Griechische Geschlechtergeschichte 9783486596847, 9783486713879

Männlichkeit und Weiblichkeit – auch im antiken Griechenland bestimmten diese Kategorien das alltägliche Leben und die j

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German Pages 192 [196] Year 2011

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Zu diesem Band
I. Enzyklopädischer Überblick
II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung
III. Literatur
Abkürzungen
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Griechische Geschlechtergeschichte
 9783486596847, 9783486713879

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Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike

Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike Herausgegeben von Aloys Winterling in Verbindung mit Kai Brodersen, Martin Jehne und Winfried Schmitz

Band 11

Griechische Geschlechtergeschichte Von Tanja S. Scheer

Oldenbourg Verlag München 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2011 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: hauser lacour, www.hauserlacour.de Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Layoutkonzeption und Herstellung: Karl Dommer und Cornelia Horn Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: Grafik+Druck, München ISBN 978-3-486-59684-7

Vorwort Die ,,Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike“ richtet sich an Studierende, Lehrende und Forschende der Geschichte, an interdisziplinär interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler benachbarter Fächer sowie an historisch interessierte Laien. Ihnen soll ein praktisches Hilfsmittel an die Hand gegeben werden, das auf knappem Raum einen forschungsnahen, problemorientierten Zugang zu zentralen Themenfeldern des griechisch-römischen Altertums eröffnet. Die einzelnen Bände orientieren sich an der bewährten Konzeption der Reihen ,,Grundriss der Geschichte“ und ,,Enzyklopädie deutscher Geschichte“ des Oldenbourg Verlags: Zunächst wird jeweils eine einführende Überblicksdarstellung des Gegenstandes gegeben. Es folgt eine Analyse der wissenschaftsgeschichtlich wichtigsten sowie der aktuellen Probleme, Diskussionen und Kontroversen der Forschung. Den Abschluss bildet eine auf den Forschungsteil bezogene, ausgewählte Bibliographie. Die thematische Gliederung des Gesamtwerks geht aus von der strukturgeschichtlichen Bedeutung städtischer Bürgerschaften für Gesellschaft und Kultur der klassischen griechisch-römischen Antike. Behandelt werden daher – teils gemeinsam, teils getrennt für Griechenland und Rom – Haus und Familie als Grundeinheiten der Stadt, soziale Strukturen und politische Organisationsformen, die auf der Basis städtischer Siedlung entstanden, schließlich außerstädtische und stadtübergreifende politische Strukturen (Reiche, Monarchien) sowie Themenfelder, die auf mehreren der drei Ebenen in Erscheinung traten (Militär, Wirtschaft, Geschlechterrollen, Religion). Methodisch sind die Bände einer Sichtweise verpflichtet, die an der Besonderheit der griechisch-römischen Antike gegenüber anderen vormodernen und gegenüber modernen Gesellschaften interessiert ist und die daher mit der Übertragung von Begriffen und Konzepten, die für moderne Sachverhalte entwickelt wurden, auf antike Phänomene vorsichtig umgeht. Entsprechend werden die begriffsgeschichtliche Dimension gegenwärtigen wissenschaftlichen Sprachgebrauchs und die kulturelle Dimension der behandelten Themen – die aus der Antike überlieferten symbolischen Sinnzuschreibungen und sprachlichen Selbstdeutungen – in die Überlegungen einbezogen. Eine systematische Enzyklopädie, die in dieser Weise dem heutigen Bild der Antike eine kritische Bestandsaufnahme der vergangenen und gegenwärtigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihr an die Seite stellt, wird in unterschiedlichen Kontexten von Nutzen sein: Studierende bekommen Überblickswissen zur Einführung geboten und zugleich einen schnellen diskursiven Zugang zu den unterschiedlichen Positionen der Forschung, die sich sonst erst nach längerer Einarbeitung in das

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Vorwort

jeweilige Thema erschließen. Lehrenden wird ein Arbeitsinstrument für modernen akademischen Unterricht an die Hand gegeben, das nicht nur die Ergebnisse historischer Forschung, das ,,gesicherte Wissen“, sondern auch die Entstehung dieses Wissens vorstellt und das daher bestens geeignet ist für das exemplarische Erlernen der Methoden historischen Arbeitens durch Beobachtung konkreter Forschungsdiskurse. Zweifellos werden die Bände der Enzyklopädie auch in der althistorischen Wissenschaft selbst willkommen sein. Die zunehmende Spezialisierung und die steigende Quantität der Publikationen hat auch hier den Überblick über das Fach längst zum Problem gemacht und das Bedürfnis nach Orientierung über herrschende Meinungen, aber auch über Desiderate und offene Fragen wachsen lassen. Im Kontext wissenschaftlicher Arbeit erleichtert eine systematische Aufarbeitung der Forschung zudem stets auch die kritische Reflexion der Prämissen, Fragen, Begriffe, Theorien und Methoden der bisherigen Beschäftigung mit der Antike. Orientierung über vorhandenes Wissen und Selbstbeobachtung der Forschung aber sind nicht nur Voraussetzung für die Fortentwicklung einer modernen Alten Geschichte, sie erleichtern auch den Zugang zum Fach für benachbarte Disziplinen und für eine breitere, in den letzten Jahren verstärkt an der Antike interessierte Öffentlichkeit. In gemeinsamen Treffen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden methodisch-theoretische Fragen und der Zuschnitt der einzelnen Bände diskutiert; die Manuskripte wurden von den Herausgebern vor der Drucklegung kritisch kommentiert. Trotz seines Bezugs auf das Gesamtwerk stellt gleichwohl jedes Buch eine unabhängige und eigenständige Abhandlung der jeweiligen Autorinnen und Autoren dar. Aloys Winterling

Inhaltsverzeichnis I. Enzyklopädischer Überblick 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Griechische Geschlechterbilder in Mythos, Philosophie, Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der mythologische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der philosophische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Der medizinische Diskurs: Anatomie und Physiologie der Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Interpretationen der Geschlechterdifferenz: Die Bedeutung des ,,kleinen Unterschieds“ . . . . . . 2.5 Die Sozialisierung der Geschlechter: Philosophische Konzepte vom ,,richtigen Geschlechterverhältnis“ . .

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3. Die Umsetzung der Geschlechterbilder in der sozialen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Erziehungsziel Geschlechtsidentität . . . . . . . . . 3.2 Geschlechtliche Zuordnung: Frühe Weichenstellungen

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4. Sexualität, Ehe und Familie: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Homoerotische Einführung von Knaben und Mädchen in die Sexualität . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Voreheliche heterosexuelle Beziehungen . . . . . . 4.3 Die Auswahl des Ehepartners . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Begegnung der Geschlechter in der Ehe . . . . 4.5 Elternschaft und Geschlechterverhältnis . . . . . .

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5. Pflüger und Weberinnen: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Der männliche Bereich des Haushalts: die Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der weibliche Bereich des Haushalts: die Textilarbeit 5.3 Geschlechterverhältnisse und die Wirtschaft des Oikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Krieger und Amazonen? Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport . . . . . . . 6.1 Erziehung zum Krieger . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Krieg, Sport und Männlichkeit . . . . . . . . . . . . 6.3 Kriegerische Weiblichkeit? Das militärische Feld und die Erziehung von Mädchen . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Sportliche Körpererziehung und Weiblichkeit . . . .

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Inhaltsverzeichnis

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos: Öffentlichkeit, Religion und Politik . . . 7.1 ,Privat‘ und ,öffentlich‘ – drinnen und draußen: Räume für die Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Körperbildung und Verhaltenstraining für die Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Geschlechterverhältnisse in der griechischen Religion 7.4 Geschlechterverhältnisse im politischen Raum . . . .

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II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung 1. Forschungsgeschichte: Einige Stichpunkte . . . . . . . . . 2. Griechische Geschlechterbilder in Mythos, Philosophie und Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der mythologische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der philosophische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Der medizinische Diskurs: Anatomie und Physiologie der Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Interpretationen der Geschlechterdifferenz: Die Bedeutung des ,kleinen Unterschieds‘ . . . . . . 2.5 Die Sozialisierung der Geschlechter: philosophische Konzepte vom richtigen Geschlechterverhältnis . . . 3. Die Umsetzung der Geschlechterbilder in der sozialen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Erziehungsziel Geschlechtsidentität . . . . . . . . . 3.2 Geschlechtliche Zuordnung: Frühe Weichenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sexualität, Ehe und Familie: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Einführung von Knaben und Mädchen in die Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Voreheliche heterosexuelle Beziehungen . . . . . . 4.3 Die Auswahl des Ehepartners . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Begegnung der Geschlechter in der Ehe . . . . 4.5 Elternschaft und Geschlechterverhältnis . . . . . .

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5. Pflüger und Weberinnen: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Der männliche Bereich des Haushalts: die Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der weibliche Bereich des Haushalts: die Textilarbeit 5.3 Geschlechterverhältnisse und die Wirtschaft des Oikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

6. Krieger und Amazonen? Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport . . . . . . . 6.1 Erziehung zum Krieger . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Krieg, Sport und Männlichkeit . . . . . . . . . . . . 6.3 Kriegerische Weiblichkeit? Das militärische Feld und die Erziehung von Mädchen . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Sportliche Körpererziehung und Weiblichkeit . . . . 7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos: Öffentlichkeit, Religion und Politik . . . 7.1 ,Privat‘ und ,öffentlich‘ – drinnen und draußen: Räume für die Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Körperbildung und Verhaltenstraining für die Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Geschlechterverhältnisse in der griechischen Religion 7.4 Geschlechterverhältnisse im politischen Raum . . . .

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III. Literatur 1. Forschungsgeschichte: Einige Stichpunkte . . . . . . . . . 2. Griechische Geschlechterbilder in Mythos, Philosophie, Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der mythologische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der philosophische Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Der medizinische Diskurs: Anatomie und Physiologie der Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Interpretationen der Geschlechterdifferenz: Die Bedeutung des ,kleinen Unterschieds‘ . . . . . . 2.5 Die Sozialisierung der Geschlechter: philosophische Konzepte vom ,richtigen Geschlechterverhältnis‘ . . . 3. Die Umsetzung der Geschlechterbilder in der sozialen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Erziehungsziel Geschlechtsidentität . . . . . . . . . . 3.2 Geschlechtliche Zuordnung: Frühe Weichenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sexualität, Ehe, Familie: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Einführung von Knaben und Mädchen in die Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Voreheliche heterosexuelle Beziehungen . . . . . 4.3 Die Auswahl des Ehepartners . . . . . . . . . . . 4.4 Die Begegnung der Geschlechter in der Ehe . . . 4.5 Elternschaft und Geschlechterverhältnis . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

5. Pflüger und Weberinnen: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Der männliche Bereich des Haushalts: die Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der weibliche Bereich des Haushalts: die Textilarbeit 5.3 Geschlechterverhältnisse und die Wirtschaft des Oikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Krieger und Amazonen? Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport . . . . . . . 6.1 Erziehung zum Krieger . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Krieg, Sport und Männlichkeit . . . . . . . . . . . . 6.3 Kriegerische Weiblichkeit? Das militärische Feld und die Erziehung von Mädchen . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Sportliche Körpererziehung und Weiblichkeit . . . . 7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos: Öffentlichkeit, Religion und Politik . . . 7.1 ,Privat‘ und ,öffentlich‘ – drinnen und draußen: Räume für die Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Körperbildung und Verhaltenstraining für die Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Geschlechterverhältnisse in der griechischen Religion 7.4 Geschlechterverhältnisse im politischen Raum . . . .

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Abkürzungen Register Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu diesem Band Für Nike und Kosmas Damian Die Fertigstellung dieses Buches hat deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen als ursprünglich geplant; bei der Breite des Themas ist dies aber vielleicht doch nicht überraschend. Entsprechend habe ich vielen Menschen zu danken, die mich während dieser Zeit unterstützt und begleitet haben. Zu diesen zählen meine ehemaligen Kollegen und Weggefährten am Institut für Geschichte der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und die Studierenden in Bielefeld, Oldenburg und Göttingen, denen ich in den letzten Jahren begegnen durfte. Mein Dank geht besonders an den Herausgeber Aloys Winterling sowie an Winfried Schmitz als Mitherausgeber. Beide haben das Manuskript gelesen und wichtige Hinweise gegeben. Frau Cordula Hubert vom Oldenbourg Verlag sei für die geduldige und kundige Betreuung gedankt. Der größte Dank richtet sich jedoch an meinen Ehemann Franz Alto Bauer, der mir seit gemeinsamen Studientagen stets der wichtigste Gesprächspartner ist, und an unsere Kinder Nike und Kosmas Damian, die dieses Buch in einigen Jahren vielleicht mit Interesse lesen werden. In dieser Hoffnung sei es ihnen schon jetzt gewidmet. Göttingen, im Juni 2011

Tanja S. Scheer

I. Enzyklopädischer Überblick 1. Einleitung ,,Es ist kein kleines Zeichen von der Würde der attischen Geschichte, dass nur ein Weib in ihr vorkommt, das aber beherrschte sie: die Jungfrau von der Burg“. Für den einflussreichen Gelehrten U.  WM [Aristoteles und Athen II, 99] war im Jahr 1893 allein die Göttin Athena geschichtsfähige Vertreterin des weiblichen Geschlechts in Athen. Athena, die sich der Mutterschaft verweigert und stattdessen in den Künsten des Krieges hervorragt, errang bei Wilamowitz ihren Platz in der attischen Geschichte durch ihre, nach Maßstäben des 19. Jahrhunderts, ausgeprägte Unweiblichkeit. Geschichtsfähigkeit und Weiblichkeit schienen sich noch für die Zeitgenossen von Wilamowitz weitgehend auszuschließen. Diese Einschätzung wird man heute nicht mehr teilen. Das Thema ,,Griechische Geschlechterverhältnisse“ erweist sich im Gegenteil sowohl chronologisch wie auch geographisch als ein komplexes Forschungsfeld, geprägt von einer disparaten Quellenlage. Die schriftlichen Zeugnisse beziehen sich auf einen Zeitraum von über tausend Jahren: von identischen Geschlechterverhältnissen in den einzelnen Abschnitten der griechischen Antike ist nicht auszugehen. Aber auch die Vorstellung einer linearen Entwicklung im Sinne etwa einer fortschreitenden ,Emanzipation‘ antiker Frauen im Hellenismus und im kaiserzeitlichen griechischen Osten des römischen Reiches zeigt sich als von modernen Wertehaushalten geprägt und für die griechische Kultur nicht zutreffend. Die Analyse der griechischen Geschlechterverhältnisse unabhängig von traditionellen chronologischen Binnengliederungen (Archaik, Klassik, Hellenismus, Kaiserzeit) und den mit ihnen verknüpften Vorannahmen erscheint entsprechend als wichtiges Desiderat der altertumswissenschaftlichen Forschung. Hinzu kommt, blickt man auf griechische Geschlechterverhältnisse, das Problem der sozialen Differenzierung: Die im Vergleich zu anderen historischen Epochen sehr wenigen erhaltenen Quellen stammen fast ausschließlich von männlichen Autoren und bringen männlichen Oberschichtangehörigen überproportionales Interesse entgegen. In der griechischen Gesellschaft konnten sich jedoch Geschlechterrollen, Aufgaben und Möglichkeiten je nach schichtenspezifischer Zugehörigkeit unterschiedlich darstellen: Ideale Männlichkeit zeigte sich in Adels- oder städtischen Honoratiorenkreisen auf andere Weise als in ärmeren Schichten. Freiheit oder Unfreiheit erwiesen sich bei der Sozialisierung der

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I. Enzyklopädischer Überblick

einzelnen Person als ebenso prägende Kategorien wie das Geschlecht: Restriktionen (und Freiheiten) einer griechischen Sklavin unterschieden sich z. B. deutlich von den Beschränkungen und Möglichkeiten einer Tochter, Ehefrau oder Witwe in einem bürgerlichen Polis-Haushalt. Die Quellenlage zur griechischen Antike lässt darüber hinaus die Verhältnisse in Athen und Sparta in den Vordergrund rücken. Bereits die Nachrichten zu Sparta sind jedoch keine ,,Selbstbeschreibungen“ von Spartanerinnen und Spartanern, sondern im Normalfall Zeugnisse fremder Autoren, deren Tendenz im Einzelfall zu berücksichtigen ist. Die Diskurse zu den Geschlechterverhältnissen in den Hunderten einzelner autonomer griechischer Poleis jenseits von Athen und Sparta lassen sich entsprechend noch schwieriger nachzeichnen.

2. Griechische Geschlechterbilder in Mythos, Philosophie, Medizin Die Griechen besaßen weder ein einheitliches noch ein verbindliches Geschlechterkonzept. Trotzdem erweist sich die Kategorie ,Geschlecht‘ als wichtiges Ordnungsprinzip aller Bereiche griechischer Kultur. Bereits die Vorstellungen von der ,Schöpfung‘ des Menschen als Mann und Frau sowie vom Geschehen bei der Zeugung männlicher und weiblicher Kinder divergierten. Auch die Anatomie des menschlichen Körpers in seiner geschlechtsspezifischen Ausprägung wurde unterschiedlich beschrieben. Folge hiervon waren divergierende Entwürfe bezüglich der Eigenschaften und Fähigkeiten der Geschlechter. Die einzelnen Konzepte wurden beeinflusst von sozialen Realitäten und konnten etwa aus der Konfrontation mit den vorhandenen praktischen Regelwerken und Gewohnheiten in Bezug auf das Zusammenleben der Geschlechter im Alltag entstehen. Außerdem trugen solche Konzepte dazu bei, diese Regelwerke mit zu rechtfertigen und zu befestigen. Sie halfen den Augenschein als erwiesene Wahrheit zu zementieren und definierten die Aufgaben und Rollen der Geschlechter. 2.1 Der mythologische Diskurs Erschaffung der Geschlechter

Die ältesten Zeugnisse zur Entstehung der Geschlechter stammen aus dem Bereich des griechischen Mythos. Mythologische Überlieferungen konnten in Griechenland durch verschiedene Medien tradiert werden – mündlich, schriftlich und bildlich. Gemeinsam war ihnen der Anspruch auf altehrwürdige Tradition. Inhaltlich lag der Schwerpunkt auf den Taten von Göttern und Heroen – die Handlungen mythischer Erzählung waren zeitlich von der Gegenwart der antiken Griechen weit entfernt.

2. Griechische Geschlechterbilder

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Der mythologische Diskurs entbehrte jedoch der Verbindlichkeit. Mythen erzählten von den Anfängen und von den Göttern; es handelte sich aber nicht um normative Texte. Keine geistlichen oder staatlichen Autoritäten erkannten sie als Leittexte an oder versuchten sie institutionell durchzusetzen. Die ältesten Texte der griechischen Kultur, die Großepen der Dichter Homer und Hesiod, hatten weitgehend mythische Themen zum Inhalt, welche auch Aufschluss über frühe Vorstellungen von der Entstehung der Geschlechter geben. In seinen Epen Theogonie (Von der Entstehung der Götter) und Erga kai hemerai (Werke und Tage) berichtete der Dichter Hesiod im späten 8. Jh. v. Chr. von der Erschaffung der Frau (theog. 570–612; erg. 56ff.). Während eine frühe Erzählung von der Erschaffung des männlichen Menschen nicht erhalten ist, musste die Schöpfung der Frau offenbar eigens begründet werden. Das Geschlecht der Frauen sollte von Pandora abstammen und somit erst deutlich später als die Männer auf die Welt gekommen sein. Als verlockendes Übel von den Göttern gesandt, habe Pandora genetisch mit dem Mann nichts zu tun. Sie sei ,,von anderem Geschlecht“ und vom Schmiedegott Hephaistos als Strafe für die männlichen Menschen aus Erde geformt worden. Athena hauchte ihr bei Hesiod den Atem ein, Aphrodite versah sie mit betörender Rede – und mit hündischem Sinn. Spätere Überlieferungen machten Prometheus, welcher durch seinen Feuerdiebstahl zugunsten der Menschen bereits bei Hesiod für die ,Strafe Frau‘ verantwortlich gewesen war, zum Schöpfer der Menschen beiderlei Geschlechts. Im Allgemeinen gehen griechische Götter- und Heroenmythen von zwei deutlich voneinander unterschiedenen, aber aufeinander bezogenen Geschlechtern aus. Zeugung erfolgt durch die Kombination von männlichem und weiblichem Prinzip, angeregt durch Eros. Auch die Göttinnen empfangen ihre Kinder im Normalfall analog den Menschen durch zweigeschlechtliche Zeugung. Die Unsterblichen sind jedoch nicht an die physiologischen Vorgaben des menschlichen Körpers gebunden. Im Ausnahmefall kann die zornige Hera ihren Sohn Hephaistos auch aus sich allein erzeugen und gebären. Die Liebesgöttin Aphrodite ist selbst mutterlos aus dem abgeschnittenen Glied des gestürzten alten Gottes Uranos entstanden. Die Reifung ungeborener göttlicher Kinder ist nicht auf weibliche göttliche Körper beschränkt: Der Göttervater Zeus trägt Dionysos in seinem Schenkel aus, die Tochter Athena wächst in seinem Bauch heran und entspringt schließlich seinem Haupt. Mythische Erzählungen von geschlechtlicher Uneindeutigkeit oder konkreter Geschlechtsumwandlung sind relativ selten. Griechische Götter sind zwar imstande, ihr Geschlecht zu wechseln, wenn sie den Menschen unerkannt erscheinen wollen. Dies sind aber nur vorübergehende Verkleidungen, die auf das geschlechtsspezifisch gedachte Zeugungsverhalten der Götter keinen Einfluss haben. Geschlechtsumwandlungen bei griechischen Heroen und Heroinen sind Einzelfälle und

Pandora

Göttliche Zeugung

Geschlechtliche Uneindeutigkeit

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I. Enzyklopädischer Überblick

werden als Beispiel für Gunst oder Zorn der Götter präsentiert. Insgesamt betrachtet belegen die einschlägigen mythologischen Erzählungen für die griechische Kultur die Vorstellung von Zweigeschlechtigkeit als natürlicher Voraussetzung für die Entstehung von Göttern, Heroen und Menschen. 2.2 Der philosophische Diskurs Zeugungstheorien der Vorsokratiker

Aristoteles’ Zeugungstheorie

Bereits im 6. und 5. Jh. v. Chr. fragten in Kleinasien, Unteritalien und im griechischen Mutterland die so genannten vorsokratischen Philosophen nach der Entstehung des menschlichen Körpers in zwei Geschlechtern. Sie entwickelten unterschiedliche Theorien zum Anteil von Vater und Mutter beim Zustandekommen männlicher und weiblicher Kinder. Parmenides von Elea, Empedokles von Agrigent und Alkmaion von Kroton gingen etwa davon aus, beide Elternteile steuerten bei der Erzeugung von Kindern Samen bei. Hippon von Elis und Anaxagoras von Klazomenai urteilten ,nach Sicht‘ und ließen nur den Vater als Produzenten von Samen und somit als ,Erzeuger‘ gelten. Für die Entwicklung eines männlichen oder weiblichen Kindes waren nach Meinung mancher vorsokratischer Philosophen Temperatur und Lage des Samens ausschlaggebende Kriterien: Parmenides glaubte, die rechte Seite der Gebärmutter produziere männliche, die linke Seite weibliche Nachkommen. Anaxagoras ließ im linken Hoden des Mannes Samen für weibliche, im rechten für männliche Kinder entstehen. Für Empedokles wiederum war die Wärme der Gebärmutter entscheidend. Demokrit von Abdera vertrat schließlich die überraschend modern anmutende Meinung, beide Eltern würden Samen beisteuern, und zwar jeder von jedem Körperteil. Das Geschlecht des Kindes werde von dem Samen bestimmt, welcher sich jeweils von den elterlichen Geschlechtsorganen abspalte und als männlicher oder weiblicher Samen die Vorherrschaft gewinne. Die Gegensätze links und rechts sowie warm und kalt spielten bei der Konstruktion antiker Geschlechterbilder nicht nur in den Zeugungstheorien eine Rolle. ,Links‘ ordnete man gemeinhin dem weiblichen Geschlecht zu – war doch der linke Arm der schwächere von beiden –; ,rechts‘ galt entsprechend als das männliche Prinzip. Über die Zuweisung der als unterschiedlich angenommenen Körpertemperatur gab es bei den vorsokratischen Philosophen keine Einigkeit: Parmenides hielt die Frauen für wärmer als die Männer, Empedokles war vom Gegenteil überzeugt. In den Schriften von Sokrates’ Schüler Platon (428/7–348) werden biologische Inhalte kaum betrachtet. Aristoteles (384–322) hingegen, selbst Sohn eines Arztes, brachte der Frage nach der Entstehung und den körperlichen Unterschieden der Geschlechter ausgeprägtes Interesse entge-

2. Griechische Geschlechterbilder

5

gen. Er wies ebenfalls Mann und Frau einen Anteil an der Zeugung zu, beschrieb diesen jeweils aber als geschlechtsspezifisch. Den Beitrag des Mannes hielt er für den wichtigeren. Die beim Mann vorhandene Körperhitze ermögliche nämlich diesem – im Gegensatz zu den körperlich kälteren Frauen –, sein Blut zu aktivem und formendem Samen zu verkochen. Dieser väterliche Same, von dem keine physische Spur zurückbleibe, sei dann das ausschlaggebende Moment bei der Belebung und Formung der von der Frau gestellten ungeformten Materie. Seine Temperatur bestimme das Geschlecht des Fötus: Sei der männliche Samen zu kalt, werde ein weibliches Kind erzeugt (Aristot. gen. an. 727b 31ff.). In den naturwissenschaftlichen Schriften der aristotelischen Schule wurde Männern und Frauen als Angehörigen derselben Gattung ,Mensch‘ eine grundsätzlich enge Verwandtschaft bescheinigt. Die Geschlechter unterschieden sich zwar in Bezug auf den Stoff und die Ausformung des Körpers, nicht aber in der Substanz. Der entscheidende Unterschied liege in der antreibenden Körperwärme, welche Aristoteles im Herzen lokalisierte. Das Anschauungsbeispiel vom Eunuchen, der, seiner Männlichkeit beraubt, sichtbar verweiblicht, brachte Aristoteles wohl zu seinem viel diskutierten Ausspruch, das Weibchen sei gleichsam ein verstümmeltes Männchen (Aristot. gen. an. 737a 27ff.). Da die Natur aber nichts Überflüssiges schaffe, müsse die Existenz zweier Geschlechter einen bestimmten Sinn besitzen. Diesen sah Aristoteles in der zweigeschlechtlichen Zeugung – schließlich hätte die Natur die Frauen sonst auch aus sich selbst heraus zeugen lassen können. 2.3 Der medizinische Diskurs: Anatomie und Physiologie der Geschlechter Unter dem Namen des berühmtesten Arztes der Antike, Hippokrates von Kos (5. Jh. v. Chr.), zirkulierte in der Antike eine Anzahl medizinischer Traktate, die wohl seit dem 3. Jh. v. Chr. in Alexandria gesammelt worden waren. In den Schriften des Corpus Hippocraticum spiegeln sich die vorangehenden Diskussionen der Naturphilosophie des 6. und 5. Jh. v. Chr. In der Frage nach der Zeugung des Menschen in zwei Geschlechtsformen gingen die Hippokratiker von gleichartigen Zeugungsbeiträgen der Mutter und des Vaters aus: Beide Geschlechter produzierten sowohl männlichen als auch weiblichen Samen. Für das Geschlecht des Kindes sei dann entweder die Temperatur der Gebärmutter oder die Seite, in die der Samen zu liegen kam, verantwortlich: Die rechte Seite erzeuge männliche, die linke weibliche Kinder. Wie ausgeprägt die geschlechtliche Zuordnung des Kindes erschien – so der Verfasser der hippokratischen Schrift ,Über den Samen‘ (Hippokr. genit. 6) –, sei von der zufälligen Kombination der elterlichen Samentypen bei seiner Zeugung abhängig. Sechs Varian-

Corpus Hippocraticum

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Physiologie

Anatomie

Körperliche Gleichheit der Geschlechter

I. Enzyklopädischer Überblick

ten hielt er für möglich, welche auf einer Skala der Geschlechtlichkeit zwischen ,besonders männlich‘ über ,androgyn‘ bis ,besonders weiblich‘ verliefen. Männer und Frauen waren in den hippokratischen Schriften höchst unterschiedliche Wesen: Frauen sollten aus anderem Stoff gemacht sein als Männer; ihr Fleisch war feucht und schwammig. Männerkörper bestanden im Gegensatz hierzu aus festem, geformtem Material (Hippokr. Mul. 1.1). Ein Überhandnehmen der Feuchtigkeit im weiblichen Körper musste verhindert werden, das Ausbleiben der Menstruation wurde als deutliches Warnsignal verstanden. Auch im Fall der Männerkörper glaubte man auf das Gleichgewicht der Körpersäfte achten zu müssen, um krankhafte Veränderungen zu vermeiden. Allerdings sah etwa der Verfasser der hippokratischen Schrift über die Frauenkrankheiten (Mul. 1.1) die Stabilität der männlichen, von Natur aus trockeneren Existenz bereits dadurch gewährleistet, dass Männer seines Erachtens schwerer arbeiteten als Frauen. Die Geschlechterdifferenz wurde von den Hippokratikern aber auch anatomisch definiert. Der weibliche Körper war nach Meinung hippokratischer Ärzte gegliedert durch einen hodos, eine Art vertikale Röhre mit einem ,Mund‘ an beiden Enden. Diese Enden waren aufeinander bezogen. Dies glaubte man daran zu erkennen, dass die Nasenlöcher verstopften, wenn der Gebärmuttermund sich schloss. Im Zentrum des weiblichen Körpers lokalisierte man die Gebärmutter als unbefestigtes Organ, welches frei durch den Körper schweifen konnte (vgl. Hippokr. Loc. Hom. 47). Die Bewegungen der Gebärmutter, die etwa bei Feuchtigkeitsmangel zur Leber wanderte oder gar auf Hals und Kopf drückte, sollten für bedrohliche Krankheitsbilder verantwortlich sein. Durch Räuchertherapien, die an Mund und Vagina ansetzten, versuchte man das außer Kontrolle geratene Organ aus der oberen Körperhälfte zu vertreiben oder es entsprechend wieder an seinen Platz zu locken (vgl. Hippokr. Mul. 2,28; Genit. 4). Die Forschungen hellenistischer Gelehrter, die in Alexandria Sektionen menschlicher Leichen vornahmen und sogar mit Vivisektion arbeiteten, veränderten die Vorstellungen von der Anatomie der Geschlechter grundlegend. Um 260 entdeckte Herophilos von Kalchedon die Eierstöcke im weiblichen Körper, die er als Hoden ansah und mit der Blase verbunden glaubte. Die Gebärmutter galt aber weiterhin als Ausgangspunkt für die ,Frauenkrankheiten‘. Die Entdeckung, dass sie, durch Bänder gehalten, nicht durch den Körper schweifen konnte, führte zu der Vorstellung, sie wirke indirekt auf andere Organe ein. Insgesamt aber schwächte sich jetzt im medizinischen Diskurs die hippokratische Vorstellung von massiven körperlichen Unterschieden der Geschlechter ab zugunsten der These einer anatomischen Gleichartigkeit von Männern und Frauen. Im weiblichen Unterleib seien die bei den Männern nach au-

2. Griechische Geschlechterbilder

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ßen gekehrten Organe analog vorhanden, aber im Körper zurückbehalten worden. 2.4 Interpretationen der Geschlechterdifferenz: Die Bedeutung des „kleinen Unterschieds“ Die von Mythos, Philosophie und Medizin vermittelten Körperbilder waren nicht verbindlich. Sie konnten jedoch starke gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten. So erweist sich etwa in der archaischen Zeit das negative Bild vom weiblichen Geschlecht als verbreitet. Dies zeigt sich im Epos Hesiods nicht nur in seiner Charakterisierung der ersten Frau als Strafe der Götter. Hesiods Zeichnung der Pandora geht mit seiner grundsätzlichen Einschätzung weiblicher Eigenschaften Hand in Hand. Pandora mag zwar von den Göttern geschaffen und mit Gaben beschenkt worden sein, für Hesiod aber ist sie ein listiger Bauch voller Übel mit hündischem Sinn. Das von ihr abstammende Geschlecht der Frauen ist verantwortlich für das Schlechte in der Welt. Dies zeigt sich für Hesiod noch in seiner Gegenwart am Ende des 8. Jh. v. Chr.: Während die Männer ihren Körper bei der landwirtschaftlichen Arbeit schinden, säßen auf ihren Bauch fixierte, fressgierige Frauen faul im Haus und verschwendeten die Vorräte. Der Körper des Mannes, ausgetrocknet durch schwere Arbeit, sei zudem durch die sexuelle Unersättlichkeit der Frauen gefährdet. Die Polemik Hesiods fand ihre Fortsetzung bei dem Chorlyriker Semonides von Amorgos (Mitte 7./frühes 6. Jh. v. Chr.): die Frauen seien von anderem Ursprung als die Männer, von Zeus sekundär als höchstes Übel geschaffen, ,,sie sind und bleiben bei den Männern als ein Unheil“. Semonides begnügte sich nicht damit, dem weiblichen Geschlecht einen hündischen Sinn zuzuweisen. Er zeichnete den Mann in seinem Spottgedicht, dem so genannten ,,Fraueniambos“ (Semonides fr. 6), als konfrontiert mit Wesen, welche ,,nach dem bösen Plan des Zeus“ überwiegend durch tierische Eigenschaften geprägt seien. Und auch hier erscheint der weibliche Bauch zentral. Er wird vor allem mit tierisch unbeherrschter sexueller Gier und Gefräßigkeit (und nicht etwa mit weiblicher Fruchtbarkeit) verbunden. Den Frauen (im Unterschied zum Mann) zugeschriebene tierische Eigenschaften blieben seit Pandora ein immer wieder aufgegriffenes Motiv in der griechischen Literatur, welches bis in die Kaiserzeit erkennbar bleibt. Vor allem Jungfrauen wurden vielfach mit Tieren verglichen: ungebändigt stünden sie noch außerhalb der Zivilisation. Sie werden als Rehkälber, junge Kühe, weibliche Fohlen, Vipern, Gazellen und Vögel bezeichnet. Aber auch die erwachsenen Frauen rufen im griechischen Geschlechterdiskurs immer wieder die Assoziation mit dem Tierischen

Bäuche und Tiere

Semonides’ Fraueniambos

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Feuchte und trockene Körper

Trockenheit und Intelligenz

I. Enzyklopädischer Überblick

hervor. Nicht nur die Hündin erscheint hier, sondern in der Alten Komödie des 5. Jh. v. Chr. auch die ,,Wildsau, die an ihrem Strick zerrt, um sich loszureißen“ (Aristoph. Lys. 683). In einer Komödie Menanders aus dem 4. Jh. v. Chr. findet sich schließlich der Ausspruch: ,,die Frau ist das schlimmste wilde Tier“ (Men. fr. 422 Körte). Für die Bewertung des mythischen Diskurses wäre allerdings eine allgemeine Zuordnung des Weiblichen zum tierischen Bereich – im Gegensatz zum Männlichen, welches dann Menschlichkeit verkörpern würde – vorschnell. Zwar ist uns kein Parallelgedicht über die Untugenden und tierischen Eigenschaften verschiedener Männertypen erhalten, insgesamt jedoch werden in der antiken Überlieferung sowohl männliche Götter als auch männliche Sterbliche mit Tieren verglichen. Die ,tierischen Eigenschaften‘ der Männer sind allerdings meist positiv konnotiert. Dem männlichen Löwenmut steht der hündische Sinn der Frauen gegenüber. Die bei Hesiod und Semonides geprägten Charakteristika blieben im Geschlechterdiskurs der gesamten Antike bedeutsam. Handelten sie vordergründig nur von den Untugenden der Frauen, konstruierten sie im Umkehrschluss ein positives männliches Geschlechterbild. Berührungspunkte von mythischer und medizinischer Tradition lassen sich nicht nur in der Bauchlastigkeit der Frauen, sondern auch in den Vorstellungen von der Physiologie des Körpers feststellen. Hesiod (erg. 582-96) betont zumindest indirekt die feuchte Konstitution der Frauen, welche diesen einen Vorteil gegenüber den Männern verschafft: Sie entwickelten nicht nur besonders leicht erotische Gefühle, sondern ihr Körper lasse es sogar zu, diese ungehemmt auszuleben. Das weibliche Verlangen sei an den heißesten Tagen des Sommers am stärksten, wenn den Männern ,,Haupt und Knie der sengende Sirius ausdörrt“. Dieses Spezifikum des weiblichen Körpers wird nicht als Vorzug empfunden, sondern als Risiko für die ,trockenen‘ Männer. Diese müssen sich einerseits vor Austrocknung und folgender Impotenz schützen, andererseits das weibliche Geschlecht unter Kontrolle halten und seinen Ansprüchen genügen. Im medizinischen Diskurs sahen die hippokratischen Ärzte ihre (faktisch falschen) Theorien zur Physiologie der Geschlechter zwar durch Beobachtung und Behandlung als erwiesen an. Die Aussage, der weibliche Körper sei feuchter als der des Mannes, war aber nicht nur eine wissenschaftliche Feststellung, die es bei ärztlichen Diagnosen zu berücksichtigen galt. Bezeichnenderweise sind bereits in antiken Quellenzeugnissen, die den Hippokratischen Schriften vorausgehen, mit dem Begriffspaar trocken – feucht eindeutige Konnotationen verbunden: Vom vorsokratischen Philosophen Heraklit ist die Aussage überliefert, eine trockene Seele sei die weiseste und die beste (Herakl. fr. 118 Diels/ Kranz). Feuchtigkeit wirke sich negativ auf den Verstand aus: Intelligenz sei abhängig von der Trockenheit des Bewusstseins, so im 5. Jh. v. Chr. der Naturphilosoph Diogenes von Apollonia (vgl. Theophr. De sens.

2. Griechische Geschlechterbilder

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44f.). Entsprechend heißt es in der Alten Komödie, man möge doch erst einmal seinen Verstand trocknen (Aristoph. Equ. 95-96; Vesp. 1452). Wenn schließlich bei Aristoteles (part. an. 653a 37-653b 3) – gegen jede empirische Beobachtung – behauptet wird, die Männchen einer Gattung besäßen eine größere Anzahl von Schädelnähten ,,aus demselben Grund, dass diese Gegend leicht ausdünstend sei“, so dürfte auch hier die Vorstellung vom trockenen männlichen Hirn anklingen. Feuchtigkeit des Körpers reduziert aber in den griechischen Quellen nicht nur den Verstand, sondern steht mit ungesunden Emotionen in Verbindung. Angst, Neid und Liebe ,schmelzen‘ den Körper, allerdings nur den der schwachen oder noch nicht ausgewachsenen Männer. Während starke Männer ihren Körper trocken zu halten vermögen, ist dies den Frauen von vornherein unmöglich: sie bleiben immer nass. Entsprechend anfällig sind sie für den ,verflüssigenden‘ Angriff der geballten Emotion auf Körper und Verstand. So spricht Empedokles vom ,,vielweinenden“ Geschlecht der Frauen (Emp. fr. 62.1 Diels/Kranz). Auch wenn zu große Trockenheit, wie Hesiod beklagt, den männlichen Körper vorschnell altern lassen kann, gilt es die gesunde männliche Trockenheit zu bewahren. Risikofaktoren, die den Verstand feucht machen, sind Schlaf, Schwelgerei sowie Alkohol. Ein nasses Hirn – in diesen Zustand gebracht durch zuviel Alkohol – entbehrt der Selbstkontrolle und vermindert das Urteilsvermögen und die angemessene Wahrnehmung der Dinge. Für das weibliche Geschlecht, von Natur aus feucht, erweisen sich diese Faktoren entsprechend gefährlicher. Auch Konzepte, welche Männer und Frauen im Gegensatz zum mythischen Diskurs und auch zu den hippokratischen Schriften als Angehörige einer Spezies und entsprechend eng verwandt ansahen, schlossen von angeblich erwiesenen körperlichen Differenzen auf unterschiedliche Eigenschaften der Geschlechter. Für Aristoteles war die angeblich unterschiedliche Körpertemperatur von Männern und Frauen zentral. Auf die Frage, weshalb Männer im Sommer weniger fähig zum sexuellen Verkehr seien, Frauen hingegen umso mehr, geben die aristotelischen Problemata (4,25, 879a 31-35) ähnlich wie schon Hesiod die Antwort: ,,. . . weil heiße Naturen im Sommer kollabieren durch ein Übermaß an Hitze, während die kalten gedeihen. Nun ist der Mann heiß und trocken, eine Frau jedoch kalt und feucht. So ist die Kraft des Mannes zu dieser Zeit vermindert, die Kraft einer Frau aber gedeiht, weil sie durch das Gegenteil bewirkt wird.“ Durch die fehlende Körperhitze seien Frauen insgesamt weichlicher als der Mann und entsprechend schneller vom Gefühl überwältigt, von Furcht, Verzagtheit und Eifersucht. Ihr Handeln sei stärker impulsgeleitet als das der Männer. Zwar besäßen beide Geschlechter das Seelenteil, welches mit der vorausschauenden Entscheidungsfähigkeit verbunden sei, den Frauen fehle aber – wohl bedingt durch die fehlende aktive Körperhitze – das Durchsetzungsvermögen (ákyron), welches für die praktische

Feuchtigkeit und Emotion

Kalte und heiße Körper: Aristoteles

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I. Enzyklopädischer Überblick

Anwendung dieser Entscheidungsfähigkeit vonnöten sei (Aristot.pol. 1,13, 1260a). 2.5 Die Sozialisierung der Geschlechter: Philosophische Konzepte vom „richtigen Geschlechterverhältnis“ Fähigkeiten

Selbstbeherrschung

Weder im mythologischen noch im uns wissenschaftlicher erscheinenden naturphilosophisch-medizinischen Diskurs der Antike ging es um eine objektive Beschreibung des menschlichen Körpers in seiner männlichen und weiblichen Ausprägung. Hier wurden vielmehr Aussagen zum Geschlechterverhältnis getroffen, welche verbreitete Vorannahmen über Eigenschaften und Fähigkeiten von Männern und Frauen durch scheinbar empirische Betrachtung befestigten. Aus den unterschiedlichen Körperbildern wurden divergierende Eigenschaften von Männern und Frauen abgeleitet. Entsprechend stellte sich die Frage nach den spezifischen Fähigkeiten und Defiziten von Männern und Frauen in der Gesellschaft. Ihre Stärken mussten genutzt, geschlechtsspezifische Schwächen nach Möglichkeit neutralisiert werden. Die angeblichen Charakteristika des männlichen Körpers – trocken, fest und geformt sowie ,rechts‘ – wurden stets als Belege positiver Fähigkeiten gewertet, während die weiblichen Körper als feucht, porös, ungeformt sowie ,links‘ negative Konnotierungen erfuhren. Eine zentrale Position bei der Einschätzung der Eigenschaften der Geschlechter nahm die Frage nach der Fähigkeit zur Selbstbeherrschung ein: Inwieweit sind Männer und Frauen aufgrund ihrer körperlichen Disposition imstande, ihre Gefühle und Triebe zu beherrschen? Enkráteia (Selbstbeherrschung) galt für das Funktionieren des Menschen in der Gesellschaft als unabdingbar, im Krieg, im Amt und im Haushalt. Ergänzt und möglich werden sollte enkráteia durch sophrosýne (Besonnenheit, Mäßigung). Im Wettbewerb um Selbstbeherrschung und Besonnenheit erschienen Frauen – ebenso wie die noch nicht ausgewachsenen Knaben – durch ihre körperliche Beschaffenheit im Nachteil. Insbesondere ihre feuchte Konstitution gefährdete sie sehr viel stärker als Männer, von Gefühlen und Trieben dominiert zu werden. Das hippokratische Körperbild, so ist vertreten worden, lasse entsprechend Selbstbeherrschung für das weibliche Geschlecht als physisch unmöglich erscheinen. Der platonische Sokrates ist hingegen der Meinung, Männer und Frauen besäßen grundsätzlich gleichermaßen die Fähigkeit zur Tugend. Entsprechend sei auch sophrosýne für beide Geschlechter möglich und nötig. Der Mann bedürfe ihrer bei der Staatsverwaltung, die Frau bei der Verwaltung des Hauses (Plat. Men. 73b). Auch Aristoteles gesteht Männern und Frauen potentiell sophrosýne zu. Der weibliche Charakter bedürfe jedoch in der Praxis der Kontrolle, denn Frauen seien von Natur aus schamlos

2. Griechische Geschlechterbilder

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und schnell vom Gefühl überwältigt. Entsprechend füllt Aristoteles sophrosýne wie auch andere Tugenden (z. B. dikaiosýne, Gerechtigkeit, und andreía, Tapferkeit) mit geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Inhalten (pol. 1260a): Weibliche Tugenden hätten stets dienenden Charakter. Insgesamt erscheint sophrosýne in ihrer weiblichen Ausprägung bei den meisten griechischen Autoren schlicht als freiwillige körperliche Keuschheit, als Beherrschung des Geschlechtstriebs. Einsicht und Besonnenheit sollten eine Frau zur Erkenntnis der Überlegenheit des männlichen Geschlechts führen und ihr freiwilligen Gehorsam – auch in Bezug auf ihre körperliche Selbstbestimmung – leicht machen. Eine geschlechtsspezifisch gegliederte Verteilung der Aufgaben in der Gesellschaft klingt bereits in den frühen Quellen an. Hierbei wird den männlich konnotierten Aufgaben meist die größere Wichtigkeit zugeordnet. Die Frau, welche im Haus die Vorräte verwaltet, während der Mann draußen die angeblich viel schwereren Arbeiten verrichtet, begegnet bei Hesiod ebenso wie in den Schriften der Hippokratiker. In seinem utopischen Idealstaat lässt Platon immerhin die Frage stellen, ,,ob die weibliche menschliche Natur imstande ist, sich der des männlichen Geschlechts zuzugesellen in allen Geschäften oder in gar keinen oder in einigen wohl, in anderen aber nicht“ (Plat. pol. 453a-b). Zumindest bezogen auf den Stand der Wächter kommt er – indem er die Fähigkeiten von Männern und Frauen denen von Schäferhunden und Schäferhündinnen analog setzt – zu dem Schluss, beide Geschlechter seien grundsätzlich zu jeder Aufgabe befähigt. Allerdings seien die Männer den Frauen bei der Ausführung stets überlegen, wenn sie denn wollten. Aristoteles vertritt auf der Grundlage der körperlichen Geschlechterdifferenz die Ansicht, das männliche Geschlecht überträfe das weibliche zumindest im Hinblick auf die Durchsetzung der richtigen Erkenntnis. Den Frauen mangele es also an Führungsqualität. Ihre Schamlosigkeit mache zusätzlich ständige Kontrolle erforderlich. Hieraus leitet Aristoteles eine eindeutige Geschlechterhierarchie ab: Männer seien zur Herrschaft gemacht, Frauen zum Gehorsam (Aristot. pol. 1,13 1260a). Der Ausschluss des weiblichen Geschlechts aus der unmittelbaren politischen Mitbestimmung ist dann nur die logische Folgerung. Anzeichen von Frauenherrschaft erweisen sich entsprechend als Signal für den krisenhaften Zustand einer Gesellschaft. Die Vorstellung von der Hierarchie der Geschlechter, bei der das weibliche Geschlecht stets dem männlichen als unterlegen gedacht wird, lässt sich in den verschiedensten Zusammenhängen nachweisen. Bezeichnend ist hierbei der von Diogenes Laertius (1,33) überlieferte Ausspruch des frühen Naturphilosophen Thales: ,,Er pflegte oft zu sagen, er habe drei Gründe, den Göttern dankbar zu sein: Erstens weil ich als Mensch und nicht als Tier zur Welt gekommen bin, zweitens, weil ich ein Mann bin und keine Frau, schließlich weil ich ein Grieche und kein Barbar bin.“

Aufgabenverteilung und Hierarchie

Platon

Aristoteles

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Komplementarität

I. Enzyklopädischer Überblick

Und selbst Platon, welcher den Frauen unter bestimmten Umständen gleiche Fähigkeiten wie den Männern zugestehen will, verwendet eindeutige Bilder von Weiblichkeit als Strafe und einer niedrigeren Form menschlicher Existenz: Ein männlicher Versager werde im nächsten Leben als Frau wiedergeboren. Werde er (jetzt sie) dann den Anforderungen immer noch nicht gerecht, so erfolge die nächste Wiedergeburt als Tier (Plat. Tim. 42bd). Auch wenn die antiken Geschlechterbilder von einer starken Hierarchie zugunsten des männlichen Geschlechts dominiert werden, so sind doch – notgedrungen – auch Ansätze eines komplementären Verständnisses der Geschlechterverhältnisse feststellbar. Die Existenz und das Zusammenleben der zwei Geschlechter kann sich – unter Umständen – auch positiv auswirken. So findet sich selbst bei Hesiod die Aussage, es gäbe nichts Besseres als eine gute Ehefrau. Semonides charakterisiert die ,,Bienenfrau“ als ein Wesen, mit dem zusammen man den Oikos zum Gedeihen bringen kann. Selbst das Geschlechterverhältnis bei Aristoteles könne, so ist vertreten worden, im Sinne eines aristokratischen Konzepts reziprok verstanden werden. Die Besten herrschten, weil sie an Erkenntnisfähigkeit überlegen seien und das Notwendige durchsetzen könnten – oder aber die Geschlechter seien in Form einer ,,ungleichen Freundschaft“ verbunden, in der die ungleiche Verteilung der Liebe letztlich doch zu Symmetrie führe. Stoiker wie Antipater von Tarsos griffen um 150 v. Chr. Aristoteles’ Ideen zur Geschlechterdifferenz auf, verstanden aber die Frau als ,,Reduplikation des Mannes“. Der Mann habe in der Frau nicht nur eine nützliche Gehilfin, vielmehr sei sie sozusagen sein zweites Selbst, mithilfe dessen er seine Möglichkeiten erweitern könne. Frauen wurden demnach in Griechenland zwar in bestimmten, von männlichen Autoren überlieferten Diskursen als das geringere Geschlecht beschrieben; aber nur gemeinsam konnten Männer und Frauen ein funktionierendes Ganzes ergeben. Inwieweit es sich hierbei um ,,Wunschbilder“ des männlichen Geschlechts handelt, dessen Stimme wir überwiegend hören, oder ob von griechischen Frauen getragene Geschlechterbilder anders ausgesehen haben, ist nur schwer zu sagen.

3. Die Umsetzung der Geschlechterbilder in der sozialen Praxis 3.1 Erziehungsziel Geschlechtsidentität Griechische Geschlechterbilder spiegeln nicht die antike Realität. Sie vermitteln jedoch einen Eindruck von der zentralen Bedeutung der Geschlechterdifferenz und von den Geschlechteridealen im damaligen

3. Die Umsetzung der Geschlechterbilder in der sozialen Praxis

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Denken. Entsprechend markieren sie potentielle Problemfelder, in denen die griechische Gesellschaft Handlungsbedarf für die Herstellung und Aufrechterhaltung des richtigen Geschlechterverhältnisses sah. Welche Regulative spielten hier nun eine Rolle? Welche Erwartungen wurden an Männer und Frauen herangetragen und wie beeinflussten diese das Verhalten der Geschlechter in der damaligen sozialen Praxis? Ziel der Erziehung in der griechischen Kultur war weder die Stärkung des Individuums noch die Förderung seiner individuellen Fähigkeiten und Neigungen. Mit dem Beginn des Erwachsenenalters sollte ein Mitglied der griechischen Gesellschaft vielmehr einen Habitus aufweisen können, welcher seiner sozialen Stellung und Schicht als angemessen galt. Hier war die Spannbreite der Erwartungen von vornherein groß. Der Tugendkatalog für einen spartanischen Vollbürger war anders akzentuiert als der eines Sklaven im klassischen Athen. Neben lokal bedingten Eigenheiten und im zeitlichen Längsschnitt sichtbaren Veränderungen blieb ein Faktor allerdings konstant: Die Erziehung eines noch nicht erwachsenen Menschen wurde stets geschlechtsspezifisch gestaltet. Dies schloss, wenn für nötig befunden, Kontakte zwischen den Heranwachsenden verschiedenen Geschlechts nicht aus. Auch Erziehungsinhalte konnten manchmal ähnlich oder identisch sein. Dies war jedoch keinesfalls Programm. Wenn im philosophischen Diskurs gelegentlich Forderungen nach identischer Erziehung und Bildung von Knaben und Mädchen vorgebracht wurden, so geschah dies provokativ kontrastierend zur Realität. Darüber hinaus besaß ,Bildung‘ im Sinne einer möglichst großen Anhäufung von Wissen und Fertigkeiten oder gar im Sinne von geregelter Schulbildung oder berufsbezogener Ausbildung keinen absolut gesetzten Eigenwert. Es ging weder für Männer noch für Frauen um das erfolgreiche Absolvieren institutionell organisierter ,,Schul“-Bildungsstufen. Erziehung und Bildung zielten vielmehr auf die Summe zu erlernender Kulturtechniken und Kenntnisse, welche die erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft ermöglichen sollten – in der Rolle eines Mannes oder einer Frau. Sie waren Mittel, wünschenswerte geschlechtsspezifische Tugenden hervorzubringen, zu verstärken und zu befestigen sowie gesellschaftsgefährdende geschlechtspezifische Defizite, vor allem des weiblichen Geschlechts, zu neutralisieren. Kindern und Heranwachsenden beiderlei Geschlechts musste man folglich die Kenntnis der Verhaltensnormen vermitteln, welche Männlichkeit oder Weiblichkeit konstituierten, sowie die Tabus einprägen, welche den Status als Mann oder Frau zu gefährden vermochten. Erziehung in der Antike war Einübung des geschlechtsspezifischen Habitus, welcher nach sozialer Stellung differieren konnte. Die Ideale des griechischen Durchschnittsbürgers dürften sich jeweils an denen der oberen Schichten orientiert haben. Da ihre Verwirklichung

Schichtenspezifische Erwartungen

Bildungsbegriff

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kalós und agathós

Familiäre, militärische, öffentliche Eignung

I. Enzyklopädischer Überblick

aber nur in Ansätzen möglich war, ist mit Spielräumen zu rechnen, die das Leben von Männern und Frauen im Alltag unabhängig von Tugendkatalogen prägten und in ihrer Gesamtheit auch den jeweiligen geschlechtsspezifischen Habitus weiterentwickelten. Auf einen griechischen Mann adliger Herkunft – so postulierte bereits das homerische Epos – sollten die Begriffe kalós und agathós anwendbar sein. ,,Schön“ und ,,gut“ zu sein bedeutete freilich nicht immer und überall dasselbe – vor allem nicht, wenn es auf Männer und Frauen bezogen wurde. Letztlich sollten Heranwachsende beiderlei Geschlechts bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter potentiell familiäre, militärische und politisch-öffentliche Eignung erworben haben. Die Definition dieser Felder und die mit ihnen verbundenen Anforderungen waren nicht in jeder griechischen Polis von der Frühzeit bis in die Kaiserzeit identisch. Sie deckten jedoch mit unterschiedlichen Überschneidungsgrößen weite Bereiche des Lebens ab. In jedem dieser Bereiche sind spezifische Geschlechterverhältnisse feststellbar. Männlichkeit war in jedem dieser drei Bereiche gefordert und stand gleichzeitig auf dem Prüfstand. Weibliche Rollenmuster waren hingegen in den Bereichen der militärischen und öffentlichen Eignung weniger ausgeprägt vorhanden. 3.2 Geschlechtliche Zuordnung: Frühe Weichenstellungen

Identifikation des Geschlechts

In der griechischen Kultur erfolgte die geschlechtliche Zuordnung unmittelbar nach der Geburt. Im klassischen Athen kontrollierte die Hebamme das Kind im Hinblick auf sein Geschlecht und auf körperliche Defekte. Ausschlaggebend für die Zuordnung war also der Blick auf die primären Geschlechtsorgane. Bereits die Botschaft einer Geburt wurde geschlechtlich differenziert nach außen getragen. Für einen neugeborenen Knaben hängte man einen Olivenkranz, für eine Tochter eine Wollbinde an die Eingangstür des Hauses. Auch die soziale Identität eines Neugeborenen – konstituiert nicht durch die bloße Geburt, sondern durch die Anerkennung durch den Vater oder durch staatliche Behörden wie im klassischen Sparta – war geschlechtlich differenziert. Dies zeigte sich z. B. in der Namensgebung. Männliche und weibliche Namen waren im Normalfall deutlich unterscheidbar. Die männliche Identität eines Kindes wurde im klassischen Athen auch über die Kernfamilie hinaus bekräftigt. Der Vater stellte den kindlichen Sohn in der Phratrie vor und bat um seine Aufnahme als künftigen Mitbürger. Für Töchter war dies nicht üblich. Die Identifikation eines Säuglings anhand seiner primären Geschlechtsorgane in Griechenland stellte die Weichen für sein weiteres Schicksal. So hebt Xenophon für das klassische Sparta als Besonderheit hervor, dort hätten weibliche und männliche Kinder die gleiche Menge und die gleiche Art der Nahrung erhalten.

4. Sexualität, Ehe und Familie

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Wie man im antiken Griechenland auf geschlechtliche Uneindeutigkeit von Neugeborenen reagierte, ist im konkreten Fall nicht bekannt. Die Gestalt des Hermaphroditen ist in der griechischen Mythologie zumindest nicht unmittelbar negativ besetzt. Allerdings stand es griechischen Vätern frei, unerwünschte Säuglinge nicht aufzuziehen. Entsprechend könnten die Überlebenschancen eines Kindes mit nicht eindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen tendenziell schlechter gewesen sein als die eines Säuglings, welcher der Norm entsprach. Reale Hermaphroditen treten in den griechischen Quellen nicht auf. Dies lässt zumindest den Schluss zu, dass in der griechischen Gesellschaft die Möglichkeit eines ,dritten Geschlechts‘ nicht in Betracht gezogen wurde. Geschlechtliche Uneindeutigkeit begegnete den Griechen im Alltag wohl am häufigsten in Gestalt von Eunuchensklaven. Absichtliche Verstümmelung freier Knaben sahen die Griechen allerdings als barbarischen Akt an und schrieben sie besonders ihren östlichen Nachbarn zu.

Hermaphroditen und Eunuchen

4. Sexualität, Ehe und Familie: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (I) Haushalt und Familie waren für die Bürger einer griechischen Polis keine privaten Rückzugsräume. Der oikos, der einzelne Haushalt, galt vielmehr als kleinste Zelle des Stadtstaats; die Bürgerschaft bestand aus den Haushaltsvorständen und ihren Familien. Aufgabe der Bürger und Bürgersfrauen musste es entsprechend sein, sich nach Möglichkeit für die Stabilität ihres Oikos einzusetzen. Es galt die Kontinuität der Familie durch die Produktion von legitimem Nachwuchs zu sichern und sich um das Gedeihen des Haushalts als prosperierende wirtschaftliche Einheit zu kümmern. Erziehungsziel für beide Geschlechter in Griechenland war entsprechend das Eingehen einer gültigen Ehe und die Hervorbringung der richtigen Anzahl erbberechtigter Kinder, welche die Versorgung der Eltern, die Fortsetzung des Haushalts und damit letztlich die Stabilität der Polis garantieren sollten. Auf die Begegnung mit dem anderen Geschlecht galt es heranwachsende Jungen und Mädchen also in besonderer Weise vorzubereiten. Der Weg in die Ehe und deren Wert für die Erfüllung der vorgesehenen Geschlechtsrolle stellte sich für Männer und Frauen unterschiedlich dar. Auch die Bedeutung der Ehe als Zweierbeziehung, der dort vorgesehene Gefühlshaushalt sowie ihre Funktion als Vermittlerin sexueller Erfüllung und Erfahrung waren für die Geschlechter nicht identisch.

