i r d 2 4 1 . Obwohl etwa i m Bereich der W i r t schafts- und Währungspolitik sowie der Außen- und Militärpolitik aus Gründen des „öffentlichen Interesses" gelegentlich dringende Geheimgenteil; Seifert, Probleme der Parteien- und Verbandskontrolle von Rundfunk2 3 7 und Fernsehanstalten.

So aber H. U. Jerschke, Ö f f e n t l i c h k e i t s p f l i c h t . . S . 195. Vgl. H. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 276; H. v. Mangoldt/F. Klein, Grundgesetz, A r t . 5 A n m . V 2 c (S. 242); D. Czajka, Pressefreiheit u n d „öffentliche Aufgabe" der Presse, S. 159 f.; W. Geiger, Die Grundrechte der Informationsfreiheit, S. 133. 239 v g l G. Sänger, F u n k t i o n amtlicher Pressestellen i n der demokratischen Staatsordnung, S. 88; D. Czajka, Pressefreiheit u n d „öffentliche Aufgabe" der Presse, S. 159 f.; W. Geiger, Die Grundrechte der Informationsfreiheit, S. 134. 238

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Vgl. H. Ridder, Das Recht auf Information, S. 32. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 124 f.; H. Ridder, Das Recht auf Information, S. 23 ff.; D. Czajka, Pressefreiheit u n d „öffentliche Aufgabe" der Presse, S. 71 f., 160. 241

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

haltungsbedürfnisse bestehen 242 , darf doch hieraus nicht geschlossen werden, daß die häufig einzelfallbezogenen Fragen des Informationsrechts „niemals allgemein und i m vorhinein beantwortet werden" könnten, die Probleme sich also der rechtlichen Normierung entzögen 243 . Auch auf diesem Gebiet obliegt dem Gesetzgeber nämlich keineswegs die konkrete Regelung jeder Einzelfallentscheidung, sondern nur die Normierung eines verbindlichen Entscheidungsprogramms, das die verfassungsrechtliche Offenbarungspflicht der Exekutive jeweils vollständig realisieren helfen soll. Insoweit besteht folglich entgegen Leisner 244 auch kein „sehr weites" legislatorisches Ermessen, wohl aber ein — wegen des umfassenden demokratischen Legitimationszwangs — durchaus bestimmter verfassungsrechtlicher Konkretisierungsauftrag an den Gesetzgeber, das allgemeine Informationsgebot m i t Hilfe einer entsprechenden Generalklausel sowie exakt formulierten, limitierten Ausnahmetatbeständen praktisch w i r k l i c h durchzusetzen und einen korrespondierenden Informationsanspruch für jeden einzelnen zu normieren, damit die exekutivische Publizitätspflicht nicht länger folgenlos ignoriert werden kann. Erst wenn es dem Aktivbürger möglich ist, das derart fungible und justiziable demokratische Öffentlichkeitsprinzip ohne weiteres notfalls selbst durchzusetzen, w i r d Publizität auch i m Bereich der vollziehenden Gewalt die Regel und Geheimhaltung eine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme sein 2 4 5 . Vordergründig wäre es, hiergegen einzuwenden, ein solches Informationsrecht scheitere praktisch an der mangelnden personellen und technischem Ausstattung der Verwaltung 2 4 6 . Zum einen werden überwiegend doch nur Berufsjournalisten hiervon Gebrauch machen, zum anderen ist vor allem der technisch mögliche Aufwand (hier durch Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen) zur optimalen Realisierung des Grundgesetzes verfassungsrechtlich stets geboten 2 4 7 . Endlich jedoch geht es bei der Informationspflicht der Exeku242 Z u den Grenzen eines allgemeinen Auskunftsrechts vgl. G. Sänger, F u n k t i o n amtlicher Pressestellen i n der demokratischen Staatsordnung, S. 107 ff.; H. ü . Jerschke, Öffentlichkeitspflicht..., S. 135 ff. 243 So aber D. Czajka, Pressefreiheit u n d „öffentliche Aufgabe" der Presse, S. 160. 244 öffenlichkeitsarbeit, S. 124; a. A. H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht . . . , S. 237 ff. 245 v g l z u diesem Erfordernis z. B. G. Sänger, F u n k t i o n amtlicher Pressestellen i n der demokratischen Staatsordnung, S. 115; D. Czajka, Pressefreiheit u n d „öffentliche Aufgabe" der Presse, S. 160; A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus, S. 467. 246

So aber H. Windsheimer, Die „ I n f o r m a t i o n " als Interpretationsgrundlage f ü r die subjektiven öffentlichen Rechte des A r t . 5 Abs. 1 GG, S. 158 f. Vergleichbare Einwände sind übrigens auch gegen die Einführung der v e r waltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 V w G O vorgetragen worden. 247 Ä h n l i c h H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht..., S. 162.

ï>. Der Funktionsverlust des Parlaments

225

tive i m vorliegenden Zusammenhang u m die politische Willensbildung, also weniger um die Quantität als u m die inhaltliche Qualität amtlicher Öffentlichkeitsarbeit. Gerade wegen dieser Bedeutung für den politischen Prozeß hängt der jeweils erforderliche Umfang solcher Informationstätigkeit ebenso wie ihre Intensität entscheidend davon ab, i n welchem Maße die Parlamente notwendige Informationen vermitteln. Zweifellos muß der seit geraumer Zeit unablässig wachsende „Spielraum für die Ausübung administrativer Ermessensfreiheit sichtbarer und hörbarer gemacht werden" 2 4 8 . Bevor w i r also die notwendige Intensität und die — aus der grundgesetzlichen Organisation des politischen Prozesses folgenden — verfassungsrechtlichen Grenzen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit untersuchen, sind deshalb zunächst der evidente Funktionsverlust des Parlaments und die anhaltende Tendenz zur Ausschaltung parlamentarischer Publizität von ihren Ursachen her genauer zu betrachten.

D. Der Funktionsverlust des Parlaments und die Tendenz zur Ausschaltung parlamentarischer Publizität I . Die Exekutive als Steuerungszentrum im „organisierten Kapitalismus"

Bereits i m Verlauf unserer Überlegungen zur Informationsfunktion parlamentarischer Exekutivkontrolle (oben II) hatten w i r festgestellt, daß weite Bereiche bedeutender exekutivischer A k t i v i t ä t („Leistungsverwaltung") keineswegs von der allgemein informierenden parlamentarischen Diskussion erfaßt werden. Angesichts der jetzt auch konstitutionell normierten (Art. 109 I I GG) staatlichen Kompetenz für eine globale Wirtschaftssteuerung ist die fundamentale Vorstellung des Grundgesetzes von der umfassenden parlamentarischen Lenkbarkeit und Kontrolle der Verwaltung heute vollends zur Illusion geworden. Tatsächlich w i r d „der Handlungsspielraum des gesamten legalen Herrschaftsapparates (Parlament, Regierung, Verwaltung, Gerichte) i n den spätkapitalistischen Industriegesellschaften immer deutlicher durch eine charakteristische Verbindung von ökonomischer Effizienz und politischer Legitimität geprägt" 2 4 9 . Die sozialen Aufgaben des Staates und die entsprechenden Sicherungserwartungen seiner Bürger sind längst über den vergleichsweise provinziellen Be248

A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus, S. 462. J. Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d politisches System, S. 243; J. Habermas, Technik u n d Wissenschaft als „Ideologie", S. 76 f. 249

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Kempen

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung

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Öffentlichkeitsarbeit

reich infrastrüktureller „Daseinsvorsorge" hinausgewachsen i n die gesamtwirtschaftliche Dimension des staatlich „geplanten Kapitalismus" 2 5 0 m i t einer Verantwortung für globale Konjunktursteuerung i m Sinne wirtschaftlicher „Wachstumsvorsorge" 251 . Die neoliberale Überzeugung einer sich allein über den Wettbewerb optimal selbststeuernden Privatwirtschaft wurde ersetzt durch eine am „magischen Viereck" von Vollbeschäftigung, Wachstum, Stabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht (vgl. § 1 Satz 2 StabGes) 252 , ausgerichtete Wirtschaftspolitik, für welche die „optimale Zuordnung der Lenkungsmittel . . . i n der kombinierten Anwendung des Prinzips der Selbststeuerung für die Mikrorelationen und der Globalsteuerung für die Makrorelationen" besteht 2 5 3 . Dementsprechend beschränkt sich der steuernde Staat grundsätzlich auf indirekte Lenkungsmittel, d. h. auf eine die private W i r t schaft mittelbar zur gewünschten Verhaltensweise motivierenden Geldund Fiskalpolitik, setzt daneben aber auch einkommenspolitisch w i r kende Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges, aufeinander abgestimmtes Verhalten („konzertierte Aktion") der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände (§ 3 StabGes) 254 . I n unserem Zusammenhang stellt sich vor allem die Frage, inwieweit parlamentarische Publizität diesen heute bei weitem wichtigsten Bereich staatlicher Kompetenzen für die Öffentlichkeit durchsichtig machen kann. Zu denken wäre hierbei vor allem an Budgetdebatten i n Bund, Ländern und Gemeinden, w e i l speziell die öffentlichen Haushalte nach A r t . 109 I I GG als Konjunktursteuerungsinstrumente eingesetzt werden sollen und deshalb eine emminente wirtschaftspolitische Funktion gewonnen haben 2 5 5 . Dabei gilt die Budgetinitiative als Exekutivmono250

Vgl. A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus (Originaltitel: „Modern Capitalism"). 251 So der treffende Ausdruck von H.-P. Ipsen, Rechtsfragen der W i r t schaftssteuerung, S. 87. 252 Vgl. auch A r t . 104 EWG-Vertrag. Der Plan einer „Wirtschafts- u n d Währungsunion" sieht sogar eine an diesen Zielen ausgerichtete supranationale P o l i t i k i m gesamten EWG-Bereich vor. Dazu U. Everling, Die E n t w i c k l u n g der Europäischen Gemeinschaft zur Wirtschafts- u n d Währungsunion, N J W 1971, S. 1481 ff.; U. Scheuner, Verfassungsprobleme der Wirtschaftsu n d Währungsunion, Integration 1971, S. 145 ff.; H. Tietmeyer, Europäische Wirtschafts- u n d Währungsunion — eine politische Herausforderung, Europa-Archiv 1971, S. 409 ff. 253 K . Schiller, Preissteuerung durch globale Steuerung der M a r k t w i r t schaft, S. 21; einen Überblick zur rechts wissenschaftlichen Theorienentwickl u n g gibt U. Scheuner, Wirtschaftslenkung i m Verfassungsrecht des modernen Staates. 254 Vgl. hierzu O. Schlecht, Konzertierte A k t i o n als Instrument der W i r t schaftspolitik. 265 Vgl. dazu K . H. Friauf, Öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, W D S t R L Heft 27 (1969), S. 21 ff.; H. Wagner, öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, V V D S t R L Heft 27 (1969), S. 49 ff.

D. Der Funktionsverlust des Parlaments

pol 2 5 6 , das für die Bundesregierung jetzt i n A r t . 110 I I I GG niedergelegt ist. W i r d die Programmfunktion der Parlamente hierdurch bereits zur nachvollziehenden Kontrolle herabgemindert, so zeigt sich die schwache parlamentarische Position i n diesem Bereich noch deutlicher darin, daß der gesetzlich festgestellte Haushaltsplan die Exekutive lediglich ermächtigt, nicht jedoch rechtlich zu den vorgesehenen Ausgaben verpflichtet (vgl. z.B. § 3 I Haushaltsgrundsätzegesetz). Immerhin w i r d insoweit praktisch von einer „politischen Verbindlichkeit ausgegangen, von den haushaltsmäßigen Ermächtigungen Gebrauch zu machen" 2 5 7 . Unterdessen ist jedoch auch die parlamentarische Kontrollfunktion praktisch zu einem bloßen Informationsrecht geschrumpft. Der Bund wurde nämlich nach § 9 des i n Ausführung des A r t . 109 I I I GG erlassenen Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabGes) vom 8. 6.1967 verpflichtet, seiner Haushaltswirtschaft eine fünfjährige Finanzplanung zugrundezulegen, die gem. § 9 I I StabGes allein von der Bundesregierung beschlossen und dem Parlament lediglich zur Kenntnis gebracht wird. Sinngemäß gilt dies auch für die Haushaltswirtschaft der Länder (§ 14 StabGes). Der hierdurch „auf dem zentralen Feld der Entfaltung des modernen Sozialstaats" eingetretene höchst bedeutsame Machtzuwachs der Exekutive auf Kosten der Legislative 2 5 8 hat das Haushaltsgesetz endgültig „zum bloßen V o l l zugsinstrument der von der Regierung beschlossenen Planung" werden lassen 259 und die gerade hier so eminent bedeutsame Parlamentspublizität praktisch beseitigt. Auch die i n § 50 I I I , I V Haushaltsgrundsätzegesetz statuierte Vorlagepflicht ändert nichts an dieser Lage, weil der Finanzplan hiernach erst zusammen m i t dem Haushaltsentwurf dem Bundestag vorzulegen ist und erst dann die geplanten „Investitionsschwerpunkte" erläutert und begründet werden müssen. Angesichts so knapp bemessener Vorlagefristen dürfte auch das Recht der gesetzgebenden Körperschaften, die Aufstellung von „Alternativrechnungen" zu verlangen, wegen der dann sicherlich dringlich gewordenen Verabschiedung des Haushalts ein stumpfes Schwert bleiben; außerdem obliegen jene Alternativrechnungen wiederum der Exekutive und nicht etwa einem unabhängigen Sachverständigengremium. 266 Vgl. Th. Maunz, i n : M a u n z / D ü r i g , A r t . 110 Rn. 14 (Erstbearbeitung) m. w . N.; J. Hirsch, Haushaltsplanung u n d Haushaltskontrolle, S. 102. 257 Vgl. P. Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverteilung, S. 52. 258 Vgl. K . H. Friauf, öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, W D S t R L Heft 27 (1969), S. 24 f.; P. Badura, Wirtschaftsverfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 60 ff.; U. Scheuner, Wirtschaftslenkung i m Verfassungsrecht des modernen Staates, S. 70. 269 So K . H. Friauf, Öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, W D S t R L Heft 27 (1969), S. 26.

1*

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

Überhaupt w i r d der Erlaß eines abgeschlossenen Plans durch die Regierung und seine öffentliche Propagierung stets als „Manipulation" von Öffentlichkeit und Parlament wirken, soweit beide vom Planungsverfahren ausgeschlossen sind 2 6 0 , doch rechtfertigt man diese demokratiewidrige Auswirkung budgetärer Planung juristisch allgemein m i t dem Hinweis, Konjunkturpolitik sei ohnehin „sachlogisch gouvernemental" (F. Neumark) 2* 1. Tatsächlich läßt sich schwerlich leugnen, daß der bürokratische Apparat einer m i t lebenszeitlich beamteten Experten besetzten Verwaltung dem Parlamentarier bei der Sammlung und Auswertung des relevanten Datenmaterials an Schnelligkeit und Exaktheit überlegen ist, w e i l die Ressortsachverständigen über wesentlich intensivere Dauerkontakte zu den interessierten Wirtschaftsverbänden verfügen und deshalb einen genaueren Überblick über den jeweiligen „Bedarf" haben. Ähnliches gilt freilich für die gesamte staatliche Planung. Selbst Autoren, die die gesetzgebenden Körperschaften möglichst weitgehend an der „vordringenden Planungsarbeit" beteiligen möchten, sehen hier wegen der Notwendigkeit spezifischer — von der Datensammlung bis zur zukunftsantizipierenden Materialaufbereitung reichender — A r beitstechnik eine genuine Aufgabe der Verwaltung 2 6 2 und gestehen deshalb mindestens die (meist entscheidende!) „Planinitiative" als „Führungsmaßnahme" allein der Regierung zu 2 6 3 . Die hiermit auch theoretisch vollzogene politische Machtverschiebung w i r d noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, daß die Finanzplanung ständig ausgebaut werden und schließlich i n ein „allgemeines politisches Aufgabenplanungssystem" überführt werden soll 2 6 4 , welches sich schon jetzt i m Verständnis der Finanzplanuixg als eines „Regierungsprogramms i n Zahlen" andeutet, mit Hilfe dessen die politische Planung, Koordinierung und Schwerpunktsetzung der versprochenen Regierungsaktivitäten angestrebt wird. Dieselben Gründe, die dazu geführt haben, daß mindestens die Planungsinitiative sachgerechterweise 265 der Exekutive zustehen soll, 260 vgL S. 79.

jj >

Harnischfeger,

Planung i n der sozialstaatlichen

Demokratie,

261 Vgl. K. H. Friauf, öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, W D S t R L Heft 27 (1969), S. 24 m. w. N.; P. Badura, Wirtschaftsverfassung u n d W i r t schaftsverwaltung, S. 60; aus nationalökonomischer Sicht H. Jürgensen/E. Kantzenbach, Ansatzmöglichkeiten gesamtwirtschaftlicher Planung, S. 62. 262 So z.B. U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 399. 263 So H. Harnischfeger, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 114. 264 vgL p Naschold, Probleme der mehrjährigen Finanzplanung des B u n des, i n : Demokratisches System u n d politische Praxis der Bundesrepublik, S. 161 ff., 162, 163.

