Gottfried Wilhelm Leibniz: Rezeption, Forschung, Ausblick 3515119620, 9783515119627

Nach 300 Jahren der Leibniz-Forschung leistet dieser Band eine Bilanz: Handbuchartig werden Rezeption und Erforschung vo

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
QUELLENKUNDE
1. EINLEITUNG
2. ZU LEBZEITEN PUBLIZIERTE SCHRIFTEN
3. DER NACHLASS
3.1. Leibniz’ Nachlass: Ein vieldeutiger Begriff für einen schwer abgrenzbaren Bestand
3.2. Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB)
3.3. Hannover, Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NLA)
3.4. Ein ‚Nebennachlass‘: Leibniz’ Berliner ‚Schreibtisch‘
5. ÜBERLIEFERUNGEN AUF SEITEN DER KORRESPONDENZPARTNER (EXEMPLARISCH)
5.1. Hermann von der Hardt
5.2. Johann Friedrich Hodann
5.3. Johann Andreas Schmidt
5.4. Heterogene Empfängerüberlieferungen in Autographensammlungen
6. AUS DEM NACHLASS VERÖFFENTLICHTE SCHRIFTEN, FRÜHES AMMLER UND FRÜHE AUSGABEN (18. JH.)
6.1. Die Amtsnachfolger als Nachlassverwalter
6.2. Joachim Friedrich Feller
6.3. Frühe Sammler und Herausgeber
6.4. Der Nachlass wird (etwas) zugänglich
6.5. Louis Dutens’ Opera omnia
6.6. Christoph Gottlieb von Murr
7. EDITIONEN DES 19. UND 20. JAHRHUNDERTS (OHNE AKADEMIE-AUSGABE)
7.1. Das Consilium Aegyptiacum und das Systema theologicum
7.2. Editionstätigkeit im Umfeld der Bibliothek
7.3. Editionen in regionalen und landesgeschichtlichen Zeitschriften
7.4. Gottschalk Eduard Guhrauer
7.5. Johann Eduard Erdmann
7.6. Carl Immanuel Gerhardt
7.7. Louis Alexandre Foucher de Careil
7.8. Thematisch beschränkte Editionen
7.9. Louis Couturat
7.10. Gaston Grua
8. DIE AKADEMIE-AUSGABE
8.1. Zur Geschichte der Akademie-Ausgabe
8.2. Die Reihen der Akademie-Ausgabe
9. HILFSMITTEL ZUR AKADEMIE-AUSGABE
9.1. Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (Ritterkatalog)
9.2. Kumulierte Verzeichnisse der Akademie-Ausgabe
9.3. Konkordanzen
FUNDORTE
BIBLIOGRAPHIE
FÜRSTENHOF UND GELEHRTENREPUBLIK
1. EINLEITUNG
2. BIS 1740 1: DIE MEMORIALTEXTE
4. PERSPEKTIVENWECHSEL UM DIE MITTE DES 18. JAHRHUNDERTS
5. NACH DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION
6. VOR 1866: POLITISIERUNG UND HOFKRITIK
7. 1866 UND DANACH: DIE HANNOVERSCHE UND DIE BORUSSISCHE PERSPEKTIVE
8. DIE ROLLE DES „WELTWEISEN“ AM HOFE IN DER KRITIK
9. DIE NEUE HEIMAT: DIE GELEHRTENREPUBLIK
10. DIE NEUEREN BIOGRAPHIEN UND LEXIKONARTIKEL
11. GEGENWART UND AUSBLICK: SPIELRÄUME, INSZENIERUNG, SYMBOLISCHES KAPITAL, NETZWERKE
BIBLIOGRAPHIE
AKADEMIE
1. FRÜHE DARSTELLUNGEN
2. FORTSCHREITEN DER EDITION
3. DIE WICHTIGSTEN WERKE ÜBER LEIBNIZ UND DIE BERLINER SOZIETÄT
4. ASPEKTE DER FORSCHUNG
5. ASPEKTE DER FORSCHUNG ZUR BERLINER SOZIETÄT
6. VERMISCHTES ZUR REZEPTION VON LEIBNIZ’ VORSCHLÄGEN
7. SCHLUSS
BIBLIOGRAPHIE
BIBLIOTHEKSWESEN
1. EINE BLOSSE BIOGRAPHISCHE ANGABE
2. LICHT UND SCHATTEN: LEIBNIZ ALS BIBLIOTHEKAR IN HANNOVER UND WOLFENBÜTTEL
3. LEIBNIZ ALS BIBLIOTHEKAR: EIN THEMA FÜR SICH
4. ALTE UND NEUE WEGE
5. BIBLIOTHEK UND POLITIK
6. NEUE WEGE DER FORSCHUNG
7. FAZIT
BIBLIOGRAPHIE
JURISPRUDENZ
1. EINLEITUNG
2. RÖMISCHES RECHT UND LOGIK
3. ZIVILRECHTSDOGMATIK UND KODIFIKATIONSPLÄNE
4. ÖFFENTLICHES RECHT
5. NATURRECHT UND METAPHYSIK
6. ABGRENZUNGEN ZU DEN ZEITGENÖSSISCHEN PHILOSOPHEN
7. RECHT UND PHILOSOPHIE ALS EINHEIT
BIBLIOGRAPHIE
POLITIK
1. QUELLEN UND REZEPTIONSGESCHICHTE
2. FORSCHUNGSGESCHICHTE
3. FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN
BIBLIOGRAPHIE
GESCHICHTE
1. WELFISCHE DYNASTIEGESCHICHTE UND REICHSGESCHICHTE IM ANSCHLUSS AN LEIBNIZ
2. PARADIGMENWECHSEL IN DER AUFKLÄRUNGSHISTORIE: UNIVERSALGESCHICHTE UND ‚MODERNE‘ LANDESGESCHICHTE
3. LEIBNIZʼ HISTORISCHE ARBEITEN IM UNIVERSITÄREN LEHRBETRIEB ZUM JUS PUBLICUM UND IN DER DEBATTE UM DAS MITTELALTERLICHE DEUTSCHE KAISERTUM
4. DIE ENTDECKUNG VON LEIBNIZʼ GESCHICHTSWERK DURCH DIE MEDIÄVISTIK
5. LEIBNIZʼ HISTORIOGRAPHIEGESCHICHTLICHE EINORDNUNG IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 19. JAHRHUNDERTS
6. DIE BEURTEILUNG DES HISTORIKERS LEIBNIZ IM LICHTE SEINER PHILOSOPHIE
7. KONTINUITÄTEN UND ERWEITERUNGEN DER PERSPEKTIVE NACH 1945
BIBLIOGRAPHIE
SPRACHWISSENSCHAFT
1. SCHRIFTEN, SCHNIPSEL UND VERSTREUTE BLÄTTER
2. EDIERTES UND NICHTEDIERTES
3. DIE REZEPTION VON LEIBNIZ’ SPRACHBEGRIFF
4. THEMEN UND PROBLEME
5. ERBE UND PERSPEKTIVEN DER FORSCHUNG
BIBLIOGRAPHIE
DICHTUNG
1. LEIBNIZ’ DICHTERISCHES SCHAFFEN
2. „ZUM DICHTER GEBOREN“ – IM SPANNUNGSVERHÄLTNIS ZWISCHEN DREI SPRACHEN
3. ZUM VERHÄLTNIS ZWISCHEN POESIE UND PHILOSOPHIE
4. DIE FRAGE NACH DEM DEUTSCHEN
5. LEIBNIZ IM ERSTEN WELTKRIEG
6. IM FOKUS: DAS EPICEDIUM AN SOPHIE CHARLOTTE
7. AKTUELLE WAHRNEHMUNGEN: POPULARISIERUNG, BEZUGNAHMEN UND DIE FRAGE NACH EINER POETIK DER MODERNE
BIBLIOGRAPHIE
ERKENNNISTHEORIE
1. LEIBNIZ’ ERKENNTNISTHEORIE IM SPANNUNGSFELD VON EDITIONS-, REZEPTIONS-, INTERPRETATIONS- UND ALLGEMEINER PHILOSOPHIE- UND WISSENSCHAFTGESCHICHTE
2. ERKENNTNISTHEORIE BEI LEIBNIZ?
3. DIE PHILOSOPHIE DER ERKENNTNIS ALS KERN DER METAPHYSIK
4. LEIBNIZ’ ERKENNTNISTHEORIE IM GEGENHALT
5. ZUR REZEPTION DER LEIBNIZʼSCHEN ERKENNTNISTHEORIE
BIBLIOGRAPHIE
MONADENTHEORIE UND MONADOLOGIE
1. EINLEITUNG
2. DER MONADENBEGRIFF BIS ZUR MONADOLOGIE
3. ENTSTEHUNGSGESCHICHTE UND KONTEXT DER MONADOLOGIE
4. KURZE ÜBERLIEFERUNGS- UND EDITIONSGESCHICHTE DER SOGENANNTEN MONADOLOGIE
5. DER UNIVERSALE ANSPRUCH DER MONADENTHEORIE UND DAS THEMENSPEKTRUM DER MONADOLOGIE: EIN KURZER ÜBERBLICK ÜBER DIE HAUPTPUNKTE DER MONADENLEHRE
6. SCHLAGLICHT DER FRÜHEN REZEPTIONSGESCHICHTE: POPULARITÄT UND DISKUSSION DES MONADENKONZEPTS 1746 BIS 1748
7. DIE KONTROVERSE UM DAS MONADENKONZEPT AM BEISPIEL DER NEUEREN ANGLOAMERIKANISCHEN FORSCHUNGSDISKUSSION ZWISCHEN 1985 UND 2015
8. FORSCHUNGSDESIDERATE
BIBLIOGRAPHIE
LOGIK
1. PUBLIKATIONS- UND EDITIONSGESCHICHTE
2. WIRKUNGS- UND REZEPTIONSGESCHICHTE
3. HISTORISCH-SYSTEMATISCHE UNTERSUCHUNGEN
4. LOGIKHISTORISCHE GESAMTDARSTELLUNGEN
BIBLIOGRAPHIE
THEOLOGIE
1. ZUR KENNTNIS DER QUELLEN IM 18. JAHRHUNDERT
2. ZUR LEIBNIZ-REZEPTION IN DER (VORNEHMLICH DEUTSCHEN) PROTESTANTISCHEN THEOLOGIE
3. DER REKURS AUF LEIBNIZ IN DER KATHOLISCHEN THEOLOGIE
4. VERSUCH EINER ZUSAMMENSCHAU
BIBLIOGRAPHIE
MATHEMATIK
1. QUELLENLAGE
2. EINORDNUNG DER REZEPTION, BILANZ BISHERIGER FORSCHUNG
3. DESIDERATA
BIBLIOGRAPHIE
DYNAMIK, PHYSIK, EXPERIMENT
1. LEIBNIZ’ DYNAMIK. HISTORISCHE WIRKUNGEN
2. LEIBNIZ’ DYNAMIK. PERSPEKTIVEN DER FORSCHUNG
3. PHYSIK IM WANDEL
4. EXPERIMENTE
5. EINE ABSCHLIESSENDE BEMERKUNG
BIBLIOGRAPHIE
LEBENSWISSENSCHAFTEN
1. LEIBNIZ UND DIE MEDIZIN
2. ORGANISMUS UND LEBEN
BIBLIOGRAPHIE
BERGBAU UND GEOLOGIE
1. LEIBNIZ UND DER HARZER BERGBAU
2. FORTSCHRITTE BEIM ERKENNTNISGEWINN IN DER FORSCHUNG
3. LEIBNIZ’ GEOWISSENSCHAFTLICHE STUDIEN
BIBLIOGRAPHIE
DER WANDEL DES LEIBNIZ-BILDES
1. „ZUM HÖCHSTEN LEID-WESEN DER GELEHRTEN WELT“
2. „EWIGE ZIERDE VON DEUTSCHLAND UND SACHSEN“
3. „VATERLÄNDISCHE GESINNUNG“
4. „EIN SCHMUTZIGER GESELLE“
5. „VORKÄMPFER FÜR DAS DEUTSCHE REICHE“
6. „LEIBNIZ … GEGEN LEIBNIZ SELBST ALS ECHTEN DEUTSCHEN“VERTEIDIGEN
7. „SEINE LANDSLEUTE HABEN GUTES RECHT …“
8. „FRIEDENSAPOSTEL“ UND „RECHT AUF EIGENE ENTWICKLUNG“
9. „IRGENDWIE DENKT ER SCHON AN DEN …“
10. „LEHRER UND ERZIEHER“
BIBLIOGRAPHIE
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER
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Gottfried Wilhelm Leibniz: Rezeption, Forschung, Ausblick
 3515119620, 9783515119627

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Gottfried Wilhelm Leibniz Rezeption, Forschung, Ausblick Herausgegeben von Friedrich Beiderbeck, Wenchao Li und Stephan Waldhoff

Philosophie

300

Franz Steiner Verlag

Gottfried Wilhelm Leibniz Rezeption, Forschung, Ausblick Herausgegeben von Friedrich Beiderbeck, Wenchao Li und Stephan Waldhoff

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11962-7 (Print) ISBN 978-3-515-11963-4 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS VORWORT (Wenchao Li) ............................................................................. 17  ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................... 25 QUELLENKUNDE (Stephan Waldhoff)   1. Einleitung ....................................................................................... 29  2. Zu Lebzeiten publizierte Schriften ................................................. 37  3. Der Nachlass .................................................................................. 41  3.1. Leibniz’ Nachlass: Ein vieldeutiger Begriff für einen schwer abgrenzbaren Bestand ................................ 41  3.2. Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek ................ 47  Leibniz-Briefwechsel (LBr) – Exkurs: LK-MOW – LeibnizHandschriften (LH) – Leibnitiana in der Signaturengruppe Ms – Exkurs: ‚Kryptobestände‘ von Martin Fogel und Cristobal de Rojas y Spinola – Leibniz’ persönliche Bibliothek und Leibniz’ Marginalien (Leibn. Marg.)

3.3. Hannover, Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NLA Hannover) .................................................. 60  3.4. Ein ‚Nebennachlass‘: Leibniz’ Berliner ‚Schreibtisch‘ ........ 61  Berlin, Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften – Warschau, Biblioteka Narodowa, III. 4879 – Exkurs: Sankt Petersburg, Russische Nationalbibliothek, Sammlung Dubrowski

4. Überlieferungen aus Leibniz’ amtlichen Tätigkeiten außerhalb des Nachlasses ............................................................... 69  4.1. Allgemeine Probleme der amtlichen Überlieferung ............. 69  4.2. Hannover, Niedersächsischen Landesarchiv Hannover ........ 72  4.3. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek ............................. 77  4.4. Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz ..... 80  5. Überlieferungen auf Seiten der Korrespondenzpartner (exemplarisch) ................................................................................ 82  5.1. Hermann von der Hardt ........................................................ 84  5.2. Johann Friedrich Hodann ...................................................... 86  5.3. Johann Andreas Schmidt....................................................... 88 5.4. Heterogene Empfängerüberlieferungen in Autographensammlungen...................................................... 90  Forschungsbibliothek Gotha – Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz 

6

Inhaltsverzeichnis

6. Aus dem Nachlass veröffentlichte Schriften, frühe Sammler und frühe Ausgaben (18. Jahrhundert) .................................................. 94  6.1. Die Amtsnachfolger als Nachlassverwalter .......................... 95  Johann Georg Eckhart – Johann Daniel Gruber – Christian Ludwig Scheidt – Heinrich Julius Friedrich Busch – Rudolf Erich Raspe 

6.2. Joachim Friedrich Feller ..................................................... 100  6.3. Frühe Sammler und Herausgeber........................................ 102  Leibniz-Korrespondenten als Sammler und Herausgeber – Editorische Bemühungen im Kreis um Wolff – Kortholt 

6.4. Der Nachlass wird (etwas) zugänglich ............................... 108  Samuel König – Abraham Gotthelf Kästner................................................  

6.5. Louis Dutens’ Opera omnia................................................ 112  6.6. Christoph Gottlieb von Murr .............................................. 113  7. Editionen des 19. und 20. Jahrhunderts ....................................... 113  7.1. Das Consilium Aegyptiacum und das Systema theologicum .................................................... 115 7.2. Editionstätigkeit im Umfeld der Bibliothek ........................ 117  Johann Georg Heinrich Feder – Georg Heinrich Pertz – Onno Klopp 

7.3. Editionen in regionalen und landesgeschichtlichen Zeitschriften ........................................................................ 122  7.4. Gottschalk Eduard Guhrauer............................................... 124  7.5. Johann Eduard Erdmann ..................................................... 126  7.6. Carl Immanuel Gerhardt ..................................................... 127  7.7. Louis Alexandre Foucher de Careil .................................... 130  7.8. Thematisch beschränkte Editionen ..................................... 131  7.9. Louis Couturat .................................................................... 134  7.10. Gaston Grua ...................................................................... 135  8. Die Akademie-Ausgabe ............................................................... 137  8.1. Zur Geschichte der Akademie-Ausgabe ............................. 137  8.2. Die Reihen der Akademie-Ausgabe.................................... 140  I. Reihe: Allgemeiner, politischer und historischer Briefwechsel – II. Reihe: Philosophischer Briefwechsel – III. Reihe: Mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Briefwechsel – IV. Reihe: Politische Schriften – V. Reihe: Sprachwissenschaftliche und historische Schriften – VI. Reihe: Philosophische Schriften – VII. Reihe: Mathematische Schriften – VIII. Reihe: Naturwissenschaftliche, medizinische und technische Schriften 

9. Hilfsmittel zur Akademie-Ausgabe ............................................. 149  9.1. Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (Ritterkatalog) ............ 149  9.2. Kumulierte Verzeichnisse der Akademie-Ausgabe ............ 152  9.3. Konkordanzen ..................................................................... 155  Fundorte ........................................................................................... 157  Bibliographie .................................................................................... 158 

Inhaltsverzeichnis

FÜRSTENHOF – GELEHRTENREPUBLIK AKADEMIE – BIBLIOTHEKSWESEN   FÜRSTENHOF UND GELEHRTENREPUBLIK (Nora Gädeke)   1. Einleitung ..................................................................................... 169  2. Bis 1740 1: Die Memorialtexte .................................................... 172  3. Bis 1740 2: Die ersten quellengestützten Werke ......................... 178  4. Perspektivenwechsel um die Mitte des 18. Jahrhunderts ............. 181  5. Nach der Französischen Revolution ............................................ 185  6. Vor 1866: Politisierung und Hofkritik ......................................... 187  7. 1866 und danach: Die hannoversche und die borussische Perspektive ................................................................................... 189  8. Die Rolle des „Weltweisen“ am Hofe in der Kritik ..................... 195  9. Die neue Heimat: Die Gelehrtenrepublik..................................... 198  10. Die neueren Biographien und Lexikonartikel ............................ 199  11. Gegenwart und Ausblick: Spielräume, Inszenierung, symbolisches Kapital, Netzwerke ............................................. 201  Bibliographie .................................................................................... 205  AKADEMIE (Stefan Luckscheiter)   1. Frühe Darstellungen ..................................................................... 213  2. Fortschreiten der Edition .............................................................. 214  3. Die wichtigsten Werke über Leibniz und die Berliner Sozietät... 217  3.1. Jean Henri Samuel Formey ................................................. 217  3.2. Christian Bartholmèss ......................................................... 219  3.3. Adolf Harnack ..................................................................... 220  3.4. Wilhelm Dilthey.................................................................. 223  3.5. Hans-Stephan Brather ......................................................... 224  4. Aspekte der Forschung................................................................. 225  4.1. Allgemeines ........................................................................ 225  4.2. Einzelne Akademiepläne .................................................... 226  4.3. Entwicklung der Akademiepläne ........................................ 227  4.4. Verhältnis zu anderen Akademien und Akademieplänen ... 228  4.5. Politische Urteile ................................................................. 230  4.6. Philosophische Urteile ........................................................ 231  4.7. Der historische Hintergrund ................................................ 232  5. Aspekte der Forschung zur Berliner Sozietät .............................. 233  5.1. Bücherwesen und Kalenderverlag ...................................... 234  5.2. Bücherzensur....................................................................... 236  5.3. Seidenbau ............................................................................ 237  5.4. Medizin ............................................................................ 237  5.5. Sprachforschung ................................................................. 239  5.6. Wissenschaftliche Sammlungen ......................................... 239  5.7. Sozietätsbibliothek .............................................................. 240 

7

8

Inhaltsverzeichnis

5.8. Weitere Vorschläge ............................................................. 240  5.9. Leibniz und das Konzil ....................................................... 240  5.10. Sozietät und Hugenotten ................................................... 242  5.11. Verschiedenes ................................................................... 242  6. Vermischtes zur Rezeption von Leibniz’ Vorschlägen................ 243  7. Schluss ......................................................................................... 244  Bibliographie .................................................................................... 245  BIBLIOTHEKSWESEN (Margherita Palumbo)   1. Eine bloße biographische Angabe................................................ 256  2. Licht und Schatten: Leibniz als Bibliothekar in Hannover und Wolfenbüttel ................................................................................. 257  3. Leibniz als Bibliothekar: ein Thema für sich ............................... 259  4. Alte und neue Wege ..................................................................... 261  5. Bibliothek und Politik .................................................................. 262  6. Neue Wege der Forschung ........................................................... 264  7. Fazit .............................................................................................. 265  Bibliographie .................................................................................... 267  JURISPRUDENZ – POLITIK – GESCHICHTE   SPRACHWISSENSCHAFT – DICHTUNG JURISPRUDENZ (Matthias Armgardt)   1. Einleitung ..................................................................................... 273  2. Römisches Recht und Logik ........................................................ 273  3. Zivilrechtsdogmatik und Kodifikationspläne............................... 275  4. Öffentliches Recht........................................................................ 277  5. Naturrecht und Metaphysik .......................................................... 277  6. Abgrenzungen zu den zeitgenössischen Philosophen .................. 278  7. Recht und Philosophie als Einheit ............................................... 279  Bibliographie .................................................................................... 280 

Inhaltsverzeichnis

POLITIK (Friedrich Beiderbeck)   1. Quellen und Rezeptionsgeschichte .............................................. 285  1.1. Quellen und Kontexte ......................................................... 285  1.2. Rezeption im 18. Jahrhundert ............................................. 290  1.3. Rezeption im 19. Jahrhundert ............................................. 291  1.4. Rezeption im 20. und 21. Jahrhundert ................................ 292  2. Forschungsgeschichte .................................................................. 294  2.1. Politik, Staat und Herrschaft ............................................... 294  Politikberatung und –verständnis – Staat und Herrschaft – Staatsreform

2.2. Reichsverfassung, Kirche und Europa ................................ 303  Reichsgedanke – Souveränität – Kirchenpolitik – Europa – Frieden – Recht und Rechtsberatung – Russland und China – Geopolitik 

2.3. Dynastie, Gemeinwohl und Kultur ..................................... 319  Dynastie – Neunte Kur – Englische Sukzession – Wirtschafts- und Finanzpolitik – Gemeinwohl – Erziehung und Bildung – Kulturbegriff  

3. Forschungsperspektiven ............................................................... 329  Bibliographie .................................................................................... 333  GESCHICHTE (Gerd van den Heuvel)   1. Welfische Dynastiegeschichte und Reichsgeschichte im Anschluss an Leibniz .............................................................. 344  2. Paradigmenwechsel in der Aufklärungshistorie: Universalgeschichte und ‚moderne‘ Landesgeschichte ............... 347  3. Leibnizʼ historische Arbeiten im universitären Lehrbetrieb zum jus publicum und in der Debatte um das mittelalterliche deutsche Kaisertum ...................................................................... 348  4. Die Entdeckung von Leibnizʼ Geschichtswerk durch die Mediävistik ................................................................................... 350  5. Leibnizʼ historiographiegeschichtliche Einordnung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts .................................. 352  6. Die Beurteilung des Historikers Leibniz im Lichte seiner Philosophie ................................................................................... 353  7. Kontinuitäten und Erweiterungen der Perspektive nach 1945 ..... 355  Bibliographie .................................................................................... 358  SPRACHWISSENSCHAFT (Cristiana Marras)   1. Schriften, Schnipsel und verstreute Blätter .................................. 363  2. Ediertes und Nichtediertes ........................................................... 366  3. Die Rezeption von Leibniz’ Sprachbegriff .................................. 371  4. Themen und Probleme ................................................................. 373  4.1. Denken, Sprache und Wissen ............................................. 374 

9

10

Inhaltsverzeichnis

4.2. Ex indicio linguarum: Die Sprachgeographie zwischen empirischer, etymologischer und philologischer Forschung ............................................................................ 382  4.3. Sprachen, Politik und Gesellschaft ..................................... 386  4.4. Das philosophische Vokabular der Moderne ...................... 388  5. Erbe und Perspektiven der Forschung ......................................... 390  Bibliographie .................................................................................... 392  DICHTUNG (Annette Antoine)   1. Leibniz’ dichterisches Schaffen ................................................... 403  2. „Zum Dichter geboren“ – im Spannungsverhältnis zwischen drei Sprachen ................................................................ 404  3. Zum Verhältnis zwischen Poesie und Philosophie ...................... 407  4. Die Frage nach dem Deutschen ................................................... 410  5. Leibniz im Ersten Weltkrieg ........................................................ 415  6. Im Fokus: Das Epicedium an Sophie Charlotte ........................... 417  7. Aktuelle Wahrnehmungen: Popularisierung, Bezugnahmen und die Frage nach einer Poetik der Moderne.............................. 418  Bibliographie .................................................................................... 423 ERKENNTNISTHEORIE – MONADENTHEORIE UND MONADOLOGIE – LOGIK – THEOLOGIE  ERKENNNISTHEORIE (Stephan Meier-Oeser)   1. Leibniz’ Erkenntnistheorie im Spannungsfeld von Editions-, Interpretations- und allgemeiner Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte .............................................................. 429  2. Erkenntnistheorie bei Leibniz? .................................................... 430  3. Die Philosophie der Erkenntnis als Kern der Metaphysik ........... 432  4. Leibniz’ Erkenntnistheorie im Gegenhalt .................................... 436  4.1. Contra Hobbes: Verhältnisanalogie versus ‚Ultranominalismus‘............................................................ 436  4.2. Contra Descartes: Kognitive Funktion der Zeichen versus „pure intellection“ .................................................... 437  4.3. Contra Locke: ‚Idées innées‘ und ‚petites perceptions‘ versus empiristischer Reduktionismus ............................... 443 

Inhaltsverzeichnis

5. Zur Rezeption der Leibniz’schen Erkenntnistheorie ................... 445  5.1. Die Rezeption der Meditationes de cognitione ................... 446  Die Tradition der cognitio symbolica – Die cognitio symbolica im Wolffianismus – Kants Transformation des Symbolbegriffs – Die cognitio symbolica im 19. und frühen 20. Jahrhundert 

5.2. Universale Repräsentation, ‚petites perceptions‘ und ‚point de vue‘: Leibniz’ Einfluss auf die Hermeneutik und die Grundlegung der modernen Geschichtstheorie ...... 465  5.3. Cognitio clara et confusa: Leibniz und die Entstehung der Ästhetik ......................................................................... 470  5.4. Das Erscheinen der Nouveaux essais 1765 ......................... 473  5.5. Leibniz’ Erkenntnistheorie im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert .................................................................... 480  Bibliographie .................................................................................... 482  MONADENTHEORIE UND MONADOLOGIE (Hanns-Peter Neumann)   1. Einleitung ..................................................................................... 497  2. Der Monadenbegriff bis zur Monadologie................................... 500  3. Entstehungsgeschichte und Kontext der Monadologie ................ 507  4. Kurze Überlieferungs- und Editionsgeschichte der sogenannten Monadologie............................................................ 509  5. Der universale Anspruch der Monadentheorie und das Themenspektrum der Monadologie: Ein kurzer Überblick über die Hauptpunkte der Monadenlehre ..................................... 512  5.1. Monaden, Monadenaggregate und Komposita ................... 512  5.2. Appetit, Perzeption und Monadenhierarchie ...................... 514  5.3. Gott, Monadenwelten und die Schöpfung des ‚mundus optimus‘ ................................................................ 515  5.4. Monaden, Monadenaggregate und Komposita in Übereinstimmung bringen: Prästabilierte Harmonie........... 516  6. Schlaglicht der frühen Rezeptionsgeschichte: Popularität und Diskussion des Monadenkonzepts 1746 bis 1748 ........................ 519  7. Die Kontroverse um das Monadenkonzept am Beispiel der neueren angloamerikanischen Forschungsdiskussion zwischen 1985 und 2015 .............................................................. 525  8. Forschungsdesiderate ................................................................... 530  Bibliographie .................................................................................... 531  LOGIK (Volker Peckhaus)   1. Publikations- und Editionsgeschichte .......................................... 537  2. Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte .......................................... 538  3. Historisch-Systematische Untersuchungen .................................. 541  4. Logikhistorische Gesamtdarstellungen ........................................ 543  Bibliographie .................................................................................... 544 

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12

Inhaltsverzeichnis

THEOLOGIE (Ulrich Becker, Hartmut Rudolph, Klaus Unterbruger)   1. Zur Kenntnis der Quellen im 18. Jahrhundert.............................. 549  2. Zur Leibniz-Rezeption in der (vornehmlich deutschen) protestantischen Theologie ........................................................... 552  2.1. Die sogenannte Übergangstheologie oder vernünftige Orthodoxie und der Wolffianismus ..................................... 552  2.2. Orthodoxie, Eklektizismus und Pietismus .......................... 555  2.3. Die Neologie ....................................................................... 559  2.4. Idealismus und Subjektivismus........................................... 564  Daniel Friedrich Schleiermacher – Die Hegel-Schule: Ferdinand Christian Baur   

2.5. Vermittlungstheologie......................................................... 568  Der Erweckungstheologe August Tholuck – Der Harmatiologe Julius Müller  

2.6. Kulturprotestantismus und liberale Theologie .................... 573  Adolf Harnack – Die religionsgeschichtliche Schule: Ernst Troeltsch – Heinrich Hoffmann – Carl Heinz Ratschow 

2.7. Lutherrenaissance und Jungluthertum ................................ 581  Karl Holl – Werner Elert – Emanuel Hirsch – Heinrich Scholz  

2.8. Dialektische oder Offenbarungstheologie: Karl Barth (1886–1968) ...................................................... 586  2.9. Jüngere und gegenwärtige protestantische Theologie ........ 588 Jürgen Moltmann – Eberhard Jüngel – Wolfhart Pannenberg – Walter Sparn  

2.10. Die Zuwendung der Kirchen- und Theologiegeschichte zum Theologen und Ökumeniker Leibniz ........................... 593  3. Der Rekurs auf Leibniz in der katholischen Theologie ............... 598  3.1. Die Leibnizrezeption in der Theologie der katholischen Aufklärung .......................................................................... 599  3.2. Der Rekurs auf Leibniz am Beginn der ultramontanen Bewegung ............................................................................ 604  3.3. Leibniz und die historische und liberale Theologie im Umkreis von Ignaz von Döllinger ....................................... 608  3.4. Leibniz und die antiliberale und antimodernistische Reaktion in der katholischen Theologie .............................. 612  3.5. Leibniz im theologischen und ökumenischen Aufbruch im 20. Jahrhundert ............................................................... 617 3.6. Schlussfazit ......................................................................... 617  4. Versuch einer Zusammenschau ................................................... 621  Bibliographie .................................................................................... 623

Inhaltsverzeichnis

MATHEMATIK – DYNAMIK, PHYSIK, EXPERIMENT LEBENSWISSENSCHAFTEN – BERGBAU UND GEOLOGIE  MATHEMATIK (Eberhard Knobloch)   1. Quellenlage .................................................................................. 641  1.1. Im 18. Jahrhundert .............................................................. 641  1.2. Im 19. Jahrhundert .............................................................. 641  1.3. Im 20. Jahrhundert .............................................................. 643  1.4. Im 21. Jahrhundert .............................................................. 645  2. Einordnung der Rezeption, Bilanz bisheriger Forschung ............ 646  2.1. Leibnizens mathematischer Werdegang; der Einfluss anderer Mathematiker, insbesondere auf seine Erfindung des Calculus .............................................. 647  2.2. Der wissenschaftliche Umgang mit zeitgenössischen Mathematikern .................................................................... 648  2.3. Leibniz’sche neue Disziplinen ............................................ 648  Der Differential- und Integralkalkül – Die Analysis situs – Determinantentheorie, Ars characteristica – Dyadik 

2.4. Beiträge zu traditionellen mathematischen Disziplinen ..... 652  Zahlentheorie – Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung – Algebra – Geometrie – Finanz- und Versicherungsmathematik 

2.5. Einzelne mathematische Begriffe ....................................... 655  2.6. Einzelne mathematische Werke .......................................... 655  2.7. Querschnittthemen .............................................................. 656  2.8. Übersichten über Leibnizens mathematisches Schaffen ..... 657  3. Desiderata..................................................................................... 657  Bibliographie .................................................................................... 657  DYNAMIK, PHYSIK, EXPERIMENT (Hartmut Hecht)   1. Leibniz’ Dynamik. Historische Wirkungen ................................. 666  1.1. Kraft und Kraftmaß – zwei Abhandlungen als Geburtsurkunde der Leibniz’schen Dynamik ..................... 667  1.2. Die frühe Diskussion: Catelan und Papin ........................... 670  1.3. Die Fortsetzung der Kontroverse: MacLaurin und Mme. du Châtelet ................................................................ 674  1.4. Neue Prinzipien: Maupertuis und Euler .............................. 679  1.5. Hermann von Helmholtz und das Energieprinzip ............... 684  1.6. Max Planck – Geschichte als Reflexionshintergrund ......... 687  1.7. Ein erstes Resümee ............................................................. 692  2. Leibniz’ Dynamik. Perspektiven der Forschung.......................... 693  2.1. Geschichte und Systematik des Leibniz’schen Kraftbegriffs: Hans Stammel .............................................. 694  2.2. Reflexionsmedium Impetustheorie: Michael Wolff ........... 697 

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2.3. Maßbildung als methodologisches Problem: Oliver Schlaudt .................................................................... 700  2.4. Erhaltungsprinzip und Erhaltungsgesetz: Gideon Freudenthal ............................................................. 704  2.5. Physikalische vs. philosophische Prinzipien: István Szabó ........................................................................ 706  2.6. Zweites Resümee ................................................................ 709  3. Physik im Wandel ........................................................................ 709  3.1. Das mechanische Paradigma in der Physik ........................ 710  Bewegung in widerstehenden Medien – Bruchfestigkeitstheorie – Akustik – Akustik – Himmelsmechanik – Optik – Drittes Resümee  

3.2. Raum und Zeit..................................................................... 734  Kraft und Raum bei Leonhard Euler – Emilie du Châtelet über Augenblick und Dauer – Hans Reichenbachs Kausaltheorie der Zeit – Leibniz’ Begriffe von Raum und Zeit in historischer Perspektive: Heinrich Schepers  

3.3. Mögliche Welten ................................................................. 744  4. Experimente ................................................................................. 747  4.1. Drei Arten des Experimentierens ........................................ 748  4.2. Experimente im Praxistest .................................................. 752  4.3. Anschauung und Experiment .............................................. 755  5. Eine abschließende Bemerkung ................................................... 758  Bibliographie .................................................................................... 758  LEBENSWISSENSCHAFTEN (Justin E. H. Smith)   1. Leibniz und die Medizin .............................................................. 764  1.1. Öffentliches Gesundheitswesen undmedizinische Statisti ...................................................... 766  1.2. Pharmazeutik....................................................................... 767  1.3. Medizinischer Empirismus ................................................. 769  2. Organismus und Leben ................................................................ 771  Bibliographie .................................................................................... 774  BERGBAU UND GEOLOGIE (Friedrich-Wilhelm Wellmer, Jürgen Gottschalk)   1. Leibniz und der Harzer Bergbau .................................................. 777  2. Fortschritte beim Erkenntnisgewinn in der Forschung ................ 778  3. Leibniz’ deowissenschaftliche Studien ........................................ 781  Bibliographie .................................................................................... 785 

Inhaltsverzeichnis

DER WANDEL DES LEIBNIZ-BILDES (Wenchao Li)   1. „Zum höchsten Leid-Wesen der gelehrten Welt“ ........................ 792  2. „Ewige Zierde von Deutschland und Sachsen“ ........................... 794  3. „Vaterländische Gesinnung“ ........................................................ 796  4. „Ein schmutziger Geselle“ ........................................................... 798  5. „Vorkämpfer für das Deutsche Reiche“....................................... 799  6. „Leibniz … gegen Leibniz selbst als echten Deutschen“ verteidigen .................................................................................... 800  7. „Seine Landsleute haben gutes Recht …“ ................................... 801  8. „Friedensapostel“ und „Recht auf eigene Entwicklung“ ............. 802  9. „Irgendwie denkt er schon an den …“ ......................................... 805  10. „Lehrer und Erzieher“ ................................................................ 808  Bibliographie .................................................................................... 810 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS .................................................................. 816  PERSONENREGISTER ............................................................................... 817 

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VORWORT Wenchao Li 1. Die vorliegende Publikation geht zurück auf eine Initiative der seinerzeitigen Leibniz-Stiftungsprofessur in Hannover anlässlich der 300. Wiederkehr des Todestages von Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahre 2016. Über wissenschaftliche Tagungen, an die breite Öffentlichkeit gerichtete Veranstaltungen und Publikationen hinaus sollte mit diesem Projekt zum ersten Mal der Versuch unternommen werden, rückblickend die Quellenlage in Augenschein zu nehmen, die bisherigen Forschungsansätze einzuordnen, Desiderate zu benennen und Ausschau auf das noch zu Erwartende zu halten. Angesichts des reichhaltigen Materials und der noch nicht zu Ende gebrachten Akademie-Ausgabe von Leibniz’ Sämtlichen Schriften und Briefen, der gesellschaftlich wie wissenschaftlich und wissenschaftspolitisch wechselvollen Zeitspanne von gut drei Jahrhunderten, der Vielfalt der Themenbereiche und der großen Menge der Veröffentlichungen sind die beteiligten Kolleginnen und Kollegen sich des Anspruchs eines solchen Unterfangens und der damit verbundenen Herausforderungen bewusst. Kontroverse Besprechungen über die Strukturierung der Publikation, über die Themenzuweisung, die formale Gestaltung der Beiträge einschließlich eine Grenzziehung zwischen Überlieferung, Rezeption und Forschung etc. fanden in Wolfenbüttel (2015) und auf dem X. Internationalen Leibniz-Kongress in Hannover (2016) statt, ohne letztgültige Festlegungen, aber mit zahlreichen Inspirationen, doch mutig ans Werk zu gehen. So steht den genannten sachlichen Beschwernissen nicht weniger der Reiz (oder Ehrgeiz) gegenüber, Bilanzierungen zu wagen und Ausblicke zu riskieren. Aus der Not soll eine Tugend gemacht werden: Ohne Vorgabe eines rigiden Rahmens mögen die Autorinnen und Autoren ihre je eigene Sicht entfalten, Ausrichtung und Schwerpunkte ihrer Beiträge selbst bestimmen. Von der Freiheit scheinen alle Mitwirkenden, die in dem jeweiligen Themenbereich ausgewiesene Leibniz-Forscherinnen und -Forscher sind, reichlich und in einigen Fällen geradezu genüsslich Gebrauch gemacht zu haben. Vorgelegt wird nun eine facettenreiche Sammlung von Beiträgen, die gerade in ihrer Diversität vielleicht der Universalität der Leibniz-Hinterlassenschaft und der Vielschichtigkeit der Leibniz-Forschung gerecht werden könnten.

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2. Den Band leitet eine grundlegende, in die umfangreichen Bestände der Leibniz’schen Hinterlassenschaft und ihre wechselhafte Überlieferungs- und Publikationsgeschichte einführende Quellenkunde (Stephan Waldhoff) ein. Dabei galt es weder, eine Bibliographie in Fließtext zu übersetzen, noch, Handschriften in Archiven und Bibliotheken aufzulisten. Vielmehr werden handschriftliche Überlieferung und editorische Erschließung von Leibniz’ Schriften und Briefen auf ihre Entstehung und Geschichte und damit auf ihre Informationsgehalte und Bedingtheiten hin durchsichtig gemacht. Die drei Beiträge der zweiten Abteilung nehmen Rezeption und Forschung der institutionellen Voraussetzungen, aber auch Wirkungen von Leibniz’ Tätigkeiten in den Blick. Obwohl die soziokulturellen Bedingungen frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit erst in jüngerer Zeit ein zentraler Forschungsgegenstand der Wissen(schaft)sgeschichte geworden und demgemäß in der Leibniz-Forschung bisher eher zaghaft aufgegriffen worden sind, hat Leibniz’ sehr welthaltige Gelehrtenexistenz bereits früh das Interesse auf derartige Themen gelenkt. Fürstenhof und Gelehrtenrepublik sind zwei Koordinaten, die das Handeln des bürgerlichen Gelehrten grundlegend bestimmt haben, wenn auch keineswegs immer antagonistisch, wie es eine frühere Forschungsmeinung gesehen hat. Anhand von LeibnizBiographien spürt Nora Gädeke der wechselvollen Zuordnung von Leibniz’ Rolle zu den beiden Feldern nach und sieht in einer stärkeren Kontextualisierung neue Perspektiven. Die Akademie war als Ort wissenschaftlicher Forschung und gelehrten Austausches eine so junge Institution, dass sie Leibniz’ akademische Sozialisation noch nicht beeinflussen konnte. Vielmehr war sie Gegenstand seiner wissenschaftspolitischen Pläne in jungen und entsprechenden Aktivitäten in späteren Jahren. In Berlin waren seine Bemühungen von Erfolg gekrönt: Im Jahr 1700 wurde dort die Societät der Wissenschaften gegründet, die seitdem im Mittelpunkt des Interesses an Leibniz’ Akademieplänen steht. Stefan Luckscheiter wertet die Darstellungen und Forschungen zu diesem Thema allgemein und insbesondere zu der Berlin Societät aus. Das Bibliothekswesen bildete einerseits eine unverzichtbare Voraussetzung seiner gelehrten Tätigkeit, wie es andererseits in Hannover und Wolfenbüttel eines der Gebiete seiner praktischen Tätigkeit war und darüber hinaus auch seiner theoretischen Reflexion. Margherita Palumbo sieht in der bisherigen Forschung ein Schwanken zwischen einer Marginalisierung dieses Aspekts von Leibniz’ Wirksamkeit auf der anderen und einer gewissen Überschätzung seines Beitrages zur Bibliothekswissenschaft auf der anderen Seite. Der Fortschritt der Akademie-Ausgabe, vor allem in den Reihen I und IV, habe nicht nur zu neuen Perspektiven in der Interpretation seiner theoretischen Überlegungen, sondern auch zu einem ausgewogeneren Zugang zum Bibliothekar Leibniz geführt. Die dritte Abteilung umfasst Gebiete, von denen man nicht behaupten kann, sie ständen heute im Fokus der Leibniz-Forschung. Es sind merkwürdigerweise ausgerechnet jene Gebiete, die seine akademische Sozialisation und seine beruflichen Tätigkeiten maßgeblich bestimmt haben und auf denen er nicht zuletzt An-

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sehen durch seine Veröffentlichungen erlangt hat. Der Jurisprudenz galt nicht nur sein Fachstudium, sie bildete auch die Voraussetzung seiner beruflichen Karriere als fürstlicher Berater. Anhand von sieben Forschungsfeldern würdigt Matthias Armgardt die Erträge vor allem der letzten 25 Jahre und mahnt eine Gesamtdarstellung an. Nicht erst der Fürstendienst lenkte Leibniz’ Blick auf die Politik. Vielmehr resultierte bereits sein Entschluss, sein Glück am Hof zu suchen statt im engen Rahmen einer akademischen Existenz, aus einem – im weiten Sinne – politischen Verständnis der Gelehrsamkeit: Erkenntnisgewinnung und -verbreitung sollten dem Gemeinwohl dienen, indem sie Macht und Ressourcen des Staates vermehren sowie Sicherheit und Wohlfahrt der Untertanen fördern halfen. Der Beitrag von Friedrich Beiderbeck trägt diesem weiten Politikbegriff von Dynastie über Kirche und Kultur bis zu Reichsverfassung und Missionswesen Rechnung, wie er auch der Reihe der Politischen Schriften in der Akademie-Ausgabe zugrunde liegt. Die juristische und politische Tätigkeit im Fürstendienst verlangten ohnehin ein hohes Maß an Geschichtskenntnis. So richtig rückte die Geschichte aber erst in Leibniz’ Interesse, als er 1685 den Auftrag erhielt, als Hofhistoriograph die Geschichte des Welfenhauses zu schreiben. Dennoch war das Interesse der Fachwissenschaft an Leibnizʼ historischen Forschungen und seinen methodologischen Überlegungen zur Geschichte gering, besonders im 19. und 20. Jahrhundert. Gerd van den Heuvel zeigt einige epistemologische und wissenschaftsorganisatorische Rahmenbedingungen für die (Nicht-) Wahrnehmung des Historikers Leibniz auf und erörtert die Gründe für die fehlende Forschung sowie ausgebliebene Rezeption. In erster Linie die Erforschung der Geschichte, besonders der quellenarmen Vor- und Frühgeschichte führte Leibniz zur Sprachwissenschaft. Freilich erschöpfte sich sein Interesse an Sprachen und der Sprachwissenschaft nicht in ihrem Nutzen für die Historiographie. Es wurde zugleich aus der Philosophie, besonders aus seinem Bemühen um eine characteristica universalis, und aus vielfältigem Interesse an natürliche Sprachen genährt. Cristina Marras wertet die Quellenlage wie die Erträge bisheriger Forschung aus und skizziert neue Perspektiven. Dieser Beitrag verweist bereits auf die folgende Abteilung, aber zuerst schließen sich Annette Antoines Ausführungen zur Erforschung der Dichtung bei Leibniz und zur nicht unumstrittenen und bisher wenig beachteten Rezeption und Forschung des Poeten Leibniz an. Sie gehören in diese Abteilung nicht nur – oder sogar weniger –, weil sie sich zwanglos an das Thema ‚Sprache‘ anknüpfen lassen, sondern vor allem, weil die Mehrzahl seiner Gedichte mit seiner Existenz als Hofbeamter, aber auch mit seinen politischen Parteinahmen verbunden war. Zu den weiteren Themen zählen die Gelegenheitsgedichte auf andere Gelehrte, geistliche Lieder sowie satirische Verse; Neben der bereits von Fontenelle hoch gepriesenen neulateinischen Poesie und französischen Verse sind Gedichte in deutscher Sprache zu verzeichnen. Die Beiträge der vierten Abteilung gelten einigen zentralen Themen der Leibniz’schen Philosophie und Theologie. Maßgeblich hat Leibniz die Entwicklung der Erkenntnistheorie in Europa seit dem 18. Jahrhundert beeinflusst und auf die Herausbildung einer ganzen Reihe philosophischer Disziplinen, von der Anthro-

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pologie über die Psychologie bis zur Semiotik gewirkt; ein markantes Forschungsgebiet in der Gegenwart bildet die Philosophie des Geistes. Stephan Meier-Oeser setzt sich mit dieser vielfältige Rezeptionsgeschichte auseinander und hebt gleich zu Beginn seines Beitrages hervor, dass bei Leibnizʼ Erkenntnistheorie – ein ihm fremder Begriff – Erkenntnis zum einen zum Kern der Metaphysik gehört und zum anderen in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichte der Erkenntnistheorie des europäischen 17. und 18. Jahrhunderts steht. Zu den faszinierendsten und wirkmächtigsten Schriften und Gedanken der Leibnizʼschen Metaphysik zählen ohne Zweifel die Monadentheorie und Monadologie (HannsPeter Neumann). Die Entstehungsgeschichte und die Überlieferung des kleinen Werkes sind inzwischen gut erforscht und dokumentiert; nicht weniger vielfältig ist indessen die Rezeption, und kontrovers sind die Forschungsansätze. Volker Peckhaus weist ebenfalls daraufhin, dass die Logik von Leibniz mit einem umfassenden Programm zur Wissensgenerierung verbunden ist, das wiederum einen integralen Bestandteil seines metaphysischen Entwurfes ausmacht. Den Schwerpunkt seines Beitrages setzt Peckhaus auf die formal-logische Perspektive. Im Gegensatz etwa zur zuvor behandelten Erkenntnistheorie und der Monadentheorie sind wichtige Beiträge zur Logik allerdings erst seit gut hundert Jahren bekannt. Die Abteilung wird beschlossen mit einem von drei Autoren gemeinsam geleisteten Überblick über die Theologie (Ulrich Becker, Hartmut Rudolph und Klaus Unterburger). Leibniz war zwar kein Fachtheologe, aber er hat sich nicht nur zeitlebens stark für theologische Fragen interessiert, sondern auch für die (Wieder-)Vereinigung der katholischen mit den evangelischen Kirchen und der letztgenannten untereinander gearbeitet. Die Leibniz-Rezeption von theologischer Seite beschränkt sich jedoch nicht auf seine eigentlich theologischen oder kirchenpolitischen Arbeiten, schon gar nicht auf die berühmte Theodizee, sondern setzt auch bei seinem philosophischen Denken an – zunächst freilich gefärbt durch die Brille des Wolffianismus. Der umfangreiche Beitrag betrachtet die evangelische und die katholische Leibniz-Rezeption je für sich, wobei die unterschiedlichen Konjunkturen des Denkers in den verschiedenen Konfessionen bis in die Gegenwart hinein sichtbar werden. Von den Themen der fünften Abteilung gehört die Mathematik ebenfalls zu den zentralen Feldern der Leibniz-Forschung und prägt sein Bild sogar im öffentlichen Bewusstsein. Zugleich gehört dieses Arbeitsgebiet zu jenen, von denen ein sehr großer Teil der Leibniz’schen Manuskripte noch nicht veröffentlicht, geschweige denn gründlich erforscht ist, obwohl die Zahl seiner zu Lebzeiten veröffentlichten mathematischen Zeitschriftenartikel mit rund 60 nicht eben klein ist. Die schon zeitgenössische Prominenz des Mathematikers Leibniz und der Prioritätsstreit mit Newton haben die Forschung zudem schon früh angeregt. Eberhard Knobloch ordnet die bisherige Rezeption ein und benennt die Desiderate. Relativ gesehen betrifft das Problem der bisher kaum und erst in jüngster Zeit befriedigend edierten Quellen noch stärker Leibniz’ Beiträge zu Dynamik, Physik, Experiment (Hartmut Hecht). Gleichwohl sind seine Gedanken nicht ohne Einfluss auf die moderne Physik geblieben, wenngleich weniger in konkreten Problemlösungen, als vielmehr im Blick auf grundlegende Prinzipien. Hier bietet gerade Leib-

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niz’ Verbindung von Physik und Metaphysik fruchtbare gedankliche Ansatzpunkte. Spricht man über seine Gedanken in der Terminologie moderner naturwissenschaftlicher Disziplinen, ist das eigentlich immer anachronistisch – erst recht, wenn man einen so jungen Begriff wie Lebenswissenschaften benutzt (Justin E. H. Smith). Doch entspricht ein derartiges, Disziplinen übergreifendes Konzept dem Leibniz’schen Ansatz besser als eine Fixierung auf moderne Einzelwissenschaften. Es mag daher nicht nur mit der erst langsam anlaufenden Publikation der einschlägigen Manuskripte in den Reihen IV und VIII der Akademie-Ausgabe zusammenhängen, dass dieser Aspekt seiner intellektuellen Wirksamkeit erst in jüngster Zeit stärker in den Fokus der Leibniz-Forschung getreten ist. Ebenso wenig ist es wohl Zufall, dass eine der am frühesten etablierten wissenschaftlichen Disziplinen, die Medizin, bereits zuvor Aufmerksamkeit gefunden hatte. Wie die Medizin interessierten Leibniz auch Bergbau und Geologie aus durchaus praktischen Gründen. Der Bergbau im Harz stellte für seinen Landesherrn eine bedeutende Einnahmequelle dar. Allerdings beschränkte sich Leibniz’ Interesse nicht auf die technologische Seite. Für die Geschichte des Welfenhauses hat er als Beginn der historischen Darstellung unter dem Titel Protogaea eine Erdgeschichte verfasst. Friedrich-Wilhelm Wellmer und Jürgen Gottschalk verfolgen die technischen Fortschritte des Harzer Bergbaus in Anschluss an Leibniz’ Bemühungen und würdigen seine geowissenschaftlichen Studien, indem sie der Editions- und Forschungsgeschichte der Protogaea nachgehen. Der Wandel des Leibniz-Bildes (Wenchao Li) ist das Thema der letzten Abteilung. Dabei geht es nicht um wissenschaftliche Gesamtinterpretationen und gelehrte Biographik, sondern um Leibniz’ Indienstnahme als 'Identitätsfigur' im deutschsprachigen Raum von den Nachrufen auf den kürzlich Verstorbenen bis zum 300. Geburtstag im Jahr 1946. Wenn die Konjunkturen der Ideale und Wünsche, die auf den vor gut dreihundert Jahren verstorbenen Gelehrten projiziert wurden, in den hier untersuchten Texten besonders klar zu Tage treten, heißt dies nicht, dass die wissenschaftliche Detailforschung und die besonders objektiv erscheinenden Texteditionen davon frei wären. Insofern fällt von diesem letzten Beitrag her noch einmal neues Licht auf die in den vorangehenden Abteilungen dargestellten Themen. 3. Das Nachwirken des Universalgelehrten auf den unterschiedlichen Gebieten seiner intellektuellen Tätigkeit lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. Die Rezeption seiner Ideen musste nicht notwendig mit der Kenntnis ihres Urhebers einhergehen, und umgekehrt kann Kenntnisnahme nicht durchgängig mit Zustimmung gleichgesetzt werden. Auch in der Diachronie der Rezeptionsprozesse gibt es ebenso viele Brüche wie Kontinuitäten. Im Falle von Leibniz kommt hinzu, dass seine umfangreiche schriftliche Hinterlassenschaft bis heute nicht vollständig publiziert ist. Die Forschung hängt hier – stärker als bei anderen Denkern – immer

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auch von den Fortschritten der Edition ab. Ohnehin verschiebt sich die Rezeption von der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem gerade verstorbenen, gewissermaßen noch zeitgenössischen Gelehrten hin zu seiner Einordnung in die Wissenschaftsgeschichte, über den geforscht wird. Wann, mit welcher Geschwindigkeit und wie umfassend sich diese Verschiebung vollzieht, ist je nach Fachgebiet unterschiedlich. Und keineswegs handelt es sich dabei um einen unumkehrbaren Prozess. Themen, die zunächst im Mittelpunkt des Interesses stehen, können im Laufe der Zeit marginalisiert werden, während andere Aspekte in den Vordergrund drängen. Alte, als unfruchtbar aufgegebene Arbeitsfelder blühen durch neue Fragestellungen unverhofft wieder auf. In alle dem ist die Leibniz-Forschung in die Kontexte der inner- wie außerwissenschaftlichen Entwicklungen eingebunden, deren Trends und Turns sie folgt. Dabei treffen in ihr recht unterschiedliche disziplinäre Fachkulturen aufeinander. Diese Vielfalt der Rezeptionsbedingungen und -wege spiegelt sich in den Beiträgen wider. Sowohl die recht unterschiedlichen Textumfänge als auch der je eigene Duktus sind also nicht allein der gewährten Freiheit geschuldet: Die sachlichen Gründe liegen in der Vielfalt von Leibniz’ Denken und Wirken zum einen und in den unterschiedlichen Forschungsperspektiven, Forschungsständen und Forschungspotentialen zum anderen. 4. Auf zwei Punkte, die im Band wenig Beachtung fanden, sei an diesem Platz hingewiesen: die Leibniz-Forschung in den weiteren Sprachräumen und die digitale Herausforderung. Berücksichtigung in den Beiträgen fanden fast ausschließlich die in Deutsch, Französisch und Englisch veröffentlichten Forschungsarbeiten; in einigen wenigen Fällen sind Veröffentlichungen in italienischer Sprache erwähnt. Weitgehend unberücksichtigt geblieben sind die über die drei in der bisherigen LeibnizForschung in der Tat dominanten Sprachen hinausgehende inner- wie außereuropäische Forschung, die mit dem Fortschritt der Akademie-Ausgaben in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Entwicklung erfahren hat. Exemplarisch sei hier nur auf zwei groß angelegte Auswahlausgaben in Übersetzung hingewiesen, die in jüngerer Zeit erscheinen konnten oder noch im Erscheinen sind. Die japanische Leibniz-Ausgabe (Kousakusha-Verlag, Tokio) umfasst inzwischen 13 Bände. Nachdem die ersten zehn Bände (1988 bis 1999) vergriffen waren und 2018 ein Nachdruck erforderlich geworden ist, sind drei weitere Bände hinzugekommen, die den Philosophischen Briefwechsel (2015), die Jurisprudenz, Theologie und Geschichte (2016) sowie Technik, Medizin und Gesellschaft (2018) zum Inhalt haben. Die spanische Leibniz-Ausgabe Leibniz en Español – Obras filosóficas y científicas ist auf 23 Bände geplant, davon sind 11 erschienen. Dass die Rezeption und Forschung mittels einer anderen Sprache neues Potential freilegt und neue Perspektiven eröffnet, zeigt die japanische Diskussion zu den Fragen der Leibniz’schen Theodizee vor dem Hintergrund der Nuklearkatastrophe von Fukushima.

Vorwort

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Die zu Beginn des letzten Jahrhunderts begonnene Akademie-Ausgabe zählt zu den bekanntesten und bedeutendsten Langzeitvorhaben in Deutschland (und weltweit) und in ihrer neuen Ausrichtung war sie ein Kind ihrer Zeit, sprich ein Unternehmen der europäischen, hier in erster Linie, deutschen Editionstheorien und Editionspraxis des ausgehenden 19. Jahrhunderts; Ziel war es, der Forschung zuverlässige Texte bereitzustellen. Mit der späteren Einführung der weitgehend an der Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe orientieren Apparat- und Variantentechnik wurde das Editionsverfahren verfeinert. Der Computer-Einsatz seit den 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts hat der Edition deutlichen Fortschritt gebracht und der Edition wie der Forschung äußerst förderliche Hilfsmittel einschließlich Online-Präsentation ermöglicht. Eine größere und gegenwärtig noch in vollem Gang befindliche Herausforderung stellt die Digitalisierung in Form der vielversprechenden und vielbeschworenen Digital-Edition dar. Diese neue, keineswegs reife Technologie wird nicht nur der Edition neue Möglichkeiten bereitstellen und den Benutzern der Ausgabe neue Hilfsmittel zur Verfügung stellen: sie verändert das traditionelle Verständnis von Edition und den Habitus der Editorinnen und Editoren und wird langfristig den gewohnten Umgang mit Texten und das Verständnis von Lesen und Forschen grundlegend beeinflussen. 5. Aus einem Gemisch von Gegebenheiten ist es mir jedoch nicht vergönnt gewesen, das Projekt mit der nötigen Kraft und Zuversicht fortzuführen, was die starke Verzögerung der Drucklegung teilweise erklärt. Umso mehr bin ich meinen zwei Potsdamer Kollegen und Mitarbeitern Friedrich Beiderbeck und Stephan Waldhoff für ihre Bereitschaft dankbar, mir diese zeitweise als Bürde empfundene Arbeit abzunehmen und das auswärts begonnene Unternehmen an der Potsdamer Leibniz-Editionsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zum gelungenen Abschluss zu bringen. Den mitwirkenden Kolleginnen und Kollegen danke ich für ihr Engagement und Vertrauen: Von Anfang an war es nicht schwer, für das Projekt Mitstreiter und für die ausgewählten Themenbereiche Bearbeiterinnen und Bearbeiter zu gewinnen – bis auf das letzte Thema, das ich selber „ins Spiel“ gebracht hatte und am Ende notgedrungen selbst bearbeiten musste. Herbert Breger danke ich für die aktive Teilnahme an den Besprechungen und für die vielen fruchtbaren Gespräche außerhalb dieses Rahmens. Malte-Ludolf Babin sei für die Übersetzung des Beitrags von Cristina Marras aus dem Italienischen ins Deutsche herzlich gedankt; in den Dank eingeschlossen sind meine ehemaligen hannoverschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Alicia Lohmann (Berlin). Dem Steiner Verlag, der seit 1966 die Zeitschrift studia leibnitiana und die begleitenden Sonderhefte und Supplementa verlegt, danke ich für die geduldige Begleitung und für die freundliche Unterstützung. Potsdam, im Oktober 2019

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS A

Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe, hg. v. der Preußischen (später: Berlin-Brandenburgischen und Göttinger) Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Darmstadt (später: Leipzig, zuletzt: Berlin) 1923 ff. (Akademie-Ausgabe). C Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Extraits des manuscrits […] par Louis Couturat, Paris 1903 (ND Hildesheim 1961 und 1966). Dutens Gottfried Wilhelm Leibniz: Opera omnia, nunc primum collecta […] studio Ludovici Dutens, T. 1–6, Genevae 1768. FC Œuvres de Leibniz. Publiées pour la première fois d’après les manuscrits originaux. Avec notes et introduction par Foucher de Careil, T. 1–7. Paris, Firmin Didot, 1859–1875; T. 1–2, deuxième édition, 1867–1869 (ND Hildesheim, Olms, 1969). GM Gottfried Wilhelm Leibniz: Leibnizens mathematische Schriften, Bd. 1–7, hg. v. C. I. Gerhardt. Berlin (später: Halle) 1849–1863 (Neudruck: Hildesheim 1962). GP Gottfried Wilhelm Leibniz: Die philosophischen Schriften von Leibniz, Bd. 1–7, hg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Berlin 1875– 1890 (Neudruck: Hildesheim 1960–1961). Grua Gottfried Wilhelm Leibniz: Textes inédits dʼaprès les manuscrits de la Bibliothèque provinciale de Hanovre, vol. 1–2, publ. et ann. par Gaston Grua, Paris 1948. Klopp Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Werke von Leibniz, Reihe I, Bd. 1– 11, hg. v. Onno Klopp, Hannover 1864–1884. LBr Nieders. Landesbibliothek Hannover, Leibniz-Briefwechsel. Leibn. Marg. GWLB, Leibniz-Hand-exemplar mit eigenhändigen Eintragungen LH Nieders. Landesbibliothek Hannover, Leibniz-Handschriften. VE Vorausedition der Akademie-Ausgabe. WEITERE ABKÜRZUNGEN Abb. Abt. Anm. anon. Art.

Abbildung Abteilung Anmerkung anonym Artikel

Aufl. Ausg. BBAW Bd., Bde.

Auflage, Auflagen Ausgabe Berlin-Brandenbur-gische Akademie der Wissenschaften Band, Bände

26 betr. Bl. B.-L. bzw. ca. DDR

Abkürzungsverzeichnis

betreffend, betreffs Blatt Braunschweig-Lüneburg beziehungsweise circa Deutsche Demokratische Republik ders. derselbe dgl. dergleichen, desgleichen dies. dieselbe, dieselben Diss. Dissertation dt. deutsch ebd. ebenda Einl., eingel Einleitung, eingeleitet engl. englisch Erl., erl. Erläuterung, erläutert et al. und andere f., ff. folgend, fortfolgend Frz. Französisch Fasz. Faszikel FN Fußnote GB Großbritannien GND Gemeinsame Normdatei GWLB Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz HAB Herzog August Bibliothek HStA Hauptstaatsarchiv Hbde. Halbband, Halbbände Hg., hg. Herausgeber, herausgegeben J., Jg Jahr, Jahrgang Jh. Jahrhundert LK-MoW Leibniz-Korrespondenz – Memory of the World Ms. Manuskript N. Nummer in A Nbd. Nachtragsband NF Neue Folge ND Nachdruck NLA Niedersächsisches Landesarchiv Nr., Nrn. Nummer, Nummern NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei o. g. obengenannt o. J. ohne Jahresangabe

o. O. r r.-dt. Rez. S. s. Sbd. s. o. sog. s. u. s. v. Sp. Stl. Stl-Sh. Stl-Su. T. u. u. a. u. a. m. u. d. T. übers. UNESCO

u. ö. usf. u.s.w. v v. v. a. vgl. VIAF vol. Z. z. B. Zit., zit. z. T. * †

ohne Erscheinungsort recto römisch-deutsch Rezension Seite[n] siehe Sonderband siehe oben sogenannt siehe unten sub voce Spalte Studia Leibnitiana Studia Leibnitiana Sonderhefte Studia Leibnitiana Supplementa tomus, tome und und andere, unter anderem und anderes mehr unter dem Titel übersetzt United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization und öfter und so fort und so weiter verso von vor allem vergleiche Virtual International Authority File volume, volumen Zeile zum Beispiel Zitat, zitiert zum Teil geboren gestorben

QUELLENKUNDE

QUELLENKUNDE Stephan Waldhoff 1. EINLEITUNG1 Das Wort ‚Quellenkunde‘ zählt nicht zu jenen Begriffen, die von sämtlichen Wissenschaften benutzt und in ihnen fraglos bekannt sind. Es ist vor allem in der Geschichtswissenschaft zuhause. Aber auch hier wird das Wort eher gebraucht als definiert. Mustert man die Werke, die den Begriff im Titel führen oder jedenfalls sich als Quellenkunde verstehen, ist die Spanne dessen, was sie bieten, beträchtlich. Sie reicht von der bloßen, thematisch geordneten Bibliographie der edierten Quellen und der Sekundärliteratur über die detaillierte Behandlung der (vornehmlich historiographischen) Quellen eines bestimmten Zeitraums oder aus einem bestimmten Gebiet bis hin zu mehr oder weniger umfassenden Quellentypologien. Wenn im Folgenden eine auf Gottfried Wilhelm Leibniz zugeschnittene Quellenkunde geboten werden soll, ist es demnach nicht überflüssig, einleitend zu erklären, worum es dabei geht, was eine derartige Quellenkunde bieten soll und was sie nicht leisten kann. In der Philosophie und der Philosophiegeschichte, also in jenen Disziplinen, die den bei weitem umfangreichsten Anteil zur Leibniz-Forschung beisteuern, scheint der Begriff ‚Quellenkunde‘ kaum benutzt zu werden. Das deutet darauf hin, dass auch die Sache hier keine oder kaum eine Rolle spielt. In der Tat fristet die Behandlung der Quellen in den gängigen Standardhandbüchern ein Schattendasein. Friedrich Ueberweg hatte in der 1. Aufl. seines Grundrisses den § 4 der Einleitung den „Quellen und Hülfsmitteln der Geschichte der Philosophie“ gewidmet (Ueberweg 1863, 5–10). Den größten Teil davon nahm allerdings eine allgemeine Literaturübersicht ein, die aus späteren Auflagen verschwand. Die Ausführungen zum Thema, die freilich nicht einmal eine Druckseite füllten, hielten sich dagegen lange, bis sie in der 12. Aufl. zu einem vierzeiligen Absatz schrumpften (Ueberweg 1926 [1958], 7). In der derzeit erscheinenden Neubearbeitung des Ueberweg scheinen derartige Ausführungen gar nicht mehr vorgesehen zu sein. Immerhin erschien 1971 der erste Teil eines Werkes, das dem „Feh  1

Für Informationen und Unterstützung bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der im Beitrag genannten Institutionen, besonders bei Frau Anja Fleck (GWLB), Herrn Dr. Christian Hoffmann (NLA Hannover) und Frau Wiebke Witzel (Archiv der BBAW). Meine Hannoveraner Kollegin Nora Gädeke hat nicht nur zahlreiche Hinweise beigesteuert, sondern auch den ganzen Text gelesen und kritisch kommentiet.

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len einer handlichen Literatur- und Quellenkunde für das Studium der Philosophie“ abhelfen sollte (Geldsetzer 1971, 5). ‚Quellenkunde‘ ist hier rein bibliographisch verstanden. Dort, wo offensichtlich kaum Interesse an einer Frage besteht, ist ihre Beantwortung möglicherweise auch nicht relevant. Warum also sollte eine Quellenkunde zu Leibniz sinnvoll oder sogar notwendig sein? Für den Nutzen einer Quellenkunde zu Leibniz, so wie sie im Folgenden versucht wird, lassen sich vier gute Gründe benennen: 1. Der Leibniz-Forscher kann nicht einfach auf die eine maßgebliche Edition zurückgreifen. Die Akademie-Ausgabe (8.) als die erste und einzige Gesamtausgabe, die diesen Titel mit Recht beanspruchen kann und die als kritische Edition für die in ihr edierten Texte die maßgebliche Ausgabe bildet, schreitet zwar in den letzten Jahrzehnten zügig voran, angesichts der Masse des noch zu bearbeitenden Materials wird es gleichwohl noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis sie vollendet sein wird. Für Schriften und Briefe, die dort bisher noch nicht ediert worden sind, muss die Forschung auf eine Vielzahl qualitativ recht unterschiedlicher Ausgaben, manchmal schwer erreichbarer zeitgenössischer und postumer Drucke (die einschlägige Bibliographie [s. u.] zählt bis Mitte der 1930er Jahre fast 900 Nummern) und nicht zuletzt in erheblichem Umfang auf die Handschriften selbst zurückgreifen. Damit in diesem Labyrinth die Suche nicht in Frustration endet, möchten die folgenden Ausführungen Orientierung bieten. Dass es angesichts der unübersichtlichen und in Teilen unbefriedigenden Überlieferungslage manchmal daran fehlt, zeigen die in der Leibniz-Forschung leider nicht selten zu beobachtenden nachlässigen oder missverständlichen Zitationen von Signaturen oder Rückgriffe auf überholte Textausgaben. Derartige Fehler rächen sich, indem sie Missverständnisse und Fehlinterpretationen verursachen.2 2. Das in Anm. 2 angeführte Beispiel zeigt zudem, dass es für das Verständnis und die Beurteilung eines Leibniztextes wichtig, ja entscheidend sein kann, sich klarzumachen, wie und wo der Text überliefert und wie er dorthin gelangt ist, also nach der Provenienz zu fragen. Lässt sich, gerade bei unerwarteten Überlieferungsorten, die Herkunft nachzeichnen oder jedenfalls wahrscheinlich machen, können dadurch Hinweise auf den ursprünglichen Anlass des Textes, seine Verbreitung und Rezeption und in Einzelfällen auch über seine Authentizität gewonnen werden. So konnte Nora Gädeke zeigen, dass eine bisher zumeist als apokryph eingeschätzte Aussage der preußischen Königin Sophie Charlotte, die aus einem verlorenen Brief an Leibniz stammen soll, wahrscheinlich doch echt ist (Gädeke 2011). Für die Einschätzung der Echtheit des berühmt-berüchtigten Leibnizbriefes, den Samuel König 1751 bekannt gemacht hat, spielt die Überliefe  2

Um nur ein recht aktuelles Beispiel zu nennen: Bredekamp 2012 rechnet pauschal Manuskripte von anderen Händen, deren Bezug zu Leibnizʼ Manuskripten in demselben Handschriften-Konvolut unklar ist, Leibniz zu, weil er sie mit falscher Signatur (LH statt Ms; vgl. 3.2.2. und 3.2.3.) anführt und damit als Teile des Leibniz-Nachlasses missversteht (van den Heuvel 2013, 385-386).

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rung der allein bekannten Abschriften ebenfalls eine große Rolle (6.4.1.). Die Frage nach der Provenienz ist auch eine nach dem biographischen Kontext einer Schrift, und dieser ist in Leibniz’ Fall nicht mit der für so manchen Gelehrten treffenden Feststellung abzutun, dass seine Bibliographie die Biographie ersetze. Vielmehr sind Leben und Schriften untrennbar miteinander verbunden. Mit Recht hat bereits Gottschalk Eduard Guhrauer (7.4.) eine geforderte Gesamtausgabe charakterisiert: „Man wird mithin seine literarischen Erzeugnisse durchgängig auf sein Leben beziehen, beides auf einander [...] in stetige Verbindung setzen. [...] Das Leben Leibnitzens wird einen integrirenden Theil seiner sämmtlichen Werke bilden“ (Guhrauer 1841, 335). 3. Die Kenntnis der Überlieferungsgeschichte vor allem des handschriftlichen Materials ist jedoch nicht nur für derartige Fragen und für jene Schriften und Briefe, die bisher noch nicht ediert oder auch nur gedruckt vorliegen, von Bedeutung, sondern grundsätzlich auch für die effiziente Nutzung der in den Angaben der Akademie-Ausgabe zur jeweiligen „Überlieferung“ und in den jeweiligen Stückeinleitungen zu findenden Informationen. Eine kritische Edition verlangt nach einem kritischen und möglichst informierten Nutzer, wenn der Mehrwert, den sie an Informationen gegenüber bloßen Textabdrucken, aber auch gegenüber den Originalen selbst bietet, genutzt werden soll. 4. Schließlich ist erst kürzlich darauf hingewiesen worden, dass kritische Editionen zwar „die Grundlage für jede philosophisch-wissenschaftliche Beschäftigung mit klassischen Texten der Philosophie“ bildeten, dass sie aber kaum in einer Weise genutzt werden, die ihre Informationen ausschöpfte (Esser 2014, 23). Aber auch ein systematisch ausgerichtetes philosophisches Interesse könne nicht auf eine historische Einordnung und kritische Sicherung der untersuchten Texte verzichten, wenn interpretatorische Verzerrungen oder gar Fehlinterpretationen vermieden werden sollen (ebd., 24 f.). Für Leibniz gilt dies in besonderem Maße, nicht zuletzt, weil (noch) nicht durchgängig auf die eine maßgebliche Ausgabe zurückgegriffen werden kann, sondern vielfach noch ältere Drucke und Editionen heranzuziehen sind, deren jeweilige Zuverlässigkeit, Auswahl und Reichweite der Nutzer möglichst einschätzen können sollte. Schließlich sollen die folgenden Ausführungen im Kontext des vorliegenden Bandes grundlegende Fakten über die Publikationsgeschichte von Leibniz’ Briefen und Schriften bereitstellen und aus dieser Perspektive zum Verständnis der Rezeption und Erforschung seiner Gedanken beitragen, die das Thema der übrigen Beiträge bilden. Nachdem der Nutzen einer Quellenkunde zu Leibniz begründet worden ist, stellt sich die Frage: Was also soll im Folgenden geboten werden? Ihre Beantwortung ist nicht ganz einfach. Zunächst kann gesagt werden, worum es sich nicht handelt, nämlich zum ersten nicht um eine Zusammenstellung der Sekundärliteratur. Die Literatur bis 1990 ist erschlossen durch: Leibniz-Bibliographie. Die Literatur über Leibniz bis 1980. Zweite, neu bearb. Aufl., begründet von Kurt Müller, hg. von Albert Heinekamp (=Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 10), Frankfurt/M. 1984.

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Stephan Waldhoff Leibniz-Bibliographie. Band 2: Die Literatur über Leibniz 1981–1990, begründet von Kurt Müller, hg. von Albert Heinekamp (†) unter Mitarbeit von Marlen Mertens (=Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 12), Frankfurt/M. 1996.

Die Grundlage für den zweiten Band bildete die laufende Bibliographie der Studia Leibnitiana. Diese laufende Bibliographie erschien zuletzt im 30. Jahrgang 1998. Seitdem wird sie als „Leibniz-Bibliographie online“ fortgesetzt: http://www.leibniz-bibliographie.de/DB=1.95/

Diese Datenbank enthält nicht nur die in den beiden genannten Bänden erschlossene Sekundärliteratur, sondern auch Ausgaben von Leibniz’ Briefen und Schriften. Sie wird laufend um die Neuerscheinungen ergänzt und bildet damit die vollständigste und zuverlässigste Leibniz-Bibliographie. Für jede Quellen- und Literaturrecherche sollte sie den Ausgangspunkt bilden. Zum zweiten geht es nicht um eine rein bibliographische Erfassung der gedruckten Quellen. Das wäre quantitativ zu viel, qualitativ zu wenig – und ist im Übrigen ohnehin bereits weitestgehend geleistet: Émile Ravier: Bibliographie des œuvres de Leibniz, Paris 1937. ND Hildesheim 1966.

Diese Bibliographie umfasst sowohl die von Leibniz selbst publizierten Schriften, Aufsätze und Rezensionen (2.) als auch das nach seinem Tod veröffentlichte Material und das, was bis 1935 ediert worden ist. Für die Zeit nach 1716 ist die Bibliographie streng chronologisch geordnet. Die drei großen Kapitel, die dem 18., 19. und 20. Jahrhundert gewidmet sind, werden jeweils durch einen beschreibenden Überblick eingeleitet. Der Inhalt der jeweiligen Ausgaben wird bis auf den einzelnen Brief, das einzelne Schriftstück nachgewiesen. Ein Anhang zu den „großen Editionen“ (ebd., 531–669) schlüsselt auf diese Weise die Ausgaben von Dutens (6.5.), Gerhardt (7.6.), Foucher de Careil (7.7.), Klopp (7.2.3.) und die ersten Bände der Akademie-Ausgabe (8.2.) auf. Der Band wird durch Register der Herausgeber, Korrespondenzpartner und Werke von Leibniz erschlossen. Es handelt sich um eine beeindruckende Arbeit, auch wenn die Bibliographie weder ganz vollständig, noch fehlerfrei ist (eine umfangreiche Liste mit Korrekturen und Ergänzungen findet sich in Schrecker 1938). Für die Recherche bietet jetzt der Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) zumeist einen bequemeren und aktuelleren Zugang. Wenn es also „nicht darum gehen“ kann, „die gesamte Bibliographie von Ravier in Prosa zu übersetzen“ (Lorenz 2007, 74), so sollen ebenfalls keine Werkbeschreibungen geboten werden. Nicht allein, dass solche bereits vorliegen (Ueberweg 2001, 1023–1042), sie sind in Leibniz’ Fall auch nicht unproblematisch, weil sich bei ihm kaum Hauptwerke benennen lassen, in denen sein Denken konzentriert dargestellt wäre. Vielmehr muss man ihm in einer Vielzahl von (zumeist kleinen) Schriften und Aufzeichnungen und nicht zuletzt in seiner umfangreichen Korrespondenz nachspüren, so dass auch relativ breit gefächerte Werkbeschreibungen, wie sie der Ueberweg bietet, die Gefahr einer zu starken Reduktion in sich tragen. Selbst ihre massive quantitative Ausweitung könnte diese Gefahr

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nicht ausschalten. Ein derartiger Ansatz ließe sich ohnehin nicht durch einen einzigen Autor verwirklichen. Ebenso wenig kann eine Typologie des Quellenmaterials geboten werden. Das wäre in mancher Hinsicht zwar reizvoll, müsste aber letztlich auf eine allgemeine Darstellung jener Quellengattungen hinauslaufen, die im Zusammenhang mit Leibniz begegnen. Für die im Rahmen seiner amtlichen Tätigkeit entstandenen Schriftstücke liefe das auf eine Aktenkunde hinaus (vgl. etwa Meisner 1952; Hochedlinger 2009). Für die nichtamtlichen, persönlichen Aufzeichnungen fehlt es ohnehin weitgehend an entsprechenden quellentypologischen Vorarbeiten, nicht nur für Leibniz selbst (ganz knapp O’Hara 1998, 167), sondern auch im Allgemeinen (vgl. immerhin ganz knapp Regeln 2010, 11 f.; etwas ausführlicher Jaffro 2014; detailliert und systematisch, aber ganz auf die Produzenten schöner Literatur bezogen Hahn 1969).3 Zudem müssen alle Quellen über Leibniz unberücksichtigt bleiben. Insoweit sie zur frühen Leibniz-Rezeption zu zählen sind, fallen sie ohnehin in die Zuständigkeit der Beiträge in den folgenden Abteilungen dieses Bandes. Eine letzte Einschränkung ist besonders bedauerlich, weil sie nicht wie die vorangehenden aus prinzipiellen Erwägungen erwachsen ist, sondern aus Zwängen der Zeit- und Platzersparnis. Jetzt endet die vorliegende Quellenkunde mit der Darstellung der Akademie-Ausgabe (8.) und der sie begleitenden Hilfsmittel (9.). Das lässt sich zwar gut begründen, handelt es sich doch um die maßgebliche kritische und nach Vollendung erstmals vollständige Edition Sämtlicher Schriften und Briefe, aber diesen beiden Abschnitten hatte ein weiterer folgen sollen, der kritische Editionen außerhalb der Akademie-Ausgabe sowie vor allem zweisprachige Auswahlausgaben und Übersetzungen vorstellen sollte. Allerdings hätte eine derartige Zusammenstellung den Umfang erheblich ausweiten müssen, selbst wenn sie sich nur auf eine systematisch gegliederte Bibliographie beschränkt hätte. Eine gewichtende Auswahl, wie sie im Folgenden für die älteren Ausgaben geboten wird, wäre bei aktuellen Editionen schwierig. Für einzelne Länder und Sprachräume kann auf instruktive Übersichten, welche die historische Entwicklung mit dem heutigen Stand verknüpfen, verwiesen werden: für Frankreich (Fichant 2012), den englischen Sprachraum (Garber 2012), Russland (Bayuk/Fedorova 2012) und über die derzeit erscheinende spanische Ausgabe (Nicolás 2012). Für „Leibniztexte im Internet“ sei auf die gleichnamige Zusammenstellung der Leibniz-Forschungstelle Münster verwiesen: https://www.uni-muenster.de/Leibniz/Leibniz_im_Internet/Leibniz_im_Internet.html

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Ein Punkt sollte hier freilich erläutert werden: Wie in der Akademie-Ausgabe (8.) wird auch hier im Folgenden der Begriff ‚Abfertigungʼ verwendet. Der Begriff ist 1954 von Kurt Müller in die Ausgabe eingeführt worden als ein „Kunstausdruck für einen tatsächlich abgegangenen Brief“ (A I,5 XXIII). Er entspricht damit ungefähr dem etwas umständlichen und altertümlichen aktenkundlichen Begriff der ‚behändigten Ausfertigungʼ (Hochedlinger 2009, 88), der eine Ausfertigung (also etwa einen ins Reine geschriebenen und unterschrieben Brief) bezeichnet, die den Adressaten tatsächlich erreicht hat.

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Das Portal „Leibniz Digital Resources“ der Gottfried-Wilhelm-LeibnizGesellschaft bietet neben Verlinkungen auf Editionen und ältere Drucke auch einen bequemen Zugang zu den Teilen der nachgelassenen Manuskripte, die von der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB) Hannover (3.2.) ins Netz gestellt worden sind: http://www.gottfried-wilhelm-leibniz-gesellschaft.de/leibniz-digital-resources.html

Zahlreiche – auch ungedruckte – eigene englische Übersetzungen bietet die Homepage von Lloyd Strickland: http://www.leibniz-translations.com/index2.php

Nachdem nun breit dargelegt worden ist, was diese Quellenkunde nicht sein soll und was in ihr nicht behandelt werden kann, muss erklärt werden, was sie will und was sie zu leisten hofft. Sie möchte dem Leser einen Überblick über das überlieferte Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz bieten und zwar sowohl in seinen nur handschriftlich als auch in seinen gedruckt vorliegenden Teilen. Dabei geht sie jedoch nicht in der Art eines Archivrepertoriums, eines Katalogs oder einer Bibliographie vor. Vielmehr soll die Überlieferung auf ihre Voraussetzungen und Grundlagen hin durchsichtig gemacht und in ihrer Genese erklärt werden. So soll die Sensibilität geschärft werden für die Geschichte der Papiere, die, wie bereits gesagt, für deren Interpretation von Relevanz sein kann. Bei der Fülle des Materials kann es nicht darum gehen, die einzelnen Schriften, Korrespondenzen oder gar Einzelbriefe vorzustellen. Vielmehr sollen bestimmte Überlieferungskontexte exemplarisch charakterisiert werden. Indem die Darstellung sich vielerorts auf Beispiele beschränken muss, wird sich in deren Auswahl dann doch ein Zug ins Typologische bemerkbar machen – freilich nur ansatzweise und implizit und in Richtung auf eine Typologie der Überlieferungsbedingungen und Rezeptionsformen. Aus diesem Ansatz folgt eine Gliederung des Stoffes, die auf den ersten Blick eher unsystematisch wirkt. Tatsächlich muss eine Darstellung, der es um die Überlieferungsbildung und Provenienz geht, bereits auf die grundlegende Unterscheidung von Manuskripten und Drucken verzichten, die wichtige Zusammenhänge auseinanderreißen müsste, da Sammlertätigkeit, verbunden mit Manuskriptüberlieferung, und Publikation, also gedruckte Überlieferung, häufig eng miteinander verknüpft sind (vgl. etwa 3.4.2. oder 6.6.). Vielmehr ist die Gliederung insgesamt grob chronologisch. Die Darstellung beginnt daher mit Leibniz’ zu Lebzeiten publizierten Schriften (2.). Es folgt ein Überblick über den Nachlass (3.). Die handschriftliche Überlieferung beschränkt sich jedoch nicht auf den persönlichen Nachlass, sondern geht auch auf Leibniz’ amtliche Tätigkeiten zurück (4.) und hat sich natürlich auch bei seinen Korrespondenzpartnern angesammelt und ist im Glücksfall auch erhalten (5.). Die weiteren Abschnitte (6.–9.) folgen strenger der Chronologie. Nun treten die Drucke klar in den Vordergrund. Allerdings ist so manches frühe Publikationsunternehmen im Sande verlaufen, hat aber durch die vorangehende Sammlungstätigkeit seines Initiators zur Bildung von Überliefe-

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rungen geführt, die fernab von Leibniz’ Wirkungsstätten und den Wohnorten seiner Korrespondenten aufbewahrt werden (vgl. etwa 3.4.2.). Dabei ist die Quellenkunde so konzipiert, dass sie im Ganzen durchgelesen werden kann – und auch sollte, wenn man an einem tieferen Verständnis der Entstehung und der Besonderheiten der Überlieferung von Leibniz’ Werk oder einzelner seiner Teile interessiert ist. Beim praktischen Gebrauch wird jedoch zumeist der schnelle, gezielte Zugriff auf einen speziellen Aspekt im Vordergrund stehen. Um ein bequemes und schnelles Nachschlagen zu ermöglichen, ist der Text relativ kleinteilig gegliedert. Zudem werden wichtige Informationen in verschiedenen Abschnitten wiederholt, was wohl auch bei durchgehender Lektüre hilfreich sein kann. Dass bei nur punktueller Lektüre relevante Kontextinformationen in anderen Abschnitten nicht übersehen werden, soll ein dichtes Netz von Querverweisen auf Abschnitte und Unterabschnitte gewährleisten. Es kann nicht Aufgabe dieses einführenden Überblicks sein, detaillierte Hinweise auf das Material zu geben. Das wäre in diesem Rahmen gar nicht zu leisten. Zudem kann für Einzelauskünfte auf den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition verwiesen werden (9.1.). Demnach kann die vorliegende Quellenkunde häufig nur exemplarisch vorgehen, nicht nur dort, wo dies explizit schon in der Überschrift gesagt wird (5.). Wenn der Leser hier und da auf spezielle Angaben stößt, dienen diese nicht der Hervorhebung der erwähnten Texte, sondern sollen das Gesagte an konkreten Beispielen plastisch illustrieren. Ungleichgewichte ergeben sich auch dadurch, dass manche Überlieferungen bereits gut erschlossen und erforscht, andere dagegen bisher ziemlich unbeachtet geblieben sind. Vorliegende Vorarbeiten ermöglichen eine detailliertere und präzisere Darstellung, die sich in anderen Fällen erst nach umfangreichen eigenen Forschungen ins Auge fassen ließe. Wo sich schwierige Überlieferungslagen erhellen lassen, gehen die Ausführungen stärker ins Detail als sonst (etwa in 3.4.1. und 4.2.). Der Zweck, die Überlieferungen in ihrer jeweiligen Genese verständlich zu machen, führt zu einer Darstellung, die nicht von den Aufbewahrungsorten des handschriftlichen Materials, den Bibliotheken und Archiven, ausgehen kann, sondern diese übergeordneten Gliederungspunkten unterordnen muss. Manche dieser Institutionen werden nicht einmal in den Überschriften genannt. Zudem kann eine Institution unter unterschiedlichen Gliederungspunkten angesprochen werden, auch wenn es zumeist einen Haupteintrag zu der jeweiligen Institution gibt. Um dennoch eine an den Aufbewahrungsorten orientierte Recherche zu gewährleisten, geht dem Literaturverzeichnis ein Fundorte-Verzeichnis voran, dem zu entnehmen ist, in welchem (Unter-)Abschnitt die gesuchten Aufbewahrungsorte behandelt werden. Von den übrigen Beiträgen unterscheidet sich dieser in der Zitation durch eine technisch-formale Abweichung. Wie dort wird die (eigentliche) Sekundärliteratur im Text mit Autorenname und Erscheinungsjahr zitiert und vollständig im Literaturverzeichnis nachgewiesen. Die hier vorgestellten Drucke und Editionen, aber auch Kataloge und andere Findhilfsmittel zu einschlägigen Beständen werden dagegen nicht im Literaturverzeichnis nachgewiesen, sondern an Ort und Stelle

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im Text vollständig bibliographiert. Spätere (oder auch frühere) Nennungen erfolgen ebenfalls mit Autorenname und Erscheinungsjahr, denen aber noch die Gliederungsnummer des (Unter-)Abschnitts vorangestellt ist, in dem sich die vollständige Titelaufnahme findet. Die obengenannte Bibliographie von Émile Ravier wird demnach zitiert als: 1: Ravier 1937. Ganz neu und vorbildlos ist der hier unternommene Versuch einer Quellenkunde zu Leibniz übrigens nicht. Ja, bereits am Beginn der Leibniz-Forschung steht ein Werk, das sich dieser Aufgabe verschrieben hatte: Carl Günther Ludovicis 1737 in zwei Bänden veröffentlichter Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Leibnitzischen Philosophie (Ludovici 1737). Der verhinderte Leibniz-Editor (vgl. 6.3.2.) hat in einer beeindruckenden Fleißarbeit das gesamte ihm zugängliche Wissen über Leibniz zusammengetragen. Quellenkundlich einschlägig sind die Zusammenstellungen der angekündigten und bereits erschienenen Leibniz-Ausgaben (Kap. V; hier überwiegen allerdings die nicht eingelösten Ankündigungen), die Auflistung der Verzeichnisse der (gedruckten) Schriften (Kap. VI) und der gedruckten Schriften selbst (Kap. VII), wobei Ludovici nicht zwischen zu Lebzeiten von Leibniz selbst publizierten und postum gedruckten Schriften und Briefen unterscheidet. Daran schließen sich im zweiten Band Aufstellungen über die ungedruckt gebliebenen, die verlorenen, unvollendeten, lediglich versprochenen und ihm fälschlich zugeschriebenen Schriften an (Kap. VIII– XII). Weitere Kapitel widmen sich den in den Acta Eruditorum veröffentlichten Beiträgen (Kap. XIII), Leibniz’ Gedichten (Kap. XV) und seiner Praxis, häufig anonym, pseudonym oder nur unter Initialen zu veröffentlichen (Kap. XIV). In Kap. XVI kann Ludovici immerhin 174 gelehrte Briefwechsel aufführen. Getrennt vom gelehrten Briefwechsel führt er vier Korrespondenzen mit Fürsten und neun mit „Königlichen, Fürstlichen, Gräflichen und andern vornehmen FrauensPersonen“ auf (Kap. XVII). Schließlich sei auf die Zusammenstellung von übersetzten Leibniz-Schriften hingewiesen (Kap. XIX). Auch wenn Ludovicis Arbeit längst überholt ist, bietet sie nicht nur in sich selbst ein bedeutendes Beispiel früher Leibniz-Rezeption, sondern enthält zu dieser auch zahlreiche wertvollen Hinweise. In seinem umfassenden Zugriff ist dieses Werk einzigartig geblieben. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil es spätere Generationen ablehnten, sich „der verächtlichen Beschäftigung des Kompilators, wie Ludovici“, zu widmen (Guhrauer 1841, 322). Einzelne Gebiete, häufiger einzelne Aspekte, die eine Quellenkunde behandeln muss, werden jedoch hier und da in der Sekundärliteratur angesprochen. Im Rahmen einer Darstellung der Überlieferungen der sog. ‚wissenschaftlichen Revolution‘ des 17. Jahrhunderts hat James O’Hara einen Überblick über Leibniz’ hinterlassene Papiere gegeben (O’Hara 1998). Für die Geschichte der LeibnizAusgaben gilt nach wie vor die Aussage, die Stefan Lorenz vor knapp zehn Jahren aus einem etwas älteren Beitrag von Detlef Döring zitiert hat: „Eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Leibniz-Editionen gibt es nicht.“ (Lorenz 2007, 65). Am ehesten kann man zu diesem Thema Lorenz’ eigenen Beitrag nennen. Er skizziert ein umfassendes Panorama der Editionsgeschichte (freilich mit dem erforderlichen Mut zur Lücke), und das nicht bloß deskriptiv, sondern mit Blick auf das

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Wechselverhältnis von Rezeption, Forschung und Editionen. Häufiger finden sich in der Literatur, vor allem in jener zur Akademie-Ausgabe (8.1.), sehr knappe Skizzen zum Schriftnachlass, seinem Schicksal und zur Geschichte der wichtigsten Leibniz-Ausgaben. Einzelne Aspekte des Themas, etwa zur Entstehung besonderer Teilüberlieferungen, zu Handschriftensammlern, einzelnen Ausgaben und Editoren, sind bereits vielfältig behandelt worden. Die vorliegende Quellenkunde greift dankbar darauf zurück. Dagegen sind die Wechselwirkungen zwischen Überlieferungsbildung, Editionstätigkeit, Leibniz-Rezeption und LeibnizBild bisher kaum untersucht worden (Lorenz 2007; Beeley 2007). Erst in jüngster Zeit ist die frühe Sammlertätigkeit unter dieser Fragestellung genauer in den Blick genommen worden (6.3.). Schließlich ist Leibniz mit Recht in einer allgemeingeschichtlichen Quellenkunde zum 17. Jahrhundert recht ausführlich behandelt worden, allerdings vornehmlich bibliographisch (Becker 1995, 139–143). Seine vielfältige Wirksamkeit, seine ausgedehnte Korrespondenz und nicht zuletzt die außerordentlich gute Überlieferung machen seine Schriften und vor allem seine Briefe zu erstrangigen Quellen für viele Fragen, die sich an die Zeit der zweiten Hälfte des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts stellen lassen. 2. ZU LEBZEITEN PUBLIZIERTE SCHRIFTEN Das quantitative Verhältnis zwischen jenen Schriften, die Leibniz selbst publiziert hat, und seinen Manuskripten ist sehr unausgewogen. Gern wird in diesem Zusammenhang seine Aussage gegenüber Vincent Placcius zitiert, wer ihn nur aus seinen veröffentlichten Schriften kenne, kenne ihn nicht (A II,3 139,6). Der vergleichsweise geringe Anteil der von ihrem Autor selbst publizierten Schriften sollte freilich nicht über deren absolute Zahl täuschen. Allerdings ist der genaue Umfang des von Leibniz publizierten Œuvre kaum exakt zu bestimmen (aus verschiedenen Gründen, die im Folgenden zur Sprache kommen). Es handelt sich um ca. 80 selbständige Schriften (häufig sehr geringen Umfangs), dazu kommen zwischen ca. 170 und ca. 190 in Zeitschriften veröffentlichte Beiträge, je nachdem, ob man Lorenz 2007, 66, in seiner Auszählung nach 1: Ravier 1937 folgt, der auf „rund 112 Artikel in gelehrten Zeitschriften [...] und etwa 56 Rezensionen“ kommt, oder die 188 Nummern der vor einem Jahrzehnt gesammelt nachgedruckten Artikel (II: Lamarra/Palaia 2005) zugrunde legt. Diese Zahlen sind wahrscheinlich nicht einmal vollständig, da in einzelnen Fällen Leibniz’ Autorschaft an anonymen Veröffentlichungen erst in den letzten Jahren verifiziert werden konnte. Leibniz’ eigene Publikationen sind durch Émile Ravier – wenn auch nicht vollständig und fehlerlos – nachgewiesen. Er hat selbständige Veröffentlichungen (1: Ravier 1937, 1–38), Aufsätze in gelehrten Zeitschriften (ebd., 39–87) und (anonyme) Rezensionen (ebd., 92–107) unterschieden. Als Anhang zu den Letztgenannten gibt er den Inhalt der drei Jahrgänge (1700–1702) der unter dem Titel Monathlicher Auszug aus allerhand neu-herausgegebenen, nützlichen und artigen

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Büchern von Leibniz’ Mitarbeiter Johann Georg Eckhart (s. auch 6.1.1.) herausgegebenen Zeitschrift (ebd., 108–114). Darauf folgt ein weiteres Kapitel mit Schriften von Leibniz, die zu seinen Lebzeiten von Zeitgenossen zum Druck gebracht worden sind (ebd., 115–156). Hier sollen nur einige wenige allgemeine Hinweise zu den spezifischen Besonderheiten dieser Schriften gegeben werden. Diese sind nicht so unproblematisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das hängt nicht zuletzt mit dem Charakter vieler seiner Veröffentlichungen zusammen. Unmittelbar einsichtig ist dies für die Rezensionen. Sie wurden zu dieser Zeit grundsätzlich anonym veröffentlicht, so dass sich aus dem publizierten Text allein der Autor nicht erschließen lässt. Es bedarf zumeist der Absicherung durch Hinweise etwa im Briefwechsel oder durch Konzepte oder Vorarbeiten im Nachlass, um Leibniz’ Autorschaft zu sichern (1: Ravier 1937, 90). Deshalb muss damit gerechnet werden, dass auch der Fortgang von Leibniz-Edition und -Forschung nicht alle Zweifelsfälle ausräumen wird. Dies gilt besonders für den bereits erwähnten Monathlichen Auszug. Es kann kein Zweifel bestehen, dass sich Leibniz, wie auch der Briefwechsel zeigt, erheblich in die Herausgebertätigkeit seines Amanuensis Eckhart eingemischt hat. Allerdings ist sein Anteil an der Zeitschrift schon von Zeitgenossen, dann von der älteren Forschung (etwa von Guhrauer; vgl. 7.4.) und teilweise bis heute erheblich überschätzt worden. Leibniz’ Autor- oder wenigstens Mitautorschaft lässt sich nur für relativ wenige Artikel belegen oder jedenfalls sehr wahrscheinlich machen (A IV,8 XXIII). Aus guten Gründen hat Ravier den Monathlichen Auszug in einen Anhang versetzt. Das Problem einer sicheren Zuschreibung stellt sich jedoch nicht allein bei den Rezensionen, wo die Anonymität der Textsorte inhärent ist (die auch Selbstrezensionen als Deckmantel dienen kann; vgl. Palaia 2016, 200–204), und in dem Sonderfall des Monathlichen Auszugs, sondern auch in vielen anderen Fällen. Leibniz hat seine selbständigen Schriften in der Mehrzahl pseudonym oder anonym veröffentlicht (Sellschopp 2016; vgl. auch schon Ludovici 1737, Bd. 2, 68– 71). Auch hier folgen Anonymität und Pseudonymität aus der Textsorte, der diese Schriften zuzurechnen sind. Es handelt sich nämlich zumeist um jene Art von Gelegenheitsschriften, die politische Ereignisse kommentierten oder in politischen oder militärischen Konflikten Stellung bezogen und die Wolfgang Burgdorf dem intergouvernementalen publizistischen Diskurs zugeordnet hat (Burgdorf 2010). Diese Publizistik bezog politisch Stellung im Sinne und zumeist auch im Auftrag einer der Konfliktparteien, ohne dass diese Stellungnahme offiziellen Charakter besitzen sollte, selbst wenn sie von leitenden fürstlichen Amtsträgern verfasst worden war. Leibniz scheint hier insofern ein Sonderfall gewesen zu sein, als er, obwohl in welfischen Diensten, nicht nur für seinen Landesherrn, sondern auch aus eigener Initiative für andere Herrscher publizistisch tätig geworden ist, etwa in der spanischen Erbfolgefrage für die Habsburger, in der oranischen für die Hohenzollern. Zu diesen Schriften zählt sein zu Lebzeiten wohl wirkmächtigstes selbständiges Werk, De jure suprematus ac legationis principum Germaniae von 1677

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(A IV,2 N. 1), das nicht zufällig zumeist nicht unter diesem Titel, sondern unter dem Pseudonym Caesarinus Fürstenerius zitiert wird, mit dem Leibniz nicht nur seine Autorschaft verborgen, sondern zugleich auch seine politische Position in kürzester Form formuliert hatte. Während die Anonymität oder Pseudonymität häufiger „auch Züge von kommentgeleitetem Verhalten oder Rollenspiel“ trug (Sellschopp 2016, 215), hat Leibniz in einzelnen Fällen sehr auf die Geheimhaltung seiner Autorschaft geachtet. So konnte eine aus persönlichen Gründen anonym veröffentlichte Epistola ad amicum (A IV,6 N. 47) gegen Samuel von Pufendorfs postumes Jus feciale divinum erst vor gut 20 Jahren aufgrund eindeutiger Spuren in seinen nachgelassenen Papieren ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden (Döring 1993). Dasselbe gilt für die präzise Klärung seiner Autorschaft an der Flugschrift Fas est ab hoste doceri (A IV,5 N. 68) von 1694 (Sellschopp 2001). Beide Schriften fehlen denn auch bei Ravier. Eine weitere Gattung von Druckschriften tritt zumeist anonym auf und ist deshalb von Ravier weitgehend übersehen worden. Es handelt sich um Kasuallyrik, die Leibniz aus diversen Anlässen hochgestellten Persönlichkeiten gewidmet hat (etwa A IV,7 N. 154–156; A IV,8 N. 89 und 114). Auch wenn diese Gedichte als selbständige Drucke publiziert wurden, sind sie doch von extremer Kürze. Sie umfassen einen Druckbogen (4°), dessen erste Recto-Seite das Titelblatt bildet während auf der zweiten das eigentliche Gedicht steht. In ihrem sachlichen Gehalt sind diese Texte jedenfalls für die ganz überwiegende Mehrheit der Leibniz-Forscher sicherlich irrelevant. Sie zeigen aber eine Facette der Lebenswirklichkeit des Gelehrten in der höfischen Gesellschaft des Barock (vgl. den Beitrag von Annette Antoine in diesem Band). Wissenschaftliche Zeitschriften entstanden erst in Leibniz’ Lebenszeit, als erste das Journal des Sçavans in Paris und die Philosophical Transactions der Royal Society in London im Jahr 1665. Leibniz hat dieses neue Medium intensiv genutzt. Bereits 1675 brachte er seine ersten beiden Artikel im Journal des Sçavans und in den Philosophical Transactions unter. Zu der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift in Deutschland, den Leipziger Acta Eruditorum, hat er seit deren Gründung 1682 regelmäßig beigetragen. Für die Jahrgänge bis einschließlich 1706 sind Notizen des Herausgebers Otto Mencke überliefert, welche die Rezensenten namentlich identifizieren und damit sichere Aussagen zur Autorschaft ermöglichen (Laeven 1986, 113–117; zu Leibniz 347). Insgesamt finden sich Leibniz’ Artikel in mehr als zwei Dutzend Zeitschriften. Die von ihm verfassten oder auf der Grundlage seiner Briefe von den Herausgebern veröffentlichten Zeitschriftenartikel sind von Antonio Lamarra und Roberto Palaia gesammelt und in Faksimile-Nachdrucken publiziert worden: Gottfried Wilhelm Leibniz: Essais scientifiques et philosophiques. Les articles publiés dans les journaux savants, recueillis par Antonio Lamarra et Roberto Palaia. Préface de Heinrich Schepers, Hildesheim-Zürich-New York 2005 (3 Bde.).

Die Herausgeber haben im Hauptteil 145 chronologisch geordnete Artikel zusammengestellt, die namentlich (zumindest mit Initialen) gekennzeichnet sind oder doch aus den Texten selbst oder aus redaktionellen Bemerkungen die Identi-

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fikation des Autors Leibniz bereits für die Zeitgenossen ermöglicht haben (Bd. 1– 2). Die Möglichkeit der Identifikation durch Leibniz’ Zeitgenossen ist den Herausgebern deshalb wichtig, weil sie ihre Sammlung als einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des Leibnizʼschen Denkens verstehen (ebd., Bd. 1, XI). Der dritte Band enthält Indices, welche die Artikel chronologisch, thematisch und nach den Zeitschriften, in denen sie erschienen sind, erschließen. Vor allem aber bietet er einen Anhang mit weiteren 43 Artikeln, welche die oben genannten Bedingungen nicht erfüllen, aber dennoch Leibniz zuzuschreiben sind. Die differenzierten Auswahlkriterien (ebd., Bd. 1, XVII–XX) zeigen, wie diffizil die Abgrenzung von Autorschaft und Nicht-Autorschaft sein kann und machen verständlich, warum sich die Zahl seiner Zeitschriftenartikel nur ungefähr benennen lässt. Leibniz’ mathematische Zeitschriftenartikel – es handelt sich um 63 Beiträge – sind seit einigen Jahren zudem in deutscher Übersetzung zugänglich: Gottfried Wilhelm Leibniz: Die mathematischen Zeitschriftenartikel. Übersetzt und kommentiert von Jürgen Heß und Malte-Ludolf Babin. Mit einer CD: Die originalsprachlichen Fassungen, Hildesheim 2011.

Die Auswahl der in diesem Abschnitt namentlich genannten von Leibniz selbst veröffentlichten Schriften ist problemorientiert und deshalb einseitig auf seine politische Publizistik konzentriert. Allerdings ist es keineswegs so, dass das Bild des öffentlich wirksamen Autors Leibniz dadurch massiv verzeichnet wäre. Tatsächlich besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem modernen Bild des Denkers und Autors Leibniz und dem, was einer breiteren gelehrten Öffentlichkeit zu seiner Zeit an gedruckten Schriften von ihm bekannt war (2: Lamarra/Palaia 2005, Bd. 1, VIII–IX). Von den heute im Mittelpunkt des Interesses stehenden philosophischen Werken hat er zu Lebzeiten kaum etwas veröffentlicht, an selbständigen philosophischen Schriften nur die Theodizee. Dagegen wurden Werke breit rezipiert, die heute vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit finden, die Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (A VI,1 N. 10), der schon erwähnte Caesarinus Fürstenerius (A IV,2 N. 1) oder der Codex juris gentium diplomaticus (A IV,5 N. 1–7). Zu dem Letztgenannten liegt eine Untersuchung zur Rezeption vor (Otto 2003). Insofern gilt die eingangs des Abschnitts paraphrasierte Aussage, wer Leibniz nur aus seinen publizierten Schriften kenne, kenne ihn nicht, nicht allein in Hinsicht auf das quantitative Verhältnis zwischen gedruckten Werken und unpubliziertem Material, sondern auch im Blick auf die thematische Ausrichtung der Veröffentlichungen. Es kommt hinzu, „dass Leibniz einem dauerhaften öffentlichen Interesse an seiner Person wenig Nahrung gegeben“ (Gädeke 2017, 12 f.), jedenfalls erst gegen Ende seines Lebens einen vereinzelten und unzureichenden Schritt unternommen hat, die Rezeption seines philosophischen Denkens zu steuern. Er tat dies durch eine seine wichtigsten verstreut oder nicht veröffentlichten Beiträge zusammenstellende Sammlung, deren Manuskript er während seines letzten Aufenthalts in Wien dem Prinzen Eugen dediziert hat. Aus dessen Nachlass ist es in die Österreichische Nationalbibliothek gelangt (Wien, ÖNB, Cod. 10.588; Lamarra 2012).

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Diese Diskrepanz zwischen der Sichtbarkeit des Autors Leibniz in der breiteren Öffentlichkeit seiner gelehrten Zeitgenossen und dem, was wir heute von ihm wissen, darf nicht unterschlagen werden, wenn es um die Rezeption seines Denkens geht. Die folgenden Beiträge führen dies immer wieder vor Augen. 3. DER NACHLASS 3.1. Leibniz’ Nachlass: Ein vieldeutiger Begriff für einen schwer abgrenzbaren Bestand Von Leibniz’ Tod am 14. November 1716 haben wir eine ausführliche Schilderung, die Johann Hermann Vogler, sein letzter Amanuensis, bereits drei Tage später aufgezeichnet hat. Vogler berichtet, dass Johann Georg Eckhart, den er sofort von dem Todesfall unterrichtet hatte, ihn zu dem Geheimen Rat von Eltz geschickt habe, diesem die Todesnachricht zu überbringen „und daß ihm [= von Eltz] belieben möchte Ordre zu stellen, damit die Zimmer versiegelt würden“. Dieser ließ sich jedoch nicht mehr aus dem Bett holen. Vogler fährt fort: „H. Eckhart und H. Hennings versiegelten also alles mit ihren Petschafften, biß des andern morgens H. Consistorial Rath Stamke als Staats-Secretarius im Nahmen der Herrn Geh. Räthe alles von neuem siegelte; und haben wir nun nichts mehr offen, als die unterste Stube, worinn wir sind.“ (Ritter 1916, 250). Das Verhalten der Mitarbeiter angesichts von Leibniz’ Tod erscheint heute eigenartig, entsprach aber der üblichen Praxis. Hohe Beamte besaßen kein Dienstzimmer in ihrer Behörde, sondern arbeiteten zuhause in ihrem privaten Arbeitszimmer. Bei ihrem Tod befanden sich dort neben privaten Papieren die amtlichen Akten, mit denen sie zuletzt gearbeitet hatten. Damit diese wieder vollständig in die Behörde zurückkamen, wurde das Arbeitszimmer im Todesfall so schnell wie möglich amtlich versiegelt, um später in Ruhe eine Sichtung und Trennung der Papiere vornehmen zu können.4 Die Versiegelung von Leibniz’ Hinterlassenschaft war also nichts Besonderes und keine Vorsichtsmaßnahme, die eventuell kompromittierende Korrespondenzen mit gekrönten Häuptern vor unbefugtem Zugriff schützen sollte (jedenfalls nicht mehr als in anderen Fällen). Dass in diesem Fall fast das ganze Haus versiegelt wurde, lag daran, dass die Papiere, dazu seine Bücher und jene der Hofbibliothek über fast alle Räume verteilt waren. Am 28. November 1716, zwei Wochen nach Leibniz’ Tod, begann die Durchsicht der Papiere und Bücher durch zunächst fünf hannoversche Beamte und den Erben Friedrich Simon Löffler, der einen Gehilfen mitgebracht hatte. Das verrät ein umfangreiches Inventar vor allem der Manuskripte, in dem das, was man in den versiegelten Räumen fand, aufgelistet wur  4

Hinweise auf diese Praxis lassen sich auch in Leibnizʼ Briefwechsel finden. Er selbst hat an der Sichtung des Nachlasses von Johann Heinrich Hoffmann (A I,3 N. 36-38) mitgearbeitet. Entsprechend wurde auch nach dem Tode seiner Nachfolger verfahren (zu Johann Daniel Gruber vgl. 6.1.2. und Babin/Fleck 2017).

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de (NLA Hannover, Hann. 93 Nr. 182, 37–78 mit einem Nachtrag ebd., 79 f.). Über das Bargeld, Medaillen und andere Kostbarkeiten, die Leibniz in einem Koffer aufbewahrt hatte, wurde eine eigene Aufstellung angefertigt (bisher: GWLB, Bibl. Akten A 8, 1, 80–82r). Zweck von Durchsicht und Inventarisierung war es, „die Sachen[,] so dem Könige“, von denen zu trennen, die „den Erben gehören“, wie es der Protokollant formulierte (ebd., 51r). Das betraf nicht nur Material, dass an behördliche Registraturen und das Archiv zurückzugeben war, sondern auch die schwierige Trennung von Leibniz’ privatem Buchbesitz und der Hofbibliothek (3.2.4.). Dazu kamen Manuskripte und Drucke, die Leibniz aus der Bibliotheca Augusta in Wolfenbüttel (4.3.) und aus anderen Bibliotheken und Archiven sowie von befreundeten Gelehrten ausgeliehen hatte. Am 19. Dezember waren die vorgefundenen Papiere in einer Kammer zusammengefasst, die unzweifelhaft zur Hofbibliothek gehörenden Bücher auf diese gebracht, ebenso wie jene, die aus Wolfenbüttel und anderswoher entliehen waren, schließlich die Papiere und Bücher, deren Besitz zweifelhaft war, in einen dritten Raum gelegt worden, so dass Leibniz’ Nachfolger im Amt des Historiographen und Bibliothekars, Johann Georg Eckhart, die leergeräumten Arbeitszimmer zur Verfügung gestellt werden konnten (ebd., 77). Am 24. Februar 1717 erhielt Eckhart einen großen Teil der hinterlassenen Papiere (im Inventar sind sie gekennzeichnet) für seine Arbeit ausgeliefert, wie er auf dem Inventar quittierte (ebd., 77v). Mit dem Hinweis, auch dort fänden sich wichtige Nachrichten zu Leibniz’ historischen Arbeiten, drängte Eckhart auf die Auslieferung der Korrespondenz (bisher: GWLB, Bibl. Akten A 8, 1, 5v). Damit scheint er jedoch nicht oder nicht sofort durchgedrungen zu sein. Jedenfalls musste er Sebastian Kortholt im April des Jahres mitteilen, dass Leibniz’ Korrespondenzen ihm noch nicht zugänglich seien (6.3.3: Kortholt 1742, IV, 116). Soweit entsprach die Behandlung des Nachlasses der gängigen Praxis. Was sich von ihr unterschied, war die Entscheidung des Landesherrn, Leibniz’ gesamten Schriftnachlass, seine Bücher und die Rechenmaschine dem Erben abzukaufen. Die Vereinbarung vom 26. Januar 1717 (Kopie in: GWLB, Bibl. Akten A 8, 2, 87–88r) sah vor, dass Löffler als Alleinerbe dem Landesherrn die genannten Nachlassteile überlassen und im Gegenzug der Letztgenannte auf das Abschoßgeld, das bei der Mitnahme des Erbes außer Landes fällig war und mit 4.000 Reichstalern angesetzt wurde, verzichten sollte. Das war sicherlich keine üppige Ablösung, aber sie ersparte dem Erben, etwa bei den mehr als 3.000 Bänden, deren Eigentum ungeklärt war, Band für Band den Nachweis zu führen, dass er zum Nachlass und nicht zur Hofbibliothek gehörte. Sei es, dass die Vereinbarung nicht völlig eindeutig gewesen oder nicht vollständig erfüllt worden war oder dass Löffler glaubte, übervorteilt worden zu sein oder noch mehr für seinen Verzicht herausschlagen zu können, jedenfalls verlangte er bald eine Nachzahlung von 4.000 Reichstalern (Palumbo 2007/2008 hält Löffler für übervorteilt). Nicht nur er, auch seine Erben haben noch nach seinem Tod im Februar 1748 unter Einschaltung der sächsischen Regierung mehrfach Nachbesserung erbeten. Erst zwei Generationen nach Leibniz’ Tod, Ende 1779, hat eine gnadenhalber gewährte Zahlung von han-

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noverscher und der Verzicht auf weitere Ansprüche von der Erben Seite den Erbschaftsstreit beendet (Lackmann 1969). Dieser ‚Leibniz-Rezeption‘ der besonderen Art werden eine Reihe von Aktenfaszikeln mit teilweise informativem Material verdankt (bisher: GWLB, Bibl. Akten A 8). Die Umstände des Erbfalls sind hier deshalb so detailliert geschildert worden, weil sie die Voraussetzung bilden für die außergewöhnlich gute Überlieferung von Leibniz’ Briefwechseln, Manuskripten und Arbeitsmaterialien (O’Hara 1998). Dass Zeugnisse gelehrter Arbeit – bis hin zu Zetteln mit Exzerpten oder Literaturtiteln, Stichwort- und Agendalisten – in einem derartigen Umfang erhalten geblieben sind, ist keineswegs selbstverständlich. Schriftliche Aufzeichnungen haben dann gute Überlieferungschancen, wenn sie aus institutionellen Kontexten stammen oder jedenfalls in diese eingehen und von stabilen Institutionen archiviert werden (Esch 1985). Dagegen sind die Überlieferungschancen von Material, das in privatem Besitz entsteht und verbleibt, schlecht, da hier häufig das Interesse und fast immer die (nicht nur finanziellen) Mittel fehlen, es auf lange Zeit zu bewahren (speziell zur Überlieferung von Gelehrtennachlässen Hunter 1998). Wilhelm Dilthey hat diese Einsicht bereits 1889 sententiös formuliert: „Nachlässe aus dem siebzehnten Jahrhundert haben sich in ihrer Hauptmasse erhalten, wenn Schriftsteller mit Bibliotheken und gelehrten Anstalten in Verbindung oder wenn sie öffentliche Charaktere waren; dagegen sind die übrigen Nachlässe meist untergegangen.“ (Dilthey 1889 [1970], 9; im Original hervorgehoben). Das erste Beispiel, das er nennt, ist kaum zufällig Leibniz. Die Überführung seiner hinterlassenen Papiere, aber auch seiner Bücher in landesherrlichen Besitz hat ihre Erhaltung ermöglicht oder, genauer gesagt, in den dreihundert Jahren, die seit seinem Tod vergangen sind, die Verluste erfreulich gering gehalten. Mit Recht gilt daher der Leibniz-Nachlass als einer der bedeutendsten Gelehrtennachlässe überhaupt. Diese knappe Charakterisierung des Schicksals der von Leibniz hinterlassenen Papiere ist allerdings in mancher Hinsicht zu schön, vor allem aber zu einfach und undifferenziert, um gänzlich wahr zu sein. Die Schwierigkeiten beginnen bereits mit der Bezeichnung ‚Leibniz-Nachlass‘. Was damit gemeint ist und umschrieben wird, ist keineswegs immer klar, und die problematische Vieldeutigkeit des Begriffs sollte seine Benutzung eigentlich verbieten – wenn denn brauchbare Alternativen zur Verfügung stünden. Dabei ist es für die Benutzung des Begriffs im Kontext der Leibniz-Forschung unproblematisch, dass Georg Ludwig (George I.) keineswegs Leibniz’ gesamte Hinterlassenschaft erworben hat, sondern nur dessen Papiere, Bücher und die Rechenmaschine, nicht aber etwa das nicht unbeträchtliche Barvermögen. An diesem, sich hier andeutenden juristischen Sinn des Begriffs orientieren sich Archivare und Handschriftenbibliothekare. Wird unter einem (echten) Nachlass „die Summe aller Materialien verstanden, die sich zu Lebzeiten einer Person bei ihr zusammengefunden haben“ (Regeln 2010, 10), lässt sich das damit bezeichnete Material zunächst eindeutig und unproblematisch abgrenzen und beschreiben. Allerdings ist Leibniz’ Nachlass, auch sein schriftlicher Nachlass, soweit er von seinem Landesherrn angekauft worden ist, nur mehr eine virtuelle Größe.

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Zudem wird der zitierte Nachlass-Begriff in Leibniz’ Fall in doppelter Hinsicht verunklart. Zum einen durch die auch sonst in den Literaturwissenschaften weit verbreitete Bezeichnung von zu Lebzeiten nicht publizierten Werken und Aufzeichnungen als ‚nachgelassene Schriften‘. Diesen „literarischen Sachverhalt ‚Schriftstellernachlass‘ definieren Kai Sina und Carlos Spoerhase: „Der Nachlass ist zunächst einmal das, was zu Lebzeiten des Autors keine Werkförmigkeit erlangt hat, und damit folglich nicht Teil einer autorschaftlich gesteuerten Werkpolitik geworden sein kann“ (Sina/Spoerhase 2013, 607. 622). In diesem Sinne, der einerseits weiter ist, da er das gesamte überlieferte handschriftliche Material (im strengen Sinne aber außer den Briefen), das auf Leibniz zurückgeht, umfasst, andererseits aber enger, indem er die von Leibniz hinterlassenen Manuskripte von fremder Hand und Autorschaft ausschließt, wird der Begriff häufig für all das benutzt, was an Leibniz’ Schriften, Briefen und anderen Aufzeichnungen nur im Manuskript überliefert oder erst postum veröffentlicht worden ist. Im Blick auf Leibniz’ Papiere ist dieser Begriff zweifellos unglücklich, da er dem Material nicht gerecht wird und anachronistischen Vorstellungen verpflichtet ist. Zwar gibt es bei Leibniz durchaus – mehr oder weniger – fertig ausgearbeitete Manuskripte, die veröffentlicht werden sollten, aber gleichwohl nicht gedruckt worden sind – die Nouveaux Essais sind das prominenteste Beispiel (6.1.4.). Das sind jedoch Ausnahmen. Einerseits waren zahllose Notizen, Exzerpte und sonstige Arbeitsmaterialien nie für eine Publikation bestimmt, andererseits darf von einem fehlenden Druck nicht darauf geschlossen werden, die Schrift sei in der Schublade geblieben. Zahlreiche Denkschriften, die Leibniz im Rahmen seiner amtlichen Tätigkeit oder aus eigenem Antrieb verfasst hat, hatten ihre Adressaten erreicht, wenn sie von den maßgeblichen Entscheidungsträgern zur Kenntnis genommen wurden. Ihr Druck war dafür weder notwendig noch erwünscht. Die Rede von den ‚nachgelassenen Schriften‘ suggeriert eine Dichotomie: Druck versus Handschrift und zugleich Publizität versus Verborgenheit, die für weite Teile von Leibniz’ Schaffen verfehlt ist. Zum anderen trägt nicht gerade zur Klarheit bei, dass der bei weitem umfangreichste Bestand von Leibniz’ Schriften und Briefen in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek Hannover (GWLB) als ‚Leibniz-Nachlass‘ bezeichnet wird. Diese Bezeichnung ist keineswegs verfehlt, in der Tat handelt es sich um die Hauptmasse des Schriftnachlasses – allerdings eben nur um den größten Teil und nicht um den gesamten. Umgekehrt stammt jedoch nicht alles, was heute im Bestand ‚Leibniz-Nachlass‘ liegt, tatsächlich aus seiner Erbmasse. Bei diesem Bestand handelt es sich nämlich um einen sog. angereicherten Nachlass, dem „Materialien durch Dritte nachträglich hinzugefügt“ worden sind (Regeln 2010, 10). Auf einen größeren eingegliederten fremden Teilbestand, das Arbeitsmaterial von Heinrich Julius Friedrich Busch, wird noch hinzuweisen sein (6.1.3. Exkurs). Schließlich kauft die GWLB bis heute LeibnizAutographen an und gliedert sie diesem Bestand ein (für die Erwerbungen seit

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2002 vgl. Ruppelt/Schilling 2015, 320. 321. 322 f.). Quantitativ fallen diese Ergänzungen zwar kaum ins Gewicht, 5 aber bei der Interpretation des einzelnen Stücks ist die gegebenenfalls abweichende Provenienz zu berücksichtigen, um Fehleinschätzungen zu vermeiden. Derartige Anreicherungen finden sich freilich in zahlreichen Nachlässen. Eine Besonderheit von Leibniz’ schriftlichem Nachlass ist es jedoch, dass dieser nicht, wie es nach der geschilderten Erwerbungsgeschichte und der Bestandsbezeichnung ‚Leibniz-Nachlass‘ zu erwarten wäre, als ein geschlossener Bestand überliefert ist, sondern vielmehr auf mehrere Bestände, ja sogar Institutionen verteilt ist. Um das zu verstehen, muss man wieder einen Blick zurück in die Geschichte des Nachlasses werfen. Der Ankauf durch den Landesherrn hat Leibniz’ hinterlassene Papiere zwar davor bewahrt, weitgehend unterzugehen, aber dieser Ankauf war nicht durch Pietät vor Leibniz’ Genie motiviert. Vielmehr ging es darum, das unter ihnen befindliche amtliche Schriftgut wieder in den Besitz der zuständigen Behörden zu bringen, und vor allem, die Manuskripte und Arbeitsmaterialien zur Hausgeschichte, an der Leibniz dreißig Jahre gearbeitet hatte, ohne sie abzuschließen zu können, seinem Nachfolger im Amt des Historiographen zur Verfügung zu stellen. Die Aufnahme des Inventars hatte dazu gedient, „die Sachen[,] so dem Könige und den Erben gehören“ voneinander zu trennen. Bei zahlreichen Manuskripten und Konvoluten findet sich dort der Hinweis, sie gehörten in das Archiv. Dabei handelte es sich weniger um Behördenakten, sondern vor allem um historiographische Manuskripte und Kollektaneen früherer Gelehrter, besonders von Leibniz’ Vorgänger Johann Heinrich Hoffmann. So wie dessen historiographische Werke und Papiere wird auch Leibniz’ Nachlass zunächst ins Archiv gekommen sein. Über das weitere Schicksal der Papiere geben, soweit wir sehen, zunächst nur vereinzelte Nachrichten Auskunft. Auf einem offensichtlich im Archiv verfassten Inventar (NLA Hannover, Hann. 93 Nr. 183, 4–10) hat Simon Friedrich Hahn (1692–1729), der Nachfolger Eckharts, am 30. Januar 1728 quittiert, „Daß vorstehende Sachen heute dato aus dem Zellischen Archiv richtig an mich geliefert worden“ (ebd., 10v). Das Material zur Welfengeschichte hatte er bereits 1725 erhalten, als er Eckharts Nachfolge angetreten hatte. Unter den gut 300 aufgeführten Konvoluten lassen sich anhand ihres Titels denn auch lediglich sieben ausmachen, die in das Gebiet der (Haus-)Geschichte gehören. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Auflistung über weite Strecken sehr pauschal ist. Vor allem am Schluss unterscheidet sie die Konvolute fast nur noch nach Formaten: 45 Konvolute Kollektaneen in Folio, 58 Konvolute vor allem Briefe, aber auch Kollektaneen in Quart und 57 Konvolute Briefe und Kollektaneen in Oktav. Dieses Übergabeinventar zeigt – vor allem in der ersten Hälfte – eine sachliche Ordnung, die sich am traditionellen Fakultätenschema orientiert: Theologie –   5

Es handelt sich (seit 1963) um knapp zwei Dutzend Manuskripte im Gesamtumfang von gut drei Dutzend Blatt. Bezeichnenderweise sind fast ausschließlich Briefe angekauft worden.

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Jurisprudenz – Medizin usw. Allerdings dürfte diese Ordnung nur recht oberflächlich gewesen sein. Wahrscheinlich hat man sich weitgehend darauf beschränkt, thematisch Zusammengehörendes zusammenzulegen. Jedenfalls deutet die Beobachtung, dass sich der eine oder andere Konvolut-Titel so oder ähnlich bereits in der Aufnahme der Hinterlassenschaft aus dem November/Dezember 1716 finden lässt, darauf hin, dass die Eingriffe in die vorgefundene (Un-)Ordnung in vielen Fällen nicht durchgreifend gewesen sein können. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts beschrieb Abraham Gotthelf Kästner (6.4.2.) die Papiere ganz ähnlich: „Es waren nur Packe mit Bindfaden zusammen gebunden mit Kurzen allgemeinen aufschriften was für Papiere ohngefähr in jeden Packe enthalten wären.“ (zitiert nach Wahl 2018). Es scheint, als habe man im Archiv den Nachlass kaum geordnet. Dies war jedenfalls der Eindruck, den der Bibliothekssekretär Theodor Heinrich Sextro gewann, als er für die Übernahme des Leibniz-Nachlasses (oder doch den größten Teil desselben; vgl. 3.3.) aus dem Archiv in die Bibliothek ein Verzeichnis der Konvolute aufstellte. In seinem Bericht vom 14. Juni 18426 schildert er die „vermuthlich gleich nach Leibnitzens Tode eilig zusammen gerafften und nur vorläufig mit rubris versehenen Konvolute“, die „oft die heterogensten Sachen enthalten“ (NLA Hannover, Hann. 1/2 Nr. 469, nicht foliiert). Ein Inventar über die Konvolute hatte Sextro nicht erhalten, so dass er sich genötigt sah, „sofort eine summarische Durchsicht vorzunehmen, gleichartige Gegenstände nach den allgemeinen älteren Rubriken, womit die meisten der Convolute bezeichnet sind, möglichst zusammen zu legen, aus verschiedenen nicht mit Mantelbogen versehenen gestreuten Stücken und einzelnen Blättern besondere Convolute zu formiren, und daran alsdann ein vorläufiges Verzeichniß aufzustellen“ (ebd.). Dieses Verzeichnis umfasst 70 Nummern, erheblich weniger als die gut 300 des Übergabeinventars für Hahn oder die unzähligen Positionen der Aufnahme des Inventars aus Leibniz’ Wohnung. Da Sextro für die meisten Konvolute die alten Rubriken anführt, lässt sich die massive Diskrepanz zu den Inventaren aus dem frühen 18. Jahrhundert nicht damit erklären, dass der Bibliothekssekretär einfach umfangreichere Konvolute gebildet habe. Zudem fällt bei der Bezeichnung der Konvolute eine gewisse Beschränkung und Einseitigkeit auf: Neben Korrespondenzen und Varia sind es in der Mehrzahl politische Betreffe. Das Fehlen historischer Manuskripte und Kollektaneen wird nach dem Gesagten nicht mehr verwundern. Aber auch philosophische und mathematisch-naturwissenschaftliche Themen werden nur ganz vereinzelt genannt. Es scheint, als seien Leibniz’ Papiere zu jenen Themen, für die man im Archiv kein Interesse hatte, bereits vor 1842 in die Bibliothek gekommen. Allerdings bleibt der Befund hier diffus. Einerseits wird immer wieder von den Manuskripten auf der Bibliothek gesprochen, andererseits ist die letzte Nummer auf Sextros Liste ein „Empfang  6

Mein Hannoveraner Kollege Gerd van den Heuvel wies mich freundlicherweise nicht nur auf die einschlägige Akte hin, sondern stellte mir auch seine Transkription von Sextros Bericht und Verzeichnis zur Verfügung.

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schein des weil. Hofrath Kästner zu Göttingen d. d. Hannover 13. April 1756 über einige zur Benutzung ihm anvertraute Leibnitzische Manuscripte“. Diese hat der Göttinger Mathematiker (6.4.2.) demnach aus dem Archiv, nicht aus der Bibliothek erhalten. Die genannte Quittung ist allerdings in die Bibliotheksakten der GWLB (4.2. Exkurs) gelangt (bisher: GWLB, Bibl. Akten V 86, Bl. II). Während umfangreiche Teile des Schriftnachlasses wohl schon vor der großen Abgabe von 1842 in die Bibliothek gekommen sind (3.2.1.–4.), hat man andere Papiere in diverse Archivbestände eingeordnet (3.3.). 3.2. Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB) Zwar muss die Aussage, mit der Abgabe von 1842 sei der Leibniz-Nachlass aus dem Archiv in die Bibliothek übergegangen (3.1.), in mehrfacher Hinsicht relativiert werden (dazu 3.3. und 4.2.), doch besitzt die Abteilung Handschriften und Alte Drucke7 der heutigen Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek (GWLB) in Hannover die ganz überwiegende Masse der von Leibniz hinterlassenen Papiere, und zwar zweifellos mehr, als 1842 aus dem Archiv abgegeben worden waren. Allerdings hat das Schicksal des Nachlasses (3.1.) dazu geführt, dass sich die hinterlassenen Papiere auf mehrere Bestände verteilen. Der weit überwiegende Teil liegt im Bestand ‚Leibniz-Nachlass‘ (3.2.1. und 3.2.2.). Quantitativ keineswegs unerheblich sind jedoch Leibniz’ NachlassPapiere unter den allgemeinen Handschriften der Signaturengruppe Ms (3.2.3.). Die von Leibniz mit Anstreichungen und Marginalien annotierten Bücher sind im Wesentlichen in der Signaturengruppe Leibn. Marg. aufgestellt (3.2.4.). Diese Aufteilung ist teils historisch entstanden, teils praktisch bedingt, zwar keineswegs willkürlich, aber nicht immer konsequent (O’Hara 1998, 167–169). 3.2.1. Leibniz-Briefwechsel (LBr) Es liegt in der Natur der Überlieferung, dass ein Briefwechsel, sieht man von den Briefen ab, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht oder nicht mit Sicherheit einem Verfasser oder Adressaten zuordnen lassen, recht einfach und klar zu ordnen ist. Die (im Einzelnen modifizierte) alphabetische Ordnung nach den Korrespondenten bietet sich so selbstverständlich an, dass es hier keiner langwierigen Überlegungen bedarf. Dies mag auch der Grund gewesen sein, weshalb in der Bibliothek die Signaturengruppe LBr zuerst katalogisiert worden ist. Den Anfang dazu hatte der bereits mehrfach erwähnte Bibliothekssekretär Sextro mit einem Korrespondentenverzeichnis, das allerdings nur bis zu dem   7

Und nicht das Leibniz-Archiv der GWLB, wie fälschlich häufig nicht nur außerhalb (etwa Hunter 1998, 2), sondern auch in der Leibniz-Forschung (etwa Brather 1993, X) zu lesen ist. Zum Leibniz-Archiv s. u. unter 8.1.

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Buchstaben ‚S‘ gekommen war, gemacht. Er war jedoch schon 1843 gestorben, so dass die Hauptarbeit von dem zwanzig Jahre nach Sextros Tod zum Bibliothekssekretär ernannten späteren Bibliotheksdirektor Eduard Bodemann (1827–1906) geleistet werden musste. Ihm wird überhaupt die Katalogisierung der Handschriften und Inkunabeln der GWLB verdankt. 1866 konnte er den Katalog der Inkunabeln vorlegen, bereits ein Jahr später den der allgemeinen Handschriften unter Ausschluss der Autographen (3.2.3: Bodemann 1867). Der ebenso umfangreiche wie schwierige Bestand ‚Leibniz-Nachlass‘ erforderte allerdings erheblich längere Bearbeitungszeiten. Erst gut zwanzig Jahre später konnte Bodemann die Katalogisierung des Briefwechsels veröffentlichen: Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz in der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Beschrieben von Eduard Bodemann, Hannover 1889. ND mit Ergänzungen und Register von Gisela Krönert und Heinrich Lackmann, sowie einem Vorwort von Karl-Heinz Weimann, Hildesheim 1966.

Dieser Katalog hat von Beginn an sowohl großes Lob im Blick auf die beeindrukkende Arbeitsleistung, als auch Kritik wegen seiner Anlage erfahren. Zu seiner Leistung hat sich Bodemann im Vorwort mit berechtigtem Stolz selbst geäußert: Er habe mehr als 15.300 Briefe bearbeitet, die aus 1028 Briefwechseln und dazu noch 35 Briefwechseln mit fürstlichen Personen stammten (ebd., S. XIII). Bestand und Katalog sind unterhalb dieser beiden, sehr ungleich großen Gruppen nach Korrespondentenalphabet geordnet. Die Signatur der ‚normalen‘ Briefwechsel setzt sich aus dem Bestandskürzel LBr und einer fortlaufenden Nummer von 1 (Caspar Abel) bis 1028 (Johann David Zunner) zusammen. Die Briefwechsel mit fürstlichen Personen werden mit dem der Nummer voranstehenden Kürzel LBr. F gekennzeichnet. Für jeden Briefwechsel gibt Bodemann die Laufzeit, die Anzahl der gewechselten Briefe und ihre (hauptsächliche) Sprache an. Die Anzahl ist zudem nach Briefen von und an Leibniz aufgeschlüsselt. Auf diese Angaben folgt eine mehr oder weniger ausführliche Charakterisierung der jeweiligen Korrespondenz, in deren Rahmen häufig auf einzelne Briefe besonders hingewiesen wird, zum Teil unter Zitation umfangreicherer Abschnitte. An der geschilderten Praxis der Katalogisierung hat sich recht schnell Kritik entzündet: Der Verzicht, jeden einzelnen Brief mit seiner Datierung aufzuführen, und die Unausgewogenheit der Informationen, von der bloß summarischen Verzeichnung einer Korrespondenz bis zu umfänglichen Zitationen aus einzelnen Briefen, verbunden mit unpräzisen Angaben setzten den Wert des Katalogs für die Forschung erheblich herab (7.8: Kvačala 1899, VII–IX). Vor allem im Blick auf eine seit dem späten 19. Jahrhundert mit zunehmender Dringlichkeit geforderten Gesamtausgabe konnte Bodemanns Arbeit den Ansprüchen, die an einen die Edition fundamentierenden Katalog gestellt werden mussten, nicht genügen (9.1.). Ein weiterer Einwand richtete sich gegen die Inkonsequenzen im Korrespondenten-Alphabet. In einer sehr ausführlichen Besprechung des Katalogs wies Benno Erdmann darauf hin, dass nicht das gesamte Material der alphabetischen Ordnung unterworfen sei, da sich innerhalb mancher Korrespondenzen Briefe Dritter und andere Schriften fänden. Den Briefwechsel mit Gerhard Wolter Mola-

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nus (LBr 655) führt er geradezu als „Musterkonvolut an Verschiedenartigkeit des Inhalts“ an (Erdmann 1891, 290–291). Da die Erstausgabe kein Register enthielt (ein solches ist erst dem ND von 1966 gemeinsam für LBr und LH beigegeben), ließen sich derartige Inhalte in der Tat nur schwer auffinden. Das ist freilich Frage weniger der Katalogisierung als vielmehr der vorgängigen Ordnung des Materials. Bodemann ist zweifellos ziemlich konservativ verfahren, in dem „er Eingriffe Früherer und ursprüngliche Verhältnisse des Nachlasses respektiert“ hat (3.2.1: Bodemann 1889 [1966], IX). Dieses vorsichtige Vorgehen wird ihm heute wohl niemand mehr vorwerfen, gehört es doch zu den aktuellen Empfehlungen zur Nachlass-Verzeichnung derartige Zusammenhänge zu bewahren, auch wenn sie der Systematik zuwiderlaufen (Regeln 2010, 11). Das Bestreben, vorgefundene Zusammenhänge zu bewahren, hat allerdings nicht nur dazu geführt, dass sich in manchen Briefwechseln der ein oder andere Brief Dritter – sei es an Leibniz, sei es an dessen Korrespondenten, sei es an einen Vierten, findet – dazu auch Schriftstücke in verschiedenem Umfang, sondern auch umgekehrt, dass die Signaturengruppen LH (3.2.2.) und Ms (3.2.3.) in nicht unerheblichem Maße Korrespondenz enthalten. Beispielhaft kann hier wiederum der Briefwechsel mit Molanus angeführt werden, dessen Überlieferung in LBr Erdmann als „Musterkonvolut an Verschiedenartigkeit des Inhalts“ genannt hatte (s.o.). Aus dieser Korrespondenz liegen nicht wenige Stücke in LH, besonders in der ersten, der Theologie gewidmeten Abteilung, einige auch in der Signaturengruppe Ms. Nicht allein die angesprochenen Mängel von Bodemanns Arbeit machten bei Aufnahme der Arbeit an der Akademie-Ausgabe die Neukatalogisierung der in der GWLB überlieferten Korrespondenzen notwendig. Der Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) schlüsselt nicht nur die Signaturengruppe LBr bis auf den einzelnen Brief hinunter detailliert auf, sondern auch die übrige Überlieferung der Leibniz-Korrespondenz inner- und außerhalb der GWLB und unter vollständiger(er) Angabe älterer und aktueller Druckorte. Zwar ist er weniger gut geeignet, einen schnellen Überblick über den Gesamtverlauf einzelner Briefwechsel zu verschaffen, aber auch hier gibt es mittlerweile bessere Hilfsmittel – jedenfalls soweit die Korrespondenz bereits in der Akademie-Ausgabe ediert vorliegt (9.2.). Der Nutzen von Bodemanns verdienstvoller Arbeit beschränkt sich heute darauf, einen ersten Eindruck von der Charakteristik eines Briefwechsels nach Laufzeit, Umfang, hauptsächlichem Inhalt und Sprache zu vermitteln, also ironischerweise jene pauschalen, notwendig unpräzisen und subjektiv gefärbten Angaben zu liefern, die nicht zu Unrecht hart kritisiert worden sind. Ohnehin darf nicht vergessen werden, dass der Katalog ja nur die Signaturengruppe LBr aufschlüsselt, also auch in diesen Punkten nur insoweit aussagekräftig ist, als die betreffende Korrespondenz ganz oder zum größten Teil dort überliefert ist. Im einzelnen Fall, etwa dem des Briefwechsels mit Hermann von der Hardt (5.1.) führt eine Beschränkung auf die Überlieferung in LBr oder in der gesamten GWLB zu klaren Verzeichnungen. Einen vollständigen Überblick über den überlieferten Briefwechsel kann man nur erlangen, wenn man außer der auf seinen Nachlass zurückgehenden Überlieferungen auch jene, freilich sehr lückenhaften auf Seiten seiner Korrespondenzpartner berücksichtigt (5.).

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3.2.1. Exkurs: LK-MOW Im Jahr 2007 wurde Leibniz’ Korrespondenz, soweit sie in der GWLB liegt, in das Weltdokumentenerbe der UNESCO (Memory of the World) aufgenommen. Mit diesem ehrenvollen Schritt sind jedoch auch Verpflichtungen seitens der aufbewahrenden Institutionen verbunden. Dies betrifft die angemessene Aufbewahrung und die Gewährleistung der Zugänglichkeit des Materials. Um den letztgenannten Punkt zu erfüllen, hat die GWLB mit einer Neukatalogisierung der ihrer Leibniz-Korrespondenz begonnen. Dazu sollte eine Datenbank aufgebaut werden, in welche die Digitalisate der katalogisierten Briefe eingebunden werden sollten. Im Unterschied zu den älteren Verzeichnungen von Bodemann und im Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) werden bei der Erfassung Personennormdaten (GND) zugrunde gelegt. Hier interessieren jedoch weniger technische Details, sondern vor allem die Differenzen zum Bodemann-Katalog und seinen Signaturen, die (bisher) für den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) und die Akademie-Ausgabe (8.) maßgeblich sind und in der Sekundärliteratur zitiert werden. Die Neukatalogisierung schafft nämlich nicht nur neue Signaturen (LK-MOW), sondern greift auch in die Ordnung des Materials ein. Bodemann war ja, trotz der rigorosen Systematisierung, die sicherlich viele Zusammenhänge zerstört hat, im Detail in vielen Fällen sehr konservativ und zurückhaltend verfahren, wie oben dargestellt worden ist (3.2.1.). Die Neukatalogisierung soll nun alle Briefe in dem einen LK-MOW-Bestand zusammenführen, d. h. jene, die in den Signaturengruppen LH (3.2.2.) und Ms (3.2.3.) liegen, dort herausziehen und in die entsprechenden (bisher) unter LBr liegenden Briefwechsel integrieren. Alle diese Briefe zählen nämlich zum Weltkulturerbe ‚Briefwechsel von Gottfried Wilhelm Leibniz‘. Innerhalb der Signaturengruppe LBr wird die ‚ständische‘ Gliederung aufgehoben und die unter LBr. F katalogisierten Korrespondenzpartner in das eine, gemeinsame Korrespondentenalphabet eingeordnet. Im Gegenzug zu der Zusammenführung sämtlicher Korrespondenzen und Briefe in LK-MOW werden jene in LBr liegenden Manuskripte, die nicht zum Briefwechsel gehören (auch nicht als Beilagen), dort ausgeschieden und in die neu aufgestellte Abteilung XLIII der Leibniz-Handschriften eingeordnet (3.2.2.). Im Unterschied zu den Ordnungsarbeiten des 19. Jahrhunderts, von denen wir vor allem die Ergebnisse kennen, aber nur ganz unzureichend den früheren Zustand, von dem sie ausgegangen sind, werden die Umordnungen und Umsignierungen im Kontext von LK-MOW protokolliert, um frühere Kontexte jederzeit rekonstruieren zu können. Zur Zeit sind gut hundert Korrespondenzen in der Datenbank LK-MOW erfasst, vor allem aus dem Anfang des Korrespondentenalphabets (A vollständig und von B knapp die Hälfte).

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3.2.2. Leibniz-Handschriften (LH) Zu der Ordnung des Briefwechsels nach Korrespondenten-Alphabet gab es keine sinnvolle Alternative. Dergleichen ließ sich von der Ordnung der LeibnizHandschriften (LH) nicht sagen. Aus der zitierten Charakterisierung der überlieferten Konvolute (3.1.) meinte der Bibliothekssekretär Sextro sich zu einer „freieren Behandlung des Gegenstandes ermächtigt halten zu dürfen“, denn es könne nicht um „ein bloßes Ordnen nach Fascikeln und Convoluten“ gehen, vielmehr seien „die einzelnen in den Convoluten enthaltenen Stücke sämmtlich durchzulesen, ohne Rücksicht auf die bisherigen Bezeichnungen resp. zu trennen und zu vereinigen, und so ihrem speciellen Inhalte nach in eine genauere und möglichst systematische Ordnung zu bringen“ (NLA Hannover, Hann. 1/2 Nr. 469, nicht foliiert). Was vor Sextros frühem Tod noch geschehen ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Ebenso bleibt im Dunkeln ob es sich bei dem von Bodemann erwähnten „Katalog der übrigen Leibniz-Handschriften“ (3.2.1: Bodemann 1889 [1966], XIII, Anm. *) um mehr handelte als das Übernahmeinventar (3.1.). Jedenfalls sah sich Bodemann genötigt, „dessen vollständige Umarbeitung [...] in Angriff“ zu nehmen (ebd.). Die systematische Ordnung des Bestandes LH gilt denn auch als sein Werk (ebd., S. VI). Wie bei LBr hat er auch in LH die Ordnungsarbeit mit der Herausgabe eines Katalogs gekrönt: Die Leibniz-Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Beschrieben von Eduard Bodemann, Hannover 1895. ND Hildesheim 1966.

In der Ordnung folgte Bodemann weitgehend jener Systematik, die er für die allgemeinen Handschriften (Ms) bereits vorgefunden hatte (3.2.3.). Dies hat dazu geführt, dass einige im Katalog ausgewiesene Abteilungen tatsächlich gar nicht belegt sind. Der Katalog kaschiert das auf den ersten Blick dadurch, dass Bodemann in ihm auf einschlägige Leibnitiana aus der Signaturengruppe Ms verweist. Den entsprechenden Faszikeln und Manuskripten hat er nicht nur die MsSignatur vorangestellt, sondern sie auch durch ein Sternchen am Anfang als nicht zu LH gehörig gekennzeichnet. Andererseits hat er nicht nur die bereits zuvor in der Signaturengruppe Ms katalogisierten Leibniz-Manuskripte nicht in LH eingegliedert, sondern auch, wie im Briefwechsel, vorgefundene Zusammenhänge in vielen Fällen nicht zerstört, auch wenn sie der neuen Ordnung widersprachen. Deshalb liegen bis heute zahlreiche Briefe von Leibniz und seinen Korrespondenten in LH. Sie werden allerdings im Rahmen der LK-LOW-Katalogisierung Stück für Stück aus dem Bestand entfernt (3.2.1. Exkurs). Die Abteilung XXXV ‚Mathematik‘ ist von Carl Immanuel Gerhardt (7.6.) katalogisiert worden. Für die Katalogisierung insgesamt gilt im Übrigen, was bereits beim Briefwechsel festzustellen war, dass sie bewusst sehr ungleichmäßig ausfällt. Während manche Bereiche ganz pauschal und unzureichend verzeichnet sind, hat Bodemann andererseits einzelne Gedichte oder kürzere Texte vollständig abgedruckt, so dass der Katalog für derartige kleine Manuskripte in einzelnen Fällen die noch ausstehende Edition ersetzen kann. Insgesamt ist er durch den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition ersetzt, der das Material nicht nur vollständi-

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ger, sondern auch zuverlässiger aufarbeitet (9.1.). Die thematisch eingeordneten Verweise auf Leibnitiana in der Signaturengruppe Ms bieten allerdings einen ersten Zugang zu jenen Leibniz-Manuskripten der GWLB, die außerhalb des Bestandes ‚Leibniz-Nachlass‘ aufbewahrt werden. Die Abteilung XLII fehlt bei Bodemann (auch im Nachdruck). Sie wurde erst nach seiner Katalogisierung eingerichtet, um recht disparates Material aufzunehmen. Neben Manuskripten, die Bodemann nicht eingeordnet hatte (LH XLII, 2) oder die aus anderen Signaturengruppen zu stammen scheinen (LH XLII, 1), finden sich Neuzugänge (in LH XLII, 7), Abschriften (LH XLII, 3) und Reproduktionen (in LH XLII, 7). Besonders hinzuweisen ist auf die Faszikel LH XLII, 4,1; 4,2 und 5 mit den Manuskripten zur Rechenmaschine, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts nach Göttingen ausgeliehen worden waren und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zurückgegeben worden sind (6.4.2.). LH XLII, 6 enthält alte und neuere Fotos der Rechenmaschine und ihres Nachbaus. Im Arbeitskatalog der Leibniz-Edtion (9.1.) ist die Abteilung weitgehend, aber noch nicht ganz vollständig verzeichnet. Erst jüngst ist eine weitere Abteilung aufgestellt worden. In LH XLIII werden jene Manuskripte eingeordnet, die bisher in LBr lagen, bei denen es sich aber weder um Briefe noch um Beilagen zu solchen handelt. Diese Stücke werden dort unter dem Namen des Korrespondenzpartners, aus dessen Briefwechsel in LBr sie herausgezogen worden sind, abgelegt. Die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang stammende Foliierung wird beibehalten. 3.2.3. Leibnitiana in der Signaturengruppe Ms Wie schon gesagt beschränken sich Leibniz’ hinterlassene Papiere in der GWLB nicht auf die beiden Signaturengruppen LBr und LH, die zusammen den Bestand ‚Leibniz-Nachlass‘ bilden. Die Handschriftenbestände der Bibliothek außerhalb des ‚Leibniz-Nachlasses‘ sind ebenfalls von Bodemann und bereits früher katalogisiert worden: Die Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover. Beschrieben und hg. von Eduard Bodemann, Hannover 1867.

Bodemann war darauf verpflichtet worden, die Handschriften streng nach dem Schema des systematischen Bibliothekskatalogs aufzunehmen (ebd., IV). Dieses Schema übernahm er dann auch weitgehend für die Ordnung von LH (3.2.2.). Seine Anwendung auf die allgemeinen Handschriften hat stärker als im Bestand ‚Leibniz-Nachlass‘ ursprüngliche Zusammenhänge zerstört. Die Ordnung nach einer rigiden Systematik hat dazu geführt, dass in praktisch allen Rubriken der Signaturengruppe Ms mit Leibniz’ nachgelassenen Papieren gerechnet werden muss. Dieses weist der Katalog – allerdings recht pauschal – in den meisten Fällen nach. Außerdem hat Bodemann in seinen Katalog der LH-Bestände (3.2.2: Bodemann 1895 [1966]) Verweise auf entsprechende Leibnitiana in der Signaturengruppe Ms eingearbeitet.

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Die weitgehend gleichartige Systematik der LH- und Ms-Bestände kann zwar in vielen Fällen die Orientierung erleichtern oder beschleunigen, wenn man von dem einen in den anderen Bestand wechselt, sie birgt aber auch die Gefahr der Verwechselung (s. o. Anm. 2). Dies gilt besonders, wenn Zitationen in der (leider nicht nur) älteren Sekundärliteratur das „LH“-Kürzel (noch) nicht verwendet, ja manchmal sogar bei LH-Beständen das (an sich ja allgemein für Handschriften gebräuchliche) Kürzel „Ms“ vor die Rubriken und Faszikel-Nr. gesetzt haben. Der Aufbau der Signaturen der Ms-Bestände weist einen Unterschied zu jenen der LH-Bestände auf, der in solchen Fällen zur Zuordnung und Identifizierung nützlich sein kann. Die arabische Numerierung der Katalogisierungseinheiten unterhalb der lateinischen Rubriken-Nr. setzt nämlich nicht – wie in LH – mit jeder Rubrik neu ein, sondern läuft durch: Die Signaturen beginnen mit Ms I 1 und gehen unter dieser Rubrik bis Ms I 257. Die folgende Rubrik setzt aber nicht mit Ms II 1 ein, sondern führt die arabische Numerierung fort, indem die erste juristische Handschrift die Signatur Ms II 258 trägt. Das heißt, dass eine Signatur, die in der Sekundärliteratur verstümmelt oder missverständlich wiedergegeben ist, die aber die Nummern „IV 471“ enthält, zum Ms-Bestand gehören muss, da das Material unter LH IV nur in acht Bände aufgeteilt ist, also nur eine erste arabische Numerierung bis „8“ möglich ist. Umgekehrt ist eine Angabe „IV 7“ nur im LHBestand möglich, da die vierte Rubrik in Ms erst mit Ms IV 306 beginnt. Allerdings ist Bodemann in einem Punkt inkonsequent in der Anwendung dieses Schemas gewesen. Das betrifft die Rubrik XXIII, die (wie in LH) „Braunschweig-Lüneburg“ gewidmet ist und in der viel Material zu Leibniz’ Arbeiten an der Welfengeschichte liegt. Es handelt sich um die mit weitem Abstand größte Rubrik, deren Verzeichnung rund ein Drittel des Katalogs einnimmt. In dessen Inhaltsverzeichnis ist sie zwar noch in die numerische Abfolge der Rubriken eingeordnet, tatsächlich steht sie allerdings am Ende des Katalogs (397–615), direkt vor den Nachträgen. Vor allem jedoch ist sie auch insofern aus der Abfolge der Rubriken ausgegliedert, als hier die arabische Zählung der Katalogisierungseinheiten nicht nach dem oben erläuterten Muster durchläuft, sondern wieder bei „1“ beginnt. Die Absonderung der Leibnitiana in der Signaturengruppe Ms von dem Bestand, der als ‚Leibniz-Nachlass‘ bezeichnet wird, hatte Bodemann vorgefunden und respektiert (3.2.2: Bodemann 1895 [1966], IX). Da das frühere Schicksal der Bestände erst umrisshaft zu erkennen ist (3.1.), wird man mit Schlüssen aus dieser Überlieferungssituation vorsichtig sein müssen. Allerdings darf man wohl davon ausgehen, dass das massive Übergewicht historiographischen Materials kein Zufall ist. Leibniz’ Nachfolger im Amt des Historiographen waren zugleich Bibliothekare (Ohnsorge 1962, 33–56). Wir hatten bereits gesehen, dass Eckhart das einschlägige Arbeitsmaterial im Februar 1717 ausgehändigt wurde, dass die historischen Manuskripte und Kollektaneen in dem archivischen Übergabeinventar für Hahn weitestgehend fehlen und dass schließlich Sextros Verzeichnis der 1842 aus dem Archiv in die Bibliothek übernommenen Nachlass-Konvolute sie ebenfalls nicht erwähnt (3.1.). Demnach dürfte dieses Material bereits vor 1842 in der Bi-

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bliothek gewesen sein, wo es den Historiographen, die ja zugleich die Bibliothek betreuten, für ihre Arbeiten bequem zur Verfügung stand. Somit wären jene von Leibniz hinterlassenen Papiere, die sich außerhalb des Bestandes ‚Leibniz-Nachlass‘ befinden, diejenigen, die am längsten unter den Manuskripten der GWLB aufbewahrt werden. Der Grund dafür liegt nach dem bisher Gesagten auf der Hand: Die Papiere dienten seinen Amtsnachfolgern weiterhin als Arbeitsmaterial und wurden von Eckhart an Hahn, von Hahn an Gruber usw., jeweils um eigene Manuskripte vermehrt, an den Nachfolger ‚weitervererbt‘. Dabei ist es zu Umordnungen nach den Bedürfnissen des jeweiligen Bearbeiters und zu Entfremdungen gekommen. So hat Leibniz’ Mitarbeiter und Nachfolger Johann Georg Eckhart einzelne Beobachtungen zur Etymologie, die sich Leibniz auf Zettel notiert hatte und die zweifellos in den Kontext seiner historischen Forschungen gehören, der umfangreichen Materialsammlung (Ms IV 471) für sein Lexicon etymologicum einverleibt (Waldhoff 2014, 271–293). Da sich Leibniz’ Arbeiten für die Welfengeschichte nicht auf die Geschichte im modernen Verständnis beschränkten, sondern einen weiten, polyhistorischantiquarischen, ja enzyklopädischen Horizont besaßen, die Systematik der Katalogisierung jedoch schon weitgehend den modernen Wissenschaftsdisziplinen entspricht, sind die einschlägigen Materialien über fast alle Rubriken verstreut. Selbst in seinem Kernbereich ist das Material zur Welfengeschichte aufgeteilt. So sind die Manuskripte der Annales imperii occidentis Brunsvicenses unter die (allgemeine) „Geschichte des Mittelalters“ eingeordnet (Ms XII B 713a–e mit Arbeitsmaterialien, auch von Leibniz’ Nachfolgern in Ms XII B 713f–s), während sich die stärker landesgeschichtlichen geprägten Aufzeichnungen unter der Rubrik „Braunschweig-Lüneburg“ (Ms XXIII) finden. Wie in den Signaturengruppen LBr und LH hat Bodemann an einzelnen Stellen überlieferte Zusammenhänge nicht aufgelöst, obwohl sie der Systematik widersprachen. So finden sich etwa im Material für den Codex juris gentium diplomaticus und die Mantissa (Ms XLI 1813–1814) Briefe aus deren Entstehungskontext (die mittlerweile teilweise in LK-MOW eingeordnet sind [3.2.1. Exkurs]), außerdem Aufzeichnungen über historische Dokumente, die für den Spanischen Erbfolgestreit relevant waren (etwa A IV,8 N. 19–27). Briefe, die in diesem Falle als Druckvorlagen für die Collectanea etymologica gedient haben, kann man in den sprachwissenschaftlichen Konvoluten finden (speziell Ms IV 469). Die Collectanea etymologica liefern aber auch Beispiele für den umgekehrten Fall, dass nämlich Druckvorlagen (wahrscheinlich, weil sie als solche nicht erkannt worden sind) aus inhaltlichen Gründen weit ab vom Fachgebiet des Druckes eingeordnet worden sind. So finden sich zwei Vorlagen für das genannte Werk in der Signaturengruppe Ms I, also unter der Rubrik „Theologie“ (Waldhoff 2014, 310). Die vorangehenden Schilderungen lassen schon ahnen, dass die Katalogisierung der Leibnitiana in der Signaturengruppe Ms schwieriger ist als die der Signaturengruppen LBr und LH. Bodemann hat vor allem Konvolute mit Exzerptzetteln und dergleichen nur pauschal katalogisiert, beispielsweise beginnt der Eintrag zu Ms XXIII 483: „Brunsvicensia. Ein ungeb. Convol. in Folio, enthaltend: 1. Literarische Notizen von Leibniz und Jung. [...]“ (3.2.3: Bodemann 1867, 464). Hier

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fehlt nicht nur eine Angabe zum Umfang der Notizen (die Bodemann an anderen Stellen immerhin angibt), sondern auch eine Scheidung der einzelnen Aufzeichnungen nach ihren Autoren. Von den fünf weiteren Teilen des Konvoluts stammt nach Ausweis des Katalogs nichts von Leibniz’ Hand. Ob aber etwa die eine oder andere Urkundenabschrift auf seine Veranlassung hin erfolgt ist oder ihm jedenfalls vorgelegen hat, lässt sich so nicht feststellen. Ohnehin lässt sich Leibniz’ Arbeitsmaterial zur Welfengeschichte, wenn es nicht eigenhändig ist, kaum von dem seiner Nachfolger, wie etwa in diesem Fall Johann Heinrich Jung (1715– 1799), trennen. Die systematische Ordnung der Handschriften im 19. Jahrhundert hat dann die Provenienzen der einzelnen Papiere noch einmal gründlich verdunkelt. Wie in LBr und LH kann in Ms statt auf die unzureichende Katalogisierung Bodemanns auf die detaillierte Erschließung durch den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition zurückgegriffen werden (3.1.). Allerdings weist dieser für die Signaturengruppe Ms noch massive Lücken auf. Diese betreffen vor allem Arbeitsmaterial wie Exzerptzettel mit Quellenzitaten, Literaturhinweisen usw. Teilweise sind Zettelkonvolute in diesem Bestand noch gar nicht foliiert. Das eigentliche Problem besteht aber in der Abgrenzung des nicht eigenhändigen Arbeitsmaterials von dem seiner Vorgänger und Nachfolger und von Papieren, die auf ganz anderen Wegen in den Bestand gelangt und unter rein inhaltlichen Gesichtspunkten zusammengestellt worden sind. Die jüngst erfolgte Beauftragung der Potsdamer Arbeitsstelle mit der Bearbeitung der Reihe V der Akademie-Ausgabe (8.2.5.) wird hier jedoch Abhilfe schaffen. Zu den in Angriff genommenen Vorarbeiten gehört die Nachkatalogisierung der einschlägigen Stücke aus diesem Bestand. 3.2.3. Exkurs: ‚Kryptobestände‘ von Martin Fogel und Cristobal de Rojas y Spinola Unter den Papieren, die nach Leibniz’ Tod in seiner Wohnung lagen, befand sich auch Material aus fremden Nachlässen. Dabei ist nicht an die historischen Manuskripte seines Vorgängers als Historiograph, Johann Heinrich Hoffmann († 1680) gedacht, die Leibniz aus dem Archiv erhalten hatte und die somit nicht Bestandteil des Nachlasses waren (sie standen dem König zu, nicht den Erben, wie das Inventar formulierte). Vielmehr sind zu zwei Zeitpunkten und auf unterschiedlichen Wegen nachgelassene Papiere etwas älterer Zeitgenossen in Leibniz’ Besitz gelangt. Dass (Nachlass-)Material anderer Provenienz in Nachlässen begegnet, ist nicht selten. Man spricht in diesen Fällen von ‚Kryptobeständen‘ (Regeln 2010, 10). Allerdings trifft der Begriff in den beiden hier interessierenden Fällen nur bedingt zu. Der erste Fall betrifft den Hamburger Mediziner und Gelehrten Martin Fogel (1634–1675). Leibniz hatte im Sommer 1678 im Auftrag seines Landesherrn die Privatbibliothek des verstorbenen Hamburger Gelehrten für die Hannoveraner Hofbibliothek angekauft (zu Fogels Bibliothek: Marten 2013, 10–14). Bei dieser Gelegenheit hatte er sich einen umfangreichen Teil von dessen Schriftnachlass

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ausgeliehen. Dabei handelte es sich um den ‚Zettelkasten‘ Fogels (oder jedenfalls wohl den größten Teil desselben). Von ihm sind, da Leibniz ihn nicht zurückgegeben hat, in der GWLB ca. 32.500 Zettel, auf Oktavformat zugeschnitten oder gefaltet, erhalten. Zunächst, so scheint es, hat er Fogels Manuskripte, die ja nur entliehen waren, kopieren lassen. Diese Arbeit wurde aber nicht abgeschlossen, und mit fortschreitender Zeit muss Leibniz sich als Eigentümer der Zettel betrachtet haben, die er nicht nur teilweise seinem eigenen Arbeitsmaterial einordnete, sondern zum Teil wohl auch zerschnitt, um die Fragmente neu zu ordnen (Marten/Piepenbring-Thomas 2015). Das nach Leibniz’ Tod aufgenommene Inventar erwähnt „Fogelianische Philosophische Paqueter ins gesamt 88 Stück“ (NLA Hannover, Hann. 93 Nr. 182, 56r). Das sind zwei mehr, als sich Leibniz in Hamburg ausgeliehen hatte (A I,3 N. 312). Ob die Nähe der beiden Zahlenangaben so gedeutet werden darf, dass die aus Hamburg entliehenen Konvolute zu großen Teilen noch in ihrem ursprünglichen Umfang und ihrer ursprünglichen Ordnung vorlagen, muss freilich offen bleiben. Einerseits ist von dem übernommenen Bestand das in die eigenen Papiere eingeordnete Material abzuziehen, andererseits sind hier wahrscheinlich die in Hannover gefertigten Abschriften einbezogen worden. Jedenfalls bildete Fogels ‚Zettelkasten‘ zunächst einen ‚Kryptobestand‘ innerhalb des Leibniz-Nachlasses. Mit diesem teilt er auch das Schicksal einer gewissen Zersplitterung – und zwar aus denselben Gründen. So finden sich für die Welfengeschichte thematisch einschlägige Zettel von Fogels Hand in der Signaturengruppe Ms verstreut. Ob diese bereits von Leibniz selbst oder erst von seinen Nachfolgern dort einsortiert worden sind, lässt sich nicht mehr feststellen. Lediglich Für Johann Georg Eckhart lässt sich nachweisen, dass er sich für sein Lexicon etymologicum aus Fogels Material bedient hat (Marten/Piepenbring-Thomas 2015, 190–196). Wann die Masse von Fogels Zetteln aus Leibniz’ Papieren ausgegliedert wurde, ist nicht bekannt. Sie liegen heute in der Signaturengruppe Ms unter den Signaturen Ms XLII 1923. Bodemann scheint sich nicht näher mit dem Material beschäftigt zu haben, wie seine ganz pauschale Katalogisierung verrät (3.2.3: Bodemann 1867, 388). Das Leinehochwasser von 1946, das auch andere Bestände geschädigt hat, und die anschließenden Arbeiten haben die Zettel durcheinander gebracht. Die heutige Ordnung, die zunächst nach griechischen Buchstaben und dann nach arabischen Ziffern gliedert, geht auf eine Durchsicht des Hamburger Wissenschaftshistorikers Hans Kangro von 1959/1960 zurück (Marten/Piepenbring-Thomas 2015, 45 f.). Auf dieser Ebene wurde das Material in den Jahren 2006–2010 von Carola Piepenbring-Thomas katalogisiert. Die Katalogisate sind über die Datenbank der Handschriften und Sonderbestände abfragbar: http://www.leibnizcentral.de/CiXbase/gwlbhss/

Etwas anders liegt der Fall bei Cristobal de Rojas y Spinola (um 1626–1695), zuletzt Bischof von Wiener Neustadt. Leibniz war mit ihm im Rahmen seiner ökumenischen Bemühungen in Kontakt gekommen. Nach dem Tod des Kirchenmannes hat Leibniz während seines zweiten Aufenthalts in Wien im Jahre 1700 Zugang zu dessen Nachlass erhalten. Bei dieser Gelegenheit konnte er den Rojas-

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Nachlass nicht nur gründlich untersuchen und sich Abschriften und Aufzeichnungen machen, sondern auch Papiere des Verstorbenen mit sich nehmen. In Leibniz’ eigenem Nachlass liegt somit ein (kleiner) Teil des Rojas-Nachlasses. Insofern handelt es sich um einen eindeutigen ‚Kryptobestand‘. Allerdings ist dieser nicht präzise abzugrenzen. Wie gesagt hatte Leibniz nicht nur Originale aus Wien mitgebracht. Vermischt mit den originalen Dokumenten aus Rojas’ Nachlass liegen Abschriften von Schreiberhand, eigenhändige Abschriften und vor allem Exzerpte im Leibniz-Nachlass. Das gesamte Rojas-Material, Originale, Abschriften, Exzerpte und dazu katalogisierende und auswertende Aufzeichnungen von Leibniz, nimmt einen nicht unbeträchtlichen Teil der Faszikel LH I 10 und 11 ein. Dazu kommen weitere, eher verstreute Papiere. Insgesamt enthält der Leibniz-Nachlass damit die „drittgrößte Sammlung“ von Dokumenten zu Rojas’ Reunionsverhandlungen, „nach den im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv und der Österreichischen Nationalbibliothek lagernden Papieren“ (Utermöhlen 1999, 120). Ein Verzeichnis von Papieren aus Rojas’ Nachlass (A IV,8 N. 45) nennt wohl das Material, das er aus Wien mitgenommen hat, auch wenn sich ungefähr ein Viertel der Einträge nicht im Leibniz-Nachlass identifizieren lässt. Leibniz selbst hat bereits während seines Wiener Aufenthaltes mit der Auswertung der Papiere begonnen (A IV,8 N. 46– 55). Das Interesse niedersächsischer Gelehrter des 18. Jahrhunderts an den Reunionsverhandlungen des Bischofs in Ungarn und im Reich haben im LeibnizNachlass Spuren hinterlassen, auf die noch zurückzukommen ist (6.1.3. Exkurs). Seitdem hat dieses Quellenmaterial nicht mehr die Aufmerksamkeit gefunden, die es verdiente. Vielleicht kann der postum veröffentlichte Beitrag von Gerda Utermöhlen, der die Geschichte der Rojas-Überlieferung in der GWLB erhellt und im Anhang eine chronologisch geordnete Auswahl der in Hannover liegenden Schriften des Bischofs auflistet (Utermöhlen 1999, 129–132), neues Interesse entfachen. 3.2.4. Leibniz’ persönliche Bibliothek und Leibniz’ Marginalien (Leibn. Marg.) „Indirekt gehören auch die Marginalbände zu Leibnizens handschriftlichem Nachlaß: Bücher (aus seiner Privatsammlung oder dem Eigentum der Bibliothek), die er mit Anmerkungen und Unterstreichungen versah.“ (3.2.1: Bodemann 1889 [1966], VIII). Diese Bemerkung Karl-Heinz Weimanns im Vorwort zu den Nachdrucken der Bodemann-Kataloge über den ‚Leibniz-Nachlass‘ verrät das oben geschilderte literaturwissenschaftliche Nachlass-Verständnis (3.1.). Soweit es sich um Leibniz’ persönlichen Buchbesitz handelte, gehören derartige Einträge direkt zum Schriftnachlass, soweit sie sich in Büchern aus der Hofbibliothek finden, kann man sie zwar als nachgelassene Aufzeichnungen bezeichnen, aber nicht eigentlich zum Nachlass rechnen. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen persönlichem Buchbesitz und dem Bestand der Hofbibliothek, für den Leibniz verantwortlich war, nicht eben einfach. Dies ist nicht erst im Abstand von 300 Jahren so, sondern galt schon bei Leibniz’ Tod. Die Bibliothek war nämlich, nachdem sie aus dem Schloss ausgela-

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gert worden war, zusammen mit Leibniz’ Dienstwohnung in einem Bürgerhaus untergebracht worden, in dem sich persönliche und landesherrliche Bibliotheksbestände miteinander vermischten. Das kurz nach dem Tode aufgenommene Inventar bemerkt beispielsweise: „3) die darüber stehende neu gebundene Bücher mit einander sind zweiffelhafft, welche darunter dem Könige oder dem Verstorbenen und dessen Erben gehören, zumahlen deren einige schon von der Cammer bezahlet seyn sollen, ohne eigentlich zu wissen, welche es sind“ (NLA Hannover, Hann. 93 Nr. 182, 51v). In Einzelfällen sind schmalere Drucke aus der Bibliothek Martin Fogels (3.2.3. Exkurs), also einwandfrei Eigentum der Hofbibliothek, mit Leibniz’ Manuskripten sogar in die Signaturengruppe LH gelangt (Marten/PiepenbringThomas 2015, 78). Indem der Landesherr nicht allein Leibniz’ Manuskripte, sondern auch seine Privatbibliothek von dem Erben erworben hatte, bestanden für diese zunächst dieselben günstigen Überlieferungsbedingungen wie für jene: „Die Bücher konnten nämlich von den Erben nicht verauktioniert werden, und sie entgingen damit dem traurigen Schicksal vieler versteigerter und daher ‚verlorenen‘ gelehrten Bibliotheken.“ (Palumbo 2007/2008, 23). Aber auch die Bücher sind nicht gänzlich zusammengeblieben. Sie waren in der Hofbibliothek in den Bestand integriert, und so sind bei Abgaben aus derselben (Marten 2011) eben auch Bücher aus Leibniz’ Nachlass unter den abgegebenen Bänden gewesen. 1731 musste die Bibliothek auf Antrag des Archivs Dubletten der „auf die Geschichte des fürstlichen Hauses bezüglichen Werke“ an dieses abtreten (Bär 1900, 73). Allerdings ist die Dienstbibliothek des Archivs– und damit möglicherweise auch Exemplare mit LeibnizMarginalien – 1943 vollständig untergegangen. Ebenso mussten zur Ausstattung der Bibliothek der neu gegründeten Universität Göttingen Dubletten abgegeben werden (Marten 2011, 259–261; die ebd., 261, genannten Abgaben von 1755 und 1803 müssen gestrichen werden). Ob und in welchem Umfang Marginalexemplare von Leibniz nach Göttingen gelangt sind, ist noch nicht systematisch untersucht worden. Einzelfälle sind jedoch bekannt (Marten 2011, 257). Das Schicksal eines Bandes hat besondere Aufmerksamkeit gefunden. Unter den aus Hannover nach Göttingen gelangten Bänden befanden sich die Erstausgabe (1687) von Isaac Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica mit Randbemerkungen von Leibniz. Man hatte in Hannover Leibniz wohl nicht als den Autor der Marginalien erkannt und deshalb ein sauberes Exemplar behalten. Derselbe Vorgang wiederholte sich in Göttingen, als die Universitätsbibliothek 1926 ihrerseits Dubletten verkaufte. Erst 1969 entdeckte der Basler Euler-Editor Emil Fellmann Autor und Bedeutung der Marginalien, die er 1973 publizierte (Fellmann 1973). Das Marginalexemplar erwarb 1970 der Schweizer Privatgelehrte und Bibliophile Martin Bodmer für seine Bibliotheca Bodmeriana und stellte damit die Zugänglichkeit des Bandes für die Forschung sicher (Breger 2000). Auf eine umfangreiche Abgabe an Göttingen aus dem Jahr 1827, die keine Dubletten betraf, sondern medizinische Literatur, welche die königliche Bibliothek abstoßen wollte, hat Charlotte Wahl aufmerksam gemacht. Sie rechnet mit einem hohen Anteil Leibniz-relevanter Bände und hat bereits Exemplare aus seiner Privatbibliothek identifizieren können (Wahl 2018).

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Im Jahre 1755 ging eine weitere Dublettenabgabe der Bibliothek im Umfang von gut 1.500 Bänden an das Pädagogium im ehemaligen Kloster Ilfeld. Die Ilfelder Bibliothek hat unter den Nachkriegswirren stark gelitten und erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Der umfangreichste Teil ihrer ehemaligen Bestände, gut 15.000 Bände, befindet sich heute in der Forschungsbibliothek Gotha. Die dort vorhandenen nachweislich aus Hannover abgegebenen Bände hat Thomas Fuchs zusammengestellt. Unter ihnen findet sich allerdings kaum eine Handvoll, die einst Leibniz’ Eigentum waren (Fuchs 2008). Die Schwierigkeiten, nach Leibniz’ Tod den privaten vom landesherrlichen Buchbesitz eindeutig zu trennen (3.1.), erschweren bis heute jede Rekonstruktion seiner privaten Bibliothek erheblich. Gleichwohl haben sich nicht wenige Studien einzelnen Aspekten seines privaten Buchbesitzes gewidmet (s. den Beitrag von Margherita Palumbo in diesem Band). Margherita Palumbo hat zudem gezeigt, wie aufgrund der (leider sehr nachlässigen) Bücherlisten, die bei der Aufnahme des Nachlasses angefertigt worden sind, in der Zusammenschau mit anderen Quellen – besonders mit dem Briefwechsel – und der Autopsie des Hannoveraner Altbestandes nicht nur die Rekonstruktion vorangetrieben werden kann, sondern sich auch interessante Perspektiven auf Leibniz’ Buchkäufe eröffnen (Palumbo 2007/2008). Aus den geschilderten Abgrenzungsschwierigkeiten hat daher das in den Jahren 2008–2012 durchgeführte Erschließungsprojekt Virtuelle Rekonstruktion der Arbeitsbibliothek von Gottfried Wilhelm Leibniz (Marten 2013) den „erweiterten Begriff der ‚Arbeitsbibliothek‘“ (Fleck 2016, 215) zugrunde gelegt. Dieser hebt nicht auf die Rekonstruktion der Privat- im Gegensatz zur Hofbibliothek ab, sondern fragt nach jenen Büchern, die Leibniz (nicht allein in Hannover) zugänglich gewesen sind. Hier besteht einerseits die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit, andererseits bleibt die Identifizierung von Exemplaren, die in Leibniz’ Besitz gewesen oder von ihm benutzt worden sind – doch hätten benutzt werden können – sehr schwierig und ist zudem in recht unterschiedlichem Maße belastbar. Diesen Problemen ist man durch die Aufteilung der zu rekonstruierenden ‚Arbeitsbibliothek‘ in Teilbestände begegnet, die sich nach Provenienz oder ausgewerteten Quellen unterscheiden (tabellarische Übersicht in Fleck 2016, 212; detailliertere alphabetische Auflistung in Marten 2013, 39–41). Die erstellte und über das Projektende hinaus aktualisierte Datenbank ist zu finden unter: http://www.leibnizcentral.de/CiXbase/gwlblab/

Zu den Quellen, die zur Rekonstruktion von Leibniz’ privater Bibliothek herangezogen werden können, gehören auch jene Bücher, in denen seine Lektüre Spuren in der Gestalt von An- und Unterstreichungen und handschriftlichen Marginalien hinterlassen hat. Obwohl Leibniz sicherlich nach Möglichkeit mit der Feder in der Hand gelesen hat, sind Marginalien nicht so häufig, wie man erwarten könnte, und nur selten sind sie so aussagekräftig wie jene in Newtons Principia mathematica. Diese Lesespuren finden sich nicht nur in Büchern aus seinem persönlichen Besitz, sondern auch in Exemplaren, die zweifelsfrei der Hofbibliothek gehört haben. Die heute in der GWLB überlieferten Marginalexemplare sind in der Signa-

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turengruppe Leibn. Marg. zusammengezogen worden. Allerdings stammen nicht in jedem Exemplar, das eine Leibn. Marg.-Signatur trägt, die entsprechenden Spuren tatsächlich von Leibniz Hand. Hier ist es zu einzelnen fehlerhaften oder unbewiesenen Zuweisungen gekommen. Andererseits erfasst die Signaturengruppe nicht sämtliche Marginalexemplare der GWLB. Es sind weitere Exemplare bekannt, die sich im allgemeinen Altbestand befinden. Seit einigen Jahren werden die Leibn. Marg.-Bände digitalisiert. Die Arbeit ist fast abgeschlossen. Allerdings musste aus konservatorischen Gründen auf die Digitalisierung einzelner weniger Exemplare verzichtet werden. Die Digitalisate werden laufend in die Digitalen Sammlungen der GWLB eingespielt: http://digitale-sammlungen.gwlb.de/sammlungen/

Von den Marginalexemplaren im allgemeinen Altbestand sind nach Bedarf zwar auch schon einzelne Stücke digitalisiert worden, aber sie stehen noch nicht online zur Verfügung. Während Leibniz in einzelnen Exemplaren aus der hannoverschen Hofbibliothek Lesespuren hinterlassen hat, sind derartige An- und Unterstreichungen sowie Marginalien aus Wolfenbüttel, wo Leibniz seit Anfang 1691 ebenfalls als Bibliothekar amtierte (4.3.), nicht bekannt. Dort hat er allerdings andere Spuren hinterlassen. Für seinen Codex juris gentium diplomaticus (1693) und dessen Ergänzung, der Mantissa (1700), hatte Leibniz nämlich die Wolfenbütteler Handschriftenschätze, vor allem die sog. Mazarinischen Manuskripte ausgewertet. In einzelnen Fällen müssen diese Kodizes direkt als Druckvorlage gedient haben, wie die Kennzeichnungen für typographische Auszeichnungen, teilweise auch Korrekturen von Schreiberversehen unter Heranziehung von Lesarten anderer Textzeugen belegen (vgl. besonders Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 3.1.263 Aug. fol.). Daneben hatte er aber auch in erheblichem Umfang ältere Druckausgaben herangezogen. So lassen sich in einigen Drucken aus der GWLB entsprechende Spuren der Einrichtung zum Nachdruck beobachten (Otto 2004, 151–154). Schließlich muss eine für Leibniz’ frühe Jahre wichtige Bibliothek genannt werden, in der er seine Spuren hinterließ: die private Sammlung seines Gönners Johann Christian von Boineburg (1622–1672). In dessen Auftrag hatte Leibniz nicht nur die Bücher katalogisiert (Hakemeyer 1967), er hat sie auch genutzt und in einigen Fällen seine Spuren hinterlassen (Paasch 2008, 30–33). Welche Einsichtigen für die intellektuelle Prägung des jungen Leibniz zu gewinnen sind, hat Ursula Goldenbaum anhand des annotierten Exemplars von Spinozas Tractatus theologico-politicus aus der Bibliotheca Boineburgica gezeigt (Goldenbaum 1999). 3.3. Hannover, Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NLA) Nachdem das Archiv im Jahr 1842 die von dem Bibliothekssekretär Sextro verzeichneten 70 Konvolute an die Bibliothek abgegeben hatte (3.1.), war, so könnte es scheinen, Leibniz’ Schriftnachlass endlich in einer Institution vereinigt. Dieser

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Eindruck muss allerdings relativiert werden. Bereits Sextro selbst hatte sich gefragt, „ob die mir ausgehändigten Papiere auch wirklich den gesammten im Königlichen Archiv vorhandenen Leibnitzischen Nachlaß in sich begreifen“ (NLA Hannover, Hann. 1/2 Nr. 469, nicht foliiert). Diese Skepsis war nicht unangebracht. Es handelte sich nämlich weder um den ersten, noch um den letzten Austausch von Leibnitiana zwischen den beiden Institutionen. Nachdem im Januar 1728 gut 300 Konvolute Leibniz-Nachlass an Hahn ausgeliefert worden waren (3.1.), kamen im September desselben Jahres zwölf Konvolute mit Papieren über Bergbau, Metallverhüttung und angrenzenden Fragen in das Archiv zurück (NLA Hannover, Hann. 93 Nr. 185). An ihnen lässt sich, wie zu zeigen sein wird (4.2.), recht gut nachverfolgen, was mit dem Schriftgut im Archiv geschah, das aus dem Nachlass aussortiert worden war. Auch nach 1842 ist es noch in gewissem Maße zu Austauschen zwischen der Bibliothek und dem Archiv gekommen. Zehn Jahre später wurde auf Vorschlag des Archivars der Briefwechsel zwischen Leibniz und Kurfürstin Sophie, der zuvor offensichtlich auf beide Institutionen verteilt war, im Archiv zusammengeführt (NLA Hannover, Hann. 1/2 Nr. 469, nicht foliiert). Allerdings besitzt die GWLB immer noch einen Teilbestand von gut drei Dutzend Stücken aus dieser Korrespondenz in LBr. F 16. Dazu kommt noch verstreute Überlieferung sowohl in der GWLB wie im NLA Hannover. Derartige explizite Hinweise auf den Austausch von Leibnitiana zwischen dem Archiv und der Bibliothek sind allerdings sehr selten. So stellt sich die schwierige und vielfach wohl nicht eindeutig zu beantwortende Frage, was von Leibniz’ Papieren, die im Niedersächsischen Landesarchiv (NLA) Hannover (bis vor kurzem Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv [HStA] in Hannover) aufbewahrt werden, mit seinem Nachlass dorthin gelangt ist, also hier zu behandeln wäre, und was bereits zu Lebzeiten durch seine dienstliche Tätigkeit in die amtlichen Akten und mit diesen schließlich in das Archiv gekommen ist und damit unter Punkt 4.2. fällt. Teilweise sind diese beiden unterschiedlichen Provenienzen in einem Bestand vermischt worden. Sowohl wegen der angedeuteten Schwierigkeit der Abgrenzung als auch um Redundanzen oder ständiges Hin- und Herblättern zu vermeiden, soll das gesamte einschlägige Material des NLA Hannover erst unter der aus Leibniz’ amtlicher Tätigkeit erwachsenen Überlieferung behandelt werden (4.2.), auch wenn nicht unbeträchtliche Teile dieses Materials wohl erst mit dem Nachlass oder noch später durch Austausch mit der Bibliothek (endgültig) in das hannoversche Archiv gekommen sind. 3.4. Ein ‚Nebennachlass‘: Leibniz’ Berliner ‚Schreibtisch‘ Als Leibniz starb befand sich zwar die weit überwiegende Masse seiner Bücher und Papiere in seiner Wohnung in Hannover, kleinere Bestände lagen aber auch in Wolfenbüttel, Berlin und Wien. Im Februar 1718 brachte Eckhart aus Wolfenbüttel knapp 1.000 Bücher und einen Koffer voll Manuskripte nach Hannover (4.3.).

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Die Zahl der in Wien zurückgelassenen Bücher war viel niedriger. Sie wird einmal mit 43 (bisher: GWLB, Bibl. Akten A 8, 1, 8r), einmal mit 47 (ebd., 37r) angegeben. Ob diese Bände nach Hannover gelangt sind, ließ sich nicht feststellen. Noch im August 1718 machte Eckhart wiederholt auf die immer noch dort und in Berlin liegenden von Leibniz hinterlassenen Bücher aufmerksam (ebd., 11v). Die Berliner Papiere sind jedenfalls offensichtlich nicht nach Hannover gesandt worden. Der Überblick über die aus Leibniz’ Nachlass stammenden Papiere wäre demnach unvollständig, wenn diese – in sich wiederum recht verstreute – Überlieferung übergangen würde, die zwar mit seinem Wohnort Hannover nicht in Verbindung steht, gleichwohl jedoch als Teil des Nachlasses betrachtet werden muss. Leibniz hatte während seiner häufigen Berlin-Aufenthalte Papiere dorthin mitgenommen, anderes dort geschrieben, Briefe verfasst und Briefe empfangen. Man kann gewissermaßen von Leibniz’ Berliner ‚Schreibtisch‘ (zu diesem Vereinbarungsbegriff unter Leibniz-Editoren s. Sellschopp 2017, 34) sprechen. Etliche dieser Manuskripte, Briefe und Briefkonzepte hat er dort in sicherer Obhut zurückgelassen. Zunächst lagerten die Papiere in der Dienstwohnung des Astronomen der Berliner Akademie, Gottfried Kirch († 1710). Noch Ende April 1716, nach dem Tode von dessen Nachfolger, bat Leibniz einen seiner wichtigsten Berliner Korrespondenten, den Hofprediger Daniel Ernst Jablonski, ein Auge auf sein Eigentum: „Eine Kiste einen coffer, einen poststuhl und noch einige Kleinigkeiten“, zu haben, damit diese Sachen nicht wegkämen (VII.8.: Kvačala 1899, 138). Von Kirchs Sohn Christfried hat schließlich der hugenottische Prediger und spätere Vizepräsident der Akademie, Charles Etienne Jordan (1700–1745) LeibnizPapiere erworben (Häseler 1994). Welche Papiere in dem Koffer und in der Kiste gewesen sind, wissen wir nicht, ebenso wenig, ob Jordan sämtliche dort vorhandenen Papiere erworben hat (3.4.1.). Er hat jedoch einem Korrespondenten mitgeteilt, dass er mehr als 400 Briefe von und an Leibniz besitze (Häseler 1994, 305–306). Jordan war in erster Linie Sammler. Mit der Publikation seines Materials tat er sich dagegen schwer. Eine ursprüngliche Überlegung, eine Art Auswahledition unter dem Titel Leibniziana nova zu veröffentlichen, hat er nicht verwirklicht. (Einzelne von Jordan veröffentlichte Leibniz-Briefe sind bei 1: Ravier 1937, 212, Nr. 385, nachgewiesen.) Stattdessen gab er Teile seines Materials an andere Sammler, die sich zu dessen Publikation bereit erklärt hatten. Darauf wird zurückzukommen sein (3.4.2.; 6.3.1.). Lassen sich auf diese Weise viele an verschiedenen Orten überlieferte oder gedruckte Papiere bis zu Leibniz’ Berliner Schreibtisch zurückverfolgen, bleibt doch manches im Dunkeln. Vieles wird bis zu seinem Tode in Jordans Besitz und danach in Berlin geblieben sein. In den letzten Jahren hat vor allem Nora Gädeke auf die zentrale Stellung Jordans im Geflecht der frühen LeibnizSammler und -Editoren hingewiesen (Gädeke 2011, 183–188; Gädeke 2017, 23. 30–31). Auch hier zeigen sich dieselben Schwierigkeiten, die uns schon in Hannover begegnet sind: Einerseits sind die aus dem Berliner Nebennachlass stammenden Papiere nicht zusammengeblieben. Andererseits lassen sich die Provenienzen

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manchmal nur schwer trennen, so dass fraglich bleibt, was von Leibniz’ Berliner Schreibtisch und was aus anderen Quellen an seinen heutigen Aufbewahrungsort gelangt ist (3.4.1.–2.). Dies gilt besonders für einige erst kürzlich entdeckte Leibnitiana, die aus dem Nachlass des Prinzen Heinrich in das BrandenburgPreußische Hausarchiv gelangt sind (eine nicht ganz vollständige Übersicht in A IV,8 399). Dort liegen sie in einem Konvolut von Papieren, die in ihrer Gesamtheit sicher nicht in Jordans Besitz gewesen sind. Vielmehr scheinen die Briefe, Briefabschriften und kurzen Manuskripte aus Sophie Charlottes Umfeld zu stammen. Für ein Exzerpt über China (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz [GStA PK], Brandenburg-Preußisches Hausarchiv [BPH], Rep. 56 II F, Nr. 7, Bd. 1.2, 658–659) oder den eigenhändigen Auszug eines Briefes an Sophie (ebd., Bd. 1.1, 323), den Leibniz während seines Berliner Aufenthalts im Sommer 1700 geschrieben hat, ist die Herkunft aus dem Berliner Nebennachlass möglich. Eine erst bei den Recherchen zu diesem Beitrag entdeckte, von Schreiberhand angefertigte Reinschrift von Leibniz’ Bericht über die Aufführung des Trimalcion moderne zum Karneval 1702 (A IV,9 N. 114, Textzeuge l1) ist aber sicherlich schon kurz nach der Abfassung an den Berliner Hof gelangt. 3.4.1. Berlin, Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Bereits 1934 hat Paul Schrecker die sicherlich zutreffende Vermutung geäußert, dass Papiere von Leibniz’ Hand, die im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Archiv der BBAW) aufbewahrt werden, von seinem Berliner Schreibtisch stammten (3.4.2: Schrecker 1934, 12). Seine knappe Bemerkung ist jedoch nicht so präzise, dass klar wäre, auf welches Material aus dem Archiv der BBAW sie sich konkret bezieht, denn nicht für alles, was dort an Leibniz-Papieren überliefert ist, kann diese Herkunft vorausgesetzt werden. Hier – wie in anderen Fällen (4.2.–3.) – muss also differenziert werden. Auf den ersten Blick scheint diese Differenzierung einfach zu sein, nämlich den Bestandsgrenzen zu folgen. Im Kern enthielte demnach der Bestand ‚Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)‘ Papiere von Leibniz’ Berliner Schreibtisch, vermehrt um spätere Anreicherungen. Ob sich Schreckers Vermutung vor allem auf diesen Bestand bezogen hat, muss offenbleiben. Brather 1993, XII, hat die Überlieferung der von Leibniz in Berlin zurückgelassenen Papiere, soweit sie in das Archiv der BBAW gelangt ist, explizit auf den Nachlass-Bestand eingeschränkt. Dagegen enthielte das Aktenmaterial zur Akademiegründung und frühen Akademiegeschichte im Bestand ‚Preußische Akademie der Wissenschaften [PAW] (1700–1811)‘ jene Leibnitiana, die bereits zu Lebzeiten des Autors in die Akten der Akademie gelangt wären. Wie in anderen Fällen erweist sich die Überlieferungslage jedoch als weniger einfach. Bereits die Beobachtung, dass der im Blick auf die Leibnitiana reichhaltigste Aktenband, PAW (1700–1811) I–I–2, mit seinem Titel: „Handschriftliche Aufsätze von Leibniz zur Organisation und Verwaltung der Societät“, aus dem Rahmen der übrigen Aktentitel fällt, sollte gegenüber dieser allzu klaren Scheidung skep-

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tisch machen. Glücklicherweise erlauben es drei Schriftstücke in dem genannten Aktenband, die ursprünglichen Zusammenhänge von Leibniz’ Papieren im Akademiearchiv weitgehend zu rekonstruieren. Es handelt sich dabei um zwei Verzeichnisse über Leibniz-Handschriften und eine Aktennotiz (Bl. 2) des damaligen Leiters der Berliner Sternwarte, Johann III. Bernoulli, über die Schenkung mehrerer Leibniz-Autographen aus dem Archiv an den Leibniz-Sammler und -Editor Christoph Gottlieb von Murr (6.6.). Das zweite Verzeichnis (Bl. 16–17) muss spätestens 1774 angelegt worden sein, denn die in diesem Jahr verschenkten Autographen sind in ihm noch aufgeführt. Das erste Verzeichnis (Bl. 1) lässt sich noch früher datieren, denn es enthält einen Ausleihvermerk über Leibniz-Papiere an Johann Peter Süßmilch (1707–1767) aus dem Jahr 1758. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Es hat ursprünglich drei Konvolute von Leibniz-Papieren im Archiv gegeben. Das erste Verzeichnis listet die „in dem zweyten Stoß der Leibnizeschen Papiere“ (Bl. 1r) enthaltenen Stücke auf, das zweite Verzeichnis jene des ersten und erschließt außerdem das „Convolut briefe“ (Bl. 17v; Bernoulli spricht vom „dritten kleinen Stoß“; Bl. 2r). Durch die zumeist hinreichend präzise Beschreibung der einzelnen Stücke in den Verzeichnissen und ihre Nummerierung lassen sich die drei Konvolute aus den im Archiv der BBAW überlieferten Papieren weitestgehend rekonstruieren. Am einfachsten ist dies für das erste Konvolut. Es ist weitgehend vollständig und in der Anlage ungestört in dem bereits genannten Aktenband PAW (1700–1811) I–I–2, Bl. 18–102. erhalten, wo es direkt an das entsprechende Verzeichnis anschließt. Schriftstücke aus diesem Konvolut sind gut zu identifizieren, weil sie eine Nummer tragen, die auf ein kleines „a“ endet. Auf Bl. 103–123 und 126 schließen sich die Reste des Briefkonvoluts an. Dieser Teil der Überlieferung hat erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Von den ursprünglichen 16 Nummern sind nur noch sechs vorhanden (1. 2. 4. 5. 7 und 16). Laut einer Revision, die nach der Schenkung an von Murr (zu der vier BriefNummern gehörten: 6. 8. 9 und 12), aber wohl noch im 18. Jahrhundert stattgefunden hat, fehlten die übrigen Nummern bereits zu diesem Zeitpunkt. Während das erste und dritte Konvolut, wenngleich teilweise mit erheblichen Verlusten, ihren Zusammenhang bis heute bewahrt haben, hatte das zweite Konvolut ein bewegteres Schicksal, das sich in einer disparateren Überlieferung widerspiegelt. Ein späterer Vermerk in dem ersten Verzeichnis stellt fest, dass sich die Nrn. 2. 7. 9–10. 13–23 und 25 sowie „verschiedene unvollständige Papiere“ in einem Band der Manuskripten-Sammlung befänden. der den Titel trug: „Leibnitzens Handschriftliche Aufsätze verschiedenen Inhalts“ (Bl. 1v). Darunter findet sich von derselben Hand ein Vermerk zu der bereits erwähnten Revision, der das Fehlen der Nrn. 6. 8 und 24 feststellt. Allerdings kann auch in diesem Fall der ursprüngliche Inhalt weitgehend nachgewiesen werden. In Analogie zu den Schriftstücken aus dem ersten Konvolut tragen jene aus dem zweiten hinter der Nummer nämlich ein kleines „b“. Sie sind damit und mittels des ersten Verzeichnisses auch in anderen Kontexten sicher zu identifizieren. Bis auf die Nr. 1 findet sich der bescheidene Rest, der nach Umordnung und Verlusten noch in dem zweiten Konvolut geblieben war, ebenfalls in dem Aktenband PAW (1700–1811) I–I–2

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und zwar nach dem ersten Verzeichnis, Bernoullis Schenkungsvermerk und einem Druck über die Gründungsmedaille (A IV,8 N. 89) und vor dem zweiten Verzeichnis auf Bl. 5–15. Der erwähnte Band aus der Manuskriptensammlung, in den der größte Teil des zweiten Konvoluts eingegangen ist, liegt heute als Nr. 1 im Bestand ‚Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)‘. Der Band wird durch ein Verzeichnis aus dem früheren 19. Jahrhundert eröffnet, dass die Beschreibungen der Schriftstücke aus dem ersten Verzeichnis in PAW (1700–1811) I–I–2 wörtlich übernommen hat. Diese Beschreibungen und die Nummern auf den Manuskripten erlauben wiederum eindeutige Identifizierungen. Allerdings tragen nicht alle Schriftstücke in dem Band eine entsprechende Nummer. Das liegt zum einen daran, dass manche Nummern mehrere Schriftstükke umfassen, etwa Nr. 10, unter der laut Verzeichnis Material zur Kalenderreform im Umfang von 16 Folio- und 2 Quartblättern zusammengefasst ist. Die Nr. 10. b findet sich auf Bl. 32r, so dass man die nicht gekennzeichneten Schriftstücke bis einschließlich Bl. 51 ihr zurechnen darf, auch wenn die alte Beschreibung und die moderne Foliierung nicht völlig in Übereinstimmung zu bringen sind. Eine zweite Reihe nichtnummerierter Schriftstücke (Bl. 81–100) darf wohl mit jenen zumeist fragmentarischen Papieren identifiziert werden, die in allen einschlägigen Verzeichnissen und Erwähnungen außerhalb der Nummerierung stehen. Zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen die drei Konvolute auseinandergerissen worden sind, lässt sich nicht mehr feststellen. Wahrscheinlich war für die Aufteilung die Einschätzung der thematischen Relevanz der einzelnen Stücke maßgebend. Das älteste Findmittel des Archivs, der „Catalogues des Actes“ von 1786 liefert in dieser Hinsicht keinerlei Informationen. Die grundlegende Neuverzeichnung von 1841, welche die gültige Ordnung der älteren Akten geschaffen hat, kennt die geschilderte Aufteilung bereits, nur dass die Stücke, die heute im Bestand ‚Nachlaß‘ liegen, damals noch zur den Manuskripten gehörten. Man muss wohl davon ausgehen, dass die Papiere, deren Schicksal und Verbleib hier geschildert worden ist, Material überliefern, das von Leibniz’ Berliner Schreibtisch gekommen ist. Dafür spricht zum einen ihr Inhalt, der teilweise keinen Bezug zur Akademie erkennen lässt, aber Themen umfasst, die Leibniz in Berlin beschäftigt haben. Zum anderen weist die Form der Schriftstücke auf die Herkunft von Leibniz’ Seite hin, indem es sich bei seinen eigenen Aufzeichnungen zumeist um Konzepte, bei den Korrespondentenbriefen aber um Abfertigungen handelt. Dagegen können aus der Überlieferung der Papiere in den einzelnen Aktenbeständen des Archivs nur sehr zurückhaltend Schlüsse gezogen werden, da sich frühere Ansichten (Brather 1993, XII) als zu schematisch erwiesen haben. Leibniz’ in Berlin zurückgelassene Papiere bilden nicht nur den Kern des Bestands ‚Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)‘ (dessen Bezeichnung demnach mehr Berechtigung hat, als dies bei derartigen Archivbeständen häufig der Fall ist), sondern sie finden sich auch in der eigentlichen Aktenüberlieferung der Akademie. Dort liegt das erhaltene Material fast vollständig in dem einen, hier ausführlich behandelten Aktenband PAW (1700–1811) I–I–2. Allerdings erweisen sich

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auch hier schematische Abgrenzungen als problematisch. So ist das bei der Revision als fehlend vermerkte Stück Nr. 24 aus dem zweiten Konvolut nicht verloren, sondern befindet sich im Aktenband PAW (1700–1811) I–I–1, Bl. 55. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich die damals ebenfalls vermissten Nrn. 6 und 8 in anderen Aktenbänden des Bestands „PAW (1700–1811)“ noch auffinden lassen. Zudem ist eine Abgrenzung dort nicht mit letzter Sicherheit möglich, wo auf eine Nummerierung verzichtet worden ist. Man darf aber wohl davon ausgehen, dass die in den Akademieakten vorhandenen Leibnitiana, mit Ausnahme von PAW (1700–1811) I–I–2, in der Regel zu Leibniz’ Lebzeiten in die Akten gekommen sind. Speziell im Blick auf die Akademiegründung liegt die interessantere Überlieferung allerdings im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (4.4.). Neben dem genuinen Aktenmaterial und der Überlieferung von Leibniz’ Berliner Schreibtisch speisen sich die Leibnitiana des Akademiearchivs aus weiteren Quellen. Der aus Leibniz’ hinterlassenen Papieren gebildete Kern des Bestands ‚Nachlaß‘ ist im Laufe der Zeit mehrfach angereichert worden. Die jüngste Anreicherung besteht aus vier Manuskripten, die aus dem ebenfalls im Akademiearchiv liegenden Familiennachlass Kirch 1974 in den Leibniz-Nachlass transferiert wurden (zur Familie Kirch vgl. 3.4.). Die aus dem Kirch-Nachlass gekommenen Schriftstücke sind sicherlich auch auf Leibniz’ Berliner Schreibtisch entstanden. Ob sie erst mit den übrigen hinterlassenen Berliner Papieren in den Besitz der Familie gekommen oder von Leibniz noch zu Lebzeiten an den Astronomen gegeben oder verliehen worden sind, muss offenbleiben. Zu den drei Konvoluten haben sie jedenfalls nie gehört. Diese Überlieferung stellt zugleich die Frage, ob die von Leibniz in Berlin zurückgelassenen Papiere vollständig an Jordan gegangen – und damit die drei Konvolute über ihn in das Archiv der Akademie gelangt sind – oder ob ein Teil des Materials im Besitz der Familie Kirch oder in den Räumlichkeiten des Observatoriums zurückgeblieben ist. Zwei Beobachtungen sprechen für eine der letztgenannten Möglichkeiten. Zum einen müsste man, wenn das Material über Jordan in das Archiv gekommen wäre, erklären, warum er bestimmte Stücke aus dem Umfeld der Bemühungen um eine Kirchenunion zwischen Lutheranern und Reformierten dorthin und nicht – wie die Mehrzahl der einschlägigen Stücke – an Johann Erhard Kapp gegeben hätte (3.4.2.). Zum anderen hat Wolfgang Knobloch auf eine Aktennotiz aufmerksam gemacht, „in der es heißt, daß Handschriften von Leibniz ‚sous l’escalier de l’observatoire‘ (unter der Treppe des Observatoriums) aufgefunden wurden“ (Knobloch 1975, 30). Auf den ersten Blick scheint freilich eine andere Archivalie auf den (Um)Weg über Jordan zu verweisen. Im ‚Nachlaß‘-Bestand liegt unter der Nr. 7 ein Band mit 44 Leibniz-Briefen an den Berliner Orientalisten Mathurin Veyssière de La Croze (1661–1739). Der Band kann aus zwei Gründen nicht von Leibniz’ Berliner Schreibtisch kommen. Zum einen reicht die Korrespondenz bis 1716, also weit über Leibniz’ letzten Aufenthalt in Berlin im Jahre 1711 hinaus. Zum anderen handelt es sich bei den Briefen nicht um Konzepte, die der Verfasser aufbewahrt hätte, sondern um Abfertigungen, die den Empfänger tatsächlich erreicht haben.

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Jordan hatte allerdings den Schriftnachlass von La Croze geerbt, und dass dieser Briefband tatsächlich aus seinem Besitz stammt, beweist sein Exlibris. Dennoch ist er nicht über Jordan, der für kurze Zeit vor seinem frühen Tod Vizepräsident der Akademie gewesen war, in ihren Besitz gekommen, sondern ist ihr erst 1843 geschenkt worden (Knobloch 1975, 31). Auf demselben Wege, als Schenkung ist Leibniz’ Brief an Albert von Holten vom 17./27. Februar 1672 (A II,1² N. 102) im Jahr 1921 in das Archiv gekommen (Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz, Nr. 6). Die 51 Briefe an Justus von Dransfeld (1633–1715) wurden dagegen 1910 aus dem Antiquariatshandel erworben (ebd., Nr. 7). Dorthin waren sie aus der Bibliothek des englischen Bibliomanen Sir Thomas Phillipps (1792–1872) gelangt, im späten 18. Jahrhundert hatten sie dem Leibniz-Sammler und -Editor Christoph Gottlieb von Murr gehört (6.6.). Der Kern des Bestands ‚Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)‘, der tatsächlich auf hinterlassene Papiere zurückgehen muss, ist also im Laufe der Zeit aus unterschiedlichen Provenienzen angereichert worden. Über den nicht sehr umfangreichen Bestand gibt es ein ungedrucktes Findhilfsmittel: Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), o. O. und o. J.

Das Findbuch bietet auch eine Konkordanz zwischen den (noch nicht sehr) alten Signaturen, die in den Bänden der Akademie-Ausgabe (8.) und im Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) häufig noch zu finden sind, und den aktuell gültigen. Der Bestand ‚PAW (1700–1811)‘ ist online recherchierbar: http://www.archivbbaw.findbuch.net/php/main.php?ar_id=3642#50415720313730302d31383131

Wie bei archivischen Verzeichnungen üblich kommt man allerdings nur bis auf die Ebene der Aktentitel (inklusive einzelner Enthält-Vermerke), so dass LeibnizBetreffe (abgesehen von PAW (1700–1811) I–I–2) auf diese Weise nicht zu finden sind. Hier muss man auf den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) zurückgreifen. Im Jahre 1903 übergab die Akademie dem Geheimen Staatsarchiv 70 Aktenpakete mit Rechnungsbelegen aus der Zeit von 1700 bis 1891, welche die Akademie zur Vernichtung ausgesondert, aber dem Archiv angeboten hatte, das zu übernehmen, was es für aufbewahrenswert hielt. Tatsächlich hat das Geheime Staatsarchiv nur einen Teil ausgesondert und das übrige Aktenmaterial als Repositur (Rep.) 182: ‚Akademie der Wissenschaften‘ aufgestellt. Allerdings waren es ausgerechnet die Akten der frühen Zeit (1700–1748), die weitestgehend vernichtet wurden. Immerhin hat man einzelne Stücke, die von Interesse waren, aufbewahrt, darunter nicht nur etwa 20 Quittungen, sondern auch drei Briefe von Leibniz. 1969 wurden diese Akten an das Akademiearchiv zurückgegeben und dort in den entsprechenden Bestand eingefügt. Die Betreffe zu Leibniz finden sich dort in PAW (1700–1811) I–XVI–218, Fasz. 3.

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3.4.2. Warschau, Biblioteka Narodowa, III. 4879 Unter denjenigen Gelehrten, denen Jordan Teile des von ihm gesammelten Materials zur Verfügung stellte, damit sie diese zum Druck brächten, ist vor allem der Leipziger Professor Johann Erhard Kapp (1696–1756) zu nennen. Er hat es geschafft, jedenfalls einen Teil dieser Papiere zu publizieren. Dabei hat er sich in dem einzig erschienenen ersten Band auf die Briefe und Schriften in deutscher Sprache beschränkt: Johann Erhard Kapp (Hg.): Sammlung einiger Vertrauten Briefe, welche zwischen Gottfried Wilhelm von Leibnitz, und [...] Daniel Ernst Jablonski, auch andern Gelehrten, besonders über die Vereinigung der Lutherischen und Reformirten Religion, über die Auf- und Einrichtung der Kön. Preuss. Societät der Wissenschaften etc. etc. gewechselt worden sind, Leipzig 1745.

Die Angaben des Titels charakterisieren den Inhalt eingeschränkter, als er sich tatsächlich darbietet. Kapp hat hier so gut wie alles publiziert, was er an deutschsprachigem Material von Jordan erhalten hatte (Übersicht in 1: Ravier 1937, 251– 253). Diesem sollte ein weiterer Band mit den in anderen Sprachen abgefassten Manuskripten folgen. Er ist nie erschienen. Das fremdsprachige Berliner Material reichte für einen ganzen Band offensichtlich nicht aus, und Kapps Bemühungen, weitere Papiere von anderen Seiten zu erhalten, waren nur mäßig erfolgreich. Sein Misserfolg hat uns jedoch den größten Teil der von ihm für den zweiten Band gesammelten Manuskripte in der Biblioteka Narodowa zu Warschau erhalten (im Gegensatz zu den Vorlagen für seine Sammlung, die weitestgehend verloren sind). Dort liegen sie unter der Signatur III. 4879. Sie bieten neben den autographen Vorlagen auch Abschriften, die von Kapp in Auftrag gegeben und von ihm bearbeitet worden sind. So gewähren sie zugleich einen Einblick in die Arbeit eines frühen Leibniz-Editors. Dieses Konvolut ist vollständig digitalisiert im Internet zugänglich: http://polona.pl/item/F735267/0/

Für die Zitation dieser Manuskripte ist der Umstand misslich, dass sie dreimal mit je unterschiedlichem Ergebnis foliiert worden sind. Tatsächlich existiert keine einheitliche Zitationspraxis, so dass kürzlich unter die digitalen Hilfsmittel zur Akademie-Ausgabe (9.3.) eine Konkordanz, die auch die bereits edierten Stücke nachweist, eingestellt worden ist: http://leibniz-potsdam.bbaw.de/bilder/warschau-konkordanz.pdf

Bereits bevor Ende des 19. Jahrhunderts die Warschauer Papiere für die Forschung entdeckt wurde, hat der bedeutende Comenius-Forscher Jan Kvačala auf die Berliner Herkunft des in Kapps Sammlung gedruckten Materials aufmerksam gemacht (7.8: Kvačala 1899, III–V). Er hat auch als erster einzelne Texte aus der Warschauer Überlieferung publiziert (7.8: Kvačala 1913; Kvačala 1914). Allerdings hat erst in den frühen 30er Jahren Paul Schrecker als Mitarbeiter der Akademie-Ausgabe das Material systematisch untersucht und 1934 im französischen

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Exil eine Auswahledition veröffentlicht, in deren Einleitung er die Geschichte dieser Papiere grundlegend rekonstruiert hat: Paul Schrecker (Hg.): „G.-W. Leibniz. Lettres et fragments inédits“, in: Revue Philosophique de la France et de l’Étranger 118, Jg. 59 (1934), 5–134 [auch als Separatausgabe].

Schrecker hat nicht nur den Weg der Manuskripte von Leibniz’ Berliner ‚Schreibtisch‘ über Jordan zu Kapp bestätigt, sondern auch ihr weiteres Schicksal verfolgt. Kapps Leibnitiana wurden nach dessen Tod von dem polnischen Gelehrten und Kirchenmann Joseph Andreas Zaluski (1702–1774) erworben, der sie wiederum zusammen mit seiner umfangreichen Bibliothek dem polnischen Volk vermachte. Sie blieben allerdings nicht lange in Warschau, sondern wurden nach Sankt Petersburg gebracht, von wo sie erst nach dem Ersten Weltkrieg in den neu entstandenen polnischen Staat zurückkehrten. Schreckers Erkenntnisse sind bisher nur in Details ergänzt worden. Im Einzelnen mag man das eine oder andere anders gewichten (Waldhoff 2017), insgesamt bleiben sie nach wie vor maßgeblich. 3.4.2 Exkurs: Sankt Petersburg, Russische Nationalbibliothek, Sammlung Dubrowski Während das Konvolut Warschau, Biblioteka Narodowa, III. 4879 nach dem Ersten Weltkrieg an Polen zurückgegeben wurde, scheinen weitere Papiere, die aus dem Nachlass Kapp stammen, in Sankt Petersburg zurückgeblieben zu sein. Sie waren wohl nie Teil des gebundenen Konvoluts, lassen sich aber in die Warschauer Überlieferung gut einpassen, ja ergänzen sie im Blick auf Angaben, die Kapp selbst über die in seinem Besitz befindlichen Leibnitiana gemacht hat (Kapp 1746). Sie liegen heute – neben Leibnitiana aus anderen Provenienzen – in der Sammlung Dubrowski der Russische Nationalbibliothek (bis 1992: SaltykovShchedrin Bibliothek) in Sankt Petersburg (Waldhoff 2017). Eine gründliche, systematische (und vor allem autoptische) Untersuchung dieses Materials steht jedoch noch aus. 4. ÜBERLIEFERUNGEN AUS LEIBNIZ’ AMTLICHEN TÄTIGKEITEN AUSSERHALB DES NACHLASSES 4.1. Allgemeine Probleme der amtlichen Überlieferung Nach dem Überblick über die aus Leibniz’ Hinterlassenschaft stammenden Schriften und Briefe sollen im Folgenden Überlieferungen aus Leibniz’ amtlichen Tätigkeiten vorgestellt werden, die nicht im Zusammenhang mit seinem Nachlass stehen. Die Abgrenzung ist freilich nicht immer einfach. Zuletzt bei den Warschauer und Sankt Petersburger Beständen war darauf hinzuweisen, dass in sie – zu unterschiedlichen Zeitpunkten – Material (ursprünglich) verschiedener Provenienzen eingeflossen ist (3.4.2.). Dasselbe gilt sogar für jene Überlieferungen, die

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explizit als Nachlässe gekennzeichnet sind – quantitativ vergleichsweise marginal für den Bestand ‚Leibniz-Nachlass‘ der GWLB (3.2.1. und 3.2.2.), dagegen in erheblichem Umfang für den Bestand ‚Nachlass G. W. Leibniz‘ des Archivs der BBAW (3.4.1.). Die genannten Fälle betreffen freilich vor allem Papiere von unterschiedlicher, aber zumeist privater Herkunft. Die Abgrenzung zum amtlichen Schriftgut, dessen Überlieferung gewissermaßen institutionell reguliert ist, sollte, so möchte man vermuten, einfacher und klarer sein. Es zeigt sich jedoch, dass diese Einschätzung häufig zu optimistisch ist (4.2. und 4.3.). Vor allem ist jedoch auf allgemeine Schwierigkeiten mit der archivischen Überlieferung, die aus Leibniz’ amtlichen Tätigkeiten erwachsen ist, hinzuweisen. Eine Suche nach „Gottfried Wilhelm Leibniz“ wird in archivischen Findmitteln oder Datenbanken in der Regel nur zu ausschnitthaften oder gar keinen Ergebnissen führen. Das bedeutet jedoch nicht, dass in den betreffenden Fällen entweder bereits die gesamte einschlägige Überlieferung des Archivs gefunden oder dort tatsächlich nichts zu finden sei. Die Aktenüberlieferung (mit Ausnahme von Nachlass-Beständen) ist nämlich weder danach organisiert, noch entsprechend erschlossen, um eine derartige, auf eine amtlich handelnde Person bezogene Suche schnell und unkompliziert zum Ziel zu führen. Das ist nicht allein bedingt durch behördliche Aktenführung und archivische Erschließungstechniken und -prioritäten, sondern bereits durch das in fremde Archive gelangte Material aus Leibniz’ amtlicher Tätigkeit selbst. Diese kann man ja, um mit Günter Scheel zu sprechen, in vieler Hinsicht „in der Sprache unserer Zeit am treffendsten mit der eines Sachbearbeiters und Referenten umschreiben“ (A I,8 XXVIII). Was dies für den schriftlichen Niederschlag dieser amtlichen Tätigkeit bedeutet, sei an einem Beispiel illustriert. Abb. 1 zeigt das Konzept eines Schreibens von Kurfürst Georg Ludwig an den Beichtvater des Königs von Polen, Carlo Maurizio Vota S.J., vom 18. (28.) August 1698 (A I,15 N. 97). Das Schreiben ist von Leibniz konzipiert und von seiner Hand sehr sauber, aber als (Rein)Konzept geschrieben. Der Minister Platen hat zwei Stellen verändert, dann haben der Kurfürst, Platen und der Vizekanzler Ludolf Hugo mit ihren Paraphen das Konzept genehmigt. Die Datierung stammt von Jobst Christoph Reiches Hand. Diese Spuren der zahlreichen Mitwirkenden finden sich nur auf dem Konzept im Archiv des Ausstellers. Die Abfertigung im Archiv des Empfängers lässt von ihnen, und damit von Leibniz’ Autorschaft, nichts mehr erkennen.

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Abb. 1: Leibnizʼ Konzept eines Schreibens von Georg Ludwig an Carlo Maurizio Vota S.J.

Diese Bemerkungen sollten gezeigt haben, wie schwierig – um nicht zu sagen: unmöglich – die Identifizierung von Leibnitiana sein kann. Zugleich dürfte damit verständlich geworden sein, dass mit einem vollständigen Nachweis des einschlägigen Materials in der archivischen Überlieferung nicht gerechnet werden kann. Zudem schließen die Überlieferungsbedingungen eine systematische Suche durch größere Archivbestände praktisch aus, nicht allein wegen der nicht zu bewältigenden Massen an Archivgut, sondern eben auch, weil sich einschlägige Schriftstücke ohne weiteres gar nicht identifizieren ließen. Sinnvoll kann also nur eine gezielte Suche nach konkreten Schriftstücken sein und nur dort, wo ihre Archivierung zu erwarten ist. Jedenfalls gilt dies für die Archive fremder Mächte, in denen in der Regel eine von Leibniz verfasste Denkschrift als Ausfertigungen von Schreiberhand zu erwarten ist – und ohne Nennung ihres Verfassers. Entsprechend werden im Folgenden lediglich ausgewählte Überlieferungen zu Leibniz’ amtlichen und halbamtlichen Tätigkeiten vorgestellt, nämlich zu seiner Tätigkeit als (geheimer) Justizrat in Hannover (4.2.), als Bibliothekar in Hannover und Wolfenbüttel (4.2. Exkurs und 4.3.) und als Initiator und Präsident der Aka-

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demie in Berlin, verbunden mit Beratertätigkeit für den brandenburgischpreußischen Hof auch in anderen Fragen (4.4.). Die Liste der Orte und Tätigkeiten ließe sich vermehren, etwa um Mainz, wo er 1670 zum Revisionsrat am Oberappellationsgericht ernannt worden war, oder um Wien, wo er 1713 zum Reichshofrat ernannt wurde. Daneben können solche Tätigkeiten, die nicht eigentlich amtlichen Charakter besaßen, Leibniz aber in Verbindung mit amtlichen Stellen brachten, etwa seine Bemühungen um die Errichtung von Akademien in Dresden und Wien, ihre Spuren in den Akten hinterlassen haben. 4.2. Hannover, Niedersächsischen Landesarchiv Hannover Die archivische Überlieferung von Leibnitiana im Niedersächsischen Landesarchiv (NLA) Hannover (bis vor kurzem Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv [HStA] in Hannover) ist in mehrfacher Hinsicht schwierig. Eine erste Schwierigkeit ist bereits angesprochen worden: der Austausch von Papieren aus Leibniz’ Nachlass zwischen Archiv und Bibliothek (3.1. und 3.3.). Damit hängt eine zweite Schwierigkeit zusammen, nämlich die Frage, was von der auf Leibniz zurückgehenden Überlieferung im NLA Hannover im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit in die amtlichen Akten und mit diesen in das Archiv gekommen und was erst nach seinem Tod aus dem Nachlass übernommen worden ist. Das führt auf eine dritte Schwierigkeit, wie nämlich für die einzelnen Manuskripte der jeweilige Weg in das Archiv bestimmt werden kann. Die Beantwortung dieser Fragen wird durch die komplizierte Geschichte der einschlägigen Archivalien und die massiven Kriegsverluste des Archivs nicht gerade erleichtert. Zu beginnen ist mit der Frage, auf welchem Wege Schriften und Briefe von Leibniz in das NLA Hannover gekommen sind: Stammen sie aus dem Nachlass oder sind sie nicht vielmehr während Leibniz’ vierzigjähriger amtlicher Tätigkeit in Hannover bereits zu Lebzeiten in die amtlichen Registraturen gekommen und mit diesen archiviert worden? Das möchte man jedenfalls bei einem (Geheimen) Justizrat und Hofhistoriographen erwarten. Diese Frage ist schon deshalb keineswegs marginal, weil sie auf die Wirksamkeit des (politischen) Denkers Leibniz gerichtet ist: Blieben seine Reformvorschläge im Status des Konzepts oder haben sie das Denkerstüblein verlassen und diejenigen, an die sie adressiert waren, zumindest materialiter erreicht? Paul Ritter hat diese Fragen bereits 1927 gestellt und zugleich eingewandt: „Man könnte meinen, daß solche Zweifel nicht auftreten dürften, wenn man die Akten des Staatsarchivs von Hannover benutzt hat.“ (A I,2 XXXII; Hervorhebung im Original). Denn dort müsste man ja die Schreiben und Denkschriften an den Landesherrn als Abfertigungen finden, wenn sie denn an ihn abgegangen sind und ihn auch erreicht haben. Entsprechend ist noch Albert Heinekamp ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Bestände des NLA Hannover „Leibniz’ Tätigkeit im Staatsdienst dokumentieren“ (Heinekamp 1984, 138). Ritters Benutzung des Konjunktivs zeigt jedoch, dass die archivische Aktenüberlieferung wider Erwarten diese Fragen nicht beantworten konnte. Ja, von den im Hannoveraner

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Archiv aufgespürten Leibnitiana stellt er fest, sie stammten „aus Beständen, die man sogleich als Teile des Nachlasses von Leibniz erkennt“ (A I,2 XXXII; Hervorhebung im Original). Ritters Einschätzung war, wie wir noch sehen werden, zu einseitig. Es stellt sich zunächst jedoch die grundsätzlichere Frage, wie denn zu erkennen sei, welche Papiere aus dem Nachlass und welche aus der Behördenüberlieferung stammen. Die Aktenführung liefert keine belastbaren Hinweise dazu. Die Akten wurden nicht geheftet, und dort, wo geheftete Akten vorliegen (etwa NLA Hannover, Hann. 93 Nr. 182) stammt die Heftung erst aus preußischer Zeit, also nach 1866, ist demnach viel zu spät geschehen, um in dieser Hinsicht aussagekräftig zu sein. Deshalb war es kein Problem, nachträglich Schriftstücke aus dem Nachlass in die Akten einzugliedern. Wir werden sehen, dass dies tatsächlich geschehen ist. Auf dieser Ebene kann nur die Beobachtung, dass ein Schriftstück von Leibniz in anderen zeitgleichen Aktenschriftstücken aus demselben Kontext Rezeptionsspuren hinterlassen hat, als Nachweis gelten, dass wir es hier nicht mit Material aus dem Nachlass zu tun haben. Allerdings kann das einzelne Schriftstück, wenn auch nicht durchgängig mit letzter, so doch meist mit ziemlicher Sicherheit diese wichtige Frage beantworten. Ein Konzept, jedenfalls wenn es keine Bearbeitungsvermerke aus dem Geschäftsgang der Behörde trägt, wird in aller Regel aus dem Nachlass gekommen sein. Eine Ausfertigung, die Spuren etwa der postalischen Übermittlung (Adressierung, Faltung, Versiegelung, postalische Vermerke) und der Bearbeitung durch den Adressaten (Eingangsvermerk u. a.) zeigt, darf man der Behördenüberlieferung zuordnen. Schwierigkeiten bereiten Reinschriften, deren Abfertigung sich nicht nachweisen lässt. Andererseits darf man als schriftlichen Niederschlag von Leibniz’ vierzigjähriger dienstlicher Tätigkeit in Hannover Konzepte von seiner Hand auch in der Behördenüberlieferung erwarten. Diese finden sich tatsächlich. Sie lassen sich durch die Spuren des weiteren Geschäftsganges in Gestalt von Vermerken, Paraphen, Unterschriften usw. von den Konzepten aus dem Nachlass unterscheiden (vgl. Abb. 1). Sicherheit wird man jedoch auf diesem Gebiet nicht in jedem Fall gewinnen können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass von Leibniz hinterlassene Papiere in die Behördenakten einsortiert worden sind. Dies gilt etwa für Leibniz’ Materialien zum Bergbau. Wir hatten bereits gesehen, dass 1728 einschlägiges Material aus dem Nachlass an das Archiv (zurück-)gegeben worden ist (3.3.). Dort ist es in die Sachsystematik eingefügt worden, und zwar nicht en bloc, sondern thematisch verteilt. Dabei müssen Papiere aus dem Nachlass in bereits bestehende Akten zu Leibniz’ technischen Projekten für den Harzbergbau eingeordnet worden sein. So liegen Konzepte, die aus dem Nachlass kommen müssen, und Abfertigungen aus der Behördenüberlieferung teilweise nebeneinander (vgl. etwa A I,Suppl. N. 136). Die Akten, die sich Leibniz’ großen technischen Projekten widmen (NLA Hannover, Cal. Br. 4, Nr. 82/1–4, Nr. 99 und Nr. 234), tragen seinen Namen im Aktentitel, so dass eine Zuweisung hier immer einfach war. In anderen Fällen gilt das jedoch nicht. Günter Scheel hat beispielsweise einen Aktenband entdeckt (NLA Hannover, Cal. Br. 4, Nr. 535), den er folgendermaßen beschreibt: „In ihm

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sind vereinigt 1. ein in italienischer Sprache verfaßtes Verzeichnis des kaiserlichen Hofstaates und der kaiserlichen Truppen aus dem Jahre 1671 mit Korrekturen und Ergänzungen von Leibniz’ Hand, 2. mehrere Schreiben von Leibniz an König August II. von Polen aus dem Jahre 1711, 3. Leibniz’ Papiere über den Goldmacher und Porzellanerfinder J. F. Böttger und schließlich 4. Leibniz’ Ausarbeitungen während seines Wiener Aufenthalts im Jahre 1688.“ (Scheel 1994, 699). Dass der Band „aus verstreuten Papieren des Leibniz-Nachlasses formiert wurde“, wie Scheel annimmt, scheint allerdings fraglich. Sein Aktentitel: „Meist Ungarische auch andere Bergwerks- Jtem Chymische Sachen“ stimmt nämlich nicht allein wörtlich mit der Beschreibung eines Konvoluts in der Abgabeliste der Bergbau-Materialien von 1728 überein, sondern ist auch von derselben Hand geschrieben. Zudem entstammen die unter 1. und 4. genannten Papiere Leibniz’ Wien-Aufenthalt von 1688/90, so dass sie in denselben biographischen Kontext wie das Interesse am ungarischen Bergbau gehören. Es liegt daher näher, dass zumindest diese Papiere bereits bei Leibniz selbst mit jenen über den ungarischen Bergbau zusammenlagen, als anzunehmen, erst ein späterer Archivar, dem dieser Zusammenhang nicht bekannt sein konnte, habe sie unter die Bergbauakten eingeordnet. Übrigens nennt bereits die Aufnahme der Hinterlassenschaft vom November 1716 ein Konvolut „Hungarische Bergwercks-Sachen“ (NLA Hannover, Hann. 93 Nr. 182, 47r). Wahrscheinlich muss man Scheels Überlegung umkehren: Das, was unter diesem wenig passenden Aktentitel vereinigt ist, wurde nicht im Archiv zusammengewürfelt, sondern vielmehr aus einem ursprünglich umfangreicheren Konvolut, das tatsächlich auch Materialien zum ungarischen Bergbau enthielt, ausgeschieden. Den übrigen Teil dieses Konvoluts darf man wohl in der Akte NLA Hannover, Cal. Br. 4, Nr. 98 erkennen. Dieses detailliert vorgestellte Beispiel zeigt mehrere Probleme der Leibnitiana im NLA Hannover. Das hinterlassene Material, das nicht mehr im Kontext des Nachlasses lag (und damit nicht 1842 an die Bibliothek abgegeben wurde), war seinem jeweiligen Thema entsprechend auf ganz unterschiedliche Bestände und Aktenkonvolute verteilt worden. Dabei war es einerseits in Akten eingefügt worden, die bereits zu Leibniz’ Lebzeiten angelegt worden waren. In diesen Akten muss demnach damit gerechnet werden, dass Schriftgut aus seiner amtlichen Tätigkeit mit Papieren aus seinem Nachlass vermischt worden ist. Zum anderen mag (das wäre im Einzelnen noch zu prüfen) Material aus dem Leibniz-Nachlass ohne Hinweise auf dessen Herkunft in Akten anderer Provenienz eingeordnet oder mit diesen zusammengelegt worden sein. Dies dürfte etwa auf den zweiten Teil (Bl. 27 ff.) der Akte NLA Hannover, Cal. Br. 4, Nr. 84 zutreffen. Damit besteht dasselbe Abgrenzungsproblem, das uns bereits aus der Signaturengruppe Ms der GWLB bekannt ist (3.2.3.). Die Streuung der Leibnitiana in den Beständen des NLA Hannover wird durch die komplizierte Geschichte der archivischen Überlieferung noch verstärkt. Das kann hier nicht näher erläutert werden. Deshalb muss auf die Geschichte des Archivs (Bär 1900) und die entsprechenden Ausführungen in den Beständeübersichten des NLA Hannover verwiesen werden (vgl. besonders Pitz 1968, 24–28, und Hamann/van den Heuvel/Bardehle 1992, 27–41). Im Folgenden können nur

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ganz knappe, stichwortartige Hinweise auf die wichtigsten Akten geboten werden. Für einen detaillierten Nachweis auf dem derzeitigen Kenntnisstand sei auf den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) verwiesen. Aus dem Calenberger Briefschaftsarchiv (Cal. Br.) sind vor allem folgende Bestände einschlägig: - Cal. Br. 4, v. a. Nr. 82/1–4, Nr. 99 und Nr. 234 (Bergbau; s. o.) - Cal. Br. 4, Nr. 535 (Wien-Aufenthalt 1688/90; s. o.) - Cal. Br. 11, v. a. Nr. 1144 (Reichsbanneramt) - Cal. Br. 24, Nr. 8082 (militärisches Vorgehen gegen Wolfenbüttel).

Aus dem Celler Briefschaftsarchiv (Celle Br.) sind dies vor allem: - Celle Br. 77 Nr. 60/6 (Oranische Erbschaft) - Celle Br. 104b, Nr. 109–111 (Sachsen-Lauenburgischen Erbfolge).

Unter den Beständen der zentralen Behörden des Kurfürstentums Hannover (ab 1705, der Vereinigung mit Celle), des späteren Königreichs und der preußischen Provinz Hannover (Hann.) sind die folgenden Akten von besonderer Bedeutung: - Hann. 92, Nr. 77 (Hausgeschichte) - Hann. 93, Nr. 485–487, Nr. 489, Nr. 492 (Englische Sukzession)

Daneben ist auf einzelne ‚Nachlässe‘ des Bestands Hann. 91: ‚Akten aus dem Nachlasse von Beamten und anderen Personen‘ hinzuweisen. In diesem Bestand gibt es eine kleine Abteilung zu Leibniz (Hann. 91 Leibniz). Auch in den ‚Nachlässen‘ anderer Beamter (etwa bei von Ilten) finden sich einzelne Papiere und Briefe von Leibniz. Dagegen enthält der ‚Nachlass‘ der Kurfürstin Sophie in diesem Bestand (Hann. 91 Sophie) nur wenige Leibnitiana. Die Hauptmasse der Korrespondenz, die 1852 im Archiv vereinigt worden ist (3.3.), liegt nicht dort, sondern in Dep. 84 A, Nr. 180. Die Bezeichnung des zuletzt genannten Bestands deutet schon eine Schwierigkeit an, die sich der Benutzung entgegenstellt: Es handelt sich um ein Depositum, das heißt um einen Bestand, der unter Eigentumsvorbehalt zur Erschließung und Aufbewahrung an das Archiv gegeben worden ist. Der Eigentümer ist das Welfenhaus, das sich die Genehmigung, nicht nur der Benutzung, sondern bereits der Einsichtnahme in die Findmittel vorbehalten hat. Die Leibnitiana sind allerdings durch den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) erschlossen. Das Dep. 84 bildet zusammen mit dem erst in den frühen 1970er Jahren in das Archiv gelangte Dep. 103 das Archiv des hannoverschen Königshauses (zu dessen komplizierter Geschichte: Hamann/van den Heuvel/Bardehle 1992, 27–41). Erst jüngst hat Gerd van den Heuvel auf den Bestand Dep. 103, XXXV aufmerksam gemacht, der Akten zur Hofbibliothek enthält (van den Heuvel 2015, 34–40). Dort findet sich interessantes Material zur Rezeptions- und Editionsgeschichte des Leibniz-Nachlasses (ebd., 39). In diesem Fall kann allerdings wohl weitgehend

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auf die Gegenüberlieferung in den Bibliotheksakten (4.2. Exkurs) zurückgegriffen werden. Die Akten des Oberbergamtes Clausthal, die neben der zentralen Überlieferung zum Bergbau herangezogen werden müssen, wenn es um Leibniz’ Tätigkeit im Harzbergbau geht, finden sich im Bergarchiv Clausthal, einer Außenstelle des NLA Hannover. Die Leibnitiana in diesem Bestand sind durch den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) erschlossen. Damit sei dieser notwendig komplexe Überblick über die LeibnizÜberlieferung im NLA Hannover – oder jedenfalls über ihre wichtigsten Teile – abgeschlossen. In einer Hinsicht muss die Schilderung der schwierigen Überlieferungssituation der Leibnitiana im NLA Hannover jedoch entschieden relativiert werden. Das einschlägige Material (auch jenes aus Clausthal) ist nämlich, nicht zuletzt durch die langjährige Tätigkeit des verdienten Leibniz-Forschers und Editors Günter Scheel (1924–2011) als Archivar im NLA Hannover, gut erforscht und im hier bereits mehrfach erwähnten Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) mit fast 2.600 Katalogeinträgen (knapp 550 für Clausthal) breit nachgewiesen. Die Nachweise im Arbeitskatalog berücksichtigen sowohl die Kriegsverluste, als auch die aktuellen Signaturen. Somit können mit ihrer Hilfe auch mittlerweile überholte Angaben aus älterer Sekundärliteratur und früheren Editionsbänden verifiziert und aktualisiert werden. 4.2. Exkurs: Die Altregistratur der GWLB (NLA Hannover, Hann. 153) Ein relevanter Bestand im NLA Hannover, das aus Leibniz’ amtlicher Tätigkeit als Bibliothekar in Hannover (und Wolfenbüttel) erwachsene Schriftgut, soll hier gesondert betrachtet werden, weil es ein von den übrigen Archivalien abweichendes Überlieferungsschicksal besitzt (van den Heuvel 2015, 32 f.). Es wurde bis vor kurzem unter den ‚Alt-Akten‘ in der GWLB aufbewahrt, bis dieser gesamte Bestand in mehreren Schritten an das NLA Hannover abgegeben werden musste. In der Leibniz-Forschung und der Akademie-Ausgabe (8.) lauten die Nachweise zu diesem Material entsprechend der bisherigen Aufbewahrung „NLB [bzw. GWLB] Bibl. Akten“. Auch in diesem Beitrag werden einzelne Stücke aus dieser Überlieferung noch nach ihren alten Signaturen zitiert, da die archivische Neuverzeichnung des Bestandes noch nicht abgeschlossen ist. Deshalb ist ein ungedrucktes Findmittel, das noch in der Bibliothek erarbeitet worden ist, bisher nicht gänzlich überholt: Die Alt-Akten A und V der Niedersächsischen Landesbibliothek. Übersichtsverzeichnis, bearb. von Reinhard Oberschelp, Hannover 2001.

Die im Titel genannten Signaturengruppen ‚A‘ und ‚V‘ umfassen den gesamten Bestand der bis vor kurzem in der GWLB aufbewahrten älteren Akten von ca. 1670 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Reinhard Oberschelp schätzt deren Umfang überschlägig auf etwa 30.000 Blatt. Allerdings betrifft nur ein kleiner Teil dieses umfangreichen Materials Leibniz’ Wirken als Bibliothekar – vor allem,

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aber nicht allein – in Hannover. So wie sich nach Leibniz’ Tod seine eigenen Bücher nicht einwandfrei von denen der Hofbibliothek trennen ließen, sind hier persönliche Papiere unter die Akten gemischt. Darüber hinaus betrifft die amtliche Aktenüberlieferung nicht nur, wie der bisherige Aufbewahrungsort und die bisherige Bezeichnung nahelegen, die Hannoveraner Bibliothek, vielmehr sind durch Leibniz’ parallele Tätigkeit als Bibliothekar in Wolfenbüttel (s. dazu den Beitrag von Margherita Palumbo in diesem Band) auch dortige Betreffe in diesem Bestand eingegangen (4.3.). Nicht weniger interessant sind diese Akten für die Geschichte der LeibnizForschung und besonders der Leibniz-Edition. Sie dokumentieren nämlich Manuskript-Ausleihen an Gelehrte des 18. (6.4.2.) und besonders die Anfragen der Editoren des 19. Jahrhunderts (7.4.–7.). In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das ist jedenfalls der Eindruck, den man aus den Akten gewinnt, hatte man mehr Angst vor möglichen politischen Implikationen von Veröffentlichungen aus dem Leibniz-Nachlass als im Jahrhundert zuvor. Die Akten sind von der GWLB im April 2003 (NLA Hannover, Hann. 153 Acc. 2003/060) und im Oktober 2004 (Acc. 2004/107) in zwei Ablieferungen und im Jahr 2018 in einer dritten und letzten (Acc. 2018/55) an das NLA Hannover abgegeben worden. Dort bilden sie den Bestand ‚Königliche und ProvinzialBibliothek Hannover‘ (Hann. 153). Die erste Ablieferung ist von geringem Interesse, da sie Akten aus der Zeit von 1898 bis 1950 umfasste. Mit der zweiten Ablieferung kamen die Wolfenbütteler Betreffe (4.3.) ins Archiv. Mit der letzten sind die Bibliotheksakten nun wieder an einem Ort vereint. 4.3. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Seit Anfang 1691 nahm Leibniz neben seiner Tätigkeit in Hannover auch das Amt des Bibliothekars an der berühmten Bibliotheca Augusta, der heutigen Herzog August Bibliothek (HAB), in Wolfenbüttel wahr. Entsprechend sind auch dort Spuren seiner amtlichen Tätigkeit – aber nicht nur der amtlichen – überliefert. Wie in Hannover lagen wohl auch in Wolfenbüttel private und dienstliche Schriftstücke, eigene Bücher und solche der Bibliothek durcheinander. Wie dort musste man die Hinterlassenschaft nach der Versiegelung durchsehen und trennen, zudem eine Liste der von Leibniz nach Hannover mitgenommenen Bände aus der Bibliotheca Augusta aufstellen (HAB, Leibniziana III, 29 f.). Leibniz’ persönlichen Besitz hat sein Nachfolger Eckhart dann im Februar 1718 nach Hannover geholt, nämlich knapp 1.000 Bände in elf Kisten und einen Koffer voll Manuskripte, zusammen drei Wagenladungen (bisher: GWLB, Bibl. Akten A 8, 1, 5r). Aber auch in Hannover liegt ein umfangreicher Teil des im Rahmen seiner bibliothekarischen Tätigkeit in Wolfenbüttel entstandenen Schriftguts. Leibniz hat nämlich nicht nur die Belange der hannoverschen Hof- und seiner Privatbibliothek nur unzureichend voneinander getrennt, es ist auch zu Vermischungen von dienstlich-bibliothekarischen Unterlagen für Hannover und Wolfenbüttel gekommen. Die Wolfenbütteler Betreffe in den hannoverschen Bibliotheksakten (4.2. Exkurs)

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sind bereits im Jahr 2004 von der GWLB an das NLA Hannover abgegeben worden. Dort liegen sie jetzt unter den Signaturen NLA Hannover, Hann. 153 Acc. 2004/107, Nr. 1–7. Für die Überlieferung in Wolfenbüttel gilt im Grunde dasselbe wie für jene in Hannover: Sie ist auf mehrere Bestände verteilt, ohne dass diese Aufteilung einer sachlichen Differenzierung, etwa in amtliche und private Papiere, entspräche. Unter den Handschriften der HAB existiert eine kleine Sammlung von sieben Bänden, die „Leibniziana“ benannt ist. Der letzte Band hat keinen direkten Bezug zu Leibniz. Vielmehr handelt es sich um den „Bericht von dem Zustand und fernerer Vermehrung der Bibliothecae Augustae“, den der langjährige Wolfenbütteler Bibliothekar Lorenz Hertel im Jahre 1731 dem neuen Herzog abgestattet hat (HAB, Leibniziana VII). Die Abfertigungen zahlreicher Leibnizbriefe an denselben Hertel bilden den Kern des umfangreichen ersten Bandes (HAB, Leibniziana I). Dazu kommen einerseits Schreiben an Herzog Anton Ulrich, Johann Joachim Röber und andere, andererseits Briefe anderer Aussteller, darunter Leibniz’ Nachfolger Johann Georg Eckhart, welche die Bibliothek betreffen. Die Mehrzahl der Leibnizbriefe dieses Bandes ist von Hertels Nachfolger, Jakob Burckhard (1681–1752), im dritten Teil seiner Historia Bibliothecae Augustae (auszugsweise) abgedruckt worden: Jakob Burckhard: Historia Bibliothecae Augustae quae Wolfenbutteli est, Wolfenbüttel 1744–1746 (3 Bde.), hier Bd. 3, 313–355.

Burckhard hat, wie es scheint, eine Auswahl aus dem Material getroffen, indem er auf die Publikation jener Schreiben, die keinen Bezug zur Bibliothek enthalten, verzichtete. Ohnehin stehen zwischen den Abfertigungen und dem Druck (mindestens) zwei weiterere Textzeugen. In dem Band HAB, 149.6 Extrav., 268v–299v, der aus seinem Besitz in die Bibliothek gelangt ist, sind Abschriften und Auszüge von Burckharts Hand gesammelt, die teilweise bereits in Auswahl und Einrichtung dem Druck entsprechen. Allerdings finden sich hier einerseits Briefe, die er schließlich doch nicht in die Bibliotheksgeschichte aufgenommen hat, andererseits fehlen dort gedruckte Stücke. Somit kann es sich hier nicht um die unmittelbare Druckvorlage handeln. In Burckhards Bibliotheksgeschichte (ebd., p. III, 285 f.) finden sich zudem Auszüge aus vier Leibnizbriefen an den früheren Wolfenbütteler Bibliothekar David Hanisius, die im zweiten Band der „Leibniziana“ überliefert sind (HAB, Leibniziana II, 7–14). In diesem kleinen Konvolut liegen aber auch zwei Schriftstücke aus dem Umfeld des Ankaufs der Gudischen Handschriften, den Leibniz 1710 in Hamburg getätigt hatte (ebd., 1–3). Auch sie sind von Burckhard herangezogen worden (4.3: Burckhard 1744–1746, p. I, 263 f.). Weitere Dokumente zu diesem Ankauf befinden sich in HAB, Leibniziana III. Dieser Band ist mit Quittungen, Bücherlisten und dergleichen der ‚aktenmäßigste‘ des kleinen Bestandes. Dagegen enthalten die Bände IV bis VI Schriften von Leibniz, die nicht in Beziehung zur Bibliotheca Augusta stehen: HAB, Leibniziana IV ist ein Korrekturexemplar von A Letter Writ from Hanover by Sir Rowland Gwynne (1706), eine

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jener von Leibniz anonym veröffentlichen Flugschriften, mit denen er in den intergouvernementalen publizistischen Diskurs einzugreifen pflegte. Bei HAB, Leibniziana V handelt es sich um eine Abschrift der „Defensio Trinitatis“ (A VI,1 N. 16) von Schreiberhand, HAB, Leibniziana VI ist eine Abschrift des „Index Propositionum“ aus dem Georgius Ulicovius Lithuanus (A IV,1 N. 1). Ob die genannten Abschriften von Leibniz selbst veranlasst worden sind, wird sich kaum noch feststellen lassen. Bis auf den mit Abstand am umfangreichsten ersten Band sind die Schriftstücke aus dem Bestand „Leibniziana“ als Scans online zugänglich: http://diglib.hab.de/?db=mss&list=collection&id=leibniziana

Abgesehen von den zuletzt erwähnten Bänden IV bis VI enthält der Bestand ‚Leibniziana‘ zwar nur einzelne Schriftstücke, die man im strengen Sinne als Akten bezeichnen kann, aber auch die private Korrespondenz (deren Abgrenzung von dienstlichen Fragen ohnehin schwierig ist) spricht bibliothekarische Fragen an oder richtete sich an Adressaten, die mit der Bibliotheca Augusta in Verbindung standen. In den übrigen Handschriftenbeständen der Bibliothek findet sich zwar noch einiges Material von und zu Leibniz, allerdings kaum solches, das aus seiner dienstlichen Tätigkeit als Bibliothekar erwachsen ist. Im Archiv der HAB befindet sich eine Übersicht über die Aufstellung der Bücher in den alten Bibliotheksräumen über dem Marstall (HAB, Bibliotheks-Archiv II, 202, Nr. 13). Die Übersicht ist von der Hand des Bibliothekssekretärs Johann Georg Sieverds, enthält Randnotizen von Leibniz und ist von ihm wohl kurz nach seinem Dienstantritt angelegt worden. Dass Leibniz selbst der Autor ist, beweist das in Hannover erhaltene Konzept (LH XL 7, 152–157), das zugleich zeigt, wie weit gestreut auch jene hinterlassenen Papiere überliefert sind, welche die Wolfenbütteler Bibliothek betreffen. Der Wolfenbütteler Bestand der ‚Codices Extravagantes‘ zeigt bereits in seiner Benennung eine gewisse Disparität an. Was er an Leibnitiana enthält ist aus unterschiedlichen Quellen, aber in der Regel nicht über Leibniz in die Bibliothek gekommen. Vielmehr handelt es sich um Empfängerüberlieferung von Adressaten aus dem lokalen oder regionalen Umfeld, wie etwa Hermann von der Hardt (5.1.) oder Christoph Woltereck (die Leibnizbriefe als Abfertigungen in HAB, 157.9 Extrav., Wolterecks Briefe als Abschriften in ebd., 289.4 Extrav.). Eine Ausnahme bildet wohl Michel Lequiens Brief an Leibniz vom 8. September 1701 (A I,20 N. 257), der als Abfertigung (HAB, 239.11 Extrav., 85 f.) und in Burckhards Abschrift (HAB, 149.6 Extrav., 301) überliefert ist. Im Übrigen bestätigt sich hier, was bereits zum Verhältnis der Überlieferung im Archiv der BBAW (3.4.1.) angemerkt worden und im Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (4.4.) anzumerken ist, dass nämlich wichtige Akten zur Institution – und damit auch zu Leibniz’ amtlicher Tätigkeit – nicht in der betreffenden Institution selbst, sondern bei der übergeordneten Behörde geführt und archiviert worden sind. Deshalb sind für Leibniz’ bibliothekarische Tätigkeit in Wolfenbüttel immer auch die einschlägigen Akten des Niedersächsischen Landesarchivs Standort Wolfenbüttel heranzuziehen. Im Bestand ‚Kanzlei, Geheimer

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Rat’ sind dies die Akten zu den ‚Bibliotheksangelegenheiten‘ und hier besonders die Signaturen 2 Alt, Nr. 3983, Nr. 3984 und Nr. 3989. Die zuletzt genannte Akte führt sogar den „Oberbibliothekar Gottfried Wilhelm Leibniz“ im Titel auf, enthält neben dem Gesuch um ein Druckprivileg für den Codex juris gentium und der Versiegelung von Leibniz’ Wolfenbütteler Hinterlassenschaft aber fast nur Gehaltsquittungen. 4.4. Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin (GStA PK) als das zentrale Archiv des ehemaligen preußischen Staates bewahrt vor allem jene Papiere, die durch Leibniz’ amtliche und beratende Tätigkeit für die Akademie und den Berliner Hof in die dortigen amtlichen Akten gelangt sind. Hier sind vor allem die (früher) sog. ‚Alten Reposituren‘ in der Ersten Hauptabteilung (I. HA), welche die Aktenüberlieferung des Geheimen Rats enthalten, einschlägig. Im Folgenden wird kein vollständiger Überblick über die Leibnitiana im GStA PK geboten – dafür sei auf den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) verwiesen –, vielmehr sollen exemplarisch die durchaus unterschiedlichen Überlieferungsbedingungen innerhalb eines Archivs vorgestellt werden. Leibniz’ Beziehungen zu Berlin waren vielfältiger Natur. Mag man zunächst an die Akademiegründung denken, waren seine ersten Besuche in der brandenburgisch-preußischen Hauptstadt doch anders motiviert. Zunächst standen die Gespräche über eine Union der Lutheraner und der Reformierten, die Leibniz vor allem mit dem reformierten Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski führte, im Vordergrund. Allerdings kann man hier nicht von einer amtlichen Tätigkeit sprechen. Zwar verhandelten Jablonski, Leibniz und ihre Mitstreiter im Auftrag ihrer Landesherren, aber inoffiziell. Das hat sich in der archivischen Überlieferung in der Weise niedergeschlagen, dass die Unionsbemühungen praktisch keine Spur in den amtlichen Akten hinterlassen haben. Es ist bezeichnend, dass lediglich einige Schreiben in die Akten eingegangen sind, und bezeichnenderweise solche, in denen sich Leibniz und Jablonski auf das Feld der dynastischen Politik begeben hatten, als sie 1706 überlegten, der preußische Thronfolger und seine hannoversche Braut könnten anlässlich ihrer Trauung das Abendmahl gemeinsam nach anglikanischem Ritus nehmen. Dem in diese Verhandlungen ebenfalls involvierten reformierten Berliner Hofprediger Benjamin Ursinus von Bär gingen diese Vorschläge zu weit. Er denunzierte sie beim König unter Beifügung von umfangreichen abschriftlichen Auszügen aus drei Leibniz-Briefen. Ursinus hatte Erfolg: Leibniz und Jablonski mussten ihre Korrespondenz abbrechen. Die erwähnten Abschriften kamen in die Akten zu den Vermählungsfeierlichkeiten. Mit diesem wurden sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts dem neu eingerichteten Brandenburg-Preußischen Hausarchiv (BPH) zugeschlagen (GStA PK, BPH, Rep[ositur] 46 N, Nr. 2, Bl. 11–21). Erst gegen Ende von Leibniz’ Lebenszeit kam es zur Wiederaufnahme der Unionsgespräche mit Jablonski. Dieser letzte Versuch hat

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seinen Niederschlag in den Akten gefunden: GStA PK, I. HA, Rep. 13, Nr. 19d Fasz[ikel] 21. Dagegen sind Leibniz’ Eingaben, Denkschriften und sein Schriftwechsel im Vor- und Umfeld der Akademiegründung und zu seinen Bemühungen, die gelehrte Gesellschaft durch einträgliche Privilegien finanziell abzusichern, in den einschlägigen Akten breit überliefert. Sie finden sich in: I. HA, Rep. 9 Allgemeine Verwaltung, K [= Bestallungen, u. a. Akademie] Lit. M II [= „Gelehrte Gesellschaften, insonderheit Königliche Akademie der Wissenschaften“], Fasz. 2: „Acta betr. die Fundation der Kgl. Akademie der Wissenschaften“. In diesem Bestand – weniger im Archiv der BBAW (3.4.1.) – liegt die eigentliche amtliche Aktenüberlieferung zur Akademiegründung. Viele Schriftstücke finden sich in mehreren Textzeugen sowohl hier, als auch im Archiv der BBAW und in den Signaturengruppen LBr und LH der GWLB. In Letzteren sind es aber, neben den an Leibniz adressierten Abfertigungen, vor allem erste persönliche Entwürfe und Aufzeichnungen, die seine Studierstube entweder nicht verlassen haben oder, nachdem sie kopiert oder neu konzipiert worden waren, dorthin zurückgekehrt sind. Das Archiv der BBAW enthält, von Leibniz’ ‚Berliner Schreibtisch‘ stammend, entsprechend zu charakterisierende Papiere (3.4.), aber natürlich auch Aktenüberlieferung. Die einschlägigen Stücke sind häufig jedoch Abschriften der Aktenschriftstücke aus dem GStA PK. Die Letztgenannten zeigen dagegen in Vermerken, Paraphen und dergleichen die typischen Spuren des bürokratischen Geschäftsgangs. Wie die Leibniz-Papiere im NLA Hannover (4.2.) weichen auch die Akten zur Akademiegründung im GStA PK teilweise von den Charakteristika ab, die unter IV.1. einleitend als allgemeine Probleme der amtlichen Überlieferung geschildert worden sind. Zwar war Leibniz in Berlin kein Beamter, so wie in Hannover, gleichwohl war er dort teilweise so eng in die Verwaltungstätigkeit eingebunden und an der Ausarbeitung etwa der General-Instruction (A IV,8 N. 80) für die Akademie so stark beteiligt, dass ein von ihm verfasstes Konzept, freilich stark umgearbeitet, als Grundlage der Ausfertigung diente (I. HA, Rep. 9 (AV). K. Lit. M II. Fasz. 2, Bl. 5–9). Leibniz hat sich in Berlin nicht nur mit der Gründung und der finanziellen Ausstattung der Akademie beschäftigt, sondern zugleich zu einer Reihe politischer Fragen Denkschriften vorgelegt. Ähnlich wie im NLA Hannover sind diese über verschiedene Bestände verteilt. Hier können nur kurz die wichtigsten von ihnen genannt werden. Zur Frage des Anspruchs der Hohenzollern auf die Oranische Erbschaft hat Leibniz nach dem Tode Wilhelms III. von Oranien umfangreiche Denkschriften für den Berliner Hof erarbeitet. Das, was an die Berliner Adressaten gelangt ist, liegt in unterschiedlichen Stadien der Ausarbeitung, zum Teil bereits mit Anweisungen für einen Druck, im „Oranischen Archiv“ (I. HA, Rep. 64, Nr. 4. und 5; der Bestand hat kürzlich neue Signaturen erhalten). Eine Rein- oder Abschrift hat es in I. HA, Rep. 94 IV J b Nr. 5 verschlagen. Vorbereitende Materialien im Archiv der BBAW (Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz, Nr. 1, Bl. 11–31) stammen hingegen aus Leibniz’ Berliner Teilnachlass (3.4.1.). Den größeren Teil seines Arbeitsmaterials scheint er aber wieder mit nach Hannover

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genommen zu haben, wo es wegen seines politischen Interesses aus dem Nachlass gezogen und in die Akten eingeordnet worden ist: Celle Br. 77, Nr. 60/6 (4.2.). Keine derartig aussagekräftigen Spuren der aktiven bürokratischen Mitarbeit finden sich auf einer Denkschrift über die Hebung der Studien an der Universität in Frankfurt/Oder, die Leibniz bei seinem letzten Berlin-Aufenthalt im Frühjahr 1711 auf Bitten von Heinrich Rüdiger von Ilgen ausgearbeitet hat (I. HA, Rep. 51, Nr. 5a, 1711–1712, Bl. 1–4). Für weitere einzelne Stücke sei auf den Arbeitskatalog der Leibniz-Edition verwiesen. 5. ÜBERLIEFERUNGEN AUF SEITEN DER KORRESPONDENZPARTNER (EXEMPLARISCH) Die für eine gelehrte Korrespondenz aus der zweiten Hälfte des 17. und dem frühen 18. Jahrhundert außerordentlich gute Überlieferung verdankt Leibniz’ Briefwechsel der Tatsache, dass die hinterlassenen Papiere vom Landesherrn aufgekauft und dadurch in institutionell stabilen Verhältnissen archiviert worden sind (3.1.). Was sich im ‚Leibniz-Nachlass‘, besonders in der Signaturengruppe LBr, findet ist in aller Regel aber nur die eine, nämlich Leibniz’ Seite des jeweiligen Briefwechsels. Im Blick auf die Überlieferung bedeutet dies, dass dort die Abfertigungen seiner Korrespondenzpartner und von seinen eigenen Briefen die Konzepte überliefert sind. Seine ausgesandten Briefe befanden sich ja mit der Absendung nicht mehr in seinem Besitz, und die Konzepte der Briefpartner sind nie in seinen Besitz gelangt. Trifft man derartiges Material in LBr an, muss es sich in aller Regel um spätere Erwerbungen handeln, mit denen der Nachlass angereichert worden ist. Das gilt etwa für Abfertigungen von Leibnizbriefen an Conrad Barthold Behrens, die heute in LBr 46 liegen. Sie sind wohl schon früh durch den Bibliothekssekretär und Redakteur des Neuen Hannoverschen Magazins, Georg Friedrich Koch (1770–1827), in die Bibliothek gekommen. Jedenfalls hat Koch die meisten von ihnen in den Jahren 1805, 1806 und 1809 in der genannten Zeitschrift gedruckt (1: Ravier 1937, 337–339. 341). Die außerordentlich gute Überlieferung des Schriftnachlasses zeigt sich einerseits in der sehr hohen Zahl von überlieferten Briefen: nach aktuellen Schätzungen dürfte sie zwischen 15.000 und 20.000 Stück liegen (Gädeke 2016). – Zum Vergleich: Aus dem Briefwechsel des etwas älteren Zeitgenossen Samuel (von) Pufendorf (1632–1694), der in der gelehrten Welt seiner Zeit ebenfalls einen großen Ruf besaß, sind nur etwa 250 Schreiben erhalten. – Diese Überlieferungssituation spiegelt sich andererseits in der Rubrik „Überlieferung“ zu den einzelnen, in der Akademie-Ausgabe edierten Briefen (8.2.1.–3.). Sie tut dies in doppelter Hinsicht: Zum einen dadurch, dass sie den überwiegenden Teil der Textzeugen in der GWLB nachweist (aus den in 3.2.1. geschilderten Gründen nicht nur in LBr, sondern auch in LH und Ms). Zum anderen indem sie nachweist, in welchen Überlieferungsformen diese Textzeugen vorliegen. Dass von Leibniz’ eigenen Briefen zumeist nur die Konzepte oder manchmal eigenhändige oder doch von ihm veranlasste Auszüge, von denen seiner Korrespondenzpartner zumeist die

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Abfertigungen erhalten sind, ist eine notwendige Folge dieser Überlieferungssituation. Allerdings bleibt die beste Überlieferung für nur einen der beiden Korrespondenzpartner immer eine im wahrsten Sinne des Wortes einseitige Überlieferung. Dies gilt quellenkritisch auch für die oben geschilderte einseitige Bevorzugung bestimmter Überlieferungsformen, für Leibniz’ eigene Briefe also deren Konzepte. Das Konzept ist als „das wahrhafte und beweiskräftigste Original“ bezeichnet worden (Meisner 1952, 65), eine Charakterisierung, die für Leibniz’ Konzepte, an denen sich sein ‚Denken mit der Feder in der Hand‘ häufig detailliert nachvollziehen lässt, in besonderem Maße gilt. Es stellen sich jedoch auch Fragen nach der Zuverlässigkeit einer derartigen Überlieferung (sehr kritisch dazu 7.3: Doebner 1881, 207): Wie genau stimmte die Abfertigung mit dem Konzept überein? Haben verschiedenen, aber inhaltlich ähnlichen Konzepten ebenso viele Abfertigungen entsprochen oder überliefern sie womöglich lediglich mehrfache Anläufe zur Formulierung nur eines Schreibens? Selbst jene Auszüge aus einem abzusendenden Brief, die sich Leibniz selbst gemacht hat oder hat anfertigen lassen und die ihm anstelle eines nicht angefertigten oder nicht aufbewahrten Konzepts als Gedächtnisstütze gedient haben, stimmen nicht unbedingt vollständig mit den entsprechenden Passagen der Abfertigung überein. Dies gilt nicht nur für Änderungen in den Formulierungen, sondern kann auch den Inhalt betreffen.8 Deshalb ist die jeweilige Gegenüberlieferung, soweit sie erhalten geblieben ist, im Wert keineswegs niedriger zu veranschlagen. Leider gilt im Allgemeinen, dass die Überlieferungschancen (Esch 1985) gelehrter Korrespondenz an sich als nicht sehr gut einzuschätzen sind (Dilthey 1889 [1970]). Gleichwohl ist für Leibniz’ Briefwechsel immer noch viel mehr Gegenüberlieferung erhalten, als hier vorgestellt werden kann. Deshalb müssen sich die folgenden Bemerkungen auf wenige ausgewählte Fälle beschränken. Die Auswahl richtet sich nicht nach der Prominenz der Korrespondenzpartner. Vielmehr sollen unterschiedliche Charakteristika der Empfängerüberlieferung aufgezeigt werden. Sie stellt die Korrespondenz mit Hermann von der Hardt an den Anfang (5.1.), als Beispiel für einen in LBr sehr ungleichgewichtig erhaltenen Briefwechsel. In diesem Fall existieren nämlich kaum (noch) Konzepte von Leibniz. Für seine eigenen Briefe sind wir daher – im Gegensatz zu der zuvor geschilderten durchschnittlichen Überlieferungslage der Leibniz-Korrespondenz – in erster Linie auf die Empfängerüberlieferung der Abfertigungen angewiesen. Der Briefwechsel mit von der Hardt ist in dieser Hinsicht zwar außergewöhnlich, aber kein Einzelfall. Allerdings ist er insofern untypisch, als man es in anderen einschlägigen Fällen mit deutlich stärker ausgeprägten „Asymmetrien in seinen Korrespondenzbeziehungen“ (Gädeke 2009) zu tun hat, etwa gegenüber seinen Mit  8

Auf zwei Beispiele aus dem Briefwechsel mit Hermann von der Hardt (5.1.) hat mich meine Hannoveraner Kollegin Nora Gädeke aufmerksam gemacht: Die Auszüge, die sich Leibniz aus seinen Briefen vom 22. Okt. und vom 29. Okt. 1706 angefertigt hat, sind an einzelnen Stellen ausführlicher als die Abfertigungen, weil sie bestimmte Aussagen stärken explizieren.

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arbeitern, für die hier exemplarisch der Briefwechsel mit Johann Friedrich Hodann vorgestellt wird (5.2.). Während das Schicksal von Leibniz’ Schriftnachlass im Einzelnen zwar komplizierter ist, als man es bei oberflächlicher Betrachtung erwarten möchte (3.1.), blieb er doch – abgesehen von den in Berlin zurückgelassenen Papieren (3.4.) – von weitgehender Zerstreuung verschont. Was es dagegen für die Überlieferungschancen derartigen privaten Schriftguts bedeutet, wenn es nicht oder erst sehr spät Unterschlupf in stabilen öffentlichen Institutionen gefunden hat, lässt sich in unterschiedlichen Ausprägungen an den Schicksalen verschiedener Empfängerüberlieferungen ablesen, etwa jener der Briefe an Johann Andreas Schmidt (5.3.). Hier zeigt sich zugleich die Bedeutung der Sammler und Editoren des 18. Jahrhunderts. So gibt es nicht nur Überlieferungen auf Empfängerseite, sondern auch Editionen von Empfängerseite. Soweit dabei die früheren Korrespondenzpartner selbst zu Herausgebern geworden sind, werden sie im Abschnitten 6.3.1. vorgestellt. Auf die Publikation von Leibnitiana im Kontext von Briefausgaben prominenter Korrespondenten, die nicht von diesen selbst veröffentlicht worden sind und deren Veröffentlichung nicht durch einen Bezug auf Leibniz motiviert war, kann hier nur pauschal hingewiesen werden. Der Zerstreuung, von der die privat entstandenen und zunächst privat vererbten oder verkauften Papiere ständig bedroht sind, entsprechen in den öffentlichen Sammlungen (Autographen-)Bestände, deren bunt gemischte Zusammensetzung gewissermaßen das Spiegelbild dieser Überlieferungssituation ist. Hier und da war schon auf derartige Phänomene hinzuweisen, etwa im Archiv der BBAW (3.4.1.), wo an einen Überlieferungskern, um dessen Vorstellung es ging, weiteres Material anderer Provenienz(en) angelagert worden ist, das schon der Abgrenzung wegen mitbehandelt werden musste. Derartige Überlieferungsformen sind eher häufiger als geschlossene Komplexe aus Empfängerüberlieferung. Deshalb sollen am Schluss dieses Abschnitts zwei derartige Sammlungen, von denen Teile in anderen Kontexten angesprochen werden (5.3.; 6.4.1.) exemplarisch vorgestellt werden (5.4.1.–2.). Schließlich darf nicht vergessen werden, dass trotz des beeindruckenden Umfangs des Materials der Briefwechsel keineswegs vollständig überliefert ist. Eine Statistik, wieviel verlorengegangen ist, existiert nicht. Die einleitenden Erläuterungen zu den einzelnen Briefen in den Bänden der Briefreihen der AkademieAusgabe (8.2.1.–3.) enthalten in ihrer Einordnung des jeweiligen Stücks in den Verlauf der Korrespondenz Hinweise auf nicht aufgefundene Briefe. Auch im Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) kann man vereinzelt Einträge finden, die sich auf lediglich erschlossene Briefe beziehen. Allerdings hat man derartige Hinweise keineswegs konsequent aufgenommen. 5.1. Hermann von der Hardt Der Briefwechsel mit dem Helmstedter Orientalisten Hermann von der Hardt (1660–1746) gehört zu den umfangreichsten Korrespondenzen, die Leibniz ge-

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führt hat (Gädeke 2016, 108). In diesem Fall ist die Empfängerüberlieferung von besonderem Interesse, da Leibniz gegen seine gewöhnliche Praxis viele Briefe an von der Hardt nicht erst (durch-)konzipiert, sondern gleich ins Reine geschrieben, nur nach Teilkonzepten formuliert oder jedenfalls ursprünglich vorhandene Konzepte nicht aufbewahrt hat. Daraus resultiert eine massiv ungleichgewichtige Überlieferung auf Leibniz’ Seite: Der Briefwechsel in LBr 366 enthält 162 Abfertigungen von Hermann von der Hardt, denen nur 22 Stücke von Leibniz’ Hand gegenüberstehen (3.2.1: Bodemann 1889 [1966], 80). Dabei handelt es sich häufig um (Teil-)Konzepte auf eingegangenen Schreiben und (nachträgliche) Auszüge. Das Ungleichgewicht wird noch dadurch verstärkt, dass einige Briefe von der Hardts außerhalb von LBr 366 überliefert sind, nämlich ein Dutzend Briefe mit drei Beilagen in LBr 228 (Eckhart), zwei Briefe in LBr 131 (Gilbert Burnet) und ein Brief in LBr 369 (Graf Harrach). Diese Asymmetrie in der Korrespondenzbeziehung ist zwar nicht allein eine Folge dieser Überlieferungslage, da der Helmstedter Professor der eifrigere Korrespondenzpartner gewesen zu sein scheint, aber die zahlreichen Hinweise auf zu erschließende Leibnizbriefe, die eine Durchsicht mancher der einschlägigen Briefbände in der Akademie-Ausgabe (8.2.1.) liefert, zeigen doch, dass das Verhältnis ausgeglichener gewesen sein muss. Diese empfindliche Lücke in Leibniz’ hinterlassenen Papieren kann teilweise durch die allerdings ebenfalls lückenhafte und zerstreute Überlieferung von Empfängerseite verkleinert werden. Der wichtigste und umfangreichste Teil der Empfängerüberlieferung liegt heute in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Für die damalige Markgräflich Badische Hofbibliothek ist er im Jahre 1786 auf der Auktion der Bibliothek von Hermanns Neffen, Anton Julius von der Hardt, erworben worden. Die Leibnizbriefe sind nur ein kleiner Teil dessen, was aus dem Nachlass von der Hardts nach Karlsruhe gelangt ist. Der Bestand umfasst vier Mappen mit Briefen an von der Hardt, die wohl erst in der Bibliothek nach Korrespondentenalphabet geordnet worden sind, neun Folianten mit Briefkonzepten von der Hardts von Oktober 1686 bis Mai 1690, inklusive eines Bandes mit Dokumenten zu seinem Leben, alles von ihm selbst zusammengestellt, und vier Quartbände mit weiteren Briefwechseln und Dokumenten, nicht zuletzt zu von der Hardts Kampf mit der Zensur (Lamey 1891, 1–7). Bei den Leibnizbriefen handelt es sich um vier Dutzend Schreiben und drei Beilagen (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek K 320 IV; vgl. Lamey 1891, 30, Nr. 85). Sie decken die Zeit von Anfang 1695 bis Ende August 1716 ab, umfassen also, abgesehen von den ersten vier Jahren, den gesamten Zeitraum der Korrespondenz. Allerdings bieten sie für die genannte Zeit keineswegs alle erhaltenen Leibnizbriefe an von der Hardt, auch nicht alle erhaltenen Abfertigungen, aber doch den größten Teil derselben. Das gilt jedenfalls für jene Jahre, für die in Karlsruhe Briefe vorliegen. Außer der Lücke am Beginn des Briefwechsels (1690–1694) fehlen dort Briefe aus den Jahren 1702–1704 (allerdings ist für die Jahre 1702 und 1703 überhaupt keine Korrespondenz zwischen den beiden erhalten), 1709–1710 und 1712–1715.