Geschlechterrollen im Oikos

Erziehungsziel Ehe

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I. Enzyklopädischer Überblick

4.1 Homoerotische Einführung von Knaben und Mädchen in die Sexualität Päderastie

Ein griechischer Knabe machte seine ersten sexuellen Erfahrungen nicht unbedingt mit dem weiblichen Geschlecht, sondern eher im Rahmen der Päderastie, der Knabenliebe. Diese spielt im homerischen Epos keine Rolle, war jedoch in archaischer Zeit vor allem in adligen Kreisen verbreitet und besonders im dorisch geprägten Teil Griechenlands akzeptiert. Platon behauptet, Kreter und Spartaner hätten die Knabenliebe als gesellschaftliche Institution erfunden. Päderastische Beziehungen unterlagen in Griechenland gewissen Regeln. Grundsätzlich handelte es sich meist um die erotische Beziehung eines erwachsenen Mannes zu einem deutlich jüngeren männlichen Partner. Wenn ein Knabe in die Pubertät kam, konnte er der Geliebte (erómenos) eines älteren Liebhabers (erastés) werden. Im Rahmen einer solchen Beziehung konnte es zu sexuellen Kontakten kommen. Welche Form diese Kontakte annahmen, ist nicht ganz klar, da die Quellen sich hier nur sehr zurückhaltend äußern. Athenische Autoren behaupten sogar, in Athen sei es zu überhaupt keinen körperlichen Beziehungen zwischen Liebhaber und Geliebtem gekommen (,,platonische“ Liebe), während in der Komödie der ,,Feigenhintern“ der Spartaner aufs Korn genommen wurde. Im demokratischen Athen des 5. und 4. Jh. v. Chr. scheinen die Verhaltensnormen für einen Knaben zumindest nicht eindeutig gewesen zu sein. Schöne Knaben wurden heftig umworben. Von einem potentiellen Liebhaber wurde beträchtlicher Aufwand an Aufmerksamkeit, Zuwendung und auch an Geschenken für den Liebling erwartet. Eine größere Anzahl an Bewerbern sowie vornehme Herkunft derselben brachten einem Knaben Prestigegewinn. Er durfte allerdings keinesfalls den Eindruck erwecken, ,,käuflich“ zu sein oder sich einem sozial weit höhergestellten Liebhaber um materieller Vorteile willen ergeben zu haben. Der Vorwurf der Prostitution konnte ihn im Erwachsenenalter einholen und etwa eine politische Karriere ruinieren. Beziehungen zwischen erastés und erómenos konnten langfristig angelegt sein und sollten sich im Lauf der Jahre wandeln. Sexualität machte – wenn überhaupt – nur zeitweise einen Teil einer solchen Verbindung aus. Wenn der Knabe das Alter der körperlichen Reife erreichte, sichtbar etwa am vollen Bartwuchs, konnte er selbst in einer neuen Beziehung die Rolle eines erastés übernehmen und sich jungen Knaben zuwenden. Mit seinem ehemaligen älteren Liebhaber verband ihn aber weiterhin Freundschaft. Päderastischen Beziehungen sprach man ausgeprägte erzieherische Wirkung zu. Der Liebhaber ließ den Knaben nicht nur im Bereich der Sexualität am Erwachsenenleben teilhaben, sondern führte ihn ganz allgemein in die Welt der erwachsenen Männer ein. Ob die Begriffe erastés und eró-

4. Sexualität, Ehe und Familie

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menos nur auf Paarbeziehungen anzuwenden sind, ob die Rolle des erastés auf unverheiratete erwachsene Männer beschränkt war und dann spätestens mit dessen Heirat zu enden hatte, ist unklar – der gesamte Bereich der Päderastie zählt zu den umstrittensten Feldern antiker Geschlechterverhältnisse. Auch griechische Mädchen scheinen in manchen Poleis institutionalisierte gleichgeschlechtliche Erfahrungen vor der Ehe gemacht zu haben. Hier sind die Quellentexte aber, was die Einzelheiten betrifft, noch sehr viel dürftiger als im Fall der Knabenliebe. Dies könnte auf drei Punkte zurückzuführen sein: Zum einen waren hier keine Männer beteiligt, welche im Normalfall die Texte aus der Antike verfasst haben. Zum anderen mag es als unpassend empfunden worden sein, die Körperlichkeit achtbarer Mädchen überhaupt zu thematisieren. Oder aber homoerotische Beziehungen unter Frauen, so ist vertreten worden, hätten nicht als konkurrierende und damit problematische Beziehungen im Hinblick auf einen späteren Ehemann gegolten, weil kein Phallos beteiligt gewesen sei. Letztlich besitzen wir nur für Lesbos und Sparta Aussagen in Bezug auf weibliche Homoerotik. Die berühmten Gedichte der Sappho von Lesbos zeugen im 6. Jh. v. Chr. von der Liebe, die sie für unverheiratete Mädchen ihres Umfelds empfand. Plutarch lässt über ein halbes Jahrtausend später wissen, die spartanischen Mädchen hätten – analog den Knaben – ebenfalls voreheliche homoerotische Beziehungen gepflegt. Inwieweit Griechen und Griechinnen, welche nicht der Oberschicht angehörten, Anteil an den genannten Formen institutionalisierter männlicher und weiblicher Homoerotik hatten, ist fraglich. Derartige Beziehungen minderten jedenfalls bei Einhaltung der Regeln die Männlichkeit oder Weiblichkeit der Beteiligten nicht – sie galten vielmehr als wichtige Schritte auf dem Weg ins Erwachsenenleben.

Homoerotische Erfahrungen der Mädchen

Sappho

Sparta

4.2 Voreheliche heterosexuelle Beziehungen Heiratsalter und sexuelle Normen standen in Griechenland in enger Verbindung. Auch dies galt für beide Geschlechter, wirkte sich aber unterschiedlich aus. Bei den jungen Mädchen in Athen fielen körperliche und soziale Reife zusammen. Das Heiratsalter lag bei ca. 14 bis 15 Jahren. Möglicherweise sollte frühe Heirat einen latenten Frauenmangel ausgleichen. In diesem Fall hätte man die Fruchtbarkeit des weiblichen Körpers von Jugend an ausnutzen müssen, um – eventuell in mehreren Ehen – genügend Nachwuchs zum Erhalt der Oikoi zu produzieren. Ideologisch begründen ließ sich das frühe Heiratsalter der Mädchen mit der angeblich mangelhaften weiblichen Selbstbeherrschung, die sich, so glaubte man, besonders deutlich im sexuellen Bereich zeigte. Die eben reif gewordenen jungen Mädchen seien am gierigsten und am schwierigsten zu bändi-

Heiratsalter athenischer Mädchen

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Voreheliche Kinder

Heiratsalter athenischer Männer

Prostitution

Hetären

I. Enzyklopädischer Überblick

gen. Bestätigung fand sich auch im medizinischen Diskurs: medizinische Traktate empfahlen Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft um spezifische Krankheiten von Jungfrauen zu vermeiden. Bekannt gewordene voreheliche Kontakte einer parthénos (Jungfrau) wirkten sich rufschädigend aus. Die Komödie – auch wenn man in diesem Genre Übertreibungen in Betracht ziehen muss – macht deutlich, dass ein uneheliches Kind als ernsthaftes Ehehindernis gelten konnte und es sowohl für die unfreiwilligen Großeltern als auch für die junge Mutter in Athen nur plausibel war, ein solches Kind zu verleugnen oder sich seiner zu entledigen. In Athen war für einen männlichen Heranwachsenden ein bedeutender Zeitabschnitt zwischen dem Einsetzen der körperlichen Reife und dem üblichen, durch soziale Faktoren definierten Heiratsalter zu überwinden. Junge Männer heirateten erst relativ spät, mit ca. 30 Jahren. Dies hatte zur Folge, dass ihr Vater im Normalfall wohl schon verstorben war oder den Oikos an den Sohn übergeben hatte, dieser also wirtschaftlich unabhängig als Vorstand einer neuen Kleinfamilie agieren konnte. Dieser Vorteil konfrontierte allerdings die athenische Gesellschaft mit dem Problem sexuell unterversorgter junger Männer, denen keine vorehelichen Beziehungen mit Bürgertöchtern gestattet waren. Hier dürfte zumindest eine Erklärung für die Akzeptanz päderastischer Beziehungen liegen. Daneben existierten in Athen verschiedene Formen heterosexueller Prostitution. Bereits der berühmte Gesetzgeber Solon soll das erste Bordell in Athen zugelassen haben, um die überschüssigen Kräfte der jungen Männer von den bürgerlichen Töchtern und Ehefrauen abzulenken. Von staatlicher Seite niedrig regulierte Preise für Prostituierte zeigen, dass diese Möglichkeit außerehelicher Beziehungen wohl den meisten jungen Männern zur Verfügung stand. Dies galt allerdings nicht im Fall der Hetären. Vor allem Sklavinnen, Freigelassene und freie Metökinnen, also Stadtbewohnerinnen aus nichtbürgerlichen Familien, sind als Hetären bezeugt. Fremdbürtigkeit machte die rechtliche und soziale Situation solcher Frauen angreifbar, da sie keinen Rückhalt durch eine bürgerliche Familie besaßen. Von den billigen Prostituierten unterschieden sie sich wohl vor allem durch ihre häuslichen Umstände. Sie lebten nicht im Bordell, sondern im eigenen Haushalt, den sie offenbar häufig mit einer älteren Hetäre als Managerin teilten. Beziehungen zu Hetären funktionierten formell auf der Basis des Gabentauschs. Von ihren Freunden nahm die Hetäre Geschenke oder ließ sie für den Unterhalt sorgen. Im Gegensatz zur Bordellsklavin hatte sie zumindest theoretisch die Möglichkeit, einen Bewerber abschlägig zu bescheiden. Junge Männer scheinen nicht selten um die Gunst von Hetären miteinander in Konkurrenz getreten zu sein. Deren Gier nach weltlichen Gütern war geradezu ein fester Topos ihrer Charakterisierung. Vom Standpunkt einer Hetäre aus gesehen, der es an Altersversorgung im Rahmen familiärer Absi-

4. Sexualität, Ehe und Familie

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cherung mangelte, deren Karriere notgedrungen nur kurz sein konnte und die zu erhöhtem Aufwand für die Lebensführung gezwungen war, war der Wunsch nach finanziellen Rücklagen nur zu verständlich. Hier hatte jedoch die Toleranz griechischer Familien ein Ende. Man gestand zwar jungen Männern aus gutem Hause sowohl voreheliche Sexualbeziehungen als auch ,,Hahnenkämpfe“ mit Altersgenossen zu. Problematisch wurden solche Beziehungen allerdings dann, wenn ein junger Mann das Familienvermögen gefährdete, weil er seine Hetäre übermäßig beschenkte. Auch wenn der Eindruck entstand, er begebe sich in zu starke emotionale Abhängigkeit von seiner Hetäre und führe eine derartige Beziehung über das passende Alter hinaus fort, war dies ein Alarmzeichen. Verhältnisse mit Hetären wie vermutlich auch homoerotische Verbindungen galten als Übergangsbeziehungen auf dem Weg zur Heirat mit einer athenischen Bürgerstochter. In Sparta stellte sich – bedingt durch das dort übliche höhere Heiratsalter der Mädchen – das Problem der Diskrepanz zwischen sexueller und sozialer Reife für beide Geschlechter. Die Knaben wuchsen nicht im Haushalt, sondern in gleichgeschlechtlichen Altersgruppen auf, die sich bis weit ins Erwachsenenalter fortsetzten. Entsprechend spielten päderastische Beziehungen unter Männern in Sparta eine besonders wichtige Rolle und scheinen auch länger angedauert zu haben als etwa in Athen. Heterosexuelle unkontrollierte Kontakte unter Heranwachsenden vollbürgerlicher Herkunft waren auch in Sparta nicht üblich. Insgesamt mögen allerdings die Grenzen zwischen vorehelichen und ehelichen Kontakten der Geschlechter in Sparta manchmal undeutlich geblieben sein, da der Zeitpunkt der Eheschließung nicht in der gleichen Weise öffentlich gemacht wurde wie in Athen. Griechische Heranwachsende beiderlei Geschlechts, besonders aber die jungen Männer, verstanden sich nicht als homosexuell oder heterosexuell. Sie hatten vielmehr die gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit, in verschiedenen Lebensphasen unterschiedliche Rollen in erotischen Beziehungen zu spielen. Päderastische Beziehungen waren nicht Ausdruck von Homosexualität, sondern ein vorübergehender Abschnitt in einem männlichen Lebenslauf. Vom erwachsen gewordenen jungen Mann, der den Oikos seines Vaters übernahm, wurden jedoch letztlich immer die Verbindung mit einem Mädchen bürgerlicher Herkunft und die Erzeugung leiblicher Kinder erwartet. 4.3 Die Auswahl des Ehepartners Eine Eheschließung war somit im Hinblick auf das Fortbestehen des Haushalts in Griechenland eine bedeutsame Angelegenheit. Soweit die Quellen hier Einblicke zulassen, wurde auf die Wünsche der potentiellen

Voreheliche Beziehungen in Sparta

Sexuelle Orientierung in der griechischen Kultur

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Athen

Utopische Familienentwürfe

Sparta

I. Enzyklopädischer Überblick

Bräute nur wenig Rücksicht genommen. Aber auch die jungen Männer hatten wohl nur selten die Gelegenheit, nach Neigung oder gar aus Liebe zu heiraten. Eine Ehe in Athen war keine Liebesheirat, sondern ein von Brautvater und Bräutigam getroffenes Arrangement zur Fortführung des Haushalts des Bräutigams. Junge Mädchen in Athen führten bis zu ihrer Heirat ein von der Familie streng kontrolliertes Leben. Sie hatten kaum Möglichkeiten sich selbst zu präsentieren, also ihre erfolgreiche Sozialisation als Frau nach außen zu tragen. Für ein Kennenlernen potentieller Ehepartner gab es kaum Gelegenheiten. Dies galt für beide Geschlechter. Da die Frauen des Hauses bei Abendeinladungen nicht anwesend waren, zählten Wasserholen am Brunnen oder die Teilnahme an einem religiösen Fest zu den wenigen Gelegenheiten, bei denen junge Mädchen sichtbar wurden. Bezeichnenderweise ist es nach dem Zeugnis einer Komödie für einen jungen Athener bereits ausreichend, ein Mädchen auf einem Hausdach in der Nachbarschaft kurz zu erblicken, um sich unsterblich zu verlieben. Von den jungen Mädchen wurde äußerste Zurückhaltung erwartet – sowohl gegenüber Avancen, die ihnen bei diesen seltenen Gelegenheiten gemacht wurden, als auch gegenüber ihren eigenen Gefühlen. Ein ähnliches Schema liegt verschiedenen Plots der Komödie im 4. Jh. v. Chr. zugrunde: Das bürgerliche Paar kann sich nur zum ,,Happy End“ einer regelrechten Ehe finden, wenn eventuell vorhandene uneheliche Kinder der Braut einer Vergewaltigung und nicht etwa einer Verführung entsprungen sind. Das große Gewicht, welches in Athen auf die heterosexuelle, grundsätzlich monogame und patrilokale Ehe unter Partnern bürgerlicher Abkunft gelegt wurde, ließ allerdings trotzdem Raum für utopische Alternativentwürfe eines Zusammenlebens der Geschlechter. Platon zog in seiner Schrift vom idealen Staat Frauen- und Kindergemeinschaft statt Kleinfamilie in Erwägung. Möglicherweise wurden derartige Utopien von den Ehebräuchen in Sparta inspiriert, die bereits der Antike höchst merkwürdig erschienen. Auch in Sparta war es Bürgerpflicht für einen Mann, Nachkommen zu zeugen. Wer sich dem verweigerte, verfiel gesellschaftlichen Sanktionen. Spartanische Ehen scheinen aber zumindest zeitweise deutlich von der in Athen üblichen, von Vater und Ehemann vereinbarten, durch Mitgift und Verlobungsvertrag abgesicherten, patrilokalen Eheform abgewichen zu sein. Die Eheschließung in Sparta wurde offenbar als Brautraub inszeniert. Außerdem soll Polyandrie, Vielmännerei, in Sparta üblich gewesen sein. Dies bedeutete aber wohl nicht, dass eine Frau in Sparta ihre Sexualpartner frei wählen durfte, sondern dass sie vom Ehemann zeitweise an einen Mitbürger abgetreten werden konnte, um auch diesem Kinder zu gebären, da es auf eine zweifelsfreie Feststellung der Vaterschaft nicht ankam.

4. Sexualität, Ehe und Familie

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4.4 Die Begegnung der Geschlechter in der Ehe Was erwarteten die Geschlechter nun in der Ehe voneinander – und was konnten sie voneinander erwarten? Die Ehe war in Griechenland für das weibliche Geschlecht der einzige ehrbare Ort heterosexueller Betätigung. Der jungen Braut schrieb man besondere sexuelle Attraktivität zu. In diesem Moment ihres Lebens war Aphrodite, die Göttin der Sexualität, auch ihre Schutzherrin. In späteren Jahren hingegen galt körperliche Anziehungskraft der Ehefrau eher als ein Risiko. Über die Gefühle des Paars in der Hochzeitsnacht schweigen die antiken Quellen. Faktisch trafen hier wohl meist zwei Menschen aufeinander, deren Erfahrungshorizonte sich nicht nur im sexuellen Bereich deutlich unterschieden haben dürften. Von der Braut wurde in der Hochzeitsnacht kein Nachweis körperlicher Unberührtheit verlangt – waren sich doch antike Ärzte bis in die Kaiserzeit uneins, ob ein weibliches Hymen überhaupt existiere. Gefühlsmäßiger Überschwang bei den Partnern ist wohl nicht zu erwarten. Dass allerdings alle Athenerinnen ,sexuell frustriert‘ gewesen seien, wie mitunter behauptet worden ist, lässt sich kaum belegen. Das Gefühls- und noch viel mehr das Geschlechtsleben athenischer Bürgerinnen war in einer Gesellschaft, die sich scheute auch nur den Namen einer ehrbaren Frau in der Öffentlichkeit zu nennen, kein Thema. Bekannt ist das Diktum des Ps.-Demosthenes (59.122), die Hetären habe man zum Vergnügen, die Ehefrauen zum Erhalt legitimer Nachkommen. Dieser Ausspruch negiert allerdings nicht grundsätzlich die Möglichkeit, auch in der Ehe ,Vergnügen‘ zu finden, sondern nur die Möglichkeit, von Hetären legitime Kinder zu erhalten. Xenophon formuliert das Charakterbild einer jungen Ehefrau, die den Erwartungen eines jungen athenischen Mannes entspricht, wie folgt: Sie hat – überwacht durch ihre Mutter – möglichst wenig gehört und möglichst wenig gesehen. Angeblich bringt sie keinerlei Kenntnisse mit, und es obliegt dem Ehemann, sie nach seinen Bedürfnissen zu erziehen und zu formen (Xen. oik. 7,5-6). Für die jugendliche parthénos in Athen, welche bisher ein eher behütetes Leben im Haus der Eltern verbracht hatte und von der nun verlangt wurde, das Elternhaus zu verlassen, sich als Braut in der Öffentlichkeit zu zeigen, ein fremdes Haus als neue Lebensmitte zu betrachten, einen Haushalt zu führen und schließlich sexuelle Kontakte zu einem ihr meist wohl völlig fremden und viel älteren Ehemann einzugehen, war die Verheiratung wohl der bedeutendste Einschnitt im Leben. Aber auch für den erstvermählten Ehemann brachte das Eheleben Neuerungen. Jetzt sollte er sich von seiner Hetäre oder von seinem Knaben trennen, doch durfte er im Normalfall den Wohnort behalten. Er war bereits deutlich älter als die Braut und brachte wohl meist sexuelle Erfahrungen mit. Durch diese sozialen Vorbedingungen war die Ehehierarchie vorstrukturiert. Der Erfolg einer Ehe zeigte sich nicht in demonstrativer Verliebtheit

Eheliche Sexualität

Virginität

Athen

Ehe als Einschnitt

Ehehierarchie

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Trennung

Eheliche Treue

Ehebruch

Verwitwung

Spartanische Ehen

I. Enzyklopädischer Überblick

der Partner, sondern in einer möglichst umgehend eintretenden Schwangerschaft der jungen Ehefrau. War eine solche binnen Jahresfrist nicht in Sicht, so konnte eine Eheschließung in aller Stille wieder rückgängig gemacht werden. Die Mitgift wurde dann rückerstattet, und die junge Frau kehrte ins Elternhaus zurück. Selbst aus Athen sind allerdings Fälle überliefert, in denen die Disharmonie eines Paares derart ausgeprägt war, dass man sich wieder trennte. Eheliche Treue wurde in Athen vor allem von den Frauen erwartet. In einem patrilokalen System lag den Ehemännern besonders daran, den Familienbesitz an einen wahrhaft leiblichen Erben weiter zu geben. Auch aufgrund der fortschreitenden Abschließung der Athener Bürgerschaft gegenüber Nichtbürgern im 5. Jh. v. Chr. war es bedeutsam, dass auf die eigenen Kinder nicht der Schatten eines Zweifels bezüglich ihrer legitimen Abstammung fiel. Ehebruch von Frauen und mit verheirateten Bürgerinnen wurde in Athen entsprechend streng bestraft. Der Liebhaber riskierte Schandstrafen, Verstümmelung oder gar Tötung, die Ehebrecherin Zwangsscheidung unter Verlust der Mitgift sowie den Ausschluss von religiösen Festen. Die Ansprüche einer athenischen Frau an die eheliche Treue des Ehemanns waren weit weniger ausgeprägt. Immerhin durfte sie wohl davon ausgehen, dass er neben ihr keine weitere offizielle Ehefrau besaß. Und sie konnte verlangen, dass er – so er weiterhin Beziehungen mit Hetären pflegte – diese nicht im Haushalt unterbrachte. Schließlich scheint ein gewisses Mindestmaß an Erfüllung ehelicher Pflichten vom Ehemann verlangt worden zu sein. Ein Ehemann hatte seiner Frau die Möglichkeit zu bieten, schwanger zu werden. Entsprechend besaß etwa eine Athener Erbtochter, die eine Pflichtehe mit dem nächsten männlichen Verwandten väterlicherseits hatte eingehen müssen, das Recht auf dreimaligen sexuellen Kontakt im Monat. Das unterschiedliche Lebensalter der Ehepartner erhöhte die Wahrscheinlichkeit der Verwitwung einer Partei. Zahlreiche Athenerinnen waren öfter als nur einmal verheiratet. Vor allem wenn sie bereits Kinder geboren und so ihre Fruchtbarkeit bewiesen hatten, stand einer erneuten Eheschließung nichts im Wege, sie konnten jedoch auch im Haus ihres Sohnes wohnen bleiben. Auch eine neue Ehe wurde von der Familie der Witwe organisiert. Aufgrund ihres inzwischen höheren Alters konnte diese jetzt ihre persönlichen Wünsche wohl besser vertreten als bei ihrer ersten Verheiratung. Wie das gefühlsmäßige Verhältnis der Geschlechter in einer spartanischen Ehe aussah – auch darüber schweigen die Quellen. Für die Lebensumstände spartanischer Bräute scheint der Tag der Eheschließung nicht ganz so einschneidend gewesen zu sein wie für eine Athenerin. Ihr im Vergleich zu den athenischen Mädchen höheres Alter bei der Heirat, ihre freiere Erziehung, während der sie offenbar vom männlichen

4. Sexualität, Ehe und Familie

23

Geschlecht nicht in gleicher Weise wie in Athen abgeschirmt worden waren, sowie möglicherweise sexuelle Erfahrungen homoerotischer Art schwächten vermutlich die Ängste vor diesem Ereignis ab. Allerdings klingen auch die Umstände der spartanischen Hochzeitsnacht nicht nach liebevoller Zuwendung junger Eheleute: Die Braut habe Männerkleidung getragen, vor der Hochzeit habe man ihr das Haar geschoren und sie schließlich in einem dunklen Raum eingeschlossen, wo dann der Bräutigam die Ehe vollzog. Möglicherweise sollte durch diese Verfremdung des weiblichen Körpers der Braut dem jungen Mann der Übergang von einer homoerotisch geprägten Sexualität zu heterosexuellen Kontakten erleichtert werden. Nach der Hochzeitsnacht habe das junge Paar nicht etwa einen gemeinsamen Hausstand begründet, sondern die junge Frau blieb im Haus ihrer Eltern wohnen, während der junge Ehemann weiterhin in der Gemeinschaftsunterkunft seiner gleichaltrigen Kameraden lebte und seine Frau nur heimlich aufsuchte. Erst nach mehreren Jahren sei es dann dem Ehemann gestattet gewesen, im eigenen Haus zu leben. Die ausschließliche körperliche Ausrichtung der Ehefrau auf den Ehemann, verbunden mit dem Anspruch absoluter ehelicher Treue, war in Sparta aufgrund des zumindest zeitweise matrilokalen, nicht auf Leibeserben des Vaters fixierten Systems offenbar weniger ausgeprägt als in Athen. Ein Beispiel hierfür wäre die erwähnte ,Erzeugerleihe‘. Entsprechend antwortete ein Spartaner auf die Frage eines Atheners, wie man denn in Sparta mit untreuen Frauen verführe, man kenne hierfür keine Gesetzesstrafen, denn in Sparta gäbe es keine Ehebrecherinnen.

Ehebruch in Sparta

4.5 Elternschaft und Geschlechterverhältnis Die Ehe war also in Griechenland die wichtigste gesellschaftlich gewünschte Form der Geschlechterbeziehung. Für Männer und Frauen war sie gleichermaßen verpflichtend; sich ihr bewusst zu entziehen, rief mindestens Verwunderung, gelegentlich sogar Sanktionen hervor. Die Begegnung der Geschlechter im Feld des Haushalts diente besonders der Erzeugung und Geburt legitimer Kinder zur Fortsetzung der Familie. Ausdrücklich zählt der archaische Dichter Semonides die Geburt schöner und charakterfester Kinder zu den Verdiensten der idealen Ehefrau. Auch Ehefrauen in Athen standen gegenüber dem Oikos des Ehemannes in der Pflicht, diese Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. Besonders wichtig war aufgrund der Erbgesetze und der Patrilokalität der Familie die Geburt eines männlichen Erben. Der Vorwurf der Unfruchtbarkeit wurde im Zweifelsfall den Frauen gemacht und war ein allgemein anerkannter Scheidungsgrund. Kam es zu auffällig zahlreichen Fehlgeburten bei den Bürgerinnen, so empfand man dies als Strafe der Götter und suchte den Grund dafür in Verstößen der Polisgemeinschaft.

Unfruchtbarkeit

24 Mütter- und Kindersterblichkeit

Kinderzahl

I. Enzyklopädischer Überblick

Wie in jeder vormodernen Gesellschaft waren die gesundheitlichen Risiken von Schwangerschaft und Geburt für die Frauen erheblich. Auch bei den Neugeborenen ist von hoher Säuglingssterblichkeit auszugehen. Das jugendliche Heiratsalter in Athen, welches zu Schwangerschaften körperlich noch nicht völlig reifer Mädchen führte, mag die Gefahren noch vergrößert haben. Statistische Erhebungen zum Tod im Kindbett lassen sich für Athen mangels zuverlässig auswertbaren Quellenmaterials nicht durchführen. So manche attische Grabstele spricht allerdings von der Trauer der Hinterbliebenen, die nicht selten gleichzeitig den Tod einer jungen Mutter und ihres Neugeborenen erleben mussten. Die Spartanerinnen waren hier möglicherweise etwas im Vorteil, höheres Lebensalter und bessere körperliche Vorbereitung haben die Gefahren des Gebärens wohl reduziert. Die Anerkennung der beim weiblichen Geschlecht liegenden Gebärlast und der damit verbundenen Gefährdungen fällt in den Quellen unterschiedlich aus. In Sparta war sie wohl am ausgeprägtesten. Das Gebären wurde mit der Leistung verglichen, die die Männer im Krieg erbrachten. Auch attische Tragödien thematisierten das Thema Geburt: Euripides ließ seine Negativ-Heldin Medea über die Lasten der Frauen sprechen, welche die Kinder ihrer Ehemänner austragen müssten, von diesen aber nicht die richtige Anerkennung hierfür erhielten. Demgegenüber waren Schwangerschaft und Geburt etwa bei Hesiod nicht thematisiert worden – er hatte sich mit dem Bild der drinnen sitzenden und essenden Frau begnügt, jener Frau, die ihren Bauch nährt ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Wie viele Kinder wurden von griechischen Eheleuten erwartet? Unterschiedliche Haltungen gegenüber der weiblichen Fruchtbarkeit dürften nicht zuletzt mit den jeweiligen sozialen Verhältnissen zusammenhängen. In archaischer Zeit hatte Griechenland offenbar einen deutlichen Bevölkerungsanstieg zu verkraften, der im Zusammenhang mit der erbrechtlich üblichen Realteilung zu Agrarkrisen beitrug. Unter diesem Blickwinkel ist die Haltung Hesiods und seine Mahnung an die Männer zu betrachten: ,,Zeuge nur einen Sohn!“ Diese Aussage sollte wohl mit der unausgesprochenen Ergänzung versehen werden: ,,. . . und am besten gar keine Tochter“. Überzählige erbberechtigte Kinder konnten in Krisenzeiten als Bedrohung des Oikos verstanden werden. Frauen sollten also in einer Ehe nicht nur Kinder schlechthin, sondern Kinder des richtigen Geschlechts in der richtigen Anzahl hervorbringen. Da von wirksamen Kontrazeptiven nicht auszugehen ist, spielte hier der Zufall eine wichtige Rolle. Die Größe einer Familie konnte aber auch durch Kindsaussetzung reguliert werden. Griechische Familien scheinen im Normalfall relativ klein gewesen zu sein. Ob dies eine Folge von Aussetzungen war oder durch Enthaltsamkeit des Ehemanns gegenüber seiner Frau erreicht wurde, nachdem die gewünschte Anzahl von Kindern geboren war, ist unklar. Während man unkontrollierter Bevölkerungsvermehrung

5. Pflüger und Weberinnen

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zunächst eher skeptisch gegenüberstand – die Polis sollte überschaubar bleiben und die Landlose ihren Mann ernähren können –, verbreitete sich im Hellenismus offenbar der Eindruck eines demographischen Einbruchs, den man nicht etwa auf die erhöhte Bevölkerungsmobilität in den neuen Territorialreichen zurückführte, sondern auf die Unwilligkeit der Familien, genügend Kinder großzuziehen. Die Risiken der Eltern, die nur ein oder zwei Kinder hatten, diese durch Krankheit zu verlieren und damit das Bestehen des Oikos zu gefährden, wurden jetzt in den Quellen deutlicher als früher artikuliert. Polybios warf im 2. Jh. v. Chr. den Griechen vor, das Land veröde, weil man aus Besitzgier auf eine ausreichende Kinderzahl verzichte.

5. Pflüger und Weberinnen: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (II) Auch die Aufgabe der wirtschaftlichen Stabilisierung des Oikos war geprägt von geschlechtsspezifisch ausgerichteten Rollenmustern, nach denen es Kinder und Jugendliche zu formen galt. Männlichkeit und Weiblichkeit hatten sich in diesen Bereichen gegenseitig zu ergänzen und ihren Anteil zum Funktionieren des Haushalts beizutragen. Homophrosýne, Einmütigkeit, galt schon im homerischen Epos als gewünschte Tugend des den Haushalt führenden Ehepaars. Sowohl Knaben als auch Mädchen wurden von Kindesbeinen an auf ihre Aufgaben in der Ökonomie des Haushalts vorbereitet. Je nach schichtenspezifischer Zugehörigkeit bewegten sich diese zwischen unmittelbarer eigenhändiger Verrichtung der notwendigen Arbeiten und der Beaufsichtigung ihrer Verrichtung. In der großen Mehrheit der griechischen Haushalte bedurfte es der eigenhändigen Mitarbeit von Männern und Frauen. Die wichtigsten Bereiche waren hierbei die Produktion von Nahrung und Kleidung auf landwirtschaftlicher Basis.

5.1 Der männliche Bereich des Haushalts: die Landwirtschaft Die Landwirtschaft – d. h. kleine und mittlere Höfe freier Bauern – bildete das Rückgrat der griechischen Polis. Griechische Kleinbauern bewirtschafteten in der Regel ihre Felder selbst, unterstützt von ihrer Kernfamilie und wenigen Sklaven.

Männlichkeit und Landwirtschaft

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Sparta

Weiblichkeit und Landwirtschaft

I. Enzyklopädischer Überblick

Selbständige landwirtschaftliche Arbeit galt als ehrenvolle Beschäftigung des freien Mannes schlechthin. Landarbeiter und Tagelöhner, die in Abhängigkeit arbeiteten, standen im Gegensatz dazu am untersten Ende der sozialen Skala. Fragt man nach den Methoden der Einführung männlicher Kinder in die Erfordernisse der Landwirtschaft, so bleiben griechische Quellen weitgehend stumm. Möglicherweise zählte die Einweisung des Sohnes durch den Vater bzw. die Mitarbeit der Kinder auf dem Feld zu den Selbstverständlichkeiten, die nicht thematisiert werden mussten. Faktisch war jedenfalls darauf zu achten, dem männlichen Bürger in spe ausreichende Kenntnisse für die erfolgreiche Bewirtschaftung seines Oikos mitzugeben. Ob der Jugendliche diese durch eigenhändige Mitarbeit erwarb oder etwa seinem Vater bei der Beaufsichtigung der Sklaven und Feldarbeiter zur Hand ging und so durch Nachahmung lernte, hing dann vom Wohlstand des einzelnen Oikos ab. Die konstitutive Funktion der Landwirtschaft für den Erwerb der ,richtigen‘ Männlichkeit lag weniger in agrarischen Spezialkenntnissen oder einschlägiger körperlicher Geschicklichkeit bei der Feldarbeit. Nicht die Art der Arbeit machte den Mann, sondern landwirtschaftlich nutzbarer Grundbesitz konstituierte den männlichen Vollbürger. Frauen war Grundbesitz hingegen nur bedingt möglich. Bemächtigten sich Frauen des Bodens, so galt dies als ein Alarmzeichen: Aristoteles (pol. 1270a) beklagt den Niedergang Spartas, den er nicht zuletzt daran erkennen will, dass sich zwei Fünftel des Landes in den Händen reicher Frauen gesammelt hätten. Sparta unterschied sich möglicherweise auch im Bereich landwirtschaftlich konstituierter Männlichkeit von anderen Poleis: Die Lebensweise der heranwachsenden und erwachsenen Spartiaten war so stark auf kriegerisches Training ausgerichtet, dass zur eigenhändigen Bestellung der Felder weniger Zeit blieb als in anderen Poleis. Die Landlose der Spartiaten im eroberten Messenien wurden von den Heloten, Staatssklaven, bestellt. Über die Rolle der Frauen beim Feldbau und entsprechende erzieherische Anstrengungen bei den Mädchen erfahren wir noch weniger als über die Aktivitäten der Männer. Frühe literarische Quellen wie Hesiod und Semonides sprechen dem weiblichen Geschlecht gar jeglichen Nutzen im landwirtschaftlichen Betrieb ab: Frauen, das seien jene Geschöpfe, die faul am Herd säßen und verzehrten, was die Mühsal des Bauern erwirtschafte. Auch spätere griechische Quellen würdigen nicht die Arbeitsleistung von Frauen bei der Bestellung der Felder. Dies dürfte mit den geläufigen Diskursen über die richtige Lebensweise der Geschlechter und über die geschlechtsspezifische Zuweisung des Raums an Männer und Frauen zusammenhängen: Frauen arbeiteten zwar wohl de facto auf dem Feld mit, ,eigentlich‘ sollte ihr Bereich jedoch das Haus sein – entsprechend wenig

5. Pflüger und Weberinnen

27

Betonung wird auf außerhäusliche Aktivitäten gelegt oder gar vom Anlernen der Töchter für die Feldarbeit berichtet. Stattdessen ließen sich die Aktivitäten der Geschlechter in Bezug auf das Gedeihen des Oikos geläufigen Schemata zuordnen. Der Mann verkörperte in jeder Hinsicht den Pflüger: Im Gegensatz zur Frau, die für Haltbarmachung, Bevorratung und Zubereitung landwirtschaftlicher Produkte verantwortlich war, pflügte er aktiv die Erde und legte den Samen in sie, so wie er den Körper seiner Ehefrau mit seinem Samen fruchtbar machte. 5.2 Der weibliche Bereich des Haushalts: die Textilarbeit Weibliche Produktivität wurde in Griechenland mit einem spezifischen Tätigkeitsfeld verbunden, welches ideologisch ebenso konstitutiv für positive Weiblichkeit wurde wie das Pflügen des eigenen Ackers für Männlichkeit: die Herstellung von Kleidung. Der Stolz griechischer Frauen auf ihre Fertigkeiten im textilen Bereich zeigt sich z. B. in den eher seltenen Selbstzeugnissen wie einem berühmten Gedicht der Erinna aus dem 4. Jh. v. Chr., welches den Titel ,,Die Spindel“ trägt. Aber auch von Männern verfasste Quellen gehen immer wieder auf die Verbindung von Frauen und Textilarbeit sowie auf durch Textilien produzierten Reichtum ein. Bereits die Göttinnen und Heroinen des homerischen Epos liefern einschlägige Identifikationsmuster. Die Spartanerkönigin Helena verteilt in der Odyssee kostbare Gewänder als Gastgeschenke. Göttinnen und Heroinen arbeiten am Webstuhl. Athena und Arachne treten in einen für Arachne unglückseligen Wettstreit um die feinste Webarbeit ein. Hermes’ göttliche Mutter Maia geht singend am Webstuhl hin und her; die Webarbeit von Odysseus’ Frau Penelope vermag sogar die drohende Zwangshochzeit mit einem der Freier hinauszuzögern. Die von ihrem Schwager vergewaltigte und verstümmelte parthénos Philomela benutzt ihr kunstreiches Gewebe gar als Kommunikationsmedium: Mittels der in den Stoff eingewebten Bilder vermag sie ihrer Schwester Prokne den an ihr begangenen Frevel mitzuteilen. Das Ansehen dieses Tätigkeitsbereichs ruhte auf einer praktischen und einer ideellen Basis. In der Praxis war ein Durchschnittshaushalt auf die textile Leistung der Frauen angewiesen. Mangels großer Manufakturen stellte jeder Oikos das Notwendige selbst her, von der mühseligen Vorbereitung der Wolle bis zum Weben der Stoffe. Möglicherweise trug die Langwierigkeit der Textilarbeit dazu bei, den Anteil der Frauen an der Feldarbeit zu senken. Die wirtschaftliche Bedeutung der hergestellten Kleidungsstücke zeigt sich in ihrer ausdrücklichen Erwähnung als Vermögensposten etwa in erhaltenen Eheverträgen. Auch in begüterteren Haushalten war die Fertigkeit, schöne Stoffe herzustellen, ein Vorzug, an

Textilarbeit und Weiblichkeit

Praktische Bedeutung

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Öffentliches Prestige der Textilarbeit

Textilarbeit und Männlichkeit

I. Enzyklopädischer Überblick

dem man positive Weiblichkeit erkannte und maß. Konnte ein Mädchen nicht lesen, war dies wohl nicht erwähnenswert. Vermochte es aber seinen Aufgaben im Textilbereich nicht nachzukommen, so hatten die Eltern und besonders die Mutter in der Erziehung der Tochter versagt. Textilarbeit konnte nicht nur – wie die Erzählung von Philomela zeigt – als spezifisch weibliche Ausdrucksform der sonst zu verbaler Zurückhaltung erzogenen Mädchen verstanden werden. Sie war außerdem eine Technik, mittels derer Frauen und sogar junge Mädchen öffentliches Ansehen zu gewinnen vermochten. Bestimmte Textilprojekte betrafen die Gesamtheit der Polis und ihr Wohlergehen. Wurde eine athenische Tochter etwa auserwählt, als Arrhephore im Dienst der Athena das Gewebe des heiligen Peplos für die Göttin zu beginnen, oder zählte eine Eleerin zu jener Gruppe von Frauen, die das Gewand für Hera anfertigten, so stärkte dies nicht nur das Prestige der einzelnen Person, sondern des gesamten Haushalts. Symbolisierten textile Arbeit und die bei dieser Gelegenheit verwendeten Werkzeuge in Griechenland die positiven Elemente von Weiblichkeit schlechthin, konnte es analog eine Negierung oder gar Umkehrung des Geschlechts bedeuten, wenn ein Mann die Spindel zur Hand nahm. Die berühmtesten Beispiele hierbei stammen aus dem Mythos: Herakles soll bei der lydischen Königin Omphale so weit verweichlicht sein, dass er Frauenkleider anzog und Wolle spann. Wollte man den jungen Achilleus unauffindbar für die Rekrutierungskommandos des Trojanischen Krieges verbergen, so steckte man ihn unter die Textilarbeit verrichtenden Mädchen von Skyros. Wenn in Ägypten die Männer Webarbeiten verrichteten – was in zahlreichen, auch griechischen Papyri für die dortige Arbeitspraxis bezeugt ist –, so war dies für den griechischen Geschichtsschreiber Herodot ein weiteres Beispiel der verkehrten Welt in einem exotischen Land, dessen Fremdheit sich auch an seinen merkwürdigen Geschlechterverhältnissen ablesen ließ. 5.3 Geschlechterverhältnisse und die Wirtschaft des Oikos Textilarbeit, aber auch Vorratshaltung und Zubereitung von Speisen gehörten zu den weiblich konnotierten Aufgaben. Da diese Arbeiten meist in Abwesenheit des Ehemanns oder Vaters geschahen, welcher sich untertags auf dem Feld oder auf der Agora aufhielt, waren sie seiner unmittelbaren Kontrolle streckenweise entzogen. Hieraus speiste sich das bei Hesiod und anderen bezeugte Misstrauen gegenüber den Frauen im Oikos. Im Unterschied zum Mann, welcher durch seine Arbeiten das Getreide säte, wachsen ließ und in der Ernte ,einbrachte‘, saßen die Frauen zuhause, eigneten sich das mühsam Erwirtschaftete an und ließen es in den Tiefen der Vorratskammer oder – so der Verdacht der Abwesenden

5. Pflüger und Weberinnen

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– im eigenen unersättlichen Bauch verschwinden. Der von den männlichen Quellenautoren empfundene Mangel an Transparenz bezüglich der Vorräte verstärkte sich in der griechischen Gesellschaft noch durch die übliche Geschlechtertrennung beim Essen: Männer und Frauen speisten in griechischen Haushalten getrennt. Beide Geschlechter trugen zur wirtschaftlichen Bilanz des Haushalts bei. Der bürgerliche Ehemann hatte in Athen im Normalfall den Oikos von seinem Vater übernommen. Die Ehefrau vermehrte durch ihre Mitgift, die meist aus beweglichem Vermögen bestand, die verfügbaren Ressourcen des Haushalts. Das demonstrative Mitführen der Mitgift in der Hochzeitsprozession zum Haus des Bräutigams war nicht nur ein Zurschaustellen von Reichtum, vielmehr erweiterte sich durch den Hochzeitszug die Gruppe der Zeugen, die im Zweifelsfall bestätigen konnten, dass eine offizielle Ehe unter Bürgern geschlossen und in welchem Umfang Vermögen transferiert worden war. Der Ehemann war berechtigt, die Mitgift zu nutzen, im Scheidungsfall musste sie jedoch an die Frau und ihre Familie zurückgegeben werden. Besonders durch ihre Textilarbeit konnte die Ehefrau eigenständig zur Mehrung des Vermögens beitragen. Die Athenerinnen galten als de iure nicht selbständig geschäftsfähig, de facto wird in den Quellen aber durchaus von ihrem Besitz gesprochen. In athenischen Haushalten spielten ältere Frauen wohl aufgrund ihrer langen häuslichen Erfahrung eine wichtige Rolle. Außerhäusliche Erwerbsarbeit jenseits der Landwirtschaft galt weder für Männer noch für Frauen in Athen erstrebenswert. Entsprechend waren die gelegentlich bezeugten Kranzverkäuferinnen oder Gemüsehändlerinnen auf der Agora nicht etwa besonders selbständige Frauen, die Berufstätigkeit angestrebt hatten. Es handelte sich eher um Angehörige der Metökenschicht, also Fremde geminderter rechtlicher Stellung, oder aber um Bürgerinnen, die mangels männlicher Verwandtschaft in eine wirtschaftliche Notlage geraten waren und selbst für ihr Existenzminimum sorgen mussten. Geldgeschäfte brachten auch dem athenischen Bürger kein unmittelbares Sozialprestige; in Sparta waren sie sogar verboten. In Gerichtsreden konnte gar der ehrliche, in Gelddingen naive Bürger dem listigen und betrügerischen Kaufmann gegenübergestellt werden. Für Sparta ist sogar die These vertreten worden, die spartanischen Männer seien aufgrund ihres weitgehend außerhäuslichen Lebens ihren Frauen in wirtschaftlicher Hinsicht mehr oder weniger ausgeliefert gewesen. Verschwendung des Familienbesitzes wurde bei beiden Geschlechtern und griechenlandweit als bedrohlich angesehen: Wer in Sparta seine Beiträge zu den Gemeinschaftsmahlen der Männer nicht mehr entrichten konnte, verlor seinen vollbürgerlichen Status als Spartiat. Wer als junger Athener seine Hetäre auf Kosten des familiären Oikos zu großzügig fi-

Athen Mitgift

Geschäftsfähigkeit der Frauen

,Geschäftsfähigkeit‘ der Männer

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I. Enzyklopädischer Überblick

nanzierte, gefährdete ebenfalls die wirtschaftliche Basis von Familie und Polisgemeinschaft.

6. Krieger und Amazonen? Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport 6.1 Erziehung zum Krieger

Agonales Prinzip

Kriegerische Männlichkeit in Sparta

Im Bereich des Haushalts trafen die Geschlechter, ihre spezifischen Aufgaben und Ideale am augenfälligsten zusammen. Bürgerliche Männlichkeit definierte sich zum einen in der erfolgreich übernommenen Rolle des Landbesitzers, Haushaltsrepräsentanten und Erzeugers legitimer Kinder. Ein erfolgreich sozialisierter männlicher Bürger musste allerdings auch imstande sein, seinen eigenen Grund und Boden sowie den seiner Mitbürger gegen Feinde von außen zu verteidigen. Dieser Anspruch prägte sowohl die Konstruktion männlicher Tugenden in der Polis wie auch die Erziehungsziele und Methoden für die Formung erfolgreicher Männlichkeit und Weiblichkeit in der Polis. In den griechischen Polisgesellschaften bis zu ihrem Aufgehen im römischen Reich spielte der Krieg eine wichtige Rolle. Krieg gehörte zum Alltag und die Wahrscheinlichkeit war groß, die Polis mit der Waffe verteidigen oder auch ihre Angriffskriege mittragen zu müssen. Ausgeprägtes Konkurrenzdenken, das oft so genannte ,agonale Prinzip‘, bestimmte den Umgang mit Freund und Feind. Krieg war kein Tabu, sondern ein Feld, in dem sich durch den Gewinn von Beute, aber auch durch persönliche Leistung im Kampf Sozialprestige gewinnen ließ. Die Erziehung zu kriegerischer Tüchtigkeit, verbunden mit der Förderung kriegstauglicher Tugenden, war entsprechend ein zentraler Faktor bei der Hervorbringung von Männlichkeit. Andreía, sprachlich verbunden mit anér, d.h. ,Mann‘, avancierte in der Bedeutung ,,kriegerische Tapferkeit“ zu einer männlichen Kardinaltugend. Das extremste Beispiel für diese Haltung ist die Polis Sparta. Die Einzelheiten sind – auch in chronologischer Hinsicht – nicht völlig gesichert. Den übrigen Griechen erschien jedoch die spartanische Erziehung als besonders auf Kriegstauglichkeit hin ausgerichtet und als in dieser Hinsicht überragend erfolgreich. Spartanische Knaben seien schon von ihren Ammen dazu angeleitet worden anspruchslos beim Essen und ohne Furcht zu sein (Plut. Lykurgos 16). Die Erziehung von Kriegern war jedenfalls in der spartanischen Polis so zentral, dass sie nach Xenophon (Lak. pol. 2,6f.) die griechenlandweit üblichen Sozialstrukturen – durch Ehe gefestigte Kleinfamilie unter väterlicher Autorität – aufsprengte. Um die Einheitlichkeit militärischer Förderung zu gewährleisten entzog man

6. Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport

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die Knaben der vollbürgerlichen Schicht (Spartiaten) ab dem siebten Lebensjahr ihren Familien. Sie lebten in gleichgeschlechtlichen, nach Alter gestaffelten Horden unter der Führung jeweils älterer Jugendlicher und wurden erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter wieder in das System der Kleinfamilie rückintegriert. Wettbewerb und Abhärtung standen im Zentrum. Die Pflege von Körper, Haar und Kleidung war verpönt, Nacktheit bei den Übungen üblich (Plat. leg. 633bc). Die gesamte Erziehung sei eine ,,Übung im Gehorsam“ gewesen (Plut. Lykurgos 16) mit den Zielen, ,,pünktlich gehorchen, Strapazen ertragen und im Streit siegen zu lernen“. Hier zeigt sich die geschlechtsspezifische Ambivalenz von Tugendidealen. Während ,Gehorsam‘ in den verschiedenen Diskursen antiker Gesellschaften eigentlich eine besonders dem weiblichen Geschlecht zugeordnete Anforderung war, galt er in Sparta gar als zentrale Tugend der Männer. Der Unterschied lag jedoch im Kontext. Männliche Heranwachsende lernten Gehorsam als militärische Disziplin und ausschließlich gegenüber sozial mindestens gleich- oder höhergestellten Geschlechtsgenossen. Zur Stabilität der Schlachtreihe als Bund männlich sozialisierter Individuen scheint besonders in Sparta auch das Phänomen der Knabenliebe beigetragen zu haben. Der Liebhaber sollte ein Vorbild für seinen erómenos sein und wurde für dessen Benehmen verantwortlich gemacht. Feigheit des Geliebten vor dem Feind fiel also auf seinen Liebhaber zurück. Man ging davon aus, dass sowohl der ältere Liebhaber als auch der jüngere Geliebte jeweils vor den Augen des Partners bestmögliche Leistung zeigen wollten und entsprechend erfolgreich kämpften. Auch in den anderen griechischen Poleis machte die Ausbildung kriegstauglicher Fähigkeiten einen wichtigen Aspekt der Erziehung zur bürgerlichen Männlichkeit aus. Seit der Einführung des Hoplitenkampfes in der archaischen Zeit definierte sich der athenische Bürger in der Gemeinschaft der Geschlechtsgenossen über seinen Platz in der schwerbewaffneten Schlachtreihe. Der soziale Druck, der von Kindesbeinen an die Diskriminierung von Feigheit mit einschloss, hielt die Schlachtreihe zusammen und war gleichzeitig für jeden einzelnen Mann in der Hoplitenreihe überlebensnotwendig. Wenn sich der Nachbar feige zur Flucht wandte, war die eigene Schulter ungeschützt. Die Verwirklichung dieses Anspruchs bedurfte körperlicher Übung und mentalen Trainings. Eigenschaften wie Ehrgeiz, Mut, Tapferkeit und Disziplin mussten gefördert werden. Spätestens als junge Beinahe-Erwachsene mit ca. 18 bis 20 Jahren wurden griechische Bürgersöhne im Rahmen eines informellen Militärdienstes mit den geläufigen Waffentechniken vertraut gemacht. Seit dem späten 4. Jh. v. Chr. wurde dieser als Ephebie bezeichnet, schloss dann auch nichtmilitärische Bereiche mit ein und galt als besonders spezifisches Element athenischer bürgerlicher Erziehung (Aristot. Ath. pol. 42).

Knabenliebe und militärische Männlichkeit

Kriegerische Männlichkeit in Athen etc.

Ephebie

32 Männliche Feigheit

I. Enzyklopädischer Überblick

Der Vorwurf der Feigheit besaß großes Gewicht. Er konnte verschiedene Formen der Bestrafung nach sich ziehen, von öffentlichem Spott über Anzeige wegen Landesverrats bis hin zum Verlust des Bürgerrechts und persönlicher sozialer Ächtung. Am ausgeprägtesten scheint die Disziplinierung Unwilliger in Sparta gewesen zu sein, und sie war Aufgabe beider Geschlechter: Die Spartanerinnen gaben ihren Söhnen die Aufforderung mit in den Kampf, entweder siegreich ,,mit dem Schild“ oder tot ,,auf dem Schild“ zurückzukehren (Plut. mor. 241f). Wer gegen die Norm verstieß, musste sich durch öffentlich vorgetragene Spottgedichte erniedrigen lassen (Plut. Lykurgos 14,3-6). Inwieweit man sich als griechischer Knabe und Mann in der Praxis den Zumutungen eines stark militärisch geprägten Männlichkeitsbildes entziehen konnte, lassen die erhaltenen Quellen nur ausnahmsweise erkennen: Die Organisation der Verteidigung, also das Aufgebot der Einwohner war verbunden mit entsprechenden Listen der Wehrfähigen. In Athen waren potentiell alle Bürger im Alter von 20 bis 60 Jahren betroffen. Selbst die in ihren Rechten beschränkten Metöken mussten an der Verteidigung der Stadt teilnehmen. Derartige Regeln schränkten die Spielräume des Einzelnen wohl stark ein. Nicht betroffen von den Zumutungen der militärischen Tapferkeit waren die männlichen Sklaven: Diese bewaffnete man nur im äußersten Notfall. Die Anforderung an den griechischen Polisbürger, im Kriegsfall seine Stadt mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, galt in der hellenistischen Epoche gleichermaßen; erst die Friedenszeiten unter den römischen Kaisern verschafften den griechischen Männern diesbezüglich Erleichterung. 6.2 Krieg, Sport und Männlichkeit Die vielfach bezeugte sportliche Betätigung in Griechenland ist nicht mit militärischer Ausbildung gleichzusetzen. Um sich in der Hoplitenreihe zu bewähren, bedurfte es zunächst lediglich einer gewissen Körperkraft und Ausdauer, die es dem einzelnen Kämpfer ermöglichte, trotz der schweren Rüstung die notwendige Beweglichkeit zum Vorrücken zu bewahren. Zahlreiche in Griechenland geläufige sportliche Disziplinen hatten keine unmittelbare Entsprechung im Alltag eines bewaffneten Konflikts. Trotzdem hing das hohe Ansehen, das sportliche Erfolge in Griechenland mit sich brachten, mit Verbindungen zum kriegerischen Bereich zusammen. Die Verbreitung des Hoplitensystems seit dem 7. Jh. v. Chr. beschränkte die Möglichkeiten des Adels, durch ,homerisches‘ Einzelkämpfertum individuellen Kriegsruhm zu erwerben. In der Folge verlagerten die Angehörigen der adligen Familien ihre Interessen auf die sportliche Übung des Körpers. Überregionale Wettbewerbe wie in Olympia ermöglichten nun, die männlichen Standesgenossen durch indi-

6. Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport

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viduelle körperliche Leistung zu übertreffen. Entsprechend blieb das Feld des Sports in archaischer Zeit hauptsächlich den Adligen vorbehalten, welche die erforderliche Zeit zum Training aufbringen konnten. Ein seit der Knabenzeit durch sportliche Übung trainierter Körper wurde zum männlichen Schönheitsideal schlechthin. Schöner Körper und vortrefflicher Geist schienen sich geradezu zu bedingen. Kalokagathía, das Ideal, körperlich schön und auch geistig vortrefflich zu sein, wird im späten 5. Jh. v. Chr. im Umkreis der Sophisten als Konzept greifbar. Im 4. Jh. v. Chr. avanciert kalokagathía zu einem allgemeinen – auch ethischen – Ideal von Männlichkeit für die Bürger der attischen Demokratie. Obwohl für den Sohn eines durchschnittlichen Kleinbauern, der seinen Körper bei der Feldarbeit schinden musste, dieses Ideal wohl kaum erreichbar war, findet sich bereits im klassischen Athen eine Reihe von Sportstätten, in denen eine breite bürgerliche (und vermutlich rein männliche) Schicht körperliche Ertüchtigung pflegte. Die Sportstätten – Gymnasion oder Palästra genannt – gaben eine zulässige Bühne ab für den nackten männlichen Körper, dessen vortreffliche Männlichkeit dort vor aller Augen demonstriert werden konnte. Öffentliche Nacktheit war jedoch auch in Griechenland auf den Bereich des Sports beschränkt und unterlag selbst dort strengen Regeln. Die Söhne von vermögenden Polisbürgern wurden von Pädagogen dorthin begleitet, deren Hauptaufgabe es war, die Knaben auf der Straße vor Übergriffen päderastischer Art zu bewahren und sie auch in der Palästra schamhaftes Verhalten zu lehren. Die Meinungen über den Beitrag athletischer Übung und athletischer Wettkämpfe zur Heranbildung wünschenswerter Männlichkeit waren jedoch in Griechenland nicht einhellig. Zahlreiche Poleis ehrten ihre Olympiasieger bei der Heimkehr mit größtmöglichen öffentlichen Ehren. Aber schon seit archaischer Zeit sind Stimmen vernehmbar, die wie Xenophanes von Kolophon im 6. Jh. v. Chr. die Athleten als untaugliche Fresser, Sklaven ihres Körpers, unfähig im Krieg und nutzlos für die Polis herabsetzten. Echte andreía erwies sich nach Meinung der Kritiker ausschließlich durch Tapferkeit vor dem Feind.

kalokagathía

Sportliche Nacktheit

6.3 Kriegerische Weiblichkeit? Das militärische Feld und die Erziehung von Mädchen Auch in der Antike waren beide Geschlechter von Krieg und seinen Folgen betroffen. Allerdings galt in der griechischen Kultur die aktive Teilnahme von Frauen am Kampf nicht als konstitutiver Teil von Weiblichkeit. Zwar spielten Vorstellungen von den Amazonen, einem mythischen Volk männerfeindlicher Kriegerinnen, eine nicht geringe Rolle in der griechischen Gedankenwelt; die Amazonen stellten aller-

Amazonen

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Weibliche andreía

I. Enzyklopädischer Überblick

dings das glatte Gegenteil dessen dar, was man in einer griechischen Polis zu akzeptieren gewillt war. Im Amazonenmythos wurde in zeitlicher und örtlicher Ferne, geprägt durch barbarische Bräuche und durch bedrohliche Aggressivität, eine Gegenwelt aufgebaut, deren Vertreterinnen griechischen Helden wie Herakles oder Theseus die Gelegenheit gaben, sie zu besiegen und so die richtige Verbindung von Männlichkeit und überlegener Kampfkraft zu demonstrieren. Ob die Amazonenmythen ursprünglich von realen Bräuchen skythischer Reitervölker inspiriert wurden, ist fraglich. Jedenfalls gehörten kämpfende Mädchen und Frauen weder zur alltäglichen Kriegserfahrung der Griechen, noch gaben sie Identifikationsfiguren für Griechinnen ab. Die Vorstellungen über geschlechtsspezifische Eigenschaften und Defizite sowie die hier aufruhenden geschlechtsspezifisch organisierten Tugendkataloge der griechischen Gesellschaft bekräftigten den Ausschluss der Frauen im militärischen Feld. Bezeichnenderweise trägt die Bezeichnung der kriegerischen Tapferkeit, andreía, den Begriff ,,Mann“, anér, in sich. Ob eine derart benannte Tugend auch für Frauen erlangbar oder auch nur wünschenswert war, musste erst einmal die Frage sein. Denn dem stand die Vorstellung entgegen, Feigheit, Furchtsamkeit und Hinterlist, also Gegenbilder aller kriegerischen Tugend, seien spezifische Merkmale von Weiblichkeit. Durch den Ausgleich dieses weiblichen Defizits konnte sich Männlichkeit erfolgreich konstituieren. Hier schien es sich zu erweisen, dass Männer von Natur aus zum Herrschen und Frauen zum Gehorchen bestimmt waren. Entsprechend war die Erziehung der Mädchen nicht auf aktive Teilnahme im militärischen Feld ausgerichtet. Gehorsam und Selbstbeherrschung waren die komplementären weiblichen Tugenden, die den Mädchen vermittelt werden mussten, wenn sie im Kriegsfall den Männern nicht durch unkontrolliert ausgelebte Ängste zur Last fallen sollten. Der Athener Tragödiendichter Aischylos (Sept. 187-194) ließ seinen Protagonisten Eteokles, König im belagerten Theben, jedenfalls die Forderung aufstellen, die Frauen sollten sich im Krieg auf eine passive Rolle – Gehorsam und Gebet für die Kämpfer – beschränken. Selbst im besonders kriegerischen Sparta zählte Tapferkeit im Kampf nicht zu den gewünschten weiblichen Tugenden. 6.4 Sportliche Körpererziehung und Weiblichkeit

Sparta

Sparta bildete jedoch im Bereich sportlicher Betätigung die Ausnahme im griechischen Geschlechterverhältnis. Dort übten sich auch Mädchen in sportlichen Disziplinen bis hin zum Speerwurf und sollen hierbei sogar nackt den Blicken des anderen Geschlechts ausgesetzt gewesen sein – für Nichtspartaner ein ungeheuerlicher Gedanke, der die voyeuristische

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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Phantasie noch römischer Autoren beflügelte. Von körperlich ausgereiften und sportlich gestählten Frauen erwarteten die Spartaner jedoch nicht Teilnahme in der Schlachtreihe, sondern die Geburt kräftiger Säuglinge, welche potentiell fähige Kämpfer sein würden. Die Ziele körperlichen Trainings im Rahmen der Erziehung waren also für die Geschlechter in Sparta nicht identisch, wurden aber analog bewertet. Das Gebären galt als der Kriegsdienst der Spartanerinnen. In beiden Fällen riskierten die Beteiligten ihr Leben zum Wohl des Staates. Gelegentlich wies aber auch die Erziehung der Mädchen im übrigen Griechenland sportliche Elemente auf. So sind etwa Wettläufe von Mädchen sowohl im Kult der attischen Artemis von Brauron als auch der Hera von Olympia bezeugt. In Olympia fand der Wettlauf der Frauen allerdings zeitlich versetzt zu den regulären olympischen Spielen statt. Von diesen waren verheiratete Frauen sogar als Zuschauerinnen bei Androhung der Todesstrafe ausgeschlossen.

