Grenzen eines beweisfunktionalen Strafrechts: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Aussageverlust materiellen Rechts bei Betrug und Untreue in England und Deutschland [1 ed.] 9783428542994, 9783428142996

Die Arbeit untersucht einen Aussage- und Funktionsverlust materiellen Strafrechts infolge verfolgungseffizienzorientiert

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German Pages 292 Year 2014

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Grenzen eines beweisfunktionalen Strafrechts: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Aussageverlust materiellen Rechts bei Betrug und Untreue in England und Deutschland [1 ed.]
 9783428542994, 9783428142996

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 253

Grenzen eines beweisfunktionalen Strafrechts Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Aussageverlust materiellen Rechts bei Betrug und Untreue in England und Deutschland

Von

Benjamin Vogel

Duncker & Humblot · Berlin

BENJAMIN VOGEL

Grenzen eines beweisfunktionalen Strafrechts

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 253

Grenzen eines beweisfunktionalen Strafrechts Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Aussageverlust materiellen Rechts bei Betrug und Untreue in England und Deutschland

Von

Benjamin Vogel

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Wolfgang Mitsch, Potsdam

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14299-6 (Print) ISBN 978-3-428-54299-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84299-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen lieben Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Oktober 2012 fertiggestellt und im Sommersemester 2013 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie noch geringfügig überarbeitet. Besonderer Dank gebührt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Wolfgang Mitsch, der mir durch großes Interesse am Untersuchungsgegenstand und seine Offenheit gegenüber auch unkonventionellen Denkansätzen die für ein mehrjähriges Vorhaben notwendige Zuversicht verlieh und dabei ein hohes Maß an akademischer Freiheit einräumte. Er trug wesentlich dazu bei, dass die Arbeit – so hoffe ich jedenfalls – eine Balance zwischen Rechtstheorie einerseits und deren Einordnung in den Kontext der Rechtsanwendungspraxis andererseits wahrt. Für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens bedanke ich mich zudem bei Herrn Professor Dr. Uwe Hellmann. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Andreas von Hirsch und Frau Dr. Antje du Bois-Pedain, die mich im Rahmen ihres Seminars in Cambridge an strafrechtsphilosophisches Denken herangeführt und mir die Faszination dieses Forschungsgebiets nahegebracht haben. Herrn Professor von Hirsch bin ich zudem für die mit ihm geführten Gespräche außerordentlich verbunden, welche für mich eine wertvolle Quelle der Inspiration darstellten. Herzlich gedankt sei darüber hinaus Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Ulrich Sieber, der mir die Möglichkeit eröffnete, einen großen Teil meiner Forschung am Freiburger Max-Planck-Institut durchzuführen, und mir dadurch nicht zuletzt einen überaus bereichernden Austausch mit Mitarbeitern und ausländischen Gästen des Instituts erlaubte. Für die Durchführung und Betreuung meiner Forschungsaufenthalte in Cambridge aufrichtig danken möchte ich zudem Frau Nicola Padfield, Herrn Professor John Spencer und Herrn Professor David Ibbetson sowie den Mitarbeitern der Squire Law Library und meines Colleges, Corpus Christi. Dank gebührt daneben auch den Mitarbeitern des Crown Prosecution Service, der Metropolitan Police, der City of London Police, des Serious Fraud Office und des Cambridgeshire Constabulary, die mir bereitwillig für Gespräche zur Verfügung standen und einen Einblick in die Praxis der Wirtschaftsstrafverfolgung in England erlaubten.

8

Vorwort

Für die großzügige finanzielle Unterstützung bedanke ich mich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes. Für vielfältige Unterstützung gilt mein tiefer Dank schließlich meiner Mutter und meiner mittlerweile verstorbenen Großmutter. Freiburg, im Januar 2014

Benjamin Vogel

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Untersuchungsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1 Zum Charakter eines auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtenden Kernstrafrechts: die Delikte des reformierten englischen Rechts zu Betrug und Untreue § 1 Zur Orientierungslosigkeit eines moralisierenden Strafrechts: die Delikte des bis zum Jahre 2007 geltenden Rechts der täuschungsbedingten Vermögenserlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gemeinsame Tatbestandsmerkmale der alten Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Täuschung: keine Thematisierung von Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . a) Mangels Schädigungserfordernis keine Konkretisierung möglicher Erklärungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Irrtumserregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ohne Bezugsgegenstand keine Differenzierung nach Verantwortungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zumindest mittelbare Kausalität zwischen Täuschung und Erlangen . 3. Unehrlichkeit: Moralisierung anstatt Benennung geschützter Interessen III. Differenzierung der Tatbestände nach der Art des erlangten Vermögensvorteils: der tatbestandliche Erfolg als gegenständliche Begrenzung anstatt als Begründung des strafbewehrten Täuschungsverbots . . . . . . . . 1. Obtaining property by deception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Obtaining a money transfer by deception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Obtaining pecuniary advantage by deception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Obtaining services by deception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Evasion of liability by deception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Procuring execution of a valuable security by deception . . . . . . . . . . . 7. Tatbestandlicher Erfolg als neutrale Tatsache anstatt als Erfolgsunrecht § 2 Zur Bestimmung strafbaren Verhaltens im Wege einer rationalen Kriterien nicht zugänglichen Bewertung: der richterrechtliche Straftatbestand conspiracy to defraud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Rolle richterlich geschaffener Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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24 25 25 25 26 30 31 32 33

35 35 36 37 38 39 40 42

43 43

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Inhaltsverzeichnis II. Überblick über den Tatbestand der conspiracy to defraud . . . . . . . . . . . . . III. Die Merkmale der Verabredung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarter Beitrag der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftlicher Schaden oder Beeinflussung öffentlich-rechtlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schädigung wirtschaftlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei Täuschung auch Schädigung nichtwirtschaftlicher Interessen 3. Unehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Moralisierende Identifizierung tatbestandlichen Verhaltens als Mittel der Lückenfüllung und der Vereinfachung der Strafbarkeitsbegründung

§ 3 Zur Relativierung tatbestandlichen Unrechts im Interesse flexibler Strafverfolgung: die Rechtsprechung zu theft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einem anderen gehörig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fremdheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Treuhänderisch oder anderweitig anvertraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsgrundlose Zuwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aneignung als normativ neutrales Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebrauch eines Rechts des Eigentümers beziehungsweise des Rechtsinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einverständnis des Opfers grundsätzlich irrelevant . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unehrlichkeit: Strafbarkeitsbegründung über die Absichten des Täters . . V. Infragestellung der Bedeutung des materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Straftatbestände als äußere Grenzen einer ermessensgeleiteten Strafverfolgung: die Kerntatbestände des Fraud Act 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhalt der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fraud by false representation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. False representation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausdrückliche oder konkludente Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unrichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgabe gegenüber einem System oder einer Anlage . . . . . . . . . . . . 3. Knows that it is, or might be, untrue or misleading . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Intends, by making the representation, to make a gain, or to cause loss a) Wirtschaftlicher Gewinn oder Verlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Identität von Gewinn und Verlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalität von Erklärungsinhalt und erwartetem Erfolg . . . . . . . . . 5. Dishonesty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fraud by failing to disclose information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 46 47 47 48 48 50 52 52 53 53 54 55 55 55 57 57 58 60 61 62 63 65 65 66 68 69 70 71 71 73 74 75 75

Inhaltsverzeichnis

IV.

1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Under a legal duty to disclose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Failing to disclose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fraud by abuse of position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Position in which he is expected to safeguard, or not to act against, the financial interests of another person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zivilrechtliche Treuepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit auch jenseits besonderer Treuepflichten . . . . . . . . 3. Abuses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Begrenzung des Missbrauchsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 76 76 78 79 79 80 80 82 83 84

Teil 2 Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff im Lichte einer Gegenüberstellung der Kerndelikte des englischen und deutschen Rechts

86

§ 5 Deliktsstrukturelle Unterschiede der Strafbarkeit betrügerischen und veruntreuenden Verhaltens im englischen und deutschen Recht . . . . . . . . . 87 I. Kennzeichnende Merkmale der englischen Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Fehlen eines Schadensmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Überragende Rolle des subjektiven Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Section 2 FA aus der Perspektive der §§ 263, 263 a StGB . . . . . . . . . . . . 88 1. Der objektive Tatbestand: Abgabe einer unrichtigen Erklärung . . . . . 88 2. Der subjektive Tatbestand: Unehrlichkeit als zentrales Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Vermögensschädigung durch Einwirken auf technische Anlagen . . . . 94 III. Section 4 FA aus der Perspektive des § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Die tatbestandlichen Charakteristika: Missbrauch und Nachteilszufügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Vermögensbetreuungspflicht und Vertrauensverhältnis . . . . . . . . . . 95 b) Kein Schädigungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Pflichtverletzung und Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 d) Unehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Die Vielgestaltigkeit des Treuebruchs als Grenze der Leistungsfähigkeit eines auf moralisierendes Verhaltensunrecht abstellenden Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Vermögensschädigung als Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Moralisierende Verhaltensbeschreibung und Rechtsgutsbezug . . . 99 c) Probleme des moralisierenden Rechts bei vielgestaltigem Verhaltensunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

12

Inhaltsverzeichnis IV.

Section 3 FA aus der Perspektive der §§ 263, 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Verantwortungsdenken als Fremdkörper im moralisierenden Strafrecht 101 2. Konkretisierung tatbestandlicher Verhaltenspflichten durch Folgenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Verantwortung anstatt Moralisierung zur Bewältigung komplexer Delinquenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Unterlassensstrafbarkeit bei aus Institutionen heraus bewirkten Schädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Nichteinschreiten gegen das Handeln anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

V.

b) Konkrete Verantwortung anstatt abstrakt gefährliche Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Tatbestandliche Weite und kriminalpolitische Effektivität als Widerspruch 106

§ 6 Das Verhältnis von tatbestandlicher Verhaltensbeschreibung und Schadensbegriff und die Infragestellung des letzteren, untersucht am Beispiel der Vermögensschädigung durch Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Folgen einer hauptsächlich auf normative Tatbestandsmerkmale abstellenden Formulierung von Straftatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Undifferenziertheit normativ formulierter Straftatbestände . . . . . . . . . 111 2. Verlust der strukturierenden Funktion des Rechtsgutsbegriffs . . . . . . . 114 3. Orientierung im sozialen Raum durch deskriptive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4. Rechtsgüter(schutz) und Wertepluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II.

Subjektivierungstendenzen beim Täuschungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Kritik an der Rechtsprechung als Ausdruck eines auf Normgeltungsschutz abstellenden Strafrechtsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Mangelnde Identifizierung konkreter Sozialschädlichkeit infolge von Subjektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III. Tatbestandliche Unbestimmtheit infolge einer Relativierung des Schadensmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Notwendigkeit und Grenzen einer Individualisierung des Schadensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Ansätze einer Aushöhlung des objektiven Schadensbegriffs durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Unterminierung des Rechtsgüterschutzes infolge verhaltensabhängiger Schadensbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Der Schadensbegriff als Konkretisierung gesetzgeberischer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

§ 7 Infragestellung der Rechtsgutsbezogenheit der Vermögensdelikte bei den Figuren der schadensbegründenden Vermögensgefährdung und der vermögenswerten Exspektanz infolge einer Normativierung des Schadensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Inhaltsverzeichnis Die Rechtsgutsfeindlichkeit des Vorsatzes als Grundlage einer subjektiven Begrenzung der Tatbestandsmäßigkeit vermögenswertrelevanter Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schadensbegründende Vermögensgefährdung als vermögensspezifische Schadensform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrelevanz eines „Endschadens“ für strafrechtliche Verantwortung bei Risikogeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Notwendigkeit der Begrenzung schadensbegründender Vermögensgefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlende Rücksichtnahme gegenüber dem betreuten Vermögen als Begrenzungsmerkmal bei § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Rechtsgut als Voraussetzung einer transparenten Strafverfolgungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neutralisierung des Nachteilsbegriffs bei schwarzen Kassen im Fall Siemens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transparenzverlust durch Infragestellung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlende Sensibilität hinsichtlich der transparenzwahrenden Funktion des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsgutsentleerung bei § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Infragestellung des Schadensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesinnungsstrafrecht als besonderes Problem der schadensbegründenden Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermögensschutzfremde Instrumentalisierung des § 263 StGB . . . . . IV. Zur Notwendigkeit der Begrenzung außertatbestandlicher Strafzumessungsumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermögensschädigung als Kern des strafrechtlichen Vorwurfs bei Vermögensdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen einer strafschärfenden Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewichtung innertatbestandlichen Unrechts und außertatbestandlicher Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

I.

149 149 151 153 155 157 157 160 163 166 166 168 170 172 172 173 176

Teil 3 Zur Rolle des Rechtsguts in einem auf Begrenzung angewiesenen Strafrecht: Bewahrung des Strafgesetzes als Medium zur Kommunikation einer gesellschaftlichen Mindestordnung 179 § 8 Begrenzungsansätze im deutschen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Bedeutung eines strafbarkeitsbegründenden Rechtsgutsbegriffs . . . . 1. Kritische Rechtsgutsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematische Rechtsgutsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183 183 184 186

14

Inhaltsverzeichnis 3. Orientierung an Verantwortungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4. Rechtsgüter als Gegenstand strafrechtlicher Verantwortung . . . . . . . . . 189 II.

Grundrechtsdogmatische Begrenzungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Gesellschaftsschutz durch einen Appell an die individuelle Einsichtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Gesellschaftsschutz durch Repression von Normverletzungen . . . . . . . 197 3. Notwendigkeit einer über das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinausgehenden Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

§ 9 Kriminalisierung unter Berücksichtigung der Grenzen legitimen Strafens 204 I. Grenzen eines auf normativer Ansprechbarkeit der Bürger aufbauenden Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Rechtswidrigkeit als ungenügende Voraussetzung eines strafrechtlichen Vorwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Verfassungsgemäße gesellschaftliche Werte als Gegenstand des Vorwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Glaubwürdigkeit strafrechtlicher Unwerturteile als Grenze selektiven Strafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Bestätigung der Normgeltung als illegitimer Strafzweck . . . . . . . . . . . 213 2. Strafrecht als Medium der Kommunikation gesellschaftlicher Mindeststandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Kohärenz der Strafverfolgungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

IV.

1. Strafverfolgung im Spannungsfeld von Schwere und Häufigkeit von Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Gewaltenteilung als Voraussetzung einer kohärenten Strafverfolgungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Strafe als Auflösung vergeltungsgeleiteter Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

§ 10 Der Rechtsgutsbegriff als Voraussetzung kohärenter Kriminalisierung . . . 225 I. Zur Notwendigkeit einer Begrenzung des materiellen Rechts . . . . . . . . . . 225 II.

Hierarchisierung strafwürdigen Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Wertigkeit des Rechtsguts und Zurechenbarkeit seiner Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Hierarchisierung am Maßstab normativer Glaubwürdigkeit . . . . . . 227 b) Kein grundsätzlicher Vorrang des Schutzes von Individualrechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Beeinträchtigung von Kollektivrechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 d) Strafwürdigkeit infolge der Zurechenbarkeit einer Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Rechtsgüter nicht unmittelbar beeinträchtigendes Verhalten . . . . . . . . 232 a) Die Fähigkeit zu vernunftgeleitetem Handeln als Kernprämisse des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Inhaltsverzeichnis

15

b) Vorfeldkriminalisierung zur Normetablierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 c) Vorfeldkriminalisierung als Bestrafung sozialschädlicher Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Abwägung zwischen Missbrauchsgefahr und Bedeutung des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 § 11 Differenziertheit des Strafrechts als Voraussetzung der generalpräventiven Kommunikation einer gesellschaftlichen Werteordnung . . . . . . . . . . . 240 I. Kommunikation normativer Handlungsgründe durch Rechtsgüter . . . . . . 240 1. Rechtsgüterschutz als Einbindung in die gesellschaftliche Werteordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Differenzierender Rechtsgüterschutz anstatt generalisierende Moralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Verfolgungsflexibilität und Remoralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Rechtsgüter als Voraussetzung strafrechtlicher Verhaltenssteuerung . 245 a) Begründungsbedürftigkeit demokratisch legitimierter Verhaltenserwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Individuelle Verantwortung als Grundlage strafrechtlicher Überzeugungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Verfolgungsflexibilität gewährleistendes anstatt normativ kommunizierendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Defizite normativer Kommunikation bei normativ formulierten Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Beweisvereinfachung und behördliche Konkretisierung der Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Erfolgsunrecht als Voraussetzung eines aussagekräftigen Strafrechts . . 253 II.

Notwendige Differenziertheit des Vorwurfs jenseits generalpräventiver Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

§ 12 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Beweisfunktionalität und Aussageverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II.

Tatbestandliche Schadensbegriffe als Grundlage der Ahndung komplexer Vermögenskriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 III. Vermögenswert und Schadensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 IV.

Bewahrung der Struktur der §§ 263 und 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 V. Entgrenzung des Schadensbegriffs durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 VI. Notwendigkeit der Ausdifferenzierung des verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 VII. Wiederbesinnung auf die Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs . . . . . . . . . . 267 VIII. Strafrecht als kriminalpolitische Orientierung und Medium gesellschaftlicher Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

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Inhaltsverzeichnis IX. Ehrlichkeit des strafrechtlichen Vorwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 X. Verantwortlichkeit als Voraussetzung strafgesetzlicher Bestimmtheit . . . 269 XI. Bestrafung von Absichten als Charakteristikum eines moralisierenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Einleitung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist es, am Beispiel von Betrug und Untreue auf einen Aussageverlust materiellen Rechts als Folge verfolgungseffizienzorientierter Flexibilisierungstendenzen hinzuweisen und die Konsequenzen eines solchen Aussageverlusts zu verdeutlichen. Im Vordergrund stehen dabei zwei Prämissen. Zum einem die Bewahrung eines materiellen Rechts, auf Grundlage dessen der dem Verurteilten gemachte Vorwurf ihm die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens in rational nachvollziehbarer Weise begründet und es der Strafende mithin nicht bei Vermutungen und der Behauptung strafbegründender Hypothesen belässt. Zum anderen die Bewahrung eines materiellen Rechts, welches jene die Strafwürdigkeit eines Verhaltens begründenden Umstände abschließend benennt und damit Strafbarkeit vorhersehbar macht und zugleich Transparenz der Strafverfolgungspraxis gewährleistet. Aussageverlust von Strafrecht ist zu konstatieren, wenn die Strafbarkeit eines Verhaltens letztlich maßgeblich von den moralischen Wertungen der Rechtsanwender abhängt und weniger auf jene an Konsequenzen abstellenden Gründe der Strafbarkeit abstellt. Als Ausgangspunkt der Arbeit dient deshalb mit den englischen Vermögensdelikten ein Recht, welches bei der Beschreibung strafbaren Verhaltens im Wesentlichen ausdrücklich auf moralisierende Begriffe abstellt. Diesem moralisierenden Strafrecht wird der Rechtsgüterschutz als Bezugspunkt strafrechtlicher Vorwürfe gegenübergestellt. Sensibilisiert wird dabei für die Bedeutung, welche dem Rechtsgut und insbesondere tatbestandlichen Schadensbegriffen für die Identifizierung tatbestandlichen Verhaltens und mithin für die Begründung seiner Strafbarkeit zukommt. Zugleich soll dabei demonstriert werden, dass eine Infragestellung des Rechtsgüterschutzdenkens zu einer Remoralisierung des Strafrechts führt. Remoralisierung des Strafrechts bedeutet dabei in zweifacher Hinsicht einen Rückschritt. Denn einerseits verliert ein nicht an Konsequenzen orientiertes Strafrecht die Gründe der Sozialschädlichkeit und Strafwürdigkeit aus dem Blick. Handeln der Strafverfolgungsbehörden wird dadurch weniger vorhersehbar, Kriminalpolitik durch den Gesetzgeber weniger beeinflussbar. Einem moralisierenden und dabei um die Vermeidung übermäßig komplexer Tatbestände bemühten Kernstrafrecht gebricht es an der Eignung, strafwürdiges Verhalten auf differenzierende Weise zu beschreiben. Ein moralisierendes Strafrecht ist deshalb ungeeignet, ultima ratio der Kommunikation und Durchsetzung einer gesellschaftlichen Mindestordnung zu sein. Nicht nur droht mit ihm die stigmatisie-

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Einleitung

rende Rolle des Strafrechts verloren zu gehen. Die fehlende Differenziertheit moralisierender Strafgesetze führt zudem dazu, dass sich die wesentlichen Gründe der Strafwürdigkeit eines Verhaltens nicht mehr aus dem Gesetz entnehmen lassen. Strafwürdigkeit eines Verhaltens und Strafzumessung beurteilen sich daher nach außertatbestandlichen Erwägungen, womit aber die transparenzwahrende Funktion des materiellen Rechts untergraben und strafprozessuale Eingriffsermächtigungen sowie Strafe missbrauchsanfälliger werden. Remoralisierung des Strafrechts bedeutet einen Rückschritt aber auch deshalb, weil ein moralisierendes Recht den Bürger nicht auf seine Verantwortung anspricht. Der Normadressat wird nicht als Vernünftiger in den Schutz gesellschaftlicher Werte eingebunden. Der dem Verurteilten gemachte Vorwurf hat einen Verstoß gegen Wohlverhaltensvorstellungen des Strafenden zum Gegenstand, verzichtet hingegen auf eine empirisch substantiierte und dem konkreten Fall gerecht werdende Begründung der Sozialschädlichkeit. Eine von Rechtsgüterschutzdenken entkoppelte Kriminalisierung läuft deshalb Gefahr, Bürger auf der Grundlage von Vorurteilen, unterstellten Absichten und empirisch fragwürdigen gesellschaftspolitischen Hypothesen zu bestrafen. Die vorliegende Arbeit will dabei verdeutlichen, dass sich moralisierende Tendenzen des materiellen Rechts und die daraus resultierenden Folgen nicht zuletzt im Zuge einer um Flexibilität der Strafverfolgung bemühten Gesetzgebung und einer ebensolchen Rechtsprechung abzeichnen, konkret durch einen gesetzgeberischen Verzicht auf solche dem Täter zurechenbare tatbestandlichen Schäden zugunsten normativer Verhaltensmerkmale sowie zudem durch eine Normativierung tatbestandlicher Schadensbegriffe seitens der Rechtsprechung. Ins Bewusstsein zu rufen gilt es aber auch, dass solche auf Normgeltung anstatt auf Rechtsgüterschutz abstellende Ansätze der Rechtswissenschaft ebenfalls zu einer dem moralisierenden Strafrecht vergleichbaren Orientierungslosigkeit führen. Einer normativen Orientierungslosigkeit des Strafrechts wird im Ergebnis also gerade auch durch solche rechtswissenschaftliche Straftheorien Vorschub geleistet, die sich eine Trennung von Strafrecht und Moral zum besonderen Anliegen gemacht haben. Eine sich vom Rechtsgüterschutzdenken entfernende Moralisierung des materiellen Rechts ist aber, was ebenfalls herauszustellen sein wird, auch insofern fragwürdig, als insbesondere mit einem Verzicht auf strafbarkeitsbegründendes Erfolgsunrecht die Hoffnung verbunden wird, die Ahndung sozialschädlichen Verhaltens werde auf diesem Wege vereinfacht. Nicht zuletzt in einer durch Wertepluralität gekennzeichneten Gesellschaft erweist es sich als zweifelhaft, dass sich für die Rechtsanwendungspraxis eine Identifizierung strafbaren Verhaltens über normative Begriffe anstatt in Anknüpfung an strafbarkeitsbegründende Konsequenzen als beweistechnisch einfacher darstellt. Rechtsgüterschutz stellt sich insoweit nicht als Widerspruch zu einem für Strafverfolgungsbehörden und Gerichte handhabbaren Strafrecht dar, sondern entspricht diesem Anliegen.

Untersuchungsverlauf Im ersten Teil der Arbeit soll am Beispiel der englischen Vermögensdelikte für die Merkmale eines beweisfunktionalen materiellen Strafrechts sensibilisiert werden, also eines Rechts, welches mehr durch Erwägungen der Verfolgungsflexibilität denn durch die Beschreibung von strafwürdigem Unrecht geprägt ist. Das englische Vermögensstrafrecht bietet sich für diesen Zweck an, weil es wegen seines offen moralisierenden Charakters einerseits ohnehin weniger an strafbarkeitsbegründende Konsequenzen orientiert ist, andererseits der englische Gesetzgeber im Zuge der 2006 erfolgten Reform die Konkretisierung strafwürdigen Verhaltens in erheblichem Maße der Rechtsanwendungspraxis überlassen hat. Dabei geht es vor allem um die fehlende normative Aussagekraft eines moralisierenden Strafrechts und die daraus resultierenden Schwierigkeiten des Gesetzgebers, mit Normadressaten und Rechtsanwendungspraxis in kriminalpolitisch sinnvoller Weise zu kommunizieren. Tatbestandliche Erfolgsmerkmale dienen hier nur noch der Begrenzung strafbaren Verhaltens; ein eigenständiger, das tatbestandliche Verhalten konkretisierender Unrechtsgehalt kommt ihnen nicht mehr zu (§ 1). Intrinsische Unwerturteile anstatt die Frage nach Verantwortlichkeit begründen dann strafrechtliche Verantwortung. Strafe ist rationalen, vom Gesetz vorgezeichneten Argumenten nicht mehr zugänglich und wird dadurch unvorhersehbar (§ 2). Dahingehend hat die englische Rechtsprechung den normativen Aussagegehalt der Vermögensdelikte zugunsten einer möglichst lückenlosen Ahndung strafwürdig erscheinenden Verhaltens erheblich relativiert und damit eine eigenständige Funktion parlamentarischer Strafgesetze infrage gestellt (§ 3). Der englische Gesetzgeber ist dieser Relativierung im Zuge der Reform der Vermögensdelikte im Jahr 2006 weitgehend gefolgt und hat die Frage der Strafwürdigkeit und kriminalpolitischen Relevanz vermögensbezogenen unmoralischen Verhaltens in erheblichem Maße der Strafverfolgungspraxis überlassen (§ 4). Gegenstand des zweiten Teils der Arbeit ist dann die Frage, inwieweit sich dem englischen Recht insoweit ähnelnde, zum Aussage- und Bedeutungsverlust von materiellen Recht führende Tendenzen auch bei den §§ 263, 266 StGB feststellen lassen. Im Zentrum der Analyse steht, dass, während die englischen Delikte maßgeblich durch das handlungsbeschreibende Tatbestandsmerkmal der Unehrlichkeit geprägt sind, für das deutsche Recht die Schädigung fremden Vermögens im Mittelpunkt von Strafbarkeit und Tatbestandsauslegung steht. Zunächst wird untersucht, welche Folgen sich aus diesem Unterschied für die Deliktstruktur in beiden Rechtsordnungen ergeben, vor allem die Bedeutung einer durch das Rechtsgüterdenken ermöglichten Differenzierung von Verantwortungsbereichen.

20

Untersuchungsverlauf

Dabei geht es um die Grenzen der kriminalpolitischen Leistungsfähigkeit eines moralisierenden beziehungsweise maßgeblich auf Pflichtverletzungen abstellenden Strafrechts und insbesondere um die Frage, inwieweit sich ein auf Erfolgsunrecht abstellendes letztlich besser als ein auf bloßes Verhaltensunrecht abstellendes Kernstrafrecht dazu eignet, Effektivität bei der Ahndung sozialschädlichen Verhaltens zu gewährleisten (§ 5). Im Anschluss wird die Funktion des tatbestandlichen Erfolgsunrechts für die Strukturierung des Verhaltensunrechts am Beispiel der täuschungsbedingten Vermögensschädigung eingehender untersucht. Zum einem zeigt sich daran nachdrücklich die Bedeutung des Rechtsguts für die Trennung von schädlichem und lediglich moralisch fragwürdigem Verhalten. Zugleich aber ist beim Begriff des Vermögensschadens die Versuchung für Rechtsprechung und Strafrechtsdogmatik mitunter groß, Schwierigkeiten bei der Bestimmung von Erfolgsunrecht durch eine Relativierung dieses Unrechtsmerkmals zu umgehen. Dies geschieht – in zunächst durchaus wenig offensichtlicher Weise – vor allem dann, wenn Schadensbegriffe von tatbestandlichem Verhalten abhängig gemacht werden und Erfolgsunrecht somit seine tatbestandliche Selbständigkeit verliert (§ 6). Der zweite Teil schließt sodann mit Beobachtungen zu jenen Problemen des Vermögensschadensbegriffs, die in besonderem Maße das Potential einer Infragestellung des Rechtsgüterschutzdenkens bei den §§ 263, 266 StGB bergen, nämlich die Figuren der schadensbegründenden Vermögensgefährdung und der vermögenswerten Exspektanz sowie die Praxis einer Normativierung des Schadensbegriffs. Hierbei geht es nicht zuletzt um die Rolle des tatbestandlichen Unrechts als Garant der Transparenz von Strafjustiz und die Gefahren, die dieser Funktion durch die übermäßige Berücksichtigung außertatbestandlicher Erwägungen im Rahmen von Anklageerhebung und Strafzumessung drohen (§ 7). Der dritte und mithin letzte Teil widmet sich schließlich der Rolle des Rechtsguts für die Bewahrung eines materiellen Rechts, welches zugleich der Kommunikation einer gesellschaftlichen Werteordnung dient und den Strafverfolgungsbehörden kriminalpolitische Orientierung bietet. Hierbei geht es vor allem um die Rolle des tatbestandlich geschützten Rechtsguts als Kern normativer Kommunikation des Gesetzgebers mit den Normadressaten und als Bezugspunkt des durch Strafurteil ergehenden Vorwurfs. Im Lichte der bei den englischen und deutschen Vermögensdelikten gemachten Beobachtungen wird der Gegensatz zwischen einem moralisierenden oder auf den bloßen Schutz von Normgeltung abstellenden Strafrecht einerseits und einem auf dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes abstellenden Strafrecht andererseits vertieft. Dargelegt wird dabei zunächst, dass die im deutschen Schrifttum zu den Grenzen von Kriminalisierung vorgefundenen Stellungnahmen der Rolle des Rechtsgutsbegriffs vielfach nicht gerecht werden (§ 8). Von zentraler Bedeutung erweist sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Nachvollziehbarkeit und Ehrlichkeit des mit Strafe verbundenen Vorwurfs und mithin eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt straf-

Untersuchungsverlauf

21

rechtlicher Kommunikation und der Rolle des Rechtsguts in ihr. Nicht ein überpositiver, den Gesetzgeber bindender Rechtsgutsbegriff entscheidet über die Grenzen von Kriminalisierung. Entscheidend ist vielmehr, welche Anforderungen an einen gegenüber dem Bürger als Vernünftigen ergehenden Vorwurf zu stellen sind, damit sich der strafende Staat nicht entgegenhalten lassen muss, hinsichtlich der vorwurfsbegründenden Tatsachen unwahrhaftig und hinsichtlich der strafrechtlich kommunizierten Wertaussagen widersprüchlich zu agieren (§ 9). Rechtsgüterschutz stellt sich demnach als wesentliche Voraussetzung einer kriminalpolitisch rationalen und zugleich normativ glaubwürdigen Strafgesetzgebung und Strafverfolgungspraxis dar. Erst der Rechtsgutsbegriff erlaubt die dafür notwendige Systematisierung und Begrenzung des materiellen Rechts. Seine differenzierende Funktion kann aber nur erhalten bleiben, wenn die dem Täter vorgeworfene Beeinträchtigung, also der geschützte werthafte Zustand, durch den Straftatbestand klar umgrenzt wird. Kollektivrechtsgutsbegriffe – auch soweit sie in gesetzgebungskritischer Absicht postuliert werden – sind daher einem differenzierenden Strafrecht vielfach nicht dienlich (§ 10). Zum Abschluss der Arbeit wird die Frage des Inhalts generalpräventiver Kommunikation des Strafrechts vertieft und herausgearbeitet, in welcher Weise der Inhalt dieser Kommunikation durch ein an Verfolgungsflexibilität ausgerichtetes Strafrecht infrage gestellt wird. Im Mittelpunkt der Analyse steht dabei das Rechtsgut als Kern eines an den Normadressaten gerichteten normativen Appells, als Thematisierung von Verantwortung und Aufforderung, Verhalten an zentralen gesellschaftlichen Werten auszurichten (§ 11).

Teil 1

Zum Charakter eines auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtenden Kernstrafrechts: die Delikte des reformierten englischen Rechts zu Betrug und Untreue Gegenstand dieses ersten Teils ist die Sensibilisierung für den Charakter eines beweisfunktionalen Rechts. Darunter wird hier die Entwicklung hin zu einem materiellen Strafrecht verstanden, welches im Interesse einer Vereinfachung der Beweisführung und einer Flexibilisierung der Strafverfolgung das dem Täter vorgeworfene Unrecht nur lückenhaft beschreibt, insbesondere im Tatbestand auf Erfolgsunrecht verzichtet. Die Ausgestaltung von Straftatbeständen orientiert sich dann zunehmend am Ziel beweistechnischer Vereinfachung anstatt an einer differenzierten Beschreibung jener die Sozialschädlichkeit begründenden Verhaltensmerkmale. So stärker materielles Recht in diesem Sinne beweisfunktional geprägt ist, umso weniger dient es der Identifizierung und Kommunikation strafwürdigen Verhaltens, umso mehr orientiert sich die Strafwürdigkeit von Verhalten an außertatbestandlichen Faktoren. Kennzeichnend für ein beweisfunktionales Strafrecht ist mithin, dass es jenes die Strafwürdigkeit eines Verhaltens begründende Unrecht nicht umfassend beschreibt und Strafverfolgung deshalb in erheblichem Maß auf Erwägungen beruht, die gemäß dem zur Anklage kommenden Straftatbestand nicht notwendigerweise nachgewiesen werden müssen. Materielles Strafrecht zeichnet dann weniger eine normative Mindestordnung vor, sondern wird zur Verfolgung von solchen nach Ansicht der Strafverfolgungsbehörden strafwürdigen Tätern funktionalisiert. Der Begriff der Beweisfunktionalität beschreibt mithin ein Auseinanderfallen von strafrechtlich geahndetem Unrecht einerseits und dem zu seiner Ahndung herangezogenen materiellen Recht andererseits. Als Ausgangspunkt dieser Betrachtungen und zur Sensibilisierung für die Eigenheiten eines solchen Rechts soll hier das reformierte englische Betrugs- und Untreuestrafrecht dienen. Dieses bietet sich in zweierlei Hinsicht dafür an. Einerseits deshalb, weil die englischen Vermögensdelikte einen besonders deutlichen moralisierenden Charakter haben, d.h. Strafbarkeit eines vermögensbezogenen Verhaltens bereits mit dessen moralischen Unwert begründen. Folgt Strafverfolgung in der englischen Praxis in der Regel trotzdem rationalen, über den intrinsischen moralischen Unwert von Verhalten hinausgehenden Gründen, so bedarf seine Anwendung einer – insbesondere kriminalpolitischen – Konkretisierung durch die Strafverfolgungsbehörden. Andererseits erscheint das englische Recht als Ausgangspunkt für Betrachtungen

Teil 1: Auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtendes Kernstrafrecht 23

zu einem beweisfunktionalen Strafrecht deshalb geeignet, weil der englische Gesetzgeber im Zuge einer im Jahre 2006 verabschiedeten Reform im erklärten Interesse einer Flexibilisierung der Bekämpfung betrügerischen Unrechts die tatbestandlichen Anforderungen an die Strafbarkeit betrügerischen Verhaltens noch weiter abgesenkt hat. Es zeigt sich dabei, dass ein derartiges auf Flexibilisierung anstatt auf die Beschreibung strafbaren Unrechts ausgerichtetes Strafrecht im Ergebnis seinen Aussagegehalt verliert und es insbesondere den Strafverfolgungsbehörden überlässt, die Strafwürdigkeit eines Verhaltens durch eine hinsichtlich ihrer Differenzierungskriterien kaum vorhersehbare Bewertung von Verhalten zu bestimmen.

24 Teil 1: Auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtendes Kernstrafrecht

§1 Zur Orientierungslosigkeit eines moralisierenden Strafrechts: die Delikte des bis zum Jahre 2007 geltenden Rechts der täuschungsbedingten Vermögenserlangung Ziel der folgenden Darstellung der bis zum Jahr 2007 geltenden englischen Delikte zur täuschungsbedingten Vermögenserlangung ist es, die inhaltliche Orientierungslosigkeit eines moralisierenden materiellen Strafrechts und die dafür bestehenden Gründe zu verdeutlichen. Es soll an dieser Stelle gezeigt werden, dass und weshalb es einem solchen Strafrecht nicht gelingt, das sanktionierte Verhalten in aussagekräftiger Weise zu kommunizieren. Im Mittelpunkt steht dabei die Erkenntnis, dass die englischen Straftatbestände nicht auf – unmittelbar oder mittelbar absehbares – Erfolgsunrecht abstellen. Bestraft wird die unehrliche Erlangung von Vermögensvorteilen, ohne dass es notwendigerweise auf eine wirtschaftliche Schädigung ankommt. Wegen der fehlenden Thematisierung strafbegründender Konsequenzen ist es nicht möglich, einen Zweck der Kriminalisierung von Täuschung klar zu benennen. Das englische materielle Recht erfasst unehrliches Verhalten unabhängig von etwaigen Folgen, eine Begrenzung durch potentiell beeinträchtigte Interessen erfolgt grundsätzlich nicht. Moralisierende Strafgesetze sind nicht interessengeleitet, überlassen die Bestimmung von strafwürdigkeitsbegründenden Interessen vielmehr der Strafverfolgungspraxis. Das Fehlen von Zweckdenken führt dazu, dass eine teleologische Auslegung der Straftatbestände letztlich nicht möglich ist. Über den moralischen Unwert einer Täuschung hinaus ist den Tatbeständen nicht zu entnehmen, worin das strafbarkeitsbegründende Unrecht des inkriminierten Verhaltens besteht. Die Auslegung der Vorschriften durch Rechtsprechung und wissenschaftliches Schrifttum führt demnach nicht zu einer Auseinandersetzung mit den Grenzen des tatbestandlichen Unrechts, sondern zu technischen1 – für den Unwert der Tat regelmäßig unerheblichen – Abgrenzungsfragen, insbesondere hinsichtlich des umgangssprachlichen Bedeutungsgehalts von Tatbestandsmerkmalen. Nicht normative Erwägungen stehen dann regelmäßig im Mittelpunkt der Gesetzesauslegung, sondern solche für das Unrecht der Tat unerhebliche formelle Fragen.2

1

Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 3.12. Vgl. Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 6.9; Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 4. Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.31 nennen als Beispiel zu den Schwierigkeiten des alten Rechts den Fall, dass es dem Täter um das Erlangen eines Geldbetrages ging: In Frage kamen hierbei obtaining a money transfer by deception gem. section 15A des Theft Act 1968 (im Falle einer Kontoüberweisung), obtaining property by deception gem. section 15 des Theft Act 1968 (bei Bargeldzahlung) und obtaining the execution of a valuable security by deception gem. section 20(2) des Theft Act 1968 (bei Zahlung mit Scheck). 2

§ 1 Zur Orientierungslosigkeit eines moralisierenden Strafrechts

25

I. Überblick Bis zum Inkrafttreten des Fraud Act im Januar 2007 und der damit verbundenen Schaffung eines einheitlichen Betrugstatbestandes kannte das englische Kernstrafrecht eine Vielzahl von Delikten zur täuschungsbedingten Vermögenserlangung, welche auf den Theft Act 1968, den Theft Act 1978 sowie den Theft (Amendment) Act 1996 zurückgingen. Der Versuch dieser Delikte war strafbar,3 ebenso die Verabredung von zwei oder mehr Personen zu ihrer Begehung.4 Kennzeichnend für die Struktur des alten Rechts ist eine Differenzierung der Tatbestände nach der Art des erlangten Vermögensvorteils. Gemeinsam ist allen Delikten, dass der Täter durch die Täuschung eines Menschen (deception) unehrlicherweise (dishonestly)5 einen Vermögensvorteil erlangt. Eine wirtschaftliche Schädigung des Opfers ist dagegen keine Voraussetzung von Strafbarkeit wegen vollendeten Betrugs, ein mit dem Vermögensabfluss kausal verbundener gleichwertiger Vermögenszuwachs bleibt grundsätzlich unbeachtlich. Mangelnder Schädigungsvorsatz kann lediglich bei der Frage eine Rolle spielen, ob der Täter unehrlich handelte, muss aber auch diesbezüglich nicht zwingend zu einem Entfallen der Strafbarkeit führen. II. Gemeinsame Tatbestandsmerkmale der alten Delikte 1. Täuschung: keine Thematisierung von Verantwortlichkeit Täuschung (deception) erfordert die Erregung eines Irrtums durch das Verhalten des Täters. Der Irrtum kann sich nur auf dem Beweis zugängliche Umstände beziehen.6 Gegenstand des Irrtums kann neben Tatsachen und Rechtsfragen7 im Übrigen auch eine Absicht, mithin eine Tatsache aus dem Innenleben des Täuschenden oder eines Dritten sein.8 Von besonderer Relevanz ist dies im Bereich

Dazu auch G. R. Sullivan, Fraud – The Latest Law Commission Proposal [2003] J.Crim.L. 139 (143). 3 Section 1 des Criminal Attempts Act 1981. Zum untauglichen Versuch: Shivpuri [1987] A.C. 1 f.; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-38; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-15. 4 Section 1 des Criminal Law Act 1977. 5 Auch wenn das Gesetz hinsichtlich dishonesty bei den Betrugsdelikten keine Legaldefinition enthält, so ist doch der bei theft (Diebstahl) anwendbaren Definition von dishonesty in section 2(1) des Theft Act 1968 zu entnehmen, dass sich dishonesty ausschließlich nach dem Vorstellungsbild des Täters bestimmt. Vgl. auch J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-33: „Dishonesty is a subjective concept.“ Vgl. auch Griew, Theft Acts, Rdn. 8-59. 6 Banaster [1979] R.T.R 113; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-019; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-15. 7 Etwa bzgl. der Mehrwertsteuerpflichtigkeit eines Geschäfts, vgl. Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-015. 8 Section 15(4) des Theft Act 1968.

26 Teil 1: Auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtendes Kernstrafrecht

konkludenter Täuschung, insbesondere, wenn der Täter eine durch ihn vorzunehmende zukünftige Handlung verspricht obwohl er insgeheim keine diesbezügliche Absicht hat.9 Verspricht der Erwerber das Erbringen einer Gegenleistung,10 obwohl er dies tatsächlich nicht beabsichtigt, so ist die Frage seiner Zahlungsfähigkeit grundsätzlich unerheblich.11 Unwesentlich ist zudem, dass die wahrheitswidrig in Aussicht gestellte Gegenleistung unmöglich12 oder rechtswidrig13 ist beziehungsweise der Täuschende aus anderen Gründen nicht an sein Versprechen gebunden wird.14 Ebenso ist unerheblich, dass jemand wahrheitswidrig eine Gegenleistung für eine rechtswidrige Leistung verspricht.15 Auch hierin spiegelt sich der Umstand wieder, dass das Gesetz keinen Vermögensschaden des Opfers fordert, es also erst recht nicht darauf ankommt, ob Leistung oder Gegenleistung zivilrechtlich geschützt sind. Entscheidend ist lediglich, dass die Täuschung für einen Vermögenstransfer ursächlich ist. a) Mangels Schädigungserfordernis keine Konkretisierung möglicher Erklärungsinhalte Die Irrtumserregung kann sowohl ausdrücklich, als auch durch schlüssiges Verhalten des Täters erfolgen.16 Dagegen scheidet ein bloßes Unterlassen als Begehungsmodalität aus, solange sich das Schweigen nicht im Einzelfall als täuschendes Verhalten darstellt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn durch das Verschweigen einzelner Tatsachen solche für sich genommen wahre Aussagen in ihrer Gesamtheit unzutreffend werden17, ein Händler trotz gegenteiliger Kenntnis den Eindruck vermittelt, er wisse von keinem Defekt,18 oder jemand eine nicht geschuldete Leistungen einfordert.19 Eine Täuschung kann auch zu bejahen sein, 9

Dent [1955] 2 Q.B. 590, 596; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-39. Sunair Holidays Ltd. (1973) 57 Cr.App.R. 782 (788); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-016; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-21. 11 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-41 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 402. 12 Giles (1865) 169 E.R. 1490. 13 Bellman [1989] 2 W.L.R. 37. 14 Caslin [1961] 1 W.L.R. 59. 15 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-149. 16 Vgl. section 15(4) des Theft Act 1968: „by words or conduct“. 17 Bishirgian [1936] 1 All E.R. 586 (594). Vgl. Kylsant [1932] 1 K.B. 442: Angabe in einem Prospekt, Dividende sei über Jahre regelmäßig gezahlt worden, ohne darauf hinzuweisen, dass dies nicht aus laufenden Einnahmen geschah; dazu Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-029. Zu Täuschungen im Rahmen von Kapitalanlagen, vgl. section 397 des Financial Services and Markes Act 2000. 18 King [1979] Crim. L.R. 122; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-18. 19 Edwards [1978] Crim.L.R. 49 f.; Miller [1993] R.T.R. 6 (10); Christou [1997] Crim.L.R. 653 f. 10

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wenn im Zusammenhang mit einem aktiven Tun ausnahmsweise eine – im Handeln grundsätzlich allerdings nicht bestehende20 – Pflicht zur Aufklärung bestand.21 Der Täter muss vom täuschenden Inhalt seines Tuns Kenntnis haben oder einen solchen Inhalt zumindest für möglicherweise unzutreffend halten. Er muss es zudem zumindest für möglich erachten, dass der Adressat diesen Inhalt für wahr hält.22 (1) Täuschung über Leistungsmerkmale. Eine Täuschung liegt noch nicht darin, dass der Verkäufer dem Käufer einen Umstand verschweigt, der nach seiner Kenntnis für die Entscheidung des Käufers erheblich ist, ohne dass er durch sein Verhalten zu einer entsprechenden Fehlvorstellung beigetragen hat.23 Soweit letzteres aber vernünftigerweise nicht auszuschließen ist, steht es einer Jury im Bestreitensfall frei, dem Verhalten des Täters eine konkludente Täuschung zu entnehmen.24 Bietet ein Händler wissentlich eine mangelhafte Sache an, ohne den Käufer über den Mangel aufzuklären, so kann darin auch dann eine Täuschung liegen, wenn der Verkäufer den Mangel nicht selbst hervorgerufen hat. Das Angebot muss derart verstanden werden, dass die Sache so sei, wie sie sich für den Betrachter darstelle. Ist der Verkäufer bösgläubig, so täuscht er.25 Umstritten ist, ob dies auch dann gilt, wenn ein Kunde in einem Selbstbedienungsgeschäft dem Kassierer wissentlich Waren mit falschem Preisschild vorlegt, wenn diese fahrlässig durch das Ladenpersonal vertauscht wurden. Nach einer Ansicht ist jedes die Fehlvorstellung einer Partei bestärkende Verhalten geeignet, Täuschung zu sein.26 Dagegen wird vorgebracht, man könne hier nicht von einer Irrtumserregung sprechen, weil der Gegenstand zum fraglichen Zeitpunkt dem Verkäufer gehöre und der Kunde selbst daran keine Veränderung vorgenommen habe.27 Auch würde sonst eine Strafbarkeit für Unterlassen geschaffen. Nicht-Offenle-

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J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-18. Firth (1990) 91 Cr.App.R. 217 (221); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-050. Außerhalb unmittelbarer Interaktion zwischen Täter und Irrenden scheidet eine Täuschung durch Unterlassen hingegen aus; vgl. Ray v. Sempers [1974] A.C. 370 (382, 387, 390); Rai [2000] 1 Cr.App.R. 242 (246); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-053 f.; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-35; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-93; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-24. 22 Section 15(4) des Theft Act 1968; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 1795 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-16; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-60 f. 23 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-044; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-35. 24 Adams [1993] Crim.L.R.525 f.; Morris [1994] Crim. L.R. 596; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-37. 25 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-25; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-17. 26 Eine Täuschung deshalb annehmend J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-17. 27 Kaur v. Chief Constable of Hampshire (1981] 72 Cr.App.R. 359 (363); A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-26. 21

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gung allein dürfe aber keine Täuschung sein, ansonsten könnten Kunden auch für eine verfehlte Preispolitik des Händlers zur Verantwortung gezogen werden.28 (2) Anpreisende Angebote. In einem gewissen Umfang wird die in Form einer Meinungskundgabe vermittelte übertriebene Anpreisung eines Produkts hinsichtlich Qualität und Preis als zulässig erachtet, solange ein vernünftiger Käufer diese nicht ernst nehmen würde.29 Grundsätzlich nicht angenommen werden kann, dass das Verkaufsangebot eines Händlers stillschweigend die Behauptung der Angemessenheit des Kaufpreises enthält.30 Etwas anderes kann sich aber ausnahmsweise dann ergeben, wenn zwischen den Parteien ein Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis besteht.31 Darüber hinaus kann eine Täuschung auch darin liegen, dass der Äußernde in Wahrheit nicht der von ihm bekundeten Meinung ist. Solches wird insbesondere einschlägig sein, wenn von überlegenem Wissen des Verkäufers hinsichtlich des Leistungsgegenstands ausgegangen werden muss und der Käufer deshalb auf die Einschätzung des Täters vertraut, dass etwa die angebotene Dienstleistung objektiv sinnvoll sei.32 Täuschung ist erst recht zu bejahen, wenn eine Meinungsäußerung implizit tatsächliche Eigenschaften der Kaufsache falsch darstellt.33 Beim Preis für Waren oder Dienstleistungen kann eine Täuschung hinsichtlich einer Tatsache zudem darin liegen, dass der Täter den Eindruck erweckt, ein gutinformierter Kunde würde den verlangten Betrag für angemessen halten.34 (3) Unbewusste Annahmen des Erklärungsadressaten. Die Frage nach dem Vorliegen einer konkludenten Täuschung wird dort besonders relevant, wo jemand in der Rolle des Adressaten gewöhnlich in der Annahme des Vorliegens bestimmter Tatsachen auf Seiten des Erklärenden handelt und diese Tatsachen für seine Vertragsabschlussbereitschaft wesentlich sind.35 Solche Annahmen 28

Williams, Theft and Voidable Title [1981] Crim.L.R. 666 (674). Erven Warnink BV v. J. Townend and Sons (Hull) [1979] A.C. 731, 742; Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 4-026. Auf das Kriterium der Ernstnahme verzichtend Griew, Theft Acts, Rdn. 8-17. 30 Griew, Theft Acts, Rdn. 8-17. 31 Ein solches kann sich aus vorherigen Geschäftsbeziehungen oder engeren sozialen Beziehungen ergeben, vgl. Silverman (1988) 86 Cr.App.R. 213 (217). Dazu Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 4-023, J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-30 und kritisch Griew, Theft Acts, Rdn. 8-28. 32 King and Stockwell [1987] Q.B. 547 (551); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-024; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-19; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-73. 33 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-020; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-31. 34 Mirror Group Newspapers v. Northants C.C. [1997] Crim.L.R. 882; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-021; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-29. 35 Griew, Theft Acts, Rdn. 8-48 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-19. Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 4-044 kritisieren, die Herangehensweise der Rechtsprechung lasse die Annahme einer Täuschung letztlich in fast allen Fällen zu, in denen jemand mit unehrlichen Absichten handele, wenn sich das Opfer des Handelns bewusst ist. 29

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müssten zum Tatzeitpunkt nicht notwendigerweise im Bewusstsein des Adressaten präsent sein. Das Hervorrufen, aber auch schon das Bestärken einer solchen (fälschlichen) Annahme ist Täuschung, nicht jedoch bereits ihr bloßes Ausnutzen.36 So macht, wer eine Dienstleistung in Anspruch nimmt, grundsätzlich deutlich, zahlungsfähig und zahlungswillig zu sein.37 Wer eine Kontoüberweisung vornimmt, erklärt nach Ansicht der Rechtsprechung, seine Bank schulde ihm tatsächlich den im Kontoguthaben zum Ausdruck kommenden Betrag.38 Der Verkäufer einer Sache gibt durch das Angebot an, Eigentümer zu sein,39 oder anderweit in der Lage zu sein, Eigentum an den Käufer zu übertragen.40 Letzterer wird aber nicht getäuscht, wenn er unbeschadet der fehlenden Berechtigung des Veräußerers wirksam Eigentum an der Sache erwirbt.41 Ein Irrtum soll aber auch trotz der Berechtigung des Verkäufers in Fällen bestehen können, in denen der Käufer regelmäßig damit rechnet, das Eigentum eines Dritten und nicht des Täuschenden zu erwerben.42 Letztlich kommt es darauf an, ob in den Worten oder dem Verhalten des Täters vernünftigerweise eine Täuschung gesehen werden kann. Innerhalb dieser Grenzen verbleibt die Entscheidung im Bestreitensfall bei der Jury.43 (4) Zukünftige Leistungsfähigkeit. Problematisch kann die Annahme einer Täuschung insbesondere dann sein, wenn der Täter seine bedingungslose Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt, obwohl er selbst an dieser zweifelt. Darin kann eine Täuschung hinsichtlich der gegenwärtigen Wahrscheinlichkeit der Leistungserbringung liegen.44 Jedoch kann trotz objektiver Unwahrscheinlichkeit der Leistungsfähigkeit die Leistungsabsicht des Täters zur Verneinung des Tatbestandsmerkmals dishonesty (Unehrlichkeit) führen, insbesondere, wenn er trotzdem daran glaubt, seine Leistungsfähigkeit werde bis zum Leistungszeitpunkt hergestellt sein.45 Auch in diesem Fall bleibt die Annahme von dishonesty jedoch 36 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-33, -130, der als Beispiele für solche Tatsachen die Identität des Vertragsgegenstands und die Leistungsfähigkeit des Anbieters anführt. 37 Waterfall [1970] 1 Q.B. 148 (150); Ray [1974] A.C. 370 (385). 38 Thompson [1984] 1 W.L.R. 962 f.; Hamilton (1990) 92 Cr.App.R. 54 (59); kritisch Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-045 f.; zustimmend dagegen Griew, Theft Acts, Rdn. 8-25. 39 Eichholz v. Bannister [1864] 144 E.R. 284. 40 Wheeler (1990) 92 Cr.App.R. 279, 282; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-22. 41 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-29, unter Verweis auf Cp. Murphy [1888] 9 L.R. (N.S.W.) 191. 42 Vgl. Doukas [1978] 1 W.L.R. 372 (375). 43 Adams [1993] Crim.L.R. 525 f.; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-37. 44 Zum Ausstellen von Schecks, vgl. Charles [1977] A.C. 177 (185 f.); Gilmartin [1983] Q.B. 953 f.; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-039 f.; Griew, Theft Acts, Rdn. 824; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-20 f. 45 Dansk Skibsfinansiering [2001] 2 B.C.L.C. 324 (332); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 8-033; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-44.

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möglich, wenn dem Täter bewusst war, dass es dem Getäuschten auf Leistungsfähigkeit schon zum Zeitpunkt der Täuschung ankam.46 Fraglich ist insbesondere, ob ein Unternehmer über seine Leistungsfähigkeit täuscht, wenn er sich trotz kritischer finanzieller Lage seines Unternehmens und drohender Zahlungsunfähigkeit weiterhin am Geschäftsverkehr beteiligt und dabei Verbindlichkeiten eingeht. Die Rechtsprechung nimmt hier Strafbarkeit bei Kenntnis der aussichtlosen Leistungsunfähigkeit an, wenn also keine vernünftigen Gründe für die Annahme bestehen, die Forderung in Zukunft befriedigen zu können. Der Täter muss also im Wissen der Schädigung seiner Gläubiger handelt.47 Zu vergegenwärtigen hat man sich aber, dass die Rechtsprechung auch hier letztlich nicht auf eine wirtschaftliche Schädigung als selbständiges strafbarkeitsbegründendes Merkmal abstellt. Vielmehr handelt es sich bei der zukünftigen Leistungsfähigkeit um einen Umstand, der aus der Sicht des Täters für seinen Geschäftspartner evident von Bedeutung ist und mithin regelmäßig unproblematisch als Kommunikationsinhalt unterstellt werden kann. Nicht gefragt wird hingegen etwa nach einem wirtschaftlichen Schaden wegen einer schon zum Tatzeitpunkt bestehenden niedrigeren Wertigkeit des Leistungsanspruchs. b) Irrtumserregung Irren kann nur ein Mensch.48 Der Irrtum muss gerade auf das täuschende Verhalten des Täters zurückzuführen sein.49 Nicht erforderlich ist, dass der Täter unmittelbar mit dem Getäuschten kommuniziert. So kann etwa die Streuung eines Gerüchts genügen.50 Ein Irrtum scheidet regelmäßig aus, wenn sich der Adressat über den Erklärungsinhalt eines Verhaltens keine Gedanken macht, weil er ihm keine Bedeutung beimisst.51 Zwar hat die Rechtsprechung einen Irrtum auch hinsichtlich der Nutzung ungedeckter Scheck- und Kreditkarten angenom-

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Greenstein [1975] 1 W.L.R. 1353 (1359, 1364). Leitch Brothers [1932] 2 Ch. 71; Inman [1967] 1 Q.B. 140; Cooper Chemicals [1978] 2 W.L.R. 866 (870 f.); Grantham [1984] Q.B. 675; Lockwood (1986) 2 B.C.C. 99333; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-017, 8-032; Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B7.13; Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 5.50; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-46 f. 48 Das Manipulieren eines Warenautomats erfüllt theft gem. section 1 des Theft Act 1968. Denn dafür ist ausreichend, dass sich der Täter eine Sache unehrlich zueignet (dishonestly appropriates property). Dazu J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-12. 49 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-082. 50 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-77: Streuen eines (unzutreffenden) Übernahmegerüchts, um infolgedessen Aktien über Wert zu verkaufen. 51 Etwa die Buchung eines Hotelzimmers unter falschen Namen. Allerdings kann bei entsprechenden Vorsatz darin ein strafbarer Versuch liegen; vgl. Harris (1976) 62 Cr.App.R. 28 f. 47

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men.52 Dies bedeutet aber lediglich, dass die Annahme eines Irrtums in derartigen Konstellationen grundsätzlich möglich ist. Ob ein Irrtum tatsächlich vorliegt, unterliegt im Bestreitensfall aber der freien Würdigung durch die Jury.53 Unwesentlich bleibt, dass ein solcher Irrtum den Getäuschten wirtschaftlich nicht schädigt. In Betracht kommt vielmehr jeder Irrtum, der für das Erlangen des Vermögensgegenstandes kausal war.54 Einer Strafbarkeit steht nicht entgegen, dass der Getäuschte überdurchschnittlich leichtgläubig war oder Nachforschungen unterließ, die von ihm den Umständen entsprechend vernünftigerweise hätten erwartet werden könne.55 Scheidet eine Irrtumserregung aus, weil sich der Adressat der Äußerung über deren Inhalt keine Gedanken machte, ihm ihre Falschheit bekannt war, er das täuschende Verhalten nicht wahrnahm oder dem Irrtum nicht wegen der Täuschung sondern aus anderen Gründen erlag, so kann ein strafbarer Versuch anzunehmen sein.56 c) Ohne Bezugsgegenstand keine Differenzierung nach Verantwortungsbereichen Kennzeichnend für den Täuschungsbegriff ist, dass die englische Rechtsprechung ihn nicht durch die Konkretisierung von Verantwortungsbereichen begrenzt und also die Beurteilungsfreiheit der Jury im Bestreitensfall kaum begrenzt. Stellt ein Straftatbestand nicht auf die dem Täter zurechenbare Aufrechterhaltung beziehungsweise Verhinderung bestimmter Zustände ab, so bedeutet dies nicht zuletzt, dass die Frage nach der Verantwortung von Täter und Opfer – also eine Konkretisierung des tatbestandlichen Verhaltens durch eine Differenzierung nach Verantwortungsbereichen – zur Gesetzesauslegung nicht zu Verfügung steht. Denn die Frage nach Verantwortungsbereichen kann solange nicht gestellt werden, wie unklar ist, was ein Straftatbestand schützt, für was also Verantwortung besteht.57 Nicht zuletzt bei einem Selbstschädigungsdelikt wie dem Betrug erweist sich dies als äußerst problematisch. Denn soweit es dort um die Identifizierung möglicher konkludenter Erklärungsinhalte geht, wird sich die Frage nicht 52 Charles [1977] A.C. 177 (193) (Scheckkarten); Lambie [1982] A.C. 449 (460) (Kreditkarten). Kritisch Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-056 ff.; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-68; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-07 ff. 53 Navvabi [1987] Crim. L.R. 57; Kassim [1992] 1 A.C. 9; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-174; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-10. 54 Vgl. Griew, Theft Acts, Rdn. 8-26; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-10. 55 Giles (1865) 169 E.R. 1490; Jessop (1858) 169 E.R. 1074; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-170. 56 J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-02, unter Verweis auf Hensler (1870) 11 Cox CC 570 und Edwards [1978] Crim.L.R. 49. Vgl. nunmehr auch section 1 des Criminal Attempts Act 1981. 57 Zur Differenzierung nach Verantwortungs- und Risikosphären in einem an Interessen ausgerichteten materiellen Strafrecht, vgl. etwa BGHSt 46, 196 (199); MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 88.

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vermeiden lassen, in wessen Verantwortungssphäre der fragliche Umstand nach der Verkehrsanschauung fällt. Die fehlende Orientierung der englischen Täuschungsdelikte an strafbarkeitsbegründenden Konsequenzen in Verbindung mit ihrem (im Tatbestandsmerkmal Unehrlichkeit zum Ausdruck kommenden) moralisierenden Charakter führt hingegen dazu, dass hier letztlich die unehrlichen Absichten des Täters über Strafbarkeit entscheiden.58 Das Recht kommuniziert das Täuschungsverbot nicht, indem es den Normadressaten auf Verantwortung, also die Wahrnehmung seines Verantwortungsbereichs anspricht, mithin die Frage problematisiert, welche Partei für ein vermögensschädigendes Informationsdefizit verantwortlich ist. Infolgedessen bleibt es bei einem hinsichtlich seiner Differenzierungskriterien weitgehend unvorhersehbaren Verhaltensgebot.59 Deutlich wird hier die Bedeutung des Schadensbegriffs, um das tatbestandliche Unrecht über die tatbestandliche Verhaltensbeschreibung hinaus zu strukturieren und mithin auszudifferenzieren. 2. Zumindest mittelbare Kausalität zwischen Täuschung und Erlangen Der Täter oder der Dritte muss den Vermögensvorteil nicht notwendigerweise vom Getäuschten erlangen. Erforderlich ist lediglich, dass eine kausale Verknüpfung zwischen Irrtumserregung und Erlangen besteht.60 Der Getäuschte muss mithin in der Lage sein, dem Täuschenden den Vermögensvorteil zu verschaffen. Auf eine diesbezügliche Berechtigung des Getäuschten kommt es nicht an. Eigentum oder Ansprüche können aber nur von jenem erlangt werden, der dies tatsächlich rechtswirksam übertragen kann.61 Die Rechtsprechung versteht das Kausalitätserfordernis allerdings nicht zwingend im Sinne von Unmittelbarkeit.62 Das Erlangen des Vermögensgegenstandes 58

Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 2.22. Nicht weiterführend ist es insofern, auf Verantwortung für eine bestimmte Informationsausstattung der Marktteilnehmer abzustellen. Denn die Identifizierung der dabei relevanten Informationen bedarf ihrerseits eines Bezugsgegenstandes. Auch der Schutz von Vertrauen hilft für die Identifizierung konkludenter Erklärungsinhalte nicht weiter, da Vertrauen ebenfalls einen Bezugsgegenstand erfordert. Sowohl Informationspflichten als auch Vertrauenspflichten erfordern also – soll es zu ihrer Identifizierung nicht bei letztlich rational unergründbaren moralischen Wertungen und/oder einer mehr oder weniger fiktiven Annahme eines konkludenten Erklärungsinhalts bleiben – einen materialisierbaren Bezugspunkt von Verantwortung. 60 Kovacs (1974) 58 Cr.App.R. 412 (416); Obtaining pecuniary advantage (allowed to borrow by way of overdraft gem. section 16(2)(b) des Theft Act 1968) liegt vor, wenn der Täuschende durch den vertragswidrigen Einsatz einer Scheckkarte eine Überziehung seines Bankkontos erlangt; vgl. Charles [1977] A.C. 177. 61 Rozeik [1996] Crim.L.R. 271; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-106 ff., 4-186 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-58. 62 Miller (1992) 95 Cr.App.R. 421 (424 f.); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-193; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-57; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-125; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-02. 59

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muss zur Irrtumserregung jedenfalls in engem Verhältnis stehen.63 Die Übertragung des Vermögensgegenstands muss sich noch auf die vorgetäuschte Tatsache stützte, die Täuschung muss für die Erlangung des Vermögensgegenstandes also maßgeblich sein.64 Zweifelsfälle bleiben im Rahmen der Tatsachenfeststellung der Jury überlassen.65 Zu einem Konturverlust des tatbestandlichen Kausalitätserfordernis führt zudem seitens der Rechtsprechung die Annahme eines Irrtums auch in Fällen, in denen der Gegenstand der Täuschung für den Getäuschten zwar unwesentlich war, er bei Kenntnis der Täuschung aber trotzdem vom Transfer des Vermögensgegenstands abgesehen hätte.66 Derartige Unklarheiten sind darin begründet, dass sich die tatbestandliche Täuschung eben nicht notwendigerweise auf eine wirtschaftliche Schädigung beziehen muss. Deshalb kann die Rechtsprechung eine Täuschung grundsätzlich auch hinsichtlich eines Umstands annehmen, der für den Erklärungsadressaten keinerlei Relevanz hat, soweit ihn schon irgendeine Täuschung vom Geschäft abhalten würde.67 3. Unehrlichkeit: Moralisierung anstatt Benennung geschützter Interessen Das Erlangen des Vermögensvorteils muss dishonestly (unehrlicherweise) erfolgen. Entscheidend ist demnach, ob nach den gewöhnlichen Maßstäben vernünftiger und ehrlicher Menschen das Verhalten des Täters unehrlich war. Er muss sich zudem bewusst gewesen sein, dass sein Verhalten nach diesen Maßstäben als dishonest zu bewerten ist.68 Hingegen braucht er sein Verhalten nicht selbst als moralisch verwerflich zu betrachten.69 Zweifelhaft (wenn auch nicht zwingend zu verneinen) wird Unehrlichkeit insbesondere dann sein, wenn der Täter einen wirksamen Anspruch auf den erlangten Vermögensgegenstand hat.70 Dishonesty dürfte in der Regel auch ausscheiden, wenn der Täuschende irrtüm63 Levene v. Pearcey [1976] Crim.L.R. 63; King and Stockwell [1987] Q.B. 547; kritisch A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-138. 64 Laverty [1970] 3 All E.R. 432 (434); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-175; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-51; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-03 f. 65 King and Stockwell [1987] Q.B. 547 (554); Griew, Theft Acts, Rdn. 8-54 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-13. 66 Vgl. Lambie [1981] 2 All E.R. 776. 67 Sullivan [1945] 30 Cr.App.R. 132 (136 f.); Talbott [1995] Crim.L.R. 396 f.; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-178. 68 Ghosh [1982] Q.B. 1053 (1064): „In determining whether the prosecution has proved that the defendant was acting dishonestly, a jury must first of all decide whether according to the ordinary standards of reasonable and honest people what was done was dishonest. [. . .] If it was dishonest by those standards, then the jury must consider whether the defendant himself must have realised that what he was doing was by those standards dishonest.“ 69 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-143. 70 Woolven (1983) 77 Cr.App.R. 231 (236).

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lich glaubte, ihm stehe gegen den Getäuschten ein Zahlungsanspruch zu und er von diesem täuschungsbedingt den entsprechenden Betrag erlangt.71 Dishonesty ist grundsätzlich nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Täuschende für das Erlangte im Gegenzug eine vollwertige Gegenleistung erbringt.72 Zunächst war in den Augen der Rechtsprechung hierbei der Glaube des Täters an den Nichteintritt eines wirtschaftlichen Schadens unerheblich. Entscheidend war lediglich, dass der Getäuschte sich bei Kenntnis der wahren Umstände nicht vom fraglichen Vermögensgegenstand getrennt hätte.73 Zunehmend hat die Rechtsprechung jedoch dishonesty in Fällen abgelehnt, in denen der Täter nicht von einer dauerhaften Vermögensschädigung ausging. So entfiel dishonesty etwa, weil der Täter die baldige Rückzahlung des erlangten Geldes beabsichtigte.74 Auch wurde dishonesty verneint, wenn jemand das Beisichführen von ausreichend Bargeld zum Bezahlen einer Leistung vortäuschte, aber davon ausging, er werde das Entgelt trotzdem zahlen können. Dies soll selbst dann gelten, wenn sich diese Annahme als objektiv unvernünftig darstellte und gerade das Beisichführen von genügend Bargeld Bedingung der Leistungserbringung war.75 Eine eindeutige Tendenz für Fälle fehlenden Schädigungsvorsatzes lässt sich daraus aber nicht ableiten. Entscheidend ist vielmehr letztlich die Auffassung der Jury.76 Strafbarkeit ist insbesondere dann möglich, wenn die Richtigkeit der vorgespiegelten Tatsache für das Verhalten des Getäuschten auch unabhängig von der Frage einer Vermögensschädigung entscheidend ist.77 Dishonesty wird jedoch insbesondere dort ausscheiden, wo der Getäuschte an einen Vertragsabschluss Bedingungen knüpft, die mit Gerechtigkeitsvorstellungen der Allgemeinheit nicht vereinbar sind, etwa wenn Vertragsabschlussbedingungen illegal, rassistisch oder sexistisch motiviert sind.78 Kennzeichnend für das Tatbestandsmerkmal der Unehrlichkeit und mithin für die Täuschungsdelikte insgesamt ist demnach, dass die zur Strafwürdigkeit einer

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Bernhard [1938] 2 K.B. 264 (271). Potger (1971) 55 Cr.App.R. 42 (45). So zu dishonesty im Rahmen von theft ausdrücklich section 2(2) des Theft Act 1968: „appropriation of property belonging to another may be dishonest notwithstanding that he is willing to pay for the property.“ 73 Carpenter (1911) 22 Cox 618 (624); McCall (1970) 55 Cr.App.R. 175 (180), wonach dishonesty nicht entfällt, wenn der Täter die Rückzahlung des täuschungsbedingt erlangten Kredits beabsichtigte. 74 Feely [1973] 1 Q.B. 530 (539); Griew, Theft Acts, Rdn. 8-74; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-35 f. 75 Waterfall [1970] 1 Q.B. 148 (151). 76 Melwani [1989] Crim.L.R. 565 (566); A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17148. 77 Greenstein [1975] 1 W.L.R. 1353 (1364). 78 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-150. 72

§ 1 Zur Orientierungslosigkeit eines moralisierenden Strafrechts

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Täuschung führenden Gründe nicht klar identifiziert werden. Zwar wird eine Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen des Opfers regelmäßig den Kern des tatbestandlichen Unrechts bilden, zwingend ist dies jedoch nicht. Der tatbestandliche Erfolg, also die Erlangung eines Vermögensvorteils, verdeutlicht zwar einen Vermögensbezug der sanktionierten Täuschung, bedeutet aber nicht, dass der an den Täter gerichtete Vorwurf notwendigerweise die Gefahr einer wirtschaftlichen Schlechterstellung zum Gegenstand haben muss, erst recht nicht einen tatsächlichen wirtschaftlichen Schaden. III. Differenzierung der Tatbestände nach der Art des erlangten Vermögensvorteils: der tatbestandliche Erfolg als gegenständliche Begrenzung anstatt als Begründung des strafbewehrten Täuschungsverbots 1. Obtaining property by deception Wichtigstes Delikt nach altem Recht war obtaining property by deception (täuschungsbedingtes Erlangen eines Vermögensgegenstandes) gemäß section 15 des Theft Act 1968.79 Die Vorschrift ist ein Erfolgsdelikt und als solches vollendet, wenn der Täter durch Täuschung einen fremden Vermögensgegenstand für sich oder einen Dritten erlangt, wofür das Erlangen von Eigentum80 oder Besitz beziehungsweise bei Ansprüchen deren Übertragung erforderlich ist.81 Der Täuschende muss mit direktem Vorsatz handeln, den Vermögensgegenstand dem bisherigen Inhaber auf Dauer zu entziehen.82

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Section 15 des Theft Act 1968 lautete: (1) Wer durch Täuschung unehrlicherweise einen einem anderen gehörenden Vermögensgegenstand in der Absicht erlangt, jenem diesen auf Dauer zu entziehen, wird mit bis zu zehn Jahren Gefängnis zu bestraft. (2) Erlangen eines Vermögensgegenstandes im Sinne dieser Section ist anzunehmen, wenn jemand Eigentum, Besitz oder die Kontrolle darüber erlangt; „erlangen“ beinhaltet auch, für einen anderen zu erlangen oder einem anderen zu ermöglichen, etwas zu erlangen oder zu behalten. (Übersetzung durch den Verfasser) 80 Collis-Smith [1971] Crim.L.R. 716. Vgl. Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-107. 81 Section 15(2) des Theft Act 1968. Erlangen ist auch anzunehmen, wenn der Täter handelt, um einem Dritten das Erlangen oder Behalten zu ermöglichen. Hinsichtlich des Täters selbst genügt ein bloßes Behalten nicht. 82 Halstead v. Patel (1972) 56 Cr.App.R. 334 (338); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3018; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-64; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 6-01. Dies ist zu bejahen, wenn der Berechtigte den Gegenstand durch Lösegeld wiedererlangen soll; vgl. Coffey [1987] Crim.L.R. 498 (499); Fernandes [1996] 1 Cr.App.R. 175 (188); Griew, Theft Acts, Rdn. 8-66 f., 2-105; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-143 f. Gleiches gilt, wenn der Nutzen zum Rückgabezeitpunkt verloren ist; vgl. Chan Wai Lam [1981] Crim.L.R. 497; Lloyd [1985] Q.B. 829 (836 f.); Coffey [1987] Crim.L.R. 498 (499); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-114, 9-140 f.; Griew, Theft Acts, Rdn. 8-68 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-53.

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Jeder übertragbare Vermögensgegenstand ist property.83 Der Vermögensgegenstand muss zum Tatzeitpunkt bereits existieren, was nicht der Fall ist, wenn etwa ein Anspruch erst im Zuge der Täuschung entsteht. Kein Erlangen liegt daher in der Geldüberweisung zwischen Bankkonten. Denn der Anspruch des Begünstigten gegen seine Bank wird nicht vom Getäuschten erlangt, sondern entsteht originär.84 Fremdheit ist auch zu bejahen, wenn ein anderer lediglich Besitz am Vermögensgegenstand hat oder ihm daran ein beschränktes Recht zusteht.85 Infolge dieser weiten Definition der Fremdheit ist eine Strafbarkeit auch in Fällen möglich, in denen der Täuschende die Herausgabe eines ihm gehörenden Vermögensgegenstands erreichen will.86 Kann der Besitzer der Sache ihm kein Besitzrecht entgegenhalten, so dürfte aber eine Strafbarkeit mangels Unehrlichkeit (dishonesty) des Täters regelmäßig ausscheiden.87 2. Obtaining a money transfer by deception Obtaining a money transfer by deception gemäß section 15A des Theft Act 196888 wurde im Jahr 1996 als Reaktion auf eine Entscheidung der Recht83

Section 4(1) des Theft Act 1968. Preddy [1996] A.C. 815 (834); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-103 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-60. Gleiches gilt für den Zahlungsanspruch aus einem Scheck; vgl. Graham [1997] 1 Cr.App.R. 302; Caresana [1996] Crim.L.R. 667 (669). Anders jedoch, wenn der Scheck nicht vom Aussteller selbst erlangt wird, da dann der im Scheck verbriefte Anspruch auf Zahlung bereits besteht, so dass obtaining property vorliegt; vgl. J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-57. 85 Section 5(1) des Theft Act 1968. 86 Nach Griew, Theft Acts, Rdn. 8-05 etwa dann, wenn bereits Eigentum auf den Käufer übergegangen ist, dem Verkäufer aber bis zur Bezahlung ein Zurückbehaltungsrecht zusteht. 87 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-117. J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 459, will „belonging to another“ verneinen, um nicht in Widerspruch zum Zivilrecht zu geraten. Zwar werde bei einigen anderen Vermögensdelikten über die Berechtigung des Täters hinweggesehen, wenn diese gegenüber der kriminellen Art der Tatbegehung in den Hintergrund trete (etwa bei der Erlangung von Eigentum durch Gewaltanwendung, Erpressung oder Urkundenfälschung). Doch hafte der Täuschung für sich noch keine vergleichbare soziale Gefährlichkeit an, weshalb sie nicht geeignet sei, eine ähnliche verdrängende Wirkung zu entfalten. 88 Section 15A des Theft Act 1968 lautete: (1) Eine Straftat begeht, wer durch Täuschung unehrlicherweise eine Geldüberweisung für sich oder einen anderen erlangt (2) Eine Geldüberweisung liegt darin, dass (a) eine Belastung eines Kontos erfolgt, (b) ein Gutschrift auf einem anderen erfolgt und (c) die Gutschrift aus der Belastung resultiert oder die Belastung aus der Gutschrift resultiert. (3) Gutschrift und Belastung beziehen sich auf die Gutschrift eines Geldbetrages und auf die Belastung mit einem Geldbetrag. (Übersetzung durch den Verfasser) Gemäß section 15A(5) wird die Tat mit bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft. 84

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sprechung geschaffen, wonach bei einer täuschungsbedingten Geldüberweisung zwischen Bankkonten kein Erlangen eines bereits vor der Täuschung bestehenden Vermögensgegenstands angenommen werden könne, die Annahme von obtaining property by deception mithin ausscheide.89 Ausweislich des Wortlauts des Gesetzes90 kann Kausalität zwischen Irrtum und Überweisung auch dann bejaht werden, wenn eine Irrtumserregung gegenüber der überweisenden Bank selbst ausscheidet, etwa wenn die Überweisung durch Vorlage eines täuschungsbedingt erlangten Schecks bei der Bank herbeiführt wird91 oder der Kontoinhaber selbst die Überweisung bewirkt, nachdem er durch Täuschung dazu veranlasst wurde. 3. Obtaining pecuniary advantage by deception Obtaining pecuniary advantage by deception gemäß section 16 des Theft Act 196892 stellt die täuschungsbedingte Erlangung geldwerter Vorteile unter Strafe.93 Der wesentliche Unterschied zu obtaining property by deception liegt darin, dass es sich bei den genannten geldwerten Vorteilen nicht um schon vor der Täuschung existierende Vermögensgegenstände handelt, sondern dass ein solcher Gegenstand zu Gunsten des Täuschenden oder eines Dritten durch Täuschung erst entsteht. Die Aufzählung unterschiedlicher Arten geldwerter Vorteile ist abschließend. Erfasst wird ausdrücklich der Fall, dass eine Bank ihrem Kunden die Möglichkeit einer Kontoüberziehung oder eine Verbesserung der Bedingungen des Überziehungskredits einräumt.94 Nicht vom Tatbestand erfasst werden hingegen Bankdarlehen, da Merkmal eines Überziehungskredits die Belastung eines

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Preddy [1996] A.C. 815. Section 15A(4)(b) des Theft Act 1968. 91 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-119; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-64. Nach Williams (Roy) [2001] 1 Cr.App.R. 23 kann die Vorlage eines Schecks theft des Kontoguthabens darstellen. 92 Section 16 des Theft Act 1968 lautete: (1) Wer durch Täuschung unehrlicherweise für sich oder einen Dritten einen geldwerten Vorteil erlangt, wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. (2) Im Sinne dieser Section wird ein geldwerter Vorteil durch jemanden erlangt, wenn – (a) [aufgehoben durch den Theft Act 1978] (b) ihm erlaubt wird, im Wege einer Kontoüberziehung Kredit aufzunehmen, oder eine Versicherung abzuschließen oder Rentenansprüche zu erwerben, oder eine Verbesserung der Bedingungen eingeräumt zu bekommen, zu denen dies ihm ermöglicht ist; oder (c) ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, Entlohnung oder höhere Entlohnung in einem Amt oder einem Beschäftigungsverhältnis zu erlangen, oder Geld in einer Wette zu gewinnen. (Übersetzung durch den Verfasser) 93 Bale v. Rosier [1977] 1 W.L.R. 263 f. 94 Watkins [1976] 1 All. E.R. 578 f.; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 18-46; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-68. 90

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Kontos ist, bei einem Bankdarlehen hingegen eine Gutschrift zugunsten des Kontoinhabers erfolgt.95 Der Tatbestand nennt zudem auch das täuschungsbedingte Erlangen von Versicherungsschutz96 und von (höherem) Gehalt im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses.97 4. Obtaining services by deception Obtaining services by deception gemäß section 1 des Theft Act 197898 betrifft die täuschungsbedingte Erlangung von entgeltlichen99 Dienstleistungen. Die Täuschung muss sich aber nicht zwingend auf die Entgelterbringung beziehen.100 Beim Begriff der Dienstleistung (services) geht das Gesetz über die außerhalb des Strafrechts sonst übliche Bedeutung dieses Begriffs hinaus.101 Die Rechtsprechung ist zunehmend einem extensiven Verständnis des Begriffs services gefolgt und bejaht ihn auch dann, wenn der Schwerpunkt des erlangten Vorteils in der Verschaffung eines Vermögensgegenstandes liegt.102 Durch section 1(3)103 wird zudem die Anwendbarkeit des Tatbestandes auf Darlehen klargestellt. Obtaining services wird durch die Rechtsprechung nicht zuletzt in weitem Umfang auf täuschungsbedingt wiederholt erbrachte Finanzdienstleistungen angewandt, etwa auf

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Griew, Theft Acts, Rdn. 11-07. Clucas [1949] 2 K.B. 226 (229). 97 Callender [1992] 3 W.L.R. 501 (505 f.). 98 Section 1 des Theft Act 1978 lautete: (1) Eine Straftat begeht, wer durch Täuschung unehrlicherweise Dienstleistungen von einem anderen erlangt. (2) Erlangen von Dienstleistungen liegt vor, wenn der andere zum Verschaffen eines Vorteils veranlasst wird, welcher darin besteht, dass der andere selbst eine Handlung vornimmt, oder die Vornahme einer Handlung veranlasst oder erlaubt, wobei davon ausgegangen wird, dass der Vorteil bezahl wurde oder bezahlt werden wird. (3) Unbeschadet des Inhalts von Absatz 2 liegt ein Erlangen von Dienstleistungen vor, wenn der andere zur Gewährung eines Darlehens oder zum Veranlassen oder Genehmigen der Gewährung eines Darlehens veranlasst wird, und er davon ausgeht, dass im Hinblick auf das Darlehen eine Zahlung (in Form von Zinsen oder auf anderer Art) erfolgen wird oder erfolgt ist. (Übersetzung durch den Verfasser) Gemäß section 4(2)(a) des Theft Act 1978 wird die Tat mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. 99 Sofroniou [2004] Q.B. 1218 (1229); Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.94; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 18-36 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-86 f. 100 Naviede [1997] Crim.L.R. 662 (665); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-133; Griew, Theft Acts, Rdn. 9-14; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-76. 101 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-122; Griew, Theft Acts, Rdn. 9-05. 102 Widdowson (1986) 82 Cr.App.R. 314 (318); Graham [1997] Crim.L.R. 340 (341 f.); Naviede [1997] Crim.L.R. 662; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-124 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-78. 103 Eingefügt durch section 4 des Theft (Amendment) Act 1996. Gegen eine Erstreckung auf Darlehen hingegen noch Halai [1983] Crim.L.R. 624 f. und Preddy [1996] A.C. 815 (850). 96

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die Eröffnung eines Bankkontos, Ausstellung einer Kreditkarte104 sowie die Nutzung eines Bankkontos oder einer Kreditkarte.105 5. Evasion of liability by deception Evasion of liability by deception gemäß section 2 des Theft Act 1978106 beinhaltetet drei Tatbestandsvarianten, welche die täuschungsbedingte Umgehung einer grundsätzlich vollstreckbaren107 (aber nicht notwendigerweise fälligen108) Zahlungsverbindlichkeit des Täters oder eines Dritten109 betreffen.110 Gegen104 Erforderlich ist gemäß section 1(2) jedoch, dass für die Nutzung der Kreditkarte über anfallende Zinsen hinaus ein Nutzungsentgelt verlangt wird; vgl. A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 18-13. Die Annahme von obtaining property beim täuschungsbedingten Erlangen einer Kreditkarte scheitert hingegen am Fehlen eines auf endgültigen Entzug der Karte gerichteten Vorsatzes gem. section 15(1) des Theft Act 1968; vgl. J. C. Smith (Anmerkungen zu Harkindel Atwal) [1989] Crim.L.R. 293 (294 f.). 105 Sofroniou [2004] Q.B. 1218 (1227); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-126. 106 Section 2 des Theft Act 1978 lautete: (1) Vorbehaltlich Absatz 2 macht sich strafbar, wer durch Täuschung – (a) unehrlicherweise den Erlass der Gesamtheit oder eines Teil einer bestehenden Zahlungsverbindlichkeit erlangt, wobei die Verbindlichkeit eine eigene oder die eines anderen sein kann; oder (b) mit dem Vorsatz, einen teilweisen oder vollständigen Forderungsausfall hinsichtlich einer bestehenden Zahlungsverbindlichkeit herbeizuführen, oder mit dem Vorsatz, einen anderen dies tun zu lassen, unehrlicherweise den Gläubiger oder eine für den Gläubiger Zahlung fordernde andere Person veranlasst, auf Zahlung zu warten (wobei unbeachtlich bleibt, ob der Zeitpunkt der Fälligkeit des Zahlung verschoben wird) oder den Zahlungsanspruch aufzugeben; oder (c) unehrlicherweise eine Befreiung von einer Zahlungsverbindlichkeit oder eine Ermäßigung erlangt. (2) „Verbindlichkeit“ im Sinne dieser section meint eine vollstreckbare Verbindlichkeit; Abschnitt 1 findet keine Anwendung auf nicht anerkannte oder anderweitig festgestellte Verbindlichkeiten, die der Entschädigung für eine unerlaubte Handlung oder Unterlassung dienen. (3) Wird eine Person veranlasst, zur Zahlung einen Scheck oder andere Sicherheit im Wege einer bedingten Befriedigung einer bestehenden Verbindlichkeit anzunehmen, so ist sie im Sinne von Unterabschnitt (1)(b) nicht als bezahlt zu betrachten, sondern als dazu veranlasst, auf Zahlung zu warten. (4) „Erlangen“ im Sinne von Unterabschnitt (1)(c) beinhaltet auch, für einen anderen zu erlangen oder einem anderen das Erlangen zu ermöglichen. (Übersetzung durch den Verfasser) Gemäß section 4(2)(a) des Theft Act 1978 wird die Tat mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. 107 Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.99; Griew, Theft Acts, Rdn. 10-07 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-89. 108 Griew, Theft Acts, Rdn. 10-10; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 20-17. 109 Attewell-Hughes [1991] 1 W.L.R. 955 (961 f.); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4141; Griew, Theft Acts, Rdn. 10-14; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 20-18 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-95. 110 Holt [1981] 1 W.L.R. 1000 (1002 f.); Sibartie [1983] Crim.L.R. 470; Jackson [1983] Crim.L.R. 617; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-137; Blackstone’s Criminal

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stand der Kriminalisierung ist nicht die Nichtleistung durch den Schuldner, sondern das Bestreben, einen vollständigen oder teilweisen Forderungsausfall zu bewirken, indem der Täter durch Täuschung einen Erlass erreicht,111 die Entstehung einer Verbindlichkeit verhindert112 oder deren Durchsetzung faktisch unmöglich zu machen sucht.113 Ist der Schuldner tatsächlich nicht leistungsfähig, so hat dies auf die Strafbarkeit grundsätzlich keinen Einfluss. Kausalität von Täuschung und Nichtzahlung ist mithin nicht erforderlich.114 6. Procuring execution of a valuable security by deception Procuring execution of a valuable security by deception gemäß section 20 des Theft Act 1968115 betrifft die durch Täuschung veranlasste Ausstellung oder Abänderung eines Wertpapiers.116 Dem Tatbestand kam ursprünglich lediglich eine lückenschließende Funktion zu, da die Ausstellung von Wertpapieren in vielen

Practice, B5.102; Griew, Theft Acts, Rdn. 10-23; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 20-15. 111 Jackson [1983] Crim.L.R. 617; Re Charge Card Services Ltd [1986] 3 All E.R. 289; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-139; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 2022 ff.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-94 ff. 112 Firth (1990) 91 Cr.App.R. 217 (221); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-143 ff.; Griew, Theft Acts, Rdn. 10-19 ff.; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 20-27, 63. 113 Holt [1981] 1 W.L.R. 1000; Hammond [1982] Crim.L.R. 611 (612); Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 4-138; Griew, Theft Acts, Rdn. 10-16 f.; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 20-25 f., -50; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-95 f. 114 Turner [1974] A.C. 357 (365); Griew, Theft Acts, Rdn. 10-16; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 20-51. 115 Section 20 des Theft Act 1968 lautete (auszugsweise): (2) Wer im Hinblick auf das Erlangen eines Gewinns für sich oder einen anderen, oder mit dem Vorsatz, bei einem anderen einen Verlust zu verursachen, durch Täuschung unehrlicherweise das Ausstellen eines Wertpapiers veranlasst, wird mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft; dieser Abschnitt findet Anwendung auf Herstellung, Akzeptanz, Indossament, Abänderung, Ungültigmachung oder die vollständige oder teilweise Zerstörung eines Wertpapiers, sowie auf das Unterschreiben oder Besiegeln eines Papiers oder anderen Materials, um daraus ein Wertpapier herzustellen oder dazu umzuwandeln oder um es als ein solches zu verwenden oder zu behandeln. (3) „Täuschung“ im Sinne dieser section hat dieselbe Bedeutung wie in section 15 dieses Gesetzes, und „Wertpapier“ meint jedes Dokument, durch das ein Recht an, in oder über einen Vermögensgegenstand begründet, übertragen, auf ein solches verzichtet oder von einem solchen befreit wird, oder durch das zu einer Geldzahlung oder zur Übertragung eines Vermögensgegenstandes ermächtigt, oder durch das die Schaffung, Übertragung, der Verzicht oder die Befreiung von einem solchen Recht, oder eine Geldzahlung oder die Übertragung eines Vermögensgegenstandes oder die Erfüllung einer Pflicht bewiesen wird. (Übersetzung durch den Verfasser) 116 Kassim [1992] 1 A.C. 9 (19); Johl [1994] Crim.L.R. 522 f.; N’Wadiche [1998] Crim.L.R. 498 (500 f.); Weiss [2000] Crim.L.R. 484; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4165; Griew, Theft Acts, Rdn. 12-23; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 6-18.

§ 1 Zur Orientierungslosigkeit eines moralisierenden Strafrechts

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Fällen nicht als Erlangung eines fremden Vermögensgegenstands angesehen und mithin nicht unter obtaining property gefasst werden konnte. Im Laufe der Zeit nahm die Bedeutung der Vorschrift aber in einem ursprünglich nicht absehbaren Maße vor allem deshalb zu, weil die Rechtsprechung bei eigentlich besonders typischen Fällen der Vermögenserlangung (nämlich beim Ausstellen eines Schecks und bei der Gewährung eines Darlehens) das Erlangen eines Vermögensgegenstandes beziehungsweise einer Dienstleistung verneint hatte.117 Dies führte mitunter zur Annahme von valuable security in Fällen, die dem hergebrachten Wertpapier-Begriff 118 kaum entsprechen.119 Erforderlich für die Bejahung des Tatbestands ist aber jedenfalls, dass die jeweilige Transaktion auf Seiten des Anweisenden oder der Bank eine täuschungsbedingt veranlasste Herstellung eines schriftlichen Dokuments beinhaltet.120 Gegenstand des Täterhandelns ist in der Regel entweder die täuschungsbedingte Schaffung eines Rechts zu Lasten des Getäuschten oder eines Dritten, oder das täuschungsbedingte Erlöschen einer Verbindlichkeit des Täuschenden oder eines Dritten.121 Die Vorschrift führt zur Verfolgbarkeit des Täters auch in solchen Fällen, in denen andere Tatbestände mangels Irrtumserregung ausscheiden, insbesondere dann, wenn bei Vorlage eines täuschungsbedingt erlangten Wertpapiers der auf das Wertpapier Leistende sich keine Gedanken über etwaige Willensmängel des Ausstellers macht.122 Will der Täter durch die Tat lediglich einem ihm zustehenden Anspruch zur Durchsetzung verhelfen123 oder sich vor der Geltendmachung eines in Wahrheit nicht bestehenden Anspruchs schützen,

117 Vgl. Halai [1983] Crim.L.R. 624 (625) zur Anwendbarkeit von obtaining services auf eine Darlehnsgewährung und Preddy [1996] A.C. 815 (836) zur Anwendbarkeit von obtaining property auf das Ausstellen von Schecks. Dazu Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-151; Griew, Theft Acts, Rdn. 12-14. 118 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-155; Griew, Theft Acts, Rdn. 12-17; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 24-20; vgl. Clarke/Kohler, Property Law, Rdn. 17.2.6. 119 Bejahend für die Gegenzeichnung eines Überweisungsauftrags durch Bankangestellte King [1992] 1 Q.B. 20 (28 f.); Johl [1994] Crim.L.R. 522 f. Verneinend für Kontoauszüge aber Bolton [1992] 94 Cr.App.R 74 (80). Strittig ist, ob schon die schriftliche Entstehung eines Anspruchs genügt; dagegen Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-155; Griew, Theft Acts, Rdn. 12-19; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 6-19; bejahend aber Benstead (1982) 75 Cr.App.R. 276 für ein unwiderrufliches Dokumenten-Akkreditiv (irrevocable letter of credit). 120 Bolton [1992] 94 Cr.App.R 74 (81); Manjdadria [1993] Crim.L.R. 73 (74); Graham [1997] 1 Cr.App.R. 302 (315); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-152 f.; Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.85; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 24-17; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 6-17. 121 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-161; Griew, Theft Acts, Rdn. 12-20 f.; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 6-15 f. 122 Kassim [1992] 1 A.C. 9 (18 f.); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-162; Griew, Theft Acts, Rdn. 12-21; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 24-18; J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 6-16. 123 Griew, Theft Acts, Rdn. 14-35.

42 Teil 1: Auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtendes Kernstrafrecht

so ist eine Strafbarkeit nicht ausgeschlossen, kommt es dafür aber letztlich entscheidend darauf an, ob er unehrlicherweise (dishonestly) handelte.124 7. Tatbestandlicher Erfolg als neutrale Tatsache anstatt als Erfolgsunrecht Zwar handelt es sich bei den bis zum Jahr 2007 geltenden Täuschungsdelikten um Erfolgsdelikte. Doch kommt dem tatbestandlichen Erfolg für die Identifizierung des tatbestandlichen Verhaltensunrechts keine selbständige Bedeutung zu. Die Vermögensbelastung ist vielmehr vom Opfer konsentiert, leidet aber unter einem Willensmangel. Ohne Berücksichtigung des tatbestandlichen Verhaltens, also des Umstandes, dass der Verlust des Vermögensgegenstandes auf einer Täuschung beruhte, ist der tatbestandliche Erfolg also eine für den Vermögensinhaber neutrale Tatsache. Zwar kann der Umstand, dass die Täuschung im Kontext einer Vermögenstransaktion erfolgte, eine Erschwerung des Verhaltensunrechts begründen, eben weil wesensgleichen Verhalten in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutung zukommen kann. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Strafbarkeit hier allein mit dem Verhaltensunrecht begründet wird, der tatbestandliche Erfolg dieses hingegen lediglich gegenständlich begrenzt, es aber nicht inhaltlich konkretisiert.

124

J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 10-17.

§ 2 Zur Bestimmung strafbaren Verhaltens

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§2 Zur Bestimmung strafbaren Verhaltens im Wege einer rationalen Kriterien nicht zugänglichen Bewertung: der richterrechtliche Straftatbestand conspiracy to defraud Conspiracy to defraud (Verabredung zum Betrug) ist deshalb hervorzuheben, weil dieser Straftatbestand tatbestandliches Verhalten nicht beschreibt, sondern seine Identifizierung ganz bewusst der Strafverfolgungspraxis überlässt. Damit sollen Strafbarkeitslücken geschlossen, also die Ahndung solchen Verhaltens ermöglicht werden, welches zwar nicht von einem kodifizierten Straftatbestand erfasst wird, aber moralisch strafwürdig erscheint. Die Identifizierung strafbaren Verhaltens soll dieser von der Rechtsprechung geschaffene Straftatbestand dadurch ermöglichen, indem er statt der Beschreibung eines Verhaltens lediglich den subjektiven Tatbestand benennt, wobei es auf die Unehrlichkeit der Täter ankommt. Die Rechtsprechung bekennt sich also offen dazu, Strafbarkeit eines Verhaltens nicht nur über einen kodifizierten Straftatbestand begründen zu können, sondern auch im Wege einer rein moralischen Bewertung von Verhalten, also einer Bewertung, welche sich rationalen Kriterien weitestgehend entzieht. Zwar beruht die Strafbarkeit auch bei den oben beschriebenen Täuschungsdelikten auf einem moralischen Urteil, nämlich der Verwerflichkeit der Täuschung im Kontext einer Vermögensverfügung. Dies wurde vom Parlament durch Gesetz aber zumindest ausdrücklich als strafbar benannt, wohingegen bei conspiracy to defraud gerade offen bleibt, welches Verhalten unehrlich und mithin potentiell strafbar ist. Mögliche Bedenken hinsichtlich fehlender Legitimität einer solchen Strafbarkeitsbegründung werden angesichts des Umstandes als entkräftet angesehen, dass diese moralische Wertung im Bestreitensfall durch eine Jury vorgenommen wird.125 I. Zur Rolle richterlich geschaffener Straftatbestände Neben den durch Parlamentsgesetz geschaffenen Straftatbeständen kennt das englische Recht die strafrechtliche Sanktionierung von Verhalten durch Richterrecht (common law offences), mithin Straftatbestände, die nicht auf einer Entscheidung des Parlaments beruhen, sondern durch die Rechtsprechung geschaffen wurden. Hierin spiegelt sich nicht zuletzt das traditionelle Selbstverständnis der englischen Gerichte wieder, sich als Wächter grundlegender Werte (custos morum) zu betrachten, solange das Parlament hinsichtlich des fraglichen Verhaltens noch nicht tätig geworden ist.126 Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit 125

Vgl. Hinks [2001] 2 A.C. 241 (252 f.). Vgl. insbesondere Shaw [1962] A.C. 220 (268, 284 f.), wo die Straftat conspiracy to corrupt public morals (Verabredung zur Korrumpierung der öffentlichen Moral) geschaffen wurde. 126

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von Strafvorschriften und der Vorhersehbarkeit strafrechtlicher Sanktionen wurden dabei etwa mit dem Hinweis verworfen, wer sich der Grenzwertigkeit seines Verhaltens bewusst sei, müsse damit rechnen, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.127 Zwar bekennt sich die Rechtsprechung nunmehr dazu, grundsätzlich nicht mehr zur Schaffung neuer Straftatbestände berechtigt zu sein, sofern nicht ausnahmsweise zwingende Gründe dafür vorlägen. Die bereits bestehenden Tatbestände gelten jedoch fort, soweit sie nicht durch Parlamentsgesetz abgeschafft wurden.128 Das strafrechtliche Richterrecht enthielt seit Jahrhunderten die Straftat der conspiracy. Dabei handelt es sich um die Verabredung von zwei oder mehr Personen zur Begehung einer Tat, wobei die verabredete Tat an sich nicht strafbar sein musste.129 Entscheidend hat die Rechtsprechung darauf abgestellt, ob die Verabredung und damit in Aussicht gestellte Begehung einer Tat durch mehrere Personen derart als soziales Übel angesehen werden muss, dass es eine strafrechtliche Sanktionierung erforderlich mache.130 Conspiracy diente vor allem der Ahndung einer tatsächlich begangenen Tat, die Strafwürdigkeit der Verabredung selbst trat regelmäßig dahinter zurück. Dies kann deshalb nicht überraschen, weil ein Nachweis der Verabredung selbst in der Regel kaum gelingen wird, sondern vom Verhalten der Beteiligten auf einen gemeinsamen Tatplan geschlossen wird.131 Das Parlament hat in Anbetracht der Weite und Unbestimmtheit der richterrechtlichen conspiracy diese im Jahr 1977 weitgehend abgeschafft, davon aber

127 Ashworth, Criminal Law, S. 73 u. 455. Vgl. Knuller [1973] A.C. 435 (463): „those who skate on thin ice can hardly expect to find a sign which will denote the precise spot where he will fall in“. 128 Jones [2007] 1 A.C. 136 (162): „what has become an important democratic principle in this country: that it is for those representing the people of the country in Parliament, not the executive and not the judges, to decide what conduct should be treated as lying so far outside the bounds of what is acceptable in our society as to attract criminal penalties. One would need very compelling reasons for departing from that principle.“ Ähnlich auch schon Knuller [1973] A.C. 435 (457 f.), wo jedoch entgegen dieses Bekenntnisses letztlich eine neue Common-Law-Straftat geschaffen wurde, nämlich conspiracy to outrage public decency (Verabredung der Empörung des öffentlichen Anstandsgefühls). Dazu A. T. H. Smith, Judicial Law Making in the Criminal Law [1984] L.Q.R. 46 (54 ff.); vgl. auch Bhagwan [1972] A.C. 60 (82). 129 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.05. 130 Kritisch zu dieser Begründung Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Rdn. 3.2 ff.; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 571; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-05; ders., Fraud and the Criminal Law, 49 (53 f.). Vgl. auch Ashworth, Criminal Law, S. 455 f.: im 19. Jahrhundert habe die Rechtsprechung auf diesem Wege nicht zuletzt eine Kriminalisierung von gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen ermöglicht. Vgl. auch die Kritik in Withers [1975] A.C. 842 (862). 131 Dennis, The Rationale of Criminal Conspiracy [1977] L.Q.R. 39 (40); A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-10.

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conspiracy to defraud aus Sorge vor Strafbarkeitslücken ausgenommen.132 Zwar wurde in Anbetracht seiner Unbestimmtheit und potentiell extremen Weite seitdem immer wieder die Abschaffung auch dieses richterrechtlichen Tatbestandes gefordert.133 Doch kam es dazu selbst im Rahmen der grundlegenden Reformierung des Betrugsstrafrechts durch den Fraud Act 2006 nicht. Der Rechtsprechung steht deshalb bei gegen Vermögen gerichteten unehrlichen Verhalten auch heute immer noch grundsätzlich die Möglichkeit offen, bisher nicht vom Strafrecht erfasste Sachverhalte diesem zu unterwerfen. Die Höchststrafe beträgt bei conspiracy to defraud zehn Jahre Freiheitsentzug.134 II. Überblick über den Tatbestand der conspiracy to defraud Die moderne Form von conspiracy to defraud (Verabredung zum Betrug) wurde durch die Gerichte zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts entwickelt135 und findet ihre nunmehrige Ausgestaltung vor allem in einer Entscheidung des House of Lords aus dem Jahre 1975. Darin wird der wesentliche Inhalt wie folgend beschrieben: „an agreement by two or more by dishonesty to deprive a person of something which is his or to which he is or would be or might be entitled and an agreement by two or more by dishonesty to injure some proprietary right of his, suffices to constitute the offence of conspiracy to defraud.“136 132 Section 5(2) des Criminal Law Act 1977; Law Commission, Report on Conspiracy and Criminal Law Reform, Law Com. No. 76 (1976), Para. 1.9, 1.14 ff.; Ormerod/ Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.06; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-06. 133 Zu Zweifeln an der Kompatibilität mit Art. 7 Abs. 1 der EMRK, vgl. Joint Parliamentary Committee on Human Rights, Fourteenth Report, Para. 2.12; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.50. Zum regelmäßig zurückhaltenden Ansatz der Konventionsorgane Handyside v. United Kingdom (1976) 1 E.H.R.R. 737; Sunday Times v. United Kingdom (1980) 2 E.H.R.R. 245 (270 f.); Kokkinakis v Greece (1994) 17 E.H.R.R. 397 (423); CR und SW v. United Kingdom (1996) 21 E.H.R.R. 363 (390); kritisch Ashworth, Criminal Law, S. 70 f.; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 25. Vgl. auch Rimmington [2006] 1 A.C. 459 (483). Nicht genügen soll aber, dass ein Straftatbestand lediglich auf einem Verstoß gegen die guten Sitten verweist und darüber hinaus keine Beschreibung des inkriminierten Verhalten enthält; vgl. Hashman and Harrup v. United Kingdom (2000) 30 E.H.R.R. 241 (257 f.). Deshalb an conspiracy to defraud zweifelnd Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.51 ff.; Ashworth, Criminal Law, S. 75. 134 Section 12(3) des Criminal Justice Act 1987. Bis dahin war die Rechtsprechung bei conspiracy to defraud nicht durch ein Höchststrafmaß gebunden gewesen; vgl. Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-001. 135 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-01 unter Verweis auf Hevey (1782) 1 Leach, 232. 136 Scott [1975] A.C. 819 (840): „ein Übereinkommen zwischen zwei oder mehr Personen, durch Unehrlichkeit einem anderen etwas zu entziehen, welches diesem gehört oder zu welchem dieser berechtigt ist, wäre oder sein könnte, sowie ein Übereinkommen zwischen zwei oder mehr Personen, durch Unehrlichkeit ein Vermögensrecht eines

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Demnach ist eine Verabredung dann strafbar, wenn durch ihre Ausführung fremde wirtschaftliche Interessen unehrlicherweise beeinträchtigt werden.137 Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn das Opfer täuschungsbedingt zu einem Handeln oder Unterlassen veranlasst wird, durch welches es einen wirtschaftlichen Schaden erleidet oder eine Gefährdung seiner wirtschaftlichen Interessen eintritt. Solches ist etwa der Fall, wenn Angestellte einer Bank deren Verluste zu verbergen suchen, weil dadurch bestehende und potentielle Aktionäre, Gläubiger und Kunden über die bestehende Liquidität getäuscht würden.138 Jedoch ist die (geplante) Täuschung eines anderen für die Bejahung von conspiracy to defraud nicht unbedingt erforderlich.139 Der Tatbestand wurde etwa in einem Fall bejaht, in dem jemand mit Angestellten eines Kinos die vorübergehende Überlassung von Filmen verabredete, um diese unter Verletzung des Urheberrechts zu kopieren und zu vermarkten.140 III. Die Merkmale der Verabredung 1. Vereinbarter Beitrag der Beteiligten Conspiracy erfordert eine Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Personen.141 Diese muss sich nicht auf eine gemeinsame Begehung der schädigenden Tat durch alle Beteiligten beziehen. Es genügt, dass im Rahmen des gemeinsamen Vorhabens einer von ihnen die Schädigung bewirken soll.142 Die Rechtsprechung lässt es sogar genügen, dass keiner der an der Vereinbarung beteiligten Personen selbst unmittelbar an der Schädigung eines anderen mitwirkt, sondern dies erst durch einen an der Vereinbarung nicht beteiligten Dritten geschehen soll, soweit sich dies geradezu zwangsläufig als Folge ihres Verhaltens darstellen wird. Erfasst ist dadurch etwa die Herstellung von Gegenständen, die an Dritte veräußert und dann durch diese zu betrügerischen Zwecken verwendet werden sollen.143

anderen zu verletzen, genügt für das Vorliegen einer Verabredung zum Betrug.“ (Übersetzung durch den Verfasser) 137 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-007. 138 Wai Yu-Tsang [1992] 1 A.C. 269 (280). 139 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-012; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.16; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 574. 140 Scott [1975] A.C. 819 (838 f.); Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.16. 141 McDonnell [1966] 1 Q.B. 233 (245); Walker [1962] Crim.L.R. 458 f.; Ormerod/ Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.19; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 573; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-09. 142 Hollinshead [1985] 1 All E.R. 850 (857). 143 Hollinshead [1985] 2 All E.R. 769 (775 f.); kritisch dazu A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-26 und Spencer, Conspiracy and Kitting Out the Criminal (1985) Camb. L.J. 336 ff.