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sichern ihr auch ein nicht aufhebbares Übergewicht i m Bereich der Gesetzgebung. Ausschlaggebend ist wiederum der bürokratische Informationsvorsprung, durch den sowohl die parlamentarische Initiative weithin ausgeschaltet wie auch die parlamentarische Kontrolle w i r k sam vereitelt werden kann. Bekanntlich überwiegen verwaltungsmäßig vorbereitete Regierungsinitiativen die Gesetzesvorlagen der Fraktionen bei weitem und haben ungleich größere Erfolgschancen 266 , w e i l weder Regierung noch Parlament den bürokratischen Informationsverlauf bis zu seinen Quellen zurückverfolgen können und infolgedessen großenteils den Verwaltungsvorschlägen ausgeliefert sind, die nicht etwa alternativ formuliert werden, sondern regelmäßig nur eine — die endgültige Entscheidung vorprogrammierende — Lösung nennen 2 6 7 . Wegen der Kompliziertheit moderner Verwaltungsprobleme kann jedoch kein Parlament ohne das notwendige Informationsmaterial effektiv kontrollieren, noch könnte es unter solchen Bedingungen begründete A l t e r nativprogramme entwickeln, d. h. schließlich wirklich politische, demokratisch fundierte Entscheidungen treffen 2 6 8 . Dieser vielfach diagnostizierte letale Zustand parlamentarischer Funktionen 2 6 9 ist unterdessen so evident geworden, daß die am 8.10. 1971 vom Bundestag eingesetzte, m i t den Vorarbeiten für eine Verfassungsreform beauftragte Enquete-Kommission 2 7 0 frühzeitig beschlossen hatte, sich u. a. m i t den Möglichkeiten „wirksamer Abhilfe gegen die Schwäche der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten und gegen die so ungleichgewichtige Einflußnahme von Parlament und Regierung auf die Vorbereitung und Inhaltsbestimmung von Gesetzentwürfen" zu befassen 271 . Berücksichtigt wurden dabei sicherlich die Hinweise des Kommissionsmitglieds Kewenig auf die von mehreren Bundestagsausschüssen praktizierten Formen „parlamentarischer Mitregierung" 2 7 2 285 Z u den Voraussetzungen dieser Sachbedingungen des gegenwärtigen Systems vgl. auch O. Massing, Restriktive sozio-ökonomische Bedingungen parlamentarischer Reformstrategien, insbes. These 14, S. 341. 266 vgl Th Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 14. 287 Vgl. Th. Ellwein, Kontrolle der Bürokratie oder K o n t r o l l e durch die Bürokratie?, PVS 1970, Sonderheft 2, S. 171. 268 Z u r Bedeutung von Alternativprogrammen i m demokratischen Willensbildungsprozeß, H. Harnischfeger, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 83. 269 Vgl. dazu z.B. Th. Ellwein / A. Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 42 ff.; W. Euchner, Z u r Lage des Parlamentarismus, S. 64 ff.; G. Leibholz, Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments, S. 299 f.; U. Scheuner, Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems, S. 397 f.; O. Massing, Restriktive sozio-ökonomische Bedingungen parlamentarischer Reformstrategien. 270 Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, 70. Sitzung v. 8.10.1970, S. 3893 ff. 271 W. Kewenig, Verfassungsreform — ein Beruf unserer Zeit?, D Ö V 1970, S. 524 ff., 525. 272 W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung am Beispiel der A r b e i t der Bundestagsausschüsse, S. 14 ff., 31 ff.; andeu-

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i. S. e. „Kontrolle durch Zusammenwirken" 2 7 3 . Damit ist zum einen eine aktiv kontrollierende Beteiligung an der Regierungstätigkeit gemeint, wie sie z. B. der Haushaltsausschuß i n den Fällen „qualifizierter Sperrvermerke" (hiernach dürfen die betreffenden Haushaltsmittel nur m i t Zustimmung des Ausschusses verwendet werden) ausübt, zum anderen die durch „präventive" Kontakte ermöglichte Einwirkung der Fachausschüsse auf die laufende Arbeit i m entsprechenden Ministerium (diese besonders i m Verteidigungsausschuß — Beschaffungskäufe! — sowie i m auswärtigen und i m Entwicklungshilfeausschuß geübte Praxis ist unterdessen i n § 60 I I 3 GeschOBT — Initiativrecht — teilweise legalisiert worden 2 7 4 ). Eine solche „mitlaufende Parlamentsauf sieht i n der Form der Beteiligung an der Willensbildung innerhalb der Exekutive" 2 7 5 scheint insbesondere auch das Kardinalproblem langfristiger politischer Planung zu mildern, nämlich den steigenden Verlust an unmittelbarer Interessenartikulation der Planungsbetroffenen i m zeitlichen Ablauf der Planverwirklichung 2 7 6 , also die notorische Input-Schwäche als Folge abgeschnittener demokratischer Bedürfnisvermittlung 2 7 7 . Speziell diesem wachsenden Konsensbedarf „ i m geplanten Kapitalismus" soll schließlich der Vorschlag abhelfen, das „Planbeschlußverfahren" i m Parlament „analog zum Gesetzgebungsverfahren" zu entwickeln, wobei ein besonderer parlamentarischer Planungsausschuß die von der Regierung entworfenen und jeweils m i t Alternativvorschlägen versehenen Pläne i n öffentlichen Anhörungen m i t Hilfe von unabhängigen Sachverständigen berät 2 7 8 . I n dieselbe Richtung zielt ein von der CDU-Fraktion zu Beginn des Jahres 1972 i m nordrhein-westfälischen Landtag eingebrachter Entwurf eines „Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle der Regierungsplanung" 279 , das die Planung als eine „ i n Kooperation von Regierung und Parlament zu bewältigende Aufgabe" versteht 2 8 0 und dementsprechend nicht nur ständige Mitteilungen über das Stadium laufender Planungsvorhaben (§§ 5, 6 des Entwurfs) und tungsweise schon J. Hirsch, Haushaltsplanung u n d Haushaltskontrolle, S. 122; zustimmend U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 401 f.; Wirtschaftslenkung i m Verfassungsrecht des modernen Staates, S. 70. 273 Vgl. dazu R. Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung u n d Verwaltung, SchweizJurVerein 1966, Heft 3, S. 218 f. 274 W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme . . . , S. 14 ff. 276 W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme . . . , S. 56 f. 276 Vgl. hierzu F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, D i e V e r w a l t u n g 1971, S. 11 ff. 277 Vgl. F. Naschold, Probleme einer mehrjährigen Finanzplanung des B u n des, S. 166. 278 So H. Harnischfeger, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 111,114 ff. 279 Landtag Nordrhein-Westfalen, 7. Wahlperiode, Drucksache 7/1518. 280 So S. 2 der Begründung des Entwurfs.

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der Plandurchführung (§§ 8, 9 des Entwurfs) vorsieht, sondern auch ein parlamentarisches Beschlußverfahren über die von der Regierung vorzulegenden und m i t detaillierten „Alternativen" zu versehenden (§ 3 I I des Entwurfs) Pläne (§ 7 des Entwurfs). Ebenfalls i m Februar 1972 erarbeitete die bereits erwähnte Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform einige artikelförmige Grundsätze für eine künftige gemeinsame Rahmenplanung des Bundes und der Länder 2 8 1 , demzufolge der Bundestag über die i n einem gemeinsamen Planungsausschuß von Bund und Ländern erarbeiteten Plan-Empfehlungen abschließend berät und beschließt (Art. X Abs. 5 der „Grundsätze"). Die Bundesregierung hat bei der Erstellung der ressortintegrierten Aufgabenplanung auf Bundesebene „Bundestag und Bundesrat auf dem Laufenden zu halten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben" (Art. Y der „Grundsätze"), wobei der neu einzurichtende Parlamentsausschuß für Planung oder der Bundestag selbst jeweils m i t der Stimme eines Viertels seiner Mitglieder von der Regierung „Auskünfte über Planungsunterlagen und über die Auswirkungen näher bezeichneter Alternativen zu erteilen" haben soll (Art. Z der „Grundsätze"). Vergleicht man diese Vorschläge für eine parlamentarische Beteiligung an exekutivischen Planungsprozessen, so fällt auf, daß der Zwang zu Offenlegung alternativer Planentwürfe gerade i m Modell der sehr langfristig und deshalb wohl besonders sorgfältig arbeitenden Enquete-Kommission relativ am schwächsten ausgestaltet ist. Tatsächlich versprechen sich die Verfechter alternativer Programmplanung (z. B. R. R. Grauhan) 282 mehr demokratischen Gewinn als sich realistischerweise auf diesem Wege erzielen läßt. Selbst wenn nämlich die Spitzen der Ministerialbürokratie bei der Vorbereitung von Plänen und Gesetzen i n parlamentarisch strukturierten Gremien gemeinsam nicht nur einen Entwurf, sondern mehrere Alternativen dazu erarbeiteten 2 8 3 , müßten sich diese doch innerhalb des von der Regierung vertretenen politischen Rahmens halten, der durch Richtlinienkompetenz und 281 Kommissionsdrucksache Nr. 031, Anlage zu Protokoll Nr. 8. Z u r A r b e i t der Kommission u n d zur Vorgeschichte dieses Entwurfs vgl. die Berichte von W. Sandtner, E i n Jahr Enquete-Kommission Verfassungsreform, DVB1, 1972, S. 324 ff., u n d von W. fceh, Perspektiven f ü r eine Grundgesetz-Reform, ZRP 1972, S. 171 ff. 282 Modelle politischer Verwaltungsführung, PVS 1969, S. 279; i n ähnlicher Richtung auch J. Hirsch, Haushaltsplanüng u n d Haushaltskontrolle, S. 183; Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d politisches System, S. 283 ff.; H. Harnischfeger, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 82 f., 112, 114 f. 288 So z.B. das von R.-R. Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, PVS 1969, S. 280 f., entwickelte Modell „korrelativer Verwaltungsführung", dessen Bedeutung freilich v o m A u t o r selbst relativiert w i r d (a.a.O., S. 281).

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Ressortverantwortlichkeit des A r t . 65 GG verfassungsrechtlich abgesichert ist. Deshalb wären hier nur unterschiedliche technische Planvarianten — etwa anhand divergierender Kosten-Nutzen-Analysen — möglich, keinesfalls jedoch echte soziale Alternativprogramme, welche die Regierung schon deshalb selbst anregen müßte, weil es dem Verwaltungsapparat an demokratischer Legitimation hierzu fehlt. Obwohl sich dieser Apparat wegen seines „Informationsübergewichts" unabhängig von der Regierung heute weitgehend selbst steuert 2 8 4 , bleibt solche partielle Verwaltungsautonomie doch auf eine Zone bewahrender Erhaltung des status quo, also auf unauffällige Maßnahmen i m Zuge prinzipiell konservativer Fortschreibung des Bestehenden beschränkt 2 8 5 , die nicht zuletzt hierdurch zum beherrschenden Wesensmerkmal des gesamten Systems geworden ist 2 8 6 . Deshalb mag manches für den Vorschlag sprechen, der Ministerialbürokratie lediglich die Präsentation von Alternativen zur politischen Auswahl durch die Regierung zu überlassen 287 , u m auf diese Weise die demokratische Innovationsfähigkeit der Regierung zu stärken, obwohl diese Verbesserungen wegen der beschränkten Arbeitskapazität aller Regierungsmitglieder 2 8 8 zwangsläufig verhältnismäßig wenig ändern dürften. Wenn das Kabinett nicht auf eine eigene Polizik gänzlich verzichten w i l l , können auch die von i h m i n Parlamentsausschüssen vorzulegenden Alternativen kaum politische, sondern allenfalls technische, für das jeweilige Gesamtprojekt nicht mehr als marginale Varianten bieten, welche die parlamentarische Planungsarbeit nur unwesentlich zu intensivieren vermöchten. Weitergehende Modelle für ein aus Regierungsvertretern und Parlamentariern zusammengesetztes, gemeinsam planendes Gremium schließlich müßten an der deutlich abgegrenzten Regierungsverantwortung (Art. 65 GG) scheitern, die andernfalls i n einem sehr wichtigen Bereich zum Parlament h i n verwischt würde 2 8 9 . Von allen Vorschlägen 284 V o r allem Th. Ellwein hat hierauf nachdrücklich hingewiesen, vgl. Regierung als politische Führung, S. 15 ff.; Kontrolle der Bürokratie oder K o n trolle durch die Bürokratie? PVS 1970, Sonderheft 2, S. 171; Formierte V e r w a l t u n g — Autoritäre Herrschaft i n einer parlamentarischen Demokratie?, S. 54 ff.; Th. Ellwein / A. Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 251. 285 Vgl. dazu Th. Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 16. 289 Vgl. schon O. Kirchheimer, Legalität u n d Legitimität, S. 26 f.; jetzt C. Offe, Politische Herrschaft u n d Klassenstrukturen, S. 187. 287 So R.-R. Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, PVS 1969, S. 280; ähnlich w o h l auch J. Hirsch, Haushaltsplanung u n d Haushaltskontrolle, S. 183. 288 Hierzu Th. Ellwein, Kontrolle der Bürokratie oder Kontrolle durch die Bürokratie?, PVS 1970, Sonderheft 2, S. 172. 289 Dies sind offenbar auch die Einwände der Bundesregierung gegenüber derartigen Vorschlägen aus der Enquete-Kommission gewesen. Vgl. W. Sandt-

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zur Bekämpfung des immer bedrohlicher werdenden Machtübergangs der Exekutive erweist sich also allein die weitere Spezialisierung parlamentarischer Fachausschüsse durch verstärkte Informationen vor allem i m Planungsfrühstadium als gegenwärtig realisierbar. Gleichzeitig wäre an eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Parlaments durch die Erweiterung parlamentarischer Hilfsdienste und die Heranziehung wissenschaftlicher Sachverständiger — auch i n öffentlichen Hearings — zu denken 2 9 0 . Allerdings sollte man den politisch-innovatorischen Wert wissenschaftlicher Planungs-Gutachten von vornherein nicht allzu hoch einschätzen 291 , weil die jenseits der Detailfragen liegenden politischen Probleme umfassender Planung auch wissenschaftlich kaum neutrale, d.h. unabhängig-objektive Stellungnahmen zulassen. Die Autorität solcher Gutachten könnte sich indessen allein auf ihre „Neutralität" gründen 2 9 2 . Ungeachtet dessen werden Hearings und Gutachten als Argumentations- und Entscheidungshilfen die Position der Parlamentsausschüsse gegenüber der Ministerialverwaltung zweifellos stärken, wenn die beschränkte Arbeitskapazität des einzelnen spezialisierten Abgeordneten auch hier wieder Grenzen setzt 2 9 3 . Die durch umfassende Kompetenzen geförderte grundsätzliche Tendenz des Bundestages, sich von einer „Mischform" zwischen dem reinen „ A r beitsparlament" amerikanischer Prägung und dem britischen „Redeparlament" 2 9 4 zum bürokratisch arbeitenden Ausschußparlament zu entwickeln 2 9 5 , läßt sich damit allerdings auch nicht mehr aufhalten. Schon längst ist nämlich ein „Korpsgeist" der Experten i n Verwaltung und Parlament 2 9 6 sowie eine „Solidarität zwischen Fachbeamten und Fachner, E i n Jahr Enquête-Kommission Verfassungsreform, DVB1.1972, S. 327. Bedenken auch bei U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 402. 290 Vgl. A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus?, S. 463; J. Hirsch, Haushaltsplanung u n d Haushaltskontrolle, S. 183; H. Harnischfeg er, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 84. 291 Eine derartige Fehleinschätzung k l i n g t bei H. Harnischfeger, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 84 f., 112, 114, 139, an. 292 Vgl. die zutreffenden Beobachtungen bei C. Schmitt, Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates; ähnlich O. Kirchheimer, Z u r Frage der Souveränität, S. 71; skeptisch auch F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, Die V e r w a l t u n g 1971, S. 29. 293 Z u r „Zeitnot" der Parlamentarier vgl. H. Rausch, Parlamentsreform, ZfPol 1967, S. 266. 294 So zuerst W. Steffani, Amerikanischer Kongreß u n d Deutscher Bundestag — ein Vergleich, S. 241; zustimmend H. Rausch, Parlamentsreform, ZfPol 1967, S. 261; U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 401. 295 Vgl. hierzu N. Luhmann, Politische Planung, Jb. f. Soz. Wiss. 17 (1966), S. 294; G. Loewenberg, Parlamentarismus i m politischen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 167 f.; H. Rausch / H . Oberreuter, Parlamentsref o r m i n der Dunkelkammer?, S. 150 f. 296 vgL Q Loewenberg, Parlamentarismus i m politischen System der B u n desrepublik Deutschland, S. 167, 394, 443.

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abgeordneten" 207 entstanden, die sich i m Interesse an der Erhaltung des status quo, i n der unauffällig-konservativen Anpassung der „bewährten" und deshalb zu bewahrenden Ordnung und i m Mißtrauen gegenüber echten politischen Alternativen einig wissen. Vor allem wegen der Abhängigkeit aller Ausschüsse von ministeriellen Informationen sowie von den Beziehungen zu einer identischen Klientel dürfte sich diese vielleicht den klassischen Verwaltungsaufgaben angemessene Haltung auf die parlamentarischen Fachleute übertragen haben. Eigene Hilfsdienste der gesetzgebenden Körperschaften vermögen diese verhängnisvollen Interdependenzen zwar ein wenig zu lockern, doch hat Scheuner mit Recht festgestellt, daß „selbst ein weiter Ausbau dieser M i t t e l den Vorsprung der Exekutive an Information und Sachkunde niemals wettmachen k a n n " 2 9 8 . Insofern erscheint es auch illusionär zu hoffen, eine Regierung könne i n enger Kooperation mit der sie tragenden Parlamentsmehrheit und der entsprechend verfügbaren parlamentarischen „Gegenbürokratie" versuchen, ihrerseits effektive „politische Verwaltungskontrolle zu praktizieren" 2 0 9 . Nach alledem sind den M i t wirkungsmöglichkeiten der Parlamente i m Planungsprozeß, aber in steigendem Maße auch bei der Gesetzgebung heute sehr enge Grenzen gezogen. Ist die parlamentarische Innovationsfunktion insoweit also weitgehend ausgeschaltet, so könnte man aber doch wenigstens eine partielle Stärkung der Publizitätsfunktion ins Auge fassen. Parlamentsreformer haben deshalb immer wieder vorgeschlagen, das Plenum von gesetzgeberischer Detailarbeit zu entlasten und ihm ausschließlich „politische Grundentscheidungen" vorzubehalten, die entsprechend sorgfältig vorbereitet und diskutiert werden könnten 3 0 0 . Bei weniger wichtigen Gesetzen w i r d ein extensiver Gebrauch der Delegationsbefugnis des A r t . 80 G G 3 0 1 bzw. eine Verabschiedung allein durch die Fachausschüsse302 empfohlen. Trotz ihrer scheinbaren Plausibilität stimmen solche Patentrezepte mißtrauisch, wenn man bedenkt, daß der Bundestag heute schon weit297

Th. Ellwein, K o n t r o l l e der Bürokratie oder Kontrolle durch die B ü r o kratie, PVS 1970, Sonderheft 2, S. 173. 298 Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 401. 299 So aber W. Steffani, Parlamentarische Demokratie — Z u r Problematik von Effizienz, Transparenz u n d Partizipation, S. 42. 800 Vgl. H. Rausch, Parlamentsreform, ZfPol 1967, S. 288; E. Stein, L e h r buch des Staatsrechts, S. 52 f.; W. Steffani, Parlamentarische Demokratie — Z u r Problematik von Effizienz, Transparenz u n d Partizipation, S. 37; E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 102; P. Badura, Wirtschafts Verfassung u n d Wirtschaftsverwaltung, S. 64. 301 So z. B. H. Harnischfeger, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 79. 802 So Th. Ellwein / A. Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 257 ff.; M. Hereth, Die Reform des Deutschen Bundestages, S. 64 f.

