Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften. Band 2 Zur Philosophie und Kunst: (Fortsetzung.) [Reprint 2022 ed.] 9783112632840


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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften. Band 2 Zur Philosophie und Kunst: (Fortsetzung.) [Reprint 2022 ed.]
 9783112632840

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Gotthold Ephraim Lessing'S

sämmtliche Schriften.

Zweiter Band.

Berlin.

In der Rassischen Buchhandlung. 1 8 2 5.

Inhalt

Jur Philosophie und Kunst. Seite I. Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer. .... 3

U, Pope, ein Metaphysiker.......................................

63

[II. Laokoon, od. über die Grenzen der Malerei u. Poesie. 12i

i. Das erste Gesetz der bildenden Künste war, nach

Winkel mann, bei den Alten edle Einfalt und stille Größe,

sowohl in der Stellung, ,als im

Ausdruck. . ..........................................................................127

Und

ii. Nach Lessing aber ist es die Schönheit.

daher hat der Künstler den Laokoon nicht schreiend

bUden können, wohl aber der Dichter......................... 134

in. Wahrheit und Ausdruck kann nie das erste Gesetz

b-r bildenden Künste seyn,

weil der Künstler nur

einen Augenblick und der Maler insbesondere diesen nur in einem einzigen Gesichtspunkte brauchen kann.

Wei dem höchsten Ausdrucke kann der Einbildungs­ kraft nicht freies Spiel gelassen werden.

Alles

Transitorische titfpmmt durch die bildenden Künste

unveränderliche Dauer, und der höchste Grad wird

ekelhaft, sobald er beständig dauert..................

. 147

IV

dem Dichter ist es anders.

Bei

iv.

Seite DaS ganze

der Vollkommenheit steht seiner Nachah­

Reich

Er braucht sein Gemälde nicht in

mung offen.

einen einzigen Augenblick zu concentriren.

Drama,

das

Vom

seyn soll.

ein redendes Gemälde

Erklärung des Sophokletschen Philoktet....................152

v. vi. Von dem Laokoon, dem Virgilrschen, und der Gruppe.

Wahrscheinlich hat der Künstler dem

Virgil, und nicht Virgil dem Künstler nach­

geahmt.

Von

vir.

Das ist keine Verkleinerung. der Nachahmung.

. 171. 183

Sie ist verschieden.

Man kann ein ganzes Werk eines andern nach­ ahmen,

und da ist Dichter und Künstler Ori­

man kann aber auch die Art und Weise,

ginal :

wie ein

anderes Werk gemacht worden,

ahmen, und das ist der Kopist. —

keit,

nach­

Behutsam­

daß man nicht gleich vom Dichter sage, er

habe dem Maler nachgeahmt,

gekehrt.

und wkdev um­

S p e n c e in seinem Polymetis, unb

Addison in seinen Reisen und Gesprächen über

die alten Münzen haben den klassischen Schrift­

stellern dadurch mehr Nachtheil gebracht,

als die

schalsten Wortgrübler.........................................

viii.

ix.

198

Exempel davon aus dem Spence................... 214

Man muß einen Unterschied machen, wenn der

Maler für die Religion,

Kunst gearbeitet

und wenn er für die

.

V

Seite x. Gegenstände, die bloß für das Auge sind, muß nicht der Dichter brauchet wollen.

ren alle Attribute der Götter.

Dahin gehö­

S pence wird

widerlegt

232

xi. xii. xiir. Xtv. Caylus deßgleichen in Tableaux tires de Flhade, etc. . 237. 248. 258. 262 xv. XVI. xvii. xviii. Von dem wesentlichen Un­ terschiede der Malerei und Poesie. ist das Gebiet

des Dichters,

Die Aeitfolge der Raum

des

265. 268. 278. 287

Malers

xix. Die Perspective haben die Alten nicht gekannt.

Widerlegung des Pope, der das Gegentheil be­ hauptet.

.

.................................................................29»

xx. xxi. XXII. Der Dichter muß sich der Schilde­ rung der körperlichen Schönheiten enthalten: er

kann aber Schönheit in Reiz verwandeln; denn Schönheit in Bewegung ist Reiz. . . 308. 321. 326 xxin. xxiv. Häßlichkeit ist kein Vorwurf der Ma­

lerei, wohl aber der Poesie. Häßlichkeit des Ther­ sites.

Darf die Malerei zur Erreichung des Lä­

cherlichen und Schrecklichen sich häßlicher Formen

bedienen?.

337. 343

xxv. Ekel und Häßlichkeit in Formen ist keiner ver­ mischten Empfindung fähig, und folglich ganz von

-er Poesie und Malerei auszuschließen.

Aber das

Ekelhafte und Häßliche kann als Ingrediens zu

den vermischten Empfindungen genommen werden, in der Poesie nämlich nur

348

VI

XXVI xxvii.

Seite über Winkelmann's Geschichte

der Kunst des Alterthums. Wer der Meister der Statue des Laokoon sey . . 363. 376 xxvrii. Vom Borghefischen Fechter............................. 384 xxix. Einige Erinnerungen gegen Winkelmann's Geschichte der Kunst. .................................. 388

I. Ernst « n d

Falk.

Gespräche für Freimaurer.

1 7 7 8.

Zuschrift an Se. Durchsauchk den Herzog Ferdinand. Durchlauchtigster Herzog, ?(ud) ich war an der Quelle der Wahrheit, und schöpfte. Wie tief lch geschöpft habe, kann nur der beurtheilen, von dem lch die Erlaubniß erwarte, noch tiefer zu schöpfen. — Das Volk Lechzet schon lauge und vergehet vor Durst. — Ewr. Durchlaucht unterthämgster Knecht.

4

Vorrede eines Dritten. ^Ivenn nachstehende Blätter die wahre Ontologie der Freimaurerei nicht enthalten: so wäre ich begierig, ru erfahren, in welcher von den unzähligen Schriften, vie sie veranlaßt hat, , ein mehr bestimmter Begriff von ihrer Wesenheit gegeben werde. Wenn aber die Freimaurer alle, von welchem Schlage sie auch immer seyn mögen, gern etnräumen werden, daß der hier angezeigte Gesichtspunkt der einzige ist, aus welchem — sich nicht einem blöden Auge ein bloßes Phantom zeigt, — sondern gesunde Augen eine wahre Gestalt erblicken: so durste nur noch die Frage entstehen, warum man nicht längst so deutlich mit der Sprache heraüsgegangen sey. Auf diese Frage wäre vielerlei zu antworten. Doch wird man schwerlich eine andere groge finden, die mit ihr m»hr Ähnlichkeit habe, als die: warum in dem Christenthums die systematischen Lehrbücher so spat entstanden sind; warum es so viele und gute Christen gegeben hat, die ihren Glauben auf eine verständliche Art weder angrben konnten, noch wollten. Auch wäre dieses im Christenthums noch immer zu früh geschehen, indem der Glaube selbst vielleicht wenig dabei gewonnen: wenn sich Christen nur nicht hätten einfallM lassen, ihn auf eine ganz widersinnige Art angeben zu wollen. Man mache hiervon die Anwendung selbst.

5

Erstes Gesprach. Ernst.

Woran denkst du, Freund?

Falk. An nichts. Ernst. Aber du bist s< still. Falk. Eben darum. Wer denkt, wenn er ge­ nießt? Und ich genieße des erquickenden Morgens. Ernst. Du hast Recht; und du hättest mir meine Frage nur zurückgeben dürfen. Falk. Wenn, ich 'an etwas dächte, würde ich darüber sprechen* Nichts geht über das laut denken mit einem Freunde. Ernst. Gewiß. Falk. Hast du des schönen Morgens schon genug genossen; fällt d i r etwas ein: so sprich d rr. Mir fällt nichts em. Ernst. Gut das! — Mir fällt ein, daß ich dich schon längst um etwas fragen wollte. Falk. So frage doch. Ernst. Ist es wahr, Freund, daß du em Freimaurer bist? Falk. Die Frage ist Eines, der keiner ist. Ernst. Freilich! — Aber antworte mir ge­ radezu. — Bist du ein Freimaurer?

6^ Falk. Ich glaube, es zu seyn. Ernst. Die Antwort ist Eines, der seiner Sache" eben nicht gewiß ist. Falk. O doch! Ich bin meiner Sache so ziemlich gewiß. Ernst. Denn du wirst ja wohl wissen, ob

und wann und wo und von wem du ausgenommen worden. Falk. Das weiß ich allerdings; aber das würde so viel nicht sagen wollen. Ernst. Nicht?

Falk. Wer nimmt nicht auf, und wer wird nicht ausgenommen! Ernst. Erkläre dich. Falk. Ich glaube, ein Freimaurer zu seyn,

nicht sowohl, weil ich von ältern Maurern in einer gesetzlichen Loge ausgenommen worden; sondern weil ich einsehe und erkenne, was und warum die Frei­ maurerei ist, wann- und wo sse gewesen, wie und wodurch sse befördert oder gehindert wird. Ernst. Und drückst dich gleichwohl so zweifel­ haft aus? — Ich glaube, einer zu seyn! Falk. Dieses Ausdrucks bin ich nun so ge­ wohnt. Nicht zwar, als ob ich Mangel an eigener Überzeugung hatte, sondern weil ich nicht gern mich jemanden gerade in den Weg stellen mag. Ernst. Du antwortest mir als einem Fremden.

Falk. Fremder oder gre;.ni)! Ernst. Du bist ausgenommen, du weißt alles —

7 Falk.

Andere sind auch ausgenommen,

und

glauben zu wissen. E r n st. Könntest du denn ausgenommen seyn, ohne zu wissen , was du weißt? Falk. Leider! Ernst. WiesoZ Falk. Weil viele, welche aufnehmen, es selbst nicht wissen; die wenigen aber, die es wissen, es nicht sagen können. Ernst. Und könntest du denn wissen, was du weißt, ohne ausgenommen zu seyn? Falk. Warum nicht? — Die Freimaurerei ist nichts Willkührliches, nichts Entbehrliches; sondern etwas Nothwendiges, das in dem Wesen des Menscherr und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Folglich muß man auch durch eigenes Nachdenken

eben sowohl darauf verfallen können, als man durch Anleitung darauf geführt wird. Ernst. Die Freimaurerei wäre nichts Will­ kührliches ? — Hat sie nicht Worte und Zeichen und Gebrauche, welche alle anders seyn könnten^ und folglich willkührlich sind? Falk. Das hat sie. Aber diese Worte und diese Zeichen und diese Gebräuche, sind nicht die Freimaurerei. Ernsi. Die Freimaurerei wäre nichts Ent­

behrliches? — Wie machten es denn die Menschen, als die Freimaurerei noch nicht war? Falk. Die Freimaurerei war immer.

8 Ernst. Run was ist sie denn, diese noth­ wendige, diese unentbehrliche Freimaurerei?

Falk. Wie ich dir schon zu verstehen ge­ geben: — Etwas, das selbst die, die es wissen, nicht sagen können. Ernst.

Also ein Undinge

Falk.

Übereile dich nicht.

Ernst. Wovon ich einen Begriff habe, kann ich auch mit Worten außdriicken.

das

Falk. Nicht immer; und oft wenigstens nicht so, daß andere durch die Worte vollkommen eben denselben Begriff bekommen, den ich dabei habe.

Ernst. Wenn nicht vollkommen eben denselben, doch einen etwanigen. Falk. Der etwanige Begriff wäre hier unnütz oder gefährlich. Unnütz, wenn er nicht genug; und gefährlich, wenn er das geringste zu viel, enthielte.

Ernst. Sonderbar! — Da also selbst die Freimaurer, welche das Geheimniß ihres Ordens wissen, es nicht wörtlich mittheilen können, wie breiten sie denn gleichwohl ihren Orden aus?

Falk. Durch Thaten. — Sie lassen gute Männer und Jünglinge, die sie ihres nähern Um­ gangs würdigen, ihre Thaten vermuthen, errathen, — sehen, so weit sie zu sehen sind; diese finden Geschmack daran, und thun ähnliche Thaten. Ernst.

Thaten?

Thaten der Freimaurer? —

9 Ich kenne keine andere, als ihre Reden und Lieder, die meistenteils schöner gedruckt, als gedacht und gesagt sind. Falk. Das haben sie mit mehrer» Reden und Liedern gemein. Ernst. Oder soll ich das für ihre Thaten nehmen, was sie in diesen Reden und Liebern von sich rühmen? Falk. Wenn sie es nicht bloß von sich rühmen. Ernst. Und was rühmen sie denn von ftdj ? — Lauter Dinge, -die man von jedem guten Menschen, von jedem rechtschaffenen Bürger erwartet. — Sie

sind so freundschaftlich, so gutthätig, so gehorsam, so voller Vaterlandsliebe. Falk. Ist denn das nichts? Ernst. Nichts! — um sich dadurch von ander» Menschen abzusondern. — Wer soll das nicht seyn? Falk. Sott! Ernst. Wer hat, dieses zu seyn, nicht, auch außer der Freimaurerei, Antrieb und Gelegenheit

genug? Falk. Aber doch in ihr, und durch sie, einen Antrieb mehr. Ernst. Sage mir nichts von der Menge der Antriebe. Lieder einem einzigen Antriebe alle mög­ liche intensive Kraft gegeben! — Die Menge solcher Antriebe ist wie die Menge der Räder in einer Ma­ schine. Je mehr Räder: desto wandelbarer. Falk. Ich künn dir das nicht widersprechen.

10^ Ernst. Und was für einen Antrieb mehr! rDer alle andere Antriebe verkleinert, verdächtig macht! sich selbst für den stärksten und besten ausgiebt! Falk. Freund, sey billig! — Hyperbel, Quidproquo jener schalen Neben und Lieder! Probewerk! Jüngerarbeit! Ernst. Das will sagen: Bxuder Redner ist

ein Schwätzer. Falk. Das will nur sagen: was Bruder Red­ ner an den Freimaurern preist, das sind nun freilrch ihre Thaten eben nicht. Denn Bruder Redner ist wenigstens kein Plauderer; und Thaten sprechen von selbst.

Ernst. Ja, nun merke ich, worauf du zielest. Wie konnten sie mir nicht gleich einfallen diese Tha­ ten, diese sprechende Thaten! Fast mochte ich sie schreiende nennen. Nicht genug., daß sich die Frei­ maurer einer den andern unterstützen, auf das kräf­ tigste, unterstützen, denn daß wäre nur die noth­ wendige Eigenschaft einer jeden Bande. Mas thun sie nicht für das gesammte Publikum eines jeden Staats, dessen Glieder sie sind l Falk. Ium Exempel? — Damit ich doch höre, ob du auf der rechten Spur bist. Ernst. I. E. die Freimaurer in Stockholm! — Haben sie nicht ein großes Findelhaus errichtet? Falk. Wenn die Freimaurer in Stockholm sich nur auch bei einer andern Gelegenheit thätig erwiesen haben.

11 Ernst. Bei welcher, andern? Falk. Ber sonst andern; yreine ich. Ernst. Und die Freimaurer »in Dresden! die arme junge Mädchen mit Arbeit beschäftigen, sie klöppeln und stricken lassen, — damit das Findel­ haus nur kleiner seyn dürfe. ' Fal k. Ernst! Du weißt wohl, wenn ich dich deines Namens erinnere. Ernst. Ohne alle Glossen denn. — Und Vie Freimaurer in Braunschweig! die arme fähige Knaben im Zeichnen unterrichten lassen. Falk. Warum nicht? Ernst. Und die Freimaurer in Berlin! die das Basedowsche Philanthropin unterstützen. Falk. Was sagst du? — Die Freimaurer? Das Philanthropin? unterstützen? — Wer hat dir das aufgebunden? Ernst. Die Zeitung hat es ausposaunt. Falk. Die Zeitung! — Da müßte ich Base­ dows eigenhändige Quittung sehen. Und müßte, ge­ wiß seyn, daß die Quittung nicht an Freimaurer in Berlin, sondern an die Freimaurer gerichtet wäre/ Ernst. Was ist das? — Billigst du denn Basedow's Institut nicht? Falk. Ich nicht? Wer kann es mehr billigen? Ernst. Ho wirst du ihm ja diese Unterstützung nicht mißgönnen? Falk. Mißgönnen? — Wer ckann ihm alles Gute mehr gönnen, als Ich?

12 ErnA

Run dann! —

Du wirst mir unbe-

greislich. Falk. Ich glaube wohl. Dazu habe ich Un­ recht. — Denn auch d i e Freimaurer können etwas thun, was sie nicht als Freimaurer thun. Ernst. Und soll das von allen auch ihren übrigen guten Thaten gelten? Falk. Vielleicht! — Vielleicht, daß alle die guten Thaten, die du mir da genannt hast, um mich eines scholastischen Ausdruckes, der Kurze ivegen, zu bedienen, nur ihre Thaten ad extra sind. Ernst. Wie meinst du das? Falk. Nur ihre Thaten, die dem Volks in die Augen fallen; — nur Thaten, die sie bloß deß­ wegen thun, damit sie dem Wolke in dis Augen fallen sollen. E r u st. Um Achtung und Duldung zu genießen ? Falk. Könnte wohl seyn. Ernst. Aber ihre wahre Thaten denn? — Du schweigst? Falk. Wenn ich dir nicht schon geantwortet |ätte? — Ihre wahre Thaten sind ihr Geheimniß. Ernst. Ha! ha! Also auch nicht erklärbar durch Worte? Falk. Nicht wohl! — Nur so viel kann und darf ich dir sagen: die wahren Thaten der Frei­ maurer sind so groß, so weit aussehend, daß ganze Iahrhurrderte vergehen können, ehe man sagen kann: das haben sie gethan! Gleichwohl haben sie alles

13 Gute gethan, was noch in der Welt ist, — merke wohl: in der Welt! — Und fahren fort, an alle dem Guten zu arbeiten, was noch in der Welt wer­ den wird, — merke wohl: in der Welt. Ernst. O gehl Du hast mich zum Besten. Kalk. Wahrlich nicht. — Aber sieh! dort fliegt ein Schmetterling, den ich haben muß. Es ist der von der Wolfmilchsraupe. — Geschwind sage ich dir nur noch: die' wahren Thaten der Freimaurer zielen dahin, um größten Theils alles, was man gemeiniglich gute Thaten zu nennen pflegt, entbehr­ lich zu machen. < Ernst. Und sind doch auch gute Thaten? Falk. Es kann keine bessere geben. — Denke einen Augenblick darüber nach. Ich bin gleich wie­ der bei dir. Ernst. Gute Thaten, welche darauf zielen, gute Thaten entbehrlich zu macken? — Das ist ein Räthsel. Und über ein Räthsel denke ich nickt nach. — Lieber lege ich mich indeß unter den Baum, und sehe den Ameisen zu.

14

Zweites Gespräch. O* r ir st.

Nun? wo bleibst du denn?

Und hast den

Schmetterling doch nicht? Falk. Er lockte mich von Strauch zu Strauch, bis an den Bach. Auf einmal war er hinüber. Ernst. Ja, ja. Es giebt solche Locher! Falk. Hast du uachgedacht? Ernst. Über was? Über dein Räthsel? — Ich werde ihn auch nicht fangen, den frönen Schmetterling! Darum soll er rmr aber auch weiter keine Mühe machen. — Einmal von der Freimau­ rerei mit dir gesprochen, und nie wieder. Denn ich sehe ja wohl; du bist, wie sie alle. Falk. Wie sie alle? Das sagen diese alle

nicht. E r n st. Nicht? So giebt es ja wohl auch Ketzer unter den Freimaurern? Und du wärest einer. — Doch alle Ketzer haben mit den Rechtgläubigen im­ mer noch etwas gemein. Und davon sprach ich. Falk. Wovon sprachst du? Ernst. Rechtgläubige oder ketzerische Frei­ maurer --- sie alle spielen mit Worten, und lassen sich fragen, und antworten, ohne zu antworten.

1.5 Falk. Meinst du? — Nun wohl, so laß uns von etwas anderm red^n. Denn einmal hast du mich aus dem behaglichen Zustande deß stummen Staunens

gerissen, — Ernst. Nichts ist leichter, als dich in diesen Zustand wieder zu versetzen. — Laß dich nur hier bei mir nieder, und sieh! Falk. Was denn? Ernst. Das Leben und Weben auf und in und um diesen Ameisenhaufen. Welche Geschäftig­ keit, und doch welche Ordnung! Alles trägt und schleppt und schiebt; and keines ist dem andern hin­ derlich. Sieh nur! Sie helfen einander sogar. Falk. DieAmchen leben in Gesellschaft, wie die Dienen. Ernst. Und in einer noch wunderbarern Ge­ sellschaft, als die Bienen. Denn sie haben niemand unter sich, der sie zusammen halt und regiert. Falk. Ordnung muß also doch auch ohne Regierung bestehen können. Ernst. Wenn jedes Einzelne sich selbst zu regieren weiß: warum nicht? Falk. Ob es wohl auch einmal mit den Men­ schen dahin kommen wird? Ex n st. Wohl schwerlich! Falk. Schade! E r n st. Ja wohl! Falk. Steh auf, unh laß uns gehen. Denn sie werden dich bekriechen die Ameisen; und eben

16 fallt auch Mir etwas bei, was ich bei dieser Ge­ legenheit dich doch fragen muß. -- Ich kenne deine Gesinnungen darüber noch gar nicht. Ernst.

-Worüber?

Falk.

Über die bürgerliche Gesellschaft des

Menschen überhaupt. —

Ernst,

Wofür hältst du sie?

gier etwas sehr Gutes.

Falk. Unstreitig. — Zweck, oder für Mittel?

Ernst.

Aber hältst du sie für

Ich verstehe dich nicht.

Falk. Glaubst du, daß die Menschen für die Staaten erschaffen werden? Oder daß die Staaten für die Menschen sind? Ernst. Jenes scheinen einige behaupten zu wollen. Dieses aber mag wohl das Wahrere seyn.

Falk. So denke ich auch. — Die Staaten vereinigen die Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigung jeder einzelne Mensch seinen Theil von Glückseligkeit desto besser unh sichrer genießen könne. — Daß Totale der einzelnen Glückseligkeit aller Glieder ist die Glückseligkeit des Staats. Außer dieser giebt es gar keine. Jede andere Glückseligkeit des Staats, bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden, und leiden müssen, ist Bemäntelung der Tyrannei. Anders nichts l

E r nfL

Falk.

Ich möchte das nicht so laut sagen.

Wärmn nicht?

17 Ernst. Eine Wahrheit, die jeder nach seinen eigenen Lage beurtheilt, kann leicht gemißbraucht werden. Falk.

Weißt tfit, Freund, daß du schon ein

halber Freimaurer bist 2 Ernst. Ich? Falk. Du. Denn du erkennst ja schon Wahr­

heiten, die man besser verschweigt. Ernst. Aber doch sagen könnte. Falk. Der Weise kann nicht sagen, was er besser verschweigt. Ernst. Nun, wie du willst ’ — Laß uns auf die Freimaurer niclft wieder zurück kommen. Ich mag ja von ihnen weiter nichts wissen. Falk. Verzeih!— Du siehst wenigstens meine Bereitwilligkeit, dir mehr von ihnen zu sagen. Ernst. Du spottest. — Gut! dus bürgerliche Leben des Menschen, alle Staatsversassungcn sind nichts als Mittel zur menschlichen Glückseligkeit. Was werter? Falk. Nichts als Mittel! Und Mittel mensch­ licher Erfindung; ob ich gleich nicht leugnen will, daß die Natur alles so eingerichtet, daß der Mensch sehx bald auf diese Erfindung/gerathen müssen. Ernst. Dieses hat denn auch wohl gemacht, daß einige die bürgerliche Gesellschaft für Zweck der

Natur gehalten. Weil alles, unsere Leidenschaften und unsere Bedürfnisse, alles darauf führe,.sey sie folglich das Letzte, worauf die Natur gehe. So

18 schlossen Ire. Als ob die Natur nicht auch die Mittel zweckmäßig hervorbringen müssen! Als ob die Natur mehr die Glückseligkeit eines abgezogenen Begriffs — wie Staat, Vaterland unt> dergleichen sind — als die Glückseligkeit jedes wirklichen einzelnen Wesens zur Absicht gehabt hätte! Kalk. Sehr gut! Du kommst mir auf dem

rechten Wege entgegen.. Denn nun sage mir; wenn die Staatsverfaffungen Mittel, Mittel menschlicher Erfindungen sind: sollten sie allein von dem Schick­ sale menschlicher Mittel ausgenommen seyn? Ernst. Was nennst du Schicksale menschlicher Mittel? Falk. Das, was unzertrennlich mit mensch­ lichen Mitteln verbunden ist; was sie von göttlichen unfehlbaren Mitteln unterscheidet. E r n st. Was ist das l . Falk. Daß sie nicht unfehlbar sind; daß sie ihrer Absicht nicht allein öfters nicht errtsprechen, sondern auch wohl gerade das Gegentheil davon be­

wirken. Ernst. Ein Beispiel! wenn dir eins einfällt. Falk. So sind Schifffahrt und Schiffe Mittel, in entlegene Länder zu kommen; und werden Ursache,

daß viele Menschen nimmermehr dahin gelangen. Ernst. Die nämlich Schiffbruch leiden und ersaufen. Nun glaube ich, dich zu verstehen. — Aber rngn werß ja wohl, woher es kommt, wenn so viel einzelne Menschen durch die Staatsverfaflrmg

19 an ihrer Glückseligkeit nichts gewinnen. Der Staats­ verfassungen sind viele; eine ist also besser als die andere; manche ist sehr fehlerhaft, mit ihrer Absicht offenbar streitend; und tfte beste soll vielleicht noch

erfunden werden. Falk. Das ungerechnet! Setze die beste Staatßverfassung, die sich nur denken läßt, schon erfunden; setze, daß alle Menschen in der ganzen Welt diese beste Staatsverfassung angenommen ha­ ben: meinst du nicht, daß auch dann noch, selbst aus dieser besten Staatsverfassung, Dinge entsprin­ gen müssen, welche der menschlichen Glückseligkeit höchst Nachtheils sind, und wovon der Mensch in dem Stande der Natur schlechterdings nichts gewußt hätte. * Ernst. Ach meines wenn dergleichen Dinge

aus der besten Staatsverfassung entsprangen, daß es sodann die beste Staatsverfassung nicht wäre. Falk. Und eine bessere möglich wäre? — Nun, so nehme ich viefe bessere als die beste an, Und frage das Nämliche. Ernst. Lu scheinst mir hier bloß vpn vorne herein aus dem angenommenen Begriffe zu ver­ nünfteln, daß jedes Mittel menschlicher Erfindung, wofür du die Staatsverfassungen sammt und sonders erklärst, nicht anders als mangelhaft seyn könne. Falk. Nicht bloß. Ernst. Und es wurde dir schwer werden, eins von jenen nachtheiligen Dingen zu nennen —

galt* Die auch aus der besten Staatsverfaffung nothwendig entspringen müssen? — O zehne für eins. Ernst. Nur eins erst. Falk. Wir nehmen also die beste Staütßverfässung für erfunden an; wix nehmen an, daß alle Menschen in der Wett in dieser besten Staatsver­ fassung leben: würden deßwegen alle Menschen in der Wett nur Einen Staat ausmachen? Ernst. Wohl schwerlich. Ein so ungeheurer Staat würde keiner Verwaltung fähig seyn. Er müßte sich also in mehrere kleine Staaten vertheilen, die alle nach den nämlichen Gesetzen verwaltet wurden. Falk. Das ist: die Menschen wurden auch dann noch Deutsche ünd Franzosen, Holländer und Spanier, Russen und Schweden seyn; oder wie sie sonst heißen würden. Ernst. Ganz gewiß! Falk. Nun da haben wir ja schon Eins. Denn nicht wahn, jeder dieser kleinen Staaten hätte sein eigenes Interesse? und jedes Glied derselben hätte das Interesse seines Staats? Ernst. Wie anders? Falk. Diese verschiedene Interessen würden öfters in Collision kommen, so wie jetzt: und zwei Glieder aus zwei verschiedenen'Staaten würden ein­

ander eben so wenig mit unbefangenem Gemüthe be­ gegnen können, als jetzt ein Deutscher einem Fram zosen, ein Franzose einem Engländer begegnet.