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Ein halbes Jahr dieser Lücken kann durch abschriftliche Überlieferung, die auf die Abfertigungen zurückgreifen konnte, gefüllt werden. In dem bereits behandelten Warschauer Konvolut (3.4.2.) sind Abschriften von 14 Briefen und einer Beilage erhalten, die bis auf drei sämtlich aus dem Zeitraum vom Februar bis zum Juli 1704 stammen (Warschau, Biblioteka Narodowa, III. 4879, 312–317). Mit elf Briefen aus einem halben Jahr ist in Warschau etwa doppelt bis dreifach soviel überliefert wie in Karlsruhe für ein ganzes. Das dürfte der tatsächlichen Frequenz der Korrespondenz von Leibniz’ Seite entsprechen. Diese dichte Überlieferungssituation lässt sich geringfügig ausweiten, einerseits zurück in den Januar, andererseits weiter in den August 1704 durch drei Abfertigungen im Nachlass des Johann Carl Conrad Oelrichs (1722–1798) in der Staatsbibliothek zu Berlin. Insgesamt liegen dort sechs Briefe an Hermann von der Hardt und einer an Detlev Markus Friese (A I,12 N. 346a) in einer Art Autographensammlung (SBB PK, Nachlaß Oelrichs, Kasten 94, Leibniz, Gottfried Wilhelm). Zwei weitere Abfertigungen (A I,11 N. 285 und A I,14 N. 177) sind über die Helmstedter Professoren Frobesius und Pfaff in die Universitätsbibliothek Halle gelangt (5.3.). Diese letzten Hinweise zeigen, dass neben einem größeren Teilnachlass weitere, zersplitterte Empfängerüberlieferungen erhalten geblieben sein können. 5.2. Johann Friedrich Hodann Der Theologe Johann Friedrich Hodann (1674–1745) ist 1703 in Leibniz’ Dienste getreten und dort bis Ende 1714 geblieben, bevor er als Rektor an die Schule in Winsen/Luhe in der Lüneburger Heide ging. Während das Verhältnis anderer Mitarbeiter zu ihrem Dienstherrn Leibniz durchaus schwierig war – erinnert sei an Feller (6.2.) und Eckhart (6.1.1.) – stand Hodann immer loyal zu ihm, auch über den Tod seines Dienstherrn hinaus. Der oben (3.1.) zitierte Bericht über Leibniz’ Sterben war an ihn gerichtet und ist in seinen hinterlassenen Papieren überliefert (Ritter 1916). Die Korrespondenz begann ein knappes Jahr vor Hodanns Dienstantritt (A I,21 N. 241) und endete im Oktober 1716. Von der Anzahl der gewechselten Briefe her ist sie mit etwa 500 Stück die am umfangreichsten überlieferte von Leibniz’ Korrespondenzen (Gädeke 2016, 108). In der Hodann-Korrespondenz (LBr 411) ist das Ungleichgewicht zwischen eingelaufenen Abfertigungen und Leibniz’ Antwortkonzepten noch weit stärker als bei Hermann von der Hardt: Auf rund 360 Briefe Hodanns kommen ganze fünf Konzepte und Auszüge von Leibniz’ Hand (3.2.1: Bodemann 1889 [1966], 92. 419; Angaben z. T. korrigiert nach Arbeitskatalog [9.1.]). Wie im Fall von der Hardt verfügen wir glücklicherweise über eine Überlieferung auf Empfängerseite, die dieses Ungleichgewicht ausgleichen kann. Sie ist in Hodanns Fall zudem wesentlich vollständiger, ja vielleicht sogar ganz vollständig (das wird erst die Edition zeigen können), so dass man im Blick auf sie von einer „weit überdurchschnittlich guten Überlieferungslage“ gesprochen hat (A I,23 XXXIII). Die Überlieferung von Hodanns Seite bewahrt heute die Kongelige Bibliotek in Kopenhagen

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unter den Signatur NKS 2753 4° auf. Dort liegen nicht nur gut hundert Briefe von Leibniz an seinen Amanuensis, sondern auch gut fünf Dutzend Konzepte von Hodanns Hand. Von ihnen sind die meisten, aber keineswegs alle auch als Abfertigungen in der GWLB überliefert (Gädeke 2019, 293; hier ist die in Anm. 79 genannte Signatur nach der o. g. zu korrigieren). Der Hodann-Briefwechsel kann wohl als typisch angesehen werden für eine bestimmte Art von Korrespondenzbeziehungen. Diese Beziehung ist in mehrfacher Weise asymmetrisch. Sie ist es nicht nur, ja sogar weniger im Blick auf den Informationsfluss in der respublica litteraria (Gädeke 2009), da es sich ganz überwiegend nicht um eigentliche Gelehrtenbriefe handelt, sondern um das, was Ursula Hess als ‚einfache Tagesinformation bezeichnet hat (Hess 1979, 496). Asymmetrisch war vor allem das soziale Verhältnis der Briefpartner: Dienstherr und Untergebener. Aus dieser Asymmetrie folgt, dass es sich nicht um ein briefliches Gespräch ‚auf Augenhöhe‘ unter Gelehrten handelte (nicht einmal pro forma) und dass wegen ihres zumeist knappen, auf Anweisungen und Tagesinformationen beschränkten Inhalts die Briefe nicht erst konzipiert zu werden brauchten oder, wenn doch einmal, die Aufbewahrung der Konzepte häufig nicht lohnte. Daher ihre außergewöhnlich seltene Überlieferung in LBr 411. Schließlich bestand eine quantitative Asymmetrie zwischen den sehr häufigen Schreiben Hodanns und Leibniz’ selteneren Antworten. Diese letztgenannte Unausgewogenheit ist nicht erst ein Ergebnis der Überlieferungslage. Im Allgemeinen scheinen jedoch aus derartigen asymmetrischen Korrespondenzbeziehungen asymmetrische Überlieferungen zu folgen. Dies gilt etwa auch, wenn auch nicht so ausgeprägt, für Leibniz’ Mitarbeiter Eckhart (LBr 228) und Feller (LBr 263). Im Falle Hodanns bietet die Empfängerseite die ungleich vollständigere Überlieferung, da sie einerseits die Konzepte zu Hodanns Briefen – und damit die Gegenüberlieferung zu seinen Abfertigungen in LBr 411 – enthält, andererseits Leibniz’ Abfertigungen. In derartigen Fällen einer sehr unausgewogenen Überlieferung in LBr ist man für eine bessere Kenntnis des Briefwechsels auf eine möglichst vollständige Empfängerüberlieferung angewiesen, aber nur selten ist diese so gut wie in Hodanns Fall. Eine weniger vollständige und stärker verstreute Empfängerüberlieferung, die gleichwohl eine wichtige Ergänzung zu dem entsprechenden LBr-Bestand bietet, haben wir bei Hermann von der Hardt kennengelernt (5.1.). In anderen derartigen Fällen, etwa der nach Leibniz’ letztem Aufenthalt in Wien begonnenen Korrespondenz mit Johann Philipp Schmid, ist die Empfängerüberlieferung verloren, so dass sich Leibniz’ Anteil fast nur noch in den Antwortbriefen spiegelt (Babin 2016). Leibniz’ Briefe an Schmid lagen noch im Jahr 1720 dem Hamburger Theologen und Leibniz-Korrespondenten Johann Christoph Wolf vor. Nach seiner Charakterisierung war auch ihr Inhalt von Tagesinformationen geprägt (Babin 2016, 201). Ihr Mangel an gelehrten Diskussionen machte sie wie vergleichbare Korrespondenzen für die frühen Sammler und Editoren, die vor allem am gelehrten Inhalt interessiert waren, unattraktiv. So hat Christian Kortholt (6.3.3.), dem Wolf die Briefe zur Verfügung gestellt hatte, aus den über 60 Stükken lediglich ein Dutzend auszugsweise gedruckt (Gädeke 2017a, 141).

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5.3. Johann Andreas Schmidt Die dritte Korrespondenz, deren Empfängerüberlieferung hier vorgestellt werden soll, hat Leibniz wiederum mit einem Helmstedter Professor gepflegt, dem Theologen Johann Andreas Schmidt (1652–1726). Sein Briefwechsel mit Leibniz umfasst knapp 350 Schreiben und zählt damit zu den zehn umfangreichsten LeibnizKorrespondenzen (Gädeke 2016a, 58). In Schmidts Fall verraten die Überlieferung, aber auch Hinweise in der Literatur, dass ein spezielles Interesse den Leibniz-Briefen an den Helmstedter Professor gegolten haben muss, welches sich in einer zielgerichteten Sammlungs- oder eher Auswahltätigkeit niedergeschlagen hat. Allerdings sind die Protagonisten der Überlieferungsbildung nicht lückenlos zu fassen, Die Vorstellung der Empfängerüberlieferung nimmt deshalb die (Teil-)Veröffentlichung von Leibniz-Briefen an Schmidt durch den Ulmer Polyhistor, Schulmann und Theologen Georg Veesenmeyer (1760–1833) zum Ausgangspunkt: G. G. Leibnitii Epistolae ad D. Ioannem Andream Schmidium, theologum Helmstadiensem. Ex autographis edidit Georgius Veesenmeyer, Nürnberg 1788.

Veesenmeyer druckte 96 Briefe ab (Übersicht in 1: Ravier 1937, 295–297), von denen jedoch der erste (A I,9 N. 218) tatsächlich nicht an Schmidt, sondern an Caspar Sagittarius gerichtet war, wie bereits ein früher Rezensent aufgrund inhaltlicher Unstimmigkeiten vermutet hatte (1: Ravier 1937, 179, Anm. 1). Nur zwei der Briefe (Nr. XLV. LXVI) lagen bereits gedruckt vor. Dort hat er die abweichenden Lesarten zu den älteren Drucken notiert. In der Vorrede gibt Veesenmeyer Rechenschaft über die Vorlagen seiner Ausgabe. In der Regel konnte er sich auf die originalen Abfertigungen stützen, die ihm ein namentlich nicht genannter Freund zur Verfügung gestellt habe. Lediglich für fünf Briefe (Nr. XIV–XVIII), die mit einem Asteriskus gekennzeichnet sind, habe er auf eine am Anfang und am Ende verstümmelte abschriftliche Sammlung zurückgreifen müssen, die in diesem fragmentarischen Zustand die von Veesenmeyer unter den Nummern XIII bis LI gedruckten Briefe enthielt, ursprünglich aber wesentlich umfangreicher gewesen sein müsse, da ihr Titelblatt 149 Briefe verspreche (ebd., VII f.). Dagegen sind die Originalmanuskripte, auf die sich Veesenmeyer stützen konnte, glücklicherweise zum größten Teil überliefert. Nur etwa 10 % lassen sich nicht nachweisen – und dazu sind schon jene Briefe gezählt, die ihm selbst nur in Abschrift vorgelegen haben. Ihre ganz überwiegende Mehrzahl liegt heute in der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB PK), Ms. lat. 4° 551. Im Vergleich mit den Vorlagen zeigt sich, dass Veesenmeyer nicht alles gedruckt hat, was ihm vorlag. Nicht, dass er auf Briefe von Leibniz verzichtet hätte, aber Schmidts Antwortkonzepte, die sich auf einzelnen eingelaufenen Schreiben finden, hat er nicht publiziert. Diese zu einem Band zusammengebundenen Abfertigungen stammen, wie ein Bibliotheksvermerk auf Bl. 1r zeigt, aus der Bibliothek von Sir Thomas Phillipps (1792–1872). Aus einer Bemerkung von Foucher de Careil ist zu entnehmen, dass der englische Bibliophile Papiere, die Veesenmeyer

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vorgelegen hatten, auf einer Auktion von Manuskripten und Autographen des Bibliophilen und Bücherdiebs Guglielmo Libri (1803–1869) ersteigert hat (7.7: Foucher de Careil 1859–1875, Bd. 2, 455). Tatsächlich lässt sich Ms. lat. 4° 551 mit einem Konvolut von 84 Leibniz-Briefen an Schmidt identifizieren, das der Katalog zur Libri-Auktion vom 28. März bis zum 5. April 1859 anführt (Catalogue 1859, 251, Nr. 1142). Alle Briefe des Bandes finden sich in Veesenmeyer Ausgabe, aber nicht alles, was dort publiziert ist, findet sich auch in dem Band. Der durch die Bindung hervorgerufene Eindruck des Abgeschlossenen täuscht. Tatsächlich handelt es sich um eine wohl recht willkürliche Zusammenstellung aus einem größeren Bestand. So liegt heute ebenfalls in Berlin ein Blatt mit Leibniz’ Adressierung an Schmidt und Schmidts Konzept seiner Antwort (SBB PK, Sammlung Autographa, Leibniz, Gottfried Wilhelm, Mappe II, 9), das von einem Brief in Ms. lat. 4° 551 abgetrennt ist (A I,11 N. 513). Der ursprünglich größere Bestand, der hier aufscheint, könnte noch intakt an Libri gelangt sein, der in dem Katalog zu einer Auktion am 1. Juni 1864 weitere 22 Briefe von Leibniz an Schmidt aufführt (Catalogue 1864, 28, Nr. 91). Wahrscheinlich ist auch über Libri weiteres Material in die PhillippsBibliothek gekommen, jedenfalls nahm dies der erste Leiter der AkademieAusgabe, Paul Ritter, an, welcher der Berliner Bibliothek den Ankauf mehrerer Briefe an Schmidt empfahl, die immer wieder im Antiquariatshandel angeboten wurden. Die einzeln angekauften Leibnizbriefe an Schmidt sind heute in der Mappe II der Leibniz-Autographen zusammengestellt. Allerdings sind nur drei von ihnen bei Veesenmeyer gedruckt. Einer dieser drei (A I,13 N. 378) kann zudem nicht die Druckvorlage gewesen sein, da er zu jenen fünf Briefen gehört, die Veesenmeyer nur abschriftlich zugänglich waren. Einzelne Stücke, die er publiziert hat, lassen sich jedoch in weiteren Institutionen nachweisen. Hier sind in erster Linie Abschriften und Auszüge aus Leibniz-Briefen an Schmidt zu nennen, die heute in der Universitäts und Landesbibliothek Halle unter der Signatur Yg 23 D liegen. Sie gehören zu einer Sammlung von Leibnitiana, die neben diesen Abschriften Abfertigungen von Leibniz-Briefen an eine Reihe von Helmstedter Adressaten enthält, etwa an Rudolf Christian Wagner, Hermann von der Hardt (5.1.), Heinrich Meibom und Cornelius Dietrich Koch. Diese Konzentration auf Helmstedter Briefpartner ist nicht zufällig, kam die Sammlung doch durch den Hallenser Mathematikprofessor Johann Friedrich Pfaff (1765–1825), der bis 1810 in Helmstedt gelehrt hatte, in die Bibliothek. Dort wurden sie im späten 19. Jahrhundert wieder aufgefunden und von Ludwig Stein der Wissenschaft bekannt gemacht (Stein 1888). Stein konnte zudem den Helmstedter Professor Johann Nicolaus Frobes (auch Frobese, Frobesius; 1701–1756) als ursprünglichen Sammler identifizieren. Mit Frobesius sind wir in die Zeit gelangt, in der Papiere aus dem Schriftnachlass von Johann Andreas Schmidt durch die Versteigerung der Bibliothek seines gleichnamigen Sohnes im Jahr 1730 den Familienbesitz verließen (Gädeke 2016a, 57 f.). Darunter waren auch 152 Briefe von Leibniz (Catalogus 1730, 142, Nr. 1738). Auf dieser Versteigerung dürfte Frobes nicht nur die Briefe erworben haben, diese Erwerbung scheint ihn zudem zu einer Ausgabe angeregt zu haben. Jedenfalls hat

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er in demselben Jahr angekündigt, „Leibnitziana scripta varia, edita atque inedita observationibus illustrata in einem Volumine heraus zu geben“ (zit. nach Döring 1998, 70). Damit gehört er allerdings zu der nicht kleinen Gruppe gescheiterter Editoren, deren Ankündigungen und Pläne nicht verwirklicht wurden (Lorenz 2007, 71–74). Allerdings kannte Stein die Hallenser Sammlung noch nicht in ihrem vollen Umfang. Ausgerechnet die Briefe an Schmidt waren ihm nicht bekannt. Bei ihnen handelt es sich ausnahmslos um Abschriften, ganz überwiegend um Auszüge. Sie gehen auf die Abfertigungen, also auf Empfängerüberlieferung zurück. Möglicherweise liegt mit diesen auszugsweisen Abschriften ein Fragment jener abschriftlichen Sammlung vor, von der ein anderes Fragment Veesenmeyer zugänglich war. Auch bei den von ihm aus der besagten Quelle abgedruckten Briefen handelt es sich bis auf einen Fall um Auszüge. Zwar sind gut zwei Dutzend der in Yg 23 D überlieferten Briefe auch bei Veesenmeyer zu finden, aber sie sind dort nach den Abfertigungen gedruckt. Nicht nur jene Stücke, die Veesenmeyer nach der ihm vorliegenden abschriftlichen Sammlung druckt, sondern auch die übrigen, die das ihm vorliegende Fragment enthielt, fehlen in Halle. Die Schicksale der Leibniz-Briefe aus der Empfängerüberlieferung seines Briefpartners Johann Andreas Schmidt zeigen exemplarisch Aspekte (früher) Sammlungstätigkeit, originaler wie abschriftlicher Überlieferung und (vergleichsweise später) Publikation, ohne dass sich zwischen den Publikationen und Publikationsplänen und den Überlieferungsschicksalen der Manuskripte eindeutige kausale Zusammenhänge aufzeigen ließen. Wie bei Hermann von der Hardt (5.1.) sind Fragmentierung, Zersplitterung und Kontingenz die auffälligsten Merkmale einer Empfängerüberlieferung, die nicht schon früh ihren Weg in öffentliche Institutionen gefunden hat. 5.4. Heterogene Empfängerüberlieferungen in Autographensammlungen Da Leibniz’ Nachlass, jedenfalls soweit er in Hannover lag, dank der geschilderten Umstände (3.1.) nicht zerstreut worden ist, handelt es sich bei Einzelstücken, kleineren oder größeren Konvoluten aus dem Briefwechsel in aller Regel um Empfängerüberlieferung (zu Ausnahmen Sellschopp 2017). Die vorangehende, einzelne Korrespondenzpartner zum Thema machenden Unterabschnitte haben exemplarische Schicksale dieser Überlieferung plastisch vor Augen geführt. Betrachtet man derartige Bestände nicht aus dem Blickwinkel des einzelnen Briefpartners, sondern aus dem der aufbewahrenden Institutionen, zeigt sich die Heterogenität dieser Sammlungsbestände, in denen Papiere ganz unterschiedlicher Provenienzen vereinigt sind. Der Aspekt, dass Zusammenliegendes nicht auch schon zusammengehört, muss bei Interpretationen, die mit Überlieferungslagen argumentieren, auf jeden Fall beachtet werden. Zwei Beispiele für derartige Sammlungen sollen vorgestellt werden, einmal aus der Forschungsbibliothek Gotha (5.4.1.), deren Leibnitiana noch im 18. Jahrhundert erworben wurden und zumeist (die wichtige Ausnahme wird in 6.4.1. behandelt) dem regionalen gelehrten

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Umfeld der Bibliothek entstammen, zum anderen die einschlägigen Stücke aus der Autographensammlung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin (5.4.2.), die dagegen erst im 20. Jahrhundert zusammengekauft oder geschenkt worden sind. 5.4.1. Forschungsbibliothek Gotha Die Leibnitiana der Forschungsbibliothek Gotha wurden bereits vor fast 40 Jahren in einem gedruckten Katalog aufgearbeitet, an dem besonders die detaillierten Angaben der Einleitung zur Provenienz einzelner Teile dieses Materials hervorzuheben sind: Leibniz und sein Kreis. Handschriften von Gottfried Wilhelm Leibniz und einigen seiner Zeitgenossen in der Forschungsbibliothek Gotha. Ein Verzeichnis von Hans-Joachim Rockar, Gotha 1979.

Rockar unterscheidet sechs Überlieferungen, die aus je eigenen Provenienzen in die Bibliothek gelangt sind. In einer Hinsicht heben sie sich von manchen anderen Papieren dieser Art ab, da sie zumeist regionaler Herkunft sind und auf weniger willkürliche Weise den Weg an ihren heutigen Ort gefunden haben. Eine Überlieferung fällt aus dieser Charakteristik in mehrfacher Weise heraus. Sie wird ohnehin an anderer Stelle behandelt werden (6.4.1.). Zu den wichtigen Leibniz-Korrespondenten gehörte Wilhelm Ernst Tentzel (1659–1707), der 1689–198 die Monatlichen Unterredungen und 1704–1706 die Curieuse Bibliothec herausgab, in die er auch Beiträge von Leibniz aufnahm. Sein Nachlass oder zumindest ein Teil desselben gelangte über den befreundeten Gothaer Münzmeister Christian Wermuth in die dortige Bibliothek. Die Bände Chart. B 199, Chart. B 203 und Chart. B 204 aus diesem Bestand enthalten zusammen gut 80 Leibniz-Briefe und einige Aufzeichnungen (ebd., 8. 30–42). Ebenfalls nicht um einen eigenen Leibniz-Bestand, sondern um einen kleinen Teil aus dem Nachlass des Leibniz-Korrespondenten Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) handelt es sich bei einem halben Dutzend Briefen von und an Leibniz (Chart. A 422 und A 438; ebd., 8. 17 f.). Im Rahmen dieses Nachlasses, der allein 26 Folianten für die Korrespondenz enthält, bildet das halbe Dutzend Gothaer Briefe nur einen verschwindend geringen Teil. Vier von ihnen hat Leibniz an Cyprian gerichtet. Sie sind sämtlich von Christoph Gottlieb von Murr (6.6.) bereits 1798 im ersten Teil seines Neuen Journals gedruckt worden. Trotz ihrer geringen Zahl machen sie gut die Hälfte der bekannten Leibnizbriefe an Cyprian aus. Der Briefwechsel war zwar zu Beginn – allerdings nur von Cyprians Seite aus – sehr intensiv, aber zeitlich nicht ausgedehnt (1699–1706). Cyprian kam 1713 nach Gotha, wo er neben hohen kirchlichen Ämtern das Direktorat über die Bibliothek innehatte, die schließlich seinen Nachlass aufnahm. In seiner Amtszeit kam der Briefwechsel des Weimarer, dann Gothaer Hofrats Tobias Pfanner (1641–1716) in die Bibliothek und mit ihm ein gutes halbes Dutzend Leibnizbriefe (v. a.) an Pfanner (Chart. A 420; ebd., 8. 16 f.). Dasselbe dürf-

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te für die vier Briefe an den Jenenser Theologen Philipp Müller (1640–1713) in Chart. A 412 gelten (ebd., 8. 15). Chart. B 1166 a enthält aus dem Briefwechsel mit Gisbert Cuper 56 Schreiben, die Cyprians Nachfolger als Gothaer Bibliothekar, Julius Karl Schläger, 1762 abgeschrieben hat (ebd., 9–10. 47–51). Die Vorlagen für seine Abschrift hatte er von Scheidt aus Hannover erhalten (Wahl 2018). Keinen unmittelbaren regionalen Bezug besitzen fünf Bände mit Gelehrtenbriefen, über deren Provenienz nichts bekannt ist und die wahrscheinlich erst in der Bibliothek zusammengestellt worden sind. In ihrem vierten Band (Chart. B 670; ebd., 9. 44–46) finden sich gut 20 Briefe an den Wolfenbütteler Bibliothekssekretär Johann Thiele Reinerding († 1727) aus Empfängerüberlieferung (4.3.). Ihnen gehen ein Promemoria für den Wolfenbütteler Professor Gui Leremite dit Candor († 1720) sowie sieben Briefe an Helmstedter Professoren voraus, bei denen es sich ebenfalls um Abfertigungen handelt (ebd., 43 f.). Diese Helmstedter Gruppe weist unter den Adressaten eine hohe Übereinstimmung mit entsprechenden Stücken aus Halle auf (5.3.). Selbst zwei frühe Leibniz-Briefe an seinen Jenenser Lehrer Johann Andreas Bose (1626–1674) aus demselben Band (ebd., 43) passen zu der Hallenser Überlieferung. Hier deutet sich möglicherweise eine ursprünglich gemeinsame Provenienz an. 5.4.2. Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Die Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB PK) besitzt eine Reihe von Leibnitiana, die auf unterschiedliche Bestände der Handschriftenabteilung verstreut sind. Einzelnes ist bereits angesprochen worden (5.1. und 5.3.), anderes wird später behandelt werden (6.6.). Im Folgenden sollen allein die unter „Gottfried Wilhelm Leibniz“ in der Sammlung Autographa abgelegten Papiere in den Blick genommen werden. Sie sind heute auf sechs Mappen verteilt. In der ersten Mappe liegt eine aktuelle und detaillierte Übersicht über diese Mappen, in der zu den einzelnen Stücken auch die Akzessionsnummern angegeben werden, nach denen sie in älteren Bänden der Akademie-Ausgabe zitiert sind. Fehlende Adressatenangaben können zum größten Teil anhand des Arbeitskatalogs der Leibniz-Edition (9.1.) oder der Akademie-Ausgabe (8.) ergänzt werden. An diese vierseitige Übersicht schließen sich zwei Seiten mit wesentlich knapperen Hinweisen auf die übrigen Leibnitiana in der Handschriftenabteilung an. Die Mappe I enthält unter acht Nummern neun Stücke aus dem Briefwechsel zwischen Leibniz und Christian Wolff. Leibniz’ Briefe liegen als Abfertigungen vor, Wolffs als Konzepte. Es handelt sich demnach aus Leibniz’ Sicht um Empfängerüberlieferung. Fast alle Stücke enthalten Notizen und teilweise Texteingriffe, die Johann Daniel Gruber (6.1.2.) zugeschrieben werden und offensichtlich zur Vorbereitung einer Publikation dienen sollten. Die Mappe II mit den Briefen an Johann Andreas Schmidt ist bereits angesprochen worden (5.3.). Mappe III ist wesentlich bunter. Zeitlich reichen die einzelnen Briefe von der Mainzer Zeit bis in die letzten Lebensjahre. einen gewissen Schwerpunkt bilden sechs Briefe an Jacques-Bénigne Bossuet (1627–1704), von

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denen fünf von Leibniz stammen und einer von Paul Pellisson-Fontanier (1624– 1693). Die Papiere in Mappe IV entstammen ausnahmsweise einer einzigen Provenienz. 1940 wurden sie aus Privatbesitz an die Staatsbibliothek verkauft. Auch eine ursprüngliche gemeinsame Herkunft ist zu erkennen, nämlich aus dem Besitz von Christian Wolff. Die Mehrheit der Stücke besteht denn auch aus kurzen Manuskripten von seiner Hand. Nur zwei der zehn Nummern (die allerdings auch Schriftstücke zur Besitzgeschichte enthalten) betreffen den Briefwechsel mit Leibniz. Sie zeigen die Charakteristika der Stücke in Mappe I – und zwar bis hin zu den redaktionellen Eingriffen für eine Veröffentlichung. Mappe V ist dagegen wieder heterogener, jedenfalls auf den ersten Blick. Das verbindende Element zwischen den Stücken ist tatsächlich ihr gemeinsamer Ankauf. Den größten Teil nimmt unter der Nr. 1 ein Konvolut von Leibniz’ Konzepten ein, die einen Prozess betreffen, den Johann Friedrich Schütz von Holtzhausen in den Jahren 1671/72 geführt hat Hier wird etwas von Leibniz’ praktischer juristischer Tätigkeit in seiner Mainzer Zeit sichtbar. In diesen Kontext gehören auch die beiden Briefe an Schütz von Holtzhausen, die unter Nr. 1 in Mappe III (A I,1 N. 161) und Nr. 2 A) in Mappe VI (A I,1 N. 162) liegen. Die Abschrift Mappe V, Nr. 4 gehört umgekehrt zur Nr. 7 in Mappe I. Mappe VI schließlich enthält vor allem Material, das aus der Sammlung von Karl August (1785–1858) und Rahel Varnhagen von Ense (1771–1833) stammt. Allerdings ist der bereits erwähnte Leibnizbrief an Schütz von Holtzhausen das einzige originale Stück in dieser Mappe. Der Berliner Bestand von Leibniz-Autographen zeigt exemplarisch die Heterogenität einer derartigen Sammlung, in der Stücke ganz unterschiedlicher Provenienz beieinanderliegen. Zudem scheitert der Versuch, diese Provenienzen zurückzuverfolgen, in der Regel schnell, da man in den Akzessionsjournalen zumeist auf die Namen der Antiquariate stößt, von denen die Bibliothek die einzelnen Stücke erworben hat. Immerhin erfährt man dabei, dass fünf Stücke aus Mappe I (Nrn. 1. 2. 4. 6 und 7) durch denselben Ankauf in die Bibliothek gekommen sind, dass dazu aber auch alle Stücke der Mappe V gehört haben. Es liegt zwar nahe, dass die Briefe aus der Korrespondenz mit Wolff (inklusive des abgetrennten Blattes in Mappe V) bereits gemeinsam in den Besitz des verkaufenden Antiquariats gekommen sind, aber ob die vermutete gemeinsame Herkunft auch das Material zum Schütz von Holtzhausen-Prozess einschloss, scheint fraglich. Während der mit diesem Prozess in Verbindung stehende Brief an den Mandanten aus Mappe III (A I,1 N. 161) aus demselben Antiquariat, aber zwei Jahre später angekauft wurde, stammt der ebenfalls zugehörige in Mappe VI (A I,1 N. 162) aus der Sammlung Varnhagen von Ense. Der Vergleich zwischen den Gothaer und den Berliner Leibnitiana zeigt zudem, dass das Profil derartiger Sammlungen recht unterschiedlich sein kann: In Gotha eine Leibniz-Überlieferung, die sich aus der Akquisition anderer (Teil-) Nachlässe speiste, deren Nachlasser in einem institutionellen oder zumindest regionalen Konnex zur Bibliothek standen, in Berlin eine bunte Mischung von Ankäufen – zumeist auf dem Autographenmarkt – und von Schenkungen, deren Gemeinsam-

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keit allein in der Fokussierung auf Leibniz liegt, die aber auf kontingente Weise membra disiecta zusammengeführt haben. 6. AUS DEM NACHLASS VERÖFFENTLICHTE SCHRIFTEN, FRÜHE SAMMLER UND FRÜHE AUSGABEN (18. JH.) Die vorangehenden Abschnitte 3.–5. haben sich mit der Überlieferung von Leibniz’ Manuskripten beschäftigt. Die folgenden Abschnitte 6.–9. sollen die postumen Drucke, frühen Ausgaben und späteren kritischen Editionen sowie die Hilfsmittel zu deren Erschließung vorstellen. Allerdings ist es nicht sinnvoll, rigide zwischen handschriftlicher und Druck-Überlieferung zu trennen. Frühe Sammler (vgl. 3.4. zu Jordan) und Herausgeber (vgl. 3.4.2. zu Kapp; 5.3. zu Veesenmeyer) und damit einzelne frühe Ausgaben waren schon zu nennen, da ihre Tätigkeit Auswirkungen auf die Überlieferung der Manuskripte gehabt hat. Deshalb wird auch in den folgenden Abschnitten hin und wieder auf Manuskript-Überlieferung zu verweisen sein, die sich der Sammeltätigkeit von Herausgebern oder – nicht selten – verhinderten Herausgebern verdankt (vgl. etwa 6.1.3. Exkurs zu Busch und 6.6. zu von Murr). Eine saubere Trennung nach formalen Kriterien müsste Zusammenhänge auseinanderreißen. Auch zwischen den zu Lebzeiten erschienenen (2.) und den postum veröffentlichten Schriften existiert eine vermittelnde Grauzone. Leibniz’ Collectanea etymologica waren bereits Jahre vor seinem Tod zum größten Teil gedruckt worden, konnten aber erst von seinem Nachfolger Eckhart 1717 publiziert werden (6.1.1.). Überhaupt ist ja das, was die Nachfolger im Amt des Historiographen (6.1.) zum Druck gebracht haben, Fortsetzung seiner abgebrochenen Lebensarbeit. Sie waren ex officio auf die Vollendung des Geschichtswerkes verpflichtet und damit weniger an der Person des Autors interessiert, auch wenn es Pläne gab, den privilegierten Zugang für eine Leibniz-Ausgabe zu nutzen (6.1.1.). Lediglich sein dritter Nachfolger, Johann Daniel Gruber, fällt aus diesem Schema heraus (6.1.2.). Insoweit stellte die für ihre Überlieferung so günstige Übernahme von Leibniz’ hinterlassenen Papieren in den landesherrlichen Besitz (3.1.) für ihre Nutzung eher ein Hindernis dar. Der in der Mitte des 18. Jahrhunderts liberalisierte Umgang mit den Hannoveraner Nachlassbeständen führte freilich nicht nur zu Publikationen (6.1.4.), sondern auch zu Entfremdungen und Verlusten (6.4.). Den hannoverschen Amtsnachfolgern und Feller (6.2.), die mit Leibniz oder seinem Nachlass zu tun (gehabt) hatten, aber nicht unbedingt als Anhänger seines Denkens bezeichnet werden können, traten bereits sehr früh Gelehrte an die Seite, die im eigentlichen Sinne Leibnitianer waren. Teilweise handelte es sich um Männer, die selbst noch mit Leibniz in persönlicher Verbindung gestanden hatten (6.3.1.), teilweise um Erben oder Freunde seiner Korrespondenten (6.3.3.), teilweise um Anhänger, deren Einsatz für die Sache den unmittelbaren Zugang zum Material ersetzen musste, etwa Ludovici (6.3.2.), vereinzelt auch um Gegner (Lorenz 2007, 76). Man kann all’ diese Männer in Abhebung von den Hannoveranern nach Stefan Lorenz’ kleiner Typologie unter die „‚engagierten‘ Editoren“

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(ebd., 74–76, Zitat: 75) rechnen. Nach der Jahrhundertmitte erschien erstmals eine Ausgabe, welche die bisher gedruckten Schriften und Briefe aufnahm (wenngleich nicht vollständig) und damit den Anspruch einer Gesamtausgabe erhob (6.5.). Insgesamt blieb es aber bis zum Ende des Jahrhunderts – und darüber hinaus – ganz überwiegend bei der Publikation einzelner Schriften, Briefe oder Korrespondenzen. Überhaupt war das letzte Drittel des Jahrhunderts keine hohe Zeit der Leibniz-Edition. Lorenz überschreibt sein Bemerkungen über diesen Zeitraum mit: „Beginnende historische Distanz“ (ebd., 76) – mit Blick auf das folgende Jahrhundert könnte man ergänzen: Bei noch fehlendem historischen Interesse. Die wichtigste Ausgabe aus diesem Zeitraum, jene von Georg Veesenmeyer, ist bereits in einem anderen Kontext behandelt worden (5.3.). Aus dem späten 18. Jahrhundert soll allein Christoph Gottlieb von Murr vorgestellt werden (6.6.), der Spuren nicht nur als Leibniz-Editor, sondern auch als Sammler von Leibnitiana hinterlassen hat. In dem hier gegebenen Rahmen ist es nicht möglich, jede Veröffentlichung aus dem Nachlass oder von Seiten der Korrespondenten auch nur anzuführen. Dazu muss auf die ebenso umfangreiche wie detaillierte – allerdings keineswegs vollständige – Auflistung in 1: Ravier 1937, 159–301, verwiesen werden. Es gilt aber, Bedingungen und Chancen (auch vertane Chancen) jener Leibniz-Rezeption zu skizzieren, die sich in der Sammlung seiner Manuskripte und möglichst auch deren Publikation widerspiegelt. Insgesamt gilt das Urteil von Michael Albrecht: „Die Geschichte der allmählich wachsenden Bekanntschaft mit den LeibnizTexten ist – abgesehen von Barbers Buch zu Frankreich (1955) – wenig erforscht“ (Ueberweg 2014, 106; vgl. Barber 1955). Erst in jüngster Zeit wächst das Interesse an diesen Fragen und zeitigt erste Ergebnisse (Gädeke/Li 2017). 6.1. Die Amtsnachfolger als Nachlassverwalter 6.1.1. Johann Georg Eckhart Der gewissermaßen natürliche Ort für die Publikation von Leibniz’ hinterlassenen Papieren wäre Hannover gewesen, wo diese Papiere lagen und seine Nachfolger im Amt saßen – quasi ex officio die berufenen Herausgeber (Kurzbiographien der Bibliothekare in Stuber 2015). In der Tat hat Johann Georg Eckhart (1674–1730), Leibniz’ Mitarbeiter an der Welfengeschichte und Nachfolger als Historiograph und Bibliothekar, sich dieser Aufgabe annehmen wollen. Bereits im April 1717 schilderte er Sebastian Kortholt, einem Leibniz-Korrespondenten und Sammler von Leibniz-Briefen, seine Konzeption einer dreibändigen Ausgabe, deren erster Band die gedruckten Schriften, allerdings nach Leibniz’ Handexemplaren korrigiert, der zweite die noch nicht gedruckten, vermehrt um sachlich geordnete Briefauszüge, und der dritte „seine schoenen Gedancken und Reden oder ANA, und seine Carmina Latina und Gallica“ enthalten sollte (6.3.3.: Kortholt 1734– 1742, Bd. 4, 117). Wie so manche Pläne zu Leibnizausgaben ist auch dieser nie verwirklicht worden.

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Das lag freilich nicht allein daran, dass der Umfang der Aufgabe illusorisch gering veranschlagt war und Eckhart schon wenige Jahre später Hannover fluchtartig verließ, sondern war – grundlegender – dadurch bedingt, dass Leibniz’ Nachfolger von Amts wegen nicht mit der Verwaltung seines Erbes, sondern der Vollendung der Welfengeschichte beauftragt waren. Hatten sie so einerseits zwar einen unvergleichlich privilegierten Zugang zu Leibniz’ Papieren, so hatten sie andererseits keine Zeit (und möglicherweise auch wenig Interesse), diesen für Nachlasspublikationen außerhalb der Welfengeschichte zu nutzen. Eckhart selbst hat immerhin die Collectanea etymologica, deren Druck bereits weitgehend vorlag und von denen ein noch von Leibniz selbst korrigiertes Exemplar existiert (Leibn. Marg. 10), veröffentlicht: Illustris viri Godofr. Guilielmi Leibnitii Collectanea Etymologica, illustrationi linguarum veteris Celticae, Germanicae, Gallicae, aliarumque inservientia. Cum praefatione Jo. Georgii Eccardi, Hannover 1717. ND Hildesheim/New York 1970.

6.1.2. Johann Daniel Gruber Wäre es Leibniz’ drittem Nachfolger als Haushistoriograph und Bibliothekar, Johann Daniel Gruber (1688–1748), gelungen, die von ihm geplante Ausgabe ausgewählter Leibniz-Briefwechsel fertigzustellen, könnte sie das gezeichnete Bild der hannoverschen Bemühungen um Leibniz’ Hinterlassenschaft etwas korrigieren (Babin/Fleck 2017). Der einzig erschienene zweibändige Prodromus des Werkes: Johann Daniel Gruber: Commercii epistolici Leibnitiani, ad omne genus eruditionis, praesertim vero ad illustrandam integri propemodum seculi historiam literariam apprime facientis [...] Tomus Prodromus [2. Bd.: Tomi Prodromi pars altera], Hannover-Göttingen 1745.

enthält lediglich einen einzigen Leibniz-Brief (A I,2 N. 339). Er ist in der Hauptsache der Korrespondenz von Leibniz’ frühem Förderer Johann Christian von Boineburg, vor allem mit Hermann Conring (1606–1681), gewidmet und enthält im Anhang des zweiten Bandes eine Reihe von weiteren Briefen Conrings. Nach dem Tod ihres Mannes hat Grubers Witwe versucht, die umfangreichen Transkriptionen, die als Vorarbeiten zu weiteren Briefbänden unter Grubers Aufsicht von den Bibliothekssekretären und -schreibern erststellt worden waren, für die Fortsetzung der Ausgabe zu nutzen. Dabei hat sie der Göttinger Jurist Georg Ludwig Böhmer (1715–1797) unterstützt. Dem Versuch war kein Erfolg beschieden, aber der Einschaltung Böhmers ist es wohl zu verdanken, dass sechs Hefte mit teilweise bereits weiter für den Druck vorbereiteten Abschriften in die Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen gelangt sind (Handschrift Philos. 138m). Gleichwohl waren die Vorarbeiten nicht nutzlos. Auf ihnen beruht weitgehend die Ordnung der Leibniz-Korrespondenz, wie sie heute in der GWLB vorliegt (3.2.1). Die von ihm veranlassten Transkriptionen sind noch von Bodemann (7.3.) und Klopp (7.2.3.) benutzt worden. Zudem gestatten

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seine Vorarbeiten einen detaillierten Einblick in die Editionspraxis der Zeit (Babin/Fleck 2017). Zu diesen Vorarbeiten ist auch Göttingen, SUB, Handschrift Philos. 138o zu rechnen (Meyer 1894, 538). Sie enthält Abschriften von und für Gruber aus Leibniz’ Briefwechsel mit Heinrich Julius von Blum (1624–1699). Begleitende Manuskripte zeigen, dass Gruber sich mit von Blums Erben in Verbindung gesetzt haben muss, um sein Material zu ergänzen. Demnach hätte er sich nicht mit den in Hannover zugänglichen Papieren zufrieden gegeben. In dieser Hinsicht ist eine weitere Beobachtung bemerkenswert. Die Stücke aus der Korrespondenz mit Christian Wolff in der Sammlung Autographa der SBB PK (5.4.2.) zeigen Eintragungen und Eingriffe, die als Vorbereitungen zu einer Publikation zu interpretieren sind und die Gruber zugeschrieben werden. Es handelt sich um sehr kurze Regesten und an einigen Stellen Abschriften von schwer lesbaren Partien. Datierungen am Ende des Briefes, Schlusskurialien und Unterschrift sind häufig gestrichen und durch die Nennung von Absender, Empfänger und Datum am Briefanfang ersetzt. Die Papiere stammen zweifellos aus Empfängerüberlieferung. Gruber, der in Halle studiert und dort eine akademische Karriere begonnen hatte, muss sie demnach von Wolff selbst bekommen haben. 6.1.3. Christian Ludwig Scheidt Das postume Schicksal von Leibniz’ historiographischen Arbeiten für das Welfenhaus braucht hier nicht näher geschildert zu werden (vgl. den Beitrag von Gerd van den Heuvel in diesem Band). Erst Leibniz’ viertem Nachfolger als Historiograph und Bibliothekar, Christian Ludwig Scheidt (1709–1761), ist es gelungen, einen großen Teil des zur Hausgeschichte bestimmten Materials um die Mitte des 18. Jahrhunderts schließlich zu publizieren. Freilich handelte es sich dabei nicht nur um genuine Arbeiten von Leibniz selbst, sondern vor allem um das, was seine Nachfolger, auf seinen Materialsammlungen aufbauend, erarbeitet hatten. Im Mittelpunkt standen die erst von Scheidt selbst in die publizierte Form gebrachten Origines Guelficae (1750–1753). Zuvor hatte er bereits jene Abhandlung veröffentlicht, mit der Leibniz die chronologische Schilderung beginnen lassen wollte: Summi polyhistoris Godefridi Guilielmi Leibnitii Protogaea sive de prima facie telluris et antiquissimae historiae vestigiis in ipsis naturae monumentis dissertatio ex schedis manuscriptis viri illustris in lucem edita a Christiano Ludovico Scheidio, Göttingen 1749. ND mit der Übersetzung von Wolf von Engelhardt und einer Einführung hg. von Friedrich-Wilhelm Wellmer. Hildesheim-Zürich-New York 2014.

Die Abhandlung über die vermeintliche Päpstin Johanna, die Leibniz als Appendix zur Welfengeschichte hatte publizieren wollen, hat Scheidt 1758 als Aufsatz in einem von ihm herausgegebenen Sammelwerk gedruckt: Godofridi Guilielmi Leibnitii Flores sparsi in tumulum Papissae, in: Bibliotheca historica Goettingensis, hg. von Christian Ludwig Scheidt, 1. Teil, Göttingen 1758, 297–382.

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Dass man in Hannover häufig mehr an der Geschichte des Welfenhauses als an ihrem ersten Autor interessiert war, zeigt der Umstand, dass Leibniz’ umfangreichstes historiographisches Manuskript, die Annales imperii, lange Zeit ungedruckt liegenblieb, obwohl es fast abgeschlossen war. Es ist dann erst knapp hundert Jahre später veröffentlicht worden (7.2.2.). Scheidt hat nicht nur Teile der Welfengeschichte endlich publiziert, sondern auch den Nachlass anderen Gelehrten zugänglich gemacht (6.4.), diese zu Publikationen aus den Handschriften angeregt und dabei unterstützt (Wahl 2018). So stellte er dem Göttinger Professor August Benedikt Michaelis den Briefwechsel zwischen Leibniz und dem Frankfurter Orientalisten Hiob Ludolf zur Verfügung, den Michaelis 1755 publizierte (1: Ravier 1937, 274 f.). Johann Ludwig Uhl veröffentlichte 1760–1761 Grubers Abschriften mehrerer Briefwechsel (6.1.2.), die er 1759 aus Hannover erhalten hatte, in seiner dreibändigen Sylloge nova epistolarum varii argumenti (1: Ravier 1937, 277–280). Auch Johann Dietrich Winckler erhielt für seine Anecdota historico-ecclesiastica novantiqua Material von Scheidt (1: Ravier 1937, 174. 275 f.). 6.1.3. Exkurs: Heinrich Julius Friedrich Busch In diesem Zusammenhang muss kurz auf ein gescheitertes hannoversches Editionsunternehmen hingewiesen werden, auch wenn es nicht in erster Linie an Leibniz interessiert gewesen ist. Der Bibliothekar Christian Ludwig Scheidt hatte seinen Adjunkt Heinrich Julius Friedrich Busch († 1758) ermuntert, auf einer bereits vorliegenden Dokumentensammlung aufbauend die Quellen zu den Reunionsverhandlungen des Franziskaners und späteren Bischofs von Wiener Neustadt, Cristobal de Rojas y Spinola in Ungarn und im Reich, in die auch Leibniz einbezogen war, herauszugeben. Die hannoversche Bibliothek verfügte nämlich über ein an sich druckfertiges Manuskript (LH I 12,1), das der Göttinger Vizesyndikus Johann Andreas Hannésen († 1751) auf der Grundlage einer Quellensammlung des Gießener Theologen David Christiani († 1688) und eigener Recherchen verfasst hatte (Utermöhlen 1999, 123 f.). Busch arbeitete nicht nur das bereits vorhandene Material auf, sondern bemühte sich, weiteres zu erhalten, wozu er eine recht ausgedehnte Korrespondenz pflegte. Die Veröffentlichung der druckfertigen Edition wurde jedoch aus kirchenpolitischen Gründen unterbunden (Utermöhlen 1999, 124–129). Das Material wurde später in den ‚Leibniz-Nachlass‘ eingeordnet: Die Reinschriften der aufzunehmenden Quellentexte liegen in LH I 13 und 14, die Vorrede zur Edition in LH I 16, deren Quellenbelege in LH I 15 und Buschs einschlägige Korrespondenz in LH I 17. Im Blick auf Leibniz-Texte ist dieser Bestand nur in den wenigen Fällen interessant, in denen er Abschriften von verlorenen Manuskripten enthält (z. B. A IV,4 N. 96 oder A IV,5 N. 65). Wie das zuletzt angeführte Beispiel zeigt, konnte Busch jedoch Leibniz’ Handschrift nicht sicher lesen, so dass seine Abschriften nur mit Vorsicht zu benutzen sind. Bei der Heranziehung dieses Materials für die Leibniz-Forschung ist zudem zu bedenken, dass es häufig

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nicht Hannoveraner Provenienz ist. Dies gilt durchgängig für die von Christiani und Hannésen gesammelten Stücke, aber auch Busch hatte sich bemüht, aus auswärtigen Archiven Material zu bekommen. 6.1.4. Rudolf Erich Raspe Nicht nur nach der Chronologie, sondern auch, weil er sich in mehrfacher Hinsicht von den bisher behandelten editorisch tätig gewordenen Nachlassverwaltern unterscheidet, ist Rudolf Erich Raspe (1736–1794) an das Ende dieser Reihe gesetzt. Zum einen war er, wie Busch, nicht eigentlich ein Nachfolger im Amt des Historiographen und Bibliothekars, sondern lediglich Bibliothekssekretär in Hannover. Somit teilte er zwar mit Leibniz’ Nachfolgern den privilegierten institutionellen Zugang zu dessen Papieren, allerdings in subalterner Position. Standen bei Eckhart, Gruber und vor allem bei Scheidt die Fertigstellung und Publikation der Welfengeschichte in unterschiedlichem Maße im Vordergrund des Interesses und vor allem ihres Auftrags, also weniger deren Autor und schon gar nicht andere Aspekte seines Schaffens, war Raspe an dem Denker Leibniz interessiert. In den Nova acta eruditorum vom April 1762 hatte er das Vorhaben angekündigt, bisher ungedruckte philosophische und mathematische Schriften aus den Manuskripten der hannoverschen Bibliothek zu veröffentlichen (Raspe 1762). Für die Herausgabe der mathematischen Schriften hatte er den Göttinger Mathematiker Abraham Gotthelf Kästner gewonnen (ebd. 199 f.). Raspe hatte keineswegs im Sinn, das ganze thematisch einschlägige handschriftliche Material zu publizieren. Vielmehr wollte er sich auf die wichtigeren Schriften konzentrieren und besonders auf solche, deren Veröffentlichung Leibniz geplant hatte. Diese zweifellos größer angelegte Konzeption ist nicht verwirklicht worden. Lediglich ein Band mit der Erstausgabe der Nouveaux Essais und einigen thematisch verwandten kleinen Schriften ist erschienen: Œuvres philosophiques latines et françoises de feu Mr. de Leibnitz. Tirées de ses manuscrits qui se conservent dans la bibliotheque royale à Hanovre, et publiées par Mr. Rud. Eric Raspe. Avec une Préface de Mr. Kaestner, Amsterdam-Leipzig 1765. ND Hildesheim 2006.

Raspe hatte sich, wie er – in den Worten der im Folgenden anzuführenden deutschen Übersetzung – erklärte, vorgenommen, „nach überlegter Auswahl und Ordnung die Herausgabe zu besorgen“ (28). Das unterschied ihn von vielen Zeitgenossen, die publizierten, was immer sie in die Hände bekommen konnten. Im Gegensatz zu ihnen konnte er allerdings aus dem Vollen schöpfen. 1762 hatte Raspe drei Schwerpunkte seiner Ausgabe angekündigt: neben den Nouveaux Essais wollte er „Fragmenta de instauratione et augmentis scientiarum“ und ein „Systema Dynamices“ herausgeben (Raspe 1762, 197). Mit den Ersteren sind sicherlich die entsprechenden, von ihm gedruckten Schriften (A VI,4 N. 8. 66 u. 204) gemeint. Bei dem Letztgenannten könnte es sich um die „Dynamica de potentia et legibus naturae corporeae“ handeln (GM VI, 281–514). Der Abdruck war vielleicht für die mathematischen Schriften vorgesehen. Abschriften von Raspes Hand

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in LH I 2 sind vermutlich Vorarbeiten für eine Fortsetzung der Ausgabe gewesen (1: Ravier 1937, 175, Anm. 3). Zu dieser ist es nicht mehr gekommen. Raspe ging 1767 aus dem subalternen Amt in Hannover nach Kassel, später nach England. Es scheint aber nicht allein der Orts- und Stellungswechsel gewesen zu sein, der die Weiterarbeit verhindert hat, sondern auch die nach Scheidts Tod erneut restriktive Politik der hannoverschen Bibliothek (6.4.) und das dort herrschende allgemeine Desinteresse an Leibniz, über das sich Raspe noch 1773 bitter beklagte: „Ihm ein Monument zu setzen oder seine Handschriften drucken zu lassen und aus dem Staube zu ziehen, daran war auch nicht zu denken.“ (zitiert nach Schmied-Kowarzik 2005, 65, Anm. 41). Obwohl die Ausgabe eigentlich ein Torso geblieben ist, fand die postume Publikation der Nouveaux Essais ein breites Echo (Palaia 1997, 346–349). Die Œuvres philosophiques wurden ein gutes Jahrzehnt nach ihrem Erscheinen ins Deutsche übersetzt: Gottfried Wilhelm von Leibniz: Philosophische Werke nach Raspens Sammlung. Aus dem Französischen mit Zusätzen und Anmerkungen von Johann Heinrich Friderich Ulrich, Halle 1778–1780 (2 Bde.).

6.2. Joachim Friedrich Feller Waren seine Hannoveraner Nachfolger durch ihr Amt eigentlich prädestiniert, Leibniz’ hinterlassene Manuskripte zu publizieren, so gilt dies in gewisser Hinsicht ebenfalls, wenn auch auf problematische, ja anrüchige Weise, für Joachim Friedrich Feller (1673–1726). Er war vor Eckhart Amanuensis bei Leibniz gewesen und hatte in dieser Zeit heimlich Abschriften aus dessen Papieren angefertigt oder sich einzelne Blätter sogar angeeignet (Luckscheiter 2017). Leibniz hatte ihn im September 1696 eingestellt. Als er Fellers Vertrauensbruch bemerkte, schob er ihn zunächst im (Früh-)Sommer 1698 zu Recherchen für die Welfengeschichte nach Wolfenbüttel ab, bevor er ihn im Jahr darauf ganz aus seinem Dienst entließ. Bereits im Anfang des Jahres 1698 hatte Leibniz jedoch Vorkehrungen getroffen, die Fellers Zugang zu seinen Papieren verhindern sollten. Tatsächlich spiegeln sich diese Daten in dem von Feller später publizierten Material wider: Die Masse stammt aus den Jahren 1695 bis 1697 (vgl. die Übersichten bei Luckscheiter 2017, 124–126). Es sind auch einzelne ältere Stücke darunter, aber kein sicher datierbarer Text ist jünger als Januar 1698 – abgesehen von vier Ausnahmen. Bei diesen handelt es sich um Leibniz’ Briefe an den Frankfurter Orientalisten Hiob Ludolf, in dessen Dienst Feller getreten war, nachdem er Wolfenbüttel verlassen hatte. Der Handschriftensammler Feller veröffentlichte von 1714 bis 1718 seine Schätze in einzelnen Trimestern, die freilich nicht so regelmäßig erschienen, wie es die Bezeichnung suggeriert: Joachim Friedrich Feller (Hg.): Monumenta varia inedita variisque linguis conscripta, nunc singulis trimestribus prodeuntia e Museo Joachimi Friderici Felleri, Jena 1714–1718.

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Das letzte Heft trägt den zusammenfassenden Titel: Monumentorum ineditorum variisque linguis conscriptorum, historiam inprimis, genealogias medii aevi, et rem litterariam illustrantium, Fasciculi XII. singulis trimestribus hactenus publicati, Jena 1718.

In dieser bunten Sammlung, deren hauptsächliche Inhalte der Titel des letzten Trimesters recht gut zusammenfasst, hat Feller von Anfang an, also bereits vor Leibniz’ Tod und zu dessen Missfallen, einzelne Schriftstücke gedruckt, die er in der Zeit in Leibniz’ Diensten an sich gebracht oder kopiert hatte (Übersicht in 1: Ravier 1937, 186–188). Den größten Teil des von ihm entfremdeten oder abgeschriebenen Materials hat er aber erst zwei Jahre nach dem Tod seines ehemaligen Dienstherren in den Druck gegeben: Joachim Friedrich Feller (Hg.): Otium Hanoveranum sive Miscellanea, ex ore et schedis illustris viri, piae memoriae, Godofr. Guilielmi Leibnitii, Leipzig 1718, 2. Aufl. ebd. 1737.

Ganz überwiegend hat Feller Briefe und Briefauszüge abgedruckt, nur vereinzelt kürzere Abhandlungen (Übersicht in 1: Ravier 1937, 188–190). Er selbst hat sich für die Herkunft des Materials im Titel des Otium Hanoveranum nicht nur auf Leibniz Papiere, sondern auch auf dessen mündliche Mitteilungen berufen. Die große Mehrheit der Stücke geht freilich auf schriftliche Vorlagen zurück. Soweit sich der Abdruck mit den handschriftlichen Vorlagen vergleichen lässt, zeigen sich Fellers Texte in der Transkription als zuverlässig. In anderer Hinsicht muss man (teils erhebliche) Abstriche machen. Briefauszüge sind nicht durchgehend als solche gekennzeichnet, auch finden sich Auszüge aus einem Schreiben auf mehrere Stellen verteilt, wie umgekehrt Fragmente unterschiedlicher Herkunft zu einem Text zusammengestellt sein können. Es ist nicht auszuschließen, dass sich in derartigen Unzuverlässigkeiten die prekären Entstehungs- und Aneignungsbedingungen der Vorlagen spiegeln. Vielleicht hat Feller aber auch versucht, sein Material stärker dem Ideal der ANALiteratur (Beugnot 1981) mit seiner Bevorzugung der Anekdote und des Bonmots anzupassen. Im Werk selbst fehlt eine entsprechende Einordnung, wie überhaupt einleitende Paratexte fehlen, aber zeitgenössische Rezensionen zeigen, dass man es in diesen Gattungskontext eingeordnet hat (vgl. einzelne Zitate bei Luckscheiter 2017, 131 f.). Die Leibniz-Forschungsstelle Münster besitzt ein Exemplar der ersten Auflage des Otium Hanoveranum, in dem handschriftliche Ergänzungen vorgenommen worden sind. Sie scheinen im Blick auf eine vermehrte Neuauflage eingetragen worden zu sein. Dort, wo sich ergänzende Marginalien zu von Feller nur fragmentarisch abgedruckten Briefen anhand der erhaltenen Manuskripte überprüfen lassen, erweisen sich diese Ergänzungen als zuverlässig (A IV,7 XXIV). Das lässt sich kaum anders erklären, als dass man voraussetzen muss, ihr Schreiber, dessen Identifizierung mit Feller zweifelhaft ist, habe Zugang zu dessen Material gehabt. Eine zweite Auflage des Otium Hanoveranum ist 1737 jedoch unverändert erschienen, ein Jahrzehnt nach Fellers Tod.

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Eine Konkordanz, welche die in der Akademie-Ausgabe (Stand Frühjahr 2014) edierten Texte aus dem Otium Hanoveranum nachweist, steht online zur Verfügung unter den Hilfsmitteln zur Akademie-Ausgabe: http://leibniz-potsdam.bbaw.de/bilder/Feller_Konkordanz.pdf

6.3. Frühe Sammler und Herausgeber 6.3.1. Leibniz-Korrespondenten als Sammler und Herausgeber Die Herausgabe von Leibniz-Briefen durch seine Korrespondenten ist kein Phänomen, das erst nach Leibniz’ Tod eingesetzt hätte. Bereits zu seinen Lebzeiten sind immer wieder einzelne seiner Briefe von ihren Adressaten veröffentlicht worden (1: Ravier 1937, 115–156, fasst sie in einer nicht ganz glücklichen Zusammenstellung mit anderen Veröffentlichungen unter dem Titel „Les œuvres publiées par les contemporains“ zusammen). Häufig handelt es sich um einzelne oder doch wenige Briefe, deren Publikation wohl vor allem die Position des Publizierenden unterstützen sollte. Lediglich in zwei Fällen kamen ein bis zwei Dutzend Briefe zum Abdruck: in Paul Pellisson-Fontaniers viertem Band seines Werkes De la tolérance des religions (1692; 1: Ravier 1937, 125–127) und in John Wallis’ drittem Band seiner Opera mathematica (1699), der nicht nur dessen Korrespondenz mit Leibniz, sondern auch jene zwischen diesem und Heinrich Oldenburg bietet (1: Ravier 1937, 135–137). Diese beiden Beispiele zeigen zugleich Leibniz’ Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme auf derartige Publikationen: Während die erstgenannte Veröffentlichung ohne Erlaubnis und sehr zum Ärger von Leibniz erfolgte, hatte Wallis Leibniz nicht nur um Erlaubnis gebeten, sondern ihm auch angeboten, die Briefe an Oldenburg zu überarbeiten. Einige seiner ehemaligen Korrespondenzpartner gehören zudem zu den frühesten postumen Herausgebern von Schriften und vor allem Briefen des berühmten Gelehrten (Gädeke 2017b; Gädeke 2017, 10. 15). Ihre Ausgaben greifen nicht auf den bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts kaum zugänglichen Nachlass zurück, sondern speisen sich aus Empfängerüberlieferung, die sich nicht auf die eigene Korrespondenz beschränken muss. Dieses frühe Interesse an Leibniz’ schriftlichen Zeugnissen hat nicht nur Material für die Rezeption zur Verfügung gestellt, sondern ist mit seinen gelehrten Netzwerken selbst ein wichtiges Phänomen der frühen Leibniz-Rezeption (Gädeke 2017b; Gädeke/Li 2017 und dort besonders Gädeke 2017, 22 f.). Als erste selbständige dieser postumen Veröffentlichungen erschien 1717 der Austausch von Streitschriften zwischen Leibniz und Samuel Clarke (1675–1729) aus den Jahren 1715 und 1716, die von Clarke selbst besorgt wurde: A Collection of Papers, Which passed between the late Learned Mr. Leibnitz, and Dr. Clarke, In the Years 1715 and 1716. Relating to the Principles of Natural Philosophy and religion [...]. By Samuel Clarke D. D., London 1717.

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Die Ausgabe ist der Princess of Wales, Caroline, gewidmet, die den Briefwechsel selbst angeregt hatte. Clarke bringt Leibniz’ Schriften im französischen Original und englischer Übersetzung, seine eigenen im englischen Original und französischer Übersetzung. Somit waren in England wie auf dem Kontinent die sprachlichen Voraussetzungen für eine weitreichende Rezeption erfüllt. In der Tat ist es zu einer breiten Rezeption gekommen, die sich nicht zuletzt in weiteren Ausgaben und Übersetzungen niedergeschlagen hat (Meier-Oeser 2016, 312). Diese wurden zunächst ebenfalls von Männern veranstaltet, die Leibniz noch persönlich kennengelernt oder jedenfalls mit ihm korrespondiert hatten. Zu nennen ist hier Pierre Des Maizeaux (1673–1745), dessen eigener Briefwechsel mit Leibniz zwar sehr schmal war, dessen Recueil de diverses pièces sur la philosophie, la religion naturelle, l’histoire, les mathematiques, etc. aber nicht nur im ersten Band die Auseinandersetzung mit Clarke dokumentiert, sondern im zweiten Band auch zum Prioritätsstreit mit Newton. Für diesen stellte er lange Zeit die wichtigste Quelle dar. Auf die Erstausgabe von 1720 (1: Ravier 1937, 198–200) folgten zwei weitere Ausgaben in den Jahren 1740 (ebd., 233 f.) und 1759 (ebd., 276). Dagegen gehört der Briefwechsel zwischen Johann I Bernoulli (1667–1748) und Leibniz mit gegen 350 Stücken zu dessen umfangreichsten Korrespondenzen überhaupt (Gädeke 2016, 108). Bernoulli hatte 236 Stück aus diesem Briefwechsel zunächst Louis Bourguet, einem weiteren Leibniz-Korrespondenten und erfolglosen Leibniz-Editor, auf den in kürze zurückzukommen ist, zur Verfügung gestellt. Allerdings war ihm daran gelegen, dass nicht-wissenschaftliche Passagen, besonders solche privaten Inhalts, bei der Publikation unterdrückt werden sollten. Das entsprach einer durchaus üblichen Praxis, allerdings war Bernoulli besonders vorsichtig, da er Bourguet anbot, dessen Kürzungen durchzusehen. Als sich das Scheitern dieser Editionspläne abzeichnete forderte er sein Material zurück, um sie Christian Kortholt (6.3.3.) anzubieten. Aber auch dieser Weg ist im Sande verlaufen (Nagel 1994, 527–529). Schließlich hat Bernoulli angeregt von dem Verleger Marc-Michel Bousquet die Herausgabe der Korrespondenz seinem dritten Sohn Johann II Bernoulli übertragen, so dass mit Unterstützung des Genfer Professors Gabriel Cramer das Commercium philosophicum et mathematicum zwischen Leibniz und Johann I Bernoulli 1745 bei Bousquet erscheinen konnte (1: Ravier 1937, 254–257). Bernoulli hatte von seinen Briefen nicht durchgängig Konzepte oder Abschriften aufbewahrt, so dass hier größere Lücken bestehen. Zudem sind die Briefe in dem oben angesprochenen Sinne bereinigt worden. Das hat später Carl Immanuel Gerhardt (7.6.) zu einem recht abträglichen Urteil über die Ausgabe veranlasst (7.6: Gerhardt 1849–1863, Bd. III/1, S. 132; zitiert in 1: Ravier 1937, 254, Anm.). Gerhardt konnte die Lücken entdecken, weil er mit der Überlieferung in Hannover arbeitete (LBr 57). Dabei stand er freilich vor einem vergleichbaren Problem wie die Schweizer, da hier die Konzepte der Leibnizbriefe nur lückenhaft überliefert sind, so dass er auf das ungeliebte Commercium zurückgreifen musste. Er konnte nämlich noch nicht wissen, dass sich die Abfertigungen – wie auch Bernoullis

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Briefe – in der Universitätsbibliothek Basel unentdeckt, da nicht katalogisiert, erhalten haben (Nagel 1989). Quantitativ weit weniger bedeutend als Leibniz-Korrespondent war Michael Gottlieb Hansch (1683–1749), der in Leibniz’ letztem Lebensjahrzehnt immerhin um die 80 Briefe mit diesem gewechselt hatte. In seinen Godefridi Guilielmi Leibnitii Principia philosophiae more geometrico demonstrata druckte er nicht nur eine lateinische Übersetzung der Monadologie ab, sondern auch Auszüge aus einem guten Dutzend Briefe, die Leibniz an ihn gesandt hatte (1: Ravier 1937, 210). Vollständig hat dann Christian Kortholt (6.3.3.) gut zwei Dutzend Leibnizbriefe an Hansch publiziert. Nicht allein diese, sondern insgesamt 37 Abfertigungen sind noch im Original in Göttingen erhalten (6.4.2.). Der nicht-wolffianische Hansch (Schwaiger 2016) kann durchaus als ein ‚engagierter‘ Editor (Lorenz 2007, 75) bezeichnet werden. Nicht alle Veröffentlichungen von Leibnitiana durch frühere Briefpartner waren um Leibniz zentriert, manchmal fand er als ein Korrespondenzpartner von vielen Aufnahme in entsprechende Publikationen. Der Jesuit Gerhard Cornelius van den Driesch († 1758) veröffentlichte 1718 einen Band mit eigenen Werken und gelehrten Korrespondenzen, unter denen auch zwei Dutzend Briefe von und mehrheitlich an Leibniz sowie drei Briefe an andere Ordensbrüder und ein Gedicht von Leibniz enthalten waren (1: Ravier 1937, 185 f.). Die publizierte Korrespondenz enthält nur zwei Drittel der überlieferten Stücke, aber ihr Ungleichgewicht entspricht dem der gesamten Überlieferung, in der auf einen LeibnizBrief drei von Driesch kommen. Bekannter als der Jesuit ist der niederländische Naturforscher Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723). Zwar hatte Leibniz schon 1676 Leeuwenhoek in Delft besucht, aber ihr Briefwechsel setzte erst im August 1715 ein. Aus dieser Korrespondenz veröffentlichte Leeuwenhoek 1718 in einer niederländischen Ausgabe seines gelehrten Briefwechsels (1: Ravier 1937, 191) fünf Briefe an Leibniz, darunter seinen letzten Brief an den Hannoveraner Gelehrten vom 17. November 1711 – drei Tage nach dessen Tod. Im Jahr 1719 erschien eine lateinische Übersetzung des Bandes (ebd., 193). Der berühmte Mediziner Georg Ernst Stahl (1659/60?–1734) hatte nicht zu Leibniz’ Briefpartnern gehört, aber mit ihm eine Auseinandersetzung um seine Theoria medica vera (1707) geführt. Die in dieser Sache ausgetauschten Streitschriften hat Stahl 1720 publiziert (1: Ravier 1937, 201). Diese Auseinandersetzung fiel in Leibniz’ letztes Lebensjahrzehnt. Nicht nur hier zeigt sich eine typische, gewissermaßen in der Natur der Sache liegende Eigenheit dieser von ehemaligen Korrespondenzpartnern veröffentlichten Ausgaben: Abgesehen von dem Briefwechsel mit Johann I Bernoulli, der Ende 1693 begann und den Bernoulli von Oktober 1694 an (teilweise) publiziert hat, und Briefen zur Erläuterung des Prioritätsstreits, in Des Maizeaux’ zweitem Band, kommen lediglich der späte Leibniz (Hansch, Stahl) und vor allem die letzten beiden Lebensjahre (Clarke, Driesch, Leeuwenhoek) zur Sprache. Mit Ausnahme von Leeuwenhoek handelt es sich um – teilweise erheblich – jüngere Zeitgenossen, die entsprechend spät mit Leibniz in Briefkontakt getreten sind.

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Zu den gerade in der frühen Zeit nicht seltenen gescheiterten LeibnizHerausgebern (Lorenz 2007, 71–74) zählt mit Louis Bourguet (1678–1742) auch ein ehemaliger Briefpartner von Leibniz. Er sei hier erwähnt, weil sein schließlich in die Bibliothèque publique et universitaire de Neuchâtel gelangter Schriftnachlass wichtige Einblicke in die Sammlungspraxis und Konzeptionen eines frühen ‚engagierten‘ Editors ermöglicht (Bovet 1904; Nagel 1994, 525–528; Goldenbaum 2017, 240–248). So lassen sich drei Phasen seiner Planung nachvollziehen, die zunächst auf Leibniz’ gedruckte philosophische Schriften beschränkte, dann auf Manuskripte und vor allem Briefe ausgedehnt wurde, aber wegen Bourguets finanzieller und gesundheitlicher Probleme auf seine eigene Korrespondenz mit Leibniz reduziert werden musste und schließlich scheiterte. Besonders in der zweiten Phase bemühte er sich zumeist erfolgreich, europaweit, in Basel, Berlin, Paris, London, Venedig usw., um Leibnitiana, besonders um Briefe. Seine Vernetzung mit anderen Leibniz-Korrespondenten und frühen Sammlern macht ihn zu einem wichtigen Zeugen für die frühe Leibniz-Rezeption. Von den ungefähr 400 Briefen, die er zusammenbrachte, wurden die meisten jedoch wieder von den Leihgebern wie Bernoulli (s. o.), Jacob Hermann (Goldenbaum 2017) oder Jordan (3.4.) zurückgefordert, als sich abzeichnete, dass Bourguet seine Ausgabe nicht verwirklichen konnte. 6.3.2. Editorische Bemühungen im Kreis um Christian Wolff Dass man sich in Kreisen der Leibniz-Wolff’schen Philosophie für Leibniz’ Schriften engagierte, bedarf keiner Erklärung (Döring 1998, 70; Till 2002). Unter der hier verfolgten Fragestellung ist als chronologisch erster Repräsentant dieser Richtung Heinrich Köhler (1685–1737) zu nennen (Till 2002, 670–677). Er hatte Leibniz 1714 während dessen letzten Aufenthalts in Wien nicht nur kennengelernt, sondern auch engen Umgang mit ihm gepflegt, ja ihm sogar als Schreiber eines Teils der handschriftlichen Sammlung wichtiger philosophischer Aufsätze gedient, die Leibniz für Prinz Eugen hatte anfertigen lassen (Strack 1915, 27 f.; zur Sammlung selbst Lamarra 2012). So konnte er direkt aus der Quelle schöpfen, als er im Frühjahr 1720 einen kleinen Band veröffentlichte: Des Hn. Gottfried Wilh. von Leibnitz / [...] Lehr-Sätze über die Monadologie, ingleichen Von GOtt und seiner Existentz / seinen Eigenschafften und von der Seele des Menschen etc. wie auch Dessen letzte Verteidigung seines Systematis Harmoniae praestabilitae wider die Einwürffe des Herrn Bayle / aus dem Frantzösischen übersetzt von Heinrich Köhlern / [...] Nebst einem Schreiben des Herrn von Leibnitz / Worinnen ein Project zu einer Medaille, auf welcher das Bild der Schöpffung nach seiner Dyadic vorgestellet wird, befindlich ist und Mit einem Discurs des Ubersetzers über das Licht der Natur, Frankfurt-Leipzig-Jena 1720.

Bei dem „Schreiben des Herrn von Leibnitz“ handelt es sich um den bekannten Neujahrsbrief von 1697 an Herzog Rudolf August (A I,13 N. 75). Sieht man von ihm ab, hat Köhler Material publiziert, das Leibniz in ihrer gemeinsamen Wiener Zeit verfasst hatte. Die zweite Schrift ist eine Übersetzung der „Objections de M. Bayle avec les résponses de l’auteur du système“, die letzte Schrift aus dem ge-

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nannten handschriftlichen Band für Prinz Eugen. Die erste Schrift hat Köhler nicht nur zum ersten Mal veröffentlicht – wenn auch in Übersetzung –, er hat ihr auch den Titel verliehen, unter dem sie seither zitiert wird: Monadologie (vgl. den Beitrag von Hanns Peter Neumann in diesem Band). Im Herbst desselben Jahres publizierte er eine deutsche Übersetzung des Leibniz-Clarke Briefwechsels: Merckwürdige Schrifften / Welche auf gnädigen Befehl Ihro Königl. Hoheit Cron-Princeßin von Wallis / Zwischen dem Herrn Baron von Leibnitz / und dem Herrn D. Clarcke / über besondere Materien der natürlichen Religion / in Frantzös. und Englischer Sprache gewechselt, und nunmehro mit einer Vorrede Herrn Christian Wolffens / [...] Nebst einer Antwort Herrn Ludwig Philipp Thümmigs / auf die fünffte Englische Schrifft, Wegen ihrer Wichtigkeit in teutscher Sprache herausgegeben worden von Heinrich Köhler, Frankfurt-Leipzig-Jena 1720, ND Hildesheim 2008.

Die Vorrede stammt von Wolff selbst, an Clarkes letzte Schrift schließt sich eine „Antwort für den Herrn Baron von Leibnitz / auf die fünffte Englische Schrifft Herrn D. Clarckens“ (ebd., 243–265) des Wolffianers Ludwig Philipp Thümmig (1697–1728) an (Ueberweg 2014, 161–163). Zu den verhinderten Leibniz-Editoren zählt etwa der einleitend behandelte Carl Günther Ludovici (1707–1778; als Wolffianer: Ueberweg 2014, 184–186), dessen frühe ‚Quellenkunde‘ (Ludovici 1737) gewissermaßen einen Ersatz für die eigentlich geplante Edition bilden musste. Sein Editionsplan war an rechtlichen Problemen gescheitert, weil sich bereits der Leipziger Verleger Bernhard Christoph Breitkopf (1695–1777) ein Privileg auf eine Leibniz-Ausgabe gesichert hatte (Döring 1998, 72–78; Otto 2011, 244–254). Offenbar durfte man sich von einer derartigen Veröffentlichung Gewinn versprechen. Aus Breitkopfs Publikation ist jedoch so wenig geworden wie aus jener, die Johann Christoph Gottsched (1700–1766) für Leibniz’ 100. Geburtstag angekündigt hatte (ebd., 78 f.). Immerhin hat Gottsched das gesammelte Material wenigstens teilweise Louis Dutens für seine Opera omnia überlassen (6.5.). Wenn auch Gottsched einzelne Leibnizbriefe veröffentlicht hat (1: Ravier 1937, 213. 215. 241–242. 264. 273. 280), beruht seine Bedeutung für die LeibnizRezeption doch in erster Linie auf seiner Übersetzung der Theodizee (Till 2002, 680–683). Dietmar Till hat im Blick auf Köhler und Gottsched, aber auch auf Georg Friedrich Richter (1691–1742), den Bearbeiter der zweiten deutschen Ausgabe der Theodizee, festgestellt, „daß fast alle Leibniz-Übersetzer aus dem Umfeld Wolffs stammen“, und die Bedeutung dieser Übersetzungstätigkeit für die Leibniz-Rezeption der Wolff-Schule hervorgehoben: „Insofern die LeibnizÜbersetzungen und die Philosophie Wolffs in eine enge Nachbarschaft rücken, gewinnt auch der Begriff der Leibniz-Wolffschen Philosophie neue Plausibilität. Die Nähe von Leibniz und Wolff wird dabei zu einem wesentlichen Teil durch die deutschen Übersetzungen (und damit ex post) konstruiert“ (ebd., 684-685). In Anlehnung an Lorenz 2007, 75, kann man von ‚engagierten‘ Übersetzern sprechen.

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6.3.3. Christian Kortholt Gegen die vielfach gescheiterten, aber auch gegen die auf einzelne Schriften oder ein eng begrenztes Textkorpus beschränkten Ausgaben, wie sie gerade vorgestellt worden sind, hebt sich jene von Christian Kortholt (1709-1751) ab als die umfangreichste Leibniz-Ausgabe der ersten Jahrhunderthälfte, die aus ungefähr 60 Korrespondenzen fast 500 Briefe enthält: Viri illustris Godefridi Guil. Leibnitii Epistolae ad diversos, theologici, iuridici, medici, philosophici, mathematici, historici et philologici argumenti, e msc. auctoris cum annotationibus suis primum divulgavit Christian. Kortholtus, Leipzig 1734–1742 (4 Bde.).

Vor dieser überwiegend lateinische Texte enthaltenden Sammlung hat er 1734 eine kleine französische herausgebracht, die der englischen Königin und früheren Leibniz-Korrespondentin Caroline (1683–1737) gewidmet war und die Kortholt ihr bei einer Englandreise im gleichen Jahr persönlich übergeben konnte: Recueil de diverses Pieces. Sur la Philosophie, les Mathematiques, l’Histoire etc. par M. de Leibniz [...]. Publiées avec des Remarques sur la Correction de la Philosophie Scholastique selon les principes de Mr. de Leibniz, par Chretien Kortholt, Hamburg 1734.

Zwischen beiden Ausgaben bestehen Überschneidungen, da Kortholt den größten Teil des Recueil im dritten Band der Epistolae ad diversos, etwas auch im zweiten Band nachgedruckt hat. Nur einige wenige Briefe sind allein in der französischen Sammlung publiziert. Wie er im Titel der Epistolae ad diversos bereits andeutet und in der Vorrede zum ersten Band explizit erklärt, ging es Kortholt nicht zuletzt darum, den universalen Denker Leibniz in seiner Ausgabe sichtbar zu machen. das unterschied ihn von jenen Herausgebern, die sich nur für einen Aspekt in Leibniz’ Denken engagierten, und von jenen Publikationen, denen nur wenige und damit zumeist thematisch beschränkte Texte zur Verfügung standen. Im Unterschied zu anderen Ausgaben beschränkte Kortholt sich nicht auf Leibniz’ Seite der Korrespondenz, sondern veröffentlichte auch die Gegenbriefe, wo dies möglich war. Allerdings hat er nicht alles gedruckt, was ihm vorlag. Aus Leibniz’ Briefen an den Helmstedter Theologen Johann Fabricius, die mit 118 Briefen umfangreichste Korrespondenz der Sammlung, hat er solche ausgeschlossen, „quae magis spectant ad amicorum officia“ (Bd. 1, )()(2v) – also wohl jene, die sich allein oder vor allem auf Fragen der Patronage in der Gelehrtenrepublik bezogen. Aus dem sehr umfangreichen Briefwechsel mit Leibniz’ Wiener Informanten Johann Philipp Schmid brachte er lediglich ein Dutzend Schreiben im Auszug (5.2.). Entgegen ihrem Titel enthalten die Bände aber nicht nur Briefe, sondern auch Schriften (auch solche, die bereits zu Leibniz’ Lebzeiten gedruckt worden waren) und Annotationen zu Werken Dritter. Christian Kortholt war, im Unterschied zu anderen Gelehrten, die Leibnitiana zum Druck brachten, als Herausgeber nicht zugleich der Sammler des von ihm publizierten Materials. Vielmehr ist es sein Vater Sebastian (1675–1760) gewesen, der die meisten Briefe und Papiere zusammengetragen hat. Sebastian Kortholt gleicht insofern anderen frühen Herausgebern, als er selbst noch mit

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Leibniz korrespondiert hatte. Seine eigene Korrespondenz gehört zwar mit drei Dutzend Briefen zu den umfangreichsten, die sein Sohn publiziert hat (Bd. 1, 275–372), ist aber weit davon entfernt auch nur einen Band zu füllen. Nora Gädeke ist den Wegen, auf denen das Material an Kortholt Senior gelangt ist, nachgegangen und hat soweit wie möglich die Netzwerke, die er für seine Akquisitionen genutzt hat, rekonstruiert (Gädeke 2017a). Die Sammlungstätigkeit des Vaters hat der Sohn in gewissem Umfang in den Bänden dokumentiert, indem er die Briefe von Leibniz’ Nachfolger Eckhart (6.1.1.), den der ältere Kortholt um Material gebeten hatte, aufgenommen hat (Bd. 4, 116–130). Sie sollten wohl die Vergeblichkeit der Bemühungen zeigen, an Papiere aus dem Nachlass zu kommen. Heute bieten sie interessante Einblicke in die Hannoveraner Situation kurz nach Leibniz’ Tod. Aber auch Christian Kortholt selbst hat weiteres Material gesammelt (Gädeke 2017a). Durch seine Freundschaft mit Johann Erhard Kapp (3.4.2.) und ihre gemeinsame Begegnung mit Charles Etienne Jordan sind einzelne Stücke, etwa die im Anhang zum ersten Band abgedruckten Fabricius-Briefe (Bd. 1, 455–467) in die Ausgabe gekommen, die nicht wie die schon erwähnten 118 Briefe von Fabricius selbst zur Verfügung gestellt worden waren, sondern von Leibniz’ Berliner Schreibtisch (3.4.) stammten. Zu den vom Herausgeber beigesteuerten Texten zählen auch Leibniz’ Briefe an seinen Lehrer Jakob Thomasius und an seinen Neffen Friedrich Simon Löffler (Bd. 4, 246–278). Letztgenannter hat ihm auch Briefe seines Vaters Simon Löffler zur Verfügung gestellt, von denen Kortholt aber nur zwei aufgenommen hat (ebd., 241–245). Weitere Stücke dieser Provenienz, darunter zwei Briefe an seinen Bruder Johann Friedrich Leibniz, hat er an Kapp weitergegeben, sicherlich, wie schon Schrecker vermutete, weil sie Leibniz’ theologische Überzeugungen in einem aus orthodox-lutherischer Sicht ungünstigen Licht zeigten (3.4.2: Schrecker 1934, 14 f.; zum Druck, dem Sebastian Kortholt in dieser Hinsicht seitens seiner theologischen Freunde ausgesetzt war, vgl. jetzt Gädeke 2017a, 157 f.; Gädeke 2017b, 148–151). Sie liegen heute in Warschau (3.4.2.). Die Epistolae ad diversos sind bis heute von Bedeutung für die LeibnizForschung, da die Vorlagen der in ihnen gedruckten Briefe öfters verlorengegangen sind, so dass der Druck in manchen Fällen den einzigen Textzeugen bietet. Allerdings ist doch eine recht ansehnliche Zahl von Originalen, die Kortholt benutzen konnte, erhalten geblieben, vor allem die zahlreichen Briefe an Fabricius. Über den Verbleib der erhaltenen Briefschaften gibt Gädeke 2017a Auskunft. 6.4. Der Nachlass wird (etwas) zugänglich Wenn die unter 6.3. vorgestellten Ausgaben in dem Punkt übereinstimmen, dass sie vor allem Korrespondenzen enthalten, war das weniger dem – zweifellos vorhandenen – Interesse an Gelehrtenbriefen geschuldet, als vielmehr den Möglichkeiten, an einschlägiges Material zu kommen. Keine der genannten Ausgaben konnte auf die in Hannover verwahrten hinterlassenen Papiere zugreifen, alle waren, soweit sie ungedrucktes Material veröffentlichen wollten, auf die Freigiebig-

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keit von ehemaligen Leibniz-Korrespondenten oder deren Erben angewiesen. Was in Hannover lag, blieb für viele Jahre Außenstehenden unzugänglich. Wenn zunächst nur vereinzelt Kritik an diesem Zustand laut wurde, lag dies wohl auch daran, dass selbst in interessierten Kreisen keine auch nur halbwegs zutreffende Vorstellung von dem außerordentlichen Umfang des dortigen Materials herrschte. Der ebenso ‚engagierte‘ wie erfolglose Leibniz-Editor Louis Bourguet (6.3.1.) gehörte zu den wenigen auswärtigen Kritikern dieses Zustands. Er hat gar gemutmaßt, eine politisch begründete Sympathie der hannoverschen Regierung für die englische Philosophie, das heißt für jene Newtons, sei ursächlich für den Verschluss von Leibniz’ Manuskripten (Bovet 1904, 372; danach auch in 1: Ravier 1937, 164, Anm. 3). Mit dem Amtsantritt von Christian Ludwig Scheidt (6.1.3.) änderte sich dieser Zustand. Er verhielt sich in der Herausgabe von Leibniz’ handschriftlichen Materialien recht liberal, und davon konnten einige Herausgeber profitieren (I: Ravier 1937, 173–174). Auf Julius Karl Schläger, der die Vorlagen für seine Abschrift des Cuper-Briefwechsels von Scheidt erhalten hatte, ist schon hingewiesen worden (5.4.1.). Zwei Fälle, die von Samuel König (6.4.1.) und Abraham Gotthelf Kästner (6.4.2.), seien exemplarisch etwas näher vorgestellt, nicht nur weil sie vergleichsweise bekannt sind, sondern auch, weil es scheint, dass von ihnen entliehene Papiere der Bibliothek auf Dauer entfremdet wurden und bis heute an anderen Orten aufbewahrt werden. Diese letzte Bemerkung zeigt bereits, dass die neue Liberalität, so erfreulich sie für Leibniz-Editoren und das gelehrte Publikum gewesen ist, ihre Schattenseite besaß. Scheidts Nachfolger, Johann Heinrich Jung, hat denn auch nach seinem Amtsantritt umgesteuert, die Ausleihen unterbunden (was in interessierten Kreisen auf Kritik stieß; vgl. die exemplarischen Stimmen bei Wahl 2018) und die verliehenen Manuskripte zurückgefordert. 6.4.1. Samuel König Das erste hier vorzustellende Beispiel ist jener berühmt-berüchtigte Fall des in den Niederlanden lehrenden Mathematikers Samuel König (1712–1757). König gehört zu der nicht kleinen Gruppe ‚engagierter‘ Sammler und Editoren und wie bei vielen von ihnen blieb es beim Sammeln, da eine Ausgabe nicht zustande kam. Die Geschichte seiner Ausleihe von mathematischen Papieren aus Leibniz’ Nachlass ist von Hans Immel aus den Bibliotheksakten (4.2. Exkurs) rekonstruiert und an verstecktem Ort zusammengefasst worden (Binder 1974/75, 53–54, Anm. 103). König hatte 1750 die Bibliothek in Hannover besucht und an den mathematischen Handschriften gearbeitet. Ihm muss schnell klar geworden sein, dass für eine tiefere Durchdringung des Materials derartige Besuche in Hannover nicht ausreichten, vielmehr eine längerfristige kontinuierliche Arbeit notwendig war. Deshalb bat er den Bibliothekar Chr. L. Scheidt (6.1.3.), ihm Leibniz’ mathematische Papiere nach und nach in die Niederlande zu senden, wo er sie bearbeiten und danach an die Bibliothek zurückgeben wollte. Tatsächlich gelang es Scheidt,

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Anfang 1751 die Genehmigung für eine derartige Ausleihe zu erhalten und ein Koffer mit Manuskripten ging an König ab. Weder hat König die geplante Ausgabe fertiggestellt, noch die entliehenen Papiere zurückgegeben. Nach seinem frühen Tod kamen sie in den Besitz seines Amanuensis Rudolf Samuel Henzi (1731–1803). Bereits Scheidt hatte sich um die Rückgabe der Manuskripte bemüht, doch Henzi verlangte von ihm eine Aufstellung der aus Hannover ausgeliehenen Stücke, das König auch von anderen Seiten Leibnitiana erhalten habe. Eine derartige Aufstellung scheint jedoch nie existiert zu haben, obwohl ihre Anfertigung eigentlich eine Bedingung für die Ausleihe gewesen war. Im Mai 1762 konnte Scheidts Nachfolger Jung schließlich einen Koffer voll Leibniz-Manuskripte in Empfang nehmen. Dass dabei nicht alles, was gut ein Jahrzehnt zuvor Scheidt an König ausgeliehen hatte, zurückgekommen ist, zeigt eine unscheinbare Leibniz-Notiz. Ein unbekannter Vorbesitzer hat auf dem beiliegenden Umschlag vermerkt, er habe die Probe von Leibniz’ Hand am 19. Oktober 1791 in Den Haag von Henzi aus dessen „Collection des lettres et papiers de cet homme celebre“ erhalten (LH XLII 7 Bl. 1–2). 1976 ist der Zettel von der GWLB aus dem Autographenhandel angekauft worden und so wieder zurückgekehrt (Wahl 2018). Nicht zurückgekehrt ist ein in der Forschungsbibliothek Gotha (5.4.1.) unter der Signatur Chart. A 448–449 überliefertes Konvolut von Leibnitiana, das seit über hundert Jahren bekannt und seit fast 40 Jahren in einer recht detaillierten Verzeichnung publiziert ist (5.4.1: Rockar 1979, 8–9. 18–30). Das Konvolut ist in acht Faszikel geteilt, von denen jeder ein eigenes Deckblatt besitzt. Der Charakter der Überlieferung: vor allem Konzepte auf Leibniz’ Seite und Abfertigungen auf Seiten seiner Korrespondenten, führt letztlich auf Leibniz selbst, nicht auf einen seiner Briefpartner als Überlieferungsbildner zurück. Jedenfalls gilt dies für den Kern des Bestands. Abschriften eines Briefes von 1726 und einer Schrift von 1734 zeigen jedoch, dass die Zusammenstellung des Materials wohl erst lange nach Leibniz’ Tod erfolgt ist. Dass die Deckblätter der Faszikel von der Hand Rudolf Samuel Henzis beschriftet sind, verweist auf denjenigen, der diese Zusammenstellung arrangiert hat und darüber hinaus auf die Herkunft des Materials. Die bereits von Malte-Ludolf Babin geäußerte Annahme, die in Chart. A 448–449 gesammelten Papiere kämen aus dem Nachlass Samuel Königs und letztlich aus der Bibliothek in Hannover (Babin 2001, 52), hat jüngst Charlotte Wahl detailliert untermauert (Wahl 2017). Wenn aber, so schließt sie ihre Überlegungen, Papiere aus der Hannoveraner Bibliothek, die sich zeitweise im Besitz von Samuel König befanden, nach Gotha gegeben worden sind, können dann nicht auch umgekehrt Leibniz-Manuskripte, die König von anderer Seite erhalten hatte, von Henzi nach Hannover (zurück-)geschickt worden sein? Die Frage der Provenienz spielt nicht zuletzt eine Rolle in dem mit dem Namen Samuel König seit über 250 Jahren verbundenen Streit, ob der von ihm veröffentlichte umstrittene Leibnizbrief vom 16. Oktober 1707, der mathematische Erkenntnisse von Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698–1759) und Leonhard Euler (1707–1783) vorwegzunehmen scheint, echt oder gefälscht ist (vgl. dazu den Beitrag von Hartmut Hecht in diesem Band). Samuel König hatte von diesem

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Brief behauptet, er habe dessen Abschrift von seinem Freund Samuel Henzi (1701–1749), dem Vater seines späteren Amanuensis, erhalten. Von Henzi wiederum schien der Weg zu Bourguet (6.3.1.) zurückzuführen, was „auch heute noch nicht ganz von der Hand zu weisen“ zu sein schien (Babin 2001, 52). König selbst besaß angeblich nie mehr als eine Abschrift des umstrittenen Briefes. Als 1913 Willy Kabitz (1876–1942) eine weitere Abschrift aus dem Gothaer Bestand bekannt machte, sprach dies für seine Echtheit, da man das Konvolut Chart. A 448–449 auf Johann III. Bernoulli zurückführte, von dem man wusste, dass er den Schriftnachlass seines Großvaters Johann I. Bernoulli an die Bibliothek verkauft hatte. Somit glaubte man einen Textzeugen gefunden zu haben, dessen Provenienz von König unabhängig war und der sich auf Leibniz’ Korrespondenzpartner Johann I. Bernoulli zurückführen ließ. Die neuen Erkenntnisse zur Herkunft des Gothaer Bestandes machen nicht nur dieses Argument für die Echtheit hinfällig, sondern verstärken wieder den Verdacht gegen König (Wahl 2017). 6.4.2. Abraham Gotthelf Kästner Auch der zweite hier exemplarisch vorzustellende Entleiher von Leibnitiana aus der Bibliothek (oder dem Archiv) war Mathematiker, nämlich der Göttinger Professor Abraham Gotthelf Kästner (1719–1800). Bekannt ist vor allem die Entleihung von Leibniz’ Rechenmaschine an Kästner nach Göttingen, die erst kürzlich populär dargestellt worden ist (Walsdorf 2014, 103–105). Dort hatte er die Maschine, die sich in keinem guten Zustand befand, auseinandergenommen und gereinigt, konnte sie aber nicht in Funktion setzen. In Göttingen war sie in der Modellkammer der Universität aufgestellt, bevor sie dort in Vergessenheit geriet. Erst 1879/80 wurde sie auf dem Dachboden der Universitätskirche wiedergefunden, kaum in einem besseren Zustand als dem, in dem sie nach Göttingen gelangt war. Die ausgeliehenen Papiere, die hier im Mittelpunkt des Interesses stehen, hat Kästner übrigens nicht für publikationswürdig gehalten (Wahl 2018), da sie mittlerweile inhaltlich nichts neues mehr enthielten und er zudem der Meinung war, „daß jezo die Zeiten nicht mehr sind, da solche Briefe gedruckt werden“ (zitiert nach ebd.). Immerhin hielt er sie für bewahrenswert. Durch die Rücksendung der Rechenmaschine an die Bibliothek in Hannover wurde Eduard Bodemann darauf aufmerksam, dass an Kästner nicht nur die Maschine, sondern auch am 5. Oktober 1764 „Ein fasciculus Leibnizischer Handschriften die Machinam Arithmeticam betreffend“ (bisher: GWLB, Bibl. Akten, V 86 Bl. 15r) ausgeliehen worden war. Unter diesem Titel existiert eine sehr detaillierte Aufstellung, die zum Teil bis auf das einzelne Blatt hinuntergeht. So konnten die entsprechenden Papiere aus Göttingen zurückgefordert werden. Sie wurden – zusammen mit Unterlagen zur Ausleihe – in LH XLII, 4,1; 4,2 und 5 eingeordnet. Etliche Jahre bevor Kästner zusammen mit der Rechenmaschine die einschlägigen Papiere aus Leibniz’ Nachlass erhielt, hatte er sich bereits in weit größerem Umfang Manuskripte aus Hannover ausgeliehen. Seine am 13. April 1756 ausge-

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stellte Quittung über die erhaltenen Konvolute (bisher: GWLB, Bibl. Akten, V 86 Bl. II) führt acht Packen mit Schriften an, vor allem zu mathematischen, technischen und naturwissenschaftlichen Themen und dazu, noch weniger spezifiziert, Briefe an Leibniz, vor allem von Mathematikern, bei denen sich teilweise Leibniz’ Antworten befanden. Im Gegensatz zu den Papieren zur Rechenmaschine erlaubt diese ganz pauschale Auflistung keine eindeutigen Identifizierungen. Sie machte es auch Bodemann nicht leicht, seine Rückforderungen gegenüber Göttingen zu vertreten. Obwohl insgesamt schließlich mehr als 500 Blatt zurückgegeben wurden, sind die ausgeliehenen Manuskripte nicht vollständig nach Hannover zurückgekommen (Wahl 2018). Aus unbekannten Gründen blieb etwa die Handschrift Philos. 138 in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, obwohl Bodemann sie im Visier gehabt hatte. Es handelt sich um einen Band von 130 Bl. Umfang, der „Briefe an Leibniz und manche Entwürfe zu Antworten von Leibniz“ enthält (Meyer 1893, 250; ebd., 250–252 eine detaillierte Beschreibung). Nicht nur, dass gewisse Ähnlichkeiten mit der eben paraphrasierten Beschreibung der aus Hannover ausgeliehenen Briefe und die typischen Merkmale einer Ausstellerüberlieferung (Korrespondentenbriefe als Abfertigungen, Leibniz’ Antworten im Konzept) zu erkennen sind, sondern auch, dass den Briefen ein Inhaltsverzeichnis von Kästners Hand vorgeschaltet ist, zeigt, dass es sich um Briefe handelt, die der Göttinger Professor in Hannover ausgeliehen hatte (Sellschopp 2017, 42 f.; Wahl 2018). Unter den Göttinger Leibnitiana scheint dies die einzige Handschrift zu sein, die über Kästner in die Bibliothek gekommen ist. Der Band Philos. 138m muss aus dem Nachlass Grubers über Georg Ludwig Böhmer in die Bibliothek gekommen sein, ebenso wie der Band Philos. 138o. Die Handschriften Philos. 139 (elf Briefe von Leibniz an Berend Ripking) und 140 (37 Briefe von Leibniz an Michael Gottlieb Hansch) sind auf anderen Wegen in die Bibliothek gelangt und gehen letztlich auf Empfängerüberlieferung zurück (Meyer 1893, 255–256; Wahl 2018). Ein Rätsel bleibt, woher die Leibnitiana stammen, die heute im Stadtarchiv Göttingen aufbewahrt werden (Göttingen, Stadtarchiv, MSL Nr. 1–14). Inhaltlich sind sie mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichtet – das könnte auf Kästner hinweisen. Zwei Stücke besitzen Vermerke von späterer Hand, die wohl nach 1745 entstanden sind, jedoch nicht von Kästners Hand stammen (Wahl 2018). Zugleich zeigt sich ein starker Berlin-Bezug. Ob es sich um Material aus dem Berliner ‚Nebennachlass‘ (3.4.) handelt, ist zweifelhaft (Sellschopp 2017, 40 f.). 6.5. Louis Dutens’ Opera omnia Es war dann nach der Mitte des Jahrhunderts ein Außenseiter, der französische Protestant Louis Dutens (1730–1812), dem es gelang, eine erste Ausgabe zu veröffentlichen, die nicht nur die Opera omnia im Titel führte, sondern sich auch mit einem gewissen Recht so bezeichnen durfte:

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Gothofredi Guillelmi Leibnitii [...] Opera omnia, nunc primum collecta, in classis distributa, praefationibus et indicibus exornata, studio Ludovici Dutens, Genf 1768. ND Hildesheim 1990.

Nach unserem heutigen Verständnis kann von einer Gesamtausgabe freilich keine Rede sein. Dutens ging es in erster Linie um die Sammlung dessen, was Leibniz zu seinen Lebzeiten in den Druck gegeben hatte oder was postum veröffentlicht worden war (Heinekamp 1986, 10–11). Auch hier konnte er keine Vollständigkeit erreichen, da er einerseits nicht sämtliche Drucke bekommen konnte, andererseits von Leibniz’ politischen Schriften viele anonym oder pseudonym erschienen sind und die Rezensionen ohnehin grundsätzlich ohne Autorennennungen veröffentlich wurden (2.). Rein tagespolitische Schriften und Briefe interessierten ihn ohnehin nicht. In diesen Bereichen liegen denn auch die größten Lücken der Ausgabe (Heinekamp 1986, 14–16). Um Konflikte mit Raspe und seinem Verleger zu vermeiden hat Dutens zudem auf den Nachdruck der von diesem publizierten Schriften (6.1.4.) verzichtet. Andererseits hat er entgegen seiner Beschränkung auf bereits gedrucktes Material 139 Briefe, die ihm von verschiedenen Gelehrten zur Verfügung gestellt worden waren, zum ersten Mal veröffentlicht (Auflistung in Heinekamp 1986, 12). Die Mehrzahl dieser Briefe ist heute im Original verschollen. Aus Hannover hat Dutens nichts erhalten. Sieht man von den zuletzt erwähnten Briefen ab, für welche die Opera omnia der einzige Textzeuge sind, besitzen sie sonst keinen Wert für die Textkritik, da sie aus zweiter Hand schöpfen. Allerdings hat Dutens soweit wie möglich auf Erstausgaben zurückgegriffen. Deutschsprachigen Texte hat er, soweit er nicht ganz auf sie verzichtet hat (etwa auf 3.4.2: Kapp 1745), eine Übersetzung beigegeben (s. die Liste in Heinekamp 1986, Anm. 53). Die Ordnung der Ausgabe ist zunächst systematisch. Sie bestimmt die Inhalte der Bände und Teilbände (Heinekamp 1986, 20; detailliert 1: Ravier 1937, 533–548). Darunter sind die einzelnen Schriften und Briefe teilweise chronologisch geordnet. Allerdings ist Dutens in der Anordnung seines Materials keineswegs konsequent. Trotz der geschilderten und vielfach beklagten Mängel waren die Opera omnia eine nicht zu unterschätzende Leistung. Lange boten sie die umfassendste Leibniz-Ausgabe überhaupt. Heute sind sie von unzweifelhaftem Wert nur noch für jene Briefe, deren einzige Textzeugen sie enthalten. Für andere Stücke, die sie zwar aus älteren Ausgaben übernommen haben, die seitdem aber nicht neu ediert wurden, bieten sie immerhin einen relativ leicht zugänglichen und ziemlich zuverlässigen Fundort. 6.6. Christoph Gottlieb von Murr Die Zeit seines Wirkens fällt bei Christoph Gottlieb von Murr (1733–1811) in das spätere 18. Jahrhundert, vom Typus her entsprach er jedoch eher dem barocken Polyhistor und wirkt damit etwas aus der Zeit gefallen. Auch seiner Sammlungsund Publikationstätigkeit haftet dieser Zug an. Seine mehrfachen Versuche, in den 1770er Jahren Zugang zu den in Hannover liegenden Leibniz-Manuskripten zu

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erlangen, scheiterten an Johann Heinrich Jung, der die liberale Ausleihpraxis seines Vorgängers Scheidt (6.4.) beendet hatte. Wie die ‚engagierten‘ Sammler der ersten Jahrhunderthälfte war er demnach darauf angewiesen, auf anderen Wegen Material zu besorgen. Seine breit gefächerte Sammeltätigkeit ist von Malte-Ludolf Babin rekonstruiert worden (Babin 2001). Von Johann III. Bernoulli, seit 1767 königlicher Astronom und Leiter der Sternwarte in Berlin, erhielt er Papiere, die von Leibniz’ Berliner ‚Schreibtisch‘ an die Akademie gelangt sein müssen (3.4.1.). Über diese Schenkung findet sich noch ein Vermerk in den Akten des Akademiearchivs (PAW (1700–1811) I–I–2, Bl. 2). Im Blick auf neuere Erkenntnisse zu den in Berlin zurückgebliebenen Papieren und ihrem Schicksal (3.4.) müssen die entsprechenden Ausführungen (Babin 2001, 52–53) etwas modifiziert werden: Die aufgrund des Charakters des Materials postulierte Hannoveraner Provenienz und die Verbindung mit der Ausleihe an Samuel König ist nicht notwendig, da die Herkunft von Leibniz’ Berliner Schreibtisch dessen Charakteristika genauso gut erklärt. Aus der Korrespondenz mit Justus von Dransfeld erhielt von Murr 51 Abfertigungen von Leibniz-Briefen durch den hannoverschen Geheimen Kanzleisekretär und Hofrat Friedrich Wilhelm von Duve. Diese befinden sich heute im Archiv der BBAW (Nachlaß Gottfried Wilhelm Leibniz, Nr. 7; vgl. 3.4.1.). Georg Wilhelm Böhmer stellte ihm seine Abschriften von 14 Briefen aus der Korrespondenz zwischen Leibniz und Heinrich Oldenburg zur Verfügung, die er aus den letter books der Royal Society angefertigt hatte. Aus Gotha erhielt er von dem dortigen Bibliothekar Julius Karl Schläger leihweise zahlreiche Stücke aus der TentzelKorrespondenz. Auf diese Verbindung gehen ebenso die später durch von Murr publizierten Leibniz-Briefe an Gisbert Cuper und Ernst Salomon Cyprian zurück (5.4.1.). Murr scheute sich auch nicht, auf bereits gedrucktes Material zurückzugreifen. Der breiten Sammlungstätigkeit ohne offensichtlichen Fokus entsprach seine Publikationspraxis. Ursprünglich hatte von Murr wohl eine zusammenhängende Veröffentlichung der gesammelten Leibnitiana geplant. Tatsächlich veröffentlichte er nur Teile der Sammlung zunächst in seinem Journal zur Kunstgeschichte und zur Litteratur (1775 und 1779) und in den Jahren 1798 und 1799 in seinem Neuen Journal zur Litteratur und Kunstgeschichte (1: Ravier 1937, 289. 293. 299–301) Wie im Falle von Kapp (3.4.2.) hat sich weiteres Material aus seiner Sammlung erhalten. In der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zu Berlin liegt in dem Konvolut Ms. lat. fol. 311 in vier Faszikeln (A–D) ein Teil seiner Sammlung vor, inklusive Manuskripten, die er nicht zum Druck gebracht hat. 7. EDITIONEN DES 19. UND 20. JAHRHUNDERTS (OHNE AKADEMIE-AUSGABE) Der Fortschritt, den die Editionstechnik und -theorie im 19. Jahrhundert erzielen konnte, kam zunächst nur den altphilologischen und mediävistischen Editionen zugute. Die Ausgaben neuzeitlicher Texte blieben dagegen bis gegen Ende des

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Jahrhunderts auf einem Niveau, das sich nicht signifikant von älteren Publikationen abhob.9 Insofern kann man fragen, ob der hier gemachte Einschnitt sachlich vertretbar ist oder lediglich kalendarischen Gegebenheiten geschuldet. Tatsächlich lassen sich aber einige, zum Teil einander bedingende Unterschiede nennen, welche die Ausgaben des 18. von jenen des 19. Jahrhunderts unterscheiden. Zum einen gewannen nun endlich die Hannoveraner Bestände das Übergewicht in den neu erschlossenen und publizierten Materialien. Zum anderen ging damit eine – allerdings weniger eindeutige – inhaltliche Schwerpunktverlagerung einher. Neben den Philosophen und Mathematiker trat zu Beginn des Jahrhunderts der Theologe (7.1.), im weiteren Verlauf vor allem der politisch-administrativ denkende und handelnde Leibniz (7.2.3. und 7.3.). Zugleich verengte sich die Perspektive auf ihn, indem er zum Zeugen nationaler Größe (7.2.3., 7.4. und 7.6.), daneben aber auch lokalen Stolzes erhoben wurde (7.3.). Schließlich wurde Leibniz im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend historisiert. Vom Zeitgenossen, ja Korrespondenzpartner, der er für die ersten Sammler und Herausgeber des 18. Jahrhunderts noch gewesen war, und von einem Autor, von dem man einen – wenn auch postumen – Beitrag zu aktuellen Diskussionen veröffentlichen wollte, wurde er mehr und mehr zu einer Persönlichkeit der Geschichte. 7.1. Das Consilium Aegyptiacum und das Systema theologicum Die zunehmende historische Distanz zu Leibniz als Denker und Autor war freilich langsam schon im 18. Jahrhundert gewachsen und machte sich zu Beginn des 19. nicht sofort verstärkt bemerkbar. Die Schicksale von zwei umfangreichen Handschriften, nämlich des Consilium Aegyptiacum und des sog. Systema theologicum, und ihre Publikationsgeschichte im frühen 19. Jahrhundert bildeten in dieser Hinsicht eine Brücke zum vorangehenden Jahrhundert. Leibniz’ Plan, die drohende französische Invasion in die Niederlande abzuwenden, indem er den Ehrgeiz Ludwigs XIV. auf die Eroberung Ägyptens zu lenken versuchte, hat seinen Niederschlag in einem Komplex von Manuskripten gefunden, die unter dem Gesamttitel Consilium Aegyptiacum (A IV,1 N. 10–18) bekannt sind. Ihren Zweck haben diese Schriften nicht erfüllen können, weil sie damals ihre Adressaten gar nicht erreicht haben (Ritter 1930). Auch während des 18. Jahrhunderts waren einzelne Hinweise auf diesen Plan unbeachtet geblieben. Erst mit Napoleons Ägyptenexpedition (1798) stieg das Interesse in allen politischen Lagern schlagartig stark an (ebd., 3–6). Die englische Regierung ließ in der hannoverschen Bibliothek nach dem Material suchen und es nach London schik  9

Dass manche Zeitgenossen es als geradezu lächerlich empfanden, einen Autor, der im 18. Jahrhundert gestorben war, kritisch zu edieren, zeigt eine Bemerkung von Johann Eduard Erdmann: „Erunt qui rideant si de editione critica loquar, cum de auctore agatur seculum abhinc defuncto, cujus opera dum ipse viveret typis expressa sint.“ (7.5: Erdmann 1840 [1959], XVIII).

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ken. Dort erschien 1803 unter dem Titel A Summary Account of Leibniz’s Memoir, adressed to Lewis the Fourteenth, recommending to that Monarch the Conquest of Egypt, as conducive to the establishing a Supreme Authority over the Governments of Europe (1: Ravier 1937, 333) eine englische Zusammenfassung der Hauptschrift (A IV,1 N. 15) des Komplexes. Die englische Ausgabe wurde bereits im Folgenden Jahr ins Deutsche (1: Ravier 1937, 334) übersetzt. Hier gewann eine Schrift, die zu ihrer Zeit unbeachtet geblieben und ein gutes Jahrhundert später eigentlich nur noch von historischem Wert war, durch die Ereignisse plötzlich ein verspätetes politisches Interesse. Die zweite in diesem Abschnitt zu behandelnde Schrift, das traditionell sog. Systema theologicum (die heute maßgebliche Edition, A VI,4 N. 420, hat den von Leibniz selbst vorgesehenen Titel „Examen religionis christianae“ wieder ins Recht gesetzt) wurde zuerst anderthalb Jahrzehnte nach dem Consilium Aegyptiacum publiziert. Sie steht dem 18. Jahrhundert chronologisch zwar ferner, aber mehrere Aspekte verbinden ihre Erstausgabe eher mit dem vergangenen als mit dem neuen Jahrhundert. Dies gilt zunächst für den Initiator der Publikation, den katholischen Geistlichen Jacques André Émery (1732–1811). Schon von seiner Lebenszeit her ein Mann des 18. Jahrhunderts und durch sein Schicksal prominent in die revolutionären Ereignisse seines Endes und in die napoleonische Herrschaft zu Beginn des 19. involviert, verknüpft bereits seine Biographie die beiden Jahrhunderte. Zudem hatte er bereits 1772 eine Ausgabe von Leibniz-Texten veröffentlicht, freilich nicht eine eigentliche Publikation von Schriften, sondern eine thematisch geordnete Blütenlese, die sich vor allem auf die Opera omnia von Dutens (6.5.) stützte (1: Ravier 1937, 283–287). Émery war also wie seine Vorgänger im 18. Jahrhundert ein ‚engagierter‘ Herausgeber. Sein Engagement speiste sich jedoch nicht aus einem auf Leibniz fixierten, sondern aus einem theologisch-apologetischen Interesse. Gegen die antichristlichen Philosophen seiner Gegenwart wollte er Leibniz als intellektuellen Gewährsmann des Christentums in Stellung bringen (Fichant 2012, 148 f.). Dasselbe apologetische Interesse lenkte seinen Blick auch auf das unveröffentlichte, damals unter dem Titel Systema theologicum laufende theologische Manuskript, auf das von Murr 1779 aufmerksam gemacht hatte (6.6.). 1810, als Hannover zum Königreich Westphalen gehörte, forderte dessen Herrscher, Jerôme Bonaparte die Handschrift für seinen Onkel, den Kardinal Joseph Fesch an. Dieser machte sie Émery für eine Publikation zugänglich, die 1819 erschien (1: Ravier 1937, 344– 346). Das Manuskript blieb bis zu seinem Tod (1839) in Feschs Besitz. Von ihm erbte es sein Neffe Joseph Bonaparte, der es nach Rom brachte. Von dort kehrte es erst 1843 nach Hannover zurück. Der Text Émerys, der tatsächlich auf Leibniz’ eigenhändiges Konzept, nicht auf eine der bereits vorhandenen Abschriften von Daniel Eberhard Baring und von Raspe zurückging, war sehr fehlerhaft. Deshalb veranstaltete Pierre Paul Lacroix eine Neuedition nach dem Manuskript, das ihm in Rom zugänglich war (1: Ravier 1937, 369). Unter Berücksichtigung von Korrekturen, die Karl Ludwig Grotefend 1846 veröffentlicht hatte, publizierte schließlich Carl Haas die bis zur AkademieAusgabe maßgebliche Edition:

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Wilhelm Gottfried Leibnitz’s theologisches System. Eine möglichst correcte Ausgabe des lateinischen Textes und dessen Uebertragung in’s Deutsche. Nach dem Manuscripte der Staatsbibliothek in Hannover. Von Dr. Carl Haas, Tübingen 1860.

Dass die bisher genannten Ausgaben neben dem lateinischen Text immer auch eine Übersetzung bieten, weist bereits auf das eher apologetische als wissenschaftliche Interesse an der Schrift hin. Dies gilt ebenso für weitere Veröffentlichungen der Schrift, etwa durch die deutschen katholischen Theologen Andreas Räß und Nikolaus Weis. Ihre lateinisch-deutsche Ausgabe nach dem Text von Émery erschien bereits im Jahr nach dieser (1: Ravier 1937, 346 f.) und erfuhr 1825 bereits eine dritte Auflage (Unterburger 2013, 264). Das breite Interesse an dem Werk zeigen weitere Ausgaben, vor allem Übersetzungen (vgl. A VI,4 2355). Nach dem Leibniz-Clarke Briefwechsel (1717) und dem Consilium Aegyptiacum war 1850 das Systema theologicum das dritte Werk von Leibniz, das ins Englische übersetzt wurde (Garber 2012, 177. 184). Diese letzten Bemerkungen führen allerdings von unserem Thema weg, hin zur Rezeptionsgeschichte (vgl. den Beitrag von Becker/Rudolph/Unterburger in diesem Band). 7.2. Editionstätigkeit im Umfeld der Bibliothek In einer zweiten Hinsicht knüpfte die Editionstätigkeit des 19. an die des 18. Jahrhunderts an. Wie bei dieser gründete das Fundament einer ihrer Säulen in der Bibliothek. Auch hier kann man beobachten, dass die frühe Ausgabe von Feder (7.2.1.) noch kaum neue Tendenzen erkennen lässt. In einer Hinsicht schlossen auch Pertz (7.2.2.) und Klopp (7.2.3.) an ihre hannoverschen Vorgänger an, indem sie nämlich den Schwerpunkt ihrer Ausgaben auf Leibniz’ historische und politische Schriften legten. Von einer Kontinuität in der Editionspraxis lässt sich freilich nur bedingt sprechen. Unter Leibniz’ Nachfolgern im Amt des Bibliothekars hatte nach Scheidt (6.1.3.) nur noch dessen lange amtierender Nachfolger Johann Heinrich Jung (1715–1799) einen ergänzenden fünften Band der Origines Guelficae herausgebracht. Dessen Nachfolger, Ludwig Albrecht Gebhardi (1735– 1802), war dagegen von 1799 bis 1802 nur eine sehr kurze Amtszeit beschieden. Weder zur Herausgabe von Leibniz’ Manuskripten noch zur Hausgeschichte trug er etwas bei, ja er meinte im Blick auf Letztere, dass „der Plan, die Origines Guelficas in dem Geschmacke der ersten Bände fortsetzen zu lassen, wohl gänzlich aufgegeben“ sei (Ohnsorge 1962, 51). Erst recht fand die von Raspe auf philosophischem Gebiet begonnene editorische Erschließung des Nachlasses (6.1.4.) keine Nachfolge. 7.2.1. Johann Georg Heinrich Feder Nach Gebhardis Tod im Oktober 1802 wurde die Stelle des Bibliothekars zunächst nicht neu besetzt. Die interimistische Leitung der Bibliothek übernahm der Hofrat Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821). Bei diesem Provisorium blieb

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es bis zu Feders Tod, ja über seinen Tod hinaus bis zum Dienstantritt von Georg Heinrich Pertz (7.2.2.). Wie er die Bibliothek gewissermaßen nur nebenamtlich leitete, so hat er seine Leibniz-Ausgabe als Produkt von Mußestunden charakterisiert (ebd., VIII): Commercii epistolici Leibnitiani typis nondum vulgati selecta specimina. Edidit notulisque passim illustravit Ioannes Georgius Henricus Feder – Lettres choisies de la correspondance de Leibnitz. Publiées pour la première fois par I. G. H. Feder, Hannover 1805.

Der doppelte, lateinische und französische Titel täuscht insofern, als Feder auch deutsche Briefe bringt. Die Auswahl ist wie die Anordnung der Briefe im Band alphabetisch. Dabei hat sich Feder auf die ersten beiden Buchstaben des Alphabets beschränkt. Weder sind die Korrespondenzpartner noch die jeweiligen Korrespondenzen, aus denen Feder manchmal nur ein Stück bringt, vollständig aufgenommen. Die „ausgewählten Proben“ des lateinischen Titels treffen die Editionspraxis gut. Eine detaillierte Übersicht über die ausgewählten Stücke bietet 1: Ravier 1937, 334–337. Was Feder von seinen Vorgängern unterscheidet, ist einmal, dass er tatsächlich auswählen konnte. Zum anderen kann man es als Vorschein der gestiegenen philologischen Ansprüche des 19. Jahrhunderts ansehen, dass er Auskunft über seine Behandlung der originalen Schreibungen gibt: Die französischen Briefe, in die er zuerst nicht habe eingreifen wollen, habe er dann doch nach Dutens (6.5.) Vorbild modernisiert, in den lateinischen habe er kaum etwas, in den deutschen gar nichts geändert (ebd., XII–XIV). Zudem hat Feder einzelne Leibnizbriefe in den Beilagen zu seiner Biographie der Kurfürstin Sophie gebracht (vgl. die Übersicht bei 1: Ravier 1937, 342; vgl. zu dem Werk den Beitrag von Nora Gädeke in diesem Band). 7.2.2. Georg Heinrich Pertz Georg Heinrich Pertz (1795–1876) war nach einer längeren Pause, in der die Ämter unbesetzt geblieben waren, Leibniz’ letzter Nachfolger im Doppelamt des Bibliothekars und Historiographen. In der Geschichte des Editionswesens verbindet sich sein Name vor allem mit den Monumenta Germaniae Historica, der großen Quellenedition zur deutschen Geschichte des Mittelalters, die er seit 1823 geleitet und maßgeblich geprägt hat. In der Geschichte der Leibniz-Editionen ist seine Rolle weder so bedeutend, noch so erfolgreich gewesen. Er bewegte sich als Leibniz-Herausgeber in einer Vermittlungsposition, indem er an seine Amtsvorgänger anknüpfte, zugleich aber neue Ansätze schuf. Dies zeigt sich an der Herausgabe der Annales imperii, dem letzten bisher unveröffentlichten Teil der Welfengeschichte, zu dessen Publikation weder Scheidt (6.1.3.) noch dessen Nachfolger Johann Heinrich Jung gekommen waren: Godofr. Wilh. Leibnitii Annales imperii occidentis Brunsvicenses. ex codicibus bibliothecae regiae Hannoveranae edidit Georgius Heinricus Pertz (= Leibnizens Gesammelte Werke. Aus

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den Handschriften der Königlichen Bibliothek herausgegeben von Georg Heinrich Pertz. Erste Folge: Geschichte 1–3), Hannover 1843–1846. ND Hildesheim 1966.

Brachte Pertz in dieser Hinsicht lediglich die Arbeiten seiner Vorgänger zum Abschluss, verrät die Veröffentlichung doch zugleich einen neuen Geist. Er wollte nicht nur eine Arbeit postum publizieren, die in ihrem sachlichen Gehalt „auch jetzt noch verdiene bekannt zu werden“, wie er in der Vorrede schrieb (Bd. 1, XXXIII) und wie es die moderne Forschung im Rückblick auf den Kenntnisstand dieser Zeit durchaus bestätigt (Hartmann 2012), sondern auch ein Hauptwerk von Leibniz. Deshalb hat er weder die Annales, die Leibniz nur bis zum Jahr 1005 hatte führen können, bis zu ihrem geplanten Ende im Jahr 1024 fortgesetzt, noch die Änderungen und Ergänzungen seiner Nachfolger, vor allem Eckharts, berücksichtigt. Die Vorarbeiten am Nachlass, in deren Rahmen „er sich ab 1837 um eine systematische Ordnung der Leibniz-Papiere bemühte“ (Henkel 2015, 150), hatten Pertz schließlich dazu geführt, den Arbeitsplan „auf eine Gesammtausgabe wenigstens der ungedruckten geschichtlichen und staats-wissenschaftlichen Werke Leibnizens und seines Briefwechsels“ zu erweitern (Bd. 1, XXXIV). Damit beginnt eine Reihe von abgebrochenen Versuchen, vor allem auf der Basis des in Hannover liegenden Schriftnachlasses eine neue Gesamtausgabe zu erstellen (vgl. auch 7.2.3. und 7.7). Pertz selbst war bereits 1842 an die Königliche Bibliothek in Berlin gegangen. Dieser Ortswechsel mag dazu beigetragen haben, dass die von ihm initiierte Ausgabe ein Torso geblieben ist. Ob Pertz diese Einschätzung geteilt hätte, scheint allerdings fraglich. Für die erste, Leibniz’ historische Schriften enthaltende Abteilung hatte er außer den drei Bänden der Annales lediglich einen weiteren für das übrige Material geplant (Bd. 1, XXXV), und dieser ist 1847 erschienen: Leibnizens geschichtliche Aufsätze und Gedichte. Aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Hannover herausgegeben von Georg Heinrich Pertz (= Leibnizens Gesammelte Werke. Aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek herausgegeben von Georg Heinrich Pertz. Erste Folge: Geschichte 4), Hannover 1847. ND Hildesheim 1966.

Die Bände der geschichtlichen Reihe, besonders die ersten drei, welche die Annales imperii enthalten, sind immer noch von großer Bedeutung für die Forschung, da eine kritische Edition dieses historiographischen Hauptwerkes wohl noch Jahrzehnte auf sich warten lassen wird. Einen kritischen Text, der die Textgenese nachvollziehbar macht, bietet Pertz nicht. Die Arbeit mit seiner Ausgabe wird zudem durch das Fehlen eines Registers erheblich erschwert. Die zweite, der Philosophie gewidmete Folge konnte jedoch auch nach damaligen Maßstäben nicht als abgeschlossen gelten, ist in ihr doch nur ein Band erschienen: Briefwechsel zwischen Leibniz, Arnauld und dem Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels. Aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Hannover herausgegeben von C. L. Grotefend (= Leibnizens Gesammelte Werke. Aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek herausgegeben von Georg Heinrich Pertz. Zweite Folge: Philosophie 1), Hannover 1846.

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Während diese Abteilung nicht über den ersten Band hinausgekommen ist, konnte die dritte, mathematische Abteilung von ihrem Bearbeiter Carl Immanuel Gerhardt zum Abschluss gebracht werden. Sie soll jedoch nicht hier, sondern zusammen mit Gerhardts Ausgabe der Philosophischen Schriften von Leibniz vorgestellt werden (7.6.). Ohnehin wird Pertz’ Leibniz-Edition heute wohl weniger als Versuch einer Gesamtausgabe wahrgenommen, sondern, auf ihren bis heute wichtigsten Bestandteil reduziert, zumeist als Einzelausgabe der Annales imperii (typisch Müller 1976, 139). 7.2.3. Onno Klopp Von den unter 7.2.1. und 7.2.2. vorgestellten Leibniz-Editoren unterscheidet sich Onno Klopp (1822–1903) dadurch, dass er nicht gewissermaßen von Amts wegen zu dieser Aufgabe gekommen ist. Vielmehr trat er als Privatmann an den hannoverschen König Georg V. heran mit der Bitte, eine von ihm zu veranstaltende Leibniz-Ausgabe zu unterstützen. Der König erlaubte nicht nur die Ausgabe, sondern gewährte Klopp auch ein Gehalt für die Arbeit, so dass er sich ganz auf die Edition konzentrieren konnte. Gegen Klopps Beauftragung gab es allerdings Bedenken bei den zuständigen Stellen, vor allem bei dem Archivar, Bibliothekar und Haushistoriographen Adolf Schaumann. Er hielt die Erarbeitung einer Gesamtausgabe durch einen Einzelnen für unmöglich, bezweifelte Klopps Fähigkeiten und kritisierte dessen politischen und konfessionellen Standpunkt. In der Tat war Klopp als scharfer antipreußisch-großdeutscher Publizist hervorgetreten und sympathisierte mit dem Katholizismus. „Er hielt es für gefährlich, einem solchen Manne den Reunionsschriftwechsel anzuvertrauen“, weil er befürchtete, Klopp werde ihn antiprotestantisch instrumentalisieren (Utermöhlen 1986, 68). Die Ausgabe erhielt deshalb keinen offiziösen Status, sondern erschien als eine vom König finanzierte Privatarbeit. Sie war, wie jene von Pertz, als Gesamtausgabe geplant. Ausgeschlossen wurden jedoch die mathematischen Schriften, deren Edition Carl Immanuel Gerhardt gerade abgeschlossen hatte (7.6.). Im Übrigen scheint die Gesamtkonzeption nicht völlig festgelegt gewesen zu sein. Klopp begann mit den politischen Schriften, nicht nur, weil sie ihn wohl am meisten interessierten, sondern auch, weil sie bisher am stärksten vernachlässigt seien und weil sie zugleich den besten Zugang zu Leibniz’ Biographie böten: Die Werke von Leibniz gemäß seinem handschriftlichen Nachlasse in der Königlichen Bibliothek zu Hannover. Durch die Munificenz seiner Majestät des Königs von Hannover ermöglichte Ausgabe von Onno Klopp. Erste Reihe: Historisch-politische und staatswissenschaftliche Schriften, Hannover 1864–1884 (11 Bde.).

Dass es bei dieser einen Reihe geblieben ist, die Ausgabe mit jenen von Pertz (7.2.2.) und Foucher de Careil (7.7.) das Schicksal teilt, ein Torso geblieben zu sein, liegt in diesem Falle nicht nur daran, dass die Aufgabe, wie Schaumann in

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seiner Beurteilung durchaus richtig gesehen hatte, von einem Einzelnen nicht zu bewältigen war. Vielmehr wirkte sich die exponierte politische Position des Editors tatsächlich negativ für die Edition aus – allerdings in stärkerer Weise als der Gutachter Schaumann hatte ahnen können. Nach der Annexion Hannovers durch Preußen im Jahr 1866 blieb dem nun im österreichischen Exil lebenden, scharf antipreußischen Publizisten Klopp die Hannoveraner Bibliothek und damit der Zugang zu den Handschriften versperrt. Das ist natürlich nicht ohne Auswirkungen geblieben. Der fünfte Band war 1866 noch unter den alten Bedingungen erschienen. Nach längerer Pause kam 1872 der sechste Band heraus, dem zwar auf dem Titelblatt der Hinweis: „Durch die Munificenz seiner Majestät des Königs von Hannover ermöglichte Ausgabe“, fehlt, der aber sonst bruchlos an den Vorgänger anknüpft. Bis zu diesem Band schreitet die Ausgabe streng chronologisch fort. Zudem trennt sie nicht zwischen Briefen und Schriften, sondern ordnet beide einander zu (vgl. die detaillierte Übersicht bei 1: Ravier 1937, 609–644). Damit kommt sie dem Ideal einer die Biographie von Leibniz gleichsam ‚kinematographisch‘ darstellenden Edition, wie es Louis Couturat später für die Akademie-Ausgabe aufstellen sollte (8.1.), ziemlich nahe. Die in diesen Bänden aufgenommenen Stücke sind zwar mittlerweile sämtlich in der Akademie-Ausgabe kritisch ediert und Klopps Ausgabe damit nur noch von historischem Interesse, sie stellt aber gleichwohl eine nicht zu unterschätzende Leistung dar (Utermöhlen 1986, 75). Mit dem sechsten Band hat Klopp seine Ausgabe jedoch nicht beendet. Er hatte offensichtlich noch genug Material zur Hand, um fünf weitere Bände zu publizieren. Allerdings musste er sein Konzept ändern, so dass diese Bände einen anderen Zuschnitt besitzen als ihre Vorgänger. Nun veröffentlichte er zunächst in drei Bänden Leibniz’ Korrespondenz mit der Kurfürstin Sophie (Bde. 7–9). Diese Bände sind auch als Separatausgabe erschienen: Correspondenz von Leibniz mit der Prinzessin Sophie, Enkelin des Königs Jakob I. von England, geb. Pfalzgräfin bei Rhein, verm. Herzogin später Kurfürstin von BraunschweigLüneburg, seit 1701 pr. Thronerbin von Großbritannien und Irland. 1680–1714. Hauptsächlich aus den Leibniz-Papieren der Königlichen Bibliothek zu Hannover. Herausgegeben von Onno Klopp, Hannover 1873 (3 Bde.).

Als Band 10 folgte der Briefwechsel mit der Kurfürstin und Königin Sophie Charlotte und schließlich im letzten Band die Korrespondenz mit Caroline von Ansbach, der Kurprinzessin, Princess of Wales und späteren englischen Königin, ergänzt um den Clarke-Briefwechsel (6.3.1.) und die Korrespondenz mit der Kaiserinwitwe Amalie sowie weiteren, in den jeweiligen Kontext passenden Stücken. Das Ganze war freilich nicht mehr als eine geschickte Notlösung. Der fehlende direkte Zugriff auf die Manuskripte macht sich im Übrigen in der Qualität der Edition negativ bemerkbar. Die weiterhin gebrauchte Titelformulierung: „gemäß seinem handschriftlichen Nachlasse“ trifft auf sie nur noch bedingt zu (Utermöhlen 1986, 73–75). Dies ist umso bedauerlicher, als viele Briefe aus den Bänden 9 und 11 noch nicht in kritischer Edition vorliegen.

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Eine Konkordanz zwischen der Edition von Klopp und der Akademie-Ausgabe, die nachweist, was bereits kritisch ediert vorliegt, ist online abrufbar: http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/KloppKonkor.pdf

7.3. Editionen in regionalen und landesgeschichtlichen Zeitschriften In einem weiteren Punkt setzte sich eine Praxis des 18. Jahrhunderts zunächst bruchlos in das 19. Jahrhundert hinein fort, um sich in dessen Verlauf auf den ersten Blick nur geringfügig, im Charakter aber doch merklich zu verändern, nämlich in der Publikation von Einzelstücken oder kleineren Briefwechseln in regionalen Zeitschriften. So brachte das bereits im 18. Jahrhundert gegründete (Neue) Hannoversche Magazin (der genaue Titel wechselte alle paar Jahre) immer wieder kleinere Leibnitiana, besonders in den Jahren 1805–1810 (1: Ravier 1937, 337– 342) und 1822 (fehlt ebd.; für einen vollständigen Überblick ist der Arbeitskatalog der Leibniz-Edition heranzuziehen [9.1.]). Obwohl die Vorlagen sicherlich zumeist in Leibniz’ hinterlassenen Papieren zu suchen sind, wirkt die Auswahl recht zufällig. Ein gewisses Schwergewicht liegt auf technisch-naturwissenschaftlichen und miltärisch-patriotischen Stücken. Ein knappes Dutzend Briefe aus der sehr viel umfangreicheren Korrespondenz mit dem Hildesheimer Arzt Conrad Barthold Behrens scheint allerdings auf Empfängerüberlieferung zurückzugehen (5.). Diese Veröffentlichungspolitik erinnert noch stark an die verstreuten Publikationen in Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, deren allgemeinbildenden Zuschnitt das (Neue) Hannoversche Magazin durchaus noch entspricht. Dagegen sind jene Briefe und kleinen Aufzeichnungen, die in den Jahren 1808–1810 in den Neuen Beyträgen zur Kenntnis und Verbesserung des Kirchenund Schulwesens vorzüglich im Hannoverschen erschienen (die Angaben in I: Ravier 1937, 341. 343, sind bibliographisch nicht ganz zuverlässig), auf das Interesse der Zeitschrift hin ausgewählt, d. h. theologischen und kirchenpolitischen Inhalts. Sie stammen ebenfalls aus den in Hannover liegenden hinterlassenen Papieren und wurden den Herausgebern von J. G. H. Feder (7.2.1.) zur Verfügung gestellt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich der Charakter derartiger Veröffentlichungen in dreifacher Hinsicht. Zum ersten wanderten sie in das Publikationsorgan des landesgeschichtlichen Vereins, der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Zum zweiten wurden sie nun systematischer und professioneller. Zum dritten schließlich schränkte sich ihre inhaltliche Ausrichtung auf landesgeschichtliche Aspekte ein. Aus diesem letzten Punkt folgte zugleich, dass weniger der europaweit korrespondierende Denker Leibniz als vielmehr der territorial agierende landesherrliche Beamte in den Blick genommen wurde. Der Perspektivwechsel wird jedoch nicht nur durch das beschränktere landesgeschichtliche Interesse bedingt gewesen sein, sondern auch durch neugewonnene Freiheit: Die preußische Annexion Hannovers (1866) hatte mit der Entfernung der angestammten Dynastie zugleich die Ängstlichkeit beseitigt, nur bloß

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keine Familiengeheimnisse publik werden zu lassen – eine Ängstlichkeit übrigens, die in den vorangehenden Jahrzehnten viel ausgeprägter gewesen zu sein scheint als im 18. Jahrhundert. Ja man kann geradezu von einem Perspektivenwechsel sprechen, durch den nun ein ungünstiges Licht auf das Welfenhaus fiel (vgl. den Beitrag von Nora Gädeke in diesem Band). Vor allem in den 1880er Jahren erscheint eine Reihe umfangreicher Aufsätzen, in denen politisch bedeutsame Korrespondenzen veröffentlicht werden: Richard Doebner (Hg.): Leibnizens Briefwechsel mit dem Minister von Bernstorff und andere Leibniz betreffende Briefe und Aktenstücke aus den Jahren 1705–1716, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1881), 205–380.

Dazu ergänzend: Richard Doebner (Hg.): Nachträge zu Leibnizens Briefwechsel mit dem Minister von Bernstorff, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1884), 206–242.

Und: Eduard Bodemann (Hg.): Nachträge zu ‚Leibnizens Briefwechsel mit dem Minister v. Bernstorf und andere Leibniz betr. Briefe‘ im Jahrg. 1881, 205 ff. u. 1884, 206 ff., in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1890), 131–168.

Selbstverständlich war der landesgeschichtliche Fokus weit genug, um auch Wolfenbüttel in den Blick zu nehmen: Eduard Bodemann (Hg.): Leibnizens Briefwechsel mit dem Herzoge Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1888), 73–244.

Und ergänzend: Eduard Bodemann (Hg.): „Zwei Briefe von Leibniz betr. eine ‚Teutsche Gesellschaft‘ zu Wolfenbüttel nebst zwei Briefen von J. G. Schottelius an Herzog August von BraunschweigWolfenbüttel“ in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1899), 299–307.

Auch dort, wo der niedersächsische Raum verlassen wurde, blieb man doch im dynastischen Umfeld: Eduard Bodemann (Hg.): Briefwechsel zwischen Leibniz und der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans. 1715/16, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1884), 1–66.

Die meisten der übrigen Bände aus dieser Zeit enthalten weitere, zumeist kleinere Abdrucke aus Leibniz’ Manuskripten. Der Bibliothekar Eduard Bodemann, der nicht nur ein eifriger Beiträger zur Zeitschrift war, sondern auch Mitglied ihrer „Redactionscommission“, ist uns schon als Bearbeiter des Leibniz-Nachlasses bekannt (3.2.1.–3.). Der Archivar Richard Doebner (1852–1911) leitete das Staatsarchiv Hannover. Hier zeigt sich eine hannoversche Kontinuität: Der Zugang zu Leibniz’ Papieren ist weniger ‚engagiert‘, sondern in erster Linie institutionell bestimmt. Die in der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen erschienenen Editionen ausgewählter Briefwechsel bilden – jedenfalls soweit sie noch nicht in der Akademie-Ausgabe

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(8.) publiziert worden sind – eine wichtige Quelle, für Leibniz’ politische Tätigkeit als landesherrlicher Beamter. Sie zeigen die Möglichkeiten, aber vor allem die Zwänge, die aus dieser Position folgten. 7.4. Gottschalk Eduard Guhrauer Mit Gottschalk Eduard Guhrauer (1809–1854) ist das Hannoveraner Umfeld verlassen (zur Biographie Brather 1989). Mit ihm kommt wieder ein ‚engagierter‘ Editor in den Blick. In mancher Hinsicht ließen sich die Unterschiede zwischen Leibniz’ hannoverschen Nachfolgern und den Leibnizianern des 18. Jahrhunderts in einem Vergleich der in 7.2. und 7.3. behandelten Ausgaben mit der Arbeit Guhrauers wiederfinden. Auch bei ihm lag der Ausgangspunkt in der Philosophie. Von hier aus ist er nach eigenen Aussagen erst auf biographisches und dadurch auf philologisch-kritisches Gebiet geführt worden. In zwei Punkten zeigen sich jedoch spezifisch neue Tendenzen des 19. Jahrhunderts. Dies ist zum einen, zunächst mehr ins Auge fallend, die Betonung des Nationalen. Lorenz 2007, 78, hat Guhrauer typologisch unter der Rubrik „Leibniz-Edition als nationale Aufgabe“ behandelt. Zum anderen ist es das sich stark entwickelnde historische Bewusstsein, das seine editorische Arbeit und den Aufbau seiner wichtigsten Ausgabe bestimmt hat: Leibnitz’s Deutsche Schriften. Herausgegeben von Dr. G. E. Guhrauer, Berlin 1838–1840, ND Hildesheim 1966 (2 Bde.).

In dieser Edition verbinden sich die beiden angesprochenen Aspekte und verleihen ihr ein typisches Gepräge. Leibniz’ Inanspruchnahme für die Sache der Nation kommt in dem grundlegenden Auswahlkriterium der Sammlung zum Ausdruck, in der Beschränkung auf dessen Deutsche Schriften: „Leibnitz muß bei seinem Auferstehen unter einer Nachwelt, welche ihn zu würdigen versteht, zu seinen theuern Deutschen deutsch zu reden den Anfang machen.“ (Bd. 1, X). Das gewachsene historische Bewusstsein zeigt sich in der Anordnung der Schriften. Diese ist nicht mehr thematisch, wie bei Dutens (6.5.), sondern orientiert sich an der Biographie ihres Verfassers – jedenfalls dem Anspruch nach. Tatsächlich hat Guhrauer dieses Prinzip jedoch vielfach durchbrochen. Zunächst dadurch, dass „in dem ersten Bande die Beziehungen zum deutschen Reiche überhaupt und dem Hause Hannover insbesondere“, im zweiten Band „das Verhältniß Leibnitzens zum preußischen Königshause“ (Bd. 1, XV) dargestellt werden, womit die beiden Bände zwar in einer groben chronologischen Abfolge stehen, aber mit gewissen Überschneidungen (für eine detaillierte Übersicht s. 1: Ravier 1937, 352–354. 360; allerdings sind die Inhaltsangaben von Bd. 1 und Bd. 2 vertauscht). Innerhalb der Bände folgen die Abteilungen „Schriften aus der Jugendperiode“ (Bd. 1, 1–288), „Schriften aus der mittlern Periode“ (Bd. 1, 289–486) und „Schriften der höhern Periode“ (Bd. 2, 57–512) zwar dem Lebenslauf, aber einige der Unterabteilungen, etwa „Einige Gedichte“ (Bd. 1, 427–439) ersetzen nicht nur die

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biographische durch eine formale Ordnung, sondern nehmen auch keine Rücksicht auf die übergeordnete chronologische Organisation der Bände. Der historische Sinn zeigt sich eindeutiger als in der recht inkonsequent durchgeführten Anordnung des Materials in seiner editorischen Behandlung. Es ist bereits einleitend zum 19. Jahrhundert angedeutet worden, dass in dieser Zeit das Niveau der Editionen neuzeitlicher Schriften und Briefe – im Unterschied zu den altphilologischen und mediävistischen Ausgaben – zumeist recht bescheiden war. Wenngleich Guhrauers Deutsche Schriften modernen Maßstäben keineswegs genügen, stechen doch etwa seine Erläuterungen der editorischen Behandlung der frühneuhochdeutschen Orthographie (Bd. 1, XIV–XIX) durch Ausführlichkeit und Problembewusstsein hervor. Guhrauer war über seine philosophischen Forschungen zur Edition von Leibniz-Schriften und -Briefen gekommen. Aus diesen Forschungen sind vor, neben und nach den Deutschen Schriften weitere teils selbständige, teils im Rahmen von Untersuchungen oder in Zeitschriften veröffentlichte Editionen einzelner Schriften hervorgegangen, die hier nicht aufgezählt werden sollen (vgl. 1: Ravier 1937, 351. 364 f. 368). Die Deutschen Schriften bildeten in gewisser Weise eine Vorarbeit zu seiner Leibniz-Biographie. Dieses mit Recht gefeierte Werk erschien zuerst 1842 und erweitert im Jubiläumsjahr 1846 (vgl. dazu den Beitrag von Wenchao Li in diesem Band). In den „Anmerkungen und Urkunden“, die der Darstellung beigegeben sind, hat Guhrauer nochmals viele Dokumente aufgenommen und gerade in dieser Hinsicht die Neuauflage nicht unerheblich erweitert (vgl. die Übersicht bei 1: Ravier 1937, 372–375). Auch die im Kontext seiner Leibniz-Forschungen entstandene Darstellung von Kur-Mainz in der Epoche von 1672, Hamburg 1839, enthält zahlreiche einschlägige Beilagen (vgl. 1: Ravier 1937, 354–356). Selbst wenn man diese ‚versteckten‘ Editionen gebührend berücksichtigt, fällt Guhrauers editorische Tätigkeit, schätzt man sie rein quantitativ ein, im Vergleich mit den „großen Ausgaben“ (1: Ravier 1937, 531) des 19. Jahrhunderts, Klopp (7.2.3.), Gerhardt (7.6.) und Foucher de Careil (7.7.), eher bescheiden aus. Gleichwohl hat Stefan Lorenz ihr einen prominenten Platz eingeräumt (Lorenz 2007, 79–82) – und das mit Recht. Guhrauer war es nämlich, der 1840 der Preußischen Akademie der Wissenschaften vorschlug, eine den damaligen Ansprüchen sowohl im Blick auf die Vollständigkeit als auch auf die Zuverlässigkeit der Texte genügende Gesamtausgabe zu veranstalten, und die ersten Schritte zu ihr skizziert hat. Bereits vor den oben genannten ‚großen Ausgaben‘ war ihm klar, dass eine solche Ausgabe erstens nicht das Werk eines individuellen Forschers sein könne, sondern gelehrte Zusammenarbeit – möglichst unter Einbeziehung eines Franzosen – sein müsse, und dass sie zweitens mehrjährige Vorarbeiten erfordere (Guhrauer 1841, 334–336). Der pathetische Aufruf ist ungehört verhallt (Poser 2000, 378), die Einsichten in die notwendige Arbeitsorganisation blieben unbeachtet. Das sollte sich rächen.

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7.5. Johann Eduard Erdmann Wie Guhrauer ist auch Johann Eduard Erdmann (1805–1892) aus philosophischem Interesse und über die Arbeit an einer Darstellung zur Edition von LeibnizSchriften gekommen. Als er bei der Abfassung seiner Philosophiegeschichte zu Leibniz kam, empfand er die vorliegenden Ausgaben, also vor allem Raspe (6.1.4.) und Dutens (6.5.) als so unbefriedigend, dass er beschloss, eine neue Ausgabe der philosophischen Schriften vorzulegen: God. Guil. Leibnitii Opera philosophica quae extant Latina Gallica Germanica omnia. Edita recognovit e temporum rationibus disposita pluribus ineditis auxit introductione critica atque indicibus instruxit Joannes Eduardus Erdmann, Berlin 1839–1840 (2 Teile).

ND unter dem Titel: Gottfried Wilhelm Leibniz: Opera philosophica quae extant Latina Gallica Germanica omnia. Instruxit J. E. Erdmann. Faksimiledruck der Ausgabe 1840, durch weitere Textstücke ergänzt und mit einem Vorwort versehen von Renate Vollbrecht, Aalen 1959.

Wie der Titel der Erstausgabe andeutet und wie Erdmann in seiner Vorrede explizit erklärt, waren es zwei Punkte, auf die er besonderes Gewicht legte: Erstens sollte seine Ausgabe die philosophischen Schriften und ausgewählte Briefe in chronologischer Reihenfolge bringen und zweitens sollte sie vollständig sein. Angesichts des relativ moderaten Umfangs der Edition, gut hundert Nummern auf gut 800 Seiten (für eine detaillierte Übersicht vgl. 1: Ravier 1937, 357–359), mag dieser letztgenannte Anspruch verwundern. Zunächst einmal verstand Erdmann unter Vollständigkeit, die Ausgabe von Raspe (6.1.4.) und alle philosophisch relevanten Texte aus Dutens (6.5.) zusammenzuführen (S. VIII; ND: S. XVIII). Dabei blieb er aber nicht stehen. Er ergänzte diese beiden Veröffentlichungen aus weiteren Ausgaben, bis hin zu den erst kurz zuvor von Guhrauer publizierten Deutschen Schriften (7.4.). Zwei während der langwierigen Drucklegung von Victor Cousin veröffentlichte Texte brachte er noch in einem Anhang unter (S. IX; ND: S. XIX). Erdmann ging aber noch weiter. Raspe hatte ihm gezeigt, dass in Hannover weitere philosophische Manuskripte liegen mussten. Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht, vielmehr in quantitativer Hinsicht wohl bei weitem übertroffen. Zwölf Faszikel mit philosophischen Papieren fand er in Hannover vor. Allerdings handelte es sich zumeist nicht um fertiggestellte Schriften, sondern um mannigfache Entwürfe, abgebrochene Versuche und dergleichen (S. VIII f.; ND: S. XVIII f.). Sein Umgang mit diesem Material wirkt aus heutiger Sicht ambivalent. Einerseits wählte er aus dieser Masse nur einzelne Stücke aus. Dort, wo er mehrere Fassungen eines Textes fand, druckte er nur diejenige, die am weitesten ausgearbeitet war (S. IX; ND: S. XIX). Gemessen am Gesamtumfang der Ausgabe fallen die erstmals edierten Texte zudem kaum ins Gewicht, liegt ihre Zahl doch unter einem Viertel der gut hundert Nummern und nach Seitenumfang erreichen sie nicht einmal zehn Prozent. Andererseits war Erdmann der erste, der Fragmente überhaupt abdruckte – sieht man von dem unvollendeten, aber sehr umfangreichen Systema theologicum (7.1.) ab. Die ‚kritische‘ Edition beschränkt

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sich zwar auf Bemerkungen zur Textgestalt in der Vorrede, vor allem gibt Erdmann an, ob ein Titel von Leibniz selbst stammt oder erst von ihm formuliert wurde, aber bereits damit bietet er mehr als mancher andere Editor des 19. Jahrhunderts. Mit Recht hat man ihn daher unter dem Stichwort „Beginn der historischen Kritik“ behandelt (Lorenz 2007, 78). Erdmann hat die sog. Monadologie erstmals im französischen Original ediert und mit etlichen der von ihm zum ersten Mal gedruckten Texten einen weiteren Schritt in das große Gebiet der scientia generalis gewagt, aus dem Raspe (6.1.4.) nur vereinzeltes aus den hinterlassenen Papieren publiziert hatte. Freilich hat auch Erdmann aus der Masse des Materials letztlich kaum weniger restriktiv ausgewählt. Sämtliche von Erdmann erstmals veröffentlichte Stücke liegen in neueren Editionen vor, die Mehrzahl von ihnen bereits in der Akademie-Ausgabe (8.), so dass sein Werk heute nur noch von historischem Interesse ist. 7.6. Carl Immanuel Gerhardt Carl Immanuel Gerhardt (1816–1899) ist schon bei der Vorstellung der Ausgabe von Pertz (7.2.2.) genannt worden, da seine erste große Leibniz-Edition als dritte Folge in dieser Ausgabe erschienen ist. Dass sie dennoch nicht dort, sondern erst jetzt behandelt wird, hat gute Gründe. So ist nicht nur vermieden, seine über diese Reihe der Pertz-Ausgabe hinausgehende Editionstätigkeit auseinanderzureißen, vielmehr scheint es so gewesen zu sein, dass der Zusammenhang mit dem Unternehmen von Pertz nur darin bestand, dass Gerhardt seine Edition unter dem Dach dieser Ausgabe publizieren konnte. Es ist denn auch bezeichnend, dass eine gründliche Behandlung des Editors Gerhardt die Zugehörigkeit seiner Edition der Mathematischen Schriften zur Pertz-Ausgabe fast völlig unterschlägt (Heß 1986). Tatsächlich ist Gerhardt aus eigener Initiative an die Preußische Akademie der Wissenschaften herangetreten, um eine finanzielle Unterstützung seiner Leibniz-Forschungen zu erhalten. Seine Forschungen und Ordnungsarbeiten in der hannoverschen Bibliothek reiften schnell zu dem Plan, Leibniz’ mathematische Schriften und Briefwechsel mit Mathematikern zu edieren. Die Akademie war sofort und ist auch weiterhin zu einer recht großzügigen finanziellen Unterstützung der Forschungsreisen und Aufenthalte in Hannover bereit gewesen, hat sich jedoch ängstlich gehütet, Verantwortung für die Ausgabe zu übernehmen. 1846 hat Gerhardt seine Ausgabe öffentlich angekündigt, bereits 1849 konnte er den ersten Band der Akademie überreichen. Auch weiterhin schritt die Arbeit zügig voran, so dass 1863 der siebte und letzte Band erscheinen konnte: Leibnizens mathematische Schriften herausgegeben von C. I. Gerhardt (= Leibnitzens Gesammelte Werke. Aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek herausgegeben von Georg Heinrich Pertz. Dritte Folge: Mathematik 1–7), Berlin [ab Bd. 3: Halle] 1849–1863 (7 Bde.). ND Hildesheim 1962, 1971.

Gerhardt hat die Edition in zwei Abteilungen geteilt, von denen die erste, entgegen dem Haupttitel, die thematisch einschlägigen Briefe, die zweite die Schriften

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enthält. Die Briefe (Bde. 1–4) sind nach Briefwechseln geordnet, die Schriften in den Bänden 5 und 6 chronologisch, in Band 7 thematisch, „insofern von den noch unedirten der Termin ihrer Entstehung nicht immer genau sich ermitteln liess“ (ebd., Bd. 7, 3). Eine detaillierte Auflistung des Inhalts findet sich bei 1: Ravier 1937, 549–569. In seinen späten Jahren nahm Gerhardt eine erweiterte Neuausgabe der Mathematica in Angriff. Ein Band konnte in seinem Todesjahr noch erscheinen (zum Inhalt vgl. 1: Ravier 1937, 468–472): Der Briefwechsel von Gottfried Wilhelm Leibniz mit Mathematikern. Herausgegeben von C. I. Gerhardt. Mit Unterstützung der Königl. Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1899. ND Hildesheim 1962, 1987.

Einem empfindlichen Mangel beider Ausgaben, dem Fehlen von Registern, hatte der Mathematikhistoriker und Leibnizforscher Joseph Ehrenfried Hofmann (8.2.3.) durch eine für den persönlichen Gebrauch hergestellte Kartei abgeholfen. Dieses Register wurde von Christoph J. Scriba publiziert: Joseph Ehrenfried Hofmann: Register zu Gottfried Wilhelm Leibniz: Mathematische Schriften und: Der Briefwechsel mit Mathematikern (herausgegeben von C. I. Gerhardt), Hildesheim-New York 1977.

Die Register zu den Mathematischen Schriften und zum Briefwechsel mit Mathematikern sind in dem Band voneinander getrennt. Es handelt sich um Personenregister, die jedoch auch Identifikationen für Formulierungen wie „vir eximius“ bieten und somit auch in dieser Hinsicht zur Erschließung der von Gerhardt weitestgehend unkommentiert gedruckten Texte beitragen. Zudem sind gegebenenfalls unter den Personennamen die in den Schriften und Briefen angesprochenen Literaturtitel aufgeführt, so dass zugleich ein Verzeichnis der erwähnten Schriften geboten wird. Zum Nachweis der Zeitschriften, die auf diese Weise ja nicht unter den (Autoren-)Namen aufgeführt werden konnten, gibt es eigene Register. Das moderne Urteil über Gerhardts Editionen von Leibniz’ mathematischen Schriften und einschlägigen Briefwechseln fällt zwiespältig aus. Zunächst muss die beeindruckende Arbeitsleistung hervorgehoben werden. Seine editorischen Unternehmungen folgten weder einem amtlichen Auftrag, noch wurde er für sie bezahlt, sieht man von der Unterstützung für Reise- und Druckkostenzuschüsse durch die Preußische Akademie der Wissenschaft ab, noch konnte er sich ihnen auf einer universitären oder sonstigen Forschungsstelle widmen. Gerhardt war vielmehr 53 Jahre seines Lebens im Schuldienst tätig, zuletzt als Direktor des Gymnasiums in Eisleben (Heß 1986, 30). Wohl nicht zuletzt weil er an seinem provinziellen Dienstort von wissenschaftlicher Literatur weitgehend abgeschnitten war, hat er auf eine Kommentierung der edierten Texte fast ganz verzichtet. Ebenso vermisst man Informationen zu seinem editorischen Vorgehen. Gerhardt sagt weder, ob und wie er in die Orthographie seiner Vorlagen eingegriffen hat, noch macht er genauere Angaben zu seinen Druckvorlagen. Zum letztgenannten Punkt muss allerdings ergänzt werden, dass die Manuskripte aus dem ‚Leibniz-Nachlass‘ zu dieser Zeit noch gar nicht katalogisiert waren (3.2.1. und 3.2.2.). Es war ja Gerhardt selbst, der im Zuge seiner Forschungen und editori-

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schen Arbeiten die mathematischen Manuskripte erstmals geordnet hat (Heß 1986, 31. 47). Diese Ordnung ist von Bodemann in seinen Katalog übernommen worden (3.2.2: Bodemann 1895 [1966], 283, Anm. *; vgl. Heß 1986, 47 mit Anm. 119). Erst aus heutiger Sicht kann man hier von einem Desiderat sprechen. Schließlich hat Gerhardt keine Auskunft über seine Auswahlkriterien gegeben, abgesehen von seinen wiederholten Hinweisen, in Korrespondentenbriefen dasjenige ausgelassen zu haben, „was ohne wissenschaftliches Interesse ist“ (Bd. 4, 88. 258; vgl. Heß 1986, 37. 53). Ebenso wenig hat er die Auswahl der aus der Masse der mathematischen Papiere edierten Schriften begründet (Heß 1986, 52 f.). Andererseits sind seine Texte als weitgehend zuverlässig zu bewerten (ebd., 54). Ohnehin muss seine Ausgabe in vielen Fällen bis heute herangezogen werden. Ihre starke Nutzung spiegelt sich nicht zuletzt in den mehrfachen Nachdrucken. Letzteres gilt noch mehr für eine weitere Leibniz-Ausgabe, die Gerhardt erarbeitet hat, nämlich für die Philosophischen Schriften. Bereits während er noch an den Mathematischen Schriften arbeitete, hatte er ihre Herausgabe ins Auge gefasst, wohl nicht zuletzt, um Foucher de Careil (7.7.) eine Ausgabe von deutscher Seite entgegensetzen zu können (Heß 1986, 36). Im Jahr 1867 machte er sich an die Arbeit und 1875 begannen die Bände zu escheinen: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Herausgegeben von C. I. Gerhardt, Berlin 1875–1890 (7 Bde.). ND Hildesheim 1960–1961 [u. ö.].

Die Ausgabe folgt den oben geschilderten Prinzipien der Mathematischen Schriften, indem sie wiederum mit einer ersten Abteilung für die einschlägigen Briefwechsel beginnt (Bd. 1–3), der sich eine zweite für „das Uebrige“ (Bd. 1, VI) anschließt (Bd. 4–7). Die Briefe sind nach Korrespondenzpartnern zusammengestellt, die Anordnung der Schriften verbindet thematische Zusammenstellungen mit einer grob chronologischen Abfolge (für eine detaillierte Übersicht vgl. 1: Ravier 1937, 589–608). Diesmal sollten die aufgenommenen Briefe allerdings vollständig abgedruckt werden. Im Übrigen teilt Gerhardts zweite große LeibnizEdition die oben geschilderten Defizite seiner ersten. Ebenso wie dort hat man es hier später unternommen, einem Desiderat, dem Fehlen von Registern abzuhelfen. Allerdings hat man einen anderen anderen Weg gewählt als Hofmann mit seinem vornehmlich die genannten Personen erfassenden Verzeichnis. Der Erschließung der Philosophischen Schriften dient eine doppelte Konkordanz, die eine Druck- und eine Microficheausgabe mit je unterschiedlichen Präsentationsformen verbindet: Leibniz Lexicon. A Dual Concordance to Leibniz’s Philosophische Schriften. Compiled by Reinhard Finster, Graeme Hunter, Robert F. McRae, Murray Miles and William E. Saeger, Hildesheim-Zürich-New York 1988.

Der gedruckte Band enthält nach einer Einleitung, die sowohl seine Benutzung als auch die der Microfiche-Konkordanz erklärt, eine relativ beschränkte Auswahl der für Leibniz’ Philosophie wichtigen Begriffe, zu denen jeweils die markantesten Belegstellen teilweise recht ausführlich zitiert werden. Hier liegt das Augenmerk gewissermaßen auf einer strengen Auswahl unter qualitativen Gesichtspunkten.

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Umgekehrt verhält es sich mit der Microfiche-Konkordanz. Sie bietet das komplette Vokabular nach dem Key-Word-In-Context-Prinzip. Konkordanzen zwischen Gerhardts Editionen und der Akademie-Ausgabe, die nachweist, was bereits in der Letztgenannten kritisch ediert vorliegt, nämlich für Leibnizens mathematische Schriften und den Briefwechsel von Gottfried Wilhelm Leibniz mit Mathematikern: http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/GerhardtMathKonkor.pdf

und ebenso für Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz: http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/GerhardtPhilKonkor.pdf

sind online abrufbar.

7.7. Louis Alexandre Foucher de Careil In Frankreich erlosch das Interesse an Leibniz, das bereits im 18. Jahrhundert stark war (vor allem 6.5.), auch im 19. Jahrhundert nicht. Ja, Leibniz wurde geradezu als französischer Autor gefeiert (Fichant 2012, 150). Dabei lag in der französischen Rezeption ein Schwergewicht auf dem religiösen Denker. Dieses Interesse hat seine Spuren auch in den Ausgaben des Grafen Louis Alexandre Foucher de Careil (1826–1891) hinterlassen. Gemessen an der Quantität ist Foucher de Careil der wichtigste französische Leibniz-Editor des 19. Jahrhunderts gewesen (Fichant 2012, 152 f.). Er begann seine Herausgebertätigkeit mit den Lettres et opuscules inédits de Leibniz. Précédés d’une introduction par A. Foucher de Careil. Paris 1854. ND Hildesheim 1975, 2007.

Wenige Jahre später folgten die Nouvelles lettres et opuscules inédits de Leibniz. Précédés d’une introduction par A. Foucher de Careil. Paris 1857. ND Hildesheim 1971, 2013.

Der Inhalt der beiden Bände ist detailliert aufgeschlüsselt in 1: Ravier 1937, 388 f. 398 f. Seit dem Ende des Jahrzehnts erschien dann seine große, siebenbändige Ausgabe von bisher ungedruckten Leibniz-Briefen und -Schriften: Œuvres de Leibniz. Publiées pour la première fois d’après les manuscrits originaux avec notes et introductions par A. Foucher de Careil. Paris 1859–1875 (7 Bde.). Die beiden ersten Bände erschienen in 2. Aufl. Paris 1867–1869. ND Hildesheim 1969, 2003.

Die beiden ersten Bände sind Leibniz’ Reunionsbemühungen gewidmet. Ihre zweite Auflage unterscheidet sich sowohl in der Anordnung als auch im Umfang des Gebotenen von der ersten, und zwar nicht nur durch Ergänzungen, sondern auch durch Kürzungen und Auslassungen. In der zweiten Auflage des zweiten Bandes fehlt etwa das recht ausführliche Register über die beiden ersten Bände aus Bd. 2, 565–591, der Erstauflage. Die übrigen Bände bieten vor allem Leibniz’

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politische Schriften. Eine detaillierte Übersicht findet sich bei 1: Ravier 1937, 571–588 (die beiden ersten Bände nach der Erstauflage). Foucher de Careil war kein sehr sorgfältiger Editor (Fichant 2012, 154). Deshalb sind manche seiner Textabdrucke problematisch (man vergleiche etwa Bd. 1, 5–16 [in der Erstaufl.: CXXIII–CXXXIV] mit A IV,8 N. 51). Ohnehin ist das meiste durch die Akademie-Ausgabe überholt. Allerdings bieten die beiden ersten Bände eine Reihe von Briefen und Schriften, die weder von Leibniz noch an ihn gerichtet sind, die aber zum Verständnis seiner Reunionsbemühungen in verschiedener Hinsicht beitragen und die in anderen Ausgaben nicht zu finden sind. Eine Konkordanz zwischen den drei genannten Editionen von Foucher de Careil und der Akademie-Ausgabe, die nachweist, was bereits in der Letztgenannten kritisch ediert vorliegt, ist online abrufbar: http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/FoucherKonkor.pdf

7.8. Thematisch beschränkte Editionen Neben den ‚großen Editionen‘ wurden durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch weiterhin Leibnitiana, besonders einzelne Briefwechsel oder Teile derselben aus Empfängerüberlieferung in Einzelveröffentlichungen oder Zeitschriften publiziert. Auch in dieser Hinsicht lässt sich nicht von einem Bruch mit der Praxis des 18. Jahrhunderts sprechen. Für einen Gesamtüberblick muss wiederum auf Ravier verwiesen werden (1: Ravier 1937, 303–476). Im Folgenden können nur exemplarisch wenige Ausgaben vorgestellt werden, die entweder einen bestimmten inhaltlichen Bereich recht breit abdecken (Guerrier, Harnack, Gerland) oder konkrete Überlieferungen erstmals erschlossen haben (Kvačala) oder in methodischer Hinsicht innovativ waren (Boutroux, Strack). Unter den thematisch beschränkten Editionen muss ein Werk des Moskauer Historiker Woldemar Guerrier (Vladimir I. Ger’e; 1837–1919) genannt werden, das zunächst als Monographie mit Quellenanhang auftritt: Woldemar Guerrier: Leibniz in seinen Beziehungen zu Russland und Peter dem Grossen. Eine geschichtliche Darstellung dieses Verhältnisses nebst den darauf bezüglichen Briefen und Denkschriften, St. Petersburg-Leipzig 1873. ND Hildesheim 1975.

Tatsächlich könnte man es, der quantitativen Gewichtung der beiden Teile nach: der monographische Teil umfasst knapp 200, der Quellenteil gut 370 jeweils getrennt gezählte Seiten, ebenso gut als Edition mit monographischer Einleitung bezeichnen – oder besser mit einleitender Monographie, denn die Verknüpfung mit den abgedruckten Quellen ist leider unzureichend und die ‚technischen‘ Informationen zur Edition finden sich nicht dort, sondern am Ende des Quellenteils (ebd., 370–371). Bis heute bietet Guerrier die umfangreichste Sammlung von Leibniz’ Schriften und Briefen zu Russland. Zudem liegt die überwiegende Mehrzahl der Stücke noch nicht in der Akademie-Ausgabe (8.) vor. Dass freilich Vollständigkeit für ihn nicht zu erreichen gewesen ist, hat der Verfasser selbst einge-

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räumt (ebd., VI). Die Inhaltsübersicht in 1: Ravier 1937, 413–419, ist in diesem Fall besonders nützlich, da eine solche in dem Band selbst fehlt. Aus einer anderen Richtung ist der bedeutende Comenius-Forscher Ján Kvačala (1862–1934), auf dessen Editionstätigkeit bereits hingewiesen worden ist (3.4.2.), zur Leibniz-Forschung gekommen, nämlich über den Comenius-Enkel, Bischof der Brüderunität und brandenburgisch-preußische Hofprediger Daniel Ernst Jablonski (Rudolph 2018). Kvačalas wichtigste einschlägige Edition gilt daher dem Briefwechsel zwischen Jablonski und Leibniz, der vor allem um die Themen einer innerprotestantischen Union und der Akademiegründung in Berlin kreist. Zunächst 1897 und 1898 in zwei Zeitschriftenaufsätzen publiziert ist sie schließlich mit einer ausführlichen und wichtigen Einleitung und einem Personenregister versehen separat erschienen: Jan Kvačala (Hg.): Neue Beiträge zum Briefwechsel zwischen D. E. Jablonsky und G. W. Leibniz, Jurjew 1899.

Nachdem der von Leibniz in Berlin hinterlassene Teil des Briefwechsels schon 1745 publiziert (3.4.2: Kapp 1745), dadurch aber zugleich auf diesen Ausschnitt reduziert worden war, hat ihn erst diese Veröffentlichung der wissenschaftlichen Öffentlichkeit in seinem vollen Umfang zugänglich gemacht. Für jene Jahre, die noch nicht von der Reihe I der Akademie-Ausgabe abgedeckt werden, sind die Neuen Beiträge die maßgebliche Ausgabe des Briefwechsels. Ihre Einleitung enthält zugleich wichtige Erkenntnisse zum Überlieferungskontext, die auch für das Verständnis des erst ein Jahrzehnt später für die Wissenschaft entdeckten Warschauer Konvoluts (3.4.2.). Dessen Entdeckung (damals noch in Sankt Petersburg) wird zwar nicht Kvačala verdankt, aber er war der erste, der einzelne Manuskripte aus diesem Bestand ediert hat: zunächst Leibniz’ Überlegungen für eine Reorganisation des kaiserlichen Archivs, 1913 publiziert in: Jan Kvačala: Zu Bodin und Leibniz. Handschriftenstudien, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 34 (1913), 582–592.

Ein Jahr darauf erschien Leibniz’ Erziehungsplan, der wohl auf den brandenburgisch-preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, den späteren Soldatenkönig, ausgerichtet war: Jan Kvačala: Neue Leibnizsche Fragmente über die Erziehung eines Prinzen, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 4 (1914), 79–83.

Leibniz’ Wirken für die Gründung und in den ersten Jahren der Berliner Akademie, das eines der zentralen Themen des Briefwechsels mit Jablonski gewesen ist, rückte in der Zeit, als Kvačala diesen Briefwechsel veröffentlichte, in den Fokus des Interesses: Im Vorfeld des Akademiejubiläums im Jahre 1900 war das noch recht junge Mitglied Adolf (von) Harnack (1851–1930) mit der Abfassung einer Akademiegeschichte betraut worden. Das pünktlich im Jubiläumsjahr 1900 erschienene Werk enthielt neben der Darstellung einen Dokumentenband:

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Adolf Harnack: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 2. Bd.: Urkunden und Actenstücke zur Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900.

Die Forschungen und Publikationen von Kvačala und Harnack liefen zeitlich fast parallel. Trotzdem kam keine Zusammenarbeit zustande, obwohl Kvačala seine Bereitschaft dazu gegenüber der Berliner Akademie ausgesprochen hatte und ihm von Harnack Unterstützung zugesagt worden war. Die deutsche – aber sicherlich nicht nur die deutsche – Rezeption hat den im späten Kaiserreich nicht nur zu einem der führenden Wissenschaftler, sondern auch zum führenden Wissenschaftsmanager aufgestiegenen Harnack begünstigt. In seinem langen Schatten gerieten Kvačalas Verdienste aus dem Blick (Rudolph 2018). Gegen Ende dieses Abschnitts muss noch die Ausgabe einer Einzelschrift erwähnt werden, weil sie in methodischer Hinsicht einen wichtigen Fortschritt bedeutet hat, die Edition der Monadologie durch Émile Boutroux (1845–1921). Angestoßen durch die Fehler in Erdmanns (7.5.) Abdruck der Monadologie hat Boutroux die drei Manuskripte, die auf Leibniz zurückgehen, ein eigenhändiges Konzept und zwei Reinschriften von Schreiberhand, die aber von Leibniz korrigiert und weiter verändert worden sind, genau untersucht und auf Grundlage dieser Untersuchung einen kritischen Text konstituiert und 1881 publiziert (1: Ravier 1937, 426; Pelletier 2017). Allerdings hat er auf jeden Hinweis auf Texteingriffe verzichtet, so dass die Textkonstitution im Einzelnen im Dunkeln bleibt. Für dieselbe Schrift hat 1917 Clara Strack (*1872) einen kritischen Text mit einem textgenetischen Apparat herausgebracht: Leibniz: Sogenannte Monadologie und Principes de la Nature et de la Grace fondés en raison, hg. von Clara Strack, Berlin 1917. ND Berlin 1967, 5–41.

Die beiden im Titel genannten Texte sind für das Seminar von Stracks Doktorvater Benno Erdmann im Sommersemester 1917 „als Manuskript gedruckt“ worden, wie das Titelblatt verrät, und haben wohl nur geringe Verbreitung gefunden (1: Ravier 1937 kennt den Druck nicht). Strack hat die Ausgabe von Boutroux wohl nicht gekannt, jedenfalls nicht genannt. In der Beurteilung der Manuskripte kommt sie zu entsprechenden Schlüssen wie der französische Forscher. Allerdings finden sich diese in der Ausgabe lediglich angedeutet. Für eine detaillierte Behandlung muss man ihre Dissertation heranziehen (Strack 1915). Während die zuletzt genannten Ausgaben der Monadologie in der Konstituierung des zum Abdruck gebrachten Textes neue Maßstäbe setzten, erschien eine Ausgabe von naturwissenschaftlich-technischen Manuskripten, die in editorischer Hinsicht weit hinter die mittlerweile zu erwartenden Ansprüche zurückfiel: Leibnizens nachgelassene Schriften physikalischen, mechanischen und technischen Inhalts. Herausgegeben und mit erläuternden Anmerkungen versehen von Dr. Ernst Gerland (= Abhandlungen zur Geschichte der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen 21), Leipzig 1906. ND Hildesheim 1995.

Nicht allein, dass sich kaum einmal textkritische Bemerkungen finden und auf die Angabe der Signaturen der abgedruckten Manuskripte durchgehend verzichtet

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worden ist, obwohl Bodemanns Kataloge mittlerweile vorlagen, die Textabdrucke sind voll von massiven Lesefehlern (exemplarische Nachweise Knobloch 2012, 107) und können daher nur mit größter Vorsicht benutzt werden. Die Ausgabe war jedoch lange Zeit alternativlos, so dass sie fast 90 Jahre nach ihrem Erscheinen sogar noch einmal nachgedruckt worden ist. Mittlerweile hat die Reihe VIII der Akademie-Ausgabe (8.2.8.) begonnen, dieses völlig unzureichende Werk zu ersetzen. 7.9. Louis Couturat Unter den thematisch beschränkten Editionen ließe sich mit einem gewissen Recht auch jene von Louis Couturat (1868–1914) abhandeln, obwohl ihr Titel keine derartige Einschränkung andeutet: Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Extraits des manuscrits de la Bibliothèque royale de Hanovre par Louis Couturat, Paris 1903. ND Hildesheim 1961, 1966, 1988.

Couturats „Classification systématique“ der von ihm edierten Texte (ebd., 669– 672) zeigt, worum es ihm in erster Linie ging, nämlich um Leibniz’ Logik, seine characteristica und scientia universalis und benachbarte Gebiete der Philosophie und Mathematik. Damit hatte Couturat weite und zentrale Gebiete von Leibniz’ Denken wenn schon nicht vollständig editorisch erschlossen, so doch in einem bisher unbekannten Ausmaß zugänglich gemacht. Zwar hatte bereits Raspe (6.1.4.) einige wenige Texte aus diesem Themenfeld veröffentlicht, Erdmann (7.5.) und Gerhardt im siebten Band der Philosophischen Schriften (7.6.) die Materialbasis erweitert, gleichwohl hatten die von Couturat zum Schwerpunkt seiner Edition erhobenen Themen bisher eher am Rande des Interesses gelegen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass diese Ausgabe eine breite und langanhaltende Wirkung entfaltet hat. Allerdings ist ihre Wirkung nicht ohne Ambivalenz. Im Blick auf Couturat hat Stefan Lorenz von der Edition als „Interpretationslegitimierung“ gesprochen (Lorenz 2007, 82). Lorenz bezieht sich dabei auf Couturats zwei Jahre vor seiner Edition erschienenen Untersuchung La logique de Leibniz (Couturat 1901; vgl. Fichant 2017). Nicht zufällig stimmen sieben der neun Kapitelüberschriften der Monographie mit ebenso vielen der zehn Rubriken in der „Classification systématique“ der Edition überein. Der Autor und Editor hat diesen Zusammenhang nicht verschwiegen. Im Vorwort der Edition erklärt er: „Le présent volume n’est, en principe, que la collection des textes inédits qui nous ont servi à compléter notre travail historique.“ (Ebd., II). Die Opuscules et fragments inédits de Leibniz bilden also gewissermaßen einen Band mit Belegen, der die vorangehende monographische Untersuchung stützen sollte. Auch wenn er erklärte, die edierten Texte sollten es dem Leser ermöglichen, seine – Couturats – Position wo nötig zu kritisieren und zu korrigieren (ebd., IV), ist klar, dass die gebotene Auswahl und Zusammenstellung das Verständnis des Lesers im Sinne der Interpretation des Editors präjudiziert. (Gänzlich sind derartige Effekte – vor allem bei Auswahlausga-

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ben – ohnehin nie zu vermeiden.) Zudem ist ihm vorgehalten worden, bei der Wahl von Auszügen aus einzelnen Texten jene Passagen, die weniger gut zu seiner Position passten, unterdrückt zu haben (Beeley 2007, 95–96 mit Beispiel in Anm. 14). Die Bedeutung dieser Ausgabe liegt aber nicht zuletzt in einem ganz anderen Punkt (Fichant 2012, 154 f.). Couturat hat als erster die Genese der von ihm edierten Texte im Druckbild wiederzugeben versucht. Er hat sich dabei nicht eines textgenetischen Apparats bedient, sondern die Streichungen und Ergänzungen im Text selbst mittels eines Systems von Klammern dargestellt. Der Leser sollte einen Eindruck gewinnen „comme s’il avait le manuscrit sous les yeux“ (ebd., V). Couturat legte auf die Möglichkeit, die Textgenese am Editionstext nachvollziehen zu können, so viel Wert, weil er diesem Nachvollzug eine hohe Bedeutung für das Verständnis des Leibniz’schen Denkens zuschrieb: „On pénètre ainsi dans l’intimité de ce grand esprit; on s’initie non seulement à sa méthode de travail, mais à ses plus secrètes pensées, à ses habitudes inconscientes et à ses tendances fondamentales. C’est de cet avantage que nous avons tâché de faire profiter autant que possible le lecteur“ (Ebd.). Eine detaillierte Inhaltsübersicht bietet 1: Ravier 1937, 490–495. Eine Konkordanz zwischen der Edition von Grua und der Akademie-Ausgabe, die nachweist, was bereits in der Letztgenannten kritisch ediert vorliegt, ist online abrufbar: http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/CouturatKonkor.pdf

7.10. Gaston Grua Als Couturat seine Ausgabe veröffentlichte, war die Erarbeitung einer zeitgemäßen Gesamtausgabe von Leibniz’ Schriften und Briefen kurz zuvor beschlossen worden (8.1.). Diese und die ihr zugeordneten Hilfsmittel zu ihrer Erschließung (9.) stehen am Ende unserer Quellenkunde. Der Verzicht, weitere Ausgaben vorzustellen, ist in der Einleitung begründet worden (1.). Unter diesen Verzicht müsste auch die Ausgabe von Gaston Grua (1903–1955) fallen. Wenn sie hier dennoch vorgestellt wird, dann deshalb, weil sie wie die „großen Ausgaben“ (1: Ravier 1937, 531) des 19. Jahrhunderts viele Texte erstmals zugänglich gemacht hat und manche von ihnen bis heute allein zugänglich macht, die zuvor nur als Manuskripte vorlagen: G. W. Leibniz: Textes inédits d’après les manuscrits de la Bibliothèque provinciale de Hanovre publié et annotés par Gaston Grua, Paris 1948 21998. ND New York 1985 (2 Bde.).

Obwohl bereits fast ein halbes Jahrhundert an der Akademie-Ausgabe gearbeitet wurde, als Grua die Edition veröffentlichte, bildet sie doch gewissermaßen einen Vorläufer – einen Vorläufer, der sich seiner Vorläuferschaft nun aber bewusst ist (ebd., V). Eine gewisse Vorläufigkeit charakterisiert die Edition insgesamt. Sie geht auf Handschriftenstudien zurück, die Grua 1937/1938 in Hannover für seine großen

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Werke über Recht und Gerechtigkeit bei Leibniz (Grua 1953; Grua 1956) betrieben hatte. Hier zeigt sich eine Parallele zu Couturat (an dessen Editionstechnik Grua sich angelehnt hat; vgl. 7.9.) und mehr noch als bei ihm tritt in Gruas Ausgabe der Ursprung aus dem persönlichen Arbeitsmaterial zutage. Vielfach handelt es sich bei den abgedruckten Texten um Auszüge oder es sind eher ‚technische‘, philosophisch weniger interessante Partien ausgelassen (zum letztgenannten Punkt vgl. etwa ebd., 882–883 mit A IV,6 N. 2). In manchen Fällen hat der Herausgeber auf einen Abdruck ganz verzichtet und sich mit kurzen Resümees und Hinweisen begnügt. Zur intendierten Vorläufigkeit traten die schwierigen Entstehungsbedingungen hinzu: Das vor dem Krieg gesammelte Material konnte wohl nur noch in geringem Ausmaß durch Fotokopien ergänzt und kontrolliert werden, eine weitere Autopsie war nicht möglich. Das schlägt sich in der Qualität der Textwiedergabe zwangsläufig nieder. Trotzdem konnte bereits im Nachruf auf Grua, der seine zweite, postum erschienene Monographie einleitet, die Edition als „der ‚Grua‘“ bezeichnet werden (Grua 1956, VIII) ohne dass man diese Wendung als Nachruf-Panegyrik abtun könnte. Die Texte, die Grua im Druck zugänglich gemacht hat zu einer Zeit, in der in der Akademie-Ausgabe nur die philosophischen Frühschriften vorlagen, haben, ähnlich wie Couturats Edition, das Verständnis der Leibniz’schen Philosophie zweifellos stark beeinflusst. Wie Couturat haben sie eine Seite seines Denkens ins Licht gerückt, die zuvor eher im Schatten gestanden hatte. Das ist – ebenfalls wie bei Couturat – nicht ohne Einseitigkeit geschehen, hat aber andere Einseitigkeiten damit korrigiert. Trotz der nicht durchgehend befriedigenden Sorgfalt der Textwiedergabe (deren Ursachen schon angesprochen worden sind) zeigt die zwar sparsame, aber kompetente und hilfreiche Kommentierung der Ausgabe, wie vertraut Grua mit den von ihm edierten Texten gewesen ist. Als Gaston Grua 1955 plötzlich verstarb, saß er an einer Edition der Essais de Théodicée. Sein umfangreiches Arbeitsmaterial von fast 1.900 Blatt, vor allem zu diesem Projekt, ist im Jahr 2017 von den Erben der Société d’études leibniziennes de langue française übergeben worden (Rateau 2018, 564). Aus diesem Anlass hat das Bulletin leibnizien IV dem Leibniz-Editor und -Interpreten Grua eine biobibliographische Darstellung gewidmet, die auch einen Überblick über dieses Nachlassmaterial bietet (Lalanne/Rateau/Fichant 2018, 579–582). Eine Konkordanz zwischen der Edition von Grua und der AkademieAusgabe, die nachweist, was bereits in der Letztgenannten kritisch ediert vorliegt, ist online abrufbar: http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/GruaKonkor.pdf

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8. DIE AKADEMIE-AUSGABE 8.1. Zur Geschichte der Akademie-Ausgabe Sowohl was den Umfang als auch was die Qualität betraf, war das, was an Werken und Briefen von Gottfried Wilhelm Leibniz der Forschung um 1900 im Druck zur Verfügung stand, durchaus unbefriedigend. Sämtliche Anläufe des 19. Jahrhunderts, eine Gesamtausgabe zu erarbeiten, waren gescheitert, letztlich weil die Aufgabe für einen einzelnen Forscher nicht zu bewältigen war (7.2.2.–3. 7.4.–7.). Der Ruf nach einer den modernen Ansprüchen genügenden Gesamtausgabe wurde lauter und dringlicher (etwa 7.8: Kvačala 1899, XXV–XXVII). In dieser Situation schlugen auf der ersten Zusammenkunft der Association internationale des Académies französische Gelehrte die Erarbeitung einer Leibniz-Gesamtausgabe vor. Zu diesem Projekt fanden sich drei Akademien zusammen: zwei französische, die Académie des sciences und die Académie des sciences morales et politiques, und eine deutsche, die Preußische Akademie der Wissenschaften. Zunächst wurde eine umfassende Katalogisierung des zu edierenden Materials in Angriff genommen (9.1.). Von deutscher Seite wurde Paul Ritter (1872–1954) mit dieser Aufgabe betraut, der dann auch der erste Leiter der Ausgabe wurde. Die weitere Geschichte der Akademie-Ausgabe kann hier nur ganz grob skizziert werden, soweit sie für das Verständnis der Edition relevant ist (zur Literatur vgl. Lorenz 2007, 83, Anm. 99; Folkerts 2008, 23, Anm. 1; danach erschienen: Li 2012, 23–143; Kliege-Biller/Meier-Oeser/Waldhoff 2016). Der Erste Weltkrieg hatte die interakademische Zusammenarbeit der beiden Staaten zu einem abrupten Ende gebracht und Deutschland zunächst aus der internationalen Gelehrtenrepublik ganz ausgeschlossen. Unter diesen Bedingungen übernahm die Preußische Akademie der Wissenschaften die geplante Ausgabe in alleinige Regie. 1923 konnte der erste Band (A I,1) erscheinen. Das Konzept, nach dem die Ausgabe nun erarbeitet wurde, sah vor, zunächst Textbände mit dem reinen Editionstext ohne Stückeinleitungen und Apparate und nur mit einer Bandeinleitung und einem Personenregister zu publizieren. Die „‚Untersuchungen und Erläuterungen‘“ sollten „nach dem Abschluß jeder Reihe in einem besonderen Bande folgen“ (A I,1 XXXV). So hoffte man, ein bis zwei Bände pro Jahr veröffentlichen und die auf etwa 40 Bände berechnete Ausgabe recht zügig abschließen zu können (ebd., XXVIII f.). Tatsächlich sind sämtliche Vorkriegs- und der erste Nachkriegsband nach diesem Konzept erarbeitet worden (8.2.1., 8.2.2., 8.2.4., 8.2.6.). Weder der Umfang der Ausgabe noch die Bearbeitungsdauer waren jedoch realistisch eingeschätzt worden. Hitlers Machtergreifung führte zunächst zum Ausscheiden des Mitarbeiters Paul Schrecker (1889–1963), der als Jude seine Stelle verlor (Riley 2013, 172– 175). Wichtige Erkenntnisse aus seiner Editionsarbeit veröffentlichte er 1934 im französischen Exil (3.4.2: Schrecker 1934). Aufs Ganze gesehen kann man jedoch keineswegs sagen, dass die Leibniz-Edition im Dritten Reich einen schwierigen Stand gehabt hätte. Die politisch motivierten personellen Umbrüche an der Preußischen Akademie förderten sogar das Interesse der Akademieleitung an der Aus-

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gabe (Folkerts 2008, 26–40; Thiel 2013). Der im Zuge des Umbaus der Akademieverfassung nach dem ‚Führerprinzip‘ der Akademie als (kommissarischer) Präsident oktroyierte Mathematiker Theodor Vahlen (1869–1945) förderte seit 1939 die Edition durchaus (vgl. jedoch den Beitrag von Wenchao Li in diesem Band). Diese Förderung ging einher mit einer Umorientierung der Arbeit. Als Nachfolger Ritters wurde der Mathematikhistoriker Joseph Ehrenfried Hofmann (1900–1973) berufen. Er legte das Schwergewicht der Arbeiten auf die bisher vernachlässigten mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Briefe und Schriften und übernahm nach dem Unfalltod von Dietrich Mahnke selbst die Bearbeitung der dritten Reihe (8.2.3.). Darüber hinaus entwarf er einen großangelegten Plan für eine Neukonzeption der Ausgabe, der mit einer scharfen, sicher auch persönlich gefärbten, aber durchaus nicht unberechtigten Kritik an der bisher geleisteten Arbeit einherging. Seine Planungen blieben freilich Papier, und die eigentliche Editionsarbeit kam kaum voran. Lediglich in der Weiterführung der Katalogisierung, deren Vordringlichkeit Hofmann richtig erkannt hatte, konnten gute Fortschritte erzielt werden. Hier profitierten die Arbeiten nicht zuletzt von dem erleichterten Zugriff auf Archiv- und Bibliotheksgut in den besetzten Ländern (Thiel 2012). Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich zunächst wenig. Hofmann war entlassen worden, aber der noch weitgehend von Paul Ritter und Paul Schrecker bearbeitete Band I,4 konnte 1950 von Kurt Müller (1907–1983), seit 1947 Leiter der Ausgabe (s. zu ihm den Nachruf Heinekamp 1984), vorgelegt werden. Er folgte noch dem alten Editionskonzept, kündigte aber die bereits in den 30er Jahren beschlossene Umstellung für den nächsten Band an, der tatsächlich der erste ist, der die bis heute gültige Form zeigt (A I,5). Der Fortgang der Editionsarbeit in Berlin wurde jedoch durch den Weggang von Mitarbeitern bedroht. Auch Kurt Müller gab nach dem Mauerbau (1961) seine Stelle an der Akademie auf und baute ab 1962 das Leibniz-Archiv in Hannover auf. Die Berliner Akademie, die nach dem Krieg als Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW) firmierte, bevor sie in Akademie der Wissenschaften der DDR umbenannt wurde, übte jedoch weiterhin die Federführung über die Ausgabe aus, und die Editionsbände erschienen in dem 1946 gegründeten Akademie Verlag, auch wenn sie überwiegend in Münster und Hannover erarbeitet worden waren. In Berlin blieb allein die Reihe IV zurück (8.2.4.). In Fortführung der Arbeiten von Paul Ritter bearbeitete vor allem Lotte Knabe (1907–1991) die politischen Schriften, unterstützt von Margot Faak (1926–2015). Im Zuge einer großen Akademiereform wurde die Arbeitsstelle im Jahr 1969 sogar für einige Zeit geschlossen und das Arbeitsmaterial an das Akademiearchiv überwiesen. Durch die Übernahme des Vorhabens in die neukonstituierte BerlinBrandenburgische Akademie der Wissenschaften wurde es zugleich in das Akademienprogramm, das die Langfristprojekte der deutschen Wissenschaftsakademien finanziert, aufgenommen (zur Leibniz-Edition im Akademienprogramm: Breger 2012). Im Jahr 1996 zog die Arbeitsstelle nach Potsdam um.

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Schon 1956 hatte Erich Hochstetter (1888–1968) an der Universität Münster, an der er lehrte, eine Leibniz-Forschungsstelle gegründet. Ihr gelang es nicht nur, von der DAW mit der Herausgabe der beiden philosophischen Reihe II und VI (8.2.2., 8.2.6.) betraut zu werden, sondern auch die Zuständigkeit für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Reihen (damals Reihe III und VII) zu erlangen (8.2.3., 8.2.7.). Tatsächlich konzentrierte man sich in Münster auf die Philosophie. Mit der zweiten Reihe, dem philosophischen Briefwechsel, war Hochstetter schon als Mitarbeiter der Preußischen Akademie seit 1921 befasst gewesen. Die Forschungsstelle war ein Institut der Universität, ihr Leiter Inhaber einer philosophischen Professur. Seit ihrer Übernahme in das Akademienprogramm im Jahr 1988 wird die Forschungsstelle von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen betreut. Eine weitere Arbeitsstelle, die den Namen Leibniz-Archiv 10 erhielt, wurde 1962 an der damaligen Niedersächsischen Landesbibliothek (heute GWLB) installiert und konnte 1963 ihre Tätigkeit aufnehmen. Bereits Paul Ritter hatte der Preußischen Akademie der Wissenschaften die Einrichtung einer Arbeitsstelle in Hannover vorgeschlagen, in unmittelbarer Nähe der Masse des zu edierenden Materials. Erst die Abwanderung der Berliner Mitarbeiter in den Westen brachte die Verwirklichung der Idee. Kurt Müller konnte mit Unterstützung des Bibliotheksdirektors Wilhelm Totok das niedersächsische Kultusministerium für die Finanzierung der Leibniz-Edition an der Bibliothek gewinnen (Müller 1976). Das Leibniz-Archiv sollte sich nicht nur an der Erarbeitung der Akademie-Ausgabe beteiligen, sondern auch „durch weitere Publikationen grundlegende Hilfsmittel für die Leibniz-Forschung erarbeiten“ (ebd., 141). Diesem Zweck dient die Publikationsreihe „Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs“, die zur Zeit 13 Bände umfasst. Das Leibniz-Archiv wurde 1985 in das Akademienprogramm aufgenommen und der Göttinger Akademie zugeordnet, ist aber weiterhin als eine Abteilung in die GWLB eingebunden. Im Rahmen der Akademie-Ausgabe werden in Hannover die Reihen I, III und VII bearbeitet (8.2.1., 8.2.3., 8.2.7.). Zuletzt wurde im Jahr 2001 der ursprüngliche Standort der Ausgabe wiederbelebt durch die Gründung der Leibniz-Edition Berlin der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie ist mit der Bearbeitung der Reihe VIII betraut (8.2.8.). Die Akademie-Ausgabe wird heute also von vier Arbeitsstellen, die zu zwei Akademien gehören, bearbeitet. Sie alle tragen nicht nur gemeinsam zu der einen, in acht Reihen gegliederten (8.2.) Druckausgabe bei, sondern auch zu einer gemeinsamen Homepage im Internet, die nicht nur die jüngeren Bände seiten- und zeilengleich mit den Druckbänden im PDF-Format kostenlos bereitstellt, sondern auch eine Vielzahl von Band- und Reihen-übergreifenden Hilfsmitteln (9.) zur   10 Eine Bezeichnung, die insofern unglücklich ist, als sie suggeriert, dieses Leibniz-Archiv sei im Besitz von Leibnizʼ hinterlassenen Papieren. Entsprechende Falschaussagen lassen sich bis in das Fachschrifttum nachweisen. Tatsächlich befinden sich die genannten Papiere – soweit sie in der GWLB liegen – in deren Abt. 3: ‚Handschriften und Alte Druckeʼ (III.2.).

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Erschließung vor allem der Ausgabe, aber auch der gesamten Überlieferung anbietet, die so nur online zur Verfügung stehen: https://leibnizedition.de/

Eine auf die praktischen Bedürfnisse des Leibniz-Lesers oder Forschers zugeschnittene, aber zugleich sehr gründliche Einführung in die Benutzung der Akademie-Ausgabe bietet Kliege-Biller 2017 (kürzer: Kliege-Biller/MeierOeser/Waldhoff 2016, 967 f.). Ihr liegt das heutige Konzept der Ausgabe zugrunde, wie es mit Band I,5 erstmals umgesetzt worden ist. Für alle Informationen über die Einrichtung der Editionsbände, den jeweiligen Stückkopf eines Textes, den Siglengebrauch, die typographischen Auszeichnungen im Editionstext, die Apparate usw. sei auf diese Einführung verwiesen. Einige Bemerkungen zu den Verzeichnissen auch der Einzelbände finden sich im Abschnitt zu den Kumulierten Verzeichnissen der Akademie-Ausgabe (9.2.). 8.2. Die Reihen der Akademie-Ausgabe Wie bereits bei Pertz (7.2.2.) und Klopp (7.2.3.) angelegt, ist auch die AkademieAusgabe in unterschiedliche Reihen aufgegliedert. Eine derartige Gliederung nach Textsorten (Briefe, Schriften) und Themen war nicht von Beginn an festgelegt und keineswegs unumstritten. Vielmehr hat der von französischer Seite an der Planung beteiligte Louis Couturat (7.9.) vehement für eine rein chronologische Ordnung geworben. Sie böte, wie er in bemerkenswert moderner Metaphorik erklärte, die Möglichkeit, Leibniz’ Leben und Schaffen geradezu wie ein Film vor den Augen des Lesers ablaufen zu lassen – „... on en aurait vraiment la cinématographie“ (7.9: Couturat 1903, XIII). Freilich kannte er das Material zu gut, um nicht zu wissen, dass eine strikt chronologische Anordnung letztlich gar nicht durchzuführen gewesen wäre. Die meisten Aufzeichnungen außerhalb der Korrespondenz sind nicht datiert und häufig nur grob zeitlich einzuordnen. Couturats Plan sah denn auch vor, die chronologische Ordnung immer wieder durch thematische Blöcke zu unterbrechen. Für deren Einordnung musste das eine oder andere Stück aus einem thematischen Komplex entweder datiert sein oder doch eine ziemlich sichere und präzise Datierung ermöglichen. An ein derartiges Stück hätte man dann thematisch zugehörige und mit wahrscheinlich auch in demselben Zeitraum entstandene weitere Stücke angegliedert. Diese Konzeption sah sogar vor, dass ganze rein thematisch ausgerichtete Bände in die umfassende chronologische Ordnung eingegliedert worden wären (ebd., X–XIII). Diese Schilderung lässt freilich bereits erahnen, dass der von Couturat erwünschte kinematographische Effekt sich nicht hätte einstellen können – um es in seiner Metaphorik zu formulieren: Der Film wäre ständig durch penetrant sich wiederholende Filmrisse unterbrochen worden. Letztlich tendierte diese Frage zur Aporie, denn es „bedeutet doch jede Gliederung nach Sachgesichtspunkten die Auflösung einer Einheit, die Leibniz in all seinen Werken stets gesehen hat, während ein Verzicht auf eine solche Gliede-

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rung zu einer derart undurchdringlichen Masse geführt hätte, daß gerade dieser Zusammenhang verschüttet worden wäre“ (Poser 2000, 380). Gab es also gute Gründe, der von Couturat vorgeschlagenen Konzeption nicht zu folgen, so gibt es ebenso gute Gründe, seine Warnung vor den Problemen einer thematischen Reihenaufteilung weiterhin ernst zu nehmen: „Eine derartige Einteilung ist also nur eine Augentäuschung, die beim Leser die gefährliche Illusion aufrecht erhält, alle philosophischen Schriften zu besitzen und zu kennen oder alle mathematischen und so fort.“ (7.9: Couturat 1903, X). Es muss daher jedem Nutzer der Akademie-Ausgabe dringend geraten werden, sich bei der Verfolgung eines bestimmten Themas nicht einfach auf die Bezeichnung der Reihen zu verlassen und zu glauben, es reiche, in der thematisch scheinbar einschlägigen Reihe zu recherchieren. Jeder Nutzer sollte sich klarmachen, welche große inhaltliche Bedeutung der Korrespondenz zukommt, in der viele Themen ausführlich diskutiert werden. Früheren Editoren, wie etwa Gerhardt (7.6.), war dies völlig klar und sie haben daraus die Konsequenz gezogen, in beträchtlichem Umfang ausgewählte Briefwechsel aufzunehmen, auch wenn ihre Ausgaben lediglich das Wort Schriften im Titel trugen. In der Akademie-Ausgabe bemühen sich Einleitungstexte und Erläuterungen, das einzelne Stück in seinen chronologisch-biographischen Kontext einzuordnen und durch Verweise mit relevanten Texten, auch aus anderen Reihen, zu verknüpfen. Zudem erlauben die online verfügbaren kumulierten Verzeichnisse thematische Recherchen quer zu den Reihenabgrenzungen (9.2.). Die Akademie-Ausgabe hat man zunächst in sieben, schließlich in acht Reihen geteilt. Leitend für die Aufgliederung ist zunächst die bereits im Titel der Ausgabe formulierte Unterscheidung von Briefen und Schriften: Die ersten drei Reihen sind dem Briefwechsel, die folgenden fünf Leibniz’ Schriften gewidmet. Die einzelnen Brief- und Schriftenreihen sind unter sich thematisch voneinander abgegrenzt. Freilich ist bereits die Abgrenzung von Briefen und Schriften nicht immer so einfach, wie es diese scheinbar klaren Begriffe suggerieren. Erst recht gilt dies für die thematischen Abgrenzungen. Einerseits war Leibniz’ Interessensund Arbeitsspektrum weiter und vielfältiger als es die thematischen Titel der Reihen andeuten, andererseits stehen für ihn zusammengehörende Fragen manchmal quer zu den modernen Disziplinen, denen die Gliederung der Ausgabe folgt, und schließlich sind für Arbeitsgebiete, auf denen Leibniz intensiv tätig gewesen ist, etwa für die Jurisprudenz und die Theologie, keine thematischen Reihen eingerichtet worden (vgl. zur Begründung A VI,1 XI). Deshalb enthalten manche Reihen, etwa die Politischen Schriften (8.2.4.) mehr als ihr Titel andeuten kann, während andere Themen zwischen zwei Reihen aufgeteilt sind. So werden die theoretischen Schriften zur Jurisprudenz, etwa zum Naturrecht, in den Philosophischen Schriften ediert (8.2.6.), die praktischen Ausarbeitungen, vor allem anlassgebundenen Denkschriften und Gutachten, aber in den Politischen Schriften. Ähnlich verläuft die Trennung bei den theologischen Schriften: Unter der Rubrik „Kirchenpolitik“ finden sich unter den Politischen Schriften Leibniz’ Bemühungen um eine Reunion von Katholiken und Protestanten ebenso wie um die Vereinigung der Lutheraner und Calvinisten, um die er Jahrzehnte seines Lebens gerungen hat. Stärker religionsphilosophisch orientierte Texte werden dagegen in den Philoso-

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phischen Schriften ediert. Allerdings hätte jede andere thematische Aufgliederung ebenfalls mit dem Problem zu kämpfen, dass sie irgendwo Zusammengehörendes auseinanderreißen muss. Im Folgenden sollen die einzelnen Reihen der Akademie-Ausgabe kurz charakterisiert werden. 8.2.1. Erste Reihe: Allgemeiner, politischer und historischer Briefwechsel Die erste Reihe der Akademie-Ausgabe nimmt die Spitzenposition nicht nur in der Reihengliederung ein (Gädeke 2016b). Mit ihrem ersten Band wurde die Edition auch begonnen. Und das aus gutem Grund, besitzt diese Reihe doch eine Pfadfinder-Funktion für die übrigen Editionsreihen. Der ‚allgemeine Briefwechsel‘ (wie er verkürzend meist genannt wird) bildet nämlich das chronologische Grundgerüst, an dem sich besonders die Schriftenreihen orientieren können und müssen. Leibniz’ Aufzeichnungen, Exzerpte und Werkmanuskripte sind zumeist nicht datiert. Da Leibniz einerseits zahlreiche Themen über viele Jahre verfolgt, andererseits aber wenig zum Druck gegeben hat, liefern die relativ wenigen Publikationsdaten kein hinreichend dichtes chronologisches Raster. Vielfach ermöglichen erst die Aussagen des Briefwechsels eine zeitliche und biographische Einordnung einzelner Aufzeichnungen und Schriften. Zur Abgrenzung zwischen Briefen und Schriften hatte Paul Ritter in den Bemerkungen „Zur Einteilung und Einrichtung der Ausgabe“, die dem ersten Band vorangestellt sind, erklärt: „Auf der anderen Seite vereinigen wir mit dem Briefwechsel alles, was mit dem Brief das entscheidende Merkmal, die Bestimmung für eine einzelne Person, Behörde, Körperschaft usw. gemeinsam hat, zumal die zahlreichen Denkschriften.“ (A I,1 XXXIII; Hervorhebung im Original). Gleich darauf hat er aber eingeschränkt: „Nicht immer läßt es sich freilich feststellen, ob wir es mit einer Denkschrift oder vielmehr mit einer Flugschrift oder einer Abhandlung zu tun haben: dann entscheiden wir uns in der Regel für die Zuweisung zu den Schriften.“ (Ebd.). Tatsächlich hat sich die Praxis eher in Richtung der zuletzt zitierten Relativierung entwickelt. Dabei wird über die Zuweisung zumeist pragmatisch entschieden, vor allem unter dem Gesichtspunkt, wie eng eine Denkschrift in die Korrespondenz integriert und wie bedeutsam sie für das Verständnis einzelner Briefinhalte ist. Entsprechend finden in Ausnahmefällen auch Fremdstücke, d. h. Briefe oder Denkschriften, die weder von Leibniz verfasst, noch an ihn gerichtet waren, Aufnahme. Der erste Band der Reihe erschien 1923. Nicht nur zwei weitere Bände, die noch vor dem Zweiten Weltkrieg herausgebracht werden konnten, folgten dem oben geschilderten ursprünglichen Konzept der Ausgabe (8.1.), sondern auch noch der erste Nachkriegsband. Da man gehofft hatte, diesen vierten Band zum Jubiläumsjahr 1946 zu veröffentlichen, hatte man die Umsetzung der bereits beschlossenen Veränderungen zunächst zurückgestellt. Band 5 folgte schließlich als erster Band der neuen Konzeption. Darüber gibt das Vorwort Rechenschaft (A I,5 XXIII–XXVI).

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Außerhalb der Bandzählung ist ein Supplementband erschienen, der Leibniz’ Korrespondenz über seine Tätigkeit im Bergbau auf dem Harz von 1693 bis 1696 sowie den diese Tätigkeit betreffenden Briefwechsel zwischen der Kammer in Hannover und dem Bergamt in Clausthal enthält. Während die Korrespondenz über seinen früheren Einsatz im Harzbergbau (1678–1786) auf die Bände A I,2–4 verteilt ist, liegt damit für die zweite und letzte Periode seiner Bergbautätigkeit eine thematisch geschlossene Briefedition vor. Als Abschluss der ‚allgemeinen‘ Briefreihe ist ein weiterer Supplementband mit Lebenszeugnissen, also etwa den Selbstschilderungen und den kurzzeitig geführten Tagebüchern (7.2.2: Pertz 1847, 163–224), vorgesehen. Die ersten Bände der Reihe hatten unterhalb der für die Reihe vorrangigen chronologischen Anordnung die edierten Briefwechsel auf verschiedene Abteilungen verteilt. So enthält der erste Band neun Abteilungen, die folgenden drei bis fünf zumeist sachlich, manchmal aber auch zeitlich abgegrenzte Abteilungen, bis sich mit Band 11 die Reduzierung auf zwei Abteilungen, nämlich „I. Dienstlicher Briefwechsel“ (später: „I. Haus Braunschweig-Lüneburg“) und „II. Allgemeiner und gelehrter Briefwechsel“, durchsetzt. Mit Band 23 ist die Unterteilung ganz aufgegeben worden, so dass nun sämtliche Briefe eines Bandes in einer einzigen chronologischen Abfolge stehen. Seit Band 17 stehen neben den Druckausgaben seiten- und zeilengleiche PDFDateien der Bände im Internet kostenlos zur Verfügung. 8.2.2. Zweite Reihe: Philosophischer Briefwechsel Die zweite Reihe der Akademie-Ausgabe, der philosophische Briefwechsel, ist im Blick auf ihre Abgrenzung zu den beiden anderen Briefreihen wohl die diffizilste Reihe der Ausgabe. Die Herausgeber des ersten Bandes haben sie in der Bandeinleitung (XXI–XXIII, in den Nachdrucken XVII–XIX, in der 2. Aufl. XXV– XXVII) ausführlich dargelegt. Es heißt dort zunächst: Die Reihe des philosophischen Briefwechsels vereinigt in sich diejenigen Korrespondenzen, welche in ihrer Gesamtheit oder einem in sich abgeschlossenen und daher abtrennbaren Teil vorwiegend philosophische Probleme unter systematischen oder historischen Gesichtspunkten behandeln. Außerdem aber bringt sie alle in anderen Reihen des Briefwechsels verstreuten philosophische bedeutsamen Ausführungen erneut zum Abdruck, um das Bild von Leibniz’ philosophischer Gedankenwelt und ihrer Entwicklung, soweit sie sich in seinem Briefwechsel offenbart, möglichst vollständig zu gestalten. (Hervorhebung im Original.)

Darauf folgen umfangreiche Erklärungen, die bestätigen, was das Zitat bereits andeutet, dass nämlich eine entsprechende Abgrenzung alles andere als einfach ist. Es war vor allem das erwartete oder vermutete „praktische Bedürfnis, wenigstens die philosophischen Briefe einigermaßen für sich, in einigen wenigen Bänden, beisammen zu haben“ (A I,1 XXXIII), das den Ausschlag für die Einrichtung dieser Reihe gegeben hat. Um diesem Bedürfnis nachzukommen, druckten die ersten beiden Bände Briefe, die schon in einer der anderen Briefreihen publiziert worden waren, noch-

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mals ab, wenn ihre Kenntnis für das Verständnis des philosophischen Denkers Leibniz unabdingbar erschien. Soweit es sich dabei um echte Neueditionen von Stücken aus den Vorkriegsbänden handelt, hat dieses Verfahren die betreffenden Briefe mit dem vollen kritischen Apparat zugänglich gemacht. Allerdings ist es gerade in jener Hinsicht problematisch, die Couturat als Argument gegen eine thematische Aufteilung ins Spiel gebracht hatte, dass es nämlich „beim Leser die gefährliche Illusion aufrecht erhält, alle philosophischen Schriften zu besitzen und zu kennen oder alle mathematischen und so fort.“ (7.9: Couturat 1903, X; Hervorhebung im Original). Man wird es deshalb nicht bedauern, dass der zuletzt erschienene dritte Band der Reihe die Praxis der Doppeldrucke aufgegeben hat (vgl. die Begründung in A II,3 XXII–XXIV). Vollständig hat man sich jedoch noch nicht von dem nicht unproblematischen Anspruch gelöst, indem man an die Bandeinleitung von A II,3 eine „Übersicht über philosophisch relevante Briefe der Jahre 1695–1700“ angefügt hat, in der einschlägige Schreiben aus den Reihen I und III in die Chronologie der in A II,3 edierten Briefe eingefügt sind (ebd., IC– CX). Der erste Band dieser Reihe ist 1926 erschienen und folgt dem ursprünglichen Konzept (8.1.). Die Erstauflage hat jedoch nur noch historischen Wert und sollte nicht mehr benutzt werden. Nach der Wiederaufnahme der Arbeit an Reihe II hat man sich nämlich entschlossen, eine völlig überarbeitete und erheblich erweiterte Neuauflage herauszubringen. Sie entspricht nicht nur dem derzeitigen Standard der Ausgabe, sondern ist auch um 25 in der Zwischenzeit aufgefundene Briefe erweitert worden. Diese Stücke sind mittels Buchstabennummern in die übernommene alte Nummerierung eingefügt worden, so dass eine problemlose Auffindbarkeit von nach der Erstauflage nachgewiesenen Stücken in der Neubearbeitung gewährleistet ist und Missverständnisse ausgeschlossen bleiben. Von allen Bänden stehen neben den Druckausgaben seiten- und zeilengleiche PDF-Dateien im Internet kostenlos zur Verfügung. 8.2.3. Dritte Reihe: Mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Briefwechsel Die Konzeption des Mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Briefwechsels geht bis in die 30er Jahre zurück. Nachdem zunächst Leibniz’ mathematischen, technischen und naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen, Papiere und Korrespondenzen von der Akademie-Ausgabe vernachlässigt worden waren – zu ihrer Bearbeitung fehlten kompetente Mitarbeiter –, wurde 1936 der Husserl-Schüler Dietrich Mahnke (1884–1939) mit Bearbeitung der Reihe III betraut. Nach dessen frühem Unfalltod wurde die Aufgabe dem Mathematikhistoriker Joseph Ehrenfried Hofmann übertragen. Wie sein Vorgänger verunglückte er tödlich, bevor der Druck abgeschlossen werden konnte. Hofmann hatte sich bei seinem Eintritt in die Leibniz-Edition sehr kritisch mit der von ihm vorgefundenen Praxis auseinandergesetzt (8.1.). Diese Opposition mag dazu beigetragen haben, dass er in der Editionstechnik ziemlich stark von der in den anderen Reihen

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üblichen Praxis abgewichen ist (erläutert in A III,1 XIX–XXI). Die Fortsetzung der Reihe wurde 1970 dem Leibniz-Archiv übertragen (Folkerts 2008). In den Formalia hat man die seitdem erschienenen Bände der Praxis der übrigen Reihen angeglichen. Von den vier jüngsten Bänden der Reihe (A III,5–8) stehen neben den Druckausgaben seiten- und zeilengleiche PDF-Dateien im Internet kostenlos zur Verfügung. 8.2.4. Vierte Reihe: Politische Schriften Die schon erwähnten Schwierigkeiten der Reihenabgrenzungen betreffen besonders die Reihe IV, die Politischen Schriften. Zum einen in den Abgrenzungen zwischen Briefen und Promemorien und der Frage der Zuordnung von Beischlüssen gegenüber Reihe I (8.2.1.), zum anderen aber auch in thematischer Hinsicht. Paul Ritter hat in der Einleitung zum ersten Band formuliert: In Übereinstimmung mit der ersten Reihe, dem allgemeinen, politischen und historischen Briefwechsel, fassen wir dabei den Begriff des Politischen so weit, daß er auch alle Arbeiten zur Förderung der wirtschaftlichen und geistigen Kultur umschließt, wenn hier, wie in der Regel, die Mitwirkung des Staates vorausgesetzt wird oder doch der praktische Zweck und nicht die wissenschaftliche Erörterung das Wesentliche ist. (XVII; Hervorhebung im Original.)

Dieses Abgrenzungskriterium, das nicht bestimmte Themen der Reihe IV zuweist oder aus ihr ausgrenzt, sondern nach Anlass und Zweck fragt, kommt auf einer Reihe von Themenfeldern zur Anwendung. So werden die juristischen Schriften, wenn sie aus konkreten Anlässen erwachsen sind oder juristisch-administrative Reformvorschläge machen, der Reihe IV, wenn sie eher naturrechtlichphilosophisch ausgerichtet sind, aber der Reihe VI zugeordnet. Dasselbe gilt für die theologischen Schriften, die, soweit sie kirchenpolitische Fragen betreffen, also vor allem Leibniz’ Bemühungen, sowohl mit den Katholiken als auch unter den Protestanten zu einer ökumenischen Einigung zu kommen, der Reihe IV zugewiesen werden. Abstrakt theologische oder religionsphilosophische Ausarbeitungen, denen ein entsprechender Anlass fehlt, werden dagegen in Reihe VI ediert. Für die medizinischen Schriften gilt eine entsprechende Abgrenzung zwischen Reihe VIII und Reihe IV. Letztere bringt solche medizinischen Schriften, die sich mit der politisch-administrativen Seite des Gesundheitswesens befassen, also etwa mit Medizinalordnungen und -statistiken. In der Praxis erweisen sich diese Abgrenzungen allerdings häufig als schwieriger, als es diese Erklärungen suggerieren. Auch diese Reihe wurde bereits vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Daher fehlten dem ersten Band die Apparate, detaillierte Angaben zur Überlieferung usw. Bei der Wiederaufnahme der Editionsarbeit nach dem Krieg hat man deshalb dem zweiten Band „Untersuchungen zu Band 1“ als Anhang beigegeben. Die 3. Aufl. des ersten Bandes hat nicht nur den Text um ein Stück ergänzt, sondern auch diesen Anhang aus Band 2 übernommen, so dass sich jetzt Editionstexte und

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zugehörige Untersuchungen und Apparate in einem Band befinden. In der Konsequenz hat man in der Neuauflage des zweiten Bandes auf den Wiederabdruck dieses Anhangs verzichtet. Dabei wurden auch die auf den Anhang bezogenen Einträge in den Verzeichnissen entfernt, was sich im Schriftenverzeichnis dadurch bemerkbar macht, dass es durch ausgefallene Einträge zu Springnummern kommt, da man die Schriften nicht neu durchnummeriert hat (entsprechendes gilt für das Schriftenverzeichnis der 3. Aufl. des ersten Bandes). Von Reihe IV stehen nicht nur die neueren Bände seit Band 4 als mit den Druckausgaben seiten- und zeilengleiche PDF-Dateien im Internet, sondern auch Digitalisate der ersten drei Bände (mit gewissen Modifikationen gegenüber der Druckausgabe, aber seitengleich). 8.2.5. Fünfte Reihe: Sprachwissenschaftliche und historische Schriften Die fünfte Reihe wird die sprachwissenschaftlichen und historischen Schriften von Leibniz enthalten. Erst kürzlich ist die Editionsstelle Potsdam mit der Bearbeitung der Reihe beauftragt worden. Die Vorarbeiten haben bereits begonnen. Zunächst geht es darum, die nicht nur von Bodemann, sondern auch im Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (9.1.) nur unzureichend erfassten Leibnitiana der Signaturengruppe Ms (3.2.3.) nachzukatalogisieren. Die Verknüpfung der beiden im Reihentitel genannten Themen mag auf den ersten Blick willkürlich erscheinen, hat aber ihren guten Grund: Tatsächlich hat Leibniz seine sprachwissenschaftlichen Studien vor allem im Kontext seiner historischen Arbeiten betrieben. Beide Themen lassen sich bei ihm vielfach kaum gegeneinander abgrenzen (Waldhoff 2014). Auch zwischen den für diese Reihe vorgesehenen Themenfeldern und jenen anderer Reihen gibt es einige Schnittmengen. Die historische Forschung folgte in der frühen Neuzeit keineswegs nur antiquarischen, sondern häufig auch politischen Interessen. Nicht allein, dass jede dynastische Geschichtsschreibung mit politischen Implikationen verbunden war, politische, ja auch militärische Konflikte wurden häufig von historiographischen Auseinandersetzungen begleitet. So findet sich beispielsweise ein umfangreicher Block von Aufzeichnungen und Ausarbeitungen zur hochmittelalterlichen Adelsgeschichte Mittel- und Norddeutschlands in A IV,4 N. 18–69, weil diese im Kontext des welfischen Anspruchs auf die Erbfolge im Herzogtum Sachsen-Lauenburg entstanden sind. Bei den sprachwissenschaftlichen Schriften sind die Überschneidungen mit anderen Reihen noch stärker. Die Schriften, die sprachpolitischer Absicht auf die Stärkung der deutschen Sprache zielen (vor allem A IV,3 N. 117 und A IV,6 N. 79), sind der Reihe IV zugeschlagen, die sprachphilosophischen der Reihe VI.

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8.2.6. Sechste Reihe: Philosophische Schriften Ähnlich wie im Falle der Politischen Schriften deckt auch die Reihe der Philosophischen Schriften thematisch mehr ab, als es, folgte man einem modernen disziplinären Verständnis von Philosophie, erwartet werden könnte. Willy Kabitz hat dazu in der Einleitung des ersten Bandes ausgehend von Leibniz’ Philosophieverständnis erklärt, „eine Ausgabe der philosophischen Schriften von Leibniz“ sei „beständig darauf angewiesen, auch solche Schriften aufzunehmen, die bei einer äußerlichen Verteilung des ganzen Stoffes anderen Wissenschaftsgebieten zufallen würden, der Theologie, der Jurisprudenz, der Mathematik und den Naturwissenschaften“ (ebd., XV; in den Nachdrucken XI). Auf die damit einhergehenden Abgrenzungsprobleme ist bereits hingewiesen worden (8.2.). Kabitz, der bereits an der Katalogisierung mitgearbeitet hatte (9.1.), konnte den ersten Band der Reihe 1930 vorlegen. Er ist nach der alten Konzeption erarbeitet worden. Ebenso wie in der vierten Reihe hat man hier die weitestgehend noch von Kabitz selbst erarbeiteten „Untersuchungen und Erläuterungen zu Band A VI,1“ an den zweiten Band angehängt. Dessen Verzeichnisse (mit Ausnahme des Personenverzeichnisses) beziehen sich auf die beiden ersten Bände. Kabitz hatte einen zweiten Band druckfertig gemacht, der dann doch nicht mehr erscheinen konnte, sei es, dass ihm noch der letzte Schliff fehlte (so A VI,2 XV–XVI) oder dass er Opfer der Umstrukturierung der Ausgabe wurde (Folkerts 2008, 37). Jedenfalls konnte der auf Kabitz’ Arbeit aufbauende, aber an die in mancher Hinsicht geänderten Editionsregeln angepasste Band erst zwei Jahrzehnte nach Kriegsende erscheinen. Bereits zuvor waren die Nouveaux essais der Chronologie weit vorausgreifend ediert worden. Um sie in die chronologische Abfolge der Reihe einzupassen, hatte man ihn als sechsten Band publiziert. Die Einschätzung, für die philosophischen Schriften der drei Jahrzehnte zwischen 1672 und dem frühen 18. Jahrhundert mit vier Editionsbänden auszukommen, hat sich als völlig verfehlt erwiesen. Während der zweite und der dritte Band dem gewöhnlichen Umfang entsprechen, besteht der vierte „Band“ aus drei Textbänden, von denen jeder ca. 1.000 Seiten umfasst, und einem 500seitigen Registerband. Da alle Teilbände gleichzeitig erst zum Abschluss der Arbeiten erschienen sind, wurden zur Überbrückung der langen Erarbeitungszeit von fast 20 Jahren vorläufige Ergebnisse als Vorausedition im Manuskriptdruck vervielfältigt: Gottfried Wilhelm Leibniz: Vorausedition zur Reihe VI – Philosophische Schriften – in der Ausgabe der Akademie der DDR berarbeitet von der Leibniz-Forschungsstelle der Universität Münster. Manuskriptdruck ad usum collegialem, Münster 1982–1991. (10 Faszikel.)

Interesse besitzt diese vorläufige Ausgabe nur noch für jene wenigen Texte, die schließlich doch nicht in A VI,4 übernommen worden sind. Der Registerband zu A VI,4 enthält Konkordanzen für den Abgleich zwischen der Vorausedition und der endgültigen Publikation. Von A VI,4 stehen neben der Druckausgabe seitenund zeilengleiche PDF-Dateien online zur Verfügung.

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8.2.7. Siebente Reihe: Mathematische Schriften Die ursprüngliche Reihengliederung der Akademie-Ausgabe hatte als letzte eine siebente Reihe vorgesehen, welche die Mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Schriften umfassen sollte. Auf diesem Gebiet war vor dem Krieg wenig geschehen und auch danach sah es zunächst nicht besser aus (Folkerts 2008). Erst durch die Initiative Eberhard Knoblochs konnte 1976 mit der Edition der mathematischen Schriften begonnen werden. Da die Zuständigkeit für die Reihe VII bei der Leibniz-Forschungsstelle Münster lag, begann die Arbeit rechtlich zunächst unter ihrem Dach. Allerdings saß der zunächst einzige wissenschaftliche Mitarbeiter von Anfang an in Hannover. Mit der Übernahme der Münsteraner und der Hannoveraner Arbeitsstelle in das Akademienprogramm und ihrer Betreuung durch die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen wurde die Reihe VII offiziell am Leibniz-Archiv angesiedelt (Knobloch 2012, 96–100). Angesichts des sehr großen Umfangs des einschlägigen Materials war bereits bei der Gründung beschlossen worden, die siebente Reihe auf die mathematischen Schriften zu begrenzen und die naturwissenschaftlichen und technischen Schriften in eine später zu beginnende achte Reihe auszulagern. Der erste Band der Reihe VII konnte 1990 erscheinen. Mittlerweile liegen sechs Bände vor. Ab Band VII,3 stehen neben den Druckausgaben seiten- und zeilengleiche PDF-Dateien im Internet kostenlos zur Verfügung. Die bisher erschienenen Bände bieten die Manuskripte aus Leibniz’ mathematisch so fruchtbarer Pariser Zeit (1672–1676). Auch die Bände 7 und 8 werden noch Material aus dieser Zeit präsentieren. Innerhalb dieses recht kurzen Zeitraums schreiten die Bände jedoch nicht wie in den anderen Reihen chronologisch voran, sondern folgen einer thematischen Gliederung. Für Leibniz’ ungleich längere Hannoveraner Jahre soll die thematische Gliederung die chronologische als oberste Gliederungsstufe ganz ersetzen. 8.2.8. Achte Reihe: Naturwissenschaftliche, medizinische und technische Schriften Unter Beschränkung auf die mathematischen Schriften hatte die siebente Reihe endlich begonnen werden können. Damit blieb jedoch ein Teil von Leibniz’ vielgestaltigem Œuvre in der Akademie-Ausgabe unberücksichtigt. Es musste also noch eine achte Reihe eingeplant werden. Auch hier war Eberhard Knobloch maßgeblich für die Begründung dieser Reihe. 1996, zwanzig Jahre nach der Reihe VII wurde er von der BBAW beauftragt, Reihe VIII zu gründen, die Leibniz’ Naturwissenschaftliche, medizinische und technische Schriften publizieren sollte. Am 1. Januar 2001 konnte eine kleine Arbeitsstelle in Berlin die Arbeit aufnehmen (Knobloch 2012, 101–106). Die Konzeption der neuen Reihe sah vor, einerseits die ursprüngliche Zusammenarbeit mit Frankreich wieder zu beleben, andererseits sollte eine Kooperation mit Russland gesucht werden. Von Berlin aus sollten die Arbeiten koordiniert und dort die Ergebnisse gesammelt und die Ausgabe redaktionell betreut werden.

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Die mittlerweile weit fortgeschrittene Informationstechnologie sollte nicht nur den reibungslosen Austausch zwischen den örtlich weit getrennten Bearbeitern erlauben, sondern die Erarbeitung insgesamt erheblich erleichtern und schließlich in der Präsentation der Ergebnisse über den Druck hinaus eine hybride Edition, also eine Kombination von Internetpräsentation und Druck, bieten. Diese ehrgeizige Konzeption konnte allerdings nicht vollständig verwirklicht werden. Der technologische Fortschritt ermöglichte es erstmals, den weitaus größten Teil der zu edierenden Manuskripte vollständig einzuscannen (incl. Durchlichtaufnahmen für die Wasserzeichenbestimmung). Dies betrifft in der Signaturengruppe LH die einschlägigen Abteilungen III (Medizin), Teile von XXXIV (Politik und Volkswirtschaft), die Faszikel 9 bis 11 und Teile aus den Faszikeln 12 bis 15 der Abteilung XXXV (Mathematik) und die Abteilungen XXXVI (Militaria), XXXVII (Physik, Mechanik, Chemie und Naturgeschichte) sowie XXXVIII (Technica). Dazu kommen weitere thematisch einschlägige Manuskripte aus anderen Abteilungen. Insgesamt handelt es sich um rund 40.000 Scans, die über die Homepage der Arbeitsstelle kostenfrei online zur Verfügung gestellt werden unter: http://ritter.bbaw.de/

Bisher sind zwei Bände der Reihe VIII im Druck erschienen, von denen zugleich seiten- und zeilengleiche PDF-Dateien im Internet kostenlos zur Verfügung stehen. Diese beiden Bände enthalten die einschlägigen Schriften von 1668 bis 1676, also bis zum Ende der Pariser Zeit. Wie schon in Reihe VII werden auch die folgenden Bände der Reihe VIII nicht mehr der chronologischen, sondern einer thematischen Ordnung folgen. 9. HILFSMITTEL ZUR AKADEMIE-AUSGABE 9.1. Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (Ritterkatalog) Das erste der hier vorzustellenden Hilfsmittel zur weiteren Erschließung der Akademie-Ausgabe gehört eigentlich nicht ganz in diese Rubrik. Der Arbeitskatalog der Leibniz-Edition, der nach seinem Hauptbearbeiter auch Ritter-Katalog genannt wird, diente und dient weniger zur Erschließung der Editionsbände, sondern ist als Fundament, auf dem die Edition erst aufbauen konnte, angelegt worden. Seit dem 19. Jahrhundert war klar, dass eine Gesamtausgabe nur auf der Grundlage einer ebenso gründlichen wie umfassenden Katalogisierung der Briefe, Drucke und Manuskripte begonnen werden könne. Ebenso war klar, dass Bodemanns Kataloge (3.2.1.–3.) für diesen Zweck nicht ausreichten (7.8: Kvačala 1899, Anm. 32). Tatsächlich hat man dann die Arbeit an der Akademie-Ausgabe mit der Katalogisierung der bekannten und der Suche nach unbekannter Überlieferung begonnen. Bald zeigte sich bei der Katalogisierung, dass man immer noch den Umfang und die Dauer der Arbeit unterschätzt hatte. Auf dem zweiten Treffen der Asso-

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ciation internationale des Académies konnte kein Abschluss der Arbeiten gemeldet werden, vielmehr wurde die Zeit für die Katalogisierung um drei Jahre verlängert. Weitere drei Jahre später wurde der Plan, den zu erstellenden Katalog zu publizieren, aus Kostengründen verworfen, rechnete man doch mit zehn Bänden à 1.000 Seiten (Poser 2000, 379).11 Stattdessen sollte möglichst schnell mit der eigentlichen Ausgabe begonnen werden. Allerdings sind für Leibniz’ frühe Jahre bis zu seiner Übersiedlung nach Hannover zwei Teilbände des Katalogs publiziert worden. Zunächst für die Zeit bis zum Aufbruch nach Paris (März 1672) durch Paul Ritter: Kritischer Katalog der Leibniz-Handschriften. Zur Vorbereitung der Interakademischen Leibniz-Ausgabe unternommen von der Académie des Sciences zu Paris, der Académie des Sciences Morales et Politiques zu Paris und der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Als Manuskript vervielfältigt. Erstes Heft (1646–1672), Berlin 1908.

Der zweite Teil wurde erst in der Zwischenkriegszeit von dem französischen Hauptbearbeiter Albert Rivaud veröffentlicht, dafür aber im Druck: Catalogue critique des manuscrits de Leibniz. Fascicule II (Mars 1672 – Novembre 1676). Publié sous les auspices de l’Académie des Sciences Morales et Politiques, en execution des décisions prises en 1914 par le Comité Leibniz de l’Association internationale des Académies, Poitiers 1914–1924.

Beide Teilkataloge beruhen auf mehrfach revidierten Arbeiten und stehen in der Qualität der Katalogisate dadurch erheblich über dem Durchschnitt des Arbeitskatalogs. Beide Bände sind zudem durch umfangreiche Register erschlossen. Für den Zeitraum bis 1676 sind die Einträge der beiden Teilkataloge in die Datenbank des Arbeitskatalogs übernommen worden. Der Arbeitskatalog ist ein Werk beeindruckenden Gelehrtenfleißes, aber es liegt in der Natur der Sache, dass seine Aussagen von unterschiedlichem, manchmal begrenztem Wert sind. Andere Besonderheiten ergeben sich aus seiner Funktion für die Editionsarbeit, die ihn von der bibliothekarischen Katalogisierung eines Handschriftenbestands unterscheidet. Schließlich müssen das hohe Alter und die damit verbundenen Entstehungsbedingungen berücksichtigt werden: Die Katalogisate sind nicht für eine Datenbank angelegt worden, in der sie heute recherchiert werden können. Im Folgenden werden die Charakteristika genannt, die sich ein Benutzer immer vor Augen halten sollte, wenn er Missverständnisse und Fehler im Umgang mit dem Arbeitskatalog der Leibniz-Edition vermeiden möchte. Zunächst sei erläutert, was in den Katalog aufgenommen worden ist und ggf. noch aufgenommen wird. Dies sind im Prinzip alle Manuskripte und publizierten Schriften und Briefe von Gottfried Wilhelm Leibniz. Allerdings muss betont werden, dass der Arbeitskatalog keine Leibniz-Texte verzeichnet, sondern Textzeugen. Zu einem Werk, von dem etwa ein oder mehrere Konzepte oder Teilkonzepte   11 Ein Probedruck von 27 S. hat sich erhalten: Verzeichnis der Leibniz-Handschriften. I. Abt. Briefe und Denkschriften. Probedruck (Deutscher Anteil 1663-1670), o. O. und o. J.

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erhalten sind, eine oder mehrere Reinschriften und alte Abschriften, existieren ebenso viele Katalogeinträge (Datensätze), wie es Manuskripte gibt. (Alte) Drukke besitzen dann einen eigenen Katalogeintrag, wenn sie für die Textkonstituierung interessant sind, das heißt, wenn etwa keine Manuskripte existieren, der Druck einem verlorenen Manuskript folgt oder aus anderen Gründen die Qualität eines eigenständigen Textzeugen besitzt. Sonst werden Drucke und ältere Editionen unter den jeweiligen handschriftlichen Textzeugen im Feld „Drucke“ nachgewiesen. Im Blick auf die Editionsarbeit sind in geringem Umfang auch lediglich erschlossene Stücke in den Katalog aufgenommen worden. Dabei handelt es sich etwa um Briefe, die einmal existiert haben müssen, weil Gegenbriefe auf sie Bezug nehmen, oder um Schriften, auf deren Existenz oder doch geplante Abfassung in den überlieferten Papieren hingewiesen wird. In solchen Fällen ist das Feld „Fundort“ im Datensatz leer. In nicht unbeträchtlichem Umfang sind auch ‚Drittstücke‘ aufgenommen worden, das heißt solche Texte, die weder von Leibniz verfasst, noch von Korrespondenten an ihn gerichtet worden sind, die aber aus verschiedenen Gründen das Interesse der Bearbeiter gefunden haben, sei es etwa durch ihre Aussagen über Leibniz, als Beischluss eines Korrespondentenbriefes oder weil er oder seine Korrespondenten Bezug auf sie nehmen usw. Da dieses Material mindestens für die Kommentierung der Edition wichtig ist, ist es, vor allem dann, wenn es in den Nachlassbeständen oder sonst im unmittelbaren Umfeld von Leibniz’ Papieren leicht zugänglich war, bei der Katalogisierung berücksichtigt worden. Durch die langwierige und arbeitsteilige Katalogisierung, die bei den damaligen technischen Möglichkeiten keinen schnellen Datenabgleich ermöglichte, ist es in einzelnen Fällen zu Doppelaufnahmen gekommen. Deshalb empfiehlt es sich immer, die Recherche nicht mit dem ersten Treffer zu beenden, sondern so lange weiterzusuchen, bis sämtliche einschlägigen Datensätze gefunden worden sind. Ohnehin verbietet auch schon die mögliche Existenz mehrerer Textzeugen – und entsprechend mehrerer Datensätze – die Recherche nach dem ersten Fund einzustellen. Was die Vollständigkeit betrifft, gilt, dass sie selbstverständlich angestrebt ist, dass aber aufgrund der bereits geschilderten Schwierigkeiten, etwa der amtlichen und der Empfängerüberlieferung, nicht damit gerechnet werden kann, sie tatsächlich zu erreichen. Voranschreitende Handschriftenkatalogisierungen und vor allem der durch das Internet erheblich vereinfachte Zugriff auf ihre Ergebnisse bieten allerdings in früheren Jahren so nicht mögliche Zugänge, besonders zu verstreuten Empfängerüberlieferungen (5.), während die geschilderten prinzipiellen Schwierigkeiten mit der amtlichen Überlieferung (4.1.) weiterhin bestehen bleiben. Was die Zuverlässigkeit der im Arbeitskatalog gebotenen Daten angeht, müssen in verschiedener Hinsicht Einschränkungen gemacht werden. Die gravierendste betrifft die Datierungen. Innerhalb der einzelnen Reihen schreitet die Akademie-Ausgabe, von Ausnahmen abgesehen (8.2.7.–8.), chronologisch fort. Der Arbeitskatalog, der ihr als Grundlage dient, muss demnach auch Angaben zur Datierung bieten. Diese müssen in vielen Fällen jedoch erschlossen werden. Das ist

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aufgrund des Charakters der Überlieferung vielfach nicht einfach. Die wenigen publizierten Schriften bieten kein hinreichend feines chronologisches Raster, in das die undatierten Stücke eingeordnet werden könnten, zumal in vielen Fällen eine eindeutige Zuordnung als Vorarbeit zu einer Ausarbeitung ohnehin nicht möglich ist, da viele Themen von Leibniz über Jahrzehnte verfolgt wurden. Forschungen, die in dieser Hinsicht Auskünfte oder wenigstens Anhaltspunkte liefern könnten, fehlen zumeist. Für die Katalogisierung bedeutet dies, dass die angegebenen Datierungen häufig lediglich vorläufigen, approximativen Charakter besitzen. Ebenso muss in einzelnen Fällen mit fehlerhaften Abgrenzungen einzelner Stücke gerechnet werden, und zwar in zweierlei Hinsicht. Manche der Manuskripte sind auseinandergerissen worden, so dass sie nicht mehr alle ihre Blätter an einer Stelle im Nachlass zusammenliegen. Das ist nicht immer bei der Katalogisierung erkannt worden. Umgekehrt (und eher häufiger) enthalten manche Blätter mehrere, voneinander unabhängige Texte, die im Katalog unter einem Titel laufen. Entsprechende Fehler können bei der Zuordnung von Textzeugen begegnen, sei es, dass ein Manuskript, das eine eigene Schrift enthält, als Textzeuge einer anderen aufgeführt wird, sei es, dass umgekehrt entsprechende Zusammenhänge nicht erkannt worden sind. Auch bei der Zuordnung von Beilagen zu Briefen kann man Fehler nicht ausschließen. Schließlich versucht der Katalog für die Mehrzahl der Schriften, Aufzeichnungen, Exzerpte usw., die keinen Titel tragen, einen Arbeitstitel zu formulieren (der zumeist in eckige Klammern gesetzt ist). Auch hier muss man damit rechnen, dass die gefundene Formulierung den Skopus des Stücks möglicherweise nicht trifft. Alle genannten Mängel sind nicht das Ergebnis schlechter Arbeit, sondern des vorläufigen Charakters der Katalogdaten. Viele Fehler des Katalogs werden erst bei der intensiven Bearbeitung der Textzeugen für die Edition aufgedeckt. Deshalb möchten diese Bemerkungen die Leistung der Bearbeiter des Katalogs (die sich der Grenzen ihrer Arbeit sehr wohl bewusst waren) keineswegs geringschätzen. Nicht nur durch Nachkatalogisierungen und Einarbeitungen von Neufunden, sondern auch mit dem Fortgang der Edition wird der Katalog zudem ständig aktualisiert. Die Ergebnisse der neu erschienenen Editionsbände werden zeitnah eingepflegt, so dass an die Stelle vorläufiger gesicherte Erkenntnisse treten. Zugleich verändert er somit Stück für Stück seinen Charakter und wird zu einem Hilfsmittel zur Erschließung der Edition. Gleichwohl gilt weiterhin: Der Arbeitskatalog der Leibniz-Edition bleibt das unverzichtbare Hilfsmittel der Editoren sowie eines jeden, der sich mit Leibniz’ Manuskripten beschäftigt. Allerdings sollte sich jeder Nutzer der Grenzen und der Bedingungen einer Katalogrecherche bewusst sein, um Frustrationen und Misserfolge zu vermeiden. 9.2. Kumulierte Verzeichnisse der Akademie-Ausgabe Wenn der Arbeitskatalog der Leibniz-Edition (auch) zu einem Instrument zur Erschließung der Edition geworden ist, so ist dies ein erfreulicher Nebeneffekt, der

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nicht intendiert war. Die in diesem Abschnitt vorzustellenden Hilfsmittel sind dagegen gänzlich auf die Akademie-Ausgabe bezogen. Auf die Problematik, ein die unterschiedlichsten Wissensgebiete übergreifendes und miteinander in Austausch setzendes Denken und Schreiben durch fünf thematisch voneinander abgegrenzte Editionsreihen zu erschließen und zu ordnen, ist schon hingewiesen worden (8.2.). Zudem steht der Briefwechsel als Quelle für Leibniz’ Denken den Schriften nicht nach. Hier verschärfen sich die Schwierigkeiten einer sachlichen Ordnung des zu edierenden Materials noch einmal, ist doch die Textsorte ‚Brief‘, „durch die Mischung von Intentionen und Gegenständen gekennzeichnet“ (Metzler 1987, 35). Bei dem Umfang wie der Vielfältigkeit dieses Œuvres sind Verzeichnisse zur inhaltlichen Erschließung der Texte unabdingbar. In der ursprünglichen Konzeption der Ausgabe (8.1.) war für den einzelnen Band nur ein Personenregister und ein Verzeichnis der Fundstellen vorgesehen. „Zusammenfassende Personen- und Sachverzeichnisse und andere Register folgen, sobald eine Reihe oder das ganze Werk abgeschlossen ist“ (A I,1 XXXVII) heißt es in der Einleitung des ersten Bandes. Mit der Umstellung auf die neuen Prinzipien der Ausgabe von Band I,5 an wurden die angekündigten weiteren Verzeichnisse nicht mehr auf den Abschluss einzelner Reihen oder gar der Ausgabe verschoben, sondern den Einzelbänden beigegeben, so dass die Briefbände Korrespondenten-, Personen-, Schriften- und Sachverzeichnisse enthalten. Allerdings wurde in den Reihen I und IV jedoch auf das Verzeichnis der Fundstellen verzichtet, das in Reihe I erst wieder in Band 8 aufgenommen und in Reihe IV in A IV,3 für die ersten drei Bände zusammengefasst wurde. Sämtliche seit den 70er Jahren erschienenen Bände bieten Personen-, Schriften-, Sach- und Fundstellenverzeichnisse, die Briefbände zusätzlich Verzeichnisse der Korrespondenten und seit den 80er Jahren auch der Absendeorte. Dieser Mindestbestand wird in bestimmten Fällen durch weitere Register, etwa Bibelstellenverzeichnisse, ergänzt. Die bereits angesprochene Notwendigkeit, Themen und Fragestellungen über die Reihengrenzen hinweg zu verfolgen, erfordert entsprechende Suchmöglichkeiten über Band- und Reihengrenzen hinaus. Den Bänden III,2; III,3 und in der Zweitauflage auch III,1 ist ein „Korrespondenzverzeichnis 1663-1683“ beigegeben, das den Briefwechsel der ersten zwanzig Jahre über die drei Briefreihen hinweg nach Korrespondenzpartnern alphabetisch geordnet zusammenführt. Eine Zusammenführung aller gängigen Verzeichnisse aus den einzelnen Bänden, die eine Suche nicht nur in den Bänden einer Reihe, sondern auch über die einzelnen Reihen hinaus in der gesamten Ausgabe erlaubt, und die regelmäßig und zeitnah auf den aktuellen Stand gebracht werden kann, ist erst durch die EDV möglich geworden. Die Homepage der Akademie-Ausgabe stellt folgende Registerkumulationen kostenlos zur Verfügung (in Klammern ist die Arbeitsstelle genannt, welche die jeweilige Registerkumulation betreut): Das kumulierte Korrespondenzverzeichnis (Hannover): http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/Korrespondentendatenbank/i ndex.php

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und das kumulierte Personenverzeichnis (Hannover): http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/Personendatenbank/index.php

sind auf dem Stand von Juni 2012 eingefroren und ersetzt durch eine kombinierte Personen- und Korrespondenz-Datenbank (Hannover): https://leibniz.uni-goettingen.de/pages/index

Im Zuge dieser Umstellung wurden und werden die Registerdaten überprüft und vereinheitlicht, um weitere Angaben ergänzt und mit Normdaten (GND, VIAF) verknüpft. Wie schon im kumulierten Korrespondenzverzeichnis können zu Leibniz’ Briefpartnern kurze Biogramme aufgerufen werden. Das kumulierte Schriftenverzeichnis (Münster): https://www.uni-muenster.de/Leibniz/schriften.html

Das kumulierte Sachverzeichnis (Potsdam): http://telota.bbaw.de/leibniziv/Sachregister/sachreg_start.php

Schließlich das kumulierte Bibelstellenverzeichnis (Potsdam): http://leibniz-potsdam.bbaw.de/bilder/Bibelindex.pdf

Die zuletzt genannte Kumulation führt nicht nur die Angaben aus den eigenständigen Bibelstellenverzeichnissen in Bänden der Reihen IV und VI zusammen, sondern auch solche, die in anderen Bänden in die Sachverzeichnisse aufgenommen worden sind. Die kumulierten Verzeichnisse umfassen nicht nur die Register der seit etwa 2000 als PDF-Dateien ins Netz gestellten oder dort retrodigitalisiert zugänglichen Bände, sondern sämtliche bisher im Rahmen der Akademie-Ausgabe erschienenen Editionsbände. Allerdings ist dabei zu beachten, dass den Vorkriegsbänden Schriften- und Sachverzeichnisse fehlen (soweit sie nicht später ergänzt wurden, etwa zu A IV,1). Bei Suchanfragen ist weiter zu berücksichtigen, dass mit Ausnahme der Personen- und Korrespondenz-Datenbank die Registereinträge ohne Überarbeitung aus den einzelnen Bänden übernommen wurden. Bei rund 60 Editionsbänden, die in einem Zeitraum von knapp hundert Jahren erschienen und inhaltlich ganz unterschiedlich ausgerichtet sind, bedeutet dies, dass mit einer nicht geringen Varianz der Einträge gerechnet werden muss. Besonders bei Befragung des kumulierten Sachverzeichnisses empfiehlt es sich daher, zu einem Sachverhalt unter verschiedenen Stichwörtern zu recherchieren. Die Kumulationen werden durch Einarbeitung der neu erscheinenden Bände laufend aktualisiert. Soweit die Bände auf der Homepage zur Verfügung stehen, sind die Registereinträge mit ihnen verlinkt, so dass die jeweilige Fundstelle mit einem einfachen Klick aufgerufen werden kann.

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9.3. Konkordanzen Während auf der einen Seite die geschilderte Unübersichtlichkeit der Quellenlage durch das zwar langsame, aber kontinuierliche Voranschreiten der AkademieAusgabe Schritt für Schritt an Übersichtlichkeit gewinnt, wird auf der anderen Seite die beklagte alte Unübersichtlichkeit durch die ältere Sekundärliteratur und zum Teil auch durch deren aktuelle Nutzer perpetuiert. Dass Sekundärliteratur, die Jahrzehnte alt ist, nehmen musste, was seinerzeit veröffentlicht war, versteht sich von selbst und ist kein Grund zur Klage. Beklagenswert ist es dagegen, wenn heute Leibniz-Forscher diese alten und teilweise überholten Referenzen in ihre neuen Werke übernehmen und damit einen Editionsstand von vorgestern festschreiben. Auf diese Weise wird weiterhin mit Ausgaben gearbeitet, deren Textgestalt möglicherweise unvollständig, fehlerhaft oder auf andere Weise unzuverlässig ist, deren Texte vielleicht gar nicht oder falsch datiert, ohne die ihnen vorangehenden Vorarbeiten und begleitenden Schriftstücke abgedruckt und so dekontextualisiert sind. Auf diese Weise schneiden manche Autoren ihre Forschung – und schließlich auch ihre Leser – in einem wichtigen Punkt vom Fortschritt ihrer Wissenschaft ab. In der Tat ist es keineswegs einfach, in dieser Hinsicht up to date zu bleiben. Doch kann der Leibniz-Forscher neben dem Arbeitskatalog der Leibniz-Edition, der im Zweifelsfall die aktuellere Alternative bildet, aber weniger einfach zu befragen ist, bei einer dritten Gruppe von Hilfsmitteln zur Akademie-Ausgabe Unterstützung finden. Online steht eine Reihe von Konkordanzen zur Verfügung, die vor allem für die großen Ausgaben (allerdings ohne die Opera omnia von Dutens; vgl. VI.5.) aufschlüsseln, welche der dort gedruckten Texte mittlerweile in der Akademie-Ausgabe vorliegen. Am Ende der Behandlung der jeweiligen Ausgabe ist bereits auf diese Konkordanzen verwiesen worden. Hier sollen sie noch einmal zusammengestellt werden: Für Leibnizens mathematische Schriften (1849–1863) und den Briefwechsel von Gottfried Wilhelm Leibniz mit Mathematikern (1899), beide von Carl Immanuel Gerhardt (7.6.) ediert: http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/GerhardtMathKonkor.pdf

Für Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz (1875–1890) desselben Herausgebers (7.6.): http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/GerhardtPhilKonkor.pdf

Für die drei Ausgaben von Foucher de Careil (7.7.), nämlich die Lettres et opuscules inédits de Leibniz (1854), die Nouvelles lettres et opuscules inédits de Leibniz (1857) und die Œuvres de Leibniz (1859-1875): http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/FoucherKonkor.pdf

Für die von Onno Klopp (7.2.3.) edierten Die Werke von Leibniz gemäß seinem handschriftlichen Nachlasse in der Königlichen Bibliothek zu Hannover (1864– 1884):

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Stephan Waldhoff http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/KloppKonkor.pdf

Für die von Louis Couturat (7.9.) herausgegebenen Opuscules et fragments inédits de Leibniz (1903): http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/CouturatKonkor.pdf

Schließlich für die von Gaston Grua (7.10.) publizierten Textes inédits (1948): http://www.gwlb.de/Leibniz/Leibnizarchiv/Veroeffentlichungen/GruaKonkor.pdf

Damit dürften die am häufigsten zitierten älteren Leibniz-Ausgaben auf diese Weise erschlossen sein, so dass sich sicherlich für die Mehrheit der Referenzen in der Sekundärliteratur überprüfen lässt, ob für die gesuchte Schrift mittlerweile ein kritisch edierter Text in der Akademie-Ausgabe vorliegt. Zwei weitere Konkordanzen, die ursprünglich aus konkreten Anlässen der Editionstätigkeit aufgestellt worden sind, aber ebenfalls auch für andere Fragestellungen nützlich sein können, sollen nicht unerwähnt bleiben. Das ist zum einen die Konkordanz für Joachim Friedrich Fellers 1718 erschienenes Otium Hanoveranum (6.2.): http://leibniz-potsdam.bbaw.de/bilder/Feller_Konkordanz.pdf

Zum anderen handelt es sich um eine Konkordanz, die vor allem die unterschiedlichen Foliierungen des von Leibniz’ Berliner ‚Schreibtisch‘ über den Nachlass von Johann Erhard Kapp in die Warschauer Biblioteka Narodowa gelangte Konvolut von Leibniz-Manuskripten (3.4.3.) parallelisiert. Zugleich gibt die Konkordanz aber auch Auskunft über den Druck in der Akademie-Ausgabe oder über ältere Drucke, soweit sie noch nicht von Ersterer ersetzt sind: http://leibniz-potsdam.bbaw.de/bilder/warschau-konkordanz.pdf

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Quellenkunde

FUNDORTE Die Übersicht soll eine Recherche nach Archiven und Bibliotheken erlauben, in denen heute Manuskripte und Briefwechsel von Leibniz aufbewahrt werden. Der Abschnitt, in dem die betreffende Institution am ausführlichsten behandelt wird, ist durch Kursivdruck hervorgehoben. Basel, Universitätsbibliothek 6.3.1. Berlin, Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Archiv der BBAW) 3.4.1., 5., 6.6. Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) 3.4., 4.4. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB PK) 6.1.2., 6.6.

5.1., 5.3., 5.4.2.,

Gotha, Forschungsbibliothek 3.2.4., 5.4.1., 6.4.1. Göttingen, Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek 3.2.4., 6.1.2., 6.3.1., 6.4.2. Göttingen, Stadtarchiv 6.4.2. Halle, Universitäts und Landesbibliothek 5.1., 5.3., 5.4.1. Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB) 3.1., 3.2., 3.3., 5., 6.4., 6.4.1. Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB), Bibliotheksakten (BA) ehemals, jetzt: NLA Hannover, Hann. 153 4.2. 4.2. Exkurs, 4.3., 6.4.1. Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB), LBr 6.3.1.

3.2.1., 5.1., 5.2., 6.1.2.,

Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB), Leibn. Marg. 3.2.d. Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB), LH Exkurs, 6.1.3. Exkurs, 6.4.2., 7.6.

3.2.1., 3.2.2., 3.2.3., 3.2.3.

Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB), LK-MOW 3.2.1. Exkurs Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (GWLB), Ms 3.2.1., 3.2.3. Hannover, Niedersächsisches Landesarchiv Hannover (NLA Hannover) 4.2., 4.2. Exkurs, 4.3. Karlsruhe, Badischen Landesbibliothek 5.1. Kopenhagen, Kongelige Bibliotek 5.2. Sankt Petersburg, Russische Nationalbibliothek 3.4.2. Exkurs Warschau, Biblioteka Narodowa 3.4.2., 5.1., 6.3.3., 7.8. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek (HAB) 3.2.4., 4.3.

3.1., 3.2.4., 3.3.,

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Stephan Waldhoff

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FÜRSTENHOF – GELEHRTENREPUBLIK – AKADEMIE – BIBLIOTEHKSWESEN

FÜRSTENHOF UND GELEHRTENREPUBLIK Nora Gädeke 1. EINLEITUNG1 Der Beitrag handelt von Leibniz’ Biographie, aber nicht so sehr von seiner intellektuellen Entwicklung oder einzelnen Stationen seines Lebens (wie etwa Mainz, Paris, London, Hannover, Italien, Berlin, Wien) als vielmehr dessen Koordinaten: Fürstenhof und Gelehrtenrepublik. Bereits im Vorfeld (A I,1 N. 340) und zu Beginn seiner Etablierung in Hannover hatte Leibniz zum Ausdruck gebracht, dass er seine Rolle als die eines Gelehrten im Fürstendienst sehe, der neben seiner Gelehrsamkeit als dynamisches, produktives Element vor allem seine „connoissances, correspondances et curiositez“(A I,2 N. 7) seinem Dienstherrn zur Verfügung stellen könne – und damit seine Zugehörigkeit zu einer spezifischen gelehrten Kultur. Leibniz’ Oszillieren zwischen Hof und Gelehrtenwelt hat Eingang in viele Äußerungen zu seiner Biographie gefunden. Gewichtung und Interpretation fallen im Laufe der drei Jahrhunderte sehr unterschiedlich aus, neben der sich verändernden Quellenlage auch bestimmt von außerwissenschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere den Entwicklungen auf der politischen und gesellschaftlichen Bühne generell wie dem Sitz im Leben von Fürstenhof und Gelehrtenrepublik. Der Hof, überzeitliches und transkulturelles Phänomen, gehört in der Anfangszeit unserer Betrachtung, im Territorialstaat des Ancien Regime, zur Lebenswirklichkeit, mit höchster Autorität: als politisches und administratives Zentrum, als Ort, an dem über die Ressourcenverteilung entschieden wird, der das wirtschaftliche ebenso wie das kulturelle Leben weit über die Residenzstadt hinaus prägt (van den Heuvel 1998, 199), als „Regierungs- und Repräsentationsinstrument“, der Ort, an dem „alle bedeutenden politischen, ökonomischen und militärischen Weichen gestellt“ wurden (Müller 2010, 9 bzw. 17). Hinter dem öffentlichkeitswirksamen In-Erscheinung-Treten steht eine Konnotation des Erhabenen, die Inszenierung eines „Geheimnisses“ – und dahinter mit der Regierungspraxis ein „wirkliches Geheimnis“ (Gestrich 1994, 54–68 bzw. 55 f.). Hofinternes Schrifttum gehört einem Arcan-Bereich an, das gilt auch für fürstliche Korrespondenz. Die Gelehrtenrepublik (République des Lettres, res publica litteraria) dagegen definiert sich – bei allen Problemen, die Definitions  1

Mit Dank an Wenchao Li und den Kreis seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

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Nora Gädeke

versuche hier mit sich bringen (Füssel 2015, 5) – durch Öffentlichkeit, Kritik und Kommunikation (Dibon 1976, 36–39; Bots/Waquet 1997, v.a. 114–122; Stegeman 2005, 4–10). In der Praxis gibt es auch hier Techniken der Abgrenzung, der Schaffung von Exklusivität (Waldhoff 2016, 234–260 u. passim); aber Gelehrtenbriefe kursieren, werden gedruckt, stehen im Fokus von Sammlungsinteressen anderer Gelehrter (Dibon 1976, 41, 43 f.). Supraterritorial, überkonfessionell und sich selbst als egalitär deklarierend, gilt die Gelehrtenrepublik als ‚Gegenwelt‘ zur Welt der Höfe und Territorialstaaten (Dibon 1976; Bots/Waquet 1997). Historisch ist sie vor allem in der Frühen Neuzeit verortet (Füssel 2015, 6) und im Bereich der Ideen; als ein Konzept von großer Wirkungsmacht, aus dem neben Normen auch soziale Praktiken (etwa Korrespondenz, Gelehrtenreise) resultierten und, damit einhergehend, ein (informeller) Personenverband: ein immenses, multizentriertes Netzwerk, das – bei aller inzwischen evidenten Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit (Stegeman 2005, 8 f.) – in hohem Maße zur Herausbildung einer Kultur der Kommunikation und der Wissensverbreitung beigetragen hat. Während der Fürstenhof heute in weiten Teilen der Welt nur noch Gegenstand historischer Betrachtung ist, erlebt die Idee der Gelehrtenrepublik zumindest verbal wieder eine Renaissance (explizit oder unter dem Terminus „scientific community“) (Füssel 2015, 7). In der Wissenschaftsgeschichte hat der Begriff schon seit längerem wieder Konjunktur, mit ersten Anfängen in der späten 1930er Jahren (Überblick bei Stegeman 2005, 4–9); die Vielzahl der Titel, die man heute in bibliothekarischen Suchmaschinen dazu findet, setzt zunehmend in den 1970er/1980er Jahren ein. Mit Fürstenhof und Gelehrtenrepublik sind zwei Pole angesprochen, die traditionell in einem Spannungsverhältnis zueinander gesehen werden (etwa bei Bots/Waquet 1997, 111 u. passim); dieses Spannungsverhältnis kann antagonistisch oder fruchtbar sein. In der biographischen Leibniz-Literatur ist es unübersehbar präsent. Leibniz gilt als Protagonist der Gelehrtenrepublik (etwa bei Levine 1994, 315: „one of the best citizens and heartiest believers in the Republic of Letters“; bei Bots/Waquet 1997, 83, die in ihrer Darstellung der république des lettres die Zeit um 1700 als „l’époque de Leibniz“ bezeichnen). Sein Wirken als Wissenschaftsorganisator gehört zu den Grundelementen einer jeden biographischen Darstellung. Wenn das Spannungsverhältnis mit der Behinderung der gelehrten Tätigkeit und Kontakte durch die dienstlichen Aufgaben phasenweise immer wieder zur Sprache kommt, so kann neben diesen negativen Aspekt (ebenfalls phasenweise) auch ein positiver treten: der Hofdienst als Möglichkeit, für die gelehrte Welt in besonderem Maße zu wirken. Leibniz’ Korrespondenz gilt als exemplarisch für die zentrale Kommunikationsform der Gelehrtenrepublik, den gelehrten Briefwechsel (Schneider 2005, 345). Aber eine Liste seiner frequenzreichsten Korrespondenzen (Gädeke 2016a, 108 f.) ist zu etwa einem Drittel mit Personen aus der Welt der Höfe (Fürsten wie deren Entourage) bestückt, bereits an zweiter Stelle steht die hannoversche Herzogin/Kurfürstin Sophie. Der brieflich überlieferte Dialog mit ihr und den beiden anderen Fürstinnen des ‚Dreigestirns‘, Kurfürstin/Königin Sophie Charlotte und Kurprinzessin/Princess of Wales Caroline, steht für den den gelehrten Habitus

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transzendierenden „Weltweisen“ an den Höfen; er beleuchtet auch die maieutische Rolle der Mäzeninnen für sein Œuvre (Utermöhlen 1990; Jauch 1990, 69–79). Doch war Leibniz’ formelle höfische Funktion nicht die des gelehrten Gesprächspartners. Die Aufgaben, mit denen er hauptamtlich beschäftigt war – die fürstliche Bibliothek, der Harzbergbau, die Haushistoriographie –, sind Gegenstand anderer Beiträge, spielen hier aber insofern eine Rolle, als sie Eingang in eine große Leibniz-Erzählung gefunden haben: aber nicht als Erfolgsgeschichten. Andererseits war schon früh eine Äußerung in der Welt, in der Leibniz seine Belastung durch die Hausgeschichte, die ihn an der Fortführung anderer Arbeiten hindere und auch seine Korrespondenz beeinträchtige, thematisiert; in seinem Brief an Pier Angelo Michelotti vom 17. September 1715, der bereits 1721 gedruckt vorlag (dazu Ludovici 1737, Bd.1, 521) und seit 1738 einem breiteren Publikum zugänglich war (Kortholt 1734–1742, Bd. 3, 1738, 380–385): Versor in opere ingenti historico, suscepto jussu superiore [...], idque ut absolvam, studeo, dum vires supersunt, ne intercidat labor; urgetque desiderium Magni Regis et eximiorum Principum. Huic curae nunc omne tempus meum impendo, quod necessaria vitae officia ac valetudinis cura mihi relinquunt; omnesque meditationes Mathematicas, Philosophicas, Juridicas, quas adfectas habeo, seponere cogor. Itaque pendent etiam commercia litteraria.

Mit dem Konflikt, der zwischen den weit gespannten Interessen und Kontakten eines Universalgelehrten und dessen dienstlichen Verpflichtungen prinzipiell (als der zwischen Gelehrtenrepublik und Hof, dazu Bots/Waquet 1997, 111) bestehen mochte und der auch in Leibniz’ Selbstaussagen aufscheint, ist ein roter Faden angesprochen, der die biographische Literatur zu ihm über lange Strecken durchzieht. Daraus konnte sich für die Autoren das Problem ergeben, Stellung beziehen zu müssen – was selten ohne Parteinahme für eine der beiden Seiten geschah. Im Folgenden wird versucht, Interpretationen dieses Spannungsverhältnisses nachzuzeichnen, vor allem anhand von Äußerungen zu Leibniz’ Biographie (sowie zu seiner Placierung in ein paar anderen Biographien). Zusätzlich werden (sporadisch) Untersuchungen zu seiner dienstlichen Tätigkeit und (noch sporadischer) die Einleitungen zu Leibnizeditionen herangezogen. Sie führen in Bereiche, die hier einschlägig sein könnten, die aber ausführlich in anderen Beiträgen behandelt werden. Dies gilt insbesondere für Leibniz’ Wirken in den einzelnen gelehrten Disziplinen; gerade dieses, das ihn am meisten charakterisiert, muss hier ausgespart bleiben. Im Zentrum stehen auch weniger die beiden Koordinaten selbst, für die über Epitheta hinausgehende, detaillierte Untersuchungen bis vor wenigen Jahrzehnten rar waren (für die höfische Rolle liegen sie etwa vor in: Utermöhlen 1999; van den Heuvel 1999 sowie 2001 bzw. 2016; jüngst Beiderbeck 2015; zur Gelehrtenrepublik in: Hofmann 1974; Robinet 1988; Gädeke 2005), als der angesprochene Antagonismus. Exemplarisch soll diese Seite des Grundthemas veranschaulicht werden an dem Fürsten, der als Personifizierung des Leibniz fremd Gegenüberstehenden gilt, seinem letzten Dienstherrn Kurfürst Georg Ludwig/ König Georg I. Das bringt zugleich mit sich, dass Lebensphasen, in denen höfischer Dienst und Gelehrsamkeit in den Augen der Biographen keinen Gegensatz bilden (Mainz; Hannover unter Johann Friedrich) nur ephemer

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behandelt werden. Das gilt auch für Leibniz’ Verbindung zum Kaiserhof und zu Peter dem Großen – Berlin dagegen, der Hof, in dessen Umkreis aktiv am Bild von Leibniz’ höfischen Beziehungen gearbeitet wurde, war nicht zu übergehen. Ebenfalls einzubeziehen, da seit langem als Gegenbild zum höfischen Unverständnis gegenüber dem Universalgelehrten etabliert, sind die Leibniz protegierenden Fürstinnen in Hannover, Berlin und London. Und gelegentlich ist ein Blick auf die Beurteilung der Korrespondenz zu werfen. Deutungen, auch Evozierungen dieses Koordinatensystems dürften bereits zu Leibniz’ Lebzeiten zum Leibniz-Bild, zum ‚lebendigen Wissen‘ seiner Zeitgenossen über ihn gehört haben. Heute können wir diese Fama nur noch bruchstückhaft rekonstruieren, soweit sie Niederschlag in schriftlichen Bemerkungen gefunden hat. Zum Bild gehörte, dass Leibniz nicht nur nacheinander zwei Höfen – Mainz, Hannover – gedient hatte, sondern auch mit anderen Fürstenhöfen – Wolfenbüttel, Berlin, Dresden – und sogar dem Zaren- und dem Kaiserhof verbunden war, mit persönlichem Kontakt zu den Herrschern, mit Titeln und Pensionen; dass er bereits über diese für die gelehrte Welt wirkte, als Mitglied der Académie des Sciences in Paris und der Royal Society in London, als Praeses der Sozietät der Wissenschaften zu Berlin, und darüber hinaus in der Gelehrtenrepublik sehr präsent war, als Verfasser von (wenigen) Schriften (hier kommen vor allem der Calculus, die Editionen, insbesondere der Codex juris gentium diplomaticus, die Novissima Sinica, ins Spiel), vor allem aber durch seine umfangreiche Korrespondenz und die persönlichen Kontakte auf ausgedehnten Reisen. Wenn freilich bald nach Leibniz’ Tod in einem Leipziger Journal (Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, auf das Jahr MDCCXVIII [Krause 1718], 62) ein anderer Antagonismus aufgestellt wird – es seien gerade die Reisen und Korrespondenzen, die bewirkt hätten, dass Leibniz der Nachwelt „nicht viel mehr als ein blosses Andencken von seiner Gelehrsamkeit“ hinterlassen habe –, so zeigt das, dass die Bruchlinien auch anders als zwischen Hof und Gelehrtenrepublik gesehen werden konnten. 2. BIS 1740 1: DIE MEMORIALTEXTE In den ersten zusammenhängenden Darstellungen von Leibniz’ Vita, die unmittelbar nach seinem Tode einsetzen, sind Hof und gelehrte Welt präsent – aber in unterschiedlicher Gewichtung und sowohl antagonistisch als auch in harmonischem Miteinander. Am Anfang stehen Nachrufe, etwa von Christian Wolff in den Acta Eruditorum, von Johann Gottlieb Krause in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen, die Eloge Bernard Le Bovier de Fontenelles. Diese Texte stammen von Personen, die Leibniz durch persönliche Bekanntschaft oder durch Korrespondenz verbunden waren. Das gilt auch für ein weniger bekanntes Epitaph, das hier am Anfang stehen soll: in den 1717 erschienenen Ossa et Cineres Christian Grundmanns aus Heuckewalde bei Zeitz, einer Sammlung von Nachrufen zu im Vorjahr verstorbenen Persönlichkeiten aus der Welt der Höfe ebenso wie der Gelehrten. Nicht unter diesen ist Leibniz eingeordnet, sondern bei den auf die Fürsten folgenden „Per-

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sonae Illustres“. Bereits in dem in diesem Werk üblichen ‚Biogramm‘ werden beide Pole angesprochen – ohne dass ein Spannungsverhältnis thematisiert wäre. Leibniz erscheint als Universalgelehrter und frei von territorialer Bindung. Seine höfischen Positionen und die Rolle in der gelehrten Welt bestimmen gleichermaßen seinen Ruhm: Consil. Aul. Imperialis nec non Potentissimorum Borussiae Magnaeque Britanniae Regum et Russorum Monarchae Consiliarius Intimus, Regiae Scientiarum Societatis, quae Berolini floret, Praeses, Londinensis vero ac Pariensiesis Socius, JCtus, Historicus, Antiquarius, Philosophus, Mathematicus et Polyhistor sine pari. (Grundmann 1717, 16).

Das setzt sich fort in einem Elogium (einer Auszeichnung, mit der hier nur wenige bedacht werden) auf den „summus [...] Germaniae Trismegistos“ (ebd., 16–23, Zitat 18). Der Autor des Textes war der gelehrten Welt seiner Zeit bekannt durch sein ambitioniertes, unvollendet bleibendes Projekt eines Gelehrtenlexikons, für das er weitgespannte Briefkontakte unterhielt. Auch mit Leibniz ist für 1714 bis 1716 eine kleine Korrespondenz überliefert. Darüber hinaus bestand wohl persönliche Bekanntschaft, die sich im Umfeld des Zeitzer Hofes ergeben haben dürfte. Das könnte die Erklärung sein für Informationen des Leibniz-Epitaphs, die über das hinaus gehen, was gängige zeitgenössische Texte boten. Grundmann stand wohl in lockerer Verbindung zu den bereits erwähnten Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen und deren Herausgeber Johann Gottlieb Krause (dazu Otto 2004). In diesem Leipziger Journal finden sich, ebenfalls zu 1717, gleich mehrere Memorialtexte zu Leibniz (dazu Gädeke 2017a, 139), darunter ein Nachruf (Krause 1717). Detaillierter als bei Grundmann (und eher sachlich als panegyrisch) kommen auch hier Dienst (Mainz, Hannover, Wolfenbüttel) und Ansehen an Fürstenhöfen (Versailles, Berlin, Moskau, Wien, Hannover/London) zur Sprache, ausgedrückt in Titeln sowie der Mitgliedschaft in der Académie des Sciences, der Präsidentschaft der Berliner Sozietät. Es werden mehrere Fürsten namentlich genannt, bei denen Leibniz „sehr wohl gelitten gewesen“ (ebd., 376). Sein Ansehen in der gelehrten Welt manifestiert sich bereits in der Pariser Zeit2. Das Panorama seiner universalen Gelehrsamkeit, das von Jurisprudenz, Politik, Historie, der „Physik“ (Medizin), Theologie bis zur Mathematik reicht, scheint in der Aufzählung einzelner Schriften auf (nicht ohne Hinweis auf viel Unveröffentlichtes). Auch die welfische Hausgeschichte kommt zur Sprache – und dass Leibniz sie unvollendet zurückgelassen habe. Wieder nennen die Neuen Zeitungen (ebd., 373) als Grund „seine vielen Reisen und ungemein starcker Briefwechsel“. Unmittelbar danach datiert das Elogium Godofredi Guilielmi Leibnitii Christian Wolffs in den Acta Eruditorum vom Juli 1717. Gleich im ersten Satz erhält   2

Ebd., 372: „allwo er von denen gelehrtesten Männern sehr hoch geschätzet ward, die sich von den wichtigsten Materien mit ihm unterredeten und ihm ihre Schrifften, ehe sie gedruckt wurden, zu lesen übergaben“.

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Leibniz rühmende Epitheta als „ornamentum […] ac decus […] praecipuum“ der gelehrten Welt, als „in omni scientiarum bonarumque artium genere summum“ (Wolff 1717, 322). Und auch wenn der Dienst an den Höfen zu Mainz und Hannover, die Denkschriften für den Berliner Hof, der russische Titel und das Zusammentreffen mit Zar Peter zur Sprache kommen, auch wenn die Berliner Sozietätsgründung, die Dresdener und Wiener Akademie-Pläne Leibniz’ Ansehen an den europäischen Höfen bezeugen sollen: im Vordergrund steht sein Wirken als Gelehrter. Bezeichnend ist etwa der Satz, mit dem die Würdigung seiner Tätigkeit für den Hof zu Hannover eingeleitet wird: „Ceterum cum non minora essent Viri summi in domum Electoralem, quam Remp. literariam merita“ (ebd., 332). Bezeichnender noch ist der Vergleich mit einem anderen Text, Des seel. Herrn von Leibniz Lebenslauf von Johann Georg Eckhart, Leibniz’ Amanuensis und Nachfolger in Hannover. Diese kleine Vita, 1717 auf Bitten der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans verfasst als Grundlage für den Nachruf Fontenelles, sollte erst 1779 im Druck erscheinen; dem ging jedoch über Jahrzehnte eine Rezeption in Manuskriptform voraus. So ist sie (insbesondere in den biographischen Anekdoten und der Beschreibung von Leibniz als Person) in eine Reihe von Texten eingegangen, die uns im Folgenden begegnen werden, mit Aussagen, die sich zu festen Bestandteilen des Leibnizbildes entwickeln werden. Deshalb ist sie bereits hier zu behandeln. Auch hier kommen beide Seiten zur Sprache: die höfischen Beziehungen (Mainz, Hannover, Wolfenbüttel, Berlin, Dresden, Moskau/St. Petersburg, Wien), die Kontakte zu Fürsten (besonders präsent sind Königin Sophie Charlotte und Kurfürst Georg Ludwig, während Kurfürstin Sophie nur in einer kurzen Bemerkung zu Leibniz’ Trauer über ihren Tod erscheint), die Akademie-Mitgliedschaften und -Projekte; die Schriften mit recht detaillierter Aufzählung auch kleinerer Abhandlungen (und nicht ohne Hinweis auf Eckharts eigenes Zutun), die gelehrten Kontakte (insbesondere während der Pariser Zeit und der Italienreise), die geradezu unersättliche Teilnahme am gelehrten Leben, die Korrespondenz, die Aufgeschlossenheit für das Gespräch mit den Damen. Aber nicht ohne gelegentliche kritische Untertöne, und jedenfalls mit einer eindeutigen Verortung: in erster Linie steht der große Gelehrte im Dienste seines Fürsten. Wohl nimmt die Italienreise die Form einer Gelehrtenreise an (Eckhart 1779, 157), bei der Leibniz „Kundschafft mit den größesten Gelehrten in allen Wissenschafften“ (ebd., 159 f.) hat. Aber sie findet im Dienst und auf Kosten des Hofes zu Hannover statt, zum Zweck von Quellenstudien für die Hausgeschichte. Es ist das Historiographenamt, das Leibniz die Aufsicht über die Bibliotheca Augusta zu Wolfenbüttel und damit Zugang zu Handschriften verschafft, die er im Codex juris gentium edieren wird (ebd., 165). Dass Leibniz nicht rechtzeitig aus Wien zurückgekehrt war, um seinen Dienstherrn nach dem Eintritt der englischen Sukzession noch in Hannover anzutreffen, kommt auch in anderen zeitgenössischen Texten zur Sprache. Aber während es dort das Alter ist, das ihn an der Weiterreise nach England hindert, ist es bei Eckhart der königliche Befehl zur Fertigstellung der Hausgeschichte (ebd., 187). Deutlicher ist die Kritik in den Schlussbemerkungen:

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wiewol Königl. Mt. ob sie gleich Ursach hatten, wegen negligirter Verfertigung Dero Hauses Histoire, welche sie gerne von ihm haben wolten, ihm ungnädig zu seyn, ihn doch jederzeit aestimiret und distinguiret, auch nach seinem Tode bet[r]auret haben (ebd., 202).

Eckhart hat auch an anderer Stelle am Leibnizbild gewirkt, insbesondere als Übersetzer und Kommentator (aufgeführt bei Heinekamp 1984, Nrn 172, 173); das kritische Zurechtrücken von Leibniz’ höfischen Beziehungen und insbesondere das Insistieren auf dem Problem „historia domus“ ist dort noch deutlicher. Angemerkt sei, dass Kritik aus dem Mitarbeiterkreis auch noch schärfer ausfallen konnte: Joachim Friedrich Feller, ebenfalls Amanuensis bei Leibniz, schließt sein Supplementum vitae Leibnitianae von 1718 (dazu Luckscheiter 2017) zwar mit einer Eloge auf den Gelehrten ab (Feller 1718, Bl. )( )( [7]v), der als Protagonist Deutschlands den großen Gestalten der Antike und der europäischen Gegenwart (darunter Descartes, Huygens, Bernoulli-Brüder, Newton) zur Seite gestellt wird, aber davor (ebd., Bl. )( )( 5 f.) wird das höfische Wirken recht abfällig beurteilt: aufgrund seines mangelnden Sinns für eine praktische, strukturierte Lebensführung sei Leibniz nur ausnahmsweise, in historischen und juristischen Fragen, zu Rate gezogen worden. Das von Feller entworfene Bild hat weitaus weniger Wirkung entfaltet als das seines Nachfolgers Eckhart. Aber mit seiner namentlichen Aufzählung von etwa 80 Korrespondenten (ebd., Bl. )( )( [6]v f.) und der Wiedergabe von Briefauszügen gibt er eine erste, noch sehr schmale Basis für eine konkrete, über Etikettierungen hinausgehende Beschäftigung mit Leibniz’ Korrespondenz. Zurück zu Christian Wolff: Nach seinen eigenen Worten (Wolff 1717, 333) basierte dessen Elogium auf Leibniz auch auf Informationen Eckharts. Dass das die Vita selbst war, lassen Passagen vermuten, die den Eindruck einer einfachen Übertragung dieses deutschen Textes ins Lateinische machen. Gerade wenn Inhalte auf den ersten Blick übereinstimmen, kommt den Abweichungen ein besonderes Gewicht zu. So wird hinter Eckharts scheinbar lobender Bemerkung über Leibniz’ Korrespondenztätigkeit „Seine Correspondance war sehr groß, und benahm ihm die meiste Zeit. Alle vornehme Gelehrten in Europa warteten ihm mit Briefen auf, und wenn auch schlechtere Leute an ihn schrieben, antwortete er ihnen allezeit, und gab ihnen Information“ (ebd., 199) ein kritischer Unterton deutlich beim Vergleich mit dem, was Wolff daraus gemacht hat: Prolixum nimis foret, si nomina Virorum illustrium ac eruditorum, immo etiam Principum, recensere vellemus, cum quibus ipsi commercium epistolicum intercessit, quod maximam temporis partem absumsit (ebd., 336).

