Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften. Band 8 Zur Geschichte, Sprache, Litteratur und Kritik: (Fortsetzung.) [Reprint 2022 ed.] 9783112632369


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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften. Band 8 Zur Geschichte, Sprache, Litteratur und Kritik: (Fortsetzung.) [Reprint 2022 ed.]
 9783112632369

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Gotthold Ephraim Lessmg's

sämmtliche Schriften.

Achter Band.

Berlin.

3n der Vossische» Buchhandlung.

1 8 2 5.

Inhalt.

Zur Geschichte, Sprache, Litteratur und Kritik. l.

♦♦ Seite Uber Jbie sogenannten fabelnaus den Zeiten der

II.

Romulus und Rimicius...................................

3

Minnesinger................................... ...............................

96

m. Über den Anonymus des Nevelet......................... 141 IV. Die Nachtigall.................................................. . . . 158

V. Wörterbuch über Friedrich'- von Logau Sinn­ gedichte.................................................. 193

Zur Geschichte, Sprache, Litteratur

und Kritik.

I. Zber die

sogenannten

Fabeln

aus den Zeiten der Minnesinger.

Erste Entdeckung.

«üie Gelehrten in der Schweiz, welche sich um den schwäbischen Aetzraum der deutschen Dichtkunst so sehr verdient gemacht haben, schickten, ehe sie mit der großen Manessischen Sammlung von Minneliedern an das Licht traten, zum Vorschmack einen Band alter Fabeln voraus, die sie ungefähr aus den nämlichen Jahren zu seyn urtheilten. Wer nicht ganz ein Fremdling in der Geschichte unserer Litteratur ist, der kennt diese Fabeln, die unter dem Titel, Fabeln aus den Zeiten der Min­ nesinger, im Jahre 1757 zu Zürich in Octav her­ auskamen , und von allen, die Einfalt und Wahr­ heit in einer echten und lautern Sprache zu schätzen wissen, mit so vielem Danke ausgenommen wurden.

1*

4 Damals glaubten die Herausgeber, und glauben es ohne Zweifel noch, daß sie der Welt an diesen Fabeln etwas geliefert, was ihr so gut als völlig neu seyn müsse. Sie hielten sich nämlich für ver­ sichert, daß außer der Hälfte derselben, welche der Straßburgische Professor, Loh. Geo. Scherz, von 1704 bis 1710 in eilf akademischen Dissertationen mit einem weitläuftrgen Kommentar abdrucken las­ sen, sonst nichts davon im Druck erschienen sey; und sie also diejenigen wären, welche das Ganze zuerst aus ihren Handschriften bekannt machten. Wenn Herausgeber so etwas glauben, so glaubt es die Welt natürlicher Weise mit; denn man nimmt an, daß Herausgeber nicht unterlassen, so genaue Kundschaft als möglich deßfalls einzuziehen, Ich wüßte daher auch nicht, daß von irgend jemanden den Herren Schweizern die Ehre der ersten vollstän­ digen Bekanntmachung benannter Fabeln wäre abge­ stritten worden: und ich selbst bin länger als zehn Jahre der festen Meinung gewesen, daß sie ihnen auch nicht abzustreiten stehe. Denn nur erst 1769 gerieth ich auf den Verdacht, daß es doch wohl eben diese Fabeln seyn könnten, welche schon längst einmal gedruckt gewesen, und schon längst wieder vergessen worden. Ich bekenne es mit Vergnügen, wer mir auf die Spur dieses Verdachts geholfen. Es war der Herr von Heineke in seiner Nach­ richt von einer gelehrten Reise, die er das Jahr

5 vorher durch Niedersachsen und Holland unternom­ men hatte. *) . Da es ihm damit vornehmlich um die Aufklärung des Ursprungs der Druckerei zu thun ge­ wesen war (besonders in so fern sie in der alten Formenschneiderei zu suchen), und er in solcher Ab­ sicht alle dahin einschlagenden Seltenheiten, welche in den Bibliotheken dasiger Gegend aufbewahrt wer­ den, in Augenschein genommen hatte: so war ihm unter denen, welche ihm die Bibliothek zu Wolfen­ büttel in Menge anbot, auch ein deutsches Fabelbuch mit Holzschnitten vorgekommen, in welchem auf dem letzten Blatte steht, daß es zu Bamberg 1461 geen­ det worden, und welches er daher näher zu beschrei­ ben für werth hielt. Ich will damit nicht sagen, daß der Herr von Heineke der erste oder einzige gewesen, der dieses alte Fabelbuch gekannt und seiner Aufmerksamkeit gewürdigt hatte. Es . war schon vor ihm von ver­ schiedenen Dücherkennern angeführt worden, beson­ ders von Johann Saubertuß, in dem Anhänge seiner Geschichte der Nürnbergischeu Bibliothek, wo er die ersten Drucke dieses Bücherschatzes anzeigt, und es für ein Werk hält, das nicht mit bewegli­ chen Buchstaben gesetzt, sondern von eingeschnittenen Tafeln abgedruckt worden.**) Allein weder Sau-

Nachrichten von Künstlern u. Kunstsachen. S. 21. **) Io« Sauberti Historia Bibliothecae Reip. Bioribergensis. Norib. 1643. in 12mo. p. 116.

6

her Lus, noch sonst jemand, hatte etwas daraus mit­ getheilt, woraus der nähere Inhalt zu schließen ge­ wesen wäre: und nur der Herr von Heineke hatte die Aufinerksamkeit, dieses zu thun, und dadurch den Weg zu einer Entdeckung zu bahnen, durch den das alte Buch noch einen weit größern Werth erhält, als ihm von der typographischen Seite gebührt. Er führte närnlich die ersten Zeilen der etsten Fabel daraus an: Einsmals ein Affe kam gerant Da es viel guter mnse fand u. s. w. Und nun hätte ich die Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger viel weniger müssen gelesen haben, als ich sie wirklich gelesen hatte, wenn mir nicht sogleich hätte einfallen sollen, daß diese zwei Zeilen ja wohl auch der Anfang der allerersten Fabel von ihnen wären. Denn daß muse für nusse, es für er, verdruckt sey, das verstand sich von selbst. Was war also natürlicher, als der Gedanke, ob daß Dambergische Fabelbuch nicht wohl noch mehrere von jenen Fabeln enthielte? ja, ob es wohl nicht gar im Grunde weiter nichts, als ein früher unbekannter Abdruck derselben sey? Ich hätte gleich damals, durch meine Freunde in Braunschweig, sehr bald und leicht hinter die wahre Beschaffenheit kommen können. Doch, dachte ich, wer will eine jede solcher Spuren selbst verfol­ gen? Hier ist deutlich genug darauf gewiesen; der

7

Fingerzeig wird mehreren tu die Augen fallen: und wir werden bald hören, woran wir sind. Nur als ich selbst nach Wolfenbüttel kam, er­ innerte ich mich sogleich, daß das., wovon ich ganz gewiß vermuthet hatte, daß es auch ohne mich ge­ schehen würde, dennoch bisher unterblieben sey. Und da wäre eS denn unstreitig mehr Lässigkeit, als Ent­ haltung gewesen, wenn ich es nicht mit eins von meinen Ersten seyn lassen, wich auch hierüber durch meine eigenen Augen des Gewissem zu belehren. Es geschah; und mit dem ersten Blicke, den ich auf das alte Buch warf, war die Sache ent­ schieden. Ich fand nämlich, zu meiner nicht gerin­ gen Freude, in der That und Wahrheit, daß dieses zu Bamberg schon 1461 gedruckte Fabelbuch, schlech­ terdings nichts anders, als eben die Sammlung alter Fabeln ist, welche erst Scherz und dann die Schwei­ zer herausgegeben, unwissend, daß man ihnen längst damit zuvorgekommen, und daß der alte Dichter, dm sie ihres Fleißes für so werth hielten, gleich im Anfänge der Buchdruckerei für würdig geachtet worden, durch die neuerfundene Kunst allgemeiner bekannt gemacht zu werden. Oder wenn dieses die Sache nicht war, — wie man denn auch wohtschwerlich behaupten kann, daß alle Bücher, welche zuerst gedruckt wurden, auch zuerst gedruckt zu werden ver­ dienten — so erhellt doch wenigstens aus dem so schleunigen Abdrucke dieser Fabeln, daß sie damals ein Buch gewesen, welches viel gelesen ward; denn

8 wenn die Wahl der ersten Drucker schon nicht immer auf die besten Bücher fiel, so fiel sie doch sicherlich immer auf die gangbarsten. Eine Anmerkung dringt sich hier mir zu lebhaft auf, als daß ich sie ganz verschweigen sollte. — Wie wenig man sieht, wenn man nur das sieht, was man sehen will! wenn man für nichts Augen hat, als für seinen Kram! Und wie bekannt etwas seyn kann; und zugleich wie unbekannt! — Als erster Druck war unser Fabelbuch bekannt genug; nur als das, was es eigentlich ist , war es so un­ bekannt, daß es, völlig ungerügt, einmal und zwei­ mal als etwas ganz Neues, ans Handschriften konnte und durste gedruckt werden. Das macht: der LiLLerator verachtet meistens den Poeten; und her Poet lacht gemeiniglich über den LiLLerator. Jeder begnügt sich, um seine Welle zu gehen wie ein geblendeter Gaul. — Wer sich indeß auf die Seltenheit eines fccufc scheu Druckes von 1461 versteht, wird leicht begrei­ fen, daß weder Scherzen, noch den Herren Schwei­ zern aus ihrer Unwissenheit ein Vorwurf zu machen. Es wäre sonst eben, als ob man von ihnen verlangte, daß sie auch alle Handschriften sollten gekannt haben, die von den yamlichen Fabeln hin und wieder in Bibliotheken annoch verborgen liegen. Denn wahr­ eich ist ein so früher Druck an Seltenheit einer

Handschrift vollkommen gleich; und der insbesondere, von dem die Rede ist, wohl noch gar ihr weit daran

9 vorzuziehen. Denn Handschriften von diesen Fabeln kenne ich doch wenigstens sechse; da ich hingegen von der Bamberger gedruckten Ausgabe ein zweites Exemplar, außerdem unsrigen, nicht vachzuweisen wüßte. Wenigstens macht es mir der Herr von Herneke ungewiß, ob dasjenige Exemplar, welches Saubertus doch wohl wird gesehen haben, annoch in der Nürnbergischen Bibliothek befindlich ist, oder ob es gar jemals dastlbst vorhanden gewesen. *) Was aber, wie gesagt, jenen Gelehrten nicht zu verübeln steht, das würde einem Bibliothekar, der eine so einzige Merkwürdigkeit unter seinem Be­ schlusse hat, sehr zu verdenken seyn. Denn von diesem verlangt man sogar, daß er gelegentlich Mel­ dung^ davon thue, wenn man ihm anders zutrauen soll, daß er das, was er bewacht, auch kenne. Und daher glaube ich denn mit folgender Nachricht, selbst bei denen keinen Undank zu verdienen, die-ihr schriftstellerisches Verdienst um eine Kleinigkeit da­ durch geschmälert finden dürften. — Also zuvörderst das Äußerliche und Materi­ elle des Buchs W beschreiben: so setze ich zu dem, was der Herr von Heineke bereits von dem For­ mate und den eingedruckten Holzschnitten desselben *) Nämlich in einem neuen Werke (Id(;e "enterale (Tune Collection coinplette (FEstampes etc, ä Vienne 1771. p. 275.), in welchem er die in den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen ertheilte Beschreibung mit einigen Zusätzen wiederholt h-t.

10 gesagt Hal, noch dieses hinzu. *) — Daß Papier ist von ziemlicher Stärke, aber nicht von besonderer Weiße, und hat zum Zeichen den aus den Mainzi­ schen alten Drucken so bekannten Ochsenkopf. Ich merke dieses darum an, weil es sonach ein sichtbarer Beweis ist, daß besagtes Zeichen nicht schlechterdings einen Fau fischen Druck beweiset, wie Naud aus behaupten wollen; welcher Behauptung die Kenner zwar ihren Zweifel, aber doch, so viel ich weiß, noch kein wirkliches Beispiel entgegen gesetzt haben.**) — Die Blätter, deren in allen acht und achtzig sind, haben überhaupt keins von den Merkzeichen, durch welche ihre Folge bestimmt, und die Jusammenbindung erleichtert wird. Sie siird weder paginirt, noch gezählt; ohne Custos und Signatur: da­ her es um so weniger zu verwundern, daß sie hier und da verbunden worden. — Die Schrift ist eine plumpe stumpfe Fractur, fast so groß als die, welche in den Formatbüchern Doppel-Mittel-Fractur heißt. Dem ersten Ansehn nach sollte man sie für eben die Schrift halten, auö welcher Conrad Kacheloven seinen Donat gedruckt hat. Doch chei genauer Be*) Nämlich, daß eS in klein Folio sey, und über jeder Fa­ bel ein Holzschnitt stehe, dergleichen er einen copiren, und ihn sowohl seinen Nachrichten, als dem angesühr ten französischen Werke beidrucken lassen.

**) Christ. Goitl. Schwarzii Exercitatio , qua primaria quaedaxi documenta de Origine Typographiae ilhkstrantur. p* 45.

11 trachtung findet man -Lest etwas stärker, und in den Zügen einiger großen Buchstaben verschieden; zwar immer noch wenig genug, um das Deutsche für Lateinisch, und das Lateinische für Deutsch zu halten. — Die Werse sind nicht ab gesetzt, sondern laufen wie Prosa in einem fort, und machen der Zeilen auf jeder Sekte, die durch keinen Holzschnitt unterbrochen ist, fünf und zwanzig. — Die An­ fangsbuchstaben einer jeden Fabel find roth hinein­ geschrieben; mit welcher rothen Dinte oder Farbe denn auch die ersten großen Buchstaben eines jeden Verses ziemlich stark durchstrichen find; als wodurch, die illuminirten Holzschnitte mit dazu genommen, das Ganze einen sehr bunten Anblick macht. Won diesen Holzschnitten ist noch zu merken, daß der Mann in dem langen zugegiir^eten Rocke, mit der rechten Hand auf etwas weisend, wie er in der Probe, welche der Herr von Heineke davon nach­ schneiden lassen, neben den eigentlichen Figuren der Fabel in einer besondern Einfassung steht: daß, sage ich, diestr Mann eben so auch bei allen übri­ gen Bildern vor einer jeden Fabel zu sehen, und ohne Zweifel den auf seinen Vorwurf zeigenden Dich­ ter vorstellen soll. — Bon Unterscheidungszeichen ist keins gebraucht, als das Punkt, und auch dieses kommt nicht da vor, wo es der Verstand erfordert,

sondern steht am Ende eines jeden Verses, der Ver­ stand mag eine Unterscheidung leiden oder nicht. — Die Fabeln selbst find gleichfalls nicht numerirt,

12 rrnd ohne alle Anzeige des Inhalts. — Daß kein Titelblatt vorhanden, brauche ich kaum zu sagen; aber es zeigt sich auch sonst keine Spur von irgend einer Aufschrift, die das Buch geführt, oder führen könnte, selbst in den Schlußzeilen nicht, in welchen dergleichen doch sonst vorzukommen pflegt. Diese waren, vor dem.Herrn von Heineke, auch bereits vom Saubertus angeführt, und lauten so: Zu bamberg dies puchleyn geendet ist Nach der gepurt unsers Herren Lhesu crist Do man zalt lausend unde vierhundert jar Und ym einundsechzigsten das ist war An sant valenteins tag Got behüt uns vor seiner plag. Amen. Die Jahrzahl, die hier angegeben wird, ist außer­ ordentlich früh; und noch mehr muß der Ort be­ fremden, wo das puchleyn geendet seyn soll. Denn der gedruckten Bücher waren 1461 überhaupt noch so wenige; und unter -Liesen wenigen findet sich kein einziges, von dem man nur mit Wahrschein­ lichkeit behaupten könne, daß es außer Mainz ge­ druckt ^wäre. Bamberg müßte sonach nicht allein

mit unter den,ersten Städten Deutschlands seyn, in welche sich die Druckerei verbreitet hätte, worunter sie die alte Cöllnische Chronik doch nicht rechnet; sondern sie müßte schlechterdings die allererste seyn, denn selbst von Straßburg findet sich kein früherer Druck, als von 1466. Gleichwohl trifft man auch sonst kein Buch an, das um diese Zeit zu Bamberg

13 gedruckt wäre; und nach dem Verzeichnisse des Pr. Marchand*) ist das erste, welches^» dieser Stadt an das Licht getreten ,, von 1491. Sollte es möglich seyn, daß eine so nützliche, und damals so einträg­ liche Kunst, welche so geschwind daselbst bekannt geworden, auch wiederum so geschwind ins Stecken gerathen wäre? Und dieses ist denn auch wohl die vornehmste Ursache, warum man unser Fabelbuch lieber für eine von jenen Vorspielungen der Drucke­ rei, als für ein wirklich gedrucktes Werk halten wollen. In wie weit aber der Augenschein diese Vermuthung begünstige, will ich hier nicht untersu­ chen. Genug, daß, wenn er auch gänzlich dawider wäre, und man noch so offenbare Merkmale gegos­ sener Buchstaben fände, wo andere nichts als ge­ schnittene Tafeln zu erkennen geglaubt, man darum doch noch keinen Grund hat, die ganze Unterschrift in Zweifel zu ziehen. Anfangs zwar scheint selbst der Herr von Heineke hierzu nicht ungeneigt gewe­ sen zu seyn; und wenigstens wollte er ein Mißver­ ständniß dabei argwohnen. Denn er sagt in seinen Nachrichten, „es lasse sich nicht behaupten, daß unser Fabelbuch wirklich 1461 zu Bamberg gedruckt worden; es stehe bloß da, es sey in diesem Jahre daselbst geendet worden, welches von der Verfer­ tigung des Buchs eigentlich gelte." Nun weiß ich wohl, daß einige Data alter Abdrücke auf diese ') Histöire de Forigine et des premiers progres de Fiinprimerie, Part, I, p, 86.

14 Weise zu verstehen sind: und aus dem Worte ge­ endet ist freilich nichts für den Druck zu schließen. Doch.gewiß auch nichts dawider: und wenigstens müßte, wenn es ja nicht auf den Druck gehen sollte, sodann nicht die Verfertigung des Buchs, sondern lediglich die Verfertigung der Abschrift des Buchs, welche der Drucken vor sich gehabt, damit gemeint seyn. Denn das Buch selbst, die Fabeln selbst, sind unstreitig weit älter, welches so viele Hand­ schriften auf die unwidersprechlichste Art bezeugen. Doch es ist unnöthig, noch jetzt diese Erinnerung gegen den Herrn von Heineke zu machen, da er selber, in seinem neuern französischen Werke, auf seinem Argwohne nicht besteht, sondern es für gar nicht unmöglich erklärt, daß Bamberg eine von den ersten Städten, nach Mainz, gewesen, in welchen die Druckerei getrieben worden.*) Aber auch, dürfte man fragen, in der Vollkommenheit getrieben wor­ den, zu welcher der Herr von Heineke will, daß die Formenschneiderei sogleich übergegangen? Denn wenn unser Fabelbnch nicht von geschnittenen Tafeln abgedrnckt ist, so dürste man doch wenigstens glau­ ben wollen, daß es mit hölzernen beweglichen Buch­ staben gesetzt worden; und diese hölzernen Buchsta­ ben sind eß, welche der Herr von Heineke gänzlich aus der Geschichte der Druckerei will außgethan wis­ sen. Es ist schwer, einem Manne von seiner Er­ fahrenheit in solchen Dingen etwas entgegensetzen

*) Idee generale> p. 277.

15 zu können, waS ihm nicht längst bekannt sey. Und dennoch will ich es vielleicht ein andermal wagen, ihm einige Bemerkungen vvrzulegen, die gedachter seiner Hypothese entgegen stehen, und sich mehr auf eine Ärt von Jeuguissen, als auf mißliche Beur­ theilungen deS Auges gründen. Bor jetzt liegt mir au allem diesen nichts: genug das Buch ist da; mag es doch entstanden seyn, wie eß will. Ich komme vielmehr auf das Hauptwerk, welches der Text ist. Seinen Inhalt brauche ich meinen Lesern nicht bekannt zu machen, sondern allein das Verhältniß, in welchem er mit dem Texte steht, den uns die Schweizer gegeben haben. Dieses aber kann nicht besser geschehen, als durch Proben, aus deren Ver­ gleichung ein jeder selbst urtheilen kann, wie weit er sich an Sprache und Rechtschreibung von dem neuen, aus sorgfältig verglichenen Manufcripten ge­ lieferten Zürcher Abdrucke entfernt, und nm wie viel der eine dem andern, an Richtigkeit und Voll­ ständigkeit, entweder vorzuzieheu oder nachzusetzen. Ich will also ohne alle Wahl, so wie das Buch auffällt, einige Fabeln, mit möglichster Sorgfalt Buchstabe für Buchstabe copirt, hier mittheilen, und mit der ersten den Anfang machen. I.

Ainsmals ein affe kam gerant Do er viel guter nusse vant Der hette er gessen gerne

16 Am was gesagt von dem kerne

5 Der wer gar lustiglich unde gut

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Beswert was sein thumer mut Do er der pirterkeit entpfaut Der schalen darnach zu haut Begreiff er der schalen hertikeit Von den nuffeu ist mir gefeit Sprach er das ist mir worden kunt Si Haden mir verhouet meinen munt Hyn warst er sie zu derselben fart Der kerne der nusse im uye war^ Demselben affen sein gleich Beide jung arm unde reich Die durch kurze pitterkert Verschmehen lange susikeit Wenne man das feuer entzrmten will So wirt des Rauches dick ru vil Der thut eurem in den auaeu we Wenn man darzu bleset mee Biß es enzrmdet wirt wol Und dan Hitz gibt als es fei Das feuer sich kaum erwigt Das es hize und. licht gibt Also ist es umb geistlich^ Leben Welches meusch sich gor will ergeben Der muß Haden gros leiden Und vil dingeö vermeiden Darnach in viel mancher hertikeit Im ein anfanck ist bereit

17 Ee das feuer der mnne -Im enzundet sein fine 35 Hieran mag gedenken wol Der mensch der got dienen sol Der sol durch keinerley ablan Er sol am stetem dinst bestan. Ich will, wie gesagt, die Vergleichung dem Leser selbst überlassen. Wenn er aber finden sollte, daß sie ein wenig sehr zum Nachtheil des alten Dambergischen Druckes anssalle; daß in dem neuen Zür­ cher verschiedene Zeilen weit geschmeidiger und ver­ ständlicher aus den Handschriften geliefert worden: so wird er doch auch nicht in Abrede seyn, daß hmwiederum in jenem eins und das andere vorkommt, welches offenbar daS Bessere ist, und von den letzten Herausgebern hätte genutzt werden können. Wenn z. E. die Schweizerische Ausgabe in der I4ten Zeile liest, „Die nuß der kerne im nit wart" klingt dieses tn unserer nicht weit besser und dem Verstände gemäßer, „ Der kerne der nusse im nye wart?" Denn man sagt doch wohl unstreitig, der Kern der Nuß: und nicht, die Nuß des Kerns. Auch daß bei uns die beiden Zeilen, welche dort auf die 34ste folgen,

Und im tröstlich muige wesen Als wir dik hö'rent lesen gänzlich mangeln, ist-zu loben. Denn sie find so

18 überflüssig, und zeigen von st einer elenden Flickerei, daß sie unmöglich von dem Verfasser Herkommen können. — Eine zweite Probe sey die neunte Fa­ bel der neuesten Ausgabe, welche in unserer die achte ist. IX. (8.)

5

10

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20

Vier gesellen körnen über ein Das eS alles stl sein gemein Was sie der iagten auf der Heide Beide gros unde deine Das ein was ein lewe steysam Ern geis ein ochse was zam Ein schaf der vierd geselle was Sie lebten am ersten ane haß Ein hirs begegent in do Do wurden sye gar fto Do der von in gefangen wart Do wart nicht lenger gespart Er wart zu hawen schir Unde geteilet in vier Do sprach der lewe freißam Den ersten teil den muß ich Han Das stl mir durch mein adelkeit Vor euch allen sein bereit Das andre gibt mir mein krafft Und meyn grose meisterschafft Das dritte soll mir nicht engan Wan ich am allermeisten gevochten Han.

19 Mir beleih daun der vierde teil Die freuntschafft IteS" ich anders feil 25 Die wir zusamen haben geschworn Sie vorchten alle des lewen -zorn Die teil musten sie ym alle lan Und musten hungerig von darren gatt Es geschicht mibe ist auch recht 30 Wo sich gleichen wil der knecht Dem Herren durch sein thumen mut Das schabt ym mibe ist nicht gut Mit Herren Weichsel essen Wan sie haben sich des vermessen 65 Der sich nicht davor Huten wil Sie werffen in mit weichseln stil Die Herren sprechen wenn man teilen sol Ich gau dir deines rechten wol Hab dir das kalb las mir die fit 40 Ich nym dir anders was du hast darzu Also wirt der arme betrogen Und von den gewaltigen an gelogen Das mag anders nicht gewesen Vor gewalt mag nymant genesen 45 Wan gewalt get für recht Und wo sein sulch knechte Die des uit wollen abegan Die turnten die lenge nicht bestan Auch von dieser Fabel gilt, was ich von der ersten gesagt habe. Auch hiev giebt unser alter Druck verschiedene Kleinigkeiten an die Hand, die eher so,

20^ als so wie die Schwerzer sie lesen, aus der Feder des Dichters werden geflossen seyn. Wer zweifelt z. C. an der 7ten und 8ten Zeile, die bei jenen

weit leerer und kahler so lautet: Gin schaff der vierd geselle was Als ich an einem buoche las? Es ist der nämliche Lückenbüßer und Reimfüller, der in der vorigen Fabel bei uns ganz weggeblrebcn war, und in dieser bei uns mit einem so schönen und passenden Umstande ersetzt ist, daß, wenn der Dichter auch nicht wirklich so geschrieben, Ein schaf der vierd -geselle was Sie lebten am ersten ane haß er doch unstreitig so hätte schreiben sollen. — Ich glaube nicht, daß es nöthig seyn wird, noch mehr als eine einzige Probe anzuführen, die ich jedoch mit Rücksicht ans einen anderweitigen Umstand wäh­ len will. Es ist die,bekannte Fabel von dem Va­ ter, dem Sohne, und ihrem Esel; nach der Ordnung die zwei und fünfzigste in der neuen, und die sechs und vierzigste in unserer alten Ausgabe.

LIL (46.)

5

Eins mals zu markte für ein man Seinen sun er zu ym nam Einen esel darzu Vas Er bester gereiten mochte das Auff den esel saß der man

21

10

15

20

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30

Seyn situ muste gan Mit ym er het zu reiten nicht Nu fugt es sich von geschieht Das ym leut entgegen' kamen Die groß wunder namen Sie sprachen alle wie der man Reit und lest den jungen gan Ließ er den knaben reiten Und lief dem knaben per der feiten Daran thet er viel paß Do der alt erhöret das Aon dem esel saß er do Der jung saß auff und was fro Der ein zu dem andern sprach Do- er den knaben reiten fach Wart getreuer geselle meyn Der alt mag wol ein narre fein Das er lest reiten den knaben Der solt laufen und traben Und solt der alt reiten Vil kaum möcht er gepeiteu Das der alt auff den esel kam Zu dem knaben und reiten hin dan Den esel riten sie peide Das wart in schir zu leide Do ym die leut bekommen Numer dum nomen Sprachen sie alle sehet an Wie thut der alt man

35

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60

Sich gesezt hat auff das eseleyn Er und auch das knebleyn Sie wollen den esel haben tot Zwar es thut ym kein not Der alt solt rue Han Und solt den jungen laßen gan Die rede also geschach Der vater zu dem sun sprach Wol abe wir wollen peide gan Der esel auch soll rue Han Do komen die stauen und die man Sie sprachen alle nu sehet an Wie torecht die peide fint Der alte man und auch sein Eint Das ir nicht syn zu reiten hat Der esel der doch ledig gat. Do sprach der vater sun bilan Wir wollen peide zu fuß gan Und wollen den esel tragen Was dann die leut werden sagen Sie wurffen den esel nider Zusainen Junten sie ym sein gelider Und hingen in an ein stangen groß Den esel es sere verdroß Er wer vil Lieber gegangen Das er must an der stangen hangen Nu wol auff der vater sprach Der sun viel jemerlich sach Das er den esel must tragen

23 Dy leute begunden zu sagen 65 Man sicht wol das sie narren fuit An wizen siyt fiepeide blint Do daß der alt fach Daß ym nymand wol sprach Seuffzen er sere degan 70 Seinen sun fach er an Er sprach höre was ich dir sag Es sey dann das mich der esel trag Oder dich so sey wir thoren Treit er uns peide er ist verloren 75 Get er ledig so sein wir narren Tragen wir in den so an einer stangen So ist nyemant torchter dann wir Dovon rat ich dir Das du thuss recht und wol 80 Die werlt ist aller possheit vok An straffe mag nymant genesen Wer mag an hinder rede gewesen Wer an eren mag bestem Der sol durch kein dinck adelan 85 Er soll thun was ym fuget wol Auch wer er aller tugend vol Und wie vil ein mensch gut thut So dünket es die werlt nit gut Gesehen sint vil leut plint SO Der herze so vergifftig sint Was sie Horen oder sehen Das sie darzu das poste Lehen

24 Der sich vor den gehuten kau Es sint frauen oder man 95 Der mag wol frolich loben got Kmnpt er hin ane spot. In dieser ganzen Fabel, so wie sie hier und in unserer ersten Ausgabe zu lesen, ist schlechterdings nichts, was den Lesarten der neuen Ausgabe vorzuzrehen wäre. Vielmehr ist dieser alte Tert nicht allein durch offenbare Druckfehler verunstaltet (z. E. gleich in der vierten Zeile, wo es paß für das heißen muß), sondern auch an mehr als einer Stelle verstümmelt. Zwischen der I8ten und I9ten Zeile fehlen ihm folgende, oder ungefähr folgende Zeilen, wie sie die verschiedene Rechtschreibung und Mund­ art geben würde: Das er auch reiten solle Der alte gerne wolte Rebent bi dem esel gan Do bekamen in zwen ander man. Zwischen der 44sten und 45sten fehlt: Sus gingens uff der straffe hin Der esel ging auch letmti in. Deßgleichen nach der 64sten: Warta warta sechent an Ein esel trageni zwene man Der soelt sie beide billich tragen Wen mag es wol ze mere sagen. Denn so liest dieses alles die neue Ausgabe der Schweizer, vollständiger und richtiger: welches Lob

25 ich rhr, auch in noch mehreren Fabeür, nicht ungern zugestehe. Ja, ich will eben so gern emräumen, daß, wenn es überhaupt weiter nichts, als einige bessere Lesarten wären, die aus dem alten Bambttgischen Drucke zu ziehen, der Nutzen desselben sehr geringe seyn würde. Und gewiß hätte es sich kaum der Mühe verlohnt, mehr als mit ein Paar Worten der Entdeckung desselben zu gedenken. Es wäre ein Leckerbissen für den Bücherwurm, und weiter nichts. Doch weit gefehlt, daß es nur dieses seyn sollte: das Beste kommt noch. Als ich von vorne herein die Vergleichung Fabel vor Fabel anzustellen begann, konnte ich lange kei­ nen andern wesentlichen Unterschied entdecken, als daß in der alten Ausgabe einige der Fabeln gänz­ lich fehlten, welche sich in der neuen finden. Auf einmal gerieth ich im Blättern an das Ende, ryrd fand, daß dieses mit einem Epilog versehen sey, der mir ganz fremd war, und der durch einen be­ sondern Umstand meine schon erlöschende Neugierde mit eins wieder erweckte. Hier ist er, dieser Epi­ log , der mir die erste Hoffnung machte, daß, wo ich diesen Anbruch gefunden, der Ausbeute wohl noch mehr werden dürfte. Wer die peispil merken wil Der seze sich auff des endeS zil Der nutz leit am ende gar Der peyspil nemet eben war Lefsing'S Schr. 8. Bd.

2

26 Die that ist nit also gewesen Der geschicht als Lr habt Horen lesen Darumb list man ein peispil gut Das weiser werd des Menschen mut Hundert peispil Han ich geleit An diß puchlein und ist becleit (Star mit weisen «orten Einfeltiglich ah allen orten Und gezirt sind mein wort Doch Han ich cluger synn gehört Ein dürres tal offt treit Ein kern der susigkeit Ein kleiner gart offt gebirt Schlechte wort und schlecht gericht Das lebt nu in der werlt nicht LZil wort unde krump sein geflochten Der hat nu vast gefochten Wenn schlecht wort nutz sink Keinen frumen er von in genympt Es prediget mancher von hohem rgt Der sich selber nicht verstat Der wol das schwert prechen kan Dem ist es nutz vil manch man Lreit sper, Messer unde schwert Die ym sein deines nutz wert In seiner Hanl das ein ende hat Ditz puch das do hie geschrieben stat Wer es list oder lest lesen Der muß selig ymmer wesen

27 Und WLM es^zu lieb geticht sey Der muß ymer werden frey Bor allen rmglrrck pmmer mre Sein sele befind nymer wee. Ich will mich jetzt nicht bei einzelnen Ställen auf­ halten, welche so, wie sie hier gelesen werden, kaum verständlich sind. Ich will nur sogleich meine Leser jenen Umstand bemerken lassen, der mir so besonders auffiel. Doch ohne Zweifel haben sie ihn schon von selbst bemerkt. Es ist die Zeile: „Hundert peispil han ich geleit" Hundert Beispiele! Ganze hundert Fabeln also, sagt der Dichter ausdrücklich, daß er in seinem Buche erzählt habe. Und wo finden sich diese hundert Fa­ beln in der Ausgabe der Schwerzer? Diese hat deren, nach eigener Numerirung, nicht nrehr als vier und neunzig, oder gar nur drei und neunzig, wenn man genauer nachzahlt. Denn da, wo die eine Handschrift angefangen, springt die Zahl von XXIII sogleich auf XXVI. Und obschon dazwischen auf der 45sten Seite ein Absatz vorkommt, der ohne Zahl geblieben, aber die Zahl XXIV führen sollte, weil er eine besondere vollständige Fabel ist, so fehlt doch noch immer Nummer XXV; und in allem fehlen folglich, an der vollen Anzahl von hundert, ganzer sieben Stück. Aber die Bamberger alte Ausgabe wird sie doch vollzählig haben, diese hundert Stück * Das durste ich kaum hoffen; und zu meinem großen Leidwesen 2*

28 fand ich in ihr deren gar nur fünf und achtzig. Alles, womit ich mir also vor der Hand noch schrneicheln konnte, war die Unwahrscheinlichkeit, daß in derben Ausgaben gerade die nämlichen Stücke fehlen sollten. Und so war es auch nicht. Denn kurz, nach­ dem ich endlich Stück vor Stück verglichen hatte, fand ich mich «um ganzer sechse reicher; so, daß wenn die Anzahl XCIV in der 'Schweizer Ausgabe nur ihre Richtigkeit gehabt hätte, mir von allen hundert Fabeln unsers alten ehrlichen Dichters auch nicht eine einzige abgegangen wäre. Von den drei und neunzigen nämlich^ welche diese neue Ausgabe hat, mqngeln in der alten Dambergischen Nummer VL XVII. XXIV.*) XXXVIL XLVIII. LIV. LVL LIX. LXLV. LXVL LXXI. LXXV. LXXXL und LXXXIIL, folglich in allem vierzehn; wonach ihrer überhaupt nicht wehr als neun und siebzig bleiben würden. Dagegen hat sie, wie gesagt, sechs eigene? die jener abgehen, und die ich hier ohne weitere Vorrede mittheilen will. Sie folgen auf die neun und siebzigste alle hinter einander, nrrd müssen, wenn einmal in einer neuen Auflage die Schweizerische Ausgabe damit ver♦) So sollte nämlich, wie schon berührt worden, in der Schweizerischen Ausgabe der Absatz S. 48 nujnerirt seyn, welcher sich anfängt: „ Es was ein wjger vroeschen roll " n.

29 mehrt werden sollte,

ebenfalls da Hinter der vier

und neunzigsten, oder eigentlich drei und neunzigsten, in Einer Ordnung folgen; worauf drr schon ange­ führte Epilog M ganze Brich HefchKeßen würde. Daß sie ohne Aufschriften sind, wtifT mott schon.

80.