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gehend nach diesem Prinzip verfährt, ohne deshalb seine verfassungsmäßigen I n i t i a t i v - und Publizitätsfunktionen effektiv wahrzunehmen. Tatsächlich w i r d nämlich bereits jetzt mehr als die Hälfte aller Gesetze i n allen drei Lesungen ohne Aussprache verabschiedet, wobei man vielfach auch auf die eigentliche Begründung der Vorlagen verzichtet 3 0 3 . Insofern würden die erwähnten Reformvorschläge lediglich eine bereits geübte Praxis legalisieren. Auch möchten die Befürworter intensiverer Ausschußarbeit keineswegs das dort grundsätzlich noch bestehende Prinzip nicht-öffentlichen Verhandeins (§ 73 I I GeschO BT) aufgeben, um die dort mögliche „freie, ungehinderte und vertrauensvolle Diskussion" i m Geheimen nicht zu behindern 3 0 4 , so daß die Reformpläne auch i n dieser Hinsicht keinen Gewinn versprechen. Endlich enthält das Stabilitätsgesetz schon heute zahlreiche blankettartige Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen für die Bundesregierung auf der Grundlage des A r t . 109 I I I / I V GG 3 0 5 . Würde also selbst insoweit kaum mehr als ein bestehender Zustand bestätigt, so bliebe allein die Hoffnung, daß wenigstens die Auswahl der plenar zu diskutierenden Themen „öffentlich und m i t rationaler Begründung" erfolgen könnte 3 0 6 . Nach alledem dürfte die „Entmachtung" des Parlaments, oder besser — da es diese Macht nie vollständig erlangt hatte — die Paralysierung seiner verfassungsrechtlichen Kompetenzen vorläufig irreversibel sein. Die Präsentation oppositioneller Alternativen gegenüber mehrheitlich gestützten Regierungsvorschlägen, die kontroverse Diskussion und die partizipatorische Vermittlung politischer Entscheidungen durch das Plenum werden unmöglich, w e i l Plenardebatten nur noch als billig aufgemachte Versatzstücke eines ursprünglich demokratisch konzipierten Verfahrens inszeniert werden: Die „Alternativen" sind keine Oppositionskonzepte, sondern von der planenden Bürokratie ausgearbeitete, entscheidungsreife technische Programmvarianten 3 0 7 , und „er303 Vgl. W. Hennis, Z u r Rechtfertigung u n d K r i t i k der Bundestagsarbeit, S. 147 ff., 158. Hiernach sind z. B. von den 429 i n der 4. Legislaturperiode des Bundestages beschlossenen Gesetzen 260 auf diese Weise verabschiedet w o r den. 304 H. Rausch, Parlamentsreform, ZfPol 1967, S. 282; W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme . . . , S. 50; U. Scheuner, Verantwortung u n d K o n t r o l l e i n der demokratischen Verfassungsordnung, S. 401; M . Hereth, Die Reform des Deutschen Bundestages, S. 65; allgemein: W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 69. 805 Unter dem Aspekt des A r t . 80 I 2 GG (Bestimmtheitserfordernis) ist die Verfassungsmäßigkeit dieser Ermächtigungen allerdings höchst zweifelhaft, vgl. K . H. Friauf, Öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, V V D S t R L Heft 27 (1969), S. 30 m. w . N. 806 so Th. Ellwein / A. Görlitz, Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, S. 259. 807

Vgl. J. Hirsch, Haushaltsgesetzgebung u n d Haushaltskontrolle, S. 185.

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folgreiche" parlamentarische Detailänderungen sind bereits verwaltungsmäßig einkalkuliert 3 0 8 . Kehrseite dieser Funktionsunfähigkeit des Plenums ist die Desintegration des Parlaments i n ein „Konglomerat unzusammenhängender, hochgradig spezialisierter und nur von den Fraktionsführungen koordinierter Ausschüsse und Arbeitsgruppen . . . , deren politischer Horizont auf enge Spezialgebiete beschränkt b l e i b t " 3 0 9 . Der relativ bedeutende Einfluß mancher Fachausschüsse schließlich beruht nicht auf ihrer parteipolitisch vermittelten demokratischen Legitimation, sondern auf ihrer zwanghaften Adaption bürokratischen Denkens. Vergegenwärtigt man sich, daß i n unserer Gesellschaft auch heute mannigfaltige Klassengegensätze antagonistisch divergierende Interessen und sozial disparate Lebensbereiche existieren 3 1 0 , daß die Parlamente aber dennoch unfähig sind, soziale Alternativen zu vermitteln, so deutet dies auf eine Verselbständigung des politischen Willensbildungsprozesses durch Ablösung von seiner gesellschaftlichen Basis 3 1 1 . Dieser rapide Verfall demokratischer Strukturen hat nun primär ökonomische Ursachen. I m modernen, hochindustrialisierten Wohlfahrtsstaat gestattet es die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gesellschaft bei wachsendem Sozialprodukt, auch entgegengesetzte Interessen gleichzeitig zu befriedigen und die alten Klassengegensätze damit partiell zu überdecken. Da es nun also „vor allem u m Prioritäten hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge der Lösungen" geht, können sich jetzt auch die alten Interessenparteien „gleichzeitig u m die Stimmen der verschiedenartigen sozialen Schichten bemühen", anstatt sich zum politischen Sprecher einer bestimmten Gruppe machen zu müssen und andere hiervon auszuschließen 3 1 2 . Die so entstandenen „Volksparteien" sind konsequenterweise zwar um sozialen Ausleich und „Gemeinwohl" bemüht, aber „gerade dadurch vollends unfähig, fundamental kontroverse politische Programme zu formulieren und grundlegende gesellschaftliche Probleme zu thematisieren" 3 1 3 . Bereits i n den Parteien findet deshalb ein vorbe308 v g l H. Rausch / f f . Oberreuter, mer?, S. 150 f.

Parlamentsreform i n der D u n k e l k a m -

809 J. Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d politisches System, S. 269; H. Rausch / H. Oberreuter, Parlamentsreform i n der D u n k e l kammer?, S. 150. 810 Dies i m einzelnen zu belegen, ginge über den Zweck meiner U n t e r suchung hinaus. Stattdessen sei lediglich auf folgende Arbeiten verwiesen: R. Dahrendorf, Gesellschaft u n d Demokratie i n Deutschland; C. Offe, Politische Herrschaft u n d Klassenstrukturen; R. Miliband, Der Staat i n der kapitalistischen Gesellschaft, S. 37 ff. 811 H. Harnischfeger, Planung i n der sozialstaatlichen Demokratie, S. 83. 312 O. Kirchheimer, Deutschland oder Der V e r f a l l der politischen Opposition, S. 72.

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reitendes „Clearing" von Interessen-Forderungen anhand programmatischer Kriterien des „Gemeinen Besten" statt, so daß schon die Parteiorganisationen heute Aufgaben der früher staatlich geprägten „Verteilungssphäre" 3 1 4 wahrnehmen 3 1 5 und damit ebenfalls bürokratisiert werden. Solche Tendenzen einer „Umfunktionierung ehedem systemexterner zu tendenziell systemkonformen Staatsparteien" 3 1 6 werden durch den bekannten parteiinternen Oligarchisierungstrend 317 nachhaltig gefördert. Die für den — nur saisonell fluktuierenden — Dauerwahlkampf typischen kurzfristigen Ziele provozieren geradezu die Identifikation des Wählers — aber auch der Parteimitglieder — m i t dem jeweiligen Führungsteam der Spitzenpolitiker, deren innerorganisatorische Machtstellung sich zugleich zwangsläufig potenziert. Außerdem erstickt der wahlkampforientierte Zwang zu politischer „Geschlossenheit" nach außen jede parteiinterne Diskussion und damit alle Chancen nicht etablierter Randgruppen, denen das Gebot innerparteilicher Demokratie (Art. 21 I 3 GG) also faktisch wenig nützt. Die allgemeine politische Apathie erscheint m i t h i n nur als ein A b b i l d jener parteipolitischen Lethargie des Parteivolks. Insofern wirken die Parteien also tatsächlich bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. I h r Feld ist — jenseits kurzfristiger Strategien — das unverbindlich Allgemeine. Diese Unfähigkeit zur Veränderung kommt dem verwaltungsspezifischen Hang zur Bewahrung des status quo entgegen, die Bürokratie erhält keine Impulse, sondern überwiegend stabilisierende Bestätigung. Da der Bestand unserer Volksparteien und damit die Basis des Gesamtsystems — wie bereits angedeutet — ökonomisch fundiert ist, haben die jeweils „regierenden" Parteieliten größtes Interesse daran, das für ihre Machtposition fundamentale, kontinuierliche Wachstum des Sozialprodukts zu erhalten. 313

J. Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d politisches System, S. 268. Eine verfassungstheoretische Rechtfertigung dieser E n t w i c k l u n g versuchen H. Ehmke („Staat" u n d „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, S. 47) u n d A. Rinken (Das öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 254, 259 ff.). 314 Z u diesem Begriff O. Kirchheimer, Weimar — u n d was dann?, S. 42 f. 315 Ygi o. Massing, Parteien u n d Verbände als Faktoren des politischen Prozesses, S. 336. Es wäre freilich ein juristisch unzulässiger Soziologismus, aus diesen Veränderungen auf die „ A u f w e r t u n g der Partei zum Staatsorgan" schließen zu wollen (so z. B. C. Offe, Politische Herrschaft u n d Klassenstrukturen, S. 165; i m staatsrechtlichen Schrifttum vor allem G. Leibholz, V o l k u n d Partei i m neuen deutschen Verfassungsrecht, DVB1. 1950, S. 194; treffend dagegen H. Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften, S. 20 f.). 316 O. Massing, Parteien u n d Verbände als Faktoren des politischen Prozesses, S. 333. 817 Vgl. hierzu aus dem aktuellen Schrifttum B Zeuner, Wahlen ohne A u s w a h l — Die Kandidatenaufstellung zum Bundestag.

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M i t der Formulierung „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht" in A r t . 109 I V GG ist dieses Interesse lediglich konstitutionalisiert worden. Tatsächlich könnte der Staat seine Soziallasten heute ohne ökonomisches Wachstum nicht mehr tragen; Staat und „Wirtschaft" bilden insofern eine „Funktionseinheit" 3 1 8 , i n welcher der Staat vom w i r t schaftlichen Wachstum abhängig geworden ist 3 1 9 . Andererseits haben aber die deutsche Wirtschaftskrise der Jahre 1966/67 und die Weltwährungskrise von 1971/72 gezeigt, i n welchem Maße die Prosperität privater Unternehmen auf einer gesamtwirtschaftlich ausgerichteten staatlichen K o n j u n k t u r - und Währungspolitik beruht. A l l e i n die Bürokratie verfügt nun über den entscheidenden Überblick, die Daten und damit die öffentlichen Gelder für längerfristige konjunkturelle Planungen, welche die Unternehmer zu den notwendigen wachstumsfördernden Investitionen stimulieren. Die großen W i r t schaftsverbände wenden sich mit ihren Forderungen, Wünschen und Anregungen deshalb fast immer direkt an die Verwaltung, nicht an die Abgeordneten. Hier i m Verwaltungsbereich vermengen sich „Staat" und „Wirtschaft" zu gemeinsamer, am Produktivitätszuwachs orientierter Interessenwahrnehmung, hier werden die Bedürfnisse des „ I n dustriesystems" vom beamteten und industriellen Management, der „Technostruktur", geplant, u m sodann — da sie ja „scheinbar mit den Zielen der Gesellschaft übereinstimmen" — von Regierung und Parlament sanktioniert zu werden 3 2 0 . Deshalb ist die Exekutive, genauer die Ministerialbürokratie, zum eigentlichen Steuerungszentrum i m „geplanten Kapitalismus" geworden 3 2 1 , wobei sie — i n Ermangelung einer eigenen sozialen Basis 8 2 2 — die Interessen der wirtschaftlich stärksten Mächte an der Erhaltung dieses Zustandes konservierend besorgt. Dabei arbeitet die Bürokratie — auch subjektiv — keineswegs als einheitlich geführte Entscheidungsagentur i m Dienste optimaler Kapi818 E. Forsthoff, Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, M e r k u r 491 (1968), S. 405. 819 R. Altmann, Muß unsere politische Maschinerie umkonstruiert werden?, S. 22; J. Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d politisches System, S. 244 f. 320 v g l . (auch zu dem letzten Zitat i m Text) J. K. Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, S. 222 f., 294, 358 f., 370 f.; Th. Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 30 f. A u f die ökonomischen Hintergründe dieser E n t wicklung k a n n hier i m einzelnen nicht eingegangen werden. Vgl. dazu jedoch J. K . Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft; A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus; J. Hirsch, Z u r politischen Ökonomie des politischen Systems; Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d politisches System, S. 241 ff.; G. Huffschmid, Die P o l i t i k des Kapitals; H. Wagner, öffentlicher Haushalt u n d Wirtschaft, W D S t R L Heft 27 (1969), S. 47 ff., jeweils m i t weiteren Nachweisen. 821 Vgl. Th. Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 31; J. Hirsch, politischen Ökonomie des politischen Systems, S. 203 ff. 822 O. Kirchheimer, Legalität u n d Legitimität, S. 26 f.

Zur

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talverwertungschancen, sondern funktioniert als — übrigens relativ schlecht koordinierter — Mechanismus halbautonomer Behörden, der freilich dem stabilitätsgesetzlichen Auftrag entsprechend die konjunkturpolitischen Imperative i m ministeriellen Einverständnis konkretisierend vollstreckt. Objektiv fördert dieses ökonomische Krisenmanagement zur Abwehr von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 I V GG) zwangsläufig die Interessen der am stärksten aus der zu erhaltenden Gleichgewichtslage Profitierenden, subjektiv verleiht es den Beamten das Bewußtsein technokratisch-sachbedingter Administration, deren längerfristige Planungen immer offener einer gewissen „Utopie des Bewahrens" 3 2 3 verpflichtet scheinen. Sicherlich erfordert jede effektive Wirtschaftslenkung eine gewisse Unabhängigkeit der steuernden Instanzen von organisierten Einflüssen, und wirklich bleibt der direkte Einfluß von Wirtschaftsverbänden und anderen Interessengruppen auf die Dezisionen der planenden Verwaltung nachweislich gering, doch ist die Privilegierung der Mächtigen — wie gezeigt — schon i m Entscheidungssystem selbst begründet 3 2 4 . Das von den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bestimmte Kommunikationsverhältnis zwischen wirtschaftlichen Verbänden, Ministerial Verwaltung und Regierung erfaßt endlich auch jenes „konzentrische Prioritätenschema" von gesellschaftlichen Bedürfnissen und Problembereichen 325 , das den jeweiligen konjunkturpolitischen Imperativen korrigierend angepaßt werden muß. A u f diese Weise ist die gesamte staatliche Aufgabenplanung und Gesetzgebung immer mehr i n den Sog konjunktureller Superplanung geraten. Bildungs-, Sozial- oder Verkehrspolitik verlieren ihre selbständige Zielfunktion und werden als Ausgabenansätze i m budgetären Posterioritätenplan, d.h. als bloße Konjunktursteuerungsinstrumente nach Maßgabe übergeordneter Stabilitätsstrategien eingesetzt. I I . Konsequenzen für die Funktion amtlicher Öffentlichkeitsarbeit

Wenn der gesellschaftliche Einfluß i m politischen Prozeß — wie soeben dargelegt — primär über die staatlichen Verwaltungen, insbesondere über die Ministerialverwaltung vermittelt wird, dann stellt sich nicht nur die „Frage nach der demokratischen Legitimation des Entscheidungsresultats" 326 , sondern generell nach der verbleibenden Funktion der Parlamente. 823

Vgl. H. J. Arndt, Die F i g u r des Plans als Utopie des Bewahrens. Vgl. dazu F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, Die V e r w a l t u n g 1971, S. 8 m. w . N. 325 C. Offe, Politische Herrschaft u n d Klassenstrukturen, S. 183. 328 W. Steffani, Parlamentarische Demokratie, — Z u r Problematik v o n Effizienz, Transparenz u n d Partizipation, S. 41. 324

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

1. Das Technokratie-Konzept Die radikalste A n t w o r t hierauf hat zweifellos H. Schelsky m i t seinem bekannten Modell-Konzept des „technischen Staates" gegeben 827 . Hiernach sichert der umfassend planende Staat funktional „den technischen Vollzug unserer Existenz", indem er sich i m Vollzug der „technischen Zivilisation" so vollständig m i t der modernen Technik identifiziert, daß er ein „universaler technischer Körper" geworden ist 3 2 8 , der von Technikern gesteuert, nicht aber von Politikern geformt werden kann. Damit seien die „Sachgesetzlichkeiten der wissenschaftlich-technischen Zivilisation" an die Stelle der politischen Normen und Gesetze getreten. Folgerichtig verliere die „Idee der Demokratie sozusagen ihre klassische Substanz: an die Stelle eines politischen Volkswillens t r i t t die Sachgesetzlichkeit" 320 . Nun ist es allerdings evident, daß der Regelungsbereich technischer Verfahren bei weitem nicht hinreicht, u m die Universalität sozialer Probleme auch nur annähernd zu erfassen, und daß sich selbst hinter scheinbaren Sachzwängen handfeste ökonomische Interessen verbergen 3 3 0 , doch spricht auch Schelsky vorläufig nur von einer „Modelltheorie". Dennoch beansprucht er, „Entwicklungstendenzen" aufgezeigt zu haben, die derzeit bereits weitgehend entfaltet seien: „Gegenüber dem Staat als einem universalen technischen Körper w i r d die klassische Auffassung der Demokratie als eines Gemeinwesens, dessen Politik vom Willen des Volkes abhängt, immer mehr zu einer Illusion 8 3 1 ." A n die Stelle demokratischer Legitimation durch parlamentarische Willensbildungsprozesse t r i t t die auf eine effektive staatliche Prosperitätsvorsorge gegründete unpolitisch-apathische Massenloyalität 3 3 2 . Dieses Konzept ist von E. Forsthoff i n modifizierter Form aufgenommen und weiterentwickelt worden. Realistischer als Schelsky geht Forsthoff davon aus, daß „Staat und Industriegesellschaft i m Begriffe sind, zu einer funktionalen Einheit zu verschmelzen". „Das Medium dieser Verschmelzung" sei „die Technik und eine durch die Technik bedingte spezifische Struktur, von der Staat und Industriegesellschaft i n gleicher Weise überspannt werden", nämlich die — unter 827

Der Mensch i n der wissenschaftlichen Zivilisation, S. 452 ff. H. Schelsky, Der Mensch i n der wissenschaftlichen Zivilisation, S. 454 f. 829 Der Mensch i n der wissenschaftlichen Zivilisation, S. 453. 330 z u r K r i t i k der Technokratie-These vgl. die Beiträge i n dem von C. Koch u n d D. Senghaas herausgegebenen Sammelband „Texte zur Technokratiediskussion"; ferner J. Habermas, Verwissenschaftlichte P o l i t i k u n d öffentliche Meinung, S. 122 f. 331 D e r Mensch i n der wissenschaftlichen Zivilisation, S. 459. 828

882 Dieser Gedanke k l i n g t bereits bei A. Gehlen (Rezension von J. Winckelmann, L e g i t i m i t ä t u n d Loyalität i n M a x Webers Herrschaftssoziologie, DVB1. 1953, S. 577; Industrielle Gesellschaft u n d Staat, S. 255) an. Kritisch hierzu P. Graf Kielmansegg, L e g i t i m i t ä t als analytische Kategorie, PVS 1971, S. 314 f.