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2. Wirtschaftlicher Schaden oder Beeinflussung öffentlich-rechtlichen Handelns Die an der Vereinbarung Beteiligten müssen mit direktem Vorsatz handeln, fremde wirtschaftliche Interessen zu schädigen (deprive beziehungsweise injure) oder öffentlich-rechtliches Handeln durch Täuschung zu beeinflussen. Es braucht ihnen aber nicht auf diese Folge anzukommen.144 Ausreichend ist auch das Wissen, die Tat werde zwangsläufig dazu führen, dass das Opfer solchen von ihm nicht konsentierten wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt wird.145 a) Schädigung wirtschaftlicher Interessen Eine Verabredung zum Betrug ist insbesondere anzunehmen, wenn durch das Vorhaben einem anderen ein diesem gehörender Vermögensgegenstand entzogen werden soll. Unwesentlich ist grundsätzlich, dass das geschädigte Opfer nicht konkretisierbar ist,146 was nicht zuletzt hinsichtlich der Anwendung von conspiracy to defraud auf wettbewerbsverfälschende Preisabsprachen und der Manipulation von Finanzmärkten von Bedeutung ist. Auch wenn diesbezügliches Verhalten nunmehr zumeist Gegenstand spezialgesetzlicher Vorschriften ist, so bleibt eine Anklage wegen Verabredung zum Betrug weiterhin möglich.147 Als Gegenstand des Schadens erfasst wird auch der Fall, dass dem Opfer der fragliche Vermögensgegenstand zwar nicht gehört, es hinsichtlich letzterem aber berechtigt wäre oder sein könnte. Dies ist etwa hinsichtlich der durch Mitarbeiter eines Unternehmens im Rahmen des Geschäftsbetriebs durch den Verkauf eigener Waren erwirtschafteter und also nicht an das Unternehmen abgeführter Gewinne anzunehmen, wenn diese Gewinne dem Unternehmen zustehen.148 Conspiracy to defraud ist daneben aber auch dann einschlägig, wenn das Opfer zwar keinen Vermögensgegenstand verlieren, aber zur Eingehung eines von ihm nicht gewollten wirtschaftlichen Risikos bewegt werden soll. Grundsätzlich unbeacht144 Welham [1961] A.C. 103 (123 f.); Cooke [1986] A.C. 909 (930 f.); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-031; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.30, 5.32 f., 5.38; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 575, 578; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-24. Bereits die Absehbarkeit einer Schädigung genügen lassend Wai Yu-Tsang [1992] 1 A.C. 269 (279 f.); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-009; A. T. H. Smith, Fraud and the Criminal Law, 49 (51 f.). 145 Allsop (1977) 64 Cr.App.R. 29 (31 f.); Wai Yu-Tsang [1992] 1 A.C. 269 (277); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-008; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 576 f. 146 Attorney General’s Reference (No 1 of 1982) [1983] 2 All E.R. 721 (724). 147 Vgl. etwa section 52(1) des Criminal Justice Act 1993 (insider dealing), section 397(3) des Financial Services and Markets Act 2000 (market manipulation), section 188(1) des Enterprise Act 2002 (price fixing). Dazu Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 575. Beachte insbesondere Norris [2008] 1 A.C. 920 bzgl. der Anwendung von conspiracy to defraud auf wettbewerbswidrige Preisabsprachen. 148 Cooke [1986] A.C. 909 (930 f.).

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lich ist dabei, dass es sich letztlich um ein für das Opfer vorteilhaftes Geschäft handelt und die an der Verabredung Beteiligten davon auch ausgingen. Denn gefährdeten Vermögen komme ein geringerer Wert zu als ungefährdeten.149 b) Bei Täuschung auch Schädigung nichtwirtschaftlicher Interessen Die Verabredung zur Schädigung der wirtschaftlichen Interessen des Opfers ist der Hauptanwendungsfall von conspiracy to defraud. Die Verabredung muss sich aber nicht zwingend auf eine wirtschaftliche Schädigung beziehen. Nach der Rechtsprechung ist conspiracy to defraud auch dann einschlägig, wenn der Inhaber eines öffentlichen Amtes oder eine Behörde getäuscht werden soll, selbst wenn durch die verabredete Tat kein geldwerter oder wirtschaftlicher Schaden entsteht.150 Conspiracy to defraud erfasst demnach auch solche Vereinbarungen, bei denen eine öffentliche Stelle durch Täuschung dazu veranlasst werden soll, ihrem Handeln eine unzutreffende Tatsachenlage zugrundezulegen und damit objektiv ihre Pflichten zu verletzen. Demnach kann eine Verabredung zum Betrug etwa in der Vereinbarung liegen, durch Täuschung eine behördliche Genehmigung, die pflichtwidrige Weitergabe von Informationen oder die Aufnahme in einen Verband zu erlangen.151 Auch eine Vereinbarung zur Herstellung falscher Identifikationsurkunden genügt, soweit diese zu einer im Anschluss erfolgenden Täuschung öffentlicher oder privater Stellen durch Dritte verwendet werden sollen.152 3. Unehrlichkeit Zentrales Tatbestandsmerkmal von conspiracy to defraud ist dishonesty, also die Unehrlichkeit der Beteiligten.153 Wie auch bei den kodifizierten Tatbeständen zur täuschungsbedingten Vermögenserlangung beurteilt sich dishonesty hier danach, ob das vereinbarte Verhalten gemessen an den gewöhnlichen Maßstäben vernünftiger und ehrlicher Menschen als unehrlich erscheint, und sich die Beteiligten dessen bewusst waren.154 Entscheidend ist dafür im Bestreitensfall in den 149 Allsop (1977) 64 Cr.App.R. 29 (31 f.); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-008; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.28. 150 Scott [1975] A.C. 819 (839) unter Verweis auf Welham [1961] A.C. 103 (124): „where the person deceived is a person holding public office or a public authority and where the person deceived was not caused any pecuniary or economic loss.“ Nach Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-025 ist eine Täuschung angesichts Attorney General’s Reference (No 1 of 1981) [1982] 1 Q.B. 848 (856) nicht mehr erforderlich. 151 Bassey (1931) 22 Cr.App.R. 160 (162); Owen [1957] A.C. 602 (622); Withers [1975] A.C. 842 (862, 877); Moses [1991] Crim.L.R. 617 (618); Kirk/Woodcock, Serious fraud, S. 182; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.41 f. 152 Babatunde Awoyemi [2010] 1 Cr.App.R. (S.) 79. 153 Norris [2007] W.L.R. 1730 (1749). 154 Ghosh [1982] Q.B. 1053 (1064); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-006; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-31.

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Grenzen der von der Rechtsprechung aufgestellten Präzisierungen die Auffassung der Jury. Die Annahme von dishonesty ist in Anbetracht des Fehlens Orientierung gebender anderer Tatbestandsmerkmale besonders problematisch. Die Unbestimmtheit spiegelt sich in einer im Vergleich mit kodifizierten Straftatbeständen niedrigen Verurteilungsrate wider.155 Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Abgrenzung von einem Unternehmensinhaber oder der Konkurrenz im wirtschaftlichen Wettbewerb schädlichen lauteren Geschäftsgebaren einerseits und von zur Annahme der conspiracy to defraud führenden unehrlichen Verhalten andererseits.156 Vergleichsweise eindeutig gestaltet sich die Annahme von dishonesty dann, wenn das verabredete Verhalten eine Täuschung beinhaltet. So kann dishonesty hinsichtlich der Angestellten eines Unternehmens auch bejaht werden, wenn sie ihrer Ansicht nach in dessen besten Interesse handeln, falls durch ihr Verhalten die tatsächliche wirtschaftliche Situation des Unternehmens verschleiert und dadurch die Interessen der Gläubiger des Unternehmens und bestehender und potentieller Aktionäre gefährdet werden. Ist Gegenstand der Verabredung der Angestellten einer Bank, den Ausfall bedeutender Forderungen ihres Instituts zu verheimlichen und damit über seine Liquidität zu täuschen, so konnte conspiracy to defraud trotzt des Umstands angenommen werden, dass die Angestellten dadurch einen Glaubwürdigkeitsverlust der Bank und eine sich daraus ergebende Verschlechterung ihrer Liquidität verhindern wollten. Das Motiv der Beteiligten ist grundsätzlich ohne Bedeutung, solange das vereinbarte Verhalten unehrlich ist.157 Bei wirtschaftlich riskanten Geschäftsabschlüssen der Geschäftsführer eines Unternehmens richtet sich die Rechtsprechung danach, ob diese im besten Interesse des Unternehmens getätigt wurden. Dies ist nicht der Fall, wenn ihnen bewusst war, dass kein anständiger Geschäftsführer das fragliche Risiko eingehen würde. Handeln die Geschäftsführer demnach in gutem Glauben, so muss dishonesty verneint werden.158 Wollen Mitarbeiter eines Unternehmens im Rahmen dessen Geschäftsbetriebs für sich selbst Gewinne erwirtschaften und diese einbehalten, so soll darin nicht 155 Attorney-General’s Guidance on the Use of the Common Law Offence of Conspiracy to Defraud (09. Januar 2007): danach lag im Jahr 2003 die Verurteilungsrate bei kodifizierten Betrugsdelikten bei 71%, bei conspiracy to defraud dagegen nur bei 44%. 156 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 3.6; Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 7-012; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.39; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 573. 157 Wai Yu-Tsang [1992] 1 A.C. 269 (279 f.). 158 Sinclair (1968) 52 Cr.App.R. 618 (621 f.); Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.25; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-32; Sullivan, Fraud and the Efficacy of the Criminal Law: A Proposal for a Wide Residual Offence [1985] Crim. L.R. 616 (620 f.).

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ohne weiteres eine Verabredung zum Betrug liegen, auch wenn diese Gewinne dem Unternehmen zustehen.159 Erforderlich ist vielmehr, dass die Beteiligten ihren unlauteren Gewinn gegenüber dem Unternehmen durch aktives Tun verheimlichen160 oder der Gewinn selbst durch Täuschung der Kunden erlangt wird.161 Auch hinsichtlich wettbewerbswidrigen, aber für sich nicht rechtswidrigen Verhaltens fordert die Rechtsprechung, dass die fragliche Vereinbarung durch erschwerende Umstände ergänzt wird, etwa, indem jenes dem Opfer oder generell der Allgemeinheit schädliche Verhalten durch Täuschung oder Anstiftung zum Vertragsbruch ermöglicht werden soll.162 Bei wettbewerbswidrigen Preisabsprachen sei demnach noch keine dishonesty anzunehmen, solange der Plan über eine gegenseitige Preisabstimmung nicht hinausgeht. Erforderlich für eine Strafbarkeit als conspiracy to defraud ist vielmehr das Vorliegen erschwerender Umstände, insbesondere eine vereinbarte Täuschung der Marktteilnehmer durch aktives Tun. Die Manipulation des Preises allein genüge dafür noch nicht.163 IV. Moralisierende Identifizierung tatbestandlichen Verhaltens als Mittel der Lückenfüllung und der Vereinfachung der Strafbarkeitsbegründung Conspiracy to defraud ist vorliegend in zweifacher Hinsicht von Interesse. Einerseits, weil dieser Tatbestand anders als die oben dargestellten Täuschungsdelikte ausweislich des erforderlichen Schädigungsvorsatzes subjektiv an Erfolgsunrecht anknüpft. Der Rückgriff auf einen Erfolgsunwert erlaubte der Rechtsprechung bei der Schaffung dieses Straftatbestandes, dem ansonsten nur durch das Merkmal der Unehrlichkeit bestimmbaren Verhalten ein gewisses Maß an Kontur zu verleihen. Die Möglichkeit der Berücksichtigung eines Erfolgsunwerts zur Strukturierung von tatbestandlichen Verhalten ist dem englischen Vermögensstrafrecht also nicht unbekannt, wurde aber vom Gesetzgeber bei der im Jahr 2006 erfolgten Reform nicht berücksichtigt, weil der Nachweis eines Schädigungsvorsatzes den Beweisaufwand erhöhen und dadurch die Effektivität des Gesetzes mindern würde.164

159 Tarling (1980) 70 Cr.App.R. 77 (111, 127, 133, 140); kritisch dazu Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 7-013; J. C. Smith, Theft, Conspiracy and Jurisdiction: Tarling’s Case [1979] Crim.L.R. 220 (225 f.). 160 Adams [1995] 1 W.L.R. 52 (65); Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 575. 161 Doukas [1978] 1 All E.R. 1061 (1064); Cooke [1986] A.C. 909 (920 f.). 162 Norris [2008] 1 A.C. 920 (933, 935); Goldshield [2009] 1 W.L.R. 458 (464). 163 Norris [2008] 1 A.C. 920 (947); Goldshield [2009] 1 W.L.R. 458 (464 f.); Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. A5.48; A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 19-22. Price fixing ist nach section 188(1) des Enterprise Act 2002 nunmehr ausdrücklich strafbar. 164 Vgl. Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.44.

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Vor allem aber verdeutlicht conspiracy to defraud, was es bedeutet, Strafbarkeit mit intrinsischen, rational nicht substantiierten Wertungen zu begründen. Strafbares Unrecht kann nicht nur durch überwiegend deskriptive, sondern auch durch eher normative Tatbestandsmerkmale kommuniziert werden. Bei letzteren ist dies aber nur dann möglich, wenn ihre Auslegung rationalen Erwägungen zugänglich ist, insbesondere einer Begründung über Verantwortungssphären.165 Inhalte werden hingegen dann nicht kommuniziert und es unterbleibt folglich eine rationale Strafbarkeitsbegründung, wenn die Strafbarkeit eines Verhaltens schlicht über eine moralisierende Bewertung von Verhalten begründet wird. Ein solcher Straftatbestand dient nicht der Kommunikation von Unrecht, sondern erlaubt es vielmehr – unter Verweis auf den ,gravierenden‘ Unwert eines Verhaltens – einerseits Strafe nachträglich zu begründen (also ein Verhalten ex post facto auch dann als strafbar zu behandeln, wenn es vom Gesetzgeber nicht antizipiert wurde), andererseits eine strafrechtliche Ahndung von Verhalten zu erleichtern, indem nämlich gegebenenfalls weniger rationale Gründe und Details der Tat, sondern eher moralische Wertungen den Gegenstand von Beweisaufnahme und Urteilsbegründung bilden. Strafe lässt sich gegenüber dem Bestraften dann aber nur mit dem Hinweis begründen, sein Verhalten habe gegen anerkannte sozialethische Grundsätze verstoßen, ohne die Sozialschädlichkeit und Strafwürdigkeit eines solchen Verstoßes näher zu begründen. Das Fehlen einer rationalen Begründung stellt jedoch nicht nur die Nachvollziehbarkeit der Bestrafung in Frage, sondern zugleich auch ihre Vorhersehbarkeit.

165

Vgl. oben § 1, II., 1., c).

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§3 Zur Relativierung tatbestandlichen Unrechts im Interesse flexibler Strafverfolgung: die Rechtsprechung zu theft Wie auch schon die dargestellten Täuschungsdelikte beinhaltet theft (Diebstahl) kein Erfolgsunrecht. Anders als bei ersterem konkretisiert das Gesetz hier zwar teilweise den Begriff der Unehrlichkeit. Doch hat die Rechtsprechung die tatbestandlichen Konturen derart relativiert, dass sich Aussagen zum Wesen des tatbestandlichen Verhaltens kaum noch treffen lassen. Im Interesse einer flexiblen Ahndung strafwürdigen Verhaltens verzichtet die Rechtsprechung nunmehr darauf, über das Merkmal der Unehrlichkeit dem Tatbestand einen eigenständigen normativen Aussagegehalt zu entnehmen. Diese Beobachtungen zu theft sind für die im Anschluss zu untersuchenden Delikte der mit dem Fraud Act 2006 vorgenommenen Reform bedeutsam. Denn wenn der Gesetzgeber – wie noch zu zeigen sein wird – dort im Interesse von Flexibilität der Strafverfolgung auf solche das tatbestandliche Unrecht klar benennende Tatbestände weitgehend verzichtet, so folgt er damit letztlich einer Rechtsprechung, die schon bei theft im Bestreben nach einer möglichst lückenlosen Ahndung strafwürdig erscheinenden Verhaltens eine Konturierung des tatbestandlichen Unrechts letztlich für weithin überflüssig erklärt hat. Gemäß section 1 des Theft Act 1968166 ist theft das unehrliche Aneignen eines fremden Vermögensgegenstandes mit dem Vorsatz, diesen dem anderen dauerhaft zu entziehen. Der Versuch der Tat ist strafbar, ebenso die Verabredung mindestens zweier Personen zu ihrer Begehung.167 Bis zum Inkrafttreten des Fraud Act 2006 war theft gemäß section 1 des Theft Act 1968 der wichtigste sich gegen unehrliches Verhalten richtende Straftatbestand. Er wurde durch die Reform unberührt gelassen. I. Vermögen Property umfasst bewegliches und unbewegliches Vermögen, einschließlich Ansprüche und andere Rechte.168 Erfasst werden damit auch Zahlungsverbindlichkeiten, Vermögensbeteiligungen, geistiges Eigentum und grundsätzlich alle 166 (1) Des Diebstahls macht sich schuldig, wer unehrlicherweise einen einem anderen gehörenden Vermögensgegenstand mit dem Vorsatz aneignet, diesen dem anderen dauerhaft zu entziehen; ,Dieb‘ und ,stehlen‘ sind entsprechend zu verstehen. (2) Unerheblich ist, ob die Aneignung im Hinblick auf Gewinnerzielung gemacht wird und ob sie dem Dieb selbst Nutzen bringen soll. (Übersetzung durch den Verfasser) Die Tat wird gemäß section 7 des Theft Act 1968 mit bis zu 7 Jahren Gefängnis bestraft. 167 Section 1 des Criminal Attempts Act 1981; section 1 des Criminal Law Act 1977. 168 Section 4(1) des Theft Act 1968.

§ 3 Relativierung tatbestandlichen Unrechts und flexible Strafverfolgung

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geldwerten handelbaren Berechtigungen.169 Von besonderem Interesse ist dabei theft des in einem Kontoguthaben zum Ausdruck kommenden Zahlungsanspruchs des Kontoinhabers gegen seine Bank.170 Diebstahl liegt demnach insbesondere vor, wenn ein zum Verfügen über ein fremdes Konto Bevollmächtigter unehrlicherweise von seiner Vollmacht Gebrauch macht, soweit dadurch das Guthaben verringert wird.171 Gleiches gilt für das Einlösen eines gültigen, aber rechtswidrig erlangten Schecks172 und für den Fall, dass der Täter die Überweisung durch Täuschung von Bankangestellten oder durch Manipulation des Computersystems der Bank herbeiführt.173 II. Einem anderen gehörig 1. Fremdheit Der fragliche Vermögensgegenstand muss zum Tatzeitpunkt einem anderen gehören (belonging to another).174 Dies ist dann anzunehmen, wenn eine andere Person Eigentum oder Besitz175 an beziehungsweise Kontrolle über den fraglichen Vermögensgegenstand hat oder ihr daran ein sonstiges beschränktes Recht zusteht.176 Besteht der fragliche Vermögensgegenstand in einem Anspruch oder sonstigen Recht, so muss eine andere Person Berechtigter sein. Fremder Besitz muss nicht berechtigt sein.177 Theft kann auch dann angenommen werden, wenn eine Sache dem Täter gehört und der Besitzer ihm kein Zurückbehaltungsrecht entgegensetzten kann, soweit er die Sache unehrlicherweise an sich nimmt.178 Hinsichtlich des zweckwidrigen Umgangs mit Gesellschaftsvermögen steht einer Strafbarkeit wegen theft zudem nicht entgegen, dass die Täter alleinige Gesell169 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-008; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.158. Vgl. Chan Nai-Keung [1988] Crim.L.R. 125 (126) zu theft von öffentlichrechtlichen Ausfuhrgenehmigungen. Auf Grundstücke findet theft nur dann Anwendung, wenn der Täter zur Grundstücksveräußerung ermächtigt ist; vgl. section 4(2)(a) des Theft Act 1968. 170 Hendricks [2003] EWCA 1040; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.161. Theft kann selbst bei einem überzogenen Konto vorliegen, soweit die Bank dem Kontoinhaber eine Überziehung vorab eingeräumt hat; vgl. Kohn (1979) 69 Cr.App.R. 395 (407); Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.160. 171 Kohn (1979) 69 Cr.App.R. 395 (405). 172 Ngan [1998] 1 Cr.App.R. 331 (337); Williams [2001] 1 Cr.App.R. 362 (369 f.). 173 Chan Man-Sin [1988] 1 W.L.R. 196 (199 f.); Levin [1997] Q.B. 65 (81 f.); kritisch Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-015. 174 Williams v. Philipps (1957) 41 Cr.App.R. 5 (7). 175 Zum erforderlichen Besitzwillen: Woodman [1974] Q.B. 754 (758); Rostron [2003] EWCA Crim 2206. 176 Section 5(1) des Theft Act 1968. 177 Turner (No 2) (1971) 55 Cr.App.R. 336 (339); Kelly [1999] Q.B. 621 (631). 178 Turner (No 2) (1971) 55 Cr.App.R. 336 (339); kritisch Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.191 f.

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schafter sind. Entscheidend ist lediglich, ob sie ehrlicherweise daran glauben, zur fraglichen Transaktion berechtigt zu sein.179 2. Treuhänderisch oder anderweitig anvertraut Fremdheit kann auch dann anzunehmen sein, wenn der Vermögensgegenstand zwar ausschließlich dem Täter zugeordnet ist, dieser etwa neben Besitz auch Eigentum an einer Sache erlangt hat, ein anderer aber im Innenverhältnis zu ihm daran ebenfalls berechtigt ist, soweit es sich dabei nicht lediglich um einen vertraglichen Anspruch auf Herausgabe handelt. Fremdheit ist insbesondere anzunehmen, wenn jemand dem Täter einen Vermögensgegenstand zur treuhänderischen Verwaltung übertragen hat.180 Theft ist demnach etwa hinsichtlich eines Kontoguthabens möglich, wenn ein anderer darin Gelder zu Kapitalanlagezwecken eingezahlt hat.181 Gleiches gilt, wenn ein Rechtsanwalt die für seinen Mandanten auf ein Anderkonto ausgezahlte Kreditvaluta nicht für die mit dem Kreditgeber vereinbarten Zwecke einsetzt.182 Fremdheit eines Vermögensgegenstandes ist auch dann anzunehmen, wenn der Täter diesen von einem anderen oder für einen anderen erlangt hat und dem anderen gegenüber rechtlich183 dazu verpflichtet ist, den Gegenstand oder dessen Erträge zu verwahren und damit in einer bestimmten Weise umzugehen.184 Der Täter muss den Vermögensgegenstand von seinem eigenen Vermögen bis zu seiner bestimmungsgemäßen Verwendung abgesondert halten.185 Dem steht nicht zwingend entgegen, dass er zwischenzeitlich zu dessen gewinnbringender Ver-

179 Attorney-General’s Reference (No. 2 of 1982) [1984] Q.B. 624 (642); Philippou [1989] Crim.L.R. 585 (586 f.); kritisch Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-033; Ormerod/ Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.212; J. C. Smith in [1989] Crim.L.R. 587 (589). Unproblematisch ist ein Einverständnis der Gesellschaft, da es darauf nach der Rechtsprechung bei theft nicht ankommt; vgl. Gomez [1993] A.C. 442 (496); Elliott, Directors’ Thefts and Dishonesty [1991] Crim.L.R. 729 (736). 180 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-037. Vgl. dazu Dyke and Munro [2002] 1 Cr.App.R. 404; Haley/McMurtry, Equity and Trusts, Rdn. 10.03; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.202. 181 Clowes (No. 2) [1994] 2 All.E.R. 316 (336). 182 Nathan [1997] Crim.L.R. 835 (836 f.). 183 Huskinson [1988] Crim.L.R. 620; Wain [1995] 2 Cr.App.R. 660 (665); Breaks [1998] Crim.L.R. 349 (350); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-060; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.228 ff. 184 Section 5(3) des Theft Act 1968. Eine solche Pflicht fehlt in der Regel bei lediglich als Bezahlung einer zukünftigen Leistung erlangtem Geld; vgl. Hall [1973] Q.B. 126 (130 f.). 185 Robertson [1977] Crim.L.R. 629; Wills (1991) 92 Cr.App.R. 297 (301); McHugh (1993) 97 Cr.App.R. 335 (339 f.); Ormerod/D. H. Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.236.

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wendung berechtigt oder verpflichtet ist, solange dabei weiterhin die Trennung von anderen Vermögensgegenständen gefordert bleibt.186 3. Rechtsgrundlose Zuwendung Wendet jemand einem anderen aufgrund eines Missverständnisses einen Vermögensgegenstand zu und erlangt der andere daran Eigentum beziehungsweise wird er Inhaber eines zugewandten Anspruchs, so ist Fremdheit anzunehmen, wenn er zivilrechtlich zur Rückübertragung des Vermögensgegenstandes, der daraus gewonnenen Erträge beziehungsweise zum Wertersatz verpflichtet ist.187 Erfasst werden dadurch etwa fehlerhafte Geldüberweisung und Fälle, in denen der Zuwendende irrtümlicherweise das Bestehen eines rechtlichen Grundes annimmt188 oder seiner Leistung täuschendes Verhalten des Empfängers zugrunde lag.189 III. Aneignung als normativ neutrales Tatbestandsmerkmal 1. Gebrauch eines Rechts des Eigentümers beziehungsweise des Rechtsinhabers Der Täter muss sich den fremden Vermögensgegenstand angeeignet haben (appropriates).190 Aneignung im Sinne des Theft Act 1968 geht dabei nach dem Verständnis der Rechtsprechung sehr weit und umfasst schon den Fall, dass der Täter von irgendeinem Recht an dem Vermögensgegenstand Gebrauch gemacht hat,191 worunter auch das Recht zum Zerstören beziehungsweise zum Erlöschenlassen192 zählt. Eine Aneignung kann also auch anzunehmen sein, wenn der Täter einen fremden dinglichen Gegenstand bereits in Besitz hat, dieser ihm etwa vom 186 Rader [1992] Crim.LR. 663 f.; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.234. Fremdheit kann selbst dann anzunehmen sein, wenn dem Täter die Einzahlung des erlangten Geldes auf sein eigenes Bankkonto erlaubt ist, falls dies zum Zweck einer sich daran anschließenden und dem vereinbarten Verwendungszweck entsprechenden Überweisung geschehen soll. Davidge [1984] Crim.L.R. 297 (298); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-058. Theft liegt dann etwa vor, wenn die Einzahlung auf ein überzogenes Konto erfolgt und die Bank für eine dem vereinbarten Zweck entsprechende Überweisung keinen Kredit zur Verfügung stellt; vgl. Kumar [2000] Crim.L.R. 504 f.; Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 9-059. 187 Section 5(4) des Theft Act 1968; Chase Manhattan Bank NA v. Israel-British Bank (London) Ltd. [1981] Ch 105 (119 f.); Shadrokh-Cigari [1988] Crim.L.R. 465; Webster [2006] EWCA Crim 2894, Para. 25; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-089; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.257 f. 188 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.261 ff. 189 Gresham [2003] EWCA Crim 2070, Para. 16. 190 Section 3(1) des Theft Act 1969. 191 Morris [1984] A.C. 320 (331 f.); Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.14 f. 192 Kohn (1979) 69 Cr.App.R. 395 (404 f.); Hilton [1997] 2 Cr.App.R. 445 (454).

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Eigentümer zur Nutzung überlassen wurde, soweit er sich über sein Besitzrecht hinausgehende Rechte des Eigentümers anmaßt.193 Der Täter kann sich eines gutgläubigen Tatmittlers bedienen.194 Auch ein Unterlassen kann eine Aneignung darstellen, wenn jemand einen fremden Vermögensgegenstand gutgläubig erlangt hat und er ihn trotz Kenntnis der Nichtberechtigung behält.195 Eine Aneignung scheidet jedoch hinsichtlich der Wahrnehmung solcher Rechte an einem Vermögensgegenstand aus, die der Täter entgeltlich 196 von einem Dritten erworben zu haben glaubte, soweit seine tatsächliche Nichtberechtigung auf der Nichtberechtigung des Dritten beruht.197 Die Tat muss nicht unmittelbar zu einem Entzug des Vermögensgegenstandes führen. Der Täter muss aber mit direktem Vorsatz dahingehend handeln, den konkreten Vermögensgegenstand dem Berechtigten zumindest zu einem späteren Zeitpunkt dauerhaft zu entziehen.198 Hinsichtlich eines Kontoguthabens kann appropriation und damit Tatvollendung bereits zum Zeitpunkt der Abgabe einer elektronischen Zahlungsanweisung beziehungsweise der Vorlage eines missbräuchlich gezeichneten Schecks gegenüber der Bank angenommen werden.199 Einer Strafbarkeit wegen theft an einem Anspruch steht dabei nicht entgegen, dass das Täterhandeln keine rechtliche Wirkung entfaltet.200 Veräußert ein Nichtberechtigter unter Vorspiegelung seiner Berechtigung einen dinglichen Gegenstand an einen gutgläubigen Erwerber, so liegt bereits im Übereignungsangebot eine appropriation, selbst wenn letzterer nicht wirksam Eigentum erlangt.201 193

Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.70 f. Stringer (1992) 94 Cr.App.R. 13 (17); Shuck [1992] Crim. L.R. 209; Hinks [2001] 2 A.C. 241. Im Einlösen eines täuschungsbedingt erlangten Schecks liegt eine Aneignung des bezogenen Kontoguthabens; vgl. Williams [2001] 1 Cr.App.R. 23 (369 f.); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-116 f. 195 Section 3(1) des Theft Act 1968; Ngan [1998] 1 Cr.App.R. 331 (336); Gresham [2003] EWCA Crim 2070, Rdn. 22; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.109 f. 196 Bei Unentgeltlichkeit ist theft auch bei nachträglicher Kenntniserlangung möglich; vgl. Adams [1993] Crim. L.R. 72; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.95. 197 Section 3(2) des Theft Act 1968. 198 Eine Anmaßung der Rechte des Eigentümers liegt etwa im Vertauschen von Preisschildern in einem Geschäft. Wenn der Täter damit im Anschluss den Kassierer täuschen will, so ist Unehrlichkeit sowie Entziehungsvorsatz und mithin (bereits vollendeter) theft zu bejahen; vgl. Morris [1984] A.C. 320 (332 f.); Gomez [1993] A.C. 442 (459); Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.18. 199 Osman (1990) 90 Cr.App.R. 281 (296); Ngan [1998] 1 Cr.App.R. 331 (335); Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.77 f. u. 2.80 f. 200 Chan Man-Sin v. Attorney-General of Hong-Kong [1988] 1 W.L.R. 196 (199 f.); Wille (1988) 86 Cr.App.R. 296 (302); Hilton [1997] 2 Cr.App.R. 445 (456); Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 9-100. 201 Pitham and Hehl (1977) 65 Cr.App.R. 45 (49); Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.84 u. 2.78. 194

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2. Einverständnis des Opfers grundsätzlich irrelevant Der Annahme einer appropriation steht nach Ansicht der Rechtsprechung nicht entgegen, dass das Opfer mit dem Handeln des Täters einverstanden ist und daran mitwirkt. Besitzerlangung an einem Gegenstand kann mithin auch trotz des diesbezüglichen Einverständnisses des Opfers theft darstellen, etwa wenn der Täter durch Vorlage wertloser Schecks zur Inbesitznahme von Waren ermächtigt wird. Dies gilt auch dann, wenn auf den Täter wirksam Eigentum übergeht.202 Appropriation liegt zudem schon darin, dass der mit Entziehungsvorsatz handelnde zahlungsunwillige Täter in einem Supermarkt Waren aus einem Regal nimmt.203 Erlangt der Täter mit dem Einverständnis des ursprünglich Berechtigten Eigentum an einem Gegenstand, so kann eine appropriation und demnach theft selbst dann zu bejahen sein, wenn der Eigentumsübergang zivilrechtlich wirksam ist und nicht angefochten werden kann. Veranlasst etwa der Täter eine schutzbedürftige Person zu einer Schenkung, so kann in deren Annahme theft auch dann liegen, wenn der Schenkende weder getäuscht wurde, noch eine zur Unwirksamkeit der Schenkung führende Einschränkung der Geschäftsfähigkeit vorlag. Nach Ansicht der Rechtsprechung kann bei einem Konflikt zwischen Zivilrecht und Strafrecht nicht von einer grundsätzlichen Vorzugswürdigkeit der zivilrechtlichen Lösung ausgegangen werden. Entscheidend ist demnach lediglich, ob hinsichtlich des Verhaltens des Täters dishonesty zu bejahen ist. Diese Lösung bringe für die gerichtliche Praxis zudem den Vorteil mit sich, dass sich damit in vielen Fällen das Erläutern schwieriger zivilrechtlicher Fragen gegenüber der Jury erübrigt.204 IV. Unehrlichkeit: Strafbarkeitsbegründung über die Absichten des Täters Da die Rechtsprechung den Begriff der Aneignung äußerst weit ausgedehnt hat, kommt es für eine Strafbarkeit nunmehr entscheidend auf die Unehrlichkeit des Täters an (dishonestly appropriates).205 Der Täter muss zudem mit direktem Vorsatz handeln, den Vermögensgegenstand dem anderen dauerhaft zu entziehen. Grundsätzlich unerheblich ist, dass er dem anderen einen gleichwertigen oder gar gleichartigen Gegenstand zukommen lassen will.206 Dies kann aber unter Um202 Lawrence [1972] A.C. 626 (631); Gomez [1993] A.C. 442 (460); dazu Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 9-123 f. Anders noch Skipp [1975] Crim L.R. 114; Fritschy [1985] Crim. L.R. 745; Morris [1984] A.C. 320 (332); kritisch dazu Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.25. Vgl. auch Lord Lowry (dissenting) in Gomez [1993] A.C. 442 (475 ff.). 203 McPherson [1973] Crim. L.R. 191; McHugh (1976) 64 Cr.App.R. 92 (94). 204 Hinks [2001] 2 A.C. 241 (252 f.); kritisch Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.43 ff.; zustimmend aber Shute, Crim. L.R. 2002, 445 (454). 205 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.271; vgl. dazu § 1, II., 3. 206 Section 2(2) des Theft Act 1968.

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ständen für das Vorliegen von dishonesty relevant sein.207 Unehrlichkeit scheidet aber aus, wenn der Täter von einem Recht ausgeht, den Vermögensgegenstand dem anderen zu entziehen.208 V. Infragestellung der Bedeutung des materiellen Rechts Indem sie theft auch bei einer Aneignung mit Einverständnis des Opfers als einschlägig erachtet, hat die Rechtsprechung das ursprüngliche Wesensmerkmal des tatbestandlichen Verhaltens dieses Delikts letztlich aufgegeben, nämlich den Entzug fremden Vermögens ohne Einverständnis des Vermögensinhabers.209 Vielmehr soll schon jeder (mit oder ohne Einverständnis des Berechtigten getätigte) Gebrauch irgendeines Rechts den Tatbestand erfüllen können, soweit dies in unehrlicher Absicht und mit Entzugsvorsatz geschieht. Nicht erst ein objektiv sozialschädliches tatbestandliches Verhalten begründet Strafbarkeit, sondern schon ein für sich betrachtet neutrales Verhalten, soweit es in unehrlicher Absicht begangen wird. Dass es der Rechtsprechung weniger um die Identifizierung von Verhaltensgeboten geht, sondern vielmehr um die möglichst lückenlose Bestrafung von sich unmoralisch verhaltenden Tätern, bestätigt sich dadurch, dass sie Strafbarkeit auch hinsichtlich zivilrechtlich wirksamer Rechtsgeschäfte annimmt. Soweit der Täter unehrlich ist, kann Verhalten also auch dann als vollendeter theft strafbar sein, wenn es abgesehen von den unehrlichen Absichten des Täters weder gegen ein strafrechtliches noch ein anderes rechtliches Verbot verstößt.210 Die Rechtsprechung geht hier offenbar davon aus, auf ein ausdifferenziertes, normative Inhalte kommunizierendes materielles Recht verzichten zu können. Zwar erkennt sie, dass eine derartige Entgrenzung des Tatbestandes Anlass geben könnte, eine Vielzahl von kaum strafwürdigen Verhalten vom Tatbestand erfasst anzusehen. In solchen Fällen sei eine Anklageerhebung aber unwahrscheinlich. Das Tatbestandsmerkmal der Unehrlichkeit biete zudem vor einer Jury ausreichenden Schutz gegen eine exzessive Anwendung des Straftatbestandes. Würde man das Gesetz hingegen enger ausgelegen, so führte dies dazu, dass solche Täter nicht erfasst würden, die angesichts ihrer Unehrlichkeit schuldig gesprochen werden sollten.211

207 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 9-133; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.287. 208 Section 2(1)(a) des Theft Act 1968; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 2.271 ff. 209 Vgl. Lawrence [1972] A.C. 626 (631). 210 Vgl. Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 2.11: „theft is now an offence of dishonestly receiving property belonging to another by any means, lawful or unlawful.“ 211 Hinks [2001] 2 A.C. 241 (252).

§ 3 Relativierung tatbestandlichen Unrechts und flexible Strafverfolgung

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Die Rechtsprechung zu theft ist mithin deshalb von besonderem Interesse, weil in ihr die Rolle des materiellen Strafrechts im Interesse größerer Verfolgungsflexibilität unmissverständlich relativiert wird. Wichtig ist demnach nicht eine klare gesetzliche Kommunikation strafbaren Verhaltens, sondern seine Identifizierung durch die Strafverfolgungspraxis und letztlich durch das Werturteil einer Jury. Die Beibehaltung eines aussagekräftigen Straftatbestandes wird als nicht erstrebenswert erachtet, wenn seine dahingehende Auslegung die Ahndung von moralisch strafwürdigem Verhalten verhinderte. Weist die Rechtsprechung zu theft dem materiellen Strafrecht demnach nicht die Aufgabe zu, strafbewehrte Verhaltensgebote zu kommunizieren, geht es vielmehr lediglich um eine Begrenzung der Strafverfolgungspraxis, so lässt dies drei Schlussfolgerungen zu. Einerseits sieht die Rechtsprechung im materiellen Strafrecht – jedenfalls soweit es um den unehrlichen Umgang mit fremden Vermögen geht – kein Medium generalpräventiver Kommunikation. Zudem findet bei theft für die Auslegung des Straftatbestandes in den Augen der Rechtsprechung die Frage keine Berücksichtigung, inwieweit die Konturierung von Straftatbeständen Auswirkungen auf eine insbesondere kriminalpolitisch kohärente Strafverfolgungspraxis hat. Schließlich ist festzustellen, dass schon bei theft Gesetzgeber und Rechtsprechung es für unproblematisch erachten, unter ein und denselben Straftatbestand sehr unterschiedliches Unrecht zu fassen (Gewahrsamsbruch, Missbrauch von Verfügungsmacht, Vertrauensmissbrauch, Verleitung schutzbedürftiger Personen zu schädigenden Verfügungen) und dies mit ein und demselben Begriff zu kennzeichnen. Einmal mehr – nämlich im Hinblick auf die Art der Stigmatisierung des Verurteilten – wird daran deutlich, dass hier die kommunikative Funktion des Strafrechts als eher unerheblich angesehen wird, in den Augen der Rechtsprechung jedenfalls kaum eine Beschränkung von Verfolgungsflexibilität zu rechtfertigen vermag.

60 Teil 1: Auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtendes Kernstrafrecht

§4 Straftatbestände als äußere Grenzen einer ermessensgeleiteten Strafverfolgung: die Kerntatbestände des Fraud Act 2006 Noch weniger als beim bisherigen Recht212 war der Gesetzgeber bei der Schaffung des neuen Rechts daran interessiert, das materielle Strafrecht inhaltlich zu begrenzen. Dominierend war vielmehr der Wunsch, durch eine möglichst weite Fassung der neuen Tatbestände alle jene als strafwürdig erachteten Konstellationen zu erfassen, deren Ahndung sich bisher als schwierig darstellte. Die Erwartung einer vernünftigen Ausübung verfolgungsbehördlichen Ermessens in Verbindung mit der Möglichkeit der Anrufung einer Jury wurde gegenüber Befürchtungen hinsichtlich einer zu extensiven Anwendung der neuen Gesetzgebung als ausreichende Sicherheit angesehen. Flexibilität der Strafverfolgung bei der Bekämpfung betrügerischen Unrechts ist Kernanliegen der Reform. Die Tatbestände sind deshalb nicht geeignet, das Handeln der Strafverfolgungsbehörden vorzuzeichnen. Kriminalpolitik – insbesondere die Identifizierung des einer Anklage unter dem Fraud Act 2006 im konkreten Fall zugrundeliegenden öffentlichen Interesses – wird vom Gesetzgeber offensichtlich als Angelegenheit der Exekutive betrachtet. In der Regel wird der Kern des an den Täter gerichteten Vorwurfs darin bestehen, fremde Vermögensinteressen geschädigt oder gefährdet zu haben. Der fehlende tatbestandliche Bezug zu Erfolgsunrecht sowie das Fehlen anderer tatbestandsbegrenzender Erfolgsmerkmale erlaubt jedoch eine strafrechtliche Ahndung von Verhalten unter dem Fraud Act 2006 grundsätzlich auch dann, wenn jene durch eine Täuschung oder einen Vertrauensbruch infrage gestellten Interessen nicht fremdes Vermögen betreffen. Aber auch soweit solches unter das neue Recht fallende Verhalten die Beeinträchtigung fremden Vermögens betrifft, überlässt der Gesetzgeber die Identifizierung strafwürdigen Verhaltens in weitem Umfang den Strafverfolgungsbehörden. Denn Folge einer um ein hohes Maß an Flexibilität bemühten Gesetzgebung ist es, dass sich den neuen Tatbeständen die Phänotypik des jeweiligen tatbestandlichen Verhaltens kaum entnehmen lässt. Die Tatbestände begrenzen tatbestandliches Verhalten, verzichten aber darauf, dessen zu seiner Identifizierung notwendigen Wesensmerkmale zu verdeutlichen. Vielmehr bleibt es weiterhin bei einer im Kern moralischen Bewertung von Verhalten. Es ist den Strafverfolgungsbehörden überlassen, diese Bewertung vorzunehmen – unter Berücksichtigung kriminalpolitischer Erwägungen und der Tatsache, dass im Bestreitensfall eine Jury diese Bewertung nachvollziehen muss.

212 Vgl. dagegen etwa noch die bewusste Entkriminalisierung eines täuschungsbedingten Zahlungsaufschubs durch die Streichung von section 16(2)(a) des Theft Act 1968 im Theft Act 1978.

§ 4 Straftatbestände als Grenzen einer ermessensgeleiteten Strafverfolgung

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Der Fraud Act 2006 stellt mithin ein Recht dar, welches kaum noch Inhalte kommuniziert, sondern vielmehr einen Rahmen schafft, innerhalb dessen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte strafbares Verhalten konkretisieren dürfen. Der englische Gesetzgeber ging davon aus, auf eine weitergehende Bestimmung des inkriminierten Verhaltens verzichten zu können, weil die Jury eine wirksame Begrenzung des materiellen Rechts darstelle. Konsens zwischen Strafverfolgungsbehörden und Richter insbesondere hinsichtlich der Bejahung normativer Tatbestandsmerkmale genügt für eine Bestrafung eben noch nicht, sofern der Beschuldigte auf einer Hauptverhandlung vor Geschworenen besteht. I. Inhalt der Reform Mehrere Beweggründe lagen der im Jahre 2006 erfolgten Reform des Betrugsstrafrechts zugrunde. Einerseits wurde eine Vereinfachung der als zu technisch, unflexibel und für Jury wie für Anklagebehörden schwer verständlichen Tatbestände des Theft Act 1968 und des Theft Act 1978 gefordert.213 Zudem waren letztere nicht an das moderne Wirtschaftleben und an die durch neue Technologien ermöglichten modernen Betrugsmethoden angepasst,214 weshalb zur Lückenschließung weiterhin dem richterrechtlichen Tatbestand der conspiracy to defraud erhebliche Bedeutung zukam. Diese allerdings stand wegen ihrer mangelnden Bestimmtheit in der Kritik.215 Forderungen nach Schaffung eines umfassenden Betrugstatbestandes verbanden sich mit Forderungen nach Abschaffung der conspiracy to defraud.216 Letztere konnten sich aber nicht durchsetzen, da damit dem Strafrecht die Flexibilität genommen würde, auf die Entstehung neuer Formen strafwürdigen Verhaltens zu reagieren.217 Der breite parlamentarische Unterstützung erfahrende218 Fraud Act 2006219 enthält drei Kernstraftatbestände zu betrügerischen und veruntreuenden Verhal213

Vgl. Grieve, Hansard, HC, col. 546 f. (12. Juni 2006). Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 6.7. Zur Gesetzesauslegung unter Zugrundelegung der dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren vorangehenden Gutachten der Law Commission (einem unabhängigen Expertengremium des Parlaments, welches unter anderem auf Initiative des zuständigen Fachministers Vorschläge für gesetzgeberische Reformvorhaben erarbeitet), vgl. Pepper v. Hart [1993] A.C. 593; Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 46. 215 Vgl. § 2, I. 216 Law Commission, Conspiracy to Defraud, Law Com. No. 228 (1994), Rdn. 4.1 ff.; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Rdn. 1.6, 5.57; Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 7-032; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.71 ff. 217 Attorney-General, Hansard, HL, col. 1437 ff. (19. Juli 2005); Home Office, Fraud Law Reform, Responses to Consultation (2004), Rdn. 39 ff.; kritisch Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 5.73 ff.; vgl. schon J. C. Smith, Conspiracy to Defraud: Some Comments on the Law Commission’s Report [1995] Crim.L.R. 209 (212). 218 Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 4; Coaker, Hansard, HC, col. 579 (12. Juni 2006). 214

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ten, nämlich fraud by false representation (Betrug durch unrichtige Erklärung, section 2), fraud by failing to disclose information (Betrug durch Nichtoffenlegung, section 3) und fraud by abuse of position (Betrug durch Vertrauensmissbrauch, section 4). Im Folgenden nicht weiter problematisiert werden die darüber hinaus enthaltenen Straftatbestände, nämlich obtaining services dishonestly (unehrliches Erlangen von Dienstleistungen) gemäß section 11, die Teilnahme an betrügerischen Geschäftsgebaren (participating in fraudulent business carried on by sole trader) gemäß section 9, der Besitz von für die Begehung von Betrug vorgesehenen Gegenständen (possession of articles for use in frauds) gemäß section 6 sowie die Herstellung oder Verbreitung solcher Gegenstände (making or supplying articles for use in frauds) gemäß section 7. Der Fraud Act 2006 benutzt den Begriff fraud als einen Sammelbegriff für unehrliches Verhalten, ohne ihn jedoch auf der Ebene der einzelnen Tatbestände zu verwenden oder ihn anderweitig zu definieren.220 Fraud, so wurde im Gesetzgebungsverfahren angenommen, solle in einem umgangssprachlichen und nicht einem rechtsspezifischen Sinne verstanden werden. Es müsse dem juristischen Laien als ein außergewöhnlicher Zustand erscheinen, dass nach dem alten Recht zuweilen betrügerisches Verhalten nur deshalb nicht strafrechtlich erfasst werde, weil es nicht unter einen der bestehenden Tatbestände falle.221 Die Höchststrafe beträgt bei fast allen Tatbeständen des Fraud Act zehn Jahre Freiheitsentzug.222 Lediglich für das unehrliche Erlangen von Dienstleistungen und den Besitz von für die Begehung von Betrug vorgesehenen Gegenständen gilt das niedrigere Höchststrafmaß von fünf Jahren.223 Der Versuch ist bei allen Delikten des Fraud Act strafbar.224 Ebenfalls strafbar ist die Verabredung zumindest zweier Personen zu Begehung der Tat.225 II. Fraud by false representation Section 2 des Fraud Act 2006 lautet: (1) A person is in breach of this section if he – (a) dishonestly makes a false representation, and 219 In Kraft getreten zum 15. Januar 2007; vgl. section 15(1) des Fraud Act 2006; Fraud Act 2006 (Commencement) Order 2006, SI 2006/3200. 220 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.03. 221 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.4 f.; vgl. auch die Stellungnahme des Attorney-General im Parlament, Hansard, HL, col. 1652 ff. (22. Juni 2005). 222 Section 1(3)(b) des Fraud Act 2006. 223 Sections 11(3)(b) und 6 (2)(b) des Fraud Act 2006. 224 Section 1 des Criminal Attempts Act 1981. 225 Section 1 des Criminal Law Act 1977.

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(b) intends, by making the representation – (i) to make a gain for himself or another, or (ii) to cause loss to another or to expose another to a risk of loss. (2) A representation is false if – (a) it is untrue or misleading, and (b) the person making it knows that it is, or might be, untrue or misleading. (3) ,Representation‘ means any representation as to fact or law, including a representation as the state of mind of – (a) the person making the representation, or (b) any other person. (4) A representation may be express or implied. (5) For the purpose of this section a representation may be regarded as made if it (or anything implying it) is submitted in any form to any system or device designed to receive, convey or respond to communications (with or without human intervention).226 1. Überblick Section 2 erfasst die Abgabe einer ausdrücklich oder konkludent unrichtigen Erklärung. Vollendung dieses Tatbestandes ist bereits zum Zeitpunkt der Abgabe einer mit direktem Gewinnerzielungs- oder Verlustbewirkungsvorsatz erfolgten Erklärung anzunehmen. Auf das Hervorrufen eines Irrtums sowie auf das tatsächliche Bewirken eines Gewinns oder eines Verlusts kommt es nicht an.227 Es 226

(1) Diese section verletzt, wer (a) unehrlicherweise eine unrichtige Erklärung abgibt, und (b) beabsichtigt, durch die Erklärung (i) einen Gewinn für sich oder einen anderen zu bewirken, oder (ii) bei einem anderen einen Verlust herbeizuführen oder einen anderen der Gefahr eines Verlusts auszusetzen. (2) Eine Erklärung ist unrichtig, wenn sie (a) unwahr oder irreführend ist, und (b) der sie Abgebende weiß, dass sie unwahr oder irreführend ist oder sein könnte. (3) ,Erklärung‘ meint jede Erklärung hinsichtlich einer Tatsache oder Rechtsfrage, und umfasst auch eine Erklärung bezüglich des Innenlebens (a) des die Erklärung Abgebenden, oder (b) einer anderen Person. (4) Eine Erklärung kann ausdrücklich oder konkludent sein. (5) Eine Erklärung im Sinne dieser section kann auch dann als abgegeben gelten, wenn sie (oder das sie konkludent Enthaltende) in irgendeiner Form gegenüber einem System oder einer Anlage abgegeben wird, welche dafür vorgesehen ist, Kommunikation (mit oder ohne menschlichem Zutun) zu empfangen, zu übermitteln oder darauf zu reagieren. (Übersetzung durch den Verfasser) 227 Beachte, dass die Zuständigkeit englischer Strafgerichte auch dann gegeben ist, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und tatsächlich zu einem Gewinn oder Ver-

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handelt sich also nicht um ein Erfolgsdelikt.228 Unwesentlich ist somit auch, dass sich der Adressat einer Erklärung über ihre Unwahrheit im Klaren ist oder ihrem Inhalt keine Bedeutung beimisst.229 Versuchsstrafbarkeit ist demnach von nur eingeschränkter Relevanz, kann aber insbesondere bei Abgabe einer inhaltlich objektiv zutreffenden Erklärung angenommen werden, sofern der Abgebende sie irrtümlich für unwahr hält.230 Durch den tatbestandlichen Verzicht auf einen Schädigungsvorsatz soll ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs vor allem die Beweisführung vereinfacht werden. Zwar sei es möglicherweise unpassend, auch jene Fälle als fraud zu bezeichnen, in denen unehrliches Verhalten unschädlich sei. Auf einen jeden dieser Ausnahmefälle komme aber eine Vielzahl von Konstellationen, in denen ein Verlust zwar schwer zu identifizieren, nichts desto trotz aber real sei. Dass der Täter mit Gewinnvorsatz gehandelt habe, sei nicht an sich der Grund der Unterstrafestellung, wohl aber ein offensichtliches Symptom von Verhalten, welches sich bei genauerem Hinsehen als sozialschädlich darstelle.231 Erübrigt hat sich auch die unter dem alten Recht vielfach problematisierte Frage, ob beim Opfer tatsächlich ein Irrtum hervorgerufen wurde. Im Gesetzgebungsverfahren wurde der Wechsel vom Tatbestandsmerkmal der „Täuschung“ (deception) nach altem Recht zu „unrichtige Erklärung“ (false representation) hauptsächlich mit jenen Fällen begründet, in denen der fragliche Umstand für den Erklärungsadressaten ohne Bedeutung ist und deshalb diesbezüglich selbst eine unterbewusste Zurkenntnisnahme des Erklärungsinhalts nur schwer angenommen werden kann, etwa beim Missbrauch von Kreditkarten. Hinsichtlich letzterem soll nunmehr gelten, dass der Täter durch Vorlage der Karte konkludent seine Nutzungsberechtigung erklärt und dadurch eine false representation

lust im Inland führte; vgl. section 14(1) des Fraud Act 2006 i.V. m. Para. 25 Schedule 1. Ein dahingehender Vorsatz allein genügt zur Begründung nationaler Zuständigkeit bei Auslandstaten hingegen noch nicht; vgl. section 2 des Criminal Justice Act 1993; Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.10; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.13 f. 228 Kritisch Ormerod, The Fraud Act 2006 – Criminalising Lying? [2007] Crim. L.R. 193 (197). 229 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.51. 230 Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.3. 231 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.49: „In our view, however, the law should take a robust and realistic line on this issue. It may be that, where a person’s dishonest conduct has genuinely caused no harm whatsoever to anyone else, that conduct is not appropriately described as fraud. However, for every case where this is truly so, there will be many where the loss to others is hard to identify but is none the less real. [. . .] The fact that the defendant has dishonestly made a gain is not itself the reason for criminalising the defendant’s conduct. It is, however, the obvious and visible symptom of conduct which, on closer inspection, proves to be anti-social in less obvious ways.“

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abgibt. Irrelevant ist demnach, ob sich der die Karte akzeptierende Händler über diesen Umstand Gedanken macht.232 2. False representation Der Täter muss eine unrichtige Erklärung abgeben. Gemäß der gewöhnlichen Bedeutung dieses Begriffs ist eine Abgabe in Richtung wenigstens einer anderen Person beziehungsweise in Richtung einer unbestimmten Vielzahl von Personen notwendig.233 Nach der Begründung des Gesetzentwurfs ist zudem die Möglichkeit einer Kenntnisnahme durch den potentiellen Adressatenkreis zu fordern.234 In Anbetracht des Fehlens eines dahingehenden Tatbestandsmerkmals ist aber nicht davon auszugehen, dass eine tatsächliche Zurkenntnisnahme durch den Adressaten notwendig ist.235 Vollendet ist eine Tat nach section 2 daher unter anderem auch dann, wenn auf einer Website unehrlicherweise zur Übermittlung vertraulicher Daten (insbesondere von Passwörtern) auffordert wird, ohne dass es des Nachweises einer tatsächlichen Kenntnisnahme dieser Erklärung durch potentielle Opfer bedarf.236 a) Ausdrückliche oder konkludente Erklärung Wie schon unter dem alten Recht kann eine Erklärung sowohl ausdrücklich als auch konkludent (express or implied),237 also auch durch schlüssiges Verhalten 232 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.16; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.98. Zurückhaltender Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-064, -70: hinsichtlich solcher für den Adressaten unwesentlichen Umstände bleibe die Annahme einer konkludenten Erklärung problematisch, insbesondere, weil der Vorsatz des Täters das Kausalitätselement enthalten müsse, einen Gewinn bzw. Verlust gerade durch die false representation herbeizuführen. 233 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-082; Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.12; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.62. 234 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.55. 235 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.63 f. sehen ein zu erwartendes weites Verständnis durch die Rechtsprechung in der Entscheidung DPP v. Collins [2007] Crim. L.R. 98 bestätigt. Dort ging es um section 127(1)(a) des Communications Act 2003, wonach das Versenden beleidigender Äußerungen über ein öffentliches elektronisches Kommunikationssystem strafbar ist. Die Vorinstanzen hatten als Zweck der Vorschrift den Schutz des Empfängers vor entsprechenden Äußerungen angenommen. Das House of Lords widersprach dieser Ansicht. Zweck der Vorschrift sei vielmehr, die Benutzung von durch die Allgemeinheit finanzierten Diensten zur Kommunikation von objektiv ihren grundlegenden Werten zuwiderlaufenden Äußerungen zu verbieten. Angesichts fehlender entsprechender Anhaltspunkte im Tatbestand könne es deshalb weder auf den Empfang entsprechender Äußerungen, noch darauf ankommen, ob ein Adressat tatsächlich beleidigt sei. 236 Sog. Phishing, vgl. Home Office Explanatory Notes, Para. 16. Zur Bedeutung von Explanatory Notes für die Gesetzesauslegung, vgl. National Asylum Support Service [2002] 1 W.L.R. 2956 (2959), Montila [2004] 1 W.L.R. 3141 (3151). 237 Section 2(4) des Fraud Act 2006.

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erfolgen.238 Da es nicht auf eine tatsächliche Irrtumserregung ankommt, kann eine bestimmte Erklärung schon dann angenommen werden, wenn dem Verhalten des Täters ein entsprechender Erklärungsinhalt zumindest konkludent entnommen werden kann, was im Bestreitensfall eine Frage für die Jury darstellt.239 Nach der Begründung des Gesetzentwurfs zum Fraud Act hat diese sich dabei am Maßstab eines objektiven Betrachters zu orientieren. Es kommt also nicht darauf an, dass der Erklärungsadressat dem Täterhandeln tatsächlich diese Bedeutung beigemessen hat oder haben würde.240 Allerdings findet das Verständnis eines Adressaten insoweit Berücksichtigung, als sich regelmäßig nur dadurch bestimmen lässt, welche Umstände Gegenstand der Erklärung sein können.241 Kritisiert wird hierbei, das neue Tatbestandsmerkmal representation mache die Rechtslage unklarer. Durch das Abstellen des alten Rechts auf eine Irrtumserregung sei es dort nicht zwingend erforderlich gewesen, in das Verhalten des Täters eine Erklärung hineinzuinterpretieren. Relevant war lediglich die Frage, ob er einen Irrtum hervorgerufen hatte. Das nunmehrige Erfordernis einer dem Täterhandeln oftmals auch konkludent kaum entnehmbaren Erklärung wirke demgegenüber mitunter künstlich und sei untransparent.242 Man kann aber davon ausgehen, dass das einen Irrtum erregende Verhalten im Sinne des alten Rechts in der Regel auch von false representation erfasst wird.243 b) Gegenstand der Erklärung Der Inhalt einer Erklärung kann sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen beziehen.244 Auch Tatsachen aus dem Innenleben des Erklärenden oder eines Dritten werden erfasst,245 etwa konkludente Erklärungen über die Leistungsabsicht des Erklärenden. Meinungen können ebenfalls unproblematisch Gegenstand einer Erklärung sein. Leistungsversprechen stellen wie bisher eine Erklärung über die Leistungsabsicht des Versprechenden dar. Zweifelt ein Schuldner trotz Leistungsabsicht an seiner zukünftigen Leistungsfähigkeit, so kann darin sowohl eine Erklärung über die gegenwärtige objektive Leistungs-

238 Home Office Explanatory Notes, Para. 15; Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 7; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-027; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.93. 239 Adams [1993] Crim.L.R. 525 (526); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-067. 240 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.16. 241 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.110. 242 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-064. 243 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.93. Vgl. § 1, II., 1., a). 244 False representation bzgl. Rechtsfragen erfasst nach Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-015, etwa die wahrheitswidrige Verneinung von Gewährleistungspflichten. 245 Section 2(3) des Fraud Act 2006. Zum alten Recht, vgl. § 1, II., 1., b).

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wahrscheinlichkeit liegen, als auch über seine diesbezügliche subjektive Meinung.246 Da es zur Feststellung einer representation lediglich auf die Sicht eines objektiven Betrachters ankommt und der fragliche Erklärungsinhalt dem Adressaten nicht einmal bewusst zu sein braucht, können dem Verhalten eines Täters in der Regel eine Vielzahl von Erklärungsinhalten entnommen werden. Erfasst sind demnach insbesondere solche Umstände, die für den Adressaten von Relevanz sind, deren Vorliegen er sich aber nur unterbewusst oder gar nicht vergegenwärtigt. Entscheidend ist lediglich, dass der Täter den Gewinn oder Verlust durch die entsprechende Vorspiegelung erreichen will. Allerdings kann die Unwesentlichkeit des Erklärungsgegenstands gegebenenfalls zur Verneinung von dishonesty führen.247 Für den konkreten Fall nicht mit Sicherheit vorhersehbar ist insbesondere, inwieweit Geschworene im Bestreitensfall dem Täterhandeln auch dann eine konkludente Erklärung entnehmen werden, wenn das Verschweigen einen Umstand betrifft, welcher für den Adressaten selbst unwesentlich ist, allerdings die Interessen eines Dritten berührt. Der Fraud Act eröffnet diesbezüglich einen weiten Beurteilungsspielraum, wobei es sich letztlich aber ebenfalls um eine Tatsachenfrage für die Jury handelt. So ist zwar dem Gesetzgebungsverfahren klar zu entnehmen, dass die missbräuchliche Nutzung von Kreditkarten vom Tatbestand der section 2 erfasst werden soll.248 Auch hier kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine Jury unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls letztlich das Vorliegen einer konkludenten Erklärung verneint.249 Das nunmehr geltende Recht geht letztlich sehr weit. Bei einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung kann man der Nichtaufklärung über für den Adressaten wesentliche Umstände objektiv unter Umständen entnehmen, dass solche nicht vorliegen, dass alles so sei, wie es sein solle. Es ist fraglich, inwieweit die Rechtsprechung herbei gewillt ist, dem Beurteilungsspielraum der Jury Grenzen zu setzten. Schon unter dem alten Recht hatte sie mitunter zu einem ähnlich weiten Verständnis täuschenden Handelns tendiert.250 So wurde etwa beim Tausch ausländischer Valuta im Vorlegen veralteter Banknoten eine konkludente Erklärung dahingehend angenommen, es handele sich um gültige Banknoten.251 Auch werde bei einer Kontoüberweisung gegenüber der Bank konkludent erklärt, letz246 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-016 f. Bei nachträglicher Aufgabe des Versprechens kommen unter Umständen section 3 oder section 4 des Fraud Act 2006 in Betracht. 247 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.112. 248 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.16. 249 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-068 unter Verweis auf Charles [1977] A.C. 177 (187). 250 Vgl. § 1, II., 1., a). 251 Williams (Jean-Jacques) [1980] Crim. L.R. 589.

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tere schulde dem Anweisenden tatsächlich den im Kontoguthaben zum Ausdruck kommenden Betrag.252 Diese Entscheidungen waren nach altem Recht insofern problematisch, als dort eine Irrtumserregung beim Adressaten notwendig war. Unter dem Fraud Act sind solche Feststellungen durch die Jury nunmehr unproblematisch möglich, wenn auch nicht zwingend. Zwar gilt im englischen Vertragsrecht weiterhin der Grundsatz, dass die Parteien vorvertraglich lediglich zum Unterlassen einer aktiven Täuschung verpflichtet sind, sie gemäß des Grundsatzes caveat emptor aber nicht von sich aus die andere Seite über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von für letztere wesentlichen Umständen aufklären müssen.253 Doch kann dieser Grundsatz durch die extensive Annahme konkludenter Täuschungen in weitem Umfang relativiert werden. Eine unwahre Darstellung kann grundsätzlich schon dann angenommen werden, wenn der Täter etwas in unehrlicher Absicht tut, sofern das Täterhandeln für potentielle Adressaten wahrnehmbar ist.254 Unehrlichkeit des Täters ist demnach in Ermangelung anderer aussagekräftiger Tatbestandsmerkmale in section 2 entscheidendes Kriterium für eine Bejahung der Strafbarkeit.255 c) Unrichtigkeit Die Erklärung muss unwahr oder irreführend (untrue or misleading) sein. Durch misleading können solche Fälle erfasst werden, in denen die Erklärung objektiv nicht notwendigerweise unwahr ist, aber falsch verstanden werden kann.256 Gerade im Bereich kommerzieller Werbung führt dies zu einem potentiell weiten Anwendungsbereich der Vorschrift.257 Geht der Täter jedoch nicht 252

Thompson [1984] 1 W.L.R. 962 f.; Hamilton (1990) 92 Cr.App.R. 54 (59). Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 10; McKendrick, Contract Law, S. 600. 254 Jenkins, Hansard, HC, col. 553 (12. Juni 2006); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4042 f. 255 Ormerod, The Fraud Act 2006 – Criminalising Lying? [2007] Crim. L.R. 193 (201): section 2 beschreibe an sich kein den Rückgriff auf das Strafrecht rechtfertigendes moralisch verwerfliches Verhalten, sondern lediglich Lügen. Lügen (lying) könne man aber auch als Unehrlichkeit (dishonesty) bezeichnen. Letztlich sei mithin die Annahme vertretbar, dishonesty sei das einzige wirkliche Tatbestandsmerkmal von section 2. 256 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-089 bezweifeln jedoch, dass die Bedeutung von misleading über eine konkludente untrue representation hinausgeht. 257 Handelt es sich um eine betrügerische Werbeaussage, so wird diese in der Regel unter den Consumer Protection from Unfair Trading Regulations 2008 verfolgt (Höchststrafe zwei Jahre Freiheitsentzug; vgl. regulation 13). Ein Rückgriff auf obtaining property kommt aber insbesondere dann in Betracht, wenn das fragliche Verhalten außerhalb von Handel und Gewerbe stattfindet oder die Schwere der Tat die höhere Strafandrohung des Theft Act 1968 nahe legt. Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn der Täuschende an den Getäuschten herangetreten ist, es deshalb an einer effektiven Wettbewerbssituation fehlt und die angebotene Leistung objektiv sinnlos ist; vgl. Jeff (1967) 51 Cr.App.R. 28 (29 f.); King and Stockwell [1987] Q.B. 547 (551); Silverman (1988) 86 Cr.App.R. 213 (215) und oben unter § 1, II., 1., a). 253

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davon aus, seine Erklärung werde missverstanden, so hat er keinen Vorsatz, den Gewinn durch sie zu erlangen. Darüber hinaus wird es bei derartigen Sachverhalten entscheidend auf das Vorliegen von dishonesty ankommen. Diese ist zu verneinen, wenn das fragliche Verhalten im Rahmen einer Vertragsanbahnung normalerweise als zulässig hingenommen wird.258 In Anbetracht der zentralen Rolle von dishonesty wird die Befürchtung geäußert, auf diesem Wege könnten Vorurteile der Jury gegenüber der Geschäftspraxis bestimmter Berufsgruppen zu Verurteilungen führen.259 d) Abgabe gegenüber einem System oder einer Anlage Nach altem Recht kam die betrügerische Erlangung eines Vermögensvorteils lediglich bei Irreführung eines Menschen in Betracht.260 Die zunehmende Zahl von Fällen der betrügerischen Erlangung von Vermögensvorteilen durch den Missbrauch automatisierter Verfahren führte zu Forderungen nach Schaffung entsprechender Straftatbestände.261 Zwar ist nunmehr eine Irrtumserregung zur Verwirklichung des Tatbestandes ohnehin nicht mehr notwendig. Jedoch bestanden im Gesetzgebungsverfahren Zweifel, ob beim Einwirken auf eine automatisierte Anlage eine representation angenommen werden könne, woraufhin in section 2(5) ausdrücklich eine dahingehende Klarstellung eingefügt wurde.262 Section 2 kann demnach auch bejaht werden, wenn der Eingabe von Informationen in eine solche Anlage oder deren Bedienung eine ausdrückliche beziehungsweise konkludente Erklärung zu entnehmen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Ausdehnung des Tatbestandes wurde letztlich vor allem damit begründet, dass bei Zahlungsvorgängen nicht immer eindeutig sei, ob eine Erklärung gegenüber einem Menschen oder einer Anlage (etwa einem Geldkartenlesegerät) abgegeben werde. Beide Fälle seien jedoch praktisch identisch und rechtfertigten keine unterschiedliche Behandlung. Im Ergebnis soll nun beispielsweise die Eingabe einer PIN oder eines Passworts durch einen Nichtberechtigten eine false representation darstellen.263 258 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-72 f.: etwa wenn jemand, um einen höheren Preis zu erlangen, die Kaufsache als „unverkäuflich“ bezeichnet oder fälschlich das Vorliegen anderer, höherwertiger Angebote behauptet. 259 Ormerod, The Fraud Act 2006 – Criminalising Lying? [2007] Crim. L.R. 193 (199); Wilson, ,Collaring‘ the Crime and the Criminal: ,Jury Psychology‘ and some Criminological Perspectives on Fraud and the Criminal Law (2006) J.Crim.L. 75. 260 Vgl. § 1, II., 1., b). 261 Home Office Explanatory Notes, Para. 17; Holmes [2005] 1 W.L.R. 1857 (1863). 262 Attorney-General, Hansard, HL, col. 1107 f. (14. März 2006); Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.34; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.66. 263 Attorney-General, Hansard, HL, Vol. 679, col. 1108 (14. März 2006); Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.12. Beachte, dass das Erlangen eines Vermögensge-

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Section 2(5) sieht sich jedoch Kritik ausgesetzt. Mehr noch als bei Erklärungen gegenüber Menschen bleibe offen, woran sich die Jury zur Feststellung einer Erklärung gegenüber einer Anlage zu orientieren hat. Das Verständnis eines Computers tauge nicht als Kriterium.264 Auch sei unklar, zu welchem Zeitpunkt eine solche Erklärung als abgegeben gelte.265 Unklarheiten bestehen zudem hinsichtlich der Trennung zwischen der unberechtigten Nutzung eines nicht anderweitig manipulierten elektronischen Datenverarbeitungssystems einerseits und der Manipulation der Systemfunktionen andererseits. Beide Möglichkeiten könnten etwa für unbefugte elektronische Geldüberweisungen genutzt werden, nur die erste Variante scheint jedoch von section 2 erfasst. Die Vorschrift sei zu einem späten Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens auf technischen Anlagen ausgedehnt worden, ohne zu klären, was das Wesen solcher Erklärung ausmache.266 3. Knows that it is, or might be, untrue or misleading Der Täter muss Kenntnis davon haben, dass die von ihm abgegebene Erklärung unwahr oder irreführend ist oder sein könnte. Diese Formulierung wird als zu weitgehend kritisiert. Wisse der Täter von der Möglichkeit, der Inhalt der Erklärung sei möglicherweise unwahr, gibt er sie aber trotzdem ab, so fordert der Tatbestand nicht, dass sich die Annahme der Wahrheit in Anbetracht der konkreten Umstände als unvernünftig darstellt. Händler sind sich aber oftmals der Tatsache bewusst, die gegenüber dem Kunden gemachten Aussagen könnten sich im Nachhinein als unzutreffend erweisen. Unter solchen Umstände kommt es letztlich auf die Bejahung von dishonesty an.267 Hierfür wird vorgeschlagen, Unehrlichkeit des Täters dann anzunehmen, wenn dieser nicht an die Wahrheit seiner Aussage glaube.268 Zudem sei problematisch, dass hinsichtlich des möglicherweise irreführenden Charakters der Erklärung der Tatbestand nicht auf eine entsprechende Absicht des Täters abstelle, so dass einmal mehr dishonesty über Strafbarkeit entscheide.269

genstandes durch Manipulation einer technischen Anlage auch theft gem. section 1 des Theft Act 1968 darstellt. 264 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-077. 265 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.69 f. Auf das Absenden abstellend Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.14. 266 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-079. 267 Home Office, Fraud Law Reform, Responses to Consultation (2004), para. 18; Attorney-General, Hansard, HL, col. 1417 (19. Juli 2005); Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.17; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 4-091; Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.45; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.126. 268 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.125. 269 Hansard, HL, col 1422 f. (19. Juli 2005).

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4. Intends, by making the representation, to make a gain, or to cause loss Der Täter muss mit direktem Vorsatz handeln, durch die Erklärung einen Gewinn für sich oder einen anderen zu bewirken, oder bei einem anderen einen Verlust herbeizuführen oder einen anderen der Gefahr eines Verlusts auszusetzen.270 Intends meint also nicht nur entsprechend zielgerichtetes Handeln, sondern auch Fälle, in denen der Täter im Bewusstsein handelt, der Gewinn, der Verlust oder die Vermögensgefährdung werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge seiner Erklärung sein.271 a) Wirtschaftlicher Gewinn oder Verlust Section 5 des Fraud Act enthält eine Teildefinition der Begriffe gain und loss. Danach erstrecken diese sich nur auf den Gewinn beziehungsweise den Verlust von Vermögensgegenständen. Property ist definiert als Geld und alles andere unbewegliche und bewegliche Vermögen, inklusive Ansprüche und andere immaterielle Güter.272 Erfasst wird nunmehr allerdings auch der nur vorübergehende Gewinn beziehungsweise der nur vorübergehende Verlust. Damit fällt auch die auf vorübergehende Gebrauchsanmaßung gerichtete unwahre Darstellung unter den Fraud Act, etwa das täuschungsbedingte Ausleihen einer Sache.273 Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss eine Strafbarkeit zudem auch dann angenommen werden, wenn der Täter die Rückzahlung einer Geldschuld oder die Rückgabe eines Vermögensgegenstandes durch Täuschung nur vorübergehend aufschieben will.274 Section 5(3)(4) nennt Entstehungsformen von gain und loss, wobei es sich aber um keine abschließende Aufzählung handelt.275 Gain erstreckt sich danach sowohl auf das Behalten von solchen Vermögensgegenständen, die sich bereits beim durch die Täuschung Begünstigten befinden, als auch auf das Erlangen von Vermögensgegenständen. Das Behalten von Vermögensgegenständen umfasst dabei beispielsweise solche Fälle, in denen ein Schuldner seinen Gläubiger durch 270 Lediglich eine Vermögensgefährdung begründete bei den Täuschungsdelikten des alten Rechts Strafbarkeit regelmäßig nicht (anders aber section 2(1)(b) des Theft Act 1978 und section 20(2) des Theft Act 1968) und genügte nur bei conspiracy to defraud. Allerdings erfordert letztere eine (verabredete) Begehung der Tat durch mindestens zwei Personen, während sich nach dem Fraud Act bereits ein Einzeltäter strafbar macht; vgl. dazu Ormerod, The Fraud Act 2006 – Criminalising Lying? [2007] Crim. L.R. 193 (196). 271 Vgl. etwa Woollin [1999] 1 A.C. 82; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-018; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.36. 272 Section 5(2) des Fraud Act 2006. Ebenso schon zum alten Recht section 4(1) des Theft Act 1968. Dazu Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.15. 273 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.44. 274 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.43. 275 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-014.

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Täuschung von der Geltendmachung seiner Forderung abhalten will.276 Nach der Rechtsprechung soll es für die Annahme von gain auch schon genügen, dass der Täter unzutreffende Geschäftsabrechnungen in der Absicht ausstellt, damit durch Unachtsamkeit entstandene Fehlbeträge zu verschleiern und eine möglicherweise notwendige Rückzahlung des Fehlbetrages aufzuschieben.277 Anders als im bisherigen Recht kommt es nicht mehr darauf an, dass das täuschende Verhalten des Täters der Erlangung des angestrebten Vermögensgegenstandes zeitlich vorgelagert ist, soweit er damit bezweckt, das schon Erlangte zu behalten.278 Loss erstreckt sich sowohl auf den Verlust von Vermögensgegenständen, als auch darauf, dass ein anderer etwas nicht bekommt, was er bekommen könnte.279 Hinsichtlich letzterer Konstellation macht die Vorschrift keine Angaben dazu, ob der Getäuschte einen Anspruch auf die Erlangung des fraglichen Vermögensgegenstandes hat beziehungsweise ob er diesen ohne die Täuschung mit signifikanter Wahrscheinlichkeit erlangt hätte. Der Wortlaut erfasst jedenfalls Verluste in Form eines entgangenen Gewinns, wobei jedoch nicht klar ist, wie wahrscheinlich das Erlangen des Gewinns sein muss. Für die Beantwortung dieser Fragen wird es im Bestreitensfall entscheidend auf das Vorliegen von dishonesty ankommen.280 Gain und loss liegen zudem auch in der Wertsteigerung beziehungsweise Wertminderung eines Vermögensgegenstandes, ohne dass es auf dessen Realisierung durch Verwertung ankommt.281 Gain ist nicht schon deshalb auszuschließen, weil der Täter ein Recht an dem angestrebten Gewinn hat.282 Wie auch unter dem alten Recht kommt es mithin im Rahmen des Gewinnvorsatzes grundsätzlich nicht auf die zivilrechtliche Lage an. Gleiches gilt hinsichtlich eines auf Verlust gerichteten Vorsatzes bezüglich einer mangelnden Berechtigung des (potentiellen) Opfers. Zudem ist wie auch unter dem alten Recht eine wirtschaftliche Gegenleistung des Täters für die Strafbarkeit grundsätzlich ohne Bedeutung. Im Gesetzgebungsverfahren wurde dieser Grundsatz damit bestätigt, dass eine sonst erforderlich werdende Bewertung der ausgetauschten Vermögensgegenstände die Effektivität des Gesetzes mindern würde.283 Diesen Fragen kann jedoch für dishonesty Bedeutung zukommen. 276 Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 30 mit dem Beispiel, dass jemand von seinem Nachbarn Geld erhält und anschließend durch Vortäuschen eines persönlichen Schicksalsschlags um Erlass der Rückzahlung bittet. Vgl. auch Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-013. 277 Eden (1971) 55 Cr.App.R. 193 (197). 278 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.54 nennen als Beispiel das Täuschen eines Tankwarts nach Erlangung von Besitz und Eigentum am Benzin. 279 Section 5(3)(4) des Fraud Act 2006. 280 Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 33. 281 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-014. 282 Attorney-General’s Reference (No. 1 of 2001) [2002] Crim. L.R. 844 (845) (zu gain im Rahmen von false accounting); Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-009; Ormerod/ Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.41.

§ 4 Straftatbestände als Grenzen einer ermessensgeleiteten Strafverfolgung

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b) Keine Identität von Gewinn und Verlust Zwar wird regelmäßig der auf Gewinn gerichtete Vorsatz des Täters einem entsprechenden Verlustvorsatz entsprechen, doch müssen nach dem Gesetzeswortlaut für eine Strafbarkeit Gewinn- und Verlustvorsatz nicht kumulativ vorliegen. Den Gesetzgebungsmaterialien ist zu entnehmen, dass dadurch Beweisschwierigkeiten verhindert werden sollten.284 Zu entsprechenden Schwierigkeiten führt etwa das Verbreiten von geschäftsschädigenden unzutreffenden Gerüchten, insbesondere falsche Behauptungen zur Geschäftslage eines Unternehmens, wenn solches in der Absicht getan wird, dadurch das Vertrauen der Marktteilnehmer in das Unternehmen zu untergraben und sie von Geschäften mit letzterem abzuhalten. Im Übrigen kann nach dem Tatbestand ein auf Gefährdung des Vermögens eines anderen gerichteter Vorsatz auch schon dann angenommen werden, wenn der Täter damit rechnet, dass seine Darstellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Gefährdung der Vermögensinteressen eines anderen führen wird.285 Unbeachtlich ist, dass er auf das Ausbleiben eines tatsächlichen Schadens vertraut, so dass beispielsweise auch unwahre Darstellungen erfasst werden, die auf den Abschluss eines Versicherungsvertrags oder auf erfolgversprechende Geldanlagen gerichtet sind.286 Für die Verwirklichung des Tatbestands kann aber auch ein lediglich auf Verlustbewirkung gerichtetes Verhalten genügen, bei dem es dem Täter also nicht um einen Gewinn geht. Da das alte Recht maßgeblich durch den täuschungsbedingten Transfer von Vermögen geprägt war, ergaben sich dort dann Probleme, wenn jener durch das Opfer verlorene nicht mit dem vom Täter erlangten Vermögensgegenstand identisch war. Dies Problem war etwa dann einschlägig, wenn der Geschäftführer eines Unternehmens zur Übernahme eines anderen Unternehmens einen Aktientausch angeboten und dabei, um den Wert des Angebots als höherwertig erscheinen zu lassen, den Wert der Aktien des eigenen Unternehmens manipuliert hatte. Geschädigt wurden dadurch insbesondere die Aktionäre des umworbenen Unternehmens im Rahmen des Aktientauschs sowie auch solche nicht mit der Übernahme direkt in Verbindung stehende Marktteilnehmer, die Aktien des übernehmenden Unternehmens zu einem überhöhten Preis erwerben. Der bezweckte Gewinn und die Verluste fielen mithin auseinander.287 Nach neuem Recht ist nunmehr unmaßgeblich, dass die unwahre Darstellung nicht zum Transfer eines 283

Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.44. Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.49. 285 Kritisch Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.35. 286 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-016; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.45. 287 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.49 unter Verweis auf Saunders [1996] Cr.App.R. 463; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-017; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.34. 284

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bestehenden, sondern zur Entstehung eines neuen Vermögensgegenstandes führen soll. Geht der Täter jedoch nicht von der Schädigung eines anderen aus, so wird es für eine Strafbarkeit in besonderem Maße auf das Vorliegen von dishonesty ankommen.288 c) Kausalität von Erklärungsinhalt und erwartetem Erfolg Der Vorsatz muss sich auf das Bewirken des Gewinns beziehungsweise Verlusts durch die unwahre Darstellung beziehen. Der Täter muss mithin bezwecken oder davon ausgehen, dass die beim (potentiellen) Adressaten hervorgerufene Fehlvorstellung zum Gewinn oder Verlust führen wird. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Adressat des fraglichen Erklärungsinhalts bewusst oder dass dieser für ihn tatsächlich von Bedeutung ist. Die unwahre Darstellung kann sich mithin auch auf einen aus Sicht des Erklärungsadressaten unwesentlichen Umstand beziehen. Entscheidend ist allein der Vorsatz des Täters.289 Section 2 enthält keine ausdrücklichen Regelungen darüber, inwieweit die im Vorsatzmerkmal geforderte Kausalität zwischen abgegebener Erklärung einerseits und erwartetem Gewinn beziehungsweise Verlust andererseits auch bei lediglich mittelbarer Verknüpfung angenommen werden kann. Wie auch schon unter dem alten Recht gibt es hierfür keine eindeutigen Kriterien, sondern wird dies letztlich als eine Frage der Tatsachenfeststellung behandelt werden und es somit auf die Auffassung der Jury im Einzelfall ankommen.290 Ein Gewinnerlangungs- beziehungsweise Verlustbewirkungsvorsatz kann mithin auch dann vorliegen, wenn es dem Täter bei Abgabe der Erklärung unmittelbar nur um das Erlangen von vertraulichen Informationen geht, etwa von Betriebsgeheimnissen eines Unternehmens oder die PIN einer Geldkarte, um anschließend durch deren Nutzung einen Gewinn oder Verlust zu bewirken.291 Deshalb war es im Gesetzgebungsverfahren als überflüssig erachtet worden, den Vorsatz ausdrücklich auf das Erlangen solcher Informationen auszudehnen.292

288

Sullivan, Fraud – The Latest Law Commission Proposal [2003] J.Crim.L. 139

(142). 289 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-005; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.38. 290 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.37, unter Verweis auf Kennedy (No 2) [2005] 1 W.L.R. 2159: die Rechtsprechung sei generell zurückhaltend, im Rahmen des Strafrechts klare Kausalitätsregeln vorzugeben. Vgl. zum alten Recht § 1, II, 2. 291 Home Office Explanatory Notes, Para. 16; Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.20. 292 Home Office, Fraud Law Reform, Responses to Consultation (2004), para. 31; Attorney-General, Hansard, HL, col. 1435 (19. Juli 2005). Zudem ist das Erlangen vertraulicher Informationen durch unberechtigten Zugang zu einem Computer in section 1 des Computer Misuse Act 1990 unter Strafe gestellt.

§ 4 Straftatbestände als Grenzen einer ermessensgeleiteten Strafverfolgung

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5. Dishonesty Die unwahre Erklärung muss unehrlicherweise gemacht werden.293 Dishonesty bestimmt sich hierbei nach dem durch die Rechtsprechung unter dem alten Recht entwickelten Standard.294 Demnach muss das Verhalten des Täters nach den gewöhnlichen Maßstäben vernünftiger und ehrlicher Menschen unehrlich sein. Der Täter muss sich zudem bewusst sein, dass sein Verhalten nach diesen Maßstäben als dishonest zu bewerten ist.295 Nicht notwendig ist dagegen, dass er sein Verhalten selbst als moralisch ungerechtfertigt ansieht.296 Problematisch sind dabei insbesondere solche Konstellationen, in denen der Täter einen bestehenden Anspruch auf den durch Täuschung erlangten Vermögensgegenstand geltend macht.297 Die Bejahung von dishonesty durch eine Jury erscheint hier zwar unwahrscheinlich, soweit dem Täter ein solches Recht tatsächlich zusteht, kann jedoch wegen der Unbestimmtheit dieses Tatbestandsmerkmals nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, insbesondere wenn das Motiv des Täters in den Augen der Jury die Verwerflichkeit des fraglichen Verhaltens nicht zu rechtfertigen vermag.298 Dies gilt erst recht, wenn der Beschuldigte lediglich irrtümlicherweise glaubte, berechtigt zu sein.299 III. Fraud by failing to disclose information Section 3 des Fraud Act 2006 lautet: A person is in breach of this section if he – (a) dishonestly fails to disclose information to another person, which he is under a legal duty to disclose, and (b) intends, by failing to disclose the information – (i) to make a gain for himself or another, or (ii) to cause loss to another or to expose another to a risk of loss.300 293 Zur parlamentarischen Kritik an der zentralen Rolle von dishonesty im neuen Recht, vgl. Hansard, HL, col. 1420 f. (19 Juli 2005). 294 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.17. 295 Ghosh [1982] Q.B. 1053 (1064): „In determining whether the prosecution has proved that the defendant was acting dishonestly, a jury must first of all decide whether according to the ordinary standards of reasonable and honest people what was done was dishonest.“ 296 A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-143. 297 Woolven (1983) 77 Cr.App.R. 231 (236). 298 Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.8. 299 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.23 ff. 300 Diese section verletzt, wer (a) unehrlicherweise einem Anderen Informationen nicht offen legt, bezüglich derer er einer Rechtspflicht zur Offenlegung unterliegt, und (b) beabsichtigt, durch die Nichtoffenlegung der Information (i) einen Gewinn für sich oder einen anderen zu bewirken, oder (ii) bei einem anderen einen Verlust herbeizuführen oder einen anderen der Gefahr eines Verlusts auszusetzen. (Übersetzung durch den Verfasser)

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1. Überblick Section 3 stellt die Nichtoffenlegung von Informationen in Fällen unter Strafe, in denen dazu eine Rechtspflicht bestand. Der Tatbestand ist bereits mit dem Unterlassen der Offenlegung vollendet, sofern dies unehrlicherweise und mit Gewinnerzielungs- beziehungsweise Verlustbewirkungsvorsatz geschieht.301 Auf das Hervorrufen eines Irrtums beziehungsweise das tatsächliche Bewirken eines Gewinns oder eines Verlusts kommt es auch hier nicht an. Unwesentlich ist somit, dass dem anderen die Information bereits bekannt war oder er ihrem Inhalt keine Bedeutung zumaß. Wie auch bei section 2 erfordert der Tatbestand direkten Vorsatz, einen Gewinn zu erlangen oder Verlust zu bewirken. Auch genügt es, dass der vom Täter erwartete Verlust nicht beim durch die Offenlegungspflicht Berechtigten eintreten wird, sondern stattdessen bei einem Dritten.302 Erfasst wird damit etwa auch der Geschäftsführer eines Unternehmens, der seine gegenüber letzterem bestehenden Aufklärungspflichten in dem Wissen verletzt, damit wirtschaftliche Interessen eines Aktionärs zu gefährden.303 Zudem muss die Offenlegung unehrlicherweise unterlassen werden. Auch hier führt eine mögliche Berechtigung des Täters hinsichtlich des angestrebten Gewinns nicht zwingend zur Verneinung von dishonesty und somit zum Entfallen der Strafbarkeit. Dies gilt nicht zuletzt dann, wenn das Motiv des Täters in den Augen der Jury einen Vertrauensbruch nicht zu rechtfertigen vermag.304 2. Under a legal duty to disclose Der Unterlassende muss einer entsprechenden Rechtspflicht zur Offenlegung der fraglichen Informationen unterliegen. Allerdings enthält der Fraud Act keine weitergehenden Ausführungen zur Art der Pflicht. Dem Gesetzgebungsmaterial 301 Zur Frage, ob der Täter vom Bestehen einer Rechtspflicht Kenntnis haben muss: verneinend Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 5-016 f., bejahend wohl Ashworth, Criminal Law, S. 232 unter Verweis auf Hart [1982] 1 W.L.R. 481 (485). Dazu auch Ormerod/ Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.151; Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.62. Das Fehlen eines diesbezüglichen tatbestandlichen Vorsatzmerkmals spricht nicht zwingend gegen die Erforderlichkeit von Kenntnis, auch wenn dem englischen Recht strafrechtliche Gefährdungshaftung nicht fremd ist (sog. strict liability); vgl. dazu B v. DPP [2000] 2 A.C. 428 (460); R v. K [2002] 1 A.C. 462 (474, 477); Ashworth, Criminal Law, S. 172 f. 302 Beachte aber die Stellungnahme des Attorney-General, Hansard, HL, col. 1411 f. (19. Juli 2005): demnach sollen mit section 3 vor allem Sachverhalte erfasst werden, die bisher nur als konkludente Täuschung behandelt werden konnten. Nichtoffenlegung entspreche hier dem gewöhnlichen umgangssprachlichen Verständnis besser, als die Fiktion einer konkludenten Täuschung. Vgl. auch Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 9. 303 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.154. 304 Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.8.

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ist diesbezüglich jedoch ein sehr weites Verständnis zu entnehmen. Rechtsgrund können demnach insbesondere Parlamentsgesetze, der ausdrückliche oder implizite Inhalt eines Vertrages, Handelsbräuche, das Vorliegen eines Vermögensbetreuungsverhältnisses oder der auf besonderen gegenseitigem Vertrauen der Beteiligten beruhende Charakter eines Geschäfts sein.305 Legal duty erfasst auch solche Sachverhalte, bei denen der durch die Pflicht Geschützte bei ihrer Verletzung lediglich ein Recht auf Loslösung von infolge der Pflichtverletzung entstandenen Verbindlichkeiten hat. Das englische Vertragsrecht schützt im Rahmen von Vertragsverhandlungen zwar vor aktiver Täuschung durch Vorspiegeln falscher Tatsachen und räumt dem Getäuschten in diesem Fall neben der Anfechtbarkeit des Vertrages einen deliktischen Schadensersatzanspruch ein.306 Jedoch besteht darüber hinaus grundsätzlich keine Pflicht, bei Vertragsabschluss in gutem Glauben zu handeln. Insbesondere müssen die Parteien grundsätzlich nicht die andere Seite über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von für deren Interessen erkennbar wesentliche Umstände aufmerksam machen.307 Nach dem Grundsatz caveat emptor soll sich jeder selbst über solche Umstände informieren. In nur wenigen Fällen macht das Vertragsrecht davon eine Ausnahme. Dies ist bei Verträgen anzunehmen, die ihrem Inhalt nach auf besonderem Vertrauen zwischen den Parteien beruhen, insbesondere Versicherungsverträge.308 In solchen Fällen besteht eine vorvertragliche Pflicht zur Offenlegung aller für die andere Seite erkennbar wesentlichen Umstände, so dass section 3 etwa greift, wenn jemand durch Verschweigen bestehender Risikofaktoren Versicherungsschutz zu erlangen sucht.309 Section 3 zwingt die Gerichte nunmehr ausdrücklich zu einer Auseinandersetzung mit Fragen des Zivilrechts. Dies ist insofern bemerkenswert, als die englische Rechtsprechung diesbezüglich regelmäßig Zurückhaltung walten lässt. So war etwa bei den Täuschungsdelikten des Theft Act 1968 und des Theft Act 1978 eine mögliche Berechtigung des Täters hinsichtlich des erlangten Vermögensgegenstandes zwar ein wichtiger, nicht aber notwendigerweise entscheidender Umstand für die Bejahung von dishonesty.310 Dieser Tradition wurde im Gesetzgebungsverfahren insofern gefolgt, als hinsichtlich der Begriffe „Gewinn“ und „Verlust“ weiterhin auf ein Tatbestandsmerkmal der Nichtberechtigung des 305

Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.28. Burrows, Casebook on Contract, S. 557 ff. 307 Interfoto Picture Library v. Stiletto Visual Programmes [1989] Q.B. 433 (439). 308 McKendrick, Contract Law, S. 600. 309 Home Office Explanatory Notes, Para. 18; Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 10; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.29; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 3-005. 310 Vgl. § 1, II., 3. Teilweise anders zwar bei theft gem. section 1 des Theft Act 1968. Jedoch kommt es auch dort gemäß section 2 nicht auf eine (objektive) Berechtigung des Täters an, sonder allein auf seine Vorstellung. 306

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Täters beziehungsweise der Berechtigung des Opfers verzichtet wird.311 Darüber hinaus erstreckte sich der ursprüngliche Entwurf zu section 3 nicht nur auf Rechtspflichten zur Offenlegung, sondern auch auf Fälle, in denen eine Offenlegung lediglich vernünftigerweise erwartet wird und das Opfer darauf vertraut.312 Eine solch niedrige Strafbarkeitsschwelle konnten sich jedoch letztlich wohl vor allem deshalb nicht durchsetzen, weil section 3 bereits mit der traditionellen Skepsis gegenüber Unterlassungsstrafbarkeit313 bricht und deren Kombination mit der Verletzung lediglich moralischer Pflichten als zu weitgehend erschien.314 Als durchaus problematisch wird dabei jedoch die Frage angesehen, ob es in der Praxis immer gelingen wird, jene für die Tatsachenfeststellung notwendigen zivilrechtlichen Fragen einer Jury zu erklären.315 Zwar reicht für section 3 eine lediglich moralische Pflicht zur Offenlegung eines Umstands nicht aus, jedoch ist auch der Begriff legal duty geeignet, zu weitreichender Kriminalisierung vertraglicher Pflichtverletzungen zu führen. So ist nunmehr beispielsweise die Verletzung von (möglicherweise dem Arbeitsvertrag nur implizit entnehmbaren) Informationspflichten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich strafbar, wenn der seine Pflicht Verletzende dadurch eine Vertragsstrafe oder etwa seine Entlassung vermeiden will, und mithin in Anbetracht der Weite der Tatbestandsmerkmale gain und loss ein auf Gewinnverschaffung beziehungsweise Verlustbewirkung gerichteter Vorsatz zu bejahen ist.316 Auch hier kommt es letztlich wieder entscheidend darauf an, ob dishonesty des Täters angenommen werden kann. 3. Failing to disclose Probleme können sich hier vor allem dann ergeben, wenn der zur Offenlegung Verpflichtete dieser Pflicht lediglich nur teilweise nicht nachgekommen ist. Dies kann insofern zu einer weiteren Verkomplizierung des Verfahrens führen, als der Richter die Jury dann über die Abgrenzung von Erfüllung und Nichterfüllung genau aufklären muss.317 Ein entsprechend genaues Verständnis dieser Frage ist für die Jury zudem bei der Frage relevant, inwieweit eine lediglich teilweise Pflichtverletzung als dishonest bewertet werden kann.318 311

Vgl. § 4, II., 4., a). Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.31; kritisch dazu Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 5-003 und G. R. Sullivan, Fraud – The Latest Law Commission Proposal [2003] J.Crim.L. 139 (144 f.). 313 Ashworth, Criminal Law, S. 44 f. 314 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 5-009; Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.65. 315 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.149. 316 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 5-013. 317 Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 9. 318 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.155. 312

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IV. Fraud by abuse of position Section 4 des Fraud Act 2006 lautet: (1) A person is in breach of this section if he – (a) occupies a position in which he is expected to safeguard, or not to act against, the financial interests of another person, (b) dishonestly abuses that position, and (c) intends, by means of the abuse of that position – (i) to make a gain for himself or another, or (ii) to cause loss to another or to expose another to a risk of loss. (2) A person may be regarded as having abused his position even though his conduct consisted of an omission rather than an act.319 1. Überblick Section 4 stellt den Missbrauch eines sich auf die wirtschaftlichen Interessen eines anderen beziehenden Vertrauensverhältnisses unter Strafe. Das Verhalten des Täters muss dishonest und auf das Bewirken eines Gewinns oder eines Verlusts gerichtet sein.320 Soweit solche Konstellationen nicht theft darstellen,321 konnten sie mangels einer diesbezüglichen gesetzlichen Strafvorschrift unter dem bisherigen Recht nur unter dem maßgeblich auf dishonesty abstellenden richterrechtlichen Tatbestand conspircy to defraud 322 verfolgt werden. Die Rechtsprechung begrenzt dort die Strafbarkeit von schädigenden, aber nicht eine Täuschung des Opfers enthaltenden Verhalten, indem sie die Bejahung von dishonesty vom Vorliegen zusätzlicher erschwerender Umstände abhängig macht, lässt zu diesen jedoch eindeutige Kriterien vermissen.323 Section 4 bezweckt eine 319 (1) Diese section verletzt, wer (a) eine Stellung innehat, in der von ihm erwartet wird, die finanziellen Interessen einer anderen Person zu schützen oder ihnen nicht zuwiderzuhandeln, (b) unehrlicherweise diese Stellung missbraucht, und (c) beabsichtigt, durch den Missbrauch dieser Stellung (i) einen Gewinn für sich oder einen anderen zu bewirken, oder (ii) bei einem anderen einen Verlust herbeizuführen oder einen anderen der Gefahr eines Verlusts auszusetzen. (2) Der Missbrauch einer Stellung kann auch angenommen werden, wenn das Verhalten in einem Unterlassen statt in einem Tun besteht. (Übersetzung durch den Verfasser) 320 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.180 halten es für möglich, dass der erwartete Verlust bei einem Dritten und nicht bei dem aus dem Vertrauensverhältnis Berechtigten eintreten wird. 321 Zu theft an treuhänderisch oder anderweitig anvertrauten Vermögensgegenständen, vgl. unter § 3, II., 2. 322 Scott [1975] A.C. 819 (840). 323 Vgl. Norris [2008] 1 A.C. 920 (933, 935); Goldshield [2009] 1 W.L.R. 458 (464); dazu § 2, III., 3.

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klarere Konturierung derartigen Verhaltens.324 Trotz erheblicher Unbestimmtheit der verwendeten Tatbestandsmerkmale führt die Vorschrift zu einer teilweisen Vereinfachung der Rechtslage. Einerseits, indem sie auf das Vorliegen eines Vertrauensverhältnisses abstellt. Andererseits enthält sie mit dem Tatbestandsmerkmal abuse eine über dishonesty hinausgehende Beschreibung des Täterhandelns. Soweit sich der Täter einen fremden Vermögensgegenstand aneignet, kann aber auch weiterhin auf theft zurückgegriffen werden. Dies mag für die Strafverfolgungsbehörden vor allem dann hilfreich sein, wenn sich der Nachweis eines für eine Verurteilung nach section 4 notwendigen Vertrauensverhältnisses als problematisch darstellt.325 2. Position in which he is expected to safeguard, or not to act against, the financial interests of another person Der Täter muss eine Stellung innehaben, in der von ihm erwartet wird, die finanziellen Interessen einer anderen Person zu schützen oder ihnen nicht entgegenzuhandeln. Eine gesetzliche Definition dieses Tatbestandsmerkmals im Sinne eines zivilrechtlichen Treueverhältnisses (fiduciary duty) wurde im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt. Nicht nur erschien eine Auseinandersetzung mit komplexen zivilrechtlichen Fragestellungen in Strafverfahren als unerwünscht, sondern bestand zudem die Befürchtung, durch eine solche ausdrückliche Begrenzung werde der Anwendungsbereich der Vorschrift zu sehr eingeschränkt.326 Auch das Merkmal financial interests wird im Gesetz nicht weiter definiert und ist entsprechend weit zu verstehen, so dass insbesondere keine Begrenzung lediglich auf langfristige wirtschaftliche Interessen besteht.327 a) Zivilrechtliche Treuepflichten Dem Gesetzgebungsmaterial ist allerdings zu entnehmen, dass sich section 4 zumindest überwiegend auf zivilrechtliche Treueverhältnisse beziehen soll.328 Dabei handelt es sich nicht um ein klar umgrenztes rechtliches Institut. Vielmehr beurteilt sich sein Vorliegen nach der Art jener im konkreten Fall bestehenden 324 Home Office, Fraud Law Reform, Responses to Consultation (2004), Para. 26; Home Office Explanatory Notes, Para. 20; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.21 u. 7.35 f. 325 Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.17. Vgl. für eine entsprechende Verurteilung wegen theft Hinks [2001] 2 A.C. 241: dort hatte der mit dem Opfer befreundete Täter unter Ausnutzung von Naivität Schenkungen an sich veranlasst. 326 Standing Committee (20. Juni 2006), cols. 24–27. 327 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.177. 328 Home Office Explanatory Notes, Para. 20; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.38; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-003; Ormerod/ Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.161.

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Pflichten. Regelmäßig erstreckt er sich lediglich auf einen Teilbereich der zwischen den Beteiligten bestehenden Beziehung.329 Ein Treueverhältnis wird insbesondere dann angenommen, wenn jemand in einer bestimmten Angelegenheit zum Handeln für einen anderen verpflichtet und dabei das Innenverhältnis durch Vertrauen gekennzeichnet ist. Regelmäßig schuldet der Verpflichtete dem Berechtigten Loyalität, muss in gutem Glauben handeln, aus dem ihm entgegengebrachten Vertrauen keinen Profit ziehen und Interessenkonflikte vermeiden.330 Tatbestandsrelevante Pflichten bestehen ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien etwa zwischen Geschäftsführer und Unternehmen, zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, einem Geschäftsherren und seinem Vertreter, zwischen Geschäftspartnern und zwischen Angehörigen solcher besonderes Vertrauen in Anspruch nehmender Berufsgruppen und ihren Klienten.331 Ein Treueverhältnis kommt auch schon dann in Betracht, wenn die Beteiligten sich in Vertragsverhandlungen befinden und dabei vertrauliche Informationen preisgeben.332 Ein fiduciary duty liegt in all diesen Konstellationen aber jeweils nur hinsichtlich der in besonderem Maße Vertrauen erfordernden Pflichten vor, regelmäßig also nicht hinsichtlich aller aus dem Verhältnis erwachsenden Pflichten.333 Erfasst sind insbesondere Sachverhalte, bei denen ein Bevollmächtigter beim Handeln im Namen seines Geschäftsherrn über einen Ermessensspielraum verfügt oder in denen jemand Zugang zum Vermögen, zu Räumlichkeiten, Anlagen oder Kunden seines Arbeitgebers erhält.334 Mithin kann ein fiduciary duty beispielsweise nicht hinsichtlich eines Beschäftigungsverhältnisses in seiner Gesamtheit angenommen werden. Denn zwar müssen wegen des zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber anzunehmenden Vertrauensverhältnisses die Interessen des jeweils anderen in gutem Glauben berücksichtigt werden. Doch besteht insbesondere keine Pflicht, ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers zu handeln. So kann etwa mangels einer entsprechenden vertraglichen Regelung nicht von einer Pflicht ausgegangen werden, parallele Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu unterlassen. Ein fiduciary duty des Arbeitnehmers ist in einem solchen Fall aber dahingehend anzunehmen, die seiner Aufsicht unterstehenden Arbeitskollegen nicht im Rahmen eines anderen Beschäftigungsverhältnisses einzusetzen.335 Anzunehmen ist auch, dass section 4

329

Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-025, -027 f. Bristol & West Building Society v. Mothew [1997] 2 W.L.R. 436 (449). 331 Home Office Explanatory Notes, Para. 20; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.38; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-016. 332 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-022. 333 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-031. 334 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.37. 335 Nottingham University v. Fishel [2000] I.R.L.R. 471 (483 ff.). 330

82 Teil 1: Auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtendes Kernstrafrecht

in vielen Fällen auf Mitarbeiter der Verwaltung hinsichtlich des Umgangs mit öffentlichen Geldern Anwendung finden kann.336 b) Anwendbarkeit auch jenseits besonderer Treuepflichten Allerdings verlangt section 4 nicht ausdrücklich das Bestehen eines zivilrechtlichen Pflichtenverhältnisses und erst recht nicht eine besondere Treuepflicht.337 Fehlt es an einer zivilrechtlichen Pflicht, so kann es sich als problematisch erweisen, dass section 4 keine Angaben darüber enthält, auf wessen Erwartung (is expected) es hinsichtlich der Interessenwahrnehmung ankommt.338 Das Vorliegen einer solchen Pflichtenstellung kann Rechtsfrage sein und als solche durch den Richter festgestellt werden. In Zweifelsfällen wird es jedoch als Tatsachenfrage auf die Einschätzung der Jury ankommen.339 Die im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Anwendungsfälle beinhalten zwar überwiegend ein zivilrechtliches Treueverhältnis.340 Doch soll Strafbarkeit etwa auch bei einem Angestellten zu bejahen sein, der für sein Unternehmen eine lukrative Geschäftsmöglichkeit nicht wahrnimmt, um damit einem Mitbewerber den Abschluss des fraglichen Geschäfts zu ermöglichen.341 Hierbei handle es sich zwar um eine vorsätzliche Vertragsverletzung, jedoch sind solche arbeitsvertraglichen Pflichten gewöhnlich nicht Gegenstand besonderer Treuepflichten gegenüber dem Arbeitgeber. Erfasst werden insbesondere auch soziale Abhängigkeitsverhältnisse, etwa innerhalb einer Familie oder im Rahmen freiwilliger Arbeit.342 So wurde der offene Wortlaut von section 4(1)(a) im Gesetzgebungsverfahren mit dem Argument befürwortet, dadurch könne die Vorschrift beispielsweise auch auf Personen angewandt werden, die sich um hilfsbedürftige alte Menschen kümmern und dabei Zugang etwa zu deren Geldkarten oder vertraulichen Informationen erhalten, auch wenn das fragliche Verhältnis lediglich

336 Home Office, Fraud Law Reform, Responses to Consultation (2004), para. 26; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-065 f.; Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.79; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.171. 337 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-004. 338 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-005; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.176. 339 Solicitor-General, Hansard, HC, col. 537 (12. Juni 2006); ders., Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 21; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.38; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-032 f.; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.166. 340 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-077 f.; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.161. 341 Home Office Explanatory Notes, Para. 21; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.39. 342 Home Office Explanatory Notes, Para. 20; Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.38.