5

10

15

20

Vil krieges macht dein unde mein Das wart in einem krieg schein Bon dem ich gelesen han Es kriegten zwen reich man Mit einander umb gut Der krieg wert lang und ir mut Ir iglicher wolt haben recht Sie machten ein groß geprecht Des wart Lr fach hin gezogen Umb das w, iglicher wurde betrogen Bor dem der ir herre was Wer feit sie richten paß Das kein unrecht soll vor gan Gut recht sollten sie peide Han Do die fach gesezt wart Darnach nit lang wart gespart Bil heimlich do der ein man Gegangen zu dem Herren kam Und bracht ein ochsen der was groß Der clage den Herren ntt sere verdroß Er sprach lieber herre mein Last euch mein sach bevollen sein

^30^

25

30

35

40

45

50

Mein fach ist gut meyn wort sind schlecht Ich pit nit anders den recht Der herre sprach es sol gescheen Dein gab sol ich wol ansehen Des rechten ich mich wol verstau Diese rede vernam der ander man Mit rat für er heimlich zu Des Hern stau bracht er eyn ku Do des Hern stau die ku sach Fleißiglich er zu ir sprach Gnedige stau meyn Last euch mein sach bevollen sein Schweig stille und hab guten mut Dein sack) muß «erden gut Die stau zu dem Herren sprach Do sie die schone ku ane sach Durch mein willen hilff den man Das er sein sach mug behan Und sein gut deS pit ich dich Der pete verzeihe nit mich Der herre der stauen gerett das Do der herre zu gericht saß Do kamen auch die zwen man Und soll auch ir krieg ein ende Han Sie legten peide für ir clage Der richter nach der stauen sage Er stunt ym pei der ym gab dy ku Rede ochs sprach der ander darzu Wiltu nicht reden es ist zeit

31 Du meiner fach nit lenger peit

Rede an mein ochs des pit ich dich Durch nicht sottu laßen mich

55

Der herre sprach es mag nicht gesein Das do rede der ochs dein

Die ku den mund beschlossen hat

Den ochsen an stym er stat

Der ochs verlor sein sach gar

60

Das wart sein meister wol gewar Empfangen gäbe binden kan

Gabe entricht manchen man

Empfangen gäbe selben thut

65

An frguen und an manen gut Empfangen gäbe gepirt

Das offt recht zu unrecht wirt

Ein richter der do recht richten will Der bedarff keiner gäbe z« vil

Der richter sol nit abelan

70

Das recht sol er veste Han Wo das küssen rynnet zu Und enpfangen wirt die ku Do mag der kaum gesigen

Die ku ret der ochs was geschwigen

15

Das thet des kusses rat

Das dick schedlichen geraten hat

Mancher hoher richter unde sursprech Got es selber an ym rech An dem jüngsten tage

80

Wirt er verurteilt als ich euch sage

32 Das ist die englisch clage So mag ym selber nymant vertrage. 81.

5

10

15

20

25

Stat macht dieb als ich euch sag Uebrige gezirde schat nacht unde tag Wer sich dex masset der thut wol Als uns diß peispil sagen sol. Ein purger der hev in seinem hauELn katzen die manch mauß Ding' die was stolz und gemeit Ihr palck was schon unde wol gecleit Seinen nachpauern gevil sie wol Sein herz was begierde vvl Wie der die kazen möcht gehan Den palck sah er lieplich an Der was wery als der schrieNach der kazen was ym wee Durch nicht wclt er sie lasen genesen Der palck muste sein wesen Des kan ich genisen wol Funff schilling er mir gelten sol Darnach nit lang wart gespart Der kazen dieb gemeldet wart Und wart dem purger sunt gethan Wie das er die kazen woll getot Han Durch des palges schein Der purger sprach es mag nit grsein Sind der palck schaden tut

33

30

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45

50

Ich schick das er were behüt Und meyn gevgtter lest kr leben Ein erznei wit ich ir geben Mit einem schaub für ex zu Der kazen palck befenget er nit Daß er schwarz «nde manigvalt Flecket was und ungestalt Also behüt der purger do Sein kazen wer noch tut also Des kaze würd wol behüt Welche frau hat ein üppigen mut Und stellet auff gezirde groß Das manch frau nye verdroß Wer die behüten wil Der volge Lres willen nit zu vil Den palck er Lr besengen sol Das sie icht eym andern gevalle wol Durch des palges schein So stete mag kein stau gesein Wil sie sich der werlt geben Dil schier wird geschwecht ir leben Welcher frauen ir wirt wol gevelt Die leben in eren mannigvalt Weiplich geperde frauen zücht Die sint vor aller werlt gerucht Ein weib schon keusch unde wol behüt Erhebt manches mannes mut Nie auff ertrich pessevs wart Denn eine frau von guter art

34 55 Frumer stauen Leip nnbe mut Ist vor allen wandel behüt Die sol man unbesenget Ion Der kazen dieb lest sie wol gan Und aller eren ist sie wert 60 Ich hoffe sie würd von got gewert Was sie von ym wolt piten Got behüt Lr aller pten Durch alle werb reine Sie sind groß oder deine. 82. Man list von einem kindelein alsuS Das mit namen hieß papius Sein Leib was jung sein syn waren alt Sein herz auff weißheit was gestalt 5 Au rome es in das rathauß kam Mit seinem vater unde manchen man Wann rome manch witz pflog Es geschach auff einen tag Das sich fuget ein wunderlicher rat 16 Au rome in derselben stat Auch kamen sie über ein Das nymant weder groß noch dem Von dem rat solt sagen Do würd deß jungen muter fragen 15 Er sprach liebe muter mein Ich thu dir deines fragens schein Ich ging mit meinem vater anß

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Und kam in das rathauß Do sah ich manchen weifen man In dem großen rat stan Die muter sprach zu ym zu haut Was meinstu das sie heut hant So lang geraten liebe muter mein Das ich es sage mag nit gesein Das ich offen der romer rat Das man sust verpoten hat Do die mutet erhört das Das der rat verpoten was Do wart tr nach der fach not Sie wolt den knaben haben tot Sie schlug in sere der knabe sprach Do er die muter zornig fach Ich wil dir sagen was do ist der rat Den man heut geraten hat Es ist ob ein stau zwene man Mit recht mug zu der ee Han Oder ein man zwey weib Sie sprach fam mit feie und leib Wil pesser ist das zwen man Ein werb sollen Han Wan zwei weib ein man Helten Ich sprech daS und theten Sie gewunen nymmer guten tag Zwar ob ich es gefugen mag Ich so! es stolich widerstan Sie begund zu andern stauen zu gan

36 Sie thet ein weiplich that

50

55

Sie offent Les Herren rot Als Lr der knab het gefeit Sie sprach alle groß Herzeleit Und krieg müßen wir gegen in Han Es ist peffer ^as zwu fronen ein man Sollen unterdenig sein Wol aus lieben gespilen mein Sprach eine zu der artdern da Uns ist sorge vil nah Wir füllen des zu rat gan Und füllen es mit nichte lan Unser not füllen wir clagen

60

Und Horen was sie sagen Do die fach also geschach Und die fronen der rat an fach Sie wunderten alle was das möcht gesein Sie enpfingen sie und liefen sie ein

65

Und als sie die sach hetten vernumen Darumb sie dar waren kumen Sie richten sie schon wider heim Und sprachen wir sollen all über ein

Kumen des das ein man wol An einem weib denugen sol Die fronen gingen wider heim Do sprach der ratherrn ein Wovon mag das sein knmen Das die fronen haben vernumen 75 Do sprach der knab papius

70

37 Do ich gestern kam zu hauß Do wolt mein muter missen das Wes man zu rat worden was Do woll ich sie nit wissen lan 80 Do geriet sie mich gar fere zu schlan Eyn lugen der dachr ich auff der stunt Und sprach das wort das euch ist worden sunt Won den frauon nu Sie sprachen dank hab du 85 Und verboten das kein kind mee Kem in den rat als ee Wann dieser knabe was acht jar alt Seiner weißheit er nicht entgalt Der do heimlich raten wil 90 Der getrau Lindern nit zu vil Wan kinder und ein trunckner man Mugen heimlich mcht behan Unstet ist der fraüen mut Des seyn ir wort nit wol behüt 95 Was eyn frau weiß wie schad es ymer mag gesey 3« hant wissen es zwu oder drei Wovon dir mag gescheen leit Das las der frauen ungeseit Was du wilt verholn Han 100 Das soltu das weid nit wissen lan Doch man sy darumb loben sol Sie mugen daß verholen wol Das sie das nicht wissen Wann mancher wirt von in beschissen

38 105 Das ist wol worden schein Danck hab der der an sie wol mag gesein.

5

10

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25

63. Von eurem pifchoff list man das Das er in grossen eren saß Gelerter Pfaffen het er viel Sein wirdigkeit was an ALL Nu het er einen jungling Ein schuler kundig auff alle drng Dey dem was seins vettern kinr Der war dem pischof gar gemynt Er het auch ein weisen man Als ich das vernumen Han Ein erztprister gesezt ein Den leuten zu einem guten schein Nu fuget es sich auff einen tag Das der erztprister siech lag Und also siech starb Der jungling umb das ampt warb Der pischoff thet was er begert Doch des ampts was er ungewert Darnach nit lenger wart gespart Dem pischof gesendet wart Ein kerbe mit guten piru vol Des danket er dem poten wol Gar lieb was ym das geschank Er sprach zu dem seyn zu hant Wem mag ich getrauen wol

39 Der mir der pirn Huten sol

Wurde mir der pirn eine verlorn

Das wer mir uit ein cleiner zorn

Zu dem jungling sprach er da

30 Ist das ich dir la Der pirn ich dir getrauen sol Ein pessern Hüter fünde ich wol

Ich furcht geb ich dir deu geweilt Sy wurden gessen gar pald

35

Ich wil mit nicht der pirn dir

Getrauen des glaube mir

Dise red erhört ein weiser man Mit ernst sach er den pischof an

Er sprach nu erparm es got

40

Das ir begangen habt den spot Das ir so manch falde hant

Bevolhen der euch ist bekant Sein kiutheit und sein jugend

Dovon ir yiner mugent

45

Ungemach haben unde leit Won dem dem ir die pirn habt verseit

Au hant sol der Pfleger wesen Der feie wie mag dann genesen Das schaf so der wolff zu einem Hirten wirt

50

Auff der strafe wird verirt Der der den blinden furen sol

Watten sie peide das ist wol Die schaf gar verirret frnt Wan zu einem Hirten wirt ein Eint

40 55

60

65

70

75

Wie bericht der einige man Der sich selber nicht berichten satt Wie mag der gespeisen wol Wan der selb nymer wirt vol Und lebet stet in geitikeit Zu scheren sind sie bereit Speisten sie die schaf also gern Also wol sie die schaf-kunen geschern Die schüf stunden desterpaß Nu get ir arger list auff das Wie die schaf wurden geschorrv Ob sie ymer wurden verlorn Darauff sind sie besorget gar Sie entruchten nit wie dy sele far Der weise pischof beval Dem jungen die sele an zal Und wolt bestlhen nicht Die pirn das noch offt geschicht Das er der Huten sol Uder eyn pirn getrauet wol Wer sie behüt dem wil got geben Umb sein Huten das ewig leben.

84. Von einem ritter sagt man das Das er in großen mtx sas In reichtum und in wirdikeit Seinen sun hat er geleit 5 Zu schule nu kam er auff die trist

41

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30

Das er die pucher und die schrist Lil clein geriet zu verstan Der ritter wolt nit abelan Er Hel gern eyn Pfaffen güt Auh ym gemacht das fein'mut Iu schule sant er in gen pareiß In fünften sott er werden weiß Mit großer kost er do was Doch er nit gar vil las Er vant do gesellen vil Mit allerley feiten spil Zu pareiß lebt er manchen tag Do er vil weißheit pflag Sein zerung was mrmasen groß Des sein vater gar sere verdroß Do er wider zu lande kam Und weißheit soll Han Sein vater was gar fro Ein groß wirtschaft macht er do Sein freunde lud er alle gleich Peide arm unde reich Die zusarnen feinen dar Sie nomen des Pfaffen alle war Sein geperde waren clug Nach pfeffenlichen sitten gnug Nu fach er durch die fluten durch Do was eyn loch geporet durch Darein was ein ku zaget geschlagen Do hub der hohe pfaff an zu sagen

42 35 Mich hat groß wunder genumen Wie die ku durch das loch ist turnen Und in dem loch belieben ist Der zagel zu dieser frist Er ging auch für das hauß 40 Und stellt sich für die thur hin auß Und lugt sere den Himmel an Der monde beguttjb schyn auff zu gan Wil sere fach er sich umb da Sein freunde waren alle fro 45 Sie wenten alle des sicher zu wesen Er het astronomiam gelesen Und wer ein herre in hoher kunst Do was weder witz noch Vernunft Do er den mond ane fach 50 Wil schnelle ging er hin unde sprach Eines dinges mich wunder nympi Des ich mich uit hab geflissen sinr Das der mon gleich auff gat Dem mond zu pareiß in der stas 55 So sere das wundert mich Sy sint an einander ungleich Es qruß sein gar ein weiß man Der die zwen unterscheiden kan Do der rittet das ersach 60 Au seiyen freunden er sprach Won fach wegen ist mein herz zorn Kost und erbeit ist gar, yerlorn Es dünket mich in meinen sinnen wol

43 DaS er ist aller narheit vok

65

Der vater und die freunde fein Musten in ein thoren laßen ft in

Wer von natur ist unbeflnt

Und myner witz hat darr eyn kint Dem mag die schule zu pareiß 70

An sinnen nymer machen weiß

Ist er ein esel und ein gauch Dasselbe ist er zu pareiß auch

Wo die natur verirt ist

Was schrifft do hoher Pfaffen ist

75

Was hilfst das einer zu schule fert Und groß gut an nutz verzert Er höret hohe meister lesen

Ein narre muß er doch ymmer wesen Gute pucher gewinnet er wol

80

Ein guter Pfaff er nymmer werden sol Hie heim ein narre ein rint dort Dorcht ire werk tump ire wort

Süllen sie wesen des gelaß Nye kein pfaffe furpaß.

85. Ein marckt hub sich in einer stat Der marckt vil großer freiheil hat Es waren frauen oder man

Wer do wolt zu marckte gan

5

Der Hel fride syben tage Nu höret was ich euch sage

44

10

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20

25

30

35

Der marckt was wol behüt Do was feil allerley schlacht gut Was ymant zu faussen gert Des wart er auff der stat gewert Ein hoher pfaff an fünften rerch Kam auff den marckt und thet gleich Als er ein Kauffman solt wesen Er sprach wer do wil genesen Das er mug haben heil Große weißheit hab ich feil Für den kunig die rede kam Sein knecht sandt er hin dan Das die mit nicht vermiden Dan das sie schnelle riden Und ym kaufften die weißheit Er sprach ym were nit lett Was sie t) atu mb musten geben Dir knecht vernumen eben Groß silber sie do nomen Do sie zu dem meister tonten Sie sprachen wir sint her gesaut Mein herre der kunig hat euch verwant Das ir das silber sult nemen Und sult ym der Weisheit geben Er empfing das silber und sazt sich nieder Er schreib ein wort und sant wider Dem kunig pey den knechten seyn Das wort von deutsch zu latem Sprach du soll das end ansehen

45

40

45

50

55

60

Deiner werk wan was dir gescheen Trr darumb mug gescheen künstlich Der weißheit sottu steiffeu dich Den kunig brevgt diese gepot Das daucht sie gar em spot Sie Heiken alle des geschworn Das gut wer gar verlorn Darumb die weißheil ist gegeben Domit der kunig sein leben Gehut der kauff gcvil ym wol Das wort was großer kirnst vol Er hieß es schreiben an sein thur Mit gülden puchstaben wer do sirr Ginge per möcht eö wol lesen Der kunig wer anders tot gewesen Eins mals als ich euch sagen wil Het er heimlicher veint yil Dy stellten sere auff sein tot Und heimlichen das sie nit in not Komen für die Missetat Nu grngen sie heimlich zu rat Ein ebenteuer die was cleiu Gemeiniglich komen sie überein Das sie gelt und gut wollen geben Einem barbirer der dem kunig sein leben Neme so er ym soll scheren Sie wollen ihn des gelts geweren Als schnelle er es het getan Nu wolt der scherer heimlich gan

46 65 Au dem kunig in den Pallas Und wolt von stund enden das Darumb er empfangen het das gut In große forcht kam sein mut Do er dy schrifft fach an Do begund er aldo stille stan Das ende deiner werk soltu an sehen Und was dir darumb mag geschehen Wil schnelle er zittern begatt Ein totlich färb er gewan 75 Do tu der kunig ane fach Schnelle er zu ym sprach Sag an was ist dein not Oder du must leiden den tot Der kunig ließ in schnelle sahen SO Und vil schwerlichen schlahen Der Lekant des mordes den er wolt haben gethatr Des er durch der schrist willen must Ion Die ym das erwendet hat Daß auff der thur geschrieben stat 85 Also dehitt der kunig sein leben Sein veind musten ym all geben Im das gut das was wol Das gekaufft wort das was nutzes vol Wer das end ansehen kan 90 Seiner werk daS.ist ein weiß man Wer das end ansehen wil Der kumpt nit auff der reue zll Das ende vertreiben kan

47 Die fünde wer do flehet an 95 Ern gut ende macht das Alles das vor pofe was Ein gut ende macht alles daS gut Ein gut ende nymer übel thut Der.schifman in dem ende stat 100 Und richtet das eS wol gat Wer sich do in das ende leit Und gewynet mit ym nymer groß leit. Alle diese sechs Fabeln (die zwei und achtzigste ausgenommen, yelche aber auch eigentlich keine Fa­ bel, sondern die wahre Geschichte des jungen Vapirius ist, dessen Namen in Pap ins verstellt wor­ den) wird man von keinem ältern Dichter erzählt finden. Ob fle aber darum ursprünglich deutsche Erfindungen find, davon ein Mehreres in meiner zweiten Entdeckung über diese sogenannten Fabeln aus den Zeilen der Minnesinger, welche den wahren Namen des Verfassers betrifft. Ich sage jetzt nur so viel davon, daß dieser Name, aus einer Handschrift unserer Bibliothek, von Gottscheden mit einer Oscitanz — ich weiß kein anderes Wort, Unachtsamkeit sagt viel zu wenig — angegeben wor­ den, die schwerlich ihres gleichen haben dürfte^

48

Über Die

sogenannten

Fabeln

aus ,ben Zeiten der Minnesinger.

Zweite Entdeckung.

langer muß ich die zweite Entdeckung, die ich über die sogenannten Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger gemacht habe, meinen Leser nicht schuldig bleiben. Sie betrifft, wie er schon weiß, den Namen des Dichtexs. Gottsched nämlich hat versichert, ihn in einer Handschrift gefunden za haben, welche unsere Bi­ bliothek von diesen Fabeln aufbewahrt. Und so, wie er ihn will gefunden haben, so wie er ihn dar­ aus mittheilt, haben ihn selbst die Schweizer auf Treue und Glauben anzunehmen, kein Bedenken ge­ tragen. Unsere Handschrift, sagt er, sen auf Pa­ pier, habe schlechte zu derr Fabeln gehörige Figuren, und sey so zerrissen mW mangelhaft, daß bisweilen

49^ halbe, ja ganze Fabeln, nebst ihren Bildern fehlen „Weßwegen uns aber," fd#ti er fort, dieser

Braunschweigische Codex lieb gewesen, ist dieses, daß er am Ende eine Jahrzahl, Md außerdem eine Erwähnung des Namens von dem Dichter in sich hält: zu geschweige«, daß er die allermeisten Fa­ beln in sich begreift. Scherz hat nur 51 druckey lassen, obwohl seine Handschrift noch mehrere ge­ habt. Die Wolfenbüttelsche aber begreift 90 Fabeln und noch einen Beschluß, den der Verfasser, wie die Fabeln selbst, das XCI. Capitel nennt. Die Jahrzahl am Ende ist MCCCCH. Der Name des Verfassers wird in folgenden Zeilen erwähnt : Von Riedenburg ist er genant, Gott muß er ymer seyn bekant, Und das er das zu teutsch hat gepracht Von Latein, so muß sein gedacht Amer zu gut werden In Himel u. auf erden. Dieses schrieb Gottsched im Junius 1756,*) ein Jahr vorher, ehe die Schweizer ihre Ausgabe au das Licht treten ließen. Gleichwohl wußten sie entweder damals von Gottsched's Entdeckung noch nichts, oder wollten, nichts davon wissen; sondern erst in der Vorrede zu der bald darauf erscheinenden Chriemhilden Rache, fanden sie für gut, mit gänzlicher Verschweigung von Gottsched's Namen, •) Neuestes auS der unmuthigen Gelehrsamkeit, S. 424. Üesnng'ö Schr. 8. Dd.

3

50 Gebrauch davon zu machen. „Man hat," sagen sie, „ die Fabeln ans den Zeiten der Minnesinger, von deren Verfasser jetzt bekannt ist, daß er der Burggraf von Riedenbrrrg gewesen, von welchem wir etliche cwtige Strophen in der Manessischen Sammlung haben, mit dem Lobe beehrt u. s. w." Und in der Note berufen sie sich deßfallß auf ebeit dieselbe Handschrift unserer Bibliothek, und führen eben dieselben Zeilen daraus an, die wir Go li­ sch eben daraus anführen, gesehen. Indem sie nun Gottscheden die Ehre dieser kleinen Entdeckung nicht gönnen wollen: so waren sie es werth , wenn man ihnen nun nachsagte, nicht, daß sie sich bloß von ihm verführen lassen, sondern daß sie, bei ei­ gener Emschauung der Handschrift, sich sreierdings der nämlichen Oscitanz schuldig gemacht, die ich an Gottscheden bewundere. Doch ich weiß, daß sie dieses nicht haben; und höchstens kann ihnen nur die voreilige Zuversichtlichkeit zur Last gelegt werden, mit welcher sie versichern, daß der Dichter Rie­ denburg von Gottscheds Schaffung, ebenderselbe Burggeaf von Rietenburg sey, von welchem uns die Manessische Sammlung einige Strophen aufbe­ halten. Denn hierzu konnten sie, außer der Ähn­ lichkeit des Namens, doch nicht den geringsten Gnmd haben; welche Ähnlichkeit für sich allein, selbst

alsdann so viel als nichts beweisen würde, wenn auch Gottscheds Vorgeben schon seine völlige Rich­ tigkeit hatte.

51

Nun aber, da auch dieft wegfällt — Denn kurz; wahr ist es zwar, daß Gottsched den von ihm so und so beschriebenen Codex aus unserer Bi­ bliothek gehabt, und daß sich in denselben die an­ geführten Zeilen von Wort zu Wort befinde:). Al­ lein es ist nur Schade, daß sie das nicht sagen, was sie Gottsched sagen läßt, und daß der gute Mann nur zwei Zeilen hätte weiter lesen dürfen, um seinen Irrthum einzusehen, welcher, mit einem Worte, darin besteht, daß er für den Verfasser den Mäcen des Verfassers, für de» Dichter den vnnehmen Mann genommen hat, dem zum Besten ersterer gedichtet oder übersetzt zu haben versichert. Der Epilog nämlich, welchen ich aus der Bam­ berger Ausgabe *) angeführt habe, und welcher sich daselbst mit den Worten Sein seke befind nymer werschließt, hat in unserer Handschrift noch einige Zeilen mehr, deren Anfang ebendieselben sind, auf welche sich Gottsched beruft. Wenn nun also auf den Wunsch, für das Wohlergehen dessen, für den der Poet gedichtet: Und wem eö zu lieb gelichtet sey Der muß ymer werden frey Vor allen Unglück ymer mee Sein sele befind mittet wee unmittelbar in der Handschrift folgt, Von Aiedeuburg ist er genannt Gott muß er ymer fern bekannt:

Siehe S. 26-27, 3*

52 ist es^richt klar, daß der Name Riedenburg sich auf das Vorhergehende beziehen muß? sich auf den bezie-' heu muß, dem zu li.eb das Buch gerichtet sey? Besonders da gleich darauf ein zweiter Name folgt, welchen übersehen zu haben, ich Gottscheden eben verdenke, und welches kein anderer seyn kann, als der Name des, der das Buch gedichtet hat. Um dieses in seinem völligen Zusammenhänge emsehen zu lassen, will ich. den ganzen Epilog, der in der Bamberger Ausgabe sehr verhunzt und kaum zu ver­ stehen ist, aus dem Manuskript noch einmal herset­ zen, und ihn zu leichterer Verständniß NorhdiLrstig interpunktiren; jedoch ohne weiter das geringste darin

zu ändern. Von dem meister der ditz puch von latein zu dewtsch hat Pracht.

5

10

Wer dy peyspil merken wil, Der setz sich auf des endes zil. Der nutz leyt an dem end gar Diser peyspil, nemt es war. Dy tat ist nit also gewesen Der ding, als man hat gelesen. Darumb list man ein peyspil gut, Das weiser werden der Menschen mut. Hundert peyspil Han ich Hy für geleit An ditz puchlein, die ditz becleyt Sint mit weysen Worten, Einfelticlich an allen orten.

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Doch Han ich cluger syrmen hort Rn weyse, und auch an worr. Ein dürres tat dick treyr Ein ferp der siissikeit. Ein cleyner gart ost gepirt Dy frucht, der man getrost wirt. Schlechte wort und schlechte gericht, Dy leben nu in der welt nicht. Dil wort kruntp sein geflochten/ Der hat nu vast gefochten. Wem schlechte wort nit nutz sint, Kem nutz er von den krumen pringt. Es prediget mancher von hohen tat/ Der er doch selber nicht verstat. Der wol das sper prechsn fan, Daß ist nütz vil manchem man. Freyt sper , messet und sch wert/ Dy doch sint cleins nutzes wert, In seiner haut. Ein end hat Das puch, das geschrrben stat. Wer das list oder letzt lesen Der muß selig ymmer wesen! Und wem das zu lieb sey tzZeticht/ der muß ymmer wesen frey Dor allem Unglück, ymmer me, Sein feie leyde nymmer we! Don Rindenperg ist er genant, Got muß er ymmer sein bekant! Und der es zu dewtsch Pracht

54 Von latein, des muß ymmer gedacht Zu gut werden, In Himmel und in erden! 45 Er ist genant Donerius, Ein ritter gotz alsüs Er fristet uns vor der helle glut. Das wir ymmer sein behüt Vor des tewfels samen. 50 Sprecht alle, in gotes namen! Donerius also, Donerius, nicht Rieden­ burg oder Riedenberg, hat unser alter Fabel­ dichter geheißen. Was kaun deutlicher, was kann unstreitiger seyn? Alles, was sich zu Gottsched's Entschuldigung noch etwa sagen ließe, wäre dieses, daß der Epi­ log, so wie ich ihn hier mittheile, nicht aus eben­ derselben Handschrift genommen ist, die ihn zum Gebrauche vergönnt gewesen, sondern aus einer zweiten, intb daß in jener die 40ste Zeile allerdings ein wenig anders und so lautet daß vielleicht auch ein anderer seinen Fehler könnte begangen haben, wenn das Vorhergehende und Nachfolgende nicht wäre. Anstatt nämlich, Und der es zu dewtsch Pracht, welches sich nicht anders, ials auf den folgenden Donerius beziehen kann, heißt es dort, Und das er das zu teutsch hat gepracht, welches von dem vorhergehenden Riedenburg ge­ sagt zu seyn scheinen könnte, wenn schon sonst etwas

von ihm gesagt wäre, womit dieses durch ein und zu verbinden gewesey, und stch das Er in dem Non Riedenburg ist er genant nicht so genau an den anschlösse, strr Ven das Buch gedichtet worden. Damit man aber auch nicht meine, daß in unserer Handschrift, welche Gottsched ge­ braucht, der^Nachsatz" von dem Vonerius überhaupt fehle: so will ich den ganzen Schluß ebenfalls dar­ aus hersetzen. AZon Rkdenburg ist er genant Got muß er yiner seyn bekant Und das er das zu teutsch hat gepracht Don latent so muß sein gedacht Ammer zu gute werden In Himel und auf erdeir. Er ist genant Benerius Gott frist ihn und auch unS. Er behüt uns vor der Helle glut Und heisse uns das wir werden behüt Vor des Lebens taten Und vor der werlt geraten Und vor des tewfels samen Nu sprecht alle Amen. Daß hier verschiedene Zeilen ganz anders klingen, darf man sich nicht befremden lassen. Es war das Schicksal der deutschen Dichter aus dieser Zeit, daß sich die Abschreiber mit ihnen mehr, als mit allen anderen Schriften erlaubten. Jeder schaltete ein und änderte, wie es ihm gut dünkte oder aus der

56 Feder- fiel. Cs würde eine unendliche Arbeit für die Kritik seyn, die wahre Lesart des Verfassers wieder herzustellen; und oft wüßte ich gar nicht, wie sie es anfangen wollte, wenn sie nicht das Autographon des- Verfassers bei der Hand hätte. Wer kann hier z. E. mit Zuverlässigkeit entscheiden, wie eigentlich die 46ste Zeile zu lesen, oder'auch nur zu interpunktiren sey? und ob es wahr ist, daß Donerius ein Ritter gewesen? wie die eine Hand­ schrift will, und wovon die andere durchaus nichts weiß. Kaum läßt sich mit einiger Gewißheit sagen, ob die Namen hier oder dort richtiger geschrieben. Denn warum kann Rindenberg nicht eben sowohl eine Familie gewesen seyn, als Riedenburg? Nur Benerius ist wohl offenbar das falsche; denn ich wüßte mich keines solchen Namens zu erinnern. Hingegen ist ein späterer Hir. Boner sogar unter den deutschen Übersetzern sehr bekannt. Da ich nun aber bereits schon zweier Handschrif­ ten unserer Bibliothek von diesen Bonerschen Fa­ beln (wie ich hoffe, daß man fie nun künftig nen­ nen wird) gedacht habe, Und sie auch noch eine dritte und eine vierte besitzt: so muß ich wohl vor allen Dingen erst einige nähere Nachricht vom ihnen insgesamt ertheilen, bevor ich, was ich noch von den Fabeln selbst anzumerken hübe, und worauf mich zum Theil diese meine zweite Entdeckung ge­ bracht hat, auskrame. Die erste also, welches diejenige seyn mag,

57 die Gottsched gebraucht hat, ist von ihm hmlä'uglich beschrieben. Ich darf nur noch hinzusetzen, daß von den 90 Kapiteln oder gatrtln, -welche sie zahlt (die sie aber lange nicht alle mehr enthält), die ersten 84 in der Ausgabe der Schweizer Vorkommen; die letzten sechse aber die nämlichen find, welche sch aus dem Bamberger alten Drucke mitgetheilt habe, und sich hier bald besser, bald schlechter lesen lassen. Damit man hiervon einigermaßen selbst, zugleich auch von dem Dialekte, urtheilen könne, in welchem die garue Handschrift abgefaßt ist, will ich die eine, nämlich die 88ste, daraus hersetzen. Sie ist überschrieben:

Von unwerdem Ampt. Von einem Bischoff list man das Das er in hohen eren saß Gelertter Pfaffen hett er vil Sein'wirdigkeit was one zil 5 Nu hette er einen Junglingk Dey im der was seines vettern kint Des was der Bischoff gar wol gemint Er hette auch einen weisen man In Ertzbriester gesetzt hindan io Ru fuget es sich auf einen tag Das der Ertzbriester lag Und also siech was das er starb Der Junglingk umb das Ampte warb Der Bischoff tet was er begert 15 Noch was er des Amptes ungewert

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40

Darnach nicht lange ward gespart Dem Bischoff gesandt wardt Ein korb was guter Biren vol Des danket er dem boten wol. Gar lieb was im die beysaut Iu dem gestnde sprach er zuhant Wem mag ich getrawen wol Der mir der Byren Huten sol Wurde mir der Byrn' eine verlorn Das were mir nicht ein deiner zorn Iu dem Jüngling sprach er do Mich duncket du seist zu thine darzu Ich getrawe dir nicht über die Byren wol Einen andern ich sie bevehlen sol Ich vorcht und gebe ich dir sie in deinen gewalt Sie wurden alle geßen ungetzalt Ich wil nicht über die Byrn dir Getrawen das glawbe mir Diese Rede hort ein weiser man Mit ernist sah er den bischoff an Er sprach im mutze erbarmen got Das ir begangen habt den spot Des ir sie so manchem bevohlen habt Dem der euch feitet wol Und den sein kintheit und Jugent Davon ir muget die Lugent Ungemach haben und leyt Dem rr die Byren habt verseit Zuhannde sol der Pfleger wesen

59 45 Wie mage das gut gewesen Das geschicht so der weiss zu einem Hüter wirt Und auf der straßen vert Wo der blinde furen sol Den plinden vallen sie beide daS ist wol 50 Die schaff gar verirret sind Also schir der wirt ein kint Wie bericht der einen man Der sich berichten nicht enkan Wie mag der speisen wol 56 Die Schaf nemet war Und lebet in steter geitigkeit In scheren sind sie alle bereit Speisten sie die schaff als gern Als recht wol sie konen scheren 60 Die schaff stunden bester baß Nu gibet ir arge list waS Daß die schoss werden geschorn Ob die feie wirt verlorn Darauf haben sie versorget gar 65 Sie achten nicht wie die feie gefar Der weise bischoff der bevalhe Dem Zungen sele onetzale Und wolde im doch bevelhen nicht. Die Dyren des dick geschicht 70 DaS er feie Huten sol Derl man noch nicht betrüben sol. Eben diese Fabel will ich auch aus unsrer zwer'-ten Handschrift hersetzen, um gleichfalls daraus von

der Mundart derselben urtheilen zu können, und zugleich eine Probe zu haben, wie man aus allen drei Texten nun vielleicht einen vierten zusammen­ setzen könnte und möchte, der, wenn er auch nicht vollkommen der ursprüngliche Text des Verfassers wäre, dennoch, wenigstens in Ansehung des Zusam­ menhanges und Verstandes, für denjenigen gelten könnte, der dem ursprünglichen am nächsten käme. Und dieses will ich lieber gleich sofort thun; auch noch ehe ich diese, zweite Handschrift selbst näher be­ schreibe.

83. Das man weltliche Dink so wol versorgt und der sel so wenig achtet.

Von einem pischoff list man das Das er in hohen eren saß Nun hört als ich euch sagen wil Sein wirdikeit was on Ail 5 N« het er einen Zungling Emen schuler kundig auf alle ding Bey einem das was seines vettern kknt Der was dem pischof lip über alle dink Er het auch einen weyseu man 10 Als ich vernumeu Han Ein ertzpriester gesetzet ein Den lernten zu einem guten schein Nun füget es sich aus einen tag Das der ertztpriester siech lag

61 15

Und also stech starb Der Jüngling um das ampt warb Der pischoff tet als er begert

Darauff er het gekert Dornach nit wart gespart

20

Dem pischoff gesendet wart Ein korb mit guten pirn vol Der danket er den poten wol

Gar liep was im das gesandt

Zu den seynen sprach er zu haut

25

Wem mag ich getrawen wol Der mir die pirn behalten so!

Würd mir der pirn eine verlorn Das wer mir nit ein kleiner zorn

Au den Jüngling sprach er

30

Mich dunkt dir seist nit guter Ler Der pirn, der ich dir getrawen sol

Mich dunkt ich find einen peßern Hüter wol Ich furcht geb ich dir den gewalt

Sie werden geßen also pald

35

Ich totl mit nichte der pirn dir

Getrawen des glaub mir

Diese red hört ein weyser man Er ließ die red nit lenger stan Er sprach nu muß erbarmen got

40

Das ir begangen habt den spot Dem ir befolhen habt so mancher hant

Dem der euch was bekant Sein kindheit und sein jugent

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Davon ir ymmer muget Ungemach haben und leyt Dem ir Vy piru habt verseyt Der sol der sele Pfleger wesen Wie mag denn genesen Das schaff so der Wolff zu Hirten wirt Und auf her straß wirt verirrt Der der den blinden slicen sol Ballen sie peyde da5 ist wol Dy schaff gar verirret sint Wenn zu einem Hirten wird ein kint Wie berichtet der einen mau Der sich selber tüt berichten kan Wie mag der gespeisen wol Der da nymmer virt vol Und lebet in steter geytigkeit Speysten sy die schof als gern Als recht wol als sy kunen schern Dy schoss stunden dester paß Ru get ir arger list auf das Wie die schoss weren geschoren Ob die sele würd verloren Darauf haben sy versorget gar Sy achten tüt wie ir fei gefar Der weif pischoff der besale Dem jungen der feie on zale Und roolt im befelhen der pivnen nicht DaS noch gar oft geschicht DaS der hüten sol

63 Dem man über ein pirn ntt gettawet wol Das er sich selber wol behüt 75 Er vint es wol wer recht tut Gin Ion dem im got selber darum wil geben Got ged unS daS ewig leben. Ich will keine umständliche und langweilige Ver­ gleichung anstellen, die der Leser mit einem einzigen Micke machen kann. Nur einiges muß ich berühren. Daß in dein Text unserer ersten Handschrift nach der 5ten Zeile, Nu hette er einen Junglingk, die darauf reimende verloren gegangen, ist klar. Wenn aber das gedruckte Bamberger Exemplar diese fehlende Zeile durch, Ein schuler kundig auff alle ding, ergänzt und fortfährt, Dey dem was seins vettern kint: so werden wir wegen des Helden der Fabel völlig ungewiß, und es scheint, als ob der kundige Schü­ ler und das Kind des Vetters zwei verschiedene Personen seyn sollten, deren eine bei der andern sich aufgehalten hätte. Das soll nun aber nicht seyn; und die wahre Lesart hat uns unstreitig die zweite Handschrift aufbehalten, wo bloß ein guter alter, aber nicht mehr gangbarer Ausdruck zu jenen Verstümmelungen Anlaß gegeben. Es heißt nämlich: Nu het er einen Jüngling Einen schuler kundig auf alle ding Bey einem das was seines vettern kint;

64 und dieses verstehe rch so, daß bei einem, worauf ein Komma zu denken, hier so viel heißen soll, als außer einem, in welchem Verstände die Partikel bei von Schriftstellern damaliger Zeit häufig ge­ braucht wird. Das ist: der junge Mensch, welcher des Bischofs Anverwandter war, war in der That auch nicht ungeschickt: er wußte vielmehr alles und jedes — gerade, wie manche unserer heutigen theo­ logischen Kandidaten — nur freilich- Eines nicht, worauf es doch auch ein wenig mit ancam; er wußte alles, nur das eine nicht-, was zu einem Seelensorger gehöre. — Ich will' nicht hoffen, daß ich den alten Dichter hiermit zu witzig mache. — Ader ganz gewiß ist die, in der so weit guten zweiten Handschrift, gleich darauffolgende Zeile: Der was dem pischof lip Lider alle dink, dafür von ihm nicht; sondern die liest nun wiederum die erste Handschrift oder die gedruckte Bamberger Ausgabe besser. Daß hiernächst die. 31e und 38ste Zeile der zweiten Handschrift leere Flickzeileu find ; daß daß Wort versorgen in der66sten ebenderselben, für: sich aller Sorge eutschlagen, als welches auch die erste Handschrift erkennt, das wahre ächte Wort sey; daß die zwei letzten Zeilen des Bamber­ ger Druckes, so wie die vier letzten Zeilen unsrer zweiten Handschrift, leere und schaale Anhänge der Abschreiber find: braucht keines langen Beweises. — Doch warum halte ich mich bei diesen einzelnen Kleimgkeiten auf, und versuche es nicht Ueber sogleich,

65 wie aus allen drei Texten ein vierter gezogen wer­ den könne, der sich ohne allen. Anstoß noch jetzt lesen lasse, ohne gleichwohl modernisirt zu fern, oder nur ein einziges Wort zu Enthalten, welches nicht den einen oder der» andern Text für sich habe. Er würde etwa so aussehen, dieser Versuch: Von einem Bischof liest man das: Daß er in hohen Ehren saß; Gelehrter Pfaffen hett er piel, Sein Wirdigkeit was ohn Zil. 5 Nun hett er einen Jüngling, Einen Schüler kundig auf alle Ding Bey einem, das was seines Vettern Kind,

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Des was der Bischof gar geminnt. Er hett auch einen weisen-Mann Zn Erztpriester gesetzt hintan. Nun fügt es sich auf einen Lag, Daß der Erztpriester siech lag, Und also siech was, daß er starb. Der Jüngling um das Ampt warb. Der Bischof thet als er begert, Doch des Amptes was er unwerth. Darnach nicht lange ward gespart, Dem Bischof gesendet ward Ein Korp, was guter Birnen voll; Des- danket er dem Boten wohl. Gar lieb was ihm dis Gesandt. Zu den Seinen sprach er zuhand: Wem mag ich gettauen wohl,

66 25

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Der mir der Dirn hüten soll? Würde mir der Dirn eine verlorn, Das wär mir nit ein kleiner Zorn. In dem Jünglinge sprach er do: Mrch duukt, du seyst -u dünn dazu. Der Dirn ich dir getrauen soll? Ein bessern Hüter finde ich wohl. Ich fürcht, gab ich dir den Gewalt, Sie würden gessen ungezahlt. Ich will Mit nichte der Birnen dir Getrauen, das glaube mir! Diese Rede hört ein weiser Mann. Mit Ernst sah er den Bischof an. Er sprach: nun erbarm eS Gott, Daß Ihr begangen habt den Spott! Daß Ihr befohlen habt so mancherhand Dem, des Euch was bekannt Sein Kindheit und sein Jugend, Davon Ihr immer muget Ungemach haben und Leid. Dem Ihr die Birnen habt verseit, Der soll der Seele Pfleger wesen? Wie mag denn genesen Das Schaf, so der Wolf zum Hirten wird, Und auf der Straße wird verirrt? Wo der Blinde führen soll Den Blinden, fallen fie beide wohl. Die Schafe gar verirret sind, Wenn zu einem Hirten wird ein Kind.