2t E t n st. Gehr wahrscheinlich. Falk., Das ist: wenn jetzt ein Deutscher einem

Franzosen, em Franzose einem Engländer, oder um­ gekehrt, begegnet, so begegnet nicht mehr ein bloßer Mensch einem bloßen Menschen, die vermöge ihrer gleichen Natur gegen einander angezogen werden, sondern ein solcher Mensch begegnet einem sol­ chen Menschen, die ihrer verschiedenen Tendenz sich bewußt sind, welches sie gegen einander kalt, zu­ rückhaltend, mißtrauisch macht, noch ohe sie für ihre einzelne Person das geringste mit einander zu schaffen und zu theilen haben. Ernst. Das ist leider wahr. Falk. Nun, so ist es denn auch wahr, daß das Mittel, welches die Menschen vereinigt, um sie durch diese Bereinigung ihres Glückes zu ver­ sichern, die Menschen zugleich trennt. Ernst. Wenn du es so verstehst. Falk. Tritt einen Schritt weiter. Biele von den kleineren Staaten würden ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Bedürfnisse und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohn­ heiten und Sitten, folglich ganz verschiedene SittenLehren, folglich ganz verschiedene Religionen haben. Meinst du nicht? Ernst. Das ist ein gewaltiger Schritt! Falk. Die Menschen wurden auch dann noch Luden und Christen und Türken und dergleichen seyn. Ernst. Ich getraue mir nicht, Nein zu sagen.

22

Falk. Würden, sie das, so wurden sie auch, sie möchteri heißen, wie sie wollten, sich unter ein­

ander nicht anders verhalten, als sich Unsere Christen und Juden und Türken von jeher unter einander verhalten haben. Nicht als bloße Menschen gegen bloße Menschen, sondern als solche Menschen gegen solche Menschen, die sich einen gewissen geistigen Vorzug streitig machen, und darauf Rechte gründen, die dem natürlichen Menschen nininwtmehr entfallen könnten. Ernst. Das ist sehr traurig; aber leider doch sehr vermuthlich. Falk. Nur vermuthlich? Ernst. Denn allenfalls dächte ich doch, so wie du angenommen hast, daß alle Staaten einerlei Verfassung hätten, daß sie auch wohl alle einerlei Religion haben könnten. Ja, ich begreife nicht, wie einerlei. StaatsvKfaflnng ohne einerlei Religion auch nur möglich ist. Falk. Ich eben so wenig. —' Auch Nichm ich jenes nur an, um deine Ausflucht abzuschneiden. Eins ist zuverlässig eben so unmöglich, als^as andere.

Ein Staat:

mehrere Staaten.

Mehrere Staaten:

mehrere Staatsverfassmlgen. Mehrere Staatsver»fassungen: mehrere Religionen. Ernst. Ja, ja: so scheint es. Falk. So ist eß. — Nun siehe da das zweite Unheil, welches die bürgerliche Gesellschaft, ganz ihrer Absicht entgegen, verursacht. Sie kann die

23 Menschen nicht vereinigen s

ohne sie zu trennen;

nicht trennen, ohne Klüfte zwischen ihnen zu be­ festigen, ohne Scheidemauern durch fie hin zu ziehen. Ernst. Und wie schrecklich diese Klüfte sind! wie unübersteiglich ost diese Scheidemquern! Falk. Laß mich noch das dritte hinzusiigen. — Nicht genug, daß die bürgerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Volker und Religionen theilt und trennt. — Diese Trennung in wenige große Theile, deren jeder für sich ein Ganzes wäre, wäre doch immer noch besser, als gar kein Ganzes. — Nein; die bürgerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Theile gleichsam bis ins Unend­

liche fort. Ernst. Wieso? Falk. Oder meinst du, -aß ein Staat sich ohne Verschiedenheit von Ständen denken läßt? Er sey gut oder, schlecht, der Vollkommenheit mehr oder weniger nahe: unmöglich können alle Glieder des­ selben unter sich das nämliche Verhältniß haben. — Wenn sie^auch alle an der Gesetzgebung Antheil haben: so können sie doch nicht gleichen Aütheil haben; wenigstens nicht gleich unmittelbaren Antheil. Es wird also vornehmere und geringere Glieder geben. — Wenn Anfangs auch alle Besitzungen des Staats unter sie gleich »ertheilt worden: so kann diese gleiche Vertheilung doch keine zwei Menschen­ alter bestehen. Einer wird sein Eigenthum besser -u nutzen wissen, als der andere. Einer wird sein

24 schlechter genutztes Eigenthum gleichwohl unter meh­ rere Nachkommen zu vertheilen haben, als der andere. Es wird also reichere und ärmere Glieder geben. Ernst. Das versteht sich. Falk. Nun überlege, wie viel Übel es in der Welt wohl giebt,, das in dieser Verschiedenheit der Stände seinen Grund nicht hat. Ernst. Wenn ich dir doch widersprechen könnte! — Aber was hatte ich für Ursache, dir überhaupt zu widersprechen? — Nun ja! die Men­ schen sind nur durch Trennung zu vereinigen! nur durch unaufhörliche Trennung in Vereinigung zu erhalterr! Das ist nun einmal so. Das kann mm nicht anders seyn. Falk. Das sage ich eben! E r n st. Also, was willst du damit? Mir das bürgerliche Leben dadurch verleiden? Mich wünschen machen, daß den Menschen der Gedanke, sich in Staaten zu vereinigen, nie möge gekommen seyn? Falk. Verkennst du mich so weit? — Wenn die bürgerliche Gesellschaft auch nur das Gute hätte, daß allein in ihr die menschliche Vernunft angebauet werden kann: ich würde sie auch bei weit größern Übeln noch segnen.

Ernst. Wer des Feuers genießen will, sagt das Sprichwort, muß sich den Rauch gefallen lassen. Falk. Allerdings! — Aber weil der Rauch bei dem Feuer unvermeidlich ist: durste man darum keinen Rauchfaug erfinden? Und der den Rauch-

25 fang erfand, war der darum ein Feind des Feuers?

— Sieh, dahin wollte ich. Ernst.

Wohin? t-Ich verstehe dich nicht.

Falk. Das Glttchmß war doch sehr paffend. — Wenn-die Menschen nicht anders in Staaten ver­ einigt werden konnten, als durch jene Trennungen: werden sie darum gut, jene Trennungen? Ernst.

Falk.

Das wohl nicht. Werden sie darum heilig, jene Trerr-

nungen? Ernst. Wie heilig? Falk. Daß es verboten seyn sollte, Hand an sie zu legen? Ernst. In Absicht? ..." Falk. In Absicht, sie nicht größer einreißen zu lassen, als die Nothwendigkeit erfordert. In Ab­ sicht, ihre Folgen so unschädlich zu machen, als möglich. Ernst. Wie könnte das verboten seyn?

Falk. Aber geboten kaun es doch auch nicht seyn; durch bürgerliche Gesetze nicht geboten! — Denn bürgerliche Gesetze erstrecken sich nie über die Grenzen ihres Staats. Und dieses würde nun gerade außer den Grenzen aller und jeder Staaten liegen. — Folglich kann es nur ein Opus supererogatum seyn: und es wäre bloß HU wünschen, daß sich dre Weisesten und Besten eines jeden Staats diesem

Operi superevogato freiwillig unterzögen. Leinntz'v W. 2 Bd. L

26 Ern st.

Bloß zu wünschen; aber recht sehr zu

wünschen. Falk. Ich dächte! Recht sehr zu wünschen, daß es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Norurttzeile -er Völkerschaft hinweg wärerr, und genau wüßten,, wo Patriotismus, Lugend zu seyn aufhört. Ernst. Recht sehr zu wünschen! Falk. Recht sehr zu wünschen, daß es in je­ dem Staate Männer geben möchte, die dem Vorur­ teile ihrer angebopnen Religion nicht unterlägen; nicht glaubten, daß alles nothwendig gut und wahr seyn müsse, was sie für gut und wahr erkennen.

E r n st. Recht sehr zu wünschen! Falk., Recht sehr zu wünschen, daß es in je­ dem Staate Männer geben möchte, welche bürgerliche Hoheit nicht bleydet, und bürgerliche Geringfügigkeit nicht ekelt; in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herabläßt, und der Gerirrge sich dreist erhebt. Ernst. Recht sehr zu wünschen! Falk. Und wenn er erfüllt wäre, dieser Wunsch ? Ernst. Erfüllt? — Es wird freilich hier und da, dann und wann, einen solchen Mann geben. Falk. Nicht bloß hier und da; nicht bloß dann

und wann. Ernst.

Au gewissen Zeiten, in gewissen Län­

dern auch mehrere. Falk. Wie; wenn es dergleichen Männer jetzt überall gäbe? zu allen Zeiten nun ferner geben mußtet

Ernst. Wollte Gott! Falk. Und diese Männer nicht in einer un­ wirksamen Zerstreuung lebten? nicht immer in einer unsichtbaren Kirche? Ernst. Schoner Traum! Falk. Daß ich es kurz mache. — Und diese Männer die Freimaurer wären? Ernst. Was sagst du? Falk. Wie, wenn eß die Freimaurer wären, die sich mit zu ihrem Geschäfte gemacht hätten, jene Trennungen, wodurch die Menschen einander so fremd werden, so eng als möglich wieder zusammenM ziehen? Ernst. Die Freimaurer? Falk. Ich sage: mit zu ihrem Geschäfte. E r it st. Drf Freimaurer X Falk. Ach! verzeih! — Ach hatte es schon wieder vergessen, daß du von den Freimaurern weiter nichts hören willst. — Dort winkt man uns eben zum Frühstücke. Komm! Ernst. Nicht doch! — Noch einen Augenblick! — Die Freimaurer, sagst du — Falk. Das Gespräch brachte mich wider Wil­ ken auf sie zurück. Verzeih! — Komm! Dort, in der größern Gesellschaft, werden wir bald Stoff zu erner tauglichere Unterredung finden. Kommi

Drittes Gespräch. Er n st.

Du bist mir den ganzen Lag im Gedränge

der Gesellschaft ausgewichen.

Aber ich verfolge dich

in dein Schlafzimmer. Falk. Hast du mir so etwas Wichtiges zu sa­

gen l Der bloßen Unterhaltung bin ich arrf heute müde. Ernst. Du spottest meirrer Neugierde. Falk. Deiner Neugierde I Ernst. Die du diesen Morgen so meisterhaft zu erregen wußtest. "Falk. Wovon sprachen wir diesen Morgen? Ernst. Von den Freimaurern. Falk. Nun? — Ich habe dir rrwRansche des Pyrmonter doch nicht das Geheimniß verrathen? Ernst. Das man, wie du sagst, gar nicht ver­ rathen kann. Falk. Nun freilich; das beruhigt mich wieder. Ernst. Aber du hast mir doch über die Frei­

maurer etwas gesagt, das mir unerwartet war; das wir aufsiel; das mich denken machte. Falk. Und was war das? Ernst. O quäle mich nicht! — Du erinnerst dich dessen gewiß.

29 Falk. Ja; es fällt mir nach und nach wieder ein. — Und daß warmes, was dich den ganzen lan­ gen Lag unter deinen Freunden und Freundinnen so abwesend machte? Ernst, Das war rs! — Und ich kann nicht einschlafett, wenn du mir wenigstens nicht noch eine Frage beantwortest. Falk. Nachdem die Frage seyn wird. Ernst. Woher kannst du mir aber beweisen, wenigstens nur wahrscheinlich machen, daß die Frei­ maurer wirklich jene große und würdige Absichten

haben 3 Falk. Habe ich dir von ihren Absichten gespro­ chen 3 Ich wirßte nicht. — Sondern da du dir gar keinen Begriff von den wahrni Thaten der Freimaurer machen konntest, habe ich dich bloß auf einen Punkt

aufmerksam machen wollen, wo noch so vieles ge­ schehen kaun, wovon sich unsere staatsklngen Köpfe gar nichts träumen lassen. — Vielleicht, daß die Freimaurer da herum arbeiten. — Vielleicht! da herum! — Nur um dir dein Vorurtheil zu beneh­ men, daß alle baubedürftige Plätze schon ausgefunden und besetzt, alle nöthige Arbeiten schon unter die erforderlichen Hände vertheilt wären. Ernst. Wende dich jetzt, wie du willst. — Genug, ich denke mir nun aus deinen Reden die Freimaurer als Leute, die es freiwillig über sich ge­ nommen haben, den unvermeidlichen Übeln des Skmts entgegen zu arbeiten.

Kalk. Dieser Begriff sann den Freimaurern r^mgstens keine Schande machen. — Meid dabei i — Nur fasse ihn recht. Menge nichts hinein, was. nicht hinein gehört. — Den unvermeidlichen Übeln des Staats! — Nicht dieses- und jenes Nicht den unvermeidlichen Übely, welche,

Staats. eine ge­

wisse Staatsverfaffung einmal angenommen, aus dieser angenommenen Staatsverfaffung nun noth­ wendig folgern Mit diesen giebt sich der Freimaurer niemals ab; wenigstens nicht als Freimaurer. Die Linderung und Heilung dieser überläßt er dem Bür­ ger, der sich nach seiner Einsicht, nach seinem Muthe, auf seine Gefahr damit befassen mag. Übel ganz

anderer Art, ganz höherer Art, sind der Gegen­ stand seiner Wirksamkeit. Ernst. Ich habe das sehr wohl begriffen. — Nicht Übel, welche den mißvergnügten Bürger ma­ chen , sondern Übel; ohne welche auch der glücklichste Bürger nicht seyn sann. Falk. Recht! Diesen entgegen — wie sagtest du? — entgegen zu arbeiten? Ernst. Ja! Falk. Das Wort sagt ein wenig viel. — Entgegen arbeiten! — Um sie völlig zu heben? — Das kann nicht seyn. Denn man würde den Staat selbst mit ihnen zugleich vernichten. — Sie müssen nicht einmal denen mit'eins merklich gemacht wer­ den, die noch gar keine Empfindung davon haben. Höchstens diese Empfindung in dem Menschen von

31 weitem veranlassen, ihr Aufkeimen begünstigen, ihre

Pflanzen versetzen, begäten, beblatten — kann hier entgegen arbeiten heißen. — Begreifst -u nun, war­ um ich sagte, ob die Freimaurer schon immer thätig

wären, daß Jahrhunderte dennoch vergehen könnten, ohne daß sich sagen lasse, das haben sie gethan. Ernst. Und verstehe auch nun den zweiten Iug des Räthsels. — Gute Thaten, welche gute Thaten entbehrlich machen sollen. Falk. Wohl! — Nun geh, und studire-jene Übel, und lerne sie alle kennen, und wäge alle ihre Einflüsse gegen einander ab, und sey versichert, daß dir dieses Studium Dinge aufschließen wird, die in Tagen der Schwermuth die niederschlageudsten, un­ auflöslichsten Einwürfe wider Vorsehung und Tugend zu seyn scheinen: Dieser Aufschluß, diese Erleuch­ tung wird dich ruhig und glücklich machen; — auch ohne Freimaurer zu heißen. Ernst. Du legst auf dieses heißen so viel

Nachdruck. Falk. Weil man etwas seyn kann, ohne es zu heißen. Ernst. Gut das! ich verstehe. — Aber auf meine Frage wieder zu kommen, die ich nit$ ein wenig anders einkleiden muß. Da ich sie doch nun kenne, die Übel, gegen welche die Freimaurerei an-

geht Falk. Du kennst sie? Er n st. Hast du mir sie nicht selbst genannt?

32 Falk. Ich habe dir einige zur Probe namhaft gemacht. Nur einige von denen, die auch dem kurz­ sichtigsten Auge mrleuchten: nur einige von den un­ streitigsten^ weit umfassendsten. — Aber wie viele sind nicht noch übrig, die, ob sie schon nicht so ein­ leuchten , nicht so unstreitig sind, nicht so viel um­ fassen, dennoch nicht weniger gewiß, nicht weniger nothwendig sind!

Ernst. So laß mich meine Frage denn, bloß auf diejenigen Stücke einschränken, die du mir selbst namhaft gemacht hast. — Wie beweisest du mir auch nur von diesen Stücken, daß die Freimaurer wirklich ihr Absehn darauf^haben? — Du schweigst? — Du sinnst nach? Falk. Wahrlich nicht dem, was ich auf diese Frage zu antworten hätte! —- Aber ich weiß nicht, was ich mir für Ursache^ denken soll, warum du mir diese Frage thust?

Ernst. Und du willst mir meine Frage beant­ worten, wenn ich dir die Ursachen derselben sage?

Falk.

Ernst.

Falk.

Das verspreche ich dir.

Ich kenne und fürchte deinen Scharfsinn.

Meinen Scharfsinn?

Ernst. Ich fürchte, du verkaufst mir deine Speculation für -Thatsache.

Falk.

E x n st.

Sehr verbunden! Beleidigt dich das?

33 Falk.

Vielmehr muß ich dir danken, daß du

Scharfsinn nennst, was du ganz anders hättest be-

nennen können. Ernst. Gewiß nicht. Sondern ich weiß, wie leicht der Scharfsinnige sich selbst betrügt^ wie leicht er andern Leuten Plane und Absichten leiht und un­ terlegt, an die sie nie gedacht haben. Falk. Aber woraus schließt man auf der Leute Plane lmd Absichten? Aus ihren einzelnen Handlun­ gen doch wohl? Ernst. Woraus sonst? — Und hier bin ich wieder bei meiner Frage. — Aus welchen einzelnen, unstreitigen Handlungen der Freimaurer ist abzuneh­ men, daß es auch nur mit ihr Zweck ist, jene von dir benamtte Trennung, welche Staat und Staaten unter den Menschen nothwendig machen mttssen> durch sich und in sich wieder zu vereinigen? Falk. Und zwar ohne Nachtheil dieses Staats, und dieser Staaten. Ernst. Desto besser! — Es brauchen auch vielleicht nicht Handlungen zu seyn, woraus jenes adzunehmen. Wenn es nur gewisse Eigenthümlichkeiten, Besonderheiten sind, die dahin leiten, oder daraus entspringen. — Bon dergleichen mußtest du sogar in deiner Spekulation ausgegangen sey«; gesetzt, daß dein System nur Hypothese wäre. Falk. Dein Mißtrauen äußert sich noch. — Aber ich hoffe, es soll sich verlieren, wenn ich dir ein Grundgesetz der Freimaurer zu Gemüthe führe.

Efyst. Und welches? Falk, Aus welchem sie nie ein Geheimniß ge­ macht haben. Nach welchem sie immer vor den Au­ gen der ganzen Welt gehandelt haben, Ernst. Das ist? Falk. Das ist, jeden würdigen Manu von ge­ höriger Anlage, ohne Unterschied des Vaterlandes, ohne Unterschied der Religion, ohne Mörschied seines bürgerlichen Standes, in ihren Orden aufznuehmen. Ernst. Wahrhaftig! Falk. Freilich scheint dieses Grundgesetz der­ gleichen Männer, die über jene Trennungen hinweg sind, vielmehr bereits voraus zu setzen, als die Ab­ ficht zu habensie zu bilden. Allem das Nittum muß ja wohl in der Lust seyn, ehe es sich als Sal­

peter an den Wänden anlegt. Ernst. O ja! Falk. Und warum sollten die Freimaurer sich

nicht hier einer gewöhnlichen List haben bedienen dür­ fen ? — Daß man einen Theil seiner geheime» Ab­ sichten ganz offenbar treibt, um den Argwohn irre zu führen, der immer ganz etwas anders vermuthet, als er sieht. Ernst. Warum nicht? Falk. Warum sollte der Künstler, der Sil­ ber machen kann, nicht mit altem Bruchsilber han­ deln, damit man so weniger argwohne, baß er es machen kaun? Ernst. Warum nicht?

35 Falk. Ernst! — Hörst du mich? — £)u ant­ wortest im Traume, glaube ich. Ernst. Nein, Freund! ’ Aber ich habe genug; genug auf diese Nacht. Morgen , mit dem frühsten, kehre ich wieder nach der Stadt. Falk. Schon '< Und warum so bald? Ernst. Du kennst mach, und fragst? Wie lange dauert deine Brunnenkur nod^? . Falk. Ich habe sie vorgestern erst angefangen. Ernst. So sehe ich dich vor dem Ende dersel­ ben noch wieder. —- Lebe wohl! gute Nacht! Falk. Gute Nacht! lebe wohl l

Jur Nachricht. Der Funke hatte gezündet: — Ernst gigg, und ward Freimaurer. Was er fürs erste da fand, ist der Stoff eines vierten und fünften Gesprächs, mit welchem — sich der Weg scheidet.

E tn st und

Falk.

Gespräche für Freimaurer.

Fortsetzung. 4 7 8 0.

Vorrede eines Dritten.

fiüet Verfasser der ersten drei Gespräche hatte diese Fortsetzung, wie man'weiß, im Manuskripte, zum Drucke fertig liegen, als derselbe höhern Ort's einen bittenden Wink bekam, dieselbe nicht bekannt zu machen. Vorher aber hatte tt dies vierte und fünfte Ge­ spräch einigen Freunden mitgetheilt, welche, vermuth­ lich ohne seine Erlaubniß, Abschriften davon genom­ men hatten. Erne dieser Abschriften war dem jetzi-

^37^ gen Herausgeber durch einen sonderbarst Zufall tu die Hände gefallen. Er bedauerte, daß so viel herr­ liche Wahrheiten unterdrückt werden sollten, und be­ schloß, das Manuscript, ohne Winke zu haben, drukken zu lassen. Wenn die Begierde, Licht über so wichtige Gegeustände allgemeiner verbreitet zu sehen, nicht diese Freiheit hinlänglich entschuldigt; so läßt sich nichts weiter zur Vertheidigung derselben sagen, als daß der Herausgeber kein aufgenommener Maurer ist. Übrigens wird man doch finden, daß er, ans Vor­ sicht und Achtung gegen einen gewissen Zweig dieser Gesellschaft, einige Namen, welche ganz ausgeschrie­ ben waren, bei der Herausgabe nicht genannt hat.

Viertes Gespräch. {j a 11 Ernst l Willkommen l Endlich wieder ein­ mal ! Ich habe meine Brunnenkur langst beschlossen. Ernst. Urrd befindest dich wohl dgrauf? Ich freue mich. Falk. Was ist das? Man hat mir ein: „ i ch freue mich" ärgerlich ausgesprochen. Ernst. Ich bin es auch, und es fehlt wenig, daß ich es nicht über dich bin. Falk. Uber nuch? E r n st. Du hast mich zu einem albernen Schritte verleitet. — Sieh her! — Gieb mir deine Hand! — Was sagst du? - Du zuckst die Achseln? Das hätte mir noch gefehlt. Falk. Dich verleitet? Ernst. Es kann seyn, ohne daß du es Lewollt hast. Falk. Und soll doch Schuld haben? Ernst. Der Mann Gottes spricht dem Volke von einem Lande, da Milch und Honig innen stießt, und das Volk sott sich nicht darnach sehnen?- Und soll über den Mann Gott"nicht murren, wenn er sie, anstatt in dieses gelobte Land, in dürre Wüsten führt ? t

39 Falk, Nun, nun! der Schade kann doch so groß nicht seyn. — Dazu ßehe ich ja, daß du Ichvn der dew Gräbern unserer Msrfahren ge­ arbeitet hast. Ernst. Aber sie waten nicht mil^ F L a m mj e n,

sondern mit Rauch umgeben. Falk. So warte, bis der Rauch sich vergeht, und die Flamme wird leuchten und warmen. Ernst. Der Rauch wird mich ersticken, ehe mir die Flamme leuchtet, und wärmen, sehe, ich wohl, werden sich Andere an ihr, die den Rauch besser ver­ tragen können. Falk. Du sprichst doch nicht von Leuten, die

sich vom Rauch gern beißen lassen, wenn es nur der Rauch einer fremden fetten Küche' ist?

E r n st. Falk.

Du kennst sie also doch?

Ich habe von ihnen gehört.

Ernst. Um so mehr, was konnte dich beweg?n, mich auf dies Eis zu fuhren? Mir dazu Sa­ chen vorzuspiegeln, deren Ungrund du nur allzu wohl wußtest? Falk. Dein Verdruß macht dich sehr unge­ recht. — Ich sollte mit dir von der Freimaurerei gesprochen haben, ohne es auf mehr als eine Art zu verstehen.^ geben, wie unnütz es sey, daß jeder ehr­ liche Mann ein Freimaurer werde — wie unüöthtg nur ? — ja, wie schädlich. —

Ern st.

Das mag wohl seyn.

40 Talk. Ich sollte dir nicht gesagt haben, Laß man die höchsten Pflichten der Maurerei erfüllen könne', ohne ein Freimaurer zu heißen? E r n st. Vielmehr erinnere ich mich dessen. — Aber du weißt ja wohl, wenn meine Phantasie ein­ mal den Fittig ausbreitet, einen Schlag damit thut — kann ich sie Hallen? — Ich werfe dir nichts vor, als daß du ihr eine solche Lockspeise zeigtest. —

Talk. Die du zu erreichen doch auch sehr bald müde geworden«, — Und warum sagtest du mir nicht ein Wort von deinem Vorsatze? Ernst. Würdest du mir davon abgerathen haben?

Falk. Ganz gewiß! — Wer wollte einem raschen Knaben, weil er dann und wann noch fällt, den Gängelwagen wie­ der einschwatz en? Ich mache dir kein Compliment; du warst schon zu weit, um von da wieder abzugehen. Gleichwohl konnte man mit dir keine Ausnahme machen. Den Weg müssen Alle betreten. Ernst. Es sollte mich auch nicht reuen, ihn betreten zu haben, wenn ich mir nur von dem noch übrigen Wege noch wehr zu versprechen hätte. Aber Vertröstungen, und wieder Vertröstungen, und nichts als Vertröstungen I Falk. Wenn man dich doch schon vertröstet! Und auf was vertröstet man dich denn? Ernst. Du weißt ja wohl, auf die schottische Maurerei, auf die schottischen Ritter.