§ 4 Straftatbestände als Grenzen einer ermessensgeleiteten Strafverfolgung

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informell sei und keinerlei Betreuungspflichten bestünden.343 Zudem vereinfache die offene Formulierung des Tatbestandes die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden, da damit der mitunter schwierige Nachweis eines rechtlich komplexen Pflichtenverhältnisses nicht zwingend erforderlich sei.344 3. Abuses Der Täter muss die fragliche Vertrauensstellung missbrauchen. Der Missbrauch kann dabei sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen bestehen.345 Darüber hinaus verzichtet die Vorschrift jedoch auf weitere Ausführungen zur Art und Weise der Tatbegehung, um eine weitreichende Anwendbarkeit zu sichern.346 Nicht jedes den wirtschaftlichen Interessen eines anderen zuwiderlaufende Verhalten kann jedoch als Missbrauch bezeichnet werden, selbst wenn zwischen ihm und den Täter ein diesbezügliches Vertrauensverhältnis besteht.347 Missbrauch erfordert ein irgendwie geartetes Fehlverhalten, wobei im Falle des Bestehens zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher 348 Pflichten diese Orientierung bieten werden. Liegt ein fiduciary duty vor, so wird bei dessen Verletzung regelmäßig ein Missbrauch zu bejahen sein.349 Darüber hinaus wird diese Frage von Fall zu Fall von den Umständen des Einzelfalls und damit im Bestreitensfall insbesondere von der Einschätzung der Jury abhängen.350 Offensichtliche Missbrauchfälle betreffen etwa den Geschäftführer eines Unternehmens, der Geschäftsgelegenheiten für sich selber wahrnimmt, obwohl er dies für sein Unternehmen hätte tun sollen. Gleiches gilt für einen Angestellten, der die durch seine Unternehmen hergestellten Produkte kopiert, um die Kopien selbst zu vermark-

343 Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 27. Nach Arlidge/ Parry, On fraud, Rdn. 6-076 ff. und Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.164 f. liegt diesem Argument ein zu enges Verständnis des Begriffs fiduciary duty und des Geltungsbereich zivilrechtlicher Treuepflichten zugrunde. Beachte auch die Kritik von Grieve, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 22. 344 Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 20 f. 345 Section 4(2) des Fraud Act 2006; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-050 halten eine Strafverfolgung wegen eines bloßen Unterlassens in der Praxis aber für kaum wahrscheinlich, wenn nicht auch eine Pflichtverletzung durch aktives Tun vorliege. 346 Home Office Explanatory Notes, Para. 21. 347 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.174 mit dem Beispiel eines Angestellten, der vertrauliche Informationen pflichtwidrig an sich bringt, weil er fürchtet, wegen seiner Beteiligung an einem rechtswidrigen Geschäft seines Unternehmens zur Verantwortung gezogen zu werden und sich auf diesem Wege Beweise zu seiner Entlastung verschaffen will. Hier sei schon die Annahme von abuse zweifelhaft. 348 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.171. 349 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-045; Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.72. 350 Blackstone’s Criminal Practice, Rdn. B5.17.

84 Teil 1: Auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen verzichtendes Kernstrafrecht

ten.351 Ein Missbrauch liegt zudem hinsichtlich eines angestellten Verkäufers vor, der im Geschäftsbetrieb eigene Waren anstatt Waren des Geschäftsinhabers verkauft, ebenso bei einem Angestellten, der Bestechungsgeld fordert oder annimmt352 oder der für seinen Geschäftsherrn wirtschaftlich nachteilige Verträge abschließt, um dadurch einem anderen zu einem Vorteil zu verhelfen.353 Das fragliche Verhalten des Täters muss zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem er die Vertrauensstellung innehat. Zwar können insbesondere Unterlassungspflichten zeitlich über das Bestehen des ihnen zugrundeliegenden formellen Rechtsverhältnisses hinausgehen. Allerdings soll die Vorschrift in Anbetracht ihres Wortlauts (occupies a position) dann nicht mehr anwendbar sein. Eine Strafbarkeit wegen abuse of position ist aber zu bejahen, wenn der Täter noch während des Bestehens des fraglichen Rechtsverhältnisses die Vorbereitungen für ein auf Gewinnerlangung oder Schädigung angelegtes Vorhaben mit entsprechendem Vorsatz trifft.354 4. Begrenzung des Missbrauchsbegriffs Ist die Bejahung von abuse beim Generieren von Gewinnen durch einen Arbeitnehmer zu Lasten seines Geschäftsherrn noch vergleichsweise eindeutig, so wird es in weniger eindeutigen Fällen entscheidend auf die Ansicht der Jury ankommen. Dies gilt umso mehr, als der Tatbestand keine klar Bindung an zivilrechtliche Pflichten enthält und jedenfalls jenseits der Verletzung besonderer Treuepflichten weder das Vorliegen noch das Nichtvorliegen eines zivilrechtswidrigen Verhaltens eindeutige Schlussfolgerungen erlaubt.355 In Anbetracht der Weite des Tatbestandes wird die Befürchtung geäußert, eine Vielzahl trivialer vertragsrechtlicher und sogar familienrechtlicher Auseinandersetzungen könnten vom Strafrecht erfasst werden, wenn die Praxis den Tatbestand nicht vernünftig begrenze.356 Bedenken bestanden im Gesetzgebungsverfahren nicht zuletzt gegen eine überweite Strafbarkeit arbeitsrechtlicher Pflichtverletzungen.357 So lässt 351

Home Office Explanatory Notes, Para. 22. Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-044. 353 Farrell/Yeo/Ladenburg, The Fraud Act 2006, Rdn. 2.75; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.170. 354 Solicitor-General, Hansard, HC (26. Oktober 2006), col. 1701; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-064; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.174. 355 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.172. 356 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.172. Vgl. Home Office, Fraud Law Reform, Responses to Consultation (2004), para. 27: danach sei für das Eingreifen von section 4 mehr als der Zusammenbruch der fraglichen Beziehung notwendig. Vgl. auch Grieve, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 25: „We are in danger of creating a catch-all provision that will be a nightmare of judicial interpretation and which could ultimately help to bring the law into disrepute, which is undesirable.“ 357 Jenkins, Hansard, HC, col. 555 (12. Juni 2006); Cox, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 15; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.169. 352

§ 4 Straftatbestände als Grenzen einer ermessensgeleiteten Strafverfolgung

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sich dem Gesetzgebungsverfahren etwa nicht klar entnehmen, ob auch die missbräuchliche Verwendung von durch einen Arbeitnehmer im Rahmen seiner Beschäftigung mit Einverständnis des Arbeitgebers erlangten vertraulichen Informationen vom Tatbestand umfasst sein soll.358 In Anbetracht der gesetzgeberischen Zielsetzung, durch den Fraud Act eine weitgehende Kodifizierung der conspiracy to defraud zu erreichen, wird man sich bei der Frage des Vorliegens eines Missbrauchs an zu dieser ergangenen Rechtsprechung orientieren können.359 Jedenfalls soll nicht schon jede schlichte Vertragsverletzung unter den Tatbestand fallen, da dies weder jenen hinter dem Fraud Act stehenden Reformüberlegungen entspricht,360 noch durch den Wortlaut nahegelegt wird.361 Trotzdem kann die Unbestimmtheit des fraglichen Pflichtenverhältnisses in Verbindung mit dem nicht weiter definierten Begriff abuse potentiell zu einer sehr weitgehenden Kriminalisierung führen.362

358 Erfasst werden soll jedenfalls der Fall, dass jemand vertrauliche Informationen im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses nicht durch seinen Arbeitgeber mitgeteilt bekommt, aber etwa durch Missbrauch des ihm ermöglichten Zugangs zu Büroräumen jene Informationen enthaltende Dokumente entgegen dem Willen des Arbeitgebers in seinen Besitz bringt; vgl. Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 25 ff.; Hansard, HC (26. Oktober 2006), col. 1701; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-064. Allgrove/Sellars, The Fraud Act 2006: is breach of confidence now a crime? [2009] J.I.P.L.P. 278 (280 ff.) gehen davon aus, dass eine Strafbarkeit zumindest bei Betriebsgeheimnissen zu bejahen ist, grundsätzlich auch bei der Verletzung einfacher arbeitsvertraglicher Verschwiegenheitspflichten. Es sei aber nicht damit zu rechnen, dass solche Sachverhalte nunmehr verstärkt Gegenstand von Strafverfolgung werden würden. 359 Vgl. § 2, III., 3. Nicht eindeutig ist etwa auch die Strafbarkeit des Geschäftsführers eines Unternehmens wegen Eingehung überdurchschnittlich hoher wirtschaftlicher Risiken. Dies wird nur dann zu bejahen sein, wenn er nicht im besten Interesse des Unternehmens zu handeln glaubte; vgl. Sinclair (1968) 52 Cr.App.R. 618 (621 f.); Solicitor-General, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 34. 360 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.36; vgl. § 4, I. 361 Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-069. 362 Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.178. Im Gesetzgebungsverfahren erregte die Unbestimmtheit von section 4 deutlich mehr Bedenken als sections 2 und 3, vgl.: Grieve, Hansard, HC, col. 549 f. (12. Juni 2006); Jenkins, Hansard, HC, col. 554 (12. Juni 2006). Beachte insbesondere die parlamentarische Kritik von Grieve, Standing Committee B (20. Juni 2006), col. 12: „There is a sense that that is what we are doing with the clause: a set of facts is put to a jury and it is asked, ,Is it in order, out of order or totally out of order,‘ and on that depends guilt or innocence. That worries me.“

Teil 2

Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff im Lichte einer Gegenüberstellung der Kerndelikte des englischen und deutschen Rechts Im Folgenden soll durch eine Gegenüberstellung der Kerntatbestände des Fraud Act 2006 einerseits und der §§ 263, 266 StGB andererseits untersucht werden, in welcher Weise ein tatbestandlicher Schadensbegriff und die Identifizierbarkeit geschützter Rechtsgüter zur Konturierung strafrechtlicher Verhaltensgebote beitragen und dadurch eine inhaltlich differenzierte Kriminalisierung ermöglichen (§ 5). Von besonderem Interesse sind dabei zwei im ersten Teil der vorliegenden Arbeit demonstrierte Merkmale des englischen Vermögensstrafrechts: Zum einen, dass Strafbarkeit hier grundsätzlich nicht mit dem Schutz bestimmter Interessen oder Güter begründet wird, sondern mit der moralischen Verwerflichkeit von Verhalten. Zum anderen, dass der englische Gesetzgeber durch die mit dem Fraud Act 2006 (FA) vollzogene Reform im Interesse von Beweisvereinfachung und Flexibilität der Strafverfolgung die Bestimmtheit tatbestandlichen Verhaltens erheblich gemindert hat. Die zum englischen Recht mit Blick auf einen kriminalpolitischen und generalpräventiven Funktionsverlust der Tatbestände anzustellenden Beobachtungen sollen als Ausgangspunkt einer Analyse des Betrugstatbestandes des § 263 StGB dienen, wobei der Frage nachgegangen werden wird, inwieweit Entwicklungen der diesbezüglichen Rechtsprechung und Vorschläge des deutschen Schrifttums geeignet sind, den bei den englischen Tatbeständen zu beobachtenden Bedeutungsverlust des materiellen Rechts auch hier herbeizuführen (§ 6). Im Fokus steht neben den normstrukturellen Gründen einer solchen Entwicklung insbesondere das Aufzeigen der Notwendigkeit, inhaltlich differenzierte Straftatbestände im Interesse eines mit den Bürgern generalpräventiv kommunizierenden und verfolgungsbehördliches Handeln transparent gestaltenden Strafrechts zu bewahren. Anschließend wird der Frage nachgegangen, inwieweit insbesondere die Figuren der schadensbegründenden Vermögensgefährdung (auch als „Gefährdungsschaden“ bezeichnet) und der vermögenswerten Exspektanz geeignet sind, die tatbestandlichen Schadensmerkmale bei den § 263 und § 266 StGB zu untergraben (§ 7).

§ 5 Deliktsstrukturelle Unterschiede

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§5 Deliktsstrukturelle Unterschiede der Strafbarkeit betrügerischen und veruntreuenden Verhaltens im englischen und deutschen Recht I. Kennzeichnende Merkmale der englischen Delikte 1. Fehlen eines Schadensmerkmals Eine vergleichende Gegenüberstellung der hier untersuchten englischen und deutschen Delikte muss im Ausgangspunkt berücksichtigen, dass anders als das deutsche Recht das englische Recht nicht auf den Schutz von Vermögen abstellt.1 Die genannten englischen Tatbestände stellen Verhalten unter Strafe, welches zwar ausweislich des in allen Fällen auftauchenden Tatbestandsmerkmals property jedenfalls einen Vermögensbezug haben muss. Jedoch ist anders als im Falle der deutschen Vermögensdelikte damit nur gesagt, dass das tatbestandliche Verhalten (zumindest mittelbar) einen Vermögensgegenstand als Objekt des inkriminierten Verhaltens aufweist. Anders als im deutschen Recht ist für eine Strafbarkeit hingegen eine Vermögensschädigung für die Verwirklichung des Tatbestandes nicht erforderlich. Der Unwert des inkriminierten Verhaltens wird sich in der Strafverfolgungspraxis zwar regelmäßig, aber eben nicht zwingend auf eine wirtschaftliche Schlechterstellung des Opfers beziehen. Das von den englischen Delikten erfasste Verhalten kann sich vielmehr auch gegen nicht-wirtschaftliche Interessen richten.2 Die dargestellten Delikte des FA können also auch dann einschlägig sein, wenn der Täter einen zivilrechtlichen Anspruch auf Erlangung des fraglichen Vermögensgegenstandes gegen das Opfer hat. Für die Bejahung eines Verlustvorsatzes mit Blick auf einen entgangenen Gewinn ist es zudem grundsätzlich unerheblich, dass das Opfer keinen Anspruch darauf hatte. Rein faktische Erwerbsaussichten können für die Annahme eines Verlusts genügen. Auf den Nachweis eines Verlustvorsatzes kann sogar vollkommen verzichtet werden, wenn es dem Täter um das Erlangen eines Gewinns ging, da die Tatbestände des FA nur alternativ eine dieser beiden Vorsatzformen – Gewinn- oder Verlustvorsatz – fordern. Insbesondere die zum Vermögensschadensbegriff des 1 Vgl. die Verurteilung aus section 4 FA (abuse of position) in Gayle (Mark Diego) [2008] EWCA Crim 1344: der Angeklagte arbeitete im Cargo-Bereich eines Flughafens und hatte gegen Bestechungsgelder die Umgehung von Sicherheitskontrollen ermöglicht. Die Entscheidung stellt allein auf die damit verbundene Gewinnabsicht ab, nicht aber auf eine wirtschaftliche Schädigung. Vgl. auch Monaghan, J. Crim. L. 2010, 259 (268 ff.). 2 Vgl. etwa Kapitene (Debamba) [2010] EWCA Crim 2061, wo der ausländische Angeklagte unter Vortäuschung einer Aufenthaltsberechtigung Beschäftigung erlangt hatte. Seine Verurteilung aus section 2 FA begründete sich allein aus dem durch die Täuschung ermöglichten Verstoß gegen ausländerrechtliche Vorschriften. Wirtschaftliche Fragen waren hingegen ohne Bedeutung.

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Teil 2: Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff

deutschen Rechts geführte Diskussion zu vermögenswerten Exspektanzen ist hier für Strafbarkeit demnach weniger bedeutsam, wird vielmehr nur mittelbar und zwar insoweit Berücksichtigung finden, wie bestehende Rechte des Opfers zur Annahme des normativen subjektiven Tatbestandsmerkmals dishonesty (Unehrlichkeit) führen können. 2. Überragende Rolle des subjektiven Tatbestands Von erheblicher Bedeutung für ein Verständnis der englischen Vorschriften ist zudem, dass die Tatbestände des FA keine unmittelbare Kausalität zwischen tatbestandlichem Verhalten und etwaigen vermögensrelevanten Konsequenzen fordern. Zwar muss der Täter mit dem Vorsatz des Herbeiführens eines Gewinns oder Verlust handeln. Doch lässt sich diesem Vorsatzerfordernis nicht die Notwendigkeit entnehmen, dass Gewinn oder Verlust eine unmittelbare Folge des Tuns oder Unterlassens darstellen. Diese Feststellung ist für ein Verständnis der in sections 2 bis 4 FA enthaltenen Delikte von überaus großer Bedeutung. Denn damit ist eine Strafbarkeit von etwaigen Konsequenzen eines tatbestandlich erfassten Verhaltens entkoppelt. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die Absichten des Täters insgesamt betrachtet, d.h. mit Blick auf das vom Täter subjektiv erfasste vorangehende und/oder weitere Geschehen als unehrlich darstellen. Nicht die (sozialschädlichen) Folgen einer Tat sind mithin strafbarkeitsbegründend, sondern die unehrlichen Absichten des Täters. Wie dies schon bei der Rechtsprechung zum Diebstahl (theft gemäß section 1 des Theft Act 1968) zu beobachten war,3 begründet sich Strafbarkeit bei den Kerndelikten des FA mithin maßgeblich nicht nur mit dem Handlungsunwert (eine Täuschung oder den Missbrauch einer Vertrauensstellung), sondern durch die subjektive Tatseite. II. Section 2 FA aus der Perspektive der §§ 263, 263a StGB Der objektive Tatbestand von section 2 FA beschränkt sich auf das Verhalten des Täters. Die Vorschrift erfordert keinen Erfolg. Zunächst soll das tatbestandliche Verhalten der deutschen und englischen Vorschriften, anschließend ihr subjektiver Tatbestand verglichen werden. 1. Der objektive Tatbestand: Abgabe einer unrichtigen Erklärung Eine false representation nach section 2 FA ebenso wie eine Täuschung nach § 263 StGB kann sowohl Umstände der Außenwelt als auch des Innenlebens zum Gegenstand haben.4 In beiden Rechtsordnungen für die Abgrenzung des Tatbe3

Vgl. § 3, III. Vgl. oben § 1, II., 1.; § 4, II., 2., b); Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 8; MKHefendehl, § 263, Rdn. 63; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 13; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 76; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 20; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 12. 4

§ 5 Deliktsstrukturelle Unterschiede

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stands von entscheidender Bedeutung ist die Frage, ob in der Tat eine konkludente unwahre Erklärung gesehen werden kann.5 Da es für eine Strafbarkeit nach section 2 FA nicht zwingend auf eine durch das tatbestandliche Verhalten herbeigeführte oder auf eine vom Täter bezweckte Vermögensschädigung ankommt, ist auch der tatbestandsrelevante Inhalt einer Erklärung nicht entsprechend eingeschränkt.6 Anders als bei Täuschungen nach § 263 StGB wird mithin der Inhalt einer false representation inhaltlich grundsätzlich nicht durch einen Vermögensschädigungsbezug begrenzt. Eine inhaltliche Konkretisierung der false representation wird zudem dadurch erschwert, dass section 2 FA nicht einmal auf der subjektiven Tatseite eine Irrtumserregung erfordert, sich der Erklärungsinhalt also auch auf potentiellen Adressaten unbewusste oder ihnen gar gleichgültig seiende Umstände beziehen kann.7 Bei der Bestimmung konkludent täuschenden Verhaltens lassen englische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft systematische Kriterien zur Abgrenzung von Verantwortungsbereichen weitgehend vermissen8 und wird ganz überwiegend auf das im Zweifelsfall durch die Jury zu ermittelnde Verkehrsverständnis im Rahmen der konkreten Kommunikationssituation abgestellt.9 Eine strafbarkeitsbeschränkende Funktion kam unter dem bisherigen Recht vor allem dem Irrtumserfordernis zu, so dass etwa eine wissentliche Schlechterfüllung nicht bereits zur Annahme einer Täuschung genügen sollte.10 Hinsichtlich des Vorliegens einer Täuschung lässt sich der englischen Rechtsprechung eine normativierende Begrenzung des Bewertungsspielraums der Jury hingegen nur in sehr begrenztem Maße entnehmen. Ausdruck einer mitunter trotzdem erfolgenden impliziten Orientierung an objektiven Risikosphären ist es insbesondere, dass anpreisende Leistungsangebote und die Unangemessenheit eines Kaufpreises nach Ansicht der Rechtsprechung nicht als Täuschung zu verstehen sind, wenn nicht der Anbietende überlegenes Wissens vortäuscht beziehungsweise zwischen den Parteien ein Vertrauensverhältnis vorliegt.11 Der Versuch einer darüber hinausgehenden Konkretisierung und normativierenden Systematisierung des Täuschungsbegriffs findet sich in der Rechtsprechung hingegen nicht.

5

Vgl. oben § 1, II., 1., a); § 4, II., 2., a); Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 14/ 15; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 87; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 29; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 111; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 26; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 29. 6 Vgl. § 4, II., 2., b). Zur Berücksichtigung vermögenswertneutraler Erklärungsinhalte im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Täuschung und nicht erst bei der Frage des Vermögensschadens, vgl. Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 37. 7 Vgl. § 4, II., 2., b). 8 Exemplarisch A. T. H. Smith, Property Offences, Rdn. 17-26 und J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-17; vgl. § 1, II., 1., a). 9 Vgl. § 1, II., 1., a) und insb. Adams [1993] Crim.L.R. 525 f. 10 J. C. Smith, Law of Theft, Rdn. 4-22. 11 Silverman (1988) 86 Cr.App.R. 213 (216).

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Teil 2: Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff

Das objektive Verkehrsverständnis als Maßstab bedarf jedoch der Relativierung. Die Perspektive eines objektiven Betrachters wurde zwar durch die Reform einerseits sogar noch weiter gestärkt, da der Tatbestand von section 2 FA auf die Erregung eines Irrtums verzichtet. Allerdings ist ein objektives Verständnis als Maßstab des Verkehrsverständnisses insofern von nur beschränkter Aussagekraft, als es für dessen Bestimmung zunächst einmal darauf ankommt, welche Informationen nach Kenntnis des Erklärenden für den Erklärungsempfänger überhaupt entscheidungsrelevant sind. Insbesondere können auch im Geschäftsverkehr als nebensächlich erachtete Merkmale eines Leistungsangebots Gegenstand einer Täuschung sein, soweit sie für den konkreten Adressaten von Bedeutung sind.12 So können anders als bei § 263 StGB auch solche Tatsachen tatbestandsrelevant sein, die sich nicht auf den Marktwert der Leistung oder deren individuelle Brauchbarkeit auswirken.13 Zu fragen ist bei section 2 FA also zunächst danach, ob sich der Täter darüber bewusst war, welche Umstände den (potentiellen) Adressaten von einer Erbringung der erhofften Leistung abhalten würden. Hierbei sind nicht nur solche die Leistungseigenschaften betreffenden Erwartungen des Erwerbers relevant, sondern auch Tatsachen, welche eine Erfüllung dieser Erwartungen nicht infrage stellen.14 Zu beachten ist zudem, dass Strafbarkeit auch bei einer derart bejahten Täuschung letztlich auf der Ebene des subjektiven Tatbestandsmerkmals dishonesty verneint werden kann, wenn sich nämlich das fragliche Verhalten nach der Verkehrsauffassung eben nicht als unehrlich darstellt. Während die Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens bei § 263 StGB mangels eines vergleichbaren normativen Korrektivs bereits bei der Täuschung vorgenommen werden muss, gestaltet sich die Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens bei section 2 zweistufig, zunächst über die Prüfung einer false representation und anschließend von dishonesty. Diese schon beim alten, bis 2007 geltenden Recht zu beobachtende gesetzgeberische Technik (zunächst Prüfung einer deception, anschließend von dishonesty) ist ein weiterer Grund, warum sich im Rahmen der Prüfung von deception der Rechtsprechung kaum systematisierende Erwägungen für die Bestimmung einer Täuschung entnehmen lassen,15 sondern die Beurteilung der Strafbarkeit letztendlich über das Kriterium der dishonesty als Frage nach der Sozialadäquanz des Verhaltens der Jury überlassen wird. Vergegenwärtigt man sich, dass section 2 FA, ebenso die bisherigen Täuschungsdelikte, nicht an schädliche Konsequenzen eines Verhaltens – insbeson12

Vgl. D. Ormerod/D. H. Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.110, 3.112. Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 108; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 632; SKHoyer, § 263, Rdn. 203; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 308; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 102; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 177. 14 Vgl. die Rechtsprechung zum Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten in Charles [1977] A.C. 177 (193) und Lambie [1982] A.C. 449 (460) unter § 1, II., 1., b). 15 Vgl. § 1, II., 1., a). 13

§ 5 Deliktsstrukturelle Unterschiede

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dere nicht an einen objektiven Vermögensschaden – anknüpfen, Strafbarkeit eines Verhaltens also schon wegen seines Verhaltensunwerts aus sich heraus begründet wird, so muss in Anbetracht der Unbestimmtheit des Täuschungsbegriffs section 2 FA Konzeptlosigkeit attestiert werden. Dies lässt sich nur dadurch verstehen, dass es dem englischen Gesetzgeber letztlich nicht um die Umsetzung differenzierter kriminalpolitischer Konzepte ging, sondern um die Setzung äußerer Grenzen bei der Bekämpfung unehrlichen Verhaltens. Die Konkretisierung strafbaren Verhaltens erfolgt letztlich mehrstufig, wobei die gesetzlichen Regelungen lediglich den Ausgangspunkt bilden, gefolgt von der in kriminalpolitischer Hinsicht letztlich maßgeblichen Ermessensausübung seitens der Strafverfolgungsbehörden, woran sich die Bewertung durch den Richter und (sollte letzterer die Tatbestandsmäßigkeit der vorgeworfene Tat nicht als von vornherein ausgeschlossen betrachten16 und der Vorwurf vom Beschuldigten bestritten werden) die Ansicht der Jury anschließt. Bestreitet der Beschuldigte den Tatvorwurf und hat deshalb eine Jury zu entscheiden, so darf zudem nicht unbeachtet bleiben, dass diese für ihre Entscheidung keine Gründe zu nennen braucht.17 Es kann sicherlich nicht ausgeschlossen werden, dass das Vorliegen unehrlicher Absichten des Täters die Bewertung des objektiven Erklärungsinhalts in den Augen der Jury beeinflusst. Wie bei § 263 StGB18 reicht mithin ein auf Irrtumserregung gerichteter Vorsatz für die Bejahung einer Täuschung zwar nicht aus. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass die Jury sich bei der Feststellung einer false representation weniger durch eine objektive Bewertung des Täterverhaltens als gegebenenfalls vielmehr durch die unehrlichen Absichten des Täters leiten lässt.19 Zu vergegenwärtigen hat man sich dabei zudem, dass eine representation nach section 2 FA schon dann als false (unrichtig) gilt, wenn sie zwar nicht unwahr, sondern lediglich irreführend (misleading) ist.20 Handelt der Täter in unehrlicher Absicht, so ist demnach Strafbarkeit selbst bei einer objektiv wahren Erklärung nicht auszuschließen. Die Bedeutung von dishonesty dürfte im Vergleich zum alten Recht unter dem Fraud Act 2006 noch zunehmen. Denn über die Erforderlichkeit einer Irrtumserregung waren die Tatbestände der Theft Acts hinsichtlich möglicher Täuschungsgegenstände grundsätzlich auf solche für den Erklärungsadressaten relevante Informationen beschränkt. Indem nach dem Willen des Gesetzgebers von section 2 FA nunmehr auch solche für den Adressaten unwesentlichen (allerdings für Dritte wesentliche) Informationen erfasst werden, kann eine false representation nun16

Shute, Crim. L.R. 2002, 445 (452). Padfield, Criminal Justice Process, S. 380. 18 BGH 47, 1 (5); Fischer § 263, 21; anders Mahnkopf/Sonnberg, NStZ 1997, 187. 19 Vgl. Arlidge and Parry, On fraud, Rdn. 4-042 f.; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.126. 20 Section 2(2)(a) FA. 17

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mehr grundsätzlich jedwede dem Adressaten vorenthaltene Information zum Gegenstand haben, soweit sie zumindest für Dritte von Bedeutung und sich der Täter bewusst ist, durch das Geschäft mit dem Erklärungsadressaten jene Dritte zumindest der Gefahr eines Verlusts auszusetzen.21 2. Der subjektive Tatbestand: Unehrlichkeit als zentrales Tatbestandsmerkmal § 263 StGB erfordert Vorsatz des Täters hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale Täuschung, Irrtumserregung, Vermögensverfügung und Schaden, wobei jeweils Eventualvorsatz genügt.22 Zudem muss er in Bereicherungsabsicht handeln.23 Bei section 2 FA findet der subjektive Tatbestand eine objektive Entsprechung nur hinsichtlich der false representation. Der Täter muss seine Erklärung zumindest für möglicherweise unwahr oder möglicherweise irreführend halten.24 Dies kommt dem hinsichtlich der Täuschung bei § 263 StGB notwendigen Eventualvorsatz nahe.25 Allerdings kann es für die Bejahung des Vorsatzes bereits genügen, dass der Täter den Inhalt einer objektiv wahren Erklärung nur für möglicherweise irreführend hält.26 Verglichen mit § 263 StGB ist dies insoweit weniger anspruchsvoll, als dort nach der deutschen Rechtsprechung Eventualvorsatz nicht genügt, wenn eine Erklärung bei sorgfältiger Prüfung ihres Inhalts lediglich missverständlich (aber wahr) ist. Der Täter muss ihren missverständlichen Charakter dann vielmehr planmäßig zur Schädigung des Vermögensinhabers einsetzen.27 Der Täter muss zudem mit direktem Vorsatz handeln, einen Gewinn für sich oder einen Dritten zu bewirken oder bei einem anderen einen Verlust zu bewir21 Nach dem Wortlaut von section 2 FA ist nicht einmal erforderlich, dass der Vorsatz des Täters auf das Hervorrufen eines Verlusts bzw. eine Verlustgefahr gerichtet ist (intends to make a gain or to cause loss). Zwar ist dem Gesetzgebungsmaterial eine rein beweistechnische Begründung dieser tatbestandlichen Ausgestaltung zu entnehmen, so dass eine Strafverfolgung nur dann erfolgen sollte, wenn die Strafverfolgungsbehörden von einem auch auf Verlustschaffung gerichteten Vorsatz ausgehen. Vgl. dazu § 4, II., 4., b) sowie Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.49. Die Rechtsprechung nimmt aber eine solche Einschränkung nicht an; vgl. Gayle (Mark Diego) [2008] EWCA Crim 1344; Kapitene (Debamba) [2010] EWCA Crim 2061. 22 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 165; Fischer, § 263, Rdn. 180 f.; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 688; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 350; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 113; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 240. 23 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 166; Fischer, § 263, Rdn. 186; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 690; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 265; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 352; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 115; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 248. 24 Section 2(2)(b) FA. Vgl. § 4, II., 3. 25 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 688; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 350; Mitsch, BT 2/ 1, S. 497. Differenzierend SK-Hoyer, § 263, Rdn. 262, 264. 26 Vgl. § 4, II., 2., c). 27 BGHSt 47, 1 (5).

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ken oder ihn einer Verlustgefahr auszusetzen. Erfasst wird davon auch nur vorrübergehender Gewinn oder Verlust sowie ein entgangener Gewinn. Ein auf eine Vermögensverfügung28 gerichteter Vorsatz ist, anders als bei § 263 StGB, hingegen nicht erforderlich. Zwar muss der Täter im Vorsatz handeln, Gewinn oder Verlust durch seine unrichtige Erklärung zu bewirken. Dabei muss es sich aber nicht um eine unmittelbare Folge eines durch seine Erklärung hervorgerufenen Irrtums handeln.29 Kennzeichnend für section 2 FA ist das subjektive Tatbestandsmerkmal dishonestly. Der Täter muss eine unrichtige Erklärung unehrlicherweise abgeben, d.h., sein Verhalten muss nach den Maßstäben vernünftiger und ehrlicher Menschen unehrlich sein. Der Täter muss sich zudem bewusst sein, dass sein Verhalten nach diesen Maßstäben als dishonest zu bewerten ist.30 Wie vorstehend dargestellt, stellt die Unehrlichkeit des Täters das maßgebliche normative Korrektiv des Tatbestandsmerkmals false representation dar. Beachtenswert ist deshalb, dass die englische Rechtsprechung hinsichtlich der Unehrlichkeit des täuschenden Verhaltens positives Wissen fordert. Es genügt also – anders als beim für die Täuschung Eventualvorsatz genügen lassenden § 263 StGB – nicht, dass der Täter einen täuschenden Charakter seiner Erklärung lediglich für möglich gehalten hat. Dies dürfte bei einer objektiv unwahren Erklärung (untrue representation) eher anzunehmen sein, als bei einer objektiv lediglich irreführenden Erklärung (misleading representation). Je weniger eindeutig unwahr hingegen eine Erklärung ist, insbesondere je stärker sich die Unehrlichkeit des Täters vielmehr aus sonstigen mit dem Verhalten des Täters in Verbindung stehenden Umständen ergeben soll, desto eher muss Unehrlichkeit infrage gestellt oder zumindest ein diesbezügliches Bewusstsein des Täters in Zweifel gezogen werden. Da das englische Vertragsrecht grundsätzlich keine Pflichten aus Treu und Glauben herleitet,31 das Tatbestandsmerkmal der Unehrlichkeit zudem im Hinblick auf die fehlende Sozialadäquanz seines Verhaltens positives Wissen des Täters erfordert, kann im Handel eine tatbestandliche konkludente Täuschung nur mit Zurückhaltung angenommen werden. Unehrliches und mithin tatbestandliches Verhalten ist in der Regel nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände der Erklärungssituation, insbesondere das Vorliegen eines Vertrauensverhältnisses, entsprechende Informationspflichten des Händlers begründen. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs wird in diesem Kontext nach deutschem Recht häufiger ange-

28 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 54; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 230; SKHoyer, § 263, Rdn. 85; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 195; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 62; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 96. 29 Vgl. § 4, II., 4. 30 Ghosh [1982] Q.B. 1053 (1064). 31 Vgl. oben § 4, III., 2., a).

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nommen werden können, da dort hinsichtlich konkludent miterklärter Erklärungsinhalte bereits Eventualvorsatz des Erklärenden genügt. 3. Vermögensschädigung durch Einwirken auf technische Anlagen Gemäß section 2(5) FA kann eine false representation auch gegenüber einer technischen Anlage erfolgen, wenn diese dazu dient, Kommunikation zu empfangen, zu übermitteln oder darauf zu reagieren. Die Identifizierung des tatbestandlichen Verhaltens gestaltet sich hierbei noch schwieriger als bei täuschenden Erklärungen gegenüber einem Menschen, da sich dem Gesetz Charakteristika einer gegenüber Anlagen abgegebenen Erklärung nicht entnehmen lassen. Der Gesetzgeber wollte hier Strafbarkeitslücken schließen, ohne sich aber phänomenologisch mit potentiell einschlägigem Verhalten zu beschäftigen. Soweit subjektiv Unehrlichkeit des Täters zu bejahen ist, erfasst section 2(5) FA teilweise solches in § 263a Abs. 1 StGB als Computerbetrug strafbares Verhalten. Die Verwendung unrichtiger oder unvollständiger Daten und die unbefugte Verwendung von Daten32 sollen nach den englischen Gesetzgebungsmaterialien eine false representation darstellen.33 Möglich erscheint zudem, dass eine Jury die unbefugte Einwirkung auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs34 als tatbestandlich ansieht. Die unrichtige Gestaltung eines Programms zur Beeinflussung der Ergebnisse eines Datenverarbeitungsvorgangs gemäß § 263a Abs. 3 StGB35 kann hingegen unter section 7(1)(b) FA subsumiert werden als Herstellung oder Veränderung eines Gegenstands zur Begehung von Betrug.36 III. Section 4 FA aus der Perspektive des § 266 StGB Section 4 FA und § 266 StGB ähneln sich insoweit, als beide die Verletzung eines Treueverhältnisses unter Strafe stellen, wobei das tatbestandliche Verhalten in der deutschen Vorschrift mit der Verletzung einer Vermögensbetreuungs-

32 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263a, Rdn. 6 f.; SK-Hoyer, § 263a, Rdn. 26, 31; NKKindhäuser, § 263a, Rdn. 16, 19; Mitsch, BT 2/2, § 3, Rdn. 18, 20; LK-Tiedemann, § 263a, Rdn. 32, 40; MK-Wohlers, § 263a, Rdn. 26, 34. 33 Blackstone’s Criminal Practice 2009, Rdn. B5.12; Attorney-General, Hansard, HL, Vol. 679, col. 1108 (14. März 2006); vgl. § 4, II., 2., d). 34 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263a, Rdn. 5, 16; SK-Hoyer, § 263a, Rdn. 22, 46; NKKindhäuser, § 263a, Rdn. 13, 28; Mitsch, BT 2/2, § 3, Rdn. 16, 24; LK-Tiedemann, § 263a, Rdn. 27, 62; MK-Wohlers, § 263a, Rdn. 21, 55. 35 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263a, Rdn. 32; SK-Hoyer, § 263a, Rdn. 60; NK-Kindhäuser, § 263a, Rdn. 43; MK-Wohlers, § 263a, Rdn. 68. 36 Auch die nach § 263a Abs. 3 StGB strafbare Vorbereitung einer Tat nach Abs. 1 wird von section 7(1)(b) FA erfasst. Ein nach § 263a Abs. 3 erforderlicher Verwendungsvorsatz ist gemäß section 7(1)(a) FA aber nicht erforderlich, wenn der Täter Kenntnis von der Bestimmung des Gegenstands hat.

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pflicht,37 in der englischen Regelung mit dem Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses beschrieben wird. Darüber hinaus unterscheiden sich beide Regelungen aber grundlegend. 1. Die tatbestandlichen Charakteristika: Missbrauch und Nachteilszufügung a) Vermögensbetreuungspflicht und Vertrauensverhältnis Während bei § 266 StGB eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht gefordert wird,38 genügt es für section 4 FA auch, dass dem Täter gegenüber dem anderen lediglich in bestimmter Hinsicht eine Pflicht obliegt, dessen finanzielle Interessen zu schützen oder ihnen nicht zuwiderzuhandeln. Entscheidend für das Vorliegen einer Vertrauensstellung nach section 4 FA ist nicht eine Bewertung einer Stellung in ihrer Gesamtheit, sondern der Charakter der verletzten Pflicht. Nach Willen des englischen Reformgesetzgebers entstehen solche zu einer tatbestandlichen Vertrauensstellung führenden Pflichten regelmäßig insbesondere zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer,39 was für § 266 StGB gerade nicht genügen soll.40 Anders als bei der deutschen Vorschrift41 kann mithin auch die Verletzung solcher auf Vertrauen beruhender vertraglicher Nebenpflichten zum Schutz fremden Vermögens erfasst werden. Im Gegensatz zu § 266 StGB42 muss die 37 Nicht weiter differenziert werden soll hier zwischen dem Missbrauchstatbestand (Alt. 1) des § 266 Abs. 1 StGB und dem Treuebruchtatbestand (Alt. 2), da nach der Rechtsprechung beide eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht voraussetzen (BGH 24, 386; 33, 244), der Missbrauchstatbestand demnach ein „speziell geregelter Unterfall“ des Treuebruchtatbestandes ist (MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 16; vgl. Fischer, § 266, Rdn. 6; NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 19; Lackner/Kühl, § 266, Rdn. 4; anders aber SK-Hoyer, § 266, Rdn. 44 f.; Mitsch, BT 2/1, § 8, Rdn. 19; Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 2; LK-Schünemann, § 266, Rdn. 18). Hierbei nicht überbewertet werden sollten solche auf den Wortlaut bzw. den Willen des historischen Gesetzgebers abhebende Gründe (vgl. aber Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 2; LK-Schünemann, 11. Auflage, § 266, Rdn. 15). Diese müssen zumindest dann zurücktreten, wenn eine Begrenzung der Vorschrift im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG notwendig erscheint, die Rechtsprechung deshalb durch eine restriktive Auslegung dem ihr durch BVerfG NJW 2010, 3209 (3211) zugewiesenen „Präzisierungsgebot“ nachkommt (dazu Becker, HRRS 2010, 383 (386); Krüger, NStZ 2011, 369 (372); Saliger, NJW 2010, 3195 (3196); Schünemann, StraFo 2010, 477 (480)). 38 BGHSt 24, 386; MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 30; NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 25 f. 39 Dazu oben § 4, IV., 2., a). 40 BGHSt 4, 170 (172); MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 64; Fischer, § 266, Rdn. 49; Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 26. 41 MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 166; Lackner/Kühl, § 266, Rdn. 9; Mitsch, JuS 2011, 97 (100); Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 23; an der Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenpflichten zweifelnd LK-Schünemann, § 266, Rdn. 90. 42 Fischer, § 266, Rdn. 21, 36; NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 33, 44; anders Mitsch, BT 2/1, § 8, Rdn. 19.

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Vertrauensstellung also nicht einen wesentlichen Inhalt43 der fraglichen Beziehung bilden. Es braucht sich nicht um „eine selbstständige und durch die Übernahme eigener Verantwortung gekennzeichnete Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen“ in einer „Pflichtenstellung von einiger Bedeutung“44 zu handeln. Zwar soll der Tatbestand nicht zuletzt auch solche Fälle erfassen, wobei auch ein informelles, nicht auf die Erfüllung von Rechtspflichten ausgerichtetes Verhältnis genügen kann.45 Anders als bei § 266 StGB ist es für section 4 FA aber nicht erforderlich, dass der Täter „die ihm eigeräumte Entscheidungsfreiheit durch Fehl- bzw. Nichtgebrauch überschreitet.“46 Vielmehr soll die Vorschrift auch auf jene Konstellationen anwendbar sein, in denen vom Täter lediglich – etwa infolge seiner Befugnis zum Verweilen in den Räumlichkeiten seines Arbeitgebers – erwartet wird, den finanziellen Interessen eines anderen nicht zuwiderzuhandeln. Dies geht deutlich über eine Pflicht zum Schutz finanzieller Interessen hinaus, erst recht über eine qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht im Sinne von § 266 StGB.47 Unproblematisch erfasst wird durch section 4 FA insbesondere, dass der Täter die ihm eingeräumte Macht missbraucht, über fremdes oder ihm treuhänderisch übertragenes Vermögen zu verfügen. Die englische Rechtsprechung lässt es für eine Strafbarkeit beim Umgang mit fremdem oder anvertrautem Vermögen genügen, dass jemand darüber in unehrlicher Absicht verfügt, wobei ohne Bedeutung ist, ob ihm eine Verfügungsmacht tatsächlich zukommt oder er eine solche lediglich vortäuscht und die Verfügung deshalb keine rechtliche Wirkung entfaltet.48 Zur Begründung von Strafbarkeit bedarf es dabei nicht einmal notwendigerweise 43 Zweifelhaft BGHSt 49, 17 (24), wo eine Vermögensbetreuungspflicht des Vertragsarztes gegenüber der Krankenkasse angenommen wird. MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 66, weist darauf hin, dass die Hauptpflicht des Arztes in der Erbringung ärztlicher Leistungen liegt, und nicht (wenn überhaupt) in der Vermögensfürsorge gegenüber der Kasse. 44 So zu § 266 StGB MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 32; vgl. RGSt 69, 58 (61 f.); BGH NJW 2011, 88 (91); Fischer, § 266, Rdn. 35; SK-Hoyer, § 266, Rdn. 29, 34; NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 32; Lackner/Kühl, § 266, Rdn. 9; LK-Schünemann, § 266, Rdn. 21. Mitsch, JuS 2011, 97 (100) verlangt für den Treuebruchtatbestand „einen erheblichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum“ des Vermögensbetreuers. Ein nur geringer Handlungsspielraum des Pflichtigen schließt die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht aber nicht aus; vgl. BGH wistra 2008, 427 (428). 45 Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.38; Home Office Explanatory Notes, Para. 20. 46 NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 63. 47 SK-Hoyer, § 266, Rdn. 34; NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 59. Fragwürdig BGHSt 41, 224 (228), wonach eine Mietkaution eine Vermögensbetreuungspflicht des Vermieters begründen kann. Letzterer nimmt nämlich vor allem sein eigenes Sicherungsbedürfnis wahr, handelt also nicht für den Mieter. Es fehlt am wesentlich fremdnützigen Charakter der Geschäftsführung. Vgl. dazu MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 39; Lackner/Kühl, § 266, Rdn. 11 f.; Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 12. 48 Vgl. oben § 3, III., 1.

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der durch section 4 FA geforderten Vertrauensstellung, da solches Verhalten weiterhin auch durch theft49 erfasst wird.50 Es genügt dafür, dass der Täter unehrlicherweise über einen Vermögensgegenstand verfügt, der ihm anvertraut wurde oder zu dessen Verwertung er aus anderen Gründen nicht berechtigt ist.51 b) Kein Schädigungserfordernis Section 4 FA setzt zwar eine Stellung voraus, in der vom Täter erwartet wird, die finanziellen Interessen einer anderen Person zu schützen oder ihnen nicht zuwiderzuhandeln. Die Vorschrift verlangt jedoch keine wirtschaftliche Schädigung des Treuegebers und nicht einmal einen darauf gerichteten Vorsatz. Es genügt, dass der Täter lediglich einen Gewinn erlangen will. Gewinn- und Verlustvorsatz sind alternativ, wobei ein Verlust (loss) ohnehin nicht im Sinne eines Saldoschadens zu verstehen ist, sondern im Sinne des Verlusts eines Vermögensgegenstands oder einer Erwerbsaussicht, oder der Schaffung einer Verlustgefahr.52 Auch muss der vom Vorsatz umfasste Gewinn oder Verlust nicht unmittelbar aus der Tat folgen.53 Die Strafbarkeit des Missbrauchs der Vertrauensstellung beruht vielmehr auf dem Gedanken, dass derartigem Verhalten das Risiko innewohnt, zu einer Beeinträchtigung der finanziellen Interessen des Treuegebers zu führen.54 Unerheblich ist, ob die konkrete Tat tatsächlich zu einer Schädigung führte oder dazu geeignet war. Sie ist vielmehr auch dann strafbar, wenn es im konkreten Fall offensichtlich nicht um eine Beeinträchtigung der finanziellen Interessen geht, aber die Infragestellung anderweitiger Interessen Anlass zu Strafbedürftigkeit gibt.55 c) Pflichtverletzung und Missbrauch § 266 StGB erfordert die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht.56 Zwar bleibt dann immer noch zu fragen, ob es sich dann beim tatbestandlichen 49

Section 1 des Theft Act 1968. Zur Relativierung des Kriteriums der „Selbständigkeit“ durch die Rechtsprechung zu § 266 StGB in Fällen des Einkassierens und Verwahrens fremder Gelder, vgl. MKDierlamm, § 266, Rdn. 44 f.; Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 24. 51 Dazu § 3, II., 2., b)–d). 52 Dazu § 4, II., 4., a). 53 Dazu § 4, II., 4., c); IV., 3.; Arlidge/Parry, On fraud, Rdn. 6-064; Ormerod/Williams, Smith’s Law of Theft, Rdn. 3.174. 54 Collins, Crim. L. R. 2011, 513 (522). 55 Vgl. Gayle (Mark Diego) [2008] EWCA Crim 1344. 56 Nach BGHSt 47, 148 (150); 47, 187 (197); BGH NJW 2011, 1747 (1749) muss diese „gravierend“ sein; zustimmend MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 154; kritisch Beckemper, NStZ 2002, 324 (326); SK-Hoyer, § 266, Rdn. 56; Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 19b; Safferling, NStZ 2011, 376 (377 f.). Vgl. aber BGHSt 50, 331 (343); 52, 323 (334); BGH NStZ 2006, 221 (222). Nach Fischer, § 266, Rdn. 61, erübrigt sich bei Verletzung einer Hauptpflicht die Frage, ob sie gravierend war. 50

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Verhalten um die Verletzung einer spezifisch vermögensschützenden Pflicht handeln muss57 oder ob auch anderweitige Pflichtverletzungen erfasst sind, soweit ihre Verletzung zu einem Vermögensnachteil führen kann.58 Auch kann fraglich sein, inwieweit es sich um eine Pflicht handeln muss, deren Verletzung dem Täter gerade durch das Innehaben einer qualifizierten Pflichtenstellung ermöglicht wurde.59 Maßgeblich konkretisiert wird die tatbestandliche Pflichtverletzung jedoch durch ihren Vermögensschädigungsbezug. Bei section 4 FA findet sich eine dahingehende Konkretisierung hingegen nicht. Zwar muss sich die vom Täter innegehabte Pflichtenstellung auf die finanziellen Interessen eines anderen beziehen. Der Tatbestand enthält aber keine Vorgaben dahingehend, dass sich auch der Missbrauch dieser Stellung auf finanzielle Interessen beziehen muss. Die Pflichtenstellung dient also lediglich der gegenständlichen Begrenzung des Missbrauchsverbots, nicht aber seiner inhaltlichen Konkretisierung im Sinne des Verbots einer finanziellen Schädigung. d) Unehrlichkeit Wenn die Rechtsprechung zu § 266 StGB unter anderem die Verletzung von Informations- und Mitteilungspflichten als ein wesentliches Kriterium für das Vorliegen einer Pflichtverletzung heranzieht,60 so wird dies dem englischen Tatbestandsmerkmal der Unehrlichkeit regelmäßig entsprechen. Denn zwar erfordert section 4 FA nicht zwingend eine Verschleierung beziehungsweise Heimlichkeit des Missbrauchs. Solches wird aber von der englischen Rechtsprechung regelmäßig als typisches Merkmal unehrlichen Verhaltens angesehen.61 Darüber hinaus erscheint das Tatbestandsmerkmal der Unehrlichkeit bei section 4 FA allerdings von geringerer Bedeutung zu sein als insbesondere bei section 2 FA.62 Denn wird der Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses bejaht, so dürfte dies in der Regel auch Unehrlichkeit des Täters bedeuten. 57 MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 174; SK-Hoyer, § 266, Rdn. 51; hingegen auf die Handlungsgründe des Täters abstellend Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 37. 58 Unklar BGH NJW 2011, 88 (91), wonach die verletzte Pflicht „in der Regel“ zumindest mittelbar vermögensschützenden Charakter haben müsse. Vgl. auch BGH NJW 2011, 1747 (1749); kritisch Brand, NJW 2011, 1751 (1752). 59 Auf einen „inneren Zusammenhang“ zwischen Vermögensbetreuungspflicht und Tathandlung abstellend BGH NJW 1992, 250 (251). Nach MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 166 muss der Täter eine „dem qualifizierten Pflichtenkreis seiner besonderen Stellung immanente Pflicht“ verletzen. Ähnlich NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 62; Mitsch, BT 2/ 1, § 8, Rdn. 46; LK-Schünemann, § 266, Rdn. 102. Weitergehend Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 36. 60 BGHSt 46, 30 (34); 47, 148 (150); 47, 187 (197); MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 157; Fischer, § 266, Rdn. 72; NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 80; Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 23. 61 Vgl. oben § 2, II., 3.; Norris [2008] 1 A.C. 920 (933, 935); Goldshield [2009] 1 W.L.R. 458 (464); Adams [1995] 1 W.L.R. 52 (65). 62 Vgl. oben § 4, II., 2., b).

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Section 4 FA verlangt keine Schädigung eines anderen oder einen dahingehenden Vorsatz. Dishonesty wird aber in der Regel vor allem dann zu bejahen sein, wenn der Täter hinsichtlich einer wirtschaftlichen Schädigung des anderen vorsätzlich handelte. Zu beachten ist dabei, dass nach der englischen ebenso wie nach der deutschen Rechtsprechung grundsätzlich schon in der Gefährdung fremder Vermögensgegenstände eine Schädigung liegen kann.63 2. Die Vielgestaltigkeit des Treuebruchs als Grenze der Leistungsfähigkeit eines auf moralisierendes Verhaltensunrecht abstellenden Strafrechts a) Vermögensschädigung als Missbrauch Der Begriff des Missbrauchs in section 4 FA geht in seinem Bedeutungsgehalt über eine Pflichtverletzung hinaus, erfordert nämlich zudem, dass der Täter aus Motiven handelt, die mit der Inanspruchnahme von Vertrauen nicht vereinbar sind.64 Auch für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB berücksichtigt die Rechtsprechung zwar, ob der Täter aus sachwidrigen Motiven handelte.65 Sachwidrige Motive sind für eine Untreuestrafbarkeit allerdings nicht zwingend erforderlich. Deutlich wird vielmehr, dass § 266 StGB zwar ebenso wie section 4 FA den Missbrauch einer Vertrauensstellung beschreibt, dies aber durch eine andere Deliktstruktur zum Ausdruck bringt. Denn wenn der Täter einer Vermögensbetreuungspflicht unterliegt, trotzdem aber dem Treuegeber vorsätzlich einen Vermögensnachteil zufügt, so bedeutet dies – ein voluntatives Element seines Handelns unterstellt – nichts anderes als einen Missbrauch des Treueverhältnisses.66 In Anbetracht der vorsätzlichen Nachteilsbewirkung erübrigt sich dann grundsätzlich die Frage nach den Motiven des Täters. b) Moralisierende Verhaltensbeschreibung und Rechtsgutsbezug Das tatbestandliche Vermögensschadensmerkmal bei § 266 StGB ermöglicht es, den Missbrauch eines Treueverhältnisses zu beschreiben, ohne eine Berücksichtigung der Motive des Täters notwendig zu machen. Durch das Erfolgsunrecht wird also die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals der Pflichtverletzung für 63 Allsop (1977) 64 Cr.App.R. 29 (31 f.); Wai Yu-Tsang [1992] 1 A.C. 269 (280). Zu § 266 StGB, vgl. BVerfG, NJW 2009, 2370; 2010, 3209; BGHSt 51, 100 (121); NStZ 2007, 704 (705). 64 Vgl. oben § 4, IV., 3. Aus einer Pflichtverletzung allein lässt sich der Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses hingegen noch nicht ableiten. Selbst aus einer eigennützigen Pflichtverletzung ergibt sich noch nicht notwendigerweise, dass der Täter den Interessen seines Geschäftsherrn zuwiderhandelt und mithin Vertrauen missbraucht. 65 BGHSt 46, 30 (34) (Kreditvergabe); 47, 187 (197 f.) (Sponsoring); 50, 331 (336) (Anerkennungsprämien); Fischer, § 266, Rdn. 72; MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 158. 66 Vgl. NK-Kindhäuser, § 266, Rdn. 54.

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die Identifizierung des tatbestandlichen Verhaltens gemindert. Letzteres wird vielmehr von zwei wesentlichen Merkmalen – Verhaltensunrecht und Erfolgsunrecht – abhängig gemacht. Das Schadensmerkmal entlastet somit das Verhaltensunrecht, indem es das tatbestandliche Unrecht durch ein weiteres Unrechtsmerkmal konturiert, was zu größerer Bestimmtheit des Tatbestandes führt. Durch die damit geminderte strafbarkeitsbegründende Bedeutung der Motive des Täters wird zudem der subjektive Tatbestand insofern entlastet, als sich der Missbrauch bei § 266 StGB bereits aus dem Schädigungsvorsatz ergibt. Verglichen mit section 4 FA ist wegen des Schadensmerkmals die Identifizierung des tatbestandlichen Verhaltens bei § 266 StGB mithin in geringerem Maße von einer moralischen Bewertung des Täterverhaltens abhängig. Der moralisierende Missbrauchsbegriff wird durch das eher deskriptive Tatbestandsmerkmal Vermögensnachteil ersetzt. c) Probleme des moralisierenden Rechts bei vielgestaltigem Verhaltensunrecht Das Fehlen eines funktionalen Zusammenhangs zwischen dem wirtschaftlichen Charakter der Pflichtenstellung einerseits und ihrem Missbrauch andererseits verdeutlicht, dass das englische Recht gerade nicht durch den Gedanken des Rechtsgüterschutzes geprägt ist, sondern durch die Kriminalisierung unmoralischen Verhaltens. Section 4 FA zeigt, dass das daraus resultierende Fehlen gesetzgeberischen Denkens in Kategorien strafbegründenden Erfolgsunrechts nicht zuletzt dann zu Schwierigkeiten führt, wenn sich der zu kriminalisierende Lebenssachverhalt aufgrund seiner Vielgestaltigkeit ohne einen Bezug zu Erfolgsunrecht eben kaum beschreiben lässt. Der fehlende Rechtsgutsbezug stellte sich zwar schon bei section 2 FA als problematisch dar, eben weil die tatbestandliche Irrelevanz eines Vermögensschadens die Bestimmung täuschungsrelevanter (insbesondere konkludenter) Erklärungsinhalte grundsätzlich uferlos erscheinen lässt. Immerhin ist aber die vermögensbezogene Täuschung für das Unrecht des Betruges kennzeichnend. Der Vermögensschaden an sich ist für die Identifizierung betrügerischen Unrechts hingegen kaum aussagekräftig, da eine auf Wettbewerb ausgerichtete Wirtschaftsordnung solche aus einem Wissensgefälle der Marktteilnehmer resultierende Vermögenseinbußen als legitim hinnehmen muss. Für veruntreuendes Verhaltens hingegen ist zwar kennzeichnend, dass der Täter die ihm im Innern der Opfersphäre eingeräumte Stellung missbraucht. Das dafür infrage kommende Verhalten kann jedoch äußerst vielgestaltig sein und wird in erheblichem Maße dadurch konkretisiert, dass auf seine Folgen abgestellt wird. Anders als bei der Interaktion sich gegenüberstehender Marktteilnehmer ist eine bewusste Benachteiligung des Treuegebers durch den Treuenehmer im Grundsatz gerade nicht zulässig, sondern für das Unrecht der Untreue kennzeichnend. Ein tatbestandliches Abstellen auf das Erfolgsunrecht ist deshalb geeignet, veruntreuendes Verhalten in beträchtlichem Maße zu konturieren. Während es für eine

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Strafbarkeit wegen Betrugs entscheidend auf die Verkehrsanschauung hinsichtlich des Vorliegens einer Täuschung ankommt, ist es für die Untreue von zentraler Bedeutung, ob der Treuenehmer dem Treuegeber vorsätzlich Nachteile zugefügt hat. Infolge seines moralisierenden, auf Verhaltensunrecht abstellenden Charakters enthält section 4 FA hingegen keine solche Konkretisierung des tatbestandlichen Verhaltens. IV. Section 3 FA aus der Perspektive der §§ 263, 13 StGB Section 3 FA stellt die unehrliche Verletzung einer Offenlegungspflicht unter Strafe. Die Vorschrift enthält allerdings keine Konkretisierung der tatbestandlichen Pflicht, begrenzt sie insbesondere nicht auf solche mit vermögensschützendem Charakter. Eine dahingehende Eingrenzung erfolgt auch nicht über den subjektiven Tatbestand, es genügt vielmehr, dass der Pflichtige die Offenlegung alternativ mit Gewinnerlangungs- oder Verlustbewirkungsvorsatz unterlässt. Eine nach section 3 FA sanktionierte Offenlegungspflichtverletzung entspricht insoweit § 263 i.V. m. § 13 StGB, als auch ein Betrug durch Unterlassen in der Regel auf der Verletzung einer Aufklärungspflicht67 beruht. Wie das deutsche Unterlassungsdelikt lässt dabei auch section 3 FA für die Strafbarkeit eine Verletzung der Aufklärungspflicht nicht genügen. Die deutsche Rechtsprechung fordert über das Bestehen einer Rechtspflicht hinaus einen materiellen Grund für die Folgenverantwortlichkeit des Unterlassenden, regelmäßig das Bestehen von Vertrauen zwischen Täter und Geschädigten.68 Nach section 3 FA muss die Pflichtverletzung unehrlich sein. Betrachtet man Unehrlichkeit als den Missbrauch von Vertrauen, so ist festzustellen, dass sich die Strafwürdigkeit der Aufklärungspflichtverletzung in beiden Rechtsordnungen maßgeblich auf den Bruch von Vertrauen gründet. 1. Verantwortungsdenken als Fremdkörper im moralisierenden Strafrecht Darüber hinaus unterscheiden sich §§ 263, 13 StGB und section 3 FA allerdings grundlegend. § 13 StGB macht Strafbarkeit davon abhängig, dass der Unterlassende „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt“. Strafbarkeit beruht also auf der Verantwortlichkeit für die Abwendung eines Erfolgs.69 Vertrauen begründet diese Verantwortlichkeit. Für § 263 StGB bedeutet dies, dass der Aufklärungspflichtige eine irrtumsbedingte Vermögensschädigung abzu67 Fischer, § 266, Rdn. 38; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 136; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 144; Lackner/Kühl, § 263, Rdn. 12; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 51. 68 BGHSt 39, 393 (399); Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 19; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 141; vgl. auch LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 56 f. 69 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 19; vgl. Fischer, § 263, Rdn. 46; Naucke, NJW 1994, 2809 (2810).

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wenden hat.70 Section 3 FA enthält keine solche Konkretisierung des tatbestandlichen Verhaltensgebots. In der Tradition der englischen Vermögensdelikte begründet sich Strafbarkeit nicht im Hinblick auf Verantwortlichkeit für einen Erfolgsunwert, sondern den moralischen Unwert des Verhaltens, hier in der Enttäuschung von Vertrauen. Die Ausgestaltung von section 3 FA bildet mithin die konsequente Fortführung eines Strafrechts, welches Strafbarkeit vorrangig mit dem moralischen Unwert von Verhalten begründet und dem Täter zurechenbare Konsequenzen bei der Tatbestandsgestaltung unbeachtet lässt. Nicht zu übersehen ist aber, dass dieser Ansatz eines moralisierenden Strafrechts bei Unterlassungsdelikten zu Schwierigkeiten führt. Denn mag sich der Unwert bei aktivem Tun auch ohne die Betrachtung etwaiger Konsequenzen aus dem unmoralischen Charakter dieses Tuns ergeben (etwa aus einer Täuschung oder dem Missbrauch eines Vertrauensverhältnisses), so ist der moralische Unwert eines Unterlassens weit weniger klar, was zumindest teilweise die hergebrachte Zurückhaltung des englischen Strafrechts gegenüber Unterlassungsstrafbarkeit erklären dürfte. Schon bei den alten Täuschungsdelikten des englischen Rechts war deutlich geworden, dass die englische Rechtsprechung der über eine moralisierende Bewertung von Verhalten hinausgehenden Bedeutung der Frage nach Verantwortungsbereichen kaum Bedeutung beimisst.71 Verantwortungsbereiche können eben nur dann eine zentrale Rolle einnehmen, wenn Konsequenzen als Bezugspunkt und Begründung strafrechtlicher Verantwortung anerkannt sind. Dies ist für ein moralisierendes Strafrecht aber gerade nicht der Fall. 2. Konkretisierung tatbestandlicher Verhaltenspflichten durch Folgenverantwortung Berücksichtigt man den moralisierenden Charakter des englischen Strafrechts, so kann es mithin nicht überraschen, dass section 3 FA bereits die eine Vertrauensverletzung darstellende Verletzung irgendeiner Offenlegungspflicht unter Strafe stellt, ohne dabei aus dem Unterlassen resultierende Konsequenzen zu benennen. Deutlich wird daran jedoch, dass eine Kriminalisierung von Unterlassen ohne einen tatbestandlichen Bezug zu einem dem Täter zurechenbaren Erfolgsunwert die Identifizierung des tatbestandlichen Verhaltens erheblich erschwert. Der Erfolgsunwert verdeutlicht, für was der Täter verantwortlich gemacht wird. Nur dann ist eine Beantwortung der – insbesondere bei Selbstschädigungsdelikten und Unterlassungsdelikten äußerst bedeutsamen – Frage möglich, ob sich das Verhalten des Täters als Verletzung solcher in seinen Verantwortungsbereich fallenden Pflichten darstellt und es sich mithin um tatbestandliches Verhalten han70 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 19; Fischer, § 263, Rdn. 38; SK-Hoyer, § 263; Rdn. 55; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 147; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 51. 71 Vgl. oben § 1, II., 1., a) und insbesondere Thompson [1984] 1 W.L.R. 962 f.; Hamilton (1990) 92 Cr.App.R. 54 (59).

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delt. Das Fehlen eines tatbestandlich benannten Verantwortungsgegenstands bereitet bei section 3 FA insbesondere erhebliche Schwierigkeiten, solche nicht ausdrücklich gesetzlich oder vertraglich fixierte tatbestandliche Offenlegungspflichten zu identifizieren. Klar ist lediglich, dass es sich um eine Pflicht handeln muss, die geeignet ist, Vertrauen (und Unehrlichkeit als Enttäuschung dieses Vertrauens) zu begründen. Doch auch dieses Erfordernis hilft letztlich nicht weiter und verdeutlicht lediglich, dass es sich bei section 3 FA im Ergebnis um kaum mehr handelt als um eine Aufforderung an die Gerichte, durch Kasuistik Unterlassensstrafbarkeit zu bestimmen. Denn Vertrauen bedarf selbst eines Bezugsgegenstandes, setzt also eine Klärung der Frage voraus, auf was sich das Vertrauen des anderen bezieht. Erschwert das Fehlen eines tatbestandlichen Schadensmerkmals schon bei section 2 FA (false representation) die Identifizierung täuschungsrelevanter Erklärungsinhalte und macht es bei section 4 FA (abuse of position) eine unter generalpräventiven Erwägungen wenig überzeugende Berücksichtigung der Motive des Täters notwendig, so führt eben dieses Fehlen in besonderem Maße bei section 3 FA (failing to disclose information) zur Aussagelosigkeit des Tatbestandes. 3. Verantwortung anstatt Moralisierung zur Bewältigung komplexer Delinquenz Der Versuch der Schaffung eines aussagekräftigen Unterlassungsdelikts scheitert bei section 3 FA mithin daran, dass die Vorschrift den Gegenstand der dem Offenlegungspflichtigen zukommenden Verantwortung nicht benennt. Ein derartiges Gesetz mag Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Flexibilität bei der Bestimmung strafwürdigen Verhaltens verschaffen. Während sich aber bei der ebenfalls sehr unbestimmten section 2 FA das tatbestandliche Verhalten zumindest noch darüber identifizieren lässt, dass der Täter nach der Verkehrsanschauung eine unrichtige Erklärung abgibt, fehlt es bei section 3 FA an einem vergleichbaren Anknüpfungspunkt. Hier muss eine Jury im Bestreitensfall davon überzeugt werden, dass zwischen dem Beschuldigten und dem anderen ein durch die Offenlegungspflicht begründetes Vertrauensverhältnis bestand. Die bisherige englische Rechtsprechung zum Täuschungsbegriff legt nahe, dass dabei das Bestehen von Vertrauen sich weiterhin nicht aus einer an der Verkehrsanschauung orientierten Differenzierung von Verantwortungsbereichen ergibt, sondern aus einer moralischen Bewertung der Absichten des Täters,72 weshalb insbesondere bei wirtschaftlich komplexer Delinquenz die gesetzgeberisch intendierte Flexibilität die Strafverfolgung im Ergebnis eher erschweren als erleichtern dürfte. Denn das Abstellen auf die Absichten des Täters anstatt auf objektiv bestimmbare Verantwortungsbereiche ist der Ahndung komplexer wirtschaftsstrafrechtlicher Zusammenhänge kaum dienlich. Klare objektive Merkmale – insbesondere tatbestand72

Vgl. oben § 1, II., 1., a).

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liche Schadensbegriffe und die durch sie ermöglichte Strukturierung des tatbestandlichen Verhaltens nach Verantwortungsbereichen, etwa Verantwortung für die Verhinderung irrtumsbedingter Vermögensschäden – dienen eben nicht nur der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens und mithin dem Willkürschutz. Eine zunehmende Bedeutung moralischer Wertungen bei der Identifizierung strafbaren Verhaltens ist vielmehr auch geeignet, die Ahndung komplexer Straftaten zu erschweren, weil sie nämlich die Rolle des subjektiven Tatbestandes erweitern. Dies liegt nicht nur an der im moralisierenden englischen Recht zu beobachtenden Bedeutung der guten oder schlechten Absichten des Täters, sondern auch daran, dass eine maßgeblich auf oft diffuse Wertungen abstellende Strafbarkeitsbegründung der Annahme eines Gebots- oder Verbotsirrtums wachsende Plausibilität verleiht. Vergegenwärtig man sich die hier erkennbare Funktion tatbestandlichen Erfolgsunrechts als Grundlage einer an Verantwortungssphären anstatt an moralischen Wertungen orientierten Bestimmung des tatbestandlichen Handlungsunrechts, so darf die Bedeutung tatbestandlicher Schadensmerkmale für ein nachvollziehbar mit dem Bürger kommunizierendes und Normverstöße deshalb auch nachvollziehbar begründbar machendes Kernstrafrecht nicht übersehen werden. 4. Unterlassensstrafbarkeit bei aus Institutionen heraus bewirkten Schädigungen a) Nichteinschreiten gegen das Handeln anderer Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst § 263 i.V. m. § 13 StGB nicht nur jene Fälle, in denen der Täter zur Offenlegung von Informationen gegenüber dem Geschädigten verpflichtet war, sondern auch solche, in denen er verpflichtet war, eine vermögensschädigende Täuschung seitens Dritter zu verhindern. So trifft den Leiter der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen Rechts die Pflicht, eine betrügerische Gebührenfestsetzung zu unterbinden, wenn es in Anbetracht seiner Stellung zum „wesentlichen Inhalt“ seines Pflichtenkreises gehört, eine betrügerische Gebührenerhebung zu verhindern.73 Für eine Strafbarkeit aus Unterlassen kommt es also nicht zwingend darauf an, dass der Täter zur Aufklärung des Geschädigten verpflichtet war. Wegen Unterlassen strafbar machen kann sich vielmehr auch, wer es pflichtwidrig unterlässt, gegen eine vermögensschädigende Täuschung einzuschreiten. Ermöglicht wird diese Rechtsprechung, weil § 13 StGB primär eben nicht auf eine bestimmte Verhaltenspflicht abstellt, sondern auf die Verantwortung des Täters für ein Rechtsgut. Für die Ahndung von aus Institutionen heraus bewirkten Schädigungen bedeutet dies eine erhebliche Vereinfachung. Innerbetriebliche Entscheidungsprozesse stellen sich von außen oftmals als intransparent dar. Die strafrechtliche Sank73 BGHSt 54, 44 (50 f.). Im Ergebnis zustimmend Warneke, NStZ 2010, 312 (314), kritisch Spring, GA 2010, 222 (225).

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tionsdrohung büßt an Glaubwürdigkeit ein, weil ein Schädigungsvorsatz häufig nicht nachzuweisen sein wird oder die Identifizierung der letztlich Verantwortlichen sich in Anbetracht der Vielschichtigkeit interner Entscheidungsprozesse als schwierig darstellt. Nicht nur kriminalpolitisch zweckmäßig, sondern auch normativ nachvollziehbar74 kann es dann sein, den Geschäftsherrn und die ihn insoweit Vertretenden für Schäden von Außenstehenden verantwortlich zu machen. Der Anwendungsbereich von section 3 FA ist hingegen insoweit deutlich enger. Der Täter muss hier selbst zur Offenlegung von Informationen verpflichtet sein, ein Nichteinschreiten gegen betrügerisches Verhalten wird nicht erfasst. Geht es um täuschendes Verhalten von Unternehmensmitarbeitern, so ist für eine strafrechtliche Verantwortung von Verantwortungsträgern im Unternehmen mithin erforderlich, dass sie entweder an einem Betrug aktiv beteiligt sind, oder aber zumindest, dass der Betrug auf einem gemeinsam verabredeten Tatplan beruht.75 b) Konkrete Verantwortung anstatt abstrakt gefährliche Pflichtverletzung Die deutsche Rechtsprechung zu § 263 i.V. m. § 13 StGB lässt jedoch einen Ansatz erkennen, die Struktur der Unterlassensstrafbarkeit zu relativieren und damit section 3 FA anzunähern. So soll den Compliance-Beauftragten eines Unternehmens die Pflicht treffen, gegen aus dem Unternehmen heraus begangene Straftaten einzuschreiten.76 Unterlassensstrafbarkeit droht damit aber, nicht von Verantwortlichkeit des Täters gegenüber dem geschädigten Vermögensinhaber, sondern von formellen Pflichten abhängig gemacht zu werden. In beweistechnischer Hinsicht handelt es sich dabei um eine Versuchung, da beim Vorliegen einer dem Täter eindeutig auferlegten Handlungspflicht in der Hauptverhandlung eine Auseinandersetzung mit der Frage unterbleiben kann, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Pflichtige tatsächlich für die Schädigung verantwortlich gemacht werden kann. Mit dem Hinweis auf die „regelmäßig“ 77 bestehende strafrechtliche Garantenpflicht des Compliance-Beauftragten scheint die Notwendigkeit einer Identifizierung der Gründe der Verantwortlichkeit im konkreten Fall hinfällig zu werden. Letztere ergibt sich dann unter Umständen schon aus dem typischen Gepräge der Aufgaben eines Compliance-Beauftragten, Verantwortlichkeit und mithin Strafbedürftigkeit beruht demnach auf einer typi74 Dann/Mengel, NJW 2010, 3265 (3267) sehen in der Rechtsprechung eine „nachvollziehbare Schlussfolgerung“ aus der Überwachungspflicht des Geschäftsherrn; kritisch dagegen Spring, GA 2010, 222 (227). 75 Section 2 FA, gegebenenfalls als kodifizierte (Section 2 FA i.V. m. section 1 des Criminal Law Act 1977) oder richterrechtliche (conspiracy to defraud; vgl. dazu oben § 2) Verabredung zum Betrug. Nur für den Geschäftsherrn selbst ist bereits die bloße Duldung einer durch seine Mitarbeiter begangenen vermögensbezogenen Straftat gemäß section 12 FA strafbar. 76 BGHSt 54, 44 (49 f.). 77 BGHSt 54, 44 (50).

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siert-generalisierten Begründung von Verantwortlichkeit. Anders als die Rechtsprechung meint, ist eine strafrechtliche Garantenpflicht aber eben nicht „die notwendige Kehrseite ihrer gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden“.78 Denn darin liegt lediglich eine Übertragung einer Aufgabe des Geschäftsherrn.79 Zu klären bleibt dann aber immer noch zwingend die Frage, aus welchen Gründen der Geschäftsherr beziehungsweise derivativ sein Beauftragter gegenüber dem Geschädigten zur aktiven Verhinderung des Schadens verantwortlich sein soll, ihn also eine „Sonderverantwortung“80 für das geschützte Rechtsgut trifft. Der Schutz vor „Haftungsrisiken oder Ansehensverlust“81 des Geschäftsherrn sagt über eine mögliche Verantwortung gegenüber Dritten jedenfalls noch nichts aus. Wird dieser Schritt übergangen, belässt man es mithin bei einer generellen Verantwortung des Compliance-Beauftragten, so unterbleibt eine Betrachtung seiner individuellen Sozialschädlichkeit und Strafwürdigkeit. Nicht mehr konkrete Verantwortlichkeit begründet dann Strafe, sondern bereits der bloße – von der Rechtsprechung als typischerweise schädlich angesehene – Verstoß gegen die Pflichten des Compliance-Beauftragten. Wie bei section 3 FA erübrigt sich dann die Frage nach konkreter Verantwortlichkeit für Schäden. § 263 i.V. m. § 13 StGB mutiert zum abstrakten Gefährdungsdelikt. Mit § 13 StGB ermächtigt der Gesetzgeber die Rechtsprechung in erheblichem Maße zur Schaffung einer strafbegründenden Kasuistik. Diese kann allerdings nur dann generalpräventiv aussagekräftig und vorhersehbar bleiben, wenn sie konsequent nach der Verantwortlichkeit des Unterlassenden im konkreten Fall fragt und Verantwortlichkeit nicht durch formelle Pflichtenstellungen generalisiert. Würde bei einem unechten Unterlassungsdelikt die abstrakte Gefährlichkeit der Handlungspflichtverletzung zur Begründung von Strafbarkeit genügen, so bedeutete dies einen weitgehenden Konturverlust des § 13 StGB.82 Solange die Gründe einer konkreten Verantwortlichkeit des Pflichtigen nicht identifiziert sind, kann ihm der Erfolg nicht zugerechnet werden. V. Tatbestandliche Weite und kriminalpolitische Effektivität als Widerspruch Der englische Gesetzgeber verzichtete bei der Gestaltung seiner Vermögensdelikte auf ein tatbestandliches Schadensmerkmal, weil er von der Schaffung weitgefasster, nicht an schädigende Konsequenzen anknüpfender Straftatbestände einer Effektivierung der Ahndung vermögensschädigenden Verhaltens erwarte78

BGHSt 54, 44 (50). Vgl. Dann/Mengel, NJW 2010, 3265 (3267); Spring, GA 2010, 222 (226); Warneke, NStZ 2010, 312 (314 f.). 80 Warneke, NStZ 2010, 312 (314); vgl. auch Spring, GA 2010, 222 (225 f.). 81 BGHSt 54, 44 (49). 82 Vgl. LK-Jescheck, 11. Auflage, § 13, Rdn. 2. 79

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te.83 Die vorangehenden Ausführungen machen allerdings deutlich, dass das Fehlen eines Schadensmerkmals diesbezüglich kontraproduktiv sein kann. Zwar ist eine Vereinfachung der Strafverfolgung durchaus in jenen Fällen zu erwarten, in denen der Täter offensichtlich gelogen oder offensichtlich eine vermögensschützende Treuepflicht verletzt hat. Dabei wird es sich aber häufig gerade um solche Fälle handeln, die ob ihrer geringen Komplexität und einer vergleichsweise geringen kriminellen Energie des Täters auch kriminalpoltisch weniger Probleme aufwerfen. Ist das pflichtwidrige Verhalten des Täters hingegen weniger offensichtlich, lässt sich die vermögensschädigende Bedeutung seines Verhaltens etwa nur in komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen verstehen, so ist die gesetzgeberische Ausgestaltung der neuen englischen Delikte mit Blick auf eine effektive Ahndung von Vermögenskriminalität wenig zielführend. Dies liegt vor allem daran, dass jenseits der Fälle einer ausdrücklichen Täuschung wegen der zentralen Stellung eines normativen Tatbestandsmerkmals – Unehrlichkeit – vorsatzausschließende Irrtümer wahrscheinlicher werden. Ein tatbestandliches Schadensmerkmal teilt dem Normadressaten mit, an welchem Maßstab er sich zu orientieren hat, nämlich an jenem des Marktes, und vor allem auf welchen Zeitpunkt es für die Bewertung ankommt, nämlich auf jenen der Vermögensverfügung. Ein Schadensmerkmal konkretisiert mithin, auf was es dem Strafrecht bei der Frage der Strafwürdigkeit ankommt. Demgegenüber ist eine Beschreibung mittelst normativer Tatbestandsmerkmale – insbesondere durch Begriffe wie Unehrlichkeit oder Nachteilhaftigkeit – deutlich unbestimmter. Sie bedeutet letztlich einen Verweis auf die Verkehrsanschauung, erlaubt es aber, solches über den Zeitpunkt der Vermögensverfügung hinausgehendes Anschlussverhalten des Täters oder andere zukünftige Ereignisse in den Bewertungsvorgang einzubeziehen. So komplexer der wirtschaftliche Rahmen der Tat, desto einfacher ist es dann für den Täter, trotz einer durch ihn unmittelbar herbeigeführten kompensationslosen Vermögensminderung den vermögensschädlichen Charakter seines Verhaltens und mehr noch einen diesbezüglichen Vorsatz mit der Behauptung zu bestreiten, er habe aufgrund bestimmter Zukunftserwartungen eine wirtschaftliche Kompensation der Wertminderung erwartet. Ein tatbestandliches Schadensmerkmal begrenzt das strafrechtlich relevante Geschehen hingegen auf einen konkreten Zeitpunkt, nämlich auf die Vermögensverfügung. Es kommt weniger auf die (tatsächlichen oder angeblichen) Zukunftsprognosen des Täters an, sondern auf die Frage, welche Erwartungen nach Kenntnis des Täters vom Markt als wertprägend berücksichtigt werden. Mit Schädigungsvorsatz handelt der Täter mithin gegebenenfalls schon dann, wenn er billigend in Kauf nahm, dass seine eigenen Bewertungsmaßstäbe vom Markt nicht geteilt würden. Auch darüber hinaus ist der gesetzgeberische Verzicht auf ein tatbestandliches Schadensmerkmal wie gesehen geeignet, die Ahndung komplexerer Vermögens83

Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.49.

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kriminalität eher zu erschweren als zu erleichtern. Denn die daraus resultierende Unbestimmtheit des objektiven Tatbestandes zwingt den Gesetzgeber letztlich dazu, den Tatbestand im Wesentlichen auf der subjektiven Ebene einzuschränken, wobei dort – in Anbetracht einer sonst ausufernden Kriminalisierung insoweit durchaus konsequent – hinsichtlich des unehrlichen Charakters der Tat sogar positives Wissen des Täters gefordert ist. Zudem führt das Fehlen eines tatbestandlichen Schadensmerkmals insbesondere bei veruntreuenden Verhalten dazu, den Motiven des Täters eine wesentliche strafbarkeitsbegründende Rolle zuzuweisen,84 also den subjektiven Tatbestand noch weiter zu gewichten und Strafbarkeit mithin von objektiv vielfach kaum verifizierbaren Beweggründen des Täters abhängig zu machen.85 Der Ahndung einer klar schädigenden Treuepflichtverletzung kann dann unter Umständen mit der schwierig zu widerlegenden Behauptung entgegengetreten werden, der Täter habe letztlich in bester Absicht gehandelt. Der Treuegeber wird damit aber weniger durch ein Schädigungsverbot geschützt, als vielmehr durch ein Verbot böser Absichten. Ein an objektiven Maßstäben als Schädigung zu bewertender Umgang mit dem Vermögen des Treuegebers wird dann noch nicht vom Strafrecht erfasst, sondern vielmehr auf die Risikomaßstäbe des Täters abgestellt. Jedenfalls für ein generalpräventiv dem Schutz bestimmter Interessen dienendes Strafrecht kann ein solcher maßgeblich auf Absichten abstellender Ansatz nicht überzeugen. Rechtsgüterschutz bedarf der Aufstellung (sanktionierter) Verhaltensgebote, nicht der Sanktionierung von Verhaltensmotiven.

84

Sinclair (1968) 52 Cr.App.R. 618 (621 f.); vgl. oben § 2, II., 3. Vgl. dazu MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 229 f., zu den Schwierigkeiten, Strafbarkeit maßgeblich von einer Verletzung des Unternehmensinteresses abhängig zu machen. 85

§ 6 Tatbestandliche Verhaltensbeschreibung und Schadensbegriff

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§6 Das Verhältnis von tatbestandlicher Verhaltensbeschreibung und Schadensbegriff und die Infragestellung des letzteren, untersucht am Beispiel der Vermögensschädigung durch Täuschung Das materielle englische ist für das deutsche Recht insofern von nur beschränkten Erkenntnisgewinn, als ersteres sich in einen von der deutschen Strafrechtsordnung in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlichen prozessualen und rechtskulturellen Rahmen einfügt. So wird der Institution der Jury durch weite Teile der englischen Gesellschaft eine zentrale freiheitswahrende Rolle zugewiesen, zu deren Verwirklichung materiell-rechtliche Bestimmtheit und dogmatische Systematisierung zwangsläufig in nur begrenztem Maße gewährleistet werden kann. Nicht übersehen werden darf zudem, dass der englische Gesetzgeber in Anbetracht der Vagheit der untersuchten Vorschriften den Strafverfolgungsbehörden ein erhebliches Auswahlermessen zubilligt. Aus rechtsvergleichender Perspektive von besonderem Interesse erscheint hingegen eine Analyse jener die Unbestimmtheit von section 2 FA begründenden Faktoren. Kennzeichnend für diese Vorschrift ist es letztlich, dass sich ihr kaum Angaben zur Art des kriminalisierten Verhaltens entnehmen lassen, eine Unterscheidung von strafbaren und nicht strafbaren Verhalten letztlich von der Bejahung des subjektiven Tatbestandsmerkmals der Unehrlichkeit abhängt. Nachfolgend soll es deshalb darum gehen, jene zum Aussageverlust der englischen Vorschrift führenden Gründe zu identifizieren und im Lichte der dabei gemachten Erkenntnisse der Frage nachzugehen, ob im Hinblick auf § 263 StGB bestimmten Ansätzen von Rechtsprechung und Schrifttum das Potential innewohnt, zu einer dem englischen Recht vergleichbaren Unbestimmtheit zu führen. Dies ist auch für das deutsche Recht insbesondere deshalb von Bedeutung, weil sich anhand des englischen Strafrechts eine klare Korrelation von Ausgestaltung des materiellen Rechts einerseits, und dem Verhältnis von legislativer und exekutiver Gewalt im Strafrecht andererseits ausmachen lässt. Zudem wirft der bei section 2 FA zu beobachtende Verlust generalpräventiver Aussagekraft auch für das deutsche Recht Fragen auf. Im Mittelpunkt steht dabei letztlich der Ausgleich zweier mitunter86 gegenläufiger Interessen, nämlich der möglichst präzisen tatbestandlichen Beschreibung strafwürdigen Verhaltens einerseits, und einer zum Zweck von Beweisvereinfachung möglichst einfachen Gestaltung des Straftatbestandes andererseits. Das englische Vermögensstrafrecht bietet sich für eine diesbezügliche Analyse zum einen deshalb besonders an, weil letzterer Gesichtspunkt für den englischen Ge86

Vgl. aber oben § 5, V.

110 Teil 2: Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff

setzgeber beim Fraud Act 2006 einen maßgeblichen Beweggrund darstellte.87 Auf eine differenzierte Beschreibung inkriminierten Verhaltens wurde bei section 2 FA in weitem Maße zugunsten des (subjektiven) normativen Tatbestandsmerkmals der Unehrlichkeit verzichtet. Es soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit eine weite Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB durch Schrifttum und Rechtsprechung zu ähnlicher Unbestimmtheit führen können und welche Bedenken hiergegen bestehen. Im Mittelpunkt stehen dabei Forderungen nach einer rein normativierenden Bestimmung des Täuschungsbegriffs sowie die gegen die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerichtete Kritik, wonach die darin vorgenommene Auslegung des Betrugstatbestandes zu einem bereits die bösen Absichten des Täters bestrafenden Gesinnungsstrafrecht führe. Das Fehlen eines Rechtsgutsbegriffs der englischen Delikte sensibilisiert zudem für die Konsequenzen einer Tatbestandsgestaltung, welche – eher zum Zwecke einer einfacheren Verfolgbarkeit bestimmter Verhaltensformen denn aus normativen Überlegungen heraus – den Gehalt eines durch den Straftatbestand geschützten Rechtsguts beziehungsweise eines diesbezüglichen Schadensbegriffs ausweitet oder einen Zusammenhang zwischen dem tatbestandlichen Verhalten und einer Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht mehr erkennen lässt. An den englischen Delikten sollen mithin jene Faktoren exemplifiziert werden, welche die Konturierung des Betrugstatbestandes schwächen und deshalb eine differenzierende Strafgesetzgebung erschweren. I. Folgen einer hauptsächlich auf normative Tatbestandsmerkmale abstellenden Formulierung von Straftatbeständen Section 2 FA lässt sich in Anbetracht der geringen Aussagekraft des Tatbestandsmerkmals false representation und des Fehlens irgendwelcher Tatfolgen letztlich hinsichtlich des sanktionierten Verhaltens auf das Gebot zusammenfassen, sich bei potentiell vermögensrelevantem Tun ehrlich zu verhalten. Betrügerisches Verhalten wird im Tatbestand also kaum konkretisiert, insbesondere lassen sich ihm nicht solche zur Selbstschädigung des Opfers führende Interaktionsformen entnehmen. Soll das Strafrecht als Instrument generalpräventiver Kommunikation und in Anbetracht der mit ihm verbundenen massiven staatlichen Eingriffsbefugnisse lediglich der Vermittlung einer begrenzten Zahl gesellschaftlich besonders wichtiger Verhaltensnormen dienen, so muss es das fragliche Verhalten differenzierend beschreiben, kann es hingegen nicht dabei belassen, inhaltlich nicht weiter konkretisierte moralische Gebote wiederzugeben. Aus deutscher Perspektive mag section 2 FA überaus undifferenziert wirken, lässt er doch die Beschreibung einer Interaktion vermissen, wie sie für den Be87 Vgl. insbesondere Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Para. 7.49.

§ 6 Tatbestandliche Verhaltensbeschreibung und Schadensbegriff

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trug gerade typisch ist, nämlich eine zur Schädigung führende täuschungsbedingte Irrtumserregung. Vergegenwärtigt man sich jedoch die zu § 263 StGB bestehenden erheblichen Unsicherheiten bei der Bestimmung von Täuschung und Irrtum, so kann an der Aussagekraft auch der deutschen Vorschrift gezweifelt werden. Denn es zeigt sich einerseits, dass jedenfalls die Bestimmung einer konkludenten Täuschung nicht ohne normative, die Bestimmung von Verantwortungsbereichen erlaubende Kriterien auskommt.88 Zudem erweist sich der Gegenstand des Irrtums vielfach als unklar. 1. Undifferenziertheit normativ formulierter Straftatbestände Wird jedoch das tatbestandliche Verhalten ausschließlich durch normative Tatbestandsmerkmale beschrieben (beziehungsweise werden die Tatbestandsmerkmale rein normativierend ausgelegt),89 so bedeutet dies, dass strafrechtliche Verantwortung letztlich daran anknüpft, ob der Täter jenen an Personen in der konkreten Situation typischerweise zu stellenden Verhaltensanforderungen genügt hat. Die Sozialschädlichkeit und mithin Strafwürdigkeit eines Verhaltens beurteilt sich demnach nicht nach den vom Täter zu verantwortenden Konsequenzen – bei § 263 StGB die Schädigung oder (beim Versuch) die konkrete Gefährdung fremden Vermögens durch eine irrtumsbedingte schädigende Verfügung – sondern ausschließlich nach einer typisierend-generalisierten Betrachtung. Bei section 2 FA wird dies besonders deutlich, da aus dem Verhalten des Täters nicht nur kein Vermögensschaden erwachsen, sondern die false representation nicht einmal notwendigerweise darauf ausgerichtet sein muss, im konkreten Fall beim Erklärungsadressaten einen Irrtum hervorzurufen. Indem er bei der Tatbestandsgestaltung sowohl auf eine Irrtumserregung als auch auf einen Vermögensschaden und darauf gerichteten Vorsatz verzichtete, sucht der englischen Gesetzgeber, diesbezüglichen Nachweisproblemen der Rechtsanwendungspraxis zu begegnen.90 In eine ähnliche Richtung geht zum deutschen Recht im Ergebnis der Vorschlag Pawliks, den Betrug als Verletzung einer vermögensrelevanten „Wahrheitspflicht“ zu verstehen91 und den Täuschungsbegriff rein objektiv-normativ auszulegen. Dieser Ansatz basiert maßgeblich auf zwei Erwägungen. Ei88 Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 14/15; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 16; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 43; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 110; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 30. 89 Nicht behauptetet werden soll hier eine klare Trennbarkeit von normativen und deskriptiven Merkmalen; vgl. dazu Roxin, Allgemeiner Teil, § 10, Rdn. 57 ff. Zur Praktikabilität der Differenzierung zwischen normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen, vgl. Wex, Grenzen normativer Tatbestandsmerkmale, S. 27 ff. Vgl. auch: Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, S. 117 ff.; Tischler, Verbotsirrtum, S. 37. 90 Vgl. § 4, II., 2., b) und 4., b). 91 Pawlik, Betrug, S. 73 ff.

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nerseits kritisiert Pawlik das Fehlen systematischer Kriterien bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Täuschung sowie die Zufälligkeit einer tatsächlichen Irrtumserregung.92 Andererseits begegnet die Berücksichtigung von im konkreten Fall dem Täter zurechenbaren Konsequenzen für Pawlik deshalb grundsätzlichen Einwänden, weil er den Zweck des Strafrechts im Schutz der Normgeltung und nicht im Rechtsgüterschutz verortet,93 so dass es für die individuelle Strafbarkeit nicht auf etwaige Konsequenzen ankommen kann, diese vielmehr bereits mit dem Bruch einer gesellschaftstheoretisch für notwendig erklärten Norm begründet ist. Die Attraktivität einer rein objektiv-normativierenden Bestimmung strafbaren Verhaltens in den Augen eines um Flexibilisierung der Strafverfolgung bemühten Gesetzgebers liegt auf der Hand. Denn für den Nachweis der Tat genügte es dann, dass sich der Täter über den normativierend zu bestimmenden Erklärungsgehalt seines Verhaltens bewusst war. Nicht erforderlich ist im Rahmen der Beweisaufnahme dann eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit er sich möglicher schädlicher Konsequenzen bewusst war.94 Auch wenn sich ein Gesetzgeber weiterhin dem Rechtsgüterschutz verpflichtet fühlt (oder dies jedenfalls zu beteuern müssen glaubt) und deshalb eine derartige Kriminalisierung gegebenenfalls durch die Benennung eines neuen, weit gefassten Rechtsguts95 zu begründen sucht, so kann eine beweisfunktional motivierte Kriminalisierung von typischerweise vermögensschädigenden Verhalten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das materielle Recht dann eher Normengeltungsschutz denn Rechtsgüterschutz widerspiegelt. Generalisiert das materielle Strafrecht aber die Sozialschädlichkeit und mithin Strafwürdigkeit eines Verhaltens und fragt es also nicht mehr nach den konkreten Schädigungspotential im Einzelfall, so kriminalisiert es bereits die abstrakte Gefährdung von Vermögen. Lässt sich die Strafbarkeit abstrakt gefährlichen Verhaltens bei hochrangigen Individualrechtsgütern wie Leib und Leben begründen, so scheint es weder mit gesellschaftlichen Wertvorstellungen noch mit der Realität der – hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit ohnehin begrenzten – Strafverfolgungspraxis vereinbar, bereits die abstrakte Gefahr einer täuschungsbedingten Vermögensschädigung umfassend unter Strafe zu stellen.96 Zudem ist zu beach92

Pawlik, Betrug, S. 99 f. und 228 ff. Pawlik, Betrug, S. 56 ff. 94 Vgl. Hillenkamp, Beweisnot und materielles Recht, S. 863 ff.; Mitsch, Strafprozessuale Beweisverbote, NJW 2008, 2295 (2297). 95 Zu denken wäre hier insbesondere an den Schutz der Dispositionsfreiheit, mit Pawlik (Betrug, S. 263 ff.) an den Schutz der im Vermögen vergegenständlichten Handlungsfreiheit oder an den Schutz des Geschäftsverkehrs. 96 Vgl. hierzu die empirische Untersuchung zu 264a StGB bei von Schönborn, Kapitalanlagebetrug, S. 81: u. a. begründe das fehlende Schadenserfordernis dieses Straftatbestands dessen geringe Praxisrelevanz. 93

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ten, dass zwar die Frage des Vorliegens eines Irrtums im konkreten Fall Probleme aufwerfen kann, diesem Tatbestandsmerkmal aber eine wichtige strafbarkeitsbegrenzende Funktion zukommt. Denn kann der Täter in Kenntnis der Umstände des konkreten Falles davon ausgehen, dass der Erklärungsadressat bestimmten vermögensrelevanten Umständen ohnehin keine Bedeutung beimisst, diese für seine Verfügung nicht zumindest mitursächlich sind, so scheidet (als Ausdruck der Subsidiarität des Strafrechts) ein strafrechtlicher Schutz des Vermögens aus, wenn sich der Vermögensinhaber beziehungsweise sein Vertreter nicht einmal selbst um die fraglichen Umstände bekümmern. Der Erklärende nutzt in diesem Fall zwar die Unachtsamkeit des Erklärungsadressaten aus. Doch stellt sich die Verfügung hier, wie vom Erklärenden erkannt wird, nicht als Konsequenz mangelnder Informationsausstattung dar, sondern als Folge des Umstands, dass der Verfügende einer möglichen Vermögenswertschädlichkeit erkennbar gleichgültig gegenübersteht. Wird auf die Tatbestandsmerkmale Irrtum und schädigende Vermögensverfügung verzichtet, so wird deshalb zwangsläufig auch Verhalten kriminalisiert, dessen Sozialschädlichkeit und Strafwürdigkeit mangels konkreter Gefährdung des Vermögens bezweifelt werden muss. Nicht überraschen kann dann jedoch, wenn solches Verhalten durch behördliche Ermessensausübung vorab ,herausgefiltert‘ wird. Letzteres bedeutete, dass die Schuldfrage de facto teilweise von der Judikative an die Exekutive delegiert wird, soweit das Nichtvorliegen zumindest einer konkreten Vermögensgefährdung zwar regelmäßig zur Nichtverfolgung der Tat führt, diese Frage aber im Falle einer Anklageerhebung mangels Tatbestandsrelevanz für eine Verurteilung ohne Bedeutung ist.97 Das materielle Recht spiegelt dann insofern nicht mehr die Realität staatlichen Strafens wider. Will der Gesetzgeber aus Gründen der Beweisvereinfachung im Tatbestand auf dem Täter zurechenbare schädliche Konsequenzen beziehungsweise einen diesbezüglichen Vorsatz verzichten und stattdessen bereits typischerweise gefährliches Verhalten kriminalisieren, so kann er dies zwar auch dadurch erreichen, dass er das sozialschädliche Verhalten mit überwiegend deskriptiven Tatbestandsmerkmalen möglichst präzise beschreibt. Darunter sind auch solche Straftatbestände einzuordnen, die (wie insbesondere beim Subventionsbetrug durch § 264 Abs. 8 StGB) zur Ausfüllung normativer Tatbestandsmerkmale auf Rechtsnormen außerhalb des Strafrechts verweisen. Deskriptiv formulierte Tatbestände können jedoch – insbesondere im Kernstrafrecht – hinsichtlich ihres Anwen97 Dass es bei einer entsprechenden Ausweitung des Strafrechts weniger um die umfassende Kriminalisierung moralisch fragwürdigen Verhaltens geht, dies eher einen Nebeneffekt darstellt, sondern um eine Vereinfachung der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden, zeigt sich nicht zuletzt bei Bruns (Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, S. 6), dem es bei der von ihm propagierten „faktischen Auslegung“ der Tatbestandsmerkmale darum geht, sich der „Fessel [. . .] im Kampf gegen den Verbrecher“ zu entledigen.

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dungsbereichs zu starr und deshalb kriminalpolitisch unbefriedigend sein und zu übermäßig komplexen Strafgesetzen führen. Der Gesetzgeber kann dies vermeiden, wenn er zur Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens maßgeblich auf normative Tatbestandsmerkmale zurückgreift und mithin eine Konkretisierung des strafbaren Verhaltens durch Wertungen der Rechtsanwender zulässt. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Regelungstechnik im zweiundzwanzigsten Abschnitt des Strafgesetzbuchs bisher nur in begrenztem Umfang Gebrauch gemacht, nämlich bei § 264a (Kapitalanlagebetrug) und § 265b (Kreditbetrug) StGB, bei denen die strafrechtliche Verantwortung des Täters von ihm zurechenbaren Konsequenzen entkoppelt und das tatbestandliche Verhalten maßgeblich mit den normativen Merkmalen „erheblich“ und „vorteilhaft“98 beschrieben wird.99 Bestimmt sich das tatbestandliche Verhalten demnach aber überwiegend aus normativen Tatbestandsmerkmalen, so dienen letztere (anders als insbesondere normative Tatbestandsmerkmale im Rahmen von Erfolgsdelikten) weniger der Vervollständigung100 des Gesetzes durch richterliche Wertungen zur Ermöglichung von Einzelfallgerechtigkeit,101 sondern vielmehr der Identifizierung des strafbaren Verhaltens. 2. Verlust der strukturierenden Funktion des Rechtsgutsbegriffs Ist Strafbarkeit auch dann zu bejahen, wenn sich das tatbestandliche Verhalten (nach der zutreffenden Erkenntnis des Täters) im konkreten Fall nicht zu einer Schädigung oder konkreten Gefährdung eines Rechtsguts eignet – eben weil es auf eine typisierende und nicht am Einzelfall konkretisierte Bewertung abstellt – so bedeutet dies zudem einen Verlust der das materielle Recht systematisierenden und dadurch Strafgewalt begrenzenden Rolle des Rechtsgutsbegriffs.102 Zwar mag der Gesetzgeber dann die Kriminalisierung mit einem übergeordneten (umfassenderen) Rechtsgut begründen. Ist aber dessen Beeinträchtigung durch die 98 § 264a neben dem Kapitalmarktschutz auch als abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt betrachtend LK-Tiedemann/Vogel, § 264a, Rdn. 23; allein ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt annehmend NK-Hellmann § 264a, Rdn. 11. Einschränkend hingegen SK-Hoyer, § 264a, Rdn. 11, 39: es sei zu fordern, dass der Täter die Gefahr eines Vermögensschadens nicht ausgeschlossen habe. Denn Vermögensschutz nur als „Schutzreflex“ des Kollektivrechtsgutsschutzes bezeichnend MK-Wohlers, § 264a, Rdn. 3. Vgl. auch SK-Hoyer, § 265b, Rdn. 10. 99 Auch eine Strafbarkeit nach § 264 Abs. 1 Nr. 1 StGB hängt davon ab, ob die vom Täter gemachten Angaben „vorteilhaft“ sind. Über die Konkretisierung des Merkmals „subventionserheblich“ insbesondere durch Abs. 8 Nr. 1 erscheint hier das tatbestandliche Verhalten aber in weit stärkeren Maße bestimmt zu sein. Vgl. auch § 20a Abs. 1 Nr. 1 WpHG (Marktmanipulation durch unrichtige oder irreführende Angaben). 100 Baumann/Weber/Mitsch, Allgemeiner Teil, § 8, Rdn. 17. 101 Wex, Grenzen normativer Tatbestandsmerkmale, S. 47. 102 Zur Bedeutung des geschützten Rechtsguts im Rahmen der Tatbestandsauslegung bei § 264a StGB, vgl. SK-Hoyer, § 264a, Rdn. 5.

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individuelle Tatbestandsverwirklichung nicht denkbar, so erlaubt der Rechtsgutsbegriff es nicht mehr, tatbestandliches Verhalten nach dem Täter individuell zurechenbaren Konsequenzen zu konkretisieren, sondern dient lediglich als Beschreibung des gesetzgeberisch mit der Norm verfolgten Zwecks und zur Kategorisierung von Straftatbeständen.103 Das tatbestandliche Verhalten wird dann nicht durch das Rechtsgut bestimmt (wie dies bei reinen Erfolgsdelikten der Fall ist) beziehungsweise (wie bei verhaltensgebundenen Erfolgsdelikten) konkretisiert, sondern das Rechtsgut wird dem tatbestandlich beschriebenen Verhalten entnommen. Eben die das tatbestandliche Verhalten konkretisierende Funktion des Schadensbegriffs als Ausdruck des Rechtsgüterschutzes erlaubt es dem Gesetzgeber aber, Straftatbestände differenzierend und kriminalpolitisch sinnvoll auszugestalten. Denn durch das Anknüpfen an ein Rechtsgut ist das im Tatbestand beschriebene Verhalten nur insoweit tatbestandliches Verhalten, wie es im konkreten Fall erkennbar zu einer Beeinträchtigung des jeweiligen Rechtsguts führen kann. Für eine Begrenzung des Tatbestands ist es deshalb nicht notwendig, schon bei der Beschreibung des Verhaltens strafbares und straffreies Verhalten präzise abzugrenzen. Eine Täuschung im Sinne von § 263 StGB etwa ist eben nur insoweit tatbestandlich, wie sie vermögenswertrelevant ist, also erkennbar zu einem Vermögensschaden führen kann.104 Hingegen führt eine nicht auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen (also eine zurechenbare Rechtsgutsbeeinträchtigung) abstellende Gesetzgebungstechnik letztlich zu einer Vielzahl von detaillierten Verhaltensbeschreibungen, so denn der Gesetzgeber einerseits das materielle Recht begrenzen, zugleich aber kriminalpolitisch unerwünschte Strafbarkeitslücken vermeiden will. Diese Folgen des Fehlens der systematisierenden Wirkung des Rechtsgutsbegriffs werden durch section 2 FA verdeutlicht. Bei dieser Vorschrift ging es dem englischen Gesetzgeber nicht zuletzt auch darum, jene Vielzahl der bis zum Jahr 2007 geltenden Tatbestände zur täuschungsbedingten Vermögensschädigung in einem Tatbestand zusammenzufassen und dadurch einer als überkomplex kritisierten Rechtslage abzuhelfen.105 Auch die alten deception-Tatbestände machten Strafbarkeit nicht von strafbarkeitsbegründenden Konsequenzen – etwa einer rechtswidrigen Minderung des Vermögenswerts – abhängig, sondern vom Verhaltensunwert, nämlich einer unehrlichen Täuschung. Um den Umfang strafbarer Täuschungen 103

Vgl. Pawlik, Betrug, S. 242. Schon Tiedemann (LK; 11. Auflage, vor § 263, Rdn. 20) bemerkt zutreffend, dass „ein weites (oder sogar fehlendes) Erfordernis des Vermögensschadens zu der Notwendigkeit [führt], andere Tatbestandsmerkmale, insbesondere die Täuschungshandlung des Täters oder die Vermögensverfügung des Opfers, eng(er) zu fassen; umgekehrt erlaubt ein konkret-gegenständliches Erfordernis eines Vermögensschadens, Täterhandlung und Vermögensverfügung weit(er) zu begreifen.“ 105 D. Grieve, Hansard, HC, col. 546 f. (12. Juni 2006). 104

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zu begrenzen, hatte der Gesetzgeber unter dem alten Recht (Theft Acts aus den Jahren 1968, 1978 und 1996) die Straftatbestände nach Handlungsobjekten geordnet (Erlangung eines bestehenden Vermögensgegenstands, einer Dienstleistung, eines geldwerten Vorteils, einer Geldüberweisung, eines Wertpapiers; Erlass, Aufschub oder Aufgabe einer Verbindlichkeit).106 Das Fehlen eines Rechtsgutsbegriffs – also das Anknüpfen an eine vom Handlungsobjekt abstrahierte schädigende Konsequenz – ließ keine andere Möglichkeit der Differenzierung zu. Der Versuch des Gesetzgebers, diese Tatbestände in section 2 FA zusammenzulegen, erwies sich jedoch angesichts des weiterhin verfolgten Ansatzes, Strafbarkeit vom Verhaltensunwert und nicht auch von einem Erfolgsunwert abhängig zu machen, als problematisch. Denn ist bei einem nicht auf strafbegründende Konsequenzen abstellenden Strafrecht eine Strukturierung des objektiven Tatbestandes letztlich nur durch Handlung (vorliegend eine Täuschung) und Handlungsobjekt (vorliegend den erlangten Vermögensgegenstand) möglich, war aber eine Beibehaltung des letzteren wegen der damit einhergehenden übermäßigen Komplexität und Lückenhaftigkeit der Gesetzgebung nicht erwünscht, so konnte es der englische Gesetzgeber bei section 2 FA letztlich nur bei einer Beschreibung des Verhaltensunwerts (unehrliche Abgabe einer unrichtigen Erklärung) belassen und durch das Hinzufügen eines Gewinn- oder Verlustbewirkungsvorsatzes insoweit begrenzen, als das Verhalten einen Vermögensbezug haben muss. Dieser Vorsatz begrenzt (wie etwa auch der ,Zusammenhang‘ bei § 264a und § 265b StGB) das tatbestandliche Verhalten jedoch lediglich gegenständlich auf einen bestimmten Lebensbereich, bringt hingegen kein selbständiges strafbegründendes Unwerturteil zum Ausdruck, da es auf eine etwaige Berechtigung des Opfers eben nicht ankommt. Erst die Differenzierung nach dem Täter zurechenbaren strafbarkeitsbegründenden Konsequenzen – eine Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern – erlaubt eine Systematisierung des Strafrechts derart, dass die Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens nicht bereits abschließend über die Beschreibung der Handlung (und gegebenenfalls des Handlungsobjekts) erfolgen muss. Die Reform des englischen Rechts durch den Fraud Act 2006 verdeutlicht mithin das Dilemma eines zur Begründung der Kriminalisierung auf den Unwert von Verhalten (hier: dessen Unehrlichkeit) und nicht auf Konsequenzen abstellenden Strafrechts. Der um Begrenzung von Strafbarkeit bemühte Gesetzgeber ist dann dazu gezwungen, fragliches Verhalten möglichst präzise zu beschreiben. Wie die Erfahrung zu den bis zum Jahr 2007 geltenden englischen Täuschungsdelikten eindrücklich zeigt, führt die Komplexität eines solchen materiellen Rechts aber zu einer Vielzahl solcher sowohl normativ als auch kriminalpolitisch nicht nachvollziehbarer Strafbarkeitslücken. Will der Gesetzgeber dem abhelfen, dabei aber die Strafbarkeit des konkreten Täters weiterhin bereits mit der Verletzung eines Verhaltensgebots und nicht mit (möglichen) Konsequenzen der konkreten Tat be106

Vgl. § 1, I.