. Der Funktionsverlust des Parlaments

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Übernahme des von Galbraith geprägten Begriffs 3 3 3 so genannte — „Technostruktur", d.h. „ein soziales Ganzes von wesentlich technisch bestimmter Struktur, i n dem überkommene Sachbereiche wie Staat, Wirtschaft und Bildung wenn nicht aufgelöst, so i n den Grenzen unscharf und relativiert werden" 3 3 4 . Seine umfassenden Leistungen für den einzelnen könne ein solchermaßen v o l l durchrationalisiertes System aber nur u m den Preis der Anpassung eines jeden an dieses „sozialstaatliche Ganze", also nur bei absolut „reibungslosem Funktionieren" der Industriegesellschaft garantieren 3 3 5 . Angesichts notwendig weitreichender Planungen liefen dementsprechend Autorität und K o m petenz des Parlaments leer 3 3 6 , während Opposition „heute nicht mehr eine auf das Grundsätzliche der staatlichen Selbstorientierung bezogene Alternative" sei, „sondern lediglich eine Positionsvariante innerhalb des Gesamtsystems" 337 . Insbesondere müsse der „moderne Sozialstaat" das traditionell demokratische Verständnis vom Staat als einer „Schöpfung des Menschen, des Volkes, über die man auch verfügt und verfügen w i l l " abbauen, oder besser gar nicht erst aufleben lassen 338 . Wie das zu bewerkstelligen wäre, sagt Forsthoff freilich nicht ausdrücklich. Offenbar geht er jedoch davon aus, daß die „Adaption an die Wirklichkeit des heutigen Sozialstaats", also die allgemeine Anpassungsbereitschaft sich solange quasi von selbst herstellt wie der „harte K e r n des heutigen sozialen Ganzen", wie „Vollbeschäftigung und Steigerung des Sozialprodukts" nicht tangiert werden 3 3 9 . Werden diese Essentialia freilich dennoch angetastet, „so w i r d man m i t Abwehrreaktionen rechnen müssen, die der Intensität des Angriffs mindestens gewachsen sind" und die herkömmliche Notstandsmaßnahmen „bei weitem übertreffen" 3 4 0 . Bis zu diesem Zeitpunkt herrscht also auch hier der Glaube an die loyalisierende und stabilisierende K r a f t des technisch durchrationalisierten Systems, das der Eigen-Propaganda jenseits entleerter, aber gleichwohl streng limitierter parlamentarischer Legitimationsmuster folglich entraten können soll 3 4 1 . 333 v g l . d 334

a z u

j # k . Galbraith,

Die moderne Industriegesellschaft.

E. Forsthoff, Z u r heutigen Situation einer Verfassungslehre, S. 194, 195; Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, M e r k u r 241 (1968), S. 405. 335 Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, M e r k u r 241 (1968), S. 406, 408. 336 Z u r heutigen Situation einer Verfassungslehre, S. 202. 337 Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, M e r k u r 241 (1968), S. 406. 338 Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit der Bundesrepubilk, M e r k u r 241 (1968), S. 409. 339 Vgl. E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 164. 340 E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 165. 341 Ähnliche Überlegungen zur „Entschärfung der Konsens- u n d L e g i t i mierungssorge" finden sich bei H. P. Ipsen hinsichtlich der Organakte der 16

Kempen

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

2. Legitimation durch Verfahren Legitimation der Verfahren

und

A u f den ersten Blick scheint der Politikbegriff Niklas Luhmanns gegen die technokratische Annahme zu sprechen, derzufolge ein ökonomisch erfogreiches Stabilitätssystem konsensuale Legitimationsmuster nach und nach völlig überflüssig macht. Für Luhmann befaßt Politik sich nämlich „ m i t der Erzeugung von Macht, die politische Unterstützung genießt, . . . , m i t der Ausarbeitung konsensfähiger Themen und Programme, m i t dem Bilden und Testen von Konsens für bestimmte Vorhaben" 3 4 2 . Da die Funktion des Politischen darin gesehen wird, die Verwaltung von der Aufgabe zu entlasten, selbst für die notwendige gesellschaftliche Unterstützung ihrer Arbeit zu sorgen 3 4 3 , ist dieser Politikbegriff notwendig primär vom Aspekt eines politischen Entscheidungszentrums, d. h. von der Regierungsfunktion her definiert. Dann aber liegt es nahe, jede amtliche Regierungswerbung, soweit sie zur Vorbereitung bestimmter Entscheidungen allgemeinen Konsens bilden und testen soll, als genuines M i t t e l so verstandener Regierungspolitik anzusehen 344 . Das jedoch wäre vorschnell geschlossen, denn Luhmann sieht das Ziel der Politik keineswegs i m — wie auch immer bewerkstelligen — Konsens möglichst aller, sondern i m Herausfinden von Entscheidungsprämissen für das rechtlich Mögliche 3 4 5 . Angestrebt w i r d also nicht die Zustimmung optimal vieler Bürger, sondern nur die Billigung einer Mindestzahl entscheidungsbefugter Personen, etwa der Ministerkollegen, Parlamentsabgeordneten, Ausschußmitglieder oder Parteifreunde. Deshalb findet Luhmann die eigentlich politischen Prozesse heute praktisch i m Bereich der Parteipolitik 3 4 6 . Der Zwang, bindende Entscheidungen auf so minimale Konsensbasis zu gründen, ergebe sich aus der hohen Komplexität moderner Sozialsysteme. Das auf der Überzeugung jedes einzelnen Betroffenen von der Richtigkeit jeder legalen Dezision beruhende aufklärerische Legitimitätsideal sei heutzutage schon deshalb unerreichbar, w e i l kein Mensch für alle aktuellen Entscheidungsthemen Überzeugungen bilden könne. Die Stabilität moderner Gesellschaften beruhe daher geradezu auf ihrer Fähigkeit, dem einzelnen ein nahezu motivloses, selbstverständEuropäischen Gemeinschaften, die nicht das „Resultat von Willensbildung u n d Willensentscheidung" seien, sondern „ P r o d u k t organisierter Willensbildung" (Fusionsverfassung Europäische Gemeinschaften, S. 64 ff.). Kritisch dazu Ch. Sasse, Die institutionelle Fortentwicklung der Gemeinschaften. 342 Legitimation durch Verfahren, S. 183 f. 343 Politische Planung, S. 284. 344 Tatsächlich glaubt Th. Ellwein (Regierung als politische Führung, S. 29), Luhmann akzentuiere besonders die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung. 345 Rechtssoziologie, Band 2, S. 246. 348 Rechtssoziologie, Band 2, S. 245.

D. Der Funktionsverlust des Parlaments

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liches Akzeptieren bindender Entscheidungen „ohne allzuviel konkrete Information" zu ermöglichen 347 . Ähnlich den technokratischen Denkweisen sieht also auch Luhmann i n einer von den persönlichen Motiven der Betroffenen möglichst unabhängigen Legitimation beliebiger Dezisionen 348 die Existenzbedingung moderner Gesellschaften. Anders als jene hält er freilich nicht die wirtschaftliche Prosperität für die U r sache allgemeiner „Legitimation" durch ubiquitäre politische Indifferenz der Bevölkerung, sondern glaubt an die legitimierende Funktion rechtsförmiger Verfahren. Neben der symbolisch-generalisierenden Gewalt sorgten allein solche Verfahren dafür, daß die m i t einer gefällten Entscheidung unzufriedenen Betroffenen diese schließlich dennoch anerkennen 349 . Die Teilnahme an Verfahren wie dem der politischen Wahl oder der Gesetzgebung zwinge den einzelnen i n speziell formalisierte Rollen, z. B. als Wähler oder Abgeordneter und ermögliche i h m eine begrenzte Selbstdarstellung seiner Meinungen und Interessen i m Rahmen offizieller „Themen" bzw. Verhandlungsgegenstände. A u f diese Weise werde der Widerstrebende als einzelner automatisch isoliert und entpolitisiert. Den Indifferenten verhelfe das Verfahren zugleich zur Herausbildung eines „generalisierten Systemvertrauens", aufgrund dessen politischrechtliche Veränderungen i m allgemeinen „ w i e ein faktisches Geschehen hingenommen" würden 8 5 0 . Luhmanns These (die insofern sowohl analytische wie normative Züge trägt) besagt dann, daß ausdifferenzierte Sozialsysteme ihre Probleme um so besser bewältigen, je unabhängiger sie die Durchsetzung zentraler, amtlicher Entscheidungen von der psychischen Motivation der Betroffenen zu stellen vermöchten. Das Werben u m politisches Vertrauen für konkrete Personen, Führungsgruppen, Parteien oder Sachprogramme (z.B. i m Wege amtlicher Öffentlichkeitsarbeit) sei zwar ebenfalls notwendig, genüge aber jenen Anforderungen nicht. Es müsse vielmehr i n eine Form gebracht werden, i n der es zugleich generalisiertes, unspezifisches „Systemvertrauen" mitbilde. Der Herausbildung einer solchen von jeder persönlichen Motivation und Geltungsüberzeugung möglichst unabhängigen, allein auf der Tatsache amtlicher Entscheidung beruhenden Legitimität dienten allein jene Verfahren vornehmlich das Gesetzgebungsverfahren 351 . Für den Realismus dieser Theorie einer i m verfahrensbedingt motivlosen Akzeptieren 847

N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 32. Vgl. dazu: Positives Recht u n d Ideologie, S. 180. 849 Legitimation durch Verfahren, S. 25; Rechtssoziologie, B a n d 2, S. 262 ff. 850 Legitimation durch Verfahren, S. 155 ff., 174 ff., 192 f., 200; Rechtssoziologie, Band 2, S. 263 ff. 861 Legitimation durch Verfahren, S. 25, 34, 193, 848

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begründeten Legitimität der Legalität spricht nicht nur die i n unserer Gesellschaft tatsächlich weit verbreitete politische Apathie, sondern auch die Erkenntnis, daß derart komplizierte Sozialsysteme heute ohne eine vom individuellen Geltungsglauben i m Einzelfall prinzipiell losgelöste, routinemäßige Konformitätsbereitschaft kaum funktionieren können. Insofern hat Luhmann Ursache und Wirkung der zunehmenden „Entpolitisierung der Öffentlichkeit" (Habermas) — wenn auch aus der unangemessenen Distanz höchster Abstraktion heraus — richtig analysiert 3 5 2 . Fehlschlüssig erscheint jedoch sein Versuch, dieses Verblassen der Legitimationskraft öffentlicher Entscheidungsprozesse kurzerhand ins Positive zu wenden und es ausschließlich als Folge einer Umfunktionierung dieser Prozesse i n funktionale Sozialtechniken zur Erzeugung generalisierten Systemvertrauens zu deuten, das beliebige Dezisionen ohne besondere Information als verbindlich akzeptiert. Da der Begriff Legitimität, solchermaßen „funktional" gefaßt, seine Bedeutung „als extern vorgegebene Rechtfertigung und Variabilitätsbegrenzung des politischen Systems" verliert 3 5 3 , scheint ein derartiges, von den Handlungsmotiven der Menschen unabhängiges System schier unbegrenzt operationsfähig zu sein. Nichts könnte die Vorstellung einer vollkommen autonomen Legitimation verfahrensmäßig gesteuerter politischer Systeme indessen schlagender widerlegen als die ständig wachsenden Haushaltsansätze für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und die Tatsache der immer intensiver betriebenen Öffentlichkeitsarbeit regierungsamtlicher Public-Relations-Stäbe. I m Gegenteil belegen diese Fakten den sprunghaft wachsenden Legitimationsbedarf eines Systems, das wegen fortschreitend hierarchischer Bürokratisierung des politischen Willensbildungsprozesses an chronischem Legitimationsmangel leidet und deshalb zum Ausgleich auf umfassendes Loyalisierungsmanagement angewiesen ist 3 5 4 . Dies beweist, daß die Legitimität amtlicher Handlungsprogramme auch i n stark differenzierten Gesellschaften letztlich doch wieder davon abhängt, daß bestimmte psychische Motivationsstrukturen i n Funktion treten. Schon die von Luhmann selbst betonte Konsensbildungsaufgabe der Politik als einer Vorstrukturierung des jeweils rechtlich Möglichen 3 5 5 zeigt die Grenzen verfahrensmäßiger Legitimation auf, die sich aus dem Verfassungsrecht ergeben. 352 Vgl. J. Habermas, i n : Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?, S. 265. 353 N. Luhmann, Rechtssoziologie, Band 2, S. 266. 354 Vgl. dazu J. Habermas, Technik u n d Wissenschaft als „Ideologie", S. 76 ff. Einige Schwierigkeiten bei dem Versuch, Theorie u n d Praxis zu v e r mitteln, S. 12; C. Offe, Das politische Dilemma der Technokrate, S. 160 ff.; auch R. Miliband, Der Staat i n der kapitalistischen Gesellschaft, S. 242 f. ass Hechtssoziologie, Band 2, S. 246.

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Konstitutionell gesehen, haben rechtsförmige Verfahren doch vor allem die Funktion einer Verteilung kompetenzieller Verantwortlichkeiten i m Vollzug normativer Prozeduren durch jeweils zuständige Verfassungsorgane. M i t Recht betont Habermas deshalb, daß diese Instanzen nur Teil eines Herrschaftssystems seien, das „seinerseits i m ganzen legitimiert sein muß, wenn seine Legalität als Anzeichen der Legitimität soll gelten können" 3 5 6 . Diese Legitimation der Verfahren regelt das Grundgesetz, das zwar selbst wiederum diversen Abänderungsmöglichkeiten unterliegt, i m hier entscheidenden Punkt indessen bezeichnenderweise bestandsfest normiert worden ist: Es statuiert — insofern am aufklärerischen Konsensideal orientiert — unabänderlich einen demokratischen Entscheidungsprozeß (Art. 20 I i. V. m. A r t . 79 I I I GG). N u n beruht speziell der Geltungsanspruch demokratischer Dezisionen prinzipiell auf deren diskursivem Zustandekommen unter gleichberechtigter Beteiligung aller Betroffenen. I m konstitutionellen Willensbildungsprozeß w i r d lediglich das Teilnahmerecht jedes einzelnen, seine „ . . . Kompetenz der fallweisen Überprüfung von Geltungsansprüchen auf vertrauenswürdige Instanzen . . . übertragen", und „diese Übertragung muß stets limitiert sein" (und ist es verfassungsrechtlich auch, vgl. A r t . 20 I V GG, O. E. K.) 3 5 7 , da eine Übertragbarkeit der KompetenzKompetenz ausgeschlossen ist: das „letzte" Motiv für die Annahme von Entscheidungen, und das heißt für die legitime Geltung von Handlungsnormen bleibt die Überzeugung, daß die Legitimation gewaltlos zustande kommt, eben auf Überzeugung beruht. Das „letzte" Motiv ist stets die Überzeugung, daß ich mich i m Zweifelsfalle diskursiv überzeugen lassen kann 3 5 8 . Freilich besteht die Legitimität bindender Entscheidungen auch unter dem Grundgesetz gerade darin, daß sie unter Verzicht auf Gewaltanwendung normalerweise auch gegen den Willen der Betroffenen durchsetzbar sind. Überzeugend erklärt Habermas diese über den diskursiven Prozeß weit hinausreichende Geltung als „die Folge einer konsensfähigen Deutung m i t Rechtfertigungsfunktion, m i t anderen Worten: eines herrschaftslegitimierenden Weltbildes" 3 5 9 . I m Bereich des Grundgesetzes besorgt der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung" (Art. 18 Satz 1, 21 I I 1 GG) diese (ideologische) Funktion der Herrschaftslegitimierung, wobei speziell dem Mehrheitsprinzip zugetraut wird, auf Dauer die „vernünftigsten" Einsichten durchzusetzen 360 . Gegenwärtig dürfte dieses Bewußtsein von 856 I n : Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?, S. 243. 857 Vgl. hierzu O. E. Kempen, Widerstandsrecht, S. 69 ff. 858 J. Habermas, i n : Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?, S. 264. 859 I n : Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie?, S. 244.

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der Legitimation der Verfahren (wie von Luhmann mit Recht festgestellt) weithin verschüttet sein, w e i l die Loyalität der Massen jetzt auf einer wirtschaftlichen Prosperität beruht, welche die politische I n differenz begünstigt und den staatlichen Entscheidungsprozeß von Legitimationszwängen entlastet. Läßt sich also ein konkretes Überzeugungsbedürfnis hinsichtlich amtlicher Dezisionen i m „individuellen Alltagsverhalten" des einzelnen auch kaum feststellen, so beruht die unbezweifelte Legitimationskraft verfassungsmäßiger Verfahren doch weniger auf der schlichten Tatsache ihres mechanischen Ablaufs als auf „einer A r t von kollektivem Hintergrundbewußtsein" über die herrschaftslegitimierende K r a f t des Grundgesetzes als der Rechtmäßigkeitsbasis des Gesamtsystems 861 . Diese Zusammenhänge treten deutlich hervor, wenn das System wegen der — bislang funktionalen — politischen Apathie seiner Bürger nicht mehr reibungslos funktioniert, sondern höhere Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit und Adaptionsbereitschaft seiner Bürger stellen muß, die allgemeine Indifferenz m i t h i n zunehmend dysfunktional wird. Dann zeigt sich nämlich, daß die i m 19. Jahrhundert konzipierten Verfahrensweisen den Legitimationsbedarf eines staatlichen Steuerungszentrums i m „geplanten Kapitalismus" nicht mehr zu bewältigen vermögen, weil sich immer weniger Menschen von der geräuschvollen Hektik des zunehmenden Leerlaufs der legislativen Maschinerie zum motivlosen Akzeptieren der Unzahl ausgestoßener, aber andernorts gefallener Entscheidungen stimulieren lassen. Da die amtliche Öffentlichkeitsarbeit aber gerade diesem Schwund der Konformitätsbereitschaft abhelfen soll, möchte ich i m folgenden Abschnitt jenem Wandel der Legitimationstechnik noch einmal skizzenhaft nachgehen. 3. Parlamente und Presseämter als Institutionen zur Sicherung von Massenloyalität Zweifellos hat die effektive Prosperität klassenspezifische Konflikte i n der BRD bis heute weitgehend überdecken können, und sicherlich richten sich die „politischen" Erwartungen der Bürger gegenwärtig auf 880 Vgl. M . Kriele, Das demokratische Prinzip i m Grundgesetz, W D S t R L Heft 29 (1971), S. 53. 861 Vgl. P. Graf Kielmansegg, L e g i t i m i t ä t als analytische Kategorie, PVS 1971, S. 392 f., 397. Übrigens hat Luhmann selbst kürzlich derartige Zusammenhänge angedeutet, indem er „Demokratie u n d L e g i t i m i t ä t " als „aufeinander bezogene Phänomene" kennzeichnete. Die L e g i t i m i t ä t der Legalität bezeichne zwar nicht die anerkannte Wahrheit von Geltungsansprüchen, w o h l aber „koordinierte Lernprozesse", w e i l Entscheidende u n d Entscheidungsempfänger es lernen müßten, den wechselseitigen Erwartungen gerecht zu werden (Rechtssoziologie, Band 2, S. 261). Hier wäre n u r noch zu fragen, w o rauf sich diese E r w a r t u n g von Erwartungen gründet.