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos: Öffentlichkeit, Religion und Politik 7.1 ,Privat‘ und ,öffentlich‘ – drinnen und draußen: Räume für die Geschlechter Die Geschlechterdiskurse antiker Gesellschaften ordneten Männern und Frauen nicht nur unterschiedliche Aufgaben und Tätigkeitsfelder zu. Sie verbanden diese auch mit einer Aufteilung der Lebenswelt in den Raum der Männer und den der Frauen. Schon im Spottgedicht des Semonides gilt bei einer Frau das ,,sich Umhertreiben aus Neugier“ als besonders unpassend. In Griechenland – besonders in Athen – wird deutlich: Den Frauen war idealiter das Haus zugeordnet, die Männer hingegen besetzten das Draußen. Auf den ersten Blick erscheint dies den historischen Realitäten zu entsprechen. Athenische Männer arbeiteten auf dem Feld, zogen in den Krieg und versammelten sich auf Pnyx wie Agora etwa zur Volksversammlung und in den Gerichtshöfen. Die spezifisch weiblichen Tätigkeiten – Kinderpflege, Vorratshaltung, Zubereitung der Speisen, Textilarbeit – waren vom Haus kaum zu trennen. Ein Webstuhl ließ sich nicht transportieren, der Herd war fest gemauertes Zentrum des Hauses. Entsprechend verbrachten athenische Frauen sicherlich einen großen Anteil ihrer Arbeitszeit im eigenen Haus. Problematisch ist allerdings die hieraus abgeleitete und lang vertretene These, die Griechinnen und speziell die Athenerinnen hätten ihr Leben isoliert und eingesperrt im

Athen/Olympia

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,Privatheit‘

Seklusion in Athen?

gynaikonítis/andrón

I. Enzyklopädischer Überblick

stickigen und ungesunden Frauengemach gelebt. Entsprechend wurde angenommen, den Frauen sei der öffentliche Raum, das Draußen in der Bedeutung ,außerhalb des Hauses‘, verschlossen gewesen. Ihre Sphäre sei eine streng kontrollierte, ,private‘ gewesen, während die Männer die ,Öffentlichkeit‘ für sich in Anspruch genommen hätten. In der jüngeren Forschung ist der Begriff des ,Privaten‘ auch für die Antike erfolgreich in Frage gestellt worden. Für einen athenischen Bürger und seine Familie waren ,Privates‘ und ,Öffentliches‘ nicht streng getrennt – und schon gar nicht nach den Kriterien drinnen (innerhäuslich = privat) und draußen (außerhäuslich = öffentlich). Ein Anrecht auf ,privacy‘ existierte nicht. Das Individuum besaß keinen Bereich, in dem es sich nach Neigung und ohne Mitspracherecht der Gemeinschaft verwirklichen konnte. Das Handeln eines Menschen in Athen war stets ein von den Standesgenossen kontrolliertes – dies galt für die Männer und die Frauen. Das Bild des neuzeitlichen osmanisch beherrschten Griechenland, verbunden mit der Faszination ,orientalischer Haremskultur‘, hat offenbar die Interpretationen der antiken Quellen zur Bewegungsfreiheit antiker Frauen stark beeinflusst. Verbrachte nun die Athenerin ihr Leben eingeschlossen im Frauengemach, der gynaikonítis? Erblickte man auf den Straßen Athens nur Männer? Komödien und Gerichtsreden berichten von athenischen Ehemännern, welche ihre Frauen mehr oder weniger erfolgreich eingesperrt hätten. Die Existenz eines Frauengemachs in Athen, welches offenbar verschließbar war und zu dem fremde Männer im Normalfall keinen Zutritt hatten, führte so manchen zur Annahme haremsartiger Zustände. Hierzu schien auch die Existenz des andrón zu passen, eines Raumes, den man analog als exklusiven Männerraum im Haus interpretierte. In der Praxis hat dieses Bild keinen Bestand. Die jugendlichen Töchter eines athenischen Bürgerhaushalts waren vermutlich in ihrer räumlichen Selbstbestimmung tatsächlich eingeschränkt. In kleinbäuerlichen Verhältnissen – und in solchen lebte die Mehrheit nicht nur der athenischen Polisbürger – konnte es sich ein Oikos jedoch schlicht nicht leisten, die Arbeitskraft der weiblichen Mitglieder aus ideologischen Gründen auf das Haus zu beschränken. Attische Bäuerinnen arbeiteten zumindest zeitweise sicherlich ,draußen‘ mit. Auch im Haus war das weibliche Geschlecht nicht auf das Frauengemach reduziert. In einem spärlich möblierten athenischen Haus hatten einzelne Räume nicht zwangsläufig eine feste Funktion: Ein Raum, in dem man nachts schlief, diente untertags häuslichen Arbeiten. Frauen versorgten und betraten selbstverständlich alle Räume des Hauses, auch das so genannte Männergemach. Nur wenn der Herr des Hauses seine Standesgenossen und Freunde zum Mahl oder zum Trinkgelage empfing, zogen sich die Frauen der Familie zurück. Im Alltag – und auch aufgrund der ausgeprägten Anforderungen, wel-

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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che die attische Demokratie an ihre männlichen Mitglieder stellte – waren antike Männer häufig untertags abwesend. Überspitzt formuliert könnte man der ideellen ,Hauspflicht‘ der Frauen eine komplementäre ,Abwesenheitspflicht‘ der Männer gegenüberstellen. Das unkontrollierte Zusammensein der weiblichen Nachbarschaften, bei Abwesenheit der Männer im Krieg zwangsläufig noch ausgeprägter als im friedlichen Alltag, war offenbar ein Stachel im Fleisch des Bürgers, der seinen Oikos repräsentierte, ihn aber untertags gemeinhin ohne Aufsicht lassen musste. Der von der Komödie gegebene Ratschlag, die intriganten Frauen einfach einzusperren, dürfte vielleicht dem Herzen manches Athener Bürgers entsprochen haben; als geläufige Praxis ließ er sich nicht verwirklichen. Die Vorstellung von der eingesperrten Athenerin ist also zu revidieren. Gleichzeitig muss aber auch das Bild der im Gegensatz zur Athenerin angeblich freien und einflussreichen Spartanerin kritisch betrachtet werden. Dass die Erziehung der jungen Mädchen in Sparta den anderen Griechen in einigen Punkten als abweichend von der Norm auffiel, trug wohl dazu bei, in der Neuzeit die Spartanerinnen im Vergleich zu den Athenerinnen als freie Frauen einzuschätzen. Hierin folgte man offenbar noch in der Neuzeit der Meinung des Aristoteles, welcher die Verhältnisse in Sparta als durch Frauenherrschaft im Niedergang begriffen charakterisierte. In der Praxis hat wohl die von den männlichen Spartiaten geforderte Lebensweise die Lebensführung auch des weiblichen Geschlechts massiv beeinflusst. Auch die Spartanerinnen waren wohl nicht im Haus eingeschlossen, deshalb aber keine ,freien Frauen‘. Auch ihre Bewegungsfreiheit definierte sich – wie in Athen – im Rahmen des Systems und ließ durch dessen besondere Rigidität insgesamt möglicherweise noch geringeren Spielraum für individuelle Wünsche, als das in athenischen Verhältnissen der Fall war. Auch Spartanerinnen hielten sich wohl nicht unnötig auf den Straßen auf – die Baustruktur der Stadt, das Fehlen großer öffentlicher Gebäude und architektonisch aufwendig gestalteter Plätze zeigt darüber hinaus, dass dies auch für die Männer keinen so hohen Stellenwert besaß, wie es für die Bürger des klassischen Athen der Fall war. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern betraf also nicht die Bewegungsfreiheit an sich. Griechische Frauen waren nicht ,eingesperrt‘ und griechische Männer nicht frei zu gehen, wohin sie denn wollten. Der Unterschied bestand vielmehr sowohl in Athen als auch in Sparta in unterschiedlichen Verweilorten und Kommunikationsräumen. Beide Geschlechter hatten im Haus und im Freien, im Hof und auf dem Feld, auf den Straßen und Plätzen der Stadt zu tun und passierten zumindest die Gesamtheit des Raums. Ihren Aufenthaltsort nahmen die Männer aber tendenziell eher unter Männern: auf dem Feld und auf der Agora in Athen, in der kriegerischen Gemeinschaft in Sparta. Der Raum der Frauen war geprägt durch weibliche Nachbarschaft und Aufgabenbereiche in Haus und Hof.

Bewegungsfreiheit in Sparta?

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I. Enzyklopädischer Überblick

7.2 Körperbildung und Verhaltenstraining für die Öffentlichkeit Vorbereitung auf die Öffentlichkeit

Schulbildung und Geschlechterrollen

Haltung und Körperverhalten der Männer

Es galt also besonders die Knaben zu funktionierenden Mitgliedern der Polis außerhalb des Oikos zu erziehen. Das Training zum Erwerb der richtigen Männlichkeit bezog sich sowohl auf das Selbst, welches der Knabe zu beherrschen lernen sollte, als auch auf die richtige Inszenierung dieses Selbst unter Gleichrangigen sowie gegenüber höher oder niedriger Gestellten. Hierzu gehörte die körperliche Beherrschung des öffentlichen Raums, in dem man sich sicher und mit dem richtigen Körperverhalten zu bewegen hatte. Außerdem war das Erlernen angemessener Kommunikation mit Standesgenossen zentral, da erst diese den Einzelnen dazu befähigte, die Gemeinschaft bei Bedarf durch die Übernahme von Ämtern zu repräsentieren. Diese ,Bildungsziele‘ fallen nur teilweise mit dem zusammen, was in der Moderne unter Schulbildung verstanden wird. Eine allgemeine Schulpflicht ist für keinen Abschnitt der Antike zu konstatieren – auch nicht für die männliche Hälfte der Gesellschaft. Fanden sich nicht reiche Stifter, so beschränkte sich die Vermittlung von Schulbildung auf diejenigen, welche sie sich leisten konnten. Elementarkenntnisse mögen den Söhnen wohl vielfach innerhalb der Familie vermittelt worden sein. Was darüber hinausging, blieb denen vorbehalten, welche wirtschaftliche Überschüsse in formalisierte Schulbildung zu investieren vermochten und dies im Rahmen der gesellschaftlichen Verhältnisse für sinnvoll hielten. In Sparta – so zumindest Plutarch – hätten die Heranwachsenden nur so viel von den Wissenschaften gelernt, wie sie unbedingt brauchten. Die entscheidende Frage darf für die griechische Kultur nicht lauten: ,Wie war das Schulwesen organisiert und welcher Fächerkanon wurde gelehrt¿ Vielmehr ist zu fragen, welche Inhalte und vor allem Techniken eine griechische Frau oder ein griechischer Bürger im Erwachsenenalter beherrschen musste, um die erwartete Geschlechterrolle zur allgemeinen Zufriedenheit ausfüllen zu können, und auf welche Weise diese vermittelt wurden. Die Bildung zu rechten Frauen und Männern begann deutlich vor den ersten Buchstabierversuchen. Von erwachsenen griechischen Bürgern wurde zunächst einmal erwartet, dass sie sich in der Öffentlichkeit richtig zu bewegen wussten. Aufrechte Haltung des Körpers gehörte zu positiver Männlichkeit – der Buckel des Thersites macht ihn nicht nur zum hässlichsten Mann vor Troja, sondern weist auf seine charakterliche Hässlichkeit voraus. Auf das Körperverhalten eines Knaben wurde großer Wert gelegt: Die Aufgabe des Pädagogen, der einen Schüler ins Gymnasion oder in das Haus eines Lehrers begleitete, bestand nicht nur darin, auf dem Schulweg Unheil von ihm abzuwehren. Der Pädagoge achtete auf Haltung und Gang, da diese Rückschlüsse auf die Moral des

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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Knaben zuließen. Sittsamkeit zeigte sich konkret in den Sportstätten: durch richtiges Sitzen des beim Training nackten Heranwachsenden, der etwa darauf zu achten hatte, dass seine Geschlechtsorgane keinen Abdruck im Sand der Palästra hinterließen. Nicht nur aidós, Scham und Zurückhaltung, stand den noch unfertigen Männern gut an; die richtige – in diesem Fall die anmutige – Bewegung in der Öffentlichkeit wurde seit archaischer Zeit auch bei den religiösen Festen der Polis von ihnen eingefordert. Jugendliche Chöre trugen bei Götterfesten einstudierte Lieder vor und präsentierten sich auf diese Weise in der Öffentlichkeit der Polis. Die Einübung der richtigen Art und Weise sich zu bewegen war auch bei den griechischen Mädchen ein wichtiges Erziehungsziel. Aufrechte Haltung zeichnete Göttinnen aus: Artemis – die von der Altersstufe her das Ideal der soeben erwachsen gewordenen parthénos (Jungfrau) kurz vor der Heirat verkörpert – fällt bei Homer auf, weil sie ihre Altersgenossinnen überragt. Frauen bewegten sich zwar nicht so häufig im öffentlichen Raum wie Männer, aber auch sie hatten dort ihre Auftritte. Auch Mädchenchöre traten singend und tanzend vor die Polisgemeinschaft und demonstrierten die Fähigkeit, sich anmutig zu bewegen. Semonides vergleicht im ,Weiberiambos‘ die Frau, die ihren Hals nur mit Mühe bewegen kann, mit dem Affen. Ihr Gegenstück, die Bienenfrau, ragt hervor aus dem Kreis der anderen Frauen ,,und rings umfließt sie Anmut, das Geschenk der Götter“. Konnte man im klassischen Sparta sowohl bei sportlichen Wettbewerben als auch bei Aufführungen von Mädchenchören offenbar mitunter einen Blick auf die leicht oder gar unbekleideten Körper des weiblichen Nachwuchses werfen, so war im übrigen Griechenland für die Mädchen der Besuch der Palästra inklusive sportlicher Nacktheit wohl nicht üblich. Das anmutige Anheben des Gewands bzw. das Aufblitzen zarter weiblicher Fußknöchel bei Tanz und Gesang war die körperliche Übung schlechthin, an der die Attraktivität einer jungen Frau erkennbar war. Auch die Auftritte der Jungfrauen in religiösen Prozessionen waren Gelegenheiten, bei denen sich zeigte, ob ein Mädchen erfolgreich für seine Rolle erzogen worden war. Aufrechter Gang und gleichzeitig gesenkter Blick waren hierfür deutliche Markierungen. Die richtige Kleidung trug zur Einübung der rechten Haltung bei und diente gleichzeitig als Geschlechtskennzeichen. Im Zuschnitt unterschied sich antike Männerkleidung von den Kleidungsstücken der Frauen deutlich weniger, als dies etwa in der europäischen Neuzeit der Fall gewesen ist. Trotzdem war für die Griechen an der Silhouette des bekleideten Körpers und an seiner Haltung erkennbar, ob dieser dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen war. Die Kenntnis der geschlechtsspezifischen Kleiderregeln war Voraussetzung für eine positive Wahrnehmung durch die Gemeinschaft und wurde entsprechend einge-

Haltung und Körperverhalten der Frauen

Kleidung als Geschlechtsmerkmal

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Männliche Nacktheit

Frauenkleidung

I. Enzyklopädischer Überblick

übt. In der Öffentlichkeit – d.h. etwa bei religiösen Festen und politischen Zusammenkünften – unterschied sich der freie Mann vom Sklaven durch seine Tracht. Die Kleidung wirkte unmittelbar auf die Körperhaltung ein und unterstützte die männliche Würde. Drapierte Mäntel, auf deren Faltenwurf man achten musste, beeinflussten Haltung und Bewegung. Auf den korrekten Faltenwurf der Kleidung zu achten hatte bei antiken Männern – und solchen, die es werden wollten – nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern war Ausdruck ihrer (angestrebten) bürgerlichen Männlichkeit. Übertrieb man allerdings – sei es in Material und Farbigkeit der Kleidung oder auch nur in der sichtbaren Zeit, die man auf die Pflege des Körpers und seiner Verhüllung verwandte –, so lief man Gefahr, bei den jeweiligen Zeit- und Standesgenossen das Gegenteil zu erreichen und als eitler Weichling mit weiblichen Eigenschaften verspottet zu werden. ,Öffentliche‘ Nacktheit war auch bei den Griechen nur im Rahmen des Sports möglich, griechische Jünglinge liefen oder ritten also nicht – wie ideale bildliche Darstellungen suggerieren könnten – nackt und für jedermann sichtbar im Alltag durch die Straßen ihrer Polis. Selbst die Nacktheit im Gymnasion galt für junge Männer als gefährdend, war sie doch potentieller Anreiz zur Anbahnung päderastischer Beziehungen, die keinesfalls wahllos eingegangen werden sollten. Zum weiblichen Habitus gehörte unabdingbar Kleidung. Diese war für das weibliche Geschlecht auf verschiedenen Ebenen ein höchst bedeutsamer Faktor: Von qualitativ guten Kleidern konnte man auf Kunstfertigkeit, Häuslichkeit und Fleiß der Trägerin schließen. Übermäßig aufwendige Kleidung und Frisur sowie zu reicher Schmuck einer Bürgerin galten aber bereits bei Semonides als Verschwendung. Der Verrichtung der häuslichen Aufgaben durfte ,nutzlose‘ Schönheit nicht entgegenstehen. Xenophon lässt im Oikonomikos den jungen Ehemann seiner Frau darüber hinaus vom Gebrauch von Schminke – ein Element weiblichen Trugs – abraten; sie widerspräche der wünschenswerten Ehrlichkeit der Ehegatten untereinander. Kleidung erwies sich aber auch als zentral im Bereich des öffentlichen Auftretens. Der Bereich außerhalb des Hauses, den das männliche Geschlecht als Aktionsraum beanspruchte, konnte von Frauen zwar durchaus begangen werden. Ebenso wie die Knaben mussten sie aber durch entsprechende Inszenierung deutlich machen, dass sie ,gute’ Weiblichkeit verkörperten. Man trug Peplos oder Chiton, lange Gewänder, die – bei Bedarf ergänzt durch den Mantel – bis zum Boden reichten. Ebenfalls üblich war es, das Haupt zu bedecken – entweder durch eine hochgezogene Falte des Mantels oder in Form eines zusätzlichen Stoffstücks, welches das Haar und unter Umständen Teile des Gesichts verbarg. Auch der griechische Frauenmantel behinderte die ungezwungene Bewegung, da er – als rechteckiges Stoffstück ohne Ärmelöffnung – beide Arme bedeckte und

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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man ihn von innen ständig festhalten musste um ein Heruntergleiten zu verhindern. Öffentliche Nacktheit war für griechische Frauen undenkbar. Sie hatten ihren Körper bedeckt zu halten. Den Spartanerinnen brachte ihre spezifische Tracht, der seitlich offene dorische Peplos, sowie ihre mit Nacktheit verbundene sportliche Betätigung in den Komödien die Spottbezeichnung ,Schenkelzeigerinnen‘ ein. Nicht einmal Hetären oder Prostituierte zeigten sich nackt. Vielmehr waren es in einigen griechischen Poleis bestimmte Kleidervorschriften, nicht der Grad der Nacktheit, welche die ehrbaren von den unmoralischen Frauen schieden. Sprech- und Sprachverhalten waren zunächst eine Fortsetzung oder ein Teil des ,richtigen‘ Körperverhaltens. Zu den geschlechtsspezifischen Normen, welche es einzuüben galt, zählte nicht nur der Inhalt der Rede, sondern auch das Wissen darüber, wie man den Körper beim Sprechen einsetzte, wen anzusprechen oder wem zu antworten bei welcher Gelegenheit als angemessen galt. Bei der Formung ,richtiger‘ Männer oder Frauen war die Erlernung der geschlechtsspezifischen Normen im Bereich des Sprechens von nicht zu überschätzender Bedeutung. Bereits die frühen Autoren betonen hier die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hesiod und Semonides kritisieren den überbordenden Sprechwillen des weiblichen Geschlechts: Weibliches Sprechen wird hier mit Geschwätz, unheilstiftender Intrige, Widerspruch und damit Verweigerung der Unterordnung unter den Hausherrn in Verbindung gebracht. Die demokratischen Entwicklungen in diversen Poleis, allen voran in Athen, beförderten die Bedeutsamkeit des Redens in besonderem Maße. Die alters-, geschlechts- und schichtenspezifischen Anforderungen waren hier allerdings denkbar unterschiedlich. Von Knaben wurde zunächst einmal Zurückhaltung erwartet. Das große Wort führte man – wenn überhaupt – erst als erwachsener Mann. Der Austausch unter Standesgenossen machte es aber für jeden einzelnen erforderlich, auf jeweils sozial angemessene Weise reden zu können. Erst Redefähigkeit machte den Mann tauglich für die politische Öffentlichkeit – gegenüber der eigenen Anhängerschaft sowie im Krieg oder in rechtlichen Fragen. Aber auch im halböffentlichen Umfeld wie etwa dem Symposion hatte man die richtigen Worte zu finden und musste die richtigen Verse vorzutragen wissen. In archaischer Zeit betraf dies fast nur die Angehörigen der Oberschicht. Im 5. Jh. v. Chr. erweiterte sich aber in Athen nicht nur der Brauch des Symposions, sondern auch die politische Teilhabe auf eine breitere Schicht. Theoretisch konnte sich nun ein Kleinbauer aus Sounion in der Volksversammlung vor 6000 Mitbürgern zu den Themen der Tagesordnung äußern. In der Praxis kam dies allerdings wohl eher selten vor. Die Sprecher in den politischen Gremien rekrutierten sich aus der Gruppe derer, die eine einschlägige Vorbildung im inhaltlichen

Weibliche Nacktheit

Das Reden der Geschlechter

Männliches Reden in Athen

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Risiken öffentlichen Redens

Weibliche Sprechideale in Athen

I. Enzyklopädischer Überblick

und körperlichen Bereich der Redekunst besaßen. Öffentliches Reden konnte für Männer die Basis von Erfolg und Einfluss sein. Wer es wagte, öffentlich zu sprechen, riskierte aber auch die Möglichkeit einer entsprechend öffentlichen Blamage. Bezeichnend ist der Fall eines Redners in der Volksversammlung, welcher das Hohngelächter der Mitbürger erntete, weil die Falten seines Gewandes unschön fielen. Perikles bat vor jeder Rede in der Volksversammlung die Götter um Beistand. Sein Ehrgeiz, sich in Mimik und Haltung statuarisch zu geben, war bekannt und entsprach dem Ideal. Keine Grimasse sollte beim Reden das Gesicht des Redners verzerren. Ein hochgebildeter Redenschreiber und Literat wie Isokrates sah von persönlichen Auftritten als Redner ab, weil er seine Stimme für zu schwach hielt. Auch wenn die athenischen Kleinbürger wohl nur in den seltensten Fällen selbst öffentlich das Wort ergriffen, so wusste offenbar jeder einzelne von ihnen darüber Bescheid, wie sich ein Redner verhalten sollte, und war fähig, Abweichler oder Unkundige zu identifizieren und lächerlich zu machen. Durch die ständig wechselnde Zusammensetzung des athenischen Rats und des Prytanenkollegiums war außerdem klar, dass jeder einzelne Bürger gefordert sein konnte, die mit öffentlichen Ämtern verbundenen Pflichten zu erfüllen und sich entsprechend auch öffentlich zu äußern. Die wichtige Rolle des Redens im allgemeinen Bewusstsein zeigt sich nicht zuletzt an dem Aufsehen, welches das Auftreten einer neuen Gruppe von Redevirtuosen, den Sophisten, am Ende des 5. Jh. v. Chr. hervorrief, das sich etwa in den Anspielungen der Alten Komödie spiegelt. Während zumindest die Einführung in das öffentliche Reden zum Erziehungsideal des zukünftigen männlichen Bürgers gehörte, waren die athenischen Sprechideale für die Mädchen anders geartet. Mädchen redeten nicht öffentlich, und es sollte auch nicht öffentlich über sie geredet werden. Berühmtheit erlangt hat der Ausspruch, den der Geschichtsschreiber Thukydides dem athenischen Feldherrn Perikles in der so genannten ,Gefallenenrede‘ zuschreibt: die Frau werde er am höchsten achten, von der man am wenigsten höre (Thuk. 2,45). Öffentliches Reden von Frauen vor einem geschlechtlich gemischten Auditorium fand entsprechend nur selten statt: etwa im Rahmen von Gebeten, welche Frauen in Priesterämtern für die Polis sprachen. Die Athener waren zwar mit dem Bild redender Frauen vertraut. Die attische Tragödie lieferte viele Beispiele für Frauenfiguren, welche Reden hielten und ihre Interessen entsprechend eigenständig formulierten. Diese Frauenfiguren stammten allerdings aus mythologischen Kontexten und ließen sich mit der athenischen Geschlechterrealität kaum in Verbindung bringen. Ohnehin – auch das war den Athenern bewusst – wurden die Protagonistinnen der Tragödie von männlichen Schauspielern in Masken und Frauenkostümen verkörpert. Die ,bürgerliche‘ Komödie des 4. Jh. v. Chr. brachte ganz andere

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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Frauentypen auf die Bühne: Bürgerliche Frauen und Töchter waren zwar Objekte der Rede; wenn sie aber auf der Bühne auftauchten, standen sie tendenziell schweigend im Hintergrund. Häufig wurde nicht einmal ihr Name genannt. Weibliche Sprechrollen fielen hingegen vor allem den Hetären zu – also käuflichen Frauen, die sich nicht an den Tugendkanon einer Bürgerin halten mussten. Frauen, die im Kreise der Männer und außerhalb des Hauses das Wort ergriffen, entsprachen zumindest nicht dem bürgerlichen Ideal. In der Praxis sozialer Differenzierung musste freilich jede Kranz- oder Gemüseverkäuferin mit Männern sprechen können. Sie hielt aber keine Reden, und ihre Erwerbsarbeit konnte sogar zum Zweifel an ihrer bürgerlichen Abkunft führen. Einiges deutet auf weitgehende geschlechtliche Segregation der ,Sprechgemeinschaften‘ in Athen. Nicht der Ehepartner war die hauptsächliche Bezugsperson – für Männer wie für Frauen. ,,Mit wem sprichst du weniger als mit deiner Frau?“, lässt Xenophon den Sokrates einen jungen Ehemann fragen. Entsprechend noch weniger Gesprächsbedarf sollte dieser Ehemann im Hinblick auf die Ehefrauen und Töchter anderer Bürger haben. Bereits deren Namen zu kennen war für einen Fremden außerhalb des Oikos unpassend, nährte das Eingeständnis solchen familiären Wissens doch den Verdacht, es bestünden unstatthafte Beziehungen. Aber auch rein weibliche Sprechgemeinschaften erregten das Misstrauen der Männer – erschienen sie doch dem Hausherrn als unkontrollierbar. Entsprechend charakterisiert bereits Semonides die ideale Ehefrau als eine Person, die nicht an Frauenrunden teilnimmt, ,,in denen man sich von den Liebesfreuden erzählt“ – ein Vorwurf, der sich auch im klassischen Athen in der Komödie nachweisen lässt. Eine besondere Gruppe von Frauen in der griechischen Antike beschränkte sich nicht auf geschlechtlich segregiertes Sprechen: die Hetären waren vielmehr für ihre Sprachkunst bekannt. Auch sie besaßen keine formale rhetorische Ausbildung und auch sie hielten keine öffentlichen Reden. Von einer erfolgreichen Hetäre wurde aber erwartet, dass sie schlagfertig und witzig war und ihre männlichen Gefährten auch im Kreis des Symposions gut unterhielt. In der älteren Forschung ist diese Art des Sprechens – häufig verbunden mit der Kenntnis eines Musikinstruments – gern mit ,Bildung‘ verwechselt worden. Die Hetären waren aber weder Philosophinnen noch durch größeren Zugang zu Schulbildung charakterisiert, sondern Unterhaltungskünstlerinnen. Der Topos von der Schlagfertigkeit der Hetären beim Symposion führte vielmehr im Umkehrschluss dazu, dass es im Fall normaler Frauen als unkonventionelles Verhalten empfunden wurde, wenn sie in gemischtgeschlechtlichen Gruppen anwesend waren oder gar in philosophierenden Gruppen das Wort ergriffen. Sparta war in Griechenland auch im Bereich des Redens der Ge-

Segregation der Sprechgemeinschaften

Reden der Hetären

Reden in Sparta

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Vermittlung der Sprechideale

Philosophenschulen

I. Enzyklopädischer Überblick

schlechter wieder einmal die Ausnahme. Berühmtheit erlangte die sogenannte ,lakonische Redeweise‘: spartanische Knaben wurden dazu erzogen, nicht viele Worte zu machen, sondern Sachverhalte kurz und prägnant zu benennen. Im Gespräch mit Älteren hatten sie diesen unbedingte Ehrfurcht entgegenzubringen, und wenn wirklich eine Antwort nötig war, diese mit gesenktem Blick abzugeben. Auch für erwachsene Männer galt der Grundsatz des lakonischen Sprechens als Ideal. Sparta stellte aber auch im Bereich der weiblichen Rede die Ausnahme dar: Spartanerinnen hatten nach Ansicht des übrigen Griechenlands mehr zu sagen als die übrigen Griechinnen, und zwar nicht nur untereinander, sondern auch in Gegenwart von Männern. Bereits unverheiratete spartanische Mädchen waren fähig, in öffentlicher Rede die Verdienste und Versäumnisse der Knaben und Männer hervorzuheben: Diese mussten sich also öffentlich kritische Worte von Frauen gefallen lassen. Bezeichnenderweise ist trotz des Mangels direkter Quellen aus Sparta und der insgesamt verhältnismäßig geringen Dichte antiker Quellen zu den Frauen eine Schrift Plutarchs erhalten, in der er angebliche ,,Aussprüche der Spartanerinnen“ gesammelt und überliefert hat. Wie wurden nun die gewünschten geschlechtlich differenzierten Sprechideale in Griechenland durchgesetzt? Die Kinder beiderlei Geschlechts erlernten de facto das Sprechen im Kreis der Frauen, der Ammen und Mütter. Insgesamt dürfte für das Erlernen sprachlicher Normen informelle Beobachtung und Nachahmung eine große Rolle gespielt haben: Knaben durften als Mundschenke am Symposion teilnehmen, lernten also durch Zusehen den bei dieser Gelegenheit standesgemäßen Sprech-Habitus. Der Zutritt zur Volksversammlung und zu den Gerichten war Nichtvolljährigen allerdings untersagt. In die höhere Kunst der Rhetorik – wie sie etwa die Sophisten vermittelten – wurden letztlich nur einige wenige junge Männer, besonders interessiert oder besonders begütert, eingeführt: Aus ihnen rekrutierten sich schließlich diejenigen, die in der Volksversammlung und vor Gericht sprachen. Die so genannten Philosophenschulen – im 4. Jh. v. Chr. gründete Platon seine Akademie, sein Schüler Aristoteles etwas später in Konkurrenz zur Akademie die Peripatetische Schule und schließlich Epikur seinen ,Garten‘ – waren in der klassischen Zeit und auch später keine allgemein zugänglichen Bildungsanstalten, sondern eher elitäre Clubs, in denen die Anhänger entweder den Ausführungen ihres Meisters lauschten oder unter dessen Anleitung disputierten. Die Teilnehmer waren tendenziell junge männliche Erwachsene, an der Schwelle zu einer politischen Karriere und in der Endphase ihrer Formung zum ,Mann‘. Die Ziele der Philosophenschulen und ihrer Häupter waren unterschiedlich, was die Formung richtiger Männer für das politische Feld anlangt. Platon träumte vom philosophisch gebildeten männlichen Herrscher und lehnte die athenische Demokratie ab. Aristoteles, der das Prinzip der Herrschaft des männli-

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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chen Bürgers propagierte, besaß in Athen kein Bürgerrecht – durfte also dort weder an der Volksversammlung teilnehmen, noch Ämter bekleiden. Epikur war zwar Sohn athenischer Eltern; ihm und seinen Anhängern war es allerdings vor allem um das persönliche glückliche Leben des Einzelnen zu tun – nicht darum, Männer für den Staat zu erziehen. Bei Epikur und bei den Kynikern, welche die Regeln der Polis als Lebensform insgesamt in Frage stellten, sind auch Frauen bezeugt. Knaben erzog man also zum Reden, Mädchen zum Schweigen, zumindest in der Öffentlichkeit. Das richtige Reden machte einen Mann erfolgreich in der Kommunikation mit den Standesgenossen und stärkte seine Durchsetzungsfähigkeit in der politischen Öffentlichkeit und gegenüber seinen Untergebenen im Oikos, nicht zuletzt auch gegenüber den Frauen. Redenlernen war folglich ein wichtiger Aspekt zur Durchsetzung von Aristoteles’ Männlichkeitsbild, welches dem Mann zusprach, zum Herrschen geschaffen zu sein. Weibliches Reden war entsprechend negativ konnotiert. In politischen Gremien hatten griechische Frauen im Wortsinn ,nichts zu sagen‘, und gegenüber dem Hausherren ziemte sich zumindest idealerweise schweigender Gehorsam statt Widerworte. Weibliche Schlagfertigkeit oder gar rhetorische oder philosophische ,Bildung‘ – so sie nicht im rein weiblichen Kreis erfolgte und in ihrer Anwendung auf einen solchen beschränkt blieb – galt nicht als positive Aneignung männlicher Fähigkeiten sondern als Versagen in der geschlechtsspezifischen bürgerlichen Kommunikationsordnung. Grundsätzlich ist wohl davon auszugehen, dass die Kommunikationsräume der Geschlechter so unterschiedlich waren wie ihre Kommunikationspartner. Männer tauschten sich auf der Agora mit anderen Männern aus. Frauen kommunizierten mit anderen Frauen – denen ihres Oikos und ihrer Nachbarschaft. Da in den weiblichen Kommunikationsbereichen Männer nicht anwesend waren, ist uns über die weiblichen Kommunikationsstrukturen nur wenig überliefert. Sie gewinnen vor allem durch das männliche Misstrauen Kontur, welchem die antiken Quellen deutlichen Ausdruck verleihen. 7.3 Geschlechterverhältnisse in der griechischen Religion Im Bereich der Religion mussten antike Frauen und Männer beweisen, dass sie imstande waren, die spezifischen Geschlechterrollen ihrer Gesellschaft wahrzunehmen. Bei der Ausübung der Götterkulte begegnete sich in der griechischen Polis die Gesamtheit der Bewohner: Frauen und Männer, Alte, Erwachsene, Heranwachsende und Kinder. Entsprechend zeigte sich hier, ob die Formung zum richtigen Mann oder zur richtigen Frau gelungen war und ob die Einzelperson fähig war, die von der

Geschlechtsspezifische Kommunikationsstrukturen

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Öffentlicher Rahmen der Religion

Götter und Göttinnen

Religiöses Wissen

I. Enzyklopädischer Überblick

jeweiligen Altersgruppe geforderten Geschlechterrollen auszufüllen. Das religiöse Feld war für beide Geschlechter bedeutend. Die in manchen Abschnitten der neuzeitlichen Geschichte geläufige Zuordnung des weiblichen Geschlechts zur Religion und deren gleichzeitige Abwertung als privat, häuslich und nicht öffentlich war den Griechen unbekannt. Frömmigkeit äußerte sich nicht in religiöser Innerlichkeit. ,Fromme Werke‘ wurden von beiden Geschlechtern erwartet, bestanden jedoch nicht in der Unterstützung der Armen, Kranken oder moralisch Schwachen, sondern in der Teilnahme am privaten und städtischen Kult, welcher die sozialen Einheiten von Familie und Polis mitdefinierte, aber auch die Felder Militär und Politik prägte. Religion durchdrang das gesamte Leben einer griechischen Polis. Die Rechtgläubigkeit des Einzelnen wurde allerdings nicht geprüft. Die Verehrung der Götter hatte einen stark öffentlichen Charakter. Das Kultleben erweist sich als ein Bereich, in dem die Geschlechter sich begegneten, gemeinsam agierten und repräsentierten. Das Geschlechterverhältnis im griechischen Pantheon unterschied sich von den Strukturen menschlicher Gemeinschaft. Zwar hatte im griechischen Götterhimmel mit Zeus ein männlicher Gott den höchsten Rang inne, grundsätzlich ist jedoch keine geschlechtsspezifische Hierarchie unter den Göttern erkennbar. Die Bereiche, welche man in Griechenland einzelnen Gottheiten zuschrieb, betrafen häufig beide Geschlechter der Menschen: Entsprechend waren Männer und Frauen auch miteinander verbunden durch die Götter, die sie gemeinsam verehrten. Besonders deutlich wird dies im Fall der Göttin Athena: Sie beschützte die Textilarbeit der Frauen, insbesondere das Weben. Daneben war sie aber auch die Patronin der Handwerker im Allgemeinen und vor allem eine Gottheit kriegerischer und strategischer Tüchtigkeit. Aber auch die Göttin Artemis beschützte z. B. kleine Mädchen und gebärende Frauen und nahm gleichzeitig als Göttin der Jagd ein Feld für sich in Anspruch, welches dem männlichen Geschlecht zugeordnet war. Wie erlangten nun griechische Bürger und Bürgerinnen Kenntnis von ihren religiösen Verpflichtungen und deren normgerechter Durchführung? Organisierter Religionsunterricht war in der griechischen Polis unbekannt. Da auf ausformulierte Glaubenslehren nur wenig Wert gelegt wurde, war auch im religiösen Feld Lernen durch Zusehen und Nachahmung von großer Bedeutung. Knaben und Mädchen nahmen seit frühester Kindheit am Hauskult teil, d.h. sie waren anwesend, wenn der Familienvater das Gebet sprach und das Opfertier schlachtete. Kindern und Heranwachsenden war ebenso wie den Frauen der Familie im Hauskult eine passive Rolle zugeteilt. Die Teilnahme am Hauskult wirkte sich jedoch auf den Transfer rituellen Wissens aus und schuf darüber hinaus auch soziale Fakten. Im Zweifelsfall bezeugte sie etwa die legitime Mitgliedschaft in der Familie.

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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Zulassung oder Ausschluss von den religiösen Ritualen der Polis vermittelten Wissen über den Platz des Einzelnen in der Gemeinschaft. Ob ein Knabe den Vater in die Phratrie begleiten durfte, ob man in der großen Opferprozession der Panathenäen seinen Platz bei den Metöken oder bei den Bürgern und hier wiederum jeweils bei den Männern oder den Frauen zugewiesen erhielt, trug zur sozialen und geschlechtsspezifischen Selbstverortung bei. Religiöse Rituale – wie die Amphidromia, bei denen das Neugeborene den Herdgöttern vorgestellt wurde – begleiteten die Formung der männlichen und weiblichen Polisbewohner von Geburt an. Pubertätsrituale sind in der griechischen Religion nur undeutlich bezeugt. Für die Knaben galt es als Einschnitt zwischen Kindheit und Erwachsenwerden, wenn sie die langen Knabenhaare abschnitten. Dies geschah im öffentlichen rituellen Rahmen, am Thargelienfest der Polis für Apollon. Das frühe Heiratsalter griechischer Mädchen führte vermutlich dazu, dass das Erreichen der körperlichen Reife keine eigenständigen Pubertätsrituale nach sich zog, sondern wohl meist mit der Hochzeit zusammenfiel. Entsprechend opferten die Mädchen – ähnlich wie die Knaben – am Vorabend ihrer Hochzeit Haare sowie Spielzeug den Göttern, meist Artemis oder Hera. Die Hochzeit selbst galt in Griechenland nicht als heiliger Akt, geschweige denn als Sakrament, sondern als eine Art Vertragsabschluß zwischen privaten Parteien. Die Anwesenheit eines Priesters war nicht erforderlich. Opfer der beteiligten Familien an Götter, deren Gunst man für den Bereich von Ehe, Haus und Familie bedeutsam hielt, wurden bei diesem Anlass vollzogen; ihnen stand wohl der Vater der Braut bzw. der Bräutigam vor. Für die jungen Männer Athens ist seit dem 4. Jh. v. Chr. eine systematische Einführung in die religiösen Traditionen der Polis bezeugt. Diese fand im Rahmen der Ephebie statt. Die Gruppe der 18 bis 20 Jahre alten Epheben leistete nicht nur eine Art Wehrdienst in den Grenzfestungen Attikas ab, sondern trat als Einheit auch bei den Polisfesten auf. Sie geleiteten z. B. Götterbilder, begaben sich zu den einzelnen Lokalheiligtümern Attikas und verinnerlichten so die heiligen Orte in der chora Athens und deren lokale Tradition. Der attischen Jungmannschaft zeigte man die Schutzgötter der eigenen Stadt, deren Heiligtümer es im Ernstfall gegen den Feind zu verteidigen galt. Wer als junger Erwachsener in Zukunft für Athen kämpfen sollte, musste die religiösen Benimmregeln kennen: die allgemeine Achtung vor den Heiligtümern der Götter, die man nicht berauben durfte, auch wenn sie einer feindlichen Stadt gehörten. Auch die Kenntnis einschlägiger Reinheitsvorschriften war wichtig: Niemand, auch kein Feind, durfte in einem Heiligtum getötet werden. So sollte gewährleistet werden, dass die jungen Männer im Krieg nicht aus Unwissenheit die Gesamtheit der Polis gefährdeten. Wer im militärischen oder politischen Feld Karriere machen wollte, für den waren ein gutes Verhältnis zu den Göttern und entsprechende Kenntnis der Regeln

Religiöse Sozialisierung Pubertätsrituale

Ephebie

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Geschlechter beim Polisfest

I. Enzyklopädischer Überblick

besonders wichtig. Die Polisgemeinschaft verlangte keinem Bürger ein Glaubensbekenntnis ab, man ging aber davon aus, dass jeder männliche Bürger grundsätzlich fähig war, mit einem Amt verbundene religiöse Pflichten zu bewältigen. Diese konnten vom Gemeinschaftsopfer der Prytanen über Aufsichtspflichten bei religiösen Festzügen bis hin zur Übernahme eines Priesteramtes reichen. Wurden also wichtige Aspekte des männlichen Status in Athen – als Knabe, als legitimer Sohn eines Bürgers, als Hausvater und Bürger sowie als Verteidiger und Amtsträger seiner Stadt – durch religiöse Rituale bekräftigt, so waren derartige Rituale auch für Konstruktion und Bestätigung weiblicher Geschlechterrollen bedeutsam. Für die Mädchen war die Teilnahme am Haus- und Poliskult in gewisser Weise noch wichtiger als für die Knaben, da sie im Gegensatz zu diesen wohl nicht in der Phratrie registriert wurden und ihre legitime und bürgerliche Existenz entsprechend kaum bezeugt war. Junge Mädchen mussten zwar nicht auf Eignung im unmittelbaren militärischen Bereich und in den politischen Institutionen hin vorbereitet werden; der Bereich der Götterverehrung stellte für sie aber Möglichkeiten des öffentlichen Auftritts bereit. Die großen Feste der Polis – oder auch des Oikos – waren die Gelegenheiten, bei denen die Familien ihre schön gekleideten Töchter in die Öffentlichkeit führten und diese auch aktive Aufgaben übernehmen durften – so sie ausgewählt wurden. Berühmt ist der Ausspruch einer Athenerin in Aristophanes’ Komödie Lysistrata (Lys. 641), mit sieben Jahren sei sie Arrhephore gewesen, als Zehnjährige habe sie das Korn für Athena gemahlen, Artemis als Bärin gedient und als junges Mädchen den Opferkorb bei den Panathenäen getragen. Die Sprecherin prahlt hier mit einer faktisch eher unwahrscheinlichen Kumulation besonderer religiöser Aufgaben, für welche die Stadt Athen jeweils Mädchen einer bestimmten Altersklasse bestimmte. Es handelte sich hierbei nicht um Jahrgangsrituale; entsprechend groß war der Stolz der Erwählten. Diverse religiöse Rituale boten Mädchen und erwachsenen Frauen Gelegenheiten zu öffentlichen Auftritten: Chöre sangen und tanzten zu Ehren der Götter, ausgewählte Frauen webten Gewänder für Götterbilder oder traten gelegentlich sogar zu Ehren einer Gottheit zu einem sportlichen Wettkampf an. Im religiösen Bereich war die übliche Rollenverteilung zumindest aufgebrochen. Frauen nahmen am öffentlichen Opferzug teil, sie waren gemeinsam mit Männern beim Polis- und beim Familienopfer anwesend und sie brachen ihr Schweigen in der Öffentlichkeit, z. B. wenn sie bei der Tötung des Opfertiers die Stimme erhoben. Wenn im Anschluss an ein großes Polisopfer eine allgemeine Fleischverteilung stattfand, so dürften die anwesenden Frauen allerdings zumindest formal im Nachteil gewesen sein: Die Anteile wurden wohl je nach Phratrie oder Phylenzugehörigkeit an die Familienvorstände ausgegeben. Wer allerdings eine Funktion bei einem öffentlichen Fest

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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wahrgenommen hatte, etwa als Kanephore (Korbträgerin), hatte gute Chancen, auch bei der Fleischverteilung berücksichtigt zu werden. Zum Opfer oder zu Mysterienfeiern versammelte Gruppen konnten aus Männern und Frauen bestehen, je nach lokaler Kultregel aber auch nur ein Geschlecht zur Feier oder zum Heiligtum zulassen. Dass bei einem Frauenfest die zuständige Priesterin den notwendigen sakralen Handlungen zur Gänze vorstand, ist selbstverständlich. Den Frauen konnte, wie am Thesmophorienfest für Demeter, sogar gestattet sein, mehrere Tage am Ort der Feierlichkeiten zu verbringen – faktisch also auch außer Haus, unkontrolliert vom Ehemann, zu schlafen. Dass Aristophanes eben dieses Fest zum Thema einer Komödie machte und einen männlichen Spion sich beim Frauenfest einschleichen lässt, um die Heimlichkeiten der Frauen zu erlauschen, überrascht nicht. Im Dienst der Götter war es sogar möglich, ein strenges Tabu der archaischen und klassischen griechischen Polis zu brechen: den formalen Ausschluss der Frauen aus den politischen Institutionen. Frauen konnten als Priesterinnen oder Prophetinnen Beamtinnen der Polis werden. Ihre Amtsführung war keinesfalls nur symbolisch. Priesterinnen leiteten zahlreiche Opfer der Polis, überwachten die Opfer von Privatpersonen im ihnen zugewiesenen Heiligtum und erhielten – wie ihre männlichen Kollegen in anderen Heiligtümern – als Entgelt meist einen bestimmten Anteil vom Opfertier. Dass sie eigenhändig das Opfer vollzogen, ist anzunehmen. Besonderer geschlechtsspezifischer Kenntnisse und Fähigkeiten bedurfte es hierzu nicht. Auch männliche Priester waren keine ausgebildeten Schlachter, sondern sie bedienten sich der Hilfe von Opferdienern, oft Sklaven, welche die notwendige Routine mitbrachten. Priesterinnen und Kultteilnehmerinnen besetzten mit Billigung der Öffentlichkeit ansonsten den Männern vorbehaltene Räume, indem sie als Repräsentantinnen der Polis durch ihr lautes Gebet die geschlechtlich gemischte Opfergemeinschaft der Bürger vor der Gottheit vertraten. Die Mischung der Geschlechter bei Götterfesten der Polis, vor allem wenn sich diese bis in die Nacht hinein zogen, gab Anlass zu diversen Episoden in Komödie und Tragödie, aus denen die Besonderheit solchen Zusammenseins hervorgeht. Trafen sich Männer und Frauen unkontrolliert, war es nach Meinung griechischer Autoren offenbar nur noch ein kleiner Schritt bis hin zu irregulären sexuellen Kontakten. Schon der Heros Herakles sollte bei Gelegenheit eines Nachtfestes der Athena betrunken die Königstochter Auge vergewaltigt haben. Wieweit derartige Beispiele gelegentliche Realitäten oder bloße Befürchtungen widerspiegeln, ist nicht bekannt. Auch ob bei Götterfest und Opfermahl der sonst geltende Brauch des nach Geschlechtern getrennten Speisens aufrechterhalten wurde, ist unklar. Inschriften lassen vermuten, dass Männer und Frauen an getrennten Tischen Platz genommen haben.

Kultische Geschlechtertrennung

Religiöse Funktionäre und Funktionärinnen

Sexuelle Freizügigkeit im Kult?

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Tempelprostitution

Sparta

I. Enzyklopädischer Überblick

Entsprechend war eine Kontrolle der jungen Mädchen durch die älteren Frauen des Familienverbands wohl grundsätzlich gegeben. Insgesamt waren Fest, Kult und vor allem die Heiligtümer keinesfalls Stätten allgemeiner sexueller Freizügigkeit. Geschlechtsverkehr zählte neben dem gewaltsamen Vergießen von Menschenblut zu den Aktivitäten, die ein Heiligtum stark verunreinigten und den Zorn der Götter hervorriefen. Bevor man ein Heiligtum betrat und am Opfer teilnahm, hatte man sich zu reinigen, mitunter sogar mehrtägige Keuschheitsfristen einzuhalten. Priesterinnen konnten in Griechenland zwar durchaus verheiratet sein und Kinder haben, mitunter wurde ihnen allerdings – im Gegensatz zur Mehrheit ihrer männlichen Amtskollegen – sexuelle Enthaltsamkeit abverlangt, solange sie ihr Amt ausübten. Überführte Ehebrecherinnen waren in Athen von den Opfern ausgeschlossen. Betraten sie dennoch ein Heiligtum, durften sie geschlagen, allerdings nicht totgeprügelt werden. Sexuell konnotierte Orgien oder gar Tempelprostitution als sakrale Einrichtung und den Göttern wohlgefälliger Dienst hatten – anders als auch mitunter noch in der modernen Forschung unterstellt – wohl keinen Platz im griechischen Kult. Körperlichkeit spielte weniger in Form von Sexualität eine Rolle als vielmehr beim sportlichen Wettkampf zu Ehren der Götter. Insgesamt ist auch im religiösen Feld von lokalen Unterschieden auszugehen. Sparta ist in diesem Fall allerdings nicht die Ausnahme, welche die ansonsten verbreiteten Regeln bestätigt. Es ist lediglich der Ruf besonderer Frömmigkeit zu vermerken, der den Spartanern vorausging: Im Zweifelsfall hatten die Verpflichtungen gegenüber den Göttern selbst vor militärischen Dringlichkeiten Vorrang. Auch hier gab es Priester und Priesterinnen sowie besonders ausgeprägt die Einrichtung von Mädchen- und Knabenchören, die zur religiösen Prägung der Jugendlichen beitrugen. Den Ruf besonderen Opfermuts gegenüber den Göttern demonstrierte man noch – oder erneut – im kaiserzeitlichen Sparta, wenn sich die Knaben am Altar der Artemis Orthia vor Zuschauern blutig peitschen ließen, ohne eine Miene zu verziehen. Die Öffentlichkeit der griechischen Religion gab Männern und Frauen in geschlechtlich segregierten, aber vor allem auch in gemischten Gruppen die Möglichkeit sich außerhalb des Oikos darzustellen. Die öffentlichen Kulte schufen Gelegenheiten, bei denen die Einzelperson der Gemeinschaft ihrer Geschlechtsgenossen, aber auch den Standesgenossen und Standesgenossinnen beweisen konnte, dass ihre Sozialisation als Mann oder Frau geglückt war.

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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7.4 Geschlechterverhältnisse im politischen Raum Im mythologischen und philosophischen Diskurs wurden in der griechischen Gesellschaft Konzepte weiblicher Herrschaft entworfen. Diese waren allerdings stark negativ und im Zweifelsfall als unterlegen konnotiert: Weibliche Herrschaft drehte die ,richtigen Verhältnisse‘ bedrohlich um, so etwa im Fall des mythischen Frauenvolks der Amazonen. Diese beschrieb man als einer Königin unterstellt und schilderte sie als angriffslustig gegenüber griechischen Männern der Vorzeit (die sich im Fall eines Amazonensieges der Frauenherrschaft hätten unterwerfen müssen, jedoch letztlich stets den Sieg davongetragen hätten). Selbst die Männlichkeit des größten aller griechischen Heroen, Herakles, dachte man sich als durch Frauenherrschaft gefährdet: Herakles kann sich zwar im Kampf um den Gürtel der Amazonenkönigin durchsetzen. Im Dienst der barbarischen Königin Omphale von Lydien degeneriert jedoch auch seine Männlichkeit: Er übergibt Omphale seine Waffen und sein Löwenfell, trägt selbst Frauenkleider und beginnt weibliche Arbeiten zu verrichten. Mitunter ging man davon aus, dass zumindest in prähistorischer Frühzeit auch die griechische Kultur de facto von Frauenherrschaft geprägt gewesen sei, von der sich noch Spuren erhalten hätten. Die Quellenlage lässt allerdings keinen derartigen Schluss zu. Formale Herrschaft in historischer Zeit wird von den griechischen Quellen – unabhängig von differierenden politischen Verfassungen – männlich konnotiert. Tyrannen und Könige waren ebenso männlichen Geschlechts wie die Mitglieder der Volks- und Ratsversammlungen in demokratisch oder oligarchisch organisierten Poleis. Politisch institutionalisierte Mitbestimmung konnte in Griechenland nicht zuletzt aus den militärischen Anforderungen abgeleitet werden, die das Alltagsleben an die Menschen stellte. Die Männergemeinschaft als Kriegergemeinschaft setzte sich in der Bürgergesellschaft fort; für das militärische Feld entwickelte Anforderungsprofile an Männlichkeit fanden auch hier ihren Widerhall. Wer Anteil an der Kriegergemeinschaft hatte, sei es als grundbesitzender Hoplit, sei es als Ruderer auf den Kriegsschiffen im klassischen Athen der Perserkriege, konnte hieraus mitunter erfolgreich ein Recht an politischer Beteiligung ableiten. Da Frauen im militärischen Bereich keine aktive Rolle spielten, waren sie analog auch im daraus abgeleiteten Bereich der institutionalisierten Politik unterrepräsentiert. Die Auffassung der Spartaner, das Gebären von Kindern sei eine dem Kampf für den Staat gleichwertige Leistung, blieb singulär und führte auch in Sparta nicht zur Beteiligung der Frauen an den politischen Gremien. Dieser Ausschluss aus den politischen Institutionen, verbunden mit der scheinbaren Beschränkung des weiblichen Geschlechts auf das Haus, führte dazu, dass man lange Aristoteles’ Vorstellungen vom politischen

Frauenherrschaft: Amazonen

Formale politische Hierarchien

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Öffentlichkeit

Informelle Mitsprache

Teilhabe an der Polis

Bürgerrecht

I. Enzyklopädischer Überblick

Geschlechterverhältnis in praxi bestätigt glaubte: Für die Griechen sei der Mann zum Herrschen geschaffen gewesen, die Frau zum Gehorchen. Aus dem fehlenden Geburtenregister für Mädchen in Athen schloss man, Frauen hätten kein Bürgerrecht besitzen können. Dieses Bild ist jedoch in vielfacher Hinsicht zu revidieren. Der Irrtum moderner Wissenschaftler lag vor allem in der angenommenen Deckungsgleichheit von Öffentlichkeit und aktiver Teilnahme in politischen Gremien. Der in den letzten Jahren unter Historikern Raum gewinnende neue Begriff von ,Politik‘ schließt weit mehr als nur institutionelle Organisationseinheiten und formalrechtliche Regelungen ein und verändert bei Anwendung auf die griechische Kultur das Bild der antiken Geschlechterverhältnisse in nachhaltiger Weise. Auch in Griechenland wurden politische Entscheidungen nicht nur in politischen Gremien getroffen. Von informellen Kommunikationsstrukturen, welche die Frauen als Mitglieder des Oikos mit einschlossen und auf das Stimmverhalten des männlichen Oikosrepräsentanten zurückwirkten, ist ebenso auszugehen wie von Einfluss, den z. B. hellenistische Königinnen als Gattinnen männlicher Dynasten oder als Mütter unmündiger königlicher Söhne ausüben konnten. Die These, Aristoteles’ ,Politik‘ liefere eine repräsentative Beschreibung der Strukturen des griechischen Bürgerstatus, lässt sich nicht halten. Die Teilhabe an der Polis ist vielmehr auf einer breiteren Basis zu beschreiben. Diese betrifft sowohl die Frage des Bürgerrechts, die Amtsfähigkeit der Geschlechter als auch die Definition des öffentlichen Raums und seiner geschlechtsspezifischen Zuweisung. Das Bürgerrecht der Athenerinnen manifestiert sich zum einen in der athenischen Begrifflichkeit, welche die Bürgerinnen symmetrisch zu den Bürgern benennt. Zum anderen erweist sich der Bereich der öffentlichen Kulte als Sprengsatz für traditionelle Vorstellungen vom politischen Geschlechterverhältnis in Griechenland. Während die traditionelle, politikgeschichtlich orientierte Forschung das Kultische vom Politischen abgrenzte und es der Religionsgeschichte zuwies, ist in jüngerer Zeit seine auch politisch verstehbare Bedeutung erkannt worden: Die Zulassung von Männern und Frauen zu den Götterfesten der Polis konstituierte ebenso wie die Gemeinschaft in politischen Gremien das Bewusstsein sozialer und territorialer Zusammengehörigkeit – und damit die Identität der Polis, deren Bürger weiblichen und männlichen Geschlechts waren. Der Blick auf das zahlenmäßige Verhältnis kultischer und politischer ,Termine‘ für athenische Bürger und Bürgerinnen im Jahresablauf ist hierbei aufschlussreich. Die Anzahl der öffentlichen religiösen Festtage, an denen beide Geschlechter teilnahmen, übertrifft die formal politischen Termine, an denen die rein männlich konstituierte Volksversammlung tagte, bei weitem. Unabhängig von der genauen Anzahl der jeweiligen Anlässe und unabhängig von der zahlenmäßigen Zusammensetzung der

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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Teilnehmerschaft in beiden Bereichen wird deutlich, wie sehr die Fixiertheit auf politische Institutionen im modernen Sinn den Blick auf die Gesamtheit des öffentlichen Lebens in einer Kultur zu verengen imstande ist. Reduziert man den Blickwinkel nicht auf das klassische Athen, so sind seit dem 3. Jh. v. Chr. Beispiele bezeugt, in denen Frauen – wie männlichen Wohltätern – offiziell das Bürgerrecht in einer anderen als der Geburtsstadt verliehen wird und ihnen sogar die Wahl der Phyle freisteht. Auch in Bezug auf die Amtsfähigkeit von Frauen in Griechenland ist nicht nur vom klassischen Athen auszugehen. Der Ausschluss des weiblichen Geschlechts aus der athenischen Volksversammlung zog die Annahme einer grundsätzlichen Amtsunfähigkeit von Frauen nach sich. Auch dies wird durch den Blick in den sakralen Bereich widerlegt: Priesterämter für Frauen und Männer sind selbst im klassischen Athen als Magistraturen der Polis zu begreifen, als prestigeträchtige öffentliche Ämter, für die nur Inhaber eines bürgerlichen Status in Frage kamen. Darüber hinaus sind für nachklassische Zeit zahlreiche, meist inschriftliche Zeugnisse erhalten, welche Frauen als Inhaberinnen oft kostspieliger politischer Ämter jenseits des sakralen Bereichs ausweisen. Die Neudefinition des öffentlichen Raums, verstanden als Bühne für Aktivitäten, welche weit über die Teilnahme am engen Feld formaler Teilhabe an politischen Institutionen hinausreichen, revidiert Grundsätzliches im Verständnis antiker Geschlechterverhältnisse. Der Verlauf jedes einzelnen Lebens in der griechischen Antike war von seiner geschlechtsspezifischen Zuordnung konkret beeinflusst. Jede Person stand in der Pflicht, ihre geschlechtliche Zugehörigkeit zu demonstrieren. Geschlechtliche Identität war nicht automatisch konstant – vor allem Männlichkeit musste in vollständiger Form erst erworben werden, konnte Gefährdungen unterliegen, gar verloren gehen. Ziel eines Mannes war es also, seine Mitmenschen von der Konstanz seiner Männlichkeit zu überzeugen. Frauen waren hier weniger in Beweisnot: Da weibliche Identität für Männer als nicht erstrebenswert galt, wurde sie auch kaum angefochten. Die Bewährungsprobe des weiblichen Geschlechts fand entsprechend auf einer anderen Ebene statt: Eine Frau musste nicht beweisen, dass sie eine Frau war, sondern dass sie eine gute Frau war, welche die angeborenen Defizite ihres geschlechtsgebundenen Körpers nach Möglichkeit unter Kontrolle hatte. Die Vorstellung einer eindeutigen Geschlechterhierarchie, welche sich zugunsten des männlichen Geschlechts durch ihm vorbehaltene exklusive politische Mitsprache, rechtliche und wirtschaftliche Mündigkeit und Bewegungsfreiheit – durch Beherrschung des öffentlichen Raums – ausgedrückt hätte, lässt sich für das alltägliche Zusammenleben der Geschlechter nicht aufrechterhalten. Nicht alle Männer redeten und herrschten, nicht alle Frauen verbrachten ihr Leben in schweigendem Gehorsam. Die Nachrichten der antiken Quellen gilt es in jedem einzelnen

Bürgerrechtsverleihungen

Amtsfähigkeit

Resümee

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I. Enzyklopädischer Überblick

Fall auf das Verhältnis von Geschlechterideal und Geschlechterwirklichkeit hin zu befragen. Nicht inwieweit und auf welche Weise griechische Männer über ihre Frauen herrschten, ist hierbei die zentrale Frage. Die Analyse der Komplementarität geschlechtsspezifischen Zusammenlebens in zeitlicher und sozialer Differenzierung – wie Männer und Frauen die Aufgaben untereinander verteilten und gemeinsam die griechische Gesellschaft konstituierten – erweist sich vielmehr als der Ansatz, welcher die Erforschung der Kategorie ,Geschlecht‘ für die griechische Antike auch in Zukunft fruchtbar machen kann.