Die bereits gängige Charakterisierung der Korrespondenz als einer Behinderung von Leibniz’ Wirken wird jetzt, gekleidet in die Form eines Unsagbarkeitstopos, zu einer seiner besonderen Qualitäten, und er erscheint dabei gleichermaßen der Welt der Gelehrten wie der der Höfe verbunden. Stärker noch, und mit einer Gewichtungsverlagerung, ist das bei Bernard le Bovier de Fontenelles Eloge festzustellen, die große Verbreitung, vor allem in Nachdrucken (etwa in Louis Dutens’ Opera omnia) und Übersetzungen, erfahren hat. Hier steht das Œuvre im Mittelpunkt. Dass den biographischen Angaben

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Eckharts Text zugrunde liegt, ist nicht zu verkennen; deutlich sind aber auch die Abweichungen. Auch hier sei das illustriert an der Aussage zu Leibniz’ „commerce de lettres prodigieux“: On étoit sûr d’une réponse dès qu’on lui écrivoit, ne se fût-on proposé que l’honneur de lui écrire. Il est impossible que ses lettres ne lui ayent emporté un tems très considérable, mais il aimoit autant l’employer au profit ou à la gloire d’autrui, qu’à son profit ou à sa gloire particulière (Fontenelle 1717, 127).

Ohne auf Details einzugehen, seien ein paar wertende Aussagen Fontenelles hervorgehoben. Gleich zu Beginn (ebd., 94 f.) steht ein Herkules-Vergleich. Die Entscheidung Herzog Johann Friedrichs, Leibniz in seine Dienste zu nehmen, wird kommentiert: „Il y eut une consideration qui appartiendroit autant et peut-être plus à l’éloge de ce Prince qu’à celui de M. Leibniz“ (ebd., 123). Eine (auf Eckhart basierende) Passage über Leibniz’ Bereitschaft zum Gespräch mit Personen eines jeden Standes und insbesondere mit den Damen schließt mit den Worten: „un savant illustre qui est populaire et familier, c’est presque un Prince qui le seroit aussi“ (ebd., 127; freilich mit dem relativierenden Zusatz: „le Prince a pourtant beaucoup d’avantage“). Die heikle Aufgabe, Leibniz’ Zurückbleiben in Hannover nach dem Eintritt des englischen Sukzessionsfalles zu kommentieren, wird (anders als bei Eckhart) wieder mit dem hohen Alter erklärt (und durch den Hinweis auf publizistische Dienste für den König entschärft) (ebd., 125). Und das rühmende Epitheton für Georg I. anlässlich seiner Thronbesteigung ist: „qui réunissoit sous sa domination un Electorat, les trois Royaumes de la grande Bretagne, M. Leibniz et M. Newton“ (ebd., 125). Eine ähnliche Tendenz hatte bereits ein etwas früher erschienener Text aufgewiesen, die Éloge historique de M. de Leibnitz, erschienen in L’Europe savante 1717. Leibniz ist „[t]oujours Homme de Lettres et Homme d’Etat“ (Éloge 1717, 144); seine von ihm sorgfältig gepflegten höfischen Kontakte dienen dem Fortschritt der Wissenschaften (ebd., 152). Die meisten Gelehrten Europas hätten „commerce“ mit ihm gehabt, immer sei er zur Antwort auf Briefe bereit gewesen (ebd., 153). Und schließlich wird noch einmal die besondere Wertschätzung der Höfe betont, beim hannoverschen Kurfürsten, an dessen Tafel „il soûtenoit son rang de Savant du moins avec autant de distinction, que d’autres y tenoient le rang du Prince“ und ganz besonders bei Kurfürstin Sophie, Königin Sophie Charlotte und der Princess of Wales; eine Wertschätzung, die in einer Apotheose der drei Fürstinnen gipfelt (ebd., 154). Passagen dieses Textes haben Eingang gefunden in den Leibniz-Artikel in Jean-Pierre Nicerons Mémoires pour servir à l’histoire des hommes illustres dans la république des lettres von 1729, der das gelehrte Wirken in den Mittelpunkt stellt, aber die dafür nötigen höfischen Bindungen nicht außer Acht lässt; mit dem (direkt aus der Éloge historique übernommenen) Resumee: „Il rechercha soigneusement la faveur des Princes, et s’en servit utilement pour lui et pour l’avancement des sciences“ (Niceron 1729, 76); insgesamt ist LeibnizÜberhöhung etwas abgeschwächt.

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Ähnlich stark dagegen ist sie in einer anderen Éloge historique de M. de Leibnitz, erschienen 1721 im Journal de Trévoux. Gleich zu Beginn des Textes wird wieder der Herkules-Vergleich evoziert (Éloge 1721, 1352); im Mittelpunkt steht Leibniz’ Wirken für den Fortschritt der Wissenschaften. Die für einen Gelehrten außerordentliche Bedeutung spiegeln aber auch die Verbindungen zu mehreren Höfen, an denen er beratend wirkt3, die post mortem die der Fürsten sogar übersteige.4 Ein einziger Kritikpunkt wird genannt: Leibniz habe zu wenig auf die Nachhaltigkeit seines Wirkens geachtet 5 . Zum Schluss ist es noch einmal der Ausnahmegelehrte, dessen Tod beklagt wird: „Quelle perte pour la république des lettres que celle d’un homme qui se multipliant au prodige donnoit presque seul le mouvement au monde sçavant!“. Der hier und in einigen anderen genannten Texten mitschwingende Unterton, es sei nicht so sehr der Hof, der Leibniz in seiner Bedeutung erhöhe als vielmehr dieser den Hof, wird in den kommenden Jahren auf lange Zeit zum mainstream werden. In dieser frühen Phase stehen daneben aber Texte, die eine andere Gewichtung vornehmen. Leibniz’ herausragende Rolle als Gelehrter und in der Gelehrtenrepublik wird überall betont. Aber auch wenn die höfischen Chargen, die Verbindungen zu mehreren Höfen sein Ansehen bezeugen, steht er im Dienst der hannoverschen Fürsten und ist auf deren Gunst angewiesen; sein Wirken für die Gelehrtenrepublik wird durch fürstliche Unterstützung verstärkt. Bezeichnend hierfür ist auch die briefliche Auskunft Eckharts zu Leibniz’ „großen“ Korrespondenzen: aufgezählt sind nur fürstliche Briefpartner (Brief vom 6. April 1717, gedr.: Kortholt 1734–1742, Bd. 4, 1742, 117). Bei den hannoverschen Dienstherren gibt es noch kein Gefälle: der Übergang zu Kurfürst Georg Ludwig bleibt zwar unkommentiert und damit (anders als beim Regierungsantritt Ernst Augusts) auch ohne Hinweis auf fortgesetzte fürstliche Gnade, diese kommt aber in einem Detail zum Ausdruck (der seit Eckharts Vita immer wieder kolportierten Aussage des Kurfürsten über Leibniz als einem „lebendigen Dictionaire“ [Eckhart 1779, 199]). Nur auf den ersten Blick erscheint das Bild, das diese frühen Texte geben, diffus. Denn abgesehen von einer Ausnahme (Grundmann) sind sie klar zu trennen: durch die territoriale/nationale Verortung der Autoren. Für Verfasser aus dem Reichsgebiet ist Leibniz selbstverständlich Untertan eines Fürsten und diesem dienstverpflichtet, auch wenn er in dessen Gunst und der anderer Höfe steht; in den aus Frankreich stammenden Texten dagegen begegnet er, wenn auch als Aus  3 4 5

Ebd., 1358: „Aussi lʼEmpereur et la plupart des Princes dʼAllemagne le comblerent de biens et dʼhonneurs, et lui donnerent une place dans leur Conseil, où il fit voir plus dʼune fois quʼun homme de lettres est utile à lʼEtat par plus dʼun endroit“. Ebd., 1367: „en effet si le vrai Sçavan a le dessous en comparaison du Prince pendant la vie, il le surpasse bien après la mort“. Ebd., 1362: „cʼest le reproche que la posterité aura droit de renouveller sans cesse contre Mr. Leibnitz de nʼêtre pas assez fixé et assez ramassé. En travaillant plus solidement pour le public, il êut consacré un monument plus durable à sa gloire, quʼil semble avoir oublié en n ʼ opposant à lʼinjure des tems que les feüilles volantes“.

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nahmeerscheinung unter den Gelehrten, den Herrschern auf Augenhöhe (mit Andeutung, dass ihm eigentlich ein noch höherer Rang zukomme). Als Erklärung für diese unterschiedlichen Gewichtungen könnten die von Friedrich Beiderbeck kürzlich dargestellten unterschiedlichen Modelle des (deutschen) „Gelehrten Rates“ und des (französischen) „Savant in fürstlichen Diensten“ herangezogen werden (Beiderbeck 2015, 17 f.); doch dürfte die Materialbasis hier zu schmal sein für eine derartige Festlegung. 3. BIS 1740 2: DIE ERSTEN QUELLENGESTÜTZTEN WERKE Nach dem Dämpfer durch die Vertreibung Christian Wolffs aus Halle 1723 erhält die Leibniz-Rezeption auch in den Territorien des Deutschen Reiches in den 1730er Jahren neue Impulse. Mit Johann Christoph Gottsched (dazu Otto 2011) und Ernst Christoph von Manteuffel (dazu Bronisch 2010) treten Multiplikatoren in Erscheinung; gleichzeitig erweitert sich die Kenntnis von Leibniz’ Biographie um viele Details. Das liegt vor allem an einer Quellenedition, den Godefridi Guil. Leibnitii Epistolae ad diversos Christian Kortholts (Kortholt 1734–1742; dazu Gädeke 2017b). Ihre ausführliche Behandlung erfolgt in einem anderen Beitrag; hier sei nur auf die Auswirkungen auf unser Thema hingewiesen: Die Rezeption dieses Werkes (vor allem über einen weiteren Multiplikator, Carl Günther Ludovici) spiegelt sich auch in den sich fortan differenzierenden Aussagen über Leibniz’ Beziehungen zur gelehrten Welt und zu den Fürstenhöfen (wenn etwa Königin Sophie Charlotte, anders als ihre Mutter Kurfürstin Sophie, schon bald stärker hervortreten wird, so dürfte das auch aus ihrer Präsenz in den von Kortholt gedruckten Briefen resultieren). Vor den deutlich von Kortholt geprägten Werken ist ein anderes zu behandeln, das, im selben Jahr wie dessen erster Band erschienen, das vorhandene Wissen über Leibniz aufgreift (und zugleich mit einer Fülle neuer, zum Teil aus der Luft gegriffener Interpretationen aufwartet): La Vie de Mr. Leibnitz, die Louis de Jaucourt, der in späteren Jahren zu den Enzyklopädisten zählen sollte, seiner unter dem Pseudonym L. de Neufville 1734 erschienenen Ausgabe der Essais de Théodicée vorangestellt hat. Das Werk erfuhr mehrere erweiterte Auflagen und eine Übersetzung ins Deutsche, die seine Verbreitung bezeugen (dazu Heinekamp 1984, Nr. 180). Auf über 200 Seiten (danach folgt noch ein Catalogue chronologique des Ouvrages de Mr. Leibnitz) wird eine detaillierte Darstellung von Leibniz’ intellektueller Biographie gegeben. Darin wird das Œuvre (gipfelnd in der Théodicée) ebenso wie die gelehrten Kontakte weit ausholend behandelt. Anhand von Leibniz’ Aufenthalten in Paris, London und Holland werden unterschiedliche gelehrte Kulturen (Jaucort 1734, 52, 57), insbesondere auch in deren Förderung durch die Landesherrschaft, skizziert. Dabei erscheint er auch als von den dort empfangenen Anregungen geprägt (ebd., 195); in der Mathematik durch Frankreich und England, in der umfangreichen Kenntnis von Recht, Geschichte und Politik durch Italien. Sein eigenes Wirken als Gelehrter kommt anhand der Werke detailliert zur

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Sprache, aber auch mit der Korrespondenz; am Anfang stehen fürstliche Briefpartner, aber besonders hervorgehoben sind die aus der gelehrten Welt (35 werden aufgezählt). Wieder erscheint Leibniz auch als Nehmender: aus den Briefen bezieht er seine Informationen über das, was in der gelehrten Welt geschieht. Aber mehrfach wird seine Förderung von Gelehrten im Dienste des Fortschritts der Wissenschaften betont (ebd. 181, 197), ebenso die Akademie-Mitgliedschaften und -Pläne. Dahinter steht herrscherliche Gnade, die Leibniz auch sonst reichlich zuteil wird (auch [ebd., 198] von den weiblichen Mitgliedern der Herrscherhäuser). Aber auch wenn Johann Friedrich und Peter der Große (sowie die Fürstinnen Sophie Charlotte und Caroline) den Wissenschaften zugewandt erscheinen, wenn Leibniz’ Zurückbleiben in Hannover 1714 bis zur Unkenntlichkeit entschärft wird (ebd., 129), wenn Fontenelles Dictum über Georg I. als Herrscher über die drei Königreiche, Leibniz und Newton aufgegriffen wird, auch wenn (ebd., 126, 197) das große Ansehen an mehreren Höfen zur Sprache kommt: die höfische Bindung wird nicht heroisiert. Es wird, im Gegenteil, ein Vorwurf kolportiert (ebd., 208): gegen Ende seines Lebens habe Leibniz „abandonné cette passion des Muses, et recherché davantages […] d’être courtisan que Philosophe“. Das steht im Kontext der mehrfachen (etwa ebd., 116) Behauptung, mit der Theódicée habe er seine gelehrten Arbeiten eingestellt. Unter den Gründen werden unter anderem die vielen Reisen genannt. Auch auf die Korrespondenz mit ihrem immensen Umfang fällt ein kritischer Blick: diese Tätigkeit sei in Maßen nützlich und angenehm, könne aber leicht in Knechtschaft ausarten. Was sogleich relativiert wird: für Leibniz habe die Korrespondenz in ihrer ganzen Ausdehnung immer nur Erholung bedeutet. Dieses Werk einzuordnen, fällt nicht leicht. In seiner differenzierten Darstellung von Leibniz’ Einbindung in die gelehrte Welt als Gebender und Nehmender gleichermaßen erscheint es als Solitär, und die bei allen Elogen auch mit kritischen Bemerkungen versehene Darstellung des „courtisan“ scheint die oben formulierte These von einer spezifischen französischen Spielart der Gewichtung der höfischen Position eines Gelehrten ad absurdum zu führen. Zu berücksichtigen ist aber, dass Jaucourt ein ‚Wanderer zwischen den Welten‘ war; als Sohn einer französischen – hugenottischen – Adelsfamilie im Burgund geboren, der seine Ausbildung in der Schweiz, in England und Holland erhielt und erst in fortgeschrittenen Jahren (und nach Erscheinen des Werkes) nach Frankreich zurückkehrte – und der seine Bevorzugung der gelehrten Kultur Hollands vor der Frankreichs und Englands deutlich zu erkennen gibt (ebd., 57). Unproblematisch in das bereits gezeichnete Bild einzuordnen sind zwei fast zeitgleiche (und in manchen Punkten wörtlich übereinstimmende) Texte, denen große Verbreitung zukam: der Ausführliche Entwurff einer vollständigen Historie der Leibnitzschen Philosophie Carl Günther Ludovicis und der Leibniz-Artikel in Band 14 von Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon, beide von 1737. Mit Ludovici, dem Professor der Weltweisheit an der Universität Leipzig, tritt nicht nur der spätere Hauptredakteur des Zedlerschen Lexicons in Erscheinung, sondern auch ein baldiger Angehöriger der Gesellschaft der Alethophilen, gegründet von Manteuffel in Berlin zur Verteidigung der Philosophie Leibniz’ und

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Wolffs (Bronisch 2010, 124–146); zusammen mit dem Ehepaar Gottsched wird Ludovici ab 1738 zu den ersten Leipziger Mitgliedern zählen. Ein Jahr zuvor war seine minutiöse Sammlung aller bisher vorliegenden Informationen zu Leibniz (nicht zuletzt aus den ersten Kortholt-Bänden) herausgekommen. Sie beginnt mit einer Kritik an den vorliegenden Lebensbeschreibungen, insbesondere wegen fehlender Quellenangaben (Ludovici 1737, Bd. 1, 2) – ein Manko, dem hier abgeholfen wird, soweit damals möglich. Allein schon das detaillierte, weit über alles bisherige Bekannte hinausgehende Verzeichnis der Korrespondenten (Bd. 2, 100– 208) bereichert das Bild von Leibniz’ höfischen und gelehrten Kontakten um viele Details. Aber tendenziell bleibt auch dieses Werk im bisherigen Rahmen. Zwar kommt gelehrtes Selbstbewusstsein zum Ausdruck: „eines grossen Gelehrten Nahme gehet nur mit den Wissenschafften unter, deren Untergang mit dem Untergang der gantzen Welt gewiß verschwistert ist“ (Bd. 1, 5). Und Leibniz hat „bey Kaysern, Königen, Churfürsten und Hertzogen in den ansehnlichsten Ehren-Stellen gestanden und sich bey der gelehrten Welt durch seine Erfindungen und Schrifften ein ewiges Denckmahl gestifftet“ (ebd., 248). Aber es ist der Hof, der den Rahmen für sein Wirken bietet: nach dem Tode Herzog Johann Friedrichs muss Leibniz sich aktiv um die Gnade des Nachfolgers bemühen (ebd., 84 f.); die gelehrte Betätigung findet selbstverständlich in „Neben-Stunden“ statt (ebd., 104). Ein Gerücht über Divergenzen mit Hannover in den letzten Lebensjahren wird angesprochen – und als Grund das bereits von Eckhart thematisierte Ausbleiben der Hausgeschichte angeführt sowie Leibniz’ Reisetätigkeit (ebd., 222, 226). Allerdings schließt Ludovici das Thema ab mit der expliziten Weigerung, sich hier auf Gerüchte einzulassen. Auch wenn diese erste große Biobibliographie nur kurz abgehandelt werden kann, seien zwei Äußerungen zur Korrespondenz herausgegriffen. Auch Ludovici bringt (als bekannte Tatsache) die Kosten an Zeit und Geld von Leibniz’ „überaus starcke[m] Briefwechsel“ zur Sprache (Bd. 2, 100). Aber zugleich kommt diesen Briefen, die „vornehmlich […] mit gelehrten Sachen und den allerschönsten Gedancken“ gefüllt sind, zentrale Bedeutung zu, ihre Behandlung muss ein „Hauptstück“ seiner Historie sein – die heutige Einschätzung der Korrespondenz als „integralem Teil“ des Œuvre (Utermöhlen 1977, 90) ist schon vorweggenommen. Danach werden die Korrespondenten aufgelistet, alphabetisch und mit biobibliographischen Angaben. Auf dieses jetzt schon 174 Personen umfassende Verzeichnis folgt ein zweites, kürzeres (Ludovici 1737, Bd. 2, 198–208): der „Briefwechsel mit Königlichen, Fürstlichen, Gräflichen und andern vornehmen FrauensPersonen“. Eingeleitet mit Ausdrücken des Bedauerns, dass nur wenig aus fürstlichen Korrespondenzen im Druck vorliege, werden zunächst die paar bekannten Briefpartner, die welfischen Herzöge Johann Friedrich, Rudolf August und Anton Ulrich sowie Ernst von Hessen-Rheinfels, benannt. Anschließend folgt, länger und detailreicher, eine (explizit rein alphabetische!) Liste von Fürstinnen, Hofdamen und gelehrten Frauen (Mademoiselle de Scudéry, Lady Masham): die (bereits in einer Bemerkung Eckharts angelegte) besondere Hervorhebung von Leibniz’ Dialogen mit ‚dem Frauenzimmer‘ (dazu Utermöhlen 1990) wird jetzt konkretisiert. Die ausführlichsten Kommentare gelten der preußischen Königin So-

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phie Charlotte und der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans; Kurfürstin Sophie tritt noch nicht in Erscheinung. Im Zedler-Artikel ist Ludovicis Historie bereits verarbeitet. Leibniz wird als „einer der grössesten gelehrten von Teutschland“ apostrophiert (Zedler 1737, 1517), als Korrespondent von (ein paar namentlich genannten) Fürstinnen und Fürsten, den Kaiserinnen und den Fürstinnen zu Hannover/Berlin/London „aller Seits lieb und werth“ (ebd., 1539), bei „denen hohen“ in Gunst, „bey denen gelehrten in Verwunderung“ (ebd.). Aber auch hier ist es der Hof, der den Rahmen für seine Tätigkeiten liefert: in Hannover besorgt er „alles mit möglichstem Eifer zum Besten und Vergnügen seines Fürsten“ (ebd., 1524), auch hier findet die gelehrte Betätigung in „Neben-Stunden“ statt (ebd., 1526), auch hier kommen Divergenzen mit Hannover wegen der Hausgeschichte gerüchteweise zur Sprache (ebd., 1533). Kurz sei noch ein Zeugnis erwähnt, dessen Tendenz zwar in besonderem Maße von seiner Adressatenorientierung geprägt ist, das aber doch auch charakteristisch für diese Frühzeit ist: Im Widmungsbrief seiner ersten Edition von Leibnizbriefen Recueil de diverses Pieces sur la Philosophie, les Mathematiques, l’Histoire, etc. (Kortholt 1734), legt Christian Kortholt das Werk der englischen Königin Caroline zu Füßen mit den Worten: „Votre Majesté l’a honoré particulierement de sa protection, et a porté Elle-même un jugement si avantageux de ses ouvrages, que tous ses écrits meritent pour cela d’être conservés“. 4. PERSPEKTIVENWECHSEL UM DIE MITTE DES 18. JAHRHUNDERTS Um 1740 zeigt sich auch in den deutschen Territorien eine Tendenz zur Harmonisierung von Leibniz’ höfischer Position mit der in der gelehrten Welt – und der Umschwung hat einen Namen: Friedrich II., König von Preussen, seit 1740 König in Preußen. Seine Äußerungen zu Leibniz sollten eine lange Tradition begründen. Aber zunächst seien ein paar andere betrachtet, die in seiner Umgebung entstanden. In ihnen erscheint diese Tendenz noch nicht voll ausgeprägt – aber sie bereitet sich vor. Noch aus der Kronprinzenzeit datiert die Histoire abregée de M. de Leibnitz et de ses Ecrits des Berliner Refugié und Wolffianers, der bald (jahrzehntelang) Sekretär der neuformierten Berliner Akademie und später Mitarbeiter Diderots werden sollte, Jean Henri Samuel Formey, die 1739 in zwei Teilen in seinem kurzlebigen Journal Amusemens Littéraires, Moraux et Politiques erschien; explizit auch, um biographische Angaben in älteren Schriften zurechtzurücken, die sich nach den Recherchen Ludovicis als fehlerhaft und unzureichend herausgestellt hätten. Leibniz, der „Homme presque Universel“, muss Deutschland und der République des Lettres in doppelter Hinsicht wert sein, durch seine eigenen Verdienste und als Vorläufer Christian Wolffs, unter dessen Händen aufgegangen sei, was er als Samen angelegt habe (Formey 1739a, 29). Danach folgt die Vita in der Anlage weitgehend dem, was bereits aus früheren Texten bekannt war, aber mit

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vielen neuen, konkreten Details aus Ludovicis Historie – und mit einer Tendenz zur Heroisierung. Bereits der junge Mann sei in Paris hochgeschätzt worden „tant parmi les Grands, que parmi les Savans“ (ebd., 43), für die späteren Jahre ist von überaus hohem Ansehen unter den Gelehrten die Rede, das das bei den Fürsten noch überstiegen habe (ebd., 56). Im Dienste des Fortschritts der Wissenschaften über sein eigenes Schaffen hinaus habe er das wirksamste Mittel zum Einsatz gebracht, um andere Gelehrte anzuspornen, die Protektion eines Fürsten: so wird (Formey 1739b, 108 f.) die Berliner Sozietätsgründung eingeführt (wobei der preußische König „un des Princes de son tems le plus disposé à entrer dans des projets de cette nature“ gewesen sei). Bei der Charakterisierung der Präsidentschaft wird allerdings eine kritische Bemerkung Ludovicis übernommen: Leibniz habe sich nur selten in Berlin aufhalten und der Sozietät wenig Zeit widmen können (ebd., 109). Sehr präsent ist Königin Sophie Charlotte, die „savante Reine“ (ebd., 110 f.); in ihren Unterredungen mit Leibniz „sur les matieres les plus profondes“, in ihrer maieutischen Rolle für die Théodicée (ebd., 111): das später zu den zentralen Elementen des Leibnizbildes gehörende Thema „der Philosoph und die Königin“ (Mittelstraß 1990) tritt hier bereits in Erscheinung. Hier dürfte nicht nur die durch Kortholt erweiterte Materialbasis und deren Multiplikation durch Ludovici eine Rolle spielen, sondern auch mündliche Überlieferung via Formeys Einbindung in die Berliner französische Kolonie, seine Verbindung zu Personen, mit denen Leibniz am Berliner (bzw. Lietzenburger) Hofe verkehrt hatte. Sehr viel ausführlicher als in den frühen Texten kommt die Trauer um die Königin zur Sprache (Formey 1739b, 113 f.) – und jetzt ist die Gewichtsverlagerung deutlich. Auf die Wiedergabe eines Leibnizbriefs dazu (ebd., 115: „la plus belle Oraison funèbre qu’on eut jamais pu faire de cette digne Reine“) folgt der Kommentar: „Il est rare de trouver des Leibnitz, et plus rare encore de rencontrer des Princesses, qui meritent d’être loüées par des hommes de cette trempe“ – und eine kleine Verneigung vor dem Kronprinzen: „Il semble que ce glorieux Privilege soit hereditaire dans l’Auguste Maison de Brandebourg“. Der Hof zu Hannover erscheint in freundlichem Licht: Leibniz’ Zurückbleiben 1714 wird nur kurz notiert; eine leichte Irritation anlässlich des angeblichen Plans einer Übersiedlung nach Frankreich gilt eher der Nicht-Ausführung (die aber mit den Beschwerden des Alters erklärt wird). Schließlich noch eine bezeichnende Nuance: nach Leibniz’ Tod ist es der hannoversche Hof, der Eckhart mit der Ausrichtung des Begräbnisses beauftragt (ebd., 129). Wenn Leibniz zum Schluss (ebd., 133) noch einmal als „genie Divin“ gewürdigt wird, ist klar: hier liegen seine Qualitäten; der Hofdienst steht nur im Hintergrund. Und doch bewegt Leibniz sich auf Augenhöhe mit Fürsten: als Universalgelehrter und großer Geist. Um Augenhöhe geht es im folgenden Text nicht, aber insgesamt setzt sich die Tendenz zur Glorifizierung von Leibniz’ Position auch in der Welt der Höfe fort in einem Text aus dem ersten Herrschaftsjahr Friedrichs II., der Biographie Leben des Freyherrn Gottfried Wilhelm von Leibnitz, an das Licht gestellet von Lamprecht, d. h. aus der Feder von Jacob Friedrich Lamprecht. Der Hamburger, der in den 1730er Jahren während seines Studiums in Leipzig zum Umfeld Gott-

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scheds gehörte, muss auf nicht näher bekannte Weise schon früh Kontakt zum Berliner Hof gehabt haben; seit 1740 nahm er dort in den wenigen ihm noch verbleibenden Jahren mehrere Funktionen wahr. Seine Leibniz-Biographie, deren Überlieferung Anlehnung an Manteuffels Alethophilen-Kreis zeigt (Bronisch 2010, 410), ist nicht nur „mit Genehmhaltung“ (Lamprecht 1740, Bl. *2) des Königs veröffentlicht, was „über die Verdienste des Herrn von Leibnitz einen neuen Glanz ausbreitet“ (ebd., Bl. *3), sondern basiert auch auf von Friedrich II., König von Preussen bereitgestelltem Quellenmaterial: dem aus Frankreich an ihn gelangten Manuskript von Eckharts Leibniz-Vita, einst im Besitz der Herzogin von Orléans (ebd., Bl. *2 f.). Allerdings erhält das Manuskript „eine andere Einrichtung“ (ebd., Bl. **2) – und ist tatsächlich nur punktuell (insbesondere in den Abschnitten zu Leibniz’ Physiognomie und Lebensgewohnheiten) in den neuen Text eingegangen; dieser sollte vielmehr „nach dem Geschmacke der gegenwärtigen Zeit“ eingerichtet werden (ebd.). Als weitere Quellen werden Jaucourt, Ludovici und Formey genannt. „Sind wir nicht berechtiget, einer glückseligen Zeit entgegen zu sehen, da wir unter einem Monarchen leben, der auch noch von den Verdiensten der Verstorbenen gerühret wird“ (ebd., Bl. **3): mit diesen Worten endet das am 19. November 1740 unterzeichnete Vorwort. Es steht damit zu Beginn eines programmatisch so deklarierten Epochenwandels, der Herrschaft eines „grossen und weisen Prinzen […], bey dem die Geschichte künftig einen neuen Periodum in dem Wachsthum der Künste und Wissenschaften anfangen werden“ (ebd., Bl. **3). Auch hier wird Leibniz gleich zu Beginn (ebd., 1) in Beziehung zu Christian Wolff gesetzt, der so sehr zur Unsterblichkeit von dessen Namen beigetragen habe. Und bereits auf den ersten Seiten wird die Bedeutung der Wissenschaften für die menschliche Entwicklung hervorgehoben (ebd., 3 f.); ein Thema, das im Folgenden, appellativ, immer wieder zur Sprache kommt (gelegentlich mit impliziter Kritik an den deutschen Verhältnissen). Leibniz’ Berichte über alles, „was er neues, merkwürdiges und schönes in allen Theilen der Wissenschaften fand“ (ebd., 21), sind denn auch die Basis für sein hohes Ansehen bei Herzog Johann Friedrich bereits vor dem Dienstantritt in Hannover. Wieder treten im Bericht über den großen Eindruck, den Leibniz in Paris machte, den dortigen Gelehrten die „Grossen des Hofes“ zur Seite (ebd., 24). Auch in Hannover, unter Herzog Johann Friedrich, erwarten Leibniz und die Wissenschaften zunächst ideale Verhältnisse: „Ein Fürst, welcher die Wissenschaften liebt, ertheilet selbst seiner Hoheit einen neuen Glanz“ (ebd., 34). Dass er im Nachfolger Ernst August „gleiche Neigung zu den Wissenschaften“ gefunden habe (ebd., 42) wird kommentiert, dies sei das sichere Mittel „wodurch die Grossen alle Herzen gewinnen können“. Insgesamt, auch wenn einmal kurz ein Spagat zwischen Amtsgeschäften und Wissenschaften anklingt (ebd., 47) oder der Befehl Georgs I. zur beschleunigten Fertigstellung der Hausgeschichte erwähnt wird (ebd., 96), stehen höfische und gelehrte Welt harmonisch nebeneinander: „Der Ruhm des gelehrten Leibnitz war durch so verschiedene glückliche Unternehmungen immer mehr ausgebreitet worden. Die Grossen verdoppelten ihre Gnadenbezeugungen, und die vernünftigen Gelehrten sahen ihn als eine Stütze der Wissenschaften an“ (ebd., 51).

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Insbesondere seine Vorbereitung der Neunten Kur zeigt, „daß er nicht weniger ein guter Staatsmann, als ein guter Philosoph war“ (ebd., 52). Höhepunkt ist die Gründung der Berliner Sozietät, eingeleitet mit einer Paneygrik auf Friedrich I., den „weisen Salomo“, und sein Haus (ebd., 69), unter dessen Regierung Berlin „Sammelplatz der Künste und Wissenschaften, welche hier geliebet, erhoben und belohnt wurden“ geworden sei. Wenn es wenige Seiten später die Liebe zu den Wissenschaften ist, die die besondere Gnade der Königin Sophie Charlotte für Leibniz bestimmt, wird das mit dem Abdruck eines ihrer Briefe untermauert (ebd., 72: ein deutliches Zeichen für die Hofnähe Lamprechts); 1705 klagen die Wissenschaften um die königliche Beschützerin (ebd., 77). Auch Leibniz’ WienAufenthalt findet statt unter einem Kaiser, der die Wissenschaften liebt und beschützt (ebd., 94). Schließlich kommt in der generellen Charakterisierung noch einmal Leibniz’ besondere Neigung zur Wissenschaft und zu deren Fortschritt zum Ausdruck (ebd., 107 f.). Lamprechts Leibniz-Vita war Auftragswerk für den König – und zugleich ein Appell an diesen zur Förderung der Wissenschaften und zur Sicherung des Friedens (ironischerweise datiert das Vorwort wenige Tage nach dem Beginn des Ersten Schlesischen Krieges). Friedrich II., König von Preussen hat sich aber auch selbst mehrfach, in Briefen wie in Schriften, zu Leibniz geäußert, und hier ist die Gewichtsverschiebung ganz deutlich. Das zeigt sich vor allem in Äußerungen zu Königin Sophie Charlotte. In Friedrichs Mémoires pour servir à l’Histoire de Brandebourg von 1748 (mit mehreren Auflagen bereits zu Lebzeiten des Königs), seiner Geschichte der hohenzollernschen Kurfürsten vom „Burggrafen von Nürnberg“ bis zum Tode Königs Friedrich Wilhelms I., ist diese ihm als Person unbekannt gebliebene Großmutter sehr präsent, als einzige Frau unter den Vorfahren; sie erscheint geradezu als „Projektionsfläche“ (Wehinger 2004, 170) für den roi philosophe. Bei ihr, nicht ihrem königlichem Gemahl (dem der Enkel eher Spott zuteil werden lässt), liegt die Initiative zur Gründung der Berliner Sozietät, sie ist es, die Leibniz nach Berlin ruft. Leibniz ist Adressat ihrer Klagen über den Prunk der Königskrönung, dem sie doch das gemeinsame Philosophieren in Charlottenburg bei weitem vorziehen würde, und von ihm handeln ihre letzten Worte. Dem hannoverschen Hofe kommt nicht nur hier (unterschwellig) viel Lob zu; es ist der Bruder Kurfürst Georg Ludwig, dem die sterbende Königin die von ihr protegierten Gelehrten und Wissenschaften anvertraut (Zitate zusammengestellt bei Gädeke 2011, 181). In der wenig späteren Schrift Des mœurs, des coutumes, de l’industrie, des progrès de l’esprit humain dans les arts et dans les sciences sind die Elogen auf die Königin erneut mit Leibniz verbunden (Friedrich II., König von Preussen 1748, 412). Ihn hält sie als Einzigen für fähig, das Fundament zur Akademie zu legen, ihn, der diese auch ganz allein hätte repräsentieren können. Durch ihre Entscheidung wird diese „ame privilegiée“ erhoben „à l’égal des souverains“: mit diesen Worten von höchster Stelle ist Leibniz, als Ausnahmeerscheinung, nun wirklich im Olymp der Herrschenden angelangt. Nur hinzuweisen ist auf weitere Äußerungen bereits des Kronprinzen in einem Brief an Voltaire vom 6. Juli 1737 (Friedrich II., König von Preussen 1846–

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1857, Bd. 21, 1853, 81–88), insbesondere die Aussage über eine Grundlegung des Lehrer-Schülerin-Verhältnisses auf dem Gebiet der Philosophie bereits in Hannover (ebd., 86) – wohl daraus entwickelte sich später die langlebige Legende von Leibniz als dem Lehrer der jugendlichen Prinzessin. Schließlich sei ein Werk kurz angesprochen, das zumindest räumlich in einiger Entfernung von Berlin entstand: die G. G. Leibnitii Vita Jacob Bruckers, die, 1744 im Rahmen seiner Historia critica philosophiae zuerst erschienen, ebenfalls weitere Verbreitung durch den Neudruck bei Dutens erfahren sollte. Der Verfasser, der als der „wichtigste Historiker der Philosophie im 18. Jahrhundert“ gilt (Schmidt-Biggemann 1998, 113), verbrachte den größten Teil seines Lebens in Augsburg; mit weitläufigen Außenbeziehungen, zum Gottsched-Kreis ebenso wie zur Berliner Sozietät. 1742 ging ein Ruf Friedrichs II. an die Universität Halle an ihn, den er aber ablehnte (ebd., 114). Die Leibniz-Vita entstand in Kaufbeuren, wo Brucker über zwei Jahrzehnte als Pastor wirkte. Auf zahlreichen Quellen basierend, stützt sie sich (explizit) ganz besonders auf Ludovici. Darauf basieren die Äußerungen zu den dienstlichen Bindungen, darauf basiert die Aufzählung von Fürstinnen und gelehrten Frauen als Korrespondenzpartner (Brucker 1744, § XXIX). Aber mit signifikanten Nuancen: denn diese treten hier vor dem „commercium literarium“ mit den berühmtesten Männern aus ganz Europa in Erscheinung. Neu ist auch die einleitende Kommentierung: mit seiner „prudentia et philosophiae cognitio“ habe Leibniz sich auch den Frauen empfohlen, den gekrönten und erlauchtesten, und mit ihnen Briefe gewechselt; die Kunde von dieser Korrespondenztätigkeit sei der Nachwelt zu überliefern, um zu bezeugen „non deesse nostrae aetati foeminas, quae mulierum philosophantium catalogo summo jure mereantur asdscribi“: philosophierend werden auch die Fürstinnen durch Leibniz erhöht. Erwähnt sei noch, dass auch Brucker noch einmal die Bemerkungen Ludovicis zum Dissens mit Hannover wegen Leibniz’ vieler Reisen aufgreift – was danach über 100 Jahre lang nicht mehr thematisiert wird. 5. NACH DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION Machen wir einen größeren Sprung zum Ende des 18. Jahrhunderts, in die Zeit nach der Französischen Revolution. Die Leibniz-Biographie Johann August Eberhards, des Professors für Philosophie an der Universität Halle (und damit NachNachfolger Christian Wolffs), das Leben des Freyherrn von Leibnitz von 1795 schildert dessen Einbindung in die höfische Welt in idealer Weise (ohne Kurfürst Georg Ludwig zu erwähnen). Der Antagonismus ist ganz aufgehoben; die „angesehensten Höfe“ suchen Leibniz für ihre wichtigsten Geschäfte (Eberhard 1795, 164), und ohne seine Mitwirkung oder zumindest seinen Rat kommt keine „gelehrte Unternehmung“ zustande (ebd., 165). Zar Peter und Kaiser Karl VI. bemühen sich „um die Wette“ um ihn (ebd., 171). Das Torgauer Treffen wird kommentiert:

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Nora Gädeke Hier verschwand die Entfernung, welche die Hoheit des Thrones zwischen dem Monarchen und dem Weltweisen setzte, man sahe blos zwei große Männer sich über die Beförderung des Wohls der Menschen berathschlagen, der Eine erwartete von dem Andern in seinem Wirkungskreise unterstützt zu werden (ebd., 172 f.).

Ein leicht kritischer Unterton schwingt – wieder einmal – beim Thema „Reisen und Korrespondenzen“ mit: Und gleichwohl nahmen die Pflichten seiner vielen Aemter, seine zahlreichen Zerstreuungen im Umgange mit mehreren Höfen, seine Bekanntschaften mit den berühmtesten Gelehrten und mit so vielen durch ihre Geburt, ihre Würden und ihre Wissenschaft ausgezeichneten Großen, so wie sein unermeßlicher Briefwechsel und seine häufigen Reisen, einen so großen Theil seiner Zeit ein, daß es zweifelhaft ist, ob diese Geschäfte und Zerstreuungen seine gelehrten Arbeiten, oder seine gelehrten Arbeiten seine Geschäfte und Zerstreuungen unterbrochen (ebd., 164).

Deutlich erscheint die Korrespondenz als Teil des Œuvre: Diese schon so große Menge seiner zum Druck bestimmten Schriften übertraf noch die weit größere Menge von Briefen, die beinahe ohne Ausnahme mit so gelehrten Untersuchungen angefüllt sind, daß ihre beträchtlichen gedruckten Sammlungen noch immer zu den wichtigsten Werken in allen Theilen der Gelehrsamkeit gerechnet werden (ebd., 190).

In einem der Kupferstiche ist jetzt auch Kurfürstin Sophie präsent, in einer Illustration der Blättersuche in Herrenhausen. Wenig später datieren zwei Werke, deren Quellengrundlage sehr bezeichnend ist für die veränderte Positionierung der Höfe, deren ‚Verbürgerlichung‘. Das eine stammt aus Hannover, das andere aus Berlin – und Gegenstand sind jeweils Leibniz’ große Mäzeninnen dort, die wohl in dieser Rolle erscheinen, zugleich aber auch von ihm ‚geadelt‘ werden. Jetzt öffnen sich die fürstlichen Archive etwas, jetzt werden Briefe, die die Fürstinnen mit Leibniz gewechselt haben, als Quellen freigegeben: fürstliche Korrespondenz beginnt, ihren Arcan-Charakter zu verlieren. Den an der Berliner Akademie der Wissenschaften 1790 – 1800 in 10 Sitzungen vorgetragenen, 1801 veröffentlichten Mémoires pour servir à l’histoire de Sophie Charlotte, reine de Prusse des brandenburgischen Haushistoriographen Jean Pierre Erman liegen nach Aussage des Verfassers auch Briefe der Königin zugrunde, deren Kenntnis er dem Vater des jetzigen Königs (also Friedrich Wilhelm II.) verdankte (Erman 1801, 218). Aus einigen Briefen (auch von Leibniz) wird ausführlich zitiert. Weit ausholend wird in 10 Kapiteln ein Bild der ersten preußischen Königin gezeichnet, das ebenso ihre Herkunft wie ihre Begabung, ihr Interesse am gelehrten Gespräch und ihre Förderung der Wissenschaften evoziert. Leibniz erscheint als Referenzfigur: er hat die Herrenhäuser Gärten und den Schlosspark von Charlottenburg unsterblich gemacht (ebd., 27, 193); ihm kommt (neben Locke für England, Descartes, Malebranche und Gassendi für Frankreich und Sokrates für Griechenland) das Verdienst zu, „d’avoir fait descendre la philosophie du ciel […] pour la faire habiter parmi les hommes“ (ebd., 195). Als prägende Gestalt bereits in Sophie Charlottes Jugend gibt er ihren philosophischen Interessen immer wie-

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der neue Nahrung.6 Und natürlich tritt er zusammen mit der Königin als Gründer der Sozietät auf. Sehr präsent ist auch Sophie Charlottes Mutter, die „Princesse accomplie qui joignoit aux qualités les plus brillantes tous les talens de l’esprit“ (ebd., 9). Ganz deren Leben gewidmet ist ein Werk von 1810 aus der hannoverschen Perspektive der Napoleonzeit: Sophie Churfürstin von Hannover im Umriß von Johann Georg Heinrich Feder, Leiter der Hofschule zu Hannover und Direktor der Königlichen Bibliothek. Dort hatte er Zugriff auf die Korrespondenz zwischen Leibniz und der Kurfürstin, und daraus, so gibt er einleitend zu erkennen, erwuchs ihm der Gedanke ihrer Lebensbeschreibung (Feder 1810, [IX]): „Denn allein schon dieser Briefwechsel konnte hinzureichen, ihren Charakter von den interessantesten Seiten zu zeichnen“. Unmittelbar davor hatte Feder Gründe für eine Erinnerung an Sophie aufgezählt: „im tiefsten Unglück geboren“, sei sie die Thronerbin Englands gewesen, die Mutter der Königin Sophie Charlotte – und: „die Freundin unseres Leibnitz“. Dessen Äußerungen werden zu ihrer Charakterisierung zitiert. Briefe aus der Korrespondenz kommen in einem Anhang zum Abdruck. Wieder ist die Augenhöhe unverkennbar. Wenn Leibniz’ Briefe zur Grundlage für ein von Feder vermisstes ‚Monument‘ der Kurfürstin werden, spiegelt sich darin aber auch Tendenz zu einer ‚Popularisierung‘ der Fürstin. Noch im Vormärz, aus der Berliner Perspektive von Karl August Varnhagen von Enses Leben der Königin von Preussen Sophie Charlotte von 1837, wird Leibniz als Gelehrter, Hof- und Staatsmann gleichermaßen gewürdigt. Königin Sophie Charlotte (hier wird ein Dictum Friedrichs II. wieder aufgegriffen) habe es für einer Königin nicht unwürdig gehalten, einen Philosophen zu schätzen (Varnhagen von Ense 1837, 17). Aber vor allem ‚gehört‘ Leibniz Hannover (wobei mehrfach betont wird, er habe sich, zusammen mit Kurfürstin Sophie, zur Beilegung gelegentlicher Spannungen zwischen den beiden Höfen eingesetzt). Seine Verbindung zu diesem Hof sei von 1676 an „stets inniger geworden, der Dienst in edle Freundschaft übergegangen“ (ebd., 90); für den Hof zu Hannover ein „Glück“, „von unschätzbarem Werthe“: im Dienste von dessen politischem Aufstieg, als treuer Freund und edler Geist – mit dem Resümee: „sein Dastehen inmitten dieses Fürstengeschlechts gehört unter die schönsten Erscheinungen der Geschichte“ (ebd., 17). 6. VOR 1866: POLITISIERUNG UND HOFKRITIK Das kulminiert wenige Jahre später – und zugleich bahnt sich ein Umschwung an. Zur Säkularfeier 1846 (und bereits zuvor 1842) erscheint die erste große LeibnizBiographie des (mit Varnhagen von Ense befreundeten) Breslauers Gottschalk Eduard Guhrauer (dazu Brather 1989) Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz.   6

Ebd., 15: mit einer Nuance: am Hof zu Hannover wird er nur en passant mit Herzog Johann Friedrich in Verbindung gebracht, viel stärker dagegen mit dessen Nachfolger Ernst August.

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Eine Biographie. Sie setzt ein mit einer kritischen Übersicht über die bisherigen Arbeiten auf diesem Gebiet, wobei insbesondere die Glaubwürdigkeit von Eckharts Aussagen angezweifelt wird (Guhrauer 1846, Bd. 1, XVI f.). Guhrauer kann gegenüber seinen Vorgängern eine deutlich erweiterte Quellenbasis aufweisen, basierend auf Recherchen in mehreren großen europäischen Handschriftenbeständen (auch in Hannover); er zeichnet Leibniz nicht nur in seinen ‚Qualitäten‘, sondern auch in vielen Aktionen, in der Beziehung zu Personen an den Höfen und in der gelehrten Welt, in der gedanklichen Entwicklung. Aber wenn er in seiner Vorrede zur Jubiläumsausgabe feststellt: „der religiöse und kirchliche oder politische Partheigeist hat selten seinen Einfluß in dem Grade geübt, wie bei Leibniz“ (ebd., XXIII), so ist auch sein eigenes Werk davon nicht auszunehmen. Leibniz, „eben so sehr Staatsmann als Philosoph“ (ebd., VIII), hält „den Mächtigen und Großen, welche ihn zum Freunde wählten“ den „Spiegel der Fürstenpflichten mit ebenso viel Muth als Klugheit vor“ (ebd.). Unter dem Mantel eines „Aristokraten und Fürstendieners“ schlägt sein Herz „für die große Mehrzahl der Menschen“ (ebd., IX). Seine Wirkmöglichkeiten sind freilich eingeschränkt durch die äußeren Bedingungen: „Nur mit den Fürsten schritten die Völker fort“, von ihrer „Veredelung“ hängt „die Verbesserung des Schicksals der Völker und ihrer Veredelung ab“ (ebd.) – und das ist Leibniz’ hauptsächliches Anliegen. Hier wirft das Verhältnis zu Georg Ludwig/George I. einen Schatten – auf den Fürsten und auch auf Leibniz selbst. Die Differenzen bleiben nicht ausgespart. Dazu hatten Bemerkungen Eckharts bereits Weichen gestellt. Aber bis jetzt war festzustellen: wenn Leibniz’ letzter Dienstherr überhaupt gegenüber seinen beiden Vorgängern abfiel, dann vor allem durch Verschweigen. Das deutliche Zeichen, das einen Konflikt evident machen konnte, Leibniz’ Zurückbleiben in Hannover 1714, hatte bald eine harmonisierende Erklärung gefunden: bei der Rückkehr aus Wien habe er den König nicht mehr in Hannover angetroffen, ihm nach England zu folgen habe seine Gesundheit nicht zugelassen, und so habe er Georg I. in Schriften gegen anti-hannoversche Pamphlete aus England gedient, wirkungsvoller, als es ihm von England aus möglich gewesen wäre. Wenn Guhrauer, auf Fontenelle zurückgreifend, die Herrschaft über „die zwei größten Männer des Jahrhunderts, Newton und Leibniz“ Georg I. zum Ruhm gereichen lässt. (Bd. 2, 321 f.), so klingt in dieser inzwischen topischen Wendung (die jetzt auch dem König selbst in den Mund gelegt wird) die längst etablierte Augenhöhe an: der Untertan adelt den Herrscher. Aber es wird auch ein grundsätzlicher Dissens angesprochen: wohl habe sich Leibniz’ höfische Position unter Georg Ludwig nicht geändert, aber der Tod Ernst Augusts habe eine „unersetzbare Lücke“ für ihn bedeutet; erklärt mit dem Gegensatz „so verschiedener Persönlichkeiten“ (ebd., 143 f.). 1714 ist es zwar vor allem Bernstorff, der Leibniz in Hannover zurückhält (ebd., 311–313); aber hinter dem Konflikt steht eine insgesamt negative Beurteilung von Georg Ludwigs Charakter. Das zeigen gelegentlich eingestreute Bemerkungen – und vor allem die breite Schilderung der Königsmarck-Affaire (ebd., 148–152), die, literarisch immer präsent, vor kurzem durch eine externe Publikation von Aktenmaterial dokumentiert worden war (dazu Schnath, 1938–1982,

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Bd. 2, 1976, 212–215). Daran schließt Guhrauer Gedanken zur Hofkritik an – und Mutmaßungen zu Leibniz’ Position in dieser Geschichte (sie wird abschließend geradezu als „dunkle[r] Punkt“ in seinem Leben bezeichnet [Guhrauer 1846, Bd. 2, 153]); zugleich wird der hannoversche Hof aufgefordert, endlich seine Archive zu öffnen. Als Hofmann ist Leibniz nicht nur erhoben, nicht nur Wegweiser der „Veredelung“, sondern auch gefährdet – und dem Hof wird keine Erhabenheit, kein „Geheimnis“ mehr zugestanden. Das Bild von Leibniz’ Hofbeziehungen erhält einen weiteren Aspekt durch Onno Klopps große Edition von 1864–1884, die die Materialbasis für Biographien und insbesondere die Beurteilung des Gelehrten am Fürstenhof erheblich erweiterte. An anderer Stelle dieses Bandes behandelt, ist sie hier nur kurz zu erwähnen. In seiner elfbändigen Briefedition unter dem Namen Historisch-politische und staatswissenschaftliche Schriften sah Klopp einen „reiche[n] Schatz des Wissens nach allen Richtungen der geistigen Thätigkeit des Menschen“ sich auftun (Klopp 1864–1884, Bd. 1, 1864, IX) – aber eigentlich sollte sie für etwas anderes stehen. Denn programmatisch stellte er Leibniz’ politisches Wirken für den Hof in den Mittelpunkt, in dessen Behandlung er ein Desiderat sah (dazu Utermöhlen 1986, 68): „Dutens gab uns Leibniz den Theologen, den Philosophen, den Mathematiker, den Naturforscher, den Juristen, den Historiker [...]: er gab uns nicht den Politiker, den deutschen Patrioten Leibniz“ (Klopp a. a. O., XIII). Diese Edition sollte selbst zum Politicum werden (dazu Utermöhlen 1986); hier sei nur auf zwei Aspekte hingewiesen: den Protest über das mit eigenen Plänen konkurrierende Vorhaben von Seiten Georg Heinrich Pertz’, in dem man schon vor 1866 den Versuch einer ‚Übernahme‘ von Leibniz durch Berlin erblikken kann – und die Bedenken eines hannoverschen Gutachters gegen das Vorhaben insgesamt, nicht zuletzt wegen der Gefahr, dass Arcana (etwa zur Prinzenverschwörung) in die Öffentlichkeit kommen könnten (ebd., 72). Beide Aspekte werden in den kommenden Jahren erneut ins Spiel kommen. 7. 1866 UND DANACH: DIE HANNOVERSCHE UND DIE BORUSSISCHE PERSPEKTIVE Neben Klopp, dem engagierten Verfechter einer großdeutschen Lösung, steht ein anderer Anhänger des Welfenhauses, der sich publizistisch gegen Preußen engagierte – und sich mit Leibniz befasste: der „Welfenpastor“ Ludwig Grote (dazu Miquel 2003, 91–123). Während Klopp dem Welfenhof ins Wiener Exil folgte, blieb Grote nach 1866 zunächst im Lande, wurde wegen antipreußischer Predigten suspendiert und verbüßte mehrere Haftstrafen. Während eines der GefängnisAufenthalte konzipierte er Vorlesungen über Leibniz und seine Zeit, die er 1869, nach der Entlassung, öffentlich vortrug und publizierte. Der politische Hintergrund ist überdeutlich: die preußische Dominanz und der Reichsgedanke. Leibniz, der „König in dem weiten Gebiete der Wißenschaften“ (Grote 1869, 379), der „Gelehrteste aller Gelehrten“, aber „von Beruf ein practischer Staatsmann“ (ebd., 383), wird zum Vordenker der Reichseinheit (ebd.,

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393 f.). Als Gelehrter Kosmopolit, ist er im innersten Wesen „grunddeutsch“ (ebd., 391). Implizit scheint auch hier eine antipreußische Haltung durch: Leibniz habe ein einiges Deutschland gewollt, aber „keine Einheit, welche durch gewaltsame Unterdrückung des einen Gliedes auf Kosten des andern herbeiführt wird“ (ebd., 383). Mit dieser Haltung musste Grote nun Farbe bekennen beim Thema Leibniz und Georg Ludwig. Aus der Schrift wird deutlich, dass deren Antagonismus inzwischen in der Welt ist – aber er wird sehr differenziert behandelt. Zwischen den beiden herrscht „eine Entfremdung, die es nie zu einer vertraulichen Annäherung und persönlichen Hingabe kommen ließ“ (ebd., 441). Die Begründung dafür wird (unter Hinzuziehung von Briefen der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans) im Charakter Georg Ludwigs gesucht. Wohl wird betont, dieser habe Leibniz „keineswegs unterschätzt“, er habe dessen „Gaben und Kenntnisse“ zu würdigen gewusst, Leibniz sei ihm als Jurist und Historiker für die Zwecke des Hauses „unentbehrlich und unersetzlich“ gewesen (ebd., 442). Aber sein Naturell habe es ihm nicht erlaubt, „auf die Gedanken des großen Mannes mit jener hingebenden Anerkennung einzugehen, welche Leibniz stets bei den Vorgängern gefunden hatte“ (ebd., 442 f.). Wohl habe er Leibniz gern in seiner Nähe gesehen, aber ohne ihm einen bestimmenden Einfluss einzuräumen (ebd., 451). Doch jenseits der von der Herzogin angelegten Grundlinien hellt sich das Bild des Fürsten auf; er sei willensstark, ausdauernd, weltklug und ein einsichtiger, selbständiger Herrscher gewesen, der seine Entscheidungen sorgfältig durchdachte; gebildet und arbeitsam, streng, aber gerecht (ebd., 444); das wird auch mit einem Satz aus Leibniz’ Feder untermauert. Gerade diese Eigenschaften sind es, die das kühle Verhältnis mitbestimmen: Besonders mistraute er Leibnizens Ausdauer im Arbeiten und moquirte sich über seine Vielgeschäftigkeit. Er, der mit zäher Arbeitskraft ausgerüstete Fürst, konnte es nicht vertragen, daß der große Philosoph einem Fische glich, der in allen Gewäßern schwamm und über seinen mannigfachen Plänen und Entwürfen oft das Nächste unterließ oder vergaß, was sein Beruf von ihm forderte (ebd., 451).

Auch gegen die inzwischen kursierenden Bilder hält der „Welfenpastor“ seinem Herrscherhaus die Treue – und Leibniz, einleitend zu den „ersten Männern unsers Volkes“ (ebd., 1) gezählt, ist wieder in den Untertanen-Status versetzt. Wie bereits Guhrauer formuliert auch Grote (wieder im Zusammenhang der Frage, ob Leibniz Mitwisser der Königsmarck-Affaire gewesen sei) seine Hoffnung auf eine Öffnung der hannoverschen Archive. Diese erfolgte in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, einhergehend mit einer Professionalisierung der Landesgeschichtsforschung auf der Basis einer intensiven Erschließung von Archivalien und Bibliotheksbeständen, insbesondere Korrespondenzen zur „Glanzzeit“ Hannovers, die eben auch Leibniz betrifft, aber weit darüber hinaus fürstliche und höfische Korrespondenz überhaupt umfasst. Wohl die wirkungsmächtigsten Publikationen sind hier die Veröffentlichungen Richard Doebners gewesen, Leibnizens Briefwechsel mit dem Minister von Bernstorff von 1881 bzw. die Nachträge dazu von 1884, jeweils erschienen in der

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Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen. Doebner war zur Zeit der Publikation Archivar am Staatsarchiv Hannover, dorthin sollte er 1895, nach einem Jahrzehnt am Geheimen Staatsarchiv Berlin, als Direktor zurückkehren. Auch leitete er von 1901–1907 den Historischen Verein für Niedersachsen. In Leibniz’ Briefwechsel mit dem vorrangig für die Begutachtung der Hausgeschichte zuständigen Minister liegt die wachsende höfische Kritik am Ausbleiben des Werkes klar zutage. Seitdem ist dieses Thema in der Leibniz-Literatur etabliert – und es werden Folgerungen daraus gezogen. Aus der Bernstorff-Korrespondenz hatte bereits Guhrauer punktuell zitiert (Guhrauer 1846, Bd. 2, 312 f.). Aber dass jetzt ein neues Leibniz-Kapitel beginnt, wird auch ohne Blick in die ältere Literatur klar durch Doebners Einleitung (Doebner 1881, 206). Wenn er bemerkt, Klopp (der diese Briefe unberücksichtigt gelassen hatte) habe anscheinend vermeiden wollen, „offenes Licht über die Differenzen zu verbreiten, welches Leibnizens Verhältniß zum hannoverschen Hofe in seinen letzten Lebensjahren trübten“, beansprucht er für sich eine signifikante Korrektur. Zugleich klingt der Grundton an, der die Publikation bestimmt: die Erzählung vom Genie, dessen Flügel beschnitten wurden durch einen ignoranten Hof, der sich seiner als nicht würdig erwies; von Doebner mit Nachhaltigkeit verbreitet mit den edierten Briefen und mehr noch in seinem Kommentar. Mit dem Tode der Kurfürstin Sophie verliert „die Stellung des Philosophen zu Hannover auch den Rest eines idealen Verhältnisses“ (ebd., 226). Denn Georg Ludwig fehlte „der Adel der Gesinnung, welcher Leibnizens Geistesleistung die Achtung nicht entzogen hätte, wenn auch ihm selbst die Kraft, seinem hohen Fluge zu folgen, versagt war“ (ebd. ). Auch die Kurfürstin bleibt nicht ganz ungeschoren: aus ihrer Korrespondenz wird deutlich, „daß sie in Leibniz einen willkommenen Gegenstand für ihre geistreichen Unterhaltungen erblickte“ (ebd.). Mit zwei Briefen der Edition von 1881 ist zudem das sogenannte „Reiseverbot“, von den Höfen zu Hannover und Celle in kurzen Abständen Anfang Juni 1705 erlassen (A I,24 N. 377 u. N. 390), in der Welt, das heute zu den markanten Elementen des kollektiven Leibnizbildes gehört. Kritik an den ausgedehnten „Correspondentzen und Reysen“ war, wie wir gesehen hatten, bald nach Leibniz’ Tod geäußert worden; in den ersten Jahrzehnten, durch Eckhart genährt, öfters zitiert, dann so gut wie verschwunden. Seit Doebner aber bildet das „Reiseverbot“ den Referenzpunkt, auf den immer wieder zurückgegriffen wird, wenn es gilt, den Antagonismus zwischen universaler Gelehrsamkeit und Hofdienst zu illustrieren. Für Doebner steht hinter dieser Schikane der Gegensatz Hannover – Berlin: „als die kleinliche Furcht vor dem Nachbarn Leibnizens rastlose Beweglichkeit bedenklich erscheinen ließ, da ergriff man freudig ein Mittel, welches Kurfürst Ernst August, von höheren Gesichtspunkten geleitet, an die Hand gegeben hatte. Die Fertigstellung der Geschichte des welfischen Hauses, die man in rücksichtsloser Weise betrieb, erschien geeignet, den hohen Geist in Fesseln zu legen“ (ebd., 226): die Annales Imperii als Fußfessel. „Die kleinliche Furcht vor dem Nachbarn“: spielt hier eine borussische Lesart hinein? Doebners Kommentar enthält, wie gesagt, eine Spitze gegen den beken-

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nenden Welfen-Anhänger Klopp – wobei ungesagt bleibt, dass dieser seine Bände einem Zensor des Königlichen Hausministeriums in Hannover vorzulegen hatte, der gelegentlich Einwände erhob (Utermöhlen 1986). Doebner war im damaligen Königreich Hannover aufgewachsen; Karriere machte er in der preußischen Provinz Hannover. Ähnliches gilt für Eduard Bodemann, seit 1867 Direktor der Königlichen Bibliothek Hannover. In enger Zusammenarbeit mit ihm erfolgte Doebners Edition des Bernstorff-Briefwechsels. Bodemann selbst veröffentlichte 1890 (wieder in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen) Nachträge dazu, in denen ebenfalls „die nicht würdige Behandlung Leibnizens, die traurigen Differenzen, welche dieses großen Mannes Stellung zu Hannover in seinen letzten Lebensjahren trübten“ (Bodemann 1890, 131) beklagt werden. Allerdings steht hier weniger der Hof am Pranger als Leibniz’ Mitarbeiter Eckhart, dessen Briefe an Bernstorff hier vorrangig gedruckt sind. Dass die Verstärkung dieser – seit der Mitte des 19. Jahrhunderts sich bereits andeutenden, vor 1866 in Hannover aber wohl kaum in dieser Schärfe möglichen – Tendenz in der Beurteilung von Leibniz’ Position am hannoverschen Hofe tatsächlich einen borussischen Hintergrund haben konnte, zeigt ein Blick auf die Geschichte der Königlich Preußischen Akademie des Berliner Ordinarius für Kirchengeschichte Adolf von Harnack, die 1900 zum 200-jährigen Gründungsjubiläum erschien. Im ersten Band wird Leibniz ausführlich dargestellt, als „universaler Denker und Organisator“ (Harnack 1900, Bd. 1.1, 9–19) – und als ‚Berliner‘: „In Hannover hatte Leibniz bei den Fürsten, mit Ausnahme des Herzogs Johann Friedrich [...] eine wirkliche Anerkennung niemals gefunden. Aber sie schätzten die positiven Dienste, die sein Name und seine Arbeitskraft den welfischen Interessen leisten konnten, und sie wachten eifersüchtig darüber, dass er nicht die Bahnen welfischer Politik verließ“ (ebd., 33). Wieder manifestiert sich die Entfremdung vor allem in Kurfürst Georg Ludwig: „Niemals hat Leibniz das Vertrauen dieses Fürsten besessen, der seinem geistigen Schaffen theilnahmslos gegenüberstand und ihn nur deshalb nicht frei gab, damit er die Annales Imperii vollende“ (ebd., 33 f.). Dem gegenüber steht freilich Kurfürstin Sophie, die „Beschützerin und verständnisvolle Freundin“. Aber auch sie zieht „seine Kräfte in ihre Dienste“; wenn Leibniz sich ihr für ihre großen politischen Pläne zur Verfügung stellt, sind das nicht immer seine eigenen. Und doch kommt der Kurfürstin zentrale Bedeutung für Leibniz’ eigene Vorhaben vor, als „Mittelglied [...], welches Leibniz mit dem Brandenburgischen Kurhause und dem Preussischen Staat in Verbindung gebracht hat“ (ebd., 34) – dem Staat, zu dem Leibniz Verbindung gesucht hat, der für ihn wie kein anderer „auf die Hebung der geistigen und materiellen Cultur seiner Unterthanen bedacht war“ (ebd., 39). Hier kommt natürlich Königin Sophie Charlotte ins Spiel – aber auch, bereits vor dem regelmäßigen Austausch mit ihr, Leibniz’ Beziehung zu Berliner Hofleuten und Gelehrten (ebd., 41): in Berlin findet er das, was ihm in Hannover weitgehend verwehrt bleibt. Dass Doebners Publikationen nachhaltig auf das Bild von Leibniz’ höfischen Beziehungen gewirkt haben, zeigt der Blick auf ein Werk, dessen Verfasser weder

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in Hannover noch in Berlin zu verorten ist: die Geschichte der neuern Philosophie des Heidelberger Ordinarius für Philosophie Kuno Fischer, die seit 1852 in immer wieder neuen Auflagen erschien; genauer: der Vergleich der ersten Auflage mit der fünften, die, von Wilhelm Windelband und Willy Kabitz vorbereitet, 1920 postum erschien. Im 1855 erschienenen Band 2 der ersten Auflage mit dem Titel Leibniz und seine Schule nimmt sich die Vita (Fischer 1855, 31–77) eher bescheiden aus, als Auftakt zur Behandlung von Leibniz’ philosophischen Grundgedanken. Die gelehrten Kontakte treten kaum in Erscheinung; Leibniz’ Wirken für die Welt der Gelehrten ist (jenseits des Œuvre) auf das Thema Akademien beschränkt. In den Hofbeziehungen erscheint er primär als Staatsmann, als Ratgeber, der den Aufstieg Hannovers begleitet (ebd., 48 f., 55). Diesem von „Kabalen und Abentheuern“ bewegten Hof, den mehrfachen Herrschaftswechseln dort ist er ausgesetzt (ebd., 54). Aber er ist auch der „ausgezeichnete und bewährte Freund“ der Kurfürstin Sophie und ihrer Tochter Sophie Charlotte (ebd., 62). Wie zuvor in Hannover und Wolfenbüttel gelingt es ihm, in Hannover und Berlin eine „Doppelstellung“ zu erringen (ebd., 62) – die freilich nach dem Tode der philosophischen Königin in die „mißliche Seite dieses diplomatischen Zwischenlebens“, in „Mißtrauen und Eifersucht“ umschlägt. Und mit Sophies Tod geht auch Leibniz’ „glücklicher Stern“ in Hannover unter (ebd., 65). Kurfürst Georg Ludwig hält nichts von seinem Rat „in höchsten Angelegenheiten“ – er würdigt „nur den gelehrten Philosophen“ (ebd., 65). Hinzu kommt die Verstimmung über Leibniz’ Vernachlässigung seiner dienstlichen Aufgaben durch die langen Aufenthalte in Berlin und Wien (ebd.). Und so wird seinem Wunsch, dem König nach London zu folgen „und auf die neue Regierung Englands Einfluß zu nehmen“ (ebd.), nicht stattgegeben. Im 1920 erschienenen Band 3 der fünften Auflage, Gottfried Wilhelm Leibniz. Leben, Werke und Lehre, wird der Vita sehr viel mehr Raum gegeben, im Titel wie dem Umfang nach. Die Einbindung in die Welt der Gelehrten wird auch jetzt nur punktuell behandelt (ein Kapitel [Fischer 1920, 228 f.] zu den Akademie-Plänen ist aber überschrieben „Die Gelehrtenrepublik“; es evoziert „einen Föderativstaat gelehrter Gesellschaften, um die Zivilisation der Menschheit durch die Wissenschaft zu leiten und zu befördern“); die intellektuelle Biographie über die Jugendzeit hinaus konzentriert sich weitgehend auf das Œuvre. Auch jetzt spielen die Hofbeziehungen eine große Rolle. Leibniz’ „Doppelstellung“ zwischen Hannover und Berlin kommt, zum Teil in fast wörtlicher Übereinstimmung mit der ersten Auflage, zur Sprache (ebd., 124–126). Seine politische Bedeutung ist jedoch reduziert; für die Bemühungen, Konflikte zwischen den beiden Höfen zu entschärfen, erntet der „selbstgewählte Mittler“ nur „Undank und Mißtrauen“ (ebd., 225). Aber noch stärker treten die fürstlichen Mäzeninnen hervor (mit eigenen Kapiteln); neben Kurfürstin Sophie und Königin Sophie Charlotte auch die Princess of Wales Caroline und Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans. Vom Verhältnis zu diesen Fürstinnen, „die unseren Philosophen zu würdigen vermocht, an seinem Umgang und seiner Geistesfülle sich erquickt und demselben ihre Freundschaft geschenkt haben“ (ebd., 243), hebt sich das zu Kurfürst Georg Ludwig umso

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dunkler ab. Wieder werden dessen negative Charaktereigenschaften betont (ebd., 279 f.). Sie manifestieren sich auch in Leibniz’ Behandlung: „So lohnte einem solchen Manne ein solcher König“ (ebd., 283). Das betrifft vor allem die Zeit nach Leibniz’ Rückkehr aus Wien, mit der „förmliche[n] Einsperrung“ (ebd., 282), der verweigerten Berufung nach London (jetzt nicht mehr zum politischen Berater, sondern zum englischen Historiographen). Ein besonders hartes Urteil (in dem alle Quellenzeugnisse nur zu Ungunsten Georgs I. ausgelegt werden) erfährt die Verzögerung der Belohnung für die (‚fast‘ fertige) Hausgeschichte bei dessen Hannover-Aufenthalt 1716 (ebd., 285). Auf diesem Punkt wird geradezu insistiert; Klopps Behauptung, Leibniz’ Berufung nach England sei damals beschlossene Sache gewesen, wird für haltlos erklärt (ebd., 286). Auch wenn es Leibniz’ Tod gewesen sein mochte, der die Belohnung verhinderte, ist das Resümee: „Nie ist ein großer Mann von einem Fürsten kleinlicher gemißhandelt worden, als Leibniz von Georg I.“ (ebd., 285). Gegenüber solch emphatischer Kritik nimmt sich die Darstellung des „Reiseverbots“ recht sachlich aus, begründet mit Georg Ludwigs Befürchtungen um die Hausgeschichte (ebd., 281). Davor war zwar getadelt worden, er habe in Leibniz „blos seinen hannoverischen Diener und Hofgelehrten“ gesehen (ebd., 280); gleichzeitig kommt aber ein gewisses Verständnis für ihn zum Ausdruck: die lange Zeit, die seit der Beauftragung vergangen war, die fortwährend gebrochenen Versprechen zur Vollendung, das Engagement in Berlin, die häufigen Reisen auch ohne Genehmigung, das alles habe ihn mit „Mißtrauen gegen Leibniz“ erfüllt (ebd., 280). Auch sonst ist Leibniz nicht über jede Kritik erhaben. Das Werk, das explizit keine reine Eloge sein will (ebd., 227), möchte dessen eigenen Anteil an den Konflikten nicht verschweigen: Die Urschuld ist sein Trieb zu einer ungemessenen Ausbreitung der Tätigkeit, zu einer Vervielfältigung nicht blos seiner Aufgaben und Arbeiten bis zu einem Grade, dem kein Sterblicher gewachsen ist, sondern auch seiner Wirkungskreise und Stellungen, wodurch er Pflichten über Pflichten auf sich häufte, die das Maß der Erfüllbarkeit weit überschritten (ebd., 227).

Gemeint sei damit nicht die „vielumfassende gelehrte Tätigkeit unseres Philosophen, die zu bewundern, in mancher Rücksicht auch zu beklagen, aber nicht zu tadeln“ sei (ebd.), sondern dessen „Sucht nach [...] Ämtern“, nicht allein im Dienste der Wissenschaft, sondern auch durch den „Drang nach Einfluß, Ehren und Einkünften“ (ebd.). Mit dem Resümee: Unter den großen Philosophen der Welt war wohl keiner dem Herrendienste so geneigt und darin so gefügig, wie Leibniz, der [...] das gute Wort der Schrift fast vergaß: ‚niemand kann zweien Herren dienen‘. Daß er diese Wahrheit unbeherzigt ließ, war die Wurzel aller der Übel, die ihm seine letzten Jahre verbittert haben (ebd., 228).

Zurück bleibt ein Eindruck von Ambivalenz und Vielschichtigkeit (die sich vielleicht durch Einbeziehung auch der anderen Auflagen aufschlüsseln ließe) – und das Bild eines großen Denkers, in dem die multiplen höfischen Beziehungen, die herkuleischen Aufgaben nicht mehr Glanzlichter darstellen, sondern dunkle Punk-

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te. Derartige Kritik wird sich in den kommenden Jahrzehnten zu einem neuen Stereotyp entwickeln. 8. DIE ROLLE DES „WELTWEISEN“ AM HOFE IN DER KRITIK Ab 1923 tritt die historisch-kritische Leibniz-Edition in Erscheinung; mit ihren Bänden, insbesondere aus Reihe I, dem Allgemeinen, politischen und historischen Briefwechsel, erhält das Bild von Leibniz’ Biographie eine Vielzahl weiterer Mosaiksteine. Mit ihrem Grundprinzip der nicht-selektiven Materialwiedergabe, mit ihrer den unredigierten Nachlass spiegelnden Ausweitung auf Stücke, die wenig repräsentativ für eine ‚große Erzählung‘ erscheinen, lässt die Akademie-Ausgabe auch den Alltag, die ‚Mühen der Ebene‘ hervortreten. Die zunehmende Dokumentierung von Leibniz’ Leben (hinzu kommen Auswertungen des Nachlasses auch außerhalb der Edition) führt zunächst für die höfischen Beziehungen zu einer radikalen Umdeutung. Eine Einzelstimme ist die Biographie Leibniz. Der Philosoph der universalen Harmonie. Der Autor Kurt Huber, der sich zuvor vor allem als Musikwissenschaftler einen Namen gemacht hatte, hatte ab 1942 daran gearbeitet, zuletzt, bis zu seiner Hinrichtung im Juli 1943 als einem Mitglied der Weißen Rose, im Gefängnis Stadelheim. 1951 erschien das Werk postum, wobei die von Huber nicht abgeschlossenen Kapitel aus Fragmenten kompiliert wurden (dazu Huber 1951, 430). Die späteren Hannoveraner Jahre fehlen – und damit die Notwendigkeit einer eindeutigen Positionierung in der Beurteilung der höfischen Beziehungen. Aber bereits für die Johann Friedrich-Zeit werden diese entidealisiert: „Die Akten lassen Leibniz’ Stellung am Hofe von Anfang an wesentlich ungünstiger erscheinen als freundliche Geschichtsschreibung wollte“ (ebd., 108). Das gilt zwar nicht für die Beziehung zum Herzog selbst, dem Leibniz „mehr Freund und Gesellschafter als Beamter“, geradezu „gelehrter Mentor“ ist (ebd., 108) – doch vermag der Fürst „die Widerstände seines Beamtenapparats gegen den unbequemen Außenseiter nicht mit einem Federstrich zu überwinden“ (ebd., 107). Und mit dem Regierungsantritt Ernst Augusts, des kühlen Machtmenschen, ändert sich Leibniz’ Position sehr zu seinen Ungunsten (ebd., 153). Wieder bestimmt die neue Quellenlage das veränderte Bild: „Leibniz ist dem Herzog persönlich nie wirklich nahegetreten – das erweisen die Akten gegenüber aller schönfärberischen Geschichtsschreibung mit nackter Deutlichkeit“ (ebd.). Aber es gibt eine Lichtgestalt: Herzogin/Kurfürstin Sophie. Leibniz und sie, „die beiden einzig überragenden Geister des damaligen Hannover“ (ebd., 154), schaffen „eine geistige Atmosphäre, die […] alle edleren Geister, nicht zuletzt auch nach und nach Ernst August selbst, in ihren Bann zog“ (ebd.). Wenn der Philosoph am Fürstenhof von Huber Kritik erfährt, dann deshalb, weil er die Nouveaux Essais und die Theodicée exoterisch dem höfischen Ton angepasst und auch tiefste Fragen mitunter mit einer gewissen Nonchalance behandelt habe (ebd., 156).

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Neben (und bereits vor) Huber erheben sich andere Stimmen, die in der Folgezeit den Grundton angeben werden. Verstärkt äußert sich die (bei Fischer 1920 bereits angeklungene) Kritik an Leibniz’ mangelhafter Erfüllung der höfischen Dienstpflichten und an seinem ambitionierten politischen Engagement; es kommt geradezu zu einem Seitenwechsel bei der ‚Schuldzuweisung‘. Man ist geneigt, diese Tonart wieder einem Namen zuzuweisen: Georg Schnath, Direktor des Staatsarchivs zu Hannover und Professor für Landesgeschichte in Göttingen. Allerdings tritt er weniger direkt in Erscheinung als vielmehr als ‚Graue Eminenz‘. In seiner monumentalen Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674–1714, erschienen in vier Bänden 1938–1982, deren Quellengrundlage auch die Leibnitiana in Hannover waren, deutet sich diese Tendenz nur an. Leibniz, der „Weltweise“, tritt sehr oft auf (die Registerpositionen zu ihm umfassen fast 2 Seiten), aber immer nur en passant; in seinem Wirken als Hofbibliothekar, der sich aber (was zeittypisch für einen damaligen Gelehrten sei) stets vielmehr „als Hofrat und politischer Berater seines Fürsten fühlte und betrachtet wissen wollte“ (Bd. 1, 1938, 105), in zahlreichen höfischen und auch politischen Belangen, insbesondere als Verfasser von Denkschriften. Und seiner „Politische[n] Betätigung“ gilt ein Sonderbetreff des Registers. Jedoch wird dem politischen Wirken des „weitgehend vom praktischen Handeln ausgeschlossenen Gelehrten“ (Bd. 4, 1982, 8) wenig Erfolg zugestanden (die Vorbereitung der englischen Sukzession Hannovers ausgenommen); eine Einschaltung in die welfische Hauspolitik wird auch schon einmal als ‚gut gemeint‘ abgetan (Bd. 3, 217 f.). Beim Verhältnis zu den Fürsten steht natürlich Kurfürstin Sophie im Mittelpunkt, für die Leibniz der „ständige Berater“ ist (Bd. 4, 8), als deren Sprachrohr er gelegentlich zitiert wird (etwa ebd., 121). Zu den großen Verdiensten des (hinter seinem Bruder Ernst August in der Darstellung zurücktretenden) Herzogs Johann Friedrich gehört, dass er Leibniz an den Hof zu Hannover geholt hat (Bd. 1, 1938, 128). Im vielschichtigen Charakterbild Ernst Augusts (Bd. 1, 134 f.) sind die „Musen und Wissenschaften“ diesem „nur Mittel zum Zweck, seinen Glanz zu mehren und seine Herrschaft zu erhöhen“, und so bleibt ihm die Philosophie „seines Leibniz“ fremd. Bei Georg Ludwig hingegen wird erst einmal der unverdient schlechte Ruf beklagt. Das gilt auch für sein Verhalten gegenüber Leibniz. Zwar wird dem Kurfürsten diesem (und ebenso dem „durchgebrannten“ Hofmusiker Georg Friedrich Händel) gegenüber „keine sehr glückliche Hand“ „im Umgang mit Genies“ attestiert – aber dann wird er sogleich entlastet: beiden habe er „ein beachtliches Maß an Geduld und Toleranz entgegengebracht“ (Bd. 3, 1978, 512). Zuvor war bereits Verständnis für den Ärger des Kurfürsten über die ausbleibende Hausgeschichte geäußert worden (Bd. 1, 158). Deutlicher (und früher schon) war Schnaths kritische Beurteilung von Leibniz’ Bemühungen auf dem Felde der Politik im Rahmen einer Rezension zum Ausdruck gekommen. Sie galt einer Arbeit, die, hier an sich zu einem anderen Kapitel gehörend, auch in unserem Kontext Zeichen gesetzt hat: die Leidener Dissertation von Petronella Fransen, Leibniz und die Friedensschlüsse von Utrecht und Baden-Baden von 1933. Auf breiter Quellenbasis (und stark psychologisierend) wird hier ein vorherrschendes Bild demontiert: Leibniz, der sich in der Welt

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der Höfe unsicher und als Emporkömmling bewegt habe (Fransen 1933, 200– 203), wird jeglicher politische Erfolg abgesprochen. Das erfuhr große Zustimmung durch Schnath: Fransens Arbeit widerlege die zahlreichen Stimmen, „die, befangen in der überragenden Bedeutung des Gelehrten Leibniz, auch jeder seiner politischen Äußerungen ein weltpolitisches Gewicht beimessen möchten“ (Schnath 1933, 216). In dessen „unglücklichem Verlangen, [...] eine Rolle unter den Staatsmännern zu spielen“, liege „eine gewisse Tragik“. Allerdings sei dies nicht nur aus der Person, sondern auch aus der Zeit zu verstehen. Die Versuche auf dem politischen Parkett seien Mittel zum Zweck gewesen, um die Pläne auf dem Gebiet der Wissenschaftsorganisation umzusetzen: „Der Weg zu den Akademien führte eben durch die Kabinette oder doch wenigstens ihre Vorzimmer“. Wenn Schnath in seiner Kritik insgesamt recht moderat blieb, so gilt das nicht für seinen Kreis. In der (wiederum an anderer Stelle genauer behandelten) Dissertation der Schnath-Schülerin Waltraut Fricke, Leibniz und die englische Sukzession des Hauses Hannover, die 1957 (postum) erschien, wird Leibniz’ Wirken auf diesem Gebiet schon fast vernichtend abgeurteilt: am Zustandekommen der Sukzession komme ihm nicht nur kein entscheidender Anteil zu, diese sei eher „trotz seines Eingreifens erfolgt“ (Fricke 1957, 115). Mehrfach (aber keineswegs ausschließlich; vgl. Müller 1966) ist diese Tendenz vertreten in dem von Wilhelm Totok und Carl Haase 1966, zu Leibniz’ 250. Todesjahr, herausgegebenen Band Leibniz. Sein Leben – sein Wirken – seine Welt, der in der Vielstimmigkeit seiner Beiträge ein Lebensbild aus sehr unterschiedlichen Perspektiven darstellt. Carl Haase, Schnaths Nachfolger im Staatsarchiv Hannover, behandelt in Leibniz als Politiker und Diplomat Leibniz’ politische Tätigkeit als „eine Kette von Mißerfolgen, meist von vergeblichen und wenig beachteten Bemühungen“ (Haase 1966, 195), und erklärt dies mit dessen Position in der höfischen Hierarchie. Als Nicht-Adliger sei er hier „zum Dienen in dem [...] von Fürsten und Ministern gesetzten Rahmen verurteilt“ gewesen (ebd., 197), seine Versuche, diese Schranken zu überspringen mit dem Gewicht seines Ruhmes als Wissenschaftler, seien weitgehend erfolglos geblieben. Im selben Band geht Schnaths zeitweiliger Mitarbeiter Werner Ohnsorge mit seinem Beitrag Leibniz als Staatsbediensteter noch darüber hinaus: er zeichnet das Bild eines Genies, das an mangelnden praktisch-organisatorischen Fähigkeiten und fehlendem Realitätssinn scheitert (Ohnsorge 1966, 192), dem darüber hinaus „mangelnder Respekt“ vor den dienstlichen Verpflichtungen vorgeworfen wird. Dem hannoverschen Hof wird erstaunliche „Geduld und Nachsicht“ attestiert: „Das Genie setzt sich souverän über die Forderungen seines Souveräns hinweg, und der Souverän findet sich im Grunde damit ab, in einem dumpfen Gefühl für die Größe der Leistungen seines Dieners, für die ihm das eigentliche Verständnis abgeht“ (ebd.). Aber hinter dem Konflikt steht auch der altbekannte Antagonismus: „die Antinomie zwischen Genie und Territorium“, für Leibniz „nur tragbar durch [...] Flucht aus dem Territorialstaat in die ‚Res publica literaria‘“ (ebd.). Diese wird in der Folgezeit nach langer Latenz wieder stärker hervortreten. Schnaths Schüler Armin Reese, der im Rahmen seiner 1967 erschienenen Dissertation Die Rolle der Historie beim Aufstieg des Welfenhauses 1680–1714

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die Arbeit an der historia domus und das höfische Warten darauf detailliert auf archivalischer Basis behandelte, findet gelegentlich ein paar anerkennende Worte für Leibniz’ Tätigkeit, aber insgesamt urteilt er über dessen Umgang mit dieser zentralen dienstlichen Aufgabe ähnlich: mangelnde Konzentration auf das Werk wegen vielfältiger anderer Arbeiten (Reese 1967, 170), häufige Reisen und als höfische Reaktion darauf das „Reiseverbot“ (ebd., 171–173). In diesem Zusammenhang wird die „von der Leibniz-Literatur immer wieder hervorgehobene Tatsache“, daß Leibniz kein persönliches Verhältnis zu Georg Ludwig gehabt habe“ (ebd. 172), für irrelevant erklärt: das sei auch unter Ernst August nicht anders gewesen, damals aber habe Leibniz mit Erfolgen aufwarten können. Nach dem Reiseverbot von 1705 („ein Höhepunkt des Mißfallens und des Mißtrauens“ [ebd., 173]) wird ein weiteres von 1709 ironisiert als „Fördermaßnahme“ für die Hausgeschichte (ebd., 185). Auch wenn es einmal der Wunsch Georg Ludwigs, „mit seinem Historiker zu glänzen“, ist (ebd., 186), der zu einer weiteren Verzögerung führt – die Schuldfrage ist eindeutig. 9. DIE NEUE HEIMAT: DIE GELEHRTENREPUBLIK Mit der Akademie-Ausgabe erhalten nicht nur Leibniz’ höfische Beziehungen Tiefenschärfe, sondern auch die zur gelehrten Welt. In ihrer Fülle (insbesondere auch zu den Gestalten aus der ‚zweiten und dritten Reihe‘) werden sie erst jetzt eigentlich sichtbar. Mehrere Arbeiten mit einem prosopographischen bzw. biobibliographischen Schwerpunkt (Hofmann 1974; Robinet 1988; Böger 1990; Döring 1996) beleuchten Leibniz’ Kontakte zu bestimmten gelehrten Milieus und geben damit den (in der Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts ohnehin in den Hintergrund getretenen) gelehrten Beziehungen detailreiche Konkretisierung. Ein Meilenstein und zugleich Solitär in seiner Entstehungszeit ist der (wieder im Jubiläumsband Totok/Haase 1966) erschienene Aufsatz des Editors Georg Gerber, Leibniz und seine Korrespondenz, der die gesamte Korrespondenz unter quantifizierenden Fragestellungen untersucht. Dabei nimmt er eine soziale und sprachliche Stratigraphie vor und entwirft zugleich ein Bild von ihrer Ausdehnung und der Dynamik ihrer Entwicklung; beides hat bis heute Referenzcharakter (auch wenn sich mit dem Fortschreiten der Akademie-Ausgabe und durch neue digitale Recherchemöglichkeiten inzwischen Korrekturen ergeben haben; dazu Gädeke 2016a). Gerbers zukunftsweisende Untersuchung dürfte auch eine Reaktion gewesen sein: auf die mit jedem Band der Reihe I von Neuem geäußerte Kritik von Seiten Georg Schnaths an der Konzeption der Reihe I mit ihrer Vielzahl von Korrespondenten, die nicht dem Olymp der Geistesgeschichte angehören (dazu Gädeke 2016c, 587–591). Anlass war die enorme Ausweitung insbesondere der gelehrten Korrespondenz seit Band I, 6, das heißt: seit der Italienreise. Gerbers Darstellung der Korrespondenzentwicklung (Gerber 1966, 142) konnte dem etwas entgegensetzen: mit der Feststellung einer Kulminationsphase um 1700 und einem darauf folgenden langsamen Rückgang war ein ‚Ende der Fahnenstange‘ in Aussicht

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gestellt (dazu jetzt aber Gädeke 2016a). Vor allem war damit die Rolle der Korrespondenz in Leibniz’ Leben über alle Epitheta hinaus dokumentiert. Das von diesem seit den jungen Erwachsenenjahren systematisch aufgebaute und lebenslang gepflegte Korrespondentennetz, das sich auf alle Schichten der Bevölkerungen und fast die gesamte gelehrte Welt erstreckt, mit teilweise langfristigen Briefbeziehungen, nimmt einen außerordentlichen Rang ein. Mit über 15.000 überlieferten Briefen, europaweiter Ausdehnung von Schweden bis nach Italien, von den britischen Inseln bis nach Russland und darüber hinaus nach China, mit fast 200 Korrespondenten in der Hochphase, mit „auffallend stark[em]“ Kontakt zu den „kulturellen und gesellschaftlichen Mittelpunkten“ Europas (Gerber 1966, 144), mit knapp 1.100 Korrespondenten, darunter 150 „durchweg einflußreiche[n] Personen“ (ebd., 144 f.), erhalten die Briefbeziehungen einen zentralen Platz im Leibnizbild. Diese Zahlen (die inzwischen zum Teil nochmals nach oben korrigiert sind) geben den seit langem tradierten Urteilen und auch Leibniz’ Selbstaussagen zur Bedeutung der Korrespondenz in seinem Leben (dazu Gädeke 2005, 263 f.) Konkretisierung; damit wird er nicht nur als Universalgelehrter, sondern auch als Korrespondent zur Ausnahmeerscheinung. Auf Gerber aufbauend erschien 1977 der Aufsatz Gerda Utermöhlens, Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz – die umfangreichste Korrespondenz des 17. Jahrhunderts und der „Républiques des Lettres“, worin genau das thematisiert wird. Leibniz’ Gelehrtenbriefwechsel, in dem sich alle Themen der Zeit ebenso spiegeln wie seine dialogische Wesensausrichtung (Utermöhlen 1977, 89), kommt nicht nur in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht eine Spitzenstellung zu (ebd., 87; mit der seitdem topischen Charakterisierung als „integrale[m] Teil des Werkes“ ebd. 90); die Vielfalt der Themen und Personen, auch aus der ‚zweiten Reihe‘, ist charakteristisch für die République des Lettres (ebd.). Mit deren Wieder-Auftreten ist die Welt evoziert, in der fortan Leibniz’ eigentliche Heimat gesehen wird. Jetzt wird er zu deren Protagonisten erklärt. 10. DIE NEUEREN BIOGRAPHIEN UND LEXIKONARTIKEL Das Rohmaterial, das die großen Editionen des 19. Jahrhunderts und die Akademie-Ausgabe (insbesondere Reihe I) in großer Fülle für Leibniz’ Biographie bieten (zu den einzelnen Lebensstationen und -situationen ebenso wie zu den direkten und brieflichen Beziehungen), fand reichlich Verwendung in biographischen Darstellungen (deren vielfältige Aspekte hier weitgehend unberücksichtigt bleiben müssen). Am Anfang steht die Chronik von Kurt Müller und Gisela Krönert von 1969, ebenfalls aus dem Editorenkreis, die (für die noch nicht von der Ausgabe abgedeckten Lebensphasen auch auf dem Nachlass basierend) in Regestenform eine chronologische Darstellung von Leibniz’ Leben und Werk gibt. Dieses Werk liefert seitdem (auch wenn die weiter voranschreitende Akademie-Ausgabe inzwischen Korrekturen und Ergänzungen erbracht hat) das chronologische Gerüst für jede Beschäftigung mit Leibniz’ Biographie. Die Beziehungen zur höfischen und zur gelehrten Welt werden ganz ohne wertende Charakterisierung referiert, was

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sich etwa bei der sachlichen Darstellung des „Reiseverbots“ zeigt (Müller/Krönert 1969, 197). Dagegen beziehen die großen Biographien, die seit den 1980er Jahren erschienen sind, Stellung. Im Zentrum dieser umfassenden Lebensbilder steht Leibniz als Individuum: mit seinem Potential und seinem Wirken, in seinem Kosmos von Ideen, Prägungen und Beziehungen, in der Konfrontation mit den Zeitläuften und in der Reaktion darauf. Unser zentrales Thema stellt einen eher zurückhaltenden Grundton dar. Aber es lässt sich auf einen Punkt bringen: Leibniz ‚gehört‘ hier ganz der gelehrten Welt an; seine höfischen Beziehungen (wobei es allerdings ein paar Ausnahmegestalten gibt) und seine politischen Ambitionen werden weitgehend als Geschichten des Scheiterns erzählt; dabei werden die Konflikte teils personalisiert, teils sind sie struktureller Art. Eric J. Aiton greift in Leibniz. A Biography von 1985 zum Jahre 1698 das Bild vom fehlenden Verständnis Georg Ludwigs für Leibniz’ „multitudinous activities“ (Aiton 1985, 217) auf. Wohl sei dessen Rat in politischen Angelegenheiten gefragt und geschätzt gewesen (ebd., 219). Aber in Briefen des Kurfürsten an seine Mutter spiegele sich eine „hostile attitude towards Leibniz“ (ebd., 218). Und von diesem wird eine Äußerung aus den letzten Lebensjahren referiert, wie sehr ihn die fehlende Anerkennung des nunmehrigen Königs verletze (ebd., 320). Das Reiseverbot von 1705, erlassen aus der Befürchtung, Leibniz („strongly diverted [...] by his frequent journeys and voluminous correspondences“) werde die Hausgeschichte nicht zu Ende bringen können, wird als schlichtweg schikanös bezeichnet (ebd., 266). Bei Eike Christian Hirsch, der in Der berühmte Herr Leibniz. Eine Biographie von 2000 Szenen gern auch einmal literarisch einkleidet, schwingt im Ausdruck höchster Empörung, die er Leibniz angesichts des Vorfalls in den Mund legt, ein Subtext mit; dem Leser bleibt überlassen, ob er sich Leibniz anschließt – oder dem Kurfürsten Recht gibt (Hirsch, 2000, 465). Dass es weniger um einen persönlichen Konflikt geht als vielmehr um den Antagonismus zwischen Hof und Gelehrtenrepublik, kommt in der abschließenden Gesamtcharakterisierung zum Ausdruck: Sein Stern leuchtete unter den Gelehrten, nicht in der hannoverschen Regierung, wo er es bloß zum Referenten und Gutachter gebracht hatte. Und nicht bei Hofe, wo er ein Außenseiter geblieben war, [...] isoliert und mit beunruhigendem Tatendrang, beargwöhnt von seinen Fürsten, beschützt nur von der alten Kurfürstin Sophie, am Ende allein (ebd, 621).

Auch Maria Rosa Antognazza lässt sich in Leibniz. An Intellectual Biography von 2008 nicht auf eine Verurteilung des Kurfürsten ein. Zwar ist Leibniz seit Beginn der Herrschaft Georg Ludwigs immer wieder mit dessen unfreundlichen Akten konfrontiert, indem geplante Berlin-Reisen keine Genehmigung erhalten (Antognazza 2008, 383) – aber wenn er sie erhält, strapaziert er die Geduld seines Dienstherrn mit überlangem Fernbleiben (ebd., 390). In den wenigen Sätzen, die Antognazza dem „Reiseverbot“ von 1705 widmet, stellt sie dieses als unvermeidbare Maßnahme für die Vollendung der Hausgeschichte dar; Georg Ludwig „had run out of patience with his employee’s wandering“ (ebd., 460).

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Der NDB-Artikel zu Leibniz von Heinrich Schepers von 1985 konzentriert sich ganz auf den Gelehrten. Konflikte mit einzelnen Fürsten bleiben unerwähnt, aber die Einschränkungen des Wirkens durch „Stand und Stellung“ kommen zur Sprache (Schepers 1985). Reinhard Finster und Gerd van den Heuvel stellen in ihrer rororoMonographie Gottfried Wilhelm Leibniz, erstmals 1990 erschienen, Leibniz’ Scheitern als strukturell bedingt dar; er selbst habe die einem bürgerlichen Gelehrten gesetzten engen Grenzen lebenslang und unbeirrt ignoriert (Finster/van den Heuvel 1990, 45). Zusätzlich wird Georg Ludwig allerdings „mangelndes Verständnis für die weitgespannten Interessen seines Justizrats“ attestiert (ebd., 32); das „Reiseverbot“ selbst bleibt unerwähnt. Vilem Mudroch zeichnet in seinem Artikel zu Leibniz’ Leben im Ueberweg von 2001 das tradierte Bild eines Gefälles von Johann Friedrich bis zu Georg Ludwig nach; den „ungünstigen Bedingungen in Hannover“ sucht Leibniz „mit längeren Reisen an gastfreundlichere Orte zu entfliehen“ (Mudroch 2001, 1017) – auch hier wird der Konflikt personalisiert. 11. GEGENWART UND AUSBLICK: SPIELRÄUME, INSZENIERUNG, SYMBOLISCHES KAPITAL, NETZWERKE Nach diesem Parforce-Ritt durch drei Jahrhunderte, bei dem rechts und links sehr vieles unbeachtet bleiben musste, bleibt noch ein Blick in die Gegenwart und in die Zukunft, auf ein paar Desiderate. Vor allem das eine: Impulse aus der nicht primär Leibniz-orientierten Wissenschaftsgeschichte, zur Erforschung der Höfe ebenso wie der Gelehrtenrepublik und speziell zur Korrespondenzforschung, gälte es stärker aufzugreifen. Für das Spannungsfeld Hof – Gelehrtenrepublik könnten Fragestellungen der Geschichts- und der Kommunikationsforschung Möglichkeiten eröffnen zu einer neuen Bewertung des Gelehrten am Fürstenhof, des Geheimen Justizrats in der Gelehrtenrepublik. Umgekehrt könnte sich in der reichhaltigen LeibnizÜberlieferung auch für diese Disziplinen ein großes Arsenal auftun. Das ist zum Teil bereits seit Jahren im Gange, zum Teil zeichnet es sich als Option ab. Die Hinwendung der Geschichtswissenschaft zur höfischen Kultur und Gesellschaft spiegelt sich in mehreren Arbeiten aus dem Kreis der Leibniz-Edition. Im Rahmen der Geschichte Niedersachsens hatte Gerd van den Heuvel 1998 für den hannoverschen Hof von einer „Gesamtinszenierung barocker Herrschaftsrepräsentation, zu der Musiker, Maler, Schauspieltruppen und bildende Künstler ebenso beitrugen wie der bürgerliche Gelehrte Leibniz“ (van den Heuvel 1998, 206) gesprochen. In Leibniz im kulturellen Rahmen des hannoverschen Hofes (erschienen postum 1999) gibt Gerda Utermöhlen Leibniz’ Position in Hannover neue Nuancen, indem sie seine meisterhafte Beherrschung des „höfische[n] Sprachspiel[s]“ (Utermöhlen 1999, 221) in der Vermittlung neuer gelehrter Entdeckungen im Gewande amüsanter Unterhaltung und ebenso seine Beiträge zur höfischen Repräsentation darstellt. Ebenfalls 1999 hat Gerd van den Heuvel mit

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Die Philosophie in der Hofkultur Leibniz’ Rolle im kulturellen Rahmen des Lietzenburger Hofes behandelt. Dass auch das Philosophieren unter den Augen der Königin Sophie Charlotte einen politischen Hintergrund haben konnte, zeigt Leibniz’ sich zum Dissens entwickelnder Dialog mit John Toland (dazu Gädeke 2016b). In seiner Einleitung zu Umwelt und Weltgestaltung von 2015, Zur Kontextualisierung der Politischen Schriften von G. W. Leibniz stellt Friedrich Beiderbeck zwar einen „strukturellen Widerspruch“ zwischen forschender Gelehrsamkeit und der „nicht zu entbehrenden fürstlichen Protektion“ (Beiderbeck 2015, 20) fest, mit Leibniz’ Kennzeichnung als einem „Gelehrten Rat“ (ebd., 17) ortet er ihn aber „an der Schnittstelle zwischen Gelehrsamkeit und Politik“, wobei die Gelehrsamkeit „als Argument für die Teilnahme an politischen Prozessen“ diente (ebd., 17 f.). Mit einem Vergleich, der auf Leibniz’ Selbstbild zielt: dessen Vorbild für seine Gelehrtenexistenz sei der französische „savant in fürstlichen Diensten“ gewesen, der unter dem Schutz fürstlicher Protektion in aller Unabhängigkeit seinen Forschungen nachgehe (ebd., 18). Explizite Aufhebung des Spannungsverhältnisses kommt von nicht Leibnizzentrierten Wissenschaftshistorikern. In seinem kleinen Portrait Gespräche, Korrespondenzen, Sozietäten von 2002 stellt Richard van Dülmen den Hof zu Hannover als den Ort der größten Möglichkeiten für Leibniz dar (van Dülmen 2002, 125 f.): es gebe wohl kaum einen anderen frühneuzeitlichen Gelehrten, der so frei von materiellen Sorgen gelebt habe wie er; an einem Hof, der seine intellektuelle Bedeutung anerkannt habe, der ihm „ideale Arbeitsbedingungen“ gegeben, der seine immense Korrespondenz zu einem guten Teil finanziert – und ihm auch Reisen erlaubt habe. Mit dem Fazit: „Ohne den höfischen Hintergrund jedenfalls wären Leibniz’ Philosophie, seine Wissenschaft und seine ‚Politik‘ nicht das geworden, was sie waren“ (ebd., 126). Tendenziell ähnlich, wenn auch nicht so dezidiert äußert sich Martin Gierl. In Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730 von 2004 gibt er eine Kurzbeschreibung, die Leibniz’ höfische Funktionen ebenso wie das Wirken in der gelehrten Welt – und für das „bonum commune“ – umfasst. Anhand eines Überblicks über die Korrespondenzen des Bandes I, 12 zeichnet er Leibniz’ vielfältige Aktivitäten in einem Dreivierteljahr nach; ohne Gewichtung oder Wertung (Gierl 2004, 426 f.). In Res publica litteraria – Kommunikation, Institution, Information, Organisation und Takt von 2009 wird Gierl deutlicher: ebenso wie auch andere große Gestalten der Gelehrtenrepublik sei Leibniz „von Amts wegen“ „Politiker“ gewesen (Gierl 2009, 245). Er, der heute vor allem als Gelehrter und Philosoph gelte, sei zu Lebzeiten „Fürstenratgeber und Diplomat, Jurist, Historiker, Bibliothekar, Wasserbau- und Mineningenieur, Akademiegründer, Seidenraupenzüchter und offiziell Geheimer Rat in Hannover gewesen“ (ebd.). Die vielfältigen Tätigkeiten und Felder stehen harmonisch nebeneinander. Auch wenn in diesen knappen Formulierungen Brüche und Misserfolge ausgeklammert sind: dieses neue Bild ist quellenbasiert. Und die Quellengrundlage erweitert sich vorerst stetig. Die Akademie-Ausgabe, insbesondere Reihe I, liefert

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immer wieder neue Details zu Leibniz’ Rolle zwischen Hof und Gelehrtenrepublik, die noch der systematischen Aufarbeitung harren (vgl. vorerst Gädeke 2013; 2016b; 2016c). So zeichnet sich etwa ab, dass seine Englandbeziehungen – und ebenso die so oft nur geduldeten Berlin-Reisen – vom hannoverschen Hof mitunter gezielt genutzt wurden, um Informationen zu erhalten oder über die gelehrten Korrespondenten öffentliche Kritik an Hannover auszuräumen. Leibniz’ Transzendieren des höfischen Rahmens konnte dort auch den eigenen Interessen dienen. Noch sind die Briefreihen nicht abgeschlossen; gelegentlich warten hier immer noch, gerade jenseits der ‚großen‘ Korrespondenzen, Überraschungen. Auch im Zusammenhang unseres Themas: so tritt seit ein paar Jahren als ein Aspekt von Leibniz’ brieflicher Inszenierung des Gelehrtenhabitus (dazu Li/Noreik 2016) und zugleich seines Oszillierens zwischen höfischer und gelehrter Welt die Übermittlung politischer Botschaften (vor allem im Vorfeld der englischen Sukzession) unter dem Deckmantel gelehrter Briefwechsel in Erscheinung (Gädeke 2013; 2014). In der Neuausgabe der Leibniz-Biographie Eike Christian Hirschs kommt dies gelegentlich bereits zur Sprache (etwa Hirsch 2016, 502). Das ließe sich kontextualisieren mit dem Einsatz von Künstlern an Höfen und für Höfe als ‚Gesandte ohne Akkreditierung‘ (dazu Keblusek 2011). Charakteristisch für diese informelle Vermittlung ist die Einkleidung solcher Botschaften in ein unverfängliches Gewand; zur Entschlüsselung ist der Korrespondenzkontext heranzuziehen, es sind Briefe nach ihrem Subtext zu befragen – eine Aufgabe, die erst punktuell in Angriff genommen wurde. Auch unabhängig von dieser Fragestellung zeigt sich, dass es sich lohnt, Briefaussagen stärker als bisher im Adressaten- und Kontextbezug, auch in ihrer appellativen Funktion, zu lesen und überhaupt das inszenatorische Potential von Briefen in den Blick zu nehmen. Mit den Gesandten ohne Akkreditierung (Gädeke 2014) ist der Bereich des informellen Handelns angesprochen und der Personen, die sich außerhalb der formalen Strukturen des Hofes bewegten, mit einem Einfluss, der weit über die ihnen hierarchisch zukommende Position hinaus ging, denen allerdings auch eine Absicherung ihres Handelns dadurch fehlte (dazu Pečar 2014). Insbesondere ist der Favorit zu nennen, der, etabliert, aber gleichwohl „in der öffentlichen Wahrnehmung als letztlich illegitime Größe“ (ebd., 272) betrachtet, das Ohr des Herrschers hatte. Dass Leibniz diese Rolle wie für sich geschaffen ansah, bringt er selbst zum Ausdruck, etwa in seinem ‚Bewerbungsschreiben‘ für den Dresdener Hof von 1703 (A I,22 N. 233). Unter der Frage, wie der Hof zu Hannover mit dieser informellen Option umging, erhielte Leibniz’ Rolle dort wohl eine etwas andere Beleuchtung. In gewisser Weise dürfte er tatsächlich eine Favoritenrolle eingenommen haben: bei Kurfürstin Sophie; eine Rolle, die aufgrund von deren außerordentlicher Position als praesumptiver englischer Thronerbin nicht rein illusorisch war. In Leibniz’ (und ihrem) Agieren in den langen Jahren des Wartens, öfters konträr zur abwartenden Haltung Georg Ludwigs (Gädeke 2016b, 161), durch Sophies Tod kurz vor dem Eintritt der Sukzession eine uneingelöste Hoffnung, kann man das Bild von der „Theorie ohne Praxis“ (van den Heuvel 2001) bestätigt finden. Eine kontrafaktische Betrachtung könnte dem entgegensetzen, dass das Leibniz für seine letzten Lebensjahre gern attestierte Scheitern weniger per-

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sönlichkeits- oder struktur- als vor allem zufallsbedingt war: hätte die Kurfürstin den englischen Thron bestiegen, hätte Leibniz die Rolle seines Lebens erreicht. Auf jeden Fall verdiente die Frage nach der Bedeutung seiner für die Zeitgenossen evidenten Favoritenrolle bei noch offenem Ausgang der Thronfolge für Leibniz’ symbolisches Kapital, insbesondere in der gelehrten Welt, genauere Betrachtung. Mit „symbolisches Kapital“ ist ein weiteres Stichwort gefallen. Die Ressource, die Leibniz’ höfische Position für seinen Einsatz für andere Gelehrte darstellen musste, deren Bedeutung für sein Ansehen in der Gelehrtenrepublik, ist im Detail noch kaum aufgearbeitet (zum Ansatz vgl. Stegeman 2005). Vom Œuvre war zu seinen Lebzeiten das Wenigste publiziert, über die immense Korrespondenz kursierten Gerüchte ohne genauere Details, aber die vielfältigen höfischen Kontakte und Funktionen waren bekannt. Nicht wenige Briefwechsel, die man als „gelehrt“ bezeichnen würde, entstanden aus einer Bitte um Patronage (und beschränkten sich mitunter darauf). Schließlich zur Korrespondenz, die in ihrem Umfang und ihrer außerordentlich guten Überlieferung natürlich ein Eldorado für die derzeit blühende Netzwerkforschung sein müsste (vgl. Bots/Berkvens-Stevelinck/Häseler 2005). Wieder erscheint Leibniz (auch überlieferungsbedingt) als Ausnahmegestalt. Dass seine Korrespondenz nicht nur dem gelehrten Diskurs diente, sondern auch einen immensen Pool an Nachrichten schuf, mit dem Leibniz sehr gezielt umging und mit dem er gegenüber seinem Hof eine besondere Qualifikation unter Beweis stellen konnte, zeichnet sich langsam ab (dazu Gädeke 2016a, 85 f.). Dabei beschreibt der Ausdruck „Korrespondenznetzwerk“ den Sachverhalt nicht ganz präzise. Denn bei einer detaillierten Betrachtung einzelner Korrespondenzbeziehungen und deren Verflechtungen zerfällt das eine Netzwerk in eine Fülle von „Subnetzen“ (dazu Gädeke, 2005). Deren Erforschung kommt gerade in Gang; hier ist insbesondere das Projekt LCA (Leibniz’s Correspondents and Aquaintances) der Sodalitas Leibnitiana zu nennen. In diesem Zusammenhang stand der Wolfenbütteler Workshop Subnetworks in Leibniz’s Correspondence and Intellectual Network vom März 2017, bei dem einzelne ‚subnetworks‘ in den Blick genommen wurden. Mit dem Fortschreiten des LCA-Projekts, mit der Einbeziehung anderer Briefeditionen, die in wachsender Zahl erscheinen, mit den zunehmenden digitalen Recherchemöglichkeiten, nicht zuletzt den entsprechenden Hilfsmitteln der Akademie-Ausgabe (dazu Gädeke 2016a, 90 f.), sind Weichen gestellt für künftige systematische Micro-Untersuchungen zur Korrespondenz. Deren nicht nur punktuelle Untersuchung auf sich darin spiegelnde soziale Beziehungen symmetrischer oder asymmetrischer Art würde dazu beitragen, Leibniz’ Position in der Gelehrtenrepublik differenzierter zu fassen. Das betrifft auch die Entwicklung der Korrespondenzen und ebenso deren konstitutive Funktion für die Gelehrtenrepublik, insbesondere den Austausch von Nachrichten. Wie sich über den Nachrichtentransport ein Netzwerk detailliert rekonstruieren lässt, zeigt exemplarisch die Arbeit von Christine Roll Barbaren? Tabula rasa? Wie Leibniz sein neues Wissen über Russland auf den Begriff brachte von 2015. Mit weiteren Detailuntersuchungen dieser Art würde sich nicht nur die Idee der Gelehrtenrepublik mit Leben füllen; dass die so in Erscheinung tretenden Subnetz-

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werke die höfische wie die gelehrte Welt gleichermaßen, zum gegenseitigen Nutzen, einbeziehen können, sei nur noch angemerkt. Zu wünschen wären also Untersuchungen, die Leibniz kontextualisieren: den Korrespondenten, den Hofmann, den Gelehrten, auch unter Einbeziehung anderer Briefwerke. Auch muss die überreiche Briefüberlieferung (speziell Reihe I) nicht nur die ‚Mühen der Ebene‘ dokumentieren, sie kann zu einem ‚ethnologischen Blick‘ auffordern: auf Handlungsmuster und -spielräume, auf Codes und spezielle Ressourcen, auf Hierarchien und deren Spielräume. Das könnte dazu beitragen, das Zeittypische an Leibniz’ Gestalt und seinem Wirken stärker zu beleuchten – und gleichzeitig seinen besonderen Zügen zusätzliche Tiefenschärfe zu geben. Betrachtete man in ihm nicht so sehr die Ausnahmeerscheinung als vielmehr den Hofmann im Rahmen eines barocken Hofes, den Peer der Gelehrtenrepublik, dürften sich die Urteile über das – prinzipiell nicht zu bestreitende, aber von Leibniz auch genutzte – Spannungsfeld zwischen beiden differenzieren. Als der „herausragende Kopf [s]eines Zeitalters“ (Hirsch 2000, 624) erschiene er vor dem Hintergrund von dessen Möglichkeiten und Begrenzungen; in seinen Handlungsspielräumen und im souveränen Ignorieren von deren Grenzen, in der Instrumentalisierung von Hof und Gelehrtenrepublik gleichermaßen für seine großen Ziele und Maximen, in deren Realitätsbezug. Manches, was scheinbar individuell ist, könnte sich als strukturbedingt erweisen – und umgekehrt. Aber jedes Zeitalter hat seinen eigenen Leibniz – der Vorhang bleibt offen. BIBLIOGRAPHIE Aiton 1985 – Eric H. Aiton: Leibniz. A Biography. Bristol 1985; Deutsche Übers. u. d. Tit.: Leibniz. Eine Biographie, Frankfurt/M. u. Leipzig 1991. Antognazza 2009 – Maria Rosa Antognazza: Leibniz. An Intellectual Biography, New York 2009. Beiderbeck 2015 – Friedrich Beiderbeck: Zur Kontextualisierung der Politischen Schriften von G. W. Leibniz – eine Einführung, in: Beiderbeck/Dingel/Li 2015, 11–40. Beiderbeck/Dingel/Li 2015 – Friedrich Beiderbeck/Irene Dingel/Wenchao Li (Hg.): Umwelt und Weltgestaltung. Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 105), Göttingen 2015. Bodemann 1890 – Eduard Bodemann (Hg.): Nachträge zu „Leibnizens Briefwechsel mit dem Minister v. Bernstorff und andere Leibniz betr. Briefe“ [...] in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen (1890), 131–168. Böger 1990 – Ines Böger: Der Spanheim-Kreis und seine Bedeutung für Leibniz’ Akademiepläne, in: Poser/Heinekamp 1990, 202–217. Bots/Berkvens-Stevelinck/Häseler 2005 – Hans Bots/Christiane Berkvens-Stevelinck/Jens Häseler (Hg.): Les grands intermédiaires culturels de la République des Lettres. Études de réseaux de correspondances du XVIe au XVIII siècles (= Les dix-huitièmes siecles 91), Paris 2005. Bots /Waquet 1997 – Hans Bots/Françoise Waquet, La République des Lettres, Paris 1997. Brucker 1744 – Jacob Brucker: De Godofredo Guilielmo Leibnizio, in: Jacob Brucker: Historia critica philosophiae, Bd. 4.2, Leipzig 1744, 335–446; ND u. d. Tit.: G. G. Leibnitii Vita, in: Dutens 1768, Bd. 1, LIV–CCVIII. Brather 1989 – Hans-Stephan Brather: Leibniz-Forschung im Zeichen des Vormärz: Gottschalk Eduard Guhrauer, in: Leibniz – Tradition und Aktualität, V. Internationaler Leibniz-Kongreß, Vorträge II. Teil, Hannover 1989, 95–103.

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tum zum „Königreich der Landstriche“. Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklärung (= Aufklärung und Europa, 10), Berlin 2004, 137–174. Wolff 1717 – Christian Wolff: Elogium Godofredi Guilielmi Leibnitii, in: Acta Eruditorum (Juli 1717), 322–326. Zedler 1737 – Art. Leibnitz, (Gottfried Wilhelm Baron von), in: Johann Heinrich Zedler; Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 16, Halle/Leipzig 1737, Sp. 1517–1553.

AKADEMIE Stefan Luckscheiter 1. FRÜHE DARSTELLUNGEN Der von Johann Georg Eckhart kurz nach Leibniz’ Tod verfassten Beschreibung von Leibniz’ Leben lässt sich zum Thema „Leibniz’ Vorschläge zur Gründung gelehrter Gesellschaften“ kaum mehr als Folgendes entnehmen: Im Jahr 1700 fand Leibniz, der schon „eine geraume Zeit her bedacht gewesen war, grosse Herren in Teutschland zu animiren, eine Societät der Wissenschafften aufzurichten“, in Friedrich III. von Brandenburg einen geneigten Förderer, so dass mit Hilfe Sophie Charlottes und „mit Zuthuung anderer gelehrter Leute“ die Berliner Sozietät der Wissenschaften gegründet werden konnte; Leibniz wurde ihr Präsident und Geheimer Justizrat Kurbrandenburgs (Eckhart 1779, 171 f.). Zur Finanzierung der Sozietät hat er „das Monopolium der Calender und die Seiden-fabrique vorgeschlagen“ (174). 1703 betrieb Leibniz die Gründung einer gelehrten Sozietät in Dresden. Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, „war auch sehr geneigt darzu“, doch „wegen der troublen in Pohlen“ wurde „vor diesesmal nichts draus“ (174 f.). 1710 erschien der erste Band der Miscellanea Berolinensia, der Zeitschrift der Berliner Sozietät. Leibniz hat nicht nur viele der darin enthaltenen Aufsätze selbst verfasst, sondern auch „das ganze Werk revidiret, und in gute Form gebracht“ (181 f.). 1713 starb der inzwischen zum König in Preußen erhobene Gründer der Berliner Sozietät. Weil sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm I., „die Herren Soldaten mehr, als die Gelehrten zu aestimiren“ schien, „fing Herr von Leibnitz an, mit Ernst drauf zu denken, wie er den Wissenschafften einen andern sichern Sitz schaffen möchte“. Mit Unterstützung des Prinzen Eugen erlangte er die Billigung des Kaisers für den Plan, eine Akademie in Wien zu errichten. Umgesetzt wurde der Plan nicht; Leibniz „wäre damit eher zu stande kommen, wenn nicht die in Wien damals eingerißene Pest ihn viel verhindert hätte“ (184 f.). In den letzten Jahren seines Lebens, nach seiner Rückkehr aus Wien 1714, wollte Leibniz, um „Rem literariam zu befördern“, „eine Societät gelehrter oder wohlhabender Leute, so Bibliothequen haben, zusammen bringen: diese solten sich obligiren, in ihre Bibliothequen gewisse gelehrte Bücher, so die Societät verlegen wolte, zu kaufen“ (190). Auch dieses Unternehmen scheiterte. Leibniz’ Bemühungen zur Gründung von Akademien bilden – mit einer Ausnahme – eine Kette von Misserfolgen.

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Obwohl Eckharts Lebensbeschreibung erst 1779 erschien, war sie die Hauptquelle der einflussreichsten Texte über Leibniz in den ersten Jahren nach seinem Tod: Sie liegt der 1717 in den Acta eruditorum erschienenen, von Christian Wolff verfassten (vgl. Heinekamp 1984, Nrn. 167, 168), Leibniz-Vita zugrunde (Wolff 1717), und Bernard le Bovier de Fontenelle verwendete sie für seine Eloge (Fontenelle 1718). Auch die Überblicke über Leibniz’ Leben und Werk von Louis de Jaucourt (Jaucourt 1734, 128) und Carl Günther Ludovici (Ludovici 1737) enthalten keine Information zum Thema, die nicht schon bei Eckhart (bzw. Wolff oder Fontenelle) zu finden gewesen wäre. Eckhart hatte zum Beispiel geschrieben, 1711 habe Leibniz in Torgau die Gelegenheit gehabt, Peter I. von Russland „aufzuwarten“ und ihn „von allerley Wissenschafften, sonderlich der declinatione magnetis … zu unterhalten“. Er habe dem Zaren „viele Anschläge, die Künste und Wissenschafften in ihren Landen floriren zu machen“ vorgetragen (183) und dafür ein stattliches Geschenk, die Ernennung zum Geheimen Justizrat und eine Pension von 1000 Albertus-Talern erhalten. In den Acta eruditorum war dasselbe zu lesen, nur verkürzt um den vagen Hinweis auf Leibniz’ Vorschläge zur Förderung der Wissenschaften in Russland (Wolff 1717, 334). Fontenelle hingegen – „si habile à repandre des fleurs sur ce qu’il écrit“ (Jaucourt 1734, 128) – ließ die konkreten Angaben (magnetische Deklination, Höhe der Pension) beiseite und schrieb: Der Zar, qui a conçû la plus grande et la plus noble pensée qui puisse tomber dans l’esprit d’un Souverain, celle de tirer ses Peuples de la barbarie, et d’introduire chés eux les Sciences et les Arts, […] consulta beaucoup M. Leibnitz sur son projet. […] C’est un bonheur rare pour un Sage Moderne qu’une occasion d’être Legislateur de Barbares (Fontenelle 1718, 124).

In all diesen frühen Schriften werden Leibniz’ Bemühungen um die Berliner Sozietät am ausführlichsten besprochen: Berlin war (und ist) der interessanteste Fall, weil die dortige Sozietät als einzige zu Leibniz’ Zeit gegründet wurde. Aber noch fehlten nähere Auskünfte über die Aufgaben und Ziele, die Leibniz dieser Sozietät gegeben hat, und über ihre tatsächlichen Aktivitäten. – Der Grund war die schlechte Quellenlage. 2. FORTSCHREITEN DER EDITION Leibniz hat, wie eine Durchsicht des Arbeitskatalogs der Leibniz-Edition ergab, 88 Schriften zu Einrichtung und Arbeit der Berliner Sozietät verfasst (Briefe blieben unberücksichtigt, weil sich diejenigen, die die Sozietät betreffen, in der großen Menge von Leibniz’ Korrespondenz schwerlich identifizieren ließen). Heute sind davon 53, etwas weniger als zwei Drittel, ediert. Folgende Graphik zeigt das Fortschreiten der Edition:

215

Akademie

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%

Edierte Schriften

2015

2000

1985

1970

1955

1940

1925

1910

1895

1880

1865

1850

1835

1820

1805

1790

1775

1760

1745

1730

1715

0%

Nicht edierte Schriften

Bis 1745 waren nur drei Schriften erschienen: ein 1700 gedrucktes Gedicht auf die Gründung der Sozietät (Icon nummi memorialis 1700; A IV,8 N. 89), der 1711 veröffentlichte Stifftungs-Brief (Kurtze Erzehlung 1711, Bl. [B 2r]–[B 4v]; A IV,8 N. 79) und die ebenfalls 1711 separat gedruckte General-Instruction (A IV,8 N. 80). Die erste markante Stufe in der Graphik verdankt sich Johann Erhard Kapp, der 1745 acht Schriften zuerst druckte1, die zweite Onno Klopp, der in dem 1877 erschienenen 10. Band seiner Leibniz-Ausgabe 17 weitere Schriften herausgab2 , die dritte Adolf Harnack, dessen 1900 erschienene Geschichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften sieben Erstdrucke enthält3, und die vierte dem 2015 erschienenen Band A IV,8 mit neun Erstdrucken.4 Im 18. Jahrhundert sind 14 Schriften ediert worden, im 19. 28 (alle in der zweiten Jahrhunderthälfte und sieben davon im Jahr 1900), im 20. nur zwei und   1 2 3 4

Kapp 1745, 173–178, 191–197, 434–438, 438–440, 442–448, 455–459, 460–462 und 463– 465. Klopp, Bd. 10 (1877), 315–317, 317–319, 319–325, 331, 346–350, 350–353, 353–361, 361– 366, 371 f., 372–378, 392–394, 394–399, 399–405, 411 f., 427–429, 435–442 und 442–446. Harnack, 1900b, Bd. II, 86–87, 90–91, 112–114, 165–166, 169–172, 172–173 und 174–175. A IV,8 N. 73, N. 76, N. 77, N. 86, N. 87, N. 88, N. 91, N. 97 und N. 99. Weitere Erstdrucke finden sich in folgenden Werken: Formey, 1750, 190–191; 2. Aufl. 1752, 254–256; Mylius, Th. 6, Abt. 2, [1751], Sp. 7–10; Journal zur Kunstgeschichte, 7. Theil, 1779, 212; FC, Bd. 7 (1875), 278–286 und 287–297; Kvačala 1899, 66–67 und 174–176; Obst 1992b, 191–198; Brather 1993, 129–136.

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im 21. Jahrhundert bisher neun. Die editorische Leistung des 19. Jahrhunderts ist – was die Menge angeht – noch nicht übertroffen. Folgende Graphiken zeigen die Verteilung der 88 Schriften auf ihre Entstehungsjahre (wobei die Datierung nur bei den bereits in der Akademie-Ausgabe gedruckten Stücken gesichert ist) und den Anteil der noch ungedruckten sowie der in den vergangenen drei Jahrhunderten edierten Schriften:

30

100%

25

80%

20

60%

15

40%

10

20%

5

0% 1700 1702 1704 1706 1708 1710 1700 1701 1702 1703 1704 1705 1706 1707 1708 1709 1710 1711

0

Nicht edierte Schriften 1901‐2015 edierte Schriften

Nichte edierte Schriften

1801‐1900 edierte Schriften

Edierte Schriften

Bis 1800 edierte Schriften

In ihrem Gründungsjahr verfasste Leibniz mit Abstand am meisten Texte für die Sozietät. Zwischen 1708 und 1710 schrieb er nur zwei Stücke, nach 1711 kein einziges mehr. Das Jahr 1700, auf dem bereits der Schwerpunkt der Editionstätigkeit der früheren Jahrhunderte lag, ist (mit Ausnahme des Jahres 1710) das einzige Jahr, dessen Schriften bereits alle ediert sind, was daran liegt, dass die Reihe IV der Akademie-Ausgabe erst bis zu diesem Jahr fortgeschritten ist. Von den Schriften fast aller übrigen Jahre liegt erst die Hälfte oder weniger gedruckt vor. Leibniz’ Engagement für die Sozietät spiegelt sich in der Anzahl der pro Jahr verfassten Schriften freilich nur ungenau, denn vor allem in den Jahren, in denen er nicht in Berlin war (1708, 1710 und nach 1711), hat er sich um ihre Belange in Briefen gekümmert.

Akademie

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3. DIE WICHTIGSTEN WERKE ÜBER LEIBNIZ UND DIE BERLINER SOZIETÄT 3.1. Jean Henri Samuel Formey Schon 50 Jahre nach ihrer Gründung erschien die erste Geschichte der Brandenburgischen bzw. Preußischen Sozietät der Wissenschaften. Ihr Verfasser war Jean Henri Samuel Formey, seit 1745 Historiograph und seit 1748 Sekretär der Akademie. Die erste Auflage, die „gleich auf hohen Befehl unterdrückt und abgeschaft“ wurde (Catalogus Bibliothecae Jo. Laur. a Mosheim, 1756, 208, Nr. 4100), erschien 1750, die zweite 1752. Die Leibniz betreffenden Abschnitten beider Auflagen unterscheiden sich fast nur dadurch, dass Formey in die zweite Ausführungen über Leibniz’ Leben (10–20) und einen Leibniz-Text eingefügt hat (21–27). Formey ist der erste, der nach Eckhart über Leibniz’ Akademiepläne schrieb und Zugang zu ungedruckten Quellen hatte; und er ist der erste Historiker überhaupt, der nicht allein Leibniz in den Blick nahm, sondern die Sozietät als Ganze. Seine Geschichte der Akademie stieß bei den späteren Geschichtsschreibern dennoch auf wenig Lob. Christian Bartholmèss nannte sie „incomplète et superficielle” (Bartholmèss Bd. 2, 1850, 19), Adolf Harnack „eine durch einen werthlosen Text verbundene Sammlung parteiisch ausgewählter Actenstücke” (Harnack 1900a, 1). In der Tat enthält seine etwa 40 Seiten lange Darstellung der Jahre bis 1716 fast keine Ergebnisse eigener Forschung: sie ist kaum mehr als eine durch Wertungen und einige wenige neue Dokumente angereicherte Fassung der Kurtzen Erzehlung / Welchergestalt von […] Friederich dem I. […] die Societaet der Wissenschafften […] gestiftet worden – einem Bändchen, das die Sozietät bereits 1711, anlässlich ihrer feierlichen Eröffnung, hatte erscheinen lassen. Die dort publizierten Dokumente arbeitete Formey in Übersetzung in den französischen Text ein (wo sie viel Raum einnehmen) und druckte sie in einem Anhang im (deutschen) Original ab: An Leibniz-Texten sind darunter der Stifftungs-Brief 5 – wobei Formey genau wie die Kurtze Erzehlung (und Cramer 1701) Leibniz nicht als Autor nennt – und Leibniz’ bereits 1700 anonym erschienenes Gedicht auf die Sozietätsgründung – das er Benjamin Neukirch zuschreibt (1750, 29; 1752, 47 [A IV,8 N. 89]). Die schon 1711 (als Erlass des Kurfürsten, ohne Nennung des Autors Leibniz) gedruckte General-Instruction erwähnt er nicht. Als Erstdrucke bringt er die von Leibniz selbst entworfene Bestallungsurkunde des Sozietätspräsidenten 6 und eine (in der ersten Auflage nicht enthaltene) Schrift (1752, 20–27), in der Leibniz „toutes ses vües sur les moyens de fonder et de faire fleurir cette Société“ entwickelt habe (20); nachdem diese Vorschläge gebilligt worden seien, habe er sich nach Berlin begeben, um sie umzusetzen   5 6

Formey 1750, 185–189; 1752, 251–253 (französische Übersetzung ebd., 1750, 5–9; 1752, 5– 8); A IV,8 N. 79. Formey 1750, 190–191; 1752, 254–256 (französische Übersetzung ebd., 1750, 10–11; 1752, 27–29); A IV,8 N. 85.

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(1752, 27). Es handelt sich dabei aber (worauf Gottschalk E. Guhrauer aufmerksam machte; 1842–1846, Teil 2, 203 f.) um eine Schrift, die Leibniz 1704 für die in Dresden geplante Akademie verfasst hatte. Was er über diesen ihm von dem Hannover Bibliothekar Christian Ludwig Scheidt (vgl. Formey 1752, 27) zur Verfügung gestellten Text sagt (vgl. Formey 1750, 10), hindert Formey aber nicht daran, an anderer Stelle, ähnlich wie die Kurtze Erzehlung (1711, Bl. A 3), den (falschen) Eindruck hervorzurufen, die Pläne für die Sozietät in Berlin seien zunächst ohne Leibniz ausgearbeitet worden und er sei erst danach – “pour mettre la derniere main à ce bel Etablissement” (1750, 9; 1752, 9) – zum Präsidenten berufen worden. Leibniz’ Rolle bleibt angesichts dieses Widerspruchs recht dunkel. Formey sagt, indem er eine kritische Bemerkung der Kurtzen Erzehlung (Bl. A 3v) verschärft, Leibniz habe sich der Leitung der Sozietät nur mit denjenigen Anstrengungen gewidmet, „auxquels une foule prodigieuse d’autres occupations, et de fréquens voyages, lui permettoient de vaquer“ (1750, 10; 1752, 27). Und von ihm selbst stammt folgender Hinweis zu Leibniz’ Verhältnis zur Sozietät in späteren Jahren: M. de Leibnitz n’entroit plus pour rien dans les affaires de la Societé depuis longtems. Comme il paroissoit l’avoir entierement perdu de vuë, on ne lui paya pas pendant les dernieres années sa Pension de Président, quoiqu’il fit quelques démarches pour cet effet (1750, 40; 1752, 58).

Außer seinen Erstdrucken und diesem Hinweis darauf, dass das Verhältnis zwischen Leibniz und dem Konzil der Sozietät nicht immer gut war (woran auch liegen mag, dass Leibniz’ Rolle schon in der Kurtzen Erzehlung als relativ unbedeutend dargestellt worden war), verdankt die Forschung Formey den ersten Versuch, die bei der Gründung der Sozietät ergriffenen Maßnahmen zu beurteilen: Die Einkünfte aus dem Kalendermonopol seien, so meint er, sehr gering und die sonstigen Regelungen kaum geeignet gewesen, zum Erfolg zu führen. En particulier je m’assure qu’on sera un peu surpris de voir la propagation de la Foi Chrêtienne, et les Missions Etrangeres, mises au nombre des objets d’une Societé des Sciences. Enfin l’eloquence et le goût ne caractèrisent assurément pas les prémices de ses travaux (1750, 4; 1752, 4).

Formey hätte Leibniz’ Vorschläge zu Arbeit und Finanzierung der Sozietät auch ohne Berücksichtigung der ungedruckten Akten der Sozietät detaillierter beschreiben und sein Urteil auf eine breitere Grundlage stellen können, hätte er die 1745 erschienene Sammlung Kapps ausgewertet. Die dort publizierten Texte (darunter die ersten beiden programmatischen Denkschriften vom Frühling oder Sommer 1700; A IV,8 N. 72 und N. 78) werfen einiges Licht auf Leibniz’ Vorstellung von der Verbindung von Theorie und Praxis, und in ihnen kommen (fast) alle Maßnahmen vor, die er zur Finanzierung der Sozietät vorgeschlagen hat.

Akademie

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3.2. Christian Bartholmèss Hundert Jahre später (1850–1851) erschien, anders als die Werke Formeys und Adolf Harnacks nicht im Auftrag der Sozietät selbst entstanden, Christian Bartolmèss’ Histoire philosophique de l’Academie de Prusse in zwei Bänden. Adolf Trendelenburg schrieb, die Akademie sei „dem Verfasser, ihrem correspondirenden Mitgliede, zu dauerndem Danke verpflichtet“ (1852, 396); und Harnack nannte es „ein gründliches und geistvoll geschriebenes Werk“, fügte allerdings hinzu: „aber es stützt sich fast ausschliesslich auf gedrucktes Material“ und „fasst, wie schon der Titel zeigt, die Aufgabe in eigenthümlicher Begrenzung“ (1900a, 1). Zwar hatte sich in dem Jahrhundert, das seit dem Erscheinen von Formeys Histoire vergangen war, der Editionsstand nicht verändert: von den 88 Schriften war nur eine weitere erschienen (Journal zur Kunstgeschichte, 7. Theil, 1779, 212). Aber obwohl Bartholmèss keine ungedruckten Quellen ausgewertet hat, ist seine Darstellung der Sozietätsgründung detaillreicher als die Formeys. Er verdankt das vor allem Gottschalk E. Guhrauers Leibniz-Biographie (1842–1846, Teil 2, 180– 202) und dem ebenfalls von Guhrauer besorgten Nachdruck der von Kapp veröffentlichten Sozietäts-Schriften (Guhrauer, 1838–1840, Bd. 2, 267–297). So kann Bartholmèss etwa dank Guhrauer (1842–1846, 2. Teil, 191) Leibniz als Verfasser des Stiftungsdiploms nennen (Bartholmèss, 1850–1851, Bd. 1, 19). In seiner Beschreibung der Vorgeschichte der Sozietätsgründung greift Bartolmèss sehr viel weiter aus als Formey. Indem er auf die Stadt- und Landesgeschichte unter Kurfürst Friedrich Wilhelm eingeht und die vor allem in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entstandenen Bildungseinrichtungen aufzählt, entwirft er eine intellektuelle Topographie Kurbrandenburgs um 1700. Er legt dabei großes Gewicht auf die französischen Immigranten, deren Aufnahme dazu geführt habe, dass sich in Brandenburg „quelque chose de plus mobile, de plus fin, de plus pratique, de plus net, quelque chose de la vivacité et de la précision françaises“ ausbreitete (4). Die Betonung der Refugiés entspricht einem der beiden Motive, die ihn veranlasst hatten, das Werk zu schreiben: Die Sozietät, so sagt er, war mehr als ein Jahrhundert lang „une colonie française et, en quelque sorte, l’Institut de cette France transrhénane dont les calvinistes expatriés avaient jeté les fondements“ (ebd., I). Bartholmèss, selbst ein nach Frankreich ausgewanderter und französisch schreibender Deutscher (zu seinem Leben vgl. Matter 1856), wollte mit seinem Werk auch eine Lücke der französischen Geschichtsschreibung schließen (I). Mehr Gewicht als auf die Realgeschichte (vgl. VI) legt er aber auf Leibniz’ Vorschläge und das von ihm propagierte Ideal einer Akademie (vgl. VII). So vergleicht er etwa ausführlich Leibniz’ Planungen für Berlin mit den bestehenden Akademien in Paris und London. Dabei nennt er als Gemeinsamkeit, dass auch Leibniz großen Wert auf das Sammeln und Ordnen verstreuter Kenntnisse sowie auf deren Überprüfung, Auswertung und Vermehrung durch empirische Forschung legte (vgl. 19 f.); und als Unterschied stellt er, wie auch Leibniz selbst es tat, heraus, dass die Berliner Sozietät das Wissen zum Nutzen des Gemeinwohls zur Anwendung bringen sollte (21–23).

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Diese Konzentration auf Leibniz’ Ideen ist Bartholmèss’ zweitem Motiv geschuldet: Sowohl in Frankreich wie in Deutschland, so sagt er, sei das Bild der Berliner Akademie durch Irrtümer und Voreingenommenheit geprägt. In Frankreich werde sie für gewöhnlich mit Friedrich II., König von Preussen in Verbindung gebracht und entweder für eine „frivole coterie de beaux esprits et d’esprits forts“ oder eine „dangereuse association d’incrédules et d’athées“ gehalten. In Deutschland hingegen werde sie mit Verachtung gestraft, weil ihre Mitglieder keine „synthèse souveraine“, keine „méthode infaillible“, keine „formule universelle“ besaßen, weil sie sich weigerten, „de sacrifier l’esprit, non-seulement à la matière, mais à cette substance une et identique, à ce tout abstrait et indéfini, qui maintenant s’appelle l’Idée“ (II); kurz: weil sie keine Anhänger des Deutschen Idealismus, keine Hegelianer oder Posthegelianer waren. Das französische Urteil hält Bartholmèss für falsch, das deutsche zwar im Befund für richtig, aber in der Wertung für falsch: Ihm zufolge wollte die Berliner Akademie „une religion raisonnable et une raison religieuse“ (V). Den „Berliner Moralisten“ habe die Wissenschaft dazu gedient, die Beziehungen zwischen Gott und den Menschen zu klären und den Weg zu weisen zu Tugend, Weisheit und Glückseligkeit. Leibniz habe die empirische Wissenschaft propagiert und als deren höchstes Ziel eine „grande et solide piété“ eine „forte et saine moralité“ (IV); er habe also versucht, Theologie und Empirie, Glaube und Naturerkenntnis zu verbinden. Dieses Verständnis von Wissenschaft – eine moralisch und religiös grundierte empirische Forschung – gegen Idealismus und Materialismus zu verteidigen, ist offensichtlich auch Bartholmèss’ eigenes Ziel. Die Leitlinien seiner Darstellung ergeben sich mithin nicht aus einer Analyse des historischen Gegenstands, sondern aus einem persönlichen theoretischen und politischen Interesse. Eine solche Geschichtsschreibung muss nicht zu falschen Ergebnissen führen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie es tut, ist aber hoch. Denn sie wird nicht nur ausblenden, was nicht in ihr vorgefertigtes Bild passt, sondern auch eine Homologie der Epochen unterstellen, um ihr aktuelles Interesse überhaupt in die Vergangenheit projizieren zu können. 3.3. Adolf Harnack 1900, zu ihrem zweihundertjährigen Bestehen, erschien die Geschichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in drei Bänden, mit deren Abfassung die Akademie im April 1896 Adolf Harnack beauftragt hatte (vgl. Zahn-Harnack 1951, 201 f.; Nowak 1999, 300 f.). Harnack konnte dabei auf sehr viel mehr gedruckte Quellen zurückgreifen als Bartholmèss: Von den 88 LeibnizTexten zur Berliner Sozietät waren seit 1850 21 weitere gedruckt worden. Außerdem waren Teilausgaben des Briefwechsels zwischen Leibniz und Johann Leonhard Frisch (Fischer 1896) und Daniel Ernst Jablonski publiziert worden (Kvačala 1899); Harnack selbst hatte Leibniz’ Korrespondenz mit dem Sekretär der Sozietät, Johann Theodor Jablonski, herausgegeben (Harnack, 1897). Harnack hat auch – als erster – die (vor allem im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Aka-

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demie der Wissenschaften, im Berliner Geheimen Staatsarchiv und in der Hannoveraner Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek aufbewahrten) ungedruckten Quellen systematisch ausgewertet (vgl. Harnack 1900a, 4 f.). Dank dieser breiten Materialbasis ist seine Darstellung so detailreich, dass sie noch heute auf bestimmte Fragen die besten Auskünfte zu liefern vermag (vgl. Brather 1990, 218). Jürgen Kocka nennt sie die „Grundlage jeder Beschäftigung“ mit der Akademiegeschichte (Kocka 1999, XIV). Harnack schreibt in den Leibniz und seine Zeit betreffenden Kapiteln zum Großteil sehr quellennah: Weite Passagen sind Paraphrasen oder Referate aus Quellentexten und vor allem aus Briefen von Leibniz und seinen Korrespondenten. An anderen Stellen aber entfernt er sich sehr weit von seinen Vorlagen, etwa wenn er über Daniel Ernst Jablonski sagt: Ein rechtschaffener Mann, war er nicht fremd in der Welt der Politik, vielmehr ein kluger und in der Regel gewandter Geschäftsträger, hie und da auch geneigt, verborgene Wege zu gehen, und nicht immer so freimüthig und zuverlässig, wie es dem Deutschen geziemt. Obgleich nicht herrschsüchtig, machte es der stille, aber überall thätige Mann kräftigen Talenten in der Societät doch schwer, neben ihm aufzukommen, und besass weder Neigung noch Geschick, wissenschaftliche Arbeiten anzuregen, die Jüngeren zu ermuntern, den Älteren freie Bahn zu machen und die Gelehrtenrepublik wirklich als Republik zu leiten (Harnack 1900b, Bd. I,1, 113).

Oder wenn er über Leibniz schreibt: Er war kein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der Schatten spendet, an dessen Fusse Blumen blühen und in dessen Zweigen die Vögel des Himmels wohnen. Wohl gab er mit vollen Händen überreichlich, aber jene hohe Kraft fehlte ihm, die den Menschen zum Menschen zwingt und ihn im Innern bildet. Doch was ihm fehlte, hat nur den Gang seines eigenen Lebens tragisch bestimmt; was er besass, hat den ganzen Zustand der Nation und ihr Leben bereichert und gehoben (Harnack 1900b, Bd. I,1, 215).

Solche Charakterbilder sind bei Harnack kaum mehr als Behauptungen; modernen wissenschaftlichen Anforderungen jedenfalls halten sie nicht stand. Dennoch machen sie mit ihren konzentrierten, allgemeinen Urteilen einen der Reize seiner Darstellung aus. Die neuere, positivistisch orientierte Forschung bietet nichts Vergleichbares, obwohl heute (etwa psychoanalytische) Instrumentarien bereit stünden, mit deren Hilfe sich Urteile dieser Art schärfer formulieren und gut begründen ließen. Es ist zu einem Gemeinplatz geworden, Harnack eine zu starke Fokussierung auf Leibniz vorzuwerfen (vgl. Brather 1990, 218; Grau 1993, 56; Grau 2001, 7; Böger 2002, 388; Joos 2012, 26–27). Dass dieser Vorwurf gerechtfertigt ist, zeigt schon die Auswahl der im zweiten Band gedruckten Aktenstücke: Zwei Drittel der 130 Stücke aus Leibniz’ Lebenszeit sind Texte von Leibniz. Harnack fand es wichtiger, fast alle Leibniz-Schriften zur Sozietät nachzudrucken, die bisher erschienen waren (ergänzt um sieben Erstdrucke), anstatt etwa Johann Theodor Jablonksis Protocollum Concilii zu veröffentlichen, das eine bessere Quelle für die alltägliche Arbeit der Sozietät ist als Leibniz’ Memoranden und Briefe. Für Harnack ist die „Geschichte der Akademie … die Geschichte der Ideen und Kräfte ihres Stifters und ihrer grossen Mitglieder“ (Harnack 1900c, 218). Und das einzi-

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ge große Mitglied, das die Akademie in ihren frühen Jahren besaß, ist für ihn Leibniz: Die Geschichte der Sozietät ist Leibniz’ Geschichte; ihm gilt Harnacks ganze Sympathie. Schon die Einleitung „Leibniz und der Gedanke der Akademien“ spricht Leibniz eine überragende Bedeutung zu: Sie beschreibt seine älteren Sozietätsentwürfe, von denen Harnack (soweit ich sehe als erster) eine Linie zur Berliner Sozietät zieht, und seine früheren Kontakte nach Berlin als wichtigste Elemente der Vorgeschichte dieser Gründung. In den folgenden Kapiteln legt Harnack Leibniz’ Aktivitäten für und in der Sozietät und seine Auseinandersetzungen mit Hof und Sozietätskonzil genau und ausführlich dar. Die Politik des Hofes und die Arbeit des Konzils aber berücksichtigt er, soweit Leibniz nicht direkt daran beteiligt oder davon betroffen war, kaum. Den Hof lässt er fast nur als Unterstützer oder Gegner von Leibniz’ Absichten in Erscheinung treten, und die Auseinandersetzungen zwischen Leibniz und dem Konzil stellt er stets von Leibniz’ Standpunkt aus dar (vgl. etwa 195–203): Das Konzil habe ihm, dem „großen Mann“, nicht genügend Achtung entgegengebracht, ihn nicht verstanden und ihn nicht selten sogar mit Missgunst verfolgt (vgl. Grau 2001, 8). Eine Ausnahme ist allein Frisch, der die treibende Kraft des Seidenbaus gewesen sei und dem (ähnlich wie Leibniz) das Konzil oft Steine in den Weg gelegt habe (186–188). Harnack konzipierte sein Werk als „Verbindung von Verfassungs-, Wissenschafts- und Gelehrten-Geschichte“ (wobei mit „Verfassung“ die Organisation der Akademie gemeint ist; Harnack 1900a, 6). Dementsprechend erweitert er seinen Horizont nur an wenigen Stellen über Sozietät und Hof hinaus auf deren politisches und gesellschaftliches Umfeld. Der größere Kontext von Leibniz’ Wirken bleibt so unterbelichtet. Obwohl Harnack Leibniz als den „großen Mann“ seiner Epoche darstellt, hat er, so Otto Gerhard Oexle, „letztlich keine tiefere Sympathie für Leibniz“ empfunden (Oexle 2003, 108). Oexle weist auf Harnacks Korrespondenz mit Theodor Mommsens hin, welcher, nachdem ihm Harnack ein Manuskript seiner Geschichte zur Durchsicht gegeben hatte, am 21. April 1898 schrieb: Daß der Mensch ein Individuum – und individuum est ineffabile – hat Leibniz nie begriffen und man könnte fragen, ob er selber eines war, ob er Haß und Liebe und Frauenmacht und Poesie je wirklich gefühlt hat. Ihm sind die Menschen Dominosteine und es kommt alles darauf an, sie zurecht aufs Spielbrett zu setzen, und dieses Spielbrett nennt man Akademie.

Harnack antwortete am 23. April: Was Sie über Leibniz in Ihrem Briefe geschrieben haben, trifft den Nagel auf den Kopf: ‚er hatte keine Macht über die Sprache und über die Menschen‘, weil er nur Monaden kannte, aber keine individua ineffabilia, und selbst wenig Seele besaß (Rebenich 1997, Nr. 129, 760 f., und Nr. 130, 762; vgl. Zahn-Harnack 1951, 206).

Mommsens Urteil nahm er auch in die Geschichte auf (Harnack 1900b, Bd. I,1, 214).

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3.4. Wilhelm Dilthey Angeregt durch Harnacks Schrift entstanden im folgenden Jahrzehnt Wilhelm Diltheys Studien zur Geschichte des deutschen Geistes (Dilthey 1927, V). Das Werk, von Dilthey unvollendet hinterlassen, erschien erst 1927, bearbeitet von Paul Ritter, dem ersten Leiter Ausgabe von Leibniz’ Sämtlichen Schriften und Briefen, der schon mit Dilthey zusammen daran gearbeitet hatte (VII–X). Der erste Abschnitt – „Leibniz und sein Zeitalter“ – ist eine allgemeine Geschichte des europäischen Geistes vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende des 17. Jahrhunderts und gipfelt in Leibniz’ Akademieideen: Diese waren für Dilthey „der vollkommenste Ausdruck des Begriffes von Cultur, wie ihn das Jahrhundert gebildet hat“ (1900, 430). Nachdem Luther und Zwingli, so schreibt er, die Schranken zerbrochen hatten, mit denen die „hierarchische Disziplin“ der katholischen Kirche „der Seele den freien Zugang zu ihrem Gott versperrt“ hatte (1927, 9), und zurückgegangen waren „auf das unzerstörbare Recht des Menschen, sich mit dem unsichtbaren Zusammenhang der Dinge, in welchem er befaßt ist, in eigener Kraft auseinanderzusetzen“, konnten auch „die Grenzen zwischen der christlichen Gemeinde, dem Volk wie der Sprache des Volkes, und der fortschreitenden Wissenschaft“ fallen. Und nachdem die mechanischen Naturwissenschaften ihren Siegeszug angetreten hatten, dem Experiment eine gebührende Stellung eingeräumt und die Wissenschaft in die Produktion einbezogen worden war, gelang es dem menschlichen Geist, die „Traumwelt der Zauberer, Propheten und Priester“ hinter sich zu lassen (10). Die menschliche Vernunft unterwarf sich die Wirklichkeit durch die Erkenntnis, und wie sie nun, des Gelingens froh, von Erkenntnis zu Erkenntnis stetig vorwärts schritt, schien sich der Zweck des Menschengeschlechtes erst zu enthüllen: Autonomie des Denkens, Herrschaft des Menschen über den Planeten, den er bewohnt, vermittelst des Wissens, Zusammengehörigkeit Aller, die so am Ziel des Ganzen mitarbeiten, ein unablässiges, unaufhaltsames, stetiges Fortschreiten dem Weltbesten entgegen (11; zu ähnlichen Vorstellung Harnacks vgl. Nowak 1999, 308).

Da „die neuen Staaten in dem Machtstreben, welches sie allenthalben entfalteten, auf die kräftigste Förderung aller wirtschaftlichen, moralischen und intellektuellen Interessen ihrer Untertanen angewiesen waren“, waren die Naturwissenschaften für sie ein willkommenes Instrument: „Sie gehörten zusammen, der moderne Staat und die moderne Wissenschaft“. Und „die Organe, durch welche dieser Bund zum Ausdruck und zur Wirkung gelangte“, waren die Akademien (1927, 18). Dementsprechend hatte Leibniz die Berliner Sozietät als ein Organ des Staates konzipiert, das demselben die Hilfsmittel für seine Kulturarbeit liefern und auch selbst daran teilnehmen sollte (37). Eine Akademie war für Leibniz ein „Instrument, das, einmal in Wirkung gesetzt, nach allen Seiten hin die Kultur zu fördern versprach“ (29). Leibniz antizipierte „die von Comte geforderte Leitung der Gesellschaft durch den wissenschaftlichen Geist“ (Dilthey 1900, 430). Vielleicht noch stärker als Harnack betont Dilthey die Rolle von Leibniz: Er nennt ihn „gleichsam weitsichtig“, denn seine Gedanken seien seiner Zeit so weit vorausgeeilt, dass erst Jahrzehnte später erfolgreich an ihre Umsetzung gegangen

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werden konnte. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Bedingungen hinkte dem Fortschritt des Geistes weit hinterher. Die übrigen Mitglieder der Berliner Sozietät gehören für Dilthey den „beschränkten, harten und bösen Wirklichkeiten“ von Leibniz’ Jahrhundert (1927, 31) an und sind für seine Geistesgeschichte folglich irrelevant. Im Ganzen zeichnet Dilthey die Geistesgeschichte als einen ruhig dahinziehenden Strom. Konflikte und Brüche nimmt er kaum wahr, und die Frage, was dieser Strom unter sich begraben haben mag, stellt er nicht. Auch den Einfluss der ökonomischen und sozialen Bedingungen auf die Bewegungen des Geistes zieht er kaum in Betracht. Indem er die Geistesgrößen ins Zentrum stellt und fast ausschließlich diejenigen Tendenzen beachtet, die sich durchgesetzt haben und sich als Etappen eines stetigen „sieghaften“ (237, vgl. zum Beispiel 248 und 251) Fortwärtsschreitens darstellen lassen, bietet er eine idealistische und aus der Perspektive der Sieger verfasste, gewissermaßen aristokratische Geschichtsschreibung. 3.5. Hans-Stephan Brather Das seit den beiden um die vorletzte Jahrhundertwende entstandenen Werken von Harnack und Dilthey mit Abstand bedeutendste Buch über die Berliner Sozietät ist Hans-Stephan Brathers 1993 erschienenes Werk Leibniz und seine Akademie (vgl. die Rezensionen Heuvel 1994; Palaia 1994). Ähnlich wie Harnacks Geschichte verbindet es Edition und Darstellung. Brather, der ehemalige Leiter der für die Herausgabe von Reihe IV der Akademie-Ausgabe zuständigen Arbeitsstelle, der heutigen Leibniz-Edition Potsdam der BBAW, nennt sich selbst nicht Autor, sondern nur Herausgeber des Bandes und präsentiert seine Ausführungen meist in der Form von Einleitungen zu den edierten Texten. Zwar bringt das Buch von den 88 Leibniz-Schriften zur Berliner Sozietät nur eine einzige im Erstdruck, aber es basiert auf der Auswertung umfangreichen Materials aus den Akten der Sozietät. Brathers Edition ist sehr viel sorgfältiger als die Harnacks; zahlreiche Mitarbeiter der Akademie-Ausgabe haben daran mitgewirkt (Brather 1993, XIII). So lautet Punkt 4 der „Notizen zu Einrichtung und Arbeit der Sozietät (III)“ (A IV,8, N. 96) in Harnacks Fassung: „Eine vigeur Typographi“ (Harnack 1900b, Bd. 2, 112); bei Brather dagegen richtig: „Eine eigene Typographi“ (117). Unter Punkt 27 (nach A IV,8 565, Z. 7: „Eφemerides Mezzavacchi“) ist bei Harnack zu lesen: „Elfemleides …“ (113); bei Brather stimmt immerhin das erste Wort (118). Während Harnack dieses wie alle Stücke unkommentiert abgedruckt hatte, nehmen Brathers Erläuterungen hier fast denselben Raum ein wie der Text selbst – und dieser Apparat erst macht Leibniz’ stichpunktartige Notizen verständlich. Des Weiteren enthält das Werk zum Beispiel Kurzbiographien der Sozietätsmitglieder, detaillierte biographische Angaben zu zahlreichen weiteren Personen, ein Verzeichnis der Kalenderfaktoren und –drucker, und einen Überblick über die ersten Räumlichkeiten der Sozietät. Einen Eindruck vom Umfang der dazu nöti-

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gen Recherchen geben die zahlreichen Notizen, Exzerpte und Briefe an Archive und Bibliotheken in acht starken Ordnern, die Brather in der Leibniz-Edition Potsdam hinterlassen hat. Über Harnacks Geschichte schreibt er: Heute, drei Generationen später, gelten andere Akzente und neue Fragestellungen. Sie beziehen sich insbesondere auf die Einordnung in die gesamtgesellschaftliche, in die wissenschafts- und ideologiegeschichtliche Entwicklung und auf die Einordnung in den europäischen Rahmen.

Und über seine eigene Schrift: Sie bemüht sich darum, die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen, unter denen sich Gründung und Anfänge der Berliner Akademie vollzogen haben, stärker hervortreten zu lassen (1993, XI).

Dementsprechend stellt Brather Leibniz keineswegs in allen Abschnitten seines Buches in den Mittelpunkt (vgl. Grau 2001, 9). In den grundlegenden Ausführungen zum Kalenderverlag etwa kommt er kaum vor. Ebenfalls im Gegensatz zu Harnack bietet Brather keine chronologisch fortschreitende Erzählung, sondern untersucht einzelne Aspekte der Sozietätsgeschichte in miteinander oft nur lose verbundenen Abschnitten, von denen manche ihren Gegenstand bis in die kleinsten Facetten ausleuchten, während andere nur ein Streiflicht auf ihn werfen. Außerdem führen viele Fußnoten Themen weiter aus, die der Text nur streift, und weisen so (wie auch schon einige Anmerkungen bei Harnack) auf die Grenzen des Buches hin und über es hinaus. Diese Form hat ihre Vorteile: Im Gegensatz zu einer linearen Geschichtsschreibung erlaubt sie, auch diejenigen Momente hervorzuheben, die sich dem Gang einer Erzählung nicht fügen und nicht in die Grundlinien einer historiographischen Konzeption passen. Sie hat freilich auch ihre Nachteile: Die Abfolge der Abschnitte wirkt gelegentlich rhapsodisch und die Auswahl der Themen etwas willkürlich: So fehlen zum Beispiel nähere Ausführungen über Leibniz’ Vorschläge zu Brandschutz, Reiseverbot und Bücherzensur, und auch der Abschnitt über die Seidengewinnung fällt sehr knapp aus – obwohl all dies für Leibniz gewiss nicht weniger wichtig war als etwa sein Vorschlag einer protestantischen Chinamission, den Brather ausführlicher behandelt. 4. ASPEKTE DER FORSCHUNG 4.1. Allgemeines In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen zahlreiche Beiträge, in denen die Erschließung der Quellen im Vordergrund steht. So bieten zum Beispiel die Texte von Johann Paul Kaltenbäck (1837), Joseph Bergmann (1854 und 1855), Louis Alexandre Foucher de Careil (1858), Carl Immanuel Gerhardt (1858), Theodor Distel (1879), Ernst Gerland (1878–1880), Eduard Bodemann

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(1883) und Carl Schirren (1886) wenig mehr als Abdruck, Paraphrase oder Referat aus Leibniz-Texten. Ebenfalls bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts, verstärkt aber nach Erscheinen der Werkausgaben Onno Klopps und Foucher de Careils sowie Harnacks Geschichte entstanden zahlreiche, zumeist knappere Überblicksdarstellungen, die Leibniz’Akademiepläne rekonstruieren und in seine Biographie oder den Kontext seines Denkens einordnen. Diese Schriften erschließen (mit Ausnahme von Klopp 1868) keine neuen Quellen, wurden aber dank des Fortschreitens der Edition und der wachsenden Menge verfügbarer Forschungsliteratur immer ausführlicher. Beispiele sind die Texte von Robert Zimmermann (1854), Onno Klopp (1864), Otto Ulrich (1898), Louis Couturat (1901, 501–528), Lotte Knabe (1966), Wilhelm Totok (1966 und 1994a), Eduard Winter (1969), Joachim Otto Fleckenstein (1971) und Hannelore Sexl (2012). All diesen Schriften zum Trotz schrieb Ines Böger in ihrer 1997 zuerst erschienenen Dissertation zu Recht, es fehle noch „eine umfassende, gründliche, auf der Auswertung des einschlägigen Quellenmaterials” (und der vorhandenen Forschungsliteratur) „basierende Gesamtdarstellung der Leibniz’schen Akademiepläne” (2002, 2) und „ihre kritische Würdigung im Gesamtkontext … des Wirkens und der Weltanschauung des Philosophen” (11). Sie selbst hat diese Forschungslücke geschlossen – abgesehen davon, dass auch sie keine (oder kaum) ungedruckte Quellen auswertet. Wenn ich ihr Buch unter den Schriften zu einzelnen Aspekten der Forschung nicht nennen werde, so bedeutet das nicht, dass sich bei ihr nicht oft die ausführlichere und bessere Darstellung findet; und auch für diejenigen Bereiche, die im Folgenden nicht berührt werden (zum Beispiel Leibniz’ frühe Sozietätspläne oder seine Vorschläge zur Mission durch die Sozietäten), wäre zuerst ihr Buch zu Rate zu ziehen. 4.2. Einzelne Akademiepläne Nachdem bereits Formey eine Leibniz-Schrift zur Gründung einer Sozietät in Dresden publiziert hatte, erschienen weitere, und zwar meines Erachtens fast alle der dazu überhaupt vorhandenen Schriften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die meisten bei FC VII, 218–229, 230–233, 234–236, 237–242, 243–248, 249–265, 266–273, 274–275 und 276–277), zwei bei Theodor Distel (1879, 130– 132 und 133–134) und eine bei Eduard Bodemann (1883, 181) (Briefe sind nicht berücksichtigt). Untersuchungen speziell dieses Vorhabens bieten (neben Bodemann und Distel) Carl Immanuel Gerhardt (1858) und – in jüngerer Zeit – Siegfried Wollgast (1996), Elisabeth Lea und Gerald Wiemers (1996) und Rüdiger Otto (2000), wobei Lea und Wiemers einen knappen Überblick über Leibniz’ Aktivitäten als Vorgeschichte der später gegründeten Sächsischen Akademie geben und Wollgast und Otto (wie bereits Gerhardt) insbesondere auf die Rolle von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus eingehen. Leibniz’ Pläne für eine Akademie in Russland beschreiben Woldemar Guerrier (1873), Liselotte Richter (1946) und Ernst Benz (1947) in ihren dem größeren

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Komplex „Leibniz und Russland“ gewidmeten Schriften, und speziell damit befassen sich Wiesław Mincer (1975) und Vladimir Kirsanov. Kirsanov weist unter anderem darauf hin, dass die von Leibniz vorgeschlagene genau wie die von Peter I. 1724/25 gegründete Russische Akademie der Wissenschaften in Petersburg „mehr einem Ministerium als einer wissenschaftlichen Gesellschaft“ ähnelte (1999, 348, vgl. 39); Richter (1946, 117–142), Waldemar Voisé (1975, 130 f.) und Rudolf Plank (1968, 46) gehen kurz und Eberhard Knobloch (2003) etwas ausführlicher der Frage nach, inwieweit Vorschläge Einfluss auf die Gründung im Allgemeinen hatten und inwieweit ihnen gefolgt wurde; und Horst Bredekamp (2003b) und Knobloch (2003) untersuchen einen Aspekt dieses Themas eingehend: nämlich den Einfluss von Leibniz’ Vorschlägen zur Einrichtung eines „Theaters der Natur und Kunst“ auf die Einrichtung der später der Akademie angegliederten Petersburger Kunstkammer. Umfassendere systematische Untersuchungen dieser Frage liegen aber meines Wissens nicht vor. Leibniz’ Wirken für das Historische Reichskolleg beschreiben Franz Xaver von Wegele (1881 und 1885, S. 604–609) und Gerd van den Heuvel (1996, 34– 39; vgl. Leibniz 2004, 37–39). Seine Vorschläge zur Gründung einer Sozietät in Wien beschreiben Johann Paul Kaltenbäck (1837), der (im Jahr der Gründung der dortigen Akademie der Wissenschaften) 1847 in der Zeitschrift Der Humorist erschienene Artikel „Leibnitz und sein Vorschlag einer Akademie der Wissenschaften in Wien“, Joseph Bergmann (1854 und 1855), Robert Zimmermann (1854), Foucher de Careil (1858), Onno Klopp (1868) und Hannelore Sexl (2012). Keine Einigkeit besteht darüber, warum Leibniz’ Plan gescheitert ist. Eckhart hatte die Pest dafür verantwortlich gemacht (1779, 184), der Humorist (546) und Guhrauer (1842–1846, 2. Teil, 288–294) fehlende Geldmittel (vgl. Hamann 1973, 225) sowie Leibniz’ zu kurze Anwesenheit vor Ort (vgl. Bergmann, 1854, 45); Guhrauer fügte noch Widerstände der Jesuiten hinzu – welche Sexl später als „nicht belegbar“ (2012, 182) zurückweisen sollte. Hier könnten möglicherweise eingehendere Untersuchungen von Leibniz’ Agieren am Kaiserhof und der wissenschaftlichen und wissenschaftsinstitutionellen Bedingungen in Wien noch weiter führen; denn die Frage, auf welche Vorgänger und welche bereits bestehenden Institutionen Leibniz hätte zurückgreifen, an welche er hätte anknüpfen können und welche ihm im Weg gestanden wären, scheint wenig erforscht zu sein. 4.3. Entwicklung der Akademiepläne Die vorherrschende Ansicht in der Frage nach Kontinuität und Wandel in Leibniz’ Akademieplänen ist, Leibniz habe zwar an seinen Grundideen und Zielen letztlich festgehalten (vgl. Rudolph 2009, 10 f.), im Laufe der Jahre aber immer mehr auf die Realisierbarkeit seiner Vorschläge geachtet. So sieht zum Beispiel Böger eine „Entwicklung des Philosophen vom jugendlich-enthusiastischen Neuerer zum abgeklärten, an Erfahrungen, aber auch Enttäuschungen gereiften Pragmatiker” (2002, 353; vgl. Holz 1967, 6 und 10; Hardtwig 1997, 266 f.). Für die Entwick-

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lung von seinen Sozietätsplänen der 1660er und 1670er Jahre zu denjenigen von 1700 ist das sicher richtig. Ob sich Leibniz aber danach noch weiter in diese Richtung entwickelte, ist fraglich – und auch, ob er jemals ein hohes Maß an Pragmatismus erreichte. So weist Ernst Benz darauf hin, dass Leibniz „für die gewaltigen Projekte, die er für Rußland entwarf, von Land und Leuten zu wenig“ wusste (Benz 1947, 83; vgl. Knobloch 2003, 125). Er mag zwar so viel über das Reich des Zaren gewusst haben, wie man damals in Westeuropa wissen konnte; die Gegebenheiten vor Ort aber kannte er nicht und er konnte seine Pläne den Realitäten also gar nicht anpassen. Und wenn Hamann schreibt, Leibniz habe den „Aufgabenkreis“ der in Wien zu gründenden Akademie „erschreckend weit gezogen“ (Hamann 1973, 218) und ihr die „Gestalt eines gleichmäßig durchorganisierten, polypenartig das ganze Kaiserreich übergreifenden und durchziehenden wissenschaftlich-technischen Großunternehmens“ gegeben (226) – so entsteht auch hier der Zweifel, ob diesem Plan eine Analyse der Bedingungen und eine Kalkulation der Möglichkeiten zugrunde gelegen haben können. Vor „Sachzwängen“ hatte Leibniz jedenfalls recht wenig Respekt. Zum Realpolitiker hat er sich nicht machen lassen. Dass systematische Untersuchungen darüber fehlen, wie Leibniz seine Vorschläge an die Gegebenheiten anpasste, mag folglich auch daran liegen, dass er das schlicht nicht tat. Seine späteren Entwürfe weichen zwar in einigen Komponenten von denen zur Berliner Sozietät ab, an deren Kern aber hielt er fest, obwohl sich in Berlin gezeigt hatte, dass sie nicht umsetzbar waren. Und schließlich versuchte er, wie mir scheint, nie, eine Akademie durch Institutionalisierung und Erweiterung bereits bestehender Gelehrtenzirkel zu errichten (obwohl immerhin die Académie Française und die Royal Society auf diese Weise entstanden waren). 4.4. Verhältnis zu anderen Akademien und Akademieplänen Eckhart berichtete in seiner Lebensbeschreibung, Leibniz habe um 1666 von einer in Nürnberg ansässigen „Gesellschaft gelehrter und anderer Männer“ gehört, „welche … allerley Chymische Operationen in geheim machten“; und er habe es verstanden, „ihr Gehülffe und Secretarius“ zu werden, indem er an den „Director“ einen aus den „obscuresten Redensarten“ der alchemistischen Fachbücher zusammengestellten Brief schrieb, „den er selbst nicht verstunde“ (1779, 137–140). Diese Anekdote, die kaum weitere Quellen belegen, wurde später erweitert und ausgeschmückt; George M. Ross (1974) untersucht, was davon glaubwürdig ist. Detlef Döring (1999) beschreibt die Beziehungen des jungen Leibniz zu den Gelehrtengesellschaften in Leipzig und Jena. Leibniz’ persönliche Beziehungen zur Leopoldina und das Verhältnis seiner Akademiepläne zu derselben beschreiben Johannes Steudel (1954), Benno Parthier und Wieland Berg (2000, 169 f. und 176–181) sowie Richard Toellner. Toellner polemisiert gegen die Vernachlässigung der Leopoldina bei den Akade-

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miehistorikern, die dazu neigten, die deutsche Akademiegeschichte erst mit der Gründung der Berliner Sozietät beginnen zu lassen. Den Grund dafür sieht er unter anderem in „der Praepotenz des Leibniz’schen Namens und der Vorliebe für universalistische Entwürfe und staatliche Institutionen bei deutschen Historikern“ (2008, 180; vgl. Grau 2001, 10). Er spottet über Bögers (1997), stark an Leibniz’ eigenen Vorstellungen orientiertes Urteil, die Leopoldina habe an zwei Konstruktionsfehlern gelitten: Sie sei erstens eine nur private Vereinigung gewesen, und zweitens sei nicht das Gemeinwohl, sondern nur „Curiosität“ ihr Movens gewesen. Damit übertrage Böger „blind“ Leibniz’ Urteil über andere Akademien auf die Leopoldina. Beides sei falsch, denn: „Wenn Leibniz ‚theoriam cum praxi vereinigen‘ wollte, schwebte ihm […] gleich die Verbesserung des ganzen Staatswesens vor“; nur so sei sein Verdikt über die Académie des sciences und die Royal Society zu verstehen. Und außerdem habe die Leopoldina „von Anfang an“ versucht, „das Wohl der Menschen durch Naturforschung“ zu befördern (2008, 181 f.). Da die Leopoldina trotz ihrer vermeintlichen Konstruktionsfehler erfolgreich war (und ist), sieht er sich veranlasst auszurufen: „O Wunder der Technik, … die falsche Konstruktion und der falsche Antrieb garantieren offenbar besonders lange Laufzeiten“ (181). Claire Salomon-Bayet (1978) beschreibt Leibniz’ Beziehungen zur Académie des Sciences während seines Pariser Aufenthalts (1672–1676); Leibniz’ Beziehungen zur Royal Society während dieser Jahre widmet sich Marie Boas Hall (1978) und denjenigen seines ganzen Lebens Alan Cook (1999). Einen Überblick über Leibniz’ Verbindungen nach England im Allgemeinen, die vor allem Beziehungen zu Mitgliedern der Society waren, bietet Stuart Brown (2007; vgl. auch die anderen Aufsätze in dem Sammelband Leibniz and the English-Speaking World). Wolfgang Knobloch (2002) untersucht, inwiefern Leibniz’ Sozietätsvorstellungen von der Académie des sciences beeinflusst waren, und ich selbst, inwiefern sie sich von der Royal Society abheben (Luckscheiter, 2016) . 1936 hatte Helmut Minkowski die Bedeutung von Francis Bacons Nova Atlantis für die europäische Akademienbewegung als außerordentlich hoch veranschlagt und behauptet, „Nachwirkungen“ des Geistes von Bacon fänden „sich in der Preußischen Akademie der Wissenschaften“; Georg Gerber relativierte 1955 Bacons Bedeutung, insbesondere mit Blick auf Leibniz’ Sozietätsgedanken. In jüngster Zeit grenzte Hartmut Rudolph (2009) Leibniz’ Akademieentwürfe von „Utopien“, wie sie neben Bacon auch Thomas Morus und Tommaso Campanella entworfen hatten, sowie von einem Chiliasmus ab, der „auf ein von außen kommendes, von den Menschen nicht beeinflussbares Eingreifen Gottes in den Gang der Menschheitsgeschichte“ hofft. Im Unterschied dazu setze Leibniz „auf die Fähigkeiten der Menschen, ihre Vernunftbegabung und ihr auf das Glück der Menschheit zielendes Wohlwollen“ (2009, 9 f.).

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4.5. Politische Urteile Die politischen Urteile über Leibniz’ Akademiepläne gehen weit auseinander. Für Bodemann sind sie getrieben durch seinen „niemals getrübten, echten Patriotismus“ (Bodemann 1883, 177 f.; vgl. Klopp 1868, 5); Couturat dagegen schreibt, Leibniz’ Sozietäten sollten nur Teile einer ganz Europa umspannenden Akademie sein, einer „Internationalen der Gelehrten“. Er nennt Leibniz ein „illustre exemple, que le cosmopolitisme intellectuel et humanitaire est parfaitement compatible avec le patriotisme le plus ardent et le plus actif“ (Couturat 1901, 528; vgl. Totok 1966, 305). Klopp meint, Leibniz’ Akademiepläne seien seiner „religiösen Grundanschauung“ entsprungen, die „die Wurzel alles seines geistigen Lebens und rastlosen Schaffens“ gewesen sei (Klopp 1864, 4; vgl. 1868, 4; ebenso Keller 1903, 143). Wilhelm Ennenbach (1978, 7) dagegen schreibt: Es entsprach dem Geist der Zeit, daß die Bestrebungen zur Förderung der Wissenschaften den Herrschern durch Hinweise auf die Erhöhung ihrer Macht und ihres Ruhmes schmackhaft gemacht wurden und andererseits, daß man sie religiös verbrämte. So sollte alles zum Ruhme Gottes und des Fürsten geschehen. Der utilitaristische, typisch bürgerliche, letzten Endes auf die Ökonomie bezogene Inhalt blieb davon unberührt.

Dass die Interpretationen so unterschiedlich ausfallen, mag dadurch begünstig sein, dass die Quellen zu einem Gutteil Schriften sind, in denen Leibniz für die Umsetzung seiner Pläne warb, und in denen er daher eine Fülle von zwar wohltönenden, aber unbestimmten Schlagwörtern anbrachte: das „allgemeine Beste“, die „Gottesliebe“, die „teutsche Gesinnung“ usw. Wählt sich ein Autor hier dasjenige aus, das ihm selbst besonders am Herzen liegen, riskiert seine Darstellung mehr moralisierend als kritisch auszufallen. Manche setzen Leibniz offensichtlich umstandslos auf ihr eigenes Steckenpferd. Tatsächlich ist Leibniz – anders als zum Beispiel Kant oder Hegel, die von ihren Experten durchaus kritischer angegangen werden – in der Leibniz-Forschung ausgesprochen beliebt. Woran das liegt, dürfte einer eigenen Untersuchung wert sein. In Erwägung zu ziehen wäre dabei Graus Hinweis darauf, dass im Rahmen der Leibniz-Tage der Berliner Akademie ab 1812 eineinhalb Jahrhunderte lang jährlich „ein Vortrag über seine Person gehalten werden“ musste: „Wer könnte bezweifeln, dass Aberdutzende von Leibniz-Vorträgen in der Akademie, die zum ganz überwiegenden Teil gedruckt wurden, sein Bild in nahezu apologetischer Weise verherrlichten und Wirkung zeigten?“ (Grau 2001, 8) Dazu kommt, dass nicht wenige Autoren Leibniz’ Vorschläge untersuchen, ohne die Verflechtungen in ihre Zeit ausreichend in Betracht zu ziehen. Ihren Texten fehlt damit der Hintergrund, vor dem Grund und Absicht seiner Ideen erst kenntlich würden.

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4.6. Philosophische Urteile Leibniz’ Akademiepläne werden oft in Verbindung mit seiner Metaphysik gebracht. So schreibt zum Beispiel Joachim Otto Fleckenstein (1971, 3): Die Grundstruktur der Monade gehört auch zum Charakteristikum der Akademie; sie hat ‚perceptio‘, indem sie die Vielheit der Einzeldisziplinen zur Einheit der Wissenschaft bildet und damit zur Universalität enzyklopädischen Wissens ‚einbildet‘; die Akademie hat aber auch den ‚appetitus‘ des fortschreitenden Strebens nach Erweiterung des Wissens, wodurch sie der Forscherdrang zur Erprobung neuer Methoden ‚ausbildet‘.

Darstellungen, die über solche unbelegte Andeutungen einer vagen Verbindung hinausgehen, bieten vor allem Hans Heinz Holz und Werner Schneiders (vgl. auch Mittelstraß 1999). Holz meint, Leibniz’ Akademiepläne stünden „im Dienste einer geschichtsphilosophischen Konzeption, die auf die Befreiung des Menschen und die Herstellung seiner Glückseligkeit abzielt“. Der Gedanke, dieses Ziel mittels einer „Erziehung des Menschengeschlechts“ zu erreichen, entspreche „genau dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, die eine breitere Volksbildung notwendig machte, um zu Veränderungen der Herrschaftsform fortschreiten zu können“ (Holz 1967, 8; vgl. ders. 2013, 275). „Das Bedürfnis der Staaten nach Entwicklung der Wissenschaften sollte dazu benutzt werden, einen Hebel zum Einreißen bestehender Klassenschranken zu schaffen“ (1967, 10; vgl. 2013, 276). In einer später erschienenen Fassung dieses Textes fügt Holz hinzu, hinter Leibniz’ Akademieplänen habe die Absicht gestanden, den gesamten Bereich der öffentlichen Angelegenheiten … dem Belieben der Herrschenden“ zu entziehen und einer Institution zu übertragen, „deren Zweck und Richtschnur allein das commune bonum ist (2013, 279).

Nach Schneiders (1975 und 1977) dagegen hat Leibniz die Glückseligmachung des Menschengeschlechtes nicht durch seine Befreiung, sondern im Gegenteil durch seine systematische Kontrolle und Lenkung im Verein mit der bestehenden Zentralmacht betrieben: Die Sozietäten in Leibniz’ frühen Entwürfen sind für Schneiders Institutionen, in denen Technokratie und Theokratie zur Synthese gelangen sollten. Zwar komme Leibniz mit der Zeit davon ab, die Sozietäten selbst als Herrscher einsetzen zu wollen: „An die Stelle einer weltbeherrschenden Sozietät, eines internationalen Zentralrates der Wissenschaft, treten die nationalen, dem jeweiligen Herrscher auch politisch dienstbaren Sozietäten“. Das Ziel der rationellen Durchdringung der Gesellschaft mit Hilfe der Wissenschaft und ihrer Steuerung mit Hilfe einer starken und noch zu stärkenden Zentalmacht bleibe aber dasselbe: „An die Stelle einer Herrschaft von Wissenschaftlern tritt die anonyme Verwissenschaftlichung der Politik durch die Wissenschaft im Dienste der Politik“ (Schneiders 1977, 54). „Mit anderen Worten, der aufgeklärte Absolutismus der Zeit wird metaphysisch rehabilitiert und zugleich in seiner wahren Form als Einheit von Weisheit und Macht zur Norm erhoben“ (Schneiders 1977, 57). Zur Interpretation von Leibniz’ Akademieplänen seine Metaphysik zu Rate zu ziehen, ist zweifellos eine geeignete Weise, das eigene Blickfeld auf die tatsächli-

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che historische Umgebung des Gegenstandes zu erweitern. Aber auch sie lässt um ihn herum genügend ungesehenen, scheinbar leeren Raum, so dass der Interpret den Gegenstand mit seinen persönlichen Ansichten umstellen kann. So konnte Holz nur deshalb schreiben, Leibniz’ Absicht sei gewesen, den „gesamten Bereich der öffentlichen Angelegenheiten […] dem Belieben der Herrschenden“ zu entziehen (Holz 2013, 279), weil er den gesellschaftlichen Entwicklungsstand wenig berücksichtigte: Denn Leibniz wollte Kontrollfunktionen einführen, die es bis dahin noch gar nicht gegeben hatte. Die Sozietäten sollten gesellschaftliche Bereiche der zentralen politischen Lenkung unterwerfen, die auf gesamtstaatlicher Ebene noch gar nicht oder kaum reglementiert worden waren. Und tatsächlich bildete Leibniz sich nicht ein, dabei auf die bestehende Zentralmacht verzichten zu können: Zum Beispiel hat der brandenburgische Kurfürst das Kalendermonopol der Berliner Sozietät, mit dem der Kalendermarkt in seinen Ländern erstmals umfassend reguliert wurde, nicht nur gewährt – natürlich war es auch er, der es durchsetzte. Leibniz war kein kritischer Denker. Seine Akademien sollten die bestehenden Verhältnisse nicht umstürzen, sondern mit Hilfe wissenschaftlicher Mittel ohnehin bereits herrschende Tendenzen vorantreiben. Auch dieses affirmativen Zugs wegen mag er zu einem beliebten Gegenstand von Festreden geworden sein. 4.7. Der historische Hintergrund Untersuchungen, die ausführlich auf die geistes- und sozialgeschichtlichen Bedingungen von Leibniz’ Wirken eingehen, bieten (neben Dilthey und einigen der unter Abschnitt 4.4 genannten Autoren) zum Beispiel Rüdiger Otto, Rudolf Vierhaus, Gerhard Kanthak, Conrad Grau und Katrin Joos. Otto betont Leibniz’ Affinität zu den absolutistisch regierenden Herrschern seiner Zeit, deren Grund er in Leibniz’ Vorstellung von den „Wirkungsmöglichkeiten großer Fürsten“ sieht (2000, 75): Nur sie waren seiner Meinung nach in der Lage, „die Durchsetzung des Guten und der Vernunft zu organisieren“, und mithin Leibniz’ Akademiepläne umzusetzen (77–79; vgl. auch Fleckenstein 1971, 3 f.; Knobloch 2010, 81 f.; Sève 1994, 229 f.). Und Rudolf Vierhaus, der diese Affinität ebenfalls hervorhebt, begründet sie mit Erwägungen über die Interdependenzen zwischen „der wissenschaftlichen und der politischen Entwicklung Europas“ im Allgemeinen. Die „sog. ‚wissenschaftliche Revolution‘ und der frühneuzeitliche Staat des sog. ‚Absolutismus‘“ seien „miteinander verschlungene Erscheiungen im Prozeß der europäischen Rationalisierung der Ideen und Institutionen“ gewesen (Vierhaus 1990, 188 und 190). Kanthak (1987) beschreibt die Entwicklung des europäischen Akademiegedankens im 17. Jahrhundert bis zur „Kulmination“ in Leibniz’ Plänen, wobei er, anders als Dilthey, auch auf die sozialgeschichtlichen Bedingungen eingeht; und Grau, Mitarbeiter der Forschungsstelle für Akademiegeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, führte die Darstellung bis ans Ende des 20. Jahrhun-

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derts (Grau 1988b; vgl. auch Hohlfeld/Kocka/Walther 1999, 401–414; Vierhaus 1999a). Besonders in seinen speziell der Berliner Sozietät gewidmeten Schriften stellt Grau die Vor- und Frühgeschichte der Sozietät in einen weiten gesellschaftlichen Rahmen. Er entwirft um sie her ein Panorama, auf dem die wissenschaftlichen Einrichtungen in Brandenburg-Preußen, das Verhältnis der verschiedenen Konfessionen zueinander, der Hof und die städtische Gesellschaft Berlins zu sehen sind (Grau 1993, vgl. auch den von Grau verfassten [vgl. Laitko 2008, 61] Abschnitt in: Laitko 1987, 14–95; Grau 1996). Obwohl seine Schriften damit relativ allein stehen (vgl. aber jetzt auch Döring 2010), war er offenbar nicht zufrieden mit ihnen. In seiner letzten Veröffentlichung zum Thema schrieb er, „das brandenburgische Umfeld, in dem die Sozietät 1700 entstand“, bedürfe „unter Berücksichtigung aller Faktoren mindestens seit der Regierungszeit des Großen Kurfürsten einer erneuten und vertieften Untersuchung […]. Diese Faktoren betreffen die Ökonomie, die Politik und die Verwaltung in allen ihren Aspekten“ (Grau 2001, 10). Katrin Joos wies darauf hin, dass er relativ wenig Raum dafür verwendet, „die gegenseitigen Beeinflussungen und Durchdringungen“ dieser verschiedenen Bereiche „einem näheren Blick zu unterziehen“ (2012, 30). Eben diese Lücke versucht sie durch eine Beschreibung der divergierenden Interessen von Dynastie, Stadt und Gelehrten zu füllen, mit denen die Sozietät konfrontiert war (vgl. die Rezensionen Gantet 2013; Kühn 2013 und Nickelsen 2013). Bei Joos (wie auch bei Grau) fehlen Untersuchungen der nicht-wissenschaftlichen Aktivitäten der Sozietät in ihren ersten Jahren, vor allem des Kalenderverlags, was besonders bei Joos verwundert, da sich die Verflechtungen zwischen Sozietät und anderen gesellschaftlichen Bereichen gerade in diesen Tätigkeiten deutlich zeigen dürften. Detlef Döring (2008) bietet eine Untersuchung der Beziehungen zwischen der Sozietät und der Leipziger Gelehrtenwelt. Er schreibt, „das Bestehen“ der Berliner Sozietät habe zwar „eine Symbolkraft“ besessen, „die weit über Berlin hinaus wahrgenommen wurde“ (2008, 438); ihre, wie Döring zeigt, in den ersten Jahren nur spärlichen Kontakte zu den Gelehrten Sachsens spiegeln diese Bedeutung aber keineswegs. 5. ASPEKTE DER FORSCHUNG ZUR BERLINER SOZIETÄT Wie Ines Böger schreibt, „reflektieren“ Leibniz’ Sozietätspläne „in ganz besonderem Maße nicht nur die umfassende Gelehrsamkeit ihres Verfassers, sie waren vielmehr der Brennpunkt für alle seine Interessen und Anliegen. Wie in einem Sammelbecken flossen hier eigentlich alle Vorschläge und Anregungen zusammen, die der Philosoph im Laufe seines Lebens zur Verbesserung des menschlichen Daseins immer wieder vorgetragen hat und für die er eben in den Entwürfen zu Sozietätsgründungen mehr Durchsetzungskraft zu erlangen hoffte“ (2002, 3). Die meisten der im Folgenden genannten Themen bearbeitete Leibniz dementsprechend auch außerhalb seiner Akademiepläne.

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5.1. Bücherwesen und Kalenderverlag Leibniz’ Vorschläge zur Verbesserung des Bücherwesen, zu Organisation und Reglementierung von Schriftstellerei und Buchmarkt, die Teil eines jeden seiner Akademiepläne sind (und die er auch unabhängig davon vorbrachte) beschreibt ausführlich Annegret Stein-Karnbach (1983; vgl. auch Totok 1994b). Sein erfolgreichster Vorschlag war, der Berliner Sozietät ein Monopol auf den Kalenderverlag zu gewähren: dieses Privileg wurde zu ihrer wichtigsten (und in den ersten Jahren einzigen) Einnahmequelle. Gelegenheit zu dieser Neuordnung des Kalendermarktes bot die Kalenderreform, aus deren Blickwinkel Peter Aufgebauer (2009) die Akademiegründung beschreibt und dabei auf Erhard Weigel als Ideengeber und auf Leibniz’ Versuche, die Einkünfte aus dem Kalenderverlag zu steigern, eingeht. Die Ausführungen Brathers über Kalenderverlag (1993, 233–258) und Finanzen (369–382) der Sozietät bilden die wohl bedeutendsten Abschnitte seines Werkes. Nach einer kurzen Beschreibung des brandenburgischen Kalendermarktes vor der Sozietätsgründung schildert er detailliert die verlegerische Seite des Monopols aus der Sicht der Sozietät: die Organisation von Druck und Vertrieb der Kalender und den Gewinn, den sie in den einzelnen Jahren daraus ziehen konnte. Nach Volker Bauer hatte das Kalendermonopol auch denjenigen Vorteil, dass die Kalenderreform unter der Kontrolle der Sozietät und damit einer öffentlichen Institution vorgenommen wurde, die den einheitlichen Vollzug der Umstellung in allen Provinzen gewährleistete und eine amtliche Kontrolle der Kalenderinhalte ermöglichte (2002, 182 f.). Eine knappe inhaltliche Beschreibung der Kalender und einen Vergleich mit anderen Kalendern bieten Eberhard Knobloch (1990, 236 f.), Jürgen Hamel (2000) und Bauer (2002). Hamel schreibt, Leibniz habe gefordert, die Astrologie aus den Kalendern zurückzunehmen (2000, 52), ein Blick in die frühen Kalender der Sozietät zeige aber, daß die Forderung der Zurückdrängung der Astrologie zunächst nur teilweise erfüllt werden konnte. Das Monatskalendarium bot weiterhin das volle astrologische Programm und unterschied sich nicht von Kalendern einhundert Jahre zuvor. […] Die gewohnte Astrologie ganz aus den Kalendern zu verdrängen, erschien in Rücksicht auf die in jahrhundertelanger Tradition gebildeten Lesegewohnheiten und Bedürfnisse der Nutzer einfach nicht möglich; die Folge wäre mit Sicherheit ein massenhafter ‚illegaler‘ Bezug auswärtiger Kalender gewesen (Hamel 2000, 60; vgl. Bauer 2002, 185 f.; Köther 2013, 64; Siegert 2012, 206, Anm. 18).

Klaus-Dieter Herbst weist darauf hin, dass in diesem Zusammenhang zwischen Judizial-Astrologie und sog. „natürlicher“ Astrologie zu unterscheiden ist; und Leibniz’ Kritik (wie auch die des Corpus Evangelicorum, das die Kalenderreform für die protestantischen Länder beschlossen hatte) galt wohl vor allem „dem abergläubischen Teil der Astrologie, in dem aus Nativitäten und Himmelsfiguren auf das Schicksal einzelner Menschen, Städte und Länder geschlossen wird“; nicht aber demjenigen Teil, der „aus den Bewegungen der Sterne und Planeten“ das kommende Wetter, drohende Krankheiten und günstige Pflanzzeiten ableiten zu können meinte (2010b, 267; vgl. 271 f.).

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Herbst hat auch, nach weit ausgreifenden Recherchen in zahlreichen Bibliotheken und Archiven die noch vorhandenen Kalender von Gottfried Kirch zusammengestellt, zu denen auch die Sozietätskalender (außer den Adresskalendern) zählen (2004, 147–150; vgl. auch 2008, 81, 93, 108, 114 f., 130, 136, 138, 139 und 144). Bis dahin musste die Forschung auf einer sehr schmalen Quellenbasis operieren, und ihre Ergebnisse waren dementsprechend unsicher. In seiner (knappen) Untersuchung der Kalenderinhalte kommt auch Herbst zu dem Schluss, dass die Sozietätskalender keine „Zäsur im Kalenderwesen“ markierten (2004, 123). Allerdings begründet er dies nicht – wie Hamel – mit dem Fortbestehen voraufklärerischer Ansichten in ihnen, sondern mit ihrem Anknüpfen an bereits in früheren Kalendern enthaltene frühaufklärerische Inhalte. Er resümiert: Kirch sei (1.) „aufgrund der hohen Anzahl und weiten Verbreitung seiner Kalender literaturhistorisch zu würdigen“, er habe (2.) „seinen Kalendern die Funktion des Wissensaustausches bezüglich astronomischer Beobachtungen“ zugewiesen, „was aus wissenschaftshistorischer Sicht von Belang ist“, und sei (3.) „im Sinne einer frühaufklärerischen Wirkung durch seine Kalender zu beachten“ (2004, 126; vgl. auch 2010a, 136). Entsprechendes gilt für die Sozietät als Kirchs Verleger. Eine ausführlichere Analyse der Sozietätskalender und ein Vergleich mit anderen, früheren und gleichzeitigen Kalendern wäre zu wünschen (vgl. Herbst 2010b, 272, Anm. 271). Felix Köther versucht zu fassen, welche Bedeutung es für die Arbeit der Sozietät im Allgemeinen hatte, sich durch ein verlegerisches Monopol finanzieren zu müssen. Er kommt zu dem Schluss, dass die „paradoxe Folge … eine finanzielle Abhängigkeit der neuen Sozietät von der Befriedigung populärer, in jeder Hinsicht unakademischer Publikumsbedürfnisse wie dem Druck der astrologischen Prognostica im Kalendarium“ gewesen sei. Außerdem sei dementsprechend „das Kalenderwesen an der Sozietät kein untergeordnetes Projekt“ gewesen, „das beiläufig, von kleineren Beamten oder ausgelagerten Abteilungen besorgt würde“, sondern vor allem durch Daniel Ernst Jablonski umgesetzt worden (2013, 64). Er resümiert: „Mit dem wissenschaftlichen Anspruch geht auf der praktischen Seite ein verlegerisches Monopol einher, das durch seine Verbindung mit der philosophisch-wissenschaftlichen Aufklärung auch nach mehr als 250 Jahren noch einer dezidierten Aufarbeitung bedarf.“ (69). All diese Autoren gehen kaum auf die genaue Rolle von Leibniz ein. Wie groß sein Anteil an der Ausgestaltung der Kalender und wie häufig und welcher Art seine Eingriffe in das Kalendergeschäft der Sozietät waren, lässt sich auf ihrer Grundlage allenfalls erahnen: Bekannt scheint nur zu sein, dass er einige Vorschläge zur Erweiterung des Sortiments vorgebracht hat (vgl. Köther 2013, 64) – vielleicht hat er tatsächlich nicht mehr getan. Dennoch betreffen diese Forschungen auch Leibniz, denn er hatte nicht nur die Idee zu diesem Geschäft, sondern war auch als Präsident für die Tätigkeit der Sozietät verantwortlich. Untersuchungen des Kalendermonopols wären zum Beispiel auch die notwendige Grundlage für ein Urteil darüber, ob der Kalendereinfall geeignet war, nicht nur die Finanzierung der Sozietät zu sichern, sondern auch – wie es Leibniz für seine Vorschläge regelmäßig in Anspruch nahm – das Gemeinwohl zu befördern. Zwar erwähnt Harnack Proteste der Buchdrucker gegen das Kalenderprivi-

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leg (1900b, Bd. I,1, S. 90, Anm. 1), aber die vorhandenen Akten, in denen die Auseinandersetzungen der Sozietät mit den Druckern, die für sie die Kalender herstellten, und mit den früheren Kalenderverlegern dokumentiert sind, wurden noch nicht ausgewertet (vgl. Berlin Archiv der BBAW zahlreiche Akten im Bestand PAW [1700–1811] I–VIII; GStA Rep. 9 [AV] K lit. M III Fasz. 1). Eine ausführliche Darstellung der Effekte des Sozietätsmonopols auf den Kalendermarkt steht also aus (vgl. Heymann, 1932, S. XCII), und daher muss auch die Frage nach dem ökonomischen und politischen Effekt des Monopols noch für unbeantwortet gelten. 5.2. Bücherzensur Leibniz schlug in seinen Schriften zur Gründung gelehrter Gesellschaften regelmäßig vor, die Sozietät damit zu beauftragen, eine (präventive) Bücherzensur auszuüben. Die Berliner Sozietät wurde, nachdem Leibniz dies schon 1700 gefordert hatte, 1708 tatsächlich damit betraut. Harnack tat Leibniz’ Vorschlag mit den Worten ab: „Hier ist er ganz Bildungsabsolutist, der sich vor tyrannischen Maassregeln nicht scheut“ (1900b, I,1, 80, Anm. 2). Dieses Urteil scheint aber mehr durch Harnacks Meinung über die Zensur in seinem eigenen Zeitalter bestimmt zu sein, denn er stützt es nicht auf nähere Ausführungen: Analysen etwa von Leibniz’ diesbezüglichen Vorschlägen, der von der Sozietät tatsächlich ausgeübten Zensur oder des Zensurwesens zu Leibniz’ Zeit im Allgemeinen bietet Harnack nicht. Ernst Heymann begann damit, diese Lücken zu füllen, und hob hervor, dass die Zensur für Leibniz ein Instrument zur Vermeidung von (vor allem religiösen) „Zänkereien“ gewesen sei (1932, CVII; vgl. auch Laerke 2007). Die von der Berliner Sozietät ausgeübte Zensur beschreibt er aber nur oberflächlich, indem er einige zensurierte Titel aufzählt. Leibniz selbst hat sich nicht an der Zensorentätigkeit der Sozietät beteiligt, und es ist daher schwer zu sagen, ob dieselbe immer genau in seinem Sinne handelte. Aber die Konfrontation seiner Vorschläge mit der tatsächlich stattgefundenen Zensur (die für die Zeit um 1700, wie mir scheint, noch wenig erforscht ist) würde seine Vorschläge in den literarischen Konflikten seiner Zeit verorten, Differenzen und Parallelen zu Leibniz’ Vorstellungen erkennen sowie (potentielle) Gegner und Mitstreiter hervortreten lassen, und so ein Licht zurück auf seine Vorschläge werfen. Für die Frage, welche Absichten Leibniz mit seiner wiederholten Forderung nach Bücherzensur verfolgte, ist die Zensorentätigkeit der Sozietät eine genauso wichtige Quelle wie seine Denkschriften selbst. Ihre zensorischen Eingriffe aus den entsprechenden Akten zu rekonstruieren und zu bewerten, habe ich selbst versucht (Luckscheiter 2017).

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5.3. Seidenbau Das 1892 erschienene, von der Akademie selbst herausgegebene, dreibändige Werk Die Preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen rechnet, wie schon der Titel zeigt, den Seidenbau zu Leibniz’ Zeit, vor Friedrich II., König von Preussen, allenfalls zur Vorgeschichte der Seidenindustrie in Preußen. Im ersten der beiden Akten-Bände sind nur wenige Regesten zum Seidenbau der Sozietät dieser Zeit enthalten (Bd. 1, 13–15), und im dritten, von Otto Hintze verfassten Darstellungsband werden die Bemühungen der Sozietät und ihrer Vorgänger nur kurz umrissen. Leibniz wird als Anreger genannt, und Frisch als derjenige, der das Werk eigentlich auszuführen versuchte: Frisch hat in Spandau und Köpenick, sowie in Berlin selbst Maulbeer-Pflanzungen angeleget und zuerst die Raupenzucht in systematischer Weise betrieben. Indessen er stand mit seinen Bemühungen innerhalb der Societät ziemlich allein, und die Mittel, über die er verfügte, waren unzulänglich. Von Seiten des Hofes erfolgte keine nachhaltige Unterstützung. (Bd. 3, 91 f.)

Bei Harnack wird das Thema etwa ausführlicher behandelt, und Brather widmet ihm zehn Seiten, die er mit einem Text von Leibniz, einem Text von Frisch und einer allgemein gehaltenen Einleitung füllt (Brather 1993, 259–268). Leibniz’ Entwürfe zum Seidenbauprivileg und seine Äußerungen im Briefwechsel mit Frisch und Johann Theodor Jablonski sind bekannt, seine Texte zur Technik des Seidenbaus aber nicht; auch fehlen Untersuchungen über seine Hannoveraner Versuche mit Maulbeerbäumen und darüber, woher er seine diesbezüglichen Kenntnisse hatte. Noch lückenhafter sind aber die Kenntnisse über die alltägliche Arbeit der Sozietät, an der sich Leibniz kaum beteiligte. Die umfangreichen Akten (in: Berlin Archiv der BBAW Bestand PAW [1700–1811] I–X), insbesondere das Protokoll Johann Theodor Jablonskis (ebd., I-X-3), haben das Interesse der Forschung bisher nicht zu wecken vermocht. Die Unternehmungen der Sozietät, die angewandte Technik und ihr Erfolg sind dementsprechend wenig erforscht. Auch die Frage, welche Rolle dieses staatlich privilegierte Gewerbe in der traditionellen, feudalen Wirtschaftsordnung spielte, hat „bisher wenig Beachtung gefunden“ (Herzfeld 1994, 92). Diesbezügliche Untersuchungen ermöglichten es nicht nur, über Leibniz’ Vorschläge anhand ihrer Resultate ein Urteil zu fällen, sie könnten auch Erkenntnisse über Leibniz’ Verhältnis zur Sozietät zeitigen: So sagte, laut einem Eintrag in Johann Theodor Jablonskis Protocollum concilli, Daniel Ernst Jablonski vor dem versammelten Konzil am 16. Juli 1711 (unter Abwesenheit von Leibniz): die beforderung der Seidenzucht, welches zwar nicht eigentlich ein derselben gehöriges werk, die weil es aber ohne ihr begehre von dem könig ihr aufgetragen worden, als will derselben numehr gebühren, es dergestalt zu führen, damit sie wo nicht den nuzen, welchen man eben nicht suchet, doch die ehre ein so gemein nüzliches werk eingeführet zu haben, davon trage.

Der König hatte der Sozietät den Seidenbau zwar aufgetragen, aber das entsprechende Edikt hatte Leibniz entworfen. Wenn Jablonski es ein der Sozietät „nicht

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eigentlich gehöriges werk“ nennt, dann zeigt sich, dass Leibniz’ Vorschläge nicht immer vom Konzil unterstützt wurden; wenn er außerdem sagt, der Seidenbau sei der Sozietät „ohne ihr begehre […] aufgetragen worden“, zeigt sich, dass Leibniz auch bereit war, seine Ideen gegen den Willen des Konzils mit Hilfe seiner Verbindungen zum Hof durchzusetzen. 5.4. Medizin Eine Übersicht über die „Stellung der Medizin in Leibniz’ Entwürfen für Sozietäten“ bieten Fritz Hartmann und Wolfgang Hense (1990; vgl. auch Hartmann und Klauke, 1980; Hartmann, 1988 und 1993). Sie verfolgen „die Entwicklung der frühen Ideen Leibnizens zur Verbesserung der Medizin und des Gesundheitswesens durch seine verschiedenen Sozietätspläne bis zur Berliner Akademie“ (243) und stellen die Frage: „Was wurde aus den Ideen; reiften sie in ihrer Konzeption? Was konnte verwirklicht werden, und wie bewährte sich dieses? Herausfordernder gefragt: Ist die Gründung der Berliner Akademie Höhepunkt, Vollendung, oder ist sie Rest des Durchsetzbaren?“ Sie kommen zu dem Schluss, dass „die medizinischen Inhalte der Akademie-Programme“ sich „zusehends verdünnen … bis zum Rest eines Theatrum anatomicum. Beachtenswert aber bleiben die epidemologischen Studien als Anfänge einer Medizinal-Statistik“ (243). Auf die Entwicklung dieser Vorschläge eingehend, stellen sie fest, dass Leibniz im Laufe seines Lebens als „Bedingungen von Krankheit und Sterben“ einen immer weiteren Kreis von Gegebenheiten ins Auge fasste: Klima, Ernte, Ernährung, die politischen Umstände und anderes (246). Godehard Obst beschreibt Leibniz’ wiederholte Forderung nach bioklimatischen Statistiken, die in dem Vorschlag von 1701 gipfelten, in verschiedenen Orten Brandenburg-Preußens regelmäßig medizinisch-meteorologische Beobachtungen durchführen und die Ergebnisse durch die Berliner Sozietät auswerten zu lassen (1992b, 136). Er beschreibt auch, als theoretischen Hintergrund dieser Forderung, Leibniz’ Vorstellung von den Beziehungen zwischen menschlicher Gesundheit und Klima. Außerdem benennt er (wie auch Hartmann und Hense) die Anregungen, die Leibniz von John Graunt, Caspar Neumann, Bernardino Ramazzini, Friedrich Hoffmann und anderen erhalten hat; die „Grundüberlegungen“ – Erhebung der Daten und Auswertung in einer Akademie – aber, so Obst, „stammen ursprünglich von Leibniz“ (1992b, 136; vgl. auch Obst 1992a). Obst erwähnt kleine Ansätze zur Verwirklichung von Leibniz’ Vorschlägen. Künftiger Forschung bleibt die Aufgabe, diese näher zu beschreiben und der Frage nachzugehen, warum nicht mehr geschah. Leibniz’ Vorschläge müssten dazu wohl mit dem damaligen Stand medizinischer Versorgung kontrastiert werden.

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5.5. Sprachforschung Ludwig Keller (1903) befasst sich vor allem mit Leibniz’ Beziehungen zu Sozietäten zur Pflege der deutschen Sprache und seinen Vorschlägen zur Gründung von solchen. Er konzentriert sich aber darauf, Leibniz’ Schriften „Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und Sprache beßer zu üben“ (A IV,3 N. 117) und die „Unvorgreiffliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache“ (A IV,6 N. 79) zu besprechen. Auf Leibniz’ Vorschläge zur Sprachpflege, wie sie in seinen sonstigen Akademienplänen enthalten sind, geht er nicht ein. Sigrid von der Schulenburg weist darauf hin, dass Leibniz vor 1700 vorgeschlagen hatte, Pfarrer dazu zu verpflichten, jährlich zehn mundartliche Wörter einzureichen (Schulenburg 1937, 16–25). Umfassendere Untersuchungen dazu, wie sich Leibniz die Organisation kollektiver lexikographischer Sammlung vorstellte, gibt es meines Wissens nichts. In diesem Zusammenhang wären unter anderem sein im Zuge der Berliner Sozietätsgründung vorgebrachter Vorschlag zu berücksichtigen, die kurfürstliche Verwaltung in die Sammlung von Fachbegriffen einzubeziehen (A IV,8 N. 93, Punkt 11). Helmut Henne (2001, 21–24), Gerhardt Powitz (2001, 134–135) und Jürgen Storost (2001, 10–17) beschreiben Leibniz’ Vorschläge zur Anlage von Wörterbüchern und deren Rezeption durch die Sozietät und ihr Umfeld, das heißt vor allem durch Johann Leonhard Frisch, Daniel Ernst Jablonski und Johann Theodor Jablonski. Alle drei Autoren widmen dem Thema nur wenige Seiten, so dass auch hier ausführlichere Untersuchungen vorstellbar wären. 5.6. Wissenschaftliche Sammlungen Wilhelm Ennenbach (1978) stellt heraus, dass Kunst- und Raritätenkammern, Naturalienkabinette, physikalische und andere Sammlungen fester Bestandteil aller von Leibniz vorgeschlagenen Akademien waren (Ennenbach 1978, 15; vgl. Bredekamp 2002, 159 f.; Bredekamp 2003b, 116). Er beschreibt die Bedeutung solcher Sammlungen für die Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaft und die Einrichtung wissenschafticher Gesellschaften und geht auch kurz auf die tatsächlich entstandenen akademischen Sammlungen in Berlin und St. Petersburg ein (10–23). Außerdem bietet er eine umfangreiche „Übersicht von Museen und Sammlungen“, mit denen Leibniz in Berührung gekommen war (41–61). Zur historischen Stellung von Leibniz’ Vorschlägen schreibt er: „In den Jahren bis 1700 hatte sich das barocke Universalmuseum, die Kunstkammer, voll ausgebildet; eine bürgerliche Museumstheorie entstand, und die Sammlungen und Museen begannen, sich entsprechend der Spezialisierung in den Wissenschaften aufzugliedern. Die Frühaufklärung als Erscheinung der geistigen Emanzipation des Bürgertums erstreckte sich auch auf das entstehende Museumswesen“ (Ennenbach, 1978, S. 39 f.). Horst Bredekamp weist darauf hin, dass der „Zwang des Nutzens“ zur „Trennung von Technik und Kunst“ in den Sammlungen führte

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(Bredekamp, 1993, 78), und geht auf die erkenntnistheoretische Bedeutung der Kunstkammern für Leibniz ein (Bredekamp, 2003, 279; vgl. Knobloch, 2003, 125). 5.7. Sozietätsbibliothek Joachim Rex (2002) erwähnt Leibniz’ Forderung zur Einrichtung einer Bibliothek für die Berliner Sozietät. Über deren Bestände zu Leibniz’ Zeit scheint jedoch nichts bekannt zu sein. Sie könnten Aufschluss über die Interessen der jungen Sozietät geben und ließen sich (zumindest teilweise) anhand von Johann Theodor Jablonskis „Hauptrechnungen über Einnahme und Ausgabe der Sozietät“ (für das Jahr 1701: Berlin Archiv der BBAW Bestand PAW [1700–1811] IXVI-66) rekonstruieren. 5.8. Weitere Vorschläge Einer der Vorschläge, deren Verwirklichung die Sozietät in den ersten Jahren am nächsten gekommen ist, war der, unter der Regie der Sozietät den Brandschutz zu verbessern und moderne Feuerspritzen nach Amsterdamer Vorbild in Brandenburg-Preußen einzuführen. Untersuchungen, die sich speziell diesem Thema widmeten und Leibniz’ Vorschläge im Brandschutzwesen seiner Zeit verorteten, näher auf die Technik der Feuerspritzen eingingen, die Möglichkeiten beschrieben, die der Stand von Handwerk und Verwaltung für die flächendeckende Einführung solcher Spritzen in Brandenburg-Preußen boten, und die schließlich das Scheitern des Vorschlags erklärten, fehlen aber. Ebenso fehlen Untersuchungen über Leibniz’ Vorschläge zur Landverbesserung, zur Finanzierung der Sozietät durch Lotterien und dazu, Gebühren auf Auslandsreisen zu erheben und die Reisenden als Informanten über Errungenschaften des Auslands zu benutzen. Leibniz’ Vorbilder sind genauso wenig bekannt wie die Gründe für das Scheitern. 5.9. Leibniz und das Konzil Harnack hatte geglaubt, als Grund für Leibniz’ spätere Distanzierung von der Berliner Sozietät die Unfähigkeit und mangelhafte Kooperationsbereitschaft des Konzils und besonders Daniel Ernst Jablonskis ausmachen zu können (1900b, I,1, 183 und 196–211). Die Sozietät, so schreibt er, sei „niemals lebendig gewesen – nur ihre Seele, Leibniz, war lebendig“ (183). Und Dilthey hatte geschrieben (1900, 439): „Kann es nun etwas Traurigeres geben als die systematische Thätigkeit, welche die armen Seelen in dem Consilium der Societät entwickelt haben, um sich der Regierung des großen Mannes zu entziehen?“

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Auch Joos meint, eine „Verweigerungshaltung“ des Konzils konstatieren zu müssen, welches 1701 beschlossen habe, „alle größeren Projekte und öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten erst dann in Angriff zu nehmen, wenn die Grundlagen der Akademie gesichert und die nötigen Arbeitsbedingungen geschaffen waren“; demensprechend sei es an keine andere Aufgabe „mit vollem Elan und Risiko“ herangegangen (2012, 253). Die ausführlichste Arbeit über Leibniz’ Verhältnis zum Konzil bietet Brather (1990). Ihm zufolge waren in Brandenburg-Preußen um 1700 die gesellschaftlichen Bedingungen für eine gelehrte Sozietät noch nicht gegeben und ein Bedürfnis nach einer fest formierten wissenschaftlichen Institution noch nicht vorhanden; Leibniz habe „offensichtlich nicht die Führungskraft“ besessen, „um unter diesen Bedingungen eine wissenschaflich aktive und produktive Gelehrtenrepublik zu leiten“ (Brather 1990, 229). Im Anschluss an Brather nennt Böger die Ernennung von Leibniz zum Präsidenten einen „verhängnisvollen Mißgriff“. Er sei zu oft abwesend gewesen und habe sich im Briefwechsel mit der Sozietät kaum um Details gekümmert, sondern sich auf allgemeine „Mahnungen und Ratschläge“ beschränkt. Es sei folglich „weniger Leibniz als vielmehr Jablonski, vor allem aber Chuno zu verdanken“, „daß die Akademie die ersten anderthalb Jahrzehnte überhaupt überlebte“ (Böger 2002, 388). Winter weist auf andere mögliche Gründe für die wachsende Distanz zwischen Leibniz und Berlin hin: den Tod Sophie Charlottes, „politische Gegensätze zwischen Hannover und Berlin“, Jablonkis Argwohn, Leibniz’ Wiener Pläne könnten ihn veranlassen, zum Katholizismus überzutreten (1961, 857), und andere. Einer Untersuchung wert wäre nach wie vor der Wandel des Verhältnisses zwischen Leibniz und dem Konzil. In Erwägung zu ziehen wären vielleicht auch Meinungsverschiedenheiten über den Charakter der Sozietät. Auch wenn es keineswegs zutrifft, dass „das Berliner Konzil die Arbeit an Gutachten und Zensur verweigerte“ (Joos 2012, 251), so ist doch richtig, dass die Sozietät diese ihr von Leibniz zugedachten Aufgaben genau wie den Seidenbau nur widerwillig übernahm, und erst, nachdem der König sie dazu gezwungen hatte (vgl. Stroux 2008, 418–419). Auch unternahm die Sozietät keine Anstrengungen, die anderen ihr von Leibniz zugedachten ökonomisch-politischen Aufgaben zu erfüllen (vgl. Poser 1999, 97). Das Bild Daniel Ernst Jablonskis hat sich seit Harnacks Werk deutlich verändert (vgl. Stroux 2008, 409). So unterstrich etwa Eduard Winter seine Bedeutung für die Sozietätsgründung, die Pflege slawischer und orientalischer Sprachen und das Missionskonzept der Sozietät (Winter 1961; vgl. auch Grau 2001, 13–15; Rudolph 2009 und 2010). Die ausführlichste Untersuchung zur Rolle Jablonskis, seiner Zusammenarbeit und seinen Konflikten mit Leibniz bietet Leonhard Stroux (2008). Die von der Stuttgarter Jablonski-Forschungsstelle begonnene Edition von Jablonskis Korrespondenz wird weitere Perspektiven öffnen. Zur Arbeit Gottfried Kirchs und seinen Beziehungen zu Leibniz wären – neben etwas älteren Texten (etwa Knobloch 1990) – vor allem die Publikationen von

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Klaus-Dieter Herbst heranzuziehen, der nicht nur eine knappe Beschreibung ihres wechselseitigen Briefwechsels bietet (Herbst 1994), sondern vor allem mit seiner Edition von Kirchs gesamtem Briefwechsel (Herbst 2006) neue Quellen zugänglich gemacht hat. Eine Auswertung dieser Korrespondenz mit Blick auf die Tätigkeit der Sozietät, etwa ihre verlegerische oder wissenschaftliche Arbeitsweise, und Leibniz’ Rolle darin steht aus. Eine Untersuchung, die sich speziell dem Verhältnis von Leibniz zu Johann Theodor Jablonski („über den die Nachwelt“ bisher „nur wenige positive Worte gefunden hat“; Stroux 2008, 430) widmete, fehlt bislang. Einen notwendigen Hintergrund dazu bildeten Forschungen zur Arbeit des Sekretärs für die Sozietät. Leibniz’ Zusammenarbeit mit den verschiedenen Mitgliedern des Konzils (neben den genannten vor allem mit Johann J. J. Chuno) könnte vergleichend beschrieben und der Frage danach, welche Rolle die Akademie im Austausch von Entdeckungen und Nachrichten im gelehrten Netzwerk von Leibniz spielte (war sie eher sein Instrument oder vermocht sie, eigene Ziele zu setzen?), könnte weiter nachgegangen werden. 5.10. Sozietät und Hugenotten Die Rolle, die die französischen Immigranten in der Akademie spielten, beleuchten Emil Du Bois-Reymond (1887) und Conrad Grau (1988a). Ein Verzeichnis der Hugenotten in der Berliner Akademie findet sich in dem aufwendig gestalteten Band desselben Titels (1986), Grau bietet Kurzporträts der ersten hugenottischen Sozietätsmitglieder (339–341), in denen er auch deren Beziehungen zu Leibniz anspricht. Er weist darauf hin (341), dass von den 30 Mitgliedern, die bis 1701 aufgenommen wurden, sieben Hugenotten waren (vgl. Hugenotten in der Berliner Akademie, 1986, VI); eine solche Häufung von Zuwahlen hugenottischer Mitglieder habe es bis zur Reorganisation der Sozietät 1744 nicht wieder gegeben. Anders als Grau, der die Rolle der Hugenotten als recht bedeutend darstellt, schreibt Joos, die Refugiés hätten eine auffällige Distanz zur Sozietät bewahrt (239). Die Frage nach ihrem Verhältnis zur Sozietät und Leibniz scheint also auch noch nicht abschließend geklärt zu sein (vgl. auch Döring 2010, 90–93). 5.11. Verschiedenes Sebastian Kühn untersucht die „Wissenspraktiken“ der Berliner, Pariser und Londoner Akademien um 1700 „in historisch-anthropologischer Perspektive“ (2011, 30). Er richtet seinen Blick dabei auf die „alltäglichen Praktiken etwa von Freundschaft und Feindschaft, von kollektiven Arbeitsweisen im Tausch, im Haushalt und im Kauf“, die, ihm zufolge, „ganz wesentlich dazu beitrugen, Wissen hervorzubringen“ (19). Leibniz kommt dabei immer wieder in sein Blickfeld, vor allem als Schlichter im Streit zwischen den beiden Sozietätsmitglieder Maturin Veyssière La Croze und Christian Heinrich Oelven (191–206).

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Hans Poser (1999) beschreibt die Rolle, die Leibniz der Technik, gewissermaßen als Vermittlerin zwischen Theorie und Praxis, in den Akademien zugedacht hat. Er weist darauf hin, dass Leibniz zwar vorhatte, der Sozietät technische Aufgaben anzuvertrauen, sie aber keine Fachleute aufnahm, die in der Lage gewesen wären, solche Vorhaben durchzuführen: unter ihren Mitgliedern waren zwischen 1700 und 1715 nur zwei Architekten und ein Ingenieur. 6. VERMISCHTES ZUR REZEPTION VON LEIBNIZ’ VORSCHLÄGEN Conrad Grau (1999) beschreibt den Rückgriff der Preußischen Akademie der Wissenschaften auf Leibniz unter Ewald Friedrich von Hertzberg am Ende des 18. Jahrhunderts, mit besonderem Blick auf die Pflege der deutschen Sprache. In einer späteren Schrift, in der Grau die Wirkungsgeschichte von Leibniz’ Akademiekonzept in der Berliner Akademie in sechs Phasen einteilt, bemerkt er auch, das Problem „Leibniz und die Berliner Akademie in drei Jahrhunderten“ sei noch längst nicht erschöpfend behandelt (2001, 24–26). Jens Thiel (2013) widmet sich ihrer Bezugnahme auf Leibniz während des Nationalsozialismus. Kurt Nowak (1999) vergleicht die beiden Wissenschaftsorganisatoren Leibniz und Adolf Harnack. Er resümiert: „Die in den Akademieplänen von Leibniz erkennbaren Züge der Staats- und Sozialutopie scheinen bei Harnack durch die Macht des Faktischen abgelöst. Harnacks Domäne war die Arbeit innerhalb des status quo.“ Und: „Man könnte Harnack mit seinem nachgerade unbeirrbaren Vertrauen in das Gelingen der Welt als Späterben des Leibniz’schen Harmoniedenkens bezeichnen.“ (321) Rudolf Vierhaus (1999b) vergleicht Leibniz’ Konzeptionen mit der 1751 gegründeten Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Michael und Joachim Kaasch (2005) beschreiben die Aufnahme, die Leibniz’ Gedanken zur protestantischen Mission Asiens durch Akademien bei Johann Salomo Christoph Schweigger (1779–1857) gefunden haben, der glaubte, anschließend an Leibniz’ Konzept der propagatio fidei per scientias, das Heidentum überwinden zu können, „indem man durch Verbreitung von Naturkenntnissen den Boden für die christliche Religion bereitete“ (374). Eine merkwürdige Diskrepanz besteht zwischen der Ehre, die Leibniz als Stifter von Akademien seit 200 Jahren entgegengebracht wird, und dem, was aus seinen Vorschlägen geworden ist. Denn wenn es nach ihm gegangen wäre, dann wären die Akademien nicht nur Gelehrtenvereinigungen zur Diskussion von Forschungsvorhaben und -ergebnissen geworden, sondern hätten sich, als staatliche Behörden, auch und vor allem ordnungs-, wirtschafts- und sozialpolitischen Aufgaben gewidmet. Dieses Vorhaben ist fast vollständig gescheitert; und die Frage, ob es überhaupt möglich und sinnvoll gewesen wäre, beide Aufgabenbereiche in einer Einrichtung zusammenzufassen, ist offen.

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7. SCHLUSS Leibniz’ Vorschläge zur Gründung gelehrter Gesellschaften sind editorisch vergleichsweise gut erschlossen, ausführlich dargestellt und intensiv diskutiert wurden. Das bedeutet freilich nicht, dass es keine Forschungslücken mehr gäbe. Zur Ergänzung der bereits genannten sei abschließend die von Kärin Nickelsen zusammengestellte Liste von Desideraten der Akademieforschung im Allgemeinen zitiert: Transfer von Wissen über geographische und fachliche Distanzen, Praktiken der Wissenschaft im Kollektiv, transnationale Verflechtungsgeschichte, Zusammenspiel von wissenschaftlichen Inhalten und institutioneller Dynamik: diese und viele weitere Themen ließen sich wunderbar über Jahrhunderte hinweg am Beispiel wissenschaftlicher Akademien bearbeiten – ihre reichen Archivbestände wurden noch kaum in diesen Hinsichten ausgewertet (2013, 290).

Hinzufügen ließen sich dem vielleicht die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit; die nach dem Verhältnis zwischen Sozietät und Hof; sowie diejenige, ob – und wenn ja: wie – Leibniz’ Vorstellung der Organisation wissenschaftlicher Arbeit im Kollektiv sich von denen anderer unterscheidet. Vor allem aber der Frage, wie Leibniz’ Vorschläge verwirklicht wurden oder verwirklicht hätten werden können und welche (politischen, sozialen, ökonomischen) Folgen dies gehabt hat oder hätte haben können, hat sich die Forschung vergleichsweise wenig gewidmet. Es gibt dafür mehrere mögliche Gründe: Erstens dürften Leibniz’ Denkschriften, mit ihrem Reichtum an wohlbegründeten Ideen und kühnen Plänen und mit ihrer nicht weniger eindrucksvollen Sprache, mehr Anziehungskraft ausüben als das tatsächliche, teilweise monotone, teilweise bürokratische Alltagsgeschäft der Sozietät. Zweitens hat sich Leibniz, wurde einer seiner Vorschläge verwirklicht, an der dazu nötigen Arbeit nicht (oder kaum) beteiligt, und für die beiden Jablonskis und für Kirch, Chuno und Johann Gebhard Rabener, die die Ideen ihres Präsidenten in die Tat umsetzen mussten, begann sich die Forschung erst vor wenigen Jahrzehnten zu interessieren. Und drittens wäre zur Beantwortung der Frage danach, ob und wie es möglich gewesen wäre, Leibniz’ Vorschläge zu verwirklichen, eine so umfassende Kenntnis der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse um 1700 nötig, wie sie sich ein LeibnizSpezialist kaum wird aneignen können. Große Bereiche der Akademiegeschichte (wie etwa die Auseinandersetzungen mit den Kalenderdruckern und die Bemühungen zum Seidenbau) könnten erschlossen, wichtige Quellentexte (vor allem Johann Theodor Jablonskis Protocollum Concilii) ediert und zahlreiche Details nachgetragen werden. Und eine Konfrontation von Leibniz’ Vorschlägen mit ihrer Umsetzung und Umsetzbarkeit böte nicht nur Gelegenheit, Ideengeschichte und Realgeschichte zu verbinden, sondern ermöglichte es eigentlich auch erst, die Absicht von Leibniz’ Vorschlägen zu erkennen und ein historisches Urteil über sie zu fällen.

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BIBLIOTHEKSWESEN Margherita Palumbo Neben mannigfaltigen Tätigkeiten und Interessen hatte Leibniz ein métier, er war Leiter zweier Bibliotheken: Seit Dezember 1676 hatte er die Aufsicht über die Hofbibliothek in Hannover, und 1690 wurde er zum Direktor der Bibliotheca Augusta in Wolfenbüttel ernannt. Beide Ämter hat Leibniz bis zu seinem Tode am 14. November 1716 innegehabt, und seine Tätigkeit als Bibliothekar war, als Faktum, seinen Zeitgenossen allseitig bekannt. 1691, wenige Monaten nach seiner Bestallung in Wolfenbüttel, gratulierte Christoph Weselow, der hannoversche Gesandte am Reichstag in Regensburg, Leibniz und bemerkte, dieser könne jetzt zu Recht als der „Bibliothécaire General de toute la Serenissime maison de Brounsvic” (A I,7 480), d.h. als Haupt-Bibliothekar des gesamten erlauchten Hauses Braunschweig bezeichnet werden, eine Ehre, die – so geht der Brief weiter – wohl verdient sei, da Leibniz selbst als eine veritable lebende Bibliothek bezeichnet werden könne. 1710 beschrieb Johann Georg Burckhard, unter dem Pseudonym Ianus Gregorius Betulius, seine 1706–1707 unternommene Reise durch Niedersachen und seine Besichtigung der Wolfenbütteler Bibliothek, geleitet vom „illustri Leibnizio, viro, cujus excellentem & singularem scientiam omnis orbis suscipit admiraturque“ (Burckhard 1710, 23). Laut Leibniz’ Briefwechsels können wir feststellen, wie seine Empfehlungen und Urteile zum Buch- und Bibliothekswesen erwünscht und als ,autoritativʻ wahrgenommen wurden. Fast zur Legende gehören die Angebote eines Amtes als Bibliothekar, die Leibniz aus Paris, Rom und Wien bekommen hätte, als Zeichen einer ,öffentlichenʻ und konfessionsübergreifenden Anerkennung seiner Kompetenz im Fachgebiet. Wie zu vielen anderen Themenbereichen hat Leibniz kein systematisches Werk zum Bibliothekswesen verfasst. Seine Überlegungen sind in Denkschriften und bloßen Entwürfen zerstreut, und – mit der bedeutenden Ausnahme der Nova Methodus discendae docendaeque Jurisprudentiae (1667), die eine bibliographische Systematik für das Fachgebiet Jurisprudenz enthält – wurde keine von diesen Schriften während seines Lebens zum Druck gebracht. Darüber hinaus sind es wenige Korrespondenzen bzw. Briefe, die seine Ansichten auf dem Gebiet des Buch- und Bibliothekswesens in einem engeren Sinne betreffen. Noch seltener wurden technische Fragen brieflich behandelt, mit Ausnahme der Korrespondenzen, die die Wolfenbütteler Bibliothek angehen, jene mit dem Bibliothekar Lorenz Hertel – vor allem über Bücheranschaffungen - und jene mit den Sekretären Johann Georg Sieverds und Johann Thiele Reinerding über die Erstellung neuer Kataloge. Diese Briefe sowie einige für seine Patrone in Hannover und Wolfenbüttel geschriebene Denkschriften sollten eigentlich als ,interne Affärenʻ bezeichnet

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werden und haben keine öffentliche Zirkulation gehabt. Sie lagen lange nur handschriftlich vor und durchgängig „in einer Form [...] die wenig Anreiz zur Veröffentlichung bot” (Waldhoff 2008, 237). Diese Gegebenheiten haben die Rezeption, das Wirken ebenso wie die Forschung stark geprägt. 1. EINE BLOSSE BIOGRAPHISCHE ANGABE In den ersten Jahren nach Leibniz’ Tode wurde kein Gewicht auf seine lange bibliothekarische Tätigkeit in Hannover sowie in Wolfenbüttel gelegt. Diese Aspekte seines vielfältigen Wirkens wurde allgemein nicht beachtet oder höchstens als ein métier, d.h. eine schlichte biographische Gegebenheit betrachtet. Wenn man die erschienenen Nachrufe und die ersten Biographien betrachtet, kommt einem dieses Schweigen auffällig vor. In seinem berühmten Eloge de feu M. le Baron de Leibniz übergeht Bernard Le Bovier de Fontenelle einfach das Thema: Leibniz’ Amt als Bibliothekar im Dienste des Hannoveraner und Wolfenbütteler Hofes wird unter den biographische Angabe überhaupt nicht aufgelistet (Fontenelle 1716), während im kurzen Nachruf Christian Grundmanns Leibniz vornehmlich als „Historicus, Antiquarius, Philosophus, Mathematicus & Polyhistor sine pari” vorgestellt wird mit einem sehr flüchtigen Hinweis auf seiner Bestallung als Leiter der „Bibliothecae imprimis Regio-Electoralis” in Hannover (Grundmann 1717, 16–23). Auch die zeitgenössischen Historiae literariae schweigen hauptsächlich darüber. Johann Fabricius bezeichnet Leibniz lediglich als „Ioannis Friderici Ducis Brunsvic. ac Luneb. consiliarius” (Fabricius 1718, 317–318). Die Kurtze Anleitung zur Historie der Gelahrtheit von Gottlieb Stolle stellt Leibniz bloß als Philosoph vor, und im biographischen Abriss nennt Stolle nur – schon als Topos – die jugendliche Lektüre in der Leipziger väterlichen Bibliothek. Leibniz’ Karriere ist bloß durch die Etappen seiner Ernennung zum Geheimen Justizrat in Hannover und später zum kaiserlichen Reichshofrat in Wien skizziert (Stolle 1718). Das Thema fand zuerst Aufmerksamkeit in dem von Leibniz’ ehemaligem Mitarbeiter Joachim Friedrich Feller herausgegebenen Otium Hanoveranum. In der einführenden Vita Leibnitii beschreibt Feller summarisch Leibniz’ Direktion der Bibliotheca Augusta in Wolfenbüttel, mit präzisen Hinweisen auf die Erstellung neuer Kataloge. Daneben edierte er die Denkschrift Representation à S. A. S. le Duc de Wolfenbüttel, pour l’engager à l’entretien de sa Bibliothèque (Feller 1718, 125–128). Die Leitung der Hannoveraner Hofbibliothek bleibt hingegen im Schatten und wird negativ eingeschätzt: Leibniz hätte die Sammlung des Braunschweig-Lüneburg Hauses behandelt, als ob sie seine private wäre. Es handelt sich nicht um eine belanglose Einschätzung, sondern um eine Darstellung aus erster Hand, die durch einige zeitgenössische Ansichten – zuerst in Zacharias Conrad von Uffenbachs Bericht seiner 1710 unternommenen Reise durch Niedersachsen (Uffenbach 1753) – weiter verbreitet wurde. Außerdem edierte Feller die Idea Leibnitiana Bibliothecae publicae secundum classes scientiarum ordinandae, fusior et contractior, deren Titel von ihm stammt (Feller 1718, 128–138). Beide Entwürfe – und besonders die kürzere Version, die eine Zehn-Klassen-Systematik

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der Wissenschaften vorschlägt – haben eine breite Wirkung gehabt. Diese glückliche Rezeption hat sich zugleich in gewisser Weise als unglücklich für das Verständnis des Bibliothekstheoretikers Leibniz erwiesen. Diese Texte waren lange – neben dem berühmten Kapitel aus dem Buch IV der Nouveaux Essais (A VI,6 Ch. XXI, De la division des Sciences, 521–527), in dem Leibniz das traditionelle Modell der vier Fakultäten vorschlug – die einzige Quellengrundlage zu Leibniz’ Bibliotheksystematik, ein weiterer Faktor, der die nachfolgende LeibnizForschung stark beeinflusst hat. In Carl Günther Ludovicis Leben des unvergleichlichen Polyhistors Herrn Gottfried Wilhelm von Leibnitzii (1737) wird Leibniz bibliothekarische Tätigkeit in Hannover und Wolfenbüttel ebenso summarisch dargestellt, mit knappen Hinweisen auf den Ankauf der Sammlung des Hamburger Gelehrtes Martin Fogel für die Hannover Hofbibliothek (1678). Darüber hinaus erwähnt Ludovici die Erstellung von Katalogen für die Wolfenbütteler Bibliothek, während Leibniz in Hannover „an Verfertigung eines Bücher=Verzeichnisses [...] niemahls Hand angelegt, sondern sich nur mit der memoria locali beholffen“ habe (Ludovici 1737, 75–76). Diese Worte klingen wie ein Vorwurf, besonders wenn sie mit dem parallelen Lob von Leibniz’ Vorgänger in Hannover, Tobias Fleischer, in Zusammenhang gebracht werden, der „bereits zwey Verzeichnisse der zu der Zeit vorhandenen Hertzoglichen Bücher verfertiget” habe (ebd., 75, Anm.). Fellers und Ludovicis knappe Notizen haben eine Vulgata geschaffen, die danach in zahlreichen historiae literariae und lexica rezipiert wurde, in einer Kette von Wiederholungen, die kein umfassendes oder einheitliches Bild von Leibniz’ Tätigkeit als Bibliothekar geben konnte. 2. LICHT UND SCHATTEN: LEIBNIZ ALS BIBLIOTHEKAR IN HANNOVER UND WOLFENBÜTTEL Der Name von Leibniz begegnet selbstverständlich in den geschichtlichen Darstellungen der von ihm geleiteten Bibliotheken, eine Historiographie die in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts sich zu entwickeln begann. Dabei waren der Rang wie das Interesse an den Bibliotheken recht unterschiedlich. Schon im September 1714, als Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg als König Georg I. von Großbritannien in London antrat, hatte der Hannoveraner Hof sein Zentrum verloren, und die Bibliothek, die schon während Leibniz’ Direktion keine kontinuierliche und hinreichende Dotierung gehabt hatte, blieb sogar lange unzugänglich. Entsprechend betreffen nur wenige Beiträge die Hofbibliothek in Hannover. In dieser Hinsicht können wir nur den 1730 gedruckten Commentarius historicus de augustae Domus Brunvigio-Luneburgensis meritis in rem literariam von Heinrich Johann Bytemeister nennen, während die viel aufschlussreichere Historische Nachricht von der Königl. und Churfürstlichen öffentlichen Bibliothek in Hannover, die 1725 von dem Hannoveraner Bibliothekar Daniel Eberhard Baring verfasst wurde, unveröffentlicht blieb und daher nicht in Betracht gezogen werden kann (GWLB: Ms. XXIII.706/a; vgl. Wehry 2015). Bytemeister widmet einige

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Seiten der Hofbibliothek und nur wenige Zeilen Leibniz’ Direktion. Hauptsächlich zwei Episoden in einer lebenslang Karriere sind erwähnt: die Erwerbung des schon angedeuteten „Martini Fogelii apparatum librarium” im Jahre 1678 und zu 1696 der Ankauf der Sammlung des Hofrates Melchior Ludwig Westenholz, „quae potissimum juridicis [...] scriptis fuit referta” (Bytemeister 1730, 164–165). Im Gegensatz dazu ist das die Bibliotheca Augusta betreffende historiographische Panorama viel reicher und inhaltsschwerer, ein Merkmal das das durchgehende Ansehen seitens der Wolfenbütteler Herzöge und den Nachhall der Bibliothek unter Gelehrten deutlich wiederspiegelt. Übrigens hatte Leibniz in Wolfenbüttel seine bibliothekarische Tätigkeit unter günstigeren Umständen und Bedingungen ausgeübt. Dort konnte er mit Mitarbeitern und – was viel entscheidender war – mit der Stützung des Hofes, besonders des gelehrten Herzogs Anton Ulrich, rechnen. Darüber hinaus standen ihm besonders ab 1704 beträchtliche finanzielle Mittel zur Verfügung, und infolgedessen konnte er auf mehreren Auktionen zahlreiche und oft kostbare Bücher erwerben, wie der Ankauf der Handschriften aus der Bibliothek von Marquard Gude im Jahre 1710 trefflich beweist. In den Jahren 1744/1746 wurde die wichtige zweibändige Historia Bibliothecae Augustae quae Wolffenbutteli est von Jakob Burckhard veröffentlicht. Es ist der erste Versuch, Leibniz’ Tätigkeit als Bibliothekar darzustellen und zu rekonstruieren aufgrund seiner Korrespondenz mit Anton Ulrich und vor allem mit dem Wolfenbütteler Bibliothekar Lorenz Hertel, der nach Leibniz’ Tode im November 1716 sein Nachfolger als Leiter der Augusta wurde. In seiner geschichtlichen Darstellung beschreibt Burckhard die Kataloge, die unter Leibniz’ Direktion von seinen Mitarbeitern verfasst wurden, und selbstverständlich ist die Erwerbung der Handschriften aus der Gudiana im Jahre 1710 gebührend hervorgehoben. Auch in der frühen Wolfenbütteler Historiographie fällt ein Schatten auf Leibniz’ Namen. In Burckhards Historia Bibliothecae Augustae fehlen in der Tat polemische – wenn auch implizite – Bemerkungen nicht, besonders in Bezug auf die Bestellung von Anton Ulrichs Protegé Lorenz Hertel zum Bibliothekar bzw. zweiten Direktor der Augusta, eine Entscheidung, die Burckhard als unentbehrlich darstellt, weil Leibniz wegen seiner langen Reisen und weiteren Tätigkeiten monatelang abwesend war („longis interdum itineribus, et aliis occupationibus”; Burckhard 1744/1746, I, 259). Obwohl Burckhard bemüht ist, das Verhältnis zwischen Leibniz und Hertel als kooperativ darzustellen, zeigt sich zwischen den Zeilen der von ihm edierten Korrespondenz Hertels profunde Rivalität, durchgezogen von Eifersucht Leibniz gegenüber (Palumbo 1993/2). Schon in der 1724 erschienenen Dissertatio historico-litteraria De transpositione bibliothecarum memorabili hatte Rudolf Anton Fabricius den Bibliothekar Leibniz nur in Bezug auf die Hannoveraner Hofbibliothek behandelt (Fabricius 1724, 56), während er im Umriss der Geschichte der Bibliotheca Augusta nur den Namen von Lorenz Hertel für erwähnenswert hielt, der für seine Gelehrsamkeit und Erfahrung in res libraria sehr gelobt wurde (ebd., 58–60).

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3. LEIBNIZ ALS BIBLIOTHEKAR: EIN THEMA FÜR SICH Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Leibniz’ Tätigkeit als Bibliothekar innerhalb der Leibniz-Forschung tatsächlich thematisiert. In dieser Hinsicht gilt ein präzises Datum als Wasserscheide: das Jahr 1851, d.h. die Veröffentlichung des langen Beitrages Bibliothekarisches aus Leibnizens Leben und Schriften des Leibniz-Editors und -Biographen Eduard Gottschalk Guhrauer auf den Seiten von Serapeum – einer Zeitschrift die sich explizit an Bibliothekare und Literaturfreunde wandte. Es sei – laut seinen Worten – keine unnützte Arbeit, „wenn ich die hierher gehörigen zerstreuten Notizen aus Leibnizens Leben und Schriften zu einer zusammenhängenden Betrachtung verbinde” (Guhrauer 1851, 1). Schon in seiner zweibändigen Biographie Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibnitz hatte Guhrauer seine Absicht angekündigt, eine spezielle und dokumentierte Darstellung diesem zu Unrecht vernachlässigten Aspekt zu widmen. Leibniz’ Tätigkeit als Bibliothekar wird daher nicht nur als ein bloßes biographisches Faktum, sondern im breiteren Kontext seines dauernden Interesses für die Buchwelt präsentiert. Guhrauer benutzte zahlreiche in jener Zeit noch ungedruckten Quellen – wie die damals noch unveröffentlichte Korrespondenz mit dem Herzog Anton Ulrich – und reiste nach Wolfenbüttel, um Handschriften persönlich zu überprüfen. Zum ersten Mal wurden weitere Buchankäufe für die von ihm geleiteten Bibliotheken gelistet außer den traditionellen Hinweisen auf die Erwerbungen der Fogeliana und der Gudeschen Handschriften. Guhrauer ist für zwei weitere Bemerkungen zu danken. Erstens hat er die entscheidende Rolle erkannt, die Johann Christian von Boineburg, Leibniz’ Patron der Mainzer Zeit, – 1668–1671 katalogisierte Leibniz Boineburgs beträchtliche Büchersammlung – in der Entwicklung seiner bibliothekarischen Vorstellungen gespielt hat, eine Bemerkung die im letzten halben Jahrhundert fruchtbare Forschungsergebnisse erbracht hat (Hakemayer 1967; Palumbo 1990; Paasch 2005; 2008). Zweitens weist Guhrauer kurz auf die Notwendigkeit hin, Leibniz’ Überlegungen über die Bedeutung, Funktion und Finanzierung einer Bibliothek in engen Zusammenhang mit seinen Akademieplänen (vor allem für die 1700 gegründeten Berliner Sozietät der Wissenschaften), und allgemein mit seinen Projekten und programmatischen Schriften für die Erweiterung und Verbesserung der menschlichen Kenntnisse zu stellen. Die Saat eines besseren Verständnisses und einer balancierten Interpretation von Leibniz’ Tätigkeit als Bibliothekar wurde in solcher Weise in die Erde der Leibniz-Forschung gebracht. Der Horizont sollte sich im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch wesentlich erweitern, als neue und in diesem Zusammenhang bedeutungsvolle Leibniz-Texte der Forschung zur Verfügung gestellt wurden. Zu nennen sind hier die Ausgaben von Louis-Alexander Foucher de Careil (Œuvres, 1854– 1875; bes. Bd. 7, Leibniz et les Académies, 1875), Onno Klopp (Die Werke von Leibniz, 1864–1884), und Carl Immanuel Gerhardt (Philosophische Schriften, 1875–1890), neben Richard Doebner, hier erwähnt für die Edition von Leibnizens Briefwechsel mit dem Minister von Bernstorff (Doebner 1881). Besonders erwähnenswert ist der Name von Eduard Bodemann, der 1888 den in dieser Hinsicht sehr aufschlussreichen Briefwechsel mit Herzog Anton Ulrich veröffentlicht

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(Bodemann 1888) und in seinem Katalog Die Leibniz-Handschriften der Königlich-Öffentlichen Bibliothek (Bodemann 1895) eine erste, knappe Beschreibung der Leibniz-Handschriften zum Bibliothekswesen geboten hat. Unverzichtbar sind selbstverständlich auch die Schriften zum Akademiewesen, die durch Woldemar Guerrier (Guerrier 1873; zu den Akademieplänen für Russland) und danach Adolf von Harnack in seiner imposanten Geschichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Harnack 1900) zugänglich gemacht worden sind. Aus ihnen geht die schon von Guhrauer hervorgebrachte unlösbare Verbindung zwischen Bibliothek und Akademie deutlich hervor. In zahlreichen Denkschriften – wie schon in der General-Instruction vom 11. Juli 1700 – hat Leibniz nämlich die Notwendigkeit einer eigenen Bibliothek für die Berliner Sozietät der Wissenschaften gesehen (A IV,8 456/457), neben Sammlungen von mathematischen Instrumenten und „curieusen Naturalien“ (Harnack 1900, 2, 194). 1906 führte Fritz Milkau Leibniz in dem Essay Die Bibliotheken ein und bezeichnete ihn als den ersten Vertreter des Gedankens der modernen Bibliothek (Milkau 1906). 1914 erschien der Aufsatz von Archibald L. Clarke Leibniz as a Librarian (Clarke 1914) und 1917 veröffentlichte Klaus Loeffler seinen Leibniz als Bibliothekar auf den Seiten der „Zeitschrift für Bücherfreunde” (Loeffler 1917). Entscheidend war selbstverständlich 1923 die Veröffentlichung des ersten Bandes der Reihe I der Akademie-Ausgabe, der die Briefe der Jahre 1668–1676 enthält, darunter einige Pläne der Mainzer Zeit, wie z.B. den Vorschlag betreffend das Bücherkommissariat (A I,1 N. 23). Der zweite Band mit der Korrespondenz der Jahre 1676–1679 folgte 1927. 1930 erschien der erste Band der Reihe IV, der die Edition der politischen Schriften der Jahre 1667–1676 bietet. In nur sieben Jahren wurde der Forschung eine Sammlung von meistenteils noch unbekannten Briefen und Denkschriften zur Verfügung gestellt, die neues Licht auf die Tätigkeit des jungen Leibniz im Dienst von Johann Christian von Boineburg, und die ersten Jahre seiner Leitung der Hannoverschen Bibliothek unter Herzog Johann Friedrich geworfen haben. 1925 brachte Karl Bader einen kurzen Eintrag zu Leibniz in seinem Lexikon Deutscher Bibliothekare (Bader 1925). Ein größerer Raum wurde 1940 in dem von Fritz Milkau und Georg Leyh herausgegebenen Handbuch der Bibliothekswissenschaft seinem Verständnis der Bibliothek und deren Funktionen gewidmet: Was Leibniz für die Bibliotheken bedeutet hat, ist gleichfalls erst nach seinem Tode erkannt worden, zumal es scheinen kann, als stünden die eindrucksvollen theoretischen Äusserungen, die Leibniz den Wert öffentlichen Bibliotheken bei vielen Anlässen getan hat, zu der von ihn geübten bibliothekarischen Praxis im Widerspruch. Es darf nicht vergessen werden, daß es sich in Hannover wie in Wolfenbüttel um Fürstenbibliotheken handelte, deren Privatcharakter auch nach Leibnizens Tode grundsätzlich gewahrt blieb. Der Umsetzung theoretischer Erkenntnisse in die Praxis stellten sich auch für einen Leibniz Widerstände entgegen, die schwer zu überwinden waren. Die Erkenntnisse aber, die ihm das Bibliothekswesen verdankt, haben die Jahrhunderte überdauert (Milkau-Leyh 1940, 285).

Der Name von Leibniz hatte offiziell Eingang in den Bereich des Buch- und Bibliothekswesens gefunden.

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4. ALTE UND NEUE WEGE In den Vierziger und Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche Aufsätze über Leibniz in Bibliothekszeitschriften veröffentlicht, ein Phänomen, das einigermaßen die – oft übermäßige – Begeisterung für eine Art von ‚Entdekkung‘ des Bibliothekars Leibniz widerspiegelt. Der Großteil dieser Beiträge sind allgemeine und schließlich repetitive Darstellungen von Leibniz’ Tätigkeit in Hannover und Wolfenbüttel. Wenige Arbeiten ragen aus diesem Panorama hervor: neben der informativen Darstellung von Uta Hakemayer (Hakemayer 1952) sind einige Beiträge zu nennen, die dem Thema der Systematik oder Klassifikation der Wissensgebiete gewidmet sind, die von Otto Christoph Hilgenberg (Hilgenberg 1952) und vor allem von Eugenij Ivanovič Šamurin (Šamurin 1955/1964). Es handelt sich um Beiträge, die sich meistens auf die von Feller veröffentlichte Idea Leibnitiana Bibliothecae publicae secundum classes scientiarum ordinandae contractior (A IV,6 N. 72) stützen und eine angebliche Ähnlichkeit dieses Schemas mit der erstmals 1876 veröffentlichten Dezimalklassifikation übermäßig unterstreichen. Das hier skizzierte Bild von Leibniz als Vorläufer des amerikanischen Bibliothekars Melvil Dewey sollte – leider – lange vorherrschend bleiben. Das folgende Jahrzehnt begann mit einem mit einem für das Thema sehr wichtigen Buch, das bis heute grundlegend für die Geschichte der Hannoveraner Bibliothek ist: Zweihundert Jahre Geschichte der Königlichen Bibliothek zu Hannover von Werner Ohnsorge. Ohnsorge basiert seine Geschichte auf die gründliche und sorgfältige Erforschung der alten und noch in Hannover aufbewahrten Bibliotheksakten, Kataloge und Rechnungen. Das Ergebnis ist ein neues und ambivalentes Bild von Leibniz als Bibliothekar, dessen Tätigkeit zwischen hochambitionierten Plänen und den alltäglichen finanziellen Schwierigkeiten schwankte, und deren mögliche Ergebnisse von der Indifferenz des Hofes und der Verwaltung, die 1704 sogar „ein mehrjähriges Verbot des Bücherankaufs verhängt hatte”, stark geprägt wurden (Ohnsorge 1962, 30). Immerhin – so schließt Ohnsorge – war Leibniz „kein Verwaltungsmann, sondern ein Gelehrter, der hinsichtlich der Bibliothek immer wieder in großen Entwürfen schwebte, aber an der Praxis des Handwerklichen kein Interesse hatte” (ebd., 33). Ohnsorgs Buch hat eine neue Abwägung des Themas eröffnet und Anstoß zu neuen Reflexionen geboten. 1966, anlässlich von Leibniz’ 250. Todesjahr, erschien der Sammelband Leibniz. Sein Leben, sein Wirken, seine Welt. Besonders wichtig sind zwei hier enthaltene Beiträge, die von Wilhelm Totok und Heinrich Lackmann verfasst sind. Totoks Leibniz als Wissenschaftsorganisator ist eine umfassende Rekonstruktion, in der das Buch und die Bibliothek eine zentrale Rolle in einem allgemeinen Projekt für die Forderung der Wissenschaften spielen: „Er war sein Leben lang ein Mann des Buches, als Gelehrter, als Politiker, der mit Abhandlungen in das Weltgeschehen einzugreifen versuchte, als Leiter von Bibliotheken” (Totok 1966, 307–308). Leibniz’ Tätigkeit als Bibliothekar gewinnt so eine neue Dimension, die nicht nur im beschränkten Gebiet des Buch- und Bibliothekswesen eine Rele-

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vanz hat, sondern vielmehr eine weitgreifende Bedeutung im Kontext eines allgemeinen Projekts zur Organisation und Erschließung des Wissens gewinnen kann. Unabhängig davon, ob und in welchem Maß Leibniz seine Projekte – einschließlich der effektiven Anfertigung von Katalogen – tatsächlich durchführen und vollenden konnte, entscheidend sind daher die theoretischen Aspekte, und vor allem der Begriff selbst einer Bibliothek als – laut Leibniz’ Worten – Schatz der menschlichen Kenntnisse, Repositorium der Entdeckungen, Mittel um das Problem des Sammelns, Ordnens und Aufbewahrens des Erfahrungswissens zu lösen. Wenn Totok in seinem Beitrag die Theorie der Bibliotheken behandelt, geht Lackmann in seinem Leibniz’ bibliothekarische Tätigkeit in Hannover tief in die Praxis. Anhand zahlreicher noch unveröffentlichter Quellen betont Lackmann, dass Leibniz’ Misserfolg durch finanzielle und räumliche Not bedingt war. Leibniz „hat sich [...] – wohl mit Recht – für den unwürdigen Zustand der Bibliothek nicht verantwortlich gefühlt. Der hin und wieder gegen ihn erhobene Vorwurf, er habe die spezifisch bibliothekarische Betreuung der Bibliothek vernachlässigt, lässt die damals gegebenen äußeren Umstände völlig außer acht” (Lackmann 1966, 340). Darüber hinaus erhellt Lackmann – wie schon Milkau erklärt hatte – die eigentliche Natur der Büchersammlung, die Leibniz in Hannover leiten sollte: nicht eine öffentliche Bibliothek, sondern „die private Handbibliothek eines Landesfürsten”. Daher musste er „also auf dessen persönliche Interessen eingehen und ihm die Anschaffungen zur Billigung vorlegen” (ebd., 328). 5. BIBLIOTHEK UND POLITIK Nach 1966 öffneten sich effektiv neue und sehr fruchtbare Forschungswege. Zu nennen ist erstens der Name von Günter Scheel. Dank der sorgfältigen Durchsicht der in Hannover sowie in Wolfenbüttel aufbewahrten Archivalien – und besonders der Dienstregistraturen – bietet Scheel neue Standpunkte für ein differenziertes Verständnis von Leibniz’ Tätigkeit in Hannover und in Wolfenbüttel, wie besonders die Aufsätze Leibniz Beziehungen zur Bibliotheca Augusta in Wolfenbüttel (Scheel 1973) und Drei Denkschriften von Leibniz aus den Jahren 1680 bis 1702 über den Charakter, deren Nutzen und die finanzielle Ausstattung der Hannoverschen Bibliothek (Scheel 1976a) zeigen. Beiträge wie Von der herzoglichen Bibliothek im Leineschloss zur Niedersächsischen Landesbibliothek an der Waterloostraße (Scheel 1976b) und Leibniz’ Eintritt in den braunschweigischen Staatsdienst und seine Wolfenbütteler Wohnung (Scheel 1983) betreffen nur anscheinend marginale oder punktuelle Fragen: Scheel hat in der Tat Leibniz’ ganze Tätigkeit als Bibliothekar beleuchtet. Besonders wichtig sind die Bemerkungen, die seine Leitung der Bibliotheca Augusta betreffen und die von der älteren Wolfenbütteler Historiographie überlieferten Darstellungen – neben Burckhard 1744/1746 ist Otto von Heinemann zu nennen (Heinemann 1894) –umgeschrieben haben. Leibniz kam nach Wolfenbüttel „mit einem seiner Zeit weit vorauseilenden Programm zur Führung einer Universalbibliothek mit kontinuierlicher Bücheranschaffung, katalogmäßiger Erschließung und liberaler Benutzung” (Scheel 1973,

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178). Alle Aspekte des Programms und seiner möglichen Einführung in der Bibliotheca Augusta werden stringent präsentiert: Personal und Etat der Bibliothek, Büchererwerbungen, Katalogisierung, Bibliotheksbenutzung, im Hintergrund ein allgemeines, enzyklopädisches Wissenschaftsverständnis und die feste Überzeugung, dass „die Schätze einer gut geleiteten großen Bibliothek [...] die menschliche Vollkommenheit zu befördern und der Bequemlichkeit des Lebens zu dienen sowie dem staatlichen Gemeinwesen nützliche Impulse zu geben” vermöchten (ebd.). In allen seinen Beiträgen – einschließlich seinen Einleitungen zu einzelnen Bänden der Akademie-Ausgabe – betont Scheel daher nachdrücklich das Verhältnis zwischen Bibliothek und Politik, d.h. Macht, Prestige und Reputation eines Hauses: ausdauernd habe Leibniz den „großen Nutzen einer wohl versehen Bibliothec bey einem fürnehmen Hofe” betont (Scheel 1976a, 67). Besonders interessant sind in dieser Hinsicht die Überlegungen über die Ausstattung einer Bibliothek, die zahlreiche Überschneidungen mit Leibniz’ Denkschriften zum Akademiewesen zeigen, z.B. hinsichtlich alternativer Finanzierungsmittel wie Seidenproduktion, Kalendermonopol, Stempelpapier. Im Mittelpunkt der bedeutenden und innovativen Forschungen von Annegret Stein-Karnbach stehen andere Themen. Sie stellt in G. W. Leibniz und der Buchhandel nicht nur Leibniz’ Pläne einer Reform des Buchwesens, sondern auch seine persönlichen Erfahrungen mit den Buchhändlern und die Linien seiner Anschaffungspolitik in Hannover sowie in Wolfenbüttel dargestellt hat. Darüber hinaus edierte Stein-Karnbach zahlreiche zu jener Zeit noch unveröffentlichte Schriften zum Buchwesen sowie Briefe an deutsche und holländische Buchhändler. Das Ergebnis ist ein Komplex von Memoranden und Denkschriften – von dem 1668 entworfenen Plan der Gründung einer Bücherzeitschrift Nucleus librarius semestralis bis zur Societas Subscriptionum des Jahres 1716 –, die eine erstaunliche Kontinuität andeuten und deutlich zeigen wie „seine Reformgedanken zum Buchhandel durch wirtschaftspolitische Strömungen der Zeit stark geprägt wurden” (Stein-Karnbach 1983, 1243). Leibniz’ Grundgedanken über Buch und Bibliotheken als Instrumente der effektiven Vermehrung des Wissens können daher nicht vom jeweiligen Stand des Buchhandels und dem politischen Kontext isoliert betrachtet werden. Nochmals sei in diesem Zusammenhang der fundamentale Beitrag betont, den der Fortschritt der Akademie-Ausgabe leistet, besonders die Reihe IV. mit den fortlaufend veröffentlichten Bänden der Politische Schriften. Wie es trefflich in der Einleitung zu einem der Bände ausgedrückt ist: „Insofern die Arbeit dieser Wissens- und Wissenschaftsorganisation dem gemeinen Besten dienen sollte, gehören die Ausführungen über Akademien und Bibliotheken zu den politischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz” (A IV,5 XLV). Von großen Wichtigkeit – auch in Hinblick auf die breite Zeitspanne, die das dokumentierte Panorama bis zum Jahr 1716 erweitert – sind die neuen Quellen zur Geschichte der Berliner Sozietät der Wissenschaften, die 1993 Hans-Stephan Brather der Forschung zur Verfügung gestellt hat. Er stellt sie in den Rahmen einer allgemeinen Vorstellung des großen kulturpolitischen Programms, das Leibniz zum größten Teil nicht in die Praxis umsetzen konnte. In der Projektemacherei habe er – und hier spricht

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Brather aus kritischer Distanz – eine gewisse Unfähigkeit bzw. Interesse- und Zeitmangel für die praktisch-organisatorischen Aspekte erkennen lassen, und die Mühe solcher Aufgaben anderen meistens übergelassen. „Die landläufige Vorstellung von Leibniz als überragenden Wissenschaftsorganisator geht von oberflächlichen, unzureichenden Kenntnisse der frühen Berliner Akademiegeschichte aus; sie ist irrig. Die Fähigkeiten und Leistungen dieses großen Genies lagen auf anderen Gebieten“ (Brather 1993, XLIII). 6. NEUE WEGE DER FORSCHUNG In den letzten Jahrzehnten des 20. und dem ersten des folgenden Jahrhunderts haben die Untersuchungen auf diesem Feld wesentlich zugenommen. Es ist nunmehr anerkannt, dass Bücher und Bibliotheken den Hintergrund des Lebens und der vielfältigen Tätigkeiten von Leibniz bilden, und der Name des ‚PhilosophenBibliothekars‘ wird in die wichtigsten fachbezogenen Nachschlagwerke eingetragen; erwähnenswert sind in dieser Hinsicht Downs’ Dictionary of Eminent Librarians (1990), die ALA World Encyclopedia of Library and Information Service (1993), das Lexikon des gesamten Buchwesens (1995), die International Encyclopedia of Information and Library Science (2003), das Lexikon Buch. Bibliothek. Neue Medien (2007), und schließlich das Lexikon der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (2014). Innerhalb des reichen und mannigfaltigen Panoramas der Leibniz-Forschung sind einige Linien besonders erkennbar, die zu fruchtbaren Ergebnissen geführt und immer mehr Relevanz gewonnen haben. Die erste Linie spiegelt unmittelbar eine bereits gefestigte Orientierung im Bereich des Bibliotheks- und Buchwesens wider, d.h. die Forschung nach Provenienzen und die Rekonstruktion der historischen Bestände. Bahnbrechend sind hierbei die Forschungen von Albert Heinekamp gewesen, der als erster im Jahre 1968 – im Rahmen seines Studiums am Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-Westfalen – Leibniz’ Privatbibliothek anhand der aufbewahrten Inventare, untersucht hat (Heinekamp 1968). Darüber hinaus erschien 1969 Heinrich Lackmanns wichtiger Beitrag Der Erbschaftsstreit um Leibniz Privatbibliothek (Lackmann 1969), der nicht nur eine sorgfältige und dokumentarisch begründete Darstellung des Schicksals der Bücher in Leibniz’ privatem Besitz enthält, sondern auch die Anfeindung und Böswilligkeit besser erklärt, die Johann Georg Eckhart in der Affäre erkennen ließ. Heinekamps und Lackmanns Arbeiten haben die Methodologie zahlreicher nachfolgender Studien stark beeinflusst. Heinz-Jürgen Heß untersuchte im Jahre 1980 die Bücher, die Leibniz aus der Sammlung von Christiaan Huygens erworben hatte (Heß 1980). 1983 erschien der Beitrag von Gerda Utermöhlen Die Literatur der Renaissance und des Humanismus in Leibniz privater Büchersammlung (Utermöhlen 1983) und in den letzten Jahren wurden weitere Segmente der Bucherwerbungen von Leibniz als Bibliothekar in Hannover und Wolfenbüttel sowie als privater Buchsammler rekonstruiert, z.B. nach bestimmten Disziplinen, Autoren, Perioden usw. (z.B. Palumbo 1993/1, 1996, 2016/1, 2016/2; Hartbecke 2008;

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Pelletier 2012). Dabei lag die Aufmerksamkeit auf weiteren und lange zu Unrecht missachteten Quellen: handschriftlichen Inventaren, Listen der Desiderata, Rechnungen und – manchmal von Leibniz selbst am Rand markierten – Auktionskatalogen, denn für seine wie für die von ihm geleiteten Hofbibliotheken hat Leibniz meistens aus verauktionierten Privatbibliotheken anderer Gelehrter Bücher erworben. Alle die obenerwähnten neuen Arbeiten und Lektüren haben selbstverständlich von der fortschreitenden Publikation der Akademie-Ausgabe profitiert, vor allem des Leibniz-Briefwechsels, der eine unersetzliche Quelle für die Geschichte der von ihm geleiteten Hofbibliotheken sowie seiner privaten Büchersammlung darstellt (für eine allgemeine methodologische Darstellung vgl. Palumbo 2006/2007). Eine zweite vielsprechende Forschungslinie betrifft die Systematik. Leibniz’ Wissens- und Bibliotheksordnung hat neue Konturen bekommen, und das Monopol der von Feller 1718 veröffentlichten Idea Leibnitiana Bibliothecae publicae secundum classes scientiarum ordinandae, die lange als die einzigen gedruckten Texte zugänglich waren, ist definitiv gebrochen. Die Publikation von zahlreichen Schriften und Entwürfen zur bibliographisch-bibliothekarischen Sachsystematik in der Reihe IV der Akademie-Ausgabe hat uns ein vielschichtigeres und teilweise widersprüchliches Bild seines theoretischen Nachdenkens gegeben. Zu nennen sind – neben den Überlegungen über Systematik, ars combinatoria, und Universalwissenschaft von Uwe Jochum (Jochum 1998, 2004) – die fundamentalen Beiträge von Stephan Waldhoff (Waldhoff 2008, 2011), in denen zahlreiche neu zugängliche Entwürfe einer systematischen Ordnung des Wissens gründlich analysiert sind. Leibniz hat um eine Bibliothekssystematik „über den gesamten Zeitraum seines literarischen Schaffens in immer wieder neuen Entwürfen und Ausarbeitungen gerungen” (Waldhoff 2008, 161). Waldhoff zeigt musterhaft, wie die „isolierte Rezeption” von wenigen, durch einen „Editions-Zufall” früh publizierten und somit durch eine hohe „Rezeptions-Chance” privilegierten Texten – „verstärkt noch durch eine zusätzliche Blickverengung” – das Bild des Bibliothekssystematikers Leibniz verzerrt haben (ebd., 162). 7. FAZIT In dem Themengebiet ‚Leibniz als Bibliothekar‘ war die Forschung lange gespalten, geteilt zwischen der Marginalisierung dieses Aspektes seiner Tätigkeit und einer gewissen Überschätzung, ja sogar einer riskanten Aktualisierung seines Beitrages zur Bibliothekswissenschaft. Die heute zugänglichen, vielschichtigen und oft thematisch verflochtenen Texte – die vor allem in den Reihen I und IV der Akademie-Ausgabe veröffentlicht sind und Buch- und Bibliothekswesen, Akademien und Wissensorganisation betreffen – haben nicht nur zu neuen Perspektiven in der Interpretation seiner theoretischen Überlegungen und konkreten Ergebnisse, sondern auch zu einem ausgewogeneren Zugang zum Bibliothekar Leibniz geführt. Einerseits wird Leibniz nicht mehr als Anreger der modernen öffentlichen Bücherei oder als Vorläufer der ‚Dewey Klassifikation‘ angesehen, andererseits

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ist die Rekonstruktion seiner Tätigkeit als Bibliothekar vom traditionellen „Trauerlied auf verpaßte Chancen oder auf das verkannte Genie” endgültig befreit (Waldhoff 2016, 219). Darüber hinaus wird, dank den Fortschritten der Leibniz-Edition, die Hannover-Wolfenbüttel Dichotomie aufgelöst, die lange die Historiographie dominiert hat. Im traditionellen Leibniz-Bild galt – spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts –Hannover immer mehr als ein Hof, an dem dem Genie Leibniz Fesseln angelegt worden seien, Wolfenbüttel dagegen als der Gegenpol, wo er verständnisvolle Gesprächspartner gefunden habe. Trotz aller guten Absichten und günstigen Bedingungen sollte er auch in Wolfenbüttel – mindestens bis zum Januar 1704, als Anton Ulrich Alleinherrscher wurde und Leibniz daher neue finanzielle Möglichkeiten nutzen konnte – mit Schwierigkeiten konfrontiert sein. Wie die kürzlich edierte Korrespondenz des Jahres 1705 sehr deutlich zeigt, hat Leibniz auch in Wolfenbüttel eine Eiszeit erfahren, besonders nach der Bestallung von Anton Ulrichs Protegé Hertel als zweiten Direktor der Augusta im Jahre 1704. Genauso wie fast zur selben Zeit der Hannoveraner Kurfürst Georg Ludwig und der Celler Herzog Georg Wilhelm ihre Unzufriedenheit über Leibniz jeweils in einem Erlass geäußert hatten – der Geheime Justiz-Rat und Bibliothecarius sei zu viel, und sogar ohne Genehmigung, verreist und habe sich daher nicht genügend auf die Arbeit an der Hausgeschichte konzentriert – war auch Anton Ulrich mit Leibniz nicht ganz zufrieden: Leibniz sei nicht genügend in Wolfenbüttel anwesend, und habe nicht genügend Zeit für die Augusta. Als Leibniz eine Liste der Erwerbungen aus der 1705 in Hannover versteigerten Bibliotheca Luciana nach Wolfenbüttel sandte, kritisierte Hertel scharf diese Buchanschaffungen. Leibniz’ Auswahl widerspreche Anton Ulrichs Vorlieben und Kriterien für die Vermehrung seiner Hofbibliothek. Leibniz wolle für die Augusta nur kleinformatige Bücher anschaffen, während der Herzog eine Vorliebe für ‚considerable‘ Folianten habe. Leibniz belehrte Hertel über die Wichtigkeit des intellektuellen, wissenschaftlichen Wertes eines Werkes, ganz unabhängig von seinem Format oder der äußeren Erscheinung, und formulierte nachdrücklich seine allgemeine Vorstellung von einer Bibliothek und der Funktion des Buches als einem Medium der Verbreitung und der Bewahrung schöner Entdeckungen, nützlicher Bemerkungen und gründlicher Kenntnisse, d.h. des wahren Wissens, während Hertel in der Diskussion die Figur des traditionellen Hofbibliothekars seiner Zeit verkörpert. Leibniz war in der Tat ein einzigartiger Hofbibliothekar. In einem berühmten Brief vom Januar 1677 an den Hannoveraner Herzog Johann Friedrich hat Leibniz seine wissenschaftlichen Projekte umrissen und deutlich seine Absicht erklärt, seine Tätigkeit am Hof über die herkömmlichen Aufgaben eines Bibliothekars hinaus auszudehnen, „un peu plus que le soin de sa Bibliotheque n’exige, et qu’un Bibliothequaire n’a coûtume de faire” (A I,2 12), eine Äußerung die in mehrfachen Sinn interpretiert werden kann. Leibniz hatte vier Jahre im lebendigen Paris verbracht und trotz eines wirklichen und tiefen Interesses an der res libraria, war er nicht überzeugt, dass das Amt des Bibliothekars im provinziellen Hannover den adäquaten Kontext bieten könne, um seine mannigfaltigen und anspruchsvollen wissenschaftlichen Projekte zu realisieren. Er versuchte sofort sich vom traditio-

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nellen Bild des Hofbibliothekars – eines „typischen Brotberuf[s] für Gelehrte” (Waldhoff 2016, 219) – zu distanzieren und eine innovative Konzeption des Wesens und der Funktionen einer Bibliothek zu präsentieren, in der die Büchersammlungen sich als Elemente einer breiten Reform des Wissens und der Bildung darstellen (Palumbo 2018). Im August 1690 hatte Leibniz Anton Ulrich anlässlich der Laurentiusmesse in Braunschweig getroffen, und sie hatten – wie die Korrespondenz zeigt – zusammen über Bibliothekspläne diskutiert. Im Leibniz-Nachlass in der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek Hannover liegt, von Leibnizʼ Hand, der Entwurf der Bestallungsurkunde vor, deren Text in diesem Zusammenhang vielsagend ist. Erstens werden Leibniz’ Qualitäten aufgelistet, in Sätzen, die für uns mit ihrer fast wortgenauen Übereinstimmung auf seinen Brief an Herzog Johann Friedrich von Hannover aus dem Jahre 1677 verweisen und die zweifellos aus Leibniz’ Feder stammen: man habe sich entschlossen, Leibniz die Direktion der Bibliotheca Augusta aufzutragen, weil er „nicht allein in literaria et libraria keine geringe erfahrung hat, sondern auch hin und wieder mit gelehrten Leuten in correspondenz begriffen” (A I,6 19), Worte, die die unentbehrliche Rolle der gelehrten Kommunikation unterstreichen – ein Angelpunkt seiner Vorstellung von Bibliotheken und dem bibliothekarischen Amt. Dank seines umfangreichen Netzes von Korrespondenten durch ganz Europa konnte Leibniz ausführliche und vor allem frühzeitige Nachrichten über künftige Versteigerungen sowie neuerschienene Bücher bekommen, und oft hat er Nützlichkeit und Vorteile der gelehrten Korrespondenz für die Entstehung einer guten, erlesenen – öffentlichen wie privaten – Bibliothek betont. Der gesamte Leibniz-Briefwechsel stellt daher eine unersetzliche Quelle für die Geschichte der von ihm geleiteten Hofbibliotheken dar, und seine fortschreitende Publikation wird diesbezüglich weiterhin neue und aufschlussreiche Informationen bieten. Das Thema Leibniz als Bibliothekar stellt sich daher als Musterbeispiel dar, wie Rezeption/Wirken/Forschung mit den Fortschritten der Leibniz-Edition parallel gelaufen sind. BIBLIOGRAPHIE Bader 1925 – Karl Bader: Lexikon Deutscher Bibliothekare in Haupt- und Nebenamt bei Fürsten, Staaten und Städten, Leipzig 1925. Bodemann 1888 – Eduard Bodemann: Leibnizens Briefwechsel mit dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen (1888), 73–244. Bodemann 1895 – Eduard Bodemann: Die Leibniz-Handschriften der Königlich-Öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1895 (ND Hildesheim 1966). Brather 1993 – Hans-Stephan Brather: Leibniz und seine Akademie. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Berliner Sozietät der Wissenschaften; 1697–1716, Berlin 1993. Burckhard 1710 – Johann Georg Burckhard: Epistola ad amicum, qua ea, quae C. H. E. D. in relatione de itinere suo Anglicano Et Batavo an. 1706 et 1707 facto de Augusta Bibliotheca Wolfenbuttelensi et Seren. Ducis Antonii Ulrici secessu in Salinarum valle recenset, Hannover 1710. Burckhard 1744/1746 – Jakob Burckhard: Historia Bibliothecae Augustae quae Wolffenbutteli est Duobus Libris Comprehensa […], Leipzig/Wolfenbüttel 1744–1746.