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die Erhaltung und Vorbesserung des materiellen Lebensniveaus, so daß hier nur noch „Restsubstanzen" partizipatorisch-demokratischer Geltungsvorstellungen fortleben. Andererseits machen zunehmende internationale Verflechtungen der Wirtschafts- und Währungspolitik 3 6 2 die Industriegesellschaft immer krisenanfälliger 3 6 3 und lassen angesichts einer weltweiten „Fortschrittsinflation" trotz wachsender Stabilitätsansprüche die Stabilisierungschancen sinken 3 6 4 . Die jeder Planung ohnehin inhärente expansive Tendenz potenziert sich deshalb m i t dem außenwirtschaftlichen Zwang zu immer längerfristigen Vorausplanungen. Alle hierfür notwendigen präzisen Wirtschaftsprognosen 365 lassen sich aber nur dann realisieren, wenn es gelingt, den einzelnen zu jeweils plankonformen Verhalten zu motivieren. Wegen der K o m p l i ziertheit der Interdependenzen i m Sozialstaat müssen solche Bemühungen über ein nur ökonomisches „Motivationsmanagement", das erfahrungsgemäß kaum noch verläßliche Voraussagen gestattet 3 6 6 , hinausgehen und i m Rahmen eines allgemeinen Loyalitätsmanagements versuchen, für die jeweilige „Anpassungspolitik" (Dahrendorf) „günstige komplementäre Einstellungssyndrome zu erzeugen". Folglich „verschärft sich das Problem, wie jenes Maß an aufgeklärter Kooperationsbereitschaft auf Seiten gesellschaftlicher Gruppen zustande gebracht werden kann, das für den Erfolg einer stabilitätssichernden Ordnungs- und Strukturpolitik unerläßlich i s t " 3 6 7 . Eine volle Identifizierung m i t dem System ließe sich vielleicht auch auf dem von Forsthoff angedeuteten Weg m i t notstandsstaatlichen Gewaltmaßnahnen erzwingen, nur ständen die Kosten derartiger Entscheidungsdurchsetzung i n keinem Verhältnis zum Ergebnis. Statt dessen liegt es viel näher, die unter den gewiß vorherrschenden Leistungserwartungen des einzelnen verschütteten Geltungsvorstellungen zu benutzen, denn Leistung^ Erwartungen bestehen ja nicht abstrakt vom leistenden politischen System; sie sind vielmehr regelmäßig auch von latenten Legitimitätsüberzeugungen mitgeprägt, wenn diese Vorstellungen über die Rechtmäßigkeit des Erwarteten i m „individuellen Alltagsverhalten" auch „eher als eine A r t von kollektivem Hintergrundbewußtsein" w i r 862

Z u r historischen E n t w i c k l u n g vgl. W. Hankel, Währungspolitik, S. 16 ff. Vgl. etwa die A u s w i r k u n g e n der Weltwährungskrise 1971/72 auf die nationalen Volkswirtschaften. 884 W. Hankel, Währungspolitik, S. 32 f. 865 Z u m Verhältnis von „Wirtschaftsprognosen u n d Planung i m K a p i t a l i s mus" vgl. W. Rosenbaum, Staatsinterventionismus u n d Wirtschaftsplanung i m modernen Kapitalismus, S. 36 ff. 868 Dazu W. Rosenbaum, Staatsinterventionismus u n d Wirtschaftsplanung i m modernen Kapitalismus, S. 38 f. 887 C. Offe, Das politische Dilemma der Technokratie, S. 163. 868

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ken 8 6 8 . Hier bieten sich die Parlamente und politischen Parteien zur Herstellung affirmativer Loyalität geradezu an. Ihre Abhängigkeit von der staatsbürokratischen Technokratie garantiert dafür, daß sie nicht aus dem vorgeplanten Stabilitätsprogramm ausbrechen, sondern lediglich einen fiktiven Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß darstellen, dessen Ergebnisse vorher feststehen. Hat auch das administrative Informationspotential die parlamentarische Innovations-, Kontroll- und Publizitätsfunktion weitgehend paralysiert, so bleibt damit also noch „eine objektiv manipulative" Funktion nach außen bestehen. Sie gründet sich auf eine freilich immer mehr verblassende Autorität formalkonstitutioneller Verfahrensweisen, die ihr Pathos aus der Formel von der „freiheitlich demokratischen Grundordnung" beziehen 869 . Da das Parlament also durch seine bloße Existenz das erwähnte „Hintergrundbewußtsein" des Bürgers beruhigt und insofern i n permanenter Unauffälligkeit eine eminent wichtige Loyalisierungsaufgabe prinzipiell befriedigend erfüllt hat, benutzen es die Parteien auch nur noch selten als spektakuläre Propaganda-Plattform. Die wachsende Intensität planend-lenkender Staatsinterventionen verleiht langfristigen Prioritäten indessen bereits wieder zunehmend den Charakter von Alternativentscheidungen. Sie stellt m i t h i n immer höhere Anforderungen an jene Loyalisierungskapazität des Parlaments und entzieht i h m doch gleichzeitig wegen ihrer rigiden Bürokratisierungstendenz i n steigendem Maß die Glaubwürdigkeit. So entsteht ein technokratischer Teufelskreis: Die bürokratische Erstarrung des politischen Willensbildungsprozesses erweitert den administrativen Handlungsspielraum nur scheinbar, „ i n Wirklichkeit schlägt sie gegen die systemstabilisierende Funktionstüchtigkeit des verselbständigten Staatsapparates zurück, weil sie ihm den Unterbau einer flexiblen Legitimationszufuhr entzieht" 8 7 0 . Damit ist die auch empirisch vielfach belegte Insuffizienz politischer Konversions- und Inputstrukturen wie Parteien, Verbänden und Parlamenten zum eigentlichen Problem langfristiger Planung geworden 8 7 1 . Eine wesentliche Verstärkung des solchermaßen systemimmanent begrenzten parlamentarischen Loyalisierungspotentials bietet jedoch die amtliche 888 P. Graf Kielmansegg, L e g i t i m i t ä t als analytische Kategorie, PVS 1971, S. 392 f., 397. sä« Ygj t j Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt u n d politisches System, S. 273; C. Offe, Politische Herrschaft u n d Klassenstrukturen, S. 181; J. Agnoli, Die Transformation der Demokratie, S. 25 ff.; früher schon O. Kirchheimer, Z u r Frage der Souveränität, S. 81 ff. 870

C. Offe, Das politische Dilemma der Technokratie, S. 164 f. Vgl. F. Naschold, Anpassungsplanung oder politische Gestaltungsplanung?, S. 86 m. w . N.; F. W. Scharpf, Politische Planung, Die V e r w a l t u n g 1971, S. 18. 871

. Der Funktionsverlust des Parlaments

249

Öffentlichkeitsarbeit 872 , zumal sich der Wähler aus den angeführten Gründen heute zwangsläufig immer mehr m i t der „Regierungsmannschaft" als m i t der Regierungsfraktion i m Parlament oder der Regierungspartei i m Ganzen identifiziert. Nach außen muß die Regierung ihren maßgeblich von der Ministerialverwaltung bestimmten Kurs bis ins einzelne hinein selbst vertreten und möglichst schon mittels vorbeugender Sympathiewerbung gegen künftige K r i t i k absichern. Hierzu gehört nicht nur das gesamte i m darstellenden Teil meiner Untersuchung beschriebene Spektrum amtlicher Öffentlichkeitsarbeit, sondern beispielsweise auch die bewußte Indolenz, m i t der man die Zeitungspresse privatwirtschaftlichen Machtstrukturen überläßt, d. h. ihre Kritikfähigkeit insgesamt verengenden Konzentrationsvorgängen anheimgibt, anstatt die Entfaltung „innerer Pressefreiheit" 878 gesetzlich zu schützen 874 . Erst wenn die Legitimitätsbasis des Staates selbst trotz solcher ManipulationsVorsorge angegriffen wird, reagiert man hart: Beamte bzw. Angestellte und Arbeiter i m öffentlichen Dienst, die nach Auffassung ihres Dienstherrn „nicht die Gewähr dafür bieten", jederzeit „ f ü r die freiheitlich demokratische Grundordnung" einzutreten, werden aus dem Dienst entfernt oder gar nicht erst eingestellt 8 7 5 . Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß die öffentliche Legitimation staatlicher Entscheidungen auch unter den Bedingungen des „geplanten Kapitalismus" eine zentrale Bedeutung hat, daß ihr jedoch relativ enge, systemimmanente Grenzen gezogen sind. Ferner werden legitimierende Funktionen i n erheblichem Ausmaß zwangsläufig nicht länger vom Parlament, sondern von den m i t amtlicher Öffentlichkeitsarbeit betrauten (Regierungs-)stellen wahrgenommen. Der Umfang dieses behördlichen Loyalisierungsmanagements entspricht allerdings noch lange nicht der beherrschenden Stellung der Exekutive als Steuerungszentrum i m „geplanten Kapitalismus". Dafür übersteigt die den Volksvertretungen verbliebene formale Legitimationsfunktion ihre kontinuierlich abnehmende effektive M i t w i r k u n g am staatlichen Entscheidungsprozeß dementsprechend. Aus diesem „Mißverhältnis" resultieren Spannungen, denen eine „aktive" Exekutive freilich dadurch zu begegnen versucht, daß sie die 872

Vgl. C. Offe, Das politische Dilemma der Technokratie, S. 168. Hierzu z.B. ff. Ziegler, Z u r inneren Pressefreiheit, D Ö V 1971, S. 654ff.; F. Kübler, Empfiehlt es sich zum Schutze der Pressefreiheit gesetzliche V o r schriften über die innere Ordnung von Presseunternehmen zu erlassen?, 49. D J T , Gutachten D. 874 Vgl. Th. Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 117. 875 So die von der Konferenz der Ministerpräsidenten der Bundesländer am 28.1.1972 beschlossenen Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen „ K r ä f t e i m öffentlichen Dienst" sowie die von den Ministerpräsidenten u n d dem Bundeskanzler beschlossene „Gemeinsame E r k l ä r u n g " hierzu, abgedruckt i n Blätter f ü r deutsche u n d internationale Politik, 1971, S. 124 f. Vgl. auch die „Stellungnahmen von Juristen" i n B l ä t t e r . . . , 1971, S. 125 ff., 246 ff. 878

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

i n der Informationsfunktion liegenden parlamentarischen Möglichkeiten bei wichtigen Themen i m entschiedenden Zeitpunkt informationspolitisch unterläuft. Solche Praxis entspricht der von Politologen, Ökonomen und Staatsrechtlern angesichts der oben skizzierten Notwendigkeit staatlicher Wirtschafts- und Konjunktursteuerung erhobenen Forderung nach „aktiver" Regierungspolitik 3 7 6 . Speziell i n der BRD gehe es infolgedessen darum, die jetzt erforderliche Anpassungs- und Folgebereitschaft i n einem noch vor wenigen Jahren zu „nahezu ungehemmter Initiative" aufgerufenem Volk zu stimulieren, und — über w i r t schaftliche Fragen hinaus — überhaupt ein staatliches „Gegensteuern" ohne politische Krisen zu ermöglichen 377 . Hierzu bedürfe der Staat einer, nicht zuletzt auf den „geistigen Einfluß der Regierung" gegründeten, „inneren Souveränität" 3 7 8 . Nach dem oben Gesagten liegen die von Verwaltungspraktikern und Theoretikern empfohlenen Methoden „kraftvoller" Regierungstechnik auf der Hand: nämlich vor allem die Intensivierung und Ausweitung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit. Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung könne sich nicht mehr darauf beschränken, lediglich Entscheidungen bekanntzugeben und zu erläutern, sondern habe das „Volk i n einem anderen Sinn als das eine etwas abgestandene Philosophie meint, aufzuklären, aufzuklären nämlich über die wahre konkrete Lage und über das, was an Anstrengungen nötig erscheint, u m sie zu meistern" 3 7 9 . Konkret gesprochen, soll das geistige Steuerungspotential der Exekutive dem Ausmaß ihrer sozialen und ökonomischen Lenkungskompetenzen angeglichen werden. Da das Aktionsfeld amtlicher Entscheidungen mit dem wachsenden Einfluß staatlicher Organe immer weiter in den gesellschaftlichen Bereich hinübergreift 3 8 0 , gilt es unablässig „das öffentliche Bewußtsein m i t den Realitäten i n Deckung zu bringen", u m „Diskrepanzen zwischen politischem Wollen und Realität zur Deckung zu bringen" 8 8 1 . Die gegenwärtige politische Praxis entwickelt sich durchaus i n solche Richtung. So w i r k t e die Bundesregierung unter W. Brandt nach Aussagen eines Bonner Ministerialbeamten i n erster Linie als Koordinierungsorgan und als „ein Instrument zur Verbreitung der 379 Vgl. z.B. A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus, S. 159ff.; R. Schnur, Nordrhein-Westfalen — L a n d des Strukturwandels, S. 18 f., 20f.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 341; auch E. W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft i m demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, S. 14 ff. 877 Vgl. R. Schnur, Nordrhein-Westfalen . . . , S. 18 f. 878 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 183. 879 R. Schnur, Nordrhein-Westfalen . . . , S. 21 f. 880 Z u m letzten vgl. E.-W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft..., S. 9. 881 E. Guilleaume, Reorganisation von Regierungs- u n d Verwaltungsführung, S. 55.

. Der Funktionsverlust des Parlaments

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politischen Konsensbildungsbasis für die Leitungsentscheidungen des Bundeskanzlers und der einzelnen Bundesminister" 3 8 2 . Während sich die integrationstheoretischen Vorstellungen Smends und Scheuners darüber hinaus primär auf die „staatspolitische" Pflege eines nationalstaatlichen Kollektivbewußtseins richteten, während Leisner darüber hinaus die Förderung konkreter Selbstdisziplin und allgemeiner Loyaltiät als Bestandteil effizienter „Demokratizität" betrachtete, gilt Öffentlichkeitsarbeit jetzt vor allem auch der flankierenden Werbung für einzelne Vorhaben, Pläne und Entscheidungen des regierenden Führungsteams. Schnur zufolge kommt es heute nicht mehr auf die „Erziehung des Bürgers zur Demokratie" an, sondern darauf, ihn „auf der nunmehr gesicherten Basis dieser Staatsform besser m i t den anstehenden Problemen vertraut zu machen" 3 8 3 . U m die erforderlichen „Strukturanpassungen" zu erleichtern, soll eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit die „abstrakte Reformfreudigkeit" bis zur generellen Adaptionsbereitschaft treiben, die alle Veränderungen „ i m allgemeinen . . . wie ein faktisches Geschehen" (N. Luhmann) hinzunehmen bereit ist. A u f dieser Grundlage gelte es, konkrete Vorhaben möglichst überraschend so direkt an die Öffentlichkeit zu bringen, daß die parlamentarische Diskussion und K r i t i k strategisch unterlaufen und optimales Verständnis durch effektive Pressearbeit beim ohnehin anpassungsbereiten Publik u m gewonnen wird, bevor Widerstände i n der Öffentlichkeit artikuliert werden können 3 8 4 . Die auch heute unverzichtbare Legitimationsw i r k u n g parlamentarischer Verhandlungen beruht dann lediglich darauf, daß ihr routinemäßiger, unauffälliger Ablauf als eine allgemein beruhigende und kaum bewußt wahrgenommene „Geräuschkulisse" für die meisten Menschen ohne weiteres das Funktionieren der politischen Maschinerie indiziert, während jede Unruhe i m Parlament sogleich politische „Unzuträglichkeiten" zu signalisieren scheint. Widerspricht bereits diese real legitimierende Normalfunktion dem Verfassungsauftrag der Legislative, so deutet das Bemühen, kontroverse Themen möglichst aus dem Parlament herauszuhalten, bis sie informationspolitisch aufbereitet und andernorts faktisch bereits entschieden werden konnten, auf eine vollkommene Mißachtung aller parlamentarischen Regierungsprinzipien. Dennoch sind sich die Strategen der großen politischen Parteien längst darin einig, diese Praxis als Voraussetzung effektiver außerparlamentarischer Öffentlichkeitsarbeit und Werbung prinzipiell zu tolerieren, w e i l auch jeder Oppositionspolitiker 382 M . Lepper, Teams i n der öffentlichen Verwaltung, Die V e r w a l t u n g 1972, S. 156 Fn. 63. 883 Nordrhein-Westfalen . . . , S. 22. 384 R. Schnur, Strategie u n d T a k t i k bei Verwaltungsreformen, S. 27, 34 f.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

weiß, daß er sich i m Falle eines Regierungswechsels derselben M i t t e l bedienen würde und müßte 8 8 5 . Da die bisherige verfassungsrechtliche Diskussion zu diesem Problem den durch die rapide Entwicklung des „geplanten Kapitalismus" verursachten Funktionsverlust des Parlaments bisher überwiegend ebensowenig berücksichtigt hat wie die parallellaufende Tendenz zur Ausschaltung parlamentarischer Publizität, werden die grundgesetzlichen Anforderungen an Inhalt und Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit i m folgenden Abschnitt speziell unter diesen Aspekten zu untersuchen sein.

E. Verfassungsrechtliche Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit Nachdem i m letzten Abschnitt die derzeitige Tendenz zur Ausschaltung parlamentarischer Publizität und die Hintergründe der ständig verstärkten Bemühungen geschildert wurden, hierdurch entstandene Legitimationslücken m i t Hilfe amtlicher Werbung durch staatliche Presseämter zu füllen, fragt es sich nunmehr, ob derartige Versuche, die demokratische Unterbilanz vermittels public-relations-förmig stimulierter Massenloyalität auszugleichen, grundgesetzlich zulässig sind. Zu untersuchen ist also die konkrete Frage, ob die oben (unter III) dargestellten Grundlagen demokratischer Publizitätspflichten der Exekutive auch amtliche Werbungsaktivitäten tragen, welche die politische Willensbildung des Volkes dirigierend beeinflussen sollen. I . Die Verfassungswidrigkeit amtlicher Werbung

1. Amtliche Werbung als Konsequenz „demokratischer Eigenständigkeit" der Regierung? Da die Regierung bei den Parlamentsabgeordneten u m Zustimmung für ihre Politik werben darf 8 8 6 , w e i l sie ihre Handlungslegitimation von der Volksvertretung herleitet, liegt es nahe, i h r dieselbe Befugnis auch gegenüber der Aktivbürgerschaft zuzugestehen, welche i n Wahlen, A b stimmungen sowie i m politischen Meinungsprozeß quasi „an der Basis" das primäre Handlungsfeld der Exekutive demokratisch absteckt. Dementsprechend faßt Jerschke, der eine (beschränkte) „Werbekompetenz" der Regierung bejaht 8 8 7 (ohne diesen Zusammenhang freilich v o l l zu verdeutlichen), die Regierung als unmittelbar demokratisch 385 886 887

Vgl. H. Küffner, D a r f die Regierung so etwas tun? Vgl. H. Ridder, Grundgesetz u n d Öffentlichkeitsarbeit, S. 61. Öffentlichkeitspflicht..., S. 154 ff.