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung ,,Die Zeit der großen Synthesen ist noch nicht gekommen“ – so charakterisierte P. S P [1: Differenz 215] im Jahr 1989 die Forschungslage zum Thema ,Antike Geschlechterverhältnisse‘. Dieses Diktum gilt in mehrfacher Hinsicht bis heute. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung zu griechischen Geschlechterverhältnissen auf engem Raum zu charakterisieren gestaltet sich als schwierig. ,Geschlecht‘ ist kein begrenztes Thema – vergleichbar mit ,Außenpolitik‘ oder ,Religion‘, sondern eine umfassende Kategorie, welche alle historischen Fragestellungen durchdringt und entsprechend berücksichtigt werden muss. Ein großer Teil auch der neuesten Forschung zur griechischen Geschichte hat jedoch ,Geschlecht‘ als Element des historischen Fragerasters noch nicht verinnerlicht; eine zufriedenstellende Analyse des Verhältnisses der Geschlechter in Griechenland liegt entsprechend noch in weiter Ferne. Zwar gibt es inzwischen eine große Anzahl von Arbeiten, welche ihre Fragestellungen schwerpunktmäßig auf nur ein Geschlecht beziehen, wobei in jüngerer Zeit auch Männer und Männlichkeit deutliches Interesse erfahren. Doch verdient das Verhältnis beider Geschlechter zueinander – von den Möglichkeiten eines dritten Geschlechts ganz zu schweigen – für viele Einzelbereiche der griechischen Kultur und Gesellschaft noch vertiefte Aufmerksamkeit. Dies betrifft sowohl die Verflechtung von Männlichkeits- und Weiblichkeitsdiskursen als auch die Analyse einzelner historischer Felder von der Kriegführung bis zur Säuglingspflege. Ziel zukünftiger Arbeiten sollte es also sein, die historische Männer- und Frauenforschung enger zusammenzuführen, um die Geschlechterverhältnisse, welche die Gesamtgeschichte prägen und zahllose inhaltliche Felder betreffen, in ihrem Einfluss zu erkennen, angemessen zu bewerten und so die Griechische Geschichte umfassender zu verstehen, als dies bisher der Fall gewesen ist.

Kategorie Geschlecht

1. Forschungsgeschichte: Einige Stichpunkte Die traditionellen Schwerpunkte Politik-, Verfassungs- und Rechtsgeschichte ließen meist nur ein Geschlecht in Erscheinung treten – das männliche [vgl. 1: S, Forschungen; 1: P/K/ K, Selected Bibliography; 1: N, Anfänge]. Die Geschichte ,Großer Männer‘ war durch zwei Defizite geprägt: Frauen kamen weitgehend nicht vor, und Männer hatten kein Geschlecht. Kleopatra oder

Geschichte ,Großer Männer‘

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Frauenbewegung

Frauenforschung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

die angebliche Verruchtheit römischer Kaiserinnen faszinierten zwar stets, gemeinhin überließ man jedoch deren Geschlechtsgenossinnen der antiquarisch ausgerichteten Realienkunde und Sittengeschichte [1: K, Große Frauen; 1:  M, griechische Privataltertümer; vgl. hierzu auch 7.4: W-H, Das Private 11–14]. Einflussreiche Fachvertreter gaben im deutschsprachigen Raum die Meinung vor: U. v. W-M [1: Aristoteles und Athen 100, Anm. 35] befand etwa, ,,Frauenzimmer“ wie Aspasia seien letztlich nicht die Beschäftigung eines ernsthaften Forschers wert. Die Analyse der Geschlechterverhältnisse beschränkte sich entsprechend auf wenige Felder: so etwa auf die Frage nach dem Status antiker, besonders athenischer Frauen [1: G, Position of Women; vgl. zur Geschichte dieser Frage: 1: K, Ideology] und – eher verschämt – auf den Bereich der antiken Sexualität, deren Erforschung mitunter unter Pseudonym erfolgte [vgl. 1: L, Sittengeschichte; 1: G/T, Introduction 5–6]. Eine systematische wissenschaftshistorische Auseinandersetzung der Altertumswissenschaften in Bezug auf ihren Umgang mit der Kategorie Geschlecht ist, wie kürzlich P. S P und T. S [1: Geschlecht] angemahnt haben, ein Desiderat der Forschung. Für die Etablierung von Geschlechterfragen in den Altertumswissenschaften hat die amerikanische Frauenbewegung der 1960er Jahre entscheidende Anstöße geliefert. S. B. Ps erstmals 1975 erschienene Monographie ,,Goddesses, Whores, Wives and Slaves. Women in Classical Antiquity“ wurde zum Klassiker und wird bis heute aufgelegt [1: P, Frauenleben]. Die Frauen in der Antike wurden nun vermehrt als historische Individuen interessant: Man gestand ihnen im Gegensatz zu früher eine Geschichte zu [1: S, Introduction 2] und untersuchte sie ergänzend zur bisherigen, als Universalgeschichte etikettierten Geschichtsforschung, welche die Welt der Männer in den Blick genommen hatte. Unter dem Stichwort Frauenforschung erschien seit den 1980er Jahren eine fast unüberschaubare Menge an Monographien, Einzelbeiträgen und Sammelbänden unterschiedlicher Qualität. Zur Erschließung leisten verschiedene Bibliographien [1: P/K/K, Selected Bibliography; 1: V/V/ D, La femme; 1: P, Studiare le donne; s. besonders auch die Online-Bibliographie ,Diotima‘] und Forschungsberichte [1: C, Women; 1: S, Forschungen] ihren Beitrag. Die mitunter deutlich feministische Ausrichtung nährte allerdings – besonders im deutschsprachigen Raum – eine grundsätzliche Skepsis bezüglich der Wissenschaftlichkeit der Beiträge. Diese gerieten unter Verdacht, dem Postulat der Neutralität und Objektivität, welches die traditionelle ,Geschichte Großer Männer‘ als selbstverständlich für sich in Anspruch nahm, nicht zu genügen bzw. dieses ganz bewusst nicht erfüllen zu wollen. Feministische Beiträge beschränkten sich darüber hinaus nicht

1. Forschungsgeschichte: Einige Stichpunkte

57

auf die Frauen der Antike, sondern hatten auch die modernen Frauen im Wissenschaftsbetrieb im Blick, deren lange randständige Rolle als Studentinnen oder Lehrende an den Universitäten sie zu verändern suchten [1: MM, Classics and Feminism]. Diese Verquickung historischer Forschung und gesellschaftspolitischer Anliegen nährte das Misstrauen gegenüber der Frauenforschung zusätzlich [1: F, Gender Studies 11]. Nach wie vor spielen feministische Ansätze in der Geschichtswissenschaft eine Rolle – v.a. in der Theorie- und Methoden-Diskussion [1: F, Gender Studies 16–19; 1: R/R, Feminist Theory; 1: S, Literaturtheorie 193–213; 1: B/ H, Feministische Methodendiskussion 127–142]. Die seinerzeit vorgebrachte Behauptung, nur Frauen könnten über Frauen forschen [1: S, Classical Studies] – und dies auf der Basis des weiblichen Einfühlungsvermögens –, wird hingegen kaum mehr vertreten [vgl. hierzu 1: S, Forschungen 147; 1: F, Gender Studies 21]. Es lässt sich allerdings immer noch feststellen, dass ,Frauenthemen‘ überdurchschnittlich häufig von weiblichen Wissenschaftlern behandelt werden. Ob dies ein Zeichen für eine weiter andauernde Marginalität des Themas ist, welches dann noch immer nicht zum Kernforschungsbereich der Fächer gehören würde, wäre zu prüfen [1: F, Gender Studies 15f.]. Insgesamt lässt sich seit ca. 1990 ein Paradigmenwechsel oder auch eine thematische Erweiterung [so 1: E, Gender Studies] in der historischen Forschung feststellen, welcher sich auch in den Altertumswissenschaften bemerkbar macht: die ,Geschichte der Frauen‘ ist in den letzten zwei Jahrzehnten weitgehend den ,Gender Studies‘ oder der Geschlechterdifferenzforschung gewichen [1: S/W-H, Neue Fragen; allgemein B, Geschlechtergeschichte 284ff.; 1: G, Geschlecht 43ff.; 1: H, Geschlechterdifferenzierungsforschung]. Die Problematisierung des Geschlechterbegriffs erfolgte nun auch im deutschsprachigen Raum – in Auseinandersetzung mit der Diskussion der angelsächsischen Forschung über die Dichotomie von ,sex‘ als dem biologischen und ,gender‘ als dem sozial konstruierten Geschlecht, welche 1975 von G. S. R [1: Traffic in Women] ausgelöst worden war. Geschlecht wurde nun weithin als ein soziokulturelles Daseinskonstrukt begriffen, welches sich je nach Kultur und Epoche unterschiedlich ausgeformt darstellte. J. W. S [1: Gender 1067] hatte für die Historiker 1986 formuliert, ,gender‘ sei ein konstitutives Element sozialer Beziehungen, welches auf angenommenen Unterschieden der (biologisch verstandenen) Geschlechter aufruhe und vor allem Machtbeziehungen ausdrücke. Ins Blickfeld rückte die Frage, auf welche Weise Geschlechterrollen in einer Gesellschaft konstruiert und wie sie den Betroffenen als ,naturgegeben‘ vermittelt werden. Die Einsicht, dass

Geschlechterdifferenzforschung

58

Männlichkeitsforschung

gender performance

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

männliche und weibliche Geschlechtsidentitäten in ihrer kulturspezifischen Form nicht angeboren sind, sondern durch bestimmte Praktiken der Subjektivierung eingeübt und reziprok befestigt werden, hat zur stärkeren Wahrnehmung auch der ,Männer, die Geschichte machten‘, als Träger kulturell bedingter Männlichkeiten geführt. Diese werden folglich nicht mehr als letztlich geschlechtslose Repräsentanten des Menschen an sich charakterisiert. Die Männlichkeitsforschung beginnt sich auch in den Altertumswissenschaften als Zweig der Gender Studies zu etablieren [1: E/H, Mann; 1: F, Introduction 1ff.; 1: F/S, Thinking Men; 1: C/L, Dislocating Masculinity; 1: M, Masculinity]. Hierbei erwiesen sich die Arbeiten von M. F als einflussreich. Dieser hatte – ohne selbst Altertumswissenschaftler zu sein – in seiner 1976–1984 erschienenen ,Histoire de la sexualité‘ die Antike als Paradigma gewählt [4.1: Sexualität und Wahrheit]. Sexualität – zuvor eher dem privaten Bereich zugeordnet – wurde jetzt als Element der sozialen oder politischen Geschichte antiker Kulturen und ihrer Machtbeziehungen verstanden [vgl. 1: E, Sexualitäten 211f.; zur Bedeutung Fs für die Altertumswissenschaften 4.1.1: H, Homosexuality 5ff.; kritischer 4.1: L et al., Rethinking Sexuality]. Debattiert wurden – allerdings überwiegend außerhalb der Altertumswissenschaften – die Thesen der Philosophin J. B zur Konstruktion von Körper und Geschlecht. B [1: Unbehagen der Geschlechter 206] erteilt der Vorstellung von der biologischen Dichotomie der Geschlechter eine radikale Absage und versteht den Körper als grundsätzlich völlig geschlechtsneutral. Geschlecht werde erst sekundär erzeugt durch Zeichen und Ideologien, welche einem ungeprägten Körper eingeschrieben würden und immer wieder erneut eingeschrieben werden müssten (Performanz). Geschlecht entstehe im ,Drama der Geschlechtsidentität‘ durch die wiederholte Darstellung dessen, was die Gesellschaft als Geschlecht systematisiert habe, oder aber in Abgrenzung hierzu [Zusammenfassung der Diskussion bei 1: L, Wiederkehr der Lust; vgl. auch 1: W, Historische Anthropologie 273]. Vertreter der Frauengeschichte kritisierten in den Diskussionen über ,gender performance‘ oder ,doing gender‘ die Abwendung von sozialgeschichtlichen Fragen zugunsten einer entpolitisierten Beliebigkeit des Spiels mit Theorien und Thesen. Zugunsten der Theoriediskussionen vergesse man – wieder einmal – die wirklichen Frauen der Antike. In diesem Kritikpunkt treffen sich Vertreter ganz unterschiedlicher Lager: feministisch geprägte FrauenforscherInnen sehen die Anwendbarkeit der Genderforschung für aktuelle politische Fragen nicht mehr gegeben, die deutschsprachige Altertumswissenschaft – traditionell eher theorieskeptisch – sieht die eigene philologisch-historische Methode nicht genug berücksichtigt [1: S P/S, Geschlecht 27–29; 1: H-O, Frauen 31].

2. Griechische Geschlechterbilder

59

Die Diskussion, ob Geschlechterforschung zur antiken Welt sich auf die Diskurse konzentrieren und auf die Rekonstruktion sozialhistorischer Realitäten von vornherein verzichten sollte oder ob nicht doch Fragen nach der Lebenswelt möglich, berechtigt und auch beantwortbar sein können, ist noch im Gange [vgl. 1: G, Reading ,Reality‘ 171; S, Geschlechter 41ff.; jüngst H/H/P, Einleitung 8]. Insgesamt zeichnet sich unter Altertumswissenschaftlern allerdings doch ein fachübergreifender Konsens ab, dass nämlich die Erschließung des Materials ,,in handwerklicher Weise“ [S, Kunst und Gender Studies 11] Voraussetzung für die Anwendung des Instrumentariums der Gender Studies bei der Erforschung antiker Kulturen ist. Bei der Rekonstruktion des realen Lebens der Geschlechter erweist sich allerdings der Blick auf die Frauen ganz besonders stark ,vermittelt‘ [C/F/P, Geschlecht und Geschichte 20]. Methodisch müsse, wie kürzlich etwa R. R [5.2: Athenes Gewänder 25] betonte, versucht werden, in den überwiegend von männlichen Autoren verfassten Quellen einen eigenen weiblichen Blick aufzufinden sowie auch das Schweigen über bestimmte Themen als Aussage zu werten. P. S P und T. S [Geschlecht 29] haben zu Recht die Bedeutung der ,,in der poststrukturalistischen Theorie vorgeschlagenen Lektüremethoden“ herausgestellt. Diese könnten die Grundlage für neue Fragen aus der Perspektive der Beziehungen von Weiblichkeit und Männlichkeit bilden und sie helfen – das sei hier hinzugefügt – den Quellenwert der einzelnen Zeugnisse im Hinblick auf die ,lived reality‘ antiker Männer und Frauen neu zu bestimmen. P. S P und T. S [Geschlecht] betonen darüber hinaus – ähnlich wie schon N. K [Gender Studies 190], die Geschlecht als gleichberechtigt mit Kategorien wie ,Schichtenzugehörigkeit‘ oder ,ethnische Identität‘ versteht – den gesamtgesellschaftlichen Erklärungsanspruch der Kategorie Geschlecht in den historischen Wissenschaften. Diese Kategorie lasse Raum sowohl für deskriptive als auch für analytische Verwendung.

Diskurs oder Lebenswelt

2. Griechische Geschlechterbilder in Mythos, Philosophie und Medizin 2.1 Der mythologische Diskurs Die weite Verbreitung des Mythos in Wort und Bild schuf faktisch einflussreiche Geschlechterbilder. Die mythische Figur der ersten Frau, Pandora, hat in der Forschung vergleichsweise große Aufmerksamkeit erfahren. In einem eher oberflächlichen Überblick über Schöpfungsmythen

Pandora

60

Geschlecht mythischer Gestalten

Zweigeschlechtlichkeit

Geschlechtsumwandlung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

u. a. in Griechenland findet sich bei J. O’B und W. M [2.1: Creation Myths 177] die These, Pandora sei eine ursprüngliche Erdgöttin und Spenderin der Fruchtbarkeit gewesen, die in historischer Zeit abgesunken und negativ verändert worden sei. Auch S. B [2.1: Women 28] zufolge spräche ,,some evidence“ dafür, dass Pandora in Athen als Fruchtbarkeitsgöttin verehrt worden sei. Im Gegensatz dazu sprechen sowohl F. Z [2.1: Signifying Difference 70] als auch N. L [2.1: Born of the Earth 104f.] Pandora jede Verbindung zur Fruchtbarkeit und Erde ab. Ein Verständnis als Erdmutter oder Erdgöttin lehnt neuerdings auch I. M [2.1: Pandoramythos 57–63] ab. Sowohl H. K [2.3: Hippocrates’ Woman 34] als auch F. Z [2.1: Signifying Difference 58] haben die sekundäre Schöpfung der Pandora, ihr verspätetes Eintreffen auf der Welt betont. Im Namen der Gebärmutter, hystére, könne man hysteréo, ,danach kommen‘, ,zu spät kommen‘, mithören. Die Prägekraft des negativen Bildes, welches Hesiod in der auf das weibliche Geschlecht beschränkten Schöpfungsgeschichte entwirft und das die gesamte Antike hindurch seine Wirkung entfaltet, ist wiederholt betont worden [2.1: L, Töchter des Zeus 138–140; 2.1: D, Prometheus 39–42]. Das merkwürdige Fehlen einer frühen Schöpfungsgeschichte des männlichen Menschen ist festgestellt worden [7.4: L, Children 14; 4.1: S, Sexuality 29], eine überzeugende Erklärung hierfür steht aber noch aus [zu den späteren Zeugnissen, Prometheus als Schöpfer des Menschen, also auch des Mannes, vgl. 2.1: M, Pandoramythos 121–123]. Auch die griechischen Götter und Heroen besitzen jeweils ein männliches oder weibliches Erscheinungsbild. N. L [2.1: Göttin 33–64] betonte jedoch die größere Wichtigkeit des göttlichen Status im Vergleich zum jeweiligen Geschlecht einer Gottheit. Durch die antiken Quellen nicht gedeckt ist die These von L. B [2.1: Sexual Ambivalence], im Mythos hätten Hermaphroditen eine sehr wichtige Rolle gespielt. Bei genauer Betrachtung erweist sich die Anzahl einschlägiger Beispiele als recht gering. Zweigeschlechtlichkeit im Mythos begegnet im Fall der Agdistis, deren Körperlichkeit von den Göttern als bedrohlich empfunden und entsprechend durch Entmannung verändert wird [2.1: B, Agdistis 244f.]. Sekundäre Zweigeschlechtlichkeit verkörpert Hermaphroditos, für den die mythische Erzählung von seiner Verschmelzung mit der Nymphe Salmakis zwar erst bei Ovid erhalten ist (Ov. met. 4,274–388), dessen bildliche Darstellung aber schon in der späten Klassik bezeugt ist [2.1: A, Monstrum]. Von Zweigeschlechtlichkeit zu trennen sind Fälle von Geschlechts-Umwandlung im griechischen Mythos. Eine derartige Umwandlung begegnet etwa in der Figur der Kainis, die nach Vergewaltigung durch Poseidon einen Wunsch frei hat und sich die Verwandlung in einen Mann nebst unbezwinglicher Kraft wünscht, um ähnliche Erfahrungen in Zukunft vermeiden zu können

2. Griechische Geschlechterbilder

61

[2.1: U, Teiresias 60 Anm. 25]. Überproportionale Aufmerksamkeit der modernen Forschung hat die insgesamt eher randständige mythologische Gestalt der Iphis erfahren: Iphis erfährt eine Geschlechtsumwandlung, ihr Schicksal wird von Ovid berichtet, der wohl eine hellenistische Vorlage aufgreift. Am Beispiel der Iphis wurde versucht, einerseits traditionell nach der Herkunft dieses Mythos zu fragen [2.1: L, Initiatory Transvestism 161; 2.1: G, Iphis], andererseits aktuelle Fragestellungen der Genderforschung, vor allem zur Transsexualität, auf die Antike zu übertragen [2.1: W, Changing Names 190f.; 2.1: L, Geschlechtswandel 193–210; 2.1: P, Iphis and Ianthe 256–285]. Iphis avancierte schließlich sogar zur Namensgeberin von IPHIS, der ersten deutschsprachigen altertumswissenschaftlichen Buchreihe mit dem Themenschwerpunkt ,gender‘. In der Antike bekannter war der mythologische Fall des Sehers Teiresias, welcher bei der Begegnung mit einem kopulierenden Schlangenpaar in eine Frau verwandelt wurde, eine Zeit lang als Frau lebte und nach seiner Rückverwandlung von den Göttern befragt wurde, welches Geschlecht den größeren Liebesgenuss empfinden könne. Seine Antwort, die Frauen seien hier im Vorteil, brachte ihm den Zorn der Göttin Hera ein, wie bereits in der hesiodeischen Melampodie überliefert wird [Zusammenstellung der Quellen bei 2.1: U, 33–51]. Auch der Teiresias-Mythos wurde kontrovers diskutiert: A. K. K [2.1: Teiresias and the Snakes 267–275] wollte auf der Basis indischer Erzählparallelen einen Archetyp der Erzählung konstruieren; N. L [2.1: Tiresias 10–11] war der Ansicht, der Teiresias-Mythos stelle ein im klassischen Athen geläufiges Eheideal in Frage, bei dem den Frauen eine rein passive Rolle zukomme und der Liebesgenuss dem Mann vorbehalten sei [abgelehnt von 2.1: U, Teiresias 60f.; inwieweit ein derartiges Eheideal in Athen bestand, welches die Frauen von positiver Sexualität ausgeschlossen hätte, ist fraglich: vgl. auch unten Kap. 4.5]. Auch L. Bs These [2.1: Mythe de Tirésias, Taf. I], Teiresias sei ein Beispiel für griechische Bisexualität, welche sich angeblich auch in seinen bildlichen Darstellungen nachweisen lasse, ist zu Recht abgelehnt worden [vgl. die Kritik bei 2.1: U, Teiresias 60 u. 252]. S. H [3.2: Transsexualität 20–34] zieht aus den antiken Erzählungen vom Geschlechtswechsel den Schluss, die antiken Quellen bezeugten ein Denkgerüst, welches ein ,,als naturgegeben angenommenes System von Zweigeschlechtigkeit“ zugrunde lege. Eindeutige Geschlechtsidentität könne sich zwar wandeln, aber sei dann eben die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Teiresias

62

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

2.2 Der philosophische Diskurs Zeugungstheorien der Vorsokratiker

Platon

Unklar ist die Verbreitung und womöglich lineare Entwicklung der einzelnen Zeugungskonzepte. Der Tragödiendichter Aischylos konnte im klassischen Athen offenbar damit rechnen, dass das Publikum seines Dramas ,,Die Eumeniden“ naturphilosophische Argumente als grundsätzlich plausibel empfand. Er lässt den Gott Apollon behaupten (Aischyl. Eum. 657ff.), der Vater allein sei der Erzeuger von Kindern, die Frau lediglich das Gefäß. S. P [1: Frauenleben 97f.] und M. S [4.1: Sexuality 152] haben hieraus geschlossen, das Bild vom väterlichen Erzeuger, der den Samen in das Feld legt, sei verbreitete Volksmeinung gewesen. A. E. H [2.3. Origin of Female Nature 41–43] und L. D-J [2.3: Women’s Bodies 148–152] gehen ebenfalls von weiter Verbreitung dieser Vorstellung aus und möchten sie mit der Angst des männlichen Geschlechts erklären, Frauen könnten auch aus sich selbst Kinder zeugen. Im Gegensatz dazu hält J. B [7.4: Recht und Ritus 21] die These vom Vater als alleinigem Erzeuger für eine ,,extravagante Behauptung, die eher zu . . . den Absichten des Dramas passt, als eine weitverbreitete Ansicht“ beschwöre. E. L [2.3: Zeugungs- und Vererbungslehren] versuchte, die Geschichte antiker Zeugungskonzepte als lineare Abfolge zu rekonstruieren [kritisch hierzu 2.3: L, Körper 58]. Eine biologische Theorie zur Entstehung der Geschlechter ist bei Platon nicht bezeugt. In seiner alternativen Schöpfungsgeschichte (Plat. symp. 189d–192d) wird von ursprünglich drei Geschlechtern ausgegangen: männlich, weiblich und mannweiblich. Die Menschen seien zunächst, gleichgültig welchen Geschlechts, Kugelwesen mit vier Armen, Beinen, Ohren etc. gewesen und von den Göttern gewaltsam in zwei Hälften getrennt worden. Jeder einzelne Mensch sei seitdem auf der Suche nach seiner verlorenen zweiten Hälfte. Ob diese Vorstellung in der Antike verbreitet, über Platons engeren Kreis hinaus akzeptiert oder überhaupt jemals ernst gemeint gewesen ist, ist umstritten [zu den Forschungsmeinungen vgl. 2.2: F, Differenz 64]. Platons Aussagen zur Entstehung der Geschlechter waren zumindest widersprüchlich: An anderer Stelle (Plat. Tim. 90e 8f.) wird etwa behauptet, Frauen seien aus wiedergeborenen männlichen Feiglingen entstanden. G. S [2.2: Platon 81–82] hat hier Analogien zum hesiodeischen Geschlechterbild betont: Das weibliche Geschlecht sei auch hier sekundär und entstehe als ,,degenerative Mutation“. Platon entwickelte zwar keine eigenen anatomischen Konzepte; seine Aussagen über ,,dieselbe Natur von Mann und Frau“ (Plat. polit. 453e– 455a) führten aber vor allem in der angelsächsischen Forschung zur Debatte darüber, ob Platon ein Feminist sei [2.2: W, Plato 213]. N. H. B [2.2: Women and the Ideal Society] analysierte die einschlägigen neuzeitlichen Platon-Kommentare im Hinblick auf ihren Umgang

2. Griechische Geschlechterbilder

63

mit den provokativen Aussagen Platons zu Geschlechterfragen. Seit den 1970er Jahren ist die These vom Feministen Platon demontiert worden. Abgelehnt bereits bei S. P [2.2: Feminism 33–35], S. S [2.2: République de Platon 142–163] und G. S [2.2: Platon 72], scheint sie allerdings dennoch gelegentlich wieder auf, etwa bei J. L [2.2: Plato’s Philosophy of Sex 223–231). Eine zusammenfassende Darstellung der Diskussion findet sich bei S. F [2.2: Differenz 56–61 u. 114–117], der zufolge Platon nicht vordringlich am Geschlechterunterschied interessiert gewesen sei, sondern am Entwurf imaginärer Welten. Im Zweifelsfall ordne Platon in den utopischen Schriften die Geschlechterdifferenz den staatlichen Interessen unter. Aristoteles’ Konstruktion des Geschlechterunterschieds hat ihm die verbreitete Einschätzung als Frauenfeind eingetragen [vgl. hierzu 2.2: S, Platon; 2.2: F, Differenz]. Indem Aristoteles Frauen als deformierte Männer einordne [so 2.3: S/H, Frauenmedizin 451], sei für ihn die Minderwertigkeit der Frau ein für allemal festgeschrieben. In letzter Zeit ist diese These relativiert worden. J. F [2.2: Verweichlichung 72 Anm. 83] stellte fest, die Ehrenrettung des als misogyn gescholtenen Aristoteles sei in vollem Gange [so etwa bei 2.2: F, Feminist Interpretations, und 2.2: F, Differenz 224]. S. F kommt zu dem Schluss, die Passage vom Weibchen als verstümmeltem Männchen sei nicht Aristoteles’ Zentralaussage über die Frau und müsse im Kontext betrachtet werden. Aristoteles leite die Unterlegenheit der Frau auch nicht aus den unterschiedlichen Zeugungsbeiträgen ab. Vor allem aber erweitere er die körperliche Unterlegenheit nicht, wie häufig angenommen, auf die Vorstellung einer ethischen Minderwertigkeit.

Aristoteles’ Zeugungstheorie

2.3 Der medizinische Diskurs: Anatomie und Physiologie der Geschlechter Die Medizingeschichte der Antike führte lange Zeit eher ein Eigenleben für Spezialisten. Erst seit den 1990er Jahren begegnen genderspezifische Fragestellungen [s. hierzu 2.3: H, Medical Writers’ Woman 311ff.; 2.3: H, Sexualität, Medizin 3]. Bahnbrechend hierfür war L. D-J’ Beitrag zur Konstruktion des Körpers in den griechischen Wissenschaften [2.3: The Cultural Construct]. Für den deutschsprachigen Leser haben C. S und U. H [2.3: Frauenmedizin] eine sehr nützliche zweisprachige Sammlung griechischer und römischer Texte bereitgestellt. Inzwischen zeigen auch die Neuauflagen führender fachspezifischer Lexika verstärktes Interesse am geschlechtlich differenzierten Körper: Im Neuen Pauly wie auch im Oxford Classical Dictionary finden sich Artikel über Gynäkologie, Geschlecht, Uterus etc. [2.3: K,

Medizingeschichte der Antike

64

Corpus Hippocraticum

Zeugungstheorien der Hippokratiker

Hippokratische Physiologie

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Gynaecology; 2.3: K, Geschlecht, medizinisch; 2.3: N, Uterus]. Ein Artikel ,Körper‘, welcher beide Geschlechter behandeln würde, fehlt allerdings auch dort. Umstritten ist nach wie vor die Datierung der einzelnen Schriften des Corpus Hippocraticum. Einigkeit besteht in der Zuweisung der Schriften an unterschiedliche Verfasser [so etwa 2.3: S/H, Frauenmedizin 425–427]. Während etwa L. D-J [2.3: Women’s Bodies] das Corpus dennoch grundsätzlich als Einheit betrachtete, sind ihr H. K [2.3: The Classical Review 45, 137–139] und O. W [2.3: Gnomon 68, 718–719] hierin nur bedingt gefolgt [nützliche Kurzcharakteristik der Schriften des Corpus Hippocraticum bei 2.3: P/ G, Hippokrates Nr. 6]. Die Zeugungstheorien der Hippokratiker sind in der neueren Forschung wiederholt behandelt und unterschiedlich interpretiert worden [zur ,,sexuellen Bipotenz“ des Samens schon 2.3: L, Zeugungs- und Vererbungslehren 1306; zur Geschlechtsentstehung und -ausprägung auch 2.3: S, Frau; 2.3: H, Origin of Female Nature; 2.3: H, Paidopoiïa, 2.2: F, Differenz; 7.3: C, Gender 164ff., und 2.3: L, Körper 50–77; deutschsprachige Zusammenfassung bei 2.3: F, Zeugung 935–937]. Nach H. K [2.3: Geschlecht, medizinisch 1006] und M. G [2.3: Semiotics 390f.] erwecken die Zeugungstheorien in den hippokratischen Schriften eher den Eindruck einer ,,gleitenden Skala“ von Männlichkeit zu Weiblichkeit. J. MI [2.3: Manly Women 325; ähnlich 2.2: S, Platon 94f.] sieht hingegen den Geschlechterkampf bereits im Mutterleib präfiguriert: ,,that the womb was a potential battleground between male and female seed.“ Auf Dauer einflussreicher als die Zeugungstheorien der Hippokratiker erwies sich die von Aristoteles vertretene Ansicht, der Beitrag des Vaters sei sehr viel wichtiger gewesen. Die Vorstellung einer unterschiedlichen Physiologie der Geschlechter in den Abhandlungen des Corpus Hippocraticum haben etwa H. K [2.3: Producing Women 102–114; 2.3: Hippocrates’ Woman] und L. A. D-J [2.3: The Cultural Construct] analysiert. D-J [2.3: Women’s Bodies 112] stellte fest, die Hippokratiker seien von einer festen Vorstellung der männlichen Physiologie ausgegangen; Andrologie stehe generell im Vordergrund, während weibliche Pathologie vor allem in Verbindung mit dem Bereich der Fortpflanzung ins Spiel komme. Die unterschiedliche Physiologie ließ geschlechtsspezifische Behandlungsmethoden notwendig erscheinen. S. C [7.3: Gender 169] hat die These vertreten, die Hippokratiker hätten den weiblichen Körper mit der zu beackernden Erde gleichgesetzt: so seien die Schmutzheilmittel, bestehend aus Tierfäkalien, zu erklären, welche zur richtigen Düngung des Körpers (und damit zum jeweils richtigen Feuchtigkeitsgrad) hätten beitragen sollen. Sowohl L. A. D-J [2.3: Women’s Bodies 41–109] als auch H. K [2.3: Bound to Bleed 77–97] betonen für die hippokratischen

2. Griechische Geschlechterbilder

65

Konzepte die zentrale Funktion der Menses: Deren Behinderung oder Ausbleiben mache junge Mädchen krank und geistig gestört – Heilung war nach Meinung der Hippokratiker möglich durch Ehe und frühe Schwangerschaft. Bereits 1988 haben A. H und G. S [2.3: Körperbild 9–22; ähnlich auch 2.3: H, Medical Writers’ Woman 320] den Zusammenhang zwischen hippokratischer Gewichtung der Menstruation und sozialer Realität gesehen: Frühe Heirat erscheint als gerechtfertigt, wenn einem nicht menstruierenden (oder nicht heiratswilligen) Mädchen von ärztlicher Seite Krankheiten prophezeit werden. S. E. P [Rez. 4.1: MC, Sexuality] hat umgekehrt die Abhängigkeit des medizinischen Diskurses von der sozialen Praxis betont. Hippokratische Konzepte von geschlechtsspezifischer Körperlichkeit, so H. K [2.3: Hippocrates’ Woman 188–204; 205–247; 2.3: ., Hysterie 829–830], hätten bis in die Neuzeit weitergewirkt: Krankheitsbilder wie die Hysterie habe man durch die Autorität der Hippokratiker untermauert [vgl. hierzu auch 2.3: T, Körpergeschichte 46]. A. E. H [2.3: Talking Recipes 85f.] hat die Frage aufgeworfen, ob der Uterus und seine Besitzerin bei den Hippokratikern als ein gefährliches, schweifendes Tier, das man zähmen müsse, angesehen worden sei. Die hippokratische Idee des von der beweglichen Gebärmutter dominierten weiblichen Körpers findet sich auch in den Schriften Platons: Dieses Organ sei gierig nach Zeugung und so für das weibliche Verlangen verantwortlich (Plat. Tim. 91b–c). Platon schreibt allerdings auch den männlichen Geschlechtsorganen eine unheimliche Dynamik zu und vergleicht sie mit einem wilden Tier, welches sich den Körper zu unterwerfen suche [4.1: S, Sexuality 151ff.]. Der Sexualtrieb werde beim Mann ausgelöst durch den Anblick eines Sexualobjekts, sei also beherrschbar durch Vermeidung solcher Objekte. Der weibliche Körper hingegen fühle stets die innere Leere und versuche diesen Zustand durch Schwangerschaft zu lindern. L. A. D-J [2.3: Politics of Pleasure 76–80] zufolge habe die Vorstellung bestanden, der weibliche Geschlechtstrieb sei stets gegeben und nicht durch Vermeidung bestimmter Auslöser beherrschbar. Während die Hippokratiker die Gebärmutter sowohl physiologisch als auch anatomisch als zentrales Element des weiblichen Körpers ansahen, spielte das Hymen als Zeichen körperlicher Unversehrtheit oder Keuschheit bei ihnen keine Rolle [so 2.3: S, Maidenhood 352; anders 2.3: H, Medical Writers’ Woman 324–330]. Insgesamt war die griechische Kultur offenbar nicht fixiert auf die Ruptur des Hymens als eines anatomisch nachprüfbaren Vorgangs, auch wenn voreheliche Keuschheit von den Frauen massiv eingefordert wurde [2.3: C, Woman, Dirt 145–148; vgl. unten Kap. 4.3]. G. S [2.3: Maidenhood 343f., 349] hat das Konzept weiblicher Jungfräulichkeit als auf andere Weise physisch und vor allem als sozial konstruiert beschrieben: Wer unverheiratet war und nicht durch eine öffentlich bekannte Schwangerschaft der Kategorie

Hippokratische Anatomie

Gebärmutter und Geschlechtstrieb

Jungfräulichkeit

66

Körperliche Gleichheit der Geschlechter?

one sex model

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

gyne, Ehefrau, zugeordnet werden konnte, galt als parthénos, als Jungfrau. Körperliche Jungfräulichkeit habe man nur durch divinatorische Praktiken überprüfen können. Ob im medizinischen Diskurs der Griechen das weibliche Geschlecht grundsätzlich als ,das Andere‘ oder lediglich als kleinere Abweichung vom Mann gesehen wurde, ist umstritten. Noch A. H und G. S [2.3: Körperbild 14] unterstellten den hippokratischen Ärzten eine ähnliche Einschätzung des Geschlechterunterschieds, wie sie bei Aristoteles zu erkennen sei: die Frau sei die Abweichung von der Norm ,Mann‘. L. A. D-J [2.3: Women’s Bodies] hat im Gegensatz dazu völlig unterschiedliche Konzeptionen von Mann und Frau erkennen wollen, nämlich eine radikale Trennung der Geschlechter bei den Hippokratikern und eine deutlich größere Nähe von Männern und Frauen als ,,Angehörige derselben Art und derselben Physis“ bei Aristoteles. Dies ist nicht unwidersprochen geblieben, da Aristoteles zufolge die Unterschiede zwischen den Geschlechtern umso größer ausfielen, je entwickelter die Art eines Lebewesens sei [vgl. 2.3: I/T, Rez. Dean-Jones]. Auf die Autorität des Aristoteles beriefen sich schließlich – wohl zu Unrecht – antike Mediziner in der römischen Kaiserzeit, welche im Unterschied zu den Hippokratikern eine grundsätzliche anatomische Gleichheit der Geschlechter zu postulieren schienen. Bei Aristoteles finden sich zwar erste Bemerkungen zu möglichen Ähnlichkeiten männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane (Aristot. gen. an. 716b 32–33); die analoge Konstruktion des männlichen und weiblichen Körpers als anatomisch identisch beruht aber letztlich auf den Sektionen des hellenistischen Arztes Herophilos. Erst in der römischen Kaiserzeit gewann die sog. Ein-Geschlecht-Theorie größere Bedeutung, welche etwa von T. L [2.3: Auf den Leib geschrieben 39f.; 45–49] fälschlich als angeblich die Antike grundsätzlich dominierende Theorie in Anspruch genommen wurde [zu Ls mangelhafter Berücksichtigung medizinhistorischer Literatur kritisch 7.2: R, Body History 25 u. 29]. H. K [2.3: Reading the Female Body, 620–24] nennt Ls Thesen zu Recht ein ,,influential but reductionist model“, gegen welches es anzugehen gälte [Kritik neuerdings auch von 2.2: F, Verweichlichung 58–61, und 2.3: G, Geschlecht und Sexualität 91]. 2.4 Interpretationen der Geschlechterdifferenz: Die Bedeutung des ,kleinen Unterschieds‘

Bäuche und Tiere

Die enge Verbindung zwischen den Thesen antiker Mediziner und dem hesiodeischen Bild der Geschlechter und ihrer Erschaffung ist in der jüngeren Forschung wiederholt gesehen worden [so etwa bei 2.3: K, Hippocrates’ Woman 21–39]. Vor allem das Bild des weiblichen Menschen als

2. Griechische Geschlechterbilder

67

Bauch fand Aufmerksamkeit, so etwa bei F. Z [5.1: Hesiods Pandora 49–56], welche Hesiods Absicht herausstellte, in der Figur der Pandora die Frauen als wirtschaftliche Schmarotzer, welche auf Kosten der Männer leben, zu charakterisieren [ähnlich auch 2.4: S, Workers and Drones 79–94]. Entgegen der verbreiteten Annahme, die Öffnung des ,Pithos‘ durch Pandora bedeute schon bei Hesiod die Entlassung aller Übel in die Welt, hat I. M [2.1: Pandoramythos] betont, vorhellenistische Quellen brächten diese Tat vor allem mit der Verschwendung von Vorräten in Verbindung. Den hündischen Sinn, mit dem die Götter diesen mit Kleidern umhüllten Bauch versahen, analysierte H. K [2.3: Hippocrates’ Woman 24]: Zum einen würden Hunde als Tiere mit außerordentlichem sexuellem Appetit eingeordnet, andererseits gälten sie auch als besonders fruchtbar und erfolgreich beim Gebären. Das gern als ,Weiberiambus‘ bezeichnete Gedicht des Semonides (fr. 6) über die ,tierischen Frauen‘ erfreute sich in der philologischen Forschung seit dem 19. Jh. großer Beliebtheit. Man fragte sich, ob man von Semonides’ Vorwürfen auf ,die reale griechische Frau‘ und das Schicksal griechischer Ehemänner rückschließen könne. Hierbei wurden Semonides ,,scharfe und nüchterne Beobachtung“ [2.4: V, Semonides 158] sowie ,,Lebenserfahrung und Lebensklugheit“ [2.4: M, Charakter 37] zugesprochen. Er habe ,,das Übel Weib mit bedächtiger Überlegung“ charakterisiert. In jüngerer Zeit hat B [2.4: Weiberkatalog 16–27] festgestellt: ,,Die Publikationen zu Semonides’ Fragment 7 wären eine Untersuchung seitens der feministischen Männerforschung . . . wert.“ Während man mitunter dem Semonides Frauenhass als leitendes Motiv unterstellte, hob H. L J [2.4: Females 32f.] schon 1975 hervor, dass Semonides von Hesiod abhängig sei und die Unterhaltung des Publikums zum Ziel habe – wobei er verbreitete Vorstellungen vom Verhältnis von Mann und Frau habe einfließen lassen. Diese seien jedoch kein Abbild des Geschlechterverhältnisses in Semonides’ eigener Gesellschaft. R.G. O hat das Gedicht im Bereich des Symposions verortet [2.4: Use of Abuse 47–64]. A. C wiederum konnte die Verbreitung der Tiermetapher für das weibliche Geschlecht weit über die archaische Zeit und über die Chorlyrik hinaus aufzeigen [2.3: Woman, Dirt 144, Anm. 22f.; 2.4: ., Dirt and Desire 85]. Dass Tiermetaphern in griechischen Texten oft auch auf Männer Anwendung finden, hat bislang nicht in gleichem Maße die Aufmerksamkeit der modernen Forschung gefunden. Zur Funktion des Tiervergleichs in der Sprache des griechischen Sprichworts und der Fabel vgl. aber etwa W. S [2.4: Nachbarschaft 44–49]. J.-P. V [2.4: Prometheus 183–201] hat die grundsätzlich ambivalente Stellung des Menschen zwischen Göttern und Tieren herausgestellt. A. C brachte die angebliche übermäßige sexuelle Begierde der Frauen mit der ihnen zugesprochenen ,feuchten‘ körperlichen Verfassung

Semonides’ ,Weiberiambus’

Feuchte und trockene Körper

68

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

in Verbindung [2.3: Woman, Dirt 137ff.]. M. B. S leitete von dieser Vorstellung eine spezifische Einschätzung des Ehebruchs in der griechischen Gesellschaft ab [4.1: Sexuality 31]: Den männlichen Ehebrecher, welcher aufgrund seiner physisch trockenen Konstitution größere Widerstandskraft gegenüber dem ,,verflüssigenden Eros“ und entsprechend dem sexuellem Begehren besitze, treffe nach Meinung der Griechen die hauptsächliche Schuld am Vergehen Ehebruch. Die gelegentlich vertretene These, die Hippokratiker hätten mit ihrem Konzept der Gegensätze ein positiveres Frauenbild vertreten als Aristoteles, ist von H. K [2.3: Reading the Female Body, 620–624] und ebenso von M. S [2.3: Frau 79] zurückgewiesen worden: In beiden Traditionen gälte das Weibliche als das Schlechtere, und das Feuchte sei in hippokratischen Schriften eindeutig negativ konnotiert. Eine ähnliche Hierarchisierung dürfte sich auch aus einer entsprechenden Analyse der Konzepte warm – männlich und kalt – weiblich in den antiken Quellen ergeben, selbst wenn hier die geschlechtsspezifische Zuordnung nicht immer durchgehalten wird [2.3: T, Körpergeschichte 25]. 2.5 Die Sozialisierung der Geschlechter: philosophische Konzepte vom richtigen Geschlechterverhältnis Selbstbeherrschung

Im Zentrum der Diskussion um die von antiken Autoren den Geschlechtern zugeschriebenen Fähigkeiten stehen Selbstbeherrschung und rationales Denken. A. S [4.2: Art, Desire 171] hat die These vertreten, in der Zeit der Perserkriege, also in der ersten Hälfte des 5. Jh. v. Chr., habe die Anforderung ,Selbstkontrolle‘ für Männer und Frauen an Bedeutung gewonnen. M. F [4.1: Gebrauch der Lüste 84–87], J. N. D [4.2: Kurtisanen 200] und M. B. S [4.1: Sexuality 14] sehen Selbstbeherrschung, enkráteia bzw. sophrosýne, als zentrale Tugend der griechischen Gesellschaft. Sie sei besonders in Bezug auf den Geschlechtstrieb gefordert worden. Während man dem männlichen Geschlecht die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung zusprach, spiegelt sich die Widersprüchlichkeit der antiken Texte (zuweilen beim identischen antiken Autor oder Schriftencorpus) in den Aussagen der Sekundärliteratur zur Frage, ob die griechische Antike auch die Frauen als fähig zur Selbstbeherrschung und Mäßigung ansah. A. C verneinte dies unter Bezugnahme auf das hippokratische Körperbild, dem auch Platon gefolgt sei [2.3: Woman, Dirt 142]. Die Vorstellung, die schamlosen Frauen könnten ihre Lüste nicht kontrollieren, schreiben A. C [2.3: Woman, Dirt 142], D. M [2.5: Aristotle 213] und M. B. S [4.1: Sexuality 146] auch Aristoteles zu. Nach anderen habe Aristoteles aber durchaus die Möglichkeit weiblicher Selbstkontrolle in Betracht gezogen: Das aristotelische Körperbild sei von größerer körperlicher Ähnlichkeit

2. Griechische Geschlechterbilder

69

der Geschlechter geprägt als das hippokratische und lasse die Vorstellung zu, der Geschlechtstrieb von Männern und Frauen sei vergleichbar und auch in beiden Fällen durch Selbstkontrolle beherrschbar [2.3: DJ, Politics of Pleasure 73; ähnlich 2.5: D, Aristotle 208]. C. S-I [7.1: Männlich und weiblich 117] hat schließlich jenseits des theoretischen philosophischen Diskurses die Präsenz der Eigenschaften sophrosýne und areté in Inschriften an Frauengräbern betont, H.-U. W 2.5: [Ehefrau 430] definiert weibliche sophrosýne als ,,Sittsamkeit, die sich eher in einem Unterlassen als in einem aktiven Tun äußert“. Als schwierig zu interpretieren erweisen sich auch die antiken Quellenaussagen bezüglich der geschlechtsspezifischen Fähigkeit zum rationalen Denken: Dieses leite nach Aristoteles (eth. Nik.1103a 17–18, 1119a 20) den verständigen Mann in seinen Entscheidungen [4.1: S, Sexuality 133]. Mitunter ist angenommen worden, Aristoteles spräche den Frauen diese Fähigkeit ab. Dem ist in der jüngeren Forschung widersprochen worden: S. F [2.2: Differenz 224] sieht die Frau bei Aristoteles als nicht ethisch verstümmelt und als durchaus imstande, vorausschauend zu denken. Allerdings ist die Übersetzung des Schlüsselbegriffs ákyron umstritten: F versteht ihn als ,,Defizienz bei der Umsetzung eines Entschlusses in Handeln“ im Gegensatz zu der ebenfalls vertretenen Definition als ,,Nichtvorhandensein von rationalem Denken“. P. A. C [2.5: Griechen 67; ähnlich 4.1: S, Sexuality 146] zieht drei Verständnismöglichkeiten in Betracht: Erstens, Frauen könnten einem logischen Gedankengang nicht folgen; zweitens, sie dächten zwar vernünftig, könnten aber den Gedanken nicht in die Tat umsetzen; drittens, ihre Gedanken seien für Männer nicht von autoritativer Geltung, da sie sozial einen untergeordneten Status innehätten. Die dritte Möglichkeit entspricht s.E. den soziopolitischen und ideologischen Gegebenheiten in Griechenland. Für diese Möglichkeit entscheidet sich auch M. D [2.5: Aristotle 196, 208]: Weibliches rationales Denken könne auch im politischen Kontext gedacht werden, jedoch ohne Autorität. Begründung hierfür sei dann nicht ein körperlicher oder geistiger Mangel; weibliche Autorität im Rahmen des Polislebens sei lediglich aus Gründen der Tradition und Konvention nicht akzeptiert. Aus den unterschiedlichen Körperbildern für Männer und Frauen, verbunden mit daraus abgeleiteten Vorstellungen geschlechtsspezifischer Fähigkeiten, leitete die griechische Antike eine differenzierte Verteilung der Aufgaben für die Gemeinschaft ab. Diese Verteilung konstituierte das Geschlechterverhältnis. Ob dieses in der griechischen Kultur insgesamt als eher hierarchisch oder als komplementär zu beurteilen ist, ist umstritten; insgesamt sind hier wohl normative Texte von oft nur schwer zu rekonstruierender Wirklichkeit abzusetzen. Während die hierarchische Struktur des griechischen Geschlechterverhältnisses lange als

Rationalität

Aufgabenverteilung und Geschlechterhierarchie

70

Philosophischer Diskurs/ Philosophinnen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

selbstverständlich angenommen wurde [1: P, Frauenleben 362], hat S. F [2.2: Differenz 286f. u.ö.] die Eindeutigkeit auch der aristotelischen Geschlechterhierarchie zu differenzieren versucht und komplementäre Elemente sowohl bei Aristoteles als auch bei anderen griechischen Philosophen, etwa den Stoikern, betont. Ob und wie weit bei der Entwicklung philosophischer Konzepte auch Frauen konkret beteiligt waren und eigene Vorstellungen einbrachten, ist aufgrund der Quellenlage in den meisten Fällen unklar. Die erhaltenen philosophischen Schriften sind in überwältigender Mehrheit unter männlichen Verfassernamen überliefert. In jüngerer Zeit wurde die Frage nach weiblichen Philosophen aber immerhin mehrfach gestellt, so etwa von R. H [2.5: Women Philosophers 70–87] und G. W [7.2: Frauen- und Mädchenbildung 62]. Eher pessimistisch bezüglich der Existenz von Philosophinnen ist J.-D. G [2.5: Philosophinnen 422–445], eher optimistisch H. H-S [2.5: Philosophinnen 162–174; zur Diskussion s. auch 1: S, Forschungen 155]. Daneben ist zu fragen, wie weit philosophische Überlegungen sich auf die Lebenspraxis auswirkten. Verschiedentlich wurde bemerkt, die Philosophie dürfe nicht als privilegierter Leitdiskurs der griechischen Gesellschaft vorausgesetzt werden, geschweige denn als Mittel zur Rekonstruktion antiker gesellschaftlicher Wirklichkeit. J. J. W [4.1.2: Eros 36] hat die Bedeutung z. B. von Epos, lyrischer Dichtung, Tragödie und Gerichtsrede hervorgehoben: ,,Sokrates, Platon und andere ihres Schlages zählen nicht – in diesem Zusammenhang“. F. G [7.3: Gottesnähe 36] bemerkte, Philosophen und Ärzte seien in den Augen der Polis um nichts weniger marginal als etwa Wanderpriester; auch sie würden ihre eigenen – mehr oder weniger exklusiven – Gruppierungen bilden.

3. Die Umsetzung der Geschlechterbilder in der sozialen Praxis 3.1 Erziehungsziel Geschlechtsidentität Erziehung und Bildung sind auch in neueren Arbeiten unter den Rubriken Schulbildung, Ausbildung, Pädagogik verhandelt worden, so etwa im ,Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike‘ [3.1: C/ K/L], wo streckenweise von modern vorgeformten Kategorien ausgegangen wird, deren Anwendbarkeit für die antike Erziehung zumindest hinterfragt werden müsste. Die dort vorgenommene, an moderne Strukturen des Bildungswesens erinnernde Dreiteilung in Schule, Studium, Ausbildung/Beruf und der Gebrauch eines anachronistischen

3. Die Umsetzung der Geschlechterbilder in der sozialen Praxis

71

Vokabulars vor allem in der Einleitung [3.1: L, Einführung 11–16] dürfte den antiken Zuständen wohl ebenfalls kaum gerecht werden. Die Vorstellung, diese Bildung lasse sich in detaillierten Fächerkanones beschreiben, wobei man einen Lehrplan Platons mit dem des Isokrates vergleichen könne [3.1: L, Einführung 12f.], ist so irreführend wie die Vorstellung vom Lehrplan selbst, in dem etwa Isokrates ,,politische Wissenschaft, mathematische und Naturwissenschaften, Geschichte, Literatur und Religion als Fächer zur Vorbereitung auf das Studium der Rhetorik“ zusammengestellt habe. Der Blick vor allem auf ,,neben der Familie sich herausbildende institutionalisierte Stufen von Erziehung, Bildung, Studium und beruflicher Ausbildung“ führt dann schnell zur Folgeannahme, Sklaven, Mädchen und Frauen seien in der Regel davon ausgeschlossen gewesen. Ausdrücklich distanziert sich von derartigen Ansätzen Y. L T [3.1: Introduction 13 u. 19], welcher Erziehung als Sozialisationsprozess versteht, der vor allem die Erschaffung des/der ,,productive and loyal citizen“ anstrebe. Im Zweifelsfall dürften griechische Erziehungsziele eher mit dem Begriff kalokagathía als mit der Vorstellung vom Universitätsabschluss zu umschreiben sein. Die ältere Forschung verbindet kalokagathía mit traditionellen athenischen Adelsidealen [so auch noch 4.1: S, Sexuality 16]; neuerdings wurde allerdings betont, das Konzept kalokagathía werde erst im späten 5. Jh. v. Chr. im Umkreis der Sophisten greifbar und habe erst im 4. Jh. v. Chr. die Bedeutung elitärer bürgerlicher Tugend erhalten [3.1: B, Kalos agathos]. M. G [3.1: Children 64] hat das Ziel der Schule in Athen treffend formuliert: ,,to produce citizens with the hoplite virtues of courage and self-control rather than to teach skills“.

kalokagathía

3.2 Geschlechtliche Zuordnung: Frühe Weichenstellungen Die Einschätzung antiker Quellenaussagen zu geschlechtlicher Uneindeutigkeit von Neugeborenen ist kontrovers: So meint etwa H. K [2.3: Geschlecht, medizinisch], die antike Medizin sei fasziniert gewesen von der Möglichkeit des Geschlechterwechsels, und L. T [2.3: Körpergeschichte 79] behauptet gar: ,,Androgynität war ein Zeichen von Ganzheitlichkeit, Vollkommenheit und Macht, die einst durch die Spaltung der Geschlechter auseinandergebrochen war“. L. B [2.1: Sexual Ambivalence] zufolge seien Hermaphroditen im wahren Leben als Monster angesehen worden, als böse Vorzeichen der Götter, die die Vernichtung des Menschengeschlechts anzeigen wollten. Die in der Ethnologie geläufige und naheliegende Frage nach der möglichen Vorstellung von einem Dritten Geschlecht [hierzu etwa 3.2: H, Third Sex] stellen weder L. B noch M. D [3.2: Hermaphrodite].