67 Wie berichtet der einen Mann, Der sich selber nit berichten Faun? 55 Wie mag der gespeisen wohl^ Der da nimmer wird voll. Und lebt in steter Geitigkeit? Zu scheeren find alle bereit. Speisten fie die Schaf also gern, 60 Als wohl fie die Schaf können scheern: Die Schaf stünden bester baß. Nun geht ihr arger List auf daß. Wie die Schaf werden geschoren. Ob die Sele wird verloren, 65 Darauf haben.fie versorget gar. Sie achten nit wie ihr Seel gefahr. Der weise Bischof der befahl Dem Jungen der Seelen ohne Kahl Und wollt ihm befehlen nicht 70 Die Birnen! daß noch ost geschicht, Daß der Seelen hüten soll, Dem man über ein Dirn nit getrauet wohl! Ich sage, daß in diesem zusammengesetzten Lerke nicht ein einziges Wort enthalten, welches nicht in einem von den alten Texten zu finden. Es ist also alles alt darin, und nur durch eine kleine Wahl, durch eine nothdürftige Interpunktion, durch Bei­ behaltung der gewöhnlichen Orthographie, wo weder der Reim, noch das Sylbenmaaß, noch der Wohl­ klang die alte unbestimmte Orthographie erfordert, ist alles wie neu geworden. Wenigstens, durchgän-

68 gig Verständlich, und es würde bloßer Ekel seyn, wenn man dessenungeachtet den alten treuherzigen Erzähler nicht anhören wollte, falls' ihm etwa je­ mand von Anfang bis zu Ende diesen Dienst zu leisten, bedacht wäre, zu welchem sich ohne Zweifel nur in unserer Bibliothek der nöthige Vorrath fin­ den dürfte. — Freilich will und kann ich nicht be­ haupten, daß eine solche Behandlung verschiedener Handschriften mit der strengen Wahrheit ubereinkomme, weil Zeiten und Mundarten'dadurch Ver­ bunden werden, die Hielleicht sehr weit verschieden sind. Auch wollte- ich fie zu Dingen nicht anrathen, bei welchen es auf historische Gewißheit ankommt, weil durch dergleichen Vermischung das ganze Mo­ nument verdächtig werden könnte. Nur bei alten Dichtern, meine ich, könnte fie gar wohl gebraucht werden, die man bloß zum Vergnügen liest, ohne eben daraus auch nur die Geschichte der Sprache studiren zu wollen. — Doch dieses bringt mich hrer zu weit von meinem Wege, und ich erkläre mich anderweits darüber genauer. —Unsere zweite Handschrift selbst, aus welcher wir schon die Probe gesehen, verdient in allem Be­ tracht die erste zu heißen. Es ist eben die, aus welcher ich gleichfalls schon den Epilog mitgetheilt, der uns den wahren. Namen des Dichters angiebt. Sie ist ein ziemlich großer und starker papierner Foliant, der aber häufig mit pergamenen Blättern untermengt i __ __ - IX, — - X. — T XI. - xiir. - XIV. - xxm. - XV. — - XVL

82 Züricher Ausgabe.

Bamberger Druck.

Unsere zweite Handschrift.

LXXX1V. LXXXV. LXXXVL LXXXVII. Lxxxvni. LXXXIX. XC. xpr. XCII. xcin. XCIV. —

69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. SO. 81. 82. 83. 84. 85. —

69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 90.



— — — —

Quellen der Fabeln.

Avian. XVin. —

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XIX.

XXII. —

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XXIX, XXVI. — — — — — — — — —

Anon, I.

Zch eile zu dem letzter» Punkte dieses Aufsatzes, welcher das Zeitalter unseres ehrlichen Fabeldichters betrifft. — Sein Herausgeber in Zürich, wie be­ kannt, ist der Meinung, daß er noch „vor den La­ gen Friedrichs des Zweiten gelebt habe. Die Sprache, sagt er, die Orthographie, die Einfälle, die Aus­ drücke, alles verräth einen Verfasser aus dem blü­ henden Alter der Schwäbischen Poesie." — 3e er-

83 fahrner und scharfsichtiger der Kunstrichter ist, der einen solchen Ausspruch thut, von desto größerm Gewichte ist er. Gleichwohl aber ist eine Decision deß Geschmacks kein historischer Beweisgrund; rrkd es bleibt immer eine sehr mißliche Sache r Faktir durch Geschmack entscheiden wollen, wenn er urtth noch so sicher wäre. Denn wenn andere diese» Geschmack nun nicht haben? Wenn andere z. E. die Sprache des Dichters gar nicht für die Sprache jenes Alters erkennten, das mir überhaupt ein wenig zu sehr nach dem französischen Siecles geformt zu seyn scheint? Denn Gott weiß, ob die guten Schwäbi­ schen Kaiser um die damalige delttsche Poesie im ge­ ringsten wehr Verdienst haben, als der jetzige König von Preußen um die gegenwärtige. Gleichwohl will ich nicht darauf schwören, daß nicht einmal ein Schmeichler kommen sollte, welcher die gegenwär­ tige- Epoche der deutschen Litteratur die Epoche Friedrichs des Großen zu neunen für gut findet! — Der Schweizerische Kunstrichter sagt ja selbst: „Wir haben gegenwärtige Fabeln desto lieber vor der Manessischen Sammlung vorhergehen lassen, weil sie bei ihrer natürlichen Einfalt eine große Leichtigkeit haben, welche sich auch öfters denjenigen verständlich macht, die nur ein flüchtiges Auge dar­ auf werfen, ohne daß sie sich mit den Schönheiten der alten Sprache eine gelehrte Arbeit machen." Was heißt das anders, als: die Sprache dieser Fabeln ist nicht die Sprache der älteren Dichter in

84 der Manessischen Sammlung, sondern em gutes Theil verständlicher, d. i. ein gutes Theil junger, unserer jetzigen Sprache näher? — Und was will der ge­ lehrte Mann mit dcr Orthographie jenes Alters? Giebt cs denn eine solche? Wenn er das Glück gehabt, einen Codex zu erhalten, in welchem durch­ aus eine gleichförmige Orthographie beobachtet wor­ den : ist das darum die Orthographie jenes Alters? Finden sich denn nicht selbst in der Manessischen Handschrift fast so viel verschiedene Orthographien, als verschiedene Dichter? — Was endlich den Aus­ druck, die Einfälle, die ganze poetische Kunst anbelgngt, woraus wir schließen sollen, daß unser Fabeldichter der Zeitgenosse der Minnesinger gewesen: so kann ich nicht bergen, daß ein solcher Schluß zu viel Unkunde mit den späteren Dichtern des 14ten und der ersten Hälfte des löten Jahrhunderts ver­ räth. Zeiten, welche einen Hugo von Lrymberg und einen Herman von Gachsenheim noch ge­ habt haben, können ja wohl auch einen Fabeldichter hervorgebracht haben , wie diesen. Za, ich schäme mich nicht, zu bekennen, daß die Fabeln, welche tu dem Nenner zerstreut sind, nach meinem Geschmacke (ich weiß wohl, daß Gellert's Urtheil ganz anders ausgefallen ist) weit lebhafter und unterhaltender er­ zählt sind,, als diese vorgegebenen Fabeln des Schwär bischen Zeitalters. Was der Schweizerische Kunstrichtev von den materielleren Kennzeichen seiner bessern Handschrift

85 sagt, scheint eher noch ein historischer Beweis zü seyn. Scheint, sage ich; derm im Grunde ist es doch nur auch dunkele unerklärliche, Empfindung. „So viel man," sagt er, „aus den Charakteren der Buchstaben urtheilen kann, so ist fle gegen dem Ausgange des dreizehnten Jahrhunderts geschrieben worden." Wie wohl stünde es mit der Kenntniß der Handschriften, wenn es in irgend einer Sprache von irgend einer Zeit Buchstabenzüge gäbe, auS welchen sich bis auf ein halbes Jahrhundert das Alter derselben mit Zuverlässigkeit angeben ließe. Freilich müßte es wohl dergleichen geben, und sie würden vielleicht auch zu bestimmen seyn, wenn man

eine große Menge von Handschriften des nämlichen Landes und der nämlichen Sprache vor sich hätte, deren Folge und Ordnung aus anderen unstreitigen Gründen bereits bestimmt wäre. Aber wo ist das? und wo hat man das? Da, wo wir in der Diplo­ matik jetzt noch halten, bedarf es schon eines sehr kundigen Mannes, der sich aus den bloßen Zügen der Buchstaben nicht mehr, als um ein Jahrhundert irren soll; wie das jeder Gelehrte eingestehen wird, der Erfahrung in solchen Dingen hat und weder sich, noch andere betrügen will. — So ist denn auch bisher schlechterdings noch keine Handschrift von unseren Fabeln bekannt, die sich durch eine aus­ drückliche Jahrzahl zu dem I3ten Jahrhunderte legittmirte. Alle übrigen, sowohl die zweite der Schwei­ zer, als die, welche D. Scherz gebraucht hat, nebst

86 den vieren unstrer Bibliothek, find wenigstens ein Jahrhundert jünger, ja einige derselben wohl zwei; wie nicht ans bloßer kritischer Schätzung, sondern aus den ausdrücklich beigefügten Jahrzahlen zn er-kennen. Doch ich bin weit entfernt, mich eines ähnlichen Trugschlusses schuldig zu machen, und bloß daraus, daß alle Handschriften viel neuer find, den Dichter selbst für so viel neuer zu erklirren. Es find viel­ mehr ganz andere Umstände, woraus ich schließen zu können glaube, daß er wenigstens jünger seyn müsse, als der Verfasser des Nenner, und ver­ muthlich in der letzten Hälfte des vierzehnten Jahr­ hunderts geschrieben habe. Umstände, die weniger von Anschein und Geschmack abhangen, und fast den Werth förmlicher Zeugnisse haben. Einmal also, daß unser Fabeldichter jünger als Hugo von Lrimberg, der Verfasser des Renner, seyn müsse, laßt schon Lrimberg's Stillschweigen von ihm vermuthen. Denn Trimberg schweigt nicht allein von ihm, welches so viel als nichts beweisen würde, sondern schweigt an Stel­ len von ihm, die gerade der Matz gewesen wären, seiner zu gedenken; an Stellen, an welchen er so vieler anderen deutschen Dichter des I31en Jahrhun­ derts gedenkt, die zu Anfänge des I4(en noch gele­ sen wurden; au Stellen, wo er die ganze deutsche Leetüre seiner Zeit namhaft macht, zu der unser Fabeldichter wohl unstreitig gehört hätte, wenn er

schon vorhanden gewesen wäre. Diese Stellen fim den sich auf dem 9ten und 92sten Blatte der einzigen gedruckten Ausgabe deß Renner, und. sind von sol­ cher Wichtigkeit für den deutschen Vtterator, daß ich nichts Überflüssiges zu thun glaube, wenn ich sie

ein andermal mit den nöthigen Erläuterungen-und Verbesserungen aus den vortrefflichen Handschriften ganz miltheile, die unsere Bibliothek von diesem merkwürdigen Gedichte besitzt. Jetzt will ich bloß diesen halben Beweis, der aus einem nicht zu ver­ zeihenden Stillschweigen hergenommen wäre, durch einen Zusatz verstärken, wodurch er zu einem ziem­ lich vollständigen Beweise erwächst. Nämlich: nicht genug, daß Trimberg von unserm Bouer nichts weiß; in beiden finden sich Stellen, die sich wie Original zur Kopie- verhal­ ten, und die man nur ein wenig genauer ansehea darf, um sich zu überzeugen, daß die Originalität völlig auf Lrinrberg's Seite ist, und folglich Trimberg auch früher geschrieben haben muß. Won diesen Stellen will ich nur die hauptsächlichste wäh­ len, welches die Erzählung von dem Prälaten mit den Birnen ist, die ich bereits unter so man­ cherlei Gestalt als eine Bonersche Erzählung dem Le­ ser vorgelegt habe. Diese nun hat auch Trimberg-; und hat sie so, daß sie sich unmöglich in einem so allgemein bekannten Werke, als Boner's Kabeln seit ihrem Daseyn gewesen zu seyn scheinen, bereits

88 kann befänden haben. Denn er führt sie ausdrücklich mit den Worten ein: Ein war mere ich vernnmmen Han, Des ich nicht wol vergessen kau, Das wil ich schreiben, das andre Leut Dabey sich, wollen, bessern heut. Er hat sie vernommen, d. i. er hat sie nicht aus Büchern, sondern aus mündlichem Berichte; sie schwebt ihm «och in frischem Andenken z er hält sie für werth, zur Belehrung Anderer niedergeschriebev zn werden- Druckt mün sich so aus von einem MLHrchen, welches nicht allein in einem Buche zu finden, das in jedermanns Händen ist, "sondern auch selbst in diesem Buche nicht zuerst vorkommt? Denn, wie wir gesehen haben, fängt dieses Mährchen beim Bon er überall an: Won einem Bischof liest man das. Man liest, und ich habe vernommen: aus die­ sen Worten allein ist klar, wer mit des Andern Kalbe gepflügt, oder wenigstens pflügen können. Den« da Bo «er alle seine Fabeln auö dem Lateinischen genommen zu haben vorgiebt, so kann ich freilich nicht so geradezu behaupten, daß er wenig­ stens diese aus dem Deutschen des Lrimberg's habe. Aber was er nicht unmittelbar von ihm hat, kann er ihm wenigstens mittelbar zu danken habe«. Ein späterer lateinischer Derfifex kann sie aus dem Nenner übersetzt, mit) damit den Ano­ nymus des Nevelet vermehrt haben. Und daß es

89 einen solchen spätern Bermchrer dieses Anonymus giebt, will ich an seinem Orte zeigen. Jetzt will ich die Erzählung selbtz, nach TruZrLerg's Vor­ trage, nur ganz hersetzen, um urtheile» zu lässen, ob ihre Originalität auch nicht durch innere Güte bestätigt wird?

Ein war mere ich vernummen Han, des ich nicht wol vergessen kan, Das wil ich schreiben, das andre leut dabei sich wollen bessern heut. Do ein prelate ze Lmal sas, und mit seinen gesten aß, Ein schenkart das wart im gesaut mit birn. do sprach er zu Hant Wer behelt mir das schenkar mit disen birn one var, Das ir keine werd verloren? Ob das gefchech, das wer zoren. Si sprachen, das tu ewer schwester son. Wer solt es billiger denn er ton^ Nein, sprach er, der ist ein tor. Er nem vil leicht der besten vor, Und lies mier die bösten ligen. Damit ward der red geswigem Ru sas ein geistlich man do bei, Der sprach diff: dir geklaget sei Got herre, das man den nicht sol Au sechzig birn getrawen wol,

90 Dem tausend feie empholen sind ! Ein reich pharre her das kint, Dem man zu den birn nicht Getraut, als leider ine geschicht, Das seien bas feiler sind den birn. Des unbild get mir in mein Hirn. In 29 Zeilen erzählt Lrimberg, wozu sich Boner an die 70 nimmt. Und fehlt es dieser Kürze darum an Klarheit? Rollt nicht-alles hier weit besser und überraschender, als dort? Welcher Itacherzähler ist

nicht weitschweifig und wässerig? Und welches Kenn­ zeichen der Ursprünglichkeit ist sichrer^ als die An­

wendung gerade nur so vieler Worte, als eben zum vollständigen Ausdrucke unentbehrlich sind? Und nun bediene ich mich abermals einer ein­ zelnen Fabel beim Boner, um sein Alter noch ge­ nauer zu hestimmen, und zu erhärten, daß er wohl nicht früher, als gegen das Ende des I4ten Jahr­ hunderts möge geschrieben haben. Ich meine die bekannte Fabel vom Müller, seinem Sohne ynd ihrem Esel, über die vor zwanzig Jahren zwischen Franzosen und Deutschen ein kleiner Streit vorfiel, welche von beiden Nationen sich die Erfin­ dung derselben zueignen tüiuite. *) Daß es eine ♦) Die Aufsätze, in welchen dieser Streit geführt wurde, sehe man im Journal Etranger und in Gottsched's Neuesten vom Jahre 1756. Die mancherlei Zusätze und Berichtigungen, deren sie fähig sind, werde ich an einem andern Orte anzeigen..

91 deutsche Erfindung sey, blieb ausgemacht; es sey nun, daß sie Carnerarkus, wie Gottsched wollte, aus unseres Donrr's alten deutschem-Kabel entlehnt habe, oder aus den Facetiis Poggii, wie^ein Fran­ zose für wahrscheinlicher hielt. Denn Poggius selbst bekennt in der Einleitung derselben, daß sie sich aus Deutschland Herschreibe, und eben diese Ein­ leitung ist es, die mir zu meiner Absicht hier dienen soll. Dicebatur, schreibt Poggius/ *) in ter Se­ ele tari os Pontificis, eos qui ad vulgi opinionem veuirent, miserrim^ premi servitute: cum neqnaque possibile esset, cum diversa sentirent, placere Omnibus, diversis diversa probantibus. Tum quidam ad eam sententiam fabulam retulit, quam nuper in Alamania scriptam pictamque vidisset. Senettl, ait, fuisse . . . unb MS die besagte Fabel daselbst weiter lautet, die bei unserm Bon er die 52ste ist, in der Ausgabe der Schweizer. Wer sieht nicht, daß hier die Worte in Betrachtung kommen: quam nuper in Alemannia scriptam pictamque vidisset; und besonders das nuper? Das nuper zwar ist sehr bald zu bestimmen. Denn aus der Schlußrede des Poggius zu seinen Facetiis erhellt, daß diese Schnurren aus den vertraulichen Gesprächen entstanden, die er während der Regie­ rung Pabst Martinus des V, also von 1417— 1431, mit einigen Freunden in dazu eigentlich be*) Auf dem XI. Blatte der Straßburger Ausgabe von 1511.

92 stimmten Zusammenkünften gehalten. Also, auch von 1417 an gerechnet, kann nuper keine ältere Zeit, als den Anfang des I5ten oder das Ende des i4ten Jahrhunderts bedeuten; rmd das wäre es eben, was ich wollte. Erne Fabel, von dev es frühestens um 1417 heißt, daß sie vor kurzem, nuper, erfun­ den worden , ist Beweis genug, daß die ganze Samm­ lung, worin sie sich befindet, nicht älter seyn kann. Aber nun ist die Frage: heißen denn die Worte zusammen auch nothwendig das? quam nuper in Alemannia scriptam pictamque yidisset. Ist nu­ per nicht eben sowohl zu vidisset zrr ziehen, als zu scriptam pictamque ? Muß eine Sache, die man erst neulich gesehen hat, auch schlechterdings erst neulich gemacht seyn? Wahrlich nicht; und dieses ist abermals ein Beweis, wie zweideutig die liebe lateinische Sprache ist. Indeß, was au diesem Exem­ pel für mich das beste ist, ist dieses: daß der dop­ pelte Sinn., der darin liegt, nicht weit auseinander seyn kann. Was Poggrus selbst, oder sein Be­ kannter, in der Art, an der sie so reich, mit dev sie so bekannt waren, erst neulich gesehen hatte, geschrieben und gemalt gesehen hatte, muß wohl auch erst neulich gemacht seyn. Wenigstens nicht schr viel früher, weil es wohl sonst schon längst zu ihrer und ihres Gleichen Kenntniß gekommen

wäre. Nichts breitet sich leichter und geschwinder aus, als Histörchen, die eine unstreitige Wahrheit aus ein^ so sinnreiche Art unserer Anschauung dar-

93 stellen. Ich sagte, „P§ggkns selbst oder sein Be­ kannter;" denn e5 wäre möglich, daß Poggiuö hier von sich selbst in der dritten Person spräche. Er war, wie bekannt, während deS ^nciliums zu

Eostnitz, in diesen Gegenden von Deutschland gewe­ sen, und hatte die Bibliotheken der Klöster mit vie­ lem Nutzen durchsucht. Da konnte ihm denn leichrin mehr als einer, eines von den oben beschriebenen Exemplaren der Bonerschen Fabeln, mit Gemäl­ den, zu Gesichte gekommen seyn, auf die er mir so deutlich durch das scriptam pictamque auzuspielen scheint. Noch muß ich eine Kleinigkeit mit einem Worte berühren, die jedoch hier so gar Kleinigkeit nicht ist. Was mich in der Meinung bestärkt, daß Bouer nicht früher, als in der letzten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts könne gelebt haben, ist dieses, daß er sich nicht Boner, sondern Bouerius nennt. Denn ich denke, es ist ausgemacht, daß der Ge­ brauch, seinem deutschen Namen eine lateinische En­ dung zu geben, erst um diese Zeit aufgekowmen ist; als der Borläufer der noch pedantischem Sitte, ihn nach seiner Bedeutung tu eine gelehrte Sprache zu übersetzen, welche gegen das sechzehnte Jahrhundert und weiter hin, so annehmlich befunden wurde.

94

Nachschrift. Ich darf diese zweite Entdeckung, über die so­ genannten Fabeln aus den Zeiten der Minne­ singer, nicht in die Welt schicken, ohne Goti­ sche den, mit dem ich es so vielfältig darin zu thun habe, eine Gerechtigkeit zu erzeigen, die er sich selbst wiederfahren zu lassen, wenn er noch lebte, ohne Zweifel nicht ermangeln würde. Ich habe näm­ lich geglaubt, daß er twn unseren Handschriften dieser Fabeln nicht mehr wisse, als er gelegentlich im Brachmond 1756. seines Neuesten aus der anmuthigen Gelehrsamkeit, beibringen wollen. Nun aber finde ich, leider zu spät, daß er schon zehn Jahre vorher ein Progrcrrnma de quibusdam

Plulosophiae Moralis apnd Germanos antiquiores speciminibus geschrieben, aus welchem zu er­ sehen, daß er auch den alten Bamberger Druck ge­ kannt, von welchem ich am ersten anznmerken ge­ glaubt, daß er die nämlichen Fabeln enthalte, welche Scherz.zu allererst herauszugebeu vermeinte. Wie nachlässig er aber diese Entdeckung genutzt; wie sorglos er eben daselbst nicht nur die Fehler in Ansehruig unserer Handschrift begangen, die ich au sei­ nem Neuesten gerügt, sondern auch wie viel plum­ per diese Fehler dort erscheinen: mag selbst nach­ sehen, wer Lust und Gelegenheit dazu hat. Ich kann mich nur nicht genug wundern, theils, wie den Schweizern so viel früher die Gottschedischr

^95 Anzeige unbekanntbleiben.körmen, theils, wie Gott­ sched es versäumen können, als die Ausgabe der Schweizer erschien, es der Wett mit ftiner gewö'hnlichen Bescheidenheit anzrrzeigen, wie vret diese Hevausgeber schon längst von ihm hätten l-ernen können. Aber so ging es damals: jeder schimpfte auf den ändern, und keiner las den andern.

II. Romulus und Rimiciuö. Ä/tit jener Entdeckung hatte ich mich wieder ganz

in daS Feld der Äsopischen Fabel verirrt.

Es war

eine Zeit, da ich keinen Dichter mit mehrerm Fleiße stndirte, als den Phäder. Und damals, wie oft wüüschte ich mich in die Bibliothek zu Wolfenbüttel! Den nur allzu oft stieß ich, in den Noten des Gudius über meiner: Autor, auf Dinge, die ich mir dort, und nur dort, aufklären zu können ver­ sprach. Es ist bekannt, daß diese Noten des Godins über den Phäder nicht von ihm selbst, sondern verschiedene Jahre nach seinem Lode, von deck ältern

Peter Burmann herausgegebeu worden.*) Und es ist eben so bekannt, daß der größte Theil der hinterlassenen, eigenen und fremden Handschriften des Gudius in unsere Bibliothek gekommen Nun wußte ich zwar, daß die Papiere, aus welchen Burmanu seine Ausgabe besorgte, sich nicht mit

♦) Nämlich zuerß 1698, GubiuS stard 1689.

97 darunter befinden könnten, als welche längst zuvor

von den Erben des Gudius an Gräven überlassen worden. Allein Gudrus bezog sich in den Noten selbst Noch auf so Manches, daß meine Neugierde reizte: besonders auf verschiedene alte Codices, die er selbst zu Rathe gezogen, selbst in Händen gehabt hatte. Und von diesen durste ich vermuthen, in Wolfenbüttel einiges wieder zu finden, das, wenn es Burmann gleichfalls vor sich gehabt hätte, er gewiß näher angezeigt und in manchen Fällen mehr genutzt haben würde. Alles dieses, wie gesagt, fiel mir jetzt wieder ein, und ich sahe, daß ich zu Erfüllung meines alten Wunsches nichts brauchte, als die Hand aus­ zustrecken , und mir gewisse Ideen wieder klar und deutlich zu machen, die rch mir nur noch ge­ habt zu haben, erinnern konnte. Und warum nicht? Ich fing an, und suchte; und das erste, worauf mich unsere Kataloge wiesen, war die eigenhändige Abschrift des Gudiuß von dem Codex Divionensis, aus den er sich verschiedentlich in fernen Noten beruft. Ich ergriff ihn mit Ver­ gnügen; aber schwerlich hätte ich mir in dem ersten Augenblicke auch wohl nur träumen lassen, welchen besondern Aufschluß er mir in einer Sache gewahren würde, über die sich, mit und ohne Verschulden der fleißigsten und scharfsinnigsten Gelehrten, die äußerste Dunkelheit und Verwirrung seit vielen Jah­ ren verbreitet hatten. Lessing's Schr. 8. Bd. 5

98 Diese Sache verhält sich st. — Als Isaac Revel et 1610 die alten Fabeldichter, unter dem Titel Mythologia Aesopica . alle insgesammt her­ ausgab/ bezog er sich zu Wiederherstellung der echten Lesart des Phädrus ans einen gewissen Rimicius, welcher die Fabeln desselben in Prosa aufgelöst habe. Und dieser prosaische verstümmelte Phädrus war bereits längst gedruckt, ehe der wirkliche vom Pi­ thons 1596 an das Licht gezogen wurde. Nevelet hatte eine alte Ulmer Ausgabe davon vor sich, die ihm Gruter aus der Heidelbergrschen Bibliothek ge­ liehen hatte. Gleich bei der zweiten Fabel des ersten Buchs gedenkt er derselben: Sic enim Rimicius quidam, qui Phaedri fabulas soluta oratione reddidit, servatis ut pluriimim verbis, hac eadem de re loquens, ait — Pumicii hu jus exernplar mihi e Palatina Bibliotheca suppeditavit V» A. Janus Gruterus, Ulmae ohm impressum. Fabulas Aesopi, Avieni et Anonymi nostri fabulatoris latina germanicaque oiatione exposuit* Id monendum hoc loco duxi, quod ^aliquoties hu jus Rimicii facturus sum mentionem. Au gutem Glücke mußte ich eben diese Ulmer Ausgabe auch in unserer Bibliothek antreffen; und sie ist es, ohne die mir doch wohl die Abschrift des Codex Divionensis st viel als nichts genutzt hätte. Ich mußte beide Stücke zugleich vor Augen haben, wenn ich die Wahrheit erkennen sollte.

99 Doch nur erst weiter. — Auf diese Quelle kri­ tischer Verbesserungen -es PHAdrrrs, so verdorben sie auch seyn mochte, hatte sich Gudius von dem Nevelet nicht umsdnst verweisen lassen. Ich kann aus seinen Anmerkungen, wie sie Burman« her­ ausgegeben, zwar nicht sehen, ob er die namlrchMmer Ausgabe dieses sogenannten Rimicius vor sich gehabt. Aber ein Manuskript von eben diesem Nimicius führt er an, und nennt es sein eigen.*) Neveletius ex Rimicii cnjusdam sterquilinio gemniulam, ut putat, eruit, vestibus. — In Ms. nostro Rimicii est sedibus. Eben dieses Ma­ nuskript ist es ohne Zweifel, welches er an einem andern Orte**) Sciassianum Rimicii codicein nennt. Ich bekenne meine Unwissenheit, warum Sciassianum. Mir fällt weder ein Ort, noch ein Gelehrter ein, nach welchem es'diese Benennung führen könnte. Und was läge daran, wenn es weiter nichts wäre? Allein, was dem Gudius noch immer Rimicius, höchstens Remiccius, heißt, das nennt er weiter­ hin Romulius. Ja, damit wir nicht zweifeln kön­ nen , daß er ein und eben dasselbe Werk meine, so sagt er ausdrücklich : ***) Romulius sive, ut Nev eie do vocatur, Rimiccius. Und hier hebt die Verwirrung an. *) Ad Fab, 141. Lib. I. ••) Ad Fab. 30. Lib. I. ***) Ad Fab. 15. Lib. UI.

JLOO^ Sie war auch schon ziemlich auf daß Äußerste gekommen, als I oh. Fr. Nil ant 1709 alte Fabeln herausgab, in welchen er ebenfalls gemißhandelte Glieder des Phädrus zu erkennen glaubte. Incredibllis, sagt er in der Vorrede, vjdebatur viroyüm doctorum fluctuatio in multiplicatione nominum ep personaium, quippe quum Roniulus vel Roniulius sive Rovnalius, Rimicius sive Rimiccius vel Remicius sive Remiccius, denique Ririucius vel Rinuncius andiat, tarn etiam ista nomina nunc uni, nunc dtiabus personis tiibuuntur. Denn da er jenen gänzlich anonymen Fabeln eine andere ähnliche Sammlung ans einer Handschrift beifugen wollte, die den Namen des Romnlns führte: so konnte ihm nicht lange ver­ borgen bleiben, daß Gudius schon einen solchen geschriebenen Romulns vor sich gehabt habe, den er für den gedruckter: Rimicius des Nevelet gehalten. Und so, indem er diesem nachspürte, um gewiß zu seyn, daß er keine vergebene Arbeit unter­ nommen, geschah es, daß er sich von einer Seite

der Wahrheit um einige Schritte näherte, und auf. der andern sich um so weiter von ihr entfernte. Nilant war nämlich so glücklich, zwar nicht völlig eben dasselbe alte zu Ulm gedruckte Fabelbuch, das Revelet aus der Heidelbergischen Bibliothek gehabt hatte, aber doch ein-anderes ihm sehr ähn­ liches zu bekommen, in welchem bis auf die deutsche Übersetzung alles enthalten war, was Nevelet in

101 jenem gefunden hatte. Aus diesem nun erkannte er gar bald, daß Rimicius schlechterdings ein ganz neuer Schriftsteller feg, dem in dem ganzen Werke weiter nichts gehöre, als die Übersetzung von dem Leben des Äsopus, und von einigen nur wenigen Fabeln desselben. Er erkannte zugleich, daß die Fabeln, welche Nevelet dem Rimiciuß zugeschrie­ ben, auch hier dem Romulus gehörten, und schloß, daß sich Nevelet bloß übereilt habe, wenn er dem Herausgeber der Sammlung etwas beigelegt, was sich dieser in der Sammlung selbst nicht anmaße. Denn für diesen, für den Herausgeber sowohl seiner, als der Ne vel et scheu alten Ulmer Ausgabe, glaubte Nilant den Rimicius wenigstens anneh­ men zu müssen. Er nannte daher -die darin enthal­ tenen Fabeln des Romulus, in den Anmerkungen zu seinem Romulus, fast immer Rimicii Romulum: theils, um ihn dadurch von seinem zu un­ terscheiden; theils aber auch, weil er glaubte, daß Rimicius wohl nicht immer m Herausgebuug des Romulus den Handschriften Iren geblieben seyn dürfte, ohne hier und da etwas von dem Seinigen hinzuzusetzen. Licet, sind seine Worte, enim cTebris sordibus obsitus esset Über, cum aucto­ ris, tum fortasse editons injuria, tarnen U. f. W. Und dieser Verdacht, sieht man wohl, wozu er eigentlich abzwecken sollte. Der vermeinte Romulus des Rimicius mußte vermuthlich verfälscht seyn, damit der Romulus des Nilant nur allein für

102 den echten, aus einer Handschrift treulich gezogenen, Romulus gelten könne. Zn wie weit die Gelehrten, nach dem Nilant, sich diese seine Entscheidung gefallen lassen, darum will ich mich jetzt nicht bekümmern. Der altere Bur­ ma nn schien sich ganz und gar nicht daran zu keh­ ren; denn ek fuhr fort, den Romulus jener ältern Ausgabe Rimicius zu nennen, so ost er ihn unter seinen aus ihm mit zum Theil hergestellten Fabeln anzuführen Gelegenheit fand.*) Unserm Christ hin­ gegen, als er einen ähnlichen, aber kühnern Versuch wagte, war der Nilantische RomuluS einzig und allein Romulus.**) Und so, oder so, hielten es

mehrere. Man weiß von dem Knoten schon genug, um nach der völligen Auflösung desselben begierig zu seyn, die sich wie von selbst darbieten wird, wenn ich vorher werde zweierlei erwiesen haben. Fürs erste, daß der Romulus in der alten Ulmer Ausgabe, Nämlich in dem Appendix Fabnlanun, der sich bei der zweiten Aufl. seines Phädrus in 8. befindet. Und in der Vorrede zu eben dieser Auflage: — Fabulas Aesopias , sive a Rimicio , sive a Romulo , sive a qtiocumque elaboratas. **) Ich will sagen, daß er in seinen zwei Buchern Fabulanun veteruin Aesopiaruin den Romulus in der alten Ulmer Ausgabe nie zu Nathe zieht; welche alte Ulmer Ausgabe ihm aber auch nur zur Hälfte bekannt gewesen. Wie dieses zugegangen, wird man in der Folge sehen.

103 welchen Nevelet Rimicius nannte, ein völlig eben so guter Ronrulus ist, als Wilnnt nur immer ans Licht gebracht. Zweitens, -aß Rimicius nie das allergeringste mit dem RomuluH zu schaffen gehabt; daß er weder Nomulus ist, noch dm Ro-

mulus auch nur herausgegeben. 1. Jenes erstere nun ist eben das, was mich die obgedachte Abschrift des Codex Divionensis gelehrt hat. — Daß dieser Codex ein Romulus sey, konnte ich zwar schon aus den Noten des Gudius schließen. Nur daß er vollkommen der Rowulus sey, welchen Nevelet unter dem Namen Rimicius anfiihrt, konnte ich allein aus ihm selbst lernen. Es ist die nämliche Sammlung alter Fa­ beln, auf die nämliche Art in vier Bücher getheilt, deren jedes die nämlichen zwanzig enthält, mit dem einzigen geringen Unterschiede, daß die Handschrist in dem vierten Buche zwei Fabeln mehr hat, als die gedruckte Ausgabe, wie auch sonst noch ein Paar unerhebliche Zusätze; wogegen wiederum in dem Ge­ druckten eine Fabel vorkommt, die dort fehlt. Nicht zu vergessen, daß die dreizehnte Fabel des ersten Buchs nach der gedruckten Ausgabe, in der Hand­ schrift zwischen der siebenten und achten des zweiten Buchs zu stehen gekommen, wodurch diese Bücher ungleich geworden, und das erste aus neunzehn, das zweite dafür aus ein und zwanzig Fabeln besteht. Was aber hiernächst das Hauptwerk ist, so sind auch die Fabeln selbst, hier sowohl, als dort, fast

104 mit eben denselben Worten erzählt. Der Stellen find seht wenige, wo die Handschrift merklich von dem Gedruckten abweicht; und in den geringeren Verschiedenheiten scheint die eine eben so ost als die andere die bessere Lesart zu haben. Proben hier­ von zu geben, würde mich zu weit führen. Aber die beiden Fabeln will ich ganz hersetzen, welche das vierte Buch in der Handschrift mehr hat. Es sind die dreizehnte und vierzehnte.

XIII. Cornix sitiens accessit ad urnam dimidiam aquae, et eam conabatur evertere. Sed qm fortiter stabat, non poterat eam movere, quod Cum videret, hoc argumentum invenit, sumens calculos misit in urnam et ex multitudine cal* culorum aqua ex urna sursum porrecta est, et sic siiam satiavit sitim. XIV. Puer in silva auguria captans stellt super quendam lapidem, suh, quo jacebat scorpius» quem conabatur vertere. Cui scorpius dixit sic. Vide miser, ne dum me captas, te ipsum perdas. Praecipit haec tabula nihil tale andere, quod sit periculosnm. Die erstere von diesen Fabeln ist die sieben und zwanzigste des Anianus; und der ältere Plinius erzählt ein Gleiches als wahre Geschichte von einem Raben. Sie ist auch von neueren Fabeldichtern viel-

105 faltig nacherzählt worden, Von der zweiten wüßte ich dieses nicht. Doch verdient sie es auch kaum; und es würde Mühe kosten, ihr eine erträgliche Wendung zu geben. Die einzige Fabel, welche das gedruckte Werk dagegen voraus hat, ist die letzte des vierten Buchs, Ables et Arundo. Was aber die übrigen unerheblichen Zusätze der Handschrift an­ belangt, so sind es größtentheilö Worte ohne Sinn. Der eine folgt auf die ein und zwanzigste Fabel des vierten Buchs, und ist als eine besondere Fabel überschrieben: De statua sna Aesopus ad cives. Es ist eine barbarische Abkürzung und Verstümmelung von dem Epilogus des zweiten Buchs im Shader:

Aesopo ingentem statuam postiere Attici etc. Weil sie" aber doch noch zu etwas gut ist, will ich sie abschreiben.