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gründen, so ist er letztlich zur Schaffung weitgefasster Straftatbestände gezwungen. Wie section 2 FA zeigt, wird eine differenzierende Kriminalisierung dann aber zunehmend schwieriger, kann dies letztlich nur durch normative Tatbestandsmerkmale geschehen, womit der Gesetzgeber sich aber letztlich (wie der englische Gesetzgeber mit dem Tatbestandsmerkmal dishonestly) seiner Verantwortung entzieht und die Frage der Strafwürdigkeit den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten überlässt. Die Bedeutung des Rechtsgüterschutzes für eine differenzierende Kriminalisierung wird zudem an subsection 2(5) FA deutlich. Indem er darin die unehrliche Abgabe einer unrichtigen Erklärung gegenüber technischen Anlagen unter Strafe stellte, ging es dem englischen Gesetzgeber insbesondere darum, solches unter Zuhilfenahme von Informationstechnologien begangenes betrügerisches Verhalten zu erfassen. Eine differenzierte Beschreibung derartigen Verhaltens erfolgte aber durch subsection 2(5) FA nicht, weil die Vielzahl denkbarer computergestützter Begehungsformen geradezu zwangsläufig zu einem lückenhaften Tatbestand geführt hätte. Entsprechend beließ es der Gesetzgeber bei der Aussage, dass auch unehrliches vermögensbezogenes Verhalten im Umgang mit technischen Anlagen strafbar ist. Ein Abstellen auf strafbegründende Konsequenzen hätte hier einen wesentlich differenzierteren Tatbestand ermöglicht. Gerade bei aus neuen Technologien herrührenden Delinquenzformen bietet sich dem Gesetzgeber so die Möglichkeit, der Strafverfolgungspraxis bei der Identifizierung neuartiger Begehungsweisen Flexibilität zu gewähren, ohne dadurch zugleich eine Vielzahl kriminalpolitisch weniger relevanter Verhaltensweisen kollateral mit zu erfassen. 3. Orientierung im sozialen Raum durch deskriptive Tatbestandsmerkmale Eine rein objektiv-normative Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens erscheint zudem deshalb bedenklich, weil Kriminalisierung auf der Grundlage einer typisierend-generalisierenden Bewertung der Sozialschädlichkeit von Verhalten den Normunterworfenen die Fähigkeit abspricht, die Sozialschädlichkeit einer Handlungsoption in der konkreten Kommunikationssituation anhand phänomenologischer Beobachtungen107 selbständig zu beurteilen und ihr Verhalten danach auszurichten.108 Zwar mag eine Generalisierung der Sozialschädlichkeit eines Verhaltens im Wege abstrakter Gefährdungsdelikte mitunter durchaus erforderlich sein, etwa wenn damit zu rechnen ist, dass sich viele Normunterworfenen regelmäßig nicht das Schädigungspotential eines bestimmten Verhaltens vergegenwärtigen. Der Gesetzgeber kommuniziert in einem solchen Fall durch das strafbewehrte Verbot die Gefährlichkeit eines bestimmten Verhaltens. Wird je107 108

Vgl. hierzu Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, S. 21 ff. In diese Richtung auch die Kritik von Lampe, ZStW 112 (2000), 879 (885).

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doch das tatbestandliche Verhalten überwiegend oder gar ausschließlich durch normative Tatbestandsmerkmale definiert, so kann der Tatbestand eine derart generalpräventive Kommunikationsfunktion gerade nicht erfüllen. Denn normative Tatbestandsmerkmale beschreiben die Charakteristika eines Verhaltens nicht, sondern setzen vielmehr voraus, dass der Normadressat ihre Bedeutung selbst konkretisieren kann.109 Ein überwiegend oder ausschließlich durch normative Tatbestandsmerkmale definiertes Delikt ist demnach kaum geeignet, Verhaltenserwartungen zu kommunizieren. Vom Normunterworfenen wird vielmehr verlangt, sein Verhalten an einer sozialethischen Bewertung seines Verhaltens auszurichten. Der Gesetzgeber selbst macht zu den Maßstäben des strafbaren Verhaltens hingegen keine oder kaum eine Aussage. Das materielle Strafrecht verabschiedet sich damit aus seiner Rolle als generalpräventives Kommunikationsmittel des Gesetzgebers. Will der Gesetzgeber Verhaltensgebote kommunizieren, so führt kein Weg daran vorbei, sich dabei (zumindest auch) deskriptiver Tatbestandsmerkmale zu bedienen. Damit sind zwar zwangsläufig Auslegungsschwierigkeiten verbunden. Diese werden aber wohl kaum größer sein, als die Auslegung überwiegend normativ formulierter Verhaltensbeschreibungen. Zumindest bleibt es dadurch aber möglich, dem Strafgesetz einen den Normunterworfenen im sozialen Raum Orientierung bietenden Inhalt zu geben. Bedeutet eine rein normative Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeit des Täters nicht von (potentiellen) Konsequenzen dieses Verhaltens abhängig macht, so missachtet der Gesetzgeber zudem den Umstand, dass Menschen ihr Verhalten an für sie absehbaren Konsequenzen ausrichten können und dies regelmäßig auch tun. Soll das Recht seine gesellschaftlichen Bezugspunkte möglichst zutreffend widerspiegeln, so muss es die an phänotypisch wahrnehmbaren Konsequenzen orientierte Natur menschlichen Verhaltens widerspiegeln. Handlungsleitenden Konsequenzen entspricht bei als Erfolgsdelikt ausgestalteten Verhaltensgeboten in der Regel der Erfolgseintritt beziehungsweise die konkrete Gefährdung des geschützten Zustands oder Funktionszusammenhangs.110 Beim Betrug als Selbstschädigungsdelikt wird die Beeinträchtigung des geschützten Vermögens aber gerade durch das Opfer bewirkt, stellt sich also nicht als unmittelbare Konsequenz des Täterhandelns dar. Konsequenz des letzteren ist vielmehr der Irrtum des Verfügenden. Die Funktion des Irrtums als handlungsleitender Orientierungspunkt wird aber bezweifelt, wenn das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals als oftmals eher zufällig und hinsichtlich der nötigen Intensität eines entsprechenden Bewusstseins als unklar kritisiert111 und deshalb seine 109

Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, Allgemeiner Teil, § 21, Rdn. 51. Vgl. zu dieser Appellfunktion des Strafrechts Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 257. 111 Pawlik, Betrug, S. 222 f. 110

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Eignung bestritten wird, den Betrug zu konturieren. Zwar trifft es zu, dass der Irrtumsbegriff nicht durch seine Normativierung substantiiert werden kann, da normative Vorgaben dann lediglich als Indiz für eine faktische Wahrscheinlichkeit dienten.112 Damit würde der Täter wiederum nur für typischerweise aus seinem Verhalten folgende Konsequenzen verantwortlich gemacht. Der tatbestandliche Irrtum ist aber sehr wohl ein für den Täuschenden in der Regel erkennbarer Umstand. Denn dieses Tatbestandsmerkmal macht deutlich, dass die schädigende Vermögensverfügung dem Täuschenden tatsächlich zurechenbar sein muss.113 § 263 StGB soll den Vermögensinhaber nicht vor seiner eigenen Unachtsamkeit schützen, sondern vielmehr nur vor auf Täuschung beruhenden Verfügungen. Der Inhalt der (objektiv zu bestimmenden und inhaltlich auf für eine Vermögensschädigung relevante Tatsachen begrenzten) Täuschung muss mithin für den Verfügungswillen des Verfügenden kausal geworden sein. Macht sich der Verfügende über vermögenswertrelevante Umstände keine Gedanken, so kann ein tatbestandsmäßiger Irrtum mithin nicht vorliegen. Zu unspezifisch ist zudem die Vorstellung, im Hinblick auf wertbestimmende Umstände sei ,alles in Ordnung‘. Identifiziert werden müssen vielmehr jene konkreten114 (vermögenswertrelevanten) Annahmen, die für den Verfügenden bei der Verfügung handlungsleitend waren. Erweisen sich diese Tatsachenannahmen als unzutreffend, so unterliegt der Adressat einem täuschungsbedingten Irrtum auch dann, wenn er sich über den täuschenden Inhalt der Erklärung keine Gedanken macht (diesbezüglich nicht einmal „sachgedankliches“ bzw. „unreflektiertes“ Mitbewusstsein115 angenommen werden kann), soweit er an seinen verfügungsleitenden Tatsachenannahmen deshalb festhält oder diese Annahmen überhaupt erst bildet, weil ihnen entgegenstehende Tatsachen durch die Täuschung verheimlicht werden. Denn Unkenntnis einer Tatsache kann eine lückenhafte Vorstellung von einem komplexen Sachverhalt begründen, so dass Nichtwissen um bestimmte Details dieses Sachverhalts zu einer positiven Fehlvorstellung bezüglich des Gesamtsachverhalts führt.116 Qualifiziert werden muss daher die These, dass Unkenntnis (hinsichtlich der durch Täuschung verheimlichten Tatsachen) keinen Irrtum darstelle. Täuschungsbedingte Unkenntnis stellt dort keinen tatbestandlichen Irrtum dar, wo durch sie die vermögenswertrelevanten Handlungsmotive des Verfügenden nicht berührt werden. Der Verfügende hat sich den vermögensschädigenden Charakter der Verfügung dann selbst zuzuschreiben.

112

NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 174. NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 173. 114 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 205. 115 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 201; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 57. 116 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 200; Samson, JA 1978, 469 (473). Nach Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 56, sind positive Fehlvorstellung und Unkenntnis weitgehend gleichbedeutend. Ähnlich NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 174. 113

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Entscheidend kommt es für die Feststellung eines tatbestandsmäßigen Irrtums demnach insbesondere auf die (hier nicht weiter zu behandelnde) Frage an, ab wann eine irrtümliche Annahme für den Verfügenden handlungsleitend war,117 welche Bewusstseinsintensität also dafür erforderlich ist. Dabei handelt es sich zweifelsohne um eine mitunter schwierig zu klärende Tatsachenfrage. Im Zentrum der Prüfung muss dabei immer die Erkenntnis stehen, dass der vermögenswertrelevante Inhalt der (rein objektiv zu bestimmenden) Täuschung für die Verfügung kausal gewesen sein muss. Das tatsächliche Hervorrufen eines Irrtums lässt sich zwar oftmals nicht sicher feststellen. Vorschnell wäre es jedoch, davon eine Ungeeignetheit dieses Tatbestandsmerkmals für die Bestimmung tatbestandlichen Verhaltens abzuleiten. Vielmehr wird dieser Umstand für die Strafbarkeit regelmäßig unerheblich sein. Denn wenn wie bei § 263 StGB bereits der Versuch der Tat mit Strafe bedroht ist, so kommt es nicht auf den (bei Erfolgsdelikten ohnehin immer mehr oder weniger zufälligen) Eintritt bestimmter Konsequenzen an, sondern es genügt, dass der Täter zumindest zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt hat und er davon ausgeht, dass sein Verhalten zur Herbeiführung der tatbestandlichen Konsequenzen geeignet ist. Macht sich der Erklärungsadressat wider Erwarten keine irrtümlichen Vorstellungen, so hindert dies eine Versuchsstrafbarkeit nicht.118 Der Täter muss sich lediglich damit abfinden, dass sein nach der Verkehrsanschauung als Täuschung erachtetes Verhalten einen Irrtum hervorrufen wird. Entscheidend für die Strafbarkeit ist also keineswegs eine Normativierung des Irrtumsbegriffs, sondern ein Abstellen auf die Erwartungen des Täuschenden. Zweifel am Gehalt des Irrtumsbegriffs sind mithin zurückzuweisen. Für den Täuschenden ist in der Regel erkennbar, dass der Verfügung des Opfers bestimmte Annahmen zugrunde liegen werden. Ist er sich bewusst, dass diese Annahmen aufgrund seiner Täuschung irrtümlich sind, so bedeutet dies, dass er die 117 Diese Erkenntnis droht dann übersehen zu werden, wenn bei der Prüfung des Irrtums vor allem auf die Frage abgestellt wird, ob der Adressat dem täuschenden Erklärungsinhalt eine bestimmte (irrtümliche) Bedeutung zumaß. Ob die Täuschung für die irrtümlichen Verfügungsmotive des Verfügenden kausal war, dürfte sich regelmäßig einfacher beantworten lassen als die Frage, ob sich der Verfügende eines bestimmten täuschenden Erklärungsinhalts bewusst war. Bloße Unkenntnis kann mithin keinen tatbestandsmäßigen Irrtum darstellen, da sich der Verfügende – mehr oder weniger reflektiert – der ihn zur Verfügung motivierenden irrtümlichen Annahmen bewusst ist (zutreffend insoweit die h. M., nach der eine positive Fehlvorstellung erforderlich ist; vgl. BGH NStZ 2004, 266 (267); MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 199; Wessels-Hillenkamp, Rdn. 508; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 64; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 56; anders NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 169). Zu fragen ist vielmehr, ob Unkenntnis einer Tatsache kausal für den Irrtum war und auf die Täuschung zurückzuführen ist. 118 Strafbarkeit wird mithin in aller Regel nicht von den „Zufälligkeiten der Wortwahl“ des Opfers bei der Zeugenvernehmung abhängen (vgl. die dahingehende Kritik bei Pawlik, Betrug, S. 231).

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potentiell schädlichen Konsequenzen seines Verhaltens erkennt.119 Gerade diese Erkenntnis und nicht schon das Wissen über die Verletzung bloßer Verhaltensnormen wird sich aber letztlich handlungsleitend auswirken. Zumindest das Kernstrafrecht kann im Interesse seiner gesellschaftlichen Akzeptanz nicht darauf verzichten, prägende Charakteristika menschlicher Interaktion zutreffend nachzuzeichnen. 4. Rechtsgüter(schutz) und Wertepluralität Eine zunehmende Bedeutung normativer Tatbestandsmerkmale erscheint zudem bedenklich, weil sie auf der – im englischen Recht dem Tatbestandsmerkmal dishonesty offensichtlich zugrundeliegenden – Prämisse beruhen, die normative Bewertung eines Verhaltens werde von der Bevölkerung in weitem Maße geteilt.120 Damit wird aber letztlich ein hohes Maß an ,normativer Homogenität‘ der Bevölkerung unterstellt. Inwieweit es sich hierbei um eine Fiktion handelt, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht untersucht werden. Jedoch bestehen daran mit Blick auf eine Zunahme kultureller Pluralität der Gesellschaft (und zwar sowohl in England als auch in Deutschland) erhebliche Zweifel.121 Ein wesentlicher Vorteil des Rechtsgutsbegriffs besteht darin, dass er als Ausdruck bestimmter Vorstellungen gesellschaftlichen Zusammenlebens unterschiedliche normative Überzeugungen auf ihr Ergebnis hin vereinigt. Durch das Abstellen auf ein Rechtsgut verzichtet das Recht darauf, die Gründe für die Schutzbedürftigkeit bestimmter Werte in die Rechtsanwendung mit einzubeziehen. Das Anknüpfen des Rechts an Rechtsgüter – also schützenswerte Zustände oder Funktionszusammenhänge – ist Ausdruck des Umstands, dass sich die Bürger trotz vielfach sehr unterschiedlicher Wertvorstellungen im Ergebnis im Rahmen demokratischer Entscheidungsprozesse auf ein gemeinsames Ziel einigen. Die Rechts119 Für eine Strafbarkeit aus Unterlassen gilt dies allerdings nur, wenn der Unterlassungstäter erkennt, dass das Vorenthalten einer Information zu einem irrtumsbedingten selbstschädigenden Tun des Vermögensinhabers führt. Bei einer Vermögensverfügung durch Unterlassen bedeutete die Annahme einer (irrtümlichen) positiven Fehlvorstellung des Vermögensinhabers hingegen regelmäßig eine Fiktion (zutreffend insoweit NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 171). Handlungsleitend ist für den Normunterworfenen dann lediglich die Aufklärungspflicht, für den Unterlassungstäter erkennbare Konsequenzen wären hier Fiktion. Auch deshalb kann der von Pawlik (Betrug, S. 97) geforderten Gleichsetzung von Tun und Unterlassen nicht gefolgt werden, da sie damit eine menschliches Verhalten maßgeblich prägende Differenzierung für das Strafrecht für unerheblich erklärt. Ebenfalls problematisch daher die Gleichstellung von konkludenter Täuschung und Täuschung durch Unterlassen bei LK-Lackner, § 263, Rdn. 54 und Volk, JuS 1981, S. 882. 120 Vgl. Law Commission, Report on Fraud, Law Com. No. 276 (2002), Rdn. 5.15. 121 Vgl. etwa Stephan, Crim. L.R. 2011, 446 (451): das Tatbestandsmerkmal dishonesty im Enterprise Act 2002 habe die Verfolgung von wettbewerbswidrigen Absprachen leerlaufen lassen, da es an einer gefestigten gesellschaftlichen Bewertung derartiger Absprachen als unehrlich fehle.

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anwendung braucht also nicht mehr nach dem Zweck der Schutzbedürftigkeit eines geschützten Rechtsguts zu fragen, da sich diesbezüglich regelmäßig noch in weit geringerem Maße ein gesellschaftlicher Konsens herstellen lassen wird als hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit selbst. Gerade diese Funktion des Rechtsguts als Ausdruck gesellschaftlicher Konsensbildung und die damit verbundene Möglichkeit, die Erforderlichkeit der Befolgung eines Verhaltensgebots an Bürger sehr unterschiedlicher Wertüberzeugungen zu kommunizieren, geht aber verloren, wenn sich der Gesetzgeber bei der Gestaltung von Tatbeständen zunehmend nicht mehr an Schäden orientiert, sondern die Strafbarkeit eines Verhaltens durch das Verhalten normativ beschreibende Tatbestandsmerkmale überwiegend von den Wertvorstellungen der jeweiligen Rechtsanwender abhängt.122 Dann ergibt sich Strafbarkeit nämlich nicht mehr aus der Beeinträchtigung weithin anerkannter Werte, sondern aus der Vorstellung von Wohlverhalten, welche die jeweiligen Rechtsanwender für allgemeinhin gültig betrachten oder deren Allgemeingültigkeit sie für notwendig erachten. Zwar wird auch die Bestimmung des Rechtsgutsbegriffs (wie nicht zuletzt der Begriff des Vermögens zeigt) nicht ohne normative Wertungen auskommen. Die sich hierbei ergebenden Unschärfen dürften aber ein weit größeres Maß an Bestimmtheit und mithin gesetzlicher Aussagekraft ermöglichen als die nicht an seinen Konsequenzen orientierte Bewertung eines Verhaltens.123 Auch wird die gesetzliche Beschreibung der Tat regelmäßig nicht ohne normative Tatbestandsmerkmale auskommen. Sollen aber die Bürger nicht nur Kenntnis von den Verhaltensgeboten haben, sondern sich mit ihrem Inhalt identifizieren, so kann es der Akzeptanz des Strafrechts in einer durch Wertepluralität gekennzeichneten Gesellschaft nur dienlich sein, bei der Formulierung des sanktionierten Gebote an schützenswerte Zustände und deren Beeinträchtigung anzuknüpfen. II. Subjektivierungstendenzen beim Täuschungsbegriff Wie gesehen, stellt section 2 FA zentral auf das Tatbestandsmerkmal dishonesty und damit letztlich auf den subjektiven Tatbestand ab. In Anbetracht dieser überwiegend subjektiven Prägung der Betrugsstrafbarkeit muss gefragt 122 Die mitunter extremen Unterschiede moralischer Wertungen unterstreichen auch Roxin, Hassemer-FS, S. 592 f. u. Matt, NJW 2005, 389. Zur „ethisch-moralischen Fundierung des Strafrechts“, vgl. Kühl, ZStW 116 (2004), 870 (876 ff.). 123 Dies ergibt sich schon daraus, dass die Zahl der bei der Bewertung eines Verhaltens heranzuziehenden Kriterien letztlich kaum begrenzbar ist, da (wie das englische Recht mit dem zentralen Tatbestandsmerkmal dishonesty zeigt) nicht nur teleologische Erwägungen die Auslegung einer normativen Handlungsbeschreibung beeinflussen können, sondern auch solche damit nicht in Zusammenhang stehende Motive des Täters. Die Beobachtungen zu dishonesty legen den Schluss nahe, dass eine zunehmende Normativierung des tatbestandlichen Verhaltens es erschwert, Strafbarkeit allein mit dem Verhalten des Täters zu begründen, vielmehr maßgeblich auch von den Beweggründen des Täters abhängig gemacht wird.

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werden, ob ähnliche Subjektivierungstendenzen auch in der deutschen Rechtsprechung zu beobachten sind, wenn dort im Rahmen des Täuschungsmerkmals die Irrtumserregungsabsicht des Täters besonders betont wird.124 Zu hinterfragen ist, ob eine dahingehende Auslegung des § 263 StGB die Grenzen eines Tatstrafrechts überschreitet und der Erklärende letztlich für seine bösen Absichten zur Rechenschaft gezogen wird, die objektive Feststellung einer Täuschung hingegen in den Hintergrund rückt.125 Für die Konturierung des Betrugstatbestands ist es von entscheidender Bedeutung, inwieweit dem Täterhandeln eine konkludente Täuschung entnommen werden kann. Die Rechtsprechung zu den sogenannten Insertionsofferten hält eine konkludente Täuschung auch in Fällen für möglich, in denen sich eine missverständliche Erklärung bei sorgfältiger Prüfung als wahr erweisen würde.126 Zwar stellt der BGH dabei zunächst ausdrücklich auf die Verkehrsanschauung als maßgebliches Kriterium zur Bestimmung einer Täuschung ab.127 Soweit er dann jedoch ausführt, bei inhaltlich richtigen Erklärungen komme es darauf an, ob der Täter deren Eignung zur Erregung eines Irrtums „planmäßig einsetzt“ und damit „gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt“, ob „also die Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist“,128 so scheint dadurch die strafbegründende Bedeutung der objektiven Tat zumindest eingeschränkt zu werden. Dies ähnelt strukturell der gesetzgeberischen Technik bei section 2 FA, einen weiten objektiven Täuschungsbegriff auf der Ebene des subjektiven Tatbestands einzugrenzen. Die Argumentation der Rechtsprechung des BGH ist problematisch, da sie den Eindruck erwecken kann, der im Rahmen der Verkehrsauffassung objektiv anzu124

BGHSt 47, 1; BGH NStZ-RR 2004, 110. Dahingehend Pawlik, StV 2003, 297 (298); Krack, JZ 2002, 613; Schneider, StV 2004, 537 (539); Rath, Gesinnungsstrafrecht, S. 52. 126 Die Unterscheidung des BGH zwischen inhaltlich richtigen Erklärungen einerseits und unwahren Erklärungen andererseits ist missverständlich; vgl. BGHSt 47, 1 (5). Denn es geht darum, wann eine Erklärung unwahr ist, obwohl explizit Wahres gesagt wird. So auch Geisler, NStZ 2002, 86 (87 f.), der „die Vorstellung eines Dualismus von Form und Inhalt als verfehlt“ bezeichnet. Zustimmend Krack, JZ 2002, 613 (614). Missverständlich Loos, JR 2002, 77 (78), der vom Vorliegen zweier konträrer Erklärungen ausgeht. Einem anderen Ansatz folgt Pawlik, StV 2003, 297 (299 f.): Konkludent unwahre Erklärungen seien durch ihre Unvollständigkeit gekennzeichnet, die vom Adressaten (irrtümlicherweise) anhand der Verkehrsanschauung um „geschäftstypische Zusatzannahmen“ ergänzt würde. An einer solchen Unvollständigkeit fehle es aber gerade, wenn sich der Erklärung die Wahrheit ausdrücklich entnehmen ließe. Allerdings sei auch bei „im ganzen betrachtet“ wahren Erklärungen eine Täuschung anzunehmen, wenn der Erklärende eine berechtigte „Konsistenz- und Kontinuitätserwartung“ des Adressaten enttäuscht. Dies soll der Fall sein, soweit letzterer nach dem äußeren Erscheinungsbild „keinen verständigen Anlaß“ haben konnte, an der Bedeutung eines Schreibens zu zweifeln. Insoweit ähnlich NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 104. 127 BGHSt 47, 1 (3 f.) in Anknüpfung an Garbe, NJW 1999, 2868 (2869 f.). 128 BGHSt 47, 1 (5). 125

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legende Sorgfaltsmaßstab würde letztlich vom subjektiven Tatbestand vorgegeben.129 Missverständliche, aber inhaltlich bei sorgfältiger Prüfung zutreffende Erklärungen sollen demnach nur dann strafbar sein, wenn der Täter sie planmäßig zur Schädigung eines anderen einsetzt. Die Täuschung muss sich als objektives Tatbestandsmerkmal aber eben objektiv bestimmen lassen. § 263 StGB ist ein verhaltensgebundenes Delikt, lässt also nicht irgendein auf Irrtumserregung gerichtetes Verhalten genügen. Fehlt es an diesem tatbestandlichen Erfordernis, so kann es nicht durch entsprechende Absicht des Täters kompensiert werden. 1. Kritik an der Rechtsprechung als Ausdruck eines auf Normgeltungsschutz abstellenden Strafrechtsverständnisses Allerdings ist festzustellen, dass die Rechtsprechung das Vorliegen einer Täuschung letztlich sehr wohl anhand objektiver Maßstäbe prüft und bejaht.130 Entscheidend ist, wie vom BGH auch angenommen,131 die objektive Verkehrsanschauung.132 Die Planmäßigkeit des Täterhandelns wird erst zur Konkretisierung des strafrechtlichen Täuschungsbegriffs herangezogen. Dies ist nicht mit einem Übergehen des Täuschungsmerkmals gleichzusetzen.133 Die Rechtsprechung entspricht vielmehr einem Strafrecht, welches bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen wegen Artikel 103 Abs. 2 GG einerseits vom Verkehrsverständnis eines Tatbestandsmerkmals auszugehen hat, anderseits in Anbetracht seiner Zwecksetzung – des Rechtsgüterschutzes – darüber hinaus eine strafbarkeitsbegrenzende Normativierung dieses Verkehrsverständnisses verlangt. Der Vorwurf, es handele sich im Fall der Insertionsofferten um eine Kriminalisierung böser Absichten,134 wäre nur angebracht, wenn hier schon nach der Verkehrsauffassung die Tat keine Täuschung darstellte oder wenn die sich anschließende, das Verkehrsverständnis begrenzende normative Wertung im Kern lediglich auf subjektive Faktoren rekurrieren würde. Beides ist jedoch nicht der Fall. Keinen Bedenken begegnet zunächst, dass die Rechtsprechung zur Bestimmung des Verkehrsverständnisses auf einen konkretisierend-typisierenden Maß129

In diesem Sinne: NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 105; Geisler, NStZ 2002, 86 (88). BGHSt 47, 1 (3 f. u. 7). 131 Geisler, NStZ 2002, 86 (88); dies verkennend Krack, JZ 2002, 613. 132 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 83; Rose, wistra 2002, 13 (16). 133 So erscheint bspw. die Befürchtung von Eisele, NStZ 2010, 193 (194) unbegründet, die Kriterien des BGH könnten auch zur Strafbarkeit eines Händlers führen, der seine Ware bewusst deutlich über dem Marktpreis veräußert. Denn eine Täuschung wird die Verkehrsanschauung hier verneinen. Wie Eisele aber auch Hoffmann, GA 2003, 610 (617) und Paschke, Insertionsoffertenbetrug, S. 155 f. 134 So aber Pawlik, StV 2003, 297 (298): der Senat lasse „die objektive Komponente des Täuschungsbegriffs fast zur Gänze hinter dessen vorgeblicher subjektiver Komponente zurücktreten“. Die objektive Täuschungskomponente werde „zu einem bloßen Merk- und Durchgangsposten“. Dahingehend auch Paschke, Insertionsoffertenbetrug, S. 150 und Rath, Gesinnungsstrafrecht, S. 52. 130

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stab abstellt, also die typischen Verständnismöglichkeiten einer in der Situation des konkreten Adressaten befindlichen Person berücksichtigt. Für die Zulässigkeit der Berücksichtigung von Verständnisdefiziten des individuellen Adressaten kommt es entscheidend darauf an, ob sich der Erklärungsinhalt allein aus dem rein objektiven Gehalt der Erklärung ergeben muss oder ob daneben auch Umstände des konkreten Adressaten zu berücksichtigen sind. Diese Frage findet ihre Antwort nicht bereits darin, dass nach der Rechtsprechung § 263 StGB nicht sorglose Menschen vor den Folgen ihrer eigenen Sorglosigkeit schützt.135 Denn daraus ergibt sich zunächst nur, dass ein durch den Täter verursachter Irrtum nur dann zu Strafbarkeit führen kann, wenn sein Verhalten als Täuschung zu bewerten ist.136 Maßstäbe für die zur Tatbestandsauslegung erforderliche Verteilung des Orientierungsrisikos ergeben sich hieraus aber noch nicht. Will man den Täuschungsbegriff ohne Ansehung der Umstände des Adressaten in der konkreten Erklärungssituation ausschließlich über sich aus der fraglichen Erklärung selbst ergebende objektiv-normative Zuständigkeitserwägungen bestimmen,137 so liegt dem ein Verständnis strafrechtlicher Normen zugrunde, welches auf einer typisierend-generalisierenden Bewertung der Sozialschädlichkeit von Verhalten beruht, anstatt die Sozialschädlichkeit von Verhalten mit Blick auf dessen absehbare Konsequenzen im konkreten Fall zu beurteilen. Ein derartiger Ansatz kann vom Inhalt der Erklärung unabhängige individuelle Sorgfaltsobliegenheiten nicht berücksichtigen, weil dies im Widerspruch zur ihm zugrundeliegenden Prämisse stünde, das Strafrecht garantiere lediglich die Normgeltung.138 Damit wäre nicht vereinbar, den Inhalt des strafrechtlich sanktionierten Verhaltensgebots je nach dem Verständnis des konkreten Opfers zu variieren. Denn wird (auch) auf den konkreten Adressaten abgestellt, so bedeutet dies, dass es der strafrechtlichen Sanktion letztlich nicht um die Norm als Eigenwert, sondern um die dahinterstehenden Interessen geht. Ein zur Bestimmung von Täuschung ausschließlich auf ein generalisiertes Orientierungsrisiko abstellender Ansatz einerseits und ein die individuelle Erklärungssituation des jeweiligen Adressaten berücksichtigender Ansatz andererseits sind demnach nicht zu vereinbaren. Geht es den sanktionierten Verhaltensgeboten lediglich um die Zuordnung von Verantwortungsbereichen, „um die Abgrenzung von Sphären äußerer Handlungsfreiheit“,139 so können Aufmerksamkeitsdefizite des Erklärungsadressaten nicht 135

BGHSt 3, 99 (103). BGHSt 47, 1 (4 f.). 137 Trotz eines solchen Ansatzes im Fall der Insertionsofferten aber eine Täuschung bejahend NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 104. 138 Die Berücksichtigung von Irrtumserregung und schädigender Vermögensverfügung ist unter Zugrundelegung dieses Ansatzes – wie bereits gesehen – nicht konsequent, kann jedoch in Anbetracht des klaren Wortlauts des § 263 StGB nicht unterbleiben. 139 Pawlik, Betrug, S. 82. 136

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dem Erklärenden angelastet werden und dessen strafrechtliche Verantwortung begründen, selbst dann nicht, wenn der Erklärende diese Defizite gezielt instrumentalisiert. Eine Berücksichtigung individueller Defizite des konkreten Erklärungsadressaten im Rahmen der Begründung objektiver Verantwortlichkeit scheidet dann aus. Es ist daher konsequent, wenn unter Zugrundelegung eines rein objektiv-normativen Ansatzes gegen die Rechtsprechung im Falle der Insertionsofferten der Vorwurf erhoben wird, sie begründe die Betrugsstrafbarkeit vor allem subjektiv.140 Festzuhalten ist dann aber, dass eine derart ablehnende Haltung gegenüber der Rechtsprechung im Wesentlichen nicht auf Differenzen hinsichtlich der Rolle des subjektiven Tatbestands beruht, sondern auf Differenzen hinsichtlich jener zur Bestimmung des strafrechtlichen Täuschungsbegriffs objektiv heranzuziehenden Kriterien.141 Die Rechtsprechung berücksichtigt bei der Verteilung des Orientierungsrisikos hingegen auch solche sich nicht aus dem objektiven Charakter einer Erklärung ergebende Umstände auf Seiten des Adressaten (wie etwa eine psychische Belastungssituation oder geschäftliche Unerfahrenheit142). Sie stellt damit im Wege einer kumulativen Betrachtung von objektiven Sorgfaltsanforderungen und subjektiven Verständnismöglichkeiten des Adressaten auf jenes Verständnis ab, welches von einer in der Situation des konkreten Adressaten befindlichen Person typischerweise erwartet werden kann.143 Dies erlaubt es, infolge einer typischerweise zu erwartenden Minderung seiner Sorgfaltsobliegenheiten eine konkludente Täuschung gegebenenfalls auch dann anzunehmen, wenn bei sorgfältiger Prüfung der Erklärung ihr wahrer Inhalt erkennbar gewesen wäre. Ein solcher Ansatz beruht auf der Prämisse, dass „das Wesen des Betruges in der Einwirkung auf die Vorstellungswelt bestimmter anderer Menschen und die dadurch bewirkte vermögensschädigende Verfügung“ liegt.144 Es geht demnach primär nicht um die Bewehrung eines abstrakten Verhaltensgebots, sondern die Bewehrung fremden Vermögens, wenn auch begrenzt auf eine bestimmte Art schädigenden Verhaltens (nämlich auf Täuschung). Die Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens ausschließlich im Wege objektiv-normativer Kriterien ist nach diesem Ansatz nicht geboten. Eine Normativierung des tatbestandlichen Verhaltens ist hier zwar insofern erforderlich, als sie eine dem Rechtsgüterschutz entsprechende Auslegung des Erklärungsinhalts ermöglicht. Doch besteht dabei keine Veranlassung zu einer von den konkreten Kommunikationspartnern losgelösten Bestim140

Pawlik, StV 2003, 297 (298). Es ist also gerade fraglich und nicht zugrunde zu legende Prämisse, ob der Täter bereits seinen Rechtskreis verlassen hat. Anders Pawlik, StV 2003, 297 (298). 142 Zur Betrugsstrafbarkeit rechnungsähnlicher Offerten auch gegenüber im geschäftlichen Verkehr erfahrenen Adressaten, vgl. BGH, NStZ-RR 2004, 110. Ähnlich bereits Geisler, NStZ 2002, 86 (89). 143 BGHSt 47, 1 (7); zustimmend MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 83. 144 So Schröder, Peters-FS, S. 157 (Hervorhebung hinzugefügt). 141

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mung der Täuschung.145 Vielmehr wäre ein solcher Ansatz für ein letztlich Rechtsgüterschutz und nicht Normgeltung bezweckendes Strafrecht inkonsequent. Denn geht es um Rechtsgüterschutz und nicht um den Schutz von (über typisierte Sozialschädlichkeit bestimmter Verhaltensformen definierte) Normen, so liegt es nahe, bei der Frage nach dem Vorliegen einer Täuschung nicht nur den rein objektiv-normativ bestimmten Erklärungsgehalt, sondern auch die vom Adressaten in der konkreten Kommunikationssituation erwarteten Sorgfaltsobliegenheiten zu berücksichtigen. Soweit die Rechtsprechung dabei einen konkretisierend-typisierenden Maßstab zugrunde legt, kann ihr zudem nicht der Vorwurf gemacht werden, sie lasse es an einem objektiven Täuschungsbegriff fehlen. Schließlich kann der Rechtsprechung auch nicht vorgeworfen werden, dass sie im Rahmen jener das Verkehrsverständnis der Erklärung begrenzenden normativen Wertung im Kern lediglich auf subjektive Faktoren rekurrieren würde. Der BGH wirft nämlich dem Täter zur Begründung seiner Verantwortlichkeit (für Irrtum und Schaden) nicht lediglich vor, dass er die Situation des Offerten-Adressaten ausgenutzt habe, sondern dass er diese Situation (insbesondere über die Wahl des Zeitpunkts der Offerte und eine für den konkreten Adressaten in der konkreten Situation irreführende Gestaltung der Offerte) instrumentalisiert habe. Verantwortlich ist der Täter also nicht wegen seiner bloßen Gesinnung, das Aufmerksamkeitsdefizit eines anderen auszunutzen, sondern weil das Hervorrufen des schädigenden Irrtums darauf beruht, dass er eine irrtumsanfällige Kommunikationssituation gezielt herbeiführte. Die Entscheidung des BGH legt gerade nicht nahe, dass im Kern die Gesinnung des Täters seine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet. Vielmehr begründet sich Verantwortlichkeit hier dadurch, dass der Irrtum des Adressaten sich objektiv als das Ergebnis einer ausgeklügelten Inszenierung darstellt, mithin über das bloße Ausnutzen mangelnder Sorgfalt hinausgeht. Durch den Einsatz der nach dem Verkehrsverständnis unwahren (wenn auch in anderen, insbesondere in solchen seitens des Adressaten emotional weniger angespannten Erklärungssituationen lediglich missverständlichen) Erklärung wird die Irrtumserregung dem Verantwortungsbereich des Täters zugeordnet.146 2. Mangelnde Identifizierung konkreter Sozialschädlichkeit infolge von Subjektivierung Allerdings hat man sich zu vergegenwärtigen, dass ein planmäßiger Einsatz der Unwahrheit bei § 263 StGB die Regel sein dürfte.147 Lässt die Rechtsprechung solche bei sorgfältiger Prüfung lediglich missverständlichen Erklärungen 145 Vgl. MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 83 u. Krack, JZ 2002, 613 (614), nach denen sich Verantwortungsbereiche auch durch die Situation konkretisieren, etwa durch emotionale Belastung der Adressaten. 146 BGHSt 47, 1 (5 f.). 147 Krack, JZ 2002, 613.

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als Täuschung genügen, so dürfte es nicht allzu fern liegen, dass sich Gerichte in Fällen eines planmäßigen Einsatzes der Unwahrheit (also im Regelfall) in geringerem Maße genötigt sehen werden, das Vorliegen einer unwahren Erklärung sorgfältig anhand der objektiven Tatumstände zu begründen. Sie könnten es dann bei einem Hinweis belassen, die Erklärung sei jedenfalls missverständlich, was in Anbetracht des planmäßigen Vorgehens des Täters Strafbarkeit rechtfertige. Zwar erscheint der Vorwurf ungerechtfertigt, die Rechtsprechung führe im Fall der Insertionsofferten zu einer Bestrafung böser Absichten, da solche Kritik ausweislich der vorstehenden Ausführungen vielmehr Meinungsverschiedenheiten bei der Bestimmung des objektiven Tatbestands offenbart.148 Allerdings sollten die zu section 2 FA gemachten Beobachtungen dafür sensibilisieren, dass eine Betonung des subjektiven Tatbestands tatsächlich zu einer Marginalisierung149 des Täuschungsbegriffs und letztlich gar zu seiner de facto Infragestellung führen kann.150 Dies ist nicht nur dann anzunehmen, wenn eine objektive Bestimmung der Täuschung gänzlich unterbleibt, sondern auch, wenn die dabei herangezogenen Kriterien für die Beurteilung der Strafwürdigkeit eines Verhaltens ohne Berücksichtigung des subjektiven Tatbestands weitgehend aussagelos sind.151 Soll das Strafrecht der Kommunikation solcher für das gesellschaftliche Miteinander besonders notwendiger Verhaltensgebote dienen, so kann zwar das tatbestandliche Verhalten durch Absichtsmerkmale konkretisiert und mithin begrenzt werden. Wird das tatbestandliche Verhalten jedoch mehr durch den subjektiven als durch den objektiven Tatbestand bestimmt, so kommuniziert Strafrecht weniger Verhaltensgebote als vielmehr ein Verbot sozialschädlicher Absichten. Ein solches Strafrecht eignet sich nicht mehr zur Kommunikation gesellschaftlich notwendiger Verhaltenserwartungen und büßt deshalb seine generalpräventive Funktion ein. Derartige Aussagelosigkeit kann der Rechtsprechung im Fall der Insertionsofferten allerdings noch nicht attestiert werden. Erst recht lässt ihr objektiver Prüfungsmaßstab ein objektiv „neutrales Geschehen“ für eine Strafbarkeit nach § 263 StGB nicht genügen.152 Eine davon zu unterscheidende – an dieser Stelle jedoch nicht weiter zu untersuchende – Frage ist, ob man ihren 148

Zur Illustration dieses Umstands, vgl. Rath, Gesinnungsstrafrecht, S. 52. Eine solche im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH bereits annehmend: Schneider, StV 2004, 537 (539); Paschke, Insertionsoffertenbetrug, S. 155. 150 Rose, wistra 2002, 13 (17). 151 Über section 2 FA hinaus ist hierzu vor allem section 7(1)(b) FA zu nennen, der die Herstellung oder Verbreitung von der Begehung von Betrug dienenden Gegenständen bei einem entsprechenden Verwendungsvorsatz unabhängig von deren objektiven Charakteristika unter Strafe stellt. 152 Anders Schneider, NStZ 2004, 312 (316): der BGH bejahe eine Täuschung hier „alleine auf Grund der Absichten des Täters“. Eine Übertragbarkeit vergleichbarer, im Rahmen der Beihilfe angestellter Überlegungen ablehnend Paschke, Insertionsoffertenbetrug, S. 149, da es sich beim Insertionsoffertenbetrug eben nicht mehr um verkehrskonformes Verhalten handele. Ähnlich Loos, JR 2002, 77 (78 f.). 149

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Maßstäben zustimmen will oder darin vielmehr eine übermäßige Absenkung der Sorgfaltsobliegenheiten des Erklärungsadressaten sieht.153 Solange das tatbestandliche Verhalten über den objektiven Tatbestand klar begrenzt wird, ist ein darüber hinausgehendes Absichtskriterium zwar grundsätzlich geeignet, den Tatbestand weiter zu konkretisieren und damit zu einer inhaltlich differenzierteren Kriminalisierung zu führen. Hat das Absichtsmerkmal aber letztlich eine Übergehung der Prüfung des objektiven Tatbestands zur Folge, so ist ein gegenteiliger Effekt zu erwarten, nämlich Aussagelosigkeit der Verhaltensgebote. Über die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Insertionsofferten hinaus sollte daran erinnert werden, dass eine durch die begrenzende Wirkung des Absichtskriteriums legitimierte Unbestimmtheit der objektiven Tatbestandsmerkmale geeignet ist, eine differenzierende Auseinandersetzung mit den konkreten Tatumständen in den Augen der Rechtsanwender als unnötig erscheinen zu lassen und infolgedessen dem Beschuldigten unter Umständen nicht gerecht zu werden. Denn individuelle Strafbarkeit wird dann gegebenenfalls weniger auf einer differenzierenden Bewertung des konkreten objektiven Geschehens beruhen, als vielmehr darauf, dass nach Auffassung des Gerichts das Verhalten des Beschuldigten typischerweise auf einen Schädigungsvorsatz schließen lasse.154 III. Tatbestandliche Unbestimmtheit infolge einer Relativierung des Schadensmerkmals Die dargestellten englischen Delikte verdeutlichen die zentrale Rolle, welche dem Rechtsgüterschutz und mithin dem Rechtsgutsbegriffs für eine differenzierende Kriminalisierung zukommt. Nur nach Bestimmung des Gehalts des Vermögensschadensbegriffs in § 263 StGB sind jene Erklärungsinhalte identifizierbar, die Gegenstand einer tatbestandlichen Täuschung sein können. Diese systematisierende Wirkung des Rechtsguts als Grundlage einer generalpräventiv kommunizierenden und am Legalitätsprinzip orientierten Strafrechtspflege geht jedoch verloren, wenn sich die Bestimmung eines Schadens zunehmend inkohärent gestaltet. Wird der Begriff des Vermögensschadens gar aus dem tatbestandlichen Verhalten abgeleitet, soll etwa nach Pawlik der Schaden jene Differenz dar153 An dieser Stelle können viktimo-dogmatische Erwägungen eine Rolle spielen; dazu etwa Geisler, NStZ 2002, 86 (88). Der grundlegende Unterschied zwischen diesen und einem rein normativ-objektiven Ansatz liegt aber darin, dass erstere den Adressaten zumindest zur Kenntnis nehmen und mithin im Grundsatz einem über die Normgeltung hinausgehenden, dem Rechtsgüterschutz verhafteten Strafrechtsverständnis folgen. 154 Vgl. dazu (im Hinblick auf „neutrale Handlungen“ bei § 27 StGB) Schneider, NStZ 2004, 312 (317): „wenn das objektive Geschehen keinen Aufschluss über den für § 27 StGB maßgeblichen ,subjektiven Handlungssinn‘ gibt, dürfte auch der Nachweis der inneren Tatseite kaum mit der [„] erforderlichen Sicherheit zu führen sein.“ So sei „der gleichwohl erfolgende Schuldspruch mit einem hohen Fehlverurteilungsrisiko behaftet“.

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stellen, um die das Vermögen des Opfers infolge der Verletzung eines „Rechts auf Wahrheit“ gemindert wird,155 so handelt es sich dabei nicht mehr um ein selbständiges Tatbestandsmerkmal. Ein solcher Schadensbegriff bietet keine Orientierung für die Auslegung des tatbestandlichen Verhaltens. Insbesondere bei der Bestimmung konkludenter Erklärungsinhalte macht sich dann die Ziellosigkeit des Tatbestands bemerkbar und verliert sich damit der Tatbestand insgesamt in Kasuistik und kriminalpolitischer Aussagelosigkeit. Ein Konturverlust des § 263 StGB ist also über die bereits angesprochenen Wege – die (bisher nur im Schrifttum vorgeschlagene) ausschließlich normativierende Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens einerseits sowie einer Stärkung des subjektiven Tatbestands auf Kosten des Aussagewerts des objektiven Tatbestands andererseits – hinaus auch dann zu erwarten, wenn der Inhalt des durch eine Vorschrift geschützten Rechtsguts an Deutlichkeit verliert oder auf einen Rechtsgutsbegriff gar ganz verzichtet wird. Dieser Umstand muss schon bei der Frage des Gehaltes des durch § 263 StGB geschützten Vermögens Berücksichtigung finden. Im Folgenden soll aber vorrangig untersucht werden, inwieweit solche in Rechtsprechung und Schrifttum bei der Bestimmung eines Vermögensschadens zugrunde gelegten Ansätze geeignet sind, das tatbestandliche Schadensmerkmal zu relativieren und dadurch dessen das tatbestandliche Verhalten strukturierende Funktion zu untergraben. 1. Notwendigkeit und Grenzen einer Individualisierung des Schadensbegriffs Soll strafrechtliche Verantwortung an die Schädlichkeit eines Verhaltens anknüpfen, so muss der Begriff des Schadens klar konturiert werden. Nach der Rechtsprechung liegt ein Vermögensschaden bei § 263 StGB in der Minderung des Gesamtwerts des Vermögens.156 Eine derartige Beschreibung des Schadens ist aber für sich deshalb wenig aussagekräftig, weil insbesondere Endverbraucher einer Leistung sich regelmäßig bewusst sind, durch den Abschluss eines Geschäfts den Wert ihres Vermögens ersatzlos zu mindern.157 Insbesondere Privathaushalten geht es bei ihrer Teilnahme am Wirtschaftsverkehr zu weiten Teilen eben nicht um die Akkumulation von Vermögen, sondern um dessen Verbrauch. Wollte man zur Bestimmung eines Vermögensschadens allein auf den Tauschwert abstellen, so verlöre das Schadensmerkmal zumindest in diesem Bereich seinen Gehalt.158 Berücksichtigt werden muss deshalb auch der Gebrauchswert. 155 Es handelt sich hierbei also nicht um eine „moderne Konzeption“ des Schadensbegriffs (SK-Hoyer, § 263, Rdn. 185), vielmehr wird dieser aufgegeben. 156 BGHSt 3, 99 (102); 16, 220 (221); 53, 199. 157 Geerds, Vermögensschutz, S. 123; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 216; Pawlik, Betrug, S. 270. 158 Dahingehend auch Pawlik, Betrug, S. 270.

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Die Bestimmung des Gebrauchswerts ist allerdings nicht unproblematisch. Mit dem Begriff des Schadens bringt der Gesetzgeber zudem zum Ausdruck, dass er zur Begründung der Strafbarkeit an die Konsequenzen des tatbestandlichen Verhaltens anknüpft. Dient Strafrecht der Bewehrung einer objektiven Verhaltensordnung, so müssen die Tatbestandsmerkmale der sanktionierten Verhaltensgebote objektiv bestimmbar sein. Damit wäre es jedenfalls nicht zu vereinbaren, das Vorliegen eines Schadens allein von einer subjektiven Einschätzung des Verfügenden abhängig zu machen.159 Die Frage der Sozialschädlichkeit des Verhaltens würde damit subjektiviert. Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, im zwecklos verausgabten Vermögen liege ja doch ein objektiver Schaden. Denn wenn der Begriff der Zwecklosigkeit nicht objektiviert wird, handelt es sich letztlich doch nur um einen rein subjektiven Schadensbegriff.160 Tauschwert und Gebrauchswert von Vermögen lassen sich jedoch beide als Bestandteile eines kohärenten objektiven Vermögensbegriffs verstehen, ihre kumulative Berücksichtigung im Rahmen der Schadensbestimmung ist also keineswegs widersprüchlich.161 Denn zwar muss die Bestimmung des Vermögenswertes immer den konkreten Vermögensträger berücksichtigen, kommt es mithin immer auch auf die individuelle Brauchbarkeit an. Der Gebrauchswert eines Vermögensgegenstands kann sich dabei nur nach der individuellen Zwecksetzung des Vermögensinhabers richten, andernfalls würde der Begriff des Schadens vielfach zu einer bloßen Fiktion führen. Nicht nur wäre unklar, nach welchen Maßstäben sich eine objektive Zwecksetzung richten sollte.162 Widersprechen sich objektive und subjektive Zwecksetzung, so würde der strafrechtliche Vermögensschutz zudem von den Interessen des Vermögensinhabers losgelöst sein. Der Schaden als strafbegründendes Tatbestandsmerkmal wäre aber gegenstandslos, wenn niemand ein Interesse an einem so verstandenen Schutz des Rechtsguts hat. Deshalb muss sich die Schädigung des Gebrauchswerts des Vermögens zwar 159

SK-Hoyer, § 263, Rdn. 222; LK-Tiedemann, vor § 263, Rdn. 29 f. Vgl. dagegen Schmoller, ZStW 103 (1991), 92 (111 f.): Durch die „Berücksichtigung der subjektiven Nützlichkeit“ zeige sich, „ob ein Vermögensgegenstand konkret zum marktüblichen Anschaffungs- oder lediglich zum marktüblichen Wiederverkaufswert zu veranschlagen“ sei. Deshalb führe diese Berücksichtigung nicht zum „Schutz der bloßen Dispositionsfreiheit“, sondern bewege sich „innerhalb einer wirtschaftlichen Schadensbegründung“. Diese Argumentation Schmollers führt allerdings nicht weiter, denn welcher der beiden Werte zur Schadensbestimmung berücksichtigt wird, richtet sich bei einer uneingeschränkten Berücksichtigung subjektiver Präferenzen letztlich eben allein nach den Vorstellungen des Vermögensinhabers. Um einen objektiven Schadensbegriff kann es sich dabei mithin nicht handeln. Vgl. auch die ähnliche Kritik von Hefendehl (Vermögensgefährdung, S. 114) zum Versuch, den personalen Vermögensbegriff durch eine Begrenzung auf wirtschaftliche Zwecke zu begrenzen. Dies laufe auf einen Zirkelschluss hinaus, da damit die ökonomischen Aspekte lediglich „subjektiviert“ würden. 161 Anders aber SK-Hoyer, § 263, Rdn. 216; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 262; Pawlik, Betrug, S. 272. 162 Im Ergebnis insoweit ähnlich Pawlik, Betrug, S. 287. 160

132 Teil 2: Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff

nach der objektiven Brauchbarkeit des erworbenen Gegenstands bestimmen, zugrundezulegen ist dabei aber der subjektiv vom Vermögensinhaber verfolgte Gebrauchszweck. Verfolgte der Verfügende, wie insbesondere in den Fällen der Unterschriftenerschleichung,163 überhaupt keinen Zweck, so muss ein Schaden daher schon deshalb angenommen werden,164 weil mangels subjektiver Zwecksetzung der erlangte Gegenstand jedenfalls unbrauchbar ist. Hingegen kann eine Minderung des Tauschwerts für sich noch keinen Schaden darstellen, ist vielmehr regelmäßig Folge einer Vermögensverfügung. Erlangt der Verfügende die von ihm gewünschte Gegenleistung zu einem marktgemäßen Preis, so wäre die Annahme eines Schadens eben eine Fiktion, hingegen nicht mehr geeignet, mit den Normadressaten in verständlicher Sprache zu kommunizieren.165 Doch stellt sich der Tauschwert als Teil des individuellen Gebrauchswerts dar. Liegt der Erwerbspreis über dem Marktpreis, so ist eine Vermögensschädigung demnach auch unabhängig vom Gebrauchswert des durch den Vermögensinhaber erworbenen Gegenstands zu bejahen. Unabhängig vom verfolgten Zweck wird hier nämlich das Vermögen des Vermögensinhabers in einem über das zum Erreichen des Zwecks erforderlichen Maß hinaus in Anspruch genommen. Denn ungeachtet des mit Vermögen darüber hinaus verfolgten Zwecks bestimmt sich sein Gebrauchswert immer auch danach, inwieweit es als Tauschgegenstand zur Verfolgung individueller Zwecke verwendet werden kann. Der Gebrauchswert von Vermögen beinhaltet also auch dessen Tauschwert, erschöpft sich darin aber nicht notwendigerweise.166 Soweit der Vermögensinhaber über das zur Erreichung eines Zwecks erforderliche Maß hinaus den Tauschwert seines Vermögens mindert, liegt darin mithin eine Minderung des Gebrauchswerts seines Vermögens.167 Ist der überteuert er163

Dazu LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 207. So im Ergebnis auch NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 282. 165 Deshalb ist es auch richtig, faktisch ohnehin nicht durchsetzbare Rechtspositionen nicht als geschütztes Vermögen anzuerkennen. Im Ergebnis deshalb zutreffend SK-Hoyer, § 263, Rdn. 104; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 25; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 128. 166 Ähnlich auch Schmoller, ZStW 103 (1991), 92 (109): Der „Wiederverkaufspreis“ sei ein „Mindestwert“, den der Vermögensgegenstand „für jedermann hat“ (Hervorhebung im Original). Die „Berücksichtigung der subjektiven Präferenzen“ füge sich „konsequent in das Konzept der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ein“ (S. 111). Es trifft daher entgegen Geerds (Vermögensschutz, S. 122) nicht zu, „daß die Anhänger des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs [. . .] zwei völlig unterschiedliche Arten der Schadensberechnung anwenden“. Zum Wiederverkaufswert als Teil der Gebrauchswerts auch Franzheim/Krug, GA 1975, 97 (100). 167 Vgl. RGSt 16, 1 (10): „Wie jede unnütze Ausgabe, also jede Ausgabe für einen unbrauchbaren Gegenstand, den Vermögenswert herabsetzt, geschieht das auch durch eine zu hohe Ausgabe; die letztere ist unnütz, soweit sie zu hoch ist.“ Dies erklärt auch, weshalb ein Vermögensschaden auch bei hinsichtlich des Marktpreises ausgeglichenen 164

§ 6 Tatbestandliche Verhaltensbeschreibung und Schadensbegriff

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worbene Gegenstand zudem objektiv nicht zweckentsprechend und mithin unbrauchbar, so liegt darin ein weiterer Schaden.168 Andererseits wird ein Schaden unabhängig vom verfolgten Zweck dann ausscheiden, wenn sich der Tauschwert des Vermögens infolge des Geschäfts nicht verringert,169 da sich dann auch der Gebrauchswert des Vermögens nicht vermindert. Problematisch ist jedoch, ob eine Vermögensschädigung bei marktpreismäßig ausgeglichenen Geschäften auch dann angenommen werden kann, wenn die Zwecksetzung selbst (gegebenenfalls infolge einer Täuschung) auf irrtümlichen Annahmen des Verfügenden beruht. Grundsätzlich hat jeder eigenverantwortliche Marktteilnehmer selbst über seine Bedürfnisse zu befinden. Wie der Vermögensinhaber mit nicht zweckgebundenen Vermögen umgeht, kann insbesondere nicht am Maßstab wirtschaftlicher Vernunft als Vermögensschädigung beurteilt werden. Im Hinblick auf eine verfehlte Zwecksetzung kann ein objektiver Schaden ausnahmsweise und nur dann anzunehmen sein, wenn sich bereits diese Zwecksetzung in Ansehung der Umstände des Vermögensinhabers als nutzlos und die infolgedessen erlangte Leistung als unbrauchbar darstellt.170 In aller Regel entzieht sich die Zwecksetzung aber einer objektiven Beurteilung und kann sich ein objektiver Schaden mithin nur aus unzweckmäßigen Eigenschaften des erlangten Gegenstands ergeben. Andernfalls müsste man einen Schaden bereits in der Täuschungsbedingtheit von Zwecksetzung und Verfügung sehen. Damit würde ein objektiver Schadensbegriff aber gerade wieder aufgegeben. 2. Ansätze einer Aushöhlung des objektiven Schadensbegriffs durch die Rechtsprechung Bei einer auf den individuellen Schadenseinschlag abstellenden Begründung eines Vermögensschadens kann sich zwar die objektive Bewertung des MarktGeschäften anzunehmen ist, wenn dadurch der Erwerber in finanzielle Bedrängnis gerät, also der Gebrauchswert der ihm verbleibenden Mittel beschränkt wird. Zum Problem der Kausalität von Verfügung und Schaden, vgl. Eser, GA 1962, 289 (291 f.); MKHefendehl, § 263, Rdn. 650 f. 168 Zutreffend spricht Tiedemann (Klug-FS, S. 416) von einer „Ergänzung“ der marktwertorientierten durch die individuelle Betrachtungsweise. 169 So auch Schmoller, ZStW 103 (1991), 92 (112). Im Ergebnis zustimmend SK-Hoyer, § 263, Rdn. 224; Pawlik, Betrug, S. 292; enger NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 285 f. Anderes kann jedoch gelten, wenn der durch den Verfügenden eingebüßte Vermögensgegenstand für ihn einen über dem Tauschwert liegenden Gebrauchswert hat. Zur Frage der Berücksichtigung des individuellen Schadenseinschlags hinsichtlich der Gegenleistung des Getäuschten, vgl. BGH NJW 1977, 155 f.; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 109; LK-Lackner, 10. Auflage, § 263, Rdn. 161; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 177; Tiedemann, Klug-FS, S. 416; Werle, NJW 1985, 2913 (2917). 170 Einen Schaden deshalb bei tatsächlich sinnvollen Wartungsarbeiten trotz Vorspiegelung einer gesetzlichen Wartungspflicht zutreffend ablehnend OLG Stuttgart, NJW 1971, 633 f. mit Anmerkungen Blei, JA 1971, 505 (506). Vgl. auch BGH, NJW 1994, 1745 (1747).

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werts der empfangenen Leistung zur Bestimmung der Strafbarkeit eines Verhaltens unter Umständen erübrigen.171 Eine derartige Schadensbestimmung darf aber nicht dazu führen, die Realisierung eines vom Verfügenden bewusst eingegangenen wirtschaftlichen Risikos im Nachhinein als Schädigung zu qualifizieren. Die Rechtsprechung muss klar zwischen dem eingegangenen Risiko einerseits und einer (für die tatbestandliche Schadensbestimmung irrelevanten) retrospektiven Bewertung der Wirtschaftlichkeit andererseits unterscheiden, andernfalls die Berücksichtigung des Gebrauchswerts und mithin die Prüfung eines individuellen Schadenseinschlags geeignet ist, die Eingehung wirtschaftlicher Risiken rückblickend als Schaden zu betrachten und aus dem so bestimmten ,schädigenden‘ Charakter des Geschäfts eine konkludente Täuschung zu konstruieren.172 Eine dahingehend fehlerhafte Bestimmung des tatbestandlichen Schadensmerkmals birgt also die Gefahr, dass das wirtschaftliche Risiko eines Geschäfts dem Täter übertragen und dieser ex post für den Fehlgebrauch wirtschaftlicher Eigenverantwortung seitens des Verfügenden verantwortlich gemacht wird.173 Es mag im Sinne einer an Beweisvereinfachung interessierten Rechtsanwendungspraxis sein, die unter Umständen schwierige Ermittlung des Marktwerts des erlangten Gegenstandes durch eine Bewertung seiner wirtschaftlichen Brauchbarkeit zu vermeiden.174 Der Bestimmung des Gebrauchswerts dürfen aber keine unbewiesenen Annahmen zum Marktwert zugrunde gelegt werden. Für Geldanlagen bedeutet dies, dass der Gebrauchswert zwar daran gemessen werden kann, ob die Anlageform dem vom Erwerber in Kauf genommenen Risiko entspricht, wofür eine Bestimmung des Marktwerts nicht unbedingt erforderlich sein wird. Die tatsächliche Werthaltigkeit einer Anlage und mithin ihre faktische Brauchbarkeit im Sinne der verfolgten Anlagestrategie ist hingegen ungewiss, kann also nicht als Maßstab zur Bestimmung des Gebrauchswerts zum Erwerbszeitpunkt herangezogen werden. Ob mit der Anlage die vom Anleger in der Regel bezweckte Erhaltung und Mehrung seines Vermögens erreicht wird, lässt sich zum Zeitpunkt des Erwerbs eben nicht sagen. Zweckdienlichkeit lässt sich demnach nur prognostizieren, wobei es im Rahmen einer objektiven Brauchbarkeitsprüfung nicht auf die subjektive Einschätzung des Erwerbers, sondern auf einen objektiven Maßstab ankommt. Die objektive Prognose der Werthaltigkeit einer Geldanlage wird aber gerade durch ihren Marktwert ausgedrückt. Daraus ergibt sich, dass für die Beurteilung eines Vermögensschadens bei Risikogeschäften eine Berücksichtigung des Gebrauchswerts neben dem Marktwert regelmäßig

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BGHSt 51, 10 (17). Vgl. etwa OLG München, NStZ 1986, 168. 173 Schlüter, NStZ 1986, 169 (171): „Die vom Anleger getroffene Zweckbestimmung darf im Nachhinein nicht willkürlich verändert werden.“ 174 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1971, 633 f.; Geerds, Vermögensschutz, S. 185. 172

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nicht weiterführt.175 Mangelnde Brauchbarkeit ist nur anzunehmen, wenn der Verfügende ein Risikogeschäft der fraglichen Art gar nicht abschließen wollte, es sich mit Blick auf das eingegangene Risiko also um eine grundlegend andere Anlageform handelt.176 Eine entsprechende Abgrenzung ist, wie auch sonst die Abgrenzung zwischen objektiver Brauchbarkeit und Enttäuschung bloßer subjektiver Erwartungen, notwendigerweise unscharf und soll an dieser Stelle nicht weiter konkretisiert werden. An einer Begründung fehlt es der Feststellung eines Vermögensschadens demnach aber jedenfalls dann, wenn einerseits der Marktwert der erlangten Leistung nicht bestimmt, andererseits aber auch nicht festgestellt wird, dass das tatsächlich eingegangene Risiko in Anbetracht des eigentlich beabsichtigten Geschäfts vom Erwerber nicht erwartet werden konnte.177 Begrenzt man den in einer Minderung des Gebrauchswerts begründeten individuellen Schadenseinschlag nicht derart, so steht zu befürchten, dass trotz eines marktpreisgemäßen Geschäfts der Verkäufer im Wege der Annahme einer konkludenten Täuschung letztlich nicht für fehlende Eigenschaften des fraglichen Anlagegegenstands verantwortlich gemacht wird, sondern für eine sich nachträglich als unwirtschaftlich erweisende Anlagestrategie des Erwerbers. Der Gebrauchswert darf auch nicht als Vehikel dazu dienen, die Anforderungen an die Prüfung eines objektiven Vermögensschadens bei explizit täuschenden und deshalb strafwürdig erscheinenden Verhalten abzusenken. Nicht das tatbestandliche Verhalten bestimmt in einem Rechtsgüter schützenden Strafrecht den Schaden, sondern der Schadensbegriff das tatbestandliche Verhalten. Beachtet man dies nicht, so führt die unter dem Eindruck des Verhaltensunwerts erfolgende Ausweitung des Schadensbegriffs wiederum zu einer Zunahme potentiell täuschungsrelevanter Erklärungsinhalte und mithin zu einer Ausdehnung des tatbestandlichen Verhaltens. Stellt die Rechtsprechung nicht auf den Schadensbegriff als Ausgangspunkt der Strafbarkeit ab, lässt sie sich bei der Beurteilung des 175 Deshalb richtigerweise Zurückhaltung hinsichtlich der Annahme eines „persönlichen Schadenseinschlags“ im Zusammenhang mit Geldanlagen anmahnend BGHSt 32, 22 (23 f.). 176 Der Erwerb festverzinslicher Wertpapiere etwa bedeutet zwar auch ein Risikogeschäft, unterscheidet sich aber grundlegend vom Risiko einer Option auf Warentermingeschäfte. Zutreffend stellt BGHSt 32, 22 (24) darauf ab, ob sich infolge der Enttäuschung der Erwartungen der „Typus des Geschäfts“ und dessen prägender Charakter ändert, und verneint dies im konkreten Fall damit, dass bei Spekulationsgeschäften der fraglichen Art „auch in Fällen korrekter Vereinbarung und Abwicklung ein beträchtliches Risiko besteht, den eingesetzten Betrag vollständig und endgültig zu verlieren“. 177 So auch MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 648. Unbefriedigend daher die Schadensbegründung in BGHSt 30, 177 (181). Die Entscheidung unterlässt eine Bestimmung des Marktwerts der erworbenen Optionen, begründet einen Schaden dann aber mit der Behauptung, die Erwerber hätten „nicht den der Optionsprämie objektiv entsprechenden Gegenwert“ erhalten; vgl. kritisch dazu auch Geerds, Vermögensschutz, S. 154 f. Zutreffend hingegen die Ausführungen in BGHSt 31, 115 (117): Die erlangten Optionen seien „als Spekulationsmittel [. . .] ungeeignet und damit zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck untauglich“ gewesen. Vgl. auch BGH, NJW 1980, 794 (795).

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letzteren vielmehr durch eine vorgebliche Strafbedürftigkeit des Täterhandelns leiten, so führt die damit verbundene Ausdehnung des Schadensbegriffs mithin zu weiteren Schwierigkeiten bei der Bestimmung konkludenter täuschender Erklärungsinhalte.178 Soll der Tatbestand des § 263 StGB strukturelle Kohärenz bewahren, muss daher insbesondere der schadensbegründenden Berücksichtigung einer Enttäuschung solcher individueller Erwartungen des Erwerbers entgegengetreten werden, die eine Gebrauchseignung mit Blick auf den subjektiv verfolgten Zweck objektiv nicht beeinflussen.179 Soweit die Rechtsprechung mangels eines dem Verfügenden zuwachsenden Gebrauchswerts einen Vermögensschaden auch mit der Verfehlung sozialer Zwecke begründet,180 lässt sich dies daher höchstens insoweit hinnehmen, wie sie in Anbetracht des grundlegenden Unterschieds zwischen Austauschgeschäften und einseitigen Zuwendungen damit de facto einen Sonderstraftatbestand geschaffen hat,181 dessen Schadensbegriff auf wirtschaftliche Austauschgeschäfte keine Anwendung findet und den dort geltenden Vermögensschadensbegriff nicht beeinflusst.182 Würde man über Marktpreis und Brauchbarkeit hinausgehende soziale Zwecksetzungen auch bei Austauschgeschäften strafbegründend berücksichtigen,183 so handelte es sich hingegen nicht mehr um ein objektives Schadensmerkmal.184 Denn eine Bestimmung des Wertes der erlangten Leistung kann sich nur aus ihren Markt- und Gebrauchswert prägenden Eigenschaften ergeben. Der Gebrauchswert eines Vermögensgegenstands für den Vermögensinhaber wird nur durch seine objektiven Eigenschaften

178 Vgl. hierzu den in Anbetracht des Fehlens eines objektiven Schadensmerkmals potentiell weiten Täuschungsbegriff des englischen Rechts unter § 1, II., 1., a). 179 Dagegen aber OLG Düsseldorf, NJW 1990, 2397 (schadensbegründende Berücksichtigung des karitativen Charakters eines Zeitschriftenabonnements); dazu kritisch Endriß, wistra 1990, 338; Küpper/Bode, JuS 1992, 642 (645). 180 BGH, NJW 1995, 539 f., dazu Rudolphi, NStZ 1995, 289 (290). Zu den sich hierbei mangels ,Gebrauchswert‘ in noch verschärften Maße stellenden Bestimmtheitsproblemen, vgl. Dölling, JuS 1981, 570 (571); Hilgendorf, JuS 1994, 466 (468 f.); SKHoyer, § 263, Rdn. 218; Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 35; Schmoller, JZ 1991, 117 (120). 181 Nach MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 672, ist die Zweckverfehlungslehre „mit einem wirtschaftlich geprägten Vermögensbegriff nicht vereinbar“. Einen „gespaltenen Schadensbegriff“ kritisiert auch Samson, JA 1978, 628. Auch wenn man Strafbarkeit hier kriminalpolitisch für geboten hält, so ist mit Blick auf den verfassungsrechtlich verbürgten strafrechtlichen Gesetzlichkeitsgrundsatz die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung damit aber wohl überschritten. Kritisch auch SK-Hoyer, § 263, Rdn. 218. 182 OLG Köln, NJW 1979, 1420; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 214; Volk, NJW 2000, 3385 (3386). 183 Dies als Bedingung eines Schadensbegriffs anmahnend Schmoller, JZ 1991, 117 (126), wonach „eine auf Austauschgeschäfte wie auf bewußt unentgeltliche Leistungen gleichermaßen anwendbare Lösung“ notwendig sei. Ähnlich Otto, ZRP 1996, 300 (307); Geerds, Vermögensschutz, S. 182 f.; Schmidhäuser, Besonderer Teil, S. 122 f. 184 So im Ergebnis auch Seelmann, JuS 1982, 509 (511). Zutreffend daher die Kritik von MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 314, an der personalen Vermögenslehre. Vgl. auch SK-Hoyer, § 263, Rdn. 191.

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bestimmt,185 nicht hingegen durch die Umstände des Erwerbs, wie etwa die Identität des Verkäufers. Eine darüber hinausgehende Bewertung liefe darauf hinaus, dem Erwerber die Entscheidung darüber zu überlassen, welche Faktoren wertprägend sind, was mit einem objektiven Wertmaßstab nicht zu vereinbaren wäre, sondern einen Schaden von individuellen Bewertungsmaßstäben abhängig machen würde. Eine objektiv-individuelle Bewertung des Gebrauchswerts muss also danach fragen, inwieweit angesichts der objektiven Eigenschaften des Leistungsgegenstandes individuelle Brauchbarkeit zu bejahen ist, darf hingegen nicht dazu führen, dass diese Eigenschaften erst vom Erwerber definiert werden. Wird diese Gefahr einer Relativierung des Schadensmerkmals verkannt, glaubt die Rechtsanwendungspraxis insbesondere, sich in Anbetracht einer vorgeblich klaren Strafbedürftigkeit des Verhaltens des Täters eine sorgfältige Identifizierung des Schadens ersparen zu können, so führt dies zu einer zunehmenden Fusionierung von Täuschungsmerkmal und Vermögensschadensbegriff. Nicht mehr die Bejahung des letzteren führt dann zu Strafbarkeit, sondern eine (wohl insbesondere von den moralischen und kriminalpolitischen Überzeugungen des Rechtsanwenders abhängige) Gesamtbewertung des jeweiligen Verhaltens. Folge einer solchen Entwicklung ist die am englischen Recht zu beobachtende und dort aus dessen konsequent moralisierenden Charakter resultierende Konzeptlosigkeit. Mit einem auf den Schutz von Rechtsgütern abstellenden Strafrecht ist die strafbegründende Betonung des Verhaltensunwerts zudem dann nicht zu vereinbaren, wenn ein strafbegründender Schaden auch in solchen Fällen angenommen wird, in denen der durch die Tat beeinträchtigte Zustand nicht den Schutz der Rechtsordnung genießt186 oder der vom Verfügenden verfolgte Zweck im Widerspruch zur ihr steht.187 Schützt das Strafrecht den Erhalt oder die Herbeiführung 185 Hinsichtlich dieser Eigenschaften ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch „persönliche Vorlieben“ des Verfügenden die Brauchbarkeit beeinflussen; anders aber SKHoyer, § 263, Rdn. 109 f. 186 Unbeachtlich für den Schutzbereich des § 263 StGB ist insbesondere § 858 Abs. 1 BGB. Denn der unberechtigte Besitz wird durch die Rechtsordnung grundsätzlich gerade nicht geschützt, wovon § 858 BGB lediglich im Interesse des Rechtsfriedens für verbotene Eigenmacht eine Ausnahme macht (vgl. Gallas, Eb. Schmidt-FS, S. 426; Jauernig, BGB, 13. Auflage 2009, § 858, Rdn. 1; MünchKommBGB-Joost, 5. Auflage 2009, § 858, Rdn. 1). Es muss bezweifelt werden, dass eine Ausnahme im Interesse des Rechtsfriedens auch für die täuschungsbedingte Selbstschädigung notwendig ist. Zutreffend NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 239: „Die Vorschriften der §§ 858 f. BGB dienen nicht dem Vermögensschutz, sondern sollen zur Sicherung des Rechtsfriedens die Klärung der endgültigen Vermögenslage rechtlich geordneten Verfahren vorbehalten“; so auch Pawlik, Betrug, S. 260. 187 Bei Fällen „bewusster Selbstschädigung“ muss also differenziert werden. Fehlt es an einem rechtmäßigen Zweck des Verfügenden, so ist strafrechtlicher Schutz nicht mit einem dem Rechtsgüterschutz dienenden Strafrecht vereinbar; vgl. Sch/Sch/Cramer/ Perron, § 263, Rdn. 83; Hecker, JuS 2001, 228 (230 f.); SK-Hoyer, § 263, Rdn. 130 ff.; Pawlik, Betrug, S. 147. Anders aber BGHSt 29, 300 (301 f.), zust. Dölling, JuS 1981, 570 (571); BGH, NStZ 2002, 33; 2003, 151 (152), zust. Engländer, JR 2003, 164 (165);

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widerrechtlicher Zustände, so muss dies als Unrechtsgüterschutz bezeichnet werden.188 Deshalb kann etwa der Verlust eines Vermögensgegenstands keinen strafbegründenden Schaden darstellen, wenn das Recht selbst dessen ersatzlosen Entzug anordnet.189 Bezweckt Strafrecht einen subsidiären Rechtsgüterschutz, so muss es sich auf die außerhalb des Strafrechts vorgefundenen Rechtsgüter begrenzen, kann hingegen nicht strafrechtsspezifische Rechtsgüter erschaffen und schützen. Rechtsgüterschutz kann also nicht dem Schutz rechtlich ungeschützter Zustände dienen.190 Eine Abkehr vom subsidiären Rechtsgüterschutz würde es deshalb bedeuten, solche vom Recht nicht geschützte wirtschaftliche Werte als Bestandteil des durch § 263 StGB strafrechtlich geschützten Vermögens zu betrachten.191 Will man Strafbarkeit unter Verweis auf vom Vermögensschutz abgekoppelte kriminalpolitische Gründe hier trotzdem annehmen,192 so bedeutet dies, Strafbarkeit eben nicht mehr von der Beeinträchtigung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts, sondern von anderen Interessen abhängig zu machen. Dadurch wird aber die Strafrecht strukturierende und deshalb eine kriminalpolitisch differenzierte Kriminalisierung ermöglichende Funktion des Rechtsgutsbegriffs mehr und mehr aufgegeben. Denn nicht mehr die Infragestellung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts begründet dann Strafbarkeit, sondern die InfragestelKG, NJW 2001, 86, zust. Otto, Jura 2002, 606 (612) u. zirkulär Baier, JA 2001, 280 (282 f.); dahingehend auch LK-Lackner, 10. Auflage, § 263, Rdn. 174. Bezweckt der Verfügende hingegen gar nicht den Erwerb einer Gegenleistung, so scheidet eine Schadensbegründung deshalb aus, weil es an einer gebrauchsfähigen Gegenleistung fehlt. Schon an einem rechtlich relevanten Vermögensgegenstand und mithin einer schadensbegründenden Verfügung fehlt es, wenn eine von der Rechtsordnung nicht gebilligte Leistung erbracht wird; zutreffend daher BGH, NStZ 2001, 534; BGH, NJW 2003, 3284; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 138. Ist die Leistung rechtswidrig, so kommt es nicht darauf an, ob das Zivilrecht ihren Wert u. U. trotzdem schützt; vgl. dazu Spickhoff, JZ 2002, 970 (976). 188 Zumindest insofern muss eine „tatsächliche Betrachtungsweise“ strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale also klaren Grenzen unterworfen werden; vgl. Tiedemann, NJW 1979, 1848 (1850 f.). Vgl. dagegen die zirkuläre und offen zu einem nicht systematisierbaren, rein moralisierenden Recht zurückführende Begründung der Strafbarkeit von „Komplizenbetrug“ bei Bruns, JR 1984, 133 (139), weil nämlich „niemand straflos an einem Opfer sündigen darf, das – weil es – selbst gesündigt hat“. Eine derartige ,Argumentation‘ verabschiedet sich endgültig davon, die Frage nach dem Sinn und Zweck (straf)rechtlicher Normen zu stellen. Dazu auch Schmidt, FS-Rebmann, S. 431. Tipke/ Lang, Steuerrecht, S. 103, weisen zutreffend darauf hin, dass hierbei „an die Stelle exakter teleologischer Auslegung“ eine „Gefühlsjurisprudenz“ tritt. 189 Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 41. 190 Vgl. die Kritik zu BGH NJW 1980, 2203 von Maiwald, NJW 1981, 2777 (2781). Schon daher muss SK-Hoyer, § 263, Rdn. 116, widersprochen werden, wonach ein Gegenstand bereits dann zum Vermögen gehöre, wenn er „für Täter und Opfer subjektiv Geldwert aufweist.“ 191 So im Ergebnis auch Mitsch, BT 2/1, § 7, Rdn. 93. 192 Dölling, JuS 1981, 570 (571 f.) etwa begründet bei versprochenen sittenwidrigen Geschäften Strafbarkeit nach § 263 StGB damit, dass Straffreiheit einen Anreiz für solche Geschäfte darstelle.

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lung solcher dem Tatbestand nicht entnehmbarer Interessen. Verloren geht damit insbesondere die Funktion des Strafgesetzes als Garant einer transparenten Strafverfolgungspraxis. 3. Unterminierung des Rechtsgüterschutzes infolge verhaltensabhängiger Schadensbegriffe Kindhäuser ist der Ansicht, der Schaden sei bei § 263 StGB in einer Vermögenseinbuße zu sehen, die nicht durch „Erreichung eines vom Verfügenden frei gesetzten Zwecks“ kompensiert werde. Schadensbegründend wäre also die „Unfreiheit der Zwecksetzung“.193 Kindhäuser meint, damit weiterhin am tatbestandlichen Vermögensschadenserfordernis festzuhalten, was zunächst auch plausibel erscheinen mag, da sein Ansatz das Erfordernis eines täuschungsbedingten Vermögensabflusses nicht bestreitet und den Schaden in der „ungewollten Einbuße an Vermögenswerten“ sieht.194 Belässt man es bei dieser Feststellung, so würde man aber übersehen, dass sich hinter dieser Umformulierung des Schadensbegriffs ein Paradigmenwechsel verbirgt. Der Wert der Verfügung und mithin das Vorliegen eines Schadens richtet sich hier nämlich nach dem „von Täter und Verfügendem übereinstimmend als Zweck anerkannten Erfolg“.195 Problematisch ist daran – wie auch an anderen auf eine „intersubjektive“ Wertbestimmung abstellenden Ansätzen196 – dass ein so verstandener Schadensbegriff nicht zwischen Täterverhalten und Schaden trennt, sondern die Konsequenzen der Tat nur in Abhängigkeit vom Verhalten des Täters als Schaden betrachtet, ob nämlich in Anbetracht seines Verhaltens die Zwecksetzung der Verfügung „frei“ war. Die Ermittlung eines Schadens beruht dann auf einer Gesamtbetrachtung des Täterhandelns, bei der sich zudem die Vereinbarung eines Zwecks einerseits und eine diesbezügliche Täuschung andererseits regelmäßig kaum trennen lassen werden, jene für eine Täuschung sprechenden Umstände eine Zweckvereinbarung vielmehr infrage stellen.197 Nicht mehr ein objektiver Vergleich des Vermögens vor und nach der Tat begründet somit einen Schaden, sondern die Art und Weise der Vermögensminderung.198 In einem Strafbarkeit mit Rechtsgüterschutz begrün193

NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 282; ders., FS-Lüderssen, S. 647. Kindhäuser, Bemmann-FS, S. 356. 195 NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 280. 196 Vgl. SK-Hoyer, § 263, Rdn. 223; NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 284; Schmoller, ZStW 103 (1991), 98 f. 197 Konsequenter dürfte es bei Zugrundelegung eines solchen Ansatzes deshalb sein, auf eine Differenzierung von Täuschung und Zweckbestimmung zu verzichten und mit Pawlik (Betrug, S. 139 ff.) von in der jeweiligen Kommunikationssituation bestehenden Wahrheitspflichten zu sprechen. 198 NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 286, will eine Verrechnung von Leistung und Gegenleistung nur zulassen, „wenn sie gleichartige Gegenstände oder den Austausch von Wertsummen betreffen“. Im Ergebnis eine Verrechnung weitergehend zulassend der vergleichbare Ansatz von SK-Hoyer, § 263, Rdn. 224. 194

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denden Strafrecht kann es für die Bestimmung eines tatbestandlich geforderten Schadens aber eben gerade nicht auf das Täterhandeln ankommen. Zwar mag der Gesetzgeber unter Umständen auch einen über den Vermögensschutz hinausgehenden und von einem konkreten Schaden unabhängigen umfassenden Vertrauensschutz dem Strafrecht unterstellen können. Der Begriff des „Vermögensschadens“ bringt aber eine wirtschaftliche Schlechterstellung zum Ausdruck, die über eine Störung der Funktionsweise des Marktes hinausgeht und eine Bewertung der Konsequenzen der Tat erfordert. An welchen Maßstäben man auch immer diese Bewertung ausrichten will, insbesondere ob und inwieweit man dabei die Enttäuschung subjektiver Erwartungen berücksichtigt, so kann es doch jedenfalls nicht genügen, grundsätzlich jedweden täuschungsbedingten Vermögensabfluss als Schaden zu betrachten und auf eine selbständige Bewertung der Konsequenzen der Tat zu verzichten. Die Feststellung der „Unfreiheit der Zwecksetzung“ genügt diesem Erfordernis nicht, sondern besagt zunächst nur, dass jenen dem Täter durch den Verfügenden entgegengebrachten Verhaltenserwartungen nicht genügt wurde. Gemäß § 263 StGB erforderlich ist vielmehr ein weiteres objektives199 Unwerturteil, nämlich die Feststellung eines Schadens. Eine intersubjektive Wertbestimmung verzichtet hierauf jedoch.200 Eine fehlende Trennung von Täterverhalten und Schaden mag zunächst lediglich als ein Detail der Tatbestandsauslegung erscheinen.201 Damit würde jedoch übersehen, dass der von Kindhäuser vorgeschlagene Schadensbegriff eine tiefgreifende Veränderung im Verständnis strafrechtlicher Normen bedeutet, dass nämlich strafrechtliche Verhaltensgebote nicht mehr mit Blick auf die Verhinderung eines Schadens formuliert werden, sondern die Formulierung des Verhaltensgebots dem Schadensbegriff vorausgeht und letzterer das tatbestandliche 199 Für eine objektive Wertbestimmung kann es entgegen SK-Hoyer, § 263, Rdn. 117, nicht bereits genügen, dass dem fraglichen Vermögensgegenstand in den Augen von Täter und Opfer ein subjektiver Geldwert zukommt. Ein derartiges Verständnis objektiver Tatbestandsmerkmale ist mit einer Ordnung objektiver Verhaltensnormen nicht vereinbar. Ähnlich die Kritik von MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 331. 200 Eine intersubjektive Schadensbestimmung sieht sich mithin ähnlicher Kritik ausgesetzt wie ein sog. personaler Vermögensbegriff; vgl. Geerds, Vermögensschutz, S. 128; Otto, ZRP 1996, 306 f. Auch bei letzterem wird von einer von der Täuschung verselbstständigten Bewertung der Konsequenzen der Tat abgesehen und lediglich auf die Minderung der wirtschaftlichen Potenz abgestellt. Eine solche Minderung ist aber eben normativ aussagelos, kann ein Unwerturteil für sich noch nicht begründen und bedeutet mithin die Aufgabe eines selbstständigen Schadensmerkmals; vgl. MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 315; SK-Hoyer, § 263, Rdn. 112 f.; Pawlik, Betrug, S. 264. 201 Insoweit präzise formulierend BGH 16, 321 (325), wenn sich dort ein Schaden „nach den persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen des Erwerbers und unter Berücksichtigung der von ihm nach Maßgabe aller Umstände verfolgten Zwecke beurteilt“ (Hervorhebung hinzugefügt). Die Formulierung „vertraglich vorausgesetzter Zweck“ kann hingegen missverständlich sein. Soweit dadurch zum Ausdruck gebracht werden soll, der Zweck müsse vom Erwerber thematisiert worden sein, werden dabei objektives Schadensmerkmal und diesbezüglicher Vorsatz des Täters vermengt.

§ 6 Tatbestandliche Verhaltensbeschreibung und Schadensbegriff

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Verhalten lediglich gegenständlich begrenzt, nicht aber begründet. Die Ausgestaltung eines Straftatbestands als Erfolgsdelikt sagt eben noch nichts darüber aus, ob die Strafbarkeit des inkriminierten Verhaltens mit dessen Konsequenzen begründet oder ob durch das Erfolgsmerkmal lediglich das sanktionierte Verhaltensgebot gegenständlich begrenzt wird. Auch die bis zum Jahr 2007 geltenden Täuschungsdelikte des englischen Rechts knüpften in jedem Fall an eine Vermögensverfügung an, ohne diese aber negativ als Vermögensschädigung oder anderweitige Beeinträchtigung der Interessen des Opfers zu beschreiben. Die Strafbarkeit der Täuschung wurde dort durch das tatbestandliche Erfolgsmerkmal mithin nicht begründet, sondern lediglich begrenzt.202 Nichts anderes bedeutet es aber, das Vorliegen eines tatbestandlich geforderten Vermögensschadens vom Verhalten des Täters abhängig zu machen. Wie bei section 2 des Fraud Act 2006 kommt es für Strafbarkeit dann lediglich darauf an, dass täuschendes beziehungsweise unehrliches Verhalten in den Augen des Täters für eine Vermögensverfügung kausal werden wird.203 Noch deutlicher wird das Aufgeben eines verbotsbegründenden Schadensbegriffs beim Ansatz Pawliks, der den Schaden in einer auf die Verletzung eines „Rechts auf Wahrheit“ beruhenden Minderung des im Vermögenswert zum Ausdruck kommenden „wirtschaftlichen Potentials“ des Vermögensinhabers sieht.204 Anders als Pawlik meint, befindet sich ein derartiges Verständnis des § 263 StGB nicht mehr „im Einklang mit seinem einen Vermögensschaden voraussetzenden Wortlaut“, sondern degradiert den Schadensbegriff zu einer der Unrechtsbestimmung nachgelagerten Begrenzung von Strafbarkeit.205 Zum Vorwurf werden dem Täter hier nicht die Konsequenzen seiner Tat gemacht, sondern die Verletzung vermögensbezogener Wahrheitspflichten. Der Schaden soll demnach nicht in der Verfehlung des verfolgten Zwecks liegen, sondern in einer Minderung des wirtschaftlichen Handlungspotentials.206 Letzteres stellt aber regelmäßig ein unver202

Vgl. insbesondere § 1, II., 4.; V., 2. Vgl. § 4, II., 4. 204 Pawlik, Betrug, S. 291 f. Ein Vermögensschaden liegt demnach darin, dass der Vertragspartner nicht bekommt, was er hätte, „wenn die Vorspiegelung des Täters zutreffend gewesen wäre, die Wahrheitsrechte seines Gegenübers ordnungsgemäß honoriert zu haben“; vgl. S. 287. 205 Pawlik, Betrug, S. 82 f.: Es gehe „im Rahmen interpersonaler Rechtsverhältnisse allgemein um die Abgrenzung von Sphären äußerer Handlungsfreiheit“. Die Delikte des StGB seien aber „auf einer nachgelagerten Konkretisierungsstufe angesiedelt“ und „erfassen nur jeweils vertypte Teilbereiche jenes Maximal-Freiheitsbereichs [. . .] Strafrecht darf in einem gewissen Umfang fragmentarisch sein“. 206 Pawlik, Betrug, S. 292: § 263 StGB garantiere „nicht die Erwartung des Opfers, einen Gegenstand geleistet zu bekommen, der in concreto sämtliche Eigenschaften aufweist, deren Vorhandensein das Opfer vermöge seines Rechts auf Wahrheit [. . .] erwarten darf. Garantiert wird dem Opfer aber die Erwartung, ein wirtschaftliches Potential zu erhalten, das jenem Gegenstand wertmäßig in dem Sinne entspricht, daß es das Opfer in den Stand setzt, sich [. . .] den von ihm begehrten Gegenstand zu verschaffen.“ 203

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meidliches Merkmal einer Vermögensverfügung dar, weshalb die Minderung selbst noch nicht als Erfolgsunwert bewertet werden kann. Ohne Berücksichtigung der erlangten Gegenleistung ist eine Minderung des Handlungspotentials mithin normativ irrelevant und deshalb mit dem eine Verschlechterung implizierenden Begriff des Schadens nicht vereinbar. Ein Schadensbegriff, dem sich ohne Hinzuziehung des tatbestandlichen Verhaltens im Regelfall keine Aussagen zu seiner Tatbestandsmäßigkeit entnehmen lassen, ist kein selbständiges Tatbestandsmerkmal. Ein solches Schadensverständnis ist zwar bei einem auf Normgeltung abstellenden Ansatz nur konsequent.207 Soll jedoch am Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts festgehalten werden, so ist eine derartige, auf einer Aufhebung der Grenzen von Verhalten und Schaden beruhende Umformulierung des Schadensbegriffs nicht hinnehmbar. Zu vergegenwärtigen hat man sich vielmehr, dass es sich dabei um einen Ansatz handelt, strafbares Verhalten rein normativierend zu bestimmen, dabei aber (um nicht in einen offensichtlichen Widerspruch zum Gesetzeswortlaut zu geraten) über ein formelles Festhalten am tatbestandlichen Schadensbegriff den Anschein fortwährenden Rechtsgüterschutzes aufrechtzuerhalten. Der strafbarkeitsbegründende Unwert ergibt sich hierbei nur noch aus der Verletzung eines Verhaltensgebots, ohne dass dabei nach den im konkreten Fall absehbaren Konsequenzen des Verhaltens gefragt wird. Der das tatbestandliche Verhalten begründende und mithin inhaltlich konkretisierende Schaden wird zu einem dieses Verhalten lediglich begrenzenden tatbestandlichen Erfolg uminterpretiert.208 Innerhalb der durch dieses Erfolgsmerkmal gesetzten äußeren Grenzen des Tatbestandes (welche bei Pawlik in der Beibehaltung des Tauschwerts des Vermögens bestehen)209 ist eine vom Verhaltensunwert unabhängige Bewertung der durch den Täter herbeigeführten Konsequenzen demnach irrelevant. Diese Beobachtungen sind nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil eine zu Lasten des Rechtsgüterschutzes und mithin zu Lasten eines strukturierten Strafrechts gehende Infragestellung tatbestandlicher Schadensbegriffe nicht nur bei Selbstschädigungsdelikten wie § 263 StGB eine Rolle spielen kann. Mangelnde Sensibilität für die Trennung von Verhalten und Schaden kann bei Erfolgsdelikten auch darüber hinaus zu einer Infragestellung des Rechtsgüterschutzes führen, wenn nämlich weniger die Identifizierung solcher vom Tatbestand geforderter schädlicher Konsequenzen eines Verhaltens im Mittelpunkt steht, sondern tatbestandliches Erfolgsunrecht lediglich als tatbestandsbegrenzender Anknüpfungspunkt der Kriminalisierung von (gesellschaftstheoretisch oder moralisch) kritikwürdigem Verhalten verstanden wird. Dies ist dann der Fall, wenn ein vom Tatbe207

Vgl. Pawlik, Betrug, S. 56 ff. Der „Erfolg“ stellt also noch keinen „Nachteil“ dar; vgl. zu dieser Differenzierung Rothenfußer, Kausalität und Nachteil, S. 74; Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (880). 209 Pawlik, Betrug, S. 292; so auch SK-Hoyer, § 263, Rdn. 224; Schmoller, ZStW 103 (1991), 92 (98). 208

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stand geforderter Schaden in einer Weise interpretiert wird, aus der sich keine Aussagen über die soziale Relevanz eines Verhaltens entnehmen lassen. Im Zuge einer solchen Abwertung des tatbestandlichen Schadensbegriffs rückt die Bewertung von Verhalten in den Vordergrund, wohingegen eine Beschäftigung mit der Frage nach dem Zweck der Kriminalisierung in den Hintergrund gerät, insbesondere, ob dieser Zweck freiheitsrechtlich legitim und kriminalpolitisch plausibel ist. Eine derart auf den Verhaltensunwert abstellende Auslegung des Gesetzes bekümmert sich zwar um eine klare Abgrenzung von Verantwortungsbereichen innerhalb interpersonaler Beziehungen, verliert aber angesichts ihrer mangelnden Anknüpfung an strafbegründende Konsequenzen aus den Augen, was eigentlich eine Verletzung fremder Verantwortungsbereiche darstellen und warum dies Gegenstand des Strafrechts sein sollte.210 Ein Verlust des Rechtsgutsbegriffs infolge einer Relativierung tatbestandlicher Schadensbegriffe ist aber nicht nur im Hinblick auf dessen das Strafrecht strukturierende Funktion bedenklich. Denn relativiert wird damit zugleich die den Normunterworfenen an seine Folgenverantwortung ansprechende Appellfunktion des Schadensmerkmals. Wird letzteres infrage gestellt, so handelt es sich um ein Strafrecht, welches im – durchaus an den gesellschaftsgestaltenden Anspruch politischer Ideologien oder religiöser Moralordnungen erinnernden – Vertrauen auf die soziale Notwendigkeit und Wahrheit seiner gesellschaftstheoretischen Hypothesen Verhaltensgebote durchsetzt und dabei dem Umstand keine Bedeutung zumisst, dass die Bürger befähigt sind, ihr Verhalten selbst an den für sie absehbaren Konsequenzen ihres Verhaltens auszurichten. Legt man letztere Einsicht zugrunde, so sollte Strafbarkeit grundsätzlich in jenen Fällen ausscheiden, in denen der Bürger die Unschädlichkeit seines Verhaltens im konkreten Fall erkennt. Bildet hingegen schon die Verletzung des Verhaltensgebots den Inbegriff eines Schadensbegriffs, so wird dem Bürger der Einwand abgeschnitten, er habe (zutreffenderweise) erkannt, durch seine Tat im konkreten Fall keine Interessen anderer beeinträchtigen zu können. Ein den Schadensbegriff zur normativen Aussagelosigkeit uminterpretierender Ansatz verkennt diese Appellfunktion des Schadensmerkmals und lässt darauf schließen, dass hier im Hinblick auf die Vermeidung gesellschaftlicher Konflikte die Ansprechbarkeit der Bürger auf die sozialen Folgen ihres Verhaltens und mithin ihre Vernunftbegabung als unbeachtlich betrachtet wird, ihre Ansprechbarkeit vielmehr auf die Befolgung gesetzlicher Gebote und ihre Empfänglichkeit für Strafandrohungen reduziert wird.211 210 Exemplarisch für die Konzeptlosigkeit eines nicht präzise nach dem jeweils geschützten Rechtsgut fragenden Strafrechts Bruns, Mezger-FS, S. 356 f.: „Die Schutzaufgabe ist – bei aller Wichtigkeit – nur sekundärer Natur und nicht der eigentliche Grund für die kriminelle Bestrafung. Vielmehr straft der Staat wesentlich und ernstlich deswegen, weil die Tat sittlich böse und subjektiv verwerflich ist.“ 211 Insofern ist es nur konsequent, dass die Rechtsprechung einen Vermögensschaden u. a. von der finanziellen Bedrängnis des Erwerbers abhängig macht; vgl. BGHSt 16, 321. Erforderlich sind dann zwar „Kenntnisse des Täters von der wirtschaftlichen Lage

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4. Der Schadensbegriff als Konkretisierung gesetzgeberischer Kommunikation Die Rechtsprechung macht das Vorliegen eines individuellen Schadenseinschlags davon abhängig, ob „nach den persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen des Erwerbers und unter Berücksichtigung der von ihm nach Maßgabe aller Umstände verfolgten Zwecke“ die erworbene Leistung als „brauchbar“ 212 erscheint. Ein solcher Prüfungsmaßstab ist zweifelsohne wesentlich unbestimmter als die Bestimmung des Marktwerts.213 Zu vergegenwärtigen hat man sich aber, dass bei einer Ausweitung des Schadensbegriffs auf solche über eine objektive Bewertung der individuellen Brauchbarkeit hinausgehende Erwartungen des Erwerbers eine Begrenzung des strafbaren Verhaltens nach § 263 StGB eher noch größere Schwierigkeiten aufwirft.214 Denn begründet sich die Strafbarkeit des Täters eben nicht mit objektiv bestimmbaren strafbegründenden Konsequenzen, so muss sich der Inhalt des sanktionierten Verhaltensgebots umso klarer aus der tatbestandlichen Verhaltensbeschreibung entnehmen lassen. Wie oben schon angesprochen,215 bestehen hier hinsichtlich des Täuschungsbegriffs erhebliche Bedenken.216 Anzunehmen ist vielmehr, dass dann – wie bei den untersuchten englischen Delikten217 – letztlich jeder dem Verfügenden erheblich erscheinende Umstand Gegenstand einer Täuschung sein kann.218 Dies führt aber zu einem beträchtlichen Konturverlust des tatbestandlichen Verhaltens. Die sich aus einem individuellen Schadenseinschlag und mithin der Berücksichtigung des Gebrauchswerts ergebende Unbestimmtheit ließe sich nur dadurch vermeiden, auf seine Berücksichtigung bei der Schadensbestimmung vollständig des Opfers“. Soweit NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 264, diese aber als „mehr oder weniger zufällig“ kritisiert, ist dem entgegenzuhalten, dass es für ein den Täter auf seine Folgenverantwortung ansprechendes Strafrecht gerade zentral auf solche Kenntnis ankommt. 212 BGHSt 16, 321 (325 f.) (Hervorhebung hinzugefügt). 213 Vgl. dazu Jakobs, JuS 1977, 228 (230 f.). 214 Dahingehend zum personalen Vermögensbegriff auch MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 314. 215 Vgl. I., 1. 216 Wie von Pawlik am Begriff der betrügerischen Täuschung demonstriert, lässt sich tatbestandliches Verhalten zwar nach gesellschaftstheoretischen Kriterien konkretisieren. Deren Komplexität lässt aber kaum erwarten, dass sie jenen mit dem Verlust des Schadensbegriffs verbundenen Verlust an normativer Orientierung für Normunterworfene und Rechtsanwender zu kompensieren vermögen. Geht die das tatbestandliche Verhalten konkretisierende Funktion des Schadensbegriffs verloren, so steht vielmehr zu erwarten, dass sich die Strafbarkeit eines Verhaltens weniger aus komplexen gesellschaftstheoretischen Erwägungen ergibt, sondern aus den moralischen Überzeugungen der jeweils mit dem Fall befassten Staatsanwälte und Richter. 217 Vgl. oben I., 1. und § 1, II., 1., a). 218 NK-Kindhäuser, § 263, Rdn. 283, spricht von „jeden für die Zweckerreichung maßgeblichen Umstand“.

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zu verzichten und allein auf den Marktwert abzustellen.219 Will man hingegen den vermögensschädigenden Charakter von für den Vermögensinhaber unbrauchbaren Leistungen bei wertmäßig ausgeglichenen Geschäften berücksichtigen, so besteht die Alternative zu einer objektiven Prüfung der Brauchbarkeit lediglich darin, mit Kindhäuser und Pawlik auf einen objektiven Schadensbegriff letztendlich zu verzichten und die Frage der Tatbestandsmäßigkeit und mithin Strafbarkeit eines Verhaltens vom Tatbestandsmerkmal der Täuschung und damit überwiegend von einer objektiv-normativen Bewertung des Täterverhaltens abhängig zu machen. Es muss bezweifelt werden, dass es der Erhaltung eines strukturierten und begrenzbaren Strafrechts dienlich ist, aus den unvermeidlichen Schwierigkeiten bei der Begrenzung einzelner Tatbestandsmerkmale den Schluss zu ziehen, auf diese zur Strukturierung des Tatbestands gleich vollständig zu verzichten und Strafbarkeit von einer einheitlichen, den Normadressaten über ihre Differenzierungskriterien allerdings im Unklaren lassenden Bewertung der Tat abhängig zu machen. Eine differenzierende Kriminalisierung sollte sich des Umstands bedienen, dass zur Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens alle Tatbestandsmerkmale – allen voran solche dem Täter zurechenbare schädliche Konsequenzen – einen konkretisierenden und differenzierenden Beitrag erbringen. Eine von objektiven Maßstäben entkoppelte Schadensbestimmung erweist sich vor allem mit Blick auf konkludente Täuschungen als problematisch. Verschweigt der Verkäufer Eigenschaften des Leistungsgegenstands, so kommt es darauf an, ob sich das die Verfügung motivierende Vorstellungsbild des Verfügenden wegen dieser Eigenschaften als unzutreffend darstellt, mithin ein Irrtum anzunehmen ist. Ein objektiver Schadensbegriff konkretisiert über den Gebrauchswert und den Marktwert tatbestandsrelevante Irrtümer und darüber auch die Frage, ob der Täter dafür verantwortlich gemacht werden kann, sein Verhalten also eine Täuschung darstellt. Folgt man einem intersubjektiven Schadensbegriff, so wird sich bei Gebrauchsgegenständen in der Regel noch verhältnismäßig einfach feststellen lassen, ob das Vorstellungsbild des Verfügenden aufgrund seiner Unkenntnis der verschwiegenen Leistungseigenschaften als irrtümlich angesehen werden muss, ob also letztere dem vom Erwerber verfolgten Zweck entgegenstehen. Bei Risikogeschäften (insbesondere Kapitalanlagen) dürfte dies hingegen häufig nicht möglich sein, eben weil die Eignung zum verfolgten Zweck (etwa die Bewahrung oder Mehrung von Vermögen) hier ohnehin spekulativ ist. Spiegelt sich die objektive Wahrscheinlichkeit von Chance und Risiko im Marktwert der erlangten Leistung wider, so kann, soweit diese nicht dem erwarteten 219 Der eingebüßte Gebrauchswert lässt sich insbesondere nicht durch den Marktwert jener wider Erwarten fehlenden Eigenschaften des Leistungsgegenstands begrenzen. Denn zunächst stellt sich die Frage, ob der Gegenstand ohne diese Eigenschaften überhaupt zweckdienlich ist, wofür sich der Marktwertdifferenz aber keine Aussagen entnehmen lassen. Vgl. aber die Kritik von Blei, JA 1971, 505 an OLG Düsseldorf, NJW 1971, 158.

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Risikopotential evident widerspricht,220 eine Zweckverfehlung und mithin ein irrtümliches Vorstellungsbild des Verfügenden aufgrund verschwiegener Eigenschaften nur dann angenommen werden, wenn der verschwiegene Umstand den Marktwert der erworbenen Kapitalanlage mindert. Zumindest insoweit wird auch ein intersubjektiver Ansatz nicht ohne eine objektive Wertbestimmung auskommen. Aber auch über Risikogeschäfte hinaus werden sich konkludente Erklärungsinhalte kaum bestimmen lassen, ohne auf die – auch in Anbetracht der geforderten Gegenleistung anzunehmenden – Leistungserwartungen des Marktes abzustellen. Indem ein objektiver Schadensbegriff nicht nur auf den vom Verfügenden verfolgten Zweck (also den objektiven Gebrauchswert) abstellt, sondern auf den objektiven Wert der Gegenleistung, wird dem Täter zudem der Einwand abgeschnitten, er habe geglaubt, jenen (bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung einzelner Leistungsmerkmale unter Umständen nur schwer feststellbaren) Zwecksetzungen des Verfügenden zu entsprechen. Denn zwar kann bei einem den Täter auf ihm zurechenbare strafbegründende Konsequenzen ansprechenden Straftatbestand Strafbarkeit eben nicht schon damit begründet werden, in Anbetracht seines bewussten Verhaltens (etwa einer bewussten Täuschung) sei er sich zugleich auch des schädlichen Charakters der daraus resultierenden Konsequenzen bewusst gewesen. Erforderlich ist vielmehr die Identifizierung eines davon unabhängigen Erfolgsunrechts(potentials) dieses Verhaltens im konkreten Fall und eines diesbezüglichen Bewusstseins des Täters.221 Durch das Tatbestandsmerkmal eines objektiven Vermögensschadens kommuniziert der Gesetzgeber bei § 263 StGB allerdings, dass es hinsichtlich des Erfolgsunrechtsbewusstseins des Täters nicht zwingend auf die Kenntnis irgendwelcher mehr oder weniger diffuser subjektiver Interessen des Erwerbers ankommt, sondern bereits das Bewusstsein genügt, dass sich objektiver Wert von Leistung und Gegenleistung nicht entsprechen. Geht der Täter von einem bestimmten Vorstellungsbild des Verfügenden aus, so ist er sich eines Irrtums bei Zugrundelegung eines objektiven Schadensbegriffs also auch ohne Kenntnis subjektiver Zwecksetzungen bewusst, sofern er zumindestens erkennt, dass sich Leistung und Gegenleistung hinsichtlich ihres Marktwerts nicht entsprechen, der Erwerb am Markt also zu günstigeren Konditionen möglich gewesen wäre. Letztere Erkenntnis wird für den Täter aber regelmäßig einfacher erkennbar sein als nicht ausdrücklich thematisierte Details der Vorstellungen des Erwerbers. Ist der Leistungsgegenstand zudem auch zweckuntauglich, so liegt darin lediglich eine Vertiefung des Schadens.222 Neben seiner Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut des § 263 StGB wäre ein intersubjektiver Schadensbegriff deshalb auch kriminalpolitisch fragwürdig. 220 221 222

Dazu bereits oben unter II., 3., b). Vgl. oben unter II., 3., c). Vgl. oben unter II., 3., a).