E. Verfassungsrechti. Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit

25ä

legitimiertes, eigenständiges Repräsentationsorgan des Volkes neben dem Parlament auf 3 8 8 . Nun ist die Exekutive zwar — wie bereits hervorgehoben (vgl. oben unter I I I 1) — institutionell und funktionell unmittelbar demokratisch konstituiert (Art. 20 I I GG), doch fehlt eine direkte personelle Legitimation, die ihr nur das volksgewählte Parlament durch den A k t der Regierungswahl vermitteln kann. Folgerichtig bleibt das Kabinett m i t seiner Politik i m parlamentarischen System verfassungsrechtlich an das parlamentarische Vertrauen gebunden, u m das die Regierungsmitglieder aus diesem Grund auch aktiv werben dürfen. Trotz dieser verfassungsrechtlich eindeutigen Lage versucht Jerschke unter Berufung auf E.-W. Böckenförde 389 die i n der „Staatswirklichkeit" unübersehbare „wachsende plebiszitäre Komponente der Wahlen" m i t ihrer bestimmenden Ausrichtung auf die Person des künftigen Regierungschefs entgegen der grundgesetzlichen Regelung so zu interpretieren, als realisiere sich hier eine — zumindest „wesensmäßig" — konstitutionell vorgesehene personelle Legitimation der Regierung als eigenständigen Repräsentationsorgans 390 . Solche Versuche realitätsadaptierender Verfassungs„interpretation" sind — wie bereits mehrfach betont — strikt abzulehnen, w e i l sie zwangsläufig die Normativität der Verfassung beseitigen 391 . Dabei w i l l ich die offenkundige Tendenz zur Kanzlerwahl keineswegs etwa als verfassungswidrig hinstellen, sondern lediglich den verbreiteten juristischen Argumentationsweisen entgegentreten, welche die faktische Schwäche parlamentarischer Regierungsverantwortlichkeit unter Hinweis auf jene Entwicklung für verfassungsrechtlich unbedenklich, ja geradezu für geboten erklären 3 9 2 . Es soll auch nicht bestritten werden, daß z. B. die „parteipolitische Kongruenz von Bundestagsmehrheit und Regierung" praktisch eine „Rückkoppelung der Exekutivspitzen an den i n den Parlamentswahlen zum Ausdruck gekommenen Volkswillen" b e w i r k t 3 9 3 , doch nach dem Grundgesetz erfolgt die demokratische Legitimation des verantwortlichen Regierens eben vorwiegend nur mittelbar über das dem Wähler wiederu m unmittelbar verantwortliche Parlament. Deshalb kann auch die Zulässigkeit außerparlamentarischer Regierungswerbung verfassungs388 Öffentlichkeitspflicht..., S. 74 f. 389 Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 80 f., 105 Fn. 7, der seinerseits auf G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 104, verweist. 390 Öffentlichkeitspflicht..., S. 72, 74 f. 391 Vgl. auch F. Ossenbühl, Grundgesetz u n d Verwaltungsvorschriften, S. 207. 392 Als Beispiel hierfür sei n u r auf H.-J. Veen, Die parlamentarische Regierung zwischen Subordination u n d politischer Führung, S. 33, 37, verwiesen. 393 Vgl. H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht . . . , S. 73; E. W. Böckenförde, Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 79 Fn. 4.

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

rechtlich nur aufgrund von Veränderungen i m grundgesetzlichen Verhältnis zwischen Regierung, Parlament und politischer Öffentlichkeit zutreffend beurteilt und begründet werden. Die hervorgehobenen Veränderungen i m Wählerverhalten mögen insofern ein Ansatzpunkt sein, doch sucht Jerschke stattdessen die Legitimität amtlicher Werbung unter Vernachlässigung dieser normativen Funktionsprinzipien des staatsorganschaftlichen Entscheidungsprozesses letztlich direkt auf die Struktur parteipolitisch-gesellschaftlicher Willensbildung 3 9 4 zu stützen, indem er primär auf die wahlstrategischen Positionen von Regierungspartei(en) und Opposition abhebt. Ebenso wie Leisner hält Jerschke die „aktive Verteidigung" der Regierung „ i n Form gemäßigter Propaganda" 3 9 5 sowie werbende „Staatspflege" 3 9 6 nämlich deshalb für legitim, w e i l die Mehrheitspartei gerade als Inhaberin der Regierungsgewalt erheblich angreifbarer sei, denn als „einfache Partei" und ohne amtliche Werbung folglich schlechter stünde als die Opposition 3 9 7 . Die insofern m i t der „Staatspflege" identische „Parteipflege" 3 0 8 w i r d damit als Abwehrmaßnahme einer sich i n ständigem „Verteidigungsnotstand" gegen politische K r i t i k e r befindlichen Regierung gerechtfertigt, zumal die vermittels solcher Öffentlichkeitsarbeit sichtlich verstärkte „Machtprämie" für den Regierenden sich sogleich durch „Machtabnutzung" wieder kompensiere 399 . Unversehens erhält also die Chancengleichheit unter den Parteien anstelle des Verhältnisses Regierung - Parlament - Öffentlichkeit die Funktion einer Rechtfertigung staatlicher Propaganda. Dieses Argument scheint m i r indessen völlig verfehlt. Zunächst führt die unzulässige Verschiebung des Problems auf die ausschließlich parteipolitische Ebene zwangsläufig dazu, die Grenzen propagandistischer Aktivitäten mehr oder weniger auf die Verletzung von Wahlinteressen konkurrierender Parteien zu beschränken 400 , obwohl diese doch bei weitem nicht alle grundgesetzlich relevanten, d. h. potentiell ebenfalls beeinträchtigten, Interessen abdecken. 394 Verfassungsrechtlich sind die Parteien „öffentliche", aber nicht staatliche Gebilde, vgl. K . Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der p o l i t i schen Parteien i m modernen Staat, W D S t R L Heft 17 (1959), S. 44ff.; H. Ridder, Z u r verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften . . . , S. 20 f.; U. Scheuner, Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, S. 240. 395

Öffentlichkeitsarbeit..., S. 155. H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht..., S. 154 f. 897 W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 154 f.; ebenso H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht . . . , S. 155. 398 Vgl. dazu Herb. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 218. 899 H. U. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht . . . , S. 155 unter Hinweis auf W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 155, 156. 4oo so — konsequent — W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 163; B. Leihe, Probleme der Tätigkeit des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesre396

E. V e r f a s u n g s r e c h t . Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit

Darüber hinaus erweist sich Leisners (bei Jerschke unbesehen übernommene) These von der „Machtabnutzung" vor der politischen Geschichte der BRD m i t ihren i n Bund und Ländern meist über mehrere Legislaturperioden konstanten Regierungsmehrheiten als grobe Fehleinschätzung. Angesichts moderner Meinungsforschung 401 und wohlfahrtsstaatlicher Finanzressourcen („Wahlgeschenke") trat die frühere Regel, daß eine Partei sich i n der Regierung verbraucht, längst außer Kraft. Vielmehr erhält sie heute wegen ihrer demoskopisch einigermaßen erfolgsgesicherten Möglichkeiten, populäre Tatsachen zu schaffen, bereits einen faktischen Vorsprung i n der Wahlwerbung vor der Opposition, der zu den wichtigsten Prämien auf dem legalen Machtbesitz zählt 4 0 2 . Schließlich aber übersehen Leisner und Jerschke, daß die Exekutive durchaus verfassungskonform Gegenstand unablässiger öffentlicher K r i t i k sein soll, w e i l sie ihrerseits nicht nur über amtliche Autorität, sondern auch über Initiative und faktische Durchsetzungsmöglichkeiten verfügt. Pol i t i k ist deshalb eben nicht allein Sache der Parteien, sondern der gesamten Öffentlichkeit. Endlich steht die Regierung — jedenfalls wenn es u m noch unausgeführte Pläne und Vorhaben geht — keineswegs schlechter als die Opposition, bei der sie i m Parlament werben darf. Soweit aber bereits geschaffene Tatsachen zur Diskussion stehen, müssen diese vor allem für sich selbst sprechen und demokratisch-oppositioneller K r i t i k auch ohne professionellen public-relations-Schutz standhalten, zumal die Mehrheitsparteien hier regelmäßig die Verteidigung übernehmen werden 4 0 3 . Läßt sich amtliche Werbung also keinesfalls auf solche Weise legitimieren, so ist die Frage der Zulässigkeit werbender Öffentlichkeitsarbeit doch nicht schon deshalb zu verneinen, w e i l dem Grundgesetz auch keine einigermaßen konkrete Rechtfertigung derartiger Aktivitäten entnommen werden kann. Die bei Jerschke aufgenommene These Böckenfördes von der unmittelbaren personellen Legitimation der Regierung i m Wege faktisch zur Regierungswahl „umfunktionierter" Parlamentswahlen 4 0 4 könnte den gierung, M D R 1969, S. 447; H. ü . Jerschke, Öffentlichkeitspflicht . . . , S. 156; w o h l auch P. Häberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, S. 15. 401 Dem B P A obliegt u. a. auch die „laufende Erforschung der öffentlichen Meinung als Unterlage f ü r die politische A r b e i t der Bundesregierung", vgl. Bundeshaushaltsplan f ü r das Haushaltsjahr 1970, Vorbemerkung zum Einzelplan 0403. 402 Vgl. E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 93. 403 Die von Leisner, Öffentlichkeitsarbeit . . . , S. 158 angeführten Ausnahmen von der grundsätzlichen politischen Kongruenz zwischen Regierung u n d Regierungspartei(en), welche insbesondere bei gegensätzlichen Interessen auf Bundes- u n d Landesebene auftreten können, gelten gleichermaßen auch f ü r die Oppositionsparteien. 404 Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, S. 80 f.

2. Teil, Kap. I V Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

Exekutivspitzen nämlich nicht nur die ihren Steuerungsaufgaben i m „geplanten Kapitalismus" angemessene und unabhängige Verfassungsposition verleihen, sondern zugleich auch die rechtliche Fundierung entsprechender Regierungswerbung abgeben. Tatsächlich betont Böckenförde neuerdings die „Erhaltungsfunktion" des Staates für den wirtschaftlichen Prozeß, die zwangsläufig zu staatlicher Nachfrageregulierung, also zur Globalsteuerung wirtschaftlich sozialer Abläufe sowie einer entsprechenden Gesamtplanung führen müsse 406 . Deshalb gelte es auch die entsprechenden Befugnisse des Staates bis h i n zu Investitionslenkungskompetenzen und verbindlichen Eingriffen i n die Tarifautonomie zu stärken 4 0 6 . Ferner dürfte dies eine forciert werbende Öffentlichkeitsarbeit der Regierung rechtfertigen können, denn Böckenförde geht davon aus, daß die „leitenden staatlichen Organe einschließlich der sie jeweils tragenden Gruppen" die Gesellschaft ständig zu beeinflussen suchen, u m „Leistungsbereitschaft" zu erhalten oder zu erhöhen, weil sich das notwendige „Aktionsfeld für staatliche Entscheidungen" hierdurch entsprechend erweitere 4 0 7 . Herzog w i l l dem Staat ähnliche Lenkungsaufgaben zuweisen 4 0 8 und nennt die „Information und geistige Beeinflussung der Staatsbürger" als eine Bedingung für die „Durchsetzungskraft des heutigen Staates" 409 . Eigentliche Lenkungsinstanz sei allerdings weder das Parlament noch die Regierung, sondern das i n faktischer Persönlichkeitswahl gewählte „Führungsteam" der jeweils stärksten Partei, welches damit automatisch zum „Führungsteam des Staatsganzen" avanciere 410 . Auch Herzog sieht also die wachsende Dominanz der politischen Führungsgruppe gegenüber der Volksvertretung vor allem durch die tatsächliche Entwicklung zur Persönlichkeitswahl gerechtfertigt. Gerade diese direkte, faktische Legitimation verleihe dem regierenden Team zugleich genügend Unabhängigkeit gegenüber der Gesellschaft, u m eine aktive Polit i k u. U. auch gegen mächtige Interessen durchzusetzen 411 . Bereits Lühmann hatte auf diese Funktion der Wahl zur Bildung autonomer Macht i m politischen System hingewiesen 412 . Der Wähler werde auf eine M i t w i r k u n g bei Stellenbesetzungen, d . h . auf den „Ausdruck politischer 406

Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft i m demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, S. 15. 406 Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft . . . , S. 17. 407 Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft . . . , S. 9; ähnlich früher schon R. Altmann, Muß unsere politische Maschinerie u m k o n struiert werden?, S. 27. 408 Vgl. Staatslehre, S. 131 ff., 341. 409 Staatslehre, S. 182. 410 Staatslehre, S. 296. 411 Staatslehre, S. 297 f. 412 Legitimation durch Verfahren, S. 164 ff.

E. Verfassungsrecht. Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit

Unterstützung i n hochgeneralisierter Form" beschränkt und zwinge den Politiker damit zunächst i n relativ autonome Entscheidungsfreiheit 4 1 3 . Angesichts der gegenwärtigen Interdependenzen von Staat und Wirtschaft muß diese scheinbare Autonomie allerdings ziemlich illusionär bleiben, wenn die jeweiligen Maßnahmen dann nicht m i t Hilfe entsprechender Öffentlichkeitsarbeit dauernd konsentiert werden 4 1 4 . Solche insgesamt jedoch nicht unrealistischen, w e i l den Bedürfnissen des „geplanten Kapitalismus" entgegenkommenden und sich deshalb verstärkenden Tendenzen 415 i n der Staatsrechtslehre beruhen ersichtlich auf der Vorstellung einer notwendigen Führungsautorität der Regierung bzw. des regierenden Teams über das Parlament, die freilich nur möglich sei, wenn dieses Führungsorgan noch vor dem Parlament unmittelbar demokratisch legitimiert werde 4 1 6 . Zur Begründung w i r d übereinstimmend auf die Verfassungswirklichkeit des „politischen Bewußtseins der Bürger" verwiesen, welchem „die modernen Regierungen auch entgegen ihrer verfassungsmäßigen Standortbestimmung als die verantwortlichen Staatsleitungsgremien" erscheinen; eine Rolle, der sie sich i n der Öffentlichkeit angeblich nicht entziehen können 4 1 7 . Eine — ihren parlamentarischen Möglichkeiten analoge — außerparlamentarische Regierungswerbung ließe sich i m Hinblick auf den faktischplebiszitären Charakter der Wahl staatlicher Führungsgruppen jedoch allenfalls dann rechtfertigen, wenn das Verhältnis dieser RegierungsTeams zum Volk inhaltlich und organisatorisch etwa dem verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen Regierung und Parlament entspräche.

funktionales

2. Tatsacheninformation als Äquivalent zur Parlamentspublizität

I m Verlauf dieser Untersuchung ist bereits mehrfach betont worden, daß demokratisch-parlamentarische Politik eine permanente Diskussion zwischen Aktivbürgerschaft und Abgeordneten über die i m Parlament präsentierten bzw. künftig einzubringenden Alternativen voraussetzt. Eine solchermaßen kommunikativ-partizipatorische Verkoppelung von politischer Meinungs- und Willensbildung des Volkes m i t dem staatlichen Entscheidungsprozeß kann allerdings nur zustande 413 Legitimation durch Verfahren, S. 165 f. 414 v g l . Th. Ellwein, Regierung als politische Führung, S. 117. 416

Vgl. etwa auch E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft. So H.-J. Veen, Die parlamentarische Regierung zwischen Subordinat i o n u n d politischer Führung, S. 33. 417 Vgl. H.-J. Veen, Die parlamentarische Regierung zwischen Subordinat i o n u n d politischer Führung, S. 37. Unter ähnlichen Hinweisen auf den plebiszitären Charakter der W a h l i n der „konkreten VerfassungsWirklichk e i t " ist bereits C. Schmitt (Legalität u n d Legitimität, S. 339 ff.) f ü r die cäsaristische, sog. „plebiszitäre L e g i t i m i t ä t " eingetreten. 416

17

Kempen

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2. Teil, Kap. I V : Demokrat. Willensbildung u. a t l . Öffentlichkeitsarbeit

kommen, wenn hinsichtlich der anstehenden Themen auf allen Seiten ein vergleichbares Informationsniveau (oder zumindest die Möglichkeit zum Erwerb der relevanten Kenntnisse) besteht. Das zu solcher Informationsvermittlung vorgesehene verfassungsrechtliche Vehikel, die Publizität parlamentarischer Verhandlungen, ist hierfür freilich weithin untauglich geworden, w e i l w i r k l i c h existenzielle, langfristige Entscheidungen heute immer seltener i n Form parlamentarischer Gesetze und immer unhäufiger als außerhalb des Parlaments (oder unter Beteiligung nicht öffentlich tagender Ausschüsse) entstandene Planbeschlüsse der Exekutive gefaßt werden. Da die grundgesetzlich normierte demokratische Willensbildung aber keinesfalls gerade i n den wichtigsten Bereichen moderner Politik paralysiert werden darf, müssen hier umfassende amtliche Informationen die Funktion parlamentarischer Publizität übernehmen, m i t h i n als funktional äquivalenter Ersatz dienen, wenn die gesamten exekutivischen Planungsverfahren nicht i n eklatanten Widerspruch zur Verfassung geraten sollen. So scheint es fast, als sei der Trend zur Volkswahl der Regierung lediglich Ausdruck eines entsprechend gewandelten Verhältnisses von Öffentlichkeit und Exekutive, das sich nunmehr i n weiten Bereichen direkt — d . h . ohne vorgängige Parlamentsvermittlung — vollziehen muß. Eben diese Entwicklungstendenzen sprechen jedoch letztlich entscheidend gegen eine den parlamentarischen Werbemöglichkeiten analoge allgemeine Werbekompetenz der immer abhängigeren Exekutive, w e i l sie die Strukturen unseres politischen Systems i n verfassungswidriger Weise pervertieren müßten. Nach dem Grundgesetz ist das Parlament ebenso wie die Regierung Teil der organisierten Staatlichkeit. Seine verbindlichen, möglicherweise sogar verfassungsändernden Entscheidungen programmieren die Exekutive einschließlich des Kabinetts zwingend bis i n den Einzelakt hinein. Abgesehen von Ausnahmefällen (z.B. einer nach Parlamentsauflösung geschäftsführenden Regierung, vgl. A r t . 69 I I I GG) sind die Exekutivspitzen ohne eine Volksvertretung also weithin handlungsunfähig. Daneben ist zwar auch die Aktivbürgerschaft als Wahlvolk oberstes Staatsorgan m i t Entscheidungskompetenz, doch verfügt der Wähler allenfalls — und häufig nur indirekt — über Stellenbesetzungen sowie langfristige Globalperspektiven der Parteien, während sich seine Beteiligung am staatlichen Willensbildungsprozeß während der Wahlperioden gerade nicht i n unmittelbar rechtsverbindliche Dezisionen umsetzt (abgesehen vom Fall der Volksabstimmung). Bleiben die Beziehungen Regierung - Parlament rechtlich m i t h i n auf den Bereich staatsorganschaftlicher gemeinsamer Entscheidungsvorgänge beschränkt, an welchen der einzelne nur vermittels ihrer Publizität demo-