Scripta et Ingenium Aesopi ut agnoverunt quod multarum semitaium amplis simas faceret vias et pepercisset humilibus dum alligavcrit multos qiii erant sumrni Atticorum, sta­ tuam posucrunt Aesopo, cui substatuti sunt crculi, qm artis vias ingenio intellexi, mox fabulas edidi. Ideo cives posuimus statuam, qitod est alicujus laboris bonä remuneratio : sic scientes sequi querellas. Das sey zugleich eine Probe ^on der Treue, mit welcher Gudius den alten Codex behandelt hat. Die Abkürzungen, welche zweifelhaft waren, hat er mit allem Fleiße vachgemalt, ohne sie auf das

106 Ungewisse nachzuschreiben. Und nun, wozu er noch gut ist, dieser Wust! Er ist der unbekannte Belag einer sehr schönen Verbesserung, welche Gudius in jener Stelle des PHader gemacht hat: Aesopo ingentem statuam posuere Attici. Dieses ingentem statuam ist sehr unschicklich. Es wird doch gewiß keine kolossalische Statue gewesen seyn. Sie wird doch gewiß nicht größer gewesen seyn, als sie die Athenienser anderen verdienten Männern zu setzen pflegten. Gudius wollte also dafür gelesen wissen: Aesopi ingenio, und Burrnann gab dieser Änderung feinen völligen Beifall. Crediderim Gudium, sagt er, quia Aesopi erat in Ms., dexterrime conjeciss^ Aesopi ingenio• Aber irr welchem Manuskripte hatte er dieses Aesopi gelesen? Zn den beiden, welche PLthö'us und Ri­ ga ltnls gebraucht hatten, gewiß nicht. Folglich war es ohne Iweifel dieser Codex Divionensis, auf den er sich bei Ausarbeitung seiner Noten beru­ fen wollte. Denn in der That findet fich nicht al­ lein hier Aesopi, sondern das völlige Ingenium Aesopi; wogegen das statuam ganz ohne Beiwort steht. — Der zweite Zusatz unserer Handschrift ist Magistro Rufo Aesopus überschrieben. Und von diesem werde ich schicklicher an einer andern Stelle reden. Wenn nun also der zu Ulm gedruckte Romulus, mit dem in dieser Handschrift von Dijon enthalte­ nen Nomulus so genau übereinstimmt r was könnte

107 noch hindern, ihn für eben so gut, als den zu er­ klären, welchen uns Nilant geliefert hat? Die Handschrift von Dijon selbst müsste jünger und da­ her unsicherer seyn, als die, welche Nilant vor sich hatte. Daran aber zweifle ich sehr. Denn NLlant sagt von dem Alter der seinigen, die der Bi­ bliothek zu Leyden gehörte, gar nichts: und ich schließe daraus, daß es nicht beträchtlich gewesen. Gudius hingegen giebt der Handschrift von Dijon mehr als fünf hundert Jahre. Ex vetusto codice, bezeugt er auf dem Titel seiner Abschrift, Divionensi monachorum Sectae Benedictinae. Membranae illae quingentorum et amplius annorum forma praegrandi exhibebant Pliini Historiae Nat. Libros XXXII, quibus praemittebantur hi quatuor libelli fabularum sub nomine Romuli cujusdam, quem, quisqiüs Ille fuerit, nam nomen nobis confictum videtur, Phaedri nostri et fabulas et verba maximam partejn Bubiegisse, alias nionebimus. Doch was sage ich, nur eben so gut? Der alte Ulmer No mulus ist offenbar weit besser, als der Nil an tische; und wir hätten diesen ohne den geringsten Verlust entbehren können. Denn war die Leydner Handschrift auch nicht jünger, als die von Dijon, so war sie doch gewiß von einem weit elen­ der» Abschreiber, der nicht allein vier Bücher in eins schmelzte, und alles daraus wegließ, was ihm nicht anstand, sondern auch den kurzsichtigen Mönch

108 bei aller Gelegenheit geigte. Und daß diese Mönchs­ spuren sich weder in der Handschrift von Djjon, noch in der alten gedruckten Ausgabe finden- erweckt für Leide kein schlechtes Borurtheil. Ein Exempel wird es zeigen, was ich unter diesen Mönchsspuren verstehe. Man nehme die siebente Fabel nach dem Nilant, welches die sechste im ersten Buche des Phädrus ist. „Ein Dieb machte Hochzeit, pnd Äsopus erzählte, irp welches Schrecken einst die Frösche gerathen waren, als die Sonne heiratheu wollen." Dieses will auch Romulus nach seiner Art erzählen, und schickt die Moral voraus : A na­ tura nemo mutatur, sed de malo pejor nascitur. So lautet sie in dem alten Gedruckten; so lautet sie in dem Manuscripte von Dijon. Und wie bei dem Nilant? A liatura nulla creatura mutatur, exccpto hörn ine et angelo: sed dictu saepius de malo pejor nascitur. Die Moral ist freilich nicht wahr; aber ihr so nachhelfyr, sie so berichti­ gen, das konnte nur der dümmste von allen Mön­ chen. Und so an mehreren Orten. Der bessere Ro­ mulus schrieb zu Anfänge feines zweiten Buchs: Orniie genus fabularum probatur contra homines. ..Quis enim malus, nisi homo ? Et quis bönus, pisi homo? Nun höre man den Romulus des Rilant: Omne genus fabularum sine du­ bio directo tramite ad homines refertur; nemo enim potest esse bonus malus, non nisi homo; de deo enim et angelis non' est nobis sermo-

109 cinatio. Der bessere Romulus zieht, aus der be­ kannten Fabel von der Matrone ^zu Ephesus, die Lehre: Casta est lila midier, quae importunum non patitnr. Er hatte eben diese saubere Lehre in der. vorhergchenden Fabel mit den Worten aüsgedriickt: Fx>emina nulla se importuno negabit. Ich mag diese Lehre auch nicht zu der meinen ma­ chen. Aber was meint man, mit welcher andern Lehre sie der Romulus des Nil ant vertauscht? Ammonet subsequens fabula , quod hab ent hö­ rn ip es mortui, quod timeant post mortem, et non quod doleant. Die Fabel von der Matrone zu Ephesus! — Wenn überhaupt die Fabeln des Romulus noch nicht waten gedruckt gewesen, so hätte Nilaut mit den seimgcn Dank verdient. Aber da sie langst gedruckt waren, weit vollständiger und unverfälschter gedruckt waren: wäre es nicht besser gewesen, wenn er den alten Druck, mit den Les­ arten seines Manuscripts, wieder hätte auflegen las­ sen? Er scheint so etwas empfunden zu haben. Denn er bekennt nicht allein in den Noten zu seinem Romulus, daß der alte Romulus sehr ost ge­ drungener, schicklicher und lateinischer sey;? sondern

weil sein Romulus auch nur 45 Fabeln hat, der Ulmer Romulus aber 80, so fügte er aus diesem noch tüten ZKihang hinzu, mit folgender Vorerinne­ rung : Sequentes fabulae reperiuntnr quoque apud editum Romulum, cujus ne quid desideretur, et quia nonnullae Phaedri phrases diserte

110 exhibet, eas in postremo agmine collocavi* Aber auch so kommen wir nicht ohne Schaden davon; denn da, wie gesagt, sein Romulus nur 45 Fa­ beln hat, und in diesem Anhänge nur noch 15 aus dem alten Romulus nachgeholt werden: so fehlen zu der vollen Zahl, welche dieser hat, «och ganzer zwanzig.. Ich will sie nach unserm Manuscripte namhaft machen, diese 20 Fabeln; und da ich den Unterschied, der sich zwischen diesem und dem alten Drucke findet, genau genug angegeben habe, so wird man sie ohne Mühe auch in diesem finden, wenn er etwa einem meiner Leser zur Hand seyn sollte. Zugleich will ich dabei anmerken, welche davon im PhädruS vorkommen, damit man nicht glaube, wenn keine daselbst vorkäme, daß sie der Kritikus folglich doch nicht vermissen würde, weil er den einzigen Gebrauch nicht davon machen könne, der sich von diesen alten armseligen Dingen noch machen lassen. Hier sind sie: L. I. Fab. 10. Homo etColubra. (Phaed. IV. 18.) - - - 11. Asinus irridens Aprum. (Phaed. I. 29.) L. II. - 7. Venator et Canis (Phaed. V. 10.> - - - 10. Hoedus et Lupus, - - - 11. Pauper et Serpens. - - - 13. Calvus et Musea. (Phaed. V. 3.) - - - 14. Vulpis et Ciconia, (Phaed. I. 26.) - - - 16. Graculus superbus et Pavo, (Phaed, I, 3.)

111 E.IL Fab. 18, Formica et Musta. (Phaed. IV. 23») - - - 19. .Lupus et Vulpis j judice Simio. (Phaed, I.'10.) - - - 20. Mustela et Homo. (Phaed. 1.22.) - - - 21. Rana rupta et Bos, (Phaed. J. 24.) L.III. - 6. Lupus, Vulpis et Pastor. - - - 12. Vipera et Lima. (Phaed. IV. 7.) - - - 18. Negotiator et Asellus. - - - 19. Cervus et Boves. (Phaed. II. 8.) L. IV» - 13. Cornix sitiens, - - - 14. Puer et Scorpius. - - - 18. Pulex et Camelus, - - - 21. Ovis et Cornix. Ich sehe wohl, was man zur Entschuldigung des Nilant hier sagen kann. Von diesen 20 Fa­ beln, kann man sagen, sind nur zwei, welche ganz und gar bei ihm vermißt werden, nämlich die täte und I4te des vierten Buchs. Und dieses sind eben dieselben, welche, wie schon gedacht, selbst in dem alten -Drucke mangeln. Die übrigen achtzehn hat er deßwegen übergangen und auS dem alten gedruckten Romulus nicht mit in den Anhang übergetragen, weil sie alle schon bei seinem Anonymus vorkommen. Aber doch, antworte ich hierauf, nicht völlig so vorkommen, daß sie gänzlich vernachlässigt zn werden verdient hätten. Nicht zu gedenken, daß doch auch in seinem Romulus mehr als Eine Fabel anzutreffen, die wir gleichfalls schon bei dem Ano­ nymus gelesen hatten. Und was ist dieser Anony-

112 mirs überhaupt viel anders, als em schlechter ver­ stümmelter Ro mulus? Ja, ich würde sagen, er sey ganz und gar nichts anders, wenn er nicht aller­ dings noch verschiedene Fabeln enthielte, welche der vollständige aus vier Büchern bestehende Nomulus nicht hat. Diese sind die 2te 6. 6. 19. 24. 25. 30.

31. 32. 34. 3tz. 53. 57. 58. und 67ste; worunter die 2te 31. 32. rmd 57ste, Fabeln des PhädruS find. Was sich aus diesen, dem Anonymus eigenen Fabeln schließen läßt, will ich ein andermal anzei­ gen, wenn ich einen sonstwo bemerkten Grund eben derselben Vermuthung beizubringemGelegenheit habe. Jetzt bestehe ich nur darauf, daß, besagter weniger Fabeln^ungeachtet, die sich in den vier Büchern des Nomnlus nicht finden, es doch noch immer das beste gewesen wäre, wenn uns Nilant diesen gan­ zen Romulus, bloß mit einem Zusätze derselben vermehrt, und, wie gesagt, mit den Lesarten fei­ nes Manuskripts bereichert, wieder gegeben hätte. Denn auf diese Weise hätten wir doch Nun etwas Vollständiges, welches uns jetzt fehlt, und um so mehr fehlt, je seltener der alte Ulmer Romulus sich gemacht hat. Schon Nilant mußte ihn mit vieler Mühe auf­ treiben; und trieb ihn endlich doch nur in einem verstümmelten Exemplare auf. Er klagt an mehr als Einer Stelle, daß ganze Blätter darin ausgerissen; und wenn er sonach auch schon-den Einfall bekommen hätte, zu thun, was ich für das Bessere

113 halte, so würde er es nicht gekonnt haben. — Die­ ses bringt mich zu meinem zweiten Punkte, bei wel­ chem die Hauptsache auf der nähern Kenntniß -es alten Buches selbst, das Nilant hatte und nicht

hatte, beruhen wird. 2. Ich will hier beweisen, daß RimiciuS nie das allergeringste mit dem Romulus zu schaffen gehabt; daß er weder Romulus ist, noch den Romulus auch nur herausgegeben. Daß RimiciuS und Nomulus zwei ganz ver­

schiedene Personen sind, die Jahrhunderte aus ein­ ander gelebt, haben, hat schon Nilant erwiesen, und ohne Mühe erweisen können, da RimiciuS das, wovon er unstreitig der Urheber ist, einem Kardinale Antonius Cerdanus zugeeignet hat, der 1459 gestorben; die Fabeln des RoMuluS hin­ gegen in Handschriften vorkommen, die offenbar vier bis fünf hundert Jahre älter sind. Wer sonst Rimicius gewesen, und was es für Streitigkeiten über seinen Namen setzt, davon kann man den Kar­ dinal Quirini in seiner Einleitung zu den Briefen des Franciscus Barbarus,*) vornehmlich aber in seinem Schreiben an Schelhoxn, beim Frey­ tag**) nachlesen. Mir kommt es hier nicht sowohl aus seine Person, als auf das an, was er wirklich geschrieben, und was er nicht geschrieben.

♦) Diatr. praeliin. Part. I. cap, 4. §. 7. **) Toino III. Apparat, litler, Append,

114 Rimicius hat das Leben des Äsopus, und Fabeln des Äsopus aus dem Griechischen übersetzt. Das ist unwidersprechlich. Ob er den Druck dieser Übersetzung selbst erlebt habe, getraue ich mir nicht

zu sagen, da, wie schon gemeldet, der Kardinal, welchem er sie zugeeignet, bereits 1459 gestorben. Aber gedruckt wurde sie doch, und zwar schon 1476 zu Mailand. Fabricius hat nur eine spätere Aus­ gabe von 1450 gekannt; aber jene frühere hat Quirini selbst vor sich gehabt, und in dem angeführten Briefe beschrieben. Ich finde sie in unserer Biblio­ thek nicht; Quirini sagt auch nicht, was sie für Fabeln enthalte, als welches zu seiner Absicht nicht erforderlich war: eine Stelle jedoch aus einer soge­ nannten Anacephalaeosis tot ins operis, welche er ganz verbringt, würde allein mich dieses Punktes wegen außer aller Ungewißheit setzen. Rimicius sagt nämlich: Quod vero longe plures (fabulas) Aesopus confecer.it, hinc vel maxime conjectari licet; nam in describendo fabulas ctun sequatur ordinem Alphabet!, in bis hae deficiunt literae etc. Und dieser Umstand von der alphabetischen Ordnung, welcher in den Fabeln des Romulus auf keine Weise merklich ist, würde, meine ich, schon allein genugsam beweisen, daß es nicht diese find, sondern daß es die gewöhnlichen griechischen Fabeln des Äsopus seyn müssen, so wie wir sie jetzt haben: wenn mich auch nicht der Augenschein anderweits davon überzeugt hätte. Denn es ist mehr als

^115^ Eine spätere Ausgabe von den Fabeln des Äsopus

vorhanden, worin sie vorkommen, die Riwiciuß übersetzt hat, und unter seinem Namen, mit feiner Vorrede vorkommen. Ich will statt aller nur die Sammlung des Dorpius nennen, wovon ich einen Frankfurter Druck von 1587 in 8. vor mir habe» In diesem folgen die Fabeln des RimiciuS unmit­ telbar auf die, welche Laurentius Valla schon vor ihm übersetzt hatte, und gehen von der 373sten bis auf die 472ste. Es sind deren also gerade hun­ dert, die ich anfangs lediglich von den älteren 149 Äsopischen Fabeln zu seyn glaubte, welche wir die Klaundeischen zu nennen pflegen. Denn ich ur­ theilte so: die übrigen 148 Äsopischen Fabeln hat

Revel et erst 1610 zuerst herausgegeben, und er nennt ste ausdrücklich nunquam hactenus editas. Wie kann also eine von denen unter den Fabeln des RimiciuS sich finden, die bereits 1476 sollen ge­ druckt seyn, und die ich hier wirklich wenigstens von 1587 vor mir habe? Allein ich sahe mich, zu mei­ ner nicht geringen Befremdung, betrogen, als ich unter den hundert Fabeln des Rimicius mehr denn dreißig zählte, welche allein unter den Nevelet­ schen vorkommen. Das nunquam hactenus editae des Nevelet, muß also nur von dem griechischen Terte gelten. Wenn es auch noch von diesem gilt! Doch davon anderswo. Wenn Rimicius nicht der erste war, der die griechischen Fabeln des Äsopus durch seine Übersetzung

116 in Europa bekannt machte, indem ihm nicht allein, wie schon berührt, Laurentius Valla mit eini­ gen, sondern auch Omnibonus*) ohne Zweifel nut mehreren, darin zuvor gekommen: so war er doch der erste, wie es scheint, durch den sie nach Deutsch­ land kamen.^Nicht, daß man in Deutschland von gar keinen Äsopischen Fabeln gewußt hätte; man

las die mehr gedachten Fabeln des Romulns, un­ ter dessen Namen auch die elegischen Fabeln des Anonymus beim Nevelet im Gange waren; man las die Fabeln des Aviauus, des Cyrillus, des Adelphonsus und Anderer. Nur die eigentlichen Äsopischen Fabeln detz Äsopus, wie sie, wenn auch nicht von ihm selbst, seinen Zeiten doch um so viel näher, wo nicht in seiner, doch in einer Sprache ausgezeichnet worden, in der er die meisten und glücklichsten Nachahmer gehabt, waren bis gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts unseren Vätern völlig unbekannt, und kamen, so wie aus Griechen­ land nach Italien^ also aus Italien nach Deutschland.

♦) Die ich nur noch aus einer Stelle des Kardinals Q u i r i n i kenne. Ei Omniboni versio , quam manuscnptam habuit Naudaeus teste Labbeo Biblioth. nova Mss., vetustior utique ea Rinnen , 3Iediolani publicata ab Antonio Zaroto Parmensi anno 31CCCCLXXVT. lioet Rimicius in Prooemio ad Antomum tituh 8. Chjysogoni Presbyteruni Cardinal ein, ita de suo labore loquatur, ut pninus ipse Aesopuiii e Graecia in Latium convexisse videatur. Diatribe Praelim. ad Fr, Barbari Epistolas 9 pag. 108.

1J7^ Und, wie gefügt, aller Wahrscheinlichkeit nach, zuerst in der Übersetzung deS Rimtriuß, aus wel­ cher auch sofort diejenigen Fabeln, die ganz neu waren, wovon sich nichts Ähnliches bei jenen barba­

rischen Nacherzählern fand, ihnen -eigefugt, und den allgemeinen Fabelbüchern einverleibt wurden. Ein solches allgemeines Fabelbuch war denn auch das, welches Nevelet vor sich hatte, und welches in seiner Hand die Veranlassung zu den nachher so ost, und gleichwohl so ohne Grund , ver­ wechselten Namen des Nomulus und Rimicius wurde Soll ich kurz sagen, wie es das wurde? Weil Nevelet ein junger Franzose war, der ganz gewiß feilt Wort Deutsch verstand; und viel zu stolz, viel zu voreilig war, als daß er sich hätte lange erkläre^ lassen, was er nicht verstand. Nevelet sagt, ivie oben schon angeführt wor­ den , daß dieses alte Fabelbuch zu Ulm gedruckt ge­ wesen, und daß es die Fabeln des Äsopus, des Arranus und seines Anonymus, lateinisch und deutsch enthalten. An einer andern Stelle, nämlich in den Noten über seinen Anonymus, bei der 2lsten Fabel, wo sich in dem alten Werke, ein zweites Buch an­ fängt, fügt er mit ausdrücklichen Worten hinzu, daß er Rimicius heiße, welcher sowohl die pro­ saische lateinische Übersetzung dieser, als auch die

deutsche Übersetzung der nämlichen und übrigen Fa­ beln gemacht habe.

deutsche Übersetzung!

Rimicius, ein Jtaliäner, eine

118 Ich bin sehr gewiß, daß ich schlechterdings das nämliche Buch vor- mir habe, welches Nevelet vor sich hatte, nicht bloß ein nur ähnliches, wie Nilant; und man soll nun gleich hören, wie viel Antheil Rimicius daran hat, und ob er auch nur für den bloßen Herausgeber, wie Nilant meinte, mit irgend einer Wahrscheinlichkeit könne gehalten werden. Das Buch ist in klein Folio, und mit dem Orte des Druckes hat es seine Richtigkeit. Es ist zn Ulm, und. zwar bei Johann Zeinern gedruckt. Geendet säliglich von Johanne Zeiner zu §8Im: steht am Ende ohne Jahrzahl. Doch wir wisse», daß Johann Zeiner zu Ulm von 1473 bis 1484 gedruckt hat; und wenn es wahr ist, daß die erste Ausgabe des Rimicius von 1476 ist, so kann dieses sein Werk, in welchem allerdings von des Rimicius Arbeit verschiedenes vorkommt, nicht vor 76, aber auch nicht nach 84 gedruckt seyn. Näher ist das Jahr des Druckes schwerlich zu bestimmen: und wozu? — Die Stärke beträgt 270 Blätter: anders kann ich sie nicht angeben, weil Seitenzah­ len und- Signaturen fehlen. — Bei den iibrigen typographischen Kleinigkeiten will ich mich nicht auf­ halten, weil sie hier ohne Nutzen sind, und ohne­ dies sich ähnliche Ieinersche Drucke noch genug fin­ den. Ich komme üuf den Inhalt, den ich Stück für Stück mit aller Genauigkeit angeben will. Nach dem ersten Blatte, auf welchem ein ziem-

119 lich großer Äsopus in Holzschrrrtt^ mit allerlei klei­ nen Beiwerken, zu sehen, hebt das Wetze, ohne alle Aufschrift, dre sich auf -cts Ganze bezöge, sogleich mit den Worten an: Vita Esopi fabiilatoris clalissimi e greco latina per Rimicium facta ad reuerendissimum patrem dnm Anthonium titull Sancti Chrysogoni presbiterum Cardinalem. Aber anstatt, daß numnehr wirklich dieses Leben folgert sollte, so folgt vorher ein Vorbericht des deutschen Übersetzers, wovon dieses der Anfang ist: „Das leben des hochberümten fabeldichters Esopi, uß krichischer zungen in latin, durch Nimicium gemacht, an den hochwirdigen vatter, Herren Anthonium deß titels sancti Chryso­ goni Priestern cardinaln,. und fürbas dasselb leben Esopi mit syn,en fabeln, die etvan romulus von athenis synen sun Lhiberro, uß krichischer zungen in latin gebracht, hett gesendet und met ettlich der fabeln Aviani, auch Doligami, Aldefonsy und schimpfreden Poggy, und andrer, ietliche mitt ieren titel ob verzaichnet, uß latin, von Doctore hainrico stainhowel schlecht und verstentlich getutschet nit wort uß wort, sondern sin uß sin, um mehrer lütrung wegen deß textes oft mit wenig zugelegten oder abgebrochnen Worten gezogen, -ze lob und ere dem Durchlüchtigisten fürsten und Herren Herren Sigmunden, hcrtzogen zu osterrich, etliche ergetzttkait dar

120 rrß zu enpfahen, die och nützlich Ist, wa sie verstentlich werdent gelesen u. s. w." Ist es nun wahr oder nicht, was ich gesagt habe, daß Nevelet nur ein wenig Deutsch hätte verstehen dür­ fen, um uns eine Verwirrung zu.ersparen, welcher in den angeführten Worten auf alle Weise vorgebauet ist? Nichts kann deutlicher, als der Inhalt; nichts ausdrücklicher, als der Übersetzer angegeben

seyn. Nicht ein Jtalianer, nicht Rimicius, ist der Urhebev dieser deutschen Übersetzung, sondern Heinrich Steinhöwel. Nicht -vom Rimicius wird gesagt, daß er die Fabeln des Isopus übersetzt habe, sondern vom Nomulus. Dem Rimicius wird lediglich nichts zugeschrieben, als die Überset­ zung von dem Leben des Äsopns.

Was indeß Nevelet aus diesem deutschen Vor­ berichte nicht lernen konnte, wie konnte er es aus dem Buche selbst nicht lernen? Er muß nicht die geringste Neugierde gehabt haben, es ganz nach der Ordnung durchzublättern. Denn nur weiter. Auch auf jenen Dorbericht folgt nicht sogleich daß Leben des Äso^uß, sondern zuvor noch eine kurze

deutsche Anweisung , was und wie vielerlei die Fa­ bel sey. Und sodann das Leben, erst lateinisch, hernach deutsch. Es ist kein anderes, als das, wel­ ches man dem Planudes zuschreibt: und von vorn herein, und vielleicht auch an anderen Stellen, um etwas verkürzt. Der lateinische Text läuft hinter einander fort; der deutsche aber ist, bei den darin

121 vorkommenden Histörchen und Mährchen, durch Holz­ schnitte reichlich unterbrochen. Neide sind mit dem sechzigsten Blatte zu Ende. Hierauf die Fadeln selbst: und Mar fürs erste die vier Bücher der alten vorlängst bekannten Fabeln deS Äsopns, vom Romulus übersetzt, die näm­ lichen, wie sie angezeigtermaßen der Codex Dlvionensis enthält. Und auch nur hier hätte Nevelet in der Vorrede des ersten Buchs lesen dürfen: Ego Romulus transtnli de graeco sermone in latiiium, UM jedem das Seine zuzueignen. Was sonst an diesen vier Bücher Fabeln hier merkwürdig ist, ist dieses, daß ihnen, außer der deutschen Überset­ zung des Steinhöwel, auch Pie elegischen Fabeln des alten Anonymus, so weit sie reichen, unterge­ ordnet sind. Sie reichen aber nur bis auf das vierte Buch, ob sie schon überhaupt, aus den prosaischen Fabeln des Romulus genommen und entstanden zu seyn, die offenbarsten Spuren haben. Denn es sey nun, daß das vierte Buch von ihnen verloren ge­ gangen , oder daß es nie zur Wirklichkeit gekommen: so ist doch daß, daß dieser Anonymus nichts, als der versificirte Romulus ursprüng!»'.*) sey, nicht allein aus der Folge der Fabeln klar und deutlich, welche bei beiden die nämliche ist, sondern auch aus der Übereinstimmung der Fabeln selbst, und besonders aus dem Vorberichte der ein und zwanzigsten. Demi warum hat diese ein und zwanzigste Fabel bei dent Anonymus anders einen besondern Eingang, von Les-nig's Sckir. 8 Bd.

t>

JL22 dech Nutzen der Fabel überhaupt,

E weil sie die

erste des zweiten Buchs bei dem Romulus war, und an so eine Stelle dergleichen allgemeine Be­ trachtungen wohl gehören?

gekommen, daß,

Daher ist es denn auch

wie ich schon erwähnt habe,

die

Arbeit des Anonymus für die eigene Arbeit des Rowulus gegolten, und sowohl in Manuscripteu, als

in gedruckten Büchern des Erster» elegische Fabeln den Namen des Letzter» führen. Ich will von ge­ druckten Büchern für jetzt nur die alte Ausgabe zw

Deventer,

unter dem Titel Esopus moralisatus,

nennen, wovon ich einen Abdruck, sowohl von 1490,

als von 1502,

vor mir habe.

war Christ ungewiß,

Von dieser Ausgabe

ob ste den Avianus,

oder

den Romulus enthalte, weil er sie nicht gesehen. *) Sie enthält

weder den

sondern den Anonymus,

einen, das ist,

noch den

andern,

wenn man will,

einen Romulus zwar, aber den versificirteu. Doch damit ich üicht zu weit aus dem Gleise komme.

Romulus mit seinem Bersificator geht in

unserm alten Buche von dem sechzigsten Blatte bis auf das hundert und sieben und vierzigste, zu Ende desselben hzüchtigt, als die erwiesensten Wahrheiten nachsagen? denen er Mörder und Straßenräuber ist? denen er eben so zuverlässig Zauberer und Teufelsbanner seyn müßte, und sicherlich seyn würde, wenn sie es''nicht für schimpflicher hielten, Alfanzereien nachzuschrei­ ben, als Verläumdungen? Wenn diesen Gelehrten nun gar seine Nachfor­ schungen auf die Spur einer Schrift bringen, die Grumbach'S heftigster Feind, eben als er den Gar-

164^

aus mit ihm spielen wollte, verbrennen lassen; die folglich für Grumbachen muß gewesen, die er aber nirgends selbst auffinden kann (und eine solche Schrift ist unsere Nachtigall, wie man aus den Umständen schon wird geschlossen haben): waö soll er denken? Ist er, bei der Untreue, bei dem Leicht­ finn, mit welchem man auf das bloße Wort seiner Feinde, Anklagen auf Anklagen gegen ihn haust, ohne die geringste Rücksicht auf seine Rechtfertigung zu nehmen, nicht befugt, daß Ärgste zu denken? zu argwohnen, wer weiß waö für Dinge darin enthal­ ten gewesen, auf die man den Scharfrichter antwor­ ten lassen, weil sich sonst niemand sie zu beantworten getrauet? Und dieses wäre die nähere, wichtigere Ursache, eine dergleichen Schrift wieder herzustellen. Denn ob sich schon der Gelehrte in seinem Argwohne irren würde; obschon unsere Nachtigall nichts singt, was nicht damaliger Zeit mehr Vögel auf den Dächern sangen: so ist auch das schon ein Verdienst, wenn der Litterator, der ihm nur Materialien in die Hände liefern soll, durch den Verlust eines leidigen BogenS, einen solchen Argwohn sowohl ihm, als dem, den er trifft, erspart.

Denn daß ich die Schrift selbst nun etwas näher beschreibe, so ist sie ein kleines Gedicht von unge­ fähr sechshundert Zeilen, und dieses Gedicht ist, seiner Einkleidung nach, die Apostrophe einer Nach-

^165 tigall an das Haupt und die Glieder deS Reiches, nach dem verschiedenen Interesse, das Ye an der Grumbachische» Sache nahmen, oder halten neh­ men sollen. Der poetische Werth desselben ist klein. ES war die uralte Gewohnheit der Deutschen, ihre Geschichte in Lieder und Reime zu verfassen: und diese Gewohnheit hat sich sehr lange erhalten. Daß sie nunmehr gänzlich abgekommen, mag vielleicht für den Geschmack ganz gut seyn; aber für die hi­ storische Wahrheit ist es gewiß nicht gut. In diesen Liedern erschallte gemeiniglich die Stimme des Volks, und wenn geschehene Dinge nicht mit dichterischen Fabeln darin ausgeschmückt waren, so waren sie doch mit Empfindungen durchwebt, die man wirklich dabei gehabt hatte. Für solche Empfindungen giebt uns der heutige Geschichtschreiber kalte, o&cr 'wenn Gott will, sehr zuverlässige Beläge aus dem bedächtlrchen Kabinette; und wir finden uns trefflich verbessert. — Der Verfasser sagt auf dem Titel, daß er den wesentlichen Inhalt aus den Schriften Herzog Jo­ hann Friedrich des Mittlern gezogen habe. Ich sehe, daß er vornehmlich die Antwort damit ge­ meint, welche dieser Herzog des Reichs abge­ sandten Botschafften, auf ihr Anbringeu und Werbung, Wilhelmen von Grumbachs, Ernst von Mandelslo, und Wilhelmen von Steins halben, gegeben, und die 1566 auf 15 Bogen in Quart gedruckt ist, auch von Rudolphi

^166^

ferner Gotha Diplomatica einverleibt worden. ♦) Da ich nun sowohl diese Antwort, als auch alle anderen dahin schlagenden Schriften, von beiden Theilen, mit allem Fleiße durchlesen mußte, um von dem wahren Werthe meiner Nachtigall ur­ theilen zu fomtein so hatte ich bereits die merkwür­ digsten Parallelstellen in ihnen ausgezeichnet, und war Willens, sie, wie es kommen» würde, zur Er­ läuterung, oder Bestärkung, oder Widerlegung, der schwachen Stimme des guten Vogels unterzulegen. Doch bei näherer Erwägung fand ich für gut, dem­ jenigen in nichts vorzugreifen, der es einmal wagen dürfte und wollte, die Grumbachischen Händel in allem ihrem Umfange, mit Freimüthigkeit und Ein­ sicht in die damalige deutsche Staatsverfaffung, zu beschreiben. Mir genüge, diesem Manne, dem ich den Geist eines Salustius oder St. Real sieben­ fältig wünsche, eine Kleinigkeit zur Hand geschafft zu haben, die er ungern vermissen würde, und die ich ohne weitere Vorrede hier mittheile. •' Theil ll

S O2-Q2.

167

Na chtigal:

das ist, Aus Johann Friedrichs des Mittlern,

Herzogs zu Sachffen, publicirten Schriften, vom Ursprünge, Anfang und ganzen Proceß der Wirz-

burgischen und Grumbachischen Handlungen, ein

kurzer Bericht und Auszug. Mit einer nützlichen und christlichen Vermahnung an die Rom. Kays. Mayt. Chur- und Fürsten,

auch andere Stande des H. R. Reichs,

antreffende die jetzige trübselige Belagerung der gewaltigen Festung Hrimmenstein,

und welt­

berühmten Stadt Gotha.

Gedruckt im Jahre Christi MI) L X V 11.

Dieweil ihr schlaffet in der Nacht, Und Trübsal euch bekümmert macht, Komm ich, genannt die Nachtigall, O Fürsten gut, in diesem Thal, Zu singen euch ein schön Gesang, Zu wecken euch mit meinem Klang, Dieweil der Früling kompt herbei. Bitt, wollet meine Melodey

168 Gütlich in Gnaden hören an, 10

Der Biichssen Knall abschaffen lahn. Gute Freunde mit einander seyn,

Und euch wohl bey der Sonnen Schein

Vertragen mit einander all,

Auf daß verhüt werd großr Unfall, Den Eulen nit mehr hören zu,

Die euch gemachet solch Unruh. Poeten solch Gewohnheit Han, Wann sie zu dichten fangen an.

Daß sie viel Götter allermeist 20 Anruffen, «mb ein guten Geist, Daß ihre Reym mit Süßigkeit Gezieret seyn, und wol gekleydt. Ich weiß nit mehr denn einen Gott, Den ruff ich an nach seinem Gebott,

Daß ich euch all vermahnen mag,

Anzeigen vieler Herzen Klag, Vom großen Handel reden wol, Weß jeder sich verhalten soll; Doch daß ich euch nicht lang auffhatt,

30

Ist die Sach kürzlich so gestallt;

Grumbach der hat viel Guth und Land,

Das behielt ein Stifft gern in seiner Hand,

Daher entspringt der erste Neydt, Der gemachet hat so manchen Streitt.

Marggraff Albrecht, der streitbar Mann, Den von Wirzburg wolt greiffen an:

169 Grumbach Marggräffscher Diener war, Wie ihm vergrimmt der Pfaffen Schaar. Der Bischoff trauet ihm nit im Streit, 40 Begerte Fried und Einigkeit. Hie thet Grumbach ein große Lreuw Dem Stifft Wirtzburg und ganzem Gebeuw, Richtet auff Fried mib Einigkeit, Macht daß gesah dem Stifft kein Leydt, Verhindert selbst den Ueberfall, Leyhet ihm Geltt in großer Zahl; Viel Lreuw hat Grumbach mehr gethan, Am Stifft Wirtzburch, der ehrlich Mann. Denn da der Graff von Beuren bracht 50 Viel Reuter, und ein große Macht, Hat Grumbach Fleiß gewendet an. Daß er dem Stifft kein Schaden gethan. Beym Kayser auch erhalten hat, Daß er viel Reuter schicken that, Welche den Stifft beschützet Han, Daß ihm kein Ueberlast gethan. Nun höret zu mit welchem Lohn Die Pfaffen ihn bezahlet hon. Da Moritz und Albertus beyd 60 . Hielten zusammen einen Streitt, Marggraff Albrecht verlor die Schlacht, Derhalben ihn der Stifft veracht. Woll sein Ausag nicht halten mehr, Dieweil Albrecht geschwechet sehr, Lessmg's Schr. 8.83b. 8

170 Wil ihm nunmehr kein Schuw -estahn. Grumbach wolt sein Bezahlung Han, Der Bischoff ihm wolt zahlen nicht, Verachtet iruzlich all Gericht, Beraubet auch sein Land und Leut, 70 Dermeynet, er hätt ein gute Deutt. Grumbach der ruffet an das Recht, Der Stifft der macht viel Spiegelgefecht, Der Kayser selber redet an Den Bischoff, daß er soll verstahn, Mit Grumbach komme» überein, Sagt, daß die Sach nit war so kleyn. Der Bischoff bleibt auff seiner Bah», Helt Grumbach vor ein schlechte» Mann. Nicht lang hernach der Bischoff ward 80 Mit einer Kugel getroffen hart, Daran Grumbach unschuldig sich Bekennet frey und öffentlich. Mit solcher Protestatio», Daß ihm der Schuß mehr Leydt gethan, Denn eim andern in dieser Welt, Wie er solchs auff sein Eyd erhellt. Grumbach zeucht in fremde Land, Sein Lugend Machet weit bekandt, Und dienet den Drey Lilien schon, 90 Welch führet die französisch Kron. Mit Reuttern stark er wiederkehrt, Die Pfaffen gewißlich hart versehrt.

171 Man gibt ihm viel der guten Wort,

Daß er nit also fehret fort. Grumbach sich überreden läßt, Folgt ihrem Rath, und thut da- best. Er meynt, sie würdens machen fein, Sein Land ihm wiedergeben ein, Gütlich die Sach ohn alle Wehr, 100 Au Frieden stund auch sein Beger.

Da er die Reutter gelassen ab Kein Pfaff ihm gute Wort mehr gab. FerdinanduS doch das beste that, Den Pfaffen gab ein guten Rath, Gütlich Vertrag zu nehmen an. Die Pfaffen «ollen nit daran, DeS grosse» Bogels hätten sie Erwehret sich, sprachen sie fty, WaS sie dann mit eint Edelmann

110

120

Sollten Vertrag jezt nemen an? Mit Gedultt Grumbach so lange harrt, Dis er schier gar zum Bettler ward, Nit treiben tont ein lang Proceß, Den kayserlichen Rechten gemeß, Dem Adel zeigt fein Bettelstab Sprach sie an umb ein Reutergab. Wirzburg, die weit berümte Stadt, Er glücklich eingenommen hat,

Doch hat er nit gefordert das sein, Verschreibung genommen nur allein,

8*

172

Die Pfaffen lassen leben all, Kein Burger plündert dazumal. Der Pfaffen Kelch und Meßgewandt, Damit sie treiben ihren Lhandt, Hat er da nit gerühret an, Sondern sie noch bewahren lan. Des Bischoffs Hoff und Canzeley Für Raub er thet erretten frey: Allein mit Siegel, Drieff und Eydt 130 Ram er auf dißmal sein Bescheydt, Die auch der Bischeff hat hernach Versiegelt', und die ganze Sach

Bewilliget, ungezwungen zwar, Wie solches allen offenbahr. Hett Grumbach sich daselbst bezahlt, Und geübt allda sein Gewalt, Den Pfaffen genommen all ihr GutL, Gebrochen ihren stolzen Muth So hett er sie bezahlet frey, 140 War bewahrt für ihrer Buberey. Solchs hat er aber nit gethan, Har jedem da das sein gelahn, Daß er in Fried die Güter sein Sein Kindern möchte geben ein. Aber gewißlich er war zu gutt. Die Pfaffen trib der Uebermuth, Denn sie hernach ihr Brieff und Eydt Mördlich gebrochen ohn Bescheydt,

173

150

Sern Werb geplündert Land und Gült, Dazu ein grossen Uebermuth An seinem Sohn getrieben Han, Conrad Grumbach, woltS recht verstahn, Daß sie ihm Han ein kleines Kindt Männlichs Geschlechts, ermordet geschwindt,

Von Mutterleib getrieben zwar Als Mörder, solchS ist offenbar, Getrieben ihn von Land und Gut, Gedurstet sehr nach seinem Mutt, Zn seinem Namen thun greiffen an 160 Den Apt von Benz und den Kauffman, Daß er zu keiner Gnade mehv Ferner möcht kommen, auch sein Ehr Durch famoß Bücher sehr, geschendt. Die kommen sind in vieler Hendt. So Han sie auch Wilhelm von Stern Sein Häuser abgebrennet reyn, Junker Ernsten von Mandeßloh Sein Früchten auf dem Feld zu Stroh Gemächer frey, nit leyden wollt, 170 Daß man dieselb einsammeln solt. Da Grumbach so geengstigt sehr, Johann Friedrich der mittler Herr Betrachtet sein Ritterliche That, Deren er gar viel erzeiget hat, Auch ehren thun sein Alter schwer, Wie uns gebeutt die Göttlich Lehr,

174 Sein Trübsal auch gesehen an, Wie er verfolgt von jederman, Sich seiner so erbarmen thut, 180 Und nimpt ihn miss in sicher Hut, Verheißt ihm Schutz und frey Geleydt, Daß ihm zufügt niemand- kein Leyd,

Und that solch- mit de- Kayser- Rath, Damit e- ihm nicht bracht in Schad Damit nit ferner würd berührt, Das Römisch Reich, bi- wurde verhört, Im Römischen Reich vor allen Stendt, Und jedem da sein Recht erkendt. Solch- hat Ferdinand gelassen zu, 190 Doch daß Grumbach-in Rast und Ruh Sein Leben führt, und jedermann Auch rasten ließ, wie er denn than. Das merket wohl ihr Edelleut, Die ihr Grumbach umbringet heut. Ist diß der Lohn und billig Ehr Für Ritterliche Kriegeswehr? Denkt doch ihr Fürsten alle gut, Daurt euch nicht da- Sächsisch Blutt? Johann Friedrich der dapfer Heldt 200 Sein Leben also frömmlich stell Umb Gotte- Wort in große Gefahr,

Der Chur darum beraubet war, Sein Söhnen ließ ein kleine- Landt : Denkt ist eö nit ein große Schandt,

175 Wenn ihr die nun bekriege» wollt,

Die ihr billich erretten sollt! Fürwar der Grafe von Verein

Für Gott wird ewer Kläger seyn,

Den ihr den Türken jämmerlich 210

Habt morden lassen all zugleich,

Und' habt ihm keine Hülff gethan, Habt dennoch das Bott schätzen Iahn,

Den Türken wolle» freßen gar, Ihm ziehen ab sein Haut und Haar, Die KriegSleut auch bezahlt nit all, Dadurch sie kommen in Unfall,

Waßer getrunken für den Wein, Daß ihrer viel gestorben seyn.