Hermaphroditen

72

Geburtenregistrierung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Kürzlich hat S. H [3.2: Transsexualität 20–34] griechischen Quellen ein Denkgerüst bescheinigt, das mit klaren dualen Geschlechtergrenzen hantiere. Das vom Vater durchgeführte Ritual der Amphidromia ist als Beginn der sozialen Existenz eines Kindes [3.2: D, Birth, Death 62], als mehrstufiges Reinigungsritual [3.2: B, Familie 29–35] oder aber auch als zeichenhafte Unterordnung der Frau im Oikos [7.1: S-I, Männlich und weiblich 113f.] interpretiert worden. Die Umstände der Registrierung männlicher und weiblicher Geburten außerhalb der Familie sind für Athen umstritten: Überwiegend wird angenommen, nur der Knabe sei den Phratrie-/Demengenossen des Vaters vorgestellt worden [3.1: G, Children 95; ähnlich 3.2: L, Phratries 178–188]. Die Vorstellung der Töchter muß keine generelle Praxis gewesen sein [3.2: D, Birth, Death 9]; C. SI [7.1: Männlich und weiblich 113f.] geht von einigen Töchtern aus, die eingetragen worden seien. Andere postulieren ein Sichtbarwerden der Töchter anlässlich ihrer Eheschließung: Zumindest Ehefrauen seien in die Phratrie der Ehemänner eingeführt worden [7.4: B, Recht und Ritus 12; 3.2: B Familie 32; 7.1: SI, Männlich und weiblich 113f.; differenziert hierzu 3.2: C, Social Function 236–238]. S. P [3.2: Women’s Identity 116f.] und E. H [4.3: Heirat 91] lehnen sowohl Vorstellung wie Eintrag der Töchter anlässlich der Heirat zumindest für das klassische Athen ab: Für eine respektable Frau hätte dies zu viel Öffentlichkeit hergestellt. Danach wäre die Tochter einer athenischen Familie, so sie nicht Erbtochter war, in der Phratrie ihres Vaters möglicherweise zu keinem Zeitpunkt offiziell wahrgenommen worden.

4. Sexualität, Ehe und Familie: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (I) 4.1 Die Einführung von Knaben und Mädchen in die Sexualität Die sexuellen mores der griechischen Kultur sind nicht erst seit M. F [4.1: Sexualität und Wahrheit] ein Thema der altertumswissenschaftlichen Literatur. Allerdings haben sie als wissenschaftlich anerkanntes Forschungsfeld erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. größere Aufmerksamkeit gefunden. Das größte Interesse zogen seit jeher die gleichgeschlechtlichen Beziehungen in der griechischen Welt auf

4. Sexualität, Ehe und Familie

73

sich. Seit den 1970er Jahren ist dieses Themenfeld vor allem infolge der Aufnahme von Foucaults Thesen durch Altertumswissenschaftler [4.1.1: H, Homosexuality] ins Zentrum hitziger Debatten gerückt, die noch andauern [4.1: L/M/P, Situating the History of Sexuality 3–41]. Die heterosexuellen Beziehungen zwischen griechischen Frauen und Männern wurden demgegenüber eher vernachlässigt. Die frühe, antiquarisch ausgerichtete Forschung beschränkte sich tendenziell auf die rechtliche Stellung der griechischen Ehefrauen. Erst die feministische Frauenforschung machte auch das weibliche Geschlechtsleben zum Thema [1: P, Frauenleben; 4.1: K, Phallus] und schuf die Voraussetzungen für den Blickwinkel der Gender Studies, welche die sexuellen mores als einen Teil des Geschlechterverhältnisses zu begreifen suchen. In diesem Zusammenhang stehen auch die Auseinandersetzungen zwischen Protagonisten der Frauenforschung und Vertretern der ,classical men’s studies‘, denen der Vorwurf gemacht wurde, sie hätten die Ergebnisse der feministischen Forschung verschwiegen und in der Nachfolge Fs den Schwerpunkt auf die männliche, vor allem homoerotische Sexualität gelegt. Damit seien die Frauen ein weiteres Mal an den Rand wissenschaftlichen Interesses geschoben worden [vgl. etwa 4.1: R, Zeus and Metis, 160–180; 4.1: T, Constructionism and Ancient Greek Sex 181–193]. M. B. S [4.1: Zeus and Leda 103–123] sprach gar von den ,,Sexuality Wars“ in den Altertumswissenschaften [hierzu auch 4.1: L/M/P, Rethinking Sexuality; 4.1: D, Homosexuality]. Nicht zuletzt hat wohl der verstärkte Schwerpunkt auf der männlichen Sexualität eine Entprivatisierung des Themas bewirkt und zu seiner aktuellen Beliebtheit beigetragen: Forschungen, welche die Sexualbeziehungen der Griechen als Machtbeziehungen verstanden, rückten sie in die Nähe anderer, politischer Machtbeziehungen und verliehen ihnen damit historische Bedeutung im traditionellen Sinne sowie verstärkte Akzeptanz innerhalb der stets stark auf politische Schwerpunkte setzenden historischen Zunft. Das derzeitige Forschungsinteresse und sein Durchschlagen auf die akademischen Lehrpläne vor allem im angelsächsischen Raum spiegelt sich wider in einer Reihe von Quellensammlungen [4.1.1: H, Homosexuality; 4.1: J/R, Sexuality] und Aufsatzsammlungen [4.1: G/T, Sex and Difference; 2.3: H, Before Sexuality; 4.1.1: H, Homosexuality; 4.1: MC, Sexuality and Gender] sowie einem Lexikon [4.1: Y, Sex] und einem voluminösen neueren Handbuch [4.1: S, Sexuality].

Forschungsfeld Sexualität

4.1.1 Päderastie und männliche Homoerotik

Herkunft und Entstehung der Päderastie in der griechischen Kultur sind umstritten. In der neuzeitlichen Forschung konkurrieren drei verschie-

Herkunftsthesen

74

Initiation

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

dene Erklärungsmodelle. Bereits im frühen 20. Jh. erklärte E. B [4.1.1: Knabenliebe 438–75] die Päderastie als einen indogermanischen Initiationsritus, der von den Doriern nach Griechenland gebracht worden sei. Dem widersprach z. B. H.-I. M [6.3: Erziehung 75f.], der die Päderastie im Umfeld einer kriegerischen Männerkameradschaft im ,,homerischen Zeitalter“ entstanden sah. Die Initiationsthese wurde von H. P [4.1.1: Knabenliebe 67ff., 115] erneut aufgegriffen. J. B [4.1.1: Enigmatic Indo-European Rite 279–98] und B. S [4.1.1: Homosexuality] sind ebenfalls der Meinung, päderastische Bräuche bei den Griechen ließen sich mit der Einführung der Knaben in die Welt der Männer in Verbindung bringen. Für das Initiationsmodell wurde mehrfach der ethnologische Vergleich als Methode bemüht, um Wissenslücken zu ergänzen – weit über den indogermanischen Bereich hinaus. Vor allem Bräuche aus Melanesien [4.1.1: B, Knabenliebe 463ff; 4.1.1: B, Enigmatic Indo-European Rite 290ff.; 4.1.1: P, Knabenliebe 69ff.; 74ff; 4.1.1: S, Homosexuality 57ff.; 3.2: B, Familie 64; 4.1: S, Sexuality 63] wurden herangezogen. Dort habe der Geschlechtsverkehr zwischen einem erwachsenen Mann und einem Knaben die Funktion, durch Übergabe von Samen dem Knaben Männlichkeit zu implantieren. Den Initiationsthesen ist gemeinsam, dass Päderastie jeweils als uralter Brauch gilt, bei dem es nicht um die eigennützige Befriedigung des älteren Partners geht und bei dem keine persönliche Neigung zum anderen Geschlecht im Sinne sexueller Orientierung im Zentrum steht. Es gehe vielmehr um das Überschreiten der Barriere zur Erwachsenengesellschaft, um den Erwerb von Männlichkeit. Im Laufe der Zeit, so wurde argumentiert, habe sich der initiatorische Aspekt der Päderastie in manchen Teilen Griechenlands verloren, ihr Beitrag zur Erschaffung des Bürgers lasse sich aber in ihrer Rolle beim Symposion der griechischen Männer noch erkennen [4.1.1: B, Adolescents 137 u. 142]. Das Symposion als der vorgesehene Ort, die ,,proper forms of self fashioning as an eliteadult male“ in homosozialem Kontext zu erlernen, stellt auch T. K. H [4.1.1: Pindar 263] heraus. Den Initiationstheorien widerspricht etwa D. C [4.1.1: Law, Sexuality 181 Anm. 24], der den Gegensatz zwischen jungen Melanesiern, die durch gleichgeschlechtlichen Verkehr zu Männern gemacht worden seien, und jungen Athenern betont, bei denen derartiges Verhalten sogar zum Verlust des Bürgerrechts hätte führen können. Das Fehlen päderastischer Beziehungen in den ältesten, den epischen Quellen bereitete bereits der Antike Kopfzerbrechen. Dies zeigt sich in der antiken, von K. J. D [4.1.1: Homosexualität 172– 174; ., Initiation 130f.] wieder aufgegriffenen Diskussion über das Verhältnis des Freundespaares Achilleus und Patroklos, auf welches sich spätarchaische und klassische Schemata der Päderastie nicht anwenden ließen [vgl. auch 4.1.1: H, Homosexuality 86f.]. E. C

4. Sexualität, Ehe und Familie

75

[4.1.1: C/L, Pederasty 11] hat allerdings jüngst wieder die Auffassung vertreten, bereits der homerische Dichter habe Achill und Patroklos als päderastisches Paar verstanden. Auf antike Quellen lässt sich die zweite, demographisch argumentierende Theorie zum Aufkommen der Päderastie in der griechischen Kultur zurückführen. Hatte bereits Platon die Kreter unter ihren ,Erfindern‘ genannt, so vertrat Aristoteles (pol. 1272a 24) die Meinung, Überbevölkerung habe die Kreter dazu gebracht, die Frauen unter Verschluss zu halten und homoerotische Verhaltensweisen als Ersatz zuzulassen. Ob päderastische Kontakte zur Bevölkerungsverminderung de facto gewünscht, nötig und erfolgreich waren, ist umstritten: M. B. S hat dem kretischen Beispiel des Aristoteles die faktische Historizität absprechen wollen [4.1: Sexuality 70; anders 4.1.1: P III, Pederasty 184]. E. C [4.1.1: Bisexuality 64–66; 4.1.1: ./L, Pederasty 18] geht offenbar vom Funktionieren dieser Methode zur Bevölkerungsbegrenzung aus: Homoerotische Beziehungen hätten wohl des öfteren über die gewünschte Altersspanne hinaus angedauert, so dass man im Peloponnesischen Krieg die Wehrkraft als demographisch bedroht gesehen und entsprechend Kritik an der Päderastie geübt hätte. Verlegten die Vertreter der Initiationstheorie den Beginn der Päderastie in graue Vorzeit, und setzte die These von deren demographischer Funktion den Beginn geduldeter homoerotischer Beziehungen in die archaische Zeit, so sah K. J. D [4.1.1: Initiation 131] von einer Bestimmung der Anfänge ab. Aus dem Fehlen einer Bezeugung im Epos und dem plötzlichen und massiven Auftauchen des Themas in der Symposionsliteratur schloss er, Homosexualität habe es in Griechenland zwar wohl immer gegeben, erst um 600 v. Chr. sei sie aber ein akzeptabler Teil gesellschaftlichen Verhaltens geworden – damit benennbar und beschreibbar. Die Texte würden das neue Phänomen einer ,,romantischen Päderastie“ bezeugen. D konnte allerdings seinerseits auch keine Erklärung dafür liefern, weshalb die Knabenliebe ausgerechnet zum genannten Zeitpunkt gesellschaftliche Bedeutsamkeit erlangte. Entsprechend kritisiert P. M [4.2: Sexualität 127f.] hier das argumentum e silentio. T. F. S [4.1.1: Eros 212 u. 328] hat als Lösungsmöglichkeit eine Kombination aus erhöhter Statusrivalität und ästhetischer Bewunderung des männlichen Körpers in der griechischen Gesellschaft vom 8.–6. Jh. v. Chr. vorgeschlagen und einen Prozess der Erotisierung der Athletik postuliert. Das Wettbewerbsverhalten habe sich vor allem in den Bereichen des Sports und eben der Päderastie niedergeschlagen, die Akzeptanz beider Bereiche sei die Folge gewesen [ähnlich argumentiert auch 4.1.1: B, Adolescents 143; das Wettbewerbsmoment betonen auch 4.1.1: C, Law, Sexuality 186, und 4.1.1: H, Pindar 283–289]. Auch diese Erklärung hat keine breite Akzeptanz gefunden. M. B. S [4.1: Sexuality 70] hat sie etwa als sekundär und nicht

Herkunftsthesen/ Demographie

Herkunftsthesen/ „Out of the Closet“

76

Päderastie/Quellen

Sexualität als Machtbeziehung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

die Wurzel der sozial anerkannten Päderastie erklärend abgelehnt. Sie macht die Lückenhaftigkeit des Quellenbestands für die Schwierigkeiten der Forschung verantwortlich, welche zwar eine Veränderung im 7./6. Jh. v. Chr. konstatieren, sie aber bisher nicht erklären könne. Nicht nur die Herkunft der Päderastie in der griechischen Gesellschaft, sondern fast alle Elemente des etwa von A. W [4.1.1: Symposion und Knabenliebe 18f.] in aller Kürze wiedergegebenen ,Modells‘ sind umstritten. Ein Grund hierfür ist die spezifische Problematik der Quellenlage. Zentrale Aussagen zum Charakter der griechischen Päderastie wurden auf der Basis der schwarz- und rotfigurigen Vasenbilder, gern ergänzt durch Aussagen Platons, getroffen [4.1.1: D, Homosexualität 104ff.]. Vasenbilder als Abbilder des realen Lebens, gar des Alltagslebens zu interpretieren, ist von archäologischer Seite in den letzten Jahren zunehmend kritisch betrachtet worden [7.1: S, Räume 87f., vgl. auch 4.1: D, Homosexuality 44]. Kürzlich haben E. C und A. L [4.1.1: Pederasty] die keramische Materialbasis auf breiterer Basis als bisher analysiert und die Unterschiede in der Darstellung der Päderastie in schriftlichen und keramischen Quellen herausgestellt. Aus Sparta, in der Antike als eine Hochburg der Knabenliebe angesehen, sind für dieses Thema keine Quellen überliefert. Die Rekonstruktion spartanischer Normen gestaltet sich entsprechend schwierig [4.1.1: C, Spartan Pederasty 22]. Bei der Interpretation sexueller Verhaltensweisen in Griechenland ist derzeit das so genannte Penetrationsmodell, welches die Kategorien Dominanz und Unterwerfung in den Vordergrund stellt, weit verbreitet. Hierbei wird streng unterschieden zwischen aktivem und passivem Partner; das Geschlecht des ,unterlegenen‘ Partners ist hierbei unwichtig [4.1.1: P, Heterosexual 314ff.]. In einer päderastischen Verbindung wird der aktive Part als Ausübung überlegener Macht verstanden, aus der der aktive Partner zusätzliche Befriedigung auf Kosten des passiven, unterlegenen Partners erfährt [4.1.1: D, Homosexualität 98]. Aktiv und passiv als entscheidende Kriterien griechischer Sexualität gehen zurück auf das klassisch gewordene Werk von K. J. D [4.1.1: Homosexualität 94–101; vgl. auch 4.1.1: D, Greek Attitudes], der so die griechische Päderastie als ,,homosexuelles Verhalten“ beschrieb und von moderner Homosexualität abgrenzte. Ds Thesen wurden aufgegriffen von M. F [4.1: Gebrauch der Lüste], welcher sexuelle Beziehungen als diskursive Praktiken charakterisierte, durch welche soziale Machtbeziehungen befestigt würden. Er stellte für das Männlichkeitsideal im antiken Griechenland, v.a. in Athen, die Kriterien aktiv und passiv erneut heraus und verband sie mit der Verpflichtung des Bürgers zur Selbstbeherrschung. Die Verbindung von Ds und Fs Thesen hat sich als enorm einflussreich erwiesen [hierzu etwa 4.1: D, Homosexuality]. Verbreitung in überspitzter Form fanden

4. Sexualität, Ehe und Familie

77

sie etwa bei D. H [4.1.1: Democratic Body 100–102], welcher der athenischen Demokratie ,,extraordinary phallicism“ bescheinigte und für den das Penetrieren (im Gegensatz zum penetriert-Werden) den Bürger konstituierte, der Herr über seinen eigenen Körper war. In der Folgezeit wurde allerdings die D-Fsche Konstruktion der griechischen Sexualität kontrovers diskutiert. F. I. Z [4.4: Reflections 53] hat vor Missverständnissen gewarnt ,,if the focus is too narrow or the ideological agenda too pervasive“. Vor allem aus den Reihen der feministisch orientierten Altertumsforscher kam berechtigte Kritik: L. F [4.1.1: Pandora Unbound 122–137] und A. R [4.1.1: Foucault’s History of Sexuality 138–170] stellten etwa fest, F höre nur die männlichen Stimmen in den griechischen Quellen und nehme dieselben zum Nennwert. P. DB [4.1.1: Sowing 2] wandte ein, F bleibe in der Welt Platons befangen, in welcher das einzelne, männliche, rationale und disziplinierte Selbst mit dem Subjekt der Geschichte identisch sei. D. B. MG [4.1.1: Platonic Love 204–227] sowie D. C und R. S [4.1.1: Foucault 35ff.] kritisierten die enge Quellenbasis und die Quellenarbeit Fs, welche den Kontext vieler Quellen vernachlässige. Was die Fixierung auf den Phallos und die Penetration angeht, so ist kürzlich M. B. S [4.1: Sexuality 214] zu dem Schluss gekommen, eine solche sei wesentlich stärker in der römischen Kultur wahrnehmbar als bei den Griechen. N. L [2.1: Tiresias] hat Foucault bescheinigt, die sexuellen mores der Griechen nach dem Prinzip des Isomorphismus konstruiert zu haben: Er habe eine strukturelle Gleichartigkeit zwischen sozialen Beziehungen und sexuellen Verhaltensweisen postuliert und hierbei unberechtigterweise den Gegensatz aktiv-passiv als höherwertig veranschlagt als den ihrer Meinung nach die griechische Gesellschaft vorwiegend prägenden Kontrast von männlich und weiblich. J. N. D [4.2: Kurtisanen 201] hat ebenfalls durchaus überzeugend festgestellt, für Penetration hätten die Griechen keine Punkte vergeben. Zahlreiche Quellen würden auch den Penetrierenden negative Wertigkeit zuschreiben [4.1: D, Homosexuality 29f.]. Jedes einzelne der lange für typisch gehaltenen Elemente päderastischer Beziehungen in Griechenland ist in den letzten Jahren kontrovers diskutiert worden: Dies beginnt mit dem Dogma vom unterschiedlichen Alter der Partner [vertreten etwa von 4.1.1: H, Homosexuality 20–21]. T. K. H [4.1.1: Pindar 273; 4.1.1: ., Homosexuality 5; ähnlich auch 4.4: R, Ehe, Hetärentum 167] hat auf der Basis vor allem bildlicher Darstellungen betont, der Altersunterschied sei bei den homoerotischen Paaren oft nur gering gewesen. H [4.1.1: Homosexuality 11] schlussfolgert hieraus, bei fast gleichaltrigen Partnern schwäche sich das Argument von stark hierarchisch strukturierten Beziehungen und von der Opferrolle des jüngeren Partners zwangsläufig ab.

Alter päderastischer Partner

78 Sexualtechnik

Passivität und Erniedrigung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Auch der Zusammenhang zwischen Beziehungshierarchie und Sexualtechnik ist umstritten. Zum einen ist aus dem erhaltenen Quellenmaterial nur schwer belegbar, welche Formen die körperliche Beziehung zwischen päderastischen Partnern jeweils angenommen hat. So bilden die Vasenbilder Analverkehr nur ausnahmsweise ab. Entsprechend ist in der Forschung weithin angenommen worden, dieser sei verpönt gewesen, vielmehr sei aufrechter Schenkelverkehr die für die griechische Gesellschaft typische Form päderastischen Kontakts, die aber erlaubtermaßen stattgefunden habe [4.1.1: D, Homosexualität 92f.; 2.3: T, Körpergeschichte 80; 4.2: S, Hetären 42; kürzlich erneut 4.1.1: C/L, Pederasty 190]. D. C [4.1.1: Law, Sexuality 177ff.] vertrat die Ansicht, einen Knaben ,,wie eine Frau zu gebrauchen“, sei in Athen von dessen Familie unter der Anklage der Hybris verfolgbar gewesen. M. B. S [4.1: Sexuality 124] stellte fest, die Sprachregelungen der antiken Quellen seien trügerisch, da sie die körperliche Seite zugunsten der moralischen Überlegenheit der Beteiligten übergehen würden. Hierin folgte sie D [4.1.1: Greek Attitudes 67], welcher Nichterwähnung und Euphemismus in den Quellen als heuchlerisches Verschweigen einer Wahrheit interpretiert hatte, die es zu enthüllen gälte [hierzu 4.1: D, Homosexuality 38f.]. E. C und A. L [4.1.1: Pederasty 190] schlussfolgerten ähnlich: die höchst seltene Darstellung analer Penetration belege nicht, dass es sie nicht gegeben habe. Zum Problem der Sexualpraktik, Schenkel- oder Analverkehr, äußerten sich kritisch auch D [4.1: Homosexuality 12, 20 u. 26] und M. K [4.1.1: Painters 44f.]. J. N. D hält hierbei nicht die Sexualtechnik, sondern den Verdacht der Käuflichkeit für das Hauptproblem eines athenischen Knabens. Herausgefordert worden ist auch der Aspekt des Penetrationsmodells, die Rollenverteilung gehe stets auf Kosten des passiven Partners und die passive Rolle sei stets mit Erniedrigung verbunden. D. C [4.1.1: Law, Sexuality 187 u. 195] sah in der Übernahme der passiven Rolle eine negativ konnotierte Feminisierung des Knaben. S. C [4.1.1: Sanctions 99] hat die Strafbarkeit der Erniedrigungsabsicht in Athen betont, welche als Hybris von jedem Bürger habe angezeigt werden können. Der erastés solle durch tugendhafte Bewunderung angetrieben sein, nicht durch die Möglichkeit Gewaltphantasien auszuleben [4.1: S, Sexuality 116]. N. L [2.1: Tiresias 16f.] hat zu Recht betont, die starre Scheidung in aktiv und passiv erfasse nicht alle Facetten der griechischen Gesellschaftsgliederung: eine der Definitionen des Bürgers sei es nämlich, im Kriegsfall sowohl Kommandierter als auch Kommandeur sein zu können, folglich zwischen aktiver und passiver Rolle zu wechseln, ohne dass dies eine Feminisierung zur Folge habe. D. L [2.1: Initiatory Transvestism 154] hat gegen die These Cs von der Feminisierung des Knaben durch Analverkehr ins Feld geführt, in Kreta und Sparta habe die Päd-

4. Sexualität, Ehe und Familie

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erastie deutlich den Zweck, den Knaben zu maskulinisieren, und auch für Athen lasse sich die Vorstellung zeigen, päderastische Beziehungen machten Knaben männlicher. Im Gegensatz zu C betonte auch T. K. H [4.1.1: Homosexuality 12; s. auch 4.1.1: C, Pederasty 9] die Bedeutung päderastischer Beziehungen für die Erziehung des jüngeren Partners, für die bürgerliche Ertüchtigung und das Funktionieren der Schlachtreihe. Letztere Funktion wird vor allem für Sparta angenommen [4.1.1: C, Spartan Pederasty 26]. J. N. D [4.2: Kurtisanen 203] hat schließlich gar die stabile Definition von Aktivität und Passivität in päderastischen Beziehungen in Frage gestellt und T. K. H [4.1.1: Pindar 289–90] die Macht der Knaben im Wettbewerb des Umwerbens als wichtigen Faktor beurteilt. Für die Gültigkeit des Penetrationsmodells in Griechenland wird gern auch das Argument von der einseitigen Befriedigung lediglich des älteren Partners herangezogen. Die Vorstellung, der jüngere Partner habe keine Lust empfunden bzw. empfinden dürfen, wurde von K. J. D [4.1.1: Homosexualitat 52f.] auf der Basis der Vasenbilder entwickelt. Obwohl D auch Ausnahmen im Materialcorpus anführte, fand die Kernthese als angebliches Faktum den Weg in Einführungen und Handbücher [s. etwa 4.1: S, Sexuality 272, der zufolge dem Jüngeren die Lust verwehrt worden sei, damit er sich nicht an die passive Rolle gewöhne]. Auch aus den schriftlichen Quellen hat man auf einseitiges Begehren geschlossen. In päderastischer Dichtung sei stets von der Liebe des Mannes zum Knaben die Rede, niemals umgekehrt [4.2: S, Hetären 42]. Gegen die ,romantische‘ Einseitigkeit sprach sich aus K.  V [4.1.1: The ,Frigid Eromenoi’ 14–24], der diejenigen Vasenbilder hervorhob, auf welchen der jüngere Partner sich nicht teilnahmslos zeigt. M. B. S [4.1: Sexuality 91] argumentiert dagegen, vereinzelte Ausnahmen (in der Vasenmalerei) zeigten nicht die Ungültigkeit einer Regel, sondern könnten auch provozierende Übertretungen einer solchen durch die Vasenmaler sein [zustimmend 4.1.1: K, Painters 44f., 4.1.1: H, Pindar 273, 4.1.1: C, Pederasty 9, und 4.1.1: V, Il mostro e il sapiente 197–223, welcher in der These vom frigiden Knaben einen Versuch sieht, griechische Päderastie für moderne Maßstäbe erträglicher zu machen]. Den Erfolg der These von der Lustlosigkeit des passiven Partners hat J. N. D [4.2: Kurtisanen 204] mit viktorianischen Vorstellungen verbunden, welche allen ,,penetrierten Körpern die Rolle von Lustobjekten, die selbst keine Lust empfinden“, zugeschrieben hätten. Schließlich gilt weithin als typisch für die griechische Päderastie die zeitliche Begrenzung der Beziehung, die für den erómenos vom 12. bis etwa zum 17. Lebensjahr dauern sollte. Ob die Rolle des erastés mit dessen Eheschließung endete, ist umstritten [bejaht etwa bei 4.3: S, Haus und Familie 27; skeptisch 4.1.1: C, Pederasty 4, mit Gegenbeispielen]. Auch R [4.4: Ehe, Hetärentum 169] nimmt für den

Einseitige Befriedigung?

Zeitliche Begrenzung

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Politische Funktion

Antike Päderastiekritik

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

erastés ,,keine Altersgrenze“ an. Für Sparta deuten die Quellen auf ein längeres Andauern päderastischer Beziehungen, möglicherweise bis ins 30. Lebensjahr des erómenos (Plut. Lykurgos 25,1); hier scheint der erastés die Rolle eines Ersatzvaters übernommen zu haben [4.1.1: C, Spartan Pederasty 22]. Die Auswirkungen von Päderastie auf die Politik spielten im Rahmen antiker Diskurse eine wichtige Rolle. Spätestens in der Nachfolge des päderastischen Paars Harmodios und Aristogeiton, welche in Athen den Tyrannen Hipparchos getötet hatten, charakterisierten Befürworter die Päderastie im 5. Jh. v. Chr. als förderlich für den Erwerb patriotischer Einstellungen und als Ausweis antityrannischer Gesinnung [4.1: S, Sexuality 117] und verstärkter Kampfkraft (Plat. symp. 178c). Entsprechend, so die Aussage Platons (symp. 182b–c), hätten Tyrannen und Barbaren an den Rändern der griechischen Welt keine Päderastie dulden können, da sie die politische Wirksamkeit solcher Freundschaften fürchten mussten. M. B. S [4.1: Sexuality 120] sah Päderastiekritik vor allem mit Klassenkonflikten in Athen verbunden. Auch J. H [4.1.1: Maculate Muse 216–18], T. K. H [4.1.1: Homosexuality 8] und K. J. D [4.1.1: Homosexualität 127] interpretierten sie als eine Form von Oberschichtkritik: Von erfolgreicher Vernetzung der Oberschicht (Plat. symp. 183c; Phaidr. 231 d–e) war es nur ein kleiner Schritt zum Vorwurf seitens des antioligarchisch gesinnten Demos, hier werde Korruption und Prostitution betrieben. Homosexuelle Prostitution (dies wird aus den Gerichtsreden des 4. Jh. v. Chr. deutlich) führte im demokratischen Athen zum Verlust der Bürgerrechte: Wer seinen Körper verkaufte, würde sich wohl auch in Belangen des Staates käuflich zeigen [4.1.1: H, Democratic Body 98; 4.2: D, Kurtisanen 288f.; 7.1: S, Sexual Bodybuilding 160f.]. Nachdem politische Netzwerke am Ende der klassischen Zeit an Bedeutung verloren hatten, sei auch die Bedeutung der Päderastie zurückgegangen [vgl. auch 4.1.1: C/L, Pederasty 189, welche das Verschwinden päderastischer Szenen in der Keramik im 4. Jh. v. Chr. feststellen]. Im Hellenismus, so M. B. S [4.1: Sexuality 190f.], gebe es zwar durchaus päderastisch ausgerichtete Genres wie z. B. die Dichtung des Kallimachos; insgesamt sei in dieser Epoche aber eine stärker heterosexuelle Ausrichtung zu beobachten. D. C [4.1.1: Law, Sexuality 201f.] betont, Athen sei nicht durch eine einzige verbindliche Haltung zur Knabenliebe geprägt gewesen; Normen und Praktiken erschienen widersprüchlich und ihrerseits als Ausdruck von Widersprüchen und Ängsten, welche sich im Muster einer komplexen Kultur ergäben. Diese solle man nicht um eines ,,neatly coherent . . . system“ willen wegrationalisieren.

4. Sexualität, Ehe und Familie

81

4.1.2 Homoerotische Beziehungen von Mädchen

Die Frage nach homoerotischen Beziehungen griechischer Mädchen hat den Weg in die Handbücher nicht in gleicher Weise gefunden – wohl nicht zuletzt in Folge der von F geprägten Fragestellungen und des von ihm verwendeten begrenzten Quellenmaterials [so 4.1.2: R, Introduction 1ff., 24 Anm. 3]. So wird das Thema etwa bei L. T [2.3: Körpergeschichte 75] nicht erwähnt. Ob griechenlandweit auch die jungen Mädchen an homoerotischen Beziehungsnetzen beteiligt waren und, wenn ja, wie diese ausgesehen haben, ist kontrovers diskutiert worden. G. F [4.3: Figures 165] betonte das Fehlen derartiger Beziehungen im Mythos, S. B [4.1.2: Baiser de Kallisto 33–50] hat jedoch kürzlich das Verhältnis der Heroine Kallisto zur Göttin Artemis als Beweis für eine eher positive Einstellung zur weiblichen Homoerotik in der griechischen Kultur sehen wollen. Mitunter als Belege herangezogene Vasenbilder [so etwa von 4.1.2: R, Women’s Eroticism 106–116] erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht eindeutig [skeptisch 7.1: S, Räume 93; zuversichtlicher 4.1.2: H, Homosexuality 17]. Die Frage, ob Sappho eine ,,Lesbierin“ gewesen ist, wird seit der Antike diskutiert [4.1.2: G, Sappho 145–161]. Das sapphische Gedichtcorpus ist allerdings nur verstümmelt erhalten, und der Kontext der Gedichte Sapphos ist völlig unbekannt. Sappho wurde gern als Lehrerin dargestellt, welche einer Art Mädchenschule auf Lesbos vorgestanden habe [4.1.2: W-M, Literatur 41; 7.2: W, Frauen- und Mädchenbildung 61]. Dem hat H. N. P [4.1.2: Sappho Schoolmistress 309–351] entgegengehalten, das Bild von Sappho als Vorsteherin eines Internates sei von Wilamowitz nach dem Vorbild der in Deutschland seit dem 19. Jh. üblichen Mädchenpensionate entwickelt worden. Eine andere beliebte These kontextualisierte Sappho und ihre Mädchen im religiösen Bereich und bezeichnete die Gruppe als Thiasos [4.1.2: M, Sappho und ihr Kreis 1–29; ,Thiasos‘ oder ,Schule‘ als Bezeichnungen noch bei 4.3: F, Figures 165]. Jedoch finden sich auch für einen solchen privaten Kultverein keine Belege, weder in Sapphos Texten, die die Gruppe nie selbst ,bezeichnen‘, noch bei anderen antiken Autoren [4.1: S, Sexuality 75]. Die schwierige Verortung der Gruppe zwischen Öffentlichkeit und Privatheit problematisiert M. G [7.2: Public and Private 47]. So spricht die neuere Forschung in neutraler Formulierung von Sapphos ,Mädchenkreis‘ [4.4: H, Frauen 27; 4.1.2: G, Sappho 149]. Interessant erscheint der Vorschlag H. N. Ps [4.1.2: Sappho Schoolmistress 341–6], Sapphos Gedichte mit weiblichen Symposien in Verbindung zu bringen. J. B. B [7.1: Women´s Commensality 150–154] hat für spätere Epochen der griechischen Geschichte Belege für gemeinschaftliches weibliches Essen und Trinken zusammengestellt. In diesem Fall, so P, seien

Sappho

82

Alkman

Sparta

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

die Adressatinnen der Gedichte erwachsene Frauen (und nicht junge Mädchen). Entsprechend ist vorgeschlagen worden, die Gruppe analog den Männerbünden beim Symposion als weibliche hetaireía zu bezeichnen. Sappho nähme dann eine ähnliche Rolle ein wie ihre männlichen Dichterkollegen beim Symposion [4.4: H, Frauen 30]. Nicht nur der Kontext, sondern auch die Aussagekraft der Sapphischen Gedichte als Belege weiblicher Homoerotik wurde kontrovers diskutiert: Die heterosexuelle Ausrichtung erhaltener ,,Hochzeitslieder“ betonte etwa J. L [4.1.2: Realität und Imagination 76]; ihm widersprachen R. G [Sappho 155] und K. J. D [4.1.2: Homosexuality 157]. Die ,,Lesbierin“ Sappho wurde von manchen als eine sekundäre Schöpfung später Autoren wie z. B. Ovid gesehen [vgl. 4.1.2: L, Lesbian Sappho 15–35; 4.1.2: G, The Lover’s Voice 274–291]. Die homoerotischen Komponenten der sapphischen Gedichte betonen dagegen K. J. D [4.1.2: Homosexualität 154ff.], M. R. L [4.1.2: Heroines 59–68], J. J. W [4.1.2: Eros 273f.] sowie C. C [4.4: Eros 121]. H. N. P [4.1.2: Sappho Schoolmistress] hat allerdings grundsätzlich zu bedenken gegeben, dass antike Autoren das Verhältnis von Sappho und ihren Gefährtinnen im Rückblick analog zu den Schemata der Knabenliebe nachgestaltet haben könnten. E. H [4.4: Frauen 30ff.] hat den Hintergrund der sapphischen Gedichte kürzlich als ,,Mischung aus Erziehungsauftrag und sozialer Bindung“ charakterisiert. Sie denkt an homoerotische Beziehungen zur ,,Lehrerin“ Sappho und innerhalb des Mädchenkreises. Feste Paarbeziehungen würden allerdings im Unterschied zur männlichen Päderastie nicht deutlich. C. C [7.2: Choruses 253ff.] zog neben Sappho vor allem die Chorlieder Alkmans als Beleg für homoerotische Beziehungen unter Frauen heran, welche er als Vorbereitung auf die Hochzeit sehen wollte. A. L [4.1.2: Keening Sappho 91] hat sowohl für die Dichtungen Alkmans als auch Sapphos die Beschreibungen einer allgemeinen erotischen Anziehungskraft z. T. namentlich genannter heiratsfähiger junger Mädchen herausgestellt, welche eher die Funktion öffentlichen Lobs gehabt hätten, als dass sie persönliche Liebeserklärungen von Frau zu Frau gewesen seien. Auch B. G [7.3: Citizen Bacchae 89] und ähnlich C. C [4.1.2: Body in Alcman’s Partheneion 143–72] möchten hier die Internalisierung des ,männlichen Blicks‘ durch die weiblichen Chormitglieder erkennen, betonen also die heterosexuelle Komponente des in den Chorliedern ausgedrückten Verlangens. Dass in Sparta weibliche Päderastie in organisierter Form existierte, wird weithin für möglich gehalten [4.1.2:D, Homosexualität 153; 4.1.2: F, Spartan Women 58f.; als Faktum bei 4.1.1: S, Eros 326; 4.1.2: S, Haus und Familie 48]. C. C hat seine These initiatorischer Homoerotik besonders für Sparta vertreten [7.2: Choruses 253ff.]. Allerdings sind die Unterschiede zwischen

4. Sexualität, Ehe und Familie

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Knaben- und Mädchenerziehung in der spartanischen Agoge betont worden: Mädchen wuchsen im Elternhaus unter Aufsicht der Mutter auf und bedurften zur Sozialisierung folglich nicht – wie die aus dem Familienverband herausgerissenen Knaben, denen der Liebhaber auch als Ersatzvater diente – einer Liebhaberin, welche die fehlende Mutter substituiert hätte [4.1.2: P, Spartan Women 4; 4.1: S, Sexuality 72]. Entsprechend skeptisch gegen weibliche Päderastie in Sparta äußert sich L. T [4.1.2: Spartanische Frauen 136 Anm. 35]. 4.2 Voreheliche heterosexuelle Beziehungen Voreheliche Keuschheit griechischer Mädchen findet sich bereits im homerischen Epos (Hom. Od. 6.286–288) positiv konnotiert [vgl. 4.2: M, Sexualität 41]. Diese Haltung zieht sich konstant durch die antiken Quellentexte. Ein Solon zugeschriebenes Gesetz erlaubte es einem Athener Vater, die Tochter, die er mit einem Liebhaber antraf, in die Sklaverei zu verkaufen – eine vergleichsweise sehr strenge Strafe. S. P [1: Frauenleben 128] betont allerdings, historische Fälle hierfür seien nicht bekannt. E. C [4.2: Moicheia 289–296; ähnlich 4.4: S, Nomos Moicheias 124ff.] hat die rechtliche Gleichsetzung von vorehelichem Geschlechtsverkehr mit unverheirateten freien Mädchen und Ehebruch in Athen betont, D. C [4.1.1: Law, Sexuality 99–109] hingegen das erstere als minder schweres Vergehen eingeordnet. Voreheliche Keuschheit war keine Forderung an die jungen Männer in Athen. L. K [4.2.: Hetaira 106–150] ist von der weitverbreiteten Definition der ,hochklassigen‘ Hetäre im Gegensatz zur ,gemeinen‘ Prostituierten (porné) abgewichen. Für sie liegt der Unterschied vor allem in der Begrifflichkeit: Bei der Verwendung der Bezeichnung hetaíra handle es sich um eine euphemistische Angleichung der betreffenden Frau an die Welt ihres adligen Gefährten, seinerseits Mitglied der männlichen Hetairie im Diskurs der Symposionslyrik. E. H [4.3: Heirat 145, 156] und neuerdings W. S [4.2: Hetären 45] haben das gleichzeitige Aufkommen von Hetärenwesen und Päderastie im Rahmen des Symposions betont, wobei möglicherweise auch hier eher von einem Sichtbarwerden als von Entstehung gesprochen werden muss. I. P [4.2: Hetäre 362f.] hat diese neue Sichtbarkeit mit einem gleichzeitigen Verschwinden der ,anständigen‘ Frauen aus dem Fokus der Öffentlichkeit in Verbindung gebracht. Die schriftlichen Quellen zu den Hetären stammen überwiegend aus relativ später Zeit: M. B. S [4.1: Sexuality 165] spricht vom fiktiven Stereotyp der Hetäre im Hellenismus. Literarische Selbstzeugnisse der beteiligten Frauen sind nicht erhalten, Texte wie z. B. Lukians ,Hetärengespräche‘ spiegeln zunächst einmal die Haltung eines kaiserzeitlichen männlichen Autors, welcher nicht einmal

Hetären

Quellenproblem

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Vasenbilder

Geachtete Hetären?

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

aus dem griechischen Mutterland stammte. Vor derartigem Hintergrund erscheint die These, Hetären hätten ,,Lust“ gehabt ,,an diesem Leben“, eine Frau habe schon Vergnügen daran haben müssen ,,um anziehend zu wirken“, hoch problematisch [so 4.2: S, Hetären 137 u.ö.]. Auch bei den bildlichen Quellen, überwiegend attischen Vasenbildern aus dem 6./5. Jh. v. Chr., stellt sich die Frage nach dem Realitätsbezug der zum Teil sehr drastischen Darstellungen von Hetären beim Symposion. Hier gehen die Meinungen auseinander: E. C. K [4.1: Phallus 182] sah die Vasenbilder als Beweis für die Neigung der Athener zu sexueller Gewalt beim Symposion. Das Symposion als ,Massenorgie‘ findet sich auch bei C. R [4.4: Ehe, Hetärentum 99; ähnlich 4.2: S, Hetären]. Deutlich skeptischer äußert sich E. H [4.3: Heirat 155 u. 164], welche die Bilder eher als stimulierende Pornographie beurteilt und an anderer Stelle [4.2: Frauen 101] formuliert, grundsätzlich habe außerehelicher Verkehr mit Hetären ,,im Kontext der Symposien nicht als anstößig“ gegolten. Ob es aber während des Symposions zu sexuellem Verkehr mit Hetären gekommen ist, sei zweifelhaft. M. B. S [4.1: Sexuality 104] und A. S [4.2: Art, Desire 165] möchten den Sinn der Darstellungen in der visuellen Demonstration ,,von Geschlechts- und Klassenüberlegenheit“ erkennen, welche den Zusammenhalt der männlichen Teilnehmergruppe beim Symposion durch Vermittlung der dort wichtigen Werte habe befördern sollen. Diskutiert wird außerdem der soziale Status der Hetären. Ausgehend von der Aussage des Redners Apollodoros (Ps.Demosth. or. 59,122), man habe die Ehefrauen zum Gebären ehelicher Kinder, die Hetären aber zum Vergnügen, wurde zum einen die strenge Trennung von Ehefrauen und Hetären postuliert [4.1: K, Phallus, 204–208; anders 4.2: D, Kurtisanen 96], zum anderen jedoch die Stellung der Hetären gegenüber den Ehefrauen stark aufgewertet. Vor allem die ältere Forschung [vgl. dazu 4.2: V, Mousike Gyne 34] konstruierte das Hetärentum analog neuzeitlichen Phänomenen als Halbwelt gebildeter Kurtisanen. Die sexuelle Komponente wurde hierbei tendenziell heruntergespielt und die Hetäre als die einzige Frau beschrieben, bei welcher der athenische Mann Erholung von seiner tumben, ungebildeten, im Frauengemach eingesperrten Ehefrau habe finden können. Diese Charakterisierungen wirken bis in jüngere Zeit nach [so etwa 7.2: W, Frauen- und Mädchenbildung 66]. Auch D. G [4.2: Sexual Culture 121–124 u. 143–149] hat einen freiheitlichen Lebensstil der Hetären betont. Noch in allerjüngster Zeit vertrat W. S [4.2: Hetären 123] die Meinung, den Hetären sei gesellschaftliche Achtung entgegengebracht worden, antike Männer hätten ihre ,,seelische Dimension“ nur in einer Beziehung zu Hetären wahrhaft ausleben können und lediglich Hetären hätten unter griechischen Frauen so etwas wie ein Gefühlsleben gehabt. Demgegenüber ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Liebesleben junger Bräute

4. Sexualität, Ehe und Familie

85

oder Ehefrauen in der griechischen Gesellschaft insgesamt nicht Thema öffentlicher Äußerungen gewesen ist. Ihnen deshalb jegliches Gefühl abzusprechen, gar mit S die Schlussfolgerung zu ziehen, ,,die Frauen und Ehefrauen waren Objekt in ihrem Verhältnis zum anderen Geschlecht, die Hetären Subjekt“, kann nicht überzeugen. Sowohl die Glorifizierung der Bildung der Hetären als auch ihre angebliche Eigenständigkeit sind in der neueren Forschung relativiert worden. L. MC [4.2: Courtesans at Table] hat etwa darauf hingewiesen, dass von Hetären nicht breite oder gar philosophische Bildung verlangt worden sei, sondern eher Witz und Schlagfertigkeit beim Symposion. Der Umkehrschluss, wenn Hetären gebildet seien, dann müssten alle gebildeten Frauen Hetären gewesen sein, setzt sich bis in die neueste Literatur fort, wenn etwa bei der geschlechtsspezifischen Zusammensetzung einzelner Philosophengruppen die Vermutung geäußert wird, bei weiblichen Mitgliedern habe es sich wohl fast ausschließlich um Hetären gehandelt [so 4.1: S, Sexuality 164; anders und überzeugend 4.2: V, Mousike Gyne 31–34]. Will man die Eigenständigkeit der Hetären prüfen und ihr soziales Geachtetsein analysieren, so erscheint die Feststellung ihrer sozialen Herkunft entscheidend. Ob Frauen aus bürgerlichen Familien Hetären werden konnten, ist ein ungeklärtes Problem. E. H [4.4: Frauen 99] und C. R [4.4: Ehe, Hetärentum 151] gehen von freien Metökinnen, also ansässigen Frauen aus Familien ohne Bürgerrecht aus. Darüber hinaus ist aber auch von Sklavinnen die Rede – ein berühmtes Beispiel ist der Fall der Neaira, welcher durch zeitgenössische Quellen bezeugt ist [4.2: H, Neaira]. L. T [2.3: Körpergeschichte 77] hält einerseits den Hetärenstatus für Bürgerinnen für ,,kaum akzeptabel. . . , da sie ein festes Eheverhältnis einzugehen hatten“, postuliert aber außerdem, man habe letztlich auch von älteren Hetären ein festes Eheverhältnis erwartet. Das erwähnte Beispiel der Neaira zeigt hingegen deutlich, dass es im klassischen Athen für Hetären aus nichtbürgerlichen Familien bei Strafe der Versklavung oder Verbannung verboten war, eine rechtsgültige Ehe mit einem Bürger einzugehen und etwa Kinder aus einer solchen Verbindung als Bürgerkinder ,,unterzuschieben“ [4.2: H, Neaira; 4.4.: H, Frauen 100; 4.3: ., Heirat 85]. C. C [4.4: Eros 115] hat den Hetären einen Status changierend zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit zusprechen wollen. Die angeführten Argumente der Möglichkeit eigenen Eigentums sowie einer öffentlichen Präsenz, da man in Männerversammlungen über sie rede, sind jedoch wohl eher sekundäre Folgen, welche sich vor allem aus fehlendem Familienrückhalt ergeben haben, und nicht Beweis eines männlichen (im Sinne von positiverem) Status. Ein besonderer Rechtsstatus für Hetären existierte nicht. In Sparta spielten Hetären kaum eine Rolle; voreheliche Beziehungen waren eher homoerotischen Charakters. E. G. M [4.2: Atheni-

Gebildete Hetären?

Voreheliche Beziehungen Sparta

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II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

an Ideology 346ff. u. 373] relativiert die Vorstellung von der Freizügigkeit der jungen Spartanerinnen. Sie betont die Rolle der überwiegend athenischen Quellen, welche den Gegner Sparta mittels einer ,,fully inverted sexual hierarchy“ zur Antithese von Athen stilisiert hätten. W. S [4.3: Haus und Familie 49] hat allerdings herausgestellt, der offizielle Zeitpunkt einer Eheschließung sei in Sparta wohl zeitweise nicht so deutlich gewesen wie in Athen. Möglicherweise konnten also in Sparta Unklarheiten darüber bestehen, ob ein Mädchen bereits verheiratet war oder nicht. 4.3 Die Auswahl des Ehepartners

Heiratsalter der Mädchen

Erbtöchter

Die Ehe erwies sich als beliebtes Thema der Women’s Studies [1: S, Forschungen 153f. u. 165; vgl. auch 4.3: V/V, Le mariage grecque]. Die chronologische Entwicklung der äußeren Umstände vom Brautkauf im Epos zur Mitgiftehe in klassischer Zeit behandelte etwa G. F [4.3: Figures 179ff.]. Die Bedeutung der Ehe für die Männer wurde aber auch in jüngeren Publikationen gern heruntergespielt, etwa wenn die französische strukturalistisch inspirierte Forschung Ehe und Krieg symmetrisch auf das weibliche und das männliche Geschlecht verteilte [2.4: V, Mythos und Gesellschaft 32; ähnlich 7.2: C, Choruses 264]. P. B [4.3: La fille d’Athènes] hat allerdings die Bedeutung der Ehe für beide Geschlechter betont. Besonders in Athen legte man aufgrund patrilinearer Erbfolge großen Wert auf die Legitimität der ehelichen Kinder [4.4: H, Heirat 101; 4.3: S, Haus und Familie 34]. Mit dieser Haltung erklärten etwa A. H und G. S [2.3: Körperbild 9–22] das frühe Heiratsalter athenischer Mädchen: Eine Gesellschaft mit Interesse an legitimen Nachkommen halte die Zeitspanne zwischen körperlicher Reife der Mädchen und Heirat möglichst gering. C. A. C [4.3: Household Interests 121] hat die sozialen Vorteile (Vernetzung) für die Brüder der Braut hervorgehoben. Die Braut in Athen hatte zumindest bei ihrer ersten Ehe wohl kaum Einfluss auf die Auswahl ihres künftigen Gefährten [4.4.: H, Frauen 66; 4.3: ., Heirat 99]. Selbst im regelmäßigen ,Happy End‘ der Neuen Komödie des 4. Jh. v. Chr. wird stets nur das Verliebtsein des jungen Mannes herausgestellt, welches am Ende seine Erfüllung findet. Die Gefühle der Braut stehen hingegen nicht im Zentrum [4.3: R, Young Man 141f.]. Die von M. B. S [4.1: Sexuality 151] ausgemachte romantische Liebe in diesen Texten bezieht sich entsprechend nur auf die männliche Hälfte eines Ehepaars. Die so genannte ,Erbtochterheirat‘ schränkte den Spielraum bei der Partnerwahl weiter ein: Verstarb ein Vater ohne Söhne, so wurde die Tochter dem nächsten männlichen Verwandten des Vaters zugesprochen, um das Erbe in der Familie zu halten: Eine bereits bestehende

4. Sexualität, Ehe und Familie

87

Ehe dieser Tochter oder dieses männlichen Verwandten änderte daran offenbar nichts [4.3: H, Heirat 110; vgl. 4.4: J, Women 103], es sei denn, aus dieser Ehe waren bereits Kinder hervorgegangen [4.3: K, Épiclérat 145–157]. Demgegenüber scheint das Heiratsalter der jungen Männer durch andere soziale Faktoren beeinflusst gewesen zu sein. Während R. B [3.2: Familie 29] den jungen Athenern größere Freiheit bei der Eheschließung als etwa den jungen Römern bescheinigt, wird diese Freiheit doch relativiert etwa bei S [4.3: Haus und Familie 35], welcher hervorhebt, mit ca. 60 Jahren, aber eben erst dann, sei von einem Vater im klassischen Athen erwartet worden, den Oikos an den Sohn zu übergeben und sich auf das Altenteil zurückzuziehen. Nach E. H [5.3: Geschlechterdefinitionen 44] und B. S. S [4.3: Fathers and Sons 67–69] gebe es jedoch keine Belege für eine offizielle Übergabepflicht. Neben wirtschaftlichen Erwägungen schränkten gesetzliche Vorschriften die Wahlmöglichkeiten des Athener Bräutigams ein: Die Inzestregeln in Athen waren zwar relativ großzügig – so war etwa eine Ehe mit der Halbschwester väterlicherseits möglich [4.1: S, Sexuality 201] –, aber spätestens nach dem perikleischen Bürgerrechtsgesetz des Jahres 451 war die Gruppe potentieller Partnerinnen auf möglichst unbescholtene Mädchen bürgerlicher Abkunft beschränkt. Eine gültige Eheschließung aus Neigung etwa mit einer Hetäre fremder Abstammung oder einer freigelassenen Sklavin war in Athen entsprechend nicht möglich. C. A. C [4.3: Household Interests 207] hat allerdings die Meinung vertreten, dieses Bürgerrechtsgesetz habe vor allem von den Angehörigen der Oberschicht umgangen werden können. E. H [4.4: Frauen 70–71; 4.3: ., Heirat 224f.] hat betont, so mancher verwitwete Athener habe von einer zweiten Eheschließung abgesehen und sich mit einer freigelassenen Sklavin als Konkubine begnügt, um keine Zweifel an der Legitimität seiner Kinder aus erster Ehe aufkommen zu lassen und um das Erbe dieser Kinder nicht zu schmälern. Bei Witwen sprach nichts gegen eine Wiederverheiratung. Der Vormund der Frau pflegte sich schon aus Eigeninteresse dafür einzusetzen [4.3: H, Heirat 107] – sonst hätte er die Witwe selbst aufnehmen müssen. Die sogenannte ,Raubehe‘ in Sparta und die Fälle spartanischer Polyandrie waren keine willkürlichen Akte, sondern geschahen in Absprache mit dem Vater der Braut bzw. dem Ehemann [vgl. dazu 4.3: P, Polyandrie 131–152; 4.4: S, Geschorene Braut 596; 5.3: H, Female Property 114]. Das Mitspracherecht der betroffenen Mädchen und Frauen ist unklar, von einer völlig passiven Rolle geht E. G. M aus [4.2: Athenian Ideology 364].