41^ Falk. Nrm ja, ganz recht. — Aber wessen hat sich denn der schottische Ritter zu trösten? E r n st. Wer das wüßtet Falk. Und deines Gleichen, die andern Neu­ linge des Ordens , wissen denn die auch nichts? Ernst. O die! die wissen so viel! — Der Eine will Gold machen, der Andere will Geister beschwören, der Dritte will die *** wieder Herstel­ len. — Du lächelst — Und lächelst nur? — Falk. Wie kann ich anders? Ernst. Unwillen bezeugen über solche Quer­ köpfe. Falk. Wenn mich nicht Eins mit ihnen wie­ der versöhnte. Ernst. Und was? Falk. Daß ich in allen diesen Träumereien Streben nach Wirklichkeit erkenne, daß sich aus allen diesen Irrwegen noch abnehmen läßt, wohin der wahre Weg geht. Ernst. Auch aus der Goldmacherei? Falk. Auch aus der Goldmacherei. Ob sich wirklich Gold machen läßt, oder nicht machen laßt, gilt mir gleich viel. Aber ich bin sehr versichert, daß vernünftige Menschen nur in Rücksicht auf Frei­

maurerei es machen zu können wünschen werden. Auch wird der erste der beste, dem der Stein der Weisen zu Theil wird, in dem nämlichen Augen­ blicke Freimaurer. — Und eß ist doch sonderbar, daß dieses alle Nachrichten bestätigen, mit welchen

42 sich die Welt von wahren oder vermeinten Gotdmachepr, trägt. Ernst. Und die Geisterbeschwörer? Falk. Von ihnen gilt ungefähr das nämliche. — Unmöglich können Geister auf die Stimme eines andern Menschen hören, als eines Freimaurers. Ernsts Wie ernsthaft du solche Dinge sa­ gen kannst! — Falk. Bei allem, was heilig ist! nichternstbafter, als sie sind. Ernst. Wenn das wäre! — Aber endlich die neuen ***, wenn Gott tritt? Falk. Vollends die! Ernst. Siehst du! Don denen weißt du nichts zu sagen. Denn * * * waren doch einmal, Gold­ macher aber und Geisterbeschwörer gab es vielleicht nie. Und es läßt sich freilich besser sagen, wie die Freimaurer sich zu solchen Wesen der Einbildung verhalten, als zu wirklichen. Falk. Allerdings kann ich mich hier nur in einem Dilemma ausdrücken: Entweder, oder — Ernst. Auch gut! Wenn man nur wenigstens weiß, daß unter zwei Sätzen einer wahr ist: Nun! Entweder diese **> would be —? d l k. Ernst! Eh du noch eine Spötterei völlig aussagstk AufmeinGewissen! — Diese — ebendiese sind entweder gewiß auf dem rechten Wege, hder so «eit davon entfernt, daß ihnen auch nicht einmal die Hoffnung mehr übrig ist, jemals darauf zu gelangen.

43 E r n st. Ich muß das so mit anhören. Denn dich um eine nähere Erklärung zu bitten — Falk. Warum nicht? Man h-t lange genug aus Heimlichkeiten das Geheimnis gemacht. Ernst. Wie verstehst ku das? galt. Das Geheimniß der Freimaurerei^ wie ich dir schon gesagt habe, ist das, waS der Freimauter nicht über seine Lippen bringen kann, wenn es auch möglich wäre, daß er es wollte. Aber Heim­ lichkeiten sind Dinge, die sich wohl sagen lassen, und die man nur zu gewissen Zeiten, in gewissen Ländern, theils aus Neid verhehlte, theils aus Furcht verbiß, theils aus Klugheit verschwieg. Ernst, ^um Exempel? Falk. Zum Exempel! Gleich diese Berwartdtschast unter *** urrd Freimamern. Es kann-wohl seyn, daß es einmal noth-g und gut war, sich da­ von nichts merken zu lassen. — Aber jetzt — jetzt kann es im Gegentheil höchst verderblich werden, wenn man aus dieser Verwandtschaft noch l inger ein Geheimniß macht. Man müßte sie vielmehr laut bekennen, und nur den gehangen Punkt: be­ stimmen, in welchem die *** die Freimaurerei ihrer Zeit waren. Ernst. Darf ich ihn wissen, diesen Punkt? Falk. Lies die Geschichte b,er **** mit Be­ dacht ! Du mußt ihn errathen. Auch wirst du ihn gewiß errathen, und eben das war die Ursache, warv rün du kein Freimaurer hättest werden müssen.

44

Ernst. Daß ich nicht den Augenblick unter meiner» Büchern fitze! — Und wenn ich ihn errathe, willst du mir gestehen, daß ich ihn errathen habe? Falk. Du wirst zugleich finden, daß du die­ ses Geständniß nicht brauchst. — Aber auf mein Dilemma wiederzurückzukommen! Eben dieser Punkt ist eS allein, woraus die Entscheidung desselben zu holen ist. — Sehen und fühlen alle Freimaurer, welche jetzt mit den *** schwanger gehen, diesen rechten Punkt; Wohl ihnen! Wohl der Welt! Se­ gen zu allem, was sie thun, Segen zu allem, was sie rmterlassen! — Erkennen und fühlen sie ihn aber nicht, jenen Punkt; hat sie ein bloßer'Gleichlaut verfuhrt; hat sie bloß der Freimaurer, der im * * arbeitet, auf die *** gebracht; haben sie sich nur tu das . . . auf dem . . . vergafft; möchten sie gern einträgliche . . . ; fette Pfründen sich und ihren Freunden zutheilen können: — Nun, so schenke uns der Himmel recht wiek Ätitleid, damit wir uns -es Lachens enthalten könnten. Ernst. Sieh! du kannst doch noch warm und bitter werden. Kalk. Leider! — Ich danke dir für deine Bemerkung, und bin nun wieder, wie Eis. Ernst. Und was meinst du wohl, welcher von den beiden Fallen der Fall dieser Herren ist? Falk. Ich fürchte der letztere. Möchte ich mich betrügen! — Denn wenn es der erste wäre; wie könnten sie einen so seltsamen Anschlag haben?

45 — die * * * wieder herzustellen! — Jener große Punkt, in welchem die *** Freimaurer waren, hat nicht mehr Statt. Wenigstens ist Europa längst darüber hinaus, und bedarf dann weiter keines au­ ßerordentlichen Dorschubs. — Was wollen sie also? Wollen sie auch ein Schwamm werden, den die Gro­ ßen einmal ausdrücken? — Doch, an wen diese Frage? Und wider wer: ? Hast du mir denn gesagt — hast du mir sagen ko'imen, daß mit diesen Grillen vo« Goldmachern, Geisterbanneru, ***, sich andere, als die Neulinge des Ordens schleppen? — Aber Kinder werden Mänmr. — Laß sie nur! — Genug, wie gesagt, daß ich schon in dem Spielzeuge dieWast fen erblicke, welche einmal die Männer mit sicherer Hand führen werderu Ernst. Im Grunde, mein Freund, sind es auch nicht diese Kindereien, die mich unmuthig ma­ chen Ohne zu vermuthen, daß etwas Ernsthaftes hinter ihnen seyn könnte, sahe ich über sie weg — Donnen, dachte ich, den jungen Mallffschen ausge­ worfen! — Aber was mich nagt, ist das: daß ich überall nichts sehe, überall nichts höre, als diese Kindereien, daß von dem, dessen Erwartung du in mir erregtest, keiner etwas wissen will. Ich mag diesen Ton angeben, so ost ich will, gegen wen ich will; niemand will eiustimmen, immer und aller Orten das tiefste Stillschweigen. Falk. Du meinst — Ernst. Jene Gleichheit, die du mir als Grund-

46 gesetz' des Ordens angegeben; jene Gleichheit, die meine ganze Seele mit so unerwarteter Hoffnung er­ füllte, mit der Hoffnung, sie endlich in Gesellschaft von Menschen athmen zu können, die über alle bür­ gerliche Modifikationen hinweg zu denken verstehen, ohne sich an einer zum Nachtheil eines Dritten zu versündigen — Falk. Nun? Ernst. Sie wäre noch, wenn sie jemals ge­ wesen ! —- Laß einen aufgeklärten Juden kommen, und sich melden! „Ja," heißt eß, „ein Jude? Christ wenigstens muß freilich der Freimaurer seyn." Es ist nun gleichviel, wa5 für ein Christ. „ Ohne Unterschied der Religion, heißt mrr, ohne Unterschied der drei im heiligen römischen Reiche öffentlich geduldeten Religionen^" — Meinst du

auch so? Falk. Ich nun wohl nicht. Ernst. Laß einen ehrlichen Schuster, derber seinem Leisten Muße genug hat, manchen guten Ge­ danken zu haben (wäre es auch ein Jacob Böhme und Hans Sachse), laß ihn kommen, und sich melden! „ Ja, " heißt es, „ ein Schuster1" freilich ein Schu­ ster. — Laß einen treulich erfahrnen Dienstboten kommen und sich melden. — „ Ja," heißt es, „ der­

gleichen Leute freilich, die sich die Farbe zu ihrem Rocke nicht selbst wählen. — Wir sind unter uns so gute Gesellschaft" — F all k. Und wie gute Gesellschaft sind sie denn?

47 Ernst. Ei mm! Daran habe ich allerdings weiter nichts auszufttzen, als daß es ünr gute Ge­ sellschaft ist, die man irr der Welt so müde wird — Pnnzen, Grafen, Herrerr, Offrciere, Räthe von allerlei Beschlag, Kaufleute, Künstler — alle die schwärmen freilich ohne Unterschied d^s Standes in der Loge unter einander durch. — Aber in der That sind doch alle nur von einem Stande, und der ist leider-------------Falk. Das war nun wohl zu meiner Zeit nicht so — Aber doch! — .Ich weiß nicht, ich kaun-nur rathen — Ich bin zn lange Zeit außer aller Ver­ bindung mit Logen, von welcher Art sie auch sey» müssen — In dre Loge vor jetzt, auf eine Zeit, nicht können zugekafferr werden, und von der Frei­ maurerei ausgeschlossen seyn, sind doch zwei verschiedene Dinge. E r n st. Wie so t Falk. Weil Loge sich zur Freimaurerei ver­ hält, wie Kirche zürn Glauben. Aus dem äußern Wohlstände der Kirche ist für den Glauben der Glie­ der nichts, gar nichts, zu schließen. Vielmehr giebt es einen gewissen äußerlichen Wohlstand derselben, von dem es ehr Wunder wäre, wenn er mit dem wahren Glauben bestehen könnte. Auch haben sich beide noch nie vertragt, sondern eins hat das andere, wie die Geschichte lehrt, immer zu Gründe gerichtet,

rlttd so auch, fürchte ich, fürchte ich — Ernst. Was?

48 Falk. Kurz! Daß Logenwefen, so wie ich höre, daß es jetzt getrieben wird, will mir gar nicht zu Kopfe. Eine Kasse haben; Kapitale machen; diese Kapitale belegen; sie auf den besten Pfennig zu benutzen suchen; sich aukaufen wollen; von Köni­ gen und Fürsten sich Privilegien geben lassen; daß Ansehu und die Gewalt 'derselben zu Unterdrückung der Brüder anwenden, die einer andern Observanz sind, als der, die rngn so gern zum Wesen der Sache machen möchte — Wenn das in die Länge gut geht! — Wie gepr will ich falsch prophezeitet haben! E r n st. Je nun! Was kaüu denn werden? Der Staat fährt jetzt nicht mehr so zu. Und zudem sind ja wohl unter den Personen, die seine Gesetze »rächen, oder handhaben, selbst schon zu viel Freiwaurer — Falk. Gut! Wenn sie glso auch von dem Staate nichts zu befürchten, haben , was derckst du, wird eine solche Verfassung für Einfluß auf sie selbst haben? Gerathen sie dadurch nicht offenbar wieder dahin, wovon sie sich losreißen wollten? Werden sie nicht aufhören zu seyn, was sie seyn wollen? — Ich weiß nicht, ob du mich ganz verstehst — Ernst. Rebe nur weiter! Falk. Zwar! — ja wohl — nichts dauert ewig — Vielleicht soll dieses eben der Weg seyn, den die Vorsicht ausersehen, dem ganzen jetzigen Schema der Freimaurerei em Ende zu mache« —

49 E r n st.

Schema der Freimaurerei ? Was nennst

du so? Schema? Falk. Nun! Schema, Hülle, Einkleidung. Ernst. Ich weiß noch nicht -?• Falk. Du wirst doch nicht glauben, daß die Freimaurer Freimaurerei gespielt? Ernst. Was ist nun das? Die Freimaurer nicht Freimaurerei gespielt? Falk. Mit andern Worten! Meinst du denn, daß das, was die Freimaurerei ist, immer Frei­ maurerei geheißen? — Aber sieh! Schon Mittag vorbei! Da kommen ja bereits meine Gäste! Du bleibst doch? Ernst. Ich wollte nicht, aber ich muß ja nun wohl, denn mich erwartet eine doppelte Sät­ tigung. Falk. Nur bei Tische, bitte ich, kein Wort

Lessittg'ö *15 2

Fünftes Gespräch. Ernst.

Endlich sind sie fort! —

O die Schwär­

zer ! — Und merktest du teM nicht, oder wolltest du denn nicht merken, daß der eine mit der Warze an dem Kinn — heiße er, wie er will! — ein Frei­ maurer ist? Er klopfte so oft an. Falk. Ich hörte ihn wohl. Zch merkte sogar ni seinen Reden, was dir wohl nicht so ausgefallen — Er ist von denen, die in Europa für die Ame­ rikaner fechten — Ernst. Das wäre nicht das Schlimmsten ihm. Falk. Und hat die Grille, daß der Kongreß eine Loge ist; daß da endlich die Freimaurerei ihr Reich mit gewaffneter Hand gründet. Ernst. Giebt es auch solche Träumer? F a l k. Es muß doch wohl. Ern st. Und woraus nimmst du diesen Wurm ihm ab? Falk. Aus einem Zuge, der dir auch schon einmal kenntlich werden wird. Ernst. Bei Gott! wenn ich wußte, daß ich mich in den Freimaurern gar so betrogen hätte! — Falt. Sey ohne Sorge. Der Freimaurer ev-

51 wartet ruhig den Aufgang der Sonne , und lädt die Lichter brennen, so lange sie wollen und können. — Die Lichter äuslöschen, mW weM sie auSgelöscht sind, erst wahnrehmeü, daß man die Stümpfe doch wieder anzünden, oder wohl gar andere Lichter wieder aufsteckeu nniß: das ist der Freimaurer Sache nicht. Ernst. Das denke ich auch. — Was Blut softer, ist gewiß kein Blut werth. Falk. Vortrefflich! — Nun frage, was du willst! Ich muß dir antworten. Ernst. So wird meines Fragens kein Ende seyn. Falk. Nur kannst du den Anfang nicht finden. E r n st. Verstand ich dich, oder verstand ich dich nicht, als wir unterbrochen wurden £ Wider­ sprichst du dir, oder widersprichst du dir nicht? — Denn allerdings, als du mir einmal sagtest: Die Freimaurerei sey immer gewesen, verstand ich es also, daß nicht allein ihr Wesen, sondern auch ihre gegenwärtige Verfassung sich von undenklichen Zeiten Herschreibe. Falk. Wenn es mit beiden einerlei Bewandtniß hatte l — Ihrem Wesen nach ist die Freimau­ rerei eben so alt, als die bürgerliche Gesellschaft. Beide konnten nicht anders als mit einander ent­ stehen. Wenn nicht gar die bürgerliche Gesell­ schaft nur ein Sprößling der Freimaurerei ist; denn die Flamme im Brennpunkte .ist auch Ausfluß der Sonne.

52

Ernst.

Auch mir schimmert daS so vor. — Falk. Es sey aber Mutter und Tochter, oder Schwester und Schwester; ihr beiderseitiges Schicksal hat immer wechselseitig in einander gewirkt. Wo sich die bürgerliche Gesellschaft befand, befand sich aller Orten auch die Freimaurerei, und so umge­ kehrt. Es war immer das sicherste Kennzeichen einer gesunden, nervösen Staatsverfassung, wenn sich die Freimaurerei neben ihr blicken ließ; so wie es noch jetzt das unfehlbare Merkmal eines schwachen, furcht­ samen Staats ist, wenn er das nicht öffentlich dul­ den will, was er in Geheim doch dulden muß, er

mag wollen oder nicht. Ernst. Zu verstehen: die Freimaurerei! Falk. Sicherlich! — Denn die beruht im Grunde nicht auf äußerlichen Verbindungen, die so leicht in bürgerliche Anordnungen ausarten; sondern auf dem Gefühl gemeinschaftlich sympathifirender Geister. E r n st. Und wer unterfängt sich, denen zu ge­ bieten ! Falk. Indeß hat fteilich die Freimaurerei im­ mer und aller Orten sich nach der bürgerlichen Ge­ sellschaft schmiegen und biegen müssen; denn diese war stets die stärkere. So mancherlei die bürger­ liche Gesellschaft gewesen, so mancherlei Formen hat auch die Freimaurerei anzunehmen, sich nicht ent­ brechen können; nur hatte jede neue Form, wie natürlich, ihren neuen Namen. Wie kannst du

53 glauben,

daß der Name Freimaurerei älter seyn

werde, als diejenige herrschende Denkungsart der Staaten, nach der sie genau abgewogen worden? Ernst. Und welches ist diese herrschende Den­ kungsart? Falk. Das bleibt deiner eigenen Nachfor-schung überlassen. — Genug, wenn ich dir sage, daß der Name Freimaurer, ein Glied unserer ge­ heimen Verbrüderung anzuzeigen, vor dem Anfänge dieses laufenden Jahrhunderts nie gehört worden. Er kommt zuverlässig vor dieser Zeit in keinem ge­ druckten Buche vor, und den will ich sehen, der mir ihn auch nur in einer geschriebenen ältern Ur­ kunde zeigen will. Errrst. DaS heißt: den deutschen Namen. Falk. Nein, nein! auch das ursprüngliche Free -Mason, so wie alle darnach gemodelte Über­ setzungen,^ in welcher Sprache es auch seyn mag. E r n st. Nicht doch I — Besinne dich. — In keinem gedruckten Buche- vor dem Anfänge des lau­ fenden Jahrhunderts? In keinem? Falk. In keinem. Ern st. Gleichwohl habe ich selbst — Kalk. So? — Ist auch dir von dem Staube etwas in die Augen geflogen, den man um sich zu werfen noch nicht aufhört? Ernst. Aber doch die Stelle in Falk. In der Londinopoliö? Nicht wahr? — Staub!

54 Ernst. Und die Parlamentsakte unter Hein­ rich dem Sechsten? Falk. Staub! Ernst. Und die großen Privilegia, die Karl der Eilste, König von Schweden, der Loge von Gothendurg ertheilte? Falk. Staub i Ernst. Und Locke? Falk. Und was für ein Locke? Ernst. Der Philosoph. — Sein Schreiben an den Grasen, von Pembrock; ferne Anmerkungen über ein Verhör, von Heinrich des Sechsten eigener Hand geschrieben? Falk. Das muß ja wohl ein ganz neuer Fund seyn; den kenne ich nicht — Aber wieder Heinrich der Sechste ? —, Staub! und nichts als Staub! Ernst. Nimmermehr! Falk. Weißt du einen gelindern Namen für Wortverdrehungen, - für untergeschobene Urkunden ? ' Ernst. Und das hatten sie so lange vor den Augen der Welt ungerügt treiben dürfen? Falk. Warum nicht? Der Klugen sind viel zu wenig, als daß sie allen Geckereien, gleich bet ihrem

Entstehen, widersprechen könnten. Genug, daß bet ihnen keine Verjährung Statt findet. — Freilich wäre es besser, wenn man vor dem Publiko ganz und gar keine Geckereien unternähme; denn gerade das Verächtlichste ist, daß sich niemand die Mühe nimmt, sich ihnen entgegen zu stellen, wodurch sie

55 mit dem Laufe der Aeit das Anfthrr einer sehr ernsthasten, heiligen Sache gewinnen. Da heißt es dann über tausend Jahre: /J? Würde yran denrr so in die Welt Haven schreiben dürft», wenn es nicht wahr gewesen wäre? Man hat diesen glaubwürdigen Män­ nern damals nicht widersprochen, und Ihr wollt

Ihnen jetzt widersprechen?" Ernst. O Geschichte! O Geschichte; Was bist tu? Falk. Andersons kahle Rhapsodie,. in welcher die Historie der Baukunst für die Historie des Or­ dens untergeschoben wird, möchte noch hingehen! Für einmal, und für damals mochte das gut seyn. — Dazu war die Gaukelei so handgreiflich. — Aber daß man noch jetzt uif diesem morastigen Grunde fortbauet; daß man noch immer gedruckt behaup­ ten will, was man mündlich gegen einen ernst­ haften Mann vorzugeben sich schämt; daß man zu Fortsetzung eines Scherzes, den man langst hatte sollen fallen lassen, sich eine forgery erlaubt, auf toclcf>e, wenn sie ein nichtswürdiges bürgerliches In­ teresse betrifft, die pillory steht — Ernst. Wenn es denn nun aber wahr wäre, daß hier mehr als Wortspiel vorwaltete? .Wenn es nun wahr wäre, daß das Geheimniß des Ordens sich von Alters her unter dem homonymen Hand­ werke vornämlich erhalten hätte? — Falk. Wenn es wahr wäre? E r n st. Und muß ei. nicht wahr seyn? — Denn

56 wie Anne der Orden sonst dazu, die Symbole eben dieses Handwerks zu entlehnen? Eben dieses? Und warum keines andern? Falk. Die Frage ist allerdings verfänglich. Ernst. Ein solcher Umstand muß doch eine Ursache habe»? Falk. Und halste. Ernst. Und hat fie? Und hat eine andere Ursache, als jene vermeinte? Falk. Eine ganz andere. Ernst. Soll ich rathen, oder darf ich fragen? F.a l k. Wenn du mir schon eher eine ganz an­ dere Frage gethan hättest, die ich längst erwarten mußte, so würde dir das Rathen nun nicht schwer fallen. Ernst. Eine andere Frage, die du längst hättest erwarten müssen? — Falk. Denn, wenn ich dir sagte, daß das, was Freimaurerei ist, nicht immer Freimaurerei ge­ heißen , was war natürlicher und näher — Ernst. Als zu fragen, wie cs sonst geheißen? — ja wohl! — So frage ich es denn nun. Falk. Wie die Freimaurerei geheißen, ehe fie Freimaurerei hieß, fragst du? — Masoney. — Ernst. Nun ja freilich! Masomy auf Englisch.— Äuf Englisch nicht Masomy, sondern Nicht von Mason, der Maurer, son­ dern von Mase, der Tisch, die Tafel. Ernst. Mase, der Tisch < in welcher Sprache?

Falk.

Masony. —

57 Falk. In der Sprache der Angelsachsen; doch nicht in dieser allein, sondern auch in der Sprache der Gothen und Franken, folglich ein ursprünglich deutsches Wort, von welchem noch jetzt so mancher­ lei Abstammungen. Mich sind, oder doch unlängst üblich waxen, als: Maskopie, Masleidig, Masgenosse. Selbst Masoney war zu Luthers Zeiten noch häufig im Gebrauche; nur daß es seine gute Bedeutung ein wenig verschlimmert hatte. Ernst. Ich weiß weder von seiner guten, noch von seiner verschlimmerten Bedeutung. Falk. Aber die Sitte unserer Vorfahren weißt du doch, auch die wichtigsten Dinge am Tische zu überlegen? — Mase also der Tisch, und Ma­ ss ney eine geschlossene Tischgesellschaft. Und wie aus einer geschlossenen, vertrauten Tischgesellschaft ein Saufgelag worden, in welchem Verstände Agrikola das Wort Masoney braucht, kannst du leicht

abnehmen. Ernst. Wäre es dem Namen Loge vor ei­ niger Zeit bald besser gegangen? Falk. Vorher aber, ehe die Masoneyen zum Theil so ausarteten, und in der guten Meinung des Publikums so herabkamen, standen sie in tyfto größerm Ansehn. Es war kein Hof in Deutschland, weder klein noch groß, der nicht seine Masoney hatte. Die alten Lieder- und Geschichtsbücher sind davon Zeugen. Eigene Gebäude, die mit den Schlössern und Pallästen der regierenden Herren verbunden oder

58 benachbart waren- hatten von ihnen ihre Benennung, von der man neuerer Zeit so manche ungegrnndete Auslegung hat. — Und was brauche ich dir zu ihrem Ruhme mehr zu sagen, als daß die Gesell-schäft der runden Lasel die erste und älteste Masoney war, von der sie tnsgesarrrmt abstammen? Ernst. Der runden Lafeb? das steigt in ein sehr fabelhaftes Alterthum hinauf. — Falk. Die Geschichte des Königs Arthur

sey so fabelhaft als sie will; die runde LafeL ist so fabelhaft nicht. Ern st. Arthur soll doch der Stifter derselben gewesen seyn. Falk. Mit nichten!

Auch nicht einmal der

Fabel nach. — Arthur, oder sein Vater, hatte sie von den Angelsachsen angenommen, wie schon der Name Masoney' vermuthen läßt. Und- was versteht sich mehr von selbst , als daß die Angelsachsen seins Sitten nach England hinüberbrachten', dir fie in ihrem Vaterlands nicht zurückließeni Auch sieht man es an mehreren deutschen Völkern damaliger Zeit, daß der Lang, in und neben der großen bür­ gerlichen Gesellschaft, kleinere vertraute Gesellschaf­ ten zu machen, ihnen eigen war. Ernst. Hiermit meinst du? — Falk. Alles, was ich dir jetzt nur flüchtig und vielleicht nicht mit der gehörigen PräcP'on sage, mache ich mich anheiscnig, das nächstemal, daß ich wich mit dir in der Stadt unter meinen Büchern

59 befinde, schwarz auf weiß zu belegrn. — Höre mich jetzt nur, wie man das erste Gerücht irgend einer großen Begebenheit hört. Es reitzf die Neugierde

mehr, als daß es ste befriedigt. Ernst. Wo bleibst du? F a'l k. Die Mafoney also war eine deutsche Sitte, welche die Sachsen nach England verpflanz­ ten. Die Gelehrten sind uneinig, wer die M » se Thonas unter ihnen waren: allem Ansehn nach die Edlen der Masoney, welche so Liefe Wurzeln in diesem neuen Boden schlug, daß sie unter allen nachfolgenden Staatsveränderungen beiblieb^ und sich von Zeit zu Zeit iy der herrlichsten Bliithe zeigte. Besonders waren die Masoneyen der * * * iju zwölf­ ten Zahrhmldett und im dreizehnten in. sehr großem Rufe. Und sö eine *** Masoney war es, die sich, bis zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, trotz der Aufhebung des Ordens, mitten in London er­ halten hatte. — Und hier fängt die Zeit an, wo die Fingerzeige der niedergeschriebenen Historie stets lich ermangeln. Aber eine sorgfältig aufbewahrte Tradition, die so viele Merkmale der Wahrheit hat, ist bereit, triefen Mangel zu ersetzen. Ernst.' Und was hindert diese Tradition, end­ lich eiuttckl durch schriftliche Vorzeigungen sich zur Geschichte zu erheben? Falk. Hindert? Nichts hindert! Alles rath vielmehr dazu an. — Wenigstens fühle M, ich fühle mich berechngt, ja verpflichtet, dir und Allen,

60 welche sich mit dir in dem nämlichen Falle befinden, Länger kein Geheimniß daraus zu machen. Ernst. Nun denn! — Ich bin in der äußer­ sten Erwartung. Falk. Jene * * * Masoney also, die noch zu Ausgang des vorigen Jahrhunderts in London be­ stand, aber in aller Stille bestand, hatte ihr Wersawmlungshaus unfern der Samt Paulskirche, die damals neu erbauet ward. Der Baumeister dieser zweiten Kirche der ganzen Welt war — Ernst. Christoph Wren — Falk. Und du hast den Schöpfer der ganzen heutigen Freimaurerei genannt. — E r n st. Ihn? Falk. Kurz! Wren, der Baumeister der Samt Paulskirche, in deren Nähe sich eine uralte Masouey, von undenkliche Jahren her, versammelte, war ein Mitglied dieser Masoney, welche er die dreißig Jahre über, die der Bau dauerte, um so öfter besuchte. Ernst. Ich fange an, ein Mißverständniß zu Zwittern.