WaS denkt ihr doch, ihr Fürste» gult, 220

Bekriegt ihr nicht ewer eigen Blutt,

Und wendtt für des Reiches Acht, Und schendel ewer eigen Macht, Verlaßt das arme Niederlandt,

Damit der Bapst sein Spott und Schänd Au üben hat in seinem Gin»,

BedenttS, was ist doch ewer Gewinn? Sein dieß die Türken, die ihr wollt

Erwürgen, durch des Reiches Sold?

Muß darum auch der Iolk am Rhein

230

Gesteygert und vermehret seyn?

Diel meyne», daß des Türke» Sleur Soll seyn ein neweS Fegefeur.

176 Ist Grumbach nicht ein alter Mann Der für Alter kaum gehen sann: Wenn ihr nun lange führet Krieg, Was Ehr bringt euch dann solcher Sieg? Er begeret doch nur Rast und Friedt, Warzu soll denn dieser elend Streit? Soll Grumbach seine Gütter lahn 240 Den Pfaffen, und selbst betteln gähn? Weh euch, ihr falschen Jungen zwar, Die ihr jetzt bringet in die Haar Die blutsverwandten Fürsten gut, Und stürzet so unschuldig Blutt! Die armen Bauern müssen dran, In schanzen sich erschiessen lahn, Ihr freßt und sauffet bey dem Feur, Gedenket nit, daß Christus theur Das Menschlich Blut erlöset hat, 250 Weh euch, der großen Missethat! Der Arme seufzt, und spricht Ach, Ach! Und häuffet über euch Gottes Rach. O Kayser Maximilian, Gott zier dein Kayserliche Kron^ Der Bapst stecket voll giftig List, Des Reiches Fried zuwider ist: Durch Einigkeit der Fürsten Macht Junimbt, solches der Bapst betracht, Hierauf ist er beflißen gar, 260 Daß er euch nur bringt in die Haar,

177 Vermalmet so eur Bem und Mark, Daß ihr ihm werdet nit zu stark, Last sich anbetten, wie ein Gott,. Tritt euch mit Fussen, wie ein Krott.

Viel Kayser hat er abgesetzt, Die Türken wider sie gehetzt. Da du empfiengst die güldene Cron, Hast du das Evangelien Iu schützen vielen zugesagt. 270 Denk ob es Gott auch wohl behagt, Wenn jetzt die Hur von Babylon Befürdert werd durch deine Cron. Der Höchste sitzt in seinem Thron, Und hat vorlängst gezehlet schon Die Tag und Stund des Scepters dein, Die Jett die ist hier kurz und klein. Grumbach ein treuer Diener war Dem Carolo, wie offenbar: Der von Wirtzburg keiner Parthey 280 In Treuwen ist gestanden bey. Dein Vater auch erlaubet hat Johann Friedrich mit reissen Rath; Den don Grumbach zu geben Schutz:

Darum hat er mit keinem Trutz Veracht dein kayserliche Cron, Des merk, o Maximilian. So hast du auch gelassen zu Johan Fn'edrichen, daß er in Ruh

178 Den von Grumbach behalten hat:

Wen» du solch- ein Missethat

290

Erkennen wiltt, bin ich zu schlecht, Und kann eö preysen nit für Recht.

Ein Fuchs hie muß begraben seyn, DeS fürchten beyde groß und kleyn, Diel sorgen, daß Grumbach allein

2» diesem Kriege sey ein Schein, O Kayser Maximilian, Niemand Gott widerstreben kav. Die Augspurgisch Confeßion

300

Gestellet hat der Melanthon, Derselbig hat bekennet frey,

Im Nachtmal heut welche Parthey,

Die Wahrheit baß verstanden hat, Eh denn er seinen Geist aufgab.

So man jetzt sagt die Wahrheit frey,

So ist e- eitel Schwermerey. Jetzt unter der Confeßion Biel Lugen seyn bedecket schon.

Das heilig Evaugelio»

310

Das ist die best Confeßion.

Kayser Carolus, der gütig war,

Dom Dapst ward verführet gar,

Der machet ihm ein groß Ungunst, Dieweil er durch des Dapstes Kunst

Zertrennet hat der Christen Bundt,

Gott und seinem Worte widerstund,

179 Verhert daS Teutsche Luck sogar, Dem er mit Eyd verbunden war, Da er Ach rüstet -u der Wehr, 320 Und ihm kein Kürst getrauet «ehr» Erstlich der Römisch Bösewicht Luflöset alle EideSpflicht, Ein Fürst wider den andern ficht, Groß Jammer da ward zugericht^ Daß in dem ganzen Teutschen Landt Geschah schrecklicher Mord und Brandt Die Reichstedt kamen umb groß Gellt, Die Fürsten fing man in dem Feldt Durch listige Detriegerey, 330 Der Landgraff gut kam auch herbey, Die Kestmrg brach man ab -u -and» DaS Geschütz ward gesirhret aus dem Land, DaS Interim das falsch Gedicht Wollt Magdeburg bewillige» nicht, Der Dapst erfand ein solche» Rath, Daß Magdeburg die schöne Statt Don ihren Freunden belagert ward, Umbringet und geengstet hart. WaS hat Carolus gewonnen dar, 340 Da er wieder bekrieget war, Da Magdeburg kam in Vertrag, Sag, wer war der da unten lagDa Moritz stol-lich gewinnt die Clauß, Die gefangenen Fürsten bringt zu hauß,

180 Da Carolus Lhet pasflren lahn Die Augspurgisch Confeßion, Was gab ihm doch der Bapst für Lohn, Da er lang hett das Best gethan? Sein eigen Reich bekrieget sehr, 350 Dadurch geschendt sein eigen Ehr, Da er unglückhastig von Metz Mit Spott abzogen ist zuletz, Gab ihm der Bapst nicht solchen Rath, Daß er den Scepter von ihm that, Hieß ihn ein Kappen ziehen an, Als hette er ganz Uebel gethan. Daß er die Fürsten geben frey, Und nit mit grosser Lyranney Das Bapstthumb aufgerichtet gar, 360 Durch tausend Mord und manch Gefahr. Solchs wollstu, Maximilian, Bitt ich in Gnaden auch verstahn, Die all zu Gnaden nehmen an,

Die deiner Kayserlichen Cron Ein Fußfall thun demüthiglich, Dein Augen zeigen gnädiglich, Gedenk, daß Gott der Höchst allein Dir auch vergibt die Sünde dein.

370

Churfürst Auguste, denk daran, Ein Beyspiel dich erinnern kan. Albertus das Marggräfisch Blutte Dazu Moritz dein Bruder gutt,

181 Zusammen waren gehetzet auch, Von Buchsen ward ein gro-er Rauch, Das Fürstlich und daS Adel Blutt, Noch heut das Erdreich ferben thut. Wär dir jetzt treuw dein Prädicant, Spräch er, es wär ein grosse Schänd, Daß du so alt jetzt worden bist, 80 Und nicht merkest der Pfaffen List. Denn Grumbachs unverdiente Acht, Hastu erstlich selber veracht, Dem Grumbach Dienst gebotten an, Ihn gehalten für ein frommen Man. Auch hat Staupitz, der Diener dein, Grumbach zugeführt zwey Fähnelein Sehr starker wohlgerüster Knecht, Da er mit gutem Fug und Recht Wirtzburg die weitberümbte Stadt 390 On blutig Schwerd erobert hat. So sagt dir auch dein Conscienz Ohn Zweifel ein sehr gut Sentenz, Daß der alt Churfürst mit seiner That Noch Chur, noch Ehr verwirket hat. Die Rede flihet auch mancherley, Daß Moritz durch Verrätherey Die Chur bekommen, und mir Fug,

Johann Friedrich dieselbig trug. Hat dir Gott günnet nun die Ehr, 400 So sollt du prangen nit zu sehr,

182 Vertilgen nit dein eignes Blutt, Von dem du hast dein Ehr und Gut. SS ist doch ja der Vetter dein, Den du und noch ein Pfaff allein, Um seine Aren« und milde That Umbriugest mit deim eignen Schadt. Kein Chronik solches preyse» wirdt, Dazu kein frommer Seelenhirt. Denk, daß du auch bist Staub und Erb, 410

Dein Leben hie nicht ewig werbt. Wiltu gehalten seyn vor keck, So zihe hin, und gewm Siget,

Welche- der Türk genommen ein, Dardurch wird auch der Name dein Berühmet seyn und weit bekandt, Im Deutschen und im Welschen Landt. Da- Reich zwingt mich, ist deine Sag. Du hast aber eine strenge Klag Iu Augsburg im vergangnen Jahr 420 Herfür gebracht, ist offenbahr. Der falschen Urgicht Instrument Hast« gesandt in Pergament Dem Kayser, und noch andern mehr, Dein Freund hierdurch geschendet sehr. Auch auff eine- Mensche» Mund allein Muß Grumbach überzeugt seyn. Der von Wirtzburg und von Braunschweig Mit dir, seyn nicht da- ganze Reich.

183 Ein Pfaff die Acht hat impetttrt,

430

Und wer dieselbig erequirt, Der schendet seine eigen Ehr, Hofirt de» Pfaffe» allzusehr» Hettstu Grumbach nit klaget an, Wer hingelegt der alte Span, Auch auögesühnet wer die Acht, Die jetzuud bösen Handel macht.

Wilhelme, denk an Bruder dein, Denn wenn der wird verdorben seyn, Was wird doch endlich seyn dein Lohn? 440 Wirst du nicht haben Spott und Hohn? Dein Herz wird sich bekümmern sehr.

Daß du nit solch- betrachtet ehr. Wa- hat dein Bruder dir gethan, Daß du mit Pfaffen spannest an, Derderbst dein eigen Gut und Landt? Bedenk die Brüderische Dandt.

Pfalzgraf am Rhein, die Töchter dein Jetzunder sehr bettübel seyn. Iwo Schwestern, die zween Brüder ha», 450 Ach Gott in großer Lrauwer stah». Der Mutter muß solchS seyn ein Pein, Dem Vater auch gewiß nicht kleyn.

Der Leusel hettS auch gern gemacht, Daß man dich in des Reiche- Acht Gethan hett, ist ihm herzlich leydt Daß dir geworden gut Bescheydt.

184 Wie gern wollt er dich fressen gar, Mit Leib, mit Seel, mit Haut, mit Haar. Joachime, deine Fürbitt, Won Brandenburg, hat geholffen nit. O Brandenburgisch Edelleut, Ewer Frombheit wird gefordert heut. Des frommen Casimiri Knecht, Welcher doch hat gut Fug und Recht, Der vierzig Jahr sein Diener war, Wird geengstet von der Pfaffen Schaar. Marggraf Albrecht, den guten Heldt, Da Moritz durch ein Kugel gesellt, Hat Grumbach nit verlassen thun, 470 Darum wird er gehasset nun.

460

Churfürst von Maynz, ein alt Geschicht Wird geben dir ein guten Bericht. Als Dieterich auch Bischoff war Zu Maynz, den Bapst strafft offenbahr, Daß er nur sucht der Teutschen Geltt, Wend vor, der Türk der leg im Fetdt. Drumb Mayntz die weitberühmbte Statt, Ein andrer Pfaff anzündet hat, Und da ihm geöffnet wav die Pfort, 480 Diel Bürger jämmerlich ermordt, Die andern hat er trieben auß, Die Statt plündert von Hauff zu Hauß. Noch ward da nit erkannt die Acht. Dasselbig, bitt ich, wol betracht.

185 Churfürst zu Maynz, wollst werden gleich Den frommen Bischoff Dietereich. Churfürst von Collen, denk daran, Wie dein Better, Bischoff Herman, Von Pfaffen abgesetzet war, 490 All seiner Ehr beraubet gar: Noch ist ihm solchs ein grosse Ehr, Welche wird sterben nimmermehr. An dich ist nun mein christlich Bitt, Dein frommen Better schende nit. Churfürst von Trier, dich hat dahin Der Todt, welcher dein groß Gewinn, Dein Seele jetzt bewahret Gott, Errettet sie aus aller Noth. Dem Lieb zu der Geometrey, 500 Dein Landtafel wird melden frey. Gott geb, daß der Nachfolger dein, Ein frommer Bischoff müsse seyn.

Landgraf Philip, manchs graues Haar Hat dir gemacht der Pfaffen Schaar. Fürwahr wenn du der Pfaffen Rott Jetzt machen würdest gar zu Spott, Wird preisen dich nach deinem Todt Ein jedermann, und loben Gott. Ein schelmisch Pfaff verkehret einig 510 Bera'nderts n und macht ewig. Wenn solch ehrlose Verrätherey Soll ungerochen bleiben stey,

186 Wird sich gewiß an fürstlichen Blutt Vergreisten oft der viereckt Hut.

Herzog von Wirtenberg und Leck, Für deine Thür ein Riegel steck. Wenn Gotha wird geschleiffet seyn, Und Philippus gelassen ein, So steht in Gefahr der Nachpaur dein, 520 Ich meyn den Pfaltzgraff an den Rhein. Solch- laß dir seyn ein tteuwen Rath, Merk zeitlich drauf, und nit zu spat.

Sybilla, die fromb Herzogin Bon Clev, ja war die Schwester dein, V Prinz von Clev, die hat geporn Johan Friedrich, der jetzt den Aorn Der Pfaffen tragen muß allein, Die Sach laß dir befohlen seyn. Die Noth ist jetzt vorhanden hart, 530 Nit einer auf den ander» wart. Euch Reichstätt, bitt ich, thut gemach, Bedenket vor gar wol die Sach, De- Gelde- hübt ihr »it zu viel, Derschütt e- nit zu diesem Spiel. Ihr von Würzburg, denkt wol daran, Waö Spiel ihr habt gefangen an. Ihr habt gebrochen Brief und Sydt, Gestifftet Jammer und groß Leydt, Geistliche Leute wollt ihr sey», 540 Darumb folgt auch der Lehre fei»

187 Geistlicher Schrift, und merket wol, Wie jedermann vergeben soll Seim Nechsten alle seine Schuld, Da- ihr behaltet Gottes Huld. Grumbach ist euwer Lehenman, Hat ewern Stifft viel Treu« gethan, Weil er euch treuwlich dienet hat Mit feiner Ritterlichen That, Ob er gleich irgends Unrecht than, 550 So will er sich doch weisen lahn, Horatio ein Missethat Vergeben ward ohn allen Schad Der Rechten, weil er Ritterlich Wider die Feinde gehalten sich.

D Kayser Maximilian, Bitt wollest die Sach recht verstahn. Fürwahr die Festung Grimmenstein Ist deiner Hoheit viel zu kleyn, Kein Ehr kan bringen dir der Krieg, 560 Ob gleich in deiner Hand der Sieg. Wiltu, daß deine guldne Kron Ein ewig Rhum und Lob soll Han, So rech den Grafen von Verein, Nit unterdruck die Diener dein, Die dir mit Leib und auch mit Blutt Iu dienen geneigt, auch all ihr Gutt Irr streken Han gebotten ahn Für deine kayserliche Kron.

Verhör gnugsam beyde Parthey, Laß alle Stände richten frey, Churfürstliche Bitte nicht veracht, Von den du hast die hohe Macht. Johann Friedrich, dein Diener gut, Ium Rechten sich erbitten thut. Nichts anders von dem Römschen Hirt In diesem Krieg gesuchet wirdt, Denn da- das Sächsisch Blutt geschendt, Und er möcht waschen seine Händt Wol in dev Niederländer Blutt, 580 Darnach ihn hefftig dursten thut. Ich bin ein geringes Bögelein, Mein Gesang ist kurz, mein Ieit ist klein, 570

Nembt diese Melodey vor gut, Der liebe Gott euch all behüt.

189 Die drei Abschriften, ans welchen ich dieses mittheile, find völlig übereinstimmend, außer den zufälligen Verschiedenheiten der Orthographie, in­ dem jeder Kopist der semigen gefolgt, und einigen anderen Kleinigkeiten, die den Bau des Verses be­ treffen. In diesen habe ich mich bald an die eine, bald an die andere gehalten, weil auf genauere Übereinstimmung hier nichts ankommt. Hinter der einen Abschrift.folgen noch etwa ein Hundert gereimte Keilen, mit der Überschrift: Wie

eS mit Gotha ergangen ist. Aber sie enthalten nichts, was nicht schon bekannt wäre, und sind von dem Verfasser der Nachtigall gewiß nicht. Hinter der andern Abschrift steht noch ein Verzeichniß des Vorraths, welcher auf hem Schlosse Grimmenstein bei der Einnahme gefunden worden; deßgleichen ein Lied von D. Joh. Major. Jenes ist noch viel unglaublicher, als das ähnliche, welches beim Rudolphi vorkommt, und man kann leicht er­ messen, was man mit diesem vorgeblichen ungeheu­ ren Verrathe hat sagen wollen. Das Lied von D. Major ist überschrieben: In D. Pol. Leyserum, und fängt an: O Nachtigall, du und dein Gesang Seit über die Vögel alle: Gott hat dir geben ein Hellen Klang, Iu loben ihn mit Schalle u. s. w. Allein man würde fich sehr irren, wenn man diese Nachtigall für die unsrige halten wollte. Es ist

190 eine gakz andere, und der Abschreiber hätte sie nicht

mit m dieses Gebauer sperren sollen.

Die Händel,

die Johann Major mit Polyc. Leyser« zu Wit­ und dahin gehört die­

tenberg hatte, sind bekannt, ses Lied.

Major versteht unter seiner Nachtigall

vielleicht den Melanchthon,

wie dieses der Ab­

schreiber durch die am Rande beigefügten Buchstaben anzeigen wollen; vielleicht aber auch einen

L q>.

andern von Melanchthon'S Geist und Denkungs­

art,

weil Melanchthon selbst längst todt war;

vielleicht auch gar sich selbst. set er,

Diese Nachtigall prei­

in Entgegensetzung eines -leidigen Guckucks,

Der leydige Guckug fleugt umher

Und guckt in alle Winkel,

womit er den umherreisenden D. Jacob Andreä ansticht; und in Entgegensetzung eines Finken, Fürwahr der Fink ist Geyers Art,

Fromb Vöglein will er fressen, womit er seinen eigenen Widersacher und Verfolger,

benannten Leyser, meint.

Diesem Finken prophe-

zeiht er, daß er doch noch endlich werde im Hanfs behangen bleiben, und schließt: Und der, der dieses Liedlein sang, Der hat ir mehr gesungen,

Er ist ein Schwan, du hörsts am Klang, Du hettst in gern verdrungen.

Noch leit er nicht, er lebt und singt, Er will sein Feder spitzen,

191 Für Freund in im sein Herz ayffspringt, An dir sich zu ern«-en. Er will dir schreiben an dem Grab, Welch- dann seyn wird ein Dohne: Hie zappelt der vermessne Schwab, Und hat ein Strick zu Lohne, Für sein Blutdurst, Betrug und Tandt, Er hat darnach gerungen, Die Nachtigall hat noch iren Stande, Sie bleibt wohl unverdrungen. Da- ganze Lied ist nicht schlecht, und kann zu der Zeit gefallen haben, als man die Personen vor sich hatte, auf die es anspielte. E- muß gegen 1586 gemacht seyn. Zwanzig Jahre vorher würde Major unserer Nachtigall ein ganz anderö- Lied gesungen haben. Denn damals zog er mit seiner lateinischen Poesie gegen Grumbachen sehr bitter zu Felde, ohne Iwei­ fel, sich bei dem Churfürsten Augustus damit einzu­ schmeicheln, der eben im Begriff war, mit anderen Waffen gegen ihn loszubrechen. Ich habe diesezuerst aus einem ungedruckten lateinischen Gedichte gelernt, welches sich unter den Mauuscripten unserer Bibliothek befindet, und den Titel führt: Spongia ad tollendes virulentes criminationes, quibus deförmare conatur nomen et famam magnanimi Herois Wilhelmi ja Grumbach, Johannes Major, Poeta maledicus; Incerti cnjusdam. Ich will nicht sagen, daß dieser Schwamm alle Flecken von

192

Grumbach'S gutem Namen abwischt; aber doch gewiß manche, wenn es schon nur diejenigen wären, welche sich auch ohne Schwamm abblasen lassen. Ich füge noch Eins hinzu. Ich darf kühnlich sagen, daß fast alle Geschichtschreiber, in Erzäh­ lung der Grumbachischen Handel, dem Hubertus

Languetus blindlings folgen. Aber Hubertus Languetus war ein vertrauter Diener des Chur­ fürsten Augustus, welcher leider in dieser Sache Parthei und Richter spielte. Noch mehr: ich weiß, daß die Ursache, warum Augustus den Languetus an den König von Frankreich abschickte, vornehmlich Grumbach war. Die Instruction, welche der Chur­ fürst seinem Gesandten ertheilte, ist abschriftlich in unserer Bibliothek, und würde kein unebener Zusatz zu den Epistolis secretis Hubert! Langueti seyn, die Ludewig herausgegeben. Denn die ersten dieser geheimen Briefe sind von dieser nämlichen Gesandt­ schaft vom Languetus an seinen Herrn erlassen.

V. Wörterbuch .über

Friednch's von Logan Sinngedichte. 1 7 5 9.

Vorder ichk. Da- Geschlecht der von Logan, oder Logaw,

ist eins von de» älteste» adeligen Geschlechtern Schle­ siens. Ihr Stammhaus, Altendorf, liegt in dem Fürstenthume Schweidnitz. Chr. Gryphius sagt, es sey aus böhmischen oder schlesischen Geschicht­ schreibern zu erweisen, daß schon in dem sechzehnten Jahrhunderte Freiherren von Logau unter den Kaiser« Carl dem Fünften und Ferdinand dem Er­ sten ansehnliche KriegSbedieuungen bekleidet hätten. Auch blühte unter der Regierung des Erster« Ge­ orge von Logau auf Schlaupitz, einer der besten lateinischen Dichter seiner Zeit, dem wir die erste Ausgabe des Gratias und Remesianns zu danLessing's Schr. 8. Dd. 9

194 ton Haben.

Deßgleichen besaß um eben diese Zeit

Caspar von Logau, den Lucä und Andere mit nur gedachtem George verschiedentlich verwechseln, den bischöflichen Stuhl zu Breslau. Unser Friedrich von Logau ward, zufolge seiner Grabschrist, die uns Cunrad aufbehalten hat, im Monat Junius des Jahres 1604 geboren. Seine Altern und den Ort seiner Geburt finden wir nirgends benannt; auch nirgends einige Nachricht von seiner Erziehung, wo er studirt, ob er gereist u. s. w. Wir finden seiner nicht eher, als in Dien­ sten des Herzogs zu Liegnitz und Krieg, Ludewig deß Vierten, gedacht. Man beliebe sich aus der Geschichte zu erin ttent, daß Johann Christian, Herzog von Brieg, drei Söhne hinterließ, die nach seinem 1639 erfolg­ ten Lode das Herzogthum gemeinschaftlich besaßen, doch so, daß jeder von ihnen seine eigenen Räthe hatte. Unter den Räthen des zweiten, des gedach­ ten Ludewigs, befand sich unser von Logau. Als aber 1653 ihres Vaters Bruder, George Rudolph, starb, und die Mirstenthümer Liegnitz und Wohlau tt»- sie fielen, fanden sie das Jahr darauf für gut, sich durch vas Loos aus einander zu setzen. Ludewig bekam Liegnitz, wohin er nunmehr seinen Sitz ver­ legte und seinen Logau als Canzelleirath mit sich

nahm. Die Liebe zur Poesie muß sich zeitig bei ihm geäußert haben. Er sagt uns in einem von seinem

195 Sinngedichten selbst, daß er in seiner Jugend ver­ liebte Gedichte geschrieben habe, die ihm iy den Un­ ruhen des Krieges von Händerr gekommen wären. Nach der Zeit erlaubten ihm seine Geschäfte allzu­ kurze Erholungen, als daß er sich in größeren Ge­ dichten, als das kleine Epigramm ist, hätte ver­ suchen können. Unterdessen hat er es in dieser ge­ ringern Gattung so weit gebracht, als man es nur immer bringen kann, und es ist unwidersprechlich, daß wir in ihm allein einen Martial, einen Catull und Dionysius Cato besitzen. Er gab Anfangs nur eine Sammlung von zwei­ hundert Sinngedichten ans Licht, die, wie er selbst sagt, wohl ausgenommen wurden. Wir haben sie nirgends austreiben können,^ und wer weiß, ob sie gar mehr in der Welt ist? Die vollständige Samm­ lung, die den schon erwähnten Titel: Salomons von Golau deutscher Sinngedichte drei Lau­ send führt, ist zu Breslau, in Verlag Caspar Kloßmanns, gedruckt, und macht einen Octavband von ungefähr drei Alphabeten aus. Das Jahr des Drucks finden wir nirgends darin ausdrücklich angezeigt. Es muß aber das Jahr 1654 gewesen seyn, welches sich aus verschiedenen Sinngedichten schließen läßt, und von den Bücherkennern bestätigt wird. Da unterdessen Sinapius sagt, daß Logau seine Sinngedichte im Jahre 1638 herausgegebeu habe, so wird man dieses nicht unwahrscheinlich von der ersten kleinen Sammlung verstehen körlrrem 9*

196 Er war ein Mitglied der fruchtbringenden Ge­ sellschaft, in die er 1648, unter dem Namen des Verkleinernden, ausgenommen ward. Wenn der Sprossende, in seiner Beschreibung dieser Gesell­ schaft, ihn unter diejenigen Glieder nicht rechnet, die sich durch Schriften gezeigt haben, so ist dieses wohl ein abermaliger Beweis, daß das Publicum seine Sinngedichte sehr bald vergessen hat.

Er starb zu Liegnitz, den fünften Julius im Jahre 1655, und hinterließ aus einer zweiten Ehe einen einzigen Sohn. Es war dieses der Freiherr Balthasar Friedrich von Logau, der Freund des Herrn von Loh en st ein, und der Mäcen des jüngern Gryphiuö.

Von der Sprache des Logau.

Die Sprache unsers Dkchters ist, überhaupt zu reden, die Sprache des Opitz und der besten seiner Artverwandten und Landsleute. Und wenn Kscherrung hierin die erste Stelle nach Opitz gebührt, so gebührt die erste Stelle nach Tschernjng unserm Logau. Das Sinngedicht konnte ihm die beste Gelegen­ heit geben, die Schicklichkeit zu zeigen,, welche die deutsch- Sprache zu allen Gattungen von Materie

197 unter der Bearbeitung eines Kopfes erhalt, der sich selbst in alle Gattungen von Materie zu finden weiß. Seine Worte find überall der Sprache angemessen: nachdrücklich und körnicht, wenn er lehrt; pathe­ tisch und vollklingend, wenn er straft; sanft, ein­ schmeichelnd, angenehm tändelnd, wenn er von Liebe spricht; komisch und naiv, wenn er spottet; pos­ sierlich und launisch, wenn er bloß Lachen zu erre­ gen sucht. Der Sprachenmengerei, die zu feiner Zeit schon stark eingerissen wat, *) und die er nicht unrecht von den vielen fremden Völkern, welche der Krieg damals aus deutschen Boden brachte, herleitet,**) machte er sich nicht schuldig; und was er mit einem deutschen Worte auödrücken> konnte, das drückte er mit keinem lateinischen und französischen aus, welche letztere Sprache auch seine Zeitverwandten bereits für unentbehrlich hielten.***) Er hat verschiedene aus anderen Sprachen entlehnte Kunstwörter nicht unglücklich übersetzt. So nennt er z. E. •) Sinngedicht 257 und 498.

•») Sinngedicht 257. Die Musen wirkten zwar, durch kluge Dichtersinnen, Daß Deutschland sollte Deutsch, und artlich reden können, Mars aber schafft es ab, und hat es so geschickt. Daß Deutschland ist blutarm, drum geht es so geflickt. •**) Sinngedicht 1594. Wer nicht Französisch kann. Ist kein gerühmter Mann rc.

198 Nomeh adjeetivum et substantivum das zvsetzliche und eigenständige Wort.*) Accentus, Beilaut.**) Inventarium, Fundregister rc.-s) Doch war er auch kein übertriebener Purist; er spottet über die zu weit gehenden Neuerungen des Aesen,i-f) ob er gleich mit ihm in Einem Jahre (1648) in die fruchtbringende Gesellschaft auf­ genommen ward. *) In der Überschrift des 488sten Sinngedichts.

*♦) In der Vorrede zu dem ttften Lausend seiner Sinn­ gedichte , wo er sagt, daß er sich'bei prosaischem Ge­ brauche der unbestimmten einsilbigen Wörter, nach dem Beilaute, so wie dieser im Reden und Lesen jedesmal falle, gerichtet habe. Desgleichen Sinnge­ dicht 15 2ü, Deutscher Reimkunst meistes Werk steht im Bei laut oder Schalle; Ob der Sylben Ausspruch kurz, lang, und wo er hin verfalle. t) Sinngedicht 2363. Cynthia will ihren Mann, wenn sie stirbt, der Chloris geben; Chloris will die Erbschaft nicht weiter und zuvor er­ heben, BIS ein Fundregister da, (Seht mir an den klugen Rath') Bis zuvor sie sey gewiß, was für Kraft die Erbschaft hat. Mehrere glücklich übersetzte Kunstwörter wird man in dem PZörterbuche selbst antreffen.

tt) Sinngedicht 1747.

199

Eß bedarf aber nur einer ganz geringen tsufc ruerksamkeit, zu erkennen, wie "sehr die Sprache

nnserer neuesten urrh besten Schriftsteller von dieser alten, lautern und reichen Sprache der guten Dich­ ter aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts unter­ schieden ist. Der fremden Wendungen und Wortfü­ gungen, welche die ersteren aus dem Französischen und Englischen, nachdem diese oder jene eines jeden Lieblingssprache ist, häufig herüber nehmen, nicht zu gedenken; so haben fie keine geringe Anzahl gu­ ter, brauchbarer Wörter veralten lassen. Und auf diese veralteten Wörter haben wir ge­ glaubt, daß wir unser Augenmerk vornehmlich richten müßten. Wir haben alle sorgfältig gesammelt, so viele derselben bei unserm Dichter vorkommen; und Haben dabei nicht alleiil auf den Leser, der sie verstehen muß, sondern auch mtf diejenigen von un­ seren Rednern und Dichtern gesehen, welche Ansehn genug hätten, die besten derselben wieder einzufüh­ ren. Wir brauchen denselben nicht zu sagen, daß sie der Sprache dadurch einen weit größer» Dienst thun würden, als durch die Prägung ganz neuer Wörter, von welchen es ungewiß ist, ob ihr Stem­ pel jhnen den rechten Lauf so bald geben möchte. Noch weniger brauchen wir sie zu erinnern, wie ein veraltetes Wort auch dem ekelsten Leser, durch daß, was Horaz callidam juncturam nennt, annehm­ lich zu machen ist. Ferner haben wir unsern Fleiß auf die Probirr-

200 zialsprache deS Dichters gerichtet. Die schlesische Mundart ist deßwegen einer kritischen Aufmerksam­ keit vor allen anderen Mundarten würdig, weil wir in ihr die ersten guten Dichter bekommen haben. Die Vortheile, welche diese Männer an eigenen Wörtern, Verbindungsarten und Wendungen darin haben, verdienen, wo nicht für allgemeine Vortheile der Sprache angenommen, doch wenigstens gekannt und geprüft zu werden. Von diesen Vortheilen, sofern wir dergleichen bei unserm Logau bemerkt, wollen wir diejenigen, die in dem Wörterbuchs selbst kerne fügliche Stelle finden können, unter folgende allgemeine Anmerkun­

gen bringen. I.

Logau

läßt

vielfältig

die Geschlechts­

wörter weg. J. E. (IV, 51.) Man hat den Feind aufs Haupt geschlagen, Doch Fuß hat Haupt hinweggetragen. Er thut dieses 1) bei denjenigen Hauptwörtern, welche Abstracta ausdrücken, und gewissermaßen zu Geschlechtsnamen werden, allwo es zu einer beson­ dern Schönheit wird: (VI, 36.) Aber Neid hat scheel gesehen; Und Derhängniß ließ geschehen, Daß ein schäumend wilder Eber Ward Adonis Lodtengräber. Hier werden der Neid und das Derhängniß durch

201 die Weglassung des Artikels zu Personen gemacht, welches wert stärker und poetischer ist, alS wenn es hieße: „der Neid hat scheel gesehen; daß Verhängniß ließ geschehen. Eben so auch (JV, 11.): Scä'vus wird mit Ewigkeit immer in die Welte leben rc. Hier wird die Ewigkeit zu einem lebendigen Wesen. 2) Thut er es bei denjenigen Hauptwörtern, welchen der unbestimmte Artikel ein, eine zukommt, den man in der vielfachen Zahl ohnedies schon wegzulassen genöthigt ist. Z. E. (Vir, 71.) Hat Land durch diesen Krieg, hat Stadt mehr ausgestanden? Nicht die Stadt, eine gewisse Stadt, sondern unbestimmt: Städte. Ferner (X, 87J Gieb mir geneigten Blick, anstatt: einen geneigten Blick, oder geneigte Blicke. Man sehe, welche gute Wirkung dieses in den Kriegsliedern des Preußischen Grenadiers hervorbringt. „Wie krieg'rische Trompete laut „Erschalle, mein Gesang! anstatt: laut wre eine Trompete, oder wie Trom­ peten. „Drum finget herrlichen Gesang rc. anstatt: einen herrlichen Gesang, oder herrliche Ge­ sänge. „ Er faßte weisen Schluß, anstatt: er faßte e-nen weisen Schluß.

202 II.

Logau läßt die Endung der Beiwörter nicht allein in dem ungewissen, sondern auch in dem männlichen Geschlechte weg. Er sagt: „ein groß Verdruß, ein gut Soldat,*) ein stätig Gaul,**) ein kriechend Erdegeist u. s. w." III.

Logau braucht sehr häufig das Beiwort in dem ungewissen Geschlechte als ein Haupt­ wort. I. E. Seith^ ist unser Frei-in Dienstbarkeit verkchret,***) fifc: unsere Freiheit. Nachwelt werd ihm alles Frech gar vergessen oder schenken, t) für: alle Frechheit. —----------- Ein solches Klug, Dafür ein keuscher Sinn Entsetz und Grauen trug, ++) für 7 eine solche Klugheit. Bei welchem freies Wahr, derFreundschastSeele, wohnt,-M-) für: freie Wahrheit. *) iv, 4. •*) Sinngedicht 91. Sinngedicht 157. i) XI, 24. -H) Sinngedicht 1259. itü X, 8.

203

Canus geht gar krumm gebückt, Weil ihn Arm und Alt so drückt,*) fiir: Armuth und Alter. Und ernähren fremdes Faul,**) für: fremde Faulheit. IV.

Logau läßt von den Zeitwörtern die selbstständigen Fürwörter da weg, wo sie zur Deutlichkeit nichts mehr beitragen, und er­ hält dadurch mehr Nachdruck und Feuer. Z. E. Mich, sagt Elsa, schreckt es nicht, werde brün­ stig nur gemacht, Unter Augen dem zu gehn, zc. ***) für: ich werde nur brünstig gemacht. Pisus nahm die dritte Frau, immer eine von den Alten: Wollte, mtin' ich, ein Spital, schwerlich einen Ehstand Hallen,-t) für: er wollte ein Spital halten. Risus buhlte stark um Nisa: Dieses gab ihr viel Beschwerden; Wollt' ihn nicht; sie freit ihn aber, seifte«: 2s-

dyrch lo$ zu Werden,^) fÜLr sie wollt' ihn nicht. ♦) Sinngedicht 1820, *•) Erst« Abgabe., Sinngedicht 2oi,

»••) III, 31. i) IV, 48. ff) VI, 8Q.

204 Wenn im Schatten kühler Myrthen Sie sich kamen zu bewirthen: Folgte nichts als lieblich Liebeln, Folgte nichts als tückisch Bübeln; Wollten ohne süßes Küssen Nimmer keine Zeit vermissen;*) für: sie wollten keine Jett vermissen.

V. Logan trennt von den zusammengesetzten Zeitwörtern die Vorwörter auch da, wo wir sie nicht zu trennen pflegen, und setzt zwi­ schen beide irgend ein ander Redetheilchen, um die Worte für das Sylbenmaaß beque­ mer zu machen. Wenn wir uns dieser Freiheit nichts mehr bedienen, so werden wir wenigstens Ur­ sache finden, ihn darum zu beneiden. I. E. Ei, ich wills ihm ein noch treiben; dieses Ding muß seyn gerochen;") für: ich wills ihm noch ein treib en. Lieb und Geiz sind solche Drillen, welche dem, der auf sie stellt;"*) Mr der sie aufstellt rc. Jetzt müssen wir uns durch die Umkehrung helfen: er stellt es auf; er trieb es ein; und in der unbestimmten Weise durch das Wörtchen zu: -inzutreiben, aufzustellen; *> VT, 36. ••) Sinngedicht 1041. Sinngedicht 1317.