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Bytemeister 1730 – Heinrich Johann Bytemeister: Commentarius historicus de augustae domus Brunvigio-Luneburgensis meritis in rem literariam, Helmstedt 1730. Clarke 1914 – Archibald L. Clarke: Leibniz as a Librarian, in: The Library 3 (1914), 140–154. Doebner 1881 – Richard Doebner: Leibnizens Briefwechsel mit dem Minister von Bernstorff, und andere Leibniz betr. Briefe und Aktenstücke aus den Jahren 1705–1716, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen (1881), 205-380. Fabricius 1718 – Johann Fabricius: Historia Bibliothecae Fabricianae Pars II. Qua Singuli eius libri, eorumque contenta, & si quae dantur variae editiones, augmenta, epitomae, apologiae sive defensiones, auctorum errores & vitae, Doctorumque virorum de auctoribus illis, & eorum libris iudicia, atque alia ad rem librariam facientia recensentur, Wolfenbüttel 1718. Fabricius 1724 – Rudolf Anton Fabricius: Dissertatio historico-litteraria De transpositione bibliothecarum memorabili, Helmstedt 1724. Feller 1718 – Joachim Friedrich Feller: Otium Hanoveranum sive Miscellanea, xx ore & schedis Illustris Viri, piae memoriae, Godofr. Guilielmi Leibnitii, Leipzig 1718. Fontenelle 1716 – Bernard le Bovier de: Eloge de M. Leibnitz, in: Histoire de l’Académie Royale des Sciences. Année 1716, Paris 1717, 94–128. Grundmann 1717 – Cristian Grundmann: Ossa et Cineres quorundam in Republica Orbis Europaei tum civili, tum tum imprimis literaria A. O. R. 1716 defunctorum, Frankfurt/Leipzig 1717. Guerrier 1873 – Woldemar Guerrier: Leibniz in seinem Beziehungen zu Rußland und Peter dem Großen. Eine geschichtliche Darstellung dieses Verhältnisses nebst den darauf bezüglichen Briefen und Denkschriften, St. Petersburg, Leipzig 1873 (ND Hildesheim 1975). Guhrauer 1846 – Eduard Gottschalk Guhrauer: Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibnitz. Eine Biographie, Breslau 1846. Guhrauer 1851 – Eduard Gottschalk Guhrauer: Bibliothekarisches aus Leibnizens Leben und Schriften, in: Serapeum 12 (1851), 1–16, 17–30, 33–42. Hakemeyer 1952 – Uta Hakemeyer: Leibnizsche Gedanken zum Bibliothekswesen, Hamburg 1952. Hakemeyer 1967 – Uta Hakemeyer: Leibniz’ Bibliotheca Boineburgica, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 14 (1967), 219–238. Harnack 1900 – Adolf von Harnack: Geschichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1900. Hartbecke 2008 – Karin Hartbecke: Zwischen Fürstenwillkür und Menschheit. Leibniz’ erste Jahre als Hofbibliothekar zu Hannover, in: Dies. 2008a, 43–158. Hartbecke 2008a – Karin Hartbecke (Hg.): Zwischen Fürstenwillkür und Menschheitswohl. Gottfried Wilhelm Leibniz als Bibliothekar (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband. 95), Frankfurt/M. 2008. Heinekamp 1968 – Albert Heinekamp: Leibniz’ Privatbibliothek in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover. Mit einem Titelverzeichnis der Abteilungen A (Jura) und D (Philosophia practica). Hausarbeit, dem Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-Westfalen zur Prüfung für den höheren Dienst an Wissenschaftlichen Bibliotheken, Köln 1968. Heinemann 1894 – Otto von Heinemann: Die Herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Büchersammlungen, Wolfenbüttel 1894. Heß 1980 – Heinz-Jürgen Heß: Bücher aus dem Besitz von Christiaan Huygens [1629–1695] in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover, in: Stl. 12 (1980), 1–51. Hilgenberg 1952 – Ott Christoph Hilgenberg: Zur Entstehung der Dezimalklassifikation, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 66 (1952), 259–264. Jochum 1998 – Uwe Jochum: Die Bibliothek als “locus communis”, in: Aleida Assmann (Hg.): Medien des Gedächtnisses (= Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Sonderheft), Stuttgart 1998. Jochum 2004 – Uwe Jochum: Am Ende der Sammlung. Bibliotheken und im frühmodernen Staat, in: Richard van Dülmen/Sina Rauschenbach (Hg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln u.a. 2004, 273–294.

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Margherita Palumbo

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JURISPRUDENZ – POLITIK – GESCHICHTE – SPRACHWISSENSCHAFT – DICHTUNG

JURISPRUDENZ Matthias Armgardt 1. EINLEITUNG Der 300. Todestag von Gottfried Wilhelm Leibniz ist eine gute Gelegenheit, Rückblick zu halten auf das, was die Leibnizforschung geleistet hat und zudem in den Blick zu nehmen, was noch zu leisten ist. Das Leibniz’sche Rechtsdenken ist von ganz unterschiedlichen Disziplinen erforscht worden: Rechtshistoriker, Rechtstheoretiker, Rechtslogiker, Logiker, Naturrechtler, Staatsrechtler, Historiker und Philosophen, die sich mit der politischen Philosophie der frühen Neuzeit befassen, haben maßgebliche Beiträge in diesem ungewöhnlichen und tiefen Forschungsfeld erbracht. Vieles ist zutage gefördert worden. Zahlreiche bedeutende Texte harren aber noch der gründlichen Auswertung. Was aber vor allem noch aussteht, ist eine integrale Gesamtdarstellung der Leibniz’schen Rechtsphilosophie, die die einzelnen Gebiete in Bezug zueinander setzt. Denn gerade der Zusammenhang von römischem Recht, Logik und Metaphysik macht das Besondere und Einzigartige des Leibniz’schen Rechtsdenkens aus. Es mag langsam an der Zeit sein, ein solches Unterfangen zu wagen. Im Folgenden sollen die erbrachten Beiträge der unterschiedlichen Disziplinen anhand von sieben Forschungsfeldern thematisch dargestellt werden, um für die noch zu leistende Gesamtdarstellung den Weg zu bereiten. Dabei können nicht alle Arbeiten zur Sprache kommen, geschweige denn gewürdigt werden. Es soll hier vielmehr darum gehen, einen Überblick über die Forschungsfelder und ihre Dynamiken zu geben, wobei wir uns auf eine Skizze der Entwicklungen vor allem während der letzten 25 Jahre beschränken wollen. Außerdem lässt sich eine vom Erkenntnisinteresse des Autors abhängige Schwerpunktsetzung nicht ganz vermeiden. 2. RÖMISCHES RECHT UND LOGIK Leibniz begann seine berufliche Laufbahn mit dem Jurastudium in Leipzig. Anders als viele andere Naturrechtsdenker war er ein Meister auf dem Gebiet des römischen Rechts. Bereits seine Qualifikationsarbeiten zeigen aber, dass Leibniz das römische Recht nicht einfach in der zu seiner Zeit üblichen Weise rezipierte, sondern dass er die darin verwobene Logik der stoischen Philosophie erkannte. So bezeichnete er mehrfach die römischen Rechtsgelehrten als Schüler der stoischen Philosophen (vor allem C, 339 f., dazu Armgardt 2001, 359 f.). Besonders in sei-

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nen Studien zum römischen Bedingungsrecht zeigt Leibniz dessen logische Struktur bzw. logische Einbettung, indem er den Stoff in Definitionen, Theoreme und deren Beweise zergliedert. Die Technik „more geometrico“ steht dabei im Dienst der Rechtssicherheit1. Nachdem in den 1970er Jahren erste Forschungen zur Leibniz’schen Rechtslogik aus Sicht der Historiker der Logik vorgelegt wurden2, tat sich drei Jahrzehnte lang sehr wenig. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts kam Leben in die rechtslogische Forschung. Gerade die Bedingungslehre ist aus logischer und rechtslogischer Sicht von höchstem Interesse. Meine im Jahr 2001 veröffentlichte Dissertation (Armgardt 2001, dazu Luig 2008, 184 f und 191 f.) hatte die Doctrina Conditionum aus Sicht der Rechtslogik und Rechtsgeschichte zum Gegenstand. Sie enthält eine Übersetzung des vollständigen Textes ins Deutsche und eine Rekonstruktion der wesentlichen Gedanken mithilfe moderner Logik. Kurz zuvor hatte Pol Boucher eine französische Übersetzung veröffentlicht (Boucher 1998). Damit war der Weg zur Rezeption wesentlich erleichtert. Nach meinem Rekonstruktionsvorschlag mittels einer probabilistische Aussagen- bzw. Modallogik und der Benutzung des Bi-Konditionals zur Beschreibung des Verhältnisses von Bedingung (conditio) und bedingtem Recht (conditionatum), folgten auf dem Gebiet des Leibniz’schen Bedingungsrechts Arbeiten von Alexandre Thiercelin (Thiercelin 2008; 2009; 2011), Sébastien Magnier (Magnier 2013; 2015) und Shahid Rahman (Rahman 2015), die nichtklassische Logiken fruchtbar zu machen suchten. Thiercelin schlug die Anwendung einer dynamischen epistemischen Logik vor und trat für eine konnexe Implikation anstelle des Bi-Konditionals ein (Thiercelin 2010, 208). Zu letzterem ist anzumerken, dass dieser interessante und bedenkenswerte Vorschlag nicht dem Leibniz’schen Konvertibilitätstheorem gerecht wird, was aber keinesfalls heißt, dass er für eine Rekonstruktion des modernen Rechts unbrauchbar ist (Armgardt 2014, 36 f.). Magnier und Rahman schritten auf dem Gebiet der dynamischen epistemischen Logik weiter voran und schlugen die Verwendung des Public-Announcement-Operators zur Interpretation der Leibniz’schen Bedingungslehre vor (Magnier/Rahman 2012, 29 ff.). Auch dieser Vorschlag ist bedenkenswert, trifft aber den juristischen Kern nicht adäquat: die Frage, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht, ist im Prozess letztlich eine Tatsachenfrage, die im Fall des Bestreitens bewiesen werden muss, wobei das Gericht die Beweise letztlich würdigen und entscheiden muss, ob der Beweis gelungen ist oder nicht. Dazu müsste man einen Beweisoperator entwickeln, der wesentlich komplexer wäre als ein einfacher Public-Announcement-Operator. Die Entwicklung eines solchen Beweisoperators würde sich aber schon jenseits der Leibniz’schen Bedingungslehre bewegen, also eine Fortentwicklung und nicht mehr   1 2

Das zeigt vor allem der Titel der überarbeiteten Fassung der Leibnizʼschen Bedingungslehre: „Specimen certitudinis seu demonstrationum in Jure exhibitum in Doctrina Conditionum“ (1669), A VI,1 365-430. Dazu Armgardt 2001, 371. Siehe auch Luig 2008, 187-193. Zu nennen sind insbesondere Schepers Studien zur Aussagenlogik (Schepers 1975) und Kalinowski/Gardies Forschungen zur deontischen Logik (Kalinowski/Gardies 1974).

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eine Interpretation seiner Bedingungslehre darstellen. Shahid Rahman hat kürzlich unter Verwendung der Constructive Type Theory und der dialogischen Logik vorgeschlagen, zur Rekonstruktion der Leibniz’schen Bedingungslehre anstelle einer syntaktischen Ableitung eine inhaltliche Inferenz (contentual inference) zu verwenden (Rahman 2015). Die Diskussion dieses interessanten Vorschlages müssen wir uns an dieser Stelle versagen. Eine Übersetzung der Doctrina Conditionum ins Englische mit Kommentierung ist derzeit in Arbeit, um die weitere Beschäftigung mit diesem Forschungsgebiet zu erleichtern3. Auch die Forschungen zur stoischen Logik im römischen Recht, auf die Leibniz in seinen rechtslogischen Studien aufbaute, machten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte (Winkler 2013; 2015; Armgardt 2008; 2010; 2013). Es wurde deutlich, dass die römischen Juristen in der Tat Schüler der stoischen Logiker waren, wie Leibniz mehrfach behauptete. Zudem übersetzten Alberto Artosi, Bernardo Pieri und Giovanni Sartor Leibnizens juristische Dissertation De casibus perplexis ins Englische und kommentierten sie aus rechtstheoretischer Sicht4. Zur dort zu findenden Leibniz’schen Lösung des Protagoras-Euathlos-Paradox hat Bettine Jankowski kürzlich einen Interpretationsvorschlag gemacht (Jankowski 2015, 95–108). Ein weiteres neues Forschungsgebiet betrifft die Leibniz’sche Theorie der juristischen Vermutungen (Praesumtionen und Konjekturen). Erste Schritte zur Klärung dieser Rechtsfiguren sind getan (dazu Armgardt 2015a, 51–70). Weitere Untersuchungen sind zu erwarten. Festzuhalten ist, dass die Leibniz’sche Rechtslogik sowohl aus juristischer als auch aus logischer Sicht zu Beginn des neuen Jahrtausends einen enormen Aufschwung erfahren hat, der zuvor kaum absehbar war. Die gesamte Entwicklung dieses Forschungsfeldes steht allerdings immer noch am Anfang. Weitere Studien sind von Nöten und zu erwarten. 3. ZIVILRECHTSDOGMATIK UND KODIFIKATIONSPLÄNE Auf dem Gebiet der Leibniz’schen Zivilrechtsdogmatik und der Vorbereitung einer Neukodifikation des Zivilrechts (vor allem während der Mainzer Zeit) hat Klaus Luig Bahnbrechendes geleistet (Luig 1973; 1985; 1987; 1995; 1998; 1999; 2001a; 2001b; 2008). Entscheidend ist, dass Leibniz zwar vom im Corpus Iuris Civilis fragmentarisch überlieferten klassischen römischen Recht ausgeht, die aus seiner Sicht unsinnige Ordnung des Rechtsstoffes in der justinianischen Kompilation aber grundlegend ändern will. So sehr Leibniz die klassischen römischen Ju  3 4

Die Mitwirkenden sind Giovanni Sartor, Alberto Artosi und der Verfasser. Die Veröffentlichung ist in der Reihe „Law and Philosophy Library“ geplant. Artosi/Pieri/Sartor 2013. Zudem liegt inzwischen eine Übersetzung ins Französische vor, Boucher 2009. Eine Übersetzung ins Deutsche ist demnächst von Bettine Jankowski zu erwarten.

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risten schätzte, so sehr kritisierte er die schwache systematische Leistung der Kompilatoren, was er insbesondere in der programmatischen Nova Methodus discendae docendaeque iurisprudentiae aus dem Jahr 1667 zum Ausdruck brachte („Nova Methodus“ Pars II, § 10; A VI,1, 297 f; Dazu Luig 1973, 165-168). Die Vorstellungen Leibnizens von einer möglichst vollkommenen Kodifikation haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Immer grundlegender wollte er das Corpus Iuris Civilis umgestalten5. Entscheidend war für ihn ein harmonisches Zusammenspiel von Naturrecht und Zivilrecht. In den Elementa Juris Naturalis6 und den Elementa Juris Civilis (A VI,2 35-92; Zu den „Elementa Iuris Civilis“ Luig 2001a, 267-282) hat er die Grundlagen dieser beiden Gebiete ausgearbeitet. Darüber hinaus wollte Leibniz durch eine Übersichtstafel ein leichtes Auffinden der relevanten Rechtsregeln erleichtern und der Praxis damit ein einfach zu handhabendes Orientierungsinstrument zur Verfügung stellen 7 . Die gesetzgeberischen Bemühungen Leibnizens gipfelten in dem Plan, einen Codex Leopoldinus, der im Wesentlichen aus den Elementa Juris Civilis bestehen sollte, vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches anstelle des Corpus Iuris Civilis in Kraft setzen zu lassen (Luig 1973, 170–172). Dieser Plan scheiterte, aber die nicht lange nach dem Tode Leibnizens einsetzende nationale Kodifikationsbewegung und das Entstehen nationaler Gesetzbücher im 18. und 19. Jahrhundert zeigt, dass es an der Zeit war, das Corpus Iuris Civilis als Gesetzbuch abzulösen. Luig hat zudem gezeigt, dass Leibniz die dem römischen Recht fremde, aus moralphilosophischer Sicht aber sehr wichtige Rechtsfigur der innoxia utilitas als actio (Klage) in das römisch geprägte Zivilrecht integrieren wollte8. Nicht nur die genaue philosophische Ausarbeitung der innoxia utilitas, sondern auch die Einbettung in das römische Aktionensystem geht weit über die bei anderen Naturrechtlern anzutreffenden Ansätze hinaus. Eine Gesamtrekonstruktion des Leibniz’schen Zivilrechtssystems und die Klärung des Verhältnisses zum klassischen römischen Recht stehen bis heute aus, wobei Luig in zahlreichen Einzelstudien sehr wichtige Vorarbeiten geleistet hat9. Von der Rechtsgeschichte wird das Leibniz’sche Rechtsdenken bislang nicht angemessen wahrgenommen. Die besondere Schwierigkeit einer adäquaten Analyse des Leibniz’schen Zivilrechtsdenkens besteht allerdings in der Notwendigkeit

  5 6 7 8 9

Zur Entwicklung der Pläne und zur Einbeziehung des deutschen Rechts Luig 1973, 168-172. Die Entwürfe dazu finden sich in A VI,1 431-488, eine partielle Übersetzung bei Busche 2003, 91-322. Zur juristischen Bedeutung der „Elementa“ Luig 2001b, 752-756, und Luig 2008, 193-198. Zur Ethik der „Elementa Juris Naturalis“ Busche 1991, 170-184. Ein Entwurf einer solchen tabula iuris findet sich bei Grua, 791-797. Luig 2002, 260-262, mit Hinweis auf S. 261 auf die geplante Einführung einer actio innoxiae utilitatis in das Zivilrechtssystem in De systemate iuris romani (Grua, 763, 765). Bislang hat fast ausschließlich Luig die Privatrechtsdogmatik von Leibniz rekonstruiert, Luig 1985; 1987; 1998; 1999; 2001a.

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einer gleichzeitigen Erfassung von Dogmatik und Logik10. Rein dogmatische Untersuchungen können allerdings den Weg dahin ebnen. 4. ÖFFENTLICHES RECHT Die Aufarbeitung des staatsrechtlichen Denkens von Leibniz ist vor allem HansPeter Schneider zu verdanken (Schneider 1999; 2006, 221–224). Besonders in Bezug auf die verfassungsrechtliche Struktur des Heiligen Römischen Reiches hat Schneider die Auffassung von Leibniz rekonstruiert (Schneider 1999, 24–26). Dabei ist bei Leibniz unter anderem die Entwicklung eines föderalistischen Staatsverständnisses zu beobachten, die in engem Bezug zu seinen philosophischen Vorstellungen von Einheit und Vielheit stehen (Schneider 1980, 251–259; 1999, 25–26; und 2006, 221–224). Weiterhin hat Leibniz zur Reform des Justizwesens zahlreiche Vorschläge unterbreitet. Wenngleich seine diesbezüglichen Ideen nicht sofort Wirkung entfalten konnten, sind doch Spätwirkungen in den preußischen Justizreformen des 18. Jahrhunderts nachweisbar (Schneider 1990, 281–296). Luig hat zudem die Zurückweisung kommunistischer Ideen bei Leibniz in Abgrenzung zu seinem sozialstaatlich geprägten gemeinwohlorientierten Denken erforscht (Luig 1995, 66–79). Die von Leibniz vorgetragenen Argumente sind eine treffende ex-ante-Analyse der Gründe für das Scheitern des kommunistischen Experiments im 20. Jahrhundert. Ein wichtiges Desiderat auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ist die Untersuchung der Frage, in welchem Verhältnis das Leibniz’sche Denken, vor allem seine den Ausgleich von Individuum und Gesamtheit suchende Metaphysik zur Entwicklung und Fundierung der Menschenrechte steht. Hier ist noch Neuland zu betreten11. Zudem steht auch eine sorgfältige Bewertung des Codex Juris Diplomaticus, einer Sammlung von für das absolutistische Staatsrecht wichtigen damals noch unveröffentlichten Urkunden, noch aus. 5. NATURRECHT UND METAPHYSIK Die Rekonstruktion des naturrechtlichen Denkens von Leibniz ist vor allem Hubertus Busche12 und Klaus Luig (Luig 1995; 2008) zu verdanken (Grundlegend schon Schneider 1967). Busche hat wichtige naturrechtliche Schriften von Leibniz   10 Logisch-dogmatische Analysen zur Leibnizʼschen Bedingungsdogmatik finden sich bei Armgardt 2001, 230-357. 11 Dazu mein noch unveröffentlichter Vortrag auf dem Internationalen Leibniz-Kongress in Granada zur Monadologie im Jahr 2014. 12 Vor allem ist seine Übersetzung und Kommentierung wichtiger naturrechtlicher Schriften von Leibniz zu nennen: Busche 2003. Zudem Busche 1993.

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ins Deutsche übersetzt (Busche 2003). Der auf das römische Recht zugrückgehende dreistufigen Bau des Naturrechtssystems (ius strictum – aequitas – pietas) ist insbesondere von Busche (Busche 1993; 2003, lxviii–liii) untersucht worden. Die für das Naturrechtsdenken zentrale Definition „iustitia est caritas sapientis“ ist besonders von Patrick Riley (Riley 1996, 141–198; 2001, 1061–1068; 2009, 77–106) und Ursula Goldenbaum (Goldenbaum 2002) analysiert worden. Die Entstehungsgeschichte dieser für das Leibniz’sche Rechtsdenken zentralen Definition hat Hans-Peter Schneider (Schneider 1986) sorgfältig aufgearbeitet. Riley hat sich zudem mit dem Zusammenhang der Leibniz’schen Rechtsphilosophie mit der Theodizee und der Monadologie auseinandergesetzt und den Zusammenhang mit seiner Metaphysik sichtbar gemacht (Riley 1996, 51–140). Leibniz schlägt letztlich eine metaphysische Brücke zwischen Sein und Sollen: die vom Willen des Gesetzgebers und sogar Gottes unabhängige Sollensordnung ist der Seinsordnung kraft göttlichen Schöpfungsaktes eingeschrieben (Armgardt 2016, unter Bezugnahme auf Piro 2009, 257). Das Verhältnis zwischen Rechtsphilosophie und politischer Philosophie bei Leibniz hat Christopher Johns kürzlich untersucht. Gerade das politische Denken Leibnizens ist bislang wenig aufgearbeitet, obwohl Leibniz ja ein sehr stark politisch engagierter Philosoph war (Kürzlich dazu auch Nitschke 2015). Ein Kompendium dazu wird derzeit von einem internationalen Expertenteam erarbeitet, damit diese empfindliche Forschungslücke möglichst bald geschlossen werden kann13. 6. ABGRENZUNGEN ZU DEN ZEITGENÖSSISCHEN PHILOSOPHEN Die Leibniz’sche Rechtsphilosophie lässt sich nicht rekonstruieren, ohne die konkurrierenden Ansichten seiner Zeitgenossen und Vorgänger ins Auge zu fassen. Aus historischer Sicht haben wir Tim J. Hochstrasser eine ausführliche Studie zu verdanken (Hochstrasser 2000, 72–110). Auch der Überblick über die rechtsphilosophische Entwicklung der frühen Neuzeit von Riley ist hier zu nennen, weil Riley in der Regel einen Bezug zwischen den von ihm untersuchten Philosophen und Leibniz herstellt (Riley 2009). Das theoretische Fundament der Leibniz’schen Rechtsphilosophie, das besonders klar in seiner Méditation sur la notion commune de la justice zum Ausdruck kommt, besteht in einer strikten Trennung von Recht/Gerechtigkeit und Gesetz14: während Recht/Gerechtigkeit (ebenso wie z.B. die mathematischen Wahrheiten) zum Bereich der notwendigen Wahrheiten gehören und vom Willen des Gesetz  13 Das Kompendium entsteht unter Leitung von Jaime de Salas, Luca Basso und Hartmut Rudolph. 14 Zur Trennung von loi und droit Armgardt 2015b, 14 f. Zur Méditation siehe auch Riley 2003, die historisch-kritische Edition von Luckscheiter (Leibniz 2015) und die von W. Li betreute vollständige deutsche Übersetzung von W. Li (Leibniz 2014)

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gebers bzw. Gottes völlig unabhängig sind, da sie auf Proportionalität beruhen, sind Gesetze kontingent und gerade aufgrund des Willens des Gesetzgebers in Kraft15. Mit seinem christlich-platonischen Ansatz (Riley 2009, 77–86; Armgardt 2015b, 20–22), den man aus Sicht der modernen Metatethik wohl als nichtnaturalistischen Realismus einzuordnen hat, stellt sich Leibniz gegen die voluntaristischen Ansätze seiner Zeit, insbesondere gegen diejenigen von Hobbes und Pufendorf (Hochstrasser 2000, 72–110; Hunter 2003, 169–188; Riley 2009, 91– 95; Armgardt 2015b, 15–20). Der Erhalt der Einheit von Theologie, Ethik und Recht ist eines der wichtigsten Anliegen von Leibniz16. Reine diesseitsbezogene Vorstellungen vom Naturrecht ohne Verantwortlichkeit im Jenseits lehnte er strikt ab, was sich insbesondere an seiner Kritik an den Naturrechtsvorstellungen von Pufendorf zeigt; er äußerte in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Sorge, dass in der künftigen christlichen Moralphilosophie das Niveau der heidnischen antiken Philosophie unterschritten werden würde (Dutens IV, 278; Armgardt 2016). Wünschenswert wären sorgfältige Untersuchungen des Leibniz’schen Rechtsdenkens im Verhältnis zu Suarez, Grotius, Spinoza, Thomasius und Wolff. In Bezug auf Wolff ist anzumerken, dass dieser – wie auf dem Gebiet der Metaphysik – nur scheinbar das Leibniz’sche Rechtsdenken fortsetzt. Sein opus magnum zum Naturrecht unterscheidet sich hinsichtlich der inneren Struktur maßgeblich vom Leibniz’schen Vorbild. Das ist noch genauer zu erforschen. Insgesamt ist auf diesem Forschungsfeld noch Vieles zu tun (s. Armgardt 2019a; Basso 2019). 7. RECHT UND PHILOSOPHIE ALS EINHEIT Neben den zahlreichen Lücken, die in den einzelnen skizzierten Forschungsfeldern zu schließen sind, besteht das größte Desiderat vor allem in einer integralen Darstellung des Leibniz’schen Rechtsdenkens. Wie Leibniz bereits in seiner ersten juristischen Veröffentlichung, dem Specimen Questionum Philosophicarum ex Jure collectarum17, klarstellte, sind aus seiner Sicht Recht und Philosophie untrennbar miteinander verbunden. Dies bekräftigte Leibniz noch einmal in seiner programmatischen Nova Methodus (Armgardt 2019b).18 Wie in allen anderen Bereichen seines Denkens, liegt das Besondere und Charakteristische bei ihm gerade darin, dass er die Bereiche miteinander organisch in Beziehung setzt. Wie jede Monade die gesamte Welt aus ihrer Perspektive und in   15 Grundlegend bereits Schiedermair 1970; siehe auch Armgardt 2015b, 14 f. 16 Zu diesem Motiv für die Verfassung der späten metaphysischen Schriften Leibnizens und ihrem Bezug zu seinem Rechtsdenken Armgardt 2016. 17 Eine Übersetzung ins Englische mit Kommentar haben Artosi/Pieri/Sartor 2013, 1-70, vorgelegt. 18 Eine vollständige Übersetzung ins Italienische hat kürzlich Carmelo Massimo De Iuliis vorgelegt (De Iuliis 2012).

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der ihr eigenen Klarheit spiegelt und diese damit enthält, lässt sich auch sein Rechtsdenken nur richtig erfassen, wenn kein Bereich seines Schaffens ausgespart wird. Die Schwierigkeiten, die das in einem an eine extreme Arbeitsteilung gewöhnten Wissenschaftsbetrieb hervorruft, liegen auf der Hand. Das Problem lässt sich nicht durch eine Aufteilung des Stoffes in Teilbereiche, die die jeweiligen Experten bearbeiten können, lösen. Insofern wurde ja schon Beachtliches geleistet. Was vor allem fehlt, ist die einheitliche Durchdringung aller dieser Bereiche, die die Wechselbezüglichkeit aller Teilgebiete in den Fokus rückt. Nur so kann das Leibniz’sche Rechtsdenken umfassend rekonstruiert und für unsere Zeit nutzbar gemacht werden. BIBLIOGRAPHIE Armgardt 2001 – Matthias Armgardt: Das rechtslogische System der Doctrina Conditionum von G. W. Leibniz, Marburg 2001. Armgardt 2014 – Matthias Armgardt: Leibniz as Legal Scholar, in: Rena van den Bergh u.a. (Hg.): Meditationes de iure et historia. Essays in Honour of Laurens Winkel, 2 Bde., Pretoria 2014, Bd. 1, 27–38. Armgardt 2015a – Matthias Armgardt: Presumptions and Conjectures in Leibniz’s Legal Theory, in: Armgardt/Canivez/Chassagnard-Pinet 2015, 51–70. Armgardt 2015b – Matthias Armgardt: Die Rechtstheorie von G. W. Leibniz im Licht seiner Kritik an Hobbes und Pufendorf, in: Wenchao Li (Hg.): „Das Recht kann nicht ungerecht sein …“. Beiträge zu Leibniz’ Philosophie der Gerechtigkeit (= Stl-Sh. 44), Stuttgart 2015, 13–27. Armgardt 2016 – Matthias Armgardt: Die Monadologie als Vollendung der Rechtsphilosophie von G. W. Leibniz, in: Michael Kempe (Hg.): 1716 – Leibniz’ letztes Lebensjahr. Unbekanntes zu einem bekannten Universalgenie, Hannover 2016, 343–353. Armgardt 2019a – Matthias Armgardt: Leibniz’s criticism of Hobbes’ Moral Philosophy and the distinction of will and reason, in: Basso 2019, 131–141. Armgardt 2019b – Matthias Armgardt, Leibniz als Rechtsphilosoph – die Errungenschaften der Mainzer Jahre, in: Irene Dingel/Wenchao Li/Michael Kempe (Hg.): Leibniz in Mainz (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Beiheft 126), Göttingen 2019, 137151. Armgardt/Canivez/Chassagnard-Pinet 2015 – Matthias Armgardt/Patrice Canivez/Sandrine Chassagnard-Pinet: Past and Present Interactions in Legal Reasoning and Logic, Cham 2015. Artosi/Pieri/Sartor 2013 – Alberto Artosi/Bernardo Pieri/Giovanni Sartor (Hg.): Leibniz: LogicoPhilosophical Puzzles in the Law. Philosophical Questions and Perplexing Cases in the Law (= Law and Philosophy Library 105), Dordrecht 2013. Basso 2019 – Luca Basso (Hg.): Leibniz und das Naturrecht (= Stl-Sh. 54), Stuttgart 2019. Busche 1991 – Hubertus Busche: Die innere Logik der Liebe in Leibnizens ‚Elementa Juris Naturalis‘, in: Stl. 24 (1991), 170–184. Busche 1993 – Hubertus Busche: Die drei Stufen des Naturrechts und die Ableitung materialer Gerechtigkeitsnormen beim frühen Leibniz – Zur Vorgeschichte der ‚caritas sapientis‘, in: Peter Baumanns (Hg.): Realität und Begriff. Festschrift für Jakob Barion zum 95. Geburtstag, Würzburg 1993, 105–149. Busche 2003 – Gottfried Wilhelm Leibniz: Frühe Schriften zum Naturrecht. Lateinisch-deutsch, hg., mit einer Einl. und Anm. vers. sowie unter Mitw. von Hans Zimmermann übers. von Hubertus Busche (= Philosophische Bibliothek 543), Hamburg 2003.

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1. QUELLEN UND REZEPTIONSGESCHICHTE 1.1. Quellen und Kontexte Der Begriff des Politischen orientiert sich hier am thematischen Profil der Vierten Reihe der Akademie-Ausgabe und soll entsprechend tolerant gefasst werden (s. u. Absatz II.). Für eine quellenkritische Sicht muss zunächst Berücksichtigung finden, dass nur ein geringer Teil von Leibniz’ politischem Schrifttum zu Lebzeiten veröffentlicht vorlag und dann auch zumeist in anonymisierter und pseudonymisierter Form (vgl. Sellschopp 2016). Für die frühe Rezeptionsgeschichte der politischen Schriften ist der Umstand einer in der Regel stark verzögerten Verfasserzuschreibung ganz entscheidend. Murrs Bemerkung aus dem Jahre 1779 über die Unzugänglichkeit der „Leibnitzischen Schätze in Hannover“ (Eckhart in Murr 1779, 126) wirft ein bezeichnendes Licht auf die Nachlassproblematik. Es kann von dem Grundsatz ausgegangen werden: Was nicht gedruckt wurde, war nicht zugänglich (vgl. den Beitrag von Stephan Waldhoff in diesem Band). Zur Beantwortung der Frage, wann der „politische“ Leibniz rezipiert werden konnte, konzentrieren wir uns auf eine Auswahl markanter und für spätere Editionen maßgeblicher Schriften. Leibniz’ erste große, unter dem Pseudonym Georgius Ulicovius Lithuanus verfasste Flugschrift (A IV,13 N. 1) ging auf einen Auftrag Johann Christian von Boineburgs zurück. Das Specimen demonstrationum politicarum, wohl im Juni 1669 in Königsberg erschienen, argumentierte zugunsten des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg als Bewerber bei der polnischen Königswahl 1669. Es stieß auf eine sehr begrenzte Leserschaft, fand jedoch die besondere Wertschätzung Johann Heinrich Böcklers (Eckhart in Murr, 141; A IV,13 XVIII f. und 581 f.). Leibniz bekannte sich bereits seit Ende 1673 zu seiner Verfasserschaft. Auffallend ist, dass sich mit der Publikation durch Dutens (Dutens 1768, IV,3), Foucher de Careil (Foucher de Careil 1865, VI) und Czyński (Czyński 1843; Voisé 1969a, 59) zunächst nur die französische bzw. polnische Leibniz-Rezeption dieser wichtigen frühen Schrift annahmen. Auch eine Reihe weiterer politischer Schriften verdankt ihre Entstehung dem Boineburg-Kontext. Das französische Ausgreifen nach Osten veranlasste die Kurmainzer Politik, sich für den Schutz des gefährdeten Burgundischen Reichskreis auf die Reichskriegsverfassung zu stützen. In diesem Sinne interpretierte Leibniz den umstrittenen § 3 Et ut eo sincerior (A IV,13 N. 3–4) des Westfäli-

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schen Friedensvertrages von Münster (IPM): Ein mit Explicatio (A IV,13 XXII und 593 f.) betitelter Entwurf fand im August 1670 Eingang in die große Reformschrift zur Sekurität des Reiches und erschien dann 1672 und 1673 separat in drei Drucken als Flugschrift Breve Illustramentum (A IV,13 N. 5, 141. Z. 17–145, Z. 15). Leibniz wurde mit der Explicatio erstmals einem weiteren, auch den Kaiserhof umfassenden politischen Umfeld als Verfechter einer resoluten Verteidigung der Integrität des Reiches bekannt. Er selbst beurteilte die reichsrechtlichen Aspekte seiner Schrift als innovativ und berief sich später gerne auf deren positive Rezeption (z.B. A IV,4 N. 8, 53–54). Als einer der schriftstellerischen Höhepunkte der Mainzer Zeit kann das sog. Sekuritäts-Bedencken1 (A IV,13 N. 5–9) gelten, das Leibniz in enger Abstimmung mit Boineburg verfasste. Im Unterschied zur Explicatio, die im ersten Teil integriert wurde, waren dieser und der zweite Teil des umfangreichen Bedenckens in toto nicht für die politische Öffentlichkeit, sondern für Kurfürst Johann Philipp von Schönborn bestimmt. Dieses weit ausholende, auf die Sicherung von Reich und Verfassung mittels einer Ständeallianz zielende Reformprojekt wurde erst durch Guhrauer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Guhrauer 1838, 151–255). Einen anderen Höhepunkt der Mainzer Jahre bildet das Consilium Aegyptiacum (1671/72), das eine Reihe von Einzelentwürfen umfasst (A IV,13 N. 10–18), von denen die Justa dissertatio (A IV,13 N. 15) als Hauptteil für die Übergabe an Ludwig XIV. gedacht war. Allerdings hat Leibniz weder schriftlich noch mündlich jemals am Pariser Hof den eigentlichen Plan anbringen können. Dieser sah vor, den französischen König zu einem Feldzug nach Ägypten zu bewegen, anstatt die Niederlande anzugreifen (A IV,13 XXIV f.). Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgetauchte Vorstellung, Napoleon hätte Leibniz’ Ägyptischen Plan aus dem Pariser Archiv entnommen und seinem eigenen Feldzug zugrunde gelegt, beruhte auf einem Irrtum, der durch eine englische, aus den Hannoveraner Beständen 1803 erstellte Ausgabe des Leibniz-Planes – A summary account of Leibnitz’s memoir – verbreitet worden war (A IV,13 623 f.). Erst dadurch wurde das Interesse der französischen Seite geweckt, und es kam zu ersten französischen Teilausgaben. Es blieb Guhrauer (Guhrauer 1839) und Klopp (Klopp 1864a) vorbehalten, die Thematik der deutschen Öffentlichkeit nahezubringen, obwohl es erst Paul Ritter (1930) gelang, Genese und Rezeption des Ägyptischen Planes abschließend zu klären. In die Mainzer Zeit (1668–1672) gehört auch ein wichtiges, erst durch Klopp (1864, I, 161–163) veröffentlichtes Schriftstück, mit dem Leibniz erstmals nachweislich seine Gegenposition zu Pufendorfs Reichsbegriff konzipiert hat (A IV,13 N. 32). 1676 begann Leibniz’ lange Lebensphase in Hannover, zunächst als Bibliothekar und Hofrat am Hof Herzog Johann Friedrichs von BraunschweigLüneburg. In diese Anfangszeit fällt eine seiner bedeutendsten politischen Hauptschriften: In herzoglichem Auftrag widmete sich Leibniz mit publizistischen Mitteln der Forderung Braunschweig-Lüneburgs nach Anerkennung des Gesandt  1

Bedencken welchergestalt Securitas publica interna et externa und Status praesens im Reich iezigen Umbständen nach auf festen Fuß zu stellen (1670).

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schaftsrechtes als Ambassadeur auf dem Friedenskongress von Nimwegen (1678/79). Die unter dem vielsagenden Pseudonym Caesarinus Fürstenerius verfasste Abhandlung De jure suprematus ac legationis principum Germaniae (1677; A IV,22 N. 1) wuchs zu einer gelehrten Grundsatzschrift über die Souveränitätsfrage, die Verfassungsstrukturen des römisch-deutschen Reiches und ihre staatsund völkerrechtlichen Implikationen. Die Schrift löste eine breite Kontroverse unter Staatsrechtlern und hohen Staatsbeamten aus und beeinflusste die Reichspublizistik bis tief ins 18. Jahrhundert hinein. Ausdruck dafür ist nicht zuletzt die Zahl von 9 Drucken zu Leibniz’ Lebzeiten (A IV,22 3–5, 9 f.). Zwar bekannte sich Leibniz bereits ab 1680 gegenüber einem kleinen Kreis ausgewählter Personen zu seiner Verfasserschaft, aber spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts dürfte diese allgemein bekannt gewesen sein. Als wesentlich kürzeres, diplomatischpropagandistisches Gegenstück zu diesem hochgelehrten Kompendium erstellte Leibniz im Oktober 1677 den Entretien de Philarete et d’Eugene sur la question du temps agitée à Nimwègue touchant le droit d’Ambassade des Electeurs et Princes de l’Empire (A IV,22 N. 5), der – in Hannover gedruckt – in wohl 200 Exemplaren in Nimwegen verteilt wurde. Mit dem Entretien beschäftigte sich Leibniz auch noch während der folgenden anderthalb Jahrzehnte, so dass insgesamt 16 Fassungen dieses politischen, die Entwicklung der Interessen Hannovers spiegelnden Traktates überliefert sind (Knabe 1958). Auch die als Abrechnung mit der Eroberungspolitik Ludwigs XIV. gedachte Flugschrift Mars Christianissimus […] ou Apologie des Armes du Roy TresChrestien contre les Chrestiens (1683; A IV,22 N. 22) zählt zu den Schriften, die zu Leibniz’ Lebzeiten im Druck erschienen sind. Der anonym veröffentlichte Traktat fand offenbar weder in der ursprünglich lateinischen noch in der folgenden französischen Fassung nennenswerte Beachtung. Dagegen verbreitete sich eine nicht von Leibniz veranlasste, fehlerhafte deutsche Übersetzung. Erst Klopp entdeckte die beiden von Leibniz’ Hand stammenden Konzepte (vgl. A IV,22 446–448). Paul Ritter ließ 1916 eine deutsche Übersetzung erscheinen. Im März 1684 beschäftigte sich Leibniz in den Raisons touchant la guerre mit den Vor- und Nachteilen eines Krieges gegen Frankreich. Die fünf erhaltenen Fassungen sprechen dafür, dass die Flugschrift wohl für eine Drucklegung bestimmt war, die aber nicht nachgewiesen werden konnte (A IV,22 XXIII). Die Auseinandersetzung mit Frankreich nahm eine maßgebliche Stellung innerhalb des politischen Schrifttums der 1680er und 1690er Jahre ein. Ähnlich polemisch wie der Mars Christianissimus lesen sich die 1688 zu Beginn des Pfälzischen Erbfolgekrieges entstandenen Reflexions sur la declaration de la guerre (A IV,3 N. 10). Auch dieser umfangreiche Traktat dürfte zur Publikation vorgesehen gewesen sein, wurde aber erst von Foucher de Careil gedruckt (FC III 75– 203). Das gilt auch für eine weitere, nur als Konzept überlieferte Schrift mit dem Titel Consultation sur les Affaires Generales à la fin de la campagne (1691; FC III 251–291; A IV,4 N. 86), in der Leibniz die politisch-militärische Lage Deutschlands und Europas reflektiert. Leibniz’ Vorschläge für einen Wirtschaftskrieg gegen Frankreich wurden dagegen erst in jüngster Zeit veröffentlicht (A IV,5 N. 40–45). Erst 2001 wurden auch die von Leibniz unter dem Titel Fas

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est et ab hoste doceri in Buchform 1694 anonym publizierten französischen Mobilmachungsverordnungen Ludwigs XIII. aus dem Jahr 1636 identifiziert und 2004 ediert (A IV,5 N. 68; Sellschopp 2001). Leibniz’ Erwägungen über die Voraussetzungen eines gerechten Friedens fanden 1694/95 Niederschlag in den Considerations sur les Moyens de faire une Paix juste et raisonnable (A IV,5 N. 47). Dass der tatsächliche Friedensschluss 1697 dann weit von seinen Vorstellungen entfernt war, reflektieren die Considerations sur la paix faite à Riswyck (A IV,6 N. 42). In Erwartung einer Audienz bei Kaiser Leopold I. konzipierte Leibniz 1688 minutiös seine Selbstpräsentation. Eine Reihe von in diesen Kontext gehörenden Aufzeichnungen wurde erst Mitte der 1950er Jahre ermittelt (Scheel 1994) und bietet einen außergewöhnlichen Einblick in Leibniz’ Selbsteinschätzung und Projekte (z.B. A IV,4 N. 8: Ausführliche Aufzeichnung für den Vortrag bei Kaiser Leopold I.). Mit seinem Codex juris gentium diplomaticus (Leibniz 1693) bot Leibniz nicht nur eine historisch-politisch und völkerrechtlich wertvolle Quellensammlung, sondern definierte zudem in der Praefatio (A IV,5 N. 7) eigene Grundbegriffe politischer Ethik. Die große zeitgenössische Aufmerksamkeit spiegelt sich nicht zuletzt in den frühen Drucken und entsprechenden Rezensionen (A IV,5 48 f.; vgl. Otto 2003). Carl Günther Ludovici nannte den Codex juris „das erste grosse Werck“ von Leibniz (1737, I 117). Denis Diderot bezeichnete die Praefatio als „un morceau de génie“, das Gesamtwerk als „une mer d’érudition“ (1765, 370b). Leibniz’ Einsatz zugunsten der Neunten Kurwürde für Hannover schlug sich in einer Reihe von offenbar ungedruckten Denkschriften nieder, so z. B. den Considerations sur les Interests de La Sérénissime Maison de Bronsvic (1691/92; A IV,4 N. 70), den Flugschriften Lettre d’un voyageur (1693; A IV,5 N. 22) und Lettre sur le Neuvième Electorat (1697; A IV,6 N. 11). Im Auftrag des Geheimen Rates in Hannover verfasste er den Traktat Relation abregée (A IV,7 N. 18), um die hannoverschen Ansprüche zu verteidigen, nachträglich als Kurfürstentum mit einem Botschafter auf dem Friedenskongress in Rijswijk 1697 Anerkennung zu finden. Die Flugschrift wurde unter dem Titel Relation succinte 1699 anonym in den Actes et mémoires des négociations de la paix de Ryswick (t. III, 405–408) publiziert. Mit der Herausgabe der Wechsel-Schrifften vom Reichs Bannier ([Hannover] 1694; A IV,5 N. 27) dokumentierte Leibniz detailliert seine publizistische Auseinandersetzung mit Johann Georg von Kulpis in Bezug auf das von Hannover beanspruchte Erzbanneramt. Eng verbunden mit der Erlangung der Kurwürde war die Durchsetzung der Primogenitur in Hannover. Leibniz dürfte mit seiner grundlegenden Denkschrift Le droit de primogeniture (1698; A IV,7 N. 14) dem Geheimen Rat direkt zugearbeitet haben (A IV,7 XXX f., 76 f.). Mit der Lettre sur la connexion des Maisons de Brunsvic et d’Este (1695; A IV,6 N. 3) konnte Leibniz nicht nur den Erfolg seiner dynastischen Forschungen bezüglich der gemeinsamen Herkunft der Welfen und Este präsentieren, sondern er lieferte mit der Festschrift gewissermaßen auch den politisch-

Politik

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zeremoniellen Rahmen für die modenesische Heirat, wie die repräsentativen Drucke in französischer und italienischer Sprache sowie die deutsche Fassung in den Monatlichen Unterredungen veranschaulichen (A IV,6 XXV, 13 f.). Die historisch-politische Würdigung seiner fürstlichen „Dienstherren“ gehörte zu Leibniz’ höfischen Aufgaben. So war er bereits durch den Tod Herzog Johann Friedrichs Ende 1679 veranlasst worden, für dessen Trauerfeier im Mai 1680 eine materialreiche und glorifizierende Lebensbeschreibung, sog. Personalia,2 zu verfassen (A IV,3 N. 64). Dieselbe Aufgabe fiel ihm nach dem Ableben von Kurfürst Ernst August (23. Januar 1698) zu, wobei wie bei dessen Vorgänger die Biographie später als Teil eines dem fürstlichen Andenken gewidmeten Prachtbandes erschien3 (A IV,7 N. 12). Einen gewissermaßen modernen „Fürstenspiegel“ stellt die Lettre sur l’Education d’un Prince dar (1685/86; A IV,3 N. 68). Entsprechend dem zeitgenössischen Interesse an Erziehungsfragen wurde die in Abschriften kursierende Schrift u. a. am Dresdner Hof Augusts des Starken rezipiert und erstmals 1787 veröffentlicht (A IV,3 543–545). Nach der Jahrhundertwende gewann die Frage der englischen Sukzession der Welfen zunehmend an Aktualität. In enger Verständigung mit Kurfürstin Sophie verwendete sich Leibniz mit Nachdruck für deren Erbrechte und ihre Umsetzung (1701; A I,19 N. 24: Considerations sur le droit de la Maison de Bronsvic, à l’égard de la succession d’Angleterre). Mit Entschlossenheit setzte er sich auch im Spanischen Erbfolgekrieg (1701– 1714) für die Erbrechte der Habsburger ein. Der 1701 in zwei Auflagen anonym erschienene Band La Justice encouragée präsentiert Leibniz’ Lettre écrite d’Amsterdam als Replik auf die ebenfalls anonyme, die französischen Thronansprüche in Spanien rechtfertigende Lettre écrite d’Anvers (A IV,9 N. 24, hier 94– 125). Die Proklamation Erzherzog Karls zum spanischen Gegenkönig 1703 unterstützte Leibniz mit dem anonym erschienenen Manifeste contenant les droits de Charles III. (Leibniz 1703). Zu erwähnen sind die zahlreichen Drucke 1703/04, darunter eine niederländische Übersetzung und die Aufnahme des Traktates in den Corps universel diplomatique 1731 (Ravier N. 55–59, 387). Seine für den Kaiserhof gedachte, umfangreiche Denkschrift Paix d’Utrecht inexcusable (FC IV 1– 140) legte er 1713 Reichsvizekanzler von Schönborn vor (Fransen 1933, 113 f.). Die Rolle des römisch-deutschen Reiches für eine europäische Friedensordnung thematisierte Leibniz in seinem Meinungsaustausch mit dem Abbé de SaintPierre. Leibniz’ Observations sur le projet de paix perpétuelle (Leibniz 1715)   2 3

Personalia, anlangend des […] Fürsten […] Johann Friedrichs, Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg […] höchstlöblicher Gedächtniß, in: Justa Funebria, Rinteln 1685, 47–74. Personalia oder Christlicher Lebens-Lauff des Durchleuchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Ernst Augusten, Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg, des Heil. Röm. Reichs Churfürsten, Bischoffen zu Oßnabrück, etc. … Hannover 1698; in: Monumentum gloriae Ernesti Augusti, 1704.

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fanden französischerseits besondere Beachtung bei Des Maizeaux (1720, 173– 184) und Foucher de Careil (FC IV 328–336). Leibniz’ Appell an die gesellschaftlich-kulturelle Verantwortung des Gebildeten findet sich exemplarisch in seinem Memoire pour des Personnes éclairées et de bonne intention (1692; A IV,4 N. 123). Gedruckt wurde dieser wichtige Text erstmals von Foucher de Careil (1854, 274–292). Leibniz’ Ermahnung an die Teutsche zur Pflege der deutschen Sprache zählt zu seinen grundlegenden kulturpolitischen Schriften (1679; A IV,3 N. 117). Sie wurde erst 1846 von Carl Ludwig Grotefend wiederentdeckt (vgl. A IV,3 796 f.; zur Rezeption: Antoine 2014). Eine weitere diese Thematik aufgreifende Schrift wurde dagegen bereits kurz nach Leibniz’ Tod veröffentlicht: Unvorgreiffliche Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache (1697/1712; A IV,6 N. 79). Die von Johann Georg Eckhart 1717 herausgegebenen Collectanea etymologica (hier: Teil I, 255–314) waren noch von Leibniz selbst für die Veröffentlichung vorbereitet worden. 1.2. Rezeption im 18. Jahrhundert Für das aufklärerische, kulturpatriotische Interesse an einer Sprachreform gewannen die Unvorgreiffliche Gedanken an Bedeutung: Gottsched machte sie zu einer Programmschrift der Leipziger Deutschen Gesellschaft und publizierte sie 1732 im ersten Band der Beyträge zur Critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit (3. Stück, 369–411; vgl. Otto 2012, 15 f.). Mit der Betonung der Bedeutung der Muttersprache für die Entwicklung eines selbständigen Denkens und für den Anschluss an die wissenschaftlich-kulturellen Kenntnisse der Zeit folgte Gottsched dem Vorbild Leibniz. Auch durch seine Übersetzung der Theodicee übte Gottsched starken Einfluss auf die Leibniz-Rezeption in Literatur und Philosophie Deutschlands aus (Holz 2004). Mit seiner Éloge de M. Leibnitz (Fontenelle 1716) verfasste Bernard Le Bovier de Fontenelle die erste große internationale Würdigung des deutschen Denkers. Diese Wertschätzung scheint ebenso für den Hof Ludwigs XIV. gegolten zu haben (Müller/Krönert 252). Carl Günther Ludovici forderte 1737 unter Berufung auf Fontenelle eine Gesamtausgabe der Leibniz-Werke (1737, 1, 287 f.; vgl. Diderot 1765, 379b). Auch als Verfechter interkonfessioneller Verständigung und Toleranz ist Leibniz zu Ehren gekommen, nicht nur bei Diderot, sondern auch bei Herder (Diderot 1765, 372a; Arnold 2005, 181, 184). Die französische Leibniz-Rezeption der Aufklärung war zwiespältig: Bei aller Religions- und Metaphysikfeindlichkeit bezeugten Voltaire und Diderot Respekt gegenüber Leibniz’ Rang als Gelehrtem und seiner Bedeutung für die République des lettres (Barber 1955, 174–177). Voltaire würdigte ihn im 34. Kapitel seines Geschichtswerkes Le siècle de Louis XIV (1751) als herausragenden Repräsentanten – „peut-être le savant le plus universel de l’Europe“ – , der dazu beigetragen hat, die Gelehrtenwelt zu einer grenzüberschreitenden, freien und universalen Wirkungsmacht auszubauen (Voltaire 2015, 574 f.). Rousseau, der Leibniz’ Wert-

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schätzung des Reiches und seiner Verfassung für eine europäische Friedensordnung teilte (Asbach 2002, 230 f.), publizierte 1758/59 einen Auszug aus dem Projet de paix des Abbé de Saint-Pierre. Es kann davon ausgegangen werden, dass Rousseau die 1720 von Des Maizeaux gedruckten Observations kannte, Leibniz’ Entgegnung auf Saint-Pierre (s. o.). Inwieweit Rousseau im Rahmen seiner Behandlung der Reichsthematik Leibniz’ Schriften rezipiert haben mag, bleibt eine offene Frage (vgl. Laberge 1994, 431 f.). Während Christian Kortholt seit 1734 mit seiner mehrbändigen Edition Teile der Leibniz-Korrespondenz verfügbar machte (vgl. Gädeke 2017), stammt die erste umfangreiche, auch politische Schriften beinhaltende Leibniz-Ausgabe von französischer Seite. Auch wenn ausschließlich auf gedrucktes Material zurückgegriffen wird, kann die Bedeutung der sechsbändigen Leibniz-Ausgabe (1768) von Louis Dutens für die frühe Leibniz-Rezeption kaum überschätzt werden (Heinekamp 1986). Zwei frühe, von Leibniz selbst publizierte Schriften, das Specimen Demonstrationum politicarum (Dutens IV/3, 522–624) und der Caesarinus Fürstenerius (Dutens IV/3, 329–496), finden sich hier ebenso wie die Vorrede zu den Novissima Sinica (Dutens IV/1, 78–86) oder die Beobachtungen zum Friedensprojekt des Abbé de Saint-Pierre (Dutens V, 56–60), besonders aber die für Dutens wichtige Thematik der Reunionsverhandlungen (Dutens I). Dutens ließ sich in besonderem Maße durch Leibniz’ Bemühungen um eine christliche Bekenntniseinheit zur Herausgabe seiner Schriften motivieren. Als einziger deutscher Text sind mit einer französischen Übersetzung die Unvorgreiffliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache vertreten (Dutens VI/2, 6–51). Begeisterte Aufnahme fand Dutens’ Ausgabe in Leipzig. Bemerkenswert ist ebenso, dass eine Vielzahl der deutschen Klassiker aus Literatur und Philosophie von Lessing bis Hegel und Feuerbach ihre Leibniz-Kenntnisse der von einem Franzosen erstellten Ausgabe verdankten (Heinekamp 1986, 6 und 23–26). 1.3. Rezeption im 19. Jahrhundert Der politisch brisante Traktat Mars Christianissimus (1683) wurde hingegen erst im 19. Jahrhundert von Foucher de Careil und Klopp ediert. 1838 und 1840 publizierte Gottschalk Eduard Guhrauer (1809–1854) eine Ausgabe von Leibniz’ Deutschen Schriften in 2 Bänden, 1842 seine LeibnizBiographie. Als Akademiker jüdischer Herkunft besaß Guhrauer eine liberale, bildungsbürgerlich-patriotische Einstellung, die auch seine publizistische Beschäftigung mit der deutschen Literatur und Wissenschaftsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts und damit sein Leibniz-Bild maßgeblich prägte (vgl. dazu W. Li in diesem Band). Als Hauptschrift des ersten Bandes präsentierte Guhrauer der Öffentlichkeit zum ersten Mal das Bedencken welchergestalt Securitas publica von 1670 (1838, 151–255). Guhrauers nachdrückliches Interesse am „politischen“ Leibniz und dessen Beziehungen zu den Welfen stieß auf eine übermäßige Vorsicht der Welfennachkommen, v.a. von König Ernst August I.; ein Umstand, den

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sich Georg Heinrich Pertz (1795–1876) als hannoverscher Bibliotheksdirektor und Archivleiter zum Nachteil von Guhrauers Forschungen für seine eigenen Editionsinteressen in Sachen Leibniz zunutze machen konnte (Brather 1988). Mit Louis-Alexandre Foucher de Careil (1826–91) legte ein weiterer Franzose eine umfangreiche, zum Teil in Hannover recherchierte Quellensammlung vor (vgl. Fichant 2012, 152 f.). Die Bände III–VII der Œuvres de Leibniz (FC 1861/62, 1864/65, 1875) bieten in großer Zahl politische Schriften, darunter einige erstmalig gedruckt, wie beispielsweise Paix d’Utrecht inexcusable. Die große Sekuritäts-Schrift (1670) bot Foucher de Careil sogar in französischer Übersetzung (FC VI 21–252). Das Verdienst der Ausgabe liegt in ihrer breiten publizistischen Wirkung besonders im frankophonen Raum. Kritischen Standards genügt sie jedoch nicht. Als Spiegel der Neuordnung Deutschlands im 19. Jahrhundert lässt sich die Edition von Onno Klopp (1822–1903) mit ihren besonderen Entstehungsbedingungen lesen. Im Jahrhundert des Ringens um eine stabile nationalstaatliche Identität konnten Leibniz’ politisch-historische und staatsrechtliche Schriften mit besonderer Aufmerksamkeit rechnen (Utermöhlen 1986). Klopps 11-bändige Ausgabe ist nicht nur ein Ausdruck für den gestiegenen Bedarf nach bislang unerschlossenen Quellen und deren Bearbeitung nach verschärften wissenschaftlichen Kriterien, sondern ebenso ein Zeugnis für die Beeinflussung entsprechender Projekte durch aktuelle politische Konjunkturen. Als 1864 die ersten drei der von Onno Klopp edierten Historisch-politischen und staatswissenschaftlichen Schriften Leibniz’ erschienen, trat auch die mit der großen Werkausgabe bezweckte politische Parteinahme klar zutage: Als geradezu leidenschaftlicher Anhänger der Welfendynastie unterstütze er die politische Orientierung Hannovers an Österreich, die sich in der ablehnenden Haltung König Georgs V. gegenüber Preußen und seiner kleindeutschen Machtpolitik manifestierte. Klopp entwickelte sich zu einem dezidiert großdeutschen Intellektuellen und vertrat das Ideal eines föderativen deutschen Staatenbundes unter habsburgisch-katholischer Führung, wofür er in Leibniz einen historischen Gewährsmann zu haben meinte. Mit der Publikation besonders der reichs- und reunionspolitischen Schriften stützte er die These von Leibniz als einem Vorkämpfer für die konfessionelle und machtpolitische Einigung von Kaiser und Reich. Nach dem preußischen Sieg 1866 und der Unmöglichkeit, im nunmehr besetzten Hannover weiter am Leibniz-Nachlass zu arbeiten, folgte Klopp seinem König ins Wiener Exil. Dort konnte er immerhin noch mit der Herausgabe der Fürstinnen-Korrespondenz die Bände 7–11 (1873/84) seiner Leibniz-Edition vorlegen. 1.4. Rezeption im 20. und 21. Jahrhundert Neben der notwendigen Weiterentwicklung der philologisch-kritischen Editionskriterien wurde auch zunehmend die Unvollständigkeit zum Problem, vor die sich aufgrund der fehlenden Erschließung des Gesamtnachlasses schon die erschienenen Teilausgaben gestellt sahen. Mit seiner 1895 präsentierten systematischen

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Übersicht über sämtliche in Hannover verzeichneten Leibniz-Handschriften hatte Eduard Bodemann in dieser Richtung einen wichtigen Schritt getan, als sich dann 1907 die Pariser Académie des sciences, die Académie des sciences morales et politiques und die Preußische Akademie der Wissenschaften zur Vorbereitung einer kompletten, wissenschaftlich hochwertigen Leibniz-Ausgabe zusammenfanden. Der Erste Weltkrieg zerbrach diese historisch einmalige EditionsKooperation zwischen den Akademien in Berlin und Paris. Selbst ein Paul Ritter konnte sich offenbar dem allgemeinen Stimmungsdruck nicht entziehen: Leibniz’ 200. Todesjahr mitten im Krieg bot ihm Anlass zur Publikation einer deutschen Übersetzung des Mars Christianissimus (Ritter 1916). So wurde Leibniz’ hochemotionale Position aus dem „Zeitalter der französischen Raubkriege“ und dem Kampf gegen den „Allerchristlichsten Kriegsgott“ in die nicht weniger gewaltsame Gegenwart gezerrt (vgl. dazu auch Luckscheiter 2016). Es kann kaum verwundern, dass nach 1918 eine Wiederaufnahme der Vorkriegszusammenarbeit in Sachen Leibniz-Edition nicht möglich erschien. Die Preußische Akademie der Wissenschaften führte nach dem Krieg das Projekt unter der Leitung von Paul Ritter allein weiter (Poser 2000, 379 ff.), wobei die für die Akademie-Ausgabe bis heute bestimmende Aufteilung in 8 Reihen – mit den Politischen Schriften als Reihe IV – eingeführt wurde. Der erste, von Ritter bearbeitete Band (1667–1676) dieser Reihe erschien 1931(31983) mit grundlegenden Schriften wie z. B. dem Specimen Demonstrationum (A IV,1 N. 1), dem Sekuritäts-Bedencken (A IV,1 N. 4) und dem Consilium Aegyptiacum (A IV,1 N. 5). Nachdem 1939 eine dem Nationalsozialismus nahe stehende Leibniz-Kommission in der Akademie eingesetzt worden war, sollte die Edition einer schwerpunktmäßigen Neuausrichtung auf Mathematik, Naturwissenschaften und Technik unterzogen werden (Poser 2000, 385 f.). Der Mathematikhistoriker Josef Ehrenfried Hofmann übernahm von Paul Ritter die Gesamtleitung der Leibniz-Arbeitsstelle. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Leibniz-Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin (Ost) die Betreuung der Reihe IV (Politische Schriften). Unter der Leitung von Kurt Müller erschien 1963 (21984) der zweite Band (1677–1687) u.a. mit dem Caesarinus Fürstenerius (A IV,2 N. 1) und dem Mars Christianissimus (A IV,2 N. 22). Lotte Knabe und Margot Faak ließen 1986 den umfangreichen dritten Band (1677–1689) folgen. Die geschichtliche Wende 1989/90 führte abermals zu einer tiefgreifenden institutionellen Neuausrichtung der Reihe IV der Leibniz-Edition. Nach der Gründung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 1992 und ihrer Aufnahme in die Konferenz der deutschen Akademien Ende 1993 wurde die Editionsstelle der Reihe IV in das Akademienprogramm übernommen, zunächst noch mit Sitz in Berlin, ab 1996 dann in Potsdam. Nach einer weitreichenden EDVUmstellung (Digitalisierung der Bestandskataloge u.a.m.) und der Einführung des Editionssatzprogrammes TUSTEP erschienen unter der Arbeitsstellenleitung von Hartmut Rudolph (1993–2007) und Wenchao Li (seit 2007) bislang folgende Bände der Politischen Schriften: 2001 Bd. 4 (1680–1692), 2004 Bd. 5 (1692– 1694), 2008 Bd. 6 (1695–1697), 2011 Bd. 7 (1697–1699), 2015 Bd. 8 (1699– 1700), 2019 Bd. 9 (1701–1702). Für die verbleibenden der auf insgesamt 15 Bän-

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de veranschlagten Politischen Schriften ragen einige thematische Schwerpunkte heraus: Neben dem langwierigen Krieg um die Spanische Erbfolge und der mit dem Tod König Wilhelms III. (1702) eröffneten Oranischen Erbschaft erhält die das Welfenhaus berührende englische Sukzession besonderes Gewicht. Der Leibniz-Forscher Hans Heinz Holz veröffentlichte 1966/67 eine zweibändige Auswahlausgabe von politischen Schriften, wobei fremdsprachige Texte ins Deutsche übertragen wurden. Die orthographisch modernisierten und mit einem umfangreichen Glossar versehenen Bände enthalten schwerpunktmäßig Schriften aus Leibniz’ Mainzer Zeit. Patrick Riley publizierte 1972 (21988) eine ausführlich kommentierte, ins Englische übersetzte Sammlung politischer Schriften, darunter Auszüge aus dem Caesarinus Fürstenerius, dem Mars Christianissimus, der Auseinandersetzung mit dem Abbé de Saint-Pierre und die Einleitung zum Codex juris gentium. Besonderes Interesse fand Leibniz nach wie vor in Frankreich. Der LeibnizForscher Gaston Grua hatte bereits 1937/38 den Weg nach Hannover gefunden. Nach 1945 stellte André Robinet durch längere Forschungsaufenthalte in Hannover den Kontakt wieder her. Einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des politischen Leibniz lieferte Robinet mit der kommentierten Herausgabe (1995) von dessen Korrespondenz mit dem Abbé de Saint-Pierre. Marc Crépon veröffentlichte 2000 eine kommentierte, zweisprachige Ausgabe zweier wichtiger kulturpolitischer Schriften: den Unvorgreifflichen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache und der Ermahnung an die Teutsche. Eine auf 20 Bände veranschlagte spanische Leibniz-Ausgabe (Obras filosóficas y científicas) wird in den Bänden 12 und 13 unter der Leitung von Concha Roldán und Jaime de Salas eine Auswahl an politischen Schriften bieten (Nicolás 2012, 196 f.). 2. FORSCHUNGSGESCHICHTE 2.1. Politik, Staat und Herrschaft Die Bewertung von Leibniz als „Politiker“ hängt nicht nur vom zeitlichen Kontext des Leibniz-Bildes ab, sondern in erster Linie von der Erschließung seines immensen Nachlasses. So konnte erst die jüngere Leibniz-Forschung aufgrund der systematischen, historisch-kritischen Materialaufarbeitung zu einem immer differenzierteren Urteil über diesen Aspekt seines Wirkens gelangen. Zudem ermöglicht ein nicht staatsfixierter Politikbegriff, dass in den umfangreichen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen der Frühen Neuzeit auch ausgedehnte wissenschaftliche und kulturelle Aktivitäten, wie sie gerade für den in der internationalen Gelehrtenwelt vernetzten Leibniz charakteristisch sind, einer Bewertung als politisch relevante Faktoren offen stehen. Abgesehen von Leibniz’ Aufgabenbereichen als Leiter der Hofbibliotheken in Hannover und Wolfenbüttel und als Hofhistoriograph (Welfengeschichte) gehörte er als Hofrat bzw. seit 1696 als Geheimer Justizrat zwar nominell den höfischen

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Funktionseliten an, verfügte aber über keinen klar definierten Geschäftsbereich. Zugang zu den Zirkeln der Entscheidungs- und Handlungsträger hatte er von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht. Sein tatsächlicher Wirkungsbereich bestand in einer Art Beratertätigkeit, die mit variierenden Anforderungen verbunden war und seinem hochkomplexen, interdisziplinären Gelehrtenprofil entsprach. Leibniz verkörperte den Typus eines Gelehrten Rates, der – mit außergewöhnlicher historisch-juristischer und naturwissenschaftlich-technischer Fachkompetenz ausgestattet – seinem fürstlichen Dienstherrn je nach Erfordernis als Verfasser von Abhandlungen, Gutachten und Denkschriften zur Verfügung stand (Beiderbeck 2015a, 17 f). Dabei bediente er sich seiner Gelehrsamkeit als Argument für den Anspruch auf Mitwirkung an politischen Prozessen. Leibniz repräsentiert einen politischen Denker und Autor bürgerlicher Herkunft, der für eine Mitgestaltung von Politik durch Informations- und Wissensgenerierung steht. 2.1.1. Politikberatung und -verständnis Es liegt im Wesen der Politikberatung, dass ein kausaler Einfluss des Beratenden auf Willensbildung- und Entscheidungsprozesse schwer nachprüfbar, bestenfalls durch interne Aufzeichnungen bzw. namentliche Erwähnung in entsprechenden Dokumenten belegbar ist. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich für diesen Bereich von Leibniz’ Tätigkeit eindeutige Spuren finden: so beispielsweise anhand der publizistischen Wirksamkeit seines Caesarinus Fürstenerius oder in der von Otto Grote anlässlich der Kurinvestitur im Dezember 1692 am Kaiserhof gehaltenen Rede. Ähnliches gilt auch für sein beharrlich-engagiertes Verhalten in der Frage der englischen Sukzession. Die Pflichten eines politisch-juristischen Beraters schlossen es nach Leibniz’ Selbstverständnis ein, sich auch ohne konkreten Auftrag und gewissermaßen vorausschauend zu anstehenden Problemen zu äußern (z. B. A I,14, 98, Z. 6–12). In Abgrenzung zu seiner politisch beratenden Funktion war Leibniz kein Diplomat sensu stricto. Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen verfügte er nicht über entsprechende Vollmachten oder Akkreditierungen und besaß auch nicht das professionelle Profil für diese Tätigkeit. Die in der Regel der hohen Aristokratie entstammenden Geschäftsträger in Gesandtschaft und fürstlicher Verwaltung verstanden es zudem stets, den bürgerlichen Leibniz auf Abstand zu halten. Dass Leibniz dessen ungeachtet nicht nur bei seinen unmittelbaren Dienstherrn, sondern auch anderen namhaften Herrschaftsträgern über hohes Ansehen als „ein wohlerfahrener, discreter und qualificirter Mann“ verfügte, illustriert dieses bekannte Diktum Kaiser Leopolds I. (an Kurfürst Georg Ludwig, 17. Mai 1700, in: Klopp VIII, XXX). Die Zeitgenossen haben in Leibniz in erster Linie den Gelehrten und Polyhistor wahrgenommen, weniger den politisch Wirkenden (Fontenelle 1716; Ludovici 1737, I, Vorbericht; anders Wilson 1995, 442). Für den Vormärz-Patrioten Guhrauer verkörperte Leibniz einen selbstbewussten Repräsentanten des aufsteigenden Bürgertums gegenüber der Dominanz der hohen Aristokratie in Politik, Verwaltung und Militär. Edmund Pfleiderers Ver-

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such (1870), aus Leibniz einen deutschen Staatsmann mit weitreichender politischer Wirkung zu machen, speiste sich aus einem überzogenen Nationalgedanken der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und aus der Rezeption nicht-authentischer Leibniz-Schriften. Eine Lektion in Quellenkritik erteilte diesbezüglich der Historiker Harry Bresslau, indem er nachwies, dass die von Pfleiderer behauptete Leibniz-Verfasserschaft einer Reihe von Flugblättern einer ernsthaften Überprüfung nicht standhält (Bresslau 1870, 317 ff.). Die Parallelen der Situation von 1648 und 1918 führten Paul Ritter zu der Aussage, Leibniz habe „unsere Kultur vor der drohenden Verarmung und Verachtung bewahrt“, dass er aus diesem Antrieb heraus auch als „Diplomat und Publizist, Staats- und Volkswirt, ein Techniker und Organisator ohnegleichen“ wirksam gewesen sei. So sei „Politik die Seele seines Wesens“ geworden (Ritter 1920, 421 f.). Ähnlich hatte sich Wilhelm Wundt geäußert, als er Leibniz in erster Linie als Politiker einordnete (Wundt 1917, 9). Diesem Leibniz-Verständnis widersprach Petronella Fransen. Sie kam zu einer generell negativen Einschätzung, obwohl sie nur Leibniz’ politische Aktivitäten im Zeitraum von 1711 bis 1714 untersucht hat. Trotz aller Hingabe an die Politik könne „man ihm kaum eine erfolgreiche praktisch-politische Leistung während seines ganzen Lebens nachweisen“ (Fransen 1933, 6). Auch am Wiener Hof sei er aufgrund seines Wissens und seiner geistreichen Geselligkeit eher „eine gesellschaftliche als eine politische Figur“ gewesen (155). Hermann Aubin knüpfte 1946 in seiner Beurteilung des politischen Leibniz im Großen und Ganzen an Paul Ritter an, zumal die historische Situation der von 1920 durchaus vergleichbar schien. Beide sahen denn auch im Dreißigjährigen Krieg den Ausgangspunkt für Leibniz’ ausgeprägtes Bedürfnis nach aktiver Mitwirkung bei Wiederaufbau und Neuordnung Deutschlands und Europas. Eine ähnliche Sichtweise vertrat auch Kurt Huber. Der Denker Leibniz sei „ein durchaus politischer Mensch“ gewesen, „wie man sich sonst gerade deutsche Philosophen nicht vorzustellen pflegt“ (Huber 1951, 307). Émilienne Naert bekräftigt, dass Leibniz unter den Philosophen der „époque classique“ wohl als der politisch Aktivste zu gelten habe, dem modernen Betrachter erscheine er gewissermaßen als „un écrivain engagé“ (Naert 1964, 1; vgl. Schneiders 1975, 60). Zu einem durchweg kritischen Resultat gelangt Carl Haase, der „Leibniz als Politiker und Diplomat“ thematisierte, um jedoch zu bilanzieren, „daß seine politische Tätigkeit eine Kette von Mißerfolgen, meist von vergeblichen und wenig beachteten Bemühungen gewesen ist. [...] Immer aber, wenn er als Handelnder in das politische Leben einzugreifen versuchte, sei es durch Veröffentlichungen, Denkschriften, Korrespondenzen, sei es durch unmittelbare persönliche Verbindung, hatte diese seine Tätigkeit keine Erfolge aufzuweisen, die sich auch nur annähernd mit denen seiner wissenschaftlichen Arbeit vergleichen ließen“ (1966, 195). Ausgewogener beurteilt Georg Schnath 1980 Leibniz’ politische Dienste am Welfenhaus, indem er den Nutzen historischer Forschung und juristischer Gelehrsamkeit für die dynastische Politik des Hauses Braunschweig-Lüneburg in den Vordergrund rückte. Gleichwohl stellt auch er fest, dass bei keinem anderen unter

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Leibniz’ Tätigkeitsgebieten „die Praxis so wenig mit der Theorie zur Deckung“ zu bringen war (1980, 266). Günter Scheel bot 1999 eine präzise begriffliche Bestimmung von Leibniz’ politischer Aktivität und damit die Voraussetzung für eine differenzierte Beurteilung: Zum Maßstab erhob er Leibniz’ professionelles politisches Profil als historisch-juristischer Ratgeber in welfischen Staatsdiensten (vgl. auch A I,8 XXVIII: „Sachbearbeiter und Referent“). Gerd van den Heuvel vergleicht Leibniz „mit einem Referenten in der heutigen Ministerialbürokratie“ (2001, 87), Nora Gädeke bezeichnet ihn als „historisch-juristischen Fachreferenten“ (2005, 175). Daran gemessen „ergibt sich, daß seine amtliche Beratertätigkeit sehr erfolgreich gewesen ist und daß es in keinem einzigen Fall Kritik der hannoverschen Kurfürsten oder der Minister gegeben hat“ (Scheel 1999, 52). Daß diese „dienstlichen“ Erfolge als höfischer Ratgeber keineswegs mit seinem politischen Sendungsbewußtsein und seinen politischen Fernzielen identisch waren, bleibt dabei unbestritten. „Leibniz und Politik“ ist eine Zuordnung, die nicht von sich aus evident ist und auch zu höchst unterschiedlichen wissenschaftlichen Stellungnahmen Anlass gegeben hat. Émilienne Naert verwirft zurecht die Auffassung als unhistorisch, Leibniz’„politique“ als direkte Anwendung seiner Metaphysik zu begreifen: „Leibniz s’est intéressé aux problèmes politiques bien avant qu’il n’ait constitué sa métaphysique ou, plus exactement, intérêt politique et réflexion philosophique se développent chez lui en même temps que son avide curiosité pour tout le savoir humain“ (Naert 1964, 103). Ungeachtet aller thematischen und systematischen Verbindungen zwischen Leibniz’ Wissensgebieten und Tätigkeitsfeldern kann sein politisches Denken als eigenständiger Wirkungsbereich wahrgenommen und eingeordnet werden. Der Begriff des Politischen verweist in besonderem Maße auf das Zeitgebundene: Leibniz’ Denken spiegelt dabei nicht nur einen unübersehbar vielfältigen Wissens- und Erfahrungshorizont, sondern begegnet auf seinem historischen Boden als Ergebnis gesellschaftlicher Kommunikation und Handlungen bzw. kultureller Praktiken (Beiderbeck 2015a). Dabei bietet auch der soziale Rahmen Aufschluss über Leibniz’ politisches Denken und seine politischen Aktivitäten: Er gehörte zu einer Elite bürgerlicher Herkunft, was seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bestimmte und begrenzte. Das soziokulturelle Umfeld, in dem sich die Ideen- und Diskursvielfalt eines Leibniz ausbildeten, blieb der ständisch geprägten Gesellschaft verhaftet. Leibniz’ Tätigkeitsbereiche waren heterogener, aber auch symbiotischer Natur: Als fürstlicher Ratgeber diente er der Generierung einer Form von Herrschaftswissen, als Repräsentant der République des lettres stand er für eine intellektuell autonome Kommunikationsgemeinschaft. In Leibniz’ Person fanden jedoch Herrschaft und Gelehrtenkultur mit gemeinsamen Zielen zusammen, um nach den Erschütterungen der Religionsund Bürgerkriege und den revolutionären Veränderungsprozessen in Weltanschauung, Wissenschaft und Gesellschaft ein stabiles, wehrhaftes und leistungsfähiges Gemeinwesen aufzubauen. Im Allgemeinen zählt man Leibniz kaum zu den Klassikern der politischen Theorie (Beiderbeck 2015a, 24 f., Anm. 45: Literatur). Auch hat er kein politisches oder politiktheoretisches Grundlagenwerk verfasst. Dennoch äußerte er sich

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zu nahezu allen politischen Themen seiner Zeit, wobei seine Stellungnahmen nicht nur den zeitgenössischen Diskussionsstand spiegeln, sondern ein großes innovatives Potential bieten. Die thematische Breite seines politischen Denkens verbindet gelehrte Grundlagendiskussion mit der Erörterung ihrer gesellschaftlichen Relevanz und Realisierbarkeit. Inhaltlich umfasst Politik den staatlichfürstlichen Herrschaftsbereich, Wirtschaft und Handel, Bildung und Kultur, Soziales und Gesundheit, Religion und Kirche, schließt aber durchaus im modernen Sinn auch die Verantwortung der Bürger als Privatleute für gesellschaftlichkulturelle Prozesse ein. Auch Europa, seine staatliche und kulturelle Vielfalt, seine globalen Beziehungen stehen im Zentrum dieses politischen Denkens. Ein besonderes Thema für Leibniz als höfischer Ratgeber sind Bedeutung und Nutzen des Historischen für die politische Gegenwart, besonders für dynastische, territoriale und reichsrechtliche Zwecke (vgl. den Beitrag von van den Heuvel in diesem Band). Leibniz’ Politikverständnis steht in christlich-aristotelischer Tradition: Die Politik ist dem Allgemeinwohl und der Glückseligkeit aller Menschen verpflichtet und dabei an Moral und Recht gebunden. Seine entschiedene Ablehnung einer prinzipiellen Unabhängigkeit der Politik von der Moral verbindet Leibniz aber auch mit den Anfängen der aufklärerischen Herrschaftskritik. Die zeittypische Formel „zu Gottes Ehre und zum allgemeinen Besten“ kann nicht nur als Maxime für Leibniz’ eigenes gesellschaftliches Wirken angesehen werden, sondern bildet ein wesentliches Element seines Politikbegriffes. Leibniz bindet sein Politikverständnis an Naturrecht und Ethik christlicher Prägung. Daraus folgt umgekehrt für diejenigen, die sich am Allgemeinwohl und an „Gottes Ehre“ orientieren, der Imperativ, sich „als Politici, als Rectores Rerum publicarum“ in den Dienst der Gesellschaft zu stellen (A IV,1 535 f.). Leibniz kann durchaus als Vertreter der Politica Christiana gelten. Sein christlicher Politikbegriff verweist auf eine metatheoretische Begründungsebene, die Verantwortung und Handeln des Herrschers prinzipiell an die Gerechtigkeit Gottes bindet (Nitschke 2011, 34–37 und 2015). Dass es Leibniz jedoch keineswegs um eine Retheologisierung des politischen Denkens ging, unterstreicht zum einen die tatsächliche Funktion, die der Staatsräson in der Praxis seiner politischen Beratungstätigkeit zukam, zum anderen die grundsätzlich eudämonistische Zielsetzung aller Politik. Die Heilsgeschichte wird historisiert, das Individuum wie die Gesellschaft werden zu Subjekten einer ganz im Diesseitigen verorteten, fortschrittsorientierten Zukunftsgestaltung. Eine in diesem Sinne für das Leibniz’sche Denken sehr charakteristische Aussage über den wechselseitigen Zusammenhang von Politik, Wissensförderung und Fortschritt findet sich in einer frühen Schrift mit dem Titel Societas Philadelphica (A IV,1 552 f.). Leibniz bezeichnete sich selbst gerne als „Generalanwalt des öffentlichen Wohls“ (z. B. A I,18 377, Z. 20). Sein politisch-gesellschaftliches Selbstverständnis als Repräsentant einer bürgerlichen Wissens- und Bildungselite spiegelt sich prägnant in einer Aufzeichnung für einen geplanten Vortrag bei Kaiser Leopold I.: „Mein ganzes absehen nun, ist wie gedacht das gemeine beste nach meinen wenigen von Gott etwa verliehenen Talenten, in E[euer] M[ajestä]t diensten zu befördern, und in sonderheit solche anstalten auß zu finden, dadurch dem Menschlichen ge-

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schlecht zu besten die realen Wißenschafften, so zu der Menschen wohlstand dienlich befördert werden mögen“ (A IV,4 59; vgl. A I,2 121). Dem Staatswesen misst Leibniz eine Schlüsselfunktion zu für die Verwirklichung der göttlichen Gerechtigkeit und die Beförderung der allgemeinen Glückseligkeit. Damit geht dessen Verantwortung über die traditionellen Verpflichtungen zur Wahrung von Frieden, Sicherheit und Recht hinaus. Da es um die Vervollkommnung des Menschen geht, fallen ebenso Erziehung und Bildung in seine Kompetenz, wird der Staat zu einer Fortschrittsinstitution. Die Verantwortung dafür ist aber breiter verteilt: Neben der patrimonialen Fürsorgepflicht des Fürsten und der staatlichen Herrschaftsstrukturen erscheint Leibniz die Mitwirkung der gebildeten Öffentlichkeit für die respublica und ihr Gemeinwohl als unverzichtbar. Er entwirft einen Wohlfahrtsstaat, dessen Grundriss durch Recht, Religion und Vernunft als Ordnungskräfte geprägt wird. Sie dienen nicht mehr der Vorbereitung auf eine jenseitige Glückseligkeit, sondern einer weltimmanenten Orientierung: Nach einem Zeitalter verheerender Leidenschaften erwartet Leibniz ein Zeitalter der Vernunft. Rationalität wird zum Welt gestaltenden Prinzip, besonders für politisches Denken und öffentliches Handeln. Hinter dem Bündnis aus gelehrter Politikberatung und staatlich-öffentlicher Verantwortung leuchtet für Leibniz das Fernziel einer „respublica optima“. Werner Schneiders rückt diesen Topos und seine Bedeutung bei der „metaphysischen und moralischen Fundierung der Politik bei Leibniz“ in den Fokus der Betrachtung. Ohne dass Leibniz sich systematisch und abschließend dazu geäußert hätte, transportiert der Begriff „die Idee eines Gottesstaates im Sinne eines universellen und optimalen Gemeinwesens“ (Schneiders 1977, 2). Sie stellt gewissermaßen eine normative Rückbindung für politisch-gesellschaftliches Handeln dar und ist gedacht als eine globale, geistig-moralische Gemeinschaft, deren Zweck die durch Bildung und Erziehung getragene Vervollkommnung des Menschen sein soll. „Daraus ergibt sich für den irdischen Staat das Leitbild eines ökonomisch und juristisch perfekten Vernunftund Tugendstaates“ (Schneiders 1977, 23). Für einen Zugang zu Leibniz’ politischem Denken ist seine Anwendung des Prinzips der Rationalität entscheidend. Es erschien ihm plausibel, die Grundsätze naturwissenschaftlich-mathematischer Verfahren more geometrico auch auf politische Probleme anwenden zu können. Die Anleitung zum richtigen politischen Handeln setzt das Aufzeigen der wahren, deduktiv abgeleiteten Vernunftgründe voraus: „Le but de la Science politique à l’égard de la doctrine des Formes des Republiques doit estre de faire fleurir l’Empire de la raison“ (A I,20 284; s. auch Schneider 1967, 63; Nitschke 2011, 37). Das 1669 zur polnischen Königswahl verfasste Specimen demonstrationum politicarum ist ein Paradebeispiel für dieses Verfahren. 2.1.2. Staat und Herrschaft Das elementare Bedürfnis nach Sicherheit ist einer der Hauptgründe für die Existenz des Staatswesens. Inwieweit Leibniz in der Theorie die Legitimität von Staat

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und Herrschaft auf konsensuale gesellschaftliche Faktoren (Vertragsmodell) stützt, ist umstritten (vgl. Schneider 1995, 215 f.). Hobbes und Pufendorf definierten den Staatsbegriff naturrechtlich als einen Fürsten und Untertanen einschließenden, auf Vertrag gegründeten Gesamtkörper. Leibniz setzte dem säkular legitimierten Staatsverständnis, das im Wesentlichen auf der Theorie des Gesellschaftsvertrages ruhte, die These entgegen, die politische Gesellschaft liege in der Natur des Menschen und resultiere aus der wechselseitigen Hilfe bei der Erfüllung grundlegender Bedürfnisse (Racionero 1994, 523 f.). In Anlehnung an Johannes von Felden sieht Leibniz diese sich formierende Zusammensetzung der Gesellschaft in natürlichen Gemeinschaften von der Ehe und Familie bis hin zur bürgerlichen und kirchlichen Zusammenschlüssen (A IV,3 N. 139). Sie alle stehen für die Pluralität der Gesellschaft und besitzen im Staat ihre Ordnung für das gemeinsame Streben nach Wohlfahrt und Glückseligkeit (vgl. Voisé 1973, 186). Dass Leibniz in der Praxis der Umsetzung politisch-gesellschaftlicher Reformmaßnahmen die Fürstenmacht als effektivstes Herrschaftsorgan favorisierte, muss dazu nicht im Widerspruch stehen (vgl. Luckscheiter 2013, 197–200). Hans-Peter Schneider hat den naturrechtlichen Einfluss auf die sozialethische Bindung der Staatsgewalt eingehend thematisiert (1967). In Anknüpfung an den protestantischen Aristotelismus bündelt Leibniz demnach die für das öffentliche und staatliche Leben maßgeblichen Gebote in den drei Naturrechtsprinzipien: dem strengen Recht (jus strictum), der Billigkeit (aequitas) und der Frömmigkeit (pietas). Die Ansicht, dass selbst die Träger von Herrschaft daran gebunden seien, stellt eine „Vorwegnahme des rechtsstaatlichen Legalitätsprinzips“ dar (Schneider 1995, 217). Auch die Zuordnung von Staat und Kirche sah Leibniz im öffentlichen Recht verankert, wobei dem Staat der Vorrang auf weltlichem (einschließlich Staatskirchenrecht), der Kirche auf geistlichem Gebiet gebühre (Schneider 1969). Kannte Leibniz ein Widerstandsrecht? Die Entwicklung des neuen Staatsgedankens ließ die moderne Souveränität und das Widerstandsrecht als unvereinbar erscheinen. Gegenüber diesem besonders von Hobbes vertretenen Standpunkt nimmt sich Leibniz’ Position differenzierter und komplexer aus (Basso 2011). Leibniz vertrat ein begrenztes Widerstandsrecht: Der Inhaber der höchsten Gewalt verfüge über ein Regierungsamt, nicht aber über die unbegrenzte Souveränität im engeren Sinn. Allerdings setze legitimer Widerstand eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung voraus: „Widerstand ist nur erlaubt, wenn der Fürst selbst gegen die reipublicae salus, und deswegen gegen die salus populi handelt und wenn so seine Autorität zur gewalttätigen Willkür wird“ (Basso 2011, 145). Es gehe immer um die Wiederherstellung der politischen Ordnung, bei der die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl eine entscheidende Rolle spielen. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass Leibniz dabei vom Boden der Reichsverfassung und ihren Vorzügen aus urteilt: Die zwischen Kaiser und Reichsständen aufgeteilten Herrschaftsstrukturen eröffnen Freiräume politischer, sozialer und kultureller Selbstbestimmung und damit auch Möglichkeiten der Herrschaftsbegrenzung. „So ist die Leibniz’sche respublica mit ihrer sozial und institutionell komplexen Gliederung von einer dynamischen Kräftebalance der politischen Mächte charakterisiert. Das

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Ziel besteht in der Bildung komplexer und gegliederter politischer Gemeinschaften, in denen die Vielfalt der inneren Verhältnisse ihre Zerstörung verhindert, wenn sie Erschütterungen ausgesetzt sind“ (Basso 2011, 153). Die für das politische Denken in der Frühen Neuzeit konstitutive Frage der Souveränität behandelte Leibniz im Zusammenhang mit der Klärung der Staatsform des Reiches (s. u. II.2). Zunächst sei nur angemerkt, dass sich auch Leibniz dazu mit dem Bodin’schen Lehrsatz von der Unteilbarkeit der Souveränität auseinanderzusetzen hatte, den er aber prinzipiell überwinden sollte. Ausgehend von der dualistisch geprägten Reichsverfassung gelangte er zu einer föderativ legitimierten, funktionalen Ausdifferenzierung staatlicher Kompetenzen, ohne den Territorien wie auch dem Reich einen spezifischen Staatscharakter abzusprechen. 2.1.3. Staatsreform Leibniz’ Pläne zur Staatsreform sind von Hans-Peter Schneider als „Gesamtwerk praktischer Regierungskunst“ bezeichnet worden. „Es ging Leibniz um eine Erneuerung des Staates an Haupt und Gliedern auf nahezu allen Gebieten der Politik, angefangen bei Fragen der Reichsreform über die Reorganisation von Regierung und Verwaltung, die Vereinfachung der Gesetzgebung, die Verbesserung der Justiz, die Stärkung des Finanzwesen, die Modernisierung der Wirtschafts- und Sozialordnung bis hin zur Vereinigung der christlichen Kirchen“ (Schneider 1999, 24). Da ist zunächst die Reichsverfassung, um deren Funktionalität und Wehrhaftigkeit jenseits bloßer publizistischer Debatten es Leibniz zu tun war (s. u. II.2). Zur Reform der Regierungs- und Verwaltungsbereiche solle sich der Staat auf seine Kernaufgaben konzentrieren, so die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit, die Verbesserung von Bildung und Erziehung, eine angemessene Besteuerung v.a. des Luxus und die Sozialfürsorge (z. B. A IV,3 N. 26; IV,4 N. 10). Um den Herrschenden alle für grundlegende Entscheidungen notwendigen Informationen und Daten über deren Ländereien zur Verfügung zu halten, schlug Leibniz „Staats-Tafeln“ vor (A IV,3 N. 29), verbunden mit einem entsprechenden Archiv (A IV,3 N. 28) und einem Registraturamt (A IV,3 N. 36). Eine Vereinfachung des römischen Rechts sollte durch eine umfassende Gesetzgebungsreform erzielt werden. Sein Konzept einer „jurisprudentia rationalis“ lief auf eine Neuordnung des Rechtssystems nach allgemeinen Vernunftprinzipien hinaus (Grua 1956, 231–264). Mit seinen um 1700 erarbeiteten Vorschlägen zur Verbesserung des Justizwesens übte Leibniz eine späte Wirkung auf die Entwicklung in Preußen aus bis hin zum Allgemeinen Landrecht von 1794 (Schneider 1999, 32). Die Dynamik des sich ausbildenden frühneuzeitlichen Staates und die Neuordnung von Machtverhältnissen in der konkurrierenden europäischen Staatenvielfalt berührten die Frage der Legitimation. Die Suche nach einer „wahren Staatsräson“ (A IV,1 348, Z. 7–10) hing natürlich mit der Deutung der politischen Realitäten zusammen, wobei sich Leibniz im Wesentlichen auf zwei Modelle konzentrierte: Frankreich und das römisch-deutsche Reich. Der Staat Ludwigs XIV. repräsentiert das Vorbild einer absoluten Monarchie, eines starken und aut-

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arken Landes mit einer entwickelten, sich mit ihrem König identifizierenden Gesellschaft (A IV,1 258 f.). Die expansive, kriegerische Seite dieses Staates stellt gewissermaßen eine zwangsläufige Folge seines auf Machtentfaltung angelegten Wesens dar. Freilich war diese Interpretation darauf angelegt, den Franzosenkönig zu einer außereuropäischen Eroberungspolitik zu bewegen (s. Consilium Aegyptiacum). Zur Funktionstüchtigkeit einer politischen Einheit gehört die Staatsräson, solange sie nicht zum Selbstzweck wird, sondern sich dem Recht unterordnet. Das römisch-deutsche Reich stellt als saturiertes, in sich ruhendes Gebilde einen Gegenentwurf zu Frankreich dar. Staatsinteresse bedeutet hier Reichsreform, Wahrung von territorialer Integrität, innere und äußere Sicherheit und Handlungsfähigkeit seiner dualistischen Verfassung, keineswegs außenpolitische Expansion. Die von Leibniz auch für die internationale Politik eingeforderte Maxime von Recht und Gerechtigkeit garantiert nicht nur den Fortbestand des Reiches, sie gewährleistet ebenso Koexistenz im europäischen Rahmen (vgl. A IV,5 60–63). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Leibniz spiegelt die Entwicklung des Staatsdenkens in den letzten zwei Jahrhunderten. Guhrauer interessierte der bürgerliche Kulturgedanke als Medium nationaler Integration. Onno Klopp sah im politischen Leibniz den anti-bismarck’schen, altreichisch-prohabsburgischen Propagandisten. Jenseits wissenschaftlicher Auseinandersetzung wurde Leibniz dann auch zum geistigen Wegbereiter der staatlichen Einigung Deutschlands im 19. Jahrhundert stilisiert (Pfleiderer 1870, Dafert 1883). Eine seriöse Studie über Leibniz’ Staatsidee legte 1909 der Jurist Erwin Ruck vor. Er sieht eine juristische und „psychologisch-ethische“ Begründung des Staates, wobei er die zweite als die für Leibniz wesentliche bezeichnet (Ruck 1909, 82 f.). Die Ideen der „Einheit in der Vielheit“ und „die Entwicklung zur Vollkommenheit“ seien letztlich die beiden „Angelpunkte“, die die Modernität seines Staatsgedankens ausmachten (Ruck 1909, 108 f.). Paul Joachimsen, Historiker des „deutschen Staatsgedankens“, bescheinigt Leibniz, „im Grunde kein Gelehrter, sondern eben ein Politiker“ gewesen zu sein. Er habe beständig gestrebt „nach einer Tätigkeit, die dem Gemeinwesen irgendwie fruchtbar werden konnte“, sich dabei leider auf „ein so unvernünftiges Ding wie das damalige Deutsche Reich“ konzentriert. Immerhin konzediert Joachimsen, Leibniz’ stete Bemühungen um die deutsche Sprache gehörten „der moralpädagogischen Abwandlung des Staatsgedankens an“ (Joachimsen 1921, LXII, LXVI). Paul Ritter hingegen sieht in Bezug auf den Begriff von der „Mitte von Europa“ eine Kontinuität, die von Leibniz bis in die Zeiten Bismarcks hineinreiche. Der „Staat der deutschen Aufklärung“ wird zu Leibniz’ Erbe erklärt, gemeint sein dürfte hier besonders das Preußen Friedrichs II. „mit seiner alles ergreifenden und bestimmenden Gewalt, aber auch mit seiner unermüdlichen, unvergänglichen Arbeit für unsere Kultur, mit seinem starken Gefühl der Verantwortlichkeit für das Wohl und Wehe des letzten Untertanen“ (Ritter 1920, 426 f.). Einer ungehemmten Verabsolutierung des Staatgedankens setzt Ritter unter Berufung auf Leibniz eine klare Grenze: die Menschenwürde als „ein gemeinsamer, unverletzlicher Besitz“ des Menschengeschlechtes (Ritter 1920, 428). Auch Kurt Huber wehrt sich schließlich gegen den Missbrauch des Staatsgedankens. Leibniz habe „den vielleicht modernsten Staatsbegriff des 17.

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Jahrhunderts gefunden“, indem er sich „gegen die Vereinigung des Staatsbegriffs in der Macht des Herrschers, gegen die Ableitung des Rechts aus der Staatsmacht“ gewandt habe (Huber 1951, 308 f.). 1958 erschien eine Studie zum „Staatsdenken bei Leibniz“. Karl Herrmann formuliert ein klares Erkenntnisinteresse, das Leibniz als Gewährsmann für eine religiöse Bindung staatlicher Ordnung in der Gegenwart heranziehen möchte (Herrmann 1958, 11). Die entsprechend einseitige Interpretationslinie wird aber den rechtlichen und politischen Aspekten dieses komplexen Themas nicht gerecht. 2.2. Reichsverfassung, Kirche und Europa 2.2.1. Reichsgedanke Leibniz’ Reichsgedanke bündelt Grundzüge seines politischen Denkens: Er verstand das Heilige Römische Reich nicht als hegemoniales, zur Unterwerfung der Völkerschaften Europas geeignetes Herrschaftsinstrument, sondern als ein zum Vorbild taugendes Ordnungs- und Koexistenzprinzip. Die Sichtweise des Reichsverbandes als „Mitte Europas“ verbindet die politisch-kulturelle Beständigkeit Deutschlands mit einem von Friedfertigkeit und Ausgleich geprägten Europa. Damit ist Leibniz nicht nur in den Traditionen der deutschen politischen Literatur und den Verfassungsdiskussionen seiner Zeit verwurzelt, viele seiner eigenen Begriffe und Denkmuster spiegeln die politisch-gesellschaftlichen Realitäten seiner Zeit (vgl. Duchhardt 2015). Besonders prägend für die politische und kulturelle Gestalt Deutschlands nach 1648 war in dieser Hinsicht die Westfälische Friedensordnung. Der universale und partikulare Formen verbindende Charakter der Reichsverfassung eröffnete Freiräume für politische, konfessionelle, kulturelle Pluralität – ein Ideal auch für das von Kriegen zerrissene europäische Mächtesystem (Beiderbeck 2011). Auf der Suche nach der besten politischen Gemeinschaftsform, in der Wohlergehen, Frieden und Sicherheit möglich werden, hielt Leibniz die Reichsverfassung für vorbildlich (z.B. Leibniz 1715, 38). Die notwendige Reform des Reichsverbandes mußte Antworten auf die Herausforderungen des frühmodernen Europa geben: den säkularen Staatsgedanken, das konkurrierende Mächtesystem, die tiefgreifenden weltanschaulichen, ökonomischen, wissenschaftlichen und sozialen Veränderungen. Die Rezeption der Leibniz’schen Interpretation des Reichsgedankens unterlag in besonderem Maße einer Anpassung an die politische Entwicklung Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Die auf den preußisch-deutschen Einigungsstaat fixierten Geisteswissenschaften betrachteten das Alte Reich mit Geringschätzung (vgl. Joachimsen 1921, LXVI; Huber 1951, 306; Aubin 1946, 126). Auch die von dem Rechtshistoriker Otto von Gierke in seinem Standardwerk über die naturrechtlichen Staatstheorien getroffene Feststellung, Leibniz habe dem Begriff des zusammengesetzten Staates „eine noch näher an moderne Fassungen des Bundesstaatsbegriffs streifende Prägung“ verliehen, hinterließ in der Forschung kaum Spuren (1. Aufl. 1879, hier 4. Aufl. 1929, 246 f.). Erst in der 2. Hälfte des 20.

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Jahrhunderts wurden mit den Arbeiten von Stehle, Wiedeburg und Schneider verfassungs-, ideen- und rechtsgeschichtlich orientierte Untersuchungen zu Leibniz’ Reichsgedanke vorgelegt. Der französische Religionswissenschaftler Jean Baruzi wies zu Anfang des Jahrhunderts auf die tiefere Bedeutung hin, die der „rêve du Saint-Empire“ für Leibniz’ politisch-philosophisches Denken besaß (Baruzi 1907, 7 f.). Für die nationalsozialistische Ideologie scheint Leibniz’ Reichsidee nicht von herausgehobenem Interesse gewesen zu sein. Der Versuch des Staatsrechtlers Ernst Rudolph Huber, aus Leibniz einen völkischen Nationalisten zu machen, dürfte wohl eher zu den Ausnahmen zählen (Grothe 2013, v.a. 109 ff.). Eine Erklärung könnte darin zu finden sein, dass sich Leibniz’ Reichsverständnis eben nicht für eine Instrumentalisierung durch die NS-Ideologie eignete. Der im Verdacht eines regimekonformen Verhaltens stehende Rechtsphilosoph Erik Wolf äußerte sich in diesem Punkt unzweideutig, wenn er betont, Leibniz sei es um die Freiheit und Selbstständigkeit der Völker Europas gegangen (vgl. Wolf 1943, v.a. 164 f.). Dass Leibniz’ Reichsidee für eine simple Auslegung zu vielschichtig und differenziert ist und sich auch einer ideologisch motivierten Inanspruchnahme durch den Nationalsozialismus verweigert, erhellen die Ausführungen Kurt Hubers (Kaegi 2013, 165). Das zweifellos auf Zusammenhalt ausgerichtete Reichsideal stellte seinem Wesen nach eben kein autoritäres Machtgebilde dar. Leibniz habe zeitlebens auf der Grundlage der föderativen Strukturen an der Idee eines „deutschen Bundesstaatsgebildes“ festgehalten (Huber 1951, 313). Hubers Ringen um eine Bewahrung des Patrioten Leibniz bei gleichzeitiger Abgrenzung von der NS-Ideologie ist erkennbar, mutet allerdings aufgrund der fehlenden Distanzierung von der entsprechenden NS-Semantik mit ihren Leitbegriffen wie „Führerstaat“ oder „Führerprinzip“ tragisch an. Der vertriebene Leibniz-Forscher Paul Schrecker hatte klar Position bezogen und Vernunft und Recht bzw. Gerechtigkeit als Ordnungsprinzipien des Leibniz’schen sozialen und politischen Denkens herausgehoben: Die Herrschaft von Macht und Gewalt sei ein untrügliches Zeichen des Versagens dieser gesellschaftstragenden Grundsätze (Schrecker 1937, 20 f.). Das „compelle intrare“ des Zeitalters der Konfessionskriege, an dessen endgültiger Überwindung Leibniz so entschlossen gearbeitet hatte, hielt nun unter anderen Vorzeichen wieder Einzug in die deutsche politische Kultur. Für das Zusammenleben der Staaten gelten dieselben naturrechtlichen Kriterien, die Leibniz in der Praefatio seines Codex juris gentium genannt hat. Ohne Leibniz’ Reichsgedanken zu thematisieren, wies Schrecker auf die sittlichen Grundlagen Europas hin: Wie innerhalb eines jeden politischen Gebildes müssen auch die internationalen Beziehungen auf der Anwendung eines Völkerrechtes begründet sein, das Freiheit und Recht der Nationen auf ihre autonome Entfaltung respektiert (Schrecker 1937, 36). An diesem Punkt setzte die Forschung, die sich mit Leibniz’ politischen Ordnungsvorstellungen auseinandersetzte, nach 1945 an. Das Alte Reich wurde nun als Symbol einer Wertegemeinschaft, als Gegensätze verbindendes, friedliches und auf Rechtsgrundsätzen beruhendes Gebilde aufgefasst. Stehle (1950) und Wiedeburg (1962/1970) sehen in Leibniz’ Reichsvorstellungen den Ausdruck einer auf Ausgleich und Stabilisierung der zeitgenössischen deutschen und euro-

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päischen Machtverhältnisse ausgerichteten Haltung. Wiedeburg unterscheidet in seiner umfangreichen Untersuchung zwischen der Idee und der machtpolitischen Realität in Leibniz’ politischem Wirken. Dabei findet gerade die für sein politisches Denken grundlegende Mainzer Zeit (1667–72) angemessene Berücksichtigung: Im Mainzer Umfeld erhielt Leibniz einen Blick für das besondere Verhältnis des Reiches zu Frankreich wie auch für die Sonderrolle des Mainzer Kurfürsten bei der Reform von Verfassung und Politik des Reiches (Wiedeburg 1960, 59–250). Notker Hammerstein machte überblickartig auf Umfang und Bedeutung des Themas „Leibniz und das Heilige Römische Reich deutscher Nation“ aufmerksam, wobei er besonders die Zusammenhänge zwischen Politik, Staats- und Naturrecht berücksichtigt (1974, 87–102). Der Staatsrechtler Hans-Peter Schneider untersuchte Leibniz’ Reichsstaatstheorie. Aus einer „korporativ-organischen Perspektive“ komme Leibniz zu dem Ergebnis, das „Reich sei eine ‚Staatenfamilie‘, ein ‚System verbündeter Einzelstaaten‘, deren äußere Form in der Gewährleistung von Sicherheit (securitas) bestehe“ (Schneider 1995, 201). Schneider vertieft die von Gierke im 19. Jahrhundert getroffene Feststellung, Leibniz habe zur Erklärung der Reichsverfassung eine Art Bundesstaatsbegriff benutzt. Es handelt sich dabei um eine Deutung als „ständischer Bundesstaat“ (systema foederatorum), die mit Hilfe eines föderativ differenzierenden Souveränitätsverständnisses sowohl dem Reich wie auch den Territorien den Staatscharakter belässt (Schneider 1995, 205–209). Bemerkenswert ist, dass Leibniz in seinem Reichsverständnis über den zeitgenössischen politischen Pflichtenkatalog (innerer Frieden, äußere Sicherheit, Rechtssicherheit) weit hinausging, indem er den Reichsverband auch als ökonomische und kulturelle Einheit und damit als zivile Gesellschaft im aristotelischen Sinne der „societas perfecta“ auffasste (Dreitzel 2005, 455 f.). Die 1965 vorgelegte und 2016 von Wenchao Li herausgegebene Dissertation von Margot Faak unterstreicht die Bedeutung des Reichsgedankens für Leibniz’ politisch-juristisches Wirken der späten Wiener Jahre. Dies drückt sich besonders in dem Bemühen um die Wahrung der Reichsrechte mit Hilfe eines umfassenden, der kaiserlichen Politik zuarbeitenden Reicharchivs aus (Faak 2016, 117–121). 2.2.2. Souveränität Die Auseinandersetzung mit der von Bodin präsentierten Vorstellung der Souveränität bestimmte auch die reichspublizistische Diskussion über die Staatsform des Reiches. Grundlegend dazu sind die Arbeiten von Bernd Roeck (1984) und Michael Stolleis (1988). Die in Artikel VIII §2 des Osnabrücker Friedensvertrages (1648) fixierten Rechte der Reichsstände verlangten eine staatsrechtliche Klärung. Doch erwiesen sich die idealtypischen Begriffe der aristotelischen Staatsformenlehre (Monarchie, Aristokratie, Demokratie) für eine angemessene Charakterisierung der Reichsverfassung als unpassend. Für die föderativ geprägte Konzeption von Leibniz wurden zwei Reichspublizisten bedeutsam, die das Reich als zusammengesetzten Staat (civitas composita) bezeichneten: Christoph Besold und be-

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sonders Ludolf Hugo. Hugo hatte die summa potestas in zwei Zuständigkeitsbereiche gegliedert: dem Reich wies er die Fürsorge für die allgemeine Wohlfahrt, den Reichsständen die für ihre jeweiligen Territorien zu. Leibniz erreichte eine weitere Stufe der Ausdifferenzierung staatlicher Kompetenzen, er stärkte den Staatscharakter der Territorien und bekräftigte denselben für das Reich als Ganzes. Entscheidend ist, dass er den von der Unteilbarkeit ausgehenden Souveränitätsbegriff fallen ließ und sich damit v.a. gegen Pufendorf stellte. Leibniz widersprach dessen Behauptung, das Reich sei einem System verbündeter Staaten vergleichbar und bekräftigte die Stellung der Territorien als Reichslehen. Die lehnsrechtliche Bindung mache das Reich zu einer Staatsperson (persona civilis). Leibniz baute eine zeitgenössische Interpretationslinie aus, die im Anschluss an den Westfälischen Frieden die landesherrliche Position zwar als superioritas territorialis legitimierte, die territoriale Hoheit dennoch als in den Reichsverband integriert und ihre Ausübung als durch spezifische, Kaiser und Reichsinstitutionen zustehende Rechte begrenzt ansah. Leibniz’ eigenständige Auslegung von Souveränität und Reich führte zu einem ständisch-föderativen Verfassungsgebilde (vgl. Beiderbeck 2015c). Das in den letzten Jahrzehnten gewachsene Forschungsinteresse an Leibniz’ Reichsverständnis gehört in eine historiographische Entwicklung, die nach 1945 kontinuierlich zu einer Neubewertung des Alten Reiches geführt hat. In Abgrenzung von der Verherrlichung des preußisch-deutschen Machtstaates stieg das Interesse an diesem frühneuzeitlichen, an der Friedenssicherung und Rechtswahrung orientierten Verfassungsorganismus. Dieses führte alsbald zur Widerlegung der These vom Verfall des Reiches nach 1648 und zur Korrektur der Vorstellung von der Unabhängigkeit der deutschen Territorien und der Machtlosigkeit von Kaiser und Reichsinstitutionen. In diesem Forschungskontext findet auch das staatsrechtliche Innovationspotential der Leibniz’schen politischen Schriften eine entsprechende Beachtung. Michael Stolleis bewertete den unter dem Pseudonym Cäsarinus Fürstenerius verfassten Traktat De Jure Suprematus (1677) als „einen der wichtigsten Beiträge zur Verfassungsstruktur des Reiches“ (Stolleis 1988, 191; vgl. dazu Steiger 2015). Um zu einer föderativen Reichsstaatstheorie zu gelangen, differenzierte Leibniz die Beschaffenheit der Territorialgewalt. Zu diesem Zweck führte er in die staatsrechtliche Diskussion mit dem „Supremat“ einen neuen Begriff ein, der im Unterschied zur schlichten superioritas territorialis das Souveränitätsverständnis um einen auf machtpolitische Handlungsfähigkeit zielenden Aspekt präzisieren sollte. Die tatsächliche Machtfülle der einzelnen Reichsstände differierte derart, dass dem Supremat die Aufgabe zufiel, die Unterschiede rechtlich abzugrenzen. Diese neue, vorwiegend machtpolitisch definierte Handlungsebene verschränkte reichsrechtliche und völkerrechtliche Perspektiven miteinander. Heinhard Steiger resümierte dies jüngst folgendermaßen: „Der Supremat ist, wie die Souveränität zu jener Zeit, also eine personale Qualität des Herrschers, noch nicht eine territorial-staatliche. Aber da diese nicht nur nach ihren Rechten oder Inhalten, sondern über das beherrschte Territorium, dessen Größe und die daraus fließende Macht bestimmt wird, wird sie mit dem heranwachsenden Terri-

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torialstaat verknüpft. Hierin liegt der eigentlich neuartige Ansatz der Leibniz’schen Begriffsbestimmung“ (Steiger 2015, 151). Zur reichsverfassungsrechtlichen Ebene tritt die völkerrechtliche, ging es doch ursprünglich darum, ein reichsfürstliches Ambassaderecht zu begründen. Leibniz’ Ausführungen zeigen in besonderer Weise, wie beide Ebenen für die Position der Reichsstände in der Staatenordnung Europas zusammenhängen. Die Definition des Supremates bezieht sich vor allem auf die europäische Stellung und damit die äußere Dimension fürstlicher Gewalt. Als völkerrechtlich innovativ kann gelten, dass Leibniz das Völkerrechtssubjekt mit Hilfe des jus suprematus als persona juris gentium definierte. (Steiger 2015, 183 f.). Quintín Racionero warnt vor dem Missverständnis, Leibniz’ Souveränitätsauffassung mit seinem Staatsbegriff gleichzusetzen. Damit verkenne man „die wirkliche Dimension des Problems“, nämlich „das Recht der Gemeinschaften, ihre Identitätsmerkmale unter jeglicher politischer Form beizubehalten, und zwar im Unterschied zu den anderen Gemeinschaften und in vollkommener gegenseitiger Unabhängigkeit“ (1994, 532 f.). Der Staat ist für Leibniz nicht durch die Unteilbarkeit der Souveränität charakterisiert, sondern durch die Differenzierung seiner Funktionen. Der föderative Grundzug des Leibniz’schen Denkens findet Eingang auch in die frühe, gemeinsam mit Boineburg verfasste Mainzer Denkschrift zur Securitas publica (1670). Sicherheit und Handlungsfähigkeit des Reichsverbandes als der übergeordneten politischen Einheit werden von der erfolgreichen Aktivierung seiner ständisch-föderativen Verfassungsstrukturen in Form einer militärisch organisierten, korporativen Allianz abhängig gesehen (vgl. Burgdorf 2015). 2.2.3. Kirchenpolitik Leibniz’ kirchenpolitische Aktivitäten lassen sich aus unterschiedlicher Perspektive untersuchen (vgl. dazu Kap. „Theologie“). Hier soll nur die politische Relevanz des Themas im engeren Sinne Erwähnung finden, wobei die Frage nach politischen Interessen und Zwecken der Diskussionen um Union bzw. Reunion im Fokus der Forschung steht. Zunächst fällt auf, dass sich aus Leibniz’ Stellungnahmen zu konfessionellen und kirchenpolitischen Fragen kein einheitliches Bild ergibt. Neben einer ausgeprägten Sorge um den Fortbestand des europäischen Protestantismus steht ein auf Transzendierung konfessioneller Differenzen innerhalb der lateinischen Christenheit ausgerichteter Reunionsgedanke, der Papsttum und Kaisertum eine traditionale Führungs- bzw. Protektionsrolle zuerkennt. Leibniz’ Reunionsbemühungen zeigen deutlich transkonfessionelle Tendenzen, die der kaiserlich-katholischen Seite sichtbar entgegen kamen. Am deutlichsten wird das in der Ekklesiologie: Als ein Christ Augsburger Konfession wäre Leibniz bereit gewesen, den Primat des Papstes anzuerkennen (Rudolph 2000, 227–242). Ein Blick auf Leibniz’ Wirkungskontext illustriert jedoch, in welchem Ausmaß konfessionelle Wiedervereinigungskonzepte übergeordneten politischen Konjunkturen, Konstellationen und Instrumentalisierungsversuchen unterworfen waren. Das betrifft gleichermaßen seine Tätigkeit für die Höfe in Mainz, Hanno-

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ver und Wien. Vom politisch-kulturellen Kontext aus betrachtet boten die spezifischen deutschen Verfassungsverhältnisse die Ausgangsbedingungen für Leibniz’ Diskurs: Die 1648 vorgenommene Reorganisation des Religionsbereiches war eine politische, die religiöse Wahrheitsfrage wurde ausgeklammert. So konnte das säkularisierte, paritätische Staatskirchenrecht des Reiches als Grundlage für eine die Konfessionslager übergreifende Rechts- und Friedensordnung dienen. Internes Kirchenrecht und Kultur der Konfessionen wurde von der politischen Koexistenzordnung nicht berührt. Diese Regelung ließ bewusst den Freiraum für einen Wiedervereinigungsdiskurs, wie ihn Leibniz dann auch führte. Vorbildfunktion für eine konfessionsübergreifende Reichspolitik gewann der Mainzer Hof Kurfürst Johann Philipps von Schönborn. Seit 1660 kam es hier zu einer durch den zum Katholizismus konvertierten Landgrafen Ernst v. HessenRheinfels angestoßenen freizügigen Diskussion über die Voraussetzungen einer Wiedervereinigung der Konfessionen. Dabei ging es neben dem Plan einer Synode auch um Zugeständnisse an die Protestanten (Messe in Deutsch, Kommunion in beiderlei Gestalt, Abschaffung der Ohrenbeichte, Zölibat nur für Mönche und Nonnen). Der im deutschen Horizont diskutierte Reunionsgedanke stieß in Rom jedoch auf prinzipielle Vorbehalte. Leibniz hatte in seiner Mainzer Zeit (1667– 1672) engen Kontakt zu den zahlreichen, eine Reunion befürwortenden Konvertiten. Seine Idee, ähnlich wie für die unierten orthodoxen Kirchen auch den wiedervereinigten deutschen Protestanten Abweichungen zu gestatten, erschien angesichts einer kategorischen Ablehnung durch das Papsttum wenig realistisch. Auch die Überlegung, das Tridentinum zu suspendieren und ein neues Konzil einzuberufen, hatte kaum Aussicht auf Erfolg. Am Fürstenhof in Hannover erschien die interessenpolitische Motivation in der Konfessionsdebatte besonders greifbar, hoffte man dort doch als Lohn für Reunionsbemühungen auf die Säkularisation benachbarter Bistümer wie Hildesheim und Osnabrück. Im Übrigen erschien die Offenheit Hannovers gegenüber dem in kaiserlichen Diensten stehenden spanischen Franziskanerbischofs Cristobal de Rojas y Spinola opportun im Hinblick auf die vom Wiener Hof benötigte Unterstützung für die Kurwürde und bei der Einführung der Primogenitur. Die von Rojas y Spinola geführten Reunionsverhandlungen fanden den Rückhalt des Kaisers, weil sie seine politische Autorität stärken und die Bemühungen um Reichseinigung im Abwehrkampf gegen Türken und Franzosen befördern sollten (Schnettger 2000, 139–169). Leibniz’ Überzeugungen, die sich an der Konsolidierung des Reiches orientierten, gingen in dieselbe Richtung. Auch seine religiöse Bewertung des kaiserlichen Amtes wurde von einer starken politischen Motivation getragen: In Abweichung zur konfessionell neutralisierenden Friedensordnung von 1648 unterstützte Leibniz das vom Wiener Hof propagierte Amtsverständnis, das den Kaiser weiterhin als Schutzherrn der Kirche (advocatus ecclesiae) und weltliches Oberhaupt der abendländischen Christenheit definierte (A IV,3 801). Leibniz kann sich kaum Illusionen darüber gemacht haben, dass für den Kaiserhof – ähnlich wie es bei den Konversionsaktivitäten des Mainzer Hofes der Fall war – Reunion letztlich die Rückführung der Protestanten in die römische Kirche bedeutete. Etwaige Überlegungen über theologisch-kirchenpolitische Zugeständnisse an

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die deutschen Protestanten wären auf einen erbitterten Widerstand in Rom gestoßen, fürchtete das Papsttum doch ohnehin, die Reichskirche könnte einen „gallikanischen“ Sonderweg einschlagen wollen. Für das Scheitern der Reunionsverhandlungen sieht Schnettger Ursachen bei allen Beteiligten: Die protestantischen, sich bis in höchste Herrschaftskreise findenden Gegner Rojas y Spinolas fürchteten um ihre Identität und sahen sich darin nicht zuletzt angesichts gegenreformatorischer Maßnahmen im habsburgischen Machtbereich bestätigt. Die römische Kurie befürchtete einen Kontrollverlust, Ludwig XIV. missgönnte dem Kaiser eine Aufwertung seiner politischen Bedeutung, und selbst katholische Reichsfürsten sahen in möglichen Konvertiten auch Konkurrenten um die deutschen Hochstifte (Schnettger 2013, 49 f.). Auch Alexander Schunka verortet Leibniz’ irenische Vermittlungstätigkeit in das zeitgenössische konfessionspolitische Umfeld, wobei er neben der religiösen Problematik vor allem die politischen und dynastischen Interessen der maßgeblichen Höfe in Hannover und Berlin in Augenschein nimmt. Dabei erwiesen sich die sehr vielschichtigen, mit reichspolitischen, dynastischen und selbst wirtschaftlichen Motiven zusammenhängenden Hindernisse für Leibniz’ Reformziele als unüberwindlich (Schunka 2015). Die Rezeption und Reflexion von Leibniz’ Reunionsplänen stellen sich – ähnlich denen seines Staatsdenkens – im Laufe der Jahrhunderte höchst unterschiedlich dar. Die vernunftorientierte Aufklärung nahm Leibniz’ Gedanken positiv auf, für Louis Dutens war die Reunionsthematik ein Hauptmotiv für seine Veröffentlichung der Leibniz-Schriften (Heinekamp 1986). Auch namhafte Anhänger interkonfessioneller Toleranz wie Diderot und Herder äußerten sich ähnlich (Diderot 1765, 372a; Arnold 2005, 181, 184). Im 19. Jahrhundert trat das Thema weitgehend hinter die nationale Frage zurück, wurde – wie bei Onno Klopp – sogar für den Kulturkampf mit antipreußischer Stoßrichtung instrumentalisiert. Auf eine bis zum II. Vatikanum reichende katholische Tradition der Reunions-Interpretation hat Hartmut Rudolph hingewiesen (1999, 156 f.). Paul Ritters Diktum steht im Gegenzug für eine säkulare Sicht: „Wenn die Beschäftigung mit dem Lebensproblem ‚Leibniz‘ zu irgend einer Gewißheit führen kann, so ist es diese, daß für den Leibniz von Hannover das Wesen des Christentums sich in der Tat je länger, je mehr in die Sätze zusammengezogen hat, die mit seinem wissenschaftlichen Denken in dem Verhältnis fruchtbarer Wechselwirkung bleiben konnten“ (Ritter 1920, 432). In jüngerer Zeit rückte mit dem Interesse am Thema Ökumene auch die Reunionsthematik wieder stärker in den Blickpunkt (Li u.a. 2013). 2.2.4. Europa Europa und die Welt sind Teil des Leibniz’schen politischen Denkens als einer ganzheitlichen, teleologisch geprägten philosophisch-kulturellen Sicht auf die Menschheitsentwicklung. Europa ist Kern dieser Weltsicht und begegnet dabei als geschichtlich-kulturelle Einheit, bestimmt durch die Koordinaten von christlicher

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Tradition und säkularer Staatenkonkurrenz (Beiderbeck 2018). Leibniz setzte sich mit politischen Ordnungsprinzipien wie dem Gleichgewichtsmodell oder der Völkerbundidee auseinander, reflektierte die Dynamik machtpolitischer Verbindungen zur Abwehr Ludwigs XIV. und die Möglichkeiten kulturell-missionarischer Betätigung, wobei sich Strukturen der Gelehrtenwelt mit denen globaler Hegemonial-, Handels- und Wissenschaftspolitik vereinigen. Weltpolitik erscheint bei Leibniz letztlich als Kulturpolitik in einem singulären Mischungsverhältnis aus utopischen und realpolitischen Ansätzen. Heinz Gollwitzer sieht Leibniz’ Eigenständigkeit „in einer merkwürdigen Ambivalenz von christlicher Weltmission und weltlicher Kulturmission“ (1969, 32). Im Vorfeld des Holländischen Krieges (1672–1679) entwarf Leibniz das Consilium Aegyptiacum (1671/72). Diese aufgrund ihrer gewaltigen Material- und Gedankenfülle markante Schrift besitzt eine singuläre Stellung unter den vergleichbaren Traktaten des Zeitalters, „das großartigste Beispiel eines weltpolitischen Traktats aus dem 17. Jahrhundert“, der sich durch eine außergewöhnliche Sachkenntnis auszeichnet, „das material- und gedankenreichste weltpolitische Tableau seiner Zeit“ (Gollwitzer 1969, 23 f.). Der Ägyptische Plan stellt ein barockes Kunstwerk dar aus Vorrede, specimina und dissertationes, Dichtungen in gebundener Sprache und Prosa, Exkursen und Zusammenfassung. Er bietet eine detaillierte Analyse des europäischen Mächtesystems, der gesellschaftlichen Zustände und wirtschaftlich-militärischen Fähigkeiten europäischer und orientalischer Mächte mit einem Blick für Machtveränderungen auf Grund kolonialer Expansion und globaler Wirtschaftsbeziehungen. Unmittelbares Ziel sollte es sein, Ludwig XIV. vom Angriffskrieg auf die Niederlande abzuhalten und damit einen großen, die Integrität des Reiches bedrohenden europäischen Krieg zu verhindern. Frankreich wird dabei als ein vorbildliches Staatsgebilde eingeführt. Dementsprechend bestehe die wahre Staatsräson in einer notwendigen Machtentfaltung mittels der Eroberung Ägyptens, um die eigenen Machtressourcen zu vergrößern und die Niederlande von den ihren, v. a. dem Ostasienhandel, abzuschneiden. Die Mächtekonstellation wird auf der Grundlage von Handelsbeziehungen und kolonialer Expansion analysiert. Die Schlussfolgerung lautet: wer Ägypten, den „Isthmus mundi principalis“, besitzt, kontrolliert den Handel zwischen Asien und Afrika, zwischen Orient und Okzident (A IV,1 274 f.). Leibniz konstruiert ein globales west-östliches Bezugs- und Vergleichssystem nach macht-, handels- und geopolitischen Kriterien, verbunden mit dem Grundgedanken, dass die Behauptung im internationalen Mächtesystem von der Durchsetzungsfähigkeit als Handels- und Kolonialmacht abhängig ist. Ungeachtet der Suprematie Frankreichs müsse die Position Habsburgs als führende Macht in Südosteuropa gegen die Türken gewahrt bleiben. Mit dem Plan einer antitürkischen Allianz aller christlichen Mächte befindet sich Leibniz in großer Nähe zu Kreuzzugsprojekten des 16. und 17. Jahrhunderts. Festzuhalten ist auch, dass ein machtpolitisches Prinzip zum Gestaltungsfaktor für die internationale Friedensordnung erhoben wird: Die Befriedung des christlichen Europa soll durch eine gemeinsame außenpolitische Aggressions- und Expansionspolitik hergestellt werden. Der islamische Macht- und Kulturbereich würde zum Opfer einer groß angelegten kolonialen Expansion. Zur

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Zukunftsvision wird die Vorstellung erhoben, dass sich an die Überwindung des Islam die Ausbreitung einer globalen, christlich geprägten Kulturordnung anschließt. Leibniz propagiert damit einen Missionsauftrag Europas: Die Ausdehnung der Respublica Christiana ermögliche die Entstehung einer durch Bildung und Kultur getragenen, bis nach Asien reichenden Weltordnung. Kaum eine andere unter Leibniz’ herausragenden Schriften hat ein ähnliches Maß an Spekulationen ausgelöst und erst relativ spät eine ernsthafte historischkritische Aufarbeitung erfahren wie das Consilium Aegyptiacum. Den 1930 vorgelegten Untersuchungen Paul Ritters ist die Aufklärung zu verdanken, dass Leibniz den Plan nie fertiggestellt und dementsprechend auch nicht am Königshof vorgelegt hat. Ebenso wenig kann Napoléon die Denkschrift – obwohl er sie später über Umwege kennen lernte – seiner ägyptischen Expedition 1798 zugrunde gelegt haben (Ritter 1930, 67 ff.). Leibniz verarbeitete in dieser Schrift zentrale Lebensthemen: Befriedung des christlichen Europa, Einhegung der französischen Hegemonie bei gleichzeitiger Nutzung ihrer zivilisatorisch-kulturellen Stärken, kulturelle Expansion Europas. Zu den Leibniz-Forschern, die sich auf eine detaillierte Würdigung dieser sehr vielschichtigen Schrift einließen, gehört Jean Baruzi. Er attestierte Leibniz zeitgeschichtliches Problembewusstsein, indem er den Ägyptischen Plan in die Nähe vergleichbarer französischer Projekte rückte: Sully und besonders Colbert (Baruzi 1907, 9–21). In der sich in Leibniz’ Schriften spiegelnden Wahrnehmung entwickelte sich das als strahlender kultureller Mittelpunkt Europas gesehene Frankreich Ludwigs XIV. immer mehr zur Bedrohung. Schien Leibniz anfangs dem „Sonnenkönig“ noch eine den europäischen Staatenverbund führende Funktion als Schiedsrichter und Friedenswahrer („Arbiter“) zugestehen zu wollen, wie nicht zuletzt im Consilium Aegyptiacum beschrieben, änderte sich diese Haltung spätestens mit der Annexion Straßburgs 1681. Durch den Bruch der 1648 völkerrechtlich geregelten europäischen Friedensordnung sah sich Leibniz mit dem Mars Christianissimus (1683) zu einer entsprechend scharfen Reaktion provoziert. Die Flugschrift zählt zu den wenigen zu seinen Lebzeiten im Druck erschienenen Schriften. Die anonym verfasste, höchst geistreiche Kampfschrift, die stark von den Stilmitteln der Ironie und des Sarkasmus geprägt wird, fand offenbar weder in der ursprünglich lateinischen noch in der folgenden französischen Fassung nennenswerte Beachtung. Hingegen verbreitete sich eine zweifellos nicht von Leibniz veranlasste fehlerhafte deutsche Übersetzung (vgl. Wrede 2015). Der politische Publizist Leibniz hinterließ mit diesem Traktat ein in seiner leidenschaftlichen Polemik für seine Verhältnisse singuläres Werk. Angesichts der Bedrohung Wiens durch das vordringende Osmanische Reich geißelte er das Bündnis Frankreichs mit den Türken. Die Skrupellosigkeit, mit der sich Ludwig XIV. als Allerchristlichster König die Notsituation Habsburgs und des gesamten Reiches zunutze mache, lasse ihn im Grunde als gottlosen Feind der Christenheit erscheinen. Mit der sog. Türkengefahr ist die für viele Zeitgenossen eigentliche große Bedrohung der Christenheit bezeichnet. Zumindest wurde sie in der Öffentlichkeit als solche empfunden und dargestellt (vgl. Bähr 2015). Leibniz bediente sich die-

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ses Bedrohungssyndroms, das „die Türken“ zum Erbfeind stilisiert, und machte es sich in einem erzieherischen Sinne zunutze, indem er an die Geschlossenheit und Abwehrbereitschaft der christlichen Herrscher und ihrer Gemeinwesen appellierte. Die Thematik bietet ein Beispiel für die Art und Weise, wie Leibniz taktischpolitische Anregungen mit grundsätzlicher kulturpolitischer Programmatik verbindet. Auch das Consilium Aegyptiacum präsentiert neben Empfehlungen militärisch-expansiven Charakters langfristig ausgerichtete zivilisationsmissionarische Ideen. Die bedrohliche Präsenz des Krieges im 17. Jahrhundert beeinflusste Leibniz’ politisches Denken. Krieg wurde in einem stark bellizistisch geprägten Zeitalter zu einem der beherrschenden Themen, ob als religiös motiviertes oder säkularmachtpolitisches Phänomen. Leibniz reflektierte den Krieg in seinem weiten zeitgenössischen Erfahrungshorizont nach naturrechtlich-ethischen Grundsätzen, sah ihn mit Bezug auf die französische Reichspolitik als legitimes reaktives Verteidigungsinstrument zur Wiederherstellung von Recht und Sicherheit. Die Vorstellungen von der Vernichtungskraft kriegerischer Gewalt griffen vielfach auf die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg zurück. Leibniz betrachtet Gewaltbereitschaft nicht nur aus historischer Perspektive, sondern erörtert sie ebenso als anthropologisch begründet (vgl. Gantet 2015; Robinet 1994, 244–257). Demnach kenne das Gemüt keinen Ruhezustand, sondern sei immer in Bewegung, die stets vorhandene „Kraft“ auch als Trieb verankert. Die den Willen verstärkenden Affekte beeinflussen die politische Entscheidungsfindung und damit auch die Kriegsbereitschaft. Er beurteilt die europäischen Kriege Ludwigs XIV. als Bruch von Völkerrechtsprinzipien. So kam der Verteidigungsfrage eine Schlüsselrolle für die Erhaltung des Reiches zu (ausführlich Kroener 2015). Zu diesem Zweck trat er mit eigenständigen Überlegungen zur strukturellen Reorganisation des Reichsmilitärwesens hervor. Eine leistungsfähige Reichskriegsverfassung sollte zum Instrument einer defensiv angelegten Politik der Friedenswahrung werden. Um der französischen Hegemonialpolitik etwas Wirkungsvolles entgegensetzen zu können, orientierte sich Leibniz in puncto Heeresorganisation an den Ergebnissen der französischen Heeresreformen unter Le Tellier und Louvois. Schon zu Beginn des Pfälzischen Krieges 1688, den er in Wien erlebte, bemühte Leibniz sich darum, den Kaiser und seine Berater auf französische Verordnungen von 1636 zur schnellen Mobilmachung hinzuweisen (A IV,4 N 13–15). Erst 1694 erschienen anonym und in Buchform die Ordonnanzen Ludwigs XIII. einschließlich Übersetzung von Leibniz und einer auff diese Zeiten gerichteten Vorrede an die Teutsche Nation (Leibniz 1694a; A IV,5 N. 68). Dieser Druck unter dem Titel Fas est et ab hoste doceri. Etliche Edicten Aus der Schmiede des Richelieu/ zum Exempel dienend wurde erst durch Sabine Sellschopp Leibniz zugeordnet (Sellschopp 2001). Besonderes Interesse verdient Leibniz’ Vorstellung von der „justitia mercennaria“. Die Forderung, den Soldaten eine gerechte und ihr Wohlergehen berücksichtigende humane Behandlung widerfahren zu lassen, antizipiert die philanthropisch geprägte Argumentation der Spätaufklärung (Kroener 2015, 125 f.).

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Entsprechend seinem Interesse an technischen Innovationen und deren Praktikabilität bieten Leibniz’ Äußerungen zum Militärwesen eine breite, bislang eher spärlich thematisierte scientia militaris: Die Verbindung wissenschaftlicher Forschung und militärtechnischer Applikation schließt den politischen Nutzen entsprechender Entwicklungen ausdrücklich ein (Kempe 2015b). 2.2.5. Frieden Leibniz’ politischer Friedensbegriff verweist auf die Westfälische Friedensordnung, die Vorgaben machte für das mitteleuropäische, Koexistenz und Pluralität gewährleistende Machtgefüge. Der Gleichgewichtsbegriff gehört in diesen Kontext, wobei er ebenso naturwissenschaftlichem wie politischem Denken eigen ist (Braun 2015, Beiderbeck 2017). In Analogie zu Leibniz’ Verständnis der Kraft kann Balance immer nur eine dynamische, keine statische sein. Auch der Staatenverbund Europas bleibt in dauerhafter Unruhe und Bewegung (Robinet 1994, 235 f.). Für den Politikberater gehörte der Gleichgewichtstopos zum Instrumentarium politischer Analyse. Er bildete ein Interpretament für die machtpolitische Dynamik des internationalen Systems, die den frühmodernen Staat in einen fortwährenden Wachstumsprozess treibt und ihn mit dem gleichen Machttrieb anderer Staaten konfrontiert. Dabei ist die politische Gleichgewichtsidee in gestalterischer Hinsicht mehr als nur eine Handlungsformel zur Gewalteindämmung, sie dient als ein regulativer Sicherheits- und Ordnungsfaktor. Das Hegemoniestreben Frankreichs und der sich formierende europäische Widerstand bewirkten eine Konjunktur des Leitmotivs vom mächtepolitischen Gleichgewicht. Hinter der durch die Kriege des Reiches mit Ludwig XIV. und den Türken wahrgenommenen Bedrohungskonstellation schien sich für Leibniz die Möglichkeit einer durch vernünftiges Handeln gemeinschaftlich zu schaffenden europäischen Gleichgewichts- und Koexistenzordnung zu eröffnen. Dabei fungiert die Gleichgewichtsvorstellung gleichsam in einer Bindefunktion zwischen Reichsidee und Europagedanke: Die innere Stabilität und politische Handlungsfähigkeit des Reiches und die Befriedung und Sicherheit Europas bedingen einander: Es solle „Teutschland in seinen flor, Europa in die balance, daraus es verrucket, wieder kommen, und alles in friede und ruhe, zu allgemeinen besten der Christenheit, erhalten werden“ (A IV,1 214). Leibniz’ föderativer Reichsbegriff spiegelt sich auch in seinen Überlegungen zu einer stabilen europäischen Ordnung. Jede einseitige Machtmonopolisierung stand seinem Ideal von Pluralität und Koexistenz entgegen, so dass sich für die Völkerordnung das Gleichgewichtsprinzip als Abwehrinstrument gegen die Vorherrschaft einer einzelnen Macht besonders zu eignen schien. In seiner Korrespondenz mit dem Abbé de Saint-Pierre bot sich Leibniz die Gelegenheit, die Voraussetzungen für einen Ewigen Frieden zu diskutieren. Auch bei Saint-Pierre stieß das römisch-deutsche Reich auf besonderes Interesse als Vorbild für eine dauerhafte Koexistenz politischer Einheiten. Allerdings erstrebte Saint-Pierre eine Auflösung der komplexen Lehens- und Herrschaftsstrukturen des Heiligen Römischen Reiches, wodurch in der Mitte Europas vollkommen

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neue Machtverhältnisse entstehen sollten. Leibniz widersprach: Die historisch gewachsene Gestalt der deutschen Verfassungsstrukturen sei konstitutiv für Frieden und Ausgleich in Europa (Beiderbeck 2009; Robinet 1994, 244). Der Reichsgedanke sollte mehr sein als nur ein abstraktes Koexistenzmodell, er sei in seiner universalistischen und traditionalen Bedeutung Schlüssel für die Lösung wichtiger Aufgaben der Zeit: die Zurückdrängung der Türken aus Europa, die Wiedervereinigung der Christenheit, die Bildung einer globalen Kulturgesellschaft. Im Unterschied zu Saint-Pierre ist Leibniz’ Universalität christlich geprägt. Er verweist im Diskurs mit dem Franzosen auf den mittelalterlichen, eine enge Verbindung geistlicher und weltlicher Autoritäten propagierenden Ordnungsgedanken und auf die von den Kaisern ausgeübte Schirmherrschaft über eine in der Krise steckende Christenheit (Leibniz 1715, 36 ff.). Für Leibniz verheißen die an Pietas und Caritas orientierten christlichen Ordnungsvorstellungen Sicherheit und Stabilität in Zeiten des Aufbruchs in ein modernes pluralistisches Staatensystem. Saint-Pierres Friedensgedanke zielt auf den Aufbau einer europäischen Union, die die Existenz der Mitgliedstaaten zu sichern vermag, aber auch die quasi staatsrechtliche Autorität besitzt, Entscheidungen und Rechtsurteile diesen gegenüber durchzusetzen. Es geht hierbei um die Aufrichtung übernationaler Strukturen und Institutionen in einem säkular begründeten Mächtesystem. Gegenüber den Möglichkeiten einer institutionellen Sicherung des Friedens in Europa bleibt Leibniz skeptisch. Im Unterschied zu Saint-Pierre hält er am Gleichgewichtsprinzip als Abwehrinstrument gegen Machtmonopolisierung und Vorherrschaft fest. Ein Friedensverständnis wäre wirklichkeitsfern, das den gesellschaftlichen und ebenso den zwischenstaatlichen Frieden als einen allein auf Verträge gegründeten und durch Institutionen garantierten Sicherheitszustand begreift (Leibniz 1715, 24). 2.2.6. Recht und Rechtsberatung Der Ausbruch des Pfälzischen Krieges 1688 veranlasste Leibniz, sich erneut mit der europäischen Politik Ludwigs XIV. zu befassen, indem er für eine Bindung machtpolitischen Handelns an völkerrechtliche Abmachungen eintrat (Leibniz 1688a; A IV,3 N. 10, 98 ff.). Die Forderung einer Rechtsbindung internationaler Politik korrespondierte mit seinem christlich-universal verankerten Rechts- und Ordnungsdenken. Den heftigsten Vorwurf, den Leibniz der Politik Ludwigs XIV. unter naturrechtlich-ethischen Gesichtspunkten überhaupt machen konnte, ist der der „impiété“. Die Legitimierung staatlichen Handelns ist ohne Bindung an das Naturrecht und damit letztlich an die göttliche Gerechtigkeit für Leibniz nicht vorstellbar. Auch der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1713/14) zwang zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der in Leibniz’ Augen immer bedrohlicheren Machtposition des Bourbonenherrschers. Zum Vorfeld der Krise liegen Untersuchungen vor, die belegen, dass sich Leibniz detailliert mit der Erbfrage beschäftigte, um entschlossen die Interessen des Wiener Hofes zu vertreten (Gädeke 2012; A IV,8 XXXI–XXXVI). Direkte Auslöser dieser sich seit langem abzeichnenden europäi-

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schen Krise waren der Tod Karls II. von Spanien (1. Nov. 1700) und dann in erster Linie sein Testament. Dieses erklärte entgegen den Verfügungen des 2. Teilungsvertrages den Bourbonen Philipp von Anjou, Enkel Ludwigs XIV., als Philipp V. zum Universalerben des spanischen Reiches. Zur zentralen Streitfrage wurde die Gültigkeit des Verzichts auf das spanische Erbe, den die Infantin Maria Theresia als Gemahlin Ludwigs XIV. bei ihrer Eheschließung geleistet hatte, wobei Leibniz die im Testament Karls II. vorgebrachte Einschränkung des Erbverzichtes zurückwies. Auf der Grundlage einer historisch-juristischen Analyse mit dem Titel La justice encouragée (Leibniz 1701b; A IV,9 N. 24) widerlegte er die bourbonischen Ansprüche. Die unterschiedlichen Nachfolgeordnungen in den spanischen Königreichen Kastilien und Aragon, die Reichshoheit über die Spanischen Niederlande und italienische Territorien ließen die Ansprüche Philipps V. zweifelhaft erscheinen. Leibniz bot dem Wiener Hof seine rechtshistorische und völkerrechtliche Kompetenz besonders für die Verteidigung der kaiserlichen Ansprüche auf die spanischen Territorien in Italien an. Er stellte dafür auch seine historischen Quellensammlungen in den Dienst des Wiener Hofes und stützte so seine Polemik gegen die französische Rechtsinterpretation mit fundierter Sachund Quellenkenntnis ab. Diese Erbfolgekrise bezeichnete Leibniz als „la grande revolution d’Espagne“. Er fürchtete das Ende eines auf der Westfälischen Friedensordnung errichteten ausgeglichenen Mächtesystems und die Errichtung einer „Monarchie universelle des Bourbons“, mit deren Heraufziehen politische Autonomie und religiöse Freiheit in Europa fundamental bedroht seien. Die Proklamation Erzherzog Karls zum spanischen Gegenkönig 1703 flankierte Leibniz mit dem anonym erschienenen Manifeste contenant les droits de Charles III. roi d’Espagne. Mit diesem Traktat trat er nicht nur erneut nachdrücklich für die Rechte des Kaiserhauses auf die spanische Krone ein, sondern bedachte Frankreich mit einem subtilen Feindbild. Spanien sei, so Leibniz, seit der Sarazeneninvasion keiner so großen Bedrohung mehr ausgeliefert gewesen. Der Kontrast dieser Ausführungen zur Vorbildfunktion, die Leibniz Frankreich beispielsweise im Consilium Aegyptiacum zuschrieb, kann wohl nur zum Teil mit dem Adressatenbezug seiner Ausführungen erklärt werden. Leibniz nahm in seinen späten Jahren die französische Dominanz offenbar stärker von ihrer bedrohlichen Seite wahr. Während seines letzten längeren Wiener Aufenthaltes (1712–14) bestürmte Leibniz Kaiser Karl VI. und seine Umgebung mit Eingaben und stemmte sich vehement gegen die Kriegsmüdigkeit und den Utrechter Separatfrieden, den er als „paix inexcusable“ tituliert (Leibniz 1713; Robinet 1994, 239–241). Mit seiner auffallend frankreichkritischen Einstellung empfahl sich Leibniz als Verteidiger des Reiches und habsburgischer Interessen. Der Krieg gegen Ludwig XIV. sollte weitergeführt und durch ein Bündnis der Großen Allianz und des Kaisers mit dem Zaren verstärkt werden. Petronella Fransen hat in ihrer 1933 erschienenen Studie diese letzten Wiener Jahre aufgearbeitet und ist zu einem einseitig negativen Urteil über Leibniz’ Aktivitäten gelangt. Ziel ihrer Untersuchung sollte sein, Leibniz nicht als einen Denker mit seinem individuellen Profil, sondern „als einen der sehr vielen politisierenden Geister aus der damaligen erregten Krisenzeit der Utrechter und Rastatter

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Friedensschlüsse zu betrachten“ (Fransen 1933, 1), wobei Fransen die Ergebnisse ihres begrenzten Untersuchungszeitraumes (1711–1714) dann auf sein gesamtes Lebenswerk anwendet. Obwohl Leibniz sich nachdrücklich um politische Betätigung bemühte – wie z.B. um das Amt des Vizekanzlers von Siebenbürgen – habe der Kaiserhof nicht auf seine Dienste zurückgegriffen (1933, 152). Fransens Hauptthese lautet, Leibniz sei für den Wiener Hof „weit mehr eine gesellschaftliche als eine politische Figur“ gewesen (1933, 155). Ein weiteres, Leibniz’ publizistischen Beitrag relativierendes Urteil besagt, er habe bereits Bekanntes aufgegriffen und kaum Neues präsentiert (1933, 171). Problematisch ist bereits die zu Anfang formulierte thematisch-methodische Engführung, die von einer „Trennung des Gelehrten und des Politikers Leibniz“ ausgeht. So werde „Leibniz’ politische Arbeit in fast keiner Beziehung von seiner Philosophie oder von seiner Rechtslehre beeinflusst“, sein politisches Schaffen dieser Zeit entspringe „gänzlich seinem Gefühls-, nicht seinem Gedankenleben“ (1933, 3 f.). Der enge Politikbegriff Fransens verhindert a priori nicht nur eine differenzierte Betrachtung gelehrter Politikberatung, er blendet zudem vollkommen aus, dass Leibniz politische Prozesse gerade dann, wenn sie friedensrelevante und machtpolitische Fragen betrafen, stets auch unter naturrechtlich-ethischen und völkerrechtlich-historischen Gesichtspunkten beurteilte. Genau das dürfte ihn von „vielen politisierenden Geistern“ seiner Zeit unterscheiden. Einige Beobachtungen Fransens dürften dennoch zutreffend sein, so z.B. wenn sie davon ausgeht, dass Leibniz in seinen letzten Lebensjahren weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde und seine Bemühungen bei hochrangigen Herrschaftsträgern vielfach ins Leere liefen. Ungeachtet dessen ist aber kaum bestreitbar, dass Leibniz während der Regentschaft Leopolds I. (bis 1705) am Kaiserhof als politischer Berater und Schriftsteller hohes Ansehen genoss (z.B. in der Reunionsfrage: Klopp VIII, XXX; betr. span. Erbfolge: A I,19 N. 230 Erl.; vgl. Gädeke 2012). Obwohl Fransen den Leibniz-Nachlass in Hannover für ihre Recherchen konsultiert hat, bedarf ihre Gesamteinschätzung einer Überprüfung, die jedoch von der noch ausstehenden editorischen Aufarbeitung der politischhistorischen Korrespondenz (A I) und der politischen Schriften (A IV) für den besagten Untersuchungszeitraum abhängig ist. Sehr viel differenzierter und quellenfundierter befasste sich Margot Faak in ihrer 1965 eingereichten und 2016 postum erschienenen Dissertation Leibniz als Reichshofrat mit dessen späten Wiener Jahren. Allein die Tatsache, dass Leibniz als Reichshofrat in das höchste kaiserliche Reichsgericht aufgenommen wurde, spiegelt die Wertschätzung, die er als historisch-juristischer Experte am Kaiserhof genoss (Faak 2016, 118). Leibniz’ unglückliche Bindung an Hannover dürfte neben lokalen politisch-gesellschaftlichen Faktoren dafür verantwortlich sein, dass er seine vom Wiener Hof grundsätzlich gebilligten Vorhaben wie die Akademiegründung oder den Ausbau des Reichsarchivs nicht zum erhofften Erfolg führen konnte (198 ff.). Hingegen belegt Faak, wie gewinnbringend sich die habsburgische Italienpolitik in der Frage der toskanischen Erbfolge und der Lehensbindung der Toskana an das Reich der von Leibniz beigebrachten Urkunden Karls V. bedienen konnte (Faak 2016, 148 ff.).

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2.2.7. Russland und China Leibniz’ Interesse an Russland beschäftigte die Forschung bereits im 19. Jahrhundert. Der russische Historiker Woldemar Guerrier legte 1873 seine Studie zusammen mit einem größeren Quellenanhang vor. Noch Ernst Benz stützte sich bei seinen auf das Verhältnis von Leibniz zu Peter dem Großen konzentrierten Untersuchungen vornehmlich auf dessen Quellenausgabe. Dabei konstatiert er eine Wandlung des Russlandbildes in mehreren Phasen: 1669/70 bezeichnete Leibniz die Russen noch als „Türken des Nordens“, vor denen man sich schützen müsse (Benz 1947, 5 f.). Entsprechend positiv gestaltete sich die Wahrnehmung Polens während dieser Zeit: Leibniz würdigte Polen als Vormauer der Christenheit und der Kultur Europas (dazu ausführlich Pufelska 2015). Erst mit dem Auftreten Zar Peters I. änderte sich die Einstellung, wobei Benz unterstreicht, dass Leibniz nur die gegenüber dem Westen offene Einstellung des Zaren und seiner Umgebung kennen gelernt habe, nicht aber die der alten, reformfeindlichen Eliten (Benz 1947, 87 f.). Daraufhin begann Leibniz, mit kulturmissionarischem Eifer Nachrichten über Land und Leute zu sammeln, während er – in den letzten Lebensjahren als russischer Geheimer Justizrat in den Diensten Peters I. stehend – sich intensiv der wissenschaftlichen und technischen Durchdringung des Riesenreiches widmete. 1946 publizierte Liselotte Richter ihre thematisch breitere und auf wesentlich umfassenderer Quellengrundlage basierende Studie. Diese bietet eine Übersicht nach inhaltlichen Bereichen, mit denen sich Leibniz beschäftigte und die als Ausgangspunkt seines wissenschaftlich-humanitären Interesses für das Russland Peters I. angesehen werden können: „Es ist ergreifend zu erleben, wie Leibniz […] gleichsam in einer zweiten bewussten Jugend auf der Stufe der Lebensreife die großen Zielsetzungen seines Daseins als Politiker, Diplomat, Historiker, Philologe, Naturforscher, Jurist, Volkswirt, Pädagoge, Akademiegründer, Theologe und Philosoph noch einmal konkretisiert mit der Ungebrochenheit eines frührationalistischen Fortschrittsglaubens und der Unbedingtheit eines Vollkommenheitsstrebens, die auf sein ganzes Lebenswerk von dieser entscheidenden Schlußphase seiner Rußlandarbeit ein neues erhellendes Licht werfen“ (Richter 1946, 15). Eine neue Richtung nimmt die Diskussion mit der Analyse und Kontextualisierung des gelehrten Russland-Diskurses. Die Frage nach Leibniz’ Wissen über Russland erscheint als nicht trennbar von der spezifischen Struktur seines Korrespondentennetzes, „die als eine wichtige Voraussetzung dafür anzusehen ist, dass Leibniz […] jenen neuen, optimistischen Russland-Diskurs von der prinzipiellen Zukunftsfähigkeit des Landes prägen konnte“ (Roll 2015, 316). Die von Christine Roll durchgeführte Untersuchung dieses Netzes führt zu der Erkenntnis, dass Leibniz „um die Mitte der 1690er Jahre mithin zu den am besten über Russland informierten Europäern überhaupt gehört haben“ dürfte (Roll 2015, 356). Hier finden sich Voraussetzungen für einen in Entfaltung befindlichen Diskurs, der kommunikative Weitläufigkeit mit unerschöpflichen Möglichkeiten zur Konstitution politisch-kulturell höchst relevanten Wissens bereitstellte. In Sachen „Russland“ generierte Leibniz einen neuen gelehrten Diskurs, der dem Großreich Peters I.

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das Interesse europäischer Kommunikation verschaffte und es zum lohnenden Ziel für Reformprojekte erklärte. Die spätere Aufklärung konnte sich diesem Vorbild unmittelbar anschließen. Für die Zeit nach 1707 ist nochmals eine Intensivierung der Beziehungen zum Umfeld des Zaren zu beobachten (Stuber 2016). Dabei nutzte Leibniz wiederum Gesandtschaftskontakte zu Zwecken der Wissenschaftsförderung und empfahl sich – nicht zuletzt mit Hilfe der Schenkung von Forschungsinstrumenten an den Zaren – als Spiritus rector für die Gründung einer russischen Akademie der Wissenschaften. Leibniz’ Blick nach Osten führte über Russland nach China, für dessen Zivilisation er eine besondere Wertschätzung entwickelte. Zwar knüpfte er an die Tradition der jesuitischen Mission an, füllte den Missionsgedanken aber mit einer völlig eigenständigen Bedeutung, die auf einen zu gegenseitigem Wohle gedachten Kulturaustausch zielte (Li/Poser 2000, Widmaier 2006, Li 2015, Widmaier/Babin 2017, Li 2017). Es geht nicht mehr in erster Linie um die Bekehrung zum Christentum: Die Begegnung zweier als ebenbürtig eingeschätzter Partner transzendiert christlich-europäische Wahrnehmungsgrenzen und ermöglicht eine Neubewertung von kultureller Alterität. Auch Markus Friedrich unterstreicht die konzeptionelle Eigenständigkeit der Leibniz’schen Ideen zur China-Mission (Friedrich 2015). Das Interesse an chinesischer Kultur stellte eine überkonfessionelle Gemeinsamkeit der europäischen Gelehrtenwelt dar, wobei die jesuitische Mission eine Vorbildfunktion erfüllte. Trotzdem fand Leibniz zu einer sehr individuellen Konzeption von „wissenschaftsbasierter Gotteserkenntnis“, die nicht in der Vermittlung der zentralen Gehalte des christlichen Glaubens, sondern in den „Realen Wißenschafften das beste Instrument“ erblickt (Friedrich 2015, 667 f.). In der Forschung wird darauf hingewiesen, dass sich Leibniz’ Gedanke eines Kulturaustausches zwischen Europa und China zu gegenseitigem Nutzen aus seinem Interesse entwickelt hatte, sich Informationen über die chinesische Sprache und das Zeichensystem für sein Projekt einer characteristica universalis zu verschaffen (A I,3 N. 486; Widmaier 1983; Li 2014). Die von Leibniz zusammengetragenen und teilweise selbst ins Lateinische übersetzten Novissima Sinica (1697, 2. erweiterte Aufl. 1699; A IV,6 N. 61), deren Vorwort schnell ein Klassiker der China-Rezeption wurde, lesen sich als politischer Appell an die europäischen Mächte und Gelehrten, die historisch einmalige Möglichkeit zu einer solchen Verbindung zu nutzen. Der sogenannte Ritenstreit innerhalb der katholischen Kirche veranlasste Leibniz, Partei für die in China tätigen Jesuiten zu ergreifen und deren Interpretation des Konfuzius- und Ahnenkultes als politisch-zivile Sitten zu unterstützen (vgl. Li 2005; Höchsmann 2016; Widmaier/Babin 2017). Zu nennen ist in diesem Kontext auch Leibniz’ Einsatz für eine protestantische Mission auf dem Landweg (Li 2002). Der 1700 gegründeten Sozietät der Wissenschaften zu Berlin legte er nahe, „dadurch ein Commercium nicht nur von waaren und manufacturen, sondern auch von Liecht und weisheit mit dieser gleichsam Andern Civilisirten Welt und Anti-Europa einen Eingang“ zu finden (A IV,8 410, Z. 26–28) und „bis an China das Licht des Christenthums und reinen Evangelij anzuzünden“ (A IV,8 478, Z. 16–17). Eine Forschungszäsur brachten Veröffentlichungen, die

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in der Folge des 300jährigen Jubiläums der Novissima Sinica (1996) erschienen und die Bedeutung des sino-europäischen Kulturaustausches in den Mittelpunkt stellen (Li/Poser 2000; Perkins 2004, Li 2017, Cook 2017). 2.2.8. Geopolitik Heinz Gollwitzer weist aus historischer Sicht auf die konzeptionelle Verbindung von europäischer Interessenpolitik, christlicher Mission und Kultur- und Wissenschaftstransfer hin (1969). Dass sich bei Leibniz „Weltpolitik als Kulturpolitik“ (Gollwitzer 1969, 17) präsentiert, verstellt gelegentlich den Blick für die Verbindung von Geopolitik, Macht und Wissenschaft. Michael Kempe reagierte 2015 auf diese Forschungslücke, indem er den Zusammenhang zwischen Leibniz’ handelspolitischen Erwägungen und seinen geostrategischen, auf eine europäische Expansion ausgerichteten Ideen mit den auf die wissenschaftliche Erschließung des Globus zielenden Interessen des Forschers aufzeigt. Bereits der bedeutende Ägyptische Plan war raumstrategisch angelegt, indem er das Land am Nildelta als „geographisches Nadelöhr“, als „zentrale Drehscheibe interkontinentaler Handelswege“ würdigt. Kennzeichnend für Leibniz’ politischen Raumbegriff sei, dass er „an einem Modell der Kontrolle von strategisch wichtigen Orten sowie deren relationale[r] Verbindung zu einem Raumgeflecht netzwerkförmiger politischer Herrschaft“ ansetzt (Kempe 2015a, 259 f.). Globales Raumdenken konnte dabei sowohl handelspolitische als auch militärstrategische Aspekte abdecken: Die Entdeckung einer eisfreien Nordostpassage von Europa nach Südostasien hätte es Nord- und Mitteleuropa erlaubt, einen von den Atlantikmächten unabhängigen Handelsweg nach Indien zu nutzen. 2.3. Dynastie, Gemeinwohl und Kultur 2.3.1. Dynastie Der frühneuzeitliche Staat war in seiner Form als Fürstenherrschaft noch stark dynastisch geprägt. Demzufolge war auch die hohe Beamtenschaft auf den herrschenden Fürsten fixiert, die Staatsinteressen überschnitten sich in starkem Maße mit denen der regierenden Dynastie. Für einen Geheimen Justizrat ohne eindeutig geregelten Kompetenzbereich bedeutete dies, nach variierender Sachlage und Anforderung herangezogen zu werden. Vier Jahrzehnte stand Leibniz im Dienste der Welfen (1676–1716). In diese Zeitspanne fielen Ereignisse, die den Aufstieg des Hauses Hannover beförderten. Dazu zählten die Verleihung der Neunten Kurwürde durch Kaiser Leopold I. (1692) und besonders der Gewinn des englischen Königtums durch Georg Ludwig von Hannover (1714). Leibniz befasste sich mit staatsrechtlichen und politischen Problemen und trug dazu bei, mit seiner historischen Forschung Alter und Würde des Welfenhauses wissenschaftlich zu bekräftigen. So konnte er anlässlich der Hochzeit von Charlotte Felicitas, einer Nichte

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von Ernst August, mit dem Herzog von Modena 1695 im Rahmen einer weithin beachteten Festschrift (Leibniz 1695) die ersten Ergebnisse seiner genealogischen Forschungen der Öffentlichkeit präsentieren: Es war ihm gelungen, die Abstammung der Welfen von den Este zu beweisen. Wichtig wurden Leibniz’ Fachkenntnisse auch im Vorfeld der 1699 stattfindenden Vermählung von Wilhelmine Amalie mit dem Römischen König Joseph, dem späteren Kaiser Joseph I. Sein genealogisches Gutachten beseitigte Zweifel an einer makellosen Abstammung der hannoverschen Prinzessin (Schnath III 1978, 220 ff.). 2.3.2. Neunte Kur Das Bestreben, durch den Erwerb einer Neunten Kurwürde in den erlauchten Kreis der den Kaiser wählenden Kurfürsten aufzurücken, spielte am hannoverschen Hof keine untergeordnete Rolle. Nach Herzog Johann Friedrich trug sich nun auch Ernst August mit diesem Gedanken, wobei von Leibniz entsprechende Stellungnahmen angefordert wurden. Damit bot sich ihm aufgrund der historischen, reichsrechtlichen und interessenpolitischen Implikationen die Möglichkeit einer Auseinandersetzung über Sinn und Zweck einer hannoverschen Kurwürde (Beiderbeck 2001, Esebeck 1935). Der Verfassungsrang des Elektorats wäre ein Symbol für die Wiederherstellung der einstigen Größe Braunschweig-Lüneburgs, das sich seit der Entmachtung Heinrichs des Löwen 1180 bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts zu einer norddeutschen Vormacht entwickelt hatte. Die repräsentativ-zeremoniell herausgehobene Präeminenz eines Kurfürsten manifestierte sich nicht zuletzt im exklusiven Recht der Ambassadeurentsendung. Die Rangerhöhung wäre ein angemessener Ausdruck für das historische und politische Gewicht der Welfenherzöge sowohl im römisch-deutschen Reich als auch unter den ältesten und mächtigsten Dynastien des Alten Europa. Im Hinblick auf die Interessenpolitik des Territorialstaates Braunschweig-Lüneburg empfahl Leibniz, die verfassungsrechtlichen Privilegien zu nutzen, die die Reichsverfassung für Kurfürstentümer vorsah: Unteilbarkeit, Primogenitur und unbeschränkte Gerichtshoheit. Besonders die Einführung des Erstgeburtsrechtes verteidigte Leibniz selbst gegenüber ihren Gegnern im Welfenhause. Er brachte in seiner Behandlung der Kurfrage mehrere Grundsätze seines politischen Denkens zur Anwendung. Es ging nicht nur speziell um die Frage eines realen Nutzens dieser alten und großen traditionalen Reichswürde für den Aufstieg des Hauses Hannover, sondern ebenso generell um die Bedeutung des Kurkollegs für das sich in der Krise befindende Reich. Am Hof des Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn wurde die Reichsreform als vorrangig kurfürstliche Aufgabe definiert, die sich auch auf die Formierung eines der Reichsverteidigung dienenden Militärbündnisses erstrecken sollte. Als höchstes Kollegium des Reichstages, Kaiserwahlverein und in einer Mittlerposition zwischen Kaiser und Reich konnten von den Kurfürsten wichtige Impulse ausgehen. Dazu waren sie auch auf internationalem Parkett als Bündnispartner gefragt. Als profunder Kenner des Reichsstaatsrechtes und der Reichsgeschichte gehörte Leibniz zu den Denkern, die sich um die Erhaltung traditionaler

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Ämter, Würden und Ordnungsmuster auf der Grundlage einer zeitgemäßen, reformfreudigen Funktionalisierung bemühten. Dementsprechend lesen sich seine historisch-publizistischen Äußerungen nicht nur als welfische Auftragsarbeiten, sondern als Bekenntnis zur Funktionstüchtigkeit der politischen Verfassung Deutschlands in schwieriger Zeit (A IV,5 XXV–XXIX; A IV,6 XXVIII–XXXI). Wichtig in dieser Hinsicht waren die protestantischen Stimmen im Kurkolleg. Mit dem Übergang der pfälzischen Kur an die katholischen Neuburger 1685 hatte sich die Zahl der Protestanten im Kurkolleg auf nur noch zwei verringert. Im Sommer 1697 ging dem evangelischen Lager dann auch noch die sächsische Kur mit der Wahl Augusts des Starken zum polnischen König verloren (Leibniz 1697b; A IV,6 N. 11). Die Westfälische Friedensordnung garantierte den Bekenntnissen Parität, so dass ein Ausgleich zugunsten des protestantischen Anteils von Leibniz als verfassungsmäßig befürwortet wurde. Grundsätzlicher war die Frage, inwieweit eine traditionale Institution wie die Kurwürde mit den sich wandelnden Verfassungsstrukturen und dem frühmodernen Staatsdenken noch vereinbar sein konnte. Im Sinne des von Leibniz eingeführten Suprematbegriffs sollte die Kurwürde den Anforderungen an die reale politische Machtfülle eines Territoriums entsprechen, als Ausdruck tatsächlicher Machtverhältnisse Zugang zum Führungszirkel einer in engem Einvernehmen mit Kaiser und Reich wirkenden Elite verschaffen. Leibniz argumentiert zugunsten der Neunten Kur in einer Weise, die partikulare territorialfürstliche Interessen mit einer gesamtpolitischen Verantwortung für die Funktionstüchtigkeit des Reichsverbandes und für eine europäische Gleichgewichts- und Friedensordnung zusammen denkt. Zu diesem Zweck bewegt er sich auf einer historischen und einer politisch-zeitgeschichtlichen Ebene: Einerseits geht es um einen historisch begründeten Wiedergutmachungsanspruch, der sich auf die Verluste welfischer Besitzstände und Würden zur Zeit Heinrichs des Löwen bezieht (vgl. Reese 1967, 35 f.). Andererseits verweist Leibniz auf die aktuellen Verdienste, die sich Hannover im Türkenkrieg wie auch bei der Reichsverteidigung gegen Ludwig XIV. erworben hat (Leibniz 1691/92; A IV,4 N. 70). Gerade die Bedrohung der rheinischen Kurfürstentümer durch die Expansionsbestrebungen Ludwigs XIV. erfordere als Gegengewicht eine politischwirtschaftlich-militärisch starke und unabhängige norddeutsche Kurmacht Hannover. Dementsprechend stellte die kaiserliche Belehnung von Herzog Ernst August mit dem Kurhut am 19. Dezember 1692 auch einen persönlichen Erfolg für Leibniz dar. Seine Beschäftigung mit der Kurwürde zieht ihre Spuren bis in die berühmte Investiturrede hinein, die Otto Grote anläßlich der Verleihung des Kurhutes an diesem Dezembertag 1692 in Wien hielt (A I,8 S. 21 f.; Theatrum Europaeum, Bd. 14, 1702, 334). Von strategischer Bedeutung für den Aufstieg der hannoverschen Linie Braunschweig-Lüneburgs war die nach heftigen innerdynastischen Kämpfen durchgesetzte Primogeniturordnung. Im Testament des 1698 verstorbenen Kurfürsten Ernst August wurde sie als Staatsgesetz bestätigt. Die Erstgeburtsregelung galt als reichsverfassungsrechtliche Vorbedingung für die Kurwürde und Ausdruck dynastisch-territorialer Stabilität. Wie viele Rechtsgelehrte seiner Zeit hielt Leibniz sie für dem modernen Staatswesen angemessen und stützte sich dabei auf

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historische, natur- und staatsrechtliche Begründungen (vgl. Leibniz 1698c; A IV,7 N. 14, hier XXVIII–XXX). Mit dem Tode des letzten Herzogs von Sachsen-Lauenburg 1689 trat ein umstrittener Erbfall ein, zu dessen Lösung im Sinne der welfischen Ansprüche Leibniz’ historisch-juristischer Sachverstand umso mehr gefragt war, als es nach der militärischen Besetzung der Lande durch Herzog Georg Wilhelm von Celle einer überzeugenden Legitimation bedurfte. Die Forschungen von Walter Junge (1965) und besonders von Rüdiger Otto (1999) erbrachten den Nachweis, dass Leibniz’ Beitrag zu dieser Streitfrage im Kontext mit der großen Deduktion des Vizekanzlers Ludolf Hugo, dem er durch Quellenbeschaffung und die Behandlung von Zweifelsfragen zuarbeitete, zu sehen ist. Leibniz beschäftigte sich, so wie er es auch in der Frage der englischen Sukzession tat, bereits geraume Zeit vor dem eigentlichen Eintritt des Erbfalles mit dessen historisch-rechtlichen Voraussetzungen. So begründete er die welfischen Ansprüche mit der These, SachsenLauenburg sei als Eigengut (Allod) Heinrich dem Löwen von Kaiser Friedrich I. Barbarossa unrechtmäßig genommen worden. Ausschlaggebend für die offenbar bereits seit 1685 von Ernst August geplante und durch den Celler Herzog Georg Wilhelm 1689 dann erfolgte Inbesitznahme des Herzogtums scheinen Leibniz’ historische Vorarbeiten gewesen zu sein, mit denen er als „der maßgebliche Ideenproduzent für die welfischen Ansprüche auf Lauenburg“ gelten darf (Otto 1999, 63 f., 74 f.). Dabei vergleicht Rüdiger Otto die Vorgehensweise von Leibniz, Gebietsansprüche mit einer historischen Argumentation zu legitimieren, nicht ohne Berechtigung mit dem Verfahren der Reunionspolitik Ludwigs XIV. Die offenkundige Instrumentalisierung historischer Forschung zu Zwecken fürstlicher Politik durch Leibniz ist durchaus zwiespältig zu sehen. Darüber hinaus widerspricht dieser Befund der Ansicht, seine Aktivitäten als politischer Berater seien wirkungslos geblieben. 2.3.3. Englische Sukzession Die englische Sukzession des Hauses Hannover war ein großes Thema in Leibniz’ späten Jahren. Leibniz dürfte den Gewinn des englischen Thrones als Höhepunkt von Größe und Ruhm des Welfenhauses und als Bestätigung für sein eigenes zielbewusstes Engagement erlebt haben. In der Sukzessionsfrage nutzte der Gelehrte Rat nicht nur seine historisch-juristischen Kompetenzen, sondern griff auch eigenmächtig zu Mitteln politischer Kommunikation und Agitation. Auffallend ist die insgesamt sehr differierende Bewertung seines tatsächlichen Einflusses auf Willensbildungs- und Handlungsprozess bei den politisch Verantwortlichen. Die Frage, ob Leibniz entscheidend mitgewirkt habe, die welfische Thronfolge zu sichern, ist mehrfach verneint worden (vgl. Fricke 1957, 115; Haase 1966, 216; differenzierter van den Heuvel 2014, 43 f.). Die von Fricke geäußerte Ansicht, Leibniz’ „eigentliche Wirksamkeit“ liege „im Unwägbaren“, ist indes wenig zielführend, zumal sie im Gegenzug betont, die von Leibniz’ positiv beeinflusste persönliche Beziehung Sophies zu Wilhelm III. sei „von größter Bedeu-

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tung für das Zustandekommen des Act of Settlement“ gewesen. Ohne Aktivität von hannoverscher Seite wäre die Frage der englischen Sukzession nicht zum Thema gemacht worden: „Die auf Leibniz zurückgehende Anregung brachte [...] ein Thema zur Sprache, über das man fast zehn Jahre lang geschwiegen hatte und das in seiner Problematik ungeklärt war“ (Fricke 1957, 115 f.). Auch Frickes Behauptung, Leibniz’ Denkschriften zur Sukzession komme „praktisch kaum eine Bedeutung zu“ (116), kann in dieser Einseitigkeit nicht bestätigt werden. Die Aufarbeitung der Quellen beispielsweise zum Umfeld des sog. Celler Conseils (15.–18. Januar 1701) belegt, dass neben den mündlichen Erörterungen, an denen Leibniz beteiligt war, auch seine Aufzeichnungen bzw. Schreiben für den Gang der Dinge von Bedeutung waren (vgl. Einleitung zu A I,19 XXXV–XXXVII). Vor allem vermöge seiner vertrauten Position bei Kurfürstin Sophie – Gädeke bezeichnet Leibniz als „England-Referent der Kurfürstin“ (Gädeke 2013, 188) – erscheint er als „lebender Motor für das Betreiben des Thronfolgeanspruches“ (Schnath IV 1982, 8). Leibniz habe „auf diesem Gebiete die bedeutendste Tätigkeit und Wirksamkeit ausgeübt, die dem sonst weitgehend vom praktischen Handeln ausgeschlossenen Gelehrten im politischen Bereich überhaupt vergönnt war“ (Schnath ebd.). Diese Einschätzung scheint durch die Kette der Ereignisse weitgehend bestätigt zu werden: Leibniz drängte über einen längeren Zeitraum die Kurfürstin als präsumtive Thronerbin auf eine entschlossene Verfolgung ihrer in England vor 1700 wenig beachteten Erbansprüche (z.B. A I,13 N. 44–45). Ein Besuch Wilhelms III. von England am Hof in Celle im Oktober 1698 bot Leibniz die Gelegenheit, den weiteren Gang der Dinge nachhaltig zu beeinflussen. Aus eigener Initiative gelang es ihm offenbar, die Herzogin Eleonore von Celle zu einem Vorstoß bei Wilhelm III. zugunsten der Erbansprüche Sophies zu bewegen (vgl. A I,16 N. 44, Kommentar). Zu diesem Zeitpunkt schien eine politische Fixierung der dynastischen Legitimität der welfischen Ansprüche nicht zuletzt aufgrund der zurückhaltenden Einstellung Sophies und Georgs Ludwigs alles andere als unzweifelhaft. Ähnlich wie bei ihren eigenen nachgeborenen Söhnen in der Primogeniturfrage war sie auch in der englischen Thronfolge nicht ohne weiteres bereit, dynastische Legitimität machtpolitischen Imperativen unterzuordnen: Die Kurfürstin hielt ihren Neffen, den katholischen „Pretender“ Jakob Stuart, für nicht weniger erbberechtigt als sich selbst (vgl. van den Heuvel 2005, 153). Ihr Sohn Kurfürst Georg Ludwig wiederum stand dem englischen Parlamentarismus ablehnend gegenüber. Leibniz teilte zwar diese kritische Distanz zum englischen politischen System (A I,3 313 f.; I,20 284 f.), hielt das Königtum dennoch aus dynastischen, konfessionellen und europapolitischen Gründen für erstrebenswert. Trotz Vorbehalten gegen die monarchische Machtbeschränkung durch das parlamentarische System verfocht er die Thronfolge als ein Symbol dynastischer „grandeur“ und „gloire“. Die Durchsetzung dynastischer Erbfolge diente für Leibniz auch der Stärkung des monarchischen Prinzips, das wiederum in Gestalt eines aufgeklärten, vernunftorientierten Absolutismus der Garant für innere wie äußere Beständigkeit in Europa sei (A I,3 N. 246; A I,20 N. 185). Nicht weniger wichtig waren Erwägungen, die sich auf die europäische Ordnung und ihre Stabilität bezogen. Großbritannien besaß für Leibniz eine machtpolitische Schlüsselfunktion als Gegen-

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gewicht zur französischen Hegemonie. Diese Rollenverteilung sollte durch die bourbonische Erbfolge in Spanien nochmals an Bedeutung gewinnen. Auch in der Funktion einer Schutzmacht des europäischen Protestantismus wurde England wie von vielen Zeitgenossen so auch von Leibniz wahrgenommen (van den Heuvel 2014). Die Bill of rights (1689) hatte Katholiken von der Thronfolge ausgeschlossen, jedoch ohne dass die Welfen hier schon in Betracht gezogen worden wären. Nach Wilhelms Besuch in Celle 1698 sollte sich das ändern. Nach Leibniz’ eigenem Bericht gelang es Eleonore, dem König zwei grundlegende Vorschläge zu unterbreiten: die hannoversche Erbfolge sollte verfassungsrechtlich in die offizielle Thronfolgeordnung aufgenommen und die mögliche welfische Thronfolge durch die Vermählung des Herzogs von Gloucester, des einzigen Sohnes der späteren Königin Anna, mit der hannoverschen Prinzessin Sophie Dorothea abgesichert werden (A I,16 XXXII; N. 44 und 52). Wenn sich auch diese Idee durch den Tod des Herzogs von Gloucester (1700) erübrigte, blieb die Initiative nicht wirkungslos, sondern führte schließlich zur angestrebten verfassungsrechtlichen Verankerung der hannoverschen Erbfolgeansprüche. Womit man Leibniz „einen wichtigen Anstoß zur Sicherung der hannoverschen Ansprüche“ (van den Heuvel 2001, 90) bescheinigen kann. Auf die Initiative Wilhelms III. reagierte das englische Parlament zustimmend und ordnete mit dem Act of Settlement (22. Juni 1701) die Erbfolge zugunsten Sophies und ihrer Nachkommenschaft. Aussagekräftig in diesem Zusammenhang ist auch die hohe Wertschätzung, die die hannoverfreundliche englische Partei Leibniz bezeugte. Der Earl of Macclesfield überbrachte mit der Urkunde im August 1701 eine Empfehlung von Bischof Gilbert Burnet, in der Leibniz als „the glory not only of the court of Brunswick but of the whole German Empire“ gewürdigt wird (vgl. A I,20 XLI). Leibniz’ Wert für die Interessenpolitik der Welfen wird in seiner amtlichen Funktion als „historisch-juristischer Fachreferent“ (Gädeke 2005, 175) ebenso wie als „Interpret englischer und hannoverscher Realpolitik gegenüber Sophie“ (van den Heuvel 2005, 153) in der Sukzessionsthematik greifbar. Darüber hinaus kann hier von einer „Sonderrolle außerhalb des hannoverschen Regierungsapparats“ (van den Heuvel 2001, 92) die Rede sein, wobei gerade sein begrenzter, halbamtlicher und halbprivater Gestaltungsspielraum ihn zu einem „Hyperaktivismus“ (van den Heuvel 2001, 95) verleiteten, der – wie die Affäre um das Gwynne-Pamphlet illustriert – für den hannoverschen Hof auch problematische Folgen haben konnte. Für Leibniz’ unerfüllte Affinität zur Politik gibt es Zeugnisse gerade auch im Zusammenhang mit der englischen Erbfolge. So gab er sich zu Beginn des Jahres 1701 der Hoffnung hin, er könne in inoffizieller diplomatischer Mission mit Sondierungs- und Propagandaaufgaben zur Vorbereitung der welfischen Machtübernahme in England betraut werden (s. A I,19 N. 174). Nora Gädeke hat allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass der Gelehrtenstatus zur Tarnung politischer Aktivitäten von Leibniz und wohl auch seinem Umfeld mit System eingesetzt worden ist (Gädeke 2013, 196–200; 2014). „Leibniz’ umfangreiche Korrespondenz war die eines Peers der internationalen Gelehrtenrepublik – mit Einbettung in die Hofkultur […]. Aber sie trug bei manchem englischen oder schottischen

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Briefpartner die Konnotation der Korrespondenz mit dem Favoriten der künftigen Königin. Und sie konnte, in bestimmten Konstellationen, die Folie für einen Einsatz auf dem Feld der Politik bieten“ (Gädeke 2013, 204). 2.3.4. Wirtschafts- und Finanzpolitik Wirtschafts- und finanzpolitischer Sachverstand gehörte für Leibniz wie selbstverständlich zur Kompetenz eines politischen Ratgebers, und das nicht nur in Bezug auf seinen Landesfürsten, sondern ebenso auf Reichsebene. Im Umfeld des Kurmainzer Hofes kam er frühzeitig mit bedeutenden Kameralisten wie Ph. W. v. Hörnigk, J. J. Becher, M. Elers und J. D. Crafft in Kontakt (Scheel 1999, 48 f.; Duchhardt 2015, 47 f.). Projekte zur Steigerung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit von Staat und Gesellschaft hatten ihren festen Platz in Leibniz’ politischen Aktivitäten. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang Schneiders Beobachtung, dass Leibniz sich hier keineswegs nur auf den Staat als Akteur konzentrierte, sondern auch die Bürger als „Nahrung treibenden“ Stand in der Verantwortung sah (Schneider 1999, 32). Für eine Audienz bei Leopold I. stellte Leibniz 1688 eine Reihe von Vorschlägen zusammen, die auch wirtschafts- und finanzpolitische Projekte betrafen: so die Gründung eines Bergkollegiums, den Leinenhandel, Verbrauchs- und Luxussteuern, eine Kleiderakzise, eine Spielbank als Großhandelsunternehmen (A IV,4 XXII–XXVI). Wirtschaftspolitische Maßnahmen konnten auch der Kriegführung gegen Ludwig XIV. dienen. Gemeinsam mit Johann Daniel Crafft entwickelte Leibniz die Idee, den französischen Branntweinhandel durch billiger produzierte Konkurrenzprodukte aus Zucker zu schädigen. Dies sollte mit Hilfe der Gründung eines englisch-niederländischen Handelsunternehmens gelingen (A IV,5 XXXIII–XXXVII). Zur Reform des deutschen Münzwesens unterbreitete Leibniz Vorschläge, die in einen zeitlichen Kontext fielen, in dem die welfischen Territorien mit Kurbrandenburg und Kursachsen die Errichtung einer stabilen Währungszone vereinbarten. Leibniz diagnostizierte zutreffend, dass der stetig steigende Silberpreis eine reichseinheitliche Prägung erfordere. Seine Empfehlungen einer konsequenten Feinsilberprägung und einer ebenso entschiedenen Reduzierung der Münzberechtigten waren allerdings nicht praktikabel (North 2015). Als frühkameralistischer Denker beschäftigte sich Leibniz auch mit wirtschafts- und bevölkerungstheoretischen Überlegungen zum Zweck der Staatskonsolidierung in Krisen (Zwierlein 2015). Damit rückten auch die Untertanen als Wirtschaftsfaktor in den Blick: Schnelle und wirksame Schadensabhilfe in Unglücksfällen, wie z.B. bei Brandkatastrophen, sollte deren Regenerations- und Leistungsfähigkeit stärken. In der Konsequenz wird die Gesellschaft hier als „Solidaritätsgemeinschaft“ aufgefasst, der Staat als „assureur général“, wobei sich Leibniz auch auf rechtssoziologische und sozialpsychologische Argumente stützt. Der Historiker Cornel Zwierlein betont, dass es einen gelehrten Diskurs über staatliche Versicherungsanstalten noch überhaupt nicht gab. So können Leibniz’

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Überlegungen zum Aufbau eines Feuerversicherungswesens als innovativer frühkameralistischer Reflexionsbeitrag gewertet werden. Leibniz formulierte ein neues Angebot: „Eine Theorie, die der staatlichen Für- und Vorsorge die Aufgabe zuweist, den Rahmen für Eigenvorsorge-Stimulanz zu schaffen […]. In diesem Sinne markiert Leibniz’ Versicherungsdenken eine entscheidende Scharnierstelle in der komplexen Entwicklung von Praktiken und Theorien der Eigenvorsorge und der obrigkeitlichen Fürsorge“ (Zwierlein 2015, 458). Das Wohlergehen der Untertanen oblag dem Bereich öffentlich-landesfürstlicher Verantwortung. Mochte für die Notwendigkeit von Armutsbekämpfung, Gesundheits-, Alters- und Sozialfürsorge ein Bewußtsein existieren, klar definierte staatlich-institutionelle Aufgabenbereiche waren sie noch nicht. So ist Leibniz aufgrund seiner zum Teil innovativen und antizipatorischen Anregungen auch schon zum „Vorläufer moderner Sozialstaatlichkeit“ erklärt worden (Schneider 1999, 33 f.). Inwieweit seine Vorschläge einem zeitgenössischen Reformdiskurs verhaftet oder ob sie – wie im Fall der Feuerversicherungsthematik – Neuland sind, wäre eine genauer zu klärende Forschungsfrage. Joseph Vogl hat den Zusammenhang zwischen der Leibniz’schen Metaphysik und seinem kameralistischen Denken thematisiert. Das Prinzip einer allgemeinen Ökonomie entspreche dem einer progressiven Optimierung. Die optimale Regierung verlange die Verwaltung eines „Kataloges ihrer wirklichen und möglichen Begebenheiten“, womit sich ein Bezug zum kameralistischen Optimierungswissen herstellen lasse. „Es zeichnet sich darin – so ließe sich das zusammenfassen – nicht nur ein neuer kameralistischer Begriff der politischen Regierung ab, in der der Staat nicht ein für alle Mal gesetzt und gegeben, sondern im Selbstbezug einer Wissensrelation beständig in Bewegung und beständig zu optimieren ist. Es liegt damit auch das Dokument jener Funktionärsontologie vor, für die die Verwirklichung mit dem Programm des Aufschreibens und Verzeichnens, mit einer vollständigen Darstellung verbunden bleibt“ (Vogl 2003, 108). 2.3.5. Gemeinwohl Horst Dreitzel unterstreicht die Herkunft von Leibniz’ Auffassung des gesellschaftlichen Gemeinwohls aus dem politischen Aristotelismus mit dem Ziel einer besseren und gerechteren Versorgung aller Mitglieder der Gesellschaft. Der Sozietäts- und Vereinsgedanke als Prinzip individueller gesellschaftlicher, das politisch-institutionelle Defizit ausgleichender Aktivität erhält hier eine besondere Bedeutung. Eine klare Grenzziehung zwischen staatlichem und privatem Bereich erscheint kaum möglich. Ausschlaggebend ist für Leibniz die Umsetzung der Theorie der Liebe in ein Programm kooperativen Handelns. Staatsbürger sollen als Privatleute mit Hilfe von Vereinigungen ihre Mitbürger „zur Entwicklung der nationalen Gesellschaft ideologisch, psychologisch und pragmatisch“ anregen (Dreitzel 2005, 427 f., 450). Auch Werner Schneiders sieht die Sozietätsidee beim frühen Leibniz in sozialreformerischer Funktion: Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt zielen

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letztlich auf gesellschaftspolitische Veränderungen (Schneiders 1975, 62 f.). Davon ist wie die Sozial- so auch die Wirtschaftspolitik (Societät und Wirtschaft: A IV,1 N. 47) betroffen, die – bei der Ungerechtigkeit der Güterverteilung ansetzend – auf der Grundlage des Arbeitsprinzips zu einer „Harmonie der Stände“ findet (Schneiders 1975, 71 f.). Provokante und bis in die Gegenwart umstrittene Vorstellungen lassen sich daraus lesen: Die Idee einer kommunistischen Gesellschaft ohne Geld mit gleicher Verpflegung, Zuteilung von Bedarfsgütern, gemeinsames Wohnen, öffentliche Kindererziehung u.v.m. (Haase 1966, 222). Für Kiyoshi Sakai ist die allgemeine Wohlfahrt als caritas in der christlichen Tradition verankert, wobei er die von ihm definierten Formen des Wohlfahrtsverständnisses bereits bei Leibniz angelegt findet: Zu Beginn der Neuzeit als Sozialfürsorge in fürstlicher Verantwortung, dann als moderner Wohlfahrtsstaat begründet durch die Idee der Menschenrechte, schließlich als Voraussetzung für Koexistenz in der Gesellschaft der Gegenwart (Sakai 2006, 195). Caritas steht hier für eine ganz auf das innerweltliche Wirken bezogene Haltung, die der Gerechtigkeit und dem Glück der Menschen verpflichtet ist. Analog zur Monadologie habe jedes Individuum grundsätzlich ein Recht auf Teilhabe am Ganzen, also auch an gesellschaftlicher Wohlfahrt. Leibniz erweist damit seine Aktualität für die Gegenwart, die nach einer Lebensform der „Ko-existenz“ als Akzeptanz von Vielseitigkeit verlangt (Sakai 2006, 198 f.). Auch das Gesundheitswesen besaß für ihn hohen Stellenwert und wurde der staatlichen Fürsorgepflicht zugeordnet. Er begnügte sich nicht mit der Kritik am Fehlen gut ausgebildeter Mediziner, sondern entwickelte im Rahmen seiner Sozietätspläne eigene Vorstellungen für einen öffentlichen Gesundheitsdienst (Krüger 1973, 230 f.). Gesundheit ist die Grundlage für das persönliche Glück und ebenso für eine das Gemeinwohl fördernde stabile Wirtschaft. Konzeptionell folgte für Leibniz aus der Bewertung von Gesundheit als besonderem allgemeinem Gut eine entsprechend breite Verantwortlichkeit: Die geforderte Systematisierung empirischer Forschung und die allgemeine Zugänglichkeit medizinischen Wissens wollte er nicht nur als Ausdruck staatlicher Fürsorge, sondern auch als Appell an die Eigenverantwortung des Patienten verstanden wissen (Lohff 2015). Nicht aus Furcht wie bei Hobbes, sondern aus dem gemeinsamen Streben nach Glück konstituiert sich für Leibniz die menschliche Gesellschaft. So gründet auch das bonum commune auf der auf Selbsterhaltung angelegten Sozialität des Menschen, die ihr Organ in der Rationalität besitzt und durch eine entsprechende Erziehung entfaltet wird (Holz 2003, 61 f.). Leibniz’ Konzept der „Perfektionierbarkeit“ gehört zum pädagogischen Programm der Aufklärung, wie es sich später auch in Lessings Erziehung des Menschengeschlechts manifestierte. Politik ist diesem Programm des Gemeinwohls verpflichtet, sie ist im Grunde die Wissenschaft vom Nützlichen und ihrer Anwendung. Der ideale Herrscher ist demnach nur ein Amtsträger, der sich dem Recht unterstellt und für den Moral und Politik eng verbunden sind.

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2.3.6. Erziehung und Bildung Erziehung und Bildung sind Werkzeuge des Gemeinwohls und erscheinen als staatliche Aufgaben. Als Verantwortliche für das bonum commune bedürfen die Herrschenden einer besonderen Ausbildung (Leibniz 1685/86). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Leibniz bei der Prinzenerziehung besonderen Wert auf die Charakterbildung legt. Güte, Gerechtigkeit und Weisheit stehen neben geistiger Bildung an erster Stelle, erst danach rangieren Politik- und Militärausbildung (Grieser 1966, 515, 524 f.). Auch der Liebe zur Wissenschaft wird große Bedeutung zugesprochen, während die bislang übliche Vorrangstellung der religiösen Unterweisung verschwindet. Vergleichbare säkulare Ansichten finden sich in Leibniz’ allgemeinen Überlegungen zum Bildungswesen seiner Zeit (Ehrenpreis 2015). Er plädierte für ein öffentliches Schulwesen in staatlicher Verantwortung, Wissenschaftsakademien sollten die Schulaufsicht wahrnehmen, nicht mehr die Kirche. Die religiöse Erziehung erhielt eine eher untergeordnete Funktion. Als Kameralist bevorzugte er die neuen Wissenschaften, Realienkunde und einen starken Bezug zur technischnaturwissenschaftlichen Praxis, um gute Kandidaten für Verwaltung und Ökonomie zu gewinnen. Die Verwirklichung eines im aufklärerischen Sinne zentralstaatlich organisierten Schulwesens, wie Leibniz es vorschwebte, ließ bis weit ins 19. Jahrhundert auf sich warten. 2.3.7. Kulturbegriff Der Kulturbegriff gehört ins Zentrum des Leibniz’schen politischen Denkens (Beiderbeck 2015b). Obwohl in der christlich-humanistischen Tradition der cultura animi stehend, entwirft Leibniz Kultur mit dem ihr zugeordneten Faktor Bildung als zwischen Individuum und Gesellschaft vermittelndes säkulares Gemeinschaftsprojekt. Kultur und Bildung sind kein elitäres Rückzugsprogramm, sie erfüllen eine dem Allgemeinwohl verpflichtete gesellschaftliche Aufgabe. An erster Stelle steht dabei zunächst die Entwicklung der Landessprache. Sie ist nicht nur Voraussetzung einer fruchtbaren Persönlichkeitsentfaltung, sondern auch Bedingung für eine allen Teilen der Gesellschaft zugängliche Kultur. Die Forderung nach einer Pflege der deutschen Sprache schließt das gesprochene Wort wie die Schriftsprache ein, erstreckt sich auf Alltags- wie auch Wissenschaftssprache. Die Förderung der Volkssprache gewinnt eine Schlüsselfunktion für die Konstituierung einer Öffentlichkeit, die Leibniz als einen im Prinzip emanzipierenden frühbürgerlichen Kommunikationsraum für den Austausch von Information und Wissen entwirft. Als antizipatorisch kann in dieser Hinsicht die Verbindung des Kulturbegriffs mit dem Fortschrittsgedanken bezeichnet werden, wodurch Kultur eine frühaufklärerische Prozess- und Zukunftseigenschaft zugeschrieben wird (Beiderbeck 2015b, 485 f.). Arnaud Pelletier interpretiert Leibniz’ Kulturgedanken als möglichen Ausweg aus einer europäischen Kulturkrise. Leibniz’ Problemlösung bestehe in der Kon-

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zeptualisierung einer allgemeinen Wissenschaft (scientia generalis), die gleichzeitig Wissen generieren und Kultur vermitteln soll und durch eine Reihe sich ergänzender Projekte Gestalt annimmt: die charakteristische Schrift (characteristica universalis) ermöglicht die allgemeine Wissenschaft, welche wiederum eine Enzyklopädie aller Wahrheiten entwickelt, die schließlich dem Glück der Menschheit dient. Die Kultivierung des Geistes ist für Leibniz vor allem ein Versuch, alle Wissensformen zu vereinen, „um zur universellen Glückseligkeit oder Weisheit der Menschheit beizutragen“ (Pelletier 2013, 65 f., 76). 3. FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN Nach 1945 wirkte sich das Bemühen um geistige Neuorientierung auch auf die Beschäftigung mit Leibniz aus. Der Philosoph Karl Schlechta berief sich auf „das Bild Leibnizens als das eines außerordentlichen Lehrers und Erziehers“ (1947, 5): „Lernen wir von Leibniz die Freiheit vor der Mannigfaltigkeit, vor der Vielfalt der Welt und erziehen wir uns zu seiner freudigen Geduld vor der Singularität der lebendigen Form und des lebendigen Bezugs“ (Schlechta 1947, 19). Einige für die Nachkriegszeit charakteristische Veröffentlichungen spiegeln den Versuch, mit dem nachdrücklichen Rekurs auf den christlichen Aspekt seines Denkens das gesellschaftliche Bedürfnis nach ideologischer Neuausrichtung zu bedienen und den „nationalen“ Leibniz zu verdrängen. Gerhard Krüger sieht in Leibniz gewissermaßen einen christlichen Zeugen für die Skepsis gegenüber der „modernen Kultur“ als des „geistigen und materiellen Kampfes aller gegen alle“ (Krüger 1947, 9, 11). Leibniz wird als vorbildlicher Verteidiger des christlichen Glaubens präsentiert, der als das wesentliche, die Völker Europas einigende Band erscheint (vgl. Aubin 1946, 137 f.; Rössler 1955, 280 ff.; Herrmann 1958, 11 f.; Vossler 1964, 42). Auf der Suche nach zeitgemäßen Antworten auf die drängenden Fragen nach Krieg und Frieden und einer globalen interkulturellen Verständigung haben Leibniz’ Positionen nichts an Aktualität verloren. Das bedeutet für die Forschung, im Zuge der fortschreitenden editorischen Aufarbeitung von Leibniz’ Nachlass auch dessen Lebensprojekt einer geistig-sittlichen Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft schärfer in den Blick zu nehmen (Schepers 2011; vgl. Naert 1964, 111). Die christliche Religion mit ihrer Geschichte, Kultur und institutionellen Präsenz spielt für Leibniz eine wichtige Rolle, zumal er in ihr das ideologische Fundament der europäischen Zivilisation sieht. Ob sie allerdings für die persönlichen Überzeugungen des Denkers mehr als eine erziehungs-, ordnungs- und kulturpolitische Funktion erfüllte – denen Lessings vergleichbar –, daran schürt die Leibniz’sche Metaphysik berechtigte Zweifel. Dennoch bildete der transkonfessionelle Versöhnungsdiskurs ein Experimentierfeld für die gelehrte europäische Kommunikationsgemeinschaft. Leibniz’ Grundhaltung, weltanschauliche Gegensätze und Differenzen mit Hilfe verbindender, dem Gemeinwohl verpflichteter Gemeinsamkeiten zu überwinden, besitzt eine überzeitliche Relevanz. Die Überzeugung, jede Religion habe in erster Linie der benevolentia universalis zu dienen, hat nicht nur

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für den ökumenischen Diskurs der Gegenwart tiefere Bedeutung (vgl. Rudolph 2003, 278 f.). Die Konzentration auf das allgemeine Beste unter Zurückstellung von Partikularinteressen betrachtete Leibniz als eine genuin politische Aufgabenstellung. Sein Beitrag zur Formung des frühmodernen Gemeinwohlverständnisses (bonum commune) bedarf ebenso einer Untersuchung wie sein Rang und seine Bedeutung als pragmatischer Ireniker für die deutsche und europäische Aufklärung. Ein aus gegenwärtiger Perspektive fundamentales Thema ist die Gewalt und ihre gesellschaftlichen Folgewirkungen. Die tiefe Zerrüttung Mitteleuropas nach dem Dreißigjährigen Krieg und die Rekonstitution von Staat und Gesellschaft sind Ausgangspunkt gerade für den politischen Denker. Die Reflexion des umfassenden Gesundungsprozesses motivieren eine Vielzahl vor allem der frühen politischen Schriften von Leibniz. Eine Abhandlung wie das Sekuritäts-Bedenken (A IV,13 N. 5–9) und dessen literarisches Umfeld (A IV,13 N. 43–47) verdienen in dieser Hinsicht ein größeres wissenschaftliches Interesse, zumal Leibniz hier einen zukunftsorientierten Entwurf über das politische Gemeinwesen und seine sozio-ökonomischen Ressourcen vorlegte. Auch Leibniz’ Standpunkt im zeitgenössischen Diskurs zu Krieg und Frieden wartet noch auf eine grundsätzliche Aufarbeitung, die allerdings in erheblichem Maße von der vollständigen kritischen Edition seiner politischen Schriften abhängig ist. Auffällig ist der Kontrast zwischen einer grundsätzlichen Tendenz zur naturrechtlich-ethischen Begrenzung von Gewalt und Krieg (z. B. Praefatio, A IV,5 N. 7; Raisons touchant la guerre; A IV,22 N. 23) und einer stark situations- und adressatenbezogenen Befürwortung kriegerischer Maßnahmen (z. B. Consilium Aegyptiacum, A IV,13 N. 10–18; Manifeste contenant les droits de Charles III., Leibniz 1703; Paix d’Utrecht inexcusable, FC IV 1–140). Auch die Verhältnismäßigkeit von reaktiver Gewalt und die Frage, ob es einen „gerechten“ Krieg geben kann, besitzen unvermindert Aktualität. Für die Definition des summum bonum erscheint eine Rückbindung der Politik und ihrer Mittel als unerlässlich: Die Zuordnung von Macht und Recht und der postulierte Vorrang des Rechts stellten auch für Leibniz’ eigenes politisches Denken eine unbequeme Herausforderung dar. Die Frage, ob Europa sich trotz aller Differenzierungsprozesse als Kulturgemeinschaft begreifen würde, stellte sich schon um 1700. Die Zukunft des Kontinents hing für Leibniz in vielfacher Hinsicht von seiner Gemeinschaftsfähigkeit ab: in Bezug auf sein politisches System, auf Kultur, Religion, Wissenschaft, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen. Im Unterschied zu manchem unter seinen zeitgenössischen Geistesgrößen hat Leibniz sich dezidiert als europäisch geprägter Weltbürger verstanden und verhalten, nicht nur mittels seiner singulären Korrespondenz, sondern ebenso in seinen Wissenschaftsprojekten. Dass Wertebewusstsein und Krisenresistenz in einem Kausalzusammenhang stehen, war für ihn unzweifelhaft. Wer das Alte bedingungslos einreißt, hat kein tragfähiges Fundament, um Neues zu errichten. Diesem Grundsatz entsprechend galt für Leibniz weiterhin die lateinisch-christlich geprägte Tradition als das geistige Ordnungsprinzip Europas ungeachtet aller – auch von ihm selbst geförderten – säkularen, auf innerwelt-

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lichen Fortschritt gerichteten Gestaltungskräfte. Die Frage, ob die Gegenwart mit der Situation der Leibniz-Zeit vergleichbar sei, wird an dieser Stelle bejaht: Es ist auch eine Aufgabe geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung, die offenkundige Legitimationskrise Europas durch den Aufweis gemeinsamer Geschichte und Kultur zu überwinden. Den Europäer Leibniz angemessen zu würdigen, bleibt eine wissenschaftliche Herausforderung, die nicht abgeschlossen ist und dem Sujet entsprechend auch nur durch internationale Forschungskooperation geleistet werden kann. Als ein konkretes Forschungsdesiderat sei beispielsweise das Consilium Aegyptiacum (1671/72) genannt: Als gelehrte Kultur- und Wirtschaftsprogrammschrift bedarf sie im Vergleich zu anderen, sich mit der europäischen Expansion befassenden Traktaten ihrer Zeit einer detaillierten und kritischen kulturwissenschaftlichen Einordnung. Dabei wären eine Kontextualisierung und ein kritischer Vergleich mit den Politikstrategien des französischen Hofes für eine Bewertung der Leibniz-Schrift besonders nützlich (vgl. Budil 2009, 85 f.). Auch die internationale Wirkungsgeschichte des Codex juris gentium diplomaticus (1693) – von Diderot als „une mer d’érudition“ gewürdigt (Diderot 1765, 370b) – ist bislang nicht detailliert untersucht worden. Im politisch-historischen Zentrum der Respublica Christiana befand sich das römisch-deutsche Reich, dessen Anspruch als weltliche Führungsmacht der lateinischen Christenheit spätestens seit den Westfälischen Friedensverträgen von 1648 keine reale, völkerrechtliche Grundlage mehr hatte. Leibniz hielt indes in mehrfacher Hinsicht an der zentralen europäischen Ordnungsfunktion des Reiches fest: Als „Mitte Europas“ entscheiden die Strukturen des deutschen Verfassungsgebildes über die Friedensfähigkeit des Okzidents und seinen Charakter als konkurrierende Staatengemeinschaft, die Reichsverfassung steht für Rechtssicherheit und garantiert die Existenz auch der kleinsten politischen Einheiten, das Reich ist Schutzschild und Hauptverteidiger der westlichen Christenheit gegen die osmanische Expansion. Schließlich verkörpert der Kaiser als Lehnsoberhaupt den Zusammenhalt dieser pluralistischen Konstruktion. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat die Reichsidee als Vorbild für Europa desavouiert. Entscheidend aus der Sicht der Gegenwartsforschung ist jedoch ein Aspekt, der auch für Leibniz relevant war und die aus dem mitteleuropäischen politischen Kontext stammende föderale Tradition als ein Interpretament anbietet, für das nicht die Bindung an ein bestimmtes politisches Gebilde entscheidend ist, sondern die Funktion als Schlichtungs- und Kontrollinstanz über den historisch gewachsenen Einheiten. „Wichtig ist, daß diese Idee, die, ohne mit ihr zu verschmelzen, die alte Legitimation des Imperiums oder der Respublica christiana aktualisiert, das moderne Dogma der strengen Einheit von Souveränität, Staat und Nation aufbricht und dadurch diesen Attributen die Freiheit gibt, komplexere Kombinationen einzugehen, die aber auch friedlicher sind und eher geeignet, die Menschen glücklich zu machen […]“ (Racionero 1994, 533). Leibniz vertrat ein funktional differenzierendes Souveränitätsverständnis, das einander ergänzende Handlungsspielräume auf unterschiedlichen Ebenen denkt und dabei besonderes Gewicht auf die Funktionalität einer jeden politischen Ein-

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heit legt. In moderner Gestalt findet sich dieser Gedanke beispielsweise im europäischen Subsidiaritätsprinzip wieder. Auch in Bezug auf die deutsche Verfassungsgeschichte müsste Leibniz’ Beitrag deutlicher Berücksichtigung finden. Obwohl er zum „Erfinder“ des Bundesstaates erhoben wurde (Schneider 1980), ist bislang nicht geklärt, inwieweit seine ständisch-föderativen Vorstellungen bei der politischen Formung des deutschen Föderalismus im 19. und 20. Jahrhundert rezipiert worden sind. Im Zentrum der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Ordnung Europas stand Frankreich. Das absolutistisch regierte Königreich provozierte hochambivalente Reaktionen und bildete für Leibniz gleichermaßen Maßstab und Anstoß: Bis kurz vor sein Lebensende warb er für eine große europäische Kriegskoalition gegen die expansive Politik Ludwigs XIV., trug sich aber gleichzeitig mit dem Gedanken, seinen Lebensabend in Paris zu verbringen. Die Bedeutung, die die französische Zivilisation für Leibniz’ Denken besaß, kann kaum überschätzt werden und bedarf in ihrer ganzen Breite einer einschlägigen Untersuchung: in politischer und völkerrechtlicher, philosophischer, wissenschaftlich-technischer und kultureller Hinsicht. Eine solche Untersuchung böte nicht nur einen eindrucksvollen Überblick über die Leitfunktion Frankreichs und ihre Wirkung in der République des lettres um 1700, sie könnte erhellen, welche Form und Relevanz Kulturund Wissenstransfer aus der Perspektive eines Universalgelehrten in der frühen Neuzeit besaßen. Der Rekonstitution von Individuum und Gesellschaft nach Kriegen und schweren Krisen wird zukünftig ein größeres Forschungsinteresse zu widmen sein. Die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts bis in die Aufklärung hinein ist eine solche Epoche, in der die Erfahrung exzessiver Gewalt, massiver Zerstörungen aller Art und ihre langwierigen Folgen einen hartnäckigen Schatten auf die Entwicklung Mitteleuropas werfen. Die von Traumata gezeichnete Conditio humana spiegelt sich in Leibniz’ politischen Entwürfen, wenn es darum geht, die Ressourcen einer ganzen Gesellschaft zu aktivieren (vgl. z. B. A IV,3 79 f.). Politische Stabilität und Sicherheit als Rahmen für die Entfaltung von Bildung und Wissen, Handel und Sozialwesen, Gesundheit und Ernährung; alle diese Überlegungen gelten einer tief bedürftigen Gesellschaft, in der eine große Zahl an Menschen ihr natürliches Potential an Lebens- und Leistungsfähigkeit erst neu entwickeln musste (vgl. z. B. A IV,13 133 ff.). Der für Leibniz im Mittelpunkt stehende Begriff der Glückseligkeit ist ein Indiz für die große kulturelle und soziale Aufgabe, Lebensbewältigung und zivilisatorischen Fortschritt zu ermöglichen, wobei Weltbejahung und Glücksfähigkeit gleichermaßen als Mittel und Zweck zu betrachten sind. In diesem Sinne bezeichnete Leibniz Weisheit als Wissenschaft vom Glück (scientia felicitatis) (vgl. Pelletier 2013, 65–67). Leibniz’ Beitrag zu den Themenbereichen von Erziehung und Bildung ist noch nicht angemessen behandelt worden. Von einem Recht auf Bildung kann freilich noch keine Rede sein, aber an Leibniz’ Kulturbegriff zeigt sich, dass die Verbindung mit einem frühbürgerlichen Öffentlichkeitsverständnis Gestaltungsräume für Individualrechte öffnet (vgl. Beiderbeck 2015b). Für die Möglichkeiten sozialer Mündigkeit steht Leibniz in Wort und Lebensleistung höchst selbst. Die

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Antizipation sozialer durch die Etablierung geistiger Freiräume auf der Grundlage eines international vernetzten Gelehrtenstatus ist ein von Leibniz maßgeblich mit angestoßener Prozess, der den angeblich konservativ-restaurativen Denker bei einer vergleichenden kultur- und sozialgeschichtlichen Würdigung als einen frühmodernen, aufklärerischen One-Man-Thinktank erscheinen ließe. Die Forderung einer Bindung der Politik an das Allgemeinwohl ist zeitlos und spiegelt sich in seinem pluralen Gesellschaftsbild: Das bonum commune bedeutet „keinen Zwang zu einer Uniformität, sondern es besteht gerade aus der Mannigfaltigkeit der individuellen Monaden“ (Sakai 2008, 167). Ebenfalls hochaktuell ist der enge wechselseitige Bezug von Politik und Wissenschaft, wobei beide sich einem Diskurs über die Unveränderlichkeit von naturrechtlich-ethischen – wir würden heute hinzufügen: verfassungsrechtlichen – Standards zu stellen haben. Jaime de Salas betont mit Recht die Distanz, die sich zwischen Leibniz’ politischem Denken und der Gegenwart auftut und eine Übersetzungsleistung verlangt, um Bezug und Nutzen des Leibniz’schen Erbes zu bestimmen (vgl. Salas 2008), seien es die Formen staatlicher Fürsorge und Intervention, politisch-gesellschaftliche Willensbildung und ihre Bindung an Metaebenen oder auch die Reflexion zentraler okzidentaler Begriffe wie Vernunft oder Fortschritt in ihrer Genese und ihrem Gegenwartsbezug. Als ein Beispiel für die Aktualität Leibniz’scher politischer Überzeugung mag sein Leitsatz „justitia est caritas sapientis“ („Gerechtigkeit ist die Liebe des Wissenden“) dienen, dessen moderne Übersetzung vielleicht folgendermaßen lauten könnte: „Empathie ist der Respekt des Verstehenden“. BIBLIOGRAPHIE Antoine 2014 – Annette Antoine: Sprachpolitik und Sprachkritik: Zur Geschichte und Aktualität von Leibniz’ „Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und sprache beßer zu üben“, in: Wenchao Li (Hg.): Einheit der Vernunft und Vielfalt der Sprachen. Beiträge zu Leibniz’ Sprachforschung und Zeichentheorie, Stuttgart 2014, 151–164. Arnold 2005 – Günter Arnold: „ … der größte Mann den Deutschland in den neuern Zeiten gehabt“ – Herders Verhältnis zu Leibniz, in: Stl. 37 (2005), 161–185. Asbach 2002 – Olaf Asbach: Die Zähmung der Leviathane. Die Idee einer Rechtsordnung zwischen Staaten bei Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseau, Berlin 2002. Aubin 1946 – Hermann Aubin: Leibniz und die politische Welt seiner Zeit, in: G. W. Leibniz. Vorträge der aus Anlaß seines 300. Geburtstages in Hamburg abgehaltenen wissenschaftlichen Tagung, Hamburg 1946, 110–142. Bähr 2015 – Andreas Bähr: „[…] vor denen nur furchtsame sich zu fürchtigen haben“. Gottfried Wilhelm Leibniz und die ‚Türkengefahr‘, in: Beiderbeck/Dingel/Li 2015, 379–412. Barber 1955 – William Henry Barber: Leibniz in France. From Arnauld to Voltaire. A study in French reactions to Leibnizianism, 1670–1760, London 1955. Baruzi 1907 – Jean Baruzi: Leibniz et l’organisation religieuse de la terre d’après des documents inédits, Paris 1907. Basso 2011 – Luca Basso: Das Problem des Widerstandsrechts bei Leibniz, in: Beiderbeck/Waldhoff 2011, 141–153. Beiderbeck 2001 – Friedrich Beiderbeck: Leibniz als politischer Berater des Welfenhauses am Beispiel der Neunten Kur, in: Hans Poser/Christoph Asmuth/Ursula Goldenbaum/Wenchao

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Politik

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Friedrich Beiderbeck

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GESCHICHTE Gerd van den Heuvel Leibnizʼ dreißigjährige Arbeit an der Geschichte des Welfenhauses hat lange Zeit vor allem als biographisches Faktum Aufmerksamkeit gefunden, als ungeliebte, den Universalgelehrten von anderen wissenschaftlichen Interessen ablenkende Kärrnerarbeit zwecks Sicherung des Lebensunterhalts. Nicht zuletzt durch die Tatsache bedingt, dass Leibniz nur wenig aus seiner „Geschichtswerkstatt“ (Gädeke 2012b) zum Druck beförderte, war das Interesse der Fachwissenschaft an Leibnizʼ historischen Forschungen und seinen methodologischen Überlegungen zur Geschichte besonders im 19. und 20. Jahrhundert gering. Während in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Landesgeschichte noch Ansätze erkennbar sind, die Leibnizʼschen historiographischen Arbeiten fortzuführen, bricht die Aufklärungshistorie sowohl in ihren Erkenntnisinteressen als auch in ihrer institutionellen, nunmehr universitären Verankerung mit den Traditionen dynastischer Geschichtsschreibung. Dass Leibniz in zahlreichen seiner historischen Arbeiten diesen engen Rahmen der Dynastiegeschichte hinter sich gelassen hatte, konnte angesichts der Überlieferungslage in Manuskriptform nicht in den Blick der Forschung gelangen. Wurde Leibniz im 19. und 20. Jahrhundert in der Mediävistik durchaus noch wahrgenommen, versuchten führende Vertreter des Historismus – wenn sie Leibniz überhaupt in die Geschichte der Geschichtswissenschaft einreihten – ihn als Historiker unter den Prämissen seiner Philosophie zu beurteilen. Bis heute verbinden die Geisteswissenschaften den Namen Leibniz geradezu reflexartig mit dem Fachgebiet der Philosophie, auch wenn seine genuin historischen Arbeiten thematisiert werden. Die bislang umfangreichste Edition seiner historischen Schriften und Briefe (Babin/van den Heuvel 2004) steht an deutschen Universitäten in der Regel in philosophischen, nicht in historischen Seminaren, und eine ausführliche Besprechung dieser Textsammlung in einem fächerübergreifenden editionswissenschaftlichen Rezensionsorgan findet man nicht in der Rubrik „Geschichte“, sondern unter „Philosophie und Soziologie“ (Lorenz 2008). Leibnizʼ Sammlungen und Ausarbeitungen zur Geschichte bilden den mit Abstand größten Teil seines Nachlasses. Seine historischen Arbeiten und die von ihm und seinen Gehilfen zusammengetragenen Quellenkonvolute verteilen sich in den Beständen der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek auf die Signaturengruppen LBr. (Leibniz-Briefwechsel), LH (Leibniz-Handschriften) und MS (Handschriftenbestand) und sind durch die Kataloge von Eduard Bodemann erschlossen (Bodemann 1889; 1895; 1867). Auch die Briefe historischen Inhalts werden im Rahmen einer Neuverzeichnung der seit 2007 zum Weltdokumentenerbe zählenden

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Leibniz-Korrespondenz (LK-MOW) neu katalogisiert. Ein kleinerer Teil von Leibnizʼ historischen Arbeiten ist im Niedersächsischen Landesarchiv in Hannover in verschiedenen Aktenzusammenhängen überliefert. Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist nicht die erschöpfende Auflistung der Arbeiten zum historiographischen Werk von Leibniz, sondern der Versuch, einige epistemologische und wissenschaftsorganisatorische Rahmenbedingungen für die (Nicht-)Wahrnehmung des Historikers Leibniz aufzuzeigen. Ebenso wie der Nachweis des Forschungsinteresses an Leibnizʼ historischem Werk trägt eine Erörterung der Gründe für fehlende Forschung und ausgebliebene Rezeption zur wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung bei. 1. WELFISCHE DYNASTIEGESCHICHTE UND REICHSGESCHICHTE IM ANSCHLUSS AN LEIBNIZ „Indem er alles thun und in alles sich mischen will, kann er nichts zum ende bringen, wenn er auch engel zu adjutanten hätte“ 1 (Doebner 1881, 371). Johann Georg Eckhart, der mit diesen hämischen Worten am 13. November 1716, einen Tag vor Leibnizʼ Tod, die hannoversche Regierung darüber informierte, dass von Leibniz wohl kein Abschluss der seit 1685 in Arbeit befindlichen Welfengeschichte mehr erwartet werden könne, war charakterlich mitnichten ein ‚Engel‘, in den letzten Lebensjahren des Universalgelehrten wohl aber der wichtigste ‚Adjutant‘ von Leibniz bei der Erarbeitung der welfischen Hausgeschichte. Wenn es gilt, die Weiterführung der historischen Arbeiten und die Tradierung Leibnizʼscher Geschichtskonzeptionen zu verfolgen, steht der schon vor Leibnizʼ Tod im Jahre 1714 zum welfischen Historiographen ernannte Johann Georg Eckhart an erster Stelle. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Louis Davillé, dem bis dahin besten Kenner von Leibnizʼ historischen Werken, als bloßer Plagiator diffamiert (vgl. Wallnig 2012), zeigt Eckhart in seinen programmatischen Entwürfen zur Geschichtswissenschaft (vgl. Eckhart 1705) und seinen genealogischen Publikationen als Forscher durchaus eigenständiges Format, das er in der langjährigen Zusammenarbeit mit Leibniz erworben hatte (Erdner 2003; 2004). Das Urteil der Nachwelt ist jedoch nicht bestimmt von Eckharts eigenen, auf kritischer Quellenforschung basierenden Werken, von Eckharts mehrjähriger Arbeit am Anmerkungsapparat von Leibnizʼ Annalen, von der Herausgabe des zweibändigen Corpus historicum medii aevi oder von seiner im März 1723 in sechs Manuskriptbänden vorgelegten Welfengenealogie, die Christian Ludwig Scheidt in der Mitte des 18. Jahrhunderts als Grundlage der Origines Guelficae diente (Scheel 1984). Es ist vielmehr von einem biographischen Faktum geprägt, das ihn vor allem als treulosen Beamten erscheinen ließ: der Flucht des überschuldeten Historiographen aus   1

Johann Georg Eckhart an Andreas Gottlieb von Bernstorff, 13. November 1716.

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Hannover, seiner anschließenden Konversion zum Katholizismus und dem nachfolgenden Eintritt in die Dienste des Würzburger Fürstbischofs. In Würzburg nutzte Eckhart seine Geschichtskenntnisse und Forschungserfahrung für eine Geschichte Ostfrankens und des Bistums Würzburg (Eckhart 1729). Während der fertiggestellte erste Band der nicht zum Abschluss gebrachten Würzburger Bistumsgeschichte nach seinem Tode zum Druck gelangte, blieb eine noch in Hannover in Angriff genommene Geschichte des Hochstifts Osnabrück im Planungsstadium stecken (van den Heuvel 1996a). Aus der Leibnizʼschen ‚Geschichtswerkstatt‘ ging 1717 auch ein genealogisches Werk zum Haus BraunschweigLüneburg hervor, das Leibnizʼ ehemaliger Amanuensis Joachim Friedrich Feller kompiliert hatte (Feller 1717). Eckharts Nachfolger in Hannover arbeiteten sich an den nur schwer überschaubaren Leibnizʼschen historischen Hinterlassenschaften ab, ohne ein greifbares Ergebnis in Form der nach wie vor von Georg I. und Georg II. erwarteten Hausgeschichte vorlegen zu können. Der 1725 als Historiograph berufene Simon Friedrich Hahn kritisierte zwar den universalhistorischen, weit über die Hausgeschichte ausgreifenden Ansatz von Leibniz, konzipierte seinerseits aber eine mit Quellenbelegen untermauerte Landesgeschichte, bei der allein die Darstellung der Zeit bis zur Errichtung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg im Jahre 1235 mehr als 40 Folianten gefüllt hätte (Scheel 1984, 228). Hahn starb bereits 1729, und auch sein Nachfolger Johann Daniel Gruber musste konstatieren, dass es sich bei Leibnizʼ Annalen keineswegs um eine Geschichte der welfischen Dynastie, sondern um eine „vollständige Historie deß occidentalischen Kayserthums“ handelte. Anders als Hahn entwickelte Gruber den Plan für eine überschaubare, nach Leibnizʼ Vorgaben fortgeführte Geschichte in sechs Bänden und plädierte zugleich dafür, Leibnizʼ inzwischen vergriffene Quellenedition der Scriptores rerum Brunsvicensium neu aufzulegen. Weder das eine noch das andere Vorhaben kam zum Abschluss; auch 1746 war man über den von Leibniz erreichten Stand der Annales noch nicht hinausgekommen. Die Regierungen in Hannover und Wolfenbüttel stellten nun fest, „dass eigentlich an Bekanntmachung der Annales Imperii, als einer Reichsgeschichte, dem durchlauchtigsten Gesammthause weniger liege“. Zugleich sah Gruber, dass sich das Zeitfenster für die Rezeption der Leibnizʼschen Annalen und das Interesse der Fachwissenschaft an diesem Werk bereits geschlossen hatte: es würde dieses Werck vor 40 Jahren in der welt eine Parade haben machen können, heuth zu tage aber, da man allbereits so viel schönes in der Teutschen Historie aufzuweisen hat, nicht sonderlich viel vorzug sich versprechen dörffen.“ (Zitat nach Scheel 1984, 231)

Die Publikationsgeschichte des historischen Nachlasses im 18. Jahrhundert zeigt den Abschied von Leibniz universellem Geschichtsbegriff. Die Nachfolger im Amt des Haushistoriographen lösten Leibniz’ integrale Geschichtskonzeption, die Verbindung von Erdgeschichte, menschlicher Frühgeschichte, Völkerwanderung und mittelalterlicher Geschichte auf und publizierten Leibniz’ Manuskripte als Einzelwerke (van den Heuvel 2007, 317–321; Waldhoff 2016, 355–399).

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Die Verwertung Leibnizʼscher Vorarbeiten und seiner riesigen Quellensammlung kam in der Mitte des Jahrhunderts durch Christian Ludwig Scheidt zu einem vorläufigen Abschluss. Der 1748 bestallte Bibliothekar und Historiograph des welfischen Gesamthauses veröffentlichte 1749 zunächst Leibnizʼ Protogaea und gab von 1750 bis 1753 in vier prachtvoll gestalteten Foliobänden die Origines Guelficae heraus, ein genealogisches Werk, in dem die Edition der zugrundeliegenden urkundlichen Überlieferung den größten Raum einnimmt; 1758 folgte die Drucklegung von Leibnizʼ Manuskript zur Historizität der angeblichen Päpstin Johanna. Scheidts Nachfolger, Johann Heinrich Jung, beschränkte sich bei seiner Tätigkeit als Nachlassverwalter des historiographischen Erbes von Leibniz auf die Herausgabe eines fünften Bandes der Origines Guelficae. Die drei Generationen von Haushistoriographen, die Leibniz folgten, waren mit der Aufgabe, die unvollendeten Annalen herauszugeben, gescheitert. Erst recht war es ihnen nicht gelungen, nach Leibnizʼschen Vorgaben oder eigenen Konzeptionen und Grundsätzen die welfische Hausgeschichte zum Abschluss zu bringen. Impulse gingen von Leibnizʼ Arbeiten am ehesten noch für frühe Versuche von Nationalgeschichten im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts aus, so für Johann Jacob Mascovs Geschichte der Teutschen (Mascov 1726; vgl. Vorrede zu Mascov 1737). Mascov hatte Leibniz noch 1716 in Hannover besucht und ihn auch brieflich um Rat für seine historischen Arbeiten gebeten. Mascovs Grundsätze einer quellenkritischen, um historische Wahrheit bzw. Grade von Wahrscheinlichkeit bemühten Historiographie decken sich weitgehend mit Leibnizʼ methodischen Überlegungen (Babin/van den Heuvel 2004, 46).2 Ähnliche Maximen stellte auch Heinrich von Bünau in seiner Genaue[n] und umständliche[n] Teutsche[n] Kayser- und Reichshistorie auf (Bünau 1728–1743); die Frage, ob hier ein Einfluss Leibnizʼscher Grundsätze der Geschichtsschreibung vorliegt oder Allgemeingut gewordene Maximen der zeitgenössischen Historiographie für die eigene Arbeit reklamiert wurden, muss allerdings offenbleiben. Während Leibnizʼ Annalen der Geschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts verschlossen blieben, erfuhren seine Quelleneditionen in der Landesgeschichte eine breite Rezeption. Philipp Julius Rehtmeyer griff in seiner BraunschweigLüneburgischen Chronica von 1722 auf Leibnizʼ Scriptores rerum Brunsvicensium ebenso zurück wie Heinrich Andreas Koch in seinem Versuch einer pragmatischen Geschichte des durchlauchtigsten Hauses Braunschweig und Lüneburg von 1764, wie Justus Möser in der Osnabrückischen Geschichte von 1768 oder wie Karl Venturini in seinem mehrbändigen Handbuch der vaterländischen Geschichte für alle Stände Braunschweig-Lüneburgischer Landesbewohner zu Beginn des 19. Jahrhunderts, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch in den gelehrten Zeitschriften waren die Scriptores mannigfach präsent (Babin/van den Heuvel 2004,

  2

Zu Leibnizʼ diesbezüglichen Schriften vgl. Babin/van den Heuvel 2004, Kap. II des Editionsteils.

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45 Anm. 121); zahlreiche historische Artikel in Zedlers Universal-Lexicon schöpften aus dieser Sammlung.3 2. PARADIGMENWECHSEL IN DER AUFKLÄRUNGSHISTORIE: UNIVERSALGESCHICHTE UND ‚MODERNE‘ LANDESGESCHICHTE Während Leibniz in der Landesgeschichtsschreibung zumindest mit seinen Quellenwerken noch rezipiert wurde, spielte er in der universitären Geschichtswissenschaft seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kaum mehr eine Rolle. Die in Göttingen sich formierende Aufklärungshistorie nahm für sich einen grundlegenden Paradigmenwechsel in Anspruch: Die enge Perspektive auf das eigene Territorium, das Reich oder Europa hinter sich lassend, betrachtete sie die Weltgeschichte als Gegenstand ihrer Forschungen, und zwar nicht als kumulativ abzuhandelnde Geschichte einzelner Staaten oder Dynastien, sondern – fußend auf der spätaufklärerischen Anthropologie – als umfassende Kulturgeschichte der Menschheit unter Berücksichtigung aller Interdependenzen zwischen den verschiedenen Völker in deren historischen Entwicklungen. Ein derart universalhistorischer Zugriff, wie ihn z. B. Johann Christoph Gatterer formulierte (Geschichte als „Vorstellung des allgemeinen Zusammenhangs der Dinge in der Welt“, bei der keine Gegebenheit als „insularisch“ betrachtet werden könne), hätte durchaus an Geschichtskonzeptionen des jungen Leibniz, der bereits 1670 für die Verknüpfung sämtlicher Teilgeschichten zu „einer chronologisch geordneten Universalgeschichte“ plädiert hatte (Babin/van den Heuvel 2004, 61),4 anschließen können, wenn diese denn bekannt gewesen wären. An eine antiquarisch-gelehrte Dynastiegeschichte zum Nachweis historischer Dignität regierender Häuser, wie sie Leibnizʼ Nachfolger mit den Origines Guelficae zum Druck beförderten, konnte und wollte die u.a. von Gatterer, August Ludwig Schlözer und Arnold Hermann Ludwig Heeren vertretene Weltgeschichte – entworfen mit aufklärerischem Impetus und konzipiert für die universitäre Lehre (Melo Araújo 2012) – nicht aufbauen. Mit der Tradition einer als überholt apostrophierten Historiographie, die von den Fürstenhöfen ihren Ausgang genommen hatte, brach auch die in Göttingen betriebene welfische Landesgeschichte. Über den „gelehrten Fleiß der grossen Geschichtsforscher, deren Reihe Herr Hofrath Jung schließt“ (an deren Anfang der namentlich nicht genannte Leibniz stand) äußerte sich Ludwig Timotheus Spittler in seiner Geschichte des Fürstenthums Hannover von 1786 allenfalls noch mokant. Spittler ging es nicht um die mittelalterliche Geschichte, nicht um Genealogien und auch nicht um „Vor- und Zuname, Gebuhrts- und Todesjahr“ wie auf „einem Herrenhutischen Kirchhofe“ (Spittler 1786, T. 1, Vorrede, 3), sondern nach dem Vorbild Voltaires um die gegenwartsbezogene Deutung der großen Li  3 4

So zum Beispiel im Artikel „Braunschweig (Land)“ (Zedler 1733, 1138–1142) und den Einträgen zu den einzelnen mittelalterlichen welfischen Herrschern. Vgl. z. B. Leibniz an Bose, 6. Oktober 1670.

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nien der neueren Geschichte. Landesgeschichte war für Spittler keine Geschichte von Regenten; als geschichtsmächtig galten ihm vor allem langfristige wirtschafts-, sozial- und verfassungsgeschichtliche Entwicklungen. Unter diesen Prämissen waren die bisher vorgelegten Ergebnisse welfischer Hofhistoriographie nicht von Interesse (Schubert 1987, 128–129). Spittler war mit seiner Geschichte Hannovers durchaus erfolgreich; schon bald erlebte das zweibändige Werk im Oktavformat eine zweite Auflage. Trotzdem scheint das historisch interessierte Publikum des Kurfürstentums ein gewisses Unbehagen an der mangelhaften bisherigen Landesgeschichtsschreibung empfunden zu haben. „Es ist wirklich schade daß [die Landesgeschichte] bei uns so unvollkommen bearbeitet ist“, so leitete der hannoversche Hof- und Kanzleirat Burchard Christian von Spilcker am 26. März 1797 einen Vortrag über die hannoversche Landesgeschichte in der Sonntags-Gesellschaft ein. „Nirgends treffen wir Vollständigkeit, aller Orten nur Materialien an.“ Mehr ahnend als wissend glaubte er, dass dieses Defizit mit Hilfe von Leibnizʼ historischen Arbeiten behoben werden könne. „Leibniz hat ungehäuere Schätze zu sammen getragen, aber noch liegen sie zum Theil ungenuzt und roh in seinen schätzbaren Werken“, so gab er der Überzeugung Ausdruck, dass noch einiges zur Landesgeschichte in Leibnizʼ Nachlass schlummerte.5 3. LEIBNIZʼ HISTORISCHE ARBEITEN IM UNIVERSITÄREN LEHRBETRIEB ZUM JUS PUBLICUM UND IN DER DEBATTE UM DAS MITTELALTERLICHE DEUTSCHE KAISERTUM Ganz anders als in der Geschichtswissenschaft stellt sich im 18. Jahrhundert die Rezeption von Leibnizʼ historischen Arbeiten in der Rechtswissenschaft, speziell in der universitären Lehre des jus publicum dar. In der Diskussion um die staatsrechtliche Einordnung des Reichs, das Verhältnis von Kaiser und Territorialfürsten sowie von Landständen und Landesherren hatte sich seit dem 16. Jahrhundert ein nur historisch in seiner Genese zu erfassendes, spezifisch deutsches öffentliches Recht, das Ius publicum Imperii Romano-Germanici, herausgebildet (Stolleis 1988; zu Leibniz speziell vgl. Hammerstein 1982). Leibnizʼ Hauptbeitrag zu dieser Diskussion um das Verhältnis von kaiserlicher und territorialfürstlicher Gewalt, sein Jus suprematus von 1677, aber auch seine historischen Quelleneditionen, vor allem der Codex diplomaticus von 1693, blieben im universitären Lehrbetrieb zum Reichsstaatsrecht im 18. Jahrhundert präsent, erfuhren aber eine durchaus kontroverse Auslegung. Während Friedrich Karl von Moser Leibniz vorwarf, mit dem Jus suprematus das Kaisertum geschwächt und „zum Dienst der mächtigern Stände des Reichs einen Roman de Suprematu zusammen[ge]träumt“ (Moser 1765, 37–38) zu haben, bescheinigte der bedeutendste Staatsrechtslehrer   5

Niedersächsisches Landesarchiv – Hannover Dep. 82 I Nr. 27 Bl. 9.

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in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der seit 1746 in Göttingen lehrende Johann Stephan Pütter, dass Leibniz damit „von der Teutschen Reichsverfassung beynahe ein ganz neues Lehrgebäude“ entworfen habe (Pütter 1776, 249). Leibnizʼ historische Quellenwerke, der Codex diplomaticus samt Mantissa ebenso wie die Accessiones historicae von 1698 und die Scriptores, fehlten in keiner Literaturliste von Pütters zahlreichen, die Vorlesungen begleitenden und immer wieder neu aufgelegten Publikationen zur Reichsgeschichte und zum historisch gewachsenen Reichsstaatsrecht (Pütter 1783, 9; 1772, 6). Darüber hinaus nahm Pütter unter Verweis auf Leibnizʼ Vorwort zum Codex diplomaticus die Diskussion um die Rolle des mittelalterlichen Kaisertums auf (Schieblich 1932, 42). Auch außerhalb des universitären Lehrbetriebs wurde der Codex im 18. Jahrhundert zu einem Referenzwerk der historischen Quellenedition (Otto 2003, 162–193). Für Leibniz war die universalistische Kaiseridee nicht nur ein Faktor der mittelalterlichen Geschichte, sondern durchaus geeignet, auch in der eigenen Gegenwart ihre Wirkung zu entfalten und – wie Hans-Peter Schneider formuliert hat – „den mittelalterlichen Reichsgedanken erneut im Rahmen seines [Leibnizʼ] staatsphilosophischen Systems einer göttlichen Weltordnung wiederzubeleben“ (Schneider 1995, 221). Aufklärer wie Johann Heinrich Gottlob Justi hatten dafür nur noch Spott übrig: Der Herr von Leibniz stellet sich alle christlichen Mächte als eine Republik vor, davon der Kaiser das weltliche, der Papst aber das geistliche Haupt wäre. Allein die Staatskunst war nicht eben die Stärke des Herrn von Leibnitz. (Justi 1758, 98)

Pütter vermied solche Polemik, historisierte die universalistische Kaiseridee, verwarf aber die von Leibniz verfochtene These einer translatio imperii vom untergegangenen weströmischen Reich zum Reich Karls des Großen. Gleichwohl hielt Pütter eine ernsthafte Beschäftigung mit den historischen Gegebenheiten und mittelalterlichen Vorstellungswelten für notwendig, diente sie doch dazu, „den heutigen Zustand des Teutschen Reichs aus seinen Gründen einzusehen“ (Pütter 1762, § 1; Zitat nach Ebel 1975, 106). Unter diesen Prämissen waren Leibnizʼ historische Arbeiten für ihn von wissenschaftlichem, aber auch von juristischpraktischem Interesse. Im 18. Jahrhundert kontrovers beurteilt, sollte die Frage nach der Bedeutung des Kaisertums für die deutsche Geschichte über die Existenz des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation hinaus virulent bleiben und – nach der Revolution von 1848 politisch aufgeladen – zwischen 1859 und 1862 in eine grundlegende historiographische Kontroverse zwischen Befürwortern einer kleindeutschen und solchen einer großdeutschen Nationalstaatskonzeption münden. Während der 1856 zunächst nach München berufene, seit 1861 in Bonn lehrende Protestant Heinrich von Sybel eine verfehlte, die eigenen Kräfte überdehnende mittelalterliche Kaiserpolitik als historisches Argument für eine kleindeutsche Staatsbildung unter preußischer Führung in Anspruch nahm, erblickte der 1852 an der Universität Innsbruck ordinierte Katholik Julius Ficker im mittelalterlichen Kaisertum einen Traditionsstrang deutscher Geschichte, der einem über die Grenzen der deutschen Nation hinausgreifenden Staatsbildungsprozess als Vorbild dienen konnte

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(Brechenmacher 2003, 87–111). Leibnizʼ Beurteilung des Kaisertums fand durch Onno Klopp – vom hannoverschen König Georg V. mit der Herausgabe von Leibnizʼ Schriften und der Neuordnung der hannoverschen Staatsarchive betraut und unbedingter Befürworter einer großdeutschen Lösung der deutschen Frage – Eingang in diese berühmte Debatte der auch im 19. Jahrhundert bereits „zankenden Zunft“ (Große Kracht 2011). Klopp berief sich auf Leibniz als den Mann, „der sich vermöge eigener Forschung einigen Überblick über die deutsche Geschichte erworben hatte“, um gegen Sybel das vom Haus Habsburg vom Mittelalter bis in die Gegenwart tradierte transnationale Kaisertum als Retter der deutschen Nation darzustellen (Klopp 1862, 26–27). Mit der eindeutigen politischen Parteinahme setzte Klopp auch seine umfangreichen Leibniz-Forschungen und Editionsvorhaben dem Verdacht der Instrumentalisierung für gegenwärtige politische Zwecke aus. Mit der Annexion Hannovers durch Preußen kam das Kloppʼsche Editionsvorhaben zum Erliegen. Nachdem Klopp seinem König ins österreichische Exil gefolgt war, blieb ihm der Leibniz-Nachlass in Hannover fortan verschlossen. Von seiner in mehreren Reihen geplanten Ausgabe von Leibnizʼ Werken konnte Klopp nur noch das bis 1866 erarbeitete Material zum Druck bringen. Abseits der großen Debatten um die nationale Einheit der Deutschen war Leibniz als Historiker in den zahlreichen im frühen 19. Jahrhundert neugegründeten regionalen Geschichtsvereinen präsent. Die Memoria an Leibniz, wie sie z.B. der Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens in Münster betrieb, war nicht nur geeignet, inhaltlich an den Universalgelehrten anzuschließen, sondern sich auch institutionell in die Tradition des Wissenschaftsorganisators zu stellen, der sich zeitlebens für die Gründung wissenschaftlicher Vereinigungen und speziell für ein Collegium Imperiale historicum engagiert hatte (Erhard 1847, 235– 258). In der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen publizierten die hannoverschen Archivare und Bibliothekare wesentliche Korrespondenzen von Leibniz, darunter z. B. den Briefwechsel mit dem hannoverschen Premierminister Andreas Gottlieb von Bernstorff, der Auskunft gibt über die Rahmenbedingungen, unter denen Leibniz in seinen letzten beiden Lebensjahren an der Welfengeschichte arbeitete (van den Heuvel 2016). 4. DIE ENTDECKUNG VON LEIBNIZʼ GESCHICHTSWERK DURCH DIE MEDIÄVISTIK Wenn Leibnizʼ historisches opus magnum in der Debatte um das mittelalterliche Kaisertum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Argument verfügbar war und die Fachwissenschaft von Leibniz als Historiker Notiz nahm, so ist dies vor allem Georg Heinrich Pertz zu verdanken. Unter den letzten beiden Historiographen J. H. Jung (1762-1799) und L. A. Gebhardi (1799–1802) war die welfische Hausgeschichtsschreibung versandet; auch Leibnizʼ historische Sammlungen und Ausarbeitungen zur Welfengeschichte ruhten seitdem weitgehend unbeachtet im hannoverschen Archivgebäude (Scheel 1984, 232). Der in Göttingen von Arnold

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Heeren promovierte Pertz wurde 1827 zum hannoverschen Archivrat und zugleich zum Königlichen Bibliothekar in Hannover ernannt und erhielt 1832 zusätzlich das seit 30 Jahren vakante Amt eines Historiographen des welfischen Gesamthauses. Als treibende Kraft des Mammutprojekts der Monumenta germaniae historica, das sich der historisch-kritischen Edition der mittelalterlichen Überlieferung zur deutschen Geschichte widmete (Fuhrmann 1996, 29–30), und gleichzeitiger Hüter des Leibniz-Nachlasses war Pertz wie kein anderer prädestiniert, die Leibnizʼschen Annalen ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Pertz wählte für seine Edition die von Leibniz für die Publikation vorgesehene Fassung der Annales imperii, bereinigte sie um spätere Ergänzungen und Streichungen, die Johann Georg Eckhart auf Verlangen der hannoverschen Regierung vorgenommen hatte, und konnte so von 1843 bis 1846 die von Leibniz bis zum Berichtsjahr 1005 vorangetriebenen Annales Imperii in drei Bänden vorlegen. Sie erschienen bei der Hahnschen Buchhandlung, demselben von Pertzʼ Jugendfreund geführten Verlag, der auch die Monumenta herausbrachte (Pertz 1843–1846). 6 Pertz war sich sicher, dass „die Annales Imperii, einmal dem Dunkel der Vergessenheit entzogen, leben und wirken“ werden, auch wenn sie in mancher Hinsicht nicht mehr dem Wissensstand des 19. Jahrhunderts entsprachen. Als Pertz 1843, inzwischen von Hannover ins Amt des Oberbibliothekars der Königlichen Bibliothek zu Berlin gewechselt, den ersten gedruckten Band der Annales der dortigen Akademie der Wissenschaften präsentierte, betonte er die Vorreiterrolle von Leibniz bei der wissenschaftlichen Erforschung der deutschen Geschichte und stellte die Monumenta in eine direkte Traditionslinie mit den Annalen und Leibnizʼ umfangreichstem Quellenwerk, den von 1707–1711 erschienenen Scriptores rerum Brunsvicensium. Als Ahnherr kritischer Quellenforschung war der Gründungspräsident der Berliner Akademie für das noch keineswegs in seiner Existenz dauerhaft gesicherte Langzeitunternehmen der Monumenta ein unentbehrliches Aushängeschild (Hartmann 2012, 211–233). Nach der Veröffentlichung der Annales Imperii durch Pertz erkannte die Mediävistik des 19. Jahrhunderts in Leibniz einen durchaus ernst zu nehmenden Vorläufer. Johann Gustav Droysen hob 1864 Leibnizʼ urkundliche Forschungen hervor, die „erst die neuste Zeit wieder mit gerechter Bewunderung [hat] anerkennen können“ (Droysen 1864, 44). Wilhelm von Giesebrecht, der zwischen 1855 und 1880 in fünf Bänden eine auch beim breiten Publikum sehr erfolgreiche, in fünf Auflagen verbreitete Geschichte der deutschen Kaiserzeit vorlegte, bedauerte, dass mit Leibnizʼ Annalen „die früheste unserer großen Reichsgeschichten [...] am spätesten an das Licht der Öffentlichkeit getreten“ sei, „zum großen Nachtheil der deutschen Geschichtswissenschaft, die einen andern Gang gewonnen oder mindestens manche Schwierigkeiten leichter überwunden hätte, wenn sie an Leibnizʼ Werk sich hätte anschließen können“ (Giesebrecht 1855, 756). Und auch der Historiker Wilhelm Wattenbach, Mitarbeiter an den Monumenta, der sich vor allem   6

Zu den von Regierungsseite verlangten und von Pertz rückgängig gemachten Änderungen vgl. Pertz 1843–1846, T. I, Vorrede, S. XXVI–XXVIII.

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als Paläograph und Spezialist für historische Hilfswissenschaften einen Namen gemacht hat, erkannte 1893 in Leibnizʼ Annales Imperii „ein Meisterwerk, welches alle früheren Leistungen weit hinter sich läßt“ und lobte „die sichere Methode, de[n] durchdringende[n] Scharfsinn und die geistvolle Behandlung des großen Verfassers“ (Wattenbach 1893, 15–16). 5. LEIBNIZʼ HISTORIOGRAPHIEGESCHICHTLICHE EINORDNUNG IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 19. JAHRHUNDERTS Eine traditionsbildende Vereinnahmung des Historikers Leibniz durch das Projekt der Monumenta und die seit 1862 erscheinenden Jahrbücher der deutschen Geschichte, die sich in ihrem streng chronologischen Aufbau und regestartigen Präsentation der mittelalterlichen Überlieferung als Fortsetzung Leibnizʼscher Annalistik sahen und Leibnizʼ Annales Imperii regelmäßig zitierten, barg die Gefahr, dass Leibnizʼ Historiographie ausschließlich in die Tradition gelehrtantiquarischer Geschichtsschreibung und eines als platt verschrieenen Positivismus gestellt wurde. Eine bewusst in die Gegenwart wirken wollende Geschichtsschreibung, wie sie z. B. Jacob Burckhardt forderte und zugleich die detailversessene Urkundenforschung als weltfremd verspottete Der liebe Gott will auch bisweilen einen Jocus haben, und dann macht er Philologen und Geschichtsforscher von einer gewissen Sorte, welche sich über die ganze Welt erhaben dünken, wenn sie wissenschaftlich ermittelt haben, daß Kaiser Conrad am 7. Mai 1050 zu Goslar auf den Abtritt gegangen ist [...],

oder die offen politisch instrumentalisierte Historiographie eines Heinrich von Treitschke bedurften keiner Rückbesinnung auf eine im wesentlichen auf Quellenforschung und Textkritik fußende Geschichtsschreibung, wie Leibniz sie betrieben hatte. Johann Gustav Droysen polemisierte in ähnlicher Weise gegen die Monumenta: Wir sind in Deutschland durch [...] die Pertzischen Arbeiten in die sogenannte Kritik versunken, deren ganzes Kunststück darin besteht [herauszufinden], ob ein armer Teufel von Chronisten aus dem anderen abgeschrieben hat. (beide Zitate nach Fuhrmann 1996, 31–32)

Das Verdikt über die ältere Historiographie kam auch aus der Feder der höchsten Autorität innerhalb der Historikerzunft des 19. Jahrhunderts, die nur wissen wollte, „wie es eigentlich gewesen“. In seinem Entwurf einer Geschichte der Wissenschaft in Deutschland, die Leopold von Ranke 1859 der Historischen Kommission in München vorlegte, ließ er zwar in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Leibniz eine neue Epoche der Wissenschaftsgeschichte beginnen, der Historiker Leibniz wurde aber im gleichen Atemzug implizit mit einem pauschalen Diktum der Vergessenheit anheim gegeben. Nach Rankes Meinung gebührte der Philosophie des 18. Jahrhunderts ein „vorzüglicher Platz“ in der Wissenschaftsgeschichte, die Geschichtsschreibung dieser Zeit sei hingegen „von minderer Bedeutung“ gewesen (Ranke 1890, 680–686, Zitate 684–685; Blanke 1991, 326–330). Die Geschichtsschreibung habe, so Ranke in virtuoser Unkonkretheit, „die Abwand-

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lungen der öffentlichen Dinge in dem 18. Jahrhundert begleitet“, bis am Ende des Jahrhunderts „einige originelle Geister [...] diesen Studien einen zugleich allgemein gültigen und nationalen Charakter gegeben“ hätten. Auf diese Weise in ihren vorhistoristischen Anfängen im 17. und 18. Jahrhundert abgewertet, war die Leitwissenschaft des 19. Jahrhunderts quasi ihrer Vorgeschichte entledigt und ausschließlich als Errungenschaft der eigenen Generation und der eigenen persönlichen Verdienste wissenschaftsgeschichtlich verortet. Für die Darstellung der neuzeitlichen Historiographie im Rahmen der von Ranke initiierten Publikationsreihe zur deutschen Wissenschaftsgeschichte konnte 1869 der Würzburger Ordinarius Franz Xaver von Wegele gewonnen werden. Seine umfängliche, erst 1885 vorgelegte Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus entsprach zwar einerseits den Periodisierungsvorgaben Rankes, indem Wegele im letzten Kapitel (fünftes Buch) die „Begründung der deutschen Geschichtswissenschaft“ in das Zeitalter der Freiheitskriege gegen Napoleon datierte; andererseits wich sie aber von den Rankeʼschen Vorüberlegungen ab, indem sie der Darstellung der Historiographie des 16.–18. Jahrhunderts breiten Raum gab und kompilatorisch die Arbeiten der einzelnen Historiker präsentierte (Wegele 1885, 618–661 u. passim). Wegele schilderte Leibnizʼ Beschäftigung mit geschichtlichen Themen im ausführlichen biographischen Kontext; es gelang ihm jedoch nicht, einen roten Faden der Historiographiegeschichte zu finden, der auch unter wissenschaftstheoretischen Aspekten die Würdigung und Einordnung von Leibniz als Historiker ermöglicht hätte (Blanke 1991, 333– 336). Eine ähnlich isolierte Betrachtung des Historikers Leibniz, sowohl was das Gesamtwerk betrifft als auch hinsichtlich der Einordnung in die zeitgenössische Geschichtswissenschaft, unternahm Louis Davillé, der 1909 die umfangreichste Monographie über Leibnizʼ Geschichtsforschung und Historiographie veröffentlichte (Davillé 1909). Davillés größtes Verdienst liegt in der Ermittlung und akribischen Erforschung vieler bislang unbekannter historischer Manuskripte in Leibnizʼ Nachlass. Mit der Stilisierung von Leibniz als „un des plus grands historiens de lʼépoque moderne et de tous les temps“ und der Konstruktion eines geschlossenen Kosmos Leibnizʼscher Histo-riographie konnte Davillé aber die Historikerzunft weder in Deutschland noch in Frankreich überzeugen. Eine stärkere Beachtung der historiographischen Teile von Leibnizʼ Gesamtwerk folgte aus Davillés Arbeit nicht. 6. DIE BEURTEILUNG DES HISTORIKERS LEIBNIZ IM LICHTE SEINER PHILOSOPHIE Für die Einordnung von Leibniz durch die deutschen Geisteswissenschaften und speziell die Historikerzunft hatte die autoritativ verordnete Grenzziehung zwischen einer vorwissenschaftlichen und einer wissenschaftlichen Epoche der Geschichtsschreibung und die Fokussierung auf den Philosophen Leibniz weitreichende Konsequenzen. Wenn Leibnizʼ Geschichtsforschung und Geschichts-

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schreibung fortan überhaupt Beachtung fanden, dann bemühte man sich um deren Deutung und Wertung vornehmlich im Kontext seiner Philosophie. In Wilhelm Diltheys Studien zur Geschichte des deutschen Geistes, die sein Schüler Paul Ritter postum 1927 herausgab, nehmen „Leibniz und sein Zeitalter“ einen prominenten Platz ein. Bedauernd stellt Dilthey fest, dass Leibniz, beauftragt mit der Erforschung der Welfengeschichte, „in Hannover nie wirkliche Anerkennung und Förderung“ für seine zahlreichen wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Projekte gefunden habe. Leibniz habe zwar für seine Dynastiegeschichte die „Geschichte und die Wissenschaften, die ihr dienen, in den Kreis seiner Studien“ einbezogen, jedoch nicht mehr versucht, „die geschichtliche Welt in sein philosophisches System aufzunehmen“ (Dilthey 1927, 35–36). Für die Einschätzung der verschiedenen Teile von Leibnizʼ Gesamtwerk gab es für Dilthey einen klaren Maßstab nach dem Schema: Philosophie als Ausdruck des freien, selbstbestimmten Genies, Geschichte als fremdbestimmter, leider notwendiger Brotberuf zur Sicherung der Existenz. Diese scharfe, geradezu lebensweltlich verortete Trennung von Philosophie und Geschichte in Leibnizʼ Œuvre sollte fortwirken, und insofern verwundert es nicht, dass unter der Leitung von Paul Ritter die 1901 ins Leben gerufene Akademie-Ausgabe von Leibnizʼ Sämtlichen Schriften und Briefen die Edition der historischen Schriften hintanstellte. Die dafür vorgesehene Reihe 5 ist erst 2019 begonnen worden. Ähnlich wie Dilthey argumentierte auch Friedrich Meinecke, der Leibniz aufgrund von dessen Metaphysik, insbesondere wegen des Individualitätsprinzips, als Ahnherrn des deutschen Idealismus einen für die Entstehung des Historismus als umfassender Weltanschauung zentralen Platz in der deutschen Geistesgeschichte zusprach. Die eigentlichen historischen Arbeiten hingegen verortete Meinecke in den Traditionen humanistischer Geschichtsschreibung oder schrieb sie mit Blick auf Leibnizʼ Editionen einem „antiquarischen Urtrieb“ zu (Meinecke 1959, 36– 37). Positive Seiten konnte Meinecke diesem „Urtrieb“ gelehrten Sammeleifers und Rekonstruktion ‚trockener‘ Genealogien erst abgewinnen, als er meinte, seinen Tribut an einen neuen Zeitgeist entrichten zu müssen. Beileibe selbst kein Nationalsozialist, stellte Meinecke als Herausgeber der wichtigsten historischen Fachzeitschrift dennoch eine Verbindung her zwischen Leibnizʼ genealogischen Forschungen und der nationalsozialistischen Blut- und Boden-Ideologie. In seinem Geleitwort zum 150. Band der Historischen Zeitschrift erinnerte er 1934 an den Wert der Erforschung der prähistorischen Vergangenheit für die Gegenwart. „Die nationalsozialistische Revolution“, so führte Meinecke aus, fühlt sich getragen von Kräften des Bluts und der Rasse, die aus fernster Vorzeit stammen. [...] Sie erinnert den einzelnen deutschen Menschen nachdrücklich an seine Ahnen, an ein Urmoment also, aus dem historischer Sinn entspringen kann, wie denn schon Leibniz seine genealogischen Studien auch mit dem tieferen Interesse, die connection naturelle des hommes geschichtlich zu begreifen, getrieben hat. (Meinecke 1968, 14–24, hier 14).

Das Geleitwort, bis 1941 noch mehrmals in einer Aufsatzsammlung Meineckes neu aufgelegt, fehlt in der 5. Auflage von 1951 (Meinecke 1968, 14).

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Das Desinteresse an bzw. die einseitige Sicht auf Leibniz als Historiker blieb nicht auf die führenden Vertreter des Historismus beschränkt. Auch ein Vertreter alternativer kulturgeschichtlicher Forschungsansätze wie Karl Lamprecht sprach dem frühneuzeitlichen Menschen rundweg die Fähigkeit ab, sich historisch zu verorten. Er postulierte für diese Epoche eine „Unfähigkeit des Individuums, sich innerhalb einer zeitlich und örtlich bedingten Umwelt zu denken“ und führte als Beleg dafür die Leibnizʼsche Monadenvorstellung als geschichtslose „Verallgemeinerung des Persönlichkeitscharakters“ ins Feld (Lamprecht 1974, 404). Eduard Fueter, der besondere Sympathien für die Aufklärungshistorie bekundete, ordnete in seiner erstmals 1911 erschienenen Geschichte der neueren Historiographie Leibniz ausschließlich der gelehrten Annalistik zu und behauptete, Leibniz habe mehr daran gelegen, „die in den Quellen angeführten Tatsachen chronologisch und genealogisch zu bestimmen als historisch zu erklären“. „Der historische Stoff“, so Fueter, sei „bloß gesammelt, nicht verarbeitet“ (Fueter 1936, 317). Die historiographiegeschichtlichen Einordnungen von Leibniz im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sollten auch in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft lange nachwirken. Noch 1975 formulierte Horst Günther in den Geschichtlichen Grundbegriffen, fast wörtlich die Einschätzung Diltheys übernehmend, dass Leibniz über das philosophische Instrumentarium verfügt habe, „die Welt als dynamischen, progredierenden Gesamtprozeß anzusehen“, es ihm aber nicht gelungen sei, diese Einsicht auf den Begriff der Geschichte zu übertragen oder gar in seinen Geschichtswerken über einzelne harmonisierende Deutungen hinaus zu verwirklichen [...]; seine historische Arbeit erschöpfte sich im wesentlichen darin, die von Mabillon und den Maurinern entwickelten Methoden auf deutsche Quellen anzuwenden. (Günther 1975, 639)

Und auch Reinhard Koselleck, der wie kein Zweiter in neuester Zeit geschichtstheoretische Probleme reflektiert und die Geschichte des Fachs behandelt hat, sah Leibnizʼ Einfluss auf spätere Historiken ausschließlich durch seine Metaphysik gegeben. Leibniz habe, so im Artikel „Fortschritt“ der Geschichtlichen Grundbegriffe, „metaphysisch [...] die geschichtstheoretischen Positionen des 18. Jahr-hunderts [...], die auf die Dynamisierung eines sich ins Unendliche vorantreibenden Prozesses zielten“, vorweggenommen (Koselleck 1975, 374; van den Heuvel 2013, 111–127). Diese Urteile fußten kaum auf der Kenntnis Leibnizʼscher Schriften zur Geschichte, sondern tradierten pauschalierende Wertungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. 7. KONTINUITÄTEN UND ERWEITERUNGEN DER PERSPEKTIVE NACH 1945 Nach der Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Herrschaft wurde Leibniz – ähnlich wie Goethe, Schiller und andere Geistesgrößen – in der Publizistik ebenso wie von der Politik als Vertreter des besseren, humanen und welt-

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offenen Deutschland in Anspruch genommen (van den Heuvel 1996c, 332). Leibnizʼ 300. Geburtstag im Jahre 1946 gab den willkommenen Anlass, das Wirken des moralisch über jeden Zweifel erhabenen Universalgelehrten in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen darzustellen. So bot sich auch für Werner Conze, in dessen völkisch-deutschnationale Publikationen und Arbeiten zur sogenannten Ostforschung auch Grundbegriffe der NS-Ideologie eingeflossen waren, mit dem Beitrag „Leibniz als Historiker“ (Conze 1951) die Gelegenheit, mit einem politisch und ideologisch unbelasteten Thema die bisherige akademische Vita hinter sich zu lassen. In weiten Teilen auf Davillés Leibniz historien fußend, bot die Arbeit darüber hinaus eine kenntnisreiche historische Einordnung von Leibnizʼ Geschichtsforschung und seiner Publikationstätigkeit im Bereich der Historie. Als Überblicksdarstellung ist die Arbeit bis heute von Wert. Conzes Beitrag änderte nichts am marginalen Interesse, das die LeibnizForschung dem Historiker bis in die jüngste Zeit entgegenbrachte. Eine Ausnahme bildete seit den 1960er Jahren Günter Scheel, Mitarbeiter an der Reihe I der Leibniz-Akademie-Ausgabe, nachfolgend Archivar in den niedersächsischen Staatsarchiven Hannover und Wolfenbüttel, der als intimer Kenner der von Leibniz hinterlassenen Manuskripte vor allem die landesgeschichtlichen Aspekte in Leibnizʼ Werk herausstellte (Scheel 1966b, 61–82), aber auch eine Einordnung von Leibniz in die zeitgenössische Historiographie vornahm (Scheel 1976, 82– 101) und auf methodologische Innovationen, etwa Leibnizʼ Plädoyer für die Schichtenanalyse bei archäologischen Grabungen (Scheel 1966b, 69–70), aufmerksam machte. Aus Scheels Feder stammt auch die Würdigung des Historikers Leibniz in einem Sammelband anlässlich des 250. Todestages des Universalgelehrten im Jahre 1966 (Scheel 1966a, 227–276). Neben Scheels Aufsätzen erschienen in den 1960er bis 1980er Jahren nur wenige Publikationen zu Leibnizʼ Beschäftigung mit der Geschichte. Das marginale Interesse an den historischen Arbeiten innerhalb des Leibnizʼschen Gesamtwerks ist gleichermaßen ablesbar am verschwindend geringen Anteil von Vorträgen mit genuin geschichtswissenschaftlicher Thematik auf den seit 1966 regelmäßig stattfindenden Leibnizkongressen oder an den Beiträgen in den seit 1968 erscheinenden Studia Leibnitiana. Auch ein internationales Kolloquium zu „Leibniz als Geschichtsforscher“ im Jahre 1980 wurde mehrheitlich von Philosophiehistorikern unter den spezifischen Fragestellungen ihres Fachs bestritten (Heinekamp 1982). Noch geringer fällt die Anzahl der Monographien zu Leibnizʼ historiographischem Werk aus. Armin Reese widmete sich 1967 der politischen Relevanz der Leibnizʼschen Geschichtsforschung beim dynastischen Aufstieg des Welfenhauses (Reese 1967), Horst Eckert unternahm 1970 eine kritische Sichtung von Leibnizʼ Scriptores rerum Brunsvicensium. Die letztere, von dem niedersächsischen Landeshistoriker Georg Schnath angeregte Arbeit zu Leibnizʼ zwischen 1707 und 1711 in drei Bänden erschienenem Quellenwerk beschreibt detailliert die Entstehungsgeschichte der Scriptores und untersucht die einzelnen von Leibniz edierten Quellentexte hinsichtlich ihrer Vollständigkeit und editorischen Qualität. Das Ergebnis ist für den Historiker Leibniz wenig schmeichelhaft: Eckert zeigt, dass Leibniz den von ihm selbst formulierten Ansprüchen auf Exaktheit bei der Wie-

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dergabe der handschriftlichen Vorlagen nicht gerecht wurde, nicht immer die beste verfügbare Überlieferung zugrunde legte, die wesentlichen Arbeitsschritte der Kollation und der Kontrolle des Drucks wechselnden Mitarbeitern überließ, ja sich ausdrücklich weigerte, die zeitraubenden Arbeiten der Textherstellung selbst zu übernehmen. Insgesamt, so weist Eckert anhand detaillierter Fehlerlisten nach, erreichte Leibniz mit seiner Edition nicht annähernd die von den Maurinern vorgegebenen zeitgenössischen Qualitätsstandards. Der Beachtung und Wertschätzung der Scriptores in den Wissenschaften vom 18. bis zum 20. Jahrhundert als umfangreichstes Kompendium der erzählenden Quellen zur mittelalterlichen Geschichte des niedersächsischen Raumes, so zeigt Eckert, hatten die aufgezeigten Defizite gleichwohl keinen Abbruch getan. Ergänzend würdigte Alfred Schröcker 1977 Leibnizʼ Quelleneditionen insgesamt und ordnete die genealogischen Forschungen des Universalgelehrten in gleichgeartete Bemühungen anderer Gelehrter des 17. Jahrhunderts ein (Schröcker 1976; 1977). Das Interesse der neueren Forschung gilt weniger den unzulänglichen beziehungsweise nicht zum Abschluss gebrachten historischen Hauptwerken des Universalgelehrten, als vielmehr den in Briefen und kleineren Arbeiten verstreuten, bislang weniger beachteten innovativen Leibnizʼschen Beiträgen zur frühneuzeitlichen Geschichtswissenschaft. Dieses Forschungsinteresse trägt der Tatsache Rechnung, dass Leibniz – wie in den meisten von ihm beackerten Feldern der Wissenschaften – keine abgeschlossenen Werke hinterlassen hat, in den vielen kleinen Abhandlungen und Gelegenheitsarbeiten aber Fragestellungen und Ergebnisse sichtbar werden, die eine hohe Sensibilität für die historische Überlieferung und mögliche Fragestellungen an die Quellen erkennen lassen, wie sie sich durchaus in neueren Forschungsinteressen widerspiegeln. Die Textgrundlage für diesen Blick auf den Historiker Leibniz liefert die fortschreitende Gesamtausgabe, aber auch eine auf die historischen Arbeiten konzentrierte Edition von Leibnizʼ Schriften und Briefen zur Geschichte (Babin/van den Heuvel 2004). Mit der fortschreitenden Erschließung des historiographischen Nachlasses von Leibniz wächst das Verständnis für die Problemstellungen frühneuzeitlicher Historiographie, die sich ihre Quellengrundlage erst erarbeiten musste, Trittsteine in einem unübersichtlichen Gelände legte und Synthesen auf der Basis kritischer Forschung nur ansatzweise vorlegen konnte. Besonders von Seiten der Mediävistik sind die innovativen Impulse der Leibnizʼschen Geschichtsforschung herausgestellt worden. Otto Gerhard Oexle machte auf die Tatsache aufmerksam, dass Leibniz mit der Auswertung der Fuldaer Totenannalen als einer der ersten die Bedeutung der mittelalterlichen Memorialüberlieferung für genealogische und chronologische Forschungen erkannt hat (Oexle 1978, 451; Huth 2012). Werner Hechberger zeigte, dass die von Leibniz konstruierte Welfengenealogie über eine weibliche ‚Erbfolge‘ in der Namensgebung mit ihrer Unterscheidung „älterer“ und „jüngerer“ Welfen nicht nur den politischen Interessen der hannoverschen Kurfürsten am Ende des 17. Jahrhunderts diente, sondern auch die Geschichtsschreibung bis in die Gegenwart prägt (Hechberger 1996, 176–178). In der Landesgeschichte hat Alois Schmid einen Vergleich zwischen Leibnizʼ historischen Forschungen und der zeitgenössischen bayerischen Historiographie zur Geschichte der Welfen unter-

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nommen und im Ergebnis festgestellt, dass Leibniz „ungleich differenzierter und mit wesentlich mehr Methodenbewußtsein“ zu Werke ging als zeitgenössische und frühere bayerische Geschichtsschreiber (Schmid 1999, Zitat 146; van den Heuvel 1996b). Auf dem Feld von Geschichtstheorie und Geschichtsphilosophie ist auf die zahlreichen bereits von Leibniz formulierten Grundpositionen hingewiesen worden, die in der Regel erst der Historiographie der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert zugesprochen werden (van den Heuvel 2013). Die Bedeutung, die Leibniz den Bildquellen für eine vertiefte Erkenntnis der Vergangenheit zumaß, wird in seinen Entwürfen zur Welfengeschichte ebenso deutlich wie in den methodologischen Überlegungen zur Historiographie (Babin/van den Heuvel 2004, 861, 888, 111). Stephan Waldhoff hat im Einzelnen gezeigt, wie Leibniz mit der Einbeziehung von Sach- und Bildquellen eine methodische Erweiterung der Geschichtsforschung initiierte, die erst in viel späteren kulturgeschichtlichen Ansätzen der Historiographie wieder aufgegriffen wurde (Waldhoff 2012). Insgesamt lässt sich in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse am historiographischen Werk des Universalgehrten feststellen, dessen eigenständiger Wert innerhalb des Gesamtœuvres erkannt und nicht länger unter den Prämissen Leibnizʼscher Philosophie beurteilt wird. Für eine weitere vertiefte Kenntnis von Leibniz als Historiker und seiner Stellung in der frühneuzeitlichen Historiographie bleibt die kritische Edition der Leibnizʼschen Annalen unabdingbare Voraussetzung und vordringliches Desiderat. BIBLIOGRAPHIE Babin/van den Heuvel 2004 – Gottfried Wilhelm Leibniz: Schriften und Briefe zur Geschichte (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 218), bearbeitet, kommentiert und herausgegeben von Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel, Hannover 2004. Blanke 1991 – Horst Walter Blanke: Historiographiegeschichte als Historik (= Fundamenta historica 3), Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. Bodemann 1867 – Eduard Bodemann: Die Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1867. Bodemann 1889 – Eduard Bodemann: Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz in der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1889 (ND Hildesheim 1966). Bodemann 1895 – Eduard Bodemann: Die Leibniz-Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover – Leipzig 1895 (ND Hildesheim 1966). Brechenmacher 2003 – Thomas Brechenmacher: Wieviel Gegenwart verträgt historisches Urteilen? Die Kontroverse zwischen Heinrich von Sybel und Julius Ficker über die Bewertung der Kaiserpolitik des Mittelalters (1859–1862), in: Ulrich Muhlack (Hg.): Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 5), Berlin 2003, 87–111. Bünau 1728–1743 – Heinrich von Bünau: Genaue und umständliche Teutsche Käyser- und Reichs-Historie. Aus den bewehrtesten Geschicht-Schreibern und Uhrkunden zusammen getragen, 4 Bde., Leipzig 1728–1743. Conze 1951 – Werner Conze: Leibniz als Historiker (= Leibniz zu seinem 300. Geburtstag. 1646– 1946, Lieferung 6), Berlin 1951.

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Gerd van den Heuvel

van den Heuvel 1996a – Gerd van den Heuvel: Johann Georg Eckharts Entwurf einer Geschichte des Bistums Osnabrück, in: Osnabrücker Mitteilungen 101 (1996), 65–81. van den Heuvel 1996b – Gerd van den Heuvel: „Deß NiederSächsischen Vaterlandes Antiquitäten“. Barockhistorie und landesgeschichtliche Forschung bei Leibniz und seinen Zeitgenossen, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 68 (1996), 19–41. van den Heuvel 1996c – Gerd van den Heuvel: Leibniz als Jubilar. Das Leibnizbild des 19. und 20. Jahrhunderts im Spiegel von Gedenktagen (1846–1946), in: Hannoversche Geschichtsblätter, N. F. 51 (1996), 313–334. van den Heuvel 2007 – Gerd van den Heuvel: Landesgeschichte als „Big History“. Zur Geschichtskonzeption von Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Landesgeschichte im Landtag, hg. vom Präsidenten des Niedersächsischen Landtags, Hannover 2007, 317-321. van den Heuvel 2013 – Gerd van den Heuvel: Geschichte als Erfahrungsraum und Erwartungshorizont bei Leibniz, in: Carsten Dutt, Reinhard Laube (Hg.): Zwischen Sprache und Geschichte. Zum Werk Reinhart Kosellecks (= Marbacher Schriften, N. F. 9), Göttingen 2013, 111– 127. van den Heuvel 2016 – Gerd van den Heuvel: „Emeritus“ oder „tout à fait inutile“? Leibnizʼ Verhältnis zum britisch-hannoverschen Hof in seinen letzten beiden Lebensjahren, in: Michael Kempe (Hg.), 1716 – Leibnizʼ letztes Lebensjahr. Unbekanntes zu einem bekannten Universalgelehrten, Hannover 2016, 39–57. Huth 2012 – Volkhard Huth: Leibnizʼ Umgang mit Memorialquellen aus der Sicht der heutigen Memorialforschung, in: Gädeke 2012a, 119–137. Justi 1758 – Johann Heinrich Gottlob Justi: Die Chimäre des Gleichgewichts von Europa, Altona 1758. Klopp 1862 – Onno Klopp: Die gothaische Auffassung der deutschen Geschichte und der Nationalverein. Mit Beziehung auf die Schrift des Herrn von Sybel: Die deutsche Nation und das Kaiserthum, Hannover 1862. Koselleck 1975 – Reinhart Koselleck/Christian Meier: Art. „Fortschritt“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Bd. 2, Stuttgart 1975 (ND 1993), 351−423. Lamprecht 1974 – Karl Lamprecht: Über die Entwicklungsstufen der deutschen Geschichtswissenschaft, in: Karl Lamprecht: Ausgewählte Schriften zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte und zur Theorie der Geschichtswissenschaft, hg. von Herbert Schönebaum, Aalen 1974, 397–475 (Erstdruck in: Zeitschrift für Kulturgeschichte 5 (1898), 385–420, und 6 (1899), 1–45). Lorenz 2008 – Stefan Lorenz: [Rezension von] Gottfried Wilhelm Leibniz: Schriften zur Geschichte. Bearbeitet, kommentiert und hg. von Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel. Hannover 2004, in: Editionen in der Kritik 2 (= Berliner Beitrage zur Editionswissenschaft 7), hg. von Hans-Gert Roloff, Berlin 2008, 443–451. Mascov 1726 – Johann Jakob Mascov: Geschichte der Teutschen bis zu Anfang der Fränckischen Monarchie, Leipzig 1726. Mascov 1737 – Johann Jakob Mascov: Geschichte der Teutschen bis zu Abgang der Merowingischen Könige, Leipzig 1737. Meinecke 1959 – Friedrich Meinecke: Werke, Bd. 3: Die Entstehung des Historismus, hg. und eingel. von Carl Hinrichs, Stuttgart 1959 (Erstdruck: 2 Bde., München 1936). Meinecke 1968 – Friedrich Meinecke: Werke, Bd. 7: Zur Geschichte der Geschichtsschreibung, hg. und eingel. von Eberhard Kessel, Stuttgart 1968. Melo Araújo 2012 – André de Melo Araújo: Weltgeschichte in Göttingen. Eine Studie über das spätaufklärerische universalhistorische Denken, 1756–1815 (= Der Mensch im Netz der Kulturen. Humanismus in der Epoche der Globalisierung 16), Bielefeld 2012. Moser 1765 – Friedrich Karl von Moser: Von dem deutschen Nationalgeist, [Frankfurt/M.] 1765. Oexle 1978 – Otto Gerhard Oexle: Die Überlieferung der fuldischen Totenannalen, in: Karl Schmid (Hg.): Die Klostergemeinschaft von Fulda im frühen Mittelalter (= Münstersche Mittelalter-Schriften 8), 5 Bde., München 1978, Bd. 2.2, 447–504.