Heiratsalter der Männer

Inzest

Wiederverheiratung

Sparta, Raubehe, Polyandrie

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II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

4.4 Die Begegnung der Geschlechter in der Ehe

Eheliche Sexualität

Gefühle in der Ehe

In den literarischen Quellen lassen sich unterschiedliche Haltungen zu heterosexuellen Beziehungen feststellen. Das homerische Epos gesteht beiden Geschlechtern reziproken Liebesgenuss zu [4.2: M, Sexualität 123]. In medizinischen Texten wird der Part des Ehemanns gern mit Begriffen der Pflicht (Pflüger und Sämann) und nicht der spielerischen Lust umschrieben [4.1.1: DB, Sowing 34, 39; 2.3: C, Woman, Dirt 149; weitere Belege bei 7.1: V, Hestia und Hermes 24]. Die Gefühle, welche sich historisch bekannte Eheleute entgegenbrachten, werden in den Quellen kaum thematisiert [4.4: H, Frauen 72], öfter werden Verstöße gegen die Norm etwa in Form von Ehebruch erwähnt. Ob sich eine rituelle Bedeutung des ersten ehelichen Beischlafs belegen lässt, gar eine ,,sakrale Weihe“ oder ,,göttliche Veredelung“ des Brautpaars anzunehmen ist [so etwa 4.4: H, Frauen 29 u. 67], erscheint fraglich und eher an modernen christlichen Vorstellungen von kirchlicher Trauung oder Ehe als Sakrament orientiert. E. C. K hatte seinerzeit aus dem Fehlen von Quellen zur ehelichen Sexualität vor allem der Athenerinnen klassischer Zeit geschlossen, diese hätten wohl in großer Mehrheit ein sexuell frustriertes Eheleben führen müssen [4.1: Phallus 98f.; ähnlich auch 1: P, Frauenleben 131]. Sie versuchte diese These durch ein spektakuläres Bild zu illustrieren: Die Athener Frauen hätten den so genannten Hermenfrevel begangen. Bei diesem Sakrileg in Athen während des Peloponnesischen Kriegs waren zahlreichen Hermespfeilern die Gesichter und möglicherweise auch die erigierten Phalloi abgeschlagen worden [4.1: Phallus 387–91]. K übersah allerdings, dass vom Eheglück der Männer ebenso wenig die Rede war wie von dem der Frauen. Auch S. P [1: Frauenleben 119] sah einen ,,emotionalen Abgrund“ zwischen athenischen Ehepartnern klaffen; ,,Fruchtbarkeit und Zurückhaltung der Frau“ hätten, so P. A [4.4: Liebe in der Ehe 168], bis ins 18. Jh. die Liebe in der Ehe im Unterschied zur Liebe außerhalb der Ehe geprägt. Ein anderer Standpunkt findet sich bei D. C [4.4: Adultery 163; 4.1.1: ., Law, Sexuality 167–168] sowie C. R [4.4: Ehe, Hetärentum 75f.] und R. J [4.4: Women 133], welche in den Quellen zahlreiche Nachrichten zur Liebe zwischen Ehegatten erkennen möchten; für C. C [4.4: Eros] zählt die Ehe zu den wichtigsten Schauplätzen des Eros, und R. S [4.4: Pornography 24] hat unter Heranziehung der Vasenbilder eine Veränderung der Wertschätzung ehelicher Sexualität ausmachen wollen: Seit der Mitte des 5. Jh. v. Chr. würden die Darstellungen von Hochzeitsszenen die Symposionsthemen zahlenmäßig deutlich übertreffen. Es sei also die eheliche Sexualität, die nach Meinung der Athener die Polis als Gemeinschaft zusammenhalte. Das weitgehende Schweigen der Quellen sollte wohl weniger als Beleg

4. Sexualität, Ehe und Familie

89

für das Nichtvorhandensein erfüllter ehelicher Sexualität genommen werden, sondern vielmehr als Element des Sexualitätsdiskurses im Rahmen der Frage, was in der athenischen Gesellschaft sagbar, benennbar und besprechbar war [4.4: M, Rez. Keuls 166]. Bezeichnenderweise erfolgt Xenophons positive Beschreibung einer Hochzeitsnacht (Xen. symp. 9,3– 7) am Beispiel des mythologischen Bildes von Dionysos und Ariadne und nicht eines bürgerlichen Brautpaars. C. A. C [4.3: Household Interests 72 mit Anm. 19] führt Quellen an für die Haltung, es zeuge von schlechtem Geschmack, zu viel Liebe zur Ehefrau nach außen zu demonstrieren, und beurteilt die Frage nach der Liebe zwischen athenischen Ehegatten als anachronistische Übertragung neuzeitlicher Wertmaßstäbe. Das körperliche Begehren zwischen einzelnen Ehegatten zählte offenbar nicht zu den Elementen des Geschlechterdiskurses, die man öffentlich besprochen hätte [4.4: R, Ehe, Hetärentum 76ff.; 4.4: Z, Reflections 58] – was bei der Gewohnheit der athenischen Quellen, bereits die öffentliche Namensnennung einer Bürgerin möglichst zu vermeiden, nicht verwundern muss. Entsprechend ist über das konkrete eheliche Geschlechtsleben, über zulässige oder unzulässige Sexualpraktiken in der Ehe sowie deren Beurteilung im Rahmen des Aktiv-Passiv-Schemas [vgl. Kap. 4.1.1] kaum etwas bekannt. Anspielungen in der Alten Komödie deuten allerdings darauf hin, dass von den Frauen erwartet wurde, dem Mann die Initiative zu überlassen [4.3: H, Heirat 113]. M. B. S [4.1: Sexuality 114, 147 u. 170] spricht von ,taktvollem Schweigen‘ der Quellen und hat insgesamt die Meinung vertreten, heterosexuelle Beziehungen in der Ehe seien als vergleichsweise unproblematisch empfunden und deshalb kaum thematisiert worden. Sie betont die Entdeckung der Ehe als ,,Quelle emotionaler Befriedigung“ im Hellenismus und möchte eine Schwerpunktverlagerung auf heterosexuelle Beziehungen feststellen. Auch F. Z [4.4: Reflections 60] bringt den Rückgang der institutionalisierten Päderastie mit einer gesteigerten Wertschätzung ehelicher Sexualität in Verbindung. Eheliche Treue, so ist in der Forschung häufig herausgestellt worden, war in Griechenland vor allem für die Frauen Pflicht, auch wenn in der theoretischen Literatur analoge Forderungen ehelicher Treue an die Männer bis ins 6. Jh. v. Chr. rückprojiziert werden [4.1: S, Sexuality 154]. Im homerischen Epos wie auch im archaischen Athen konnten Ehemänner neben ihren Ehefrauen gleichzeitig Konkubinen halten [4.2: M, Sexualität 127]. E. H zufolge lasse das Gesetz Drakons diese Schlussfolgerung zu, weil der Liebhaber einer Konkubine genauso bestraft worden sei wie der einer offiziellen Ehefrau [4.4: Frauen 101; vgl. auch 4.4: S, Nomos Moicheias 51f.]. Allerdings genossen auch athenische Ehemänner keine unbeschränkte sexuelle Freiheit. Seit klassischer Zeit war faktische Bigamie verpönt [4.3: H, Heirat

Ehebruch/ Eheliche Treue

90

Spartanische Hochzeitsbräuche

Eheleben in Sparta

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

217; 4.4: S, Lawful Concubinage 111–133]. Zugriff auf die eigenen Sklavinnen war zwar möglich, aber nicht lobenswert. Ehebruch war für beide Geschlechter negativ konnotiert. Der ehebrecherische Mann galt nicht als besonders männlich, sondern als weibisch, weil er die männliche Tugend der Selbstbeherrschung nicht aufbrachte [4.1: F, Gebrauch der Lüste 112; 2.3: C, Woman, Dirt 154 Anm. 39]. De facto ist allerdings eine große Bandbreite von Möglichkeiten für männliche Athener bezeugt, bis hin zu Parallelhaushalten – stets vorausgesetzt, dass der Mann nicht in eine fremde Ehe eindrang [4.3: C, Household Interests 186]. Bestraft wurde in Athen vor allem der männliche Teil eines ehebrecherischen Paares [4.1.1: C, Law, Sexuality 221–7]. Seine Tötung war unter bestimmten Umständen möglich [4.4: S, Nomos Moicheias 49f.], der Ehebrecherin drohte immerhin die Zwangsscheidung [4.3: H, Heirat 106 Anm. 153 kennt kein konkretes Anwendungsbeispiel] sowie Ausschluss von den Opfern – de facto vom öffentlichen Leben. Ob in Athen der Ehebrecher strenger bestraft wurde als der Vergewaltiger, ist umstritten [so vertreten bei 4.4: C, Rape and Adultery 417; S, Nomos Moicheias 58; ebenso 4.1.1: C, Sanctions 97–113]. Von gleich strenger Bestrafung beider Delikte gehen E. M. H [4.4: Seduction 375] und D. C [4.1.1: Law, Sexuality 115–20] aus. Die merkwürdigen spartanischen Werbe- und Hochzeitsbräuche (Kostümierung der Braut, Haarschur, Männerkleidung) sind unterschiedlich interpretiert worden: L. T [4.1.2: Spartanische Frauen 140] nahm apotropäische Funktion im Sinne eines Übel abwehrenden Rollentauschs an; auch ein ,Umkehrritual‘ oder die Angleichung an den Körper des Knabengeliebten des Bräutigams, um diesem den Übergang von homo- zu heterosexuellen Beziehungen zu erleichtern, sind in Betracht gezogen worden [so etwa 1: P, Frauenleben 56; vgl. 7.2: S, Sprache 95]. E. H [4.4: Frauen 47f.] hat hervorgehoben, diese durch Nicht-Spartaner überlieferten Hochzeitsbräuche stellten eine Umkehrung des in Athen Üblichen dar, was auf eine Stilisierung Spartas als Kriegergemeinschaft jenseits der Familie in den antiken Quellen deuten könne. Während S. P [1: Frauenleben 56], W. K. L [4.4: Familie 187f.], W. S [7.1: Frauen 80] und M. W [4.4: Oikos 257f.] für Sparta von einer ,Ehe auf Probe‘ ausgingen, welche bei Ausbleiben von Nachwuchs problemlos wieder hätte gelöst werden können, hat W. S [4.4: Geschorene Braut 574; 7.2: ., Sprache 95] in Erwägung gezogen, in Sparta habe es zeitweise überhaupt keine rechtmäßige Ehe gegeben. Entsprechend sind auch die ehelichen Beziehungen der Spartaner und Spartanerinnen in vielen Punkten unklar. Spartanische Männer, so W. S [4.4: Geschorene Braut 597 Anm. 84; 4.3: ., Haus und Familie 133], hätten keinem Zwang zur Ehe, sondern nur einem ,,Zwang zur Zeugung“ unterstanden. Insgesamt ist

4. Sexualität, Ehe und Familie

91

gern eine größere ,Freiheit‘ der Spartanerinnen angenommen worden [4.4: P 1: Frauenleben 55; 4.4: D, Frauen von Sparta 75]; entsprechend erschien der Topos der unbefriedigten griechischen Ehefrau auf die Spartanerinnen nicht anwendbar. S. P [1: Frauenleben 55] und B. K [4.4: Family Dynamics 39] glaubten aus den Nachrichten zur spartanischen Polyandrie gar sexuelle Selbstbestimmung der Spartanerinnen konstruieren zu können. Diese Vorstellung wird inzwischen weitgehend abgelehnt [4.2: M, Athenian Ideology 366; 4.1.2: T, Spartanische Frauen 142; 4.3: S, Haus und Familie 133; 4.3: P, Polyandrie 131–152]. Spartanische Polyandrie bedeutete nicht das gleichzeitige häusliche Zusammenleben einer Frau mit mehreren Männern, sondern es handelte sich vielmehr um ,Erzeugerleihe‘: Spartaner, so W. S [4.4: Geschorene Braut 584], hätten nach Absprache mit einem Ehemann mit dessen Frau Kinder zeugen können, um die matrilineare Weitergabe von Besitzrechten zu ermöglichen. Inwieweit hier von Mitsprache der betroffenen Frauen auszugehen ist, ist umstritten: die Passivität der Frauen betonte etwa P. A. C [4.4: Spartan Wives 104f.]; B. K [4.4: Family Dynamics 39] hielt hingegen ihre Mitsprache für möglich. 4.5 Elternschaft und Geschlechterverhältnis Nachrichten zur Geburtenbeschränkung sind aus Griechenland überliefert. Wirksamkeit und Risiko von kontrazeptiven Praktiken und von Abtreibung, zwischen denen nicht immer genau unterschieden wurde [4.5: K, Kontrazeption], sind allerdings unterschiedlich eingeschätzt worden: M. S [2.3: Frau 85] meint etwa unter Berufung auf Platon (Tht.149d), ,,selbstverständlich“ hätten antike Frauen die Möglichkeit gehabt, eine Schwangerschaft abzubrechen [vgl. auch 4.5: R, Contraception; 4.5: K, Abortion]. Der berühmte hippokratische Eid, welcher gern als Verbot der Abtreibung herangezogen wurde, verbiete zwar Abtreibung durch Pessare, schließe aber, so H. K [4.5: Abtreibung], Abtreibung mittels chirurgischer oder oraler Praktiken nicht aus. K. K [4.5: Abortion] nimmt Armut als hauptsächlichen Beweggrund für Abtreibung in der Antike an. Unter Bezugnahme auf die demographischen Gegebenheiten hat A. E. H [4.5: Rez. zu K, Abortion 495–497] dem widersprochen: Wie für jede vormoderne Gesellschaft sei auch für Griechenland von hoher Kindersterblichkeit auszugehen. M. G [3.1: Children 83] schätzt die Sterblichkeitsrate auf ca 30–40% im ersten Lebensjahr. Hinzu kommt das Risiko der Müttersterblichkeit: N. D [3.2: Birth, Death 86] hat der verbreiteten Annahme, für Frauen in vorindustriellen Gesellschaften hätten Schwangerschaft und Geburt ein eher geringes Risiko bedeutet,

Kontrazeptiva/ Abtreibung

Kinder- und Müttersterblichkeit

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Mädchenaussetzung

Frauenmangel?

Eingriffe der Polis

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

entgegengehalten, griechische Frauen hätten allen Grund gehabt, jedes greifbare Hilfsversprechen anzunehmen. Gegenüber optimistischeren Einschätzungen bezeichnet D [3.2: Birth, Death 62] das Risiko einer Abtreibung gegenüber einer normalen Geburt als deutlich höher: Griechische Ehemänner hätten sich schließlich auch nach der Geburt unerwünschter Kinder durch Aussetzung oder Infantizid entledigen können. Auch das Geschlecht des familiären Nachwuchses war auf diese Weise kontrollierbar. Entsprechend, so E. E [4.5: Family Planning 13], dürfte Abtreibung eher selten vorgekommen sein. Während eine Forschungsrichtung sich vor allem mit der experimentellen Wirksamkeitsüberprüfung überlieferter Abtreibungs- und Verhütungsmethoden befasste, hat H. K [2.3: Hippokrates’ Woman 132–156] darauf hingewiesen, solche Nachrichten seien vor allem Teil des Genderdiskurses; sie machten die Befürchtung antiker Männer deutlich, Frauen könnten ihre Fruchtbarkeit eigenständig regeln und somit dem Ehemann die Kontrolle über den Nachwuchs entziehen [s.a. 4.5: H, Paidopoiïa 291–308; 4.5: E, Family planning 5–82]. Homer und Hesiod ziehen Kindsaussetzung nicht in Betracht. Sie wird vor allem in Tragödie und Komödie erwähnt, konkrete Beispiele sind nicht bezeugt. S. P [1: Frauenleben 103f.; 4.5: ., Infanticide 207–219] ging davon aus, vor allem Mädchen seien von Aussetzung oder Kindstötung betroffen gewesen. Vorsichtig zustimmend äußert sich hierzu G [3.1: Children 97], der [4.5: Demography 316–31] bei weiblichen Geburten in Athen eine Aussetzungsrate von mindestens 10% annahm: Als Mitgiftempfängerinnen hätten sie eine besondere soziale Belastung einer Familie dargestellt. Dem gegenüber hatte D. E [4.5: Female Infanticide 112–120] betont, eine vormoderne Gesellschaft wie die Attikas hätte sich bei einer Aussetzungsrate von 10% der Mädchen in relativ kurzer Zeit in größte Schwierigkeiten gebracht. W. V. H [4.5: Infanticide 114–116] hat E’ Berechnungen zurückgewiesen und methodische Kritik geübt: E habe u. a. fälschlich eine stabile Geburten- bzw. Todesrate vorausgesetzt. Inwieweit Mädchen de facto stärker von Aussetzung betroffen waren als Jungen, lässt sich anhand des Quellenmaterials nicht absichern. Für Griechenland gelegentlich postulierter Frauenmangel, den etwa S. P [1: Frauenleben 102] und E. K [4.1: Phallus 204f.] auf Aussetzung zurückführten, könnte auch Folge von Vernachlässigung von Mädchen gewesen sein [so 3.2: D Birth, Death 8, und 3.1: G, Children 94, unter Berufung auf Xenophons, Lak. pol. 1,3, Hinweis auf unterschiedliche Ernährung männlicher und weiblicher Kinder]. Die Interessenlagen der Polisgemeinschaft und der einzelnen Familie konnten, was den Nachwuchs anlangte, gegensätzlich sein: C. A. C [4.3: Household Interests 142] hat für das klassische Athen die These vertreten, athenische Oikoi seien relativ klein gewesen. Sie hätten (ohne Sklaven)

5. Pflüger und Weberinnen

93

zu 60–67% lediglich zwei bis vier Personen umfasst und nur zu 29% vier bis sechs Personen. Inwieweit versuchte nun die Polis durch verbindliche Regeln in die Rechte des Haushaltsrepräsentanten einzugreifen? Verbote oder Strafen sind nur in Ausnahmefällen überliefert, im Normalfall oblag die Entscheidung dem Vater [4.5: K, Abtreibung]. Sparta griff möglicherweise stärker in die Familienplanung und damit in die sonst üblichen Rechte des Ehemanns und Erzeugers ein, als das im übrigen Griechenland der Fall war. Die Bestrafung von Zeugungsunwilligen hebt S. H [5.3: Female Property 113f.] hervor. Die berühmte Nachricht vom spartanischen Säuglingstest mit Aussetzungsgebot durch die Phylenältesten (Plut. Lykurgos 16,1–2) ist oft als eugenisch interpretiert worden [4.5: H, Spartan Practice 54]; diskutiert wurde außerdem, ob ein solcher Brauch weibliche Geburten benachteiligte oder ob [so 1: P, Frauenleben 54] er sich überhaupt nur auf männliche Säuglinge bezog, da nur diesen ein Landlos zugeteilt worden sei. Schließlich hat S. L [4.5: Aussetzung 153–64] die These geäußert, die Entscheidungsbefugnis der Phylenältesten habe sich zum Vorteil der Säuglinge ausgewirkt: die Behörden hätten so der stets im Raum stehenden Gefahr des Spartiatenmangels entgegenwirken können, indem sie die Eltern zur Annahme der Säuglinge verpflichteten. E. H [4.4: Frauen 50] hat die Überlieferung von der gemeinschaftlichen Entscheidung über Annahme und Aufzucht von Kindern mit jenen Thesen verknüpft, welche die schwache Position des Vaters in seiner Kernfamilie betont haben [4.4: S, Geschorene Braut 576]: Spartanische Männer hätten sich als Väter aller Kinder fühlen sollen. Den potentiellen Zusammenhang dieser Vorstellung mit den Utopien Platons zur Frauen- und Kindergemeinschaft hat M. H [4.5: Spartan Practice 56] betont.

Säuglingstest in Sparta

5. Pflüger und Weberinnen: Geschlechterverhältnisse im griechischen Haushalt (II) 5.1 Der männliche Bereich des Haushalts: die Landwirtschaft Die neuzeitliche Forschung hat das Geschlechterverhältnis in der Landwirtschaft nur selten thematisiert. Im Rahmen symbolischer Zuordnung war die Landwirtschaft in Griechenland eher mit Männlichkeit verbunden. Das Bild vom Mann als Pflüger – und der Frau als zu besäendem Acker – wurde auf das Geschlechterverhältnis im Bereich der Zeugung

Symbolische Zuordnung

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Faktische Arbeitsleistung

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

übertragen [2.3: C, Woman, Dirt 149, und 7.1: V, Hestia und Hermes 24]. Die Tendenz in der griechischen Literatur, alle landwirtschaftlichen Arbeiten im Prinzip als männliche Aufgaben darzustellen, unterstrich W. B [5.1: Weibliche und männliche Gottheiten 164]. Antike Quellen wie Hesiod vermittelten den Eindruck, auch die konkrete Last landwirtschaftlicher Arbeit liege allein beim Mann [5.1: Z, Hesiods Pandora 49–56; ähnlicher Befund auf attischen Vasenbildern: 5.1: L, Athenian Woman 83]. Daher ist in der Forschung angenommen worden, die Frauen hätten in der griechischen Landarbeit keine Rolle gespielt. S. P [4.1.2: Spartan Women 84] postulierte dies für Athen, und auch M. D [4.4: Frauen von Sparta 68] sah die Athenerin nur im Haus arbeiten. Die Vorstellung von der ,,vorwiegend von Männern verrichteten Landarbeit“ findet sich neuerdings auch wieder bei R. R [5.2: Athenes Gewänder 329]. Als Begründung ist angeführt worden, die Erfindung des eisernen Pflugs, welchen eine Frau nicht habe führen konnen, habe die Wichtigkeit des weiblichen Beitrags gemindert [5.1: Z, Hesiods Pandora 52; vgl. auch 7.3: F, Women’s Ritual 105]. Das Problem der oft männerlosen Haushalte im Hellenismus, denen die männliche Stärke für den Pflug gefehlt habe, thematisiert noch M. B. S [4.1: Sexuality 150]. Anders und differenzierter äußert sich W. S [5.1: Landarbeit 206; 5.1: ., Feldarbeit 413ff.], welcher die Bedeutung des ,,männlichen Images“ des Pflügens für den Diskurs und entsprechend für den Quellenbestand betonte. Die faktische Teilhabe der Frauen an Festen mit rituellem Pflügen erwähnt M. D [7.3: Religion 120]. Die Einschätzung von Pflügen und Säen als spezifisch männlichen Tätigkeiten in ländlichen Gesellschaften Mitteleuropas jenseits der Antike hat M. M [5.1: Arbeitsteilung 864ff.] herausgestellt. Insgesamt dürften lang verbreitete neuzeitliche Vorstellungen von der auf das Haus beschränkten Athenerin bei der Einschätzung der Geschlechterverhältnisse in der griechischen Landwirtschaft einflussreich gewesen sein: Aus dem Oberschichtideal wurde fälschlich auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im landwirtschaftlichen Alltag rückgeschlossen. Bei Arbeiten außer Haus hätten anständige Frauen schließlich mit fremden Männern in Berührung kommen können [so etwa 5.1: F B, Contribution of Women 73]. W. S [5.1: Landarbeit 220–23], einer der wenigen Forscher, die sich überhaupt mit der Rolle beider Geschlechter in der Landwirtschaft befasst haben, macht im Gegensatz dazu klar, dass der landwirtschaftlich geprägte Durchschnittshaushalt auf die Mithilfe aller Familienmitglieder angewiesen war [Mitarbeit der Frauen bei der Feldarbeit postulieren ferner 3.1: G, Children 122; 5.1: B, Labour 342ff., sowie 5.1: S, Feldarbeit 411ff.]. S [2.4: Nachbarschaft 90] hat die These vertreten, die aggressiv misogyne Tendenz der frühen Quellen

5. Pflüger und Weberinnen

95

sei geradezu eine Folge des Bewusstseins, in der Landwirtschaft von der komplementären Arbeit der Frauen abhängig zu sein. Allerdings, so relativiert er [2.4: Nachbarschaft 444–449], habe sich sich die Feldarbeit von Frauen fast ausschließlich auf die Erntearbeiten bezogen; unbestritten in antiken Quellen sei die Leistung von Frauen bei der Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte im Haus. Kinder lernten die Landwirtschaft ,,by doing“ [7.2: G, Public and Private 29]. Die Bedeutung der Bürgerkinder in der Landarbeit vor allem in ärmeren Familien hebt M. G hervor [3.1: Children 35; zur seltenen Erwähnung dieser Tatsache s. 5.1: O, Landscape 70]. Das männlich heroische Pflügen erweist sich – unabhängig vom tatsächlich erforderlichen Kraftaufwand – nur als eine neben unzähligen anderen Anforderungen in der Landwirtschaft, welche keine geschlechtsspezifischen Fähigkeiten erforderten. Z [5.1: Mann und Frau 468f.] hält die ,,heftige Frauenfeindlichkeit Hesiods“, welche den produktiven Anteil der Frauen in der bäuerlichen Welt leugne, für ein antikes ,,Unterschichtenphänomen“. Das Selbstverständnis spartanischer Männer scheint sich nicht in erster Linie im Bild des Pflügers eigenen Landes manifestiert zu haben. Die Organisation der Landwirtschaft habe weitgehend bei den Frauen gelegen, da die Spartiaten aufgrund ihrer Beanspruchung durch Training und Krieg keine Zeit hierfür aufbringen konnten [so etwa 4.4: D, Frauen von Sparta]. E. H [4.4: Frauen 46] hat hier die Frage aufgeworfen, wie die Spartiatinnen ohne Mann auf ihren Höfen wohl die Kontrolle über die zu Aufständen geneigten Heloten ausgeübt hätten. Neuere Beiträge unterstellen auch den männlichen Spartanern ein vitales Interesse am wirtschaftlichen Gedeihen ihrer Oikoi [so etwa 4.2: M, Athenian Ideology 370–372, und 5.3: H, Female Property 118]. Inwieweit sich dies in direkter Beteiligung etwa bei der Feldarbeit niedergeschlagen haben könnte, bleibt unklar. 5.2 Der weibliche Bereich des Haushalts: die Textilarbeit Die Bedeutung der Textilarbeit für die Wirtschaft des Oikos ist erst in jüngerer Zeit von der Forschung gewürdigt worden [vgl. 5.2: WH, Stoff der Gaben; 5.2: R, Athenes Gewänder]. R. R hat am Beispiel der Textilarbeit wissenschaftshistorisch aufgezeigt, wie neuzeitliche Fokussierungen, etwa auf die ,,werktätige Frau der Antike“, die antike Frauenarbeit im Haus gegenüber außerhäuslicher ,wirklicher‘ Arbeit unsichtbar machten [5.2: R, Athenes Gewänder 81; vgl. hierzu auch 7.4: W-H, Das Private 38; allg. 5.2: E, Arbeit 183ff.]. In der neueren Forschung befasste man sich zum einen mit der Technik der Kleiderherstellung [5.2: P-

Landwirtschaft in Sparta

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Wirtschaftliche und soziale Bedeutung

Textilarbeit in Sparta

Männliche Textilarbeit

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

G, Mode 13–51; 5.2: B, Women’s Work]. Zum anderen stellte man die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Textilien im griechischen Oikos stärker in den Vordergrund [so etwa 5.2: WH, Traueraufwand; 5.2: ., Stoff der Gaben]: Textilien als Elemente weiblichen Reichtums, ihre Bedeutung als Gedächtniszeichen bei der Totenklage und ihre Funktion im Umgang mit Gästen [zur Präsentation der Tucharbeit beim Gastmahl s. 5.3: K, Ehefrauen 20]. Die Bedeutung von Textilien als wertvolle Weihgeschenke besonders an Artemis haben S. C [7.3: Gender 213–225] und R. R [5.2: Athenes Gewänder 267–320] hervorgehoben. Ob sich auch die Spartanerinnen an der Webarbeit beteiligten, ist umstritten: Antike Quellen (Plat. Leg. 805e–806b; Xen. Lak. pol. 1,3f.) sprechen von textiler Untätigkeit der Spartanerinnen. S. B. P [4.1.2: Spartan Women 78] stellte entsprechend die Athenerinnen, welche selbst textilen Reichtum produziert hätten, den Spartanerinnen gegenüber, die tendenziell die Einkünfte aus Landbesitz verwaltet und konsumiert hätten. Da aber auch spartanische Gottheiten Kleider als Weihgeschenke erhielten [5.2: R, Athenes Gewänder 291f.], zweifelt etwa T [4.1.2: Spartanische Frauen 145] an der Glaubwürdigkeit der antiken Quellennachrichten. Auch zur Frage, ob sämtliche Textilien im Haushalt hergestellt worden seien, werden unterschiedliche Meinungen vertreten: A. P-G [5.2: Textilherstellung 227] glaubte besonders die ärmeren Familien auf gekaufte Kleider angewiesen, während etwa E. H [4.4: Frauen 66] von häuslicher Textilproduktion ausgeht und nur einen Handel mit besonders teueren Stücken annimmt. Daneben ist die These vertreten worden, Textilien seien im Rahmen handwerklicher Fertigung bei Ausweitung des Marktes auch in Griechenland von Männern in Weberei-Werkstätten hergestellt worden [5.2: T, Weaving 217f.]. R. R [5.2: Athenes Gewänder 321] hat diese These kürzlich revidiert: Weder sei von Kleidermanufakturen in Griechenland noch von einer unmittelbaren Konkurrenz zwischen den Geschlechtern in diesem Bereich auszugehen. Weibliche Weberei habe sich auf die Herstellung von Kleidung aus Wolle konzentriert, wohingegen die von Männern getragene Fertigung vor allem den Umgang mit Leinen für den Schiffs- und Baubedarf betroffen habe. 5.3 Geschlechterverhältnisse und die Wirtschaft des Oikos Schon J.-P. V [7.1: Hestia und Hermes 33] hat auf der Ebene wirtschaftlicher Tätigkeiten dem Mann den Erwerb, der Frau hingegen die Thesaurierung zugeordnet, hierbei allerdings die produktive Leistung der weiblichen Oikosmitglieder etwa bei der Herstellung von Kleidung nicht berücksichtigt. In jüngerer Zeit hat etwa V. H [5.3:

5. Pflüger und Weberinnen

97

Policing Athens 34ff.] die wirtschaftliche Bedeutung der Thesaurierung hervorgehoben. Sie revidiert die Vorstellung vom ,Bewahren‘ als passiver Nichtaktion und sieht das ,Bewahren‘ als arbeitsintensive Weiterverarbeitung, Haltbarmachung und ad-hoc-Verteilung der Produkte. Die Rolle der ranghohen Frauen archaischer Zeit als ,,schöne Gastgeberinnen“, welche die Verantwortung für extensive Vorratshaltung tragen und so die Gastlichkeit des Haushalts erst ermöglichen, hat E. K [5.3: Ehefrauen 19ff.] betont. Auch R. R [5.2: Athenes Gewänder 164f. u. 326] hat die häufig vernachlässigte Bedeutung der Thesaurierung der Vorräte durch Frauen herausgestellt: Haltbarmachung, Verwahrung und überlegte Verteilung würden Leitungswissen gegenüber der Dienerschaft erfordern. Weibliches Fachwissen habe den Hunger vom Gesamthaushalt abgehalten und sei entsprechend geschätzt gewesen. Die Schlüsselgewalt der Frauen – im Gegensatz zur lang verbreiteten Vorstellung von der eingesperrten Athenerin, vgl. Kap. 7.1. – hat bereits B. W-H [7.4: Das Private 34] hervorgehoben. Vor allem in der älteren Forschung ist die intellektuelle Unwissenheit der Athenerin sowie ihre rechtliche, finanzielle und wirtschaftliche Unmündigkeit im Vergleich zu den männlichen Oikosmitgliedern hervorgehoben worden [etwa bei 2.3: H/S, Körperbild 10]. D. M. S [5.3: Economic Rights] sah die Athenerin als ihrem Vormund ausgeliefert. Sie habe kaum Eigentum haben können, jedenfalls keinen Landbesitz, und sei nicht geschäftsfähig gewesen. Diese Vorstellung hat den Weg in die Handbücher gefunden und wurde noch erweitert um die These von J. G [5.3: Law, Custom 38–59], welcher den Athenerinnen jegliche Eigentumsfähigkeit absprach. Eine eindeutig untergeordnete Stellung der Frauen im Oikos glaubte noch C. S-I [7.1: Männlich und weiblich 114] zu erkennen, und auch W. S [2.4: Nachbarschaft 41] ging von einer eindeutigen Autoritätsverteilung zugunsten eines männlichen Haushaltsvorstandes aus. Hierbei berief man sich gerne auf Xenophons Bemerkung, die Ehefrau des Ischomachos sei lediglich ,,im Hinblick auf den Bauch erzogen“ in seinen Haushalt eingetreten (Xen. oik. 7,6). Ischomachos habe ein ,,Dummchen“ geheiratet, erst die Formung durch den Ehemann mache aus ihr ein taugliches Mitglied des Haushalts. Nach G. W spiegle all dies ,,die Wirklichkeit des Durchschnitts“ wider [7.2: W, Frauen- und Mädchenbildung 59f.]. M. D [4.4: Frauen von Sparta 64] folgerte gar, in Athen habe man gezielt versucht, die Mädchen in Unwissenheit zu halten. Im Gegensatz hierzu hatte P. S P [1: Differenz 210ff.] schon 1989 Xenophons Schriften als eine Illusion ,,gelebten Lebens“ charakterisiert. In jüngerer Zeit ist darüber hinaus die inhaltliche Unwahrscheinlichkeit der Aussage von der unbedarften jungen Ehefrau betont worden: L. F [5.3: Household 31] und E. H [4.4: Frauen 67] stellten fest, sie müsse auf alle Fälle Kenntnisse in der Wollarbeit und in der Haushalts-

Unwissenheit und Vorbildung

98

Rechtliche Unmündigkeit?

Finanzielle Unmündigkeit?

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

führung besessen haben, habe diese im Verlauf der Ehe, möglicherweise unter Anleitung der im Haus wohnenden Schwiegermutter, aber wohl noch weiter ausbilden können. Im Gegensatz zu Hesiods Vorstellung von der Frau als Drohne und nutzlosen Esserin im Haushalt habe Isokrates im 4. Jh. v. Chr. das Bild von der Frau als Bienenkönigin geprägt, und sie analog als Zentrum der Haushaltsorganisation gesehen [so etwa 5.2: R, Athenes Gewänder 165, und 4.4: H, Frauen 72]. E. H [5.3: Geschlechterdefinitionen 38ff.] hat kürzlich die beliebte Methode, antike Geschlechterverhältnisse aus rechtlichen Vorschriften zu rekonstruieren, unter Hinweis auf die Spezifika v.a. des attischen Rechtswesens überzeugend in Frage gestellt. Die Vorstellung von der Unmündigkeit der Athenerin [vgl. etwa 3.2: B, Familie; 2.5: C, Griechen 70f.] ist in letzter Zeit revidiert worden: V. H [5.3: Policing Athens 14] und E. H [5.3: Geschlechterdefinitionen 41] haben hervorgehoben, die Rolle des griechischen kýrios als eines lebenslangen Geschlechtsvormundes und als Haushaltsvorstand sei von der älteren Forschung fälschlich weitgehend analog zum römischen pater familias konstruiert und auch über Athen hinaus angenommen worden. In Athen habe es jedoch durchaus eine Kategorie von Frauen eigenen Rechts gegeben (vgl. Menanders Komödie Perikeiroméne 497), die in rechtlichen Belangen von keinem Mann abhängig gewesen seien [5.3: H, Policing Athens 33; zustimmend 5.3: C, Andreia 158]. E. H [5.3: Geschlechterdefinitionen 51] plädiert überzeugend dafür, den Begriff Vormund, welcher Unmündigkeit suggeriere, durch das formlosere ,,Fürsprecher“ zu ersetzen. Auch Form und Existenz der Geschlechtsvormundschaft (kyrieía) in Sparta sind umstritten: von einer solchen ging P. C aus [4.4: Spartan Wives 100; vorsichtig hierzu 5.3: H, Female Property 105f.; ablehnend 5.3: B, Matrimonio, sowie 4.4: S, Geschorene Braut 574f.]. Im Bereich finanzieller Mündigkeit, etwa der Besitzmöglichkeiten, unterscheidet die jüngere Forschung zwischen de iure und de facto [etwa 5.3: H, Policing Athens 9–42; 5.3: C, Andreia 153 u. 156]. Formalrechtlich seien Athenerinnen zwar in ihren Eigentumsrechten und ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt gewesen, tatsächlich hätten sie aber jenseits dieser Regeln agiert [etwa 5.3: F, Household; vgl. auch 5.3: H, Women and Lending 309–321]. Auch die These vom Verbot weiblichen Landbesitzes in Athen wurde revidiert. L. F [5.3: Household 33] und C. A. C [4.3: Household Interests 76] haben gezeigt, dass Landbesitz von Frauen nicht durch rechtliche Verbote, sondern bestenfalls durch Familienstrategien geregelt war. Mitgiften für Töchter konnten in Athen durchaus aus Land bestehen; zumindest konnte Land als Sicherheit für die Mitgift gegeben werden, wenn nicht genügend bewegliches Vermögen vorhanden war. Mehrfach wurde ge-

5. Pflüger und Weberinnen

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gen D. M. S [5.3: Economic Rights] auch hervorgehoben, ein männlicher Haushaltsvorstand sei weder Eigentümer des Haushalts noch unumschränkter Herrscher über denselben gewesen [so 4.1: D, Homosexuality 8; 4.3: C, Household Interests 73; 5.3: F, Household 28, und s. bereits 5.3: H, Law of Athens I, 79f.]. Bei Verschwendung des Familienvermögens habe er gerichtliche Verfolgung und soziale Ächtung riskiert und keinesfalls über das Oikosvermögen als persönliches Eigentum verfügen können. C. A. C [4.3: Household Interests 74] und L. F [5.3: Household 36] stellten außerdem fest, Frauen hätten oft genaue Kenntnisse über die finanziellen Verhältnisse und über das Eigentum des Ehemanns besessen. Mehrfach ist sogar die wirtschaftliche und organisatorische Dominanz der Frauen in Athener Haushalten hervorgehoben worden. Status und Alter eines Haushaltsmitglieds hätten demnach wichtiger sein können als das Geschlecht [zum Einfluss vor allem älterer, erfahrener Frauen, oft Witwen 5.3: F, Household 36; 5.3: H, Policing Athens 33–37; 7.4: W-H, Diktum 203]. Das wirtschaftliche Gewicht der Frauen im Haushalt war nach F [5.3: Household] und C [4.3: Household Interests 75] von der zwar nicht rechtlich vorgeschriebenen, aber sozial unbedingt nötigen Mitgift beeinflusst. Den gesellschaftlichen Druck, der Tochter oder Schwester eine Mitgift bereit zu stellen, betonte auch D. C [4.1.1: Law, Sexuality 97]. Diese konnte die Ehefrau bei einer Trennung wieder beanspruchen [5.3: S, Frauenreichtum 283]. Da man sich bei einer Eheschließung aus sozialen Gründen – nicht zuletzt um einen übergroßen Einfluss der Ehefrau zu verhindern – um Ausgewogenheit zwischen Mitgift und väterlichem Erbteil des Ehemanns bemüht habe [5.3: F, Household], konnte die Androhung einer Trennung durch die Frau die Hälfte der Oikosressourcen betreffen. Die Vorstellung von der unwissenden, im Haus eingeschlossenen Athenerin, welche geachteter außerhäuslicher Erwerbsarbeit nicht nachgehen durfte, hat auch in der Frauen- und Geschlechterforschung Tradition [vgl. 1: P, Frauenleben 106ff.]. Noch M. B. S [4.1: Sexuality 150] meinte, nur wenige Berufe seien den Frauen möglich gewesen, und von diesen am ehesten noch die Prostitution. Gegenwärtig werden die Geschlechterverhältnisse im Haushalt aber auch unter anderen Vorzeichen analysiert: Zum einen ist die Zuordnung des Haushalts zum ,privaten Bereich‘ auch für das klassische Griechenland in Frage gestellt worden [zur Kontroverse vgl. 4.1.1: F, Pandora Unbound 138, und 7.4: W-H, Diktum 203]. Zum anderen wurde deutlich, dass die potentiell geringschätzige Haltung eines überwiegenden Teils der Forschung gegenüber Haushalt und Hausarbeit [typisch etwa 7.2: W, Frauen- und Mädchenbildung 63] auf die Wertmaßstäbe der modernen Industriegesellschaft zurückgeht. P. S P [1: Differenz 204] und R. R [5.2: Athenes Ge-

Wirtschaftliches Gewicht

Außerhäusliche Erwerbsarbeit

100

Männliche Erwerbsarbeit

Landbesitz in Sparta

Wirtschaftliche Dominanz der Spartanerinnen?

Veränderungen im Hellenismus?

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

wänder 16ff., 81] zeigten, dass diese rezenten Einschätzungen von der antiken griechischen Gesellschaft nicht geteilt wurden. Auch die Möglichkeiten griechischer Männer in Bezug auf ,außerhäusliche Erwerbsarbeit‘ sind relativiert worden: Für den athenischen Bürger war in der nach wie vor prägenden Tradition der Adelsethik Sozialprestige nicht aus abhängiger regelmäßiger Erwerbsarbeit und daraus erwachsendem Einkommen zu beziehen [zur Abwertung des Handwerks im 5. Jh. v. Chr. vgl. 5.3: M, Athen 498ff.; 5.3: H, Athenische Demokratie 122]. In manchen Staaten sei durch Handelsverbote die Priorität der Landwirtschaft als einzig ehrbare Beschäftigung des freien Mannes garantiert worden (Aristot. pol. 1316b 3–5). D. C [5.3: Andreia 153, 159] hat aus diesem ,Arbeitsverbot‘ für bürgerliche Männer gar deren wirtschaftliche Inkompetenz abgeleitet: In Gerichtsreden sei finanzielle Naivität als positive Eigenschaft eines bürgerlichen Bauern im Gegensatz zu den diesbezüglich gewitzten Frauen, Fremden und Sklaven hervorgehoben worden. Frauen als Landbesitzer werden in den antiken Quellen für Sparta deutlicher sichtbar als in Athen (Aristot. pol. 1270a 23–25). W. S [4.4: Geschorene Braut 592ff.] hat etwa für bestimmte Abschnitte der spartanischen Geschichte die Vererbung von Land über die weibliche Linie angenommen; seit dem 5. Jh. v. Chr. sei aber wieder Patrilokalität üblich gewesen. S. H [5.3: Female Property 104 u. 120] geht von grundsätzlicher Erbberechtigung der Spartanerinnen und von aus Land bestehenden Mitgiften aus. Der oft betonte Unterschied zwischen Athen und Sparta bedarf, was die Geschlechterverhältnisse angeht, auch in Bezug auf wirtschaftliche Möglichkeiten und Aufgaben einer Relativierung. Waren die männlichen Kompetenzen im Oikos für Athen oft überschätzt worden, so wurden sie für Sparta gern unterschätzt [vgl. 4.2: M, Athenian Ideology 72f.]. Unter Hinweis auf die häufigere Abwesenheit der Männer im Krieg (das Argument schon bei Aristot. pol. 1269b) oder ihre kriegerische Ausbildung und daraus folgende Abwesenheit vom Haushalt [4.4: K, Family Dynamics 33; 4.4: D, Frauen von Sparta 71] wurde gern die wirtschaftliche Dominanz der Spartanerinnen postuliert [so 4.1.2: P, Spartan Women 85]. Allerdings bezweifelte etwa J. D [5.3: Le femme 393] die ,wirkliche Geschäftsfähigkeit‘ der Spartanerinnen. S. H [5.3: Female Property 105f.] und E. G. M [4.2: Athenian Ideology 372] haben gegenüber S. P und M. D das notwendige Interesse beider Geschlechter am Oikos auch für Sparta betont. Nicht nur die lokalen Unterschiede zwischen Athen und Sparta, sondern auch die gern angenommenen chronologischen Entwicklungsstufen im griechischen Geschlechterverhältnis werden inzwischen weniger deutlich konturiert: So hat R.  B [5.3: Women and Wealth 33]

6. Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport

101

etwa überzeugend der These widersprochen, wirtschaftliche Möglichkeiten von Frauen hätten sich erst im Hellenismus deutlich verbessert. Sie sah demgegenüber vielmehr ,,a remarkably similarity“ zwischen klassischer und hellenistischer Zeit. Vor allem die von Aristoteles vertretene Ansicht von der notwendigen und nützlichen Herrschaft des Mannes über die Frau prägte die Vorstellungen von der hierarchischen Grundstruktur des Oikos. R. R [5.2: Athenes Gewänder 80, 166 u. 327] hat hierzu festgestellt, das hierarchische Modell des Aristoteles sei nicht zuletzt aufgrund von dessen besonderer Autorität in der Neuzeit und durch Versuche seiner Instrumentalisierung für jeweils zeitgenössische Entwürfe in den modernen Interpretationen überbewertet worden. Seine Aussagekraft für die Verteilung konkreter Befugnisse im griechischen Oikos sei ,,relativ gering“. Auch E. H [5.3: Geschlechterdefinitionen 43] wendet sich gegen die Vorstellung einer eindeutigen Hierarchie: Die Autorität im Haushalt sei ebenso wie unter Vätern und Söhnen auch unter Ehepartnern von Fall zu Fall auszuhandeln gewesen. R [5.2: Athenes Gewänder 166] hat angesichts der geschlechtsspezifischen ,,funktionalen Trennung von Verantwortlichkeiten, Anweisungs- und Entscheidungsbefugnissen“ die These vertreten, die unterschiedlichen Aufgabenstellungen für Männer und Frauen ließen eine ,Allmacht‘ des antiken Hausherrn als anachronistisch erscheinen. L. F [5.3: Household 31f.], D. C [5.3: Andreia 154] und V. H [5.3: Policing Athens 12] sehen den Hausherrn eher als Repräsentanten des Haushalts nach außen. Er vermittle Entscheidungen, welche innerhalb des Haushalts im Konsens von dessen Mitgliedern getroffen würden, in die Öffentlichkeit des Rechts und der politischen Institutionen.

Hierarchie im Oikos

6. Krieger und Amazonen? Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport 6.1 Erziehung zum Krieger Die überragende Bedeutung des militärischen Felds für die Konstruktion des idealen männlichen Bürgers wie auch für den Alltag der historischen männlichen Personen in Griechenland ist unbestritten. Aufmerksamkeit gefunden hat die Bedeutung von ,Mut‘, andreía, als spezifischer Männertugend. Außerdem war die Frage nach dem Zusammenhang von militärischer Sozialisation und sportlicher Betätigung in der griechischen Gesellschaft von besonderem Interesse. N. L [2.1: Tiresias; ähnlich auch 6.2:  W, Greek Warfare 40], hatte andreía als Manifestation des Bürgerseins betont, der etwa

andreía/Mut

102

Bürger und Krieger

Militärisches Ideal in Sparta

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

in den Gerichtsreden die Beschimpfung als ,Weib‘ gegenüberstehe. Mut erscheint in antiken Quellen (Plat. Lach. 190e 4) als letztlich höchstes Erziehungsziel, als das Kriterium, welches den Knaben zum Mann macht [6.1: R/S, Introduction 5]. Er sei jedoch nur dann ein Wert, so J. R [6.1: Courage 127], wenn er nicht von Natur aus vorhanden, sondern kulturell geschaffen worden sei. Entsprechend müsse der griechische Mann laufend in agonalem Umfeld beweisen, dass er diesen Mut erfolgreich erworben habe. Das Fehlen von andreía in der Bedeutung ,Mut‘ könne unter Männern zum Integrations- oder Ausschlusskriterium werden [6.1: R, Courage 129]. Für Athen wurde die Frage diskutiert, ob die Anforderung, Mut im Sinne militärischen Könnens und kriegerischer Tapferkeit zu beweisen, im Laufe einer historischen Entwicklung der athenischen Erziehung weniger wichtig geworden sei [zu den traditionellen Thesen der Entwicklung griechischer Erziehung vgl. auch 7.2: G, Public and Private 23]. Zeichnet sich, wie S. M [6.2: Athleten 144f.] gemeint hat, eine Veränderung des Anforderungsprofils für den männlichen Bürger ab, vom Beweis körperlicher Stärke hin zu einer Intellektualisierung? Wurde ,reden können‘ wichtiger als ,kämpfen können‘ (vgl. auch unten Kap. 7.2.)? Insgesamt ist wohl für Athen eher von einer Ausweitung als von einer Ablösung des Mut-Ideals in der Erziehung auszugehen. Mut sei J. R [6.1: Courage 128] zufolge nicht die Summe aller Tugend, aber kaum eine männliche bürgerliche Tugend sei denkbar ohne Mut. Außerdem zählt auch im späten 5. und im 4. Jh. v. Chr. Scheu vor dem Militärdienst oder gar das Wegwerfen des Schildes nach wie vor zu den Dingen, welche die bürgerliche Existenz eines Mannes in Athen auf schändliche Weise destruieren [so 6.1: R, Citizens 121f.]. M. D [2.5: Aristotle 189f.] hat auch für das späte 4. Jh. v. Chr. die enge Verbindung von Kampf und andreía betont: die aristotelische andreía (eth. Nik. 1115a 30) zeige sich v.a. im Angesicht des Todes, wobei der noble Tod auf dem Schlachtfeld gemeint sei. Wer diesen nicht sterben könne, habe folglich auch keine andreía. K. W [6.1: Geburt und Hochzeit 246f.] hat die Bedeutung des männlichen Jugendlichen als zukünftigen Kriegers im griechischen Imaginären hervorgehoben. In allen Bereichen männlicher Sozialisation zeige sich, so A. H und G. S [2.3: Körperbild 9], wie sehr die Knabenerziehung auf deren ,,spätere Rolle als Krieger, resp. Bürger ausgerichtet“ gewesen sei. M. G [3.1: Children 64] hat unter Berufung auf den Epitaphios des Hypereides (epit. 8) das Ziel auch athenischer Schulbildung in der Erschaffung von militärisch tauglichen Bürgern benannt: ,,Wir erziehen Kinder, damit sie gute Männer werden, und sie zeigen, dass sie gut erzogen worden sind, indem sie besonders tapfer in der Schlacht sind.“Für Sparta wurde die Kontinuität militärischer Tapferkeit als höchstes männliches Bildungsziel nie in Frage gestellt [2.3: T, Körpergeschichte 49–54; zur militärisch orientierten

6. Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport

103

Erziehung der Knaben in Sparta s. etwa 7.2: S, Sprache 96 mit Lit.]. Körperliche Betätigung war dort stets auf kriegerische Tüchtigkeit hin ausgerichtet, der Grad öffentlicher Organisation der Erziehung der Jugend sowie die chronologische Entwicklung sind jedoch umstritten: N. K [6.1: Gymnasium 147] hat das Quellenproblem für Sparta hierbei erneut durchdacht und hervorgehoben, die dem archaischen Gesetzgeber Lykurg zugeschriebene Organisation der staatlichen Knabenerziehung in Sparta sei in der von Plutarch (2. Jh. n. Chr.) beschriebenen strengen Form in Altersklassen erst eine Erfindung des 3. Jh. v. Chr. Über die archaische und klassische Zeit sei folglich kaum etwas bekannt. Dies hat J. E [6.1: Training 99] als ,,radikale Position“ charakterisiert; skeptisch gegenüber K zeigen sich auch P. C [6.1: Rez. Kennell] und W. S [7.2: Sprache 96], während L. T [6.1: Rez. Kennell] eher Zustimmung äußert. P. V-N [6.1: Der Schwarze Jäger 106–113] hat die Formung des zukünftigen Kriegers in Athen im Rahmen der Ephebie des 4. Jh. v. Chr. hervorgehoben. Er verstand diese als Initiationsritual und setzte den Dienst der 18–20-jährigen Athener in attischen Grenzfestungen mit der Absonderung der Heranwachsenden in der Wildnis in ,primitiven‘ Kulturen gleich. Kritisch hierzu äußerten sich D. L [6.1: Measure of Youth 23–28], L. B [6.1: Bürger und Soldaten 53ff.], D. B. D [6.1: Rethinking the Black Hunter 71–84] und O. P [6.1: Liminality 85–106], die sich gegen die Gleichsetzung der attischen Grenzen mit Liminalität im Sinne von ,Wildnis‘ ausspricht. Auch L. B [6.1: Bürger und Soldaten 72–74] möchte die Ephebie nicht als ,,eigentliches Initiationsritual“ verstanden wissen. Erziehungsziel in der Ephebie sei aber durchaus ,,dasjenige des Polisbürgers in Waffen, der wohl gerüstet seinen militärischen Pflichten freudig nachkommt“, gewesen. Feigheit wurde als spezifisch weibliche Eigenschaft den Frauen zugeordnet, welche ihre Ängste nicht kontrollieren könnten [6.1: L, Feminine Nature 241f.]. Diese Einschätzung wird deutlich in der Vorstellung, wenn ein Mann so tapfer wie die tapferste Frau sei, so sei er im Kreis seiner männlichen Gefährten (immer noch) ein Feigling (Aristot. pol. 1277b 20f.; vgl. auch Plat. Tim. 90e 8f.). Männliche Feigheit wurde sanktioniert. Die sogenannte deilías graphé, eine Klagemöglichkeit wegen Feigheit in Athen, wird von der jüngeren Forschung für historisch gehalten, auch wenn keine konkreten Fälle bekannt sind [vgl. 6.1: B, Deilias graphe]. Den Militärdienst zu verweigern kostete in Athen das Bürgerrecht [4.1.1: H, Democratic Body 95]. Die Aufgebotspflicht athenischer Metöken, die kein Bürgerrecht besaßen, aber sich im Kriegsfall trotzdem nicht entziehen konnten, hat P. C [2.5: Griechen 110] hervorgehoben. In der spartanischen Vollbürgergruppe war Kriegsdienstverweigerung eine wohl nicht vorstellbare Alternative.

Ephebie in Athen

Feigheit

Kriegsdienstverweigerung

104 Kriegerischer Männerclub?

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

P. V-N [6.1: Der Schwarze Jäger 183–186; ähnlich auch B, Bürger und Soldaten 255] charakterisierte die Polis als Männerbund von Politikern und Kriegern [zur Geschichte der Bezeichnung men’s club s. 4.3: G. F, Figures 113f.]. Hieraus wurde von manchen der automatische Ausschluss der Athenerinnen aus der Bürgergemeinschaft abgeleitet [6.1: S, Women 15–53]. Dem widersprach überzeugend M. K [7.4: Women and Democracy 56f.]: Teilnahme am aktiven Kampf sei nicht das einzige den Bürger konstituierende Element. J. B [7.4: Recht und Ritus 4] analysierte die Verwendung des Begriffs politai, der ihrer Meinung nach nicht nur den waffentragenden Männern vorbehalten war (vgl. auch unten Kap. 7.4). 6.2 Krieg, Sport und Männlichkeit

Sport als militärische Ausbildung?

Krieg und Sport gelten in der Forschung weithin als Bereiche, in denen die agonale Demonstration von andreía besonders eindrucksvoll möglich war [6.1: R/S, Introduction 8]. Der Nutzen des Sports für erfolgreiche militärische Männlichkeit wurde aber schon im 6. Jh. v. Chr. von Kritikern wie etwa Xenophanes von Kolophon (fr. 2 Diels/Kranz = Athen. 413f–414c) bestritten. Er hielt Geisteskraft für wichtiger als die Kraft von Männern oder Pferden; Olympiasiege würden die Vorratskammern der Stadt nicht füllen. Platon (z. B. Plat. pol. 404ab) ließ Sport und vor allem Gymnastik nur insofern gelten, als sie sichtbar der militärischen Vorbereitung oder der körperlichen Gesundheit dienten [2.3: T, Körpergeschichte 20; 6.2: M, Athleten 93ff. u. 158]. Die These von der Entstehung des griechischen Gymnasions als Trainingsstätte für die bürgerlichen Hopliten ist aber lange vertreten worden. D. K [6.1: Militärische Ausbildung 52f.] hat jedoch kürzlich herausgestellt, dass sich für vorhellenistische Epochen kaum Anzeichen für organisiertes Training der Hoplitenphalanx erkennen lassen. Ähnlich argumentiert auch H.  W [6.2: Greek Warfare 89f.], welcher bestenfalls private Übung der Waffen mit einschlägigen Lehrern annehmen möchte. Sport im Gymnasion sei also keine militärische Ausbildung für alle gewesen, sondern habe nur einer freiwilligen allgemeinen Ertüchtigung gedient, welche allerdings indirekt der militärischen Leistungsfähigkeit zugutekam [6.2: V W, Greek Warfare 92]. Erst im Hellenismus seien spezifisch militärische Disziplinen wie etwa Bogenschießen oder Katapulttraining hinzugekommen [vgl. ähnlich auch 6.2: M, Krieg, Sport 13]. In Sparta sei militärisches Training für Heranwachsende und Erwachsene hingegen in stärkerem Grad organisiert worden [6.2:  W, Greek Warfare 92]. Unabhängig vom faktischen Nutzen sportlichen Trainings der Männer für das militärische System scheint aber doch auch für die Griechen außerhalb Spartas der durchtrainierte männliche Körper ein

6. Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport

105

Symbol für kriegerische Überlegenheit gewesen zu sein [so 2.3: T, Körpergeschichte 68]: Die Zurschaustellung nackter barbarischer Kriegsgefangener mit ihren weißen untrainierten Leibern (Xen. hell. 3.11.19; Ag. 1,28) trug zur Hebung der Kampfmoral bei. 6.3 Kriegerische Weiblichkeit? Das militärische Feld und die Erziehung von Mädchen Der Amazonenmythos wurde von E. K [4.1: Phallus 45] als ,,charter myth“ eines spezifisch athenischen Chauvinismus interpretiert. Er sei das schlagendste Beispiel der Vermischung von ,,male-sexist and . . . nationalistic elements in Attic culture“. Für J. M. B [6.3: Amazons 56] verkörpern die Amazonen im 5. Jh. v. Chr. ,,a collective threat to the collective of masculine citizens“. Widerspruch gegen symbolische Deutungen der Niederlage der Amazonen als Triumph der männlichen Hierarchie über Frauen haben J. B [6.3: Amazons 20] und M. L [2.1: Töchter des Zeus 31f.] eingelegt. Die Griechen seien imstande gewesen, ,,ohne ethnographischen Code“ etwas zur männlichen Vorherrschaft über die griechischen Frauen zu sagen. Botschaft der Amazonengeschichten sei nach L vielmehr, dass jeder, der sich vom gewöhnlichen Familienleben zurückziehe, eine Gefahr für die ganze Gesellschaft werde. Das Gegensatzpaar eheloses Leben/ Ehe sehen auch B. W-H [6.3: Männerfeindliche Jungfrauen 94] und I. K [6.3: Images of Amazons 27–39] im Zentrum der Amazonengeschichten. S. B [2.1: Women 87–91] hat die Funktion der Amazonengeschichten als negatives Exemplum betont. Es solle letztlich nur zeigen, dass Frauen nicht ohne Männer leben können. P. V-N [6.1: Der schwarze Jäger 186] sieht in der imaginären Gemeinschaft der kämpfenden Frauen schließlich das Negativbeispiel schlechthin: eine ,,Umkehrung der griechischen polis“. Galt andreía als grundlegende Tugend für erfolgreichen Einsatz im Kampf, so stellte sich bereits der Antike die Frage, ob Frauen andreía besitzen könnten und ob sie potentiell fähig zum Kampfeinsatz seien. S. F [2.2: Differenz 116f.] und H.-I. M [6.3: Erziehung 44] haben auf Platons These von der grundsätzlichen Fähigkeit der weiblichen Natur zum Kriegshandwerk hingewiesen (Plat. pol. 453a). Im platonischen Dialog Kritias (110 B–C) werde gar ein Bild vom Athen der Vorzeit entworfen, in dem das Kriegshandwerk Männern und Frauen gemeinsam gewesen sei. P. C [2.5: Griechen 66] hat die Meinung vertreten, die griechische Identifikation von ,,Männlichkeit“ (andreía) mit Tapferkeit, Mut und Kampfbereitschaft habe die Frauen schon etymologisch vom Empfinden derartiger Gefühle oder von der Teilhabe an den entsprechenden Verhaltensweisen ausgeschlossen. Auch H. 

Amazonen

Weibliche andreía

106

Funktion der Frauen im Krieg

Krieg als Sache der Männer?