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Erkennt man die Notwendigkeit, tatbestandsrelevante Täuschungsinhalte im Interesse eines den Bürgern und der Rechtsanwendungspraxis Orientierung bietenden Strafrechts zu konkretisieren, so ist die Beibehaltung eines objektiven Schadensbegriffs mithin erforderlich. Dem steht die Berücksichtigung des Gebrauchswerts nicht entgegen. Denn nicht gewillkürte Erwartungen des Verfügenden entscheiden hierbei im Falle eines wertmäßig ausgeglichenen Geschäfts über das Vorliegen eines Schadens, sondern objektive Brauchbarkeitserwägungen.223 Das Vorliegen eines objektiven Vermögensschadens bestimmt sich demnach nicht nach der subjektiven Einschätzung des Vermögensinhabers,224 sondern danach, ob diesem eine zweckentsprechende Nutzung des erworbenen Gegenstands trotz der erwartungswidrigen Eigenschaften des fraglichen Gegenstands zuzumuten ist. Beschreibt der Vermögensschaden eine wirtschaftliche Schlechterstellung, so wäre damit überdies nicht zu vereinbaren, als Schaden bereits die Enttäuschung jedweder Erwartung des Verfügenden anzuerkennen. Begrenzt man das Täuschungsverbot nicht auf die Verhinderung einer wirtschaftlichen Schlechterstellung, so wäre Strafbarkeit letztlich hinsichtlich aller für die Verfügung kausalen Täuschungen anzunehmen. Unbeachtlich wäre, inwieweit daraus resultierende Veränderungen des infrage stehenden Vermögens tatsächlich irgendwelche negativen Konsequenzen für den Vermögensinhaber mit sich bringen. Strafbegründend berücksichtigt werden müssten dann etwa auch solche Erwartungen, die vom Verfügenden nur irrtümlicherweise für zweckdienlich gehalten wurden oder seinen Interessen sogar zuwiderlaufen.225 Wenn das Strafrecht dann trotzdem immer noch von einem Schaden sprechen soll, so verträgt sich dies kaum mit einem dem Bürger Orientierung bietenden Recht.226 Es kann nicht überraschen, wenn ein weitgehender Schutz subjektiver Erwartungen darauf hinauslaufen würde, dass in Anbetracht begrenzter Ressourcen eine Differenzierung zwischen strafwürdigen und nicht strafwürdigen Verhaltens in erheblichem Maße auf der Ebene der Strafverfolgungsbehörden stattfindet. Die bei der schadensbegründenden Berücksichtigung des Gebrauchswerts unvermeidlichen Abgrenzungsprobleme mö223

Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263, Rdn. 81; MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 327. Pawliks (Betrug, S. 273) Versuch, Vermögen als etwas letztlich nur im Lichte subjektiver Willkür Verständliches zu konstruieren, führt notwendigerweise zur Aufgabe eines objektiven Schadensmerkmals. Denn ein Vermögensschaden ist demnach dann gegeben, wenn der erlangte Gegenstand nicht der willkürlichen Wertschätzung des Inhabers entspricht. 225 Vgl. zu entsprechenden Bedenken bei einem personalen Vermögensbegriff auch MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 319. 226 Eine Konturierung des Vermögensschadensbegriffs hat also zumindest drei Faktoren zu berücksichtigen. Erstens, dass er sich zur Kommunikation mit den Bürgern eignen muss (was grundsätzlich ein wirtschaftliches Schadensverständnis erfordert); zweitens, dass es nicht um Unrechtsgüterschutz geht (weshalb nur rechtlich konstituiertes Vermögen relevant sein kann); drittens, dass § 263 StGB ein selbständiges Schadensmerkmal enthält (so dass ein personaler oder intersubjektiver Vermögens(schadens)begriff abzulehnen ist). 224

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gen unbefriedigend sein. Wenigstens aber bleibt Strafbarkeit damit eine Frage des (materiellen) Rechts und mithin einer Kontrolle durch die Judikative unterworfen. Hingegen lässt eine weitgehende Subjektivierung des Schadensbegriffs ein Maß an Überkriminalisierung (im Sinne eines deutlichen Missverhältnisses des vom Gesetz erfassten Verhaltens einerseits und des von den Strafverfolgungsbehörden als strafwürdig behandelten Verhaltens andererseits) erwarten, welches zwar durch behördeninterne Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden faktisch begrenzt werden mag, damit jedoch jene Transparenz und Nachprüfbarkeit staatlichen Strafens verloren geht, wie sie gerichtlichen Entscheidungen eigen ist. Mit Blick auf die Vermeidung einer Verlagerung solcher Entscheidungen von der Judikative auf die Exekutive kann sich also ein gewisses Maß an tatbestandlicher Unbestimmtheit als kleineres Übel darstellen, wenn sich nämlich klarere tatbestandliche Strukturen (bei § 263 StGB: Annahme eines tatbestandlichen Schadens bei jeglicher Enttäuschung subjektiver Erwartungen) letztlich nur auf Kosten einer größeren Gewichtung behördeninterner kriminalisierungsbegründender Werturteile ermöglichen ließen. Wenn schon ein kriminalpolitisches Bedürfnis227 nach vom Gesetzgeber nicht zu leistender Flexibilität besteht, so sollte die – an dieser Stelle nicht weiter zu verfolgende – Konkretisierung der Schadens- und mithin der Tatbestandsgrenzen im Interesse einer transparenten Strafrechtspflege der Rechtsprechung und mithin einem justizförmigen Diskurs überlassen werden, nicht aber behördeninternen Entscheidungen.

227

Dazu Eser, GA 1962, 289 (294).

§ 7 Infragestellung der Rechtsgutsbezogenheit der Vermögensdelikte

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§7 Infragestellung der Rechtsgutsbezogenheit der Vermögensdelikte bei den Figuren der schadensbegründenden Vermögensgefährdung und der vermögenswerten Exspektanz infolge einer Normativierung des Schadensbegriffs Anders als die dargestellten englischen Delikte beinhaltet sowohl § 263 als auch § 266 StGB weiterhin ein Schadensmerkmal. Strafbarkeit wegen Betrugs beziehungsweise Untreue begründet sich also mit einem dem Täter zurechenbaren Erfolgsunwert, nämlich einer Vermögensschädigung. Täuschung und Treuepflichtverletzung sind mithin nicht schon für sich strafbar, sondern nur insoweit, wie der Täter dabei einen Vermögensschaden billigend in Kauf nimmt, wobei mangels Versuchsstrafbarkeit bei § 266 StGB der Schaden auch tatsächlich eintreten muss. Zu untersuchen ist jedoch, ob diese Feststellung in der Rechtsprechung – insbesondere durch den Begriff der schadensbegründenden Vermögensgefährdung (auch als „Gefährdungsschaden“ 228 oder „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ 229 bezeichnet) und durch eine Normativierung des Schadensbegriffs – Gültigkeit einbüßt. Wird etwa über eine schadensbegründende Berücksichtigung der Absichten des Täters die Kausalbeziehung zwischen Tat und Konsequenz relativiert, so relativiert dies auch den Rechtsgutsbezug des tatbestandlichen Verhaltens. Es besteht Grund zu der Annahme, dass die Rechtsprechung sowohl zu § 263 als auch zu § 266 StGB einen klaren Rechtsgutsbezug dieser Straftatbestände infrage stellt und sie damit insoweit den dargestellten englischen Delikten annähert.230 Die dem Täter zurechenbaren absehbaren Konsequenzen der Tat drohen dabei für die Aussagekraft des Strafrechts in den Hintergrund zu geraten, Strafbarkeit überwiegend oder gar allein von der moralischen Bewertung des Verhaltens abhängig gemacht zu werden. I. Die Rechtsgutsfeindlichkeit des Vorsatzes als Grundlage einer subjektiven Begrenzung der Tatbestandsmäßigkeit vermögenswertrelevanter Gefahren 1. Schadensbegründende Vermögensgefährdung als vermögensspezifische Schadensform Festzuhalten ist zunächst, dass der Begriff der schadensbegründenden Vermögensgefährdung („Gefährdungsschaden“) – entgegen der zwischenzeitlich vom 228

BVerfG, NStZ 2010, 626 (628); Fischer, StV 2010, 95 (97 f.). Schünemann, StraFo 2010, 477. 230 Vgl. Fischer, StraFo 2008, 269 (271): „In der täglichen Praxis“ würden Betrug und Untreue „weithin wie Gefährdungsdelikte gehandhabt“. Dieser Entwicklung hat sich jetzt BVerfG NJW 2010, 3209 (3221) entgegengestellt. 229

150 Teil 2: Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff

1. Strafsenat des BGH vertretenen231 und nach den ihm insoweit nicht beipflichtenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts232 wieder relativierten Kritik233 – keineswegs überflüssig ist, sondern eine dem Vermögen eigene Form der Beeinträchtigung beschreibt. Denn der Vermögenswert kann eben nicht nur durch eine tatsächlich eintretende Bestandsveränderung gemindert werden, sondern bereits schon durch einen nur drohenden Substanzverlust.234 Damit wird der Gebrauchswert des Vermögens gemindert, mithin die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Vermögensinhabers kompensationslos geschmälert. Die Kritik am Begriff der schadensbegründenden Vermögensgefährdung ist lediglich insoweit begründet, wie die Rechtsprechung auch in Fällen einer tatsächlichen Veränderung der Vermögenssubstanz (etwa bei Darlehnsvalutierung und der damit verbundenen Erlangung eines gegebenenfalls minderwertigen Rückzahlungsanspruchs) lediglich eine Vermögensgefährdung angenommen hatte.235 Die durch die Figur der schadensbegründenden Vermögensgefährdung zum Ausdruck kommende Besonderheit des Rechtsguts Vermögen ist es gerade, dass letzteres auch ohne eine Substanzveränderung gemindert werden, sich nämlich der Marktwert des Vermögens verringern kann.236 Die schadensbegründende Berücksichtigung einer Vermögensgefährdung bedeutet also nicht, dass Erfolgsdelikte in Gefährdungsdelikte umgedeutet werden.237 Diese Besonderheit verdient es, mit einer gesonderten dogmatischen Schadenskategorie hervorgehoben zu werden, weil ein wirtschaftlicher Schadensbegriff einerseits den wertmindernden Charakter einer

231 BGHSt 53, 199; BGH NJW 2008 2451; vgl. dazu Becker, HRRS 2009, 334; Fischer, StV 2010, 95 (100). 232 BVerfG, NJW 2009, 2370; 2010, 3209. 233 BGH NJW 2011, 1747 (1751). 234 Becker, HRRS 2009, 334 (336); Saliger, Samson-FS, S. 470; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 228. Schünemann, StraFo 2010, 477 (478) benennt die „schadensgleiche Vermögensgefährdung i. e. S.“ als „Verlust der Dispositionsherrschaft über ein formalrechtlich noch dem Rechtsgutsträger zuzuordnendes Objekt“. 235 Schon LK-Lackner, 10. Auflage, § 263, Rdn. 223 macht darauf aufmerksam, dass es sich hierbei bereits um eine „nachteilige Bestandsveränderung“ und nicht lediglich eine Gefährdung handelt. Vgl. aber BGHSt 46, 30 (34); 47, 148 (156 f.); dazu Beulke/ Witzigmann, JR 2008, 430 (432). Schünemann, StraFo 2010, 477 (478) weist deshalb zutreffend darauf hin, dass gerade in den vom 1. Senat zum Anlass seiner Kritik gewählten Fällen die Figur des Gefährdungsschadens ohnehin überflüssig war, da dort „für den klaren und endgültigen Verlust eines Vermögensgutes . . . keine ausreichende Kompensation geschaffen worden ist.“ So auch Becker, HRRS 2009, 334 (335). 236 Unzutreffend daher der 2. Senat in BGHSt 51, 100 (123), dass es sich „der Sache nach“ um eine „Vorverlagerung der Vollendung in den Bereich des Versuchs“ handele. 237 Hefendehl, Samson-FS, S. 312; Fischer, StraFo 2008, 269 (271); dagegen aber MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 195; Rübenstahl, NJW 2009, 2392. Irreführend kann es insofern sein, zwischen „abstrakter“ und „konkreter“ Vermögensgefährdung zu differenzieren, da dadurch ein Gleichlauf mit den gleichlautenden Deliktskategorien impliziert wird. Besser ist eine Unterscheidung nach „wertmindernder“ und „nicht wertmindernder“ Vermögensgefährdung. Dazu MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 538.

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Vermögensgefährdung nicht außer Acht lassen kann,238 andererseits dadurch aber eine Entgrenzung des Schadensbegriffs droht.239 Anders als bei anderen Rechtsgütern kann also beim Vermögen dessen Gefährdung bereits eine Wertminderung und mithin einen Schaden darstellen.240 Wegen dieser Möglichkeit einer schadensbegründenden Vermögensgefährdung kommt es – will man nur eine vorsätzliche Vermögensschädigung unter Strafe stellen – darauf an, die sich in der Tat zeigende Einstellung des Täters zum fremden Vermögen zu berücksichtigen. Andernfalls besteht die Möglichkeit, dass der Markt pflichtwidriges Verhalten beim Umgang mit fremden Vermögen als Schädigung bewertet und deshalb eine Vorsatzstrafbarkeit angenommen wird, obwohl es am für Vorsatzdelikte kennzeichnenden Merkmal fehlt, dass nämlich der Täter sich bewusst gegen das infrage stehende Rechtsgut entschieden hat. 2. Irrelevanz eines „Endschadens“ für strafrechtliche Verantwortung bei Risikogeschäften Es mag (nicht zuletzt in Anbetracht der damit verbundenen Bewertungsschwierigkeiten) bei Risikogeschäften (etwa Bewilligung und Valutierung eines Darlehns) zwar unbefriedigend erscheinen, dass hier der Schadensbegriff mitunter zu einer bloßen Rechengröße verkommt, die für den Vermögensinhaber – insoweit sich nämlich das fragliche Geschäft letztlich doch als profitabel erweist – keinerlei Relevanz haben mag. Der in der Regel wohl auch einer Strafverfolgung zugrundeliegende Umstand ist die Realisierung des Risikos, weshalb es nach Ansicht des 2. Senats auf dessen Billigung ankommen soll.241 Allerdings ist festzustellen, dass ein Abstellen der Vermögensdelikte auf eine Billigung des Endschadens letztlich die wirtschaftliche Realität verkennen würde. Denn die Entwicklung von Vermögenswerten ist letztlich immer – mehr oder weniger – spekulativ.242 Der Vermögensinhaber wird über die wirtschaftlichen Folgen einer 238 Becker, HRRS 2009, 334 (337); LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 168. Fragwürdig erscheint, ob das von BVerfG NJW 2009, 2370 (2372) aufgegriffene Erfordernis einer zeitlichen Nähe der Gefahr unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten überzeugt. Für eine Vermögenswertminderung ist es etwa irrelevant, ob mit einer „alsbaldigen“ Geltendmachung der durch den Treuenehmer herbeigeführten Haftungspflicht des Treuegebers zu rechnen ist oder erst später. So auch Fischer, StV 2010, 95 (98). 239 Vgl. Hefendehl, Samson-FS, S. 299 f. Weiter unklar BGH NJW 2011, 1747 (1751), der auch bei der drohenden Geltendmachung von Haftungsansprüchen trotz fehlenden Substanzverlusts nicht nur eine Vermögensgefährdung, sondern bereits einen „endgültigen Vermögensnachteil“, nämlich „in Form eines zu bilanzierenden Rückforderungsanspruchs“, annimmt. 240 Schünemann, StraFo 2010, 1 (4) beschreibt die Figur des Gefährdungsschadens als „Sonderweg der Vermögens- im Gesamtbereich der Erfolgsdelikte“. 241 BGHSt 51, 100 (121); NStZ 2007, 704 (705); Bernsmann, GA 2007, 219 (230); Fischer NStZ-Sonderheft 2009, 8 (14); Perron, Tiedemann-FS, S. 747; Rönnau, Tiedemann-FS, S. 731 f.; Saliger, NStZ 2007, 545 (550). 242 Thomas, Rieß-FS, S. 800 f.

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Vermögensverfügung so gut wie nie Sicherheit erlangen können. Der einzige von ihm mit Sicherheit beeinflussbare Umstand ist das Ausmaß des eingegangenen Risikos, also die Verfügung in Kenntnis der wertbestimmenden Leistungseigenschaften. Soll das Strafrecht das Vermögen schützen, so muss es hier ansetzen,243 also darauf abstellen, ob das vom Verfügenden beziehungsweise Treuegeber gewollte Risiko dem tatsächlichen Risiko entspricht.244 Es mag richtig sein, dass – wie der 2. Senat nicht übersieht245 – die Zufälligkeit des Endschadens zur Zufälligkeit von Strafverfolgung führt,246 insbesondere weil bei Nichtrealisierung eines täuschungsbedingt oder treuepflichtwidrig eingegangenen Risikos eine Strafanzeige regelmäßig unterbleiben wird. Mit einem der Bewehrung rechtsgüterschützender Verhaltensnormen dienenden Strafrecht wäre es aber erst recht nicht zu vereinbaren, Strafbarkeit von Umständen abhängig zu machen, auf die der Täter ohnehin nicht oder kaum Einfluss hat.247 Hierin liegt ein zentraler Unterschied zum strafbaren Versuch. Bei letzterem wird der zur Tat ansetzende Täter einen Erfolg zwar auch nie mit absoluter Sicherheit herbeiführen können. Doch gründet sich Strafbarkeit dort darauf, dass dem Täter der Erfolg im Erfolgsfall zurechenbar ist. Hinsichtlich der Realisierung des Risikos eines Risikogeschäfts (ob etwa ein Darlehensrückzahlungsanspruch erfüllt wird) kann dies hingegen gerade nicht angenommen werden, soweit der Täter darauf keinen Einfluss hat und es ihm insoweit an Tatherrschaft fehlt.248 Ein Schaden, auf dessen Eintritt der Täter in der Regel keinen Einfluss hat, kann vom Gesetzgeber im Rahmen eines Erfolgsdelikts nicht als tatbestandlicher Schaden gemeint sein.249 Erscheint der Vermögenswert wegen der Gefahr eines Zahlungsausfalls in den Augen des Marktes bereits als gemindert, hat die auf Marktmaßstäben250 gestützte Prognose 243 Vgl. Becker, HRRS 2009, 334 (336). Zwar ist Fischer, StraFo 2008, 269 (275) zuzustimmen, „dass eine Gefahr sich begrifflich nicht von demjenigen Zustand oder Gegenstand abkoppeln lässt, auf welchen sie bezogen ist“ und „dass eine Wertminderung ohne Möglichkeit des Endschadens gar nicht vorhanden wäre.“ Eine solche Gefahr kann aber eben nicht mit einer bloß potentiellen Beeinträchtigung gleichgesetzt werden, wenn der Markt wegen ihr bereits einen Minderwert annimmt. Vielmehr liegt in ihr dann schon ein Schaden. Vgl. auch Hefendehl, Samson-FS, S. 305: Der Vorsatz müsse sich auf jene Situation beziehen, „in der dem Rechtsgutsträger keine (rechtlich anerkannte) Möglichkeit mehr gegeben ist, dem Eintritt eines endgültigen Schadens entgegenzutreten.“ Vgl. BGH StV 2010, 78. 244 Zur Bestimmung der Schadenshöhe bei Risikogeschäften, vgl. oben unter II., 3., b). 245 BGHSt 51, 100 (121). 246 Albrecht, Hamm-FS, S. 3. 247 Inkonsequent insofern BGH NStZ 2001, 650, wonach es für den Zeitpunkt der Tatbeendigung auf die Realisierung der Gefährdung ankomme. 248 Deshalb liegt im Abstellen der Bewertung auf den Verfügungszeitpunkt auch nicht eine Umdeutung einer Versuchskonstellation in eine Vollendung; vgl. aber Schlösser, NStZ 2009, 663 (665). 249 Zweifelhaft deshalb Beulke/Witzigmann, JR 2008, 430 (433). 250 Nack, StraFo 2008, 277 (279 f.).

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also eine Wertminderung zur Folge, so kann es mithin nicht darauf ankommen, ob der Täter diese ihm bewusste Wahrscheinlichkeitsprognose des Marktes teilt. Für einen auf objektiven Wertmaßstäben beruhenden Vermögensschutz kann die subjektive Risikobereitschaft des Täters nicht entscheidend sein, andernfalls das geschützte Vermögen seinen gegebenenfalls willkürlichen Risikomaßstäben ausgesetzt würde.251 3. Notwendigkeit der Begrenzung schadensbegründender Vermögensgefährdungen Jede Verfügung über Vermögen ist letztlich mit der Eingehung eines wirtschaftlichen Risikos verbunden, so dass es überflüssig wäre, schon deshalb von einer (gegebenenfalls schadensbegründenden) Vermögensgefährdung zu sprechen.252 Der Begriff der schadensbegründenden Vermögensgefährdung sollte vielmehr lediglich jenen Konstellationen vorbehalten bleiben, in denen es an einer Umschichtung der Vermögenssubstanz fehlt.253 Jedoch scheint es auch hier kaum schlüssig, auf die Billigung eines Endschadens abzustellen. Denn schützen die Vermögensdelikte den Vermögensinhaber vor dem Täter, so kann es nicht überzeugen, strafrechtlichen Schutz vom Tätervorsatz hinsichtlich solcher Umstände abhängig zu machen, auf die der Täter regelmäßig ohnehin keinen Einfluss hat.254 Die Schadensfeststellung hat vielmehr zu berücksichtigen, dass der tatbestandliche Schaden in einem rechtsgüterschützenden Strafrecht Kern des an den Täter gerichteten Vorwurfs und – im Umkehrschluss – die Rücksichtnahme auf das geschützte Rechtsgut Handlungsmotiv des sich strafrechtskonform verhaltenden Bürgers ist. Dafür müssen dem Täter jene zur Schadensbegründung führenden „allgemeinen Bewertungsmaßstäbe“ 255 bewusst sein. Dies ist in Fäl251 Zutreffend insoweit BGHSt 47, 148 (157), der darauf abstellt, dass der Täter in dem Wissen handelte, dass die Rückzahlungsforderung „nach allgemeinen Bewertungsmaßstäben nicht als gleichwertig angesehen wird, mag er selbst sie auch anders bewerten“. Konsequenterweise müsste aber schon Eventualvorsatz genügen. Über eine Billigung des Endschadens sagt dieser Maßstab nichts aus. 252 MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 200; Thomas, Rieß-FS, S. 800. 253 Zutreffend Hefendehl, Samson-FS, S. 311: der Begriff der Vermögensgefährdung habe bei Risikogeschäften keinen Anwendungsbereich. Vgl. aber Fischer, StraFo 2008, 269 (274); Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57 (74); Schünemann, NStZ 2008, 430 (432). 254 Hefendehl, Vermögensgefährdung, S. 291, Rönnau, StV 2009, 246 (249), Saliger, Parteiengesetz und Strafrecht, S. 422 f. und Satzger, NStZ 2009, 297 (303) befürworten bei einer Vermögensgefährdung durch schwarze Kassen eine „verwendungszweckabhängige Betrachtungsweise“ auf der Ebene des objektiven Nachteilsbegriffs. Dies hilft aber regelmäßig nur dann weiter, wenn sich eine Gefährdung aus der Befürchtung eines vermögensschädigenden Anschlussverhaltens des Täters ergibt; vgl. Saliger, aaO, S. 421 f. Zutreffend insoweit im Ergebnis BGHSt 51, 100 (113) dazu Schünemann, NStZ 2008, 430 (433). Droht die Herbeiführung eines Substanzverlusts hingegen durch einen Dritten, so entzieht sich die Gefahrrealisierung dem Einfluss des Täters. Vgl. auch Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57 (70). 255 BGHSt 47, 148 (157).

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len einer Vermögenssubstanzveränderung vergleichsweise unproblematisch, etwa wenn ein Darlehen ausgezahlt wird, ohne erforderliche Sicherheiten zu bestellen oder hinreichende Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers einzuholen.256 Denn der Täter wird in der Regel Kenntnis davon haben, welche allgemeinen Bewertungsmaßstäbe im Rahmen eines Austauschgeschäfts maßgeblich sind. Deutlich problematischer verhält sich dies aber in Fällen einer schadensbegründenden Vermögensgefährdung, wenn etwa ein Treuegeber der mehr oder weniger konkreten Gefahr der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme durch Dritte ausgesetzt wird, durch das dieser Haftung zugrundeliegende Verhalten aber zugleich konkrete wirtschaftliche Vorteile erlangt hat. Auch hier kann es nicht überzeugen, auf die Billigung einer Verwirklichung der Gefahr (also etwa einer tatsächlichen Inanspruchnahme) abzustellen, soweit der Täter darauf keinen Einfluss hat.257 Nicht gefolgt werden kann daher der vom 1. Strafsenat des BGH zu § 266 StGB vertretenen Auffassung, wonach es für die Annahme eines Vermögensnachteils durch haftungsrechtliche Ansprüche Dritter auf die „Entdeckung der Tathandlung“ ankomme,258 also auf die Entdeckung der anspruchsbegründenden Tatsachen durch den Dritten. Zwar möchte der Senat damit dem verfassungsgerichtlich unterstrichenen Erfordernis der Bewahrung eines überwiegend wirtschaftlichen Vermögensbegriffs259 genügen. Auch ist ihm beizupflichten, dass ein „unmittelbarer Zusammenhang zwischen pflichtwidrigen Tun und Vermögensnachteil“ im Sinne eines Substanzverlusts nicht notwendig ist.260 Denn aus wirtschaftlicher Perspektive kann es schlechterdings nicht überzeugen, dass zumindest eine konkret absehbare haftungsrechtliche Inanspruchnahme keinen Vermögensnachteil darstellen soll.261 Allerdings ist es nicht möglich – wie dies der 1. Senat für zulässig zu halten scheint – bei der Nachteilsbestimmung die dem Täter unmittelbar zurechenbare Begründung eines Haftungsanspruchs zu übergehen und gleich bei der ab „Entdeckung“ der Tat mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Geltendmachung des Anspruchs anzusetzen. Denn dabei bliebe offen, warum dies dem Treuenehmer zuzurechnen sein soll. Vorgeworfen werden kann dem Täter nämlich weder die Entdeckung noch die Anspruchsdurchsetzung, sondern lediglich, dass er die anspruchsbegründenden Vorausset256

Vgl. zur Evidenz einer Wertminderung Becker, HRRS 2009, 334 (339 f.). Die Frage der Zurechenbarkeit stellt auch Perron, Tiedemann-FS, S. 744 f. 258 BGH NJW 2011, 1747 (1751). Dies gelte zumindest dann, wenn die Inanspruchnahme „nahezu sicher, jedenfalls überwiegend wahrscheinlich ist“; vgl. Rdn. 57. 259 BVerfG, NJW 2010, 3209 (3217). 260 BGH NJW 2011, 1747 (1751). Anders aber der 5. Senat in BGH, NStZ 2009, 686 (688); dazu Mosiek, HRRS 2009, 565 f. 261 Dies wird dann besonders deutlich, wenn es dem Täter ausschließlich darum geht, den Vermögensinhaber zu schädigen, ohne dass mit der Tat zugleich irgendwelche Gewinnaussichten verbunden sind. 257

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zungen geschaffen hat. Zurechenbar kann die daraus folgende Inanspruchnahme deshalb nur dann sein, wenn die Anspruchsentstehung eine tatbestandlich verbotene Gefahrenschaffung darstellt. 4. Fehlende Rücksichtnahme gegenüber dem betreuten Vermögen als Begrenzungsmerkmal bei § 266 StGB Will man es zur Konturierung des § 266 StGB nicht bei Wahrscheinlichkeitsprognosen belassen, so muss eine Konkretisierung des Tatbestandes der Untreue auch auf der Ebene des Schädigungsvorsatzes erfolgen.262 Wie auch schon beim (eine Variante der schadensbegründenden Vermögensgefährdung darstellenden) Eingehungsbetrug ist zunächst auf der objektiven Ebene nicht ausschließlich die Gefahr eines Vermögenssubstanzverlusts zu betrachten, sondern auch zu berücksichtigen, inwieweit der Vermögensinhaber infolge der Tat Vermögensvorteile erlangt hat. Ausmaß und Wahrscheinlichkeit263 der Realisierung einer Substanzmehrung und eines Substanzverlusts sind einander gegenüberzustellen.264 Anschließend ist auf der Ebene des Vorsatzes darauf abzustellen, ob in der Tat eine fehlende Rücksichtnahme gegenüber dem betreuten Vermögen zum Ausdruck kommt.265 Dies ist jedenfalls zu verneinen, wenn die vom Täter verfolgten Zwecke ausschließlich den Interessen des Vermögensinhabers zu dienen bestimmt sind und nicht durch eigen- oder fremdnützige Motive verdrängt wurden.266 In diesem Fall kann dem Täter nur die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens vorgehalten werden, nicht aber eine vorsätzliche Vermögensschädigung. Die objektiv – auch unter Zuhilfenahme bilanzrechtlicher Regeln267 – zu bestimmende Vermögensschädigung ist also durch die Motive des Täters zu ergänzen.268 Dies erleich262

Vgl. auch Rönnau, Tiedemann-FS, S. 732 f. Die rechtsgüterfeindliche Gesinnung des Täters findet also bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestandes Berücksichtigung; vgl. dazu Schünemann, Hirsch-FS, S. 372. 264 Saliger, NStZ 2007, 545 (547); Schlösser, HRRS 2009, 19 (25); zur wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung auch BGHSt 47, 295 (302); 47, 148 (153). 265 Daran wird es insbesondere regelmäßig dann fehlen, wenn der Treuenehmer kompensationsfähig und -willig ist; vgl. BGHSt 15, 342 (344); Rönnau, Tiedemann-FS, S. 733; LK-Schünemann, § 266, Rdn. 171. 266 Für eine Tatbestandseinschränkung über die Absichten des Täters ähnlich auch Schünemann, NStZ 2008, 430 (434), der jedoch auch darauf abstellt, „ob sich der Täter dem von ihm heraufbeschworenen Risiko selbst aussetzt“. Dass der Täter aus bestimmten Gründen nicht nur die Interessen des Treuegebers, sondern auch seine eigenen Interessen hintenanzustellen bereit ist, deshalb etwa auch eine Gefährdung seines eigenen Vermögens in Kauf nimmt, muss für die Rechtsgutsfeindlichkeit der Tat allerdings grundsätzlich unerheblich sein. 267 BVerfG NJW 2010, 3209 (3219 f.); MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 565; zurückhaltend Becker, HRRS 2009, 334 (338 f.); ders., HRRS 2010, 383 (391 f.); Rübenstahl, NJW 2009, 2392 (2393); Saliger, Samson-FS, S. 474. 268 Dahingehend auch Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 37. Diesbezüglich dürften regelmäßig auch weniger Beweisprobleme bestehen als hinsichtlich der mit der Lösung des 263

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tert zwar in Grenzfällen nicht die Bestimmung eines Schadens,269 macht diese Frage dann aber vielfach überflüssig. Einem solchen Ansatz kann auch nicht der Vorwurf eines ,Gesinnungsstrafrechts‘ gemacht werden. Denn im Falle rechtsgutsfeindlicher Motive des Täters darf eben gerade nicht dahingestellt bleiben, ob der Täter dem Vermögensinhaber durch eine Vermögensgefährdung objektiv einen Nachteil zufügt.270 Vielmehr geht es um die Berücksichtigung der Tatsache, dass beim Umgang mit fremdem Vermögen letzteres regelmäßig mehr oder weniger großen Gefahren ausgesetzt und dies vom Treuenehmer im Interesse des Treuegebers auch billigend in Kauf genommen wird. Indem die Verletzung vermögensschützender Treuepflichten durch die Motive des Täters ergänzt wird, werden schädigende Vermögensgefährdungen nur dann für tatbestandlich erklärt, wenn sie nicht ganz überwiegend auf der Verfolgung der Interessen des Vermögensinhabers beruhen. Dies berücksichtigt die Erkenntnis, dass dem Charakter der Untreue – nämlich der vermögensschädigende Missbrauch eines qualifizierten Vertrauensverhältnisses271 – nur dann entsprochen wird, wenn sich der Treuepflichtige beim Umgang mit fremdem Vermögen nicht mehr ganz überwiegend durch die Vermögensinteressen des Treuenehmers leiten lässt. Die potentiell wertmindernde Wirkung einer Vermögensgefährdung ist eine wirtschaftliche Tatsache, der sich das Strafrecht nicht entziehen kann, will es nicht die wirtschaftliche Realität verfehlen und den strafrechtlichen Vermögensschutz in einer letztlich dessen Glaubwürdigkeit infrage stellenden Weise begrenzen. Wenn andererseits aber Vermögensgefährdungen als kollaterale Folge einer im Grunde zweckdienlichen Verwendung von Vermögen regelmäßig nicht vermeidbar sind, so kann man es für die Bestimmung des tatbestandlichen Verhaltens zwar nicht bei der Feststellung von Pflichtwidrigkeit belassen. Denn Pflichtwidrigkeit wird vielfach zu irgendwelchen haftungsrechtlichen Forderungen (nicht zuletzt durch Regulierungsbehörden) führen, wodurch Rechtsgutsbezug und mithin Konturierung des Untreuetatbestandes noch weiter relativiert würden, mit der Konsequenz einer verstärkten richterlichen Kasuistik und mithin einer Schwächung legislativ vorgezeichneter Kriminalpolitik. Maß-

2. Senats notwendig werdenden Frage, ob der Täter nun einen Endschaden gebilligt hat; vgl. Perron, Tiedemann-FS, S. 747. 269 Vgl. Fischer, StraFo 2008, 269 (274). 270 Vgl. Schünemann, NStZ 2008, 430 (432). 271 Vgl. oben § 5, III., 2., a). Dem für beide Begehungsvarianten geltenden Missbrauchscharakter des § 266 Abs. 1 StGB steht nicht entgegen, dass dieser (anders als § 263 StGB) kein Bereicherungsmerkmal enthält. Denn obliegt es dem Täter, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, fügt er dem Vermögensinhaber aber trotzdem vorsätzlich einen Nachteil zu, so bedeutet dies – ein voluntatives Element seines Handelns vorausgesetzt – dass der Täter sich nicht durch diese Vermögensinteressen, sondern durch andere Interessen hat leiten lassen. Darin liegt ein Missbrauch. Vgl. auch Schlösser, HRRS 2009, 19 (25).

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gebliche Bedeutung muss dann aber dem Missbrauchscharakter der Untreue zukommen. Treuepflichtwidrig vermögensgefährdendes Verhalten kann demnach nur dann tatbestandlich sein, wenn die Interessen des Treuegebers gegenüber den vom Treuenehmer verfolgten Interessen in den Hintergrund treten. Dominieren hingegen die Interessen des Treuegebers,272 so fehlt es an einem Schädigungsvorsatz. II. Das Rechtsgut als Voraussetzung einer transparenten Strafverfolgungspraxis 1. Neutralisierung des Nachteilsbegriffs bei schwarzen Kassen im Fall Siemens273 Werden als Vermögensschaden beziehungsweise Vermögensnachteil schon solche dem Täter zurechenbare Konsequenzen angesehen, die für den Vermögensinhaber noch keine wirtschaftliche Schlechterstellung bedeuten, so führt dies zu einer Aushöhlung des tatbestandlichen Rechtsgutsbezugs. Verzichtet die Rechtsprechung auf ein vermögensbezogenes Unwerturteil, so beruht Strafbarkeit letztlich ausschließlich auf der Verletzung von Verhaltenspflichten. Gerade am Beispiel der im Fall Siemens angenommenen Strafbarkeit schwarzer Kassen in privatwirtschaftlichen Unternehmen wird deutlich, dass sich insbesondere bei einem hinsichtlich seines tatbestandlichen Verhaltens vergleichsweise unbestimmten Delikt wie der Untreue die Anklageentscheidung der Strafverfolgungsbehörden dann kaum noch als transparent bezeichnen lässt. Es erscheint schwerlich überzeugend, dass die Bildung von durch den Zentralvorstand und die Unternehmensbuchhaltung nicht einsehbaren Sondervermögen eines ohnehin über weitreichende Dispositionsfreiheit verfügenden Bereichsvorstandes auch unabhängig von den durch ihn dabei verfolgten Zwecken eine wirtschaftliche Schlechterstellung des Unternehmens darstellen soll.274 Ein Vermögensverlust kann nur am Maßstab des Geschäftsverkehrs beurteilt werden, andernfalls der Begriff des Vermögensschadens seinen Gehalt verliert.275 Delegiert der Zentralvorstand die Dispositionsbefugnis in weitreichendem Maße an den Bereichsvorstand, so kann in der Art und Weise der Ausübung der delegierten Befugnis noch kein Erfolgsun-

272 Fragwürdig deshalb die Verneinung des Schädigungsvorsatzes in BGH NStZ 2007, 704 (705). Denn wenn der treuepflichtige Notar hier den noch ungesicherten Kreditbetrag deshalb auszahlt, weil der dazu vom Vertreter des Verkäufers – „einem guten Kunden seines Notariats“ – gedrängt wurde, so scheint sein Verhalten in erheblichem Maße durch einen Interessenkonflikt geleitet zu sein, seine Treuepflicht als nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. 273 BGHSt 52, 323. 274 Anders aber Fischer NStZ-Sonderheft 2009, 8 (17). 275 Satzger, NStZ 2009, 297 (303), spricht von „juristischer Bevormundung des Rechtsverkehrs“.

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wert zu sehen sein.276 Schünemann weist zutreffend darauf hin, dass noch nicht einmal eine Beeinträchtigung der Dispositionsmöglichkeit angenommen werden kann, wenn der Geschäftsherr (hier konkret: der Zentralvorstand des Unternehmens) „keine konkrete Verwaltungsmacht für den betreffenden Vermögensgegenstand in Anspruch nehmen will.“277 Eine verwendungszweckunabhängige wirtschaftliche Bewertung des Umgangs mit Unternehmensgeldern ist schon deshalb nicht möglich, weil die Dispositionsfreiheit hier grundsätzlich nur durch das Gebot der Gewinnorientiertheit beschränkt wird.278 Solange Mitglieder des Bereichsvorstands dieses Ziel verfolgen, kann ein wirtschaftlicher Schaden nicht damit begründet werden, sie hätten Gelder ihres Arbeitsgebers „verborgen“, um sie „nach Maßgabe eigener Zweckmäßigkeitserwägungen“279 einzusetzen. Gerade das Anstellen eigener Zweckmäßigkeitserwägungen durch den Bereichsvorstand ist kennzeichnend für eine unternehmerisch notwendige Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen. Dass die Anbahnung „beträchtlicher Vermögensvorteile durch Gewinnung lukrativer Aufträge“280 einen wirtschaftlichen Nachteil darstellen soll, lässt sich letztlich nur behaupten, wenn man den Begriff des Nachteils normativierend seines umgangssprachlichen Wortsinns281 entkleidet, wodurch aber die Fähigkeit des tatbestandlichen Rechtsguts verloren geht, mit den Normunterworfenen in klarer Sprache zu kommunizieren.282 Nicht die Anbahnung profitabler Vertragsabschlüsse ist ein wirtschaftlicher Nachteil, sondern gegebenenfalls die mit der Art und Weise der Anbahnung verbundenen wirtschaftlichen Risiken für den Vermögensinhaber, wobei es zur Bejahung der Strafbarkeit dann der oben dargelegten Korrektur des Schädigungsvorsatzes im Sinne eines Missbrauchs des Treueverhältnisses bedarf.283 Diese Differenzierung zwischen rein wirtschaft276 Schünemann, StraFo 2010, 477 (481), attestiert dem BGH, er leite den Schaden letztlich aus einer „hartnäckigen Pflichtverletzung“ ab, worin eine von der Entscheidung gerade als unzulässig kritisierte „Verschleifung der Tatbestandsmerkmale“ liege. 277 Schünemann, StraFo 2010, 1 (9). Auf eine werthaltige Kompensation kommt es mithin gar nicht an; vgl. auch Rönnau, Tiedemann-FS, S. 734 f.; Schlösser, HRRS 2009, 19 (25); anders Ransiek, NJW 2009, 95. Vgl. schon Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57 (71). Erst recht nicht überzeugen kann daher BGHSt 55, 266 (dazu Anmerkungen Brand, NJW 2010 3463 f.) wenn dort auch die Errichtung schwarzer Kassen durch den Geschäftsführer einer GmbH bzw. den Vorstand einer AG als Untreue bewertet wird. 278 Rönnau, StV 2009, 246 (249); ders., Tiedemann-FS, S. 732 f.; Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57 (71); Satzger, NStZ 2009, 297 (302 f.); Schlösser, HRRS 2009, 19 (22). Insofern unterscheidet sich die Situation hier grundlegend von zweckgebundenen Vermögen wie etwa in BGHSt 51, 100; vgl. Saliger, NStZ 2007, 545 (547); LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 233. 279 BGHSt 52, 323 (337). 280 Satzger, NStZ 2009, 297 (302); Schlösser, HRRS 2009, 19 (24). 281 Dazu BVerfG NJW 2010, 3209 (3213). 282 Vgl. Perron, Tiedemann-FS, S. 741. 283 Vgl. oben unter § 7, I., 4.

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licher Bewertung einerseits und auf die normativ begründeten Risiken des Geschäfts abstellende Bewertung andererseits ist notwendig, da sonst die Vermögensdelikte in Anbetracht des naturgemäß stark normativ geprägten Charakters des Rechtsguts Vermögen zu einem strukturlosen Allzweckinstrument verkommen, welches im Ergebnis auch die strafrechtliche Sanktionierung nicht-vermögensbezogener und sogar nicht-strafrechtlicher Verhaltensgebote erlaubt.284 Die Rechtsprechung ersetzt das durch § 266 StGB geforderte Erfolgsunrecht im Ergebnis durch einen lediglich formellen Erfolgsbegriff, dem ohne Berücksichtigung der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens kein eigenständiges Unwerturteil im Sinne einer wirtschaftlichen Schlechterstellung des Treuegebers entnehmbar ist.285 Das Vorenthalten beziehungsweise der Entzug von Geldern kann zwar unabhängig vom ihrer Verwendung einen Schaden darstellen. Eine nachteilige Zustandsveränderung hätte deshalb möglicherweise darin liegen können, dass die Treuegeberin „auf die verborgenen Vermögenswerte keinen Zugriff nehmen“286 vermochte. Um diesen Zustand als Nachteil zu bewerten, wäre aber zumindest eine Feststellung erforderlich gewesen, dass die Treuegeberin – konkret: der Zentralvorstand des Unternehmens – Interesse an einem solchen Zugriff hatte,287 was in Anbetracht der weitreichenden Delegation der Dispositionsbefugnis an den Bereichsvorstand alles andere als naheliegend war.288 Der tatbestandliche Nachteilsbegriff verkommt deshalb in der Siemens-Entscheidung zu einer bloßen formal-juristischen Beschränkung der Strafbarkeit einer Pflichtverletzung, eignet sich jedoch nicht mehr dazu, den Unwert des tatbestandlichen Verhaltens zu konkretisieren. Zu einer vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärten „Verschleifung“ einzelner Tatbestandsmerkmale kommt es eben nicht erst dann, wenn Tatbestandsmerkmale „vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden“.289 Beschreibt der Gesetzgeber im Tatbestand solche für den Rechtsgutsinhaber nachteilige Zustände, deren Verhinderung er mit der Unterstrafestellung des tatbestandlichen Verhaltens bezweckt, so findet eine Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen vielmehr schon dann statt, wenn sich die Nachteiligkeit des 284 Becker, HRRS 2010, 383 (389); Schlösser, HRRS 2009, 19 (27); Schünemann, StraFo 2010, 1 (3). Rönnau, Tiedemann-FS, S. 719, spricht von der Gefahr, dass der Untreuetatbestand zur „Superverbotsnorm“ mutiere. 285 Dazu schon oben unter II., 3., c). 286 BGHSt 52, 323 (337). 287 Vgl. auch Schlösser, HRRS 2009, 19 (24). 288 Satzger, NStZ 2009, 297 (303): Bei „derart selbständigen Position wie [einem] Bereichsvorstand . . . kommt es dem Treugeber im Vertrauen auf die allgemeine Loyalität des Treupflichtigen regelmäßig nicht darauf an, jederzeit über den Verbleib von einzelnen Vermögenspositionen Bescheid zu wissen“. Vgl. auch Rönnau, Tiedemann-FS, S. 728 f.; Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57 (70). 289 BVerfG NJW 2010, 3209 (3211); dazu Saliger, NJW 2010, 3195 (3197), ders., HRRS 2006, 10 (14). Vgl. auch MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 6.

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Zustandes ohne Berücksichtigung der Pflichtwidrigkeit des Täterhandelns nicht beurteilen lässt. 2. Transparenzverlust durch Infragestellung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts Praktische Folge des Rechtsgutsbegriffs als strukturierendes Element des materiellen Rechts ist, dass sich jenes von einem Straftatbestand geschützte Rechtsgut als Motiv und Begründung des Handelns der Strafverfolgungsbehörden darstellt.290 Relativiert die Rechtsprechung durch ihre Auslegung des Schadensbegriffs das darin zum Ausdruck kommende geschützte Rechtsgut, so führt dies deshalb zu Intransparenz von Strafverfolgung.291 Bei privatwirtschaftlichen schwarzen Kassen liegt es nahe, dass es den Strafverfolgungsbehörden hierbei vorrangig um die Bekämpfung des mit den verborgenen Geldern bezweckten Verhaltens (insbesondere Korruption292) geht, auch oder gerade wenn dieses zum Tatzeitpunkt entweder noch nicht strafbar293 war oder aber sich in Anbetracht der sonst notwendigen Nachweise (etwa einer korruptiven Unrechtsvereinbarung) ein ausdrücklich darauf lautender Anklagevorwurf als aufwandsintensiver darstellte. Hingegen erscheint es kaum als realitätsnah, dass die Behörden ihre ohnehin knappen Ressourcen darauf verwenden, einer vom Unternehmensvorstand nicht beanspruchten Vermögensverwaltungsmacht strafrechtlichen Schutz zukommen zu lassen. Weniger der Vermögensschutz lag im Fall Siemens den umfangreichen Ermittlungen zugrunde, als vielmehr der Verdacht auf korruptive Vorgänge innerhalb des Konzerns. Zwar steht es dem Gesetzgeber frei, zur effizienteren Ahndung von Korruption Verhalten im Vorfeld, wie etwa die Bildung schwarzer Kassen, unter Strafe zu stellen. Betrachtet sich die Rechtsprechung jedoch als befugt, trotz der Weite der tatbestandlichen Verhaltensbeschreibung des § 266 StGB den Nachteilsbegriff zu formalisieren und ihm damit seinen normativen Aussagewert 290 Es stellt eben eine der besonders unerfreulichen Praktiken rechtstaatlich defizitärer Justizapparate dar, unzulässige oder zumindest fragwürdige Verfolgungsmotive hinter anscheinend neutralen Anklagepunkten zu verbergen. Einem Rechtsstaat kann es nicht darum gehen, solche Praktiken zu kopieren, auch wenn es ihm nur um die Bekämpfung „richtiger Krimineller“ und nicht anderweitig unliebsamer Personen geht. Nicht vergessen werden darf, dass es gerade das materielle Recht ist, welches die Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen trifft. 291 Nach Rönnau, ZStW 119 (2007), 887 (924 f.) kommt es dazu auch dann, wenn aus der Verwirklichung von Korruptionstatbeständen die Unwirksamkeit eines Einverständnisses des Treuegebers gefolgert wird („Rechtsgutsvertauschung“). Dazu auch Knauer, NStZ 2009, 151 (152); Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57 (69). Vgl. auch die dahingehenden Überlegungen zum pflichtwidrigkeitsausschließenden Einverständnis bei juristischen Personen in Sch/Sch/Perron, § 266, Rdn. 21b. 292 BVerfG NJW 2010, 3209 (3212 f.); Fischer, NStZ-Sonderheft 2009, 8 (19 f.); Rönnau, StV 2009, 246 (250); Saliger/Gaede, HRRS 2008, 57 (66); Jahn, JuS 2009, 173 (175); Knauer, NStZ 2009, 151. 293 BGHSt 52, 323 (339); Satzger, NStZ 2009, 297 (298).

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zu nehmen, so nimmt sie damit zur Befriedigung eines Einzelfall-Strafbedürfnisses einen erheblichen Konturverlust des materiellen Rechts und mithin eine beträchtliche Schwächung der Vorhersehbarkeit und Nachvollziehbarkeit von Strafverfolgung in Kauf. Durch eine das Nachteilsmerkmal überdehnende Gesetzesauslegung wird die tatbestandliche Rechtsgutsbindung de facto aufgehoben und § 266 StGB zur Verfolgung grundsätzlich tatbestandsfremden Unrechts zweckentfremdet. Indem die Rechtsprechung das strafbegründende Erfolgsunrecht relativiert, verzichtet sie hier letztlich auf eine umfassende Aufklärung des fraglichen Geschehens.294 Dass eine solche die abschreckende Wirkung einer Verurteilung und nicht die gerichtliche Aufklärung von Unrecht in den Vordergrund stellende Strafrechtspflege problematisch ist, wird in besonderem Maße bei Korruptionskriminalität deutlich, da hier die mit der Glaubwürdigkeit eines Strafurteils verbundene öffentliche Feststellung der korruptiven Machenschaften für deren Aufarbeitung entscheidend ist. Geht es hingegen lediglich um eine irgendwie geartete Bestrafung der Täter bei möglichst geringem Beweisaufwand, so büßt das Kernstrafrecht seine normative Aussagekraft und zugleich seine Funktion ein, der Offenlegung von und als gesellschaftliche Antwort auf Unrecht zu dienen. Infolge einer Relativierung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts wird der Straftatbestand der Untreue zum Instrument einer Strafverfolgung, deren handlungsleitende Motive sich nicht mehr aus dem Gesetz entnehmen lassen und die deshalb anfälliger für medial oder politisch motivierten Missbrauch wird.295 Muss die Strafverfolgungsbehörde in Anbetracht fehlender tatbestandlicher Relevanz das der Strafverfolgung zugrundeliegende öffentliche Interesse nicht offenlegen, so unterbleibt zudem eine Überprüfung deren Legitimität und faktischen Stichhaltigkeit. Der der Anklage insbesondere in den Siemens-Entscheidungen zugrundeliegende Vorwurf der Korruption mag sich dort als zutreffend darstellen. Jedoch handelt es sich dabei mangels eines dahingehenden Nachweiserfordernisses um eine Unterstellung, die nicht immer zutreffend sein muss. Will man eine derartige Relativierung des Schadensmerkmals und mithin des tatbe294 Vergleichbar auch die Rechtsprechung zum sog. „Kick-back“, soweit dort ein Mindestschaden des Geschäftsherrn in Höhe der Bestechungsgeldzahlungen fingiert wird; vgl. BGHSt 49, 317 (332); 50, 299 (314 f.; BGH NJW 2009, 3248 (3251). Dazu Bernsmann, GA 2007, 219 (234 ff.); Mehle, NJW 2009, 3253 (3254). Auch hier wird nicht zwischen der Treuepflichtverletzung (Kollusion des Treuenehmers mit dem Vertragspartner) und dem Vermögensnachteil unterschieden. Eine Exspektanz hat der Treuegeber nur auf den Marktpreis, nicht aber auf einen durch Kollusion gebildeten Preis. Vgl. auch MK-Dierlamm, § 266, Rdn. 232: „Konkrete Schadensfeststellungen können durch Regelvermutungen oder Evidenzbehauptungen nicht ersetzt werden.“ 295 Schünemann, StraFo 2010, 477 (479), spricht unter Verweis auf BGHSt 53, 199 (204 f.) davon, es bestehe „eine überaus große Versuchung“, die „realistische Prognose“ bei der Schadensfeststellung „durch moralische oder aus anderweitigen rechtlichen Zwecksetzungen abgeleitete (Negativ-)Wertungen zu ersetzen.“

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standlichen Rechtsguts zulassen, so entbindet man die Strafverfolgungsbehörden letztlich von der Pflicht, die der Anklageerhebung im Kern zugrundeliegenden Motive offenzulegen. Dies mag in Fällen großen Medieninteresses wegen der damit hergestellten Transparenz repressiven staatlichen Handelns noch vergleichsweise unbedenklich erscheinen. Vergegenwärtigen sollte man sich aber, dass Unklarheiten hinsichtlich des infrage stehenden Rechtsguts und mithin hinsichtlich des Motivs der Strafverfolgung gerade bei Vermögensdelikten in besonderem Maße zu Intransparenz und Missbrauchsanfälligkeit296 führen. Kontakt zu fremden Vermögen ist eben in kaum einem Lebensbereich zu vermeiden.297 Das Vermögensstrafrecht eignet sich deshalb als Vehikel zum strafrechtlichen Eindringen in Bereiche, in denen einer Kriminalisierung seitens des Gesetzgebers sonst mit Vorsicht begegnet wird. Auch wenn man bei der Bildung und Aufrechterhaltung schwarzer Kassen zumindest bei öffentlich-rechtlich zweckgebundenen Mitteln eine Untreue annehmen will, so sollte man sich doch bewusst machen, dass der Anwendung eines vergleichsweise unbestimmten Straftatbestandes wie § 266 StGB gerade auf politische Parteien298 mit Zurückhaltung begegnet und keineswegs als Selbstverständlichkeit betrachtet werden sollte, erst recht, wenn sich Strafverfolgungsbehörden und Gerichte dabei nicht auf eine gefestigte Rechtsprechung berufen können.299 Diese Bedenken können nur durch den Nachweis entkräftet werden, dass es den Strafverfolgungsbehörden im konkreten Fall tatsächlich vorrangig um den Schutz der Vermögensinteressen der Partei geht. Der Verlust eines das tatbestandliche Verhalten effektiv konturierenden Rechtsguts ist eben nicht nur problematisch, weil die damit einhergehende (Re)Moralisierung des Strafrechts zur Kriminalisierung auch solchen Verhaltens führen kann, welches für das gesellschaftliche Miteinander überwiegend irrelevant ist. Er begegnet vor allem deshalb Bedenken, weil eben diese Moralisierung zu einer derartigen Ausweitung des materiellen Rechts führt, dass es letztlich Aufgabe von Exekutive und Rechtsprechung ist, auf der Grundlage solcher durch sie autonom (d. h. ohne dahingehende Vorgaben des fraglichen Straftatbestandes) definierter öffentlicher Interessen (etwa Korruptionsbekämpfung) mittels einer kaum strukturierbaren Kasuistik strafwürdiges von nicht strafwürdigem Verhalten zu trennen.

296 Vgl. dazu Schaefer, Hamm-FS, S. 650 f. Dahingehende Risiken werden auch nicht durch eine klarere organisatorische Trennung von Justizverwaltung und Staatsanwaltschaft beseitigt; vgl. dazu Altvater, NStZ-Sonderheft 2009, 4 (5 ff.). 297 Mitsch, JuS 2011, 97 (100). 298 BGHSt 51, 100; kritisch Ransiek, NJW 2007, 1727 (1728); Saliger, NStZ 2007, 545 (547 f.). 299 Kritik ab der Unbestimmtheit insbesondere von § 266 StGB sollte sich deshalb nicht darauf beschränken, die daraus resultierende Beschränkung des Wirtschaftslebens hervorzuheben.

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3. Fehlende Sensibilität hinsichtlich der transparenzwahrenden Funktion des Rechtsguts Sind es die (potentiellen) Konsequenzen eines Verhaltens, die das Kernstrafrecht strukturieren, so muss es der Rechtsprechung bei der Auslegung tatbestandlicher Schadensmerkmale (und darüber hinaus ebenso bei der Auslegung tatbestandlicher Schädigungseignungsmerkmale) darum gehen, eben diese Merkmale im Lichte der Erkenntnis zu subsumieren, dass es sich in einem auf Rechtsgüterschutz ausgerichteten Strafrecht bei den tatbestandlich Bezug genommenen Konsequenzen um die Kernfrage der Kriminalisierung handelt. Das tatbestandlich geschützte Rechtsgut und mithin das beschriebene Unrecht darf nicht aus Gründen der Beweisvereinfachung bei der Verfolgung anderweitigen Unrechts entstellt werden. Andernfalls führt dies zu einem materiellen Recht, welches seine Konturen und mithin die Transparenz seiner Anwendung nicht etwa wegen einer extensiven Verwendung kollektiver Rechtsgüter seitens des Gesetzgebers verliert,300 sondern wegen einer Rechtsprechung, die gewillt ist, die Verwerflichkeit und Strafwürdigkeit bestimmter dem Täter zurechenbarer Konsequenzen deshalb zu bejahen, weil sie die von den Strafverfolgungsbehörden mehr oder weniger explizit behauptete Finalität des Täterhandelns ungeprüft – d. h. ohne den Nachweis strafbaren Anschlussverhaltens – als wahr unterstellt.301 Wenn das Bundesverfassungsgericht in einer unlängst zu § 266 StGB ergangenen Entscheidung lediglich vom „strafbarkeitseinschränkenden Charakter des Nachteilsmerkmals“ spricht,302 so scheint es dessen Bedeutung nicht hinreichend zu würdigen.303 In einem Rechtsgüterschutz bezweckenden Strafrecht kann die Rolle des im Tatbestand ausdrücklich genannten Rechtsguts nicht schlicht in einer Begrenzung von Strafbarkeit bestehen. Die Strafbewehrtheit des Verhaltensgebots wird dadurch vielmehr begründet. Wenn zur Rechtfertigung einer offensichtlich durch andere als die Vermögensinteressen des Vermögensinhabers motivierten Strafverfolgung eine überaus fragwürdige Schadensfiktion hingenommen wird, so verdeutlicht dies mangelndes Bewusstsein für die freiheitsrechtliche Bedeutung des Rechtsguts als Gewähr transparenter Strafverfolgung. Denn das durch die Tat infrage gestellte Rechtsgut ist es, auf dessen Schutz sich die Straf300 Gerade bei § 266 StGB kann dem Gesetzgeber in Anbetracht seiner bestehenden Ablehnung gegenüber einer Versuchsstrafbarkeit nicht attestiert werden, die Konturen strafbaren Verhaltens zu verwässern. 301 Kritisch zu extensive Tendenzen der Rechtsprechung Landau, ZStW 121 (2009), 965 (969 f.). 302 BVerfG, NJW 2010, 3209 (3216). Mit Blick auf die Wahrung eines eigenständigen Nachteilsbegriffs kritisch zu dieser Entscheidung auch Krüger, NStZ 2011, 369 (375). 303 Offen bleibt, ob die Verkennung der Bedeutung des Rechtsguts (auch) darauf beruht, dass dieser Begriff vielfach seitens der Rechtswissenschaft als Synonym einer vom BVerfG nicht anerkannten Kompetenzgrenze des Gesetzgebers verwendet wird; vgl. BVerfGE 120, 224 (241).

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verfolgungsbehörde bei Ermittlungsmaßnahmen und Anklageerhebung berufen kann und muss. Mit einer transparenten und damit Willkür vorbeugenden Sanktionierung von Unrecht nicht vereinbar ist es hingegen, wenn maßgebliche Beweggründe einer Anklageerhebung im Anklagevorwurf gerade nicht genannt werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen zwar möglich sein, da sich die Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte und mithin auch das Handeln von Strafverfolgungsbehörden realistischerweise nur in begrenztem Maße durch Normen vorherbestimmen lässt. Diversionsregeln wie insbesondere der auf die Geringfügigkeit der Schuld abstellende § 153 StPO erscheinen deshalb kaum verzichtbar. Die Grenzen kriminalpolitischer Entscheidungsfreiheit der Exekutive sind aber dort erreicht, wo der normative Kern der Anklage – nämlich das durch die Tat berührte Interesse, also das infrage stehende Rechtsgut – in ihr nicht mehr genannt werden und mithin auch nicht nachgewiesen werden muss. Dies ist etwa der Fall, wenn unter dem Deckmantel des Vermögensschutzes im Kern Korruptionsbekämpfung betrieben wird. Im Fall Siemens mag das Vorgehen der Rechtsprechung hinsichtlich des impliziten Korruptionsvorwurfs in Anbetracht der umfangreichen Aufarbeitung der unternehmensinternen Geschehnisse im Ergebnis weniger bedenklich erscheinen. Zu vergegenwärtigen hat sich die Rechtsprechung aber, dass eine derartige beweisfunktionale Instrumentalisierung von unrechtsfremden Straftatbeständen, von Schünemann zutreffend als „Rechtsgutsentleerung“ bezeichnet,304 den durch das materielle Recht gewährleisteten Willkürschutz zu untergraben geeignet ist. Es entspricht nicht einem durch den Gedanken des Rechtsgüterschutzes geprägten Strafrecht, wenn das Vorliegen eines Vermögensnachteils vom „sozialen Sinn“305 der Tat abhängig gemacht wird. Selbst wenn man diesen Sinn bei schwarzen Kassen darin sieht, über die verborgenen Mittel „nach eigenem, vom Vermögensinhaber unkontrollierbaren Gutdünken zu verfügen“, weshalb „der Täter sich der Beurteilung des ,Bedarfs‘ durch den Treuegeber entziehen will“,306 so bedeutet dies doch, dass die Vermögensschädlichkeit schwarzer Kassen sich (wenn überhaupt) aus dem Anschlussverhalten ergibt und nicht schon aus ihrer Einrichtung selbst.307 Der Gesetzgeber kann zwar bereits letztere als strafwürdiges Unrecht definieren. § 266 StGB jedoch macht Strafbarkeit nicht von einem Anschlussverhalten abhängig, sondern verlangt, dass der Täter bereits einen Vermögensnachteil bewirkt hat. Unkenntnis des Treuegebers über seine tatsächliche 304 Schünemann, StraFo 2010, 477 (479): durch eine „Normativierung des Schadensbegriffs“ werde der Untreuetatbestand „zur allgemeinen Verteidigung der Moral in der Wirtschaft“ dienstbar gemacht. Dahingehend auch Rönnau, StV 2009, 246 (247). 305 Fischer, § 266, Rdn. 140. 306 Fischer, § 266, Rdn. 140. 307 Vgl. auch Rönnau, StV 2007, 246 (250 f.); Schlösser, HRRS 2009, 19 (24).

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Vermögenslage kann zwar zu einer Vermögenswertminderung führen, muss es aber nicht. Potentiell schadenskausale Unkenntnis ist also nicht mit einem Schaden gleichzusetzen, eine Umgestaltung von Erfolgsdelikten zu Vorfelddelikten durch die Rechtsprechung verbietet sich. Wenn Fischer der Kritik an einer vermögensschutzfremden Instrumentalisierung des § 266 StGB vorwirft, diese mache „mit erstaunlicher Unbefangenheit die Straftäter-Logik sich zu eigen“,308 so verwundert es, mit welcher Unbefangenheit hier das Interesse an einer transparenten, das vorgeworfene Unrecht klar benennenden Strafrechtspflege als überflüssige Begrenzung der Verbrechensbekämpfung abgetan wird. Es mag aus spezialpräventiven Gesichtspunkten wünschenswert sein, bei Nichtnachweisbarkeit einer Straftat den Täter aus anderweitigen Gründen zu einer Freiheitsstrafe zu verurteilen, etwa einen (mutmaßlichen) Mörder wegen Steuerhinterziehung.309 Eine willkürfreie Strafjustiz setzt jedoch voraus, dass das dem Verurteilten durch Schuldspruch und Strafmaß vorgeworfene Unrecht den tatsächlichen sozialen Unwert der vorgeworfenen Tat zutreffend widerspiegelt und nicht etwa die Auslegung des im konkreten Fall angeklagten Tatbestandes oder die Bestimmung des Strafmaßes maßgeblich durch tatbestandsfremde Anschuldigungen beeinflusst wird. Der von Fischer nicht thematisierte Kern der Bedenken gegen die Siemens-Entscheidung ist es aber gerade, dass die Auslegung des Nachteilsbegriffs hier überwiegend auf dem Wunsch nach Ahndung korruptiven Verhaltens und nicht vorrangig auf Erwägungen des Vermögensschutzes zu beruhen scheint. Dies hat nichts mit „StraftäterLogik“ zu tun, sondern mit dem Wunsch nach Bewahrung einer die Strafverfolgungspraxis vorzeichnenden Funktion des materiellen Strafrechts. Diese geht nämlich verloren, wenn durch die Rechtsprechung Straftatbestände zur besseren Verfolgung tatbestandsfremden Unrechts entgrenzt werden, sich ihnen deshalb das tatbestandliche Unrecht immer weniger deutlich entnehmen lässt und die Strafwürdigkeit des Verhaltens – nicht zuletzt eine Entscheidung über eine Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO und über die Sanktionsart – sich mehr und mehr an außertatbestandlichen Erwägungen orientiert. Dem vor allem in tatbestandlichen Erfolgsunrecht zum Ausdruck kommenden Gedanken des Rechtsgüterschutzes liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Verfolgung und Bestrafung von Menschen seit jeher aus bestimmten Interessen heraus erfolgte, also als Reaktion auf die Bedrohung oder Beeinträchtigung von Interessen. Strafgesetzliche Bestimmtheit gewährleistet eine Identifizierung jener durch den Gesetzgeber als strafrechtlich schützenswert erachteten Interessen und verbietet es damit den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten, solche Interessen autonom zu bestimmen. Normativiert die Rechtsprechung jedoch tatbestand308

Fischer, NStZ-Sonderheft 2009, 8 (19). Vgl. den Hinweis auf die Verurteilung Al Capones bei Fischer, NStZ-Sonderheft 2009, 8 (20). 309

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liches Erfolgsunrecht, so bedeutet dies, dass sie sich bei der Frage der Strafwürdigkeit von Verhalten letztlich doch maßgeblich von außertatbestandlichen Interessen leiten lässt. Eine abstrakte und letztlich lebensfremde Auslegung des tatbestandlichen Erfolgsunrechts bedeutet dann eine Bemäntelung der die Bestrafung eigentlich begründenden Interessen und untergräbt dadurch die Transparenz staatlichen Strafens. III. Rechtsgutsentleerung bei § 263 StGB 1. Infragestellung des Schadensbegriffs Zwar erscheint das Problem einer Infragestellung des Vermögens als Schutzgut bei § 263 StGB zunächst weniger dringlich als bei der Untreue, eben weil sich die Rechtsgutsfeindlichkeit der Tat neben dem Schädigungsvorsatz hier regelmäßig auch aus der Absicht rechtswidriger Bereicherung ergibt.310 Die jüngere Rechtsprechung hat allerdings verdeutlicht, dass trotz dieses Unterschieds in der Deliktstruktur ein Verlust des Rechtsgutsbezugs der Vorschrift zu erwarten ist, wenn der Vermögensbezug der Tat durch die Figuren der schadensbegründenden Vermögensgefährdung und der vermögenswerten Exspektanzen infrage gestellt wird. In seiner Entscheidung zum Fall Hoyzer hat der 5. Strafsenat des BGH einen Vermögensschaden eines Wettanbieters angenommen, weil infolge der Täuschung des Täters über die von ihm initiierte Spielmanipulation die dem Täter eingeräumte Gewinnchance objektiv nicht dem Wetteinsatz entsprochen habe. Diese Schadensbegründung erinnert an den im Schrifttum vorgeschlagenen311 rein subjektiven Schadensbegriff.312 Zwar scheint die Annahme eines von § 263 StGB geforderten objektiven Schadens bei Vertragseingehung nicht ausgeschlossen,313 soweit durch den vom Senat angenommenen „Quotenschaden“ im Hinblick auf die Gewinnmarge des Wettanbieters der Verlust einer vermögenswerten Exspektanz bewirkt wird.314 Konkrete Wertfeststellungen zum „Quotenschaden“ 310 BGHSt 51, 100 (121); Schünemann, NStZ 2008, 430 (431); Fischer, StraFo 2008, 269 (272). 311 Vgl. oben unter II., 3., c). 312 Vgl. BGHSt 51, 165 (175): „Maßgeblich ist allein, dass der Wettanbieter . . . eine Gewinnchance einräumt, die (unter Berücksichtigung der Preisbildung des Wettanbieters) gemessen am Wetteinsatz zu hoch ist.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 313 Zweifelnd Rönnau/Soyka, NStZ 2009, 12 (14); Saliger/Rönnau/Kirch-Heim, NStZ 2007, 361 (366). Einen Schaden ablehnend Saliger, Samson-FS, S. 459 f. 314 Nicht angenommen werden konnte ein Eingehungsbetrug über die Saldierung des Wertes der tatsächlichen Gewinnchance und des erbrachten Wetteinsatzes. Denn konnte – wie der Senat auch einräumt – hinsichtlich der Gewinnchance mangels genügender Wahrscheinlichkeit noch keine schadensbegründende Gefährdung des Vermögens des Wettanbieters angenommen werden, so lag in der Vertragseingehung eben noch keine Schädigung. Anders aber Gaede, HRRS 2007, 16 (17 f.).

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lassen sich der Entscheidung des BGH allerdings nicht entnehmen.315 Dieses Offenlassen der Bestimmung des Schadensumfangs in Verbindung mit den nicht zuletzt auch auf vermögensfremde Strafschärfungsgründe abstellenden Erwägungen im Rahmen der Rechtsfolgen316 legen allerdings den Schluss nahe, dass es der Rechtsprechung im Kern hier nicht nur um die wirtschaftlichen Interessen des Wettanbieters ging, sondern zumindest auch um die Spielmanipulation selbst.317 Der 3. Strafsenat des BGH hat zudem unlängst einen vollendeten Betrug schon angenommen, weil der Täter Lebensversicherungsverträge in der Absicht abschloss, zu einem späteren Zeitpunkt einen Versicherungsfall vorzutäuschen. Der bei Vertragsabschluss verfolgte Plan bedeute, dass „die Leistungswahrscheinlichkeit gegenüber dem vertraglich vereinbarten Einstandsrisiko signifikant erhöht“ gewesen sei, was einen Vermögensschaden des Versicherers bedeute.318 Diese Schlussfolgerung ist deshalb bedenklich, weil demnach bereits der Vertragsabschluss mit einem schädigungswilligen Vertragspartner einen objektiven Vermögensschaden des Versicherers darstellen soll. Leistung und Gegenleistung entsprächen sich deshalb nicht, weil der Angeklagte „von vornherein entschlossen“ gewesen sei, „den Versicherungsfall zu fingieren“ und er „bereits mit konkreten Vorbereitungen begonnen“ hatte. Wegen der „beabsichtigten Manipulation“ sei eine Inanspruchnahme des Versicherers „sicher zu erwarten“ gewesen.319 Damit wird ein Vermögensschaden ausschließlich mit den Absichten des Täters begründet. Insbesondere entsteht gegen den Versicherer kein Anspruch, auf eine betrügerische Inanspruchnahme hin zu leisten. Der Versicherungsnehmer erlangt also keinen gegenüber dem vertraglichen Einstandsrisiko erhöhten Leistungsanspruch. Saliger stellt zutreffend fest, dass dadurch „der bloße Wille zur Schädigung für den Vermögensschaden selbst genommen wird“.320 Der Manipulationswille eines Vertragspartners kann aber für sich noch ebenso wenig einen Schaden begründen, wie die fehlende Leistungsbereitschaft eines Vertragspartners bei Austauschgeschäften. Auch dort kommt es vielmehr darauf an, inwieweit ein Leistungsanspruch trotz fehlenden Leistungswillens objektiv durchsetzbar ist.321 Das Bundesverfassungsgericht hat der Entscheidung des BGH zwar anschließend eine mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbare Überdehnung des tatbestandlichen Schadens-

315 Rönnau/Soyka, NStZ 2009, 12 (14); Saliger/Rönnau/Kirch-Heim, NStZ 2007, 361 (365 f.). 316 BGHSt 51, 165 (180). 317 Kritisch hierzu Gaede, HRRS 2007, 16 (19 f.); Petropoulos/Morozinis, wistra 2009, 254 (259). 318 BGHSt 54, 69 (124). 319 BGHSt 54, 69 (123 f.). 320 Saliger, Samson-FS, S. 476. 321 Vgl. Hefendehl, Samson-FS, S. 308 f.

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merkmals attestiert, lässt dabei aber grundsätzliche Überlegungen zur schadensbegründenden Wirkung bloßer Absichten vermissen.322 2. Gesinnungsstrafrecht als besonderes Problem der schadensbegründenden Gefährdung Die Annahme einer schadensbegründenden Vermögensgefährdung kann sich beim Betrug nicht zuletzt deshalb als problematisch erweisen, weil in den Augen des Marktes bereits Schädigungsabsichten des Täters als Gefährdung beurteilt und deshalb zu einer Minderbewertung des Vermögens führen können.323 Um einen Schaden und Schädigungsvorsatz nicht schon mit bloßen Schädigungsplänen zu begründen – mit der dann regelmäßig naheliegend erscheinenden Konsequenz, im Verhalten des Täters auch eine diesbezüglich konkludente Täuschung zu sehen – bedarf es zu einer Begrenzung der Figur der schadensbegründenden Vermögensgefährdung also auch hier324 einer Konkretisierung des tatbestandlichen Verhaltens. Anders als bei der Untreue wird eine solche vom Tatbestand des § 263 StGB in Form des Bereicherungsmerkmals zwar ausdrücklich vorgegeben. Diese tatbestandliche Begrenzung kann in den Fällen einer Vermögensgefährdung aber nur dann Wirkung entfalten, wenn die Bereicherungsabsicht nicht im Sinne eines „verkümmerten mehraktigen Delikts“, sondern eines „kupierten Erfolgsdelikts“ 325 verstanden wird. Es entspricht daher der Struktur des Betrugs als Vermögensverschiebungsdelikt, wenn mit Hefendehl für die Tatbegehung des § 263 StGB gefordert wird, dass der Täter durch die Tat unmittelbar zumindest eine vermögenswerte Exspektanz erlangt.326 Entscheidend ist hierfür zutreffenderweise die Frage der „Vermeidemacht“ des Opfers. Selbst wenn der Markt den Vertragsschluss mit einem schädigungswilligen Vertragspartner bereits als wertmindernde Gefährdung des Vermögens ansehen sollte, so fehlt es zu diesem Zeitpunkt dann noch am Erlangen einer vermögenswerten Exspektanz, wenn die Überwindung des Selbstschutzes des Opfers erst infolge einer sich anschließenden Anschlusstat erfolgt, bis dahin hingegen der Täter auf die Vermögenssubstanz seines Vertragspartners genauso wenig Zugriff hat wie jede andere Person. Solange fehlt es an einer Vermögensverschiebung. Für diese ist nämlich erforderlich, dass infolge der Tat „sich die Hypothese der Verfügbarkeit über einen Vermögenswert qualitativ verschlechtert hat.“ 327 Belässt man es hingegen bei der 322

BVerfG, NJW 2012, 907 (915 ff.). Zur vermögenswertmindernden Berücksichtigung der Absichten des Täters bei der Untreue: Rönnau, Tiedemann-FS, S. 732. Vgl. auch Fischer, StraFo 2008, 269 (271 f.). 324 Zur Notwendigkeit einer Begrenzung bei § 266 StGB, vgl. oben § 7, I., 4. 325 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 696 f.; Perron, Tiedemann-FS, S. 738. 326 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 710 f.; vgl. auch Rönnau, Tiedemann-FS, S. 740. 327 MK-Hefendehl, § 263, Rdn. 564: „maßgeblich ist allein, inwieweit mögliche Handlungen im Herrschaftsbereich des Getäuschten abwehrbar sind“; ders., Samson323

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vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Schadensfeststellung zu Recht geforderten Sorgfalt, so bleibt es im Falle eines tatsächlich bezifferbaren Minderwerts letztlich doch möglich, Strafbarkeit aufgrund bloßer Schädigungspläne des Täuschenden anzunehmen. Entgegen der Phänotypik des Betrugs beruhte Strafbarkeit dann aber nicht darauf, dass das Opfer seine Vermögenssphäre dem Täter täuschungsbedingt öffnet, sondern darauf, dass nach Ansicht des Marktes der bloße (insbesondere rechtsgeschäftliche) Kontakt mit dem schädigungswilligen Täter eine wertmindernde Vermögensgefährdung darstellt. Eine Aushöhlung des Schadensbegriffs durch ein schadensbegründendes Abstellen auf Absichten des Täters kann zu einer beweistechnischen Vereinfachung der Ahndung tatsächlich begangener täuschungsbedingter Vermögensschädigungen führen. Möglich ist aber auch, dass § 263 StGB darüber zu einer Vorschrift verkommt, die eine Strafverfolgung solcher Personen ermöglicht, die in den Augen von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten aus anderen als vermögensbezogenen Gründen strafwürdig erscheinen.328 Die Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH im Fall Al Qaida macht die freiheitsrechtlichen Gefahren einer maßgeblich strafbegründenden Berücksichtigung von Absichten zur Begründung eines Vermögensschadens deutlich. Denn der Vorwurf der Unterstützung für eine ausländische terroristische Vereinigung gründete sich hier im Falle eines Angeklagten maßgeblich darauf, dass er im Interesse der Al Qaida „die Planung und Durchführung einer Betrugsserie zum Nachteil von Lebensversicherungsgesellschaften zum ,Mittelpunkt seines Lebens‘“ gemacht hatte.329 Zwar stellt die Weitergabe von Geldern an eine kriminelle oder terroristische Vereinigung eine strafbare Unterstützungshandlung im Sinne von § 129 Abs. 1 beziehungsweise § 129 Abs. 5 S. 1 StGB dar.330 Bezweifelt werden muss jedoch, dass die fragliche Vereinigung bereits mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen einen Vorteil331 erlangte. Dies bedeutete letztlich eine Kriminalisierung schon im Vorfeld des ohnehin sehr weiten Unterstützungsbegriffs des §§ 129 Abs. 1, 129a Abs. 5 S. 1 StGB, nämlich die Vorbereitung der Verschaffung von Geldern in der Absicht einer späteren Weitergabe. Wenn im vom 3. Senat entschiedenen Fall von FS, S. 299. Vgl. auch LK-Schünemann, § 266, Rdn. 181; LK-Tiedemann, § 263, Rdn. 172. 328 Durchaus bezeichnend ist der Verweis in BGHSt 54, 69 (125 f.) auf RGSt 48, 186. Dort war der Angeklagte zunächst vom Vorwurf der Brandstiftung und eines sich anschließenden Versicherungsbetrugs freigesprochen worden. Daraufhin wurde er jedoch erneut angeklagt, diesmal wegen vollendeten Eingehungsbetrugs, und nunmehr verurteilt, da er schon bei Vertragsabschluss beabsichtigt habe, eine Brandstiftung und anschließend einen Versicherungsbetrug zu begehen. Vgl. dazu Thielmann/Groß-Bölting/Strauß, HRRS 2010, 38 (42 f.). 329 BGHSt 54, 69 (73). 330 MK-Miebach/Schäfer, § 129, Rdn. 84, § 129a, Rdn. 60. 331 MK-Miebach/Schäfer, § 129, Rdn. 82: Entscheidend sei, „ob die Hilfe an sich wirksam und für die Organisation irgendwie vorteilhaft ist.“

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den Versicherungen keine Gelder erlangt und erst recht nicht an die Al Qaida abgeführt wurden, so erweckt doch die Begehung eines vollendeten Betruges und die damit implizierte Erlangung eines Vermögensvorteils den Eindruck, der Abschluss von Lebensversicherungsverträgen bedeute schon für sich eine Unterstützungshandlung und nicht lediglich die Vorbereitung einer solchen. Über die Figur einer schadensbegründenden Vermögensgefährdung wird dann aber der Umstand verschleiert, dass sich die Annahme einer für die Al Qaida tatsächlich vorteilhaften Unterstützungshandlung und mithin die Strafbarkeit des Angeklagten als Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung hier im Wesentlichen über dessen Absichten erklärt, die Organisation in Zukunft finanziell zu unterstützen, jedoch kaum überzeugend mit einer die terroristischen Aktivitäten tatsächlich befördernden Hilfestellung begründet werden kann. 3. Vermögensschutzfremde Instrumentalisierung des § 263 StGB Auch wenn eine Eingrenzung der Figur der schadensbegründenden Vermögensgefährdung bei § 263 StGB durch das Kriterium der Vermeidemacht des Opfers möglich erscheint, so ist doch eine vermögensschutzfremde Instrumentalisierung dieses Straftatbestandes ebenso wenig ausgeschlossen, wie eine derartige Instrumentalisierung des § 266 StGB im Wege einer formell-normativierenden Auslegung des dortigen Nachteilsbegriffs. Zweifel an einer wirksamen Eingrenzung des Schadensbegriffs wurden nunmehr durch das Bundesverfassungsgericht insofern sogar noch bestärkt, als dieses eine von bilanzrechtlichen Regeln losgelöste schadensbegründende Berücksichtigung von Exspektanzen gebilligt hat.332 Das materielle Strafrecht kann aber dann keine transparente Strafverfolgung mehr gewährleisten, wenn tatbestandliche Schadensbegriffe und mithin Straftatbestände insgesamt zu einer lediglich formellen, hinsichtlich des vorgeworfenen Unrechts weitgehend aussagelosen Begründung von Strafbarkeit uminterpretiert werden. Es verkommt dann zu einem Recht, welches eher vergleichbar den Eingriffstatbeständen des Polizeirechts ein Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte lediglich ermöglicht, die für die Strafverfolgung maßgeblichen Erwägungen aber nicht mehr den materiell-rechtlichen Straftatbeständen zu entnehmen sind, sondern innerbehördlich getroffen werden und sich – wenn überhaupt – erst auf der Ebene der Strafzumessung wiederfinden. Will die Rechtsprechung die vom Gesetzgeber vorgegebene Strukturierung des materiellen Rechts durch Rechtsgüter nicht zu Gunsten eines eher durch Kasuistik geprägten Strafrechts relativieren, so kommt der Frage der Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen der Tat bei der Strafzumessung wesentliche

332

BVerfG NJW 2010, 3209 (3216).

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Bedeutung zu. Bloy spricht diesbezüglich zu Recht von der Gefahr einer „unzulässigen Überschreitung der durch die Straftatbestände des Besonderen Teils gezogenen Grenzen des strafbewehrten Rechtsgüterschutzes“.333 Nachdrücklich verdeutlicht sich dies am Fall Hoyzer, in dem es der 5. Strafsenat des BGH zwar nicht für erforderlich hält, den von ihm zur Strafbarkeitsbegründung herangezogenen „Quotenschaden“ des Wettanbieters wertmäßig zu beziffern,334 dann aber die Vorinstanz dafür kritisiert, sie habe im Rahmen der Strafzumessung jene „offenkundigen erschwerenden Gesichtspunkte“ nicht ausdrücklich berücksichtigt, dass nämlich „die jeweiligen Fußballmannschaften und alle zahlenden Zuschauer“ infolge der Manipulation „um ein faires Spiel gebracht“ und dem professionellen Sport ein „ganz erheblicher Rufschaden zugefügt“ worden sei.335 Hier realisiert sich die von Bloy erkannte Gefahr, dass „der fragmentarische Charakter des Strafrechts durch strafschärfendes Gewohnheitsrecht partiell überspielt wird“.336 Der 5. Senat stützt die Bestrafung des Angeklagten maßgeblich auf die Manipulation der Fußballspiele, wohingegen der nicht bezifferte Vermögensschaden des Opfers zumindest in jenen Fällen in den Hintergrund rückt, in denen es gerade nicht zu einem täuschungsbedingten Wettgewinn kam. Die Argumentation des Senats scheint mithin nicht (nur) von dem Wunsch beeinflusst zu sein, den beweistechnischen Aufwand zur Feststellung eines Vermögensschadens möglichst gering zu halten.337 Vielmehr geht es darum, dass über eine Extension des § 263 StGB auf der Strafzumessungsebene letztlich auch solche Interessen strafrechtlichen Schutz erfahren, für die der Gesetzgeber dies gerade nicht vorgesehen hat. Die Figuren der schadensbegründenden Vermögensgefährdung und der vermögenswerten Exspektanz sind demnach geeignet, den durch den Gesetzgeber determinierten Rechtsgutsbezug des § 263 StGB infrage zu stellen und die Bestimmung jener im konkreten Fall zu Anklageerhebung und Bestrafung führenden Beweggründe den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu überlassen.

333

Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (583). BGHSt 51, 165 (175). 335 BGHSt 51, 165 (180); kritisch hierzu auch Petropoulos/Morozinis, wistra 2009, 254 (259); anders aber Feinendegen, NJW 2007, 787 f. 336 Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (585). 337 Was aber ebenfalls unbefriedigend wäre und vom 5. Strafsenat selbst zu Recht als unzulässig angesehen wird; vgl. BGH NJW 2009, 3248 (3252 f.), wo das „bloße Anlasten eines Schadens von einem Euro“ („Scheinschaden“) trotz des beträchtlichen Umfangs der durch den Treuenehmer pflichtwidrig empfangenen Provisionen letztlich dazu führe, dass die Strafzumessung „widersprüchlich und unzulänglich begründet ist.“ Es bestehe „im Blick auf die erhebliche Strafhöhe Grund für die Besorgnis, dass eben doch eine solche [durch die Höhe des Untreueschadens bestimmte] erhöhte Pflichtwidrigkeit . . . der Strafzumessung zu Grunde gelegt worden ist, ohne dass hierfür ein Mindestschaden bestimmt worden wäre.“ 334

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IV. Zur Notwendigkeit der Begrenzung außertatbestandlicher Strafzumessungsumstände 1. Vermögensschädigung als Kern des strafrechtlichen Vorwurfs bei Vermögensdelikten So weniger Bedeutung dem tatbestandlichen Erfolgsunrecht zukommt, je weniger also das tatbestandliche Handlungsunrecht durch den Tatbestand selbst ausdifferenziert wird, desto stärker wird eine Unrechtsdifferenzierung durch die Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen im Rahmen der Strafzumessung erfolgen. Durch eine derartige Verlagerung strafwürdigkeitsbestimmender Gründe droht jedoch das materielle Recht seine Kriminalpolitik strukturierende und Transparenz sowie Willkürschutz gewährleistende Funktion einzubüßen. Soll dies nicht geschehen, so muss sich die Rechtsprechung einer Marginalisierung des tatbestandlichen Erfolgsunrechts widersetzen. Dafür ist zunächst notwendig, dass tatbestandlichen Schadensmerkmalen beziehungsweise einer tatbestandlich geforderten Schädigungseignung nicht im Wege einer formalistischen Auslegung ihr unrechtsbegründender Aussagegehalt genommen wird. Notwendig ist es im Interesse einer Bewahrung des materiellen Rechts aber auch, eine über das tatbestandliche Erfolgsunrecht hinausgehende Begründung des Strafmaßes zu begrenzen und darauf zu bestehen, dass sich das Unrecht der Tat ganz überwiegend aus dem Tatbestand ergibt und außertatbestandliche Auswirkungen nur eine das Unrecht ergänzende Rolle einnehmen. Andernfalls beruhen die Strafbedürftigkeit von Verhalten und das diesbezügliche Handeln der Strafverfolgungsbehörden maßgeblich auf außertatbestandlichen Erwägungen, welche – wenn überhaupt – erst mit Blick auf die Strafzumessung ausdrücklich thematisiert werden. Ist strafbegründendes Unrecht zu wesentlichen Teilen oder gar überwiegend außertatbestandlich, so bedeutet dies also, dass das materielle Recht strafjustizielles Handeln immer weniger im Interesse von Transparenz und kriminalpolitischer Orientierung anzuleiten vermag. Ein Bedeutungsverlust des materiellen Rechts zu Gunsten der Strafzumessung droht nicht zuletzt bei den §§ 263, 266 StGB, wenn dort über die Figuren der schadensbegründenden Vermögensgefährdung und der vermögenswerten Exspektanz ein formal-juristischer Schadensbegriff zur Begründung der Strafbarkeit herangezogen wird. Das tatbestandliche Erfolgsunrecht kann auf diese Weise seines strafbegründenden Gehaltes entleert, der Tatbestand auf Handlungsunrecht reduziert338 und der materiell-rechtliche Tatbestand gleichsam als ,Tor zur Strafzumessung‘ auch zur Ahndung der Beeinträchtigung vermögensschutzfremder Interessen instrumentalisiert werden. „Ist irgendein Strafgesetz anwendbar“, so die Kritik der Hoyzer-Entscheidung durch Gaede, so „soll offenbar ein gesellschaftlich bedeutsames Geschehen nach allen Seiten auch strafschärfend gewürdigt 338

Saliger, Samson-FS, S. 479.

§ 7 Infragestellung der Rechtsgutsbezogenheit der Vermögensdelikte

173

werden dürfen, obschon vielleicht schon ein substantiell anderer Unrechtsvorwurf zum Ausgangspunkt genommen wird.“ 339 Strafbarkeit wird gegebenenfalls mit der Annahme kaum materialisierbarer Schäden begründet,340 Strafzumessung hingegen maßgeblich auch mit vermögensschutzfremden Erwägungen. Ein wirtschaftlich geprägter Vermögensschadensbegriff kann nicht auf die Berücksichtigung von schadensbegründenden Vermögensgefährdungen und vermögenswerten Exspektanzen verzichten. Die Rechtsprechung muss jedoch bei der Strafzumessung sensibilisiert dafür sein, dass die Beeinträchtigung der Vermögensinteressen des Opfers auch wirklich den Kern des an den Täter gerichteten Vorwurfs bildet. Zwar sind neben innertatbestandlichem Unrecht zur Bemessung von Schuld und Strafe auch außertatbestandliche Auswirkungen der Tat relevant. Diese dürfen aber nicht das innertatbestandliche Unrecht als Kern des strafrechtlichen Vorwurfs verdrängen, andernfalls jene Kriminalpolitik strukturierende und Transparenz der Strafverfolgung gewährleistende Funktion des tatbestandlich geschützten Rechtsguts verloren geht. Nicht zuletzt droht sonst auch ein willkürlicher Missbrauch des Tatbestandes zur Ahndung solcher Interessen, die der Gesetzgeber gerade nicht als strafrechtlich schutzbedürftige Rechtsgüter ansieht. Bildet das innertatbestandliche Unrecht den Kern des durch Strafe kommunizierten Vorwurfs, so bedeutet dies etwa, dass sich die Strafzumessung bei Vorsatzdelikten überwiegend an dem vom Vorsatz umfassten Unrecht orientieren muss und nicht stattdessen an lediglich fahrlässig herbeigeführten Tatfolgen. Ist in Anbetracht eher geringer wirtschaftlicher Schäden das dem Täter durch die Strafverfolgungsbehörden vorgeworfene Unrecht nicht vorrangig in einer Vermögensbeeinträchtigung zu verorten, so haben die Gerichte besonders sorgfältig zu prüfen, ob im konkreten Fall das Vermögensdelikt nicht zur Verfolgung außerstrafrechtlichen Unrechts instrumentalisiert wird. Liegt in Anbetracht der Geringfügigkeit der beeinträchtigten Vermögensinteressen gar eine Einstellung des Verfahrens nahe, so kann nicht unter Verweis auf außertatbestandliche Auswirkungen letztlich doch auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe erkannt werden. 2. Grenzen einer strafschärfenden Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen Außertatbestandliche Auswirkungen der Tat werden die Schuld des Täters regelmäßig beeinflussen und können deshalb bei der Strafzumessung grundsätzlich nicht unberücksichtigt bleiben.341 Nimmt der Täter etwa bei einem Vorsatzdelikt 339

Gaede, HRRS 2007, 16 (19) (Hervorhebung im Original). BGHSt 54, 69 (125); dazu Thielmann/Groß-Bölting/Strauß, HRRS 2010, 38 (46 f.). 341 Entgegen Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (590) spricht hiergegen nicht die Existenz erfolgsqualifizierter Delikte, da diese eine Erhöhung des Strafrahmens vorsehen, hinge340

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bewusst in Kauf, über die Beeinträchtigung des unmittelbar geschützten Rechtsguts mittelbar noch ein weiteres strafrechtlich geschütztes Rechtsgut zu beeinträchtigen, so erweitert sich dadurch das strafrechtlich relevante Unrecht der Tat. Denn der Täter bringt zum Ausdruck, dass er sich nicht einmal durch die zusätzlichen mittelbaren Konsequenzen von der Tat abhalten lässt.342 Für eine Strafschärfung kann es auch genügen, dass bestimmte außertatbestandliche Auswirkungen lediglich absehbar waren und der Täter diesbezüglich zumindest sorgfaltswidrig handelte.343 Dies gilt auch dann, wenn eine fahrlässige Herbeiführung solcher Folgen durch das materielle Recht nicht gesondert unter Strafe gestellt ist.344 Denn führt der Täter vorsätzlich eine Rechtsgutsbeeinträchtigung herbei, so können solche mit dieser typischerweise345 eng verbundene Folgen nicht als das Ergebnis bloßer Fahrlässigkeit bezeichnet werden.346 Soweit bestimmte außertatbestandliche Auswirkungen einen tatbestandlichen Erfolg typischerweise prägen, wäre es demnach verfehlt, sie dem Täter nicht vorzuhalten.347 Die Appellfunktion des tatbestandlich geschützten Rechtsguts muss zu einem gewissen Grad abstrakt sein. Es kann nicht erwartet werden, dass der Normadressat damit auf alle Einzelheiten des mit einer Beeinträchtigung verbundenen Unrechts angesprochen wird. Vielmehr muss genügen, dass er dessen wesentlichen Gehalt erfasst. Andererseits darf eine Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen aber auch nicht dazu führen, letztlich über das materielle Strafrecht hinausgehende Verhaltensgebote zu schaffen, also zu einer „Bildung sekundärer Straftatbestände durch den Richter“.348 Dies wäre bei Erfolgsdelikten dann der Fall, gen nichts darüber aussagen, welche Auswirkungen innerhalb des Strafrahmens des Grunddelikts zu berücksichtigen sind. Vgl. auch NK-Streng, § 46, Rdn. 60. 342 Ähnlich Frisch, GA 1972, 321 (333, 339); Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 257. 343 BGH, NStZ 1986, 85 (86); SK-Horn, § 46, Rdn. 109; NK-Streng, § 46, Rdn. 58. Der Täter muss sich der den mittelbaren Schaden begründenden Tatsachen jedoch bewusst sein; vgl. Frisch, GA 1972, 321 (339); LK-Theune, § 46, Rdn. 150. 344 Anders Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (584). 345 Zur Typizität der Folgeschäden als Abgrenzungskriterium: Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 254 f. u. 257: Erforderlich sei, dass „die Schadensgefahr jedem Normadressaten plastisch vor Augen steht. Es muß sich deshalb nicht nur um eine mögliche, sondern um eine für jedermann evidente Verknüpfung von Tatbestandserfüllung und möglicher Schadensfolge handeln.“ Die „Schadensvertiefung“ müsse „in der Art der tatbestandlichen Handlung angelegt“ sein. 346 Zu weit wohl Frisch, GA 1972, 321 (332 f., 342), der zwar ebenfalls zwischen typischen und atypischen Auswirkungen unterscheidet, dafür aber auf ein „Adäquanzurteil“ abstellt; vgl. auch ders., ZStW 99 (1987), 751 (753 f.). 347 Dies dürfte bei schweren Straftaten auch zur Berücksichtigung besonderer psychischer Folgen führen; vgl. etwa BGH StV 1987, 100; LK-Theune, § 46, Rdn. 151. Anders Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 252. 348 Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (587).

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wenn strafschärfend auch solche außertatbestandlichen Auswirkungen berücksichtigt werden, die lediglich aus dem tatbestandlichen Verhalten resultieren, nicht aber auch aus der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts.349 Wäre Kausalität zwischen tatbestandlichem Erfolg und außertatbestandlichen Auswirkungen hingegen nicht erforderlich, so bedeutete dies eine grundsätzlich grenzenlose Substituierbarkeit tatbestandlich geschützter Rechtsgüter. Außertatbestandlich beeinträchtigte Rechtsgüter wären dann unabhängig vom Bestehen eines entsprechenden Straftatbestandes gegen eine Vielzahl unterschiedlichster Angriffsformen geschützt.350 Soweit jener der Verurteilung zugrundeliegende Straftatbestand einen Schaden erfordert, können deshalb außertatbestandliche Auswirkungen nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn diese Auswirkungen nicht nur aus dem tatbestandlichen Verhalten, sondern zugleich aus dem tatbestandlichen Schaden resultieren.351 Zudem muss eine strafschärfende Berücksichtigung solcher außertatbestandlicher Umstände zwingend ausscheiden, die sich nicht als Folge des tatbestandlichen Verhaltens, sondern als Folge eines davon unabhängigen Fehlverhaltens darstellen. Zur Schaffung strafrechtsfremder Verhaltensgebote führt es nämlich, wenn eine lediglich anlässlich einer Straftat bewirkte Rechtsgutsbeeinträchtigung ohne das Bestehen eines entsprechenden Straftatbestandes strafschärfend berücksichtigt und mithin als strafbares Unrecht behandelt wird, etwa eine fahrlässige Beschädigung einer fremden Sache im Anschluss an deren betrügerische Erlangung.352 Beruht eine weitere Rechtsgutsbeeinträchtigung auf einem vom strafbarkeitsbegründenden Verhaltensgebot unabhängigen Fehlverhalten, dann kommt es darauf an, ob letzteres strafbar ist. Eine strafschärfende Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen ist also zwingend ausgeschlossen, wenn diese aus einem von der angeklagten Tat unabhängigen Verhalten resultieren. Deshalb scheidet im Fall Hoyzer353 eine strafschärfende Berücksichtigung etwa der enttäuschten Erwartungen der Zuschauer schon deshalb aus, weil diese Enttäu349 Vgl. insbesondere Puppe, Spendel-FS, S. 453 u. 458: „Ein Schaden ist nur dann Folge einer Tatbestandsverwirklichung, wenn die tatbestandsmäßigen Eigenschaften der Handlung angegeben werden müssen, um zu erklären, daß er zu dieser Folge gekommen ist.“ Eine fahrlässige Sachbeschädigung kann demnach bspw. nicht Folge eines unerlaubten Schusswaffengebrauchs sein. Vgl. auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 257; Frisch, GA 1972, 321 (339); ders., ZStW 99 (1987), 751 (756). Enger Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (586 f.). 350 Insoweit missverständlich Meier, StV 2003, 442, der bereits Ursächlichkeit der „Tathandlung“ genügen lässt. 351 Unzulässig ist es daher auch, hinsichtlich des Schadensumfangs für dessen strafschärfende Berücksichtigung Vorhersehbarkeit genügen zu lassen, auch wenn der Täter nur Vorsatz hinsichtlich eines geringeren Schadens hatte. Vielmehr muss der tatsächliche Schadensumfang vom Vorsatz erfasst sein; vgl. Warda, Jura 1979, 286 (289). 352 Anders Puppe, Spendel-FS, S. 462, die darauf abstellt, ob die Erlangung zu einem unerlaubten Risiko führt. Ähnlich auch Frisch, GA 1972, 321 (336 f.). 353 BGHSt 51, 165 (180).

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schung nicht auf einer dem Täter vorgeworfenen vermögensschädigenden Täuschung der Wettanbieter beruht, sondern auf der Spielmanipulation. Es kommt dann gar nicht mehr darauf an, dass es sich bei der „Sauberkeit und Lauterkeit des deutschen Profi-Fußballs“354 ohnehin nicht um ein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut handelt. 3. Gewichtung innertatbestandlichen Unrechts und außertatbestandlicher Auswirkungen Als problematisch stellt sich aber dar, inwieweit voraussehbare außertatbestandliche Auswirkungen der Tatbestandsverwirklichung strafschärfend berücksichtigt werden können.355 Hierbei führt auch die Frage nach dem Schutzbereich des jeweiligen Straftatbestandes356 häufig nicht zu einer präzisen Abgrenzung. Soll die Rechtsprechung die unrechtsbestimmende Funktion des materiellen Rechts bewahren, so hat sie darauf zu achten, dass außertatbestandliche Auswirkungen nicht das vom Tatbestand beschriebene Unrecht in den Hintergrund rücken lassen, sondern letzteres weiterhin den Kern des dem Täter gemachten Vorwurfs bildet. Erreicht eine nur mittelbare Rechtsgutsbeeinträchtigung gegenüber dem tatbestandlichen Unrecht eine neue Qualität, wird etwa dem Täter neben der tatbestandlichen Verletzung eines Individualrechtsgutes mittelbar die Beeinträchtigung eines überindividuellen Interesses zur Last gelegt oder aus einer Rechtsgutsverletzung mittelbar eine schwerere Rechtsgutsverletzung abgeleitet, so hat das Gericht mit besonderer Sensibilität zu beachten, dass es sich bei den „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ eben nur um einen von mehreren strafzumessungsrelevanten Umständen handelt. Insbesondere lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, dass außertatbestandlichen Auswirkungen gegenüber anderen in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB genannten Strafzumessungsumständen besonderes Gewicht zukommen soll.357 Letzteres darf auch nicht aus den mitunter erheblichen Strafmaßerhöhungen bei erfolgsqualifizierten Delikten gefolgert werden.358 Diese 354

Jahn/Maier, JuS 2007, 215. Frisch, ZStW 99 (1987), 751 (753); SK-Horn, § 46, Rdn. 109; LK-Theune, § 46, Rdn. 149. 356 Berz, NStZ 1986, 86 (87); Beulke/Schröder, NStZ 1991, 393 (394); Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (585); Frisch, GA 1972, 321 (346 f.); ders., ZStW 99 (1987), 751 (754); ders., BGH-FG, S. 287; Gaede, HRRS 2007, 16 (19 f.); SK-Horn, § 46, Rdn. 109; Lackner/Kühl, § 46, Rdn. 34; Meier, StV 2003 442 (443); NK-Streng, § 46, Rdn. 58. Zurückhaltend MK-Franke, § 46, Rdn. 37. Vgl. auch Jescheck, Allgemeiner Teil, 4. Auflage, S. 794. 357 Bedenken begegnet daher insbesondere die Berücksichtigung des Todes von Drogenkonsumenten im Rahmen der Bestrafung wegen Abgabe von Betäubungsmitteln; vgl. BGHSt 37, 179 (180 f.). Hierbei steht zu befürchten, dass der (wegen der Grundsätze zur bewussten Selbstgefährdung nicht als fahrlässige Tötung anlastbare) Todeseintritt die tatbestandlichen Unrechtsmerkmale im Rahmen der Strafzumessungserwägungen letztlich dominiert. 358 Vgl. aber Frisch, GA 1972, 321 (330 f.). 355

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sind hinsichtlich ihres besonderen strafschärfenden Charakters vielmehr als eine Bekräftigung des Grundsatzes zu verstehen, dass sich das Unrecht der Tat aus den Festlegungen des Gesetzgebers ergibt. Wollte man hingegen aus den erfolgsqualifizierten Delikten den Schluss ziehen, dass auch ungeschriebene außertatbestandliche Auswirkungen regelmäßig eine grundlegende Erhöhung des tatbestandlichen Unrechts bewirkten (wenn auch innerhalb des Strafrahmens des Grunddelikts), so bedeutete dies eine erhebliche Relativierung der Wertaussagen des materiellen Strafrechts zugunsten richterlicher und behördlicher Wertungen. Nicht zulässig ist es deshalb insbesondere, in Fällen von Vorfeldkriminalisierung aus einer tatsächlichen Beeinträchtigung des mittelbar geschützten Rechtsguts eine Strafschärfung abzuleiten, die im Ergebnis erheblich über das strafschärfende Potential anderer in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB genannten Umstände hinausgeht.359 Zurückhaltung bei der strafschärfenden Berücksichtigung ist insbesondere dann geboten, wenn für die Zurechnung der außertatbestandlichen Auswirkungen bereits deren Vorhersehbarkeit genügen soll.360 Verzichtet der Gesetzgeber – nicht zuletzt aus Gründen der Beweisvereinfachung – im Tatbestand auf ein dem Täter zurechenbares Erfolgsunrecht, so muss es den Gerichten insbesondere verwehrt sein, im Wege einer strafschärfenden Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen letztlich den Unrechtsgehalt eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts zu rekonstruieren. Andernfalls droht im Zuge eines Verzichts auf tatbestandliches Erfolgsunrecht ein Auseinanderfallen von strafbarkeitsbegründendem Unrecht und strafbegründendem Unrecht. Wird etwa die Höhe eines verursachten Vermögensschadens beim Vorfelddelikt grundsätzlich im gleichen Umfang wie beim Erfolgsdelikt strafschärfend berücksichtigt – obwohl im ersteren Fall lediglich Vorhersehbarkeit, im zweiten Fall Vorsatz nachzuweisen ist – so bedeutet dies letztlich eine Gleichsetzung von vorsätzlicher und fahrlässiger Schädigung. Beruht diese Gleichsetzung allerdings auf der Annahme, der – lediglich wegen eines Vorfelddelikts verurteile – Täter habe hinsichtlich des außertatbestandlichen Schadens letztlich doch vorsätzlich gehandelt, so liegt es nahe, dass Staatsanwaltschaft und Gericht bestehende Zweifel an einem Schädigungsvorsatz strafmindernd berücksichtigen oder, sollten sie vom Fehlen eines Schädigungsvorsatzes ausgehen, die Strafwürdigkeit des Verhaltens im Wege einer Verfahrenseinstellung möglicherweise ganz verneinen. Eine derartige Rekonstruktion von Erfolgsdelikten im Rahmen der Strafzumessung hat letztlich zur Folge, dass die Art und das Maß der Bestrafung im Wesentlichen auf unbewiesenen Vermu359 Zur Berücksichtigungsfähigkeit bei Gefährdungsdelikten Bloy, ZStW 107 (1995), 576 (587); Frisch, GA 1972, 321 (334 f.); Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 258. 360 Vgl. LK-Theune, § 46, Rdn. 161: Bei Vorsatzdelikten dürfe nicht „aus (vermeintlich) allgemeinkundigen Tatsachen Rückschlüsse auf das Vorstellungsvermögen eines Täters“ gezogen werden; vgl. aber BGH NStZ-RR 1997, 304.

178 Teil 2: Bedeutung und Bedeutungsverlust von Rechtsgut und Schadensbegriff

tungen beruht. Strafzumessung und Strafverfolgung sind dann maßgeblich an außertatbestandlichen Erwägungen insbesondere der Staatsanwaltschaft ausgerichtet. Eine derartige Entwicklung kann jedoch nicht im Interesse einer transparent und vorhersehbar agierenden Strafjustiz sein. Es gilt zu verhindern, dass das vom Vorsatz umfasste Unrecht zu einer formellen Begründung von Strafbarkeit verkommt. Eine weitreichende Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen ist also nicht nur insoweit problematisch, wie zu befürchten steht, dass materiell-rechtliche Tatbestände zur Bestrafung der Beeinträchtigung strafrechtsfremder Interessen nutzbar gemacht werden, also zum Schutz nicht strafrechtlich geschützter Rechtsgüter.361 Soweit der Gesetzgeber oder die Rechtsprechung die Bedeutung tatbestandlichen Erfolgsunrechts zurückdrängen, entscheidet sich bei der strafschärfenden Berücksichtigung außertatbestandlicher Auswirkungen vielmehr auch, ob beziehungsweise inwieweit es zu einem Auseinanderfallen von materiellem Strafrecht und Strafverfolgungspraxis derart kommt, dass sich das Maß an Strafbedürftigkeit eines Verhaltens zunehmend nicht mehr vorrangig aus dem Nachweis der Tatbestandsmerkmale ergibt – bei Vermögensdelikten insbesondere des vom Vorsatz umfassten Schadensumfangs – sondern aus außertatbestandlichen Erwägungen, insbesondere der unbewiesenen Annahme eines Schädigungsvorsatzes.

361

Frisch, GA 1972, 321 (341 f.); vgl. schon von Weber, MDR 1957, 693.