205 und in zwei vergangenen Zeiten durch die Sylbe ge: er hat eingetrieben, er hatte aufgestellt. Alles gute Mittel, die wir aber zuweilen nicht ohne Zwang und Weitschweifigkeit gebrauchen können.

VL Logau setzt die Endsylbe lei, die wir jetzt nur bei den theilenden Zahlwörtern dulden wollen, auch zu fast allen Arten von Für­ wörtern, und erlangt dadurch (wie man eß nun nennen will) ein Nebenwort, oder ein unabänderliches Beiwort von besonderm Nachdrucke. Z. E. Zu etwas Großem noch wird Sordalus wohl werden, Denn seinerlei Geburt ist nicht-gemein auf Er­ den rc.^) Wie weitschweifig müssen wir jetzt dafür sagen: „denn eine Geburt, wie seine war rc." Du Schelme, du Bauer! So zierliche Titel Verehrten die Krieger den Dauern ins Mittel. Nun Krieger getreten in Zippelpelzorden Sind dieser!ei Titel Besitzer sie worden.•) **) Dieserlei sagt hier nicht so viel, als dieser; es scheine auch nicht so viel zu sagen, als derglei­ chen, sondern es begreift beides: Dieser und dergleichen Titel. Überdies da wir dieses lei •) Sinngedicht 779. ••) Sinngedicht 1586.

206 be! den uneigentlichen Fürwörtern sehr wohl leiden; denn wir sagen ohne Tadel mancherlei, solcher­ lei, keinerlei, vielerlei, allerlei: warum sollte es nicht auch an die eigentlichen Fürwörter ge­ setzt werden können? Die schlesische Mundart kommt hier mit der schweizerischen überein, welches man aus folgender Stelle, die Frisch aus Geilers von Kaysersberg Postille anführt, ersehen wird. Sie erläutert zugleich den Gebrauch dieser Fürwör­ ter in lei vortrefflich. „Ein Sun ist nit anders, dann ein Ding, daß da lebet von einem lebendigen seinerlei. Ich hätte einen SuNs der wär meinerlei, ejus dem speciei. Ich kann die Species nicht baß teutschen. Wurme, die du in dir hast, find nicht de in er lei." VII.

Logau construirt die Zahlwörter gern mit d?r Jeugendung. J. E.

Für ein einzles, das man thut, So es ist zu nennen gut, Kann man zehen böser Stücke Rechnen ab, und ziehn zurücke.*) Nicht: zehn böse Stücke. Man wird sich dieser Jeugendung sehr wohl bedienen können, so oft das Hauptwort mit einem Selbstlauter anfaugt, und mau den Hiatus vermeiden will. ') Sinngedicht 3470.

207 VIIL Logau läßt von sehr vielen Wörtern die Anfangßsylbe ge weg, wodurch sie an ihrem Nachdrucke nichts verlieren, oft aber an dem Wohlklange gewinnen. Er sagt z. E. Die weitgereiste Würze — *) wofür wir Gewürze sagen und es in ein Neutrum verwandeln; wiewohl wir auch die erste Art, beson­ ders im höheru Styl, beibehalten. Gott.sey Dank für meinen Schmack re.**) für Geschmack; deßgleichen auch Ruch für Ger­

ruch.***) Wer der Arbeit Mark will nießen :c.****) für genießen. So auch Hirn für Gehirn (wel­ ches noch üblich ist), linde für gelinde, Saug für Gesang, +) bracht für gebracht rt. Mit der Anfangssylbe be verfährt er oft auf gleiche Weise. I. E. sonders für besonders: Ein sonders Lob ist dies, daß einer Lobens werth 2c. tt) Müht für bemüht, trt) Hausen für behausen, mir liebet für: mir beliebet rc.

•) Sinngedicht 403. •*) Sinngedicht 17 25» ••*) Sinngedicht 1727 und 1148. ••••) II, 78. t) IV, 101. ■rt) in, 50. trt) 13p.

J2O8^ Und so viel von den allgemeinen Anmerkungen über die Provinzialsprache unsers Dichters; einzelne wird man in dem nachstehenden kleinen Wörterbuchs häufig antreffen. Man wird aber wohl sehen, daß unsere Absicht weder hier noch dort gewesen ist, alle Eigenthümlichkeiten der schlesischen Mundart damit zu erschöpfen. Sie kommen bei unserm Dichter nicht alle vor, und von denen, welche vorkommen, ha­ ben wir, wie schon gedacht, nur diejenigen ausge­ sucht, von welchen er einigen Nutzen gezogen , und von welchen auch noch unsere heutigen Schriftsteller vielleicht einigen Vortheil ziehen könnten.

A. Äbgleichen, einen oder etwas abgleichen, refcrre.

Sinnged. 13. Kinder ----------------------------------Die des Vaters tapfern Sinn Und der Mutter schönes Kinn Lieblich werden abegleichen. Ablangsrund, wofür wir jetzt länglichrund, oval sagen. Sinnged. 2410, wo der Dichter von der Figur der Erde redet, wie sie damals geglaubt wurde. Ist der Erdkreis, wie man mehrt, ablangSrund, als wie ein Ei rc. Allengefallenheit, ein ziemlich unbehülfliches und von dem Dichter' ohne Zweifel gemachtes Wort, für: das Bestreben, allen zu gefallen. Viel­ leicht könnten es noch die Gottesgelehrten brauchen, die aQenxua des H. Paulus auszudrücken. Alter Zeit, anstatt: in alten Zeiten, vor Al­

ters. (V, 102.) Jakobs Stamm klagt alter Zeit Über schwere Dienstbarkeit. Flemming sagt: „Die Freude mitte nehmen, „ So sich giebet dieser Zeit rc.

210 Nach eben der Art sagen wir noch: stehendes Fußes, gerades Weges ec. Angehen, einen, in dem eigentlichsten Ver­ stände, für an fallen. Sinnged. 72a. Er steht viel fester noch, als feste Zedern stehn, Die Regen, Lhau, Reif, Schnee, Frost, Hitze wird angehn. Angesichts braucht Logan als ein Nebenwort nicht unglücklich, vielleicht weil ihn augenblicklich, iy einem Augenblick, welches er dafür hätte set­ zen müssen, zu prosaisch dünkte. Sinnged. 176. Wer Erde liebt, liebt das, was endlich ange­ sichts Wann Gott gebeut, zerstäubt-------Angler, für Engländer. Sinnged. 2512. Man hat geglaubt, das Wort Englisch sey das einzige Adjectivuin patronymicum, welches wider die-Sprachahnlichkeit eiugefnhrt worden wäre, und hat es da­ her allemal in Eng ländisch verwandeln wollen: Anglrsch aber, oder wie wir es nunmehr anssprechen, Englisch, kommt von unserm alten Worte Angler eben so natürlich her, als Französisch von Franzose, Holländisch von Holländer, Italienisch von Italiener u. s. w. Im Fall der Zweideutigkeit könnte man es freilich wohl in Engländisch verwan­ deln, wie man die Franzosen aus eben der Ursache zuweilen in die Französische Nation zu verwandeln pflegt/ Ansprengeu, einen, für avfallenz eine Re-

211 denSart, die von den Ritterübungen hergenommrn ist. Sinnged. 2790. Eisen schützet zwar den Mann, Wenn Gewalt ihn sprenget an rc. Anstand, Waffenanstand; beides ist nnserw Dichter so viel, als das jetzt gebräuchlichere, aber gewiß nicht bessere Waffenstillestand, (XIII, 4.) In der Metapher wenigstens wird An stand sich weit schicklicher sagen Lassen, als Wafsenstillestand. I. E. An st and kann zwar manchmal auch mit der Krankheit seyn. Aber Friede will sie nie mit ihm gehen ein. Für Aufschub ist es noch überall in den Redens­ arten: ohne Anstand, Anstand nehmen, im Gebrauche. Arzung. Wir haben dieses Wort mit Unrecht «ntergehen lassen, denn wir haben kein anderes an seiner Stelle. Heilung kann nur von äußerlichen Schäden gesagt werden, und die Eurirung, die Gesundmachung — welche Wörter! Die Hebung, hie Vertreibung einer Krankheit also, in so fern sie das Werk des Arztes ist, wie soll man sie besser nennen, als Arzung? Erste Zugabe 24. Anfgehebe, das; ein Kunstwort der Klopffech­ ter, worunter sie alle die Ceremonien und Fechterstreiche verstehen, mit welchen sie ihren Kampf beginnen. Diese Bedeutung muß man wissen, um das 2624ste Sinnged. unsers Log au: über die Gicht, zu verstehen.

J212 Was man auch der Gicht immer Schuld gleich gebe, Ist sie fechtrisch doch, macht manch Aufgehebe. Und eben daher kommt auch der sprichwörtliche-Aus­ druck: viel Aufhebens machen, den man eigentlich nur von unnöthigen, Prahlerhaften Vorbereitungen brauchen sollte. Weil man aber nach und nach diese wahre Ableitung vergessen, und vielleicht ge­ glaubt, das Wort aufheben sey nach dem Latei­ nischen extollere (laudibus) gemacht worden (gleich­ wie man erheben, für loben, wirklich darnach ge­ macht hat): so hat man hernach den Begriff eines übermäßigen Lobes, einer Prahlerei überhaupt da­ mit verbunden. Augst, für August. Zweite Zugabe 216, wo der Dichter von einem Fuchsschwanzer sagt: ------------- Spricht wo sein großer Mann: Mir ist gewaltig warm; so trocknet er die Stirne, Eröffnet sein Gewand, entdecket sein Gehirne; Obschon für grimmen Frost des Daches Nagel springt. Spricht jener: Mir ist kalt; obgleich die Tro­ pfen zwingt Die Hitz aus seiner Haut, so wird er dennoch zittern, Und ließ ihm auch im Augst sein Kleid mit Füch­ sen füttern. Ausgleicher. So nennt Logau den Tod, weil er allen Unterschied unter den Menschen auf­ hebt. Sinnged^ 1806.

B. Baar, 1. für bloß, leer.

Sinnged. 1721.

-------- ist an Ehr und Namen baar. 2. für barfuß, unbeschlagen. Sinnged. 1513. Polsche Pferde gehen baar, pohlsche Leute gehn beschlagen rc. Bach, eine. Logau macht dieses Wort durch­ gängig weiblichen Geschlechts. Sinnged. 1267. Der Zorn ist eine volle Bach. Auch Opitz, Lscherning, Flemming sagen die Bach. Bankart, Dankkind; ein außer der Ehe er­ zeugtes Kind. Mansche, wie Logau Sinnged. 975. die verschiedenen Benennungen solcher unehelichen

Kinder ordnet:

Ein wohlbenamtes Volk sind gleichwohl Huren­ kinder! Bei Dauern heißt man sie zwar so nichts desto minder; Bei Bürgern besser noch, Bankarl; und im Geschlechte Der Edeln, Bastarte; und Beischlag, auch Unächte

Bei Fürst und Königen. Allein es ist falsch, daß sonst kein Unterschied unter diesen Wörtern seyn sollte. Bankart heißt jedes Kind, das außer dem Ehebette, welchem hier die Bank entgegengesetzt wird, erzeugt worden. Bast-

214 ort aber hat den Nebenbegriff, daß die Mutter m weit geringerm Stande, als der Vater, gewesen sey; ja, dieser Nebenbegriff ist bei den mittlern Schriftstellern oft der Hauptbegriff, ohne daß dabei zugleich auf eine uneheliche Geburt sollte gesehen werden. Beischlag klingt ziemlich nach der Stute­ rei. Unächte Kinder glaubt man jetzt weit feiner natürliche Kinder nennen zu können, welche Be» nennung, nach Logau's Zeiten, aus der^stanzöflschen in die deutsche Sprache gekommen ist. In dem so genannten Heldenbuche kommt ein altes Wort vor, welches hieher gehört, und der Wieder­ einführung vollkommen würdig ist: Kebskiud. (Auf dem 49sten Blatte der Ausgabe von 1560.) „Sie sagten seltzam Märe „ Wol auf den werden Mann, „Wie er ein Kebskind were „Und möcht kein Erbe Han.

Barmherzigkeit und Erbarmung unterschei­ det Log au in der Aufschrift des 23sten Sinngedichts iw V. Buche. Erbarmung ist ihm das bloße un­ angenehme Gefühl, welches wir bei der Pein ei­ nes Andern empfinden; Barmherzigkeit aber ist ihm weit mehr, nämlich die thätige Bemühung, eines Andern Pein zu wenden. Bedurft, Lebensbedurft (Sinnged. 507), wofür wir jetzt Lebensnothdurft sagen.

Befahren, sich, für befurchten (SinUged. 38.)

215 ist noch an vielen Orten im Gebrauche. Herr Bod­ mer hat das Hauptwort hiervon: „Ich entdeckte ihm meiner Seele Befahren; anstatt, die Besorgnisse meiner Seele. Überhaupt findet man in den Schriften dieses Dichters unL seiner übrigen Landsleute viele dergleichen nachdrückliche Wörter von gutem alten Schrot und Korne, die den meisten Provinzen Deutschlands fremd ge­ worden find, und sich in der Schweiz am längsten erhalten haben. Begünsten (Sinnged. 2477.), wofür wir jetzt etwas wohlklingender begünstigen sagen. Belieb, das. Sinnged. 545. Die Bibel, Gottes Wort, ist mein Belieb im Leben je. Belieben (I, 71.) scheint unserm Dichter die Bedeutung des Worts lieben zu verstärken. Eben so sagt er (IX, 104.) beherzen und beküssen. Ruch finden wir dieses Wort mit belachen verbun­ den: belieben und belachen. Be woll übersetzt Logau: das linde De. Sinnged. 1566. Ein Kunstwort, welches eingeführt zu werden verdient, weil wir uns sonst mit dem fremden behelfen müßten. Bequemen, das, für: die Bequemlichkeit. (XI, 25.) An einem andern Orte finden wir das Lustbequemen. Bescheinen, etwas, ihm einen Schein, einen Anstrich geben. Zweite Zugabe 72.

216 Wenn böse Weiber ihre Lücke woll'n bescheinen, So wissen sie kein besserö Mittel, als das Weinen. Besinnen; dieses Zeitwort, welches sonst nur ein Reciprocum ist, braucht Logau als ein bloßes Activum; da ihm denn etwas besinnen so viel ist, als: seinen Scharfsinn an etwas zeigen, worauf sinnen, es durch das Sinnen herausbringeu, excogitare. Anhang 254. O Lieber, wie viel istß, das ich pflag zu be­ sinnen? Geh, zähle mir die Stern und menschliches Be­ ginnen ! An diesem Orte heißt es ihm so viel, als Sinnge­ dichte machen. Wir finden dieses Wort in eben dieser thätigen Bedeutung auch beim Flemming: „Die Gesellschaft sprach ihm zu: „Dämon, was besinnest du? Besitzen, sich worauf setzen. (VII, 74.) Redlich will ich lieber schwitzen, Als die Heuchlerbank besitzen. Besonnenheit; daß Gegentheil von dem ge­ bräuchlichern Unbesonnenheit. Anh. 174. Bestand, der, für Beständigkeit. (III, 88.) und Sinnged. 211. — Hoffnung kriegt die Kron, Und Bestand den rechten Lohn. Bestehen. 1. Als ein Neutrum, für stehen bleiben, stecken bleiben. Sinnged. 946.

217 ------------- im Rücken Bestund der heiße Pfeil re. 2. Als ein Activum. Etwas bestehen heißt als­ dann so viel, als: einem Dinge Stand halten, es ausstehen. Im Heldenbuche lesen wir es sehr ost; und auch in der Geschichte des Ritters Don Quixotte von Mancha kommt der Ausdruck ein Abenteuer bestehen, häufig vor. Logau sagt: (XIII, 11.) Rahmen wir wohl eine Welt und bestünden noch einmal, Was bisher uns dreißig Jahr zugezählt an Noth und Quaals Und Opitz: „Sie wissen allen Fall dos Schars zu bestehen. BestiUen, für stillen; das De verstärkt die Bedeutung, wie wir unter Belieben angemerkt haben. Sinnged. 2135. Durst und Hunger sind die Mahner, die man nim­ mer kann bestillenr Morgen kommen sie doch wieder, kann man sie gleich heute füllen. Neifchub, Hülfe, Vorschub. (XI, 112.) Ptochus Tufet seinen Freund in der Noth um Bei­ schub an rc. Bieder, rechtschaffen, nützlich, tapfer. Wir lassen dieses alte, der deutschen Redlichkeit so ange­ messene Wort muthwillig untergehen. Frisch führt den Passionsgesang: O Mensch, bewein dein Sünde LMng'.s Schr» 8. Vd. 10

218 groß rc. an, worin es noch vorkomme» Wir wollen nachfolgendes Sinngedicht unsers Logau in dieser Absicht anführen. (IIT, 37.) Wer gar zu bieder ist, bleibt zwar ein redlich Mann, Bleibt aber, wo er ist, kömmt selten höher an. Biedermann ist zum Theil noch üblich. Bei ihm aber findet man noch andere dergleichen nach­ drückliche Composita, als Biederweib. (V, 6.) Ein Biederweib im Angesicht, ein Schandsack in der Haut Ist manche-----------------Deßgleichen Biederherz (V, 20.), Biederwesen, Sinnged. 761, Biedersinnen, Sinnged. 2110. Werther Freund, du lieber Alter, alt von alten Biedersinnen, Alt von Jahren, Witz und Ehre — Und welch ein vortreffliches Wort ist nicht das, wel­ ches in dem alten Lobliede auf den wendischen König Anthyrus vorkommt: „Sein Sinn war abgericht auf Biederlob und Ehre? Diederlob ist hier das Lob, welches man als ein Biedermann von einem Biedermanne erhält. In den Fabeln des von Riedenburg (Boner) finden wir auch das Hauptwort hievon, Biederkeit. ,»An Eren und an Biderkeit. Bilderbogen. So nennt Logau den Thier­ kreis. Erste Angabe 201.

219 Bindlr'ch. 1. Als ein Beiwort, so viel als ver­ bindlich, verbunden: Sinnged. 2448. einer Frau kindlich werden. 2. Als ein Nebenwort, so viel als stricte (III, 9.): sich kindlich wozu erklären. Blassen, pallere, pallescere. 1. Als ein Akti­ vum. (XIII, 10.) ------------- röthen Was Lodtenasche blasset. 2, Als ein Neutrum. (IX, 76.) Der ist nicht alleine bleich, Wer nicht satt ist und nicht reich; Großes Gut und stetes Prassen Macht vielmehr die Leute blassen. Blick, für Augenblick. Sinnged. 365. -------- Du achtest Gott fo klein, Und kannst -och ohne Gott nicht einen Blick nur seyn. Blicklich, als ein Nebenwort, für: alle Au­ genblicke. Anh. 138. ------------- blicklich Kleider wandeln. Und Flemming: „Wer bezahlt euch Leib und Leben, „Die ihr blicklich hin müßt geben? Blitzlich, geschwinde wie der Blitz. Sinn­ ged. 1131. Mensch, vertraue keinen Stunden, weil sie nim­ mer stille stunden; Du läufst mit, und hast -ich blitzlich -einem End entgegen funden, io*

220 Bl'ößlich, für bloß. Sinnged. 1498. Wer auf Lugend nichts nicht wagt, will auf Glücke blößlich harren rc. Bruch, braccae. Hosen (Plattd. Brooke). Sinnged. 1573. Trotzt mancher noch so hoch, So trifft er endlich doch Für seine Füße Schuch, Für seinen Sitzer Bruch. Brunft. Sinnged. 2164. ---------Denn wilder Thiere Junst Hegt nur zu mancher Zeit der süßen Liebe Brunft. Und dieses ist auch das wahre eigentliche Wort, den Trieb gewisser wilden Thiere zur Vermischung anzuzergen; derjenigen nämlich, welche dabei brüllen oder brummen. Unwissenheit und Nachlässigkeit haben dieses Wort in Brunst verwandelt, welches von brennen gemacht ist, und haben dadurch An­ laß gegeben, mit diesem letzter» schönen und edlen Worte einen unzüchtigen und ekeln Begriff zu ver­ binden. Noch ist es Zeit, diese nachtheilige Vermi­ schung wieder abzuschaffen. Brunst heißt fervor, Äidor, und bedeutet so wenig etwas Übles, daß es

die üble Bedeutung nicht anders als durch ein Bei­ wort erhalten kann. So sagt z. E. unser Logau: arge Brunst, geile Brunst rc. Brünstig aber, eutbrüusten und andere dergleichen abgeleitete Wör­ ter brauchen Opitz, Morhofrc. in der besten Be­ deutung von der Welt. Frisch in seinem Wörter-

221 buche schreibt zwar: „Brunst sagt man nicht wohl von Wölfen, Luchsen und dergleichen, wie einige Jäger thun, sondern besser Brunst." Allein man lasse sich nicht irre machen; denn Frisch hat hier offenbar unrecht, weil die Jäger von Wölfen und Luchsen weder Brunft noch Brunst sagen, sondern beide rollen oder ranzen lassen. S. Döbel's er­ fahrnen Jäger. Drrrnst, anstatt Brand, Verbrennung, Feu­ ersbrunst. Sinnged. 91. hat zur Überschrift: die letzte Brunst der Welt, und heißt: Unsre Welt ist schlägefaul, Setzt sich wie ein stätig Gaul. Will sie Gott zu Stande bringen, Muß er sie mit Feuer zwingen. Jene Welt ertrank durch Flut, Diese Welt erfodert Glut. Und Opitz sagt: „-------- so viel Schriften--------„Die keine Macht der Zeit, kein Wetter, keine Brunst „Au dämpfen hat vermocht.--------

Dübeln. 1. betrügen, Unterschleif machen. (X, 34.) Wer im Geringen bübelt rc. 2. wollüstig scherzen; wovon sich die gröbere Bedeu­ tung noch in dem Ausdrucke huren und buben findet. (Vf, 36.)

Wenn im Schatten kühler Myvthen Sie sich kamen zu bewirthen, Folgte nichts als lieblich Liebeln, Folgte nichts als tückisch Bübeln. Buhlen. Bon diesem Zeitworte macht Logau die leidende Weise: gebuhlt werden. Sinng. 1136. Denn der Buhler buhlt dem Buhler, buhlt und wird gebuhlt nicht minder. Büttner oder Bütner, für Böttcher. Sinnged. 1530. Das alte Wort heißt Buittin, ein höl­ zern Gefäß; Plattdeutsch eine Bütte.

C. Carl; so schreibt Logau, wofür wir jetzt Kerl schreiben. Sinnged. 672. Das ä hätten wir billig beibehalten sollen, weil das alte gothische Wort Karle heißt.

D. Dannen braucht Logau öfters für von dan­ nen. I. E. Sinnged. 895. Alle Flüsse gehn ins Meer, Alle kommen dannen her. So wie in den alten-Fabeln:

„Dannau schied er mit Bitterkeit. — „Der Tiep sich balde dannan staL Degen. Logau braucht dieses Wort in der alten Bedeutung, für einen tapfern Kriegsmann, für einen Helden. (Xlir, 10.)

223 ------------- Ihr Poeten, Der Lod kann keinen nöthen, Den ihr nn- enre^SLnnen Richt lassen wollt von hinnen. Die alten kühnen Degen Gehn noch auf unsern Wegen, Die ihrer Druden Lieder Nicht ließen finken nieder. Diese Bedeutung war also z« seiner Aeid noch be­ kannt. Bei viel späteren Schriftstellern wird man fie schwerlich finden. Denn ungefähr dreißig Jahre darauf mußte fie Sandrart bereits seinen Lesern in einer Anmerkung erklären. (S. der deutschen Akademie zweiten Haupitheils erste Abth. S. 42.) Dem men. Dieses Zeitwort braucht Logau, dem ersten Ansehn nach, in zwei ganz verschiedenen Bedeutungen. Einmal heißt es ihm so viel als verdunkeln, demmericht machen. Sinnged. 16^7. Gottes Wort leucht Helle, Gottes Wort lauft schnelle: Wer denn will es demmen? Wer denn will es hemmen? Ein andermal bedeutet es schlemmen, prassen.

Anh. 228. In vollem Sause leben, nur schlemmen, demmen, zehren, Ist hofemäßig. Sorgen, woher es zu gewehren, Damit sind ihre Köpfe mit Nichten zu beschweren. Frisch hat die erstere Bedeutung gar nicht, und

224 aus der zweiten macht er ein besonderes Wort, das er für sich, und nicht unter Demmernng anführt. Es sind aber beide Bedeutungen so verwandt, daß auch mit der zweitem eigentlich der Begriff in der Demmerung zu verbinden. Der Spate in seinem Sprachschatze sagt sehr wohl: Dewmen proprio est, noctes conviviiß vigilataa ducere, in tenobrls perpotare. Statim autem ad quamcunque intempurantiam ethelluatioiiein transferri coepit. Denken. L-ogan macht hiervon ein unpersön­ liches Zeitwort: es denkt mich, menrini. Sinnged. 84. Es denkt mich noch ein Spiel bei meiueu jun­ gen Jahren. Wir erinnern, im Vorbeigehen/ daß man einen Unterschied machen könnte unter denken, cogitare, und unter gedenken, recordari. Doch der Unter­ schied ist schon gemacht, wird nur nicht allemal beob­ achtet. Deube, die, für Diebstahl. Sinnged. 2808. -------- Keine Deube bleibt verhohlen. Drang, der, für Drangsal. Sinnged. 2835. Der Drang, den Krieg uns that rc. Einem allen Drang anthun, sagt man noch hin und wieder in der gemeinen Rede. Druden, die; wofür wir jetzt Druiden sagen. Man.sehe die oben unter Degen angezogene Stelle. Dupelmann; ein von unserm Dichter ohne Zweifel gemachtes Wort, durch welches man das

225 Englische double-dealer sehr eigentlich ausdrücken könnte, wenn man es, nach unserm jetzigen Dialekte, in Doppelmann verwandelte. Sinnged. 1103. Die sich ließen schreiben ein An den Biedermannesbnnd, Da kein Dupelmann nie stund. Er scheint es in dem 1226sten Sinngedichte ausdrück­ lich erklären zu wollen: Duplus hat nicht duple Stärke, da er doch hat duples Herze: Denn er führet duple Sinnen; sagt im Ernste, meint im Scherze. Jetzt sagen wir dafür Iweizüugler, Doppel­ züngler. Durchschnitt. Mit diesem Worte, hat schon unser Logau das undeutsche Profil übersetzt; und zwar eben da, wo wir es selten oder gar nicht brauchen. Denn wir sagen es zwar von Gebäuden ohne Bedenken, aber nicht von einem Gesichte, wel­ ches der Maler bloß von der Seite genommen hat. Erste Zugabe 183. Große Herren, wenn sie blind, daß sie Maler

gerne zahlen, Pflegen nach dem Durchschnitt sie, oder schla­ fend sie zu malen. E.

Eifere, der, die, daö; so viel als scharf, beißend. Unser Dichter sagt (Sinnged. 1534.) ei-

226 fere Lauge. Der häufige Gebrauch der uneigentlichen Bedeutung des Hauptwortes hievon, nämlich des Wortes Eifer, zelus, ist ohne Iweifel an dem Untergange dieses Beiwortes Schuld. Eignen, für geziemen. Sinnged. 777. Mit Verlust des guten Namen einen guten Freund erkaufen, Eignet nicht den weisen Leuten. Er sagt auch auf die unpersönliche Weise: es eig­ net sich, für: es geziemt fich. Sinnged. 1771. So sagt man auch noch im gerichtlichen Styl : wie es einem treuen Anwalde rc. eignet und gebühret. Eitel, als ein Nebenwort für nichts, als. (L 3.) Emse schreibt Logau anstatt Ameise. Sinn­ ged. 761. Wohl indessen dem, der dort lacht, und schaut die Emsenhaufen Drinnen um das eitle Nichts kriegen, steigen, dringen, laufens Unbedachte Menschenschwärme! Wie von dem alten Worte Erbeis, Erbse; so ist von dem ältern Emeis, Emse entstanden. Man hat auch vor Zeiten Ambeiz geschrieben, und daher ist Ameise gekommen. Emse wäre noch immer ein sehr bequemes Wort für die deutsche Prosodie. Ent; mit dieser Sylbe fängt Logau verschie­ dene Wörter an, die fich sonst mit em anfangen. Er sagt z. E. entpor anstatt empor. Sinnged.

1257. Deßgleichen entfinden anstatt empfinden. Sinnged. 1390. Als bald ei^ neue- Kind Die erste Lust entfindt, So hebt es an zu weinen. Enthalten, sich; anstatt sich aufhalten. (XII, 102.) Immer fragten wir nach Neuem, weil sich Krieg bei uns enthalten rc. Entjungferung, die, (Sinnged. 1672.) und entjungfern, Sinnged. 2586. Blumona ward entjungfert: da solches war geschehen, Verschwur sie Haut und Haare, sie härt' es nicht gesehen. Entschließen, für ausschließen. Sinnged. 6w. Wer vom Herzen Gott entschleußt rc. Entwerden,^ für entkommen, davon fliehen, Sinnged. 1209. -------- Wer entwerden kann, ist froh. Er, das, und das Sie. Man sehe, in wel­ chem sensu nupto Logau beides braucht. Sinnged. 2776. Auf den Mollis. Dein Weib ist dir kern Weib, und du bist ihr kein Mann: Wie daß das Er nicht ihr, Sie dir gewachsen an? Erarnen; so viel als erwerben. Sinnged. 966. So wirst du dorten Glanz, und Segen hier erarrren.

228 Das HeLdenbuch hat an einem andern Orte von Christo: „-------- der mich hat „Hoch an dem Kreuz erarnet. Erdegeist, ein poetisches Wort, für einen Geist, der am Irdischen klebt. Sinnged. 3. Billig! denn so hohe Sinnen Müssen andern Dank gewinnen, Als ein kriechend Erdegeist. Erdisch, wofür wir jetzt irdisch sagen. Sinnged. 2212. Erkunden. (XI, 121.) Wer will der Weiber Lück* erkunden und ent­ decken ? Erlusten. Anh. 76, In der Jugend zum erlusten, in dem Alter zum erlaben Sind die Weiber — Ernüchtern, für nüchtern werden. (XII, 60,) Gottes Werk hat immer Tadel. Wem der Lag zu kurz zum Trinken, Diesem will auch zum Ernüchtern gar zu kurz die Nacht bedünken. Erstecken braucht Logan für: machen, daß etwas erstickt. Sinnged. 1275. Liebe erstecken, und (X, 90.) Krieg erstecken. Erstrecken; als ein Activum für erweitern, ausdehnen, machen, daß sich ein Ding weiter er­ streckt. Bei Gerichten kommt es in dieser thätigen

229 Bedeutung noch überall vor. Mas sagt z. E. Man will zwar dies Gesetz auch dahin erstrecken; al­ lein rc. Und unser Logau sagt: (XI, 47.) Liebe kaufte neulich Tuch, ihren Mantel zu er­

strecken, Weil sie, was durch dreißig Jahr Krieg verübt, soll alles decken. Einer unserer Lyrischen Dichter hat diese veraltete Bedeutung sehr schön wieder erneuert, wenn er in seiner Ode an das Glück sagt: „Wenn kein Ruhm,-------„Wenn kein Gold mein Lebensziel erstrecket, „ Wenn ich nicht vergnügter küsse: „Was vermiß ich, wenn ich dich vermisse? Siehe auch Strecken.

Erwärmen, auf etwas; auf etwas hitzig wer­ den. Sinnged. 803. -------- die manchmal so erwärmen Auf unser Gut und Blut. — Erwinden, sich; so viel als: sich unterstehen, sich unterwinden. Anh. 62. -------- wenn wir Diener uns erwinden.

F. Feber schreibt Logau, anstatt Fieber. Sinn­ ged. 2589. und anderwärts, doch nicht überall. Feuerspiegel nennt Logau, was wir jetzt Drennspregel nennen. Anh. 159.

230 Foulen, oder faulen; für müßig fitzen, faul­ lenzen. Sinnged. 1933» Feyern, von etwas; so viel, als (wie er fich Sinnged. 1120. ausdrückt): von etwas müßig werden, damit aufhören. Sinnged. 114. Allein es kömmt dazu, daß endlich selbst sein Fuß, Hoch in der Luft, vom Treten feyern muß. Sie sind feyrig, sagt man noch an einigen Or­ ten von den Handwerksgesellen, die keine Arbeit bei Meistern haben. Luther gebraucht einmal den Ausdruck: ich will ihn nicht viel darum feyern; welches vollkommen das sagt, was der Franzose durch feter quelqiTun ausdrückt. Filzigkeit, die; schändliche, schmutzige Karg­

Sinnged. 2127. Findlich, was zu finden ist. (V, 39.) Ob nur einer findlich wäre rc. Flammenschütze; so nennt unser Dichter den Amor. Sinnged. 2448. Freund, der kleine Flammenschütze hat das dritte Freudenfeuer Angeflammt in deinem Herzen. Flitte, die. Sinnged. 644. Deß Nero Meistern nahm die Flitte Sein Leben hin, wie sein Geblüts rc. Flitte bedeutet ein Instrument, womit die Ader gelassen wird. Einige wollen, daß es aus dem Griechischen (pXtßoio^tos zusammen gezogen seyn soll. Uns deucht es das Urwort von Flitze zu seyn, heit.

231 welches einen Pfeil bedeutet, und wovon das Wort Flitzbogen noch in vielen Provinzen im Gebrauche ist. Übrigens ist dieses weder die Lanzette, noch der Schnapper; sondern es ist das alte deutsche Laß eisen, ehe es dnrch Anbringung einer Schnell­ feder verbessert und dadurch zu dem sogenannten Schnäpper gemacht wurde. S. Heister's Chi­ rurgie , S. 380. Flucht. Sinngedl 2162. hat Logaü den Pluralis von diesem Worte, der sonst selten oder gar nicht vorkommt: die Flüchte. -------- treibt die Tochter in die Flüchte. Freunden, sich zu einem; so viel, als: sich mit einem befreunden. Sinnged. 74. Frevelich. So macht Logan dieses Wort; so muß eS gemacht werden: und das jetzt gebräuch­ liche freventlich taugt eigentlich gar nichts. Fre­ vel und frevelich aber heißt bei unseren alten Schriftstellern alles, was in der Hitze einer gewalt­ samen Leidenschaft gesagt oder gethan wird. Sinn­

ged. 1715. Gewalt ist wie ein Kind:

wo nicht Verstand sie leitet, So stürzet sie sich selbst, weil sie zu freylich schreitet. Frevlerplan, der; ein altes poetisches Wort, für: die Dahn der Frevler. Sinnged. 761. Will nicht wider Recht und Zucht treten auf den Frevlerplan.

J232 Frommen, einem; einem nützen. Anh. 52. und öfter. Frosch, der; heißt bei den deutschen Wund­ ärzten die mit Materie angefüllte Geschwulst, die, öfter bei Kindern, als bei Erwachsenen, unter dem vordersten Theile der Zunge, bei den Froschadern entsteht. Lateinisch ranula. Logau nennt sie daher in der Überschrift des 74sten Sinngedichts unsers

eilften Buches, eine Kinderkrankheit. Udus wird gewiß den Frosch unter seiner Junge haben, Den er immer fort und fort muß mit etwa- nas­ Führen,

eine Person;

sem laben. eine Person spielen.

(IX, 75.) Die Person, die ich jetzt führe auf dem Schau­ platz dieser Welt rc. Fürlieb. (VIII. 17.) So sagt Logau alle­ zeit, wofür wir jetzt fast durchgehends vorlieb sa­ gen, wider unsere eigene angenommene Regel: daß nämlich für allemal pro bedeuten solle. Fußgicht, die; das Podagra. Anh. 90. Wer zum Tischtrrrnk Fischtrunk nimmt, Selten dem die Fußgicht kömmt. So auch Darmgicht, ileu», (I, 9.)

G. Gach, praeceps, properus, Auch dieses den alten schwäbischen Dichtern sehr übliche, und uns

233 rrnr noch in dem zusammengesetzten Jachzorn uberbttebene Wort, kommt zweimal bei unserm Loga« vor. Zweite Angabe 90. Die Magd, die stieg aufSHeu, der Knecht, der stieg ihr nach; Sie ward gar sehr erhitzt, zur Rache ward ihr gach. Doch nicht allein das Wort, die ganze Redensart ist hier alt, und eben dieselbe, wie sie bei dem von Riedenburg (Fab. 69.) vorkommt, wo eö von dem tückischen Hunde heißt: M Wenne er gebeis, so wart im gach x» Ze flucht. „ Praeceps se in fugarn dabas.

In der zweiten Stelle des Log au bekommt gach noch die Nebenbedeutung der ynbedachtfamkeit, als welche mit der Eilfertigkeit und Hitze verbunden ist. Erste Zugabe 165. Die Deutschen sind nicht männisch mehr, thun Kindern alles nach, Die, wenn sie etwas neues sehn, thun löblich, dumm und gach. Gaden, der; heißt bei unserm Dichter so viel, als der Laden, das Gewölbe des Kaufmanns. Erste Angabe 168. Diese Waar ist nicht die beste, die im Gaden vorne leit rc. Ältere und andere, doch in der Hauptsache überein« kommende Bedeutungen findet man bei dem Schilter, Wachter rc.

234 Gebette, das; Brautgebette. Sinnged. 1949. Ein Bette kann ein bloßes einzelnes Stück, ein Oberbette oder Unterbette seyn; ein Gebette aber bedeutet alle diese einzelnen Stücke, die ein voll­ ständiges Bette ausmachen, zusammengenommen.

Gebruch, Mangel; von dem Zeitworte ge­ brechen, mangeln. Sinnged. 2141,

Cominäus ist,

ihr Fürsten, euer Katechismus­ buch : An dem Grunde wohl zu herrschen, ist bei ihm fast kein Gebruch. Gedenkkunst, die; so nennt tzogau die Kunst, das Gedächtniß zu stärken, und ihm durch, natür­ liche oder künstliche Mittel zu Hülfe zu kommen; dergleichen Lullus, Kircherus und Andere geschno­ ben. Sinnged. 2717.

Gedieg, ein Hauptwort, wovon wir noch das Beiwort gediegen behalten haben. Sinnged. 1678. Geld-, Lust- und Ehrengeiz macht, daß die ganze Welt So arm ist am Gedieg, und nichts von Heil behalt. Geding, das. Daß dieses Wort auch so viel heiße als Hoffnung, Vertrauen, zeigt Wachter, und führt unter andern einen alten Kirchengesang an, wo es in dieser Bedeutung vorkomme. Zn deü oben angeführten Fabeln des von Riedenburg heißt es: (Fab. 32,)

235 „ Guot gedinge sullen haben » Jung, alt------- — „ Guot gedinge machet das, „Das der geniset der siech was. In folgender Stelle unsers Dichters scheint diese Bedeutung gleichfalls Statt finden zu können. Sinnged. 1103. Ach es wolle diesem Ringe Seyn verpflichtet das Gedinge, Daß er steh zu sicherm Pfande Eurem Glück und Segensstande. Doch wollen wir nicht läugnen, daß der weitläuf­ ige sensus forensis dieses Worts nicht auch noch eine andere Erklärung darbieten könnte; es kann Hier nämlich skviel heißen, als: das Gelübde. Gehöne, daß; so viel als Gespötte. Erste Zugabe 51. An der hohen Häupter Seite stehen graue Häup­ ter schön: Dennoch find jetzt hohen Häuptern graue Häupter ein Gehön. Gelosen; so viel, als: los werden. Sinnged. 1237. und anderwärts. Man fleißt sich jetzt, den Bart vom Maule zu gelosen rc. Gemahlinn, die. Dieses Wort war schon zu unsers Dichters Zeiten im Gebrauch; und auch da­ mals schon maaßten es sich geringere Leute an. Sinnged. 2442.