E. Verfassungsrechtl. Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit

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kratisch beteiligt werden kann, so greift die Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive direkt aus dem staatlichen Bereich heraus i n die i h n konstituierende und kontrastierende Sphäre öffentlicher Meinungsbildung hinein. Demgegenüber sollen die Diskussionen zwischen regierender Mehrheit und Opposition — jedenfalls verfassungstheoretisch — bei der gemeinsamen Beschlußfassung i m Parlament quasi gefiltert, d . h . lediglich deshalb „von den Augen der Öffentlichkeit" geführt werden, damit diese Öffentlichkeit stets unter kontroversen Aspekten — also zwar nur mittelbar, aber möglichst ausgewogen („objektiv") — informiert sei. Wohl liefert auch die an den Bürger unmittelbar adressierte amtliche Öffentlichkeitsarbeit durchaus informatives Material, doch ist solche Öffentlichkeitsarbeit von einseitiger Sicht geprägt, wohingegen Parlamentspublizität zu allermeist ein Gegeneinander alternativer A u f fassungen spiegeln soll. Je prononcierter der eine i m Parlament für seinen Vorschlag beim mitentscheidungsberechtigten politischen Gegner wirbt, desto schärfer w i r d dieser gegebenenfalls erwidern, u m einseitige Wirkungen „nach außen" zu verhindern. Die Legitimität solcher werbenden Überzeugungsversuche beim parlamentarischen Gegenüber folgt aus der Organisationsstruktur der Volksvertretung als eines majoritär beschließenden Kollegialorgans, i n welchem jeder zur Verwirklichung seiner Vorschläge mehrheitliche Zustimmung gewinnen muß. Gleichzeitig aber sind rechtliche Vorkehrungen getroffen, u m manipulatorische Tatsachenverdrehungen, -entstellungen, -Unterschlagungen und einseitig propagandistische Interpretationen so weit wie möglich zu verhindern, bzw. institutionell auszusteuern; nämlich das Entgegnungsrecht, das Prinzip der Mehrfachberatung sowie das (gegenüber der Regierung besonders wichtige) Zitierungs- und Interpellationsrecht m i t der korrespondierenden regierungsseitigen Antwortpflicht. Sie ermöglichen es dem Debattierenden i m Plenum, jeweils unmittelbar fundiert zu entgegnen und die Kernfragen auch werbend vorgetragener Entscheidungsvorschläge zu thematisieren. Sofern sich die werbenden Tendenzen alternativer Diskussionsbeiträge auf diese Weise gegenseitig einigermaßen neutralisieren oder i n publikumswirksamen Gegenaktionen jeweils herausgefiltert werden, können öffentliche Parlamentsdebatten zumindest hinsichtlich der dort behandelten Argumente den ihnen von der Verfassung zugedachten „objektiven" Informationswert gewinnen. Gerade die hierfür unentbehrlichen, institutionell-propagandafeindlichen Bedingungen fehlen jedoch i n den direkten Beziehungen zwischen Exekutive und politischer Öffentlichkeit fast gänzlich. Amtliche Pressestellen etwa wollen keinesfalls Beratungen über gemeinsam m i t den Adressaten zu treffende Entscheidungen eröffnen, es besteht auch keine praktisch unbegrenzte Auskunftspflicht der Exekutive gegenüber 17*

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den Angesprochenen, die unter solchen Umständen ein notwendig passives Publikum bleiben und erst über organisierte Meinungsformen i n den staatlichen Entscheidungsbereich und damit auf die Ebene gleichberechtigter Diskussion gelangen können. Da die Adressaten amtlicher Öffentlichkeitsarbeit aber nicht vollwertige Diskussionspartner, sondern zunächst nur sprachlose Zielgruppen bleiben, ist die Manipulationsgefahr i m Verhältnis Exekutive - Öffentlichkeit besonders groß. Es mangelt vor allem an jenen manipulationsneutralisierenden rechtlichen Vorkehrungen, die politisch ausgeprägte Werbeversuche zwischen parlamentarischer Mehrheit und Minderheit nicht nur legitim, sondern sogar informationsfördernd erscheinen lassen. Wegen des Fehlens solcher institutionellen Korrekturmechanismen ist die amtliche Werbung außerhalb des Parlaments nicht zulässig. Die umfangreichen exekutivischen Publizitätsverpflichtungen folgen bekanntlich als Komplementärgebot aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip demokratischer Legitimation und Kontrolle auch der vollziehenden Gewalt (vgl. oben I I I 1). Eben dieser Kontroll- und Legitimationseffekt würde aber vereitelt, wenn sich die Exekutivspitzen hier von den spezifisch manipulationsfeindlichen Bedingungen parlamentarischen Verhandeins befreien dürften, indem sie i n ihrer Öffentlichkeitsarbeit auch außerhalb des Parlaments werbende Akzente setzten, d. h. die eigene Kontrollinstanz nachhaltig manipulierten. Angesichts der Ausweitung des Exekutivsektors zum Steuerungszent r u m i m organisierten Kapitalismus aber hat sich die Legitimationsund Kontrollkapazität aller Volksvertretungen als so unzureichend erwiesen, daß die exekutivische Eigeninformation heute weniger als Ergänzung der Parlamentspublizität denn als Äquivalent für jene schwindende Öffentlichkeitsfunktion parlamentarischer Verhandlungen w i r k t . Da dieses wachsende Informationsdefizit jedoch gedeckt werden muß, wenn die politische Willensbildung unter dem Grundgesetz nicht gänzlich verkümmern soll, gebietet das verfassungsrechtliche Legitimationsprinzip insofern erst recht einen Ausgleich durch entsprechend verstärkte amtliche Öffentlichkeitsarbeit. Gefordert ist freilich allein die Intensivierung der Information, nicht aber eine staatliche Meinungs- und Sympathiewerbung durch Public-Relations-Kampagnen der Presseämter und manipulative Informationspolitik. Nur „objektive" Informationen wären nämlich ein Äquivalent parlamentarischer Publizität und damit unter dem grundgesetzlichen System einer mittelbaren Demokratie zulässig, während jede Regierungspropaganda i n die Richtung verfassungswidriger demi-autoritärer A k k l a mation weist 4 1 8 . Die verfassungsrechtliche Grundstruktur demokratischer Legitimation gestattet m i t h i n keine amtliche Werbung.

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Eine möglichst umfassende Berichterstattung aus dem Exekutivbereich hingegen erlaubt es, bestimmte Probleme rechtzeitig an das Parlament heranzutragen und die Auswahl der dort diskutierten Themen i n der Öffentlichkeit kritisch zu kontrastieren. Tatsächlich findet die politische Diskussion — wie Scheuner treffend bemerkt 4 1 9 , — heute i n einem viel weiteren Rahmen als nur dem parlamentarischen statt, obgleich vor allem hier verbindlich entschieden wird. Soll die relevante öffentliche Auseinandersetzung der Meinungen nicht schließlich ganz am Parlament vorbeigehen, so werden die Volksvertreter ihre eigene Publizität jedoch ebenfalls erweitern müssen, indem sie insbesondere die ohnehin immer selbständigeren Fachausschüsse420 prinzipiell öffentlich tagen zu lassen 421 haben. Anders als nach derzeit überwiegender Praxis 4 2 2 sollte auch i n Parlamentsausschüssen Publizität die Regel und Geheimhaltung begründungsbedürftige Ausnahme sein. Nur so läßt sich verhindern, daß Ausschußberatungen immer mehr zum w i l l k o m menen Schutz vor der öffentlichen Erörterung wirklicher Argumente und politischer Beweggründe i n Plenardebatten werden. Soweit hingegen echte Geheimhaltungsinteressen bestehen, muß die Öffentlichkeit m i t entsprechend konkreter Begründung auszuschließen sein. A u f diese Weise lassen sich die gegen eine prinzipielle Ausschußpublizität vorgetragenen Argumente 4 2 3 — etwa i m Falle militärisch-strategischer Pläne — berücksichtigen, zugleich aber allfällige Mißbrauchstendenzen erschweren 424 . Ihren verfassungsrechtlich begründeten politischen Führungsanspruch 425 können die Parlamente freilich allein auf diesem Wege keineswegs wirklich effektiv realisieren, w e i l die entgegenstehenden Bedingungen des organisierten Kapitalismus damit nicht einmal an418 Vgl. den Hinweis bei O. Massing, Restriktive sozio-ökonomische Bedingungen parlamentarischer Reformstrategien, These 12, S. 340. 419 Entwicklungslinien des parlamentarischen Regierungssystems i n der Gegenwart, S. 399. 420 y g L hierzu W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung am Beispiel der Bundestagsausschüsse. 421

Vgl. A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus, S. 467; J. Hirsch, Haushaltsplanung u n d Haushaltskontrolle, S. 183; auch Frost, AöR 95 (1970), S. 38 ff. 422 Vgl. z. B. § 73 I I 1 GeschO B T sowie die Geschäftsordnungen aller L ä n derparlamente außer Bayern u n d —eingeschränkt — Berlin. 423 Vgl. z. B. W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff, S. 69. 424 Die häufig gegen eine Ausschußpublizität vorgetragene Simplifikation „Je weniger Öffentlichkeit desto mehr sachdienliche Offenheit" (so etwa W. Martens, ö f f e n t l i c h als Rechtsbegriff; N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 189) ist i n solcher Allgemeinheit ohnehin unhaltbar (vgl. W. Steffani, Parlamentarische Demokratie — Z u r Problematik von Effizienz, Transparenz u n d Partizipation, S. 12; ü . Thaysen, Parlamentsreform i n Theorie u n d Praxis, S. 101). 425 Hierzu neuestens R. Hoffmann, Haushaltsvollzug u n d Parlament, S. 31 ff.

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satzweise verändert werden dürften. Da sich die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen heute i n der gesamten politischen „Verteilungssphäre", d. h. vornehmlich außerhalb der Volksvertretung abspielen, müßte die demokratische „Lernkapazität" des gesamten parlamentarischen Regierungssystems zunächst institutionell verbessert werden 4 2 6 , indem an die Stelle einseitiger, sachlich beschränkter Publikumswerbung ein möglichst umfassendes, dialogisch angelegtes Kommunikationsverhältnis zur Öffentlichkeit t r i t t , das wenigstens rechtlich und organisatorisch i n Form permanenter exekutivischer Informationsverpflichtungen konkret abgesichert ist. N u r unter solchen Bedingungen ließe sich die Beschränkung parlamentarischer Debatten auf relativ wenige, für „wichtig" erachtete Probleme verfassungsrechtlich hinnehmen. 3. Staatliche Finanzierung oppositioneller Öffentlichkeitsarbeit als Konsequenz des sog. Parteienstaates? Bei der verfassungsrechtlichen Begründung eines Verbotes nichtparlamentarischer amtlicher Werbung haben w i r hauptsächlich auf Funktionsweise und Außenwirkung der Parlamentsdebatten i m Verfassungsmodell abgestellt, w e i l hiernach zumindest die Opposition alle rhetorischen Propaganda-Bemühungen regierender Mehrheiten debattierend konterkarieren wird, so daß der Informationseffekt letztlich relativ ausgewogen bleibt. Wenn die politisch relevanten Informationen unter den Bedingungen des organisierten Kapitalismus aber nicht länger ausschließlich vor der Volksvertretung erteilt, sondern meist über amtliche Pressestellen direkt verbreitet werden müssen, dann liegt es nahe, auch die Opposition m i t entsprechenden Haushaltsmitteln zur Errichtung von Oppositionspresseämtern auszustatten. Da die Mehrheitspartei(en) zweifellos vor der Regierungswerbung propagandistisch profitiert, folgt dies scheinbar zwingend aus dem Grundsatz der Chancengleichheit politischer Parteien 4 2 7 . Ferner würde durch die Errichtung eines staatlich finanzierten Oppositionspresseamtes anscheinend zugleich das Funktionsprinzip der Parlamentsverhandlung m i t ihren werbenden Diskussionsbeiträgen auf eine den modernen technischen Möglichkeiten (Massenkommunikation) und systemstrukturellen Erfordernissen angemessene Weise unmittelbar i n die Öffentlichkeit hinein verlängert: Sowohl die staatliche wie auch die oppositionelle Öffentlichkeitsarbeit könnten durchaus propagandistisch arbeiten, w e i l auch 42« vgL Q Massing, Restriktive sozio-ökonomische Bedingungen parlamentarischer Reformstrategien, These 16, S. 342; auch N. Luhmann, Politikbegriffe u n d die „Politisierung" der Verwaltung, S. 218 f. 427 So O. Uhlitz, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung u n d Parteifinanzierung, Recht u n d Politik, Heft 4, 1966, S. 14.

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i m außerparlamentarischen Dialog beider Gegenspieler Einseitigkeiten schließlich ausgesteuert würden 4 2 8 . Die staatliche Finanzierung oppositioneller Öffentlichkeitsarbeit ließe sich überdies als zwangsläufige Konsequenz der von Leibholz beschriebenen Entwicklung zum „Parteienstaat" deuten, i n deren Verlauf sich das politische Zentrum immer mehr zu den die Aktivbürgerschaft plebiszitär organisierenden Parteien verschoben habe 4 2 9 . Wäre der „Parteienstaat" wirklich das „Surrogat der direkten Demokratie i m modernen Flächenstaat", welches den „Gemeinwillen . . . allein m i t Hilfe des Identitätsprinzips ohne Beimischung repräsentativer Strukturelemente" hervorbrächte 480 , dann müßten die politischen Auseinandersetzungen der Parteien konsequenterweise generell ohne parlamentarische Vermittlung direkt auf dem Forum aktivbürgerlicher öffentlichkeit so geführt werden, daß plebiszitäre Entscheidungen über die von den Parteieliten (!) 4 8 1 werbend dargestellten Vorschläge möglich sind. Folgerichtig hat Leibholz die Notwendigkeit staatlicher Parteienfinanzierung — und nichts anderes wäre die Verteilung von Haushaltsmitteln für parteipolitische Öffentlichkeitsarbeit — immer wieder unter H i n weis auf seine Lehre vom „Parteienstaat" hervorgehoben 482 . Nun treffen die — mit den Feststellungen C. Schmitts 488 weithin übereinstimmenden — Beobachtungen Leibholz* zur Entwicklung der parlamentarischen Demokratie 4 8 4 i n tatsächlicher Hinsicht zwar vielfach zu, doch sind die daraus entwickelten theoretischen Überlegungen zum plebiszitären Parteienstaat kaum haltbar. Sie beruhen nämlich auf einer kurzschlüssigen 485 Identifizierung der regierenden Parteienmehrheit m i t dem (organisierten) Volk als Staatsorgan 486 . Abgesehen davon, daß die 428

Folgerichtig hält Uhlitz als Befürworter einer staatlichen Finanzierung oppositioneller Pressearbeit grundsätzlich auch die Regierungswerbung f ü r zulässig (Öffentlichkeitsarbeit der Regierung u n d Parteifinanzierung, Recht u n d Politik, Heft 4, 1966, S. 13). Wegen der Möglichkeit staatlich finanzierter Oppositionspresseämter erscheint auch die Auffassung Häberles nicht schlüssig, derzufolge das Prinzip der Chancengleichheit die Regierungswerbung zumindest vor den Wahlen verbiete (Struktur u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische Bildung, Heft 3, 1970, S. 31). 429 Y g i z . b . Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 95. 430 So G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 93 f. 431 Vgl. hierzu G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 1 2 4 1 482 Vgl. z.B. Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 129; Z u m Parteiengesetz von 1967, S. 193 ff. 433 Vgl. z. B. Verfassungslehre, S. 319. 434 VgL der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 94 f. 435 K . Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien i m modernen Staat, W D S t R L Heft 17 (1959), S. 21 Fn. 28. 486 So G. Leibholz, Der S t r u k t u r w a n d e l der modernen Demokratie, S. 94.