Teil 3

Zur Rolle des Rechtsguts in einem auf Begrenzung angewiesenen Strafrecht: Bewahrung des Strafgesetzes als Medium zur Kommunikation einer gesellschaftlichen Mindestordnung Der in Teil 1 der vorliegenden Arbeit verdeutlichte offen moralisierende Charakter der untersuchten englischen Delikte lädt dazu ein, Überlegungen zu den demgegenüber bestehenden Unterschieden eines über den Verhaltensunwert hinausgehenden und auf die (unmittelbaren oder mittelbaren) Konsequenzen eines Verhaltens abstellenden Strafrechts anzustellen. Ist Rechtsgüterschutz Inbegriff eines solchen Rechts, so bedeutet dies also eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rechtsguts. In Teil 2 wurde bereits die Bedeutung der Folgenbezogenheit von Kriminalisierung sowohl im Hinblick auf die Konkretisierung und Begrenzung tatbestandlichen Verhaltens, als auch hinsichtlich der Gewährleistung von Transparenz der Strafverfolgung verdeutlicht. Diese Überlegungen sollen im Folgenden weiterentwickelt und dabei vor allem untersucht werden, inwieweit erst eine dem Rechtsgüterschutz dienende Kriminalisierung ein inhaltlich begrenzbares, rational ausgestaltetes und generalpräventiv kommunizierendes Strafrecht ermöglicht. Hinsichtlich der dargestellten englischen Delikte hat man sich zu vergegenwärtigen, dass sich deren Rahmenbedingungen vom deutschen Strafrecht in vielfacher Hinsicht unterscheiden. Von erheblicher Relevanz ist dabei insbesondere die ohnehin vergleichsweise geringe Bedeutung des materiellen englischen Rechts für die Ausgestaltung der Strafverfolgungspraxis. Letztere wird in England in beträchtlichem Maße durch Ermessenentscheidungen der Strafverfolgungsbehörden und die Existenz der Jury geprägt. Zwar geht die englische Rechtsprechung nunmehr im Regelfall von einem Gesetzesvorbehalt als Voraussetzung von Strafbarkeit aus, zeigt sich aber weiterhin bereit, auch diesen Grundsatz zu relativieren.1 Freiheitsrechtliche Garantie gegen den strafenden Staat ist weniger das Gesetz, als vielmehr das Recht auf Anrufung einer Jury. Letztere macht es allerdings wiederum auch erforderlich, der Differenziertheit und Komplexität von Straftatbeständen Grenzen zu setzen.2 Darüber hinaus können auch 1

Vgl. Jones [2007] 1 A.C. 136 (162); dazu oben § 2, I. Deshalb Einschränkungen beim Erfordernis strafgesetzlicher Bestimmtheit durchaus zustimmend Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 599 f. Übermäßig spezifische De2

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

weitere prozessuale Besonderheiten die Gestaltung von Straftatbeständen beeinflussen,3 etwa die dominierende Rolle der Polizei im Ermittlungsverfahren,4 was eine streng an straftatbestandlichen Details und mithin juristischer Expertise ausgerichtete Strafverfolgung regelmäßig unmöglich machen oder erheblich erschweren dürfte. Endlich kann nicht einmal davon ausgegangen werden, dass strafgesetzliche Bestimmtheit unqualifiziert als freiheitsrechtliche Garantie angesehen wird. Denn sie kann auch als Bedrohung individueller Freiheit verstanden werden, dann nämlich, wenn eine fortwährende gesetzliche Strafbarkeit im Widerspruch zu mittlerweile veränderten Gemeinschaftswerten steht. Weite normative Tatbestandsmerkmale können dann im Kontext einer wesentlich durch Laienrichter geprägten Strafrechtspflege durchaus als wünschenswert angesehen werden, weil sie eine Rückkoppelung zwischen Strafrechtspflege und gesellschaftlichen Wertvorstellungen erlauben. In Anbetracht dieser grundlegenden Besonderheiten der englischen Strafjustiz kann es vorliegend nicht um eine Bewertung der englischen Vermögensdelikte gehen. Vielmehr geht es um die Erkenntnis, dass ein den dargestellten englischen Delikten ähnelndes materielles Recht notwendigerweise darauf angewiesen ist, durch die Strafverfolgungspraxis inhaltlich konkretisiert zu werden. Infrage gestellt wird damit nicht nur die generalpräventive Funktion des Strafgesetzes, sondern die Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens und der Schutz vor dessen willkürlicher Ausübung. Nicht ohne Bedeutung dürfte zudem die Frage sein, inwieweit es bei einem maßgeblich erst in der Praxis inhaltlich konkretisierten Strafrecht unproblematisch wäre, dass sich Ankläger und Richter hinsichtlich ihrer Sozialisation und Ausbildung nahestehen und deshalb bei (letztlich über die Strafbarkeit eines Verhaltens entscheidenden) normativen Wertungen häufig auch dann übereinstimmen werden, wenn sich das jeweilige Wertungsergebnis aus der Perspektive der Laiensphäre als viel weniger eindeutig darstellt, weil nämlich eben diese Laiensphäre hinsichtlich ihrer Bewertungsmaßstäbe regelmäßig deutlich heterogener sein wird. Im Gegensatz zum englischen ist das deutsche Recht – verankert in Artikel 103 Abs. 2 GG – in viel stärkerem Maße dadurch geprägt, dass bereits das parlamentarische Strafgesetz die Grenzen strafbaren Verhaltens klar vorzeichnen soll. likte führten zu einer Überlastung des Verfahrens mit technischen Verteidigungsargumenten und würden zudem dem Recht seine moralische Klarheit nehmen. Das Gewollte werde besser über durch die Öffentlichkeit geteilte eher weite moralische Unterscheidungskriterien vermittelt, vorausgesetzt, die Weite dieser moralischen Kategorien zeichne ein ausreichend differenzierendes Bild des verbotenen Fehlverhaltens. Ähnlich Ashworth, Criminal Law, S. 65 f. 3 So weisen etwa Spencer/Pedain, Approaches to Strict and Constructive Liability in Continental Criminal Law, S. 270, auf Schwierigkeiten hin, die sich aus dem kontradiktorischen Charakter des englischen Strafverfahrens ergeben. 4 Schedule 2 des Criminal Justice Act 2003; Crown Prosecution Service, Director’s Guidance on Charging; Padfield, Criminal Justice Process, S. 163.

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Einer willkürlichen Strafverfolgungspraxis wird zudem dadurch entgegengewirkt, dass die vom Gesetzgeber festgestellte Strafwürdigkeit eines Verhaltens für die Exekutive verbindlich ist. Die Staatsanwaltschaft als die zur Klageerhebung berufene Behörde ist grundsätzlich zum Einschreiten gegen alle verfolgbaren Straftaten verpflichtet. Desgleichen haben die Behörden und Beamten des Polizeidienstes Straftaten zu erforschen.5 Den Strafverfolgungsbehörden steht es also im Grundsatz eben gerade nicht zu, die Tatbestände des materiellen Strafrechts unter Ermessensgesichtspunkten anzuwenden. Der Gesetzgeber hat durch das so beschriebene Legalitätsprinzip zum Ausdruck gebracht, dass sich die parlamentarische Bewertung eines Verhaltens als strafwürdig einer entgegenstehenden behördlichen Bewertung grundsätzlich entzieht. Ist eine über statthafte Gesetzesauslegung hinausgehende Reduzierung oder Ergänzung der Straftatbestände durch den Rechtsanwender somit ausgeschlossen, so bedeutet dies die Notwendigkeit einer gesetzlichen Beschreibung des inkriminierten Verhaltens, welche dessen objektive und subjektive Merkmale einerseits vollständig enthält, andererseits aber auch nicht darüber hinausgeht. Eine gewisse Flexibilität beim Umgang mit Tatbeständen wird durch den Gesetzgeber zwar notwendigerweise ermöglicht, insbesondere durch das Einfügen normativer Tatbestandsmerkmale, die den Rechtsanwender bei der Auslegung einer Vorschrift bewusst in den Bewertungsvorgang einbeziehen.6 Festzustellen bleibt aber, dass es sich bei deutschen Strafgesetzen in stärkerem Maße als im englischen Recht grundsätzlich um an die Strafverfolgungsbehörden gerichtete verbindliche Handlungsanweisungen handelt, was in einer vergleichsweise schärferen Umgrenzung tatbestandlichen Verhaltens seinen Ausdruck findet und dadurch zugleich bedingt wird. Die in Teil 1 deutlich gewordene Orientierungslosigkeit eines nicht auf strafbarkeitsbegründende Konsequenzen abstellenden Rechts lässt die Bewahrung eines inhaltlich klar umgrenzten Strafrechts unter den institutionellen und verfassungsrechtlichen Vorgaben des deutschen Strafrechts als geboten erscheinen. Letzteres verliert sonst seine Aussagekraft und büßt damit seine generalpräventive Funktion in erheblichem Maße ein. Es eignet sich dann eher zur Vergeltung von ex post strafwürdig erscheinenden Unrecht denn zur Kommunikation und Sanktionierung einer Verhaltensordnung. Auch fehlt es einer vor allem auf moralisierende Wertungen anstatt auf Gründe der Sozialschädlichkeit abstellenden Kriminalisierung an kriminalpolitischer Rationalität. Stützen sich Strafverfolgungsbehörden und Gerichte bei der Frage der Strafbarkeit eines Verhaltens vor allem auf intrinsische Unwerturteile, so erlaubt dies zwar Flexibilität der Strafverfolgungspraxis. Doch kann nicht übersehen werden, dass eine zunehmende

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§§ 152 Abs. 2, 163 Abs. 1 S. 1 StPO. Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 8 Rdn. 17. Zum bei abstrakt-generellen Regelungen notwendigerweise bestehenden „Abstraktionsüberschuß“ vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 464 f. 6

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Bedeutung derartiger Wertungen zum Verlust der Konturen des materiellen Rechts führt, was nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Willkürschutzes problematisch ist, sondern es zudem erschwert, den im Rahmen nur begrenzter Ressourcen operierenden Strafverfolgungsbehörden ihre Aufgaben klar zuzuweisen und dabei bereits seitens des Gesetzgebers eine rationale Abwägung zwischen dem Maß an Sozialschädlichkeit und mithin Strafbedürftigkeit eines Verhaltens einerseits und dem zu seiner Ahndung erforderlichen Aufwand andererseits vorzunehmen. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen steht deshalb die Notwendigkeit der Bewahrung eines sowohl mit dem Bürger als auch mit den Justizbehörden rational nachvollziehbar kommunizierenden Rechts.

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§8 Begrenzungsansätze im deutschen Schrifttum Aufgabe des Strafrechts ist es, die wichtigsten Interessen sozialen Zusammenlebens zu schützen.7 Es ist ultima ratio des Rechtsgüterschutzes, wenn ein Verhalten in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich ist, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist.8 Gegenüber anderen Mitteln der sozialen Problemlösung, wie etwa zivilrechtlichen Schadensersatzklagen, dem Recht der Ordnungswidrigkeiten oder gewerberechtlichen Auflagen, ist das Strafrecht mithin subsidiär.9 Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung muss es dem Gesetzgeber um den Schutz elementarer Werte des Gemeinschaftslebens,10 der Sicherung der Grundlagen einer geordneten Gesellschaft11 und die Bewahrung wichtiger Gemeinschaftsbelange12 gehen.13 Kriminalisierung ist ein über das Verbot hinausgehender zusätzlicher Schutz wichtiger Gemeinwohlinteressen. Jedoch ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Er sei bei der Entscheidung grundsätzlich frei, ob und wie er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will.14 Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung prüft zwar die Verhältnismäßigkeit von Strafnormen, räumt dem Gesetzgeber dabei aber einen weiten Beurteilungsspielraum ein. Für die Eignung der Vorschrift genüge bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung,15 die Strafandrohung dürfe zudem gegenüber dem Verbotsadressaten „nicht schlechthin unangemessen“ sein. Auch die Erforderlichkeit des gewählten Mittels wird durch das Bundesverfassungsgericht nur in begrenztem Umfang überprüft.16 I. Zur Bedeutung eines strafbarkeitsbegründenden Rechtsgutsbegriffs Wenn auch der Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts weithin Zustimmung erfährt,17 so ist doch bei weitem nicht eindeutig geklärt, in wieweit sich 7

Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 3 Rdn. 10. BVerfGE 120, 224 (240). 9 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 97. 10 BVerfGE 45, 187 (253). 11 BVerfGE 88, 203 (257). 12 BVerfGE 90, 145 (184); dazu Böse, Rechtsgutstheorie, S. 90. 13 Vgl. die abweichende Meinung des Richters Hassemer zu BVerfGE 120, 224 (256). 14 BVerfGE 120, 224 (240). 15 BVerfGE 96, 10 (23); 224 (240). Eingehend zu dieser Frage Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 173 ff. 16 BVerfGE 90, 145 (173); 120, 224 (240 f.). 17 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, S. 7 f.; Kindhäuser. Strafrecht Allgemeiner Teil, § 2 Rdn. 6; Schünemann, Rechtsgutstheorie, S. 133; Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 3 Rdn. 12. 8

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aus dieser Erkenntnis konkrete Kriterien für eine Begrenzung kriminalisierbaren Verhaltens ableiten lassen. Keine Einigkeit besteht bereits über Bedeutung und Inhalt des Begriffs Rechtsgut.18 Eine gegenständliche Begrenzung der kriminalpolitischen Entscheidungsfreiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers durch einen gesetzgebungskritischen Rechtsgutsbegriff wird durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung nicht anerkannt.19 Auch insoweit, als die Strafrechtswissenschaft eine kriminalisierungsbegrenzende Funktion des Rechtsgutsbegriffs verteidigt, wird jedoch keine regelmäßig trennscharfe Unterscheidbarkeit strafwürdigen und nicht strafwürdigen Verhaltens behauptet.20 1. Kritische Rechtsgutsbegriffe Für Roxin liegt die Aufgabe des Strafrechts darin, den „Bürgern ein freies und friedliches Zusammenleben unter Gewährleistung aller verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte zu sichern“. Rechtsgüter sind danach „alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind“.21 Eine wesentliche Konsequenz der Begrenzung strafgesetzgeberischer Tätigkeit auf den Schutz von Rechtsgütern sei demnach, dass „Unmoral oder die ethische Verwerflichkeit eines Verhaltens eine Strafdrohung nicht rechtfertigen kann, solange die Voraussetzungen eines friedlichen Zusammenlebens dadurch nicht beeinträchtigt werden“.22 Strafrechtlicher Schutz ist demnach nicht nur hinsichtlich Individualrechtsgütern, sonder auch bei Universalrechtsgütern statthaft. Missbräuchlich sei es jedoch, vage Rechtsgüter der Allgemeinheit dort zu konstruieren, „wo die eigentlich zu schützenden Individualgüter nicht in strafwürdiger Weise beeinträchtigt würden“.23 Rechtsgüter müssten zwar nicht körperlich sein, aber „eine der Beeinträchtigung

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Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 3. Vgl. nur BVerfGE 120, 224 (241). Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 424, spricht von einem ,diametralen Gegensatz‘ zwischen Bundesverfassungsgericht und Rechtsgüterlehre. Dazu ausführlich Schünemann, Rechtsgutstheorie, S. 144 ff. 20 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 12 spricht von „kriminalpolitischen Richtlinien“, Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 79 von „kriminalpolitische Wegweisung“, Schünemann, Rechtsgutstheorie, S. 137 von einer „normativen Richtlinie“. 21 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 7. 22 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 17. 23 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 9 f. Da etwa die Strafbarkeit der versuchten Vorbereitung eines Versicherungsbetruges durch § 265 StGB nicht aus Gründen des Individualrechtsgüterschutzes begründbar sei, werde ein Rechtsgut der „Leistungsfähigkeit der Versicherungswirtschaft“ erfunden. Auf den Schutz eines fiktiven Rechtsgutes könne man keine Strafdrohung stützen. 19

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zugängliche Wirklichkeit haben“. Entgegenzutreten sei deshalb Tendenzen, sie als nicht greifbare ideelle Sozialwerte zu verstehen, da deren fehlender Realitätsgehalt die strafrechtsbegrenzende Kraft des Rechtsgutsbegriffs untergrabe.24 Die Rechtsgutsdiskussion könne dann einen wesentlichen „Beitrag zu einer rationalen Diskussion der staatlichen Strafbefugnis“ leisten, indem sie „verfassungsrechtlich fundierte kriminalpolitische Postulate“ aufzeige. Diese könnten zwar den Gesetzgeber letztlich nicht zwingen, wohl aber habe er sie zu beachten.25 Nach Hassemer ist das Rechtsgutsprinzip eine „Aufforderung an den Strafgesetzgeber, entweder empirische Substrate als Grundlage seiner Strafdrohungen aufzuweisen oder die Strafdrohungen zu kassieren“.26 Der Staat sei nicht Selbstzweck, vielmehr habe er „die Entfaltung und Sicherung der Lebensmöglichkeiten von Menschen zu befördern“. Interessen der Allgemeinheit und demnach Universalrechtsgüter müssten deshalb vom einzelnen her funktionalisiert werden. Sie hätten „nur insoweit eine Grundlage, als sie sich als – vermittelte – Interessen des Individuums nachweisen lassen“. Gerade in Zeiten der Vergesellschaftung, der Verdichtung sozialer Beziehungen und der Kreation komplexer Institutionen müsse das Strafrecht die „individualen und personalen Elemente im Recht und im Rechtsdenken“ gegen eine Vergesellschaftung schützen und bewahren, „denn sein Geschäft ist am Ende nicht die allgemeine Versicherung oder soziale Schadensminderung, sondern Zurechnung einer Straftat an einer Person und damit Individualisierung eines – immer auch sozialen – Problems.27 Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des Staates seien nur zu akzeptieren, soweit sie menschlichen Interessen dienten. Die Abhängigkeit der Universalrechtsgüter von personalen Interessen impliziere zudem ein Hierarchieverhältnis,28 „Rechtsgüter der Allgemeinheit müssen sich in einer besonderen Weise legitimieren, sie führten letztlich „zu einer Kriminalisierung im Vorfeld“. „Je mehr Schritte man gehen muß, um eine Strafdrohung mit einem menschlichen Interesse legitimierend zu vermitteln, desto vorsichtiger muß man im Ob und Wie der Strafdrohung sein.“ Eine abschließende Aussage über die Strafwürdigkeit lasse sich zwar auch einer solchen personalen Rechtsgutslehre nicht entnehmen, zumal der Gesetzgeber nicht ignorieren dürfe, dass sich Rechtsgüter letztlich in der geschichtlich wandelbaren gesellschaftlichen Werterfahrung konstituierten.29 Gerade bei Universalrechtsgü24

Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 66 f. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 94. 26 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 162. 27 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 165 f. 28 Die Ermittlung einer Hierarchie der Rechtsgüter sei zudem notwendig, um die Verhältnismäßigkeit zwischen Handlungsverbot und Strafandrohung einerseits und Intensität des inkriminierten Verhaltens andererseits beurteilen zu können. Die Rechtsgutstheorie sei daher Teil des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots; vgl. Hassemer, Rechtsgutstheorie, S. 60. 29 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 167 f. 25

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tern zwinge eine personale Konzeption des Rechtsguts den Strafgesetzgeber mit der Frage nach den durch die Strafvorschrift beförderten menschlichen Interessen aber zu einer aufwendigen Prüfung der Kriminalisierung. Dies sei einerseits wegen der Ideologieanfälligkeit der Universalrechtsgüter besonders wichtig. Andererseits ermögliche eine personale Rechtsgutslehre, die Subsidiarität des Strafrechts tiefer zu begründen, wodurch der den Universalrechtsgütern innewohnenden Gefahr entgegengewirkt werde, Strafrecht eher als Mittel erster Wahl den als ultima ratio zu betrachten.30 2. Systematische Rechtsgutsbegriffe Abgestritten wird die Aussagekraft der Rechtsgutstheorie und mithin deren gesetzgebungskritische Funktion zum einen durch Jescheck und Weigend. Aufgabe des Strafrechts sei der „Schutz des Zusammenlebens der Menschen in der Gemeinschaft“, denn diese seien „durch die Natur ihrer Daseinsbeziehungen auf Austausch, Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen angewiesen“. In einer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung vermöge das Strafrecht den „Gesellschaftsschutz“ nur dadurch gewährleisten, dass es zugleich den öffentlichen Frieden sichere, die Handlungsfreiheit des einzelnen achte und gegen rechtswidrigen Zwang verteidige sowie für erhebliche Rechtsbrüche Sanktionen androhe. „Schutz des öffentlichen Friedens“ bedeute, dass „die Vorherrschaft des Stärkeren gebrochen und allen Bürgern die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch das Bewusstsein allgemeiner Sicherheit und allgemeiner Achtung der Menschenwürde ermöglicht“ werde. Da der Staat aber an die Menschenrechte als Fundament der Rechts- und Gesellschaftsordnung gebunden sei und das Grundgesetz die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleiste, dürfe einerseits „das Strafrecht Beschränkungen nur dann anordnen, wenn dies zum Schutze der Gesellschaft unvermeidlich ist“, gleichzeitig solle es andererseits „durch Abwehr von Gewalt und Willkür dem einzelnen einen Spielraum schaffen, innerhalb dessen er sich frei entscheiden und seine Entschlüsse nach eigenem Ermessen durchführen kann.“ Strafrecht beschränke also nicht nur, sondern es schaffe auch Freiheit.31 Es habe sich auf gemeinschädliches Verhalten zu beschränken, für dessen Bestimmung sei aber in den Grenzen grundgesetzlicher Vorgaben die jeweilige rechtspolitische Entscheidung maßgebend.32 Rechtsgüter seien demnach die durch alle Strafrechtsnormen ausgedrückten Werturteile über für das Zusammenleben der Menschen unentbehrlichen Lebensgüter. Auch sittliche Überzeugungen würden durch ihre Aufnahme in den Schutzbereich der Rechtsordnung zu

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Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 169. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, S. 1 f. Kritisch dazu Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 104.

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Rechtsgütern. Verbrechen sei deshalb nicht nur Rechtsguts- sondern auch Pflichtverletzung gegenüber den Anforderungen der Rechtsordnung. Ähnliche Zweifel am gesetzgebungskritischen Wert des Rechtsgutsbegriffs werden auch durch Lenckner geäußert, der eine Straftat sowohl als Rechtsgutsbeeinträchtigung als auch als Pflichtverletzung betrachtet. Rechtsgüter seien „solche als sozial wertvoll erkannten Lebensgüter, die speziell unter dem besonderen Schutz des Strafrechts stehen“. Strafvorschriften ohne einen Rechtsgutsbezug gebe es nicht, es sei „gleichgültig, ob es zu Recht oder Unrecht in den Rang eines solchen erhoben wurde“.33 Grundforderung hätte hier „neben dem ultima ratio- Prinzip zwar zu sein, dass sich das Strafrecht auf in besonderem Maße sozialschädliches Verhalten zu beschränken hat und dass deshalb nur die elementaren und eindeutig substantiierbaren Lebensinteressen des Einzelnen oder der Gesellschaft in den Rang strafrechtlich geschützter Rechtsgüter erhoben werden dürfen“. Dem Gesetzgeber bleibe aber „ein nicht unerheblicher Beurteilungsund Entscheidungsspielraum“. Zudem werde die Straftat durch die Rechtsgutsverletzung noch nicht hinreichend beschrieben. Denn es sei die „in der Missachtung der Norm liegende Pflichtverletzung, welche die bloß kausale Herbeiführung der Rechtsgutsverletzung“ erst zur Straftat mache. Auch ließe sich die Strafbarkeit von weder verletzenden noch gefährdenden Verhalten nicht als Rechtsgutsbeeinträchtigung erklären.34 3. Orientierung an Verantwortungsbereichen Nach Frisch ist es notwendig, bei der Formulierung von Strafvorschriften „Prinzipien der Verantwortlichkeit“ zu beachten, denn diese würden „mit der Frage nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit nicht ohne weiteres erfasst“. Wie dies bei Erfolgsdelikten schon seit langem anerkannt sei, könne ein Verhalten nur dann „missbilligt und verboten“ werden, wenn die damit verbundenen möglichen Konsequenzen zum „Verantwortungsbereich des Handelnden“ gehörten und deshalb deren Vermeidung „von diesem – und nicht vom Opfer – erwartet werden darf“.35 Entscheidende Bedeutung für die Legitimation staatlichen Strafens habe also auch die Zurechnung solcher Konsequenzen.36 Letztlich sei aber auch von jenen zur Eingrenzung von Erfolgsdelikten entwickelte Zurechnungsprinzipien insbesondere bei Fragen der Vorfeldkriminalisierung nur ein mäßiger Beitrag zu erwarten. Soweit ein Verhalten „zu nichts anderem“ als der Vorbereitung eines späteren deliktischen Verhaltens des Handelnden oder eines Dritten diene, könne einer diesbezüglichen Vorfeldkriminalisierung 33 34 35 36

Sch/Sch/Lenckner, 26. Auflage, vor §§ 13 ff. Rdn. 8 f. Sch/Sch/Lenckner, 26. Auflage, vor §§ 13 ff. Rdn. 10 f. Dem weitgehend zustimmend Wittig, Rechtsgutstheorie, S. 242 f. Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 226.

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nicht der Gesichtspunkt des Schutzes der Handlungsfreiheit entgegenstehen. Doch beantworte dies lediglich die Frage nach der Verbietbarkeit des Verhaltens, nicht jedoch, ob derart missbilligenswertes Unrecht den Einsatz von Strafe rechtfertige. Letzterer Aspekt sei es, der in den meisten Fällen von Vorfeldkriminalisierung das eigentliche Problem darstelle, nicht hingegen schon die Rechtsgutsqualität oder die Verbietbarkeit des Verhaltens.37 Gehe man von der Ausgangssituation aus, dass bei weiten Teilen des Strafrechts der Einsatz von Strafe als Reaktion auf gewisse Rechtsverletzungen „ganz unangefochten“ sei, so könne man das „Gemeinsame dieses unter dem Aspekt der Pönalisierbarkeit anerkannten Stoffs“ als Maßstab für die Beurteilung neuer Straftatbestände nutzen. Daran gemessen seien etwa konkrete Gefährdungsdelikte grundsätzlich „legitimatorisch unbedenklich“, da sie sich hinsichtlich des Handlungsunrechts mit den Verletzungsdelikten deckten und hinsichtlich des Erfolgsunrechts „immer noch über das der regelmäßig als unproblematisch empfundenen Versuchsdelikte“ hinausgingen.38 Bei abstrakten Gefährdungsdelikten sei angesichts der verglichen mit Rechtsgutsbeeinträchtigungen oder konkreten Gefährdungen „ohnehin zunehmenden Bedeutung des Handlungsunrechts“39 eine Unterstrafestellung jedenfalls dann legitim, wenn die Beeinträchtigung bedeutsamer Güter vom Zufall abhängt. Schwieriger zu beurteilen seien dagegen jene Tatbestände, die bereits den Verstoß gegen „formale Begrenzungen“ kriminalisierten und eine tatsächliche Beeinträchtigung höchstens in beschränktem Umfang erforderten, obwohl eine „nachhaltige Gefährdung des geschützten Rechtsguts“ erst bei einer „Häufung entsprechender Taten“ zu erwarten sei. Man könne jedoch „den Kumulationsgedanken nicht überzeugend dazu verwenden“, solche „isoliert gesehen eher geringfügigen Beeinträchtigungen von Allgemeingütern durch den Hinweis auf die Möglichkeit ähnlicher Güterbeeinträchtigungen Dritter zu einer selbst schon als sehr gravierend einzustufenden Gutsbeeinträchtigung zu machen“. Denn der nur begrenzt güterbeeinträchtigende Täter sei für die von Dritten drohende Beeinträchtigung nicht verantwortlich, zudem könne „neben der Bedrohungsqualität des eigenen Verhaltens“ zur „Bestimmung des Handlungsunwerts“ nicht das Verhalten Dritter einbezogen werden.40 Eine realistischerweise zu erwartende Kumu37 Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 230 f. Bisweilen werde dieser Aspekt der Pönalisierbarkeit in der Rechtsgutsdiskussion mitbedacht, was allerdings in Anbetracht des eigentlichen Wortsinns von Rechtsgut missverständlich und „eine unzureichende Trennung substantiell verschiedener Fragestellungen“ sei. Im Rahmen verfassungsrechtlicher Maßstäbe bleibe das „zentrale Problem der Angemessenheit des Strafeinsatzes, also insbesondere des für eine Strafreaktion hinreichenden Gewichts der missbilligten Verhaltensweisen [. . .] meist substantiell ganz blass und unausgearbeitet“; vgl. S. 231 f. 38 Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 232 f. 39 Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 221 f. Es dränge sich überhaupt die Frage auf, ob wegen der in vielen Lebensbereichen weitreichenden Verhaltensreglementierung die Frage nach einem Rechtsgut noch sinnvoll, und nicht besser nach der Bedeutung einer Verhaltensregel zu fragen sei. 40 Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 234 f.

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lation könne höchstens bei der Frage der Erforderlichkeit und Angemessenheit von Strafe Relevanz erlangen, wenn deshalb nämlich der Täter sich entgegenhalten lassen müsse, dass „ein als besonders wertvoll anerkanntes Gut“ nur so vor einer „echten Bedrohung“ geschützt werden könne, die Strafe mithin keine „unverhältnismäßige Reaktion“ darstelle. „Hier, bei der Erfüllung der für den Strafeinsatz nach bisheriger Auffassung eigentlich maßgebenden Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit des Strafens“ und nicht etwa „bei der Frage der Rechtsgutsqualität“ liege „das eigentliche Problem“, wenn der Strafgesetzgeber zunehmend dazu übergehe, „Strafe als Mittel zur Stabilisierung von Verhaltensregeln bereits dann einzusetzen, wenn es um die Unterbindung von Veraltensweisen geht, die sich nur überhaupt gegen wichtige Rechtsgüter wenden“, auch wenn sie „für sich allein keine bedeutsamen Beeinträchtigungen nach sich ziehen“. Hierbei deute „die hohe Einstellungsquote geringfügiger Tatbestandsverwirklichungen“ insbesondere im Umweltstrafrecht aber auf eine fehlende Akzeptanz dieser Entwicklung seitens der Rechtspraxis hin.41 4. Rechtsgüter als Gegenstand strafrechtlicher Verantwortung Die zur Frage legitimen Strafens im deutschen strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum geführte Diskussion vermag letztlich nicht klare Kriterien zur Bestimmung strafwürdigen Verhaltens zu benennen. Vielmehr scheint sich die Ansicht durchzusetzen, dass inhaltliche Vorgaben an den Strafgesetzgeber jenseits eindeutiger verfassungsrechtlicher Anforderungen in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen nicht Verbindlichkeit beanspruchen können.42 Vertreter einer kritischen Rechtsgutstheorie führen an, die Begrenzung des Strafrechts auf den Schutz letztlich dem Individuum dienender Güter sei im Menschenbild und dem Staatsverständnis des Grundgesetzes angelegt. Jedoch gelingt es nicht, die Verbindung zwischen dem grundgesetzlichen Schutz des Individuums und der Kritik am strafrechtlichen Schutz von – zurecht als besonders ideologieanfällig bezeichneten43 – Universalrechtsgütern in überzeugender Weise darzulegen.44 Auch wenn es sich bei der verfassungsrechtlich verankerten Staatsauffassung zutreffen41

Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 236 f. So trotz seiner einem kritischen Rechtsgutsverständnis grundsätzlich positiv gegenüberstehenden Haltung auch Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 68, 77: Die Werteordnung des Grundgesetzes gehe zwar von der „Sozialnatur des Menschen aus“, der „das Individuum umspannenden Gemeinschaft“ dürfe jedoch „immer nur eine auf den Menschen bezogene, unterstützende, sichernde und dienende Funktion zukommen“. Angesichts der „inhaltlichen Unbestimmtheit“ der „verfassungsrechtlichen Vorgaben“ und des weiten Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers könne aber letztlich nicht von einer verbindlichen Begrenzung der Strafgesetzgebung ausgegangen werden. Ähnlich letztlich auch Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 94; Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 162. 43 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 169. 44 Vgl. nur die Kritik bei Schünemann, GA 1995, 201 (205 ff.). 42

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derweise um einen für die Analyse des Strafrechts zwingenden Ausgangspunkt und nicht lediglich um ein politisches Postulat handelt,45 so wird man bei der sich anschließenden Frage, wann nämlich „von einem zumindest mittelbaren Bezug“ einer Unterstrafestellung „zur Sicherung der Freiheit des Individuums“ 46 ausgegangen werden kann, deren ganz überwiegend politischen Charakter nicht verneinen können.47 Amelung weist darauf hin, dass es in einer wertpluralistischen Gesellschaft nicht möglich ist, „eine konsensfähige und verbindliche Rechtsgutslehre auf außergesetzliche Wertungen zu stützen“. „Konsens über Werte“ bestehe hier nicht, sondern muss im demokratischen Gesetzgebungsverfahren hergestellt werden.48 Zwar bleibt die Aussagekraft der Bestimmung eines schutzwürdigen Rechtsguts von begrenztem Wert, soweit nicht geklärt ist, „in welchem Umfang und gegenüber welchen Angriffsarten“ Rechtsgütern strafrechtlicher Schutz gewährt wird.49 Allerdings ist zuzugeben, dass die gegen kritische Rechtsgutstheorien gerichtete Kritik mitunter deren Zielsetzung nicht zur Kenntnis nimmt. Vor allem die Feststellung, sie sage nichts über die Art und Weise der Verletzung eines Rechtsguts aus,50 macht ihr letztlich das Nichterreichen eines von ihr gar nicht verfolgten Zieles zum Vorwurf. Denn bei der Bestimmung eines Rechtsguts geht es lediglich um die an erster Stelle zu beantwortende Frage, ob ein bestimmtes Interesse überhaupt strafrechtlichen Schutz verdient. Dass damit im Hinblick auf 45 So aber Jakobs, FS Seiji Saito, S. 31. Vgl. auch die Kritik an der zentralen Stellung des Individuums bei Stratenwerth, Rechtsgutstheorie, S. 257 f.: soweit es etwa um „die Folgen unseres Handelns für künftige Generationen“ gehe, sei „mit dem Rechtsgutsdenken wenig auszurichten“; vgl. S. 260. Die Herleitung eines materiellen Verbrechensbegriffs auf Grundlage der Rechtsgutslehre scheitere schon am „elementaren Bedürfnis“ des Einzelnen, „in einer gesellschaftlichen Ordnung zu leben, die unabhängig vom eigenen Wohlergehen für ,richtig‘ gehalten wird“. Eine Beschränkung auf die „Daseins- und Entfaltungsbedingungen des einzelnen“ setze sich über den Umstand „hinweg, dass jede menschliche Gruppe vielfältige kulturell geprägte Verhaltensnormen“ kenne und brauche, „bei denen es nicht um mehr oder weniger handfeste ,Güter‘“ gehe. Anders als durch das Bedürfnis nach einer ,richtigen‘ gesellschaftlichen Ordnung ließe sich bspw. die Auseinandersetzung über den Schwangerschaftsabbruch nicht verstehen; vgl. Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 8. 46 Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 68 bezeichnet diese Unbestimmtheit als das „Dilemma“ des personalen Rechtsgutsbegriffs. 47 Vgl. Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 79: Wolle man „dem Grundgesetz statt bloßer Orientierungsdaten eine präzise Handlungsanweisung zum Umfang des Rechtsgüterschutzes durch das Strafrecht entnehmen, so müsste dies zu einer Subalternierung des parlamentarischen Gesetzgebers mittelst einer (notwendigerweise ihrerseits dann politisierenden) Verfassungsauslegung führen“. 48 Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 162 f., der zugibt, dass das Vertrauen in die Rationalität dieses Verfahrens nicht zuletzt unter dem Einfluss politischer Opportunismen gelitten habe; vgl. S. 164. 49 von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 197. 50 Vgl. Jakobs, FS Seiji Saito, S. 24; Sch/Sch/Lenckner/Eisele, vor §§ 13 ff. Rdn. 10 f.

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die Unterstrafestellung von Verhalten nur eine erste – wenn auch wesentliche – Frage gestellt ist, wird nicht bezweifelt.51 „Die Rechtsgutslehre sagt nicht, welche Rechtsgutsverletzungen mit den Mitteln des Strafrechts unterbunden werden sollen, sondern welche Verhaltensweisen wegen Fehlens einer Rechtsgutsverletzung nicht bestraft werden dürfen.“52 Auf eine mangelnde Zurkenntnisnahme des Anliegens der gesetzgebungskritischen Rechtsgutstheorie läuft zudem der Vorwurf hinaus, diese könne „nicht einfach ignorieren“, was in der Rechtsordnung andernorts „als rechtliches Gut anerkannt ist“.53 Denn es geht ihr lediglich um eine Begrenzung des strafrechtlichen Schutzes solcher durch die Rechtsordnung anerkannter Interessen, nicht aber um die Frage, welche Interessen durch die Rechtsordnung generell durch Verhaltensvorschriften geschützt werden sollten.54 Erst nach der Bestimmung grundsätzlich strafrechtlich schützenswerter Interessen beziehungsweise Güter kann sich die Frage nach der Zurechnung ihrer Verletzung oder nach der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen55 stellen. In Anbetracht der Vielzahl der selbst bei Zugrundelegung eines personalen Rechtsgutsbegriffs strafrechtlich schützenswerter Interessen kann davon ausgegangen werden, dass dieser zweiten Stufe für den Umfang von Kriminalisierung zumindest ebensolche Relevanz zukommt, wie der Frage nach dem zu schützenden Rechtsgut.56 Damit erübrigt sich aber nicht die Frage, was eigentlich geschützt werden soll.57 Missverständnisse hinsichtlich der Bedeutung des Rechtsgüterschutzgedankens gilt es deshalb auszuräumen. Letztlich prüft selbst das der Rechtsgutslehre skeptisch gegenüberstehende Bundesverfassungsgericht mögliche sozialschädliche 51

Ähnlich Hefendehl, Rechtsgutstheorie, S. 119. Roxin, Hassemer-FS, S. 584. 53 So Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 221. Mangelnde „Bodenhaftung“ der Strafrechtler zeige sich insbesondere bei der Kritik am Umweltstrafrecht, obwohl die Rechtsgutsqualität bestimmter Umweltmedien in Art. 20a GG verfassungsrechtlichen Niederschlag gefunden habe; vgl. S. 220. 54 Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 67. 55 Vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 108, der seine Konzeption einer gesetzgebungskritischen Rechtsgutstheorie durch die Notwendigkeit einer Erfolgszurechnung nicht infrage gestellt sieht. Es geht ihm nicht um eine umfassende Beschreibung der Straftat, sondern nur um die Frage, wozu eine Bestrafung bzw. eine Strafvorschrift dient. Dass die Straftat „mehr als eine Rechtsgutsverletzung ist [. . .] versteht sich am Rande. Das ändert aber nichts daran, dass deren Bestrafung dem Rechtsgüterschutz dient“. Auch die Strafbarkeit objektiv ungefährlichen Verhaltens diene dem Schutz des Rechtsguts. Ähnlich auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 155. 56 von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 197 verorten das Problem der Legitimität des Strafens hauptsächlich in der zweiten Frage. 57 Vgl. Wittig, Rechtsgutstheorie, S. 240: Die von systemtheoretischen Ansätzen aufgeworfene Frage nach der „Zuständigkeitsverteilung zwischen Täter, Opfer und dritten Personen“ solle als Impuls dienen, in das „Rechtsgüterstrafrecht“ zur „Abgrenzung von Verantwortungsbereichen eine interaktionistische Komponente“ zu integrieren. 52

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und deshalb strafbarkeitsbegründende Folgen des inkriminierten Verhaltens.58 Dies lässt es notwendig erscheinen, einer weiteren Diskreditierung des Rechtsgüterschutzgedankens durch das Postulat eines für den Gesetzgeber angeblich verbindlichen Rechtsgutsbegriffs entgegenzutreten und stattdessen zu betonen, was eigentlich jenen den Gesetzgeber begrenzenden Gehalt der Rechtsgutslehre ausmacht. Es genügt für die Begründung von Strafbarkeit eben nicht, dass ein bestimmtes Verhalten durch den Gesetzgeber als intrinsisch strafwürdig benannt wird.59 Strafbarkeitsbegründende Sozialschädlichkeit muss also rational substantiiert werden.60 Man kann aber nicht einerseits diesem Grundsatz zustimmen, andererseits der Rechtsgutslehre die Bedeutung absprechen. Geschieht dies trotzdem, so wurde der Aussagegehalt des Rechtsgüterschutzgedankens verkannt. Letzterem kann es eben nicht darum gehen, dem Gesetzgeber und der Gesellschaft auch jenseits klarer verfassungsrechtlicher Vorgaben eine Werteordnung vorzuschreiben und die Schutzwürdigkeit beziehungsweise Schutzunwürdigkeit bestimmter Rechtsgüter zu behaupten. Notwendig ist vielmehr, die dem Rechtsgüterschutz zugrundeliegenden Überlegungen klar zu benennen. Andernfalls sieht sich die Rechtsgutslehre der Gefahr ausgesetzt, zur Kritik problematischer Entwicklungen des materiellen Strafrechts keinen nennenswerten, über die Frage der kriminalpolitischen Rationalität einer Unterstrafestellung hinausgehenden Beitrag leisten zu können. Mit einem Verlust ihres kritischen Potentials ist insbesondere dann zu rechnen, wenn als Kern des Rechtsgüterschutzes lediglich die Forderung verstanden wird, bloß unmoralisches, aber nicht sozialschädliches Verhalten dürfe nicht kriminalisiert werden. Bleibt man hier stehen, verkürzt man den Gedanken des Rechtsgüterschutzes mithin auf die Forderung nach einem empirischen Substrat der Kriminalisierungsentscheidung, so dürfe dieser Einwand gerade gegenüber Flexibilisierungstendenzen im materiellen Strafrecht kaum überzeugen. Denn eine von strafbegründenden Konsequenzen entkoppelte Verhaltensstrafbarkeit wird sich vielfach nicht dem Vorwurf aussetzen, dem Gesetzgeber oder einer zur Neutralisierung tatbestandlicher Schadensbegriffe neigenden Rechtsprechung61 ginge es um die Bestrafung bloß unmoralischen Verhaltens. Vielmehr wird es vielfach um eine Erleichterung der Ahndung solchen Verhaltens gehen, welches sich tatsächlich – empirisch sehr wohl substantiierbar – als sozialschädlich darstellt. Ein zu diesem Zweck ausgeweitetes materielles Recht wird mit dem Vorwurf, ihm ginge es um die Bestrafung bloßer Unmoral, kaum überzeugend infrage gestellt werden. Will die Rechtsgutslehre hier nicht 58

Vgl. BVerfGE 120, 224 (243 ff.). Dass dies auch eine Art der Begründung von Strafbarkeit sein könnte, vgl. nur oben § 3, III., 2. 60 Zwar weist BVerfGE 120, 224 (248) auch darauf hin, der Gesetzgeber habe an der „Tradition des Inzestverbots“ festhalten wollen, lässt allerdings offen, ob „Strafnormen, die allein in Moralvorstellungen gründen [. . .] verfassungsrechtlich zu beanstanden wären.“ Dazu Roxin, Hassemer-FS, S. 581 f. 61 Vgl. dazu oben § 7, II., 1. 59

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ihre Relevanz einbüßen, so muss sie deutlich machen, weshalb dem Kernproblem materiell-rechtlicher Flexibilisierungstendenzen – nämlich die kollaterale Kriminalisierung von atypischen, nicht sozialschädlichen Formen der Tatbestandsverwirklichung zur Vereinfachung der Ahndung von typischen, sozialschädlichen Tatbestandsverwirklichungen – grundsätzliche Bedenken entgegenstehen. Dafür ist es notwendig, über die Kritik an moralisierenden und empirisch nicht substantiierten Strafrecht hinauszugehen und zu hinterfragen, weshalb ein solches eigentlich problematisch ist. Zwar kann nicht überraschen, dass sich dogmatische Kritik vor allem gegen das empirisch unsubstantiierte Strafen eines moralisierenden Strafrechts richtet. Die Rechtsgutslehre hat aber darzulegen, weshalb ein moralisierendes, nicht um eine empirische Begründung der Sozialschädlichkeit bemühtes Strafrecht in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft illegitim ist. Bleibt sie hingegen bei der Forderung stehen, sanktionierte staatliche Gebote müssten einen dem Menschen dienlichen Zweck verfolgen, so wird sie sich zur Strafrechtskritik als kaum tauglich erweisen, solange nur der Gesetzgeber empirisch einigermaßen plausibel argumentiert. Zweckdienlichkeit im Sinne der Wahrung eines geordneten Miteinanders wird man nämlich etwa schon dann bejahen können, wenn eine Mehrheit der Gesellschaft ein Abweichen von auf Vorurteilen beruhenden Wohlverhaltensvorstellungen als wesentliche Störung des gesellschaftlichen Friedens betrachtet. Zwar stört der abweichende Täter hier in den Augen der Mehrheit das gesellschaftliche Miteinander insoweit, als er durch sein Verhalten Spannungen hervorruft. Eine Bestrafung erscheint dann trotzdem problematisch, weil die Störung eben nicht aus einer objektiven Schädlichkeit der Abweichung des Täters resultiert, sondern aus den Vorurteilen seines gesellschaftlichen Umfelds. Der Täter würde also im Ergebnis nicht wegen der objektiven Schädlichkeit seines Verhaltens bestraft, sondern wegen der Irrtümer anderer. Nicht schon die Unzweckmäßigkeit eines Verhaltensgebots ist der Grund, den Normbrecher nicht zu bestrafen, sondern der Umstand, dass die Vorurteile der anderen und nicht er selbst für die Störung des gesellschaftlichen Miteinanders verantwortlich ist. Der Kritik an mit unsubstantiierten Vorurteilen begründeter Strafe liegt demnach die Ablehnung eines Rechts zugrunde, welches Menschen bestraft, ohne danach zu fragen, ob und inwieweit sie für eine Störung des gesellschaftlichen Miteinanders verantwortlich gemacht werden können. Die zentrale Bedeutung individueller Verantwortung für die Legitimität von Strafe und nicht erst die Unzweckmäßigkeit des sanktionierten Gebots begründet also die Illegitimität eines rein moralisierenden Strafrechts. Verantwortung ist demnach der Kern einer Rechtsgutslehre, die vom strafenden Staat eine empirisch stichhaltige Begründung verlangt. Dies bedeutet zugleich, dass die Rechtsgutslehre auf der Prämisse der Vernunftbegabtheit der Bürger beruht. Hierin liegt der primäre Ansatzpunkt einer Kritik des Strafrechts. Daraus folgt nämlich, dass Strafbarkeit ebenso wenig mit Vorurteilen und anderen Irrtümern wie mit der Unterstellung einer sozialschädlichen Gesin-

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nung des Täters begründet werden darf. Rechtsgüterschutz bedeutet also nicht nur, dass die Kriminalisierung empirisch plausibel zur Erreichung des rechtspolitischen Ziels geeignet sein muss, sondern zugleich den Grundsatz, den Bürger als Vernünftigen, auf Verantwortung Ansprechbaren zu respektieren.62 Zwar ist der Gesetzgeber nicht durch einen ihn bindenden Rechtsgutsbegriff begrenzt. Auch steht dem Gesetzgeber die Unterstrafestellung solchen Verhaltens frei, welches nicht unmittelbar zur Beeinträchtigung eines geschützten Rechtsguts führt. Der Gesetzgeber muss aber deutlich erkennen lassen, um den Schutz welches Rechtsguts beziehungsweise welcher Rechtsgüter es ihm bei einem Strafgesetz letztlich geht. Dies ist einerseits im Interesse der Transparenz und Nachvollziehbarkeit des in der Strafgesetzgebung zum Ausdruck kommenden Werturteils zu fordern, andererseits deshalb, weil das geschützte Rechtsgut den Inhalt des an einen Verurteilten gerichteten Vorwurfs maßgeblich bestimmt. Das jeweils geschützte Rechtsgut muss klar erkennbar sein, andernfalls offen bleibt, was dem Verurteilten eigentlich vorgeworfen wird. Der Gesetzgeber kann – in den Grenzen verfassungsrechtlicher Vorgaben wie etwa der Meinungsfreiheit63 – die infolge eines Verhaltens unmittelbar bewirkte Zustandsveränderung bereits als Rechtsgutsbeeinträchtigung, den beeinträchtigten Zustand mithin als Rechtsgut definieren. Häufig wird es an einem dahingehenden gesetzgeberischen Bekenntnis aber fehlen, nicht zuletzt dann, wenn seitens des Gesetzgebers Zweifel bestehen, ob der unmittelbar beeinträchtigte Zustand in der Gesellschaft als ein wesentlicher Wert anerkannt ist, dessen Beeinträchtigung schon per se Strafe zu rechtfertigen vermag. Der Gesetzgeber muss sich also hinsichtlich jener Rechtsgüter beim Wort nehmen lassen, deren Schutz er bei der Schaffung eines Strafgesetzes zur Begründung vorgibt. Begründet er die Unterstrafestellung lediglich mit mittelbaren Folgen eines Verhaltens, so kommt es entscheidend auf die Erkenntnis an, dass dem Rechtsgüterschutz die Frage nach Verantwortung zugrunde liegt. Es muss also angemessen sein, einem den Tatbestand verwirklichenden Täter die Gefährdung des (vorgeblich) geschützten Rechtsguts zuzurechnen. Ein Strafrecht, in dem Strafe nicht Verantwortung des Täters für etwas thematisiert, ist letztlich kaum denkbar. Strafrecht dient demnach immer dem Schutz eines Interesses, Strafrecht als Rechtsgüterschutz beschreibt also insofern durchaus eine Selbstverständlichkeit. Selbst ein auf rein moralischen Geboten beruhendes Strafen dürfte immer auch solche von der Gebotsverletzung getrennte Umstände thematisieren, so etwa ein Ehrlichkeitsgebot die Enttäuschung von Vertrauen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die durch den Strafenden behauptete Verantwortung auf einer zutreffenden Tatsachengrundlage beruht, die mit einem Vorwurf behaupteten Tatsachen also der Wahrheit entsprechen. Die Bedeutung des Rechtsgüterschutzdenkens liegt mithin darin, dass es eine Sub62 63

Vgl. Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 270 ff. Vgl. Roxin, Hassemer-FS, S. 583.

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stantiierung der Verantwortlichkeit eines Verurteilten unter Bezugnahme auf solche Rechtsgüter verlangt, deren Gefährdung nach der Überzeugung des Gesetzgebers in Anbetracht ihrer Bedeutung für das gesellschaftliche Miteinander sozialschädlich ist64 und deshalb Strafe zu rechtfertigen vermag.65 Vorurteile und andere Irrtümer können eine dahingehende Verantwortlichkeit nicht begründen, ebenso wenig ein gegen den Verurteilten gerichteter Verdacht einer sozialschädlichen Gesinnung. Insofern beinhaltet Rechtsgüterschutzdenken doch verfassungsrechtliche Vorgaben,66 wenn nämlich der Gesetzgeber durch die Bürger als Vernünftige demokratisch legitimiert ist und mit ihnen deshalb auch eben als Vernünftige zu kommunizieren hat. Durch einen letztlich auf falsifizierbaren Tatsachenbehauptungen beruhenden Vorwurf geschieht dies gerade nicht. Der strafende Staat muss sich also die Frage entgegenhalten lassen, ob die gegenüber dem Täter thematisierte Verantwortlichkeit glaubwürdig ist oder vielmehr im Hinblick auf die angeführten sozialen Folgen auf eine Fiktion beziehungsweise auf eine Unterstellung hinausläuft. Ebenso ist eine unbestimmte Prognose der Kumulation vergleichbaren Verhaltens zu Begründung von Strafe nicht geeignet. Verantwortung wird nicht thematisiert, wenn ihr Bezugspunkt das in beträchtlichem Maße hypothetische Ergebnis prognostizierter kollektiver Fehlverantwortung ist. Strafe bedeutet eben mehr als Verhaltensteuerung durch das Androhen eines Übels. Zentrale Prämisse des Rechtsgüterschutzes ist es also, dass der Verurteilte in glaubwürdiger Weise für sozialschädliche Umstände verantwortlich gemacht werden kann.67 II. Grundrechtsdogmatische Begrenzungsansätze 1. Gesellschaftsschutz durch einen Appell an die individuelle Einsichtsfähigkeit Ein Versuch der Begrenzung des materiellen Strafrechts durch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot findet sich bei Lagodny. Bei dem in einer strafrechtlichen Verurteilung liegenden staatlichen Vorwurf handele es sich in Anbetracht der damit verbundenen Stigmatisierung um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des sozialen Geltungsanspruchs, zu dessen Rechtfertigung ein an diesem Vorwurf be-

64 Roxin, Hassemer-FS, S. 584, vergleicht plastisch die Bedeutung der „Störung einer Bestattungsfeier“ einerseits und die „Störung von Geburtstagsfeiern“ andererseits. 65 Vgl. dazu die (erfolglose) Suche nach einer empirisch tragfähigen Substantiierung des § 184c StGB bei Heinrich, Roxin-FS, S. 137 ff. 66 So im Ergebnis auch Roxin, Hassemer-FS, S. 585. 67 Hierbei kommt es entscheidend auf „Kriterien fairer Zurechnung“ an; vgl. von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 196 ff.; Simester/von Hirsch, Crimes, Harms, and Wrongs, S. 70 ff.

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stehendes Gemeinwohlinteresse, mithin ein Strafzweck zu fordern sei.68 Würde man auf den Vorwurf verzichten, so bedeutete dies ein reines Maßregelrecht, mithin die Abschaffung des Strafrechts und stattdessen eine Durchsetzung von Vorschriften im Wege unmittelbaren, den Täter als Gefahrenquelle ausschaltenden Zwangs. Eine sanktionsrechtliche Lösung zur Normendurchsetzung „baut hingegen auf die Einsicht des Individuums“.69 Da der Strafzweck nur Mittel zur Erreichung des durch das Verhaltensgebot bezweckten Gemeinwohlinteresses sei, müsse bei der Rechtfertigung des Vorwurfs der bezweckte Rechtsgüterschutz zum Strafzweck hinzugedacht werden. Zu fragen sei „nach konkret rechtsgutsbezogener Geeignetheit“, also nach der Geeignetheit eines Strafzwecks im Hinblick auf bestimmte Delikte. Die so vorgenommene Prüfung der Sanktionsvorschrift sei demnach anspruchsvoller, als die auf der ersten Stufe vorzunehmende Prüfung der regelmäßig lediglich an der allgemeinen Handlungsfreiheit zu messenden Verhaltensvorschrift. Die Einbeziehung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führe jedenfalls zu einer Anhebung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an Sanktionen, weil es einen neben das Recht auf Freiheit der Person nach Art. 2 II 2 GG tretenden zusätzlichen Prüfungsmaßstab bilde.70 Es sei aber einzuräumen, dass „das Ausgrenzungspotential des Erfordernisses eines ,Gemeinwohlinteresses‘ nicht sehr groß zu sein“ scheine.71 Aus der Verfassung ließe sich nämlich kein Strafzweck entnehmen, insbesondere entscheide sie „nicht den Streit um Schuld und Prävention“.72 Gehe es dem Gesetzgeber um Beweiserleichterung oder um die Ermöglichung strafprozessualer Eingriffe, so fehle es nur dann an einem zulässigen Strafzweck, wenn die Vorschrift daneben nicht auch durch einen „herkömmlichen präventiven Strafzweck“ verfassungsrechtlich legitimiert werden könne.73 Die Weite der generalpräventiven Zwecke führten letztlich dazu, dass „die verfassungsrechtlichen Hürden für Sanktionsvorschriften nicht sehr hoch sein werden“.74 Es „würde den Gesetzgeber paralysieren“, von ihm im Rahmen der Prüfung der Geeignetheit einen positiven Nachweis der Prä-

68 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 287 f. Nicht erst die Verhängung der Strafe oder der Strafvollzug berühre den „gesellschaftlichen Ehr- und Achtungsanspruch“, sondern bereits „der kriminalstrafrechtliche staatliche Vorwurf“; vgl. S. 122. 69 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 285 f. 70 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 291 f. Der Begriff ,Rechtsgut‘ werde hierbei nur im Sinne eines grundrechtskonformen Gemeinwohlinteresse als dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck verwendet; vgl. S. 290. Jedoch sei der Rechtsgutsbegriff insofern nicht „verfassungsrechtlich völlig irrelevant“, da er die „Art und Intensität“ der Gefährdung von Gemeinwohlinteressen verdeutliche und damit die „Formulierung von Je-desto-Relationen“ erlaube; vgl. S. 428, 430 f. 71 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 296. 72 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 312. 73 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 313 ff. 74 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 317.

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ventionswirkung einer Strafandrohung zu fordern.75 Auch bei der Erforderlichkeit, also der Frage nach dem mildesten Mittel, kommt es wieder „entscheidend auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers an“, wobei vor allem die Geeignetheit eines milderen Mittels infrage stehen wird.76 Hierbei sei zu beachten, dass unter dem Grundgesetz eine umfassende Verhaltenssteuerung im Wege „eines allgegenwärtigen polizeirechtlich-präventiv handelnden Staates“ nicht möglich sei. Auch müsse bei der Suche nach einem milderen Mittel berücksichtigt werden, dass im Gegensatz zum Strafrecht präventive verwaltungsrechtliche Steuerungsmechanismen auch die redlichen Adressaten träfen.77 In vergleichbaren Fällen dürfe der Abschreckungseffekt oder die Normenstabilisierungswirkung jedoch nicht willkürlich unterschiedlich beurteilt werden. Der Gesetzgeber werde so „auf eine in sich stimmige Wahrnehmung der Einschätzungsprärogative“ festgelegt. Werde letztere „für vergleichbare Konstellationen evident ungleich wahrgenommen“, so führe dies entweder zu einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz oder zu Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne.78 2. Gesellschaftsschutz durch Repression von Normverletzungen Appel hingegen will einzig Normrehabilitierung als legitimen Strafzweck anerkennen. Strafrecht sei als „abstrakte Androhung von Strafe“ ein generalpräventives Instrument zur Sicherstellung der Normbefolgung, doch hätten auch andere (nichtstrafrechtlich) Sanktionsmittel eine solche Wirkung. Der spezifische Charakter des Strafrechts bestehe in der Funktion des Sanktionsnorm als Ermächtigungsgrundlage zur „Normrehabilitierung“, nämlich durch den „Vorhalt der defizitären Einstellung zur Norm und Auferlegung eines materiellen Übels“.79 Natürlich habe auch die Normrehabilitierung präventive Wirkung und „ordnet sich insofern in die generalpräventive Funktion des Strafrechts ein“. Dass „straf-

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Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 319 f. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 348, 362 unter Verweis auf BVerfGE 45, 187 (238), wonach sich das Bundesverfassungsgericht über wissenschaftlich umstrittenen tatsächlichen Beurteilungen des Gesetzgebers nur hinwegsetzen dürfe, „wenn sie widerlegbar sind“. 77 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 349 f. Strafrecht sei dann „der Preis für die zivilrechtliche Untersteuerung“ und könne insoweit auch als „Garant der Freiheit“ begriffen werden; S. 350. Ähnlich Appel, Verfassung und Strafe, S. 540 f. 78 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 492 f.: Bei Sanktionsvorschriften gehe es „immer wieder um die gleiche Art von empirischen Fragen, die mittelst der Einschätzungsprärogative ,beantwortet‘“ würden. „Das kriminologisch-empirische Patt der Präventionsforschung wird [durch die Einschätzungsprärogative] überwunden.“ 79 Appel, Verfassung und Strafe, S. 472. Der „Vorhalt der defizitären Einstellung zur Norm und zur normsetzenden Instanz“, nicht aber die Auferlegung eines materiellen Übels sei das „entscheidende strafrechtliche Element“; vgl. S. 500. 76

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rechtliche Generalprävention – im Vergleich zu anderen Sanktionsmitteln – eine spezifische ist“, resultiere jedoch aus dem primär repressiven Charakter der Normrehabilitierung. „Die Rehabilitierung der Norm und der normsetzenden Instanz setzt voraus, daß der Normbrecher degradiert und die Autorität von Norm und normsetzender Macht in besonderer Weise herausgestellt wird. Der Normbrecher wird unter die Normherrschaft zurückgezwungen, indem ihm seine defizitäre Einstellung zur Norm vorgehalten und die (letztendlich) stärkere Position der Norm und der normsetzenden Instanz aufgezeigt wird.“80 Weite Teile der Diskussion um ein legitimes Strafrecht stellten sich grundsätzlich nicht als ein strafrechtsspezifisches Problem, sondern beträfen lediglich die (nichtstrafrechtliche) Frage um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Verhaltensnormen, insbesondere deren Verhältnismäßigkeit.81 Erlässt der Gesetzgeber eine ihrerseits verfassungsgemäße Verhaltensnorm, habe „er im Grundsatz auch ein legitimes, verfassungsrechtlich zulässiges Interesse daran“, diese „Norm nach Möglichkeit zu rehabilitieren“. 82 In der Regel sei von der Geeignetheit des Vorhalts der defizitären Einstellung zur Norm zum Zwecke der Normrehabilitierung auszugehen. Dies sei nur ausnahmsweise und insbesondere dann abzulehnen, wenn die Nichtbefolgung der Norm „ohnedies die Regel ist und der Prozess der Normrehabilitierung von vornherein leerläuft“. Vom Gesetzgeber müsse aber „Stimmigkeit und Widerspruchsfreiheit“ hinsichtlich der zugrundegelegten empirischen Voraussetzungen gefordert werden.83 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e. S. würden sich „generelle Aussagen über die verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen“ zwar verbieten.84 Das gesetzgeberische Strafkonzept und die diesem zugrundeliegenden Prognosen müssten sich auf „Rationalität, Plausibilität und Widerspruchsfreiheit hin überprüfen lassen“.85 Das Funktionieren einer demokratischen und rechtsstaatlich eingebundenen Strafrechtspflege stehe mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitspostulat in enger Verbindung. Besonders problematisch sei etwa die „Pönalisierung von Verhaltensweisen, die unter Umständen weit hinter der Gefährlichkeit vergleichbarer, nicht pönalisierter oder (sogar) nicht verbotener, gleichwohl aber hochriskanter Handlungen zurückbleiben“.

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Appel, Verfassung und Strafe, S. 466 f. Appel, Verfassung und Strafe, S. 569. 82 Appel, Verfassung und Strafe, S. 577. Die Prüfung einer Strafandrohung solle „sich auf die Kontrolle konzentrieren, ob die Einordnung – mit Blick auf andere Verhaltensweisen und deren Bewehrung – plausibel, in sich stimmig und nachvollziehbar begründet ist“. Es bedürfe insofern einer „internen (relativen) Proportionalität“. Der Gesetzgeber habe hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der angedrohten Sanktion einen weiten Beurteilungsspielraum, „zumal die Festlegung eines Strafrahmens auf einem nur in Grenzen rational nachvollziehbaren und zu begründenden Akt gesetzgeberischer Wertung“ beruhe; vgl. S. 528, 593 f. 83 Appel, Verfassung und Strafe, S. 579 f. 84 Appel, Verfassung und Strafe, S. 582. 85 Appel, Verfassung und Strafe, S. 588. 81

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Letztlich sei aber das Potential auch des Gleichheitsgrundsatzes zur Gewährleistung einer ausgewogenen Kriminalpolitik fragwürdig, da sich in der Regel Gründe für eine Differenzierung anführen ließen.86 3. Notwendigkeit einer über das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinausgehenden Analyse Bemühungen, im Wege einer grundrechtsdogmatischen Analyse staatlichen Strafens zu Begrenzungskriterien zu gelangen, sind grundsätzlich zu begrüßen. Lediglich auf den besonders einschneidenden Charakter des Strafrechts hinweisende Allgemeinsätze vermögen hingegen nicht, Anforderungen an das Strafrecht eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens zu substantiieren. Wegen der Pluralität und Veränderbarkeit ethisch-moralischer Wertvorstellungen ist es erst recht wenig aussagekräftig, legitimes Strafrecht am Maßstab der „elementaren, einfachen Gebote der Sittlichkeit“ oder des „eindeutig Kriminellen“ beurteilen zu wollen.87 Die Arbeiten von Lagodny und Appel gehen im Ergebnis allerdings kaum darüber hinaus, Kohärenz des materiellen Strafrechts zu fordern, da in Anbetracht der dem Gesetzgeber hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit von Kriminalisierung in weitem Umfang eingeräumten Einschätzungsprärogative diesem kaum inhaltliche Vorgaben gemacht werden könnten. Jedoch ist zu fragen, ob man den Fokus einer verfassungsrechtlichen Analyse des Strafrechts tatsächlich auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung richten kann, zumal im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e. S. es letztlich maßgeblich auf eine der verfassungsrechtlichen Kritik kaum zugängliche Bewertung eines Verhaltens ankommt. Belässt man es dabei, dann kann die Schlussfolgerung nicht überraschen, das materielle Strafrecht entziehe sich „in nahezu genialer Weise einer verfassungsrechtlichen Kontrolle“,88 „ein verfassungsgerichtliches Verdikt fehlender Proportionalität strafgesetzgeberischer Rechtssetzung“ sei also eine „wohl eher theoretische Ausnahme“.89 Es bestehen aber erhebliche Zweifel daran, Strafbarkeit im Ergebnis vorrangig von der Angemessenheit des sanktionierten Verhaltensgebots abhängig zu machen. Die Legitimität von Strafe beurteilt sich nicht nur anhand der Verhältnismäßigkeit des sanktionierten Verhaltensgebots, sondern danach, ob es gerechtfertigt erscheint, den Täter für die Gefährdung von Rechtsgütern verantwortlich zu machen. Dies bedeutet, dass jene dem sanktionierten Verhaltensgebot zugrunde86

Appel, Verfassung und Strafe, S. 585 f. So aber Kaufmann, Jura 1986, 225 (232). Vgl. dazu etwa Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 429. 88 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 536. 89 Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 80. 87

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liegende Gefährdungsprognose ein besonders hohes Maß an Plausibilität innewohnen muss. Strafe ist eben kein bloßes Zwangsinstrument, sondern ein Vorwurf, durch den gegenüber dem Täter Verantwortung thematisiert wird. Zwar muss der Gesetzgeber bei der Schaffung von Verhaltensnormen die Möglichkeit haben, auch unter Zugrundelegung empirisch wenig gesicherter Annahmen tätig zu werden. Für die Begründung strafrechtlicher Verantwortung sind hingegen höhere Anforderungen zu stellen. In hohem Maße hypothetische Gründe für die Strafbarkeit eines Verhaltens sprechen den Täter nicht auf die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens an, sondern laufen eher auf die Behauptung hinaus, Sozialschädlichkeit seines Verhaltens sei nicht auszuschließen. Es ist eine Sache, aus Gründen der Gefahrenvorsorge durch die Schaffung von Verhaltensnormen die Freiheit der Bürger auch dann zu beschränken, wenn die verbotsbegründenden Kausalzusammenhänge (noch) nicht auf eine empirisch gesicherte Grundlage gestellt werden können. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass dem Bürger wegen der Verletzung einer so erlassenen Norm ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht wird, ihm also Sozialschädlichkeit vorgeworfen werden soll.90 In einem auf der Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit seiner Unwerturteile aufbauenden Strafrecht kann es nicht genügen, dass sich der Strafende auf fragwürdige Kausalhypothesen beruft. Zudem weisen sowohl Lagodny als auch Appel auf die Notwendigkeit einer Begrenzung des materiellen Rechts hin und warnen in diesem Zusammenhang vor einem Funktionsverlust des Strafrechts.91 „Die wichtigste Richtlinie aus den Grundrechten insgesamt“ sei, „das Kriminalstrafrecht als eine Art ,knappe Ressource‘ zu behandeln, soll es nicht in zunehmenden Maße seine Gesamtwirkung verlieren“. Der Gesetzgeber müsse „einen Mangel an Kriminalstrafrecht bestehen lassen“ und „über die Verteilung des Mangels wachen“.92 Es kann dabei nicht darum gehen, inwieweit eine Häufung von die individuelle Handlungsfreiheit eher in geringfügigen Umfang begrenzenden Verhaltensvorschriften kumulativ letztlich doch zu einer problematischen Begrenzung der Freiheit führt,93 sondern inwieweit eine Häufung strafrechtlich sanktionierten Verhaltens eine Infragestellung der Wirkung strafrechtlicher Verhaltenssteuerung bedeutet. Letztlich muss, wie Frisch richtig erkennt, die Einsicht bestimmend sein, dass „Strafe seine Aussagekraft und Kennzeichnungsfunktion behalten“ muss. Aussagekräftig

90 Unzureichend ist es daher, lediglich auf die Zweckmäßigkeit von Strafnormen abzustellen; vgl. aber Romano, Roxin-FS, S. 165. 91 Appel, Verfassung und Strafe, S. 39; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 532. 92 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 511 f.: Hilfestellung erhalte er dabei von der Grundrechtsdogmatik. Insbesondere „auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gefundene Prinzipienrelationen in Form von ,Je-Desto‘-Aussagen“ seien „richtungsweisend“; vgl. auch S. 519. 93 Dazu Grimm, KritV 1986, 52 f.

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und funktionsfähig kann das Strafrecht nur bleiben, wenn man ihm eine lediglich begrenzte Spannbreite zuweist.94 Befürchtet man aber einen Verlust der Funktionsfähigkeit, so kann man es nicht bei einer generellen Kritik an der ,Häufung‘ strafbaren Verhaltens belassen. Vielmehr muss untersucht werden, was die Funktion des materiellen Rechts ausmacht und welche Faktoren sie schwächen können. Hervorzuheben ist dabei Lagodnys Erkenntnis, dass das im Vorwurf zum Ausdruck kommende sozialethische Unwerturteil keineswegs nur einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Täters darstellt, dass vielmehr am Vorwurf die spezifische Funktionsweise des Strafrechts deutlich werde, letzteres nämlich auf der Einsichtsfähigkeit des Individuums aufbaut. Der staatliche Vorwurf werde übersehen, wenn man derart den „Einsatz von Strafe allein unter dem Aspekt eines Mittels zum Rechtsgüterschutz“ diskutiere. Der Strafzweck werde damit letztlich zum Zweck des Rechtsgüterschutzes allein „unter empirischen Geeignetheitsgesichtspunkten“ untersucht. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung beziehe sich dann also nur auf den Rechtsgüterschutz, „nicht aber auf den Sanktionierungs- bzw. Vorwurfzweck“.95 Jedoch beschreibt Lagodny einen möglichen Zusammenhang zwischen der auf Einsichtsfähigkeit setzenden Funktion des Strafrechts und der Möglichkeit eines Funktionsverlusts nicht weiter. Problematisch ist dabei nicht zuletzt, dass trotz der Hervorhebung der individuellen Einsichtsfähigkeit als Grundlage strafrechtlicher Verhaltenssteuerung der Gesetzgeber hinsichtlich des verfolgten Strafzwecks letztlich kaum einer Beschränkung unterliegen soll. Selbst ein „pures Abschreckungsstrafrecht“ als zugrundeliegender Strafzweck sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.96 Eine derartige Trennung von strafrechtlichem Vorwurf und verhängter Strafe ist aber letztlich nicht möglich. Denn zum einen vermittelt neben dem Schuldspruch auch das Strafmaß dem Täter die Schwere der begangenen Tat. Bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe signalisiert deren Dauer zudem,

94 Vgl. Frisch, Voraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, S. 223 f. „Mit mehr als der Strafe kann der Staat nicht reagieren“; vgl. S. 222. Ähnlich auch Erb, Legalität und Opportunität, S. 135. 95 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 292 f. Erst bei einer Verhaltensgebot und Sanktionsnorm unterscheidenden zweistufigen Prüfung werde „die Frage nach verfassungsrechtlich bereits unzulässigen Vorwurfszwecken grundrechtsdogmatisch richtig verortet und präzisiert“. Es genüge auch nicht, mit dem Bundesverfassungsgericht die Sanktionsvorschrift lediglich am „Gebot schuldangemessenen Strafens“ zu messen. Denn Schuld sei nicht mit Vorwerfbarkeit gleichzusetzen, sondern lediglich eine Voraussetzung des Vorwurfs; vgl. S. 287. 96 Lagodny, Rechtsgutstheorie, S. 85. Die Strafzweckdiskussion „interessiert verfassungsrechtlich gar nicht“. Dagegen aber Schünemann, Rechtsgutstheorie, S. 142 mit Verweis auf BVerfGE 33, 367 (383); 80, 367 (378 ff.): Wenn das „Rechtsstaatsprinzip implizit eine (hinreichend effiziente) Strafrechtspflege“ fordere, „so wäre es sonderbar, wenn darin nicht auch implizit der legitime Zweck dieses Instruments und damit dessen Begrenzung geregelt würden“. Denn man könne „schwerlich die Effizienz eines Mittels für notwendig erklären, ohne zuvor dessen Zweck geklärt zu haben“.

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in welchem Maß die Gesellschaft den Täter physisch auszugrenzen gedenkt. Der soziale Geltungsanspruch wird aber durch diese Ausgrenzung besonders massiv berührt. Durch die (zeitweilige) Entfernung des Täters aus dem gesellschaftlichen Leben wird ihm die Teilnahme an sozialen Kommunikationsprozessen weitgehend unmöglich gemacht, soziale Achtung ihm dadurch insoweit verweigert. Sieht man dies, dann wird deutlich, dass auch das Strafmaß für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von wesentlicher Bedeutung ist.97 Ein der Tatschwere ganz offensichtlich nicht entsprechendes Strafmaß dürfte erhebliche Probleme haben, dem Täter die Schwere des von ihm begangenen Unrechts zu vermitteln und dadurch an seine Einsichtsfähigkeit zu appellieren. Wird strafrechtliche Verhaltenssteuerung durch einen Appell an individuelle Einsichtsfähigkeit geprägt, kommt diesem eine von der Strafandrohung unabhängige Wirkung zu, so bedarf sein Inhalt der Konkretisierung. Es muss der Frage nachgegangen werden, welche Einsicht der Gesetzgeber beim Täter wecken will. Zudem bedarf es einer Erklärung, weshalb ein lediglich an den Täter gerichteter Vorwurf eine generalpräventive Wirkung entfalten soll. Erst dann sind Schlussfolgerungen zur Frage eines möglichen Funktionsverlusts des Strafrechts möglich. Lagodny weist in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Legalitätsprinzips im Rahmen der gesetzgeberischen Kriminalisierungsentscheidung hin. „Je mehr kriminalstrafrechtlich sanktionierte Verhaltensvorschriften es gibt, umso mehr muss entweder die personale Kapazität der Strafverfolgungsorgane ausgeweitet werden, oder es müssen Ausnahmen vom Legalitätsprinzip vorgesehen werden.“98 Diese Beobachtung bildet bereits ein Bindeglied zwischen einem Verlust an Funktionsfähigkeit des Strafrechts und der an konkreten Straftatbeständen konkretisierten verfassungsrechtlichen Kritik einer derartigen Entwicklung. „Einer stärkeren Betonung des Gleichheitssatzes bei der Beurteilung staatlicher Sanktionen“ liegt, wie Appel feststellt, „neben dem Gleichheitsaspekt als solchem die Erwägung zugrunde, dass Akzeptanz und Funktionsfähigkeit“ der Strafrechtspflege von „einem kohärenten, in sich stimmigen System staatlichen Strafens abhängen“.99 Wird ein konkretes Strafgesetz in 97 Vgl. die Charakterisierung von Strafe als Verbindung von hard treatment (Übelzufügung) und censure (Tadel) bei Husak, Overcriminalization, S. 93. Weil der an den Täter gerichtete Tadel durch das materielle Übel kommuniziert werde, ergibt sich für von Hirsch und Ashworth die Notwendigkeit, einer der Tat angemessenen (mithin verhältnismäßigen) Strafzumessung; vgl. Proportionate Sentencing, S. 20 f., 134 f. 98 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 529. 99 Appel, Verfassung und Strafe, S. 585 f. „Aufweichungen des Strafrechts“ durch Absprachen im Strafprozess, opportunitätsgeleitete Einstellungspraktiken und Vollzugsdefizite seien deshalb „nicht unproblematisch“. Prozessuale Regelungen zur Wahrung des Übermaßverbots seien zu begrüßen, soweit sie vor allem im Bagatellbereich „die gesetzlich zunächst vorgesehenen strafrechtlichen Reaktionen auf ein tragbares Maß zu-

§ 8 Begrenzungsansätze im deutschen Schrifttum

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der Praxis nur sehr unregelmäßig oder regelmäßig überhaupt nicht angewandt, dann liegt darin ein Beitrag zur zunehmenden Infragestellung des generalpräventiv wirkenden Aussagegehalts des Strafrechts. Geht man von einer auf individueller Einsichtsfähigkeit aufbauenden Funktion strafrechtlicher Verhaltenssteuerung aus, so ist zudem absehbar, dass es bei der Ausgestaltung des Strafrechts auf Nachvollziehbarkeit strafrechtlicher Verhaltensgebote ankommt. Lagodny merkt an, dass sich der mit Strafe einhergehende staatliche Vorwurf auch auf einen Fehlgebrauch der ganz wesentlich in der Menschenwürde verankerten individuellen Eigenverantwortlichkeit beziehe. Deshalb unterlägen etwa abstrakte Gefährdungsdelikte einem besonderen Begründungaufwand, da hier der strafrechtliche Vorwurf darauf abziele, dass „Eigenverantwortlichkeit überhaupt wahrgenommen worden ist“, was „etwas anderes als der Fehlgebrauch von grundsätzlich eingeräumter“ Eigenverantwortlichkeit sei.100 Zudem habe ein tatbestandliches Erfolgserfordernis eine sozialpädagogische Wirkung, weil dabei „auf den Verstoß gegen bestimmte Verhaltensvorschriften“ hingewiesen werde und „dadurch der Einsatz von Kriminalstrafe auf jene Fälle“ konzentriert werde, „an denen sich die Unwertigkeit besonders eindrucksvoll“ an den Tatfolgen darstellen lasse. Für Lagodny geht es dabei zwar um eine Berücksichtigung dieser Erkenntnisse im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Gefährdungsdelikte seien nicht grundsätzlich verfassungsrechtlich zweifelhaft, ihre Legitimation könne aber „anfälliger für gegenläufige Individualinteressen“ sein.101 Handelt es sich bei Strafrecht aber um ein maßgeblich auf Einsichtsfähigkeit abstellendes Mittel der Verhaltenssteuerung, so wird man das Maß der durch ein Verhaltensgebot vorausgesetzten Eigenverantwortung sowie eine etwaige „sozialpädagogische Wirkung“ seines Inhalts aber nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Aussagekraft und Funktionsfähigkeit des Strafrechts berücksichtigen müssen. rückführen.“ Bedenklich seien prozessuale Lösungen aber dort, wo „sie auf einen gezielten, systematischen Nichtvollzug bestehender, gleichwohl aber nicht aufgehobener strafrechtlicher Regelungen hinauslaufen.“ Der Gesetzgeber setze sich in Widerspruch zu seinen eigenen Vorgaben, wenn er den Gehalt materiell-rechtlicher Tatbestände durch eine „prozessuale Lösung“ von vornherein dementiere; vgl. S. 589 f. 100 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 438 (Hervorhebungen im Original). 101 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 439 f. Sei der Rechtanwender bei abstrakten Gefährdungsdelikten im Falle konkreter Ungefährlichkeit nicht zu einer teleologischen Reduktion befugt, habe dies insofern Auswirkungen auf die Angemessenheit der Vorschrift, als sie „auch für diesen ,Minimalfall‘ nichtunangemessen sein“ darf. Der „Bezugspunkt der Angemessenheit“ sei also nicht der „Durchschnittsfall“, sondern der „Minimalfall“. Abstrakte Gefährdungsdelikte erfassten aber notwendigerweise auch konkret ungefährliche Verhaltensweisen“, weil sie auf dem Gedanken beruhten, dass „der einzelne die Gefahr nicht in genügenden Umfang einschätzen kann“; vgl. S. 442 (Hervorhebungen im Original). „Je weniger plausibel das Bestehen einer abstrakt-generellen Gefahr“ für ein Rechtsgut sei, „umso größer muß das Gewicht des zu schützenden Rechtsgutsinteresses sein“; vgl. S. 520.

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§9 Kriminalisierung unter Berücksichtigung der Grenzen legitimen Strafens Auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abstellende Ansätze gehen ausweislich der voranstehenden Ausführungen im Wesentlichen nicht über eine Forderung nach Konzeptstimmigkeit des Strafrechts hinaus.102 Es wurde aber bereits darauf hingewiesen, dass für dessen Ausgestaltung der Inhalt des an den Täter gerichteten Vorwurfs von zentraler Bedeutung ist.103 Noch weiter zu konkretisieren gilt es deshalb die Anforderungen an die Kommunikation des Strafrechts mit Bürger und Verurteilten, wozu auf die Funktion strafrechtlicher Verhaltenssteuerung eingegangen werden muss. Zunächst ist erforderlich, die diesbezügliche Rolle des strafrechtlichen Vorwurfs und des Appells an individuelle Einsichtsfähigkeit zu untersuchen, anschließend die Rolle der Strafandrohung und deren Legitimitätsgrenzen. Zu fragen ist auch, inwieweit die Ausgestaltung des materiellen Rechts zu einer problematischen Veränderung des Verhältnisses zwischen Gesetzgeber und Justizbehörden führt und dadurch strafrechtliche Werturteile an Rationalität und Glaubwürdigkeit einbüßen. Eine Auseinandersetzung mit den Grenzen legitimen Strafens und der sich daraus für die Ausgestaltung des materiellen Rechts ergebenden Schlussfolgerungen erfordert zudem ein Eingehen auf die Rolle von Vergeltung im Rahmen eines verhaltenssteuernden Strafrechts. Vorweggenommen werden kann, dass es hierbei nicht um eine umfassende Diskussion unterschiedlicher Strafzwecke geht. Es erscheint ohnehin kaum möglich, einen vom Gesetzgeber zu verfolgenden Strafzweck aus dem Grundgesetz herzuleiten.104 Strafrecht dient unzweifelhaft zumindest auch der Verhaltenssteuerung. Ebenso wenig bestreitbar dürfte aber sein, dass der Vergeltungscharakter von Strafe nicht oder zumindest nicht vollständig durch funktionale Argumente begründet werden kann.105 Der Erkenntnisgewinn einer Strafzweckdiskus102 Auch das im anglo-amerikanischen Rechtskreis zu Begrenzung des Strafrechts ursprünglich von Mill entworfene und insbesondere von Feinberg weiterentwickelte harm principle geht letztlich kaum über eine Abwägung von für und gegen ein sanktioniertes Verbot sprechenden Gründen hinaus. Nach Mill darf Zwang gegen das Individuum nur dazu dienen, Schaden (harm) von anderen abzuwenden; vgl. Mill, On Liberty, Kapitel 1, Para. 9 (1859) und dazu Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 582 f. Nach Feinberg handelt es sich bei harm um eine Verletzung der Rechte des Opfers, durch die dessen Interessen vereitelt, zurückgesetzt oder vernichtet und dadurch seine Lebensbedingungen verschlechtert würden; vgl. Harm to Others, S. 33 f. Ausmaß und Wahrscheinlichkeit des zu erwartenden Schadens seien aber gegen die Folgen einer Unterstrafestellung abzuwägen; vgl. S. 216. 103 Vgl. oben § 8, I., 4. 104 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 312. 105 Es wäre allerdings auch erstaunlich, wenn der schon Jahrtausende andauernde Streit zwischen Funktionalisten und Anhängern eines Schuldstrafrechts plötzlich in der Grundrechtsdogmatik eine entgültige Lösung gefunden hätte; vgl. Plato, Protagoras, 324ab, zitiert bei Primoratz, Justifying Legal Punishment, S. 111.

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sion dürfte aber letztlich wohl ohnehin spätestens wegen der fragwürdigen empirischen Substantiierbarkeit der unterschiedlichen Lösungsansätze begrenzt sein. Eine Auseinadersetzung mit der Legitimität von Strafe erscheint deshalb im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Betrachtung vor allem insofern weiterzuführen, als es um die Frage geht, welche Art und Weise der Verhängung von Strafe unabhängig vom dabei verfolgten Strafzweck als nicht hinnehmbar erscheint. Für die Ausgestaltung des materiellen Rechts ist dies deshalb relevant, weil absehbar sein kann, dass die vom Gesetzgeber im Rahmen der Unterstrafestellung eines Verhaltens antizipierte beziehungsweise in Kauf genommene Anwendung eines Strafgesetzes jene Grenzen legitimen Strafens überschreitet. I. Grenzen eines auf normativer Ansprechbarkeit der Bürger aufbauenden Strafrechts Erkennt man im an den Täter gerichteten Vorwurf das kennzeichnende Merkmal der Kriminalstrafe,106 so kann es nicht genügen, nach der Verhältnismäßigkeit des darin liegenden Eingriffs in das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Achtung des sozialen Geltungsanspruchs zu fragen. Denn zwar wird in letzteres durch die Verhängung von Strafe eingegriffen. Ein Vorwurf ist jedoch mehr als die schlichte Kennzeichnung einer Person, denn es kann dem Staat nicht allein darum gehen, die Verwerflichkeit einer Tat am Täter zu demonstrieren oder durch dessen demonstrative Stigmatisierung die Gesellschaft zu einer irgendwie gearteten Reaktion gegenüber diesem zu bewegen. Ein Vorwurf drückt vor allem Kritik aus.107 Dem Täter wird vermittelt, dass er hätte anders handeln können und sollen. Dann aber kann es nicht genügen, einen legitimen Strafzweck lediglich an der empirischen Plausibilität einer präventiven Wirkung zu messen. Voraussetzung eines strafrechtlichen Vorwurfs ist neben dem Bestehen einer dem Täter zumutbaren Handlungsalternative vielmehr, dass dieser anders hätte handeln sollen. 1. Rechtswidrigkeit als ungenügende Voraussetzung eines strafrechtlichen Vorwurfs Handelt es sich bei einer strafgerichtlichen Verurteilung um einen sozialethischen Vorwurf, so kann die an den Täter gerichtete Verhaltenserwartung nicht beliebigen Inhalts sein. Hat der Vorwurf hingegen nur das Verhältnis des Normunterworfenen zur Rechtsnorm und zur sie erlassenden Instanz zum Gegenstand,108 so genügt es, wenn der Vorwurf das Bestehen einer formellen Rechts106

Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 285 f. Hierzu eingehend von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 17 f. 108 So Appel, Verfassung und Strafe, S. 463 f. „Entscheidend aus der Sicht des Staates ist [. . .] nicht (nur) die Verletzung der Verhaltensnorm, sondern (bereits) die defizitäre Einstellung des Betroffenen zur Norm“. Diese ist es, „die im Strafverfahren thema107

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pflicht des Täters thematisiert. Letztere Annahme kann jedoch nicht überzeugen. Die Thematisierung strafrechtlicher Verantwortung im Rahmen eines Strafverfahrens beinhaltet immer auch in erheblichem Maß einen Appell an ethisch-moralische Wertungen. Dies wird besonders bei der Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale und bei der Feststellung strafschärfender bzw. strafmindernder Umstände deutlich. Eine ,defizitäre Einstellung zur Norm‘ vermag zudem nicht zu erklären, weshalb der Vorwurf je nach Art des Täterhandelns völlig unterschiedlichen Inhalts ist und mit unterschiedlichster Intensität in den sozialen Geltungsanspruch des Täters eingreift. Der Vorwurf, Mörder, Verleumder, Brandstifter, Betrüger oder Räuber zu sein, beinhaltet zwar auch die Feststellung einer defizitären Einstellung zur Rechtsordnung. Für den strafrechtlichen Eingriff in den sozialen Geltungsanspruch ist diese Feststellung aber weitgehend inhaltslos und als Maßstab für dessen Eingriffsintensität mithin ungeeignet. Die unterschiedliche Eingriffsintensität des Vorwurfs lässt sich nur begründen, wenn man auf jene den sozialen Geltungsanspruch berührende Merkmale der Tat abstellt und es nicht bei der Feststellung der Verhaltensnormwidrigkeit des tatbestandlichen Verhaltens belässt. Verhaltensnormwidrigkeit allein berührt ohne Berücksichtigung des Norminhalts noch nicht den sozialen Geltungsanspruch, normwidriges Verhalten kann mitunter den sozialen Achtungsanspruch des Täters sogar stärken.109 Husak weist zu Recht darauf hin, das Bestehen von über die Strafwürdigkeit eines Verhaltens entscheidenden vorrechtlichen Werten bestätige sich darin, dass man die Zumessung von Strafe nicht ohne Berücksichtigung der Strafwürdigkeit des inkriminierten Verhaltens begründen könne. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer Begründung von Strafzumessung bestehe im Gegensatz zu den dabei zu verwendenden Zumessungskriterien weitgehend Einigkeit. Damit würden aber letztlich auch bestimmte moralische Eigenschaften strafbaren Verhaltens unterstellt. Schließlich lasse keine Strafzumessungstheorie der Hinweis genügen, der Gesetzgeber habe nun einmal das fragliche Verhalten unter Strafe gestellt.110 Demnach liegt Strafe zwingend eine vorrechtliche, dem Gesetzgeber entzogene Bewertung von Verhalten zugrunde.111 tisiert und verbindlich festgestellt wird“; vgl. S. 467. Hingegen beziehe sich der staatliche „Vorhalt“ bei einem säkularisierten Strafrecht nicht auf „irgendeine Sozialethik oder Moral“; vgl. S. 459. 109 Wird der soziale Geltungsanspruch des Täters durch die Tat nicht gemindert, so dürften die Grenzen legitimen Strafens entgültig überschritten sein. 110 Husak, Limitations on Criminalization, in: Shute/Simester, Criminal Law Theory: Doctrines of the General Part, S. 31 f. Wenn Appel meint, eine dem Gesetzgeber übergeordnete Sozialethik sei mit dessen Stellung in einer Demokratie nicht zu vereinbaren, weshalb es sich beim strafrechtlichen Vorwurf nicht um ein moralisches oder sozialethisches Unwerturteil handeln könne, so ignoriert er, dass vorrechtliche Wertüberzeugungen der Wähler – mithin „Abhängigkeit des Gesetzgebers [. . .] von einer Sozialethik, die ihre entscheidenden Wertungen aus Sozial- und Kulturnormen bezieht, die dem Gesetzgeber vorgelagert und übergeordnet sind“ – ja gerade das Wesen einer Demokratie ausmachen; vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 469, 487.

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Abgesehen von der fehlenden Berücksichtigung des in den sozialen Achtungsanspruch des Täters eingreifenden Vorwurfs erscheint das Abstellen auf eine ,defizitäre Einstellung zur Norm und zum Normgeber‘ als Begründung von Strafbarkeit auch deshalb problematisch, weil darin ein fragwürdiges Staatsverständnis zum Ausdruck kommt. Denn vom Bürger wird hierbei unbedingter Gehorsam gegenüber gesetzlichen Verhaltensanforderungen verlangt. Unbedingter, mithin inhaltlich unreflektierter Gehorsam beschreibt allerdings ein hierarchisches Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Einer freiheitlichen Gesellschaft entspricht dies jedoch kaum.112 Denn eine solche beruht gerade auf der Prämisse, dass der Bürger ein vernunftbegabtes Wesen ist und sein Verhalten grundsätzlich ohne externe (insbesondere staatliche) Anweisungen gestalten kann, er also über die Fähigkeit verfügt, sein Verhalten selbständig an gesellschaftlichen Werten auszurichten.113 Demokratie ist ohne diese Prämisse nicht begründbar, denn sie geht von der Fähigkeit der Bürger aus, ihr Gemeinwesen selbst zu organisieren. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber kann zwar in weitem Umfang (sanktionierte) Verhaltensvorschriften erschaffen.114 Die Existenz eines staatlichen Gebots führt aber nicht zur Aufhebung der Vernunftbegabtheit des Bürgers im Anwendungsbereich der Norm. Dieser wird die ihm offenstehenden Handlungsoptionen vielmehr auch weiterhin auf der Grundlage eigener Erwägungen, insbesondere normativer Wertungen und anderer handlungsmotivierender Faktoren beurteilen. Das Bestehen eines staatlichen Verhaltensgebots wird dabei zwar eine erhebliche Rolle spielen und regelmäßig ausschlaggebend sein. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber kann jedoch vom Bürger nicht erwarten, dass dieser sein 111 Anders zwar Alldridge, Making Criminal Law Known, S. 108 f.: Wer die Legitimität von Strafvorschriften von vorrechtlichen Wertungen abhängig mache, lasse unberücksichtigt, dass moralische Urteile in vielen Fällen gerade eine Folge strafrechtlicher Verbote und deren Verletzung seien. Letzterer Beobachtung ist zwar zuzustimmen. Eine vorrechtliche Grundlage wird der Strafende aber selbst dann geltend machen, wenn das fragliche Verhalten per se (noch) nicht verwerflich ist. Strafe wird er dann unter Verweis auf tatsächlich weithin anerkannte normative Werte begründen. Eine andere Frage ist, ob sich die behauptete Kausalkette zwischen inkriminierten Verhalten und „geschützten“ Wert objektiv als haltbar erweist. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die gegen den Täter gerichtete Übelzufügung, um Strafe zu sein, vorrechtlich begründet wird. Selbst Unrechtsstaaten werden regelmäßig darauf achten, die Verhängung von „Strafe“ mit der (empirisch dann allerdings häufig unhaltbaren) Beeinträchtigung anerkannter Werte zu begründen. 112 Vgl. auch Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 110 f.: ein soziales System solle „nicht um seiner selbst willen erhalten werden, sondern um der Menschen willen“. Eine Norm könne „nicht nur den Gehorsam der Bürger bezwecken“. Sie müsse sich immer „auf die Herstellung eines bestimmten Zustandes“ richten. Dieser könne in einer rechtsstaatlichen Demokratie „nur in einem friedlichen und freien, die Menschenwürde respektierenden Zusammenleben der Gesellschaftsmitglieder bestehen“. 113 Vgl. Duff, Rule-Violations and Wrongdoings, S. 52, 57; von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 18; Primoratz, Justifying Legal Punishment, S. 34 f. 114 Einschränkend aber Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 223 f.

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Verhalten an Befehlen ausrichtet. Vielmehr muss er ihm zugestehen, den Inhalt staatlicher Normen zu hinterfragen. Im Übrigen ist ein freiheitliches, Demokratie ermöglichendes und sicherndes Gemeinwesen darauf angewiesen, dass Bürger staatlichem Handeln nicht unkritisch gegenüberstehen. Der freiheitlich-demokratische Staat kann seinen Bürgern deshalb nicht vorwerfen, dass sie staatliches (auch gesetzgeberisches) Handeln hinterfragen, seinen Geboten also nicht blind folgen.115 Er kann sie mithin auch nicht wegen eines defizitären Verhältnisses zum Gesetzgeber, sondern nur wegen der normativen Gründe eines Gebots bestrafen. Forderte er hingegen blinden Gehorsam, so verneinte der Gesetzgeber seine eigene Legitimationsgrundlage, nämlich die Vernunftbegabtheit des Bürgers und dessen sich daraus ergebende Befähigung zum Handeln innerhalb und als Teil eines Gemeinwesens. Eben eine derartige Forderung würde aber gestellt, wenn der an einen normwidrig Handelnden gerichtete Vorwurf vom Inhalt der Norm losgelöst wäre und schlicht mangelnde Loyalität oder mangelnden Gehorsam thematisierte. Ein strafrechtlicher Vorwurf muss vielmehr jene das verletzte Verhaltensgebot erklärende Gründe thematisieren, kann es hingegen nicht bei einer Feststellung der Rechtswidrigkeit belassen. 2. Verfassungsgemäße gesellschaftliche Werte als Gegenstand des Vorwurfs Der Täter muss nach Ansicht der Vorwerfenden also andere Gründe (als bedingungslose Treue gegenüber dem Gesetzgeber) gehabt haben, um sich normkonform zu verhalten. Kommuniziert Strafe Kritik seitens der Gesellschaft,116 so kommen dabei nur solche Gründe in Betracht, deren Nichtbeachtung den sozialen Geltungsanspruch mindern. Bestimmt sich letzterer aus dem Verhältnis menschlichen Verhaltens zu gesellschaftlich weithin geteilten Werten, so müssen die einen Vorwurf rechtfertigenden Gründe in der Werteordnung eines Gemeinwesens gesucht werden,117 nicht zuletzt auch in deren verfassungsrechtlich vorgezeichneten Inhalten.118 Ein Vorwurf kann mithin nur gerechtfertigt sein, soweit er den Werten dieser Ordnung entspricht.119 Vorgeworfen wird dem Täter, dass er sein Verhalten an ihnen hätte ausrichten können und sollen, es aber nicht tat. 115 Ähnlich auch Hellmer, Bemerkungen zum strafrechtlichen Staatsschutz aus Sicht der Identitätstheorie, S. 756. 116 Vgl. § 268 I StPO. 117 Das Bestehen weithin (wenn auch realistischerweise niemals ausnahmslos) geteilter Werte innerhalb einer Gesellschaft kann nicht ernstlich zweifelhaft sein (zurückhaltend aber Primoratz, Justifying Legal Punishment, S. 55 f.). Fehlt es an die Gesellschaft zusammenhaltenden grundlegenden Werten, so ist kaum anzunehmen, dass selbst ein gesellschaftliches Leben bis ins Detail regulierender Staat diesen Mangel auf Dauer substituieren könnte – um einen freiheitlichen Staat würde es sich dann jedenfalls kaum noch handeln. 118 Dabei sollte man jedoch die ,Regelungsdichte‘ verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht überbewerten. 119 Vgl. Duff, Rule-Violations and Wrongdoings, S. 57.

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Diese Einsicht erlaubt zwar keine Konkretisierung strafwürdigen Verhaltens, doch ist sie für die inhaltliche Ausgestaltung des Strafrechts keineswegs unbeachtlich. Grundsätzlich offen bleibt die Frage, ab wann bestimmten Werten innerhalb einer Gesellschaft eine derartige Bedeutung zuerkannt wird, dass ihnen entgegenlaufendes Verhalten einen Vorwurf zu begründen vermag. Nicht allgemeingültig zu beantworten, sondern im demokratischen Entscheidungsprozess in den Grenzen verfassungsrechtlicher und menschenrechtlicher Gebote zu klären ist darüber hinaus, ab wann ein gegen solche Werte gerichtetes Verhalten einen strafrechtlichen Vorwurf rechtfertigt. Die Legitimität eines Vorwurfs wird demnach aber aus zwei Gründen zu hinterfragen sein. Einerseits kann sich die Behauptung als unzutreffend erweisen, der ihm zugrundeliegende Wert sei in der Gesellschaft weithin anerkannt und zudem verfassungsrechtlich zulässig. Diese Frage wird man grundsätzlich einem demokratisch legitimierten Gesetzgeber überlassen müssen (soweit dieser nicht gegen einschlägige verfassungsrechtliche Verbote verstößt, etwa trotz eines verfassungsrechtlichen Neutralitätsgebots die Strafbarkeit eines Verhaltens schlicht mit einem entsprechenden religiösen Verbot rechtfertigt), denn Wertüberzeugungen sind nicht zwingend begründbar.120 Dem Gesetzgeber kann also keine normativ begründete Werteordnung vorgeschrieben werden,121 solange nicht der zur Begründung eines Strafgesetzes herangezogene Wert seinerseits verfassungswidrig ist.122 Andererseits kann es sein, dass sich der Kausalzusammenhang zwischen dem inkriminierten Verhalten und der angeblich daraus erwachsendenden Infragestellung gesellschaftlicher Werte als empirisch nicht haltbar erweist. Mehr als bei der Frage jener der Vorschrift 120

Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 12. Vgl. schon oben § 8, I., 4. 122 Dem entspricht es, wenn Roxin, Hassemer-FS, S. 585 die seiner Ansicht nach unzulässige Strafbarkeit des Geschwisterinzests nicht nur „konsequentialistisch“ (also mit dem Fehlen der Verletzung fremder Rechtsgüter) begründet, sondern auch „deontologisch“ (nämlich damit, dass das strafrechtliche Verbot in einen dem Zugriff des Staates entzogenen „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ eingreift). Es geht dabei also nicht um die Frage, ob sich das strafrechtliche Verbot üben den Schutz möglicherweise mittelbar beeinträchtigter Rechtsgüter empirisch substantiieren und damit rechtfertigen lässt (vgl. oben § 8, I., 4.), sondern ob es sich bei dem unmittelbar geschützten Interesse (im konkreten Fall: einer bestimmten Begrenzung von Sexualität) um einen Wert handelt, der von Verfassung wegen Rechtsgut sein darf. Hieran zeigt sich, dass nicht nur die oben besprochene notwendige Substantiierbarkeit eines strafrechtlichen Vorwurfs für die Legitimität staatlichen Strafens von Bedeutung ist, sondern dass auch der deontologische Teil der Strafbarkeitsbegründung (nämlich der dazu angeführte Wert als Bezugspunkt der empirischen Substantiierung) auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung hinterfragt werden muss. Entscheidender Ansatzpunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung eines Strafgesetzes muss dabei sein, womit der Gesetzgeber selbst das Verbot begründet, ob also mit den möglichen mittelbaren Folgen der Tat (dann Prüfung der empirischen Substantiierbarkeit der angeführten Kausalkette) oder mit ihrer unmittelbaren Verwerflichkeit (dann Prüfung, ob mit der Tat unmittelbar ein Lebenssachverhalt beeinträchtigt wird, der einen nicht selbst gegen die Werteordnung der Verfassung widersprechenden eigenständigen Wert darstellt). 121

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

zugrundeliegenden Werte handelt es sich dabei um eine rationalen Argumenten und deshalb auch verfassungsrechtlicher Überprüfung zugängliche Entscheidung. Die Frage nach der Legitimität eines Vorwurfs dürfte sich dabei regelmäßig weniger hinsichtlich des gesetzgeberisch angestrebten Ziels, sondern vielmehr mit Blick auf die faktische Verifizierbarkeit der zu seiner Begründung herangezogenen Kausalkette stellen. Bezieht sich der strafrechtliche Vorwurf im Kern nicht auf die Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit eines Verhaltens, sondern auf die dahinterstehenden normativen Gründe, so müssen letztere für den Normenunterworfenen auch ersichtlich und nachvollziehbar sein, andernfalls ein auf ihre Nichtbeachtung abzielender Vorwurf gegenstandslos wäre. So komplexer eine strafrechtlich bewehrte Verhaltensnorm ist, umso weniger sich die darin getroffenen Regelungen als positivrechtliche Konkretisierung gesellschaftlich weithin geteilter Wertvorstellungen darstellen, umso mehr sie vielmehr Ausdruck kontroverser ordnungspolitischer Konzepte sind, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Normunterworfene ihr Verhalten an internalisierten Werten ausrichten (können). Der an den Täter gerichtete Vorwurf thematisiert dann vermehrt die Rechtswidrigkeit des Handelns, ihm ersichtliche Gründe verlieren hingegen an Bedeutung. Fehlt es aber an solchen für den Täter nachvollziehbaren Gründen, dann handelt es sich bei Strafrecht eben nicht mehr um „auf die Einsicht des Individuums“123 bauende Normdurchsetzung. Denn zwar kann man den Gesetzgeber zur strafrechtlichen Sanktionierung auch solchen Verhaltens für befugt halten, welches von weiten Teilen der Gesellschaft (noch) nicht als verwerflich angesehen wird. So fordert etwa Stratenwerth, dem Strafrecht könne es nicht um die Konservierung einer historisch geprägten Sittenordnung gehen, da „das vorherrschende moralische Bewusstsein“ vielfach hinter den sozialen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen zurückbleibe. Vielmehr müsse es bei neuartigen Bedrohungen auch ein „Schrittmacherfunktion übernehmen können“ und dafür von sozialethischen Kriterien abweichen.124 Strafrecht soll dann dazu dienen, Verhaltensnormen zu breiterer gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen.125 Nicht übersehen werden darf jedoch, dass mit zunehmender Komplexität der hinter einer Verhaltensnorm stehenden ordnungspolitischen Argumente die verhaltenssteuernde Wirkung individueller Einsichtsfähigkeit gemindert wird, die Be123

Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 285 f. Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 2 f. 125 Darin liegt solange noch keine solche den utilitaristischen Strafzwecktheorien regelmäßig entgegengehaltene (vgl. Primoratz, Justifying Legal Punishment, S. 35) Manipulation der Bürger, wie es um die Etablierung von Verhaltensnormen geht, deren sie begründende Werte gesellschaftlich bereits weithin anerkannt sind. Denn dann stellt die Strafandrohung lediglich einen nachdrücklichen Hinweis auf das Bestehen bestimmter Kausalbeziehungen zwischen einem bestimmten Verhalten und der Beeinträchtigung anerkannter Werte dar. 124

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deutung der Sanktionsdrohung hingegen wächst. Kommt es dann umso mehr auf deren Glaubwürdigkeit an, dann wird die Durchsetzung der Norm maßgeblich von der regelmäßigen Ahndung normwidrigen Verhaltens abhängen, weniger hingegen von normativer Überzeugungskraft. Möglicherweise können zwar auch solche auf komplexen Kausalketten beruhende Verhaltensnormen (nicht zuletzt befördert durch eine strafrechtliche Sanktionierung) mit der Zeit breite gesellschaftliche Anerkennung erlangen. Geschieht dies aber nicht, etwa weil die zugrundeliegenden Argumente in den Augen weiter Teile der Gesellschaft als empirisch fragwürdig erscheinen, sie mithin nicht von einer Kausalität zwischen dem fraglichen Verhaltensgebot und der Beeinträchtigung gesellschaftlicher Werte ausgehen, so wird eine mit begrenzten Ressourcen operierende Strafjustiz ihre dauerhafte Mehrbelastung nicht ignorieren können. Zwar lässt sich grundsätzlich eine Vielzahl von Verhaltensgeboten unter Verweis auf gesellschaftlich anerkannte Werte plausibel begründen und sanktionieren. Die Frage kann sich aber stellen, ob die Art und Weise der Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Sanktionsdrohung bei dauerhafter Diskrepanz zwischen normativer gesellschaftlicher Realität einerseits und gesetzgeberischen Gestaltungswillen andererseits es noch erlaubt, von legitimer Strafe zu sprechen. II. Glaubwürdigkeit strafrechtlicher Unwerturteile als Grenze selektiven Strafens Vergegenwärtigt man sich die mit staatlicher Strafe und regelmäßig bereits mit dem Strafverfahren verbundenen einschneidenden Konsequenzen, so wird man von einem die Gleichheit vor dem Gesetz respektierenden Staat verlangen, jene Gleichheit in besonderem Maße bei der Anwendung von Strafgesetzen zu beachten.126 Erlangen die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis von einer begangenen Straftat, so erscheint eine Ungleichbehandlung im Wesentlichen vergleichbarer Taten grundsätzlich nicht hinnehmbar. Für den Gesetzgeber muss bei der Schaffung einer neuen Strafvorschrift absehbar sein, dass eine derart einheitliche Anwendung mit Blick auf die den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen126 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 3, Rdn. 413 f.: „Und bei allen begründeten Bedenken gegen das ,gesunde Volksempfinden‘ im Strafrecht [. . .] sei doch (fast schüchtern) daran erinnert, daß der berühmte ,Mann auf der Straße‘ und das ebenso berühmte ,Lieschen Müller‘ in der Tat an Gleichheit der Strafverfolgung zuerst denken, wenn sie den Verfassungssatz: ,Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich‘ hören.“ Nach Starck darf das Legalitätsprinzip als „Garant der Gleichheit der Strafverfolgung“ nur „marginal durch das Opportunitätsprinzip durchbrochen werden“; vgl. Starck, in Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 3, Rdn. 64; zustimmend Heun, in Dreier, Grundgesetz, Art. 3, Rdn. 90. Vgl. auch BVerfGE 90, 145 (190), wo hinsichtlich § 31a BtMG eine Pflicht der Länder angenommen wird, „für eine im wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen [. . .] zumal es sich um das den Einzelnen besonders belastende Gebiet der Strafverfolgung handelt.“ Dazu Aulinger, NStZ 1999, 111 (116).