236 VituS nennt sein Weib Gemahlinn. Billig! weil sie sich so malt, Daß um Weißes und um Rothes jährlich sie viel Thaler zahlt. Gemein und gemeinlich, als ein Nebenwort, für meistentheils, insgemein, kommt sehr oft vor; als Sinnged. 1154. Was Pelops, Attalus und Krösus schwangre Kasten Von Gelde, Gold und Gut vor Zeiten in sich faßten, Nützt nur so viel, daß der, der gar zu viel drauf

denkt, Den Leib gemein an Daum, die Geel an Nagel henkt. Und Sinnged. 1136, Buhler sind gemeinlich Blinde rc. Gemerke, für Merkmal, Merkzeichen. (X, 25.) Daß der Sinn es redlich meine, haben wir nur Ein Gemerke rc. Genoß, der; socius. (I, 32.) Krieg und Hunger, Kriegs Genoß rc. Gerne. Durch Vorsetzung dieses NebenwortS macht Logan ein zusammengesetztes Hauptwort, welches alsdann eben das eitle und fruchtlose Be­ streben ausdrückt, das die Engländer durch das an­ gehängte would-be ausdrücken, z. Er a Merchantwould-be, a Politik-would-be. Auf diese Weise sagt er nicht allein ein Gernegroß, welches noch üblich ist, Anhang 212.

237 Bardus strebt nach großem Namen, er von allen Gaben bloß: Dieses kann man ihm wohl gönne«, -aß er heiße Gernegroß, sondern er sagt auch ein Gerneklug, Sinnged. 257, wo von der thörichten Prahlerei, fremde Wör­ ter in die deutsche Sprache zu mengen, die Rede ist. — ---------das andre wird genommen So gut es wird gezeugt und auf die Welt ist kommen Durch einen Gerneklug, der, wenn der Geist ihn rührt, Jetzt dieses Prahlewort, jetzt jenes raus gebiert. Gieben; so viel, als das gemeine giebsen, oder das plattdeutsche gappen. Erste Zugabe 201. Die für Drangs Zwang, Pein und Schmach Endlich mehr kaum konnten gieben. Lscherning sagt dafür geufzen. Siehe dessen Frühling deutscher Gedichte, S. 8. „-------- das herzenswehe Seufzen „ Macht mich so laß und matt, daß ich auch kaum kann geufzen. Gnadselig; ein gnadseliger Diener ist un­ serm Dichter der, den der Herr mit seinem ganzen Wertrauen begnadigt hat. (II, 11.) Graskrone. Dieses Wort ist die Überschrift des SOsteu Sinngedichts im IX. Buche, und fangt an: Der sein Vaterland errettet, diesen krönte Rom mit Gras.

238 Mein der Dichter muß sich hier geirrt haben.

Wir

wenigstens können uns keines Scribenten erinnern, der uns berichtete, daß man jemals in Rom diese oder eine andere große That mit einer dergleichen Krone belohnt habe. Vielleicht hat er die coronam civicam hi Gedanken gehabt, die aber nicht dem Erretter des Vaterlandes, sondern dem Burger, der einen Nebenbürger errettet hatte, von diesem erretteten Bürger geschenkt wurde. Sie war auch nicht von Gras, sondern von Eichenlaube.**) Mob­ hof übersetzt (Gedichte S. 399.) diese coronam ci­ vicam nicht übel durch Bürgerkranz. Grau, der; der Ekel. (H, 84.) Greiner. Greinen heißt so viel, als winseln, klagen, weinen, jammern; und einer, der dieses oft und ohne Ursache thut, ein Greiner. Sinng. 1622. Vor Zeiten stunden Junge den Alten höflich auf; Jetzt heißt es: Junger sitze, und alter Greiner lauf! Greis, als ein Beiwort, für grau. Sinng. 785. Ein Künstler, glaub' ich, ist, der Schwarzes färbe weiß: Das Alter kann die Kunst, färbt schwarze Haare greis. •) Hier ist dem gelehrten Verfasser einmal ein antiquarischer Umstand entgangen, der fast in jedem Compendium der Römischen Alterthümer angeführt wird. Lo­ gan dachte an die coronam obsidionalem. Die Haupt­ stelle von dieser steht in Hin, Nat, Hist. XXXII, 3. 4

239 Großmuth, der, sagt Logau nach der Ana­ logie der Wörter Muth, Hochmuth. Sinuged. 1171. Grün; für frisch, gesund. Sinnged. 2784. Ein grüner Mann, ein rothes Weib, die färben wohl zusammen, Sie sind geschickt im Wasserbau zu ziehen wohl die Rammen. Gump en; muthwillig springen, Hüpfen, tan­ zen. Sinnged. 453. Ein Kalb scherzt, gumpt und springt rc.

Wachter fuhrt bei diesem Worte weiter nichts an, als das griechische zopirav . stiepitum edere jactu peclum (von welcher Bedeutung, nämlich in Anse­ hung des jactu pedum, er uns noch dazu den Währmann schuldig geblieben ist), und setzt hinzu: forte aliqua affinitate. Es ist zu verwundern, daß ihm nicht vielmehr das italienische gamba und gambata, welches man von dem lateinischen gamba, und dieses von dem griechischen zapn^ herleitet, bei­ gefallen. Auch die Franzosen haben daher ihre gambade und ihr regimber gemacht, welches mit die­ sem gumpen sehr viele Ähnlichkeit hat. Gunst; den ungewöhnlichen Pluralis von die­ sem Hauptworte hat Logau in der Überschrift: der Weg zu Gunsten. (III, 55.) Güteln; dieses Zeitwort kommt im VIII. Buche im 66sten Sinngedichte vor.

240 Kan» die deutsche Sprache schnauben, schnarchen, poltern, donner»., krachen? Kann sie doch auch spielen, scherzen, liebeln, gü­ te ln, kürmeln, lachen. Wie betteln von Bitte gemacht worden, so scheint güteln von gut, oder vielmehr von Güte ent­ standen zu seyn. Frisch hat das ähnliche Zeitwort gutzeln, welches er aber von gucken herleitet, und durch aspicere aliquem more mendicoium eleeniosynam expectantium, erklärt. H-

Hahnen, einen; einen zu Hahnrei machen. Sinnged. 1'9. Die neue Welt ist fromm, und frömmer als die alte. Sie darf nur acht Gebot, die sie im Leben halte; Denn Ehbruch, Diebstahl bleibt; man hahnet nur die Leute Und macht, waö uns gefällt, nach Krieges zur Beute. Dieses Zeitwort würde man mit gutem Grunde Fri­ schen entgegenstellen können, welcher Hahnrei für kern Compositum will gelten lassen, sondern eS von dem italienischen Cernaro herleitet. Halt, für Hinterhalt. Sinnged. 1257, wo der Dichter von den Wangen schöner Mädchen ungemein anakreontisch sagt:

241 — -------- hier ist das flache RunDrum Zephyrus spielt her, darauf Cupido stund, Und sich um einen Weg für seinen Pfeil umsahe, Und dachte, wie ein Wild für seine Küch er sahe Mit seinem Purpurzeug. Hier lag er oft im Halt, Mit Rosen wohl verhägt, wenn er die Jagd der stallt. Hauptgut sagt unser Dichter sehr oft, und sehr wohl, anstatt des undeutschen Capital; als Sinnged. 1326. Roch Hauptgut, noch die Zinsen darf jetzt ein Schuldner gelten. Lscherning (Frühl. S. 69.) sagt Hauptgeld: „Das Hauptgeld bleibet stehn, ihr streicht dis Zinsen ein. Hausinnen, die; so nennt man in Schleflea Miethsleute von der niedrigern Gattung. Sinnged. 952. Wenn, Jungfern, eure Flöh', die ihr habt zu Hausinnen, Was sie gehört, gesehn, vermelden sollten können, Wie mancher fragte sie, der Lust zu freien hat, Eh als den besten Freund, um eiuen treuen Rath. Und Sinnged. 2050. Jedermann hat zu Hausinnen rc.

Hebelbaum sagt Logau, wofür wir jetzt Hebebaum sagen. Sinnged. 2795.

Lesfing's Schr. 8. Bd.

242 gäbe Bauern großen Nutz, Könnten ihn zum Hebelbaum brauchen für das größte Klutz. Hergesippt, für entsprossen, erzeugt. Sinnged. 2379. Fürstinn von den Obotriten, einer deutschen Hel­ denart Hergesippt rc. Dergleichen hat er auch zugesippt, für verwandt. (IX, 10.) Herzlich, welches jetzt nur so viel als sehr bedeutet, nimmt Logau in seiner ursprünglichen Bedeutung für von Herzen, mit dem Herzen, nach der Analogie des Wortes mündlich. Herzlich hassen, mündlich lieben.

Runcus ist gewaltig stark,

Hinsichern, sich. (III, 11.) Wenn^em redlich frommer Christ hin sich sichert in das Grab. Ein Wort, welches Logau ohne Zweifel gemacht hat, und welches an diesem Orte ungemein nach­ drücklich ist, indem es so viel sagen will, als: der Christ, der jetzt in der Welt nirgends sicher ist, begiebt sich in sein Grab hin, um da­ selbst gewiß sicher zu seyn. Einige Neuere haben dergleichen Wörter ohne Unterschied getadelt, andere haben dergleichen bis zum Ekel gemacht. Dichter von gutem Geschmacke halten das Mittel, und ge­ brauchen solche Ausdrücke desto seltener, je glänzen-

243 der sie sind. Ern Poet muß sehr arm seyn, der seine Sprache nur durch ein einziges Mittel aufzu­

stützen weiß.Hochträchtig braucht Logau für hoffärtig; so wie man das Gegentheil niederträchtig nennt Sinnged. 117. Wer will Pertunda stolz,

hochträchtig auch

wohl nennen? Beim ersten Anblicke könnte man es für hochschwan­ ger nehmen; und es kann leicht seyn, daß unser Dichter, der gar kein Feind von Wortspielen ist, auf diesen Nebenbegriff mit gezielt hat; denn das angeführte Gedicht heißt weiter: Er giebt genug an Tag, er müß sie recht nicht kennen. Heißt dieses denn wohl stolz? Sie Mibet unten an, Und duldet über ihr so leichtlich jedermann. Übrigens kann dieses hoch trächtig, in so fern es der Gegensatz von niederträchtig ist, einen ana­ logischen Grund für die Ableitung von Hoffart mit abgeben, daß solches nämlich nicht von Hof-Art, sondern von hoch Fahrt gemacht und zusammenge­ zogen sey. Auch scheint Logau an einem andern» Orte, wo er ausdrücklich Hochfahrt schreibt, Sinnged. 1354, auf diese Etymologie zu zielen, welche dadurch außer allem Zweifel gesetzt ist, daß wir in

unseren ältesten Dichtern überall Hochfahrt lesen. Höchlich, für hoch. Sinnged. 2269. Wer höchlich fallen soll, den muß mau hoch der heben.

244 Sich höchlich verwundern ist noch im Ge-

beauche. Honigthum; „der Liebe Honigthum" ist die Überschrift des I174sten Sinngedichts/ welches wir

unter Kosen anführen werde»/ und ein Wort/ wel­ ches unser Dichter zum Scherze gemacht hat, nach der Ähnlichkeit des Wortes Märtyrerthum u. a. m. Husche, Kunstwörter,

die. Auch die Nachrichter haben ihre und dieses ist eins davon. Sinn-

ged. 2269. Calvus,

der ganz kahl am Kopfe, meint man, werd ans Holz noch kleben, Sorgt drum selbsten, wie der Henker ihm wird doch die Husche geben. Unsere Wörterbücher erklären Husche durch Ohr­ feige. Daß es aber hier etwas anderes, und zwar so etwas bedeute, was an den Haaren oder mit den Haaren geschieht, giebt der Augenschein. Denn warum dürste Calvus sonst besorgt seyn, wie ihm, als einem Kahlkopfe, der Henker die Husche geben werde? Man sagt noch in der Sprache des Volks: sich huschen, einander bei den Köpfen kriegen. Auch braucht man in eben dieser Sprache das Wort husch als eine Znterjection der Geschwindigkeit: husch! da war er weg. An dieser Stelle bedeu­ tet Husche also den letzten Stoß, den der Übelthäter bekommt, und wobei ihn der Henker vielleicht beim Schopfe ergreift. Der Begriff der Geschwin­ digkeit, welchen das Iwischenwort husch hat, macht,

245 daß eine Husche auch in- verschiedenen Provinzen einen überhingehenden Platzregen bedeutet. Man evr laube uns aus dieser letzten Bedeutung beiläufig eine Stelle aus dem Rabelais zu erklären. Dieser possierliche Schriftsteller braucht in seinem Gargan-

tua zu verschiedenen Malen das Wort Housee. Er sagt z. E. tumbant par une housee de pluie, Seme Ausleger wollen, housee sey so viel, als horee, und dieses so viel, als pluviosa tempestas ad. hör am daraus vel circiter. Diese Erklärung ist offenbar gezwungen, und sie wurden sie schwerlich gewagt haben, wenn ihnen unser deutsches Husche bekannt gewesen wäre. Daß aber Rabelais etwas deutsch verstanden habe, und in seinen Schriften hin und wieder deutsche Wörter affektire, ist eine be­ kannte Sache. »J* Jhrzen; mit einem in der zweiten Person des Pluralis reden. Eß ist dieses die Überschrift des

Wbfteu Sinngedichts im Anhänge, worin rckser Dich­ ter diese unnatürliche Art zu reden verwirft. Was würde er von uns, seinen Nachkommen, sagen, die wir aus dem Ihr gar Sie gemacht haben? Jsts deutscher Art gemäß mit Worten so zu spielen? Wir heißen Einen Ihr, und reden wie mit Wielen. Ein Glück für unsere Poesie, daß sie das natürliche Du überall behalten hat! So wie man ihrzen sagt, sagt man auch duzen, erzen, siezen :c.

246 Armer sagt Logau öfters für nt, innerhalb. (VHI, 98.) Er hat sein Grab inner einem from­ men Raben. (VT, 6.) Sie geht inner Gold und Seide her. Deßgleichen (V, 11.) inner dem Magen. Jnselt schreibt Logau, der Aussprache seines Landes gemäß, wofür wir jetzt JnschlitL und Uu? schlitt schreiben. Sinnged. 1338.

K. Kat, für Koth. Sinnged. 2723. Die Lieb ist wie der Schwalben kNL, Verblendet, wen sie troffen hat. Kerb, der, für Has Kerbholz (XM, 11.); der drüber seinen Kerb wohl halten wird. Kieseln, so viel als zanken, keifen. Srnnged. 1534. Mit der ich Schätzchen und Herzchen mich heiße; Kiesel und beiße. Von dem alten Kieb, ira, jurgium. Kießlingstein, für Kieselstein. Sinnged. 1003. Kindeln, sich wie ein Kind aufführen« Sinnged. 1082. -------- Verdruß zu mindern Kindeln Männer ost mit Kindern. Auch das Hauptwort Kindelei für Kinderei, Tän­ dele^ kommt bei unserm Dichter vor. Sinnged. 1150. Was in meiner Jugend Mayen Von der Vemrs Kindeley en Ich gezeichnet auf Papier.

247 Kindern, heißt nicht: sich kindisch aufführen, sondern: Kinder zur Welt bringen. (IX, 102.) An manchen Orten ists so Brauch, die Weiber müs­ sen jährlich kindern. So sagt auch Lscherning entkindert, für: der Kinder beraubt. (Frühl. S. 54.) „Steigt dieses, Herr, zu Herzen „Daß ihr entkindert seyd? „Ihr seyd auch frei von Schmerzen: „Wo Kinder sind, ist Leid. Klapf, der; von klopfen, so viel als Schlag; wie denn auch die Alten Donnerklapf für Don­ nerschlag sagten. Sinnged. 808. -------- so wird ein jeder Stein, Womit man nach uns wirst, ein Klapf am Him­ mel seyn. Knebelhaut. Logau sagt: (Sinnged.2024.) Veit trägt eine Flegelklapp über einer Knebelhaut rc. um zu sagen, daß Veit der unhöflichste und unge­ schliffenste Mensch von der Welt sey. Knebel und Flegel ist hier eins; beides bedeutet einen bäuri­ schen Menschen: appellamus, sagt der Spate, hominem agrestem einen Knebel. Knebel aber ist so viel als Knüppel: auch ein Klotz bedeutet in der gemeinen Sprache nichts Besseres. Mit dieser Bedeutung stimmen die übrigen Wörter dieser Art sehr natürlich zusammen, als: die Knebel der Fin­ ger, Einen knebeln, ein Knebelbart, ein Knebel-

J?48^ spieß; daß man also Unrecht thun würde, wenn man solche von Knabe herleiten und mit einem 5 schreiben wollte, wie wir irgendwo gefunden haben. Knechterey, sagt Logau, und will damit nicht sowohl die Knechtschaft ausdrücken, als vielmehr etwas, das sich für keinen freien Mann, sondern für einen Sklaven schickt. Sinnged. 883. Diener tragen ingemein ihrer Herren Liverey: Solls denn seyn, daß Frankreich Herr, Deutsch­ land aber Diener sey? Freies Deutschland, schäm dich doch dieser schnöd den Knechterey. Kosen. Sinnged. 1174. Die Buhler sind Bienen, die Jungfern sind Mosen, Gedanken sind Honig zum Schmeicheln und Kosen. Dieses Zeitwort, welches so viel als reden, schwat­ zen bedeutet, ist ziemlich rar geworden. Der Über­ setzer des Don Quixotte hat es sehr wohl gekannt, und ihm im zweiten Theile der Geschichte dieses Rit­ ters S. 459. eine sehr glückliche Stelle gegeben. Der lächerliche Sancho sagt daselbst.von den so ge­ nannten sieben Ziegen am Himmel: Ich kosete mit diesen Ziegen drei bis vier Stunden. Das zusammengesetzte Zeitwort liebkosen wird noch überall gebraucht. Bei diesem letztem merken wir an, daß Logau dafür liebekosen schreibt. Sinn­ ged. 726. Küchel, für Küche, hin und wieder, als Sinn­ ged. 403.

249 Die edle Poesie ermuntert.Sinn und Geist,

Daß er greift an mit Lust, was schwer und wich­ tig heißt. Ob nöthig ist das Drodt, so läßt mau gleichwohl gellen Die weitgereiste Würz, und sonsten was da selten

Zn unsre Küchel kömmt;

man gönnet auch der Lust, Bedarf es nicht Natur zu Zeiten eine Kost. Küchel ist eigentlich österreichisch, und nicht schle­ sisch; man sagte eß aber zu Logan's Zeilen m Schlesien, um mit der Hofsprache zu reden. Kürmeln, kommt bei unserm Dichter sowohl, als bei anderen vor, und bedeutet so viel, als; lallen, schmeichelnd stammeln. Unsere Wörterbücher haben dieses Wort gar nicht, und von seiner Ablei­ tung ist nichts Zuverlässiges zu sagen. Sinnged.796. -------- Wir zeugen Kind auf Kind, Ein Denkmal hinter uns, daß wir gewesen sind. Was kann uns sonst aus Wermut Zucker machen, Als wenn das liebe Kind mit Kürmeln und mit

Gut! Gut!

Lachen An unser Haupt sich drückt, uns lieber Vater rmmr, Und macht, daß mau in ihm sich wie im Spie­

gel kennt. Imgleicheu:

Sinnged. 908.

-------- vom süßen Namen Sohne Ein kürmelnd Exemplar —

250 Eben so spricht Opitz von einem neugebornen Kinde: „Was es kürmeln wird und lachen „Werden lauter Verse seyn. Lohen stein braucht es sogar von dem freundlichen, verliebten Murren der Löwen. (Armrm'us ersten Theils, zweites Buch, S. 84.)

r. Längen, für: in die Länge dauern. Sinng.2756. Erdenbau kann übel längen, Drein sich Wind und Wasser mengen. Hievon kommt das alte Beiwort gelängt her, wel­ ches wir in des Adam Olearius persianischem Baumgarten finden: „Die ausgelängte Nacht laufen sie, und sprechen früh Morgens rc. Lappe, ein, heißt einstiger, weibischer, nichts­ würdiger Mensch, wie das Beiwort läppisch, wel­ ches von diesem Hauptworte abstammt, zu erkennen giebt. Und wer wird für feiger, weibischer und nichtswürdiger gehalten, als ein Verschnittener? Für diesen braucht es Log au, Sinnged. 2499. Sonst möcht es seyn vergönnte Sache, Daß man den Hahn zum Lappen mache. Das Wort Lasse, welches noch gebräuchlich ist, be­ deutet gleichfalls einen läppischen, einen kindischen Kerl. Da ferner Lappen und Lumpen einerlei sind, so heißen, im verblümten Verstände, nichts­ würdige Leute üüch Lumpen, Lumpengesivde, Lumpenhunde.

25 t Latz, schwäbisch Latz, der. Man wird das 227ste Sinngedicht deß Anhangs nicht verstehen, wenn man sich nicht erinnert, daß ein schwäbischer Latz so viel ist, als ein Hosenlatz. Lauer, der, kommt von dem lateinischen lora her, welches den sauern Nachwein bedeutet, der aus den Hülsen und Kernen der bereits gepreßten Trau­ ben durch zugegossenes Wasser gemacht wird. (X.9.) Welt giebt ihren Hochzeitgästen erstlich gerne gu­ ten Wein; Und schenkt ihnen sauern Lauer, wenn sie schon betört sind, ein. In einem andern Verstände bedeutet ein Lauer ei­ nen Schelm. Sinnged. 497. Schlaf und Wod der macht Vergleich Zwischen Arm und zwischen Reich, Zwischen Fürst und zwischen Bauer, Zwischen Biedermann und Lauer. Die Lateiner nennen diesen Lauer mit einem ähnli­ chen Worte, vappam, und wir könnten ihn also auch zur Noth von dem schlechten Weine, Lauer, herleiten. Wir glauben ihm aber einen weit natür­ lichern Ursprung zu geben, wenn wir ihn von dem einheimischen Worte lauern ableiten, da denn em Lauer so viel bedeuten wird, als: ein Schleicher, ein tückischer Dieb. Man sehe auch das I14te Sinn­ gedicht des X. Buchs.

Lebensfadenreißerinnen, ein poetisches, von unserm Logau zum Scherz gemachtes Wort, rmge-

fahr wie des La Fontaine soeurs filandibres. Vinnged. 2446. Waren alle drey nicht Gräen, waren sie nicht Gorgoninnen, Waren sie nicht alle dreye LebenSfadenreiße-

rinnen, War es doch zum mindsten Eine. Lieb, das, für: die Geliebte. Ein Schmei­ chelwort der Liebhaber, wofür einige jetzt Liebchen sagen; ist bei allen Zeitoerwandteu unsers Dichters im Gebrauche. Sinuged. 2637. Paulus ist ein Freund der Welt, aber nur der kleinen Welt, Wenn er sein geliebtes Lieb fest umarmt beschlos­ sen hält. So sagt auch Flemming: „Mein Lieb gedenket weg; was wünsch' ich ihr für Glücke? Eben so sagten auch unsere Alten vor vierhundert Jahren: Minne, Got müsse mich an dir rechen. d. t. Mein Lieb, oder mein Liebchen, Gott müsse mrch an dir rächen. Liebeln; ein nicht unebenes Verbum diminutivum von lieben. Unser Dichter sagt von der Zeit des Frühlings: (VL 19.) Da vor Freuden alles wiebelt, Da mit Gleichem Gleiches liebelt re. Liebe», einem. Es liebt mir, sagt Logav,

253 anstatt: es gefällt mir. (XIII, 12.) Das ganze Wort heißt: eS geliebt mir; allein die Sylbe ge wird, wie bekannt, ost weggeworfen. Opitz sagt: „-------- sehr schöne Schrift auf Steinen,

„Die mir so sehr geliebt. Und an einem andern Orte: „Geliebet dir ein Berg? Luntenrecht, ist eine scherzhafte Benennung unseres Dichters, worunter er eben das versteht, was unser heutiger witziger Pöbel mit einem weit hergesuchten Wortspiele das Jus canonicum nennt. Sinnged. 2515. Luntenrecht hält rechtes Recht nur für Lumpen­ recht. Wo Gewalt znm Herren wird , ist Gerechtigkeit ein Knecht.

M.

Männisch, für männlich.

Anh. 166.

Die Deutschen sind nicht männisch mehr rc. Magd und Knabe in der edlen Bedeutung des puella und puer der Lateiner. Sinnged.56S. über ein Brautbette. In die Lust liegt hier begraben Eine Magd mit ihrem Knaben; Die einander ganz ergeben, Dieser Welt wie nicht mehr leben-

Die mit Armen mngewunden, Wie in einen Sarg gebunden

254 Auch das Diminutivum davon, Mägdchen, oder Mädchen, kommt bei unserm Logan in der edlen, anakreontischen Bedeutung vor, welche uns vornchmlr'ch ein neuerer Dichter so angenehm und geläufig gemacht hat. (VI, 22. 24.) Manne, die, als der Pluralis von Mann, für Männer. Anh. 96. Weibern sind Gebrechen Sonsten nicht zu rechen, Außer wenn sie fehlen, Und die Manne zählen. Wenn wir also jetzt sagen, z. E. zehntausend Mann, so ist vielleicht dieses Mann nicht sowohl der Singularis, als vielmehr dieser alte Pluralis, und es sollte eigentlich zehntausend Manne hei­ ßen. Zwar wird das Zeitwort in der einfachen Zahl dazu gesetzt, z. E. (1,5.) Es bleibt in keiner Schlacht jetzt vierzigtansend Mann. Doch auf diese Einwendung würde sich auch antwor­ ten lassen. Maultasche. Sirmged. 1097. Eine Manltasch ist ein Ding, zwar nicht schäd­ lich an dem Leben, Außer, daß sie dem Gehör Abbruch will und Nach­ theil geben. Maultasche ist das, was man sonst Maulschelle, Ohrfeige nennt. In einigen Provinzen spricht man Maultatsche; aus diesem Latsche hat man,

255 vielleicht durch den Gleichlaut verführt, Lasche ge­ macht, da es doch, allem Ansehn nach, so viel als Latze bedeutet. Soll datz Wort aber von Lasche, Beutel, Herkommen: so müßte man sagen, eine Maultasche sey ein Schlag, der mache, daß das Maul wie eine Lasche herunterhinge. Frisch führt bei diesem Worte eine Prinzessinn aus Lyrol an, die wegen ihrer heruntergehenden Lippen die Maul­ tasche genannt worden ist. Marzipan. Logau leitet dieses fremde Wort von Mars (tis) und panis her; ohne Zweifel, weil ihm diese Ableitung zu einem epigrammatischen Spiele den Stoff geben zu können schien. Sinnged. 1645. Heißt Marzipan Soldaten Brodt? So essens nur Hie Großem; Der arme Knecht der mag sich nur am PomperNickel stoßen. Die wahre Ableitung aber ist von massa oder mazu und panis, und wenn ja einige Gelehrte Martiös panes daraus gemacht haben, so haben sie doch nur geglaubt, daß sie von ihrem ersten Erfinder, nicht aber von dem Gotte Mars so genannt worden. Meinen; lieben, wohlwollen. I. E. (1,35.) Die nicht die sind, die sie scheinen, Sondern unser Gut gut meinen. Lmgleichen (XIII, 4.) ------- Wo man die Kriegeskinder Gar gut und glimpflich meint rc. Dieses meinen kommt von dem alten Worte rnio-

256 uen, lieben, her; man sollte es also mit einem t schreiben, wenn man ja das andere meynen (putare) zum Unterschiede mit einem y schreiben wollte. Mensch. Wenn man dieses Wort in ein Neu­ trum verwandelt, so bedeutet es eine Weibsperson, jetzt zwar eine von der niedrigsten und schlechtesten Gattung, bei unseren alten und guten Schriftstel­ lern aber ganz und gar nicht. Unser Logan sagt: (Xiir, ii.) Dennoch hat daß liebe Mensch ein vertrautes Freundschastband Auf die Meinen unverfälscht immer fort mifc fort erstrecket So sagt auch Flemming an einem Orte: „Sie, das geliebte Mensch, wird selbst aus ihr entrückt. Eben so haben die Engländer das Wort Wench jetzt in Verachtung gerathen lassen, da es vor Zei­ ten gleichfalls in dem besten Verstände gebraucht ward. Shakespeare z. E. läßt den Othello seine Desdemona in dem zärtlichsten Affekte excellent Wench nennen« Eine Anmerkung in der Ausgabe, die wir vor uns haben, erinnert dabei: The word Wench heretofore signified a young Woman, osten an amiable Woman, so that some liave thought it a corruption only from the word Venus. Allein Wench und Mensch sind ihrem Klange und ihrer Bedeutung nach viel zu genau verwandt, als daß sie nicht einerlei Ursprung haben

257 sollten. Da- Diminutivum Menschlein braucht unser Dichter in eben der Bedeutung für Mädchen. (XI, 85.) Canus hat ein junge- Menschlein voller Gluth und Geist genommen rc. Menschenthum, das, für: das menschlicheGeschlecht. (XIII, 8.) Würdig bist du, daß dein Ruhm Bleibt, weil bleibt das Menschenthum. Milz. Logau sagt der Milz. (VIH, 6.) Mißbehagen, ist der Gegensatz von wohl­ behagen. Mißschwören, für: falsch schwören, ist die Überschrift des 803ten Sinngedichts. Mördlich, so wie von Wort, wörtlich. Sinnged. 852. Es trachten ihrer viel uns mördlich umzubringen. Jetzt sagen wir mörderisch, nicht von Mord, sondern von Mörder; so wie wir kriegerisch, verrätherisch, räuberisch, ehebrecherisch rc. nicht von Krieg, Verrath, Raub, Ehebruch, sondern von den Hauptwörtern der zweiten Generation, von Krie­ ger, Berräther, Räuber, Ehebrecher ableiten. Mondensohn, so nennt Logau einen wandel­ baren, veränderlichen Menschen. (XIII, 12») Mußtheil, das, von Muhs, Gemüse. Es heißt im juristischen Verstände die Hälfte des Vor­ raths an Speisen (cibariis domesticis), der bei Lebzeiten des Mannes vorhanden gewesen, und ayr

258 dreißigster* Tage, zu welcher Zeit man jetzt gewöhn­

lich zu inventtren pflegt, noch vorhanden ist. Die eine Hälfte davon gehört der Wittwe, und die an­ dere den Erben. Log au spielt mit diesem Worte? indem er es gleichsam von müssen herleitet, und Sinnged. 416. sagt: Das Mußtheil heißt man dies, was nach des Mannes Sterben Die Frau von Rittersart muß theilen mit den Erben. Ein Mußtheil machet draus, aus allem was

man hat. Wo er es Nicht nimmt gar, ein väubrischer Soldat.

Nackt und nackend. Logau sagt beides. Sinnged. 609. Der nackt kam in die Welt, der nackend ist ge­ tauft. Nächst. - Logau macht aus diesem Vorworte ein Nebenwort, und braucht es anstatt jüngst, vor einiger Jeit. Sinnged. 1038. Nächst sagt ein alter Greis rc. Imgleichen (X, 53.) Mein Gut besucht ich nächst rc. Narren, für: sich närrisch betragen.

Sinn­

ged. 2562. Denn das Gold der neuen Welt macht, daß alte Welt sehr narrt.

259 Den Narren stechen, heißt (Sinnged. 1498.) ver­ spotten, mit spöttischer Miene verlachen, naso suspendere adunco. Noch, noch, sagt unser Dichter (T, 1. II, 12.) für weder, noch. Die Fälle sind unzählig, wo das Sylbenmaaß dem gewöhnlichen weder durch­ aus zuwider ist; und warum sollten wir es nicht auch noch heute in jenes bequemere noch verändern dürfen? Wenigstens klingt es nicht übel: (II, 18.) Noch frech wagen, Noch weich zagen rc.

(L 33.) Gleichwohl aber hat er fich noch mit Wort noch Lhat gerochen. Sinnged. 140& Alte Jungfern find ein Stock da noch Wachs noch Honig innen. Nöthen, von Noth, wie von Tod tödten; so viel, als: quälen, plagen. (V, 76.) Der ärgste Lod ist der, der gar zu langsam tödtet; Die ärgste Noth ist die, die gar zu langsam nöthet. An einem andern Orte (Sinnged. 2513.) scheint die­ ses Nöthen so viel, als: nöthigen, hinwegnöthigen, zu bedeuten. Nicht anders. Ihr Poeten, Der Lod kann keinen Nöthen, Den ihr und eure Sinnen Nicht lassen wollt von hinnen.

260 Nuseln, oder nuscheln, em niedriges Wort, welches eigentlich durch die Nase reden bedeutet. Logau sagt (Sinnged. 1170.) von dem kindischen Alter der Welt:

-------- weil nun die Welt,

wie ein kindisch alter Greis, Beißig, garstig, satsam wird, bloß auch nur zu nuseln weiß.

Omnia trepide gelideque ministiat.

O. Olier. Die Schwierigkeit, dieses Bindewort in das gemeine jambische Sylbenmaaß zu bringen, hat die Dichter oft genöthigt, ihm, wenn es in einer Frage vorkommt, die Partikel wie vorzusetzen. Lo­ gan aber sagt anstatt dieses wie oder, sonst oder. (X, 28.) Ortgedächtniß, nennt Logau nicht übel Vasjenige künstliche Gedächtniß, welches sich durch ge­ wisse topische Fächer zu helfen sucht; und weil von dergleichen Fächern bei den Lehrern dieser Kunst keine geringe Anzahl vorkommt, so ist unsers Dich­ ters nachfolgende Anmerkung sehr richtig. Sinn­ ged. 1729. Wer Gedächtnißkunst denket zu studieren, Dünkt mich muß voran gut Gedächtniß führen.

261 P> Parten, vom lateinischen partes. Nach der einfachen Zahl kommt es in dem Worte Gegen­ part, Widerpart vor. (XII, 74.) Andre ziehen an das Recht, Largus zeucht den Richter an: Parten, denen er bedient, finden, daß er gut gethan. Philofophey. Durch diese Endung ey glaubte man vor diesem den griechischen Wörtern das Recht der deutschen Bürgerschaft zu geben, weil ungleich mehr deutsche Hauptwörter sich auf ey, als auf ie enden. Die neuere Endung ie ist aus der französi­ schen Endung solcher Wörter entständen. P Hanta sey, Melodey ist daher richtiger und besser, als Phantasie, Melodie. Nur bei Philosophie und Harmonie würde uns die alte Endung allzu ungewöhnlich vorkommen. Logau sagt Philoso­ ph ey in folgender Stelle, wo er seine Liebe zur Poesie rechtfertigt. Sinnged. 403. -------- Man lasse mir die Lust, Die, wo sie wenig bringt, noch weniger doch kost. Sie wird mir nutzer seyn, als Mägden zu ge­ fallen ; Als in der geilen Brunst der Üppigkeiten wallen; Als eingeschrieben seyn in freveln Raubebund, Der durch gebrauchten Trotz der Welt hilft auf den Grund;

262 Als daß mein &tnn im Wein, und Wein schwimmt in dem Sinne; Als daß der Spieler Dank, der schlecht ist, ich gewinne; Als daß ich mich befleiß.auf HundsphilosoPhey, Und treib als eine Kunst ein bäurisch Feldgeschrey.

Plotz, als ein Nebenwort, für plötzlich. Sinnged. 118.. -------- Komm zu wir plotz und flugs. Flugs ist die Zeugendung von Flug, als ein Nebenwort gebraucht, und bedeutet so viel, als: im Fluge. Pöfel, für Pöbel;

Sinnged. 777. und öfter.

Pompernickel; so schreibt unser Logau die­ ses streitige Wort. Sinnged. 1645.

Pompsack; der Spate erklärt dieses Wort durch homo ridicule gloriosus. Eigentlich aber bedeutet es einen altmodischen Staatsrock; und als­ dann im figürlichen Verstände, einen, der in einem solchen Rocke auf eine tölpische Weise prangt. Pomphosen ist das ähnliche Compositum. Anh. 120. Der Pompsack konnte nimmer nie fich schicken in die Mode. Por; dieses Simplex, von welchem wir Porkirche, Porwisch, empor haben, kommt bei unserm Dichter als ein Hauptwort vor und bedeutet so viel, als die Höhe. Zweite Zugabe 47.

263 Wer bei Hof am mtnbfhn wäget Steigt am meisten in die Por, Dem wird Gnade beigeleget, Dex sonst leichte wie ein Rohv.

Pruchten, von Pracht, 'so viel, als prangen,

prächtig seyn. Sinnged. 2090. -------- Stärk und Muth ist auch ein Ding, Das,

wie sehr es vor geprachtet, endlich doch auf Krücken ging.

Pursch, die. Dieses alte Wort, kommt in seiner ältesten Bedeutung bei unserm Dichter vor. Sinnged. 1646. Wer Durst und Hunger hat,

pflegt viel nicht zu

verzehren; Denn Diese beide Purfch ist gerne nur im beeren.

D. r. dieses Paar. Die alten Wörterbücher über­ sehen es contubernium, manipuliis.

Purschen; ist das Zeitwort vom vorhergehen­ den, und bedeutet: sich gesellen, in Gesellschaft stehen, wandern rc. Sinnged. 687. Wie das Kind im sanften Wiegen, Dß byruh ich im Vergnügen; Pursche sonst mit Redlichkeit, Hinzubringen meine Zeit. Wenn ich werde seyn begraben, Werd ich bessers Glücke haben. D. t. ich geselle mich übrigens der Redlichkeit zu. Zmgleichen (XIII, 12.)

264 Ich lasse meinen Sinn hin mit den Augen fah­ ren. Die Pursch en weit und breit erforschen dies und das, Und haben ihre Lust an Himmel, Wasser, Gras rc. D. i. der Sinn und die Augen, beide streichen in Gesellschaft herum.

R. Rai tun g, die, heißt so viel, als Rechnung, computatio: von raiten, rechnen. Das I2l4te Sinngedicht führt die Überschrift: Raitungen.

Die Einnahm ist das Weib; die Ausgab ist der Mann; Wenn beide treffen ein, ist Rechnung bald gethan: Wiewohl es besser ist, es sey ein Überschuß; Nur daß kein Rest verbleibt, denn dieser giebt Verdruß. Auch Tschernirrg sagt: „Weil daß der höchste Vogt wird Rechenschaft begehren, „Wenn ihm die ganze Welt die Raitung soll gewähren. Ramme, die, heißt die Maschine, Pfähle in die Erde zu treiben; ist besser als Ramme l. Siunged. 2784. Sie find geschickt, im Wasserbau zu ziehen wohl die Rammen.