Falk. Nichts anders! Die wahre Bedeutung des Worts Masoney war bei dem englischen Wolke vergessen, verloren. — Eine Masony, die in der Nähe eines so wichtigen Baues lag, in der sich der Meister dieses Baues so fleißig finden ließ, was kaun die anders seyn, als eine MLasonry, als eine Gesellschaft von Bauverstaudigen, mit welchen Wren die vorfallenden Schwierigkeiten überlegt? —

61 Ernst. Natürlich genug! Falk. Die Fortsetzung eines solchen Baues einer solchen Kirche intereffirte ganz London. Um Nachrichten davon aus der ersten Hand zu haben, bewarb sich jeder, der einige Kenntnisse von Bau­ kunst zu haben vermeinte, um Zutritt zu der ver­ meinten Masonry — und bewarb sich vergebens. Endlich — du kennst Christoph Wren, nicht bloß dem Namen nach, du weißt, welch ein ersindsamer, thätiger Kopf er war. Er hatte ehedem den Plan zu einer Societät der Wissenschaften ent­ werfen helfen, welche spefulativische Wahr­ heiten gemeinnütziger, und dem bürger­ lichen Leben ersprießlicher machen sollte. Auf einmal fiel ym das Gegenbild einer Gesellschaft bei, welche sich von der Praxis des bür­ gerlichen Lebens zur Spekulation erhöbe. „Dort," dachte er, „würde untersucht, was unter dem Wahren brauchbar; und hier, was unter dem Brauchbaren wahr wäre. Wie, wenn ich einige Grundsätze der Masoney exoterisch machte? Wie, wenn ich das, was sich nicht exoterisch machen läßt, unter die Hieroglyphen und Symbole desselben Hand­ werks versteckte, und was man jetzt unter dem Worte Masonry versteht, zu einer Free - Masonry erwei­ terte, an welcher Mehrere Theil nehmen könnten?" — So dachte Wren, und die Freimaurerei ward — Ernst! Wie ist dirs Ernst. Wie einem Geblendeten.

G>

Falk. Geht dir nun einiges Sicht auf? Ernst. Einiges? Au viel auf einmal. Falk. Begreifst du nun — E r n st. Ich bitte dich, Freund, nichts mehr! — Aber hast du nicht bald Verrichtungen in der Stadt? Fatk. Wünschest du mich da? Ernst. Wünsche? — nachdem du mir ver­ sprochen — Falk. So hab ich der Verrichtungen daselbst genug — Noch einmal! ich w^rde mich Uder man­ ches aus dem Gedächtnisse zu schwankend, zu unbe­ friedigend ausgedriickt haben — Anter meinen Bü­ chern sollst du sehen und greifen — Die Sonne gehl' unter, du must in die Stadt. Lebe wohl! — Ern st.' Eine andere ging mir auf. Lebe wohl!

Nachricht. Em sechstes Gespräch, welches unter diesen Freunden verfiel, ist nicht so nach^ibllden. 20?er das Wesentliche davon ist zu kritischen Anmerkungen über das fünfte -Ge­ brach bestimmt, die man zur Aeit noch zurückhalt.

II,

Pope, ein

Metaphysiker. 1 7 5 5.

Vorgericht. Alan roiivDe es nur vergebens leugnen wollen, daß gegenwärtige Abhandlung durch die neuliche Aufgabe der Kvnigl. Preußischen Akademie der Wissenschaften veranlaßt worden; und daher hat man auch diese Veranlassung selbst nirgends zu verstecken gesucht. Allein, wenn der Leser deßwegen an eine Schöne denken wollte, die sich aus Verdruß dem Publiko Preis giebt, weil sie den Bräutigam, um welchen sie mit ihren Gespielinnen getanzt, nicht erhalten; so würde er ganz gewiß an eine falsche Vergleichung denken. Die akademischen Richter werden es am

64 besten wissen, daß ihnen diese Schrift keine Mühe gemacht hat. Es fanden sich Umstände, welche die Einschickung derselben verhinderten, die -aber ihrer Bekanntmachung durch den Truck nicht zuwider sind. Nur einen von diesen Umständen zu nennen - - Sie hat zwei Verfasser, und hatte daher unter keinem andern Sinnspruche erscheinen können, als unter diesem: Compnlerant greges Corydon et Thyrsis in nimm.

Gesetzt NUN, sie wäre gekrönt worden! Was für Streitigkeit würde unter den Urhebern entstünden seyn! Und diese wollten gern keine unter sich haben.

Aufgabe. Akademie verlangt eine Untersuchung des Po­ pischen Systems, welches in dem Satze. Alles ist gut, enthalten ist. Und zwar so, daß man Erstlich den wahren Sinn dieses Satzes, der Hypothese seines Urhebers gemäß, bestimme. Zweitens ihn mit dem System des Opti­ mismus, oder der Wahl des Besten, genau ver­ gleiche; und Drittens die Gründe anfuhre, warum dieses Popische System entweder zu behaupten oder zu ver­ werfen sey.

66

AJu Akademie verlangt eine Untersuchung des PvPischen Systems, welches ^inbem Satze: Alles ist gut, enthalten ist. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich gleich An­ fangs gestehen muß, daß mir die Art, mit welcher diese Aufgabe außgedrückt worden, nicht die beste zu seyn scheint. Da Thales, Plato, Chrysippus, .Leibnitz und Spinoza, und unzählige An­ dere, einmiithig bekennen: es sey Alles gut; so müssen in diesen Worten entweder alle Systemata, oder es muß keines darin enthalten seyn. Sie sind der Schluß, welchen jeder aus seinem besondern Lehr­ gebäude gezogen hat, und der vielleicht noch aus hundert anderen wird gezogen werden. Sie sind das Bekenntniß derer, welche ohne Lehrgebäude philosophtrt haben. Wollte man sie zu einem Kanon machen, nach welchem alle dahin einschlagende Fra­ gen zu entscheiden waren; so würde mehr Bequem­ lichkeit als Verstand dabei seyn. Gott hat es so haben wollen, und weil e^ es so hat ha­ ben wollen, muß es gut seyn: ist wahrhaftig eine sehr leichte Antwort, mit welcher man nie auf dem Trocknen bietst. Man wird damit abgewiesen, aber nicht erleuchtet. Sie ist das beträchtlichste Stück

67^ der Weltweisheit der Faulen; denn was ist fauler, als sich bei einer jeden Natikrbegebenheit auf den Willen Gottes zu berufen, bhne zu überlegen, ob der vorhübende Fall auch em Gegenstand des gött­ lichen -Willens habe ftyn können? Wenn ich also glauben kennte, der Concipient der akademischen Aufgabe habe schlechterdings in den Worten: .Alles ist gut, ein System zu finden verlangt; so würde ich billig fragen, ob er auch das Wort System in bet strengen Bedeutung nehme, die es eigentlich haben soll ? Allein er kann mit Recht begehren, daß man sich mehr an seinen Sinn, als an seine Worte halte. Besonders alsdann, wenn der wahre Sinn, der falschen Worte ungeachtet, durchstrahlet, wie es hier in der nähern Bestimmung des Satzes hinlänglich geschieht. Diesem zu Felge stelle ich mir also vor, die Akademie verlange eine Untersuchung desjenigen Sy­ stems, welches Pope erfunden oder angenommen habe, um die Wahrheit: daß Alles gut sey, dadurch zu erhärten, oder daraus herzuleiten, oder wie man sonst sagen will. Nur muß man nicht sagen, daß das System in diesen Worten liegen solle. Es liegt nicht eigentlicher dann, als die Prä­ missen in einer Conclusion liegen, deren zu eben der­ selben eine unendliche Menge seyn können.

-Vielleicht wird man es mir verdenken, daß ich mich bet dieser Kleinigkeit' aufgehalten habe^--------

68 Zur Sache also! Eine Untersuchung des Popischen Systems-------Ich habe nicht darüber nachdenken können, ohne mich vorher mit einem ziemlichen Erstaunen befragt zu haben: wer ist Pope?-------------- Ein Dichter -------------- Ein Dichter? Was macht Saul unter -en Propheten? Was macht ein Dichter unter den Metaphysikern? Doch ein Dichter braucht nicht allezeit ein Dich­ ter zu seyn. Ich sehe keinen Widerspruch, daß er nicht auch ein Philosoph seyn könne. Ebenderselbe, welcher in dem Frühlinge seines Lebens unter Lie­ besgöttern und Grazien, unter Musen und Faunen, mit dem Thyrsus in der Hand, hernmgeschwärmt; ebenderselbe kann sich ja leicht in dem reifen Herbste seiner Jahre in den philosophischen Mantel einhüllen, und jugendlichen Scherz mit männlichem Ernst ab­ wechseln lassen. Diese Veränderung ist der Art, wie sich die Kräfte unserer Seele entwickeln, gemäß genug. Doch eine andere Frage machte diese Ausflucht zu nichte. — Wann? Wo hat Pope den Me­ taphysiker gespielt , den ich ihm nicht zutraue? :-------Eben, als er seine Stärke in der Dichtkunst am meisten zeigte. In einem Gedichte. In einem Ge­ dichte also, und zwar in einem Gedichte, das diesen Namen nach aller Strenge verdient, hat er ein System aufgeführt, welches eine ganze Akademie der Untersuchung werth erkennt ? So sind also bei

69 ihm der Poet und der strenge Philosoph — — strenger aber als der systematische kann keiner seyn — — nicht zwei mit einander abwechselnde Gestal­ ten , sondern er ist beides zugleich; er ist das eine, indem er das andere ist. Dieses wollte mir 'schwer ein-------- Gleichwohl suchte ich mich auf alle Art davon zu überzeugen. Und endlich behielten folgende Gedanken Platz, die ich eine Vorläufige Untersuchung,

Ob ein Dichter, als ein Dichter, ein System haben könne? nennen will. Hier hätte ich vielleicht Gelegenheit, eine Er­ klärung des Worts System voraus zu schicken. Doch ich bleibe bei der Bescheidenheit, die ich schon oben verrathen habe. Es ist so ungeziemend, als unnöthig, einer Versammlung von Philosophen, das ist, einer Versammlung systematischer Köpfe, zu sagen, was ein System sey. Kaum, daß es sich schickte, ihr zu sagen, was ein Gedicht sey; wenn dieses Wort nicht auf so ver­ schiedene Art erklärt worden wäre, und ich nicht zeigen müßte, welche ich zu meiner Untersuchung für dre bequemste halte. Ein Gedicht ist eine vollkommene sinnliche Rede. Man weiß, wie vieles die Worte vollkommen und sinnlich m sich fassen, und wie sehr diese

70^

Erklärung allen andern vvrgezogerr zu werden ver­ dient, wenn man von der Natur der Poesie weniger seicht urtheilen will. Ein System also und eine sinnliche Rede. — Noch fallt der Widerspruch dieser zwei Dinge nickt deutlich genug in die Augen. Ich werde mich auf den besondern Fall eiuschließen müssen, auf welchen es eben' hier anlornrnt; und für das System über­ haupt, ein metaphysisches setzen.. Ein System metaphysischer Wahrheiten also, und eine sinnliche Rede, beides in einem -------- Ob diese wohl einander aufreibend Was muß der Metaphysiker "vor allen Dingen

-thun?-------- Er muß die Worte, die er brauchen wrll, erklären; er muß sie nie in einem andern Verstände, als in dem erklärten anwenden; er muß sie mit keinen, dem Scheine nach gleichgültigen ver­ wechseln. Welches von diesen beobachtet der Dichter? Keines. Schon der Wohlklang ist ihm eine hinläng­ liche Ursache, einen Ausdruck für den andern zu wählen, und die Abwechselung synonymischer Worte ist ihm eine Schönheit. Man frige hierzu den Gebrauch der Figuren — Und worin besteht das Wesen derselben? — — Darin, daß sie nie bei der strengen Wahrheit bleiben; daß sie bald zu viel und bald zu wenig sagen-------Nur einem Metaphysiker von der Gattung eines Böhmens kann man sie verzeihen.

71 Und die Ordnung des Metaphysikers 1 — — Er geht, in beständigen Schlüssen, immer von dem Leichtern zu dem Schwerern fort; er mmM sich nichts vorweg; er holt nichts nach.- Wenn'mau die Wahr­ heiten auf eine sinnliche Art auseinander könnte wachsen sehen: so würde ihr Wachsthum eben die­ selben Staffeln beobachten, die er uns in der Über­ zeugung von derselben hinauf gehen läßt. Allein Ordnung! Was hat der Dichter damit zu thun? Und noch dazu eine so sklavische Ordnung. Nichts ist der Begeisterung eines wahren Dichters me.)r zuwider. Man würde mich schwerlich diese kaum berühr­ ten Gedanken weiter ausführen lassen, ohne mir die Erfahrung entgegen zu setzen. Mein auch die Ekfahrrurg ist arrf meiner Seite. Sollte man mich also fragen, ob ich den L u c r e z kenne; ob ich wisse, daß seine Poesie das System des Epikurs enthalte? Sollte man mir andere seines Gleichen anführen; so würde ich ganz zuversichtlich antworten: Lncrez und seines Gleichen sind Wersmacher, aber keine Dichter. Ich leugne nicht, daß man ein System in ein Sylbenmaaß, oder auch in Reime bringen könne; sondern rch leugne, daß dieses tu ein Sylbenmaaß oder in Reime gebrachte System em Gedreht sevn werde. — •*— Man erinnere sich nur, was ich unter einem Gedichte verstehe; und was alles^in dem Be­ griffe einer sinnlichen Rede liegt. Er-wird schwer­ lich in seinem ganzen Umfange auf die Poesie irgend

72

eines Dichters eigentlicher auzuwenden seyn, als auf dre Popische. Der Philosoph, welcher auf den Parnaß hin­ aufsteigt, und der Dichter, welcher sich in dieÄhäler der ernsthaften und ruhigen Weisheit Hinabbegeben will, treffen einander gleich mtf dem halben Wege, wo sie, so zu reden, ihre Kleidung verwechseln und wieder zuriickgchen. Jeder bringt des andern Ge­ stalt in seine Wohnungen mit sich; weiter aber auch nichts, als die Gestalt. Der Dichter ist ein philo­ sophischer Dichter, und der Weltwerse ein poetischer Weltweise geworden. Mein ein philosophischer Dich­ ter ist darum noch kein Philosoph, und.ein poetischer WelLweise ist darum noch kein Poet. Aber so sind die Engländer. Ihre grossen Gei­ ster sollen immer dre größten, und ihre seltnen Köpfe sollen immer Wunder seyn. Es schien ihnen nicht Ruhms genug, Popen den vortrefflichsten philoso­ phischen Dichter zu nennen. Sie wollen, daß er ein eben so großer Philosoph als Poet sey. Das ist: sie wollen das Unmögliche, oder sie wollen Popen als Poet mn ein großes erniedrigen. Doch das letztere wollen sie gewiß nicht z sie wollen also

das erstere. Bisher habe ich gezeigt,-------- wenigstens zeigen wollen — — daß ein Dichter, als Dichter, kein System machen könne. Nunmehr will ich zeigen, daß er auch keins machen will; gesetzt auch, er könnte; gesetzt auch, meine Schwierigkeiten involvirten

73^

keine Unmöglichkeit, und sein Genie-gäbe ihm Mittel an die Hand, sie glücklich zu übersteigen. Ich will mich gleich an Popen selbst,halten. Sein Gedicht sollte,-Lern unfruchtbarer AusammenhanA von Wahrheiten seyn. Er nennt es selbst ein moralisches Gedicht, in welchem er die Wege Gottes in Ansehung der Menschen rechtfertigen wolle. Er suchte mehr einen lebhaften Eindruck, als eine tief­ sinnige Überzeugung — — Was mußte er wohl also in dieser Absicht thun? Er mußte, ohne Zwei­

fel , alle dahin einschlagenden Wahrheiten in ihrem schönsten und stärksten Lichte seinen Lesern darstellen. Nun überlege man, daß in einem System nicht alle Theile von gleicher Deutlichkeit seyn können. Einige Wahrheiten desselben ergeben »sich sogleich aus

dem Grundsätze; andere sind mit gehäuften Schlüssen daraus herzuleiten. Doch diese letzten können in einem andern System die deutlichsten seyn, in wel­ chem jene erstem vielleicht die dunkelsten find. Der Philosoph macht sich aus'd'ser kleinen Un­ bequemlichkeit der Systeme nichts. Die Wahrheit, die er durch einen Schluß erlangt, ist ihm darum nicht mehr Wahrheit, als die, zu welcher er nicht anders als durch zwanzig Schlüsse gelangen kauu; wenn diese zwanzig«Schlüsse nur untrüglich sind. Genug, daß er alles in einen Zusammenhang ge­ bracht hat; genug, daß er diesen Zusammenhang mit einem Blicke als ein Ganzes zu übersehen vermag, Lessing's W. 2, Bd. 4

74 ohne sich bei den fernen Verbindungen desselben aufzuhalten.

Mein ganz anders denkt der Dichter. Alles, was er sagt, soll gleich starken Eindruck machen; alle seine Wahrheiten sollen gleich überzeugend rühren. Und dieses zu können, hat er kein andres Mittel, als diese Wahrheit nach diesem System, und jene nach einem andern auszudrncken.-------- Er spricht mit dem Epikur, wo er die Wollust erheben will, und mit der Stoa, wo er die Tugend preisen soll. Die Wollust würde in derr Versen eines Seneka, wenn er überall genau bei seinen Grundsätzen bleiben wollte, einen sehr traurigen Aufzug machen; eben so gewiß, als die Lugend, in den Liedern eines sich immer gleichen Epikuräers, ziemlich das Wsehn einer Metze

haben würde. Jedoch ich will den Einwendungen Platz geben, die man hierwieder machen könnte. Ich will mir es gefallen lassen; Pope mag eine Ausnahme seyn. Er mag Geschicklichkeit und Willen genug besessen haben, in seinem Gedichte, wo nicht ein System völlig zu entwerfen, wenigstens mit den Fingern auf ein gewisses zu zeigen. Er mag sich nur auf diejenigen Wahrheiten eiugeschränkt haben, die sich nach diesem System sinrrlich vertragen lassen. Er mag die übrigen um so viel eher übergangen seyn, da es ohnedres die Pflicht eines Dichters nicht

ist, alles zu erschöpfen.

75 Wohl! Es muß sich ausweisen; und es wird sich nicht besser ausweisen können, als wenn ich mich genau an die von der Akademie vorgeschriebenen Punkte halte. Diese«' gemäß witb meine Abhand­ lung aus drei Abschnitten bestehen, welchen ich zuletzt einige historisch kritische Anmerkungen beifügen will.

76

Erster Abschnitt.

Sammlung derjenigen Sätze, in welchen das Pvpische System liegen müßte. SD^an darf drese Sätze fast nirgends anders als m dem ganzen ersten Briefe, und in dem vierten, hin und wieder, suchen. ' Ich habe keinen einzigen übergangen, der nur in etwas eine systematische Mine machte, und ich zweifle, ob man außer folgenden Dreizehn noch einen antreffen wird, welcher in dieser Absicht in Betrachtung gezogen zu werden verdiente. Die Ordnung, nach welcher ich sie hersetzen will, ist nicht die Ordnung, welcher Pope in dem Dor­ trage gefolgt ist. Sondern es ist die, welcher Pope im Denken muß gefolgt seyn; wenn er anders einer

gefolgt ist. Erster Satz. Don allen möglichen Systemen muß Gott das beste

geschaffen haben. Dieser Satz gehört Popen nicht eigenthümlich zu; vielmehr zergen seine Worte deutlich genug, daß

er ihn als ausgemacht entnimmt, Andern entlehnt.

und. von einem

77 4. Br. Z. 43.44. Of Systems possible, if ’tis canfest, That Wisdom infinite must form the best, etc. Das ist: wenn man zugestehen muß, daß eine unendliche Weisheit auS allen möglichen Systemen das beste erschaffen müsse. Wenn kann hier keine Ungewißheit an­ zeigen; sondern, weil er seine übrigen Sätze miß dieser Bedingung folgert, so muß es hier eben das seyn, als wenn er gesagt hätte: da man noth­ wendig gestehen muß, rc.

Zweiter Satz. In diesem besten System muß alles Zusammen­ hängen, wenn nicht alles in einander fallen sott.

1. Br. Z. 45. Where all must fall, or all coherent be. In dem gemeinen Exemplare, welches ich vor mir habe, heißt die letzte Hälfte dieser Zeile: or not coherent be. Ich vermuthe nicht ohne Grund, daß es anstatt not, all heißen müsse. Gesetzt aber, Pop^e hat wirklrch not geschrieben, so kann doch auch alsdann kein anderer Sinn darin liegen, als der, welch ess ich in dem Satze ausgedrückt habe.-----Es kommt hier nur noch darauf an, was Pope unter dem Zusammenhänge in der Welt verstehe. Er erklärt sich zwar nicht ausdrücklich darüber; ver­ schiedene Stetten aber zeigen, daß er diejenige Ein-

^78 richtung darunter verstehe, nach welcher alle Grape der Vollkommenheit in der Welt besetzt wate«v ohne daß irgendwo eine Lücke anzutreffeu sey. Er sicht

daher zu den angeführten Worten hinzu (A. 46.) and all that rises, rise in due degree, d. h. mit dem Vorhergehenden zusammen genommen: Es muß Alles in einander fallen, oder Alles zrrfamnrenhangen, und was^ sich erhebt, muß sich in dem gebührenden Grade erheben. Folglich findet er den Ausammenhang darin, daß fich alles stufenweise in der Welt erhebe. Und ferne sagt er: (3.233.) wenn einige Wesen vollkommen werden sollen, so müssen entweder die niedrigern Wesen an ihre Stelle rücken, oder es muß in der vollen Schöpfung eine Lücke bleiben, da alsdann die ganze Leiter zerrüttet werden müßte, sobald nur eine einzige Stufe zerbrochen wird. Each System in gradation roll: (Z. 239.) Ein jedes System geht stufenweise fort; sagt über­ haupt eben dieses. Und eben diese allmälige Degra­ dation nennt er die große Kette, welche sich von dem Unendlichen bis auf den Menschen, und von dem Menschen bis auf das Nichts erstrecke. (l.Dr. 3.232—236.) Folgende 3eilen aus dem vierten Briefe machen des Dichters Meinung vielleicht noch deut­ licher. (3* 47 und flgd.) Order is Heav'n’s great law; and tbis confest, ' Lome are and must be migbder thaii the test,

More rieh, more wise, etc.

79 Er nimmt also diese Einrichtung,

nach welcher

alle Grade der Vollkommenheit verschieden find, fiic

Luch ans den f-lgendM Sätzen

die Ordnung an.

wird man es sehen, daß er'mit dem Zusammenhänge

in der Wett keinen andern Begriff verknüpft,

als

den wir eben aus einander gesetzt haben. Dritter Satz. In der Kette von Leben und Empfindung müssen irgendwo solche Wesen, wie die Menschen sind, anzutreffen seyn.

I.Br. 3.47.48. — in the scale qf life and sense, ’tis plain,

There must be, SQmewhere, such a rank aß Man. Dieser Satz folgt unmittelbar aus dem vorher­ gehenden.

Denn sollen in der besten Wett alle Grade

der Vollkommenheit ihre Wirklichkeit erlangen; muß auch der Rang,

nicht leer bleiben.

so

der für den Menschen gehört,

Der Mensch hat also weder in

der besten Wett außbleiben, noch vollkommener geschWen werden sönnen. In beiden Fällen würde ein

Grad der Vollkommenheit nicht wirklich geworden, und daher kein Zusammenhang in der besten Wett gewesen seyn.

'

Man bedenke nunmehr,

wie wenig Popens

Schluß bindet, wenn wir den Zusammenhang in der

Welt anders erklärten, als es in dem vorigen Satze geschehen ist.

80 Of Systems possible, if ’tis öonfest, ^fhat Wisdom infinite must fofm the best, Where all etc. Then in thes cale of life and sense, ’tis plain, Th eie must be3 somewhere, such a rank aö Man. Aus keiner andern Ursache, sagt Pope, mußte ein solcher Rang, ein solcher Grad der Vollkommen­ heit, als der Mensch bekleidet, wirklich werden, als, weil in der besten Welt alles in einander fallen oder Zusammenhängen, und in einem gehörigen Grade sich erheben muß; das heißt, weil kein Rang unbesetzt bleiben darf. Besser hat Pope vermuthlich dem Einwurfe begegnen zu können, nicht geglaubt: warum so ein Wesen, wie der Mensch, erschaffen worden, oder warum er nicht vollkommener erschaffen worden? Auf pa^ letztere noch näher zre antworten, nimmt er (l.Br. 1.251 und flgd.) die Unveränderlichkeit der Wesen aller Dinge zu Hülfe, und sagt, daß dieses Verlangen eben so lächerlich sey, als jenes, wenn der Frist die Hand, die Hand der Kopf, und der Kopf mit seinen Simren nicht bloß das Werkzeug des Geistes zu seyn begehrten. Zn dem vierten Briefe (Z. 160.) drückt er sich hierüber noch stärker aus, wo er behauptet: die Frage, warum der Mensch nicht vollkommen erschaffen worden, wollte mit ver­ änderten Worten nichts anders sagen, als dieses: warum der Mensch nicht ern Gott, und die Erde

nicht ein Himmel sey
et And all that rises, rise in due degree, etc.

118 3.

King. p. in. 7'2. Opus erat in systemate niundji globo materiae soLdae, qualis est terra, et earn quasi rotae vicem habere credimus in magno hoc automato. Pope. Ep. I. v. 56. etc. So man, who here seems principal alone, Perhaps acts seco.njl to some sphere unkno n9 Touches some wheel, or v'erges tö some pole ; ’Tis but a part ive see, and not the whole.

4. King. p. m. 89. — Ouacdam ejusmodi facienda erant, cum Iqcus Ins ui opificio Dci restabat, factis tot alns, quot convcmebat. At optes alium tibi lpcunr et sortem cessisse; fortasse. Sed si tu altcrius locum occupasses, ille alter aut alius aliqnis in tui locum suflieiendus erat, qui simihter providentiae ckvinae ingratus , locum illum , quem jani occupasti, optatet. Scias igitur necessarium fuisse, ut aut sis, quod es, aut nullus. Occupatis enim ab aliis. omni alio loco et statu, quem systema aut natura renim ferebat, ant is, quem habeas , a te implendus, aut exulare te a rerum natura necesse est. An expectes enim, dejecto alio a statu suo, te ejus loco suffectum iri ? Id est, ut aliorum injuria mnnificentiam peculiarem et exsortem tibi Deus ex filteret.