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

W [6.2: Greek Warfare 39] geht davon aus, Mut sei als Tugend den Frauen verweigert worden. Dagegen stellt S. F [2.2: Differenz 201] fest, Aristoteles halte weibliche andreía für möglich, sie sei allerdings wie die anderen weiblichen Formen von Tugend geschlechtsspezifisch, nämlich als dienend definiert worden. Die Formen dienender Tapferkeit würden jedoch nirgends erklärt. N. L [6.1: Feminine Nature 227– 248] möchte die von Aristoteles den Frauen zugestandene andreía als ,,utter submissiveness“, totale Unterwürfigkeit, definiert wissen. Die konkrete Rolle der Frauen etwa bei Belagerungen ist unterschiedlich eingeschätzt worden. Nach H.  W [6.2: Greek Warfare 39f.] seien Frauen selbst bei der Verteidigung der Stadtmauern unbeteiligt gewesen; bestenfalls hätten sie vom Hausdach aus die kämpfenden Männer angefeuert. F. G [6.3: Women, War 248–254] zweifelte an der Historizität der Nachrichten von Frauen im Krieg und wertete diese als paradoxe Erzählungen aitiologischen Charakters, die jeweils ein merkwürdiges Ritual oder bildliches Relikt hätten erklären sollen. A. P [6.3: Women of Sparta 138 u. 145] hingegen bescheinigt den Griechinnen außerhalb Spartas, sie hätten sich im Krieg durchaus nützlich gemacht; möglicherweise habe die Idee, die Frauen zu bewaffnen, im Krisenjahr 370/69 in Sparta ,,in der Luft gelegen“. Insgesamt erscheint das antike Diktum vom ,,Krieg als Sache der Männer“ (Hom. Il. 6,492) weitgehend auch für die moderne Forschung zu gelten [vgl. 1: S, Forschungen 168]. L. B [6.1: Bürger und Soldaten 72, Anm. 216] stellt fest, nirgendwo hätte sich die Trennung der Lebenssphären der Geschlechter deutlicher manifestiert als ,,in der Ephebie“, wo Mädchen und Frauen nicht vorkämen. Die Geschlechterverhältnisse ,,im kriegerischen Feld“ sind entsprechend selten behandelt worden. Zu den Ausnahmen zählen etwa N. L [6.1: Feminine Nature], D. M. S [6.3: Women of Greece in Wartime 193ff.] oder C. D [6.3: Colonisation]. E. O’G [6.3: A Woman’s History of Warfare 194] hat kürzlich erst wieder gefragt, warum die Frauen von antiken und modernen Kriegshistorikern vernachlässigt worden seien, und festgestellt, das Feld der Militärgeschichte sei zwar über die traditionelle ,,combat narrative“ hinaus erweitert worden. Das Schlachtfeld verbleibe aber noch immer ein ,,refuge for those historians who wish to avoid the challenges of rethinking history“. 6.4 Sportliche Körpererziehung und Weiblichkeit

Weibliche Körpererziehung

Verbindet man sportliches Training der Männer direkt oder indirekt mit deren Verpflichtung zur kriegerischen Verteidigung der Polis, so erscheint der weitgehende Ausschluss der Frauen aus dem Bereich der sportlichen Körpererziehung nur logisch [6.4: S, Virgineum

6. Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport

107

Gymnasium 185]. Mythische Läuferinnen wie etwa Atalante und Artemis könnten demnach ähnlich wie die Amazonen nicht als Abbilder der Realität, sondern als deren Gegenbild interpretiert werden [6.4: G, Women’s Sports 18; 4.1.1: S, Eros 197f.]. Platons Forderung nach gleicher sportlicher Erziehung von Männern und Frauen (Plat. leg. 805e– 806b; vgl. auch pol. 452a.) wird entsprechend für das klassische Athen einhellig in den Bereich der Utopie verwiesen [2.1: B, Women 12f.; 6.3: M, Erziehung 142; auch 4.1.2: P, Spartan Women 27]. In Athen habe niemals auch nur eine Wahrscheinlichkeit bestanden, diesen Ansatz zu verwirklichen. Platon habe vielmehr die Zustände in Sparta vor Augen gehabt und sich von diesen anregen lassen. Umso mehr faszinierte die sportliche Anteilhabe der Spartanerinnen sowohl die antiken Autoren als auch die moderne Forschung. Organisationsgrad sowie Chronologie der spartanischen Mädchenerziehung sind allerdings umstritten. S. B. P [4.1.2: Spartan Women 27ff.] nimmt ähnlich wie S. H [5.3: Female Property 108] institutionalisierte Mädchenerziehung auch für die klassische Zeit an, sieht diese allerdings nicht in gleichem Maße als ,Vollzeitbeschäftigung‘, wie das bei den Knaben der Fall gewesen sei. Vorsichtig zeigt sich hier E. H [4.4: Frauen 45]: Die Existenz einer vom Staat organisierten Mädchenerziehung analog zu den Knaben sei unklar. L. T [2.3: Körpergeschichte 56] meint schließlich, öffentliche Mädchenerziehung sei überhaupt nur in der reichen Oberschicht denkbar gewesen. Einflussreich erweisen sich auch hier die Thesen von N. K [6.1: Gymnasium 98, 147 u.ö.] zur Entwicklung der spartanischen Erziehung, welcher vor allem die Verwendung der Aussagen Plutarchs für die spartanische Archaik und Klassik problematisiert. Entsprechend zieht S. B. P [4.1.2: Spartan Women 27ff.] Plutarchs agogé als womöglich hellenistische Erfindung in Betracht, L. T [4.1.2: Spartanische Frauen 137] hat eine sekundäre Ausweitung des spartanischen Mädchensports im Hellenismus postuliert. Kontrovers diskutiert werden die Ursachen und Ziele des Mädchensports in Sparta: Trotz Plutarchs Aussage (mor. 227d), Selbstverteidigung sowie Verteidigung ihrer Kinder und des Landes seien ein Ziel ihrer körperlichen Ausbildung gewesen, besteht Einigkeit darüber, dass auch von den Spartanerinnen keine aktive Teilnahme im Kampf gewünscht oder gar verlangt war. Konfrontiert mit unmittelbarem Kriegsgeschehen sollen sich Spartanerinnen sogar als besonders unfähig erwiesen haben, da sie nicht an kriegerische Bedrohung zuhause gewohnt gewesen seien [4.1.2: P, Spartan Women 16; vgl. auch 6.3: P, Women of Sparta 137–150]. P. C [4.4: Spartan Wives 93] schrieb den Spartanern stattdessen Absichten in puncto Gleichberechtigung zu: Durch die sportliche Erziehung auch der Mädchen habe man offiziell einen gewissen Grad an Gleichheit zwischen den Geschlechtern herstellen wol-

Platon

Spartanischer Mädchensport: Organisation

Spartanischer Mädchensport: Funktion

108

Frauensport jenseits von Sparta

Sakrale Komponente

Initiation und Sport

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

len. Dem hat P. B [6.4: Aspects Ludiques 18] unter Berufung auf eine andere Aussage Plutarchs (Plut. Lykurgos 14,2–3; vgl. auch ders. mor. 232c) widersprochen: Die sportliche Betätigung der Jungfrauen sei als ,,heiratsfördernd“ und deshalb als für die spartanische Gesellschaft vorteilhaft gesehen worden. Bei den Männern sei durch den Anblick der sportlich-leichtbekleideten [so 7.2: K, Anständige Nacktheit 183f.] oder gar nackten Frauen [4.1.2: P, Spartan Women 25] der Wunsch zur Heirat entbrannt. Stimmt man ihr zu, so ließe sich spartanischer Frauensport als Antwort auf den stets latent vorhandenen Nachwuchsmangel in den Haushalten der Spartiaten verstehen. Zum einen hätte er die Männer zur Heirat (und damit zur Kinderzeugung) angeregt, zum anderen, wie bereits Xenophon (Lak. pol. 1,4) betont hatte, die Möglichkeit erfolgreicher Geburten und kräftigen Nachwuchses erhöht. Die Forschung ist Xenophon in dieser eugenischen Interpretation weitgehend gefolgt [so etwa 6.3: M, Erziehung 67; 4.1.2: P, Spartan Women 4; 6.4: S, Virgineum Gymnasium 188, und 6.4: G, Women’s Sports 25]. Von Spartanerinnen wurde nicht aktive Kampfteilnahme, sondern erfolgreiches Gebären erwartet. Die Vorstellung von einer Parallelisierung des männlichen Todes auf dem Schlachtfeld mit dem weiblichen Tod im Kindbett [so 7.2: C, Choruses 205] kritisierten jüngst P. B und L. P [6.4: Women’s Way of Death 151–178]. Gestand man Sparta in der griechischen Welt relativ problemlos einen Sonderstatus zu, so wurden Nachrichten über sportliche Betätigung von Mädchen und Frauen in anderen Teilen der griechischen Welt in der neuzeitlichen Forschung als erklärungsbedürftig empfunden. Auffällig ist hierbei die Tendenz, bei sportlichen Wettkämpfen der Männer die Verbindung zu Religion und Kult eher gering zu achten und besonders das agonale Prinzip im Sport als Teil von Männlichkeit zu postulieren. Im Fall des Frauensports wurde hingegen die Bedeutung des Agonalen kaum erwogen und stattdessen die sakral-rituelle Komponente betont [so etwa 4.4: H, Frauen 45]: Die sportlichen Disziplinen für Frauen würden ,,häufig in den Kontext ritueller Handlungen gestellt“. R. R [5.2: Athenes Gewänder 232] hat kürzlich im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsstreben im Rahmen der Textilarbeit ebenfalls festgestellt, über ein ,,sich Messen aufgrund eigener Leistung“ sei bisher ,,ausschließlich in Bezug auf Männer nachgedacht“ worden. Dies gilt ähnlich für die sportliche Betätigung von Frauen. Man interpretierte die Nachrichten von Wettläufen der Frauen etwa als uralte Survivals aus griechischer Frühzeit [6.4: D, Kult und Spiel 25] oder als lokale kultische Sonderformen [6.4: A, Donne e Sport 83]. Den weitesten Widerhall fanden Thesen, welche für sportliche Betätigungen von Mädchen und Frauen den Kontext von Initiationsritualen postulierten. L. T [4.1.2: Spartanische Frauen, 137] stellte das Aufkommen

6. Griechische Geschlechterverhältnisse in Militär und Sport

109

sportlicher Betätigung für Mädchen in Sparta ,,zunächst“ in den Zusammenhang mit ,,rituellen Handlungen und Initiationsriten“. C. C [7.2: Choruses 236f.] und E. G. M [4.2: Athenian Ideology 367ff.] interpretierten Mädchenlauf in Sparta als Teil einer weiblichen Initiationszeremonie. In was genau die Mädchen durch sportlichen Wettbewerb initiiert worden seien, blieb meist unklar oder umstritten. P. V-N [6.1: Der Schwarze Jäger 142] sah etwa in den Mädchenwettläufen in Brauron den rituellen ,,Übergang von der Wildheit zur Zivilisation“ symbolisiert; die weiblichen Wettläufe werden auch bei T. S [6.4: Virgineum Gymnasium 201 u. 206 mit älterer Literatur; 6.4: ., Footrace 90] als voreheliche Initiationswettbewerbe gedeutet. (Zur ,,Initiation“ vgl. unten Kap. 7.3.) Die Tendenz, sportliche Betätigung von Frauen vor allem unter symbolisch rituellem Blickwinkel zu betrachten, führte dazu, dass vielfach die naheliegende Frage unterblieb, ob denn die griechische Einrichtung des Gymnasions – nach D. S [7.2: Woman least mentioned 323] ,,entirely closed to women“ – wirklich ausschließlich der Bildung und körperlichen Ertüchtigung des männlichen Bürgers diente. H.-I. M [6.3: Erziehung 200] erwähnte die Anwesenheit von Mädchen im Gymnasion nur am Rande und beschränkte sie auf die hellenistische Epoche. Erst in jüngerer Zeit haben vor allem auf Basis inschriftlicher Zeugnisse Diskussionen begonnen, welche über die schlichte Aussage G. Ws [7.2: Frauen- und Mädchenbildung 68], Jungfrauen und Ehefrauen seien im Gymnasion nicht willkommen gewesen, hinausgehen [so etwa bei 6.4: K, Teilnahmeklauseln 244f.; vgl. auch 7.2: K, Anständige Nacktheit 190]. C. B [6.4: Reich der Frauen 131–134] hat anhand von Abbildungen auf rotfigurigen Vasen bereits 1984 die Meinung vertreten, auch junge Frauen hätten das Gymnasion besucht. Im Hellenismus ist etwa im phrygischen Doryleion inschriftlich von einer ,,Gymnasiarchin für die Frauen“ die Rede [6.4: G, Women’s Sport 29]; für Chios belegen literarische Quellen der Kaiserzeit (Athen. 13,566e) einen ,,gemeinsamen Ringkampf von Mädchen und Knaben im Gymnasion“ [6.3: M, Erziehung 229]. Auch das Diktum vom Ausschluss der Frauen aus den überregionalen sportlichen Agonen ist inzwischen herausgefordert worden [vgl. 4.1.1: S, Eros 325 u. 327]. M. D [7.3: Religion 131f.] betont die Anwesenheit der Jungfrauen bei den regulären Olympischen Spielen sowie die Zulassung weiblicher Zuschauer bei den anderen panhellenischen Agonen und stellt fest, im Falle der Letzteren gäbe es nur für die klassische Zeit keine Belege für aktive Teilnahme weiblicher Wettkämpfer. Diskutiert wird allerdings noch, ob Männer und Frauen gemeinsam antraten oder ob für die Frauen eigene Veranstaltungen organisiert worden seien. A. G [6.4: Women’s Sports 30 mit Lit. zur Kontroverse] hält unter Hinweis auf Mädchenwettkämpfe bei den Isthmien in Korinth im

Sportliche Geschlechtertrennung?

110

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

1. Jh. v. Chr. eine Erweiterung der Wettkämpfe für beide Geschlechter in der Kaiserzeit für wahrscheinlich und betont zu Recht unser nur fragmentarisches Bild von der sportlichen Betätigung griechischer Frauen.

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos: Öffentlichkeit, Religion und Politik 7.1 ,Privat‘ und ,öffentlich‘ – drinnen und draußen: Räume für die Geschlechter

,Privat‘ und ,öffentlich‘

Männlichöffentlich versus weiblich-privat?

Die Frage nach der Bedeutung des Raums für das Verständnis einer Gesellschaft wurde auch für die Geschlechterverhältnisse in den Altertumswissenschaften gestellt. Nach wie vor kontrovers diskutiert ist die Aufteilung des Raums in ,privat‘ und ,öffentlich‘, in drinnen und draußen. Die Herkunft dieses dichotomischen Konzepts aus dem 18. und 19. Jh. betonte M. K [7.4: Women and Democracy 52f.; vgl. auch zur Begriffsveränderung 7.1: W, ,Öffentlich‘ und ,privat‘ 226ff.; 7.1: S-P, Public et privé 5–13]. Bis in jüngste Zeit wurden diese Gegensatzpaare auch für Griechenland als analog konstruiert, so etwa bei D. C [4.1.1: Law, Sexuality 70ff.], in jüngerer Zeit auch wieder bei F. Z [4.4: Reflections 58], J. F [2.2: Verweichlichung 49f.] und J. B [7.2: Virtual voices 95–116]. Ein Zusammenfallen von ,öffentlich‘ bzw. ,außer Haus‘ mit der Kategorie ,Polis‘ und ,privat‘ bzw. ,innerhäuslich‘ mit ,Oikos‘ ist aber nach Meinung von D. MD [CR 42, 1992, 345–347] und L. F [4.1.1: Pandora Unbound 138] für Athen wohl nicht anzunehmen. Auch E. C [5.3: Andreia 155] hat die Funktion des Hauses als Ort der Berufsausübung – etwa für Ärzte, Schmiede, Tischler etc. bis hin zu den Bordellbetreibern – betont und R. R [5.2: Athenes Gewänder 22] das Haus als Ort für die Ausübung von Frauenarbeit ,,im eigenen Auftrag“ charakterisiert. A. S [7.1: Räume 89f.] kam zu dem Schluss, die Differenz zwischen öffentlich und privat sei keine Frage des architektonischen oder urbanistischen Layouts, sondern werde durch das öffentliche oder private Verhalten der Akteure in ihrem Anspruch auf bestimmte soziale Rollen bestimmt; gegen ein athenisches Konzept von ,privacy‘ spricht sich auch G. S [7.1: Sexual Bodybuilding 155] aus. Bereits M. K [7.4: Women and Democracy 52f.] stellte eine ,,new emphasis on the oikos as a specifically political unit“ fest, welche implizit die traditionell für Athen vertretenen Konzepte von öffentlich und privat herausfordere. Die hieraus abgeleitete Analogie, welche öffentlich/draußen mit männlich und privat/drinnen

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

111

mit weiblich verbindet, bezeichnete P. S P [1: Differenz 203] als eine fragwürdige ,,Interpretationsverabredung“. Diese ist von einer Forschungsrichtung für die griechische Kultur überzeugend in Frage gestellt worden. H. F [7.1: Conception of Women 127–168], B. W-H [7.4: Das Private 11–50], C. S-I [Männlich und weiblich], L. F [4.1.1: Pandora Unbound 138] sowie F. F-D und F. L [7.1: Signe, objet, 137– 143] charakterisierten dieses Konzept als ideologische Konstruktion mit neuzeitlichen Wurzeln. Zentral war in den vergangenen Jahrzehnten die Frage nach der Zuordnung der Geschlechter zu bzw. ihrem Ausschluss von bestimmten Räumen. Das Ideal einer Zuordnung der Frau zum Haus hat etwa M. S [4.1: Sexuality 37] unter Berufung auf Hesiod bereits in den frühesten Texten erkennen wollen. J.-P. V [7.1: Hestia und Hermes 32] unterstellte den Griechen einen Blick auf das Haus als den ,,weiblichen und schattigen Raum des Herdes . . . [einen] Raum der Sicherheit und Stille und sogar einer dem Stande des Mannes unwürdigen Weichlichkeit“. Problematisch erweist sich allerdings der Versuch, dieses Ideal ausdrücklich oder implizit als Norm zu nehmen und aus ihm eine Beschränkung des weiblichen Geschlechts auf das Haus oder gar auf bestimmte Bereiche innerhalb des Hauses abzuleiten [vgl. allgemein zu den privaten und öffentlichen Aspekten von Haus und Familie 7.4: M/Z, Einleitung 11–14]. In der Forschung zur attischen Demokratie ist gern die Zurückdrängung des Oikos durch die Polis im 5. Jh. v. Chr. und analog hierzu die Zurückdrängung der athenischen Frauen in das Haus beschworen worden; sogar von ,,einer Art Schutzhaft“ der Athenerinnen war die Rede [so 7.1: S, Oikos 561ff.; vgl. hierzu aber anders 7.4: W-H, Das Private 34ff., und allgemein 7.4: K, Women and Democracy; Zusammenfassung der Diskussion zum Verhältnis von Oikos und Polis bei 7.1: N, House 5–10]. M. D [4.4: Frauen von Sparta 62 u. 68] hat noch 1993 den ,,weitestgehenden Rückzug aus der Öffentlichkeit“ als gültige gesellschaftliche Erwartung in Athen postuliert und die These vertreten, in Athen seien die Frauen nur für Arbeiten innerhalb des Hauses zuständig gewesen. Vor allem die ältere Forschung hatte das Bild der eingesperrten Athenerin vielfach betont [1: P, Frauenleben 119; ausführlicher Forschungsabriss bei 7.1: S-R, Frauen 15–56]; es findet sich bis in die 1990er Jahre in der Literatur [4.4: J, Women 105–125; 5.2: B, Women’s Work]. Noch 1998 hat A. C [2.4: Dirt and Desire 78] die These vertreten, in der griechischen Kultur ließen sich Strategien ,,to isolate and insulate the female” feststellen. Die Welt jenseits des Oikos sei den Athenerinnen nur durch die Vermittlung ihres Vormunds zugänglich gewesen, so D. H [4.1.1: Democratic Body 101]. C. R [4.4: Ehe, Hetärentum 43] ging von Abgeschlos-

Ideal Seklusion?

Die eingesperrte Athenerin?

112

Gegenthesen

Konzept der GeschlechterSegregation?

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

senheit im Haus und daraus folgender ,,emotionaler Verkümmerung“ und ,,geistiger Verarmung“ aus. Seit Mitte der 1980er Jahre wurde das Bild der eingesperrten Athenerin allerdings ernsthaft in Frage gestellt [so bereits bei 7.1: S, Frauen 44–52; 7.1: V, Wife 60ff.]. J. B [7.1: Old Women 206] und E. D [7.1: Old Age 59ff.] betonten etwa Unterschiede in den Freiräumen junger Mädchen und älterer Frauen. B. W-H [7.1: Orientalische Abgeschlossenheit 18–29], D. C [7.1: Seclusion, Separation; 4.1.1: ., Law, Sexuality 84, 149–167], C. S-I [7.1: Männlich und weiblich] und ausführlich C. S-R [7.1: Frauen 34ff.] konnten deutlich machen, wie stark die ältere Forschung unter dem Einfluss orientalisierender Vorstellungen gestanden hat. Die These von der ,orientalischen Abgeschlossenheit‘ wird inzwischen kaum mehr ernsthaft vertreten [so 7.1: S, Räume 84]. Enge Beziehungen der Frauen über das Haus hinaus – in der Nachbarschaft, untereinander und z. B. auch zur männlichen Verwandtschaft, etwa zu ihren Brüdern, sind von D. C [7.1: Seclusion, Separation 10] und C. A. C [4.3: Household Interests 114ff.] gegenüber den Vereinzelungsthesen hervorgehoben worden. B. W-H [7.4: Das Private 19] hatte bereits 1988 die Entwicklung eines kategorialen Rasters zur Gesellschaftsanalyse gefordert, welches ,,matrimoniale, verwandtschaftliche und gefolgschaftsähnliche Strukturen“ berücksichtige, welche mitunter quer zu vertrauten Kategorien verlaufen könnten. D. C [4.1.1: Law, Sexuality 149] und C. S-R [7.1: Frauen 270ff.] ersetzten die Vorstellung einer Seklusion der athenischen Frauen durch das Bild einer geschlechtlich segregierten Gesellschaft. Dieses Konzept meint nach B. W-H [7.4: Das Private 29] ,,eine Gliederung sozialer Räume nach geschlechtsspezifischen Kriterien, . . . ohne dass damit a priori Hierarchien und Unterordnungen festgesetzt sind“. Antike Geschlechterkonventionen lassen sich entsprechend besser auf beide Geschlechter beziehen: Definiert man etwa das Haus als potentiellen Bereich der Frauen, so kann das im Hinblick auf die Männer auch heißen, dass diese sich untertags aus dem Haus ausgesperrt sahen [so auch 4.1: S, Sexuality 141, und 5.1: L, Athenian Woman 177]. V. H [5.3: Policing Athens 34–37] leitet hieraus ab: ,,everything points to an inversion of public and domestic authority. Curtailed in public, women were in control of the household.” Für die Mechanismen einer solchen segregierten Gesellschaft wurde gern auf ethnosoziologische Thesen zur zeitgenössischen ,,mediterranen Gesellschaft“ zurückgegriffen [in der deutschsprachigen Forschung vgl. vor allem 7.1: S-R, Frauen 241–274]. Die Möglichkeiten dieses Ansatzes sind unterschiedlich eingeschätzt worden, eher optimistisch bei W [4.1.2: Eros 22f.; s. auch 5.3: H, Policing Athens 7 u. 96ff., und 4.1.1: C, Law, Sexuality 35–69], wobei W jedoch

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

113

vor der Annahme einer Kontinuität zur Antike warnt, eher kritisch bei C. S-I [7.1: Männlich und weiblich 111–2], welche die Existenz ,,der mediterranen Gesellschaft“ und entsprechend die Tragfähigkeit aus ihr abgeleiteter ethnologischer Analogien, welche ihres Erachtens die Unterschiede verwischten, in Frage gestellt hat. Die Frage nach Seklusion oder Segregation hatte auch eine vermehrte Debatte um den Raum der Geschlechter innerhalb des Hauses zur Folge. Das von der älteren Forschung entworfene Bild von der gynaikonítis als einer Art verschließbarem Harem besaß starke Strahlkraft. Noch in neueren Publikationen erscheint es offenbar notwendig, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sich griechische (und vor allem athenische Frauen) ,,prinzipiell“ innerhalb des Hauses hätten frei bewegen dürfen und es wohl ,,keinen eigentlichen Harem“ gegeben habe [3.2: B, Familie 30]. Man hat berechtigte Mühe auf die Frage verwandt, inwieweit sich Spuren der Geschlechtertrennung im griechischen Haushalt auch in den erhaltenen Überresten griechischer Wohnhäuser nachweisen lassen [4.1: S, Sexuality 37]. Für die klassische Zeit stand die Identifikation des Männerraums (andrón) und des Frauengemachs (gynaikonítis) im Vordergrund. Die Grundrisse griechischer Wohnhäuser lassen jedoch keinen Rückschluss auf rigide Frauenseklusion zu, die Funktion einzelner Räume mit Ausnahme des andrón ist nicht genau bestimmbar, die gynaikonítis im Grundriss nicht erkennbar [7.1: S P, Espaces des cités 6f.]. Der archäologische Befund spiegelt zumindest keine strikte geschlechtsspezifische Teilung des Hauses [7.1: N, House 173f.]. B. W-H [7.4: Das Private 34] weist auf die Tendenz hin, die Existenz eines Männerraums als Zeichen für ,,männliche Weltläufigkeit“, die Bezeugung eines Frauenraumes jedoch als Beleg für ein ,,Haremsdasein“ zu interpretieren. A. S [7.1: Räume 85f.] erachtet entsprechend die Erforschung der räumlichen Organisation sozialer Interaktion für Griechenland als potentiell ertragreicher als die Suche nach den Überresten des Männer- oder Frauengemachs. Die konkrete Geschlechtertrennung im griechischen Haus wird als anlassbezogen charakterisiert: Nur wenn der Hausherr Gäste empfangen habe, hätten sich die Frauen zurückziehen müssen [3.2: B, Familie 30]. Das verbreitete Bedauern über den Ausschluss der Frauen vom Symposion der Männer zog allerdings meist nicht die naheliegende Frage nach den Formen analoger weiblicher Geselligkeit nach sich [vgl. 7.4: W-H, Das Private 28; 7.1: B, Women’s Commensality 150–154].

Ein griechischer Harem?

Anlassbezogene Geschlechtertrennung

114

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

7.2 Körperbildung und Verhaltenstraining für die Öffentlichkeit Schulbildung und Geschlechterrollen

Weibliches Schreiben

Die richtige Haltung

Die Diskussion um die Frage, wie weit Alphabetisierung bzw. gar ,literacy‘ im Sinne von ,literarischer Bildung‘ in der griechischen Antike verbreitet war und wie sie sich geschlechtsspezifisch verteilte, dauert an. Einen insgesamt geringen Literarisierungsgrad für die gesamte Antike nimmt W. H [7.2: Literacy] an. M. G [3.1: Children 62f.] und ähnlich M. G [7.2: Public and Private 23f.] räumen zwar ein, Schule sei im klassischen Athen eine private Angelegenheit gewesen, G [3.1: Children 73f.] geht aber doch von weiter Verbreitung des Schulbesuchs im Fall der Knaben aus und lehnt aushäusige Beschulung der Mädchen ab. Optimistisch hinsichtlich des Erlernens von Elementartechniken bei beiden Geschlechtern zeigt sich G. W [7.2: Frauen- und Mädchenbildung 60f.]; auch E. S [7.2: Mädchenbildung 134] möchte den Mädchen im klassischen Athen durchaus Bildung zugestehen [vorsichtig hierzu 4.2: V, Mousike Gyne 26–28]. Für Athen hat S. B. P [4.1.2: Spartan Women 5] angenommen, die Fähigkeit des Lesens und Schreibens habe für den männlichen Bürger spezielle und geschlechtsspezifisch beschränkte Vorteile gebracht. Analog glaubte etwa F. H [7.2: Literacy 621], der Ausschluss aus dem politischen Leben habe den Erwerb dieser Techniken für die athenischen Frauen als unnütz erscheinen lassen. Dem ist von S. C [7.2: Could Greek Women Read and Write 221f.] widersprochen worden. S. P [7.2: Technikai kai mousikai] glaubt einen Anstieg der Mädchenbildung im Hellenismus feststellen zu können, den sie auf den Rückgang der Kinderzahl in den Familien zurückführt. Die Women’s Studies fragten verstärkt nach den literarisch gebildeten Frauen in Gestalt der weiblichen Autoren der Antike [7.2: S, Woman and the Lyre; 7.2: R, Sappho’s Lyre]. Mit der Tendenz der älteren Forschung, Texte von antiken Dichterinnen entweder als von Männern verfasst oder qualitativ minderwertig [7.2: W, Frauen- und Mädchenbildung 67] einzuschätzen, setzt sich T. S [1: Forschungen 146f.] kritisch auseinander. In der jüngeren Forschung lässt sich die Tendenz zu einem über Schulbildung hinaus erweiterten Bildungsbegriff erkennen. Hier ist vor allem die Körperbildung im Rahmen des Erlernens der richtigen Haltung und Bewegung zu nennen, welche einerseits im Rahmen der Body History Konjunktur hat [hierzu vgl. etwa 1: W, Historische Anthropologie 271–274; 7.2: R, Body History], von einzelnen Forschern aber schon früher als ein zentrales Element zur Schaffung positiver Männlichkeit und Weiblichkeit erkannt wurde. Hierbei beschränkte sich etwa G. N [7.2: Gesten und Gebärden] noch auf die Aufzählung und Analyse dargestellter Einzelgesten auf meist attischen Vasenbildern. B. F [7.2: Bewegungsweisen und Verhaltensideal 22f. und 81–

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

115

84] war seiner Zeit voraus, indem er dem idealen Bürger bestimmte körperliche Verhaltensweisen zuordnete. Erst deutlich später fand er hierbei Nachfolger, die sich jedoch vor allem an der physiognomischen Literatur und anderen überwiegend kaiserzeitlichen Quellen orientierten [7.2: G, Making Men; 7.2: C, Nature Embodied]. Die neue Monographie von L. T [2.3: Körpergeschichte] sieht leider ausdrücklich von der Behandlung der Körpertechniken ab. Die Bedeutung des richtigen Stehens und Gehens, an dem man in der griechischen Kultur sowohl das Geschlecht als auch die soziale Zugehörigkeit einer Person erkennen konnte, hat J. B [7.2: Walking 15–35] beschrieben und differenziert. Die Anforderungen an männliche und weibliche Jugendliche seien ähnlich und chronologisch konstant: Von beiden wird Bescheidenheit und Zurückhaltung gefordert, die sich im gesenkten Blick und in den im Gewand verborgenen Händen äußert [zur Schamlosigkeit des direkten Blicks bei athenischen Knaben vgl. auch 6.1: R, Citizens 120]. Der erwachsene Mann, so J. B [7.2: Walking 16], habe seine erworbene Männlichkeit in archaischer Zeit durch Imponierverhalten gezeigt, durch raumgreifendes Gehen und Stehen, welches im klassischen Athen durch eine ruhige, beherrschte Art, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, abgelöst worden sei [zum Spott über den hüftenschwingenden Gang einiger reicher Athener vgl. 2.2: F, Verweichlichung 46]. Weibliches Körperverhalten erscheint demgegenüber konstant – sowohl im weiblichen Lebenslauf als auch in der Chronologie der griechischen Geschichte: Die Zurückhaltung der jungen parthénos außerhalb des Oikos wird in gleicher Weise auch von der erwachsenen Frau verlangt, für die J. B [7.2: Walking] im Gegensatz etwa zur männlichen Bewegung ein Gehen mit kleinen Trippelschritten und gesenktem Haupt angenommen hat. Mehrere Arbeiten haben die Bedeutung anmutiger Bewegung als Beleg für die weibliche areté herausgestellt [4.4: H Frauen 28 u. 31; s. bereits 7.2: S, Korenstatuen 29f.]. Anmut, cháris, ist nach C. C [4.4: Eros 120] ein Zeichen für Heiratsfähigkeit und somit auch für erfolgreiche Sozialisierung einer jungen Frau. Für die archaische Zeit analysierte C an anderer Stelle [7.2: Choruses] Form und Bedeutung der Chöre junger Mädchen für die Hervorbringung der richtigen Weiblichkeit. Gegen Xenophon (mem. 3,3,12) hat M. G [3.1: Children 76] das Vorhandensein von Mädchenchören auch in Athen konstatiert [vgl. auch 7.2: C, Choruses 127]. Anmut als körperliches Erziehungsziel bei den Männern, bei denen sie Voraussetzung politischer Autorität sein kann, hat für archaische und klassische Zeit C. M [7.2: Politik und Anmut 17 und 27] hervorgehoben [vgl. auch 7.2: H, Body 126f.]. Die männlichen Chöre als Teil der Erziehung beschreibt M. G [7.2: Public and Private 43ff.]. Im Hellenismus versuchten Autoren physiognomischer

Männliches Körperverhalten

Weibliches Körperverhalten

Anmut

116

Nackte und bekleidete Körper

Männliche Nacktheit

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Traktate die sozial konditionierten Unterschiede männlicher und weiblicher Körperhaltung in der Öffentlichkeit als natürliche Gegebenheiten zu beschreiben und geschlechtsspezifische Charaktereigenschaften aus ihnen abzuleiten: Weibliche Feigheit, Verschlagenheit und Arglist könne man bereits aus der von Natur aus nach vorne gebeugten Körperhaltung der Frauen ablesen [2.3: T, Körpergeschichte 73]. Der unbekleidete, nackte, vor allem männliche Körper hat für die griechische Kultur besondere Aufmerksamkeit gefunden. Mit dem Aufkommen der Body History seit den 1980er Jahren erschien dieser Körper als zeitgebundene Kategorie, deren vielfältige ,,soziale und politische Bedeutungen“ [2.3: T, Körpergeschichte 13; 7.2: R, Body History 16–35] es zu analysieren galt. Hierbei ist man sich einig, dass es in der griechischen Kultur zwischen realer und idealer Nacktheit zu scheiden gilt, dass Nacktheit in Text- und Bildquellen sehr unterschiedlich konnotiert sein kann. Das Vorhandensein von Körperscham bei den Griechen beider Geschlechter hat L. T [2.3: Körpergeschichte 62] schon für die frühesten literarischen Quellen (vgl. Hom. Od. 6,127) hervorgehoben. R. M und K. K [7.2: Moral 35–49] haben das Problem der Scham des nackten Patienten vor dem Arzt in hippokratischen Texten beleuchtet. L. T [2.3: Körpergeschichte 66; vgl. auch 6.2: M, Athleten 121] stellt heraus, reale Nacktheit sei im politischen Bereich undenkbar, ausschließlich im Bereich der Athletik zulässig gewesen und selbst dort streng reguliert worden. Eine linear-chronologische Entwicklung der Körperscham könne man in Griechenland nicht nachzeichnen [7.2: T, Nacktheit und Zivilisationsprozess 438–450]. Die Ursprünge des nackten Sporttreibens werden kontrovers diskutiert: H. P. D [7.2: Intimität 338] hat erwogen, möglicherweise hätten sich die Griechen mit dem Nacktsport ihre Standhaftigkeit im Sinne von Selbstbeherrschung und Triebkontrolle beweisen wollen. T [2.3: Körpergeschichte 63] schlägt vor, nacktes Sporttreiben sei womöglich erst eine Folge bestimmter Vorstellungen von idealer Nacktheit gewesen. Eine andere Forschungsmeinung [etwa 2.1: B, Women 20] geht von der Umkehrung aus: Nacktheit beim Sport sei erst der Auslöser für die Beliebtheit der Darstellung von nackten Athleten, also Ausprägungen idealer Nacktheit gewesen. Das Problem der Nacktheit in der griechischen Kunst ist auch in der archäologischen Forschung umstritten [vgl. etwa 7.2: HW, Ideale Nacktheit; 7.2: H, Körper; 7.2: ., Rez. Himmelmann-Wildschütz, und 7.2: O, Men 504–528, sowie 2.2: F, Verweichlichung 37ff. mit stärker sozialgeschichtlicher Ausrichtung]. Die Darstellung nackter Männer in Zusammenhang mit Tätigkeiten, bei denen sie in praxi als bekleidet zu denken sind – im Kampf oder bei Prozessionen –, hat S. B [2.1: Women 20]

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

117

als Zeichen von ,,Freiheit und Offenheit“ gewertet. L. T [2.3: Körpergeschichte 65] bezeichnet diese Bilder als ,,Abstraktion vom bürgerlichen Alltag“. B. F [7.2: Tyrannentöter] hat 1984 das Athener Denkmal der nackt dargestellten Tyrannentöter als Zeichen höchster bürgerlicher Ideale interpretiert. G. F [4.3: Figures 125] hält Nacktheit für ein Symbol von Männlichkeit, andreía, auf welches in der griechischen Kultur immer dann und dort zurückgegriffen werde, wenn Männlichkeit habe festgestellt oder betont werden müssen. Weibliche Nacktheit, darüber war sich die Forschung lange einig, sei in Griechenland weitgehend tabuisiert gewesen. Die Mädchenstatuen etwa der archaischen Zeit transportierten den bekleideten und nicht den nackten Körper als positiven Marker für weibliche Werte. Nackte Frauen auf attischen Vasenbildern seien, so z. B. S. B [2.1: Women 20], meist Darstellungen von Prostituierten, erkennbar an ihrer kurzen Sklavinnenhaartracht. Die ,bekleidete Zurückhaltung‘ der Hetären im Unterschied zu den pórnai betont J. D [4.2. Kurtisanen 157]. S. L [5.1: Athenian Woman 102ff. u. 145ff.] und ausführlich U. K [7.2: Anständige Nacktheit 225] haben jedoch die Möglichkeit herausgestellt, auch die Abbildung bürgerlicher weiblicher Nacktheit sei möglich, z. B. wenn Frauen in ihrer Lebenswelt nackt beim Baden dargestellt würden. Die Lückenhaftigkeit der literarischen Quellen wird auch im Bereich weiblicher Nacktheit deutlich. Ein vielbehandeltes Beispiel hierfür sind die Vasenbilder, welche die sog. Bärinnen, kleine Mädchen der Artemis Brauronia, nackt beim Wettlauf zeigen, was von keiner schriftlichen Quelle erwähnt wird [7.2: K, L’Artemis de Brauron 20–94; 6.4: S, Virgineum Gymnasium 186]. Die Diskussion um den Grad der Nacktheit sowohl in Brauron als auch beim Frauensport allgemein dauert an [Abstufung der Nacktheit nach Altersklassen etwa bei 7.2: P, Bears of Brauron 24; 6.4: S, Virgineum Gymnasium 188f.]. G. F [4.3: Figures 169–176] vertritt gegen C. S-I [7.2: Girls’ Transition 15ff.] ,,a tamer and more prosaic interpretation“: Die Vasenbilder zeigten nicht Mädchennacktheit im 5. Jh. v. Chr., sondern verwiesen auf die Frühzeit, in der das Ritual begründet worden sei. In der Gegenwart des 5. Jh. sei in Brauron nicht Abwerfen des Gewands, sondern erstmaliges Anziehen des Mantels durch die Mädchen praktiziert worden. Eine Erklärung jenseits moralischer Erwägungen für die Unüblichkeit weiblicher Nacktheit findet sich bei antiken Physiognomikern: Ps.-Aristoteles hält den weiblichen Körper im Vergleich zum männlichen für hässlich, deshalb müsse er verhüllt werden [2.3: T, Körpergeschichte 73]. Die Faszination durch die Nacktheitsdiskurse der griechischen Kultur ließ den Normalfall des bekleideten Körpers zeitweise in den Hintergrund treten [7.2: L-J, Introduction vii]. Das neuerdings erstarkte Interesse am Feld der Bekleidung spiegelt die Bibliographie von L. R [7.2: Ancient Greek Costume] wider. Die paradigmatische Zu-

Weibliche Nacktheit

Kleidung

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Haare

Kopfbedeckung, Schleier

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

ordung der Geschlechter zum Begriffspaar Natur (nackte Männerkörper) und Kultur (bekleidete Frauenkörper) hat J. F [2.2: Verweichlichung 40] unter Hinweis auf die Darstellungskonventionen männlicher Nacktheit zurückgewiesen – hier ist allerdings anzumerken, dass die geschlechtsspezifische Anwendung des Natur/Kultur-Dualismus für das antike Griechenland meist im umgekehrten Sinne erfolgt ist: Natur wurde als weiblich, Kultur als männlich konnotiert [hierzu etwa 7.4: WH, Das Private 21f.; 1: S, Forschungen 168]. Kleidung hatte vor allem für griechische Frauen die Funktion eines moralischen Markers [2.4: C, Dirt and Desire 89]. Rumpf und Beine wurden hierbei selbstverständlich als verhüllt vorausgesetzt. Die antike Kritik an der unzureichenden Kleidung der Spartanerinnen auch außerhalb des Sports behandeln A. G [6.4: Women’s Sports 27] und E. H [4.4: Frauen 45]; E. M [4.2: Athenian Ideology 366f.] wiederum hält die freizügige Alltagskleidung der Spartanerinnen für einen Irrtum antiker Quellen wie moderner Forschung. Das kurze Jagdkostüm war wohl auf mythische Jägerinnen beschränkt [vgl. 7.2: P, Female Hunting Outfit 55–72]. Gesetzliche Regelungen bezüglich Farbe oder Aufwand der Kleidung, mithilfe derer sich etwa Hetären von ehrbaren Frauen unterscheiden ließen, untersuchte A. D [7.2: Concealment 111–124]; D. O [7.2: Controlling Women’s Dress 203–226] stellte deren Kontrolle durch spezielle Beamte (gynaikonómoi) heraus. Interessiert hat in jüngerer Zeit vor allem die Frage nach der Inszenierung von Kopf und Gesichtspartie [7.2: C, Veil 75]. A. C [2.3: Woman, Dirt 152] zufolge kennzeichneten lose Haare weibliches Dasein jenseits der verheirateten Bürgerin, also kindliche Jungfrauen, Prostituierte oder die ekstatischen Mänaden des Dionysos. Haare als Erkennungszeichen für den sozialen Status beider Geschlechter stellen D. L [7.2: Hair-Cutting Rituals 109–129] und S. G. C [3.2: Social Function 234] heraus. Die Veränderung des Bildes von Männlichkeit durch die seit Alexander dem Großen aufkommende Rasur des Bartes, die das Gesicht des Mannes den Frauen anzugleichen schien, betont J. F [2.2: Verweichlichung 44ff.]. Kopf und Kopfbedeckung stehen im Zentrum des Kleidercodes für die keusche Frau [so 2.4: C, Dirt and Desire 89]. L. LJ [7.2: Aphrodite’s Tortoise] widmet eine ganze Monographie der Frage nach der Verschleierung der Griechinnen. Auf der Grundlage ethnologischer Vergleiche etwa zur Funktion des Tschadors und des Schleiers in islamischen Ländern postuliert er gar die vermehrte Verwendung des Gesichtsschleiers im griechischen Kulturkreis vor allem im Hellenismus, seiner Meinung nach verbunden mit vermehrter außerhäuslicher Tätigkeit der Frauen in dieser Epoche [ähnlich auch 7.2: F, Verweichlichung 57]. Zumindest die Bedeutung des bedeckten Haupts für den geschlechtsspezifischen Auftritt der Griechin hat L-J

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

119

erneut deutlich machen können [vgl. auch die Rezension von S, HZ 280, 2005, 418f.]. Die Bedeutung der richtigen Kleidung auch für männliche athenische Bürger ist wiederholt herausgestellt worden. Purpurne Gewänder gehörten etwa zum Kostüm des Perserkönigs in der attischen Tragödie, aber kaum in die athenische Volksversammlung. Alkibiades’ purpurner Mantel konnte vor diesem Hintergrund als tyrannische Ambition verstanden werden [7.4: W-H, Diktum 208f.; 7.2: B, Purpur 157–160; zu Regeln gegen luxuriöse Kleidung im klassischen Athen vgl. auch 7.2: M, Clothing Regulations 262–265 sowie 7.2: G, Rags and Riches 307–331]. Geckenhaftigkeit konnte Männern den Ruf der Verweichlichung und Verweiblichung einbringen [4.2: D, Kurtisanen 84 u. 192; 2.2: F, Verweichlichung 46], die unpassende Inszenierung des öffentlichen Auftritts, z. B. das Abwerfen des Oberkleids in der Volksversammlung oder in hässlichen Falten fallende Kleidung, wurde jedoch negativ gewertet [4.2: D, Kurtisanen 253 u. 301; 7.2: S-H, Perikles 88]. Während athenische Quellen den Spartanern dekadent langes Haar und reich verzierte Mäntel unterstellten [4.2: D, Kurtisanen 18 u.ö.], betont etwa S. P [4.1.2: Spartan Women 31f.] die in Sparta von beiden Geschlechtern geforderte Einfachheit der Kleidung [s. auch 5.3: H, Female Property 108; 5.3: D, Le femme 396–391; 7.2: D, Dress 3–13]. Zum Verbot von Schmuck und langen Haaren der Mädchen s. W. S [4.4: Geschorene Braut 564 Anm. 9]. Transvestismus hatte keinen Platz im griechischen Alltag [4.1: S, Sexuality 161], konnte jedoch zu Hochzeitsbräuchen [s. 4.4: S, Geschorene Braut 572] und zum Ritual bestimmter Götterfeste gehören [6.1: W, Geburt und Hochzeit 141 u. 215; 7.2: B, Transvestite Dionysos; 6.4: S, Virgineum Gymnasium 190]. In den dramatischen Aufführungen Athens verkörperten männliche Schauspieler Frauenrollen [7.2: Z, Playing the Other; vgl. auch 6.1: R, Citizens 122]. Kleidertausch wird als Zeichen einer zeitweise zulässigen ,,verkehrten Welt“ interpretiert von K [7.2: Phänomen 112–163], die jüngere Forschung hat Kleidertauschbräuche vor allem im Zusammenhang des Übertritts von Jugendlichen in die Erwachsenenwelt diskutiert [2.1: L, Initiatory Transvestism 130–163; 4.1.2: T, Spartanische Frauen 140]. Die Bedeutung des richtigen Redens für das männliche Geschlecht in Griechenland ist in der Forschung unumstritten und in zahlreichen Handbüchern dargelegt worden [vgl. etwa die Diskussion zur ,,Alten und Neuen Erziehung“ in Athen bei 6.2: M, Athleten 144f., 7.2: K, Athletics 133, 6.3: M, Erziehung 106, sowie 7.2: N/ R, Rede und Redner]. G. N [7.2: Gesten und Gebärden 10–17] geht kurz auf die Redegesten auf Vasenbildern ein, und S. G-

Kleiderluxus

Spartanischer Kleiderluxus?

Kleidertausch

Männliches und weibliches Redeverhalten

120

Überlieferung weiblichen Sprechens

Geschlechtsspezifische Sprechunterschiede

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

 [7.2: Body/Politics 89f.] weist auf die körperliche Dimension des Redens hin. In den älteren Werken zur antiken Rhetorik [vgl. auch noch 7.2: A, Rhetorik] schienen allerdings geschlechtsspezifische Aspekte traditionell nicht zu existieren. Auch Kommunikationstechniken für junge Männer, welche eher informell durch Nachahmung erlernt wurden, fanden gegenüber dem formalen Rhetorikunterricht weniger Interesse [aber vgl. etwa 7.2: G, Public and Private 40f., und 4.1: S, Sexuality 46, zum Symposion als Bühne für den Vortrag von Liedern und Gedichten]. Die Sozialisation der Mädchen im Bereich des geschlechtsspezifischen Redens wurde entsprechend noch seltener behandelt, da sie für viele durch Ausschluss aus den öffentlichen Institutionen und durch das Ideal einer innerhäuslichen Existenz aus der formalen ,Schulbildung‘ herauszufallen schienen. Nur gelegentlich wurde festgestellt, dass auch die weiblichen Existenzformen der Einübung eines spezifischen Sprach- und Kommunikationsverhaltens bedurften [vgl. etwa 7.2: B, Virtual Voices 100 Anm. 16]. E. S [7.2: Daughter 179] hat die Bedeutung der Mutter-Tochter-Beziehung für die Bildung der Tochter ,,in adult sexual and social roles“ betont. Bei der Erforschung des geschlechtsspezifischen Sprechens war als methodisches Problem die lückenhafte bzw. mehrfach gebrochene Überlieferung weiblichen Sprechens zu berücksichtigen. Dass so manche weibliche Rede, die in den Texten männlicher Autoren überliefert ist, stark vom jeweiligen Genre überformt sein kann, hat erst kürzlich wieder M. G [7.2: Women’s Voices 161–176] am Beispiel der attischen Gerichtsreden deutlich gemacht. Insgesamt – so konnte etwa L. MC [7.2: Introduction 3] am Beispiel der Alten Komödie aufzeigen – gibt es aber auch für Griechenland Anzeichen, dass griechische Männer die Sprache und das Sprechen der Frauen als geschlechtsspezifisch unterschiedlich wahrgenommen haben. Der Unterschied habe nicht in der Tonlage, sondern in Wortwahl, grammatischen Genusunterschieden oder etwa in der Art des Schwörens gelegen. Bezeichnend ist auch das Interesse, welches der so genannten Aischrologie entgegengebracht wurde [7.2: O, Baubo 94ff.; 7.3: B, Aporrheta 67–74; 7.2: O’H, Women’s Cultic Joking 137–160]. Dass ausgerechnet die Athenerinnen, welche man gemeinhin gern schweigend in ihren Häusern verortete, sich in der Öffentlichkeit von Götterfesten gegenseitig mit obszönen Ausdrücken bedachten, erschien besonders anstößig. Hier macht sich wohl die bis in die Gegenwart von Sprachforschern nachgewiesene geschlechtsspezifisch unterschiedliche Sozialisierung bei der Verwendung aggressiver Sprache, von Schimpfwörtern, Flüchen etc. bemerkbar, welche für Mädchen und Frauen als besonders unpassend gelten [7.2:  K, Role of Expletives 152]. Dies könnte auch im antiken Griechenland der Fall gewesen sein: Auch Aristophanes [so 7.2: S, Language 78–80] lasse seine weib-

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

121

lichen Charaktere deutlich weniger obszöne Schimpfworte benutzen als die Männer. Weibliche Rede, dies ist ebenfalls betont worden, wurde vom dominanten männlichen Diskurs in Griechenland gern als doppeldeutig und trügerisch charakterisiert [7.2: MC, Spoken like a Woman 160; 7.2: Z, Playing the Other 85f.] und als potentiell gefährlich empfunden [7.2: MC, Introduction 11]. Nicht nur gilt dies für die weiblichen Sprechrollen der Tragödie, auch lässt sich dies bereits für die homerische Helena bzw. für Hesiod und Semonides postulieren [7.2: W, Voice 19–37]. Ethnosoziologisch vergleichende Forscher [7.2: G, Honor, Shame; 4.1.1: C, Law, Sexuality] beschrieben das antike Griechenland als ,honor and shame‘-Gesellschaft, in welcher der gute Ruf unter den Standesgenossen von größter Wichtigkeit gewesen sei. Sie schreiben der informellen Rede, dem Geschwätz, hohe Bedeutung für die Reputation des Einzelnen und der Familien zu. In der Alltagspraxis hat V. H [5.3: Policing Athens 96f.; 7.2: ., Gossip 324f.; vgl. auch 2.4: S, Nachbarschaft 273–276] vor allem die potentiell verderbliche Auswirkung von Gerüchten (deren Verbreitung man offenbar gern den Frauen zuschrieb) innerhalb einer face to face society betont. Zur Vorstellung vom weiblichen Gerede über Männer, welches für Aristoteles Kennzeichen für Gynaikokratie innerhalb der radikalen Demokratie sein kann, s. W-H [7.4: Diktum 208]. Im Übrigen wurden die Sprechverhältnisse vor allem im klassischen Athen gern den in den Quellen überlieferten Sprechidealen gleichgesetzt. Von den Frauen und über die Frauen sollte man möglichst wenig hören [zur Vermeidung namentlicher Nennung respektabler Frauen 4.1: S, Sexuality 99; 7.2: S, Woman Least Mentioned 323; zum Schweigen als Mädchentugend 1: P, Frauenleben 111; 7.2: C, Body of Desire 24]. Der Adressatenkreis des einschlägigen Thukydideszitats (Thuk. 2,45,2) ist allerdings von der neueren Forschung differenziert worden: C. S- [7.1: Männlich und weiblich 118] hat etwa betont, im Rahmen der Grabinschriften habe man durchaus von den und über die Frauen gehört [vgl. auch 7.2: S, Daughter 180ff.]. L. K-M [7.2: Thucydides 133–143] hat darüber hinaus die These vertreten, das Zitat sei nur auf die Kriegerwitwen zu beziehen und keine allgemeine Aussage zum Verhaltenskodex sämtlicher Athenerinnen. Zum besonderen Redeverhalten der Hetären vgl. L. MC [4.2: Courtesans at Table]. Nachrichten vom angeblich schweigenden weiblichen Geschlecht sind auch jenseits des antiken Griechenlands kontrovers beurteilt worden. Unterschiedliches Sprechverhalten der Geschlechter verstand eine Forschungsrichtung [etwa 7.2: H/K/T, Language, Gender] als Ausdruck eines Dominanzmodells, welches Folge und Ausdruck von Machtverhältnissen sei. Andere [7.2: C, Women, Men; 7.2: T, Gender] vertraten ein Differenzmodell, in dem sie das Sprechverhalten

Gefährlichkeit weiblicher Rede

Geschlechtsspezifisches Rederecht?

Dominanzmodell versus Differenzmodell

122

Öffentliches und privates Sprechen

Totenklage

Öffentliche Rede vor Gericht

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

auf geschlechtsspezifisch unterschiedliche Sozialisiation zurückführten. Absolute Zuordnungen einzelner Elemente der Sprechkultur erscheinen allerdings problematisch, so etwa die Gleichsetzung von Schweigen und Unterdrückung oder von Sprechen und Macht: So weist L. MC [7.2: Introduction 8ff.] etwa auf die unterschiedlichen Bedeutungsmöglichkeiten des Schweigens hin, welches zwar durchaus Unterwerfung, andererseits jedoch auch Dominanz und Ablehnung bedeuten könne. An ethnologischen Beispielen [7.2: H, Silence, Submission 80] lasse sich zeigen, dass ,,even women’s silence may denote a form of resistance rather than passive submission“. Neben dieser Neuinterpretation des ,weiblichen Schweigens‘ in Griechenland steht die These, die schweigende Griechin/Athenerin habe es gar nicht gegeben. Ihr Sprechen habe sich lediglich auf den privaten Bereich beschränkt und sei deshalb von den Quellenautoren nicht rezipiert und folglich nicht überliefert worden [7.2: B, Virtual Voices 95–116]. Entsprechend hat etwa L. MC [7.2: Introduction 10] unter Rückgriff auf ,,many ethnographic studies“ auch Griechenland zu den zahlreichen Kulturen zählen wollen, in welchen Frauen tendenziell die Sprachtechniken und Diskurse des öffentlichen Lebens nicht benutzen würden. Außerhalb des Hauses, so wird gern betont, sei weibliches Sprechen nur bei ganz bestimmten Anlässen möglich und zulässig gewesen: so etwa im Bereich der Trauer und der Totenklage. Auch hier empfand man aber, wie G. H-W [7.2: Dangerous Voices] herausgestellt hat, das Verhalten der Frauen als ambivalent – einerseits zu deren postulierter Gefühlsnähe passend, andererseits als potentiell subversiv, da es den öffentlichen Frieden etwa durch Schuldzuweisungen stören könnte [7.2: MC, Introduction 10; 7.2: B, Virtual Voices 105]. J. B [ebd.] hat entsprechend die Beschränkungen des Traueraufwandes seit dem 6. Jh. v. Chr. wie auch die Einführung des Amts der ,Frauenaufseher‘ (gynaikonómoi) und öffentlicher Begräbnisse mit der Absicht zusammengebracht, die hier üblichen Auftritte und Äußerungen der Frauen zurückzudrängen [s. auch 5.2: W-H, Reglementierung 81–101; 7.2: S, Death Becomes her 113–27; 7.2: S, Good Daughter 179–200]. E. H [4.4: Frauen 75f.; ausführlicher 7.2: ., Geschlechterdefinitionen 48f.] hat die angebliche Notwendigkeit eines Vormunds in Bezug auf öffentliches Sprechen der Frauen relativiert. Frauen seien im Gegensatz zu oft vertretenen Ansichten [etwa 3.2: B, Familie 30; 2.3: H/S, Körperbild 10] auch in Athen vor Gericht durchaus redefähig gewesen. Bei Schlichtungsverfahren vor Schiedsgerichten sei es üblich gewesen, dass sie ihre Sache selbst vertraten (Demosth. or. 39,40; Is. 12,9). Man könne also nicht davon ausgehen, dass Frauen ,,vor Gericht nicht eigenständig auftreten durften”. Darüber hinaus ist auch im Bereich des Redens der Geschlechter die

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

123

oft stillschweigend angenommene Deckungsgleichheit von Ideal und historischer Realität aufgebrochen worden: Das Ideal beschrieb etwa S. G [7.2: Body/Politics 91] in Gestalt des männlichen Bürgers, ,,who performs his citizenship as a speaking subject within the city of words“. Demgegenüber hat etwa S. H [7.2: Body 127; vgl. auch 7.2: H, 4.1.1: Democratic Body 99] auf den auch im Bereich des Redens wichtigen Aspekt sozialer Differenzierung hingewiesen und die de facto beschränkten öffentlichen Redemöglichkeiten des athenischen Durchschnittsbürgers betont. Ob dies erst eine Entwicklung des 4. Jh. v. Chr. war [so bei 2.2: F, Verweichlichung 49], wäre zu prüfen. Das männliche Redeverhalten in Sparta hat kürzlich W. S [7.2: Sprache 97ff.] in den Blick genommen und die Bedeutung des Schweigenmüssens für die Männer in Sparta hervorgehoben. Die Autorität der Älteren sollte nicht durch neue rhetorische Strategien der Jüngeren in Frage gestellt werden. Den Spartanerinnen wurde im Gegensatz dazu von antiken Quellen größere Redefreiheit (als etwa den Athenerinnen) zugeschrieben. Im Protagoras (Plat. Prot. 342d 2ff.) spricht Sokrates von der besonderen Bildung der Spartanerinnen (und Kreterinnen), welche sich gerühmt hätten ,,zur Philosophie und zum Reden unterrichtet zu sein“. S. P [4.1.2: Spartan Women 5–9] zieht für spartanische Mädchen erweiterte Möglichkeiten sprachlicher Bildung in Betracht: Die Mädchen seien nicht in gleicher Weise durch militärisches Training zeitlich in Anspruch genommen worden wie die Knaben. Fehlende Bildungsanreize für Männer könnten ihrer Meinung nach dazu geführt haben, dass das Geschlechterverhältnis in diesem Feld ausgewogener gewesen sei als im restlichen Griechenland, vor allem in Athen. Dagegen hat S. F [2.2: Differenz 90f.] die Passage des platonischen Protagoras (342d 2ff.) als ironische Aussage interpretiert, welche die bekanntermaßen eher auf kriegerische Fähigkeiten denn auf Redekunst und Philosophie ausgerichtete Bildung der Lakedaimonier habe diskreditieren sollen [Skepsis auch bei 4.4: H, Frauen 42f., und 7.2: C, Literacy 31 u. 37]. L. T [4.1.2: Spartanische Frauen 136] führte die Vorstellung von der gebildeten und redenden Spartanerin auf die Nachrichten über die öffentlichen Spottgesänge der Jungfrauen zurück und schloss daraus, die Mädchen hätten wie die jungen Männer reden und denken gelernt – allerdings nicht selbständig, sondern als ,,Norminstanz der männlichen Gesellschaft“ agiert.

Schweigende Männer?