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den Ressourcen tatsächlich zu erwarten ist und sich nicht eine unregelmäßige, intransparente oder gar exemplarische Strafverfolgungspraxis abzeichnet. Sind jene Ressourcen begrenzt, so muss dies demnach auch für das materielle Strafrecht gelten. Zu bezweifeln ist daher, dass Grundrechte lediglich die Fähigkeit zur Begrenzung einzelner Strafvorschriften hätten, eine begrenzende Funktion hinsichtlich der „Häufung“ etwa von abstrakten Gefährdungsdelikten aber zu verneinen ist.127 Denn so mehr Verhalten der Gesetzgeber bei annährend gleichbleibenden Verfolgungsressourcen kriminalisiert, desto öfter ist damit zu rechnen, dass Verfolgungsbehörden entweder von einer Strafverfolgung strafbaren Verhaltens ganz absehen oder aber zum Zweck einer weniger ressourcenintensiven Verfahrenserledigung zumindest Zugeständnisse an den Täter machen müssen. Dies ist aber absehbar, wenn wegen der tatbestandlichen Weite einzelner Delikte oder der Weite des materiellen Rechts insgesamt eine Umkehrung des unter dem strafprozessualen Legalitätsprinzip für die Strafverfolgung grundsätzlich geltenden Regel-Ausnahme-Prinzips letztlich bereits angelegt ist.128 Eine derartige Umkehrung ist nur insofern mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren, wie es um die Bestimmung eines zur Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung notwendigen Unwertminimums geht. Appel ist darin beizupflichten, dass flexible Entkriminalisierung sich verfassungsrechtlich nur rechtfertigen lasse, „wenn sie berechenbare und bis zu einem gewissen Grad verfestigte Strukturen und Positionen schafft“.129 In Anbetracht der bei einer Ausweitung des materiellen Rechts zu erwartenden zunehmend lückenhaften Ahndung von Straftaten ist es unbefriedigend, die außerhalb des Strafrechts entwickelten dogmatischen Erkenntnisse zum Gleichbehandlungsgrundsatzsatz nicht auch auf die strafrechtsdogmatischen Diskussion über Inhalt und Grenzen legitimen Strafens anzuwenden. Es überrascht, dass gerade beim materiellen Strafrecht die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers eine nahezu unüberwindliche Hürde gegen grundrechtsdogmatische Kritik darstellen soll, obwohl bei einer zunehmenden Ausweitung des materiellen Strafrechts dessen gleichmäßige Anwendung zunehmend fraglich erscheint und behördliches Ermessen an Bedeutung gewinnt. Wenn der Gleichheitssatz für die 127 Dahingehend aber Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 484, 511; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen des Nebenstrafrechts, S. 169. 128 Gerade bei dem von Lagodny als Beispiel mangelnder grundrechtlicher Begrenzungsfähigkeit angesprochenen Szenario („wenn abstrakte Gefährdungsdelikte zur Regel werden“) stellt sich nachdrücklich die Frage, inwieweit noch Widerspruchsfreiheit der Rechtsanwendung gewährleistet werden kann; vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 492. 129 Appel, Verfassung und Strafe, S. 589 f. Für eine materiellrechtliche Umschreibung der Bagatellegrenze des Strafrechts Frisch, Voraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, S. 230 f. Ganz wesentlich auf eine prozessuale Gestaltung des materiellen Rechts abstellend hingegen Lampe, Gedanken zum materiellen Straftatbegriff, S. 93 f. Zu geringer Schuld als persönlichen Strafausschließungsgrund Naucke, Begriff der „Geringen Schuld“, S. 203 ff.

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Strafverfolgungspraxis nicht unbeachtlich ist, so darf Ungleichbehandlung erst recht nicht schon in der Gestaltung des materiellen Rechts angelegt sein. Dies muss aber angenommen werden, wenn man der Strafrechtspflege in zunehmendem Maße die Aufgabe zuweist, die Beachtung komplexer ordnungspolitischer Verhaltensnomen abzusichern. Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob es sich dabei um eine „im Zweifel unaufhaltsame und eben auch notwendige Entwicklung“ des Strafrechts handelt. Verfehlt ist aber jedenfalls der Vorwurf, beim Versuch der Begrenzung des Strafrechts handele es sich um ein „Bestreben das Rad der Geschichte zurückzudrehen und das Strafrecht wieder auf einen mehr oder weniger eng definierten ,Kernbereich‘ einzuschränken“.130 Es geht eben nicht darum, ob der Inhalt des materiellen Rechts noch zeitgemäß ist, sondern bis zu welchem Maße eine inhaltliche Ausdehnung des Strafrechts noch eine nicht lediglich selektive und nicht willkürliche Strafverfolgung erlaubt. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber ganz grundsätzlich die Frage zu beantworten, ob das Strafrecht nur eines der Instrumente staatlicher Verhaltenssteuerung sein oder ob es nicht als Ausdruck einer gesellschaftlichen Grundordnung bewahrt werden soll. 1. Bestätigung der Normgeltung als illegitimer Strafzweck Strafe kann es nicht allein um die Bestätigung der Geltung von Verhaltensnormen gehen. Eigentlicher Zweck ist die Bewehrung der hinter den sanktionierten Normen stehenden Werte. Verhaltenspflichten können überhaupt erst durch gesellschaftliche Werte begründet und durch den Pflichtigen inhaltlich nachvollzogen werden. Von Verhaltengründen absehendes Strafen ist deshalb ungeeignet, die Normunterworfenen in ein auf Einsichtsfähigkeit und Vernunftbegabtheit bauendes gesellschaftliches Miteinander einzubinden. Sieht man den Zweck von Strafrecht in einer ,Rehabilitierung‘ verletzter Normen oder der Heilung eines ,Normgeltungsschadens‘, so behandelt man den Täter hingegen als einen auf den Inhalt seines Verhaltens nicht Ansprechbaren.131 Ist die Tat mit Jakobs „Leugnung der Struktur der Gesellschaft, die Strafe Marginalisierung dieser Leugnung, also Bestätigung der Struktur“, soll durch den Schuldspruch „die Tat nicht der personalen Freiheit, sondern der Willkür des Täters zugeordnet“ und durch die Strafe dem Täter seine „Entfaltungsmittel“ als „Werkzeuge bloßer Willkür“ genommen werden,132 oder sieht man den Strafzweck mit Appel in der „Rehabili130

So der Vorwurf von Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 10 f. Strafe dient demnach nicht dazu, den (potentiellen) Täter anzusprechen. Konsequenterweise hat demnach Strafe keinen Zweck, sondern ist selbst Zweckerreichung; vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 106. Dagegen die Kritik von Schünemann, Roxin-FS, S. 16. 132 Jakobs, FS Seiji Saito, S. 33 f. Durch die Tat gestalte der Täter „die Welt ohne Blick auf die Norm [. . .] also eine Gesellschaft anderer Struktur“. Damit werde die Geltung der Norm in Abrede gestellt, und zwar nicht nur in Form einer (unzutreffenden) Behauptung des Täters über den Umfang seiner Freiheit, sondern auch in Form einer 131

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tierung“ der infrage gestellten Norm „durch Vorhalt der defizitären Einstellung zur Norm und Auferlegung eines materiellen Übels als symbolischen Ausgleich des durch die Normverletzung erlangten ,Freiheitsvorteils‘“,133 so betrachtet man Strafe lediglich als Antwort auf Ungehorsam. Dies entspricht nicht dem Bild einer Gesellschaft, deren Bürgern die Beachtung der sanktionierten Verhaltensnormen als für das gesellschaftliche Miteinander notwendig oder sinnvoll vermittelt werden kann, noch weniger einer Gesellschaft, deren Bürger die Beachtung dieser Normen in aller Regel als notwendig anerkennen und deshalb im demokratischen Entscheidungsprozess an ihrer fortgesetzten Geltung festhalten. Wer Strafe schlicht mit Ungehorsam begründet, der verabschiedet sich damit zwangsläufig von individueller Einsichtsfähigkeit als dem Kern strafrechtlicher Verhaltenssteuerung. Einsichtsfähigkeit kann nur angesprochen werden, wenn der strafrechtliche Vorwurf solche für das gesellschaftliche Miteinander als notwendig erachtete Werte thematisiert. Bezieht sich der Vorwurf hingegen auf Ungehorsam und geht es Strafe darum, das Verhalten des Täters zu marginalisieren, so geht es sicherlich nicht um dessen gesellschaftliche Einbindung. Wird der Täter lediglich als zu neutralisierende Störung behandelt, so wird man sich kaum Illusionen über dessen gesellschaftliche Perspektive machen können. Man kann zwar erwarten, dass normwidriges Verhalten zukünftig aus Furcht von Strafe unterbleibt. Thematisiert Strafe aber nicht Handlungsgründe, so kann man auch nicht davon ausgehen, dass der Täter sich diese zueigen macht und zukünftig aus Einsichtsfähigkeit handelt. Werden gesellschaftliche Werte durch den strafrechtlichen Vorwurf nicht angesprochen, so ist selbiges notwendigerweise auch im Hinblick auf das einer Verurteilung zugrundeliegende materielle Recht anzunehmen. Die generalpräventive Funktion des Strafrechts liegt demnach darin, dass sie die Geltung von Verhaltenspflichten verdeutlicht und die Beachtung dieser Pflichten von den Normunterworfenen fordert. Gesellschaftliches Miteinander beruht dann auf Pflichtbewusstsein gegenüber dem Normgeber, nicht aber auf Einsichtsfähigkeit. „Objektivierung der Kommunikation“ in der Tat. Die Tat ist betätigte, also „objektivierte“ mangelnde Rechtstreue, weshalb zur Heilung der Norm „auch der Schuldspruch objektiviert werden“ müsse. Ähnlich auch Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 179 und Frisch, Rechtsgutstheorie, S. 222. Zur Kritik an derartigen Erklärungsversuchen; vgl. etwa Primoratz, Justifying Legal Punishment, S. 147. 133 Appel, Verfassung und Strafe, S. 526 f. „Norm und normsetzende Instanz können lediglich dadurch rehabilitiert werden, daß der Normbrecher degradiert und die Autorität von Norm und normsetzender Macht wiederhergestellt wird. Die Rechtsnorm und die normsetzende Instanz haben sich als verletzbar erwiesen, sie zwingen den Normbrecher jedoch unter die Normherrschaft zurück“. Anders als den Verhaltensnormen gehe es dem Strafrecht nicht „um die Abgrenzung von Freiheitsräumen und den Ausgleich konkreter Interessengegensätze [sondern] um ein vom Willen der normsetzenden Instanz abweichendes Verhalten.“ Entscheidend „für das Strafrecht und die Strafrechtspflege ist das Ziel, im Falle von Normbrüchen das Verhältnis des Normbrechers zur Norm und zur normsetzenden Instanz zu thematisieren und die Autorität der normativen Vorgabe durch eine rechtlich verbindliche Degradierung des Normbrechers zu verdeutlichen“; vgl. S. 463 f.

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Für ein derartiges Strafrecht ist letztlich die Glaubwürdigkeit der Sanktionsdrohung der entscheidende Faktor. Hingegen geht es ihm nicht um die Aufrechterhaltung einer durch gemeinsame Überzeugungen zusammengehaltenen Ordnung. Dem kann Strafrecht nur dienen, wenn es nicht nur die Verhaltenspflichten, sondern vor allem die dahinterstehende Missachtung von Werten sanktioniert und, indem es deren Notwendigkeit verdeutlicht, also eine positive Einstellung zu ihnen herbeiführt. Sind Rechtsgüter eben jene im demokratischen Gesetzgebungsprozess identifizierten und historisch auch veränderbaren Werte, so geht es Strafrecht mithin um eine positive Einstellung zu Rechtsgütern.134 Nur durch derartige normative Kommunikation kann es dem Strafrecht gelingen, eine auf Einsichtsfähigkeit der Bürger beruhende Grundstruktur der Gesellschaft zu bewehren. Geht es dem Strafrecht um die Bewehrung einer gesellschaftlichen Werteordnung und appelliert es dazu an individuelle Einsichtsfähigkeit, lassen sich die Mitglieder einer Gesellschaft aber nicht in Einsichtsfähige und nicht Einsichtsfähige unterteilen (sondern höchstens in mehr oder weniger Einsichtsfähige), so bedeutet dies zudem, dass die Strafandrohung neben dem an Werte appellierenden Verhaltengebot nur einen subsidiären Handlungsgrund darstellt. Folglich ist Strafrecht darauf angewiesen, glaubwürdig mit den Bürgern zu kommunizieren. Nur dann ist nämlich ein normativer Appell möglich. 2. Strafrecht als Medium der Kommunikation gesellschaftlicher Mindeststandards Strafe bedeutet zweifellos auch Abschreckung. Selbst wenn eine bestimmte Verhaltensnorm gesellschaftlich fest verankert ist und eine Strafandrohung als Anreiz zu normkonformen Verhalten deshalb im Regelfall entbehrlich erscheint, so wird man sich trotzdem nicht darauf verlassen können, dass jedermann jederzeit zum Handeln entsprechend dieser Werte gewillt ist.135 Ein legitimer Strafzweck kann aber nicht darin liegen, dass Täter durch die Strafdrohung lediglich zu kooperativen Verhalten im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen oder zivilrechtlichen Aufarbeitung strafbaren Verhaltens136 oder gar im Rahmen eines Strafverfahrens veranlasst werden.137 Wenn Strafe ein Abschreckungseffekt zukommt, so muss es dabei um das tatbestandliche Verhalten gehen, nicht aber darum, Täter zu einem bestimmten Verhalten nach Begehung der Tat zu bewegen. Andernfalls wird der Täter de facto für sein unkooperatives Verhalten bestraft. Eine derartige Anwendung von Strafgesetzen wäre nicht nur im Hinblick 134

Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, S. 7 f. von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 21 ff. 136 Zur Rolle des Strafrechts als Druckmittel im Rahmen von Unternehmens-Compliance Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (248). 137 Zum Missbrauch von Anklagevorwürfen und der mit ihnen verbundenen Sanktionsdrohung als ,Verhandlungsmasse‘ im Rahmen strafprozessualer Absprachen, vgl. Verf., GA 2011, 520 (523 f.). 135

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auf den Gleichheitssatz schwerlich hinnehmbar. Denn darüber hinaus hat man sich zu vergegenwärtigen, dass durch eine solche Verhängung von Strafe kaum noch ein nicht willkürlich erscheinendes Unwerturteil ausgedrückt werden kann. Als hinsichtlich der Rolle strafrechtlicher Abschreckung entscheidend ist letztlich die Erkenntnis, dass Strafgesetze Ausdruck der besonderen Bedeutung bestimmter Verhaltensnormen und eines besonderen gesellschaftlichen Insistierens auf ihre Beachtung sind. Der Gesetzgeber hat in Gestalt des mit sozialem Stigma ausgestatteten und wegen der möglichen Verhängung eines Freiheitsentzuges besonders nachdrücklich wirkenden Instituts der Kriminalstrafe die Möglichkeit, die Bedeutung einer Verhaltensnorm deutlich hervorzuheben und damit essentiell notwendige Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens vorzuzeichnen. Berücksichtigt der Gesetzgeber allerdings nicht die begrenzte Leistungsfähigkeit der Strafverfolgungspraxis und wird deshalb strafbares Verhalten zunehmend nicht geahndet, so muss dies Zweifel am besonderen Unwert von Strafbarkeit wecken, worunter die normative Appellfunktion der Strafvorschriften leidet. Zwar steht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Strafrechts ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Allerdings sollt er darauf achten, dabei nicht die Aussagekraft strafrechtlicher Unwerturteile zu schwächen. Der Gesetzgeber muss sich deshalb fragen, ob mit Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung der sanktionierten Verhaltensnorm und der zur Verfügung stehenden Verfolgungsressourcen mit einer Rechtsanwendungspraxis zu rechnen ist, die den Unwert strafbaren Verhaltens relativiert. Auch eine nur selektive Anwendung von Strafgesetzen mag zwar eine bessere Normenbefolgung erwarten lassen. Doch geht eine zunehmend selektive Anwendung von Strafgesetzen auf Kosten eines insgesamt glaubwürdigen Strafrechts. Letztlich beruht die Bewahrung einer Normenordnung dann nicht mehr vorrangig auf dem durch Strafrecht kommunizierten besonderen Unwerturteil und der damit verbundenen Stigmatisierung, sondern auf der Glaubwürdigkeit (zunehmend selektiver) Abschreckung. Der gesellschaftliche Zusammenhalt gründet sich nach diesem Ansatz kaum noch auf den Gedanken, dass das Strafrecht mit Blick auf eine normative Mindestordnung einem weitestmöglichen gesellschaftlichen Konsens Ausdruck verleiht und auf diesem Wege dazu beiträgt, dass sich die Gesellschaft von innen heraus stabilisiert und in möglichst geringem Umfang darauf angewiesen ist, durch die abschreckende Wirkung staatlichen Zwangs zusammengehalten zu werden. Ziel das Strafrechts solle es dahingehend sein, einen zentralen kommunikativen Beitrag dazu zu leisten, dass solches in besonderem Maße sozialschädliches und deshalb strafbares Verhalten als Voraussetzung gesellschaftlichen Miteinanders von den Bürgern ganz überwiegend eben wegen seiner Sozialschädlichkeit als verwerflich und intolerabel anerkannt wird, nicht hingegen wegen des Bestehens einer staatlichen Strafdrohung. Dem Strafrecht muss es demnach vorrangig um normative Überzeugungsarbeit gehen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn es seine normative Glaubwürdigkeit eben als Ausdruck einer Mindestordnung wahrt und nicht zum beliebigen Instru-

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ment staatlicher Verhaltenssteuerung verkommt. Selektive Abschreckung mag als Mittel eines politischen Gestaltungswillens attraktiv erscheinen. Verkommt Strafrecht jedoch vermehrt zu einem bloßen Regulierungsrecht, so verliert die Gesellschaft wegen der daraus resultierenden Relativierung strafrechtlicher Unwerturteile ihr wohl wichtigstes Medium der Kommunikation gesellschaftlicher Mindeststandards. Fehlt es daran, so wird die Herstellung weitverbreiteter gesellschaftlicher Grundüberzeugungen erschwert und ist gesellschaftliches Miteinander verstärkt vom Bestehen glaubhaften staatlichen Zwangs abhängig, verringert sich hingegen die präventive Kraft gesellschaftlicher Wertüberzeugungen. Ausdruck eines gesunden Gemeinwesens wäre dies nicht. III. Kohärenz der Strafverfolgungspraxis Darüber hinaus ist es für die inhaltliche Ausgestaltung des materiellen Strafrechts von Bedeutung, dass es dem Gesetzgeber um ein hinsichtlich seiner Wertungen möglichst widerspruchsfreies Recht gehen muss. Nur so wird „die Einheit der Verhaltenserwartungen gewährleistet“, welche „ihrerseits die Vorbedingung jeder verlässlichen Orientierung im Raum der sozialen Beziehungen“ bildet.138 Der Gesetzgeber hat sich bei der Unterstrafestellung hinsichtlich der Art des inkriminierten Verhaltens und der durch den Strafrahmen vermittelten Wertigkeit des fraglichen Unrechts am bestehenden Kriminalisierungsstand zu orientieren, was gemäß der Ausführungen von Lagodny und Appel im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e. S. zu berücksichtigen ist.139 Doch auch wenn sich demnach die Unterstrafestellung eines Verhaltens sowie dessen im jeweiligen Strafrahmen zum Ausdruck kommender Unwert als verhältnismäßig darstellen und insoweit nicht im Widerspruch zum übrigen materiellen Recht stehen, so darf darüber hinaus die grundsätzliche Widerspruchsfreiheit des materiellen Rechts nicht durch dessen Anwendung in der Verfolgungspraxis konterkariert werden. Grundsätzlich sind die Strafverfolgungsbehörden durch den Gesetzgeber zur Verfolgung von Straftaten unabhängig von deren jeweiligen Schweregrad verpflichtet. Kann jedoch in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht jedem Tatverdacht nachgegangen werden,140 so sind die Strafverfolgungsbehörden zur Setzung von Prioritäten gezwungen. Dabei muss das Maß der Schuld des Täters (auch bei einem verhaltenssteuernden und nicht der Vergeltung dienenden Strafrecht)141 ein zentrales Kriterium darstellen. Denn einerseits ist 138

Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 20. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 492 f.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 585 ff. 140 Vgl. Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Cierniak, Strafprozessordnung, § 170, Rdn. 1. 141 Zur Beziehung zwischen retributiven Strafzweck und gleichmäßigen Strafen, vgl. Moore, Placing Blame, S. 102. 139

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ein Bedürfnis nach Durchsetzung einer Verhaltensnorm vor allem dann anzunehmen, wenn sie vergleichsweise wichtige Rechtsgüter schützt und sich in der Tat ein hohes Maß an Indifferenz gegenüber diesen zeigt, mithin von verhältnismäßig großer Schuld des Täters auszugehen ist. Zudem würde die Glaubwürdigkeit des Strafrechts und also dessen Fähigkeit zur Kommunikation einer Mindestordnung beschädigt, wenn die Prioritätensetzung der Strafverfolgungsbehörden als der Unrechtsschwere widersprechend wahrgenommen würde. Die Begrenztheit von Strafverfolgungsressourcen darf deshalb nicht zur Umkehrung der durch das materielle Recht vermittelten Unrechtshierarchie führen. Dies ist einerseits auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen. Zugeständnisse an den Täter zu Minderung des Verfolgungsaufwands dürfen deshalb nicht soweit gehen, dass das Strafmaß nicht mehr dem verwirklichten Unrecht entspricht. Zu einer Umkehrung der Unrechtshierarchie kommt es aber auch dann, wenn sich Ermittlungen und Strafverfolgung unverhältnismäßig oft gegen vergleichsweise weniger schweres Unrecht richten.142 1. Strafverfolgung im Spannungsfeld von Schwere und Häufigkeit von Verhalten Dies kann aber nicht bedeuten, dass sich der behördliche Ermittlungsaufwand ausschließlich nach der Schwere des Unrechts zu richten hat. Denn geht es der Strafrechtspflege auch um eine glaubwürdige Bewehrung von Verhaltensnormen, so muss sie auf Normverletzungen vergleichsweise regelmäßig reagieren. Die Ressourcenallokation der Strafverfolgungsbehörden bewegt sich mithin in einem Spannungsfeld. Einerseits gilt es, eine vornehmlich an Deliktshäufigkeit orientierte Strafverfolgung und eine damit einhergehende Konzentration auf Täter mit vergleichsweise geringer Schuld auf Kosten der Verfolgung schwererer Kriminalität zu vermeiden. Andererseits kann eine hauptsächlich am Maß der Schuld orientierte Verfolgungspraxis zu einer häufigen Nichtverfolgung von weniger schwerer, das gesellschaftliche Miteinander aber ebenfalls massiv störender Massenkriminalität führen. Im Rahmen dieses Spannungsfeldes muss die Einsicht bestimmend sein, dass nicht nur Normbrüche zur Infragestellung der Rechtsordnung führen können, sondern auch inadäquate staatliche Reaktionen auf begangenes Unrecht.143 Widersprüchlichkeit der Strafrechtspflege kann zwar nicht schon deshalb angenommen werden, weil sich die Strafverfolgungspraxis mitunter nicht allein an der Schuldschwere orientiert, also angesichts der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Ermittlungsressourcen vergleichsweise weniger schweres Unrecht anstatt schwereres Unrecht ahndet. Staatliches Strafen kann nicht Schuldausgleich als Selbstzweck praktizieren, auch wenn es ihm unter anderem um die Kanalisierung 142 143

Vgl. Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (250 f.). Verf., GA 2011, 520 (529).

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individueller Vergeltungsbedürfnisse geht. Vorrangig bezweckt es den Schutz individueller und kollektiver Interessen im Wege der Bewehrung entsprechender Verhaltensnormen. Allerdings wird die Strafrechtspflege letzterem Zweck nur in Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen nachkommen können. Geht es der Strafrechtspflege um wirksame Bewehrung der Werteordnung, so muss ihr Anwendungsbereich begrenzt bleiben. Wie auch immer eine behördeninterne Prioritätensetzung im Einzelfall ausfällt, so kann es jedenfalls nicht genügen, sie hauptsächlich von der jeweiligen Ressourcenintensität abhängig zu machen. Denn der Hinweis auf jene bei der Strafverfolgung anfallenden Kosten enthält weder eine Aussage über die Bedeutung der verletzten Verhaltensnorm, noch über die Schuld des Täters. Den Verzicht auf (weitere) Ermittlungen hinsichtlich eines Täters trotz Verfolgung und Bestrafung eines vergleichbar schuldhaften Täters wird man nur dann als eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte hinnehmen können, wenn diese Entscheidung mit Blick auf den Zweck des Strafrechts erklärbar ist, wenn sie also zumindest einen vertretbaren144 Ausgleich zwischen dem oftmals bestehenden Spannungsverhältnis von Schuld einerseits und der Häufigkeit eines bestimmten Verhaltens andererseits darstellt. Entscheidet jedoch überwiegend der für die Strafverfolgung eines Täters notwendigen Ressourcenaufwand oder normativ neutrale behördeninterne Leistungsparameter, so orientiert sich die Strafrechtspflege letztlich an zweckfremden Erwägungen, so dass dann eine Ungleichbehandlung vergleichbar schuldhafter Täter und insbesondere die regelmäßige Nichtahndung vergleichsweise schwerer Taten trotz regelmäßiger Ahndung weniger schwerer Taten nicht begründbar ist. 2. Gewaltenteilung als Voraussetzung einer kohärenten Strafverfolgungspraxis Besteht eine Diskrepanz zwischen der Menge kriminalisierten Verhaltens und der Leistungsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden, so können letztere zwar durch die Setzung entsprechender Ermittlungsschwerpunkte und eine an der Schuld des Täters orientierte Einstellungspraxis durchaus einen Ausgleich zwischen Schuldschwere und kriminalpolitisch sinnvoller Verhaltenssteuerung finden.145 Doch zum einen handelt es sich dabei eben um eine kriminalpolitische Frage, 144 Für Ashworth ist die Grenze des Zulässigen jedenfalls dort erreicht, wo jemand wegen eines eher geringfügigen Vergehens freiheitsentziehenden Sanktionen unterworfen und den für das weitere Leben stigmatisierenden Konsequenzen einer strafrechtlichen Verurteilung ausgesetzt wird, während bei anderen trotz der schuldhaften Verursachung weitaus größerer Schäden Strafverfolgung möglicherweise ganz unterbleibt; vgl. Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (249). 145 Dies zulassend BVerfGE 90, 145 (191): „Die Entscheidung des Gesetzgebers, einem geringen Unrechts- und Schuldgehalt bestimmter Taten vorwiegend durch eine Einschränkung des Verfolgungszwangs Rechnung zu tragen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.“

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deren Beantwortung schon aus Gründen rechtspolitischer Stimmigkeit eher im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens erfolgen sollte. Hält man darüber hinaus in Anbetracht des tief in Grundrechte eingreifenden Charakters von Strafe das strafprozessuale Legalitätsprinzip im Rechtsstaat des Grundgesetzes für grundsätzlichen indisponibel,146 so darf eine kriminalpolitische Entscheidungsbefugnis zumindest nicht in einem Umfang auf die Strafverfolgungsbehörden übergehen, bei dem faktisch letztlich diese über die Strafbarkeit von Verhalten entscheiden. Der Gesetzgeber ist deshalb angehalten, bei der Kriminalisierung von Verhalten die Leistungsfähigkeit der Organe der Strafrechtspflege maßgeblich zu berücksichtigen. Zum einen hat er sich zu vergegenwärtigen, dass ein Mehr an kriminalisierten Verhalten bei gleichbleibenden Verfolgungsressourcen zu einer Delegation kriminalpolitischer Entscheidungsbefugnis führt. Dabei darf nicht unbeachtet bleiben, dass die handelnden Behörden unmittelbar solchen aus der Begrenztheit ihrer Mittel resultierenden Zwängen ausgesetzt sind und deshalb nicht damit gerechnet werden kann, dass sich ihre Prioritätensetzung immer an kriminalpolitisch vernünftigen Erwägungen und am Erfordernis normativer Glaubwürdigkeit orientieren wird. Auch hat der Gesetzgeber zu beachten, dass eine Unterstrafestellung weniger schuldhaften Verhaltens den Grundsatz schuldangemessenen Strafens berühren kann, falls die Neukriminalisierung in der Praxis zu Lasten der Verfolgung schwereren Unrechts geht. Insbesondere bei der Kriminalisierung zugleich häufig vorkommenden und dabei eher geringfügiges Unrecht darstellenden Verhaltens muss deshalb gefragt werden, ob diese Konsequenzen im Hinblick auf die Bedeutung der fraglichen Verhaltensnorm hinnehmbar sein können. Zu beachten ist also, dass bei zunehmender Weite des materiellen Strafrechts dessen (zumindest überwiegend) gleichmäßige Anwendung in zunehmenden Umfang nicht mehr gewährleistet werden kann. Hat – unter der Voraussetzung eines realistischen Verhältnisses von materiellen Strafrecht und den für die Strafverfolgung zur Verfügung stehenden Ressourcen – das Legalitätsprinzip den Charakter einer verbindlichen Handlungsanweisung des Gesetzgebers an die Strafverfolgungsbehörden, so geht dieser Charakter bei zunehmender Divergenz von materiellen Strafrecht und Verfolgungsressourcen schrittweise verloren. Dient aber das Strafrecht nicht mehr als Handlungsanweisung, so erfolgt Strafverfolgung nicht mehr infolge der gesetzlichen Unterstrafestellung, sondern infolge einer außergesetzlichen Bewertung eines Sachverhalts oder eines Täters durch die Behörden. 146 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 529 f.: „Ausnahmen vom Legalitätsprinzip“ dürften „schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zur generellen Regel werden“. Im Hinblick auf die Gewaltenteilung sei auch eine einheitliche Einstellungspraxis problematisch; vgl. S. 488. Dazu auch Weber, Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes, S. 30: „Kaum etwas ist [. . .] dem Ansehen der Ausübung hoheitlicher Gewalt abträglicher als die Zufälligkeit des Erwischtwerdens. Zufälligkeiten bei der Verfolgung und Ahndung abstrakter Gefährdung beleidigen das Rechtsempfinden mit Sicherheit stärker als die Zufälligkeit des Erfolgseintritts bei den konkreten Gefährdungs- und den Verletzungsdelikten.“

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Der materielle Tatbestand ist dann nicht mehr Grundlage von Strafverfolgung. Umso weiter sich der Umfang des materiellen Strafrechts und die Anzahl tatsächlich verfolgter Fälle auseinanderbewegen, desto mehr verliert das Strafrecht seine Funktion als Ausgangspunkt des Handelns der Strafverfolgungsbehörden. Ein Übermaß an Kriminalisierung bedeutet damit letztlich eine Selbstentmachtung des Gesetzgebers zugunsten der Verfolgungsbehörden.147 Diese mit Überkriminalisierung einhergehende Entwicklung ist letztlich geeignet, zu einer fundamentalen Infragestellung der Funktion des materiellen Strafrechts zu führen. Erfolgt die eigentliche Entscheidung über die Verfolgung eines bestimmten Verhaltens weniger auf der Grundlage einer gesetzgeberischen Unterstrafestellung als vielmehr einer behördlichen Vorstellung von Einzelfallgerechtigkeit,148 gilt materielles Strafrecht also „nur dann, wenn die Staatsanwaltschaft meint, es anwenden zu müssen“,149 stellt es mithin eher ein Instrument der Verfolgungsbehörden denn einen verbindlichen Ausspruch über die Strafbedürftigkeit eines bestimmten Verhaltens dar, so droht der Strafverfolgungspraxis eine normative und kriminalpolitische Orientierungslosigkeit. Orientierung setzt nämlich voraus, dass jene die Strafverfolgungsbehörden anleitenden Interessen durch den Gesetzgeber klar benannt werden. Der Bewahrung normativer und kriminalpolitischer Kohärenz ist es daher abträglich, wenn sich dem materiellen Recht infolge (aus Gründen der Verfolgungsflexibilisierung) weitgefasster Straftatbestände die zu schützenden Interessen nicht mehr deutlich entnehmen lassen.150 Stellt der Gesetzgeber zunehmend auch solches nicht zu einer materialisierten Beeinträchtigung von Rechtsgütern geeignetes Verhalten unter Strafe, sind deshalb die jeweils geschützten Interessen häufig nicht mehr klar erkennbar, so stellt dies die Orientierung von Strafverfolgung und mithin deren normative und kriminalpolitische Rationalität infrage. IV. Strafe als Auflösung vergeltungsgeleiteter Konflikte Weite Teile des materiellen Strafrechts leiten ihre Legitimität nicht erst von einer verbindlichen Entscheidung des seinerseits demokratisch legitimierten Gesetzgebers ab. Der Gesetzgeber reagiert hier durch die Unterstrafestellung auf ein 147 So auch Husak, Overcriminalization, S. 26 f. zur Situation in den Vereinigten Staaten: behördliches Ermessen und nicht Strafgesetze seien letztlich dafür entscheidend, wer strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werde. 148 Vgl. Aulinger, NStZ 1999, 111 (116): „Die im Zusammenhang mit der zunehmenden Verlagerung strafrechtlicher Sozialkontrolle auf die Staatsanwaltschaft geäußerte Besorgnis, die Exekutive könnte im Wege von Richtlinien das geltende Recht auf Vollzugsebene korrigieren und so zum ,Gesetzgeber vor dem Gesetzgeber‘ muß beim Umgang mit sog. harten Drogen [. . .] ernst genommen werden.“ 149 So die Kritik von Baumann, ZRP 72, 273 (275). Dem zustimmend Dürig, in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 3, Rdn. 413 b. 150 Vgl. dazu auch oben § 7, II., 2.

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vorrechtliches Bedürfnis,151 dem fraglichen Verhalten eine angemessene, dessen Verwerflichkeit zum Ausdruck bringende Reaktion entgegenzusetzen. Vergeltung stellt einen wesentlichen Gesichtspunkt für die Ausgestaltung des materiellen Strafrechts und für die Strafzumessungspraxis dar.152 Auch wenn Vergeltung nicht der Zweck staatlichen Strafens sein kann, so dient letzteres doch auch einer Kanalisierung des Vergeltungsbedürfnisses individueller Opfer. Anders als Jakobs meint, kommt es vielen strafrechtlichen Normen ganz entscheidend auch auf die „Befindlichkeit“ von Individuen an,153 und zwar nicht nur des Opfers, sondern auch der anderen Mitglieder der Gesellschaft. Strafrecht dient nicht nur der Verhaltenssteuerung, sonder in erheblichem Maße auch der Herstellung ausgleichender Gerechtigkeit.154 Geht es lediglich um die Bewehrung von Verhaltensnormen, so wird mit der Behauptung überwiegender Irrelevanz individueller Befindlichkeiten ein ganz wesentlicher Bestandteil menschlichen Gerechtigkeitsempfindens unberücksichtigt gelassen. Eine derartige Abkopplung des Strafrechts vom Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung ist nicht hinnehmbar. Das Grundgesetz widersetzt sich zweifellos einem Strafrecht, durch welches die gesellschaftliche Mehrheit ihr Gerechtigkeitsempfinden ungezügelt an einer ihrer moralischen Vorstellungen nicht entsprechenden Minderheit auslebt. Ebenso wenig anzunehmen ist aber seine Akzeptanz eines Strafrechts, in dem die Missachtung staatlicher Verhaltensvorstellungen die Quintessenz von Schuld ist, der Staat 151 Die Kanalisierung von Privatjustiz durch Strafrecht ist letztlich Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols; vgl. Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 65 und Husak, Overcriminalization, S. 89. Moore, Placing Blame, S. 97 ff. vermutet sogar, dass hinter Versuchen einer Verbindung funktioneller Strafzwecktheorien und Vergeltung sich im Kern regelmäßig ein rein retributives Strafverständnis verbirgt; vgl. S. 104 f. 152 Robinson, The Modern General Part: Three Illusions, S. 97 ff.; Lampe, Roxin-FS, S. 50 f. 153 Jakobs, FS Seiji Saito, S. 32. Ähnlich Appel, Verfassung und Strafe, S. 461 f.: „Im Zuge der Entprivatisierung des Konflikts wird das Verbrechen nicht mehr nur als Verletzung von Interessen angesehen [. . .] sondern als Verletzung der Norm selbst.“ Der Staat zieht die Normverletzung an sich, der sich dabei „in seiner Funktion als normgebende Instanz selbst als durch die Straftat verletzt betrachtet“. Wenn Strafgewalt beim Staat mit dem Ziel der Rehabilitierung des Normgefüges und der normsetzenden Instanz monopolisiert wird, so haben „alle Beteiligten dieser Funktion zu dienen, nicht aber [. . .] den Interessen einzelner Beteiligter – sei es des Verletzten, sei es des Täters“; S. 465 f. 154 Moore, Placing Blame, S. 112 f. Vergeltung soll hier nicht etwa als selbstständiger (d.h. ohne funktionelle Gründe auskommender) Strafzweck verstanden werden (so aber etwa Moore, S. 153 ff.; Primoratz, Justifying Legal Punishment, S. 145 ff.). Vielmehr geht es darum, dass ausschließlich auf die Bewehrung der verletzten Verhaltensnorm abstellende Ansätze ein Bedürfnis nach Gerechtigkeit als Voraussetzung eines glaubwürdigen und deshalb zur Kommunikation einer normativen Ordnung geeigneten Strafrechts unberücksichtigt lassen. Ähnlich auch Ashworth, Criminal Law, S. 17: Die Begründung des Strafrechts sei zum einen in einer verdienten Antwort auf schuldhaftes Unrecht zu suchen, andererseits in dem Bedürfnis, solches Verhalten abzuschrecken. Die wesentlichste Funktion sei aber die Kommunikation eines Tadels für vergangenes Unrecht; vgl. Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (232).

§ 9 Kriminalisierung unter Berücksichtigung der Grenzen legitimen Strafens 223

als Normengeber mithin als eigentliches Opfer der Straftat angesehen und das durch den Täter angegriffene Individuum lediglich als Projektionsfläche des staatlichen Anspruchs auf Normenbeachtung verstanden wird.155 Eine solche Negation des durch das Opfer am eigenen Leib oder an seinen Gütern erlittenen Unrechts degradiert es zum Demonstrationsobjekt staatlicher Verhaltensvorstellungen. Der strafrechtliche Schutz wichtiger individueller Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Eigentum kann nicht allein damit begründet werden, dagegen gerichtetes Verhalten gefährde das öffentliche Interesse oder die soziale Ordnung. Denn eine derartige Begründung ignoriert das Leiden des individuellen Opfers und charakterisiert die Straftat lediglich als mangelnde Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten.156 Zwar lässt sich das materielle Strafrecht nur teilweise auch mit der Kanalisierung eines Vergeltungsbedürfnisses erklären. Oft geht es dem Gesetzgeber vielmehr darum, bestimmte Verhaltensnormen im Wege einer Internalisierung durch die Normunterworfenen erst zu etablieren.157 Doch wenn Strafrecht auch eine normenetablierende Funktion erfüllen kann, so würde doch die hinter dem Vergeltungsgedanken stehende Aufgabe der Befriedung gesellschaftlicher Konflikte verfehlt, wenn sich die Strafjustiz (in Anbetracht der Begrenztheit der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen) vor allem solchem Verhalten widmete, bei welchem ein vorrechtliches Strafbedürfnis nicht oder nur in nur vergleichsweise geringem Maße anzunehmen ist. Ein dem strafprozessualen Legalitätsprinzip verpflichteter Gesetzgeber muss sich deshalb bei der Unterstrafestellung von Verhalten auch daran orientieren, in welchem Maße sozialschädliches Verhalten ein Vergeltungsbedürfnis beim Opfer hervorruft und von einem Bedürfnis nach strafender Reaktion des Staates auszugehen ist. Dies dürfte besonders bei der Beeinträchtigung hochrangiger Individualrechtsgüter der Fall sein, hingegen kaum, wenn eine tatsächliche Beeinträchtigung individueller oder kollektiver Rechtsgüter dem Täter nicht zuzurechnen ist. Kriminalisiert der Gesetzgeber also zum Zweck der Etablierung von Verhaltensnormen zunehmend per se nicht oder nur geringfügig schädliches Verhalten, so lässt sich dies zwar möglicherweise durch besonders schwerwiegende drohende Konsequenzen begründen. Zu vergegenwärtigen hat er sich aber, inwieweit eine überwiegend präventive Funktion des Strafrechts letztlich auf Kosten der Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte geht. Dies wird insbesondere dann 155 Ähnlich unter Verweis auf Amelung Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 116: das „Abstellen auf die Systemfunktionalität eines Verhaltens“ führe dazu, „dass die Person nicht um ihrer selbst, sondern nur um der Gesellschaft willen geschützt wird“. 156 Ähnlich Marshall/Duff, (1998) 11 Canadian Journal of Law and Jurisprudence, 7 (9); dem zustimmend Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (242). 157 Zur Differenzierung von Identifikation und Internalisierung, vgl. Böse, Rechtsgutstheorie, S. 93.

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

deutlich, wenn Unterstrafestellung unter Berufung auf weitgefasste Kollektivinteressen erfolgt. Will man Strafbarkeit gar mit Stratenwerth unter Hinweis auf eine vom Menschen ausgehende „Zerstörung der Grundlagen des Lebens auf der Erde“158 begründen, so verabschiedet man sich von einem überwiegend retrospektiven Strafrecht. Denn soll Strafe zur Bekämpfung einer letztlich unbegrenzten Vielzahl zukünftiger Gefahren eingesetzt werden, so ist dies nur unter der Voraussetzung des Verzichts auf wesentliche Strukturmerkmale des Strafrechts möglich.159 Man kann kaum noch sinnvoll von individueller strafrechtlicher Verantwortung sprechen, wenn Täterverhalten per se nicht oder nur marginal schädlich ist und eine trotzdem unterstellte Strafwürdigkeit regelmäßig auf dem Gedanken der Kumulation in Verbindung mit empirisch kaum überprüfbaren Kausalhypothesen beruht. Es ist nicht nachvollziehbar, wie ein derart ausgeweitetes Strafrecht zugleich auch noch seine traditionelle Rolle der Bewältigung bestehender Konflikte erfüllen können soll. Auf diese Funktion wird die Gesellschaft aber auch in Zukunft nicht verzichten können.

158 Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 10; ähnlich Schünemann, GA 1995, 201 (208): „Die personale Rechtsgutslehre [hat die] Verschleuderung der Ressourcen künftiger Generationen durch den besinnungslosen Hedonismus eines industriell fabrizierten Pseudo-Individuums geradezu zum höchsten Schutzgut des Strafrechts erhoben.“ 159 Vgl. Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 10 f., der zugibt, dass „die neuen Perspektiven das bisherige Strafrechtssystem in mancher Hinsicht infrage“ stellten. Dabei gingen bisherige „Sicherheiten der Dogmatik“ verloren, die „unter veränderten Vorzeichen erst wieder gewonnen werden“ müssten. Dem Vorschlag Hassemers aus ZRP 1992, 383 zur Schaffung eines ,präventiven Interventionsrechts‘ hält Stratenwerth entgegen, es könne keine Lösung sein, „Probleme, die traditionelles Denken überfordern, in andere Rechtsgebiete abzuschieben“. Es geht aber eben nicht darum, dass die mit einem überwiegend präventiv ausgerichteten Recht verbundenen Probleme das traditionelle strafrechtliche Denken lediglich überfordern, sondern dass sie von diesem Denken sich teilweise grundlegend unterscheidende Lösungen erfordern. Man mag es für möglich halten, dass letztere in die bestehende Strafrechtsdogmatik integriert werden können. Findet der retrospektive Charakter von Strafe wegen der Integration eher präventiv begründeter Regelungen im Strafrecht zunehmend weniger Beachtung, dann kann es durchaus notwendig werden, Prävention in ein anderes Rechtsgebiet „abzuschieben“. Beachte auch die Kritik von Robinson, The Modern General Part: Three Illusions, S. 97 ff.: Gehe es dem Strafrecht bei der Kriminalisierung von weit im Vorfeld einer möglichen Schadensverursachung liegenden Verhalten um die Verhinderung zukünftigen Unrechts, so werde Gefährlichkeit zum Kriterium strafrechtlicher Verantwortung und Strafe. Durch die Schaffung präventivrechtlicher Vorschriften unter dem Dach des Strafrechts werde der Anschein erweckt, diese folgten den dort geltenden Grundsätzen. Ein solches Vorgehen vermeide das dem präventiven Freiheitsentzug anhaftende Stigma. Indem der Gesetzgeber durch die Unterstrafestellung ein Vergeltungsbedürfnis impliziert, entledige er sich darüber hinaus der bei Präventivmaßnahme geltenden Pflicht, die Freiheitsbeschränkung auf das notwendige Maß zu reduzieren und die fortwährende Gefährlichkeit regelmäßig zu überprüfen.

§ 10 Der Rechtsgutsbegriff als Voraussetzung kohärenter Kriminalisierung

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§ 10 Der Rechtsgutsbegriff als Voraussetzung kohärenter Kriminalisierung I. Zur Notwendigkeit einer Begrenzung des materiellen Rechts Weder ein Postulat der Subsidiarität des Strafrechts, noch einem ultima-ratioGedanken gelingt es angesichts ihrer Unbestimmtheit, die Debatte um legitimes Strafen wesentlich zu bereichern. Wenn zur Begründung der Sonderstellung des Strafrechts lediglich auf die für das betroffene Individuum besonders schwerwiegenden Folgen verwiesen wird, ultima ratio insofern einen Appell dahingehend enthält, diese Folgen nur im Falle entsprechend schwerwiegenden Fehlverhaltens anzudrohen, so hängt doch dieses Kriterium maßgeblich von den Wertvorstellungen und gesellschaftspolitischen Überzeugungen des jeweiligen Betrachters ab. Grundrechtsdogmatische Ansätze führen zwar insofern weiter, als sie über eine isolierte Betrachtung des jeweils inkriminierten Verhaltens hinausgehen und vom Gesetzgeber Konzeptstimmigkeit mit Blick auf andere Strafvorschriften fordern.160 Jedoch verbleibt dann trotzdem noch eine beträchtliche Kriminalisierungsfreiheit, ein Umstand, der in Anbetracht empirischer Prognoseunsicherheit und der beschränkten Vergleichbarkeit unterschiedlicher Verhaltensformen noch unterstrichen wird. Diese Beobachtungen können aber deshalb wenig überraschen, weil schon hinsichtlich der für die Notwendigkeit einer Begrenzung des Strafrechts sprechenden Gründe keine Klarheit besteht. Wenn lediglich die Eingriffsintensität staatlichen Strafens hervorgehoben und deshalb nach besonders gewichtigen Gründen zur Rechtfertigung von Strafbarkeit gerufen wird, so verwundert es nicht, wenn ein kriminalisierungswilliger Gesetzgeber diesem Ruf regelmäßig unter Verweis auf (tatsächlich oder angeblich) bestehende gewichtige Interessen nachzukommen sucht. Vergegenwärtigt man sich hingegen die begrenzte Leistungsfähigkeit der Strafrechtspflege und die daraus folgende Notwendigkeit einer Begrenzung des materiellen Rechts, so kann man es bei dessen inhaltlicher Ausgestaltung kaum bei einem lapidaren Verweis auf die Einschätzungsprärogative eines demokratisch legitimierten Gesetzgebers belassen. Oder aber man betrachtet ein mögliches Auseinanderdriften von materiellem Strafrecht und Strafverfolgungspraxis nicht als Problem, akzeptiert eine immer öfter lediglich exemplarische Verhängung von Strafe und räumt damit letztlich der vollziehenden Gewalt in wachsendem Umfang die Befugnis ein, selbst über die Anwendbarkeit von Strafgesetzen zu entscheiden.161 Eine für die Bürger nicht transparent und deshalb nicht nachvollziehbar agierende Strafjustiz berührt die Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns in einem Bereich, der ob seiner Sensibilität für die Freiheitsrechte und seiner Aus160 161

Dahingehend auch Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (242). Vgl. oben § 9, III., 2.

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sagekraft für das Verhältnis von Staat und Bürger besonders auf eben diese Glaubwürdigkeit angewiesen ist. Vergegenwärtig man sich dies, so muss eine Debatte über die inhaltliche Ausgestaltung von Strafrecht immer vor dem Hintergrund der begrenzten Leistungsfähigkeit der Strafrechtspflege geführt werden. Sie kann nicht auf kriminalpolitische und normative Argumente beschränkt bleiben, sondern muss sich auch mit der Frage beschäftigen, ob die Unterstrafestellung eines Verhaltens eine nachvollziehbare Prioritätensetzung bei der Allokation begrenzter Ressourcen darstellt. II. Hierarchisierung strafwürdigen Unrechts Ist also die Leistungsfähigkeit des Strafrechts beschränkt, so bedarf es bei einem Übermaß strafwürdigen Verhaltens einer Prioritätensetzung. Denn zwar mag der Gesetzgeber ein Interesse an der strafrechtlichen Sanktionierung einer Vielzahl verfassungsgemäßer Verhaltensnormen haben. Aus den vorstehend beschriebenen Gründen – Bewahrung des Strafrechts als Medium der Kommunikation gesellschaftlicher Mindeststandards, Gewährleistung einer kohärenten Strafverfolgungspraxis162 und Willkürschutz – sollen materiellrechtliche Strafbarkeit und Strafverfolgungspraxis aber nicht übermäßig divergieren. Der Gesetzgeber muss letztlich eine Hierarchisierung unerwünschten Verhaltens vornehmen und dabei berücksichtigen, dass das Ausmaß der Inanspruchnahme der Strafrechtspflege nicht zuletzt vom Grad der gesellschaftlichen Anerkennung einer Verhaltensnorm abhängt. Zwar lässt auch eine Hierarchisierung sozialschädlichen Verhaltens sicherlich keine unstrittigen Ergebnisse erwarten. Doch wird sich hinsichtlich einer diesbezüglichen Hierarchie eher Übereinstimmung erzielen lassen163 als hinsichtlich der Strafwürdigkeit eines Verhaltens. 1. Wertigkeit des Rechtsguts und Zurechenbarkeit seiner Beeinträchtigung Ist ein dem Rechtsgüterschutz dienendes Strafrecht in seiner Leistungsfähigkeit begrenzt, so wird sich Strafgesetzgebung zuförderst an der Wertigkeit des durch eine Verhaltensnorm geschützten Rechtsguts orientieren. Umso wichtiger dem Gesetzgeber ein bestimmtes Rechtsgut ist, desto einfacher lässt sich eine Strafbewehrung der es schützenden Verhaltensnorm begründen. Der Verfassung lassen sich Aussagen zur Wertigkeit von Rechtsgütern dabei höchstens insoweit entnehmen, als daraus möglicherweise strafrechtlich umzusetzende Schutzpflichten abzuleiten sind.164 Insbesondere hinsichtlich der Bewertung von Kollektiv162

Vgl. oben § 9, II., 2., III., 2. von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 143 f. Dies wohl bezweifelnd Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 12. 164 Nach Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 427, lässt sich dem Grundgesetz zwar gerade keine abstrakte Rangordnung der Grundrechte entneh163

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rechtsgütern kommt es letztlich entscheidend auf die Einschätzung des Gesetzgebers an.165 a) Hierarchisierung am Maßstab normativer Glaubwürdigkeit Für die Hierarchisierung strafwürdigen Verhaltens muss es zudem erheblich sein, inwieweit ein solches überhaupt zur tatsächlichen Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts geeignet ist. Geht es dem Strafrecht um Rechtsgüterschutz, so dürfte grundsätzlich jenes Verhalten besonders strafwürdig sein, bei welchem die Beeinträchtigung eines Rechtsguts besonders nahe liegt.166 Soweit Verhalten das letztlich geschützte Rechtsgut hingegen regelmäßig nicht materialisierbar beeinträchtigt, muss von vergleichsweise geringerer Strafwürdigkeit ausgegangen werden. Dies ergibt sich aber nicht schon aus der Intensität der Gefährdung. Denn die Funktion des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes beruht anders als das Gefahrenabwehrrecht nicht auf der Abwehr einer konkreten Gefahr. Vielmehr wirkt Strafrecht im Wege normativer Kommunikation mit den Normunterworfenen, es appelliert an deren Fähigkeit zu an gesellschaftlichen Werten ausgerichteten Handeln. Strafrecht ist daher auf Glaubwürdigkeit angewiesen, weshalb Strafvorschriften den normativen Unwert strafbaren Verhaltens zutreffend widerspiegeln müssen.167 Setzen sich die Wertungen des Strafrechts hingegen in klaren Widerspruch zu den Wertungen der Normenunterworfenen, dann verliert es seine Eignung zur normativen Kommunikation und kann höchstens noch durch die Sanktionsdrohung verhaltenssteuernd wirken. Lediglich im Vorfeld einer konkreten Rechtsgutgefährdung angesiedeltes Verhalten darf dann aber nicht als ebenso strafwürdig wie konkret gefährdendes Verhalten vermittelt werden. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass der mit einer Verurteilung verbundene Eingriff in den sozialen Geltungsanspruch nur dann angemessen sein kann, wenn die Verurteilung dessen mit einem bestimmten Verhalten verbundene Minderung zutreffend wiedergeben. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der strafrechtliche men. Trotzdem nimmt er in engen Grenzen eine aus dem Untermaßverbot folgende Kriminalisierungspflicht zum Schutz besonders wichtiger Grundrechte an; vgl. S. 449. Zudem sei im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e. S. ein strafrechtlicher Vorwurf umso eher legitimierbar, „je mehr die Verhaltensvorschrift dem Schutz ,geborener‘, mithin bereits verfassungsrechtlich legitimierter ,Gemeinwohlinteressen‘ dient“. Aus dem Grundgesetz ließe sich aber weder eine Begrenzung auf den strafrechtlichen Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter herleiten, noch ein „Verharren auf traditionell Strafbarem“; vgl. S. 520. 165 Vgl. hierzu das Modell zur Bewertung der Beeinträchtigung individueller Interessen bei von Hirsch, Ashworth und Jareborg in von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 205 ff. 166 Vgl. aber zur Notwendigkeit von abstrakten Gefährdungsdelikten in einer durch kollektive Handlungszusammenhänge geprägten Gesellschaft Schünemann, GA 1995, 201 (211 f.). 167 Zu entsprechenden Überlegungen als Grundlage tatproportionaler Strafzumessung, vgl. von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 26 f.

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Vorwurf nicht eine vom Norminhalt unabhängige mangelnde Rechtstreue des Normunterworfenen zum Gegenstand haben kann.168 Ebenso wenig ist die inhaltsneutrale Feststellung der Rechtswidrigkeit für den sozialen Geltungsanspruch des Täters aussagekräftig. Letzterer kann vielmehr nur durch den Inhalt des Verhaltens und dessen (potentielle) Konsequenzen für bestimmte Rechtsgüter beeinträchtigt werden. Angemessenes Strafen und mithin Strafwürdigkeit wird sich daher in der Regel nach dem Ausmaß dieser dem Handelnden zurechenbaren tatsächlichen und potentiellen Konsequenzen bemessen. Der Gesetzgeber handelte widersprüchlich, wenn er im materiellen Recht Strafe eher bei Verhalten im Vorfeld einer Gefährdung denn bei einer tatsächlichen Beeinträchtigung eines Rechtsguts vorsehen oder eine entsprechende Schwerpunktsetzung in der Strafverfolgungspraxis in Kauf nehmen würde. b) Kein grundsätzlicher Vorrang des Schutzes von Individualrechtsgütern Eine grundsätzliche Unterordnung von Gemeinschaftsbelangen unter Individualrechtsgüter kann allerdings nicht schon damit begründet werden, dem Strafrecht gehe es vorrangig um den Schutz individueller Autonomie. Eine derartige Inhaltbestimmung strafbaren Verhaltens mag zwar für ein liberales Gemeinwesen letztlich zutreffend sein, kann aber nicht als Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Grenzen des Strafrechts dienen. Eine solche muss vielmehr bei der Funktion von Strafe ansetzen. Neben der Verhängung eines mehr oder weniger spürbaren Übels gegen den Täter ist für die strafrechtliche Bewehrung von Verhaltensnormen ein an diesen gerichteter Vorwurf von zentraler Bedeutung. Wie bereits gesehen, thematisiert der strafrechtliche Vorwurf jene hinter der Verhaltensnorm stehenden gesellschaftlichen Werte.169 Strafbarkeit eines Verhaltens kann deshalb nur dann angenommen werden, wenn dadurch solche Werte infrage gestellt werden.170 Zweifelsohne stellen viele Individualrechtsgüter zentrale gesellschaftliche Werte dar.171 Auch liegt es in einer freiheitlichen, 168

Vgl. oben § 9, I., 1. Vgl. oben § 9, I., 2. 170 So im Ergebnis auch Marshall/Duff, (1998) 11 Canadian Journal of Law and Jurisprudence, 7 (9 f.). Zustimmend Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (242): Dem fraglichen Verhalten müsse demnach eine besondere öffentliche Relevanz zukommen, was etwa bei besonders wichtigen Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen der Fall sei. Die Verletzung individueller Interessen rechtfertige Kriminalisierung nur dann, wenn das fraglichen Unrecht auch als eine Angelegenheit des Gemeinwesens angesehen werde. 171 Marshall/Duff, (1998) 11 Canadian Journal of Law and Jurisprudence, 7 (20 f.): Die Gemeinschaft definiere sich über gemeinsame Werte und Interessen und identifiziere sich mit ihnen. Gegen ein Individuum gerichtetes Unrecht stelle insoweit gleichzeitig auch Unrecht gegenüber der Gemeinschaft dar und werde von deren Mitgliedern als Angriff gegen sich selbst verstanden. Das gegen zentrale Güter des Einzelnen gerichtete Unrecht werde von den Anderen geteilt und veranlasse sie, gegen den Täter 169

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den Eigenwert des Individuums achtenden Gesellschaft nahe, die zwangsweise Durchsetzung rein kollektiver Interessen in Grenzen zu halten.172 Dabei handelt es sich aber bereits um eine Frage der inhaltlichen Gestaltung. Die Erkenntnis des letztlich immer Gemeinschaftsinteressen und nicht Individualinteressen bewehrenden Charakters des Strafrechts ist aber deshalb von hervorzuhebender Bedeutung, weil die sich für den Täter aus einer Verurteilung ergebenden Konsequenzen nur dann verstanden und gerechtfertigt werden können, wenn man gesellschaftliche Wertvorstellungen als Grundlage des Strafrechts anerkennt. Die Verletzung individueller Güter kann sonst nicht erklären, warum der Verurteilte gesellschaftlich stigmatisiert und sein sozialer Geltungsanspruch verringert, warum er unter Umständen gar vom gesellschaftlichen Miteinander ausgeschlossen wird.173 Wer den Individualrechtsgüterschutz als Wesensmerkmal des Strafrechts und nicht lediglich als Ergebnis einer verfassungsrechtlichen und politischen Inhaltsbestimmung ansieht, der kann diese Konsequenzen nicht erklären. Individualrechtsgüterschutz ist eine politische und unter dem Grundgesetz durchaus auch verfassungsrechtliche Prämisse staatlicher Verhaltenssteuerung. Durch die (staatlich organisierte) Gemeinschaft verhängte Strafe lässt sich dadurch aber noch nicht erklären. c) Beeinträchtigung von Kollektivrechtsgütern Beim strafrechtlichen Schutz eines Kollektivrechtsguts ist einerseits danach zu fragen, ob an dessen strafrechtlichen Schutz tatsächlich ein Interesse besteht. Entscheidend für die Unrechtshierarchisierung ist zudem, ob das Rechtsgut durch das fragliche Verhalten überhaupt beeinträchtigt wird. Letztlich geht es also um die Identifizierung eines durch das Verhalten tatsächlich verletzbaren kollektiven Rechtsguts. Das Vorliegen einer solchen Eignung hängt davon ab, ob sich aus der Tat eine Zustandsveränderung ergibt, die sich mit Blick auf einen geschützten gesellschaftlichen Wert als sozialschädlich darstellt. Die Strafwürdigkeit bestimmt sich also aus der Wertigkeit des Rechtsguts einerseits und der Intensität seiner Infragestellung andererseits. Eine Beeinträchtigung eines Funktionszusammenhangs liegt schon darin, dass er im Einzelfall manipuliert und dadurch der mitunter auch ohne Zustimmung des individuellen Opfers vorzugehen. Vgl. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 300: Das für die Rechtfertigung eines staatlichen Eingriffs notwendige Allgemeinwohlinteresse erkläre, „warum ein staatlicher Vorwurf nur ausnahmsweise an Verstöße gegen privatrechtliche Verhaltensvorschriften anknüpfen“ dürfe. [Hervorhebung im Original] 172 Vgl. Ashworth, Criminal Law, S. 17: Werde die Autonomie des Individuums aber lediglich als Grundlage der Freiheit vor Eingriffen anderer berücksichtigt, so übersehe dies, dass der Staat durch die Wahrnehmung bestimmter Gemeinwohlaufgaben erst die Voraussetzungen für die Ausübung von Autonomie zu schaffen habe; vgl. S. 25 f. 173 Vor allem letzterer Umstand rechtfertigt es, Strafrecht als schärfste staatliche Eingriffsmaßnahme und mithin als ultima ratio zu bezeichnen; vgl. dagegen aber Appel, Verfassung und Strafe, S. 540 f.

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mit ihm verfolgte, seine gesellschaftliche Wertigkeit ausmachende Zweck verfehlt wird oder dies konkret droht. Nicht erforderlich ist hingegen eine Unbrauchbarmachung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems.174 Die Beeinträchtigung eines Kollektivrechtsguts ist ebenfalls dann anzunehmen, wenn ein solches vom Gesetzgeber als eigenständiges schützenswertes Rechtsgut eingestuftes Merkmal eines Funktionszusammenhangs infolge der Tat verletzt wird.175 Zwar müssen Rechtsgüter „eine der Beeinträchtigung zugängliche Wirklichkeit haben.“176 Dafür reicht aber grundsätzlich schon jeder werthafte Zustand aus. In der Regel werden einzelne Funktionsmerkmale eines schützenswerten Funktionszusammenhangs oder einer schützenswerten Institution, d.h. einzelne die Funktionsfähigkeit bedingende Zustände, nicht gesondert als gesellschaftlicher Wert und noch weniger als strafrechtlich gesondert schützenswertes Rechtsgut anerkannt sein. Mitunter ist dies aber doch der Fall. So stellt beispielsweise die Neutralität der Amtsführung einen gesondert geschützten gesellschaftlichen Wert dar, mithin einen Zustand, der (insbesondere durch Bestechung und Bestechlichkeit) tatsächlich beeinträchtigt werden kann. Hierbei handelt es sich im Kern eben nicht um den Schutz der Zweck- und Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns, sondern um einen sehr viel konkreter und enger gefassten gesellschaftlichen Wert. Für eine differenzierte, in kriminalpolitischer wie normativer Hinsicht kohärente Kriminalisierung und Strafverfolgungspraxis ist es notwendig, das geschützte Rechtsgut möglichst präzise zu bestimmen und nicht auf umfassendere, mittelbar im Wege einer Zweckverfehlung möglicherweise ebenfalls beeinträchtigte Funktionszusammenhänge abzustellen.177 Zwar dürfte eine vom Funktionszusammenhang unabhängige Werthaftigkeit eines Zustands eher selten von einem derartigen Gewicht sein, dass sie eine von der Zweckverfehlung des übergeordneten Funktionszusammenhangs unabhängige Kriminalisierung zu begründen vermag. Ist dies aber – wie etwa hinsichtlich der Neutralität von Amtsträgern – der Fall, so besteht keine Notwendigkeit, über die Beeinträchtigung eines einzelnen Zustands (nämlich der Neutralität eines einzelnen Amtsträgers hinaus) die Strafbarkeit mit einer – etwa angesichts einer zu erwartenden Kumulation derartigen Verhaltens absehbaren – Beeinträchtigung des Funktionszusammenhangs zu begründen. Der Rechtsgutsbegriff kann seine das Strafrecht strukturierende und

174

Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 2 Rdn. 83. Zwar sind bestimmte Funktionszusammenhänge auf fortgesetztes Vertrauen in ihre Funktionsfähigkeit angewiesen, so dass auch dessen Störung eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit darstellen kann. Zu einer Beeinträchtigung solchen Systemvertrauens wird der einzelne Täter in aller Regel aber nicht in der Lage sein; vgl. von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 197. 176 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 66. 177 Vgl. aber Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 322, der das Rechtsgut der Bestechungsdelikte in der „Funktionsfähigkeit der Institutionen der staatlichen Verwaltung“ verortet. 175

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dadurch zu Kohärenz und Transparenz staatlichen Strafens beitragende Funktion nur dann erfüllen, wenn die vom Gesetzgeber als schützenswert erachteten Zustände klar umgrenzt und nicht mehr oder weniger konturlosen weitgefassten Funktionszusammenhängen untergeschoben werden. Insofern erscheint das oben kritisierte178 Postulat eines den Gesetzgeber bindenden Rechtsgutsbegriffs durchaus geeignet, die das materielle Recht rationalisierende und strafrechtliche Vorwürfe nachvollziehbar machende Rolle des Rechtsgutsbegriffs zu untergraben. Denn werden nur umfassendere Funktionszusammenhänge (wie beispielsweise die Rechtspflege) als ,rechtsgutstauglich‘ angesehen, einzelne Elemente von Funktionszusammenhängen hingegen nicht als gesellschaftlicher Wert und mithin als Rechtsgut anerkannt – etwa mit dem Argument, derartigen Teilelementen (etwa der Unabhängigkeit des Richters) könne kein eigenständiger Wert zukommen, da sie nur als Teil eben des ihnen übergeordneten Funktionszusammenhangs als wertvoll anzuerkennen seien – so trägt dies kaum zu einer inhaltlichen Differenzierung des Strafrechts bei.179 So umfassender, abstrakter und weniger fassbar Rechtsgüter sind, desto ungeeigneter sind sie, strafwürdiges Verhalten zu konkretisieren. Der Rechtsgutsbegriff verkommt so zu einer bloßen Beschreibung eines gesetzgeberischen Zwecks, verliert hingegen seine eigentliche Bedeutung, nämlich staatliche Strafgewalt durch die Identifizierung von dem Täter zurechenbaren Schäden zu begrenzen und zu rationalisieren.180 d) Strafwürdigkeit infolge der Zurechenbarkeit einer Beeinträchtigung Die zentrale Rolle von individueller Verantwortung für die Verhängung von Strafe bedeutet, dass der Grad der Strafwürdigkeit eines Verhaltens ganz wesentlich eine Frage der Zurechnung schädlicher Konsequenzen ist. Soweit eine tatsächliche Beeinträchtigung erst aus dem eigenverantwortlichen und vorsätzlichen Handeln eines Dritten resultieren kann, ist eine Strafwürdigkeit vor allem jenes Dritten anzunehmen. Ein zur unmittelbaren Beeinträchtigung eines Kollektivrechtsguts geeignetes Verhalten ist eher strafwürdig, als solches Verhalten, dem die Eignung zur Beeinträchtigung eines vergleichbaren Rechtsguts nur durch selbstständiges Anschlussverhalten eines Dritten oder durch die Kumulation mit ähnlichen Taten zukommt. Dabei kann es für einen die Notwendigkeit der Begrenzung des materiellen Strafrechts erkennenden Gesetzgeber nicht unerheblich sein, dass Strafbegründung unter Verweis auf das Verhalten selbstständig dazwischentretender Dritter oder die Kumulation von Verhalten grundsätzlich zu einer erheblichen Ausweitung des Kreises strafbarer Personen führt, deren individuelle 178

Vgl. oben § 8, I., 4. Vgl. aber Roxin, Hassemer-FS, S. 588, der in einer Beamtenbestechung die „sachgerechte Amtsverwaltung“ geschädigt sieht. 180 Dies gilt nicht zuletzt für sogenannte „Vertrauensrechtsgüter“; vgl. kritisch Roxin, Hassemer-FS, S. 588. 179

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Schuld bei zunehmenden Abstand zwischen strafbaren Verhalten und der Beeinträchtigung des geschützten Guts zudem abnimmt. Aus den eben gemachten Ausführungen lassen sich Grundzüge einer Kriminalisierungshierarchie entnehmen. Individuelle Verantwortung und mithin Strafe ist vor allem bei Verhalten anzunehmen, welches tatsächlich zu einer materialisierten Beeinträchtigung von Individual- und Kollektivrechtsgütern geeignet ist. In Anbetracht eines geringeren Maßes an individueller Verantwortung ist hingegen solches Verhalten vergleichsweise weniger strafwürdig, durch welches eine Beeinträchtigung nur mittelbar beziehungsweise kumulativ zu erwarten ist. Zwar lassen sich dem keine detaillierten Vorgaben für eine Kriminalisierung entnehmen, dem Gesetzgeber bleibt vielmehr die letztlich entscheidende Aufgabe vorbehalten, nämlich die Wertigkeit individueller und kollektiver Rechtsgüter zu bestimmen. Wohl aber sollte dieser Hierarchisierungsansatz beim Aufdecken von gesetzgeberischen Wertungswidersprüchen und damit bei der Beantwortung der Frage helfen, ob sich eine Strafvorschrift beziehungsweise ihre Anwendung in der Strafverfolgungspraxis als konzeptstimmig und mithin verhältnismäßig darstellt. Kriminalisierung, sei sie de lege seitens des Gesetzgebers oder de facto seitens der verfolgungsbehördlichen Schwerpunktsetzung, hat sich im Hinblick auf die faktische Begrenztheit der Strafrechtspflege zuförderst auf Verhalten zu beziehen, welches zu einer Beeinträchtigung individueller oder kollektiver Rechtsgüter tatsächlich geeignet ist. 2. Rechtsgüter nicht unmittelbar beeinträchtigendes Verhalten Die Strafwürdigkeit eines Verhaltes richtet sich gemäß der vorausgehenden Ausführungen neben der Wertigkeit des Rechtsguts nach dem Grad seiner (potentiellen) Beeinträchtigung, so dass bei hinsichtlich ihrer Wertigkeit vergleichbaren Rechtsgütern vor allem solchen Verhalten strafrechtliche Relevanz zukommt, durch welches diese geschädigt oder unmittelbar gefährdet werden können. Die strafrechtliche Sanktionierung eines Rechtsgüter nicht materialisierbar beeinträchtigenden Verhaltens kann man dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber zwar nicht verbieten. Neben der Berücksichtigung normativer Erwägungen181 hat dieser dabei aber zu beachten, dass die in der Ausgestaltung des Straftatbestandes bereits angelegte Gestalt der Verfolgungspraxis die vorstehend beschriebenen Grenzen legitimen Strafens nicht überschreitet. Dient das Strafrecht nicht zuletzt auch der Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte, so haben bei der 181 Vgl. dazu von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 197: Es gehe vor allem um die Frage, ob die Beeinträchtigung der die Strafvorschrift stützenden gesetzgeberischen Gründe sich als dem Täter zurechenbar darstellt, ob also die sozialen Folgen „in einer Art und Weise mit den unter Strafandrohung gestellten Verhaltensweisen verbunden sind, dass es auch unter normativen Gesichtspunkten angemessen erscheint, den Täter hierfür verantwortlich zu machen“.

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Kriminalisierung zudem solche Verhaltensformen eher zurückzutreten, bei denen die Entstehung eskalationsträchtiger interpersoneller Konflikte nicht angenommen werden kann. Der Verletzung und konkreten Gefährdung individueller Rechtsgüter kommt deshalb für das Strafrecht besondere Relevanz zu. Doch entsteht auch bei der Verletzung oder Gefährdung kollektiver Rechtsgüter regelmäßig ein bewältigungsbedürftiger Konflikt zwischen dem Täter und seinen Mitmenschen.182 Die Entstehung eines derartigen Konflikts wird man hingegen umso seltener annehmen können, so geringfügiger sich die Beeinträchtigung des kollektiven Guts darstellt. Strafbarkeit eines Verhaltens kann hingegen nicht schon durch eine mit Blick auf die Verfolgung eines anderen Verhaltens vereinfachte Beweisführung begründet werden.183 Denn bestraft werden soll für das im Tatbestand beschriebene Verhalten, die Gründe der Strafbarkeit und das Maß an Strafwürdigkeit müssen sich demnach im Wesentlichen anhand der Tatbestandsmerkmale ermitteln lassen. Vor allem darf Bestrafung nicht im Kern auf einer nach außen getretenen deliktischen Gesinnung beruhen.184 Diese Grundsätze werden bei der Kriminalisierung von nicht zu einer unmittelbaren Rechtsgutsbeeinträchtigung geeigneten Verhalten aber infrage gestellt. Denn die Strafwürdigkeit des tatbestandlichen Verhaltens wird hierbei regelmäßig erst durch außertatbestandliche Erwägungen konkretisiert und macht es zudem wahrscheinlich, dass der Täter auch oder sogar hauptsächlich für ihm unterstellte Absichten bestraft wird. a) Die Fähigkeit zu vernunftgeleitetem Handeln als Kernprämisse des Strafrechts Wie gesehen, kommt dem nicht zu einer unmittelbaren Rechtsgutsbeeinträchtigung geeigneten Verhalten im Rahmen einer Kriminalisierungshierarchie grundsätzlich eine vergleichsweise geringe Bedeutung zu. Einem an den Gesetzgeber gerichteten Vorwurf der Setzung falscher Schwerpunkte bei der Ressourcenallokation und mithin der Widersprüchlichkeit könnte zwar entgegengehalten werden, dass eine frühzeitige Strafbarkeit von letztlich auf Rechtsgutsbeeinträchtigung ausgerichteten Verhalten eine zeitigere Intervention der Strafverfolgungsorgane erlaubt und dadurch eine tatsächliche Rechtsgutsbeeinträchtigung erschwert. Demnach könnte von einer verfehlten Schwerpunktsetzung bei der Allokation begrenzter Verfolgungsressourcen gerade nicht gesprochen werde, weil der Gesetzgeber durch Vorfeldkriminalisierung den Rechtsgüterschutz letztlich vereinfache und damit den Verfolgungsaufwand verringere. Eine derart begründete 182 Vgl. Gross, A Theory of Criminal Justice, S. 119 ff.; dazu auch Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 584 f.: Steuerschulden beständen eben nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber den Mitbürgern. 183 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 69. 184 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 77.

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

Umkehrung des Verhältnisses von zu einer unmittelbaren Rechtsgutsbeeinträchtigung geeigneten und solchen nicht dazu geeigneten Verhaltensweisen kann jedoch nicht überzeugen. Nicht nur ist die individuelle Verantwortung des Täters und mithin seine Schuld im Vorfeld geringer, so dass bei einer an Schuld orientierten Strafbarkeit der Grad der Beeinträchtigung entscheidend sein muss. Dagegen ließe sich noch einwenden, dass schuldangemessenes Strafen nicht Selbstzweck sein kann, sondern lediglich eine Begrenzung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes bildet. Demnach wäre es nicht notwendigerweise Zeichen einer widersprüchlichen Prioritätensetzung, wenn der Gesetzgeber vergleichsweise geringfügiges Unrecht zum Zweck der Verhinderung schwereren Unrechts unter Strafe stellt, solange die Geringfügigkeit bei der Strafzumessung angemessen berücksichtigt wird. Dieser Einwand übersieht aber letztlich die spezifische Funktionsweise des Strafrechts. Ein auf eine Verletzung oder konkrete Gefährdung von Rechtsgütern abstellendes Strafrecht vertraut auf die Fähigkeit der Normunterworfenen, ihr Verhalten so einzurichten, dass eine solche Beeinträchtigung unterbleibt. Der in der Reaktion auf vergangenes Unrecht liegende retrospektive Charakter des Strafrechts stellt sich also entgegen Robinson keineswegs als grundsätzlicher Gegensatz zu seiner präventiven Funktion dar, spiegelt also nicht nur eine Fixierung auf Schuld und Vergeltung wieder.185 Jakobs merkt zurecht an, in einer freiheitlichen Gesellschaft dürfe der Gesetzgeber nicht jede zu unerwünschten Konsequenzen führende Handlung verbieten, sondern müsse sich vielmehr „mit der Angabe von Zielen begnügen und ansonsten auf die Selbststeuerung von Personen bauen“, also „die Zielerreichung dezentral, durch die Person, verwalten lassen“.186 Bürger sind normalerweise in der Lage, im Bewusstsein zentraler gesellschaftlicher Werte die Schutzbedürftigkeit wichtiger Rechtsgüter zu erkennen und demnach zu handeln.187 Stellt man auf das Ermöglichen einer frühzeitigen staatlichen Intervention ab, so beteiligt man sich aber eben nicht mehr an einer Diskussion um die Ausgestaltung verhaltenssteuernden Strafrechts, sondern geht von einem Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch unmittelbaren Zwang verhindernden Gefahrenabwehrecht aus.188 b) Vorfeldkriminalisierung zur Normetablierung Den voranstehenden Ausführungen steht nicht entgegen, dass in einem dem Rechtsgüterschutz dienenden Strafrecht Verhalten im Rahmen einer Kriminalisierungshierarchie mitunter auch dann wesentliche Bedeutung zukommt, wenn da185

Robinson, The Modern General Part: Three Illusions, S. 97 ff. Jakobs, FS Seiji Saito, S. 27 f. 187 Duff, Rule-Violations and Wrongdoings, S. 55 ff.; von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 18. 188 Vgl. dazu Puschke, Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts?, S. 26. 186

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bei konkrete Rechtsgüter zwar nicht zwingend gefährdet werden, das fragliche Verhalten aber zu einer unmittelbaren Schädigung geeignet ist und eine Rechtsgutsbeeinträchtigung nur aus außerhalb der Kontrolle des Täters liegenden Gründen ausbleibt. Dies gilt nicht zuletzt für jene Fälle, in denen das beträchtliche Schädigungspotenzial von den Handelnden regelmäßig nicht (voll) erfasst wird. Jedenfalls zur Beeinträchtigung hochwertiger Individualrechtsgüter wie Leben und Gesundheit geeignetem Verhalten dürfte im Rahmen einer Kriminalisierungshierarchie ein beträchtlicher Stellenwert zukommen. Bei ihnen fällt zudem eine Abwägung zwischen dem Freiheitsinteresse des Täters und dem Schutz seiner Mitmenschen in der Regel derart aus, dass man diesen Schutz nicht von der individuell unterschiedlichen Risikobereitschaft des Handelnden abhängig machen sollte. Der Gesetzgeber kann in diesen Fällen im Wege einer Unterstrafestellung verdeutlichen, bei welchen Verhaltensweisen der Handelnde über das hinnehmbare Risiko hinausgehe, auch wenn dieser individuell anderer Ansicht sein sollte.189 Ähnliches kann unter Umständen auch für solches Verhalten gelten, welches sich zwar isoliert betrachtet nicht zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung eignet, letztere aber wegen einer mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Kumulation solchen Verhaltens absehbar ist190 und die Handelnden diesen Umstand regelmäßig nicht berücksichtigen. Nachdrücklich zu vergegenwärtigen hat man sich hierbei jedoch einmal mehr, dass die Strafwürdigkeit eines Verhaltens wesentlich davon abhängt, inwieweit für eine (potentielle) Rechtsgutsverletzung eine individuelle Verantwortlichkeit des Handelnden anzunehmen ist. Insbesondere dann, wenn eine Rechtsgutsbeeinträchtigung nur im Falle einer kaum übersehbaren Vielzahl individueller Beiträge zu erwarten ist, kann aber, wenn überhaupt, nur noch ein äußerst geringes Maß individueller Verantwortung angenommen werden. Findet dieser Umstand bei diesbezüglichen Strafverfahren in einer hohen Einstellungsquote seinen Niederschlag, so wird deutlich, dass sich die Strafwürdigkeit der Tat hierbei an außertatbestandlichen Erwägungen orientiert. Wird individuelle Verantwortung durch den Straftatbestand nicht oder kaum the189 Vgl. Jakobs, FS Seiji Saito, S. 27 f. Vgl. auch von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 212: Das „funktionierende gesellschaftliches Miteinander“ erfordert „eine gewisse Standardisierung von Verhaltensweisen“, die Etablierung einer „unbeherrschbaren und vor dem Hintergrund der normativen Verständigung der Gesellschaft intolerabel erscheinenden Gefahrenquelle“ stelle „eine mit dem allgemeinen Rechtsgleichheitsverhältnis unvereinbare und deshalb strafwürdige Anmaßung von Gestaltungsmacht dar“. In diesem Sinne auch Ashworth, Criminal Law, S. 38: Wahrscheinlichkeit und besonderes Ausmaß des potentiellen Schadens könnten zu Unterlassungspflichten gegenüber dem Gemeinwesen führen, weshalb die Kriminalisierung des schlichten Besitzes gefährlicher Gegenstände und besonders gefährliche Verhaltensformen zulässig sei. Kritisch dazu aber Husak, Overcriminalization, S. 112. 190 von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 208 f.: Insbesondere beim Subventions-, Kapitalanlage- und beim Kreditbetrug (§§ 264, 264a, 265b StGB) bestünden diesbezüglich Zweifel.

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

matisiert, so lässt sich dem Gesetz selbst ein Maßstab zur Bestimmung individueller Strafwürdigkeit eben nicht mehr entnehmen. c) Vorfeldkriminalisierung als Bestrafung sozialschädlicher Absichten Es ist naheliegend, dass die Kriminalisierung von Vorfeldverhalten einen Schädigungswilligen von der Begehung des rechtsgutsbeeinträchtigenden Verhaltens abhalten kann, weil dadurch die Ahndung seines Verhaltens vereinfacht und die Strafandrohung mithin bestärkt wird. Denn so mehr strafbares Verhalten der mit Vorsatz einer Rechtsgutsschädigung Handelnde schon vor dem Zeitpunkt einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung verwirklicht, desto wahrscheinlicher dürfte sich aus seiner Sicht die tatsächliche Verhängung von Strafe darstellen.191 Vorfeldkriminalisierung stellt sich dann aber letztlich als eine gesetzgeberische Unterstellung dar, der Normunterworfene werde trotz seiner Fähigkeit zu normativ motiviertem Handeln Rechtsgüter beeinträchtigen. Eine solche Unterstellung kann zwar zutreffend sein, insbesondere wenn im Hinblick auf die Komplexität rechtsgutsschädigender Kausalzusammenhänge192 Normunterworfenen häufig die Fähigkeit fehlt, ihr Verhalten an gesellschaftlichen Werten auszurichten, oder die Gefährlichkeit bestimmter Situationen oft unterschätzt wird. Der Gesetzgeber kann dann versuchen, die fragliche Verhaltensnorm durch deren Strafbewehrung zu etablieren. Anderes muss jedoch gelten, wenn der Kausalzusammenhang zwischen einem Verhalten im Vorfeld einer Rechtsgutsbeeinträchtigung einerseits und letzterer andererseits für die Normunterworfenen in der Regel klar erkennbar ist. In diesem Fall unterstellt der Gesetzgeber weniger eine mangelnde Fähigkeit des Normunterworfenen, eine Rechtsgutsbeeinträchtigung zu unterlassen, als vielmehr mangelnden Willen.193 Strafbarkeit gründet sich dann also weniger auf der Gefährlichkeit des tatbestandlichen Verhaltens, als vielmehr auf der Annahme sozialschädlicher Absichten des Täters. Derartige Unterstellungen sind schon deshalb fragwürdig, weil die Überzeugungskraft strafrechtlicher Verhaltensgebote gerade darauf beruht, dass der Gesetzgeber in der Regel damit rechnen kann, die Werthaftigkeit des geschützten Rechtsguts werde den Wertvorstellungen der Normunterworfenen weithin entsprechen. Ist Verhalten aber nicht zu einer unmittelbaren Rechtsgutsbeeinträchtigung geeignet, dann ist die normative Überzeugungskraft einer jenes Verhalten kriminalisierenden Gesetzgebung schon deshalb gemindert, weil der Handelnde im Bewusstsein handelt, durch

191

Müller-Dietz, Aspekte und Konzepte der Strafrechtsbegrenzung, S. 99. Für Schünemann, GA 1995, 201 (211 f.) machen die gesteigerte Komplexität schädigender Kausalzusammenhänge und kollektive Handlungszusammenhänge die eigentlichen Merkmale der ,Risikogesellschaft‘ aus. 193 von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 204 f. sprechen von einer „mit dem Menschenbild des Grundgesetzes“ nicht zu vereinbaren „Misstrauensgesellschaft“. 192

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sein Verhalten ein Rechtsgut eben gerade (noch) nicht zu gefährden oder zu schädigen.194 Vor allem aber ist eine derartige Kriminalisierung deshalb höchst problematisch, weil hierbei Strafbarkeit kaum mit der Sozialschädlichkeit des tatbestandlichen Verhaltens selbst begründet wird, sondern im Wesentlichen mit der Prognose, dass der den Tatbestand verwirklichende Täter regelmäßig mit schädigenden Absichten handelt. Entscheidend für die Strafwürdigkeit des tatbestandlichen Verhaltens im konkreten Fall sind dann vorrangig der Inhalt und die Intensität der Absichten des Täters. Das Strafmaß beziehungsweise die Entscheidung über eine etwaige Verfahrenseinstellung richtet sich dann also nach dem Ausmaß der vom Täter tatsächlich oder mutmaßlich in Kauf genommenen Schäden. Ein solches materielles Recht bedeutet letztlich, dass Strafe im Kern nicht objektive Verhaltensnormen, sonder böse Absichten sanktioniert. Bestimmt sich das Strafmaß aber weniger nach der Schädlichkeit des objektiven Verhaltens, sondern im Wesentlichen nach der Gesinnung des Täters, so wird eine auf unzutreffenden Unterstellungen beruhende Bestrafung wahrscheinlicher. Tatstrafrecht bedeutet im Gegensatz zu Gesinnungsstrafrecht nämlich, dass der Beschuldigte die ihm aus seinem Verhalten angeblich abzuleitende sozialschädliche Gesinnung unter Verweis auf die konkreten Merkmale seines eigenen Verhaltens als unzutreffend widerlegen kann. Tatstrafrecht ermöglicht es also, sich gegen solche auf Vorurteilen oder anderweitig sachwidrigen Erwägungen beruhende Vorwürfe unter Verweis auf die Tatsachenlage zu verteidigen. Tatstrafrecht schützt den Beschuldigten insbesondere davor, mit der seine Individualität negierenden Begründung bestraft zu werden, sein Verhalten sein für einen schädigungswilligen Täter typisch, weshalb auch bei ihm von Schädigungswillen auszugehen sei. So undifferenzierter das materille Strafrecht ist, so weniger sich aus einem tatbestandlichen Verhaltensunrecht Maßstäbe strafrechtlicher Verantwortung und mithin Maßstäbe für die Strafzumessung entnehmen lassen, desto wahrscheinlicher wird es, dass Bestrafung und Strafzumessung letztlich auf einer nicht hinreichend verifizierten Unterstellung sozialschädlicher Absichten beruhen. Eine derartige Subjektivierung der Strafrechtspflege kann Konsequenz einer gesetzgeberischen Vorfeldkriminalisierung sein,195 ist aber vor allem dann besonders bedenklich, wenn die Rechtsprechung – wie mitunter bei den § 263 und § 266 StGB – vorhandene tatbestandliche Schadensmerkmale dekonstruiert und das tatbestandliche Verhalten dadurch auf eine moralisierende Wertung reduziert. Denn damit ermächtigt sich die Rechtsprechung nicht nur dazu, dem Täter zur Begründung seiner Strafwürdigkeit sozial-

194 Ähnlich von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 201: Die Unterstrafestellung einer harmlosen Ersthandlung widerspreche der „Konzeption des mündigen Bürgers“, da man von diesem erwarten dürfe, er werde seine Handlungsfreiheit nicht zu einer schädigenden Anschlusshandlung missbrauchen. 195 Vgl. dazu oben § 7, IV.

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schädliche Absichten zu unterstellen, sondern zugleich auch zu bestimmen, welche Gesinnungsinhalte sozialschädlich und mithin strafwürdig sind.196 d) Abwägung zwischen Missbrauchsgefahr und Bedeutung des Rechtsguts Die Bedeutung eines Rechtsguts kann es dem Gesetzgeber als wünschenswert erscheinen lassen, bereits bloß pflichtwidriges Verhalten unter Strafe zu stellen, ohne Strafbarkeit von einer dem Täter zurechenbaren Beeinträchtigung abhängig zu machen. Dies bedeutet einerseits eine Standardisierung eines bestimmten Lebensbereichs, d. h. dem Normunterworfenen ist es verwehrt, die Schädlichkeit seines Verhaltens selbst zu beurteilen. Zugleich ist der tatbestandliche Verzicht auf einen Erfolgsunwert beziehungsweise auf einen dahingehenden Vorsatz vielfach geeignet, die strafrechtliche Ahndung des einschlägigen Verhaltens zu vereinfachen und mithin die Glaubwürdigkeit der Sanktionsdrohung zu bestärken. Diese kann zwar unter Umständen zu einer Verstärkung strafrechtlicher Verhaltenssteuerung führen. Der Gesetzgeber muss hierbei jedoch berücksichtigen, dass sich die Kriminalisierung des bloßen Verhaltensunrechts als verhältnismäßig darstellt. Er hat dabei zu hinterfragen, ob der Verzicht auf tatbestandliches Erfolgsunrecht Inkohärenz bei der Anwendung des Strafgesetzes erwarten lässt, insbesondere weil das Fehlen eines dem Täter zurechenbaren Schadens in den Augen der Strafverfolgungsbehörden regelmäßig eine geringe Sozialschädlichkeit des Verhaltens implizieren wird. Ist zu erwarten, dass dem inkriminierten Verhalten deshalb oft vor allem aufgrund außertatbestandlicher Umstände nachgegangen wird, so hat der Gesetzgeber das aus dieser Intransparenz resultierende Missbrauchsrisiko im Rahmen der Unterstrafestellung (und ebenso im Hinblick auf ein Festhalten an Strafbarkeit) maßgeblich zu berücksichtigen. Die Verhältnismäßigkeit einer Unterstrafestellung bemisst sich eben nicht nur danach, ob der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck eine entsprechende Beschneidung der Handlungsfreiheit der Normunterworfenen und gegebenenfalls eine Bestrafung zu rechtfertigen vermag. Die Zulässigkeit staatlichen Strafens und strafprozessualer Maßnahmen darf sich nicht allein unter Zugrundelegung der Hypothese bemessen, dass die Exekutive von den ihr eingeräumten Befugnissen in jedem Fall in einer dem Gesetzgebungszweck entsprechenden Weise Gebrauch macht. Berücksichtigt werden muss vielmehr auch das Ausmaß einer absehbaren Missbrauchsgefahr. Diese ist umso größer, je weniger sich die dem justiziellen Handeln zugrundeliegenden Beweggründe im Nachhinein überprüfen lassen, je weniger transparent also die fraglichen Entscheidungsprozesse sind. Droht eine Relativierung des unter dem strafprozessualen Legalitätsprinzip für die Ahndung von Straftaten geltenden Regel-Ausnahme-Prinzips, so muss die Entscheidung über die Ahn196

§ 7, II., 2.; III., 2.

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dung einer Straftat, wegen ihrer geringen Transparenz insbesondere die Entscheidung über das Vorliegen von Gründen, die zum Erforschen einer Straftat durch die Beamten des Polizeidienstes Anlass geben,197 als in erheblichem Maße missbrauchsanfällig bezeichnet werden. Sind regelmäßig tatbestandsfremde Erwägungen für die Ahndung tatbestandlichen Verhaltens ausschlaggebend, so bedeutet dies, dass es den Strafverfolgungsbehörden bei der Anwendung des fraglichen Strafgesetzes im Kern nicht mehr um die Sanktionierung des unter Strafe gestellten Verhaltens geht, mithin gesetzgeberischer Wille und Strafverfolgungspraxis auseinanderfallen. Das Risiko einer maßgeblichen Berücksichtigung sachfremder Faktoren ist mit der Bedeutung des tatbestandlichen Verhaltensgebots abzuwägen. Der Gesetzgeber hat zu hinterfragen, ob die Strafbarkeit bereits bloßer Pflichtwidrigkeit in der Strafverfolgungspraxis nicht zu einer lediglich selektiven Ahndung führt und ob eine daraus resultierende Gefahr willkürlichen, also sachwidrigen Strafens hinnehmbar erscheint. Die Strafbarkeit etwa bloß unmoralischen Verhaltens ohne Berücksichtigung von Erfolgsunrecht ist eben nicht nur problematisch, weil sich die dabei vom Gesetzgeber angeführte Sozialschädlichkeit des Verhaltens im Ergebnis empirisch oft nicht belegen lässt, vielmehr auf Vorurteilen beruht198 und deshalb mit der Notwendigkeit rationaler Nachvollziehbarkeit staatlichen Strafens nicht zu vereinbaren ist. Die Kriminalisierung bloßer Unmoral lässt vielmehr ein deutliches Auseinanderfallen von materiellen Strafrecht und Strafverfolgungsrealität erwarten, wobei sich die zu dieser Differenz führenden strafverfolgungsbehördlichen Differenzierungsgründe kaum transparent nachvollziehen lassen und mithin wirksamen Schutz gegen eine – nicht zuletzt an persönlichen Vorurteilen der handelnden Beamten orientierte – willkürliche Auswahl zu ahndenden Verhaltens vermissen lassen. Strafrecht kann eine verhaltenssteuernde Funktion eben nur in einem solchen Maß zugewiesen werden, wie dabei die vor Willkür schützende Funktion des materiellen Rechts erhalten bleibt. Bei einer weitreichenden, von einer zurechenbaren Gefahrenschaffung oder Schädigung entkoppelten Kriminalisierung bloßen Verhaltensunrechts muss dies zweifelhaft erscheinen.

197 198

§ 163 Abs. 1 S. 1 StPO. Roxin, Hassemer-FS, S. 582.

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

§ 11 Differenziertheit des Strafrechts als Voraussetzung der generalpräventiven Kommunikation einer gesellschaftlichen Werteordnung Die Ausgestaltung von Tatbeständen muss sich über die Notwendigkeit strafgesetzlicher Bestimmtheit hinaus an zwei weiteren Erfordernissen orientieren. Wenn das Strafrecht dem Schutz zentraler gesellschaftlicher Werte dient und zu diesem Zweck eine (im Bewusstsein seiner begrenzten Leistungsfähigkeit) begrenzte Zahl diesbezüglicher Verhaltensnormen sanktioniert, so muss die inhaltliche Gestaltung von Strafgesetzen geeignet sein, an eben jene Werte zu appellieren. Liegt in einem Strafurteil zudem ein Eingriff in den sozialen Achtungsanspruch und mithin in das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verurteilten, so ist notwendig, dass der Aussagewert des Schuldspruchs und mithin bereits der zugrundeliegende Tatbestand differenziert genug ist, das verwirklichte Unrecht möglichst präzise zu beschreiben. Straftatbestände sind eben nicht primär eine Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Strafverfolgungsbehörden, sondern sie kommunizieren mit dem Verurteilten und darüber hinaus mit der Gesellschaft. Der Gesetzgeber ist deshalb im Interesse der Beibehaltung eines aussagekräftigen, die besondere Bedeutung bestimmter Verhaltensnormen verdeutlichenden Strafrechts zu dessen Begrenzung und mithin zur Schaffung inhaltlich differenzierter Straftatbestände angehalten. Die Erhaltung eines in normativer Hinsicht aussagekräftigen, zentrale gesellschaftliche Werte kommunizierenden Strafrechts erscheint dabei nicht zuletzt dann von besonderer Bedeutung, wenn eine Gesellschaft zunehmend durch kulturelle Pluralität gekennzeichnet ist, sich die Wohlverhaltens-Vorstellungen der Normunterworfenen deshalb in erheblichem Maße unterscheiden können.199 Kommuniziert Strafrecht eine für das gesellschaftliche Miteinander unabdingbare Verhaltensordnung, erscheint gerade mit Blick auf die Zunahme kultureller und weltanschaulicher Vielfalt diese Kommunikationsfunktion zur Verdeutlichung gemeinsamer gesellschaftlicher ,Spielregeln‘ gar von wachsender Bedeutung zu sein,200 so mutet es kaum ratsam an, den normativen Aussagegehalt des materiellen Rechts insbesondere zugunsten größerer Flexibilität der Kriminalitätsbekämpfung infrage zu stellen. I. Kommunikation normativer Handlungsgründe durch Rechtsgüter Es wurde vorstehend bereits auf zwei für die inhaltliche Ausgestaltung von Strafvorschriften wesentliche Merkmale strafrechtlicher Kommunikation hinge199 200

Vgl. Roxin, Hassemer-FS, S. 592. Vgl. oben § 6, I., 4.

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wiesen. Zum einen darauf, dass Strafvorschriften und der in einer strafrechtlichen Verurteilung zum Ausdruck kommende Vorwurf nicht lediglich die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens thematisieren, sondern vielmehr jene hinter einem Verbot oder Gebot stehende gesellschaftliche Werte. Zum anderen, dass es einem die Fähigkeit des Bürgers zu vernunftgeleitetem Handeln anerkennenden Gesetzgeber darum gehen muss, jenem durch das Strafgesetz implizit die Gründe für das von ihm geforderte Verhalten zu nennen.201 Die zur Begründung einer Verhaltenserwartung genannten Gründe können letztlich nur normativer Natur sein, also sich auf den Wert eines angestrebten Zustands202 beziehen.203 Sind Rechtsgüter eben jene als Wert anerkannte Zustände, jene „jeweils vorherrschenden, ihrerseits wandelbaren Wertüberzeugungen“,204 dann ist der Begriff des Rechtsguts für ein demokratisches, den Bürger als Vernünftigen anerkennendes und mit ihm kommunizierendes Strafrecht von zentraler Bedeutung. Die das Strafrecht kennzeichnende Art der Verhaltenssteuerung ist es, das Individuum auf seine persönliche Verantwortung für die Konsequenzen seines Handelns anzusprechen. Dieser Appell ist es, der den in Strafe zum Ausdruck kommenden Vorwurf sowie dessen retrospektiven Charakter erklärt und das Wesensmerkmal strafrechtlicher Verhaltenssteuerung darstellt.205 Die danebentretende Strafandrohung unterstreicht einerseits die Bedeutung der Verhaltensnorm und schafft zugleich einen über den normativen Appell hinausgehenden Handlungsgrund. Ziel des Gesetzgebers muss es aber letztlich sein, die weitgehende Beachtung einer Verhaltensnorm dadurch zu erreichen, dass diese durch die ganz überwiegende Mehrheit der Normunterworfenen aus dem Bewusstsein heraus befolgt wird, sie sei für ein gesellschaftliches Zusammenleben richtig und notwendig. Der Rechtsgutsbegriff ist mithin keinesfalls nur Synonym für irgendeinen seitens des Gesetzgebers verfolgten Zweck,206 sondern Kern eines Strafrechts, welches durch die Verdeutlichung von Handlungsgründen individuelle Verantwortung für bestimmte Zustände thematisiert und gegebenenfalls sanktioniert. Vergegenwärtigt man sich dies, so wird auch deutlich, weshalb eine zunehmende Berufung auf Kollektivrechtsgüter nicht geeignet ist, normativ sinnvoll mit den Normunterworfenen zu kommunizieren. Denn einerseits ist bei ihnen häufig alles andere als eindeutig, 201

Vgl. oben § 9, I., 2., § 10, II., 2., a). Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 111; ähnlich Ashworth, Criminal Law, S. 78. 203 Zwar mag vielfach auch schon eine gesellschaftliche Verhaltenserwartung unabhängig von etwaigen Konsequenzen einen normativen Handlungsrund bilden, der Bürger also schlicht deshalb in einer bestimmten Weise handeln, weil dies von ihm so erwartet wird. Grundrechtseingriffe und mithin auch Strafe bedürfen aber jedenfalls eines legitimen Zwecks, müssen also mit Blick auf die zumindest mittelbaren Konsequenzen eines Verhaltens begründet werden. Vgl. auch Hefendehl, Rechtsgutstheorie, S. 128. 204 Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 15. 205 Vgl. oben § 10, II., 2., a). 206 So aber Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 182. 202

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dass es sich dabei um zentrale gesellschaftliche Werte handelt.207 Zudem ist es häufig in Anbetracht ihrer Abstraktheit kaum möglich, individuelle Verantwortlichkeit anzusprechen. Strafrecht appelliert also an die Fähigkeit der Normunterworfenen, ihr Verhalten an solchen als gesellschaftlicher Wert anerkannten Zuständen auszurichten.208 Die Strafandrohung dient hierbei als ein neben diesen Appell tretender zusätzlicher Anreiz und berücksichtigt, dass Normunterworfenen vielfach der Wille zu normativ motivierten Handeln fehlt.209 Demokratisch legitimierten Strafgesetzen liegt also einerseits der Gedanke zugrunde, dass Bürger sich zwar in der Regel zentraler gesellschaftlicher Werte bewusst und sie als Vernünftige grundsätzlich auch in der Lage sind, ihr Verhalten an eben diesen Werten auszurichten, sie mithin zu normativ motivierten Handeln befähigt sind. Anderseits beruht es aber auf der Erkenntnis, dass menschliches Verhalten nicht ausschließlich auf normativen Beweggründen beruht. Strafrecht reagiert also darauf, dass Menschen in der Regel zwar normativ motiviert handeln können, dies aber in vielen Fällen eben gerade nicht tun. 1. Rechtsgüterschutz als Einbindung in die gesellschaftliche Werteordnung Strafrecht kann in einem liberalen, auf der Begrenzung repressiver staatlicher Befugnisse beruhenden Gemeinwesen nicht dazu dienen, sämtliche Wertüberzeugungen der Mehrheit zwangsweise durchzusetzen. Ist das gesellschaftliche Miteinander auf bestimmte Werte aber angewiesen, so wird das Gemeinwesen deren Beachtung verlangen und ihnen zuwiderlaufendes Verhalten sanktionieren. Aufgabe des Strafrechts ist es, jene notwendigerweise einzuhaltenden Verhaltensnormen hervorzuheben und gleichzeitig, da die Gesellschaft diesbezüglich ein Abweichen ihrer Mitglieder nicht dulden kann, durch Sanktionen die Beachtung dieser Normen weitestgehend durchzusetzen.210 207 Diesbezügliche Zweifel bestehen insbesondere, wenn unklar bleibt, ob das fragliche Kollektivrechtsgut überhaupt nützlich ist; vgl. zum Subventionswesen MK-Wohlers, § 264, Rdn. 16. 208 So auch Duff, Rule-Violations and Wrongdoings, S. 55 ff.: Solle der Normenadressat sein Verhalten an jenen das Verbot rechtfertigenden Gründen und Werten ausrichten, so könnten Straftatbestände nicht lediglich als Verbot formuliert Gehorsam forderten, ohne das dahinter stehende Unrecht zu verdeutlichen. Der Gesetzgeber müsse zur Ermöglichung eines moralischen Appells jenes dem inkriminierten Verhalten zugrundeliegende Unrecht mit genügender Bestimmtheit beschreiben. Nur dann sei das jeweilige materielle Übel für die Normenadressaten erkennbar und werde mit ihnen in einer gemeinsamen normativen Sprache kommuniziert; vgl. S. 60 f. 209 von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing, S. 23 f. 210 Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 87: „[E]ine Gruppe, die auf jede Normverletzung als Gruppe reagiert, wird sich in Kleinigkeiten verzetteln.“ [Hervorhebung im Original].

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a) Differenzierender Rechtsgüterschutz anstatt generalisierende Moralisierung Die Hervorhebung solcher Verhaltensnormen ist allerdings nur dann möglich, wenn sie durch das materielle Strafrecht inhaltlich klar von Verhalten abgegrenzt werden, welches zwar moralisch fragwürdig erscheinen mag, jedoch für das gesellschaftliche Miteinander eher unerheblich ist. Eine entsprechende Differenzierung wird dadurch erreicht, dass den Normunterworfenen die durch Verhaltensnormen mittelbar oder unmittelbar geschützten Werte kommuniziert, dem jeweiligen Strafgesetz also entnommen werden können. Sind Rechtsgüter jene gesellschaftlichen Werte, dann wird deutlich, dass die Erkennbarkeit des jeweils geschützten Rechtsguts keineswegs nur von Bedeutung für eine den Grundsatz strafgesetzlicher Bestimmtheit wahrende Tatbestandsauslegung und für die Lösung von Rechtsproblemen des Allgemeinen Teils ist.211 Zwar vermag der Rechtsgutsbegriff den Gesetzgeber hinsichtlich der Identifizierung schützenswerter gesellschaftlicher Werte nicht zu binden. Dies bedeutet aber nicht, dass es damit bei einer lediglich die Gesetzesanwendung systematisierenden Funktion des Rechtsgutsbegriffs bleibt, womit dessen Bedeutung „gänzlich preisgegeben“ würde, da der Gesetzgeber schließlich „mit jeder Vorschrift irgendeinen Zweck“ verfolge.212 Auch ohne Anerkennung eines den Gesetzgeber bindenden Rechtsgutsbegriffs ist Rechtsgüterschutz eben mehr als Zweckdenken, nämlich Ausdruck eines gesellschaftliche Werte kommunizierenden und diesbezügliche Verantwortung thematisierenden213 Strafrechts. Rechtsgüterschutz steht für ein Strafrecht, welches Verhalten nicht schlicht wegen dessen gesetzgeberisch behaupteter Sozialschädlichkeit oder seiner Unmoral verbietet, sondern dem Bürger mit Blick auf die konkrete Tat die Sozialschädlichkeit implizit begründet und ihn dadurch in die Werteordnung einbindet. Es erweist sich damit als Ausdruck eines Strafrechts, welches vom strafenden Staat Rechenschaft verlangt, substantiiert darzulegen, worin die Strafwürdigkeit der konkreten Tat begründet ist, und damit ideologisch oder durch Vorurteile begründetem Strafen eine Absage erteilt.214 Denken in Verantwortung ist also mehr als nur Zweckdenken, denn letzterem 211 Dazu Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 156 f.: Der Rechtsgutsbegriff sei „für fast jede Wertung offen und transferiert sie über seine vielfältigen Aufgaben in das strafrechtsdogmatische System“, es übersetze die Umwelt in die Sprache des Rechtssystems. Dadurch werde das Rechtsgut „zum Verbindungsglied der Politik mit der Dogmatik“, überführe „die Dynamik des politischen in die Festigkeit des rechtlichen Systems“, und sorge dafür, dass letzteres nicht „durch jede neue Norm kategorial erschüttert wird und deshalb umgebaut werden müsste“; vgl. S. 158 f. 212 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 4. 213 Vgl. oben § 8, I, 4. 214 Vgl. Sternberg-Lieben, Rechtsgutstheorie, S. 72: Beim strafrechtlichen Schutz „komplexer überindividueller Schutzgüter“ bestehe die Möglichkeit, „eine gar nicht primär am Rechtsgüterschutz orientierte, sondern auf ganz anderen Motiven basierende Ablehnung vorgeblich objektiv und rational“ zu begründen.

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wäre etwa schon genüge getan, wenn der Gesetzgeber zum Zweck der Gewährleistung eines friedlichen Miteinanders irgendein seiner Ansicht nach inakzeptables Verhalten kriminalisierte. Es bedeutet, dass Bezugspunkt des Strafrechts die Veränderung von Zuständen ist. Nicht eine empirisch mehr oder weniger substantiierte Sozialschädlichkeitsbehauptung begründet Strafbarkeit, sondern der Umstand, dass durch das Verhalten konkrete gesellschaftliche Werte infrage gestellt werden. Erst dadurch wird es überhaupt möglich, das Strafrecht inhaltlich zu begrenzen und es nicht bei der Strafbarkeit moralisch geprägter bloßer Handlungsunwerte zu belassen. b) Verfolgungsflexibilität und Remoralisierung Die differenzierende Funktion des Rechtsgutsbegriffs geht jedoch verloren, wenn Gesetzgeber oder Rechtsprechung aus Gründen von Verfolgungsflexibilität zunehmend auf tatbestandliche Schadensbegriffe verzichten beziehungsweise vorhandene tatbestandliche Schadensbegriffe relativieren. Dies gilt vor allem für den letzteren Fall, soweit hier der Gesetzgeber in Anbetracht des Schadensbegriffs auf eine detaillierte tatbestandliche Verhaltensbeschreibung verzichtet hatte. Wird die Funktion des Schadensbegriffs seitens der Rechtsprechung relativiert, so kann dies eine Rückkehr zu einer moralisierenden Bestimmung strafbaren Verhaltens bedeuten.215 Für den Normunterworfenen bedeutet dies dann, dass er sich bei der Identifizierung solcher durch die Gemeinschaft als unabdingbar angesehenen Verhaltensnormen nicht mehr an gesellschaftlichen Werten orientieren kann, sondern sich an moralischen Wohlverhaltensvorstellungen orientiert muss. Vergleichbares gilt dann, wenn schon der Gesetzgeber auf tatbestandliches Erfolgsunrecht verzichtet, auch wenn die dann hinsichtlich der tatbestandlichen Verhaltensbeschreibung zu erwartende größere Bestimmtheit regelmäßig noch eine vergleichsweise klarere Identifizierung des inkriminierten Verhaltens erlauben wird.216 Besteht der Kern des Rechtsgüterschutzes darin, dem Täter die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens zu begründen und ihn auf seine Verantwortung anzusprechen, so droht zudem eben dieses Charakteristikum im Zuge einer vermehrt nicht mehr erkennbar auf den Schutz werthafter Zustände abstellenden Gesetzgebung verloren zu gehen. Sieht der Gesetzgeber von Strafwürdigkeit begründendem Erfolgsunrecht ab und lässt sich das tatbestandliche Verhalten auch sonst nicht als schwere Störung oder Gefährdung des gesellschaftlichen Miteinanders erkennen, so bedeutet dies, dass der Normunterworfene eben nicht notwendigerweise auf die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens angesprochen wird, sondern darauf, dass sein Verhalten typischerweise sozialschädlich ist. Dieser Ansatz be215 216

Vgl. oben § 7, II. Vgl. oben § 6, I., 1.