119 Su spici en da ergo est divina bonitas, non culpanda, qua ut sis,(quod es» factum est. £Qec alitis nee inelior fieri potuißti sine alioruni aut ton ns damno. Den ganzen Inhalt dieser Worte wird man in

dem ersten Briefe des Pope wiederfinden; beson­ ders gegen die 157ste und 233ftc Zeile. Die Stellen selbst sind zu lang, sie ganz herzusetzen, und zum Theil sind sie auch bereits oben angeführt worden, wo von dem Pvpischen Begriffe der Ordnung, und der nothwendigen Stelle, die der Mensch in der Reihe der Dinge erhalten müssen, die Rede war. Was kann man niln zrr so offenbaren Beweisen, daß Pope den metaphysischen Theil ferner Materie

mehr zusammen geborgt, als gedacht habe, sagen? Und was wird man vollends sagen, wenn ich sogar zeige, daß er sich selbst nichts bessern bewußt zu fcrV scheint? — Man höre also, was er in einem Briefe an seinen Freund, den Dr. Swift schreibt. ' Pope hatte seinen Versuch Liber den Menschen ohne seinen Namen drucken lassen, und er kam Sw ist en in die Hände, ehe ihm Pope davon Nachricht geben konnte. S w ist las das Werk; allein er erkannte seinen Freund harrn nicht. Hierüber nun wundei t sich Pope und schreibt: ich sollte meinen, ob Sie mtcb gleich in dem ersten dieser V ersuche aus dem Gesichte verloren, daß S ie m ich doch in dem zwer'Len würden er-

120 sannt haben.*) Heißt dieses nicht ungefähr: ob Sie mir gleich die metaphysische Tiefsinnigkeit, die aus dem ersten Briefe hervorzuleuchten scheint/ nicht zutrauen dürfen; so hätten Sie doch wohl in den üorigen Briefen/ wo die Materie leichter und des poetischen Putzes fähiger wird, meine Art zu denken erkennen sollen?--------- Swift gesteht es in seiner Antwort auch tu der That, daß er Popen für keinen so großen Philosophey gehalten habe/ eben so wenig als sich Pope selbst dafür hielt. Denn würde er wohl sonst, gleich nach obiger Stelle, ge­ schrieben haben: Nur um eins bitte ich Sie; lachen Sie über meine Ernsthaftigkeit nicht, sondern erlaubet: Sie mir, den philosophischen Bartsolange zu tragen, dis ich ihn selbst auö rupfe und ein Äespött.e daraus mache.**) Das will viel sagen! Wie sehr sollte er sich also wundern, wenn er er­ fahren könnte, daß gleichwohl eine berühmte Aka­ demie diesen falschen Bart für werth erkannt habe, ernsthafte Untersuchungen darüber anzustelleu. ♦' T f incy, Ilio’ you lost siglil of ine in the first of 1hose Kssays , you saw mc in the Uik1. *•) J ha . e onlv oue prece of merry to bng ol von, do not laugh at my gravity, bul perinit to ine, to uear tke beard of a Piiilusopher, till 1 jmll if off and inak-e a fest of it imself. In einem Briefe an den l)r. Swlft, welcher in dem fiten Theile der topischen Werke, der Jfnrrtonfd)en Ausgabe von 17 52, auf der 254sten Seite sieht.

III. L a o k o o n, oder

über die Grenzen der Malerei und Poeste. rYzfl

xcu

tqottoi;

IIaout.

tt.

fitcufeqovdr. A&. Xtti«, II. rj xaia

Mit beiläufigen Erläuterungen verschtedeuer Punkte der

alten

Kunstgeschichte. 1.7 6 G.

Vorrede. /Der Ausdruck einer so großen Seele geht weit über die Bildung der schönen Ratnr. Der Künstler mußte die Stärke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem Marmor einprägte. Griechenland hatte Künstler und Weltweise in einer Person, und mehr als einen Metrodor. Die Weisheit reichte der Kunst die Hand, und blies den Figuren derselben mehr als gemeine Seelen ein, n. s. w." Die Bemerkung, welche hier zum Grunde liegt, daß der Schmerz sich in dem Gesichte des Laokvon mit derjenigen Wuth nicht zeige, welche man bei der Heftigkeit desselben vermuthen sollte, ist voll­ kommen richtig. Auch das ist unstreitig, daß eben hierin, wo ein Halbkenner den Künstler unter der Natur geblieben zu seyn, das wahre Pathetische des Schmerzes nicht erreicht zu haben, urtheilen dürste; daß, sage ich, eben hierin die Weisheit desselben

ganz besonders hervorleuchtet. Nur in dem Grunde, welchen Herr Winkel­ mann dieser Weisheit giebt, in der Allgemeinheit der Regel, die er aus diesem Grunde herleitet, w. ge ich es, anderer Meinung zu senn.

1 ?9 Ich bekenne, daß der mißbilligende Seitenblick, welchen er auf den Virgil wirst, mich zuerst stutzig gemacht hat; und nöchstdem die Vergleichung mit dem Philoktet. Von hier will ich ausgehen, und meine

Gedanken in eben der Ordnung niederschreiben, in

welcher sie sich bei mir entwickelt. „Laokoon leidet, wie des Sophokles Philoktet." -Wie leidet dieser? Es ist sonderbar, daß sein Leiden so verschiedene Eindrücke bei uns zurückgetassen. — Die Klagen, das Geschrei, die wilden Verwünschungen, mit welchen sein Schmerz das Lager erfüllte, und alle Opfer, alle heiligen Handlungen Hörte, erschollen nicht minder schrecklich durch das öde Eiland, 'und sie waren es, die ihn dahin verbannten. Welche Töne des Unmuthß, des Jammers, der Verzweiflung, von welchen auch der Dichter in der Nachahmung das Theater durchhallen ließ! — Man hat den dritten Aufzug dieses Stücks ungleich kürzer, als die übrigen gefunden. Hieraus sieht man, sagen die Kunstrichter,*) daß es den Alten um die gleiche Länge der Aufzuge wenig zu thun gewesen. Das glaube ich auch; aber ich wollte mich deßfatts lieber auf ein anderes Exempdl gründen, als auf dieses. Die jammervollen Aus­ rufungen, das Winseln, die abgebrochenen «, «, (f tv, juot l die ganzen Zeilen voller 7?cc>7tt, 7U471 a, attö welchen dieser Aufzug besteht, und die mit ganz anderen Dehnungen und Absetzungen deklamirt *) Brutnoy '1 lu us. des Grecs, T. II, y, SP.

werden mußten, als bei einer zusammenhängenden Nede^nöthig sind, haben in der Vorstellung diesen Aufzug ohne Zweifel ziemlich eben so lange dauern lassen, als die anderen. Er scheint dem Leser weit kürzer auf dem Papiere, als er den Zuhörern wird vorgekommen seyn. Schreien ist der natürliche Ausdruck des körper­ lichen Schmerzes. Homer's verwundete Krieger fallen nicht selten mit Geschrei zu Boden. Die ge-, ritzte Venus schreit laut; ♦) nicht, üm sie durch dieses Geschrei als die weichliche Göttinn der Wollust zu schildern, vielmehr um der leidenden Natur ihr Recht zu geben. Denn selbst der eherne Mars,' als er die Lanze des Diomedes fühlt, schreit so gräßlich, als schrieen zehn tausend wüthende Krieger zugleich, daß beide Heere sich entsetzen. **) So weit auch Homer sonst seine Helden über die menschliche Natur erhebt, so treu bleiben sie ihr doch stets, wenn es auf das Gefühl der Schmerzen mrd Beleidigungen, wenn es auf die Äußerungen

dieses Gefühls durch Schreien, oder durch Thränen, oder durch Scheltworts ankommt. Nach i^eu Thaten

sind es Geschöpfe höherer Art; nach ihren Empfin­ dungen wahre Menschen. Ich weiß es, wir feineren Europäer einer klügern Nachwelt wissen über unsern Mund und über unsere *) Ihad. E. f. 343. Ihad. E. v. 859.

* IT Js ^uya Ta/ovaa — x.T.X.

131

Augen besser zu herrschen. Höflichkeit lind Anstand­ verbieten Geschrei und Thränen» Die thätige Tapfer­ keit des ersten rarchen WeltalterS hat Ach bei uns in eine leidende verwandelt.. Doch selbst unsere Uralter« waren in dieser größer, als in jener. Aber unsere Urältern waren Barbaren. Alle Schmerzen verbeißen, dem Streiche des Todes mit unverwandtem Auge ent­ gegen sehen, unter den Bissen der Nattern lachend sterben, weder seine Sünde, noch den Verlust seines liebsten Freundes beweinen, find Jüge des alten Nordischen Heldenmuths.*) Palnatoko gab seinen Jomsburgern das Gesetz, nichts zu fürchten, und das Wort Furcht auch nicht einmal zu nennen. Nicht so der Grieche! Er fühlte und furchte sich; er äußerte seine Schmerzen und seinen Kummer; er schämte sich keiner der menschlichen Schwachheiten; keine mußte ihn aber auf dem Wege nach Ehre und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten. Was der dem Barbaren aus Wildheit und Verhärtung ent­ sprang , das wirkten bei ihm Grundsätze. Bei ihm war der Heroismus wie die verborgenen Funken im Kiesel, die ruhig schlafen, so lange keine äußere Ge­ walt fie weckt, und dem Steine weder seine Klarheit, noch seine Kälte nehmen. Bei dem Barbaren war der Heroismus eine helle fressende Flamme, die im­ mer tobte, und jede andere gute Eigenschaft in ihm *) Th Bartholinus de cansu« conteinptae a Danis adkue gentdibus niurUa , ( ap. J.

132 verzehrte, wenigstens schwärzte. — Wenn Homer die Trojaner mit wildem Geschrei, die Griechen hin­ gegen in entschlossener Stille zur Schlacht führt, so merken die Ausleger sehr wohl an, daß der Dichter hierdurch jene als Barbaren, diese als gesittete Völker schildern wollen. Mich wundert, daß sie an einer andern Stelle eiüe ähnliche charakteristische Entgegen­

setzung nicht bemerkt haben. *) Die feindlichen Heere haben einen Waffenstillstand getroffen; sie sind mit Verbrennung ihrer Todten beschäftigt, welches auf beiden Theilen nicht ohne heiße Thränen abgeht y«xmja Aber Priamus verbieten seinen Trojanern zu weinen (ovt)'1 tta xlauiv iIqikEr verbietet ihnen zu weinen, sagt die Dacier, weil er besorgt, sie möchten sich zu sehr er­ weichen, und morgen mit weniger Muth an den Streit gehen. Wohl; doch frage ich : warum muß nur Priamus dieses besorgen? Warum ertheilt nicht auch Agamemnon seinen Griechen das nämliche Ver­ bot? Der Sinn des Dichters geht tiefer. Er will uns lehren, daß nur. der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könneindem der ungesittete Trojaner, um es zu seyn, alle Menschlichkeit vorher ersticken müsse. N yg oMev xXcuhv, läßt er an einem andern Orte**) den verständigen Sohn des weisen Nester sagen. ♦) Jhad. II

v 421.

**) Odvss. jtl. JL95t

133 Eß ist merkwürdig, daß unter den wenigen Trauerspielen, die aus dem Alterthume mtf uns ge­ kommen sind, sich zwei Stücke finden^ in. welchen der körperliche Schmerz nicht der kleinste- Theil ides Un­ glücks ist, Has den leidenden Helden trifft. Außer dem Philvktet, der sterbende Herkules. Und auch diesen läßt Sophokles klagen, winseln, weinen und schreien. Dank sey unseren artigen Nachbarn, diesen Meistern des Anständigen, daß nunmehr ein winselnder Philoktet, ein schreiender Herkules, die lächerlichsten unerträglichsten Personen auf der Bühne seyn würden. Zwar- hat sich einer ihrer neuesten Dichter *) an den Philvktet gewagt. "Aber durfte er es wagen, ihnen den wahren-Philoktet zu. zeigen? Selbst ein Laokoon findet sich unter den verlornen Stücken des Sophokles. Wenn uns das Schick­ sal doch auch diesen Laokoon gegönnt hatte! Aus den leichten Erwähnungen, die seiner einige alte Grammatiker thun, läßt sich nicht schließen, wie der Dichter diesen Stoff behandelt habe. So viel bin ich versichert, daß er den Laokoon nicht stoischer, als den Philoktet und Herkules, wird geschildert haben. Al­ les Stoische ist untheatralisch; und unser Mitleiden ist allezeit dem Leiden gleichmäßig, welches der intereflrrende Gegenstand äußert. Sieht man ihn sein Elend mit großer Seele ertragen, so wird diese große Seele zwar unsere Bewunderung erwecken; aber die

*) Cbateaubrun.

134 Bewunderung ist ein kalter Affekt, dessen unthätiges Staunen jede andere wärmere Leidenschaft, so wie jede andere deutliche Vorstellung, ausschließt. Und nunmehr komme ich zu meiner Folgerung. Wenn es wahr ist, daß das Schreien bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann: .so kann der Ausdruck einer sol­ chen Seele die Ursache nicht seyn, warum dessen­ ungeachtet der Künstler in seinem Marmor dieses Schreien nicht nachahmen wollen; sondern ed muß einen andern Grund haben, warum er hier von sei­ nem Nebenbuhler, dem Dichter, abgeht, der dieses Geschrei mit bestem Vorsätze ausdrückt.

II. Es sey Fabel^ oder Geschichte, daß die Liebe den ersten Versuch in den bildenden Künsten gemacht habe: so viel ist gewiß, daß sie den großen alten Meistern die Hand zu führen nicht müde geworden. Denn wird jetzt die Malerei überhaupt als die Kunst, welche Körper auf Flächen nachahmt, in ihrem ganzen Umfange betrieben: so hatte der weise Grieche ihr weit engere Grenzen gesetzt, und sie bloß auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränkt. Sein Künstler schilderte nichts als das Schöne; selbst das gemeine Schöne, das Schöne niederer Gattungen,

134 Bewunderung ist ein kalter Affekt, dessen unthätiges Staunen jede andere wärmere Leidenschaft, so wie jede andere deutliche Vorstellung, ausschließt. Und nunmehr komme ich zu meiner Folgerung. Wenn es wahr ist, daß das Schreien bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann: .so kann der Ausdruck einer sol­ chen Seele die Ursache nicht seyn, warum dessen­ ungeachtet der Künstler in seinem Marmor dieses Schreien nicht nachahmen wollen; sondern ed muß einen andern Grund haben, warum er hier von sei­ nem Nebenbuhler, dem Dichter, abgeht, der dieses Geschrei mit bestem Vorsätze ausdrückt.

II. Es sey Fabel^ oder Geschichte, daß die Liebe den ersten Versuch in den bildenden Künsten gemacht habe: so viel ist gewiß, daß sie den großen alten Meistern die Hand zu führen nicht müde geworden. Denn wird jetzt die Malerei überhaupt als die Kunst, welche Körper auf Flächen nachahmt, in ihrem ganzen Umfange betrieben: so hatte der weise Grieche ihr weit engere Grenzen gesetzt, und sie bloß auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränkt. Sein Künstler schilderte nichts als das Schöne; selbst das gemeine Schöne, das Schöne niederer Gattungen,

135 war nur sein zufälliger Vorwurf, seine Übung, seine Erholung. Die Vollkommenheit des. Gegenstandes selbst mußte in seinem Werke entzücken* er war zu groß, von seinen Betrachtern zu verlangen , daß sie sich mit dem bloßen kalten Vergnügen,, welches aus der getroffenen Ähnlichkeit, aus der Erwägung seiner

Geschicklichkeit entspringt, begnügen sollten; an seiner Kunst war ihm nichts lieber, dünkte ihm nichts edler, als der Endzweck der Kunst. ii Wer wird dich malen wollen, da dich niemand sehen will," .sagt ein alter Epigrammatist*) über einen höchst ungestalteten Menschen. Mancher neuere Künstler würde sagen: „Sey so ungestaltet, wie möglich; ich wißt dich doch malen. Mag dich schon niemand gern sehen; so soll man doch mein Gemälde gern sehen; nicht in so fern es dich vorstellt, sondern in so fern es ein Beweis meiner Kunst ist, die ein solches Scheusal so ähnlich nachzubilden weiß." Freilich ist der Hang zu dieser üppigen Prahlerei mit leidigen Geschicklichkeiten, die durch den Werth ihrer Gegenstände nicht geadelt werden, zu natürlich, als daß nicht auch die Griechen ihren Pauson, ihren Pchreicus sollten gehabt haben. Sie hatten sie; aber sie Ließen ihnen strenge Gerechtigkeit wieder♦) Antiochu s. (Antholog. lib.IT. cap.4.) «Harduin über den Plinius (lib. 35. sect. 36. p. in. 69B.) legt dieses Epigramm einem Piso bei. Es findet sich aber unter allen griechischen Epigrammatisten keiner dieses Namens.

136 fahren. ufon, der sich noch unter.dem Schönen der gemeinen Natur hielt,, dessen niedriger Geschmack

daS Fehlerhafte und Häßliche an der menschlichen

Bildung am liebsten ausdruckte, *)

lebte in fcet yer-

*) jungen Leuten, befiehlt daher Aristoteles, muß man seine Gemälde nicht 'zeigen, um ihre Einbildungskraft so viel möglich von allen Bildet» des Häßlichen rein zu halten. (Polit. lib. Vm. cap. 5. p. H2V. Edit. Con­ ring.) Herr Boden will zwar in dieser StjM anstatt Pauson, Pausanias gelesen wissen, weil von diesem bekannt sey, daß er unzüchtige Figuren gemalt habe (de lrinbra poehca, Comment. I., p.XIII.) Als ob man es erst von einem philosophischen Gesetzgeber lernen müßte, die Jugend von dergleichen Reizungen der Wollust zu entfernen. Er hätte die bekannte Stelle in der Dichtkunst (cap. II.) nur in Vergleichung ziehen dürfen, um seine Vermuthung zurück zu behalten. Es giebt Ausleger (z. E. Kühn über den Älian Var. Hist. lib.Iv. cap. 3.), welche den Unterschied, den Aristo­ teles daselbst zwischen dem Poly gnotus, Dionysius und Pau so n angiebt, darin setzen, daß Polygnotus Götter und Helden, Dionysius Menschen, trab Pauson Thiere gemalt habe. Sie malten attesammt menschliche Figuren; und daß Pauson eimnak em Pferd malte, beweist noch nicht, daß er ei» Thiermaler gewesen, wofür ihn Herr Boden hält. Ihren Rang bestimmten die Grade des Schönen, die sse ihren mensch­ lichen Figuren gaben, und Dionysius konnte nur deßwegen nichts als Menschen malen, und hieß nur darum vor allen anderen der Anthropograph, weil er der Natur zu sklavisch folgte, und sich nicht vis züm Ideal erheben konnte, unter welcher» Götter und Helden zu malen, ei» Neligionsverbrechen gewesen wäre.

137 änlichsten Armuth.*) Und Pyreicus, der Barbier­ stuben, schmutzige Werkstätten, Esel und Küchen­ kräuter, mit allem dem Fleiße eines niederländischen Künstlers matte, als ob dergleichen Dinge in der Natur so viel Retz hätten, und so selten zu erblicken wären, bekam den Zunamen des Nhyparographen,**) -es Kothmalers; obgleich der wollüstige Reiche seine Werke mit Gold aufwog, um ihrer Richtigkeit auch durch diesen eingebildeten Werth zu 5Ulfe zu kommen.

Die Obrigkeit selbst hielt es ihrer Aufmerksam­ keit nicht für unwürdig, den Künstler mit ©ewaltdn seiner wahren Sphäre zu erhalten. Das Gesetz der Lhebaner, welches ihm die Nachahmung ins Schönere befahl, und die Nachahmung ins Häßlichere bei Strafe verbot, ist bekannt. Es war kein Gesetz wider den Stümper, wofür es gemeiniglich, und selbst vom Junius,-s) gehalten wird. Es ver­ dammte die griechischen Ghezzi: dm unwürdigen Kunstgriff, die Ähnlichkeit durch Übertreibung der

häßlichen Theile des Urbildes zu erreichen; mit Einem Worte, die Caricatur. Aus eben dem Geist des Schönen war auch das Gesetz der Hettanodiken geflossen. Jeder Olympische Sieger erhielt eine Statue^ aber nur dem dreimaligen Sieger ward eine Jkonische gesetzt, ff) Der mittel*) Aristophanes Flut. "v. 602. et Acharnens.1 v. 854, **- Plinius hb. XXXV. sect. 37. Edit. Ijsard. De Pictura rat. Kb. IX. cap.1V, §. 1, ti- Plinius Ub. XXXIV. sect. 9.

138 mäßigen Portraits sollten unter den Kunstwerken nicht zu viel werden. Denn obschon auch das Por­ trait ein Ideal zulaßt, so muß doch die Ähnlichkeit darüber herrschen; es ist das Ideal eine- gewissen Menschen, nicht das Ideal eines Menschen überhaupt. Wir lachen, wenn wir hören, daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Gesetzen unterworfen gewesen. Aber wir haben nicht immer Recht, wenn wir lachen. Unstreitig muffen sich die Gesetze über die Wissenschaften keine Gewalt anmaßen, dem: der Endzweck der Wissenschaften ist Wahrheit. Wahr­ heit ist der Seele nothwendig; und e- wird Tyrannei, ihr in Befriedigung dieses wesentlichen Bedürfnisses den geringsten Zwang anzuthun. Der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen; und das Vergnügen ist entbehrlich. Also darf es allerdings von dem Ge­ setzgeber abhangen, welche Art von Vergnügen, und in welchem Maaße er jede Art desselben verstatten will. Die bildenden Künste insbesondere, außer dem unfehlbaren Einflüsse, den fie auf den Charakter der Nation haben, find einer Wirkung fähig, welche die nähere Aufsicht des Gesetzes heischt. Erzeugten schöne Menschen schöne Bildsäulen, so wirkten diese hin­ wiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken. Bei uns scheint sich die zarte Einbildungskraft der Mütter nur in Ungeheuern zu äußern. Aus diesem Gesichtspunkte glaube ich in gewissen alten Erzählungen, die man geradezu als Lügen m»

139 wirst, etwas Wahres zu erblicken. Den Müttern des Aristomenes, des Aristodamaß, Alexanders des Großen, des Scipio, deS Augustus, Ves Galerius, träumte in -ihrer Schwangerschaft allen, als oh sie mit einer Schlange zu thun hätten. Die Schlange war ein Zeichen der Gottheit;*) und die schönen Bildsäulen und Gemälde eines Bacchus, eines Apollo, eines Merkuriuß, eines Herkules, waren selten ohne eine Schlange. Die ehrlichen Weiber hatten des Tages ihre Augen an dem Gotte geweidet, und der verwirrende Traum erweckte das Bild des Thieres. So rette ich den Traum, und gebe die Auslegung Preis, welche der Stolz ihrer Söhne qnd die Unver­ schämtheit des Schrrujchlers davon machten. Denn eine Ursache mußte-eß wohl haben, warum die ehe­ brecherische Phantasie nur immer eine Schlange war. Doch ich gerathe aus meinem Wege. Ich wollte bloß festsetzen, daß bei den Alten die Schönheit daß höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen sey. Und dieses festgesetzt, folgt nothwendig, daß alles ♦) Man irrt sich, wenn man die Schlange nur für das Kennzeichen einer mrdicinischen Gottheit halt. Lustinus Martyr (Apolog. II. p. 55. edit. Sy Iburg«) sagt ausdrücklich: ttmq« naric Ttov natj

vuiP , Qtpis (lu/ußokoy fx^ya zcu jut äi'HyoiasETcu, und es wäre leicht, rine Reihe von Monumenten anzuführerr, wo die Schlange Gottheiten begleitet, welche nicht dic geringste Beziehung auf die Gesundheit habe«.

140 andevk, worauf sich die bildenden Künste zugleich mit erstrecken können, wenn es sich mit der Schönheit nicht verträgt, ihr gänzlich weichen, und Wenn es sich mit ihr verträgt, ihr wenigstens untergeordnet seyn müssen. Ich will bei dem Ausdrucke stehen bleiben. Es giebt Leidenschaften mrd Grade von Leidenschaften, Die sich in dem Gesichte durch die häßlichsten Vera­ zerrungen äußern, und den ganzen Körper in so ge­ waltsame Stellungen setzen, daß alle die schönen Linien, die ihn in einem ruhigem Stande umschreiben, verloren gehen. Dieser enthielten sich also die alten Künstler entweder ganz und gar, oder setzten sie auf geringere Grade herunter, in welchen sie eines MaaßeS' von Schönheit fähig sind. Wuth und Verzweiflung schändete keines von ihren WeMn^ Ich darf behaupten, daß sie nie eine Furie gebildet haben. *) *) Aftern gehe alle die Kunstwerke durch, deren Ptirrius und Pausanias und andere gedenken; man übersehe die noch jetzt vorhandenen alten Statuen, Basreliefs, Gemälde: und man wirb nirgends eine Furie finden. Ich nehme die Münzen aus, deren Figuren aber nicht zur Kunst , sondern zur Bildersprache gehören. Indeß hätte Spevce, da er Furien haben mußt-, sie doch lieber von den Münzen erborgen sollen kSeguiniNumis. p. 178. Spauhem. de Praest. Nnimsin. Dissert. XIH. p. 639. Les Cesara. de Julien par Spunhem p. 48 ), als daii er sie durch einen witzigen Einfall tn ein Werk bringen will, in welchem sie ganz gewiß nicht sind.

141 Zorn setzten sie auf Ernst herab. Bei dem Dichter war es der zornige Jupiter, welcher den Blitz schleuderte; bei dem Kihlstter nur -er ernste. Er sagt in feinem Polymetis (Dia!. XVI. x. 27L.)r „ Obschon die Furien in den Werken der alten Künstler etwas sehr seltenes sind, so findet sich doch eine Ge­ schichte, in der sie durchgängig von ihnen angebracht werden. Ich meine den Tod des Meleager, als in dessen Vorstellung auf Basreliefs sie öfters die Althäa aufmuntern und antreiben, den unglücklichen Brand, von welchem das Leben ihres einzigen Sohnes abhing, dem Feuer zu übergeben. Denn auch ein Weib würde in ihrer Rache so weit nicht gegangen seyn, hatte ein Teufel nicht ein wenig zugeschürt. In einem von diesen Basreliefs, bei dem Bellori (in bcn Admirandis), sieht man zwei Weiber, die mit der Althäa am Altare stehen, Und allem'Anseh«'nach Furien seyn sollen. Denn wer sonst als Furien, hätte einer solchen Handlung beiwoh­ nen wollen? Daß sie für diesen Charakter nicht schreck­ lich genug sind, liegt ohne Aweifel an der Abzeichnung. Das Merkwürdigste aber auf diesem Werke ist die runde Scheibe, unten gegen die Mitte, -auf welcher sich offenbar der Kopf einer Furie zeigt. Vielleicht war es die Furie, an die Althäa, so oft sie eine üble That vernahm, ihr Gebet richtete und vornämlich jetzt zu richten, alle Ursache hatte, k. " — Durch solche Wendungen kann man aus allem alles machen. Wer sonst, fragt Spence, als Furien, hätte einer solchen Handlung beiwohnen wollen? Ich antworte: Die Mägde der Althäa, welche das Feuer anzünden und unterhalten mußten. Ov i d sagt (Metamorph. V1IL

v. 4GO. 461.): JProtuht huttc (atipxtem) genitri*, taedasqtte in fragmina poiii hnperat, et positis iaimieox admovet ignss.