265 Ranstadt. Sinnged. 2063. Eine Ranstadt ist die Welt,

drinnen fast ein

jedes Haus Heimlich doch, wo mißlich nicht, hat und heget einen Clauß. Claus war der bekannte Hofnarr bei Friedrich dem Dritten, Churfürsten von Sachsen. Er war aus Ranstett, oder Markranstett gebürtig. Viel­ leicht alludirt Logau mit dem Namen Ranstadt zugleich auf das alte Wort ranten, oder ranzen; englisch to rant.

Recken, einen; einen auf die Folter spannen; daher das niedrige Wort Racker. Englisch to racke. Sinnged. 460. Man recket 'sonst den Dieb,

der andern wollte

stehlen rc. Reichen, für: Herkommen, entspringen. Sinn­

ged. 13. Kinder werden dannen reichen rc. Jetzt brauchen wir dieses Wort mehrentheils nur von dem reichen an einen Ort hin, und nicht wehr von dem reichen von einem Orte her.

Reichthum. Logau sagt das Reichthum, so wie das Eigenthum, das Fürstenthum rc. Auch Opitz sagt so. Unter unseren neueren Schriftstellern finden wir es gleichfalls. (Siehe Don Quixotte, 2. Theil XX. Cap.)

Reisemann,

für Wandersmann.

Lessing's Schr. 8. Bd.

12

(XL 97.)

266 Reisig, für: reitermäßig, wie ein Ritter. Sinnged. 2758. Denn ich kann nicht reisig kommen auf dem blanken Dichterpferde; Gicht die hat mich ausgestiefelt, daß ich jetzo spornlos werde. Röthen, für: roth machen. (XIII, 10.) Doch dünkt mich, daß Poeten Noch mehr als andre rothen, Was Lodtenasche blasset. Rüger, delator. Sinnged. 911. Einen Lügner, einen Trieger, Einen Schmeichler, einen Rüger rc. Rund, 1. für bestimmt, ohne Umfchweif, ohne Zurückhaltung. Sinnged. 966. Und bitten um Verzeih», und beichten rund und frey rc. (X, 28.) Und euch fein rund^und kurz erklären rc. 2. für schlüpfrig, wankelmüthig. Sinnged. 17. So lebt ihr beide nun, lebt eines in der Liebe, Lebt eines in dem Sinn; damit euch nicht betrübe Des Glückes runde Macht; denn seine Lück' und Neid Hat keinen andern Feind, als Lieb und Einigkeit. Dergleichen Sinnged. 523. Ich bin von Herzen Feind den runden Samarittern, Die jetzund warm, jetzt kalt rc.

267

Und Zweite Zugabe. Sinnged. 2.12. Gut Gewissen wanket nie, Beuget auch kein knechtisch Knie Vor der runden Menschengunst. Rumher, für herum. Ein Provinzialwort. Sknnged. 57. Daß die Erde rumher geht, Steht zu glauben rc.

S. Sachen, die; menstruum, menses. In die­ ser Bedeutung liegt der ganze Einfall des i53ften Sinngedichts. Wer jetzunttb^rathewwill die vergangnen Sachen, Der wird junge Weider auch ans den alten machen. Sark; so schreibt Logau, was wir jetzt Sarg schreiben. Sinnged. 368. Besser ists in Sark begraben, Als den Bauch zum Fasse haben rc. Lscherning schreibt eg Sarch. (Frühl. S. 4L) Die Logauische Schreibart würde der Ableitung des. Wachters zu statten kommen, wenn diese nur nicht sonst allzu ungewiß wäre. Er meint nämlich, Sarg sey das verkürzte ; und diesemnach würde es einzig und allein ein Behältniß für todte Körper bedeuten müssen. Allein es kann aus un­ zähligen Stellen bewiesen werden, daß es ein Be­ hältniß überhaupt, ein Wafferbehältniß, einen Lrog, 12*

268 ein Behältniß für Götzenbilder, oder Heilige rc. be­

deute. In dieser letzten Bedeutung, die sonst durch Schrein ausgedrückt wird, kommt es unter undern in dem Heldenbuche vor. (Blatt 22.) „Mein Göttern iren Sark. Man wird daher weit richtiger in diesem Worte Sark oder Sarg die gewöhnliche Prosthesis des S annehmen, und es solchergestalt zu dem alten Arke zurückbringen können. Arke aber ist ein ursprünglich deutsches Wort, welches man nicht nöthig hat, von arca oder «qzew herzuleiten. Satsam; verdrießlich, aller Dinge satt. Sinnged. 1170. -------- wie ein kindisch alter Greis Beißig, garstig, satsam wird-------Saumsal; so überschreibt Logau ein Sinn­ gedicht (II, 14.), worin er von einem Menschen redet, Der in allen seinen Sachen Nimmer kann ein Ende machen. Es kann aber nicht sowohl die saumselige, die zau­ dernde Person, als vielmehr das Zaudern selbst, die Jauderhaftigkeit bedeuten, so wie Trübsal, Jrrsal, nicht die Person, sondern die Sache bedeutet. Schaffen; so viel, als: befehlen, gebieten. Sinnged. 405. Weil Recht ein Knecht jetzt ist, dem Frevel hat zu schaffen re. Deßgleichen Sinnged. 1395. Diener, denen Fürsten schaffen rc.

269 In der vergangenen Zeit heißt es geschafft. Sinnged. 959. Den Lastern ist geschafft, zu halten Feyertag. Da hingegen geschaffen, creatus heißt. Schanze, in der Bedeutung des holländischen Kans, Anlaß, Gelegenheit, Glück. Unser Dichter sagt: (XI, 39.) Aufzubringen erste Schanze rc. für: das erste Kapital, einen Handel damit anzufan­ gen. Einem etwa- zuschanzen, in die Schanze schlagen oder geben (II, 19.), auf seine Schanze achten rc. Lauter Redensarten, die aus diesem al­ ten Schanze zu erklären sind, und mit den Schan­ zen der Kriegs-Baukunst nichts, als den Klang gemein haben. Scheinlich; was einen guten Schein hat. (XI,49.) Der Ehre scheinlich Gift. Er sagt auch Scheinlichktit, in eben diesem Ver­ stände. Sinnged. 1834. Scheinlichkeit. Mancher trägt ein Ehrenkleid, hüllet drunter ei­ nen Tropf; Mancher trägt auf altem Rumpf dennoch einen Kinderkopf. Scheltbar. Sinnged. 101. Wahrheit steckt in dir, o Wein! Wie will der oenn scheltbar seyn, Der, die Wahrheit zu ergründen, Sich beim Bacchus viel läßt finden?

270 Schild. Einer Jungfer in Schild reiten, sagt Logau, Sinnged. 2501, mit einer leichtfertigen Zweideutigkeit, anstatt: ihr eine Grobheit erweisen. Erne ähnliche Redensart, einem in den Schild reden, erklärt Frisch. Schimpf, in der alten Bedeutung für Scherz, kommt hin und wieder vor. A. E. (VM, 19. IX, 29.) Schimpf aber ist nicht Ernst rc. Mancher wird in Schimpf und Scherz re. Schlägefaul; so faul, daß Schläge nichts mehr verfangen. Sinnged. 91. Unsre Welt ist schlägefaul; Setzt sich, wie ein stätig Gaul. Schlaffen, für: schlaff seyn. Sinnged. 403. Weil Recht ein Knecht jetzt ist, dem Frevel hat zu schaffen, Weil eignen Willens Zaum pflegt frey verhenkt zu schlaffen rc. Schlechtlich, für schlecht. Zweite Zugabe 102. So hat sein Anfehn er nicht schlechtlichen gekränkt. Das angehängte en ist die Füllpartikel der alten Sprache. Schmätzrichen und Schmatzer. Beides sagt Logau für Kuß, Küßchen. Sinnged. 685. und 2460. Schmeißen, für Schmeißfliegen. Erste Zu­ gabe 137. Lara hat ein schönes Fleisch, eines von dem weißen; Doch man saget, daß ihr drauf oste sitzen Schmeißen.

271 Schnallen, mit den Fingern, soviel, als schnipsen, von Schnall, ein Schnipchen. Sinnged. 966* Der Donner Sinai wird kaum so hoch geacht, Als wann ein tönend Erz vom Hammerschläge schallet, Und ein gebrechlich Mensch mit seinen Fingern schnallet. Schnalzen; ist mit dem vorhergehenden schnal­ len verwandt, und bedeutet gleichfalls: mit den Fingern, oder auch mit der Junge, einen Laut mächen. Sinnged. 1107. Schnalzet und lecket mit lustigen Zungen.

Schnöde. Sinnged, 2570. Weiber, die man wacker nennt, sind gemeinlich schnöde. Bei Luther» bedeutet das Wort schnöde allezeit so viel, als verachtet, verworfen, schändlich; z. E. ein Mensch, der ein Greuel und schnöde ist rc. (Hiob XV, 15.) Ach Herr siehe doch, wie schnöde ich worden bin. (Klagelieder I, 11.) Jetzt aber, und auch bereits in der gegenwärtigen Stelle unsers Dichters, scheint es nicht sowohl eine passive, als active Bedeutung zu haben, so daß ein schnöder Mensch, nicht ein Mensch herßt, der verachtet wird, sondern der Anderen verächtlich be­ gegnet. Schönen;

1. für schön seyn.

Sinnged. 1505.

J272 Fürstinn, euer reines Schön hat ein Fieber jetzt verhöhnet; Aber Schönes ruhet nur, daß es nachmals schö­ ner schönet. 2. für schön machen. Zweite Zugabe. Sinnged. 218. Ein Maler ist er auch, der alle Laster schönet Zu einer Helena - -----Schönhäßlich; eins von den Wörtern, die, dem ersten Anscheine nach, einen Widerspruch in sich schließen. Das eilfte Sinngedicht des ersten Buchs erklärt es. Schooßsall heißt das Recht, vermöge dessen eine Mutter von ihren Kindern erben kann; oder auch, diese Erbschaft selbst. Mit der Zweideutigkeit dieses Worts hat unser Dichter in dem 2474sten Sinngedichte gespielt. Huldiberta hat kein Kind, weniger noch Kindes­ kinder: Mancher Schooßfall, wiemanfagt, fällt ihr den­ noch zu nicht minder. Schüren; ein Kunstwort der Böttcher, wenn sie das brennende Pech in den Fässern hin und her rütteln. Sinnged. 1530. Daß er Fasse nicht nur bindet, sondern daß er sie auch schürt. Schwesterschaft. (XIII, 10.) O so denk ich auch zugleich an der Freundschaft Schwesterschaft rc. heißt an diesem Orte so viel, alö: an die blutsver-

J273^ wandte Freundschaft. Schwesterschaft ist ein Wort, das mit dem Worte Brüderschaft von gleichem Gepräge ist, «nd eben so wenig «nterzugehen ver­ dient, als dieses. Schwindeltumm, für schwindelig. Sinnged. 2915. Könnte man nicht diese beiden Wörter so unterscheiden, daß das erste einen Menschen be­ deutete, dem wirklich schwindelt, und das andere einen solchen, dem leicht schwindeln kann? Oder könnten sie nicht wenigstens die verschiedenen Grade des Schwindels bezeichnen? Schwitzig. Sinnged. 454. Da geht es schwitzig her rc. D. i. es kostet vielen Schweiß. Seitab, girr her Seite. IwerteIugabe S. 212. Au Zeiten pflegt er den mit fich seitab zu zieh», Dem seines Meisters Ruhm in sichres Ohr er lege. Dieses Nebenwort wäre bei den Schauspielen nicht unbequem anstatt des ä pait zu brauchen; besonders da, wo man es in ein Hauptwort verwandelt. Also ließe sich das erste Seitab, das zweite Seit­ ab, bei jedem Seitab, schicklicher sagen, als: das erste bei Seite rc. Selbander; so wie man auch sagt selbdritter, selbvierter rc. Es ist dieses eine Art per­ sönlicher Fürwörter, die nur in einigen Provinzen gewöhnlich, unseren neueren guten Schriftstellern aber fast gar nicht üblich ist. Sind sie hierin nicht viel­ leicht zu ekel? Wenigstens werden sie gestehen müs-

274 sen, daß ihnen diese Fürwörter mehr als Ein un­ nützes Wort ersparen könnten, wenn fie den Begriff Glszudrücken haben, daß sich die Person, po» wel­ cher die Rede ist, nicht allein, sondern mit einem, zweien oder mehreren in Gesellschaft befunden. Sie können es an folgenden Beispielen unsers Dichters versuchen. Sinnged. 1372. Vulpiana ist selbander — Was doch jetzt für Fälle sind! — Bei zehn Jahren. Meide Sorgen! denn ihr Mann, der ist ein Kind. Sinnged. 1407. Eine Braut zu ihren Gästen. Ihr Gäst', ihr seyd mir lieb, bis daß die Nacht bricht ew Da darf ich keinen Gast, selbander will ich seyn. In diesen Fürwörtern gehört auch selbselbst, und ist der Ordnung nach das erste. Es bedeutet näm­ lich die Person, von welcher die Rede ist, ganz allein, ohne die Gesellschaft einer andern. SLnnged. 2346. Silberstuwrn; ein Scherzwort, für einen, den das Silber stumm gemacht hat, der fich beste­ chen lassen, zu schweigen. (XII, 12.) Hermes ist der beste Redner weit und breit, und um und um, Ein Gebrechen ist bedenklich: manchmal ist er silberstumm. Sinn, der; Sinnen, die; für:, das Genie, die Gemüthsgaben, der Geist, der gute Kopf. So

275 werden diese Wörter, besonders das in der vielfa­ chen Zahl, von unserm Dichter und von seinen Zeit­ verwandten gebraucht. Man sehe Exempel davon unter Degen und Erdegeist; imgleichen (VI, 24.) Ihr, ihr Schönen, ihr, khr Lieben, habet Lust an reifen Sinnen. (XII, 104.) ------------- Und die andern klugen Sinnen Deiner Kinder, sind sie nicht, was dort sind die Kastalinnen? Sitzer, der; eben derselbe Theil des Körpers, den Log au sonst Hinterstirn und des Magens Hin­ terthür nennt. Sinnged. 1728. Was ist ein gölduer Kopf ohn' einen bleyern Sitzer? Sinnged. 1135. Der Ostrr wärmt die Stube, thut solches unbereut, Obgleich ein' alte Mutter die Hinterstirn ihm beut. Sinnged. 1581. Ealvus sah zum Fenster aus, Lippus hielt die Nase für, Denn er meinte, Ealvus Kopfsey des Magens Hinterthür. Söder, ist der Pluralis von Sod, Brühe. Sod kommt her von sieden. (II, 84.) Geußt Söder auf, und Senf daran rc. Sönnen, in die Sonne legen, an der Sonne warmen, trocknen. Man sagt es im gemeinen Le­ ben von Betten; Logau sagt es spöttisch von den

276 bloßen Brüsten, die er deßwegen gesonnte Brüste

nennt» Erste Zugabe 168. Sorglichkeit. Ist mehr als Sorgsamkeit, und weniger als Ängstlichkeit. (II, 47.) Städter, für: Einwohner in den Städten; ist noch in gemeinen Reden gebräuchlich. Sinnged. 205. Der Krieger Art und Werk bisher war rauben, stehlen; Der Städter Art und Werk, erkaufen und ver­ hehlen. Stänken, für: Gestank erregen, stänkern. Sinnged. 2763. Deluna ruft ihrer Jugend mit Seufzen, wenn sie an sie denkt; Sie aber fleucht je mehr zurücke, weil jen' im

Seufzen etwas stänkt. Stänker, in der niedrigen Sprache so viel, als Zänker. Sinnged. 911. Sterben, als ein Activum, für: sterben ma­ chen, todten; an vielen Orten, z. E. (X, 67.) Imgleichen Sinnged. 1361. Der Lod, der alles sterbt, den sterbt ein gut Gerüchte; Das stirbt, wenn gleich die Welt muß sterben, doch mit nichte rc. Aus dieser Stelle steht man zugleich, daß man das sterben, wenn es ein Activum gewesen, anders flectirt habe, als das Neutrum sterben. Jenes heißt in der zweiten und dritten Person der gegen-

277 wärtigen und der jüngst vergangenen Zeit, du sterbst, er sterbt, er sterbte; dieses hingegen heißt: du stirbst, er stirbt, erstarb. Eben so unterschei­ det unser Dichter das Zeitwort verderben. Er verderbt, er verderbte, heißt: er machte etwas zu Schanden; er verdirbt, er verdarb, heißt:

er ward selbst zu Schanden. Wir haben mehr der­ gleichen Wörter, z. E. das Wort schmelzen. Das Metall schmilzt, und schmolz; der Gießer

schmelzt, und schmelzte. Der Henker erwürgt, der Gehenkte erworgt. (IX, 71.) Am Galgen und am Strang erworgen, ist nicht ehrlich rc. Man sehe auch das Wort erstecken. Stöckelfrsch, für Stockfisch. Sinnged. 96. EL man muß dem Hostleben Dor den andern Vorzug geben: Denn bei großer Herren Tische Sind stets Has und Stöckelfische. Strecken, ausdehnen. Anh. 117. Könnte man das Leben strecken, wie man kann das Leder dehnen rc.

Siehe erstrecken. Stümpfen, für: stumpf machen. (XIII, 3.) Stnrzebrücke; (XI, 49.) geht besser in den Vers, und ist auch stärker, als Fallbrücke. Sühne, die, für Versöhnung. Sinnged. 1049. Wann Mann und Weib sich zankt, ist Sühne recht bestellt rc.

278 T. Eage - und Nacht-gleiche;

so überschreibt

Logan das 2248ste Sinngedicht. Die Nachtgleiche wäre sonst schon hinlänglich, das Äquinoktium aus­ zudrücken. Taugen. Unser Logau schreibt anstatt taugt, durchgängig taug. Sinnged. 2522. Gewohnheit ist die größte Frau, beherrschet alle Welt; Gar wenig gilt, gar wenig taug, was sie nicht ächte hält. Deßgleichen Sinnged. 2542. und 2550. Die Wahrheit taug nur auf das Dors, die grobe Bäuerinn; Wo man französischhöflich ist, da taug sie gar nicht hin. Eben so schreibt Opitz, sowohl in Versen, als in Prose. Z. E. „------------- Hier taug kein Midas nicht, „Der Eselsohren hat, und Eselsurtheil spricht. Testamenterinu, die, für: das Frauenzim­ mer, welches ein Testament macht. Sinnged. 720. Testirerinn, welches man gemeiniglich dafür braucht, ist nicht so deutsch. Thurst, oder Durst, die; so viel als: Kühn­ heit, Muth, ein Abenteuer zu bestehen. Auch dieses alte Wort braucht unser Log au, wenn er von den kühnen Thaten der alten deutschen Helden spricht. (XIII, io.)

279 Was wüssten wir von Helden Und ihrer Thurst zu melden rc. Thurst kommt Ifott von hm alten Jettworte törren,

tonen,

tonten,

dürfen, und hat viel Ähnlich­

keit mit dem griechischen Qaoßos, audaeia. -Man sehe das Zeitwort in den Fabeln des von Rieden­ burg (Boner). (Fab. 67.)

„Vor im getorst kein tier gestan. Und Fab. 70.

„Piatent und koment uiber ein, „Wei under uns diu si allein, „Diu das getuirre wol bestan „Das si der katzen henken an „Welle die schallen------Luther gebraucht daS Wort dürstiglich (1. Mos. XXXIV, 25.) in eben diesem Verstände. Tischen, für: zu Tische sitzen. (II, 66.) Löblich, oder, wie es bei anderen geschrieben wird, töbelicht; von töbeln, und dieses von

toben.

Äöbeln erklärt der Spate durch ferocu-

lum esse, hilarem insaniam insanire etc.

Die

Stelle, wo tödlich bei unserm Dichter vorkommt, ist unter Gach bereits angeführt. Torkeln, für taumeln, (II, 53.) und Sinnged. 2528. Der Säufer auf den Beinen, der Puhler an den Sinnen, Sieht Wunder, wer drauf siehet, wie beide tor­

keln können.

280 Letter schreibt Logau,

wofür wir Dotter

schreiben. Sinnged. 2410. Treuen sagt Logau durchgängig für trauen, copuliren. Sinnged. 769. Ewigkeit, die ohne Ziel Uns aufs neue treuen will. Drillen, für plagen. Anh. 51. Die Steuer trillt uns noch. Drillen ist eigentlich ein militärisches Wort, und bedeutet so viel, als das heutige exerciren. Da­ her Drillhaus, Drillmeister rc. Drompter, für Trompeter. Sinnged. 1369. Drotzer, der; ist poetischer, als der Trotzige. Dummelhaftig, wovon mau die Endsylbe ig besser wegläßt, wird von Pferden gesagt, als welche man tummelt. Sinnged. 826. Ein sanftes Thier gehört auf einen engen Steg, Ein tummelhaftig Gaul auf einen breiten Weg. U.

Übergeben,

anstatt verlassen oder aufgeben.

Sinnged. 774. Gott hat neben sich gesetzet Auch den Nächsten: wird verletzet Durch den Dienst, der ihn gleich liebet, Und den Nächsten übergiebet. Überständig; wird von Früchten gesagt,

die

man allzulange auf dem Baume gelassen, und die endlich von selbst ahfallen. Sinnged. 2278.

281 Ein alt Weib fiel die Stiegen ab. Kein Wunder bild't euch ein: Die Früchte fallen von sich selbst, die überständig sey». Überweiben, sich, würde eigentlich heißen, der Weiber auf einmal mehr nehmen, als man be­ streiten kann. Bei unserm Dichter aber kann es nur heißen: zur Unzeit ein Weib nehmen, oder so viel Weiber nach einander nehmen, daß man der letzten nicht mehr gewachsen ist. Sinnged. 1893. Rufus hat sich überweibt; hätte Men denken dran, Daß man mehr nicht schlachten soll, als man füglich salzen kann. Unartig trennt Logau jedes Ding, das aus seiner Ärt schlägt. So ist ihm z. E. ein unarti­ ger Sommer, Sinnged. 244, ein Sommer, der sehr heiße Lage und sehr kalte Nächte hat. Jetzt brauchen wir unartig nur für ungesittet, ungezogen. Unfromm (V, 63.) sagt unserm Dichter et­ was weniger, als böse; denn er setzt fromm und unfromm einander entgegen, wie Biedermann und Heuchler. Unverfreyt, für: unverehelicht, unvermischt. Sinnged. 588. Unverfreyter Wein. Den Ehstand lob' ich zwar, nicht aber lob' ich Wein, Der da mit Wasser will zu Zeiten ehlich seyn. Unzahl, die; soviel, als: unzählbare Menge.

282 Sinnged. 2754, wo der Dichter eine durchlauchtige Person anredet: Die Menge macht mich arm: ich kann nicht Zier­ den haben, Zu streichen zierlich aus die Unzahl Eurer Gaben. V. Verbriefter Adel, ein Adel, den man nicht durch Ahnen beweist, sondern durch den Adelbrief: ist die Überschrist des 2i54sten Sinngedichts; ein

zum Scherz gemachter Ausdruck, nach der Analogie der Wörter verschanzt^ verzäuut rc. Eben so nennt er von dem angehängten Siegel oder der Dulle an dergleichen Adelbriefen, die neuen Edelleute bul­ lenedel. Unser Log au, der von altem Adel war, spottet an vielen Stellen mit Bitterkeit über neuge­ machte Edelleute. Lscherning spottet eben so bit­ ter über einen alten Edelmann, den er Lagopus nennt. (Frühl. S. 95.)

Vorbringen, sagt unser Dichter allezeit an­ statt vollbringen. Sinnged. 695. Die Finken, die im Lenz nicht singen, Die bringens auf den Herbst dann ein: Der muß dann alt erst rasend seyn, Der jung eß konnte nicht verbringen. Vollbringen, vollenden, vollführen sind wohl unstreitig gute Wörter, und einer sehr guten Ablei­ tung fähig; da hingegen verbringen zweideutig

283 ist: denn es bedeutet auch das Gegentheil von zusammenbringen, nämlich verschwenden. Verbürgen, etwas; cavere äo frliqua re. Dieses gerichtliche Wort hat unser Dichter sehr wohl gebraucht. Die Poeten, sagt er (XIII, 10.), haben den alten Helden Die Sterblichkeit verbürget, Daß sie sie nicht gewürget. D. i. sie haben für die Sterblichkeit gut gesagt, daß diese ihnen nicht schaden solle. Weil man aber oster etwas, das geschehen soll, als etwas, das nicht geschehen soll, verbürget, so würde man kürzer sagen können: die Dichter verbürgen den Helden die Unsterblichkeit; sie sind Bürge dafür, daß diese ihnen werden foü. Vergehen, sich, braucht Logau in der ei­ gentlichsten Bedeutung, für: sich verirren. (XII,72.) Lrullus hat ein schönes Weib. Wenn sie an der Thüre steht, Sieht man nicht, daß leicht ein Hund sich bei ihr ins Haus vergeht. Vergnüglichkeit und Gnüglichkeit (XIII, 8.) nennt Logau, was sonst auch Begnüg samkeit heißt (VI, 62. VIII, 61.); die Lugend, mit feinen Umständen zufrieden zu seyn, «vtciqkeih. Verkünden, für: verkimdigen, kund thun. (VIII, 97.) Verlast, als daß alte Präteritum von verlie­ ren; daher auch Verlust. Sinnged. 1589.

J284^ Da sich nun Deutschland, was der Krieg verderbt

hat und verlast. Daß Friede dieses wiederbringt, verbessert und verfast. Verleiben. Sinnged. 2661. Wiewohl sich Mann und Frau in Einen Leib verleiben rc. Don diesem verleiben ist einverleiben gemacht worden, wofür man vor Alters einleiben sagte. Man sehe des Herrn Haltaus Glossarium unter diesem Worte.

Verpachten; kommt von dem oben angeführ­ ten Zeitworte pachten her, und heißt so viel, als: mit Prangen durchbringen. (IV, 25.) Morus war in hohen Ehren, wagte, was er hatt', auf Ehr. Als er alles nun verpachtet rc. Daß in der alten Ausgabe verpachert steht, muß man sich nicht irren lassen; es ist ein offenbarer Druckfehler. Sein Vermögen durch Prachern oder Betteln durchbringen (welches verpachern bedeu­ ten müßte), giebt hier gar keinen Verstand. Verraiten, von dem obigen raiten, heißt so viel, als: berechnen, Rechnung wovon ablegen. Sinnged. 2702. Die Vormundschaft der Untern verwalten Obrig­ keiten, Die müssen sie dort oben zu seiner Zeit verraiten.

285 Verschildwacht. Unser Dichter sagt sehr schön von einem guten Gewissen. Aweire Angabe 99. Gut Gewissen traut auf Gott, Tritt vor Augen aller Noth, Ist verschildwacht allezeit Mit der steyen Redlichkeit. Verschlunden, für verschlingen; von Schlund.

Sinnged. 1150. -------- doch es wird nicht funden, WaS die Wolfe vor verschlunden. Versprechen, in der alten Bedeutung so viel, als: schelten, schmähen. Sinnged. 1846. Wer von Fürsten reden will, will er Gutes re­ den nicht, Hüt' er sich , da- auch sein Maul Erdegötter nicht verspricht. Verthun, so viel als: unterdringen, außleihen, austhun. Sinnged. 412. Was ists, worüber mehr die Jungfern so entbrennen, Als wenn man sie pflegt alt und ungestalt zu nennen? Denn Jugend dient zur Jucht, und Schönheit zum

verthun; Sind diese beide weg, so läßt man sie wohl ruhn. Schön müssen sie seyn, will der Dichter sagen, wenn sie bald Männer bekommen wollen; und jung müs­ sen sie seyn, um Mütter werden zu können. Vertreulich, Sinnged. 798, wofür wir jetzt pertraulich oder vertraut sagen.

Lessing'öSchr. 8. Bd.

286 Vervielen, Sinnged.618, und vielen, Sinnged. H-103, heißt so viel, als multiplicare, wofür wir jetzt vervielfältigen sagen. Daß er mit gevielten Zweigen Möge bis zun Sternen steigen. Wir sollten das Wort vervielen nicht untergehen lassen. Vermehren, vervielen, vervielfälti­ gen, sind drei Wörter, welche dienen, das ver­ schiedene Zunehmen der Dinge an Größe, Anzahl und Eigenschaften genauer zu bestimmen. Z. E. Das Wasser vermehrt sich; alle Blumen vervielen sich > einige Blumen vervielfältigen sich. Verweibeu, sich; zum Weihe werden, weibisch werden. Siehe Weibling. Verzeihen, sich; anstatt Verzicht thun. Sinnged. 734. Wer viel Geld hat auszuleihen, Muß der Freundschaft sich verzeihen. Denn der Lag zum Wiedergeben Pflegt die Freundschaft aufzuheben. Vierung des Zirkels; so übersetzt Logau sehr wohl Quadraturam circuli. Sinnged. 1243. Daß im Zirkel eine Vierung sey zu finden, ist wohl klar: Aber daß auf runder Erde kein Bestand, bleibt dennoch wahr. Indessen sollte mau aus diesem Sinngedichte fast schließen, daß der Dichter einen sehr schlechten Be­ griff von der Quadratur des Zirkels gehabt, und

287 vielleicht weiter nichts, als ein Viereck darunter verstanden habe, daS man innerhalb eines Zirkels beschreiben kann. In diesem Argwohne wird man um so viel mehr bestärkt, wenn man stabet, daß die deutschen Meßkünstler damaliger Zeit das Qua­ drat überhaupt, nicht ein Viereck, sondern eine Vierung genannt haben, wie unter andern aus George Viescher's Additamento operis Coleri oeconomici (gedruckt zu Nürnberg 1623) zu ersehen. Vor, als ein Nebenwort, anstatt vormals, zuvor, vorher (IV, 82. 104. IX, 11.) kommt häufig vor, sowohl bei unserm Dichter, als bei seinen Zeit­ verwandten. Auch haben es die nachfolgenden Dich­ ter nicht ganz untergehen lassen.

W. Wächstg, crescens. Sinnged. 794. ----------- Nun und zu aller Zeit Sey wächsig dieser Stamm, bis zu der Ewigkeit. Ein halbwüchsiger Hase, heißt in dem komischen Heldengedichte Phaeton, ein Hase in seinem besten Wachsthum. Waffen, für Wappen. Beide Wörter find eins, nur daß wir fle jetzt bekanntermaßen unter­ scheiden. Logau that es noch nicht; er sagt in der zweiten Zugabe S. 215. ----------- Ein Manu, Der Reinkens Hintertheil im Waffen fuhren kann.

288^

Wallen, gehen. Waller, Pilgrim.

(ii, 2.)

Daher*das alte

Wandel, der; so viel als Veränderung, Tausch. (XII, 8.) Wandeln, für: ändern, verwandeln. Sinnged. 66. 90. 802. Die Krankheit wandelt sich, wenn Neulicht mit dem alten Am Monden Wechsel hält — Dergleichen Sinnged. 2192. Wandett Glucke denn die Leute, Daß sie morgerr nicht wie heutet Glücke hat es nie gethan, Wann sich wandelt selbst der Mann.

Wannen, für: von wannen. (VI, 65.) Ich wüßte nicht wer der und wannen er ent­ sprossen rc. Siehe Dannen. Was, für : wie viel; wenn man sich über eine große Menge verwundert. Sinnged. 1081.» Lieber Gott, was hast du Affen! Deßgleichen (XIII, 6.) Was Räuber hat die Welt! Wegelagerer, für: Auflaurer, Nachsteller. Sinnged. 680. Des menschlichen Lebens Wegelagerer. Ehre, Geiz, Leid, Wein und Liebe, Sind des Menschen Leberrsdiebe.

289 Werben, so viel als: hchrathen, sich bewerben. Sinnged. 1534. Willst du nifyt werben? Siehe Überwerben. Weibling, vir uxorius > oder, wie es unsere Vorfahren gleichfalls nannten, ein Siemann. Weibling ist bei unserm Dichter die Überschrift von folgendem Epigramm: Wiewohl sich Mann und Weib in Einen Leib verleiben, So darf sich doch der Mann deßwegen nicht verweiben. Wer, für jemand, kommt hin und wieder vor; als Sinnged. 548. Will Kirchenbilder wer zum Ärgerniß anziehn? Den ärgern Bilder nicht, die Augen ärgern ihn. Wiebeln, für wimmeln; niederdeutsch krib­ beln und wibbeln. (VJ, 19.) Da vor Freuden alles wiebelt rc. Wiederkäufler scheint bei unserm Dichter nicht sowohl einen, der etwas mit der Bedingung, es wiederkaufen zu können, verkauft hat, als bloß einen zu bedeuten, der seine Waaren aus der zwei­ ten Hand nimmt, der von einem Käufer wieder kauft. Sinnged. 2370. Bubalus treibt stark Gewerbe mit viel pohlscher Ochsen Haufen: Neulich wollt' ein Wiederkäufler ihn mit samt den Ochsen kaufen.

290 Wiederlegen, für: erwiedern, wieder erlegen. Siunged. 1965» Die Wohlrhat und das Gute, das wir dem An­ dern schenken, Ist wiedertegt genüglich, wenn andre dran ge­ denken. Daher Wiederlage im gerichtlichen Styl. Wiederzrns nennt unser Dichter sehr wohl, was sonst Ainseuzins heißt; anatocismus. Sinnged. 1568. Wiydei heißt das unfruchtbare Ei, welches eine Henne legt, ohne daß sie von dem Hahne ge­ treten worden. Anh. 256. Ein Windei legt die Henne, die keinen Hahn nicht hat 2c. Das Wort scheint nach Maßgebung des Griechischen gemacht zu seyn: ouqivov, vtz^v^iuiov, fafvqiov wor. Wiudlicht, soviel als Fackel. Zweite Zugabe 65. Wenn die Frösch' im Finstern quaxen, zünde nur ein Windlicht an; Ei wie werden sie bald schweigen re. Wirr; einen wirr und irre machen, sagt Logau. Sinnged.'2448. Wirthlich. (IV, 42. 92.) Dieses Wort ist von dem Worte wirthschaftlich wohl zu unter­ scheiden: Wirthlich geht die Person, den Wirth an; wirthschaftlich geht die Sache, die Wirth­ schaft an. Also sagt man: wirthschastliche Gebäude, und wirthliche Leute.

20 t Witz. Dieses Wort ist unserm Dichter fast durchgängig weibliche« Geschlechts; als Sinnged. 1549. Dergleichen Sinnged. 1684. Eiw einzigesmal sagt er: Der Witz. Sinnged. 2660. Der Monden stellt sich vor die Sonne und macht sie finster eine Zeit: Der Witz, der Gottes Rath will dämpfen, erstrecket sich noch lang, noch weit. Witzel, sagt Logan, wofür wir jetzt Witzling sagen. Sinnged. 911. Einen Dottor, einen Simpel, Einen Witzel, einen Gümpel:c. Deßgleichen Erste Angabe ICO. Menn ich meinen Sinngedichten, sie zu schreiben,

Mach ich Anfang,

Witzigkeit.

Ende gebe, daß sich Witzel,

sie zu ta­

deln, bald erhebe. Sinnged. 727.

Kühnheit und Vermessenheit Bringt es öfters noch so weit Als Bedacht und Witzigkeit rc. Wohlbespracht, so viel als beredt, oder viel­ mehr in vielen Sprachen erfahren. (VIII, 85.) Wohlbewußt, der; inens conscia recti, das gute Gewissen. Sinnged. 1966. Bei dem Ärgsten Bestes hoffen geht wohl keinem an, Der sich seines Wohlbewußtes nicht getrosten Wohlfeilkeit.

kann. Sinnged. 265.

292 Wütig; voll Wuth, wüthend. Sinnged. 846. Die Kinder Gottes sind, sind, wie ihr Water, gütig; Die Satans Kinder sind, sind, wie ihr Vater, wütig. Wütig keit. Sinnged. 1093. Wann sich mit Gewalt Unverstand verfreyt, Wird geboren draus tolle Wütigkeit. Wunder, für: Meerwunder, Wunderthiere; ist noch gebräuchlich, und dient unserm Dichter zu einem Wortspiele. (IX, 55.) Z.

ZankeiseN, für Jänkerirm. SrmrgeV. 1404. Zeihen, sich; ist das Gegentheil von sich ver­ zeihen, Verzicht thun (siehe oben unter dem Worte verzeihen); auch ist es das Gegentheil von ver­ zeihen, vergeben. Es heißt also im ersten Verstände etwas begehren, etwas haben wollen. (VHIF3O.) Sagt, was wollen die sich zeihri^ Wenn sie eigennützig seyn? Wenn sie das gemeine Heil Messen »ach dem eignen Theil? Eben so sagt Opitz im Lobe des Kriegesgottes, v. 575. „-------- Was zeiht Achilles sich, „Sich Nestor, seinen Hals zu setzen in den Stich, „ Ulysses' gleichfalls auch? Achilles mag regieren „ Sein Land Thessalien rc.

293 Und im zweiten Verstünde heißt es: Schuld geben; wie Luther es schon gebraucht hat: Wer kaun mich eiver-Sünde zeihen? Zeitfolge.

Dieses Wort ist die Überschrift des

2429sten Sinngedichts, und bedeutet so viel als: die Kunst, sich in die Zeit zu schicken. Wer lieblich singen will, muß fallen bald,

bald

steigen; Wer ruhig leben will, muß reden jetzt, jetzt schweigen. Aus der ersten Zeile sollte man fast schließen, daß dieses -Wort zu Logau's Zeiten ein musikalisches Kunstwort müsse gewesen seyn.

Jucht. 1. verecundia, pudor. SmNged. 1257. ------------- Wiewohls der Dräuch verbeut. Und deutsche Zucht nicht will, die auch den Arg­ wohn scheut. Daher kommt züchtig, bescheiden; in Züchten und in Ehren; und das Zeitwort züchren, welches rvir in folgender Rede des Sancho Pansa sehr deutlich erklärt finden: „Ich will es Euch aufrich­ tig sagen, ein Stück schwarz Brodt, und Zwiebeln dazu, schmeckt mir in meinem Winkel, wo ich für mich bin, und nicht so züchten iarf, eben so gut,

als ein Truthahn in Gesellschaft vornehmer Leute, wo ich ganz langsam essen, und nur kleine Schlück­ chen thun, mir auch aller Augenblicke das Maul und die Finger abwischen muß, und weder husten,

294niesen, «och gähnen darf, so sehr mir eS auch an­ kommt." Don Quirotte, 2. Buch XI. Cap. 2. proles, prosapia; m der Stelle, die unter verthun angeführt worden. Zungenhonig, ein poetischer Ausdruck, be­ deutet so viel, als: schmeichelhafte, liebkosende Re­ den. Sinnged. 774. Zungenhonig, Herzensgift.