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Waldhoff 2016 – Stephan Waldhoff: Über den Tod hinaus – Leibniz und die Geschichte des Welfenhauses, in: Michael Kempe (Hg.), 1716 – Leibnizʼ letztes Lebensjahr, Hannover 2016, 355-399. Wallnig 2012 – Thomas Wallnig: Johann Georg Eckhart als Verwerter von Leibnizʼ historischen Kollektaneen: Geschichtsforscher in höfischen Diensten oder gelehrter Beamter?, in: Gädeke 2012a, 189–210. Wattenbach 1893 – Wilhelm Wattenbach: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, Bd. 1, 6. Aufl., Berlin 1893. Wegele 1885 – Franz Xaver von Wegele: Geschichte der deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus (= Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 20), München – Leipzig 1885. Zedler 1733 – Johann Heinrich Zedler: Art. „Braunschweig“, (Land und Hertzogthum.), in: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Bd. 4, Halle – Leipzig 1733, Sp. 1138–1142.

SPRACHWISSENSCHAFT Cristina Marras 1. SCHRIFTEN, SCHNIPSEL UND VERSTREUTE BLÄTTER Leibniz hat sich dem Studium von Sprachen und Sprache aus ganz unterschiedlichen Perspektiven angenähert, und das erleichtert nicht eben die an und für sich schon schwierige Aufgabe, diesen Forschungsbereich in das Bild eines enzyklopädischen und vielschichtigen Denkens einzufügen, wie es für ihn charakteristisch war. Die Schwierigkeiten nehmen noch zu im Verhältnis nicht allein zur von Leibniz aufgebotenen Gelehrsamkeit, sondern paradoxer Weise auch zur bedeutenden Zahl von Schriften, die der Wissenschaft zusehends leichter zugänglich werden. Dank des monumentalen Projekts der Edition von opera omnia in Gestalt der 1901 initiierten Akademie-Ausgabe, dank auch der immer zahlreicher werdenden Editionen und Übersetzungen einzelner Texte sind mittlerweile Leibniz’ Schriften zu großen Teilen datiert, mit wertvollen kritischen Apparaten und bibliographischen Nachweisen versehen und bezeugen doch zugleich ihre inhärente Vielschichtigkeit und ihren Themen übergreifenden Charakter1. Fast achtzig Jahre sind vergangen, seit Kurt Müller sich vor die Aufgabe gestellt sah, Leibniz’ Erbe zu ordnen und benutzbar zu machen. Er löste sie, indem er die Arbeit an der Akademie-Ausgabe zunächst auf die Reihe I beschränkte: „Denn gerade sie deckt am schnellsten das noch unbekannte Material auf und legt sich nach ihrer Vollendung wie eine Schneise durch das Dickicht des Nachlasses. Nur mit Hilfe der Allgemeinen Bände wird es gelingen, zu einer einigermaßen zuverlässigen Chronologie der Schriften, Aufzeichnungen, Notizen und Auszüge zu kommen, die für die Schriftenreihen vorgesehen sind“ (Müller 1956, 418 f.). Dennoch ist im großen Bestand von Leibniz’ Schriften noch immer Gelegenheit zu ordnen, und vielleicht werden beim Neuordnen unerwartete, vernachlässigte, ja vergessene Dokumente ans Tageslicht kommen. Der Leibniz-Nachlass ist reichhaltig und mannigfaltig: Es finden sich wohlgeordnete Schriften, abgeschlossene Aufsätze und Entwürfe, aber auch undatierte Blätter ohne erkennbare Bezüge, unvollständig oder verblichen, Marginalien, Notizen, Arbeitsskizzen, Abschriften, Exzerpte und vor allen Dingen Leibniz’ unschätzbare Korrespondenz, deren Hauptbestand in der G. W. Leibniz Bibliothek   1

Angesichts dieses übergreifenden Charakters erhebt die vorliegende kritische Übersicht zu Denken und Rezeption des „Linguisten“ Leibniz keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zur Ergänzung des Bildes sei auch auf die bibliographischen Hinweise der einzelnen im Text zitierten Beiträge verwiesen.

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in Hannover 2007 ins Weltdokumentenerbe im Rahmen des UNESCOProgramms „Memory of the World“ aufgenommen wurde. Jede dieser Schriften, Notizen oder Briefe kann, um es mit einem von Leibniz gern gebrauchten Bild zu sagen, auf der Suche nach Orientierung in der Leibnizforschung zum Ariadnefaden werden, auch im Bereich der Sprachwissenschaft. Gerade die sprachwissenschaftlichen Schriften sind auf Grund ihres thematisch übergreifenden Charakters zum Teil noch nicht untersucht, sie verdienen ein eingehendes, vertieftes Studium. In dieser unvergleichlichen Materialfülle lässt sich ein gegenüber den bekannteren und häufiger untersuchten Bereichen seines Denkens eigenständiger Strang des Forschens und Reflektierens aufspüren und wiederherstellen, den Leibniz der Sprache und den Sprachen gewidmet hat 2 . „Et puisque toutes les fois que nous penetrons dans le fonds de quelques choses, nous y trouvons le plus bel ordre qui se puisse souhaiter, au delà même de ce qu’on s’en figuroit, comme savent tous ceux qui ont approfondi les Sciences“, schrieb Leibniz 1702 an Königin Sophie Charlotte in Preußen (A I,21 345). Es ist also eine Herangehensweise von Leibniz selbst, der wir folgen, wenn auch wir versuchen, seinem Verständnis von und Beschäftigung mit Sprache „auf den Grund zu gehen“ und vor allem anderen ein Inventar aufzustellen. Inventarium gebraucht Leibniz in einem technischen Sinn, für ihn vereinigt der Begriff in sich die Kunst des Erfindens (ars inveniendi) und die Kunst der Begründung (ars judicandi), er hat zugleich heuristische und beweisende Geltung. Leibniz legte besonderen Wert auf die Kompilation von thematischen Indizes von Büchern, Inventaren und Thesauri, die bei aller Unvollständigkeit einen Schlüssel zur Erkenntnis bzw. im vorliegenden Fall zu Leibniz’ Sprachauffassung, zum Studium der Sprachen und deren bewusstem Gebrauch, zum Wert der sprachlichen Diversität und den darin verborgenen Schwierigkeiten bieten. Um es mit Leibniz’ eigenen Worten zu sagen: „Si saltem omnia vere utilia atque realia, quae in tot libris exstant, in unum collecta atque indicum in collectanea universalium ope in promptu essent, Thesaurum incredibilem haberemus“ (FC, VII, 102). Eine Analyse des Forschungsstandes muss daher die Sichtung der verfügbaren Materialien und der Kataloge einbeziehen. Leibniz selbst gibt in diesem Sinne präzise Hinweise zur Methodik, wie es Forschung zu betreiben gilt: […] eruditionis hodiernae apparatus, videtur comparari posse tabernae amplissimae, omnigena mercium varietate instructae, sed plane eversae et perturbatae, omnibus inter se confusis, nullis accedentibus numeris literisve indicibus, nullo inventario, nullis rationum libris, unde lux aliqua hauriri possit. Ubi quanto majorem massam conficient res collectae, tanto minus usui erunt. Itaque non tantum novis mercibus undique convectandis, sed et his quae habentur rite ordinandis opera danda est, talisque eligendus ordo, ut nova supplementa semper imposterum locum suum certum inveniant, nec pristina semper ob accessiones quotidianas turbari

  2

Auf dieser Eigenständigkeit haben etliche Forscher beharrt, vgl. etwa Heinekamp (1972, 1975, 1976), Dascal (1978, 1987), Dutz (1989, 204–240); Gensini (1990, 1999, 2000), Marras (1996, 2010), im Unterschied zu jenen, die ein überwiegend antiquarisches oder von reiner Neugier befeuertes Interesse betont haben (Leroy 1966).

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immutarique indies necesse sit, quod promtis quidem, sed parum judiciosis patribus familias usu venire solet, qui nunquam sibi satisfacientes, singulis noctibus rerum suarum familiarium faciem statumque mutare deliberant. Idem nobis in scientiis usu venire videtur, ubi perpetua reformandi innovandique libidine prurimus, nec tamen quaesitis utimur, sed indigesta relinquentes mox alia captamus, neque aliquid certi constituimus, cui postea inaedificare tuto possimus. Nec parum turbat infinita librorum eadem reciprocantium moles, de qua latius deinde dicendi locus erit. (Leibniz, Praefatio operis ad Instaurationem Scientiarum, [1682(?)], A VI,4A 440).

Wie ist nun bis heute der Teil des Leibniz-Nachlasses gegliedert, welcher der Sprachwissenschaft gewidmet ist? Einschlägig sind in erster Linie Eduard Bodemanns Kataloge der Leibniz-Handschriften (1895) und des Briefwechsels (1889), beide mit Verbesserungen und neuen Einleitungen 1966 nachgedruckt. In erstgenanntem finden wir unter „Philologie. Sprachwissenschaften“ (125–165) sechs „volumina“, davon drei mit Bezug auf Sprachwissenschaft im engeren Sinn: III. Deutsche Sprache, IV. Lateinische Sprache, V. Französische Sprache, womit die Sprachen bezeichnet sind, deren sich Leibniz ganz überwiegend bediente und die damit im Zentrum seiner Aufmerksamkeit standen, nicht aber die Vielzahl linguistischer Themen, die ihn beschäftigten. Dazu kommen eine Reihe von Verweisen auf Bodemanns allgemeinen Katalog der Handschriften der GWLB (1867), wo unter Ms IV bereits einige Arbeiten von Leibniz verzeichnet worden waren. Was den an zweiter Stelle genannten Katalog betrifft, ist sprachwissenschaftlich relevantes Material durch die systematische Auswertung der den einzelnen Korrespondenten gewidmeten Abschnitte zu gewinnen. Nähere Informationen zu den Briefen selbst (allerdings ohne Sacherschließung) sind dem jetzt online verfügbaren sogenannten Ritter-Katalog 3 , der den gesamten LeibnizNachlass auch außerhalb Hannovers verzeichnet, zu entnehmen. Unentbehrlich bleiben die Klassiker der Leibniz-Bibliographie wie Émile Ravier, Bibliographie des œuvres de Leibniz von 1937, der Kritische Katalog der Leibniz-Handschriften von Paul Ritter (als Manuskript vervielfältigt, Berlin 1908; Berichtszeitraum 1646–1672) bzw. dessen Fortsetzung Catalogue critique des manuscrits de Leibniz (Poitiers 1914–1924; Berichtszeitraum März 1672–November 1676). Für Aktualisierungen verweisen wir auf Heinekamp (1989) und Lorenz (2007). Die erschöpfendste und aktuellste Zusammenstellung von Leibniz’ Schriften zur Sprache ‒ Drucke und Handschriften ‒ bietet die detaillierte Bibliographie von Stefan Luckscheiter (2014b).4   3

4

https://mdb.lsp.uni-hannover.de/Arbeitskatalog/deutsch.php. Verwiesen sei auch auf die überaus nützliche, von der Leibniz-Forschungsstelle Münster betreute Seite „Leibniztexte im Internet“, eine wertvolle Sammlung von Links zu online zugänglichen Primärquellen zu Leibniz, Biographien, Zeitschriftenartikel, Textsammlungen, Übersetzungen aus dem 17. bis 20. Jahrhundert (https://www.uni-muenster.de/Leibniz/Leibniz_im_Internet/9.html). Zum Ort der sprachwissenschaftlichen Studien in Leibnizʼ Bibliothekssystematik vgl. Waldhoff (2008, 159–241). Zu Leibnizʼ Bibliothek bleibt wertvoll Margherita Palumbos Leibniz e la res bibliotecaria. Bibliografie, historiae literariae e cataloghi nella biblioteca privata leibniziana, Roma 1993.

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2. EDIERTES UND NICHTEDIERTES In Anbetracht von Leibniz’ intensiver Forschungstätigkeit überrascht, wie wenig er im eigenen Namen in den Druck gegeben, wie viel er seinen Schreibkräften und den weiteren „Schicksalen“ seiner Texte überlassen hat. Wollte man Einfluss und Stellenwert eines Autors in der Ideengeschichte nach seinen Veröffentlichungen bemessen, liefe das in mancher Hinsicht auf eine Herabstufung (nicht nur) des „Linguisten“ Leibniz hinaus, rechtfertigen doch die von ihm selbst veröffentlichten Schriften eine solche Klassifizierung in keiner Weise. Leibniz’ Eigenart gibt sich aber nicht lediglich in dem zu erkennen, was er in systematischer oder monographischer Gestalt publiziert hat, sondern vor allem in dem, was er den Zeitschriften seiner Zeit anvertraut hat, seinen Briefen oder Entwürfen für den Aufbau von Bibliotheken und wissenschaftlichen Gesellschaften (Roinila 2009, Totok 1966, Lamarra und Palaia 2005). Und dennoch: Was Leibniz zu seiner Zeit in Umlauf gebracht hat, bestätigt den hohen Stellenwert, den die Beobachtung von Sprache und Sprachen für ihn ein Leben lang gehabt hat. Gegenstände, Zielsetzungen, methodische Ansätze hat er in origineller Weise und über Fachgrenzen hinaus vorgetragen und vertieft und damit den Weg von der gelehrten Forschung zur Sprachwissenschaft gewiesen5. Fragen nach Entstehung und Entwicklung unserer Sprachen, Probleme der vergleichenden Srachwissenschaft tauchen in Leibnizens Leben frühzeitig auf. Schon in seiner Frankfurter und Mainzer Zeit (1667–1672) scheint er ihnen das Ohr geöffnet zu haben. Verschiedene Motive haben ihn immer wieder zu solchen Studien gedrängt. Die allgemeine Anthropologie und die Religionwissenschaft wiesen ihn diese Wege. Denn in den Sprachen hat er zeitlebens das sicherste Mittel gesehen, uns über die Ursprünge, die Verwandtschaften, Wanderungen und Beziehungen der Völker zu einander zu unterrichten. (Von der Schulenburg 1937, 3) Bei Jacob Brucker hieß es 1744 noch summarisch: Mirumque omnino est, quod […] in aliis tamen eruditionis generibus, ab hac disciplina theoretica [sc. geometria] longissime distantibus, qualia sunt jurisprudentia, historia, antiquitatum cognitio, studium etymologicum & similia, ubique Roscium sese praestiterit. (Dutens I, CVI f.).

Heute dürfen wir feststellen, dass die Zeit der Leibniz-Forschung auch jenseits der Mathematik in höchstem Grade reif ist, dass der Umfang der in der AkademieAusgabe veröffentlichten Schriften und die Übersetzungen und Editionen einzelner Texte mehr als ausreichen, um eine angemessenere Darstellung der Forschungen der vergangenen 300 Jahre auch zu Leibniz’ Sprachwissenschaft zu entwerfen, als es bislang möglich war, und die philosophisch-linguistischen Fragen neu   5

Erst in diesen Tagen ist begonnen worden mit der Vorbereitung der Reihe V der AkademieAusgabe mit den historischen und sprachwissenschaftlichen Schriften, die zweifellos den systematischen Zugang zu Leibnizʼ sprachwissenschaftlichem Schaffen erleichtern würde.

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in einem weitergespannten, die übrige Leibniz’sche Philosophie einbeziehenden Horizont zu verorten. Marcelo Dascal ist auf den Spuren von der Schulenburgs und ihres Pionierbeitrags (1937) sowie der treffenden Beobachtungen von Heinekamp (1972, 1975) Leibniz’ Beschäftigung mit linguistischen Fragen nachgegangen und hat ‒ mit besonderer Berücksichtigung der „semiologischen Reflektion“ ‒ dessen Schaffen in vier Phasen gegliedert, die sich auf vier Perioden zurückführen lassen, die für Leibniz’ Leben von grundlegender Bedeutung waren (Dascal 1978, 13–15). Die erste Periode reicht von 1666 bis 1672. Für diese jugendliche Phase sind Schriften überwiegend juristischen Inhalts charakteristisch, die deshalb aber semiologisch nicht ohne Interesse sind, sowie Arbeiten zu Logik und Rhetorik. In diese Jahre gehören die Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (1667), die Dissertatio de Arte Combinatoria (1666) und das Vorwort zum Neudruck der Schrift De veris Principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos des Italieners Mario Nizzoli (1488–1566), eines gediegenen Repräsentanten des Antiaristotelismus des 16. Jahrhunderts. Der bereits zitierte Brucker kommentiert diese Vorrede: „[…] praefixitque duas dissertationes, quarum una, de Stilo philosophico, disserit, & praeclara multa de Nizolio de ratione dicendi scribendique in philosophia, de habitu linguarum ad philosophiam, de perspicuitate dicendi inter philosophandum“ (Dutens I, LXIX). Die zweite Phase umfasst die Jahre von 1672 bis 1676, Jahre, die Leibniz in Paris verlebt und die Dascal als Jahre der „Gärung“ charakterisiert, eine entscheidende Periode für Leibniz’ mathematische Studien: er entwickelt die Differentialrechnung, die später zur Ausarbeitung des Infinitesimalkalküls führen wird. Die dritte Periode, 1676–1686, ist, mit dem französischen Forscher Yvon Belaval zu sprechen, die Periode der „Vollendung des Leibniz’schen Systems“. Sie ist gekennzeichnet durch die dichte Korrespondenz und Schriften wie Meditationes de cognitione, veritate et ideis (1684), den Discours de métaphysique (1686), Generales inquisitiones de analysi notionum et veritatum (1686). Wohl aus dem Jahr 1679 stammt die Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und sprache beßer zu üben, samt beygefügten vorschlag einer Teutsch-gesinten gesellschafft, erstmals veröffentlicht 1846 von Carl Ludwig Grotefend: ein umstrittener Text, wie wir sehen werden, der in der Leibnizliteratur und nicht nur dort einen starken Widerhall gefunden hat6. In dieser Periode scheint Leibniz’ philosophischtheoretisches Interesse zu überwiegen, doch fehlt es auch nicht an Neigung für empirische Forschung. Die vierte und letzte Phase, 1687–1716, fällt zusammen mit den Jahren der überaus mühseligen Arbeit an der Rekonstruktion von Herkunft und Geschichte des Hauses Braunschweig-Lüneburg. Während dieser sogenannten Jahre der Reife schreibt Leibniz zwei seiner bekanntesten philosophischen Werke, die Essais de Théodicée (1710) und die Monadologie (1714). Ein Großteil seiner sprachwissen  6

Für all diese Schriften vgl. jetzt Antoine 2014.

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schaftlichen Forschungen gilt der Klassifikation der Sprachen, dem Studium der Dialekte und der Etymologie; sie münden in einige grundlegende, systematische Schriften: die Brevis designatio meditationum de originibus gentium, ductis potissimum ex indicio linguarum (1710), die man als kurze Abhandlung zur vergleichenden Sprachwissenschaft verstehen kann und die in den Miscellanea Berolinensia gedruckt wurde, der ersten Veröffentlichung der Berliner Societät der Wissenschaften; die von Leibniz als Einleitung zu seinen Collectanea Etymologica (1717) vorgesehene, von J. G. Eckhart nach Leibniz’ Tod zugunsten eines eigenen Textes unterdrückte Epistolica de historia etymologica Dissertatio (1712), die erstmals der italienische Forscher Stefano Gensini (1991, 193–217) in einer kommentierten Edition vorgestellt hat; die Observata quaedam occasione Thesauri Linguarum septentrionalium Hikkesiani (1711 erstmals veröffentlicht, Dutens VI, 2, 182–184), die Nouveaux Essais (1703–1705; editio princeps von Rudolf Erich Raspe, 1765), eine „investigação gnoseológica“ (Cardoso 1993, 9), wie sie im Buche steht. Zahlreiche sprachwissenschaftliche Forschungen aus der Zeit bis 1701 sind versammelt in dem von Joachim Friedrich Feller 1718 herausgegebenen Otium Hanoveranum; sive, Miscellanea, ex ore & schedis illustris viri [...] Godofr. Guilielmi Leibnitii; die wichtigste derartige Sammlung sind aber die Collectanea Etymologica, die Leibniz selbst noch in Druck gegeben und korrekturgelesen, nach dessen Tod aber J. G. Eckhart herausgegeben hat. Hier finden sich Teildrukke wichtiger Briefwechsel, so mit dem Bremer Theologen Gerhard Meier7, wo unter anderem die Bedeutung lexikalischer Sammlungen für den Sprachvergleich hervorgehoben wird, und dem Orientalisten Hiob Ludolf, darüber hinaus einer der bekanntesten Texte von Leibniz zur Sprachwissenschaft überhaupt: die Unvorgreifflichen Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache (A IV,6 N.79). Die Verfolgung der Rezeptionsgeschichte allein der Unvorgreifflichen Gedancken und der Brevis designatio gibt uns ebenso einen Begriff von der Verbreitung der Leibniz’schen sprachwissenschaftlichen Arbeiten wie von der Bedeutung (und leider auch Instrumentalisierung) des von Leibniz thematisierten Bandes zwischen Sprache, Politik und gesellschaftlicher Emanzipation (vgl. unten § 4.3). Klaus Dutz (1983) hat eine sorgfältige Überblicksdarstellung zur Rezeption der Unvorgreifflichen Gedancken gegeben. Diese sind mehrfach veröffentlicht und übersetzt worden. Schon 1717 hat sie Gottlieb Siegfried Bayer in den Acta Eruditorum rezensiert, sie wurden sowohl im Journal des Sçavans 1717 und 1718 als auch 1720 in Bd. 11 des Journal Literaire besprochen und 1732 im Einzelnen kommentiert (und gewürdigt) von Johann Christoph Gottsched in dessen Beyträgen zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit. Das von Konflikten und Auseinandersetzungen geprägte Geschick dieses Textes setzt sich fort bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts.   7

Die vollständige Korrespondenz von 147 Briefen aus wenig mehr als zehn Jahren (1690– 1702) findet sich jetzt in A I Bd. 6–21.

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Dagegen ist die Verbreitung der Brevis designatio neueren Datums und atmet sozusagen eine gewisse Internationalität. Sie ist von Stefano Gensini (1995, 173– 194)8 ins Italienische, von Malte-Ludolf Babin ins Deutsche (Babin und van den Heuvel 2004, 354–389), von Marc Crépon (2000, 171–193) ins Französische, von Juliana Cecci Silva und William de Siqueira Piavi (2012, 125–149) ins Portugiesische übersetzt worden9. Wir haben die große Bedeutung von Leibniz’ Korrespondenz bereits erwähnt. Leibniz war sich bewusst, wie wertvoll Briefwechsel für die Verbreitung von Gedankengut sind, und er setzt all seine sprachlich-argumentative Kunst ein, um die eigenen Anschauungen zu bekräftigen, zu verhandeln und durchzusetzen, seine Vorhaben bekannt zu machen. Seine Korrespondenz hilft uns also, die Entwicklung des Leibniz’schen Denkens zu verfolgen, und zeichnet im Wortsinn eine intellektuelle Landkarte der Frühen Neuzeit (Gädeke 2005; Li 2015). Sie gestattet uns darüber hinaus, Leibniz’ Denken in sein historisch-soziales Umfeld einzubetten und dessen Verbreitung und Widerhall zu ermessen. Der dialektische Austausch, sei er explizit oder implizit, erlaubt uns auch, recht eigentlich zu erkennen, wie Leibniz sich der Sprache bedient, wie er seine Begriffe wählt, und zu verfolgen, wie sich das philosophische Vokabular der Frühen Neuzeit verbreitet (vgl. unten § 4.4). Sprachwissenschaftliche Themen und insbesondere die Frage nach der Vielfalt der Sprachen machen einen wesentlichen Teil der Briefe aus, die Leibniz mit zahlreichen Persönlichkeiten seiner Zeit gewechselt hat und von denen einige schon im 18. Jahrhundert gedruckt worden sind in der Sammlung der Epistolae ad diversos von Christian Kortholt, in vier Bänden von 1734 bis 1742 erschienen. Dazu kommt der französischsprachige Briefwechsel, den Leibniz zwischen 1695 und 1704 mit dem schwedischen Diplomaten, Orientalisten und Slavisten Johan Gabriel Sparwenfeld führte und der bereits 1883 teilweise von Harald Wieselgren veröffentlicht wurde, heute mit insgesamt 27 Stücken (zu gleichen Teilen von beiden Korrespondenzpartnern) vollständig im Rahmen der Akademie-Ausgabe ediert. Dieser Briefwechsel zeigt die Bedeutung, die für Leibniz das Studium der orientalischen Sprachen und die Verwandtschaft unter den europäischen Sprachen gewonnen hatte, ferner spielen eine Rolle die Frage nach dem Ursprung der Sprache, die ersten Anfänge der vergleichenden Sprachforschung und die Einsicht in die Notwendigkeit, Theorie und Praxis im Studium der Sprachen pari passu fortzuführen. Aus den sogenannten Jahren der Reife stammt die Epistola insigni viro Johanni Chamberlaynio vom 13. Januar 1714, Teil von Leibniz’ Briefwechsel mit dem englischen Schriftsteller und Übersetzer John Chamberlayne (1666–1723) und von diesem veröffentlicht in seiner Oratio dominica in diversas omnium fere   8 9

Gensini hat diesen Text in mehreren weiteren Arbeiten wieder aufgegriffen und kommentiert; vgl. Gensini 2000a, Kapitel 4; 2000b, 2014. Vgl. auch die Einleitung zur portugiesischen Übersetzung von Olga Pombo (2012).

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gentium linguas versa (1715, in den beigedruckten Dissertationes, 22–30; Neudruck in Dutens VI, 2, 192–198). Nicht unerwähnt bleiben darf die Korrespondenz mit dem bereits zitierten Orientalisten Hiob Ludolf (1624–1704), dem Begründer der Äthiopistik. Sie wurde lateinisch geführt, erstreckt sich von 1687–1703 und umfasst mit den Beilagen 85 Stücke. Leibniz selbst hat die ersten Briefe daraus veröffentlicht (vgl. Collektanea Etymologica, I, 56–59; II, 305–315; wiederholt in Dutens VI, 2, 79 f.; 177– 182); es folgten Fellers bereits zitiertes Otium Hannoveranum (105, 118–124), Michaelis’ Commercium epistolicum von 1755, der umfangreiche Nachtrag dazu in Guhrauer 1839 und in neuerer Zeit eine Auswahl in kommentierter (Teil)Übersetzung bei Waterman 1978. Auch hier ist die vollständige Edition im Rahmen der Akademie-Ausgabe heute maßgebend. Leibniz’ Briefwechsel mit Ludolf findet in gewissem Maße seine Fortsetzung in der Korrespondenz mit dem Berliner Königlichen Bibliothekar und Orientalisten Maturin Veyssière La Croze, die 36 Briefe von La Croze und 54 Briefe von Leibniz aus den Jahren 1699 und 1704–1716 umfasst. Der von Malte-Ludolf Babin (2014) in seinem sprachwissenschaftlichen Teil analysierte Briefwechsel enthält u. a. wichtige Hinweise auf den Ursprung des Ungarischen und zur Historisierung der Frage des Ursprungs der Sprachen. Bedeutsam für die Vertiefung der Diskussion um Vielzahl und Vielfalt der Sprachen ist auch die 1691–1716 lateinisch geführte Korrespondenz mit dem Helmstedter Orientalisten Hermann von der Hardt. In allen seinen Briefen lässt Leibniz keinen Zweifel daran, dass die Gelehrten in Ermangelung schriftlicher Quellen außerstande sind, die Entstehung der Sprachen zu bestimmen und zu entscheiden, ob sie auf eine „adamitische“ oder eine gemeinsame Quellsprache, die mit dem Hebräischen zu identifizieren wäre, zurückzuführen sind. Auf diese Fragen kommen auch die Korrespondenzen mit dem polnischen Jesuiten Adam Adamandus Kochański und dem Historiographen und Numismatiker Wilhelm Ernst Tentzel zurück. So lesen wir in einem Brief an den letzteren vom Juli 1697: Linguam Hebraicam primigeniam dicere, idem est ac dicere truncos arborum esse primigenios, seu regionem dari, ubi trunci pro arboribus nascantur. Talia fingi possunt, sed non conveniunt legibus naturae et harmoniae rerum, id est Sapientiae Divinae. […] Illud tantum quaeri cum ratione potest, an lingua Hebraea cum cognatis sit origini vicinior quam caeterae, et fontium verorum retinentior. Semper judicavi ad Hebraeam recte noscenda necessario adhibendas esse Syram quoque et Arabicam, sed ex omnibus tamen conjunctis non puto radices exsculptum iri cohaerentes inter se, et rationem significatus ostendentes quod linguae primigeniae criterion haberi debet. (A I,14 357).

Eine auf historischer Basis mit Indizien arbeitende, an die etymologische Analyse der Wörter und die historischen und geographischen Zeugnisse der ‒ auch entlegenen ‒ Sprachen anknüpfende Sprachwissenschaft dürfte Leibniz als wesentliches Erbteil in die Herausbildung der diachronisch orientierten Linguistik und das methodische und systematische Studium von sprachlichen Regelhaftigkeiten und Wandel eingebracht haben (vgl. unten § 4.2).

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3. DIE REZEPTION VON LEIBNIZ’ SPRACHBEGRIFF Heinekamp (1989) schlägt vor, drei Hauptrichtungen in der Rezeption des Leibniz’schen Denkens zu unterscheiden: die Suche nach einem wirklichen System ‒ sie dominierte grosso modo bis in die 1930er Jahre; die strukturalistische Interpretation ‒ diese Perspektive wurde bis in die 1980er Jahre aufrecht erhalten; die Ablehnung der Annahme eines systematischen Charakters der Leibniz’schen Philosophie ‒ eine Auffassung, die sich in den 1990er Jahren entfaltet hat. Die Literatur hat den Sprachforscher Leibniz lange Zeit gewissermaßen vernachlässigt, doch könnte dieser Anschein trügen, wenigstens wenn man den Etymologen, den aufmerksamen „Komparatisten“ und Verfechter von Sprachgebrauch und Erneuerung im Deutschen in den Blick nimmt. Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war ein zunehmendes Interesse für Leibniz’ Sprachforschung zu beobachten, das der Rückgewinnung von deren Eigenständigkeit und Spezifität galt sowie dem Bemühen, ihr in der komplizierten Struktur von Leibniz’ Denken den rechten Ort zuzuweisen.10 Erfolg und Verbreitung von Leibniz’ Sprach-Denken sind vor allem für die Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert schwer zu ermessen. Interessante Nachrichten finden sich in der wertvollen Sammlung von Kortholt (1734) und bei Brucker (1744), und es lohnt noch immer die Mühe, Foucher de Careils Einleitung zu Bd. 7 seiner Œuvres de Leibniz (1875) neu zu lesen, um nicht den inneren Bezug von Theorie und Praxis und die Reichweite von Reformprojekten für die Wissenschaften vermittels der Gründung von Akademien und der Enzyklopädie aus den Augen zu verlieren. Hinweise auf Studium und Gebrauch der Sprachen finden sich auch bei Kuno Fischer im Leibniz gewidmeten zweiten Band seiner Geschichte der neuern Philosophie („Leibniz und seine Schule“, zuerst 1855). Zur Gewinnung eines Überblicks über die Rezeption von Leibniz’ Sprachdenken sei unter den Arbeiten, die sich der Rekonstruktion seines linguistischen Profils verschrieben haben, für das 19. Jahrhundert Neff, Leibniz als Sprachforscher und Etymologe (1870/71) zitiert, dessen Titel bereits das Bemühen verrät, die etymologischen Forschungen im weiteren Feld von Leibniz’ sprachwissenschaftlichen Studien zu verorten. Ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts   10 Die periodisch bis 1999 in den Studia Leibnitiana veröffentlichte Leibniz-Bibliographie hat eine regelmäßige Aktualisierung der Arbeiten zur Sprache bei Leibniz geboten. Sie hat dabei einen Einblick in die Vermischung dieses mit anderen Themen eröffnet und über Editionen und Übersetzungen einschlägiger Leibniz-Schriften referiert. Seit der Standardbibliographie von Müller und Heinekamp Leibniz-Bibliographie. Die Literatur über Leibniz bis 1980 (Frankfurt/M. 1980; Fortsetzung für den Berichtszeitraum 1981–1990 ebd. 1996) hat die „Sprachforschung“ immer eine besondere Rubrik gehabt. So finden wir neben von der Forschung stärker frequentierten Rubriken wie „ Logik und Erkenntnisheorie“ oder „Metaphysik“ auch „Rechts- und Staatsphilosophie“ oder „Leibniz in Dichtung und Musik“, und dem einzelnen Forscher bleibt die Gelegenheit zu anregender disziplinenübergreifender Arbeit. Diese grundlegende unersetzliche Ressource wird jetzt fortgeführt in Form einer Datenbank der GWLB: http://www.leibniz-bibliographie.de.

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dagegen baut die Forschung auf den Arbeiten der bereits zitierten Sigrid von der Schulenburg (1937, 1973). Seit den 1960er Jahren werden die Beiträge immer zahlreicher, die Leibniz’ Sprachforschung im Rahmen der zeitgenössischen und unmittelbar folgenden Arbeiten und Kontroversen sehen (vgl. z. B. Arndt 1979; Weimann 1966; De Mauro 1989; Dutz/Kaczmarek 2000; Maat 1999; Lifschitz 2013). Versucht man, die Wege zu rekonstruieren, die Leibniz im Zuge seiner Arbeiten zu Sprachen und Sprache zurückgelegt hat, ist es schwierig, sich an der bloßen Chronologie seines Lebens zu orientieren. Unter den frühesten biographischen Zeugnissen wäre zu verweisen auf das Supplementum vitae Leibnitianae im ersten Teil des Otium Hanoveranum (1718), mit dem Leibniz’ zeitweiliger Sekretär J. F. Feller die kurze, anonym veröffentlichte Biographie aus der Feder von Gottlieb Siegfried Bayer in den Acta eruditorum von Juli 1717 (322–336) zu ergänzen gedachte. Der eine oder andere Hinweis findet sich auch bei Louis de Jaucourt, Histoire de la vie et des ouvrages de Leibniz (Amsterdam 1734), doch ist es der Philologe und Biograph Gottschalk Eduard Guhrauer, der in der ersten Standardbiographie zu Leibniz (Guhrauer 1846) dessen sprachwissenschaftlichen Arbeiten einen wichtigen Abschnitt widmet, während die verbreitetsten Leibnizbiographien des vergangenen Jahrhunderts (Kiefl 1913, 26–27), Piat (1915), Huber (1951, 246–247), Aiton (1985, 214–215), Hirsch (2000, 311–315)) diese Themen nur am Rande berühren und dazu tendieren, eher als die philosophisch-linguistischen Leibniz’ historische und wissenschaftlich-empirischen Interessen hervorzuheben oder auch sein Werben für den Gebrauch der deutschen Sprache. Die von Kurt Müller und Gisela Krönert zusammengetragene Leibniz-Chronik von 1969: Leben und Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz, eine Chronik, bleibt für die aus dem Briefwechsel gewonnenen Informationen ein nützliches Arbeitsinstrument. In den Biographien aus der jüngsten Vergangenheit wird den linguistischen Themen zusehends mehr Aufmerksamkeit zuteil, nicht nur in Hinblick auf die formalen Sprachen und die characteristica universalis, sondern auch in Bezug auf die Rolle und strategische Bedeutung der historischen natürlichen Sprachen für die Entwicklung von Leibniz’ Philosophie (Poser 2005, 111; Mugnai 2001; Antognazza 2009). Darüber hinaus findet sich in zwei wichtigen Leibniz gewidmeten Sammelbänden (companions) jeweils ein der Sprache gewidmeter Abschnitt (Weimann 1966; Rutherford 1995). Sowohl in den Handbüchern und Querschnitten zur Philosophiegeschichte (Ueberweg 1894–1902; Beck 1969; Busche 2011) ‒ selbst insoweit sie speziell Leibniz behandeln (Ludovici 1737; Zeller 1873) ‒, als auch in Arbeiten, die seine Rolle allgemein im europäischen (Wilson 1994) oder französischen (Barber 1955; Saine 1987) bzw. deutschen (Beck 1969) Geistesleben des 18. Jahrhunderts charakterisieren, werden Leibniz’ linguistische Interessen und sein Beitrag zur Sprachwissenschaft nur am Rande erwähnt. Leibniz’ Arbeiten zu den philosophischen Sprachen des 17. Jahrhunderts und zur Schöpfung der künstlichen Sprachen und seine Rolle in den wichtigsten europäischen Debatten über den Ursprung der Sprache und den Übergang vom Lateinischen zu den modernen Volkssprachen werden in wichtigen Überblicksdarstel-

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lungen berücksichtigt: Borst (1957–1963); Droixhe (1978); Gessinger und Rahden (1989); Maat (1999). Grundlegend bleibt der Aufsatz von Aarsleff (1969) zu den etymologischen Studien, während in neuerer Zeit Considine (2008) Leibniz’ Beitrag zur Lexikographie und Vermeulen (2008, 2012) den zur Ethnographie herausgearbeitet haben. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erobert sich Leibniz in den Darstellungen zur Geschichte der Sprachwissenschaften den ihm zustehenden Raum, auch wenn wichtige Hinweise schon bei Schmarsow (1877) zu finden sind. Dabei überwiegen im Allgemeinen die Themen Universalsprache, Aufwertung des Deutschen und Leibniz’ Anteil an der Debatte um den Ursprung der Sprachen: „Nationale Ursprachen werden in der Folge behauptet. Bis zu Leibniz wechselt in seltsamster Weise ihre Feststellung von der traditionell gesicherten Ursprache des Hebräischen bis zur Festsetzung verschiedener nationaler Ursprachen” (Hankamer 1927, 11). Wir müssen noch bis zur jüngeren Vergangenheit warten, bis spezialisierte Arbeiten die Summe aus der Rezeption von Leibniz’ Sprachbegriff ziehen und deren thematische Vielfalt hervorheben (Heinekamp 1989, 1992; Dutz 1993; Dutz/Gensini 1996; Gensini 2005; Berlioz und Nef 2005; Li 2014c; die Frage nach Logik und Sprache findet dagegen in Sammelbänden Raum, die eine Gesamtbilanz des Leibniz’schen Denkens anstreben (Berlioz und Nef 1999, 277– 426). Leibniz’ historisch-theoretische Bedeutung ist in den Geschichten der Sprachwissenschaft bzw. Darstellungen spezifischer Themen der Sprachphilosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenwärtig. Dazu gehören zum Beispiel Robins (1967), Aarsleff (1975), Otto (1972) und die bereits zitierten Arbeiten von Borst (1957–1963), Droixhe (1978) und, aus neuerer Zeit, Simone (2005) und Oesterreicher/Selig (2014). Dabei ist die „Wiederentdeckung“ von Leibniz als Sprachwissenschaftler unter anderem auch dem Wiederaufschwung des Interesses an der Geschichte der Sprachwissenschaft zuzuschreiben, das sich in den 1960er Jahren durchsetzte und eine Phase der Wiedergewinnung und Neubetrachtung von bis dahin vernachlässigten Autoren und Themen einleitete11. 4. THEMEN UND PROBLEME Wie Heinekamp hervorgehoben hat, brechen und spiegeln sich in Leibniz’ Werk die sprachwissenschaftlichen Strömungen: „In der Geschichte der Sprachfor  11 Vgl. Giulio Lepschys Storia della linguistica in 3 Bänden (1990–1994; 1994–1998 in auf 4 Bände erweiterter Fassung auch in englischer Übersetzung bei Longman erschienen). Sie stellt die Entwicklung des sprachwissenschaftlichen Denkens in den großen Kulturräumen dar, vom alten Ägypten und Mesopotamien über die chinesische, indische, jüdische, arabische und griechisch-römische Überlieferung bis zur europäischen Sprachwissenschaft vom Mittelalter bis heute.

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schung des 17. und 18. Jahrhunderts kommt Leibniz schon deshalb ein besonderer Platz zu, weil sich in seinem umfassenden Geist die verschiedensten sprachwissenschaftlichen Strömungen seiner Zeit brechen und spiegeln” (Heinekamp 1976, 519). Man hat in Leibniz bereits die Synthese zweier Traglinien des sprachwissenschaftlichen Denkens des 16./17. Jahrhunderts gesehen: einer hohen der großen philosophischen Theorisierungen und einer niederen, gewonnen aus der Sammlung der konkreten sprachlichen Daten (Simone 1990, 321–322). Bei Leibniz koexistiert und überschneidet sich das andauernde analytische Sammeln von Nachrichten, sprachlichen Zeugnissen und etymologischen Erklärungen zu den Sprachen der ihm bekannten Welt mit Forschungen zum Ursprung der Sprache, zur Wortbedeutung, zum Band zwischen Sprache und Denken; es dürfte also auf der Hand liegen, wie wichtig es ist, die genannten Untersuchungen nicht scharf von Leibniz’ Ontologie, der Substanztheorie, der Mathematik und den Hauptfragen des Rationalismus des 17. Jahrhunderts trennen zu wollen (Serres 1968). Im Bewusstsein, dass es sich dabei um einen in mancher Hinsicht willkürlichen Schematismus handelt, lassen sich doch Themenkerne ausmachen, mit deren Hilfe sich einige der von Leibniz in Hinblick auf seine Untersuchungen zur Sprache entwickelten Hauptforschungslinien nachverfolgen lassen. Auf der Basis dieser Untersuchungen wiederum ist es möglich, deren kritische Rezeption zu erfassen und zu beschreiben. Gerade um die Multidisziplinarität und Multiperspektivität, die Leibniz’ Forschen charakterisieren, hervorzuheben, dürfte es lohnen, kurz auf vier Forschungsfeldern zu verweilen, die unseres Erachtens interessante Perspektiven eröffnen: 1. die Thematisierung der Beziehung von Denken, Sprache und Wissen; 2. die historisch-etymologische Forschung und die Sprachgeographie; 3. die enge Beziehung zwischen Sprachen, Politik und Gesellschaft; 4. Leibniz’ Beitrag zur Entstehung eines philosophischen Vokabulars der Neuzeit. 4.1. Denken, Sprache und Wissen Wie sehr der Sprachwissenschaftler Leibniz die Aufmerksamkeit der Forschung des vergangenen Jahrhunderts erregt hat, zeigt die Veröffentlichung von bis dahin schwer zugänglichen Texten. Ich beziehe mich hiermit insbesondere auf das Buch von Louis Couturat, La logique de Leibniz d’après des documents inédits (1901), das geradezu eine Leibniz-Renaissance hervorgebracht hat, die ihrerseits vom Denken Ernst Cassirers und dessen Philosophie der symbolischen Formen I. Die Sprache (1923) sowie Bertrand Russels A critical exposition of the philosophy of Leibniz (1900) angeregt worden ist. Diese Arbeiten vernachlässigen Leibniz’ Interesse für die historischen natürlichen Sprachen zugunsten der logischsymbolischen Themen. Es ist der logizistischen Richtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu verdanken, dass die Leibniz-Forschung sich von der reinen Historiographie gelöst hat (Barone 1968, 9). Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass die Leibniz’sche Logik nicht weiterhin als ausschließliche Grundlage seines Systems

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angesehen werden kann, sind hier doch historisch-politische Anliegen verflochten mit theoretisch-philosophischen Erfordernissen. Es wird immer deutlicher, dass Leibniz’ logisch-enzyklopädisches Projekt nicht aus einer apriorischen Setzung von konventionellen und universalen Zeichen und Bedeutungen hervorgegangen ist, sondern aus einer Analyse der historischen natürlichen Sprachen, insbesondere des Lateinischen, die aus letzteren den Sinn schöpft, welcher der semantischen Differenzierung und dem metalinguistischen Potential innewohnt. Die Sprachen sind mit dem Problem der gesellschaftlichen Kommunikation eng verbunden; von dieser Voraussetzung ausgehend, hat Leibniz rastlos an der Entwicklung einer Wissenschaftssprache gearbeitet, die geeignet sein sollte, die Kommunikation unter Gelehrten zu fördern und die Realität der Dinge abzubilden. Auf dieser Idee, dieser Hypothese basiert die Konstruktion einer Scientia Generalis oder Encyclopaedia12, deren Hauptziel darin bestand, alles Wissen verfügbar, zugänglich, lesbar und verständlich zu machen, wie es der junge Leibniz zum Beispiel in einem Brief an Magnus Hesenthaler von 1671 formuliert: „Est utique Encyclopaedia Systema omnium, quousque licet, propositionum verarum, utilium, hactenus cognitarum“ (A II,1 189). Die characteristica universalis ist diesem Projekt gleichsam aufgepfropft, in dem sich das Ideal einer Mathesis Universalis spiegelt, einer Wissenschaft von Ordnung und Maß, in Leibniz’ Worten: „La Caracteristique que je me propose ne demande qu’une espece d’Encyclopedie nouvelle. L’Encyclopedie est un corps, où les connoissances humaines les plus importantes sont rangées par ordre“ (1679, A VI,4A 161). Die mit der characteristica verbundenen Probleme haben Parkinson (1965), Kneale (1966), Ishiguro (1972) in logisch-linguistischer Perspektive, Mugnai (1976, 74) und Schneider (1988) zwecks Förderung der Schaffung einer formalen Sprache angeschnitten. Zugleich bilden die natürlichen Sprachen den unumgänglichen Kern dieser Projekte: Leibniz erkennt deren zentralen Stellenwert an, und zwar nicht nur für die Kommunikation oder zur Verzeichnung der historischen Vorgänge, sondern auch als Spiegel und Werkzeug der geistigen Prozesse und als Mittel zur sozialen Konstruktion des Wissens. Die historischen natürlichen Sprachen sind nicht rein kognitiver Natur, ihr Studium erfordert auch nicht-kognitive Operationen, die als ursprüngliche Elemente von Anbeginn der Herausbildung und Entwicklung der Sprache vorhanden sind (Pasini 1996). In diesem Rahmen gewinnt die Analyse des Konzepts der Arbitrarität einen zentralen Stellenwert, sie stellt einen Schlussstein dar, der das Gerüst von Leibniz’ nicht nur linguistischem, sondern auch philosophisch-theoretischem Denken trägt. Das Verhältnis „natürlich/ arbiträr“ und Leibniz’ Kritik an der arbiträren Konzeption von Sprache werden im 3. Buch der Nouveaux essais behandelt (Leibniz’ Polemik zielt dabei auf Lockes Arbitrarismus), sie finden sich aber auch schon in der Dissertatio praeliminaris, und sie kehren deutlich und unübersehbar wieder in De linguarum origine naturali, in der Brevis Designatio und in der Epistolica de Historia Etymologi  12 Leibnizʼ Entwürfe zur Scientia Generalis sind zahlreich; vgl. die verschiedenen Fassungen und die Verflechtungen mit den vielfältigen Facetten des Enzyklopädie-Projekts in A VI,4A.

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ca Dissertatio. Einige Forscher haben das ausführlich und im Einzelnen analysiert, insbesondere Gensini (1991, 61–102; 1996a) und Heinekamp (1976), die sich verdient gemacht haben um die Herausarbeitung von Leibniz’ innovativen und originellen Positionen auch hinsichtlich einer verfestigten Tradition, die „arbitrarius“ im Wesentlichen auf „voluntarius“ zurückführt und im linguistischen Bereich es an das „unmotivierte“ Verhältnis von Wort und Sache bindet (Coseriu 1972). Für Leibniz entspricht „arbitraire“ dem aristotelischen κατὰ συνθήκην, im Lateinischen mit ex instituto („dem Herkommen gemäß“) wiedergegeben, und hat mit den Charakteren zu tun, insbesondere mit den rationalen Sprachen künstlicher Prägung (Nouveaux essais [NE] III, 2; A VI,6 278). Leibniz vertritt als idealtypisches Prinzip der natürlichen Sprache, dass diese im Wesentlichen von einer natürlichen Komponente gebildet wird, insofern die Wörter in einem engen Verhältnis zu dem durch die von ihnen ausgedrückten Dinge ausgelösten psychischen Reflex stehen, einem nicht intellektuellen oder rationalen, sondern onomatopoetischen und analogischen Bezug zwischen physischen und emotionalen Komponenten, während die Arbitrarität bei der Bildung künstlicher Sprachen ins Spiel kommt. Die Verknüpfung und Komplementarität von formalen und natürlichen Sprachen werden also ausschlaggebend für den Versuch, Leibniz’ Epistemologie und Erkenntnistheorie zu klären (Heinekamp 1972; 1975; 1976); sie kommen in zwei in Wechselbeziehung zueinander stehenden Überlegungen zum Ausdruck: die eine betrifft Analyse und Beschreibung der konventionellen Signifikate und deren Reduktion auf ein System algorithmischer Regeln; die andere bezieht sich auf die Suche nach Potential, Kreativität und Flexibilität der historischen natürlichen Sprachen. Das Studium der natürlichen Sprachen und die mit diesen verbundenen Fragen wie die der Dialektik und der sprachlichen „Praxis“ stehen nicht in Widerspruch zum Studium der künstlichen Sprachen, zur Logik und den logischbeweisenden Verfahren, sondern stellen einen wesentlichen Teil der Arbeit eines enzyklopädisch orientierten Philosophen wie Leibniz dar. 13 Nichtsdesoweniger zieht sich durch die Forschungsgeschichte die Tendenz, Leibniz’ linguistische Schriften und Interessen in zwei Klassen aufzuteilen: jene, die den künstlichen und symbolischen Sprachen gewidmet sind, und jene, die den historischen natürlichen Sprachen gelten (Walker 1972; Heintz 1973; Berlioz 1993; Ishiguro 1972; Burkhardt 1980, 1987): Es ist von Dualismus die Rede, von „Polarität“ oder von einem janusköpfigen Leibniz.14   13 Zur Beziehung zwischen Sprache und Enzyklopädie vgl. Pombo 1996; zu Sprache und Kommunikation vgl. Schlobinski 2009. 14 Vgl. Nef 1979, 738, mit einer Analyse der ‒ in mancher Hinsicht unvermeidlichen ‒ Doppelgesichtigkeit von Leibnizʼ linguistischen Spekulationen. Nef findet das die beiden Pole verbindende Band in der Scientia Generalis „encyclopédique et caractéristique“. Vgl. auch Nef 2000, 7.

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Es ist auch die Ansicht vertreten worden, Leibniz’ Sprachtheorie setze die Suche nach einer universellen Essenz der Sprachen voraus, doch vertragen sich die Arbeiten zur Logik und zu den künstlichen Sprachen schlecht mit der Leibniz zugeschriebenen „mentalistischen“ Sichtweise (Losonsky 1992, 1993), so wenig wie mit den Arbeiten, die Leibniz’ Interesse für die historischen natürlichen Sprachen überwiegend auf dessen gelehrte Passionen zurückführen wollen. In den 1960er Jahren hat es nicht an Stimmen gefehlt, die auf das aus Leibniz’ Sicht unlösbare Band zwischen Sprache und kognitiven Prozessen aufmerksam gemacht und deren zentrale Bedeutung für Leibniz’ linguistisches Denken herausgestellt haben. In Astrazione e realtà (1976) legte Massimo Mugnai eine sorgfältige Analyse von Leibniz’ Begriff von natürlichen und künstlicher Sprache vor. Als Ausgangspunkt wählte er dafür den Begriff der expressio, die zwischen Sprache und Realität, Zeichen und Ideen vermittelt.15 Auch wenn er nicht ganz die Dichotomie der „beiden Leibniz“ überwindet, erkennt er die „natürliche Grundlage“ des Gebrauchs der Charaktere (Mugnai 1994a), und von eben der Fokussierung des Begriffs expressio ausgehend, skizziert er verschiedene Ansätze für eine Definition von Leibniz’ Erkenntnistheorie, des Verhältnisses von Ausdruck zu Bezeichnetem und von natürlicher Sprache zu Alltagssprache und Wissenschaftssprache. Die Betrachtung der Sprache verbindet sich hier also mit einer Betrachtung der Nomina und insbesondere der ‚nomina generalia‘ und gibt dabei Gelegenheit, Abstraktion und Wirklichkeit einander gegenüberzustellen. Insbesondere ist die Untersuchung der Abstrakta als Schlüssel zum Verständnis von Leibniz’ Theorie der Relationen angesehen worden16. Die Leibniz-Rezeption hat sich nach und nach immer weiter der Überwindung der Dichotomie der „beiden Leibniz“ angenähert; die Möglichkeit dazu machte man im Verhältnis von Sprache und Erkenntnistheorie aus (Heinekamp 1975). In zwei wichtigen Schriften: den Meditationes de cognitione, veritate et ideis und dem Discours de métaphysique (§ 24; A VI,4B 1567–1568), gibt uns Leibniz klare Hinweise zu Graden und Arten der Erkenntnis: Est ergo cognitio vel obscura vel clara, et clara rursus vel confusa vel distincta, et distincta vel inadaequata vel adaequata, item vel symbolica vel intuitiva: et quidem si simul adaequata et intuitiva sit, perfectissima est (A VI,4A, 585–586).

In diesem „erkenntnistheoretischen Aufriss“ schlägt Leibniz uns aber auch eine originelle Form der Erkenntnis vor: die cogitatio caeca sive symbolica, eine Art der menschlichen Erkenntnis, eine Form des Denkens, die den Gebrauch von Zei  15 Expressio ist ein Schlüsselbegriff der Leibnizʼschen Philosophie und Metasprache und hat die Forschung zu Analysen auf verschiedenen Ebenen, etwa der theoretisch-philosophischen und logisch-erkenntnistheoretischen, veranlasst: Belaval 1947; Brandom 1981; Ghio 1980; Kulstad 1977; Burkhardt 1980, 158–159; Soto Bruna 1994. Für eine Theorie der expressio in anti-cartesianischem Sinn bei Spinoza und Leibniz vgl. Deleuze 1968, 299–311. Zu expressio als Repräsentation vgl. Jalabert 1968. 16 Zum Verhältnis von Metaphysik und Sprache vgl. Mates 1986; zum logisch-metaphysischen Substrat Matteuzzi 1983.

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chen anstelle von Dingen erlaubt, wo die Repräsentation der Sache ersetzt wird durch die Repräsentation eines Wortes oder eines Zeichens. Plerumque autem, praesertim in Analysi longiore, non totam simul naturam rei intuemur, sed rerum loco signis utimur, quorum explicationem in praesenti aliqua cogitatione compendii causa solemus praetermittere, scientes aut credentes nos eam habere in potestate: ita cum Chiliogonum seu Polygonum mille aequalium laterum cogito, non semper naturam lateris et aequalitatis et millenarii (seu cubi a denario) considero, sed vocabulis istis (quorum sensus obscure saltem atque imperfecte menti obversatur) in animo utor loco idearum quas de iis habeo, quoniam memini me significationem istorum vocabulorum habere, explicationem autem nunc judico necessariam non esse; qualem cogitationem caecam vel etiam symbolicam appellare soleo, qua et in Algebra et in Arithmetica utimur (Meditationes de cognitione, veritate et ideis, 1684, A VI,4A 587–588).

Die blinde oder symbolische Erkenntnis lässt Schlüsse auch über Wesenheiten zu, die sich der Vorstellungskraft (oder der Erkenntnis mit Hilfe von Definitionen) entziehen. Dabei ruft das Schließen mittels Symbolen zwei wichtige erkenntnistheoretische Momente auf den Plan: die Intuition und die Einbildungskraft, wobei diese jedoch unterschieden bleiben. Das symbolische Schließen findet vor allem in Mathematik und Geometrie Verwendung, doch tatsächlich ist es auch in der Alltagserfahrung gegenwärtig oder immer dann, wenn es gilt, die Grenzen der Intuition zu kompensieren oder Beweise unzureichender Begriffe. In der Zeit nach Leibniz ist die symbolische Erkenntnis Gegenstand einer gewaltigen Vielfalt von Definitionen geworden, die teilweise von jener Stelle in Christian Wolffs Vernünfftige[n] Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt herrührt, wo dieser Leibniz’ Theorie neu vorlegt; die Meinungsverschiedenheiten über die korrekte Definition der symbolischen Erkenntnis resultieren also vielfach aus divergenten Interpretationen der mehrdeutigen Stellen bei Wolff17. Das blinde Argumentieren vermag die Beweisführungen zu verkürzen, ohne das Gedächtnis zu überbürden, es handelt sich nicht um ein Erkenntnisniveau, sondern um eine Art der Erkenntnis und des Gebrauchs der Zeichen, hier der Symbole. Die Sprache ‒ ob historisch-natürliche oder künstliche ‒ erweitert daher das Leistungsvermögen des Geistes und erlaubt komplexe, eben symbolische Operationen18. Dabei ist hervorzuheben, dass Leibniz’ sprachwissenschaftliches Werk sich von den vergleichbaren Arbeiten des 16. und 17. Jahrhunderts gerade darin unterscheidet, dass ihm anders als bei vielen von Leibniz’ Zeitgenossen die Annahme zugrunde liegt, dass die Sprache über kognitive Fähigkeiten verfügt und diese sich auf dem Wege der Überwindung eines mnemotechnischen Begriffs des Zeichens entfalten, um dessen substitutive, für das Denken konstitutive Funktion   17 Eine präzise Analyse der cognitio caeca und der Beziehung zwischen Denken und Sprache bei Leibniz und in der Frühen Neuzeit, mit besonderer Berücksichtigung von Wolff, bei Favaretti (2007, 2009); vgl. auch Schmitz 1996. 18 Der Vorschlag einer Analyse der Präpositionen bei Oliveri 2014 verspricht interessante Folgerungen für die logisch-semantische Interpretation von Leibnizʼ Sprachphilosophie; zu den particulae auch Mugnai 1990.

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zu stärken, eine sozusagen „psychotechnische“ Funktion des Zeichens, wie sie Dascal 1978 vorgeschlagen hat. Leibniz’ Anliegen ist es, Systeme aus Zeichen, Symbolen und Wörtern zu entwerfen; es führt nicht nur zum Projekt der Schaffung einer universalen, künstlichen Sprache, eines Instrumentes im Dienst von Wissenschaft und Fortschritt, sondern zum Beispiel auch zu seinen kryptographischen Studien (Rescher 2012). Für diese Vorhaben ist das Studium der Grammatik von entscheidender Bedeutung. Der Begriff begegnet in Leibniz’ Schriften in zwei Bedeutungen: natürliche Grammatik und rationale Grammatik. Zur ersten gehört der Bereich der historisch-natürlichen Sprachen, zur zweiten jener der Kunstsprachen, insbesondere der rationalen, universalen Sprache, auch wenn die rationale Grammatik im Wesentlichen aus einer Vereinfachung der lateinischen Grammatik hervorgegangen ist. Die characteristica universalis ist auch aus der akribischen Analyse und dem Vergleich der Grammatiken der historisch-natürlichen Sprachen hervorgegangen: „celuy qui écriroit une Grammaire Universelle feroit bien de passer de l’essence des langues à leur existence et de comparer les Grammaires de plusieurs langues“, sagt Leibniz in den Nouveaux essais (III, 5, A VI,6 301): Sein Vorhaben ist also ehrgeizig: Analyse der Sprache, ihrer Strukturen, ihrer Normen und Analyse der Bedeutungsebene (Maat 2014)19. Die präzise Analyse der Bedeutungen der Wörter scheint also besonders geeignet, um das Funktionieren des Intellekts zu begreifen20. In diesem Sinne ist das Studium der sprachlichen Bedeutungsebene auch innerlich mit dem Gebrauch der Tropen und der philosophischen Sprachanalyse verbunden; dieser Bereich bedarf aber nach Ansicht der Verfasserin weiterer Vertiefung und Betrachtung 21 . Die Untersuchung der Leibniz’schen Metaphern ist zwischen kognitiv-epistemologischen und rhetorisch-argumentativen Belangen angesiedelt. Von der Nova methodus (1667) bis zur Epistolica de historia etymologica dissertatio (1712) erwähnt Leibniz die Tropen entweder als Redefiguren oder als wichtige Werkzeuge sprachlicher Kreativität22. Bei der Lektüre seiner Schriften fällt Leibniz’ reichlicher und ausgedehnter Gebrauch von Tropen ins Auge; sie werden aber nur selten thematisiert. So behauptet Leibniz einerseits ausdrücklich, dass auf Metaphern verzichtet werden kann; andererseits weist sein Gebrauch diesen eine Schlüsselrolle zu, sind sie für die Entwicklung seiner philosophischen Argumentation doch nahezu unentbehrlich. Darüber hinaus befindet Leibniz sich in einigen Texten in Übereinstimmung mit einer traditionellen Auffassung der Metapher als Zierde der   19 Abweichungen und Kontinuitäten verbinden Leibniz mit den großen Projekten von John Wilkins und dessen Essay towards a Real Character, and a Philosophical Language von 1668 sowie George Dalgarno und dessen Ars signorum von 1661. Vgl. die sorgfältigen Analysen u. a. von Rossi 1983 und Maat 1999. 20 Zur Funktion des Zeichens vgl. Meier-Oeser (1997). 21 In diesem Punkt stimmen trotz divergierender Zielsetzungen Piro (1996), Marras (2008, 2010), Varani (1995; 1995a) überein. 22 Leibniz, Nova methodus, A VI,1 278, 339; Dissertatio praeliminaris, A VI,2 410, 413, 418; Epistolica dissertatio, § 40.

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Rede; daneben stehen jedoch Stellen, wo die Metapher in der Sprache wie im Denken eine entscheidende Rolle spielt. Beide Positionen stehen weniger im Widerspruch zueinander, als dass sie sich ergänzen. Es handelt sich tatsächlich um lediglich scheinbare Widersprüche, die Leibniz’ variierenden Gebrauch seiner Quellen widerspiegeln. Er greift auf die Tradition der Beredsamkeit zurück, die in den Tropen ein Mittel des guten Ausdrucks sieht; zugleich ist er sich aber ebenso der Reichweite bewusst, die seit der Renaissance das Nachdenken über die aristotelische Topik entfaltet hat, wie der kognitiven Abdrift, welcher der Begriff der Metapher im 16. Jahrhundert unterworfen ist. Leibniz’ Überlegungen zur Metapher scheinen also sowohl im Widerspruch als auch komplementär eng an den Gebrauch der anderen Tropen gebunden, die im Allgemeinen aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: als rhetorische Figuren mit rein dienender Funktion in der Ökonomie der Rede oder als Figuren, deren klar definierte Rolle aus der Tatsache abgeleitet ist, dass die Sprache eine eigene politische, soziale und epistemologische Funktion hat, die ihnen eine wichtige Rolle im Rahmen sprachlichen Kreativität zuweist (Nova methodus, A VI,1 338; Dissertatio praeliminaris, A VI,2 409). Leibniz bewegt sich also von einem traditionellen poetischen und ästhetischen 23 hin zu einem philologischen, wissenschaftlichen Fach, die Metapher nimmt eine heuristische Funktion an; er bezieht sich unmittelbar auf die rhetorische, insbesondere aristotelische Tradition und kennt zugleich sehr gut die einschlägigen Traktate seiner eigenen Zeit. Ihm ist es in erster Linie um die Komplementarität von Rhetorik und Dialektik und die Erkenntnis der politischbürgerlichen Funktion ebendieser Rhetorik zu tun24; er sieht in der Topik nicht nur eine argumentative Strategie, sondern die Grundlage für Argumentationen, in denen die Notwendigkeit eines Eingreifens der Sprache mittels aller ihrer Ressourcen bis hin zur Einbildungskraft offenbar wird. Leibniz gehört also in eine geistige Traditionslinie, die, von einer neuen Lektüre der aristotelischen Poetik ausgehend, die Debatten des 16. Jahrhunderts befeuert, sich mit einer neuen Auffassung der Begriffe ingenium und acumen verflicht und so durch den Gebrauch der Metapher zu einer Überschneidung von Sprach- und Erkenntnistheorie führt25. Sich mit der Metapher bei Leibniz beschäftigen heißt deshalb aber nicht, sich für den nicht-syntaktischen Pol der Sprache zu interessieren und darüber axiomatisch-deduktive Verfahren auszuschließen oder den philosophischen Diskurs in   23 „De caetero liceat fortasse acutas nonnunquam allusiones, similitudines, Metaphoras, exempla, argutias, historias, inspergere et lectoris fessi animum jucunditatis interstitio recreare, sic tamen ut tunc quoque omnis obscuritas, omnis translationum nimietas vitetur“ (Leibniz, Dissertatio praeliminaris, A VI,2 416). 24 Die wesentlichen Aspekte der rhetorischen Debatte des 16./ 17. Jahrhunderts, die parlamentarische und die Suche nach einer philosophischen Beredsamkeit werden im Einzelnen von Marc Fumaroli in seinem Buch LʼAge de lʼéloquence (Genève, Droz, 1980) besprochen, doch wird Leibniz völlig vernachlässigt und nur beiläufig (124) im Zusammenhang mit seinem Neudruck von Mario Nizzolis De veris principiis … libri IV (Parma 1553) von 1670 zitiert. 25 So treffend von Gensini festgestellt, vgl. z. B. in 1993a, 5–50.

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einer metaphorischen Klassifikation von Begriffen sich erschöpfen zu lassen. Vielmehr geht es darum, die Begriffe von allzu starren Schablonen zu „befreien“ und ihren „immateriellen Zusammenhang“ zu beleuchten, in der Sprache die Fähigkeit zu eruieren, der Polysemie Herr zu werden. Leibniz’ Sprachtheorie zu erforschen bedeutet auch, sich auf den Sprachgebrauch zu konzentrieren und sich mit den Gebieten der Semantik und Pragmatik auseinanderzusetzen, zwei gewiss verschiedenen Feldern, die sich aber doch eher ergänzen als in Gegensatz zueinander zu stehen. In Hinblick auf die Forschung zu Leibniz als Sprachwissenschaftler auch der letzten Jahre ist lediglich ein begrenztes Interesse an der Metapher festzustellen. Insofern war gewiss ein allgemeiner Konsens von Einfluss, den Kunstsprachen, welche die unumgänglichen Eigenschaften der Objektivität und der Transparenz bewahren, einen höheren Stellenwert zuzubilligen. Auch bei der Forschung zu den natürlichen Sprachen ist bis heute festzustellen, dass Überlegungen zu den Mechanismen, die Funktionieren und Bildung der Sprachen bestimmen, Arbeiten zur Sprache und der Begriffsgeschichte vorgezogen werden. Autoren wie Michel Serres in Le système de Leibniz et ses modèles mathématiques (1968) und Gilles Deleuze in Le pli. Leibniz et le baroque (1988) zum Beispiel konzentrieren sich auf die metaphorischen (auch impliziten) Aspekte der Leibniz’schen Philosophie. Wenn sie auch die Frage der Metapher bei Leibniz auf verschiedene Weise angehen, sehen sie die Leibniz’sche Philosophie doch beide eingebettet in einen multipolaren und relationalen Raum. Serres spricht überwiegend von Modellen und Analogien, selten von Metaphern. Deleuze gebraucht seine eigenen Metaphern, wenn er metaphorisch von pli spricht, ohne aber Leibniz’ Verwendung dieses Wortes zu analysieren. So wird „meta-metaphorisch“ ein Wort, „le pli“, verwendet, das von Leibniz selbst metaphorisch gebraucht wird und als wesentlich für das Verständnis grundlegender Begriffe seines Denkens gilt. Auf diese Weise schreibt Deleuze den Leibniz’schen Metaphern implizit (insofern es keine explizite Erklärung gibt) eine wesentliche kognitive Rolle zu. Aus der Sicht von Serres konstruiert Leibniz dagegen eine Serie mathematischer Modelle, die harmonisch zueinander ins Verhältnis gesetzt werden durch einen Set analoger Transformationen, ausgewählt und geleitet von den mathematischen Regeln und Relationen. In diesem Raum setzt er spezifische, mit methodologischen und epistemologischen Zielsetzungen angelegte Strukturen ins Licht. Die Entwicklung der verschiedenen Niveaus (bei Serres „le réseau“), die unterschiedlichen „Entfaltungen“, in denen Leibniz sich bewegt (bei Deleuze „le pli“), bilden ein Gewebe von Entsprechungen, die einige metaphysische Lösungen rechtfertigen und, wenn auch auf originelle Weise, nach Strategien und Begriffen suchen, die es erlauben sollen, Verbindungen zwischen den Teilen von Leibniz’ „System“ zu finden. Es hat allerdings den Anschein, dass sie in ihrer Interpretation von einem nach Dascal (Dascal 2000, 34) grundlegenden Irrtum ausgehen: Danach impliziert die Suche nach einer Einheit des Systems, dass auch das System eine Einheit sei, während der Fokus der Untersuchungen auf das Netzwerk, welches das System bildet, verschoben würde, das deshalb eine Einheit substantieller Art wird, die aggregierte und vielfältige Teile „zusammenklebt“.

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Im Allgemeinen hat die Leibniz-Rezeption also den Gebrauch und die Rolle der Metapher der stärker funktional ausgerichteten Sphäre der Beredsamkeit zugeschrieben; es hat indessen nicht an Arbeiten gefehlt, welche die tatsächliche Rolle der Metapher sowohl in der Sprache als auch in der Leibniz’schen Philosophie erforscht haben, und dabei haben sie ihr auch eine Rolle in der Erkenntnistheorie zugewiesen (Marras 2001; 2008; 2010; 2017; Fernández 1998; 2002)26. Dieser noch wenig untersuchte Forschungsbereich kann einem der Bedürfnisse entsprechen, die sich aus der weiten Verbreitung der Metapher in den philosophischen Schriften ergeben: der Erfordernis einer Theorie der metaphorischen Relation oder der Sprache als Interpretation. 4.2. Ex indicio linguarum: Die Sprachgeographie zwischen empirischer, etymologischer und philologischer Forschung Wer sich mit „Sprache bei Leibniz“ beschäftigt, wird sicherlich als einen der bezeichnendsten und anregendsten Aspekte dieses Themas die Untersuchung jenes Mechanismus empfinden, welcher der Herausbildung der Sprachen zugrunde liegt, und damit der Kritik an einem mystischen Naturalismus und einem der Konvention verhafteten Arbitrarismus, die auch auf die Aufwertung der Eigenart der historisch-natürlichen Sprachen zielen. Leibniz hatte großen Einfluss auf die Diskussion des 17. Jahrhunderts um den Ursprung und die Entwicklung der Sprache, die Bedeutsamkeit der Terminologie und des Wortgebrauchs, und zwar in einem Maße, dass auch die nicht unmittelbar der Untersuchung seiner Philosophie gewidmete Forschung darin einig ist, die Bedeutung seines Beitrags zur Ausbildung einer „Kulturgeschichte der Sprache in Europa“ anzuerkennen (Burke 2004). Abgesehen davon, dass er in gewisser Hinsicht die komparative Linguistik begründet hat („La collation des langues est la chose du monde qui peut donner le plus de lumieres touchant les origines et migrations des peuples“, Leibniz an Bouvet, 12. Dezember 1697, in: Widmaier und Babin 2006, 140), hat Leibniz als einer der ersten die Auffassung vertreten, dass die Entwicklung der Kultur von jener der Sprache nicht zu trennen ist („Les langues sont le vray moyen pour juger de l’origine des peuples“, heißt es in seinem Brief an Claude Nicaise vom 26. Juni 1699 [A II,3 566]), dass die Sprachen in der menschlichen Erfahrung und in der Geschichte der Gesellschaft wurzeln, sich auf natürlichem Wege entwickeln und sich nach Form und Bedeutung diversifizieren. Insbesondere haben die natürlichen Sprachen für Leibniz ein unendliches semantisches Potential, das von der Kontingenz des Sprachgebrauchs, der Geschichte und der Kultur abhängt und   26 Der Gebrauch der Metapher bei Leibniz wird allgemeiner in Hinblick auf ihre Verwendung bei der Konstruktion philosophischer Systeme des 18. Jahrhunderts bei Albus 2001 behandelt. Stärker auf die Rolle einzelner Metaphern in Leibnizʼ Begriffssystem zielende Arbeiten finden wir bei Dascal 1978, besonders Kap. V, und 1987; Fernández 1998, 2002; Gensini 1993a, 45; 2000; Nunziante 2002; Poma 1990.

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darin zum Ausdruck kommt (Poser 2005, 114–116; 2000, 19–20). Der Wandel der Sprachen in der Zeit wird also nicht als Verderbnis verstanden, sondern als Entwicklung und Verbesserung der Kultur und des Denkens (Haßler/Neis 2009, s. v. „Normierung“, 675; Marras 2015). Insgesamt lässt sich sagen, dass vor allem die Diskussion um den Ursprung der Sprache und der Sprachen auch für das 18. Jahrhundert kennzeichnend ist; insofern ist Leibniz’ Beitrag von grundlegender Bedeutung. Er beseitigt die herkömmliche These vom Hebräischen als der Mutter der Sprachen (Cook 2008, 137) und akzeptiert einen polygenetischen Ursprung der gesprochenen Sprache. Die etymologische Forschung wird damit zur historischen Disziplin, zur Erforschung der internen Gründe der Herausbildung der Wörter (Leibniz an Bouvet, 18. Mai 1703, in: Widmaier und Babin 2006, 412). „Bei ihm bekommt die Erforschung der Mundarten ein neues Gewicht […] Leibniz’ Gedanken über die Mundarten muten sehr modern an“ (Weimann 1966, 539). Anders als gelegentlich behauptet (Pektas 2005), geht aus Leibniz’ Schriften klar hervor, dass es nutzlos ist, zu einer Ursprache zurückzugehen, die jedenfalls nicht als vollkommen anzusehen wäre. Olga Pombo (1987, 36) hebt zwar hervor, dass in der Tradition des 17. und 18. Jahrhunderts die scholastische Verschmelzung der Dogmen der Genesis und des platonischen Kratylos gegenwärtig ist; sie stellt aber Leibniz in direkte Beziehung zu den Theorien des Mystikers Jacob Böhme, für den die ursprünglich von Gott inspirierte adamitische Sprache alle wesentlichen Eigenschaften der Dinge in sich schließt, was zu einer universalistischen Sicht von Leibniz’ Standpunkt führt. Leibniz wendet sich jedoch gegen alle Thesen, die den Primat einer Sprache über eine andere festlegen wollen, ob Hebraizantes oder Graecisantes (Gensini 2000c, 134), für ihn ist die Sprache Adams nicht zurückzugewinnen: Jacobus Bohemus […] linguam quandam naturalem (Natur Sprache) quam et appellabat Adamicam credebat erui posse: quam qui nactus esset, etiam arcana naturae rerumq(ue) proprietates nosset. Sed hoc quidem vanum esse, nemo dubitat. (Epistolica de Historia Etymologica Dissertatio, § 14).

Die Entwicklung der Sprachen hat für immer jegliche Ursprache begraben; die Perspektive der adamitischen Sprache wird aufgegeben zugunsten einer historischen, mit Indizien arbeitenden Perspektive (Gensini 1991, 115). Die Sprachen haben einen natürlichen Ursprung und sind das Ergebnis eines onomatopoetischen und analogen Prozesses, in dessen Rahmen ein consensus der phonetisch-akustischen Komponente und des affectus (ex sonorum consensu cum affectibus) hergestellt wird. Der natürliche und mimetische Ursprung wird auch von Courtine (1980, 385–386) hervorgehoben, der aber die sogenannte hypothèse de la double origine (1980, 387) aufstellt: die natürliche, auf die historischphilologische Forschung zielende Hypothese und die archi-language, die dem Projekt der Universalsprache zugrunde liegt, denn nach Courtine greift die Universalsprache die für die adamitische Sprache kennzeichnenden Züge auf. Dieser Standpunkt ist allerdings überholt, da, wie wir gesehen haben, viele Forscher in der Annahme einer integrativeren Sicht des Leibniz’schen Sprachdenkens über-

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einstimmen (Strasser 2011): Leibniz sucht nicht „einfache Kompromisse, sondern war ernsthaft bemüht, die verschiedenen akzeptablen Auffassungen in ein ganzes System zu integrieren” (Dutz 1989, 219). So schreibt Leibniz in einem Brief an den französischen Diplomaten Simon de La Loubère: „J’ay peu ou plus tost point de connoissance des langues au de là de ce qui m’est necessaire, mais j’ay seulement fait quelques reflexions sur leur harmonie pour raisonner sur l’origine des peuples“ (A I,8 295). Die Forschungsliteratur hebt in weitgehender Übereinstimmung hervor, wie zentral Leibniz’ Standpunkt für ein eigenständiges Studium der Sprachen war27. Dabei überschneiden sich Leibniz’ empirische Sprachstudien mit denen des Historikers und Antiquars Leibniz (Davillé 1909; Scheel 1968; Waldhoff 2014; Babin/van den Heuvel 2004 (Hg.)); die von Leibniz durch seine Korrespondenz und das Studium der gelehrten Literatur zusammengetragenen Daten erlauben es ihm, mögliche sprachliche und genealogische Verwandtschaften vorzuschlagen: weniger das Ergebnis formaler Analogieschlüsse als sorgfältiger linguistischer und grammatischer Analysen und Vergleiche. Die Unterscheidung von nördlichen oder „japhetischen“ und südlichen oder „aramäischen“ Sprachen lässt er gelten. Über seine Korrespondenten vom Jesuitenorden in China, Kontakte und Mittelsmänner in Russland und Afrika fordert er dazu auf, entlegene Sprachen aufzuzeichnen, Materialien zu sammeln und zu vergleichen (Groenewald 2004) und das Vaterunser als Vergleichstext in alle Sprachen zu übertragen (Leibniz an Hiob Ludolf, 28. April 1692; A I,8 228); grundlegend bleiben seine Beiträge zur Identifizierung sprachlicher Gruppen wie des Finno-Ugrischen, bemerkenswert seine langjährigen Bemühungen um die Einordnung des Baskischen (Droixhe 2007, 192–212; Wessel 2003; Zulaika Hernández 2010; Babin 2014). Selbst in der unmittelbaren geographischen Nachbarschaft interessiert er sich für das aussterbende elbslavische Idiom der Dravänopolaben; was davon um 1700 gesammelt wurde und so erhalten geblieben ist, haben wir direkt oder indirekt Leibniz zu verdanken (Babin 2000). Leibniz’ Beitrag zur Herausbildung einer historischen und philologischlinguistischen Forschungsmethode, die des fragmentarischen Charakters der Altertumskunde des 17. Jahrhunderts Herr werden sollte, anzuerkennen, heißt, ihn zu den Gründern der komparativen Methode zu zählen. Trabant 1990 legt eine kurze, doch aussagekräftige Musterung der Stellen vor, wo Leibniz in der Geschichte der vergleichenden Sprachwissenschaft auftaucht; dabei hebt er hervor, dass zwei später durch Wilhelm von Humboldt weiterentwickelte wichtige Errungenschaften auf Leibniz zurückgehen: die Verbindung der Sprache mit den kognitiven Prozessen und die an der Arbitrarität des Zeichens geübte Kritik (Trabant 1990, 137, 143; 2012, 162). Ein hochinteressanter Gesichtspunkt, dem gleichermaßen das Interesse der Sprachhistoriker und -theoretiker gilt und dem auch das bereits kurz vorgestellte   27 Vgl. dazu die bibliographischen Verweise oben, Anm. 2.

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Projekt der Universalsprache nicht fernsteht, betrifft die Phonetik. Dieses Gebiet ist wenig erforscht, hat Leibniz aber zu eingehenden Überlegungen zur Frage des Verhältnisses von Symbol bzw. Buchstaben, Laut und Bezeichnetem veranlasst; sie sind ein wichtiger Teil seines Vorhabens einer Reform der deutschen Sprache und ihrer Orthographie sowie natürlich seiner Arbeiten zum onomatopoetischen Ursprung der Sprache (Babin 1999). Leibniz’ Interesse für die europäischen Sprachen und die Sprachfamilien hat sich auch im politischen und kulturellen Bereich ausgewirkt. Dies gilt z. B. für die hebräische Sprache, in deren Fall sich Überlegungen zur Zuordnung zu Sprachfamilien (semitisch vs kelto-skythisch), Leibniz’ „curiosité“ betreffend die Kabbala (Coudert 1995), seine Arbeiten zur Verteidigung des Christentums, das Problem der Judenbekehrung und die Deutung der Heiligen Schrift überschneiden. Diese Themen werden mitsamt ihrem Echo im Schrifttum des 18. und 19. Jahrhunderts in dem von D. Cook, H. Rudolph und Chr. Schulte 2008 herausgegebenen Sammelband Leibniz und das Judentum gewissenhaft analysiert. In diesem kurzen Überblick über Leibniz’ empirische Forschungen darf eine Bemerkung zur chinesischen Sprache nicht fehlen. An China hat Leibniz nicht nur der Gebrauch von Ideogrammen als Schriftzeichen angezogen; er sah in ihm ein Modell der kulturellen Begegnung und strebte einen wirklichen commerce de lumière mit ihm an (Li 2015) . So intensiv sein Briefwechsel mit den Jesuitenmissionaren in China war, so wertvoll ist seine Einleitung zu den 1697 erschienenen Novissima Sinica historiam nostri temporis illustratura. Auf diesem speziellen Gebiet fließen nicht nur Leibniz’ Überlegungen zur Sprache zusammen, sondern darüber hinaus sein binäres Zahlensystem (vgl. dazu besonders die Korrespondenz mit dem Missionar Joachim Bouvet), die Pläne zur characteristica universalis, die Gegenüberstellung verschiedener Kulturen und die Fragen der jurisprudentia universalis und sein Programm zur Wiedervereinigung der christlichen Kirchen (dafür ist besonders bedeutsam der Briefwechsel mit dem Jesuitenpater Claudio Filippo Grimaldi). Die Arbeiten zum Thema „Leibniz und China“ sind zahlreich und von Gewicht, um Leibniz’ sinologische Interessen hat sich eine ganze Forschungsrichtung entwickelt. Stellvertretend seien genannt Widmaier 1990, Li 2000; insbesondere wollen wir hinweisen auf die Untersuchungen zu Leibniz’ Beschäftigung mit der chinesischen Sprache (Widmaier 2011; Li 2014b) und die Arbeiten zur Edition des Briefwechsels mit und über China (Widmaier/Babin 2006, 2017). Mit diesen historischen und etymologischen Forschungen folgt Leibniz uneingeschränkt den Impulsen seiner Zeit, doch er profitiert auch seinerseits von wichtigen Vermächtnissen: Die Bedeutung der Kenntnis der Sprachen, um die „neuen Welten“ zu verstehen, nicht nur China und Japan, sondern auch Indien (und damit das Sanskrit) und Lateinamerika, von wo Aufzeichnungen und Grammatiken der nur gesprochenen amerindischen Sprachen nach Europa kommen, all das brachte eine entscheidende Erweiterung des Wortschatzes, der philologischen und grammatischen Kenntnisse mit sich. Hinzukommt die Bedeutung der Übersetzungen und der Rückgriff auf die Volkssprachen, der auf den religiös inspirierten Drang zu einer immer stärkeren Verbreitung und immer besseren Zugänglich-

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keit der Heiligen Schriften zurückzuführen ist. Damit wiederum einher ging der unvermeidliche Vergleich der verschiedenen Fassungen der Bibel, wie des hebräisch-aramäischen Urtexts und der griechischen Septuaginta. 4.3. Sprachen, Politik und Gesellschaft Es gibt ein unsichtbares vinculum in der Gesellschaft: die Sprache. „Das band der sprache, der sitten, auch sogar des gemeinen Nahmens vereiniget die Menschen auf eine so kräftige, wiewohl unsichtbare weise und machet gleichsam eine art der verwandschaft“ (Ermahnung an die Teutsche, 292). Leibniz beschreibt in aller Klarheit die Rolle der Sprache und das Verhältnis von Sprache, Mensch und Gesellschaft: „ Les langues sont le meilleur miroir de l’esprit humain, et qu’une analyse exacte de la signification des mots feroit mieux connoistre que toute autre chose les operations de l’entendement“ (NE, III, 7, §6; A VI,6 333). Er behauptet, dass wir mittels der Sprache die Herkunft der Völker aufspüren: „Les langues sont le vray moyen pour juger de l’origine des peuples“ (Leibniz an Claude Nicaise vom 26. Juni 1699 [A II,3 566]) und ihren Wanderungen folgen können: „Et les langues en général estant les plus anciens monumens des peuples, avant l’écriture et les arts, en marquent le mieux l’origine des cognations et migrations“ (NE III, 2; A VI,6 285). Viele Jahre lang war es für die Forschung schwierig, an die Quellen und verlässliche Ausgaben zu kommen. Erst kürzlich hat die Akademie-Ausgabe einen kritischen Text von Leibniz’ Briefen und Schriften der Jahre 1697–1699 veröffentlicht, und am Großteil von Leibniz’ Schriften der Zeit von 1700 bis 1716 und damit einer Phase intensiven politischen Denkens wird gegenwärtig noch gearbeitet. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass Leibniz keine systematischen Abhandlungen zum Verhältnis von Politik und Sprache geschrieben oder die Hauptpunkte seines Reflektierens darüber zusammengefasst und in organischer, zusammenhängender und geordneter Form dargelegt hat. Wie so vieles, was mit der Sprache zu tun hat, finden sich diese Überlegungen verstreut in verschiedenen Schriften und Korrespondenzen, seinen politischen Darlegungen sozusagen aufgepfropft. Das begünstigt nicht eben die Arbeit jener Forscher, die sich die Wiederherstellung des Bandes zwischen den genannten beiden Themen, Sprache und Politik, angelegen sein lassen, deren gegenseitige Beeinflussung beleuchten wollen und die entscheidende Rolle, die sie für das Erreichen einiger Ziele im Rahmen von Leibniz’ geplanten Reformen übernommen haben. Nichtsdestoweniger fehlt es nicht an gut sichtbaren Fährten in seinen politischen Essais, die geeignet sind, seine komplexe und in mancher Hinsicht innovative Sicht zu rekonstruieren28.   28 Foucher de Careil nennt ihn einen Mann, der seiner Zeit voraus war (FC, VII, Introduction, XXI).

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Wie wichtig das Verhältnis von Sprache und Politik ist, erklärt Leibniz selbst ausdrücklich; er betrachtet die Sprache als ein für die Vermittlung politischer Programme wichtiges und wirksames Gut. Das kommt nicht nur in den besser bekannten Schriften Ermahnung an die Teutsche und Unvorgreiffliche Gedancken zum Ausdruck, wo das Verhältnis von Sprache, Kultur und Politik explizit thematisiert wird; die strategische Bedeutung der Sprache kehrt auch wieder in der von Leibniz beigesteuerten Dissertatio praeliminaris zum Neudruck von Marii Nizolii de veris principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos Libri IV, 1670 (A VI,2 401–432), im Grundriß eines Bedenckens von aufrichtung einer Societät in Teütschland zu auffnehmen der Künste und Wißenschaften von 1671 (A IV,1, besonders 536, § 24), oder in der Consultatio de naturae cognitione von 1677: „Consultatio de Naturae cognitione ad vitae usus promovenda instituendaque in eam rem Societate (Germana, quae scientias artesque maxime utiles vitae nostra lingua describat, patriaeque honorem vindicet)“ (A IV,3 873); sie kommt darüber hinaus zum Ausdruck in Leibniz’ praktischer Tätigkeit als Diplomat, Berater, Politiker und Jurist (Basso 2011 (Hg.)). Eine speziell auf die Entwirrung des komplizierten Verhältnisses von politischem Denken und Sprachforschung sowie dessen Auswirkungen in Theorie und Praxis gerichtete Arbeit ist gegenwärtig nicht verfügbar, auch wenn es an Einzelbeiträgen zu dieser Thematik nicht fehlt (Pietsch 1907; Gensini 1991; Canone 1996; Święczkowska 2010; Marras 2012). Eine solche Arbeit würde interessante Bausteine zu Rekonstruktion und Verständnis des 17. Jahrhunderts beitragen und den Einflüssen und Beziehungen zwischen Leibniz’ Begriff von „république des lettres“ und der Verfasstheit des modernen Staats auf den Grund gehen. In einer reichhaltigen, dynamischen und freien Sprache kommt die intellektuelle und kulturelle Autonomie eines Volkes und einer Gesellschaft zum Ausdruck: Diese Annahme wird in Leibniz’ politischen Schriften beispielsweise durch die Spiegelmetapher vermittelt. So heißt es in der Ermahnung an die Teutsche: „Was aber den Verstand betrifft und die Sprache, welche gleichsam als ein heller Spiegel des Verstandes zu achten […]“ (A IV,3 812), und später (815) im selben Text: Daβ nun solches ohngefehr geschehe glaub ich nicht, sondern halte vielmehr dafür, gleich wie der Mond und das Meer, also habe auch der Völker und der Sprachen ab- und aufnehmen eine verwandnüβ. Dann wie obgedacht, so ist die Sprache ein rechter Spiegel des Verstandes und dahehr vor gewiβ zu halten, daβ wo man ins gemein wohl zu schreiben anfänget, daβ alda auch der Verstand gleichsam wohlfeil und zu einer currenten wahre worden.

Die Spiegelmetapher, die Leibniz auf unkonventionelle Weise einsetzt, insofern nicht die bloße passive Wiedergabe eines Objekts gemeint ist, eröffnet interessante Perspektiven zur Rekonstruktion des Verhältnisses von Sprache und Politik und der Kenntnis der damit verbundenen Kommunikationsformen (Marras 2006). Die lebendige und aktive Sprache (Sprach-Spiegel) ist durch ihre semantische Ausdruckskraft gekennzeichnet, sie ist fähig, auch mit anderen Sprachen in Kontakt zu treten, Entlehnungen aufzunehmen, zu übersetzen, die Kommunikation zu fördern (NE, III, 7, §6, A VI,6 333; Marras 2010, 81–88). Darüber hinaus wird die Erkundung der sprachlichen Unterschiede als Teil des Programms einer für die

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Kommunikation unter Gelehrten gedachten Universalsprache erkannt, und es werden politische Forderungen aufgenommen: Die Aufgabe des Lateinischen und die Verwendung der Nationalsprachen, um Philosophie zu betreiben und sie zugleich jedermann zugänglich zu machen, befreien Forschung und Wissenschaft aus der Abgeschlossenheit und nicht selten dem Sektierertum der einzelnen Schulen und machen sie zum kulturellen und gesellschaftlichen Gemeingut. Die den Sprach-Spiegeln innewohnende Dynamik eröffnet daher eine Reihe von Perspektiven. Von einem politischen Gesichtspunkt erweist sich das noch in dem mittlerweile bekannten Begriff der „place d’autruy“, bei dem es sich in Leibniz’ Worten um „ le vray point de perspective en politique aussi bien qu’en morale” (A IV,3 903) handelt, ein Prinzip, das wir also als ethisch-pragmatisch definieren können (Dascal 1994; 1996; Gil 1984; Naaman Zauderer 2008; de Gaudemar 2005) und das als Hintergrund für einige interessante Analysen dient, die eine Diskussion über die Konzepte Interkulturalismus (Widmaier 2008), Multiperspektivismus (Dascal 1996) und Kosmopolitismus (Robinet (2002a) eröffnet haben Sprache und Denken sind bei Leibniz eng miteinander verbunden, erstere spielt eine aktive Rolle bei Stiftung, Entwicklung und kommunikativen Prozessen des letzteren. Denn Leibniz betrachtet die Sprache nicht nur als notwendiges Werkzeug der Kommunikation im Allgemeinen, sondern auch als Spiegel von Kultur und Verstand des Volkes: „ Es ist bekannt, dass die Sprache ein Spiegel des Verstandes ist und dass die Völcker, wenn Sie den Verstand hoch schwingen, auch zugleich die Sprache wohl ausüben.“ (Unvorgreiffliche Gedancken, § 1; A IV,6 532). 4.4. Das philosophische Vokabular der Moderne Das philosophische Vokabular, das sich im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert herausbildet und verfestigt, und das engmaschige Netz von Kategorien, das es trägt, bilden ein der Erschließung der Realität dienendes Raster, das die Geschichte des modernen europäischen Denkens geprägt hat. Leibniz ist sich bewusst, dass es vielleicht weniger schwierig ist, eine gegebene Begriffsbildung in eine andere Sprache zu übertragen, als sie in der Ursprungssprache verständlich zu machen. Leibniz zufolge darf man sich nicht auf die Verwendung der Ressourcen der natürlichen Sprachen beschränken, sondern es gilt, die Terminologien aufzuarbeiten, die ältere Philosophen angelegt haben, und Begriffe verschiedenen Wissensbereichen zu entleihen. Die Dissertatio praeliminaris de instituto operis atque optima philosophi dictione, die Marii Nizolii de veris principiis et vera ratione philosophandi contra pseudophilosophos vorangestellt ist, ist dafür eines der bedeutsamsten Zeugnisse. Leibniz’ durchdachte Semiologie erweist sich darin als eng mit der Reform der Sprache der Philosophie verbunden (Marras 2015; MarrasVarani 2004).

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Leibniz ist sich der strategischen und grundlegenden Funktion des Zeichens für den Gedanken bewusst, nicht minder bewusst aber auch der Schwierigkeiten der Kommunikation29. In seinen Augen spielt die Sprache zwar bei der Kommunikation eine wichtige Rolle, übermittelt die Gedanken oder andere kognitive Inhalte, spielt aber zugleich eine wesentliche Rolle auch bei der Formung der Gedanken, die sie übermittelt. Die Philosophie bildet ein eigenes Vokabular aus, indem sie sich Ausdrücke (termini) aus der Volkssprache und den Nationalsprachen aneignet und dafür ältere Lehren und die Tradition überarbeitet. Die Wahl der Sprache (Latein, Französisch oder Deutsch), die Wahl der Wörter (Fach- oder Alltagssprache), die Wahl des Sprachtypus (abstrakt, universal, formal, mundartlich oder gemeinsprachlich) sind von grundlegender Bedeutung für die Befreiung der Philosophie aus den Fesseln der Schulen30. Leibniz eignet sich die Gemeinsprache an, verwertet und nutzt alle ihre Ressourcen. Das technische Vokabular („technicum, cùm vel vox vel significatio privata (seu certo homini vel hominum generi propria) est“) ergänzt das alltägliche („populare“). Eine solche Betrachtung bleibt gewiss nicht ohne Folgen angesichts des prekären Gleichgewichts von Transparenz und Opazität (und Dunkelheit) in der Philosophie. Gefordert wird daher eine Anstrengung, die nicht so sehr dem Verständnis der Wörter oder der Dunkelheit eines bestimmten Stils gilt als vielmehr der Form der philosophischen Erörterung selbst. Der Philosoph soll nicht auf eine Fachsprache zurückgreifen, vielmehr sich die semantische Vielfalt zunutze machen, die der lebendigen, konkreten Sprache eigen ist, um nicht den Gedankengang zu lähmen, der von einer Bedeutung zur anderen übergehen und immer neue Bezüge auffinden kann. Die von Leibniz herausgestellte Spannung ist also die zwischen den Neuerern in der Philosophie, jenen, die neue Termini und neue Formen der Darlegung erfinden und damit Unklarheiten und Unverständnis provozieren, und jenen, die sich der Gemeinsprache bedienen. In diesem Sinne manifestiert sich sein Standpunkt recht deutlich im konkreten Gebrauch seiner Sprache, in der Wahl seiner Termini und seines Stils, die oft eine bewusste und gezielte Wahl ist. Leibniz’ Stilbegriff wäre sicherlich eine vertiefende Untersuchung wert; einige Beiträge wie Rateau (2004), Costa (2013), Granger (1968) haben dsa Thema direkt in Angriff genommen, doch bleibt reichlich Raum für nähere Untersuchungen etwa der Beziehung von öffentlichem und subjektivem Schreiben, von Verschleierung und Transparenz, ohne diese Unterscheidungen auf die Vorstellung von einem „doppelten“, zweideutigen Leibniz zurückzuführen statt vielmehr einem Gelehr  29 Diese Überlegungen können einer der ersten Definitionen des Zeichens an die Seite gestellt werden, die Leibniz in den Anfangsjahren seiner philosophischen Schriftstellerei (1672) vorgeschlagen hat und die sich in der Definitionentafel findet: „Signum est quod nunc sentimus et alioquin cum aliquo connexum esse ex priore experientia nostra vel aliena judicamus“ (A VI,2 500). 30 Leibnizʼ Appell richtet sich vor allem an die Deutschen, denn in Deutschland ist seines Erachtens die scholastische Philosophie „stärker verwurzelt“ als in England und Frankreich, und die deutsche Sprache ist so reich und vollkommen ausgestattet mit Ausdrücken für Realia, dass sie den Neid aller übrigen Sprachen erregt.

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ten, Politiker und Diplomaten, der ‒ mit wachem Blick auf seine Gesprächspartner und den jeweiligen Kontext ‒ zweckmäßig und geschickt sich der Sprache und aller ihrer Ressourcen bedient31. Leibniz selbst bezeichnet die Terminologie als Weg zum Fortschritt der Wissenschaft. Dennoch fehlen bis heute systematische Arbeiten zum Leibniz’schen Lexikon. Einige Anregungen finden sich bei Gaudemar 2001, ein erster Beitrag zu einem Lexikon von Leibniz’ Metasprache in Marras 1994. Sehr nützlich sind die Arbeiten zur lexikalischen Auswertung und die Konkordanzen; Betrachtungen zu Leibniz’ Terminologie und zur Bedeutsamkeit der Übersetzungen nicht nur als Übersetzung von Wörtern, sondern im Sinn eines Kulturtransfers (translatio studiorum) sind der Ertrag der Untersuchung zur Monadologie und ihren Übersetzungen (Lamarra, Palaia, Pimpinella 200132) oder der Beobachtung, wie sich Begriffe wie „conscience“ im modernen Sinn von „Bewusstsein seiner selbst“ durchgesetzt haben (Palaia 2012): Das Wort hat diese neue Bedeutung in den Nouveaux Essais erlangt infolge der Übernahme von Costes Übersetzung des Locke’schen Essay Concerning Humane Understanding. Von Interesse ist auch die lexikalische Auswertung der Ermahnung an die Teutsche (Canone 1996), die wichtige Daten zur Frequenz von Schlüsselbegriffen wie Nation, Volk, deutsch liefert. Allgemeinere Betrachtungen aus dem Grenzbereich von Lexikographie und Philosophie finden sich in Robinet 2002; dagegen ist Leibniz als Lexikograph Gegenstand der bereits genannten Aufsätze von Considine 2008, 2011. Leibniz’ Beitrag zur Lexikographie des 17. und 18. Jahrhunderts hingegen ist Gegenstand der Arbeiten von Birgegård 1985, 1985a und Schneider 1995. 5. ERBE UND PERSPEKTIVEN DER FORSCHUNG Auswirkung und Folgen von Leibniz’ Überlegungen in der sprachwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Diskussion seiner Zeit sind erheblich. Über die Rückgewinnung und Aufwertung der Volks- und Nationalsprachen fördert Leibniz auch einen bestimmten politischen und sozialreformerischen Diskurs. Das Abwerfen der Fesseln der Schulen, die Verwendung von Sprachen und Ausdrucksweisen, die geeignet sind, den Wandel und die neuen Erfordernisse des Philosophierens zu erfassen, die neuen wissenschaftlichen, aber auch politischen und sozialen Kategorien, die Öffnung zu neuen Welten und neuen Kulturen, all diese Themen reihen Leibniz unter jenen ein, die den bereits erwähnten Übergang   31 Einen ersten Beitrag in diesem Sinn liefert Roberto Palaia 2016. Eine sorgfältige Analyse des argumentativen Vorgehens und eine Sammlung von Leibniz-Schriften zur Theorie der Kontroverse emthält Dascal 2008. 32 Vgl. insbesondere Palaia/Pimpinella 2008. Von Interesse wäre auch eine Arbeit zu Leibnizʼ geschriebener Sprache und der seiner Zeitgenossen im Vergleich; zur Leibniz und Spinoza trennenden „Alloglossie“ vgl. Lærke 2009.

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zur Moderne begünstigt und bewirkt haben, der seinerseits die politischen und kulturellen Grenzen des aufgeklärten Europa bestimmen wird. Die Untersuchung des Sprachgebrauchs, der Formen der Kommunikation, der Rolle der Sprache in den geistigen Prozessen und der physiologischen und physischen Organe bzw. Mechanismen, welche die Philosophen des 17. Jahrhunderts als bei der Herausbildung der Sprache wirksam ausgemacht haben, die Betonung der engen Verbindung von Sprache und Kultur und Sprache und Politik tragen zur Erhellung wichtiger Themen der Geistesgeschichte und der Geschichte der Sprachphilosophie bei und helfen beim Verständnis des intellektuellen und kulturellen Werdens des modernen Menschen. Im Dialog mit der Tradition und seinen Zeitgenossen setzt Leibniz die philosophische Erörterung (dictio) ins Verhältnis zu ihren Formen (Stil), ihren Bestandteilen (den Wörtern) und ihren Grundlagen (Sprache und Denken). Ihre Verbindung untereinander trägt zur Neufassung des philosophischen Sprachgebrauchs und einer Neudefinition der Frage bei, von welcher Sprache Philosophie und Wissenschaft sprechen können und sollen. Der rhetorische oder rein sprachliche Gesichtspunkt ist allerdings der Erforschung dieser Verbindung nicht vollkommen angemessen; vielmehr scheint es fruchtbarer, vom Kreuzungspunkt verschiedener Disziplinen und Methoden: Naturphilosophie, Mechanik, Medizin, Mathematik, Politik, das heißt dem enzyklopädischen ‒ heute würde man sagen: interdisziplinären ‒ Geflecht der Leibniz’schen Forschungstätigkeit auszugehen. Zur Bestärkung in der Annahme vom großen Wert dieses Geflechts würde es schon genügen, Leibniz’ Jugendwerk Hypothesis physica nova (Theoria motus concreti) von 1671 wiederzulesen, wo er Rechenschaft ablegt von der „mehrdimensionalen Entfaltung der Naturphänomene“ und von der Verbundenheit unter den verschiedenen Forschungsgebieten, oder in diesem Sinne die Hinweise des 4. Buchs der Nouveaux essais zu bedenken. Es wäre auch ausreichend, die Figur zu analysieren, die Leibniz zeichnet, um in einem Spiel geometrischer Korrespondenzen die Aktivitäten des Intellekts und die Beziehungen zwischen „Sinnen und Körper“ schematisch darzustellen: eine Figur, die Jacob Thomasius’ Tabellenwerk Philosophia practica zusammenfasst (A VI,1 58). Die Achse, die physiologische und sprachwissenschaftliche Studien zueinander ins Verhältnis setzt, könnte bei weiterer Ausarbeitung zur Rekonstruktion der komplexen Leibniz’schen Sprachphilosophie einen wertvollen Beitrag leisten, ebenso wie die nähere Untersuchung jener Schrift des 1. Faszikels von Abteilung V mit den philologischen Manuskripten bei Bodemann 1895, wo Leibniz Methoden für den Sprachunterricht entwirft, reich an politischen Forderungen und Verweisen auf seine allgemeineren Betrachtungen über die Verflechtungen von Sprache und Kultur. Die Verbindungen unter diesen Themen und den sie tragenden Disziplinen haben Forschen und Denken der savants des 17. Jahrhunderts, der Polyhistoren und insbesondere von Leibniz geleitet und sind zu einem großen Teil noch zu erforschen, zu erfassen und zu würdigen. Als Bürger der République des lettres hat Leibniz zum Aufbau eines allgemeinen wissenschaftlichen Diskurses (zunächst in

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lateinischer, dann in deutscher Sprache) als wissenschaftlicher koiné im vielsprachigen Europa des 17. Jahrhunderts beigetragen. Damit liegt vor der Forschung eine zweifache Aufgabe: Handschriften zu lesen und zu transkribieren und die Erschließung eines gewaltigen, Disziplinen übergreifenden Textkorpus, das noch viele Anregungen bereithält. BIBLIOGRAPHIE Aarsleff 1964 – Hans Aarsleff: Leibniz on Locke on language, in: American Philosophical Quarterly 1 (1964), 165–188. ‒ ND in: Ders.: From Locke to Saussure. Essays on the study of language and intellectual history, Minneapolis 1982, 42–83. Aarsleff 1969 ‒ Hans Aarsleff: The study and use of etymology in Leibniz, in: Akten des Internationalen Leibniz-Kongresses, Bd. 3: Erkenntnislehre – Logik – Sprachphilosopie – Editionsberichte (= Stl-Su. 3), Wiesbaden 1969, 173–189. Agosti 1970 – V. Agosti: Analogia e logica, in: Giornale di metafisica 25 (1970), 157–184, 393– 429 (u. d. T. Analogia e ontologia), 537–575. Albus 2001 ‒ Vanessa Albus: Weltbild und Metapher. Untersuchungen zur Philosophie im 18. Jahrhundert, Würzburg 2001. Antognazza 2009 – Maria Rosa Antognazza: Leibniz. An Intellectual Biography, Cambridge 2009. Antoine 2014 – Annette Antoine: Sprachpolitik und Sprachkritik. Zur Geschichte und Aktualität von Leibniz’ Ermahnung an die Teutsche, ihren verstand und sprache beßer zu üben samt beygefügten Vorschlag einer teutsch-gesinten Gesellschafft, in: Li 2014c, 151–164. Arndt 1979 – Hans Werner Arndt: Semiotik und Sprachtheorie im klassischen Rationalismus der deutschen Aufklärung. Eine historische Einordnung, in: Zeitschrift für Semiotik 1 (1979), 305–308. Artosi 1990 – Alberto Artosi: La ‚regimentazione’ leibniziana del linguaggio. Analisi delle lingue e grammatica razionale, in: Lingua e stile 25 (1990), 351–362. Auroux 1989 – Sylvain Auroux: La question de l’origine des langues. Ordres et raison du rejet institutionnel, in: Gessinger/Rahden 1989, Bd. 2, 122–150. Babin 1999 ‒ Malte-Ludolf Babin: Leibniz phonéticien, in: Berlioz/Nef 1999, 389–402. Babin 2000 – Malte-Ludolf Babin: Leibniz und das Dravänopolabische, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 72 (2000), 191–205. Babin 2014 – Malte-Ludolf Babin: Armenisch, Albanisch, Hokkien … Zum sprachwissenschaftlichen Teil von Leibniz’ Korrespondenz mit Mathurin Veyssière de La Croze (1704–1716), in: Li 2014c, 207–218. Babin/van den Heuvel 2004 – Malte-Ludolf Babin/Gerd van den Heuvel (Hg.): Gottfried Wilhelm Leibniz. Schriften und Briefe zur Geschichte, Hannover 2004. Barber 1955 – William Barber: Leibniz in France. From Arnauld to Voltaire, Oxford 1955. Barone 1968 – Francesco Barone (Hg.): Leibniz. Scritti di logica, Bologna 1968. Basso 2011 – Luca Basso (Hg.): Republic and common good in Leibniz’political thought, in: Stl. 43/1 (2011). Beck 1969 – Lewis White Beck: Early German Philosophy. Kant and his predecessors, Cambridge Mass. 1969. Beiderbeck/Dingel/Li 2015 – Friedrich Beiderbeck/Irene Dingel/Wenchao Li (Hg.): Umwelt und Weltgestaltung. Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit, Göttingen 2015. Belaval 1947 ‒ Yvon Belaval: Leibniz et la langue allemande, in: Études germaniques 2 (1947), 121–132. Berlioz 1993 – Dominique Berlioz: Langue adamique et caractéristique universelle chez Leibniz, in: Dascal/Yakira 1993, 153–168.

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DICHTUNG Annette Antoine1 Am 24. Juni 1700 schreibt Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans an ihre Tante in Hannover, Kurfürstin Sophie: Vor die verse von Mons. Leibnitz […] sage ich gehorsamen danck. […] Mons Leibnitz seine teütsche vers findt ich schön, die frantzösische aber haben den hießigen tour nicht so recht, wie seine prose hat, die kan nicht beßer sein, die vers aber, deücht mir, sente[nt] l’estranger, wie man hir sagt. (zit. nach Müller/Krönert 1969, 164 f.).

In ihrer Beurteilung von Leibniz’ Dichtkunst eröffnet die eigenwillige Liselotte von der Pfalz’, die im Briefwechsel mit ihrer Tante stets großen Anteil an den neuesten Projekten und Ideen des vielseitigen Gelehrten nahm, gleichsam die Diskussion über diese eher im Schatten stehende Seite des Universalgenies: seine Betätigungen auf dem Feld der Poesie. Beim Namen Leibniz dürfte dem unbefangenen Betrachter zunächst eine Reihe anderer Zuschreibungen einfallen, bevor sich der Blick auf seine dichterische Produktion richtet. An dieser Stelle soll untersucht werden, wie die Auseinandersetzung mit dieser Leibniz’schen Seite in Rezeption und Forschung verlaufen ist. 1. LEIBNIZ’ DICHTERISCHES SCHAFFEN Zu Beginn steht zunächst zu klären, was Leibniz literarisch verfasst hat. Wie in seinen Prosaschriften schrieb der Gelehrte auch als Dichter in den drei Sprachen Latein, Französisch und Deutsch, wobei diese Reihenfolge zugleich den quantitativen Anteil wiedergibt. Er bediente sich verschiedener Gattungen der Zeit. Die größte Sparte nimmt die im Barock gängige Casuallyrik ein, Dichtung, die auf einen bestimmten Anlass zurückzuführen ist. Hierunter fallen insbesondere die Glückwunschgedichte zu Geburtstagen, Hochzeiten oder Jubiläen hochgestellter Persönlichkeiten, aber auch Traueroden im Sterbefall, die sogenannten Epicedien. Die Panegyrik als das Abfassen von Lobgedichten geht auf die Antike zurück, erfreute sich aber als Auftragsdichtung auch im Barock großer Beliebtheit und diente als Fürsten-Verherrlichung dem Repräsentationswillen des Absolutismus. Der Hofbeamte Leibniz trug dem Rechnung und konnte gleichsam auch sich selbst damit in Szene setzen, so wenn er anlässlich des Todes seines ersten hanno  1

Die Verfasserin dankt Prof. Dr. Wenchao Li, Dr. Gerd van den Heuvel und Dr. Stephan Waldhoff für freundliche Hinweise.

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verschen Dienstherrn Johann Friedrich 1679 ein auf ihn gedichtetes Epicedium dessen Schwägerin und zugleich der Gemahlin des neuen Fürsten Ernst August, der bereits erwähnten Sophie, quasi als Empfehlungsschreiben widmete. Aber nicht nur Fürsten, auch Gelehrte, Geistliche und Schriftsteller waren Adressaten seiner Gedichte. Außerdem überliefert sind Epigramme, Sinnsprüche, Fabeln, satirische und scherzhafte Dichtungen und sogar Rätsel, oft in mehreren Sprachen von Leibniz selbst übersetzt. Die Themen sind vielfältig. Kommentare zu aktuellen Gegebenheiten, beispielsweise der Erfindung der Bomben oder des Phosphors, der deutschen Nachahmungssucht der Franzosen oder der neuesten Feldzüge Ludwigs XIV., finden sich ebenso wie Einkleidungen gelehrter oder philosophischer Inhalte, die bereits das Lehrgedicht der Aufklärung vorbereiten. Hier ist insbesondere das Epicedium zum Tod der von Leibniz verehrten preußischen Königin Sophie Charlotte von 1705 zu nennen, das formal mit dem Versmaß des heroischen Alexandriners und der Aufteilung in laudatio (Lob), lamentatio (Klage) und consolatio (Trost) zwar den herkömmlichen Gepflogenheiten entspricht, aber durch die Einarbeitung von Leibniz’ philosophischer Weltsicht in nuce auch ein ganz persönliches Bewältigen des erlittenen Verlustes darstellt. Leibniz war aber nicht nur selbst als Dichter tätig, sondern beriet junge Schriftsteller wie den Jesuiten Gerhard Cornelius van den Driesch in ihrer literarischen Produktion. Auch mit Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel tauschte er sich über dessen Römische Octavia aus. Zur Orientierung empfahl er insbesondere Martin Opitz, dessen poetologische Vorgaben er auch in seinem eigenen Schaffen beherzigte. Opitz schätzte er als Meister „angenehmer Leichtflüssigkeit“, wie es in seinen Unvorgreiflichen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache von 1697 heißt (A IV,6 564, § 113), der wichtigen Programmschrift zum Ausbau des Deutschen in eine Wissenschaftsund Weltsprache, in der Leibniz auch der poetischen Sprache einen, allerdings vergleichsweise kleinen, Anteil einräumt. 2. „ZUM DICHTER GEBOREN“ – IM SPANNUNGSVERHÄLTNIS ZWISCHEN DREI SPRACHEN Doch wie überlebte Leibniz’ Nachruhm als Dichter? Bereits in der kurz nach seinem Tod verfassten Lebensbeschreibung seines früheren Mitarbeiters Johann Georg Eckhart von 1717 ist Leibniz’ „natürliche[r] Trieb zur Poesie“ erwähnt (Eckhart 1982, 133) – ähnlich formulieren es die Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen, wenn sie im Juni 1717 schreiben, dass Leibniz „durch seine Gedichte gewiesen, dass er ein gebohrner Poet sey“ (Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen 1717, 370). Eckharts Schrift schließt mit dem Hinweis auf eine von ihm geplante, aber später nicht realisierte Leibniz-Edition, in deren dritten Band auch Gedichte aufgenommen werden sollten, denn: „Seine Lateinische und Französische sinnreiche Gedichte verdienen auch das Licht zu sehen.“ Wenn Eckhart im nächsten Satz urteilt: „In teutschen Versen aber war er nicht zu glücklich, ob er dieselbe gleich sehr liebte, und mich oft, im Teutschen was Gutes zu schreiben, aufgemuntert

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hat.“ (Eckhart 1982, 203), wird hier ebenfalls die lange Zeit nach Sprachen unterscheidende ästhetische Bewertung von Leibniz’ Dichtkunst sichtbar, wenn auch interessanterweise in konträrer Auffassung zur Herzogin Elisabeth Charlotte. Da Eckharts Lebensbeschreibung allerdings erst 1779 veröffentlicht wurde, ist die für die erste Zeit wirkungsmächtigste Schrift über Leibniz’ Leben wie auch zu seinem dichterischen Schaffen die sich auf Eckharts Zuarbeit stützende Éloge de Leibnitz von Bernard Le Bovier de Fontenelle, gehalten am 13. November 1717 vor der Pariser Académie royale des sciences. In der Übersetzung von Luise Adelgunde Victorie Gottsched heißt es: Herr von Leibnitz hatte viel Lust und Fähigkeit zur Dichtkunst. Er konnte die guten Dichter auswendig, und würde auch noch in seinem hohen Alter, den Virgil fast von Wort zu Wort haben hersagen können. Er hatte einsmals in einem einzigen Tage, ein Gedicht von drey hundert lateinischen Versen gemacht, und sich keine einzige Elision darinnen zu gute gehalten; welches zwar nur ein Spiel des Witzes, aber doch ein schweres Spiel ist. (Fontenelle 1763, 4).

Die Platzierung gleich zu Beginn der Éloge weist auf die Bedeutung hin, die Fontenelle der dichterischen Begabung Leibniz’ beimaß. In der Bewertung von dessen Dichtungen differenziert er allerdings ähnlich wie Eckhart. Wie bei diesem werden insbesondere die lateinischen Gedichte gelobt; Fontenelle bezeichnet insbesondere das Epicedium auf Herzog Johann Friedrich als „sein Meisterstück“, das „unter die schönsten Stücke der Neuern von dieser Art gezählet zu werden verdient.“ (ebd.). Dabei hebt Fontenelle Leibniz’ Verfahrensweise hervor, sich zwar formal am klassischen Latein zu orientieren, aber dies mit zeitbezogenen Inhalten zu füllen – wie beispielsweise in dem genannten Epicedium mit der mythologisch verbrämten Feier zur Entdeckung des Phosphors, die dem Leibniz bekannten Henning Brand zwei Jahre zuvor gelungen war. Sichtbar spielt hier die aktuelle Querelle des Anciens et des Modernes mit hinein, der bedeutendste Literaturstreit der Zeit, in dem Fontenelle die Position der Modernen vertrat und dafür an dieser Stelle auch Leibniz als Gewährsmann reklamiert. Zu den anderssprachigen Dichtungen äußert sich Fontenelle nur lapidar. So hält er fest: Herr von Leibnitz machte auch so gar französische Vers;, allein im Deutschen wollten ihm die Gedichte nicht glücken. Das Vorurtheil der Franzosen für ihre Sprache, und die Hochachtung die man unserm Dichter schuldig ist, könnten uns fast auf die Muthmaßung bringen, daß der Fehler nicht lediglich an ihm gelegen. (ebd., 6).

Auch Fontenelle nimmt demnach eine nach Sprachen abstufende Bewertung der Leibniz’schen Gedichte vor, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass er die mindere Qualität der deutschen Verse der Sprache selbst anlastet. Dies löst eine erregte Kontroverse aus, die ihre Nachwirkungen bis in spätere nationale Hoch-Zeiten hat, in denen immer wieder die Verbundenheit Leibniz’ mit der deutschen Sprache und deren hoher Stand verteidigt werden. In einem Kommentar zur Éloge nimmt Eckhart, der ja gleichfalls Leibniz’ deutschen Gedichten wenig Wert beigemessen hatte, denn auch vor allem die deutsche Sprache gegen Fontenelle in Schutz (zit. bei Ludovici 1737, 76). Carl Günther Ludovici geht 1737 den ent-

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scheidenden Schritt weiter und sieht das Problem eher bei Leibniz selbst, für das er auch gleich einen Grund liefert: […] in der That lieget die Ursache davon nicht in der Deutschen und Frantzösischen Sprache, sondern ist vielmehr in dem Herrn von Leibnitz selbst zu suchen. Es ist nicht möglich, daß iemand in einer Sprache vortreffliche Gedichte verfertigen sollte, wenn er selbiger nicht vollkommen mächtig ist. (Ludovici 1737, 78).

Leibniz habe sich mehr mit der Erforschung als mit der „Zierde der Deutschen Sprache“ beschäftigt, dagegen habe er in Französisch und Latein „rein und zierlich“ geschrieben. „Solchermaßen war es nicht zu verwundern, daß der Herr von Leibnitz in der Französischen Sprache einen geschicktern Dichter abgegeben habe, als in seiner Muttersprache.“ (ebd., 79). Gottschalk Eduard Guhrauer wird später auf diese Einschätzung zurückkommen. Nichtsdestotrotz widmet sich Ludovici ausführlich dem dichterischen Schaffen von Leibniz, indem er ihm im zweiten Band seiner Lebensbeschreibung ein ganzes Kapitel einräumt: „Von des Herrn von Leibnitz Gedichten in Deutscher, Französischer und Lateinischer Sprache“. In der Einleitung stellt er das Dichten der wissenschaftlichen Betätigung entgegen: Erstere erfordere im besonderen Maße nicht näher bestimmte „Gaben“. Während Wissenschaftler das Fehlen solcher Gaben bis zu einem gewissen Grad durch „unermüdeten Fleiß“ kompensieren können, gelte kategorisch: „Dichter müssen gebohren werden.“ (ebd., 71). Der Topos des Zum-Dichter-geboren-Seins, wie ihn auch schon die Neuen Zeitungen auf Leibniz anwendeten, verweist auf das sich wandelnde Autorverständnis der Frühaufklärung vom barocken poeta doctus zu einem mehr schöpferischen Verständnis des Dichtens als autonomen Vorgang von Ingenium und Individualität. Ludovici meint im vorliegenden Falle, „[d]aß der Herr von Leibnitz die zur Dichtkunst erforderlichen natürlichen Gaben sogar im Überfluß besessen habe“ (ebd.) und zieht dafür als Gewährsmänner die beiden Biographen Eckhart und Fontenelle heran. Wie Fontenelle betont er neben den vorhandenen Gaben auch Leibniz’ „Lust zum Dichten“ (ebd.). Dabei ist es für ihn von Wichtigkeit, herauszuheben, dass dies nicht nur für Leibniz’ Jugend gegolten habe, in der sich die bereits bei Fontenelle und auch schon von Leibniz selbst erwähnte Großtat der 300 Hexameterverse an einem einzigen Vormittag zutrug, sondern er verweist auf Eckharts Aussage, Leibniz habe auch in späteren Jahren bevorzugt das, „was er erfahren oder gelesen habe, solches bey müßiger Zeit, sonderlich auf Reisen, in kurze sinnreiche Gedichte gebracht“ (ebd., 72 f.). Ludovici nutzt hier den Nachweis von Leibniz’ dichterischer Betätigung zur Aufwertung von Poesie überhaupt – was der große Leibniz als adäquates Ausdrucksmittel akzeptierte, kann nicht so leicht als nebensächlich marginalisiert werden. Bevor Ludovici im Hauptteil des Kapitels zur kommentierten Präsentation von Gedichttiteln und -teilen kommt, geht er auf ihre Anteiligkeit im Schaffen Leibniz’ ein. Dabei konstatiert er bedauernd, dass ihm deutsche Gedichte nicht vorlägen, auch wenn er von einigen im Anapäst gehaltenen Versuchen wisse. Die offenkundige Vernachlässigung des Deutschen führt Ludovici auf seine bereits zitierte These von dem Leibniz’schen Fokus auf dessen Erforschung und nicht

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die, zumal poetische, Anwendung zurück. Zu einer im Deutschen eher theoretischen Ausrichtung passt auch die folgende Einschätzung Ludovicis: „Im übrigen wuste Herr Leibnirz [sic!] mehr als zu wohl, was zu einem Deutschen Gedichte erfodert würde und wie es beschaffen seyn müsse, wenn es vollkommen die Probe halten sollte.“ (ebd., 74). Dabei verweist er auf Leibniz’ Hilfestellung für Driesch mithilfe seiner Exercitationes Oratorias. Leibniz erweise sich hier als ein „vollkommener Kenner und scharffer Richter eines Deutschen Gedichtes“ (ebd., 75). Nach der Kurzvorstellung einiger französischer Gedichte, unter denen er die zwei Versifikationen eines Ausonius-Epigramms zur Aenaeischen Dido als „Meisterstücke“ den entsprechenden Versuchen französischer Dichter vorzieht, widmet Ludovici sich anschließend der lateinischen Dichtkunst des Universalgelehrten, „in welcher er ohne Wiederspruch alle Lateinische Dichter seiner Zeit übertroffen hat“ (ebd., 83). Hier orientiert sich Ludovici erkennbar an Fontenelle und dessen Lob für Leibniz’ an Lucan ausgerichteten Stil bei jedoch inhaltlicher Eigenständigkeit, wobei ihm ebenfalls das Gedicht zur Entdeckung des Phosphors als Beispiel dient. Als letztes geht Ludovici der Frage nach, „ob dem Hrn. von Leibnitz können ein poetischer Wahrsagungsgeist beygeleget werden, da er selbst ein solches von sich zu bejahen scheinet“. Ludovici spielt hier auf eine missverständliche Stelle in einem Brief an Heinrich Christian Kortholt an, allerdings kommt er zu dem Schluss: „Hr. Leibnitz wird wohl der an den Hrn. Kortholt überschriebenen Stellen wegen von keinem vernünfftigen Menschen davor angesehen werden, als habe er sich gewisser Prophezeyungen gerühmet“ (ebd., 99) – der poeta vates ist mit dem Zeitalter des Rationalismus nicht recht vereinbar. 3. ZUM VERHÄLTNIS ZWISCHEN POESIE UND PHILOSOPHIE Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts treten zwei Leibniz-Rezipienten auf den Plan, die selbst literarisch tätig sind – Johann Christoph Gottsched und Gotthold Ephraim Lessing. Gottsched als einer der wichtigsten Verfechter der LeibnizWolffschen Schule und zugleich einflussreicher Reformator der deutschen Sprache trat 1729 eine außerordentliche Professur der Poesie in Leipzig an, 1734 wurde er ordentlicher Professor für Logik und Metaphysik. In beiden Antrittsreden bezog er sich auf das Wechselverhältnis zwischen Philosophie und Dichtung. Dabei führt er explizit Leibniz als Beispiel einer Synthese dieser beiden Bereiche an (vgl. Otto 2011, 205). Ein paar Jahre später äußert Gottsched sich in seiner Schrift Ad Orationem und anlässlich der Herausgabe der von ihm übersetzten und kommentierten Leibniz’schen Theodicée auch zu dem durch Fontenelle ausgelösten Meinungsstreit über Leibniz’ deutsche Dichtungen im Besonderen und den Wert des Deutschen als poetische Sprache im Allgemeinen. Dem Abdruck der bereits zitierten Übersetzung von Fontenelles Éloge (durch Luise Adelgunde Gottsched), die der Theodicee vorgeschaltet wurde, ist an der betreffenden Stelle eine längere Fußnote von Gottsched beigefügt. Ebenso wie Ludovici weist er den Vorwurf gegenüber der deutschen Sprache zurück, die Fontenelle mangels Kenntnis gar nicht beurteilen könne, nimmt aber darüber hinaus auch Leibniz’ dichterische Fä-

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higkeiten im Deutschen in Schutz. Er selbst habe einst bei Magister Stübner ein deutsches Gedicht von Leibniz im Druck gesehen, das er ausdrücklich lobt: „Es war selbiges in opitzischem Geschmacke, mit einer recht männlichen Art zu denken geschrieben“ – Opitz wird als das große Vorbild von Leibniz herausgestellt (Gottsched in: Fontenelle 1763, 6). Leider liege es ihm nicht mehr vor, und so bittet er die Erben des verstorbenen Stübner, ihm diesen Druck zur Veröffentlichung zu überlassen: „Dadurch würde man im Stande seyn, die Welt zu überführen, daß H. von L. auch in seiner Muttersprache dichten können“ – auch wenn Gottsched im nächsten Satz einräumt, dass Leibniz durch seinen vielfachen Verkehr bei Hofe und im Ausland „eine größere Stärke in fremden Sprachen, als in seiner Muttersprache bekommen“ habe (ebd., 7). Aber, so fährt er selbstbewusst fort: „Übrigens braucht itzo die deutsche Sprache keine Verteidigung mehr“, sie habe sich in den letzten 20 Jahren sehr verbessert und verfüge nun über viele gute „Schriften in allen Arten.“ In der Neuesten Zugabe der fünften Auflage von 1763 kommt Gottsched erneut auf den Bereich der Literatur zu sprechen, nämlich dort, wo er die Theodicée gegen ihre Gegner auf diesem Feld verteidigt. Mittlerweile liegt seit 1759 Voltaires Candide ou l’optimisme vor, die durch das Erdbeben von Lissabon ausgelöste und wirkungsmächtigste Infragestellung des Theodizee-Gedankens. Aber auch d’Argens und de Bars Babioles litteraires werden als Kritik dichtender Kollegen abgewiesen (Gottsched 1763, 901). In diesem Zusammenhang nimmt Gottsched zudem Stellung zur umstrittenen Preisfrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften von 1753, die unter dem Deckmantel einer vorgeschobenen Untersuchung des Lehrsatzes „Whatever is, is right“ des englischen Dichters Alexander Pope eine implizite kritische Behandlung der Leibniz’schen Theodizee veranlassen wollte und schließlich auch eine entsprechend negative Schrift von Adolf Friedrich Reinhard 1755, wenige Monate allerdings vor dem Erdbeben, krönte. Dies hatte zu viel Unwillen unter den deutschen Gelehrten geführt, in dem auch Abwehr gegen die als französisch dominiert empfundene Akademie mitschwang. Und hier kommt nun Lessing ins Spiel. Ohne sich konkret auf Leibniz als Dichter zu beziehen, wehrt er sich in seinem mit Moses Mendelssohn verfassten Aufsatz Pope ein Metaphysiker! von 1755 gegen die Zumutung, einen Dichter als Philosophen haftbar zu machen und sein Werk, gemeint ist Popes Lehrgedicht An Essay on Man, als abgeschlossenes System fehlzudeuten. Lessing fragt rhetorisch: Wenn ich der Akademie andre Absichten zuschreiben könnte, als man einer Gesellschaft, die zum Aufnehmen der Wissenschaften bestimmt ist, zuschreiben kann; so würde ich fragen: ob man durch diese befohlene Vergleichung mehr die Popischen Sätze für philosophisch, oder mehr die Leibnizzischen Sätze, für poetisch habe erklären wollen? (Lessing 1755, 26).

Er, dessen Werk lange Zeit als entweder leibnizianisch oder spinozistisch beeinflusst wahrgenommen wurde, spricht sich klar gegen eine solche Vermischung aus und negiert damit auch die erwähnte Inbezugsetzung der Dichtkunst und Philosophie, wie sie sein vorheriger Lehrer und mittlerweile Gegner Gottsched gerade am Beispiel Leibniz demonstrieren wollte.

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Mit der Thematisierung des Poetischen an Leibniz’ philosophischen Lehrsätzen ist ein Aspekt angesprochen, der sich wirkungsmächtig in der Rezeption gerade auch seiner Metaphysik und speziell der Theodicée behaupten wird. Zuweilen fällt das Urteil distanziert-spöttisch aus, so wenn Friedrich II., König von Preussen in seiner Schrift Über die deutsche Literatur von 1780 den typischen deutschen Universitätsgelehrten über das System der prästabilierten Harmonie „als den Roman eines Mannes von vielem Geiste“ urteilen lässt (Friedrich II., König von Preussen 1985, 85). In anderen Fällen wird die künstlerische Seite anerkennend gesehen, wie es Johann Gottfried Herder in seiner Zeitschrift Adrastea um die Jahrhundertwende unternimmt: In der Metaphysik war Leibniz Dichter. Er ersann eine göttlich-künstliche Welt, die er dem Cartesianismus, Spinozismus, Epikureismus entgegenstellte, und damit allen Schwierigkeiten zu entkommen suchte.

Zum Staat der Geister und Gottes heißt es: „Diesen Staat schilderte Leibnitz als ein liebender Künstler, daher die romantischen Namen der Monaden, der prästabilierten Harmonie u.s.“ (Herder 1885, 482 f.). Allerdings sieht Herder auch die Probleme dieser künstlichen Konstruiertheit: […] kurz, Leibnitz System war zu fein genommen. Er konnte aus ihm alles beantworten; aber das Gebäude selbst schwebte an dem leisen Faden der Convenienz angenehm, reich, zierlich, als Poesie in den Lüften. (ebd., 484).

Leibniz’ explizit dichterischer Produktion gegenüber schwingt allerdings auch die Abwehrhaltung des sich aus Funktionalität und Indienstnahme befreienden Künstlers mit, wenn Herder, darin Lessing vergleichbar, diese als im letzten fachfremd zurückweist: Leibnitz selbst machte Verse, Latein und Französisch gewöhnlich nur aus Artigkeit, als Complimente. – Wie? wenn wir einen Philosophen hörten, der sie zu einem ernstern Zweck machte? Seufzer eines gefeßelten Prometheus aus seiner Kaukasushöhle. (ebd., 485).

Die Streitfrage um Leibniz’ deutsche Dichtung, wichtiges Thema noch der Frühaufklärung in ihrem Bemühen um eine Hebung der Muttersprache, berührt den universaler denkenden Verfasser der Abhandlung über den Ursprung der Sprache erkennbar nicht. Und dass dies generell um 1800 kein zentrales Thema war, zeigt auch die an Fontenelle orientierte Leibniz-Biographie von Johann August Eberhard von 1795, der ebenfalls Leibniz’ deutsche Dichtung nicht erwähnt, allerdings ein positives Bild von dessen lateinischer Dichtung zeichnet, indem er Leibniz mit Vergil vergleicht und gar auf „eine Verwandtschaft zwischen so verschiedenen Genie’s schließen“ will. Leibniz sei auch in seinen männlichen Jahren ein Dichter [geblieben], und aus den wenigen Ueberbleibseln seiner lateinischen Muse läßt sich schließen, was er hätte seyn können, wenn er sich allein der Dichtkunst hätte widmen können. (Eberhard 1982, 8).

Als letzte Stimme des 18. Jahrhunderts sei noch Johann Christoph Adelung erwähnt, der sich nur kurz, aber vernichtend äußert. Der bedeutende Lexikograph der Aufklärung urteilt in seiner 1787 erschienenen Geschichte der menschlichen

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Narrheit anlässlich eines für Franciscus Mercurius van Helmont verfassten Epitaphs von Leibniz, den er ansonsten als „scharffsinnige[n] Philosoph[en]“ schätzt (Adelung 1787, 314), dass es „zu dessen Schwachheiten […] gehörte, daß er gerne Verse machte, so geringe auch sein Talent für die Poesie war“ (ebd., 316, vgl. auch van den Heuvel 2001, 77). Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die aufklärerische Abwehr in der Zurschaustellung der „Narrheit“ Helmonts im betreffenden Lexikonartikel (der ihn bezeichnenderweise als „Pantheist“ ausweist, wie „Spinozist“ ein Kampfbegriff der Zeit) an dieser Stelle sicherlich noch verstärkend auf die Beurteilung der Leibniz’schen „Schwachheit“ ausgewirkt hat. 4. DIE FRAGE NACH DEM DEUTSCHEN Klingt das 18. Jahrhundert eher mit philosophisch gehaltenen Betrachtungsweisen aus, so wird das 19. Jahrhundert der Frage nach dem Deutschen bei Leibniz auch und gerade hinsichtlich seiner Dichtung erneut eine entscheidende Rolle beimessen, allerdings weniger aus sprachtheoretischen, sondern eher aus nationalen Gesichtspunkten. Eine wichtige, wenn auch im Ton moderate Stimme ist dabei Gottschalk Eduard Guhrauer, der 1838–40 die zweibändigen Deutschen Schriften von Leibniz herausgibt. Im ersten Band geht er dabei explizit auf das dichterische Schaffen ein und veröffentlicht in einem gesonderten Kapitel einige Gedichte, die teilweise vorher schon verstreut im Druck zu finden waren, so im Hannöverschen Magazin oder im Buch über Sophie Charlotte von Karl Varnhagen von Ense, dem Guhrauer auch den ersten Band der Deutschen Schriften widmet. Dadurch kann Guhrauer endgültig mit Ludovicis Fehlurteil aufräumen, Leibniz habe keine deutschen Gedichte verfasst. Auch schaltet er sich noch einmal in die Diskussion um die Fontenellesche Einschätzung zu Leibniz’ deutschen Gedichten ein. Dabei geht es ihm weniger wie Gottsched und Eckhart um eine Verteidigung des Deutschen im Allgemeinen, sondern mehr um den Schutz Leibniz’ vor einer angenommenen Abwertung durch Ludovici zugunsten von Christian Wolff als dem eigentlichen Popularisator deutscher Sprache (vgl. Guhrauer 1838, 432 f.). Bei den abgedruckten Gedichten greift Guhrauer insbesondere die 1667 entstandenen Begleitverse zu dem geplanten Florilegium deutscher Dichtung von Christian Albert Meisch heraus, einer zeittypischen Blütenlese beliebter Gedichte, die dann aber nicht zustande kam. In diesen Versen stellt Leibniz wohlwollend, wenn auch nicht frei von leisem Spott („Was lobt man viel die Griechen?/Sie müssen sich verkriechen,/Wenn sich die teutsche Muse regt./Was sonst die Römer gaben/Kann man zu Hause haben,/Nachdem sich Mars bei uns gelegt“ (zit. nach ebd., 434) antiken Vorbildern wie Horaz, Ovid und Seneca deutsche Barockdichter vergleichend an die Seite. Guhrauer kommentiert dies folgendermaßen: Dies Gedicht ist uns als Dokument seiner Gesinnung in den Jugendjahren weit kostbarer als wegen des ihm eigenen poetischen Gehalts, obschon ein solcher, unserm Gefühl nach, weder im Ausdruck, noch in den Gedanken vermißt wird; er athmet frische Empfindung, jugendliche Begeisterung. Prägnant ist die Sehnsucht nach einem deutschen Nationalepos; er hatte da

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den wunden Fleck der deutschen Nationallitteratur getroffen. Wie voll Hoffnung ist er hier noch! (ebd., 127 f.).

Dem „Dreigestirn am poetischen Himmel der Periode um 1650“, bestehend aus Opitz, Fleming und Gryphius, blieb Leibniz nach Guhrauer bis an sein Lebensende treu. In der Hervorhebung der deutschen Gedichte weist der Editor auch das tradierte Urteil über den Vorzug der lateinischen vor Leibniz’ deutscher Dichtkunst ab: „[…] metrische Versuche in der Muttersprache [lagen] ihm mindestens eben so nahe, als in der lateinischen“ (ebd., 64). Allerdings resümiert Guhrauer im Gesamtblick auf die poetische Produktion des Universalgelehrten: „Nicht in seinen Versen haben wir den hohen poetischen Gehalt des Leibnitzschen Genius zu suchen, sondern in dessen Spekulationen Conceptionen und Ideen“ (ebd., 430) und stellt sich damit an die Seite von Herder, der in der Theodicée ebenfalls das „feinste Poem, das je ein menschlicher Geist schuf“ (Herder 1885, 88) gesehen hatte. Es folgen eine Anzahl von Schriften, die sich mit Leibniz anlässlich der zweiten Säkularfeier im Jahr 1846 befassen. Bedeutsam ist hier zunächst wiederum ein Werk von Guhrauer, seine zweibändige Biographie. Diese nimmt im ersten Band auch die lateinischen Verse von Leibniz in den Blick, so das schon von Fontenelle gerühmte Epicedium auf Johann Friedrich. Guhrauer kann es sich jedoch nicht versagen, mit Blick auf die höfischen Gepflogenheiten des 17. Jahrhunderts zu monieren: „Ist es nicht bezeichnend für die damalige Stellung der deutschen Poesie an deutschen Höfen, daß Niemand von allen denen, welche den Gefeierten besungen haben, mit einem deutschen Reim auftrat? Auch Leibnitz nicht, welcher sich doch sonst in deutschen Versen und Liedern manchmal versucht hat.“ (Guhrauer 1846a, 370). Der aktuellen Vormärz-Stimmung geschuldet ist auch die Hervorhebung von Leibniz’ „patriotische[r] Gesinnung“, der Guhrauer durch den Abdruck des sprachkritischen Spottgedichtes „Auf die Nachahmer der Franzosen“ (Guhrauer 1846b, 135) Rechnung trägt. Ebenfalls aus Anlass der Säkularfeier gab Carl Ludwig Grotefend zum 1. Juli 1846 ein Leibniz-Album mit einigen bislang ungedruckten Schriften Leibniz’ heraus, gewidmet König Ernst August von Hannover. Das Album veröffentlicht insgesamt 13 Gedichte in allen drei Sprachen. In der Vorrede heißt es: Daß Leibniz häufig in gebundener Rede geschrieben habe, und daß er auch hierin ausgezeichnet gewesen sei, wußte man zwar schon längst, indeß war bislang der bei weitem größte Teil seiner Gedichte noch ungedruckt oder doch unbekannt geblieben.

Ein Grund läge darin, dass Leibniz selbst sie nicht zur Publikation bestimmt hätte. Anhand der hier veröffentlichten Beispiele neulateinischer Poesie ließe sich aber gut ersehen, „welcher Meister auch hierin Leibniz war.“ Die lateinischen Gedichte seien eher ernsten Inhalts, die französischen „heiterer Art“ (Grotefend 1846, unpag.). Interessant ist der Blick in die Werkstatt des poetologischen Beraters Leibniz: Grotefend bietet mit der Gegenüberstellung eines deutschen Gedichts aus den „Uebungen der Wienerischen Gottes-Gnaden-Brüderschaft“ mit Leibniz’ „Veränderung“, also einer im Opitzschen Sinne korrigierten Version dieses Gedichts, einen guten Einblick in die Prinzipien des Leibniz’schen Dichtungsverständnisses:

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Unschöne Wörter und Silbenfüllungen werden eliminiert, der Alexandriner, durchgängige Alternation und gleichmäßiger Versfluss angestrebt. „Was thustu Herz beginnen?/Du liebst der Welte Schönheit ohne Scheue“ wird demnach zu: „Wie kannstu blindes Herz beginnen/zu lieben mit der Welt den angefärbten Schein?“. Der Herausgeber verweist dabei noch auf Leibniz’ Auffassung, dass „die Schlesier allein in den [katholischen, Anm. AA] Kayserlichen Erblanden rechtschaffende Teutsche Verse machen“ können (ebd.) – der konfessionelle Graben trennt auch in dichterischen Belangen. Im folgenden Jahr 1847 kommt es dann zur entscheidenden Publikation in Bezug auf Leibniz’ dichterisches Schaffen: Georg Heinrich Pertz veröffentlicht im Rahmen seiner Gesammelten Werke den Band Geschichtliche Aufsätze und Gedichte (Pertz 1847), allerdings ohne kommentierender Beigaben. Erstmals werden die bislang nur sporadisch und verstreut publizierten Dichtungen systematisiert und chronologisch geordnet wiedergegeben, unabhängig von ihrer sprachlichen Zugehörigkeit. Bei den „geschichtlichen Aufsätzen“ handelt es sich in erster Linie um die gebundene und ungebundene Casualdichtung für die welfischen und andere Fürsten sowie um Tagebucheinträge, Selbstschilderungen und Beiträge zur Geschichte des Welfenhauses. Das letzte und größte Kapitel enthält explizit „Dichterisches“ und stellt die mit ca. 150 Gedichten immer noch umfangreichste Sammlung von Leibnizgedichten dar. In die Zeit der politisch-nationalen Neuorientierung verweist der Beitrag von Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der sich in einem Aufsatz im Weimarischen Jahrbuch von 1855 Leibnitz im Verhältniss zur Deutschen Sprache und Litteratur widmet. Gleich zu Beginn hält er fest, dass es in letzter Zeit verstärkt Bemühungen gebe, Leibniz als „deutschen Schriftsteller in unsere Litteratur einzuführen“ (Hoffmann 1855, 80) und wendet sich anschließend vor allem dessen beiden sprachkritischen Schriften Unvorgreifliche Gedanken und Ermahnung an die Deutschen zu, letztere erst 1846 von Grotefend an die Öffentlichkeit gebracht. Nach diesen beiden mit patriotischem Tenor kommentierten Werken kommt er, allerdings verhaltener, auch auf die deutschsprachige Dichtung Leibniz’ zu sprechen: Leibnitz hat aber nicht allein deutsch geschrieben, sondern auch deutsch gedichtet. – Es ist zu verwundern, dass ein Mann wie er, der mehr wusste als die Gelehrtesten seiner Zeit und allen weit voraussah, im J. 1667 noch so entzückt war von der deutschen Muse, dass er sagen konnte „die Griechen, sie müssen sich verkriechen“ (ebd., 110).

Hoffmann gibt hier der zeittypischen kritischen Sicht auf die Barockdichtung Ausdruck, wenn er moniert: Bei seinen Ansichten dürfen wir auf dem Gebiet der Poesie nichts Neues erwarten: er geht den nämlichen Weg, den die Bewunderer und Nachahmer Opitzens gingen: er hat seine poetischen Gefühle und Gedanken dem langweiligsten aller Verse, dem unglückseligen Alexandriner anvertraut und hat mit seinen Zeitgenossen den Vorrath gelehrter Bilder, Gleichnisse, Redensarten und Wendungen gemein. (ebd., 111).

Die Aufwertung der alten und volkstümlichen Poesie, im 18. Jahrhundert maßgeblich von Herder betrieben und in der Romantik weitergeführt, bestimmt auch das

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Literaturverständnis des patriotischen Dichters Mitte des 19. Jahrhunderts. Positiv hebt er Leibniz’ Erwähnung altdeutscher Dichtung wie des Froschmäuselers und Reineke Vos hervor. Als immerhin „werthvolle Zeugen der vielseitigen Thätigkeit des großen Mannes“ nimmt Hoffmann, der Pertz’ Sammlung lobend erwähnt, einige der bekannteren Gedichte zum Abdruck auf, auch wenn sie Leibniz bloß als „Hofpoet und Gelegenheitsdichter“ zeigen – dass die satirischen Verse Auf die Nachahmer der Franzosen dabei sind, verwundert nicht. Abschließend kann es sich Hoffmann nicht versagen, am Beispiel einer lobenden Besprechung Leibniz’ des erotischen Gedichts von Johann von Besser: Die Ruhestatt oder Schoß der Geliebten noch einen generellen Seitenhieb auf die sittliche Verderbtheit der Literatur jener Zeit auszuteilen: Wie Leibnitz sowol nach Inhalt und Form sich als Dichter über seine besseren dichtenden Zeitgenossen nicht zu erheben wusste, ebenso wenig vermochte er es in theoretischer Beziehung: auch er hat wie seine ganze Zeit eine geringe Ansicht von der hohen, sittlichreinen Würde der Poesie. (ebd., 116).

Während Hoffmann noch auf August Koberstein verweisen kann, der ähnlich kritisch der Barockdichtung gegenüberstand, kommt Julian Schmidt in seiner Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland zu einer anderen Einschätzung. Das Besser-Gedicht beurteilt er als „vortreffliche Stilübung“ und zieht von ihm eine Parallele zu Leibniz’ eigenem „zierlichen Ausdruck“ (Schmidt 1862, 333). Er beklagt vor allem eine vertane Chance: Von allen Führern der geistigen Bewegung wäre keiner so geeignet gewesen, dem deutschen Volk auch für die Poesie das Verständniß zu erschließen, als Leibnitz.

Er sei empfänglich für alles Schöne gewesen, auch würden seine großen Schriften eine „wahrhaft schöpferische Einbildungskraft“ verraten. Im letzten sei ihm dies aber „gleichgültig“ gewesen, auch habe er den poetischen Geschmack als etwas Subjektives angesehen. Leibniz’ eigene Gedichte klassifiziert Schmidt lapidar als „gewöhnliche Gelegenheitsgedichte“ (ebd., 332 f.). Neben der jeweils nur verstreuten Aufnahme von Gedichten in den Ausgaben der Zeit, beispielsweise bei Onno Klopp, findet die Vergegenwärtigung von Leibniz im 19. Jahrhundert vielfach im Begehen von Jubiläen und Gedächtnisveranstaltungen statt. An der Hoffmannschen Zeitkritik knüpft der Sekretär der Akademie der Wissenschaften Moriz Haupt in seiner Jubiläumsrede von 1864 an. Zwar erkennt er an, dass Leibniz der wahren poesie wohl zugänglich war, dass aus seiner eigenen rede dichterischer geist oft überraschend hervorbricht, ja dass seiner philosophie poetische anschauungen verwandt sind (Haupt 1864, 120),

auch verbindet Haupt die sprachkritischen Forderungen aus der Ermahnung mit dem Dichten, wenn er Leibniz dahingehend interpretiert, dass dieser „unbedingte enthaltsamkeit im gebrauche fremder worte […] in gedichten“ gefordert habe (ebd., 123), aber insgesamt kommt er zu dem Urteil:

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Annette Antoine in stillem und ungemeistertem werden hat sich im achtzehnten jahrhunderte die deutsche sprache und litteratur zu einer schönheit und macht erhoben die Leibniz nicht ahnte, er dem nur sein zeitalter verwehrte einer der höchsten meister deutscher sprache zu sein (ebd., 125).

Eduard Bodemann nennt in seiner Rede am 4. Dezember 1876 anlässlich der Säkularfeier von Leibniz’ Übersiedelung nach Hannover diesen einen „gewandte[n] Schriftsteller und Dichter“, was besonders Kurfürstin Sophie zu schätzen gewusst habe (Bodemann 1876, 8). Und auch in weiteren zeittypischen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Literatur, neben dem bereits genannten Werk von Schmidt wären die Neuen Studien zur Literatur- und Culturgeschichte von Karl Rosenkranz (1877) oder Hermann Hettners Geschichte der deutschen Litteratur (1879) hervorzuheben, wird Leibniz immer wieder als Dichter erwähnt – bei Rosenkranz eher notgedrungen (wegen Leibniz’ Universalität habe ihm jede Form zu Gebote gestanden, „selbst die des Verses, wenn es sein mußte“ – auch wenn er keine ästhetischen Ansprüche erhoben habe (Rosenkranz 1877, 89)), bei Hettner mehr implizit mit dem Hinweis auf Herder und dessen mittlerweile geläufigen Topos von Leibniz als Dichter in metaphysischen Belangen (Hettner 1879, 97). In Karl Goedekes Standardwerk Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen (1887) finden sich einige Einträge in den Rubriken „Geistliche Dichtung“ (das Karfreitagsgedicht Jesus am Kreuze) und „Hofpoeten“. In der Einleitung zum letzteren Kapitel geht Goedeke kurz auf Leibniz’ Gelegenheitsdichtung ein (Goedeke 1887, 345). Bemerkenswert ist außerdem die Studie von Émile Grucker Opitz, Leibniz, Gottsched, les Suisses von 1883, die im 6. Kapitel auf Leibniz als „écrivain allemand“ und seine deutschen Schriften eingeht und dabei besonders dessen gute Fertigkeiten im Deutschen hervorhebt – seit Fontenelle ein gerade von französischer Seite eher selten gehörtes Lob. Auch wenn der Beitrag im Wesentlichen Leibniz’ Verdienste um die deutsche Sprache aufgrund dessen sprachkritischer Hauptschriften zum Thema hat, widmet sich Grucker doch auch dem dichterischen Schaffen und lobt das Gedicht Jesus am Kreuze „où respire un vrai sentiment religieux“ (Grucker 1883, 273). In einer Reihe mit Opitz und Luther, habe Leibniz nicht nur einen Platz dans l’histoire de la langue allemande, comme savant et comme critique. Sa place est marqueé aussi comme écrivain, dans l’histoire de la littérature allemande. (ebd., 319).

Für die literarische Entwicklung im 18. Jahrhundert sieht Grucker Leibniz in einer Vorreiterrolle: Dans la grande révolution littéraire et critique qui se prépare vers 1750, et dont Lessing et Herder sont les promoteurs, Leibniz aura une large part. (ebd., 325).

Während bislang in der Hauptsache die Leibniz-Gedichte vorlagen, die Pertz 1847 publiziert hatte, kommt Eduard Bodemanns wichtigem Werk Die LeibnizHandschriften der Königlich-Öffentlichen Bibliothek (Bodemann 1895) das Verdienst zu, nochmals etliches bislang Ungedrucktes herauszubringen. Im Kapitel „Philologie und Sprachwissenschaften“ stellt er in den Unterkapiteln „Deutsche Sprache“, „Lateinische Sprache“ und „Französische Sprache“ alles Vorgefundene

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mit Veröffentlichungsnachweisen zusammen und rückt zugleich noch nicht publizierte Gedichte im Wortlaut ein. Um die Jahrhundertwende meldet sich Johannes Vahlen, wiederum ein Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften, mit einigen Reden über Leibniz zu Wort. Er verweist in seinen Erinnerungen an Leibniz von 1905 auf dessen Gespräche über Dichtkunst mit Sophie Charlotte und seine von Opitz beeinflusste Kritik an Friedrich Spees Trutz-Nachtigall. Zu Leibniz’ eigenen Gedichten meint Vahlen, das sie „mehr auf äußere Anlässe als aus dem innern Drang eines bewegten Dichtergemüths“ zurückgingen (Vahlen 1905, 9). Leibniz’ Vorliebe für Opitz begründet Vahlen mit dessen Vertrautheit in der klassischen römischen Dichtung. 5. LEIBNIZ IM ERSTEN WELTKRIEG Das Jahr 1916 zeichnete sich durch eine besonders intensive Leibniz-Rezeption aus. Das Jubiläumsjahr zum 200. Todestag fiel mitten in den Ersten Weltkrieg und damit in eine Phase der starken Bezogenheit auf alles Deutsche. Berüchtigt ist in diesem Zusammenhang Walther Schmied-Kowarzik, der Leibniz’ Deutsche Schriften in zwei Bänden herausgab und dessen erster Band, Muttersprache und völkische Gesinnung betitelt, Leibniz als völkisch-nationalen „Geistesführer […] und Kulturpolitiker“ vereinnahmt (Schmied-Kowarzik 1916, IX). Auch wenn Schmied-Kowarzik nicht explizit auf Leibniz’ dichterisches Schaffen zu sprechen kommt, da es ihm vor allem um eine Indienstnahme der beiden Texte Unvorgreifliche Gedanken und Ermahnung an die Deutschen als Motivationsschriften in der Zeit der „schweren Kämpfe […], die das deutsche Volk vor Sein oder Nichtsein stellen“ (ebd., VII) geht, nimmt er dennoch einige deutsche Gedichte in diese Ausgabe mit auf, wiederum die bereits bekannten Satiren auf die Franzosennachahmerei, die lobenden Verse für Meischs Florilegium und kurze Sinnsprüche, die an deutsche Heldentaten der Vergangenheit erinnern. Hier trifft zu, was Gerd van den Heuvel im Rückblick festhält: Leibniz’ Schriften zur deutschen Sprache, seine Denkschriften und Pamphlete gegen französische Hegemonialansprüche, seine Gedichte gegen die Nachäfferei französischer Moden […] prädestinieren ihn für Analogieschlüsse von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf die Gegenwart des Weltkriegs (van den Heuvel 1997, 323).

Als Kontrast sei Paul Ritters Rede Leibniz und die deutsche Kultur erwähnt, 1916 als Gedächtnisrede vor dem Historischen Verein für Niedersachsen gehalten. Der Dilthey-Schüler und Leiter der um 1900 von der Berliner und der Pariser Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufenen Leibniz-Edition bezieht sich zwar nicht direkt auf Leibniz’ Gedichte, sondern sieht das Poetische wiederum in der Philosophie, wenn er vom „Lehrgedicht der Monadologie und Theodicee“ spricht (Ritter 1916, 198), aber er nutzt die Verknüpfung mit dem Aspekt der Kultur zu einem Plädoyer für die umfassende Betrachtung des Universalgelehrten, dessen international geplante Ausgabe zu Ritters erkennbaren Bedauern momentan in

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einem „Meer von Blut und von Lüge und von Haß“ untergegangen sei – es ist nicht mehr als ein schwacher Trost, wenn es zum Schluss fast trotzig heißt: Wir Deutsche setzen dann das Denkmal [d.i. eine nur von Deutschland realisierte Edition, Anm. AA] einem Deutschen, unserm Leibniz. (ebd., 201).

Im Jahr 1917 kommt es mit Fritz Behrend zu einer schmalen Veröffentlichung in der Deutschen Literaturzeitung, die für längere Zeit den letzten nur dem dichterischen Schaffen Leibniz’ gewidmeten Beitrag darstellen wird: Leibniz als Dichter. Behrend, der bereits 1915 zu Leibniz und die politische Flugschriftenliteratur einen Vortrag in der Gesellschaft für deutsche Literatur gehalten hat, in dem er auf den „stark künstlerischen Zug in seiner Philosophie“ eingeht, Leibniz einen „Stilkünstler“ vor allem in dessen kleineren Schriften nennt und einen Appell an seine germanistischen Zunftgenossen richtet, „unsere Grenzen zu erweitern, Neuland zu gewinnen“, indem „auch die Kunst unserer großen Denker“ zu untersuchen sei, wendet sich in der Deutschen Literaturzeitung explizit den poetischen Werken zu. Zunächst knüpft er an Fontenelles Éloge und dessen Hervorhebung des Epicediums auf Johann Friedrich samt der Schilderung des Phosphors an und zitiert aus der Akademierede von Moriz Haupt. Dem Lob auf Leibniz’ lateinische Gedichte schließt er sich an („Das Beste in der Poesie freilich leistete er als Neulateiner“ (Behrend 1917, 131) und konstatiert „Nachklänge aus Opitz“, betont jedoch auch die französischen Verse, wenn er ihnen zubilligt, dass Leibniz sich „[a]m freiesten und liebsten“ (ebd.) in ihnen ergangen hätte, auch sehr die französischen höfischen Romane wie Barclays Argenis geschätzt habe (nach Eckharts Zeugnis sein Lieblingsbuch, das neben seinem Sterbebett gelegen habe (Eckhart 1982, 223)). Dann aber widmet sich Behrend ausdrücklich den deutschen Gedichten, die „doch nicht alle durch den Anlaß dichterisch erstickt worden sind“ (Behrend 1917, 132). Sein vorweggenommenes Resümee lautet: „Um es kurz zu sagen: Leibniz opitziert.“ Er sei „den Göttern seiner Jugend treu“ geblieben: Opitz, Fleming und Gryphius, die er „nach dem Ungeschmacke der Zeit“ Horaz, Ovid und Seneca gleichgesetzt habe – hier spielt Behrend auf die Verse zu Meischs Florilegium an. – Während das geistliche Gedicht Jesus am Kreuze keine Befürwortung bei Behrend findet – Leibniz „vermochte [hier] über den matten Ton seiner Zeit nicht hinauszukommen“ (ebd.) – ordnet er das in mehreren Strophen wiedergegebene Epicedium auf Sophie Charlotte der Lehrdichtung zu, die über Haller bis auf Schiller verweise, und attestiert Leibniz zudem auch emotionale Tiefe: „Es fehlte ihm, der mit Gefühlsäußerungen kargte, doch nicht die Gabe, zu sagen, was er leide. Nicht geht es an, wie das leider auch in den glänzendsten Charakteristiken geschehen ist, ihm tiefes Empfinden glatt abzusprechen.“ (ebd., 133). Den Abschluss bilden die satirischen Gedichte, auch erwähnt Behrend die insbesondere Mitte des 19. Jahrhunderts vertretene Meinung, Leibniz sei „Meistererzähler schlüpfriger Geschichten bei Hofe gewesen“ (erinnert sei an Hoffmanns sittenstrenges Urteil), wobei er jedoch dessen Produktion wie den Carneval des dieux „sehr harmlos“ findet (ebd., 134).

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6. IM FOKUS: DAS EPICEDIUM AN SOPHIE CHARLOTTE Das bei Behrend erstmals mehr in das Blickfeld geratene Epicedium auf Sophie Charlotte, lange Zeit kaum beachtet und bei Pertz noch gleichsam versteckt zwischen den langatmigen Lobreden auf gekrönte Häupter einsortiert (und nicht im Kapitel „Dichterisches“, siehe Pertz 1847, 109–112), erfreut sich im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts immer größerer Beliebtheit. Kuno Fischer sieht in seinem Leibniz-Werk hierin die vielfach angesprochene, aber nur selten mit einem eigenen Beispiel illustrierte Verbindung von dessen Philosophie und Poesie, was meist erst in der Dichtung des 18. Jahrhunderts nachgewiesen werde: „Den ersten Versuch dieser Art, in Ausdruck und Versbildung noch unbeholfen genug, aber charakteristisch für den Zeitpunkt, hat Leibniz selbst in seinem Gedicht auf den Tod der Königin von Preußen gemacht.“ (Fischer 1920, 267 f.). In ihrem zwischen 1929 und 1939 entstandenen Standardwerk Leibniz als Sprachforscher geht Sigrid von der Schulenburg ebenfalls auf dieses „Gedächtnislied“ ein, wobei auch sie die Verbindung von Philosophie und Emotionalität hervorhebt: Das Gedicht „ist ein Ausbund der Leibniz’schen Monadologie und Theodicée. Aber das Erlebnis dieses Todes gibt dem Vortrag eine eigentümliche bewegte Stärke.“ (Schulenburg 1973, 150). Außerdem widerlegt sie mithilfe dieses Gedichts, immerhin aus dem Jahr 1705 stammend, die von Leibniz selbst kolportierte Aussage, er habe mit den Jahren die Lust am Dichten verloren (vgl. ebd.) – es sei „ein starker Beweis dagegen“. Als wichtig betont sie seine Unterstützung von jungen Dichtern gerade auch in den letzten Jahren und hebt hervor: Seine vornehmste Sorge ging doch dahin, daß den Dichtern die rechten Stoffe zugeführt würden, daß sie, mehr als bisher, Hervorragendes behandeln, würdigen Gegenständen den Schmuck ihrer Rede leihen möchten. Auch sie sollten wirken und nutzen. (ebd., 153).

Hier ist der Dichter im übergeordneten Verständnis des Wirkens für das Allgemeinwohl verortet. Schulenburg verweist dabei auf den Unterschied zum funktionalisierenden Nützlichkeitsdenken der Aufklärung und stellt als Leibniz’ Grundforderung heraus, dass die Dichtung „uns in eigen ergreifender Weise erhöhte Gegenstände, des Anschauens würdige, vor Augen stellt“ (ebd., 154). In diesem Sinne sei auch die Theodicée als „Lehrgedicht“ zu verstehen, wobei Schulenburg explizit auf Ritters Rede über Leibniz und die deutsche Kultur anspielt. Kurt Hildebrandt knüpft in Leibniz und das Reich der Gnade ebenfalls an dem Epicedium an und geht noch einen Schritt weiter, wenn er ihm Auswirkungen auf Klopstock, Hölderlin und Platen attestiert. Die Verbindung von Gedanke und Emotion ist für ihn „abendländisches Erbe“ (Hildebrandt 1953, 109). Weiter heißt es: Dies aber ist das Große: es entsteht in Leibniz wohl in Einklang mit seinem Lernen und Forschen, aber es bricht (wie bei Dante) durch aus dem unmittelbaren Erlebnis der seelischen Erschütterung, der sehnenden Liebe. Und er liebte, weil das Erleben der Königin die Wirklichkeit seines eigenen Denkens war. Vielleicht war dies schönste Erlebnis der Grund zur letzten Steigerung dieser Lehre. (ebd.).

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Hildebrandt greift mit dem Stichwort Erlebnis wie bereits Schulenburg vor auf die Erlebnisdichtung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Auch Waltraud Loos stimmt in dem ersten nur dem Epicedium gewidmeten Beitrag Leibniz’ Gedicht auf den Tod der Königin Sophie Charlotte in Richard Alewyns Aus der Welt des Barock von 1957 in diesen Tenor ein und betont die „echte, erlebte Empfindung“, verbunden mit dem „gewaltigen, dem Dichter ganz eigenen geistigen Gehalt“, der „zugleich einen persönlichen Zug in das Gedicht“ einbringe (Loos 1957, 80). Die „große deutsche Elegie“ sei ein „großartige[r] Abschluß in der Entwicklung des höfischen Trauergedichts“. Indem sie Leibniz’ Gedicht ein „echtes, nachzuempfindendes seelisches Geschehen“ (ebd., 76) zugrundelegt, rekurriert Loos auf ein Dichtungsverständnis, das bereits auf Authentizität statt auf Repräsentation zielt. Verdienstvoll und dank des Autographen-Abdrucks gut nachvollziehbar ist auch ihre Darstellung der Werkgenese in der Präsentation der einzelnen Textschichten. Einen Schritt zurück in der Chronologie muss mit der profunden Studie von Paul Böckmann zum Formprinzip des Witzes vollzogen werden. Dem Dichter Leibniz kommt eine wichtige Vorreiterrolle zu, da Böckmann durch ihn „den entschiedenen und sehr radikalen Bruch mit der Barockhaltung“ realisiert sieht. Allerdings argumentiert Böckmann weniger mit einer Zuordnung zur Erlebnisdichtung, sondern weist Leibniz durch seine Orientierung an der „mathematische[n] Naturerkenntnis eine Aufklärungshaltung“ zu, die mit einer Verpflichtung zu claritas und veritas vor der elegantia einhergehe (Böckmann 1932/33, 50 f.). Böckmann macht dabei auf eine gewisse Diskrepanz bei Leibniz aufmerksam, für den die Poesie entsprechend der zeitlichen Vorstellungen doch ein Werk der Zierlichkeit bleibe, wie in den Unvorgreiflichen Gedanken ausgedrückt, und der deshalb diesen Bereich mangels eigener innerer Zugänglichkeit kurzerhand dem Geist und Verstand des jeweiligen Verfassers anheimstelle. Bei allem empfundenen Ungenügen fehle ihm noch ein „neues literarisches Formprinzip, das von dieser Sprachauffassung aus wirksam werden könnte“ – Böckmann sieht dies folgend im Bereich des Witzes verwirklicht (ebd., 62). 7. AKTUELLE WAHRNEHMUNGEN: POPULARISIERUNG, BEZUGNAHMEN UND DIE FRAGE NACH EINER POETIK DER MODERNE Otto Saames Verdienst ist es schließlich, den Dichter Leibniz einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Der Zeitungsartikel Leibniz als Gelegenheitsdichter vom 5. November 1964 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung fördert keine neuen Erkenntnisse zutage, sondern stützt sich auf Fontenelles Éloge, auf Behrend und auch den Beitrag von Grotefend im Leibniz-Album, dessen Gedicht-Auswahl Saame im Wesentlichen übernimmt. Aber er entwirft ein buntes Bild von Leibniz’ dichterischer Tätigkeit und legt besonderes Gewicht auf die satirischen Gedichte, wobei er abschließend ein eher unbekanntes, nur im Bodemannschen Handschriften-Verzeichnis abgedrucktes Spottgedicht auf liebedienerische Höflinge einrückt („Häng’ den Mantel nach dem Winde“ (Saame 1964, zit. nach Bodemann 1895,

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132 f.)). Eine ähnliche Popularisierung, allerdings in der kleineren Gruppe der Latinisten, unternimmt Karl Ludwig Weitzel, der 1966 und 1967 in der lateinischdeutschen Zeitschrift Tiro zunächst Leibniz’ lateinisches Sprachvermögen vorstellt und anschließend zu ihm als Dichter Stellung nimmt. Die Frage „War Leibniz also auch ein (mehr oder minder bedeutender) Dichter?“ verneint er unter heutigen Gesichtspunkten, bejaht sie aber „nach den Vorstellungen von Poet und Poesie, die man im 17. […] Jahrhundert hatte.“ (Weitzel 1967, 3). Weitzel stellt demnach nicht wie Böckmann oder die Epicedium-Forscher das Innovative an Leibniz’ Dichtkunst heraus, sondern reiht ihn in die Zeitgenossenschaft ein. Außerdem verweist er auf Leibniz’ Selbstaussage in seinem Nachruf auf Johann Friedrich, gerichtet an Ferdinand von Fürstenberg, nach der er davon überzeugt gewesen sei, daß er es zu einem tüchtigen Dichter hätte bringen können, wenn nicht andere Tätigkeiten, Aufgaben und Interessen die Entfaltung seiner poetischen Begabung gehindert hätten (ebd.).

Die Leibniz-Bibliographie von Kurt Müller aus dem Jahr 1967 kann, neben der gut bestückten Abteilung „Leibniz und sein Werk in Dichtung und Musik“, immerhin auch 17 Einträge für das Kapitel „Leibniz als Dichter, seine Sprache“ verzeichnen (Müller 1967, 46 f.). Diese Rubrik ist zwar im Folgeband nicht mehr vertreten, dennoch lassen sich in den nächsten Jahren weitere Beiträge zu Leibniz’ dichterischem Schaffen finden. In der internationalen Forschung bringt Olan Brent Hankins 1973 die erste Monographie heraus, die sich unter dem Titel Leibniz as Baroque Poet explizit und ausschließlich dem Thema widmet. Dabei geht es ihm in erster Linie wiederum um das Epicedium auf Sophie Charlotte, das er als „most important“ von allen Leibniz-Gedichten bezeichnet (Hankins 1973, 14). Neben einer ausführlichen Interpretation, für die er das Epicedium in vier Phasen einteilt, gibt Hankins zudem einen Forschungsüberblick zu einschlägiger Literatur im 20. Jahrhundert. Ebenso beschäftigen sich die Beiträge von Jürgen Mittelstraß, André Robinet und Gerda Utermöhlen in dem Sammelband Leibniz in Berlin ausnahmslos mit dem Gedicht auf die preußische Königin (vgl. Poser/Heinekamp 1990). Yvon Belaval widmet sich dagegen in Leibniz et l’Europe dessen Rezeption durch Voltaires Candide und stellt heraus, dass die dichterische Zuschreibung „Roman“ im 18. Jahrhundert die durchaus übliche Bezeichnung von philosophischen Werken gewesen sei (Belaval 1983, 205). Und auch Gottfried Gabriel wendet sich der Leibniz-Rezeption zu, wenn er in seiner erkenntnistheoretisch angelegten Studie Fiktion und Wahrheit der possible worlds-Frage in der Literaturwissenschaft nachgeht, die er auf Leibniz zurückführt. Dabei bezieht er sich auf Wielands Agathon, der Leibniz’ Prinzip vom zureichenden Grunde auf die Dichtung anwende. Dessen Unterscheidung in klare und distinkte Erkenntnisse sieht Gabriel wiederum mit der ästhetischen Urteilsfähigkeit verknüpft, als deren Bestandteil er das Leibniz’sche „gewisse Etwas […], das uns befriedigt oder unserern Anstoß erregt“, ausmacht (Gabriel 1975, 109). Damit kreist die Beschäftigung erneut um das Poetische in Leibniz’ Philosophie und weniger um explizite Gedichte, eine Tendenz, die Niels Werber noch verstärkt, wenn er aus kommunikationstheoretischer Sicht die Anbindung der Theodicée an die barocke Regelpoetik untersucht:

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Annette Antoine Leibniz beschreibt die Vollkommenheit Gottes in Kategorien der Regelpoetik – ‚Ordnung, Ebenmaß, Harmonie, Richtigkeit der Proportionen’ – und definiert ‚alle Schönheit‘ als ‚Ausfluß seiner Strahlkraft‘ (Werber 1992, 107).

Die Metaphorik der Welt als Roman stellt Rudolf Behrens heraus, wiederum am Beispiel der Theodicée, und gibt einen interessanten Hinweis auf Leibniz’ Verbindung von göttlicher Schaffenskraft, dem Zustand der Welt und dichterischem Tun: In einem Brief an Herzog Anton Ulrich über dessen Großroman Römische Octavia spricht der Theodicée-Verfasser in „Hoffnung auf ‚beßere entknötung‘“ den Wunsch aus, daß der ‚Herr Gott auch noch ein paar tomos zu seinem Roman machen [könne], welche zuletzt beßer lauten möchten. […] Es ist ohne dem eine von der Roman-Macher besten künsten, alles in verwirrung fallen zu laßen, und dann unverhofft herauß zu wickeln. Und niemand ahmet unsern Herrn beßer nach als ein Erfinder von einem schöhnen Roman‘ (zit. nach Behrens 1994, 93).

Die Leibniz’sche Theodizee habe in ihrem großen Einfluss auf den deutschen Roman der Frühaufklärung zu einer Trivialisierung aufgrund der Schicksalsergebenheit und Passivität der Helden geführt. Grundsätzlich aber eine sie das Vertrauen in eine „‚vernünftige‘ Entfaltung einer moralischen und sozialen Ordnung“ (ebd., 93 f.). Wenn Behrens von „Herauswickeln“ und „Entfaltung“ spricht, liegt der Verweis auf Gilles Deleuzes Werk Le pli. Leibniz et le baroque von 1988 nahe. Dieser eigenständige Zugriff auf die Leibniz’sche Metaphysik, nach dem die Perzeptionen der Monaden Falten in ihrem Innern ausbilden und wieder „entwickelt“ werden müssen, nennt die Binnenerzählung des Sextus Tarquinius am Ende der Theodicée einen Text, „der den allgemeinen Kriterien der barocken Erzählweise par excellence [entspricht]: Verschachtelung der Erzählungen ineinander und Variation des Verhältnisses Erzähler – Erzählung.“ (Deleuze 2000, 102). Anders als die gängige Rezeption der Theodicée als Poem oder Lehrgedicht stellt Deleuze damit deren epischen Charakter in den Vordergrund und verweist zusätzlich auf Entsprechungen zu der Narratologie Gérard Genettes hinsichtlich der barocken Erzählung (ebd.). Die Vorausdeutung von James Hardin im Dictionary of Literary Biography, das in der Rubrik German Baroque Writers Leibniz erwähnt: „the work […] is marked with great feeling and poetic skill and continues to be highly regarded“ (Hardin 1996, 261), bezieht sich wieder einmal auf das Epicedium an Sophie Charlotte und wird kurz darauf in bislang umfänglichster Weise von Uwe Steiner eingelöst. Er widmet seine Habilitationsschrift Poetische Theodizee dem Verhältnis von Poesie und Philosophie in der Lehrdichtung des 18. Jahrhunderts und markiert mit Leibniz’ Epicedium und Voltaires Poème sur le désastre de Lisbonne die „philosophisch-poetischen Eckpunkte“ seiner Untersuchung (Steiner 2000, 9). Leibniz wird dabei von Steiner als „poëte philosophe“ apostrophiert (ebd., 87 f). Zunächst verweist er auf die Fontenellesche Zuordnung Leibniz’ zu den Modernen, vorgenommen mit der Heraushebung des Phosphor-Gedichts in der Éloge. Damit wird Leibniz als Neuerer markiert, der sich formal am Vorbild Opitz’ ori-

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entierte. Die genaue Analyse der Verse auf das Florilegium von Meisch kann diese oft wiederholte, aber kaum je nachgewiesene Feststellung nun auch argumentativ belegen. Auch räumt Steiner mit dem Urteil auf, Leibniz habe sich mit der dichterischen Sprache aus mangelndem Vertrauen in ihre Dignität nicht theoretisch abgegeben: Leibniz’ sprachtheoretische Denkschriften würdigen die Poesie zwar nicht ausschließlich, aber doch primär als ein Instrument der Sprachpflege. In der Dichtung soll nicht nur die poetische Eignung der deutschen Sprache unter Beweis gestellt, sondern mit ihrer Hilfe auch das einmal erlangte sprachliche Niveau bewahrt werden. (ebd., 99).

Als bedeutsam wird auch das spezifische Verhältnis zu Madeleine de Scudéry herausgestellt – Leibniz, der ein Epicedium auf ihren verstorbenen Papagei schrieb, forderte sie demnach zu poetischen Produktionen auf, um so Einfluss auf Ludwig XIV. nehmen zu können (ebd., 119). Im Mittelpunkt steht allerdings die Auseinandersetzung mit dem genannten Epicedium. Steiner, der das zentrale Kapitel „Glück im Unglück“ in abgewandelter Form 2006 noch einmal veröffentlicht (Steiner 2006), bindet die Art der Trauerbewältigung durch ein lehrhaftes Gedicht in den Kontext der Leibniz’schen Philosophie ein, namentlich der Nouveaux essais und der Theodicée. Die Verpflichtung zum Glück negiere nicht die Leidenschaften, aber sie versuche sie zu befrieden mithilfe der „Erkenntnis und […] Erzeugung von Ordnung und Harmonie“ als den „schätzbarsten Quellen eines vernünftigen und also dauerhaften Glücks“ (Steiner 2000, 139.). Dass Leibniz als persönlichen Weg zu diesem Glück das Schreiben eines Gedichts wähle, lasse zwar „erwartungsgemäß“ den „Poet[en] nicht aus dem Schatten des Philosophen Leibniz heraustreten. Das muß jedoch nicht zwangsläufig eine Abwertung der Dichtung implizieren.“ (Steiner 2006, 198). Erst in späterer Zeit habe die Dichtung ihre Rolle als ancilla philosophiae zurückgewiesen (man denke an Lessings Abwehr in Pope ein Metaphysiker!); Leibniz selbst wollte sein System noch in Gestalt eines Lukrezischen Lehrgedichts darstellen, wie Steiner mit Verweis auf Richard Wegener betont (ebd.). – Steiner liefert anschließend eine sorgfältige Analyse des Epicediums, dem er formal kein gutes Zeugnis ausstellt: spannungslos und konventionell sei das äußere Erscheinungsbild. Aber Leibniz greife „das tradierte Formgesetz der Gattung auf […], um es im Widerspiel von Struktur und Gehalt aufschlußreich zu variieren.“ An verschiedenen inhaltlichen Aussagen stellt Steiner diesen Balanceakt eindrucksvoll dar, so, wenn er die zentrale Sonnenmetapher als typisches Element der Panegyrik auch in Leibniz’ erkenntnistheoretischen Ansätzen verortet und dabei einen Streit zwischen dem ptolemäischen und kopernikanischen Weltbild nachweist – Leibniz als „Moderner“ ist selbstverständlich Anhänger des letzteren. Über die „Diskrepanz zwischen Sprache und Wissen“ werde ein „Spielraum des Witzes für die Dichtung“ frei, den Leibniz produktiv nutze (ebd.). Während David Rabouin mit seinem Aufsatz Le poète et l’homme de cour den galanten Leibniz als Hofmann und Verfasser eleganter französischer Verse im Stil der Precieux herausstellt (Rabouin 2003, 48), versuchen weitere aktuelle Studien, Leibniz’ dichterisches Schaffen über die Beziehungen zu anderen geistigen Ver-

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tretern der Zeit zu erschließen. In Weltbild und Metapher rekurriert Vanessa Albus insbesondere auf Herders Leibniz-Rezeption und untersucht von dort ausgehend Leibniz’ dichterisch eingefärbte Metaphernsprache. Sie weist in den Nouveaux Essais im Kapitel Vom Mißbrauch der Worte eine Verteidigung Leibniz’ gegen Lockes Metaphernfeindlichkeit nach: „nicht jedes Bild ist Betrug oder Täuschung, es kann auch nutzbringend angewendet werden“ (vgl. Albus 2001, 20) und betont, dass Leibniz trotz seiner Orientierung an einer logisch-syllogistischen Argumentation zuweilen auch der dichterischen Sprache durchaus Nutzen eingeräumt habe. Sie zitiert aus einem Brief an Gabriel Wagner: „‚Gleichwie es sich nicht schicket allezeit verse zu machen, so schicket es sichs auch nicht allezeit mit syllogismis umb sich zu werfen‘“ (zit. nach ebd., 26). Des Weiteren gibt Albus einen historischen Forschungsüberblick zu den kritischen Stimmen gegenüber Leibniz’ metaphorischem Sprachgebrauch. Hartmut Hecht verweist dagegen auf Comenius als Vorbild des jungen Leibniz, dem dieser auf Anregung seines Lehrers Prof. Hesenthaler bei seinem Tod 1670 eine überschwängliche, wenn auch auf Eigenständigkeit bedachte lyrische Hommage widmete (Hecht 2005). Die Rezeption durch Gottsched steht im Zentrum von Rüdiger Ottos Beitrag, der die Antrittsrede Gottscheds bei Erlangung der Professur für Poesie beleuchtet. Gottsched berufe sich auf die legitime Verbindung von Philosophie und Poesie, wobei sich die Poesie als „Hebamme der Philosophie“ darstelle – eine andere Formulierung der oben erwähnten ancilla philosophiae. Als Beispiel dient ihm Leibniz, der auch das Zeug zum großen Dichter gehabt habe. Es ist nicht genau erkennbar, ob Gottsched hierbei von Leibniz’ philosophischen Ingenium auf seine poetischen Kapazitäten schließt oder ob er bereits an Leibniz’ Dichtungen gedacht hat. (Otto 2011, 205).

Als Editor teile Gottsched Leibniz anhand seiner Schriften ein in „Leibniz als Funktion im literarisch-kulturellen Selbstbehauptungsprozess, den Gottsched zugunsten der Deutschen meinte führen zu müssen, und Leibniz als Theoretiker der besten Welt“ (ebd., 245). Auch auf den Streit Gottscheds mit Fontenelle geht Otto fundiert ein. Anke Niederbudde will dagegen Leibniz für den russischen Symbolisten Andrej Belyi fruchtbar machen und fragt ausgehend von der Einschätzung der Monadologie als eines poetischen Entwurfs nach einer „monadischen Poetik“ im Werk Belyis (Niederbudde 2012, 135). Achim Vesper geht in seinem Kommentar zu Niederbuddes Studie allerdings den entscheidenden Schritt weiter und versucht, über die zentrale Spiegelmetapher eine Antwort auf die generelle Fragestellung Poetik der Moderne mit Leibniz? zu generieren. Die Monade als Spiegel des Universums ließe sich, in Absehung von der Annahme einer universellen Harmonie „mindestens motivisch in Verbindung mit einer Poetik bringen“, die als Ausweis ihrer Zugehörigkeit zur Moderne „die Darstellung von Weltepisoden gegenüber der Entwicklung größerer Weltverläufe präferiert.“ (Vesper 2012, 146). Mit diesem Versuch, die Ansätze Leibniz’ für eine Poetik der Moderne fruchtbar zu machen, lässt sich, als eine Art Zwischenfazit, der hier unternomme-

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ne Versuch einer Aufbereitung der Wahrnehmung seines dichterischen Schaffens während der vergangenen 300 Jahre beschließen. Ein Desiderat wäre sicherlich noch die genauere Betrachtung der Spiegelung von Leibniz’schen poetischen und philosophischen Implikationen in Werken der Weltliteratur und ihrer Verarbeitung in der Forschung (ein Beispiel dafür ist Rodney Taylors Studies on Leibniz in German Thought and Literature (Taylor 2005)). Sie sind hier nur vereinzelt am Rande und als Ausgangsbasis für daraus ableitbare poetologische Weiterführungen gestreift worden. Die Betrachtung von Aussagen über Leibniz als Dichter sollte zumindest eine mehrfache Profilierung sichtbar machen, die in unterschiedlicher Weise, abhängig auch von den jeweiligen Zeitumständen, fokussiert wurde: Leibniz als Verfasser thematisch, formal und sprachlich vielfältiger Dichtungen, als sprachlicher Neuerer oder Bewahrer und als Philosoph, der für die Erklärung, im Werben um Verständnis für seine Lehre, zuweilen die poetische Sprache nicht verschmähte. BIBLIOGRAPHIE Adelung 1787 – Johann Christoph Adelung: Geschichte der menschlichen Narrheit oder Lebensbeschreibungen berühmter Schwarzkünstler, Goldmacher, Teufelsbanner, Zeichen- und Liniendeuter, Schwärmer, Wahrsager, und anderer philosophischer Unholden, Teil 4, Leipzig 1787. Albus 2001 – Vanessa Albus: Weltbild und Metapher. Untersuchungen zur Philosophie im 18. Jahrhundert, Würzburg 2001. Behrend 1915 – Fritz Behrend: Leibniz und die politische Flugschriftenliteratur, in: Ders. (Hg.): Altdeutsche Stimmen. Sechs Vorträge während des Krieges, Berlin 1916, 43–71. Behrend 1917 – Fritz Behrend: Leibniz als Dichter, in: Deutsche Literaturzeitung 38, 5 (1917), 131–134. Behrens 1994 – Rudolf Behrens: Umstrittene Theodizee, erzählte Kontingenz. Die Krise teleologischer Weltdeutung und der französische Roman (1670–1770), Tübingen 1994. Belaval 1983 – Yvon Belaval: Leibniz et l’Europe, in: Leonard Forster (Hg.): Studien zur europäischen Rezeption deutscher Barockliteratur, Wiesbaden 1983, 199–210. Bodemann 1876 – Eduard Bodemann: Rede zur Säcularfeier der Übersiedlung Leibnitz’ nach Hannover, durch wissenschaftliche Vereine der Stadt. Zum 4. Dez. 1876, Hannover 1876. Bodemann 1895 – Eduard Bodemann: Die Leibniz-Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Hannover 1895. Böckmann 1932/33 – Paul Böckmann: Das Formprinzip des Witzes in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1932/33), 52–130. Dafert 1883 – Franz Wilhelm Dafert: Leibniz als Deutscher, Wien 1883. Deleuze 2000 – Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock. Aus dem Frz. von Ulrich Johannes Schneider, Frankfurt/M. 2000. Eberhard 1982 – Johann August Eberhard: Gottfried Wilhelm Freyherr von Leibnitz, in: J. A. Eberhard/J. G. Eckhart (Hg.): Leibniz-Biographien, Repr. Hildesheim 1982, 1–194. Eckhart 1982 – Johann Georg Eckhart: Lebensbeschreibung des Freyherrn von Leibnitz. Ex Autographo, in: J. A. Eberhard/J. G. Eckhart (Hg.): Leibniz-Biographien, Repr. Hildesheim 1982, 195–223. Fischer 1920 – Kuno Fischer: Gottfried Wilhelm Leibniz. Leben, Werke und Lehre (= Geschichte der neuern Philosophie 3), Heidelberg 1920.

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ERKENNTNISTHEORIE – MONADENTHEORIE UND MONADOLOGIE – LOGIK – THEOLOGIE

ERKENNNISTHEORIE Stephan Meier-Oeser 1. LEIBNIZ’ ERKENNTNISTHEORIE IM SPANNUNGSFELD VON EDITIONS-, REZEPTIONS-, INTERPRETATIONS- UND ALLGEMEINER PHILOSOPHIE- UND WISSENSCHAFTGESCHICHTE Die mehr als drei Jahrhunderte Leibnizrezeption, durch welche die gegenwärtige Forschung vom historischen Leibniz zeitlich getrennt und zugleich inhaltlich mit ihm verbunden ist, sind gekennzeichnet durch ein höchst komplexes Wechselverhältnis zwischen (A) dem kontinuierlich fortschreitenden und nach wie vor unabgeschlossenen Prozess der Veröffentlichung bzw. Edition der Leibnizʼschen Texte, (B) der Geschichte der Interpretation und Rezeption (bzw. Transformation) der Leibnizʼschen Konzepte und Theorien sowie (C) der allgemeinen Entwicklung der philosophischen und wissenschaftlichen Diskussionen. Denn B ist wesentlich abhängig von A und hat aufgrund der eminenten historischen Wirksamkeit von Leibniz zugleich Auswirkungen auf C, wobei C jedoch selbst vielfach von erheblichem Einfluss auf A und B war und ist. Mit anderen Worten: Die Geschichte der Leibnizinterpretationen ist deutlich geprägt vom jeweiligen Bestand der öffentlich zugänglichen, d.h. gedruckten bzw. edierten und/oder übersetzten Leibniztexte. Durch die von den jeweils kurrenten Interpretationen überformte breite und vielfältige Rezeption hat Leibniz fraglos massiv auf die allgemeine Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte gewirkt. Doch gilt auch umgekehrt, dass die jeweils aktuellen Themen und Fragestellungen der philosophischen und wissenschaftlichen Diskussion sowie die kurrenten philosophischen Tendenzen den Zugang zu den Leibniztexten modifizieren, indem sie je bestimmte Aspekte und Lehrstücke des Leibnizʼschen Werkes in den Focus des Interesses treten lassen, was wiederum konkrete Rückwirkungen auf die Auswahl und die Form der Edition der Leibnizʼschen Schriften haben kann. Dies, sowie das hier skizzierte komplexe Wechselverhältnis insgesamt, zeigt sich wohl nirgends deutlicher als gerade am Thema der Erkenntnistheorie, hinsichtlich welcher das für die Leibnizforschung charakteristische Phänomen divergenter und widersprüchlicher Deutungen so stark ausgeprägt ist, dass bereits die Frage nach der Existenz einer Erkenntnistheorie bei Leibniz nicht nur höchst umstritten, sondern auch mit der Geschichte der Leibnizedition eng verbunden ist: Als 1906 die Preußische Akademie den beiden kooperierenden französischen Akademien, der Académie de science und der Académie des sciences morales et politiques, Vorschläge für die als gemeinsame Unternehmung geplante Realisierung der Leibniz-Gesamtausgabe, der heutigen Akademie-Ausgabe, unterbreitete, waren diese von der Einschätzung getragen,

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dass von Leibniz’ philosophischen Schriften „die erkenntnistheoretischen und logischen […] die wichtigsten sind“. Man war der Überzeugung – es ist das Erscheinungsjahr des ersten Bandes von Ernst Cassirers Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit -, dass zusammen mit den mathematischen, gerade die erkenntnistheoretischen und logischen Schriften „das Aktuelle unserer Unternehmung“ darstellen. Ausdrücklich verbunden war damit die Hoffnung, „daß die neue Leibniz-Ausgabe auf die Bewegung des philosophischen Gedankens wirken werde, wie in den letzten Jahrzehnten die Rückkehr zu der echten Lehre von Kant gewirkt hat“ (zitiert nach Hochstetter 1966, 653). Der im folgenden Jahr gefasste (und bald wieder revidierte) Beschluss, über die generelle Reihengliederung hinaus, die Edition der philosophischen Schriften in zwei Unterreihen aufzuteilen, von denen die eine die „logischen und erkenntnistheoretischen“, die andere die „theologisch-metaphysischen“ Schriften enthalten sollte, lässt sich wohl nur historisch erklären – dann jedoch recht zwanglos: Zum einen steht er in der Fluchtlinie der langen, im frühen 19. Jahrhundert terminologisch unter dem Disziplinennamen „Erkenntnistheorie“ greifbar werdenden Entwicklung, in der, bei gleichzeitigem Niedergang der Metaphysik, zunehmend die „Erkenntnislehre“, „Erkenntniskritik“ oder generell: das „Erkenntnisproblem“ in den Focus der philosophischen Aufmerksamkeit tritt. Zum anderen und unmittelbar erklärt sich die 1906 getroffene Entscheidung aber wohl aus der enormen Wirkung der drei um die Jahrhundertwende erschienenen Leibnizmonographien von Bertrand Russel (1900), Louis Couturat (1901) sowie Ernst Cassirer (1902), in denen das ‚System‘ von Leibniz aus der Perspektive der Logik sowie, bei Cassirer, aus der Idee einer auf Kant zulaufenden Entwicklung der Erkenntnistheorie rekonstruiert wurde. Erich Hochstetter, durch dessen Aufsatz wir von dieser Episode der Geschichte der Leibniz-Akademie-Ausgabe Kenntnis haben, begrüßt in demselben aus einem zeitlichen Abstand von 60 Jahren und einer diesem entsprechenden Distanz zum Philosophieverständnis der Jahrhundertwende ausdrücklich den Umstand, dass damals bald wieder „die Aufteilung der philosophischen Schriften auf zwei Reihen rückgängig gemacht – und zugleich der Leibniz fremde Begriff der ‚erkenntnistheoretischen‘ Schriften beseitigt wurde“ (Hochstetter 1966, 653). 2. ERKENNTNISTHEORIE BEI LEIBNIZ? Doch wie „fremd“ ist eigentlich der Begriff der Erkenntnistheorie (sowie die terminologischen Alternativen von Erkenntnislehre, epistemology, theory of cognition, theory of knowledge etc.) dem philosophischen Denken von Leibniz? Diese Frage wird seither, wo immer sie auftaucht, kontrovers diskutiert (vgl. Belaval 1976a, Schulthess 2001, 1047; Schüssler 1992, 3–5 und bes. Leduc 2009, 9–17). Das Spektrum der Antworten reicht von einer strikten Leugnung der Existenz einer Leibnizʼschen Erkenntnistheorie („il n’y a pas d’épistemologie leibnizienne“; Serres 1968, 65; vgl. Belaval 1976a, Schepers 2004, 122-123; 2014, 163) über deren Anerkennung (z.B. Dascal 2003, 109) bis hin zu einer emphatischen Affir-

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mation derselben und der These, dass der von Leibniz im vierten Buch der Nouveaux Essais gegebene „Überblick über seine Erkenntnistheorie […] wohl eine der besten Darstellungen dieser philosophischen Disziplin in der Geschichte der Philosophie“ ist   (Burckhardt 1988, 124). Auch wenn es vielleicht gute Gründe gibt, dieser Einschätzung zuzustimmen, ist hier zunächst nur festzuhalten, dass das Gros der Forschung den Begriff für unproblematisch erachtet und die Frage nach der Existenz einer Erkenntnistheorie bei Leibniz praktisch dadurch beantwortet hat, dass ihre Darstellungen vielfach bereits im Titel als Beiträge zum „Erkenntnisproblem“ (Cassirer 1907, v. a. 126–190) bzw. zur „Erkenntnislehre“ (Otto 1884; Zocher 1952), „Erkenntnistheorie“ (Benoit 1869; Volz 1895; Freytag 1915; Burckhardt 1988, Piro 1988; Mugnai 1999; Mittelstraß 2011), „theory of knowledge“ (McRae 1995), „theory of cognition“ (Bolton 2011a), „teorica della conoscenza“ (Corti 1908) oder „théorie de la connaissance“ (Picon 2017b) von Leibniz gekennzeichnet werden. In der Regel sind es insbesondere zwei Argumente, die gegen die Existenz einer solchen ins Feld geführt werden: zum einen das terminologiegeschichtliche Faktum, dass dieser Begriff zur Zeit von Leibniz noch nicht in Gebrauch war, sondern erst im frühen 19. Jahrhundert eingeführt worden ist („Wohl zum ersten Mal […] bei E. Reinhold 1832“ mutmaßt - nicht ganz korrekt – das Historische Wörterbuch der Philosophie); zum anderen der Umstand, dass „Erkenntnistheorie“ zumeist mit den Namen von Locke und Kant assoziiert wird; und das heißt, dass sie im Sinne einer jeder materialen Philosophie notwendig vorgelagerten Reflexion über die Bedingungen, Formen und Grenzen menschlicher Erkenntnis verstanden wird, die zudem mit dem Anspruch verbunden ist, die Metaphysik zu ersetzen oder, in deren Funktion als erste Philosophie tretend, die Grenzen derselben festzulegen. Eine Erkenntnistheorie in diesem Sinne und mit einer solchen funktionalen Ausrichtung wird man Leibniz in der Tat nicht finden; in diesem Punkt haben jene wohl recht, die der Existenz einer Leibnizʼschen Erkenntnistheorie skeptisch gegenüberstehen. Sehr stark jedoch sind diese beiden Argumente, gerade in ihrer Kombination, gleichwohl nicht. Denn das erste Argument anzuerkennen, hieße das zweite zu verwerfen, da dann ja auch bei Locke und Kant nicht von ‚Erkenntnistheorie‘ gesprochen werden könnte. Tatsache jedenfalls ist, dass Leibniz zum einen bereits in jenen Texten, in denen die „Erkenntnistheorie“ erstmals terminologisch greifbar wird, auffallend präsent ist – schon 1827 erörtert Ernst Reinhold (1827, 26-29) den „Einfluß der Erkenntnistheorien des Malebranche, Locke und Leibniz auf den Zustand der Logik“ und behandelt neun Jahre später in seinem Lehrbuch der Geschichte der Philosophie recht eingehend „Leibnitzens erkenntnistheoretische Lehrbegriffe“ (Reinhold 1836, 480-485). Zum anderen ist nicht nur die erste philosophische Abhandlung, mit der Leibniz nach seinen akademischen Abschlussarbeiten an die Öffentlichkeit getreten ist, nämlich die im November 1684 in den Acta eruditorum erschienenen Meditationes de cognitione, veritate et ideis (vgl. Picon 2003, Burckhardt 2010, Leinkauf 2010) und auf die er sich späterhin stets affirmativ bezogen hat, sondern auch seine umfangreichste philosophische Schrift, die Nouveaux essais sur l’entendement humain, genuin erkenntnistheoretischen Themen

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gewidmet. Doch wichtiger noch als die Existenz dieser und zahlreicher weiterer Schriften, deren Inhalt eindeutig als erkenntnistheoretisch zu charakterisieren ist und die somit gute Argumente für die Annahme einer durch „richesse et complexité“ ausgezeichneten „philosophie leibnizienne de la connaissance“ liefern (Leduc 2009, 17), ist der vom gängigen Verständnis von ‚Erkenntnistheorie‘ deutlich differierende Umstand, dass bei Leibniz die Theorie oder Philosophie der Erkenntnis nicht nur nicht in Opposition zur Metaphysik steht, sondern vielmehr in gewissem, aber genau angebbaren Sinn die Grundlage und den Kern derselben darstellt. 3. DIE PHILOSOPHIE DER ERKENNTNIS ALS KERN DER METAPHYSIK Zunächst mag diese These paradox anmuten, da das gegenläufige Begründungsverhältnis (die Fundierung der Erkenntnistheorie in der Metaphysik) wohl eher zu vermuten wäre. Versteht man unter Erkenntnistheorie jedoch jenen Theoriekomplex, dessen genuiner Gegenstand die als Repräsentationen, Perzeptionen oder Expressionen bestimmten Akte von einfachen Substanzen, d.h. von Monaden, Seelen oder Geistern, sind, dann ist eben jene Betrachtungsweise naheliegend oder sogar unumgänglich: Die Monadenmetaphysik von Leibniz (d.h. seine sogenannte ‚reife‘ Metaphysik), ist im wesentlichen als eine Metaphysik der Repräsentation charakterisierbar (Köhler 1913, Jalabert 1968, Meier-Oeser 1997, 385-389); und zwar nicht nur weil sie so interpretiert werden kann, sondern weil Leibniz selbst sie fast vollständig in der Begrifflichkeit mentaler bzw. allgemeiner: monadischer Repräsentation exponiert (Schepers 2018). Im strikten metaphysische Sinn oder, wie Leibniz zu sagen pflegt: „in rigore metaphysico“, existiert nichts als Monaden, die wiederum durch nichts anderes konstituiert sind als durch 1) perception als jenem „état passager qui […] represente une multitude dans l’unité“ und 2) appetition als jene „action du principe interne, qui fait le changement ou le passage d’une perception à une autre“ (Monadol. § 14 u. 15; vgl. Principes de la nature et de la grace § 2). Mit anderen Worten: Jede Monade ist innerlich bestimmt durch Perzeption (bzw. Repräsentation oder Expression) und Appetition als dem Prinzip oder als das der Seele eingeschriebene Gesetz (loy inscrite), das die Sequenz der Perzeptionen und – im harmonisch abgestimmten Verbund mit allen anderen Monaden - das Weltgeschehen regelt (vgl. Poser 1990a). Denn das Repräsentationsgeschehen in jeder Monade korrespondiert mit dem Weltgeschehen, da die durch das jeder Monade eingeschriebene ‚Programm‘ festgelegte „suite des representations que l’ame se produit, répondra naturellement à la suite des changemens de l’univers même“ (Système nouveau, GP IV, 485), so dass die Ordnung der als allumfassende series rerum verstandenen Welt selbst nichts anderes ist als die prästabilierte Ordnung ihrer monadischen Repräsentationen. Indem es also in rigore metaphysico nichts gibt als Monaden und in diesen die beiden Momente von perception und appetition, ist letztlich alles – und ‚alles‘ heißt nicht weniger als: das gesamte Universum als Inbegriff all dessen, was in ihm geschieht und es ausmacht - auf eben diese beiden Momente zurückzuführen bzw. aus ihnen

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herzuleiten sowie durch sie zu erklären. Und das ist exakt, was Leibniz durchgängig unternimmt. So resultiert die metaphysische Ordnung der einfachen Substanzen im Sinne der Differenzierung des quasi unendlichen Spektrums der Monaden von den ‚bloßen‘ oder bewusstlosen Monade über die sensitiven Seelen bis hin zu den Geistmonaden (den esprits) – und weiter zu Gott als der monas monadum - aus der entsprechenden Differenzierung ihrer Perzeptionen oder Repräsentationen gemäß deren an den Graden der Klarheit und Deutlichkeit gemessener Vollkommenheit (vgl. Brandom 1981, bes. 457; Barth 2014b). Da nun jede Monade das gesamte Universum (wenn auch größtenteils nur dunkel) repräsentiert und der Repräsentationsgehalt aller Monaden insofern derselbe ist, ergibt sich die über deren Zuordnung zu den Vollkommenheitsstufen hinausgehende unverwechselbare Individualität einer jeden Monade allein aus ihrer je einzigartigen Perspektive – dem point de vue - ihrer Weltrepräsentation. Auch die theologisch induzierte eine scharfe Zäsur in der ansonsten als kontinuierlich erscheinenden Kette der Wesenheiten, durch welche die beiden Reiche, das Reich der Natur und das Reich der Gnade, voneinander getrennt sind, ist von Leibniz wiederum über den Rekurs auf Spezifika der monadischen Repräsentation konstruiert. Die Feststellung nämlich, dass alle Monaden das gesamte Universum repräsentieren ist zwar richtig, aber unvollständig. Denn es ist hier zu unterscheiden zwischen jenen Monaden, die (bloß) Seelen sind und jenen, die nicht nur Seelen, sondern zugleich auch Geister sind. So gilt zwar: „toute ame represente fidelement tout l’univers“; es gilt aber auch, „que tout Esprit represente encor Dieu lui-même dans l’univers“: Nur sie sind Bürger des regne de la grace. Und doch gilt für die einen wie für die anderen und somit für alle geschaffenen Monaden (d.h. für alle außer Gott), dass sie nicht gänzlich immateriell und körperlos sind - denn sonst wäre sie Gott (An des Bosses, 16. Okt. 1706; GP II, 24 f.) bzw.jene Monade, die allein absolut unkörperlich ist, weil sie allein alles in absolut distinkter Weise erkennt. Indem es aber nichts gibt als die einfachen Substanzen oder Monaden, ist nicht nur deren Körperhaftigkeit, sondern auch die Materialität insgesamt sowie die kognitiv auf diese bezogene Sinnlichkeit nur eine Konsequenz oder Funktion konfuser Perzeptionen: „Substantiae habent materiam Metaphysicam […] quatenus aliquid confuse exprimunt“ (De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis, A VI,4 1504), oder prägnanter: „Aussitost qu’il y a un melange de pensées confuses, voilà les sens, voilà la matiere.” (Theod. § 124; GP VI, 179; vgl. Meier-Oeser 2011b, 663-666). Nun ist die metaphysische Ebene nicht der Bereich unserer primären, durch sinnliche Wahrnehmung äußerer Gegenstände gekennzeichneten phänomenalen Welterfahrung. Die Erfahrungstatsache, die sich ‚praktikologisch‘, d.h. in pragmatischer Akkommodation an die gängige Alltagssprache, in dem Satz ausdrücken lässt, „que nous recevons de dehors des connoissances par le ministere des sens“, stellt sich, metaphysisch ausbuchstabiert, wiederum in einem Expressionsverhältnis dar, nämlich so, „dass die Gründe für die Determination unserer Wahrnehmungen und Gedanken unserer Seele durch gewisse „äußere“ Dinge, d.h. durch etwas, das wir selbst nicht sind, in besondererer („plus particulierement“) Weise

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ausgedrückt werden („[…] que quelques choses exterieures contiennent ou expriment plus particulierement les raisons qui determinent nostre ame à certaines pensées“; Disc. de met. § 27, A VI,4 1572). Damit ist der aus der Leibnizʼschen Metaphysik verbannte influxus physicus ersetzt durch einen in Expressions- und Repräsentationsverhältnissen bestehenden Begründungszusammenhang, von dem die metaphysische Wahrheit der Unabhängigkeit der Seele nicht tangiert werden kann. Nicht anders verhält es sich generell mit den für die Beschreibung und Erklärung der phänomenalen Welt eminent wichtigen Kategorien von actio und passio (Schepers 1999, LXVI, Brandom 1981, 449) bzw. Ursache und Wirkung, die in rigore metaphysico nichts anderes sind als spezifische Verhältnisse verschieden deutlicher Perzeptionen, Repräsentationen oder Expressionen: Zu sagen, dass etwas (x) auf etwas anderes (y) wirkt, besagt, metaphysisch betrachtet, eben nur, dass der Grund der Veränderung deutlicher von x als von y ausgedrückt wird („cela nous fait dire que l’une agit sur l’autre, parce que l’une exprime plus distinctement que l’autre la cause ou raison des changemens” (An Simon Foucher [Aug. 1686], A II,2 90). Wenn es außer den substantiellen Einheiten, den Monaden, nichts als Phänomene gibt, so heißt dies keineswegs, dass allein die Monaden real sind. Denn auch die phänomenale Welt als die Welt, in der der Mensch lebt und in der auch der Physiker Leibniz - ‚trotz‘ seiner Metaphysik, zu ihr aber keineswegs im Widerspruch – enorme Anstrengungen unternommen hat, um das gesetzmäßige Verhalten von im Raum bewegten Körpern genau beschreiben und berechnen zu können, kann unter präzis angebbaren, wiederum Perzeptionsverhältnisse betreffenden Bedingungen als real gelten: Die entscheidenden Kriterien hierfür sind 1) die subjektive Konsistenz und 2) die intersubjektive Kohärenz der Perzeptionen - oder, wie Leibniz Burchard de Volder in einem Brief vom 30. Juni 1704 erklärt (GP II, 270): […] genau betrachtet, ist zu sagen, dass es nichts gibt als die einfachen Substanzen und in diesen die Perzeption und das Streben; die Materie und die Bewegung aber sind keine Substanzen oder Dinge, sondern Phänomene, deren Realität in der Harmonie der Perzipierenden mit sich selbst (zu verschiedenen Zeiten) und mit den übrigen Perzipienten besteht. ([…] rem accurate considerando dicendum est nihil in rebus esse nisi substantias simplices et in his perceptionem atque appetitum; materiam autem et motum non tam substantias aut res quam percipientium phaenomena esse, quorum realitas sita est in percipientium secum ipsis (pro diversis temporibus) et cum caeteris percipientibus harmonia.)

Das für die Erkenntnistheorie gemeinhin als fundamental angesehene „SubjektObjekt-Problem“ und die wahrheitstheoretische Problematik der Entsprechung von ‚Innen‘ (Seele) und ‚Außen‘ (Welt) ist hiermit in grundlegender Weise modifiziert, denn das ‚Außen‘ ist selbst nur eine unendliche Vielzahl von ‚Innen‘: Es ist wahr, dass das, was in der Seele geschieht, mit dem übereinstimmen muss, was außerhalb der Seele geschieht; dafür ist es aber hinreichend, dass die Prozesse, die in einer Seele geschehen, sowohl mit sich selbst als auch mit denen in jeder anderen Seele zusammenstimmen; und es ist nicht nötig etwas außerhalb aller Seelen oder Monaden anzunehmen. (Verum est, consentire debere, quae fiunt in anima, cum iis quae extra animam geruntur; sed ad hoc

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sufficit, ut quae geruntur in una anima respondeant tum inter se, tum iis quae geruntur in quavis alia anima; nec opus est poni aliquid extra omnes Animas vel Monades (An Des Bosses, 16. 6. 1712, GP II, 451).

Dann aber ist jedes dieser ‚Innen‘ zugleich nicht der mehr – wie bei Descartes oder Locke (und den meisten von Leibnizʼ Zeitgenossen) – eine sich selbst vollkommen transparente Sphäre des unmittelbar Bewussten, sondern ist vielmehr aufgrund der Totalrepräsentation des Universums in jeder Monade notwendigerweise ebenso umfangreich, komplex und wenig bekannt, wie das ‚Außen‘, sprich: das Universum. Wo es um Selbsterkenntnis von etwas geht, das als „Spiegel des Universums“ bestimmt wird, kann es daher nicht verwundern, dass eine solche ebenso anspruchsvoll ist wie die Welterkenntnis selbst – und damit in vollkommener Weise allein Gott möglich ist („[...] il est impossible que l’ame puisse connoitre distinctement toute sa nature, et s’appercevoir comment ce nombre innombrable de petites perceptions, entassées ou plustost concentrées ensemble, s’y forme: il faudroit pour cela qu’elle connût parfaitement tout l’univers qui y est enveloppé, c’est à dire qu’elle fût un Dieu.“ Theodicée, GP VI, 357). Was diese unendliche Komplexität des Universums und dessen Repräsentation in jeder Monaden letztlich ausmacht und gewissermaßen den Indifferenzpunkt von Metaphysik und Erkenntnistheorie im hier dargestellten Sinn bildet, sind die unendlich vielen petites perceptions, die in jeder Art von Monaden gleichsam das diffuse Grundrauschen ihrer Weltrepräsentation bilden, aus dem sich erst bei höheren Monadenformen klare und deutliche Perzeptionen hervorheben. So ‚klein‘ und verborgen in den dunklen und unbewussten Tiefen der Monaden die petites perceptions auch sein mögen, sie sind, wie Leibniz an der zentralen Passage zu diesem Thema im Vorwort seiner Nouveaux essais (A VI,6 54-56) bemerkt, „de plus grande efficace qu’on ne pense“. Als einzelne für uns unerkennbar, bilden sie als Vielheiten („dans l’assemblage“) nicht nur unsere Vorstellungsbilder der Sinnesqualitäten („ces images des qualités des sens“) und unsere Geschmacksempfindungen („ce je ne say quoy, ces gouts“), sondern auch die ins Unendliche gehenden Eindrücke, die die umgebenden Körper auf uns machen („ces impressions que les corps environnans font sur nous, et qui enveloppent l’infini“) und somit die universelle Verbindung alles Seienden in Raum und Zeit („cette liaison que chaque estre a avec tout le reste de l’univers“), da durch sie die Gegenwart stets voll der Zukunft und beladen mit Vergangenheit ist („le present est plein de l’avenir, et chargé du passé“). Sie sind es, die das Individuum konstituieren („constituent le même individu“) und dessen substantielle Identität garantieren. Durch sie lässt sich die wunderbare prästabilierte Harmonie nicht allein von Körper und Seele, sondern auch die aller Monaden untereinander erklären („cette admirable harmonie préetablie de l’ame et du corps, et même de toutes les Monades“). Auch sind es die petites perceptions, die unsere gedankenlosen Handlungen determinieren, indem sie die für Leibniz willenstheoretisch bedeutsame Verunmöglichung der völligen Indifferenz gewährleisten („ce sont ces petites perceptions qui nous déterminent en bien des rencontres sans qu’on y pense“): „Mit einem Wort, die nicht wahrnehmbaren Perzeptionen sind in der Geisterlehre von eben so großem Nutzen, wie die Korpuskel in der Physik“ („En un mot les perceptions insensibles

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sont d’un aussi grand usage dans la Pneumatique, que les corpuscules dans la physique“). Oder, mit einem anderen Wort: Die Perzeptionen in ihren unendlichen Abstufungen bilden, hinsichtlich ihrer Abfolge determiniert durch das in jede Monade eingeschriebene Gesetz, den Kern der Leibnizʼschen Metaphysik. 4. LEIBNIZ’ ERKENNTNISTHEORIE IM GEGENHALT So, wie sich die Leibnizʼsche Metaphysik offenbar nicht anders als unter Rekurs auf Arten und Verhältnisse von Perzeption darstellen lässt, so ist seine Philosophie gerade auch in ihren metaphysisch-erkenntnistheoretischen Aspekten eng verwoben mit der allgemeinen Geschichte der Erkenntnistheorie des 17. und 18. Jahrhundert. Zentrale Lehrstücke seiner Philosophie der Erkenntnis entwickelt und exponiert Leibniz in direkter Auseinandersetzung mit den prominenten ‚Novatores‘ der Philosophie des 17. Jahrhunderts, insbesondere mit Hobbes, Descartes und Locke (Schulthess 2001, 1048-52). 4.1. Contra Hobbes: Verhältnisanalogie versus ‚Ultranominalismus‘ Während Leibniz die Auffassung, dass sprachliche Ausdrücke (bzw. generell: Zeichen) über die kommunikative Funktion hinaus eine grundlegende kognitive Funktion besitzen, von Hobbes übernimmt (Dascal 1987), weist er 1670 in der Dissertatio praeliminaris seiner Nizolius-Ausgabe den vermeintlichen ‚Ultranominalismus‘ von Hobbes zurück, den er dahingehend versteht bzw. missversteht (vgl. Hübener 1977, Picon 2017a, Schneider 2017), dass Hobbes aus der Willkürlichkeit der Definition sprachlicher Termini letztlich einen radikalen Wahrheitsarbitrarismus habe ableiten wollen: „ipsam rerum veritatem ait in nominibus consistere, ac, quod maius est, pendere ab arbitrio humano [...]“ (A VI,2 428 f.). Gegen einen solchen outrierten Nominalismus formuliert Leibniz - der sich bekanntlich selbst als „provisorischen Nominalisten“ charakterisiert („sum nominalis, saltem per provisionem“; De realitate accidentium, A VI,4 996), treffender aber wohl als Konzeptualist (Zimmermann 1854, Schepers 2014b) oder als Überwinder des Gegensatzes von Nominalismus und Konzeptualismus (Hamilton 1860, 127) zu bezeichnen wäre - im Dialogus (August 1677) unter Anerkennung der prinzipiellen Arbitrarität der Zeichen einen Wahrheitsbegriff, der den Arbitrarismus ebenso wie einen naiven Ikonismus vermeidet: Mögen die Zeichen auch arbiträr sein, so hat doch deren Gebrauch und Verbindung etwas, das nicht arbiträr ist, nämlich eine gewisse Proportion zwischen den Zeichen und den Dingen, sowie zwischen den Relationen der verschiedenen, dieselbe Sache ausdrückenden Zeichen untereinander. Und diese Proportion oder Relation ist das Fundament der Wahrheit. (Nam etsi characteres sint arbitrarii, eorum tamen usus et connexio habet quiddam quod non est arbitrarium, scilicet proportionem quandam inter characteres et res, et diversorum characterum easdem res exprimentium relationes inter se. Et haec proportio sive relatio est fundamentum veritatis. Dialogus, A VI,4 24).

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In der nur wenig später entstandenen Schrift Quid sit idea, in der Leibniz seinen Idee-Begriff formt (Poser 1990b) und die Ideen in Abhebung von den mentalen Perzeptions- oder Denkakten als Vermögen (facultates) oder Fertigkeiten (facilitates) des Denkens bzw. als göttlich anerschaffene Ausdrucksdispositionen bestimmt, die die epistemische Verlässlichkeit unserer Mentaloperation, das heißt die Übereinstimmung der gedanklichen Folgerungen mit den objektiven Verhältnissen auf Seiten der Dinge garantieren. In diesem Zusammenhang entwickelt er das formale Kriterium für das Vorliegen einer Expression von etwas durch etwas: „Man sagt dasjenige drückt eine Sache aus, bei dem solche Verhältnisse gegeben sind, die den Verhältnissen der auszudrückenden Sache entsprechen“ („Exprimere aliquam rem dicitur illud, in quo habentur habitudines, quae habitudinibus rei exprimendae respondent.“ Quid sit idea (Herbst 1677 [?]), A VI,4 1370). Das mit dem gegen Hobbes ins Spiel gebrachten Wahrheitskriterium korrespondierende, wohl projektionsgeometrischen Kontexten entlehnte (Debuiche 2009) formale Prinzip der Expression ist in seiner präzisen Bestimmung als Verhältnisanalogie für alle Bereiche der Leibnizʼschen Philosophie, für die Metaphysik (Debuiche 2011) ebenso wie für die Erkenntnis- und Zeichentheorie von grundlegender Bedeutung (Mugnai 1973a; Kulstad 1977a u. 2006; Dutz 1985; Poser 1994, bes. 27 f; Swoyer 1995; Esquisabel 2016, 78–87) und bildet sowohl die Basis der von Leibniz in all diesen thematischen Zusammenhängen häufig verwendeten Metaphern (Marras 2008) als auch die formale Grundlage der Ars characteristica: „Ars characteristica est ars ita formandi atque ordinandi characteres, ut referant cogitationes, seu ut eam inter se habeant relationem, quam cogitationes inter se habent“ A VI,4 916). Die historische Bedeutung dieser Bestimmung hat Cassirer zu recht hervorgehoben: „So geringfügig auf den ersten Blick die Änderung erscheinen mag, die Leibniz an der gewöhnlichen erkenntnistheoretischen Ansicht vollzieht: so wichtig und fruchtbar ist sie für seine gesamte Lehre geworden“, da hiermit der „erste und entscheidende Schritt zur Überwindung der ‚Abbildtheorie‘ […] getan“ ist. Nicht ohne Grund verweist Cassirer zum Beleg dafür, „wie sehr der Leibnizische Wahrheitsbegriff, der hier formuliert wird, in der modernen erkenntniskritischen Diskussion fortlebt und weiterwirkt“, auf Heinrich Hertz’ Prinzipien der Mechanik (Cassirer 1907, 170). Die systematische Relevanz für Cassirers eigene Symbolphilosophie wird deutlich, wenn er mit erneutem Verweis eben darauf den ersten Teil seiner Philosophie der symbolischen Formen (Cassirer 1953, I, 5 f; 17 f.) eröffnet. 4.2. Contra Descartes: Kognitive Funktion der Zeichen versus „pure intellection“ Auch die 1684 veröffentlichten Meditationes de cognitione, veritate et ideis sind im Gegenhalt gegen die erkenntnistheoretischen Thesen (vor allem) eines konkreten Autors verfasst. Ausgehend von und zugleich in direkter Auseinandersetzung mit zentralen Elementen der Erkenntnistheorie Descartesʼ (vgl. Leduc 2009, 81-116, zu dieser Schrift ferner: Picon 2003 u. 2008, Burckhardt 2010, Leinkauf 2010) präsentiert Leibniz ein hierarchisch gestuftes System von nach Vollkom-

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menheitsgraden unterschiedenen Formen der Erkenntnis (Begriffen, Perzeptionen), das deutlich differenzierter und reichhaltiger ist, als die bei Descartes und den Cartesianern zumeist anzutreffende Abhebung der klaren und deutlichen Erkenntnis auf der einen Seite von der obskuren und und konfusen auf der anderen: „Est ergo cognitio vel obscura vel clara, et clara rursus vel confusa vel distincta, et distincta vel inadaequata vel adaequata, item vel symbolica vel intuitiva: et quidem si simul adaequata et intuitiva sit, perfectissima est.“ (A VI,4 585 f.).

cognitio

1.

2.

3.

obscura

-

clara

[sinnliche Unterscheidungs merkmale]

confusa - distincta

[präzis angebbare Unterschei dungsmerkmale

inadaequata - adaequata

[vollständige Analyse aller Merkmale]

4. symbolica - intuitiva

symbolica - intuitiva [Simultanerfassung aller Merkmale]

Die in diesem Zusammenhang angegebenen Kriterien der Unterscheidung der Erkenntnisformen sind: 1a: dunkel (obscura) ist eine Erkenntnis oder notio, wenn sie nicht hinreicht, einen Gegenstand identifizieren zu können (Bsp.: Man erinnert sich, irgendeine Blume gesehen zu haben, kann aber, wenn man ihr später erneut begegnet, nicht sagen, ob es diese [bzw. eine solche] war. 1b: klar (clara) ist eine Erkenntnis, wenn sie ein solche „agnoscere“ ermöglicht. 2a: Eine solche klare Erkenntnis ist konfus (confusa), wenn es nicht möglich ist, ihre Bestimmungsmerkmale anzugeben (Bsp.: Man weiß genau, wann man eine rot-Wahrnehmung hat, kann aber nicht angeben – und einem Blinden erklä-

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ren –, was die Kriterien für das Haben einer rot-Wahrnehmung sind. In diesem Sinne wissen, wie Leibniz erläutert, Maler oder anderen Künstler oft genau (probe), ob etwas gut oder fehlerhaft gemacht ist, ohne die Gründe für ein solches (ästhetisches) Urteil angeben zu können. 2b: Wo dagegen die Angabe solcher distinktiver Merkmale möglich ist, die hinreichend sind, um diesen Gegenstand von anderen, sehr ähnlichen, zu unterscheiden, liegt eine deutliche (distincta) Erkenntnis vor (z.B. im Begriff, den ein Münzprüfer vom Gold hat). 3a: Wo die Erkenntnis nicht so differenziert ist, dass auch die Bestimmungsmomente dieser distinktiven Merkmale selbst wiederum deutlich angebbar sind, liegt eine klare und deutliche aber inadäquate (inadaequata) Erkenntnis vor. 3b: Erst dort, wo eine vollständige Analyse der Merkmale und deren Bestimmungsmomente bis zu nicht weiter analysierbaren Begriffen gelangt, kann eine Erkenntnis als adäquat (adaequata) gelten, wobei Leibniz jedoch anmerkt: „ob die Menschen hierfür ein vollkommenes Beispiel bieten können, weiß ich nicht, doch kommt ihre Kenntnis der Zahlen dem sehr nahe“ („cujus exemplum perfectum nescio an homines dare possint; valde tamen ad eam accedit notitia numerorum“). Mit der vierten Stufe ändert sich der Modus der Einteilung. Denn sowohl die inadäquate wie die adäquate Erkenntnis ist jeweils unterschieden in eine intuitive und eine symbolische Erkenntnis. 4b: Kriterium für eine intuitive Erkenntnis ist, dass in ihr der Begriff selbst unmittelbar und zugleich (à la fois; uno intuitu) mit all seinen vollständig analysierten Bestimmungsmomenten erfasst wird („quand mon esprit comprend à la fois et distinctement tous les ingrediens primitifs d’une notion, il en a une connoissance intuitive“; Disc. de Mét., VI,4 1568). 4a: Da eine solche, die vollständige Analyse sämtlicher Bestimmungsmomente beinhaltende Simultanerfassung komplexer Gegenstände dem menschlichen Intellekt (zumeist oder prinzipiell) unmöglich ist, bedarf dieser des Hilfsmittels der Zusammenfassung und Stellvertretung der für ihn allenfalls sukzessiv erkennbaren Teilideen durch ein sinnliches bzw. imaginierbares Zeichen, das intuitiv erfassbar und geeignet ist, den Gegenstand zu repräsentieren. Hiermit liegt dann jeweils eine (adäquate oder inadäquate) symbolische Erkenntnis vor, in welcher die gegenständliche Unmittelbarkeit preisgegeben und der Begriff der Sache selbst durch ein Zeichen, bzw. den Begriff eines Zeichen, d.h. in den meisten Fällen: eines Wortes, substituiert wird. In anderen Schriften spricht Leibniz anstelle von cognitio symbolica auch von cognitio bzw. cogitatio caeca (De arte combinatoria, A VI,1 170; Demonstratio propositionum primarum, A VI,2 481), pensée sourdes (Nouveaux essais, A VI,6 185) oder connoissance suppositive (Disc. de Mét., A VI,4 1568). Während es von einer nicht weiter analysierbaren notio distincta primitiva keine andere als eine intuitive Erkenntnis geben kann, ist die der komplexen Begriffe zumeist (plerumque) – oder sogar immer – symbolisch; denn, wie Leibniz an anderer Stelle betont: „Habemus ideas simplicium, habemus tantum characteres compositorum” (De mente, de universo, de Deo, A VI,3 462), so dass gilt: „Solius Dei est ideas habere rerum compositarum“ (ebd. 463; vgl. hierzu Dascal 1978, 180–84; 1987, 47–60; Mugnai 1976, 32–35; Picon 2005, 192 f.; 2008).

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Mit diesem an der Weise der Gegenstandserfassung orientierten System von Erkenntnisgraden und -formen, die aber wohl nur Markierungen von „Perzeptionsbereichen“ auf einer im Prinzip kontinuierlichen Skala darstellen (Peres 2006), sind unter anderem folgende Thesen verbunden: 1. Die klare aber verworrene, d.h. die sinnliche Erkenntnis besitzt eine kognitive Dignität sui generis. Es ist möglich, etwas in dieser Form zuverlässig (probe) zu erkennen, ohne dass sich die Gründe für die auf dieser Erkenntnis basierenden Urteile deutlich angeben lassen. 2. DescartesʼWahrheitskriterium der „idea clara et distincta“ ist – mit entsprechenden Konsequenzen für seinen Gottesbeweis und damit für seine auf diesem beruhende Philosophie insgesamt - unzuverlässig, da eine klare und deutliche Idee eben nicht in jedem Fall adäquat, d.h. vollständig analysiert ist, so dass es geschehen kann, dass ein Begriff oder eine Idee als klar und deutlich erscheint, jedoch einen noch unentdeckten inneren Widerspruch enthält, wie Leibniz am Beispiel des Begriffs der schnellsten Bewegung exemplifiziert. 3. Die von Descartes und den Cartesianern behauptete Sphäre einer der Imagination und Sinnlichkeit gänzlich enthobenen reinen intellektuellen Anschauung („intellectio pura“, „pure intellection“), die zugleich das Ideal vollkommener Erkenntnis bildet, ist, sofern ein endlicher Intellekt darauf Anspruch erhebt, eine subjektive Täuschung. Leibniz bezieht sich hierfür auf das von Descartes in der sechsten Meditation (VI,2) verwendete ‚Gedankenexperiment‘, in welchem ihm die Figur des Tausendecks (chiliogonus) dazu dient, die grundlegende Differenz von bildlich-anschaulicher Vorstellung (imaginatio) und rein intellektuellem Verstehen (pura intellectio) nachzuweisen. Denn, so das auch in der sogenannten Logique de Port-Royal präsentierte Argument: Wenngleich das Tausendeck unmöglich bildhaft vorgestellt werden kann, so vermag es mittels einer „pure intellection“ doch ebenso exakt in all seinen Details erkannt zu werden, wie ein Dreieck. Womit erwiesen sein soll, dass es Bereiche gibt, die allein der Erkenntnis des Intellekts und zwar ohne jede Unterstützung durch die Sinnlichkeit und Imagination zugänglich sind. Dem hält Leibniz entgegen, dass die Imagination und Sinnlichkeit sehr wohl an der Erkenntnis des Tausendecks beteiligt ist, jedoch nicht, wie die Cartesianer fälschlich unterstellen, in Form einer bildlichen Repräsentation, sondern vielmehr als das dem Gebrauch von Sprache und Zeichen jeder Art zugrundeliegende Medium. Denn, so Leibniz: In den meisten Fällen [...], besonders bei einer längeren Analyse, überschauen wir das ganze Wesen des Gegenstandes nicht auf einmal, sondern wir verwenden an Stelle der Gegenstände Zeichen, deren Erklärung (explicatio) wir beim Denken für den Augenblick der Kürze halber zu unterlassen pflegen, wobei wir wissen oder glauben, dass wir sie beherrschen: So betrachte ich, wenn ich etwa an ein Tausendeck [...] denke, nicht immer das Wesen der Seite, der Gleichheit und der Zahl Tausend (oder der dritten Potenz der Zehn), sondern ich verwende jene Wörter (deren Sinn dem Geiste wenigstens dunkel und unvollkommen vorschwebt) im Geiste an Stelle der Ideen, die ich von diesen Dingen habe, da ich mich daran erinnere, dass ich die Bedeutung dieser Bezeichnungen kenne, aber die Erklärung für das Urteil jetzt nicht für notwendig halte. Eine solche Erkenntnis pflege ich blind (caeca) oder auch symbolisch (symbolica) zu nennen [...] (Meditationes de cognitione, veritate et ideis, 1684, A VI,4 587 f; der lateinische Text ist zitiert im Beitrag von Cristina Marras in diesem Band, 378).

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Hat für die Cartesianer die Abtrennbarkeit der „pure intellection“ von jeder Form des Gebrauchs bildlicher oder sprachlicher Repräsentationen ihre metaphysische Grundlage im radikalen Dualismus von res cogitans und res extensa, so ist auch das Leibnizʼsche Gegenmodell metaphysisch fundiert. Ist es doch die unmittelbare Konsequenz seines Systems der prästabilierten Harmonie, dass „durch eine wunderbare Ökonomie der Natur“ abstrakte Gedanken stets mit sinnlichen Zeichen verbunden sind.“ („[…] c’est par une admirable Œconomie de la nature, que nous ne saurions avoir des pensées abstraites, qui n’ayent point besoin de quelque chose de sensible, quand ce ne seroit que des caracteres tels que sont les figures des lettres et les sons, quoiqu’il n’y ait aucune connexion necessaire entre tels caracteres arbitraires, et telles pensées.” Nouveaux Essais I, 1, § 5, AVI,6 27). Und das wiederum heißt: Wenngleich der Mensch über abstrakte Dinge räsonniert, die die Einbildungskraft übersteigen, so hört er doch nicht auf, dabei in der Einbildungskraft Zeichen zu haben, die diesen entsprechen, wie die Buchstaben oder Charaktere. Es gibt niemals eine Verstandeserkenntnis, die so rein ist, dass sie nicht von irgendwelchen sinnlichen Vorstellungen begleitet wäre. (Quoyque l’homme raisonne sur des choses abstraites et qui surpassent l’imagination, il ne laisse pas d’avoir dans l’imagination des signes qui y repondent, comme sont les lettres et les characteres. Il n’y a jamais un entendement si pur qu’il ne soit point accompagné de quelque imagination. Extrait du Dictionnaire de M. Bayle article Rorarius [...] avec mes remarques GP IV, 541).

Die Umdeutung der von Descartes ins Spiel gebrachten Figur des Tausend-ecks markiert in prägnanter Weise den bereits von Belaval (1960, 23–83) überzeugend herausgearbeiteten Gegensatz zwischen dem Cartesischen „intuitionisme“ und dem Leibnizʼschen „formalisme“. Gleichwohl bleiben, wie bereits Picon (2008, bes. 214, 223) hervorgehoben hat, in den Meditationes de cognitione wie auch sonst bei Leibniz einige wichtige Details des funktionalen Verhältnisses von intuitiver und symbolischer Erkenntnis ein Stück weit undeutlich – mit, wie sich zeigen wird (5.1.1.–5.1.4.), weitreichenden Konsequenzen für die spätere Rezeption des Begriffspaares und die daran anknüpfenden Diskussionen, die bis ins späte 19. Jahrhundert reichen und teilweise auch darüber hinaus. Zum einen liegt dies an nicht durchgängig einheitlichen Aussagen über die Leistungsfähigkeit oder Reichweite des Intellekts hinsichtlich der intuitiven Erkenntnis komplexer Gegenstände oder Begriffe: Ist eine Erkenntnis solcher Begriffe zumeist (plerumque) oder stets symbolisch? Besagt das Ausspielen der symbolischen Erkenntnis gegen die als unmöglich verworfene cartesische ‚pure intellection‘, dass in der symbolischen Erkenntnis die Erkenntnis der Zeichen an die Stelle der Erkenntnis der Sachen tritt? Aber was genau hieße das? Läuft dies letztlich auf eine Verdrängung oder Substitution der Sacherkenntnis durch die Erkenntnis der Zeichen hinaus? Das jedoch wäre kaum vereinbar mit der Tatsache, dass gerade Leibniz den später vielfach aufgegriffenen Terminus „psittacisme“ (von lat. psittacus = Pagagei) zur Kritik eines „employ tout nû des caractères“ eingeführt hat (Nouv. essais, A VI,6 185 f.). Wenn der symbolischen Erkenntnis letztlich also keine dauerhaft substituierende, sondern eine subsidiäre Funktion hinsichtlich der Sacherkenntnis zukommt, bleibt die Frage, wie genau die Vorstellung der Zeichen die Erkenntnis

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der Sache unterstützen. Auch hierzu bietet Leibniz mehrere Varianten an: Zum einen können die Sachbegriffe in einer solchen Weise durch die klare und deutliche Vorstellungen der Zeichen, z.B. der Wörter, ersetzt werden, dass deren Bedeutung, der ja letztlich in eben dem Sachbegriff besteht, „dem Geiste wenigstens dunkel und unvollkommen vorschwebt“ (obscure saltem atque imperfecte menti obversatur; Medit. de cogn., A VI,4 587). In diesem Fall würde die symbolische Erkenntnis den Geist insofern entlasten und unterstützen, als die deutliche Repräsentation der Zeichen es ermöglichte, dass im Prozess des Denkens die mental anspruchsvollere Vergegenwärtigung der durch sie bezeichneten Sachen lediglich „dunkel und unvollkommen“ zu sein brauchen. Einem solche partiellen Ausblenden des Sach- zugunsten des Zeichenbegriffs stehen allerdings Äußerungen gegenüber, denen zufolge bei der symbolischen oder blinden Erkenntnis komplexer Begriffe oder Gegenstände (in rebus valde compositis) sich der rationale Diskurs „ohne jegliche Betrachtung der Ideen selbst“ („sine ulla consideratione ipsarum idearum“; Leibniz für Gallois [Ende 1672], A II,12, 353) vollzieht und somit „all unser rationales Schließen nichts anderes ist als ein Verbinden und Ersetzen von Zeichen“ („Omnis ratiocinatio nostra nihil aliud est quam characterum connexio, et substitutio“; De modis combinandi characteres [1688-99], A VI,4 922). Eine dritte Variante, welche die beiden anderen gewissermaßen kombiniert, findet sich etwa in den Unvorgreifflichen Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache, in denen Leibniz bemerkt: [...] gleich wie man in grossen Handels-Stäten, auch im Spiel und sonsten, nicht allezeit Gelt zehlet, sondern sich an dessen stat der Zettel oder Marcken, bis zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedienet; also thut auch der Verstand mit den Bildnissen [hier gemeint: bildhafte Vorstellungen; S.M.-O.] der dinge, zu mahl wenn er viel zu dencken hat, das er nemlich Zeichen dafur brauchet, damit er nicht nötig habe, die Sache jedesmahl, so offte sie vorkomt, von neuen zu bedencken. Daher wenn er sie einmal wol gefasset, begnügt er sich hernach offt, nicht nur in eusserlichen Reden, sondern auch in den Gedancken und innerlichen selbstGespräch, das wort an die Stelle der Sache zu setzen. [...] Daher braucht man offt die wort als zifern, oder als Rechen-pfennige an stat der Bildnisse und Sachen, bis man stufen weise zum Facit schreitet, und beym Vernunfft-Schlus zur Sache selbst gelanget (Unvorgreifflichen Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache; A IV,6 533 f.).

Die sprachlichen Zeichen erscheinen hier als Teile einer Prozedur, bei der, in Analogie zur Substitution des Geldes durch Wechsel oder Spielmarken, der Verstand die Bildnisse der Dinge (d.h. die Sachbegriffe oder, in scholastischer Terminologie, die conceptus rei) - für eine gewisse Zeit und unter bestimmten Voraussetzungen - durch Worte (bzw. Wortvorstellungen, conceptus vocis) ersetzt, so dass er „in den Gedancken und innerlichen selbst-Gespräch“ an die Stelle der kognitiv anspruchsvolleren mentalen Bilder die wesentlich leichter zu ‚handhabenden‘ Wörter treten lässt. Die Funktion der Verwendung sprachlicher Zeichen bestünde, so gesehen, allerdings nur in einer temporären Ersetzung der Sachbegriffe, die dem Verstand beim Vollzug des rationalen Diskurses gewissermaßen eine zeitweilige Erleichterung des gedanklichen Marschgepäcks gewährleistet. Ebenso nämlich, wie der Wechsel oder die Spielmarken bei der „letzten Abrechnung oder Zahlung“ wieder gegen bare Münze eingetauscht werden müssen, läuft auch der

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hier beschriebene Gebrauch der Wörter letztlich darauf hinaus, dass der Verstand am Schluss, bzw. „beym Vernunfft-Schlus“ – die Sprache wiederum hinter sich lassend - „zur Sache selbst gelanget“. In jedem Fall ist deutlich, dass das Verhältnis von symbolischer und intuitiver Erkenntnis komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag und sich nicht oder nicht nur als das einer strikten Disjunktion im Sinne eines einfachen ‚Entweder–Oder‘ darstellt. Zum einen, weil sich die Intuition nicht so leicht ersetzen lässt und zum anderen, weil die Symbole – zumindest außerhalb des algebraischen oder eines entsprechend vollkommen eingerichteten operationalen Zeichensystems einer characteristica generalis, die auch die gedanklichen Inhalte des „alphabetum cogitationum“ eindeutig symbolisieren würde - zu einer solchen Ersetzung kaum imstande sind. 4.3. Contra Locke: ‚Idées innées‘ und ‚petites perceptions‘ versus empiristischer Reduktionismus Leibnizʼ erkenntnistheoretische Hauptschrift und zugleich sein umfangreichstes philosophisches Werk überhaupt sind unstrittig die Nouveaux essais sur l’entendement humain, die er zwischen Sommer 1703 und Sommer 1705 dem Text von Pierre Costes französischer Übersetzung der vierten Auflage von Lockes Essay concerning Human Understanding gleichsam als Kommentar in Form eines fiktiven Dialogs zwischen der als Locke-Double fungierenden Figur des Philaletes und dem Leibniz-Repräsentanten Theophilus ‚einschreibt‘. Nicht nur die Einteilung der vier Bücher sowie die Kapiteleinteilung und damit die inhaltliche Disposition ist weitestgehend identisch, auch die Redebeiträge des Philaletes sind zum größten Teil weitgehend wörtlich aus Locke bzw. der Übersetzung von Coste übernommen – wenn auch mit gewissen rhetorischen Veränderungen, welche es wohl rechtfertigen, diese Schrift nicht nur als einen „contest by dialogue“ (Bolton 2007), sondern auch als eine „intrigue philosophique“ (Parmentier 2008) zu charakterisieren. Mag Cassirers Aussage, diese Schrift bilde „innerhalb des literarischen Ganzen von Leibnizʼ Werken die Hauptquelle für die Kenntnis seiner Philosophie“ (Cassirer 1971, IX) auch mit Vorbehalten zu betrachten sein, da in jedem Fall für eine ‚Kenntnis seiner Philosophie‘ sehr zahlreiche weitere Quellen hinzuzuziehen wären, so ist es doch bemerkenswert, in welchem Umfang die zentralen Gegenstände und Themen der Leibnizʼschen Philosophie angesichts des Lockeschen Stichwortgebers hier präsent sind (zu dieser Schrift allgemein: Dewey 1888, Robinet 1966; Jolley 1984; Duchesneau/Griard 2006, Oliveri 2016b). Eine mögliche Erklärung für dieses Faktum wäre die Einschätzung eines der Editoren der Nouveaux essais, dass Leibniz hier zwar „the impression of wanting to oppose a rationalistic and an empiristic epistemology“ vermitteln wollte: „But his real aim is to convey his metaphysics to Locke and the Lockeans between the lines“ (Schepers 2004, 122). Die Präsenz weiter Bereiche der Leibnizʼschen Metaphysik macht eine solche Einschätzung plausibel. Die erkenntnistheoretische Relevanz dieser Schrift sowie die Berechtigung, sie als eine solche ernst zu neh-

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men, bleibt davon freilich unberührt. Zumal das Funktionieren dieses Manövers ja gerade ein Beleg für die oben angesprochene intime Verbindung von Metaphysik und Erkenntnistheorie bei Leibniz ist. Ein Stück weit ist die inhaltliche Stoßrichtung der Nouveaux essais komplementär zu jener der Meditationes de cognitione. Denn hat Leibniz in den Meditationes im Gegenhalt gegen Descartesʼ Insistenz auf die „pura intellectio“ die kognitive Funktion der Imagination und Sinnlichkeit als notwendiges Medium des erkenntnisunterstützenden Gebrauchs von Zeichen geltend gemacht, so geht es ihm hier darum, in Auseinandersetzung mit Lockes Kritik der cartesischen Lehre von den angeborenen Ideen, die Insuffizienz eines empiristischen Reduktionismus und die Notwendigkeit der Existenz ‚angeborener Ideen‘ (wenn auch nicht im Sinne von Descartes), ‚Prinzipien‘ oder ‚Wahrheiten‘ darzulegen. Wenngleich in dieser Schrift insgesamt ein sehr breites Spektrum erkenntnistheoretischer Fragestellungen verhandelt wird, wie etwa die der „ersten Wahrheiten“ (Wilson 1967), der notwendige Wahrheiten (Bolton 1990), der Komposition der Konzepte (Nachtomy 2011) oder des Zusammenhanges von Bewusstsein und Apperzeption (Barth 2011a), sowie von Fragen, die für Leibniz eng mit erkenntnistheoretischen Aspekten zusammenhängen, wie etwa die nach den Grundlagen des Selbst und der personalen Identität (Bobro 2004) oder die Zurückweisung abstrakter Entitäten (Bolton 1996), so markiert neben der Verteidigung der angeborenen Ideen (Saville 1972; Harris 1977; Oliveri 2016, 17-45), des „cornerstone of rationalism“ (Poser 2008), die Konzeption der petites perceptions ein zweites thematisches Zentrum derselben. Indem nämlich die einfachen Sinnesempfindungen (simples ideas) die Grundlage und den Ausgangspunkt von Lockes Erkenntnistheorie bilden, ist dieser unmittelbar das Fundament entzogen, wenn, analog (bzw. komplementär) zur Zurückweisung der von Descartes fälschlich angenommenen ‚pure intellection‘ in den Meditationes, hier gezeigt wird, dass diese sinnlichen Ideen nur scheinbar einfach sind: „ces idées sensibles sont simples en apparence, parcequ’estant confuses, elles ne donnent point à l’esprit le moyen de distinguer ce qu’elles contiennent“ (A VI,6 120). Leibniz, der wohl gehofft hatte, mit dieser Schrift (Gaudemar/Hamou 2011; bes. Pécharman 2011 u. Nachtomy 2011) den Anlass dafür geben zu können, den fiktiven Stellvertreterdisput in einen realen Dialog mit Locke zu überführen, nimmt bald nach Lockes Tod (Oktober 1704) Abstand von deren Veröffentlichung. Damit war jener Text, der die ausführlichsten und prägnantesten Aussagen zum höchst kontroversen Thema der idée innés, aber auch die wichtigsten Passagen zum Konzept der petites perceptions und zu fast allen übrigen zentralen Lehrstücken der Leibnizʼschen Erkenntnistheorie enthält, aber erst 1765 von Raspe (s. Leibniz 1765, 1-496, dt. Übers. v. Ulrich, s. Leibniz 1778/80, Bd. 1, 85-538; Bd. 2, 39-600) ediert wird, zunächst für 60 Jahre der Einflussnahme auf die einschlägigen philosophischen Diskussionen entzogen.

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5. ZUR REZEPTION DER LEIBNIZʼSCHEN ERKENNTNISTHEORIE Nicht wenige der von Leibniz im Rahmen der Erkenntnistheorie entfalteten, zum Teil mit terminologischen Neubildungen (wie z.B. cognitio symbolica, cognitio/idea clara et confusa, petites perceptions, apperception, point de vue) verbundenen Lehrstücke und Konzepte haben im 18. Jahrhundert und darüber hinaus nicht nur den Fortgang der erkenntnistheoretischen Diskussionen maßgeblich beeinflusst; sie haben sich auch fest in die Entwicklung einer ganzen Reihe philosophischer Disziplinen, wie etwa der Semiotik, Ästhetik, Hermeneutik, Anthropolgie, Psychologie, Logik (s. Volker Peckhaus in diesem Band) und Sprachwissenschaft (s. Christina Marras in diesem Band) eingeschrieben. Anders als die Nouveaux essais, der Dialogus und sehr viele weitere Texte, konnten die Meditationes de cognitione, veritate et ideis ihre Wirkung bereits seit dem frühen 18. Jahr-hundert vor allem im Umfeld der Wolffʼschen Schule entfalten (Leduc 2013). Die historische Wirksamkeit dieser Schrift sowie das generelle Interesse an den in ihr angesprochenen erkenntnistheoretischen Themen, die eng mit der Differenzierung der hierarchisch geordneten Erkenntnis- oder Repräsentationsmodi verbunden sind, manifestiert sich bereits an dem Umstand, dass die Schrift über einige weitgehend oder gänzlich unbekannte Editionen und Übersetzungen Verbreitung gefunden hat. Neben dem Erstdruck in den Acta eruditorum (1684), der im Rahmen eines Auswahlreprints der dort veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsätze 1740 in Venedig erscheint (Leibniz 1740a), gibt ebenfalls 1740 Georg Christoph Stellwag, der drei Jahre zuvor mit einer Arbeit zur Ars characteristica combinatoria in Jena pro loco promoviert hat, den Text für seine Zuhörer in den Druck (Leibniz 1740b). Zwei Jahre später erscheinen die Meditationes in englischer Übersetzung unter dem Titel Reflections on Knowledge, Truth and Idea im ersten Band der Acta Germanica: or, the Literary Memoirs of Germany (Leibniz 1742). Wiederum zwei Jahre später präsentiert Johann Jakob Brucker im Leibnizkapitel seiner Historia critica philosophiae den Text der Meditationes unter dem Titel Meditationes rationales nahezu vollständig (unter Auslassung lediglich der erläuternden Beispiele und polemischen Anspielungen) in einer dem authentischen Wortlaut weitestgehend folgenden Paraphrase (Brucker 1744, 398-401). Für die Verbreitung der zentralen Thesen der Meditationes ist die Präsentation bei Brucker insofern von Bedeutung, als wesentliche Teile des Leibnizkapitels, die Paraphrase der Meditationes eingeschlossen, von Diderot übersetzt und in seinen Encyclopédie-Artikel „Leibnizianisme“ übernommen worden sind (Fauvergue 2006), was bereits für die französische Rezeption der Meditationes durch deren Teilübersetzung an prominenter Stelle wichtig, aber auch darüber hinaus für verschiedene spezielle Aspekte des Verhältnisses von Diderot zu Leibniz aufschlussreich ist (Dumouchel 2015; Fauvergue 2015). Eine weitere Übersetzung ins Englische erfolgte durch den Schüler von William Hamilton, Thomas Spencer Baynes, der seiner mehrfach wiederaufgelegten Übersetzung der Logik von PortRoyal ab der zweiten Auflage eine Übersetzung der Meditationes de cognitione anfügte (Baynes 1851), was als Indiz für ein Interesse an den dort behandelten

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Themen im England der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewertet werden kann (s.u. 5.1.4.). 5.1. Die Rezeption der Meditationes de cognitione Die Meditationes de cognitione haben nicht unerheblich dazu beigetragen jenes diskursive Feld zu konstituieren, in das hinein Leibnizʼ Konzeption der cognitio symbolica ihre Wirkungen entfalten konnte. Wesentlich geprägt ist es durch die im 17. und 18. Jahrhundert zunehmende Tendenz, dem Begriff des Zeichens zentrale Systemstellen innerhalb der philosophischen Theoriebildung zuzuweisen. Sie manifestiert sich etwa in Hobbesʼ Beschreibung des Denkens als „Computation“ im Sinne einer operationalen Verbindung und Trennung von notae oder signa, in Lockes Darlegungen zur Funktion der Sprache für die Bildung und Verknüpfung von Ideen und seinem Vorschlag der Umbenennung der Logik in Semeiotic, in Descartesʼ Erklärung der Sinneserkenntnis mithilfe des Modells willkürlicher Zeichen, in Berkeleys Substitution der materiellen Welt durch eine in der „language of vision“ erfolgende göttliche Inszenierung (Meier-Oeser 1997, 354–362) – oder eben in Leibnizʼ Meditationes de cognitione mit ihren kurzen, aber enorm folgenreichen Ausführungen über den notwendigen Zusammenhang von Erkenntnis und Zeichengebrauch. Neben diesem theoretischen Strang existiert, mit ihm teilweise eng verbunden, eine lange Reihe von praktisch ausgerichtete Versuchen der Einrichtung von Universalsprachensystemen, von denen jene von George Dalgarno und John Wilkins die elaboriertesten und bedeutendsten sind. Sie bilden zugleich das Muster für die von Leibniz zeit seines Lebens unternommenen – letztlich erfolglos gebliebenen - Bemühungen um die Einrichtung einer lingua philosophica oder ars characteristica generalis, mit der, ausgehend von Dalgarno und Wilkins, insofern ein wesentlicher Schritt über beide hinaus intendiert war, als sie nicht nur zur Ordnung und Kommunikation des bereits Bekannten dienen, sondern vielmehr einen Zeichenkalkül zur Entdeckung und zum Beweis von noch Unbekanntem bereitstellen sollte. Wäre ihre Einrichtung gelungen, so sollte sich, ausgehend von einer Art Alphabet der menschlichen Gedanken (Alphabetum cogitationum humanarum), durch die regelgeleitete „Verknüpfung der Buchstaben sowie die Analyse der Worte, die sich aus ihnen zusammensetzen, alles andere entdecken und beurteilen lassen“ (A VI,4 265), so dass sich auch die Philosophenangesichts eines strittigen Problems nurmehr wie die Rechnenkünstler (Computistae) an den realcharakteristischen Abacus zu setzen und einander zu sagen hätte: „Calculemus!“ (A VI,4 443; ebd. 913). Die intime Verbindung, die selbst noch zwischen den frühen programmatischen Entwürfen eines vollkommenen Zeichensystems in Form einer Scriptura Philosophica und der in jedem Fall wohl deutlich später anzusetzenden entwickelten Monadenmetaphysik besteht, manifestiert sich schlaglichtartig daran, dass die selbe Metapher des „geistigen Automaten“ sowohl das in passender Weise eingerichtete Symbolsystem (als „machina spiritualis“, an Gallois, Ende 1672; A II,1 354) wie die Seele oder Monade (als „automate spirituelle“; Système nouveau,

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GP IV, 485) charakterisiert, da es sich in beiden Fällen um ein System von Repräsentationen handelt, deren geordnete Abfolge einer ihnen eingeschriebenen Gesetzmäßigkeit folgt. Von Leibnizʼ konkreten Arbeiten zu diesem recht intensiv erforschtem Projekt (Trendelenburg 1856, Couturat 1901; Matzat 1938; Schnelle 1962; Risse 1970, 169-252; Heinekamp 1972 u. 1976, 524-533; Mugnai 1973b; 13-17; Krämer 1991; 220-328; Meier-Oeser 1993; Schneider 1994; Schepers 1999, A VI,4, L-LXII; Leduc 2014) konnte das 18. Jahrhundert zwar nicht mehr kennen, als ein paar vollmundige Projektskizzen, die Leibniz verschiedentlich ausgewählten Briefpartner mitgeteilt hat und die dann vereinzelt im Rahmen der einen oder anderen frühen Briefedition gedruckt worden sind (z.B. Leibniz an Oldenburg, 28. 12. 1675, A II,1, 2. Aufl., 392; gedr. 1699 im 3. Bd. von Wallisʼ Opera mathematica). Die sich dort findenden optimistischen Aussagen über das, was von einem vollkommen eingerichteten System operationaler Zeichen für eine scientia generalis zu erwarten wäre, hätten wohl kaum in dem Maße Beachtung gefunden, wäre ihr Verfasser nicht jemand gewesen, dessen Expertise hinsichtlich der Entwicklung und Anwendung von operationalen Zeichensystemen aus der Mathematik hinreichend bewiesen war. Zudem lieferten die Ausführungen zum Verhältnis von cognitio intuitiva und cognitio symbolica in den Meditationes gewissermaßen das erkenntnistheoretische Fundament zur Begründung der prinzipiellen Möglichkeit eines solchen Projekts. Denn erst dort, wo, im Unterschied zur scholastischen Tradition, die einfachen Elemente des Denkens, die mentalen Begriffe, nicht mehr als natürliche Zeichen der Dinge und damit als ‚bei allen Menschen dieselben‘ gelten, sondern als wesentlich durch sinnliche oder imaginierbare artifizielle Zeichen konstituiert oder mit diesen verbunden konzipiert werden, kann der Versuch sinnvoll erscheinen, über eine Vervollkommnung des Zeichenmediums eine Perfektionierung des Denkens und der Erkenntnis zu erreichen. Nachdem mit dem Scheitern der Leibnizʼschen characteristica universalis jedoch das Maximalkonzept einer solchen semiotischen Erkenntnisperfektionierung obsolet geworden war, beschränkt man sich im 18. Jahrhundert auf das, was bei Leibniz selbst mit dem allgemeinen Titel Caracteristique belegt ist, nämlich auf die allgemeine Wissenschaft von den auf praktische Anwendung ausgerichteten artifiziellen Zeichensystemen, bzw. auf jene „grand science, dont ce que nous appellons l’Algebre, ou l’Analyse n’est qu’une branche fort petite: puisque c’est elle qui donne les paroles aux langues, les lettres aux paroles, les chiffres à l’Arithmetique, les notes à la Musique […]“ (De la Méthode de la universalité, C 98 f.). Es geht nun nicht mehr um die Invention eines Zeichensystems zur Gewinnung eines allgemeinen Wissens im Sinne einer scientia generalis, sondern vielmehr um die Etablierung einer allgemeinen Wissenschaft von den Zeichensystemen. Das diesen Bemühungen zugrunde liegende Bewusstsein von der Bedeutung der Zeichen für die Erkenntnis sowie der Nützlichkeit und Notwendigkeit einer fundierten und umfassenden Zeichenlehre artikuliert sich in paradigmatischer Weise bei Georg Friedrich Meier (1755, 444), wenn er feststellt: Da die Zeichen einen so wichtigen und weitläufigen Theil der ganzen menschlichen Erkenntniß ausmachen, da wir ohne Zeichen gar nicht oder sehr wenig und schlecht denken können, und da wir nur vermittelst der Zeichen zu aller unserer Erkenntniß würcklicher Dinge gelan-

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Stephan Meier-Oeser gen: so verlohnt es sich wohl der Mühe, die Lehre von den Zeichen recht auszuführen. Daher ist es ein sehr nützliches und nöthiges Unternehmen, wenn die Gelehrten die Lehre von den Zeichen recht anbauen und sie in eine recht vollkommene Wissenschaft verwandeln.

Die Umsetzung dieses – wenngleich nicht allein aber doch nicht zuletzt von Leibniz maßgeblich beeinflussten - Unternehmens erfolgt in mehreren eng miteinander verbundenen Strängen: So etwa in der Ausarbeitung von explizit zeichentheoretischen Traktaten, wie Johann Heinrich Lamberts als zweiter Band seines Neuen Organons erschienener, mit einer Darstellung der „symbolischen Erkenntniß überhaupt“ (1764, 5–43) eröffneten Semiotik, ferner in der Beschreibung und Analyse des breiten Spektrums existierender Zeichensysteme sowie in verschiedentlichen Entwürfen zur Ausbildung logischer Zeichenkalküle (Peckhaus 1997, 64–110; Esquisabel 2011). In genuin erkenntnistheoretischer Perspektive sind freilich die umfangreichen und über einen langen Zeitraum hinweg intensiv geführten Diskussionen zur Leibnizʼschen Unterscheidung von intuitiver und symbolischer Erkenntnis der wichtigste und historisch einflussreichste Beitrag zum Themenkomplex von Zeichen und Erkenntnis. Die thematische Vielfalt wie auch teilweise die begrifflichen Verwirrungen, welche die sich an diese Distinktion anlagernden Diskussionen kennzeichnen, erklären sich nicht zuletzt aus der begriffsgeschichtlich vorgegebenen Mehrdeutigkeit bzw. Äquivozität der beiden zentralen Termini von Intuition und Symbol. Kann ‚intuitus‘ nämlich einerseits die sinnliche Anschauung und andererseits, gewissermaßen im Gegenteil dazu, die rein geistige Erkenntnis (pure intellection) bezeichnen, so steht der Begriff des Symbols einerseits, gemäß der aristotelischen Tradition, für willkürlich eingesetzte Zeichen und andererseits, wiederum im Gegenteil dazu, für solche Zeichen, die, wie etwa in der Tradition der symbolischen Theologie, durch das Verhältnis der Analogie von Zeichen und Bezeichneten motiviert sind. Das durch die doppelte Äquivokation geprägte terminologische Spannungsfeld bot vielfältige Anknüpfungspunkt für die Diskussion grundlegender Themen, wie etwa die Fragen nach dem Verhältnis von Anschaung und Begriff bzw. Sinnlichkeit und Vernunft, von Sprache und Denken, von sprachlichem Zeichen und Symbol, von Zeichen und Bedeutung oder von Intuitionismus und Formalismus. 5.1.1. Die Tradition der cognitio symbolica Leibnizʼ Konzept der symbolischen Erkenntnis ist, nachdem es bereits eine zentrale Stelle in Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (1923-25) besetzt hat und der dort in historisch-systematischer Perspektive entfalteten „Formenlehre des Geistes“ gleichsam als leitende Idee und organisierendes Prinzip zugrunde liegt, besonders in den letzten Jahrzehnten zunehmend zum Gegenstand der Forschung geworden, deren Resultate in zahlreichen Arbeiten zur Theorie der cognitio symbolica bei Leibniz (Krämer 1992; Favaretti Camposampiero 2007; Leduc 2014) sowie zu ihrer Rezeption und Transformation bei Wolff (Ungeheuer 1983; Van Peursen 1992), im Wolffianismus (Meier-Oeser 1997, 415-425; Schwaiger

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2001; Favaretti Camposampiero 2009) und darüber hinaus (Lamacchia 1970; Schiewer 1996; Lenders 1998; Esquisabel 2011; Galland-Szymkowiak 2006; Meier-Oeser 2011a u. 2012; Bellucci 2011/12 u. 2013) vorliegen. Doch auch durch diese Untersuchungen zusammengenommen ist die komplexe Diskursformation der symbolischen Erkenntnis in ihren vielfältigen Einflüssen auf das 18. und die folgenden Jahrhunderte noch keineswegs hinreichend aufgearbeitet. Denn bei dem, was hier als ‚Tradition der cognitio symbolica‘ angesprochen ist, handelt es sich nicht um ein Überlieferungskontinuum, in welchem Leibnizʼ Theorie der symbolischen Erkenntnis in mehr oder weniger unveränderter Form fortgeschrieben oder kontinuierlich weiterentwickelt worden wäre. Der Begriff verweist vielmehr auf einen vielschichtigen und weitverzweigten Problemzusammenhang, der, trotz zahlreicher konzeptioneller Umbesetzungen, Missverständnisse und abweichender oder gegensätzlicher Auffassungen, eine bis ins 20. Jahrhundert hineinreichende Diskursformation bildet, die zentrale Bereiche der Logik, Erkenntnis-, Sprach- und Wissenschaftstheorie jenes Zeitraums umfasst und organisiert. Die Spur dieser ‚Tradition‘ lässt sich gewissermaßen am Leitfossil des Chiliogon, jener von Descartes stammenden und von Leibniz im oben dargestellten Sinn umgedeuteten Denkfigur des Tausendecks (bzw. der Zahl Tausend), verfolgen, die von Autoren wie Christian Wolff (1962 ff, II, 5, 204), Samuel Christian Hollmann (1767, 131), Salomon Maimon (1790, 272 f.), Dugald Stewart (1792, 553 f.), Johann August Eberhard (1789, 272 f.), Immanuel Kant (1902 ff VIII, 210), Antoine-Augustin Cournot (1851, 236), Adolf Trendelenburg (1856, 45), William Hamilton (1860, 128), John Stuart Mill (1867, 391), Henry Longueville Mansel (1851, 1860, 188 f; 1860b, 54), Charles Sanders Peirce (1982, 355 f.), William Stanley Jevons (1879, 55), Ernst Schröder (1890, 40), Edmund Husserl (1984) oder Kazmierz Twardowski (1894, 107) aufgegriffen wird - und zwar nicht im Sinne der Cartesischen, sondern der Leibnizʼschen Meditationes. 5.1.2. Die cognitio symbolica im Wolffianismus Vermittelt wurde die Rezeption der auf das Begriffspaar von cognitio symbolica und intuitiva bezogenen Theorie im Wesentlichen durch ihre Aufnahme in Wolffs deutsche Metaphysik, wo es als „figürliche“ und „anschauende Erkenntnis“ übersetzt ist. Wie Wolff hier ausführt, sind „die Worte der Grund von einer besonderen Art von Erkäntniß […], welche wir die figürliche nennen“ (Wolff 1751, 1962 ff. I, 2.1, 173). Den Gegensatz beider Erkenntnisformen erläutert er so: „Wenn ich an einen Menschen gedencke, der abwesend ist und mir sein Bild gleichsam vor Augen schwebet; so stelle ich mir seine Person selbst [anschauend oder intuitiv, S.M.-O.] vor. Wenn ich aber von der Tugend diese Worte gedencke: Sie sey eine Fertigkeit seine Handlungen nach dem Gesetze der Natur einzurichten; so stelle ich mir die Tugend durch Worte [figürlich oder symbolisch, S.M.-O.] vor“ (ebd). In der Psychologia empirica greift er hierfür auf die Figur des Tausenecks zurück: „[…] cognitionem chilogoni symbolicam habeo, si verbis tacite quasi loquens mihi ipsi indigito, chiliogonum esse figuram mille lateribus termi-

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natam, laterum vero singulorum, ac numeri millenarii, ipsiusque chiliogoni ideam nullam intueor“ (1962 ff. II, 5, 204). Generell hat die symbolische Erkenntnis nach Wolff „viele Vortheile vor der anschauenden, wenn diese nicht vollständig ist, das ist, alles deutlich […] vor Augen lieget, was ein Ding in sich enthält, und wie es mit andern verknüpffet ist und gegen sie sich verhält“ (Wolff 1751, 1962 ff. I, 2.1, 176). Da die menschlichen Empfindungen aufgrund ihrer Undeutlichkeit dies nicht leisten, wird eine deutliche Erkenntnis erst durch die „Wörter und Zeichen“ erreicht. In diesem Sinn betont auch Joachim Georg Darjes, dass allein die Zeichen die für die Bildung distinkter Begriffe erforderliche gedankliche Separierung gegenständlicher Bestimmungsmerkmale ermöglichen: „Distinctam de obiecto quodam formans notionem quosdam illius characteres separatim cogitare debet. Sed per intellectum nostrum humanum hoc non possumus efficere, nisi ope signi“ (Darjes 1742, 215 f.). Doch auch dort, wo ohne eine solche Ausschließlichkeitsbehauptung lediglich davon die Rede ist, dass die Begriffe leichter und deutlicher in der symbolischen als in der intuitiven Erkenntnis gebildet werden, wird daraus abgeleitet, „dass wir die symbolische Erkenntnis stets der intuitiven vorziehen und, indem wir denken, zu uns selbst stillschweigend zu sprechen pflegen“ („Hinc etiam est, ut symbolicam semper intuitivae cognitionem praeferre […[ soleamus“; Boehm 1767, 275). Die symbolische Erkenntnis unterstützt oder ermöglicht allerdings nicht nur die Deutlichkeit der Erkenntnis. Als wichtiger noch wird ihre damit eng verbundene Funktion für die Bildung der allgemeinen bzw. abstrakten Erkenntnis angesehen. In Übereinstimmung mit Wolff, nach dem „die Wörter oder andere Zeichen“ eben auch „das Mittel [sind], dadurch wir allgemeine Erkäntniß erlangen” (Wolff 1751, 1962 ff. I, 2.2, 516), erklärt Georg Bernhard Bilfinger: „Symbolicam cognitionem praecipue inservire cognitioni generali“, da wir ohne sie nur sehr wenige und kaum andere als dunkle und verworrene Allgemeinbegriffe erlangen könnten („Ideas generales paucissimas, et vix alias, quam obscuras aut confusas nancisci nobis liceret” (Bilfinger 1725, 267). Ähnlich heißt es zeitgleich bei Johann Wilhelm Golling: Während sich die sinnliche Erfahrung immer auf Einzeldinge bezieht, können wir mit Hilfe der Wörter allgemeine Ideen abstrahieren (verborum ope possumus universales abstrahere ideas; Golling 1725, 19). Die spezifische Tätigkeit der reinen Vernunft (intellectus purus, die hier NB: nicht mit der pura intellectio gleichzusetzen ist), sinnlich nicht erfassbare Dinge oder abstrakte Begriffe deutlich vorzustellen, ist daher ohne cognitio symbolica, d.h. ohne den Gebrauch willkürlicher Zeichen, unmöglich (Golling 1725, 20 f.). Eine vollständige Festlegung abstrakter auf symbolische Erkenntnis und dieser auf Sprachlichkeit findet sich auch bei Bilfinger („omnis cognitio universalis symbolica est, symbola autem communia voces sunt“; Bilfinger 1742, 87), sowie bei Friedrich Christian Baumeister, nach dem die Erkenntnisfunktion des Intellekts in der allein durch Sprache möglichen Formierung allgemeiner Begriffe besteht; einer Fähigkeit, die zugleich das Definiens der untrennbar mit dem Intellekt verbundenen cognitio symbolica ausmacht (Baumeister 1765, 258):

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Sensibus cognoscimus res praesentes, quae cognitio dicitur intuitiva. At intellectus in cognoscendis notionibus universalioribus, iisque distincte formandis, versatur, quod nisi per verba, fieri non potest, quae cognitio dicitur symbolica, quae ab intellectu sejungi non potest. […] abstractarum notionum nulla cognitio distincte formari potest, nisi verborum adminiculis.

Die abstrakte Erkenntnis des Allgemeinen ist damit unmittelbar auf die cognitio symbolica, gleichsam als auf die Bedingung ihrer Möglichkeit, bezogen, so dass gemeinhin gilt, dass „unsere allgemeine oder abstrakte Erkenntnis durchaus symbolisch“ ist (Lambert 1764, 12 f.). Die übliche Weise, in der intuitive und symbolische Erkenntnis voneinander unterschieden werden, scheint zu implizieren, dass beide Erkenntnisarten einander wechselseitig ausschließen, so dass ein Gegenstand zur selben Zeit entweder intuitiv oder symbolisch erkannt werden kann. Denn ist die intuitive Erkenntnis jene, durch welche die uns gegenwärtigen Dingen angeschaut werden („qua rem ipsam praesentem nobis exhibitam intuentur“, Golling 1725, 4) oder wir uns die Dinge selbst vorstellen („qua nobis res ipsas repraesentamus“, Reusch 1735, 281), so gilt die symbolische Erkenntnis als eine solche, bei der „wir uns statt der Dinge nur ihre Zeichen […] vorstellen“ (Gottsched 1733, 493) bzw., wie Hollmann, der unter Rekurs auf Leibnizʼ ChiliogonArgument die von den Cartesianern angenommene „intellectio pura“ als ein „purum figmentum“ ablehnt, sagt, nur die „nuda rerum nomina“ denken (Hollmann 1767, 130; „Solas […] plerumque cogitamus voces”; ebd. 145). Solche Formulierungen legen nahe, dass die Betonung der strikten Disjunktion beider Erkenntnisformen zumeist verbunden ist mit der These einer vollständigen Substitution der intuitiven durch die symbolische Erkenntnis verbunden ist. In der Regel ist diese Substitution jedoch als eine lediglich temporäre konzipiert. Denn so, wie intuitive Erkenntnis die Voraussetzung für die symbolische Erkenntnis ist, gilt auch, dass, wie Ungeheuer mit Blick auf Wolff hervorgehoben hat, das „symbolisch vorangetriebene Erkenntnisgeschehen […] mit einer ‚reductio cognitionis symbolicae ad intuitivam‘ abgeschlossen werden“ muss (Ungeheuer 1983, 110; Wolff 1739 § 255). In deutlicher Differenz zu einer solchen Konzeption der symbolischen Erkenntnis als einer vollständigen, wenngleich nur temporären Substitution der Sachintentionen durch Wörter, konstruieren Baumgarten, Meier und Eberhard das Verhältnis beider Erkenntnisformen so, dass bei ihnen unter Rekurs auf die facultas characteristica als dem Vermögen der simultanen Perzeption und der Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem an die Stelle der strikten Disjunktion eine graduelle Differenzierung (Baumgarten 1779, 225 f.) tritt, wodurch sich die Frage, ob eine intuitive oder symbolische Erkenntnis vorliegt, am jeweiligen Intensitätsgrad der gleichzeitig vollzogenen Vorstellungen des Zeichens und der bezeichneten Sache entscheidet: „Ist die Vorstellung der Sache grösser, als die Vorstellung des Zeichens, so ist die Erkenntniß anschauend. Stellen wir uns aber die Zeichen in einem höhern Grade vor, als die Sache selbst, so ist die Erkenntniß bildlich oder symbolisch“ (Meier 1744, 67; vgl. Meier 1752, 393). Intuitive und symbolische Erkenntnis schließen sich, so betrachtet, nicht im strikten Sinne gegenseitig aus, sondern begleiten bzw. überlagern und verdrängen einander gemäß den jeweiligen Graden ihrer Klarheit bzw. der Intensität des auf sie gerichteten

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Bewusstseins. Denn ihr Verhältnis ist gleichwohl als komplementär konzipiert: „Die Erkenntniß ist anschauend, wenn die Vorstellung der Sachen, und symbolisch, wenn die Vorstellung der Zeichen größer ist. Die größere von beyden verdunkelt die kleinere“ (Eberhard 1794, 43). Insofern ist die von der ersteren Position als Regelfall der symbolischen Erkenntnis beschriebene vollständige Substitution oder Verdrängung der intuitiven Erkenntnis lediglich der – allein in den mathematischen Wissenschaften realisierte bzw. realisierbare - Extremfall innerhalb einer kontinuierlichen Variation von Mischformen. So heißt es bei Eberhard (1786, 114 f.): Man dringet nicht anders tief in irgend eine Idee hinein, wenn man nicht ihre abgesonderten Theile durch Zeichen fest hält, sich durch Zeichen ihrer Merkmale versichert. Je weiter man in dieser Auflösung kommt, je mehr die Anzahl der tiefliegenden Unterscheidungsmerkmale anwächst, je weniger also die Kraft der Seele zureicht, die vorhergehenden durch Anschauungen festzuhalten, desto mehr wird die Aufmerksamkeit, von der Anschauung der Sachen, auf die Vorstellung der Zeichen gezogen. Bis endlich die Seele sich weiter nichts mehr als der Zeichen bewußt ist, und mit einer blinden Operation in den tiefen Gängen der Wahrheit fortrückt. Diese Art von blinder Operation ist bisher nur […] in den mathematischen Wissenschaften thunlich gewesen.

Auch wenn der Vollzug vollständig „blinder Operationen“ im Sinne eines regelgeleiteten Zeichenkalküls nur der Mathematik zugestanden wird, so ist doch die Verwendung willkürlich eingesetzter Zeichen in der Philosophie des 18. Jahrhunderts auf breiter Front als notwendige Voraussetzung intellektueller Erkenntnis anerkannt, so dass die These von der Zeichen- und speziell der Sprachabhängigkeit der höheren Denkfunktionen, anders als der späterhin mit den Namen von Herder und Humboldt assoziierte Topos von der „kopernikanischen Wende der Sprachphilosophie“ suggeriert, bereits die herrschende Meinung der deutschen Schulphilosophie der Aufklärung – vor Kant - entspricht. Im Rückblick auf die referierten Ausführungen zur Unterscheidung von intuitiver und symbolischer Erkenntnis ist freilich auf ein Phänomen hinzuweisen, das niemandem erschienen zu sein scheint: Keiner der genannten Autoren (für die einschlägige Forschungsliteratur gilt weithin dasselbe) hat bemerkt oder merkt an, dass mit den hier formulierten Bestimmungen der intuitiven oder anschauenden Erkenntnis ein fundamentaler Bedeutungswandel gegenüber ihrer Ausgangsbestimmung bei Leibniz vorgenommen ist, durch den der Begriff der Intuition gewissermaßen auf die Gegenseite der alten Äquivokation umschlägt. Denn mit Ausnahme der sehr wenigen Autoren, die noch die Möglichkeit einer rein intellektuellen Anschauung zulassen, ist der Begriff der Anschauung oder Intuition auf sinnliche Empfindung und Imagination festgelegt. Indem Leibniz in den Meditationes die cognitio intuitiva als Unterart der distinkten Erkenntnis einführt, ist klar, dass er die intuitive Erkenntnis – anders als alle späteren Autoren – gerade nicht als sinnliche oder imaginative Erkenntnis versteht, sondern, wie Descartes, als intellektuelle; wobei die entscheidende Differenz zu Descartes eben in der metaphysisch begründeten These besteht, dass hinsichtlich des Menschen die Klasse der so bestimmten Erkenntnis möglicherweise leer ist oder aber nur sehr wenige sehr einfache Begriffe enthält. Ist es aufgrund der oben erwähnten Äquivokation

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der Termini von ‚intuitio‘ und ‚Anschauung‘ prinzipiell möglich, die cognitio intuitiva als eine auf sinnlicher Anschauung beruhende Erkenntnis zu verstehen, so war ein solches Verständnis offenbar dort nahegelegt, wo wie hier, der Gegenbegriff, die cognitio symbolica, geradezu zum Paradigma abstrakter Intellektualerkenntnis geworden ist. Die terminologische Verwirrung wird noch dadurch verstärkt, dass die cognitio symbolica damit in Opposition zur Sinnlichkeit und zur Imagination tritt, während sie bei Leibniz gerade dadurch charakterisiert ist, dass sie in jenen Fällen, wo eine cognitio intuitiva unmöglich ist, die Erkenntnis des Gegenstandes durch Bereitstellung oder Indienstnahme sinnlicher bzw. imaginierbarer Zeichen untersützt. 5.1.3. Kants Transformation des Symbolbegriffs Gegen die im Wolffianismus geläufige ‚linguistische‘ Bestimmung der cognitio symbolica als eine Erkenntnis, „da man eine Sache […] durch Worte denket“ wendet sich bereits vor der Jahrhundertmitte Christian August Crusius, wenn er betont, „daß die Gewohnheit, die Begriffe mit Worten zu verbinden, noch etwas ganz anderes sey“ als die symbolische Erkenntnis (Crusius 1747, 347). Denn Worte sind nach Crusius „nichts anders als Zeichen der Begriffe […], welche nur zu besserer Nutzung der Begriffe damit verbunden wurden, in den Begriffen selbst aber nichts verändern“ (389); sie sind also lediglich „ein äusserliches Hülfsmittel der Erkenntniß“ und somit den Begriffen nachgeordnet ohne die Art der Erkenntnis zu „afficiren“ (390). Daher interpretiert Crusius die Distinktion von intuitiver und symbolischer Erkenntnis anders als die Wolffʼsche Schule, wenn er bemerkt (347), daß wir eine Sache, indem wir sie uns vorstellen, entweder durch etwas denken, was sie an sich selbst ist, oder durch etwas, welches wegen eines gewissen Verhältnisses gegen dieselbe geschickt ist, ein Zeichen derselben abzugeben, um sie dadurch zu denken […] Daher haben wir die Erkenntniß in die anschauende oder unsymbolische (cognitionem intuitivam sive asymbolicam) und in die symbolische oder Zeichenerkenntniß abzutheilen.