142 Jmrnner ward in Betrübniß gemildert. -Und diese-Milderung nicht statt finden konnte, wo der Dergleichen taedas, lange Stücke von Kien, welche die Allen zu Fackeln brauchten, haben auch wirklich beide Personen in den Händen, und die eine hat eben ein solches Stück zerbrochen, wie ihre Stellung anzeigt» Auf der Scheibe, gegen die Mitte des Werks, erkenne ich die Furie eben so wenig. Es ffi ein Gesicht, wel­ ches eine« heftigen Schmerz ausdrückt. Ohne Aweifel soll es der Kopf des Meleager selbst seyn. (Metamorph. 1. c, v. 615.)

Tnscins atque absens jlainma Meleagros in illa TJritnr; et caecis torreri viscera sentit Tgmbns : et nipgnos superat virtnte dolores. Der Künstler brauchte ihn gleichsam zum Übergange in den folgenden Zeitpunkt der näiMchen Geschichte, wel­ cher den sterbenden Meleager gleich darneben ze.gt. Was Spence zu Furien macht, hält Montfaucon für Parzen (Autiq. expl. I. p. 102.)/ den Köpf auf der ^heibe ausgenommen, den er gleichfalls für eine Furie ausgiebt. Bcllori selbst (Adnwjand. Tab. 77 ) leist es unentschieden, ob es Parzen oder Furien sind. Ein Oder, welches genugsam -zeigt, daß sie weder das eine, noch das andere sind. Auch Montfapcon^s übrige Auslegung sollte genauer seyn. Die Weibsperson, welche neben dem Bette sich auf den Ellbogen stützt, hätte er Eassandra und nicht Atalanta nennen sollen. Atalanta ist die, welche mit dem Rücken gegen das Bette ge­ kehrt, in einer traurigen Stellung sitzt. Der Künstler hat sie mit vielem Verstände von der Familie abgeivcnhet, weil sie nur die Geliebte, nicht d,i. Trach. v 1088. 89.

--------bang (b(>i€ luzo&ws xkcttWV — —

171 götter, aber -er geringste Held soll bei unS wre er« Halbgott empfinden und handeln. Ob der Schauspieler das Geschrei und -re Verzuckungen des Schmerzes dis zur Illusion dringen könne, will ich weher zu verneinen noch zu bejahen wagen. Wenn ich fände, daß es unsere Schauspieler nicht könnten, so müßte ich erst wissen, ob es auch ein Garrick nicht vermögend wäre: und wenn es auch diesem nicht gelänge, so würde ich mir noch immer die Skävopöie und Deklamation der Alten in einer Vollkommenheit denken dürfen, von der wir heut zu Lage gar keinen Begriff haben.

V. Es giebt Kenner des Alterthums, welche die Gruppe Laokoon zwar für ein Werk griechischer Meister, aber aus der Zeit der Kaiser halten, weil sie glauben, daß der Virgilische Laokoon dabei zum Vorbilde gedient habe. Ich will von den ältere» Gelehrten, die dieser Meinung gewesen sind, nur den Bartholomäus Marliani,*) und von den

*) Topographiae IJrbis Romae hb. TV. cap. 14 Et quanquam hi f/Xgesander et Polvdorus et Athenedorus Hhudu ) ex Virgiki descnpüone $Uludes Marliani und Montfaucon behaupten müßte, so würde ich ihnen folgende Ausflucht leihen, Pisan­ de r's Gedichte sind verloren; wie die Geschichte des Laokoon von ihm erzählt worden, laßt sich mit Ge­ wißheit nicht sagen; es ist aber wahrscheinlich, daß es mit eben den Umständen geschehen sey, von wel­ chen wir noch jetzt bei griechischen Schriftstellern mbus , quae librnm secuudum faciunt, a Pisandro pene ad \ erbotn traMSscnpserit ? qui in ter Graecos poetas eiimiet opere, qnod a nuptiis Jovis et Jnnonis incipiens universas Justorias , quae inedits oiimibus saeculis uscpie ad aetatem ipsius Ptsandri contigerunt, in unain seriein coactas rcdegerit, et unum ex di> ersts kiatibus teinporum corpus effecerjt ? in quo ©pere intcr historias caeteras inleritus quoque 1 rojae m lmnc modum relatus est. Quae fideliter interprelando, fabricatus est sibi lliacae urbis ruinaui. Std et liat-c et taVta ut pueris decantata praetereo,

174 Spuren finden. Run kommen aber diese mit der Erzählung des Virgil im geringsten nicht überein, sondern der römische Dichter muß die griechische Tra­ dition völlig nach seinem Gutdünken umgeschmolzen haben. Wie er das Unglück des Laokoon erzählt, so ist es seine eigene Erfindung; folglich, wenn die Künstler in ihrer Vorstellung mit ihL. harmoniren, so können fie nicht wohl anders, als nach seiner Zeit gelebt, und nach seinem Vorbilde gearbeitet haben. Quintus Calaber läßt zwar den Laokoon einen gleichen Verdacht, wie Virgil, wider das hölzerne Pferd bezeigen; allein der Zorn der Minerva, welchen sich dieser dadurch zuzieht, äußert sich bei ihm ganz anders. Die Erde erbebt unter dem war­ nenden Trojaner; Schrecken und Angst überfallen ihn; ein brennender Schmerz tobt in seinen Augen; sein Gehirn leidet; er raset; er verbandet. Erst, da er blind nöch nicht aufhört, die Verbrennung des hölzernen Pferdes anzurathen, sendet Minerva zwei

schreckliche Drachen, die aber bloß die Kinder des Laokoon ergreifen. Umsonst strecken diese die Hände nach ihrem Vater aus; der arme blinde Mann kann ihnen nicht helfen; fie werden zerfleischt, und die Schlangen schlupfen in die Erde. Dem Laokoon selbst geschieht von ihnen nichts; und daß dieser Umstand de-m Q u i n t u s *) nicht eigen, sondern vielmehr allgemein angenommen müsse gewesen seyn, ♦) Parabp. hb XIJ, v 398 — 4U8. et v, 439 — *74.

175 bezeugt eine Stelle des Lykophron,

wo diese

Schlangen *) daß Beiwort- der Kinderfresser führen.

War er aber, dieser Umstand, bei den Griechen allgemein angenommen, so würden sich griechische Künstler schwerlich erkühnt haben, von ihm abzu­ weichen, und schwerlich würde es sich getroffen haben, daß sie auf eben die Art wie ein römischer Dichter abgewichen wären, wenn sie diesen Dichter nicht ge­ kannt hätten, wenn sie vielleicht nicht den ausdrück­ lichen Auftrag gehabt hätten, nach ihm zu arbeiten. Auf diesem Punkte, meine ich, müßte man bestehen, wenn man den Marliani und Montfaucon ver­ theidigen wollte. Virgil ist der erste uud einzige, *♦)

*) Oder vielmehr Schlange; denn Lykophron scheint nur Eine angenommen zu haben:

Kai TTcadoßotoiog TioozEwg vqtrovg duilag. ♦*) Ich erinnere mich, daß man das Gemälde hier wieder anführen könnte, welches Eumolp bei dem Petron auslegt. Es stellte die Zerstörung von Troja, und be­ sonders die Geschichte des Laokoon, vollkommen so vor, als sie Virgil erzählt; und da in der nämlichen Gallerie zu Neapel, in der es stand, andere alte Gemälde vorn Aeupis, Protogenes, Apelles waren, soließesi'ch vermuthen/-daß es gleichfalls ein altes griechisches Ge­ mälde gewesen sey. Allein man erlaube mir, einen Romandichter für keinen Hrstoricus halten dürfen. Diese Gallerie, und dieses Gemälde, und dieser Eumolp haben, allem Ansehn nach, nirgends als in der Phan­ tasie des Pet.ron existirt. Nichts verräth ihre gänz­ liche Erdichtung deutlicher, als die offenbaren Spuren

176

welcher sowohl Bater als Kinder von den Schlangen urnbringen läßt; die Bildhauer thun dieses gleich­ falls, da sie es doch als Griechen nicht hätten thun einer beinahe schiilermäfiigen Nachahmung der Virgilischen Beschreibung» Es-wird sich der Mühe ver­ lohnen , die Vergleichung anzustelleu. So Streit (Aeneid. lib. 11.. 199 — 224.):

Hic aliud, majus nüseris mnltoque tremgndum Obju itnr magts atque improvida pectora tarbat. Laocoon , ductus Neptun« Sorte s«tcerdos, Stillem«is taiirum lngt-ntein inactabat ad aras. F.cce au lern gemini a I enedo tranquilla per aJta ( riorresco reiereiis) immensis orbilnis angiies inciunbunt peJago , pariterqne ad litora lenditnt : Pectora quoriun inter lluctus arrecta, pibaetpio Sangiuneae exsuperant undas; pats? cetera pontnm Pune legit, sinuantque i in mens a volumine terga. Fit sonilus, spnmante salo. jamqne arva tenebant, Ardentesque öcnlos sulfeeti sanguine et igni, Sibila lambebant lü-iauis vibrantibus ora. DilFiigimiis visu exsanguess Illi agmine certo Laucoonta petnnt; et pnmuin parva duorum Corpora nato-rum serpens amplexus uterque Implicat, et imseros inorsu depascitur artus. Pust ipsiun, anxilio snbeimtem ac tela ferentem, Corripmnt, spirisquc Jigaitf nigentibus et iam Bis medium amplexi, bis colio s qua nie a cjnnm Terea dati. superant capite et cervicibns allis. IHe h'imul manibus tenthl divellere nodos, Perfusus same vittas atroqne veneno: Clamores siirml horrendos ad sidera tollit ; Finales mugitus , fugit cum saucius aram Taurus et incertam excussit eervice securitn,

JL77 sollen: also ist es wahrscheinlich, daß sie eß auf Veranlassung deß Virgil gethan haben. Ich empfinde sehr wohl, wie viel dieser WahrUnd so Eumolp (von dem man sagen könnte, daß es ihm wie allen Poeten aus dem Stegreife ergangen sey; ihr Gedächtniß hat immer an ihren Versen eben so viel Antheil, als ihre Einbildung):

Ecce alia monstra. Celsa qua Tenedos inare Dorso repelJit, tuimda consurgunt freta, Vndaque resuItat seissa tranquillo minor. Qualis silenti uocte remorum sonus Longe refertur, cum premunt classes inare, Pulsuinqae iharmor abiete imposita gemit. Respicimtis, angues brbibus geumiis ferunt Ad saxä iliictus: tumidu quoruin pe.ctora, Rab'S ut tiltae, Jateribns spiunas agunt : Dant caudae sonitum; hberae ponto jubae Coruscant lupiinibus , fulminenin jubar Jncendit aeqaor, sibihsque undae tremunL Stupuere meiites. Infiihs stahant sacn Phrygioqne cnJtu geimna nati pignora Laoeoonte, quos repente tergonlm.s ligant Angues corusci :■ parvutas ilh manlis Ad ura referunt; nenter auxilio sihi, Vterque Iratn transtuht pias vices, Morsque ipsa miseros mutuo per.dit inetu. Acciunulat ecce Hberfim funus Parens, , Infirmus auxiliatpr • invadunt viruin Jam inorte pasti, memhraqne ad terrain, trabn nt. Jacet sacerdos Inter aras victima. Die Hauptzüge sind in beiden Stellen eben dieselben, und verschiedenes ist mit den nämlichen Worten ausgedrückt. Doch das sind Kleinigkeiten, die von selbst in

178 schemttchkeit zur historischen Gewißheit mangelt, Aber da ich auch nichts Historisches weiter daraus schließen will, so glaube ich wenigstens, daß man Ae als die Augen fallen. Es giebt andere Kennzeichen der Nachahmuyg, die feiner, aber nicht weniger sicher sind. Ist der Nachahmer ein Mann, der sich etwas zutraut, so al)mtr, er selten nach, ohne verschönern zu wollen; und wenn ihm dieses Äerschörtern, nach seiner Meinung, geglückt ist^, so ist er Fuchs genug, seine Füßtapfeg, die den Weg, welchen er hergekommen, verrathen würden, mit dem Schwänze zuzukehren. Aber eben bieft* eitle Begierde, zu verschönern, und diese Behut­ samkeit. Original zu scheinen, entdeckt ihn. Denn sein Verschönern ist nichts als Übertreibung und unnatür­ liches Naffiniren. Virgil sagt: sanguineae jwbae ; Petron: liberae jnbae luminibus cornscant/ Vir­ gil: ardeiites oculos suffecti sanguine et igni; P etron: frtlnnnenm jnbar ineendit aeqnor. Birgilr fit sonitus spmnante salo; Petron: sibilis nndae trenmnt. So geht der Nachahmer immer aus benr Großen ins Ungeheure, aus dem Wunderbaren ins Un­ mögliche. Die von den Schlangen umwundenen Knaben sind dem Vit 3 il ein Parergon, das er mit wenigen bedeutenden Strichen hinsetzt, in welchen man nichts als ihr Unvermögen und ihren JaMmer erkennt. Pe­ tron malt dieses Nebenwerk aus, und macht aus den Knaben ein Paar heldenmüthige Seelen: — — — — neuter auxiho sibi, "Uterque fratri transtnht pias vices Morsque ipsa miseros inuluo per di t mein.

Wer erwartet von Menschen, von Kindern, diese Selbft»er-leugnung? Wie viel besser kannte der Grieche die Nglur (Quinius Calaber hb, XII, v, 469—61 ), wel-

179 eine HypothesiL kann gelten lassen, nach welcher der Criricns feine Betrachtungen anstelle» darf. Be­ wiesen oder nicht bewiesen, daß die Bildhauer dem cher bei Erscheinung der schrecklichen Schlangen sogar die Mütter ihrer Kinder vergessen läßt, so sehr war jedes nur auf seine eigene Erhaltung bedacht:



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Oi/MvtoV) xat nov iig

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Auti} (cXtuop.tvxi cHvytQov poyov — —

Au verbergen sucht sich der Nachahmer gemeiniglich da­ durch, daß er den Gegenständen eine andere Beleuchtung giebt, die Schatten des Originals heraus, und die Lichter zurncktreibt. Virgil giebt sich Mühe, die Grüße der Schlangen recht sichtbar zu machen, weil von dieser Größe die Wahrscheinlichkeit der folgenden Erscheinung abhängt; "das Geräusch, welches sie verursachen, ist nur eine Nebenidee, und bestimmt, den Begriff der Größe auch dadurch lebhafter zu machen. P e 1 r o n hingegen macht diese Nebenidee zur Hauptsache, be­ schreibt das Geräusch mit aller möglichen Üppigkeit, und vergißt dse Schilderung der Größe so sehr, daß wir sie nur fast aus dem Geräusche schließen müssen. Es ist schwerlich zu glauben, daß er in diese Unschick­ lichkeit verfallen wäre, wenn er bloß aus seiner Ein­ bildung geschildert, und kein Muster vor sich gehabt hätte, dem er nachzeichnen, dem er aber nachgezeichnet jtt haben, nicht Mrxatfwi wollen. So kann man zu­ verlässig jedes poetische Gemälde, das in kleinen Zügen überladen, und in den großen fehlerhaft ist, für eine verunglückte Nachahmung haltendes mag sonst so viele kleme Schönheiten haben, als es will, und das-Original mag sich lassen angeben könyen oder nicht.

ISO

Virgil nachgearbeitet haben; ich will es blrß atu nehmen, um zu sehen, wie sie ihm sodann nachgearbeitet hätten. Über Vas Geschrei habe ich mich schon erklärt.

Vielleicht, daß mich die weitere Ver­

gleichung auf nicht weniger unterrichtende Bemer-

Lungen leitet. Der Einfall, den Vater mit seinen beiden Söhnen

durch die mörderischen Schlangen in einen Knoten zu

schürzen,

ist ohnstreitig ein sehr glücklicher Einfall,

der von einer ungemein malerischen Phantasie zeigt.

Wem gehört er? dem Dichter, oder den Künstlern? Montfaucon will ihn bet dem Dichter nicht findend)

Aber ich meine, Montfaucon hat den Dichter nicht aufmerksam genug gelesen.

— — — illi agmine certo Laocoonta petunt, et prim um parva Quorum Corpora natorum serpens amplexus uterque Implicat, et miseros morsn depascitur artus. Post lpsum, auxilio subeuntem et tela serentem» Corripiun t, spirisque ligant ingentibus — Der Dichter hat die Schlangen von einer wun­

derbaren Länge geschildert.

Sie habep die Knaben

*) Suppl. aux Antiq. Expl. T. I. p. 243. D y a quelqne petite difftrence entre ce que dit Virgile , et ce qne ie marbre reprdsente. II penible, selon ce que dit le porte, que les serpens qnitterent les deux enfanS pour vemr entortiller le pere, au lieu que dans ce marbre ils irent e* .meine tejns les eufans et leur pere.

^181^ umstrickt, und da der Water ihnen z« Hülfe kommt, ergreifen sie auch ihn (corriplunt )♦ Nach ihrer Größe konnten sie sich nicht auf einmal von den Kna­ ben loswiudeu; es mußte also einen Augenblick ge­ ben, da sie den Water mit ihren Köpfen und Wordertheilen schon «»gefallen hatten, und mit ihren Hintertheilen die Knaben noch verschlungen hielten. Dieser Augenblick ist in der Fortschreitung des poe­ tischen Gemäldes nothwendig; der Dichter läßt ihn sattsam empfinden; nur ihn außzumalen, dazu war jetzt die Zeit nicht. Daß ihn die alten Ausleger auch wirklich empfunden haben, scheint eine Stelle des Donatus*) zu bezeugen. Wie viel weniger wird er den Künstlern entwischt seyn, in deren verstän­ diges Auge, alles was ihnen vortheilhast werden kann, so schnell und deutlich einleuchtet?

*) Donaius ad v. 227 Tib. IT. Aenoid Mirandmn non ost, clypeo et siinulachri ' estigns tegi p< tuisse, qnos supra et longos et vatidos dixit, et inultiphci ambitu circntndedisse Laocoontis corpns ac hberonim, ct Tuisse supcrfluam partem. Mich dünkt übri­ gens, daß in dieser Stelle aus den Worten nurandum aon est, entweder das non wegfallen must, oder am Ende der ganze Nachsatz mangelt. Denn da die Schlan­ gen so außerordentlich groß waren, so ist es allerdings

zu verwundern, daß sie sich unter dem Schilde der Göttinn verbergen können, wenn dieser Schild nicht selbst sehr groß war, und zu einer kolossalischen Figur gehörte. Und die Versicherung hiervon multe der man­ gelnde Nachsatz seyn; oder daS nou hat keinen Sinn.

182 Zn den Windungen selhst, mit welchen der Dich­ ter die Schlangen um den öüokoon führte vermeidet er sehr sorgfältig die Arme, ihre Wirksamkeit zu lassen.

um den Händen alle

Ille simul manibus tendit divellere nodos. Hierin mußten ihm die Künstle^. nothwendig folgen. Nichts giebt mehr Ausdruck und^Leben, als die Be­ wegung der Hande;-"im Affekte besonders ist das sprechendste Gesicht ohne sie unbedeutend. Arme, durch die Ringe der- Schlairgen fest -an den Körper geschlossen, würden Frost und Tod über die ganze Gruppe verbreitet haben. Also sehen wir sie, an der Hauptfigur sowohl, als an den Nebenfiguren, in völliger Thätigkeit, und da am meisten beschäftigt, wo gegenwärtig der heftigste Schmerz ist. Weiter aber auch nichts, als diese Freiheit der Arme, fanden die Künstler zuträglich, tn Ansehung der Verstrickung der Schlangen, von dem Dichter zu entlehnen. Virgil läßt die Schlangen doppelt um den Leib, und doppelt ttm den Hals des Lasskoon sich winden, und hoch mit ihren Köpfen über ihn hinausragen.

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum Terga dati, super ant capjte et cervicibus altis. Dieses Bild füllt unsere Einbildungskraft vor­ trefflich; die edelsten Theile sind bis zum Ersticken gepreßt, und das Gift geht gerade nach dem Ge­ sichte. Dessenungeachtet war es kein Bild für Künst­ ler, welche die Wirkungen des Giftes und des Schmer-

183 zeß in dem Körper zeigen wollten. Denn um diese bemerken zu kennen, mußten di^Haupttheile so frei seyn als möglich, und durchaus mufte kein äußerer Druck auf sie wirken, welcher daS Spiel der leiden­ den Nerven und arbeitenden Muskeln verändern und schwachen könnte. Die doppelten Windungen der Schlangen würden den ganzen Leib verdeckt haben, und jene schmerzliche Einziehung des Unterleibes, welche so sehr ausdrückend ist- würde unsichtbar ge­ blieben seyn. Was man über, oder unter, oder zwischen den Windungen^ von dem Leibe noch' er­ blickt hatte, würde unter Pressungen und Aufschwel­ lungen erschienen seyn, die nicht von dem innern Schmerze, sondern'von der äußern Last gewirkt worden. Der eben so oft umschlungene Hals würde die pyramidalische Zuspitzung der Gruppe, welche dem Auge so angenehm ist, gänzlich verdorben haben; und die aus fciefei; Wulst ins Freie hinausragenden spitzen Schlau genkvpfe hätten einen so plötzlichen Abfall von Mensur gemacht, daß die Form des Ganzen äußerst anstößig geworden wäre. Es giebt Zeichner, welche unverständig genug gewesen sind, sich dessenungeachtet an den Dichter zu binden. Was denn aber auch daraus geworden, läßt sich unter andern aus einem Blatte des Franz Cleyn*)

*) In der prächtigen Ausgabe von Dryden's englischem Virgil. (London 1647. in groß Folio.) Und doch hat auch dieser die Windungen der Schlangen um den

184 mit Abscheu erkennen. Die alten Bildhauer übn*? sahen es mit einem Blicke, daß ihre Kunst hier eine gänzliche Abänderung erforderte. Sie verlegten alle Windungen von dem Leibe und Halst, um die Schen­ kel und Fuße. Hier konnten diese Windungen, dem Ausdrucke unbeschadet, so viel decken und pressen, als nöthig war. Hier erregten sie zugleich die Idee der gehemmten Flucht und einer Art von Unbeweglichkeit, die der künstlichen Fortdauer des nämlichen Zustandes sehr Vortheilhaft ist. Ich weiß nrcht, wie es gekommen, daß die Kunstrichter diese Verschiedenheit, welche sich in den Windungen der Schlangen zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters so deutlich zeigt, gänzlich mit Stillschweigen übergangen h^berr. Sie erhebt die Weisheit der Künstler eben so'sehr, als die andere, auf die sie alle fallen, die sie aber nicht sowohl auznpreisen wägew, als vielmehr nur zu entßchuldigen suchen. Ich meine die Verschiedenheit in der Bekleidung. Birgil's Laokoon ist in seinem priesterlichen Ornate, und in der Gruppe erscheint er mit seinen beiden Söhnen völlig nackend. Man sagt, es gebe Leute, welche eine große Ungereimtnur einfach, und um den Hals saft gar nicht geführt. Wenn ein so mittelmäßiger Künstler anders eine Ent­ schuldigung verdient, so könnte ihm nur die zu Statten kommen, bdp Küpser zu einem Buche als blo i* Er lauterungen, nicht aber als für sich bestehende Kunst­ werke zu betrachten sind.

185 Herl darin fänden, ster,

bei

einem

daß ein Königssohn,

ein Prie­

Opfer nackend vorgestellt

werde.

Und diesen Leuten aytworten Kenner der Knust in allem Ernste, daß es allerdings ein Fehler wider das Übliche sey, daß aber die Künstler dazu ge­ zwungen worden,

weil sie ihren Figuren keine an­

ständige Kleidung geben können.

Die Bildhauerei,

sagen sie, könne keine Stoffe nachahmen; fcicte Fal­ ten machten eine üble Wirkung; aus zwei Unbe­

quemlichkeiten habe

man also die geringste wählen,

und lieber gegen die Wahrheit selbst verstoßen, in den Gewändern tadelhast werden müssen. *)

als

Wen»

*) So urtheilt selbst De Piles in seinen Anmerkun­ gen über den Du Fresnoy v. 21 ü: Remarques, s’il voHS plait, que les Draperies tendres et le­ geres n’etant donnees qu'au sexe feminin , les anciens Sculpteurs ont evite autant qn’ils ont pii, d’habiller les figures ddtoinmes , parce qu iis ont ponse , coinme notis l’avons dejä dit , qu’en Scnl•ptiire on ne pouvoit Hinter les etojfes et que les gros phs fa iso teilt un mait\ ais esset, 11 y a presque autant d’exeinpies de cetle verite , qu’il y a parmi les Antiques de figures d’hoimnes nuds. Je rapporterai seuleinent celwi du Laocoon , lequel se- Ion la rraisemblance devroil etre vetu. En esset, quelle npparence y-a-t'il qn’nn fih du* Hoi , qtvun Pretre d’Apollon se trouvat tont nud dans la Cere­ monie actueile d’un sacrifice ; car les serpens passerent de l’lsi« de Teno dos an rivage de Trope , et snrprirent Laocoon et ses fils dass le teins meine qu’il oauriAuLl u Aeptnne stlr le bord de la mer,

186 die alt« Artisten bei dem Einwurfe lachen würde», so weiß ich nicht, was sie zu der Beantwortung sa­ gen dürften. Man kann die Kunst nicht tiefer hsrabsetzen, als es dadurch geschieht. Denn gesetzt, die Sculptur könnte die verschiedenen Stoffe eben so gut nachahmey, als die Malerei: würde sodann Laokoo» nothwendig bekleidet seyn muffen? Würden wir unter dieser Bekleidung nichts verlieren? Hat ein Gewand, das Werk sklavischer Hände, eben so viel Schönheit, als das Werk der ewigen Weisheit, ein organisirter Körper? Erfordert es einerlei Fä­ higkeiten, ist es einerlei Verdienst, bringt eß einerlet Ehre, jenes oder diesen nachzuahmen? Wellen unsere Augen nur getäuscht seyn, und ist es ihnen gleich viel, womit sie getäuscht werden? Bei dem Dichter ist ein Gewand kein Gewand; es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft fleht überall hindurch. Laokoon habe es bei dem Birgil, oder habe es nicht: sein Leiden ist ihr an jedem coinine Je inarque Virgile- (Jans le second livre de son Eneide. Cependant les Astistes , qui sont les Auteurs de ce bei ouv rage, ont bien. vÄ, qu’ils i># pouvoient pas leur donner de vetemens convenables a leur quaJite, sans faire coinine nn amas de pierres, dont la mässe resseinbreroit a »in roch r , au lieu des trois admirables figures , qui ont ete et qui Sont toujours Padmiration des siecles. C’est ppnr eela qiie de deux inconveiuens , ils ont pige celai des Draperies beancoup plus fachetix , qwe celui d'al­ ler contre la verite müme.