Sprechen in Sparta

7.3 Geschlechterverhältnisse in der griechischen Religion Die Frage, auf welche Weise griechische Knaben und Mädchen im Feld der Religion und Religionsausübung sozialisiert wurden, hat die moderne Forschung nur am Rande beschäftigt. Mitunter fällt eher unre-

Religiöse Sozialisierung

124

Initiationsrituale

Begriff Initiation

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

flektiert der Begriff Religion im Zusammenhang mit Vorstellungen von schulischen Lehrplänen [3.1: L, Einführung 15], wird etwa ein Ziel von Sapphos Mädchenkreis als ,,Anleitung zum rechten Gottesdienst“ charakterisiert [4.4: H, Frauen 34] oder werden am Rande die kultischen Aufgaben der athenischen Epheben als Einführung in die Ausübung der Poliskulte erwähnt [7.3: B, Jugend 68; 7.3: B, Ephebie 200f.; 7.3: G, Initiation: a Concept 11; 6.1: W, Geburt und Hochzeit 34; 6.1: B, Bürger und Soldaten 57]. Ausdrücklich mit religiöser Erziehung befasst sich A. M [7.3: Religiöse Erziehung 67–86], der richtig die Bedeutung religiöser Sozialisierung für den bürgerlichen Nachwuchs hervorhebt. Dass allerdings, wie M [ebd. 72f.] postuliert, ,,in der Schule“ durch das ,,Erlernen und wiederholte Üben von Riten für die Bürgergemeinde“ ein ,,Schülerdasein regelrecht erfüllt von kultischer Betätigung“ gewesen sei, wäre erst zu belegen gewesen – ganz zu schweigen davon, wie man sich das Verhältnis von Knaben und Mädchen hierbei vorzustellen hätte. Inwieweit Schule und Teilnahme an Chören überhaupt miteinander in Verbindung standen, wäre ebenfalls erst zu klären [zur städtischen Organisation der Knabenchöre vgl. 3.1: G, Children 65f., und v.a. 7.2: G, Public and Private 32 (,Ausbildung‘ städtischer Priester) u. 43ff.]. Besonderer Beliebtheit hat sich in der letzten Forschergeneration das Initiations-Paradigma erfreut, welches unter Berufung auf den von  G [7.3: Übergangsriten] geprägten Begriff der ,,rites de passage“ das lang dominierende Fruchtbarkeits-Paradigma abgelöst zu haben schien [vgl. 7.3: B, Götter 51; s. auch 6.1: W, Geburt und Hochzeit 47; zur Forschungsgeschichte aufschlussreich 7.3: G, Initiation: a Concept 3–24; 6.1: W, Geburt und Hochzeit 33–50]. Der Begriff Initiation bedeutete zunächst eigentlich die Einweihung in einen Mysterienkult, bezeichnet aber in sozialanthropologischer Verwendung einen rituellen Komplex, mittels dessen der Übergang von Jugendlichen in die Gruppe der Erwachsenen erfolgt [7.3: G,, Initiation 1001–1004]. So stellte etwa C. C [7.2: Choruses] die Initiation als Schlüsselbegriff ins Zentrum seines Werks zur Funktion der Mädchenchöre in Griechenland. In den Chören seien die Mädchen in die spezifisch weiblichen Aufgaben, die nach C vor allem in Sexualität, Ehe und Mutterschaft bestanden hätten, initiiert worden. Er sah die Heiligtümer der Götter als die Orte, in denen die Initiationsrituale für Mädchen erfolgt seien. Auch B. G [7.3: Citizen Bacchae 85ff.] rechnet die öffentlichen Auftritte der Mädchen im Chor zu den religiösen Ritualen, schwankt aber bei der Interpretation der Mädchenchöre zwischen deren Funktion als Brautschau, wobei die Mädchen sich an ihre Rolle als Objekte männlicher Begierde hätten gewöhnen können, und der Vorstellung, die Chorrituale hätten als

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

125

Schwellenritual gedient, welches den Abschied offenbar bereits verlobter parthénoi vom Mädchendasein bezeichnet hätte [ebd. 88]. Obwohl ausgeprägte Pubertätsbräuche für griechische Mädchen kaum bezeugt sind, war, wo immer junge Mädchen im Kult sichtbar wurden, die Interpretation ihres Handelns oder ihrer Erfahrungen als Initiationsritual bzw. als Rite de passage [7.3:  G, Übergangsriten] nicht weit. Dass rituelle Betätigungen junger Mädchen, wie der Arrhephoren auf der Akropolis oder der sog. Bärinnen der Artemis in Brauron, nur einige wenige Einzelpersonen betrafen, wurde gern mit der Hypothese erklärt, einstmals von allen begangen, verträten nun nur noch einige Auserwählte aus vornehmen Familien die Gesamtheit [so 7.3: B, Paides 229]. Dies wurde zurückgewiesen von K. W [7.3: Kulträume 57; kritisch jetzt auch 7.3: F, Playing the Bear 46]. S. G. C [7.3: Gender 203] hat darüber hinaus Theorien widersprochen, welche die abgelegene Lage mancher Artemisheiligtümer an den Grenzen der Polis mit dem Element Wildnis als Bestandteil von Initiationsritualen verbunden haben. Der griechischen Polis sei es in staatlich finanzierten Ritualen nicht um individuelle Statusänderungen von Einzelnen, sondern um die Schaffung von Gemeinschaft gegangen. Durch Frauen- und Mädchenrituale an potentiell gefährdeten Grenzheiligtümern hätte die Stadt vielmehr die Sicherheit ihres Gebiets demonstriert und gestärkt. Man wird B. G [7.3: Citizen Bacchae 113] wohl grundsätzlich zustimmen, dass die für junge Mädchen bezeugten rituellen Praktiken dazu beitrugen, diese auf ihre Rolle als zukünftige Bürgerinnen festzulegen. Inwieweit der Kern dieser Rolle jedoch in einer Existenz der Unterwerfung bestand, die positiv angenommen werden sollte [ebd. 97], dürfte zu überprüfen sein. Rituelle Initiation der Knaben wurde im sakralen Rahmen nicht in gleichem Maße betont; stattdessen suchte man diese vor allem im Bereich der Päderastie [vgl. oben Kap. 4.2.1]. Reinheit als bedeutende Voraussetzung für die Kultfähigkeit antiker Männer und Frauen war kein Hauptthema der Forschung. Insgesamt überwiegt derzeit die Vorstellung, man habe in Griechenland das weibliche Geschlecht als ,weniger rein‘ angesehen. R. P [7.3: Miasma] zufolge werden Frauen in der Forschungsliteratur häufiger mit Unreinheit in Zusammenhang gebracht als etwa Männer. C. S-I [7.1: Männlich und weiblich 114; ähnlich 7.3: G, Citizen Bacchae 35] verortet Frauen unter Hinweis auf deren Anteil an Begräbnisritualen primär in den ,,Bedeutungsbereichen der Befleckung“ [vgl. auch 7.3: C, Gender 104, welche die lokale Kultregel eines Kronos-Heiligtums zitiert, in der ,,Frauen, Hunden und Fliegen“ der Zutritt untersagt werde]. A. C [2.3: Woman, Dirt 135] verweist auf schon Hesiods Warnung an die Männer (erg. 753ff.), sich nicht im weiblichen Waschwasser zu baden, und betont die Gefährdung, die vom undichten und formlosen Körper der Frauen ausgeht: ,,The female touch is a deadly crisis: pollution leaks

Mädchenrituale

Rituelle Reinheit der Geschlechter

126

Matriarchatsthesen

Priesterinnen

Entpolitisierung der Religion

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

out at the slightest contact.“ Auch S. C [7.3: Gynaiki ou themis 109] sieht die Frauen als potentielle Beflecker des männlichen Körpers und durch ihre Verbindung mit Geburt, Fehlgeburt und Abtreibung häufiger Restriktionen unterworfen als das männliche Geschlecht. Allerdings galt auch männliches Sperma als befleckend [7.3: C, Gynaiki ou themis 108; 7.3: P, Miasma 76f.; 342], und J.B. C [7.3: Life of a Priestess 19] hat unlängst die Meinung vertreten ,,women themselves were not at all regarded as dirty“. Die auffällige Präsenz des ,Weiblichen‘ in der griechischen Religion (Göttinnen, Priesterinnen) wurde von einer Forschungsrichtung als Relikt aus Vorzeiten interpretiert, in welchen eine Große Mutter den Götterhimmel beherrscht habe und analog auch auf Erden die Frauen eine viel größere Macht innegehabt haben sollen [vgl. hierzu 1: S, Forschungen 148; 7.3: W-H, Matriarchatsdiskussion 295–373; 7.3: G, Bachofen 497–511]. Die These von der mutterrechtlichen Vergangenheit wird inzwischen in den klassischen Altertumswissenschaften kaum mehr vertreten, scheint aber vor allem in der außerwissenschaftlichen Literatur und ,neopaganen Szene‘ immer wieder auf; besonders in der prähistorischen Forschung ist die Frage nach der Großen Göttin etwa in Auseinandersetzung mit den Werken von M. G [z. B. 7.3: Living Goddesses] mit Verve diskutiert worden [7.3: M, Goddesses; 7.3: E, Matriarchal Prehistory; 7.3: T, Great Goddess]. Mehrere frühe Monographien widmeten sich den griechischen Priesterinnen [7.3: M, Sacerdoces athéniens; 7.3: H, Le sacerdotesse; 7.3: T, Hiereiai], während männliche Priester nicht monographisch behandelt wurden [7.3: B/N, Pagan Priests]. Beide Geschlechter im Priesteramt nahm A. H [7.3: Kulte] in den Blick. Das starke Interesse an den Priesterinnen wurde wohl einerseits durch den hier sichtbaren Unterschied zur christlichen (katholischen) Lehre hervorgerufen, welche keine weiblichen Amtsträger zuließ. Andererseits dürfte man wohl einen gewissen Widerspruch angesichts einer Gesellschaft empfunden haben, der man eine strenge Beschränkung der Frauen auf das Haus unterstellte, welche aber eben diesen Frauen religiöse Ämter zuwies. Andererseits schien sich damit auch bei den Griechen eine Tendenz abzubilden, die der Neuzeit aus dem 19. Jh. nur zu bekannt war: die Zuordnung des männlichen Geschlechts zum öffentlichen Wirken in Politik und Erwerbsleben, während den Frauen die Pflicht zu frommen Werken und religiöser Innerlichkeit zugeschrieben wurde [1: S, Forschungen 159]. Diese geschlechtsspezifische Zuordnung dürfte durch die Forderung nach Entpolitisierung der Religion in der Neuzeit noch verstärkt worden sein. Wenn also die Trennung von ,Thron und Altar‘ als Fortschritt gesehen wurde, lag es nahe, eher nach Stufen der Emanzipation von religiöser Gebundenheit in Griechenland zu fragen denn

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

127

das religiöse und das politische Feld als ein gemeinsames Ganzes zu analysieren [ähnlich hierzu auch 7.4: B, Recht und Ritus 22]. Diese Haltung lässt sich bis in jüngste Zeit finden [vgl. 7.3: H, Religion and Society 286]. Fielen aber religiöses und politisches Feld auseinander, so implizierte dies einen spezifisch neuzeitlichen Aspekt von Geschlechtertrennung bereits für die griechische Antike: Athenische Männer wären dann politisch engagiert und religiös aufgeklärt, athenische Frauen aber unpolitisch und abergläubisch gewesen. Im Rahmen der Women’s studies wurde ,Frauenreligion‘ häufig behandelt [vgl. 1: S, Forschungen 159f.], meist jedoch ohne die religiösen Aktivitäten der Männer und gemeinsames rituelles Handeln der Geschlechter in den Blick zu nehmen. In dieser Tradition stehen mehrere einschlägige Monographien: R. S. K [7.3: Share of the Blessings] behandelte oberflächlich neben den griechischen Frauen auch noch die ,Frauenreligion‘ bei Römern, Juden und Christen. M. D [7.3: Religion] beschränkte sich in seinem umfangreichen Werk überwiegend auf die Zusammenstellung und Nacherzählung der Quellennachrichten über griechische Frauen in der Religion. Von der Einstellung geprägt, die Wirkmächtigkeit des Patriarchats auch im Bereich des Rituals entlarven zu müssen, ist schließlich die Monographie von B. G [7.3: Citizen Bacchae]. Während antike Quellen z. B. die Bedeutung der Frauen bei der Divination in den Vordergrund stellen (vgl. etwa Eur. Melanippe Desmotis fr. 494 Kannicht), erscheint die Interpretation des griechischen religiösen Geschlechterverhältnisses in der Moderne dominiert durch das seit dem frühen 20. Jh. beliebte Fruchtbarkeitsparadigma [vgl. hierzu allgemein 7.3: L, Thesmophoria 153f.]. M. S [4.1: Sexuality 21] stellt wie selbstverständlich die Bedeutung weiblicher Fruchtbarkeitsgottheiten für eine traditionelle Agrargesellschaft fest, und auch E. H [4.4: Frauen 56] konstatiert eine ,,besondere Rolle von Frauen dann, wenn es um Fruchtbarkeit von Land und Menschen geht“. Eine besondere Zuständigkeit der Frauen für fruchtbarkeitsbezogene Rituale ist von manchen ergänzend zur angeblich de facto von den Männern ausgeführten Landarbeit konstruiert worden [7.3: F, Women’s Ritual; 7.3: H, Frauen 62]. Erst in der Gegenwart ist das Fruchtbarkeitsparadigma gelegentlich herausgefordert worden: M. D [7.3: Religion 1] hat etwa die Überschätzung dieses Aspekts festgestellt; die Schwierigkeit, die genaue Bedeutung der beliebten Verbindung zwischen Ackerbau, Jahreszeitenzyklus, Fruchtbarkeit und Frauen vernünftig einzuordnen, betont auch L. F [7.3: Women’s Ritual 97–110]. Bezeichnenderweise fand das Verhältnis von Männlichkeit und Fruchtbarkeit bislang kaum Interesse – hier scheint die beliebte moderne Zuordnung von Natur/Weiblichkeit und Kultur/Männlichkeit ein weiteres Mal manifest zu werden [vgl. zur Verbreitung dieses Paradigmas 7.4: W-H,

Frauenreligion

Fruchtbarkeit

128 Sexualität

Tempelprostitution

Repolitisierung der Religion

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Das Private 21f.]. Schließlich bot das Fruchtbarkeitsparadigma eine bequeme Basis für die Erklärung von religiösen Verhaltensweisen, die unter modernem Blickwinkel anstößig erschienen. Vor allem Überlieferungen, welche Verbindungen von Sexualität und Religion erkennen ließen, erschienen erklärungsbedürftig. Sowohl obszönes Reden der Frauen [7.3: D, Religion 109 u. 122; 7.3: B, Aporrheta 67–74], das Hantieren mit Repliken von Sexualorganen, aber auch Vasenbilder, in denen Frauen mit Phalloi oder Phallosvögeln abgebildet waren, ließen sich unter dem Schlagwort sakraler Fruchtbarkeitsrituale einordnen und gleichzeitig entschärfen [so etwa bei 5.1: L, Athenian Woman 127f.]. Im Rahmen des Kults hielt man lange Zeit sogar Tempelprostitution als sakralen Akt für möglich [zurückgewiesen zuletzt bei 7.3: S, Tempelprostitution]. Auch die gern so genannten ,orgiastischen Kulte‘ wurden häufig als besonders frauenbezogen behandelt und auf diese Weise das Stereotyp von emotionaler Weiblichkeit gleichermaßen vorausgesetzt und bestärkt. Eine befriedigende monographische Abhandlung zum Dionysoskult unter geschlechtsspezifischem Blickwinkel fehlt bisher. B. G [7.3: Citizen Bacchae] erweist sich hier trotz des scheinbar einschlägigen Titels als enttäuschend. Das reale Mänadentum nehmen A. H [7.3: Greek Maenadism 121–160], J. B [7.3: Maenadism 267–286] und F. Z [7.3: Dionysos and Demeter 129–157] in den Blick. Dass das von literarischen Quellen der Antike suggerierte Bild einer besonderen Beziehung der Frauen zu magischen Praktiken der Korrektur bedarf, haben bereits F. G [7.3: Gottesnähe 167ff.] und M. D [7.3: Religion 5] zeigen können. Die lange übliche Abtrennung des Bereichs Religion vom Politischen schwächte sich in letzter Zeit ab zugunsten der Erkenntnis, dass Religion in der Polis alle Bereiche durchdringt und sich die binäre Konstruktion eines säkularen und eines sakralen Bereichs für Griechenland nicht als weiterführend erweist [7.3: S-I, ,Polis‘ Religion 295– 322; 7.3: S-I, Further Aspects 38–55; vgl. auch 7.3: C, Portrait of a Priestess 5]. Entsprechend ist die seinerzeit etwa noch von S. B. P [1: Frauenleben 112] vertretene These einer Geschlechtertrennung entlang der Grenzen von Religion und Politik stark ins Wanken geraten. Betont man die Bedeutung der Tugend eusébeia (Frömmigkeit) für beide Geschlechter [7.1: S-I, Männlich und weiblich 117] und versteht man Religion und Politik als sich gegenseitig durchdringend, so gewinnt die wichtige Rolle der Griechinnen in religiösen Belangen eine neue Dimension des ,an der Polis beteiligt Seins‘. Mit der Aufwertung der Bedeutung der Religion für das Verständnis der antiken Polis scheint interessanterweise mitunter die Abwertung der (bislang als wichtig charakterisierten) Rolle der Frauen in diesem Bereich einherzugehen. Ein Beispiel hierfür ist etwa das von N. R [7.3: Festivals and Legends] konstruierte angebliche

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

129

Selbstbild des athenischen Staates auf der Basis von Männerritualen in Männerfesten, wogegen L. F [7.3: Women’s Ritual 108] zu Recht Widerspruch angemeldet hat. Das markanteste Beispiel stellt hierbei aber die Diskussion um die Beteiligung der Geschlechter am Opfer dar. Einerseits avancierte das blutige Opfer in der Forschung zum zentralen Ritual der Polisreligion, andererseits vertrat nun M. D [7.3: Violence 129–147] die Meinung, Frauen hätten in Griechenland nicht opfern dürfen. Diese Behauptung fand den Weg in die Handbücher [vgl. etwa 7.3: S P, Ernährung Esskultur 149–156; 7.3: B Z, Töchter der Pandora 375]. Der begründete Widerspruch verschiedener Gelehrter scheint noch nicht genügend durchzudringen: Gegenargumente etwa bei R. O [7.3: Women and Sacrifice 392–405], dem C. S-I [7.1: Männlich und weiblich 114] folgt. M. D [7.3: Religion 115 u. 243f.], J. B [7.3: Götter, Mythen 78] und J. B. C [7.3: Portrait of a Priestess 180–187] haben sich ebenfalls differenziert gegen ein Opferverbot für Frauen ausgesprochen. K. W [6.1: Geburt und Hochzeit 32] bezeichnet die These als ,,historisch ganz einfach falsch“. Der starke Einfluss M. Ds zeigt sich aber etwa dann, wenn L. F [7.3: Women’s Ritual 108f. Anm. 17] unnötigerweise glaubt, apologetische Töne anschlagen zu müssen, um wenigstens die Anwesenheit der Frauen bei öffentlichen Festen zu postulieren, oder B. G [7.3: Citizen Bacchae 42] die ololygé (,,to utter a wordless cry“) als wichtigsten Part der weiblichen Teilnehmer am Opfer charakterisieren möchte. Auch für andere Aspekte griechischen Kultlebens lässt sich mitunter die Tendenz beobachten, diese an vorausgesetzte Geschlechterhierarchien angleichen zu wollen: Priesterinnen, so wurde vertreten, hätten nicht öffentlich reden dürfen [7.1: S-I, Männlich und weiblich 116]. S. C [7.3: Gynaiki ou themis 111] glaubt in Bezug auf die Wichtigkeit der Priesterämter ,,definite biases in favour of males“ feststellen zu können. Von Frauen gestiftete Weihungen seien ja wohl von deren Vätern oder Ehemännern vorgenommen worden und entsprechend würden sich die meisten Frauen zugesprochenen Ehrungen ,eigentlich‘ an diese Ehemänner oder Väter richten [so 7.3: F, Priesthoods 157; dagegen 7.3: T, Hiereiai 391f.]. Fehle bei Weihinschriften die Nennung des Vaters, so müsse es sich bei den Weihenden um Hetären handeln. Skeptisch gegenüber dieser These äußern sich M. D [7.3: Religion 9 u. 17f.], S. A [7.3: Economics of Dedication 86–92] sowie U. K [7.3: Priesthoods, Dedications 165]. Auch die Aussage von S. G. C [7.3: Gynaiki ou themis 104–22], die so genannten Heiligen Gesetze, meist inschriftlich erhaltene Kultregeln lokaler Heiligtümer, seien Belege für die Geschlechterhierarchie im religiösen Feld, welches insgesamt eine Asymmetrie zugunsten des männlichen Geschlechts aufweise, ist inzwischen in Zweifel gezogen

Opferdiskussion

Weihgeschenke

Heilige Gesetze

130

Religiöse Bewegungsfreiheit

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

worden. J. B [7.2: Virtual Voices 113 Anm. 73] sieht vor allem die Weihgeschenke als wichtiges Korrektiv zu diesen Texten, welche ihrer Meinung nach zwar die exklusive Autorität der Männer über ,,written documents“ repräsentieren, jedoch nicht das Gesamtbild im religiösen Feld wiedergeben. Die Tendenz, die Bedeutung von dem Sakralen verbundenen Handlungen für die Polis herauszustellen, gleichzeitig aber den Anteil des weiblichen Geschlechts an ihnen zu marginalisieren, zeigt sich in der von R. R [5.2: Athenes Gewänder 322] als ,,besonders absurd“ charakterisierten These, die Anfertigung des Gewandes (peplos), das Athena bei den Panathenäen ,überreicht‘ wurde, müsse durch bezahlte männliche Handwerker erfolgt sein, da die athenischen Bürgerinnen wohl kaum genügend Professionalität hierfür aufgebracht hätten [so 7.3: M, Robe of Athena 54, und 7.3: R, Panathenaia 281– 295]. Bereits 1996 hat U. K [7.3: Priesthoods, Dedications 139–182] unter Einbeziehung des epigraphischen und archäologischen Befunds derartige Marginalisierungen der Griechinnen im religiösen Feld zurückgewiesen. Sie kam, ähnlich wie kürzlich auch wieder S. G [7.3: Athanatous therapeuein] und J.B. C [7.3: Life of a Priestess 197ff.] zu dem Schluss, Frauen seien in Griechenland Priesterinnen gleichen Rechts wie ihre männlichen Kollegen gewesen. Sie hätten geopfert und gesprochen – als Amtsinhaberinnen sowohl vor Gericht als auch, indem sie die Stadt vor den Göttern repräsentierten; sie hätten eigenes Einkommen gehabt und seien für ihre Amtsführung geehrt worden. Aber auch normale Frauen in Griechenland hätten de facto was sie wollten und wie viel sie wollten, den Göttern geweiht, bis hin zur eigenständigen Gründung von Heiligtümern – und ganz im Gegensatz zur oft zitierten literarischen Behauptung in einer Lysiasrede, über den Gegenwert eines Scheffels Gerste hinaus seien Frauen nicht geschäftsfähig [7.3: K, Priesthoods, Dedications 148]. Zumindest hätten diese Frauen offenbar kein Problem gehabt, die Zustimmung ihres Vormunds für ihr Vorhaben zu erlangen [7.3: K, Priesthoods, Dedications 166; 5.4: S, Economic Rights 73]. Ob man mit B. G [7.3: Citizen Bacchae 74] das Stifterverhalten griechischer Frauen als ,,a form of resistance to their subjected lives“ verstehen sollte, wäre allerdings erst zu fragen. Das lang postulierte Ideal der auf das Haus beschränkten Bürgerin erweist sich wieder einmal als nichtig: Der religiös konnotierte Raum ist öffentlicher Raum und er steht dem weiblichen Geschlecht grundsätzlich offen. Dies gilt für spezielle Frauenfeste, welche mehrere Tage und Nächte dauern konnten, ebenso wie für die Teilnahme an den überwiegend beiden Geschlechtern zugänglichen Götterfesten der Polis bis hin zu religiösen Begehungen in Heiligtümern weit draußen an den Grenzen des Polisgebiets [7.3: C, Gender 203; 7.3: W, Kulträume 311–35]. Ob athenische Bürgerinnen bei den Theaterwettkämpfen zu Ehren des Dionysos im Publikum saßen, ist allerdings auch nach langwieriger De-

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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batte noch immer umstritten [Zusammenfassung der älteren Diskussion bei 7.1: S-R, Frauen 226ff.; für weibliche Zuschauer s. 7.3: H, Women 133–147, sowie 7.3: G/J, Where were Women 98f.; dagegen, aber weniger überzeugend 7.3: G, Representing Democracy 347–369]. Die Neuakzentuierungen des religiösen Geschlechterverhältnisses für die klassische Zeit dürften sich mittelfristig auch auf Interpretationen auswirken, welche bisher massive Änderungen der Geschlechterverhältnisse im Hellenismus postuliert haben: Eine allgemeine Skizzierung der angeblichen Neubewertung (im Sinne einer partiellen Abwertung) des öffentlichen Raums im 4. Jh. v. Chr. findet sich bei J. F [2.2: Verweichlichung 49f.]. D. S [5.4: Economic Rights 73] konnte jedoch bezeichnenderweise für den Hellenismus keinen Anstieg religiöser Weihungen von Frauen registrieren. Es stellt sich die Frage, inwiefern manche gern erst für den Hellenismus postulierten Tätigkeiten und Möglichkeiten der Geschlechter im religiösen Feld auch schon in früheren Epochen eine Rolle gespielt haben, aber erst in spezifisch hellenistischen Quellengenres für uns sichtbar werden.

Veränderungen im Hellenismus?

7.4 Geschlechterverhältnisse im politischen Raum Im politischen Feld, welches vielen Historikern nach wie vor als wichtigster Bereich geschichtlicher Forschung gilt, erschien die Frage nach Geschlechterverhältnissen traditionell als marginal [allg. 7.4: B-Z/G, Öffentlichkeit 165f.]. Die weithin übliche Schwerpunktsetzung auf das klassische Athen förderte die so genannte ,Ausschlusstheorie‘. Man konzentrierte sich auf den männlichen ,,Vollbürger“ und definierte neben ihm Gruppen minderen Rechts als randständig bzw. nicht zugehörig. Wer das klassische Athen als Männerbund verstand [6.1: V-N, Der Schwarze Jäger 13f.; 6.3: M, Erziehung 76], stellte den ,,männlichen athenischen Bürger als selbsternanntes kulturelles Modell“ ins Zentrum [vgl. hierzu 7.4: B, Recht und Ritus 14f.]. Dies lässt sich in ereignisgeschichtlich orientierten Werken beobachten [vgl. etwa unreflektiert 7.4: B, Griechische Geschichte 205], aber auch bei einflussreichen Vertretern strukturalistisch orientierter Forschung [etwa 7.4: L, Children; 7.4: ., Invention of Athens]. Besonders in Bezug auf die attische Demokratie war die These verbreitet, ,,je mehr Männer unmittelbar an der Herrschaft beteiligt sind, desto stärker wird der Geschlechtergegensatz akzentuiert“ [7.4: M/Z, Einleitung 17f.]. Auch die Women’s studies waren zunächst von der Ausschlusstheorie ausgegangen und thematisierten höchstens gelegentlich die Angst griechischer Männer vor einer Umkehrung der Verhältnisse, verkörpert etwa in Mythen oder normativen

Privilegierung der politischen Geschichte

Ausschlusstheorie

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Anteil an der Polis

Fehlendes weibliches Bürgerrecht?

Formale Bürgerrechtsverleihungen

Kultisches Bürgerrecht?

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

Texten, welche vor der latent drohenden Frauenherrschaft warnten und diese als verkehrte Welt charakterisierten [1: P, Frauenleben 145; s. auch 7.4: W-H, Diktum 198f.]. B. W-H [7.4: Das Private 28ff.] wies auf die von Vertretern der Ausschlusstheorie implizit angewandten männlichen Maßstäbe hin: Die Fixierung auf Männersphären verstelle den Blick ,,für die Wahrnehmung von Frauenräumen“ oder weise diese ,,in die Marginalisierung“. In jüngerer Zeit verstärkt sich entsprechend der Widerspruch gegen die Privilegierung des (formal definierten) politischen Sektors, welche sich wie selbstverständlich an Aristoteles’ Schrift über die Politik (Aristot. pol.) als scheinbar repräsentativem Leittext orientiert [7.4: K, Women and Democracy 61; 7.4: B, Recht und Ritus 10; 5.2: R, Athenes Gewänder 333]. Dem gegenüber wird die Forderung formuliert, die Teilhabe an der Polis auf einer breiteren Basis zu beschreiben [7.3: G, Citizen Bacchae 163]. C. P [7.4: Hai attikai 49–67] und M. K [7.4: Women and Democracy 60f.] haben mit guten Gründen der Vorannahme vom fehlenden weiblichen Bürgerrecht in Athen widersprochen. Dies fand aber kaum Gehör; das Bild der Athenerinnen als ,,unfit for citizenship“ ist nach wie vor weit verbreitet [so etwa noch 4.3: F, Figures 177: ,,given as a fact“]. In jüngerer Zeit stellte jedoch etwa J. B [7.4: Recht und Ritus 8] fest, ,,die Vorstellung, Frauen könnten Bürger der Stadt Athen sein“, sei in der modernen Forschung ,,durch eine paradigmatische Barriere versperrt“ worden. Diese Barriere sei [so 7.4: B, Recht und Ritus 14f.] in sehr unterschiedlichen Forschungsansätzen wirksam: dem ,liberalen‘ (in der Tradition westlicher Ideen vom Bürgerrecht unter dem Einfluss des Liberalismus mit Aristoteles’ ,Politik‘ als Leittext) oder dem strukturalistischen Ansatz, welch letzterer Bürgerstatus durch Gegensatzpaare definiere: ,,Mann sein bedeute Bürger zu sein; Frau zu sein bedeute das Gegenteil“. Gegen N. L [7.4: Children 128], welcher sie eine unvollständige Quellenbasis bescheinigt, hat J. B [7.4: Recht und Ritus 3f.; 7.4: ., Becoming Citizens 9–36, mit ausführlicher Analyse der Begrifflichkeit] der Vorstellung vom rein männlichen Bürgerstatus widersprochen. Formale Bürgerrechtsverleihungen an Frauen haben bereits U. K [7.3: Priesthoods, Dedications 180, mit zahlreichen Beispielen], E. C [7.4: Pandora’s Daughters 91], W. S [7.1: Frauen 115f.] sowie auch B [7.4: Politische Wirksamkeit 19ff.] hervorgehoben. Verschiedentlich war von einem ,,kultischen Bürgerrecht“ der Frauen die Rede. Damit wurde der Begriff Bürgerrecht über die übliche Engführung im Sinne von ,teilnahmeberechtigt an politischen Gremien‘ hinaus erweitert [7.3: B Z, Die Töchter der Pandora 375]. B. G [7.3: Citizen Bacchae 164] vertrat die These eines ,,latenten Bürgerstatus“, welcher in ritueller Beteiligung habe sichtbar werden können. J. B [7.4: Recht und Ritus 11] hat die Wichtigkeit gemeinsamer Kultausübung

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

133

für die Entstehung und Konstanz von Polisidentität betont. H. W [2.5: Ehefrau 429 Anm. 21] hat demgegenüber eingewandt, B ebne den tiefen Einschnitt zwischen archaischer Polis und Demokratie in unzulässiger Weise ein und lasse die zeitliche Differenzierung in Bezug auf das ,,Bürgersein“ vermissen. Provokant, aber durchaus bedenkenswert erscheint trotzdem die Feststellung Bs [7.4: Recht und Ritus 23; 7.2: ., Virtual Voices 112; s. auch 1: G/T, Introduction 15], angesichts des zahlenmäßigen Übergewichts religiöser Festtage in Athen sowie angesichts der Bedeutung, welches dem Recht auf religiöse Amtsausübung eingeräumt worden sei, ,,waren die Aktivitäten der Volksversammlung von eher ephemerer Bedeutung, so wichtig sie für sich gesehen auch gewesen sein mögen“. Die Vorstellung vom athenischen Bürger der Demokratie, welcher seine Zeit hauptsächlich mit dem Nachdenken über Politik bzw. mit formaler politischer Betätigung verbracht habe, hat bereits M. K [7.4: Women and Democracy 62f.] mit durchaus einleuchtenden Argumenten relativiert. Wahres Bürgerrecht, so vertrat es schon H. F [7.4: Female Intruder 11], sei durch kultische Aufgaben, aber auch durch Mutterschaft und Leistung in spezifischen Arbeitsfeldern definiert worden. Auch R. R [5.2: Athenes Gewänder 324] stellt die vielfältige Arbeitsleistung der Frauen neben deren ,,kultische Verantwortung“ und markiert beides als weiblichen Beitrag zum Gemeinwesen, welcher neben die enger definierten ,,politischen Aktivitäten“ der Männer zu stellen sei und das ,,Anteilhaben an der Polis“ für die Frauen belege. Gegen die Marginalisierung der beiden Geschlechtern zugänglichen sakralen Ämter in der Tradition des Liberalismus sprach sich bereits C. S-I [7.1: Männlich und weiblich 116] aus: Die Identität von Athenerinnen (und von Athenern, so sollte man ergänzen) sei durch solche Ämter definiert und artikuliert worden [vgl. auch 7.3: K, Priesthoods, Dedications; 7.3: G, Athanatous therapeuein; 4.4: H, Frauen 55]. Auch die potentielle Amtsfähigkeit griechischer Frauen jenseits des Sakralen spätestens seit hellenistischer Zeit ist mehrfach betont worden [7.4: V B, Limits of Participation 225; 5.3: ., Women and Wealth 223–242; vgl. auch 7.4: WH, Das Diktum 209ff., und, lokal beschränkt auf die Kykladen, 7.4: S, Gruppenbild 199ff.]. O. B [7.4: Politische Wirksamkeit] hatte bereits 1911 im Gegensatz zu weiten Teilen der neueren Forschung die Befunde wahrgenommen und problematisiert, auch wenn man heute seine Ausführungen über ihren Ursprung in einem kleinasiatischen Mutterrecht nicht mehr teilen wird. M. K [7.4: Women and Democracy 52] hat die Gleichsetzung von institutionalisierter Politik und öffentlichem Raum als ,,one of our chief legacies“ aus der politischen Theorie und Praxis des 17. und 18. Jh. charakterisiert. B. W-H [7.4: Das Private 18] und B. B-Z/J. G-

Amtsfähigkeit

Öffentlicher Raum gleich politischer Raum?

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Ausblick Erweiterter Politikbegriff

Komplementarität funktionaler Felder statt Primat des Politischen

II. Grundprobleme und Tendenzen der Forschung

 [7.4: Öffentlichkeit 165] betonten die unglückliche Nachwirkung eines eng gefassten Politikbegriffs, welcher sich auf die Analyse des Anteils an bestimmten, Männern vorbehaltenen Institutionen beschränkte und diesen den öffentlichen Raum zusprach, während fast alle Tätigkeiten der Frauen mit dem Nichtöffentlichen, Persönlichen, HäuslichFamiliären, politisch nicht Bedeutsamen verbunden wurden. Dies lässt sich bis in jüngste Zeit beobachten: Selbst Bs [7.2: Virtual Voices 95–116] überzeugende und wichtige Feststellungen über die Bedeutung von Ort und Zeit bei der geschlechtsspezifischen Aufteilung des Raums, der Bereiche und der Möglichkeiten, die sie im Bild der ,,coordinated choreography“ veranschaulicht, werden verunklart durch die Verwendung der Begriffe öffentlich/politisch und privat/häuslich, welchen in der historischen Forschung die unsichtbare Gleichung ,öffentlich/politisch = im historischen Sinne bedeutsam‘ bzw. ,privat/häuslich = im historischen Sinne unbedeutend‘ nach wie vor anhaftet. Drei Forschungsrichtungen vor allem erscheinen zukunftsträchtig für die historische Analyse griechischer Geschlechterverhältnisse. Dies ist zum einen der Ansatz der so genannten ,,Neuen Politikgeschichte“ [7.4: F, Neue Politikgeschichte 152–164], welche den traditionellen Politikbegriff in erweiterter Form verwendet. In den Altertumswissenschaften schlägt sich diese begriffliche Neujustierung allerdings erst zögerlich nieder. Sie könnte zur Folge haben, dass von beiden Geschlechtern getragene, an sich öffentliche, aber bislang als unpolitisch marginalisierte Felder wie Religion und Kult, aber auch bislang unter privat subsumierte Bereiche wie etwa bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten noch differenzierter auf ihren Einfluss auf das Funktionieren des Gemeinwesens hin geprüft würden. Ein zweiter Ansatz steht der Ausweitung des Politikbegriffes eher kritisch gegenüber. Durch die Benennung zu vieler Felder als politisch werde nur erneut das Politische ,,zum Referenzwert“ in der Geschichte erhoben, statt es als ein Feld neben weiteren, ebenso wichtigen Feldern zu sehen. R. R [5.2: Athenes Gewänder 333] postuliert entsprechend, ,,das Politische nicht als identisch mit der Polis zu denken“. Traditionell definierte politische Aktivitäten müssten stattdessen in einen ,,Wertehaushalt komplementärer funktionaler Felder“ eingeordnet werden. Tendenzen wie diese münden letztlich ein in die schon 1998 von C. A. C [4.3: Household Interests 215] getroffene Feststellung, es werde zumeist danach gefragt, wie relevant denn der Oikos für politische oder formale Institutionen der Polis gewesen sei. Die richtige Frage sei jedoch die umgekehrte, wie relevant denn politische Institutionen und Gesetze überhaupt für den Haushalt und seine Mitglieder beiderlei Geschlechts gewesen seien. Betrachtet man die Forschung zu den Geschlechterverhältnissen im antiken Griechenland auf dem Weg zu den ,,großen Synthesen“, so erscheint nicht die Suche nach patriarchalen Strukturen oder die Fest-

7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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schreibung eines Dualismus von Männlichkeit und Weiblichkeit der vielversprechendste Ansatz. Konstruktiv weiterführend dürfte vielmehr die Erforschung komplementärer geschlechtsspezifischer Räume im sozialen (aber auch im konkreten) Sinne sein – und ganz besonders der jeweiligen Überschneidungsbereiche, in denen sich die Geschlechter begegnen und miteinander in Beziehung treten. Nach der gegenseitigen Beeinflussung anscheinend geschlechtsspezifisch segregierter Bereiche und deren jeweils chronologischer Entwicklung bliebe im Einzelfall zu fragen. Die Anwendung von Geschlecht als historische Kategorie – von gleicher Wichtigkeit wie Ethnizität oder soziale Klasse – und eine Haltung, die bei jeder historischen Fragestellung und bei jeder Analyse sozialer Praktiken automatisch beide Geschlechter in den Blick nimmt, sind in den Altertumswissenschaften immer noch nicht selbstverständlich genug. Die Geschlechterverhältnisse dürfen in Zukunft nicht ein Feld für Spezialisten sein, sondern ein erweiterter Blickwinkel auf beide Geschlechter ist von allen gefordert, die sich mit der Geschichte des antiken Griechenlands befassen.

Beziehungsgeschichte

III. Literatur 1. Forschungsgeschichte: Einige Stichpunkte B, E/H, E, Feministische Methodendiskussion in der Geschichtswissenschaft, in: G/M (Hrsg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte, 127–142. B, G-F, Geschlechtergeschichte, in: C, C (Hrsg.), Geschichtswissenschaften. Eine Einführung, Frankfurt/M. 2000, 282–294. B, J, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991 (= Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, New York 1990). C, A, Women in Ancient Culture and Society, in: AU 33, 1990, 6–17. C, A/F, A/P, M (Hrsg.), Geschlecht und Geschichte. Ist eine weibliche Geschichtsschreibung möglich? Frankfurt/M. 1989 (frz. 1984). C, A/L, N, Dislocating Masculinity. Comparative Ethnographies, London/New York 1994. D: Materials for the Study of Women and Gender in the Ancient World: http://www.stoa.org/diotima/ (12.1.2011). E, F X., Sexualitäten und Geschlechtergeschichte, in: G/M (Hrsg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte, 203–219. E, B, Gender Studies, DNP Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte 14, 2000, 111–121. E, W/H, B (Hrsg.), Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart 1997. F, B, Gender Studies in den Altertumswissenschaften – Rückblicke, Überblicke, Ausblicke in: F/W (Hrsg.), Gender Studies in den Altertumswissenschaften, 11–23. F, B/W, G (Hrsg.), Gender Studies in den Altertumswissenschaften. Möglichkeiten und Grenzen (IPHIS, Beiträge zur altertumswissenschaftlichen Genderforschung, Bd.1), Trier 2002. F, L, Introduction, in: F, L/S, J (Hrsg.), When Men were Men. Masculinity, Power and Identity in Classical Antiquity, London/New York 1998, 1–9. F, L/S, J (Hrsg), Thinking Men. Masculinity and its Self-Representation in the Classical Tradition, London 1998.

138

III. Literatur

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4. Sexualität, Ehe, Familie

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5. Pflüger und Weberinnen

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7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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7. Geschlechterverhältnisse und Geschlechterverhalten jenseits des Oikos

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Abkürzungen AA AAntHung AC AHR AJAH AJPh AK AncSoc AncW AU ClAnt CPh CQ CR CW DNP G&R GRBS HStClPh HZ JHS LCM MH P&P PCPhS PhJ REG RhM SyllClass TAPhA YCS ZPE ZRG RA

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Register Personenregister Achilleus 28, 74f. Agdistis 60 Aischylos 34, 62 A, A. 60 A, S. 129 Alexander der Große 118 Alkibiades 119 Alkmaion 4 Alkman 82 Anaxagoras 4 Antipater 12 Aphrodite 3, 21 Apollodoros 84 Apollon 47, 62 Arachne 27 Ariadne 89 A, P. 88 Aristogeiton 80 Aristophanes 49, 120 Aristoteles 4f., 9–12, 26, 37, 44, 51f., 63f., 66, 68–70, 75, 101, 106, 132 A, G. 108 Artemis 35, 39, 46–48, 50, 81, 107, 117, 125 Aspasia 56 Atalante 107 Athena 1, 3, 27f., 46, 48f., 130 B-Z, B. 131, 133 B, E.J.W. 96, 111 B, G. 60 B, R. 72, 74, 87, 98, 113, 122, 124 B, J. 105 B, M. 126 B, I. 67 B, H. 131 B, C. 109 B, P. 108 B, E. 74 B, E. 57 B, J. 62, 104, 110, 120, 122, 127, 130, 132–134 B, N.H. 62 B, H. 119

B, S. 60, 105, 107, 116f. B, S. 81 B, F. 71 B, O. 132f. B, A. 125 B, R.  100, 133 B, J.M. 105 B, J. 74f., 112, 115, 119, 124, 128f. B, L. 60f., 71 B, R. 94 B Z, L. 129, 132 B, P. 86, 108 B, A. 120, 128 B, G.-F. 57 B, L. 103f., 106, 124 B, W. 94 B, J.B. 81, 113 B, J. 58 C, D.L. 118 C, C. 82, 85f., 88, 108f., 115, 124 C, A. 56 C, E. 74–76, 78–80, 83, 132 C, C. 90 C, A. 65, 67f., 88, 90, 94, 111, 118, 125 C, P.A. 69, 76, 79f., 91, 98, 103, 105, 107, 123 C, J. 70 C, C.A. 82, 121 C, J. 121 C, D. 74, 77f., 80, 83, 88, 90, 99– 101, 110, 112, 121 C, E. 98, 110, 112 C, S.G. 64, 72, 78, 90, 96, 114, 118, 125f., 129f. C, J.B. 126, 128–130 C, A. 115 C, A. 59 C, A. 58 C, C.A. 86f., 89f., 92, 98f., 112, 134 D, A. 118 D, L. 56

174

Register

D, E. 112 D, J.N. 68, 73, 76–80, 84, 99, 117, 119  V, K. 79 D-J, L. 62–66, 69 D, M. 71 D, N. 72, 91f. Demeter 49 Demokrit 4 D, M. 69, 102 D, M. 129 D, M.H. 91, 94f., 97, 100, 111 D, L. 108 D, M. 94, 109, 127–129 Diogenes 8 Dionysos 3, 89, 118, 130 D, D.B. 103 D, C. 60, 106 D, K.J. 74–80, 82 Drakon 89 DB, P. 77, 88 D, J. 100 D, H.P. 116 E, F.X. 58 E, B. 57 E, C. 126 E, A. 95 Empedokles 4, 9 E, D. 92 E, J. 103 Epikur 44f. E, W. 58 Erinna 27 Eteokles 34 Euripides 24 E, E. 92 F, J. 63, 66, 110, 115, 118f., 123, 131 F, E. 82 F, C.A. 125 F, A. 59 F, D.D. 129 F, B. 114, 117 F, B. 57 F, G. 81, 86, 104, 117, 132 F B, A.D. 94 F, S. 62–64, 69f., 105f., 123 F, H. 111, 133 F, M. 58, 68, 72f., 76f., 81, 90

F, L. 58, 77, 94, 97–99, 101, 110f., 127, 129 F, C.A. 63 F, U. 134 F-D, F. 111 G, M. 120 G, M.-K. 59 G, D. 84 G, J.-D. 70 G, A.G. 119 G, J. 131, 134 G, A.  124f. G, S. 126, 130, 133 G, E.-C. 131 G, D.D. 121 G, M. 126 G, M.W. 64, 115 G, R.F. 81f. G, B. 82, 124f., 127–130, 132 G, J. 97 G, M. 56, 71–73, 91f., 94f., 102, 114f., 124, 133 G, S. 120, 123, 131 G, A.W. 56 G, P. 82 G, F. 61, 70, 106, 124, 128 G, A. 57 G, M. 81, 95, 102, 114f., 120, 124 G, S. 66 G, B. 64 G, A. 107–109, 118 H, S. 61, 72 H, D.M. 58, 73f., 77, 80, 103, 111, 123 H, D. 85 H, M.H. 100 H, A.E. 62–65, 91f. H-S, H. 70 Harmodios 80 H, E.M. 90, 98 H, W.V. 92, 114 H, A.R.W. 99 H, E. 59, 63, 72, 81–90, 93, 95–98, 101, 107f., 115, 118, 122–124, 127, 133 H, U. 59 H, F. 114 H, R. 70 H J., C.W. 127

Register Helena 27, 121 H, J. 80, 131 H, N. 121 H, A. 128 Hephaistos 3 Hera 3, 28, 35, 47, 61 Herakles 28, 34, 49, 51 Heraklit 8 H, G. 71 Hermaphroditos 60 Hermes 88 Herodot 28 Herophilos 6, 66 H, B. 58 H-O, E. 58 H, M. 122 Hesiod 3, 7–9, 11f., 24, 26, 28, 41, 60, 67, 92, 94, 98, 111, 121 H-W, N. 116 Hipparchos 80 Hippokrates, Hippokratiker 5f., 8, 10f., 64–66, 68, 116 Hippon 4 H, S. 57 H, S. 87, 93, 95, 100, 107, 119 H, T. 116 H, E.S. 126 H-W, G. 122 Homer 3 H, E. 57 H, T.K. 73–75, 77, 79–81 H, S.C. 115, 123 H, V. 96, 98f., 101, 112, 121 H, A. 65f., 86, 97, 102, 122 H, A. 126 H, U. 63f. H, M. 93 Hypereides 102 I, B. 66 Iphis 61 Ischomachos 97 Isokrates 42, 71, 98 J, M. 73 J, H.R. 131 J, R. 87f., 111 K, D. 104 K, L. 117 Kainis 60

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K-M, L. 121 Kallimachos 80 Kallisto 81 K, N. 55f., 59 K, K. 91 K, E. 87 K, M.A. 56, 104, 110, 132f. K, N. 103, 107 K, H. 119 K, E.C. 73, 84, 88, 92, 105 K, M. 78f. K, H. 60, 63f., 66–68, 71, 91–93 K, I. 105 K, E. 96f. K, R. 70 Kleopatra 55 K, V.  120 K, J. 109 K, E. 56 K, R.S. 55f., 127 K, C. 121 K, A.K. 61 K, U. 108f., 117 K, U. 129f., 132f. K, K. 116 K, B. 91, 100 K, L. 83 K, D.G. 119 L, W.K. 90 L, R. 61 L, S. 72 L, T. 66 L, A. 82 L, D.H. 58, 73, 80 L, J. 82 L, A. 75f., 78 L T, Y. 71 L, M.R. 60, 82, 105 L, D. 61, 78, 103, 118f. L, E. 62, 64 L, S. 94, 112, 117, 128 L, H. 56 L, N. 58 L, S. 93 L, F. 111 L-J, L. 117f. L J, H. 67 L, N. 60f., 77f., 101, 103, 106, 131f. L, N.J. 127 L, J. 63

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Register

L, K. 58 L, M. 62, 64 L, C. 70f., 124 Lykurg 103 Maia 27 M, W. 60 M, C. 104 M, J.M. 130 M, W. 67 M, H.-I. 74, 105, 107–109, 119, 131 M, T. 89 M, J. 126 M, J. 111, 131 M, P. 75, 83, 88f. MC, L.K. 65, 73, 85, 120–122 MD, D. 110 MG, D.B. 77 MI, J. 64 MM, B.F. 57 Medea 24 M, A. 124 M, C. 100, 115 M, R. 81 M, R. 116 M, L. 126 M, E.G. 85, 87, 91, 95, 100, 109, 118 M, P.A. 73 M, H. 119 M, M. 94 M, D. 68 M, H. 58 M, I.  56 M, S. 102, 104, 116, 119 M, I. 60, 67 Neaira 85 N, G. 114, 119 N, C. 119 N, L. 111, 113 N, W. 55 N, J.A. 126 N, V. 64 O, D. 118 O, M. 120 Omphale 28, 51 O, R.G. 67, 95, 116, 129 O’B, J. 60 O’G, E. 106

O’H, D.M. Ovid 82

120

Pandora 3, 7, 59f., 67 P, E. 118 P, H.N. 76, 81f. P, R. 125f. Parmenides 4 Patroklos 74f. P, C. 132 P, H. 74 P-G, A. 96 Penelope 27 Percy III, W.A. 75 P, S. 87, 91 Perikles 42 P, P. 117 P, M. 59 P, I. 83 P, C. 56 P, S.E. 65 Philomela 27f. P, K. 59 P, D.T. 61 P, L. 108 Platon 4, 11f., 16, 20, 44, 62f., 65, 71, 75–77, 80, 93, 104, 107 P, C. 73 Plutarch 103, 107f. P, O. 103 Polybios 25 P, S.B. 55f., 62f., 70, 72f., 83, 88, 90–94, 96, 99f., 107f., 111, 114, 119, 121, 123, 128, 132 Poseidon 60 P, P. 64 P, A. 106f. Prokne 27 Prometheus 3, 60 R, N.S. 57, 81 R, A. 102, 115, 119 R, W. 119 R, D.J. 114 R, C. 77, 79, 84f., 88f., 111 R, R. 59, 94–99, 101, 108, 110, 130, 132–134 R, A. 57, 66, 73, 77, 114, 116 R, J.M. 91 R, N. 128, 130 R, L. 117 R, J. 102

Register R, R.M. 102, 104 R, V.J. 86 R, G.S. 57 R, T. 73 S, S. 63 S, R. 77 S, J. 58 Sappho 17, 81f., 124 S, T.F. 75, 82, 106–109, 117, 119 S, D.M. 97, 99, 106, 109, 121, 130f. S, T.S. 55–57, 70, 86, 106, 114, 118f., 126–128 S, W. 94 S P, P. 55f., 58f., 97, 99, 110f., 113, 129 S, T.A. 57 S, W. 67, 79, 82f., 86f., 89–91, 93, 97, 103, 119, 121, 123 S, L.A. 115 S-R, C. 111f., 131 S, C. 63f. S, W. 78f., 83–85, 90, 112, 132 S, J.W. 57 S, R. 90, 104 Semonides 7, 12, 23, 26, 35, 39–41, 43, 67, 121 S, B. 74 S, G. 62–65, 80, 110 S, M.B. 56f., 60, 62, 65, 68f., 71, 73–75, 77–81, 83–87, 89, 94, 99, 111–113, 119–121, 127 S, I. 102, 104 S, J.M. 114 S, N. 59 Sokrates 10, 43, 123 Solon 18, 83 S, A.H. 120 S-I, C. 69, 72, 97, 111–113, 117, 121, 125, 128f., 133 S, T. 56–59 S, P. 111 S, E. 99, 114 S, A. 76, 81, 110, 112f. S, K. 122 S, E. 120–122 S, M. 64, 68, 91 S-H, E. 119 S, A. 68, 84 S, B.S. 87

177

S, L.S. 67 S, G. 65f., 86, 97, 102, 122 S, R. 88 T, L.E. 126 T, D. 121 Teiresias 61 Thales 11 Thersites 38 Theseus 34 T, L. 65, 68, 71, 78, 81, 83, 85, 90f., 96, 102–105, 107f., 115–117, 119, 123 T, W. 96 T, B. 121 T, B. 73 Thukydides 42 T, M. 66 T, P. 56, 73, 133 T, J.A. 126, 129 U, G.

61

V, R. 79, 114 V, A. 84f. V, W.J. 67 V, A.M. 56, 86 V, J.-P. 67, 86, 88, 94, 96, 111 V, H.S. 112 V, C. 56, 86 V-N, P. 103–105, 109, 131 W-H, B. 56f., 95–97, 99, 105, 111–113, 118f., 121f., 126f., 132f. W, K. 102, 119, 124f., 129f. W, H.  101, 104, 106 W, D. 62 W, O. 64 W, S.M. 61 W, H.-U. 69, 133 W-M, U.  1, 56, 81 W, M. 90 W, J.J. 70, 82, 112 W, A. 76, 110 W, G. 70, 81, 84, 97, 99, 109, 114 W, N. 121 W, C. 58, 114 Xenophanes 33, 104 Xenophon 14, 21, 30, 40, 43, 89, 97, 108

178

Register

Y, J.G.

73

Zeus 3, 7, 46 Z, R. 95, 111, 131

Z, F. 60, 67, 77, 89, 94, 110, 119, 121, 128

Sachregister Abtreibung 91f., 126 Ägypten 28 Agonales Prinzip 30, 102, 108 Aischrologie 120 Aktiv-Passiv-Schema 76, 78, 89 ákyron 69 Alexandria 6 Amazonen 33f., 51, 105, 107 Amphidromia 47, 72 Amtsfähigkeit 52f., 126, 133 Anatomie 6, 65 andreía 30, 33f., 101f., 104–106, 117 Anmut 39, 115 Arbeit 94f., 110f., 133 Arbeitsteilung 94 Arrhephoren 28, 48, 125 Aufgebot, militärisches 32 Aussetzung siehe Kindsaussetzung Autorität im Haushalt 99, 101, 112 Bärinnen 117, 125 Bart 118 Beamtin 49 Begräbnisrituale 125 Bewegungsfreiheit 37, 111, 130 Bigamie 89 Bildung 13, 38, 43, 45, 70f., 85, 114, 120, 123 Blick 39, 115 Brauron 35, 109, 117 Brautraub 20, 87 Bürger 104 Bürgerrecht 52f., 103, 132f. Chios 109 Chor, Chöre 39, 48, 50, 82, 115, 124 Corpus Hippocraticum 5, 64 Dichterinnen 114 Dionysoskult 128

Doryleion 109 Drittes Geschlecht

71

Ehe 15, 19–21, 47, 65, 79, 85–87, 90 Ehebruch 22f., 50, 68, 83, 88–90 Ehehierarchie 21 Ein-Geschlecht-Theorie 66 Emotion 9, 20, 84f., 88f., 122, 128 Ephebie 31, 47, 103, 106, 124 erastés 16f., 79 Erbtochter 22, 86 erómenos 16f., 31, 79 Erwerbsarbeit, außerhäusliche 29, 95, 99f. Erzeugerleihe 91 Erziehung 13, 31, 70f., 102f., 107, 115 Essen, Geschlechtertrennung beim 29, 49 Eunuchen 5, 15 Feigheit 31f., 34, 62, 103, 116 Feste, religiöse 39, 52 Feuchtigkeit 8–10, 67f. Frauengemach, gynaikonítis 36, 84, 113 Frauenherrschaft 37, 51, 121, 132 Fruchtbarkeit 124, 127f. Gang, gehen 38, 115 Gebärmutter 6, 65 Gebet 49 Gehorsam 31, 34, 45, 52 Gemeinschaftsmahle 29 gender 57 Gerichtshöfe 35, 44 Gerücht 121 Geschäftsfähigkeit 29, 97f., 100, 130 Geschlechterbegriff 57 Geschlechterdifferenzforschung 57 Geschlechtertrennung 112f.

Register – im Kultus 49 Geschlechtstrieb 65, 68f. Geschlechtsumwandlung 3, 60f. Götter und Göttinnen 46, 126 Große Göttin 126 Grundbesitz, Landbesitz 26, 97f., 100 Gymnasion 33, 38, 40, 104, 109 gynaikonómoi 118, 122 Haare 118f. Haaropfer 47 Haltung des Körpers 38f., 42, 114, 116 Haus 26, 35, 47, 94, 99, 110–113, 126, 130 Hausarbeit 99 Hauskult 46 Heiratsalter 17–19, 22, 65, 86f. Herd 35, 111 Hermaphroditen 15, 60, 71 Hermenfrevel 88 Heroen 3, 60 Hetären 18f., 21f., 29, 41, 43, 83–85, 87, 117f., 121, 129 Hochzeit 47 Hochzeitsbräuche, Sparta 22, 90, 119 Hochzeitsprozession 29 Homoerotik, männlich 19, 75f., 80 – Päderastie 16–19, 31, 40, 73–76, 79f., 82f., 89, 125 Homoerotik, weiblich 17, 23, 81–83 Hysterie 65 Infantizid 92 Initiation 74f., 82, 103, 108f., 124f. Inzest 87 Jungfräulichkeit, Virginität

21, 65f.

kalokagathía 14, 33, 71 Keuschheit 11, 18, 50, 65, 83 Kindersterblichkeit 24, 91 Kinderzahl 24, 93 Kindsaussetzung 24, 92f. Kleiderluxus 119 Kleiderregeln 39, 41, 119 Kleidertausch 119 Kleidung 27, 39f., 95f., 117–119 Körper 63f., 116 Körpertemperatur 9, 68 Kommunikation 38, 52, 120 Kommunikationsräume 37, 45 Kontrazeptiva 24, 91f.

179

Korinth 109 Krieg 26, 30, 33f., 37, 47, 86, 95, 100– 102, 105f. Kriegergemeinschaft 51, 90 Kriegsdienstverweigerung 103 kýrios 98 Landwirtschaft 25f., 93–95, 100, 127 Lesbos 17, 81 Lesefähigkeit 28 Liebesgenuss 61, 88 Liebesheirat 20, 22, 86–89 Mänaden 118, 128 Männerbund 104, 131 Männergemach, andrón 36, 113 Männlichkeitsforschung 58 Magie, magische Praktiken 128 Matriarchatsthesen 126 Mitgift 20, 22, 29, 86, 92, 98–100 Müttersterblichkeit 24, 91, 108 Mythos 2f., 34, 59–61, 81, 105, 107, 131 Nachbarschaften, weibliche 37, 112 Nachtfest 49 Nachwuchs, vorehelich 18, 20 Nacktheit 33f., 39–41, 105, 108, 116f. Namensgebung 14 Natur/Kultur-Dualismus 118, 127 Öffentlicher Raum, Neudefinition 53, 131 Öffentlichkeit 35f., 38–40, 46, 50, 52, 110, 129f., 133f. Olympia 32f., 35, 109 Opfer, blutiges 129f. Pädagogen 33, 38 Päderastie siehe Homoerotik, männlich/Päderastie Penetrationsmodell 76–79 Performanz 58 Pflüger, Mann als 25, 27, 93–95 Philosophen, Philosophinnen 43f., 70, 85 Philosophie 70 Phratrie 14, 47f., 72 Physiologie 6, 8, 64 Politikbegriff 52, 132, 134 Polyandrie 20, 87, 91

180

Register

Priester, Priesterin 42, 49f., 53, 126, 129f. Privatheit 36, 99, 110, 134 Prophetin 49 Prostitution 16, 18, 80, 83, 99, 117f. Prozessionen, religiöse 39, 47f., 116 Pubertätsrituale 47, 125 Rationalität 69 Reden, informelles 121 Reden, männlich 41f., 44f., 119, 122 Reden, weiblich 41–45, 120f., 123 Redeweise, lakonisch 44 Reinheit, Unreinheit 50, 125 Scham 39, 116 Schleier 118 Schlüsselgewalt 97 Schöpfung 3, 59f., 62 Schulbildung 38, 43, 70, 114, 120, 124 Schulpflicht 38 Schwangerschaft 65 Seklusion 36, 111–113 Sektion, Vivisektion 66 Selbstbeherrschung 10, 17, 34, 68, 76, 90 Sexualität, eheliche 21, 88f. Sexuelle Orientierung 19 Sitzen 39 Sport 33 Sport, Frauen 34, 48, 106–109, 117 Sport, Männer 32, 75, 104, 116 Sprechgemeinschaften 43 Sprechideale 121 Sprechverhalten 41, 48, 120–123 Symposion 41, 43f., 67, 74f., 81–85, 88, 113, 120

Tapferkeit, kriegerische 30, 102f., 105 Tempelprostitution 50, 128 Textilarbeit 27–29, 35, 48, 95–97, 130 Textilien, wirtschaftliche Bedeutung 96 Thargelienfest 47 Thesmophorienfest 49 Tiervergleich 7f., 67 Totenklage 96, 122 Transsexualität 61 Transvestismus 119 Trennung, Scheidung 22f., 29, 99 Treue, eheliche 22f., 89 Trockenheit 8–10, 68 Unfruchtbarkeit 23 Utopische Familienentwürfe

20, 93

Vasenbilder 76, 79–81, 84, 88, 94, 109, 117, 119 Vaterschaft 20 Vergewaltigung 20, 49, 60, 90 Verwitwung 22, 87 Volksversammlung 35, 41f., 44f., 51– 53, 133 Vormundschaft 97f., 111, 122, 130 Vorratshaltung 28, 35, 96f. Vorsokratiker 4, 62 Weihgeschenke 129f. Wiederverheiratung 87 Wirtschaft 95f., 101 Zeugung der Götter 3 Zeugungstheorien 4f., 62, 64, 94 Zweigeschlechtlichkeit 60f.

Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike Band 1 Winfried Schmitz Haus und Familie im antiken Griechenland 2007. X, 191 S. ISBN 978-3-486-58376-2 Band 2 Winfried Schmitz Haus und Familie im antiken Rom Band 3 Aloys Winterling Die griechische Gesellschaft Band 4 Aloys Winterling Die römische Gesellschaft 2013. ISBN 978-3-486-59677-9 Band 5 N.N. Politische Organisation im klassischen Griechenland Band 6 Monika Bernett Politische Organisation im republikanischen Rom 2012 ISBN 978-3-486-59696-0 Band 7 Ernst Baltrusch Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike 2008. X, 219 S. ISBN 978-3-486-58401-1

Band 8 Gregor Weber Antike Monarchie 2012 ISBN 978-3-486-59684-4 Band 9 Christian Mann Antikes Militär 2013 ISBN 978-3-486-59682-3 Band 10 Sitta von Reden Antike Wirtschaft 2012 ISBN 978-3-486-59700-4 Band 11 Tanja S. Scheer Griechische Geschlechterverhältnisse 2011. ca. 160 S. ISBN 978-3-486-59684-7 Band 12 Tanja Scheer Römische Geschlechterverhältnisse Band 13 Bernhard Linke Antike Religion 2012 ISBN 978-3-486-59702-8 Band 14 N.N. Das frühe Christentum