Die entscheidende Differenz zur geläufigen sprachlichen Konzeption der symbolischen Erkenntnis liegt in dem hier zum Kriterium für diese „Zeichenerkenntniß“ erhobenen Bestehen eines „Verhältnisses“ zwischen Zeichen und Sache. Nach Crusius kommen hierfür Kausalbeziehungen, reale Beziehungen zu anderen Gegenständen oder logische Verhältnisse in Betracht, nicht aber die willkürliche Zuordnung von Wort und Sache. Wird das die symbolische Erkenntnis fundierende Verhältnis als Verhältnisanalogie verstanden, wird die oben (4.2) angesprochene alte Äquivokation des Symbolbegriffs erneut virulent. Auf sie weist Lambert hin, wenn er festhält: Übrigens ist das Wort ‚figürlich‘ vieldeutig und wird überhaupt von den Metaphern oder verblümten Ausdrücken gebraucht, besonders aber auch, so fern wir die abstrakten Begriffe und die Dinge der Intellektualwelt, wegen Ähnlichkeit des Eindruckes, uns unter sinnlichen Bildern vorstellen […] In diesen letzten Fällen ist die symbolische Erkenntnis auf eine gedoppel-

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Stephan Meier-Oeser te Art figürlich, weil man von der eigenen Bedeutung des Worts abgeht, und sich die Sache unter dem sinnlichen Bilde vorstellt (Lambert 1764, 15).

Eine entsprechende Umdeutung des Konzepts der symbolischen Erkenntnis bzw. der „symbolischen Vorstellungen“ im Sinne des Leibnizʼschen Prinzips der Verhältnisanalogie (s.o. 4.1) vollzieht Tetens, wenn er jene explizit als „analogische Vorstellungen“ charakterisiert (Tetens 1777, 90 f.) und herausstellt, dass „der ganze Gebrauch, den die Vernunft von den Vorstellungen jedweder Art machen kann, lediglich auf ihrer Analogie mit den Gegenständen [beruhet]. Es muß sich Sache zur Sache, wie Vorstellung zur Vorstellung verhalten […]. Und in so ferne dieses Statt findet, sind sie für uns Zeichen; weiter nicht“ (1777, 91; Hervorhebung von S.M.-O.). Deshalb sind für ihn „auch die blos analogischen Vorstellungen nicht minder und nicht mehr zuverläßiger, als die ihnen entgegengesetzten, die man unter dem Namen von Anschaulichen befassen kann“ (ebd.). Wurde innerhalb der Wolff’schen Schule terminologisch nicht zwischen Zeichen und Symbol unterschieden, da die für die symbolische Erkenntnis namengebenden Symbole als willkürliche Zeichen galten, so kommt bei Kant - in Übereinstimmung mit den Vorgaben von Crusius, Lambert und Tetens – die in der alten Äquivokation des Symbolbegriffs angelegte semantische Differenz beider Termini erneut in den Blick, wenn er bemerkt: „nicht jedes Zeichen ist symbol, sondern dieses ist ein Zeichen vom Zeichen. Analogische Anschauung: symbol“ (Reflexionen, 3398a, 1902 ff. XVI, 814). Damit wird – mutatis mutandis – bei Kant, ebenso wie bei Tetens, wieder das von der Analogie und Metapher getragene Symbolverständnis der Allegorese und der theologia symbolica wirksam: Heißt es bei Tetens: „Die Analogischen [Vorstellungen] sind Zeichen, welche die Reflexion sich […] aus Noth selbst macht, weil es ihr an andern [anschaulichen] fehlet“ (1777, 91), so ist auch für Kant „Symbolisierung […] eine Nothülfe für Begriffe des Übersinnlichen“ (Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik [1791] 1902 ff. XX, 279). Kants Kritik an einer von der Möglichkeit der funktionalen Substitution der Begriffe durch Zeichen ausgehenden Konzeption der symbolischen Erkenntnis richtet sich zunächst gegen die damit verbundene Annahme, das in der Mathematik erfolgreich praktizierte Verfahren der Erkenntniserweiterung durch regelgeleitete Zeichenmanipulation lasse sich auf die Philosophie übertragen. Bereits in der Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (1764) macht er jedoch klar, dass das „Verfahren der Weltweisheit“ von dem der Mathematik „gänzlich unterschieden“ ist: Die Zeichen der philosophischen Betrachtung sind niemals etwas anders als Worte, die weder in ihrer Zusammensetzung die Theilbegriffe, woraus die ganze Idee, welche das Wort andeutet, besteht, anzeigen, noch in ihren Verknüpfungen die Verhältnisse der philosophischen Gedanken zu bezeichnen vermögen. Daher man bei jedem Nachdenken in dieser Art der Erkenntniß […] genöthigt ist, sich das Allgemeine in abstracto vorzustellen, ohne dieser wichtigen Erleichterung sich bedienen zu können, daß man einzelne Zeichen statt der allgemeinen Begriffe der Sache selbst behandele (Untersuchung 1902 ff. II, 278 f.).

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Auf der Grundlage eines Verständnisses von Sprache und ihrer epistemischen Funktion, das weitgehend mit dem von Crusius übereinstimmt - Wörter sind nach Kant bloße „Charakterismen, d.i. Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen, die gar nichts zu der Anschauung des Objects Gehöriges enthalten“ und nur „zum Mittel der Reproduktion von Vorstellungen dienen“ (KdU [1790] 1902 ff. V, 352) - vollzieht Kant unter Zurückweisung des in der Wolff’schen Tradition stehenden Konzepts der cognitio symbolica sowie des diesem zugrundeliegenden Symbolbegriffs eine Umstrukturierung der traditionellen Einteilung der Erkenntnis- bzw. Repräsentationsweisen (Lamacchia 1970; Galland-Szymkowiak 2006; Bellucci 2011/12, 97-116, 143-156; Meier-Oeser 2011a; Meier-Oeser 2012). Charaktere, d.h. „Worte, oder sichtbare […] Zeichen, als bloße Ausdrücke für Begriffe“ (KdU [1790] § 59, 1902 ff. V, 352) sind für Kant, in ausdrücklichem Gegensatz zur gängigen, von der Wolff’schen Schule geprägten Terminologie, „noch nicht Symbole“ (Anthropologie in pragmat. Hinsicht [1798] 1902 ff. VII, 191). Denn als Symbol gilt nun gemäß der im § 59 der Kritik der Urteilskraft eingeführten Begriffsbestimmung eine „Vorstellung des Gegenstandes nach der Analogie“ (Preisschrift 1902 ff. XX, 280). Insofern ist es für Kant „ein von den neuern Logikern zwar angenommener, aber sinnverkehrender, unrechter Gebrauch des Worts symbolisch, wenn man es der intuitiven Vorstellungsart entgegensetzt“ (KdU 1902 ff. V, 351). Kant strukturiert das System der Vorstellungsarten daher anders als die Wolff’sche Schulphilosophie, indem er zunächst die intuitive oder anschauende Erkenntnis der diskursiven bzw. intellektuellen Erkenntnis, d.h. der Erkenntnis durch Begriffe, gegenüberstellt. Diese bilden die beiden grundlegenden Arten oder vielmehr, da Kant die von Baumgarten und Meier eingeführte graduelle Differenzierung von anschauender und symbolischer Erkenntnis für das Verhältnis von Anschauung und Begriff übernimmt, Teilmomente der menschlichen Erkenntnis: „Das Erkenntniß durch Begriffe heißt discursiv, das in der Anschauung intuitiv; in der That wird zu einer Erkenntniß beydes mit einander verbunden erfordert, sie wird aber von dem benannt, worauf, als den Bestimmungsgrund desselben, ich jedesmal vorzüglich attendire“ (Preisschrift 1902 ff. XX, 325). Ist aber stets beides, Anschauung und Begriff, für die Konstitution von Erkenntnis notwendig, so muss erklärt werden, wie einem Verstandesbegriff, der „niemals in irgend einer Anschauung angetroffen werden“ kann (KdrV B [1787] 1902 ff. III, 134), gleichwohl eine „correspondirende Anschauung a priori gegeben“ und mehr noch, wie einem Begriff, „den nur die Vernunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt“ werden kann (KdU 1902 ff. V, 351). Bei Kant kommt diese Funktion der Bereitstellung eines Surrogats für eine fehlende oder prinzipiell unmögliche direkte Anschauung zur Versinnlichung eines Begriffs dem zu, was er als Hypotypose, Darstellung, subiectio sub adspectum oder auch als exhibitio bezeichnet. Derartige Hypotyposen, die bei Kant nun als Unterarten der intuitiven Vorstellung geführt und der sprachlich-diskursiven entgegengesetzt werden, sind entweder, als Vorstellungen „von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild

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zu verschaffen“ (KdrV B 1902 ff. III, 135), schematisch oder aber, wenn einem Vernunftbegriff eine solche Anschauung „untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urtheilskraft demjenigen, was sie im Schematisiren beobachtet, bloß analogisch ist, d.i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach übereinkommt“ (KdU 1902 ff. V, 351). Soll heißen: „Symbole sind bloß Mittel des Verstandes, aber nur indirekt, durch eine Analogie mit gewissen Anschauungen, auf welche der Begriff desselben angewandt werden kann, um ihm durch Darstellung eines Gegenstandes Bedeutung zu verschaffen“ (Anthropol. 1902 ff. VII, 191). Was schematische und symbolische Hypotypose jeweils zur Konstitution einer konkreten Erkenntnis beitragen, sind – genau wie bei dem von Leibniz aufgegriffenen Beispiel des Tausendecks – keine Bilder oder ikonische Darstellungen des Gegenstandes. Daher ist das Schema, wenngleich es als „demonstrative“ Darstellung eines Begriffs beschrieben wird, sehr wohl „vom Bilde zu unterscheiden“ (KdU 1902 ff. V, 352). Ist es doch, auch wenn das ihm zugrundeliegende Verfahren als „eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abrathen und sie unverdeckt vor Augen legen werden“ (KdrV B 1902 ff, III, 136), bei Kant letztlich dunkel bleibt, in jedem Fall „mehr die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriffe gemäß eine Menge (z.E. Tausend) in einem Bilde vorzustellen, als dieses Bild selbst“ (KdrV B 1902 ff. III, 135) – wobei die Wahl gerade dieses Exempels kein Zufall sein dürfte. Ebenso ist auch das zur Versinnlichung von Ideen bzw. Vernunftbegriffen dienende Symbol kein Bild, sondern gleichsam ein Modell für das Verfahren der Reflexion nach den Regeln der Analogie: Wenn ich sage: wir sind genöthigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr als: wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt […] zu dem Unbekannten, das ich also hiedurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es für mich ist, nämlich in der Welt, davon ich ein Theil bin, erkenne (Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik [1783], 1902 ff. IV, 357).

Auf diese Weise kann man „vom Übersinnlichen, z.B. von Gott, zwar eigentlich kein theoretisches Erkenntniß, aber doch ein Erkenntniß nach der Analogie, und zwar die der Vernunft zu denken nothwendig ist, haben“ (Preisschrift 1902 ff. XX, 280). In der Literatur zu Kants Theorie des Symbols wird deren Fundierung im Konzept der Analogie vielfach als die entscheidende theoretische Errungenschaft seiner Abkehr von der cognitio symbolica-Tradition der LeibnizWolffʼschen Schulphilosophie gewertet. Hier ist jedoch, wie in vielen anderen Fällen auch, zwischen Kants Kritik an den Leibnizianern und seiner Stellung gegenüber Leibniz zu differenzieren (Jauernig 2008 u. 2011). Seine Polemik gegen die zeitgenössische Konzeption der cognitio symbolica trifft weit eher deren theoretische Ausgestaltung in der Wolffʼschen Schule, als unmittelbar die Leibniz’schen Grundlagen derselben; so wie auch sein Abrücken von jener – ob wissentlich und willentlich lässt sich allerdings schwerlich entscheiden - in eine Richtung zielt, die ihn in eine größere Nähe zu Leibniz setzt. Die das Kantische Verständnis des Symbols tragende Analogie jedenfalls meint „nicht etwa, wie man

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das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge“, sondern ist vielmehr präzis bestimmt in dem sich bereits bei Lambert und Tetens artikulierenden, dem Leibniz’schen Prinzip der Expression entsprechenden Sinn als „eine vollkommne Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen“ (Prolegomena, 1902 ff. IV, 357). Eine Engführung des Leibniz’schen Konzepts der symbolischen Erkenntnis mit dem Kant’schen Schematismus unternimmt Salomon Maimon in dem 1790 seinem Versuch über die Transscendentalphilosophie beigefügten ausführlichen Anhang über die symbolische Erkenntniß. Hier zeigt er im Rückgriff auf die in den Meditationes de cognitione vorgeführte symbolische Erkenntnis des Chiliogons, wie das in der dort gegebenen Bestimmung der Zahl 1000 als dritte Potenz der zehn implizit enthaltene Verfahren der Produktion dieser Zahl mit dem für Kants Bestimmung des Schema charakteristischen Moment zusammenstimmt, Regel für die Produktion eines Bildes, nicht aber diese Bild selbst zu sein: „wir begreifen ihre Entstehungsart, ohne sie doch als schon entstanden, anzuschauen“ (Maimon 1790, 272 f.). 5.1.4. Die cognitio symbolica im 19. und frühen 20. Jahrhundert In der englischen Logik und Erkenntnistheorie des 19. Jahrhunderts vollzieht sich Rezeption der Theorie der symbolischen Erkenntnis vor dem Hintergrund der umfrangreichen und langanhaltenen Debatten über das Verhältnis von Sprache und Denken. Das Interesse an ihr bezeugt bereits der Umstand, dass Thomas Spencer Baynes seiner vielbenutzten englischprachigen Ausgabe der Port-Royal Logic im Anhang eine Übersetzung der Meditationes de cognitione anfügt – die etwa auch in William Stanley Jevons’ Elementary lessons in logic der dem Thema „Leibnitz on Knowledge“ gewidmeten 7. Lesson zugrunde liegt (Jevons 1870, 53–60). Baynes’ Übersetzung hat freilich die englische Rezeption der Meditationes nicht iniziiert, sondern reagiert nur auf die in den 40er Jahren auf der Grundlage der Ausgabe von Erdmann einsetzende verstärkte Kenntnisnahme und Wertschätzung dieser Schrift. In Worten, aus denen deutlich wird, dass hier mehr als ein nur historisches Interesse vorliegt, begründet Baynes die Veröffentlichung seiner Übersetzung damit, dass diesem Text insofern eine besondere Bedeutung zukomme, als Leibniz hier, „in a few brief sentences, and by a few precise distinctions, clears up […] the dependence of ideas on language - which has much occupied the attention of philosophical writers in this country“ (Baynes 1851, vii). Denn die von Leibniz eingeführte und erläuterte „division of knowledge into symbolical and intuitive shows at once the connection of ideas with words, and explains how we may often employ the one without realising the other. This subject has been considered by British philosophers as a very curious and profound one; but the very terms employed by Leibnitz explain it at once” (Baynes 1851, 424). Angesicht der oben erwähnten (4.2), in den Meditationes letztlich offen bleibenden Fragen zum präzisen Verhältnis von Sprache und Denken, ist man sich hier hinsichtlich der „accustomed clearness“ dieses „eminent thinker“ (Mill 1865, 335) und der

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begrifflichen Präzision seiner Ausführungen – zumindest vordergründig – erstaunlich einig. Nach William Hamilton zeigen sie, „how correctly Leibnitz apprehended the nature of concepts, as opposed to the presentations and representations of the subsidiary faculties“, wobei, wie er betont, die Einführung der Unterscheidung von „Symbolical knowledge, to designate the former and Intuitive knowledge to comprehend the two latter […] has bestowed on the German language of philosophy, in this respect, a power and precision to which that of no other nation can lay claim“ (Hamilton 1860, 129). Trotz dieser angeblichen Präzision – die freilich schon insofern verdächtig sein muss, als der Text ja nicht in „German language“ geschrieben ist - wird weiterhin unter direkter Bezugnahme auf die einschlägigen Ausführungen in den Meditationes de cognitione sowie zumeist unter vollständiger Wiedergabe der einschägigen Passage zur cognitio symbolica (erstmals bereits bei Stewart 1792, 553 f. sowie mit englischer Übersetzung in Stewart 1821, 301 f.; Hamilton 1860, 128–129; Mansel 1851, 32–33; Mansel 1860, 188 f; Mill 1865, 335 f.), das Verhältnis von Begriff (concept, notion), Vorstellung (representation, presentation) und sprachlichen Zeichen durchaus kontrovers diskutiert, wobei es im wesentlichen um die nach wie vor zentrale Frage der genauen Bestimmung der Funktion der Sprache für das Denken geht. Hierbei kehren etliche der schon in den Debatten des 18. Jahrhunderts sichtbar gewordenen Postionen, Deutungsmuster sowie begrifflichen Missverständnisse wieder. Je nach Blickrichtung kann die Theorie der cognitio symbolica als eine solche erscheinen, die entweder die ‚wunderbare‘ Unterstützung des Denkens durch Sprache und Zeichen oder aber die einer solchen Unterstützung bedürftige Schwäche unser Begriffe akzentuiert. Indem Hamilton mit Blick auf die Konzeption der symbolischen Erkenntnis generell von der „doctrine of Leibnitz in regard to natural imperfection of our concepts“ spricht (1860, 183), ist deutlich, dass hier eine – für die englische Philosophie charakteristische – eher erkenntnis- und sprachkritische Sichtweise vorliegt. Gerade in dieser Hinsicht aber ist ihm Leibniz höchst interessant, wenn er darauf hinweist, dass die „curious and important observation“, wonach sich das Denken in Wörtern vollzieht, und zwar nicht selten in Wörtern „without any distinct meaning at all“, welche in England zumeist Dugald Stewart, David Hume oder John Locke zugeschrieben werde, „was not, however, first made by any British philosopher; for Leibnitz had not only anticipated Lokke, in a publication prior to the Essay, but afforded the most precise and universal explanation of the phenomenon, which has yet been given“ (1860, 126). In der „memorable distinction of our knowledge into Intuitive and Symbolical“ sei nämlich nicht nur die „explanation of the phaenomenon in question“ enthalten; durch sie sei in Deutschland auch „the whole controversy of Nominalism and Conceptualism“ überwunden worden (1860, 127), wobei der hier angesprochene Gegensatz in der englischen Terminologie jener Zeit weniger für die universalientheoretischen Positionen, als vielmehr für die Alternativen hinsichtlich der Beantwortung der Frage steht, in welchem Medium sich das Denken vollzieht. Und genau diese, hier eng mit der nach der korrekten Interpretation der einschlägigen Distinktionen und Aussagen in Leibniz’ Meditationes verbundene Frage bildet das Zentrum der Polemik, die der bekennende Nominalist John Stuart Mill gegen die

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beiden angeblichen Konzeptualisten Hamilton und Mansel führt. Nach Hamilton besagt bei Leibniz und den „continental philosophers“ intuitive Erkenntnis soviel wie „direct and ostensive cognition of individual objects, in Sense or Imagination, (Presentation or Representation)“, während im Gegensatz dazu die symbolische eine Erkenntnis „of general objects, through the use of signs or language, in the Understanding“ ist (Hamilton 1860, 121; vgl. Mansel 1860, 206). Der wesentliche Streitpunkt zwischen Mill auf der einen Seite und Hamilton sowie Mansel auf der anderen besteht in der präzisen Funktionsbestimmung von Begriff (concept, notion) und Zeichen (word, name) für den Erkenntnisakt und den Vollzug des Denkens. Mansel interpretiert Leibniz’ Konzeption der symbolischen Erkenntnis im Sinne einer temporären Substitution der Gedanken durch Zeichen: Wenngleich sich die symbolische Erkenntnis nach Leibniz auf „notions as represented by their symbols in language“ beziehe, so besage dies nicht, dass sich deshalb das Denken insgesamt auf eine „algebraical computation“ reduzieren lasse; denn nach Abschluss des algebraischen Prozesses müsse das Resultat „according to the logical conditions of conception“ im Rückgang auf ein „object of intuition“ verifiziert bzw. interpretiert werden (Mansel 1851, 32) - wobei er allerdings einräumt, dass der Vollzug der symbolischen Erkenntnis als solcher eher ein Ersatz für Bewusstein als ein Akt des Bewusstsein selbst sei (rather a substitute for consciousness than an act of consciousness itself; Mansel 1860, 189). Nach Mill manifestiert sich an derartigen Ausführungen in erster Linie der zum Scheitern verurteilte Vermittlungsversuch von Nominalismus und Konzeptualismus: Denn wenn Mansel und Hamilton gleichwohl davon sprechen, dass wir auch im Fall der symbolischen Erkenntnis „employ concepts as instruments of thought“ (Mansel 1851, 31), so zeige deren Weigerung, dies ein Denken durch Zeichen zu nennen, letztlich nur, dass der „attempt to stand at once on two incompatible theories, leads to strange freaks of expression“ (Mill 1865, 334). Anstatt, wie Hamilton und Mansell, zu formulieren, „we think by concepts“, müssen man vielmehr sagen, „we think by general names“ (Mill 1865, 333). Insofern verfehlen beide auch die Auffassung von Leibniz, der in diesem Punkt genauer gesprochen habe, wenn dieser, so Mill, festgestellt habe, dass wir manchmal ganz ohne einen Begriff denken, im allgemeinen nur durch einen Teil desselben, welcher auch der falsche oder ein insuffizienter aber eben auch, wie bei allem korrekten Denken, ein zureichender Teil sein kann („we sometimes think entirely without the concept, generally only by a part of it, which may be the wrong part, or an insufficient part, but which may be, and in all sound thinking is, sufficient.“ Mill 1865, 336). Erstaunlich genug, scheint Mill als erster bemerkt zu haben, dass Leibniz „employs the word Intuitive in a sense entirely different from that which British metaphysicians, and Sir W. Hamilton himself, attach to the word“ (Mill 1865, 336) - und er hätte hier, wie oben angemerkt, ebensogut auch noch die deutschen Metaphysiker und Logiker sowie Kant hinzunehmen können. Nach Leibniz erkennen wir, so Mill, ein Ding intuitiv, wenn wir uns der Attribute dieses Dinges bewusst sind („in as far as we are conscious of the attributes of the thing itself“), symbolisch dagegen, wenn wir allein an seinen Namen denken, der für dieses Ag-

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gregat von Attributen steht, ohne jedoch alle oder auch nur ein einziges von ihnen im Geist gegenwärtig zu haben („symbolically in as far as we merely think of its name, as standing for an aggregate of attributes, without having all, or perhaps any of those attributes present to our mind.“) Von daher sei es verwunderlich, dass Hamilton die so verstandene Distinktion als identisch mit der von Kant und den „modern German thinkers“ verwendeten Unterscheidung von „Begriff and Anschauung, in other words, Concept and Presentation“ betrachte; nennt Leibniz ein Denken doch genau insofern symbolisch, „as it takes place without any ‚notions‘, any concept or Begriff at all“, kraft des bloßen Wissens, dass es einen Begriff gibt, den das Wort repräsentiert und den wir, wenn wir wollen, ‚zurückrufen‘ können (‟which we could recal if we wanted it”; 336). Gleichwohl wendet sich Mill gegen die These von einer Substitution des Denkens durch Wörter, in deren Nähe Leibniz bisweilen gerückt worden ist. William Thomson etwa, der in An Outline of the Necessary Laws of Thought auf die „distinction between symbolical and intuitive […] conceptions“ rekurriert, um in enger Anlehnung an die Meditationes die Funktionen der Sprache als eines Mittels zur Abkürzung der „processes of thought“ darzustellen (1849, 47–49), konstatiert in diesem Zusammenhang: „Leibnitz was the first […] to call attention to the fact that words are sometimes more than signs of thought; that they may become thoughts“ (47). Mit Blick auf solche Einschätzungen betont Mill, dass, auch wenn wir in erheblichem Maße mit Hilfe von Wörtern denken, das Objekt des Denkens gleichwohl nicht die Wörter selbst, sondern die durch sie bezeichneten Dingen sind. Auch könne es keinen größeren Irrtum geben, als anzunehmen, „that we can make the names think for us“ (Mill 1851, 199). „No one, I believe, ever maintained that the names think for us”, wird Friedrich Max Müller in The Science of Thought (1887, 35), dem wohl meistgelesenen sprachphilosophischen Text jener Zeit, darauf antworten – dann aber immerhin hinzufügen: „though there is a kind of thought, what Leibniz called symbolical thought, where it might be said with some truth that names think for us“. Auch auf dem Kontinent bleibt das Begriffspaar ‚intuitiv / symbolisch‘ im 19. und bis ins frühe 20. Jahrhundert ein intensiv genutztes terminologisches Fundament für logische und psychologische Reflexionen über die angemessene Form der Bestimmung und Beschreibung der kognitiven Funktion von Zeichen bzw. Zeichenvorstellungen, wobei weitere begriffliche Differenzierungen oder Umbesetzungen vorgenommen werden. Wenn Bernard Bolzano in seiner Wissenschaftslehre den Begriff der symbolischen Vorstellung aufgreift, setzt er ihn ausdrücklich von der „Unterscheidung zwischen symbolischer und [...] intuitiver Erkenntniß“, wie sie sich „bei den älteren Logikern“ findet, ab, unter welcher man, wie er mit Verweis auf Reusch (1732, 329 f.) feststellt, eine solche „Erkenntniß von einem Gegenstande“ verstand, welche entweder, wie die symbolische, „aus bloßen Begriffen“ oder aber, wie die intuitive, „aus Anschauungen zusammengesetzt ist.“ (Bolzano 1987 [1837], 230). Bolzano dagegen versteht unter einer symbolischen Vorstellung nicht die Vorstellung einer Sache durch oder im Medium von Zeichen, sondern vielmehr die „Vorstellung von einem bloßen Zeichen, oder wohl gar selbst […] ein bloßes Zeichen von einer Vorstellung“. Hierin sieht er sich in

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Übereinstimmung mit Johann Heinrich Lambert, für den die cognitio symbolica letztlich „auf einer Verwechslung der Vorstellung an sich mit ihrem Zeichen oder Symbol in der Sprache“ beruht habe. Bolzano bezieht sich damit auf Lamberts Erläuterung seiner vielbeachteten programmatischen Formel „Die Theorie der Sache auf die Theorie der Zeichen reduzieren“, die soviel besagt wie: „das dunkle Bewußtsein der Begriffe mit der anschauenden Erkenntnis, mit der Empfindung und klaren Vorstellung der Zeichen verwechseln“ (Lambert 1764, 474). Bolzano, für den der „Gebrauch der Zeichen selbst schon ein Denken ohne Zeichen“ voraussetzt (1989, 96), räumt jedoch ein, dass „wir uns auch bei symbolischen Begriffen“, d.h. bei solchen, „die wir uns nicht eigentlich vorstellen, sondern nur durch Worte fassen können, nicht bloße Worte, sondern gewisse, durch diese Worte bezeichnete Vorstellungen denken, obgleich […] diese Vorstellungen zuweilen sehr mangelhaft seyn mögen“ (ebd). Bolzanos lange Zeit unbeachtet gebliebene Wissenschaftslehre – die heute jedoch als Schlüsseltext für die Genese der analytischen Philosophie sowie der modernen Semiotik gleichermaßen gilt - wurde besonders von zwei prominenten Vertretern der Brentano-Schule bekannt gemacht: Kazimierz Twardowski und Edmund Husserl. Twardowski, der das „psychologische, bereits von Aristoteles aufgestellte Gesetz“ der notwendigen Begleitung abstrakter oder unanschaulicher Vorstellungen durch anschauliche Vorstellung im Rückgriff auf das Beispiel der „Vorstellung der Zahl 1000“ und unter Hinweis auf das „von Leibnitz ‚symbolisch‘ genannte Denken“ erläutert, bei welchem die Funktion der anschaulichen Vorstellung durch die Vorstellung eines Zeichens, hier der Ziffer, geleistet wird (Twardowski 1894, 107), vertritt eine Position, der gemäß, ähnlich wie bei Eberhard (s.o. 5.1.2.), die vollständige und dauerhafte Substitution der Gegenstandvorstellungen durch Zeichenvorstellungen als einen Extremfall gilt, der „nur dort am Platz [ist], wo ein fest bestimmtes, alle Zweideutigkeit ausschließendes Zeichensystem möglich ist. Dies ist aber nur in den mathematischen Wissenschaften der Fall.“ Insofern hebt sich für ihn „die Lehre, daß alles Denken ein symbolisches sei, […] geradezu selbst auf. Denn nur auf Grund einer eigentlichen Vergegenwärtigung gewißer einfacher Denkinhalte ist es möglich, andere, compliciertere vorübergehend, gleichsam abkürzungsweise nur symbolisch zu denken“ (Twardowski 1894/1895, 21). In der 1890 als Anhang zur Philosophie der Arithmetik verfassten, aber unveröffentlicht gebliebenen Schrift Zur Logik der Zeichen (Semiotik) hat Husserl eine Eloge auf die symbolischen Vorstellungen formuliert, die nicht weniger emphatisch ist als die oben erwähnte von G. F. Meier auf die Zeichen (5.1.). Husserl unterstreicht hier, dass es „ohne die Möglichkeit symbolischer Ersatzvorstellungen für abstraktere, schwer zu unterscheidende […] eigentliche Vorstellungen oder gar für Vorstellungen, die uns als eigentliche überhaupt versagt sind, […] kein höheres Geistesleben, geschweige denn eine Wissenschaft“ geben könne (1970, 349): „Man nehme dem größten Genie die Symbol-Werkzeuge und es wird unfähiger als der beschränkteste Kopf“ (ebd. 350). Zur selben Zeit bekennt er in der Philosophie der Arithmetik, dass er „das tiefere Verständnis der eminenten Bedeutung des uneigentlichen Vorstellens für unser ganzes psychisches Leben“ Franz Brentano verdanke, der in seinen Vorlesungen stets den größten Nachdruck

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„auf den Unterschied zwischen ‚eigentlichen‘ und ‚uneigentlichen‘ oder ‚symbolischen‘ Vorstellungen gelegt“ habe (Husserl 1970, 193). Dass diese Unterscheidung in der historischen Fluchtlinie der Distinktion von cognitio intuitiva und symbolica steht – 1890 kennt Husserl bereits die Meditationes de cognitione und verweist mehrfach auf sie (1970, 85, Anm. 1; 127, Anm. 5) -, wird deutlich, wenn er diese Unterscheidung in den Logischen Untersuchungen durch die sich explizit an sie anschließende und modifiziert fortführende Unterscheidung „zwischen blindem (d.i. rein symbolischem) und intuitivem (eigentlichem) Meinen“ ersetzt (Husserl 1984, II, 146; vgl. Sowa 2005, 34 f.). Insofern „verschmilzt“ bei Husserl „die im Wesentlichen von Brentano herstammende Unterscheidung von eigentlichen und uneigentlichen Vorstellungen mit Leibniz’ Unterscheidung und mit seinem eigenen Intentionalitätskonzept zu einer neuen und fruchtbaren Unterscheidung.“ (Sowa 2005, 35), in welcher nach Sowa der „Schlüssel zu Husserls Erkenntnistheorie“ liegt (2005, 11). In der Philosophie der Arithmetik definiert Husserl (1970, 193; vgl. ebd. 340) die „symbolische oder uneigentliche Vorstellung“ als „eine Vorstellung durch Zeichen“ und erläutert diese in einer Formulierung, die deutliche Anklänge an den Sprachgebrauch der älteren Tradition der symbolischen Erkenntnis aufweist: „Ist uns ein Inhalt nicht direkt gegeben, als das, was er ist, sondern nur indirekt durch Zeichen, die ihn eindeutig charakterisieren, dann haben wir von ihm statt einer eigentlichen eine symbolische Vorstellung.“ Wird diesbezüglich von Seiten der Husserlforschung Kritik am „vagen und … überflüssigen, ja irreführenden Ausdruck ‚als das, was er ist‘“ geäußert (Sowa 2005, 15), so entspricht dieser eben nur der Form, in der die Unterscheidung von symbolischer und anschauender Erkenntnis bereits Eingang in das philosophische Lexikonwissen des 19. Jahrhunderts gefunden hat, wo es etwa heißt: „Man setzt die Symbolische Erkenntnis entgegen der anschauenden, und versteht darunter diejenige, da man sich ein Ding nicht durch dasjenige vorstellt, was es an sich selbst ist, sondern durch andere Begriffe, welche fähig sind, Zeichen von ihnen abzugeben“ (Lossius 1806, 246). Eine zentrale Frage der hier skizzierten Traditions- und Transformationsgeschichte der cognitio symbolica, die sich bereits an deren Beginn in der Figur des Tausendecks als dem emblematischen Sinnbild für das die menschliche Imagination Transzendierende konkretisiert, war die nach dem komplexen ‚Dreiecksverhältnis‘ von Intellekt, Zeichen, und Imagination. In seinen Ausführungen zur Charakteristik der bedeutungsverleihenden Akte wendet sich Husserl gegen die „verbreitete, wo nicht gar vorherrschende Auffassung“, welche die Funktion eines sprachlichen Ausdrucks „in die Erweckung gewisser, ihm konstant zugeordneter Phantasiebilder setzt“ und „diese Phantasiebilder selbst als die Wortbedeutungen“ bezeichnet (Husserl 1984, I, 67). Zu seiner hier formulierten Zurückweisung derartiger Versuche macht sich Husserl in seinem Handexemplar (1984, I, 67, Z. 19 ff.) eine interessante Randnotiz: Vgl. Leibniz, de cognitione, veritate et ideis (Reclam, , S. 247 f.). Schon Leibniz … spricht von „blinden“ oder „symbolischen Erkenntnissen“ im Gegensatz zu anschaulichen. (Husserl 1984, II, 808 f.)

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Er verweist damit genau auf jene Seiten, die auch Leibniz’ Ausführungen über das Tausendeck enthalten. Dass er den Leibnizʼschen Meditationes eine weit mehr als nur punktuelle Bedeutung zumisst – im Leuvener Husserl-Archiv befindet sich Husserls annotiertes Handexemplar dieser Schrift (Sowa 2005, 34) –, wird deutlich, wenn er weiter anmerkt: „Vgl. die ganze Abhandlung für diese Logischen Untersuchungen!“ (ebd., 809). Zwar führt Husserl wenige Seiten später das Beispiel des Tausendecks von Descartes her ein und verwendet es, wie dieser, unmittelbar zum Nachweis der Defizienz der imaginatio gegenüber der intellectio („Schon Descartes wies auf das Beispiel des Tausendecks hin und machte an ihm den Unterschied zwischen imaginatio und intellectio klar. […] [Wir] „denken […] ein Tausendeck und imaginieren irgendein Polygon von ‚vielen‘ Seiten“; Husserl 1984, I, 70). Die Konsequenzen, die er daraus zieht, weisen allerdings eher in die Richtung von Leibniz als in die von Descartes. So ist die intellectio, von der Husserl hier spricht, keineswegs die von jeglicher – also auch symbolischer – Vorstellung und Sprache abgelöste Cartesische „pura intellectio“. Auch ist seine Beschreibung der Struktur unserer Gedanken alles andere als cartesianisch, weist aber deutliche Parallelen zu Leibniz’ Auffassung von der Komplexität des Perzeptionsstroms auf, wie sie auch in den Meditationes anklingt („[…] ich verwende jene Wörter (deren Sinn dem Geiste wenigstens dunkel und unvollkommen vorschwebt) im Geiste an Stelle der Ideen […], da ich mich daran erinnere, dass ich die Bedeutung dieser Bezeichnungen kenne […]; s.o. 4.2.). Denn für Husserl stellt sich der Regelfall des „rascheren“ Denkens, bei welchem die symbolischen Vorstellungen „in einem außerordentlichen Maße [prävalieren]“, als ein höchst komplexes, ebenso psychisch chaotisches wie epistemisch sicheres Verfahren dar: Worte oder Schriftzeichen, begleitet von schattenhaft-unklaren Phantasmen, an und mit diesen einzelne abrupte Merkmale, rudimentäre Ansätze zu höheren psychischen Betätigungen usw., all das ohne festen Gehalt und Bestand, bald zur bloßen Wortvorstellung einschrumpfend, bald in dieser oder jener Hinsicht der Klarheit der wirklichen Vorstellung sich annähernd – das sind genau besehen unsere Gedanken (Husserl 1970, 352).

In der Forschungsliteratur zu Husserls phänomenologischen Analysen des Verhältnisses von „eigentlichen“ und „symbolischen Vorstellungen“ wird in der Regel, wenn überhaupt, lediglich Leibniz’ Unterscheidung von blinder bzw. symbolischer und intuitiver Erkenntnis kurz erwähnt. Es wäre jedoch sicherlich lohnend, der auf die Meditationes de cognitione bezogenen Aufforderung Husserls: „Vgl. die ganze Abhandlung für diese Logischen Untersuchungen!“ folgend, Husserls Theorie der „eigentlichen“ und „symbolischen Vorstellungen“ vor dem Hintergrund dieser Schrift und unter Einbeziehung ihrer hier nur grob skizzierten Traditions- und Transformationsgeschichte näher zu betrachten. Diese erstreckt sich aber nicht nur auf die Logik, Psychologie und Sprachphilosophie des späten 19. Jahrhunderts und die Anfänge der Phänomenologie des frühen 20. Jahrhunderts; sie steht auch in direkter Verbindung mit der engeren Ursprungsgeschichte der modernen Semiotik. Denn es ist wiederum genau der Ausgangspunkt jener Tradition, Leibniz’ Text der Meditationes de cognitione, auf dessen Symbolbegriff sich Peirce für die Bezeichnung der (neben ‚index‘ und

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‚icon‘) dritten Zeichenkategorie als „symbol“ beruft. Ausdrücklich erklärt er, dass der Grund dieser Bezeichnung Leibniz’ „celebrated passage“ über das Chiliogon als Beispiel für die als „blind or symbolic“ charakterisierte Weise des Denkens gewesen ist (Peirce 1982, 355 f.; Fisch 1972, 490 f., Bellucci 2013, 341 f.). Dieselbe erweist sich zudem als ein wichtiges theoretisches Element in der weiteren Entwicklung der Peirceschen Semiotik. Ist es zunächst die Leibnizʼsche Begründung der symbolischen Repräsentation, die zeichenfundierte Strukturanalogie von symbolischem Repräsentamen und repräsentiertem Gegenstand, bzw. die Begründung der Repräsentation in der logischen Form des symbolischen Zeichens, worauf es Peirce in seinen frühen Arbeiten beim Symbol ankommt, so erscheint ihm später im Rahmen seiner Kritik am Intuitionismus das Leibnizʼsche Konzept der blinden oder symbolischen Erkenntnis als ein geeignetes Gegenmodell zum Immediatismus der Intuition. Dass die cognitio symbolica auch später noch für Peirce von Interesse war, belegt die Tatsache, dass er 1879 in der zweiten Sitzung des von ihm an der Johns Hopkins University begründeten „Metaphysical Club“ seinen Schüler Benjamin Ives Gilman eine Übersetzung der Meditationes de cognitione, veritate et ideis vorstellen ließ und in diesem Zusammenhang seine Kritik der intuitiven Erkenntnis wieder aufnahm. (Fisch 1986, 253). Die Beschäftigung mit dem Leibniztext und der Konzeption der cognitio symbolica reicht bis in das neue Jahrhundert, wo sich Peirce, wie Bellucci gezeigt hat, in einer mit The Basis of Pragmaticism überschriebenen Reihe von Manuskripten aus dem Jahr 1905 erneut intensiv mit den als „gem of philosophy“ bewerteten „celebrated Meditationes, the most youthful of the valuable logical contributions of Leibniz“ (MS 284, zit. n. Bellucci 2011/2012, 307), und der durch sie begründeten Tradition der cognitio symbolica auseinandersetzt. Dabei wirft er nun jedoch Leibniz und den Leibnizianer vor, dass sie ihrer eigenen Idee nicht konsequent genug gefolgt seien: Indem sie bei der in den Meditationes formulierten Auffassung stehen blieben, dass das Denken oft oder zumeist – „plerumque“ – symbolisch sei, verfehlten sie, so Peirce, die Einsicht, dass das Denken notwendigerweise immer symbolisch ist und vermochten daher nicht zur Schwelle des Pragmatismus (bzw. des Peirceschen Pragmaticism) vorzudringen (ebd. 310): […] the Leibnizian sect […] talked of thought as often being symbolical. […] If the Leibnizians had surrendered themselves to their idea of symbolical thought, and have said at once that all thought, as thought, is symbolical they would have been at the threshold of the pragmatist theory. But instead of grasping their idea with their whole fist, they only dawdled with it with the tips of their fingers.

Bei Peirce erreicht das weitgefächerte Spektrum der Bestimmungen der dialektischen Komplementarität von intuitiver und symbolischer Erkenntnis sein antiintuitionistisches Extrem, das durch die vollständige Aufhebung unmittelbarer Intuition im Prozess der unbegrenzten Semiosen gekennzeichnet ist. Jeder Gedanke ist interpretant (im Peirceschen Sinne) voraufgehender Zeichen und ist zugleich selbst ein Zeichen, dessen Bedeutung nie durch unmittelbare Gegenstandsintuition, sondern stets wiederum erst durch die Interpretation seitens eines weiteren als Interpretant fungierenden Zeichens (Gedankens) konstituiert wird.

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Nimmt in der entwickelten Semiotik von Peirce die über die Jahrhunderte hinweg diskutierte Verhältnisfunktion von Intuition und Symbol gleichsam einen Extremalwert auf Seiten des Zeichens an, so findet sich eine Einschätzung, die, aufs Ganze gesehen, dem Standardwert nahekommt, in Cassirers Philosophie der symbolischen Formen ausgedrückt: Es zeigt sich, daß alle theoretische Bestimmung und alle theoretische Bewältigung des Seins daran gebunden ist, daß der Gedanke, statt sich unmittelbar der Wirklichkeit zuzuwenden, ein System von Zeichen aufstellt, und daß er lernt diese Zeichen als ‚Stellvertreter‘ der Gegenstände zu brauchen. […] Der Rückzug in die Welt der Zeichen bildet die Vorbereitung für jenen entscheidenden Durchbruch, kraft dessen der Gedanke sich seine eigene Welt, die Welt der Idee, erobert. Leibniz war es, der das Verhältnis, das hier obwaltet, zuerst in voller Schärfe erkannt, und der die Folgerungen aus dieser Erkenntnis im Aufbau seiner Logik, seiner Metaphysik und seiner Mathematik gezogen hat. […] Aber die Herrschaft des Gedankens über die Sinnenwelt kann sich […] nicht anders zur Geltung bringen, als darin, daß der Gedanke […] sich versinnlicht und verkörpert. […] Mit einem Schlage ist damit der Symbolbegriff zum geistigen Focus, zum eigentlichen Brennpunkt der intellektuellen Welt geworden. In ihm laufen die Richtlinien der Metaphysik und der allgemeinen Erkenntnislehre zusammen (Cassirer 1953, III, 53 f.)

In diesem Sinn hat, wie Cassirer gegen Ende diese Schrift feststellt, schon Leibniz, einer der konsequentesten Vertreter des streng formalistischen Standpunktes, die ‚intuitive‘ und die ‚symbolische‘ Erkenntnis nicht voneinander getrennt, sondern beide unlöslich miteinander verknüpft. Das Denken […] kann sich, auf weite Strecken hin, damit begnügen, an Stelle der Operation mit den ‚Ideen‘ die Operation mit den ‚Zeichen‘ zu setzen. Aber schließlich muß es freilich einmal an einem Punkt anlangen, an dem es nach dem ‚Sinn‘ der Zeichen fragt, – an dem es eine inhaltliche Interpretation dessen fordert, was in den Zeichen ausgedrückt und dargestellt wird (Cassirer 1953, III, 450 f.).

Die Ausführlichkeit dieser Zitation scheint hier dadurch gerechtfertigt, dass diese Äußerungen, bei aller zeitgebundener rhetorischer Färbung, sachlich durchaus treffend sind. Zugleich manifestiert sich in ihnen, da Cassirer mit seiner Philosophie der symbolischen Formen selbst ein später Repräsentant der Rezeptionsgeschichte von Leibniz’ Theorie der symbolischen Erkenntnis ist, gewissermaßen der historische Rückblick eines systematischen Denkens auf die eigenen Geschichte, die sich hier schließt – wenngleich die philosophischen Diskussionen zu den im Gefolge der von Leibniz verhandelten Themen selbst noch keineswegs abgeschlossen sind. 5.2. Universale Repräsentation, petites perceptions und point de vue: Leibniz’ Einfluss auf die Hermeneutik und die Grundlegung der modernen Geschichtstheorie Die auf den ersten Blick vielleicht nicht unmittelbar ins Auge springende Verbindung von Hermeneutik und Erkenntnistheorie ergibt sich für das 18. Jahrhundert aus der unter Rückgriff auf Leibniz’ Unterscheidung von Vernunft- und Tatsachenwahrheiten entwickelten und für die Wissenschaftstheorie der sog. LeibnizWolff’schen Schule grundlegenden Dichotomie von wissenschaftlicher Erkennt-

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nis (cognitio scientifica) und historischer, d.h. empirischer Erkenntnis (cognitio historica) andererseits. Vor diesem Hintergrund nämlich besitzt die Hermeneutik den Status einer Kunst der regelgeleiteten Erschließung jener wichtigen Erkenntnisquelle, die durch die Reden und Schriften anderer gebildet wird (Arndt 1994). Dass der Name „Leibniz-Wolff’sche Philosophie“ zur Bezeichnung jener historischen Formation, die ungefähr seit den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts für fast ein halbes Jahrhundert an den deutschen Universität den philosophischen Mainstream ausgemacht hat, keineswegs unproblematisch ist, kann als allgemein anerkannt gelten. Die Gründe dafür sind zahlreich. Vor allem aber liegt es daran, dass Wolff sich selbst keineswegs als Leibnizadept sah, dessen leitendes Interesse die Vermittlung und Verbreitung der Kerngehalte der Leibnizʼschen Philosophie in systematisch aufbereiteter Form hätte sein müssen; ferner daran, dass eine solche Unternehmung eher außerhalb des Wolffschen Schulzusammenhanges zu finden ist, wie etwa bei Johann Gottlieb Hansch (Lorenz 2016, *17–*32), sowie nicht zuletzt auch daran, dass die unter dem Einfluss von Wolff stehende Schule selbst keineswegs eine inhaltlich durchgängig homogene Formation darstellt. Hinsichtlich einiger für Leibniz zentraler Konzepte bestehen vielfach nicht unerhebliche Differenzen zu Wolff. So wurde von ihm, wie Max Wundt richtig bemerkte (1945, 317), der „Monadenbegriff [...] nur als letzte Einheit und als Kraftzentrum verstanden, wobei beseelte und unbeseelte einfach nebeneinander gestellt wurden. Von der Monade als Mikrokosmos wußte Wolff nichts. Und die Harmonie verstand er nur als die zwischen Leib und Seele […]. Dagegen war ihm der Gedanke der Harmonie als universeller in der viel weiteren Bedeutung, die sie bei Leibniz hatte, ebenfalls fremd geblieben, und er nahm sie höchstens als die äußere Zweckmäßigkeit in der Verbindung des Einzelnen“. Demgegenüber ist schon Alexander Gottlieb Baumgarten, der die Monade als substantia simplex bestimmt und allen Monaden perceptio und appetitus zuspricht, der Leibnizʼschen Monadenmetaphysik wesentlich enger gefolgt als Wolff (Kaehler 1986). Dasselbe gilt auch für seinen Schüler Georg Friedrich Meier, dessen „allgemeine Auslegungskunst (hermeneutica universalis)“, verstanden als „die Wissenschaft der Regeln, welche bey der Auslegung aller oder wenigestens der meisten Gattungen der Zeichen beobachtet werden müssen“ (Meier 1757, 1 f.), in einem engen Zusammenhang mit der Monadenmetaphysik und ihrer Konzeption der Totalrepräsentation des Universums in jeder Monade steht. Leibniz selbst präsentiert in der sog. Monadologie diese Totalrepräsentation aus der Perspektive der (phänomenalen) Körper als einen durchgängigen Wirkungszusammenhang, dem gemäß „jeder Körper alles verspürt, was in der Welt geschieht, derart, dass derjenige, der alles sieht, in jedem einzelnen lesen könnte, was überall geschieht, ja selbst das, was geschehen ist oder geschehen wird („[...] tout corps se ressent de tout ce qui se fait dans l’univers, tellement que celuy, qui voit tout, pourroit lire dans chacun ce qui se fait partout et même ce qui s’est fait ou se fera [...]“; Monad. § 61, GP VI, 617). Diesen Gedanken greift Meier bereits in seinem Beweis der vorherbestimmten Übereinstimmung auf, wenn er schreibt: „Es stellt […] eine jede Monade nicht nur alle Monaden der Welt vor, sondern auch alle übrigen Theile der Welt, dahin alle Bestimmungen und Veränderungen der Monaden gehören, nebst den Erschei-

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nungen, die aus diesen Veränderungen entstehn und die Körper ausmachen“, so dass „ein denckendes Wesen, das hinlänglichen Verstand hat, […] vermögend [ist], aus Betrachtung einer Monade, Vorstellungen von der gantzen Welt zu erlangen“ (Meier 1743, 175). Später in seinem seinem Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst wird daraus die These von der Welt als dem größten und besten aller möglichen Zeichenzusammenhänge: In dieser Welt ist, weil sie die beste ist, der allergröste allgemeine bezeichnende Zusammenhang, der in einer Welt möglich ist. Folglich kan ein jedweder würklicher Theil in dieser Welt ein unmittelbares, entfernteres oder näheres natürliches Zeichen eines jedweden andern würklichen Theils der Welt seyn. Folglich kan ein jedwedes gegenwärtiges Ding ein Erinnerungszeichen alles vergangenen, ein weisendes Zeichen alles gegenwärtigen, und ein vorbedeutendes Zeichen alles zukünftigen seyn (1757, 18).

Dieser Zeichenzusammenhang ist vor dem Hintergrund der Theorie des mundus optimus nicht nur der größte, sondern zugleich „der allerbeste bezeichnende Zusammenhang, der in einer Welt möglich ist“ (1757, 19). Entwickelt Meier im ersten Teil seiner Allgemeinen Auslegungskunst die auf eine ‚Welthermeneutik‘ als der Kunst der adäquaten Auslegung natürlicher Zeichenzusammenhänge anzuwendenden Prinzipien und Regeln, so überträgt er diese im zweiten Teil auf die für die willkürlichen Zeichenganzheiten menschlicher Schriften zuständige Texthermeneutik, von der, gemäß dem methodologischen Prinzip der hermeutischen ‚Billigkeit‘ (aequitas), zunächst ebenfalls unterstellt werden muss, dass die „willkürlichen Zeichen, deren sich ein kluger und vernünftiger Urheber derselben bedient“, ihrerseits „so vollkommene und gut bezeichnende Mittel, als möglich ist“, sind (1757, 46). Motiviert ist dieser ungewöhnliche Entwurf einer hermeneutica universalis offenbar dadurch, dass im Zuge der oben angesprochenen Semiotisierungstendenzen die Leibnizʼsche caracteristique in der Philosophie des 18. Jahrhunderts vielfach als „Characteristica (die allgemeine Zeichenkunst)“ fortlebt, die unterteilt ist in die „Heuristica (die erfindende) de inveniendis signis“ und die „Hermeneutica (die deutende) de cognoscendis signorum signatis“ (Baumgarten 1743, 108 f.), so dass die Hermeneutik, dieser Klassifikation gemäß, als die allgemeine Kunst des Zeichenverstehens begriffen werden kann. Während in dem innovativen Hermeneutikentwurf von Meier die Leibnizʼsche Theorie der Repräsentation im Großen zur Anwendung kommt, wird in der nicht minder innovativen Hermeneutik des Leibnizenthusiasten Johann Martin Chladenius (vgl. Chladenius 1737) gewissermaßen die Leibnizʼsche Theorie der Repräsentation im Kleinsten fruchtbar gemacht. Weist Meier der auf den größtund bestmöglichen natürlichen Zeichenzusammenhang bezogenen Welthermeneutik einen Modellcharakter für die auf die willkürlichen Zeichenganzheiten menschlicher Schriften bezogenen Texthermeneutik zu, so greift Chladenius in seiner Hermeneutik auf Leibniz’ Konzeption der petites perceptions und die damit verbundene potentiell unendliche Komplexität des innermonadischen Perzeptionsgeschehens sowie auf das Konzept des point de vue zurück. Wie bei Meier verdanken sich auch bei Chladenius die innovativen Aspekte seiner Hermeneutik einem in deutlicher Distanz zu Wolff vollzogenen Rückgang

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auf Leibniz. Nach Wolff lassen sich durch die Regeln der empirischen Psychologie vor dem Hintergrund ihrer Parallelisierung mit der Physik, „die Veränderungen in der Seele auf eine so begreifliche Art erklären als immermehr in der Physick die Veränderungen, die sich in der Natur ereignen“. Daher kann, wie er meint, die Psychologie demonstrieren, „wie immer ein Gedancke in einer unverrückten Reihe aus dem andern erfolget“ (Wolff 1751, 1962 ff. I, 2.1, 195). Eine solche, für Wolffs Rekonstruktion des Denkens charakteristische Linearität kontrastiert deutlich mit Leibniz’ Beschreibung der Komplexität der innermonadischen Perzeptionen, der zufolge „l’ame […] renferme une tendance composée, c’est à dire une multitude de pensées presentes, dont chacune tend à un changement particulier, suivant ce qu’elle renferme, et qui se trouvent en elle tout à la fois, en vertu de son rapport essentiel à toutes les autres choses du monde“ (GP IV, 562). Offenkundig hat sich Chladenius eng an Leibniz orientiert, wenn er in der für seine Hermeneutik wichtigen Theorie der „verjüngten Bilder“ den wechselseitigen Einfluss der Gedanken beschreibt und von der Existenz nicht explizit gemachter, den Sinn der Rede gleichwohl determinierender Nebengedanken ausgeht, die nur – auch dies ein genuin Leibnizʼscher Gedanke - aus den „Spuren“ (vestigia) zu erschließen sind, die sie in anderen Gedanken hinterlassen haben. Damit macht Chladenius zugleich die Konzeption der petites perceptions für die Theorie der Interpretation fruchtbar, die ihm aus Leibniz’ bei Des Maizeaux (Leibniz 1720, II, 326-336 hier 328) gedruckten Brief an Remond vom 5. November 1715 bekannt war, dessen Kernthese („Nos grandes perceptions, et nos grandes appetits, dont nous nous apperçevons, sont composez dʼune infinité de petites perceptions, et de petites inclinations“) er in seine Sylloge sententiarum leibnitianarum (1737 § 11) aufnimmt. Anders als nach Wolffs serieller Konzeption der Gedankenreihe ist, wie Chladenius in seiner Einleitung zur richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften festhält, aufgrund der Komplexität des Vorstellungsgeschehens stets von der Gleichzeitigkeit mehrerer einander beeinflussender Gedanken auszugehen: Die Gedancken kommen in unsere Seele nicht auf einmal zu Stande, sondern in einer gewissen Ordnung und Weile. Insbesondere findet man, daß die vorhergehenden Gedancke nicht gleich gantz und gar aufhöre, sondern noch zum Teil mit den nachfolgenden zugleich existiere. […] weil aber die Gedancken, die zugleich existiren, einen Einfluß ineinander haben, so hat auch die nachfolgende Gedancke in die vorhergende einen Einfluß, mithin hat man bey den vorhergehenden Gedancken sein Absehen auf das nachfolgende, und selbst die Ausdrükkungen haben ihr Absehen auf das Nachfolgende (Chladenius 1742, 267).

Aus dieser Gleichzeitigkeit mehrer einander beeinflussender Vorstellungen ergibt sich ein potentieller Bedeutungsüberschuss auf Seiten der sprachlichen Ausdrücke (1742, 235), den hermeneutisch einzuholen nur gelingt, indem man die sprachlich explizit gemachten Gedanken als Zeichen und Spuren der mit ihnen verbundenen impliziten Nebengedanken deutet (1742, 231). Interpretation ist daher nicht zu begrenzen auf das intelligere dessen, was oberflächlich dasteht, sondern umfasst auch und zumal, in Form einer semiotischen Erschließung des ‚Subtextes‘ mit Hilfe der Freilegung gedanklicher Spuren, das „subintelligere“ dessen, was der

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Autor nicht explizit angezeigt hat, sondern lediglich „subindiziert“ oder „subinnuiert“ hat (Chladenius 1749, 13 f.). Die Abhängigkeit von Chladenius’ Theorie des „Sehe-Punktes“ und der Perspektivität menschlicher Erkenntnis von der Leibnizʼschen Monadenmetphysik liegt auf der Hand. Chladenius selbst verweist, wo immer er diesen, wie er meint, für die Erklärung der „tota cognitio humana“ grundlegenden Begriff (1750, 66) aufgreift, explizit auf Leibniz, von dem das „Worth ‚Sehe-Punckt‘ […] zuerst in einem allgemeinern Verstande genommen worden, da es sonsten nur in der Optick vorkam“ (1742, 188). Der Begriff des Sehe-Punktes sei jedoch „unentbehrlich […], wenn man von denen vielen und unzehligen Abwechselungen der Begriffe, die die Menschen von einer Sache haben, Rechenschafft geben soll.“ Er ist definiert als „diejenigen Umstände unserer Seele, Leibes und unserer gantzen Person, welche machen, oder Ursache sind, daß wir uns eine Sache so, und nicht anders vorstellen“ (1742, 187 f.) und ist von daher ein notwendiges Antidot gegen die allgemein verbreitete Auffassung, dass „jede Sache nur eine richtige Vorstellung machen könte“, eine Regel, die „weder andern gemeinen Wahrheiten, noch einer genauern Erkänntniß unserer Seele gemäß“ ist (1742, 185). Gleichwohl ist festzuhalten, dass der Perspektivismus, wie er, vorgegeben durch die Leibnizʼsche Monadologie, sich bei Chladenius sowie auch in der wenig später von Christian August Crusius (1965, 1091) aufgegriffenen Konzeption des „Sehe-Punktes“ artikuliert, sich nicht auf jegliche Form der Erkenntnis bezieht, sondern, wie bei Leibniz, ausschließlich auf den Bereich der Tatsachenwahrheiten. Abstrakte Gegenstände, wie die Wahrheiten der Mathematik oder die Prinzipien der Logik, unterliegen diesem Perspektivismus nicht. Schon deshalb ist mit der Theorie der Sehe-Punkte, durchaus in Übereinstimmung mit dem Konzept des point de vue bei Leibniz selbst (Gaudemar 2005; Esquisabel 2016, 74-78; Beiderbeck/Waldhoff 2011), keineswegs ein allgemeiner Wahrheitsrelativismus intendiert. Zehn Jahre später übernimmt Chladenius das Konzept des point de vue in seine Allgemeine Geschichtswissenschaft, wo er wiederum unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Leibniz, die fundamentale Bedeutung desselben betont und den „Sehepunk“ als einen Begriff charakterisiert, „der mit den allerwichtigsten in der gantzen Philosophie im gleichen Paare gehet, den man aber noch zur Zeit zu Nutzen anzuwenden noch nicht gewohnt ist, ausser daß der Herr von Leibnitz hie und da denselben selbst in der Metaphysick und Psychologie gebraucht hat. In der historischen Erkenntniß aber kommt fast alles darauf an“ (Chladenius 1985, 100 f). Reinhart Koselleck hat dies als einen „Durchbruch“ in der Entwicklung der Methodologie der modernen Geschichtswissenschaft gewertet, „denn die Relativität historischer Urteilsbildung war seitdem kein Einwand mehr gegen historische Wahrheitsfindung, sondern deren Voraussetzung“ (Koselleck in Chladenius 1985, VIII). Die Aktualität von Leibniz’ erkenntnismetaphysischer Konzeption der Perspektivität ist durch die zahlreichen – aus inhaltlich unterschiedlichen Perspektiven – 2016 auf dem X. Internationalen Leibnizkongress zu diesem Themenkomplex gehaltenen Vorträgen hinreichend belegt (Li [et. al.] 2016, Bd. 3, 15347).

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5.3. Cognitio clara et confusa: Leibniz und die Entstehung der Ästhetik Kaum zwei Jahrzehnte, nachdem die an der Spitze der in den Meditationes de cognitione exponierten hierarchischen Ordnung der Erkenntnis- bzw. Vorstellungsmodi angesiedelte Unterscheidung von cognitio symbolica und cognitio intuitiva eine außerordentlich erfolgreiche und nachhaltige Karriere in der Geschichte der Erkenntnistheorie und Logik zu machen begann, gerät die nächsttiefer gelegenen Ebene dieser Hierarchie verstärkt in den Focus des philosophischen Interesses, als Alexander Gottlieb Baumgarten in seinen Meditationes de nonnullis ad poema pertinentibus parallel zur Zuständigkeit der Logik für die vom oberen Erkenntnisvermögen erkannten noeta, unter dem Namen Aesthetica eine neue Wissenschaft der aistheta postuliert (Baumgarten 1735, 86 § 116). Die von Leibniz terminologisch eingeführte cognitio clara et confusa als Ausdruck für die sinnliche Erkenntnis (cognitio sensitiva), wird zum Ausgangspunkt und systematischen Zentrum der von Alexander Gottlieb Baumgarten als „Desiderat der Gnoseologie“ (Adler 1990, IX) entworfenen Aesthetica, welche in ihren sich überschneidenden Ausprägungen einer „theoria liberalium artium, gnoseologia inferior, ars pulchre cogitandi“, oder „ars analogi rationis“, zunächst definiert ist als die „Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis“ (scientia cognitionis sensitivae) (Aesth. § 1) – und von daher für das hier verhandelte Thema einschlägig ist. Denn die so verstandene verstandene Ästhetik ist als eine eigene Logik des unteren Erkenntnisvermögens („logica facultatis cognoscitivae inferioris“; Baumgarten 1757, 282 § 533) noch keine Kunsttheorie im engeren Sinn, auch wenn sie in ihren Konsequenzen auf eine solche hinausläuft. Die Bedeutung von Leibniz für Baumgartens Grundlegung einer philosophischen Ästhetik sowie für deren weitere Entwicklung im 18. Jahrhundert wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in zahlreichen historischen Studien hervorgehoben, die in Ursula Frankes noch immer grundlegenden Arbeit Kunst als Erkenntnis - Die Rolle der Sinnlichkeit in der Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten (1972, 5 ff.) ausführlich und kritisch gewürdigt werden. Franke rekonstruiert Schritt von Leibniz zu Baumgarten „unter dem Gesichtspunkt der Anwendung der Metaphysik der besten Welt auf die ästhetische Theorie der Kunst“ (Franke 1975, 29). So betrachtet, vollzieht Baumgarten mit seinem Entwurf der Ästhetik einen der inhaltlichen Anlage von Meiers „allgemeiner Auslegungskunst“ (5.2.) korrespondierenden Schritt. Nach Franke wird in „Baumgartens Ästhetik […] die künstlerische Erkenntnis aus der Sinnlichkeit begründet“, indem diese „die in der Verstandeserkenntnis nicht in seiner Komplexität zu begreifende und darzustellende Erkenntnis des Ganzen als eine ‚ästhetische‘ zu leisten“ hat (1975, 229). Vollzieht Baumgarten diesen Schritt auf der Grundlage der Übernahmen und Anwendung der die Leibnizʼsche Metaphysik kennzeichnenden Momente der Vollkommenheit (perfectio), Ordnung, Vielfalt (varietas) und Harmonie zur Bestimmung der Wohlgeformtheit sinnlicher Erkenntnis sowie des Schönen insgesamt, so verlässt Baumgarten „jedoch ihren Boden, wenn er es dem Künstler zur Aufgabe macht, die Repräsentation des Ganzen ästhetisch zu leisten“ (ebd. 235). Den entscheidenden Ausgangspunkt für jenen Schritt bilden allerdings

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weniger die zahlreich vorhandenen ästhetikrelevanten Vorgaben der Leibnizʼschen Metaphysik als vielmehr wiederum das Distinktionsystem der Erkenntnis- bzw. Perzeptionsstufen der Meditationes de cognitione. Der wesentliche Beitrag dieser Schrift für die Entstehung der Ästhetik liegt zum einen in der Aufnahme der dunklen bzw. unmerklichen Perzeptionen (perceptiones obscurae, petites perceptions) in den Bereich der Erkenntnis, die in dem „Stemma der Erkenntnisqualitäten […] gewissermaßen das Standbein“ bilden, „während die cognitio clara das Spielbein des Stemmas abgibt“ (Adler 1988, 198) - detaillierte Analysen der Leibnizʼschen Distinktion der Erkenntnismodi sowie der Funktion der dort gleichsam nur ex obliquo als Implikation der dunklen und konfusen Perzeptionen präsenten petites perceptions für Baumgartens Ästhetik finden sich bei Otabe (2010) und Simon (2016, bes. 208 ff.). Zum anderen besteht er in der Zuschreibung einer durch das oft nicht rational begründbare aber gleichwohl sichere (probe) Geschmacksurteil der Künstler und das „nescio quid“ (A VI, 4, 586) exemplifizierten Form sinnlicher Gewissheit an die perceptio clara et confusa. Präsentiert Leibniz’ in den Meditationes alle Vollkommenheitsgrade der Erkenntnis als verschiedene Bereiche innerhalb eines einzigen hierarchischen Kontinuums, so weichen Baumgarten und Meier davon insofern ab, als sie „mit ihrer scharfen Trennung von zwei Erkenntnisarten, der rationalen und der sinnlichen, der Logik und der Ästhetik, schon der Kant’schen absoluten Trennung in die zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis vorarbeiten“ (Goldenbaum 2011, 281). Diese Trennung vollzieht Baumgarten dadurch, dass er das gnoseologische Moment der Deutlichkeit (distinctio) in eine gemäß ihrer analytischen Merkmalstiefe variierende „intensive Klarheit“ (claritas intensiva) übersetzt und der nun als „extensive Klarheit“ (claritas extensiva) gefassten ‚traditionellen‘ Klarheit gegenüberstellt, die im wesentlichen durch additiven Merkmalsreichtum und einer entsprechenden „Prägnanz“ ausgezeichnet ist (vgl. Hauskeller 2005, 118 ff.; La Rocca 2006, 28-33; Otabe 2011, 46 ff). Charakterisiert die intensive Klarheit die formale Vollkommenheit der der Logik zugeordneten Vernunfterkenntnis, so die extensive Klarheit die materiale Vollkommenheit der in den Kompetenzbereich der Ästhetik fallenden sinnlichen Erkenntnis. Das Verhältnis zwischen beiden ist nicht nur in eines der Komplementarität und wechselseitigen Unterstützung, sondern durchaus auch eines der Konkurrenz, denn nach dem vielzitierten § 560 der Aesthetica „hat all das mit einem großen und bedeutenden Verlust an materialer Vollkommenheit erkauft werden müssen, was in der Erkenntnis und in der logischen Wahrheit an besonderer formaler Vollkommenheit enthalten ist. Denn was ist die Abstraktion, wenn nicht Verlust (Quid enim est abstractio, si iactura non est; Baumgarten 1750, 538)?“ Wie im Fall der Hermeneutikentwürfe von Chladenius und Meier zeigt sich auch hier ein punktuelles Abrücken von den Wolff’schen Vorgaben, das jedoch, wie Schmidt (1982, 32) mit Bezug auf die „Verlagerung der philosophischen Diskussion von der Verstandeserkenntnis zu der Erkenntnismodalität des analogon rationis“ betont, „nicht vorschnell als Infragestellung des Primats vernünftigen Denkens, als der Ansatz einer Überwindung der rationalistischen Position Wolffs

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interpretiert werden“ darf. Spricht Baumgarten im Rahmen der Unterscheidung der dunklen und klaren Perzeptionen zunächst mit Wolf (1962 ff., 29 f.) vom „Reich der Finsternis“ (regnum tenebrarum), dem er, wie Wolff, das „Reich des Lichts“ (regnum lucis) gegenüberstellt, so weicht er nach Franke (1972, 45 f.; vgl. Otabe 2010, 48) „in der Bewertung dieser Vorstellungsfelder in entscheidender Weise von Wolff ab. Dunkelheit ist nicht mehr nur, wie bei diesem, ein ‚defectus perceptionum‘; vielmehr gewinnen bei Baumgarten die dunkel bleibenden Merkmale als Bestandteile der sensitiven Vorstellung die positive Bedeutung eines ‚fundus animae‘“. Hat La Rocca (2016, 37) demgegenüber betont, dass das Dunkle bei Baumgarten „immer noch grundsätzlich negativ aufgefaßt [wird], obwohl die positive Annahme eines fundus animae prinzipiell andere Möglichkeiten hätte eröffnen können“, so erfährt dieser Begriff in der Ästhetik der Aufklärung eine von Hans Adler materialreich nachgezeichnete Aufwertung, indem sich das zunächst „am Grunde der Seele liegende Dunkle […] immer mehr vom Störfaktor zum Nährboden“ wandelt (Adler 1988, 208): „Die dunkele Erkentniß ist das Chaos in der Seele, der rohe Klumpen Materie, den die schöpferische Kraft der Seele bearbeitet, und aus welchem sie nach und nach alle klare Erkentniß zusammensetzt“, heißt es schon bei Meier (1752, 195). Ebenso wie in den umfangreichen Debatten zum komplexen Verhältnis von symbolischer und intuitiver Erkenntnis geht es auch hier im Kern um die Bestimmung der Relation von Ratio/Intellekt und Sinnlichkeit/Imagination. Von daher stehen die ästhetischen und kunsttheoretischen Diskussionen des 18. Jahrhunderts in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den im Rahmen der Theorie der symbolischen Erkenntnis vorgenommenen semantischen Umbesetzungen der Begrifflichkeit von cognitio intuitiva und cognitio symbolica, durch welche die erstere zur sinnlichen Erkenntnis und letztere zum Inbegriff abstrakter Erkenntnis geworden ist. In einer intellektuellen Atmosphäre, die sich gerade im Bereich des ‚schönen Denkens‘ an Vollkommenheitskategorien wie Individualität, Reichtum, Merkmalsfülle, Lebendigkeit oder Kraft orientiert, ist die gnoseologische Aufwertung der sinnlich-anschauenden Erkenntnis begleitet von einer Tendenz, die epistemischen Defizite der symbolisch-abstrakten Erkenntnis deutlich zu machen. So kann z.B. derselbe G. F. Meier, der an anderen Stellen nicht müde wird zu unterstreichen, dass „die Zeichen einen […] wichtigen und weitläufigen Theil der ganzen menschlichen Erkenntnis ausmachen“ und „wir ohne Zeichen gar nicht oder sehr wenig und schlecht denken können“ (s.o. 5.1.), im Rahmen der Ästhetik konstatieren: „Die Zeichen sind überhaupt kleinere und schlechtere Gegenstände unserer Erkenntniskraft als die bezeichneten Sachen. […] die symbolische Erkenntnis ist überhaupt tot“ (Meier 1755b, 631) – und nicht nur ‚blind‘, wie es bei Leibniz hieß. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die ästhetische Aufwertung der intuitiven Erkenntnis nicht zuletzt als eine Gegenreaktion auf die vermeintlich einseitige Überbewertung der symbolischen oder abstrakten Erkenntnis erfolgt und insgesamt auf eine Stimmungslage zuläuft, die besonders prägnant in eher populärwissenschaftlichen Texten wie etwa Philipp Julius Lieberkühns Versuch über die anschauende Erkenntniß zum Ausdruck kommt, wo es heißt: „Der ge-

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lehrte Verstand denkt die Dinge fast immer zu allgemein und symbolisch, und wenn er auch gleich tiefer in ihre Natur durch Zergliederung eindringt, […] so verlieren doch dadurch seine Begriffe immer an Klarheit und Kraft. […] Ueberdem stören die Zergliederungen des Gegenstandes, die mit dem symbolischen Denken verbunden sind, die koncentrirte, lebhafte Thätigkeit der Seele“ (Lieberkühn 1782, 83 f.), denn „symbolische Beschreibungen [zerstükken], was als ein volles, schönes Ganze angeschaut ganz andere Eindrükke macht, ganz andere Gefühle erregt, ganz andere Ideenreihen erwekt“ (ebd. 86). Im Rahmen einer Untersuchung zu Diderots Artikel „Leibnizanisme“ in der Encyplopédie ist unlängst mit Blick auf Wolff, Sulzer, Baumgarten, Mendelssohn, Gottsched, Bodmer, Breitinger und Meier zu recht von einem „‚leibnizianisme‘ esthétique“ gesprochen worden, dessen Spuren noch in der Ästhetik Diderots nachzuweisen seien (Dumouchel 2015). Diese Spuren der zumeist über Baumgarten vermittelten Wirksamkeit Leibnizʼscher Konzeptionen auf die späteren Entwicklungen der Ästhetik ließen sich nahezu beliebig weiter verfolgen (vgl. La Rocca 2006; Gabriel 2008; Otabe 2010, 49 ff.; Wagner 2013; Adler 1988 u. 1990); ihnen hier nachzugehen hieße jedoch den Bereich der Erkenntnistheorie zu verlassen. 5.4. Das Erscheinen der Nouveaux essais 1765 Es ist nicht verwunderlich, dass im Rückblick auf die Leibnizrezeption im 18. Jahrhundert (Wilson 1995, Goubet 2017, bes. 326-332) die 1765 von Rudolf Erich Raspe veranstaltete Ausgabe der Nouveaux essais sur l’entendement humain, des erkenntnistheoretischen Hauptwerks von Leibniz, als ein epochales Datum für die Erschließung, Rezeption und Interpretation der Leibnizʼschen Erkenntnistheorie gewertet wird (Belaval 1976b, 169; Goubet 2017, 328). War hiermit doch eine massive Erweiterung der Textgrundlage für die Kenntnis seiner Auffassungen hinsichtlich eines breiten Spektrums vor allem erkenntnistheoretischer Themen vollzogen. Aus der historischen Nahsicht der Zeitgenossen hat sich dies zunächst jedoch anders dargestellt. Eine unmittelbare Zäsur im Verlauf der konkreten Auseinandersetzung mit der Erkenntnistheorie von Leibniz jedenfalls scheint dieses Datum nicht zu markieren. Zum einen, weil, wie Giorgio Tonelli (1974) in einer materialreichen und wohl noch immer unübertroffene Dokumentation der zeitnahen Reaktion auf die Nouveaux essais gezeigt hat, substanzielle Reaktionen auf deren Veröffentlichung erst mit einer Verzögerung von etlichen Jahren einsetzen. Zum anderen, weil manches von dem, was mit Blick auf Leibnizʼ gesamtes Œuvre zwar seinen prominentesten Ort in den Nouveaux essais hat, in den erkenntnistheoretischen Diskussionen der Zeit bereits in Umlauf war. Ist diese Schrift ihrer ‚Textur‘ nach über weite Strecken hinweg eine Art Collage aus Locke-Zitaten oder eng am authentischen Wortlaut orientierten Paraphrasen und kommentierenden Antworten von Leibniz, so war auch eine intensive „Verflechtung“ von Lockes Essay mit Textpassagen von Leibniz kein absolutes Novum. Schon Heinrich Engelhard Poley hat

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in seiner 1757 veröffentlichten Übersetzung von Lockes Essay seine sehr ausführlichen Anmerkungen zu einem erheblichen Teil mit Zitaten aus zahlreichen Schriften von Leibniz angereichert (Locke 1757, 4, 13 f. 30. 36. 77 f. 80 f. 89 f. 100. 108 f. 113. 137 f. 146. 155. 164 f. 167. 171. 174. 206. 218. 232. 263 f. 294. 305. 308. 374 u.ö.), von denen Johann Heinrich Ulrich später viele in seiner deutschen Übersetzung von Raspes Ausgabe (Leibniz 1778/80) übernommen hat (Tonelli 1974, 452). Wenngleich sich die prägnantesten und detailliertesten Ausführungen zur Theorie der petites perceptions in den Nouveaux essais finden, reicht, wie die Entwicklung der Hermeneutik und Ästhetik zeigt, deren Diskussion und produktive Anwendung hinter das Datum der Veröffentlichung von Leibnizʼ erkenntnistheoretischen Hauptwerk zurück. Als Textgrundlagen dieser frühen Bezugnahmen dienten u.a. das 1698 in der Histoire des Ouvrages des Savans erschienene Eclaircissement des difficultez que Monsieur Bayle a trouvées dans le Systeme nouveau de l’Union de l’ame et du corps (Juillet 1698, Art. V, 332–342), die 1697 von Leibniz in einem Brief an Burnet of Kemney mitgeteilten Quelques remarques sur le livre de mons. Lock intitulé essay of understanding, die seit 1708 mehrfach an verschiedenen Stellen gedruckt worden sind (vgl. A VI,6 1), eine Passage der Theodicée (GP VI, 532) oder der oben erwähnte Brief an Remond (5.2.). Bereits 1728 greift der Schweizer Arzt David-Renaud Boullier in seinem anonym veröffentlicht Essai philosophique sur l’ame des betes, in dem er sich zwar kritisch mit Leibniz’ System der prästabilierten Harmonie auseinandersetzt (270– 281), intensiv auf das Konzept der petites perceptions zurück. Auf dieses gründet er unter deutlichen Anleihen bei Leibniz, jedoch ohne in diesem Zusammenhang dessen Namen zu nennen, eine eigenständige Theorie der intellektuellen und – insbesondere – der sinnlichen Erkenntnis, der zufolge, im Gegensatz zu den auf letzte, einfache und deutliche Ideen (points intelligibles) reduzierbare idées composées, toute sensation […], quelque simple, quelqu’indivisible qu’elle nous paroisse, est un composé d’idées, est un assemblage ou amas de petites perceptions qui se suivent dans notre ame si rapidement et dont chacune s’y arrête si peu, ou qui s’y presentent à la fois en si grand nombre, que l’ame ne pouvant les distinguer l’une d’avec l’autre, n’a de ce composé qu’une seule perception tres-confuse, par égard aux petites parties pu perceptions qui forment ce composé, mais d’autre côte, très-claire, en ce que l’ame la distingue nettement de toute autre suite ou composé de perceptions; d’ou vient que chaque sensation coufuse, à la regarder en ellemême, devient très-claire si vous opposez à une sensation différente (Boullier 1728, 150 f.)

Boulliers hierauf basierende Theorie kann nicht nur mit Recht als „one of the most elaborate eighteenth-century responses to Descartes’s system of automata for animals and to the mechanism of his successors“ gelten (O’Neal 2002, 71), sie spielt auch die Konzeption der petites perception explizit gegen Lockes Lehre von der Einfachheit der sinnlichen Ideen aus: „Mes Sensations […] ne sont pas des perceptions simples, quoi qu’en dise un célèbre Philosophe Anglois. [Anm.] Locke: Essay sur l’Entend. humain. Liv. II Chap. II“ (Boullier 1728, 148). Über Boullier hat die Konzeption der petites perceptions – unabhängig vom Namen

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Leibniz – für einiges Aufsehen gesorgt. Unter ausführlicher Zitation der einschlägigen Textpassagen Boulliers geht sie in die beiden wichtigen EncyclopédieArtikel „Ame“ (Diderot/d’Alembert 1751 ff., I, 348) und „Sensation“ (ebd. XXXV, 35) ein. Während 1755 Guillaume-Lambert Godart in seiner Physique de lʼame humaine affirmativ Boulliers Theorie referiert (Godart 1755, 172 ff.), wird sie ein Jahr später von François Aubert in seinen Entretiens sur la nature de l’ame des bêtes, die ebenfalls eine Polemik gegen die prästabilierte Harmonie enthalten (Aubert 1756, 294–299, vgl. 299: „Quelle philosophie! tandis qu’il me fait douter de l’existence des corps, il prétend me persuader de leur harmonie“), mit dem Ausruf „Petites idées, petites perceptions, quel langage!“ (Aubert 1756, 340) scharf zurückgewiesen (ebd. 204–207, 339 f.). Drei Jahre später, als Johann Georg Sulzer die „von Leibniz angefangene und von seinen Schülern weitergeführte Theorie von den dunkeln Vorstellungen“ als „eine sehr wichtige Theorie, ohne welche sich eine Menge psychologischer Erscheinungen nicht erklären ließen“, charakterisiert und im Rahmen seiner psychologischen Studien anwendet (Sulzer 1759, 107), kritisiert das einflussreiche Mitglied der Berliner Akademie, Johann Bernhard Merian, Leibniz’ Lehre von den perceptions obscures, insofern deren Funktion allein darin bestehe, die Lücken der Metaphysik und Psychologie verschwinden zu lassen („pour faire disparoitre les intervalles“; Merian 1759, 387). Da man sich, wie er meint, die Idee einer Perzeption nur bilden kann, wenn man eine solche bewusst wahrgenommen hat, vollziehe man mit der Annahme von Perzeptionen, welche die Seele nichts apperzipieren lassen, die Übertragung einer bekannten Sache auf eine Sache, die nicht nur unerkannt, sondern auch grundsätzlich unerkennbar ist, so dass der Name jede Bedeutung verliert (ebd., vgl. Hecht 2004, bes. 164 ff.). Diese Kritik des Begriffs der unbewussten Perzeptionen (der petites perceptions oder perceptions obscures) als bedeutungsleer oder selbstwidersprüchlich ist ein Topos, der sich in zahlreichen Texten bis in die Mitte 19. Jahrhunderts durchhält, wo noch Hamilton betonen wird, es sei „contradictory to speak of a representation not really represented, - a perception not really perceived, - an actual idea of whose presence we are not aware“ (Hamilton 1859, 362). Die Konzeption der „kleinen“ und „dunklen“ Perzeptionen, die ebenso wie die Lehre von den angeborenen Ideen, ihren zentralen Ort innerhalb des Leibniz’schen Œuvres in den Nouveaux essais hat, konnte bereits vor und unabhängig von dem Erscheinen dieser Schrift Aufmerksamkeit sowie Aufnahme und Ausarbeitung in den verschiedenen, jeweils aktuellen hermeneutischen, ästhetischen oder psychologischen Theoriezusammenhänge erlangen. Mit der Konzeption der ideae innatae verhält es sich offensichtlich insofern anders, als sie, den philosophischen Zeittendenzen entsprechend, keine auch nur entfernt vergleichbare Wirksamkeit erlangen konnte. Es stellt sich jedoch die Frage, ob und inwiefern sie als ein integrales Lehrstück der Leibnizʼschen Philosophie bekannt gewesen ist. Wenn nämlich Tonelli in seinem genannten Aufsatz mit Blick auf das Erscheinungsjahr der Nouveaux essais der Frage nachgeht, inwieweit die zeitgenössischen Philosophen bemerkt haben, dass die dort formulierten Lehren geeignet waren, das damals verbreitete Bild der Leibnizʼschen Philosophie grundlegend zu

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modifizieren, so ist deren eigentlicher Scopus eine andere, nämlich die Frage, inwieweit die 1769 einsetzende, durch die Unterscheidung von rezeptiver Sinnlichkeit und spontanem Verstand als zwei eigenständigen „Stämmen“ der menschlichen Erkenntnis charakterisierte „Umwälzung“ bei Kant (vgl. Tonelli 1963) mit der Veröffentlichung der Nouveaux essais in Zusammenhang steht (Tonelli 1974, 437). Mit der ersten Frage ist zum einen unterstellt, dass diese Schrift das Potential zu einer solchen Modifikation besitzt und zum anderen, dass eine solche Modifikation notwendig war. Beides ist nach Tonelli insofern gegeben, als er zwischen Leibniztexten mit vorwiegend metaphysischer und solchen mit vorwiegend psychologischer Perspektive unterscheidet. Während aus metaphysischer Perspektive alle Erkenntnis aus der Seele selbst („de sa propre fondement“) stammt und insofern alle Ideen als angeborene erscheinen bzw. sich die Frage nach deren Existenz eigentlich erübrigt, ist es, aus einer psychologischen Perspektive betrachtet, offenbar so, dass die Erkenntnis der allgemeinen und notwendigen Wahrheiten aus dem menschlichen Intellekt, die der kontingenten Tatsachenwahrheiten dagegen aus der sinnlichen Erfahrung stammt. Aus einer psychologischen Perspektive können folglich die ersteren Ideen und Prinzipien als angeboren (par excellence) gelten, während die letzteren als erworben bezeichnet werden können. Nach Tonelli findet sich eine detaillierte Darstellung dieser psychologischen Perspektive allein in den Nouveaux essais (Tonelli 1974, 439). Daher musste der Umstand, dass die vor 1765 veröffentlichten Schriften von Leibniz nahezu ausschließlich die metaphysische Perspektive repräsentieren und somit die Unterscheidung des Urspungs der notwendigen und der kontingenten Wahrheiten nicht in den Blick kam, zu einer „fatal distortion of his thought by his followers“ führen (438). Zwar gab es, wie Tonelli einräumt, einige bereits vor 1765 veröffentlichte Texte, die die Leibnizianer hätten davor bewahren können, aus der Generierung aller Ideen aus dem „propre fond“ der Seele voreilig auf das Angeborensein sämtlicher Ideen zu schließen. Er nennt hier die 1710 veröffentlichte Causa dei sowie die 1707 geschriebene und 1716 veröffentlichte Epistola ad Hanschium de philosophia platonica. Allerdings seien die sich dort findenden einschlägigen Aussagen entweder übersehen oder aber als eine Version der metaphysischen Erkenntnislehre von Leibniz wegerklärt worden (439). Auch wenn Tonelli die vielleicht prägnantesten damals veröffentlichten Passagen zur Unterscheidung der „verités de faits“ und „verités de raison“ sowie des für die Erkenntnis derselben jeweils anzusetzenden Wahrheitskriteriums unerwähnt lässt, nämlich die 1710 als Appendix zur Theodicée veröffentlichten Remarques sur le Livre de l'origine du mal, publié depuis peu en Angleterre, (GP VI, 403 ff.) oder die aus dem selben Jahr stammende, 1734 von Kortholt (Leibniz 1734 I, 189–197) gedruckte Commentatio de anima brutorum, („duplices esse consecutiones toto coelo diversas, empiricas et rationales”; GP VII 331); die von ihm gegebene Erklärung dafür, dass diese Stellen nicht aufgegriffen wurden und wirkungslos geblieben sind, dürfte zutreffend sein. Zusammengenommen sind sie mindestens so aussagekräftig wie die außerhalb der Nouveaux essais veröffentlichten Hinweise zum Konzept der petites perceptions, deren philosophische Karriere deutlich macht, dass auch an wenigen entlegenen Stellen veröffentlichte Ideen wirksam werden können, wenn sie ‚an der Zeit‘ sind.

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Es lagen also durchaus veröffentlichte Aussagen von Leibniz vor, die hinreichend gewesen wären, die „fatal distortion“ zu vermeiden. Wenn sie nicht genutzt wurden, dann wohl deshalb, weil zunächst niemand einen Grund sah, dies zu tun. Dies erklärt auch die erheblich verzögerte Wirkung der Nouveaux essais in diesem Punkt, die Tonelli bei seiner minutiösen Recherche nach einem möglichen Einfluss dieser Schrift auf Kants Wende zu dem Ergebnis kommen lässt, „if a reading of the NE really affected Kant’s 1769 philosophical revolution, it cannot be considered as an effect of a positive collective reaction to the NE because, for a long time after 1769, this reaction simply did not occur“ (Tonelli 1974, 453). Doch ebensowenig wie eine positive kollektive Reaktion auf das Erscheinen der Nouveaux essais, ist für jene (und wohl auch spätere) Zeit eine Lektüre derselben durch Kant belegbar. Jedenfalls hat die prominente und in der Forschung vieldiskutierte Leibnizkritik (McRae 1976, 126; Parkinson 1981; 1982, 17; Normore 1982; Kaehler 1989; Wilson 1990; Busche 2004; Jauernig 2008; 2011; Mittelstraß 2011; Fichant 2014), die Kant noch zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (1787) formuliert, wenngleich sie überwiegend metaphysische Lehrstücke benennt, wie etwa den monadischen Substanzbegriff, die prästabilierte Harmonie, das principium identitatis indiscernibilium oder die Komposition der Materie aus Monaden, ihre Grundlage und ihr systematischen Zentrum in dem Vorwurf, „die Sinnlichkeit war ihm nur eine verworrene Vorstellungsart, und kein besonderer Quell der Vorstellungen“ (KdrV B 326; 1902 ff. III 220) Zu einer solchen Einschätzung konnte man wohl ohne eine Kenntnis der Nouveaux essais kommen. So hat bereits 1759 J. B. Merian das Ergebnis seines anhand einer kritischen Gegenüberstellung von Condillac und Leibniz durchgeführten Vergleich des sensualistischen und rationalistischen Systems in auffälliger Übereinstimmung zu Kants zentraler Kritik an Leibniz und Locke formuliert. Lautet der immer wieder (zumeist allerdings verkürzt) zitierte Kernsatz, mit dem Kant seine Kritik an der Leibnizʼschen Philosophie zusammenfasst: „Mit einem Worte: Leibniz intellectuirte die Erscheinungen, so wie Locke die Verstandesbegriffe […] sensificirt“ (KdrV B 327, 1902 ff. III, 221), so heißt es bei Merian, „M. de Leibnitz change les sensations en raisonnemens, et M. de Condillac les raisonnemens en sensations“ (Merian 1759, 382). Anja Jauernig zufolge ist Kants „Critique of the Leibnizian Philosophy“ zwar gegen die ‚Leibnizians‘ gerichtet, aber eigentlich als „pro Leibniz“ zu charakterisieren (2008, 44) und träfe daher auch weniger Leibniz selbst als vielmehr, mit Wolff an der Spitze, die ,Leibnizianer‘ (ebd. 45–48). Dabei betont sie die außerordentliche Nähe von Kant und Leibniz, die darin zum Ausdruck komme, dass zum einen „Kant’s focal problems [are] Leibnizian problems“ und zum anderen eben deshalb „no other early-modern philosopher was as close to Kant with regard to their respective positive (metaphysical) views as Leibniz - and this holds not only for the young Kant but for the critical Kant as well.“ (Jauernig 2008, 44). Es ist dies eine Sicht auf das Verhältnis von Kant und Leibniz, die in der für Cassirer prägendenden Marburger Schule des Neukantianismus insgesamt, wenn auch deutlich stärker von Natorp als von Cohen, geteilt oder sogar soweit überboten

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worden ist   (Kopp-Oberstebrink 2014, bes. 63 ff. u. 180 f.), dass man, wie Helmut Holzhey herausgearbeitet hat (1986, 289), zumindest für eine Phase in der Ausbildung der Marburger Schuldoktrin „vielleicht sogar von einem Neuleibnizianismus […] sprechen könnte.“ Eine Ähnliche Betonung grundlegender Konkordanzen lassen sich allerdings bereits bei unmittelbaren ‚Zeitzeugen‘ finden, und zwar nicht nur mit Blick auf die Metaphysik, sondern gerade auch hinsichtlich der Erkenntnistheorie. So wertet etwa der Leibnizianer und Kant-Gegner Ernst Platner im Erscheinungsjahr der Kritik der Urteilskraft die Leibnizʼsche Konzeption der ideae innatae als Antizipation des Kantschen „Schematismus“; wenn er feststellt: „Die reinen Grundsätze des Verstandes, welche Kant durch seinen so genannten Schematismus hervorbringt, sind offenbar nichts anders, als eben so viele ursprüngliche, a priori bestehende Grundgesetze des menschlichen Denkens. Auf diese Weise wäre Kant mit Leibnitzen in einem der wichtigsten Punkte der Seelenlehre einig“ (Platner 1790, 57). Klingt es bei Daniel Jenisch, einem eigenständigen Kant-Schüler und wichtigen Protagonisten der Berliner Spätaufklärung, zunächst so, als wolle in seiner Schrift Ueber Grund und Werth der Entdeckungen des Herrn Professor Kant in der Metaphysik, Moral und Aesthetik Leibniz hinsichtlich seiner Konzeption der idée innés lediglich als beinahe-Vorläufer Kants sehen, wenn er bemerkt, dass Leibniz in den Nouveaux essais „sehr nahe an das Gleis [streifte], auf welchem Kant dereinst so zu einem so einzigen und glorreichen Ziel hingelangen sollte (Jenisch 1796, 75), so kommt er bei der „Vergleichung der Grundbegriffe der Kantischen Theorie des Denkvermögens mit den von Leibnitz in den Nouveaux Essais sur l'entendement aufgestellten Grundsätzen“ zu Ergebnissen, die das „beinahe“ durchstreichen: Einerseits betrachtet er die Leibnizʼsche Ergänzung und Limitation des „Nihil est in intellectu [...]“ – das „nisi intellectus ipse“ - als von Kant bewiesen, da dessen „Anschauungen, Kategorien und Ur=grundsätze […] diesen Leibnizischen intellectus ipse […] [ausmachen]“ (ebd., 102). Andererseits betont er, dass, wenn Kant „mit weiser Vorsichtigkeit, reine Anschauungen und reine Vernunftbegriffe nicht angeboren genannt wissen“ wolle, er „damit nichts anders sagen [will], als daß dieselben sich in dem Erfahrungsgebrauch durch die Sinne erst entwickeln, wie auch Leibnitz […] sagte, ‚que les idées particulières sont les exemples des idées innées‘“ (ebd. 104). Die Beschreibung von Raspes Veröffentlichung der Nouveaux Essais als Ausgangspunkt für eine Leibnizrenaissance steht in einer beachtlichen Reihe ähnlicher Konstatierungen: Im Rahmen historischer Betrachtungen der Wirkungsgeschichte der Leibnizʼschen Philosophie ist mehrfach mit Bezug auf verschiedene Phasen und Ereignisse der Begriff der „Leibniz-Renaissance“ verwendet worden. Max Wundt (1945, 317) hat allgemein von einer „Leibniz-Renaissance“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gesprochen. Mit Blick auf das Erscheinen der wichtigen Editionen von Raspe (1765) und Dutens (1768) konstatiert Belaval (1976b, 169) für die zweite Hälfte der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts eine „véritable renaissance leibnizienne“. Tonelli (1974, 447) sieht das Datum 1765 nur als „beginning of a Leibniz revival“ und setzt den mit der Auflösung des Wolffianismus verbundenen „‚back to Leibniz‘ trend“ zeitlich etwas später an, so dass eher

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mit Heinekamp (1986, XIII f.) von einer „in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts einsetzende Leibniz-Renaissance“ bzw. mit Wilson (Wilson 1995, 46) von einer „Leibniz-renaissance of the late 1780s and ‚90s“ zu sprechen wäre. Es mag umstritten sein, ab wann man innerhalb der mehr als drei Jahrhunderte währenden Auseinandersetzung mit Leibniz’ Texten von einer ‚Leibnizforschung‘ im engeren Sinn sprechen kann. Einen chancenreichen Kandidaten für ein solches Datum hat Hermann Glockner mit seiner These präsentiert, „daß im Herbst 1836 die deutsche Leibniz-Forschung begann“, als „ihre drei Begründer G. E. Guhrauer, J. E. Erdmann und G. H. Pertz damals nebeneinander in Hannover arbeiteten“ (Glockner 1932, 60). Mit dieser sich primär auf die Editionsgeschichte beziehenden Einschätzung – alle drei arbeiten an wichtigen Textausgaben – ist zugleich eine Phase benannt, die für die Genese der Erforschung der Leibnizʼschen Erkenntnistheorie als grundlegend beschrieben worden ist: „Au milieu du XIXe siècle, époque à laquelle de plus en plus de textes de Leibniz sont rendus disponibles à l’intérieur d’importantes éditions, les commentateurs n’hésitent pas en général à délimiter une philosophie de la connaissance dans le système leibnizien des historiens de la philosophie comme Ludwig Feuerbach, Victor Cousin, Eduard Zeller […] circonscrivent une discipline épistémologique sui generis au sein de la pensée de Leibniz“ (Leduc 2009, 10). Die Verstetigung dieser Tendenz, die sich in einer massiven Zunahmen der Zahl von Studien und akademischen Abschlussarbeiten zu erkenntnistheoretischen Themen niedergeschlagen hat, in deren Zentrum die einschlägigen Begriffe der ideae innatae (Thilly 1891), der Apperzeption (Nieden 1888; Dattler 1891; Kodis 1893, 17–33; Capesius 1894; Sticker 1900; Rülf 1900; Salomon 1902), der petites perceptions (Hohenemser 1899) oder des Unbewussten (Latta 1902; Herbertz 1905) stehen, machen deutlich, dass es gegen Ende des 19. Jahrhunderts „schon so etwas wie eine ‚Leibnizkultur‘“ gab, vor deren Hintergrund auch das wiederum vielfach als „Leibniz-Renaissance“ beschriebene, nahezu gleichzeitige Erscheinen der grundlegenden und einflussreichen Leibnizstudien von Couturat, Russell und Cassirer verständlich wird. Auch wenn diesbezüglich angemerkt werden kann, dass das leitenden Interesse an der leibnizschen Philosophie hierbei nicht in erster Linie systematisch, sondern historisch geprägt und somit die „Leibniz-Renaissance des beginnenden 20. Jahrhunderts […] vor allem eine Renaissance der Leibniz-Forschung“ ist (Peckhaus in diesem Band, 541), so ist sie doch zugleich mehr: denn über den Status als Gegenstand einer rein historiographischen Zuwendung hinaus wird der Philosophie von Leibniz, wie etwa die Präsenz seiner Theorie der cognitio symbolica in den logischen, psychologischen und erkenntnistheoretischen Diskussionen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zeigt, weiterhin eine wichtige systematische Bedeutung zugemessen. Nur so erklärt sich auch die eingangs erwähnte, 1906 im Rahmen der Planung der Leibnizedition geäußert Hoffnung, „daß die neue Leibniz-Ausgabe auf die Bewegung des philosophischen Gedankens wirken werde, wie in den letzten Jahrzehnten die Rückkehr zu der echten Lehre von Kant gewirkt hat.“ Mit Blick auf Cassirers Philosophie der symbolischen Formen und die Entwicklungen auf dem Feld der Sprachphilosophie hat Stefano Gensini (1995, 4) zu recht von einer „Leibniz-Renaissance del nostro secolo“ gesprochen. Ebenso

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wurde Mitte der 1980er Jahre mehrfach ein ca. zwei Jahrzehnte zuvor einsetzender „remarkable rebirth of interest in the philosophy of Leibniz“ (Mates 1986, 3) sowie eine sich auf alle Bereiche seines Schaffens beziehende „Leibniz renaissance“ konstatiert (Centro fiorentino di storia e filosofia della scienza 1989). 5.5. Leibniz’ Erkenntnistheorie im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert. Wann eine nächste Leibniz-Renaissance zu vermelden sein wird, ist gegenwärtig nicht absehbar - und zwar aus dem einfachen und erfreulichen Grund, dass die bis dato letzte noch lange nicht an ihr Ende gekommen zu sein scheint: Die zurückliegenden Jahrzehnte sind – und zwar in zunehmendem Maße ‚weltweit‘ – durch eine stetig steigende Zahl der jährlich erscheinenden Forschungsarbeiten und Diskussionsbeiträgen zu Leibniz gekennzeichnet. Aufgrund der eingangs erwähnten Wechselwirkung zwischen der jeweils vorliegenden Sicht auf Leibniz und den aktuellen Tendenzen in der Philosophie- und Wissenschaftsentwicklung gilt dies gerade auch für den Themenkomplex der Erkenntnistheorie. In den zahlreichen Arbeiten, die sich entweder generell auf Leibnizʼ Theorie der Erkenntnis beziehen (McRae 1995; Schulthess 2001; Bolton 2011a) oder aber bestimmte Aspekte oder Teilbereiche derselben in den Blick nehmen, stehen insbesondere die grundlegenden Begriffe der Erkenntnistheorie im Zentrum. Die wichtigsten sind: 1) die Konzeption der Ideen (Loemker 1973; Jolley 1984, 162–206; Poser 1990b; Perkins 1999; Poser 2006; Leduc 2011), deren Einteilung (Pecharman 2011) sowie deren metaphysischen und psychologischen Implikationen (Bolton 2011b), spezielle Arten, wie die konfusen Ideen (Wilson 1999; Duarte 2009) – und natürlich, den Schwerpunkt dieses Themenkomplexes bildend, die Lehre von den angeborenen Ideen (Jolley 1990 u. 2005, 93–120; Poser 2006, Oliveri 2016a) bzw. der davon zu unterscheidenden angeborenen Wahrheiten (Harris 1977); 2) der Begriff der Perzeptionen (Belaval 1976b, Brandom 1981; Kulstad 1982; Puryear 2006; Bolton 2006; Schepers 2018), einschließlich der konfusen Perzeptionen (Smith 2003; Puryear 2005) der Imagination (Pasini 1991/92 u. 1996) und der petites perceptions (Kulstad 1977b; Lodge/Puryear 2006/2007; Parmentier 2011); 3) die Theorie der Sinneserkenntnis (Buzon 1991; Simmons 2001; Barth 2016; Ott 2016) sowie, damit zusammenhängend, die Konzeption der Sinnesqualitäten (Bolton 2001; Glauser/Berchielli 2004; Leduc 2010). 4) Das ‚centrum gravitatis‘ der Leibnizʼschen Erkenntnistheorie jedoch wird – zumindest aus der Perspektive der neueren Forschungs- und Interpretationsliteratur – gebildet durch das Begriffspaar von Bewusstseins (conscientia) und Apperzeption (apperceptio). Diese beiden, zumeist als synonym oder koextensiv verstandenen Termini markieren den Bezugspunkt einer Reihe weiterer Begriffe wie – insbesondere - jenen der Reflexion, der Aufmerksamkeit und der Erinnerung (reflexio, attentio, memoria), deren umstrittenes funktionales Verhältnis zur conscientia und apperceptio gleichsam jene Spannung erzeugt, durch die die Diskus-

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sion in Gang gehalten wird (McRae 1976; Kulstad 1981 u. 1983; Jolley 1983; Kulstad 1991; Miles 1994; Simmons 2001; Jorgensen 2009, 2011a u. 2011b; Barth 2011; Simmons 2011; Barth 2014a, Oliveri 2016b, 47–134; Barth 2017, 335–422) – und die sie auch allererst in Gang gesetzt hat. Denn der Ausgangspunkt dieser Diskussion ist Robert McRaes 1976 veröffentlichte Beobachtung eines „Inkonsistenz“ in der Doktrin von der Unterscheidung von drei Arten von Monaden (einfache Entelechien, Tierseelen und Geister) in Relation zu deren kognitiven Leistungen: „On the one hand what distinguishes animals from lower forms of life is sensation or feeling, but on the other hand apperception is a necessary condition of sensation, and apperception distinguishes human beings from animals.“ (McRae 1976, 30). „We are thus left with an unresolved inconsistency in Leibniz’s account of sensation, so far as sensation is attributable both to men and animals“ (ebd. 34). Mit anderen Worten: Gilt Apperzeption als das, was bloße Perzeption zu einer bewussten Wahrnehmung (sentiment) macht, dann kann sie, wenn anders sie als durch Reflexion begründet angesehen wird, welche wiederum ein Proprium der Geister sein soll, nicht sowohl Tieren wie Menschen zugesprochen werden - es sei denn, man lockert den Fundierungszusammenhang von Apperzeption und Reflexion durch die Unterscheidung mehrerer Arten von Reflexion (Kuhlstad 1991, 136–144; Gennaro 1999; Simmons 2001), oder aber man ersetzt diesen dadurch, dass diese Funktion, zumindest in bestimmten Fällen, einer nichtreflexiven Aufmerksamkeit (attentio) (Barth 2011; 2014a; 2017, 363–400), der Erinnerung (memoria) (Simmons 2011) oder einem bestimmten Grad der Deutlichkeit der Perzeptionen (Jorgensen 2009; 2011a; 2011b) zugeschrieben wird. Die über alle Zeiten hinweg feststellbare Tatsache, dass der spezifische Blick und Zugriff auf Leibniz in nicht unerheblichem Maße von den jeweils aktuellen Entwicklungen im Bereich der Philosophie und Wissenschaften beeinflusst ist, gilt auch weiterhin. So wird Leibniz’ Erkenntnistheorie (bzw. Teile derselben) seit einigen Jahrzehnten verstärkt – und keineswegs unpassend - auch unter dem Begriff der „philosophy of mind“ präsentiert und diskutiert (Kulstad/Carlin 2013; Jorati 2019) bzw., noch aktueller, unter dem der „naturalized philosophy of mind“ (Jorgensen 2019). Die Intention ist dabei nicht, Leibniz in historischer Perspektive eine Vorläuferrolle für neueste Entwicklungen zuzuschreiben, sondern es geht auch hier darum, ihn in systematischer Hinsicht ernst zu nehmen: Insofern er nämlich eine „fully natural theory of mind” entwickelt habe, bieten gerade im gegenwärtigen „philosophical climate“, in dem große Anstrengungen zur Begründung einer „naturalized theory of mind“ gemacht wurden, Leibniz’ dreihundert Jahre zuvor unternommene Bemühungen, ein ähnliches Ziel zu erreichen, „a critical stance from which we can assess our own theories“ (ebd. 2). Naheliegenderweise hat in diesen Kontexten insbesondere das unter dem Namen „Leibniz’s mill“ bekannte und als „crucial contribution to the philosophy of mind“ gewertete Gedankenexperiment (Jorati 2019) Aufmerksamkeit erlangt (Lodge/Bobro 1998; Duncan 2012; Rozemond 2014; Lodge 2014; Blank 2017), mit welchem er mehrmals, am prominentesten im § 17 der „Monadologie“, die Unmöglichkeit einer Instanziierung kognitiver Akte (perceptio oder cogitatio) selbst in beliebig

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komplexen materiellen Gebilden veranschaulicht – denn stellt man sich einen solchen Mechanismus so gross wie eine Mühle vor, so wird man, wenn man in sie eintritt, nirgends so etwas finden wie eine Perzeption oder einen Gedanken. Leibniz’ Ausführungen zum Themenkomplex der Erkenntnistheorie war zu jeder Zeit an die aktuellen Entwicklungen der Logik, Psychologie und Erkenntnistheorie anschlussfähig, ja hat diesen, wie gesehen, nicht selten wichtige Modelle sowie das zentrale und weithin aufgegriffene terminologische Instrumentarium geliefert (cognitio symbolica, cognitio caeca, petites perceptions, cognitio clara et confusa, apperception). Kaum anders verhält es sich noch hier: So wird nicht nur konstatiert, dass „Leibniz’s argument is of some historical interest“, insofern es „striking resemblances to contemporary objections to certain materialist theories of mind“ aufweise (Kulstad/Carlin 2013); Leibniz’ Erkenntnistheorie gilt (in Teilen) vielmehr auch unter systematischer Rücksicht als so relevant, dass „even a contemporary materialist can learn a great deal from him“ (Gennaro 1999, 353). Angesichts der eingangs erwähnten historischen Korrelation zwischen dem Voranschreiten der Edition von Leibnizʼ Texten und seiner Präsenz in der jeweils zeitgenössischen historischen Forschung sowie den verschiedenen systematischen Diskursen sollte die Fortdauer der gegenwärtigen ‚Leibniz-Renaissance‘, zumindest hinsichtlich ihrer ‚causa materialis‘, durch den kontinuierlichen Fortschritt der Leibniz-Edition auf längere Zeit gesichtert sein.

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MONADENTHEORIE UND MONADOLOGIE Hanns-Peter Neumann 1. EINLEITUNG Neben der ‚Prästabilierten Harmonie‘, der Theodizee und der Lehre von der besten aller möglichen Welten (mundus optimus) gehört die Monadentheorie zweifellos zu den berühmtesten Stücken aus Leibnizʼ philosophischem Kosmos. Es handelt sich um eine im besten Sinne des Wortes unfertige Theorie, deren Versatzstücke eine gewisse spekulative Spielfreude verlangen, um sie zu einer fertigen Theorie zusammenzusetzen, mag man diese am Ende nun mit dem Namen von Leibniz belegen oder als ‚neue‘ Monadologie bezeichnen (z.B. Mahnke 1917). In der Moderne sind zahlreiche ‚neue‘ Monadologien entstanden. 1893 bezeichnete der französische Soziologe und Philosoph Gabriel Tarde seine heute, etwa bei Bruno Latour, wieder aktuelle Theorie des Sozialen als „erneuerte Monadologie“ („monadologie renouvelée“) (Tarde 1999, 56). Diese hat er, wenn auch mit erheblichen Modifikationen, explizit aus dem monadischen Denken von Leibniz hergeleitet (dazu Milet 1970, Kap. 3: „Une Philosophie: Une NeoMonadologie“, 145 ff., Neumann 2010a; 2013a). Gilles Deleuze, der eine lesenswerte Leibniz-Monographie Le Pli. Leibniz et le baroque (Die Falte. Leibniz und der Barock) verfasst hat (Deleuze 1988) und zu den renommiertesten Rezipienten Gabriel Tardes gehört, nannte Tardes mikrosoziologische Philosophie 1968 „eine der letzten großen Philosophien der Natur in der Nachfolge Leibnizʼ“ (Deleuze 3 2007 [11992], 107, FN 4), da Tardes monadologische Theorie des Sozialen auch den Anspruch erhob, die neueren Entwicklungen in den Naturwissenschaften modellieren zu können. Nur kurze Zeit nach Tarde, 1899, veröffentlichte der französische Kantianer Charles Bernhard Renouvier ebenfalls eine neue Monadologie La Nouvelle Monadologie (Renouvier 1899). Daran lässt sich leicht ablesen, dass Leibnizʼ Monadentheorie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Art Renaissance erlebt hat, deren Strahlkraft bis in die heutige Zeit hinein reicht. Die Monadentheorie bildet, so unfertig und rätselhaft sie mitunter erscheint, das faszinierende Gravitationszentrum der Metaphysik des späten Leibniz. Diese aber ist alles andere als einfach zu verstehen. Sie war bereits für Leibnizʼ Zeitgenossen schwer nachvollziehbar. Für den heutigen Leser gestaltet sich der Zugang zur Leibnizʼschen Metaphysik schon allein aufgrund des historischen Abstands noch um einiges schwieriger. Andererseits ist dank der editorischen Arbeit der Akademie-Edition der letzten Jahrzehnte eine große Zahl von Schriften und Briefen publik gemacht worden, die den Zeitgenossen von Leibniz nicht bekannt ge-

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wesen sind und uns Heutigen den Zugang zum philosophischen Denken des barocken Universalgelehrten, obgleich nicht per se schon dessen Verständnis, zu erleichtern vermögen. Voraussetzung dafür ist, dass der an Leibniz Interessierte sich in die vielen französischen und lateinischen Texte und deren Kontext und/oder in deren bereits zur Verfügung stehenden Übersetzungen einarbeitet. Hier gilt es, der Masse an verstreutem Textmaterial Herr zu werden und behutsam intertextuelle Bezüge herzustellen, ohne von vornherein der Versuchung zu erliegen, ein etwa zwischen 1685/6, dem Entstehungsdatum des Discours du métaphysique, und 1714, dem Entstehungsdatum der sogenannten Monadologie, unverändertes philosophisches System vorauszusetzen. Die Forschungsliteratur gibt zu einer solchen Versuchung durchaus Anlass. So wurde die konzeptuelle Basis für den „monadism“ von Nicholas Rescher auf 1675 zurückdatiert (Rescher 1991, 8) und als zwischen 1685 und 1687 „fully developped“ bezeichnet (Rescher 1991, 5), obwohl Leibniz den Monadenbegriff erst später, ab 1695, zu verwenden begann. Christia Mercer votiert anhand neu edierten Textmaterials für eine noch frühere Datierung um 1671/2 (Mercer 2001), eine frühe metaphysische Phase sieht sie gemeinsam mit Robert Sleigh schon 1668 beginnen (Mercer/Sleigh 1995, 67 ff.). Thomas Leinkauf ist der Auffassung, dass die Basisintuitionen der Leibnizʼschen Metaphysik schon zwischen 1663 und 1670 vorhanden gewesen und dann später systematisch entfaltet worden sind (Leinkauf 1999). Daniel Garber hingegen warnt davor, Rückprojektionen der späten monadologischen Metaphysik auf den frühen Leibniz vorzunehmen (Garber 2009, 40). Da es sich bei der Monadentheorie um eine metaphysische Theorie der Substanz und der Einheit handelt – Monaden werden von Leibniz als einfache Substanzen und Unitäten definiert –, liegt die Vermutung nah, dass sich in älteren Reflexionen, die Leibniz zum substanz- und einheitsmetaphysischen, gerade auch für die Physik relevanten Problemkomplex angestellt hat, mindestens schon Spuren der späteren Monadentheorie wiederfinden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wenn ja, in welcher Intensität, und wie man die Genese der Monadenlehre dann erklären soll, sind Fragen, die die Leibniz-Forschung stets beschäftigt haben, vor allem aber in den letzten dreißig Jahren in der angloamerikanischen LeibnizForschung intensiv diskutiert worden sind. Daran knüpfen nicht nur fachspezifische und textphilologische Probleme an, die dem engeren Kreis der Leibniz-Forschung zugehören, sondern auch physikalisch-philosophische Fragen von allgemeinem Interesse, so etwa diejenige nach dem Verhältnis von Seele, Geist und Körper, was das Elementare sei, das die physikalische Welt und den Kosmos konstituiert, welche einende Kraft oder Energie für die als temporäre Einheit erscheinende Körperwelt verantwortlich ist, wie Leben, Bewegung, Entfaltung, Genese möglich sind, wie lebende Organismen funktionieren usw. All das sind neben ethischen und theologischen Reflexionen, die Leibniz mit seiner Monadenlehre verbindet, auch heute noch brisante Fragen, denen und die Leibniz sich im historischen Kontext des 17. und 18. Jahrhunderts, der Zeit mannigfaltiger wissenschaftlicher Neu- und Fortentwicklungen, gestellt hat. Wer sich in die Erklärungs- und Beschreibungsmodelle, die Leibniz zu diesen

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Fragen entwickelt hat, hineindenkt, wird von der scharfsichtigen konzeptuellen und spekulativen Vorstellungskraft überrascht sein, die sich hier offenbart und die noch heute bereichernd wirkt. Untrennbar mit der monadentheoretischen Ausrichtung der späten Leibnizʼschen Metaphysik verbunden ist einer der in philosophischen Seminaren immer wieder gelesenen kanonisch gewordenen Texte abendländischer Geistesgeschichte: Die Monadologie. In Hinblick auf die Kürze, mit der Leibniz hier sein komplexes philosophisches System zusammenfassen wollte, nennt Donald Rutherford sie „one of the most ambitious undertakings in the history of Western philosophy“ (Rutherford 2009, 35). Tatsächlich handelt es sich um einen faszinierenden, bei jeder neuerlichen Lektüre neue Perspektiven eröffnenden Text, dessen Strahlkraft man sich, womöglich auch aufgrund einer gewissen ihm anhaftenden Rätselhaftigkeit und Fremdartigkeit, nur schwer entziehen kann. Der Titel, die Lehre von der Monade oder den Monaden, ein Titel, der nicht von Leibniz selbst stammt, von dem nicht einmal eine Titulatur überliefert ist, suggeriert, dass wir es hier mit einer systematischen Darstellung zu tun haben, die Leibniz zwei Jahre vor seinem Tod seiner Monadenmetaphysik gegeben hat. Tatsächlich aber gehört der Titel selbst schon zur komplexen, früh ansetzenden Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Textes, denn das von Leibniz verfasste, in mehreren Stufen umkonzipierte, bearbeitete und von verschiedener Hand kopierte französische Originalmanuskript ist erst 1840 publiziert worden, während die bis heute gängige Titulatur einer 1720 erschienenen deutschen Übersetzung entstammt, der kurze Zeit später eine lateinische Übertragung mit der Überschrift Principia Philosophiae, Autore G. G. Leibnitio aus der Feder des Aufklärungsphilosophen Christian Wolff folgte, d.i. der ebenfalls nicht von Leibniz stammende lateinische Titel einer handschriftlichen Kopie in der Österreichischen Nationalbibliothek zu Wien (vgl. Strack 1915, 33 ff.). Nichts, so scheint es, ist einfach, was sich um diesen Text rankt, nicht einmal seine Genese und Editionsgeschichte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Prägnanz und Kürze des in Paragraphen unterteilten Textes der sogenannten Monadologie erinnern ein wenig an Ludwig Wittgensteins Tractatus logicophilosophicus. Doch wie bei vielen seiner Schriften ist auch dieser Leibniz-Text adressatenorientiert, setzt also ein gewisses zeitgenössisches Vorverständnis voraus und erschließt sich dem heutigen Leser daher nur schwer. Sein aphoristischer, mitunter als „telegraphisch“ bezeichneter Stil (Rescher 1991, 10) sowie die oft nur angedeutete Argumentationsführung, die universalwissenschaftliche Breite des in aller Kürze verhandelten Themenspektrums und der historische Abstand machen einen nicht unerheblichen Aufwand nötig, um sich einen Zugang zum anspruchsvollen Denksystem des barocken Universalgelehrten zu eröffnen. Bertrand Russell hat die in der Monadologie thesenartig ausgebreitete Metaphysik aufgrund ihres vermeintlichen Mangels an argumentativer Stringenz als „fantastic fairy tale“ bezeichnet, dessen philosophische Relevanz sich ihm erst durch den Rückgriff auf den Discours du métaphysique und Leibnizʼ Briefwechsel mit Antoine Arnauld erschlossen habe (Russell 1900, VII–VIII). Gut hundert Jahre später bewunderte Michel Fichant die erhabene Einsamkeit, mit der Leibniz

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sein zur Reife gelangtes philosophisches System in Thesen ausformuliert habe (Fichant 2004, 14). Dieses müsse aber, so Fichant, von seinen früheren metaphysischen Schriften unterschieden werden. Wie dem auch sei, für die Aneignung der Leibnizʼschen Monadentheorie reicht die Monadologie alleine nicht aus. Vielmehr müssen weitere Schriften resp. Versatzstücke herangezogen werden, die zur Monadologie in einem genetischen und/oder symbiotischen Verhältnis stehen – genetisch insofern als sie substanzund einheitsmetaphysische Überlegungen beinhalten, die in der Monadologie in modifizierender Weise reflektiert werden, symbiotisch weil z. B. die für Prinz Eugen von Savoyen entworfenen Principes de la nature et de la grâce fondés en raison zeitgleich entstanden sind und den gleichen Themenbereich behandeln, oder da es ausgewählte Passagen aus der Theodicée waren, auf die Leibniz in der Monadologie rekurrierte, um sie Nicolas-François Remond in Form eines Eclaircissement sur les monades zu explizieren. Im Folgenden wird es darum gehen, neben weiterführenden, knapp gehaltenen Informationen eine bewusst subjektive und stark selektive Einführung in die Monadentheorie und deren Wirkungsgeschichte zu geben, in der bestimmte Aspekte der universalwissenschaftlichen Anlage der Monadenlehre ausgewählt und in den Vordergrund geholt werden. Leibnizʼ Monaden sollen einem interessierten Publikum unter Verzicht auf einen zu hohen Grad an fachspezifischer und inhaltlicher Komplexität nähergebracht und ein möglichst sachhaltiger Eindruck von Leibnizʼ monadologischem Denken vermittelt werden, der hoffentlich dazu einlädt, sich intensiver mit den Monaden auseinanderzusetzen. Dabei hat die sogenannte Monadologie Priorität, sie bildet als einer der am meisten rezipierten Texte, die Leibniz verfasst hat, den Orientierungspunkt der folgenden Ausführungen, auch wenn sie für eine Darstellung der Monadentheorie alleine nicht ausreicht. Ein außerordentlich wichtiger Bereich, der ebenfalls monadologisch fundiert und rezeptionsgeschichtlich wirkmächtig geworden ist, wird hier nur angerissen, da darauf in einem weiteren Beitrag ausführlich eingegangen wird: die Rechtfertigung Gottes durch das Argument von der besten aller möglichen Welten. 2. DER MONADENBEGRIFF BIS ZUR MONADOLOGIE Leibnizʼ Metaphysik lässt sich in eine Frühphase (bis 1685/6) und in eine Spätphase (ab 1695) einteilen (Mercer/Sleigh 1995, Rutherford 1995a), nicht selten ist auch von einer mittleren Phase die Rede (s. v.a. Garber 1985, Garber 2009, Levey 2011). Für gewöhnlich wird die Monadentheorie der späten reifen Phase zugeordnet, deren Beginn um 1695 datiert wird (u.a. Rutherford 1995a, 124 ff.). Einen guten ‚weichen‘ Überblick über die Entwicklungsphasen der Leibnizʼschen Metaphysik bietet Wilhelm Schmidt-Biggemann (Schmidt-Biggemann 2001, 1066–1068), eine sehr gute detaillierte Analyse bietet außerdem die jüngste Studie des langjährigen Leiters der Münsteraner Arbeitsstelle der Akademie-Edition für die Edition der philosophischen Schriften und des philosophischen Briefwechsels Heinrich Schepers Leibniz: Wege zu seiner reifen Metaphysik (Schepers 2014).

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Die Frage, ob die Monadentheorie schon avant la lettre, also noch vor dem Gebrauch des Terminus ‚Monade‘, in frühen Texten von Leibniz wenigstens dem Keim nach enthalten gewesen ist, beschäftigt die Leibniz-Forschung bis in die Gegenwart (u.a. Mercer 2001, Fichant 2004, 14–20, Rutherford 2008, Garber 2009). Problemlos lassen sich zahlreiche Schriften und Briefe, darunter viele, die zu Lebzeiten von Leibniz unveröffentlicht geblieben sind, in erhellenden Bezug zu seiner späten, gelegentlich auch als philosophisch systematische „Vermächtnisschrift“ (Busche 2009, 9) bezeichneten Monadologie setzen. Doch bei der Frage, wie das Verhältnis der früheren metaphysischen Texte oder Textteile zu den späteren monadentheoretischen Schriften zu werten ist, fallen die Analysen und Wertungen auseinander. Daniel Garber etwa verneint, dass schon in den frühen physikalischen Schriften eine Art Protomonadologie anzutreffen wäre. Garber ist der von ihm detailliert begründeten Auffassung, dass Leibniz drei verschiedene Substanztheorien vertreten hat und erst ab etwa 1695 vom Begriff der körperlichen Substanz, d.i. die Substanz als etwas, das aus Materie/Körper und Form/Seele besteht, abgekommen und zu dem der einfachen Substanz oder kraftbegabten Monade, d.i. die Monade/Seele als alleinige Substanz, übergegangen ist (Garber 2009, hier auf seine früheren Untersuchungen ab 1985 rekurrierend). Christia Mercer hingegen versucht en détail nachzuweisen, dass Keime der späteren Monadentheorie schon sehr früh vorhanden gewesen sind (Mercer 2001). Zu den wichtigen, gerne in den Vordergrund geholten, zu Lebzeiten Leibnizʼ unpubliziert gebliebenen und spezifisch substanztheoretischen Texten gehört der Discours de métaphysique, entstanden um 1685/86. Diese Schrift ist in der Leibnizforschung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als signifikanter Ausgangspunkt auf dem Weg zur Monadologie begriffen worden. Zumal wenn man den im Discours verhandelten Begriff der individuellen Substanz mit dem Begriff der Monade in der Monadologie identifizierte, konnte der Discours als Monadologie avant la lettre gedeutet werden, so geschehen bei Bertrand Russell, Louis Couturat und Jacques Jalabert, die die späte Monadentheorie in den logischen Prämissen wurzeln lassen, mit der die individuelle Substanz mit dem Konzept des vollständigen Begriffs (notion complète) in eins gehen, wonach alle Prädikate des Subjekts (= individuelle Substanz) in diesem enthalten resp. impliziert sind (Russell 1900, Couturat 1901, Jalabert 1947). Demgegenüber macht Michel Fichant historisch-kontextualisierende und lexikalische Bedenken geltend, sodass allein schon die Verwendung des aus dem Altgriechischen stammenden Wortes ‚Monade‘ der Leibnizʼschen Substanztheorie eine neue Ausrichtung gibt (Fichant 2004, 20). Hinzu kommt, dass Leibniz sich spätestens ab 1695 vom Konzept der notion complète verabschiedet hat (Rutherford 1995a, 127–128, Schmidt-Biggemann 2001, 1068, Fichant 2004). „Monas est un mot Grec, qui signifie l’unité ou ce qui est un“, schreibt Leibniz in § 1 der Principes de la nature et de la grâce. Zwar definiert Leibniz auch in den Principes den Begriff der Monade schließlich als einfache Substanz (Substance Simple), ein Terminus, den er schon vor Einführung des Monadenbegriffs verwendet, und scheint damit wiederum auf den Substanzbegriff abheben zu wollen. Dennoch muss man sich fragen, warum Leibniz nicht ausschließlich am Be-

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griff der Substanz festgehalten und stattdessen einen so traditionsreichen, ebenso metaphysisch-theologisch wie mathematisch-physikalisch schwergewichtigen Begriff eingeführt hat wie den der Monade, der z.B. in der Euklidischen Geometrie eine zentrale Rolle spielt. „Why Monads?“, fragt auch Daniel Garber völlig zurecht (Garber 2009, 344 ff.). Da Leibniz die Frage nach dem Warum selbst nicht beantwortet, lässt sich nur mutmaßen, dass er den Terminus ‚Monade‘ für philosophisch und wissenschaftlich leistungs- und explikationsfähiger gehalten hat als den der Substanz und ihn diesem vor allem deswegen übergeordnet und vorgezogen hat, weil er das Kriterium für das, was Substanz sein soll, nämlich ein durch sich bestehendes Eines, eine Einheit, die ursächlich für Menge und Vielheit, nicht selbst aber Menge ist, gleichsam im Titel führt: Monas ist das, was Eins ist, Monas ist Einheit. Tatsache ist, dass Leibniz den Begriff der Monade erstmals in einem Brief an Guillaume François de L’Hospital vom 12./22. Juli 1695 gebraucht (A III,6 451: „une unité reelle, Monas“, „eine reale Einheit, Monas“) und als Schlüssel für seine Lehre vom Körper-Seele-Verhältnis einführt (zum Auftauchen des Monadenbegriffs bei Leibniz s. u.a. Garber 2009, 335–344: „Leibniz Discovers Monads“). Diese Lehre, von Leibniz in einem Schreiben an L’Hospital vom 30. September 1695 erstmals unter seinem nachmalig berühmten Namen „harmonie pre-établie“ bezeichnet (A III,6 505), versuchte eine andere Lösung des durch den Substanzendualismus Descartesʼ aufgegebenen Problems zu geben als sie etwa Nicolas Malebranche mit seinem Okkasionalismus offeriert hatte. Dem cartesischen Substanzendualismus zufolge ist kein unmittelbarer wechselseitiger Einfluss zwischen einer ausgedehnten, d.i. materiellen ‚Sache‘ (eine res extensa wie sie jeder Körper ist) und einer denkenden, d.i. unausgedehnten immateriellen ‚Sache‘ (eine res cogitans wie sie jede Seele ist) vorstellbar. Daher hatte Malebranche die Übereinstimmung seelischer Regungen (Empfindungen, Willensbestrebungen, Gefühle, Gedanken etc.) mit körperlichen Abläufen auf ein unmittelbares Eingreifen Gottes zurückgeführt, das bei Gelegenheit (occasio) psycho-somatischer Ereignisse stattfindet. Leibniz hingegen sah den Okkasionalismus als mirakulöse, folglich wissenschaftlich und philosophisch unhaltbare Erklärung an und ging stattdessen davon aus, dass die Harmonie zwischen körperlicher und immaterieller Welt von Gott im Vorhinein bei der konzeptuellen Schöpfung der Welt justiert worden ist: Da die Monaden als für sich bestehende autarke immaterielle Einheiten, was die Abfolge ihrer Zustände betrifft, völlig unabhängig von materiellen Einflüssen sind, muss die Koordination im Weltablauf monadischer Zustände und körperlicher Bewegungen durch die göttliche Urmonade in einem einzigen Akt, dem Akt der Schöpfung, präetabliert, also von vornherein bei der Schöpfung der besten aller möglichen Welten eingerichtet worden sein (zur prästabilierten Harmonie s. Leinkauf 1999a, 1301–1305). 1698 taucht die ‚Monade‘ schließlich als Terminus für die platonisch gedeutete Substanz, das „unum per se“, das „durch und an sich Eines“ Seiende, in einem in der Zeitschrift Acta Eruditorum publizierten Schrift De ipsa natura auf (GP IV, 511). Auch wenn zwischen 1695 und 1698 eine Theorie der kraftbegabten immateriellen einfachen individuellen Substanz im Mittelpunkt steht, die sich von der

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späteren Monadentheorie insofern unterscheidet, als sie vor allem mit den Begriffen der Form und Seele assoziiert ist, während der Monadenbegriff der Monadologie sich nicht auf Seelen und Geister begrenzt, so gibt es doch auffällige Symmetrien oder genetische Marken, die auf die spätere Substitution des Substanzbegriffs durch den Begriff der Monade hindeuten. Hier sind neben den gerade genannten Schriften v.a. das im Journal des savants 1695 erschienene Systeme Nouveau, d.i. eine Art Resümee der vorlaufenden brieflichen Auseinandersetzung mit Antoine Arnauld (Sleigh 1990; Finster (Hg.) 1997; 2009 erschienen in A II,2), sowie die sich um das Systeme Nouveau rankenden Diskussionen mit Pierre Bayle und das Leibnizʼ Dynamik begründende Werk Specimen Dynamicum zu nennen. In den Eclaircissements des difficultés que Monsieur Bayle a trouvées dans le Systeme Nouveau de l’Union de l’Ame et du Corps verankert Leibniz das Streben der Substanz, kontinuierlich und eigengesetzlich ihren Zustand zu ändern, in einem individuellen Ordnungsgesetz (GP IV, 518), ein Konzept, das dasjenige der oben erwähnten notion complète aus dem Discours du métaphysique aufhebt. Die Abfolge der Zustände einer singulären Substanz wird nun mit einer individuellen Zahlenreihe verglichen (GP IV, 522), die, so könnte man ergänzen, aus der dynamischen Einheit der individuellen Substanz hervorgeht. Man könnte von einer Ontologisierung der Reihenmathematik zum Zweck der differenzierenden Qualifizierung der Individualmonaden sprechen. Indem Leibniz nun explizit auf die pythagoreische-platonische Tradition rekurriert, betont er das Prinzip der Reduktion aller Dinge auf die „Harmonien oder Zahlen, Ideen und Perzeptionen der Pythagoristen und Platoniker“ (GP IV, 523– 524) (dazu Neumann 2013, 176 ff.). In der von Leibniz zitierten Tradition galt die Monas als jene Einheit, aus der die Zahlen hervorgehen, ohne selbst Zahl zu sein (siehe dazu Leinkauf 2009, insbes. 19–20; Serres 1968, 310 ff., u.a. über die arithmetische und geometrische Monadologie; zur monadologischen Geometrie und Raumkonzeption bei Leibniz s. Hattler 2004, Risi 2007). Geht man von der Universalität des Begriffs der Einheit/Monade und der spekulativen Einheitsmetaphysik in der Antike und Spätantike aus, so war der Monadenbegriff in der Tat mehr noch als der Substanzbegriff geeignet, die Nuancen einer ontologisch und metaphysisch sedimentierten Arithmetik, Geometrie und Logik in ein universalwissenschaftliches, beschreibendes und erklärendes Theoriemodell zu integrieren, das Physik (bedeutend hier v.a. Leibnizens Dynamik), Kosmologie, Lebenswissenschaften, Erkenntnistheorie, Psychologie und Theologie ineinander zu verschränken und harmonisch zu einem einheitlichen Welterklärungsmodell zusammenzufassen versprach. Die Existenz realer Einheiten, einfacher Substanzen oder kraftbegabter Monaden galt Leibniz hierbei als logisch denknotwendiger, unhintergehbarer Ausgangspunkt seiner späten Metaphysik. Wie aber geht die Geschichte der Monaden bei Leibniz vor der Niederschrift der sog. Monadologie nun weiter? „Leibniz selbst trug seine Monadologie zuerst im Jahr 1710 in seiner Theodicee vor,“ schreibt Christian Ernst von Windheim 1749 in seinem Entwurf einer kurzen Geschichte der Schriften von den Monaden oder Elementen der Körper von der Zeit Leibnizens bis auf die itzigen, der in der

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Göttingischen Philosophischen Bibliothek von 1749 und 1750 in insgesamt drei Teilen erschienen ist (Zit. Windheim 1749, 474). Es ist zweifellos richtig, dass fundamentale Theoriebausteine der Monadologie in den 1710 publizierten Essais de Theodicée enthalten sind, was auch nicht weiter verwundert, da Leibniz den zweiten Entwurf seiner Monadologie als Explikation der Theodicée konzipiert hat. Und doch kommt der Monadenbegriff in der Theodicée so gut wie gar nicht vor, er taucht nur ein einziges Mal in § 396 als Benennung für die einfachen unteilbaren kraftbegabten und immer mit einem Körper versehenen Substanzen resp. Entelechien auf, die weder entstehen noch vergehen, sondern nur von Gott geschaffen und annihiliert werden können (GP VI, 352). In der Forschung wird, in Ermangelung der dezidierten Verwendung des Monadenbegriffs in der Théodicée, auch von ʻmonadischem Denken’ gesprochen (Lamarra 2009). So erweckt Windheims Darstellung den Eindruck, als habe Leibniz den Monadenbegriff erst zur Zeit der Konzeption der Principes de la nature et de la grâce fondés en raison und der sog. Monadologie ins Zentrum seiner Metaphysik geholt und gegenüber dem Substanzbegriff profiliert. Aber der Eindruck täuscht. Windheim konnte wichtige Schriften und Briefe Leibnizens aus dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts nicht kennen, da diese 1748 noch nicht verfügbar waren. Seine recht umfängliche Geschichte der Schriften von den Monaden macht jedoch deutlich, wie intensiv die Leibnizʼsche Monadenlehre in den ersten fünfunddreißig Jahren nach Niederschrift der drei Fassungen der sog. Monadologie im Jahr 1714 rezipiert und wie kontrovers sie diskutiert worden ist. In den 1704 abgeschlossenen, als Kritik an John Lockes Essay Concerning Human Understanding konzipierten, jedoch erst posthum 1765 edierten Nouveaux Essais de l’Entendement Humain rekurriert Leibniz zweimal explizit auf die „Lehre von den Monaden“, zum einen als eine von ihm schon einmal vorgetragene „doctrine des monades“, zum andern als eine „doctrine des unités substantielles ou Monades“, die die Frage danach, was Materie sei, noch erhellend beantworten würde (GP V, 93, GP V, 207). Auch in einigen anderen Passagen der Nouveaux Essais macht sich bemerkbar, dass der Monadenbegriff gegenüber dem der Substanz an Prominenz gewonnen hat. Wichtig aber bleibt die Erwähnung der „Lehre von den Monaden“, „doctrine des monades“; dies deutet nämlich darauf hin, dass Leibniz den Entwurf einer expliziten Monadentheorie im Sinn hatte. Nahezu zeitgleich mit der Niederschrift der Nouveaux Essais hat Leibniz mit dem Leidener Arzt und Physiker Burchard de Volder, der sich selbst als Anhänger Descartesʼ verstand, über das physikalische Problem des Verhältnisses von Körper und Seele/Geist und über die Frage, was eine körperliche Substanz sei und konstituiere, korrespondiert und seine Theorie der einfachen Substanz diskutiert (siehe dazu Lodge 2001, Lodge 2004, Garber 2009, 303–314); auch hier tritt der Monadenbegriff stets von neuem in den Vordergrund. Der Hinweis aus den Nouveaux Essais ließe sich nicht nur im Zusammenhang mit dem Briefwechsel mit de Volder, sondern auch, wenn man Michel Fichant folgt, in Hinblick auf Leibnizʼ Korrespondenz mit Michelangelo Fardella und Prinzessin Sophie von Hannover dahingehend deuten, dass Leibniz spätestens um

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1704/05 eine Lehre von den Monaden oder von den wahren substanziellen Unitäten konzipiert hat oder in Planung hatte (s. die selektive Edition der Briefe mit Fardella und Sophie bei Fichant 2004, 319–362; merkwürdigerweise lässt Fichant die Korrespondenz mit de Volder außen vor). Der Problemkreis, dem sich Leibniz in seiner Auseinandersetzung mit John Locke widmet, in dem der Monadenbegriff und die Rede von der Lehre der Monaden auftaucht, betrifft u.a. die Idee der Identität und der Ausdehnung, ob etwa bei der fluktuierenden Veränderung und dem Teilchenfluss des Körpers ein aus Körper und Seele zusammengesetztes Wesen mit sich selbst identisch bleibe. Mit der Idee der Identität verbindet Leibniz das Prinzip der Kontinuität, denn ohne Kontinuität, dem lückenlosen Auseinanderhervorgehen und Ineinandergreifen von physischen und psychisch-mentalen Zuständen, ist kein Bleibendes oder Identisches in der Natur konstatierbar. Dies bringt ihn schließlich dazu, den Inhalt dessen zu erweitern, was man für gewöhnlich Perzeption genannt hat, nämlich Empfindung, Wahrnehmung, Vorstellung und Gedanke. Leibniz geht hier, anders als Descartes, der nur bewusste Perzeptionen kannte, von den sogenannten vielen kleinen unbewussten Perzeptionen („petits perceptions insensibles“) aus, die dazu beitragen können zu verstehen, wieso wir, wenn wir z.B. aus einem traumlosen Schlaf oder einer Ohnmacht erwachen, trotzdem noch die gleichen sind, die wir zuvor gewesen sind. Die scheinbare Lücke in der Kette der Perzeptionen wird durch die Annahme vieler kleiner unbewusster Perzeptionen geschlossen, deren Resultante gleichsam die erste mehr oder weniger bewusste Empfindung im Prozess des Erwachens ist. Unsere Identität hat also ihren Grund in der kontinuierlichen Aufeinanderfolge auseinander hervorgehender Perzeptionen einfacher, stets tätiger kraftbegabter Substanzen oder Monaden, Perzeptionen, die Leibniz mit kleinsten sich stoßenden physikalischen Korpuskeln oder zwischen vermeintlicher Ruhe und wahrnehmbarer Bewegung oszillierenden minimalen Bewegungsinstanzen parallel setzt. Denn einen absoluten Nullpunkt der Ruhe gibt es laut Leibniz nicht (GP V, 101: „L’action n’est pas plus attachée à l’ame qu’au corps, un estat sans pensée dans l’ame, et un repos absolu dans le corps me paroissant également contraire à la nature, et sans exemple dans le monde“). Dem steten, den Gesetzen der Mechanik gehorchenden Teilchenfluss auf körperlicher Seite entspricht so der kontinuierliche immaterielle und dynamische Perzeptionenfluss auf monadischer Seite. Genau diese von Gott eingerichtete Konformität nennt Leibniz prästabilierte Harmonie. Nun spricht Leibniz aber nur der Seele wahre Identität und Einheit zu, weil „alle Gedanken und Tätigkeiten unserer Seele aus ihrem eigenen Grunde stammen und ihr nicht durch die Sinne gegeben werden können [...].“ (GP V, 66: „toutes les pensées et actions de nostre Ame viennent de son propre fonds, sans pouvoir luy estre données par les sens [...]“), während die Materie keine vollkommene Einheit wie die Monade sei, da in ihr unendlich viele, sich gegenseitig beeinflussende und verschiebende Teilchen existierten (GP V, 421). Der unendlichen Geteiltheit der Materie steht folglich die ungeteilte Einheit und Einfachheit der Monade gegenüber. Die Seele bringt ihre Perzeptionen selbsttätig und autonom aus sich selbst als vollkommener Einheit hervor. Dies aber weist bereits voraus sowohl auf die

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Fensterlosigkeit der Monaden, von der in der Monadologie die Rede ist (M§ 7), als auch auf die Eigenschaft von Monaden, Entelechien zu sein, d.h. dass sie eine Kraft haben, aus der sie sich individuell und selbsttätig im Sinne der Realisierung ihres Wesens, das gewissermaßen ihre Zielvorgabe (telos) ausmacht, zu entfalten bestreben (s. a. T § 87, M § 18). Überhaupt kehrt Vieles, was Leibniz in den Nouveaux Essais sagt, nahezu wörtlich in der Monadologie wieder, so u.a. dass dank der kontinuierlichen Kette an Perzeptionen die Gegenwart mit der Zukunft schwanger gehe, wodurch die individuelle Identität der Seele gewahrt bleibe und das Wort des Hippokrates, dass alles miteinander zusammenstimme (GP V, 48), seine Berechtigung fände (s. u.a. M §§ 20–23, M § 61 [Hippokrates]). Dennoch gibt es einen eklatanten Unterschied zur Monadologie, der wohl aber der Thematik der Nouveaux Essais, d.i. die Funktionsweise des menschlichen Verstandes und die Genese seiner Ideen, geschuldet sein dürfte. Der Begriff der Monade, d.i. der realen Unität und einfachen Substanz, wird anders als in der Monadologie meist und in der Hauptsache auf den Begriff der Seele zugeschnitten, in der Monadologie hingegen spricht Leibniz nicht nur von Seelenmonaden, sondern vor allem auch von den sogenannten „völlig nackten Monaden“, die sich in einem steten Zustand der Betäubung befänden (M § 24: „Monades toutes nues“). Die Seelenmonaden stellen in der Monadologie innerhalb der Hierarchie der Monaden eine Monadenklasse für sich dar. Davon sind in den Nouveaux Essais allenfalls Andeutungen enthalten. Im Brief an de Volder vom Januar 1705 kommt zu den gerade erläuterten Eigenschaften der einfachen Substanzen oder perzeptiv-appetitiv tätigen Monaden ein grundlegendes Argument hinzu: Leibniz erkennt allein den einfachen Substanzen zu, Substanzen zu sein, eine körperliche Masse aber ist nach Leibniz keine Substanz, sondern nichts als ein Phänomen, eine Erscheinung, die aus den einfachen Substanzen resultiert (GP II, 275; Garber 2009, 314). Hier bahnt sich die Aufhebung des Substanzendualismus Descartesʼ in einen Substanzenmonismus und Phänomenalismus an, der für die Monadologie von 1714 charakteristisch ist. In der rezeptionsgeschichtlichen Forschung ist vielfach die Frage gestellt worden, welche zeitgenössischen Einflüsse dazu beigetragen haben, dass Leibniz in seiner späten Phase den Begriff der Monade zum Kern seiner Metaphysik gemacht hat (siehe u.a. Domandl 1977, Becco 1978, Merchant 1979, Orio de Miguel 1990). Eine eindeutige Lösung, die passgenau auf das Leibnizʼsche Monadenkonzept Anwendung fände, hat sich hier nicht einstellen wollen, wohl aber eine erstaunliche Fülle an Hinweisen, die zeigen, wie präsent der aus der Antike stammende Monadenbegriff in der Frühen Neuzeit gewesen ist (Neumann 2013). Leibniz war er jedenfalls aus diversen Debattenzusammenhängen präsent, so z.B. aus den Diskussionen um die Seelenwanderungslehre, die Metempsychose, über die er in den 1690er Jahren mit Franciscus Mercurius van Helmont, der Kurfürstin Sophie von Hannover und der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans korrespondiert hat (Zander 1999, 274–284, Neumann 2013, 75–76). Darüber hinaus existieren zahlreiche Studien, die mit oder ohne systematischen Vergleich mit Leibnizens Monadentheorie diverse historische Monadentheorien von der Antike bis in die Moderne untersucht haben (s. z.B. die Studien in den Sammelbänden

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von Orléans Bonk 2003, D’Ippolito/Montano/Piro D’Ippolito 2005, Neumann 2009). 3. ENTSTEHUNGSGESCHICHTE UND KONTEXT DER MONADOLOGIE Anlass für Leibnizʼ Niederschrift des Eclaircissement sur les monades, die spätere sog. Monadologie, war die Erläuterung des Monadenbegriffs in der Theodicée für den Chef du Conseil du Duc d’Orléans, den Ersten Rat des Herzogs von Orléans, und gelehrten Platoniker Nicolas-François Remond (s. dazu Strack 1915, 52 ff.; Neumann 2013, 198 ff. mit Rekurs auf Strack 1915). Dieser war, wie aus seinem Brief an Leibniz vom 2. Juni 1713 hervorgeht, ein begeisterter Leser der Théodicée, die er, wie er später anmerkte, für die „Venus von Milo in intellektuellen Dingen“ hielt (GP III, S. 626: „Venus de Medicis en choses intellectuelles“). Erstmals habe er, der eingeschworene Platoniker, die Lektüre Platons zugunsten der Lektüre eines modernen Autors ausgesetzt (GP III, 603). Nichtsdestotrotz blieben Verständnisschwierigkeiten, insbesondere in Bezug auf die Monadenlehre. Obwohl der Begriff der Monade in der Théodicée kaum vorkommt, waren Remond und ein gemeinsamer Bekannter von Remond und Leibniz, Charles Hugony, der noch der Absicherung bedürftigen Auffassung, dass Leibniz sein philosophisches System in der Théodicée rund um die platonischen Monaden organisiert habe. Hugony erbat sich im Namen Remonds daher Aufklärung über genau diese „platonischen Monaden“ (Hugony an Leibniz, 11. Februar 1714, in: Strack 1915, 60) und das mit den Monaden zusammenhängende philosophische System. Nur knapp eine Woche später, nachdem Leibniz um die Formulierung konkreter Probleme angefragt hatte, um die Frage nach den „platonischen Monaden“ beantworten zu können, wies Remond Leibniz darauf hin, dass zunächst ein zusammenfassender Extrakt der Théodicée sinnvoll sei, um die Schwierigkeiten, die er mit den Monaden habe, auf den Punkt bringen zu können. Im weiteren Verlauf der im Frühjahr 1714 stattfindenden Korrespondenz wird immer deutlicher, dass Remond zu erfahren wünschte, ob die Leibnizʼschen Einheiten („unités“) mit den „platonischen Monaden“ identisch seien und ob sich Leibniz selbst als moderner Platon verstünde. Leibniz hatte bereits an einer Erklärung zu arbeiten begonnen, als Remond in einem Schreiben vom 5. Mai 1714 nun noch zusätzlich darum bat, Leibniz möge ihm das „Systeme des Monades“ (GP III, 616) in exakten Lehrsätzen nach axiomatisch-geometrischer Methode vermitteln, aus denen sich dann alle weiteren Folgerungen, etwa für die Moral- und Naturphilosophie, herleiten ließen. Im Juli 1714 entschuldigte sich Leibniz, dass er den Eclaircissement sur les monades aufgrund zahlreicher Ablenkungen noch nicht zum Abschluss habe bringen können. In der Tat sollte Remond den ursprünglich von ihm erbetenen Eclaircissement niemals erhalten. Als Trostpreis übersandte Leibniz Remond im August 1714, kurz bevor er von Wien, wo er sich seit 1712 aufhielt, nach Hannover zurückkehrte (zu Leibnizʼ Wien-Aufenthalt vgl. Heinekamp 1970, Rescher 1999), einen „kleinen Diskurs“ (GP III, 624: „petit discours“), der sich als Principes de

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la nature et de la grâce fondés en raison herausstellte, ein Trostpreis, von dem sich Remond außerordentlich erfreut zeigte und den er zum Anlass nahm, im Januar 1715 konkrete Verständnisschwierigkeiten zu äußern, die ihm das Leibnizʼsche Monadenkonzept bereitete. Bereits dieser Umstand zeigt die Nähe der beiden zeitgleich entstandenen, an unterschiedliche Adressaten gerichteten Texte, zum einen die an Prinz Eugen von Savoyen adressierten Principes de la nature et de la grâce fondés en raison, zum andern den ursprünglich für Remond gedachten, in kurzen Paragraphen gehaltenen Eclaircissement sur les monades, die spätere sog. Monadologie. Mögen sie sich auch stilistisch sehr unterscheiden, so stehen sie sich inhaltlich doch außerordentlich nah, auch wenn die sog. Monadologie insgesamt dichter und inhaltreicher gehalten ist. Dass die Principes aber mehr naturphilosophisch ausgerichtet seien als die sog. Monadologie (so schon Strack 1915, 72), ist insofern nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, als sich in der sog. Monadologie schlechterdings nur knappere, aber durchaus präzise Andeutungen finden, deren naturphilosophische Implikationen außer Frage stehen. Immerhin geht es auch hier um die zwei Reiche der Natur und der Gnade. Außer Zweifel steht, dass sich beide Texte gegenseitig erhellen (zur Entstehungsgeschichte der Principes s. Strack 1915). Unklar ist, mit welcher Intensität Leibniz an dem Monadologie-Text weitergearbeitet hat, nachdem er Remond im August 1714 mit den Principes vertröstet hatte und im September 1714 von Wien nach Hannover zurückgekehrt war. Folgt man den Ausführungen Stracks, dann hat Leibniz noch eine vergleichende Durchsicht der Théodicée vorgenommen und in den Monadologie-Text in Form von weiteren Verweisen auf die Théodicée eingearbeitet – dies war sicher noch dem Anliegen Remonds geschuldet, eine den philosophischen Kern der Théodicée erhellende systematische ‚monadologische‘ Erklärung zu erhalten (vgl. Strack 1915, 76–77). Analysiert man die Funktion der Referenzen auf die Théodicée, die Leibniz der sog. Monadologie beigefügt hat, so beruht diese nicht nur darauf, auf eine Passage in der Theodicée zu verweisen, die nur denjenigen Paragraphen der M betrifft, dem sie als Verweis beigefügt ist. Vielmehr kann sich ein ThéodicéeVerweis in einem bestimmten Paragraphen der sog. Monadologie auch auf dessen vorlaufende und/oder nachlaufende Paragraphen beziehen. So ist es sehr wahrscheinlich, dass sich der in M § 4 genannte § 89 der Théodicée auch auf M §§ 1–3 und M §§ 5–6 bezieht, weil in ihm für M §§ 1–6 so zentrale Themen wie die Unvergänglichkeit und Unkörperlichkeit der Seele diskutiert werden und zudem, wie in M § 3, von einfachen individuellen Substanzen als „wahrer Atome der Natur“ die Rede ist (T § 89: „[...] aller wirklich einfachen und unteilbaren Substanzen, die die einzigen und wahren Atome der Natur sind.“; M § 3: „Und diese Monaden sind die wahren Atome der Natur [...].“) Nun blieben die in Hannover erhaltenen Manuskripte der sog. Monadologie bis ins 19. Jahrhundert unter Verschluss (Signatur: IV, I, 1), und es dauerte bis 1840, bis Johann Eduard Erdmann erstmals den originalen französischen Text edierte (Erdmann 1840, 705–712), hier jedoch immer noch mit dem falschen, einer langen Verwechslungsgeschichte der Principes und der sog. Monadologie

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geschuldeten Zusatz „in gratiam Principis Eugen“ (die lateinische Übersetzung von M arbeitete mit dem Titel Principia Philosophiae, was die Verwechslung einigermaßen erklärt; vgl. dazu Lamarra 2001). Prinz Eugen hatte Leibniz aber die Principes gewidmet und nicht die sog. Monadologie. Erst Carl Immanuel Gerhardt hat 1885 in seiner Edition von Leibnizʼ philosophischen Schriften auch diesen Irrtum korrigiert (GP VI). Die frühe deutsche und lateinische Übersetzung der sog. Monadologie 1720/1721 geht auf eine gesonderte, in der Österreichischen Nationalbibliothek zu Wien aufbewahrte Abschrift zurück, die um 1717/18 unter Hallenser Studenten des Aufklärungsphilosophen Christian Wolff zirkulierte. Wolff, der Leibniz persönlich kannte, von diesem gefördert worden ist und lange Zeit mit ihm korrespondierte, ist in der Philosophiegeschichtsschreibung vor allem unter dem Schlagwort der Leibniz-Wolffschen Schulphilosophie bekannt geworden. Zeitgenossen Wolffs sprachen von einem systema Leibnitio Wolffianum (u.a. Ludovici 1737, Erster Teil, 162; Forster 1747). Wolff hat sich in der Tat erheblich um die editorische Verbreitung der Leibnizʼschen Philosophie verdient gemacht. Er knüpfte mit seinem eigenen Philosophieren zwar an Leibniz an, war jedoch der Auffassung, die unsystematischen Reflexionen Leibnizens in ein eigenständiges philosophisches System integriert zu haben. Aus diesem Grund nahm er für sich in Anspruch, kein Epigone, sondern quasi der bessere Leibniz zu sein (vgl. Neumann 2013, 259–414). Und so begann mit Christian Wolff und seinen Anhängern die frühe Editions-, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der sog. Monadologie. 4. KURZE ÜBERLIEFERUNGS- UND EDITIONSGESCHICHTE DER SOGENANNTEN MONADOLOGIE Der originale französische Text der sog. Monadologie wurde erst im 19. Jahrhundert ediert (s.o.). Dennoch hat es bereits in den ersten Jahrzehnten nach Leibnizʼ Tod eine intensive Wirkungsgeschichte der sog. Monadologie gegeben. Dies lag daran, dass sie in zwei frühen Übersetzungen, einer deutschen von 1720 und einer lateinischen von 1721, publiziert worden ist (Köhler (Übers., Hg.)/Leibniz 1720; die lateinische Übersetzung ist ediert bei Lamarra/Palaia/Pimpinella 2001, 143 ff.). Es weist zwar nichts darauf hin, dass der Titel der sogenannten Monadologie, der vom ersten Übersetzer und zeitweiligen Sekretär Leibnizens in Wien Heinrich Köhler stammt, von der von Leibniz in den Nouveaux Essais zweimal erwähnten „doctrine des monades“ inspiriert gewesen sein könnte. Darüber, dass Köhler Einsicht in weitere Manuskripte gehabt hätte oder in Gesprächen mit Leibniz auf die „doctrine des monades“ aufmerksam geworden wäre, geben die überlieferten Quellen keinen Aufschluss. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass Köhler, der in Wien mit Leibniz verkehrte, offenbar „verschiedene Aufsätze über Dero [= Leibnizens] neuesten Lehren zu sehen die avantage gehabt“ (Köhler 1720, Vorrede des Ubersetzers, 6v) sowie über „philosophische, insbesondere metaphysische Themen“ (zit. bei Neumann 2013, 262, FN 213) mit ihm diskutierte, Leibniz von der „doctrine des monades“ hat reden hören.

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Antonia Lamarra, Roberto Palaia und Pietro Pimpinella haben die deutsche und lateinische Fassung gemeinsam mit dem französischen Original in einer sehr guten synoptischen Edition herausgegeben (Lamarra/Palaia/Pimpinella 2001, 143– 189). Lamarra hat darüber hinaus den Nachweis erbracht, dass der anonyme Übersetzer, der die lateinische Übertragung der sog. Monadologie angefertigt hat, kein Geringerer als Christian Wolff gewesen ist (Lamarra 2001, 87–105), mit dem Leibniz seit Ende 1704 regelmäßig korrespondierte. Diese frühe Publikation zweier Übersetzungen der sog. Monadologie steht im Kontext einer ganzen Reihe von Editionen der späten philosophischen Schriften von Leibniz – genannt seien die lateinische Übertragung der Théodicée durch Bartholomäus Des Bosses von 1719, die deutsche Übersetzung der Théodicée durch Georg Friedrich Richter von 1720, eine Sammlung an diversen Schriften und Briefen durch Pierre Des Maizeaux ebenfalls von 1720, darunter der so wichtige Briefwechsel zwischen Leibniz und dem Newtonianer Samuel Clarke, den Heinrich Köhler, angeregt von Christian Wolff, ebenfalls ins Deutsche übertragen und 1720 mit einer Vorrede Wolffs versehen veröffentlicht hat –, nimmt aber als Vermächtnis, als welches die sog. Monadologie aufgefasst worden ist, gleichwohl eine Sonderstellung ein. Dies haben sich Wolff und sein Schüler Heinrich Köhler medien- und editionspolitisch zunutze gemacht, um Wolff als legitimen Nachfolger Leibnizʼ in Deutschland und in Europa zu positionieren (vgl. Neumann 2013, 265–287). Nahezu zeitgleich mit Köhlers deutscher Übersetzung der Monadologie und der Leibniz-Clarke-Korrespondenz erschien Wolffs Deutsche Metaphysik; Wolff selbst hat sowohl seine Deutsche Metaphysik als auch Köhlers Übersetzung der Monadologie anonym in dem Gelehrtenjournal Acta Eruditorum rezensiert, sich selbst dabei als Leibnizʼ Erbe herausgestellt und sich zugleich gegen den möglichen Vorwurf zur Wehr gesetzt, bloßer Epigone des großen Leibniz zu sein. Auch Heinrich Köhler stellte in seiner Vorrede zur Übersetzung der sog. Monadologie Wolff als „capablen“ Nachfolger Leibnizʼ vor und bezeichnete Wolffs Deutsche Metaphysik als „entrée“, als besten Einstieg in die Lehrsätze von den Monaden, die Wolff erheblich erweitert und anschaulich vorgeführt habe (Köhler (Übers., Hg.)/Leibniz, Vorrede des Ubersetzers, 3r). Im Zuge von Köhlers deutscher und Wolffs lateinischer Übersetzung der sog. Monadologie treten Wolff und seine Anhänger also bewusst das editionspolitische Erbe der Leibnizʼschen Metaphysik in Deutschland an, als deren systematisierender Interpret Wolff verstanden wissen wollte. Wollte man, so gab Wolff zu verstehen, Leibniz begreifen, führte an Metaphysik kein Weg vorbei. Leibnizʼ herausragender Ruf in der Gelehrtenrepublik und der fragmentarisch-unsystematische Charakter seiner Philosophie dienten Wolff und seinem Kreis also als Katalysator, um sich in der Wissenschaftslandschaft der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als diejenige Schule unentbehrlich zu machen, die das Leibnizʼsche Erbe rechtmäßig vertrat und die Leibnizʼsche monadologische Metaphysik gegen den Newtonianismus verteidigte und profilierte. Leibniz war nicht nur der wissenschaftliche Anknüpfungspunkt für Wolff, sondern auch ein werbewirksames Label, mit dem sich Wolff und seine Schule zu einer eigenen ‚Marke‘ entwickeln konnten.

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Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts hat es noch zahlreiche weitere Editionen der sog. Monadologie gegeben, meist Neudrucke der lateinischen Übersetzung Wolffs, die außerdem die Vorlage für eine französische Übertragung gewesen ist (zu den Drucken im 18. Jahrhunderts s. die Bibliographie bei Lamarra 2001, 109–111). Im 19. Jahrhundert erfolgte schließlich die erstmalige Edition des französischen Originals der sog. Monadologie. Man kann sich zurecht die Frage stellen, warum diese nicht schon eher, im Zuge der ersten Übersetzungen 1720/1721, mitediert worden ist. Wieso haben Wolff und Köhler das französische Original bzw. eine Abschrift davon unter Verschluss gehalten? Lamarra vermutet hinter der Nichtedition des französischen Originals eine „kulturpolitische“ Strategie, um der idealistischen Tendenz der Leibnizʼschen Monadentheorie eine realistische Wende entgegenzusetzen (Lamarra 2001a). Nun kann man sich zurecht darüber streiten, ob Wolffs Metaphysik diese von Lamarra gemutmaßte realistische Wende de facto vollzogen hat. Die Unterschlagung des französischen Originals hat nicht dazu geführt, dass Leibnizʼ Monadentheorie ihren schon früh verbürgten idealistischen Ruf eingebüßt hätte. Mit den sprachlichen Fassungen der sog. Monadologie hat dies auch nicht sehr viel zu tun, selbst wenn in der deutschen Übersetzung Köhlers vieles eigenwillig und nicht adäquat übertragen worden ist. Die lateinische Übersetzung ist hier um einiges originalgetreuer als die deutsche. Mit der deutschen Version bediente man den deutschen Markt, mit der lateinischen den internationalen resp. europäischen Wissenschaftsmarkt – Latein war im 18. Jahrhundert immer noch die anerkannte internationale Wissenschaftssprache. Dies entsprach weitgehend der Absicht Wolffs, sich als ‚deutscher‘ Nachfolger Leibnizʼ in Deutschland und auf dem internationalen Wissenschaftsparkett zu präsentieren und einer französischen Vereinnahmung Leibnizʼ entgegenzuwirken. Auch wenn 1885 mit Gerhardts Edition der Monadologie, die diejenige von Erdmann 1840 korrigierte, eine erste zuverlässige Ausgabe vorlag, hat erst Clara Strack 1917 für eine textkritisch penible, auf genauer Kenntnis der Handschriften beruhende verlässliche Edition gesorgt (Leibniz/Strack 1917, darauf beruhend Leibniz/Hecht 1998), an der André Robinet 1954 mit seiner Ausgabe anknüpfen konnte (Leibniz/Robinet 1954). Weitere Editionen stechen durch das Bemühen hervor, den Lesern Textmaterial aus den Briefen und Schriften Leibnizʼ zur Verfügung zu stellen, die für das Verständnis der Monadologie förderlich sind. Hier sind vor allem die von Nicholas Rescher und Michel Fichant besorgten Editionen erwähnenswert (Leibniz/Rescher 1991, Leibniz/Fichant 2004). Trotz dieser erheblichen editorischen Bemühungen bleibt eine detaillierte historisch-kritische Edition der Monadologie, die die unterschiedlichen handschriftlichen Konzeptstufen sowie die Divergenzen innerhalb der Abschriften in ihrer Eigenständigkeit deutlich sichtbar macht, ein dringendes Desiderat.

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5. DER UNIVERSALE ANSPRUCH DER MONADENTHEORIE UND DAS THEMENSPEKTRUM DER MONADOLOGIE: EIN KURZER ÜBERBLICK ÜBER DIE HAUPTPUNKTE DER MONADENLEHRE Donald Rutherford hat Leibnizʼ Absicht, sein philosophisches System in der sog. Monadologie darzulegen, als „one of the most ambitious undertakings in the history of Western philosophy“ bezeichnet (Rutherford 2009, 35). In der Tat könnte der Anspruch der Leibnizʼschen Monadentheorie, wie sie in der Monadologie präsentiert wird, universaler kaum sein. Sie sollte sämtliche Wissenschaften in einem einheitlichen metaphysisch-mathematischen Theoriemodell begründen. Sie sollte eine logisch stringente, universale Welterklärung oder besser -beschreibung mit nachhaltigem moralischem Impetus offerieren, die mit der christlichen Theologie konform ging. Sie wollte, wie sich gerade an den lebenswissenschaftlichen und physikalischen Beispielen in der Monadologie zeigt, die besonderen Errungenschaften der ‚Moderne‘ (etwa die mikrobiologischen Erkenntnisse, die die neue Mikroskopie ermöglicht hat) in eine vereinheitlichende Theorie zusammenführen. Die Monadologie verhandelt ein diesen Ansprüchen entsprechendes Themenspektrum auf engstem Raum, manches belässt sie bei Andeutungen, andere Paragraphen erscheinen wie präzise Entwürfe, die sich ohne Weiteres wie von selbst weiterdenken lassen. 5.1. Monaden, Monadenaggregate und Komposita Was aber ist nun jene ‚Monade‘, auf der das Leibnizʼsche Wissenschafts- und Weltverständnis beruht? – Von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Monaden sind die ersten beiden Paragraphen, in denen Leibniz nicht nur darlegt, was er unter einfachen Substanzen resp. Monaden verstanden wissen möchte, sondern auch einen im Nachhinein problematischen kausallogischen Begründungszusammenhang zwischen Einfachen und Komposita, zwischen Immateriellen und Materiellen etabliert. Dieser bis heute vieldiskutierte Bezug zwischen Monaden und Komposita, zwischen einfachen Substanzen und Körpern macht vor allem eines deutlich: Leibnizʼ Monaden, seine in der Monadologie mehr noch als in den Principes hervortretende monistische Substanztheorie (= einzig immaterielle Unitäten sind Substanzen und als solche wahr und real), problematisieren und provozieren das konventionelle Verständnis von Körperlichkeit und Materialität. Mit dem Substanzenmonismus ist auch die von Leibniz lange vertretene Doktrin von den körperlichen Substanzen aufgehoben, wonach nur die Einheit von Form/Seele und Materie/Körper Substanz zu nennen ist. Und doch sind es die Monaden, deren Existenz und exklusive Substantialität Leibniz zur Bedingung eines allumfassenden wissenschaftlich begründeten Welterklärungsmodells macht, das gerade auch die physikalische Welt erklären soll. Ob Leibnizʼ monistische Substanztheorie dabei als radikaler Idealismus oder als Phänomenalismus zu werten ist, der einem realistischen Verständnis von Kör-

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pern keinen Raum bietet, oder ob sie einem solchen Verständnis doch noch Vorschub leistet, ist sowohl in der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte als auch in der Leibnizforschung der letzten Jahrzehnte kontrovers diskutiert worden. Jeder sorgfältige Leser der Monadologie sieht sich jedenfalls schon bei der Lektüre der Eingangsparagraphen mit erheblichen Verständnisproblemen konfrontiert. Leibniz definiert die Monaden als einfache, d.h. nicht aus Teilen bestehende, unausgedehnte immaterielle Substanzen, die, weil sie nicht aus Teilen bestehen, auch nicht aus Teilen zusammengesetzt oder in Teile dekomponiert werden können. Sie können daher auch nicht wie ‚natürliche‘ Körper entstehen und vergehen, unterliegen keinem kausalmechanischen durch Druck und Stoß regulierten Teilchenfluss, sondern sind vielmehr von Gott geschaffene unvergängliche und unsterbliche Einheiten, die, wenn überhaupt, auch nur von Gott annihiliert werden können. Ihr Gegenteil sind Komposita, d.i. alles aus Teilen Bestehende, deren Zusammenwirken kausalmechanisch nach den Gesetzen von Druck und Stoß funktioniert, d.i. alles Materielle und Körperliche. Nun bestehen laut Leibniz Körper wiederum aus materiellen Teilchen, die ihrerseits wieder aus Materieteilchen bestehen ad infinitum. Die materielle Welt der Körper ist für Leibniz somit unendlich geteilt, eine Auffassung, die im Übrigen schon der frühe Leibniz vertreten hat. Die Existenz unteilbarer körperlicher Elementarteilchen oder von Atomen hält Leibniz aufgrund der konstatierten Teilbarkeit der Materie für ausgeschlossen. Auch von Korpuskeln oder physischen Punkten, die nicht weiter aufgetrennt werden können und mit denen Leibniz in früheren Jahren gearbeitet hat, ist in der Monadologie nicht die Rede (zum eigentümlichen Atomismus bei Leibniz, seiner Entwicklung vom physischen zum metaphysischen Atomismus vgl. Arthur 2003, Garber 2009, 62–70). Der unendlichen Geteiltheit alles Materiell-Körperlichen steht also die Einfachheit und Unteilbarkeit alles Immateriell-Monadischen gegenüber. Man sollte denken, dass es innerhalb dieser strikten, an den Substanzendualismus Descartesʼ gemahnenden Opposition keinen unmittelbaren wechselseitigen Einfluss zwischen Monaden und Komposita gibt. In der Tat haben sensualistische Wahrnehmungstheorien keinen Platz in der Leibnizʼschen Erkenntnistheorie: Die Monaden sind fensterlos (M § 7); auf sie können keine sinnlichen Eindrücke Einfluss nehmen, weil sie keine Teile haben, auf die Sinnesdata ‚Druck‘ ausüben könnten. ‚Sinnliche‘ Wahrnehmungen, ja überhaupt Bewusstseinszustände aller Art, Gedanken, Bilder usw. resultieren daher auch nicht aus der Verarbeitung äußerer Eindrücke, sondern entstammen ausschließlich der Tätigkeit der Monaden selbst. Insofern sind Monaden autarke, autonome, dynamische Einheiten oder aktive in sich geschlossene individuelle Systeme, die keinerlei Berührungspunkt mit einer wie auch immer beschaffenen für sie quasi externen Welt haben. Und doch gibt Leibniz gleich zu Beginn seiner Monadologie zu verstehen, dass Komposita Aggregate oder Anhäufungen von Monaden seien, die er in § 3 sogar zu den „wahren Atome[n] der Natur“ und „Elemente[n] der Dinge“ erklärt. Wenn ‚ich‘ also eine ‚Seelenmonade‘ bin, dann ist ‚mein‘ Körper eine Anhäufung oder Kollektion oder Zusammenstellung (System) von Monaden (Monadenatomen, Monadenelementen), in die ‚ich‘ als ‚Seelenmonade‘ ‚eingetreten‘ bin (M § 1:

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Monade als einfache Substanz, die in Zusammengesetztes eintritt/eingeht). Ohne verstehen zu müssen, wie genau dies funktioniert, ist doch zumindest eines klar: Leibniz führt alles Materiell-Körperliche auf die Existenz von immateriellen einfachen Substanzen zurück, deren Tätigkeit verantwortlich für die temporäre Einheit und Identität dessen ist, was wir für gewöhnlich ein materielles und körperliches Ding nennen. Ohne Monaden gäbe es keine identifizierbaren Körper. Was aber sind dann Körper, wenn ihre ‚Realität‘ von – irgendwie organisierten – Monadenaggregaten herrührt und somit sozusagen nur geliehen ist? Sie sind laut Leibniz keine Substanzen, sondern ‚nur‘ Phänomene, die in den Monaden gegründet sind, weil sie aus diesen resultieren (s. dazu und zur Problematik ausführlich Rutherford 1994, ders. 2009). Hinzu kommt noch, dass Monaden immer Körper haben, Körper, die zwar einem Prozess der Metamorphose unterliegen, eine Trennung aber von Monade und Körper und damit die Möglichkeit einer Seelen- oder Monadenwanderung von einem Körper in einen anderen hält Leibniz für ausgeschlossen. Die einzige Monade, die keinen Körper hat, ist Gott. Daran, dass die göttliche Urmonas keinen Körper hat, kann man einen gewissen Zusammenhang zwischen geschaffenen Monaden und deren Körperlichkeit ablesen. Da Gott absolut vollkommen ist und die von ihm geschaffenen Monaden allenfalls an seiner Vollkommenheit teilhaben, ohne diese jemals erreichen zu können, hat der Umstand, dass Monaden immer Körper haben, mit ihrer gegenüber der göttlichen Urmonas relativen Unvollkommenheit zu tun. Deswegen schreibt Leibniz in M § 42: „Diese ursprüngliche Unvollkommenheit der Geschöpfe macht sich als natürliche Trägheit der Körper bemerkbar.“ Die Trägheit der Körper ist also wie alle physischen Qualitäten Ausdruck eines metaphysischen Mangels der appetitiv-perzeptiven Krafttätigkeit der Monaden. Was wir an Eigenschaften, Bewegungen und Änderungen in der körperlichen Welt und konkret an ‚unserem‘ Körper beobachten, korreliert daher mit den Eigenschaften, Änderungen und Unterschieden der Monaden, konkret des Monadenaggregats, der ‚unser‘ Körper ist. Die monadische Welt spiegelt sich und drückt sich in jedem Moment aktiv in der körperlichen Welt aus, die gleichsam die mechanisch regulierte Zeichenfolge monadischer Aktivitäten ist. 5.2. Appetit, Perzeption und Monadenhierarchie Worin besteht aber nun die eben genannte monadische Aktivität? Sie besteht darin, eine kontinuierliche Folge von Bestrebungen und Perzeptionen hervorzubringen, genauer: die monadische Tätigkeit faltet Vieles in Eines ein und vergegenwärtigt resp. repräsentiert eine Einheit, in der eine Vielheit von Details impliziert ist. Das trifft auf jede Wahrnehmung, auf jedes Bild, jeden Gedanken, jedes noch so undeutliche Gefühl oder jede noch so unbewusste Empfindung zu. Die appetitive-perzeptive Tätigkeit der Monade erzeugt in autonomer und autarker Weise Perzeptionen, die, sind sie reflexiv, Apperzeptionen genannt werden, sind sie aber nackt, nicht von Bewusstsein oder bewusster Wahrnehmung oder Aufmerksam-

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keit begleitet werden. Perzeptionen können unmerklich, unbewusst, dunkel, konfus sein und gegen Null tendieren. Die Monaden variieren nach dem Grad ihrer Perzeptivität. Und so expliziert Leibniz die unüberbrückbare Differenz zwischen der göttlichen Monas und den vielen geschaffenen Monaden, indem er der göttlichen Monas absolute Perzeptivität zuspricht, während er die geschaffenen Monaden anhand des Grades ihrer Perzeptivität hierarchisch in nackte, nahezu perzeptionslose oder nur mit weitgehend unbewussten Perzeptionen einhergehende Elementarmonaden, in psychische, d. h. in entelechische (z.B. Pflanzen), sensitive (z.B. Tiere) und rationale Monaden (z.B. Menschen), sowie in geistige Monaden (esprits: z.B. Menschen und Engel) unterteilt. 5.3. Gott, Monadenwelten und die Schöpfung des „mundus optimus“ Alle Monaden, die Gott sich denken kann, bilden das Material, das er sich in seiner Schöpfungskonzeption zugrunde legt. Die Ordnung dieses Materials oder der in diesem Material enthaltenen Ideenmasse richtet sich nach der größtmöglichen Mannigfaltigkeit an monadischen Vollkommenheiten. Die nur relativen individualmonadischen Vollkommenheiten oszillieren zwischen dem Nullpunkt der absoluten Unvollkommenheit sowie der Eins der absoluten Vollkommenheit, d. i. die Vollkommenheit Gottes, ohne die jeweiligen Grenzwerte jemals zu erreichen: Die ‚0‘ entspricht einem Wert, zu dem sich keine evaluierbare Realität finden lässt. Dies ist zugleich die Pointe des monadischen Perspektivismus: Die monadische Vielfalt in Raum und Zeit wird durch die ‚0‘ und die ‚1‘ kontrastiert; Vollkommenheiten können so, nämlich im Vergleich miteinander, gleichsam messbar gemacht werden; die monadischen Wesen können sowohl in ihrer Gesamtheit als auch in ihrem individuellen intrinsischen Wert als jeweils zu einem bestimmten Raumzeitpunkt existente, singuläre historische Erscheinungsformen von ganzen monadischen Annäherungsskalen an die göttliche ‚1‘ begriffen werden. Es handelt sich also bei den geschaffenen Monaden um relativ vollkommene resp. unvollkommene derivative Existenzen, die in ihrer schier endlosen Fragmentierung doch einer ihnen übergeordneten göttlichen Einheit und Ordnung gehorchen. Die göttliche Monas kombiniert und kalkuliert mit diesen Monaden und konzipiert auf diese Weise alle nur erdenklichen monadischen Welten. Jede dieser Welten besteht aus möglichen intramonadischen Abläufen und intermonadischen Relationen und Ereignissen. Als absolut vollkommener Gott, dem das Prädikat der Güte zukommt, muss er notwendig aus diesen für uns in ihren unendlichen Möglichkeiten nicht überblick- und einsehbaren Weltkonzepten eines auswählen, das das beste und damit das vollkommenste von allen möglichen Weltkonzepten ist. Im Vertrauen auf die Qualitäten des christlichen Gottes sind wir, so Leibniz, genötigt, das Argument des „mundus optimus“ als unhintergehbar zu respektieren und anzuerkennen, dass der „mundus optimus“ durch menschliches Ermessen nicht auszuloten ist (zur Karriere des „mundus optimus“-Theorems im 18. Jahrhundert s. Lorenz 1997). Im Lichte dieser gläubigen und einsichtigen Akzeptanz manifestiert sich das Postulat einer aktiven Moral der Demut: ‚Handle so, wie es Gott von dir

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erwarten möge, aber erwarte für deine guten Handlungen nicht, dass ihnen notwendigerweise auch für dich gute Konsequenzen entsprechen müssen; sei aber dennoch gewiss, dass du eine singuläre Rolle im monadischen Weltgefüge spielst, die du jedoch in ihrer unmittelbaren und mittelbaren Tragweite nicht oder wenn dann nur annäherungsweise erkennen und beurteilen kannst‘. 5.4. Monaden, Monadenaggregate und Komposita in Übereinstimmung bringen: Prästabilierte Harmonie Ein nicht minder schwergewichtiger Topos, den Leibniz aufgreift, ist das Verhältnis von Seele und Körper. Mit seiner Monadenkonzeption frönt er dem Cartesischen Dualismus – jedoch nur in dem Sinne, dass er eine direkte Wechselwirkung zwischen Seele und Körper als wissenschaftlich nicht nachweisbar, ja als unwahrscheinliche und daher unhaltbare These ausschließt. Nicht ausgeschlossen ist hingegen das bereits oben angesprochene Begründungsverhältnis zwischen immateriellen Einfachen und materiellen Komposita. Dieser von Leibniz herausgestellte kausallogische Zusammenhang von Monaden und Körpern ist der Tradition des mathematischen, platonisch-neuplatonisch eingefärbten ‚Pythagoreismus‘ verpflichtet. Sowohl Christian Wolff als auch Michael Gottlieb Hansch, Johann Jakob Brucker und Louis Dutens konnten die ‚pythagoreisch-(neu)platonische‘ Implikationslogik in diesem von Leibniz herausgestelltem Begründungszusammenhang noch identifizieren (Neumann 2013, 415 ff.), während viele andere Zeitgenossen ihn nicht nachzuvollziehen vermochten. So darf auch die wirkmächtige Euklidische Definition der Zahl als ein System, ein Aggregat, eine Kollektion von Monaden nicht vergessen werden. Die Monas selbst ist nicht Zahl, sondern sie ist als Ein(e)s oder Einheit, aus der in Aggregation Zahl allererst resultiert, Voraussetzung für Menge und Zahl. In ähnlicher Weise galt die Arithmetik als Voraussetzung für die Geometrie des Räumlichen: Ohne die Zahl ‚Drei‘ ist nichts denkbar oder identifizierbar, was mit Dreiheit zu tun hat wie etwa ein Dreieck. Innerhalb dieses implikationslogischen Begründungsverhältnisses müssen die Monaden verantwortlich für jegliches Raumzeitkontinuum sein. Die intermonadischen Korrelationen und deren Abfolge sowie die Art und Weise, wie sich eine beliebige Monade die monadischen Korrelationen im Moment ihrer Perzeption vergegenwärtigt, haben jedenfalls etwas damit zu tun, wie die physikalische Welt präsent ist. Die für die materielle Welt gültigen Bewegungsgesetze bilden dabei die Strukturmerkmale ab, die der göttlichen Einrichtung des „mundus optimus“ als die bestimmte (best)mögliche Welt intermonadischer Relationen unter unzähligen anderen Möglichkeiten Bestand geben. Darin sind die intramonadischen Ereignisse impliziert. In der Tat müssen Bewegungen und Veränderungen der sogenannten körperlichen Welt, die nach mechanischen Prinzipien erfolgen, aufgrund des von Leibniz in den Eingangsparagraphen dezidiert hervorgehobenen Begründungsverhältnisses zwischen Einfachen und Komposita Derivate primärer inter- und intramonadischer Verhältnisse sein. Und da diese monadischen Relationen durch Aktivität gekennzeichnet sind und keine Monade ohne die anderen

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‚funktionieren‘ kann, sind es die monadischen Kräfte – die Schnittmengen monadischer Aktionsradien –, die sich in den Bewegungsgesetzen spiegeln. Genauso wenig wie sinnliche Eindrücke von außen in die fensterlose Monade hineingehen können, können Monaden unmittelbar auf Monaden einwirken. So handelt Leibnizʼ große These von der prästabilierten Harmonie weniger von der von Gott gefügten Übereinstimmung zwischen Körpern und Monaden resp. im Besonderen Seelenmonaden, sondern, da Leibniz nur Monaden als wahre und reale Substanzen und Einheiten anerkennt, von Monadenaggregaten und Seelen oder von allen Monaden im Allgemeinen überhaupt, deren appetitive und perzeptive Tätigkeiten Gott in Bezug zueinander gesetzt hat, um den „mundus optimus“ einzurichten. Der Bezug unter den Monaden ist nach den monadischen Vollkommenheitsgraden organisiert; demnach fungiert die vollkommenere Monade als aktive Ursache, die auf eine unvollkommenere Monade als passive Wirkung einwirkt. Das monadische Weltgefüge ist so zwar kausal organisiert und nach dem Prinzip des zureichenden Grundes aufschlüsselbar, doch ohne dass dem eine tatsächliche unmittelbare Wechselwirkung zugrunde läge. Dabei werden die in Monadenaggregaten gegründeten Komposita kausalmechanisch reguliert, wohingegen die appetitiv-perzeptiven Tätigkeiten der individuellen Monaden finalursächlich reguliert sind, d.h. sie haben ihren Zweck und ihre Zielrichtung (finis) im Sinne einer mehr oder weniger bewussten Kette von Intentionen, Bestrebungen und Perzeptionen in sich selbst und entwickeln diese dynamisch aus ihrem Wesen. Die präetablierende Harmonie betrifft also die Relationen zwischen den Monaden – man könnte dies das intermonadische, sich raumzeitlich und kausalmechanisch präsentierende Gefüge nennen – und den Beziehungen, die innerhalb jeder einzelnen Monade zwischen deren kontinuierlich ablaufenden Appetitionen und Perzeptionen bestehen – dies wiederum könnte man das intramonadische dynamisch-finalursächlich geregelte Gefüge nennen. Beide Gefüge stehen in einem Repräsentations- und Verschachtelungsverhältnis zueinander. Dies gilt in besonderer Weise für das Verhältnis der Seelenmonade zu ihrem organischen Körper. Der organische Körper, den sich eine individuelle Seelenmonade als den ihren vergegenwärtigt/repräsentiert, ist nämlich selbst ein unendlich geteiltes Monadenaggregat und somit Ausdruck von unzähligen intermonadischen Beziehungen. In diesem lebendigen Kompositum oder in dieser göttlichen Maschine, wie Leibniz sagt, ist die Seelenmonade aufgrund ihres Vollkommenheitsgrades die herrschende Monade, die für die Einheit ‚ihres‘ besonderen aus zahllosen monadischen Aggregaten resultierenden Körpers verantwortlich ist. Man könnte sagen, dass der Vollkommenheitsgrad dieser individuellen Monade in die göttliche Kalkulierung der präetablierten Harmonie insofern eingeflossen ist, als er das bestimmende Prinzip ist, das die göttliche Regulierung der Übereinstimmung zwischen dieser Seelenmonade und ihrem Körper (= Aggregat zahlloser anderer Monaden mit geringerem Vollkommenheitsgrad) bestimmt. Während Gott als vollkommenes Wesen in jedem monadischen Weltmoment und in jeder einzelnen Monade alle vergangenen und zukünftigen Momente des monadischen Weltgeschehens zu erkennen oder zu lesen vermag, ist die geschaf-

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fene Individualmonade nur gemäß ihrer unvollkommenen Qualitäten und ihrer punktuellen Perspektivik zu einer solchen Erkenntnis in der Lage. Ihre Einsicht ist aufgrund ihrer Unvollkommenheit naturgemäß begrenzt. Und doch ist sie, wie Leibniz betont, ein lebender Spiegel des Universums. Die menschlichen Seelenmonaden zeichnen sich darüber hinaus dadurch aus, Ebenbild der göttlichen Urmonas und als solche eine kleine Gottheit zu sein. Sie sind Bürger eines von Gottes Gnadenregiment verwalteten Gottesstaats. Zwischen dem Gnadenregiment der Urmonas über die finalursächlich angetriebenen Seelenmonaden und dem Reich der Natur konstatiert Leibniz wiederum eine gleichsam moralische Übereinstimmung, die ein spezifischer Fall der prästabilierten Harmonie ist. Die ‚natürlichen‘ Konsequenzen unseres Handelns unterliegen dabei der göttlichen Gesamtschau des auf Erlösung ausgehenden historischen Weltgeschehens, d.h. aber, dass Böses nicht zwangsläufig unmittelbar Böses, Gutes nicht zwangsläufig unmittelbar Gutes zur Folge haben muss. Und doch wirkt sich jede einzelne Handlung auf die Gesamtbilanz der Erlösungsgeschichte des mundus optimus aus. Da unser Verstand für die erkennende Einsicht in diese Gesamtbilanz jedoch nicht ausreicht, muss das liebende Vertrauen auf die Güte und Weisheit Gottes das Motiv unseres moralischen Handelns sein. In einem gewissen Sinne könnte man behaupten, dass der Éclaircissement oder die sog. Monadologie ein mathematischer Trakat sei. Zumindest erscheinen mit den Begriffen ‚Aggregat‘, ‚Monade‘, ‚Einheit‘, ‚Vielheit‘, ‚évanouir‘ (gegen Null tendieren), ‚point‘ und mit der skalierenden Dynamik perzeptiver Prozesse (von den kleinen bis zu den apperzeptiven-selbstreflexiven Perzeptionen) Termini, die in der frühen Neuzeit mathematisch konnotiert waren. Sollte es so sein, dann hätten diese Begriffe, ähnlich der Funktion der Mathematik im Platonismus, eine Metaphysik und Physik verbindende, zwischen beiden vermittelnde, zur Metaphysik und zur Physik sich jeweils transitiv verhaltende Funktion. Zentral ist auch hier wieder der Begriff des Aggregats von Einfachen, das ein Kompositum ergibt. Die Leibnizʼsche Monadentheorie könnte sogar als universalwissenschaftliche, substanztheoretisch tingierte Explikation dieses spezifischen mathematischen Topos (Zahl/Menge als System von Monaden, als Aggregat und Zusammenstellung von Einheiten) mit erheblichem wissenschaftstheoretischem und theologischem Anspruch gedeutet werden. Der theologische Anspruch wird vor allem, aber nicht nur durch die emphatische Darlegung der Unsterblichkeit der Monaden eingelöst; der wissenschaftstheoretische Anspruch dadurch, dass die Monadentheorie als metaphysisches Brennglas aller frühneuzeitlichen Wissenschaften dienen soll: Sie hat deutliche Bezüge zur Physik, zur Biologie, zur Theologie, zur Mathematik, zur Logik und Erkenntnistheorie, zur Psychologie. Sie bietet einen Begründungs- und Explikationszusammenhang, in dem sich alle genannten Wissenschaften einbetten.

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6. SCHLAGLICHT DER FRÜHEN REZEPTIONSGESCHICHTE: POPULARITÄT UND DISKUSSION DES MONADENKONZEPTS 1746 BIS 1748 Es war eine Zeit, wo die Streitigkeiten über die Monaden so lebhaft und so allgemein waren, daß sie sich aus den Schulen bis in die Frauenzimmergesellschaften verbreiteten. Am Hofe war beynahe keine Dame, die sich nicht für oder wider die Monaden erklärt hätte. Kurz, das Gespräch von den Monaden war allgemein, und man mochte kommen, wohin man wollte, so hörte man davon (Euler 1773, Bd. 2, 188).

So beschrieb der berühmte Mathematiker Leonhard Euler rückblickend in seinen Briefen an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände aus der Physik und Philosophie, die er zwischen 1760 und 1762 an Friederike Charlotte von Brandenburg-Schwedt gerichtet und 1769 bis 1773 publiziert hatte, die frühe Popularität der Monaden, die es geschafft hatten, zum außerakademischen Gesprächsstoff von enormer Brisanz und allgemeinem Interesse zu werden. „Die königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin,“ fuhr Euler fort, nahm an diesen Streitigkeiten vielen Antheil, und wie sie den Gebrauch hat, alle Jahre eine Preisfrage aufzugeben, so erwählte sie für das Jahr 1748 die Frage von den Monaden. Es war eine große Anzahl von Schriften über diese Materie eingelaufen, und der verstorbene Herr Präsident von Maupertuis ernannte zu ihrer Untersuchung eine Commission, deren Direktor der verstorbene Herr Graf von Dohna, Oberhofmeister bey Jhro Majestät der Königinn war. Dieser untersuchte mit einer völligen Unpartheylichkeit und mit aller ersinnlichen Sorgfalt die Gründe, die in den verschiedenen Schriften sowohl für, als wider die Existenz der Monaden waren angeführt worden. Man fand endlich, daß die Beweise für die Monaden so schwach und so chimärisch wären, daß alle Gründe unsrer Erkenntniß dadurch würden umgestoßen werden. Also entschied man zum Vortheil der entgegengesetzten Meynung, und der Preis ward der Abhandlung des Hrn. von Justi zugesprochen, der die Monaden am besten bestritten hatte (Euler 1773, Bd. 2, 188).

Mit diesen knapp bemessenen Ausführungen umschrieb Euler den öffentlichkeitswirksamen Kontext der Monadenpreisfrage der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, die 1746 ausgeschrieben worden war (s. u.a. Broman 2012, der die Rolle der aufgeklärten Öffentlichkeit anhand der Monadenkontroverse untersucht; zum Kontext der Monadenpreisfrage selbst s. v.a. Bongie 1980, 11–107, Palaia 1993, 91–119, Arana 1994, 19–85, Mulsow 1998, 1–20, Neumann 2010, Bronisch 2010, 232 ff.). 1747 wurde die vom Kameralisten Johann Heinrich Gottlob Justi verfasste Preisschrift Untersuchung der Lehre von den Monaden und einfachen Dingen, worinnen der Ungrund derselben gezeiget wird mit dem Preis ausgezeichnet und 1748 gemeinsam mit weiteren eingesandten Preisschriften veröffentlicht (Justi 1748). Die sich um die Monadenpreisfrage rankenden Vorgänge spielten sich aber keineswegs so reibungslos ab, wie Eulers Schilderung dies suggeriert; zudem verschweigt Euler die tragende Rolle, die er im Monadenstreit zwischen 1746 und 1748 inne hatte. Dieser Streit gehört zu den wissenschaftsgeschichtlich fulminantesten Kapiteln der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Leibnizʼschen Monadentheorie auf der einen Seite sowie der Verhältnisbestimmung von Mathematik, Physik und Metaphysik im 18. Jahrhundert auf der anderen Seite. Schon früh

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und bis in die heutige wissenschafts- und philosophiegeschichtliche Forschung hineinreichend hat sich die Auffassung entwickelt, dass ein spezifisches – hier metaphysisches – Wissenschaftsmodell mit institutionellen Machtmitteln bekämpft, öffentlich als nutzlose Spekulation diffamiert und insgesamt ad absurdum geführt werden sollte. Dafür steht insbesondere die klassische Interpretation Adolf Harnacks in seiner Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften (Harnack 1900, 402–403), der sich Eduard Winter, William Clark und Ursula Goldenbaum weitgehend anschlossen (Winter 1957, 44–47, Clark 1999, 423 ff., Goldenbaum 2004, 558–559). Clark spricht im Titel seines Aufsatzes sogar vom „Tod der Metaphysik im aufgeklärten Preußen“. Was aber bildete den diesen Urteilen zugrundeliegenden Rahmen für die Ereignisgeschichte der Monadentheorie in den signifikanten Jahren 1746 bis 1748? Die als Wissenschaftstheorie mit universalwissenschaftlichen Anspruch gedeutete monadologische Metaphysik à la Leibniz und Christian Wolff, ein Anspruch, der sich gerade auch auf die Begründung naturwissenschaftlicher Prinzipien bezog, stand in Opposition zur mathematisch aufgestellten Rationalen Mechanik Leonhard Eulers, der für die empirisch bewährten Bewegungsgesetze und die dafür vorausgesetzte Annahme der Existenz eines absoluten Raums und einer absoluten Zeit allgemeingültigen Exklusivitätsanspruch erhob. In der Tat war Euler als Direktor der Mathematischen Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften maßgeblich an der Auswahl der Preisfrage beteiligt und wurde darüber hinaus 1747 zum Mitglied jenes Gremiums bestimmt, das darüber zu entscheiden hatte, welche Preisschrift den Preis erhalten sollte. Die Preisfrage, die auf ein „Examen de l’hypothèse des Monades“ abzielte (Knobloch 1984, 356, Winter 1957, 42), lautet in einer zeitgenössischen Übersetzung, ob entweder die Monaden gründlich widerleget, und durch Sätze, die keiner Beantwortung bedürfen, völlig vernichtet werden: oder ob die Monaden bewiesen, und man in den Stand gesetzet werden könnte, daraus eine recht verständliche Erklärung der vornehmsten natürlichen Begebenheiten und Erscheinungen in der Welt, insonderheit aber des Ursprunges und der Bewegung der Cörper herzuleiten (Stiebritz 1746, 1).

Die Monadenlehre stand folglich als metaphysisches Erklärungsmodell für den Ursprung und die Bewegung der Körper auf dem Prüfstand. Unschwer lässt sich das oben schon angesprochene komplexe Problem, wie immaterielle Entitäten die mechanisch regulierte Welt der Körper sowie Raum und Zeit konstituieren, herauslesen. Mit der Preisfrage wurde Mitte des 18. Jahrhunderts also bereits die Frage formuliert, die die Leibnizforschung vor allem in der angloamerikanischen Diskussion der letzten Jahrzehnte besonders umgetrieben hat. Dass ausgerechnet mit Euler eine der berühmtesten und wirkmächtigsten Gestalten der Berliner Akademie der Wissenschaften kurz nach der Ausschreibung der Preisfrage anonym eine monadenkritische Schrift mit dem Titel Gedancken von den Elementen der Cörper in welchen das Lehr=Gebäude von den einfachen Dingen und Monaden geprüfet, und das wahre Wesen der Cörper entdecket wird veröffentlichte, wuchs sich ab dem Zeitpunkt zum Skandal aus, als bekannt wurde, wer sich hinter dem anonymen Autor verbarg. Der Vorwurf seitens der Leib-

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niz-Wolffianer und ‚Monadisten‘, die Akademie sei parteiisch, lag nahe und zirkulierte in den gelehrten Journalen und Zeitungen (vgl. u.a. Neumann 2010, Broman 2012). Windheim, der erste Historiograph des Monadenstreits, beschrieb 1749 die aufgeladene Stimmung wie folgt: Diese gelehrte Schrift [Eulers] iagte den Monadisten Furcht und Schrecken ein. Man wettete schon, daß die Gegenpartei den Sieg erhalten würde. Diese Furcht ward nicht so wohl durch ihre innerliche Stärke, als vielmehr dadurch erregt, daß in einer Schrift von Berlin aus, den Monaden der Untergang gedrohet wurde, und dieses Verzagen mußte wachsen, als man nach und nach den ungenannten Verfasser dieser Gedanken erfuhr, und vernahm, daß es selbst ein ansehnlich Mitglied der Societät, nemlich Hr. Euler wäre […] (Windheim 1749, Bd. 2, 6).

Die Leibniz-Wolffianer glaubten, dass Euler mit seiner Schrift die LeibnizWolffsche Metaphysik stigmatisieren wollte, indem er die Argumentation vorgab, der gefolgt werden musste, wollte man den ersten Preis gewinnen. Entsprechend sieht auch der allgemeine Tenor aus, der sich innerhalb der Forschung von Harnack bis Goldenbaum etabliert hat; um sein Dogma der Rationalen Mechanik gegen das metaphysische Konkurrenzmodell des LeibnizWolffianismus durchzusetzen, habe Euler wissenschaftspolitisch intrigante Mittel eingesetzt, um die Leibniz-Wolffsche monadologische Metaphysik als wissenschaftlich unhaltbare „Chimäre“ aus den Angeln zu heben. Neuere Forschungsansätze beurteilen Eulers Invektive sowie die Vorgänge um die Monadenpreisfrage vorsichtiger; sie warnen davor, sich von den Reaktionen der Leibniz-Wolffianer, wie sie in deren Gegenschriften sowie in den gelehrten Journalen zum Ausdruck kamen, zu sehr beeinflussen zu lassen. Hartmut Hecht hat Harnacks Auffassung als zu einseitig beschrieben und dafür plädiert, dass es Euler insbesondere um die Frage gegangen sei, „auf welche Weise das Leibnizʼsche Erbe anzutreten war, ob primär naturwissenschaftlich oder philosophisch.“ (Hecht 2005, 153) Dieter Suisky hat den Sachverhalt in ähnlicher Weise beschrieben: Euler treated Leibnizʼs theory as a system of concepts and investigations open for quite different metaphysical, mechanical and methodological interpretations (Suisky 2009, 165).

Hanns-Peter Neumann hat darauf hingewiesen, dass die Preisfrage nicht darauf abzielte, der monadologischen Metaphysik schlechthin den Garaus zu machen, sondern dass sie die Bedingungen ausfindig machen sollte, unter denen eine ggf. modifizierte Monadentheorie als metaphysische Begründung für die Allgemeingültigkeit der Rationalen Mechanik (Bewegungsgesetze, absoluter Raum, absolute Zeit) akzeptiert werden konnte (Neumann 2009a, 206–222). Eine Analyse von Eulers Gedancken und Justis preisgekrönter Schrift zeigt aber auch die Verständnisschwierigkeiten und Kritikpunkte, denen sich die Monadologie in der Form, in der sie zunächst vorlag und rezipiert worden ist, ausgesetzt sah. Heinrich Köhler hatte den ersten Paragraphen der Monadologie so übersetzt, dass man annehmen musste, dass die zusammengesetzten Dinge, sprich Körper, aus einfachen Substanzen, sprich Monaden, bestünden, als ob die Monaden die kleinsten Teilchen und Elemente der körperlichen Welt wären. Genauso aber hat Euler Leibniz aufgefasst und diesen eines eklatanten Widerspruchs bezichtigt: Wenn man wie Leibniz von der unendlichen Teilbarkeit der Körper aus-

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geht, kann es einfache Substanzen als Elementarteile der Körper nicht geben. Dies dennoch zu behaupten, sei absurd. Wolff hingegen sei immerhin von der endlichen Teilbarkeit der Körper ausgegangen und habe die einfachen Dinge (Monaden) als deren elementare Teile betrachtet. Diese deutet Euler als Korpuskeln, welche mangels Größe und Figur nicht weiter geteilt werden könnten. Dass Euler und Justi mit ihren recht ähnlichen Deutungen die bei Christian Wolff überaus komplexe monadische Korpuskulartheorie verfehlten (vgl. dazu Neumann 2013, 395 ff.), darf nicht den Blick dafür verstellen, dass beide die Monaden realistisch interpretierten, nämlich als physische Monaden. Unter den Bedingungen einer realistischen Monadologie sah vor allem Euler unüberwindbare theologische Probleme. Deutete man die Leibniz-Wolffschen Monaden nämlich als materielle Elementarteilchen, die dynamisch und perzeptiv sind, die also ihren Zustand kraft ihres perzeptiven Vermögens selbsttätig verändern, stellte sich das Problem der monistischen Monadenhierarchie wie von selbst: Da Monaden sowohl Elementarteilchen als auch Pflanzen, Lebewesen, Seelen, Geister und Gott sind, gibt es innerhalb dieser Hierarchie zwar graduelle Unterschiede, was die Perzeptivität anbelangt, aber keine substanzielle Differenz. Die Welt der Seelen, Geister und des höchsten Wesens und die Welt der Körper waren für den Cartesianer Euler zu nah zusammengerückt (Euler 1746, 13–14). Die Rationale Mechanik Eulers indes betonte die Passivität der Materie und die Aktivität der immateriellen Geistwesen, sie war dem Cartesischen Substanzendualismus verpflichtet, während Leibnizʼ monadischer Monismus als materialistischer Spiritualismus, wonach die Elementarteilchen perzeptiv und die Seelen- und Geistmonaden ätherisch-feinmateriell sind, gedeutet wurde. Die Auszeichnung der gegen die Monadenlehre argumentierenden Schrift Justis hat 1747, noch vor der Publikation der offiziellen Preisschrift im Verlag der Akademie, zu einer intensiven Debatte zwischen Justi und den LeibnizWolffianern geführt, in deren Folge die Akademie versuchte, den Vorwurf der Parteilichkeit abzuweisen. Dies tat sie vor allem dadurch, dass sie neben Justi nun auch eine für die Monaden argumentierende Einsendung auszeichnete und publizierte, um so möglichst beiden Parteien gerecht zu werden. Bemerkenswert ist, dass nun eine Schrift mit dem zweiten ‚ersten‘ Preis der Berliner Akademie ausgezeichnet worden ist, die sich an Eulers Gedancken orientierte, diese kritisierte und mit dem Anspruch auftrat, die systematischen Lücken, die Leibniz in seiner Monadentheorie hinterlassen hat, auszufüllen. Autor dieser Schrift war der spätere Tübinger Professor für Logik und Metaphysik und Lehrer Hölderlins, Hegels und Schellings Gottfried Ploucquet. Anders als Euler deutete Ploucquet die Leibnizʼsche Monadologie nicht realistisch. Im Gegenteil, in seinen Primaria Monadologiae Capit, den Vorzüglichen Hauptpunkten der Monadenlehre, konzipierte Ploucquet eine stringente idealistische Monadologie (Ploucquet 1748). Ähnlich wie Euler sah er in den beiden Leibnizʼschen Thesen, (1) die Materie sei unendlich teilbar, (2) es müsse einfache Substanzen geben, weil es Komposita gebe, als in sich widersprüchlich an, glaubte aber, anders als Leibniz, die zweite These so bewiesen zu haben, dass Leibniz auf keinen anderen Beweis hätte kommen können (Ploucquet 1748, 231). Diesen Beweis hielt er für nötig, weil er

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die Schlussfolgerung Leibnizens, aus der Existenz von Komposita folge die Existenz von einfachen Substanzen, für unrechtmäßig hielt. Komposita lassen, so Ploucquet, allein die Annahme von Komponenten zu, die zwar in relativem Sinne einfacher als ihr Kompositum seien, nicht aber im absoluten Sinne einfach wie es die Monaden sind. Um deren Existenz zu beweisen, sei mehr erforderlich als die Betrachtung des Körpers als etwas ausschließlich Zusammengesetztem oder Ausgedehntem. Vielmehr muss das körperliche Kompositum als eine bestimmte existente Sachheit (realitas) untersucht werden, kurz als Substanz, die in sich tätig und eines ist. Laut Ploucquet ist es nun aber die substanzielle Tätigkeit des Körpers, die Bedingung für Ausdehnung ist, nicht aber umgekehrt. Die Frage stellt sich also, wie etwas so unendlich Geteiltes wie der Körper in seiner Ausdehnung überhaupt als eine bestimmte existente identifizierbare ‚eine‘ Sache beieinander bleibt, ohne in seine Komponenten auseinanderzufallen. Die Antwort Ploucquets lautet: Weil es Monaden gibt, in denen das dynamische Prinzip beständigen Tätigseins grundgelegt ist, das darauf abzielt, das den jeweiligen Monaden Eigentümliche, ihren Charakter, zu manifestieren. Worin aber, wenn nicht in einer Perzeption seiner selbst, könnte die monadische Selbstmanifestation oder Selbstverwirklichung als erstes einfließen? Und so sieht Ploucquet in der Selbstperzeption der Monaden das Ergebnis der sich offenbarenden/manifestierenden Tätigkeit der Monade, eine Perzeption oder ‚Vor-Stellung‘ – und hier kommt Ploucquet zum Ursprung von Ausdehnung und Körperlichkeit –, die zu einer von Vorstellungen anderer Art abgrenzbaren Gestalt, zu einem Schema und Bild tendiert, das Ausdruck des individuellen Charakters der Monade ist. Diese Tendenz nennt Ploucquet perzeptive Kraft (vis perceptiva). Jede Monade ist demnach ein individuelles Repräsentationssystem, das die Perzeptionen des Selbst und diejenigen, mit denen sie sich andere Monaden vergegenwärtigt, gemäß ihrem Charakter aus sich selbst hervorbringt und sich und andere als figurativ unterscheidbare Objekte oder Bilder repräsentiert/vergegenwärtigt. In diesem individuellen Repräsentationssystem werden alle anderen Monaden mehr oder weniger distinkt nach dem Kriterium der Ähnlichkeit einander zugeordnet und verschachtelt. Das Ich, oder wie Ploucquet sagt, die Ichheit (Egoitas), ist dann jenes Schema einer Monade, das dieser am klarsten und zugänglichsten eingeprägt ist. Die idealistisch verstandene gleichsam bildhafte Präsenz aller Monaden in allen macht Ploucquet schließlich in einer weiteren Schrift De Corporum Organisatorum Generatione Disquisition Philosophica (Philosophische Abhandlung von der Zeugung organisierter Körper) sogar zur Grundlage einer monadologischen Biologie und Zeugungslehre, die den präformationstheoretischen Vorgaben der Leibnizʼschen Monadenlehre folgt (vgl. dazu ausführlich Neumann 2009a, 241 ff.; zur Biologie bei Leibniz siehe den Beitrag von Justin Smith in diesem Band). Später wird Ploucquet sich von seiner eigenen idealistischen Monadologie abkehren resp. diese modifizieren (Ploucquet 1753, Praemonenda, 2v), um eine Basis dafür zu gewinnen, sich der Existenz von Seienden, insbesondere von körperlichen Seienden, unabhängig von ‚meiner‘ Perzeptivität zu vergewissern. Nach Ploucquet kann nun aber allein die Vorstellungskraft Gottes etwas Vorgestelltes

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durch Realvision (visio Dei realis) in die tatsächliche Existenz setzen. Genau dadurch bringt Gott die körperliche Welt hervor. Nicht die geschaffenen Monaden erzeugen also die körperlichen Phänomene durch ihre perzeptive Kraft, sondern die göttliche Urmonade, an deren Realität erzeugender Vision die Monaden dann freilich teilhaben, erschafft die Körper. Das Problem, mit dem sich Ploucquet konfrontiert sah, bestand in der Frage, ob allen unseren Wahrnehmungen und Erkenntnissen nur die Vorstellungswelt ‚meiner‘ monadischen Existenz zugrundeliegt oder ob sie Etwas entsprechen, das seine reale Basis außerhalb ‚meiner‘ perzeptiven Tätigkeit hat. So wie Ploucquet die Leibnizʼsche Monadentheorie gedeutet hat, kam man ohne erhebliche Modifikationen aus den Fallstricken eines solipsistischen Idealismus nicht heraus: Das Monaden-Ich war erkenntnistheoretisch in sich gefangen; es konnte sich der objektiven Wahrheit seiner Vorstellungen nicht sicher sein. So hat Ploucquet 1753 lange vor den heutigen Forschungsdiskussionen um die Ausdeutung der Leibnizʼschen Monadentheorie die Problemlage in bewundernswerter Klarheit formuliert: Ich kann zwar mit Leibniz sagen, aber nicht [das Gleiche] meinen, wenn er die Körper substantiierte und wohl regulierte Phänomene nennt. Leibniz nämlich nennt substantiierte Phänomene all das, was in der Koexistenz der Substanzen grundgelegt ist.

Damit umschreibt Ploucquet, was in der heutigen Leibnizforschung als Phänomenalismus bezeichnet wird. „Ich aber,“ fährt Ploucquet fort und deutet auf seine Lehre von der Realvision Gottes hin, da ich den Ursprung der Materie nicht von den Monaden, sondern von den Repräsentationen Gottes herleite, kann all das als substantiierte Phänomene bezeichnen, was nicht in meinen oder in den Repräsentationen anderer Dinge grundgelegt ist, sondern seine Form behält, sogar wenn man sich denkt, dass die Welt frei von allen Perzeptionen der Geister und der endlichen Seienden wäre. […] Auch kann man fragen, ob die Leibnizsche Philosophie nicht den Idealismus begünstigt. Ich unterscheide zwischen den Lehren von Leibniz und den daraus ableitbaren Schlussfolgerungen. Seine Lehren bringen den Idealismus nicht mit sich, da er den Ursprung der Körper von tatsächlich existierenden Substanzen herleitet.

Leibniz, so Ploucquet, vertritt demnach keinen Idealismus in dem Sinne, dass nur ‚ich‘ alleine existiere und Körper nichts weiter als ‚meine‘ Vorstellungen sind, sondern er geht davon aus, dass es de facto unendlich viele einfache Substanzen oder Monaden gibt, aus deren Relationen sich das, was wir ‚Körper‘ nennen, herleitet. Körper sind deswegen real, weil sie in dem begründet sind, was alleine Realität hat: Monaden. Gesteht man aber den durchaus rechtmäßigen Schlussfolgerungen Raum zu, so ist die Leibnizsche Philosophie vom Idealismus keineswegs weit entfernt. Denn wenn die Seele die ganze Welt idealiter eingewickelt in sich trägt und wenn keine endliche Substanz real und effizient auf die Seele einwirkt, sondern diese tatsächlich unabhängig von der ganzen Welt ist, dann ist es notwendig, dass die Seele nicht Körper wahrnimmt, sondern sich selbst. So ist die Sonne, die sich die Seele repräsentiert, kein himmlischer Körper, sondern ein Teil der Ideen; sie [die Seele] wird nämlich nur glauben, dass die Sonne als himmlischer Körper existiert. Denn die Perzeption der Sonne hat, gemäß dieser Hypothese, ihre prinzipielle Grundlegung in

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der Seele; weder kann die Sonne, selbst wenn man sie als existent setzt, irgendetwas in der Seele bewirken, noch kann sie, wenn sie als nicht-existent gesetzt wird, diese Idee [der Sonne] beseitigen. Diesen Prinzipien zufolge nimmt das perzipierende Seiende eindeutig nichts von der wahren Welt wahr (Ploucquet 1753, 358–359).

Nach Ploucquet impliziert die Lehre von der Fensterlosigkeit der Monaden, dass ‚ich‘ gleichsam in mir selbst gefangen und abgeschlossen bleibe. ‚Ich‘ kann nichts wahrnehmen außer mir selbst und meinen Vorstellungen. Dadurch aber birgt die Leibnizʼsche Monadenlehre die Gefahr des erkenntnistheoretischen Solipsismus. Wie, so Ploucquet, kann sich der Leibnizʼsche Monadologe der von seinen eigenen Perzeptionen unabhängigen Existenz anderer einfacher Substanzen wirklich sicher sein? Merkwürdigerweise lässt Ploucquet die Bedeutung des Leibnizʼschen Gottesbeweises und der Leibnizʼschen These von der prästabilierten Harmonie für unsere rationale Vergewisserung von Existenzen, die nicht Ich sind, hier außen vor und ersetzt diese mit seiner Lehre von der göttlichen Realvision, mit der er die extramentale Realität der körperlichen Welt abzusichern versucht. 7. DIE KONTROVERSE UM DAS MONADENKONZEPT AM BEISPIEL DER NEUEREN ANGLOAMERIKANISCHEN FORSCHUNGSDISKUSSION ZWISCHEN 1985 UND 2015 Wer sich mit der angloamerikanischen Diskussion der letzten Jahrzehnte befasst hat, sieht schnell, dass Ploucquet 1753 Positionen beschrieben hat, die sich in der heutigen Forschungsdiskussion leicht wiederfinden lassen und mit der Frage befassen, ob Leibniz Idealist, Phänomenalist oder Realist gewesen sei. Seit Daniel Garber 1985 die Auffassung vertreten hat, dass Leibnizʼ in einer sogenannten mittleren Phase (ca. 1679 bis ca. 1695) eine von körperlichen Substanzen ausgehende ‚realistische‘ Substanztheorie vertreten hat und erst ab 1695, dezidiert wohl aber erst ab ca. 1703/4, zu einer ‚idealistischen‘ monadologischen Substanztheorie übergegangen ist (Garber 1985), hat sich vor allem in der angloamerikanischen Leibnizforschung eine langanhaltende Diskussion entwickelt, die sich um zwei miteinander zusammenhängende Fragestellungen dreht, wovon die zweite hier näher beleuchtet werden soll, da sie von allgemeinerem Interesse ist: 1. Lassen sich in der Leibnizʼschen Metaphysik unterschiedliche Phasen ausmachen, die zeigen, dass Leibniz grundverschiedene Substanztheorien durchlaufen und erst relativ spät eine idealistische resp. phänomenalistische Substanztheorie vertreten hat (prominent Garber 1985, Jolley 1986, Wilson 1989, Levey 2003, Garber 2005, Levey 2007, Levey 2008, Garber 2009)? Oder war er immer schon oder spätestens ab der mittleren Phase um ca. 1679 der in der späten Phase zwischen 1704 und 1714 dann explizit zum Vorschein kommende idealistische Monadologe, der Realität oder, schwächer formuliert, Priorität einzig und allein den einfachen Substanzen oder Monaden zuschrieb (Sleigh 1990, Adams 1994, Rutherford 1995, Mercer/Sleigh 1995, Brown 1999, Mercer 2001, Rutherford 2008)? 2. War der späte Leibniz Phänomenalist/Idealist (die klassische Interpretation, u.a. Sleigh 1990, Rutherford 1990, Adams 1994, Rutherford 1995, Rutherford 2008,

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Garber 2009, Look 2010; als Pionier gilt Furth 1967, der seinerseits modifizierend auf den kontinentalen neukantianisch geprägten idealistischen Deutungen der Leibnizʼschen Philosophie bei Dillmann 1881, Cassirer 1902, Mahnke 1925 aufruht)? Oder war er eventuell doch Realist (Hartz 1998, Hartz/Wilson 2005, Phemister 2005, Loptson/Arthur 2006, Hartz 2007)? Je nach dem was unter Phänomenalismus, Idealismus und Realismus verstanden wird, sind die Positionen mitunter durchlässig resp. in sich different. Donald Rutherford z.B. deutet Leibniz nicht als Phänomenalist, sondern als „substance idealist“ und als „matter realist“ (Rutherford 2008, 141–142), ohne davon auszugehen, der späte Leibniz habe noch am Konzept der körperlichen Substanzen festgehalten. Lopton/Arthur votieren für einen „body realism“ beim späten Leibniz, ohne den Körpern Substanzialität zuzuschreiben (Loptson/Arthur 2006). Die jüngere angloamerikanische Forschungskontroverse hat bis heute zahlreiche Publikationen und Rezensionen zu diesen Fragen hervorgebracht (einen kurzen Überblick bieten u.a. Beeley 2009, 125–141, Look 2010, Levey 2011). Sie zeigt auf beeindruckende Weise, dass Leibnizʼ Metaphysik, gerade auch aufgrund ihres universalwissenschaftlichen Anspruchs, der, wie wir gesehen haben, u.a. darin besteht, Theologie, Physik und Biologie auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen, vielfältige Deutungsmöglichkeiten offenhält. Diese resultieren meist daraus, welche Texte oder Textpassagen zur Analyse herangezogen oder in besonderer Weise betont werden. Nicht selten stößt man dabei auf das Problem der Verfasstheit der Leibnizʼschen Texte selbst: Handelt es sich um bloße Ideenskizzen oder um adressatenorientierte diplomatisch formulierte Schriften/Briefe, um für die Publikation vorgesehene Traktate oder Werke, um Gedankenspiele oder Notizen, oder um Standpunkte innerhalb einer gelehrten Diskussion? Angesichts der diversen Schreibstile, die bei Leibniz anzutreffen sind, ist im Streit der Interpretationen um das Problem, wie denn nun eigentlich die späte Metaphysik Leibnizens verstanden werden muss, welche Position Leibniz als Metaphysiker eingenommen hat und welchen Status die körperliche Welt bei Leibniz einnimmt, die Gefahr nicht fern, jedes Wort des barocken Universalgelehrten auf die Waagschale zu legen, als sei es von langer Hand her kalkuliert und geplant worden. Vor dem Hintergrund der kontextuell unterschiedlichen Verfasstheit der Leibnizʼschen Schriften erscheint es ein nahezu endloses Unterfangen, Leibnizʼ Metaphysik in eine eindeutige, bis in die Details hinein stringente systematische Fassung zu bringen, die man mit Recht als das bezeichnen könnte, was Leibniz tatsächlich intendiert hat. Sieht man sich die unterschiedlichen Positionen innerhalb der angloamerikanischen Forschungskontroverse an, ergibt sich ein interessanter Befund, der spannender kaum sein könnte: So gegensätzlich die miteinander debattierenden Positionen mitunter sein mögen, weisen alle divergenten Deutungen der Leibnizʼschen Monadentheorie doch mehr oder weniger plausible Argumente auf. Gerade dadurch laden sie zu perspektivisch neuen Lektüren ein, auch und gerade zur Relektüre der kanonisch gewordenen Texte wie etwa der Monadologie. Man gewinnt den Eindruck, als sei Leibniz von allem etwas gewesen: Idealist, Phänomenalist,

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Realist, und das mitunter sogar gleichzeitig. Glenn Hartz sieht Leibniz denn auch als „theory pluralist“ (Hartz 2007, 2), eine Sichtweise, die durchaus etwas für sich hat. Wohl mit Blick darauf, dass sich kein eindeutiger Konsens zwischen den DiskussionspartnerInnen und diversen Positionen ergeben hat, hat Garber am Ende seiner 2009 erschienenen Monographie Leibniz: Body, Substance, Monad dafür argumentiert, auf die Begriffe ‚Idealismus‘ und ‚Realismus‘ zur Umschreibung der Leibnizʼschen Metaphysik zu verzichten. Als Begründung verweist Garber darauf, dass Leibniz sie selbst nicht verwende, dass sie erst nach Leibnizʼ Tod in Gebrauch kämen und dass sie das Risiko bärgen, ‚unser‘ modernes Verständnis von Idealismus und Realismus leichtfertig auf Leibniz zurück zu projizieren. In der Tat gehören die Kategorien ‚Idealismus‘ und ‚Realismus‘ / ‚Materialismus‘ zur Rezeptionsgeschichte der Leibnizʼschen Monadentheorie, wie das obige Ploucquet-Zitat von 1753 zeigt. Deshalb auf sie zu verzichten, weil Leibniz diese Kategorien nicht auf sich selbst appliziert hat, hieße, sich einer ‚historischen‘ Beschreibungsmöglichkeit zu begeben, die gerade den Vorteil hat, dass man sich ihre bis in unsere Zeit reichende Historizität bewusst zunutze machen kann. In letzter Konsequenz hieße Garbers Verdikt sogar, nur noch von Leibniz selbst verwandte Selbstbeschreibungskategorien zu gebrauchen und sowohl unser eigenes aktuelles Interesse an der Deutung der Leibnizʼschen Metaphysik als auch unsere Sprache als Mittel der modellierenden Darstellung historischer Philosophien auszublenden. Und doch muss man Garber insofern recht geben, als zwischen den Begriffen des Idealismus und des Phänomenalismus keine trennscharfe Linie gezogen wird. Früher noch als Garber hat Donald Rutherford auf diesen Umstand aufmerksam gemacht (s. Rutherford 1990, 15, FN 13; Rutherford unterscheidet einen linguistischen und metaphysischen Phänomenalismus sowie einen metaphysischen Idealismus, der gerne mit dem metaphysischen Phänomenalismus verwechselt würde). Lassen wir also kurz die einzelnen Positionen Revue passieren. Hier zeigt sich schnell, dass das Verständnis von Paragraph 2 der Monadologie, in dem Komposita als Aggregat von Einfachen definiert werden, im Zentrum der Forschungskontroverse steht: „Our question, then, is how to make sense of the claim that any material thing is in reality an aggregate of monads.“ (Rutherford 1990, 12) Loptson und Arthur fragen sich, wie aus einem Aggregat unausgedehnter einfacher Substanzen ausgedehnte Körper konstituiert werden können und wie Leibniz von Komposita auf ‚Einfache‘ schließen kann, wenn Komposita keine Realität für sich darstellen, da sie nichts weiter als ein Aggregat eben jener Einfachen sein sollen, auf deren Existenz erst die Existenz von Komposita schließen lässt; sie sehen darin gleichsam einen Zirkelschluss in der Form, dass aus dem Aggregat von Einfachen auf Einfache geschlossen würde (Laptson/Arthur 2006, 10). Was also ist der Status von Körpern, wenn diese als Aggregat jener Monaden bestimmt werden, denen der späte Leibniz ausschließlich Substanzialität zuspricht? Existieren Körper, Raum und Zeit unabhängig von den perzeptiven Monaden, sind sie also unabhängig von den Monaden ‚real‘, sodass die prästabilierte Harmonie auf einen göttlich installierten psycho-physischen Parallelismus zweier

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‚echter‘ Welten hinausläuft, die kein kausales, aber ein repräsentatives Verhältnis zueinander haben? – Diese Auffassung wird von den Realisten resp. ‚body realists‘ wie u.a. Loptson und Arthur vertreten. Oder sind sie nichts weiter als das phänomenale Ergebnis mehr oder weniger konfuser monadischer Perzeptionen, das ohne von ‚mir‘ perzipiert zu werden nicht real und nicht existent ist? Existieren also alleine die einfachen Substanzen oder Monaden, sodass Körpern, Raum und Zeit keinerlei Realität für sich zugesprochen werden kann, da sie nun mal keine Substanzen sind, sondern nur Erscheinungen kognitiver Monaden, ohne dass ihnen eine extramentale Realität zukäme? – Diese an Berkeley gemahnende streng idealistische Interpretation wird mit Modifikationen Montgomery Furth zugeschrieben, innerhalb der neueren Kontroverse diskutiert, kritisiert und als zu reduktionistisch abgelehnt (Rutherford 1990). Oder sind sie wohl fundierte, aber nicht-substanzielle Phänomene, die zwar allein aus der substanziellen Tätigkeit der Monaden resultieren, wie auch immer dies geschehen mag, jedoch auch dann existent und real sind, wenn ‚ich‘ sie nicht perzipiere, sie also für ‚mich‘ nicht präsent sind und von ‚mir‘ nicht bewusst wahrgenommen werden? – Diese Annahme teilen die meisten neueren idealistischen resp. phänomenalistischen Deutungen. Die jeweilige Deutung hängt davon ab, ob man die Aggregatthese – Körper sind als Komposita Aggregate von Monaden – akzeptiert oder nicht. So können Lopton und Arthur ihr nur dann Sinn abgewinnen, wenn Körper als real und unabhängig von den Monaden existierend angenommen werden. Diese Annahme ist schon deswegen problematisch, weil man dann stark relativieren müsste, dass Leibniz alleine den Monaden Substanzialität zuerkennt. Nur durch eine solche Relativierung nämlich wäre es möglich, auch beim späten Leibniz noch eine Theorie körperlicher Substanzen (Substanz ist, was sich aus Monade und Körper zusammensetzt) auszumachen (Phemister 2005). Doch wie ist dann das Verhältnis von Monadenaggregaten und Körpern zu verstehen? Sind Körper Monadenaggregate, machen oder erzeugen oder konstituieren also Ansammlungen von Monaden Körper, oder sind Monadenaggregate in Körpern, sodass ein Körper immer ganze Ansammlungen von Monaden involviert? Die „body realists“ tendieren zur zweiten Alternative, während die idealistisch-phänomenalistischen Deutungen die erste Alternative favorisieren. Zur ersten Alternative kommt noch die Annahme hinzu, dass die dominante Seelenmonade gewissermaßen das organisierende Prinzip im Monadenhaufen ist, der den ihr zugehörigen Körper ausmacht, ohne unmittelbar auf die Mit-Monaden Einfluss zu nehmen. Wie dies aber funktioniert, bleibt auch Anhängern der idealistischen Deutung rätselhaft. Selbst Leibnizʼ Rede von einem vinculum substantiale, einem substanziellen Bindemittel, das die Monaden des Monadenhaufens verleimt und mit der dominanten Seelenmonade verlinkt, löst dieses Rätsel nicht wirklich befriedigend auf: es bleibt „very difficult to understand,“ schreibt Brandon Look,

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how the relations that are thought to exist between the dominant monad and its subordinates can guarantee a kind of functional unity sufficient to say that an organism is a unity per se (Look 2010, 875).

Die angloamerikanische Kontroverse zeigt nicht nur, welchen Schwierigkeiten man sich gegenüber sieht, will man Leibnizʼ monadologische Metaphysik auf einen eindeutigen Nenner bringen, sie zeigt auch, dass es in der philosophischen Leibnizforschung eine starke Tendenz gibt, Leibniz auf eine philologisch abgesicherte kohärente, systematische monadologische Körper- und Materietheorie festzulegen. Hier und da wurden Stimmen laut, die dafür votieren, dass Leibniz mehrere inkompatible Theorien gleichzeitig durchspielt hat (Hartz/Wilson 2005, 19, Wilson 1989) oder dass er, was diverse Theorien anbelangt, seien diese nun idealistischer, phänomenalistischer oder realistischer Couleur, eine Art theoretischen Perspektivismus eingenommen hat (Hartz 2007). Daniel Garber glaubt, dass der späte Leibniz die Positionen des Idealismus und Realismus in einem konsistenten System miteinander zu vereinbaren versuchte, dass ihm dies aber vor seinem Tod 1716 nicht mehr gelungen sei (Garber 2009, 384, FN 86). Ohne diese langwierige äußerst anregende und fruchtbare Kontroverse entscheiden zu können, möchte ich einige Überlegungen anschließen und einige wenige Punkte zu bedenken geben, die mir aufgefallen sind und zu denen ich gerne einen Deutungsvorschlag machen möchte. (1) Häufig wird innerhalb der Kontroverse von der exklusiven Substantialität von „mind-like substances“ gesprochen. Der Ausdruck „mind-like“ kann jedoch schnell zu dem Missverständnis führen, dass Leibniz unter den Monaden nur der Kognition fähige Substanzen verstanden hätte. Es stimmt zwar, dass alle Monaden perzeptive Substanzen sind; nur Perzeption ist bei Leibniz keineswegs identisch mit der Perzeptivität, die Seelen- oder Geistmonaden haben. Leibniz beschreibt mit den sogenannten kleinen Perzeptionen nahezu unbewusste Zustände, die mit dunklen und konfusen, undifferenzierten Empfindungen einhergehen und die man wohl jenen Elementarmonaden zuschreiben darf, die vermutlich anorganische Körper konstituieren; diese nackten Monaden sind aber alles andere als „mindlike“. Wenn also von einem Monadenaggregat die Rede ist, das das Kompositum ausmacht, so heißt das, dass für die erfahrbare Vielfalt der körperlichen Welt die unterschiedlichsten Monadentypen und -niveaus zuständig sind, deren Differenz in ihrer unterschiedlichen Perzeptivität grundgelegt ist. Gerade die differenzierte Vielfalt an körperlichen Kompositionen, von anorganisch bis zu höchst diffizilen Organisationsgraden wie z.B. Organismen, die trotz Teilchenfluss allesamt raumzeitlich identifizierbare, singuläre temporäre Einheiten vorstellen, ist ein Argument für die Mannigfaltigkeit innerhalb der Hierarchie der Monaden, die das tätige Prinzip für eben diese Identifizierbarkeit und Einheit der Körper in sich haben. (2) Wenn Körper Aggregate von Monaden sind, Monaden aber alleine Substanzialität und im strengen Sinne Realität zukommt, muss das nicht heißen, dass Körper sich zu Gespenstern verflüchtigen, ganz im Gegenteil: Gerade weil sie Aggregate jener Entitäten sind, denen alleine Substantialität und Realität zukommt, eignet auch ihnen Realität, wenn auch, was ihre einheitliche und identifizierbare Erscheinungsweise anbelangt, ‚nur‘ eine geborgte. Mögen Körper, Raum

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und Zeit auch bloße Phänomene sein, deren Erscheinungsform sich notwendigerweise nach dem Perzeptionsgrad der sie ‚wahrnehmenden‘ Monaden richtet, impliziert das nicht, dass sie deswegen weniger real sind. Monadenaggregate existieren unabhängig davon, ob sie in einer individuellen Monade perzipiert werden oder nicht. Ob und wie sie in anderen Monaden repräsentiert werden, hängt dann vom Perzeptionstypus der jeweiligen Monade ab. (3) Für die Frage nach dem Verhältnis einer dominanten Seelenmonade zu dem Monadenaggregat, das sie zu dem ihr zugehörigen Körper organisiert oder verwaltet, bleibt als Antwort zunächst nur die prästabilierte Harmonie. Der sogenannte psychophysische Parallelismus, wonach Körper und Seele zwei voneinander unabhängige, aber miteinander übereinstimmende Uhrwerke sind, ist auf die göttliche bei Gelegenheit der Schöpfung erfolgte Einrichtung und Organisation aller Monaden zurückzuführen; hier der Seelenmonade und des ihre Körpermasse konstituierenden Monadenaggregats. Das macht auch deswegen Sinn, weil nach Leibniz zwar alle geschaffenen Monaden voneinander unabhängig sind, sie aber allesamt von der göttlichen Monas dependieren, die sie nach Maßgabe ihrer Vollkommenheit miteinander kausal verschaltet hat. Wie die dominante Seelenmonade aber mit den ihr untergeordneten Monaden des Monadenaggregats eine Einheit bildet – sozusagen eine körperliche resp. Monadenaggregat-Substanz –, ist eine Frage, für die Leibniz im Briefwechsel mit Bartholomäus Des Bosses eine m.E. wenig befriedigende Lösung anbietet: das Konzept des sogenannten vinculum substantiale (dazu Look 1998, Look 1999, Beeley 2009, 128–130). (4) Wichtig scheint mir vor allem folgende Überlegung: Dass Leibniz alle Wirklichkeit auf die Existenz immaterieller einfacher dynamischer perzeptiver Substanzen resp. Monaden zurückführt, setzt nicht die empirisch handgreifliche Existenz von Körpern außer Kraft. Selbst wenn Raum und Zeit Resultate der perzeptiven Tätigkeiten immaterieller Monaden sind, verlieren sie nichts an Realität: Sie sind existent, weil Monaden existent sind. Freilich kommt ihnen keine extramonadische Realität zu, wohl aber eine extramentale. Es kann indes mit Fug und Recht angezweifelt werden, ob sie Elementarmonaden in gleicher Weise erscheinen wie pflanzlichen Entelechien, Seelenmonaden oder Geistmonaden wie z.B. Engeln. 8. FORSCHUNGSDESIDERATE Der hier erfolgte stark selektive und subjektive Blick auf die Leibnizʼsche Monadentheorie und Monadologie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Analyse der monadologischen Metaphysik Leibnizʼ und die Erforschung ihrer Wirkungsgeschichte eine große Fülle an Forschungsliteratur hervorgebracht haben. Schon allein deswegen wäre es vermessen gewesen, die gesamte Leibniz-Forschung zu den Monaden in diesem kurzen Beitrag Revue passieren zu lassen oder gar bilanzieren zu wollen. Stattdessen schien es sinnvoller durch selektive Schlaglichter Neugier, Problembewusstsein und Interesse beim Leser zu wecken.

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2014 hat die Monadologie ihren dreihundertsten Geburtstag gefeiert. Dies hat Anlass zu zahlreichen Tagungen und Workshops gegeben. Die Tagungsbände, die im Erscheinen sind, werden noch mehr Aufschluss über die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Monaden bis in die Moderne geben können. Erwähnenswert ist etwa, um nur einen Aspekt unter vielen zu nennen, die intensive französische Rezeption der Monadologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich bis weit ins 20. Jahrhundert erstreckt. Und doch, trotz dieser Fülle an Forschungen, lassen sich unschwer einige wenige Forschungsdesiderate benennen. Zuvörderst steht die historisch-kritische Edition der diversen Konzepte der Monadologie und anderer im Umkreis der Monadologie entstandener Texte innerhalb der Akademie-Ausgabe noch aus. Selbst bei einem so kanonisch gewordenen Text wie die Monadologie braucht es dringend eine verlässliche Standardedition, die auf der langjährigen philologischen Erfahrung und fachlichen Kompetenz der Akademie-Ausgabe aufbaut. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Akademie-Ausgabe immer wieder die Forschung angestoßen hat. Gerade an der oben umrissartig skizzierten angloamerikanischen Debatte, die immerhin gute 30 Jahre angedauert hat, zeigt sich, wie neuedierte Texte neue Deutungsmöglichkeiten eröffnet und Revisionen älterer Interpretationen ermöglicht haben. Eine Mammutaufgabe, die es zu bewältigen gälte, wäre zudem eine übergreifende monographische Überblicksstudie zur Rezeptions-, Wirkungs- und Transformationsgeschichte des Leibnizʼschen Monadenkonzepts vom 18. bis ins 21. Jahrhundert. Wer z.B. den Weg der Monaden von Gabriel Tarde bis hin zu Gilles Deleuze verfolgt, wird immer wieder vom konstruktiven Potential des Monadenkonzepts überrascht sein. Dies gilt fächerübergreifend und ist nicht auf die philosophische Fachdisziplin beschränkt. Für die philosophiegeschichtliche und philosophische Forschung wären schon monographische Analysen der Adaption des Monadenbegriffs bei Schelling oder überhaupt im Deutschen Idealismus noch einzuholende Desiderata.

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LOGIK Volker Peckhaus Die Logik von Gottfried Wilhelm Leibniz war mit einem umfassenden Programm zur Wissensgenerierung verbunden, das in seinen metaphysischen Entwurf integriert war. Die Erforschung seiner Logik kann daher unter Schwerpunktsetzung auf metaphysische, sprachphilosophische oder erkenntnistheoretische Gesichtspunkte oder auch unter formal-logischer Perspektive rekonstruiert werden. In der hier vorgelegten Forschungsgeschichte wird der Schwerpunkt auf der formallogischen Perspektive liegen. In den deduktiven Teilen seines Programms machte Leibniz die rechnerische Logik stark und antizipierte in weiten Teilen die moderne mathematische Logik. Mit seiner Diskussion der Erfindungskunst (ars inveniendi) und der Beurteilungskunst (ars iudicandi) im Rahmen einer Allgemeinen Wissenschaft (scientia generalis) schaffte er wichtige Grundlagen der allgemeinen Methodenlehre und damit der modernen Wissenschaftstheorie. Die universelle Charakteristik als Bezeichnungstheorie aller nur möglichen Erkenntnisse findet eine Entsprechung in modernen Repräsentationssystemen. Eine Geschichtsschreibung, die sich mit der Erforschung der Leibniz’schen Logik befasst, muss verschiedene Untersuchungsebenen berücksichtigen. Sie muss in einer Publikations- und Editionsgeschichte feststellen, wann und auf welche Weisen Leibniz’sche Ideen überhaupt einer Rezeption zur Verfügung standen. Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte gibt dann Hinweise auf den möglichen Einfluss dieser Ideen auf die Entwicklung der Logik. Die Einflussgeschichtsforschung erlaubt wiederum Hinweise auf die Stellung der Leibniz’schen Logik in der Logikgeschichte. Die historisch-systematische Logikgeschichtsschreibung wird sich vor allem mit den Eigenschaften und Potenzialen der Leibniz’schen Logik befassen. 1. PUBLIKATIONS- UND EDITIONSGESCHICHTE Die Programmatik der Leibniz’schen Allgemeinen Wissenschaft erschließt sich aus zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften, beginnend mit der Dissertatio de arte combinatoria (1666; A VI,1; GP IV 27–102), vor allem aber verstreuten Bemerkungen und Briefen. Die für die Logik heute als maßgeblich angesehene Abhandlung der Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum von 1686 (Leibniz 1686; C 356–399; A VI,4A N. 165) wurde jedoch erst 1903 durch Louis Couturat (C) herausgegeben. Die frühen Werkausgaben von Louis Dutens (1768) und Rudolf Erich Raspe (Leibniz 1765) enthalten nur wenige für die Logik rele-

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vanten Stücke, wenn auch die letztgenannte Ausgabe der lateinischen und französischen Schriften zur Philosophie mit der aufsehenerregenden Erstveröffentlichung der Nouveaux Essais ein wichtiges Werk auch für die logische Programmatik bereitstellte. Von überragender Bedeutung für die frühe Rezeption war aber die Edition der Opera philosophica von Johann Eduard Erdmann (Leibniz 1839/40), mit der erstmals Kalkülschriften zugänglich gemacht wurden. Die logische Leibnizrezeption der Mitte des 19. Jahrhunderts nutzte vor allem diese Edition. Die Rezeption wurde sicherlich durch den Umstand gefördert, dass der der rechten Hegel’schen Schule zugehörige Erdmann in seiner umfassenden Philosophiegeschichte die Leibniz’sche philosophische Methode und in diesem Zusammenhang auch dessen logische Schriften sehr wohlwollend besprach (Erdmann 1842, 109– 124). Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Leibniz auf Basis von Schriften aus dem Nachlass war erstmals nach der Veröffentlichung der Opuscules et fragments inédits von Louis Couturat (1903) möglich. Zeitgleich erschlossen die von Ernst Cassirer herausgegebenen Hauptschriften (Leibniz 1904–1906) ein weiteres (deutschsprachiges) Publikum. Mit der AkademieAusgabe (A) Reihe 6, Bd. 4 (1999) liegt das Leibniz’sche Material schließlich weitgehend vollständig vor. 2. WIRKUNGS- UND REZEPTIONSGESCHICHTE Eine Wirkungsgeschichte wird sich nicht nur mit dem Einfluss der Leibniz’schen Ideen auf Zeitgenossen und Nachwelt beschäftigen müssen, sondern auch Leibniz selbst in ein Geflecht von auf ihn wirkenden philosophischen Vorstellungen einbauen müssen. Leibniz nutzte nämlich zeitgenössische Ideen und Konzepte und schloss sich an ältere, zu seiner Zeit schon überwunden geglaubte Traditionen an. Heinrich Scholz konnte ihn daher als den „konservativsten Revolutionär der abendländischen Geistesgeschichte“ bezeichnen (Scholz 1942, zit. nach Scholz 1961, 129). In Sammelbänden wie dem von Pauline Phemister und Stuart Brown herausgegebenen Leibniz and the English-Speaking World (Phemister/Brown 2007) werden beide Hinsichten berücksichtigt. Von besonderer Bedeutung ist sicherlich der Einfluss von Leibniz’ Jenenser Lehrer Erhard Weigel auf diesen, wie er von Konrad Moll (Moll 1978) erforscht wurde. Sammlungen wie die New Essays on Leibniz Reception (Krömer/Chin-Drian 2012) legen einen Schwerpunkt auf Logik und Wissenschaftsphilosophie. Eine erste Darstellung zur Geschichte der Wirkung von Leibniz auf die Entwicklung von Logik und Metaphysik hat Wilhelm Ludwig Gottlob v. Eberstein vorgelegt (von Eberstein 1794/98). Als wichtigster Vermittler Leibniz’scher Philosophie im beginnenden 18. Jahrhundert gilt Christian Wolff in dem Sinne, dass er sie systematisiert und zu einer neuen Schulphilosophie ausbaute. Heinrich Scholz etwa bezeichnete Wolff als Leibniz’ „berühmtesten Schüler“, dessen „eigenste Leistung“ in der „umfassende[n] Neuordnung“ des „weitschichtigen Materials“ der Metaphysik hoch- und spätmittelalterlicher Scholastik liegt (Scholz 1942, Zit. nach Scholz 1961, 130 f.). Diese überaus enge Bindung der

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Wolff’schen Philosophie an die von Leibniz ist zu Recht bezweifelt worden (vgl. Corr 1975). In der Wolff’schen Logik und Metaphysik finden sich Elemente des Leibnizprogramms wieder, jedoch verstreut, oft nicht ausgeführt und nicht immer auf Leibniz’sche Einflüsse zurückführbar. Es fehlt bei Wolff allerdings die von Leibniz propagierte Vorstellung eines Rechnens außerhalb der Mathematik durch Anwendung kalkulatorischer Methoden auf eine symbolisch notierte Logik. Durch Betonung der Rolle der Erfahrung u.a. in seiner „Deutschen Logik“ verschiebt er den Fokus auf erkenntnistheoretische Fragen (vgl. Zingari 1980). Die durchaus Leibniz’schen Geist atmenden Ansätze von mit Kalkülen operierenden Logiken in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert scheinen daher nur sehr indirekt von Leibniz beeinflusst zu sein, vielmehr auf ältere Ansätze und die Schulen von Weigel und Wolff zurückzugehen. Von herausragender Bedeutung sind die Ansätze von Johann Heinrich Lambert etwa in seinem logischen Hauptwerk Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrtum und Schein (Lambert 1764), die später durch posthum veröffentlichte Versuche zu algebraischen Merkmalskalkülen ergänzt wurden (Lambert 1782/87). Lamberts Streit mit Gottfried Ploucquet um die Priorität geometrischer Umfangskalküle (Bök 1766) war für mehr als 70 Jahre die letzte ernsthafte Auseinandersetzung mit symbolischen Logiken. Die rationalistische Tradition einer logik- und mathematikorientierten Philosophie musste in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und dem beginnenden 19. Jahrhunderts Rückschläge erleiden. Zu dominant war die an einer Reform der Metaphysik zu einer Erkenntnistheorie orientierte Kritische Philosophie Immanuel Kants, aber auch die an Kant kritisch anschließenden Systeme des Deutschen Idealismus. Bei der Wertschätzung, die Kant seinen großen philosophischen Vorläufern Leibniz und Wolff, aber auch Lambert entgegenbrachte, war die transzendentalphilosophische Begründung von Metaphysik gleichwohl Ansätzen, die mathematische Methode auf die Philosophie zu übertragen, antagonistisch entgegengesetzt. Im Sinne dieser Umorientierung der deutschsprachigen Philosophie gingen die ersten Auseinandersetzungen mit der Leibniz’schen Logik, die von der Erdmann’schen Edition der Kalkülschriften angeregt worden waren, durchaus kritisch mit dem Leibniz’schen Programm um. Es war wohl kein Zufall, dass diese ersten Kritiker Franz Exner (Exner 1843), Hermann Kern (Kern 1847) und František Bolemír Květ (Květ 1857) der wissenschaftsorientierten Schule von Johann Heinrich Herbart zuzuordnen waren. Anders als die Vorgenannten konnte Gottschalk Eduard Guhrauer als Herausgeber der deutschen Schriften von Leibniz (Leibniz 1838/40) auf eigene Nachlassstudien zurückgreifen. Den Gedanken der allgemeinen Charakteristik bezeichnet er aber als Leibniz’sche Manie, die niemals etwas mehr als ein „Gedankending“ gewesen sei (Guhrauer 1842/1846, I, 330). Die größte Wirkung ging aber von Adolf Trendelenburgs 1857 erstmals veröffentlichter Studie „Über Leibnizens Entwurf einer allgemeinen Charakteristik“ aus. Es handelt sich um einen Festvortrag, den Trendelenburg als Sekretär der Köngl.-Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 3. Juli 1856 zur Leibnizfeier gehalten hatte (Trendelenburg 1857). Durch den Wiederabdruck des

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Vortrages im dritten Band seiner Historischen Beiträge der Philosophie (Trendelenburg 1867) erhielt er weitere Verbreitung. Trendelenburg besprach darin die characteristica universalis sehr positiv und kontextualisierte sie philosophiehistorisch (unter Verwendung des Terms lingua characterica universalis, der später von anderen übernommen wurde). Wenig Gegenliebe brachte Trendelenburg allerdings der praktischen Seite entgegen, insbesondere der logischen Rechnung. Für Trendelenburg ist „in dem ganzen Entwurf […] gerade die Rechnung die zweifelhaftere Seite“ (Trendelenburg 1867, 23). Dass er den Beitrag des Leibniz’schen Programms zur Metaphysik so hervorhob, hängt wohl auch mit einer Diskussion zusammen, die die Zeit nach Hegels Tod prägte und die von Trendelenburg maßgeblich inauguriert worden war. Unter dem Label „Die logische Frage“ kritisierte er die Hegel’sche Logik, insbesondere die Wissenschaftlichkeit der dialektischen Methode (Trendelenburg 1842, 1843, vgl. Peckhaus 1997, 139– 163, Peckhaus 2013). De facto ging es darum, die Position der Logik im System der Philosophie neu zu bestimmen. Es standen also Mitte des 19. Jahrhunderts wichtige Quellentexte zu den Leibniz’schen Kalkülen und auch ernstzunehmende Auseinandersetzungen mit den Leibniz’schen Konzepten zur Verfügung. Es stellt sich die Frage, ob diese Quellenlage die Entstehung der modernen mathematischen Logik beeinflusste, die mit George Boole in Großbritannien und Gottlob Frege und Ernst Schröder in Deutschland verbunden war. Die Logik war bei der Entstehung der modernen Strukturmathematik in den Fokus von Mathematikern gelangt, die sich mit Grundlagenproblemen in der Analysis (Großbritannien) und der Algebra und Arithmetik (Deutschland) beschäftigten (vgl. Peckhaus 1999). So beziehen sich Ernst Schröder und Gottlob Frege auf Trendelenburgs Analyse der Leibniz’schen Zeichenlehre, wenn sie ihre logischen Systeme in die Tradition von Leibniz stellen. In seiner Rezension der Frege’schen Begriffsschrift (Frege 1879) kritisiert Schröder (Schröder 1880), dass Frege im Titel seiner Schrift zu viel verspreche. Statt nach der Seite einer allgemeinen Charakteristik neige sich seine Schrift „vielmehr entschieden nach der Seite des ‚calculus ratiocinator‘ von Leibniz hin“, was sehr verdienstlich zu nennen wäre, wenn nicht ein großer Teil des Programms schon von anderer Seite wäre geleistet worden (Schröder 1880, 83). Er bezieht sich mit dieser Bemerkung auf die Algebra der Logik George Booles, der auch Schröder selbst nahestand. Die Schröder’sche Rezension regte Frege an, den Boole’schen Kalkül mit den von Erdmann veröffentlichten Logikmanuskripten zu vergleichen. Er kommt zu dem Schluss: „bis hierher findet sich Alles mit nur äusserlichen Abweichungen schon bei Leibniz, von dessen hierher gehörenden Arbeiten Boole wohl nichts erfahren hat“ (Frege 1883, 3). Er selbst habe aber über die „Leibnizboolesche Logik“ (Frege 1893, 14) hinaus nicht nur einen bloßen calculus rationcinator schaffen wollen, sondern eine lingua characterica (unter Übernahme des Trendelenburg’schen Terms) im Leibniz’schen Sinne, wobei er „jene schlussfolgernde Rechnung immerhin als einen notwendigen Bestandteil einer Begriffsschrift“ anerkannte (Frege 1883, 2).

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Es ist zu betonen, dass diese Vergleiche mit der Tradition aber erst erfolgten, nachdem die eigenen logischen Systeme fertiggestellt worden waren (vgl. Peckhaus 1997, Kap. 6). Ähnliches lässt sich von der englischen Algebra der Logik sagen (vgl. Peckhaus 1997, Kap. 5), die im Kontext der Entwicklung einer Symbolical Algebra entstanden ist. George Booles zweites Buch zur Logik An Investigation of the Laws of Thought (Boole 1854, nach Boole 1847) war bereits erschienen, als Boole von Robert Leslie Ellis Hinweise auf Antizipationen seines Systems bei Leibniz erhielt. Darüber berichtet George Booles Frau Mary Everest Boole (Boole 1905, vgl. den Bericht von Robert Harley 1867, 4–6). Ellis selbst hatte in seiner Edition des Bacon’schen Novum Organon in einer Fußnote über Analogien zwischen Mathematik und Logik Leibniz’sche Antizipationen der Boole’schen Algebra der Logik diskutiert (Bacon 1858, 281, Anm. 1). Die Bemerkung von Ellis wiederum führte zu ersten historischen Untersuchungen der Logik von Leibniz, etwa von Robert Harley, der in den in der Erdmann’schen Ausgabe veröffentlichten Schriften Formulierungen fundamentaler Sätze des Systems von Boole suchte und auch fand (Harley 1867). Auf Leibniz ist in der mathematischen Logikdiskussion des 19. Jahrhunderts nie anders als historisch Bezug genommen worden. Die Entwicklung der algebraisch-logischen Systeme in England und Deutschland muss daher als zunächst unbewusste, erst nachträglich bewusst gemachte Aufnahme des Leibniz’schen Programms interpretiert werden. Dabei fällt auf, dass der Schwerpunkt des Interesses in England auf dem Gedanken eines calculus ratiocinator lag, während in Deutschland vor allem die characteristica universalis hervorgehoben wurde und mit den Versuchen, „Begriffsschriften“ (Frege) und „Pasigraphien“ (Schröder, etwa in Schröder 1898a,b) zu konstituieren, in Verbindung gebracht wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts jedenfalls gab es schon so etwas wie eine „Leibnizkultur“. Die Berufung auf Leibniz diente als philosophisch-traditionelle Legitimation der neuen Logiken. Die Leibniz-Renaissance des beginnenden 20. Jahrhunderts ist also vor allem eine Renaissance der Leibniz-Forschung, weniger eine der Leibniz’schen Logik. Leibniz’ allgemeine Wissenschaft diente aber als historischer Bezugspunkt, sobald seine Antizipationen bekannt wurden, vor allem durch Friedrich Adolf Trendelenburgs Darstellung der Leibniz’schen allgemeinen Charakteristik. 3. HISTORISCH-SYSTEMATISCHE UNTERSUCHUNGEN Die Rezeptionswelle zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde mit großen Studien zu Leibniz’ Gesamtwerk eingeleitet. Zu nennen ist vor A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz von Bertrand Russell (Russell 1900). Danach war Leibniz’ Philosophie „almost entirely derived from his logic“ (Russell 1900, v). Zu nennen ist auch Ernst Cassirers neukantianisch inspiriertes Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen (Cassirer 1902). Von besonderer Bedeutung für die Logik war die Gesamtdarstellung der Leibniz’schen Logik durch den ausgewiese-

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nen Algebraiker der Logik Louis Couturat, La logique de Leibniz d’après des documents inédits (Couturat 1901), die auf Basis von Nachlassdokumenten erstellt wurde, die Couturat 1903 in einer Edition der kleinen Schriften und Fragmente zur Logik bereitstellte. Auch Couturat verglich wie schon vor ihm Harley und Frege Leibniz’ Ansätze mit der Logik Booles. Er behauptete, dass Leibniz über so ziemlich alle Prinzipien der Boole-Schröder’schen Logik verfügt habe, in einigen Aspekten sogar fortgeschrittener als Boole gewesen sei (Couturat 1901, 386). Wolfgang Lenzen hat diese These ebenfalls mit Nachdruck vertreten und gezeigt, dass das System der Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum von 1686 bei geeigneter Interpretation mit einer Boole’schen Algebra gleichwertig ist (Lenzen 1984; 1990). Leibniz’ arithmetischer Kalkül war nicht in gleichem Maße wie die algebraischen Kalküle Gegenstand philosophie- und mathematikhistorischer Forschungen (vgl. aber Thiel 1980, Henrich 2002). Die neueren historisch-systematischen Studien zielen darauf ab, dem komplexen logischen System von Leibniz gerecht zu werden, seine Potentialität zu ergründen und Leibniz’ Ansätze in Beziehung zu aktuell diskutierten Themen zu setzen. Zu den zentralen Themen gehört weiterhin das Verhältnis von Logik und Metaphysik, etwa in Dietrich Mahnkes großer Untersuchung zu Leibniz’ Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik (Mahnke 1925) oder in den Leibnizbüchern von Gottfried Martin (Martin 1960) und George H.R. Parkinson (Parkinson 1965) oder in Klaus Erich Kaehlers Darstellung von Leibniz’ Position der Rationalität (Kaehler 1989). Eine Sammlung mit wichtigen Stellungnahmen zur Verbindung von Logik und Metaphysik haben Albert Heinekamp und Franz Schupp herausgegeben (Heinekamp/Schupp 1988). Die Untersuchungen zur Leibniz’schen Theorie der Modalitäten und ihre Stellung in der Geschichte der Modallogik hängen eng mit der Metaphysik zusammen (vgl. Poser 1969, Knuuttila 1988, Imaguire 2010). Neuere Darstellungen zur Logik sind von einer Rehabilitation der intensionalen Präferenzen von Leibniz geprägt, die von Couturat noch eher verständnislos beurteilt worden waren (s. Couturat 1901, 23 f.). An erster Stelle ist hier Raili Kauppis Untersuchung zu nennen, die einen besonderen Schwerpunkt auf das Verhältnis von Intension und Extension in der Leibniz’schen Begriffslogik legt und den meist intensionalen Charakter dieser Logik betont (Kauppi 1960). Bezüge zur Relationenlogik, auf die schon Russell hingewiesen hatte, sind von Massimo Mugnai herausgearbeitet worden (Mugnai 1992). Die sich schon in Trendelenburgs an der Zeichentheorie orientierte Analyse des Verhältnisses von Logik und Sprache mit semantischen und pragmatischen Aspekten ist bis heute ein wichtiger Gegenstand der Forschung. Herauszuheben sind Hans Burkhardts Studie zu Logik und Semiotik in der Philosophie von Leibniz (Burkhardt 1980) und Hide Ishiguros Werk über Leibniz Philosophy of Logic and Language (Ishiguro 1990). Albert Heinekamp hat eine ganz Reihe von Studien der Leibniz’schen Sprachphilosophie gewidmet (z.B. Heinekamp 1976). In Studien wurde z.B. Leibniz’ Nähe zur Generativen Transformationsgrammatik Noam Chomskys hervorgehoben (Heinekamp 1975, Schlobinski 2009). Pragmatische Aspekte macht Marcelo Dascal in seinen Untersuchungen zur Kunst der

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Kontroverse geltend, etwa in der kommentierten Sammlung von Texten Leibniz’ über The Art of Controversies (Leibniz 2008). Angesichts der erstaunlichen Aktualität Leibniz’scher Konzepte (Bouveresse 2001) wurde die Leibniz’sche Logik auch für die Philosophie der Mathematik, insbesondere im Rahmen von Begründungsfragen in Anspruch genommen. Für Heinrich Scholz ist Leibniz der „Prophet einer Grundlagenforschung, die vom Geist der Mathematik inspiriert und durchleuchtet ist“ (Scholz 1943, 221) und damit Vorläufer der wissenschaftlichen Weltauffassung, wie sie etwa von den Neopositivisten des Wiener Kreises vertreten wurde, und von Metamathematik und Beweistheorie, wie sie von den Göttinger Mathematikern um David Hilbert seit den 1920er Jahren propagiert wurde. Dabei geht es auch um die Frage, ob Leibniz den Logizismus, die Begründung der Mathematik mit rein logischen Mitteln, vorweggenommen hat (vgl. Poser 1988). 4. LOGIKHISTORISCHE GESAMTDARSTELLUNGEN Joseph Maria Bocheński hat in seiner einflussreichen kommentierten Sammlung von Quellentextauszügen Formale Logik die Geschichte der abendländischen Logik wie folgt periodisiert: „1. Die antike Periode (bis zum 6. Jahrh. n. Chr.); 2. das hohe Mittelalter (7.–11. Jahrh.); 3. die Scholastik (11. bis 15. Jahrh.); 4. das Zeitalter der modernen ‚klassischen‘ Logik (16.–19. Jahrh.); 5. Die mathematische Logik (seit der Mitte des 19. Jahrhunderts)“ (Bocheński 1956, 14). Zwei dieser Perioden, das hohe Mittelalter und die Zeit der „klassischen“ Logik seien „keine schöpferischen Perioden“, so dass sie „in einer Problemgeschichte fast ganz unberücksichtigt bleiben können“ (ebd.). Merkwürdig nur, dass der durchaus berücksichtigte Leibniz inmitten einer dieser nicht-schöpferischen Perioden liegt. Das sich hier ausdrückende Desinteresse an logikhistorischen Zusammenhängen ist in neueren Gesamtdarstellungen nicht mehr gegeben. In der zweibändigen, bis ins ausgehende 18. Jahrhundert reichenden Logik der Neuzeit hat Wilhelm Risse der Leibniz’schen Logik breiten Raum zugedacht (Risse 1970, 170–252). Der Beitrag erlaubt zudem in umfassender Weise, die Leibniz’schen Ideen in den Kontext der Logikentwicklung seiner Zeit einzuordnen. Die Geschichtsschreibung der modernen mathematischen Logik war lange Zeit als Vorgeschichte des aktuellen Stands logischer Forschung konzipiert. Das gilt schon für die Geschichte der Logik von Heinrich Scholz (Scholz 1931), der seine Darstellung der Logikgeschichte von Aristoteles bis David Hilbert auf seine Leitfiguren Gottfried Wilhelm Leibniz und Gottlob Frege zulaufen lässt. Ähnliches gilt für William und Martha Kneales The Development of Logic (Kneale/Kneale 1962). Ihre Zielsetzung wird wie folgt dargelegt: „But our primary purpose has been to record the first appearances of these ideas which seem to us most important in logic of our own day“ (Kneale/Kneale 1962, iii). Leibniz erhält dabei natürlich einen wichtigen Platz zugewiesen, ohne dass seine Logik aber in den philosophischen und mathematischen Kontexten seiner Zeit erfasst worden wäre.

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Diese, auf wenige paradigmatische Stationen der Entwicklung konzentrierte Präsentation findet sich in neueren Werken nicht mehr, die zumeist aus breit angelegten Einzeldarstellungen zusammengesetzt sind. Dies gilt etwa für das Handbook of the History of Logic (Gabbay/Woods 2004) mit einer umfassenden Darstellung zur Logik von Leibniz durch Wolfgang Lenzen (Lenzen 2004) und auch für den von Leila Haaparanta herausgegebenen Band The Development of Modern Logic (Haaparanta 2009), in dem in unterschiedlichen Kapiteln Bezüge zu Leibniz hergestellt werden. BIBLIOGRAPHIE Bacon 1858 – Francis Bacon: Novum Organum sive indicia vera de interpretatione Naturae, in: The Works of Francis Bacon, Bd. 1, hg. von James Spedding/Robert Leslie Ellis/Douglas Denon Heath, London 1858, 149–305; ND Bad Cannstatt 1963. Bocheński 1956 – Joseph Maria Bocheński: Formale Logik (= Orbis Academicus, III, 2), Freiburg, München 41978. Bök 1766 – August Friedrich Bök (Hg.): Sammlung der Schriften, welche den logischen Calcul Herrn Prof. Ploucquets betreffen, mit neuen Zusäzen, Frankfurt/Leipzig 1766; ND Gottfried Ploucquet: Sammlung der Schriften, welche den logischen Calcul Herrn Prof. Ploucquets betreffen, mit neuen Zusätzen, hg. von August Friedrich Bök; Faksimile-Neudruck der Ausgabe Frankfurt und Leipzig 1766, hg. von Albert Menne, Bad Cannstatt 1970. Boole 1847 – George Boole: Mathematical Analysis of Logic. Being an Essay Towards a Calculus of Deductive Reasoning, Cambridge, London 1847; ND Oxford 1951. Boole 1854 – George Boole: An Investigation of the Laws of Thought, on which are Founded the Mathematical Theories of Logic and Probabilities, London 1854; ND New York o.J. [1958]. Boole 1905 – Mary Everest Boole: Letters to a Reformer’s Children (1905), in: Mary Everest Boole, Collected Works, 4 Bde., hg. v. Eleanor M. Cobham, Bd. 3, London 1931, 1138–1163. Bouveresse 2001 – Jacques Bouveresse: Mathématiques et logique chez Leibniz, in: Revue d’histoire des science 54 (2001), 223–246. Burkhardt 1980 – Hans Burkhardt: Logik und Semiotik in der Philosophie von Leibniz (= Analytica), München 1980. Cassirer 1902 – Ernst Cassirer: Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, Marburg 1902; Hildesheim 21962. Corr 1975 – Charles A. Corr: Christian Wolff and Leibniz, in: Journal of the History of Ideas 36 (1975), 241–262. Couturat 1901 – Louis Couturat: La logique de Leibniz d’après des documents inédits, Paris 1901; ND Hildesheim 1961, 1969. von Eberstein 1794/98 – Wilhelm Ludwig Gottlob von Eberstein: Versuch einer Geschichte der Logik und Metaphysik bey den Deutschen von Leibnitz bis auf gegenwärtige Zeit (= Documenta Semiotica 6), 2 Bde., Halle 1794/98; ND Hildesheim 1985. Erdmann 1842 – Johann Eduard Erdmann: Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neueren Philosophie, Bd. 2, Teil 2: Leibniz und die Entwicklung des Idealismus vor Kant, Leipzig 1842; ND der Ausgabe Leipzig 1834–1853 in sieben Bänden, mit einer Einführung in Johann Eduard Erdmanns Leben und Werke von Hermann Glockner, Bd. 4, Stuttgart 1932; 2. Aufl., Stuttgart-Bad Cannstatt 1977. Exner 1843 – Franz Exner: Über Leibnitz’ens Universal-Wissenschaft, in: Abhandlungen der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, 5. Folge, Bd. 3 (1843–44), Prag 1845, 163–200; separat Prag 1843.

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THEOLOGIE Ulrich Becker, Hartmut Rudolph, Klaus Unterburger 1. ZUR KENNTNIS DER QUELLEN IM 18. JAHRHUNDERT Die Leibniz-Rezeption leidet generell unter dem Umstand, dass die fragmentarischen Kenntnisse seines Nachlasses dazu verführten, von diesen her auf das ganze, bis heute nicht völlig aufgedeckte Werk von Leibniz zu schließen. Über längere Zeit hinweg bildeten die Essais de théodicée (1710), deren Nachklang im erstmals 1717 veröffentlichten Briefwechsel mit dem englischen Theologen und Vertrauten von Isaac Newton, Samuel Clarke (Clarke 1717, darauf gründet Leibniz 1720), die beiden Ausgaben der Monadologie, von 1720 in deutscher und 1721 in lateinischer Übersetzung, und die durch die Wolffsche Philosophie transportierten Spuren Leibnizʼschen Denkens das wesentliche Material, aus dem die Theologen ihr Leibnizbild gezeichnet und den Beitrag des Metaphysikers ihrer eigenen Theologie zu- oder in die Theologiegeschichte eingeordnet haben. Der Prozess der Aneignung, Transformation und Auseinandersetzung mit diesem Teil der Leibnizʼschen Metaphysik hat die Entwicklung der Theologie während des gesamten 18. Jahrhunderts so vielfätig geprägt, dass es im Rahmen dieses Beitrags bei überblicksartigen Hinweisen bleiben soll. Neben den genannten Schriften nahm die Theologie im Laufe des 18. Jahrhunderts auch etwas von Leibniz’ ökumenischen Bestrebungen wahr. Sein sowohl der römisch-katholischen Kirche als auch den protestantischen Konfessionen geltendes Bemühen um eine Aufhebung der Kirchenspaltung erschloss sich bis in das 19. Jahrhundert hinein eher bruchstückhaft aus Publikationen, in denen sich für das Thema relevante Stücke der Leibniz-Korrespondenz befinden. Eine relativ frühe, noch auf Leibniz’ Lebzeiten zurückgreifende Bezugnahme auf diesen Bereich wurde durch Verlauf und Ergebnis des collegium charitativum 1703 ermöglicht, einer ohne Leibniz’ Zutun am Hof Friedrichs I. in Berlin unter Beteiligung beider protestantischen Konfessionen (Rösler-LeVan 2013, 104–110) veranstaltete Zusammenkunft. Durch eine Indiskretion erschien ein Arcanum regium, die Veröffentlichung eines Unionsentwurfs (Arcanum 1703), die zum Abbruch der Verhandlungen führte und „eine Flut von Streitschriften“ (Schäufele 1998, 21) auslöste, so dass auf diese indirekte Weise auch Leibniz’ als einer der Akteure der Berliner Unionsverhandlungen im ersten Jahrzehnt der 18. Jahrhunderts im Bereich der Theologie wahrgenommen wurde. Der Tübinger Ordinarius der Theologie und Universitätskanzler Christoph Matthäus Pfaff (er korrespondierte 1715/16 mit Leibniz) mag als ein Beleg hierfür stehen. Er war vom Pietismus beeinflusst, galt als theologischer Eklektiker und sprach anders als der orthodoxe Konfessio-

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nalismus den Lehrdifferenzen zwischen Lutheranern und Reformierten eine kirchentrennende Relevanz ab (vgl. Schäufele, 47–76 und passim). 1721 veröffentlicht er in der Orationum Academicarum Hexas eine Oratio de cautelis circa consilia irenica unionem Protestantiam Ecclesiasticam spectantia (Nachweis bei Schäufele 1998, 334), die ihn informiert über die Berliner Vorgänge zeigt; mit daran Beteiligten, etwa den Reformierten Daniel Ernst Jablonski, Samuel Strimesius oder den Lutheranern Johann Joseph Winckler, Franz Julius Lütkens und Gerhard Wolter Molanus, wurde er persönlich bekannt (Schäufele 1998, 22). Gleichwohl sind seine Aussagen über Leibniz’ Unionsbemühungen eher negativ, wie eine Äußerung aus dem Jahr 1742 zeigt: „Doch es war Leibniz in puncto religionis je nicht feste, und, da er ohnehin mit seiner Aufführung genug gezeiget, daß er ein Irreligionaire seye, so hätte er je kein Bedenckens gehabt, zur Römischen Kirche zu treten, wenn er nur dadurch den Cardinals-Hut hätte erwerben können“ (Pfaff 1742, 222; zitiert nach Schäufele 1998, 22). – Eine gewisse Hochachtung des Philosophen spricht aus Pfaffs eher unglaubwürdigen und schon von den Zeitgenossen damals bezweifelten Behauptung, er sei von Leibniz um sein Urteil über die Theodizee gebeten worden und habe Leibniz geantwortet, dass er deren Inhalt „vor nichts anderes als ein Spiel Werck seines Witzes (lusum ingenii)“, also als nicht ernstgemeint ansehe, woraufhin Leibniz ihm dann geschrieben habe, „daß Herr Pfaff das rechte Fleckgen getroffen“ hat (Ludovici 1737, 475 f.)1. Dafür, dass Leibniz’ Position im Lichte der Berliner Vorgänge auch weniger negativ gesehen werden konnte, mag einer der bedeutendsten theologischen Lehrer um die Mitte des 18. Jahrhunderts, Siegmund Jakob Baumgarten,2 stehen. In seiner Geschichte der Religionspartheyen wird Leibniz im Blick auf Bemühungen in Preußen und Hannover „einer der vornehmsten Urheber und Beförderer dieser Unionsanschläge“ genannt (Baumgarten 1766, 1288), und im letzten Band der Kirchengeschichte des einflussreichen irenisch gesonnenen Lutheraners Johann Lorenz von Mosheim 1788 findet sich ein ähnlicher Hinweis (Schlegel 1788, 251 f.). Abgesehen von wenigen zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Korrespondenzen mit französischen Theologen (Pellisson 1691; 1692) und dem von Joachim Friedrich Feller 1718 herausgegebenen Otium Hanoveranum (vgl. hierzu Luckscheiter 2017, 117–133, hier 122–128) enthalten drei Ausgaben des 18. Jahrhunderts für Leibniz’ Ökumenik relevantes Material: 1) die von Johann Erhard Kapp 1745 herausgegebene Korrespondenz zwischen Leibniz und dem reformierten Hofprediger Daniel Ernst Jablonski – diese Korrespondenz betrifft Leibniz’ Bemühungen um eine Annäherung der protestantischen Konfessionen, der Calvinisten und Lutheraner3, 2) die von Charles-François Le Roi 1753 herausgegebenen   1 2 3

Pfaff sind im Übrigen auch andere Fälschungen nachgewiesen worden; vgl. Schäufele 1998, 29. siehe dazu unten nähere Angaben. Eine gewiss weniger beachtete Ergänzung zu Kapps "Sammlung" erschien 1788 in: Historisches Portefeuille (siehe Proben 1788).