187 Theile seines Körpers einmal so sichtbar, wie das andere. Die Stirne ist mit der priesterlichen Binde für sie umbunden, aber nicht ^umhüllt. Ja sie hin­ dert nicht allein nicht, diese Binde; sie verstärktauch noch den Begriff, den wir uns von dem Un­ glücke des Leidenden machen,

Perfnsus sanie vittas atroque veneno. Nichts Hilst ihm seine priesterliche Würde; selbst das Zeichen derselben, das ihm überall Ansehn und Ver­ ehrung verschafft, wird von dem giftigen Geifer durchnetzt und entheiligt. Aber diesen Nebenbegriff mußte der Artist auf­ geben, wenn das Hauptwerk nicht leiden sollte. Hätte er dem Laokoon auch nur diese Binde gelassen, so würde er den Ausdruck um ein großes geschwächt haben. Die Stirne wäre zum Theil verdeckt wor­ den, und die Stirne ist der Sitz des Ausdrucks. Wie er also dort, bei dem Schreien, den Ausdruck der Schönheit aufopferte, so opferte er hier das Übliche dem Ausdrucke anst Überhaupt war daß Üb­

liche bei den Alten eine sehr geringschätzige Sache. Sie fühlten, daß die höchste Bestimmung ihrer "Kunst sie auf die völlige Entbehrung desselben führte. Schönheit ist diese höchste Bestimmung; Noth er­ fand die Kleider, und was hat die Kunst mit der Noth zu thun ? Ich gebf es zu, daß eß auch eine Schönheit der Bekleidung giebt; aber was ist sie gegen die Schönheit der menschlichen Form? Und wird der, dec das Größere erreichen kann, sich mit

188

dem Kleinerm begnügen? Ich furchte sehr, der voll­ kommenste Meister in Gewändern zeigt durch diese Geschicklichkeit selbst, woran es ihm fehlt.

VI. Meine Voraussetzung, da- die Künstler dem Dichter nachgeahmt haben, gereicht ihnen nicht zur Verkleinerung. Ihre Weisheit erscheint vielmehr durch diese Nachahmung in dem schönsten Lichte. Sie folgen dem Dichter, ebne sich in der geringsten Klei­ nigkeit von ihm verführen zu lassen. Sie hatten ent Vorbild; aber da sie dieses Vorbild aus einer Kunst in die andere hinüber tragen wußten, so fanden sie genug Geleg nheit, selost zu denken. Und diese ihre eigenen Gedanken, welche sich in den Abweichungen von ihrem Dorbrl.de zeigen, beweisen, daß sie in ihrer Kunst eben so groß gewesen sind, als er in der seidigen. Nun will ich die Voraussetzung umkehren: der Dichter soll den Künstlern nachgeahmt haben. Es giebt Gelehrte, die diese Voraussetzung als eine Wahrheit behaupten.*) Daß sie historische Gründe *) Maffei, Richardson, und noch neuerlich der 4?err von Hagedorn. (Betrachtungen über die Malerei S. 3 7. Ridtardson, Traite de la Peuiture Tome UI. p. 513.) De Fontaines verdient 4s wohl nicht, dap ich ihn diesen Männern btisü-r.

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dem Kleinerm begnügen? Ich furchte sehr, der voll­ kommenste Meister in Gewändern zeigt durch diese Geschicklichkeit selbst, woran es ihm fehlt.

VI. Meine Voraussetzung, da- die Künstler dem Dichter nachgeahmt haben, gereicht ihnen nicht zur Verkleinerung. Ihre Weisheit erscheint vielmehr durch diese Nachahmung in dem schönsten Lichte. Sie folgen dem Dichter, ebne sich in der geringsten Klei­ nigkeit von ihm verführen zu lassen. Sie hatten ent Vorbild; aber da sie dieses Vorbild aus einer Kunst in die andere hinüber tragen wußten, so fanden sie genug Geleg nheit, selost zu denken. Und diese ihre eigenen Gedanken, welche sich in den Abweichungen von ihrem Dorbrl.de zeigen, beweisen, daß sie in ihrer Kunst eben so groß gewesen sind, als er in der seidigen. Nun will ich die Voraussetzung umkehren: der Dichter soll den Künstlern nachgeahmt haben. Es giebt Gelehrte, die diese Voraussetzung als eine Wahrheit behaupten.*) Daß sie historische Gründe *) Maffei, Richardson, und noch neuerlich der 4?err von Hagedorn. (Betrachtungen über die Malerei S. 3 7. Ridtardson, Traite de la Peuiture Tome UI. p. 513.) De Fontaines verdient 4s wohl nicht, dap ich ihn diesen Männern btisü-r.

189 dazu haben könnten, wüßte ich nicht. Aber, da sie das Kunstwerk so überschwenglich schön fanden, so konnten sie sich nicht bereden, daß es aus so später Zeit seyn sollte. Es mußte aus der Jett sey«, da die Kunst in ihrer vollkommenste« Blüthe war, weil es daraus zu seyn verdiente. Es hat sich gezeigt, daß, so vortrefflich daS Gemälde des Virgil ist, die Künstler dennoch ver­ schiedene Jüge desselben nicht brauchen sonnen*. Der Satz leidet also seine Einschränkung, daß eine gute poetische Schilderung auch ein gutes wirkliches- Ge­ mälde geben müsse, und daß der Dichter nur in so weit gut geschildert habe, als ihm der Artist in al­ len ILgen folgen könne. Man ist geneigt, diese Einschränkung zu vermuthen, noch ehe man sie durch Beispiele erhärtet sieht; bloß aus Erwägung der weitern Sphäre der Poesie, aus dem unendlichen Felde unserer Einbildungskraft, aus der Geistigkeit ihrer Bilder, die in größter Menge und Mannig­ faltigkeit neben einander stehen können, ohne daß eins das andere deckt oder schändet, wie es wohl die Dinge selbst, oder die natürlichen Jeichen der­ selben, in den engen Schranken des Raums oder der Zeit thun würden. Er hält zwar,

in den Anmerkungen zu seiner Über­

setzung deS Virgil, gleichfalls dafür, daß der Dich­ ter die Gruppe ui Augen gelabt habe; er ist aber sunwissend, daß er sie für ein Werk des Pl) idlaS ausgiebr.

190 Wenn aber das Kleinere das Größere nicht fas­ sen kann, so kann das Kleinere in dem Großer« enthalten seyn. * Ich will sagen: weny nicht jeder Sug, den/der malende Dichter braucht, eben die gute Wirkung auf der Fläche oder in dem Marmor haben kann: so möchte vielleicht jeder Aug, dessen sich der Artist bedient, in dem Werke des Dichters von ebenso guter Wirkung seyn können. Ohnstreitig; denn was wir in einem Kunstwerke schön finden, das findet nicht unser Auge, sondern unsere ELnbildungskraft, durch das Auge, schön. Das nämliche Bild mag also in unserer Einbildungskraft durch willkichrüche oder natürliche Jeichen wieder erregt werden, so muß auch jederzeit das nämliche Wohl­ gefallen, obschon nicht in dem nämlichen Grade, wieder entstehen. Dieses aber eingestanden, muß ich bekennen, dast mir die Voraussetzung, Virgil habe den Künst­ lern nachgeahmt, weit unbegreiflicher wird, als mir das Widerspiel derselben geworden ist. Wenn die Künstler dem Dichter gefolgt find, so kann ich mir von allen ihren Abweichungen Rede und Antwort geben. Sie mußten abweicheu, weil die nämlichen Züge des Dichters in ihrem Werke Unbequemlich­ keiten verursacht haben würden, die fich bei ihm nicht äußern. Aber warum mußte der Dichter ab­ weichen? Wenn er der Gruppe in allen und jeden Stücken treulich nachgegangen wäre, würde er uns nicht immer noch ein vortreffliches Gemälde geliefert

191 haben?*) Ich begreife wohl, wie seine vor sich selbst arbeitende Phantasie ihn auf diesen und jenen ♦) Ich kann mich beßfalls auf nichts Ektscheivenderes be­ rufen ,. als auf das Gedicht des S a d p l c t. Es ist eines alten Dichters würdig, und da es sehr wohl bte Stelle eines Kupfers vertreten 'kann, so glaube ich, eS hier ganz einrücken zu dürfen.

DE LAOCOONTIS S T ATU A JACOBI

SAU OLETI

CARMEN.

Ecce allo terra« e CHinulo , ingeutisque minae Visceribus iterum redncem longinqua recluxiC Laocoonta dies : aidis regal ilms olim Qui stetit, atque tuos ornabat, Tite, Penales. Divinae siinulacruin ar Lis , nec docta vctustas Nobilius spectabat opus , nunc celsa revisit ExempUiiu tenebris redivivae moema Roinae. Quidprimum summuinv e loqnar ? lniseruinneparentem Et proleni gmunain? an sinuatos flexihus angues Terribili adspectu ? caudasque irasque draconunt Vulneraqrie et veros , saxo moriente , dolores ? Ho tret ad liaec annnns , mutaque ab iniagme pulsat Peclora , non parvo pietas comniixta tremori. Prohxnm bim spiris glomcrantur in orhelft Ardeittes colnbri , et smuosis orbibus errant, Ternaque multiplici cunstringunt corpora nexu. Vix oenli sufferre valent, crudele tuendo Exitium , casusque serös ; micat alter , et ipsum Laocoonta pctit totmnque infraque supraque * Lnphcat «4 rabido tandem fent ilia morsn. (. onnexuin refogit Corpus, torquentia sese Membra , latusqne retro sinuatum a vulnero ceruas, Ille dolore acri , et laniatu nnpulsus acerho.

192 Irrg bringen können; aber die Ursachen, warum feine VeurtheiLungskraft schöne Inge, die er vor lhit gcmituin ingentem , crndosque evellere dentes Conmxus , laevAin nnpatiens ad terga Chelydri Objicit: intendunt nervi , colJectaque ab outni Ctrrpore vis frustr^i summis conatibus instat. Ferre nequit rabiem , et de vnlnere inurmur ankeJum est. At serpens lapsn crebro redeunte subintrat Lubricus , intortoque ligat genna infiina nodo. Absistunt surae , spirisqxip preinentihus arctnie Crns tum et, obseplo turgent vitalia pulsn, Liventesque atro distendunt sanguine venas. IN ec iiiDius in natos eadeni vis effera saevit ImpbiOiuqnp angit rapjdo , miserandaque meinbra Dilacerat : jamgne alterius depasta cruentuin Pactus , suprema genitorem voce cientis, Oircunpei tu orbis , validöque vohunine fulcit, Alter ad huc nullo violatns corpore morsn, Dum. parat adducta can^am divellere plante, iTorrrt ad adspectiim miseri patris. haeret in il)o, Et jainjafn ingentes lletus , lachrvmasque cadentes Anccps in dubio retinet timor. Ergo perenni » (Jm tantuin statuistie opus jam lande nitentes, Artifices magni (qnanqüam et lnelioribus actis Ouaeritnr aeternum nomen , inultöque licebat Clarins Ingenium venturae tradere famae) Attamen ad landein quaecunque oblata facultas Egregium hanc rapere, et summa ad fastigia niti. Vos rigidum lapidem vivis ammare figiirts Eximii , et vivos spiranti ih marmore sensus Tnserere, aspicimus motumque iramque doloremque, Et pene audunus gemilns : vos extuht olnn Ciara Rhodos, vestrae jacuerunt arlis honores

193 Augen gehabt, in diese anderen Jüge verwandeln zu müssen glaubte, diese wollen mir nirgends einleuchten. Mich dünkt sogar, wenn Birgil.die Gruppe zu seinem Vorbilde gehabt hätte, dass er ssch schwer­ lich würde haben mässigen können, die Verstrickung aller drei Körper in einen Knoten gleichsam nur er­ rathen zu lassen. Sie würde sein Auge zu lebhaft ge­ rührt haben, er würde eine zu treffliche Wirkung von ihr empfunden haben, als dass sie nicht auch in seiner Beschreibung mehr vorstechen sollte. Ich habe gesagt: es war jetzt die Zeit nicht, diese Verstrickung auszu­ malen. Nein; aber ein einziges Wort mehr, würde ihr in dem Schatten, worin sie -er Dichter lassen mußte, einen sehr entscheidenden Druck vielleicht gegeben haben. Was der Artist ohne dieses Wort entdecken konnte, würde der Dichter, wenn er es bei-em Artisten ge­ sehen hätte, nicht ohne dasselbe gelassen haben. Der Artist hatte die dringendsten Ursachen, das Leiden des Laokoon nicht in Geschrei ausbrechen zu Toinpnre ab iinmenso , qiios rursiun. in Ince secunda Roma videt, celebratqne froqiirns operisque vetusü Gratia parta jeccns. (Quarto praestantius ergo est In genio , ant qtiovis extenderc fata labore, Quam fastus et opes et inanem extendere hixHin. (v. Leodeg'arii a Queren Farrago Po em atu in T. IT. p 63.) Auch Gr uter bat dreses Gedicht, nebst ane bereu des Sadolet, seiner bekannten Sammlung iDvI.c Poet. Italornm Parte alt. p. 582.) mit fhltietleibr, allein sehr fehlerhaft. Für buu (v 14., lieft er vivi, für errant fv, 15./ orinn . u. s. w. Lening'v W. 2 Vd. 9

194 lassen. Wenn aber der Dichter die so rührende.Verbindrmg von Schmerz und Schönheit in dem Kunst-, werke vor sich gehabt hatte: was hatte ihn eben so unvermeidlich nöthigen können, die Idee von männ­ lichem Anstande und großmüthiger Geduld, welche aus dieser Verbindmrg des Schmerzes und der Schön­ heit entspringt,, so völlig unangedeutet zu lassen, und Uns auf einmal mit dem gräßlichen Geschrei seines" Laokoon zu schrecken? Richardson sagt: Dirgil's Laokoon muß schreien, weil der Dichter nicht sowohl Mitleid für ihn, als Schnecken, und Entsetzen bei den Trojanern erregen will. Ich will es zugeven, obgleich Richardson nicht erwogen zu haben scheint, daß der Dichter die Beschreibung nicht in seiner eignen Person macht, sondern sie den Äneas machen läßt, und gegen die Dido machen läßt, deren Mitleid Äneas nicht genug bestiivmen

konnte. Mein- mich befremdet nicht das Geschrei, sondern der Mangel aller Graoation bis zu diesem Geschrei, auf welche das Kunstwerk den Dichter natürlicher Weise hätte bringen müssen, wenn er eß, wie wir voraußsetzen, M seinem Borbilde gehabt hätte. Richardson fügt hinzu:*) die Geschichte *) De l.t Pemture , Tome III. p. 516. Ost Fliorreur que les '1 roiens ont coucue contre Liocoor , qni etoit necessaire a Virgde pour la qondmte de son Poeme , et cela leinene ä cette descnption pafh-dixjne do la deslrucbon de la patrie de son Heros. Aussi Virgile- n'avoit garde de divisei l’atleiiuon sur la dermere nuit, pour une -grando vtlle entiere, ,par Ja peinture d’un petit malheur d:nn ParUcidicr,

195 des baokoon solle bloß zu der pathetischen Beschrei­ bung der endlichen Zerstörung Leiten ; der Dichter habe sie also nicht interessanter machen dürfen, um unsere Aufmerksamkeit, welche diese letzte schreckliche Nacht ganz fordere, durch das Unglück eines ein­ zelnen Bürgers nicht zu zerstreuen. Allein das heißt die Sache ans einem malerischen Augenpunkte be­ trachten wollen, aus welchem sie gar nicht betrach­

tet werden kann. Das Unglück des Laokoon und die Zerstörung sind bei dem Dichter keine Genzalde neben einander; sie machen beide kein Glanzes aus,

das unser Auge auf einmal übersehen könnte oder sollte;. und nur in diesem Falle wäre es zu besor­ gen, daß unsere Blicke mehr auf den Laokoon, als auf die brennende Stadt fallen dürsten. Beider Be­ schreibungen folgen auf einander, und ich sehe nicht,

welchen Nachtheil es der folgenden bringen konnte, wenn uns die vorhergehende auch noch so sehr ge­ rührt hätte. Es sey denn, daß die folgende an sich selbst nicht rührend genug wäre. Noch weniger Ursach würde der Dichter gehabt haben, die Windungen der Schlangen'zu verändern. Sie beschäftigen in dem Kunstwerke die Hande, und verstricken die Füße. So sehr dem Auge diese LZectherlung gefällt, -so lebhaft ist daß Bild, wel­ ches in der Einbildung davon zurückbleibt. ES ist so deutlich und rein, daß es sich durch Worte nicht viel schwächer darstellm läßt, als durch na­ türliche Zeichen.

196 — — — — — micat alter, et ipsnm Laocoonta petit, totimique infraque supraqne Implicat et rabido tau dem fei lt ilia morsn.

At serpens lapsii crebvo redeunte subintrat Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo. Daö sm- Zeilm des Sadolet, die vorr dem Virgil ohne Zweifel noch malerischer gekommen wären, wenn ein sichtbares Vorbild seine Phantasie befeuert hätte, und die'alsdann gewiß besser gewesen wären, als was er uns jetzt dafür giebt: Bis medium amplexi, bis collo squamea circum Terga dati, superant capite et cervicibus altis« Diese Züge füllen unsere Einbildungskraft allerdings; aber sie muß nicht dabei verweilen, sie muß sie nicht aufs Reine zu bringen suchen, sie muß jetzt nur die Schlangen, jetzt nur dsn Laokoon sehen, sie muß sich nicht vorstellen wollen, welche Figur beide zusammen machen. Sobald sie hierauf verfällt, fangt ihr das B irgilisch e Bild, an zu mißfallen, und sie findet es höchst rmmalerisch. Wären aber auch schon die Veränderungen, welche Virgil mit dem ihm geliehenen Borbilde gemacht hatte, nicht unglücklich, so wären sie doch bloß willkührlich. Man ahmt nach, um ähnlich zu wer­ den; kamr man aber ähnlich werden, wenn man Über die Noth verändert? Vielmehr wenn man die­ ses thut, ist der Vorsatz klar, daß man nicht ähnlich werden wollen, daß man also nicht nachgeahmt habk.

197 Nicht das Ganze, könnte'man emwenden, aber wohl diesen und jenen Theil. Gat; doch welches find denn diese einzelnen Theile, die in der Be­ schreibung und tp dem Kunstwerke so getrau überein­ stimmen, daß fie der Dichter aus diesem entlehnt zu haben scheinen könnte? Den Vater, die Kinder, die Schlangen, das alles gab dem Dichter sowohl, als dem Artisten, die Geschichte. Außer dem Hi­ storischen kommen sie in nichts überein, als darin^ daß sie Kinder und Vater in einem einzigen Schlan­ genknoten verstricken. Allein der Einfall hierzu ent­

sprang ans dem veränderten Umstande, daß den Vater eben dasselbe Unglück betroffen habe , als die Kinder. Diese Veränderung aber, wie oben erwähnt worden, scheint Virgil gemacht zu haben; denn die griechische Tradition sagt ganz etwas anders. Folglich, wenn in Ansehung jener gemeinschaftlichen Verstrickung, auf einer oder der andern Seite Nach­ ahmung seyn soll, so ist sie -wahrscheinlicher auf der Seite des Künstlers, als des Dichters zu vermuthen. In allem Übrigen weicht einer von dem andern ab;

nur mit dem Unterschiede, daß, wenn eß der Künst­ ler ist, der die Abweichungen gemacht hat, der Vor­ satz, dem Dichter nachzuahmen, noch dabei bestehen kann, indem ihn die Bestimmung und die Schran­ ken seiner Kunst dazu nöthigten; ist es hingegen der Dichter, welcher dem Künstler nachgeahmt haben soll, so sind alle die berichrten Abweichungen ein Beweis wider diese vermeintliche Nachahmung, und

198 diejenigen, welche fle dessenungeachtet behaupten, können weiter nichts damit wollen, als daß daS Kunstwerk alter sey, als die poetische Beschreibung.

VII. Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dich­ ter, oder der Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweierlei bedeuten. Entweder -er eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Ge­ genstände seiner Nachahmung, oder sie haben beide einerlei Gegenstände der Nachahmung, und der eine entlehnt von dem andern die Art und Weise, eS nachzuahmen. Wenn Virgil den Schild des Äneas beschreibt, so ahmt er dem Künstler, welcher diesen Schild ge­ macht hat, m der ersten Bedeutung nach. Das Kunstwerk, nicht das, was auf dem Kunstwerke vorgestellt worden, ist der Gegenstand seiner Nach­ ahmung, und wenn er auch schon das «nt^ beschreibtwas man dgraus vorgestellt steht, so beschreibt er es doch nur als einen Theil des Schildes, und nicht als die Sacke selbst. Wenn Virgil hingegen die Gruppe L^okoon nachgevchmt hatte, so würde dieses eine Nachahmung von der zweiten Gattung seyn. Denn er wurde nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vorgestellt, nachgeahmt, und nur die Zuge seiner Nachahmung von ihr entlehnt haben.

198 diejenigen, welche fle dessenungeachtet behaupten, können weiter nichts damit wollen, als daß daS Kunstwerk alter sey, als die poetische Beschreibung.

VII. Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dich­ ter, oder der Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweierlei bedeuten. Entweder -er eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Ge­ genstände seiner Nachahmung, oder sie haben beide einerlei Gegenstände der Nachahmung, und der eine entlehnt von dem andern die Art und Weise, eS nachzuahmen. Wenn Virgil den Schild des Äneas beschreibt, so ahmt er dem Künstler, welcher diesen Schild ge­ macht hat, m der ersten Bedeutung nach. Das Kunstwerk, nicht das, was auf dem Kunstwerke vorgestellt worden, ist der Gegenstand seiner Nach­ ahmung, und wenn er auch schon das «nt^ beschreibtwas man dgraus vorgestellt steht, so beschreibt er es doch nur als einen Theil des Schildes, und nicht als die Sacke selbst. Wenn Virgil hingegen die Gruppe L^okoon nachgevchmt hatte, so würde dieses eine Nachahmung von der zweiten Gattung seyn. Denn er wurde nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vorgestellt, nachgeahmt, und nur die Zuge seiner Nachahmung von ihr entlehnt haben.

199 Bei der ersten Nachahmung ist der Dichter Ori­ ginal, bei der andern ist er Coprst. Lene ist ein Theil der allgemeinen Nachahmung, welche das We­ sen seiner Kunst aüsmacht, und er arbeitet als Ge­ nie, sein Vorwurf mag ein Werk anderer Künste, oder der Natur seyn. Diese hingegen setzt ihn gänz­ lich von seiner Würde herab; anstatt der Dinge selbst ahmt er ü-re Nachahmungen nach, und giebt uns kalte Erinnerungen von Augen eines fremden Genies, für ursprüngliche Züge seines eigenen. Wenn indeß Dichter und Künstler diejenigen Gegenstände, die sie mit einander gemein haben, nicht selten aus dem nämlichen Gesichtspunkte be­ trachten müssen: so kann es nicht fehlen, daß ihre Nachahmungen nicht in vielen Stücken «vereinst mrmen sollten, ohne daß zwischen ihnen selbst die ge­ ringste Nachahmung oder Beeiferung gewesen. Diese Übereinstimmungen können bei zeitverwandten Künst­

lern und Dichtern, über alle Dinge, welche nicht mehr vorhanden sind, zu wechselsweisen Erläute­ rungen führen; allein dergleichen Erläuterungen da­ durch aufzustutzen suchen, daß man aus dem Aufalle Vorsatz, macht,, und besonders dem Poeten bei jeder Kleirngkeit 'ein Augenmerk auf diese Statue, oder auf jen/s Gernälde andichtet, heißt ihm einen sehr

zweideutigen Dienst erweisen. Und nicht allein ihm, sondern auch dem Leser, dem man die schönste Stelle dadurch, wenn Gott will, sehr deutlich, aber auch trefflich frostig macht.

200 Dieses ist tie Absicht und der Fehler eines be­ rühmten englischen Werks. Spence schrieb seinen Polymetis *) mit vieler klassischen Gelehrsamkeit, und in einer sehr vertrauten Bekanntschaft mit den übergebliedenen Werken der alten Kunst. Seinen Vorsatz r aus diesen die römischen Dichter zu erklären, und aus den Dichtern hinwiederum Aufschlüsse für noch unerklärte alte Kunstwerke herzÜholeu, hat er

öfters glücklich erreicht. Aber dessenungeachtet be­ haupte ich,, daß seht Buch für jeden Leser von Ge­ schmack ein ganz unerträgliches Buch seyn tmifb Es ist natürlich, "daß, wenn Valerius Flac-

cus den geflügelten Blitz auf den römischen Schil­ den beschreibt:

(Nec primus radios, miles Romane, corusci Fiihniuis et nitilas scutis diffuderis alas) Mir diese Beschrsibung weit deutlicher wird, wenn ich die Abbildung eines solchen Schildes auf einem alten Denkrnale erblicke.**) Es kann seyn, daß Mars in ♦; Die erste Ausgabe ist von 1747; die zweite von 175 ttnb führt den Titel: Polymetis, or an Enquiry coucernuig tlie Agreement between the Works o£ the fiom.iii Poets, and the Reina ins o£ the aiu ient Ar» li^to , betng an Atlempt to ilhis träte them mutiially from one another. In ten Bouks, by the Rcvd. Mr iSpenee. London, prmU d for Dodsley ful. Auch ein Auszug, welchen N. Ttndal ans diesem $3e,rte armacht iyif, ist bereirs mehr als einmal gedruckt worden. ♦*.i Fel; Fladens Lb VI, v, 5 5 5€ Püijmeus Dia» VI P 5“

201

oben der schwebenden Stellung, in welcher ihn Addi­ son über der Rhea auf einer Münze zu sehen glaubte, *) *) Ich sage : es kann seyn. Doch wollte ich zehne gegen eins wetten, daß es nicht i|L — Luv enal redet von den ersten Zeiten der Republik, als man noch von keiner Pracht und Üppigkeit wußte, und der Soldat das erbeutete Gold und Silber nur auf das Geschirr seines Pferdes und auf seine Waffen verwandte. (Sat, XV. v. 100—107.)

Tune rudis et Grajas nurari nescius arties Urbibus t-rsis praedarunx e parte reperta Magnonun artißeum frangebat pociila lniies, Ut phaleris gänderet equus , caelataque cassi» Roinnleae siinulacra ferae mansueseere >nssae Imperii fato r geminos sub rupe Qnirinos, Ac nudam efli giern clypeo fnlgentis et basta Pendentisque dei pentnro ostenderet, hosti. Der Soldat zerbrach die kostbarsten Becher, die Mei­ sterstücke großer Künstler, um eine Wölfin, einen kleiner* Romulus- und Remus daraus arbeiten zu lassen, womit er seinen Helm ausschmiickte. Alles ist verständlich, bis auf die letzten zwei Zeilen, in welchen der Dichter fort­ fährt, noch ein solches getriebenes Bild auf den Hel­ men der alten Soldaten zu beschreiben. So viel sieht man wohl, daß dieses Bild der Gott Mars seyn soll; aber was soll das Beiwort pendentis , welches er ihm giebt, bedeuten? Rigaltius fand eine alte Glosse^ die e§ -durch quasi ad ictmn se inclinautis erklärt. Lrrbtnus meint, das Bild sey auf dem Schilde ge­ wesen, und da der Schild- an dem Arme hange, so habe der Dichter auch das Bild hangend nennen können. Allein dieses ist unter die Eonstruction; denn das zu es tenderet gehörige Suvjectum ist nicht miles, sondern eassis. Dritannicus will, alles was hoch in der

202 auch von den alten Waffenschmieden auf den Hel­ men Oder,

*) Tibullus Eleg 4. lib. ITT. Polwnetis Dkil VITT. p. 84. **) Statius hb.l. »Sylv. 5, v. 8. PolyineUsDiaLVIH. j). 81.