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deutet zwar nicht unbedingt eine von rationalen Gründen entbundene Kriminalisierung,217 im Ergebnis aber eine Rückkehr zur für ein moralisierendes Strafrecht kennzeichnenden Generalisierung von Sozialschädlichkeit.218 Geht es dem Gesetzgeber darum, den Bürger durch Thematisierung seiner Verantwortung zur Normenbefolgung zu veranlassen, so muss deshalb eine derart von zurechenbaren Konsequenzen entkoppelte Strafbarkeitsbegründung zumindest im Kernstrafrecht begrenzt bleiben. Soll die besondere Bedeutung zentraler Verhaltensnormen durch das Strafrecht verdeutlicht werden und ist dafür vor allem deren klare Abgrenzung von sozial weniger bedeutsamen Verhaltensnormen notwendig, so kann die (moralisierende und/oder um Beweisvereinfachung bemühte) Unterstrafestellung von solchen nicht an zurechenbare Konsequenzen anknüpfenden Verhaltensunwerten nicht zielführend sein. So mehr Verhaltensunwerte ohne klaren Bezug auf das jeweils geschützte Rechtsgut kriminalisiert werden, so weniger wird das Strafrecht in der Lage sein, dem Bürger Grundlagen eines gesellschaftlichen Miteinanders zu kommunizieren.219 Dies gilt erst recht dann, wenn der Gesetzgeber nicht einmal mehr darum bemüht ist, die Festsetzung des Strafrahmens als Instrument einer Unwerthierarchisierung zu nutzen, sondern es ihm bei dessen Gestaltung vielmehr darum geht, im Interesse möglichst großer Verfolgungsflexibilität unter ein und demselben Straftatbestand und mithin ein und demselben Strafrahmen eine Vielzahl unterschiedlicher Unrechtsformen zu fassen.220 2. Rechtsgüter als Voraussetzung strafrechtlicher Verhaltenssteuerung Die zentrale Bedeutung des Rechtsguts als Grundlage normativer Kommunikation wird allerdings übersehen, wenn man den Zweck des Strafrechts mit Jakobs und Amelung primär in der Aufarbeitung eines Normgeltungsschadens sieht und den Rechtsgutsbegriff lediglich zu einem Synonym für den vom Strafgesetzgeber verfolgten Zweck reduziert, durch den „nutzlosen Strafnormen die Legitimation verweigert“ wird.221 Soweit derartigen Ansätzen Kritik am Individualrechtsgüter217

Vgl. dazu oben § 2, IV. Diese liegt beim moralisierenden Recht insbesondere in der – empirisch allerdings nicht weiter substantiierten – Annahme, im Falle fehlender Repression unmoralischen Verhaltens werde das gesellschaftliche Miteinander beschädigt; vgl. etwa Devlin, The Enforcement of Morals, S. 15. 219 Vgl. Husak, Overcriminalization, S. 12, und Appel, Verfassung und Strafe, S. 39, für den der „ungehemmte Einsatz des Strafrechts“ letztlich zu dessen „Entstrafrechtlichung“ führt. 220 Auf einen Verlust der strafrechtlichen Appellfunktion im Falle der tatbestandlichen Zusammenfassung unterschiedlichen Verhaltens und unterschiedlichen Unrechts hinweisend Duff, Rule-Violations and Wrongdoings, S. 61. Vgl. dazu auch oben § 3, V. 221 Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 182. 218

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schutz als Kernaufgabe des Strafrechts zugrunde liegt,222 ist diese zwar in der Sache begründet. Wie bereits festgestellt wurde, lässt sich Strafe letztlich eben nur als Thematisierung gesellschaftlicher Werte verstehen.223 Der Schutz von Individualrechtsgütern als strafrechtliche Kernaufgabe kann mithin nur insoweit erklärt werden, wie dem Individuum innerhalb der gesellschaftlichen Werteordnung ein besonders hoher Stellenwert zukommt.224 Individualrechtsgüter schützende Verhaltensnormen bleiben dann aber weiterhin Teil der das gesellschaftliche Miteinander regelnden „Struktur der Gesellschaft“, denen es „um die Beziehungen von Personen“ geht. Die Sanktionierung von Normen kann deshalb durchaus als „Stabilisierung der Gesellschaft“ bezeichnet werden.225 Auch ist unbestreitbar, dass die Identifizierung eines Rechtsguts allein noch nichts über die Art und Weise einer inkriminierten Beeinträchtigung aussagt und dass nicht jedwede Beeinträchtigung strafbar sein kann, es also kaum „pauschale Verletzungsverbote“ gibt.226 Es ist zwar zutreffend, dass fortgesetzte Normgeltung davon abhängt, dass „der Normbruch als ein Normbruch und nicht als etwas Gleichgültiges verstanden wird“.227 Für die Ausgestaltung eines demokratisch legitimierten Strafrechts ist ein derartiger Ausgangspunkt aber keinesfalls geeignet.228 Einerseits ist er mitnichten politisch neutral,229 sondern geht vielmehr von einer der Demokratie nicht entsprechenden Bürger-Staat-Beziehung aus. Andererseits nimmt er den im Strafrecht zum Ausdruck kommenden Appell an individuelle Verantwortung nicht zur Kenntnis und ignoriert damit den Kern der Überzeugungskraft strafrechtlich sanktionierter Verhaltenserwartungen. Es ist deshalb unbeachtlich, „ob und in welchem Maße die Strafrechtslehre sich auf das Geschäft system-funktionaler Normanalysen einlassen“230 kann, und dass es letztlich an einer Theorie der Gesellschaft fehlt, „die imstande wäre, die Bedingungen menschlicher Vergesellschaftung und den Prozess des sozialen Wandels anders als in hochabstrakten Hypothesen zu beschreiben“231.

222

Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 161 f. Vgl. oben § 9, I., 2. 224 Vgl. oben § 10, II., 1., b). 225 Jakobs, FS Seiji Saito, S. 32; ähnlich Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 182. 226 Jakobs, FS Seiji Saito, S. 22 f. 227 Jakobs, FS Seiji Saito, S. 32. 228 Ähnlich auch die Kritik von Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, § 2 Rdn. 112. 229 Vgl. aber Jakobs, FS Seiji Saito, S. 31 und Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 180 f. 230 Amelung, Rechtsgutstheorie, S. 180. 231 Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 13 f. 223

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a) Begründungsbedürftigkeit demokratisch legitimierter Verhaltenserwartungen An demokratischer Legitimität ermangelt es einem auf Normgeltungsschäden abstellenden Erklärungsansatz, weil er Strafe allein in der Verletzung von Verhaltenspflichten begründet sieht. Die Missachtung von Verhaltensgründen spielt hingegen keine Rolle. Der Normunterworfene nimmt soziale Rollen ein, woraus sich durch ihn auszufüllende „Verantwortungsbereiche“ ergeben.232 Rechtlich verbindliche Verhaltenspflichten bestehen ihm gegenüber allerdings in vielfältiger Weise. Dem Strafrecht geht es eben gerade um die Hervorhebung jener von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung seienden Pflichten. Ein zum Zwecke der Hervorhebung nicht auf jene hinter den fraglichen Verhaltensnormen stehenden Gründe abstellender Ansatz kann die besondere Bedeutung bestimmter Pflichten letztlich nur durch die Sanktionsdrohung vermitteln. Nicht der Inhalt der sanktionierten Verhaltensnorm macht dann also ihre besondere gesellschaftliche Relevanz deutlich, sondern die Sanktionsdrohung selbst.233 Zwang ,erklärt‘ den Normunterworfenen mithin jene für ein gesellschaftliches Miteinander notwendigen Verhaltenserwartungen. Dem liegt offenbar die Prämisse zugrunde, dass der Gesetzgeber seine Bürger nicht für befähigt halten kann, sich als Mitglieder eines Gemeinwesens an dessen zentralen Werten auszurichten, von ihnen ein vernunftgeleitetes Miteinander also grundsätzlich nicht zu erwarten ist.234 Sind die Bürger demnach nicht befähigt, die Beziehung zu ihren Mitmenschen in der Regel selbst zu gestalten, so ist allerdings nicht einzusehen, wie sie trotz derartigen ,Unvermögens‘ zu Wahl eines sie vertretenden Gesetzgebungsorgans befähigt sein sollten. Durch Zwang aufrechterhaltene Pflichten und nicht weithin geteilte gesellschaftliche Werte prägten demnach jenen durch das Strafrecht formulierten Mindestbestand solcher für das gesellschaftliche Miteinander notwendiger Verhaltensnormen. Einem demokratisch organisierten Gemeinwesen kann dies kaum entsprechen. In ihm muss es Strafrecht vielmehr darum gehen, eine möglichst umfassende Beachtung von Verhaltensnormen durchzusetzen, indem es den Normunterworfenen die besondere Bedeutung von Verhaltensnormen durch solche deren Fähigkeit zu normativ motivierten Handeln ansprechende Gründe zu kommunizieren sucht.235 So wenig der Normunterworfene im konkreten Fall

232

Jakobs, FS Seiji Saito, S. 23. Vgl. dazu Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 224 f. 234 Entgegen Pawlik, Betrug, S. 57, wird durch die „Zurückweisung“ des Normbruchs dessen Urheber gerade nicht als Vernünftiger geehrt. 235 Vgl. auch die der formellen Begründungspflicht beim Erlass von Verwaltungsakten zugrundeliegenden Erwägungen. Dazu etwa Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 39, Rdn. 5: „Eine Entscheidung ohne Begründung drängt den Betroffenen in die Rolle eines Objekts staatlichen Handelns.“; so auch Ramsauer, in Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrengesetz, § 39, Rdn. 4 und Ruffert, in Knack/ Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 39, Rdn. 10. 233

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gewillt ist, diesen Gründen zu folgen, so wichtiger wird die neben den Appell tretende Strafandrohung. Betrachtet man letztere jedoch als den Kern strafrechtlicher Verhaltenssteuerung, nicht hingegen die den Bürger als Vernünftigen ansprechende Kommunikation von Handlungsgründen, so legt man dem Strafrecht eine Funktionsweise zugrunde, die schlicht dem Gedanken eines durch die Normunterworfenen legitimierten Gesetzgebers widerspricht.236 Sieht man die Erkenntnis der Bedeutung bestimmter Verhaltensnormen als durch Zwang vermittelt, nicht hingegen als Ergebnis der Einsichtsfähigkeit der Normunterworfenen, so kann dies zudem zu Missverständnissen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit strafrechtlicher Verhaltenssteuerung führen. Strafrecht kann zwar sicherlich auch solche Verhaltensgebote etablieren, deren Inhalt von weiten Teilen der Normunterworfenen noch nicht mit dem Schutz gesellschaftlicher Werte in Verbindung gebracht wird, so dass (zunächst) weniger ihre Fähigkeit zu normativ motivierten Handeln, als vielmehr die Sanktionsandrohung verhaltenssteuernde Wirkung entfaltet. Realistische Erwartungen an die verhaltenssteuernde Leistungsfähigkeit des Strafrechts können sich aber wegen der faktischen Begrenztheit der Strafrechtspflege nur in begrenztem Maße auf eine derartige Etablierung von Verhaltensnormen beziehen. Und auch dann kann es aber nicht um die Durchsetzung irgendwelcher Systemvorstellungen gehen, sondern nur um die Durchsetzung von Verhaltensnormen, deren Befolgung man von im Bewusstsein gesellschaftlicher Werte handelnden Vernünftigen erwarten kann.237 Nur insofern wird man dem Strafrecht eine von Stratenwerth eingeforderte „Schrittmacherfunktion“ 238 zugestehen können.239 b) Individuelle Verantwortung als Grundlage strafrechtlicher Überzeugungskraft Nimmt ein auf Normgeltungsschäden abstellender Ansatz die nur subsidiäre Rolle der Sanktionsdrohung nicht zur Kenntnis, so kann es nicht verwundern, dass dabei Verhaltensgründen – mithin dem Schutz bestimmter gesellschaftlich als erhaltens- oder erstrebenswert anerkannter Zustände – keine Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Es wird deutlich, dass es sich dabei nicht nur um einen für demokratische Gemeinwesen illegitimen Ausgangspunkt handelt, sondern dass er zudem keine für die Ausgestaltung des Strafrechts weiterführende Schlussfolgerungen erlaubt. Strafrecht bezweckt, jene für das gesellschaftliche 236

Dagegen aber Alldridge, Making Criminal Law Known, S. 111. Demnach notwendige Gründe können etwa darin liegen, dass in Anbetracht von regelmäßig nicht oder nur schwer nachvollziehbaren (aber faktisch verifizierten) schadensträchtigen Kausalketten die Zulässigkeit eines Verhalten nicht von einer individuellen Risikoprognose der Normunterworfenen abhängig gemacht werden kann. 238 Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 2 Rdn. 2 f. Ähnlich Ashworth, L.Q.R. 2000, 225 (243 f.). 239 Vgl. oben § 9, I., 2. 237

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Miteinander besonders notwendigen Verhaltenspflichten hervorzuheben. Diese Hervorhebung erfolgt in einer Demokratie nicht schlicht im Wege einer Zwangsandrohung. Kennzeichnend für die Überzeugungskraft strafrechtlich sanktionierter Verhaltenserwartungen ist vielmehr das Bewusstsein der Normunterworfenen, für bestimmte Zustände (mit)verantwortlich zu sein und im Falle ihrer Beeinträchtigung von den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft (mit)verantwortlich gemacht zu werden. Der Appell des Strafrechts dürfte in der Regel umso überzeugender sein, umso gravierendere Auswirkungen das sanktionierte Verhalten auf den geschützten Zustand haben würde, umso glaubhafter also der Gesetzgeber individuelle Verantwortlichkeit des Normunterworfenen behaupten kann. Es geht mithin nicht um die Frage, ob „sich die Gesellschaft durch Güterbesitz darstellen“ lässt und ob es „strafrechtlich wenig zweckmäßig“ ist, „primär an die Güterverletzung anzuknüpfen“.240 Entscheidend ist vielmehr, dass nur unter Bezug auf bestimmte schützenswerte Zustände die individuelle Verantwortlichkeit der Normunterworfenen angesprochen werden kann. Verhaltenspflichten können ohne einen solchen Bezugspunkt Verantwortung nicht thematisieren. Rollen oder Verantwortungsbereiche bleiben solange inhaltslos, wie sie sich nicht auf die Bewahrung oder Herbeiführung von Zuständen beziehen, solange also nicht geklärt ist, ,für was‘ jemand verantwortlich ist.241 Verantwortung kann demnach nicht ohne Bezug auf (mögliche) Konsequenzen eines Verhaltens angesprochen werden. Bezeichnen Rechtsgüter jene durch die Gesellschaft als Werte angesehenen Zustände, so sind die individuelle Verantwortung ansprechende Strafgesetze mithin auf klar erkennbare Rechtsgüter angewiesen. Andernfalls handelt es sich nicht um ein durch normativen Appell, sondern durch die Strafandrohung wirkendes Strafrecht. Das Ausmaß der hinsichtlich eines bestimmten Zustands bestehenden individuellen Verantwortung des Täters dürfte dabei für die Überzeugungskraft und mithin die Leistungsfähigkeit strafrechtlicher Verhaltenssteuerung entscheidend sein. So weniger Strafrecht individuelle Verantwortung thematisiert, sondern vielmehr einer von individueller Verantwortung abgekoppelten Verwirklichung ordnungspolitischer Konzepte dienen soll, so weniger also der Normunterworfene die Beachtung eines bestimmten Verhaltensgebots mit persönlicher Verantwortlichkeit für irgendwelche (drohenden) Konsequenzen in Verbindung bringen kann, umso mehr handelt es sich um ein Strafrecht, dessen Beachtung eher durch die Androhung von Sanktionen denn durch seinen Regelungsinhalt beeinflusst wird. Besonders überzeugend dürften sich für die Normunterworfenen solche Verhaltensnormen darstellen, bei deren Missachtung schon ein einzelner Normunterworfener zu einer materialisierten Beeinträchtigung gesellschaftli-

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Jakobs, FS Seiji Saito, S. 22. Vgl. oben § 1, II., 1., c).

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cher Werte in der Lage ist. Je weniger dies hingegen angenommen werden kann, desto weniger eignet sich die Verhaltensnorm als Appell an individuelle Verantwortung, so geringere Überzeugungskraft kommt also der sanktionierten Verhaltensnorm zu. Dies bedeutet auch, dass Grenzen legitimen Strafens spätestens dort erreicht sein sollten, wo der Täter für die (potentielle) Beeinträchtigung geschützter Zustände nicht mehr in einem seine Stigmatisierung rechtfertigenden Maße verantwortlich gemacht werden kann, eine Beeinträchtigung sich vielmehr als Konsequenz kollektiven gesellschaftlichen (Fehl)Verhaltens darstellt. 3. Verfolgungsflexibilität gewährleistendes anstatt normativ kommunizierendes Recht Eine Verhaltenserwartung ist in der Regel dann klar zu erkennen und nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber die Schutzwürdigkeit bestimmter Rechtsgüter hervorhebt und zudem den Normenunterworfenen mitteilt, welches Maß an Rücksichtnahme sie diesem Rechtsgut entgegenzubringen haben, ob sie etwa lediglich eine vorsätzliche Beeinträchtigung unterlassen sollen oder darüber hinaus selbst eine fährlässige Beeinträchtigung zu vermeiden haben. Fehlt es dann trotzdem an dieser Erkennbarkeit, machen sich etwa viele Normunterworfene regelmäßig das Schädigungspotential eines bestimmten Verhalten nicht bewusst, so kann darüber hinaus die Schaffung von solchen das gefährliche Verhalten möglichst präzise beschreibenden Gefährdungsdelikten erforderlich sein. Der Gesetzgeber kann zwar auch Verhalten kriminalisieren, durch welches Rechtsgüter nicht unmittelbar verletzt oder gefährdet werden. Zur Ermöglichung eines an die Normunterworfenen gerichteten normativen Appells muss das mittelbar geschützte Rechtsgut aber im Rahmen von Vorfeldkriminalisierung klar zu erkennen sein,242 etwa sich aus der Gefährlichkeit eines verbotenen Gegenstands ergeben. Der dem Strafgesetz zugrundeliegende Verhaltensgrund sollte deshalb nicht durch eine unbestimmte Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens an Klarheit verlieren.243

242 Der Gesetzgeber kann durchaus im Wege von Gefährdungsdelikten eine individuelle Risikoprognose abschneiden, also „gewissermaßen das ,Nachdenken‘ über die konkrete Gefährlichkeit ausschalten“; vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 442. Bezweifelt werden muss aber, ob dadurch (wie Lagodny meint) der Gebrauch von Eigenverantwortlichkeit „ausgeschaltet“ wird, ein abstraktes Gefährdungsdelikt deshalb immer „Ungehorsamsdelikt“ ist; vgl. S. 482. Das Unterlassen des inkriminierten Verhaltens kann in Anbetracht seines Charakters und der Wertigkeit des geschützten Rechtsguts von einem verantwortlich Handelnden durchaus schon erwartet werden, wenn dieser sich vorhalten lassen muss, dass der Gesetzgeber wegen des drohenden Schadensausmaßes eine individuelle Gefahrenprognose nicht zulassen kann. Gefährliches Verhalten kann dann durchaus unverantwortlich sein und auch ohne die konkrete Gefährdung eines Rechtsguts einen Fehlgebrauch von Eigenverantwortung darstellen. 243 Ähnlich zu den Staatsschutzdelikten Hellmer, Bemerkungen zum strafrechtlichen Staatsschutz aus Sicht der Identitätstheorie, S. 752.

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a) Defizite normativer Kommunikation bei normativ formulierten Tatbeständen Stellt der Gesetzgeber zur Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens maßgeblich auf überwiegend normative Tatbestandsmerkmale ab, ohne zugleich das durch den Täter zurechenbar verletzte oder gefährdete Rechtsgut klar zu verdeutlichen, so wird Strafbarkeit absehbar überwiegend auf einer moralischen Bewertung des fraglichen Verhaltens beruhen. Ein solches gesetzgeberisches Vorgehen mag zwar Verfolgungsflexibilität versprechen. Bewusst machen muss man sich aber, dass dies letztlich auf Kosten der normativen Kommunikation mit dem Bürger und mithin auf Kosten strafrechtlicher Verhaltenssteuerung geht.244 Dieser wird dann nicht als Vernünftiger angesprochen, sondern ihm lediglich eine unbegründete moralische Pflicht auferlegt, verhaltensleitende Orientierung hingegen nicht geboten. So stärker die Auslegung eines Straftatbestandes ohne klaren Rechtsgutsbezug von solchen das Täterhandeln normativ beschreibenden Tatbestandsmerkmalen abhängt, desto ungeeigneter ist die Vorschrift also, normativ mit den Normunterworfenen zu kommunizieren.245 Derartige Strafgesetze können dazu dienen, retrospektiv als moralisch verwerflich und strafwürdig beurteiltes Verhalten zu verfolgen. Auf diesem Wege kann nicht nur ein unter Umständen bestehendes öffentliches Strafbedürfnis trotz einer – bei neuartigen Kriminalitätsformen oftmals – fehlenden ausdrücklichen Strafbarkeit des fraglichen Verhaltens befriedigt werden, sondern zugleich im Sinne der in einer Verurteilung zum Ausdruck kommenden Auslegung des Strafgesetzes durch die Rechtsprechung Verhaltenssteuerung für die Zukunft bewirkt werden. Über mit Blick auf das strafgesetzliche Rückwirkungsverbot bestehende Bedenken hinaus hat man sich dabei auch zu vergegenwärtigen, dass es sich dann letztlich nicht um eine gesetzgeberische Kriminalisierungsentscheidung handelt, hinter dem erst durch die Rechtsprechung bestimmten Verhaltensgebot deshalb kaum ein kohärentes kriminalpolitisches Konzept stehen wird.246 Vor allem aber unterbleibt so eine parlamentarische Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein bestimmter Wert dem Schutz des Strafrechts unterstellt werden sollte. Normativ offen gestaltete Straftatbestände mögen zwar erlauben, flexibel auf neuartige und moralisch fragwürdige Verhaltensformen mit Strafverfolgung zu reagieren. Mit dem Verbot rückwirkender Kriminalisierung zu vereinbaren und in generalpräventiver Hinsicht zweckmäßig ist dies jedoch am ehesten dann, wenn der dabei geschützte gesellschaftliche Wert durch ein tatbestandliches Schadensmerkmal seitens des Gesetzgebers klar benannt und für die Normunterworfenen mithin erkennbar ist.

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Vgl. oben § 2, IV. Vgl. oben § 6, I., 1. Vgl. oben § 3, V.

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b) Beweisvereinfachung und behördliche Konkretisierung der Strafwürdigkeit Eine Infragestellung der normativen Kommunikation mit den Normunterworfenen ist darüber hinaus auch hinsichtlich solcher Straftatbestände anzunehmen, welche zwar das fragliche Verhalten durchaus präzise beschreiben, dabei aber trotzdem keine dem Täter zurechenbare Gefährdung oder Beeinträchtigung eines Rechtsguts erfordern. Soweit es dem Gesetzgeber hierbei darum geht, auf Kosten des tatbestandlichen Erfassens auch rechtsgutsneutralen Verhaltens für Beweiserleichterung zu sorgen, nimmt er hierzu also die Strafbarkeit von atypischen Varianten der Tatbestandsverwirklichung in Kauf,247 so verzichtet er demnach auf einen Nennung von Verhaltensgründen und mithin auf einen Appell an die Vernunft der Normunterworfenen. Der atypisch, jedoch tatbestandsmäßig handelnde Täter wird sein Verhalten als unschädlich, seine Verurteilung deshalb als ungerecht empfinden.248 Der Gesetzgeber mag trotzdem der Meinung sein, ein solches Ergebnis sei wegen der damit verbundenen höheren Sanktionswahrscheinlichkeit hinsichtlich typischen (also auf strafwürdige Konsequenzen gerichteten) tatbestandlichen Verhaltens zu rechtfertigen. So weitreichender aber eine kollaterale Kriminalisierung atypischen Verhaltens erfolgt, so naheliegender ist es, dass der Gesetzgebers damit die Erwartung verbindet, die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte seien in der Lage, atypische Fälle anmessen zu behandeln und gegebenenfalls etwa das Verfahren einzustellen. Das materielle Recht verliert aber seine normative Aussagekraft, wenn es letztlich vergleichbar eines polizeirechtlichen Eingriffstatbestandes lediglich der Begrenzung der Strafrechtspflege dient, die Konkretisierung der Strafwürdigkeit innerhalb dieser Grenzen aber in erheblichem Maße erst in der Strafverfolgungspraxis stattfindet und tatbestandsmäßiges, aber nicht strafwürdiges Verhalten im Wege strafprozessualer Opportunität herausgefiltert wird. Damit ist jedoch zu rechnen, wenn aus beweistechnischen Gründen zunehmend sozial unschädliches Verhalten kriminalisiert wird, die Strafverfolgungsbehörden zur eigenständigen Setzung kriminalpolitischer Prioritäten angehaltenen sind und sie infolge dessen vielfach anhand behördeninterner Maßstäbe ein öffentliches Interesse an der Verfolgung tatbestandlichen Verhaltens verneinen.249 Eine zum Zwecke der Beweiserleichterung auf abstrakte und also auf für den Bürger nicht normativ motivierend wirkende 247 Vgl. zu derartiger, beweisfunktional motivierter ,kollateraler‘ Kriminalisierung etwa zu § 264 StGB BGH 34, 265, 267 f.; 36, 373, 374 f.: demnach kann Strafbarkeit auch dann gegeben sein, wenn der Antragsteller einen Anspruch auf die Subventionsgewährung hatte. 248 Vgl. Husak, Overcriminalization, S. 112. Selbst wenn in der Mehrheit der Fälle das tatbestandliche Verhalten tatsächlich strafwürdig sei, so rechtfertige dies noch nicht die Strafbarkeit jener Minderheit, bei der in Anbetracht der konkreten Umstände Strafwürdigkeit ausscheide; vgl. S. 110 f. 249 Vgl. oben § 10, II., 2., b).

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Rechtsgüter abstellende Strafgesetzgebung bereitet dann einem Strafrecht den Weg, dessen Inhalt ganz wesentlich durch moralische Wertungen der Strafverfolgungsbehörden bestimmt wird. 4. Erfolgsunrecht als Voraussetzung eines aussagekräftigen Strafrechts Der Gesetzgeber hat Sorge zu tragen, dass Flexibilisierungserwägungen nicht die Aussagekraft des Strafrechts und mithin dessen Eignung infrage stellen, jene die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens begründenden und damit Bürger in die gesellschaftliche Werteordnung einbindenden Rechtsgüter zu kommunizieren. So weniger Strafrecht Verantwortlichkeit für eine Störung des gesellschaftlichen Miteinanders thematisiert, so mehr es ihm um die Sanktionierung bloßer Pflichtverletzungen geht, desto weniger werden Strafurteile für sich in Anspruch nehmen können, in glaubwürdiger Weise ein sozialethisches Unwerturteil zu kommunizieren. Sanktioniert Strafrecht zunehmend unschädliche Pflichtverletzungen, dann kann es in den Augen der Bürger zu einem Instrument verkommen, welches eher ordnungspolitische Vorstellungen durch Zwang durchsetzt, anstatt als glaubwürdiger Ausdruck eines gesellschaftlichen Wertekonsenses wahrgenommen zu werden. Strafrecht kann dann zwar immer noch im Wege der Sanktionsdrohung verhaltenssteuernd wirken. Es verliert aber seine Fähigkeit, den Normunterworfenen auf seine Verantwortung für schutzbedürftige gesellschaftliche Werte anzusprechen. Je mehr an einem „eindeutigen deliktischen Sinnbezug“250 – d. h. einer drohenden Beeinträchtigung zentraler Werte – Zweifel bestehen, je mehr ein Straftatbestand also kollateral auch Verhalten erfasst, bei dem eine solche Beeinträchtigung von vornherein ausscheidet, desto weniger lässt sich der Norm durch Bürger und Strafverfolgungsbehörden entnehmen, welche Interessen durch sie geschützt werden. So weniger der einer Kriminalisierung zugrunde liegende Wert hervortritt, so stärker tatbestandsfremde Faktoren hinsichtlich eines Straftatbestandes Ahndungspraxis und Strafzumessung bestimmen, umso deutlicher wird, dass der materiell-rechtliche Tatbestand eben nicht mehr den normativen Unrechtskern kommuniziert.251 Das Strafrecht wird dann für sich immer weniger in Anspruch nehmen können, der Bewehrung eines notwendigen Minimums solcher das gesellschaftliche Miteinander prägenden Verhaltensnormen zu dienen. Verantwortlichkeit ist im Rahmen von Vorfeldkriminalisierung insoweit unproblematisch ansprechbar, wie dem Täter vorgehalten werden kann, wegen der Unkontrollierbarkeit der von ihm geschaffenen Situation hänge eine Rechtsgutsbeeinträchtigung letztlich vom Zufall ab oder sei mit einer der Schwere der drohenden Beeinträchtigung angemessenen Wahrscheinlichkeit durch das Anschluss-

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Einen solchen fordernd von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie, S. 203. Vgl. dazu oben § 7, IV.

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verhalten eines Dritten oder durch eine Kumulation ähnlichen Verhaltens zu erwarten. Der normativen Aussagekraft des Strafrechts abträglich ist es hingegen, wenn der sanktionierten Verhaltensnorm im Wesentlichen ein Verdacht zugrunde liegt, der Täter beabsichtige eine Rechtsgutsverletzung. Soll sich die Strafwürdigkeit von Verhalten aus dessen Gefährlichkeit ergeben,252 ist diese Gefährlichkeit aber ganz überwiegend nicht in vom Täter nicht kontrollierbaren Umständen, also in seiner Fähigkeit zur Beherrschung einer Gefahrenquelle, sondern in seinem Willen begründet, so bedeutet dies, dass der Verdacht von Rechtsgutsfeindlichkeit letztlich Strafbarkeit begründet.253 Eine durch normative Kommunikation erfolgende Einbindung des Bürgers in die Werteordnung findet so nicht statt. Ein trotzdem an den Täter gerichteter stigmatisierender strafrechtlicher Vorwurf muss dann – insbesondere im Hinblick auf die Strafzumessung – zudem dahingehend hinterfragt werden, ob er über den Verurteilten letztlich nicht doch mehr behauptet als eine bloße Pflichtverletzung, nämlich unbewiesene sozialschädliche Absichten unterstellt. Nur wenn das Strafrecht jene geschützten Werte klar benennt – bei Gefährdungsdelikten also mit hinreichender Deutlichkeit den geschützten Zustand erkennen und diese nicht etwa zu einem kriminalpolitischen Instrument opportunitätsgeleiteter Strafverfolgung verkommen lässt – bleibt es in der Lage, die gesellschaftliche Werteordnung vorzuzeichnen und zu vermitteln. Tatbestandliches Erfolgsunrecht ist deshalb als Bezugspunkt von Verantwortlichkeit für die Bewahrung eines aussagekräftigen Rechts von zentraler Bedeutung. Dabei muss die Erkenntnis im Vordergrund stehen, dass Erfolgsunrecht im Sinne eines normativ kommunizierenden Rechts eben nicht jedwedes tatbestandliches Erfolgsmerkmal sein kann,254 sondern nur solche Auswirkungen eines Verhaltens, welche tatsächlich eine unmittelbare Gefährdung oder Beeinträchtigung eines zentralen gesellschaftlichen Wertes darstellen. Nicht die tatbestandliche Nennung irgendeiner unerwünschten Konsequenz vermittelt einen Wert, sondern dies ist nur dann der Fall, wenn diese Konsequenz eine Beeinträchtigung eines zentralen Wertes bedeutet.255 So unwahrscheinlich es ist, dass der tatbestandliche Erfolg im konkreten Fall den Kern von Strafwürdigkeit und Strafzumessung ausmacht, desto 252

Vgl. etwa BGH 36, 373, 375 zur „Gefahr der Fehlleitung von Subventionen“. Vgl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 377, MK-Wohlers, § 264, Rdn. 15. 254 Vgl. oben § 6, III., 3. 255 So ist etwa die unberechtigte Überwindung einer Zugangssicherung i. S. v. § 202a StGB zwar ein Erfolg. Dieser bildet aber nur dann ein normativ kommunizierendes Erfolgsunrecht, wenn schon die Integrität jedweder Zugangssicherung einen strafrechtlich schützenswerten gesellschaftlichen Wert darstellt. Dies ist hier deshalb sehr zweifelhaft, weil der Tatbestand die Zugangssicherung nicht weiter qualifiziert, etwa mit dem Schutz von Privatsphäre, sondern er insbesondere auch dann einschlägig sein kann, wenn es dem Täter nicht um einen Bruch von Vertraulichkeit geht, sondern beispielsweise um einen bloßen Vertragsbruch, etwa um die Überwindung der SIM-Sperre eines Mobiltelefons zum Zweck der Nutzung eines anderen Mobilfunkanbieters. 253

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weniger ist anzunehmen, dass der tatbestandliche Erfolg Ausdruck eines für das Gemeinwesen zentralen Wertes ist. Ein Werte kommunizierendes und dadurch Strafbarkeit vorhersehbar und nachvollziehbar machendes Strafrecht wird in besonderem Maße durch eine Normativierung tatbestandlichen Erfolgsunrechts infrage gestellt. Werden Schadensbegriffe von der Rechtsprechung nicht in einer klaren, der Laiensphäre offensichtlichen Weise ausgelegt, wird die Auslegung von Erfolgsunrecht vielmehr zentral von normativen Erwägungen beeinflusst, so wird Strafbarkeit und Strafe eben nicht mehr mit dem tatbestandlich geschützten gesellschaftlichen Wert und seiner Bedrohung oder Beeinträchtigung begründet, sondern im Kern mit der zur Normativierung des Schadensbegriffs herangezogenen Norm. Ein solches Strafrecht, welches Schäden letztlich von einer nahezu beliebigen Normativierung durch die Gerichte abhängig macht, ist aber nicht mehr in der Lage, gesellschaftliche Werte zu kommunizieren. Ein Recht, welches die dem Täter vorgeworfene Konsequenz seiner Tat und die sich daraus ergebende Begründung seiner angeblichen Sozialschädlichkeit nicht mehr mit einer realitätsgetreuen Beschreibung des Schadens, sondern mit der als schädigend bewerteten Pflichtverletzung begründet, ist zudem kaum noch in der Lage, ein sozialethisches Unwerturteil zu kommunizieren. Denn ein solches Unwerturteil und das mit Krimianalstrafe verbundene gesellschaftliche Stigma muss mit den Bürgern hinsichtlich der zentralen Frage der Sozialschädlichkeit – nämlich ob und gegebenenfalls welche Werte der Täter bedroht oder beeinträchtigt hat – in einer glaubhaften Sprache kommunizieren. Beruht der zur Bejahung von Strafbarkeit angeführte Schaden hingegen im Wesentlichen auf einer rechtlichen Wertung und nicht auf einer laienhaften Betrachtung, so drückt die Verurteilung lediglich ein rechtliches, kaum aber ein durch Laien nachvollziehbares und mithin sozialethisches Unwerturteil aus. Wenn ein Nichtschaden Schaden sein darf, wenn Ungefährlichkeit eine Gefahr darstellen soll, wenn letztlich über normative Fiktionen die Realität entstellt wird, dann handelt es sich nicht mehr um ein Strafrecht, welches für den Bürger hinsichtlich der die Strafwürdigkeit begründenden Tatsachen nachvollziehbar und deshalb geeignet ist, einen sozialethischen Inhalt der Verurteilung zu kommunizieren. Eine normativierende anstatt auf die außerrechtliche Begründung von Schädlichkeit und Strafwürdigkeit abstellende Auslegung von Erfolgsunrecht sanktioniert eben nicht Schädlichkeit, sondern Pflichtverletzungen.256 Für die Bürger bleibt offen, welche Werte einer so ermöglichten Verurteilung zugrunde liegen, für was also der Verurteilte eigentlich verantwortlich gemacht wird. Ist der Gegenstand der Verantwortlichkeit nicht deutlich, so kann von den Bürgern kaum erwartet werden, dass sie sich die jeweilige strafrechtliche Wertaussage zu Eigen 256

Vgl. oben § 7, II., 1.

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machen. Beruht der Schaden auf einer rechtlichen Fiktion, so gilt selbiges auch für die mit der Verurteilung behauptete Verantwortlichkeit des Täters.257 Der strafrechtliche Vorwurf erschöpft sich dann in der Sanktionierung der Pflichtwidrigkeit des Täters, was – wie bereits gesehen258 – nicht genügen kann, soll es dem Strafrecht darum gehen, durch die Thematisierung individueller Verantwortung eine gesellschaftliche Werteordnung vorzuzeichnen und auf diese Weise strafrechtlichen Wertaussagen zu möglichst weitreichender gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen. II. Notwendige Differenziertheit des Vorwurfs jenseits generalpräventiver Gründe Die vorstehenden Überlegungen legen den Schluss nahe, dass ein nicht klar durch Rechtsgüter strukturiertes materielles Strafrecht letztlich an Aussagekraft verliert, wodurch seine Eignung zur normativen Kommunikation mit den Bürgern und mithin seine generalpräventive Bedeutung infrage gestellt wird. Darüber hinaus erscheinen klar strukturierte Straftatbestände aber auch deshalb bedeutsam, weil sie über ihre generalpräventive Kommunikationsfunktion hinaus als Grundlage des Schuldspruchs retrospektiv Aussagen über das Täterverhalten treffen. Einerseits wird dem Verurteilten durch die Bezeichnung der Tat im Urteil das von ihm begangene Unrecht vorgeworfen und er dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung entsprechend gekennzeichnet. Zudem kommt der Bezeichnung der Tat aber auch insofern Bedeutung zu, als geschehenes Unrecht durch das Strafurteil aufgearbeitet wird, was nicht nur für individuelle Opfer von Bedeutung ist, sondern auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Geschehenen erlaubt. Ist der Gesetzgeber aber nicht um eine differenzierte Beschreibung strafwürdigen Verhaltens bemüht, geht es ihm insbesondere aus Gründen der Beweiserleichterung oder der Vermeidung von Strafbarkeitslücken um die Schaffung von solchen den Kern der Sozialschädlichkeit eines Verhaltens nicht klar erkennen lassenden oder eine Vielzahl unterschiedlichster Unrechtsformen erfassenden Straftatbeständen, so kann die Kommunikations- und Konfliktbewältigungsfunktion der Verurteilung verloren gehen.259 Zum einen ist es nicht unproblematisch, wenn es sich bei jenem dem Täter vorgeworfenen Unrecht nur um Verhalten im Vorfeld einer Rechtsgutsbeeinträch257 Ähnlich Robinson, (1996) 76 Boston ULR 201 (212 f.): Stigmatisierung ohne Vorwerfbarkeit sei ungerecht. Das Strafrecht verliere seine moralische Glaubwürdigkeit, wenn es regelmäßig als fehlerhaft erfahren werde. Dagegen verstärke eine der Gesellschaft als gerecht erscheinende individuelle Zurechnung strafrechtlicher Verantwortung seine Glaubwürdigkeit und erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass strafrechtliche Verbote als binden angesehen würden. 258 Vgl. oben § 11, I., 2., b). 259 Vgl. Ashworth, Criminal Law, S. 80 f.

§ 11 Differenziertheit des Strafrechts

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tigung handelt, eine strafrechtliche Aufarbeitung der sich anschließenden Rechtsgutsverletzung selbst gegebenenfalls aber unterbleibt. Der Gesetzgeber kann zwar ein kriminalpolitisches Interesse daran haben, zur Stärkung der Glaubwürdigkeit der Strafandrohung Verhalten schon im Vorfeld rechtsgutsgefährdenden Verhaltens unter Strafe zu stellen. Bedeutet dies jedoch, dass sich die Strafverfolgungsbehörden zunehmend mit der Verfolgung derartiger Vorfelddelikte beschäftigen, weil ihnen der Nachweis des Anschlussverhaltens als zu aufwendig erscheint, so mag ein solches Vorgehen zwar mittelbar die Strafbewehrung des Rechtsguts stärken und mithin eine generalpräventive Wirkung entfalten.260 Strafrecht dient dann aber insoweit nicht mehr der Aufarbeitung geschehenen Unrechts. Reduziert man beispielsweise die strafrechtliche Bewältigung korruptiver Vorgänge auf die Verfolgung diesbezüglicher Vorbereitungshandlungen – etwa die pflichtwidrige Einrichtung schwarzer Kassen261 – so mag eine bereits im Vorbereitungsstadium ermöglichte strafrechtliche Ahndung kriminalpolitisch wünschenswert sein. Kommt es jedoch daraufhin gar nicht erst zu einer Aufklärung der eigentlichen Zahlung von Bestechungsgeldern – mithin nicht zu einer öffentlichen Aufarbeitung des normativen Unrechtskerns der Strafverfolgung, so büßt ein um Verfahrenseffizienz und Ressourcenersparnis bemühtes Strafverfahren seine Funktion als Forum der öffentlichen Offenlegung von Unrecht ein. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass mit dem Strafurteil dem Täter das durch ihn begangene Unrecht vorgeworfen wird. Behandelt man ihn als auf seine Verantwortung Ansprechbaren,262 so müssen Schuldspruch und angeordnete Rechtsfolgen das durch ihn zu verantwortende Geschehen möglichst präzise wiedergeben. Kann der Verurteilte das durch ihn begangene Unrecht im Urteil nicht wiedererkennen, so wird er sich auch nicht auf seine Verantwortung angesprochen fühlen, die Strafe wohl gar als willkürliche Übelzufügung betrachten.263 Will man den Täter als einen auf sein Verhalten Ansprechbaren behandeln, so muss also der an ihn gerichtete Vorwurf diesem Verhalten entsprechen. Von Hirsch und Ashworth haben gezeigt, dass deshalb die Zumessung der Strafe in einem dem verwirklichten Unrecht entsprechenden Verhältnis (relativ zum Strafmaß bei anderen Unrechtsformen) stehen muss.264 Unverhältnismäßiges Strafen spricht den Bestraften nicht auf den Inhalt seines Fehlverhaltens an, wirft ihm höchstens Ungehorsam vor. Mit letzterem kann sich ein der Aufrechterhaltung einer gesellschaftlichen Werteordnung dienendes Strafrecht jedoch nicht zufrieden geben. Der Vorwurf wird dem Täter aber nicht nur durch das Strafmaß ver-

260 261 262 263 264

Vgl. hierzu auch die Kritik von Jakobs, ZStW 97 (1985), 750 (753). Vgl. oben § 7, II., 1. Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 270 ff. Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 599 f. von Hirsch/Ashworth, Proportionate Sentencing S. 20 f., 134 f.

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

mittelt, sondern maßgeblich auch durch die rechtliche Bezeichnung der Tat.265 Problematisch kann es daher sein, wenn Straftatbestände unter ein und derselben Bezeichnung eine Vielzahl unterschiedlicher Unrechtsformen erfassen und der Täter daher ausweislich des Schuldspruchs für Verhalten bestraft wird, welches das tatsächlich verwirklichte Unrecht unzureichend wiedergibt.266 Wie gesehen, bedeutet der strafrechtliche Vorwurf zudem auch einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des sozialen Geltungsanspruchs des Täters.267 Dieser wird durch das Strafurteil gekennzeichnet, womit für ihn eine Reihe von unter Umständen einschneidenden Konsequenzen verbunden sind. Strafrechtliche Vorstrafen beeinflussen die gesellschaftliche Stellung des Verurteilten, nicht zuletzt im Umgang mit Behörden und (potentiellen) Arbeitgebern. Vermittelt das Strafurteil ein unzutreffendes Bild von der Schwere der begangenen Tat, so kann dies zu ungerechtfertigter Stigmatisierung führen.268 Ashworth sieht daher die Notwendigkeit von fair labelling. Straftatbestände müssten jene weithin anerkannten Deliktkategorien und Unrechtsgrade wiedergeben und entsprechend unterteilt sein.269 Auch Simester und Sullivan fordern, eine strafrechtliche Verurteilung müsse den Charakter des vom Täter begangen Unrechts korrekt und präzise benennen.270 Einzelne Straftatbestände dürften nicht Taten mit unterschiedlichem Unwertgehalt umfassen und Handlungen unterschiedlichen sozialen Sinngehalts vermischen. Nur so könne der Öffentlichkeit ein adäquates Bild von der Vorstrafe des Täters vermittelt und damit ein der Tat angemessener Umgang mit ihm ermöglicht werden.271 Der Gesetzgeber kann ein gewisses Maß an Generalisierung bei der Schaffung von Straftatbeständen zwar nicht vermeiden, sondern ist auch auf Ausdifferenzierung des an den Täter gerichteten Vorwurfs im Rahmen der Strafzumessung angewiesen. Fasst der Gesetzgeber jedoch unterschiedlichste Unrechtsformen unter einem einzigen Tatbestand zusammen und überlässt er eine notwendige Differenzierung in weitem Umfang der Strafzumessung, so läuft dies zumindest dann auf eine ungenügende Berücksichtigung des sozialen Geltungsanspruchs hinaus, wenn die rechtliche Bezeichnung der Tat im Schuldspruch der Öffentlichkeit ein irreführendes Bild vom Verhalten des Verurteilten vermittelt. 265 § 260 IV 1 StPO; dazu Gollwitzer, in Löwe-Rosenberg, Strafprozeßordnung, § 260, Rdn. 55. Vgl. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 458 f. 266 Vgl. insbesondere die Vielgestaltigkeit des Begriffs theft im englischen Recht oben unter § 3, V. 267 Appel, Verfassung und Strafe, S. 470 f., 492 f., 574 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 116 ff. 268 Vgl. zur Kriminalisierung von unter Jugendlichen durchaus üblichen Verhalten durch den Sexual Offences Act 2003 Spencer, Crim. L.R. 2004, 347 (354). 269 Ashworth, Criminal Law, S. 78 f. 270 Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 8. 271 Simester/Sullivan, Criminal Law, S. 599 f.

§ 12 Zusammenfassung

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§ 12 Zusammenfassung Der vorliegenden Arbeit ging es darum, Aussageverlust des materiellen Rechts als Folge einer an Flexibilität der Strafverfolgung orientierten – hier als „beweisfunktional“ bezeichneten – Gesetzgebung und Rechtsprechung zu beschreiben und für die Konsequenzen einer solchen Entwicklung zu sensibilisieren. Die voranstehenden Ausführungen haben dabei aufgezeigt, welch zentrale Bedeutung dem Rechtsgüterschutz zur Wahrung wesentlicher Funktionen des materiellen Strafrechts zukommt. Dazu gehört insbesondere, Strafbarkeit vorhersehbar zu machen und damit zugleich den Strafverfolgungsbehörden kriminalpolitische Orientierung zu bieten; zudem Transparenz der Strafverfolgung zu gewährleisten und den Bürger vor willkürlichen Strafwürdigkeitserwägungen der Rechtsanwender zu schützen; darüber hinaus den Bürgern deutlich jene Verhaltensnormen zu kommunizieren, die nach Ansicht des Gesetzgebers für das gesellschaftliche Miteinander unabdingbar sind und sicherzustellen, dass strafrechtlichen Wertaussagen im gesellschaftlichen Diskurs ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit zukommt; schließlich zu gewährleisten, dass der an den Täter gerichtete Vorwurf seine Verantwortlichkeit thematisiert und nicht etwa auf Vorurteilen und ungeprüften Vermutungen beruht, mithin den straffällig gewordenen Bürger nicht als zu neutralisierende Störung behandelt, sondern ihn mit seiner Verantwortung konfrontiert und ihn in die gesellschaftliche Werteordnung einbindet. In dieser Hinsicht wurde deutlich, dass die Wahrung eines klaren Rechtsgutsbezuges bei den Vermögensdelikten Betrug und Untreue von besonderer Bedeutung ist. Denn steht bei der Strafverfolgung nicht mehr der Schutz fremden Vermögens im Vordergrund, wird zur Begründung der Strafbarkeit vielmehr im Wesentlichen auf eine Täuschung oder die Enttäuschung von Vertrauen abgestellt, so verkommen die Vermögensdelikte zu einem Instrument, welches der strafrechtlichen Bewehrung einer Vielzahl unterschiedlichster Interessen dienen kann. Bildet aber nicht mehr der Schutz von Vermögen den Kern der Vermögensdelikte, so begründet sich in Anbetracht der Offenheit der Begriffe „Täuschung“ und „Treuepflichtverletzung“ Strafe nicht mehr anhand vorhersehbarer rationaler Kriterien, sondern beruht auf einem autonomen Unwerturteil der mit dem Fall befassten Staatsanwälte und Richter. In diesem Fall gehen jedoch die vorstehenden Funktionen des materiellen Rechts verloren. I. Beweisfunktionalität und Aussageverlust An den untersuchten englischen Vermögensdelikten wurden die Charakteristika eines Strafrechts deutlich, welches einerseits nicht durch ein Rechtsgüterdenken, sondern durch intrinsische moralische Unwerturteile geprägt ist. Andererseits sensibilisieren die englischen Delikte für die Merkmale eines Rechts,

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

welches im Bestreben nach einer Flexibilisierung von Strafverfolgung kaum noch Inhalte kommuniziert. Kennzeichnend für die englischen Vermögensdelikte ist insbesondere, dass in ihren Tatbeständen nicht an einen Schaden, also einen Erfolgsunwert angeknüpft wird. Tatbestandliches Verhalten muss demnach nicht zwingend vermögensschädigend sein. Der englische Gesetzgeber belässt es vielmehr dabei, das tatbestandliche Verhalten mit weiten normativen Tatbestandsmerkmalen zu beschreiben.272 Begründet sich die Strafwürdigkeit der Tat aber nicht notwendigerweise mit ihrem vermögensschädigenden Charakter, so bedeutet diese Form der Tatbestandsgestaltung gerade bei solchen in vielerlei Lebensbereichen anzutreffenden Phänomenen wie der Täuschung oder dem Vertrauensmissbrauch, dass die jeweils konkret beeinträchtigten und zur Strafverfolgung Anlass gebenden Interessen unterschiedlichster Art sein können und letztlich maßgeblich von den Strafverfolgungsbehörden bestimmt werden.273 Die Identifizierung des strafbaren Unrechts wird bei einer solchen Strafgesetzgebung zudem dadurch erschwert, dass es mangels eines dem Täter zurechenbaren Erfolgsunrechts kaum möglich ist, das tatbestandliche Verhalten durch eine Einteilung von Verantwortungssphären zu bestimmen. Denn lässt der Gesetzgeber offen, für die Beeinträchtigung welchen Interesses der Täter verantwortlich gemacht wird, fehlt es also an einem Bezugspunkt von Verantwortung, so kann tatbestandliches Verhalten auch nicht durch die Einteilung von Verantwortungssphären konkretisiert werden – ein Umstand, der vor allem bei einem Selbstschädigungsdelikt wie dem Betrug strafgesetzliche Bestimmtheit untergräbt.274 Nicht mehr eine an rational nachvollziehbaren und mithin zugleich vorhersehbaren Tatsachen orientierte Bewertung der Tat begründet deshalb bei den englischen Delikten die Strafbarkeit, sondern ein moralisierendes Unwerturteil.275 Wegen dieser Charakteristika eignen sich die englischen Vermögensdelikte letztlich weder zur generalpräventiven Kommunikation von Verhaltensnormen, noch dazu, als Anleitung einer kriminalpolitisch kohärenten Strafverfolgungspraxis zu dienen. Geben die englischen Straftatbestände kaum eine für das jeweilige Unrecht kennzeichnende Phänotypik wider, so ist zudem jene mit einer Verurteilung verbundene Stigmatisierung undifferenziert und führt auch in dieser Hinsicht dazu, dass strafrechtliche Wertaussagen unklar bleiben.276 Kennzeichnend für den moralisierenden Charakter der englischen Vermögensdelikte ist vielmehr, dass sich hier die Strafbarkeit letztlich weniger mit dem objektiven Tatbestand begründet, sondern es vor allem auf die Absichten des Täters ankommt.277

272 273 274 275 276 277

§ 4, II., 2., III., 2., IV., 2. § 5, I., 1. § 1, II., 1., c). § 2, IV. § 3, V. § 5, II., 2., III., 2., b).

§ 12 Zusammenfassung

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II. Tatbestandliche Schadensbegriffe als Grundlage der Ahndung komplexer Vermögenskriminalität Festgestellt wurde zudem, dass die mit dem Verzicht auf tatbestandliches Erfolgsunrecht verbundene Unbestimmtheit des materiellen englischen Rechts auch kriminalpolitisch insofern von zweifelhaftem Wert ist, als sich die Ahndung gerade komplexer Vermögenskriminalität dadurch erschweren kann. Denn die Konzentration der englischen Tatbestände auf normative Tatbestandsmerkmale – insbesondere auf „Unehrlichkeit“ – macht zum einen vorsatzausschließende Irrtümer wahrscheinlicher. Das Fehlen eines tatbestandlichen Schadensmerkmals hat im Ergebnis zur Folge, dass Strafbarkeit hauptsächlich von schädigenden Absichten und Motiven abhängig gemacht wird.278 Darüber hinaus führt der gesetzgeberische Verzicht auf tatbestandliches Erfolgsunrecht – mithin das Fehlen einer an Verantwortungssphären ausgerichteten Tatbestandsstruktur – im englischen Recht zu erheblichen Problemen bei der Unterstrafestellung von schädigendem Unterlassen.279 Ein Vergleich mit den §§ 263 und 266 StGB verdeutlichte hierbei, dass ein als Kern der Tatbestandsstruktur fungierendes Schadensmerkmal die für das Strafrecht bedeutsamen Tatsachen klarer kommuniziert und so vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtümern weniger Raum bietet. Denn beurteilt sich Strafbarkeit an der Bewertung einer Vermögensverfügung, so kommt es nicht auf die Frage an, ob der Täter mit einer zukünftigen Wertkompensation rechnete. Die Ahndung vermögensschädigenden Verhaltens hängt mithin nicht von Prognosen des Täters ab, soweit diese vom Markt nicht als relevant angesehen werden. Erforderlich ist also nicht der Nachweis irgendwelcher über den objektiven Tatbestand hinausgehenden Schädigungsabsichten, sondern lediglich der Nachweis, dass dem Täter die Bewertungsmaßstäbe des Marktes bekannt waren.280 Zudem erlaubt der Schadensbegriff dem deutschen Gesetzgeber sowohl bei der Untreue als auch beim betrügerischen Unterlassen eine gegenüber den moralisierenden englischen Delikten kriminalpolitisch sinnvollere Kriminalisierung. Die Vielgestaltigkeit derartigen Verhaltens lässt sich nämlich durch ein primär auf Verhaltensunrecht abstellendes Strafrecht kaum fassen, wohingegen eine auf Verantwortlichkeit für Schäden abstellende Tatbestandsgestaltung es dem Gesetzgeber erlaubt, bei der Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens vergleichsweise unbestimmt zu bleiben.281

278 279 280 281

§ § § §

3, IV., § 5, I., 2, II., 2., III., 1. 5, IV., 1. 5, V., § 6, III., 4., § 7, I., 2. 5, III., 2., IV., 2.

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

III. Vermögenswert und Schadensbegriff In Ansehung der zum englischen Recht gemachten Beobachtungen ist ein tatbestandlicher Schadensbegriff für die Bewahrung einer vorhersehbaren, transparenten und kriminalpolitisch zweckmäßigen Strafverfolgungspraxis bei den Vermögensdelikten besonders wichtig. Allerdings stellt sich beim Rechtsgut des Vermögens auch die Frage nach den Charakteristika eines Schadens als besonders komplex dar. Vorliegend konnte aber gezeigt werden, dass die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs herangezogenen unterschiedlichen Typen der Vermögenswertminderung überwiegend auf eine kohärente Theorie der Vermögenswertermittlung hinauslaufen. Lediglich die für einseitige Zuwendungen entwickelte Lehre von der „sozialen Zweckverfehlung“ stellt im Rahmen des wirtschaftlichen Schadensbegriffs einen Fremdkörper dar, der die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreitet. Demgegenüber bedeutet – entgegen einer teilweise im Schrifttum geäußerten Kritik – eine kumulative Berücksichtigung von Tauschwert und Gebrauchswert von Vermögen keinen Widerspruch. Als objektives Tatbestandsmerkmal muss nämlich die Bestimmung eines Vermögensschadens einerseits beim Marktwert ansetzen, zugleich aber, weil es dem Strafrecht um die Schädigung eines konkreten Vermögensinhabers geht, die individuelle Brauchbarkeit von Vermögensgegenständen berücksichtigen.282 Da zum objektiven Gebrauchswert von Vermögen immer auch sein Tauschwert gehört, lässt sich zudem zumindest das Vorliegen eines Mindestschadens unabhängig von der Frage beantworten, ob ein Vermögensgegenstand für den konkreten Vermögensinhaber brauchbar ist. Insbesondere bei § 263 StGB erweist sich ein objektiver Schadensbegriff mithin gegenüber einem subjektiven Schadensbegriff auch in kriminalpolitischer Hinsicht als sinnvoller, weil demnach ein Schädigungsvorsatz regelmäßig annehmbar ist, ohne dass der Täter Kenntnis von der konkreten Unbrauchbarkeit des Vermögensgegenstandes gehabt haben muss.283 Deutlich wurde jedoch, dass der Gebrauchswert – auch wenn seine Berücksichtigung bei der Bestimmung von Vermögensschäden zwingend ist – die Gefahr in sich birgt, die Rechtsanwender zu einer oberflächlichen und mithin dem Beschuldigten unter Umständen nicht gerecht werdenden Schadensermittlung zu verleiten. Strafbarkeit begründet sich in einem dem Rechtsgüterschutz dienenden Strafrecht nicht am nebulösen Maßstab vorgeblicher Strafbedürftigkeit eines Verhaltens, sondern anhand einer Feststellung der konkreten Verantwortlichkeit des Täters für Schäden. Insbesondere bei Vermögensdelikten und hier vor allem bei sogenannten Risikogeschäften zeigt sich die Bedeutung einer sorgfältigen Identifizierung des dem Beschuldigten zur Last gelegten Schadens. Denn dies bewahrt davor, unter dem Eindruck einer für den Vermögensinhaber nachteiligen, vom 282 283

§ 6, III., 1. § 6, III., 1., 4.

§ 12 Zusammenfassung

263

Beschuldigten jedoch nicht zu verantwortenden wirtschaftlichen Fehlentwicklung ex post eine Täuschung beziehungsweise die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht zu konstruieren. Der tatbestandliche Schadensbegriff zwingt nämlich die Rechtsanwender zu einer genauen Analyse der Verantwortlichkeit des Beschuldigten und schützt diesen somit davor, letztlich auf der Grundlage von undifferenzierten Werturteilen und Vorurteilen bestraft zu werden.284 Nachdrücklich abzulehnen sind hingegen vereinzelte Vorschläge des Schrifttums, die tatbestandliche Eigenständigkeit des Vermögensschadensmerkmals infrage zu stellen, insbesondere beim Betrug den Schaden allein über ein „Recht auf Wahrheit“ zu bestimmen. Hierbei handelt es sich um den Versuch, im Rahmen der bestehenden Deliktsstruktur des § 263 StGB ein Festhalten am Rechtsgüterschutz zu suggerieren, tatsächlich aber den eigenständigen Unwertgehalt des Begriffs „Schaden“ vollständig aufzugeben. Ein derartiger Ansatz würde zu einem materiellen Recht führen, welches letztlich weder Inhalte kommuniziert noch kriminalpolitisch überzeugen kann.285 IV. Bewahrung der Struktur der §§ 263 und 266 StGB In Anbetracht der vorstehenden Beobachtungen ist dem deutschen Gesetzgeber zu empfehlen, im Interesse eines sowohl kriminalpolitisch sinnvollen als auch vorhersehbaren Vermögensstrafrechts an der zweigliedrigen, sich aus einer Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens und einem Schadensmerkmal zusammensetzenden Tatbestandsstruktur der §§ 263 und 266 StGB festzuhalten. Abzulehnen ist hingegen eine Neugestaltung der Tatbestände in Form einer bloßen Verhaltensbeschreibung. Der Gesetzgeber stünde sonst vor der Wahl, entweder das tatbestandliche Verhalten (wie etwa bei § 264 StGB) detailliert zu beschreiben – was aber zu einer übermäßig komplexen Strafgesetzgebung zwingen würde.286 Oder aber, er beließe es bei weit gefassten, normativ formulierten Straftatbeständen, nähme damit aber nicht nur kriminalpolitische Orientierungslosigkeit der Strafverfolgungsbehörden und eine zunehmend opportunitätsgeleitete Strafjustiz in Kauf,287 sondern würde damit zudem die Ahndung komplexen vermögensschädigenden Verhaltens sogar erschweren.288 Auch erweist sich die im Schrifttum gegenüber dem § 263 StGB geäußerte Kritik im Wesentlichen als unbegründet, insbesondere insofern, als an den Begriffen der Täuschung und des Irrtums Unbestimmtheit beziehungsweise Zufälligkeit bemängelt wird. Beim Irrtum geht es nämlich nicht um irgendwelche 284 285 286 287 288

§ § § § §

6, III., 2.; § 10, II., 2., c). 6, I., 1., III., 3. 6, I., 2. 6, I., 1. f. 5, V.

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diffusen Vorstellungen des Verfügenden, sondern um die Identifizierung seiner handlungsleitenden Motive. Bei der Täuschung geht es nicht um undifferenzierte moralische Wertungen, sondern um die Frage, ob nach der Verkehrsanschauung der Täter für den Irrtum verantwortlich gemacht wird.289 Kriminalpolitische Zweifel an der Handhabbarkeit des § 263 StGB beruhen regelmäßig gerade darauf, dass die Rechtsanwender – für ein dem Rechtsgüterschutz dienendes Strafrecht insofern inkonsequent – zunächst das Vorliegen einer Täuschung prüfen und sich durch diesen Subsumtionsansatz der Blick auf einen tatbestandlichen Schaden unnötig verengt. Die Anwendung der Vorschrift wird sich – insbesondere hinsichtlich einer Minderung des Tauschwerts des Vermögens – vielfach dadurch erleichtern lassen, dass zunächst der Schaden festgestellt und erst daraufhin geprüft wird, ob der Täter für diesen verantwortlich zu machen ist.290 Darüber hinaus geht die Kritik an § 263 StGB auch insofern fehl, als im Rahmen des objektiven Täuschungsmerkmals Täuschungsabsichten des Täters in die Wertung einbezogen werden. Dabei wird der Täter nämlich nicht wegen seiner Absichten bestraft, sondern es wird lediglich berücksichtigt, dass es im Rahmen eines objektiven Täuschungsbegriffs keine für alle Situationen gleiche Verteilung von Verantwortungssphären gibt, dass Verantwortung des Täters also in jeder Situation gesondert begründet werden muss. Daher kann es sein, dass den Täter objektive Verantwortung für einen Irrtum nur deshalb trifft, weil sein Verhalten planmäßig auf eine Irrtumserregung ausgerichtet war.291 Schließlich lassen sich auch die Fälle einer schadensbegründenden Vermögensgefährdung mit dem bisherigen Tatbestand des § 263 StGB unproblematisch bewältigen, wenn nur der Charakter des Betruges als Vermögensverschiebungsdelikt berücksichtigt wird. Eine schadensbegründende Vermögensgefährdung kann demnach nur dann zur Verwirklichung des § 263 StGB führen, wenn der Täter bereits infolge der Tat eine vermögenswerte Exspektanz erlangt, nicht hingegen, wenn die Überwindung des Selbstschutzes des Vermögensinhabers erst infolge eines Anschlussverhaltens erfolgen soll.292 Bedenkenswert erscheint eine gesetzgeberische Reform allerdings bei § 266 StGB. Jedoch darf es auch hier nicht um eine Infragestellung der zweigliedrigen Deliktsstruktur gehen, sondern lediglich um eine Konkretisierung der tatbestandlichen Vermögensbetreuungspflichten und, damit verbunden, um ein Unterstreichen der fremdnützigen Natur des Treueverhältnisses. Denn die mangelnde Bestimmtheit des Begriffs der „qualifizierten Vermögensbetreuungspflicht“ erlaubt letztlich keine hinreichend klare Aussonderung von (insbesondere arbeitsvertraglichen) Nebenpflichten. Denkbar wäre es hier, den Tatbestand der Untreue im 289 290 291 292

§ 6, I., 3. § 6, III., 1. § 6, II., 1. § 7, III., 2.

§ 12 Zusammenfassung

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Sinne eines qualifizierten Maßes an Vertrauen derart zu begrenzen, dass es sich bei der Wahrung fremder Vermögensinteressen um den Kern der Pflichten des Täters handeln muss. Hingegen ist auch bei § 266 StGB im Hinblick auf die Fälle schadensbegründender Vermögensgefährdungen ein gesetzgeberisches Tätigwerden nicht notwendig. Vielmehr ist es hierfür genügend aber vielfach auch erforderlich, dass sich die Auslegung und Anwendung der Vorschrift strikt am Missbrauchscharakter der Untreue dahingehend orientiert, dass bei einem im alleinigen oder ganz überwiegenden Interesse des betreuten Vermögens handelnden Täter Strafbarkeit wegen einer bloßen Vermögensgefährdung ausscheidet.293 V. Entgrenzung des Schadensbegriffs durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Die Wahrung eines trennscharfen Begriffs des Vermögensschadens und mithin die Bewahrung vor einer unvorhersehbaren und willkürlichen Anwendung der Vermögensdelikte wird jedoch bei einer schadensbegründenden Berücksichtigung vermögenswerter Exspektanzen und vor allem bei schadensbegründenden Vermögensgefährdungen mitunter infrage gestellt. Diese Figuren bilden nämlich ein Einfallstor für eine Normativierung des Schadensbegriffs zu dem Zweck, die Vermögensdelikte auch für die Verfolgung vermögensneutralen Verhaltens nutzbar zu machen. Die vorstehenden Ausführungen haben zwar verdeutlicht, dass ein wirtschaftlicher Begriff des Vermögensschadens Vermögensgefährdungen nicht unberücksichtigt lassen darf.294 Allerdings zeigt sich, dass die Rechtsprechung – insoweit vom Bundesverfassungsgericht bisher nur unzureichend in ihre durch Artikel 103 Abs. 2 GG gesetzten Grenzen gewiesen – dazu neigt, das tatbestandsausweitendende Potential schadensbegründender Vermögensgefährdungen und vermögenswerter Exspektanzen für eine Entgrenzung der Vermögensdelikte zu missbrauchen.295 Das hier zu konstatierende mangelnde Bewusstsein für die Bedeutung strafgesetzlicher Bestimmtheit ist besorgniserregend. Es zeigt sich nämlich, dass das tatbestandliche Schadensmerkmal der Vermögensdelikte – neben seiner die Vorhersehbarkeit von Strafbarkeit gewährleistenden Funktion – einen zentralen Beitrag zur rechtsstaatlichen Anwendung der Vermögensdelikte leistet, indem es Transparenz der Strafverfolgungspraxis sicherstellt und dadurch willkürlichen Strafwürdigkeitsurteilen vorbeugt. Denn das tatbestandliche Schadensmerkmal beinhaltet den Kern jenes der Anklage zugrunde liegenden und im Urteil ausgesprochenen Vorwurfs gegenüber dem Täter, nämlich die Schädigung oder konkrete Gefährdung fremden Vermögens. Transparenz von Strafverfolgung und Bestrafung geht hingegen verloren, wenn das dem Täter vorgeworfene Unrecht die eigentlichen Gründe der Strafverfolgung nicht mehr offenlegt, d. h. 293 294 295

§ 7, I., 4. § 7, I., 1. § 7, II., 1., III., 1.

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Strafverfolgung und Strafzumessungserwägungen vielmehr im Kern auf Annahmen beruhen, die sich nicht unter den angeklagten Straftatbestand subsumieren lassen. Dies führt nicht nur dazu, dass Strafverfolgung unter Umständen letztlich wegen der Beeinträchtigung solcher Interessen erfolgt, die der Gesetzgeber gerade nicht dem Schutz des Strafrechts unterstellt hat.296 Darüber hinaus birgt eine solche Rechtsanwendung die Gefahr, dass die eigentlichen Gründe der Strafwürdigkeit und Strafverfolgung eines Verhaltens im Rahmen der Beweisaufnahme nur noch oberflächlich oder sogar gar nicht thematisiert werden und die Verurteilung letztlich auf ungeprüften Vermutungen oder den als strafwürdig empfundenen Absichten des Beschuldigten beruht.297 Derartige Tendenzen der Rechtsprechung gebieten nicht nur, bei der Identifizierung konkreter Schäden Sorgfalt walten zu lassen. Wird das materielle Recht dadurch entwertet, dass die wesentlichen Gesichtspunkte der Strafwürdigkeit nicht mehr im Straftatbestand zu finden sind, sondern erst im Rahmen der Strafzumessung identifiziert werden, so lässt sich ein zunehmendes Auseinanderfallen von materiellem Recht und Strafverfolgungspraxis nur verhindern, indem die strafschärfende Berücksichtigung außertatbestandlicher Tatumstände begrenzt bleibt. Insbesondere verbietet sich hierbei, dass die Rechtsanwendungspraxis Gefährdungsdelikte im Rahmen der Strafzumessung im Ergebnis zu Erfolgsdelikten „rekonstruiert“ und das Strafmaß letztlich auf der unbewiesenen Vermutung eines Schädigungsvorsatzes beruht.298 VI. Notwendigkeit der Ausdifferenzierung des verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstabs Wichtiger als ein gesetzgeberisches Tätigwerden ist es gegenwärtig daher, dass sich die Rechtsprechung wieder verbindlich zum tatbestandlichen Schadens- beziehungsweise zum Nachteilbegriff bekennt und nicht – wie dies mitunter zu konstatieren ist – der Versuchung erliegt, dessen Unrechtsgehalt zu neutralisieren. Das dabei zum Ausdruck kommende Selbstverständnis der Gerichte bedeutet insoweit nicht nur eine unzulässige Anmaßung der Kompetenzen des Gesetzgebers. Gute Absichten der Gerichte sind zudem kein hinreichendes rechtsstaatliches Substitut für einen – ausweislich Artikel 103 Abs. 2 GG vorgesehenen – Willkürschutz durch das Strafgesetz. In Anbetracht solcher Entwicklungen sind zwar die zum Schadensbegriff bei Betrug und Untreue ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu begrüßen. Die verfassungsgerichtliche Judikatur bedarf jedoch einer weiteren Ausdifferenzierung, insbesondere einer Akzentuierung der Kompetenzgrenzen der Judikative gegenüber dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber sowie der Transparenz und Willkürschutz ge296 297 298

§ 7, II., 3., III., 3. § 7, II., 2., III., 2. § 7, IV.

§ 12 Zusammenfassung

267

währleistenden Funktion des materiellen Rechts. Dazu darf eine verfassungsrechtliche Kontrolle der Strafrechtsanwendung nicht bei einer formalistischen Überprüfung der Subsumtion von Tatbestandsmerkmalen stehen bleiben, sondern muss der Frage nachgehen, ob ein Strafgesetz unzulässigerweise zur Sanktionierung außerstrafrechtlicher Rechtsgüter – also außerstrafrechtlicher Interessen – instrumentalisiert wurde. Wichtigster Maßstab hierfür ist, ob sich die Strafzumessung im konkreten Fall überwiegend am tatbestandlichen Unrecht orientiert oder ob sie vielmehr auf der Beeinträchtigung außertatbestandlicher Interessen beruht, also ein Auseinanderfallen von materiellem Recht und Strafverfolgungspraxis festzustellen ist. Die Bestimmung jener dem Schutz des Strafrechts unterstehenden Interessen darf nicht zur Disposition von Exekutive und Judikative stehen. VII. Wiederbesinnung auf die Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs Insbesondere die zuletzt angesprochene Bedeutung des materiellen Rechts als Garant von Transparenz und Willkürschutz verdeutlicht die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf den Begriff des Rechtsguts und das Postulat des Rechtsgüterschutzes als Aufgabe des Strafrechts. Hierbei geht es eben keinesfalls lediglich um eine bloße Systematisierung des Strafrechts.299 Dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes liegt vielmehr die Erkenntnis zugrunde, dass die Verfolgung und Bestrafung von Menschen von jeher aus spezifischen Interessen heraus erfolgte, d.h. als Reaktion auf ihre Bedrohung oder Beeinträchtigung.300 Die freiheitsrechtliche Bedeutung des Rechtsgüterdenkens liegt darin, dass sie es nicht den Akteuren der Justiz überlässt – etwa aus einer intellektuellen, moralischen oder schlicht auf ein Gewaltmonopol gestützten Autorität heraus – jene Interessen jeweils autonom zu bestimmen und einem Verhalten somit Strafwürdigkeit zuzuschreiben. Rechtsgüterschutz ist vielmehr Inbegriff der Tatsache, dass die Legitimation von Strafe und mithin die Identifizierung strafbarkeitsbegründender Interessen in einem freiheitlichen Gemeinwesen demokratischer Legitimation bedarf. VIII. Strafrecht als kriminalpolitische Orientierung und Medium gesellschaftlicher Kommunikation Die Bedeutung des Rechtsgüterschutzes erschöpft sich aber nicht in dieser dem Willkürschutz dienenden Funktion. Indem der Gesetzgeber – sei es im Wege tatbestandlichen Erfolgsunrechts,301 sei es durch eine präzise Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltensunrechts302 – die von ihm als schutzwürdig erachteten

299 300 301 302

§ 8, I., 4., § 11, I., 1. § 7, II., 3. § 11, I., 3., a). § 11, I., 3., b).

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

Interessen benennt, bietet er zugleich den Strafverfolgungsbehörden Orientierung und ermöglicht damit eine in kriminalpolitischer Hinsicht kohärente Strafverfolgungspraxis.303 Die klare Benennung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter erlaubt es dem Gesetzgeber zudem, eine gesellschaftliche Werteordnung vorzuzeichnen und die Verletzung solcher dem Schutz zentraler gesellschaftlicher Werte dienenden Verhaltensnormen mit einem besonderen Unwerturteil zu versehen. Das Strafrecht ist demnach auch Medium der Kommunikation eines gesellschaftlichen Wertekonsenses. Der eskalierende Charakter der Kriminalstrafe unterstreicht im gesellschaftlichen Diskurs die Bedeutung des geschützten gesellschaftlichen Wertes und der ihn schützenden Norm. Verliert sich Strafrecht im Interesse von Verfolgungsflexibilität hingegen in weitgefassten normativen Tatbestandsmerkmalen – wofür insbesondere die Begriffe ,Täuschung‘ und ,Treuebruch‘ anfällig sind – und wird damit das im Kern geschützte Rechtsgut unklar, so büßt das materielle Strafrecht seine Funktion als Medium gesellschaftlicher Kommunikation ein.304 Je mehr die Begründung von Sozialschädlichkeit und Strafwürdigkeit auf einer Normativierung und der Fiktion eines Schadens beruht, umso weniger spricht Strafrecht die Sprache der Bürger, umso weniger wird es daher zur Kommunikation sozialethischer Werturteile und mithin dazu geeignet sein, als glaubwürdiger Ausdruck einer gesellschaftlichen Werteordnung wahrgenommen zu werden.305 IX. Ehrlichkeit des strafrechtlichen Vorwurfs Die Glaubwürdigkeit strafrechtlicher Werturteile ist zudem deshalb bedeutsam, weil sie einen Eingriff in den sozialen Geltungsanspruch des Verurteilten begründet und bedingt.306 Die Anwendung des materiellen Rechts muss demnach auch mit Blick auf den Inhalt des durch Verurteilung und Strafmaßbestimmung ausgesprochenen Vorwurfs überprüfbar sein. Wesentlich ist dabei die Erkenntnis, dass ein Eingriff in den sozialen Geltungsanspruch des Bürgers auf zutreffenden Tatsachen beruhen muss und nicht mit Vorurteilen und ungeprüften Unterstellungen begründet werden darf. Das Strafurteil macht dem Verurteilten Verantwortlichkeit für die Bedrohung oder Beeinträchtigung gesellschaftlicher Werte zum Vorwurf.307 Es ist daher in zweifacher Hinsicht zu überprüfen. Einerseits muss das vom Gesetzgeber vorgegebene sowie jedes weitere vom Gericht bei der Strafzumessung angeführte Rechtsgut verfassungsgemäß sein. Zudem muss sich die von Gesetzgeber und Gericht behauptete Kausalität zwischen tatbestandlichem Verhalten und diesem Rechtsgut empirisch als haltbar erweisen. Abstrakte und kaum 303 304 305 306 307

§ 9, III. § 9, II., 2., § 11, I., 3. § 11, I., 4. § 9, I., 1. § 9, I., 2.

§ 12 Zusammenfassung

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verifizierbare Kausalhypothesen, normative Fiktionen sowie unbewiesene Verdächtigungen sind ungeeignet, individuelle Verantwortlichkeit zu begründen. Dem Eingriff in den sozialen Geltungsanspruch des Verurteilten liegt sonst unter Umständen nur eine bloße Vermutung zugrunde. Der ihm gegenüber ausgesprochene Vorwurf ist dann also möglicherweise unzutreffend oder bedeutet – insbesondere in Fällen einer Schadensfiktion – gar eine bewusste Entstellung des sozialen Bedeutungsgehalts der Tat.308 X. Verantwortlichkeit als Voraussetzung strafgesetzlicher Bestimmtheit Schließlich ist festzuhalten, dass ein dem Bestimmtheitsgebot genügendes Strafrecht letztlich nur dann gewahrt werden kann, wenn für die Frage der Strafbarkeit und bei der Strafzumessung die individuelle Verantwortlichkeit des Täters im Mittelpunkt steht. Dafür ist es aber erforderlich, dass das materielle Recht weiterhin die Bezugspunkte dieser Verantwortlichkeit, eben Rechtsgüter, klar kommuniziert309 und die Rechtsprechung diesbezügliche gesetzgeberische Vorgaben nicht zum Zweck der Umsetzung eigener Strafwürdigkeitsvorstellungen ignoriert. Halten sich die Gerichte hingegen für befugt, durch eine Normativierung tatbestandlicher Schadensbegriffe den Kern von Strafwürdigkeit – nämlich das jeweils geschützte Interesse – selbst zu definieren, so bereiten sie einem materiellen Recht den Weg, welches immer weniger Verantwortlichkeit für eine Infragestellung gesellschaftlicher Werte thematisiert, sondern vielmehr der Legitimierung justizeigener Strafwürdigkeitsvorstellungen dient.310 Wird der Rechtsgüterschutz und werden tatbestandliche Schadensmerkmale als Inbegriff eines auf individuelle Verantwortung des Täters abstellenden Strafrechts verkannt und deshalb leichtfertig infrage gestellt, dann wird sich dem materiellen Recht immer weniger entnehmen lassen, woran sich die Akteure der Strafjustiz bei der Beurteilung von Strafwürdigkeit und bei der Strafzumessung orientieren. Denn die bloße Rechtswidrigkeit von Verhalten allein sagt noch nichts über die – vor allem im Strafmaß vermittelte – Schärfe eines sozialethischen Unwerturteils aus. Für ein inhaltlich klar kommunizierendes materielles Recht ist es daher zwingend, dass der Gesetzgeber die vor dem individuellen Täter geschützten Werte eindeutig benennt und nicht die Strafbarkeit hauptsächlich von normativen Tatbestandsmerkmalen abhängig macht. Zumindest Straftatbestände des Kernstrafrechts müssen daher durch ein dem Täter zurechenbares Erfolgsunrecht geprägt bleiben. Nur so wird gewährleistet, dass der Gesetzgeber den Kern des sozialethischen Unwerturteils benennt und auf diese Weise mitteilt, 308 309 310

§ 8, I., 4.; § 9, I., 2. § 1, II., 1., c), § 11, I., 2., b). § 11, I., 4.

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Teil 3: Rolle des Rechtsguts in auf Begrenzung angewiesenem Strafrecht

woran sich die Ausübung strafprozessualer Opportunität und die Strafzumessung zu orientieren haben.311 XI. Bestrafung von Absichten als Charakteristikum eines moralisierenden Rechts Auch jenseits der Vermögensdelikte gilt es deshalb, tatbestandliches Erfolgsunrecht ernst zu nehmen und es nicht durch eine abstrakte, die individuelle Sozialschädlichkeit der Tat entstellende Interpretation seines Gehalts zu berauben.312 Andernfalls ist ein Rückfall in ein moralisierendes Strafrecht unvermeidbar. Letzteres ist aber nicht nur deshalb abzulehnen, weil es Strafverfolgung maßgeblich von außertatbestandlichen Erwägungen abhängig macht,313 sondern insbesondere auch, weil es Strafe regelmäßig gerade nicht mit dem Schädigungspotential der Tat, sondern mit einer von den Rechtsanwendern als sozialschädlich beurteilten Gesinnung der Täters begründet, wodurch eine auf Vorurteilen anstatt auf Tatsachen beruhende Bestrafung wahrscheinlicher wird.314 Demgegenüber bedeutet Rechtsgüterschutz eine Bewahrung der wesentlichen Funktionen des materiellen Strafrechts: Willkürschutz, Thematisierung von Verantwortlichkeit und Einbindung der Bürger in eine gesellschaftliche Werteordnung.315

311 312 313 314 315

§ 10, II., 1., d). § 11, I., 4. § 1, II., 3., § 5, I., 1., § 7, II., 3. § 10, II., 2., c). § 11, I., 1.

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Stichwortverzeichnis Abschreckung 215 f., 236 abstraktes Gefährdungsdelikt (siehe auch Ermessen) 106 – Gefährlichkeit infolge prognostizierter Schädigungsabsichten 236 f. – Infragestellung der Konfliktbewältigungsfunktion 224 – Infragestellung des Legalitätsprinzips 212 – normative Kommunikation 117 f. – Schädigungspotential im Einzelfall 112, 117 – Selbststeuerung von Personen 234 – Vorfeldkriminalisierung zur Normetablierung 235 f., 250 – zum Vermögensschutz 112 Aneignung – bei Diebstahl im englischen Recht 55 ff. – bösgläubige Übereignung 56 – durch Unterlassen 56 – elektronische Zahlungsanweisung 56 – Gebrauch eines Rechts 55 f. – keine Wegnahme 56 f. – missbräuchliche Verfügung 97 – mittelbare Täterschaft 56 – trotz Einverständnis des Inhabers 57 f. – trotz zivilrechtlicher Unanfechtbarkeit 57 – Zerstörung 55 Ansprechbarkeit (siehe normative Ansprechbarkeit) anti-social 64 Anwartschaft – im englischen Recht 72 Aufklärungspflicht (siehe auch Offenlegungspflicht) 101

Auslegung – ausschließlich normativierende 130 – Differenzierung nach Verantwortungssphären 31 f. – normativer Tatbestandsmerkmale 51 – teleologische 24 Begründung – von Normverstößen 104 Bestimmtheit von Strafgesetzen (siehe auch Ermessen) – als Bedrohung individueller Freiheit 180 – Auseinanderfallen von materiellem Recht und Verfolgungspraxis (siehe Strafzumessung) – gesetzgeberische Antizipation 51 – in England 43 f., 179 – thin ice doctrine 44 – umgangssprachlich, nicht rechtsspezifisch 62 – Korrelation von Gewaltenteilung und materiellem Recht 109, 113 – Motive des Täters 100, 108 – Verbindlichkeit des gesetzgeberischen Strafwürdigkeitsurteils 181, 220 – Verkehrsverständnis 124, 255 Beweisfunktionalität (siehe auch normative Kommunikation) – Auseinanderfallen von geahndeten Unrecht und materiellem Recht 22, 113, 171 – Aussageverlust materiellen Rechts 23, 59, 103, 106, 240, 251 ff. – Erleichterung der Beweisführung 51, 64, 72 f., 80, 83, 92, 165, 233 – Flexibilisierung von Strafrecht 22 f., 60 ff., 91, 103, 106

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Stichwortverzeichnis

– keine tatbestandliche Thematisierung von Verantwortlichkeit 235 f., 250 ff. – kollaterale Kriminalisierung 113, 162, 193, 252 – kriminalpolitische Konkretisierung (siehe auch Transparenz von Strafverfolgung) 22, 103, 114, 180, 220 – öffentliche Aufarbeitung von Unrecht 256 f. – Rekonstruktion von Gefährdungs- zu Erfolgsdelikten 177 f., 254 – Relativierung des materiellen Straftatbestandes 52, 59, 165, 170 – selektive Strafverfolgung (siehe auch Ermessen) 213, 216 – typisiert-generalisierte Begründung 106, 112, 244 – Verlust kriminalpolitischer Orientierung 221 – Zweifel an kriminalpolitischer Effektivität 103 f., 106 ff. böse Absichten – anstatt differenzierte Strafbarkeitsbegründung 129 – Tatstrafrecht als Schutz vor Vorurteilen 237, 243 caveat emptor 68, 77 Compliance-Beauftragter 105 f. Computerbetrug 94 Daten – unbefugte Verwendung 94 Datenverarbeitungsvorgang – Einwirken 53, 69 f., 94, 117 Demokratie (siehe auch normative Ansprechbarkeit der Bürger) 207 deskriptive Tatbestandsmerkmale 100 – übermäßige Komplexität der Gesetzgebung 113 f. Diebstahl – im englischen Recht (siehe Aneignung) Diversion 164

Ehrlichkeit des strafrechtlichen Vorwurfs (siehe auch Rechtsgüterschutz) 194 f. Eigenverantwortlichkeit 203 Erfolg – Erfolgsunrecht (siehe auch Konsequenzen) – Bedeutung für Unterlassensstrafbarkeit 104 – Beschreibung von Verhaltensunrecht 100 – Bezugspunkt von Verantwortlichkeit (siehe auch Rechtsgut) 102, 254 – Fehlen 24, 42, 50, 88, 235 f. – lediglich gegenständliche Begrenzung 60, 100, 116, 141 f., 159 – Neutralisierung durch die Rechtsprechung 58, 163, 170, 172, 192, 237 – Normativierung 159, 160 f., 165 f., 170, 255 – selbständiges Tatbestandsmerkmal 130 – Unwerturteil 116, 131, 140, 157, 159 – Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen 159 – normativ neutraler (siehe auch Vermögensgefährdung) 42, 87 erheblich (siehe auch normative Tatbestandsmerkmale) 114 Ermessen der Strafverfolgungsbehörden 60 f., 91, 109, 113 – am Maßstab außertatbestandlicher Absichten des Täters 237 – Ausweitung durch abstrakte Gefährdungsdelikte 212, 235, 252 – Delegation kriminalpolitischer Entscheidungen 220 – deutsch-englischer Vergleich 181 – Ressourcenallokation der Strafverfolgungsbehörden 217 f., 225 f. – Ressourcenintensität als Maßstab 219 – Selbstentmachtung des Gesetzgebers 221 – Strafwürdigkeit am Maßstab individueller Verantwortung 235

Stichwortverzeichnis – Vermeidung normativer Widersprüchlichkeit 218 f. Erwerbsaussicht (siehe auch vermögenswerte Exspektanz) 97 Eventualvorsatz 92 ff. Folgenverantwortlichkeit (siehe auch Verantwortlichkeit) 101 ff., 144 – anstatt formeller Pflichten 105 Gefährdungsschaden siehe Vermögensgefährdung Generalprävention (siehe auch normative Ansprechbarkeit) – Funktionsverlust 86, 109, 118, 128, 181, 200 ff. – Glaubwürdigkeit strafrechtlicher Werturteile 216 f. – normative Widersprüchlichkeit (siehe Ermessen) – positive Einstellung zu Rechtsgütern 215 – Verhaltenssteuerung 204 Gesellschaftsvermögen – Schädigung im englischen Recht 46, 53 f. Gesinnungsstrafrecht 168 ff., 233 Glaubwürdigkeit der Sanktionsdrohung 104 f. Gleichheit vor dem Gesetz – bei der Anwendung von Strafgesetzen 211 ff. – Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers 212, 225 guter Glaube 77 Handlungsfreiheit – Sphären äußerer 125 Handlungsunwert 88 historischer Gesetzgeber 95 Interessen – nicht-wirtschaftliche 87, 97, 138

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Irrtum – im deutschen Recht – als normativer Orientierungspunkt 118 – Gleichgültigkeit des Adressaten 113 – positive Fehlvorstellung 120 – vermögensrelevante Motive des Verfügenden 119 f. – Zufälligkeit 112, 120 – Zurechenbarkeit des Schadens 119 – im englischen Recht 30 ff., 74, 76, 89 – Leichtgläubigkeit 31 – Leistung auf Wertpapiere 41 – Informationsdefizit 32 Jury – fehlende Begründung des Urteils 91 – Schutz vor exzessiver Strafverfolgung 58, 60 f., 63 f., 179 – übermäßige Komplexität von Strafgesetzen 61, 78, 80, 109, 179 – weiter Beurteilungsspielraum 27, 31, 49, 66 ff., 74, 82 f. Kapitalanlagebetrug 114 Kick-back 161 komplexe Vermögenskriminalität 107 Konsequenzen (siehe auch Erfolgsunrecht) – als Bezugspunkt von Verantwortung 102 – normative Appellfunktion 118, 174, 202, 240 ff. – strafbarkeitsbegründende 88, 112, 191 f. Korruption 161 ff. Kreditbetrug 114 Kriminalpolitik – Funktionsverlust 86, 172 – Kohärenz der Strafverfolgung 59 f., 181 f., 218 ff., 251 – legislativ vorgezeichnete 156 Kriminalpolitische Effektivität – Rolle des Rechtsguts 115 – Rolle des subjektiven Tatbestandes 104 kupiertes Erfolgsdelikt 168

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Stichwortverzeichnis

Legalitätsprinzip (siehe auch Bestimmtheit von Strafgesetzen) 181, 202, 211 f., 220 Leistung – öffentlich-rechtliches Handeln 47 ff. – rechtswidrige 26 Marktmanipulation – Finanzmärkte 47, 73 – Preisabsprachen 47 Missbrauch (siehe Treueverhältnis) 97 ff., 156 Missbrauch von Strafrecht (siehe Transparenz von Strafverfolgung) Moralisierendes Recht – Absichten des Täters 103 – aktives Tun und Unterlassen 102 – anstatt Rechtsgüterschutz 100, 138, 162, 193 – Befreiung vom zivilistischen Denken 113 – custos morum 43 – durch Fusion von Tatbestandsmerkmalen 137, 142 f. – Fehlen von Zweckdenken 24, 138 – intrinsischer Unwert (siehe auch Rechtsgüterschutz) 22, 43, 51, 192 – kriminalpolitische Leistungsfähigkeit 100 f., 103 – Moral als Strafwürdigkeitsmaßstab 58, 110 – nicht interessengeleitet 24 – Orientierungslosigkeit des Rechts 24, 49, 110 – rationale Strafbarkeitsbegründung 51, 193 – Subjektivierung von Strafbarkeit 107, 123 f. – Verantwortung 102 nachteilhaft (siehe auch normative Tatbestandsmerkmale) 107 normative Ansprechbarkeit der Bürger 118, 143 f., 174, 194, 205 ff., 213 ff.

– Einsichtsfähigkeit des Individuums (siehe auch Vorwurf) 196, 202, 210 f., 214 f., 248 – Normetablierung durch Strafrecht 234 f. – Rechtgüter als Handlungsmotiv (siehe auch Konsequenzen) 99, 153, 236, 240 f. – Strafdrohung als subsidiärer Handlungsgrund 215, 241 f., 247 – unreflektiertes Gehorsam 207 – Unterstellung eines Schädigungswillens 236 normative Kommunikation, 240 – Aussageverlust infolge Beweisvereinfachung 245 – durch Schadensmerkmal 107, 158 – Einbindung in Werteordnung 243 – Entstellung der Umgangssprache durch normative Fiktionen 255 f. – Erkennbarkeit von Bewertungsmaßstäben 146 – Fehlen bei normativen Tatbestandsmerkmalen 51, 118, 251 – Infragestellung strafrechtlicher Werturteile 215 ff., 227 – Nachvollziehbarkeit 104, 203, 210, 213 – normativer Appell (siehe Konsequenzen) – Offenlegung von Unrecht 161 – Orientierung im sozialen Raum 117 ff., 122, 217 – Umgangssprache 158 – von Gefährlichkeit 117 normative Mindestordnung 22, 216 f., 226. 242 – generalpräventive Kommunikation 59, 110 normative Tatbestandsmerkmale 110 – als Rückkoppelung zwischen Strafjustiz und Werteordnung 180 – Konkretisierung durch Rechtsanwender 114 – normative Homogenität der Normadressaten 121 f., 180 – zur Vermeidung von Komplexität 116 f.

Stichwortverzeichnis Normgeltung 112, 140 – Abgrenzung zum Rechtsgüterschutz 125 f. – Bestätigung der Normgeltung 197 f., 213, 246 f. – defizitäre Einstellung zur Norm 197 f., 205 f., 214, 223, 247 – normativierende Auslegung 130 – Stabilisierung der Gesellschaft 246 – typisierte Sozialschädlichkeit 127 – Ungehorsam 207 f., 214 Normstruktur 86 ff. Offenlegungspflicht – im englischen Recht 76 f., 101 ff. – konkludente 103 – vermögensschützende 101 Phänotypik 60, 70, 94, 118 – des Betrugs 169 Phishing 65 Rechtsgut (siehe auch Erfolgsunrecht) – als Gegenstand strafrechtlicher Verantwortung 187 ff., 209, 249 – als öffentliches Interesse an Strafverfolgung 161, 164 f., 173, 194, 228 f. – Ausdruck gesellschaftlicher Wertüberzeugung 122, 241 – deontologische Begründung (siehe auch Werteordnung) 209 – gesetzgebungskritischer Begriff 184 ff. – Hierarchisierung von Unrecht 226 ff., 232 – Individualrechtsgüter als öffentliches Interesse 228 f. – systematischer Begriff 114 f., 186 f. – tatbestandlich konkretisierende Funktion 114 ff. Rechtsgüterschutz (siehe auch Normgeltung) 100, 135, 139 f., 183

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– Deskreditierung des Rechtsgüterschutzgedankens 192, 231 – empirische Plausibilität von Kausalhypothesen 200, 209 ff. – Individualrechtsgüter und Vergeltung 223, 233 – individuelle Verantwortung 193 – Infragestellung durch Tatbestandsfusionierung 140 ff. – Kollektivrechtsgüter – Benennung der dem Täter zurechenbaren Schäden 231 – Verletzbarkeit 229 f. – kriminalpolitische Flexibilität 107 f., 117 – kriminalpolitische Kohärenz 143, 173 – rationale Substantiierung von Sozialschädlichkeit 192 f., 194 f., 239, 243 f. – Rechtsgutsentleerung 164 – Remoralisierung (siehe auch moralisierendes Recht) 162 – Rücksichtnahme auf Rechtsgüter 153 – strafrechtlich nicht geschütztes Rechtsgut 176, 178 – subsidiärer 138 – Thematisierung von Verantwortlichkeit 243 – Unrechtsgüterschutz 138 – Vernunft der Bürger 193 f. – Vorurteile und Unterstellungen als Strafbegründung 193, 195, 239 – Zweck der Kriminalisierung 143 – Zweckentfremdung von Strafgesetzen 161 ff., 167, 170 ff. Rechtsgutsfeindlichkeit 151, 166 Richterrecht 43 f. Risikogeschäft (siehe Vermögensschaden) sachgedankliches Mitbewusstsein (siehe Irrtum) Saldoschaden (siehe auch Vermögensschaden) 97

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Stichwortverzeichnis

Schaden (siehe auch Vermögensschaden) 100 – als Ausgangspunkt der Auslegung 135, 163 – selbständiges Tatbestandsmerkmal 130 – Subjektivierung von Sozialschädlichkeit 131, 141 f., 147 – verhaltensabhängiger Schadensbegriff 139 ff. Schadensfiktion 147, 163 Schuldfrage – neutrales Verhalten 58 – Pflichtverletzung als Inbegriff 143 – Verhältnis von Judikative und Exekutive 113 sozialer Geltungsanspruch 195 f., 201 f., 227 ff. – Eingriffsintensität 206, 258 – in Werteordnung begründet 208 Stigmatisierung des Verurteilten 59, 195, 216 Strafverfolgungspraxis – Leistungsfähigkeit 112 Strafzumessung – Auseinanderfallen von materiellen Recht und Verfolgungspraxis 172, 178 – Berücksichtigung außertatbestandlicher Faktoren 172 ff. – Kern des Vorwurfs 172 f. – Substitution tatbestandlich geschützter Rechtsgüter 175 – Typizität von Folgeschäden 174 – unbewiesene Unterstellung eines Schädigungsvorsatzes 160 f., 177 f. – Voraussetzungen der Zurechnung 174 f. – vorrechtliche Werte als Begründung 207 Strafzweck 204 f. Subsidiarität von Strafrecht – Rechtspflicht bei Unterlassensstrafbarkeit 77 f. – Verneinung durch englische Rechtsprechung 57 f. Subventionsbetrug 113

Täuschung – Erklärungsinhalte – Konkretisierung durch Schädigung 26, 89, 147 – Verantwortungssphären 31 f., 89, 127 – Verkehrsverständnis, 89 f. – im deutschen Recht 90, 92 – Insertionsofferten 123 ff. – konkretisierend-typisierender Maßstab 127 – Normativierung der Verkehrsauffassung 124, 127 – typisierend-generalisierende Normativierung 111, 125 f. – im englischen Recht 25 ff., 65 ff., 88 ff. – anpreisendes Angebot 28 – durch Unterlassen 75 ff. – Eigenschaften der Leistung 28 – fehlende Berechtigung 29 – fehlendes Informationsinteresse 67, 74, 89, 91 f. – geschäftsschädigende Gerüchte 73 – Kaufpreis 28 – konkludente 27 ff., 66 ff. – Leistungsfähigkeit 29 f., 66 f. – Mängel 27 f. – missverständlicher Inhalt 68 f., 70 – Preisschild 27 – unbewusste Annahmen 28 f., 67 f., 89 – vermögensneutrale 33, 89 – Vertrauensverhältnis 28, 93 – Marginalisierung des Täuschungsbegriffs 128 Transparenz von Strafgesetzgebung 194, 209 Transparenz von Strafverfolgung (siehe auch Beweisfunktionalität) 148, 160 ff., 172 – autonome Definition öffentlicher Interessen 162, 165, 170 f. – kriminalpolitische Entscheidungsfreiheit 164

Stichwortverzeichnis – Missbrauch von Strafrecht 161 f., 238 f. – Motiv von Strafverfolgung 160 f., 164, 220 – tatbestandsfremde Anschuldigungen 165, 239 Treu und Glauben 93 Treueverhältnis – im englischen Recht 80 ff., 94 ff. – Arbeitnehmer 49 f., 81, 83 f., 95 f. – Bestechlichkeit 84 – Betriebsgeheimnis 85 – Geschäftsführer 49, 81, 83 – illoyaler Wettbewerb 83 f. – Missbrauch 83 ff., 95 f. – Nebenpflichten 95 f. – Rechtspflichten 96 – soziale Abhängigkeit 82 – Unterlassen 83 – Vermögensverfügung 96 – Zuwiderhandlung 96 Treuhand – im englischen Recht 49, 54 f Unehrlichkeit – im englischen Recht 33 ff., 48 ff, 57 f., 92 ff. – Bestehen eines Anspruchs 33 f., 36, 41 f., 53, 75 – Erbringen einer Gegenleistung 34 – Gegenstand des Vorwurfs 35, 60 – Gerechtigkeitsvorstellungen 34 – Gutgläubigkeit 28, 49 – Heimlichkeit 98 – Maßstab 33, 48 ff., 69, 75 – positives Wissen 93 – Sozialadäquanz 90 – unlauteres Wettbewerbsverhalten 49 f. – Verhältnis zum Zivilrecht 58 Unrecht – strafbarkeitsbegründendes 24

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Unterlassensstrafbarkeit – abstrakte Gefährlichkeit 106 – aus Institutionen heraus 104 ff. – im englischen Recht 102 Unterstützung einer terroristischen Vereinigung 169 Verabredung – im kodifizierten englischen Recht 25, 52, 62 – zum Betrug im common law 43 ff. – Abschaffung/Reform 44 f., 61 – nichtwirtschaftliche Interessen 48 – wirtschaftliche Schädigung 46 Verantwortung (siehe auch Rechtsgüterschutz) – Bezugspunkt (siehe auch Rechtsgut) 31 f., 102, 235 f., 249 – für Folgen 101 f. – für Kollektivrechtsgüter 242 – im konkreten Fall 106 – Verantwortungsbereiche 103, 125, 143, 187 ff., 247 Verbotsirrtum – diffuse Wertungen 104 Vergeltung 204, 221 ff. – Befindlichkeiten des Opfers 222 – Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte 223 f., 232 f., 256 f. Verhaltensunwert 91, 100 Verhältnismäßigkeit von Strafe 195 ff., 199 f., 217, 232 – Missbrauchsrisiko 238 f. Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht (siehe Vermögensbetreuungspflicht) Verlustgefahr (siehe auch Vermögensgefährdung) 97 Vermögen – Fremdheit im englischen Recht 36, 53 ff. – ungerechtfertigte Bereicherung 55 – normative Prägung 159

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Stichwortverzeichnis

Vermögensbetreuungspflicht (siehe auch Treueverhältnis) 95 ff. – Arzt 96 – Fehl- bzw. Nichtgebrauch 96 – Informations- und Mitteilungspflichten 98 – Mietkaution 96 – qualifizierte 95 f. – sachwidrige Motive 99 – vermögensschützende Pflicht 98 Vermögensgefährdung 99 – im deutschen Recht (siehe auch Erfolgsunrecht) 149 ff. – Berücksichtigung der Motive 156 f. – gewolltes Risiko 152 – irrelevanter Endschaden 151 f. – verbotene Gefahrenschaffung 154 f. – Vermeidemacht 168 ff. – Wertminderung 150 f. – Wille zur Schädigung 167 – wirtschaftliche Schlechterstellung 157 f. – im englischen Recht 47 f., 71, 73, 92 – Interessen der Gläubiger 49 – nicht konsentiertes Risiko 47 – Erschleichung von Wertpapieren 40 Vermögensschaden (siehe auch Vermögensgefährdung) – im deutschen Recht – Akkumulation und Konsum 130, 142 – Besitzschutz 137 – bewusste Risikoeingehung 134 – bewusste Selbstschädigung 137 f. – Fusion mit Täuschungsmerkmal 137 – Gebrauchswert 131 f., 134 f., 145 ff. – Individualisierung 130 ff. – intersubjektive Wertbestimmung 140 – irrtümliche Zwecksetzung 133 – Kapitalanlagen 134 f., 146 – Quotenschaden 166 f., 171

– rechtswidrige Positionen 137 f. – Risikobewertung anhand Marktwert 146 – schwarze Kassen 157 ff. – Tauschwert 131 f., 146 ff. – Tauschwert als Gebrauchswert 132 f. – Verfehlung sozialer Zwecke 136 f. – im englischen Recht 25 f., 47 f., 50, 71 ff., 76, 87 ff., 97 – faktische Erwerbsaussichten 87 – fehlende Berechtigung des Opfers 72 – vorübergehender Verlust 71 – Wertminderung 72 – Konkretisierung der Pflichtverletzung 98 – maßgeblicher Zeitpunkt 107, 146 Vermögensverfügung – im englischen Recht 32 ff. – Berechtigung des Verfügenden 32, 96 – Kausalität 32 f., 37, 40, 46, 74 – keine Identität von Gewinn und Verlust 73 – Missbrauch 96 – über Kontoguthaben 36 f., 53 Vermögensvorteil – im englischen Recht 35 ff., 52 f., 71 ff., 76 – Ausstellung von Wertpapieren 40 ff. – Besitz 36, 53 – Betriebsgeheinisse 74 – Dienstleistungen 38 f. – Entstehung eines Anspruchs 36, 37, 41 – Erlangung für Dritte 35, 71 – Gebrauchsanmaßung 71 – Geldkarten-PIN 74 – Geldüberweisung 36 f. – geldwerter Vorteil 37 f. – Umgehung von Verbindlichkeiten 27, 39 f. – Vermögensgegenstand 35 f. – Wertsteigerung 72

Stichwortverzeichnis – Zahlungsaufschub 39 f., 71 f. – zivilrechtliches Präjudiz 26, 36, 41 f., 72 – Zweckentfremdung von Gesellschaftsvermögen 53 – unehrliche Erlangung 24 vermögenswerte Exspektanzen (siehe auch Vermögensschaden) 88, 166, 168, 170, 172 f. Vernunft (siehe normative Ansprechbarkeit sowie Rechtsgüterschutz) Versuch – im englischen Recht 25, 31, 52, 62, 64, 74 Vertrauen (siehe auch Täuschung u. Treueverhältnis) 101 f. – Bezugsgegenstand 103 Verurteilungsrate 49 Vollmachtmissbrauch 53 Vorhersehbarkeit – der Norm 32, 51, 104, 106 Vorsatz – ausschließender Irrtum 107 – im deutschen Recht 92 f. – im englischen Recht – bewusste Unehrlichkeit 33, 48, 57, 75, 93 – dauerhafte Entziehung 57 – Gewinnerzielung 40, 71 ff., 88 – Irrtumserregung 27 – Schädigung 25, 46 f., 100 – Täuschung 27, 70, 92 – Verlustbewirkung 40, 71 ff., 88, 92 f. – Vermögensverfügung 93

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vorteilhaft (siehe auch normative Tatbestandsmerkmale) 114 Vorwurf (siehe auch Rechtsgüterschutz) 195 f. – anders handeln können und sollen 205, 208 – der Sozialschädlichkeit 200 – Differenziertheit des Schuldspruchs 257 f. – gesellschaftliche Einbindung 214 – Intensität 206 – retrospektiver Charakter von Strafe 224 – sozialethisches Unwerturteil 201, 205 Wahrheitspflicht 111, 130, 141 f. Warentermingeschäfte (siehe auch Vermögensschaden) 135 Werteordnung 215, 228 f., 240 ff. – Appellfunktion (siehe Konsequenzen) – Schrittmacherfunktion des Strafrechts 210 f., 248 – vorrechtliche Werte 206 – Wertepluralität 121 f., 199, 240 Willkürschutz (siehe auch Beweisfunktionalität) 104, 164 f., 181 Zurechenbarkeit 187 f., 194 – als Maßstab der Strafwürdigkeit 231 f., 235 f., 237 – bei Kumulation von Verhalten 235 – empirische Substanz der Kausalbehauptung 209 – Vergeltungsbedürfnis 223