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Œuvres posthumes von Jacques-Bénigne Bossuet4, die wesentliche Elemente der Argumentation zugänglich machen, wie sie Leibniz und der führende Hannoversche Theologe Gerhard Wolter Molan gegenüber Bossuet vorgetragen hatten, und 3) der 1768 in Genf erschienene, „Theologica“ enthaltende erste Band der von Louis Dutens besorgten Edition der „Leibnitii […] opera omnia“. Diese Ausgaben, vor allem Le Rois Bossuet-Edition, standen den von der Aufklärung beeinflussten Irenikern des späteren 18. Jahrhunderts zur Verfügung, soweit sie die Erfahrungen der Leibnizzeit in ihre Argumente einbeziehen wollten (vgl. Spehr 2005). Ein Beispiel hierfür liefern etwa der Erzbischof von Besançon, Claude Le Coz, 1804 in einem irenisch gesonnenen Brief an mehrere calvinistische Prediger in Paris und die dadurch auf reformierter Seite ausgelöste Diskussion5. Doch sind solche Würdigungen des Irenikers oder, um den sachlich zutreffenderen, wenn auch anachronistischen Ausdruck zu gebrauchen, des Ökumenikers (vgl. Rudolph 2010) Leibniz zumeist eher als Reminiszenzen einzustufen denn als wirkliche theologische Bezugnahme oder Auseinandersetzung mit einzelnen Themen der Leibnizʼschen Theologie. Wenn Leibniz den theologischen Diskurs des 18. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt hat, so liegt dies, wie eingangs angedeutet, in seiner natürlichen Theologie begründet, also in dem, was seine Philosophie anbot, um der Offenbarungswahrheit mit Hilfe der Vernunft beizukommen, speziell die theologische Erkenntnislehre, wie sie im Discours préliminaire dargelegt wird, und die drei Hauptteile der Essais de théodicée. Sie bilden das Herzstück der eher an der Lehre von Gott, den göttlichen Eigenschaften, der Schöpfung und der Frage nach dem unde malum interessierten Leibnizrezeption in der Theologie des 18. Jahrhunderts, während erst im 19. und frühen 20. Jahrhundert von einer sich stärker dem Subjekt des Glaubens zuwendenden Theologie auch der monadologische Teil der Leibnizʼschen Metaphysik intensiver wahrgenommen wird6. Der Beitrag von Klaus Unterburger (siehe Abschnitt C) weist auf eine an diesem Punkt durchaus abweichende Situation in der katholischen Theologie hin. Im Folgenden wird die Leibnizrezeption für die protestantische und die katholische Theologie zunächst getrennt behandelt. Für eine solche Aufteilung sprechen nicht nur pragmatische Gründe der Stoffbewältigung und der unterschiedlichen Kompetenzen der Verfasser, sondern auch der Umstand, dass die theologischen Debatten und Diskurse in den Konfessionen doch sehr unterschiedlich verliefen. Schon aufgrund der Fülle des Stoffes musste ohnehin ein Schwerpunkt auf die   4 5 6

Die Frage, ob und inwieweit sich die Ireniker im Umkreis des Jansenismus, der 1723 in Utrecht eine eigene „Kleine Kirche“ konstituiert hatte, auf die Unionsversuche von Leibniz und Molan bezogen haben, bedarf noch der Klärung. abgedruckt in Rabaut 1806, 151–163, hier über Leibniz 160–162; vgl. auch die Antwort eines „Ph. G.“, 222–262, hier 246–248. Eine ebenfalls irenische, jedoch eine Reunion von Protestanten und Katholiken aktuell ablehnende Reaktion auf diese Publikation bietet Plank 1809. Dafür, dass dieser Aspekt gleichwohl auch in der Argumentation des 18. Jahrhunderts nicht völlig unbeachtet bleibt, mag an dem für die Theologiegeschichte bedeutenden Theologen und Philosophen Johann August Eberhard ersehen werden; vgl. Eberhard 1772.

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deutschsprachige Theologie gelegt werden. Bei aller Divergenz der Entwicklung sollen die Ergebnisse am Ende dann aber doch zusammengeführt werden. Gerade vom synthetischen Blick auf das zunächst getrennt Behandelte sind Einsichten in Parallelen und spezifische Differenzen zwischen den konfessionellen Theologien zu erwarten. Erst in den letzten Jahrzehnten haben konfessionelle Interessen aufgrund der ökumenischen Annäherung der Theologien und aufgrund der Fortschritte einer auf den Fortgang der Akademie-Ausgabe gestützten Leibnizforschung aufgehört, eine entscheidende Voraussetzung für den theologischen Zugang zu Leibniz zu sein. 2. ZUR LEIBNIZ-REZEPTION IN DER (VORNEHMLICH DEUTSCHEN) PROTESTANTISCHEN THEOLOGIE Hartmut Rudolph, Ulrich Becker

2.1. Die sogenannte „Übergangstheologie“ oder „vernünftige Orthodoxie“ und der Wolffianismus Statt von Übergangstheologie, ein Begriff, den schon Albrecht Ritschl 1886 als zu „unbestimmt“ angesehen hatte7, soll hier von einer sich der Aufklärungsphilosophie öffnenden Orthodoxie oder mit Rudolf Dellsperger von einer „vernünftigen Orthodoxie“ (vgl. Dellsperger 2000, 289–300, hier 289 f.) gesprochen werden. Fürsprecher wesentlicher Prinzipien seiner Metaphysik und Wissenschaftslehre findet Leibniz bei einer – zumindest vorübergehend – stattlichen Reihe von Theologen, die eine gewisse Kenntnis der Leibnizʼschen Ideen vermittelt bekommen hatten, gefiltert durch die Systematik Christian Wolffs, der jenen Ideen ein in sich schlüssiges Lehrgebäude errichtet hatte8. Unbestritten handelt es sich hierbei um eine Vermittlung der philosophischen Konzepte von Leibniz, die nur um den Preis einer Transformation erfolgte und welche die originären Leibnizʼschen Ideen der von der deutschen Aufklärung bestimmten Philosophie und Theologie deshalb nur in gebrochener Form nahebrachte (vgl. Hirsch 1951, 48 f.). Als Vertreter solchen Wolffianismus’ in der Theologie seien hier der in Cölln/Berlin wirkende Johann Gustav Reinbeck, die beiden Tübinger Professoren Georg Bernhard Bilfinger (vgl. Liebing 1961) und Israel Gottlieb Canz (vgl. hierzu Neumann 2013), der Jenenser Jakob Carpov oder auch der Göttinger Philosophie-, dann Theologieprofessor und danach Hannoversche Generalsuperintendent   7 8

Ritschl 1886, 42, Anm. 1; Hinweis bei Schäufele 1998, 5 – zum Begriff und seiner Entstehung vgl. Schäufele 1998, 4–10. 1738 stellte der Leibniz-Historiograph Carl Günther Ludovici zu Beginn seiner fast 80 Seiten umfassenden Aufzählung der „fürnehmsten Wolffianer“, darunter viele Theologen, fest: „Die Anzahl der Wolffianer steiget von Tag zu Tage höher“; Ludovici 1738, 230.

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Georg Heinrich Ribov (Riebow)9 und vor allem der einflussreiche Hallenser, auch vom Pietismus geprägte, Ordinarius 10 Siegmund Jakob Baumgarten genannt. Reinbeck hatte in Halle studiert und war einer der führenden lutherischen Theologen in Berlin. Für den Heilbronner Theologen und Autor des letzten Bandes der bedeutenden Mosheimschen Kirchengeschichte, Johann Rudolf Schlegel, ist Reinbeck „der bescheidenste und klügste unter Wolfs unmittelbaren Schülern“ (Schlegel 1788, 102). Als Mitglied der 1736 vom preußischen König eingesetzten und mit dieser Frage befassten Kommission trat er für Wolffs Rückberufung nach Halle ein (vgl. Lange 1736, 8) und verteidigte die Leibniz-Wolffsche Schule in mehreren theologischen Arbeiten, darunter in einem Versuch, die Artikel des maßgebenden lutherischen Bekenntnisses, der Augsburger Konfession (1530), von marginalen und zu eliminierenden Ausnahmen abgesehen als mit Vernunftgründen übereinstimmend zu erweisen11. Georg Bernhard Bilfinger zeigt sich in seinen Schriften schon in den 1720er Jahren als einer der kompetentesten Fürsprecher der Leibnizʼschen Wissenschaftslehre und Metaphysik unter den protestantischen Theologen. Seine Dilucidationes philosophicae de Deo, Anima humana, Mundo, et generalibus rerum affectionibus von 1725 können als die wichtigste Auseinandersetzung mit den Gegnern des Rationalismus in dieser frühen Phase der Kritik an Wolff12 gelten13. Bevor diese recht zum Ausbruch kam, hatte Bilfinger ich in seiner Tübinger Inauguraldissertation schon 1721 befürwortend mit Leibniz’ Lehre von der präetablierten Harmonie auseinandergesetzt (Bilfinger 1723). In dem Tübinger Theologen und Philosophen Johann Ulrich Steinhofer – er gab 1739 Leibniz’ Essais de théodicée in lateinischer Übersetzung heraus – fand Bilfinger einen treuen Mitstreiter. Der Tübinger Rhetoriker und Theologe Israel Gottlieb Canz erweist sich ebenfalls als Anhänger des Leibnizʼschen Rationalismus in der Theologie (Canz 1728). In Jena wirkte neben dem Philosophen, zugleich Ersteditor der Leibnizʼschen Monadologie, Heinrich Köhler (vgl. Lorenz 1997, 152 f.), der Philosoph und Theologe Jakob Carpov auf ähnliche Weise14. Carpov war es, der als erster das Prinzip des zureichenden Grundes in seine de  9

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Vgl. v. a. Ribov 1741. Bereits 1726 hatte Ribov, der nach seinem Studium der Philosophie, Mathematik und Theologie in Halle noch als Hauslehrer in Bremen wirkte, eine gegen den hallischen Theologen Joachim Lange (siehe dazu unten) gerichtete Verteidigungsschrift für Wolff veröffentlicht (Ribov 1726). Zur Situation in Halle vgl. vor allem Sparn 1989. Reinbeck 1731–1747, danach weitere Auflagen; vgl. hierzu vor allem Lorenz 2014. Die gegen Wolff gerichteten Gutachten der beiden theologischen Fakultäten von Tübingen und Jena waren noch nicht erschienen. Welche Bedeutung Bilfingers in Tübingen 1725 und 1740, 1746 und 1768 erschienenen Dilucidationes für die Vermittlung der Leibnizschen Theologie zukommt, mag aus einer Rezension in den Deutschen Acta Eruditorum 1725 ersehen werden; vgl. Döring 1999, 35 f. Zur damaligen Situation des Wolffianismus an der Jenenser Universität vgl. Goldenbaum 2004, 81–103 und die dort genannte Literatur. – Dem Einfluss der Wolffschen Schule in Jena, in Sonderheit Heinrich Köhler, sind auch zahlreiche Schriften über Christian Wolffs Leben und das System des Philosophen Friedrich Christian Baumeister geschuldet, der als Rektor des Görlitzer Gymnasiums De religione Leibnitii etc. veröffentlichte (Baumeister 1737).

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monstrativisch verfahrende Dogmatik eingebracht hat (vgl. Carpov 1737–1765 und dazu Sparn 1985, 24). Es waren nicht nur die genannten Lutheraner, welche von der LeibnizWolffschen Schule geprägt wurden. Auch unter calvinistischen Theologen finden sich Wolffianer, etwa Heinrich Wilhelm Bernsau (Franeker)15, Daniel Wyttenbach (Bern und Marburg, siehe Wyttenbach 1747–1749) oder Johann Friedrich Stapfer (Bern, siehe Stapfer 1743–1747). Emanuel Hirsch sieht alle jene Wolffianer dadurch gekennzeichnet, dass sie das „neue demonstrative Verfahren Wolffs auf die Dogmatik anwenden“, ohne dabei von den „Hauptaussagen der Orthodoxie“ abweichen zu wollen, und dabei Vernunft und Offenbarung so eng verknüpfen, dass sie „das Vernunftvorurteil für die christliche Offenbarung nicht bloß allgemein in der Prinzipienlehre, sondern auch innerhalb der Dogmatik selbst mit Absicht auf die einzelnen Lehren geltend machen“ (Hirsch 1951, 387 f.). Eine besondere Bedeutung erhält in diesem Zusammenhang Siegmund Jakob Baumgarten, der in den über 25 Jahren seiner Lehrtätigkeit in Halle (1730–1757) zum „maßgeblichen Lehrer einer ganzen theologischen Generation“ wurde16. Einerseits geprägt durch den von lutherischer Rechtgläubigkeit gekennzeichneten hallischen Pietismus übernimmt er andererseits in seiner als strenge Wissenschaft begriffenen Theologie die wesentlichen Elemente der Leibnizʼschen Metaphysik, wie sie sich ihm im Wolffschen System darboten, vor allem die Übereinstimmung von Vernunft und Offenbarung, die Ableitbarkeit des göttlichen Handelns aus einem in den göttlichen Eigenschaften ruhenden zureichenden Grund, nämlich der sich in der Vervollkommnung der Schöpfung erweisenden Ehre Gottes als dem Ziel alles göttlichen Wirkens. An Baumgarten wird nun auch bereits sichtbar, was Stefan Lorenz die „prekäre Lage“ des theologischen Wolffianismus genannt hat, dessen „(partielle) Dominanz“ nur von kurzer Dauer gewesen sei (Lorenz 2009, 82). Neben die Rationalität, die der Theologie zur Wissenschaftlichkeit verhilft, tritt ein Interesse der „frommen Subjektivität“ an historischer Begründung der „Evangelischen Glaubenslehre“, wie der Titel des nach Baumgartens Tod von Johann Salomo Semler herausgegebenen dreibändigen theologischen Vermächtnisses lautet (Baumgarten 1759/1760). Die Geschichte, so beschreibt Walter Sparn diese Transformation der Dogmatik als theologischer Wissenschaft, stelle jetzt nicht mehr das vom Dogmatischen verschiedene Feld menschlicher Meinungen und Handlungen dar, sondern ist selber das Feld der Dogmatik; umgekehrt hat die Dogmatik sich jetzt nicht mehr metaphysisch, sondern historisch zu rechtfertigen. Die historische Methode in

  15 Vgl. etwa die mit einem Vorwort von Christian Wolff ausgestattete Theologia dogmatica methodo scientifica pertractata (Bernsau 1745). 16 Hirsch 1951, 370, zu Baumgarten insgesamt 370–388 – zu Baumgartens Schülern zählen so unterschiedliche Geister wie der Lessing-Gegner Michael Goeze, der spätere preußische Justiz- und Religionsminister unter Friedrich Wilhelm II., Johann Christoph Woellner, und vor allem der Protagonist der Neologie, Johann Salomo Semler.

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der Theologie wird damit zur essentiell theologischen, ohne daß sie damit an methodischer Seriosität verlöre [...] (Sparn 1985, 36).

In der Person des Helmstedter lutherischen Theologen und späteren Kanzlers der neu gegründeten Göttinger Universität, Johann Lorenz von Mosheim, dessen berühmte Kirchengeschichte oben bereits erwähnt wurde, wird jene Transformation in mehrfacher Hinsicht erkennbar, vor allem darin, dass er in Göttingen der Theologie eine Rolle zuwies, die sie nicht mehr den anderen Wissenschaften überordnete, sondern sie vom Anspruch auf das Recht einer Zensur der anderen Fakultäten befreite (Sparn 1985, 30). Dazu passen auch Mosheims nicht zuletzt in jener reduzierten Rolle der Dogmatik gründende moderate Haltung zur lutherischen Orthodoxie und seine erkennbare Distanz sowohl zum Pietismus als auch zur Leibniz-Wolffschen Schule. Den von Leibniz in der Theodizee begründeten metaphysischen Optimismus hat er abgelehnt (vgl. Lorenz 2009, 72–74). 2.2. Orthodoxie, Eklektizismus und Pietismus Mit Orthodoxie17 und Pietismus werden hier zwei Strömungen in der protestantischen Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts zusammengeführt, die sich von ihrem jeweiligen Standpunkt aus nicht anders als Kontrahenten begreifen konnten. Die gemeinsame Gegnerschaft zur theologischen Aufklärung der LeibnizWolffschen Schule sollte jedoch beide sich bislang befehdenden Lager zu Verbündeten werden lassen18. Zunächst sind zwei Theologen in diesem Zusammenhang an vorderer Stelle zu nennen, deren Wirken noch in Leibniz’ Lebenszeit hineinreicht, Valentin Ernst Löscher und Johann Franz Budde. Ersterer 19 gilt als Wortführer der lutherischen Orthodoxie, während sich in Buddes theologischer Position noch stärker als bei Löscher eine auch in der Orthodoxie jener Jahrzehnte vorhandene Ambivalenz in der Zuordnung von Vernunft und Offenbarung bemerkbar macht. Zusehends sahen sich die Theologen genötigt, die Fortschritte der naturwissenschaftlichen Forschung und einer historischen Durchdringung des biblischen Stoffs auch bei der dogmatischen Fixierung der Glaubensinhalte zu berücksichtigen, ohne allerdings damit das Gebäude der Orthodoxie zum Einsturz bringen zu wollen. Walter Sparn spricht deshalb, wie im vorigen Abschnitt schon erwähnt, auch in diesem Zusammenhang, namentlich im Blick auf Budde, vom

  17 Im Blick auf die lutherische Orthodoxie bietet Döring 1999 eine Fülle theologiegeschichtlich relevanter detaillierter Beobachtungen zu den Auseinandersetzungen um die LeibnizWolffschen Lehren. 18 Hans-Joachim Birkner spricht deshalb vom „Ausgang des Konflikts zwischen Orthodoxie und Pietismus“ und dem „Zusammengehen beider gegen die werdende Aufklärung“ (Birkner 1983, 190). 19 Vgl. zu Löschers Theologie vor allem Greschat 1971.

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„eklektischen Verfahren“ und von den „Eklektikern“ in der Theologie20 und kann diesen so auch denjenigen zurechnen, die den „Übergang“ vom Alt- zum Neuprotestantismus mit herbeigeführt haben. Die von beiden, Budde wie Löscher, vorgetragenen Einwände gegen Leibniz’ natürliche Theologie (vgl. Lorenz 1997, 99–119) waren zum großen Teil in der Theodizee von Leibniz selbst diskutiert und, worauf Stefan Lorenz schon hingewiesen hat (Lorenz 2009, 77), bereits in Buddes Dissertation (Budde 1712) vorgetragen worden (vgl. Lorenz 1997, 105–119). Hier seien nur wenige Grundeinwände genannt: Man geißelt die vermeintliche Hybris, aus der heraus Gottes Verhalten als von seinen Eigenschaften her festgelegt, sein Handeln einer ontologischen Notwendigkeit unterworfen und Gott so der Freiheit seines Willens beraubt werde. So lautet etwa der dritte der zehn Lehrsätze, in denen die philosophische Fakultät der Universität Jena 1733 die Punkte herausstellen wollte, an denen sich die Heterodoxie der Leibniz-Wolffschen Ideen erweise: „Dass das Wesen eines Dinges nicht von dem Willen Gottes dependire, sondern aeternae necessitatis sei, und also im geringsten nicht verändert werden könne: weil der Verstand Gottes die Quelle des Wesens aller Dinge sei“ (zitiert nach Lorenz 2009, 76). Schon der Königsberger lutherische Theologe Christoph Langhansen kritisiert Leibniz gerade an diesem Punkt (Langhansen 1724). Die Philosophie geriert sich dann als Herrin, wo sie doch die Magd der geoffenbarten Wahrheit der Theologie bleiben müsse. Eindeutig klingt auch die Warnung des älteren Ernst Valentin Löscher: Unstreitig ist es, daß die wahre geoffenbahrte Religion 1) keine herrschende Philosophie leiden, noch sich derselben accommodiren, viel weniger unterwerffen könne: 2) Daß sie ohne wahre Geheimnisse, welche in diesem Leben nicht zu ergründen sind, nicht bestehen könne, und daß demnach eine Philosophie, die alles mathematisch demonstriren will, sich mit derselben nicht vertragen könne [...]: 5) daß die menschliche Seele, und sonderlich die geistlichen oder theologischen Geschäffte, der Philosophie, ohne grossen Schaden der Religion, nicht können unterworffen werden [...] (Löscher 1735, 76 f.).

Man weist Leibniz’ Herleitung des Übels (unde malum) zurück, weil sie Gott unter der Voraussetzung, dass er die beste aller möglichen Welten schaffen musste, notwendig auch zum Autor oder zum Dulder der Sünde und des Bösen werden lässt 21 . Schließlich, und das ist gewiss ein Haupteinwand, Leibniz’ beste aller möglichen Welten reduziere die Bedeutung der Erlösungstat Christi am Kreuz als des zentralen Ereignisses der Heilsgeschichte und leugne die einzig durch die von Gottes Gnade gewährte Erlösung von der Sünde.   20 Budde 1707, 1724 und 1725; vgl. Sparn 1985, 26 und Lorenz 1997, 106 und die dortigen Hinweise auf Emanuel Hirsch und Karl Barth. 21 Vgl. etwa den fünften der zehn Jenenser Lehrsätze zum Nachweis der Leibniz-Wolffschen Heterodoxie: „Das Übel und Böse rühre von den ursprünglichen und notwendigen Einschränkungen der Dinge her, welche denen Creaturen notwendig anhange. Daher habe Gott den Menschen so nicht auf diese Welt schaffen können, dass er ohne Sünden blieben wäre“; zitiert nach Lorenz 2009, 76.

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Die auf Seiten des Pietismus gegen das Leibniz-Wolffsche Lehrsystem zielenden Motive und Argumente lassen sich vor allem in den Schriften des hallischen, eher eristisch gestimmten, Theologen Joachim Lange (vgl. Sparn 2004, 244–249) finden, des neben Joachim Justus Breithaupt einflussreichsten damaligen Pietisten in der dortigen theologischen Fakultät. Emanuel Hirsch mochte dem Gehalt ihrer dogmatischen Lehre nicht mehr zuzugestehen, als dass darin, abgesehen von einer gewissen Spener geschuldeten Bereicherung in der Lehre von der Heilszueignung, „die Hauptaussagen der überkommenen lutherischen Lehre möglichst treu“ wiederholt werden, „wenn auch selbstverständlich mit derjenigen Vereinfachung, die ihrer Ablehnung schulmäßiger Begriffsspalterei entspricht“ (Hirsch 1951, 186 f.). So erweckt die Reihe der gegen die Leibniz-Wolffsche Schule 22 gerichteten Schriften von Lange fast den Eindruck einer regelrechten Kampagne gegen Wolff, den Fakultätskollegen, der Halle wegen seines vermeintlichen Atheismus 1723 verlassen musste. Bereits 1724 veröffentlichte Lange zwei Schriften dieser Art in Halle und Kassel, deren Titel keinen Zweifel an Wolffs Heterodoxie zuzulassen schienen (Lange 1724). 1725 wollte er in einer Rezension der vom damals Wittenberger, später Göttinger Philosophen und Wolffianer Samuel Christian Hollmann verfassten Commentatio philosophica de harmonia inter animam et corpus praestabilita ex mente illustris Godofr. Gvil. Leibnitii et celeb. Christ. Wolffii duabus dissertationibus comprehensa (Hollmann 1724) den Erweis erbringen, dass „der Herr Professor Wolf sich gegen die wohlgegründeten Vorwürfe in seinen versuchten Verantwortungen bisher keinesweges gerettet habe, noch auch künftig retten könne“ (Lange 1725). 1737 veröffentlichte Lange eine Vollständige Sammlung Aller derer Schrifften, Welche in Der Langischen und Wolffischen Streitigkeit im Monat Junio 1736. Auf hohen Befehl abgefasset worden (Lange 1737), nachdem zuvor schon Lange 1736 in französischer Sprache erschienen war. Darin wurde ein Memorandum von Lange dokumentiert, mit welchem er auf die Gutachten der vom preußischen König 1736 eingesetzten Kommission zur Prüfung der Wolffschen Theologie (vgl. oben) reagierte (Lange 1737, 7–26). Er benennt fünf „Grund-Irrthümer“, „welche in der Wolffischen Philosophie der natürlichen und geoffenbarten Religion nachtheilig sind, ja sie gar aufheben, und gerades Weges [...] zur Atheisterey verleiten“. Sie betreffen die maschinelle Funktionsweise von Seele und Leib (1 + 2), die vermeintlich atheistische Definition von Gott und Seele (3), das vermeintlich atheistische Verständnis von Schöpfung und Ewigkeit der Welt (4). Sämtliche Prinzipien Wolfs führen zum Atheismus. Seine Schriften enthalten in mehrfacher Hinsicht eine Fürsprache zugunsten der Atheisten, unter anderem mit dem Hinweis, dass nur der Missbrauch der „Atheisterey“ zum „bösen Leben verleite“ (Lange 1737, 19).   22 Langes pietistisch geprägte Soteriologie richtete sich nicht nur gegen die Leibniz-Wolffsche Schule, sondern auch gegen die Orthodoxie Valentin Ernst Loeschers; vgl. Hirsch 1951, 189 und die Streitschrift Christliches Bedencken etc. (Lange 1721).

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Aus dem Bereich des radikalen Pietismus wäre Johann Konrad Dippel zu nennen, dessen in mehreren Schriften geäußerte Kritik an Leibniz von Stefan Lorenz ausführlich dargelegt wurde (Lorenz 1997, 133–149). Sie konnte sogar die (partielle) Zustimmung eines Johann Georg Walch finden, des der Orthodoxie zuzurechnenden Jenaer Herausgebers einer vielbändigen Luther-Ausgabe und Autor einer mehrbändigen Historie und Einleitung der Religionsstreitigkeiten außerhalb und innerhalb des Luthertums (vgl. Lorenz 1997, 150). Auch noch im späteren Pietismus finden sich kritische Stimmen zu Leibniz’ rationalistischer Theologie, zu deren vermeintlichem Mechanismus, Determinismus und Fatalismus, wofür hier nur als besonders spätes Zeugnis die Theorie der Geister-Kunde des Badischen Geheimen Hofrats Johann Heinrich Jung-Stilling (Jung-Stilling 1808) angeführt werden soll (vgl. Lorenz 2009, 85–87). In dessen Kritik spiegelt sich, abgesehen von der Wiederkehr mancher Argumente, die oben bei Vertretern der Orthodoxie schon begegneten, vor allem der große frömmigkeitsgeschichtliche Abstand eines von der Erweckungsbewegung geprägten Glaubensverständnisses zur rationalen natürlichen Theologie von Leibniz. Zu dessen Theodizee, Jung-Stilling spricht von dem „System der besten Welt“, heißt es: [...] Was noch Alles aus diesen Sätzen, ganz logisch richtig folgt, ist so höllisch, gräulich, und empörend, dass ichs nicht von weitem berühren mag. Hier hört alle göttliche Offenbarung, die Bibel mit ihrem ganzen Inhalt, die Sendung des Sohns Gottes, und sein ganzes Erlösungswerk, auf. Da findet überhaupt keine Religion mehr statt; wenn es einen Gott giebt, so geht er uns nichts an [...] Ach Gott! Welch eiskalte Vernunftweisheit – sie weiß von keinem Vater im Himmel, und von keinem Erlöser [...]. (Jung-Stilling 1808, 22–25; zitiert nach Lorenz 2009, 86 f.).

So wie es unter den Reformierten, wie oben kurz erwähnt, Theologen mit einer gewissen Affinität zum Wolffianismus gab, so finden sich auch unter den Reformierten Kritiker der Leibnizʼschen natürlichen Theologie, allen voran der Leibniz-Korrespondent Philippe Naudé der Ältere († 1729), dessen Reflexions sur l’excellent ouvrage qui a pour titre: Essais de Théodicée (ca. 1725) nur handschriftlich überliefert sind (Lorenz 2009, 82–84). Sie enthalten zum einen Argumente, wie sie auch von lutherischer Seite kritisch vorgetragen wurden, andererseits solche Argumente, die im Sinne der calvinistischen Erwählungslehre besonders stark den in seinem Willen absolut freien Gott propagieren, der sich keinem Prinzip, keinem vorgegebenen Ziel unterordnen lasse. Unabhängig von den im Einzelnen bestehenden Unterschieden der bisher beobachteten theologischen Schulen des 18. Jahrhunderts, sei es die Orthodoxie oder der Pietismus, lassen sich die wichtigsten theologischen Einwände gegen die Leibnizʼsche natürliche Theologie so zusammenfassen: Hinsichtlich der theologischen Hermeneutik sehen sowohl die strengen Orthodoxen und Teile einer sich der Aufklärung öffnenden Orthodoxie als auch der Pietismus in der von Leibniz der Vernunft gegenüber der Offenbarung zugewiesenen Rolle die „wahre geoffenbahrte Religion“ in unzulässiger Weise an die Philosophie „accomodirt“ und durch die „Unterwerfung“ unter die Philosophie beschädigt (Löscher 1737, 76 f.). Statt dessen besteht man, etwa wie bereits der Leibniz-Korrespondent Friedrich Wilhelm Bierling, auf der grundlegenden Unterscheidung und Trennung der

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sphaera naturalis von der sphaera supernaturalis, deren jeweiliger Zugang eine unterschiedliche Methode erfordere (z. B. Bierling 1719, vgl. Lorenz 1997, 127, Anm. 129). Ebenso grundlegend ist die Differenz zur Theologie im engeren Sinne, der Lehre von Gott, und zur Schöpfungslehre. Gottes Wille hänge niemals von einer „außer ihm liegenden Ursache“ oder aeterna necessitas ab. Die Schöpfung sei nicht die Auswahl der besten aus einer Fülle von möglichen Welten, sondern Gott habe nur diese eine Welt geschaffen, und diese sei, weil er sie gewählt habe, die beste und vollkommene Welt, in welcher es vor dem Sündenfall kein Böses, kein Übel gegeben habe (z. B. Budde 1712, vgl. Lorenz 1997, 114 f.). Und dies führt schließlich zum schwerwiegendsten Einwand, nämlich Leibniz’ natürliche Theologie oder Metaphysik negiere die mit dem Sündenfall vollzogene Peripetie der vollkommenen Schöpfung zur völlig dem status corruptionis verfallenen Welt, die nun der Restitution durch das Erlösungswerk Christi bedarf (z. B. Bierling 1719, vgl. Lorenz 1997, 109 u. 127). Damit werden wesentliche Inhalte der theologischen Anthropologie (Hamartiologie), der Christologie und Soteriologie unterschlagen. Alle diese Bedenken bleiben auch in der protestantischen Theologie der folgenden Jahrhunderte grundlegende Einwände gegen Leibniz’ Metaphysik. 2.3. Die Neologie Dass der Leibnizʼsche Rationalismus von der Theologie nicht geradlinig und nicht immer unmittelbar entlang einer zwischen Akzeptanz und Ablehnung verlaufenden Grenze rezipiert wurde, war andeutungsweise schon bisher an der Entwicklung einzelner theologischer Konzepte sichtbar geworden. Verstärkt zeigt sich die Wirkung von Leibniz’ natürlicher Theologie auch außerhalb direkter Referenzen in der eklektischen Fortentwicklung der Schulen, auch in deren gegenseitigen Verschränkungen. Karl Aners Werk Die Theologie der Lessingzeit (Aner 1929)23, eine zuverlässige und bis heute maßgebende Studie zur Geschichte der Theologie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, zeigt dies nicht nur an den theologischen Äußerungen Gotthold Ephraim Lessings, sondern an der in jenen Jahrzehnten von 1740 bis etwa 1790 vorherrschenden Strömung der Neologie, die sich Aner als so genanntes „zweites Stadium“ (Aner 1929, 3) einer Aufklärung darstellt, in welcher der liberale Theologiehistoriker in den 1920er Jahren den „großen Befreiungsprozess“ sah, „der sich auf westeuropäischem Boden in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert vollzogen“ habe. Für den Protestantis  23 Karl Aners akademische Karriere verlief nicht ohne Brüche, vor allem, als ihm die Berliner theologische Fakultät trotz seiner von Adolf Harnack geförderten Licentiatsschrift, wohl wegen seiner während des Krieges gewonnenen pazifistischen und demokratischen Einstellung, die Habilitation verweigerte und er erst 1923/24 in Halle habilitiert wurde; vgl. http:// www.catalogus-professorum-halensis.de/anerkarl.html

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mus habe es in dem Zusammenhang geholfen, das „Joch“ des kirchlichen Dogmas „abzuschütteln“. Aner unterscheidet drei Etappen, welche die aufklärerische Theologie Deutschlands dabei zu durchschreiten hatte: 1) die wolffische, in welcher der Vernunft prinzipiell das Recht zugesprochen worden sei, „in Glaubensdingen entscheidend mitzusprechen“, ein Recht, das nie „gegen die dogmatische Substanz gebraucht“ worden sei, sondern Vernunft und Offenbarung, letztere mit ihren suprarationalen Wahrheiten, „in friedlichem Dualismus nebeneinander“ bestehen ließ. 2) die Neologie, die in ihrem voll entwickelten Stadium den Offenbarungsbegriff zwar nicht aufgibt, die einzelnen Offenbarungsinhalte jedoch einer (vernunft-)kritischen Analyse unterzieht und auf dieser Grundlage alles eliminiert, „was ihr kontrarational scheint“, und das ist nach Aner „so ziemlich der ganze spezifisch-christliche Offenbarungsbestand“, der „historische“, besser vielleicht: heilsgeschichtliche Inhalt des christlichen Glaubens. Die dem Begriff nach noch beibehaltene „Offenbarung“ beinhaltet demnach nur noch die „religiösen Vernunftwahrheiten“. 3) den „Rationalismus“, ein Begriff, mit dem Aner das Stadium bezeichnet, in welchem jene historischen Glaubenswahrheiten, also die traditionellen Offenbarungsinhalte“, in „Vernunftwahrheiten“ umgedeutet werden, so dass es eines gesonderten Begriffs der Offenbarung nicht mehr bedarf (Aner 1929, 3 f.). Auch wenn Aner der Neologie in dem genannten Zeitraum eine Dominanz zuspricht, übersieht und übergeht er doch nicht die fortbestehende konzeptionelle Vielfalt und verliert trotz seiner relativ schematischen Beschreibung des Prozesses der theologischen Aufklärung nicht den Blick für die Differenziertheit und die Variationsbreite des damaligen theologischen Diskurses: „Gewiß schwamm nur ein Bruchteil der literarischen Erzeugnisse im neologischen Fahrwasser“ (Aner 1929, 6)24. Jedes Stadium jenes Prozesses steht, auch wenn dies unausgesprochen bleibt und die Referenzen fehlen, in einem Zusammenhang mit der von Leibniz der Vernunft zugewiesenen Rolle gegenüber den Quellen der Erkenntnis und den Inhalten des christlichen Glaubens. Ein explizites Beispiel findet sich in Gotthold Ephraim Lessings gegen den Sozinianismus gerichteten Schrift Des Andreas Wissowatius Einwürfe wider die Dreieinigkeit von 177325. Dort verwendet Lessing Leibniz’ Argumentation, etwa aus dem Discours préliminaire der Theodizee, dass nicht die Verteidiger der Mysterien des Glaubens den Beweis für deren Richtigkeit zu erbringen haben, sondern umgekehrt den Gegnern der (von ihnen nicht   24 Aner, der 1912 eine Biographie Friedrich Nicolais veröffentlicht und sich eingehend mit dessen Allgemeiner Deutschen Bibliothek beschäftigt hatte, wusste um die vielerorts in Deutschland einem freien Diskurs entgegenstehenden Hemmnisse und gibt einen differenzierten Einblick in die theologische Literatur der betreffenden Jahrzehnte (Aner 1929, 6–12). Hier sei auch, wie oben schon angedeutet, an Stefan Lorenzʼ Hinweise darauf erinnert, dass der Wolffianismus nie eine unangefochtene Vorrangstellung erlangen konnte; Lorenz 1997, 227, Anm. 73. 25 Vgl. dazu Goldenbaum 2004, 87. Zu Leibniz Argumention in der Trinitätsfrage vgl. Antognazza 2007.

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zu erbringende) Nachweis der Vernunftwidrigkeit obliegt. Aners Bemerkung, hier habe Leibniz bei Lessings Verdikt über die sozinianische Unvernunft „die Feder geführt“26, gilt nicht nur hier, sondern indirekt auch an vielen anderen Stellen, an denen es keinen ausgesprochenen Bezug zu Leibniz gibt, aber dessen Metaphysik und theologische Erkenntnislehre im jeweiligen Argument der Neologen weiterwirken. So spiegelt sich in der Abkehr von der Erbsündenlehre, eines festen Bestandteils der reformatorischen Bekenntnisse27, wie sie bereits Friedrich Wilhelm Jerusalem28, einer der Protagonisten der Neologie, in den 1740er Jahren vollzogen hatte (vgl. dazu Aner 1929, 162), das optimistische Menschenbild als notwendige Folge des Leibnizʼschen Perfektionismus des Gottesbegriffes wider. In der Umdeutung der Erbsündenlehre zur rational notwendig zu konstatierenden Unvollkommenheit des Menschen als einer Kreatur distanziert sich Leibniz von der theologischen Anthropologie des Augustinus, der, wie Karl Aner feststellt, „im Zeitalter der Neologie der meistgehaßte Mann“ war29. In ähnlicher Weise kann Leibniz’ Metaphysik als Vorlage für Johann Salomo Semlers Idee der „innern Unendlichkeit der christlichen Religion“ gelten, einer Religion, die nicht mehr der zeitlichen und räumlichen Begrenzung der offenbarten Wahrheiten, also der historischen Inhalte des christlichen Dogmas unterliegt, sondern darüber hinausreichend zu einem Träger einer unendlichen Bewegung der stetigen Entwicklung und Vertiefung der Sittlichkeit und der Erkenntnisse des Menschengeschlechts wird. Dies wurde dann als die „Vervollkommnungsfähigkeit oder Perfektibilität des Christentums“, wie Emanuel Hirsch schreibt, zum „Lieblingssatz der theologischen Generation“ nach Semler (Hirsch 1952, 86 f.; vgl. Hornig 1980). Diese Transformation eines von bloßem Offenbarungspositivismus geleiteten Christentums hin zu einer Religion, deren Quelle und Antrieb die aufgeklärte Liebe zu den göttlichen Vollkommenheiten ist, welche in unseren Seelen, wenn auch noch eingeschränkt, als Kraft, Erkenntnis und Güte vorhanden sind, hatte schon Leibniz, unter anderem im Vorwort seiner Essais de théodicée, als Kennzeichen „wahrer Frömmigkeit“ beschrieben: Les perfections de Dieu sont celles de nos ames, mais il les possede sans bornes: il est un Ocean, dont nous n’avons receu que des gouttes: il y a en nous quelque puissance, quelque connoissance, quelque bonté, mais elles sont toutes entieres en Dieu. [...] la veritable pieté, et même la veritable felicité, consiste dans l’amour de Dieu, mais dans un amour éclairé, dont l’ardeur soit accompagnée de lumiere (GP VI, 26–28).

Eine über die Fachtheologie hinausreichende Weiterentwicklung der Idee einer Perfektibilität findet sich in Gotthold Ephraim Lessings Die Erziehung des Menschengeschlechts (Lessing 1780), in der er auf ganz eigene Weise das Verhältnis   26 Aner 1929, 40, dort findet sich auch eine ausführlich Darstellung der facettenreichen antisozianischen Diskussion zur Lessingzeit, 32–60. 27 Vgl. etwa Confessio Augustana (1530), art. II und Art. I der Konkordienformel (1579). 28 Vgl. hierzu und zu Jerusalems Stellung zu Leibniz Müller 1984. 29 Aner 1929, 162. Aner nennt in dem Zusammenhang auch den Baumgarten-Schüler Johann Salomo Semler.

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von Offenbarung und Vernunft bestimmt und der trinitarischen Hoffnung der Spiritualen des 13./14. Jahrhunderts auf das Reich des Geistes (Lessing 1780, 2. Kap., § 88)30 eine neue, man könnte sagen, aufgeklärte neologische Deutung gibt: Erziehung ist Offenbarung, die dem einzeln Menschen geschieht: und Offenbarung ist Erziehung, die dem Menschengeschlechte geschehen ist, und noch geschieht. [...] Ob die Erziehung aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten, in der Pädagogik Nutzen haben kann, will ich hier nicht untersuchen. Aber in der Theologie kann es gewiß sehr großen Nutzen haben, und viele Schwierigkeiten heben, wenn man sich die Offenbarung als eine Erziehung des Menschengeschlechts vorstellet. [...] sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nöthig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkührliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und stärken sollten, die innern bessern Belohnungen desselben zu erkennen (2. Kapitel, §§ 2, 3 und 85).

Indirekt berühren die letzten Worte eine Auseinandersetzung, die in den 1770er Jahren um das rechte Verständnis der theologischen Vorstellung von der Ewigkeit der Höllenstrafen geführt wurde 31 . Die Leidenschaft, mit der zwei prominente Gestalten der Neologie, der damals noch als Berliner Pfarrer fungierende, spätere Hallische Philosophieprofessor Johann August Eberhard (siehe Eberhard 1772) und der sich selbst als „Liebhaber der Theologie“ verstehende Lessing (Lessing 1773), Sohn eines orthodoxen Lutheraners, um ein mögliches Verständnis jenes dogmatischen locus stritten, kann als ein Beleg für die hohe Relevanz der Leibnizʼschen Theologie und des ihr eigenen Optimismus, namentlich in der Soteriologie, gelten. Die von Leibniz verteidigte Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen (vgl. Strickland 2009; Rudolph 2017) konfligierte heftig mit dem Gedanken der Vervollkommnung der Menschen durch die als Erziehung verstandene göttliche Offenbarung. Wie konnte deren erzieherischer Zweck mit dem vollkommen gütigen und vollkommen gerechten Schöpfer der besten aller möglichen Welten in eins gebracht werden? Für Eberhard ist der Gedanke einer vergeltenden Strafe mit dem Leibnizʼschen System einer wachsenden Vervollkommnung unvereinbar, und er kann die göttliche Strafe deshalb nur als eine heilende verstehen. Davon ausgehend, dass alle vernunftbegabten Wesen irgendwann zur Glückseligkeit gelangen werden, was theologisch gesprochen der origenistischen apokatastasis pantoon gleichkommt, muss er den Gedanken an die Ewigkeit der Höllenstrafen verwerfen, der alle den Menschen eignenden guten Kräfte, jeden Schritt hin zur Vervollkommnung als wertlos und vergeblich erscheinen lassen muss. Dass ein rational argumentierender Metaphysiker wie Leibniz gleichwohl diesen Gedanken   30 Lessing spielt mit diesem Hinweis auf das „dreyfache Alter der Welt“ auf das Geschichtsverständnis Joachim von Fiores und der Franziskanerspiritualen an. 31 Vgl. zu diesem Streit, bei dem es auch um die Seligkeit der „Heiden“ und deren Fähigkeit zum Moralisch-Guten ging, Aner 1929, 270–285 und 359 f.

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verteidigte, konnte Eberhard nur als durch eine gewisse Unaufrichtigkeit ermöglicht ansehen. Leibniz habe opportunistisch versucht, eine orthodoxe Lehraussage durch geschickte Argumentation zu verteidigen, obwohl er sie nicht billigte. Lessing ist unter allen Kritikern, die Eberhard deshalb angriffen, wohl der prominenteste, und dessen Kritik traf ihn, wie Aner schreibt, unerwartet und „am empfindlichsten“, weil beide sich in ihrer aufklärerischen Einstellung nahestanden – sie zählten beide zum Freundeskreis um Friedrich Nicolai – und kannten sich also auch persönlich (Aner 1929, 279). In der Tat herrschte, wie Aner feststellt – zunächst, wie man im Blick auf sein endgültiges Resümee sagen muss –, in den wesentlichen Punkten zwischen beiden Übereinstimmung 32 . Lessing wandte sich jedoch gegen die moralische Herabsetzung Leibnizens, die er durch Eberhards Interpretation gegeben sah. Nicht opportunistische „Gefälligkeiten“ haben Leibniz, so Lessings Argument, bewogen, eine von ihm nicht gebilligte These öffentlich zu vertreten, sondern dies sei Leibniz geboten erschienen, weil in der orthodoxen Lehre die Wahrheit, um die es Leibniz philosophisch gegangen sei, nämlich dass in der Welt nichts ohne ewige Folgen bleibe, weit mehr gewahrt werde als in der rohen und wüsten Begrifflichkeit der Kritiker dieser Lehre, welche an deren Stelle schwärmerisch die apokatastasis pantoon propagieren. So komme es bei Leibniz zu der Differenz eines exoterischen von einem esoterischen Umgang mit der betreffenden Frage (vgl. Aner 1929, 280 f.). Aner sieht in seiner detaillierten Analyse der zwischen Eberhard und Lessing ausgetragenen Kontroverse letzteren als den „weit radikaleren Gegner der Orthodoxie“, indem sich Lessing sowohl gegen den Eberhard wie dessen orthodoxen Gegnern eigenen suprarationalen Höllenbegriff wende, womit er, wie Aner zu Recht meint, „echt leibnizsche Töne erklingen“ lasse. Denn Leibniz’ Metaphysik kenne keine absoluten Gegensätze zwischen Himmel und Hölle, zwischen beiden bestehen „keine Art-, [sondern] nur Gradunterschiede“ (Aner 1929, 284 f.). Es war in Aners Augen Lessing, der sowohl die Orthodoxie wie auch Eberhards Neologie zum Einsturz gebracht habe und so zum Bahnbrecher „einer rationalistischen Anschauung“ geworden sei, auch wenn er Leibniz „für den ersten Vertreter“ einer solchen gehalten habe (Aner 1929, 359). Für Walter Sparn wird in diesem Zusammenhang jedoch Lessings theologieschichtliche Bedeutung noch nicht zureichend erfasst: Nicht schon mit dem „provokanten Rückgriff auf den ‚orthodoxen‘ Leibniz“ in den beiden oben genannten Schriften von 1773, sondern erst mit der Veröffentlichung der radikalen Christentumskritik aus dem Nachlass von Hermann Samuel Reimarus   32 Walter Sparn sieht in der Spiritualisierung („Verinnerlichung sowohl der ‚Hölleʼ als auch des ‚Himmelsʼ“) der Begriffe „Hölle“ und „Himmel“, wie Lessing sie in seiner LeibnizInterpretation vornehme, sogar einen über Eberhards Kritik an der Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen hinausgehenden Aspekt; Sparn 1985, 46, Anm. 38; vgl. hierzu auch Ursula Goldenbaum: „Lessing unterscheidet ausdrücklich zwischen den ewigen Strafen, als den ewigen Folgen der Sünde angemessen, und den ewig andauernden physischen Qualen solcher Strafen, die er ebenfalls [scil. wie Leibniz und Mendelssohn] für ungegründet hält“; Goldenbaum 2013, 126, Anm. 53.

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und in Lessings, besonders gegen den Hamburger Pastor Johann Melchior Goeze gerichteten, Schriften im sogenannten Fragmentenstreit sei es gelungen, „die neologische Versöhnung von Christentum und Aufklärung zu desavouieren“ (Sparn 2001, 1089 f.). 2.4. Idealismus und Subjektivismus 2.4.1. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher zählt nahezu unangefochten zu den bedeutendsten Gestalten der protestantischen Theologiegeschichte überhaupt. In seiner auf Vorlesungen der frühen 1930er Jahre zurückgehenden protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts, die Karl Barth in eine „Vorgeschichte“ und eine „Geschichte“ gegliedert hat, widmet er dem Autor der „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (Schleiermacher 1799) und der „christlichen Glaubenslehre“ (Schleiermacher 1830) das erste und mit Abstand umfangreichste Kapitel des gesamten Teils über die „Geschichte“ (Barth 1960, 379–424). Barth stimmt den Theologen zu, die in Schleiermacher den „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ sahen, und mehr noch, er deutet Schleiermachers Wort über Friedrich den Großen, „Nicht eine Schule stiftet er, sondern ein Zeitalter“ auf eben jenen um (Barth 1960, 379). Wie unten noch gezeigt werden soll, gab es im 20. Jahrhundert einzelne Theologen, die ein vergleichbares Votum für Leibniz’ Wirken auf die Theologie des 18. Jahrhunderts abgegeben haben oder zumindest in den Werken beider Neuerer den entscheidenden Ansatz der modernen Theologie in der Neuzeit gegeben sahen. Schon von dem Gedanken des Neuerers her verbietet sich die Erwartung, Schleiermacher werde der natürlichen Theologie des Metaphysikers Leibniz einfach folgen oder gar in dessen Sinne seine Theologie entwickeln können. Der junge Schleiermacher steht Leibniz äußerst kritisch gegenüber, wie die 88 Aphorismen über Leibniz in einem Studienheft von 1797 zeigen33. Schon der herrnhutische Einfluss wird zu einer distanzierten Einstellung beigetragen haben, hatte doch bereits Zinzendorf Leibniz’ Theodizee als deterministisch bezeichnet und deshalb abgelehnt34. Der junge Schleiermacher sieht in dem Autor der Théodicée den Advokaten, der Gott zu seinem Klienten macht: Gott muß [...] deswegen alle möglichen Welten vorstellen um den convenabelsten Plan machen zu können. Er ist also weder ein [Künstler], der nach einem Ideal in sich arbeitet ohne alles schlechte daneben sehen zu müßen, noch ein Philosoph der nach Principien und Gesetzen a priori bildet, noch ein genialischer Dilettant, der das freie Spiel seiner Fantasie darstellt

  33 Erstmals in Dilthey 1870, im Anhang „Denkmale der inneren Entwicklung Schleiermachers“, 74–87; vgl. dazu und zum Folgenden Lorenz 2002, 258 f. 34 Lorenz 2002, 259 f. verweist in dem Zusammenhang auf Nowak 1986.

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und belebt, sondern was Leibniz selbst ist: ein moderantistischer Experimentator und daneben ein Oekonom.35

Den Vorwurf des Moderantismus richtete Schleiermacher auch gegen den Ökumeniker Leibniz: Leibniz war so sehr Moderantist, daß er auch das Ich und Nicht-Ich, wie Katholizismus und Protestantismus, verschmelzen wollte und Tun und Leiden nur dem Grade nach verschieden hielt. Das heißt die Harmonie chargieren, und die Billigkeit bis zur Karikatur treiben.36

Mehrfach findet sich in Schleiermachers Fragmenten der auch persönliche Invektiven gegen Leibniz nicht aussparende37 Vorwurf einer gewissermaßen megalomanen Hybris, etwa dass bei Leibniz die ewigen Wahrheiten nicht von Gottes Willen abhingen, „sondern von seinem [scil. Leibniz’] Verstande“ und „das innere Objekt desselben“ seien. Das heiße „auf recht gute Art dem lieben Gott gesagt daß er auch Schranken hat“ (Fragm. 33, zitiert von Lorenz 2002, 263). Zuvor hatte Schleiermacher Leibniz Manichäismus vorgeworfen, denn er brauche „den Teufel ganz nothwendig“ (Fragm. 29, zitert von Lorenz 2002, 263). Aussagen solcher Art lassen gewiss noch nicht auf ein tieferes Verständnis der Leibnizʼschen Metaphysik schließen. Ein solches mag Schleiermacher sich seit Ende 1797 bis 1799 zusammen mit Friedrich Schlegel (vgl. Arnold 2016, 9) erworben haben, ohne dass sich der grundlegende Charakter der Kritik Schleiermachers an Leibniz in der Folgezeit änderte. Dies wird schon in den Reden über die Religion (1799) manifest: Bildet bei Leibniz die vernunftgeleitete Erkenntnis das Instrument, das es dem Menschen, wenn auch in unvollkommener Weise, erlaubt, an der göttlichen Vernunft zu partizipieren, so sieht Schleiermacher das „Unendliche“, das „Universum“ oder „Jenseitige“ als das in „Anschauung“ und „Gefühl“, im „Geschmack“ des Betrachters und Bewunderers sich selbst offenbarende ganz Andere (vgl. Ringleben 1985). Auch in der Dogmatik des späten Schleiermacher bleibt es bei der grundlegenden hermeneutischen Kritik an Leibniz’ Metaphysik als einem „Erzeugniß der Speculation“, wo es doch in der Glaubenslehre nur um eine „Behauptung“ gehen könne, wie sie nur das „fromme Bewußtsein“ hervorbringen könne: Die Lehre von der besten Welt hat ursprünglich, zumal seit Leibniz, ihren Ort in der sogenannten natürlichen oder rationellen Theologie, und ist also nicht als eine Aussage über ein frommes Bewußtsein entstanden, sondern ein Erzeugniß der Speculation. Daher könnte auch hier gar nicht von ihr die Rede sein, wenn nicht manche Gottesgelehrte sie in derselben Form auch in die christliche Glaubenslehre herübergenommen hätten. Diese Lehre aber hat es nicht nur mit dem zu tun, was der Zeiterfüllung zum Grunde liegt, sondern mit der Zeiterfüllung selbst, in welcher das geschichtliche, die Wirksamkeit des menschlichen Geistes, von dem na-

  35 Fragment 38 (1797), zitiert nach Lorenz 2002, 260. 36 Dieses Fragment wurde im 2. Stück des 1. Bandes der von den Brüdern Schlegel hg. Zeitschrift Athaeneum unter Nr. 276 publiziert; vgl. auch Arnold 2016, 10. 37 Vgl. dazu die Fragmente 27, 38, 57 und auch noch – Spinoza als positives Gegenbeispiel herausstellend – Schleiermachers Akademierede 1815, sämtlich zitiert von Lorenz 2002, 261–264.

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Ulrich Becker, Hartmut Rudolph, Klaus Unterburger türlichen, der Wirksamkeit der physischen Kräfte, nicht getrennt werden kann, und sie behauptet dass ohnerachtet aller Nebel und Unvollkommenheiten doch eine größere Summe von Sein und Wohlsein nicht wäre zu erzielen gewesen. [...] Unsere beiden Lehrstükke [scil. von der besten Welt und einer Vollkommenheit der Welt] schließen freilich ebenfalls die Behauptung in sich, daß da der ganze Zeitverlauf nur eine ununterbrochene Wirksamkeit der gesammten ursprünglichen Vollkommenheit sein kann, das endliche Ergebniß eine schlechthinige Befriedigung sein muß, und eben so jeder Moment im ganzen betrachtet befriedigend als Annäherung. Allein die Behauptung, wie sie nur von dem frommen Bewusstsein ausgeht, begehrt nicht eben so in die speculative Theologie hineingetragen zu sein, wie man jene in die christliche Glaubenslehre aufgenommen hat. Für diese aber müssen wir dabei stehn bleiben, dass die Welt gut ist, und können von der Formel, dass sie die beste sei, keinen Gebrauch machen, und zwar, weil jenes weit mehr besagt als dies (Schleiermacher 1884, 3. Abschnitt, § 59, „Zusaz“, 305; vgl. Lorenz 2009, 87; Sparn 2013b, 434).

Leibniz’ Feststellung, diese Welt sei die beste aller möglichen Welten, beziehe sich, so Schleiermachers Kritik, „nicht nur auf die von uns schon verworfene Vorstellung von mehreren Welten, welche ursprünglich gleich möglich gewesen wären wie die wirklich gewordene, sondern auch will er den gesammten Zeitverlauf in der wirklichen Welt darstellen als das Ergebniß der ebenfalls verworfenen mittleren Erkenntniß, so daß die gesammte hervorbringende Thätigkeit Gottes als eine kritische folglich secundäre vorausgesezt wird“ (Schleiermacher 1884, 305; vgl. Lorenz 2009, 87 f.). Aussagen, dass Gottes Entscheidungen in einer solchen rationalen Konstruktion, deren innere Stringenz Schleiermacher wohl verschlossen blieb38, nicht frei, sondern von seinen ihm zu- und vorgeordneten Eigenschaften abhängig seien, lagen jenseits einer Dogmatik, die sich als eine Beschreibung des frommen Selbstbewußtseins, als eine Definition der Frömmigkeit als eines Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit verstand. 2.4.2. Die Hegel-Schule: Ferdinand Christian Baur (1792–1860) Der ursprünglich von Schellings Identitätsphilosophie und von Schleiermachers „Gefühls“-Religion herkommende Theologe der Tübinger Schule hat unter dem Einfluß Hegels die von ihm mit strenger wissenschaftlicher Methodik betriebene   38 Beinahe tragisch wird dies an Schleiermachers Ansprache deutlich, die er am 3. Juli 1815 vor der Preussischen Akademie der Wissenschaften über Leibniz gehalten hat. Es war ihm offensichtlich verwehrt, die zwischen Leibnizʼ verschiedenen metaphysischen Werken, etwa der Monadologie und der Theodizee, bestehende innere Einheit zu erkennen. Er sieht Leibniz als einen Autor, der „keine Darstellung an und für sich“ verfasst habe, sondern „jede war gleich auf seine unmittelbare bestimmte Wirkung berechnet“. So kann er in der Monadalogie auch nur das „Rührendste und Naivste in dieser Art“ sehen, „wie er [scil. Leibniz] sich bemüht, für einen katholischen Geistlichen [gemeint ist wohl Antoine Arnauld] die Transsubstantiationslehre in der Sprache der Monadalogie auszudrücken“. Leibniz sei immer „im Dienst des Augenblicks“ gewesen, „eigene Neigung“ habe ihn „von systematischer Ausbildung seiner philosophischen Ideen zurückgehalten“; Schleiermacher 1815, hier zitiert nach Ratschow 1947, 19 f.

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Kirchen- und Dogmengeschichte, als deren größter Vertreter er in seinem Jahrhundert gelten kann (vgl. Stephan/Schmidt 1960, 148), aus der „Idee des Processes“ verstanden und in epochemachenden Werken dargestellt, „durch welche Gott als der absolute Geist sich mit sich selbst vermittelt, sich selbst offenbar wird“ (Baur 1835, hier zitiert nach Steck 1978, 60), und so Geschichte zur Theologie im engeren Sinne, genauer zur Pneumatologie werden lassen (vgl. Steck 1978, 64). An der Reformation erweist sich die Dialektik dieses Prozesses insofern, als sie einen „Wendepunkt“ darstellt: „Die Idee der Kirche reißt sich von der sichtbaren Kirche als ihrer Erscheinung los, sie ist selbst das treibende und bewegende Prinzip des Fortschritts von einer Form des Bewusstseins, in welcher als einer unwahren Existenz sie nicht länger bleiben kann“. So tritt im Protestantismus an die Stelle der „Heteronomie des katholischen Begriffs der Kirche“ das „Princip der subjektiven Freiheit, der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Autonomie des Subjekts“ (Zitate nach Leese 1948; Steck 1978, 70). Welche Bedeutung vermag Baur dem, wie er schreibt, „grossen Leibniz“ (Baur 1863, 647) angesichts eines solchen Wendepunkts der Geschichte noch zuzubilligen? Als Kirchengeschichtler, dessen dialektisches Konzept der Geschichte die akribische Erfassung des „geschichtlich Gegebenen [...] in seiner reinen Objektivität“ ja keineswegs ausschloss, sondern im Gegenteil erforderlich machte, überging Baur nicht die Leistungen, wie sie Leibniz für eine Annäherung und Vereinigung der getrennten Konfessionen erbracht hat. Unstreitig sei dazu „niemand geschickter als gerade er“ gewesen, „wegen des großen Ansehens, das er als einer der ausgezeichnetsten Männer in ganz Europa hatte, und wegen der Verbindungen, in welchen er mit Staatsmännern, Gelehrten, Geistlichen und Fürsten der katholischen Kirche stand.“ Seine „Nähe zum irenischen Geist der Helmstädter Fakultät“ habe ihm geholfen, „durch mildere Erklärungen die streitigen Artikel nach Zahl und Gewicht zu mindern und den Unterschied nicht sowohl in der Lehre, als vielmehr im Cultus und in der Verfassung zu suchen“. Baur weiß auch, dass sich Leibniz selbst den „unbegründeten Verdacht“ zuzog, „ein heimlicher Anhänger der katholischen Kirche gewesen“ zu sein. Auch die Verhandlungen, die Leibniz um eine Aufhebung der innerprotestantischen Kirchenspaltung geführt hat, die Bedeutung, die er dabei der anglikanischen Kirche zumaß, bleiben in dem Abschnitt seiner Kirchengeschichte nicht unerwähnt (Baur 1863b, 647 ff.). Innerhalb des oben beschriebenen Prozesses erscheint der Beitrag der Leibnizʼschen Philosophie jedoch eher ambivalent. Baur sieht Leibniz als den ersten Philosophen, „welcher es sich eigentlich zur Aufgabe machte, die Philosophie und die Theologie über ihre Stellung zu einander zu orientiren, und zwischen beiden, wie zwischen zwei feindlichen Mächten, einen die beiderseitigen Rechte, so viel wie möglich, wahrenden Frieden zu Stande zu bringen“. Aber er sah in der von Leibniz angebotenen Lösung keine tiefere Versöhnung des Glaubens und Denkens, sondern nur die einfache, nicht einmal neue Auskunft, dass jeder der beiden Theile das Recht der Wahrheit für sich habe, weil aber die Wahrheit sich nicht selbst widersprechen könne, Wahrheit mit Wahrheit gar wohl zusammenbestehe, nur musste die Vernunft, weil, was über die Vernunft, nicht Unvernunft,

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Ulrich Becker, Hartmut Rudolph, Klaus Unterburger sondern auch wieder Vernunft seyn sollte, sich gefallen lassen, sich in eine höhere und niedere zu theilen, und in dieser unnatürlichen Theilung ihres Wesens sich selbst aufzugeben (Baur 1847, 251 f.)

Je mehr die Philosophie „in ein näheres Verhältnis zur Theologie“ kam, sei man nicht umhin gekommen, „das contra rationem [...] wieder für ein blosses supra rationem zu erklären“, und „selbst Leibniz und Wolf“ haben in dem Dogma nur ein überschwängliches Mysterium“ gesehen (Baur 1847, 266). Baur bestreitet nicht, dass die Leibnizʼsche Philosophie, wie er im Blick auf Leibniz’ Behandlung der Theodizeefrage sagen kann, „eine auch für die Theologie [scil. namentlich in der Lehre von der Vorsehung] sehr wichtige Stelle“ eingenommen habe, „die sie jedoch nur so lange behaupten konnte, bis die tiefer gehende philosophische Speculation auch diese Lehre unter neue Gesichtspunkte stellte.“ (Baur 1847, 268) Dies ist nicht im Sinne einer Minderung der geschichtlichen Bedeutung von Leibniz zu verstehen, sondern als Eingrenzung auf eine Periode der „Entwicklung des Gangs, in welchem die verschiedenen Epochen und Perioden der Geschichte als die Momente einer bestimmten Begriffseinheit ihren zeitlichen Verlauf genommen haben“ (Bauer 1863a, Vorrede, VI; vgl. Stephan/Schmidt 1960, 147 f.). 2.5. Vermittlungstheologie 2.5.1. Der Erweckungstheologe August Tholuck (1799–1877) Bemerkenswert ist die Aufmerksamkeit, die Friedrich August Gottreu Tholuck mehrmals Leibniz zugewendet hat, weil er in der Theologiegeschichte mehr denn andere als der „reine Erweckungstheologe“ gesehen wird, von dessen Theologie, so wenigstens im Urteil Karl Barths, „kaum viel Anderes zu sagen ist als das, daß er sie als erweckter und erweckender Mensch getrieben hat“ (Barth 1960, 460). Der Theologe hatte zunächst Orientalistik studiert und gehörte zum Kreis Hans Ernst von Kottwitz’, des Führers der Berliner Erweckungsbewegung. Gegen Schleiermachers Widerstand erhielt er zunächst eine a. o. Professur an der Berliner theologischen Fakutät. 1823 erschien erstmals Tholucks für die Erweckungstheologie grundlegende Lehre von der Sünde und dem Versöhner oder Die wahre Weihe des Zweiflers (Tholuck 1823). Im Mittelpunkt des Werkes stehen die der Vernunft nicht zugängliche Erfahrung der totalen Verfallenheit an die Sünde und der dadurch sich öffnende Weg zur Versöhnung durch Christus. Das Buch wurde zu Tholucks Lebzeiten in mehrere Sprachen übersetzt und neunmal neu aufgelegt. Von 1826 an lehrte er in Halle, dessen theologische Fakultät von ihm wegen ihrer rationalistischen Prägung angegriffen worden war und die sich, allerdings vergeblich, gegen seine Berufung gewehrt hatte. Tholucks Biograph, Leopold Witte, schildert anschaulich, wie sich der vom Geist des Rationalismus geprägte Teil der Halleschen Studentenschaft auch noch Jahre danach in manifesten Aktionen gegen Tholuck richten konnte (vgl. Witte 1886, 175–179). An der Seite konservativer Vertreter des Protestantismus in Preußen, wie Ludwig von Gerlach und Ernst Wilhelm Hengstenberg, und der von diesem herausgegeben Evangelischen Kir-

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chen-Zeitung, sah Tholuck im Halleschen Geist des Rationalismus „den Grund der Kirche“ angetastet, sah andererseits jedoch administratorische Maßnahmen („peremptorische Eingriffe“) der Kirchenbehörden gegen seine Fakultätskollegen und andere rationalistische Kirchenlehrer als „schädlich und verwerflich“ an und lehnte sie, auch öffentlich, ab39. Stattdessen wollte er dem in seinen Augen Kirche und Christenglauben grundlegend gefährdenden Rationalismus auf wissenschaftliche Weise beikommen, nämlich durch eine gründliche Analyse der Ursachen seiner Entstehung und dessen, was er an Spuren in das kirchliche Leben eingezeichnet hat40. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollten der Kirche zur Überwindung der „heilsamen Krankheitskrisis“ verhelfen und sie zu einem „erkräftigten Organismus“ werden lassen, der imstande sei, „eine erhöhtere Lebensthätigkeit zu entfalten“. Zwischen 1852 und 1862 erschienen mehrere umfangreiche Bände, in denen sich Tholuck, bei den Wittenberger Theologen und der Orthodoxie des 17. Jahrhunderts einsetzend, über eine Geschichte der protestantischen Fakultäten in Europa bis zur „Vorgeschichte des Rationalismus“ und schließlich zur „Geschichte des Rationalismus“ selbst vorarbeitete, die in der 1. Abteilung (erschienen 1865) die „Geschichte des Pietismus“ und „das erste Stadium der Aufklärung“ einschloß41, und deren von Tholuck geplante 2. und 3. Abteilung, „Die Geschichte der Aufklärung von Friedrich dem Großen bis zum Anfange unseres Jahrhunderts“ und „Die Geschichte des Rationalismus im engeren Sinne vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis zur Wiederbelebung des Glaubens im zweiten und dritten Dezennium desselben“ (zitiert nach Witte 1886, 451 f.), zu veröffentlichen, Tholuck (gest. 1877) nicht mehr vergönnt war. Dem Ziel der Überwindung des Rationalismus in der Theologie und deren Folgen im Leben der Kirche seiner Zeit sollte dieses Werk insgesamt dienen, die Einbeziehung der Orthodoxie sollte beides aufzeigen, das Nachahmenswerte und die Gefahren eines Zelotismus, wie er den Streitigkeiten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugrunde lag und in dem Tholuck bereits die Keime des Rationalismus angelegt sah (vgl. Witte 1886, 452). Es ist dieses Anliegen, bei dessen Umsetzung sich Tholuck auch Leibniz’ natürlicher Theologie und deren Folgen zuwendet. In Leibniz, den er den „Heros unter den forschenden Geistern [seiner] Zeit“ nennt, sieht Tholuck den „Repräsentanten“ eines „auf der Basis der allgemeinen christlichen Wahrheit über die Schranken der Confessionen sich erhebenden Supranaturalismus“ (Tholuck 1861, 52). Andererseits weiß er, dass Leibniz nicht   39 Vgl. hierzu Tholucks ausführliche Stellungnahme in der Evangelischen Kirchen-Zeitung, Jg. 1830, Nr. 38, vollständig wiedergegeben in Witte 1886, 179–185. 40 Tholuck beschränkt seine bewusst schon in der Orthodoxie einsetzenden Untersuchungen nicht auf die Theologiegeschichte, sondern hält es für erforderlich, über die intellektuellen Prozesse hinauszugehen und die „Zustände des kirchlichen Lebens“ einzubeziehen; vgl. die „Vorrede“ zum 2. Teil der Vorgeschichte, Tholuck 1861, V f. 41 Vgl. die von Witte veröffentlichte Bibliographie (Witte 1886, 534–543) Nr. 36, 39, 41, 48, 49 und 50.

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bereit war, seiner Zugehörigkeit zur lutherischen Konfession abzuschwören. Tholuck sieht Leibniz’ Glauben auf der Übereinstimmung der Vernunft mit dem Glauben gegründet und weist in dem Zusammenhang auf den gleichnamigen Discours prélimininaire der Theodizee hin. Andererseits erwähnt er auch Leibniz’ Karfreitagsgedicht „Jesu, dessen Tod und Leiden“ (vgl. hierzu Becker 2017, 140– 143) als Ausweis dafür, dass es dem Aufkärer „an christlichen Rührungen des Herzens [...] nicht ganz gefehlt haben“ könne. Tholuck weiß um Leibniz’ Beziehungen zu Spener und Francke; den ersteren habe er wegen dessen „Klugheit und Wissenschaft“ geschätzt, letzteren in dessen Bemühungen um die Volkserziehung und die Ausbildung der Studenten aus Ungarn und Siebenbürgen in Halle unterstützt. Auch erwähnt er, dass Leibniz die „Heidenmission“ den Aufgaben der Berliner Sozietät der Wissenschaften hinzugefügt habe (Tholuck 1861, 52–55). Die eigentlichen Konsequenzen der Leibnizʼschen natürlichen Theologie erörtert Tholuck in der Geschichte des Rationalismus selbst, zu dessen „inneren Faktoren“ neben Thomasius, Descartes und Spinoza eben auch Leibniz gezählt wird. Dessen „hochfliegende Spekulationen“, wie Tholuck schreibt, haben den Horizont seiner Zeitgenossen überstiegen. Deshalb habe es eines „neue[n] philosophische[n] System[s]“ bedurft, wie es Christian Wolff geschaffen habe. Mit dessen mathematischen Formeln und dem „vollständigen System“, wie es Wolff ausgearbeitet habe, seien allerdings die „Mängel des Leibnitzschen Systems“ nicht beseitigt worden. Tholuck sieht diese darin, dass nur "nach der Möglichkeit der Dinge“, nicht aber nach „der Möglichkeit der Erkenntniß“ gefragt werde und ersteres lediglich „durch formale Operationen“ dargelegt werde, nämlich mit dem Grundsätzen des Widerspruchs und des zureichenden Grundes. Daraus sei bei Leibniz der „Lehrsatz von der besten Welt“ entstanden, ein Satz, der, ohne religiöse Voraussetzungen konsequent durchgeführt, nicht nur die Sünde, sondern auch die Offenbarung ausschließt. In diesem Sinne war er nicht lange vorher in Pope’s ‚Versuch über den Menschen‘ ausgeführt worden: ‚Whatever is, is right‘42. Der Standpunkt von Leibnitz und Wolff sei nun zwar keineswegs der des deistischen Engländers […], aber ein von keinen religiösen Voraussetzungen geleitetes abstraktes Denken konnte kaum eine andere Anwendung von dem Satze machen, als eine solche, welche auf die Negation der Sünde und wesentlich auch alles Uebernatürlichen führte. […] durch den natürlichen Zusammenhang der Dinge werde alles so in dieser besten Welt regiert [...], daß diese gegenwärtige Welt mit allen ihren Uebeln […] doch besser ist, als eine Welt ohne dieselben, da jedes Uebel nur die Kehrseite und Bedingung eines Gutes ist, welches ohne dasselbe nicht seyn würde. Wenn nun das Ganze durch die in dasselbe gelegten göttlichen Gesetze von selbst dem göttlichen [sic!] bewußt geworden. vollzieht, kann das Uebernatürliche, das Wunder,

  42 Alexander Pope: An Essay on Man; epistle I (1732): All nature is but art, unknown to thee; All chance, direction, which thou canst not see; All discord, harmony not understood; All partial evil, universal good: And, spite of pride in erring reasonʼs spite, One truth is clear, whatever is, is right.

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noch in demselben einen Ort haben? Nur so verschaffte diese Philosophie demselben eine Stelle, daß sie die Wunder in der Weltmaschine ursprünglich präformiert oder angelegt seyn ließ.43

Die eigentliche Gefahr des Einflusses, der vom Leibniz-Wolffschen System ausgeht, sieht Tholuck nicht „in einer Untergrabung bestimmter kirchlicher Lehrsätze“, sondern in der „Erweckung der denkenden Selbstthätigkeit, wo vorher die geschichtliche Autorität allein galt“, in der „Unterordnung der Gewißheit der positiven Offenbarung unter die Vernunftreligion“ und in der „Ertödtung des unmittelbaren Geisteslebens durch eine nüchterne Verstandesreflexion, welche an die Stelle desselben trat. – Wie der Geist der Zeit auf die Ausbildung der theologia naturalis geführt hatte, so war sie schon der eigentliche Kern der Leibnitz’schen Religionslehre gewesen, zu der die positiven Unterscheidungslehren des Christenthums nur akzessorisch hinzugetreten. Legte für diese Offenbarungslehren Leibnitz das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit in die Wagschale, so wird bei Wolff die Wahrheit der übernatürlichen Offenbarung an so viele aus der natürlichen Theologie abgeleitete rationale Kriterien geknüpft, daß sie doch eigentlich nur dem Gnadenbrote dieser letzteren ihre Subsistenz verdankt“ (Tholuck 1865, 120– 123). 2.5.2. Der Harmatiologe Julius Müller (1801–1878) Der von Tholuck 1839 für die Hallische Fakultät gewonnene, vorher in Marburg lehrende Julius Müller, wie dieser wird er der Vermittlungstheologie wie auch der Erweckungsbewegung zugerechnet, unternimmt es in seiner christlichen Lehre der Sünde, der für das Jahrhundert wohl bedeutendsten Hamartiologie, in der Auseinandersetzung mit theologischen Positionen des 18. wie auch seines Jahrhunderts die ihm vom biblischen Zeugnis her geboten erscheinenden Glaubensaussagen über das unde malum und das Wesen wie auch die soteriologischen Konsequenzen der Sünde zu bestärken und zu sichern. Dabei widerspricht er allen Deutungen, die auf eine Relativierung der Sündenmacht und des Bösen hinauslaufen. Seine zu diesem Zweck vorgenommene „Prüfung der vornehmsten Theorien zur Erklärung der Sünde“ beginnt bei deren Ableitung „aus der metaphysischen Unvollkommenheit des Menschen“ (Müller 1844, Bd. 1, 314–349)44. In Leibniz’ Theodizee sieht er diese Ätiologie der Sünde „mit dem umsichtigsten Scharfsinn [...] entwickelt“ (315) und schildert Leibniz’ Argumente detailliert. Deren unausweichliche, aber für ihn inakzeptable Konsequenz besteht für Müller darin, dass „unter Voraussetzung der bestimmten endlichen Verhältnisse, in denen der   43 Zu dieser Verknüpfung des Popeschen Satzes mit dem Leibnizschen Optimismus und der ihr bereits um die Mitte des 18. Jhs. innewohnenden voluntaristischen Kritik, etwa bei Christian August Crusius oder dessen Lehrer, Andreas Rüdiger, und bei Adolf Friedrich Hoffmann, vgl. Stefan Lorenz 1997, 167–179. 44 Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im folgenden Abschnitt hierauf.

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Mensch [scil. in seiner ihm als Kreatur notwendig eignenden Unvollkommenheit] steht, das Böse mit Nothwendigkeit aus den Einschränkungen seines Wesens hervorgeht“ (321). Müller weiß durchaus um die Versuche in Leibniz’ Theodizee, einer solchen Konsequenz, die die Urheberschaft Gottes im Blick auf das Böse impliziert, zu entgehen, etwa, indem die ursprüngliche Unvollkommenheit der Kreaturen nicht die Notwendigkeit, sondern nur den Möglichkeitsgrund des Bösen bezeichnet. Die Verwirklichung dieser Möglichkeit werde einerseits, wie Müller, Leibniz’ Argumentation darlegend, nicht dem freien Willen des Menschen zugeschrieben, sondern – hier zitiert er Theodicée II, § 156 – geschieht aufgrund von in der Abfolge der Dinge liegenden Umständen. Müller entgeht nicht, dass Leibniz an mehreren Stellen die Ursache des Bösen doch im freien Willen der Kreaturen sieht, was jedoch nur eine Folge nicht des primitiven oder vorhergehenden Willens Gottes sei, sondern des nachfolgenden göttlichen Willens („volonté finale et décisive“), der das Böse zulässt, weil anders die Welt nicht die beste unter allen möglichen Welten wäre (322). Leibniz’ Versuche, die „Schwierigkeiten“ seiner Argumentation aufzulösen und auch bereits seine Definition des Bösen als einer privatio bleiben für Müller unzureichend. Sie vermögen seines Erachtens weder auszuschließen, dass Gott gleichwohl als Urheber des Bösen erscheint, noch die nicht mehr von bloßer Zufälligkeit der Begleitumstände bewirkten bösen Vorkommnisse, nämlich die „durchgreifenden Erscheinungen“ zu erklären, „in denen sich die eigentliche Konsequenz des Bösen offenbart“. Mit Leibniz’ Argumentation lassen sich, so Müller, der „unleugbare Zusammenhang, in welchem die einzelnen verkehrten Handlungen zu stehen pflegen“, und die „Verhärtung des Willens im Bösen durch wiederholte bewußte Sünde“ nicht erklären, ohne von einem „positiven Princip“ (und nicht von bloßer Privation) auszugehen, das „von Anfang an, wenngleich auf latente Weise [...] wirksam war“ (323 f.). Wohl grenzt Müller Leibniz von einem „flach eudämonistischen Philanthropismus“ ab, wie er im 18. Jahrhundert „aus einzelnen Bruchstücken der Theodicee eine Art philosophische Stütze“ geschaffen habe. Aber er sieht Leibniz im Gegensatz zur „ethischen Grundanschauung des Christenthums“, die vom Dualismus der „erbarmenden Liebe Gottes“ und der Sünde als „Gegenstand des göttlichen Zornes“ bestimmt wird (326 f.)45. Die Ableitung aus der kreatürlichen Unvollkommenheit führt Müller zu der Frage, wie „aus Verneinungen, die im Begriff des Menschen als Geschöpfes liegen, eine Verneinung folgen“ soll, „die diesem Begriff widerstreitet“. Wie dies möglich sein soll, habe Leibniz „auf keine Weise zu zeigen vermocht“. Sein Privationsbegriff löse sich „unmittelbar in die einfache Negation, d. h. in die Leugnung des Bösen auf“ (338). Wesentliche Gesichtspunkte der Kritik Müllers an Leibniz sollten, wie unten gezeigt werden wird, im 20. Jahrhundert in Karl Barths Lehre von der Schöpfung wiederbegegnen. Allerdings setzt sich Barth an   45 Im 2. Band betont Müller bei der Frage nach der Möglichkeit der Sünde, nun im Zusammenhang der anthropologischen Betrachtung der Willensfreiheit des Menschen, noch einmal gegen Leibniz gewendet die Notwendigkeit einer dualistischen Sichtweise; vgl. Müller 1844, Bd. 2, 208–210.

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einer Stelle zu Leibniz’ Gunsten von Müller ab. Gegenüber dessen Kritik an Leibniz habe dieser „einen in die Augen springenden Vorzug“, den die Sichtweise Müllers und die der meisten Theologen nicht habe: Die Leibnizʼsche Ansicht sei universal, sie beschränkt sich nicht auf das moralische Problem, sondern sie versucht von einem überlegenen Ort aus, die Sünde mit dem Übel und mit dem Tode zusammen zu sehen und also das Ganze dessen zu verstehen, was wir hier unter dem Begriff des Nichtigen zusammenfassen. Die ‚Theodizee‘ könnte insofern als eine in ihrer Weise großartige Herstellung der ostkirchlichen Konzeption mitten im westlichen Raum verstanden werden. Aber das ist leider das Einzige, was hier zu rühmen ist (Barth 1961, § 50: Gott und das Nichtige, 362).

2.6. Kulturprotestantismus und liberale Theologie 2.6.1. Adolf Harnack (1851–1930) Schleiermacher und Albrecht Ritschl hatten der Theologie des 19. Jahrhunderts in Ansehung der Grenzen, die ihr durch die Entwicklung der Naturwissenschaften und durch Kants Transzendentalphilosophie gesetzt worden waren, einen Ort in der persönlichen Erfahrung und Entscheidung, der religiösen Gewissheit, in Ethos und Frömmigkeit des Individuums zugewiesen, sie damit von metaphysischem Zwang befreit und sie auf das Praktisch-Religiöse konzentriert, das in Gemeinde und Kirche seine Legitimation erfährt. Für diese Theologie, und das gilt auch für die Neukantianer, bestand kaum ein Anreiz, Leibniz’ natürliche Theologie in ihre dogmatischen und apologetischen Erwägungen einzubeziehen. So fand Leibniz in ihren Vorlesungen und Büchern allenfalls in wenigen Sätzen des dogmengeschichtlichen Referats Berücksichtigung. Als einer der letzten großen Vertreter der die Jahrzehnte bis zum 1. Weltkrieg prägenden liberalen Theologie gilt der Dogmengeschichtler Adolf Harnack, blickt man auf sein wissenschaftpolitisches Engagement, zählt er auch zu den eindrucksvollsten und einflussreichsten Gestalten des Kulturprotestantismus46. Gefördert durch Theodor Mommsen wurde er 1890 als noch nicht 40-Jähriger zum Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften berufen. Zu deren 200-jährigem Gründungsjubiläum erhielt er den Auftrag, die Geschichte der Akademie zu schreiben47, dem er mit einem monumentalen Werk nachkam (Harnack 1900a). Anders als in den seine theologischen Grundansichten vermittelnden Vorlesungen, die er 1900 unter dem anspruchsvollen Feuerbachschen (Feuerbach 1841) Titel Das Wesen des Christentums veröffentlicht hatte (Harnack 1900b) und in denen sich kein einziger Hin  46 Horst Stephan spricht von Harnacks „geistesfürstliche[r] Stellung“. Zum ersten Mal seit Schleiermacher sei wieder ein Theologe „in die Spitzenführung der Zeitbildung“ eingetreten; Stephan/Schmidt 1960, 249. 47 Vgl. hierzu den anstelle eines Vorworts von Harnack 1900 veröffentlichten Bericht (Harnack 2001).

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weis auf Leibniz findet, zeichnet Harnack in der Akademiegeschichte ein Bild des Gründers der Berliner Sozietät der Wissenschaften, das zumindest etwas Aufschluss darüber bietet, inwieweit er Leibniz eine theologiegeschichtliche Relevanz zuzubilligen bereit ist. Innerhalb seines Zeitalters habe Leibniz die „leitenden Ideen der Renaissance und der exacten Naturphilosophie [...] auf dem Boden der deutschen protestantischen Überlieferung mit einander in wahrhaft conservativem und doch fortschreitenden Geiste verbunden“ und der „Neugestaltung des Lebens [...] dienstbar gemacht“ (Harnack 1900a, I/1, 10). Aus den wenigen eher beiläufigen Hinweisen auf Leibniz, wie sie sich gelegentlich in Harnacks Lehrbuch der Dogmengeschichte finden, spricht eine gewisse Hochachtung vor der Leistung des Gelehrten und Philosophen, allein schon, wenn er dessen Kreativität mit der Augustins vergleicht48. Das Epochale in Leibnizens Wirkung besteht für Harnack in dem das gesamte 18. Jahrhundert prägenden Bruch mit dem augustinischen Menschenbild, der grundlegenden Sündhaftigkeit des Menschen und der bis in das 16. Jahrhundert dominanten augustinischen Gnadenlehre, indem Leibniz der christlichen Religion, „soweit er sie überhaupt gelten liess, [...] die Folie eines freudigen Optimismus“ gegeben habe, „eine Denkweise, die den lebendigen Gott in die Ferne rückte und das Religiöse dem Sittlichen unterordnete“ (Harnack 1910, 73). Allerdings habe Leibniz „oft genug zu conserviren und zu vermitteln versucht, wo nichts zu vermitteln war“. Als Beispiel nennt er im Anschluss an Emil du BoisReymond (Bois-Reymond 1886, 36) die „widernatürliche Verbindung der speculativen Theologie mit der Mathematik“. Leibniz habe diese Verbindung „in einer Weise aufrecht erhalten, die selbst im 17. Jahrhundert befremdet“ (Harnack 1900, I/1, 14). So verhehlt Harnack, allerdings eher in den Fußnoten als im Haupttext, bei aller Wertschätzung, die er dem Philosophen49 und dem Gründer der Berliner Akademie zollt, nicht, dass ihm die Leistung anderer Geister der Zeit als zukunftsträchtiger erscheint. Dies gilt vor allem für Pierre Bayle. Während Harnack Leibniz zubilligte, „noch einmal“ und „mit Erfolg“ alles „in conservativem Geiste zusammenzudenken und productiv auszugestalten“ versucht zu haben, habe sein „einziger Rivale“ Bayle „überall die Probleme und klaffenden Widersprüche“ aufgewiesen und unbestechlich „das kritische Streben nach Wahrheit in tausend Köpfe“ gepflanzt. „Und wieviel grösser noch“, so Harnacks rhetorische Frage, „ist die Zahl der Gemüther, die er [= Bayle] von den verjährten Ansprüchen der Theologie befreit und vom Fanatismus zur Toleranz geführt hat“ (Harnack 1900, I/1, 11, Anm. 1). Nur in der „Abzweckung aller Thätigkeit auf das allgemeine Wohl’“, das „Beste der Menschheit“, das Leibniz mit dem „Ruhm Gottes“ identifiziert habe, sieht Harnack „die neue Form der Frömmigkeit [...], die im Gegensatz zur correcten Streittheologie in der Beherrschung der Welt und in der Veredelung und Verbrüderung der Menschheit die gottgesetzte Aufgabe erkennt“   48 Harnack 1910, 132, Anm. 1: „Augustin war so schöpferisch wie Leibniz, wenn er auch stets wie dieser einen Stein brauchte, aus dem er sein unauslöschliches Feuer schlug.“ 49 So berichtet Heinrich Scholz 1942, Harneck „habe allen Philosophen misstraut, mit einer einzigen Ausnahme: Leibniz“; Sparn 2013b, 128.

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(Harnack 1900, I/1, 15 f.). Harnack weiß um die Bedeutung, die Leibniz dem Bemühen um die Reunion der evangelischen mit der katholischen Kirche für die Realisierung seines auf das allgemeine Wohl der Menschheit zielenden Plans zugemessen hat, sieht jenes Bemühen jedoch im Blick auf die damalige Interessenlage der Dynastien und den Fortschritt der Aufklärung als in seiner Zeit noch nicht reif oder andererseits als obsolet an (Harnack 1900, I/1, 20 f.). Insgesamt scheint Harnacks, zu einem Teil auch von Theodor Mommsen orientierte (vgl. hierzu Oexle 2001, 109 f.), Sicht auf Leibniz zu stark von der Faszination der „neuen Cultur“ der Goethezeit getrübt zu sein, die „geniale Individualitäten“ hervorgebracht habe, welche „die neuen Erkenntnisse als Bildungsmittel für das persönliche Leben“ zu verwerten vermochten (Harnack 1900a, I/1, 15; vgl. Oexle 2001, 108 f.). Harnack habe, so Otto Gerhard Oexles Begründung, „an Leibniz gerade das [vermißt], was er selbst als sein Programm einer Erneuerung des Christentums in der Moderne verstand, [...] nämlich den individuellen Glauben, [...] die Verwirklichung des ‚inneren Lebens‘ und des ‚eigentlichen Selbst‘ in der Gottes- und Nächstenliebe“ (Oexle 2001, 108 f.)50. 2.6.2. Die religionsgeschichtliche Schule: Ernst Troeltsch (1865–1923) Im Gegensatz zu der auf den Wissenschaftsorganisator reduzierten Bedeutung, die Harnack Leibniz zuzubilligen bereit war, ohne ihm Zugang zu seiner Theologie zu gewähren, erhält der Philosoph, Gelehrte und Metaphysiker Leibniz bei dem anderen prominenten Vertreter der liberalen Theologie in den Jahrzehnten vor und nach dem 1. Weltkrieg, Ernst Troeltsch, eine Art Schlüsselstellung für die Herausbildung des neuzeitlichen Christentums. Er sah in dem von Schleiermacher und Ritschl repräsentierten Typ moderner Theologie, der ja auch ihn entscheidend geprägt hatte, eher den „Rückzug in ein apologetisches Reservat“ (Rendtorff 2002, 132). Dem wollte Troeltsch eine Theologie entgegenstellen, die den Gegensatz zu den „Denkweisen und Anschauungen, innerhalb deren das Christentum seiner Zeit entstanden ist und seine kirchliche Fixierung erhalten“ habe, konstruktiv aufzunehmen und „über eine ‚gründliche Umbildung der Theologie‘ der Kontinuität mit der christlichen Überlieferung eine neue theologische Form zu geben“ vermag 51 . In diesem Zusammenhang hatte Leibniz Troeltschs Aufmerksamkeit geweckt52. Er nennt ihn als Paradigma für die Metaphysiker, die in ihrer Zeit den Versuch unternommen haben, „die Gottesidee wissenschaftlich neu zu begrün  50 Oexle zitiert aus dem Schlusspassus von Harnacks Das Wesen des Christentums. 51 So paraphrasiert Trutz Rendtorff (Rendtorff 2002, 132) das Resultat der Bonner Vorträge, die Troeltsch 1893 als junger Extraordinarius in den Ferienkursen der Bonner evangelischtheologischen Fakultät über Die christliche Weltanschauung und ihre Gegenströmungen gehalten hat (Zitate hieraus in Troeltsch 1893, 325 f.). 52 Vgl. zum gerade auch gegenüber Harnack kritischen Leibnizbild Ernst Troeltschs den Beitrag von Otto Gerhard Oexle (Oexle 2001), 93–100 und Sparn 2013b, 399–406.

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den“, eine Aufgabe, vor die sich, wie gezeigt, Troeltsch in seiner Zeit ebenfalls gestellt sah. Den Metaphysikern der Leibnizzeit war es nach Troeltsch gelungen, diese von ihnen neu begründete Gottesidee „als mit der christlichen Offenbarung bei richtigem Verständnis der letzteren mehr oder minder identisch“ erscheinen zu lassen53. Es war Leibniz’ Monadenlehre, die dieses in ihrer Zeit leistete und die auch für Troeltschs geschichtsphilosophische Anschauung des Christentums den „metaphysischen Hintergrund“ bildete54 . In seiner Heidelberger Zeit hatte Troeltsch nach dem Zeugnis Gertrud von Le Forts das in einer Formel zusammengefasste Prinzip der „christlichen Glaubensgedanken“ so definiert: Das Christentum ist im allgemeinen die entscheidende Wendung zur P ers önlichk e itsr e lig ion 55 gegenüber allem naturalistischen und antipersonalistischen Verständnis Gottes. Dieser allgemein historische Charakter des Christentums prägt sich in seiner heutigen protestantischen Fassung und in seiner mutmaßlichen Zukunftsentwicklung aus als die Idee, die menschlichen Seelen durch die Gemeinschaft mit Gott erlösend und heiligend zu Gott emporzuheben [...] (Troeltsch 1925, 70 f.).

Und in Leibniz’ Monadologie sah Troeltsch eine in ihrer Zeit angemessene metaphysische Grundlegung solcher Art Gemeinschaft mit Gott. Dieses Verständnis führt in Troeltschs Soziallehren56 zu der für die herkömmliche Leibnizforschung sicherlich nicht sogleich einsichtigen Zuordnung der Leibnizʼschen Metaphysik zur „spiritualistischen Mystik“. Das „moderne Denken“ der Neuzeit habe sich „unter dem Einfluß des Begriffes allgemeiner Weltgesetze und einer durchgängigen Welteinheit“ genötigt gesehen, „auch Moral, Religion und Kunst als allgemeine Grundsätze der menschlichen Geistesentfaltung zu betrachten“. Die spiritualistische Mystik habe sich "als das einzige Mittel [erwiesen], eine Brücke von diesem [modernen] Denken zur Religion und zum Christentum zu schlagen“. Sie bedeutete ja bereits den überall wesentlich gleichen, im unmittelbaren Lebenszusammenhang mit Gott sich bewegenden religiösen Vorgang, den man in seinem ethisch-religiösen Inhalt der christlichen Idee verwandt fühlen konnte und der in den geschichtlichen Elementen des Christentums eine geschichtliche Verkörperung und Symbolisierung, eine besonders lebendige und urbildliche Darstellung seiner selbst erkennen konnte, soweit er überhaupt an sie sich zu binden fortfuhr. Man brauchte sie nur mit den allgemeinen psychologischen oder erkenntnistheoretischen Gedanken der modernen Philosophie zu verbinden, so ergab sie die allgemeine Grundlage, von der aus man zum Besonderen der positiven Religionen sich den Weg bahnen konnte, nachdem die naive tausendjährige Herrschaft des Positiv-Besonderen d. h. des supranatural verfestigten Christentums erschüttert war.

  53 Troeltsch 1909, Leibniz wird hier (478) zusammen mit Descartes, Spinoza und Malebranche genannt. 54 Stephan/Schmidt 1960, 288, dort findet sich auch der Hinweis auf die im Folgenden referierte Aussage der Glaubenslehre. 55 Hervorhebung durch E. T. 56 Zum Folgenden siehe Troeltsch 1912 innerhalb des Kapitels III. Der Protestantismus, 4. Sektentypus und Mystik auf protestantischem Boden. Unterabschnitt "Die Mystik und der Spiritualismus", 926 f.

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Das Bedürfnis der „Befreiung von unsichern Geschichtlichkeiten“ habe nicht selten vollends zur „Forderung der reinen Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit und Innerlichkeit des evangelium aeternum, zur Aussicht auf das dritte Reich“57 geführt, wo jeder „aus eigener Lebenstiefe selbständig und individuell und doch wesentlich übereinstimmend die Erkenntnis Gottes schöpft“58. Eine Mystik in diesem Sinne sei „der Kern der Leibnizschen Religionsphilosophie, so entschlossen orthodox sich dieser Alles-Vermittler auch gebärdete“ (Troeltsch 1912, 927). In so weit, als es auch bei Denkern seiner Zeit um – auf welche Weise auch immer – die Einordnung der Natur und deren Gesetzmäßigkeiten in das „Leben des Geistes“ gehe und das Physikalisch-Mechanische einerseits, das „PsychologischGeistige“ andererseits als zwei Seiten ein und derselben Sache gesehen werden, sieht Troeltsch „eine Erneuerung der Leibnizschen Monadenlehre“ gegeben (Troeltsch 1893, 246). In Der Historismus und seine Probleme (1916)59 unterscheidet er seinen Rekurs auf Leibniz’ Substanzmetaphysik von der, wie Walter Sparn schreibt, „flache[n] Leibniz-Rezeption“ zeitgenössischer „apologetisch engagierte[r] Theologen der konservativen Richtung“ des Neuprotestantismus, die (sich) an Leibniz’ „gemäßigtem Rationalismus“ oder „Idealismus“ festhalten60. Sie fassen, so Troeltsch, „das sog. Ich [...] als etwas Isoliertes und Leeres, nur mit den formalen Fähigkeiten des Vorstellens, Fühlens und Wollens Ausgestattetes [auf]“. Statt dessen plädiert Troeltsch dafür, es „als virtuell und jeweils in sehr verschiedenem Umfang das Allbewusstsein in sich befassend oder umgekehrt dieses als das Ich in sich schließend“ zu betrachten, „wenn man zum Leibnizschen Gedanken der Monade und insbesondere der auf Grund ihrer Komplikationen eine besondere Stufenhöhe einnehmenden menschlichen Monade in irgendeiner heute möglichen Form zurückkehrt“ (Troeltsch 1916, 209). Ein solcher Rückgriff auf die Leibnizʼsche Monadologie bildet ein grundlegendes Element in Troeltschs Bemühen, die Trennung des „eigenen Ich“ von der „Außenwelt, sei es die „körperliche“ oder sei es die „fremdseelische“, aufzuheben, vermag doch „das Ich als Monade [...], die vermöge des Unbewußten oder ihrer Identität mit dem Allbewußtsein am Gesamtgehalte des Wirklichen partizipiert und die ‚Außenwelt‘ [...] vermöge dessen in sich trägt, [...] unter gewissen Bedingungen die vom individuellen Bewußtsein erlebten Ausschnitte des Alls als eigene Erlebnis- und Erfahrungswirklichkeit auf das eigene Ich zu beziehen und die darin liegenden zugleich mitgeschauten Zusammenhänge mit logischen Mitteln weit über die bewußten   57 Hier ist das Reich des Geistes in Joachim von Fiores trinitarischer Geschichtstheologie gemeint. 58 Troeltsch sieht in Sebastian Franck denjenigen, der dieser Mystik den „schärfsten und tiefsinnigsten Ausdruck“ gegeben habe; Troeltsch 1912, 927. 59 Hinweis hierauf bei Sparn 2013b, 404. 60 Sparn 2013b, 404 führt als Beispiele den (Neu-)Lutheraner Christoph Ernst Luthardt, die Religionspsychologie Emil Pfennigsdorfs und den sich dem Weltanschauungskampf seiner Zeit durchaus stellenden August Wilhelm Hunzinger an.

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Erfahrungen hinaus zu ergänzen“ (Troeltsch 1916, 675)61. Es ist dies eine weitergehende Formulierung dessen, was Troeltsch in den Soziallehren das selbstständige und individuelle Schöpfen der Gotteserkenntnis „aus eigener Lebenstiefe“ genannt hatte und weshalb er in der Religiosität der Leibnizʼschen Metaphysik eine Richtungsanzeige des modernen Denkens sehen konnte62. 2.6.3. Heinrich Hoffmann (1874–1951) Unmittelbar als Frucht der Heidelberger Lehrtätigkeit von Troeltsch kann Heinrich Hoffmanns Monographie über die Leibnizʼsche Religionsphilosophie gesehen werden (Hoffmann 1903; 1912, 37 f.)63. Hoffmann war Schüler von Harnack und ein Heidelberger Schüler und enger Freund Ernst Troeltschs. Er sah in Leibniz den „erste[n] Deutschen“, der „entschieden mit dieser Scholastik bricht und sich der neuen Philosophie in die Arme wirft“. Seine Religionsphilosophie sei der „Versuch, die Religion in der Krisis, in der sie sich befand, zu behaupten und zu begründen, sie mit dem neuen wissenschaftlichen Weltbild zu versöhnen“. Eine sich durch den Fortschritt der Leibniz-Akademie-Ausgabe zunehmend bestätigende Erkenntnis bedeutet Hoffmanns Feststellung, dass es nicht ausreiche, als Quelle für Leibniz’ Metaphysik nur die „populär gehaltene Theodicee“ heranzuziehen; vielmehr geben „fast alle Werke und zahlreiche Briefe [...] uns Aufschluss über seine religiösen Anschauungen oder lassen den Einfluss religiöser Motive auf sein philosophisches Denken erkennen“. Es sei „bekannt, in wie ausgedehntem Masse sich Leibnizens so überaus vielseitige Thätigkeit auch auf das theologische Gebiet erstreckt hat. Teils haben ihn äussere Gründe, wie die Reunions- und Unionsverhandlungen, dazu veranlasst. Doch sie nicht allein; er hatte vielmehr an religiösen Problemen ein inneres Interesse“ (Hoffmann 1903, 4 f.). Die Leibnizʼschen religionsphilosophischen Anschauungen und deren Wirkung beschreibt er im Blick auf die Strömungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts so: Zusammenfassend darf gesagt werden, dass Leibnizens religionsphilosophische Anschauung im Grunde die deistische war, dass aber dieses Grundschema noch durch mancherlei andere Tendenzen gekreuzt wurde. So ist denn auch seine Einwirkung auf die Folgezeit eine doppelte gewesen. Die Theologie des ‚rationalen Supranaturalismus‘ hat von seinem Werke gezehrt und hat seine Versöhnung von Vernunft und Offenbarung dankbar acceptiert. [...] Andere in-

  61 Troeltsch sah hierin „Leibnizens außerordentliche Bedeutung“ nicht nur für die Erkenntnistheorie, sondern „vor allem – ihm selber unbewußt – für das Verständnis der Geschichte“ (ebenda). 62 Vgl. etwa: “Das äußert sich [. . .] zunächst in der Forderung der Freiheit des religiösen Erkennens, d.h. der wissenschaftlichen Deutung des von Leibniz noch voll anerkannten Dogmas. Nicht die religiöse Grundeinstellung selbst ist ihm das Problem, sondern die Gestaltung des religiösen Gedankeninhalts in Harmonie mit den unleugbaren Wahrheiten der modernen Welt. Es ist eine Abfärbung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode und Erkenntnisstimmung auf das religiöse Denken und Fühlen“ (Troeltsch 1906, 431). 63 Hoffmann lehrte seit 1912 Kirchengeschichte an der Universität Bern.

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des zogen, bestärkt durch Einflüsse des späteren radikaleren englischen Deismus, die nach dieser Seite hin liegenden Konsequenzen der Religionsphilosophie Leibnizens. Es bedufte nur der unerbittlichen und konsequenten Anwendung des Leibniz’schen Prinzips der Rationalität, dann fielen Offenbarung und Wunder ganz dahin, und es entstand aus der Auffassung Leibnizens die des Reimarus [...] Es kann kein Zweifel sein, dass die lebenskräftigen Elemente der Leibniz’schen Religionsanschauung auf der Seite dessen lagen, was er natürliche Theologie nannte. Sein Gottes-, Unsterblichkeits- und Vorsehungsglaube, sein religiös begründeter Optimismus, seine Forderung, dass die Religionswahrheiten vernunftgemäß sein müssten, und seine feste Überzeugung davon, dass sie es wären, sein Dringen auf Vereinfachung und Praxis, seine Verbindung von Kulturfreudigkeit und religiöser Stimmung, von Naturwissenschaft und Religion, alles das hat in der deutschen Frömmigkeit des 18. Jahrhunderts fortgelebt. Leibniz bleibt wie sonst, so auch auf religiösem Gebiete für Deutschland jener Zeit der leitende Geist.

Kant habe „das ganze Trugbild einer philosophischen oder natürlichen Religion“ zertrümmert und „dadurch die Religion aus einer Sache des Wissens wieder zu einer solchen des Glaubens“ gemacht. Schleiermacher habe „im Gefühl eine Provinz für Religion“ entdeckt und so mit Kant zusammen „zur Überwindung des Intellektualismus auf religiösem Gebiete“ beigetragen. Außerdem aber habe Schleiermacher „neu das Verständnis für genuine christliche Gedanken“ entdeckt, „die in der Leibniz’schen Auffassung gänzlich beiseite gedrängt waren“. Gleichwohl konstatiert Hoffmann, „bei aller Kritik“ dürfe nicht vergessen werden, dass „ein nicht geringer Teil des von Leibniz und der Aufklärung Erarbeiteten für Kant und Schleiermacher eine selbstverständliche Voraussetzung bildet“ (Hoffmann 1912, 103–105). 2.6.4. Carl Heinz Ratschow (1911–1999) Den Marburger Systematiker und Religionsphilosophen unter die liberale Theologie zu rechnen, mag darin begründet sein, dass er in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Religion(en) und das „Bewußtsein von Welt im Verhältnis zur Gewißheit von Gott“ als Frage nach dem Sinn des Lebens angesichts einer „sinnbedrohenden Zerfallenheit des Weltbewußtseins“, der „Uneinsichtigkeit der Kontingenz“ zum Gegenstand seiner Theologie machte64, wobei er nicht, wie etwa Karl Barth und die dialektische Theologie, in den Religionen bloße Versuche von Menschen sieht, sich selbst zu erlösen, sondern sie als das Eintreten eines Gottes „in einen bestimmten Lebenszusammenhang“ wertet und als das (wenn auch ambivalente) Hervortreten der „Gottheitlichkeit“ verstanden wissen will,   64 obige Zitate in Ratschow 1982, 102; die Seitenzahlen in Klammern im Text dieses Abschnitts beziehen sich hierauf. – Vgl. auch die kurze Charakterisierung des lutherischen Theologen durch Jan Rohls (Rohls 1997, 615 f. und 818 f.) – Darin, dass Ratschow die „Religion“ positiv in die systematische Reflexion seiner Theologie einbezieht, berührt er sich mit Paul Tillich, der ihm die Herausgabe seiner „Hauptwerke“ anvertraute.

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„der sich der Mensch nicht entziehen kann“65. Wenn Ratschow zum 300. Geburtstag von Leibniz 1946 eine umfangreiche Sammlung Leibnizʼscher Schriften erscheinen ließ, die ein breites Wirkungsspektrum des Philosophen, Politikers, Wissenschaftsorganisators abbilden (Ratschow 1947), so war dies nicht dem Jubiläum allein geschuldet, es sollte auch nicht bloß der in den ersten Nachkriegsjahren erstrebten Überwindung des NS-Gedankenguts und als kathartische Rückbesinnung auf den großen christlichen Philosophen und Friedensstifter (vgl. etwa Krüger 1947) dienen. Vielmehr weist diese Edition Leibnizʼscher Schriften schon auf die besondere Bedeutung hin, die Ratschow Jahrzehnte später, vor allem in dem eben herangezogenen grundlegenden Aufsatz von 1982, dem Philosophen, namentlich dessen monadologischer Metaphysik, für das „Bewußtsein von Welt im Verhältnis zur Gewißheit von Gott“ einräumt (Vgl. hierzu die ausführliche Darlegung in Sparn 2013b, 431–433). Ratschow sieht Leibniz zunächst als den Erben Giordano Brunos, weil dieser anstelle eines transzendenten Gottes, der als „Klammer um die schizophrene Zerfallenheit von Erfahrung (etwa als „Erfahrung der Sinnlichkeit, für die die Erde und der eigene Standort die Mitte des Kosmos ist“) und wissenschaftlicher Vergewisserung (die „unendliche Fülle von Weltsystemen“, von denen unser Sonnensystem nur eines ist) vorgestellt wird, ein „absolutes Monon“ gesetzt habe als das „große Kontinuum, das nichts außer sich hat, das es bewegen könnte“, die „letzte Notwendigkeit [...], in der Möglichkeit und Wirklichkeit zusammengefaßt sind“. Dieses „Eine und Unendliche“ ist bei Bruno „der Substanz nach eines“ (104). Andererseits habe die lutherische Schultheologie den auf diese Weise „von der Bühne des Denkens verbannten“ Aristoteles und dessen Grundaxiome in Bezug auf Substanz, Essenz und Existenz wachgehalten und so „Descartes’Einfluß wenigstens verlangsamt“ (106). Hierin und in Brunos Monismus sieht Ratschow Leibnizens Position gegründet, die den für Ratschow bis heute aktuellen Beitrag zur Lösung der „üblichen Kontingenzangst“ liefert. Im Gegensatz zu dem zur sogenannten restaurativen Theologie des 19. Jahrhunderts (Vgl. zu diesem Begriff Stephan/Schmidt 1960, 166–188) zählenden lutherischen Dogmatiker Karl Friedrich August Kahnis, der als Folge der Leibnizʼschen Metaphysik eine „Zerstückelung des Universums in Monaden“ und darin ein „bedeutsames Vorzeichen der Atomisierung des Zeitalters der Aufklärung“ gesehen und Leibniz vorgeworfen hatte, es sei ihm nicht gelungen, den Mechanismus, welchen besonders Cartesius eingeleitet hatte, damit zu überwinden (Kahnis 1874, 263 f.), lenkt Leibniz’ Monadologie in Ratschows Sichtweise von mechanistischen Erklärungsversuchen und gegenüber der cartesischen Subjekt-Objekt-Spaltung gerade „zurück auf das Eine und Ganze der Weltwirklichkeit, in der die Monade als forma substantialis ‚sich‘ lebt und zugleich im Kontext des Ganzen als der praestabilierten Harmonie befindlich ist“ (109) (Zur Einordnung dieser Interpretation vgl. Sparn 2013a, 120–123). Ratschow sieht darin den   65 So paraphrasiert Jan Rohls Ratschows Ansatz, Rohls 1997, 819 – die gleichwohl von Ratschow beibehaltene lutherische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium soll in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.

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– abgesehen von Aristoteles und mit Hilfe desselben – einzige[n] gelungene[n] Europäische[n] Versuch, das Besondere aus dem Ganzen angemessen zu bestimmen. An dieser Bestimmung aber hängen das ausgewogene Selbst- und Weltverstehen wie die Möglichkeit, die Materie und ihre Form so zu bestimmen, daß ihre Einheit erlebbar nicht nur, sondern denkbar wird (Ratschow 1983, 121 f.; vgl. auch Sparn 2013a, 123).

2.7. Lutherrenaissance und Jungluthertum Seit dem zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts und angesichts einer schon in das 19. Jahrhundert zurückreichenden Vorgeschichte (vgl. etwa Harnack, Th. 1886) bildet sich mit der sogenannten Lutherrenaissance eine der beiden theologischen Hauptrichtungen im Protestantismus heraus, die neben der dialektischen Theologie zu einer Minderung des bis dahin vorherrschenden Einflusses der liberalen Theologie geführt hat. Die dieser Strömung zuzuordnenden Theologen lassen ein zumeist eher skeptisch-distanziertes Verhältnis zu Leibniz’ Vernunftreligion erkennen. 2.7.1. Karl Holl (1866–1926) Karl Holl bewertet, mit seinem zwar die neuere Kirchengeschichte durchaus einschließenden Forschungsinteresse, doch deutlich von der Erforschung der Alten Kirche herkommend und theologisch von der Reformation, in Sonderheit von der reformatorischen Wende des jungen Luther66, bestimmt, die theologiegeschichtlichen Linien des 17. Jahrhunderts eher kritisch. Für dessen 2. Hälfte konstatiert er sowohl in der Auffassung der Frömmigkeit als auch hinsichtlich der Sittlichkeit den „Durchbruch“ und die „Vorherrschaft des Glücklichkeitsgedankens“ in der Theologie. Bereits im Aristotelismus, wie ihn Melanchthon der Schultheologie eingepflanzt habe und wie er die Orthodoxie bestimmen sollte, sodann durch Johannes Keplers aus dem Gefühl der „Harmonie des Weltalls“ hervorgehende „Neugestaltung des Gottesgedankens“ sieht er den Grund gelegt, auf dem Leibniz weitergebaut habe. Durch ihn sei „Harmonie“ für anderthalb Jahrhunderte „zu einem lösenden Wort für alle Fragen der Weltanschauung“ geworden (Holl 1910, 320–322). Er sieht Leibniz durch dessen Monadologie, dessen auf das Diesseitige beschränkten „Glückseligkeitsgedanken“ daran gehindert, sich „zur Höhe der Mme der Guyon“ oder Spinozas aufzuschwingen. In der eigenartigen Verbindung christlicher und stoischer Gedanken, wie sie Leibniz’ Grundsätze der Lebensführung des Einzelnen wie die der Ordnung des Gesamtlebens kennzeichnen, sieht Holl eine Stärkung der Selbstsucht, wie er einmal am Rande vermerkt (Holl 1910, 322, Anm. 5). Holl scheint in Leibniz’ Denken eine von der Theologie ermöglich  66 Vgl. Holls epochemachende Untersuchung über Luthers Rechtfertigungslehre, Holl 1910, 111–154. Zur theologiegeschichtlichen Einordnung vgl. Assel 1994.

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te „Tiefe“ der Welterfassung, wie sie sich ihm besonders in der reformatorischen Rechtfertigungslehre darbot, vermisst zu haben (vgl. Holl 1917, 324, Anm. 1 und hierzu auch schon Wilke 2013, 135, Anm. 26). Mit der „Frage des Uebels“, also nach dem unde malum, sei Leibniz’ Gottesbegriff „an die Klippe“ gekommen. Holl sieht Leibniz in diesem Zusammenhang eher vom „schlichten Lutherglauben des Volkes“ beeinflusst, unter dem er aufgewachsen sei. Ihm habe der Mut gefehlt, „rundweg zu sagen, daß Gott das Uebel gewollt habe“. Leibniz habe die Sünde metaphysisch nicht als Wirklichkeit begreifen können, nicht die Schuld, sondern das Übel bilde für ihn den „Kern des Welträtsels“. So sei dem Geist der ganzen Leibnizʼschen Weltanschauung der „in der Rechtfertigung geforderte Bruch des Menschen mit sich selbst [...] von vornherein zuwider“ gelaufen (Holl 1917, 324) – deutlich erkennbar ein von der reformatorischen Theologie geprägtes Urteil. 2.7.2. Werner Elert (1885–1954) In dieselbe Richtung zielt 1931 der Erlanger (damals noch) Kirchenhistoriker Werner Elert in seiner Morphologie des Luthertums, wenn er Leibniz’ Theodizee einerseits dem Luthertum zuordnet, sofern sie als Fortsetzung eines sowohl bei Luther als auch im zeitgenössischen Luthertum zu konstatierenden Optimismus verstanden werden kann, andererseits jedoch den grundlegenden Unterschied zur lutherischen Rechtfertigungslehre markiert (Elert 1931, 415–418)67. Luthers etwa mit dem Hinweis auf Johannes 14,19 („Ich lebe und ihr sollt auch leben“) geäußerte optimistische Überzeugung, „Wir haben mer ursach zu freuden den zu traurigkeit“ (WATR 2, 1279) finde ihre Begründung einzig in Christus, während sie bei Leibniz Ergebnis der Urteilsfindung einer Vernunft sei, die sich zum Richter über Gott aufschwingt. Der nach Gottes Rechtfertigung Fragende wird so zum bloßen Zuschauer, während er bei Luther nie anders denn als Angeklagter und Sünder gedacht werden könne, der seinerseits der Rechtfertigung bedarf. „Leibniz zehrte von dem Optimismus des lutherischen Gottesglaubens, ohne den notwendigen Preis dafür zahlen zu wollen“ (Elert 1931, 413). 2.7.3. Emanuel Hirsch (1888–1972) Den Schüler Karl Holls und Adolf Harnacks unter das Jungluthertum einzuordnen, erfasst nicht vollständig die theologiegeschichtliche Bedeutung des zunächst mit Paul Tillich befreundeten, später führenden Theologen der ChristlichDeutschen Bewegung, schließlich des profilierten Parteigängers der NSDAP. Ähnlich wie Troeltsch räumt Hirsch der Leibnizʼschen natürlichen Theologie und   67 Vgl. zu Elerts Leibnizbild ausführlicher Sparn 2013b, 425.

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Metaphysik eine herausragende Bedeutung für die Entstehung der modernen Theologie ein68. Die Ausgangslage bildet für ihn das durch den 30-jährigen Krieg „bis herunter an die Wurzel vernichtet[e] alte Deutschland“, das sich, geistig wesentlich vom Protestantismus geprägt, politisch, wirtschaftlich und geistig „wieder emporrichten und die Voraussetzungen höherer Kultur sich mühselig wieder erwerben“ musste (Hirsch 1951, 3). In Leibniz sieht Hirsch denjenigen, der „als erster die Neigung aller neueren deutschen Geistigkeit, zwischen den großen Gegensätzen des Denkens und Lebens zu vermitteln“, gezeigt habe und zum „Begründer der deutschen idealistischen Weltsicht“ geworden sei, die das „Gepräge der Individualitätsphilosophie“ habe, nämlich “vom Geistig-Seelischen her, das im Selbstbewußtsein Gestalt und Leben hat“, erschließe sich „notwendig der Blick dafür, daß ein endliches Ganzes stets eine in individuellen Gliedern bestehende lebendige Einheit und als solche wiederum selbst ein individuelles Glied in einem höheren Ganzen ist“ (Hirsch 1951, 8 und 9). Folgerichtig eröffnet Hirsch seinen den „Anfängen in Deutschland“ gewidmeten zweiten Band seiner Geschichte der neuern evangelischen Theologie (1951) mit einem umfangreichen Leibniz-Kapitel. In seiner Arbeit über die Reich-Gottes-Begriffe hatte er bereits 1921 Leibniz’ Metaphysik als ein „in autonomes Denken übersetztes evangelisches Christentum“ dargestellt (Hirsch 1921, 20; vgl. hierzu detailliert Wilke 2013, 132 f.) und diese – in ausdrücklicher Abgrenzung von Ernst Troeltsch (vgl. Hirsch 1921, 29; vgl. hierzu Wilke 2013, 132) – in ihren Wurzeln auf die Reformation zurückgeführt. In Größen der Leibnizʼschen Metaphysik, wie „Geisterreich, Geisterwelt und Gottesstaat“, also etwa in der „assemblage de tous les Esprits“ und der „Cité de Dieu“ der Monadologie (§ 85), sieht Hirsch Luthers ReichGottes-Vorstellung und dessen Bild der „verborgenen Kirche“, wenn auch in abgewandelter Form, so reflektiert, dass sie ihre Relevanz für die deutsche Geistesgeschichte aufrechterhalten konnte. Diese Linie zu zeichnen, war Hirsch wichtig, weil er Leibniz so, gemäß seiner These der vom „nationalen Mutterboden“ geprägten deutschen Aufklärung, als typisch deutschen Denker erscheinen zu lassen und von der westlichen Aufklärung abgrenzen zu können glaubte69. Aus dem ihm   68 Zum Leibnizbild von Emanuel Hirsch vgl. vor allem Wilke 2013 und den Abschnitt über Emanuel Hirsch, Sparn 2013b, 425–429, die dem Folgenden zugrunde liegen. 69 vgl. hierzu Wilke 2013, 133 (dort auch die Belege für Hirsch und für Ernst Troeltschs heftigen Widerspruch gegen Hirsch als einen „Nachzügler der Kriegs- und Propaganda-Literatur“, seine Arbeit über die Reich-Gottes-Begriffe sei eine „Kampfschrift gegen die ‚westlichen Ideenʼ[…]“, die sich durch Verallgemeinerungen auszeichne). Zu dem entsprechenden Bild von Leibniz als „deutschem Philosophen“ in der Zeit des Nationalsozialismus vgl. etwa Kaegi 2013. Walter Sparn beschreibt die Sichtweise von Hirsch im Vergleich zu dem völkisch geprägten „deutschen“ Leibniz nationalsozialistischer Interpreten differenzierend: „Auch wenn Hirsch in der Idiosynkrasie des Deutschen nicht mehr so weit geht wie die offiziösen LeibnizDeutungen der NS-Zeit und dieses Gegenüber nicht als völkischen Gegensatz stilisiert, betont er doch noch stark, dass durch Leibniz ‚dem deutschen Geiste ein viel tieferer und reicherer Begriff der Vernunft enstandenʼ sei als der des westlichen Denkens, wo der Weg weiterführe  

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zur Verfügung stehenden Material heraus, im Wesentlichen den Schriften zur Substanzmetaphysik und den Essais de théodicée, jedoch nicht den damals bereits zugänglichen Schriften über die Reunion der Kirchen70, zeichnet Hirsch ein Bild, das durchaus eine Reihe der herkömmlichen loci der christlichen Dogmatik im Lichte der Leibnizʼschen Theologie erörtert: Fragen der Anthropologie, also der (Erb-)Sünde und des unde malum, der Soteriologie, etwa der mit Gottes Güte und Gerechtigkeit konfligierenden Ewigkeit der Sündenstrafen, der Willensfreiheit und der Prädestination, der Eschatologie (Hirsch sieht in Leibniz den „Urheber alles rationalen Unsterblichkeitsglaubens neuerer Zeit“; Hirsch 1951, 30). Er will damit beides erörtern und belegen, die Bindung an die Reformation und die durch Leibniz bewirkte „Verschiebung“ der Frömmigkeit, die sich reformatorisch auf Glauben und Gewissen, auf die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, auf die Hinwendung zur unverdienten rechtfertigenden Gnade und zur Erlösung in Christus stützte, hin zu einer Frömmigkeit, die sich aus der „universalen Anschauung rational-ethischen Gepräges“ nährt und in der die „göttliche Liebe entscheidend in der Weisheit und Güte“ erlebt wird, „mit der Gott als Weltbaumeister [...] das Reich der Natur harmonisch auf das Geisterreich zu eingerichtet hat“ und als dessen Fürst „mit den von der Vernunft begnadeten Geschöpfen in eine sittlich-vernünftige Gemeinschaft getreten ist“ (Hirsch 1951, 34–36). Von Troeltsch unterscheidet sich der Leibniz, wie Hirsch ihn zeichnet, durch die in seiner Theologie, wenn auch transformiert, fortwirkenden Elemente der die neuzeitliche Geistesbewegung anstoßenden Reformation Luthers. Holls erkennbare Geringerschätzung der theologischen Leistung und Wirkung von Leibniz, der es verglichen mit der Luthers eher an Tiefe gemangelt habe, hat Hirsch dagegen gewiss nicht geteilt71. 2.7.4. Heinrich Scholz (1884–1956) Der akademische Weg des in der Leibnizforschung heute zumeist als Logiker geschätzten Theologen und Philosophen führte nach dem Theologiestudium, u. a. bei Adolf Harnack, einer theologischen Professur in Breslau (Nachfolge Rudolf Otto) dann über die Philosophie in Kiel und Münster (dort Freundschaft mit Karl Barth) schließlich zur mathematischen Logik.   ‚vom Empirismus zum Sensualismus, Materialismus, Skeptizismus und Atheismusʼ“; Sparn 2013, 429 (Zitate aus Hirsch 1921, 16 und 27). 70 „Nicht explizit berücksichtigt werden [scil. von Hirsch] Schriften wie De unitate ecclesiae oder das so genannte Systema theologicum, in denen Leibniz seine Vorstellungen der Union der großen Konfessionen entwirft. Auf diese ökumenische Seite der Leibnizʼschen Gedanken geht Hirsch nicht ein“; Wilke 2013, 135. 71 Dies schließt nicht aus, dass Hirsch andererseits auf Luthers Theologie (und auf Kierkegaard) als ein notwendiges Korrektiv des „harmonistischen Optimismus der Aufklärung und des Idealismus“ verweisen konnte; vgl. den Hinweis von W. Sparn 2013b, 426, und vgl. (im Blick auf Kierkegaard) Wilke 2005, 428–433 und 488–491.

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In seiner Religionsphilosophie (Scholz 1921)72 hatte Scholz auszuloten versucht, wieweit – auch unter Beachtung der kantischen Kritik – der Wirklichkeitsgehalt des Gottesbewusstseins und damit die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Religion philosophisch gedacht werden könne. Ohne dabei einen zwingenden Beweis für die Wahrheit der Religion erbringen zu können und unter Anerkennung der Möglichkeit, dass der Glaube an Gott ein Irrtum ist, versucht Scholz Gründe zu entdecken, „die stark genug sind, um die religiöse Gesinnung zu stützen, und den Gottesglauben, auf dem sie sich aufbaut, vor den Ansprüchen eines charaktervollen Denkens zu rechtfertigen“ (441). Eine so verstandene Religionsphilosophie will Scholz wohl von jeder Metaphysik im Sinne einer durch Denken gewonnenen allgemeingültigen Lehre vom Absoluten und auch von jeder spekulativen Metaphysik unterschieden wissen; gleichwohl sieht er dann, wenn sich das philosophische Denken „nicht aus eigenem Interesse, sondern lediglich auf Grund der religiösen Erfahrung und im Zusammenhang mit dieser an die Frage nach der Wirklichkeit Gottes heranwagt“, doch einen „tiefen Schritt in die Metaphysik“ getan (Vorrede, IX f.). Hierbei rekurriert er an zwei Stellen auf Leibniz. Zum einen sieht er in Leibniz’ Schrift Von der wahren Theologia mystica73 die „mystische Lebensverfassung“ charakterisiert. Leibniz bestreite nicht, „daß viele Wege zu Gott und viele Lichter zur religiösen Erleuchtung führen“. Aber „das wesentliche Licht ist nach seiner durchaus zutreffenden Charakteristik des mystischen Bewußtseins das ewige Wort, das Gott in der Seele spricht“. Denn die Seele brauche „nicht aus sich herauszutreten, um auf Manifestationen des Göttlichen zu stoßen“ (273)74. Der andere, ebenfalls zustimmende Rekurs auf Leibniz findet sich in den letzten Sätzen des Buches, mit denen Scholz seine Religionsphilosophie zusammenfassen will. Eine mit der „Gewißheit des eigenen Lebens“ verteidigte Religion bedürfe keiner apologetischen Stützen, etwa des „Substrats einer angeblich unanfechtbaren Erkenntnistheorie“. Religion sieht Scholz vielmehr als ein „Erlebnis, dem ein Mensch [...] das höchste Vertrauen zuwenden darf“. Dieses sei dann freilich selbst der Ausdruck eines Glaubens. Aber nicht eines verwerflichen Glaubens, sondern des Glaubens an die Vernunft, die ihn zu solchen Akten befähigt. Es ist der Ausdruck der Überzeugung, daß diese Vernunft ihn nicht zu einem Opfer der Unvernunft werden läßt. Am Ende wird Leibniz recht behalten. ‚Gott ist das Leichteste und Schwerste, so zu erkennen; das Erste und Leichteste in dem Lichtweg, das Schwerste in dem Weg des Schattens‘75. Der Lichtweg ist die Religion; die Philosophie muß den Schattenweg gehen (442 f.).

  72 Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden hierauf. 73 Text in Guhrauer 1838, 410–414 und Vonessen 1966, 128–133 74 Vgl. zu dieser Leibnizschrift Edel Scholz 19211995 und zu einer gegenläufigen Interpretation Scholz 1921Rudolph 2012, 31–33. 75 Scholz zitiert hier Leibnizʼ Von der wahren Theologia mystica nach Guhrauer 1838, 410.

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2.8. Dialektische oder Offenbarungstheologie: Karl Barth (1886–1968) Karl Barths Römerbrief (11919, 21922, dann mehrfach nachgedruckt) signalisiert den grundlegenden Wandel in der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts, der für Jahrzehnte die Wirkung der liberalen und neuprotestantischen Schulen erheblich einschränken sollte. Bekannte Vertreter der sogenannten dialektischen Theologie oder Wort-Gottes-Theologie, im Angelsächsischen auch als „Neoorthodoxy“ bezeichnet, sind neben Karl Barth zunächst Eduard Thurneysen, Rudolf Bultmann, Friedrich Gogarten und, allerdings nur für die 1920er Jahre, auch Emil Brunner76. Diese theologische Erneuerungsbewegung bestimmte, nicht zuletzt auch als Folge der von Barth wesentlich geprägten Barmer theologischen Erklärung (1934), in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg die Schultheologie in Deutschland und anderen sowohl lutherisch als auch calvinistisch geprägten Ländern in hohem Maße. Der jegliches „Bindestrich-Christentum“ (vgl. zu diesem Begriff Barth 1919b ) ausschließende Ruf zur Sache des Evangeliums, „Gott ist Gott“, der sich nicht von uns vereinnahmen lässt und dessen Reich von unseren Vorstellungen, allen intellektuellen, sozialen und politischen Bestrebungen strikt abgegrenzt und unterschieden werden müsse, implizierte eine radikale Absage der Vernunft und Offenbarung versöhnenden Leibnizʼschen natürlichen Theologie. Dass sich Barth mehrfach detailliert und äußerst respektvoll mit dessen vor mehr als zwei Jahrhunderten entstandener Metaphysik auseinandersetzte, ist ein eindrucksvoller Beleg für deren langfristige Wirkung. In Barths kritischem, jedoch durchaus differenzierenden Blick auf Leibniz spiegelt sich das wesentliche Anliegen seiner „Christlichen [später dann: „Kirchlichen“] Dogmatik“ (vgl. Barth 1927)77. Im 1. Teilband dieses monumentalen Werkes hatte Barth eine grundsätzliche Differenz zwischen der Offenbarung als Krisis aller natürlichen Theologie und der Metaphysik konstatiert: „Philosophia christiana ist faktisch noch nie Wirklichkeit gewesen: war sie philosophia, so war sie nicht christiana, war sie christiana, so war sie nicht philosophia.“78 Für Barth, den nicht zuletzt die Erfahrung mit der Rolle, die Theologie und Kirchen im 1. Weltkrieg gespielt haben, zu solcher rigiden Trennung geführt hatte, zeigte sich etwa in der ChristlichDeutschen Bewegung, wie sie theologisch von Emanuel Hirsch prominent repräsentiert wurde, und später im Versagen der Kirchen während der NS-Diktatur das Ergebnis einer bis in die Antike zurückreichenden Fehlentwicklung, wie er 1937 in KD I/2 (51960 [11937], 327) schreibt. Es ist dieser Band der „Lehre vom Wort   76 Brunner, der sich seit 1929 zunehmend vom Offenbarungspositivismus oder besser gesagt, von der Wort-Gottes-Theologie der dialektischen Theologie abwandte und eine theologia naturalis im Sinne der Einbeziehung der natürlichen Offenbarung in die Theologie reklamierte, blieb auch seither in kritischer Distanz zu Leibnizʼ Metaphysik; vgl. Sparn 2013b, 413 f. 77 Das 13-bändige Hauptwerk „Die kirchliche Dogmatik“ (im Folgenden KD) erschien 1932– 1968. – Vgl. zum Folgenden bereits Rudolph 2013, 117–119 und Sparn 2013b, 406 und 419– 423. 78 „Die Lehre von dem Wort Gottes. Prolegomena zur kirchlichen Dogmatik“, KD I/1, 71955, 4 (kursiv bei K. B.).

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Gottes“ als „Prolegomena zur kirchlichen Dogmatik“, in dem erstmals Gottfried Wilhelm Leibniz apostrophiert wird. Dessen „apriorisch-aposteriorische[s] […] Denken und Reden über Gott und Mensch“ sei ein herausragendes Beispiel jener von Barth als unsachgemäß gegeißelten Bemühung einer Vermittlung von Vernunft und Christenglauben. Leibniz’ als natürliche Theologie verstandene Metaphysik setze zwischen Gott und Mensch „ein Überlegenheitsverhältnis zugunsten des Menschen“ (KD I/2, 7) voraus. Barth sieht in Leibniz den Inaugurator einer das religiöse Bewusstsein des 18. Jahrhunderts prägenden christlichen Philosophie79, und Schleiermacher ist für ihn der noch wirksamere Vater der Theologie und einer christlichen Wissenschaft und Kultur im 19. Jahrhundert – beide können so als herausragende Gestalten christlicher Apologetik angesehen werden, aber beide trifft Barths schon 1932 ausgesprochenes Verdikt, „syntheselüstern“ die „Abnormalität der Sonderexistenz der Theologie übersehen und darum etwas grundsätzlich Unmögliches unternommen“ (KD I/1, 9.) zu haben. An mehreren Stellen der „Lehre von der Schöpfung“ besteht Barth auf dieser „Abnormalität“ gerade auch gegenüber dem „philosophischen Gegenbild“, wie es in den von ihm eingehend und nicht ohne Faszination dargestellten Leibnizʼschen metaphysischen Schriften ausführlich beschrieben wird. Leibniz habe darin „seine metaphysische, physische, moralische und doch auch theologische Wissenschaft gekrönt“, er sei so „der große Begründer und Former und der große Exponent und Darsteller des religiösen Lebensbewußtseines seines ganzen Zeitalters gewesen" (KD III/1, ³1957 [11945], 446.). Charakteristisch hierfür ist der Monismus oder monistische Optimismus, die Leugnung der Schattenseite der Schöpfung, die in Leibniz’ Metaphysik von der Lichtseite „absorbiert oder jedenfalls assimiliert“ und „zu einem bloßen Rand ihrer [scil. der Schöpfung] Lichtseite“ werde. Barth bemängelt daran, dass es Leibniz an einem „überlegenen Prinzip der Wahl, der Entscheidung und Scheidung nach beiden Seiten“ mangele, „von dem aus zur Schöpfung ein solches eindeutiges Ja zu sagen wäre, das auch das eindeutige Nein in sich schließt und ausspricht, es aber überwindet und hinter sich läßt“. Im Leibnizʼschen Gottesbegriff sieht er eine Spiegelung „jenes mächtigen menschlichen Selbstvertrauens, das später in der Philosophie Hegels einen noch viel massiveren Ausdruck gefunden“ habe. Nicht der „wirkliche Gott, der der Herr der Schöpfung ist“, werde beschrieben, sondern der „Mensch, der ihr Herr sein möchte“. Barths Lehre von der „Schöpfung als Rechtfertigung“ will zu der „unerschütterlichen“ Erkenntnis der Vollkommenheit des Daseins und des Charakters der Welt als der „besten aller denkbaren Welten“ führen, diese Erkenntnis gründet für Barth je  79 In seinem auf Münsteraner und Bonner Vorlesungen der frühen 1930er Jahre zurückgehenden und 1946 erstmals erschienenen Buch (Barth 1960, 56 f.) sieht Barth im 18. Jahrhundert die Erneuerung eines Humanismus, dessen im umfassendsten Sinn zu verstehenden Begriff das Wesen der Renaissance beschreibe, und nennt Leibniz die „reinste, die sozusagen verklärte Gestalt, zu der dieser neue Humanismus schon in der Frühzeit des 18. Jahrhunderts sich erhoben hat“. Leibniz sei „im Großen und Ganzen das gewesen […], was fast alle seine Zeitgenossen nur im Kleinen und Einzelnen zu sein vermochten“.

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doch einzig im Christenglauben, genauer gesagt, sie wird im Gegensatz zu Leibniz christologisch in der Selbst- oder Eigenoffenbarung Gottes begründet (KD III/1, 443–446). Zweifellos liegt dieser Differenz zur vernunftgeleiteten Leibnizʼschen natürlichen Theologie dieselbe Argumention zugrunde, durch die sich Barth zur Absage jeglicher natürlichen Theologie und jedes Versuchs einer Vermittlung von Vernunfterkenntnis und christlichem Glauben genötigt sah80. 2.9. Zur jüngeren und gegenwärtigen protestantischen Theologie In jüngerer Zeit haben einzelne prominente Theologen Leibniz, wenn auch nur punktuell oder en passant und zumeist eher in distanzierender Absicht, in ihren Diskurs einbezogen, zumeist auch, ohne dabei die grundlegende Kritik der WortGottes-Theologie wie auch der hermeneutischen Theologie an jedem Versuch einer metaphysischen Absicherung des Christenglaubens 81 zu ignorieren, wohl aber, um die Relevanz der Leibnizʼschen Metaphysik für eine heute zu verantwortende christliche Apologetik zu hinterfragen. Eher verfehlt scheint der knappe Rekurs auf Leibniz zu sein, wie er sich im ersten Band von Helmut Thielickes Systematik, Der evangelische Glaube, findet (Thielicke 1968, 420 f.; vgl. Sparn 2013b, 436). 2.9.1. Jürgen Moltmann (* 1926) In seiner „ökologischen Schöpfungslehre“ setzt sich der Tübinger Systematiker Jürgen Moltmann mit Leibniz’ Definition des Raumes auseinander und will in seiner theologischen Definition des Raumes an die Kontroverse anknüpfen, wie sie zunächst zwischen Descartes und Henry More, sodann zwischen Newton und Leibniz geführt worden sei (Moltmann 1985)82. Den Unterschied zwischen den beiden letzteren sieht Moltmann in der Zuordnung des Raumes zu den Dingen, gäbe es kein Ding, so gäbe es auch keinen Raum (Leibniz), während auf der anderen Seite der Raum zu Gott gehört, die endliche Welt im ewigen Raum Gottes existiert (Newton). An dieser Stelle setzt Moltmann seinen Begriff der Schöpfung ein, der zwischen den konträren Positionen vermitteln soll. Er verhindere, dass die Welt gleich ewig ist wie Gott und ermögliche die Unterscheidung zwischen dem   80 Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf Adolf Schlatter, einer trotz des theologischen Positivismus für das 20. Jahrhundert ebenfalls bedeutenden Theologengestalt. Wie Karl Barths grundlegende Kritik steht auch Schlatters „leibnizkritischer Voluntarismus“ (Sparn 2013b, 409) für eine dem Rationalismus abholde Sichtweise, die Leibnizʼ Metaphysik nicht anders als äußerst distanziert gegenüberstehen kann. 81 Walter Sparn spricht von der „extrem pauschale[n] Antithese der Theologie zu ‚derʼ neuzeitlichen Metaphysik“; Sparn 2013b, 435. 82 Vgl. besonders den Abschnitt „Das Problem des absoluten Raumes“, 162–166. Zu Leibnizʼ Vorstellung von Raum und Zeit selbst vgl. Schepers 2014.

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Raum Gottes und dem Raum der geschaffenen Welt; „denn mit Schöpfung entsteht ein Raum für die geschaffene Welt, der nicht die ungeschaffene Allgegenwart Gottes ist und auch noch nicht der relative Ding-Raum“ (Moltmann 1985, 166)83. 2.9.2. Eberhard Jüngel (* 1934) Kritisch nimmt der Tübinger Systematiker Eberhard Jüngel bei seinem Versuch einer Abgrenzung der Theologie von einem neuzeitlichen Subjektbegriff auf die Leibnizʼsche Substanzmetaphysik Bezug, ohne jedoch den Autor der Monadologie hinreichend von Descartes und dessen Substanzidee zu unterscheiden (Jüngel 2010, 109 f.; vgl. Walter Sparn 2013b, 437). Anders verhält es sich mit der Frage, ob Gott „notwendig“ sei oder gedacht werden müsse (Jüngel 2010, 16–44), bei der Jüngel ausführlich auf Leibniz’ Satz vom zureichenden Grunde und die damit verknüpfte Frage, warum eher Etwas ist als Nichts sei, eingeht, in deren Konsequenz Leibniz Gott als ultima ratio rerum und somit als ein ens necessarium angesehen habe. Dem hält Jüngel die göttliche Selbstoffenbarung als die, schon von Karl Barth postulierte, einzige Ortsbestimmung der Rede von Gott entgegen: [D]er im Gegensatz von Sein oder Nichtsein gedachte Gott [sprengt] die Dimension des Begründenden (als eines notwendig auf derselben Ebene wie das Begründete liegenden Phänomens). Die Frage ‚warum ist überhaupt etwas und nicht nichts?‘ lässt sich also nicht mit der Angabe eines Grundes logisch zwingend beantworten. Man muss nicht, wenn man das eigene Sein und das der Welt angesichts der Möglichkeit des Nichtseins erfährt, auf Gott zu sprechen kommen. Gott ist auch hier nicht notwendig. Das ist, gegen Leibniz und die metaphysische Tradition gerichtet, der Sinn unseres Satzes, Gott sei grundlos. Gott kommt nicht – auch nicht als Folge von Urvertrauen! – aus dem Zusammenhang der Welt, sondern vielmehr immer von Gott selbst. Deshalb wird Gott - in der Sprache der Theologie geredet – nur aufgrund von Selbstoffenbarung erfahren. Offenbart sich Gott aber als der zwischen Sein und Nichtsein Unterscheidende und zugunsten des Seins Entscheidende, dann kann er auch nicht unter die Kategorie des Notwendigen fallen (Jüngel 2010, 42 f.).

2.9.3. Wolfhart Pannenberg (1928–2014) Äußerst differenziert und intensiv gerät die Auseinandersetzung mit wesentlichen Elementen der Leibnizʼschen Metaphysik in Wolfhart Pannenbergs Systematischer Theologie (vgl. Sparn 2013b, 438–441.). Auch er diskutiert unter Rückgriff auf Leibniz (und Descartes) die Frage “Ist Gott notwendig?“, und weist unter ausdrücklicher Kritik an Jüngel darauf hin, dass der Begriff Gottes als eines ens necessarium „nicht das Weltverhältnis Gottes“ zum Inhalt habe, sondern nur besage, „daß Gott schlechthin ist und nicht der Möglichkeit unterliegt, auch nicht-sein zu können“ (Pannenberg 2015, Bd. 1, 94, Anm. 56). Wenn Leibniz in der Monadolo  83 Zu Wolfhart Pannenbergs Diskussion der Kontroverse vgl. Sparn 2013b, 438 f.

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gie den ontologischen Gottesbeweis mit dem kosmologischen kombiniert habe, so heiße dies nicht, dass Leibniz ersteren mit dem letzteren begründen wollte. Vielmehr, so interpretiert Pannenberg Leibniz’ Argumentation, führten für diesen „beide auf verschiedenen Wegen zu dem Begriff eines notwendig existierenden Wesens“. Leibniz84 habe geglaubt, dass man zu diesem Begriff „auch vom Gedanken eines absolut vollkommenen Wesens [...] und also rein apriori“ gelangen könne (Pannenberg 2015, Bd. 1, 95 f.). Was den kosmologischen Gottesbeweis betrifft, der, worauf Pannenberg (ebd., 96) hinweist, erst bei Christian Wolff zur Grundlage der natürlichen Theologie geworden sei, so fehle ihm auch bei Leibniz die Stringenz: Die kosmologischen Argumente, und damit auch Leibniz’ Kontingenzargument, seien „insofern anthropologisch fundiert, als ihnen das Bedürfnis der menschlichen Vernunft nach einer letzten Erklärung des Daseins der Welt zugrunde“ liege. Sie sagen aber zunächst „etwas über die Sinnbedürftigkeit der menschlichen Vernunft angesichts der Unselbständigkeit der Weltdinge“ aus und tragen insofern “zumindest zur Intelligibiltät des Redens von Gott“ bei (Pannenberg 2015, Bd. 1, 106). Innerhalb der zur Schöpfungslehre zählenden Frage nach dem unde malum weist Pannenberg auf den grundlegenden Gedanken des metaphysischen Übels in der Leibnizʼschen Theodizee85 hin, dem gemäß die Möglichkeit der Sünde in der „ursprünglichen Unvollkommenheit“ und der zum Begriff des Geschöpfes gehörenden Beschränktheit liegt, wenn anders das Geschöpf sonst selbst zu einem Gott geworden wäre. Pannenberg sieht Leibniz damit in Distanz zur „neuplatonischen Deutung der geschöpflichen Unvollkommenheit als Folge der Erschaffung [...] aus dem Nichts“ (Pannenberg 2015, Bd. 2, 197). John Hicks Vorwurf (Hick 1966, 176 ff.), damit habe Leibniz praktisch die unendliche Macht Gottes verneint, begegnet Pannenberg mit dem Hinweis, die „Bindung der Macht Gottes an das Möglichkeitswissen des göttlichen Verstandes und also daran, was im geschöpflichen Dasein ohne Widerspruch vereinbar ist, bildet bei Leibniz nur den positiven Ausdruck dafür, daß Gott nichts in sich Widersprüchliches tut“ (Pannenberg 2015, Bd. 2, 198). In Leibniz’ These von der besten aller möglichen Welten sieht Pannenberg weniger eine optimistische Aussage als den „Ausdruck eines christlichen Realismus“. Allerdings modifiziert er Leibniz’ Einwand, Gott hätte kein anderes Universum schaffen können, weil er immer nur das Beste wollen könne: An dieser Stelle tritt vielmehr das Prinzip des theologischen Voluntarismus in sein Recht, wonach der göttliche Wille als Ursprung der Kontingenz alles außergöttlichen Seins auch selber die Regel des Guten für die geschöpfliche Wirklichkeit ist. Die Welt ist trotz aller ihrer Schatten gut, weil sie von Gott geschaffen und bejaht ist. [...] Dieses Prinzip hat nur daran seine Grenze, daß dem göttlichen Willen keine abstrakte Freiheit, auch gegen das als besser Erkannte zu handeln oder Widerspruchvolles hervorzubringen, zugeschrieben werden darf.

  84 Pannenberg 2015. Bd. 1, 96 verweist in dem Zusammenhang auf Monadologie § 45. 85 Vgl. zu Pannenbergs Auseinandersetzung mit Leibnizʼ Theodizee ausführlicher Sparn 2013b, 439–441.

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Das ist das Wahrheitsmoment in Leibniz’ Kritik des radikalen Voluntarismus nominalistischer Provenienz (Pannenberg 2015, Bd. 2, 198 f.)..

Trotz dieser Verteidigung der Leibnizʼschen Theodizee rückt Pannenberg doch an einem systematisch entscheidenden Punkt von Leibniz’ natürlicher Theologie ab: Hatte dieser die Möglichkeit des Bösen in der den Geschöpfen als solchen notwendigerweise auferlegten Beschränkung, d. h. in deren Unvollkommenheit, begründet gesehen, so hält Pannenberg Leibniz an dieser Stelle für „noch befangen geblieben in der neuplatonischen Auffassung des Bösen als Mangel“. Die Wurzel des Bösen sei vielmehr „im Aufstand gegen die Schranke der Endlichkeit zu suchen [...] und in der damit verbundenen Illusion der Gottgleichheit“. So ist für Pannenberg die Möglichkeit des Bösen im „Wesen der Geschöpflichkeit selber“, nämlich in der „Selbständigkeit, zu der das Geschöpf geschaffen wurde“, gegeben (Pannenberg 2015, Bd. 2, 199). Damit ging Gott das „Risiko der Verselbständigung der Geschöpfe“ ein, das zum Verlust eben dieser Selbstständigkeit, d. h. zur „Versklavung der Menschen unter die Mächte der Sünde und des Todes“ (Pannenberg 2015, Bd. 3, 690) führen könne. Das impliziert aber die Erweiterung der Theodizee um eine die Metaphysik übersteigende, heilsgeschichtliche oder heilsökonomische Dimension. Die Theodizee sei, wie Walter Sparn in seiner Darlegung der Position Pannenbergs schreibt, „unter einen eschatologischen Vorbehalt“ (Sparn 2013b, 440) zu stellen. So beginnt der letzte Abschnitt in Pannenbergs Systematischer Theologie („Die Offenbarung der Liebe Gottes in der Vollendung der Schöpfung“) mit der Aussage: „Das Ziel der Wege Gottes führt nicht über die Schöpfung hinaus, sondern sein Handeln ist in der Versöhnung der Welt und in ihrer eschatologischen Vollendung auf nichts anderes gerichtet als auf die Realisierung der Schöpfungsabsicht selber.“ (Pannenberg 2015, Bd. 3, 689) Da diese Versöhnung theologisch nicht ohne die Christologie gedacht werden kann, ist es auch hier der oft in der Theologiegeschichte Leibniz entgegengehaltene Vorwurf einer Marginalisierung des Erlösungswerks Christi, der dann auch Pannenberg bei aller Offenheit der Leibnizʼschen Theodizee gegenüber an diesem Punkt doch zu einer Distanzierung von der rationalen Theologie des Philosophen veranlasst hat. 2.9.4. Walter Sparn (* 1941) Wie kein anderer unter den gegenwärtigen Systematikern ist Walter Sparn der Leibnizʼschen Metaphysik selbst wie auch dem vielfältigen Rekurs auf Leibniz in der protestantischen Theologiegeschichte nachgegangen und lässt dabei ein über die bloße Historiographie oder das bloße Referat hinausgehendes systematisches Interesse erkennen. Dies verdeutlicht er etwa in seiner kritischen Analyse der Rolle, die Leibniz’ „Synthese von mathematisch-naturwissenschaftlichen, politischhistorischen und philosophisch-theologischen Einsichten“ für Carl Heinz Ratschow gewonnen hatte (Sparn 2013a, Zitat auf 123; vgl. auch bereits Sparn 1986). Der Marburger lutherische Theologe zählte in den Hochzeiten der dialektischen Offenbarungs- und der hermeneutischen Wort-Gottes-Theologie zu denje-

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nigen Systematikern, die entgegen den vorher genannten Richtungen innerhalb der protestantischen Theologie nicht bloß Religion und die Religionen in die dogmatische Reflexion einbezogen, sondern innerhalb deren auch der Metaphysik ihr Recht einzuräumen bereit waren. Und Sparn weist darauf hin, dass Ratschow in seinem Rückgriff auf Leibnizens monadologische Metaphysik den philosophischen Theologen nicht nur als den Überwinder der cartesischen Subjekt-ObjektSpaltung gesehen habe, sondern ihn auch von dem Intellektualismus und Fortschrittsoptimismus der Wolffschen Schule und der Physikotheologen zu unterscheiden wusste. Deren „Weltwissen“ ist nicht die Grundlage des Leibnizʼschen Optimismus, sondern dieser gründet in der „Gottesgewißheit“. Das menschliche Individuum bleibt dementsprechend den „Generalisierungen soziologischer und biologischer Einsichten“ entzogen und besitzt eine unvergleichliche Eigenart als „das personenhafte Gegenüber des Gottes, der sich in seinen Handlungen dem Menschen [...] moralisch und anordnend wie vor- und unterbewußt, d. h. ontologisch und ordnend, vermittelt“ 86 . Sparn lässt keinen Zweifel daran, dass Ratschows Rekurs auf Leibniz’ monadologische Metaphysik nicht ausreicht, um einer Theologie in der heutigen „nachmetaphysischen“ Situation zur metaphysischen Sprachfähigkeit zu verhelfen (vgl. hierzu Sparns Resümee, 2013a, 124– 129). Dazu bedürfe es einer detaillierten Interpretation der Leibnizʼschen Monadologie unter Rückgriff auf die in den letzten drei Jahrzehnten erzielten Fortschritte in der Erforschung aller Leibnizʼschen Themen, „vom logischen Kalkül bis zur christlichen Ökumene und zu interreligiösen Möglichkeiten“, auch der inzwischen gewonnenen „begriffs- und problemgeschichtlichen Kenntnis der Kategorie der ‚Monade‘“ (Sparn 2013a, 125)87. Wie Sparn feststellt, nähren sich „die Diskussionen über die Möglichkeit einer pluralistischen, nicht essentialistischen, vielmehr phänomenologisch, sprachtheoretisch und kulturhermeneutisch [...] instruierte[n] Metapysik [...] in größerem Umfang an Leibniz’ Monadologie[,] als Ratschow zu hoffen gewagt hat“ (Sparn 2013a, 126). Er empfiehlt einer „für das evangelische Christentum nützliche[n] Metaphysik“ die Orientierung eher am Aristotelismus des „‚Pluralisten‘ Leibniz“ als an Plato und an „transzendentalistischen Letztbegründungsmodellen oder an der neuplatonischen Aufstiegs- und Einheitsmetaphysik“. Leibniz’ unitas in maxima diversitate bedeute „nicht ‚vom Ganzen zum Einzelnen‘ [...], aber auch nicht ‚vom Einzelnen zum Ganzen‘: Das Konzept der Monade denkt Identität und Differenz gleichursprünglich“ (Sparn 2013a, 127). Dieses Leibnizʼsche Konzept, so beschließt Sparn seine programmatischen Hinweise, schlägt eine Metaphysik der Individualität vor, die (evangelisch-)theologisch sowohl in Gebrauch genommen als auch im Gebrauch modifiziert werden kann. Denn erstens unterscheidet sie zwischen der empirischen Kommunikation von Individuen und der ontologischen Kommunikation von Individualität: dem Ich-Sein, das mit anderem Ich-Sein durch unab-

  86 Die Ratschow entnommenen Zitate werden von Sparn 2013a, 120–123 herangezogen. 87 Zu Letzterem verweist Sparn auf Neumann 2009; vgl. auch Hanns-Peter Neumanns Beitrag in dem vorliegenden Band.

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schließbare Prozesse gegenseitiger (Nicht-)Anerkennung tief verflochten ist, das aber zugleich ein davon ganz unabhängiges Phänomen, eine unableitbare (‚fensterlose‘) Binnenperspektive darstellt. Zweitens rückt sie das religiös sich verstehende Individuum nicht unter einen allgemeinen Oberbegriff ‚Individualität‘ ein, sondern beschreibt es als eine Lebensform, die mit anderen Formen in mehr oder weniger nahen Ähnlichkeiten steht, die aber nicht um ihre kontingenten Aspekte (z. B. dass die Binnenperspektive sich einem Namensgeber verdankt) bereinigt und auf Strukturelles, ‚Allgemeines‘ zurückgeführt werden kann (Sparn 2013a, 128 f.).

Walter Sparns Arbeiten bilden wohl den aktuellsten und zugleich weitestgehenden Versuch eines evangelischen Systematikers, im Rückgriff auf den Philosophen und Theologen, aber auch den (Kirchen-)Politiker Leibniz sowie dessen vielfältiges Werk und unter Auswertung der Rezeptionsgeschichte zu einer sowohl theologisch als auch einer philosophisch verantwortbaren Vermittlung von Glauben und Vernunft zu gelangen. 2.10. Die Zuwendung der Kirchen- und Theologiegeschichte zum Theologen und Ökumeniker Leibniz Ging es in den bisherigen Abschnitten vornehmlich um einen Rekurs auf Leibniz, durch welchen die Intentionen der jeweils eigenen Theologie bestätigt oder erläutert werden sollten, so seien im Folgenden einige Hinweise auf die Forschungsliteratur aus neuerer Zeit gegeben, sofern sie sich als Teil der Dogmen- und Theologiegeschichte, also hauptsächlich von historiographischem Interesse geleitet, dem Ökumeniker und Theologen Leibniz zugewandt hat. Dazu zählen die von in ihrer Zeit zumeist hoch angesehenen Theologen verfassten Artikel in den großen enzyklopädischen Werken. An erster Stelle ist die Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche zu nennen, die in ihren drei Auflagen den Fortgang der theologischen Forschung und die Verschiebung von Themen und Schwerpunkten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts widerspiegelt. Schon der 1857 erschienene Artikel des früheren Kieler Dogmatikers Anton Friedrich Ludwig Pelt (Pelt 1857)88 enthält erstaunlich differenzierte Hinweise auf Leibniz’ theologische Bedeutung. Dazu gehören die Auswertung der juristischen Reformschrift Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae, in der die Theologie mit der pietas als der höchsten Stufe des Naturrechts verbunden wird, ebenso wie die Darlegung der in Leibniz’ Metaphysik und Naturrechtsidee gründenden ökumenischen Position. Entgegen der Insinuation eines Kryptokatholizismus bei Leibniz durch katholische Theologen im 19. Jahrhundert konstatiert Pelt, dass dieser „die eigentlichen Grundlagen des Protestantismus nie hat preisgeben wollen“ (283). Der Leibniz-Artikel des Jenenser Philosophen und Nobelpreisträgers für Literatur   88 Pelt konnte unter anderem auf die nur wenige Jahre zuvor erschienenen Arbeiten und Editionen von Gottschalk Eduard Guhrauer, Johann Eduard Erdmann und Georg Heinrich Pertz zurückgreifen.

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(1908) Rudolf Eucken in der 2. Auflage der Realenzyklopädie (Eucken 1881) profitiert offenkundig von dem reichhaltigen Material, das Pichlers zweibändige 1869 erschienene Theologie des Leibniz (Pichler 1869/1870) bereithielt. In die Darlegung der Leibnizʼschen Theologie konnten deshalb weitere Gesichtspunkte einfließen, als sie dem Verfasser der 1. Auflage zur Verfügung gestanden hätten. Schon hier wie auch in der 3. Auflage (Eucken 1902) fällt Eucken, dem Subjektivismus der Theologie seiner Zeit gemäß, jedoch ein eher negatives Urteil über Leibniz’ Bestrebungen, zu einer Kirchenunion zu gelangen. Diese seien „nicht eigentlich“ vom „Drang seines Herzens veranlasst“ und haben ihn auf ein Gebiet geführt, „wo seine philosophische Art die Dinge anzusehen nicht zu dem stimmte, was das Bewusstsein der Mitlebenden und Nächstbeteiligten verlangte“ (Eucken 1881, 544 und 545). Besondere Beachtung fand Rudolf Euckens Artikel „Leibnitz, Gottfried Wilhelm“ in einer Zeit, in der – wie oben gezeigt – das Interesse einiger Theologen an dem christlichen Philosophen neu geweckt wurde. Neben der Darlegung der Metaphysik beschreibt Eucken – er lehrte Philosophie in Jena, besaß jedoch auch einen Doktortitel der Theologie – Leibniz’ Bemühen um die Einheit der christlichen Kirchen, bemängelt bei ihm aber das Fehlen einer „festen Überzeugung“ und der erforderlichen Unabhängigkeit, so dass er in Gefahr gewesen sei, die Sache der Kirchenunion „nicht sowohl als eine religiöse, sondern als eine politische und diplomatische zu behandeln“ (Eucken 1902, 360). Das Nachfolgewerk Theologische Realenzyklopädie räumt Leibniz wiederum einen mehrseitigen Artikel ein, in dem der Berliner Philosoph Hans Poser, nun auf der Grundlage der im 20. Jh. erzielten Fortschritte der Leibnizforschung, neben anderen Themen und Bereichen des Leibnizʼschen Wirkens, auch die einzelnen Stationen der kirchlichen Unionsbemühungen von Leibniz darstellt (Poser 1990). Ähnlich prominent innerhalb der Theologie war die Herausgeberschaft des seit 1909 erschienenen mehrbändigen „Handwörterbuch[s] in gemeinverständlicher Darstellung“ (so der Untertitel) Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG; vgl. Conrad 2006, passim89) darunter Leopold Zscharnack, Otto Scheel und Ernst Troeltsch. 1912 erschien der Artikel über „Leibniz [...] „Begründer der deutschen Philosophie im 18. Jhd.“ (Strecker 1912), in dem der Nauheimer Oberlehrer Dr. Strecker konstatiert, dass es bei Leibniz Widersprüche gebe und sich dessen verschiedene Schriften „an einander stießen“ (2045 f.). Hinsichtlich Leibniz’ „religiöse[r] und theologische[r] Stellung“ findet Strecker „ein unausgeglichenes Nebeneinander von Rationalismus und Offenbarung“ (2046). In der 2. Auflage (seit 1927) wird Leibniz als „der führende Philosoph der deutschen Aufkärung und zugleich Ahnherr des Deutschen Idealismus“ vorgestellt (Hoffmann 1929, Sp. 1555). Der Berner Theologe Heinrich Hoffmann (siehe oben) beschreibt ihn als „Schöpfer eines kühnen idealistischen Systems“ und definiert Leibniz als „ religiöse Natur“. Er habe sich „um eine philosophische Begründung der Religionswahrheiten“ bemüht. „Sein Kampf um die Behauptung der Zwecke“   89

Zur geistesgeschichtlichen Einordnung des geplanten Artikels über Leibniz 544.

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sei „vor allem religiösen Bedürfnissen“ entsprungen (Hoffmann 1929, Sp. 1556). Hoffmann zählt die verschiedenen Seiten des kirchengeschichtlich relevanten Leibnizʼschen Werkes auf, darunter die ökumenischen Bemühungen und die Missionsvorstellungen. Seit 1957 erschienen die Bände der 3. Auflage der RGG, für die der Münsteraner Philosoph und Herausgeber der philosophischen Schriften und der philosophischen Korrespondenz von Leibniz, Heinrich Schepers, den Leibniz-Artikel verfasste (Schepers 1960). Er spiegelt die inzwischen gewonnenen präziseren Einsichten in die verschiedenen Bereiche der Leibnizʼschen Philosophie und in deren innere Konsistenz wider. Kennzeichend für den Leibnizʼschen Rationalismus, so Heinrich Schepers’ Schluss, sei es, „dass er um der Theologie willen Mathematiker geworden ist“ (Schepers 1960, Sp. 293). Die 4. Auflage erschien seit 1998. Der dortige Artikel über Leibniz von Herbert Breger und Hartmut Rudolph (Breger/Rudolph 2003) berücksichtigt bereits die damals neuen aus der Editionsarbeit der Akademie-Ausgabe gewonnenen Erkenntnisse. Das Evangelische Kirchenlexikon. Kirchlich-theologisches Handwörterbuch räumt in seiner 1. und unveränderten 2. Auflage (1958/1962) Leibniz einen Artikel ein, in dem der Marburger Systematiker und Irenismusforscher Wolfgang Philipp über Leibniz’ Stellung zur Religion konstatiert, dass diesem „[d]er biblische Transzendenzglaube [...] unzugänglich“ gewesen sei und dass auch die Versuche, „in Leibniz den Urheber der transzendenzgläubigen Physikotheologen des 17./18. Jahrhunderts zu erblicken, [...] überholt“ seien (Philipp 1958, Sp. 1066)90. Schon 1869 hatte der Theologe und Missionsinspektor Carl Heinrich Christian Plath eine gründliche Studie über Leibniz’ Missionsgedanken veröffentlicht und dieser eine detaillierte Würdigung des christlichen Philosophen, nicht zuletzt unter Rückgriff auf Tholuck, Guhrauer, Hering (Hering 1838) und selbst auf Ludwig Feuerbachs Darstellung, Entwicklung und Kritik der Leibnitzschen Philosophie (Feuerbach 1848), eingefügt (Plath 1869)91 . Sodann hatte der Göttinger Kirchenhistoriker Paul Tschackert 1905 auf Leibniz’ Bedeutung innerhalb der Missionsgeschichte hingewiesen (Tschackert 1905), die auch in späteren Arbeiten einzelner protestantischer Theologen nicht unbeachtet blieb92. Hervorzuheben ist die Basler theologische Dissertation von Christian D. Zangger: Welt und Konversation. Die theologische Begründung der Mission bei Gottfried Wilhelm Leibniz (Zangger 1973). Demselben Thema mit dem Schwerpunkt auf der Chinamission gilt ein Beitrag von Markus Friedrich (Friedrich 2015).

  90 Die 3. Auflage: Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopädie. 5 Band: Register. Göttingen 1997, enthält lediglich im Registerband einen kurzen, im Wesentlichen auf das Biographische beschränkten Artikel von Martin Krieger über Leibniz. 91 Plaths Urenkel, Prof. Johannes Wallmann, sei für den Hinweis auf diese Studie sehr gedankt. 92 Rudolph 2000 – hingewiesen sei auch auf den Beitrag der katholischen Theologin Claudia von Collani (Collani 2000) und auf Wietzke 2017 (dort auch weitere Literaturhinweise).

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Auf Leibniz’ Auseinandersetzung mit dem englischen Deismus ging der Berliner Kirchenhistoriker Leopold Zscharnack 1908 in einer Arbeit über John Toland ein (Zscharnack 1908)93. Weitaus mehr Beachtung fanden jedoch wie auch schon in den vorhergehenden beiden Jahrhunderten Leibniz’ ökumenische Bemühungen. So erschien 1927 hierzu eine Monographie des anglikanischen Theologen George Jefferis Jordan (Jordan 1927), und 1949 veröffentlichte der Marburger (Ost-)Kirchenhistoriker Ernst Benz neben einer Arbeit über Leibniz und Peter den Großen (Benz 1947) auch einen Aufsatz über Leibniz und die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen (Benz 1949). Durch den damals noch in Mainz lehrenden Kirchenhistoriker Martin Schmidt erhielt Leibniz 1956 auch einen eigenen Abschnitt in dem Sammelwerk Geschichte der ökumenischen Bewegung (Schmidt 1963, 128–132, 152– 158). 1966 veröffentlichte der Theologe und Religionspädagoge Ernst Schering einen Band zum selben Thema (Schering 1966). 1968 folgt ihm der in Kalifornien lehrende Lutheraner Manfred P. Fleischer mit einer überblickartigen von der Reformation bis in die Gegenwart reichenden Darstellung Katholische und lutherische Ireniker. Unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts. Leibniz’ Reunionsverhandlungen mit Rojas y Spinola, Bossuet und Buchhaim haben für den Autor in einer „Sternstunde der katholisch-lutherischen Irenik“ stattgefunden. Nie habe es „um die Glaubenseinheit in gewissen Gebieten Deutschlands günstiger als im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts gestanden“, wie er unter Berufung auf Leibniz konstatiert (Fleischer 1968)94. Der damalige hannoversche Landesbischof Hanns Lilje, führender Vertreter des Luthertums in Deutschland und in der Ökumene, beschrieb in seinen Randbemerkungen zu Leibniz’ Theologie (Lilje 1966) die Theologie des Ökumenikers Leibniz und widersprach solchen Interpreten (wie schon Gotthold Ephraim Lessing und vor allem Ludwig Feuerbach), die Leibniz’ Metaphysik von theologischem Denken weitgehend befreit ansahen. Stattdessen sieht er Leibniz in einer von Melanchthon bis zu Paul Tillich führenden Linie im Protestantismus, auf der es um die „enge Zusammengehörigkeit von Philosophie und Theologie“ gehe und Leibniz’ Weltsicht sich dadurch auszeichne, dass in ihr der „Schlüssel zu allen Fragen und Erkenntnissen, auch auf dem Gebiete der Natur, im Geistig-Seelischen“ gesucht werde (285). 1970 widmete sich der Berliner Kirchenhistoriker Walter Delius in einem umfangreichen Aufsatz den maßgeblich von Leibniz, Gerard Wolter Molanus und dem Berliner reformierten Hofprediger Daniel Ernst Jablonski seit 1697 unternommenen Berliner Versuchen um eine Annäherung der lutherischen und calvinistischen Kirche (Delius 1970), dem 1990 ein Aufsatz von Kurt-Victor Selge folgte (Selge 1990)95. 1991 erschien   93 Zscharnack veröffentlichte unter anderem Leibnizʼ Annotatiunculae subitaneae zu Tolands Schrift veröffentlichte (141–148); vgl. zu dieser Leibniz-Schrift Antognazza 2001. 94 Fleischer, 37, streift auch kurz die Berliner Vorgänge um das Arcanum Regium. 95 Derselbe Band enthält, 120–169, auch den theologiegeschichtlich aufschlussreichen Beitrag des Berliner Philosophen Wolfgang Hübener: Negotium irenicum. Leibnizʼ Bemühungen um die brandenburgische Union (Hübener 1990)

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eine Marburger theologische Dissertation von Erhard Holze: Gott als Grund der Welt im Denken des Gottfried Wilhelm Leibniz (Holze 1991), deren Schwerpunkt zwar dem Thema entsprechend der Leibnizʼschen Metaphysik gilt, die aber gleichwohl eine Reihe von Hinweisen auf den Ökumeniker Leibniz und dessen Theologie insgesamt enthält. 2001 beschrieb Eike Christian Hirsch Leibniz als den „Begründer der modernen“, speziell der liberalen Theologie (Hirsch 2001). Um die Wende zum 21. Jahrhundert setzt innerhalb der protestantischen Kirchengeschichte eine, vor allem dem Fortschritt der Leibniz-Akademie-Ausgabe zu verdankende intensivere Beschäftigung mit den sowohl auf eine Reunion mit der katholischen Kirche als auch auf eine innerprotestantische Kirchenunion zielenden ökumenischen Bemühungen von Leibniz ein. 1999 erschien ein von Hans Otte und Richard Schenk O.P. herausgegebener Sammelband, in dem katholische und evangelische Theologen Leibniz’ Wirken neben dem Rojas y Spinolas und Gerard Wolter Molanus’ nachgegangen wird (Otte/Schenk 1999), dem nur ein Jahr darauf ein vom Institut für europäische Geschichte in Mainz besorgter thematisch erweiterter Band, wiederum mit Beiträgen sowohl katholischer als auch protestantischer Theologen folgte (Duchhardt/May 2000). Im Zusammenhang mit der Arbeit an der Edition der Leibniz-Korrespondenz und der Politischen Schriften (Reihen I und IV der Akademie-Ausgabe) erschien seit 1999 eine Reihe von kirchen- und theologiegeschichtlichen Beiträgen, die für eine bis heute andauernde Phase intensiver Beschäftigung mit dem ökumenischen und theologischen Wirken des Philosophen und Politikers Leibniz stehen. Neben Aufsätzen, die von theologisch ausgebildeten Mitarbeitern der Leibniz-Edition an unterschiedlichen Stellen veröffentlicht wurden, waren es vor allem zwei Bände, erschienen 2013 (Li/Poser/Rudolph 2013) und 2017 (Li/Rudolph 2017), welche ausschließlich jenem Thema galten und die auf zwei internationalen Konferenzen vorgetragenen und erörterten Beiträge von Philosophen und katholischen wie protestantischen Theologen enthielten, letztere waren Irena Backus, Ulrich Becker, Christoph Link, Konrad Raiser, Jan Rohls, Hartmut Rudolph und Johannes Wallmann. In der gegenwärtigen Leibnizforschung kann eine im Vergleich zu früheren Jahrzehnten verstärkte Hinwendung zum Theologen Leibniz konstatiert werden und dies nicht bloß auf die nie aus dem Blickfeld geratene natürliche Theologie, vornehmlich die Theodizee und die theologische Hermeneutik bezogen, sondern gerade auch hinsichtlich solcher Themen, die dem innertheologischen theologiegeschichtlichen Diskurs zuzurechnen sind. Neben einigen der oben bereits genannten Arbeiten von Walter Sparn ist in dem Zusammenhang vor allem der Beitrag der Genfer Kirchenhistorikerin Irena Backus zu nennen. Ausgehend von den bisher bekannten und auch den zum Teil noch unveröffentlichten Zeugnissen des Leibnizʼschen Bemühens um eine Auflösung der innerprotestantischen Kontroverse zwischen Lutheranern und Calvinisten hat sie in einer Reihe von Aufsätzen und 2016 schließlich in einer Monographie die sakramentstheologische und soteriologische Argumentation von Leibniz eingehender analysiert und sie in den Zusammenhang der hierüber seit der Alten Kirche im Westen geführten Auseinandersetzungen und des zeitgenössischen (kontrovers-)theologischen Diskurses ein-

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geordnet, um auf diese Weise die Sonde der Leibnizʼschen Theologie darlegen zu können (Backus 2016). Eine Reihe von Arbeiten, deren Autoren nicht der theologischen Disziplin zugehören, belegen ein zunehmendes Interesse der Forschung insgesamt an theologischen Erörterungen innerhalb des Gesamtwerkes von Leibniz. Aus dem 19. Jahrhundert sei beispielhaft auf Wilhelm Brambach (Brambach 1887), aus der Gegenwart auf Maria Rosa Antognazza (Antognazza 1999), Daniel Cook (Cook 1990, Cook 2017), Matteo Geretto (Geretto 2010), Giovanna Varani (Varani 2011), Claire Rösler-LeVan (Rösler-LeVan 2013), Wilhelm Schmidt-Biggemann (Schmidt-Biggemann 2009) oder Lloyd Strickland (Strickland 2009, Strickland 2010, Strickland 2016) verwiesen. 3. DER REKURS AUF LEIBNIZ IN DER KATHOLISCHEN THEOLOGIE Klaus Unterburger Leibniz stand nicht nur zu seinen Lebzeiten in vielfältigem persönlichen und brieflichen Kontakt mit Katholiken, er hat auch nach seinem Tod eine durchaus beachtliche Rezeption in der katholischen Theologie gefunden. Dabei konzentrierte sich die Rezeption auf seine Metaphysik, besonders auf die Theodizee von 1710, dann aber auch auf seine Unionsverhandlungen mit Katholiken und deren theologische Implikationen. In seinen letzten Lebensjahren war Leibniz dabei in intensivem brieflichen Austausch mit dem Jesuiten Bartholomäus Des Bosses (1668–1738) gestanden (Leibniz 2007). 1706 hatte des Bosses, der am Hildesheimer Jesuitengymnasium unterrichtete, Leibniz erstmals in Hannover besucht. Nach dessen Tod gab er – nunmehr in Köln lehrend – eine Übersetzung der Theodizee ins Lateinische heraus (Leibniz 1719). Ohne selbst namentlich zu erscheinen, verteidigte er doch Leibniz, indem er in einem Vorwort nachweisen wollte, dass dieser mit den großen Scholastikern übereinstimme (Leibniz 1719, Monitum interpretis, fol. *3r–***[6v]). Hier kündigt sich eine metaphysische Debatte um Leibniz an, die den Katholizismus der Folgezeit dann prägen sollte. Christian Wolff (1679–1754) hatte nach dem ablehnenden Gutachten der Tübinger theologischen Fakultät von 1725 erklärt, die praestabilierte Harmonie des Leibniz werde von den Katholiken viel freundlicher aufgenommen als von der eigenen Konfession. 96 Die Rezeptionsgeschichte hat dieses Dictum ein Stück weit bestätigt; ihr   96 Vgl.: „Somit begann in einer Zeit, in der im protestantischen Deutschland das Ansehen Wolffs bereits zurückging, der Siegeszug der Wolffschen Philosophie im katholischen Deutschland. Wolff hatte recht behalten, als er in der Entgegnung auf das ablehnende Gutachten der Tübinger Evangelisch-theologischen Fakultät 1725 auf die wohlwollende Aufnahme und Zustimmung hinwies, die die prästabilierte Harmonie von Leibniz, die in protestantischen Kreisen Ärgernis erregt hatte, bei Katholiken, wie Malebranche und Lamy, gefunden habe;  

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gelten die folgenden Ausführungen, die Grundlinien darstellen wollen, ohne Vollständigkeit anstreben zu können. 3.1. Die Leibnizrezeption in der Theologie der katholischen Aufklärung Auch die katholische Theologie hat im Laufe des 18. Jahrhunderts bedeutende Transformationsprozesse durchlaufen. An den katholischen Bildungseinrichtungen und in den Klöstern bildete sich eine Strömung heraus, die als „katholische Aufklärung“ bezeichnet wurde.97 Diese hatte durchaus indigene, in den eigenen theologischen Traditionen liegende Wurzeln und entwickelte sich nicht selten organisch aus den gelehrten Bestrebungen der vorangehenden Jahrzehnte. Der eigene Glaube und die eigene Lebensform sollten in der Regel mit den neuen Mitteln und Methoden der Vernunft gegen radikale Infragestellungen verteidigt werden. So sollte die Philosophie zu einer Rationalisierung, Verinnerlichung und Ethisierung der Religion beitragen (Schäfer 1993; 1966, v.a. 31–38), sollte die historische Methode helfen, das kirchliche Leben nach dem Vorbild des frühen Christentums zu reinigen und zu reformieren (Spehr 2005, 413 f.). Solche philosophische und historische Verwesentlichung musste zu einer Annäherung der Konfessionen führen, indem man versuchte, durch die philosophische und historische Vernunft Kontroversfragen als unwesentlich auszuscheiden oder rational einer Lösung zuzuführen98. Großes Vertrauen setzte man hierbei in das vorurteilsfreie Gespräch, gerade auch um eine gemeinsame Abwehrfront gegen radikale christentumsfeindliche Strömungen der Aufklärung zu gewinnen (Raab 1989, 53 f.; Hornig 2003). Diese Grundtendenzen, die philosophische und die historische Verwesentlichung und die ökumenische Annäherung, hingen für die katholische Theologie eng miteinander zusammen und waren mit dem Namen Leibniz verbunden. Hinzu kamen die wesentlich durch Leibniz angeregten Bemühungen um Gründungen von Gelehrtenakademien. Leibniz’ philosophisches Gedankengut wurde dabei primär durch die Werke Christian Wolffs vermittelt99, was bekanntlich auch Modifikation und Verfremdung bedeutete (Poser 2004). Doch teilte Wolff die ge  selbst in den Mémoires de Trévoux, der Zeitschrift der französischen Jesuiten, habe die prästabilierte Harmonie Anerkennung gefunden.“ Winter 1966, 99. 97 Zum Begriff „katholische Aufklärung“, der zurecht originär katholische, kirchenreformerische Wurzeln der Aufklärung in den katholischen Territorien impliziert, vgl. den forschungsgeschichtlichen Aufsatz: Maier 1993. 98 Vgl.: „So schuf die Toleranzpolitik auf der einen Seite und die aufklärungstheologische Reduktion kontroverstheologischer Lehren zugunsten einer Simplifizierung und Konzentration auf das Wesentliche des christlichen Glaubens auf der anderen Seite ein irenisches Klima, in dem neue ökumenische Bestrebungen gedeihen konnten.“ Spehr 2005, 411. 99 Vgl.: „Leibniz wiederum hat dann direkt und noch mehr indirekt, über Chr. Wolff, sehr anregend auf das katholische Denken im 18. Jahrhundert gewirkt. Die katholische Aufklärung wäre ohne diese Anregungen schwer denkbar.“ Winter 1966, 96; zum Ganzen: Bianco 1993.

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nannten drei Grundtendenzen mit Leibniz und der katholischen Reformtheologie: zudem war die Erinnerung an die Reunionsgespräche des Leibniz im katholischen Deutschland fortwährend präsent geblieben, ebenso zentrale Motive seines Philosophierens, so seine Metaphysik der Substanz und die prästabilierte Harmonie, seine Position in der Theodizeefrage und auch sein methodologischmetaphysisches Prinzip des zureichenden Grundes (Winter 1966; Bianco 1993; Haaß 1952). Die Theologie in Deutschland war zu dieser Zeit wesentlich durch die großen kirchlichen Orden geprägt. Einen wesentlichen Anteil an der Öffnung zur neuen Philosophie und Theologie hatten hier die Augustinereremiten, dabei angeregt durch das römische Ordensgeneralat. Augustinereremeiten wie Agnellus Kändler (1692–1745) und Gelasius Hieber (1671–1731) waren maßgebend an der bayerischen Akademiebewegung beteiligt, auch wenn diese später als „Loge der Wolffianer“ verschriene Akademie dann erst 1759 zustande kam (Winter 1966, 99). In Österreich hatte der Augustinereremit Xystus Schier (1728–1772) nicht nur eine gelehrte, ungemein produktive historische Gesellschaft gegründet; er verfasste auch eine Geschichte der Reunionsverhandlungen Leibniz’ mit Bossuet, die dann freilich ungedruckt blieb (Winter 1966, 146). Zur bayerischen Akademiebewegung zählte auch der Pollinger Augustinerchorherr Eusebius Amort (1692–1775), ein universaler, in der Philosophie bewusst eklektizistischer Gelehrter, der in seiner Philosophia Pollingiana um 1730 einen Mittelweg bestritt zwischen der modernen Philosophie und dem traditionellen scholastischen Aristotelismus (PrechtNußbaum 2007, v.a. 630–638). Und wiederum ist charakteristisch, dass sich Amort auch intensiv mit einer möglichen Reunion mit den Protestanten auseinandersetzte. So studierte er das für Leibniz zentrale Problem der Ökumenizität des Konzils von Trient. Von Kardinal Antonio Andrea Galli (1697–1767) in Rom wollte er nähere Auskunft über die Frage, ob Frankreich die ersten beiden Sitzungsperioden des Konzils unterzeichnet habe, da er im negativen Fall auf den Spuren Leibniz’ bedeutende Aussichten für eine Reunion zu erkennen glaubte (Precht-Nußbaum 2007, 459 f.). Auch die Klöster der Benediktiner und die Salzburger Benediktineruniversität wurden im 18. Jahrhundert vielfacher Ausgangspunkt für eine Rezeption von Leibniz und Wolff. Dort führte der spätere Ensdorfer Abt Anselm Desing (1699– 1772) durch eine Reform der Studienordnung die neue Philosophie ein (Winter 1966, 101; Bauer 1996, 24, 609–611); der Benediktiner Berthold Vogel (1708– 1772) aus Kremsmünster las in der Folge die Philosophia scholastica, indem er das Denken des Leibniz rezipierte (Winter 1966, 101). 100 Ab 1742 wurde die Leibniz-Wolffsche Philosophie an der Salzburger Universität dann immer wichtiger (Bauer 1996, 612 f.). In Österreich war im Zeitalter des Josephinismus der   100 Später war Vogel Rektor der Universität Wien. In der Folge wurde auch hier die traditionelle Philosophie durch einen eklektischen Kursus ersetzt, der stark an Wolff orientiert war. Auch wurde das Theologiestudium stärker historisch-positiv ausgerichtet. Winter 1966, 143; vgl. auch Bauer, 1996, 24 und 611.

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Jesuit Sigismund von Storchenau (1731–1798) der wohl wichtigste Philosoph und katholische Apologet. Nach der Aufhebung seines Ordens zog er sich in seine Heimat nach Kärnten zurück, wo er ab 1781 Hofprediger der Erzherzogin Maria Anna (1738–1789) in Klagenfurt wurde. Als Vertreter eines katholischen Aufklärung wandte er sich gegen den englischen Deismus und alle Formen des Indifferentismus; Storchenau steht, was Offenbarungsbegriff, Gottesbeweis, Gottesbegriff, aber auch die Behandlung der Theodizee-Frage angeht, in der Tradition von Leibniz und Wolff, ohne diesen kritiklos zu folgen (Fritsch 1997, 70, 129, 133 f., 146 und 25). In München war der aufgeklärte Theatiner Ferdinand Sterzinger (1721–1786) ein wichtiger Vertreter dieses Gedankenguts (Precht-Nußbaum 2007, 633 f.). Seit etwa 1740 gab es auch im Jesuitenorden eine nicht unbedeutende Strömung, die die Gedanken von Leibniz und Wolff rezipierte. Der Jesuit Joseph Stepling (1716–1778) lehrte als Philosoph an der Prager Universität Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie. Er stand seit 1743 in brieflichem Kontakt zu Wolff, mit dem er nicht nur mathematische, physikalische und philosophische Probleme erörterte, sondern sich auch um eine ökumenische Annäherung bemühte; er war ein wichtiger Vermittler von dessen Philosophie nach Osteuropa (Vgl. Winter 1966, 181–186, 250 f.; 1943, 67–76). Entscheidende Bedeutung kam unter den Jesuiten aber vor allem Benedikt Stattler (1728–1797) in Ingolstadt zu, der sich offensiv zu Leibniz und Wolff bekannte und zentrale philosophische Thesen von beiden übernahm, der darüber hinaus zugleich in irenisch-ökumenischen Werken für eine Annäherung der Konfessionen arbeitete (Vgl. Scholz 1957, bes. 34–83). Stattler hatte für die Geschichte des katholischen Denkens eine enorme Bedeutung; sein Anti-Kant bestimmte über Jahrzehnte wesentlich die kritische Ablehnung der Kant’schen Philosophie durch die allermeisten der katholischen Theologen, nachdem es vorher durchaus erste Rezeptionsprozesse gegeben hatte (Vgl. Heizmann 1976, v.a. 26–32, 96–98; Göbel 2005). Stattler war auch der Lehrer Johann Michael Sailers (1751–1832), der anfangs auch denkerisch stark von ihm geprägt war und der als Priesterbildner mit seinem christozentrisch und mystisch-verinnerlichten irenischen Christentum einer ganzen Generation süddeutscher katholischer Geistlicher theologischer und spiritueller Lehrer war (Vgl. Kantzenbach 1955, 20–23; Haimerl 1949). Auch im 19. Jahrhundert übte Leibniz als Metaphysiker noch mitunter eine starke Wirkung auf katholische Denker aus, jedenfalls wo Impulse der Aufklärung weiterwirkten, man kritisch gegenüber Kant war und zeitlich vor dem Erstarken der Neuscholastik; prominentes Beispiel ist hier der Prager Priester Bernhard Bolzano (1781–1848), der als Vertreter eines aufgeklärt ethischen Verständnisses von Religion 1819/20 von seinem Prager Lehrstuhl entfernt und mitunter sogar als der „böhmische Leibniz“ bezeichnet wurde. Als Mathematiker, Logiker, Philosoph und Theologe setzte er sich zeit seines Lebens intensiv mit Leibniz auseinander setzte (Winter 1949, v.a. 33, 39 f., 76–78; vgl. auch: Centrone 2015, 263–309). In theologischer Hinsicht zeigt sich der Einfluss von Leibniz’ Monadologie bei ihm vor allem in seinem Werk Athanasia (1827), das dessen Unsterblichkeitsbeweis aus der Einfachheit der Monade aufgriff und weiter entwickelte; das Weiterleben nach dem Tod ergebe sich

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zudem aus der unendlichen Vervollkommnungsfähigkeit endlicher geistiger Seelenvermögen (Bolzano 1827). In die nach philosophischer und historischer Vertiefung und nach ökumenischer Annäherung strebende katholische Aufklärung ist schließlich ebenfalls als späte Frucht noch das Werk des Oberpfälzer Michelsfelder Benediktinerabtes Maximilian Prechtl (1757–1832) einzureihen (Wolf 1999a). Dieser hatte bei den Jesuiten in Amberg studiert, war aber nach deren Aufhebung bei den Benediktinern eingetreten und lehrte am Amberger Lyzeum Dogmatik und Kirchengeschichte, bis er Anfang 1800 zum Abt seines Heimatklosters gewählt wurde. Nach der nie ganz verwundenen Säkularisation forschte er als Privatgelehrter zur Geschichte seines Heimatklosters und bemühte sich um eine konfessionelle Annäherung. Gegenseitige Aufklärung und vorurteilslose Vernunftprüfung lasse eine Reunion als möglich erscheinen. Auch wenn sich kaum ein Protestant auf Prechtls doch stark katholisch geprägten Vermittlungsplan hat einlassen können, die Verbindung von irenisch-ökumenischer Hoffnung und optimistischer Handhabe der historischen und philosophischen Vernunftprüfung bleibt für die katholische Aufklärung in der Abwehr radikaler antichristlicher Strömungen charakteristisch (Prechtl 1810). 1815 ließ Prechtl ein anderes Werk in ökumenischer Absicht erscheinen: „Friedens-Benehmen zwischen Bossuet, Leibnitz und Molan für die Wiedervereinigung der Katholiken und Protestanten. Geschichtlich und kritisch beurteilt“ (Prechtl 1815). Neben den genannten Motiven klingt bereits in der Vorrede ein weiterer im 19. Jahrhundert immer wichtiger werdender Grund für die Erörterung der ökumenischen Pläne um Leibniz an: Die Hoffnung auf eine Stärkung des deutschen Vaterlandes durch eine religiöse Wiedervereinigung und im Kampf gegen den „Religions-Indifferentismus“ (Prechtl 1815, IV f.). Dem deutschen Leser (Prechtl 1815, VII f.) wollte er dadurch vor Augen führen: „Wer die Augen nicht geflissentlich schließt, muß daraus folgern, wie leicht die Trennung der Katholiken und Protestanten zu heben sey, wenn Mißverstand beseitigt wird. Das Eingreifen der Politik, oder des kleinlichen Eigennutzes mag sich manchmal gegen die Wiedervereinigung sträuben; aber die Aufdeckung so eines fremdartigen Hindernisses verscheucht den Trug, welcher unter dem Schleyer der Religion gespielt wird: der eigentliche Grund des Sektenhasses wird untergraben; mit den religiösen Begriffen nähern sich die Herzen, und der Gemeinsinn scheitert nicht mehr an der Schwelle des Heiligtums.“ (Prechtl 1815, IX ). Seiner eigenen, katholischen Positionierung entsprach dabei Prechtls Parteinahme für Bossuet und dessen klare Vorstellung des katholischen Glaubens in seiner Exposition, ganz gemäß dem Anliegen, Missverständnisse und Vorurteile zu beseitigen. Prechtl analysiert zunächst den ersten Teil der Verhandlungen, bei der er Bossuet und Molanus als Verhandlungspartner sieht, danach in einem zweiten Teil das Gedankengefecht zwischen dem Bischof von Meaux und Leibniz.

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Prechtl sympathisiert mit Molanus 101 und Bossuet, hielt aber die Methode des letzteren für verheißungsvoller, vor einer Vereinigung erst die Übereinstimmung in den wesentlichen Glaubensartikeln zu erzielen, wobei das christliche Altertum die Richtschnur sein müsse (Prechtl 1815, 84, 92 f., 111). Dagegen war es für Prechtl „der grosse Philosoph Leibniz“, der in die sachlich-vernünftige Verständigung politisch-eigennütziges Kalkül brachte und deshalb das Scheitern verursachte. „Allein Theologie war nicht das Fach“, so Prechtl, „in welchem Leibniz gleiche Stärke besaß“ (Prechtl 1815, 11 f.). Leibniz habe bereits die Antwort des Molanus auf Bossuets Entgegnung gegen dessen Cogitationes privatae bewusst gegenüber letzterem zurückgehalten und dann nur verstümmelt übersandt (Prechtl 1815, 23 f.). Es waren die veränderten politischen Verhältnisse, die Leibniz dazu führten, eine weitere Annäherung zu blockieren und die Gespräche schließlich in der zweiten Verhandlungsphase 1699–1701102 scheitern zu lassen, namentlich das Streben Hannovers nach der englischen Königskrone nach Erhalt der Kurwürde (Prechtl 1815, 52–56, 185).103 Bossuet und Molanus seien sich schon beinahe einig gewesen, da der Frage des Laienkelchs doch kaum sonderlich viel Gewicht zugesprochen werden könne (vgl. u.a. Prechtl 1815, 206). Auch sei Leibniz’ Methode zu einseitig rationalistisch gewesen (Prechtl 1815, 44), der nach hoffnungsvollen Anfängen, bei denen er noch ganz mit Molanus übereinstimmte, gegen Bossuet immer voreingenommener gewesen sei und sich auf seine Lieblingsidee, die Suspension des Tridentinums, immer mehr versteift habe (Prechtl 1815, 50, 162 f., 170, 173 u.ö.). Als Resultat seiner Schrift will Prechtl festgehalten wissen: Eine Wiedervereinigung der Konfessionen sei möglich und von großen Interesse, auch gegen Stimmen, die wieder konfessionalistischen Sektenhass aufwärmen wollten (Prechtl 1815, 189 f.). Belehrung für dieses Unterfangen könne aus dem Studium der Geschichte gewonnen werden (Prechtl 1815, 189), zudem seien Toleranz, Humanität und Nächstenliebe entscheidend (Prechtl 1815, 192 f.). Durch vernunftgemäße Auslegung des eigenen Glaubens sollten die Missverständnisse und politisch motivierter Streit abgebaut werden; der letzte Schritt könne dann auf einer allgemeinen Synode vollzogen werden (Prechtl 1815, 195 f.). Vor allem der Protestantismus müsse zu diesem Zwecke aber, so der Benediktiner, seine Zersplitterung überwinden (Prechtl 1815, 209). Durch die ganze Schrift zieht sich Prechtls Bemühen um argumentative Klarheit. Natürlich wird sie der komplexen und in dessen Philosophie gegründeten   101 Vgl.: „Es verdient reife Beherzigung, welches Licht schon von Molan über die wichtigsten Divergenzpunkte verbreitet wurde. Leider! daß man heut zu Tage von Seite der Protestanten hierauf keine Rücksicht nimmt, und immer die alten – schon längst gehobenen – Schwierigkeiten aufwärmt!“ Prechtl 1815, 99. 102 Die Verhandlungen habe Leibniz, der es sich mit Hannover nicht verderben durfte, lediglich zum Schein geführt, um den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel nicht zu enttäuschen. Prechtl 1815, 56–77. 103 Vgl. auch: „Allbereits ist das Räthsel dieses Verfahrens aufgelöst: nach dem Eingreifen neuer politischer Verhältnisse stimmte sich Leibnizens Tendenz um; und nun mußte das Beßte der Religion der Aussicht auf einen Königsthron weichen“. Prechtl 1815, 152.

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Position des Leibniz nicht gerecht und tritt für ihr Anliegen mit einer gewissen argumentativen Naivität ein. Dennoch kann sie als später Exponent der Gegenwart des Leibniz in der katholischen Aufklärungstheologie gewertet werden mit ihrem Anliegen nach philosophischer und historischer Verwesentlichung und ihrem Streben nach irenisch-ökumenischer Einigung. 3.2. Der Rekurs auf Leibniz am Beginn der ultramontanen Bewegung Inzwischen war die Lage der katholischen Kirche in Deutschland massiven Veränderungen unterworfen gewesen. Die französische Revolution mit ihren antiklerikalen Exzessen und die französische Expansionspolitik hinterließen auch bei vielen deutschen Katholiken ein antiaufklärerisches Trauma. Die Säkularisation der Jahre 1802/1803 und die weitere staatskirchliche Entwicklung führten zur Zerschlagung der alten Reichskirche, zu einer Zertrümmerung der kirchlichen Organisation, zu einer Enteignung im bislang nicht gekannten Maß und auch zu einer weitgehenden Zerstörung und Verödung der kirchlichen Bildungslandschaft. Mit der Neuorganisation der diözesanen Strukturen nach 1815 ging eine von katholischer Seite vielfach als unannehmbar kritisierte Aufsicht und Reglementierung durch die liberalen Territorialstaaten einher. Als katholische Gegenbewegung entstand die immer mächtiger werdende Strömung, die von Zeitgenossen bald mit dem Namen „Ultramontanismus“ belegt wurde (Zum ganzen Komplex vgl. Weitlauff 2002; Hausberger 2008). Von Beginn an wurde diese Bewegung von jenen katholischen Strömungen gespeist, die der katholischen Aufklärung reserviert bis ablehnend gegenüber gestanden waren. Durch das Revolutionstrauma wurde diese reaktionäre Position immer stärker, besonders im französischen Katholizismus. Vermittelt über das Elsass fanden diese Ideen aber auch in Deutschland bald eine wachsende Anhängerschaft, wo Mainz, das ja seit 1794 eine französische Besatzung zu erdulden gehabt hatte, deren erstes und wichtiges Zentrum wurde (Walter 2002). Es war der dortige Bischof Joseph Ludwig Colmar (1802–1818), ein gebürtiger Elsässer, der im Jahr 1804 an Stelle der untergegangen theologischen Fakultät ein Priesterseminar gründete und dem gleichgesinnten Bruno Leopold Liebermann (1759– 1844) als Regens (1805–1823) anvertraute. Daraus ging der „Mainzer Kreis“ hervor, zu dessen führenden Exponenten der Elsässer Andreas Räß (1794–1887) gehörte, der am Mainzer Priesterseminar lehrte, ehe er Bischof von Straßburg wurde. Mit ihm arbeitete Nikolaus Weis (1794–1866) eng zusammen, aus demselben Seminar stammend und seit 1842 Bischof von Speyer. Räß und Weis waren auch die führenden Kräfte, die hinter der Gründung einer Zeitschrift als Organ des „Mainzer Kreises“ standen, nämlich der Zeitschrift „Der Katholik“, und deren Bedeutung für die Formierung der deutschen ultramontanen Bewegung seit ihrem ersten Erscheinen im Jahr 1821 kaum überschätzt werden kann (Walter 2002, 1421; Schwalbach 1966). Als Motto führte der „Katholik“ an (1, 1821, Titelseite): „Christianus mihi nomen, Catholicus cognomen“ (nach Pacian von Barcelona). Im Vorwort zum

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ersten Heft wurde als Programm gleich im ersten Artikel erklärt: „1. Wahrhaft orthodoxe christ-katholische Aufsätze über Glaubens- und Sittenlehre, über Kirchengeschichte und Liturgie, über Erziehung, über Volksandachten und Alles, was zum ächten und wahren katholischen Glauben gehört, die Kenntnis der Religion zu fördern und die kindlich erhabenen Gefühle der Frömmigkeit zu erwecken geeignet ist. Und damit man gleich anfänglich an uns nicht irre werden möge, so erklären wir hier vorläufig, daß wir nur den und das für wahrhaft katholisch halten, der und das mit dem Oberhaupte der katholischen Kirche, dem Pabste, vereinigt ist, und mit demselben gleichlautend lehret.“ (Vorwort der Herausgeber, Der Katholik 1, 1821, VI ). Im zweiten Paragraphen versprach man besonders, alles Antikatholische zu bekämpfen. Als Gegner wurden alle Formen der Aufklärung und des Rationalismus identifiziert, dazu wollte man für die Freiheit der Kirche vom modernen liberalen Staat kämpfen (Der Katholik 1, 1821, III–VIII, hier VI f.). Der Katholik war der wichtigste Vermittler französisch-reaktionärer katholischer Strömungen nach Deutschland (Schwalbach 1966, 51–57). Auch gegen Bischöfe, die man als zu staatsnah betrachtete, erstrebte man den unbedingten Schulterschluss mit Rom. Denkerisch lehnte man alle neuzeitlichen Strömungen ab, plädierte für die unverkürzte Glaubenslehre und nahm scholastische oder antirationalistische Positionen ein (Schwalbach 1966, 37–50). Dabei war das Organ keine rein wissenschaftliche Fachzeitschrift. Andreas Räß als unermüdlicher erster Herausgeber war zugleich eifriger Kirchenpolitiker; seine Publikationen waren weniger selbständige Werke als Übersetzungen und Abdrucke von dem, was er als auferbauend betrachtete. Sein wichtigster Mitarbeiter dabei war jeweils Nikolaus Weis (Schwalbach 1966, 16). Um ein Argument für den Katholizismus zu gewinnen hatte Räß vor allem ein zentrales Interesse an Konversionen von Protestanten zur katholischen Kirche. In einem Artikel hieß es, kein großer Geist konvertiere zum Protestantismus, während alle bedeutenden protestantischen Intellektuellen zumindest unbewusst bereits auf dem Weg zum Katholizismus seien (zu diesen und ähnlichen Urteilen vgl. Schwalbach 1966, 58 f.). Die Reformation war nach dem Katholiken der Ursprung des Subjektivismus und aller Irrtümer des neuzeitlichen Denkens. Stolz hatte Räß in einem dreizehnbändigen Werk die Lebensbilder protestantischer Konvertiten zur katholischen Kirche gesammelt (Räß 1860–1880). Drei antiprotestantische Argumente spielten in dieser streng konfessionalistischen Sicht immer wieder eine zentrale Rolle: 1. Der Protestantismus müsse sich aufgrund seines Prinzips immer weiter in Parteiungen spalten. 2. Der Protestantismus sei schuld am Rationalismus und deshalb an den Übeln der Gegenwart. Schließlich sprächen eben 3. die bedeutenden Katholiken aus allen Zeiten gegen den Protestantismus (Schwalbach 1966, 64). Diese Tendenz muss man im Auge haben, um die Absicht von Räß und Weis richtig zu beurteilen, als sie die erste Edition und Übersetzung von Leibniz’ Examen religionis christianae, damals Systema theologicum genannt, im deutschen Sprachraum 1820 zusammen mit einer Vorrede des Jesuiten Johann Lorenz Doller (1750–1820) erscheinen ließen. Grundlage war eine französische Edition (Émery 1819). Dort hatte der Generalsuperior von St. Sulpice, Jacques André Émery (1732–1811), aus Hannover, das damals unter Jerôme Bonaparte zum Königreich

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Westfalen gehörte, eine Abschrift erhalten. Kardinal Joseph Fesch (1763–1839) hatte das Manuskript erbeten, nachdem man seit 1779 von dessen Existenz wusste (Émery 1819, XV–XVIII). Eine fehlerhafte Edition mit französischer Übersetzung erschien bald posthum durch dessen Nachfolger Antoine Garnier (1762–1845). Diese diente wiederum Räß und Weis als Vorlage (Zum Ganzen: A, VI,4C, 2356104; Kiefl 1903a, 233). Bereits der junge Émery hatte sich mit Leibniz befasst; 1772 erschien seine Leibnizanthologie L’Ésprit de Leibniz (Émery 1772). Ein starkes Argument für den Glauben sei es, dass die größten Geister der näheren Vergangenheit, neben Descartes und Newton eben Leibniz, keine Gegner, sondern Anhänger der christlichen Religion gewesen seien. Gerade von Leibniz versprach er sich den größten Vorteil für die katholischn Kirche, nicht nur wegen seines Genies, sondern weil er wie kein anderer ernsthaft deren Dogmen studiert habe. Da er als Lutheraner erzogen worden sei, seien seine Nähe zur katholischen Kirche und seine Argumente für das Papsttum umso bemerkenswerter. Das Systema schien in dieser Perspektive Émery als apologetische Krönung (Émery 1819, XVIII f.). Leibniz sollte auf dieser Grundlage bei Räß und Weis – ganz gemäß dem Interesse der Mainzer – zum Katholiken und Konvertiten gemacht werden, das Systema wurde bereits vom französischen Herausgeber als das „religiöse Testament“ des Leibniz bezeichnet. Ganz diesem Nachweis sollte Dollers 122 Seiten umfassende Vorrede dienen. Doller gehörte zum Freundeskreis um Bischof Colmar; charakteristisch für seine Veröffentlichungen war ein antiaufklärerischer und antiprotestantischer Grundzug. In ihm floss die alte Jesuitenscholastik in den jungen Ultramontanismus ein (Vgl. Artikel: „Johann Lorenz Doller“, in: Doering 1831, 339 f.). Seine Argumentation war dabei ebenso einfach wie eindeutig: Zuerst wies er nach, dass der hochgebildete Leibniz von Beginn an auf dem Boden der geoffenbarten Religion stand und weder Indifferentist noch Antitrinitarier, und deshalb auch kein von diesen Positionen angekränkelter „Neuprotestant“ gewesen sei (Doller 1825, XVII–XXXI; XLII–L). Danach wollte er durch Ausschluss die Position des Leibniz immer näher bestimmen, indem er aufgrund seiner Abendmahls- und Freiheitslehre ausschloss, dass er reformiert oder altlutherisch gewesen sei (Doller 1825, XXXII–XLII). Seine Zuneigung zum Katholizismus beweise hingegen dessen Freundschaft mit Katholiken und zahlreiche Äußerungen über katholische Institutionen und Religionsgebräuche (Doller 1825, LIV–LXVI). Im Herzen sei er Katholik gewesen, wie er 1691 an Madame de Boinon geschrieben habe (Doller 1825, LXVI). Seine ekklesiologischen Ansichten entsprachen am ehesten der katholischen Lehre (Doller 1825, LXVI–LXXXV). Sprach also alles dafür, dass Leibniz längst innerlich Konvertit und Katholik gewesen sei, so musste ex negativo von Doller gezeigt werden, dass ihn auch seine Bossuet gegenüber geäußerten Einwände nicht von einem Übertritt zum Katholizismus abgehalten haben. Dies betraf vor allem den Vorwurf der katholischen Missbräuche   104 Einleitung zu Nr. 420: Examen religionis christianae.

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und Leibniz’ Ablehnung des Tridentinums. Gegen letztere ist die Argumentation des Jesuiten dabei beinahe erschreckend naiv: „Kurz, Bossuet beantwortete diese und andere Einwürfe so,“ schreibt Doller, „daß er auf dem Schlachtfelde als Sieger stehen blieb und Leibniz nichts mehr antwortete, also nach dem Sprichwort: Qui tacet, consentire videtur [...] wirklich Bossueten beipflichtete, und das Concil annahm, wie er schon viele Lehren angenommen hatte.“ (Doller 1825, CVI f.). Aus Liebe zu seinem Hof habe Leibniz es nur versäumt, seinen Übertritt öffentlich zu machen, da er glaubte, diese äußere Gemeinschaft sei zum Heile nicht nötig (Doller 1825, CXII f.). Und all dies werde nun durch Leibniz’ System der Theologie bewiesen, das folglich echt und eine echte Apologie der katholischen Religion sei (Doller 1825, CXVII f.). Natürlich war diese Einverleibung des Leibniz durch die ultramontanen Katholiken sofort auf entschiedenen Widerstand im protestantischen Lager gestoßen. Am wichtigsten waren zunächst die Entgegnung des Philosophen und Königsberger Kantnachfolgers Wilhelm Traugott Krug (1770–1842) (vgl. Krug 1826), der ab 1809 in Leipzig lehrte, und diejenige des Göttinger Philosophen Gottlob Ernst Schulzes (1761–1833), dessen Aenesidemus einst Fichte dazu veranlasste, die Resultate Kants gegen skeptische Zweifel tiefer zu begründen (vgl. Schulze 1827). 105 Dennoch blieb der Status des Systema theologicum in der LeibnizForschung während des ganzen 19. Jahrhunderts unbestimmt und unsicher (Kiefl 1903a, 233–240). Jedenfalls scheint die Edition durch Räß und Weis einen Mann in seinem Entschluss zum katholischen Priestertum entscheidend bekräftigt zu haben, der bald zum wichtigsten theologischen Vorkämpfer der ultramontanen Bewegung wurde, ehe er sich dieser immer mehr entfremdete: Ignaz von Döllinger (1799–1890), der seit 1826 an der Universität München Kirchengeschichte lehrte und bald der unbestritten bedeutendste katholische Kirchenhistoriker wurde.106 Mit der Entwicklung des Denkens Döllingers setzte aber eine neue bedeutende Phase der Leibnizrezeption im katholischen Deutschland ein.

  105 Schulze vertritt die These, die Schrift sei zwecks der Reunionsverhandlungen geschrieben, um den Katholizismus als annehmbar hinzustellen, auch wenn Leibniz zeit seines Lebens überzeugter Protestant gewesen sei. Vgl. Schulze 1827, 33–45. 106 Vgl.: „Die Schrift, ‚eine philosophische Verteidigung des Katholizismus, reich an bedeutsamen Gedanken und einschmeichelnd geschriebenʼ machte ungeheures Aufsehen. Man betrachtete sie nicht nur als ‚sein religiöses Testamentʼ, sondern nahm auch an, daß Leibniz wenigstens innerlich römisch-katholisch gewesen sei. Für Döllinger war aber zu den früher genannten Konvertiten ein neuer, der umfassendste deutsche Geist, dessen Gelehrsamkeit noch von keinem andern erreicht worden war, hinzugekommen. Kein Wunder, daß er dadurch noch mehr in seinem Entschlusse befestigt wurde.“ Friedrich 1899, 118.

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3.3. Leibniz und die historische und liberale Theologie im Umkreis von Ignaz von Döllinger Döllinger, in seiner frühen Phase Vorkämpfer der Ultramontanen in Deutschland, war theologisch durch die klassischen theologischen Werke des 17. Jahrhunderts geprägt, zu denen auch Bossuet und weitere gallikanische Autoren, aber auch der Jesuit Denis Pétau (1583–1652) gehörten. Der Konsens der Kirchenväter spreche für die katholische Lehre und gegen den Protestantismus (Finsterhötzl 1979). Doch setzte nach dem Jahr 1848 eine allmähliche Entfremdung zur ultramontanen Bewegung ein, die sich zunehmend radikalisierte und gegen alle konkurrierenden innerkirchlichen Strömungen richtete. Dieser Entfremdungsprozess war durch ein Geflecht von Faktoren bestimmt: a) Die zunehmende Verengung und antihistorische Wendung der römischen Theologie, die zahlreiche bedeutende deutsche Theologen auf den Index der verbotenen Bücher brachte (Bischof 1997, 62– 87) 107 ; b) eine von Döllinger als Romanisierung von Kirche und Frömmigkeit empfundene Wendung des Ultramontanismus, der der deutschen Eigenart und Wissenschaft zu wenig Raum gelassen habe (Bischof 1997, v.a. 67 f.); c) die immer anachronistischer und unhaltbarer werdenden Zustände im Kirchenstaat, an dem der Papst dennoch mit letzter Konsequenz festhalten wollte (Bischof 1997, 50–62); d) schließlich das vertiefte Studium der Papstgeschichte, das in Döllinger immer mehr die Überzeugung aufkommen ließ, die organische Entwicklung der Kirchenverfassung sei durch kanonistische Fälschungen seit dem zweiten Jahrtausend aus dem Gleichgewicht gekommen. Der absolute Jurisdiktionsprimat des Papsttums gründe sich letztlich auf den Fälschungen der pseudo-isidorischen Dekretalen (Bischof 1997, 112 f.). Parallel zu diesen Einsichten entwickelte sich beim einstmals führenden antiprotestantischen Vorkämpfer ein immer intensiver werdendes ökumenisches Interesse. In der Zeit nach seiner Exkommunikation 1871 sollte Döllinger zum wichtigsten ökumenischen Promotor seiner Zeit werden. Bereits 1848 verband sich bei ihm die Hoffnung nach nationaler Einigung mit derjenigen nach der Einheit der christlichen Konfessionen, eine Aufgabe, die er in den 1860er Jahren ausdrücklich der deutschen theologischen Reflexion anvertrauen wollte (Döllinger 1861, XXI–XXXIII). Im Jahr 1872 hielt Döllinger seine berühmten Vorträge Ueber die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen; zwei Jahre später lud er Theologen aus allen christlichen Konfessionen zu Unionskonferenzen nach Bonn ein. Trotz ihres Scheiterns können die Gespräche 1874/75 „als die bedeutendsten ökumenischen Gespräche im 19. Jahrhundert“ bezeichnet werden (Bischof 1997, 436). Döllingers Ideal blieb dabei die alte Kirche der ersten Jahrhunderte, die wahrhaft apostolisch gewesen sei, da sie den Glauben der Apostel unverfälscht tradiert habe. Nächstenliebe und die Achtung der Gewissensfreiheit müssten den Umgang aller Konfessionen prägen. Einheit dürfe nur in Essentiellem, Apostoli  107 Zu den Theologenverurteilungen vgl. Unterburger 2010, 180–200.

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schem gefordert werden; was in früherer Zeit Gegenstand der freien Erörterung gewesen sei, dürfe anderen heute nicht oktroyiert werden. Dieses dem Konzept des Leibniz zutiefst verwandte ökumenische Programm setzte seine Hoffnung also vor allem auf die kirchen- und theologiehistorische objektive Forschung, die der Einheit Bahn brechen werde (Neuner 1979, v.a. 237–253). In den Vorträgen über die Wiedervereinigung der Kirchen widmete er die fünfte Vorlesung den Reunionsversuchen des 17. Jahrhunderts. Leibniz sei der hervorragendste Mann im damaligen Deutschland gewesen, „ebenso scharfsinnig wie vielseitig und von unermesslichen Wissen“ (Döllinger 1888, 77). Die These, dass Döllinger heimlich Katholik gewesen sei, lehnte er ab. Das „Systema“ sei sozusagen als Dokument verfasst, um sich in den anderen hineinzuversetzen und dessen Position darzulegen, soweit sie annehmbar sei (Döllinger 1888, 81). Tatsächlich sei wohl niemals ein Protestant dem Papsttum so wohlwollend gegenüber gestanden wie Leibniz (Döllinger 1888, 84). Diesem und Molanus und deren Unionskonzeption stand Döllinger voller Sympathie gegenüber. Leibniz’ Nachweisversuch, dass ein Konzilsentscheid (in Basel) zum Zwecke der Union (mit den Hussiten) suspendiert worden sei, sekundierte er, dass er sich hierfür auch auf das Florentinum hätte berufen können, dass für die Griechenunion die Entscheidung des zweiten Konzils von Lyon 1274 suspendiert habe (Döllinger 1888, 82). Gescheitert aber seien die Verhandlungen letztlich am Widerspruch zwischen Theorie und Praxis in der damaligen katholischen Kirche. So sehr Bossuet immer wieder sagen konnte, ein bestimmter Missbrauch sei gar nicht katholische Lehre, so bestimmend waren für die katholische Frömmigkeit und Praxis massiver Aberglaube, für die Politik der Päpste und der beinahe allmächtigen Jesuiten aber ein skupelloses Machtstreben: Das Edikt von Nantes, die Anzettelung des dreißigjährigen Kriegs durch die Jesuiten (Döllinger 1888, 77) oder auch schon der Fanatismus Papst Pius’ V. belegten in seinen Augen, dass in der Praxis unchristlicher Gewissenszwang und Intoleranz gegen Andersdenkende herrschten, die auch vom Mord nicht zurückschreckten, falls dies dem eigenen Machtstreben dienlich sei (Döllinger 1888, 82–86). Im Umkreis Döllingers entstand nun während der 1860er Jahre das Werk seines Schülers Aloys Pichler (1833–1874), eine Gesamtdarstellung der Theologie des Leibniz, ein klassischer Meilenstein in der Forschungsgeschichte zu Leibniz’ theologischer Position (Pichler 1869/1870). Pichler wurde in München 1857 promoviert und war seit 1863 dort Privatdozent. Er war einer der begabtesten Schüler Döllingers, der sich jedoch mehrfach von ihm distanzieren musste; in den 1860er Jahren verschrieb er sich ganz dem Döllinger’schen Programm, die konfessionellen Trennungen historisch aufzuarbeiten und durch wissenschaftliche Forschung die Wiedervereinigung vorzubereiten (Landersdorfer 1995, 314–327; Schwedt 2006). Pichler rieb sich aber noch radikaler als Döllinger an Ultramontanismus und päpstlichen Ansprüchen der Gegenwart; seine polemisch-radikalen Schriften wurden auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. 1869 wurde er von der russischen Regierung nach St. Petersburg berufen, wo ihm ein Leben ganz für seine kirchenhistorischen Studien ermöglicht wurde. Wegen Bücherdiebstahls wurde er jedoch 1871 zu lebenslanger Haft in Sibirien verurteilt; 1874 auf Fürsprache des

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bayerischen Prinzregenten begnadigt, starb er wenige Wochen später, gerade 40jährig (Marcuse 1871). Zu den großen und aus seiner Beschäftigung mit den kirchlichen Schismen und Reunionen erwachsenen Werken Pichlers gehört nun seine über 1.100 Seiten starke Theologie des Leibniz, die 1869/70 im Druck erschien. Döllinger verfasste über dieses Werk ein Gutachten, damit Pichler als Privatdozent in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen werde (Stein 2009, 589–591). Vorangegangen in der Beschäftigung mit dem theologischen Standpunkt des Leibniz war Pichler bereits eine Abhandlung des bedeutenden, in Tübingen geprägten Dogmatikers Franz Anton Staudenmeier (1800–1856), der dessen Offenbarungsverständnis untersuchte und Leibniz aus dem Schatten Wolffs und des Rationalismus zu lösen suchte (Staudenmeier 1836, hier v.a. 226–228). Leibniz habe ein wahrhaft übernatürliches Wissen, dass über, wenn auch nicht gegen die menschliche Vernunft sei, angenommen, das die Menschen nur durch göttliche Offenbarung erlangen könnten (Staudenmeier 1836, 228–253). So sei der große Philosoph ein originär und unverkürzt christlicher Denker gewesen. Die originäre Christlichkeit des Leibniz’schen Denkens wird von Pichler nun noch viel breiter untermauert. Er behandelt nach einer allgemeinen Beschreibung von Charakter und Theologie des Leibniz dessen Gottes- und Schöpfungslehre, dessen Anthropologie, dessen Ekklesiologie und Sakramentenlehre und dessen Eschatologie. Erst von hier aus beleuchtet Pichler auch die Reunionsverhandlungen zwischen Leibniz und Bossuet, wobei er sich hier, wie im ganzen Werk, völlig mit der Position des Leibniz identifiziert (Pichler 1869/1870, hier II, 432–513). Pichlers Synthese zeichnet sich durch ihre Quellennähe und ihren Reichtum an Zitaten aus, auch wenn immer wieder zentrale Kategorien aus den Parteienkämpfe seiner eigenen Gegenwart aufscheinen, in die Leibniz eingeordnet wird, dabei ganz besonders in die Gegnerschaft zum Ultramontanismus. Leibniz war für ihn 1.) ein Exponent der philosophischen und historischen Vernunft und Wissenschaft gegen ultramontanen Autoritarismus und Aberglauben (Pichler 1869/1870, I, 29–35); 2.) ein Patriot und Beispiel von deutscher Eigenart und deutschem Charakter gegen imperiale französische und päpstlich-italienische Ansprüche (Vgl. bereits Pichler 1869/1870, I, III–X, 6, 9, 17 f., 24 f., 52, 99 f. u.ö); 3.) ein echter Christ, der jenseits und über allem PartikularistischKonfessionellen stand und deshalb die denkerische Grundlage für eine Reunion der Christen legen konnte, auch wenn er am Egoismus und der Machtpolitik seiner Zeitgenossen gescheitert ist.108   108 Vgl.: „Er besaß Alles, was ein ächt christlicher und vollkommener Gottesgelehrter haben soll, und er war frei von Dem, was den Fachtheologen mehr oder minder den Gesichtskreis einzuengen und zu trüben pflegt.“ Ebd. I, III; „Leibniz ist ein christlicher, aber kein orthodoxer Theologe. Seine ganze Theologie ruht auf der Offenbarung und den christlichen Grundwahrheiten, nicht aber auf den Canonen der Concilien und den Bestimmungen der symbolischen Bücher.“ Pichler 1869/1870, I, 161.

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In Leibniz hätten zwei Seelen miteinander gerungen, so Pichler, die des Juristen und Philosophen gegen die des Historikers. Im Laufe der Zeit sei der Historiker zunehmend bestimmender geworden109; während Leibniz in seiner frühen Phase dem Katholizismus noch relativ nahe gestanden habe, indem er juridisch-abstrakt aus dem Kirchen-Begriff der societas die Angemessenheit einer päpstlichhierarchischen Kirchenregierung deduziert habe, habe er sich in den späteren Jahrzehnten durch seine historischen Studien und seine persönlichen Erfahrungen vom Katholizismus wieder ein Stück weit entfernt (Pichler 1869/1870, II, 23, 66, 115 f.). Das Systema theologicum sei ein Produkt jener ersten Phase des Leibniz, auch wenn eine Einbettung in sein sonstiges Denken klar zeige, dass er auch damals kein Kryptokatholik gewesen sei (Pichler 1869/1870, I, 177 f., 321, 372). Sein wichtigster, mit seiner historischen Methode verbundener Grundsatz sei gewesen, dass nur das als essentielle, alle Christen qua göttliches Recht verpflichtende Glaubenslehre aufgestellt werden dürfe, was die Kirche schon immer als solche geglaubt habe. Der einfache Bibelglaube bedürfe zwar im Falle einer Bestreitung mitunter einer wissenschaftlichen Neuformulierung und Verteidigung (Pichler 1869/1870, II, 265), doch könne niemals etwas als heilsentscheidende Kirchenlehre aufgestellt werden, worüber in der Alten Kirche Freiheit geherrscht habe. Dies gelte etwa schon von der Pflicht der Bilderverehrung, dann aber von zahlreichen anderen konziliaren und päpstlichen Glaubensentscheidungen (Pichler 1869/1870, II, 228–247, 320–331). Besonders aber habe dies von den Anathemata des Tridentinum gegolten (Pichler 1869/1870, II, 280–317), die überall partikularistisch Dinge zu Dogmen erheben würden, die vorher Gegenstand der freien Diskussion und damit nicht geoffenbart und heilsentscheidend waren (Pichler 1869/1870, II, 267–276). Zwar könne die Kirche als solche nicht irren (Pichler 1869/1870, II, 225); dies gelte auch von wahrhaft ökumenischen Konzilien (Pichler 1869/1870, II, 247–279). Bei diesen musste aber die gesamte Kirche, vor allem alle wissenschaftlich Gebildeten, sich ohne Zwang und Druck austauschen können. Für die neuere Zeit müssten deshalb alle Nationen und Völker sich bei einem Konzil einbringen können; dazu besonders auch alle Laien, die über ein wissenschaftliches Urteil verfügten (Pichler 1869/1870, II, 250–257, 329). Vor einem solchen Kriterium könne freilich kaum ein Konzil, sieht man vielleicht von Nicäa 325 ab, für Leibniz als wirklich ökumenisch bestehen (Pichler 1869/1870, II, 319). Leibniz ist für Pichler so absolute Identifikationsfigur, nicht nur in den Auseinandersetzungen, die der Philosoph zu bestehen hatte, sondern auch für Pichlers Gegenwart, für eine christliche katholische und nicht ultramontane Kirche, für eine   109 Vgl. Pichlers Grundsatz: „Ein gründliches Studium der Geschichte der Wissenschaft macht aber nothwendig tolerant, demüthig und bescheiden, es lehrt namentlich die Verderblichkeit der blinden Anhänglichkeit an Autoritäten und schützt vor der Eitelkeit, ein Meister zu werden und eine Schule begründen zu wollen ...“. Pichler 1869/1870, I, 45; vgl. auch ebd. I, 76, wo die historische Methode als Gegensatz zum Standpunkt der Unfehlbarkeit geschildert wird.

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vom deutschen Nationalcharakter geprägte deutsche Kirche, für einen verinnerlichten, durch historische Vernunft über sich selbst aufgeklärten Glauben, für einen liberalen, nichtkonfessionellen Katholizismus in enger Anlehnung an die christlichen Staaten (Pichler 1869/1870, II, 170–203). Obwohl sich Döllinger niemals formell der alt- bzw. christkatholischen Kirche angeschlossen hatte, wurde er in seiner Ablehnung des I. Vatikanischen Konzils identitätsstiftender Bezugspunkt. Damit gehörte aber auch Döllingers Berufung auf die Reunionsbemühungen des Leibniz zum eigenen Selbstverständnis, wie ein Artikel des Professors am christkatholischen Seminar an der Universität Bern und ersten christkatholischen Bischofs in der Schweiz, Eduard Herzog (1841–1924) beweist, den dieser 50 Jahre danach, also 1922, veröffentlicht hat (Herzog 1922). Dieselben falschen Argumente, die Bossuet damals gegen Leibniz ins Feld geführt hat, verwenden die Ultramontanen nach 1870 gegen die altkatholische Kirche, indem sie den Gehorsam gegenüber der kirchlichen Autorität der Treue gegenüber der Lehre der Kirche der ersten Jahrhunderte, also dem gegenüber, was semper, ubique et ab omnibus geglaubt worden sei, überordnen (Herzog 1922, 223). So bleibt Herzog auch angesichts des neuen ökumenischen Aufbruchs seiner Gegenwart skeptisch, da auch dieser aufgrund des absolutistischen römischen Gehorsamsanspruch zum Scheitern verurteilt sei (Herzog 1922, 223 f.). 3.4. Leibniz und die antiliberale und antimodernistische Reaktion in der katholischen Theologie Die Dogmen des I. Vatikanischen Konzils und der Siegeszug des Ultramontanismus hatten zu einem schweren Aderlass in der deutschen katholischen Theologie geführt. Zahlreiche Theologen wurden exkommuniziert, andere zogen sich zurück und viele historische Arbeiten wichen auf Nebensächlichkeiten auf, um mit den päpstlich-lehramtlichen Entscheidungen nicht in Konflikt zu geraten (Wolf 1999b). Dennoch ging die wissenschaftliche Arbeit weiter und wirkten die historisch-kritischen und theologischen Ideale der vorhergehenden Jahrzehnte fort. In Rom, an vielen Ordenshochschulen und überhaupt in den romanischen Ländern setzte sich nunmehr immer exklusiver die Neuscholastik durch mit ihrer antihistorisch-systematischen Ausrichtung und ihrer Ablehnung der neuzeitlichen Denkentwicklung; dagegen lebte an den deutschen theologischen Fakultäten die Beschäftigung mit der historischen Kritik und der neuzeitlichen Philosophie weiter. Die neuscholastischen Lehrbücher suchten die Einzeldisziplinen in der Regel systematisch und nicht historisch zu durchdringen. Wurde auf Denker der Vergangenheit Bezug genommen, dann so, dass ihnen eine systematische These zugeschrieben wurde, die es zu widerlegen galt. Theodicea war dabei in der Regel ein anderer Name für philosophische Gotteslehre bzw. theologia naturalis, so etwa beim Innsbrucker Jesuiten Joseph Donat (1868–1945) als Teil seiner achtbändigen, häufig aufgelegten Summa philosophiae christiana (Donat 1945). Der im Collegium Germanicum in Rom ausgebildete Fuldaer Priester, Dozent und Regens Konstantin Gutberlet (1837–1928) hatte in seiner bereits 1878 verfassten

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„Theodizee“ eine philosophische Gotteslehre entwickelt (Gutberlet 1909), die immerhin versuchte, den ontologischen Gottesbeweis nach Leibniz zu rekonstruieren (Gutberlet 1909, 88 f.) und Leibniz’ Lösung des Theodizeeproblems im engeren Sinne zu referieren, das er jedoch ablehnte, da diese nach seinen Prämissen die Freiheit Gottes aufheben würde (Gutberlet 1909, 309–311). Joseph Kleutgen SJ (1811–1883) hatte in seiner Kampfschrift für eine Rückkehr zur mittelalterlichen Scholastik „Philosophie der Vorzeit“ (1860) die Epoche der Auflehnung gegen Kirche und Autorität mit Descartes beginnen lassen. Stolz habe zur Auflehnung des Geistes geführt, die notwendigerweise die Revolte des Fleisches zur Folge habe (Kleutgen 1860, 1–7). Offener der neuzeitlichen Philosophie stand in Italien der Priester, Ordensgründer und Philosoph Antonio Rosmini (1797–1855) gegenüber; er war einer der großen Vermittler der deutschen Philosophie nach Italien, auch wenn er durchaus auch an das scholastische Denken anknüpfte (Menke 1980; Krienke 2007). Mit Leibniz, insbesondere dessen Theodizee, hat er sich intensiv auseinandergesetzt. So sehr er ihn für das Unternehmen lobt, das Christentum mit den Mitteln der Vernunft zu verteidigen, so kritisierte er doch die Anwendung des Satzes vom zureichenden Grundes auf das Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung und die daraus folgende These, dass Gott die beste aller möglichen Welten haben schaffen müssen. Der göttliche Willensakt dürfe nicht als Wahlakt zwischen vorher erkannten Possibilitäten verstanden werden (Gambetti 1999; Bugossi 1989; Marcolongo 1996), so Rosmini, der hier eine Kritik an Leibniz entfaltet, die immer wieder auch von neuscholastischen Philosophen geäußert worden ist. Zwar fasste nach 1870 auch in Deutschland die Neuscholastik stärker Fuß; dennoch wurden an den dortigen theologischen Fakultäten die historisch-kritische Methode und eine partielle Rezeption der neuzeitlichen Philosophie weiter gepflegt. So entstanden an der durch Döllingers Exkommunikation schwer bedrängten theologischen Fakultät in München durchaus bedeutende spekulative und theologiegeschichtliche Arbeiten.110 Leibniz blieb so ein wichtiger, positiv besetzter Referenzpunkt. In München wirkte etwa der Theologie- und Dogmenhistoriker Joseph Bach (1833–1901) (Zu ihm: Unterburger 2005). Nach ihm sei es Leibniz, in Gegensatz zum englischen Empirismus, „um ächt philosophische Aufklärung“ gegangen (Bach 1893, hier 526). „Leibnitz ist“ – so Bach – „eine in seiner Zeit hochstehende, wohlthuende Erscheinung trotz seiner Schwächen“ (Bach 1884, hier 449). Die Kritik von Leibnizianern wie dem Illuminaten Adam Weishaupt (1748–1830) an Kants Philosophie hält Bach für berechtigt.111 Leibniz konnte so auch Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Anreger für die denkerische Entwicklung katholischer Philosophen und Theologen sein. Das vielleicht bedeutend  110 Dies zeigt für München die Lizentiatsarbeit Klaus Unterburger, Kirchen- und Dogmengeschichte in München zwischen I. Vatikanischen Konzil und Modernismuskrise. Die Professoren Joseph Bach, Isidor Silbernagl und Alois Knöpfler, deren Veröffentlichung geplant ist. 111 Vgl.: „Treffend widerlegt haben diesen Widersinn Kantʼs bereits seine Zeitgenossen, der Jesuit P. Stattler und der Illuminat A. Weishaupt.“ Bach 1884, 450 f.

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ste Beispiel eines katholisch geprägten philosophischen Rekurses auf Leibniz zu dieser Zeit ist Maurice Blondel (1861–1949). Seine Doktorarbeit hatte er in Dijon dem Leibniz’schen Begriff des vinculum substantiale gewidmet, den dieser im Briefwechsel mit des Bosses entwickelt hatte. Noch vor seinem Hauptwerk L’action (1893) entfaltete er hiervon ausgehend Grundzüge seiner Ontologie und seiner Theorie des gesellschaftlichen Lebens, die auch noch Jahrzehnte später bestehen blieben. Er sah Leibniz mit dieser Theorie als virtuellen Überwinder Immanuel Kants (Henrici 2012). Auch für den Freiburger Dogmatikprofessor Carl Braig (1853–1923), der seine Formation in Tübingen erhalten hatte und dessen philosophische Apologie des Christentums einflussreich war, war Leibniz ein überaus wichtiger Referenzpunkt (vgl. Esch 2004, 204, 225, 250, 263). Bereits 1877 beteiligte er sich an der Preisaufgabe der philosophischen Fakultät in Tübingen, inwiefern der dortige Philosoph Georg Bernhard Bilfinger (1693–1750) Leibniz’ Denken weiterentwickelt habe (Esch 2004, 23 f.). 1901 sah er in einer Überblicksdarstellung den „Geist der Leibniz’schen Philosophie“ als einen „Geist von heiliger Tiefe“, als „Geist christlicher Erhabenheit“, nachdem die Welt gelenkt und geliebt vom allwissenden Gott und die reine Liebe zu diesem Gott das letzte Ziel allen menschlichen Lebens ist (Braig 1901, 178 f.). Doch nicht nur die Philosophie bzw. die theologia naturalis des Leibniz wurde vom ultramontanen Standpunkt aus beurteilt, sondern auch seine Bemühungen um die kirchliche Wiedervereinigung. In Tübingen war der Kirchenhistoriker Carl Joseph Hefele (1809–1893), ähnlich wie Döllinger, in seiner frühen Phase ein scharfer Kritiker der Aufklärungstheologie und ein Vorkämpfer des Ultramontanismus gewesen. 1869 wurde er zum Bischof von Rottenburg ernannt. Auf dem Konzil war er dann einer der profiliertesten und gelehrtesten Gegner der päpstlichen Unfehlbarkeit. Sein Entschluss, sich nach langem Zögern dann doch der Konzilsentscheidung zu unterwerfen dürfte auch darin begründet gewesen sein, die Fortexistenz der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen zu sichern, da er diese nun umgekehrt vor der Einforderung einer Unterwerfungserklärung schützen konnte (Reinhardt 1985). Hefeles 1849 erstmals gedruckte Darstellung der Reunionsverhandlungen des Leibniz gehört noch der ersten Epoche an. Er bedauert darin zwar, dass der irenische Standpunkt des Leibniz im Protestantismus der Gegenwart einem Neukonfessionalismus gewichen sei (Hefele 1864, hier 88). Inhaltlich erklärte er aber, dass Bossuet gegen Leibniz Recht gehabt habe; dies beweise auch die Gereiztheit, mit der Leibniz immer mehr auf diesen reagiert habe (Hefele 1864, 87 f.). Für die ultramontane Interpretation der Reunionsverhandlungen wird dies ein feststehender Satz bleiben, dass die katholische Kirche und ihre Lehre unwandelbar seien, so dass Bossuet auf dem Gebiete der Theologie Leibniz gegenüber Recht gehabt habe. In den 1890er Jahren entstand in München eine bedeutende Dissertation über Leibniz und dessen ökumenische Bemühungen. Sie wurde vom Kirchenhistoriker und Hefele-Schüler Alois Knöpfler (1847–1921) betreut und stammt aus der Feder des späteren Würzburger Dogmatikprofessors und Regensburger Domdekans Franz Xaver Kiefl (1869–1928). Die denkerische Position und die geistige Entwicklung des Historikers Knöpfler und des Systematikers Kiefl weisen dabei be-

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merkenswerte Parallelen auf. Beide waren angetreten, das Erbe der Vernunft und der vernünftigen Reform in der Kirche zu retten; als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die historische Kritik freilich auch die biblischen Grundlagen des Glaubens durcheinander zu bringen drohte, stimmten beide den massiven lehramtlichen Maßnahmen des Antimodernismus zu. Beide gehörten schließlich politisch zum nationalkonservativen Flügel des Katholizismus, der sich mit der Niederlage von 1918 und der nachfolgenden Demokratie nur schwer abfinden konnte. Kiefl, dessen Hauptinteresse in der Philosophie lag, war 1896 mit einer Arbeit über „Die Reunionsverhandlungen zwischen Leibniz und Bossuet“ promoviert worden (Hausberger 2003, 16); wesentliche Teile von dieser werden in seine Monographie aus dem Jahr 1903, „Der Friedensplan des Leibniz zur Wiedervereinigung der getrennten Kirchen“, eingegangen sein (Kiefl, 1903a), ebenfalls ein Meilenstein der Forschung und bis heute ein Standardwerk. Bereits vorher hatte er sich in mehreren Aufsätzen mit diesem Thema beschäftigt (so etwa Kiefl 1895; Kiefl 1903b; Kiefl 1912), 1913 dann in der Reihe Weltgeschichte in Charakterbildern eine biographisch angelegte Leibnizmonographie folgen lassen (Kiefl 1913). Kiefl kam in der Bewertung der Leibniz’schen Reunionspläne zu einer Pichler gegenüber völlig konträren Bewertung. Leibniz Größe liegt für Kiefl in dessen deutschen Patriotismus, dem eigentlichen Motiv seiner irenischen Anstrengungen (Kiefl 1903a, VII, LXV, XLIII u.ö.)112, während er in theologischer Hinsicht von Bossuet völlig widerlegt worden sei.113 Psychologisch ist ihm der deutsche Patriot Leibniz sympathischer als der überhebliche Franzose. Doch theologisch sei der Katholik im Recht gewesen (Kiefl 1903a, LXV). In seiner wichtigen Monographie von 1903 schildert eine umfangreiche Einleitung zunächst den historischen Ablauf der Reunionsverhandlungen, während der systematische Hauptteil die Streitpunkte dann inhaltlich analysiert. Der entscheidende Punkt war erreicht, so Kiefl, als sich in den Verhandlungen mit Bossuet die Frage der Anerkennung des Tridentinum in Frankreich als der Angelpunkt aller Auseinandersetzungen herauskristallisierte (Kiefl 1903a, XLI). Anders als Pichler, der in dieser Frage Leibniz recht gab, hielt Kiefl diesen durch Bossuet für völlig widerlegt: An diesem Punkte beginne „das große Unrecht des Leibniz“ (Kiefl 1903a, XLII). Während für Pichler der Standpunkt des Leibniz’ allein vor der historischen und aufklärerischen Vernunft bestehen könne, weshalb die konkreten, partikular-menschliche Lehren definierenden Konzilsentscheidungen nicht ökumenisch genannt werden könnten, greift Kiefl ihn mit Bossuet formal an: Wenn das Tridentinum nicht

  112 Damit wendet sich Kiefl aber auch gegen Tendenzen, seine Reunionsbemühungen abzuwerten, indem man sie nicht als Anliegen des Leibniz, sondern nur als politischen Auftrag für den Hannoverschen Hof betrachtete. Vgl. Kiefl 1903a, I f. 113 Vgl. bereits die unpaginierte Vorrede seiner ersten Monographie, in der Leibnizʼ ökumenische Bemühungen als unhaltbares Luftgebäude bezeichnet wurden, so dass die Palme im Geistesgefecht Bossuet zuzuerkennen sei.

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ökumenisch gewesen sei, dann sei es auch kein anderes Konzil gewesen114 und Leibniz Kirchenbegriff widerlege sich letztlich selbst.115 Mit dem Autoritätsprinzip leugne Leibniz auch das Traditionsprinzip, was in der Konsequenz jedes kirchlich verfasste dogmatische Christentum unmöglich mache (Kiefl 1903a, 53– 105). Hinzu kam ein zweites: Während Pichler bei Leibniz keine Leugnung von Übernatur und Offenbarung erkennen konnte (Pichler 1869/1870, I, 208–238, 357), warf Kiefl ihm die Leugnung der Übernatur, des nur durch Offenbarung zugänglichen Geheimnisses vor (Kiefl 1903a, 4–13). Er sah im frühaufgeklärten Standpunkt des Leibniz die Gefahr des von ihm bekämpften liberalen Protestantismus und Modernismus präfiguriert. Christentum sei für Leibniz nichts als Rationalismus und das philosophisch einsehbare Prinzip der Gottes- und Nächstenliebe. Der Rest bleibe nur für das abergläubische Volk noch stehen (Kiefl 1903a, 17–21). Für einen Katholiken, so Kiefl mit Bossuet, dürfe es jedoch eine Unterscheidung zwischen fundamentalen und nichtfundamentalen Artikeln nicht geben (Kiefl 1903a, 32–49). Das Systema sei deshalb niemals die inhaltliche Überzeugung des Leibniz gewesen. Es enthalte neben dem Essentiellen auch das spezifisch partikular-katholische, das er niemals angenommen habe. Es sollte nur für den Einheitsplan Spinolas einen geläuterten Katholizismus darstellen, in welchem das Grobmissbräuchliche ausgeschieden sei.116 In Kiefls Leibnizbild spiegelt sich die Geschichte des intellektuellen Katholizismus seiner Zeit. Kiefl, spekulativ hochbegabt, war von Anfang an ein Vertreter der von ihm als philosophia perennis bezeichneten aristotelisch-thomistischen Philosophie. Bei allem Eintreten für seinen verketzerten Würzburger Kollegen Herman Schell (1850–1906) zeigten sich bei ihm von Beginn an apologetische Tendenzen (Hausberger 2003, 361–372). 117 Als die historische Bibelkritik das Christentum in seinen Augen in eine von allen objektiven Dogmen entleerte subjektive Gefühlsreligiosität zu verwandeln drohte, wurde er zum entschiedenen Antimodernisten und Rechtskatholiken (Hausberger 2003, v.a. 232–243). In Leibniz und dessen verinnerlichten, durch philosophische und historische Vernunft essentialisierten Christentum konnte er nur noch den Feind sehen, der in Aufklärung, liberaler und modernistischer Theologie in seiner Gegenwart die objektive Wahrheit des Offenbarungsglaubens bedrohe: „Die Idee des Leibniz ist unvereinbar mit dem ehrlichen Begriff des Offenbarungsglaubens“, so Kiefl (Kiefl 1903a, XIV). So erklärt sich seine Tendenz, bei aller historischen Gelehrsamkeit und sy  114 Vgl.: „... als man wohl selten einen so konsequenten, stufenweisen Rückzug finden wird, wie er sich in der Position des Leibniz in diesem Streite beobachten lasse.“ Kiefl 1903a, 110. 115 Ebd., 14, 28. – Die Auseinandersetzung wird von Kiefl im zweiten Teil der Arbeit minutiös analysiert. Nach ihm wird Leibniz gezwungen, mit der Ökumenizität des Tridentinums letztlich auch die faktische Katholizität der katholischen Kirche zu negieren, so dass Leibniz de iure zwar von einer solchen Kirche sprechen, sie aber in keiner historischen Realisation mehr finden könne. Damit hebe sich der Begriff der Katholizität aber selber auf. Vgl. Kiefl 1903a, 106–202, v.a., 150–152. 116 Kiefl 1903a, 233–240, wo Kiefl die Schrift auf das Jahr 1694 datieren möchte. 117 Zu seiner Würzburger Zeit und den Streit um Schell, ebd., 31–121.

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stematischen Durchdringungskraft, den theologisch-ökumenischen Ansatz des Leibniz von Grund auf für verfehlt zu halten. 3.5. Leibniz im theologischen und ökumenischen Aufbruch im 20. Jahrhundert Obwohl im 19. Jahrhundert das katholische Interesse an Leibniz nicht abgeebbt ist, haben sich doch die Schwerpunkte merklich verschoben. Stand zu Beginn vor allem die Frage im Raum, ob Leibniz nicht ein Katholik, ein Kryptokonvertit gewesen sei, wurde diese interessierte Inanspruchnahme im Laufe der Zeit aufgegeben. Leibniz war deshalb vor allem Philosoph, Vertreter einer rationalen Theologie, auf die man positiv rekurrieren konnte, aber er war – so nun die Mehrheitssicht – kein offenbarungsgläubiger Christ im traditionellen Sinn. Die Stimme Pichlers blieb hier eine Außenseitersicht, deren Rechtgläubigkeit strengkirchlichen Kreisen selbst suspekt war. Ein Spiegel dieser Entwicklung ist die enzyklopädische Beschäftigung mit ihm. In der ersten Auflage des Kirchenlexikons nahm um die Jahrhundertmitte die Diskussion um Leibniz’ Katholizität den größten Raum ein (Münst 1851). Katholisch im kirchlichen Sinne, so musste man aber zugeben, war Leibniz nicht. Er sei Katholik „in seinem Sinne“ (Münst 1851, 425) gewesen, also im Sinne einer rationalen, philosophischen und umfassenden Liebesreligion. Die dahinter stehende Philosophie hatte der Verfasser des Artikels, der Ehinger Gymnasialprofessor Matthäus Münst (1823–1892) aber in der Tübinger Theologischen Quartalschrift kurz vorher als verkappten Spinozismus kritisiert (Münst 1849). Die Frage, ob Leibniz katholisch gewesen sei, klingt vierzig Jahre später beim Düsseldorfer Gymnasialdirektor Karl Kiesel (1812–1903) dann nur noch indirekt an, wenn der Grund für das Scheitern seiner Unionsverhandlungen in der zu politischen und damit zu wenig religiösen Herangehensweise ausgemacht wird (Kiesel 1891, Sp. 1672 f.). Ähnlich die Perspektive des Kirchlichen Handlexikons, nach dem die Einigung der Kirchen für Leibniz eher ein politisches als ein innere Bedürfnis gewesen ist, da er religiös über den Rationalismus nicht hinausgekommen sei (Pohle 1912). So galt auch das Interesse des „Lexikons für Theologie und Kirche“ im 20. Jahrhundert vorwiegend dem Philosophen Leibniz, auch wenn der Innsbrucker Jesuit Bernhard Jansen (1877–1942) ihm zugestand, dass er gläubiger Protestant gewesen sei (Jansen 1934, Sp. 463). Da er aber „das Glaubens- u. Auktoritätsprinzip“ (Jansen 1934, Sp. 461) nicht anerkannt habe, war Leibniz für ihn kein Katholik und somit letztlich auch kein offenbarungsgläubiger Christ, was mit dem Profestantismusbegriff des Jesuiten offensichtlich durchaus vereinbar war. In der zweiten Auflage des Lexikons beschränkte sich der Leibniz-Artikel von Johann Fischl (1900–1996) dann ganz auf seine Philosophie (Fischl 1961); erst Hans Poser in der dritten Auflage berührt auch die Unionsverhandlungen wieder (Poser 1997). Diese Verschiebung des Interesses war wohl der Hauptgrund, dass Leibniz in der erwachenden ökumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts zunächst auch katholischerseits nur vereinzelt rezipiert wurde. Als Zeuge für eine philosophische

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theologia rationalis blieb er von Interesse; und dieses Interesse musste zunehmen, wo die traditionelle neuscholastische Grundlegung des katholischen Glaubens fragwürdig wurde. Diese Tendenzen kulminierten in der Modernismuskrise: Der Fortschritt in der Anwendung der historisch-kritischen Methode auf die Bibel machte immer klarer, dass die traditionelle Sichtweise auf Inspiration und Irrtumslosigkeit der Hl. Schrift, auf ihre Entstehung und auf den Zusammenhang zwischen Jesus und dem sich formierenden Christentum, nicht haltbar war und modifiziert werden musste. Auch die traditionelle Begründung für das Ergangenseins einer Offenbarung über Wunder und erfüllte Prophezeiungen wurden dadurch in Frage gestellt. Versuche katholischerseits, sich dieser Problematik zu stellen, gerade durch die Anwendung der historischen Bibelkritik die spätere Kirchen- und Dogmenbildung zu legitimieren und die Offenbarung durch ihren Bezug auf die immanente Finalität des menschlichen Geistes zu rechtfertigen, wurden im Pontifikat Papst Pius’ X. aber scharf als „Modernismus“ verurteilt und verfolgt. Prominentestes Opfer dieser päpstlichen Kampagne in Frankreich war der Exeget Alfred Loisy (1857–1940). Er inspirierte einen Philosophen und Religionshistoriker, der schließlich seinen Lehrstuhl am Collège de France erhielt, Jean Baruzi (1881–1953). 1907 erschien dessen Werk „Leibniz und die religiöse Verfassung der Welt“. Seine grundlegende These war, dass den vielfältigen Aktivitäten des Leibniz eine religiöse Motivation, die Liebe zu Gott, zu Grunde liege. Neben Loisy (etwa dessen Deutung des johanneischen Liebesbegriffs) war es dann aber vor allem die Philosophie Henri Bergsons (1859–1941), die den Verstehensrahmen bildete, besonders in der Interpretation der Monade durch Bergsons Erfassen des menschlichen Geistes als nichtverräumlichte durée (Salas 2013, 275–290). Hier wurde ein Anstoß gegeben, die theologische Dimension von Leibniz’ Denken und Handeln ernst zu nehmen, die sich allmählich, wenn auch abgeschwächt, in der Forschung durchgesetzt hat. Es ist so vielleicht kein Zufall, dass im 20. Jahrhundert immer wieder gerade Denker auf Leibniz rekurrierten, die die traditionellen, neuscholastisch geprägten Denk- und Frömmigkeitsformen aufbrechen wollten. In diesen Kontext ist wohl auch das kleine Bändchen des Athanasius (Ludwig) Wintersig (1900–1942) einzuordnen, ein wirkmächtiger Vertreter der Liturgischen Bewegung, der zunächst Benediktiner in Maria Laach war, dann aber nach erfolgter Eheschließung seinen Lebensunterhalt als freier Schriftsteller bestreiten musste (Winterswyl 1939). Nach dem II. Weltkrieg gab der linkskatholische Wiener Intellektuelle Friedrich Heer (1916–1983) einen Band mit Texten Leibniz’ heraus, die diesen als Kronzeugen gegen Materialismus und Atheismus erschloss (Heer 1958; Vgl. auch: Adunka 1995, 451, 526). Die theologischen und spirituellen Aufbrüche nach 1918 waren eine der Wurzeln für die Neuausrichtung der römisch-katholischen Kirche im II. Vatikanischen Konzil (1962–1965). Erst dessen Öffnung hin zur Ökumene ließ auch den Reunionsbemühungen des Leibniz wieder neue Aktualität zukommen. Einen solchen Zusammenhang sah explizit Hans Pfeil (1903–1997), ein aus Freiburg stammender Priester, der an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Bamberg Philosophie lehrte. Die Reformen des Konzils seien von den besten Kräften der

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Vergangenheit bereits ersehnt worden, namentlich von Leibniz. Pfeil nennt sein Bemühen um die Einigung der Christenheit, um die Versöhnung von Glauben und moderner Wissenschaft und um die Missionierung der Nichtchristen, was jeweils vom Konzil ähnlich vertreten worden sei (Pfeil 1969). Dass Leibniz in seinem Bestreben, das Europa und die Kirche von morgen zu bauen, gleichsam zu früh geboren worden ist, so dass sein Ideal den Späteren zur Verwirklichung aufgegeben ist, vertrat auch der katholische Philosoph Jean Guitton (1901–1999), der sich um die Aussöhnung zwischen Glauben und moderner Wissenschaft bemühte und eine christliche Philosophie neu begründen wollte (Guitton 1969, hier 45). Das neu erwachte Interesse an den Reunionsbestrebungen des Leibniz ließ diese jedenfalls neu zu einem Gegenstand der Forschung werden. Seit 1960 lehrte der Jesuit Peter Henrici (geb. 1928) an der päpstlichen Universität Gregoriana neuere Philosophiegeschichte und suchte diese für das katholische Denken fruchtbar zu machen. Henrici, der 1993 zum Weihbischof von Chur ernannt wurde, ist vor allem ein bedeutender Kenner des Denkens Maurice Blondels. Doch beschäftigte er sich auch mit Leibniz. Analysiere man dessen Position in den Verhandlungen mit Katholiken auf ihre philosophischen Voraussetzungen, so erkenne man, dass Leibniz philosophisch eine rein rationale Metareligion deduziert habe, die in der Liebe zu Gott ihre Substanz habe, in der alle christlichen Konfessionen übereinstimmen müssen. So sei es kein Zufall gewesen, dass dieses Unionswerk an den historischen konkreten Konfessionen gescheitert ist, da hermeneutisch gesehen der von Leibniz prätendierte überhistorische Standpunkt unmöglich sei, da jedes Nachdenken immer seinen Ausgangspunkt von einem sozial und historisch bedingten Standpunkt nehme, den es so weit wie möglich aufzuhellen gelte (Henrici 1968). Diese Perspektive prägt dann auch eine Dissertationsschrift, die von Henrici betreut wurde und Hans Friedrich Werling zum Verfasser hat (Werling 1977). Leibniz habe sich als Herold eines Kampfes „gegen Atheismus, Unvernunft und Willkür“ verstanden, denen er die „wahre natürliche Theologie“ entgegen stellen wollte, die auch die Grundlage der Wiedervereinigung der Konfessionen sein müsse (Werling 1977, 133). Er glaubte als Instrument für die Versöhnung die ars characteristica zu besitzen, die helfen könne, noch bestehende Gegensätze zu überwinden (Werling 1977, 136). Werling glaubt, hier Henrici ein Stück weit folgend, die Schwäche dieses Friedensplans deshalb darin ausmachen zu können, dass Leibniz nicht gesehen habe, dass die Spaltung meist aus anderen als rationalen Gründen erfolgt sei, so dass er die Einflussmöglichkeiten der Ratio zu deren Überwindung überschätzt habe (Werling 1977, 138.). Einer der führenden Ökumeniker im deutschsprachigen Raum war auf katholischer Seite der Fundamentaltheologe Heinrich Fries (1911–1981). Nach seinen Studien in Tübingen erhielt er im Jahr 1958 den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie an der Universität München, wo er – eng verbunden mit der Una sanctaBewegung – 1964 ein „Ökumenisches Institut“ gründete. Nachdem drei Jahre später in München auch eine evangelisch-theologische Fakultät errichtet worden war, fanden regelmäßig mit Wolfhart Pannenberg (1928–2014) ökumenische Oberseminare statt, aus denen zahlreiche Promotionen hervorgingen und viele Nachwuchsforscher ökumenisch geprägt wurden. Einer von ihnen war der Palloti-

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nerpater Paul Eisenkopf (1939–2003)118, der 1973 mit der Arbeit „Leibniz und die Einigung der Christenheit“ promoviert wurde (Eisenkopf 1975). Seither lehrte er an der Pallotinerhochschule in Vallendar und war ganz vom Aufbruch durch das Konzil geprägt. Er setzte sich für die christlich-jüdische Verständigung ebenso ein wie für die Ökumene, zu der er auch mit seiner Dissertationsschrift einen Beitrag leisten wollte. Nach einem einführenden Teil analysiert Eisenkopf Leibniz’ Unionsbemühungen systematisch, nämlich nach den theologischen Überzeugungen und dem Kirchenbild, das ihnen zugrunde liegt; nach den Methoden der ökumenischen Verständigung, die Leibniz entwickelt hat und schließlich nach den damals diskutierten einzelnen Sachfragen und Problemkomplexen. Ein Schlusskapitel ist ausdrücklich mit „Leibniz und wir“ überschrieben (Eisenkopf 1975, 225). Leibniz habe einen Begriff von „katholisch“ vertreten, der die konkrete sichtbare römischkatholische Kirche übersteige, was zur damaligen Zeit aber deren Selbstverständnis diametral widerstritten habe. Gerade die katholische Ekklesiologie des 20. Jahrhunderts und das II. Vatikanische Konzil haben hier aber eine Wende gebracht, so dass Leibniz eine neue Aktualität zukomme. Zudem seien seine Pläne damals an politischer Inopportunität, also an der Abhängigkeit des Religiösen vom Politischen gescheitert (Eisenkopf 1975, 222–225). Heute sei der religiöse Sektor sehr viel unabhängiger. So könne Leibniz den neuerwachten ökumenischen Eifer durch seine Theologie und seinen Optimismus befruchten, wenn auch die dogmengeschichtliche Entwicklung seither auch neue Hindernisse mit sich gebracht habe (Eisenkopf 1975, 225–229). 3.6. Schlussfazit Leibniz war über 300 Jahre immer wieder Bezugspunkt für die katholische Theologie, was allein schon für die Bedeutung seines Nachdenkens spricht. Dabei waren seine Metaphysik und seine ökumenischen Bestrebungen jene Teile seines Werks, die im Zentrum des Interesses standen. In Rezeption und Ablehnung flossen dabei stets die späteren Fragestellungen und Positionen der jeweiligen Interpreten ein. Sie waren abhängig vom Stand der editorischen Erschließung seines Werks. Das Reunionsunternehmen rückte immer wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn ökumenische Bestrebungen leitend wurden. Die Metaphysik fand vor allem dann verstärkte Aufmerksamkeit, wenn alternative Denkformen zur herrschenden Schulphilosophie im katholischen Bereich erstrebt wurden. Leibnizedition und Leibnizforschung haben dabei sukzessive die Textgrundlage erweitert und deren Kontextualisierung ermöglicht. Die theologische Leibnizinterpretation hat aber dazu beigetragen, dass heute dessen theologisches Selbstverständnis und die daraus erwachsenden Motivationen wieder klarer und unbefangener vor Augen stehen.   118 http://www.cjgkoblenz.de/index.php/paul-eisenkopf-preis

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4. VERSUCH EINER ZUSAMMENSCHAU Ulrich Becker, Hartmut Rudolph, Klaus Unterburger Die Rezeption im protestantischen Bereich bezieht sich bereits im 18. Jahrhundert vornehmlich auf Leibniz’ Metaphysik, bzw. natürliche Theologie. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass bis in das 19. Jh. hinein nur wenige Schriften und Korrespondenzen zugänglich waren (vgl. oben Abschnitt A). Auch die Zeugnisse der ökumenischen Bemühungen von Leibniz waren nur in begrenztem Ausmaß bekannt. Beide Bereiche sollten die Rezeption durch die Theologie sowohl auf katholischer wie auf protestantischer Seite inhaltlich bestimmen. Die Diversifizierung, wie sie die protestantische Theologie im 18. Jh. erfahren hat (Übergangtheologie, Orthodoxie, Pietismus, Neologie), schlägt sich in dem von schroffer Ablehnung des Leibnizʼschen Rationalismus in Teilen der Orthodoxie und des Pietismus bis hin zur Ausbildung einer Vernunftreligion in der Neologie reichenden Spektrum nieder. Katholischerseits erfolgte eine relativ breite, wenn auch selektive Rezeption methodischer und inhaltlicher Elemente von Leibniz’ Metaphysik vor allem vermittelt durch die Philosophie Christian Wolffs. Sie bot sich als Referenzrahmen für Theologen und katholische Denker an, die an der Begründung einer natürlichen Theologie und der übrigen praeambula fidei interessiert waren, denen die traditionelle aristotelische Philosophie aber als veraltet und in Widerspruch zu zahlreichen modernen Einsichten in die Gesetzlichkeiten der Natur stehend galt. Vielfach war diese Rezeption dabei aber eklektisch, indem sie scholastische Annahmen und Methoden mit Anregungen durch Leibniz kombinierte. In diesem Umstand spiegelt sich der eher gemäßigte Charakter der sogenannten Katholischen Aufklärung. Zwar entwickelten sich aus dem Katholizismus heraus auch radikal rationalistische Positionen, die freilich selten ein Heimatrecht an den theologischen Fakultäten gefunden und in der Regel mit der Kirche schließlich gebrochen haben. Der weniger radikale Hauptstrom der kirchentreuen katholischen Aufklärung verfolgte dafür häufig auch irenische Projekte. Einer ihrer Vordenker, der Michelfelder Abt Maximilian Prechtl, widmete sich dabei explizit den Verhandlungen des Leibniz und des Molanus mit Bischof Bossuet, auch wenn er Leibniz selbst der politischen Taktiererei verdächtigte. Leibniz als Ireniker stieß aber auch bei radikal antiaufklärerischen Strömungen im Katholizismus auf Interesse, die nie ganz verschwunden waren, die aber insbesondere durch die Erfahrungen der französischen Revolution erstarkten. Hier sollte Leibniz in antiprotestantischer Stoßrichtung als Zeuge für die katholische konfessionelle Wahrheit und damit als prominenter, wenn auch geheimer Konvertit enttarnt werden. Beeinflusst von Frankreich und dem Elsass waren es vor allem die Theologen um das Mainzer Seminar, die dies zu Beginn des 19. Jahrhunderts propagierten. Dem eigentlichen, irenischen Anliegen und der ökumenischen Methode des Leibniz stand diese Sichtweise dabei fern. Die wenigen Reminiszenzen auf protestantischer Seite im späteren 18. und im 19. Jahrhundert betreffen lediglich die Bemühungen von Leibniz (und Jablonski) als solche, es fehlt jedoch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Leibniz’ ökumenischer Methode. Allerdings

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sahen sich protestantische Theologen zum Widerspruch gegen Versuche innerhalb der katholischen antiaufklärerischen Theologie genötigt, den Ökumeniker Leibniz als Kryptokatholiken oder Parteigänger des Katholizismus in Anspruch zu nehmen. Im Gegensatz zur katholischen Theologie hat es in der protestantischen Ökumenik kaum einen erkennbaren Rekurs auf Leibniz’ ökumenische Theologie gegeben. Wohl aber setzt sich der im 18. Jahrhundert in nahezu allen theologischen Schulen festzustellende Rückbezug auf Leibniz’ Metaphysik, wenn auch nicht mehr in solcher Breite, im 19. und 20. Jahrhundert fort. Dabei wird trotz der philosophischen Verteidigung durch Johann Gottfried Herder der christliche Philosoph einerseits im Schatten der Kantischen Philosophie, des Idealismus und des aufgekommenen Subjektivismus etwa eines Schleiermacher oder auch der Tholuckschen Vermittlungstheologie, sodann vom Vater der Dialektischen Theologie, Karl Barth, und im sogenannten Jungluthertum zumeist sehr kritisch rezipiert und als Gegenwurf zum eigenen theologischen Konzept mit dem Ziel der Herausarbeitung und Präzisierung der eigenen Position herangezogen. Andererseits wandten sich führende Vertreter der liberalen Theologie, vor allem Ernst Troeltsch, nach dem 2. Weltkrieg Carl Heinz Ratschow, der natürlichen Theologie von Leibniz zu und gewannen aus ihr durchaus positive Aspekte. Auch in der jüngsten protestantischen systematischen Theologie fehlt es nicht an Beispielen ernsthafter Auseinandersetzung mit dem Leibnizʼschen Versuch, Theologie und Vernunft zu versöhnen. Die katholische Theologie wurde im 19. Jahrhundert auf der einen Seite immer mehr vom Siegeszug der historischen Methode erfasst. Auf der anderen Seite wurde gerade in der zweiten Jahrhunderthälfte immer stärker bewusst an die mittelalterliche Scholastik angeknüpft, meist mit antimoderner und antisubjektivistischer Stoßrichtung. Dort, wo man sich nicht ganz einseitig und exklusiv nur auf Thomas von Aquin bezog, konnte man auch unter diesen Vorzeichen positiv auf Leibniz rekurrieren, da dieser als Zeuge einer überzeitlichen metaphysischen Tradition verstanden wurde, von der erst Kant zu Unrecht behauptet habe, sie sei von ihm überwunden worden. Freilich gab es auch Gegenströmungen gegen die neuscholastische, ultramontane und antimoderne Neuorientierung von Theologie und Kirche im Pontifikat Papst Pius’ IX. Ein wichtiger Kristallisationspunkt des Protests gegen diese Verengung war der angesehene Münchener Kirchenhistoriker Ignaz Döllinger, dessen Schüler Aloys Pichler Leibniz’ Theologie in ihrer Gesamtstruktur darstellen wollte. Leibniz war ihm Kronzeuge einer ökumenischen, deutschen Theologie, einer altkatholischen Tradition, deren innere Wahrheit ihm durch den Parteigeist des Papalismus und Ultramontanismus bedroht erschien. Leibniz war hier Exponent einer überkonfessionellen, vorultramontanen Tradition. Mitunter hat man diese theologischen Minderheitenströmungen, für die Döllinger stand, auch als „liberalen Katholizismus“ bezeichnet. Erst im Umkreis des Zweiten Vatikanischen Konzils und der damals erfolgten ökumenischen Öffnung der katholischen Kirche wurde das Interesse an den ökumenischen Versuchen des Leibniz’ breiter. Die grundlegende Arbeit von Paul Eisenkopf entstand etwa nach dem Konzil genau in diesem für die gegenwärtige Ökumene aufgeschlossenen Umfeld.

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Auch in Fragen einer philosophischen Grundlegung der Theologie konnte Leibniz für katholische Denker in dieser Zeit bedeutsam werden, die nach Alternativen zu dem seit Papst Leo XIII. auch lehramtlich propagierten Thomismus suchten. Der Rekurs auf ihn war so von zwei unterschiedlichen Prämissen aus möglich: von der neuscholastischen Annahme einer metaphysischen, überzeitlichen philosophia perennis aus konnte Leibniz als deren letzter Zeuge in Anspruch genommen werden; von Kritikern der Neuscholastik konnten hingegen gerade dessen Monadenlehre und dessen Kritik an supranaturalistischen Theologiekonzepten Anknüpfungspunkte werden. Franz Xaver Kiefl vereinte solche Gegensätze in gewisser Weise in seiner eigenen Person: Er stand Leibniz als Metaphysiker und als Vertreter eines „deutschen“ Denkens mit Sympathien gegenüber und erforschte mit historischer Akribie dessen Unionsverhandlungen mit katholischen Gesprächspartnern. Auf der anderen Seite kritisierte Kiefl die Zuordnung von Vernunft und Glaube bei Leibniz, der letzteren in erstere aufzulösen drohe, so dass sein Denken letztlich der neuzeitlichen Negation des Offenbarungsglaubens den Weg bereite; so galten Kiefls Sympathien nicht Leibniz, sondern seinen katholischen Gesprächspartnern, besonders Bischof Bossuet. In den letzten Jahren wendet sich auch die Leibnizforschung allgemein – gestützt auf den Fortgang der Akademie-Ausgabe – verstärkt den theologischen Fragestellungen innerhalb seines Werks zu. Das Potential, das sein Denken für die gegenwärtige Theologie bereitstellt, ist aber von dieser nur vereinzelt erfasst worden. So hat sich die moderne ökumenische Bewegung weitgehend eigenständig und ohne historischen Rekurs auf Leibniz entwickelt. Wichtige methodische und inhaltliche Einsichten und Modelle gegenwärtiger ökumenischer Debatten finden sich schon bei ihm, etwa die Klärung konfessioneller Kontroversen durch historische oder philosophische Analyse, die Differenzierung von Kontroverspunkten in notwendig kirchentrennend oder nicht kirchentrennend, die Konzeption versöhnter Verschiedenheit, die vorläufige Anerkennung der Ämter und die Möglichkeit der wechselseitigen Integration der Amtsträger, die Einigung auf Fundamentalartikel, auf die aufbauend ein künftiges Konzil weitergehende Konsense erzielen kann. Ähnliches Potential würde seine philosophische Durchdringung der christlichen Glaubenslehren bieten. Die editorischen Grundlagen für eine neue theologische Rezeption seines Denkens werden immer besser; sie muss nur noch vollzogen werden. BIBLIOGRAPHIE Adunka 1995 – Evelyn Adunka: Friedrich Heer (1916–1983). Eine intellektuelle Biographie, Innsbruck/Wien 1995. Aner 1929 – Karl Aner: Die Theologie der Lessingzeit, Halle 1929. Antognazza 1999 – Maria Rosa Antognazza: Trinità e Incarnazione. Il rapporto tra filosofia e teologia rivelata nel pensiero di Leibniz, Mailand 1999. Antognazza 2001 – Maria Rosa Antognazza: Natural and Supernatural Mysteries. Leibniz’s Annotatiunculae subitaneae on Toland’s Christianity Not Mysterious, in: Poser et. al. 2001, 1. Teil, 17–24.

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Reinbeck 1731–1747 – Johann Gustav Reinbeck (fortgesetzt von Israel Gottlieb Canz): Betrachtungen über die in der Augspurgischen Confeßion enthaltene und damit verknüpfte Göttliche Wahrheiten, welche theils aus vernünftigen Gründen, allesammt aber aus Heiliger Göttlicher Schrifft hergeleitet, und zur Uebung in der wahren Gottseligkeit angewendet werden, 9 Teile, Berlin, Leipzig 1731–1747. Reinhardt 1985 – Rudolf Reinhardt: Art. Hefele, Carl Josef, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 14, Berlin, New York 1985, 526–529. Rendtorff 2002 – Trutz Rendtorff: Art. Troeltsch, Ernst (1865–1923), in: Theologische Realenzyklopädie 34, Berlin 2002, 130–143. Ribov 1726 – Georg Heinrich Ribov (Riebow): Fernere Erläuterung der vernünfftigen Gedancken des Herrn Hof-Rath Wolfens von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, wie auch einiger Puncte aus der Sitten-Lehre: Darinnen insonderheit gezeiget wird, daß die bey ihm von Herr D. Langen angefochtenen Puncte mit den Lehren der reinesten Theologorum der Evangelischen Kirche übereinkommen, Frankfurt a.M., Leipzig 1726 [ND in Jean École (Hg.): Christian Wolff. Gesammelte Werke, 3. Abt., Materialien und Dokumente, Bd. 70, Hildesheim 2002]. Ribov 1741 – Georg Heinrich Ribov (Riebow): Institutiones theologiae dogmaticae methodo demonstrativa traditae, Göttingen 1741. Ringleben 1985 – Joachim Ringleben: Die Reden über die Religion, in: Dietz Lange (Hg.): Friedrich Schleiermacher (1768–1834). Theologe – Philosoph – Pädagoge, Göttingen 1985, 236– 258. Ritschl 1886 – Albrecht Ritschl: Geschichte des Pietismus, Bd. 3, Bonn 1886. Rohls 1997 – Jan Rohls: Protestantische Theologie der Neuzeit, Bd. 2: Das 20. Jahrhundert, Tübingen 1997. Rösler-LeVan 2013 – Claire Rösler-LeVan: Negotium Irenicum. L’union des Églises protestantes selon G. W. Leibniz et D. E. Jablonski, Paris 2013. Rudolph 2000 – Hartmut Rudolph: Leibniz und die Chinamission - Kirchengeschichtliche Beobachtungen, in: Li/Poser 2000, 332–344 (in chinesischer Übersetzung, Beijing 2002, 292– 304). Rudolph 2004 – Hartmut Rudolph: Bemerkungen zur kirchengeschichtlichen Einordnung des Leibnizschen Ökumenismus, in: Lewendoski 2004, 35–45. Rudolph 2010 – Hartmut Rudolph: Leibniz, die Religion und die Ökumene, in: Friedrich Johannsen (Hg.): Postsäkular? Religion im Zusammenhang gesellschaftlicher Transformationsprozesse (= Religion im kulturellen Kontext 1), Stuttgart 2010, 175–191. Rudolph 2012 – Hartmut Rudolph: ʻRes publica christianaʼ and ʻcorpus mysticum’. Some Remarks on their Meaning in the Political Thought of Leibniz, in: Stl. 43/1 (2011, erschienen: Stuttgart 2012), 24–35. Rudolph 2013 – Hartmut Rudolph: Leibniz’ Metaphysik im Urteil Karl Barths und in der Schule des Kirchenhistorikers Erich Seeberg, in: Li/Rudolph 2013, 117–128. Rudolph 2017 – Hartmut Rudolph: Purgatorium und Auferstehung in Leibniz’ Eschatologie, in: Li/Rudolph 2017, 325–340. Salas 2013 – Jaime de Salas: Jean Baruzi’s Ecumenical Vision of Leibniz, in: Li/Poser/Rudolph 2013, 275–290. Schäfer 1966 – Philipp Schäfer: Die Einheit der Kirche in der katholischen Theologie der Aufklärungszeit, in: Georg Schwaiger (Hg.): Zwischen Polemik und Irenik. Untersuchungen zum Verhältnis der Konfessionen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert (= Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts 31), Göttingen 1977, 29–47. Schäfer 1993 – Philipp Schäfer: Die Grundlagen der Aufklärung in katholischen Beurteilungen der Aufklärung, in: Harm Klueting (Hg.): Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland (= Studien zum Achtzehnten Jahrhundert 15), Hamburg 1993, 54–66.

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Ulrich Becker, Hartmut Rudolph, Klaus Unterburger

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Theologie

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Ulrich Becker, Hartmut Rudolph, Klaus Unterburger

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MATHEMATIK – DYNAMIK, PHYSIK, EXPERIMENT – LEBENSWISSENSCHAFTEN – BERGBAU UND GEOLOGIE

MATHEMATIK Eberhard Knobloch 1. QUELLENLAGE Wohl in keiner anderen wissenschaftlichen Disziplin Leibnizens Schaffens gilt dessen Selbstcharakterisierung gegenüber dem Hamburger Juristen Vincentius Placcius vom 21. Februar 1696 so stark wie in der Mathematik: „Wer mich nur durch meine Veröffentlichungen kennt, kennt mich nicht“ („Qui me non nisi editis novit, non novit“) (A II,3 139). Und in der Tat: Von den voraussichtlich dreißig Bänden „Mathematische Schriften“ in Reihe VII der Akademie-Ausgabe von Leibnizens Schriften und Briefen sind seit 1990 erst sechs Bände, also rund zwanzig Prozent der mathematischen Aufzeichnungen erschienen, im 20. Jahrhundert die ersten zwei Bände, im 21. Jahrhundert bisher weitere vier. Vom zugehörigen Briefwechsel mit Mathematikern innerhalb der Reihe III sind es bisher immerhin acht Bände – vier davon erschienen im 20. Jahrhundert, die bis zum Ende des Jahres 1701 reichen. 1.1. Im 18. Jahrhundert Zweiundfünfzig Jahre nach Leibnizens Tod erschien die sechsbändige Genfer Opera omnia-Ausgabe von Louis Dutens. Sie hat das große Verdienst, die mathematischen Veröffentlichungen von Leibniz im dritten Band leicht zugänglich gemacht zu haben, eine Tatsache, die in der verdienstvollen Ausgabe der deutschen Übersetzung der mathematischen Zeitschriftenartikel von 2011 fast vollständig unerwähnt gelassen wird (Leibniz 2011, 491–499). Dutens berücksichtigte auch Leibnizens wahrscheinlichkeitstheoretischen Aufsatz über ein Würfelproblem aus dem Jahre 1690 (Leibniz 1690; Dutens III, 237–239), den Karl Immanuel Gerhardt in seiner Ausgabe der mathematischen Schriften von Leibniz (GM) knapp hundert Jahre nach Dutens übersehen hat. Leibnizens mathematischen Nachlass ließ freilich Dutens unberücksichtigt. Ein Opus war für ihn eine veröffentlichte Schrift. 1.2. Im 19. Jahrhundert An dem Befund, dass der weitaus größte Teil der mathematischen Schriften und ein großer Teil des mathematischen Briefwechsels bis heute unbekannt, also unerforscht, weil unveröffentlicht geblieben sind, ändern auch die bis 1923, also bis

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zum Beginn der Akademie-Ausgabe erschienenen Einzelveröffentlichungen und Auswahlausgaben des 19. Jahrhunderts vor allem von Gerhardt nichts. Dieser hat dennoch das Verdienst, in den Jahren 1846 bis 1899 zum ersten Mal die Briefwechsel mit vierzehn Mathematikern und Dutzende von mathematischen Studien aus Leibnizens Nachlass in einer siebenbändigen Ausgabe (GM) herausgegeben zu haben, den er mit finanzieller Unterstützung der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Hannover studierte. Darüber unterrichtet ausführlich der Aufsatz von Heß (Heß 1986a). Die Briefwechsel betrafen die Brüder Jakob und Johann Bernoulli, den Abbé Gallois, Vitale Giordano, Guido Grandi, Jacob Hermann, Christiaan Huygens, den Marquis de l’Hospital, Isaac Newton, Henry Oldenburg, Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, Pierre Varignon, John Wallis, Christian Wolf(f) und Bernardino Zendrini. Von den nachgelassenen Schriften interessierten Gerhardt vor allem die Aufzeichnungen zur Erfindung des Calculus, aber auch zur Algebra. 1846 erschien u.a. die Historia et origo calculi differentialis (Ravier 1937, Nr. 583; GM VII, 392–410), in der Leibniz die Geschichte seiner Erfindung der Differentialrechnung darlegt. Zwei Jahre später erschien seine Monographie Die Entdeckung der Differentialrechnung durch Leibniz (Ravier 1937, Nr. 601), der er neun als Beilagen bezeichnete, von ihm erstmalig edierte Studien zur Lösung von Differentialgleichungen und zur Integralrechnung beigab. Zahlreiche weitere Dokumente aus der Leibniz’schen Entdeckungsphase des Calculus vom Herbst 1675 folgten 1851 und 1855 (Ravier 1937, Nr. 604–605, 619), insbesondere die mehrteilige Analysis tetragonistica ex centrobarycis, aber auch kürzere Studien zur Quadratura arithmetica circuli, ellipseos et hyperbolae (Ravier 1937, Nr. 618), wenn auch noch nicht die umfangreiche, ausgearbeitete Schrift dieses Titels. In der Regel hat Gerhardt diese Erstveröffentlichungen wenig später erneut, mitunter sogar mehrfach, in anderen Sammelwerken (Gerhardt 1855), in GM oder in der Neubearbeitung des Briefwechsels mit Mathematikern (Leibniz 1899) veröffentlicht. Für den Prioritätsstreit zwischen Newton und Leibniz war besonders Gerhardts Aufsatz Leibniz in London (Gerhardt 1891a) interessant, da er darin u.a. auszugsweise Leibnizens im Oktober 1676 entstandenen Exzerpte aus Newtons De analysi per aequationes numero infinitorum infinitas wiedergab. 1863 (GM VII, 7–8 Anm.) und 1891 ( Ravier 1937, Nr. 750) erschienen (Teil)Editionen von vier Studien zur Determinanten-Theorie, die freilich bis zum Ende des 20. Jahrhunderts weitgehend unbekannt blieben. Wer etwas von der Determinanten-Theorie bei Leibniz wusste, stützte sich in der Regel auf Leibnizens berühmten Brief an den Marquis de l’Hospital vom 28. April (8. Mai) 1693 (GM II, 239–241), der auch nicht ansatzweise die Kenntnisse verrät, die Leibniz zu diesem Zeitpunkt von der zugrunde liegenden Thematik hatte. Ende des 19. Jahrhunderts erschien die erste französische Übersetzung der Erstveröffentlichung von Leibnizens Differentialkalkül (Mansion 1884; 1887).