212 wenn Sucre- den ÄZechsel der Jahreszeiten be­

schreibt,

und sie,

mit dem ganzen Gefolge ihrer

Wirkungen in der Lust und auf der Erde,

in ihrer

natürlichen Ordnung vorüber führt: war Luerez ein Ephemeren,

hatte er kein ganzes Jahr durchlebt,

nm alle die Veränderungen selbst erfahren zu haben,

dass er sie nach einer Procession schildern mußte, in

welcher ihre Statue» herumgetragen wurden ?

Mußte

er erst von diesen Statrren den Men poetischen Kunst­

griff lernen, dergleichen Abstrakta zu wirklichen Wesen

zu machen?*)

Oder Virgil's poittem iudigpiatus

*) Lucrclius de R. N. lib. Vr v. 736 — 747: It Ver , et Venus, et Veneris praenuntius ante Pinnatus graditm- Zepbjrns ; vestigia propter Flora quibus mater praespargens ante viai Cuncta colorihus egregiis et odoribus opplet, Jude loci seqmlur Calor aridus} et comes una Pulverulenta Ceres ; et Elesia llabra Aqnilonum, Inde Autmnnus adit • graditnr siinul Eviirs Evan : Jude ahae tempestates ventique sequuntur, Allitonans Voltnrn ns et Auster swlmine peilens. 1 andern Bruina nives adfert, pigrnniqitp rigorem Reddit, H) eins sequitur, crepitans acdentibns Algus. Spence erkennt diese Stelle für eine von den schönsten in dem ganzen Gedichte des L u c r e z. Wenigstens ifr sie eine von denen, aus welche sich die Ehre des Lncrez als Dichter gründet. Ater warlich, es heißt ihm diese Ehre schmälern, ihn völlig darum bringen wollen, wenn man sagt: Diese ganze Beschreibung scheint nach einer altert Procession der vergötterten Lahres-

213 Araxes, dieses vortreffliche poetische Bild eines'über feine Ufer sich ergießenden Flusses, wie er die über ihn geschlagene Briicke greift, verliert es aircht seine ganze Schönheit, wenn der Dichter ans ein Kunstwerk damit angespielt Hal, in welchem "dieser Flußgott als wirklich eine Briicke zerbrechend vor­ zeiten, nebst ihrem Gefolge, gemacht zu seyn. Un> warum das? „Darum," sagt der Engländer, „weil bei den Romern ehedem dergleichen Processionen mit ihren Göttern überhaupt-, eben so gewöhnlich waren,

als noch jetzt in gewissen Ländern die Processionen sind, die man demHeiligen zu Ehren anstellt; mrd weil hier­ nächst alle Ausdrücke, welche der Dichter hier braucht, auf eine Procession recht sehr wohl paffen," (come m very aplly, if applied to a procession). Treffläche Gründe! Und wie vieles wäre gegen den letzten noch einzuwenden! Schon die Beiwörter, welche der Dichter den personificirten Abstrakten giebt: Calor arnlns, Ceres pulverulenta , Vollurnus altitonans , fuhnine pollens Auster, Algus denUhns crepilans , zeigen, daß sie das Wesen von ihm, und nicht von dem Künstler haben, der sie ganz anders hatte charaktcrisiren müssen. Spence scheint übrigens auf diesen Einfall von einer Procession durch Abraham Vreigern gekommen zu seyn, welcher in seinen Anmerkungen über die Stelle des Dichters sagt: Ordo e&t quasi Poinpae cujusda in , Ver et Venus., Zephyrus et Flora, etc. Allein dabei hätte es auch Spence nur sollen bewenden lassen. Der Dichter führt die Jahreszeiten gleichsam in einer Procession auf; das ist gut. Aber er hat es von ein« Procession gelernt, sie so aufzuführen; das ist sehr ab­ geschmackt.

214 gestellt wirb?*) Was sollen wir mit dergleichen Erläuterungen/ die aus der klarste». Stelle den Dichter verdrängen, um den Einfall eineS^ Künstlers durchschimmern zu lassen? Ich bebaute, dast ein so nützliches Buch,, als Polymetis sonst seyn konnte, durch diese geschmack­ volle Grille, den alten Dichtem statt eigenthümlicher Phantasie, Bekanntschaft mit fremder unterzuschieben, so ekel, und den classischen Schriftstellern weit nachtheiligrr geworden ist, als ihnen die wässrigen Aus­ legungen der schaalsten Wertforscher' nimmermehr

seyn können. Roch mehr bebaute ich, daß Spencers selbst Abdifon hierin vorgegangen, der aus löb­ licher Begierde, die Kenntniß der alten Kunstwerke zu einem Auslegungsmittel zu erheben, die Fälle eben so wenig unterschieben hat, in welchen dre^Nachahmung des Künstlers dem Dichter anständig, in welchen ste ihm verkleinerlich ist. **)

VIII: Bon der Ähnlichkeit,

welche die Poesie und

Malerei mit einander haben,

macht sich Sptnce

♦) beneid. lib. VITI. ▼, 725. p. 230.

Polymetis Di.al. XIV.

••) In verschiedenen Stellen seiner Reisen und seines Gespräches über die alten Münzen.

214 gestellt wirb?*) Was sollen wir mit dergleichen Erläuterungen/ die aus der klarste». Stelle den Dichter verdrängen, um den Einfall eineS^ Künstlers durchschimmern zu lassen? Ich bebaute, dast ein so nützliches Buch,, als Polymetis sonst seyn konnte, durch diese geschmack­ volle Grille, den alten Dichtem statt eigenthümlicher Phantasie, Bekanntschaft mit fremder unterzuschieben, so ekel, und den classischen Schriftstellern weit nachtheiligrr geworden ist, als ihnen die wässrigen Aus­ legungen der schaalsten Wertforscher' nimmermehr

seyn können. Roch mehr bebaute ich, daß Spencers selbst Abdifon hierin vorgegangen, der aus löb­ licher Begierde, die Kenntniß der alten Kunstwerke zu einem Auslegungsmittel zu erheben, die Fälle eben so wenig unterschieben hat, in welchen dre^Nachahmung des Künstlers dem Dichter anständig, in welchen ste ihm verkleinerlich ist. **)

VIII: Bon der Ähnlichkeit,

welche die Poesie und

Malerei mit einander haben,

macht sich Sptnce

♦) beneid. lib. VITI. ▼, 725. p. 230.

Polymetis Di.al. XIV.

••) In verschiedenen Stellen seiner Reisen und seines Gespräches über die alten Münzen.

215 die allerseltsamsten Begriffe.

Er glaubt,

daß beide

Künste bei den Alten so genau verbunden gewesen, daß sie beständig Hand in Hand gegangen, und der Dichter nie den Maler, -er Maler nie dm Dichter ans . Len Augen verloren habe. Daß die Poesie die wertere Kunst ist; daß ihr Schönheiten zu Gebote stehen, welche die Malerei nicht zu erreichen ver­ mag; daß sie öfters Ursachen haben samt, die un­ malerischen Sch-'nheiten-den malerischen vorzuziehen: daran scheint ex gar nicht gedacht zu haben, und ,'st daher bei dem geringsten Unterschiede, den er unter den alten Dichtern und Artisten bemerkt^ -in einer Verlegenheit, die ihn auf die wunderlichsten Aus­ flüchte von der Welt bringt. Die alten Dichter gebm dem Bacchus weistentheils Hörner. Es ist also doch wunderbar, sagt

Spence, daß man diese Horner an seinen Statuen so selten erblickt.*) Er fällt auf diese, er fällt auf eine andere Ursache, aus die Unwissenheit der Anti­ quare, auf die Kleinheit der Horner selbst, die sich tatter den Lrauben und Epheudlattern, dem bestän­ digen Kopfpuhe des Gottes, , möchten verkrochen haben. Er windet sich um die wahre Ursache her­ um, ohno sie zu argwohnen. Tie Hörner des Bac­ chus waren keine natürlichen Dörner, wie sie es an den Faunen And Satyren waren. Sie waren ein Stirn sch.nnrck, den er äussere:-: und ablegen konnte. Pol)mcti i

LX. p 1 29*

216 -- Tibi, cnm sine cornibus adst»s, Virgineu-m capnt est:------heißt es in der feierlichen Ausrufung des Bacchus beim Ovid. *) Er konnte sich also auch ohne Hor­ ner zeigen; und zeigte sich ohne Hörner, wenn er in seiner jungfräulichen Schönheit erscheinen wollte. In dieser wollte ihn nun auch der Künstler darstellen, und mußte daher alle Zusätze von übler Wirkung an ihm vermeiden. Ein solcher Ansatz wären die Hör­ ner gewesen, die an dem Diadem befestigt waren, wie mau an einem Kopfe in dem Königl. Cabinet zu Berlin sehen kann.**) Em solcher Zusatz war daS Diadem selbst, welches die schöne Stirne verdeckte, und daher an den Statuen des Bacchus eben so selten vorkommt, als die Hörner, ob'es ihm schon, als seinem Erfinder, von den Dichtern eben so oft beigelegt wird. Dem Dichter gaben die Hörner und das Diadem feine Anspielungen auf die Thaten und den Charakter des Gottes: dem Künstler hingegen wurden sie Hinderungen-, größere Schönheiten zu zeigen; und wenn Bacchus, wie ich glaube, eben darum den Beinamen Biformis, z/^iopyof, hatte, weil er sich sowohl schön als schrecklich zeigen konnte, so war es wohl natürlich, daß die Künstler diejenige von seiner Gestalt am liebsten wählten, die der Be­ stimmung ihrer Kunst am meisten entsprach. *) Metamorph, lib. IV. v. 10. 20. ♦*) Baycn Tlies. Brandenb, Vol. HL p. 242.

217 Minerva und Juno schleudern bei den römischen Dichtern öfters den Blitz. Aber warum nicht auch in ihren Abbildungen? fragt- Spencer ♦> Er ant­ wortete : es war ein besonderes Vorrecht dieser zwei Göttinnen, wovon man den Grund vielleicht erst in den Samothracischen Geheimnissen erfuhr; weil aber die Artisten bei den alten Romern als gemeine Leute betrachtet, und daher zu diesen Geheimnissen selten zugelassen wurden, so wußten sie ohne Zweifel nichts davon, und was sie nicht wußten, konnten sie nicht

vorstellen. Ich möchte Spencen dagegen fragen r Arbeiteten diese gemeinen Leute vor ihren Kopf, oder auf Beseht Vornehmerer, die von den Geheimnissen unterrichtet'seyn konnten? Standen die Artisten auch bei den Griechen in dieser Verachtung? Waren die römischen Artisten nicht mehrentheils geborne Griechen? Und so weiter. Statius und Valerius Flaccus schildern eine erzürnte Venus, und mit so schrecklichen Zügen, daß man sie in diesem Augenblicke eher für eine Furie, als für die Göttin der Liebe halten sollte. S p e n c e sieht sich in den alten Kunstwerken ver­ gebens nach einer solchen Venus um. Was schließt er daraus? Daß dem Dichter mehr erlaubt ist, als dem Bildhauer und Maler? Das hätte er daraus schließen sollen; aber er hat es einmal für allemal als einen Grundsatz angenommen, daß in einer poe-

*) Pol anetis D, d VT, n. 63, Pefsüi.3 6 To.

? B'.

it-)

2tS tische« Beschreibung nichts gut sey, waL unschicklich sey« würde, wenn imm eo in einem Gemälde, oder an einer Statue vorstellte.*) Folglich müssen die Dichter gefehlt Haden. „Statius und Valerius sind aus einer Zeit, da Vie römische Poesie schon in ihrem Verfalle war. Sie zeigen auch hierin ihren verderbten Geschmack «nv ihre schlechte Beurtheilungskrast. Bei den Dichtern «us einer bessern Zeit wird man dergleichen Verstoßungen wider dem malerischen Ausdruck nicht sindem " ♦*) So etwas zu sagen, braucht es warlich wenig Unter-cher'dungsrrast. Ich will indeß mich weder deS Statius noch des Valerius in diesem Falt an­ nehmen, sondern nur eine allgemeine Anmerkung machen. Die Gotter und geistigen Wesen, wie sie der Künstler vorstellt, sind nicht rollig ebendieselben, welche der Dichter braucht. Bei dem Künstler sind sie personisicirte Abstract, die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen. Bei dem Dichter hingegen sind sie wirkliche handelnde Wesen, die über ihren allgemeinen Charakter noch andere Eigenschaften und Affecten haben, welche nach Gelegenheit der Um­ stände vor jenen vorstechen können. Venus ist dem

Polvm^tis D'al. XX. p. 311. Scarce any tldng ct» be guod i ■> a poetical desr ription. vrb tch wuii’d ap~ ppar abs-i d , if r»q)r»'SPi ted in a or piclure, *’*} Polymers Dill. MI. p 7 4,

219 Bildhauer nichts als die Liebe; er muß ihr also alle die sittsame verschämte Schönheit, alle die holden Reize geben, die «ns an geliebten Gegenständen cntziicken, und die wir daher mit in den abgssoudebten Begriff der Liehe bringen. Die geringste Abweichung von diesem Ideal laßt uns sein Bild verkennen. Schönheit aber mit mehr Majestät als Scham, ist schon keine Venus, sondern eine Juno. Reize, aber mehr gebieterische, männliche, als holde Reize, gebetz

eine Minerva, statt einer Venus. . Vollends eine zürnende Venus, eine Venus von Räche und Wuth getrieben, ist den» Bildhauer cü) wahrer Wider­ spruch ; denn Hie Liebe, als Liebe, zürnt nie, rächt sich nie. Bei dem Dichter hingegen ist Venus zwar auch die Liebe, aber dre Göttin der Lie'e, die außer dreiem Charakter ihre eigene Individualität hat, und folglich der Stiebe des Abscheus eben so fähig seyn muß, als der Zuneigung. Was Wunder also, daß sie bei ihm in Zorn und Wuth entbrennt, be­ sonders wenn es die beleidigte Liebe selbst iff, die sie darein versetzt? Es ist zwar wahr, daß auch der Künstler in zusämmeng^ setzten Werren, die Venus, oder jede an­ dere Gottheit, außer ihrem Charakter, als ein wirk­ lich handelndes Wesen, so gut wie der Dichter, ein­ führen kann. Aber alsdann muffen wenigstens ihre Handlungen ihrem Charakter nicht widersprechen, wenn sie schon keine unmittelbaren Folgen desselben sind. Venus üdertziebt ihrem Sohne die göttlichen

10*

220 Waffen:

diese Handlung kann der Künstler sowohl

als der Dichter, vorsiellen. Hier hindert ihn nichts der Venus alle die Anmuth und Schönheit zu geben dre ihr als Göttin der Liebe zukommen; vielmehr wird sie eben dadurch in feinem Werke um so viel kenntlicher. Allein wenn sich Venus an ihren Ver­ ächtern, den Männern zu Lemnos, rächen will, in vergrößerter wilder Gestalt, mit fleckigen Wangen, in verwirrtem Haare, die Pechfackel ergreift, ein schwarzes Gewand um sich wirst, und auf einer finstern Wolke stürmisch herabfahrt: so ist das kein Augenblick für den Künstler, weil er sie durch nichts in diesem Augenblicke kenntlich machen kann. Es ist nur ein Augenblick für den Dichter, weil dieser das Vorrecht hat, einen andern, in welchem die Göttin ganz Venus ist, so nahe, so genau damit zu ver­ binden, daß wir die Venus -uch in der Furie nicht aus den Augen verlieren.

Dieses thut Flaecus:

------- Neque en im alma videri Jam turnet; aut tereti crinem subnectitur auro, Sidereos diffusa sinus. Eadem e ffeia et ing'ens Et maculis suffecta genas, pinumque Semantem Viiginibus Stygiis, nigramque simillima pallam, *) Eben dieses thut Statius:

Illa Paphon vetereni centumque altaria linquens, Nec vultu, nec crine prior, solvisse jugalem *Y Argonaut, lib II, v. 102—1-0 G,

221 Ceston, et Idalias procul ablegasse volacres Fertnr. Ei ant certe media quae noctis in umbra Divam, alios ignes-majjoueque tela gerentein, Tartareas inter thalamis volitasse sorores Vulgarent: utque implieitis arcana domorum Angnibus, et saeva foilnidine cuncta replevit Limina. *) — Oder man kann sagen: der Dichter allein besitzt das Kunststück, mit negativen Zügen zu schildern, und durch Vermischung dieser negativen mit positiven Zügen, zwei Erscheinnngen in eine z« bringen. Nicht mehr die holde Venus; nicht mehr das Haar mit goldenen Spangen geheftet; von keinem azurnen Ge­ wände umflattert; ohne ihren Gürtel; mit anderen Flammen, mit größeren Pfeilen bewaffnet; in Ge­ sellschaft ihr ähnlicher Furien. Aber weil der Artist dieses Kunststückes entbehren muß, soll sich seiner darum auch der Dichter enthalten? Wenn die Ma­ lerei die Schwester der Dichtkunst seyn will: so sey sie wenigstens keine eifersüchtige Schwester; und die jüngere untersage der ältern nicht alle den Putz, der sie selbst nicht kleidet.

k)- Thebaid. lib. V. v. 61 — 69>

IX,

Wenn man in einzelnen Fällen -en Maler und Dichter mit einander vergleichen will, so muß man vor allen Dingen wohl zuseh-n, ob sie beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ohne allen äußerlichen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer Kunst haberr arbeitet können. Em solcher äußerlicher Zwang war dem alten

Mnstler öfters die Religion. Kein Werk zur.Verehrung und Anbetung bestimmt, konnte nicht allezeit so vollkommen fegn, als wenn er einzig das Ver­ gnügen des Betrachters dabei zur Absicht gehabt hätte., Der Aberglaube ücerladete die Gotter mit Sinnbildern, und die schönsten von ihnen wurden nicht überall als die schönsten verehrt. Bacchus stand in seinem Tempel.zu Lemnos» aus welchem die fromme Hypsipile ihren Vater unter der Gestalt des Gottes rettete,*) mit Hornern, und *) Vuleruis Iflaccus lib. II. Argonaut, v. 2ü5 figd. : Serta patri , jux enisque coinarn vesLesque Lyjiet liuluit, et medium curfu local' a^raque cireuin Tjnipan.'iqup et plenas tacita formidin e cis Las. Ipsa sinus hedpris^ue Jigat fainuhv'ibus ar Lus . Pi)xuv ie ^le/uv rk, Tgf (/ ay. 70,

2a9 Reichthum tiefes Gemäldes ist Armuth des Dichters. Denm sollte man den Homer aus diesem Gemälde wieder Herstellen: was könnte man thu sagen lassen? „ hierauf ergrimmte Apollo und schoß seine Pfeile unter das Heer der Griechen. Viele Griechen star­ ben, und ihre Leichname wurden verbrannt." Nun lese man den Homer selbst: Bl} ÖS xai

OuXvflTlOlO X(tOT)V(OV? /(OOLttVOq

MLiOföiv a/u(fTiQE(f>Ect te q)aoti^v* 'ExltvySav Götter zu dieser Absicht tauglicher dünkte? Hier sowohl, als dort, sind sichtbare Vvrwürft, und was braucht der Maler mehr, als sichtbare Borwürfe, um seine Flache zu füllen? ' Der Knoten muß dieser seyn. Obschon beide. Vorwürfe, als sichtbar, der eigentlichen Malerei gleich fähig sind: so findet sich doch dieser wesent­ liche Unterschied unter ihnen, daß jener eine sichte bare fortschreitende Handlung ist, deren verschiedene Theile sich nach und nach, in der 'Folge der Zeit, ereignen, dieser hingegen eine sichtbare stehende Handlung, deren verschiedene Theile sich neben einander im Raume entwickeln. Wenn nun aber die Malerei, vermöge ihrer Zeichen oder der Mittel ihrer Nachahmung, die sie nur im Raume verbnrdeu kann, der Zeit gänzlich entsagen muß: so kön­ nen fortschreitende Handlungen, als fortschreiterrd, unter ihre Gegenstände nicht gehören, sondern sie muß sich mit Handlungen neben einander, oder mit 12*

268 bloßen Körpern,

die durch ihre Stellungen

Handlung vermuthen lassen, begnügen^ sie hingegen --------

eine

Die Poe­

XVL Doch ich willL versuchen - die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten. Ich schließe so. Wenn es wahr ist^ daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Leichen gebraucht, als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulirte Töne in der Leit; wenn unstreitig die Zei­ chen ein bequemes Verhältniß zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebhv einander, oder deren Theile neben einander existiren, auf ein­ ander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, ^die auf einander, oder deren Theile

auf einander folgen. Gegenstände, die neben einander-oder deren Theile neben einander existiren, heißen Körper. Folg­ lich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, die aufeinander, oder deren Theile auf einander folgen, hem en überhaupt Handlungen, folglich sind Handlungen dcr eigentliche Gegenstand der Poesie.

268 bloßen Körpern,

die durch ihre Stellungen

Handlung vermuthen lassen, begnügen^ sie hingegen --------

eine

Die Poe­

XVL Doch ich willL versuchen - die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten. Ich schließe so. Wenn es wahr ist^ daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Leichen gebraucht, als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulirte Töne in der Leit; wenn unstreitig die Zei­ chen ein bequemes Verhältniß zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebhv einander, oder deren Theile neben einander existiren, auf ein­ ander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, ^die auf einander, oder deren Theile

auf einander folgen. Gegenstände, die neben einander-oder deren Theile neben einander existiren, heißen Körper. Folg­ lich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, die aufeinander, oder deren Theile auf einander folgen, hem en überhaupt Handlungen, folglich sind Handlungen dcr eigentliche Gegenstand der Poesie.

269 Doch alle Körper eristiren nicht allein in dem Raume, sondern auch in frd? Aeit^ Sie dauern fort,

und können in jedem Augenblicke Mer" Dauer anders erscheinen, 'Und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Wörbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden, und kann die llrsache einer folgenden, und sonach gleichsam das Centrum einer Handlung seyn. Folglich kann

die Malerei auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper. Auf der andern Seite können Handlungen nicht für sich selbst bestehen, sondern miifferl gewissen Wesen archängen. In so fern nun diese Wesen Körper sind, oder als Körper betrachtet werden, schil­ dert die Poesie" auch Körper, aber nur andeutungs­ weise durch Handlungen. Die Malerei kann in ihren ceexistirenden Ccmpositionen nur einen einzigen Augenblick der Hand­ lung nutzen, und muß daher den prägnantesten wäh­ len, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird. Eben so kaun auch die Poesie in ihren fortschrei­ tenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen^ und muß daher diejenige wählen, welche daS sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erweckt, von welcher sie ihn braucht. Hieraus fliest die Regel von der Einheit der malerischen Beiwörter, und der Sparsamkeit in den Schilderungen körperlicher Gegenstände.

270 3ch wttpde in diese trockene Schlußkette weniger Dertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die PrariSdeß Homer vollkommen bestätigt fände, oder

penn eß nicht vielmehr die Praxis des Homer selbst wäre, die mich darauf gebracht hätte. Nur ans diesen Grundsätzen läßt sich die große Manier des Griechen bestimmen und erklären, so wie der ent-egengesetzten Manier so vieler neueren Dichter ihr Recht ertheilen, die in einem Stücke mit dem Ma­

ler wetteifern wollen, in welchem sie nothwendig von ihm überwunden werden müssen. Ich finde, Homer malt nichts als fortschrei­ tende Handlungen, und alle Körper, alle einzelnen Dinge malt er nur durch ihren Antheil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Was Wunder also, daß der Maler da, wo Home» malt, wenig oder nichts für sich zu thun sieht, und daß seine Erndte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schöner Körper, in schönen Stellungen, in einem der Kunst vortheilhaften Raume zusammen­ bringt, der Dichter selbst mag diese Körper^ diese Stellungen, diesen Raum so wenig malen, als er will? Man gehe die ganze Folge der Gemälde, wie sie Eaylus aus ihm vorschlägt, Stück vor Stück durch, und man wird in jedem den Beweis von

dieser Anmerkung finden. Ich lasse also hier den Grafen, der den Farbeustein des Malers zum Probiersteine des Dichters

271 machen will,

um die Manier des Homer näher

zu erklären. Für Ein Dingr sage ich, hat Homer gemei­

niglich nur Einen Zug. Ein Schiff ist ihm bald das schwarze-Schiff,, bald das-hohle Schiff,, bald Vas schnelle Schiff, höchstens das wohlberuderte schwarze Schiff. Weiter läßt er sich in die Male­ rei des Schiffes nicht ein. Aber wohl das Schif­ fen, das Abführen, das Anlanden des Schiffes macht er zu einem ausführlichen Gemälde, zu einem Gemälde, aus welchem der Maler fünf, sechs be­

sondere Gemälde mächell müßte, wenn er es ganz auf seine Leinwand bringen wollte. Zwingen den Hower ja besondere Umstände, unsern Blick auf einen einzelnen körperlichen Gegen­ stand länger zu heften: so wird dessenungeachtet kein Gemälde daraus, dem der Maler mit dem Pinsel fol­ gen könnte; fordern er weiß durch unzählige Kunst­ griffe diesen einzelnen Gegenstand in eine Folge von Augenblicken zu setzen, in deren jedem er anders er­ scheint, und in deren letztem ihn der Maler erwar­ ten muß, um uns entstünden zu zeigen, was wir bei dem Dichter entstehen sehen. I.E. Will Homer uns dell Wagen der Juno sehen lassen, so muß ihn Hebe vor unseren Augen Stück vor Stück zusammen­ setzen. Wir sehen die Räder, die Achsen, den Sitz, die Deichsel und Riemen und Stränge, nicht so­ wohl, wie es beisammen ist, als wie es unter den Händen der Hebe zusammenkommt. Auf die. Räder

272 allem verwendet der Dichter mehr als einen Zug, und weisst uns die ehernen acht Speichen, die gol­ denen Felgen, die Schienen von Erz, die silberne Nabe, alles insbesondere. Man sollte sagen: da der Räder mehr als eines war, so mußtt in der Beschreibung eben so viel Zeit mehr auf sie gehen, ahs ihre besondere Anlegung Heren in der Natur selbst mehr erforderte.*) 'Hßr) «F ftius3 o/f60'6'1 £«).$ xaujTvZ« xv/Xa, Xt'XxEtt , OXTftZVr/ptX , K^OVL tt'Ufftg. Tmv qioi XQvfftT] trv$ uq 'Jiro? ,-ttuTctQ XaX.xfe1 tistoGürto«' TiooaaorjQOTct. &ai /tut td-taSw Ilj.tip.VM- J’ aoyuQOu tlcn 7uoidoouoi ictusoz xJiqqoq c£t xQuteotGt xcu «oytneototv ipaoiv 'EvTHttictr öoiai de TinpSoopot uvrityts fidir. Tov vpo$ tteXev* ciinaoi-i' «zocu zfqtfE yiYuduov xccXov £uyov, tv dt Xsnadva Ktö? , XQvdti1* — — — — Will uns Homer zeigen, wie Agamemnon beklei­ det gewesen^ so muß sich der König vor.unseren Augen seine völlige Kleidung Stück vor Stück umthun; das weiche Unterkleid, den großen Mantel, die schönen Halbstiefeln, den Degen; und so ist er fertig, und ergreift das Scepter. Wir sehen die Kleider, indem der Dichter die Handlung des Be­ kleidens malt: ein Anderer würde die Kleider bis

♦) Ii.acl. E. v, 7 22— 31

273 auf die geringste Franze gemalt haben- und von der Handlung hatten wir nichts -u fthe« bekommen?) -------- — — /xccXazov