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Parteien weder den Anspruch erheben, „das" Volk zu „sein" 4 3 7 , noch die politische Willensbildung des Volkes umfassend und verbindlich verkörpern zu können, sondern gem. A r t . 21 I 1 GG nur daran mitzuwirken haben, sind sie auch innerparteilich durchaus „repräsentativ" organisiert. Die Ablösung der Parlamente durch die Parteien würde also lediglich eine Form repräsentativer Herrschaft durch eine andere ersetzen 438 . Darüber hinaus garantiert die staatliche Finanzierung oppositioneller Öffentlichkeitsarbeit aber auch keine gleichwertig-gradlinige Erweiterung der Parlamentsdebatten i n den vorparlamentarischen Raum hinein 4 3 9 , denn die spezifisch manipulationshemmenden Bedingungen parlamentarischen Verhandeins lassen sich auf diese Weise gerade nicht reproduzieren. Rationalisierend und innovationsfördernd w i r k t die „Institutionalisierung von Meinungsverschiedenheiten" nämlich nur dann, wenn alle Gruppenexponenten i n einer zu gemeinsamen Entscheidungen berufenen Versammlung öffentlich, unmittelbar und persönlich miteinander konfrontiert werden und wenn Minderheitenschutz, Auskunftsanspruch und Widerspruchsrecht garantiert sind 4 4 0 . Während die parlamentarischen Verfahrensweisen solchen Voraussetzungen durchaus entsprechen, gehen diese disziplinierenden Wirkungen außerhalb institutioneller Organisationsstrukturen, also etwa i m Wahlkampf, trotz häufig wiederholter „Selbstbeschränkungs"-Abkommen regelmäßig rasch verloren. Außerhalb des Parlaments ist der nicht persönlich anwesende politische Gegner ganz selten auf ein bestimmtes, i h m möglicherweise unangenehmes Thema festzulegen; unmittelbare Entgegnungen sind kaum denkbar; Auskünfte ebenso wenig zu erzwingen wie sachlich ergiebige Antworten. Da folglich fast alle Voraussetzungen einer rationalen Diskussion fehlen, führt man den Wahlkampf mit nichtssagenden, propagandistischen Globalparolen vermittels einer — die ebenso undifferenziert agierenden Mitbewerber ignorierenden — direkt auf den Wähler gerichteten Propagandataktik. Angesichts dessen spricht nichts für die Annahme einer bloßen Fortsetzung parlamentarischer Debatten seitens der aus Haushaltsmitteln i n ihrer Öffentlichkeitsarbeit unterstützten Oppositionspartei(en) m i t publizistischen Methoden. Anstelle der erhofften Intensivierung demokratischer Willensbildung durch verstärkte Präsentation politischer A l 487

Vgl. W. Hennis, Amtsgedanke u n d Demokratiebegriff, S. 67. D. Czajka, Pressefreiheit u n d „öffentliche Aufgabe" der Presse, S. 125. 439 Dies scheint jedoch H. Rausch, Parlamentsreform, ZfPol X I V (1967), S. 277, anzunehmen. 440 Vgl. K . W. Deutsch, Politische Kybernetik, S. 336 f., w o allerdings das Publizitätsprinzip nicht genannt w i r d . 438

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ternativen würde der public-relations-förmige Dauerwahlkampf beider Seiten verschärft, ohne an Präzision zu gewinnen. Die immer wieder beobachtete Zunahme suggestiver Regierungswerbung i m typischen Stil parteipolitischer Wahlpropaganda vor jeweils anstehenden Wahlen bestätigt dies eindringlich. Überdies müßten staatliche Zuwendungen für oppositionelle Öffentlichkeitsarbeit (auch den Regierungsparteien wären übrigens solche — freilich wegen des Vorteils meist gleichgerichteter Exekutivwerbung entsprechend geminderte — „Beihilfen" zuzugestehen 441 ) als eine Form mittelbarer Parteifinanzierung gegenüber nicht parteimäßig organisierten Interessen i m politischen Meinungsbildungsprozeß chancenverzerrend wirken. Folglich ist auch eine finanzielle Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit von Oppositionsparteien aus öffentlichen Mitteln nicht geeignet, den — durch laufend forcierte exekutivische Eigenwerbung beschleunigten — Verfall der Parlamentspublizität adäquat auszugleichen und aufzufangen, sondern dürfte i h n eher noch potenzieren. Unter dem Grundgesetz wären solche Maßnahmen m i t h i n unzulässig. 4. Ergebnisse und Abgrenzungen Nach alledem muß der Verfassung unter Berücksichtigung ihres Charakters als eines emanzipatorischen Handlungsmodells heute ein zwingendes Verbot für jede außerparlamentarisch werbende Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive entnommen werden. A l l e i n ein solches Werbeverbot entspricht dem grundgesetzlichen Prinzip der Chancengleichheit zwischen Parteien und anderen politischen Interessengruppen. N u r so läßt es sich vielleicht vermeiden, daß jeweils herrschende Gruppen die aus dem Bereich staatlicher Entscheidungsabläufe i n die konstituierende Sphäre politischer Willensbildung zurückwirkenden Impulse manipulativ arrangieren und suggestiv aufbereiten, um das eigentlich „souveräne" Volk entgegen der demokratischen Norm sodann erfolgreich steuern zu können. Während solche Versuche psychischer Machtübung i m Parlament wegen oppositioneller Gegenmaßnahmen noch überwiegend wirkungslos bleiben, ist diese institutionelle Balance außerhalb der Volksvertretungen angesichts des Fehlens vergleichbarer Verfahrensregeln keinesfalls gesichert. Dabei bleibt es allen Parteien und Interessen freilich unbenommen, intensiv u m Zustimmung für ihre Ziele und Programme zu werben. Aus den dargelegten Gründen betrifft das verfassungsrechtliche Verbot der Eigenwerbung allein den staatlichen Bereich, für den an441 Vgl. O. Uhlitz, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung u n d Parteifinanzierung, Recht u n d Politik, Heft 4, 1966, S. 14.

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dererseits eine prinzipiell umfassende Informationspflicht sämtlicher Maßnahmen, Pläne und Programme besteht.

hinsichtlich

Bleibt deshalb speziell die Exekutive als wichtigster — w e i l veränderungsmächtiger — Produzent politischer Fakten und Nachrichten auf „reine" Berichterstattung und bloße Tatsacheninformation beschränkt, so dürften auch die auf dieses Faktenmaterial bezogenen Kontroversen unter den Politikern, Parteien und Interessengruppen, kurz die öffentliche Diskussion an Informationsgehalt gewinnen, d. h. i m feedback" zugleich ihre demokratische Kontrollintensität stärken. Damit könnte eine derart verstandene amtliche Öffentlichkeitsarbeit als funktionales Äquivalent zur Parlamentspublizität deren — durch die Strukturen des organisierten Kapitalismus bedingten — Verfall verfassungskonform auffangen und ausgleichen. I m Bereich der Selbstverwaltungskörperschaften kann das Werbeverbot freilich nur eingeschränkt gelten. Es entfällt dort für alle nach außen gerichteten, demokratisch verantworteten politischen Äußerungen der zuständigen Selbst Verwaltungsorgane (z. B. der Vorstände von Gemeinden oder Industrie- und Handelskammern, des Präsidiums der Westdeutschen Rektorenkonferenz oder der Allgemeinen Studentenausschüsse usw.), w e i l diese Körperschaften kollektiv organisierte M i t glieder-Aktivitäten als solche durchaus verfassungskonform 442 i n den zentralen politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß vermitteln sollen. Auch i m Selbstverwaltungsbereich unterliegt die interne W i l lensbildung jedoch dem demokratischen Prinzip, so daß insofern jeder Versuch der Organe, ihre Legitimationsbasis, d . h . die Mitglieder, mit Hilfe „amtlicher" Werbung meinungslenkend zu beeinflussen, grundsätzlich unzulässig wäre. Dasselbe gilt übrigens auch i m gesamtstaatlichen Bereich, wo werbende Selbstdarstellungen und Meinungsäußerungen der BRD oder ihrer Länder als Völkerrechtssubjekte, soweit sie nicht gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) oder gegen A r t . 26 GG verstoßen und innerstaatlich legitimiert wurden, verfassungsrechtlich zulässig wären. Unbedenklich erscheint ferner die neuerdings umstrittene Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskartellamtes 4 4 3 soweit sie sich als Offenlegung der Tätigkeit dieser Behörde — auch i n Einzelfällen — darstellt. Überhaupt ist davon auszugehen, daß umfassende Publizität i m Rahmen der jeweiligen Organkompetenzen heute jenes Legitimationsdefizit verfassungskonform verringern könnte, welches eine wesentliche 442 Vgl. dazu H. Ridder, Das sogenannte politische Mandat von Universität u n d Studentenschaft, S. 19 ff., 27 ff. 443 Vgl. dazu M. Kloepfer, Information als Intervention i n der Wettbewerbsaufsicht, m. w . N.

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Ursache der mangelhaften Autonomie des demokratisch verfaßten Staates gegenüber den Forderungen wirtschaftlich mächtiger Minderheiten ist. Die Verwirklichung des Verbots innerstaatlicher Eigenpropaganda setzt freilich voraus, daß Werbung und Tatsacheninformation überhaupt praktisch trennbar sind. Nun ist hier zwar ein Unschärfebereich kaum zuverlässig auszuschalten, doch lassen sich zwischen den Extremen reiner Propaganda und objektiver Information zulässige und unzulässige Formen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit schwerpunktmäßig w o h l unterscheiden 444 . So wären beispielsweise die Zeitungsanzeigen der Bundesregierungen seit der „Großen Koalition" trotz gewisser Informationsgehalte wegen ihrer überwiegenden Tendenz durchweg unschwer als verbotene Werbung zu qualifizieren. Ähnliches gilt für die Fülle amtlicher Broschüren, Presseauskünfte und Eigenberichte, wie sie i m darstellenden Teil meiner Arbeit beschrieben worden sind. Dabei könnte ein — möglicherweise auch mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts — geschärftes Problembewußtsein jenen Dunkelbereich kasuistisch konturieren und minimalisieren. N u r soweit Parteipolitiker i n parlamentarisch unmittelbar verantwortliche Exekutivämter gewählt wurden, wie etwa die Regierungschefs, Minister, parlamentarischen Staatssekretäre oder Bürgermeister und Landräte, lassen sich parteipolitische Position und Spitzenstellung i n der staatlichen Ämterhierarchie i n einer Person realistischerweise nicht trennen. Es wäre für die Parteien zudem wenig attraktiv, Staatsämter m i t ihren prominentesten Politikern zu besetzen, u m diese — doch als besonders befähigt eingeschätzten — Mitglieder für den permanenten Wahlkampf während ihrer Amtszeit zum Schweigen zu verurteilen. Die gewählten Exekutivspitzen dürfen daher auch während dieser Zeit als Parteipolitiker innerhalb und außerhalb der Volksvertretung für ihre Politik persönlich werben, also zwar ihre Person einsetzen, darüber hinaus jedoch weder den staatlichen Apparat noch öffentliche Gelder zu Werbezwecken i n Anspruch nehmen. Solange die jeweiligen Entscheidungsprozesse selbst nicht öffentlich ablaufen, läßt sich ohnehin keine ganz „lupenreine" Objektivität der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit erreichen. Da das Grundgesetz indessen keine generelle staatliche Publizitätspflicht kennt, und da w i r k l i c h neutrale Positionen i m politischen Bereich bekanntlich nicht denkbar sind, w i r d schon die Auswahl der publizierten Informationen bestimmte Wertungen widerspiegeln oder nahe^ 444 Vgl. W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit..., S. 27; P. Haberle, S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der Öffentlichkeit i m demokratischen Staat, Politische Bildung, Heft 3,1970, S. 31.

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legen, Wertungen etwa, welche die — zu Informationszwecken übrigens durchaus veröffentlichungsbedürftigen — Ansichten der Regierungsmitglieder stützen 4 4 5 . Freilich dürfen auch derartig unvermeidbare Wertungen die schmale Grenze zur Regierungswerbung keinesfalls überschreiten. Überdies w i r d die prinzipiell unbegrenzte Informationspflicht einseitigen Auswahltechniken ohnehin relativ wenig Raum lassen. Vor allem aber dürfte ein allgemeines Bewußtsein von der Verfassungswidrigkeit amtlicher Propaganda dem ebenso entgegenwirken wie eine kritische Öffentlichkeit, die die gebotenen Informationen ständig relativierend „hinterfragt" und das verfassungsrechtliche Offenbarungsgebot an den Staat hierdurch stets aufs Neue aktualisiert. I I . Über institutionelle Alternativen zur exekutivischen Öffentlichkeitsarbeit

Unseren Überlegungen zufolge fordert das grundgesetzliche Demokratiegebot die Vermittlung möglichst aller Interessen i n den staatlichinstitutionellen Prozeß allgemein verbindlicher Entscheidungsabläufe. Die Realität ist hiervon freilich weit entfernt. Dieses Mißverhältnis wächst unter den Bedingungen des organisierten Kapitalismus, w e i l die demokratische „Lernkapazität" der Volksvertretungen auch nicht annähernd ausreicht, u m die Vielfalt je tangierter Interessen, Probleme und Alternativen diskursiv zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei, w i r w i r gesehen haben, weniger u m ein Problem parlamentarischer Verfahrensweisen (die verfassungsrechtlich einigermaßen analog zur theoretisch gleichermaßen diskursiven Willensbildung des Volkes normiert sind) als vielmehr zumindest u m eines der Arbeitsbelastungsgrenze gewählter Abgeordneter. Die demgegenüber wesentlich größere personelle und technische Kapazität des Verwaltungsapparates ist einer der wesentlichen (wenn auch keineswegs der einzige) äußeren Gründe dafür, daß parlamentarischer Funktionsverfall und exekutivische Führungsrolle bei der Steuerung des geplanten Kapitalismus unter den gegenwärtigen Bedingungen hingenommen werden müssen. U m so notwendiger wäre deshalb eine verstärkte demokratische Interessenvermittlung 4 4 6 i n die Entscheidungsabläufe staatlicher Verwaltung. Diese Demokratisierung setzt jedoch eine der „gesellschaftlichen" W i l lensbildungsstruktur einigermaßen analoge Willensbildungsstruktur i m jeweiligen staatlichen Entscheidungsbereich voraus. 445

Vgl. ff. Ridder, Grundgesetz u n d „Öffentlichkeitsarbeit", S. 68. Gemeint ist freilich nicht die derzeit praktizierte offene (vgl. GGO I I § 23) oder offiziöse Beteiligung von Verbandsvertretern an den allen Bundesministerien attachierten Beiräten, Ausschüssen o. ä., denn diese M i t w i r k u n g bleibt i. d. R. vertraulich u n d deshalb f ü r eine verbandsinterne Diskussion bzw. allgemeine demokratische Willensbildung ungeeignet. Vgl. dazu R. Mayntz, Funktionen der Beteiligung bei öffentlicher Planung, S. 344 f. 446

E. Verfassungsrecht. Grenzen exekutivischer Öffentlichkeitsarbeit

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Staatsverwaltungen arbeiten nun jedoch hierarchisch, nicht aber demokratisch. Von ihrem Sachverstand und ihrer technischen Ausstattung her mögen sie deshalb insoweit zwar eine der Umwelt entsprechende technisch-sachverständige Differenzierung der eigenen Binnenstruktur erreichen, doch gelingt es kaum, „auch die realen Interdependenzen der Problemzusammenhänge i n der sozio-ökonomischen Umwelt durch entsprechende Verknüpfungsmuster der politisch-administrativen Problemverarbeitung zu reproduzieren" 4 4 7 . Da w i r oben (IV 1) bereits festgestellt hatten, daß die von artikulierten Interessen unbeeinflußten, also den eigenen Strukturen und Routinen des Exekutivapparates entspringenden Maßnahmen regelmäßig konservierende, die bestehenden Verhältnisse zugunsten der hiervon profitierenden Gruppen stabilisierende Züge tragen, müßte eine Zulassung „pluralistischer Einflußpolitik" i m Entscheidungsprozeß der Verwaltung einen demokratisierenden, den Funktionsverlust der Parlamente ausgleichenden Effekt haben 4 4 8 . Die Publizität der Arbeit pluralistisch zusammengesetzter und nach parlamentarischen Prinzipien verfahrender Verwaltungsträger wäre dann nur die letzte Konsequenz einer solchen Demokratisierung der Verwaltung. Kürzlich ist deshalb vorgeschlagen worden, den Kompetenzverlust des Parlaments durch eine M i t w i r k u n g von Betroffenen am exekutivischen Entscheidungsprozeß i n körperschaftlich verfaßten Organisationen zu kompensieren 449 . Abgesehen von den bereits erörterten Einwänden gegen das Pluralismus-Konzept angesichts einer unzureichenden innerverbandlichen Demokratie und der Vielzahl nicht organiserbarer Interessen, setzt dies auch die hinreichend normative Bestimmbarkeit der „Betroffenheitsmerkmale" voraus, damit der Gleichheitssatz nicht verletzt w i r d 4 5 0 . Die i n der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes notwendige Rückkoppelung pluralistischer Verwaltungskörperschaften an die Parlamente (vgl. A r t . 80 I 2 GG) 4 6 1 schränkt die Möglichkeiten einer pluralistisch demokratisierten und — folgerichtig — öffentlich arbeitenden Verwaltung 4 5 2 noch weiter ein. 447 p w. Scharpf, K o m p l e x i t ä t als Schranke der politischen Planung, S. 169; ähnlich w o h l auch N. Luhmann, Politikbegriffe u n d die „Politisierung" der Verwaltung, S. 218 ff., der von einem „Reflexionsdefizit" des politischen Systems spricht (S. 220). 448 Vgl. zu diesen Zusammenhängen neuestens C. Offe, Klassenherrschaft u n d politisches System. Z u r Selektivität politischer Institutionen, S. 72 ff., 92 ff., 102 ff. 449 W. Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, W D S t R L Heft 30 (1972), S. 269, 279 ff., Schlußwort, S. 355 f. 450 Stichwort: Anspruch auf Zulassung zur „Konzertierten A k t i o n " . Vgl. i m übrigen G. Kisker, Gruppenmitbestimmung i n der öffentlichen V e r w a l tung, D Ö V 1972, S. 520 ff. 451 Darauf weist W. Brohm (Die Dogmatik des Verwaltungsrechts . . . , W D S t R L Heft 30 (1972), S. 269) zutreffend hin.

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Recht begrenzt erscheinen auch die Aussichten einer verwaltungsinternen Demokratisierung, bei der die hierarchischen Willensbildungsformen durch innerbehördliche Team-Arbeit zu ersetzen wären 4 5 3 , die wiederum prinzipiell öffentlich zu erfolgen hätte, damit die dort erörterten Alternativen auch i n den allgemeinen Meinungs- und W i l lensbildungsprozeß eiageführt würden. Da die beamteten Team-Mitglieder jedoch keine gesellschaftlichen Gruppen legitim repräsentieren, könnte es sich hierbei allenfalls u m differierende Experten-Auffassungen handeln. Trotz aller Bedenken müssen solche Formen einer Demokratisierung der Verwaltung speziell i n öffentlichen Planungsvorhaben möglichst vielseitig angewendet werden, weil es vor allem der systemimmanente Zwang zur staatlichen Planung ist, der den Funktionsverfall der Parlamente und ihrer Publizität beschleunigt. Eine Lösung des Problems der demokratischen Legitimation staatlicher Planung ist unter den Voraussetzungen des gegenwärtigen institutionellen Systems freilich nirgends i n Sicht 4 5 4 . Die „restriktiven Bedingungen" schlagen hier übera l l durch, sie lassen sich vielleicht nur durch eine veränderte demokratische Sozialisation des einzelnen überwinden, welche sich auf psychotechnisch nicht arrangierte, aufklärende Information zu gründen hätte 4 5 5 . A l l e i n eine an diesem Ziel demokratischer Legitimation ausgerichtete staatliche Informationstätigkeit ist heute verfassungskonform.

452 Anders i n den USA. Vgl. dazu die — solche verfassungsrechtlichen Unterschiede nicht genügend berücksichtigende — A r b e i t F. W. Scharpfs über „Die politischen Kosten des Rechtsstaats". 463 So R.-R. Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, PVS 10 (1969), S. 279 ff.; vgl. auch M. Lepper, Teams i n der öffentlichen Verwaltung, Die V e r w a l t u n g 5 (1972), S. 141 ff. 464 Vgl. C. Offe, Demokratische Legitimation der Planung, S. 151; F. W. Scharpf, K o m p l e x i t ä t als Schranke der politischen Planung, S. 179. 455 v g l auch Y. Dror, Die Effizienz der Regierungstechnik, Die V e r w a l t u n g 5 (1972), S. 401.

Literaturverzeichnis Abendroth,

Wolf gang: Das Grundgesetz, Pfullingen 1966.

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