Mathematik

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1.3. Im 20. Jahrhundert Gerhardt hat mit GM den ersten größeren Versuch unternommen, wenigstens ausgewählte Stücke auf dem umfangreichen mathematischen Nachlass Leibnizens zu veröffentlichen. Seine Ausgabe ist trotz mancher Mängel bis heute unentbehrlich. Übersetzungen hat er seinen Editionen nie beigegeben. Nicht lange nach seinem Tode im Jahre 1899 änderte sich diese Situation, ohne dass zunächst neue Originaldokumente ediert wurden. Anfang des 20. Jahrhunderts gab Gerhard Kowalewski eine deutsche Übersetzung von acht Aufsätzen Leibnizens zur Analysis des Unendlichen aus den Jahren 1684 bis 1710 heraus, insbesondere der Erstveröffentlichung des Differentialkalküls, der Nova methodus (Kowalewski 1908). Im Laufe des Jahrhunderts folgten italienische (Carruccio 1927, 1938; Dupont, Roero 1991), englische (Struik 1969, 272–280), russische, slowakische und spanische Übersetzungen (Nachweis bei Heß 1986b, 79). Im Anhang zu seinem Aufsatz edierte Heß fünf Vorstudien zur Nova methodus. Von 1916 bis 1918 veröffentlichte James Marc Child in The Monist englische Übersetzungen mit kritischen Kommentaren der wichtigsten, von Gerhardt edierten Dokumente Leibnizens zur Frühgeschichte der Differentialrechnung, darunter die Historia et origo calculi differentialis. 1920 fasste Child diese Übersetzungen in der Monographie The early mathematical manuscripts of Leibniz zusammen (Child 1920). Auf diese Weise trug er erheblich zur Rezeption der Leibniz’schen Mathematik im angelsächsischen Bereich bei, auch wenn er Gerhardt hart kritisierte. Gerhardt habe höchst unpassend Leibniz gegen den Vorwurf verteidigt, von Newton abhängig zu sein. Child wies zwar diesen Vorwurf vehement zurück, hielt aber die sogenannte Barrow-Hypothese für richtig, nach der wesentliche Elemente des Leibniz’schen calculus in den Lectiones Barrows enthalten seien. Seine algorithmischen Methoden gehörten dagegen Leibniz ganz allein. Leibniz sei vertrauenswürdig, wenn es um den allgemeinen Lauf der Ereignisse gehe, nicht aber, wenn unwichtige Details zu beurteilen seien (Child 1920, 228 f.). In Wahrheit war die Kenntnis des mathematischen Nachlasses Leibnizens für eine zutreffende Würdigung des Sachverhalts zu diesem Zeitpunkt noch zu gering. Eine neue überaus wichtige mathematische Schrift Leibnizens wurde von Dietrich Mahnkes Schülerin Lucie Scholtz 1934 durch einen Teildruck zugänglich gemacht, Leibnizens längste mathematische Abhandlung De quadratura arithmetica circuli ellipseos et hyperbolae cujus corollarium est trigonometria sine tabulis von Juni bis September 1676 (Scholtz 1934). Gerhardt hatte ja bis dahin nur die zugehörige Praefatio und das Compendium quadraturae arithmeticae davon veröffentlicht, also nur die 51 Sätze (Ravier 1937, Nr. 618; GM V, 93–98, 99– 112), beweislose Texte, die den Reichtum der Gedanken und deren Bedeutung nur unzureichend ahnen ließen. Tatsächlich handelt es sich um eine programmatische Schrift zur exakten Grundlegung der Infinitesimalgeometrie mit entscheidenden Aussagen zum Umgang mit dem unendlich Kleinen und dem Unendlichen. Die erste vollständige, kommentierte Edition dieser Abhandlung erschien erst 1993 (Leibniz 1993).

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Das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts war für die Erschließung neuer nachgelassener, mathematischer Texte von besonderer Bedeutung. 1976 erschien nicht nur der erste Band der Reihe III der Akademie-Ausgabe, also des Mathematischnaturwissenschaftlich-technischen Briefwechsels aus der Pariser Zeit (1672– 1676). 1976 wurde auch die Reihe VII mit den mathematischen Schriften begründet, deren ersten beiden Bände 1990 bzw. 1996 mit den 226 nachgelassenen Studien zur Geometrie, Zahlentheorie und Algebra der Pariser Zeit erschienen. Weitere Editionsbände galten bestimmten mathematischen Themengruppen. Bereits 1973 hatten zwei Monographien zur Kombinatorik (Knobloch 1973) bzw. Dyadik Leibnizens (Zacher 1973) drei bzw. 28 unbekannte Stücke zu diesen Disziplinen erstmalig veröffentlicht, denen 1976 ein Abhandlungsband mit sechzig Leibniz’schen Untersuchungen zur Kombinatorik folgte (Leibniz 1976a). Die gleichzeitige lateinisch-deutsche Edition des Dialogs zur Einführung in die Arithmetik und Algebra erschloss Leibnizens Versuch, die Richtigkeit der platonischen Wiedererinnerungslehre am Beispiel der Arithmetik und Algebra in einem Dialog vorzuführen (Leibniz 1976b). Schon 1972 war die wichtigste Untersuchung Leibnizens zur Determinantentheorie erschienen (Knobloch 1972), in der Leibniz die Cramer’sche Regel zur Lösung inhomogener, linearer Gleichungssysteme formuliert. Zwei Jahre später folgte eine interessante Studie zur Eliminationstheorie (Knobloch 1974), 1980 schließlich ein Band mit 66 bedeutenden Stücken zur Determinanten- und Eliminationstheorie (Knobloch 1980). Einzelne Erstdrucke zur Wahrscheinlichkeitstheorie und deren Anwendungen erschienen 1957 dank Kurt-Reinhard Biermann und Margot Faak (Heinekamp 1984, Nr. 1685), 1986 dank Maria Sol de Mora Charles (Mora Charles 1986). 1995 kam ein zweisprachiger, lateinisch-französischer Band mit 21 Stücken zu Spielen, Renten, Lotterien heraus, der freilich die Texte sehr fehlerhaft und oft stark unvollständig edierte (Leibniz 1995b). Zwei unbekannte Handschriften über Differentialgleichungen aus der Zeit um 1690 gab Emily Grosholz 1987 heraus (Heinekamp/Mertens 1996, Nr. 322). Zwei Jahre später erschien eine französische Übersetzung von sechsundzwanzig Aufsätzen aus den Acta Eruditorum zum Differentialkalkül (Leibniz 1989). Eine deutliche Verbesserung der Quellenlage erfuhren Leibnizens Aufzeichnungen zur Konzeption einer neuen Geometrie, der geometria characteristica bzw. analysis situs, von denen Gerhardt in den Bänden 5 und 7 von GM nur wenige veröffentlicht hatte. Diese Entwicklung ist hauptsächlich das Verdienst von Javier Echeverría. Der zweite Teil seiner ungedruckt gebliebenen, Pariser Dissertation aus dem Jahre 1980 bestand aus 37 Erstveröffentlichungen von Stücken aus dem Jahr 1679, die seit 1984 in Mikrofiche-Form zugänglich waren (Echeverría 1979). 1995 erschienen davon dreizehn, um fünf weitere Stücke aus den Jahren 1680 bis 1685 erweitert, zweisprachig mit einer französischen Übersetzung von Marc Parmentier (Leibniz 1995a). Den Abschluss erstmalig edierter, mathematischer Studien aus dem Leibniz’schen Nachlass bildete im 20. Jahrhundert die zweisprachige Edition der fünfzig wichtigsten Schriften Leibnizens zum Thema Versicherungs- und Finanzma-

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thematik und damit angewandten Wahrscheinlichkeitsrechnung, davon vierundzwanzig zum ersten Mal (Leibniz 2000). Diese vierundzwanzig Studien wurden ein Jahr später als Supplement zu A IV,4 in der Reihe Politische Schriften mit kritischem Apparat wieder abgedruckt (A IV,4 623–835). Der einzige, zu Lebzeiten Leibnizens erschienene Aufsatz zum Thema über den einfachen zwischenzeitlichen Zins aus dem Jahre 1683 (Leibniz 1683) hatte nicht einmal ansatzweise ahnen lassen, welche umfangreichen Überlegungen Leibniz zur Berechnung von Pensionen und Leibrenten an Individuen oder Gesellschaften angestellt hatte. In Wahrheit war er, wie sich nunmehr zeigte, ein Wegbereiter der mathematischen Modellierung menschlichen Lebens. Wie auch sonst, insbesondere wie im Falle der geometria characteristica und der Determinanten- und Eliminationstheorie, hatte Leibniz fast nichts von seinen Ergebnissen der Öffentlichkeit mitgeteilt. 1.4. Im 21. Jahrhundert Zwischen 2003 und 2012 erschienen vier weitere Bände der Reihe VII mit 273 Stücken aus der Pariser Zeit, davon 73 zu Differenzen, Folgen, Reihen, 149 zur Infinitesimalmathematik und 51 zur arithmetischen Kreisquadratur. Damit liegen 2015 etwa drei Viertel der mathematischen Studien aus dem Zeitraum 1672 bis 1676 vor, insbesondere alle Aufzeichnungen zur Vorgeschichte der Erfindung der Differential- und Integralrechnung. Die künftige Modularisierung nach thematischen Gesichtspunkten der noch zu edierenden Bände wird dafür sorgen, dass auch die vierzig Jahre nach dem Aufenthalte in Paris schneller als bei einer streng chronologischen Vorgehensweise in den Blick genommen werden können. Dies war bei thematisch homogenen Monographien schon im 20. Jahrhundert der Fall, ein Trend, der sich im 21. Jahrhundert fortsetzte. Vincenzo de Risi gab 2007 im Anhang zu seiner Dissertation Geometry and Monadology einundzwanzig neue Stücke zur analysis situs aus dem Zeitraum 1679 bis 1715 heraus (de Risi 2007). Die Erstedition der Abhandlung über die arithmetische Kreisquadratur erschien 2004 zusammen mit einer französischen Übersetzung von Marc Parmentier (Leibniz 2004), 2007 online zusammen mit einer deutschen Übersetzung von Otto Hamborg (Leibniz 2007), 2016 die zugehörige Buchpublikation (Leibniz 2016). Für die Rezeption waren zwei umfangreiche Übersetzungsprojekte wichtig. 2011 erschien die kommentierte deutsche Übersetzung der Leibniz’schen mathematischen Zeitschriftenartikel (Leibniz 2011), ein Band, der sich auf das zu Lebzeiten Leibnizens publizierte Werk beschränkte. Anders ging die spanische Gruppe um Mary Sol de Mora Charles vor. Die beiden 2014 und 2015 in Granada erschienenen Bände enthalten spanische Übersetzungen einer repräsentativen Auswahl veröffentlichter, vor allem aber auch nachgelassener Aufzeichnungen Leibnizens zu allen mathematischen Gebieten: Dyadik, Determinanten, calculus, characteristica geometrica, Arithmetik und Zahlentheorie, Kombinatorik, Wahrscheinlichkeitstheorie, Spieltheorie, Statistik und Versicherungen (Leibniz 2014– 2015).

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2. EINORDNUNG DER REZEPTION, BILANZ BISHERIGER FORSCHUNG Die unbefriedigende Quellenlage im Falle der Leibniz’schen Mathematik spiegelt sich unmittelbar in der Forschungs- und Sekundärliteratur. Wer nur mit den veröffentlichten Quellen arbeitete, erhielt - und erhält bis auf weiteres - ein schiefes, ja falsches Bild von Leibnizens mathematischen Leistungen. Die kaum übersehbare Fülle einzelner Editionen und wissenschaftshistorischer Veröffentlichungen führt dazu, dass selbst das wenige, bereits Veröffentlichte oder Erkannte nicht gewusst oder gewürdigt wird, zumal sprachliche Hürden den Zugang erschweren und Autoren aus dem angelsächsischen Bereich mitunter dazu neigen, nur englische Übersetzungen der Texte heranzuziehen wie etwa Dennis Joseph Martin oder Graham Solomon in ihren Dissertationen zur analysis situs (Leibniz 1995a, 10). So bemerkte noch 1938 Gerhard Kowalewski trotz der einschlägigen, wenn auch wenigen Veröffentlichungen Gerhardts zur Leibniz’schen Determinantentheorie (Kowalewski 1938, 125): „Merkwürdigerweise hat sich bis jetzt in seinen (sc. Leibnizens) Manuskripten nichts gefunden, was mit Determinanten und ihrer Anwendung zusammenhängt.“ Diese Aussage war durch Gerhardt bereits zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift widerlegt. Bashmakova und Smirnova nennen in ihrer Geschichte der Algebra aus dem Jahre 2000 nur Leibnizens Brief an L’Hospital, den Gerhardt 1850 publiziert hatte, stehen also trotz der zahlreichen Editionen im 19. Jahrhundert zum Thema auf dem Stand von 1850. Bereits 1926 hatte Dietrich Mahnke darauf hingewiesen, dass die immer wiederholte Behauptung, Leibniz habe seiner neuen Rechnung die exakte Grundlage zu geben unterlassen, ganz unberechtigt ist (Mahnke 1926, 61 Anm. 1) und diese Mahnung 1931 wiederholt (Mahnke 1931, 596). Dennoch behauptete Morris Kline noch 1972 (Kline 1972, 384, 387), sogar trotz der Dissertation, die Lucie Scholtz auf Anregung von Mahnke 1934 verfasste, und der damit einhergehenden Teiledition der Quadratura arithmetica circuli ( Ravier 1937, Nr. 881): “Neither Newton nor Leibniz clearly understood nor rigorously defined his fundamental concepts [...] They relied on the coherence of the results and the fecundity of the methods to push ahead without rigor.” Schon der Titel der Dissertation Die exakte Grundlegung der Infinitesimalrechnung bei Leibniz hätte ihn zur Vorsicht mahnen müssen. Eine zutreffendere Würdigung setzte sich erst seit der vollständigen Veröffentlichung im Jahre 1993 (Leibniz 1993) und den daran anschließenden Aufsätzen durch, die die Schrift auswerteten. Davon soll weiter unten die Rede sein (s. Abschnitt 2.6). Im Folgenden soll versucht werden, die wichtigsten Forschungsbeiträge zur Leibniz’schen Mathematik nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu ordnen, ohne dass Vollständigkeit möglich ist oder angestrebt wird.

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2.1. Leibnizens mathematischer Werdegang; der Einfluss anderer Mathematiker, insbesondere auf seine Erfindung des Calculus Ein zentrales Thema der Forschung zur Leibniz’schen Mathematik war im 20. Jahrhundert der Prioritätsstreit und die sogenannte Barrow-Hypothese, also die Behauptung, Leibniz verdanke bei seiner Erfindung des calculus wesentliche Einsichten und Ergebnisse den Lectiones geometricae von Newtons Lehrer Isaac Barrow (s. Abschnitt 1.3). Diese Behauptung hatten bereits Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, Jakob Bernoulli und der Marquis de l’Hospital vertreten. Child glaubte 1920, die Richtigkeit dieser Hypothese nachweisen zu können (Child 1920). Auf Anregung von Heinrich Wieleitner hat Mahnke in einer grundlegenden Untersuchung von 1926 an Hand der damals noch unveröffentlichten, Child nicht zugänglichen Originalhandschriften untersucht, ob diese Behauptung berechtigt war (Mahnke 1926). Das Ergebnis war eine glänzende Bestätigung der Aussagen, die Leibniz selbst in seiner Entdeckungsgeschichte des calculus gemacht hat. Die entscheidenden Anregungen hat er von Blaise Pascal, Honoré Fabri, Grégoire de St. Vincent und Christiaan Huygens erhalten, nicht von Barrow. Dem schlossen sich Joseph Ehrenfried Hofmann nachdrücklich an (Hofmann 1948, 21 f.; 1974, 74-78), später erneut Michael Mahoney (Mahoney 1990, 236–249). Die betreffenden Handschriften liegen seit 2008 in A VII,4 und A VII,5 gedruckt vor. Dennoch wurde das Thema bis in die jüngste Zeit weiterhin kontrovers behandelt. Morchedai Feingold (Feingold 1993) griff ebenso auf Childs These zurück wie erneut Richard Brown (Brown 2012) und Michael Nauenberg (Nauenberg 2014). Charlotte Wahl widerlegte etliche von Feingolds Thesen (Wahl 2011), Siegmund Probst bestätigte im Wesentlichen erneut Leibniz’s Darlegungen (Probst 2011a) und erklärte, warum in diesem wie in ähnlichen Fällen – sein Parallelbeispiel ist Pietro Mengoli – Leibniz nicht auf Vorgänger verweist (Probst 2015): nämlich dann, wenn Leibniz überzeugt war, ein Ergebnis oder eine Methode selbst entdeckt zu haben. Herbert Breger schließlich hob das höhere Abstraktionsniveau der Leibniz’schen Methoden und Ergebnisse gegenüber denen Barrows hervor (Breger 2004). Dem gegenüber kann der Prioritäts- und Plagiatsstreit zwischen Newton und Leibniz spätestens seit den Forschungen von Hofmann, Fleckenstein und Rupert Hall als beigelegt betrachtet werden: Leibniz hat seine Form des calculus unabhängig von Newton erfunden, aber früher veröffentlicht. Hofmann und Fleckenstein haben dazu die erste mathematische Schaffensperiode Newtons untersucht (Hofmann 1943; Fleckenstein 1977). Hofmann hat den mathematischen Werdegang Leibnizens minutiös rekonstruiert (Hofmann 1948; 1974a) und die Beziehungen zwischen Leibniz und Newton genauestens dargelegt (A III,1 XXI– XLVIII). Hall hat die Geschichte dieses Streites von den Anfängen bis ins Jahr 1722 genauestens nachgezeichnet (Hall 1980). Die jüngste, umfassende Darlegung des Streites mit ausführlichen Erklärungen zum mathematischen und persönlichen Kontext beider Kontrahenten gibt Thomas Sonar (Sonar 2016; 2018).

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Zu Leibnizens mathematischem Werdegang gehörte das Studium der Werke anderer Mathematiker. Eine Reihe von Spezialuntersuchungen hat versucht, diesen Aspekt der Leibniz’schen Biographie aufzuhellen. Hierher gehört das Studium der euklidischen Elemente, das Leibniz zu einer eigenen Auffassung von der Beweisbarkeit der Axiome führte (Knecht 1974; Echeverría 1994; Fichant 1998; Giusti 1992), der Werke Blaise Pascals (Gerhardt 1891b; Costabel 1962), von Bombellis Algebra (Hofmann 1972), der Werke von John Wallis (Hofmann 1973), der Descartes’schen Geometrie (Knobloch 2006a; Probst 2011b), der Galilei’schen Discorsi (Knobloch 1999a; 2012a; Levey 2015). Galilei ). war ja nach Leibnizens eigener Einschätzung der für ihn wichtigste Autor in der Geometrie. 2.2. Der wissenschaftliche Umgang mit zeitgenössischen Mathematikern Von besonderem Interesse war und ist Leibnizens Umgang mit zeitgenössischen Mathematikern, wie er sich insbesondere im Briefwechsel mit den betreffenden Personen spiegelt. Die gemeinsamen mathematischen Studien von Leibniz und Tschirnhaus in Paris untersuchten Hofmann und Wieleitner (Hofmann, Wieleitner 1931; Hofmann 1974b), den Einfluss von Huygens auf Leibnizens Denken Henk Bos und Herbert Breger (Bos 1978; Breger 2008). Leibnizens Briefwechsel mit Jakob Bernoulli hat Heß (Heß 1989), mit Johann Bernoulli haben in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht Fritz Nagel (Nagel 1989), in inhaltlicher Hinsicht Knobloch analysiert (Knobloch 2002a). Tatsächlich spielte in diesem umfangreichsten, mathematischen Briefwechsel, den Leibniz geführt hat, der Leibniz’sche Kalkül eine überragende Rolle. 2.3. Leibniz’sche neue Disziplinen 2.3.1. Der Differential- und Integralkalkül Das mit Abstand größte Interesse hat – zu Recht – stets der von Leibniz geschaffene Differential- und Integralkalkül gefunden. Über die Studien zu seiner Entstehungsgeschichte ist im Abschnitt 2.1 berichtet worden. Hier geht es um sein Verständnis, seine mathematischen Grundlagen, Begriffe, Verfahren, die sich bei der Lösung spezieller Probleme bewährten, etwa des von Vincenzo Viviani 1692 gestellten Integrationsproblems (Roero 1990). 1974 veröffentlichte Henk Bos seine grundlegende Arbeit zu Leibnizens Kalkül (Bos 1974). Er untersuchte diesen in seiner ausgearbeiteten Form, wie ihn Leibniz seit den 1680er Jahren publizierte, und betonte die Unterschiede zur Nonstandard-Analysis, wie sie etwa Abraham Robinson unter Bezugnahme auf Leibniz vertreten hat. Sein Thema war das Differential, der Kernbegriff des Infinitesimalkalküls. Zu den Kernaussagen gehörte, dass das Differential eine Variable ist; dass die Differentiation ein Operator ist, der Variablen Variablen zuordnet; dass eine Kurve als ein Polygon aufgefasst werden kann; dass Leibniz zwei Rechtferti-

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gungen für den calculus verwandte: a) die eine bezog sich auf archimedische Exhaustionsbeweise, in denen der Fehler kleiner als jede gegebene Größe gemacht werden kann. Eine unendlich kleine Größe ist kleiner als jede gegebene Größe, also eine variable Größe, wie es ja vom Differential gilt. Da diese Definition unmittelbar in die Epsilontik von Karl Weierstraß übersetzt werden kann, ist in der Literatur auch von der Epsilontik die Rede (Breger 2008, 197). b) Die andere Rechtfertigung bezog sich auf das Stetigkeitsgesetz, wonach Überlegungen mit Symbolen auf Grenzfälle ausgedehnt werden, in denen die Symbole als Fiktionen beibehalten werden können. Tatsächlich hat Leibniz die unendlich kleinen Größen sowohl als gut begründete Fiktionen wie als ideale Elemente, ähnlich den imaginären Zahlen, bezeichnet, ohne zur Existenz solcher Größen in der Wirklichkeit klar Stellung zu beziehen. Von Metaphysik wollte er die Mathematik freihalten. Entsprechend umfangreich ist die Literatur, die sich in kontroverser Weise mit Infinitesimalen, Differentialen, unendlich kleinen Größen bei Leibniz befasst, ein Interesse, das sich seit der vollständigen Veröffentlichung von Leibnizens Abhandlung De quadratura circuli etc. im Jahre 1993 (Leibniz 1993) verstärkt hat. Denn dort gibt Leibniz eine strenge Begründung der Infinitesimalgeometrie mit Hilfe unendlich kleiner Größen im Sinne der erwähnten Epsilontik (Knobloch 2002b). Der Sammelband Infinitesimal Differences von Goldenbaum und Jesseph vereinigte vierzehn Beiträge zum Thema von Richard Arthur, Philip Beeley, Ursula Goldenbaum, Siegmund Probst,. Samuel Levey, O. Bradley Bassler, Emily Grosholz, Eberhard Knobloch, Herbert Breger, Fritz Nagel, Douglas Jesseph, François Duchesneau, Donald Rutherford und Daniel Garber, ohne dass damit die Diskussion um die Fiktionalität und die Charakterisierung des Leibniz’schen Unendlichen als synkategorematisch beendet worden wäre (Goldenbaum/Jesseph 2008). Die unterschiedlichen Interpretationen betreffen sowohl die Existenz der Infinitesimalen, die (angeblich) fehlende Strenge des neuen Kalküls wie die von Bos angeführten zwei Rechtfertigungsstrategien. Hidé Ishiguro erklärte 1990, dass Leibnizens Infinitesimalen logische Fiktionen seien, eine Art Kurzschrift für quantifizierte Sätze im Sinne der Weierstraß’schen Epsilontik (Ishiguro 1990, Kap. 5). Diese synkategorematische Auffassung der Infinitesimalen gründet auf dem aristotelischen Kontinuum, das nicht aus Punkten besteht, sondern in seiner Gesamtheit gegeben ist und in Teilkontinua zerlegt werden kann. Dieser Ansicht sind die weitaus meisten Leibniz-Forscher gefolgt, insbesondere nachdrücklich Richard Arthur (Arthur 2013; Arthur 2015; Rabouin 2015b). Breger hat darauf hingewiesen, dass die Bos’sche Unterscheidung zwischen den beiden Rechtfertigungen künstlich ist, da auch das Stetigkeitsprinzip auf Epsilontik beruht. Das zeigt sich etwa in dem Leibniz’schen Satz, dass die Gleichheit eine unendlich kleine Ungleichheit ist (Breger 2008, 197). Er betonte demgegenüber den von Leibniz verwandten, aristotelischen Begriff des Kontinuums (Breger 1986), demzufolge alle Leibniz’schen Funktionen notwendigerweise stetig im modernen Sinn sind (Breger 2009, 131 f.).

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Eine andere Ansicht vertreten Mikhail Katz und David Sherry in einer Reihe von Aufsätzen, von denen Katz/Sherry 2012 und Katz/Sherry 2013 genannt seien. Sie bestreiten nicht die Leibniz’sche Praxis der Epsilontik und der Berufung auf das archimedische Kontinuum. Aber sie heben die Andersartigkeit der – nach Bos – zweiten Rechtfertigung hervor. Sie deuten die Leibniz’sche Fiktionalität der Infinitesimalen nicht als logische, sondern – mit Blick auf Leibnizens Beispiel der imaginären Zahlen – als reine Fiktionalität, die nicht durch eine synkategorematische Paraphrase entfernbar ist. Danach wird das archimedische (oder aristotelische) Kontinuum vom Bernoulli’schen Kontinuum, das Infinitesimalen benutzt, echt umfasst. Infinitesimale sind nicht bloß quantifizierte Sätze à la Weierstraß. Freilich wird von ihnen nicht erwähnt, dass imaginäre Zahlen für Leibniz „Amphibien zwischen Sein und Nichtsein“ waren, dass er auch ihnen keine Existenz einfach zuschrieb, nicht die heutige Einstellung zu ihnen hatte. Fiktionen heißen ja eben deshalb so, weil sie nicht existierende Objekte sind. Deshalb kann Leibniz die Summe der harmonischen Reihe mit A bezeichnen und mit dieser „nützlichen Fiktion“ rechnen, obwohl er weiß und beweist, dass diese Reihe divergent ist, also keine endliche Summe besitzt. „Unendlich“ heißt für Leibniz nur „größer als jede gegebene Größe“, ist also für ihn ebenso eine Variable wie unendlich klein (Knobloch 1994, 272; Levey 2008). Knobloch hat darauf hingewiesen, dass Leibniz die operationalen Definitionen von unendlich klein und unendlich – kleiner bzw. größer als jede gegebene Größe – erst nach Ausprobieren zahlreicher anderer, mathematisch unbrauchbarer Erklärungen gefunden und dann nur noch verwendet hat: Indivisiblen werden von Leibniz in diesem Sinn als unendlich kleine Größen definiert. Indivisiblen im strengen Sinn des Wortes wären nach der aristotelischen Definition von Größen Nichtgrößen und damit nach Leibnizens Verständnis keine Objekte der Mathematik (Knobloch 2008). Er hat zudem zwölf Regeln für das Leibniz’sche Rechnen mit unendlich klein und unendlich in diesem Sinn gemäß der Leibniz’schen mathematischen Praxis aus De quadratura arithmetica circuli etc. herausgezogen (Knobloch 1994, 273). Seiner Argumentation, dass Leibniz in dieser Schrift die Integrabilität einer großen Klasse von Funktionen mittels Riemann’scher Summen streng bewies, die sich auf Zwischenwerte der partiellen Integrationsintervalle stützten, folgten insbesondere Arthur (2008) und Levey (2008) und betonten die Allgemeinheit und Strenge des Verfahrens. Jesseph stimmte insoweit zu, vermisste aber dessen vollständige Allgemeinheit (Jesseph 2015, 199). Denn die integrierte Kurve entstand durch Tangentenkonstruktionen an einer ursprünglichen Kurve, dem Kreis. Das Verfahren wäre nur vollständig allgemein, wenn das allgemeine Problem der Tangentenkonstruktion gelöst wäre. Die beiden Probleme müssen freilich voneinander getrennt werden: Der Leibniz’sche Beweis der Integrabilität einer großen Klasse von Funktionen ist völlig unabhängig vom Problem der Tangentenkonstruktion an Kurven. Die Abschätzungen mit Riemann’schen Summen, die sich auf Zwischenwerte in den Integrationsintervallen stützen, nicht auf Unter- und Obersummen, verleihen dem Beweisverfahren das hohe Maß an Allgemeinheit, das mit der Möglichkeit von Tangentenkonstruktionen nichts zu tun hat.

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2.3.2. Die Analysis situs Von seinen Studien zu einer koordinatenfreien Geometrie hat Leibniz nichts veröffentlicht, nur einer Reihe von Briefpartnern, vor allem Huygens gegenüber, Andeutungen gemacht, ohne damit auf Verständnis zu stoßen. Leibniz sprach von analysis situs (Analysis der Lage), calculus situs (Lagekalkül), characteristica geometrica (geometrische Charakteristik). Mathematiker des 18. Jahrhundert, wie Leonhard Euler mit der Graphentheorie, des 19. Jahrhundert wie Hermann Grassmann mit der Vektorrechnung haben sich auf Leibniz berufen, ohne wissen zu können, welche Ziele Leibniz mit seinen Überlegungen vor allem zum Kongruenz-, Ähnlichkeits-, Homogenitätsbegriff und vielen anderen Begriffen (Leibniz 1995a, 32) wirklich verfolgte, um eine neue Geometrie ohne Koordinaten oder algebraische Rechnung zu begründen. Studien von Hans Freudenthal (Freudenthal 1972) oder Hans Peter Münzenmayer (Münzenmayer 1979) stützten sich auf das Wenige, was bis dahin Gerhardt zum Thema veröffentlicht hatte, vor allem auf den berühmten Brief an Huygens aus dem Jahr 1679. Aber bereits Münzenmayer behandelte das Thema im größeren Rahmen der Leibniz’schen Untersuchungen zu den Grundlagen der Geometrie. Einen großen Fortschritt stellte die Pariser Dissertation von Javier Echeverría aus dem Jahre 1980 dar, der die Leibniz’schen Aufzeichnungen zum Thema aus dem Jahre 1679 untersuchte und veröffentlichte (Echeverría 1979). Es ging, wie er zeigte, um eine neue Geometrie mit Hilfe von neuen Definitionen und neuen Zeichen, die als einzige Voraussetzung die Ersetzbarkeit von Punkten untereinander unter Beibehaltung der Lage hatte. Die Lagebeziehungen sollten allein durch einen Kalkül mit den Zeichen untersucht werden. Das nicht erreichte Ziel war, die Postulate, Axiome, Sätze der euklidischen Elemente auf eine neue Grundlage zu stellen, unter Fortlassung der klassischen Figuren. In der Einleitung zu (Leibniz 1995a) fasste Echeverría die Leibniz’schen Grundgedanken zusammen. Hatte Echeverría den Akzent auf das Jahr 1679 und die unmittelbar folgenden Jahre gelegt, interessierte sich Vincenzo de Risi in seiner umfassenden Monographie Geometry and Monadology – Leibniz’s Analysis Situs and Philosophy of Space von 2007 für die geometrischen Ergebnisse von Leibnizens letzten fünf Lebensjahren 1712 bis 1716 (De Risi 2007). Den beiden ersten Kapiteln, die der analysis situs vom Standpunkt der Geometrie gewidmet sind, folgen zwei Kapitel, die die Ergebnisse in einen philosophischen Kontext einbetten und Leibnizens Raummetaphysik erläutern. Sein Beitrag galt damit den metaphysischen Grundlagen der Geometrie. 2.3.3. Determinantentheorie, Ars characteristica Leibnizens überragendes Interesse an geeigneten Zeichen, um das menschliche Denken zu leiten und zu unterstützen, an einer ars characteristica, ist wohlbekannt. Nachdrücklich, wenn auch vergeblich, warb er für seine Ideen im Brief-

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wechsel mit Tschirnhaus (Knobloch 2015). 1912/13 hob Mahnke seine geometrische Indexschreibweise hervor (Mahnke 1913). In der Mathematik hat ihn dieses Interesse nicht nur auf die Symbole der Differential- und Integralrechnung geführt, sondern die erste europäische Determinanten- und Eliminationstheorie begründen lassen. Die Fülle der Indexschreibweisen – weit über fünfzig – im Falle von linearen Gleichungen, algebraischen Gleichungen höheren Grades, Differentialgleichungen bzw. unendlichen Reihen wurde von Knobloch 1982 untersucht (Knobloch 1982; 2010). Veröffentlicht hat davon Leibniz nur wenige Andeutungen, die immerhin von Charles Reyneau noch zu Leibnizens Lebzeiten und Karl Friedrich Hindenburg Ende des 18. Jahrhunderts aufgegriffen wurden. 1684 fand Leibniz auf diese Weise die sogenannte Cramer’sche Regel zur Lösung inhomogener, linearer Gleichungssystem (Knobloch 1972) und nahm zahlreiche Verfahren und Ergebnisse einer Eliminationstheorie vorweg (Knobloch 1974). Zusammenfassende Darstellungen seiner Ergebnisse und Methoden finden sich in (Knobloch 2000; 2013a). 2.3.4. Dyadik Auch wenn Leibniz nicht der Erfinder der Dyadik war, mit der er sich seit 1679 sein Leben lang beschäftigte, so sah er doch in ihr weit mehr als ein bloßes Zahlensystem mit der Basis 2. 1703 veröffentlichte er darüber einen Aufsatz in Paris. Seine Dyadik ist wesentlich durch die auf Herzog Rudolf August von Wolfenbüttel zurückgehende Analogie zur „Schöpfung aus dem Nichts“ und die von Bouvet stammende, falsche, von Leibniz aufgegriffene Analogie zum chinesischen Buch I Ging bekannt geworden, kaum durch Leibnizens überzogene mathematische Erwartungen an diese. Hans Zacher hat 1973 die Hauptschriften analysiert und ediert und gezeigt, wie sich Leibniz insbesondere für die Perioden der Ziffern 0 und 1 in der Darstellung von Potenzzahlen interessiert hat (Zacher 1973). 2.4. Beiträge zu traditionellen mathematischen Disziplinen 2.4.1. Zahlentheorie Giovanni Vacca gehörte zu den ersten Autoren, die sich für Leibnizens Studien zur Zahlentheorie interessierten. 1894 stellte er fest, dass Leibniz den Euler’schen Beweis des sogenannten kleinen Fermat’schen Satzes besessen hat (Vacca 1894) und verwies fünf Jahre später auf einschlägige, unveröffentlichte Handschriften (Vacca 1899). Fermat hatte ohne Beweis den folgenden Satz am 18. Oktober 1640 an seinen Freund Frénicle de Bessy geschrieben: ap-1  1(mod p), wenn p eine Primzahl und a eine zu p prime ganze Zahl ist. Euler hatte 1736 den ersten Beweis veröffentlicht. Mahnke hat gezeigt, dass Leibniz nicht nur den Satz wiederentdeckt hat, sondern am 12. September 1680 den Beweis dazu fand (Mahnke 1912/13).

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Als Gesprächspartner von Jacques Ozanam in Paris versuchte sich Leibniz – nicht immer erfolgreich – an der Lösung diophantischer Gleichungen. Leibnizens Lösung eines solchen Problems analysierte Hofmann 1969 (Hofmann 1969). Zahlreiche nachgelassene Aufzeichnungen widmen sich der additiven Zahlentheorie oder den Partitionen natürlicher Zahlen, wie sie insbesondere im Zusammenhang mit den Potenzsummenformeln, also Leibnizens algebraischen Studien auftraten. Leibniz erzielte einige bedeutende Ergebnisse, die Euler wesentlich später erneut entdeckte, wie Knobloch aufzeigte (Knobloch 1973, 162–240). 2.4.2. Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung Wenn Leibniz von der ars combinatoria sprach, der ja seine Dissertation von 1666 gewidmet war, so meinte er weit mehr als die Theorie der Zählverfahren, die heute mit Kombinatorik bezeichnet wird. Er meinte die Wissenschaft von den Formen oder vom Ähnlichen und Unähnlichen, die insbesondere die Algebra, also auch die lineare Algebra bzw. die Determinantentheorie (s. Abschnitt 2.3) einschloss (Knobloch 2015a, 325). Diese Wissenschaftsklassifikation spielt in seinem Dialog zur Einführung in die Arithmetik und Algebra eine entscheidende Rolle (Leibniz 1976b) und ist Thema seines Briefwechsels mit Tschirnhaus. Hier geht es im engeren Sinn um die mathematische Kombinatorik. Einzelnen kombinatorischen wie wahrscheinlichkeitstheoretischen Problemen bei Leibniz hat Kurt-Reinhard Biermann in den Jahren 1954 bis 1967 eine Reihe sehr kurzer Aufsätze gewidmet, in einigen Fällen zusammen mit Margot Faak. Eine Zusammenstellung findet sich in (Knobloch 1973, 260). Dazu gehören Fragen zur jährlichen Sterblichkeitsrate, zur Sterbewahrscheinlichkeit und der Versuch, den Wahrscheinlichkeitsbegriff als Abschätzung des Ungewissen (incerti aestimatio) zu fassen. Hierher gehören die Studien von Ivo Schneider (Schneider 1981; 1984) und Lorenz Krüger (Krüger 1981). Wiederholt hat Maria Sol de Mora Charles Leibnizens bis dahin unveröffentlichte Handschriften zu spieltheoretischen Problemen bzw. zu speziellen Spielen wie La Bassette oder L’hombre studiert und diese Handschriften mitunter ediert (Mora Charles 1986; 1991; 1992). Die nachgelassenen Leibniz’schen Arbeiten zur Finanz- und Versicherungsmathematik, in denen die Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitstheorie im Rahmen von Lebenserwartungen eine entscheidende Rolle spielen, waren damals noch unbekannt (Leibniz 2000). Knoblochs Monographie von 1973 galt den mathematischen Studien zur Kombinatorik (Knobloch 1973). Sie zeigte, dass bereits die Jugendschrift De arte combinatoria über die Theorie der Zählverfahren weit hinausging, erste Überlegungen zu Partitionen natürlicher Zahlen anstellte (s. Abschnitt Zahlentheorie) und neuartige Probleme zu Permutationen mit vorgegebenen Untermengen, die sogenannte caput-Theorie, betrachtete. Seine umfangreichen, durchweg unveröffentlicht gebliebenen Studien und Ergebnisse zur Theorie der symmetrischen Funktionen und Partitionen ergaben wesent-

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liche Beiträge zur Algebra und Zahlentheorie (s. die betreffenden Abschnitte bzw. Knobloch 2012). 2.4.3. Algebra Eine gedrängte Übersicht über die algebraischen Studien der Pariser Zeit gibt Hofmann in der Einleitung zu A III,1 (S. LVII–LXIII). Wie alle seine Zeitgenossen, war Leibniz überzeugt, dass die algorithmische Auflösung der algebraischen Gleichung fünften und höheren Grades zwar schwierig, aber möglich ist. Seine Suche nach dieser Auflösung führte ihn auf wichtige Teilergebnisse. Seine Studie De bisectione laterum vom September 1675, in der er jene Gleichungen konstruierte, die sich durch Verallgemeinern der Cardanischen Regel algorithmisch lösen lassen, wurde von Ivo Schneider näher untersucht (Schneider 1968). Hauptergebnis war die Entdeckung einer Vorform der Moivre’schen Formel. Die meisten algebraischen Ergebnisse erzielte Leibniz jedoch in den Jahrzehnten nach dem Aufenthalt in Paris. Seine umfangreichen, ertragreichen Studien zu symmetrischen Funktionen gründeten auf der Überzeugung, durch Verallgemeinerung des Cardanischen Lösungsansatzes für kubische Gleichungen zum Ziel zu kommen (s. Abschnitt Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung). Auch seine Determinantentheorie (s. Abschnitt 2.3) entwickelte er dank dieser Überzeugung, da er im Mai 1678 glaubte, das Problem der algorithmischen Lösung von Gleichungen fünften Grades schließlich auf die Lösung von 284 linearen Gleichungen zurückführen zu können (Knobloch 2006, 115). Im Januar 1684 fand er die Cramer’sche Regel. Es erging also Leibniz wie Ernst Eduard Kummer, der zwar nicht den großen Fermat’schen Satz beweisen konnte, dafür aber die Theorie der idealen Zahlen entwickelte. Viele seiner Arbeiten zur Eliminationstheorie gehören in den späten Zeitabschnitt 1690 bis 1716 (Knobloch 1980). 2.4.4. Geometrie Leibnizens Bemühungen, die euklidischen Axiome zu beweisen, hängen unmittelbar mit seinem Interesse an den Grundlagen der Geometrie zusammen. Echeverría interessierte sich schon 1986 für Leibnizens Umgang mit dem Parallelenpostulat (Echeverría 1986). Umfassend hat jüngst De Risi dieses Thema in einer breit angelegten Studie untersucht, die Leibnizens geometrischer Epistemologie gewidmet ist und sich auf eine umfangreiche handschriftliche Grundlage stützt (De Risi 2015). Ein anderes Thema der Forschung war Leibnizens Kurventheorie, die ihn schrittweise dazu führte, schließlich alle Kurven als analytisch oder – damit gleichwertig – geometrisch anzusehen (Knobloch 2013).

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2.4.5. Finanz- und Versicherungsmathematik Leibniz hat nur einen Aufsatz zur Finanzmathematik, und zwar 1683, veröffentlicht, in dem er die Diskontierungsformel begründete. 1907 analysierte Bortkiewicz Leibnizens Vorgehen (Bortkiewicz 1907). Er stellte zu Recht fest, dass Leibniz am Ende seiner Arbeit eine weitere über Leibrenten in Aussicht stellte, die freilich nie erschien. Man kannte also wieder nur die Spitze eines Eisberges. Diese Situation änderte sich erst 2000 mit dem Erscheinen der Leibniz’schen Hauptschriften zur Finanz- und Versicherungsmathematik (Leibniz 2000). Es zeigte sich, dass Leibniz den Kaufpreis von Renten auf die Diskontierungsformel zurückführte. Seine umfangreichen Überlegungen zur Demographie und zu Rentenzahlungen an Gesellschaften gründeten wesentlich auf kombinatorischen Überlegungen. Er entwickelte mathematische Modelle des menschlichen Lebens. Der Anhang des Bandes enthält einen Überblick über die Schriften (Knobloch), eine historische Einordnung (Ivo Schneider) und Analysen aus der Sicht der Versicherungsmathematik (Edgar Neuburger), der Versicherungsbetriebslehre (Walter Karten) und der Rechtsgeschichte (Klaus Luig). Die Schriften wurden unmittelbar in Paris rezipiert. Davon zeugt der bereits 2001 erschienene Band von Rohrbasser und Véron (Rohrbasser/Véron 2001). Weitere Analysen der Texte gab Knobloch in (Knobloch 2004; 2009). 2.5. Einzelne mathematische Begriffe Im Abschnitt 2.3 wurden die zahlreichen Arbeiten erwähnt, die sich mit dem Begriff der Infinitesimalen, des unendlich Kleinen im Rahmen der Grundlagendiskussionen zum calculus beschäftigen. Dazu gehört auch Leibnizens Verwendung von Indivisiblen (Knobloch 2008; 2015b; Rabouin 2015b). Eine Reihe von entscheidenden Begriffen wurde darüber hinaus analysiert, allen voran der Begriff des Kontinuums bei Leibniz, der unmittelbar mit Leibnizens Unendlichkeitstheorie zusammenhängt (Breger 1990; 2009; Giusti 1990; Beeley 1996; Arthur 2001), Existenz und Ermittlung algebraischer Integrale algebraischer Funktionen (Hofmann 1965), unendliche Reihen (Hofmann 1957; Costabel 1978; Probst 2014), die Begriffe des Transzendenten (Breger 1986), der Analytizität und Äquipollenz (Knobloch 2015b), der Variation (Knobloch 2012b). 2.6. Einzelne mathematische Werke Zwei herausragende Werke von Leibniz wurden nicht nur in mehrere Sprachen übersetzt, sondern auch besonders gründlich analysiert und interpretiert: die Nova methodus von 1684, also die Erstveröffentlichung des Differentialkalküls, und die Abhandlung De quadratura arithmetica circuli ellipseos et hyperbolae etc. aus dem Jahre 1676 (s. Abschnitt 1).

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1986 erschien ein Sammelband mit neunzehn Beiträgen, die u.a. die Schrift selbst, ihre Vorgeschichte (Heß), ihre grundlegenden Begriffe (Bos), die Kritik am Leibniz’schen calculus (Breidert), dessen Rezeption (Pepe/Petry), dessen Wegbereiter (Andersen) und Weiterentwicklung (Laugwitz) in den Blick nahmen bzw. mit der Newton’schen Fluxionsrechnung (Laborda) verglichen (Heinekamp 1986a). Der Abhandlung über die arithmetische Kreisquadratur galt die 1932 von Lucie Scholtz verfasste Dissertation. Leider blieb dem 1934 erschienenen, kurzen Teildruck eine nachhaltige Rezeption verwehrt (Scholtz 1934). Erst mit den Arbeiten (Knobloch 1989; 1990; 1994) an einer Gesamtedition der Schrift (Leibniz 1993) wurde dieser grundlegenden Arbeit die verdiente Aufmerksamkeit zuteil und spielt in der aktuellen Diskussion zu Leibnizens Infinitesimalen eine entscheidende Rolle (Arthur 2008; Levey ). 2008; Knobloch 2008; Probst 2014; Beeley 2015; Rabouin 2015a; 2015b; Knobloch 2015b; Jesseph 2015 usf.). 2.7. Querschnittthemen Grundlagenfragen, symbolisches Denken, Fragen nach den Objekten der Mathematik, also Fragen einer Philosophie der Mathematik traten vor allem beim calculus, bei der Geometrie, der ars characteristica und einzelnen mathematischen Begriffen auf und wurden dort berücksichtigt (s. Abschnitte 2.3, 2.4, 2.5). Ein reizvolles Querschnittthema, das wachsendes Interesse findet, ist die weitergehende Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen Leibnizens philosophischem und mathematischem Denken. Genannt seien Gilles-Gaston Grangers Aufsatz aus dem Jahre 1981 (Granger 1981) und vor allem der vor kurzem erschienene, von Norma Goethe, Philip Beeley und David Rabouin herausgegebene Sammelband G. W. Leibniz, Interrelations between Mathematics and Philosophy, der dieses Thema in neun Beiträgen aufgreift und auf ältere Forschungen zum Thema von Dietrich Mahnke und Michel Serres verweist (Goethe/Beeley/Rabouin 2015). Welche Ziele verfolgte Leibniz in seiner Mathematik, mit der er sich immer wieder kritisch von der Descartes’schen Geometrie absetzte? Fünf Schlüsselbegriffe für ihn waren Kalkül, Charakteristik, Erfindungskunst, Methode und Freiheit. Dass Descartes bestimmte Kurven aus der Geometrie ausschloss, war für ihn nicht hinnehmbar. Dank seinem Differentialkalkül, den er als Ergänzung der Algebra bezeichnete, gab es für ihn schließlich keine nicht-geometrischen Kurven mehr. Kalküle implizierten Allgemeinheit und Fruchtbarkeit. Was bedeutete Allgemeinheit in Leibnizens Mathematik? Diesen Fragen ging Knobloch in mehreren Untersuchungen nach (Knobloch 1999; 2006a; 2006b). Leibnizens Geometrieverständnis spielte auch bei seinem Anspruch eine entscheidende Rolle, dass es keine bessere, geometrischere Quadratur des Kreises, der Ellipse oder der Hyperbel gibt als die, die er in seiner Schrift De quadratura arithmetica circuli etc. durch konvergente Zahlenreihen gegeben hat (Leibniz 1993, Satz 51). Wie aber zeigt man in der Mathematik, dass etwas unmöglich ist? Dieser Frage galt die Monographie von Davide Crippa (Crippa 2018).

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2.8. Übersichten über Leibnizens mathematisches Schaffen Es hat im Laufe der Jahre verschiedene Versuche gegeben, eine Übersicht über das Leibniz’sche mathematische Schaffen zu geben, gegebenenfalls nur zu einer bestimmten Periode, nur über das unveröffentlichte oder nur über das veröffentlichte Schrifttum. Diese Übersichten spiegeln die Fortschritte der Edition Leibniz’scher Schriften und deren Erforschung wider. Eine Übersicht über die damals noch unveröffentlichten mathematischen Arbeiten der Pariser Periode 1672 bis 1676 gab Knobloch 1978 (Knobloch 1978). Hofmann erörterte ausgewählte mathematische Studien dieser Zeit (Hofmann 1970). Hofmanns Überblick aus dem Jahre 1966 stützte sich ausschließlich auf das damals bereits im Druck Zugängliche (Hofmann 1966a). Die gleichzeitig erschienene andere Würdigung legte den Akzent einseitig auf die Pariser Zeit (Hofmann 1966b). Bregers Übersicht aus dem Jahre 2009 berücksichtigte vier wichtige mathematische Gebiete (Breger 2009). 3. DESIDERATA Es gibt bis heute keine umfassende Würdigung Leibnizens als Mathematiker, die alle hier aufgelisteten Gebiete berücksichtigt und auch die vierzig Jahre nach der Pariser Periode angemessen in den Blick nimmt, wenigstens soweit es das veröffentlichte Opus und der Stand der Forschung zulässt. Denn die Edition der noch ausstehenden 24 Bände der mathematischen Reihe der Akademie-Edition von Leibnizens Schriften und Briefen wird noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die geplante Modularisierung dieser Bände nach inhaltlichen Gesichtspunkten wird die allzu starke Konzentration auf die vier Pariser Jahre durchbrechen. Aber auch bescheidenere Ziele wären der Mühe wert. Eine umfassende Würdigung nur der algebraischen oder zahlentheoretischen Beiträge Leibnizens steht ebenso aus wie die mathematische Analyse einzelner, wichtiger Briefwechsel von Leibniz mit Mathematikern wie derjenigen mit Tschirnhaus oder Huygens. Schließlich wären weitere begriffsgeschichtliche Untersuchungen für ein besseres Verständnis der Leibniz’schen Mathematik wünschenswert, insbesondere zum Beweis- und zum Strengebegriff. BIBLIOGRAPHIE Arthur 2001 – Richard Arthur: Leibniz. The Labyrinth of the Continuum, New York 2001. Arthur 2008 – Richard Arthur: Leery Bedfellows. Newton and Leibniz on the Status of Infinitesimals, in: Goldenbaum/Jesseph 2008, 7–30. Arthur 2013 – Richard Arthur: Leibniz’s Syncategorematic Infinitesimals, in: Archive for History of Exact Sciences 67 (2013), 553–593. Arthur 2015 – Richard Arthur: Leibniz’s Actual Infinite in Relation to His Analysis of Matter, in: Goethe/Beeley/Rabouin 2015, 137–156.

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Eberhard Knobloch

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DYNAMIK, PHYSIK, EXPERIMENT Hartmut Hecht Gottfried Wilhelm Leibniz ist einer der Stammväter der modernen Wissenschaften, und das gilt auch für die Physik. Zwar hatte Ernst Mach noch 1883 in seiner Mechanik notiert: „Bei Leibniz, dem Erfinder der besten Welt und der prästabilierten Harmonie, welche Erfindung in Voltaires anscheinend komischem, in Wirklichkeit aber tief ernstem philosophischen Roman ‚Candide‘ ihre gebührende Abfertigung gefunden hat, brauchen wir nicht zu verweilen.“ (Mach 1988, 467) Schlägt man jedoch in der aktuellen Leibniz-Bibliographie unter dem Stichwort Dynamik nach, so bekommt man knapp 500 Nachweise, und die erzählen eine ganz andere Geschichte. Eine Geschichte, die seit Mach auf mehr als 100 Jahre Physikentwicklung zurückblicken kann, für die nicht zuletzt auch Maximen des Leibniz’schen Denkens prägend waren. Der Einfluss freilich, den diese auf die Physikentwicklung hatten, war mehr auf Grundlegendes wie die Prinzipien der Dynamik fokussiert. Man findet sie im Umkreis des Energieerhaltungssatzes, des Wirkungsprinzips und des Problems der möglichen Welten. Leibniz’ Beiträge zur Physik im engeren Sinne sind im Vergleich dazu in der Tat eher weniger wirksam gewesen. Inzwischen aber wurden mit dem Fortschritt der Akademie-Ausgabe Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe Quellen erschlossen, die Leibniz’ vitales Interesse an den Schlüsselproblemen der Physik seiner Zeit nicht nur dokumentieren, sondern als unverwechselbares Element seines eigenen Denkens und der globalen Wissenschaftsentwicklung erkennen lassen. Dies betrifft vor allem den inzwischen auf acht Bände angewachsenen Mathematisch-naturwissenschaftlichen Briefwechsel sowie die mit dem Beginn der Reihe VIII (Naturwissenschaftliche, medizinische und technische Schriften) verfügbaren Dokumente aus der Pariser Zeit. Der erste Band dieser neuen Reihe ist 2009 erschienen, und die Forschung steht noch ganz am Anfang einer systematischen Auswertung seiner Schriften, Notizen, Exzerpte und Marginalien. Eine gute Gelegenheit, um da, wo es angemessen erscheint, auf Texte dieser Reihe hinzuweisen, und diese auszugsweise vorzustellen. Ich werde daher in der folgenden Darstellung nicht nur Resultate und Trends der Rezeption und Forschung aufzeigen, sondern auch bislang unbekannte Schriften ein Stück weit analysieren, und dieses Procedere werde ich für die Gesamtdarstellung beibehalten. Grundlegend dafür sind die Überblicksarbeiten von François Duchesneau (Duchesneau 1994), Herbert Breger (Breger 2001, 1090–1101) und Michel Fichant (Fichant 2017). Sie ermöglichen eine Konzentration auf Grundmuster der Rezeption und Forschung sowie auf inzwischen neu edierte und weniger berück-

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sichtigte Quellen, die das vorliegende Bild abrunden, indem sie es durch aktuelle Diskussionen und Themen vervollständigen. Dabei werde ich selektiv vorgehen, d. h. ich werde charakteristische Entwicklungen und Resultate in ihrer Ausprägung durch besondere Persönlichkeiten vorstellen; in der Hoffnung, auf diese Weise die allgemeinen Tendenzen der Wahrnehmung mit der Subtilität und Einzigartigkeit individueller Fragestellungen und Forschungsstrategien verbinden zu können, von denen die Geschichte ja letztlich lebt. 1. LEIBNIZ’ DYNAMIK. HISTORISCHE WIRKUNGEN Die Wahrnehmung und Diskussion der Leibniz’schen Dynamik ist historisch vor allem durch zwei Abhandlungen bestimmt worden, die beide in den Acta Eruditorum erschienen sind: Die erste 1686 mit dem Titel Brevis demonstratio, die zweite knapp zehn Jahre später als Specimen Dynamicum.1 Das Interesse an diesem Gegenstand war in der Gelehrtenrepublik groß. Schon ein halbes Jahr nach der Erstveröffentlichung der Brevis demonstratio, wurde der Text ins Französische übersetzt, und zusammen mit einer „courte remarque“ des Abbé Catelan in den Nouvelles de la République des Lettres nachgedruckt. Damit war eine Diskussion eröffnet, an der sich die bedeutendsten Gelehrten – zunächst Kontinentaleuropas – beteiligten. Forum dieser Auseinandersetzungen waren die angesehensten Wissenschaftsjournale der Zeit; neben den bereits genannten auch das Journal des Sçavans und das Journal des Trévoux. In diesen meldeten sich so renommierte Vertreter ihres Faches wie Pierre Varignon, Simon Foucher oder Nikolaus Hartsoeker zu Wort. Und die Debatten waren nach dem Tode Leibniz’ längst nicht beendet. Berühmtheiten wie Johann I. Bernoulli, Willem Jacob s’Gravesande oder Christian Wolff fochten nun pro, andere wie Jean Théophile Desaguliers und Colin MacLaurin oder James Jurin contra Leibniz. Heute firmieren die Debatten zumeist unter dem Titel des Streits der Cartesianer und Leibnizianer über das wahre Maß der lebendigen Kraft, und die Literatur zu diesem Thema ist beachtlich. Dennoch lassen sich einige Grundlinien ausmachen. So wurden Leibniz’ Entwürfe zu einer Dynamik von den frühen Kombattanten unter dem doppelten Gesichtspunkt physikalischer und metaphysischer Fragestellungen wahrgenommen. Das lag in der Natur der Sache, denn die Dynamik, wie sie Leibniz konzipiert hatte, lässt sich auf die knappe Formel bringen: „Physica per Geometriam Arithmeticae, per Dynamicen Metaphysicae subordinatur“ (GM VI, 104 auch GP IV, 398). Sie wurde also nicht, wie heute üblich, aus  1

Die vollständigen Titel der Schriften lauteten: Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii et aliorum circa legem naturae, secundum quam volunt a Deo eandem semper quantitatem motus conservari; qua et in re mechanica abutuntur (A VI,4C, 2027–2030) deutsch in (Leibniz 1966) und Specimen Dynamicum pro admirandis Naturae Legibus circa corporum vires et mutuas actiones detegendis et ad suas causas revocandis (GM VI, 234–254), deutsch in (Leibniz 1982).

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schließlich als physikalische Teildisziplin projektiert. Vielmehr handelte es sich um eine Wissenschaft, die den Brückenschlag zwischen Physik und Metaphysik ermöglichen sollte. Als solche ist sie bei Leibniz eigenständig, und wie er betont, eine neue Wissenschaft, die von der Kraft und den Gesetzen der Körper handelt. Mit dieser neuen Wissenschaft präsentierte er seinen Entwurf der modernen Erfahrungswissenschaften, und er führte in ihrem Kontext die grundlegenden Begriffe und Prinzipien der Bewegungsanalyse ein. Leibniz selbst hatte seine Dynamik jedoch nicht nur in der Auseinandersetzung mit den Cartesianern entwickelt, sondern, wie der 1717 erstmals im Druck zugängliche Briefwechsel mit Samuel Clarke (GP VII, 345–440, deutsch Leibniz 1991) zeigte, deren Begriffe auch im Dialog mit der Newton-Schule geschärft. Für diese doppelte Frontstellung öffnete sich in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts auch der ursprüngliche Gelehrtenstreit, und zwar in dem Maße, wie die newtonsche Theorie in Kontinentaleuropa akzeptabel wurde. Mit den Arbeiten von Daniel Bernoulli, Pierre Louis Moreau de Maupertuis und Leonhard Euler – um nur diese drei zu nennen –, vollzog sich nun Schritt für Schritt ein Paradigmenwechsel, der zu einer Unterscheidung von physikalischer Dynamik und dynamischer Naturphilosophie führte. Fürderhin war von Dynamik nur mehr im physikalischen Sinne die Rede, und als ihr ehedem metaphysisches Pendant etablierte sich eine besondere Naturphilosophie. Das blieb nicht ohne Folgen für die spätere Rezeption des von Leibniz inaugurierten Grundlagenstreits, denn die dominierenden Interessen an den frühen Quellen der Dynamik verzweigten sich nun in eine primär wissenschaftshistorische und eine primär philosophische Perspektive. Wie sich zeigen wird, wurden dadurch neue Fragen an alte Kontroversen möglich. Im Gegenzug aber ging eine ursprüngliche Einheit verloren, die den Schritt in die Dynamik überhaupt erst möglich gemacht hatte. Dies lässt sich am besten anhand der beiden grundlegenden Abhandlungen, der Brevis demonstratio und des Specimen Dynamicum darstellen, die ich im Folgenden skizzieren werde, um die sich historisch wandelnden Interessenlagen bezüglich der frühen Quellen zur Geschichte der Dynamik darstellen zu können. 1.1. Kraft und Kraftmaß: – zwei Abhandlungen als Geburtsurkunde der Leibniz’schen Dynamik Die nur wenige Seiten umfassende Schrift aus dem Jahre 1686 entspricht in ihrer Struktur einer heutigen Forschungsmitteilung. Leibniz fixiert zunächst die Voraussetzungen seiner Beweisführung, indem er die benutzen Begriffe einführt und den Stand der Diskussion resümiert. Danach wird an einem Modellfall eine allgemeine Aussage expliziert, und es werden Konsequenzen des Ergebnisses in Bezug auf die Geltung der bis dahin akzeptierten Ansichten formuliert. Abschließend skizziert Leibniz weitere Aufgabenstellungen, für die er Lösungen unter Zugrundelegung der erreichten Resultate in Aussicht stellt.

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Als Voraussetzungen für seine Beweisführung hält er fest, dass nach gängiger (cartesianischer) Ansicht, die bewegende Kraft durch die quantitas motus, d. h. durch das Produkt aus der Masse eines Körpers und seiner Geschwindigkeit zu bestimmen sei. Dies entspricht, wie er betont, den Bedingungen des Kräftegleichgewichts bei den fünf einfachen Maschinen: Hebel, Winde, Wellrad, Keil und Schraube. Weiterhin setzt er voraus, dass sich die Gesamtsumme der bewegenden Kräfte in der Natur weder vermehrt noch vermindert, sondern in ihrer einmal gegebenen Quantität erhält. Daher sei ein Perpetuum mobile, das ohne einen Eingriff von außen die Kräfte in der Natur vermehrt, unmöglich, und aus demselben Grund habe auch Descartes angenommen, dass Gott stets dieselbe Quantität der Bewegung in der Welt erhält. Um nun zu zeigen, dass es einen Unterschied zwischen dem Maß der Bewegung (quantitas motus) und der bewegenden Kraft (vis motrix) gibt, spezifiziert Leibniz diese Annahmen in einem Modell. Er setzt voraus, dass ein Körper, der aus einer bestimmten Höhe auf eine feste Unterlage fällt, beim Aufprall genau die Kraft erwirbt, die ihn befähigt, wieder in die Ausgangslage zurückzukehren.

Abb. 1: Leibniz-Marginalien zum Druck der Brevis demonstratio.

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Das wird durch ein Gedankenexperiment plausibel gemacht, in dem der Körper A (Abb. 1) die Masse von 1 Pfund besitzt und der Körper B die Masse von 4 Pfund. Als allgemein anerkannt wird für diese Versuchsanordnung vorausgesetzt, dass die gleiche Kraft erforderlich ist, um den Körper A auf die Höhe CD = 4 Ellen zu heben, wie die, den Körper B auf die Höhe EF = 1 Elle zu heben. Fällt nun der Körper A von der Höhe C nach D, so besitzt er in D die Kraft, um wieder zu seiner ursprünglichen Höhe aufzusteigen. Dasselbe gilt mutatis mutandis für den Körper B, und zwar ohne Beschränkung der Allgemeinheit. Nun ist aber nach Galilei die Geschwindigkeit des Körpers in D doppelt so groß wie die in F, woraus unter der Voraussetzung, dass die Geschwindigkeit in D = 2 und in F = 1 ist, folgt, dass sich für den Wert der bewegenden Kraft (vis motrix) in beiden Fällen mv2 = 4 ergibt, während die quantitas motus mv für den Körper A den Wert 2 und für den Körper B den Wert 4 annimmt. Die cartesische Bewegungsgröße bleibt in dem angezogenen Beispiel also nicht erhalten, und Leibniz schließt, dass es sich bei ihr nicht um ein Maß handeln kann, das ohne Unterschied für alle Bewegungen gilt. Denn vorausgesetzt, die cartesische Messgröße wäre tatsächlich das gesuchte Maß, so ließe sich unter Ausnutzung einer einfachen Fallbewegung eine periodisch arbeitende Maschine konstruieren, die es möglich macht, aus ihrem eigenen Bewegungsvollzug Kraft zu gewinnen. Und damit wäre ein mechanisches Perpetuum mobile möglich, das Leibniz kategorisch ausschließt. Wie das Gedankenexperiment zeigt, sind die mathematischen Repräsentanten der vis motrix und der Bewegungsmenge (quantitas motus) nicht identisch. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass es sich um unterschiedliche physikalische Größen handelt, deren Bedeutung sich in jeweils besonderen Messverfahren offenbart. Leibniz unterscheidet sie, indem er postuliert, dass die Kraft nach der Wirkung oder dem Effekt gemessen werden muss, den sie hervorbringt, während sich die Quantität der Bewegung nach der Geschwindigkeit, die einem Körper durch äußere Kräfte eingeprägt wird, bemisst. Wie man leicht sieht, geht es Leibniz nicht darum, das cartesische Maß der Bewegung, die quantitas motus, durch ein Maß für die bewegende Kraft (vis motrix) zu ersetzen. Seine Absicht ist vielmehr, durch eine Verfeinerung des begrifflichen Arsenals der physikalischen Bewegungsbeschreibung Ausdrucksmöglichkeiten für eine differenziertere Analyse unterschiedlicher Arten der Bewegung zu gewinnen. Dies sei, meint Leibniz, durch die cartesische Maßbildung allein nicht möglich, weil deren Gegenstand die Theorie der fünf einfachen Maschinen sei, die vom Gleichgewicht der Kräfte handele, und daher auch nur für solche Bewegungen gelte, cum magnitudo unius corporis celeritate alterius, quae ex dispositione machinae oritura esset, compensatur; seu cum magnitudines (posita eadem corporum specie) sunt reciproce ut celeritates; seu cum eadem alterutro modo prodiret quantitas motus (A VI,4C, 2029).

Und während für diese Bewegungen gilt, dass die Größe (d. h. die Masse) und die Geschwindigkeit zweier Körper im reziproken Verhältnis zu einander stehen, wie es in der zitierten Stelle heißt, gibt es andere Bewegungen, wie die des soeben erörterten Gedankenexperiments, für die eine solche Beschreibung nicht zutrifft.

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Das sind nach Leibniz genau die Bewegungen, für die die vis motrix und die quantitas motus nicht zusammenfallen. Hinter der Maßdifferenz verbirgt sich daher für ihn ein grundlegendes Problem, das Problem der Bewegung oder die Frage, was eigentlich unter Bewegung zu verstehen sei. Descartes hatte in seinen Principia Philosophiae Bewegung als Überführung eines Körpers aus der Nachbarschaft derjenigen Körper, die ihn unmittelbar umgeben und als ruhend angesehen werden, in die Nachbarschaft anderer Körper bestimmt (Descartes 1973, § 25). Leibniz aber war bereits in Paris klar geworden, dass diese Form des Bewegungsverständnisses zu einem Relativismus führt, der eine definitive Aussage über den Bewegungszustand jedes einzelnen von zwei sich relativ zueinander bewegenden Körpern ausschließt (A VIII,2 160– 163). Als Lösung hatte er die Notwendigkeit der Einführung eines Kraftbegriffs angegeben, der die Identifikation des Bewegungszustandes zulässt. Und genau das wird in der Brevis demonstratio expliziert. Die Entscheidung zwischen vis motrix und quantitas motus entspricht folglich einem metaphysischen Bekenntnis, denn sie schließt eine Entscheidung darüber ein, ob Bewegungen durch Kräfte generiert werden oder nicht. Und die Identifikation von bewegender Kraft und Bewegungsmenge, wie sie Leibniz bei Descartes vorfindet, ergibt sich dann aus der Tatsache, dass in den fünf einfachen Maschinen Kräftegleichgewicht herrscht, d. h. die Kraft gar nicht in Betracht gezogen werden muss. Daher genügt die Maßangabe mv. Mit der Feststellung, dass Bewegungen durch Kräfte bedingt sind, erweitert Leibniz somit den Gegenstandsbereich derjenigen Bewegungen, die einer mathematischen Darstellung zugänglich gemacht werden können. Und diese Gegenstandserweiterung zieht eine Neubestimmung dessen nach sich, was generell unter Bewegung zu verstehen ist, so dass sich mit der Einführung der Messgröße mv2 zugleich ein metaphysischer Standpunktwechsel vollzieht. Das wird von Leibniz in seiner Entgegnung auf die erste Wortmeldung zur Brevis demonstratio denn auch besonders herausgestrichen. 1.2. Die frühe Diskussion: Catelan und Papin In seiner „courte remarque“ hatte der Abbé Catelan einen Fehlschluss (paralogisme) in Leibniz’ Abhandlung entdeckt. Leibniz habe, so die Argumentation Catelans, in seiner Schätzung der Kräfte die Zeit unberücksichtigt gelassen. Würde man diese einbeziehen und in Rechnung stellen, dass die Fallzeit des Körpers A in Leibniz’ Gedankenexperiment das doppelte der Fallzeit des Körpers B beträgt, dann würde neben der von Leibniz favorisierten vis motrix auch die quantitas motus erhalten bleiben. Und Catelan schlägt nun seinerseits ein Modell zur Illustration vor: „Supposons“, schreibt er, presentement que ces 2. corps ne se meuvent qu’en même tems, c’est à dire, qu’ils sont suspendus à une même balance & à des distances réciproques à leurs grosseurs, nous trouverons égales les quantitez opposées de leurs mouvemens, ou les forces de leurs poids, soit que nous multiplions leurs masses par leurs distances, soit que nous les fassions par leurs vitesses. La

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chose arrive autrement lors que les tems sont inégaux. D’où paroit que ni M. Descartes ni aucun autre ne se trompe ici, […] (Catelan 1687; auch GP III, 42).

Sehr geschickt macht also Catelan Gebrauch von denselben Voraussetzungen, die auch Leibniz als grundlegend für seine Abhandlung angesehen hatte. Er bezieht sich auf eine der fünf einfachen Maschinen, den Hebel, und demonstriert, dass für diesen Fall sowohl das Leibniz’sche als auch das cartesische Maß gilt. Das aber ist für Leibniz nicht der Punkt, denn sein Hinweis auf die fünf einfachen Maschinen gibt für ihn ja nur den Zustand der Theorieentwicklung an, dessen Reduktion auf das Prinzip des statischen Gleichgewichts er aufheben will. Leibniz geht es um mehr, um den Übergang von der Statik zur Dynamik, und für diesen ist der Einwand Catelans in der Tat gegenstandslos, weil dieser sich an die Rahmenbedingungen der Statik hält. Hebt man diese auf, so stellt sich das Problem neu, und zwar insbesondere in Bezug auf die Zeit. Denn die Kraftschätzung nicht von der Wirkung, sondern von äußeren Parametern wie der Zeit abhängig zu machen würde, wie Leibniz in einer suggestiven Metapher ausführt, auf die Annahme hinauslaufen, dass ein Mann, der über die gleiche Geldmenge verfügt wie ein anderer, dennoch reicher wäre als dieser, weil er für deren Anhäufung mehr Zeit gebraucht habe. Leibniz spricht darin en passant eine wichtige Bedingung der modernen messenden Naturforschung aus, denn nur für den Fall, dass die Maße nicht von Weg und Zeit abhängig sind, d. h. dass sie überall in der Welt als gleich angesehen werden können, ist Physik als messende Erfahrungswissenschaft möglich. Weil nur unter dieser Voraussetzung deren Aussagen überall in der Welt im Experiment überprüft werden können. Für Leibniz gilt daher: „En effect le temps ne sert de rien à cette estime“ (GP III, 43). Die Berücksichtigung der Zeit ist also nicht hilfreich für die Schätzung der Kraft. Diese Grundüberzeugung bildet auch einen der Ausgangspunkte des 1695 publizierten 1. Teils des Specimen Dynamicum, und sie erhält dort durch eine systematische Entwicklung des Kraftbegriffs ihr fundamentum in re. Leibniz beginnt mit grundsätzlichen Überlegungen zur Natur der Körper, deren bloße Reduktion auf die Ausdehnung er dadurch aufhebt, dass er alles, was real an ihnen ist, durch eine Kraft hervorgebracht denkt. Und diese Kraft ist nicht nur eine bloße Fähigkeit im Sinne der traditionellen Metaphysik, sondern zugleich ein Streben zu etwas hin. Mehr noch: sie verbindet den Ursprung grundlegender Körpereigenschaften mit der immanenten Tendenz der Körper zum Übergehen in einen anderen Zustand, woraus eine beständige Veränderung resultiert, durch welche die Körper zur Selbstbewegung befähigt werden. Dann folgt auch schon der entscheidende Satz, der erklärt, weshalb für Leibniz ein Kraftmaß nicht die Zeit als unabhängigen Parameter voraussetzen darf. Er lautet: Nam motus (perinde ac tempus) nunquam existit, si rem ad ἀκρίβειαν revoces, quia nunquam totus existit, quando partes coexistentes non habet. Nihilque adeo in ipso reale est, quam momentaneum illud quod in vi ad mutationem nitente constitui debet (GM VI, 235).

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Der Grund ist, wie man an dieser Stelle erfährt, ein metaphysischer. Er besteht in der Forderung, dass es in der Bewegung etwas geben muss, das sich durch alle Veränderungen hindurch als Ganzes erhält, und damit Bewegung sowie deren Maßanalyse überhaupt erst möglich macht. Dieses Etwas ist die Kraft. Eine Kraft freilich, die aufgrund eben dieser Forderung ein metaphysisches Moment einschließt, das in allen Facetten des Leibniz’schen Kraftbegriffs präsent bleibt. So gilt für die aktive Kraft, dass sie zweifach ist, denn sie tritt als primitive, ursprüngliche Kraft resp. derivative, abgeleitete Kraft auf. Als ursprüngliche Kraft entspricht sie der substantiellen Form, die nichts anderes ist als die erste Entelechie der Schulphilosophie.2 In ihr werden die allgemeinen Ursachen der Bewegung expliziert, die jedoch nicht hinreichen, die Phänomene zu erklären. Es handelt sich vielmehr um die Art und Weise, wie die Metaphysik in den Leibniz’schen Kraftbegriff eingebunden ist und in der Naturtheorie wirksam wird. Im Unterschied zur ursprünglichen regieren die derivativen aktiven Kräfte die Phänomene. Leibniz führt sie als Modifikationen der ursprünglichen Kräfte ein. Sie sind quantifizierbar und ermöglichen so den messenden Vergleich der Körper und ihrer Bewegungen. Vor allem aber gehen sie aus dem Widerstreit der Körper untereinander hervor. Sie bestimmen also die unterschiedlichen physikalischen Wechselwirkungen und damit die Gesamtheit der Phänomene. In derselben Weise wie die aktiven Kräfte, sind auch die passiven zweifach, so dass auch hier die ursprüngliche Kraft den metaphysischen Anteil an der passiven Kraft repräsentiert. Sie entspricht dem, was in den Schulen die erste Materie genannt wird und meint eine ursprüngliche Kraft des Leidens und Widerstehens. Diese Kraft ist der Grund dafür, dass Körper sich nicht wechselseitig durchdringen und bestrebt sind, Veränderungen zu widerstehen. Als ein Exempel für quantitative Modifikationen der primitiven Kraft verweist Leibniz auf die Masse (moles), und damit auf die Maßbestimmung einer derivativen passiven Kraft, in der die Undurchdringlichkeit und Trägheit des Körpers zum Ausdruck kommen. Leibniz spricht in seinen dynamischen Schriften in der Regel von verschiedenen Kräften, wenn er seinen Kraftbegriff erläutert. Gemeint sind damit nicht separierbare Kräfte, die sich wie die grundlegenden Wechselwirkungen (starke Wechselwirkung, schwache Wechselwirkung und Gravitation) der heutigen Physik von einander unterscheiden lassen. Vielmehr handelt es sich um Momente oder Aspekte eines und desselben Kraftbegriffs, der auf diese Weise eine reichhaltige Struktur und Schichtung erfährt. Daraus ergibt sich die Frage, ob ein solcher Kraftbegriff überhaupt als dynamischer Grundbegriff praktikabel ist, ob er also als physikalischer Begriff ernst gemeint sein kann, so dass er möglicherweise eher einem metaphysischen Bedürfnis genügt, als Physik zu ermöglichen. Die Antwort darauf ist eindeutig, und sie lässt sich mit dem Hinweis auf den § 61 der Monadologie gut begründen. Da nämlich erklärt Leibniz, auf welche Weise das Einfache (die primitive Kraft) mit   2

Vgl. hierzu den Beitrag von Hanns-Peter Neumann in diesem Band.

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dem Zusammengesetzten (der derivativen Kraft) übereinstimmt, und er zeigt, dass daraus die Möglichkeit resultiert, die Gesetze der Bewegung von Körpern gemäß ihren eigenen Maximen zu studieren (GP VI, 617). Die Bewegung der Körper wird daher im Specimen Dynamicum durch das Wirken abgeleiteter Kräfte (vires derivativae) beschrieben, „qua scilicet corpora actu in se invicem agunt aut a se invicem patiuntur, hoc loco non aliam intelligimus, quam quae motui (locali scilicet) cohaeret, et vicissim ad motum localem porro producendum tendit“ (GM VI, 237). Es sind also derivative Kräfte, durch die Körper miteinander in Wechselwirkung treten, und auf diese Weise Bewegung hervorbringen. Leibniz bemerkt dann, dass durch die so erzeugte Ortsbewegung alle Phänomene erklärbar werden, und er führt die Begriffe der toten und der lebendigen Kraft ein, die in den Debatten über das Kraftmaß im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen. Unter einer toten Kraft versteht Leibniz eine Kraft, die zwar eine Tendenz zur Bewegung ausdrückt, diese Tendenz aber nicht realisieren kann. Als Beispiel nennt er einen Stein in einer Schleuder, der die Tendenz besitzt, tangential davon zu fliegen, jedoch so lange daran gehindert wird, wie er sich in der Schleuder befindet. Wird dieses Hindernis beseitigt, so wird aus der bloßen Tendenz zur Bewegung eine wirkliche Bewegung, und die sich auf diese Weise realisierende Kraft heißt lebendige Kraft. Tote und lebendige Kräfte sind also Momente ein und derselben Kraft, die unterschiedliche Bewegungszustände beschreiben, und symbolisch durch die Maße mv bzw. mv2 repräsentiert werden. Diese beiden Maße sind bei Leibniz grundlegend für jede physikalische Bewegungsanalyse, denn sie ermöglichen die Quantifizierung der Bewegung, und zwar als Momente eines Kraftbegriffs, der die derivativen physikalischen Kräfte nur relativ zu den primitiven, ursprünglichen oder metaphysischen Kräften kennt. In dieser Unterscheidung drückt sich die Leibniz’sche Überzeugung aus, dass alles in der Natur mechanisch erklärt werden kann und muss, die Prinzipien der Mechanik selbst aber – und darüber hinaus die der gesamten Physik – aus der Metaphysik stammen (A VI,4A, 464). Prinzipien dieser Art sind die Äquivalenz von Gesamtursache und vollständiger Wirkung oder die Identität der Körper in der Bewegung, die bei Leibniz nicht durch die Phänomene also nicht auf der Ebene der derivativen Kräfte etabliert werden, sondern durch primitive Kräfte. Dadurch garantieren die primitiven Kräfte grundlegende Bedingungen einer modernen Naturtheorie wie die Messbarkeit der Phänomene. Angesichts dieser Ausgangslage ging es in den Diskussionen über das Leibniz’sche Maß der Kraft zunächst nicht nur darum, ein Maß gegenüber einem anderen auszuzeichnen. Die Maße mussten vielmehr durch methodologische Regelung erst einmal eingeführt werden, und zwar so, dass sie als Grundlage für die Beschreibung neuer, nämlich dynamischer Phänomene von der Scientific community akzeptiert werden konnten. Dafür waren Legitimationsstrategien wie die Forderung nach Ausschluss eines mechanischen Perpetuum mobile zu entwickeln, d. h. es waren wissenschaftstheoretische Verfahren einzuführen, die sich in metaphysischen Prinzipien verankern ließen. Das hat Leibniz – bezogen auf die methodologische Bedeutung des Perpetuum mobile –, vor allem in der Diskussion mit Denis

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Papin zur Grundlage seiner Argumentation gemacht, wie insbesondere Freudenthal zeigen konnte (Freudenthal 2002). Die fünf Jahre nach der französischen Veröffentlichung der Brevis demonstratio einsetzende Debatte mit Papin, ist in vielerlei Hinsicht charakteristisch für die Aufnahme des Leibniz-Textes im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert. Hatte Leibniz bei Catelan noch das starke Bedürfnis nach begrifflicher Klärung der Materie verspürt, so ist er in Bezug auf den Geist der Zeit, den esprit cartésien allerdings im Zweifel, wenn er schreibt: „Mais j’apprehende fort, que les autres Cartesiens ne le desavouent“ (GP III, 42). Und er sollte recht behalten. Denn die Positionen seiner Opponenten werden noch zu seinen Lebzeiten durch immer neue Modellannahmen und Gedankenexperimente zu Alternativen verfestigt. Was daher in dem Einwand Catelans noch einem Erkenntnisbedürfnis genügte, polarisierte nun zunehmend die Anschauungen von Cartesianern und Leibnizianern. 1.3. Die Fortsetzung der Kontroverse: MacLaurin und Mme. du Châtelet Das lässt sich gut an dem Votum der Pariser Académie des Sciences zu der einschlägigen Preisfrage des Jahres 1724 demonstrieren. Die Frage lautete: Quelles sont les loix suivant lesquelles un corps parfaitement dur, mis en mouvement, en meut un autre de même nature, soit en repos, soit en mouvement, qu’il rencontre, soit dans la vuide, soit dans la plein?

Gesucht wurden also die Gesetze des Stoßes vollkommen elastischer Körper und zwar unter idealen Bedingungen ebenso wie in widerstehenden Medien. Und die Kommission entschied sich für den Schotten Colin MacLaurin als Preisträger. MacLaurins Beitrag, der noch im selben Jahr unter dem Titel Démonstration des loix du choc des corps (Beweis der Gesetze des Stoßes von Körpern) erschien, bringt einen neuen Gesichtspunkt in die Diskussion. Er beginnt mit der Formulierung von drei Gesetzen der Bewegung, die in Bezug auf den Geist des Autors keine Zweifel lassen. Denn es sind jene Gesetze, die Newton an den Anfang seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica stellte, Bewegungsgesetze, die uns bei Emilie du Châtelet noch einmal begegnen werden. In der französischen Fassung seiner Preisschrift lauten sie wie folgt: I. Tout Corps en repos reste dans cet état jusques à ce que quelque cause étrangere le mette en mouvement; & tout Corps en mouvement continue à se mouvoir dans une ligne droite, sans changer sa vîtesse, aussi long-tems qu’aucune cause étrangere n’agit point sur ce Corps. II. Le changement de force, c’est-à-dire, son augmentation ou diminution, est toûjours proportionnel à la force imprimée, & se fait dans la direction de cette force. […] III. L’action & la réaction sont toûjours égales, & ont leurs directions contraires; c’est-à-dire, que l’action & la réaction produisent dans les Corps d’égaux changemens de mouvement (MacLaurin 1724, 6 f.).

MacLaurin setzt folglich das Trägheitsgesetz voraus, wonach ein Körper so lange in Ruhe verharrt oder eine gleichförmige Bewegung fortsetzt, wie keine äussere

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Ursache auf ihn einwirkt. Er bestimmt mit Newton, dass die Veränderung einer Kraft stets proportional der eingeprägten Kraft ist und in der Richtung ihres Einwirkens erfolgt. Schließlich hält er fest, dass Aktion und Reaktion stets gleich und entgegengesetzt gerichtet sind. Weitere Festlegungen betreffen die geradlinig gleichförmige Bewegung und das heute so genannte Galileische Relativitätsprinzip, das bei MacLaurin folgendermaßen formuliert wird: Tous les mouvemens, les forces & les chocs des Corps se font dans un espace que s’avance avec une vîtesse uniforme, de même que si cet espace étoit absolument en repos (McLaurin, 6).

Alle Bewegungen, die Kräfte und Stoßprozesse sind in einem sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegenden Raum die gleichen wie in einem Raum, der ruht. Der Autor macht damit gleich zu Beginn klar, unter welchen Voraussetzungen er die Preisaufgabe zu lösen gedenkt. Denn als conditio sine qua non seiner Lösung betrachtet er physikalische Prinzipien, insbesondere das Galilei’sche Relativitätsprinzip. Auf dieser Grundlage will er die Ansichten Leibniz’ einer Prüfung unterziehen, und zwar „expliqué & soûtenu depuis peu d’une maniere assez suivie par M. Sgravezande, dans un Essai qu’il a publié sur le Choc des Corps“ (MacLaurin 1724, 7), d. h. in der Auseinandersetzung mit einer Arbeit von s’Gravesande. Dafür geht er von folgender Überlegung aus: Es möge sich, schreibt er, ein Boot mit geradlinig gleichförmiger Geschwindigkeit entlang einer Uferlinie bewegen. Die Geschwindigkeit des Bootes soll den Wert 2 besitzen. Gleichzeitig mögen sich in derselben Bewegungsrichtung im Boot eine Kugel mit dem Geschwindigkeitswert 8 und am Uferweg eine Kugel mit dem Geschwindigkeitswert 10 bewegen. Dann, so schließt MacLaurin, müssen die Kräfte (gemäß der Voraussetzung über Ruhe und geradlinig gleichförmige Bewegungen) in beiden Fällen gleich sein, und er rechnet aus, dass in seinem Beispiel zwar die quantitas motus erhalten bleibt, nicht aber das Maß der lebendigen Kraft. Ein klares Votum also für das cartesische Maß der Bewegung. Betrachtet man diese Beweisführung aus heutiger Sicht, so werden darin zwei Dinge durcheinander gebracht, die man modern gesprochen als Invarianz der Grundgleichungen der Mechanik gegenüber Galileitransformation und als den Zusammenhang von Symmetrien und Erhaltungsgrößen bezeichnen würde. Für den Newtonschüler MacLaurin war offenbar die Invarianz der lex secunda Newtons gegenüber Galileitransformation so selbstverständlich, dass er darin ein allgemeingültiges Prinzip wahrnahm und benutzte, um eine Entscheidung über die Geltung zweier Erhaltungsgrößen herbeizuführen. Daran wird ersichtlich, wie sehr sich die Diskussionen über die Grundbegriffe und Prinzipien der Dynamik in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch im Anfangsstadium befanden. Denn es gab weder allgemein anerkannte Prinzipien, noch war klar, welche Größen überhaupt das Set der dynamischen Grundbegriffe ausmachen würden. In dieser Situation war es ein besonders subtiler Schachzug der Pariser Akademie, dass sie einer Zuschrift auf die Preisfrage des Jahres 1724 den Vorzug gab, die mit Newton für Descartes und gegen Leibniz und seine Schu-

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le argumentierte. Immerhin war damit aber eine neue Perspektive eröffnet, die, wie sich nach und nach zeigte, aus der Fixierung auf den Gegensatz Leibniz – Descartes herausführen konnte. In diesem Zusammenhang ist Emilie du Châtelet zu erwähnen, die in ihren Institutions physiques drei allgemeine Gesetze mitteilte, deren Formulierung sich, wie die MacLaurins auch, an Newton orientiert. Die Gesetze haben folgenden Wortlaut: (1) Un Corps persévère dans l’état où il se trouve, soit de repos, soit de mouvement, à moins que quelque cause ne le tire de son mouvement, ou de son repos. (2) Le changement qui arrive dans le mouvement d’un Corps, est toujours proportionel à la force motrice qui agit sur lui; car sans cela ce changement se feroit sans raison suffisante. (3) La réaction est toujours égale à l’action; car un Corps ne pourroit agir sur un autre Corps, si cet autre Corps ne lui résistoit: ainsi, l’action & la réaction sont toujours égales & opposées (Du Châtelet 1988, 233 f.).

Vergleicht man diese Formulierungen mit denen MacLaurins, so fällt vor allem die Ergänzung im zweiten Gesetz auf, in der Mme. du Châtelet auf die Notwendigkeit eines zureichenden Grundes als Erklärungsinstanz hinweist. Im Unterschied zu MacLaurin werden die Gesetze also nicht auf ein physikalisches Prinzip bezogen, sondern in dem auf Leibniz zurückgehenden methodologischen Prinzip des zureichenden Grundes verankert. Auch im dritten Gesetz wird mit dem Verweis auf die Widerstandsfähigkeit der Körper ein Leibniz-Kontext aktiviert. Geht also MacLaurin von Newton aus, und unterstellt er physikalische Prinzipien, die eine Entscheidung zugunsten der cartesischen quantitas motus favorisieren, so gewinnt Emilie du Châtelet vom selben Ausgangspunkt her die LeibnizPerspektive zurück. Und dies in einer Weise, die selten ist zu dieser Zeit, denn genau so, wie für Leibniz Galilei, Huygens und Descartes die Voraussetzungen des eigenen Dynamikkonzepts bildeten, setzt sie die Synthese von Descartes, Leibniz und Newton auf die Tagesordnung. Mme. du Châtelet will also nicht, wie alle Welt vor ihr, den Streit der Cartesianer und Leibnizianer aus der Welt schaffen, indem sie sich für eine der konkurrierenden Positionen entscheidet. Ihr geht es vielmehr darum, die Diskussion dadurch einer Lösung zugänglich zu machen, dass sie sie unter Einbeziehung Newtons auf ein neues Reflexionsniveau hebt, und eben dies drückt sich in der Art und Weise der Präsentation der newtonschen Gesetze aus. Zentrum ihres Unternehmens ist, und wie kann es anders sein, ein Kraftbegriff, für dessen Formulierung sie sich explizit auf Leibniz’ Unterscheidung von primitiven und derivativen Kräften bezieht. „Mr. de Leibnits“, heißt es bei ihr, appelle la force qui se trouve dans tous les Corps, & dont la raison est dans les Elémens, force primitive, & celle qui tombe sous nos sens, & qui naït dans le choc des Corps, du conflict de toutes les forces primitives des Elémens, force dérivative; cette dernière force dérive de la prémière, & n’est qu’un Phénomène, […] (Du Châtelet 1988, 182).

Indessen darf man sich vom Gleichklang der Worte nicht täuschen lassen. Emilie du Châtelet setzt durchaus eigene Akzente, wenn sie erklärt, dass die primitiven Kräfte eine Art Wechselwirkung untereinander ausüben. Eine solche Formulie-

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rung wird man bei Leibniz vergeblich suchen. Primitive Kräfte oder Entelechien wie Leibniz mit Blick auf Aristoteles sagt, sind innere Tätigkeiten einfacher Substanzen, die eine vollständige Bestimmtheit und Abgestimmtheit der Dinge im Universum garantieren. Sie sind daher das genaue Gegenteil dessen, was man unter Agenzien einer Wechselwirkung versteht. Sie wirken nicht aufeinander ein, sondern sorgen in prästabilierter Harmonie für ein optimales Ganzes. Wie aber lässt sich diese Begriffsverschiebung plausibel machen, und weshalb wird sie vorgenommen? Des Pudels Kern liegt in Emilie du Câtelets Lesart des Monadenkonzepts, d. h. in dem Begriff der einfachen Elemente, über die es bei ihr heißt: Il ne m’appartient pas de décider si les Monades de Mr. de Leibnits sont dans le même cas: mais soit qu’on les admette, ou qu’on les refute, nos recherches sur la nature des choses n’en seront pas moins sûres; car nous ne parviendrons jamais dans nos expériences jusqu’à ces prémiers Elémens qui composent les Corps (Du Châtelet 1988, 159).

Die einfachen Elemente haben also für die Erfahrung keine unmittelbare Bedeutung, und das ist auch bei Leibniz so. Dieser aber meint damit die besonderen Erfahrungen abgrenzbarer Phänomene und nicht wie Du Châtelet die Natur der Dinge. Für Leibniz, der sich als fast Dreißigjähriger genötigt sah, die substantiellen Formen wieder einzuführen, und zwar aus Gründen der Legitimation der Grundgesetze der Physik, wäre eine solche Haltung kaum akzeptabel. Die substantiellen Formen bringen zwar keinen Erkenntnisvorteil in der Physik, wie er immer wieder betont (z. B. A VI,4B, 1542–1544), sie ermöglichen allerdings die Formulierung von Prinzipien, ohne die sich nicht über die Geltung von Gesetzen befinden lässt. Wenn Emilie du Châtelet die Frage nach den ersten Elementen der Dinge unbeantwortet lässt, muss sie das Begründungsproblem der Erfahrungswissenschaften anders lösen, und das tut sie auch. Sie trifft dafür die Grundentscheidung, die Natur der Körper nicht in den Elementen der Dinge, sondern die Elemente der Dinge in der Natur der Körper zu suchen. Leibniz’ Monaden oder die wahren Elemente der Dinge, wie er auch sagt, werden so zu einer Art Ding an sich, das man zwar idealiter vorauszusetzen hat, realiter aber, d. h. im Gang der Erkenntnis, außen vor lassen kann. Und das verändert alles. Insbesondere erfährt das für Leibniz charakteristische Verhältnis von primitiven und derivativen Kräften dadurch eine Neuinterpretation. Zwar verzichtet Mme. du Châtelet nicht auf die Leibniz’schen Termini, doch gemeint ist etwas von Leibniz Verschiedenes, wenn es im § 158. der Institutions physiques heißt, dass „cette dernière force dérive de la prémière, […].“ (Du Châtelet 1988, 182) Denn hier wird die Beziehung der derivativen zur primitiven Kraft im Sinne eines Ableitungsverhältnisses vorgestellt, und das bedeutet als Entstehung der einen Kraft aus der anderen. Leibniz spricht dem gegenüber von einer Modifikation, die primitive Kräfte restringiert. Um diesen Übergang der primitiven in die derivative Kraft erklären zu können, führt Emilie du Châtelet einen neuen Begriff ein, die puissance. Der Begriff puissance tritt in den Institutions physiques erstmals im § 536 auf, d. i. im Zusammenhang der Schätzung der toten Kräfte. Dort heißt es:

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Hartmut Hecht Dans les corps en repos on estime la force qu’ils ont pour tenir quelque puissance en équilibre, par le produit de leur masse ou de leur matiere propre multiplieé par leur vitesse virtuelle ou élémentaire, c’est à-dire, par la vitesse initiale qu’ils auroient, si cette puissance, qui les retient, venoit à faire quelque mouvement (Du Châtelet 1988, 427).

Es handelt sich, wie man leicht sieht, um das infinitesimale Element einer Kraft, das für Emilie du Châtelets Physikverständnis von entscheidender Bedeutung ist. Mit seiner Hilfe werden Bewegungen wie die Entfaltung einer gespannten Feder oder der freie Fall eines Körpers erklärbar, und zwar so, dass deren Ablauf zugleich Ausdruck der Geltung der lebendigen Kraft ist. Du Châtelet geht dafür von mdv als dem Maß der puissance aus und erklärt, dass die Akkumulation dieser Elemente, die sich aus der Summation über das erste infinitesimale Moment mvdv hinaus ergibt, zum Maß der lebendigen Kraft führt. Schaut man sich die dafür benötigten Größen an, so tritt in ihnen nirgendwo die Zeit explizit auf. Alle Bestimmungsstücke des Kraftbegriffs sind explizit zeitunabhängig, und Emilie du Châtelet ist wie Leibniz davon überzeugt, dass der Parameter Zeit für die Kraftmessung keine Bedeutung hat. Sie illustriert diese Einsicht sogar mit der von Leibniz gegenüber Catelan benutzten Parabel, wonach es für den Reichtum eines Mannes egal sei, ob er ihn an einem Tag oder in einhundert Jahren erlangt habe und schreibt: […] le tems ne doit pas plus entrer dans cette considération que dans la mesure de la richesse d’un homme, qui doit avoir été toujours la même, soit qu’il ait dépensé son bien dans un jour, ou dans un an, ou dans cent ans (Du Châtelet 1988, 448).

Indessen ergeben sich aus der von ihr diskutierten Ableitung der derivativen aus der primitiven Kraft auch neue Einsichten. Denn in Arrangements wie der gespannten Feder oder dem freien Fall bleibt die ursprüngliche puissance im Körper erhalten und wird dort akkumuliert. Nur im ersten Moment, stimmen daher die Größen der toten und der lebendigen Kraft überein. Man identifiziert sie für diesen Fall zwar in der Regel, ohne einen Fehler zu machen, schreibt Emilie du Châtelet, fügt dann aber hinzu, dass es sich streng genommen doch um einen realen Unterschied handele: […] mais j’aime cependant mieux les distinguer ici, parce qu’il y a une différence réelle entre elles; car dans le prémier cas les dégrés de force infinement petits sont détruits à tout moment, au-lieu que dans le second, ils s’accumulent dans le corps qui reçoit le mouvement (Du Châtelet 1988, 439).

Das Resultat ist dann nicht mv, sondern mv2 als Maß der Bewegung. Darin ist ausgedrückt, dass die tote Kraft gegenüber der lebendigen eine gewisse Selbständigkeit besitzt, so dass jene nicht mehr bloß als infinitesimales Element dieser gilt. Nimmt man diese Ausdifferenzierung ernst, so eröffnet sie die Möglichkeit zu unterschiedlichen, die Dynamik konstituierenden Größen, so dass du Châtelets Kraftbegriff nicht nur die Vereinbarkeit von Leibniz’ und Descartes’ Bewegungsgröße als möglich postuliert, sondern auch noch den newtonschen Kraftbegriff mit einbezieht, und diese Einsicht auf Newton projiziert, wenn es bei ihr heißt:

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[…] nous n’avons aucun Ouvrage de lui [Newton], qui nous fasse voir qu’il ait discuté les preuves, que l’on apporte en faveur des forces vives, on peut peut-être raisonablement douter de quelle opinion Mr. Newton auroit été s’il les avoit discutées, car il étoit assez grandhomme pour embrasser une opinion dont Mr. de Leibnits étoit l’Auteur, s’il avoit jugée véritable (Du Châtelet 1988, 540).

Das wird freilich nicht explizit ausgeführt, trifft aber den Geist der Zeit, wie sich im Folgenden zeigen wird. Denn um den Zusammenhang der verschiedenen Grundbegriffe der Dynamik und ihrer Prinzipien darstellen zu können, dafür bedurfte es nicht nur des Versuchs, sie metaphysisch zu integrieren, sondern vor allem auch der weiteren Vervollständigung des begrifflichen Koordinatensystems der Dynamik als physikalischer Disziplin. 1.4. Neue Prinzipien: Maupertuis und Euler In ihren Institutions physiques kommt Emilie du Châtelet im 6. Kapitel auf die newtonsche Attraktionskraft und die Schwierigkeiten ihrer Erklärung zu sprechen, und sie erwähnt in diesem Zusammenhang Pierre Louis Moreau de Maupertuis, der im Jahre 1732 bei der Pariser Akademie der Wissenschaften ein Mémoire zu diesem Thema eingereicht hatte. Darin stellt Maupertuis die Frage nach dem Vorzug des newtonschen Gravitationsgesetzes gegenüber anderen möglichen Gesetzen für die gegenseitige Anziehung von Körpern3, und er gibt eine Erklärung, die Emilie du Châtelet wie folgt kommentiert: […] il trouve par son calcul, que de toutes les loix qu’il a examinées, il n’y a que celle en raison inverse de quarré des distances qui donne la même attraction, pour le tout & pour les parties qui le composent, & qui joigne à cet avantage, celui de la diminution des effets avec l’éloignement des causes (Du Châtelet 1988, 341).

Emilie du Châtelet hebt also als das Entscheidende der Methodologie Maupertuis’ hervor, dass er die Geltung des newtonschen Gravitationsgesetzes von einer Eigenschaft abhängig macht, die dieses Gesetz von allen anderen unterscheidet. Es gilt nämlich für die einzelnen Teile eines Körpers in derselben Weise wie für den Körper als Ganzes, und sie entdeckt darin eine Leibniz’sche Denkfigur. Denn die Auszeichnung des newtonschen Gesetzes beruht auf einem Verfahren, das in dem Leibniz’schen Problem der Wahl der besten aller möglichen Welten seinen Ursprung hat. Wie im Falle der Emilie du Châtelet, ist aber auch hier eine Differenz zu Leibniz augenfällig. Denn bei Leibniz geht es um eine Auswahl aus möglichen Welten, für die jeweils besondere grundlegende Gesetze wie das Gesetz der Erhaltung der lebendigen Kraft charakteristisch sind. Maupertuis jedoch zielt von vornherein auf die Wahl der Gesetze selbst. Er bezieht also den Gedanken der Wahl als methodologisches Problem auf einen anderen, nämlich physikalisch wohlbe  3

Der Text ist 1732 in Paris unter dem Titel Discours sur les différentes figures des astres avec une exposition des systèmes de MM. Descartes et Newton erschienen.

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stimmten Gegenstand. Und diesen Ansatz seiner frühen Auseinandersetzung mit Newton und Descartes hat er dann sukzessive zu einem Prinzip ausgearbeitet, das in der abschließenden Formulierung lautet, dass bei allen Veränderungen, die in der Natur vorkommen, die dafür aufgewendete Aktionsgröße stets die kleinstmögliche ist. Lorsqu’il arrive quelque changement dans la Nature, la quantité d’action employée pour ce changement est toujours la plus petite qu’il soit possible (Maupertuis 1756a, xiv).

Die Bedeutung dieses Prinzips hat Maupertuis hoch veranschlagt. Denn er ist überzeugt, gefunden zu haben, was alle großen Philosophen suchten, ein und nur ein Prinzip, mit dem sämtliche auf besondere Gegenstände bezogene Gesetze vereinbar sind, ein Prinzip also, in dem sie alle letztlich ihren gemeinsamen Grund haben. Die Philosophen, meint Maupertuis, hätten bisher nach einer unveränderlichen Kraft gesucht, die sich beim Stoß der Körper erhält. Doch vergeblich hätten Descartes und Leibniz ihre Lösung in der Angabe eines Maßes für die Bewegung bzw. die Kraft präsentiert. Denn die eigentlichen Kräfte der Natur seien nicht Agenzien, die sich im Ganzen erhalten, sondern solche, die in jedem Moment gleichsam neu erschaffen werden, und zwar mit größtmöglicher Sparsamkeit (Maupertuis 1756a, xviii). Diese Wirkpotenzen heißen bei Maupertuis im Unterschied zu den Kräften Aktionen (actions). Maupertuis vollzieht damit eine radikale Wende in der Naturphilosophie. Er postuliert mit den Aktionen eine neue Dynamik, deren Besonderheit darin besteht, dass sie nicht durch Erhaltungssätze, sondern durch das Prinzip der kleinsten Aktion, d. h. durch ein Extremalprinzip regiert werden. Und es ist sein Anspruch, damit nicht nur eine andere Dynamik zu formulieren, sondern eine solche, die Descartes’ und Leibniz’, ja sogar Newtons Bewegungsgesetze mit umfasst. Der Schlüsselbegriff dieser Dynamik ist der Begriff der Aktion. Es ist ein Begriff, der sich als actio formalis mit dem Maß mvs auch bei Leibniz findet. Diese Größe ist bei Leibniz eine der tragenden Säulen der apriorischen Methode der Kraftmessung, mit der er seinem Diktum „Physica per Geometriam Arithmeticae, per Dynamicen Metaphysicae subordinatur.“ (GM VI, 104; auch GP IV, 398) folgend, eine rein mathematische Herleitung des Maßes der lebendigen Kraft unternimmt. Indessen ist dieser Teil seiner Dynamikstudien Leibniz’ Zeitgenossen weitgehend unbekannt geblieben. Lediglich brieflich hat sich Leibniz darüber mit Jacob Hermann, Johann I Bernoulli, Christian Wolff und einigen anderen ausgetauscht. Erst 1728, als Christian Wolff in öffentlich zugänglicher Form die Methode der apriorischen Kraftmessung vorstellte, wurde klar, dass Leibniz die Begründung seines Kraftmaßes weit umfassender angelegt hatte als aus den in den Acta Eruditorum publizierten Schriften ersichtlich ist. Und obwohl sich Christian Wolff in seinen Principia dynamica überzeugt zeigte, dass die Prinzipien seiner Dynamik ganz im Geiste Leibniz’ abgefasst seien (Wolff 1974, 163), glaubte noch Kant, es handele sich bei der apriorischen Methode der Kraftmessung um eine auf Wolff und nicht auf Leibniz zurückgehende Idee (Kant 1910, §§ 103–105).

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Eine neue Situation ergab sich, als Samuel König Maupertuis mit der Abschrift eines vermeintlichen Leibniz-Briefes an Jacob Hermann konfrontierte, die zu beweisen schien, dass bereits Leibniz das Prinzip der kleinsten Aktion gekannt und erfolgreich bei der Lösung physikalischer Aufgaben angewendet hatte. Die Sache wurde zum Politikum, denn es stand ein veritabler Prioritätsvorwurf im Raume, dessen vielfältige Facetten Philosophie- und Wissenschaftshistoriker bis heute zu emotionalen Stellungnahmen veranlasst. An dieser Stelle verweise ich nur auf die 1753 in Leipzig erschienene Vollständige Sammlung aller Streitschriften, die neulich über das vorgebliche Gesetz der Natur von der kleinsten Kraft, in den Wirkungen der, zwischen dem Herrn Präsidenten von Maupertuis zu Berlin, Herrn Professor König in Holland und anderen mehr, gewechselt worden, die einen guten Überblick über die zeitgenössische Debatte gibt. Was den Brief selbst und seine Bedeutung für die Geschichte der Dynamik angeht, so ist dessen Echtheit schnell in Zweifel gezogen worden. Anhaltspunkte dafür waren inhaltliche Details. Die Tatsache vor allem, dass die Passage des Briefes: „J’ai remarqué que dans les modifications des mouvemens elle [l’action] devient ordinairement un Maximum ou un Minimum“ (König 1957, 324), in Leibniz’ Schrifttum singulär ist. Selbst heute, wo der Leibniz-Nachlass sehr weitgehend erschlossen ist, hat sich keine weitere Aussage der Art finden lassen, dass bei Bewegungsänderungen die Aktion in aller Regel ein Maximum oder Minumum annimmt. Wenn von der Aktionsgröße bei Leibniz die Rede ist, so handelt es sich immer darum, ein Erhaltungsprinzip zu legitimieren, nicht aber um eine Größe, deren Extremaleigenschaften ein grundlegend neues physikalisches Prinzip definieren. Maupertuis hat deshalb bemerkt, dass Leibniz genau an der Stelle, wo es fast zwingend ist, das Aktionsprinzip für die Lösung eines physikalischen Problems zu benutzen, so man denn darüber verfügt, d. h. bei der Ableitung der Gesetze der geometrischen Optik, Leibniz keinen Gebrauch davon macht (Maupertuis 1756a, xxiv). Schließlich fühlte sich auch Leonhard Euler angesprochen, der im Additamentum II zu seiner Methodus inveniendi lineas curvas maximi minimive proprietate gaudentes sive solutio problematis isoperimetrici latissimo senso accepti (Eine Methode, Kurven zu finden, die eine Maximum- oder Minimumeigenschaft aufweisen oder Lösung des im weitesten Sinne aufgefassten isoperimetrischen Problems) genau jenes Problem gelöst hatte, das in dem von König zitierten Brief folgendermaßen formuliert wird: „[…] elle [l’action] pourroit servir à determiner les courbes que decrivent les corps attirés à un, ou plusieurs centres“ (König 1957, 324). Euler untersuchte daher schon aus eigenem Interesse die Authentizität des Brieffragments anhand der von Leibniz zugänglichen Schriften und kam zu dem Schluss, dass dieses Fragment untergeschoben sei (Euler 1957a, 72). Seitdem ist manches über den vermeintlichen Leibniz-Brief und dessen Echtheit veröffentlicht worden, und ich werde darauf später aus der Perspektive der Physik zurückkommen. Einstweilen bleibt festzuhalten, dass der Argumentation Eulers nicht nur aus Sicht der Kenntnis der zur damaligen Zeit von Leibniz bekannten Schriften zuzustimmen ist. Denn das eigentliche Argument ergibt sich, wenn sowohl der Streit um das Leibniz’sche Kraftmaß als auch der Prioritätsvor-

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wurf hinsichtlich des Prinzips der kleinsten Aktion nicht als weitgehend separierbare Ereignisse betrachtet werden, sondern als Facetten eines übergreifen Prozesses der Ausarbeitung einer physikalischen Dynamik. Sowohl die Cartesianer als auch die Leibnizianer und natürlich all jene, die im 18. Jahrhundert als Newtonianer galten, wie etwa Emilie du Châtelet oder Maupertuis, haben ihre Beiträge zur Dynamik durch jeweils eigene methodologische Strategien legitimiert. Die Maße waren daher als geltend nur auf dem Hintergrund der besonderen Regularien ihrer Einführung anzusehen. Nimmt man dies ernst, so passen Leibniz’ und Maupertuis’ Aktionsbegriff nicht zusammen. Und selbst die integrativen Bemühungen von Emilie du Châtelet und Maupertuis waren nicht in der Lage, die verschiedenen Stränge der Dynamikentwicklung zusammenzuführen. Das änderte sich mit Leonhard Euler. Auch Euler tritt mit dem Anspruch eines eigenen Prinzips auf. Im Jahre 1750 reichte er bei der Berliner Akademie eine Abhandlung mit dem Titel: Découverte d’un nouveau principe de mécanique ein. Und er gibt als den Zweck seiner Arbeit die Formulierung eines Prinzips an, auf das sich alle bisher bekannten Prinzipien reduzieren lassen. Kein Zweifel also, dass es sich hier um nicht mehr und nicht weniger als die Präsentation des endlich gefundenen vereinheitlichenden Prinzips handelt, das alle bekannten Prinzipien der Mechanik umfasst. Ein Prinzip „qu’on peut regarder comme l’unique fondement de toute la Mécanique et des autres Sciences, qui traitent du mouvement des corps quelconques“ (Euler 1957c, 88). Dieses Prinzip gibt Euler mit der Formel 2M ddx = ± P dt2 an. Darin bezeichnet M die Masse und P die Kraft. Die Ortskoordinaten werden durch x und die Zeitkoordinate durch t wiedergegeben. Bei Eulers nouveau principe handelt sich um die heute so genannte Newton’sche Bewegungsgleichung, von der er zeigen kann, dass sich auf ihrer Grundlage die unterschiedlichen Ansätze zur Dynamik bei Leibniz, Newton und Maupertuis in ein System bringen lassen. Euler unterstellt dafür, dass alle Forschungen in der Mechanik auf die Lösung von zweierlei Aufgaben hinauslaufen, nämlich, bei gegebenen Kräften die Bewegungsänderungen zu bestimmen, die sie bewirken und wenn umgekehrt die Zustandsänderungen der Körper bekannt sind, die generierenden Kräfte zu finden (Euler 1957b, 112). Das entspricht dem, was Euler an anderer Stelle die direkte und die indirekte Methode nennt, wobei jene auf die Integration der Bewegungsgleichung hinausläuft, während diese zum Variationsproblem führt, d. h. zum Prinzip der kleinsten Aktion. Euler vergisst nicht hinzuzusetzen, dass die Anwendung der direkten Methode auf der Voraussetzung der Wirkung von Kausalursachen beruht, während die indirekte Methode der Annahme von Finalursachen genügt (Euler 1957d, 3). In diesem Kontext lassen sich nun sowohl die quantitas motus als auch die lebendige Kraft ableiten, und zwar als erste Integrale der Bewegung, d. h. als Größen, die während der gesamten Bewegung eines Körpers entlang seiner Bahnkur-

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ve konstant bleiben. Der Begriff des ersten Integrals verweist auf die Art der Einführung dieser Größen. Denn die quantitas motus ergibt sich aus der Integration der Kraft P über die Zeit, und die lebendige Kraft aus der Integration derselben Kraft über den Weg. Unter der Voraussetzung des eulerschen nouveau principe ergeben sich somit die quantitas motus und die lebendige Kraft als gleichberechtigte Erhaltungsgrößen der Dynamik, und es wird eingelöst, was Emilie du Châtelet in ihrer Leibnizrezeption vage als eine mögliche Begriffsexplikation aussprach. Um indessen zum maupertuisschen Prinzip zu gelangen, muss Euler mit der Wirksamkeit (effort) eine neue Größe definieren, die er als das Wegintegral der Kraft bestimmt. Mit deren Hilfe formuliert er das Prinzip der kleinsten Aktion, wobei er insbesondere auf Maupertuis als dessen Urheber verweist. An diesen wendet er sich auch, um Klarheit über die Bedeutung dieses Prinzips als eines Finalprinzips im Unterschied zu Kausalprinzipien zu erlangen. Und er konstatiert, dass, um den Zusammenhang von Kausalität und Finalität zu verstehen, eine übergreifende Wissenschaft (grand sience) erforderlich sei, eine Wissenschaft, in der die allgemeinen Prinzipien der Naturerkenntnis formuliert werden müssten, und von der die Metaphysiken eines Leibniz oder Wolff weit entfernt seien (Euler 1986, 57). In welche Richtung seine eigenen Überlegungen gehen, wird aus Erwägungen ersichtlich, die er 1750 über den Ursprung der Kräfte anstellte. Diese sind für Euler nicht die Quelle der Bewegung, sondern erweisen sich umgekehrt als durch Bewegungen allererst hervorgebracht, indem sie ihre Existenz der Undurchdringlichkeit der Körper verdanken. Wann immer sich Körper aufeinander zu bewegen, so wird deren Durchdringung nach Euler vermittels der Aktivierung von Kräften verhindert, deren Wirkungen einem Minimalprinzip genügen, und zwar so, dass es die kleinstmöglichen Wirkungen sind, mit denen die Durchdringung verhindert wird. Auf diese Weise sind die Kräfte immer wohlbestimmt und einer mathematischen Darstellung zugänglich. Bewegungen sind daher sowohl durch das Aktionsprinzip als auch durch die Angabe einer Bewegungsgleichung beschreibbar. Mit diesen Resultaten ist die Ausarbeitung der dynamischen Größen und Gleichungen an einen Punkt gelangt, der die historischen Diskussionen auch formal zusammenfasst und zu einem relativen Abschluss bringt. Wenn daher D’Alembert (D’Alembert 1743, xxj) die ganze Debatte als einen bloßen Streit um Worte ansah, so setzt er diesen Zustand der Theorieentwicklung voraus, und er lässt unberücksichtigt, dass die Begriffe und Prinzipien, die er als gegeben ansieht, erst erarbeitet werden mussten. Indessen war der Prozess der Begriffsbildung auch um die Mitte des 18. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen. Denn Euler hatte zwar das maupertuissche Prinzip gerechtfertigt; in allgemeiner Form ausgesprochen aber hatte er es nicht. Dafür hätte er als allgemeine Variationsbedingung die Geltung der Gesamtenergie als der Summe aus potentieller und kinetischer Energie voraussetzen müssen. Er hätte also fordern müssen, dass sich für alle möglichen Bewegungen eines Körpers längs einer Trajektorie die Gesamtenergie erhält, und nicht wie er annahm, die lebendige Kraft. Diese Beschränkung wurde zehn Jahre später durch Joseph Louis Lagrange aufgehoben.

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Erst auf dieser Grundlage lässt sich dann der Zusammenhang von Aktionsprinzip (bzw. Wirkungsprinzip, wie es im Deutschen später heißen wird) und Bewegungsgleichung auch formal angeben. Schreibt man, wie heute üblich, das Wirkungsprinzip in der Form .

wobei mit S die Wirkungsfunktion, mit L die Lagrangefunktion und mit t die Zeitvariable bezeichnet sein sollen, so wird das Wirkungsintegral genau dann extremal, wenn die Forderung 0

erfüllt ist, d. h. wenn die Euler-Lagrange-Gleichung des Variationsproblems (die verallgemeinerte newtonsche Bewegungsgleichung) mit den als den generalisierten Koordinaten und den als generalisierten Geschwindigkeiten gilt. Dafür wird die Lagrangefunktion

als Differenz aus kinetischer und potenzieller Energie vorausgesetzt, und die Größe T entspricht der durch Leibniz eingeführten lebendigen Kraft. 1.5. Hermann von Helmholtz und das Energieprinzip In den Arbeiten von Euler und deren Präzisierung durch Lagrange war die Entwicklung der Dynamik als physikalische Disziplin nicht nur zu einem relativen Abschluss gekommen. In diesen Resultaten reproduzierte sich auch die ursprüngliche Leibniz’sche Fragestellung. Denn für Leibniz war die Einführung eines Kraftbegriffs die conditio sine qua non der Lösung des Bewegungsproblems, die sich methodologisch in der Feststellung bündelte, dass sich alle natürlichen Phänomene auf zweifache Weise erklären lassen, durch Kausal- oder Wirkursachen einerseits sowie durch Final- oder Zweckursachen andererseits. Nach gut einem halben Jahrhundert Entwicklungsgeschichte der Dynamik lässt sich dieser Zusammenhang auch physikalisch formulieren, und zwar als Methode der Bewegungsanalyse, die sich in zweifacher Form präsentiert, als Prinzip der kleinsten Aktion und in Gestalt der newtonschen Bewegungsgleichung. Beide, Leibniz wie Euler, unterstellten dafür Kräfte als natürliche Subjekte, und Hermann von Helmholtz zeigte, wie mit der Einführung des Energieprinzips diese Sichtweise an ihre Grenzen gerät. Helmholtz geht dafür von Leibniz aus, und er bezieht sich insbesondere auf dessen Einsicht, dass „die Summe der lebendigen Kräfte in einem Massensystem allemal wieder dieselbe wird, wenn die sämmtlichen Theile des Systems im Laufe

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ihrer Bewegung in die gleiche Lage zu einander zurückkehren“ (Helmholtz 1911, 193). Im Bild der Brevis demonstratio entspricht dies der beständigen Rückkehr des fallenden Körpers in seine Ausgangslage. Und Helmholtz präzisiert: „Diese Gesetzmässigkeit bezeichnete er [Leibniz] als conservatio virium vivarum“ (Helmholtz 1911, 194). Wenn das aber gilt, wenn also die Summe der lebendigen Kräfte erhalten bleibt, so darf man nach Helmholtz schließen, dass egal auf welchem Weg sich das System bewegt, um zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren, sich die lebendige Kraft allein als Funktion der Koordinaten der Massenpunkte darstellen lassen muss. Und Helmholtz zeigt, dass in diesem Falle die fragliche Funktion, wenn wir sie durch V bezeichnen, der Bedingung genügt. Diese Funktion heißt heute Potentialfunktion, und Kräfte (hier durch F bezeichnet), die ein Potential besitzen, nennt man konservative Kräfte. Entsprechend spricht man von konservativen Systemen, für die der Energieerhaltungssatz in der Form gilt. Der entscheidende Schritt von Helmholtz besteht nun nicht allein darin, die Gesamtenergie statt der lebendigen Kraft zugrunde zu legen. Das war ja schon für die Bildung der Lagrangefunktion erforderlich. Was Helmholtz zu einem der Stammväter des modernen Energieprinzips machte, drückt er in seiner legendären Arbeit aus dem Jahre 1847 folgendermaßen aus: „Zweck der vorliegenden Abhandlung ist es, ganz in derselben Weise das genannte Princip in allen Zweigen der Physik durchzuführen“ (Helmholtz 1889, 7). Und die Folgen dieses Ansatzes sind enorm. Helmholtz führt dieses Projekt nicht nur durch, er zeigt vielmehr, dass es seine ganze Bedeutung für die physikalische Dynamik erst dann entfaltet, wenn man den Zusammenhang von Energieerhaltungssatz und Wirkungsprinzip expliziert. In diesem Sinne stellt er fest: Das Gesetz von der kleinsten Action schließt sich eng an das von der Energie an und vervollständigt dasselbe. Das letztgenannte Gesetz giebt nämlich nur eine einzige Grösse, das Quantum der Energie, an, die im Verlauf jedes Naturprocesses constant bleiben muss. Darüber, wie übrigens der Process zwischen seinem Anfangs- und Endstadium ablaufen wird, giebt es nichts weiter an. Um das zu ermitteln, musste man bei den Systemen wägbarer Körper auf die allgemeinen Bewegungsgleichungen zurückgehn. Nun ist es gerade dies, was durch das Gesetz von der kleinsten Action bestimmt wird (Helmholtz 1900, 284).

Das maupertuissche Prinzip hat daher für Helmholtz nur Sinn und Bedeutung relativ zum Energieprinzip, und zwar deshalb, weil sich auf diese Weise jede besondere Bewegung eines physikalischen Systems als Auswahl aus der Gesamtheit seiner möglichen Bewegungen verstehen lässt. Und Helmholtz schlussfolgert: Für die letzten pricipiellen Fragen der Wissenschaft, der eigentlichen und berechtigten Philosophia naturalis, wie die Physik von den Engländern immer noch genannt wird, ist der Umstand von hoher Wichtigkeit, dass in den beiden allgemeinsten Gesetzen von der Constanz der Energie und von der kleinsten Action nur noch von den beiden Formen der Energie als

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Hartmut Hecht den ganzen Verlauf der Naturprocesse bestimmenden Grössen die Rede ist, nicht mehr von Bewegungskräften und Kraftcomponenten, welche letzteren nur noch als abgeleitete Rechnungswerthe erscheinen. Alles Geschehen wird dargestellt durch das Hin- und Herfluthen des ewig unzerstörbaren und unvermehrbaren Energievorraths der Welt, und die Gesetze dieses Fluthens sind vollständig zusammengefasst in dem Satze der kleinsten Action (Helmholtz 1900, 287).

Das ist nun wirklich etwas Neues. Denn was Helmholtz im Hin- und Herfluten des Energievorrats anschaulich ins Bild setzt, ist eine Konsequenz der Dynamikentwicklung, die darin ihren Ausgangspunkt neu bewertet. Für Leibniz waren noch Kräfte der Dreh- und Angelpunkt seines Fortschreitens von der Statik zur Dynamik, und die gesamte sich daran anschließende Entwicklung hat in der Perspektive der Dynamik die Kräfte zwar unterschiedlich bestimmt, sie aber immer als Ausdruck natürlicher Agenzien begriffen. Das stellt Helmholtz nun infrage. Nicht dass er den Kraftbegriff ganz und gar verworfen hätte; davon kann nicht die Rede sein. Der Kraftbegriff hat auch für ihn seine Berechtigung, nur eben als abgeleiteter Begriff, und das will heißen als Abstraktion. Zum Schlüsselbegriff avanciert bei Helmholtz der Begriff des Gesetzes. Und er notiert, dass die möglichst vollständige und einfachste Beschreibung [der Phänomene] nur in der Art gegeben werden kann, daß man die Gesetze ausspricht, welche den Phänomenen zu Grunde liegen (Helmholtz 1984, 25 f.).

Helmholtz begreift das Gesetz als ruhiges Abbild der Bewegung, als das, was sich in allen Veränderungen erhält und unter gleichen Bedingungen seine Realität dadurch bekundet, dass es unabhängig vom Wollen und Wünschen des Forschers eintritt. Das Gesetz muss daher als etwas Dauerndes anerkannt werden, „was in jedem Augenblicke wirkungsbereit vorhanden ist“ (Helmholtz 1984, 26). Und da genau dies historisch mit der Existenz von Kräften assoziiert wurde, ist für Helmholtz klar, weshalb die Kraft eine solche Faszination für die Naturerkenntnis ausübt. Sie drückt in substantivierter Form oder, wie Helmholtz sagt, „substantivisch“ aus, was streng genommen ein Verhältnis darstellt und sich als Gesetz in einer Beziehung zwischen Größen offenbart. Grundsätzlich aber gilt: „In dem Begriffe des Gesetzes der Erscheinungen liegt schon alles, was wir in diesen weiteren Benennungen hinzufügen“ (Helmholtz 1984, 29). Helmholtz meint hier Kategorien wie Kraft, Ursache und Kausalität. Letztlich ist es diese Einsicht, die den Schritt von der lebendigen Kraft im Sinne Leibniz’ zum Energieerhaltungssatz ermöglicht. Denn die Suche nach einem Maß der Kraft war auf die Auszeichnung einer und nur einer Größe fixiert, in der die Kraft quantitativen Ausdruck erlangen sollte. Die Entwicklung der Dynamik hatte indessen zu mehr als einem Maß geführt, deren Zusammenhang sich durch ein übergreifendes Kraftkonzept nicht mehr bündeln ließ, wohl aber durch gesetzmäßige Beziehungen und Prinzipien. Damit wälzt sich auch das Verständnis von Physik grundlegend um. Hatte selbst Euler noch mechanische Modelle konstruiert, die, wie Helmut Pulte zeigen konnte (Pulte 1989), in der Tradition des Cartesianismus standen, so ist für Helmholtz klar, dass eine physikalische Erklärung über die Angabe eines

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Gesetzes hinaus keiner weiteren Interpretation bedarf. Für dieses Konzept sind der Energieerhaltungssatz und das Wirkungsprinzip fundamental. In den Arbeiten von Max Planck erweisen sie ihre Erweiterbarkeit auch über die heute so genannte klassische Physik hinaus. 1.6. Max Planck – Geschichte als Reflexionshintergrund Ich hatte den Perspektivenwechsel von der Kraft zum Gesetz als den eigentlichen erkenntnistheoretischen Gewinn dargestellt, der durch die Einführung des Energiebegriffs möglich und (jedenfalls für Helmholtz) notwendig wurde. Aus dieser Sicht erweist sich die naturphilosophische Dominanz der Kraft und deren Bestimmung durch ein Maß als Hemmnis, das es Leibniz und übrigens auch Euler so schwer machte, das Konzept der lebendigen Kraft zum Energiebegriff fortzuentwickeln. Selbst Helmholtz bewegte sich ja terminologisch noch auf Leibniz’schem Terrain, wenn er zeitweise die Begriffe der lebendigen Kraft und der kinetischen Energie nebeneinander verwendete. In dieser begrifflichen Unschärfe kommt zum Ausdruck, „wie schwer es damals selbst für einen geschulten Physiker [gewesen sein] mochte, in den Geist des Princips einzudringen“ (Planck 1887, 88). Und Planck, der in dieser Bemerkung seinen Sinn für historische Entwicklungen dokumentiert, illustriert seine Feststellung an der heute als grundlegend geltenden Arbeit Helmholtz’ über die Erhaltung der Kraft. „Der Eindruck“, schreibt er, den die Arbeit bei ihrem Erscheinen bei den Fachgenossen hervorrief, war kein bedeutender. Das neue Princip war damals geradezu unpopulär, es verlangte eine so radicale Umwälzung aller physikalischen Anschauungen, dass es begreiflicherweise allgemein mit Befremden und meistens ablehnend beurtheilt wurde. So kam es, dass dieser später so berühmt gewordene Aufsatz zuerst gar nicht einmal in weitere Kreise gelangte […] (Planck 1887, 48).

Das Zitat ist Plancks Preisschrift Das Princip der Erhaltung der Energie entnommen, die er 1887 auf eine Ausschreibung der Göttinger philosophischen Fakultät einreichte, in der neben der physikalischen Untersuchung der verschiedenen Arten der Energie und dem Beweis des Energieprinzips auch „eine genaue historische Entwicklung der Bedeutung und des Gebrauchs des Wortes Energie in der Physik“ (Planck 1887, iii) verlangt wurde.4 Die Preisaufgabe war also selbst Teil der historischen Begründung und physikalischen Legitimation des Energieprinzips, und Planck hat beide Seiten der Aufgabenstellung gleichermaßen ernst genommen. Von Leibniz ist sowohl im historischen als auch im systematischen Teil die Rede. Historisch ist es der Streit zwischen den Cartesianern und Leibnizianern über das wahre Kraftmaß, der den Fokus bildet. Allerdings in höchst eigener Weise,   4

Es wurden drei Arbeiten eingereicht und nur die von Max Plack prämiert – interessanterweise mit dem zweiten Preis.

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denn was Planck über die Leibniz’sche Unterscheidung von vis mortua und vis viva zu sagen hat, kommt in der gesamten Grundlagendebatte sonst nicht vor. Leibniz’ tote Kraft sei nämlich nichts anderes als die newtonsche Kraft, eine Kraft, die Newton selbst als Druck auffasste, erläutert Planck (Planck 1887, 9). Die gesamte Diskussion sei daher von einer Begriffsverwirrung überlagert gewesen, die man hätte vermeiden können, wenn man dem Leibniz’schen Postulat gefolgt wäre, dass eine Ursache nur die ihr entsprechende Wirkung hervorbringen kann. „Wäre der Streit in dieser etwas präciseren Form geführt worden, so hätte Leibnitz Recht behalten müssen.“ (Planck 1887, 8) Eine vergleichbare Situation findet er in den zeitgenössischen Beurteilungen der Arbeiten Julius Robert Mayers vor. Diese gehören bekanntlich zu den Geburtsurkunden des Energieprinzips (Mayer 1911), nichtsdestotrotz waren sie von Anbeginn nicht unumstritten. Der Grund dafür lässt sich leicht angeben: Mayer bediente sich einer Terminologie, die eher naturphilosophisch orientiert war als physikalisch. Er bezog sich auf die Leibniz’sche Sentenz: Causa aequat effectum, und er benutzte den Kraftbegriff im Leibniz’schen Sinne, obwohl sich in der Physik inzwischen die newtonsche Definition durchgesetzt hatte. Für Planck ist das allerdings kein Grund, vornehme Zurückhaltung gegenüber dem sachlichen Gehalt dieser Schriften zu üben. Es sei vielmehr auch hier eine vorurteilsfreie Prüfung gefragt, eine Analyse, die ihn zu dem Schluss kommen lässt, dass die Favorisierung des Leibniz’schen Kraftbegriffs gegenüber dem newtonschen bei Mayer, eine Entscheidung für den fundamentaleren Begriff bedeutete. „In diesen Überlegungen“, schreibt Planck, mag Mayer Recht haben: nach dem jetzigen Stande der Naturwissenschaft ist in der That der Leibnitz’sche Begriff der wichtigere geworden; allein er rechnete nicht mit der Macht der historischen Entwickelung der Wissenschaft. Die Physik war auf die Mechanik gegründet, und in der Mechanik hatte sich der newtonsche Begriff doch schon zu sehr eingebürgert, um sich so einfach wieder durch eine andere Bezeichnung verdrängen zu lassen. […] Nur die Rücksicht auf die Geschichte kann diese Inconsequenz, die heutzutage wenigstens nicht so wie früher die Gefahr eines Missverständnisses in sich birgt, erklären (Planck 1887, 26).

Leibniz’ ursprünglicher Impetus zur Dynamik führte also, folgt man der Darstellung Plancks, in seiner Durchführung zu einer Theorie, die nicht allein Bedeutung für die Mechanik hat. Und diese zunächst nur historisch erschlossene Einsicht wird dann im systematischen Teil der Planck’schen Preisschrift wissenschaftsmethodologisch begründet. Dafür wird zunächst der Energiebegriff definiert und im Anschluss daran das Prinzip der Erhaltung der Energie in folgender Form ausgesprochen: „Die Energie eines materiellen Systems in einem bestimmten Zustand, genommen in Bezug auf einen bestimmten anderen Zustand als Nullzustand, hat einen eindeutigen Wert“ (Planck 1887, 99). Planck betont dann, dass sich alle anderen Formen, in denen das Energieprinzip darstellbar ist, aus dieser Formulierung deduzieren lassen. Das trifft insbesondere auf das Prinzip des ausgeschlossenen Perpetuum mobile zu, dessen sich sowohl Leibniz als auch Helmholtz bedient hatten. Und um dies zu zeigen, werden der Ausgangs- und Endzustand des Systems als gleich angenom-

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men. Es wird also ein Kreisprozess definiert, für den der Weg, auf dem das System zu seinem Ausgangszustand zurückkehrt, beliebig ist. Das Prinzip des ausgeschlossenen Perpetuum mobile lässt sich dann auch in der Form angeben, dass es unmöglich ist, mit einem materiellen System einen Kreisprocess (der das System genau in seinen Anfangszustand zurückbringt) so auszuführen, dass die äusseren Wirkungen einen von 0 verschiedenen (positiven oder negativen) Arbeitswert haben (Planck 1887, 138 f.).

In dieser Form wird das Prinzip von Planck benutzt, um die verschiedenen Arten der Energie einzuführen, wobei zu beachten ist, dass sich das Perpetuum mobile Prinzip zwar aus dem Prinzip der Erhaltung der Energie ableiten lässt, die Umkehrung in dieser Allgemeinheit allerdings nicht gilt. Eben dieser Sachverhalt ermöglicht es, noch einmal auf Leibniz zurückzukommen. Denn die Leibniz’sche Einführung eines Kraftmaßes folgt genau dem soeben geschilderten Procedere. Leibniz unterstellt als grundlegendes metaphysisches Prinzip die Äquivalenz von Gesamtursache und vollständiger Wirkung. Er bezieht sich auf die Forderung, dass ein mechanisches Perpetuum mobile auszuschließen sei, und er untersucht Kreisprozesse, um das Maß der Kraft zu bestimmen. Leibniz’ Strategie zur Einführung seines Kraftmaßes unterscheidet sich daher von der Planck’schen nur in Bezug auf die Tatsache, dass dieser mit seinem Verfahren die Gesamtenergie eines Systems definiert, während jener das Maß der lebendigen Kraft bestimmt. Der Unterschied ist also ein Unterschied der Bedingungen, nicht des Wesens der Sache. Es ist ein und dasselbe Verfahren, das aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen verschiedene Erhaltungsgrößen liefert. Leibniz hat von diesem Procedere in der Brevis demonstratio Gebrauch gemacht, und er hat es im Dialog mit Papin zum Ausschluss der quantitas motus als Kraftmaß benutzt. Vor allem aber ist es in den Handschriften der Pariser Zeit zu studieren.5 Wenn daher Planck ohne deren explizite Kenntnis dasselbe Verfahren praktiziert, so folgt, dass Leibniz’ Beitrag zur Bildung der Grundbegriffe der Dynamik umfassender ist als durch die Einführung der Messgröße mv2 für die lebendige Kraft nahegelegt wird. Viel fundamentaler und bislang weitgehend unbeachtet ist, wie sich zeigt, seine methodologische Strategie in dieser Frage. Und das gilt nicht nur für den Energiebegriff. Max Planck hatte seine Preisschrift Das Princip der Erhaltung der Energie mit der Feststellung eröffnet, dass es zwei Sätze seien, „welche dem gegenwärtigen Bau der exacten Naturwissenschaften zum Fundament dienen: das Princip der Erhaltung der Materie und das Princip der Erhaltung der Energie“ (Planck 1887, 1). Um dieser Prämisse gerecht zu werden, um also ausgehend vom Energieprinzip zur Lösung besonderer physikalischer Probleme fortschreiten zu können, hatte er Randbedingungen formulieren müssen, die, wie er sich ausdrückte, zwar nicht   5

Einige der Handschriften werden diskutiert in Hecht (2013) und Hecht (2016). Man vgl. auch den Abschnitt Maßbildung als methodologisches Problem: Oliver Schlaudt weiter unten.

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die Gültigkeit des Energieprinzips infrage stellten, wohl aber dessen universelle Anwendbarkeit. Um diesen Mangel zu beseitigen, musste Planck den Stellenwert des Energieprinzips als universelles physikalisches Prinzip genauer bestimmen, und er kommt zu dem Ergebnis, daß alle bekannten reversiblen Prozesse, mögen sie nun mechanischer, elektrodynamischer oder thermischer Natur sein, sich sämtlich einordnen lassen unter ein einziges Prinzip, welches sämtliche ihren Verlauf betreffenden Fragen eindeutig beantwortet. Dieses Gesetz ist nicht etwa das Prinzip der Erhaltung der Energie; denn dieses gilt zwar für alle diese Vorgänge, bestimmt aber ihren Verlauf nicht eindeutig, sondern es ist das viel umfassendere Prinzip der kleinsten Wirkung (Planck 1910, 97).

In seinem Beitrag für die Anthologie Kultur der Gegenwart stellt Planck dieses Prinzip in seiner historischen Entwicklung vor. Er konstatiert eine enge Verwandtschaft mit dem Leibniz’schen Problem der Wahl der besten aller möglichen Welten, geht auf den Streit zwischen Maupertuis und Samuel König ein, diskutiert den Beitrag Eulers und stellt schließlich fest: „J. L. Lagrange war der erste, der dem Prinzip der kleinsten Wirkung eine korrekte Fassung gab (1760)“ (Planck 1944, 74). Doch auch diesbezüglich muss Planck erkennen, was er bereits in Bezug auf das Energieprinzip bemerkt hatte, dass dieses Prinzip anfangs keinen bedeutenden praktischen Einfluss auf den Fortgang der Physik ausübte. „Man betrachtete es mehr als eine mathematische Kuriosität, als ein interessantes aber doch entbehrliches Anhängsel der Newtonschen Bewegungsgesetze“ (Planck 1944, 75). Und wieder war es die Verallgemeinerungsfähigkeit, die dem Prinzip eine glänzende Perspektive in der Physik eröffnete, denn es bewies seine Anwendbarkeit auch dort, wo die Berechnung von Bahnkurven im Sinne der newtonschen Theorie nicht möglich war, d. h. bei solchen Systemen, „deren Mechanismus entweder überhaupt unbekannt oder doch so kompliziert ist, daß man an eine Zurückführung auf gewöhnliche Koordinaten nicht denken kann“ (Planck 1944, 76). Die Übereinstimmung dieser Bemerkung mit Leibniz’ Überlegungen zur Bedeutung von Finalursachen in der Physik ist offensichtlich. So stellt er etwa in einer Arbeit aus dem Jahre 1682 fest, dass diejenigen irren, die die Zwekkursachen vorschnell aus der Physik verbannen wollen, weil diese uns neben der Bewunderung der Weisheit des Schöpfers ein vorzügliches Prinzip an die Hand geben, auch jene Eigenschaften von Dingen zu erkennen, deren innere Natur uns noch nicht so gut bekannt ist, als dass wir deren Wirkursachen und Mechanismen erklären könnten.6   6

Wörtlich heißt es bei Leibniz: Itaque errant valde, ne quid gravius dicam, qui causas finales cum Cartesio in Physica rejiciunt: cum tamen praeter admirationem divinae sapientiae, pulcherrimum nobis principium praebeant inveniendi earum quoque rerum proprietates, quarum interior natura nondum tam clare nobis cognita est, ut causis efficientibus proximis uti, machinasque, quas conditor ad effectus illos producendos, finesque suos obtinendos adhibuit, explicare valeamus.“ (Leibniz 1682, 186, deutsch Leibniz 1955, 290 f.)

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Es sind solche Aussagen, die Planck veranlassen, im Zusammenhang mit der Etablierung von Variationsprinzipien an Leibniz’ Theodizee zu erinnern, und zwar insbesondere an deren Einsicht, dass ein Maximum des Guten, notwendige Übel einschließt. „Dieser Grundsatz ist“, schreibt Planck, nichts anderes als ein Variationsprinzip, und zwar schon ganz von der Form des nachmaligen Prinzips der kleinsten Wirkung. Die unvermeidliche Verkettung des Guten und Übeln spielt dabei die Rolle der vorgeschriebenen Bedingungen, und es ist klar, daß sich aus diesem Grundsatz in der Tat sämtliche Eigentümlichkeiten der wirklichen Welt bis ins einzelne ableiten ließen, sobald es gelänge, einerseits dem Maßstab für die Quantität des Guten, andererseits die vorgeschriebenen Bedingungen mathematisch scharf zu formulieren (Planck 1944, 70).

Für Planck ist daher der von Samuel König zitierte vermeintliche Leibniz-Brief ein authentisches Dokument. Und er kann sich dafür auf Forschungsergebnisse beziehen, die im Rahmen der Leibniz-Edition entstanden sind. Carl Immanuel Gerhardt hatte sich 1898 mit den vier von Samuel König angeführten Kopien von Leibniz-Briefen auseinandergesetzt, und insbesondere auch den fraglichen Brief an Jacob Hermann aus dem Jahre 1707 analysiert. Zwar konnte auch Gerhardt keine Urschrift präsentieren, doch hielt er es für gewiss, dass der Brief von Leibniz ist (Gerhardt 1898, 427). Nur der Adressat sei vermutlich nicht Hermann gewesen, sondern Varignon. Indessen ließ Widerspruch nicht lange auf sich warten. Willy Kabitz zeigte im Jahre 1913, dass auch Varignon als Adressat nicht infrage kommt, und er schließt seine detaillierte Analyse der Leibniz-VarignonKorrespondenz mit den Worten: Die Frage nach dem Adressaten des fraglichen Leibnizbriefes ist somit noch eine offene. Es ist bisher auch noch nicht gelungen, diesen Brief mit voller Bestimmtheit als Glied in einem andern der vorhandenen gedruckten oder ungedruckten Briefwechsel einzufügen (Kabitz 1913, 638).

Die Bemerkung verweist auf einen wunden Punkt der gesamten Leibniz-Literatur. Diese beruht, gemessen an der Fülle des Leibniz’schen Nachlasses, auf relativ wenigen allgemein zugänglichen Quellen, die vornehmlich in den Wissenschaftsjournalen des 17./18. Jahrhunderts zu finden sind. Und das änderte sich selbst mit dem Erscheinen der ersten großen Editionen nicht,7 so dass noch einmal 100 Jahre vergingen, bis sich mit den Editionen von Carl Immanuel Gerhardt in Bezug auf die Naturtheorie und Dynamik eine neue Situation ergab. Nun standen auch Schriften aus dem handschriftlichen Nachlass wie die Dynamica de potentia et legibus naturae corporeae (Dynamik. Vom Vermögen und den Gesetzen der körperlichen Naturen) und der Essay de Dynamique sur les loix du mouvement, où il est monstré, qu’il ne se conserve pas la même Quantité de mouvement, mais la même Force absolue, ou bien la même Quantité de l’Action motrice (Dynamischer Versuch über die Gesetze der Bewegung, worin gezeigt wird, dass sich nicht die  7

Vgl. dazu den Beitrag von St. Waldhoff in diesem Band.

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selbe Quantität der Bewegung erhält, sondern dieselbe absolute Kraft oder dieselbe Quantität der bewegenden Aktion) im Druck zur Verfügung (beide GM VI). In diesen Schriften wird neben dem Begriff der Kraft auch der Aktionsbegriff ausführlich entwickelt. Und es wird klar, in welcher Weise diese Begriffe bei Leibniz aufeinander bezogen sind. Davon profitieren sowohl Helmholtz als auch Planck in ihren historischen Exkursen. Und insbesondere die subtile Argumentation von Helmholtz macht deutlich, dass er davon ausgiebig Gebrauch gemacht hat. Ein Privileg, auf das Maupertius und Euler noch verzichten mussten. 1.7. Ein erstes Resümee Wer immer heute den Begriff der Dynamik verwendet, tut das in dem klaren Bewusstsein, von einer physikalischen Theorie zu reden. Die Zuordnung ist so selbstverständlich, dass Zweifel daran kaum aufkommen. Mehr noch, Dynamik gilt heute als Teildisziplin einer durch Newton inaugurierten Entwicklung, und doch liegen die Dinge historisch anders. Eingeführt wurde der Terminus Dynamica durch Leibniz, der damit eine neue Wissenschaft bezeichnen wollte (GM VI, 287). Eine Theorieform, die nicht schon Physik war, sondern Physik erst zur Wissenschaft machen sollte. Leibniz konzipierte seine Dynamik als eine Art Scharnier, das Physik und Metaphysik zusammenschließt. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die Physik wohlbegründet ist (durch die Metaphysik), dass sie aber gleichzeitig eigenständig als Wissenschaft nach ihren Regeln und Methoden verfährt. Leibniz wollte so eine Ausdifferenzierung der Disziplinen ins Werk setzen, ohne auf deren Einheit Verzicht leisten zu müssen. Wissenschaftstheoretisch hat er diesen Zusammenhang in der Scientia generalis ausgearbeitet.8 Das Zentrum dieser Dynamik war der Leibniz’sche Kraftbegriff, in dem physische und metaphysische Momente miteinander verknüpft wurden, und zwar in der Weise, dass sich die physischen Aspekte quantifizieren ließen, während das für die metaphysischen Anteile ausgeschlossen war. Diese standen für die Ordnung der Kraftäußerung, jene für deren Größe. Das führte zu dem berühmten Streit der Cartesianer und Leibnitianer über das Maß der Kraft und in dessen Folge zu konkurrierenden Kraftbegriffen. Den Zusammenhang aller dieser Kraftbegriffe systematisch, und das heißt in einer Theorie darzustellen, ließ sich dadurch erreichen, dass die heute so genannte newtonsche Bewegungsgleichung den gültigen Kraftbegriff definierte. Auf ihrer Grundlage und unter Einbeziehung von Erhaltungs- und Extremalprinzipien entstand dann die heutige Klassische Mechanik. Aus der Sicht der Leibniz’schen Dynamik stellt sich dieser Prozess so dar, dass das Maß der lebendigen Kraft in verallgemeinerter Form als kinetische Energie in die Klassische Mechanik Eingang gefunden hat. Doch ist damit der Leib  8

Vgl. dazu den Beitrag von V. Peckhaus in diesem Band.

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niz’sche Beitrag zur Physik unserer Tage keineswegs erschöpft. Es zeigt sich vielmehr, dass jener Teil der Dynamik, den Leibniz als metaphysisch qualifizierte, einen wichtigen Baustein für die Klassische Mechanik darstellte. Dafür musste er allerdings im Unterschied zum Leibniz’schen Ansatz quantifiziert werden, und das geschah durch eine Umdeutung der Leibniz’schen Optimierungsvorstellungen im Sinne von Extremal- oder Variationsprinzipien. Unser heutiges Verständnis von Dynamik, für dessen Geschichte der Name Newtons herausragende Bedeutung hat, erweist sich damit als auf zwei Säulen ruhend, jedenfalls dann, wenn man deren Darstellung auf der Grundlage von Extremalprinzipien nicht als bloße mathematische Beschreibung ansieht. Und genau das lehrt ein Blick auf Leibniz, denn was bei ihm als Problem der Wahl der besten aller möglichen Welten metaphysischen Charakter hat, wird durch die physikalische Interpretation von Extremalprinzipien zu einer Aussage über die Natur. Es versteht sich, dass bei einer solchen Interpretation die ursprüngliche (Leibniz’sche) Funktion der Metaphysik für die Begründung der Dynamik verloren geht. Und das ist genau der Punkt, auf den sich Ernst Mach in seiner eingangs zitierten Passage aus der Mechanik bezieht. Doch was für Mach ein Skandalon ist, erklärt zugleich, weshalb Helmholtz und Planck so grosse Stücke auf Leibniz hielten, denn sie haben die Potenz gesehen, die in der Leibniz’schen Metaphysik für die Physik steckt. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Leibnizforschung bis heute, d. h. sie füllt das breite Spektrum zwischen physikgeschichtlicher Akribie und erkenntnistheoretisch-methodologischer Begründung der Physik mit nach wie vor divergierenden Ansichten aus. 2. LEIBNIZ’ DYNAMIK. PERSPEKTIVEN DER FORSCHUNG Die Forschungen selbst sind dabei stark von der Editionssituation bestimmt. Das wird insbesondere an den Wirkungen bzw. Vorarbeiten zur Akademie-Ausgabe G.W. Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe deutlich. Willy Kabitz, der zu den Stammvätern dieser Ausgabe gehört, hat 1909 den Titel Der junge Leibniz – Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte seines Systems veröffentlicht, und er hat dafür bereits Texte ausgewertet, die mehr als zehn Jahre später erst in der Akademie-Ausgabe gedruckt wurden. Diese Praxis ist inzwischen zu einem festen Bestandteil der Edition geworden, und zwar in doppelter Hinsicht. Als Vorausedition, wie sie von der Leibniz-Forschungsstelle Münster am Beginn der Arbeiten zum Bd. 4 der Reihe VI ad usum collegialem eingeführt wurde9 und als systematische Einordnung und Interpretation neuer Quellenfunde, wie beispielsweise auf   9

Das Procedere wurde inzwischen von allen Arbeitsstellen übernommen, wobei die entsprechenden Texte im Internet präsentiert werden. Auf diese Weise sind die neu erschlossenen Quellen schnell und bequem zugänglich. Die Schriften zur Physik und Dynamik liegen auf dem edoc-Server der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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dem Symposium der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft 1982 mit dem Titel Leibniz’ Dynamica (Heinekamp 1984). Umgekehrt werden durch Forscher nicht nur die Bestände der Archive genutzt und deren Quellen in Studien und Abhandlungen präsentiert. Mit den Archivalien gut vertraute Leibnizkenner wie Michel Fichant traten selbst mit Quelleneditionen hervor (Fichant 1993 und Fichant 1994), die der Forschung zur Verfügung stellten, was bis dahin im Druck nicht zugänglich war. Auch für bislang nicht edierte Schriften und Briefe hat sich mit den Chancen des Internets ein Feld neuer Möglichkeiten aufgetan. So wurden für die Einrichtung der Reihe VIII der AkademieAusgabe Naturwissenschaftliche, medizinische und technische Schriften die entsprechenden Handschriften eingescannt und online unter der Internetadresse http://ritter.bbaw.de in der Scan-Galerie des Online-Ritterkatalogs zur Verfügung gestellt. Die zugehörigen Briefe werden schrittweise im Kontext der Aufnahme des Leibniz-Briefwechsels in das Weltdokumentenerbe der UNESCO Memory of the World online zugänglich gemacht. Für die fünf Forschungsschwerpunkte, auf die ich mich im Folgenden konzentrieren werde, wird dies in unterschiedlicher Weise zum Tragen kommen. 2.1. Geschichte und Systematik des Leibniz’schen Kraftbegriffs: Hans Stammel Im Jahre 1982 hat Hans Stammel in seiner Dissertation mit dem Titel Der Leibniz’sche Kraftbegriff eine Studie zu Leibniz’ Dynamik vorgelegt, die in der Perspektive des Kraftbegriffs eine Analyse der bis dahin edierten Schriften zur Dynamik bietet. Sie enthält einen historischen und einen systematischen Teil, d. h. eine Darstellung der Bildung des Kraftbegriffs als einer sich in Leibniz’ Schriften und Briefen ständig konkretisierenden physikalischen Größe (historischer Teil) und einer logischen Rekonstruktion des Zusammenhangs der unterschiedlichen Facetten dieses Begriffs (systematischer Teil). Stammel konzentriert sich dafür auf den Physiker Leibniz, ohne jedoch die metaphysischen Implikationen seines Denkens auszusparen. Mit diesem Ansatz wird der Bogen von den frühen naturphilosophischen Arbeiten bis zu den Konzepten der späten Jahre geschlagen. Der Leser findet einen guten Überblick über Leibniz’ grundlegende Schriften zur Dynamik, die wissenschaftshistorisch kommentiert und werkgeschichtlich eingeordnet werden. Charakteristisch für Stammels Vorgehen ist die Darstellung der Kontroverse mit Catelan und Papin. Es ist eine lohnende Lektüre, die u. a. zeigt, dass sowohl Catelan als auch Papin, indem sie für die cartesische Bewegungsgröße mv votieren, sehr eigenständige Positionen als Cartesianer vertreten. In diesem Zusammenhang wird auch Leibniz’ Lesart der quantitas motus diskutiert und auf dem Hintergrund seiner Metaphysik verständlich gemacht. Das Ergebnis dieser Überlegungen, präsentiert Stammel in zwei eigenständigen Kapiteln, die Leibniz’ metaphysischer Begründung der mathematischen Theorie der Kraftmessung gewidmet sind. Darin geht es um „die Frage nach der Seinsweise der Bewegung“ (Stammel 1982, 183), d. h. um die Probleme der Kontinuität und Relativität der Bewegung.

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Wie der Autor erklärt, lässt sich beides bei Leibniz weder allein mathematisch noch ausschließlich kinematisch erklären, sondern bedarf der Einführung eines Kraftbegriffs. Stammel zitiert jene berühmte Stelle bei Leibniz, wonach weder die Bewegung noch die Zeit streng genommen existieren, weil sie (kontinuierlich sich vollziehend) nie als Ganzes existieren, woraus Leibniz auf die Notwendigkeit einer Kraft schließt. Einer Kraft, die es auch möglich macht, einen Relativismus bei der mathematischen Darstellung der Bewegung zu vermeiden, indem sie für jede besondere Bewegungssituation zu entscheiden erlaubt, welcher bzw. welche Körper sich im Verhältnis zu anderen bewegen und welche ruhen. Diese Lösung des Problems der Relativität der Bewegung durch Leibniz erweist sich aus der Sicht des Autors als nicht konsequent, denn sie behauptet die durchgängige Relativität der Bewegung nur unter Beibehaltung eines absoluten, durch die primitive Kraft bedingten Bezugspunktes, und Stammel fragt: „Wie kommt es zu dieser ambivalenten Position, die Leibniz in der Frage nach der absoluten Bewegung einnimmt?“ Seine Antwort: „Diese Ambivalenz ist dadurch begründet, daß Leibniz auf der einen Seite das Bewegungsproblem als (mathematischer) Physiker, auf der anderen Seite als Philosoph betrachtet.“ (Stammel 1982, 186). Und während er als Physiker Relativist ist, sieht Leibniz das Problem als Philosoph vom ontologischen Standpunkt aus.10 „Er fragt nach dem einigenden Prinzip, das die Bewegung erst zur Bewegung macht.“ (Stammel 1982, 186) Stammel sieht also, dass für Leibniz’ Physik metaphysische Voraussetzungen unerlässlich sind, was er u. a. auch an dem Leibniz’schen Diktum causa aequat effectum darstellt, und daraus folgt für ihn, dass Leibniz seine Physik von Vorentscheidungen aus der Metaphysik abhängig macht, die zu Einschränkungen des physikalischen Denkens führen. Als Beispiel dafür gibt er das Leibniz’sche Beharren auf der Größe mv2 als dem alleinigen Maß der bewegenden Kraft an. Das ist gut gesehen, und es macht in einer Rekonstruktion Sinn, für die selbstverständlich ist, was historisch später erst zum Allgemeingut der Physik wurde, d. h. die Erkenntnis, dass es in der Klassischen Mechanik mehr als nur einen Erhaltungssatz gibt. Für Leibniz selbst aber liegen die Dinge, wie weiter oben gezeigt wurde, durchaus anders, und das Fehlen des Bewusstseins der Möglichkeit von mehr als einer Erhaltungsgröße ist daher alles andere als ein Zugeständnis an die Metaphysik. Der Physiker Leibniz hat in der Physik auch als Physiker argumentiert, und er war weit davon entfernt, sich als Physiker in das Prokrustesbett der Metaphysik pressen zu lassen. Indessen hat er nie vergessen, die Frage nach den Voraussetzungen der physikalischen Argumentation zu stellen, und deren Konsequenzen zu thematisieren. Das führte ihn dann, wie es in dem berühmten Brief an Remond vom 10. Januar 1714 heißt, zur Metaphysik zurück (GP III, 606), und zwar aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Studien der Pariser Zeit. Die Quintessenz dieser naturwis  10 Zu demselben Resultat gelangte später auch Hans Reichenbach, als er die Bedeutung der Leibnizschen Raum-Zeit-Lehre für das Verständnis der Relativitätstheorie untersuchte (Reichenbach 1979).

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senschaftlichen Mauserung wird paradigmatisch im Dialog Pacidius Philalethi auseinandergesetzt. Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist zudem der § 80 der Monadologie, in dem Leibniz feststellt, dass auch Descartes auf das System der prästabilierten Harmonie verfallen wäre, wenn er das Naturgesetz gekannt hätte, wonach sich nicht nur das Maß der Kraft, sondern auch deren Gesamtrichtung erhält (GP VI, 620 f.). Eine klare Aussage, die das von Stammel festgestellte Verhältnis von Metaphysik und Naturwissenschaften bei Leibniz geradezu umkehrt. Im systematischen Teil der Dissertation wird dann das begriffliche Koordinatensystem der Leibniz’schen Dynamik entwickelt. Die Analyse ist erschöpfend und bezieht als wesentlich für die von Leibniz begründete neue Wissenschaft die apriorische Methode der Kraftmessung ein. Dabei handelt es sich – im Unterschied zu der in der Brevis demonstratio eingeführten aposteriorischen Methode – um eine Ableitung des Maßes der lebendigen Kraft mit dem Anspruch auf demonstrative Gewissheit, wie man sie von der Mathematik her kennt. Der in diesem Zusammenhang für die Wirkung der Leibniz’schen Dynamik entscheidende Punkt ist die Einführung der Aktionsgröße (actio motrix), die als Nominaldefinition aufgefasst und mathematisch als Produkt aus Masse, Geschwindigkeit und Weg definiert wird. Im Kontext der apriorischen Methode der Kraftmessung ist damit klar, dass es sich bei der Aktionsgröße um eine reine Rechengröße handelt, die erforderlich ist, um das Maß der lebendigen Kraft zu begründen. Stammel betont daher mit Blick auf das später von Maupertuis formulierte Prinzip, dass die Größen mvs und mv2t an keiner Stelle von Leibniz im Zusammenhang mit ihren Maximaloder Minimaleigenschaften verwendet werden. Leibniz hat diese Größen nicht für die Aufstellung eines Extremalprinzips konzipiert, sondern allein, um den Fundus seiner Argumente für die Durchsetzung seiner mathematischen Theorie der Kraftmessung zu erweitern. Beide Größen haben für Leibniz nur die Bedeutung, eine andere Ausdrucksform der kinetischen Energie zu sein (Stammel 1982, 293).

Was nun die die Charakterisierung der Leibniz’schen Dynamik in ihrer Gesamtheit angeht, so beruht deren Originalität nach Stammel auf ihrer Differenz zur Impetustheorie und zu Newton, was er durch eine Analyse des Trägheitsprinzips und der Kreisbewegung demonstriert. Denn im Gegensatz zu Newton ist die geradlinig gleichförmige Bewegung für Leibniz keine kräftefreie Bewegung. Sie beruht also nicht auf der Trägheit der Körper als einer natürlichen Eigenschaft, sondern auf dem Wirken einer bewegenden Kraft. Und diese Kraft lässt nicht etwa im Verlaufe der Bewegung sukzessive nach, wie die Impetustheorie postuliert, sondern bleibt erhalten und generiert so eine Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit. Um die Leibniz’sche Dynamik zu verstehen, genügt es daher nicht, sie auf die Prinzipien der newtonschen Dynamik abzubilden. Und Stammel zeigt, dass deren Eigenständigkeit auf ihrem besonderen Verhältnis zur Impetustheorie beruht.

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2.2. Reflexionsmedium Impetustheorie: Michael Wolff Diese Problemstellung wird bei Michael Wolff verallgemeinert und zugleich um eine Dimension bereichert. In seiner Geschichte der Impetustheorie untersucht er die Herausbildung der klassischen Mechanik als einer Theorieform neuen Typs. Das geschieht mit Blick auf die systematische Bedeutung der Impetustheorie für die Entstehung der frühneuzeitlichen Dynamiken, so dass neben Leibniz auch Galilei, Kepler Huygens und nicht zuletzt Newton ins Spiel kommen. Als grundlegende Annahme der Impetustheorie gibt Wolff das Prinzip der Übertragungskausalität an (Wolff 1978, 17), d. h. den Grundsatz, dass Bewegung aus Bewegung resultiert, indem Kraftquanta übertragen oder zwischen Körpern ausgetauscht werden. Diese Kräfte sind nicht gegenständlicher Art, jedoch jedem Körper in besonderer Weise eigen. Und obwohl ihr Übertragungsvorgang selbst nicht beobachtet werden kann, ist doch klar, dass die Kräfte ihren Sitz im Bewegten haben, so dass den jeweils besonderen Bewegungsformen der Körper nicht äußere, sondern körpereigene Ursachen zugrunde liegen. Vor diesem Hintergrund gelingt es, die unterschiedlichen Ansätze zu einer Dynamik im modernen Sinne als Interpretationen der Impetustheorie darzustellen. Das betrifft insbesondere Galilei, der, wie in der Darstellung deutlich wird, die Geltung seines Weg-ZeitGesetzes der Fallbewegung naturphilosophisch durch das Nachlassen des Impetus erklärt. Galilei geht dafür von der Voraussetzung aus, dass auf einen senkrecht nach oben geworfen Körper durch den Wurf eine Kraft übertragen wird, die zunächst stärker ist als das entgegen wirkende Gewicht des Körpers. Da die mitgeteilte Kraft – der Impetustheorie entsprechend – aber ermüdet, stellt sich nach einer bestimmten Zeit ein Gleichgewicht zwischen den beiden Tendenzen ein. Und im darauf folgenden Moment beginnt der Körper zu fallen, weil nun die Schwere überwiegt. Dieser Effekt verstärkt sich durch den weiterhin nachlassenden Impetus, so dass eine beschleunigte Bewegung resultiert. Man sieht, dass es sich um einen dem Körper immanenten Prozess handelt, für den äußere Einwirkungen bestenfalls als Reibung infrage kommen. Mehr noch, es handelt sich nicht nur um einen körpereigenen Prozess, sondern um einen periodischen. Denn das Herabfallen eines Körpers von einer bestimmten Höhe setzt nach Galilei voraus, dass er vorher angehoben wurde. Es setzt folglich die Möglichkeit ausgezeichneter Zustände voraus, Zustände, in denen sich der Impetus nicht verzehrt, weil er sonst für die Fallbewegung nicht zur Verfügung stände. In diesem Punkt wird die Impetustheorie von Galilei entscheidend modifiziert, und zwar in dem Postulat der Existenz von Zuständen, in denen der Impetus gespeichert werden kann, um für spätere Bewegungen zur Verfügung zu stehen. Das hat weitreichende Konsequenzen, denn es erklärt, weshalb ein von der Spitze eines Mastes herabfallender Körper bei einem sich bewegenden Schiff direkt am unteren Ende des Mastes aufschlägt und nicht an einer Stelle, die um die Strecke der zwischenzeitlichen Bewegung des Schiffes verrückt ist. Insbesondere aber erklärt es, weshalb auf einer kreisförmigen Bahn umlaufende Körper ihren Bewegungszustand beibehalten, denn:

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Hartmut Hecht Nach Galilei sind alle diese Bewegungen weder ursachlos noch gleichförmig geradlinig. Das Beharren in der gleichförmig kreisförmigen Bewegung beruht auf dem Beharren einer aufgespeicherten vis impressa im bewegten Körper. Diese Vorstellung hat mit dem Trägheitsprinzip der klassischen Mechanik wenig zu tun. Im Gegenteil: das Trägheitsprinzip räumt mit dieser Vorstellung auf (Wolff 1978, 295),

heißt es bei Michael Wolff. Zustände dieser Art sind auch für Leibniz unerlässlich, der sie mit dem Begriff der toten Kraft in Zusammenhang bringt, und sich dafür auf Galilei bezieht (A VIII,2 160–163, auch Hecht 2015). Wie sehr Leibniz hier einen Grundgedanken der Impetustheorie verinnerlicht hat, zeigt ein Vergleich mit der Bewegungslehre des Johannes Buridanus, der die gleichmäßig beschleunigte Bewegung als Kombination aus Schwere und Impetus erklärt. Im ersten Moment der Freigabe eines fallenden Körpers wirkt nach Buridan nur die Schwere, im darauf folgenden aber tritt der Impetus hinzu. Er muß eine beliebig kleine Zeit, deren Größe man wieder mit dem Differential der neueren Physik vergleichen könnte, später einsetzen. Eben auf dieser Ungleichzeitigkeit von Bewegungsanfang und Impetusentstehung beruht nach Buridan das Beschleunigungsphänomen (Wolff 1978, 223).

Der Unterschied zu Leibniz besteht darin, dass die differentiellen Impetus als substantielle Wirkungen zu verstehen sind, während es bei Leibniz derivative Kräfte sind, deren Wirkungen die Fallbewegung als eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung erzeugen. Und was daher in der Impetustheorie noch als das Wesen der Sache selbst erscheint, steht bei Leibniz unter dem Vorbehalt eines als ob. Die sukzessive Aufsummierung der toten zu lebendigen Kräften bedarf bei ihm der Konstruktion einer primitiven Kraft, die die Einheit in der graduellen Veränderung der derivativen Kräfte garantiert. Mit der Darstellung der Entwicklung von mv2 aus mv beansprucht er daher nicht, das reale Geschehen in der Natur beschrieben zu haben, „quanquam non ideo velim haec Entia Mathematica reapse sic reperiri in natura […]“ (GM VI, 238). Es handelt sich vielmehr um die abstrakte Darstellung eines Vorgangs, dessen fundamentum in re durch primitive Kräfte gegeben ist. Die folgenreichste Konsequenz aus der Impetustheorie hat jedoch Newton gezogen, für den der Normzustand der Bewegung, wie er im ersten Axiom, der lex prima seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica definiert ist, keiner bewegenden Kraft mehr bedarf. Nur Richtungs- und Geschwindigkeitsänderungen beruhen auf der Einwirkung einer nun freilich äußeren Kraft, und die Voraussetzung dafür ist die Geltung des Trägheitsgesetzes. Newton bezieht sich dafür auf Galilei, der, wie er in den Principia anmerkt, sein Weg-Zeit-Gesetz unter Voraussetzung eben dieses Gesetzes gefunden habe. Das aber ist, wie sich soeben zeigte, historisch so nicht verbürgt. Newton muss also Galilei neu interpretiert oder den entscheidenden Impuls für die Formulierung seines Trägheitsgesetzes anderswo herhaben, und das führt zu dem eigentlichen Anliegen der Wolff’schen Studie. Ganz an ihrem Ende kommt Michael Wolff in einer Fußnote auf die Reichenbach’sche Unterscheidung von context of discovery und context of justification zu

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sprechen (Reichenbach 1983, 3). Darin erklärt er die Differenz seiner Rede vom Begründungs- und Entstehungszusammenhang zu der Reichenbach’schen Position, und er hält als Resümee fest, dass die spezifischen Begriffs- und Theoriebildungsprozesse der Impetustheorie sich keinesfalls allein auf Forschungs- und Entdeckungsresultate reduzieren. Sie lassen sich vielmehr bis in Inhalte ökonomischen und technischen Denkens zurückverfolgen, so dass in die Geschichte der Impetustheorie auch vor- und außerwissenschaftliche Bedingungen eingehen. Für Wolff ein entscheidender Gesichtspunkt, um das Problem der Trägheitsbewegung und insbesondere die Frage, weshalb die kreisförmige Bewegung nicht mehr, wie noch bei Galilei, als Beharrungszustand angesehen wird, sondern als Resultat geradlinig wirkender eingeprägter Kräfte. „Meine Antwort lautet“, schreibt er: Newton konnte die kreisförmig wirkenden ‚vires impressae‘ auf geradlinig wirkende theoretisch zurückführen, weil Techniker und Ingenieure wie Robert Hooke, denen die Sprechweise der Impetustheorie vertraut war, für diese Reduktion bereits ein praktisches Vorbild geschaffen hatten, indem sie das Kraftmaß bei fallenden Gewichten dem Kraftmaß der dadurch herumgetriebenen Räder für jeden Augenblick einander gleichsetzten (Wolff 1978, 338).

Um die Bedeutung der Impetustheorie für die Verbesserung von Maschinen und deren Wirkungsgradsteigerung zu demonstrieren, druckt Wolff im Anhang seiner Abhandlung den Leibniz-Text De usu impetus concepti in machinis (Vom Gebrauch des Impetusbegriffs bei Maschinen), bei dem es um die Funktionsweise oberschlächtiger Wasserräder, die dabei auftretenden Kraftverluste und Methoden zu deren Minimierung geht. Dass solche Überlegungen für Leibniz und namentlich für seine Aktivitäten im Harzer Bergbau bestimmend waren, steht ausser Zweifel. Sie werden in der Literatur gern zur Illustration der Maxime theoria cum praxi herangezogen.11 Maschinen und damit auch der berühmte Leitspruch haben in Leibniz’ Denken jedoch eine weit umfassendere Bedeutung. Denn es sind Maschinen, an denen Leibniz den Übergang von der Statik zur Dynamik vollzieht, und wie ein Studium der Manuskripte zur Bewegungslehre aus der Pariser Zeit zeigt, ist es die Untersuchung Beschleunigung generierender Maschinen, an denen Leibniz seinen Kraftbegriff gewinnt. Am Maschinenmodell hat Leibniz auch das Verhältnis von kreisförmiger und geradlinig gleichförmiger Bewegung untersucht. Ein besonders instruktives Beispiel dafür ist das Horologium ventaneum perpetuum, das im Abschnitt über die Bewegung in widerstehenden Medien vorgestellt wird. Es zeigt, dass die technisch realisierten Kombinationen von geradliniggleichförmiger und Kreisbewegung in ihrer theoretischen Durchdringung durchaus nicht auf die Formulierung des Trägheitssatzes führen mussten. Für Leibniz liefert das Studium dieser Konstruktion vielmehr entscheidende Impulse für die Formulierung seines eigenen Kraftbegriffs. Der Verweis auf die praktische Mechanik als entscheidendes Moment, um mit der Impetustheorie zu brechen, genügt, wie ein Vergleich mit Leibniz zeigt, offenbar nicht. Es geht hier vielmehr um die Neubestimmung des Verhältnisses von zwei Bewegungsarten, von denen   11 Vgl. hierzu auch den Beitrag von F.-W. Wellmer und J. Gottschalk in diesem Band.

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eine, die Kreisbewegung, historisch eine Sonderstellung einnahm. Und während Leibniz beide gleichsetzte, indem er sich die eine wie die andere durch Kräfte erzeugt dachte, wälzt sich bei Newton die traditionelle Dominanzbeziehung um. Zum Standard der Bewegung wird nun die geradlinig gleichförmige und zugleich kräftefreie Bewegung. Um die Prinzipien der klassischen Dynamik und insbesondere das Trägheitsgesetz in der Formulierung von Newtons lex prima aus der Geschichte des dynamischen Denkens verständlich zu machen, hat Michael Wolff vorgeschlagen, vorund außerwissenschaftliche Determinanten mit einzubeziehen. Dieser Zugang ist auch für Oliver Schlaudt im Zusammenhang mit Überlegungen zur Maßbildung von systematischer Bedeutung. 2.3. Maßbildung als methodologisches Problem: Oliver Schlaudt Im Jahre 2009 hat er dazu zwei Bücher publiziert, die sich in komplementärer Weise mit dem Messen als herausragendem Merkmal der modernen Erfahrungswissenschaften befassen. Unter dem Titel Die Quantifizierung der Natur stellt er klassische Texte zur Messtheorie vor, die in seiner Untersuchung über die Grundlagen der Bildung quantitativer Begriffe in den Naturwissenschaften ihren systematischen Ort erhalten. In beiden Publikationen ist auch von Leibniz die Rede, und zwar mit dem gemeinsamen Schwerpunkt Äquipollenzprinzip, das anhand des Briefes von Leibniz an l’Hospital vom 15. Januar 1696 erläutert wird. Das mit dem Äquipollenzprinzip angesprochene wissenschaftstheoretische Problem ist das der Messung intensiver Größen. Größenschätzung sagt Leibniz, besteht in der Wiederholung eines Maßes, „l’estime se fait par la repetition de la mesure“ (A III,6 619). Bei direkt messbaren Größen ist es möglich, diese Wiederholung durch Kongruenz, d. h. durch den gegenständlichen Vergleich mit einem Maßstab auszuführen, wie man es von der Längenmessung her kennt. Diese Möglichkeit hat man im Falle intensiver Größen wie der Geschwindigkeit oder der lebendigen Kraft nicht, weil, wie sich Leibniz ausdrückt, das Subjekt, dem die Kraft zukommt, nicht wiederholt werden kann. Vielmehr ist es so, dass sich die Wiederholung auf die Gesamtursache und die vollständige Wirkung beziehen muss, und diesen indirekten Vergleich nennt Leibniz Äquipollenz. Schlaudt merkt an dieser Stelle an, dass Leibniz mit der Unterscheidung von Kongruenz und Äquipollenz erstmals in der Geschichte der Wissenschaften systematisch die Differenz von direkter und indirekter Messung ausgesprochen hat. Und er betont: Da die bewegende Kraft nur durch ihre Wirkung gemessen werden kann, ist das Axiom der Gleichheit von Ursache und Wirkung eine Bedingung der Möglichkeit der Kraftmessung. Denn wäre in der Hervorbringung der Wirkung nicht die charakteristische Größe identisch erhalten, hätte die Wirkung hinsichtlich ihrer Ursache auch keine Aussagekraft. Hier entfaltet sich die philosophische Bedeutung der Messtheorie als Lehre von den Bedingungen der Möglichkeit messender Empirie. Leibnizens Äquipollenzprinzip kann man somit ganz in seinem Sinne als messtheoretisches Apriori bezeichnen (Schlaudt 2009a, 13).

Das ist die Perspektive, unter der Oliver Schlaudt den vis-viva-Streit analysiert.

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Er durchmustert dafür zunächst die Forschungsliteratur in Bezug auf die Frage, worum es in den Debatten eigentlich ging, und was er findet, ist nicht etwa eine klare Antwort, sondern eine tastende Suche, die sich um drei Positionen gruppieren lässt: Die Explikation des Massebegriffs, die Entwicklung des Konzepts der Erhaltungsgröße und das Problem der Größenbildung. Schlaudt selbst konzentriert sich auf die dritte Position, die er unter dem Gesichtspunkt der Quantifizierung eines vorwissenschaftlichen Begriffs ausarbeitet. Als ein solcher Begriff wird in den Ausführungen die bewegende Kraft verstanden, von der klar ist, dass sie sich nicht auf direktem Wege quantifizieren lässt. Und daraus folgt, dass sie durch Äquipollenz, d. h. durch Wiederholung einer Wirkungseinheit in der Gesamtwirkung bestimmt werden muss. Das kann nach Leibniz auf unterschiedliche Weise geschehen, und in dem erwähnten Brief an l’Hospital wird – wie in der Brevis demonstratio – zunächst das Gedankenexperiment eines zur Erde fallenden und wieder aufsteigenden Körpers diskutiert. Das bekannte Ergebnis, wonach ein Körper mit doppelter Geschwindigkeit vier gleichen Körpern mit einfacher Geschwindigkeit gleichvermögend (equipollent) ist, findet er auch für das Spannen von Federn bestätigt, und es ist dieser Fall, dem Schlaudt besondere Aufmerksamkeit widmet. Er ist ihm deshalb so wichtig, weil darin eine Bedingung expliziert wird, die Leibniz im Zusammenhang der Fallbewegung unerwähnt lässt. Bezogen auf Federn als Demonstrationsobjekte für die Geltung seines Kraftmaßes heißt es bei Leibniz: „Et si le corps A avec une vistesse simple AQ peut bander un ressort Q (qu’il rencontre en son chemin) à un certain degré de tension; sans rien pouvoir d’avantage; le corps pareil E avec une vistesse double ET pourra bander precisement à un degré pareil quatre de tels ressorts T, S, R, Q“ (A III,6 620).

Abb. 2: Illustration des Verfahrens zum Schließen von Federn

Verglichen werden folglich die Spannung, die eine Feder durch einen Körper mit doppelter Geschwindigkeit erfährt, mit derjenigen Spannung, die vier Federn derselben Art zusammen durch einen Körper mit einfacher Geschwindigkeit erfahren. Leibniz’ Kunstgriff besteht darin, nicht eine Feder sukzessive der Wirkung der vier einfachen Körper auszusetzen, sondern vier Federn, deren Spannung wohldefiniert ist, nacheinander in den gewünschten Zustand zu überführen. Auf diese Weise gelingt es, das Messverfahren unabhängig von empirischen Hypothesen über das physikalische Verhalten der Federn zu gestalten, und genau das gilt auch für die Messung mit fallenden und wieder aufsteigenden Körpern.

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Die Hypothese, die für die Ableitung des Maßes der lebendigen Kraft von Leibniz in diesem Falle unterstellt wird ist die, dass die vier Körper mit der einfachen Geschwindigkeit bei ihrem sukzessiven Aufstieg dieselben Bedingungen vorfinden, dass also der Körper der vom Niveau 0 zum Niveau 1 aufsteigt, dies unter denselben Bedingungen tut, wie der Körper, der vom Niveau 3 zum Niveau 4 aufsteigt. Das aber ist nicht selbstverständlich, sondern beruht auf der Annahme eines – modern gesprochen – konstanten Gravitationsfeldes, was nach Newton problematisch ist, und Schlaudt schlussfolgert: Konsequenterweise sollte man als Einheitswirkung also nicht bloß die Hebung einer Masse um eine Höheneinheit angeben, sondern die Hebung einer Masse um eine Höheneinheit von einem gegebenen Niveau aus. Die fragliche Kräftegleichheit kann also nicht allein aus dem Kongruenzprinzip erschlossen werden […] (Schlaudt 2009b, 91).

Vielmehr muss, wie Oliver Schlaudt feststellt, eine weitere Bedingung erfüllt sein, um die Messung der Kraft vornehmen zu können. Und diese Bedingung spricht sich in einer Forderung aus, der Forderung nach Erhaltung der Kraft. Krafterhaltung ist daher, wie er akzentuiert sagt, eine Bedingung der Möglichkeit der Kraftmessung. Es handelt sich nicht um ein empirisches Gesetz, sondern um ein messtheoretisches Apriori, das daher auch nicht durch empirische Fakten falsifiziert werden kann. Das Studium des Leibniz’schen Äquipollenzprinzips führt somit zur Einsicht in die apriorischen Bedingungen des Messprozesses, d. h. der Annahme von Voraussetzungen die nicht aus dem Prozess des Messens selbst folgen. Schlaudt hat sein Ergebnis bewusst in Begriffen der Transzendentalphilosophie formuliert, die damit als adäquate Beschreibungsform der von Leibniz intendierten Ansichten angesehen wird. Weshalb aber ist eine solche Interpretation erforderlich? Die Antwort steckt in den Grundannahmen des Schlaudt’schen Systems, das Messen als konkrete Handlung begreift, d. h. als sinnlich gegenständliche Tätigkeit, die sich von anderen Tätigkeiten nicht prinzipiell, wohl aber graduell unterscheidet. Das Gemeinsame dieser Tätigkeiten entdeckt er – der Protophysik (z. B. Janich 1969) nicht unähnlich – im Befolgen vortheoretischer Handlungsnormen, die zur Formulierung von Ordnungsbeziehungen führen, die sich durch geeignet konstruierte Modelle quantifizieren, d. h. in Messaussagen umwandeln lassen. Die Problematik dieses Ansatzes besteht in der Singularität des Ausgangspunkts, denn die vortheoretischen Handlungsnormen genügenden Tätigkeiten liefern zwar vergleichbare Resultate, nicht jedoch im Sinne der Wissenschaften reproduzierbare Ergebnisse. Dafür bedarf es eines synthetisierenden Prinzips, das den vortheoretischen Handlungen gegenüber als apriorisch erscheint. Und damit liegt der Unterschied zu Leibniz klar auf der Hand. Er besteht darin, dass dieser sich gemäß seinem Diktum theoria cum praxi zwar ebenfalls auf gegenständliche Prozesse bezieht, die durch Maschinen realisiert werden, jedoch nicht in einer außerhalb der Theorie angesiedelten Form. Und es schlägt sich hier nieder, dass für Leibniz in der Physik zwar alles mechanisch erklärt werden muss, die Prinzipien der Physik selbst aber metaphysischer Natur sind. Das gilt insbesondere für das Prinzip der Gleichheit von Gesamtursache und vollständiger Wirkung, auf

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dem das Äquipollenzprinzip beruht. Die Erhaltung der Kraft ist daher eine selbstverständliche, weil metaphysisch begründete Voraussetzung der Leibniz’schen Wissenschaftsmethodologie. Aber macht das einen Unterschied? Allerdings, denn, um es an einem prominenten Beispiel zu demonstrieren; das Verhältnis der toten zur lebendigen Kraft stellt sich für Leibniz ganz anders dar als für Oliver Schlaudt. Für letzteren geht es um die methodologisch korrekte Einführung von zwei Erhaltungsgrößen, die sich als lebendige und tote Kraft von einander unterscheiden. Leibniz aber hat ein ganz anderes Problem. Er muss die Frage klären, wie es überhaupt möglich ist, die Bewegung auszumessen. Dass die entsprechende Messgröße erhalten bleiben muss, ist die conditio sine qua non dafür. Und während Schlaudt unter der Voraussetzung des newtonschen Kraftbegriffs die beiden im vis viva Streit konkurrierenden Größen als Weg- bzw. Zeitintegral der Kraft von einander unterscheidet, gelten Leibniz die lebendige und die tote Kraft als zwei Zustände einer Kraft, die auseinander hervorgehen, indem etwa eine Feder geschlossen wird. In diesem Zustand ist die gesamte lebendige Kraft durch die tote Kraft aufgezehrt, während beim Öffnen der Feder lebendige Kraft entsteht, indem tote Kraft akkumuliert wird. Diese Argumentation setzt die Erhaltung der Kraft im metaphysischen Sinne voraus und zeigt, dass die lebendige Kraft bei Leibniz ohne die tote Kraft nicht zu haben ist. Eine Unterscheidung im Sinne gleichberechtigter Erhaltungsgrößen ist für ihn daher kein Thema. Die Einführung der Größe lebendige Kraft beruht bei Leibniz auf der Annahme eines metaphysischen Kraftbegriffs, sie setzt also theoretische Annahmen voraus, die nicht mathematischer oder physikalischer Natur sind, und das ist der Grund dafür, dass Leibniz keine vortheoretischen Handlungen im Sinne von Schlaudt und der Protophysik benötigt. Besonders gut kommt die Theorieabhängigkeit der Größenbildung zum Ausdruck, wenn man die Kreisprozesse, mit deren Hilfe sowohl Leibniz als auch Helmholtz und Planck die lebendige Kraft einführen, vergleicht.12 Denn diese zeigen, dass es sich bei Leibniz’ lebendiger Kraft und der späteren kinetischen Energie ungeachtet ihrer mathematisch äquivalenten Formulierung um verschiedene Größen handelt. Größen, die zweifellos einen gemeinsamen Ursprung haben, jedoch nicht identisch sind. Die Untersuchungen von Oliver Schlaudt demonstrieren das Interesse an der Leibniz’schen Wissenschaftsmethodologie auch heute noch. Sie zeigen indessen, wie gegenwärtige Interessenlagen eine spezielle Interpretation der historischen Fragestellungen einschließen, die dann zu Lösungen führen, deren historische Verankerung neue Antworten auf alte Fragen ermöglicht. Für Oliver Schlaudt verbindet sich die veränderte Erkenntnissituation mit der Entdeckung einer Bedingung der Größenbildung überhaupt, d. h. mit dem, was er im Anschluss an Paul Lorenzen ein messtheoretisches Apriori nennt. Dieser Gesichtspunkt wird bei Gideon Freudenthal, auf den sich Schlaudt bezieht, systematisch erörtert.   12 Man vergleiche die entsprechenden Abschnitte in dieser Darstellung.

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2.4. Erhaltungsprinzip und Erhaltungsgesetz: Gideon Freudenthal Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet bei Freudenthal eine Beobachtung. Er konstatiert in der Forschungsliteratur eine merkwürdige Situation in Bezug auf die Frage nach dem Anteil Leibniz’ bei der Formulierung des Energieerhaltungssatzes. Denn während sich die empiristisch orientierte Wissenschaftsgeschichtsschreibung auf die Ahnenreihe Galilei und Huygens festlegt, ohne Leibniz einen eigenständigen Beitrag zuzugestehen 13 , findet man umgekehrt in eher wissenschaftsmethodologisch orientierten Untersuchungen die genau entgegengesetzte Position. Den Grund dafür entdeckt Freudenthal bei Leibniz selbst, der – so der Autor –, mit der Einsicht in die systematische Bedeutung von Erhaltungsgrößen für die Physik, eine Entdeckung macht, die „nicht unter seine Dichotomie synthetisch-kontingenter und analytisch-notwendiger Wahrheiten fällt“ (Freudenthal 1999, 9). Vielmehr changiere Leibniz ständig zwischen diesen beiden Möglichkeiten, und zwar deshalb, weil Erhaltungsgrößen Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung darstellen, und gleichzeitig etwas über die Welt aussagen. Leibniz fehlt daher, wie Freudenthal schließt, das transzendentale Argument Kants. Diese These wird in seiner Arbeit Leibniz als Transzendental-Philosoph malgré lui begründet, und um sie begrifflich fassen zu können, führt er eine Unterscheidung ein, die mit dem Terminus Erhaltungsgesetze die empirische Realität von Erhaltungsgrößen meint, während Erhaltungsprinzipien diese als transzendental, a priori und notwendig zur Geltung bringen (Freudenthal 1999, 11). Die gegensätzliche Wahrnehmung des Leibniz’schen Beitrags zur Formulierung des Energieerhaltungssatzes lässt sich dann so interpretierten, dass in den widerstreitenden Positionen entweder von Erhaltungsprinzipien oder von Erhaltungsgesetzen die Rede ist, dass also komplementäre Seiten eines Zusammenhangs gegeneinander gekehrt werden. Für die explizite Ausarbeitung seiner These bezieht sich Freudenthal zunächst auf das Prinzip des zureichenden Grundes. Er zeigt, dass Leibniz’ Formulierungen des Prinzips verschiedene Facetten aufweisen, die indessen eine grundsätzliche Differenzierung zwischen einer logischen und einer erkenntnistheoretischen Sichtweise zulassen. Logisch betrachtet besagt es, dass alle wahren Aussagen analytisch sind, während seine erkenntnistheoretische Dimension auf die Forderung hinaus läuft, alle wahren kontingenten Aussagen zu begründen, und zwar, wie Freudenthal betont, aufgrund der Kausalordnung. Der Kausalordnung gilt nun das weitere Interesse, und zwar in physikalischer Hinsicht, wobei der Autor entdeckt, dass in diesem Falle das Prinzip des zureichenden Grundes in einer Form auftritt, die er als Prinzip des Fehlens eines zureichenden Grundes bestimmt. Hinweise darauf entnimmt er den allgemein bekannten Aussagen, dass es weder einen absoluten Raum noch eine absolute Zeit geben kann, weil in diesem Falle Gott keinen Grund gehabt hätte, die Welt an einem   13 Vgl. hierzu den folgenden Abschnitt.

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bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit zu erschaffen. Etwas ausführlicher wird dieser Sachverhalt an dem Modell eines symmetrischen „archimedischen“ Hebels entwickelt, der von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt sein soll, so dass er sich im Gleichgewicht befindet. Dann ließe sich, wie Freudenthal argumentiert, kein Grund angeben, der bewirken würde, dass der Hebel sich spontan um den Unterstützungspunkt zu drehen beginnt. Würde er es dennoch tun, so hätte man es mit einem mechanischen Perpetuum mobile zu tun, das, wie man leicht sieht, die elementaren Bedingungen des quantitativen Vergleichs verletzt und Physik als messende Wissenschaft unmöglich macht. Der Gleichgewichtszustand und folglich der Ausschluss eines Perpetuum mobile mechanischer Art formulieren daher Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung, d. h. um genau zu sein, messender Erfahrung. Und Freudenthal fasst seine Deduktionen folgendermaßen zusammen: „Wie mir scheint“, schreibt er, hat Leibniz in der Tat an eine transzendentale Begründung des Satzes vom ausgeschlossenen Perpetuum mobile gedacht, obgleich ihm natürlich der Begriff dafür fehlte. Leibniz argumentiert nämlich, daß die Gültigkeit des Perpetuum-Mobile-Prinzips Voraussetzung des physikalischen Begriffs der Kausalität sei (Freudenthal 1999, 23).

Dieser physikalische Begriff der Kausalität ist es, der vermöge der Äquivalenz von Gesamtursache und vollständiger Wirkung ein physikalisches System als mit sich selbst identisch definiert. Und durch besondere Erhaltungsgrößen oder in der oben eingeführten Terminologie, durch spezifische Erhaltungssätze, sind dann unterschiedliche physikalische Systeme auszuzeichnen. Freudenthal hebt abschließend hervor, dass seine Rekonstruktion der Begründung von Erhaltungssätzen durch Leibniz allein das Werk des Physikers und Wissenschaftstheoretikers Leibniz betrifft. Der Philosoph Leibniz, meint er, würde dem wohl kaum zustimmen. Und es zeigt sich darin, was bereits bei Oliver Schlaudt deutlich wurde; das gegenwärtige Interesse der Forschung an Leibniz ist durch aktuelle Fragestellungen bestimmt. Denn wie bei diesem, geht es auch bei Freudenthal um Erhaltungsgrößen. Jetzt freilich um deren Status, wie aus dem Untertitel des hier referierten Aufsatzes hervorgeht. Dass Leibniz dafür als Reflexionsmedium infrage kommt, verweist auf den Zusammenhang der Diskussionen heute mit ihren historischen Ursprüngen. Und es zeigt sich darin, dass eben dieser Zusammenhang nicht im Sinne eines kontinuierlichen Fortschritts zu verstehen ist. Vielmehr handelt es sich um eine veritable Wiederentdeckung, die neben Gemeinsamkeiten auch neue Einsichten ermöglicht, und zwar hinsichtlich der historischen Quellen ebenso wie in Bezug auf die aktuellen Debatten. Was daher, wie in Freudenthals Analyse als unvollständige Methodologie bei Leibniz erscheint, kann sich als geeignet erweisen, Leibniz’ Position selbst schärfer zu konturieren, wobei sich im Gegenzug der Unterschied zu den Problemstellungen der Gegenwart genauer bestimmen lässt. Das tritt auch in István Szabós Analyse des Erhaltungsprinzips zutage.

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2.5. Physikalische vs. philosophische Prinzipien: István Szabó Im Vorwort zur ersten Auflage seiner Geschichte der mechanischen Prinzipien schildert István Szabó, wie er in dem Bestreben, die Mechanik als Wissenschaft aus ihren historischen Quellen zu erschließen, immer wieder auf Einflüsse stieß, die sein Vorhaben als Teil eines kulturellen Gesamtbildes erscheinen ließen. Einflüsse dieser Art sind für ihn keine bloßen Randerscheinungen. Es handelt sich vielmehr um Wirkungen der Mechanik, die über ihren Gegenstandsbereich hinausweisen. Um philosophische Schlussfolgerungen zumal, die allerdings nicht das betreffen, was – wie er sagt –, in der Entwicklung der Mechanik wirklich „Geschichte“ gemacht hat. Will man das zum Thema machen, so muss man den naturwissenschaftlichen Gehalt der Theorie klar von dem unterscheiden, was Philosophen tun, wenn sie sich auf das Feld der Naturwissenschaften begeben. „Innerlich herausgefordert,“ schreibt Szabó, begann ich über das Thema Philosophen als Naturwissenschaftler nachzudenken. Einen Teil des dabei Niedergeschriebenen enthalten die folgenden Ausführungen. Es sei dem Naturwissenschaftler nicht verargt, wenn er dabei – vielleicht etwas pointiert – seinen Standpunkt vertritt (Szabó 1996, 47).

Diesen Standpunkt macht er an den Heroen der Wissenschaftsgeschichte wie Galilei, Huygens, natürlich Newton, d’Alembert u. a. fest, im Unterschied etwa zu den Philosophen Descartes, Leibniz und Kant. Szabó postuliert damit die Möglichkeit einer Dichotomie, durch die sich exakte naturwissenschaftliche Begrifflichkeit von metaphysischen Verdunklungen oder Ahnungen unterscheiden lässt. Als repräsentativ für letzteres gilt ihm Descartes’ Einführung der quantitas motus in den Principia philosophiae die, wie Szabó erläutert, auf einem Missverständnis Galileis beruht. Denn: „Durch eine Mißdeutung des statischen Prinzips der virtuellen Geschwindigkeiten kam DESCARTES auf den vagen, aber richtigen Gedanken, dass die Wirkung der Schwerkraft durch das Produkt aus Gewicht und Hubhöhe veranschlagt werden könne“ (Szabó 1996, 70). Und damit habe er, so der Autor weiter, Leibniz die Leitlinien für die Formulierung seines Kraftmaßes vorgegeben. Szabós Thema sind die mechanischen Prinzipien, und aus dieser Perspektive ist für ihn die Frage wichtig, welchen Stellenwert das Prinzip der virtuellen Verrückungen für die Formulierung des Leibniz’schen Kraftmaßes besitzt. Klarheit darüber gewinnt er aus der Analyse der Brevis demonstratio, die ihn zu der Überzeugung veranlasst, dass Leibniz’ Rückgriff auf die Hub- bzw. Fallhöhe zur Kraftmessung den Gleichgewichtsbedingungen am Hebel entspricht, und damit hat er nicht nur Leibniz’ Argumentation auf die Anwendung eines physikalischen Prinzips reduziert, er hat sich zugleich die Voraussetzungen für die Analyse der Leibniz’schen Auseinandersetzungen mit Catelan und Papin geschaffen, die ergibt, dass die von den Cartesianern eingeklagte Berücksichtigung des Zeitparameters eine selbstverständliche, weil in einem physikalischen Prinzip verankerte Forderung sei.

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Dem gegenüber erscheint Leibniz’ eigene Argumentation als bloße Spekulation, wenn Szabó bezogen auf das Specimen Dynamicum feststellt: Die lebendige Kraft entsteht nach LEIBNIZ aus unendlich vielen Einwirkungen der toten Kraft: Vis est viva ex infinitis vis mortuae impressionibus nata. Aber diese Vorstellung ist in der Mechanik genau so ungereimt wie in der Geometrie der Versuch, eine Kurve als eine Anhäufung von ausdehnungslosen Punkten zu begreifen! (Szabó 1996, 68 f.).

Der analytische Ausdruck für die lebendige Kraft entbehre daher jeder „mechanisch-realen Deutungsmöglichkeit“. Es handele sich um eine metaphysische Begriffsschöpfung, um eine Ableitung aus philosophischen Prinzipien, die erst als kinetische Energie, d. h. als formal gleicher Ausdruck mit anderem Inhalt in der Mechanik ihren Platz finden kann. Dies erfordere eine alternative Grundlegung des Begriffs, eine Legitimierung, die auf einem Prinzip beruht, das er implizit bei Daniel Bernoulli angewendet findet. Und dieses Prinzip ist die Newton’sche Bewegungsgleichung. Für István Szabó ist daher klar, dass die Allgemeingültigkeit der Leibniz’schen Größe lebendige Kraft aus einem anderen als dem von Leibniz selbst etablierten dynamischen Zusammenhang hergeleitet werden muss, und dieser Zusammenhang ergibt sich aus der Bedeutung des newtonschen Bewegungsgesetzes für die Mechanik. Szabó beschließt seine Diskussion der Brevis demonstratio und des Specimen Dynamicum mit der Feststellung, dass Leibniz, da ihm die „‚physiko-mathematische‘ Substanz“ (Szabó 1996, 73) der drei newtonschen Axiome verborgen geblieben sei, mit seiner Unterscheidung von toter und lebendiger Kraft mehr Verwirrung als Aufklärung in die Debatte gebracht habe. Der von Szabó in Anspruch genommene Standpunkt des Naturwissenschaftlers artikuliert sich hier als Absage an eine metaphysische Begründung der lebendigen Kraft zugunsten der newtonschen Prinzipien, so dass der Streit zwischen Newton und Leibniz hinsichtlich der Grundlagen der Dynamik für ihn nicht Ausdruck unterschiedlicher Ansätze zur Bewältigung ein- und desselben Problems, d. h. der Begründung einer neuen Wissenschaft ist, sondern Illustration seiner These vom zweifelhaften Wirken von Philosophen im Felde der Naturwissenschaften. Dass zum Beweis dieser These auch Leibniz in Anspruch genommen wird, und zwar an dieser Stelle ausschließlich als Repräsentant der Philosophie, offenbart die Grenzen einer solchen Rekonstruktion. Denn was historisch notwendig war, um die Größe lebendige Kraft überhaupt erst bilden zu können, die weiter oben dargestellte Auseinandersetzung mit der Impetustheorie, und die Umarbeitung ihrer Begriffe im Sinne der neuzeitlichen Dynamik, erscheint in Szabós Darstellung als metaphysische Verfehlung. Mehr noch, die Fixierung auf die Newton’sche Bewegungsgleichung und damit die implizite Unterstellung, Newtons Ansatz sei der einzig mögliche Weg zur neuzeitlichen Dynamik, schließt Einsichten aus, wie sie von Helmholtz und Planck in Bezug auf Leibniz und dessen Anteil an der Entwicklung der Grundlagen der Physik zum Ausdruck gebracht wurden. Einsichten, die für die Formulierung des Energieerhaltungssatzes und die

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Einführung des Wirkungsquantums als historische Voraussetzung von Bedeutung waren. Es verwundert daher nicht, wenn Szabó an anderer Stelle die Ansichten von Planck und Helmholtz kritisch kommentiert. Das betrifft insbesondere die folgende Passage, in der er Helmholtz mit den Worten zitiert: EULERS Bemühungen, einen allgemeinen Beweis des Prinzips zu finden, sind daran gescheitert, daß er ebensowenig wie MAUPERTUIS die allgemeine Bedingung gefunden hatte, welche bei dem Vergleiche der wirklichen mit den abgeänderten Bahnen für die Bewegung in den letzteren eingehalten werden muß. Diese Bewegungen müssen nämlich alle von der Art gewesen sein, daß die Größe der Gesamtenergie nicht geändert wird. Ohne den Zusatz dieser Bedingung ist das allgemeine Prinzip noch nicht vollständig ausgesprochen, ist nicht allgemein gültig und kann daher auch nicht bewiesen werden (Szabó 1996, 107).

Anstoss erregt hier die Feststellung, dass Euler das Prinzip der kleinsten Aktion nicht vollständig formuliert habe, und als Gegenargument führt Szabó an, dass Euler „in dem Aktionsintegral

für die Geschwindigkeit den schon Christiaan Huygens und Leibniz bekannten Energiesatz E + U = mv2/2 + mgy = h = konst. verwendet habe (Szabó 1996, 107). Diese Schlußfolgerung kommt allerdings überraschend, denn einen Abschnitt vorher wird Leibniz noch jeder klare Begriff von der lebendigen Kraft abgesprochen, während er jetzt sogar im Besitz des Energiebegriffs gewesen sein soll. Wie lässt sich das Zustandekommen einer solchen Diskrepanz verstehen? Sie erweist sich offensichtlich als Konsequenz der streng befolgten Trennung von physikalischen und philosophischen Prinzipien. Leibniz der Philosoph liefert eine Begründung für die Einführung der Größe mv2, die sich mit den heute geltenden physikalischen Prinzipien nicht deckt, und Leibniz der Physiker ist nach Szabó nicht nur in der Lage gewesen, das Aktionsprinzip zu formulieren, er war zumindest auch implizit im Besitz des Energieerhaltungssatzes. Diese Sicht der Dinge folgt der bereits erwähnten wissenschaftstheoretischen Unterscheidung von context of discovery and context of justification, wobei die Begründungsleistung hier durch den Verweis auf die von Szabó dargestellten physikalischen Prinzipien erbracht wird. Der Entdeckungszusammenhang bleibt aussen vor. Das Ergebnis hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der einen Abschnitt vorher von Gideon Freudenthal eingeführten Unterscheidung. Auch bei ihm begegnen sich Leibniz der Physiker und Leibniz der Philosoph in der Weise, dass sie ihre Aussagen nicht kompatibel machen können, und es scheint als würde darin ein Grundproblem der Leibniz-Forschung heute zum Ausdruck kommen.

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2.6. Zweites Resümee Wie sich zeigte, sind die hier vorgestellten Forschungsansätze der Wissenschaftsgeschichte und -philosophie von recht speziellem Inhalt. Es sind Grundfragen, die an Leibniz gerichtet werden, aber Grundfragen, die sich aus den besonderen Bedingungen eines Projektes oder einer Forschungsmethodologie ergeben. Insofern sind Widersprüche wie sie von Freudenthal oder Szabó beobachtet werden, zu erwarten. Deren Ziel ist ja nicht eine Rekonstruktion des Leibniz’schen Systems gemäß den Maßstäben seiner Zeit, sondern die Lösung eines aktuellen Forschungsproblems, wobei sich in der Rückblende auf die historischen Voraussetzungen der Problemstellung, die Keimzellen der angestrebten Lösung sichtbar machen lassen. In einer solchen Konstellation ist das Auftreten von Widersprüchen unvermeidbar. Sie markieren die heiklen Punkte, an denen sich der Fortschritt des Denkens vollzieht, und sie decken in ihrem historischen Bezug Tendenzen auf, die zu Orientierungen für die weitere Forschung werden können. Dass sich Leibniz dafür als Reflexionsmedium eignet, spricht für die Konsequenz, mit der er die von ihm behandelten Themen durchdacht hat, und es verweist auf Ausgestaltungsmöglichkeiten eines begrifflichen Koordinatensystems, das sich selbst als wandelbar begreift. Was sich daher für die Metaphysik als Grundzug des Leibniz’schen Systems herausstellte, d. h. die mehrfache Umarbeitung und Vervollkommnung seiner Grundbegriffe (GP III, 606), lässt sich ebenso an der Physik zeigen. Oder genauer, es ist das Resultat einer Wechselbeziehung von Physik und Metaphysik, die daher einen gemeinsamen Rhythmus aufweisen. Davon wird im Folgenden, und zwar bezogen auf die Physik im engeren Sinne, die Rede sein. 3. PHYSIK IM WANDEL Die Geschichte der Dynamik seit ihrer Begründung durch Leibniz stellte sich als ein Prozess dar, in dem eine ursprünglich metaphysisch eingebundene Theorie mit der Ausbildung der modernen Erfahrungswissenschaften einen Wissenschaftstyp auf den Weg brachte, der seine Aussagen über die Natur in mathematisch formulierten Gesetzen präsentiert, die durch Messungen gestützt sind. Leibniz selbst hatte dafür eine Formel gefunden, die in der Devise kulminierte, dass alles in der Physik mechanisch zu erklären sei, die Prinzipien der Mechanik aber nicht aus der Physik, sondern aus der Metaphysik stammen. Der neue Wissenschaftstyp emanzipierte sich insofern von dieser Leitidee, als er auf dem Recht eigener Prinzipien bestand, und damit wälzte sich das gesamte System der Wissenschaften zwar langsam dafür aber um so nachhaltiger um. Man bekommt einen Eindruck von den tiefgreifenden Veränderungen dieses Prozesses, wenn man sich anschaut, welches Klassifikationssystem der Wissenschaften für Leibniz’ Berliner Akademiegründung bestimmend war. „Reale Wissenschaften sind Mathesis und Physica“, stellte er in einer Denkschrift fest. Und er setzte fort: „Bei Mathesi diese: Geometria, darunter man Mathesin generalem

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oder Analysin begreiffet, so den andern allen das licht anzündet […]“ (Brather 1993, 76). Als da sind Astronomie, Architektonik und Mechanik nebst Handwerk und Manufakturen, während zur Physik die Chemie, das Regnum Minerale (Bergund Hüttenwerke, Glasmacherei etc. eingeschlossen), das Regnum Vegitabile (mit Botanik, Agrikultur, Gärtnerei und Forstwesen) sowie das Regnum Animale (bestehend aus Anatomie, Tierzucht, Weidwerk und Medizin) gerechnet werden. Der Unterschied zum heutigen Verständnis von Physik und Mathematik könnte größer kaum sein, doch was Leibniz von diesem Ausgangspunkt her in Bewegung setzte, machte die Dynamik zu einem Teil der Physik und die Mechanik zu deren Paradigma. Gut abzulesen ist das an einer Passage aus Eulers Streitschrift über die Monaden, in der die Physikalisierung von Prinzipien, die bei Leibniz noch metaphysischen Charakter haben, als Grundzug der neuen Physik herausgestellt wird. Euler schreibt: Was übrigens der Herr von LEIBNIZ auf eine so sinnreiche Art von der so genauen Verknüpfung aller Theile in der Welt bewiesen, und daraus auch die Monaden hergeleitet, behält nach dieser Untersuchung seinen vollkommenen Werth, wann nur dasjenige, was von den Monaden gesagt worden, auf alle Theile der Körper gezogen wird (Euler 1942a, 366).

Wie sich dieser Prozess im Detail vollzieht, wird im Folgenden an Schlüsselproblemen der Physik des 17. Jahrhunderts dargestellt werden. 3.1. Das mechanische Paradigma in der Physik Mechanisch erklären, wie es Leibniz für die Physik forderte, hieß im 17. Jahrhundert, Modelle konstruieren, die durch Druck und Stoß als den grundlegenden Wirkungen in der Natur beobachtbare Bewegungen generieren. Bewegungen, deren Elementarform die Ortsbewegung ist, d. h. eine raum-zeitliche Veränderung von Körpern, die als verstanden galt, wenn es gelang, Regeln für die Übertragung und Verteilung der Bewegung anzugeben. Als Muster solcher Regeln galten zur Zeit des jungen Leibniz die von Descartes in den Principia Philosophiae mitgeteilten sieben Regulae, die verschiedene Stoßsituationen beschreiben. Diese Regeln werden in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung (mit Ausnahme einer einzigen, der ersten) zumeist als falsch, weil nicht mit der Erfahrung übereinstimmend bewertet, und durch das Erscheinen der Stoßregeln von Christiaan Huygens als überholt angesehen (z. B. Dijksterhuis 1956, Simonyi 1990 und Szabó 1996). Für Leibniz stellt sich die Situation allerdings anders dar. Nicht dass er den cartesischen Stoßregeln unumwunden zugestimmt hätte, das nicht, doch den Grundgedanken von Descartes, dass man die Allgemeingültigkeit der Regeln durch unbezweifelbare Voraussetzungen begründen müsse, und zwar durch geometrische, den wollte er beibehalten, und aus dieser Perspektive erschienen ihm die huygensschen Stoßregeln als alles andere denn überzeugend. Was er suchte, war eine Passage zwischen Scylla und Charybdis, eine Möglichkeit Descartes zu verbessern, ohne Huygens folgen zu müssen. Leibniz fasste den Plan einer geometrischen Bewegungstheorie, die cartesische Sicherheit bieten sollte, um auf deren Grundlage die Phänome-

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ne zu erklären. Und als erstes Ergebnis präsentierte er im Jahre 1671 mit der Theoria motus abstracti seu rationes motuum universales, a sensu et phaenomenis independentes eine, wie aus dem Titel hervorgeht, von den Phänomenen und den Sinnen unabhängige allgemeine Bewegungslehre. In dieser werden die Bewegungen nicht einfach als gegeben und mithin durch geometrische Figuren repräsentierbar angesehen. Für Leibniz sind Bewegungen erst vollständig beschrieben, wenn man sie als hervorgebracht auffasst, und die Frage, an der er diesen Sachverhalt thematisierte, ist die Frage nach dem Anfang und dem Ende der Bewegung. Das Dasein der Bewegung ist für ihn also nicht ohne deren Entstehung zu denken, und insbesondere dann nicht, wenn es um die Quantifizierung von Bewegungen geht. Diese Grundhaltung hat Leibniz sein Leben lang beibehalten, und sie wird im Jahre 1671 mithilfe des Conatus-Begriffs zu einer allgemeinen Theorie ausgearbeitet. Es ist dies der Schlüsselbegriff seiner frühen Bewegungslehre, und Leibniz erläutert ihn durch einen Vergleich. In derselben Weise, wie sich der Punkt zum Raum oder das Eine zum Unendlichen verhalte, genau so soll sich der Conatus zur Bewegung verhalten, weil er der Anfang und das Ende der Bewegung ist (A VI,2 265). Der Conatus bezeichnet daher in der Theoria motus abstracti nichts, was sich in Quantitäten ausdrücken ließe, und insofern ist er unausgedehnt. Er ist zudem ohne Teile, denn er verhält sich zur Bewegung, wie der Punkt zum Raum, jedoch in einer höchst eigentümlichen Weise. Es handelt sich bei ihm um ein Streben, um eine Tendenz zur Bewegung, die als solche weder Punkt noch Größe ist, sondern umgekehrt die geometrische Darstellung der Bewegung mit Hilfe von Punkten und Größen auf ein Fundament stellt, das die Theorie (im Unterschied zu Descartes) nun vollständig macht. Und damit hat sich Leibniz die Voraussetzungen geschaffen, die Phänomene zu erklären. Das gelingt in einem zweiten Schritt dadurch, dass Leibniz im Reich der Phänomene dieselbe Grundstruktur ausmacht wie in der Geometrie, so dass der Einführung des Conatus in der Geometrie im Reich der Phänomene der Äther entspricht (A VI,2 273). Ein Konzept, das in der mechanischen Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts einen festen Platz hat, und von Leibniz in eigenständiger Weise interpretiert wird. Denn wie er in der Hypothesis physica nova, dem mechanischen Komplement zur Theoria motus abstracti schreibt, handelt es sich dabei möglicherweise um den Geist Gottes, der über den Wassern schwebte (A VI,2 225). Der Äther ist bei ihm folglich nicht bloß eine besonders feine Materie, mit der sich die Übertragung mechanischer Wirkungen sinnfällig machen lässt, sondern ein Agens, dessen Bewegung alle Erscheinungen hervorbringt, und auf diese Weise die Gesamtheit der Phänomene bewirkt. Der Äther verhält sich zu den Körpern wie der Conatus zur Bewegung. Er ist daher der Ursprung unserer phänomenalen Welt, und seine Quelle die Sonne, von der er ausgestrahlt wird. Leibniz spricht gelegentlich auch vom Licht (A VIII,1 426), das den gesamten Raum erfüllt und selbst die festesten Körper durchdringt. Dieser Äther hat kein Gewicht und seine Teile üben keine Wechselwirkung aufeinander aus. Er wird vielmehr als eine Realität verstanden, die als nicht ponderabel, dennoch die Ursache für die Schwere, die Wechselwirkung der Körper und aller anderen Eigenschaften ist.

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Das Gewicht eines Körpers wird durch die Zirkulation des Äthers um die Erde erklärt. Da nämlich jeder Körper aufgrund seiner Materialität für die Ätherbewegung ein Hindernis darstellt und die tangentiale Komponente der Geschwindigkeit mit der Entfernung vom Rotationszentrum wächst, wird ein Druck erzeugt, der den Körper in Richtung auf das Zentrum der Bewegung abdrängt. Körper sind weder leicht noch schwer. Sie werden vielmehr durch die Ätherbewegung zu materiellen Gegenständen mit Eigenschaften wie Schwere oder Elastizität. Die Entstehung der Elastizität stellt sich Leibniz als eine doppelte Störung der Ätherbewegung vor. Durch Druck und Stoß der Ätherteilchen wird zunächst die Gestalt des Körpers verändert. Dadurch wird der im Innern des Körpers befindliche Äther herausgepresst, der nun seinerseits die Ätherströmung hemmt. Durch einen Mitnahmeeffekt des globalen Ätherwirbels wird im Anschluss daran der ausgetretene Äther wieder in den Körper gedrückt, so dass die ursprüngliche Gestalt des Körpers wiederhergestellt wird. Der elastische Stoss, wie er von Huygens in Regeln gefasst wurde, erweist sich damit als ein Austausch von Ätherquantitäten, und Huygens’ Regeln gelten, wie Leibniz zeigt, für besondere Phänomene, weil sie in der Theoria motus abstracti eine allgemeine Begründung besitzen. Diese Regeln, und darauf legt Leibniz größten Wert, sind keine allgemeingültigen physikalischen Regeln, und das von Huygens eingeführte Maß zur quantitativen Beschreibung von Stoßprozessen, die Größe mv2 gilt nur lokal. Global hält Leibniz an der quantitas motus mv, von Descartes fest. Man bemerkt, dass sich hier bereits der spätere Konflikt mit den Cartesianern abzeichnet. Und noch etwas fällt auf. Das Vermittlungsschema zwischen allgemeiner Theorie und den besonderen Phänomenen entspricht ganz und gar der späteren Formulierung „Physica per Geometriam Arithmeticae, per Dynamicen Metaphysicae subordinatur“ (GM VI, 104; auch GP IV, 398). 1671 ist die allgemeine Theorie freilich geometrisch verfasst, und die Phänomene werden nicht durch derivative Kräfte, sondern durch Druck und Stoss erzeugt. In beiden Fällen aber gibt es ein Scharnier, das eine phänomenunabhängige Theorie mit den Phänomenen zusammenschließt. Dieses Scharnier heißt beim jungen Leibniz Äther. Es erlangt später den Status einer neuen Wissenschaft, der Dynamik, und der Weg zu dieser Wissenschaft führt über intensive naturwissenschaftliche Studien, insbesondere in der Pariser Zeit von 1672–1676. Die frühen Schriften zur Naturtheorie von Leibniz sind gut untersucht (z. B. Stammel 1982, Beeley 1996 oder Duchesneau 1994). Sie liegen seit längerem in den entsprechenden Bänden der Akademie-Ausgabe vor. Dem gegenüber war man, was die im engeren Sinne physikalischen Arbeiten in der Pariser Zeit angeht, bislang auf Archivstudien angewiesen. Zwar konnte man sich im Bd. III, 1 der Akademie-Ausgabe über den Briefwechsel dieser Periode orientieren, und Ernst Gerland hatte in seiner Edition Nachgelassene Schriften physikalischen, mechanischen und technischen Inhalts auch Texte aus der Pariser Zeit publiziert, doch einen Gesamteindruck der naturwissenschaftlichen Interessen Leibniz’ zu gewinnen, wurde erst mit dem Beginn der Arbeiten an der Reihe VIII der AkademieAusgabe möglich. Diese Schriften dokumentieren einen fundamentalen Wandel in Leibniz’ intellektueller Biografie, der sich als empirische Wende charakterisieren

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lässt. Wohlgemerkt, nicht als empristische Wende, sondern als Entdeckung der systemtragenden Bedeutung der Empirie. Diese Wende findet ihre ersten Ausdrucksformen in Leibniz’ Auseinandersetzung mit den Vakuumphänomenen, und sie stellt sich signifikant in der Entscheidung für mv2 als Maß der Kraft dar. Die Initialzündung dafür ging von einem Briefauszug aus, der als Extrait d’une lettre im Journal des Sçavans vom 25. Juli 1672 gedruckt worden war. Es handelte sich um acht Seiten aus einem Huygens-Brief im Oktavformat, auf die Leibniz mit knapp 100 Seiten in folio reagierte. Sie wurden als N. 40 – N. 52 im 1. Band der Reihe VIII publiziert. Huygens hatte beobachtet, dass sich beim Experimentieren mit von Luft gereinigtem Wasser, die Wassersäule einer torricellischen Röhre im Vakuumrezipienten nicht, wie zu erwarten war, mit sinkendem Luftdruck absenkte. Und er stellte fest, dass aneinander haftende planparallele Platten, die sich unter normalem Luftdruck zwar gegeneinander verschieben, jedoch nicht durch Zug von einander trennen ließen, auch im Vakuum aneinander haften blieben. Es lag nahe, dafür eine gemeinsame Ursache anzunehmen, denn in beiden Fällen verblieben zwei Körper ganz gegen die Erwartung in einem Zustand, der sich aufgrund der veränderten Versuchsbedingungen eigentlich hätte ändern müssen. Dafür war eine Erklärung zu finden, und zwar innerhalb der mechanischen Naturphilosophie. Es spricht für Leibniz’ Empiriebewusstsein, dass er diese Erklärung nicht in der Annahme von subtil ausgedachten ad hoc Hypothesen suchte, sondern durch geeignete Experimente hoffte, die Ursachen für die in Frage stehenden Vakuumphänomene zu finden. Immer wieder werden dafür neue Experimentalanordnungen erdacht oder variiert. Und jede dieser Experimentalanordnungen erzeugt ein neues Phänomen oder deckt eine neue Seite bereits bekannter Tatsachen auf (Hecht 2008). Das Ergebnis ist eine Liste der auf solche Weise durch Experimente erzeugten Phänomene. Sie liefert die empirische Basis für eine Reihe von Schlussfolgerungen, die Leibniz zu einer „observation generalle“, zu einer allgemeinen Beobachtung zusammenfasst, in der die Vermutung geäußert wird, dass die Natur bestrebt ist, den Zusammenhang der wahrnehmbaren Körper untereinander zu bewahren, „[…] que la nature tache d’empecher la discontinuation des corps sensibles“ (A VIII,1 425). Wer, meint er, für diese empirische Verallgemeinerung den Grund angeben könne, der sei in der Lage, auch den Grund der Phänomene aufzudecken, und er greift zu diesem Zweck auf eine noch vor der Pariser Zeit verfasste Schrift zurück, in der er die Positionen der Hypothesis physica nova fortgeschrieben hatte, die Propositiones quaedam physicae. Ob diese für eine Erklärung der Gesamtheit der Vakuumphänomene hinreichen, untersucht er, indem er sechs Einwände formuliert, die sich im Wesentlichen auf der Grundlage der Propositiones quaedam physicae entkräften lassen. Dennoch gelingt dies nicht in jedem Fall. Vor allem die von Huygens mitgeteilten Anomalien beim Experimentieren mit einer torricellischen Röhre und das Problem der Adhäsionsplatten widersetzten sich einer gemeinsamen Erklärung. Angesichts dieser Situation entschließt sich Leibniz zu einer kühnen Hypothese. Er postuliert, dass nicht durch die universelle Ätherbewegung allein die physikalischen Phänomene zu erklären seien; und er imaginiert eine besondere, nicht auf die Ätherwirbel redu-

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zierbare, Bewegung, die als „mouuement en tous sens“ (A VIII,1 423) durch keine besondere Richtung ausgezeichnet ist und lokalen Charakter besitzt. Mit dieser Hypothese wird ein neues Tor zum Verständnis der Vakuumphänomene aufgestoßen, und nicht nur zu diesen. Denn sie zeigt, dass keineswegs alle wahrnehmbaren Effekte gleichermaßen aus der universellen Bewegung des Lichtes hergeleitet werden können, wie Leibniz es noch zwei Jahre vorher für unzweifelhaft angesehen hatte. Leibniz wird also in seinen allerersten Auseinandersetzungen mit den modernen experimentellen Wissenschaften in Paris bereits an einen Punkt geführt, der auch die im Anschluss an die Hypothesis physica nova und die Theoria motus abstracti formulierten naturphilosophischen Einsichten schon wieder infrage stellt. Denn mit der Bewegung en tous sens, wird erstmals eine physikalische Wirkung postuliert, die sich nicht unmittelbar aus der allgemeinen Ätherbewegung ableiten lässt. Das Gesamtsystem bedarf daher der Korrektur, und zwar einer Korrektur, die das Verhältnis von Physik und Metaphysik differenzierter ausarbeitet. Einer Korrektur also, die einen neuen Ausgleich schafft zwischen den besonderen Phänomenen und der aus naturphilosophischen Gründen unhintergehbaren Ätherhypothese. In dieser Entdeckung hat man nach meiner Überzeugung, den ersten Anstoß zu der von Leibniz als Wiedereinführung der substantiellen Formen bezeichneten Überarbeitung seines begrifflichen Koordinatensystems zu sehen.14 Sie führt über die in der Pariser Zeit entstandenen Schriften zur Mechanik (Hecht 2016) und die Auseinandersetzung mit den Stoßgesetzen unmittelbar danach (Fichant 1994) zur Ausarbeitung des im ersten Kapitel erläuterten Kraftbegriffs, dessen Ursprung in den frühen Schriften sich kaum übersehen lässt. Hatte sich Leibniz nämlich in Paris gezwungen gesehen, neben der übergreifenden Ätherbewegung eine zweite davon unabhängige Bewegung anzunehmen, um die Phänomene zu erklären, so wird derselbe Sachverhalt im Kontext seines Kraftkonzepts durch die Unterscheidung von primitiven und derivativen Kräften erfasst. Was sich früher als Kombination der Ätherbewegung mit einer nicht näher bestimmten lokalen Bewegung herausstellte, ist nun Teil eines einheitlichen Kraftbegriffs. Und dieser begriffliche Fortschritt über die frühe Phase der Theoria motus abstracti und der Hypothesis physica nova hinaus verändert die für eine physikalische Erklärung erforderlichen Modelle von Grund auf. Es sind nun Modelle, die nicht mehr auf Druck und Stoß als den grundlegenden Wirkmechanismen beruhen, sondern Modelle, deren konstitutives Merkmal die Wechselwirkung von Kräften ist, die in einer Substanz als einheitsstiftender Basis gründen (Hecht 2011). Erst mit der Konstruktion solcher Modelle lässt sich von physikalischen Erklärungen im modernen Sinne reden, denn die derivativen Kräfte ermöglichen eine eigenständige, nicht von der Metaphysik abhängige Darstellung. Sie lösen ein, was Leibniz mit den mouuements en tous sens erstmals tentativ erwogen hat. Physikalische Argumentationen im engeren Sinne datieren also von diesem Zeit  14 Vgl. dazu den Beitrag von H.-P. Neumann in diesem Band.

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punkt an. Skizzen, Konzepte und Ausarbeitungen dazu finden sich im Nachlass zuhauf. Dessen ungeachtet hat Leibniz nur einige davon zum Druck gebracht. Sie betreffen die Mechanik, Optik, Pneumatik, Akustik und die Theorie der Planetenbewegung. Im ersten Kapitel wurde dargestellt, mit welchen Prinzipien und Begriffen Leibniz in der Dynamik die Grundlagen für eine allgemeine Bewegungslehre formulierte. Es wird nun darum gehen, diese Theorie unter dem Anwendungsaspekt vorzustellen, d. h. unter dem Gesichtspunkt ihrer Modifikation für die Beschreibung besonderer Phänomene, und dafür kommt einer Analyse der Bewegung in widerstehenden Medien besondere Bedeutung zu. 3.1.1. Bewegung in widerstehenden Medien Galilei und nach ihm Torricelli hätten, um die Bewegung von Projektilen auf Regeln zu bringen, vom Wiederstand der Medien abstrahiert, schreibt Leibniz. Dies aber führe in der Praxis zu Fehlern, und die Kenntnis der wahren, im Experiment bestätigten Gesetze sei daher für die Ballistik wie für die Artillerie wünschenswert. Mit diesen Überlegungen beginnt eine Abhandlung, die 1689 in den Acta Eruditorum erschienen ist (GM VI, 135). Ihr Titel Schediasma de Resistentia medii et Motu projectorum gravium in medio resistente (Abhandlung über den Widerstand des Mediums und die Bewegung von Projektilen im widerstehenden Medium) ist nicht ohne Wirkungen geblieben. Denn kein geringerer als Isaac Newton hat darin – gut versteckt, wie er mutmaßte –, seine eigenen Forschungsergebnisse entdeckt. Und tatsächlich hatte Leibniz nur die Resultate seiner Ausarbeitungen veröffentlicht, so dass die Benutzung der von Newton im Buch II seiner Principia zu diesem Gegenstand ausgeführten Passagen durch Leibniz zumindest im Rahmen des Möglichen lag. Indessen hatte Leibniz dem Herausgeber der Acta Eruditorum, Otto Mencke, versichert, bereits in Paris im Besitz der mehr als zehn Jahre später veröffentlichten Ergebnisse gewesen zu sein. Eine Bemerkung, die Eric J. Aiton zum Ausgangspunkt einer detaillierten Analyse der Leibniz’schen Abhandlung gemacht hat (Aiton 1972). Aiton konzentrierte sich dafür auf die in Leibniz’ Arbeit fehlenden mathematischen Ableitungen. Er verglich den veröffentlichten Text mit den im Nachlass aufbewahrten Manuskripten und fand die gesuchten mathematischen Beweise, die deutlich Leibniz’ Handschrift trugen, denn sie waren im Unterschied zu Newton und auch zu Huygens konsequent mit Hilfe des Differentialkalküls abgeleitet worden (Aiton 1972, 259). Aiton konnte damit die innere Konsistenz und den originären Ursprung der Leibniz’schen Arbeit nachweisen. In Bezug auf die Frage nach den Pariser Quellen allerdings war er auch in seiner Leibniz-Biographie nur

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in der Lage mitzuteilen, dass sich einige Behauptungen zu diesem Thema in einem Manuskript mit dem Datum „Hyeme 1675“ finden (Aiton 1991, 225).15 Erst Vladimir Kirsanov hat im Zusammenhang mit der Edition der naturwissenschaftlichen Schriften aus der Pariser Zeit im Rahmen der Akademie-Ausgabe das Konvolut der Textzeugen zum Thema Reibung gesichtet, und er konnte den Nachweis führen, dass Leibniz’ Aussage gegenüber Mencke korrekt ist. Dabei sieht er eine Parallele zum Prioritätsstreit um die Infinitesimalrechnung. 16 Für Kirsanov geht das aus der Tatsache hervor, dass „the leading notion for Newton was velocity while for Leibniz it was characteristic tirangle“ (Kirsanov 2008, 147); ein Unterschied, der bezogen auf die Frage nach dem Widerstand der Medien von Newton dahingehend beantwortet wird, dass es sich bei Leibniz um eine Art von Gegendruck handelt, der die Bewegung hemmt, während Leibniz die Wechselwirkung des Körpers mit jedem einzelnen Teilchen des Mediums ins Zentrum rückt. Für Newton war es eine Stoßkraft, die sich bewegungshemmend auswirken sollte; Leibniz basierte seine Argumentation auf Modellannahmen. Er stellte sich dafür eine ebene Fläche AB vor, auf der sich ein Körper M bewegt (Abb. 3). Der Widerstand, der sich bei Leibniz dem Bewegungsvollzug entgegenstellt, ist rein mechanischer Natur. Er besteht aus Klappvorrichtungen, die sich an den Punkten P, (P) usw. befinden und von dem Körper so lange überwunden werden, bis er durch den dabei erfahrenen Kraftverlust zur Ruhe kommt. Der dynamische Charakter dieses Modells steckt in den Umklappvorrichtungen, die nicht etwa bloß starre Gebilde sind, sondern elastische Medien und zwar von der Art, dass sie nach der Passage von M wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren.

Abb. 3: Mechanisches Modell zur Erklärung der Reibun

Um aus diesem Modell quantifizierbare Beziehungen ableiten zu können, führt Leibniz die Unterscheidung von absoluten und relativen Widerständen ein. Absolut werden die Widerstände genannt, wenn sie nicht von der Geschwindigkeit der sich bewegenden Körper abhängen. Der relative Widerstand dagegen hängt von   15 Der Text, auf den sich Aiton bezieht, wurde von H.-J. Heß in den Stl-Su. 17 (1987) veröffentlicht. 16 Vgl. hierzu den Beitrag von E. Knobloch in diesem Band.

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dem Einfluss des umgebenden Fluidums ab. Er ist umso stärker, je größer die Kraft ist, die beim Aufprall von den Teilchen des Fluidums ausgeübt wird. In diesem Falle meint Leibniz, sei der Widerstand proportional zur Geschwindigkeit des Körpers. Kirsanov beginnt seine Analyse mit dem von Leibniz formulierten Theorem I über den absoluten Widerstand, das er folgendermaßen wiedergibt: „If the motion of the body is uniform and it is retarded by a resistance proportional to the velocity, velocities will be as distances which are left to traverse“ (Kirsanov 2008, 148). Und er zeigt, dass es zu dem newtonschen Theorem I „If a body is resisted in the ratio of velocity, the motion lost by resistance is as the space gone over in its motion“ (Kirsanov (2008, 148), äquivalent ist. Anschließend beweist er, dass dem Theorem II von Newton: If a body is resisted in the ratio of its velocity, and moves, by its inertia only, through an homogeneous medium, and the times be equal, the velocities in the beginning of each of the times are in a geometrical proportion, and the spaces described in each of the times are as the velocities (Kirsanov 2008, 149),

ein Lemma und vier Theoreme in Leibniz’ Manuskript Du frottement (Von der Reibung) entsprechen. Leibniz ist also, schließt Kirsonov, bereits in Paris vollkommen unabhängig zu denselben Theoremen wie Newton gelangt, allerdings unter anderen Modellannahmen, denn Reibung entsteht bei Leibniz aus einer Vielzahl von Zusammenstößen des sich bewegenden Körpers mit den Partikeln des umgebenden Mediums. Und Kirsanov vermutet, dass die Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile für Leibniz genau in diesem Mechanismus seinen Grund hat, weil in den Zusammenstößen Energie irreversibel verloren geht. Mit dieser Bemerkung kommt Kirsanov auf den Anfang seiner Untersuchung zu sprechen, deren Titel Leibniz in Paris mehr umfasst als eine Analyse der Bewegung in widerstehenden Medien. Tatsächlich interessiert er sich für eine tiefgreifende Umstellung des physikalischen Denkens bei Leibniz, die er an dem Perpetuum-mobile-Problem festmacht. Es handelt sich um einen Prozess, an dessen Beginn der ernsthafte Versuch von Leibniz steht, ein Perpetuum mobile zu konstruieren (A VIII,1 N. 59), während am Ende der Pariser Zeit die Einsicht von der Unmöglichkeit solcher Vorhaben zur Forschungsmaxime geworden ist. Nach Kirsanov stellen sich die ersten Zweifel an der Möglichkeit, ein Perpetuum mobile herzustellen, bei dem Versuch ein, dessen Konstuktionsbedingungen systematisch zu analysieren, also nicht nur durch geschickte Arrangements und handwerkliche Erfahrung auf einen glücklichen Ausgang zu hoffen, sondern allgemeine Realisierungsbedingungen zu formulieren. Das ist der Beginn einer wissenschaftlichen Durchdringung des Problems und damit der Konstruktion eines neuen Maschinentyps. Kirsanov zeigt, dass Leibniz dafür das Problem des Perpetuum mobile neu definiert und zwar als die physikalische Aufgabe, eine kontinuierliche Bewegung zu erzeugen. Im Nachlass finden sich Manuskripte, die dafür Mechanismen angeben, deren Funktionsweise auf unterschiedlichen Wirkkräften beruht. Sie führen, wie Kirsanov zeigt, zu keinem befriedigenden Resultat, liefern allerdings eine Einsicht, die er ins Englische übersetzt. Sie lautet:

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Hartmut Hecht The whole artifice of perpetual motion consists in finding the way of restoring the restoring force without using the force, which has to be restored. For that reason two forces have to be connected to each other in such a way that the restoring force acts separately whereby everything is compensated without affecting the machine (Kirsanov 2008, 143).

Diesen Grundsatz hat Leibniz in der detaillierten Ausarbeitung der Konstruktionsanleitung für eine Winduhr fruchtbar gemacht. Das Horologium ventaneum perpetuum, wie er es nennt, beruht auf der Idee, eine genau gehende, d. h. eine aufgrund einer gleichförmigen Bewegung funktionierende Uhr, durch einen Antriebsmechanismus zu realisieren, der aus horizontal angeordneten Windmühlenflügeln besteht, die ihre Bewegung über ein Räderwerk auf die Zeiger übertragen. Dieses Grundkonzept wird durch die Einbeziehung weiterer Bausteine zu einer technisch anspruchsvollen Maschine. Sein Herzstück, das die Ganggenauigkeit der Uhr garantiert, besteht aus zwei Gewichten (Abb. 4), die abwechselnd angehoben werden und wieder absinken. Der Mechanismus der Windmühlenflügel sorgt dafür, dass zunächst ein Gewicht aufsteigt. Es bewirkt im Anschluss daran durch gleichmäßiges Absinken eine gleichförmige Bewegung der Zeiger, wobei die durch den Wind verursachten Ungleichmäßigkeiten mit Hilfe eines zweiten Gewichts ausgeglichen werden. Das geschieht, indem das zweite Gewicht angehoben wird, während das erste sinkt. Sobald aber das zweite Gewicht seinen höchsten Punkt erreicht hat, wird es dort arretiert, um für die Fortsetzung der Zeigerbewegung zu sorgen, sobald das erste Gewicht abgesunken ist. Wie man leicht sieht, hat das zweite Gewicht die Funktion, Kraft zu speichern, und diese zur Verfügung zu stellen, falls der Wind als Antriebsmechanismus einmal nicht oder nur in unzureichender Weise vorhanden ist. Nach Kirsanov hat Leibniz mit dieser Konstruktion erstmals in der Geschichte der Wissenschaften den Gedanken der Energiespeicherung formuliert.

Abb. 4: Skizze des Horologium ventaneum perpetuum

Dieser Mechanismus ermöglicht eine kontinuierliche Bewegung genau dann, wenn die Summe der Kräfte der Maschine in jedem Moment gleich ist. Darin ist eingeschlossen, dass die Maschine selbst in der Kraftbilanz nicht aussen vor bleiben darf, so dass auch die für das Funktionieren der Maschine als Maschine verbrauchte Kraft ersetzt werden muss. Wäre das nicht der Fall, würde man allein die

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Kraft ersetzen müssen, die zum Anheben der Gewichte erforderlich ist, dann hätte man eine Möglichkeit gefunden, Maschinen herzustellen, die ohne selbst Kraft für ihr Funktionieren zu verbrauchen, eine kontinuierliche Bewegung erzeugen könnten, d. h. eine unerschöpfliche Bewegung. Das hat Leibniz ausgeschlossen und nach Kirsanov ist es die Reibung, die dafür namhaft zu machen ist. Kirsanov hat in seiner Arbeit dargestellt, wie sich aus den mechanischen Manuskripten der Pariser Zeit sukzessive der Abschied vom Perpetuum mobile verstehen lässt. Diese Entwicklung hat bei Leibniz allerdings noch eine zweite Seite, die dem Bedürfnis nach metaphysischer Verallgemeinerung entspricht. Und in weiteren, von Kirsanov nicht berücksichtigten Handschriften, wird der Begriff des Perpetuum mobile umfassender als nur auf mechanische Bewegungen bezogen entwickelt. Ich habe das u. a. in (Hecht 2016) dargestellt und betrachte diese Überlegungen als Ergänzung der von Kirsanov vorgelgten Analyse des Perpetuum mobile Problems. 3.1.2. Bruchfestigkeitstheorie Der Ausschluss eines mechanischen Perpetuum mobile und die Analyse der Bewegung in widerstehenden Medien sind, wie sich zeigte, zwei Seiten einer Sache, deren erste Textzeugen sich unter den Handschriften der Pariser Zeit befinden. In einem weiteren Sinne könnte man auch die Leibniz interessierenden Probleme der Bruchfestigkeitstheorie dazu rechnen, denn Galilei, der nach Leibniz’ Aussage die Grundlagen zu einer solchen Theorie gelegt hat, eröffnete die Dialoge seiner Discorsi mit genau diesem Thema. Und es ist Sagredo, der Aufklärung über die offensichtliche Diskrepanz verlangt, dass einerseits die Mechanik auf Geometrie beruhe, in der die Gesetze der Proportionen für alle Körper gelten, die Erfahrungen im Umgang mit Maschinen aber eine andere Sprache sprechen. Galileis Double Salviati kündigt daraufhin an, in den folgenden Gesprächen zeigen zu wollen, dass bloss, weil es eben Materie ist, die grössere Maschine, wenn sie aus demselben Material und in gleichen Proportionen hergestellt ist, in allen Dingen der kleinen entsprechen wird, ausser in Hinsicht auf Festigkeit und Widerstand gegen äussere Angriffe: je grösser, um so schwächer wird sie sein. Und da ich die Unveränderlichkeit der Materie voraussetze,

heißt es dann, „kann man völlig klare, mathematische Betrachtungen darauf bauen“ (Galilei 1995, 4). Die Geometrie muss also nicht notwendig der Erfahrung widersprechen, und die Ableitungen, in denen Galilei die dafür erforderlichen Beweis liefert, werden von Leibniz in dem Beitrag Demonstrationes novae de Resistentia Solidorum (Neue Beweise vom Widerstand fester Körper) für die Acta Eruditorum folgendermaßen rekonstruiert. Gegeben sei ein Balken ABC, der in fig. 1 von Abb. 5 in eine Mauer DE eingelassen wurde, während er in fig. 2 von der Decke herab hängt. Dicke und Länge der Balken seien gleich, d. h. AC sei gleich AB. In fig. 1 werde am Ende des Bal-

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kens ein Gewicht F angebracht. Es soll so dimensioniert sein, dass es genügt, um den Balken an der Mauer abzubrechen. Wie Galilei zeigt, wird der Bruch an der Stelle erfolgen, an der der Balken in der Mauer befestigt ist, und zwar genau dann, wenn das Gewicht von F die Hälfte des Gewichts von G in fig. 2 beträgt. Zugund Bruchfestigkeit werden sich also verhalten, wie die Länge des Balkens zur Hälfte seiner Dicke. Das gilt, schreibt Leibniz, unter der von Galilei angenommenen Voraussetzung eines vollkommen starren Körpers. Indessen hätten Experimente von Paul Würz und Edme Mariotte ein weit geringeres Gewicht für F ergeben als Galilei annahm, so dass eine Korrektur geboten sei. Mariotte selbst hätte, schreibt Leibniz, durch eine geistreiche Rechnung nachgewiesen, dass das Gewicht F etwa den vierten Teil von G ausmache. Und weiter heißt es dann: Als ich bald darauf Gelegenheit fand, die Sache tiefgründiger zu erwägen, und nach den Gesetzen der Geometer zu prüfen, entdeckte ich endlich die wahre Beziehung, und ich zeigte u. a., dass das Gewicht F ein Drittel des Gewichts von G sein muss (GM VI, 107).

Abb. 5: Grafische Darstellungen zur Bruchfestigkeitstheorie

Leibniz legte dafür ein anderes Erklärungsmodell als Galilei zugrunde. Er nahm an, dass reale Körper nicht instantan auseinanderbrechen, dass sie vielmehr zunächst eine Phase der Dehnung durchmachen, die eine Verformung bewirkt, welche nicht selten – wie beim Schall –, eine Vibration erzeugt, und als Ton wahrnehmbar wird. Nichts sei daher in der Natur so starr, dass es nicht auf irgendeine Weise verformt werden könne. Um nun diese Überlegungen für die Rechnung zugänglich zu machen, dachte sich Leibniz die Körper aus Fasern bestehend, die sich vor dem Brechen dehnen. In fig. 3 von Abb. 5 ist dieser Sachverhalt anschaulich dargestellt. Leibniz betont den fiktiven Charakter dieser Annahme, die allerdings durch die Natur der Dinge nahegelegt würde. So würden Teile von Pflanzen und Tieren wie gewebt erscheinen. Selbst Glas würde man biegsam machen und in dünne Fäden ausziehen können, und Metalle oder Mineralien würden im flüssigen Zustand eine gewisse Zähigkeit aufweisen. Die Annahme der dehnbaren Fasern würde diesen Beobachtungen entsprechen und, obwohl in der Wirklichkeit

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nicht unmittelbar wahrnehmbar, die Möglichkeit bieten, exakte Aussagen darauf aufzubauen. Leibniz fasst dafür (Galilei folgend) die in den Figuren 1 und 2 von Abb. 5 dargestellten Versuchsanordnungen als verschiedene Perspektiven eines und desselben (rechtwinkligen) Hebels auf, an dessen einem Arm eine Kraft vom Gewicht F angreift, die das Verbiegen des Balkens bewirkt, während am zweiten Hebelarm ein Widerstand gegen den Abriss des Balkens wirksam wird. Dieser Widerstand folgt, wie Leibniz zeigt, einem Verteilungsgesetz, denn er nimmt vom oberen zum unteren Balkenrand in geometrischer Progression ab – dargestellt durch die Abstände 1H2H und 1B2B. Diese Abstände repräsentieren die einzelnen Fasern des Balkens, und indem er sie beliebig klein werden lässt, kann Leibniz seinen Infinitesimalkalkül darauf anwenden. Die Rechnung ergibt dann das gegenüber Galilei korrigierte Ergebnis von eins zu drei für das Verhältnis von Zugund Bruchfestigkeit. Dieses Ergebnis unterscheidet sich von dem heute akzeptierten um den Faktor 1/2, und die Differenz ergibt sich daraus, dass Leibniz für das Bruchverhalten nur die Dehnung der Fasern einbezieht, während Mariotte eine neutrale Achse einführt, die eine Unterscheidung von Dehnung und Stauchung der Balkenfasern ermöglicht. Mariottes Ansatz hatte die Potenz, den heute akzeptierten Faktor 1/6 zu liefern. Ihm ist bei der Ableitung allerdings ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen, der als Faktor 1/3 ergab, ein Lapsus, durch den sich Leibniz in seinem eigenen Ergebnis bestätigt fühlte. In seiner Geschichte der physikalischen Prinzipien hat István Szabós auch die Balkenbiegungstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts diskutiert, und er hat die eben nur verbal geschilderten Entwicklungen in die heute übliche analytische Formelsprache übersetzt. Dabei ist ihm aufgefallen, dass sich Leibniz auf Ergebnisse von Mariotte bezieht, die erst zwei Jahre nach Leibniz’ Publikation in den Acta Eruditorum, d. h. 1686, posthum in Mariottes Abhandlung über die Bewegung des Wassers und anderer flüssiger Körper, Traité du mouvement des eaux et des autres corps fluides erschienen sind. Diese Beobachtung kann heute leicht erklärt werden, weil der Briefwechsel zwischen Leibniz und Mariotte seit 1991 im Bd. III, 3 in der Akademie-Ausgabe zugänglich ist. Die Korrespondenz dokumentiert das schrittweise Entstehen einer gemeinsamen Theorie von Leibniz und Mariotte. Herbert Breger hat dieser fruchtbaren Zusammenarbeit in seinen Untersuchungen über die Prinzipien der Naturforschung bei Leibniz einen eigenen Abschnitt gewidmet (Breger 1990). Dabei ist er auch näher auf den von Leibniz in den Demonstrationes novae de resistentia solidorum thematisierten Zusammenhang zur Akustik eingegangen. Leibniz’ Pariser Studien zur Bruchfestigkeitstheorie sind im zweiten Band der Reihe VIII der Akademie-Ausgabe enthalten. 3.1.3. Akustik Die Bezugnahme auf Phänomene des Schalls im Zusammenhang mit der Einführung von Materialfasern zum Zwecke der Formulierung von Gesetzmäßigkeiten

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der Balkenbiegung, kommt nicht zufällig. Die Leibniz-Korrespondenz weist vielmehr parallel zum Briefwechsel mit Mariotte, auch einen umfangreichen Gedankenaustausch mit Günther Christoph Schelhammer aus, in dem Leibniz seine Ansichten zur Akustik entwickelt. Für beide ist, wie Herbert Breger in einem Aufsatz aus dem Jahre 1984 zeigt, das Verständnis der Elastizität von entscheidender Bedeutung (Breger 1984). Die Diskussionen mit Mariotte und Schelhammer sind Teil der Leibniz’schen Neubegründung seiner Physik unter dem Vorzeichen der Dynamik. Der junge Leibniz hatte die Elastizität noch durch den Austausch von Ätherquantitäten erklärt, sie also als ein Epiphänomen angesehen, das in der universellen Ätherbewegung seinen Grund hat. Durch die naturwissenschaftlichen Entdeckungen der Pariser Zeit aber wird dieses Erklärungsmodell zunehmend problematisch und in der Folgezeit einer gründlichen Revision unterzogen. Im Zentrum steht dabei Leibniz’ Interesse an den Phänomenen des Luftdrucks, und es fällt auf, dass zeitgleich mit der Ausarbeitung der ersten Grundsätze der Dynamik, von einer vis elastica als körpereigener Kraft die Rede ist. Die entsprechenden Schriften findet man im Bd. VIII, 1 der Akademie-Ausgabe. Sie reichen inhaltlich von Definitionsversuchen (N. 44) über Experimente an elastischen Körpern (N. 43) bis hin zu einem Calculus elasticus (N. 54) und werden durch Forschungen zu Problemen der Elastizität komplettiert, die sich auch auf die Optik (N. 211) erstrecken, wobei einschlägige Entwürfe zu Maschinen nicht fehlen (A VIII,1 N. 25, N. 60, N. 61). Welche Bedeutung das Verständnis der Elastizität für die Erklärung des Schalls besitzt, hat Ernst Gerland durch die Veröffentlichung einiger Texte aus dem Nachlass gezeigt. Nach Gerlands Urteil bieten Leibniz’ akustische Arbeiten die erste genaue Darstellung der Mechanik der Schallausbreitung mittels longitudinaler Luftschwingungen, und damit eine wissenschaftliche Behandlung des Themas, die das Diskussionsniveau der Zeit bestimmte. In diesem Zusammenhang zieht er in Erwägung, dass Leibniz durch Newtons einschlägige Ausführungen in den Principia zu seinen Ausarbeitungen angeregt worden sein könnte. Eine Vermutung, die sich durch den Fortgang der Akademie-Ausgabe als nicht zutreffend erwies. Den Nachweis hat Herbert Breger geführt, indem er in seinem Aufsatz Elastizität als Strukturprinzip der Materie zunächst die frühen Ansichten Leibniz’ zur Akustik skizziert. Er betont deren Zusammenhang mit der naturphilosophisch grundlegenden Bedeutung der Elastizität und zeigt, dass Leibniz bereits in der Summa Hypotheseos physicae novae, also noch vor der Pariser Zeit, erste Vorstellungen zu einer dynamischen Elastizitätsauffassung entwickelt, die er an einer schwingenden Saite modelliert. Elastische Körper nehmen diesen Überlegungen zufolge nach einer Verformung nicht sofort wieder ihre ursprüngliche Gestalt an, sondern schwingen nach einer gewissen Zeit in sie ein, so dass sich Elastizität und Schwingung als zwei Seiten einer Sache erweisen. Nimmt man nun noch die Erfahrung hinzu, dass beim Stoß elastischer Körper ein Ton hörbar wird, so hat man die Erklärungsvoraussetzungen des Schalls und seiner Ausbreitung beisammen, und tatsächlich ist Leibniz in dieser Weise vorgegangen. Allerdings ist es nicht der Stoß selbst, den er für die Entstehung des Tons verantwortlich macht, sondern

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die sich in Schwingungen wiederherstellende Ausgangssituation des gestoßenen Körpers. Dabei ergibt sich aus der Geschwindigkeit des Wiederherstellens des Ausgangszustands die Tonhöhe, während die Konstanz der Tonhöhe aus der der Isochronie der Schwingung folgt (Breger 1984, 119). Gegen diese Auffassung von der Tonerzeugung gibt Schelhammer in einem Brief zu bedenken, dass auch bei einem Schlag auf ein Kissen ein Laut vernehmbar sei, ein weiches Kissen jedoch kaum unter Leibniz’ Erklärungsvoraussetzungen subsumiert werden könne, denn es genüge ja nicht der Forderung nach gespannter Elastizität. Dieser Einwand wird von Leibniz durch eine Argumentation auf der Grundlage seines Kontinuitätsprinzips widerlegt (Breger 1990, 45 f.). Denn auch ein Schlag, der das Kissen zerreißt erzeugt einen Laut. Wie aber aus dem Abschnitt über die Balkenbiegungstheorie folgt, geht jedem Zerreißen oder Brechen eine elastische Dehnung voraus. Und diese grundsätzliche Einsicht muss auch für den Fall gelten, dass der Schlag nicht stark genug ist, um das Kissen zu zerreißen. Leibniz’ Arbeiten zur Akustik beziehen sich auf die Erzeugung, die Ausbreitung und Wahrnehmung des Schalls; sie schließen folglich Überlegungen zur Tonwahrnehmung ein. Letztere beruhen physikalisch auf der Fortpflanzung unterschiedlicher Tonhöhen vom Ort der Klangerzeugung bis zum Ohr und sinnesphysiologisch auf der Resonanz von Schallwellen mit den entsprechenden Organen des Ohres (LH XXXVII 1 Bl. 24 f.). Als Modell hierfür hat man an des Mitschwingen gleichgestimmter Saiten zu denken, wofür sich in der Handschrift LH XXXVII 1 Bl. 8r eine Zeichnung (Abb. 6) findet, die Leibniz nachträglich zusammen mit einer ausführlichen Erläuterung in einen von Schreiberhand überlieferten Text eingefügt hat. An derselben Stelle gibt er eine Erklärung für das Zerbersten von Gläsern bei einer bestimmten Tonhöhe.

Abb. 6: Illustration des Mitschwingens gleichgestimmter Saiten

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In seinem Aufsatz über die Prinzipien der Leibniz’schen Naturforschung führt Herbert Breger vor allem die Akustik und die Bruchfestigkeitstheorie als physikalische Forschungsfelder an, auf denen Leibniz erfolgreich war (Breger 1990, 48), und Ernst Gerland ergänzt, dass Leibniz’ Arbeiten zur Akustik einen bedeutenden Fortschritt gegenüber seinen Vorgängern und Zeitgenossen darstellen, denen nur durch die unterlassene Publikation weitergehende Wirkungen versagt blieben (Leibniz 1906, 37). 3.1.4. Himmelsmechanik Wie ich in den einführenden Bemerkungen zu diesem Kapitel hervorgehoben habe, hat sich Leibniz in seinen frühen Schriften für die Beschreibung der Planetenbewegung von Descartes’ Wirbeltheorie leiten lassen, und er hat eine Bewegung erst dann als vollständig verstanden angesehen, wenn es gelungen ist, deren raumzeitlichen Verlauf aus Ursachen zu erklären. Dies gilt auch für seine Abhandlung Tentamen de Motuum Coelestium causis (Versuch über die Ursachen der Himmelsbewegungen) die 1689 in den Acta Eruditorum erschien ist. Der Anlass zu dieser Darstellung war eine Rezension der Newton’schen Principia, die Leibniz während seiner großen Reise nach Süddeutschland, Österreich und Italien in den Acta Eruditorum gelesen hatte. „Da mir [damals] auch Gedanken über den physikalischen Grund der Himmelsbewegungen in den Sinn gekommen sind, habe ich es schließlich für der Mühe wert erachtet, einiges davon in einem eigenen Artikel zu veröffentlichen“ (Leibniz 2011, 87), schreibt er in einer weiteren durch die Lektüre der Rezension angeregten Schrift mit dem Titel De lineis opticis. Die Art und Weise, wie er sich dem Gegenstand der Planetenbewegung nähert, ist charakteristisch für seine Problemsicht. Leibniz setzt sich nicht unmittelbar mit Newton auseinander, sondern geht auf dessen Quellen zurück. Aus diesen werden dann die eigenen Ansichten entwickelt und zur Diskussion gestellt, „damit die aus dem Vergleich der Argumente geschlagenen Funken der Wahrheit um so kräftiger sprühen und der Scharfsinn des einzigartig begabten Mannes [Newtons] [uns] unterstützen möge“ (Leibniz 2011, 87). Im Falle der Planetenbewegung sind es vor allem die drei Kepler’schen Gesetze, die als historische Voraussetzungen infrage kommen. Kepler, so erfährt man bei Leibniz, habe seine drei Gesetze nicht einfach als empirische Tatsachenbeschreibungen mitgeteilt, man finde bei ihm auch einen Zugang zur Begründung ihrer Notwendigkeit. Da zu seiner Zeit jedoch weder die Mathematik noch die Theorie der Bewegung hinreichend entwickelt gewesen seien und Kepler darüber hinaus die Planeten als intelligente Wesen ansah, deren Wechselwirkung ihm auf eine Art sympathetischem Prinzip zu beruhen schien, konnte er nach Leibniz die vollständige Lösung nicht bieten. Und es war für ihn klar, dass diese im Rahmen des mechanischen Paradigmas der Naturphilosophie gefunden werden muss. Leibniz greift dafür auf seine frühen Modelle zurück. Er geht mithin von der Wirbelhypothese aus, die er kraft seiner Dynamik modifiziert, d. h. er legt seinen

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Modellannahmen nun Kräfte zugrunde, deren Berechnung die Bewegung der Planeten um die Sonne auf elliptischen Bahnen ermöglichen soll. Diese Kräfte sind derivative Kräfte, genauer: die Zentrifugal- und Zentripetalkraft, die es ermöglichen, die Attraktion durch die Sonne nach dem 1/r2-Gesetz und den Keplerschen Flächensatz abzuleiten. Die Zentrifugal- und Zentripetalkräfte selbst aber – und darin besteht die für ihn so wichtige Ursache der zölestischen Bewegungen – denkt sich Leibniz durch die dynamischen Bedingungen des Wirbels erzeugt. Sie bringen vermöge ihrer Rotation gleichzeitig eine gravitative Wirkung und eine zentrifugale Gegenwirkung hervor, und diese bilden für Leibniz die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass sich die geometrischen Berechnungen als Ausdruck physikalischer Zusammenhänge verstehen lassen. Damit ist ein Grundproblem der Entstehung der Wissenschaften im modernen Sinne berührt, das Problem der Fernwirkungskräfte. Es ist in der philosophie- und wissenschaftshistorischen Literatur so allgegenwärtig, dass es an dieser Stelle nur erwähnt werden muss. In Bezug auf Leibniz hat sich insbesondere Eric J. Aiton im Rahmen seiner Untersuchungen zu den Äthertheorien der frühen Neuzeit damit befasst. Eine auf den Leibniz’schen Grundgedanken fokussierte Zusammenfassung findet man in seiner Leibniz-Biographie.

Abb. 7: Ellipse zur Ableitung der keplerschen Gesetze

Aiton konzentriert sich dort auf das Tentamen de Motuum Coelestium causis. Er beschreibt insbesondere den Leibniz’schen Grundansatz, der darin besteht, dass eine vorausgesetzte harmonische Kreisbewegung des Wirbels durch das Wechselspiel von Zentrifugal- und Zentripetalkraft zu einer elliptischen Bewegung „aufgebogen“ wird. Die von Leibniz präsentierten Rechnungen prüft er nach, korri-

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giert sie gelegentlich, indem er Handschriften heranzieht, die im Umkreis des Tentamen entstanden sind und bemerkt: Es scheint tatsächlich so, als habe Leibniz die planetarische Umlaufbahn als ein Vieleck mit infinitesimalen Seiten dargestellt und z. B. angenommen, daß der Planet von der Sehne M1M2 [Abb. 7] auf die Sehne M2M3 durch einen momentanen im Punkt M2 sich ergebenden Impuls abwich (Aiton 1991, 229).

Zum Schluss stellt er das Fehlen der Ableitung des 3. Kepler’schen Gesetzes fest. Auch für Hans Stammel ist Leibniz’ Tentamen ein wichtiges Exerzierfeld, auf dem sich das Leibniz’sche Kraftkonzept physikalisch bewähren muss. Stammel geht es daher weniger um die technischen Details (dafür verweist er auf Aiton) als vielmehr um den dynamischen Kontext der Leibniz’schen Demonstrationen. Das Grundsätzliche zu diesem Thema ist weiter oben schon angesprochen worden. Im Zusammenhang mit der Theorie der Himmelsbewegungen wäre zu ergänzen, dass Stammel darüber hinaus die Frage nach den Quellen des Leibniz’schen Trägheitskonzepts diskutiert, wobei er insbesondere auf Huygens eingeht, bei dem Leibniz eine Stütze für seine Interpretation der Trägheit als aktiver Kraft finden kann. Und auch Stammel kommt auf den von Aiton angemerkten Sachverhalt zu sprechen, dass Leibniz die Umlaufbahn der Planeten als Polygon mit unendlich vielen Seiten auffasst. „In dieser Sichtweise ist jedoch das Problem enthalten“, schreibt er, „daß nach Leibniz ein Körper instantan und nicht während eines unendlich kleinen Zeitabschnitts eine unendlich kleine Geschwindigkeit erhält“ (Stammel 1982, 247). Stammel löst es auf, indem er zeigt, dass Leibniz im Infinitesimalen nicht mehr zwischen einer beschleunigten und einer gleichförmigen Bewegung unterscheidet. Die umfassendste und hinsichtlich ihrer Konsequenzen weitreichendste Analyse hat Dominico Bertoloni Meli im Jahre 1993 mit seiner Studie Equivalence and Priority vorgelegt. Er bietet nicht nur eine systematische Untersuchung des Textes Tentamen de Motuum Coelestium causis, sondern stellt diesen als signifikantes Zeugnis einer länger anhaltenden Beschäftigung mit dem Thema vor, das auf einen viel weiter ausgreifenden europäischen Diskussionszusammenhang verweist, in dem sich Leibniz und Newton als die prägenden Gestalten begegnen. Um den systematischen Ort des Textes zu bestimmen, begibt sich der Autor ins Archiv, und er macht gleich zu Anfang eine unerwartete Entdeckung. Denn was er findet sind Handschriften, die so gar nicht zu der Leibniz’schen Versicherung passen wollen, er habe zum Zeitpunkt des Entstehens des Tentamen nur die Rezension der Principia in den Acta Eruditorum gekannt. Eine gewisse Schlüsselfunktion dafür kommt dem Konzept Neutoni philosophiae naturalis principia Mathematica zu, das explizite Bezugnahmen auf die Principia enthält. Die Crux: das Stück ist nicht datiert, und Bertoloni Meli mit einer soliden zeitlichen Zuordnung in der Pflicht. Er stützt seine Datierung auf Wasserzeichen eines von Leibniz einige Zeit vor dem Erscheinen des Tentamen verwendeten Papiers sowie auf Argumente, die aus dem Fehlen von Schlüsselbegriffen wie circulatio harmonica und motus paracentricus in dem von ihm auf Herbst 1688 datierten Stücks. Sie werden komplettiert durch eine Analyse der

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Abfolge der diskutierten Manuskripte (Bertoloni Meli 1993, 95 f.). Dabei beobachtet er, dass Leibniz zunächst die newtonschen Begriffe in sein eigenes begriffliches Koordinatensystem übersetzte, die Bindung an Newton dann aber lockerte, um sie in den späteren Arbeiten ganz aufzugeben. Nach diesem Befund geht der Leibniz’schen Auseinandersetzung mit dem Problem der Planetenbewegung in den späten 80er Jahren eine Lektüre der Principia voraus, die sich bis in Leibniz’ Begriffssystem hinein auswirkt. Nach Bertoloni Meli hat Leibniz daher nicht – angeregt durch eine Rezension – die Priorität auf seine eigenen Ansichten angemeldet, vielmehr haben seine Ansichten in der Auseinandersetzung mit Newtons Principia erst ihre unverwechselbare Gestalt erhalten. Die Differenz zu Newton war also nicht von Anfang an fix und fertig gegeben, sondern nahm in der Kontroverse erst eine gegensätzliche Form an. Und ganz ähnlich der oben geschilderten Entwicklung des vis viva Streits wird hier eine grundlegende Differenz zum Ausgangspunkt für weiterführende Arbeiten aus der Feder von Pierre Varignon, Jacob Hermann und Johann Bernoulli. Letzterem hat Bertoloni Meli einen eigenen Abschnitt gewidmet, in dem er die Bedeutung des inversen Problems für die Lösung des Zweikörperproblems entwickelt. Dabei geht es um die Methode, nicht wie im Falle der Newton’schen Bewegungsgleichung bei gegebenen Kräften die Bahnkurve zu berechnen, sondern umgekehrt für eine gegebene Trajektorie die erzeugenden Kräfte aufzufinden. Das entspricht den von Euler als direkte und indirekte Methode bezeichneten Verfahren und berührt die Problematik der historischen Quellen des Wirkungsprinzips, auf die ich im Folgenden noch einmal aus der Perspektive der Optik zurückkomme. 3.1.5. Optik Die Optik ist für die mechanischen Naturtheorien der frühen Neuzeit von besonderer Bedeutung. Man kann sie als eine Art Kriterium für die Reichweite und Allgemeingültigkeit der Theorien sowie der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien ansehen. Denn solange man in den mechanischen Modellen allein Druck und Stoß als Wirkmechanismen zuließ und als Erklärungsgrund ausschließlich auf die Kausalität setzte, mussten sich die Phänomene der Optik als kaum zu überwindendes Hindernis für eine einheitliche Naturanschauung erweisen. Den Stein des Anstoßes dafür bildeten die Gesetze der Ausbreitung des Lichtes, von denen man bereits in der Antike wusste, dass sie einem Minimalprinzip, der lex parsimoniae, genügen und kausalmechanisch allein nicht zu erklären sind. Leibniz’ Überlegungen zur Ableitung der Gesetze der geometrischen Optik waren von Anfang an durch Optimierungsvorstellungen geprägt (A VIII,1 N. 21). Leibniz hat damit im Rahmen der mechanischen Naturphilosophie den Anspruch einer eigenen Lösung erhoben, einer Lösung, von der er überzeugt war, dass sie nicht nur neu ist, sondern vollkommen klar und in jeder Hinsicht den Anforderungen an eine mechanische Erklärung genügend (A VIII,1 495). Erstmals öffentlich hat er sich zu diesem Thema 1682 in den Acta Eruditorum geäußert.

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In einem Beitrag mit dem Titel Unicum Opticae, Catoptricae et Dioptricae principium unternimmt er es, die Gesetze der Ausbreitung, der Reflexion und Brechung des Lichtes, wie es im Titel heißt, aus einem einzigen Prinzip abzuleiten. Es lautet: „Das Licht gelangt vom strahlenden Punkt zu dem zu beleuchtenden Punkt auf dem leichtesten von allen Wegen.“ (Leibniz 1955, 287) Es handelt sich auch hier um ein Minimalprinzip, und Leibniz leitet daraus nicht nur die Gesetze der geometrischen Optik ab, sondern zeigt darüber hinaus, dass sich die bekannten Formulierungen dieser Gesetze von Isaac Vossius, Descartes und Fermat, auf dieses Prinzip zurückführen lassen. Benutzt hat er dafür seine Methode der Maxima und Minima, d. h. seine Infinitesimalrechnung, und wie im Falle der Bewegung in widerstehenden Medien gibt Leibniz auch hier nur die Resultate an. Erst vier Jahre später wird er in der berühmten Abhandlung Nova methodus pro maximis et minimis seine Rechenregeln offenlegen und die Bedeutung seines Kalküls für die Physik an der Ableitung des Brechungsgesetzes der geometrischen Optik demonstrieren. Dabei bezieht er sich explizit auf seine Arbeit Unicum Opticae, Catoptricae et Dioptricae principium, in der er, wie er schreibt, das allgemeine Fundament der Optik dargelegt habe (Leibniz 2011, 60). Es besteht in der Erklärung der Phänomene durch mechanische Modelle, und zwar durch solche, die es ermöglichen, eine Kausalmechanik mit dem Prinzip des leichtesten Weges in Einklang zu bringen (Hecht 1996). Als Euler und Maupertuis in Leibniz’ Schriften nach Anwendungen des von Samuel König zitierten LeibnizBriefes suchten, haben sie auch den Acta-Eruditorum-Beitrag aus dem Jahre 1682 hinzugezogen, und was sie fanden, war die Anwendung des Leibniz’schen Calculus, ein Extremalprinzip im Sinne des Prinzips der kleinsten Wirkung jedoch nicht. Und Maupertuis’ Bemerkung, dass Leibniz an der Stelle, wo es fast zwingend sei, das Aktionsprinzip für die Lösung eines physikalischen Problems zu benutzen, keinen Gebrauch davon gemacht habe, bezieht sich auf diesen Text (Maupertuis 1756a, xxiv). Dessen ungeachtet findet man auch bei Leibniz die Grundidee der Extremalprinzipien bezogen auf Probleme der Optik, und zwar insbesondere in dem von C.I. Gerhardt edierten Text Tentamen Anagogicum aus dem Jahre 1697. Leibniz schließt seine Überlegungen darin insofern an seinen Acta-Eruditorum-Beitrag an, als er bemerkt, dass Descartes das Brechungsgesetz niemals auf dem Wege gefunden haben kann, den er angab, d. h. allein unter Verwendung von Kausalursachen. Und er bemerkt, dass Descartes es entweder auf einem anderen Weg gefunden hat, oder anderswo her haben musste. Was ihn aber vor allem interessiert, ist die Tatsache, dass in der Strahlenoptik die Reflexion des Lichtes in Abhängigkeit von den jeweils benutzten Spiegeln durch unterschiedliche physikalische Prinzipien beschrieben wird. Verwendet man einen Konkavspiegel, so erfolgt die Reflexion an dem Punkt, an dem der Lichtweg der längste aller möglichen Wege ist. Im Falle des ebenen Spiegels und des Konvexspiegels handelt es sich um den kürzesten aller möglichen Wege. Die Prinzipien des kürzesten bzw. längsten Lichtwegs setzen die Kenntnis der Länge des Lichtwegs voraus. Um den vom Licht eingeschlagenen Weg zu finden, müssen daher zwei Punkte, die als Strahlungsquelle

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bzw. Empfänger des Lichtsignals identifizierbar sind, fest gewählt werden. Und im Anschluss daran fragt man nach der Lage desjenigen Punktes, an dem die Reflexion erfolgt. Um diesen Punkt zu bestimmen, fingiert Leibniz in Abb. 8 einen Strahlenverlauf, für den durch die Kurven AB ein konvexer, ein konkaver und ein ebener Spiegel die Ausbreitungsbedingungen darstellen. Zeichnet man in diese Abbildung nun die Abszisse ST ein und fällt man von ihr aus das Lot auf die drei Kurven AB, so ist klar, dass zum Lot q ein Zwilling Q, zum Lot r ein Zwilling R gehört usw. Spielt man daraufhin die möglichen Zwillingspaarbildungen in Gedanken durch, so wird man feststellen, dass es einen und nur einen Punkt gibt, an dem die Zwillinge zusammenfallen. In Abb. 8 handelt es sich um den Punkt C und dessen Zwilling c. Es ist folglich genau ein Punkt gegenüber allen anderen ausgezeichnet und zwar auf zweifache Weise. Einmal allein durch Symmetrieüberlegungen d. h. durch die Ordnungsbeziehungen der Ordinaten, durch die der Reflexionspunkt eindeutig bestimmt ist, dann aber auch noch durch Messung, d. h. durch Berechnung des vom Licht befolgten Weges. Diese beiden Methoden werden in Abb. 8 zur Anschauung gebracht. Der obere Teil der Zeichnung, in dem die Zwillingslote verglichen werden, entspricht einem Verfahren, bei dem die unterschiedlichen Lagen der Lote in Bezug aufeinander bestimmt werden. Diese Methode nennt Leibniz méthode de formis optimis. Sie wird komplettiert durch die méthode de maximis et minimis quantitatibus (GP VII, 272). Letztere ermöglicht die Herleitung des Brechungsgesetzes gemäß dem Verfahren der Nova methodus von 1686. Beide Methoden bedingen sich wechselseitig und zwar so, dass diese auf Kausalursachen beruht, während jene auf Finalursachen zurückzuführen ist. Für das Wirken von Finalursachen wird der Raum daher als bloße Ordnungsbeziehung vorausgesetzt. Dieser Raum beruht bei Leibniz auf der kontinuierlichen Tätigkeit der Monaden.17 Er ist mithin Ausdruck der metaphysischen Grundlagen der Physik, die garantieren, dass es überhaupt einen ausgezeichneten Punkt im oben erläuterten Sinne gibt, oder wie es Leibniz im Tentamen Anagogicum ausdrückt, dass es einen bestimmtesten (le plus déterminé) unter allen möglichen Wegen gibt. Diese Erkenntnis ist bei ihm eine metaphysische. Für das Wirken der Kausalursachen hingegen muss der Raum eine Struktur besitzen, die Messaussagen ermöglicht. Die Messungen freilich ergaben, dass in Abhängigkeit von den verwendeten Spiegeln, der Weg des Lichtes der längste oder der kürzeste aller möglichen Wege sein kann. Diese Ambivalenz wird in Leibniz’ Modell dadurch aufgehoben, dass er die Messergebnisse an die Symmetrieüberlegungen des oberen Teils von Abb. 8 ankoppelt, und zwar so, dass er die Ordnungsbeziehungen als die bestimmenden, weil durch die Metaphysik legitimierten Eigenschaften des Raumes, ansieht. Unabhängig von der besonderen physikalischen Situation nimmt daher das Licht   17 Genaueres dazu im Abschnitt Leibnizʼ Begriffe von Raum und Zeit in historischer Perspektive: Heinrich Schepers.

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stets den einfachsten aller möglichen Wege, d. h. den bestimmtesten (le plus déterminé).

Abb. 8: Skizze aus dem Tentamen Anagogicum

Damit liegt die Leibniz’sche Lösung, wie denn die Geltung der grundlegenden Gesetze der Strahlenoptik zu begründen sei, klar zu Tage. Sie besteht in der Kombination zweier Erklärungsstrategien, die vorher isoliert betrachtet wurden und aus diesem Grund dem Problem nicht gerecht werden konnten. In der Antike musste der Strahlengang an konkaven Hohlspiegeln außer Betracht bleiben, da er sich nicht mit der lex parsimoniae vereinbaren ließ. Und Descartes konnte, weil er nur Kausalursachen in der Physik zuließ, das Brechungsgesetz nicht begründen. Indem nun Leibniz anagogische oder, wie er auch sagt, architektonische Prinzipien zulässt, die sich in besonderen Ordnungsbeziehungen manifestieren, hebt er die Beschränkungen seiner Vorgänger auf. Dies geschieht, indem er Gesichtspunkte der Ordnung und der Größe aufeinander bezieht. Das metaphysische Prinzip der Ordnung legitimiert die Geltung zweier physikalischer Prinzipien für die Reflexion des Lichtes. Es macht daher quantitative Aussagen erst zur Gewissheit. Ohne dieses Prinzip wären die Gesetze der Strahlenoptik nicht hinreichend bestimmt, weil man sie von den Versuchsbedingungen abhängig machen könnte. Damit lässt sich meiner Ansicht nach auch die Frage nach der Anwendung bzw. Formulierung von Extremalprinzipien im Rahmen der Leibniz’schen Naturtheorie beantworten. Dieses Verfahren ist bei Leibniz ausschließlich im metaphysischen Kontext von Belang, indem es die vollständige Bestimmtheit der Ereignisse in der Welt gemäß dem Prinzip der Wahl des Besten garantiert. Eine explizite Beziehung auf Größen fehlt hier. Das wird im oberen Teil von Abb. 8 sichtbar gemacht. Denn dort werden nur Ordinaten in Bezug auf ihre Lage verglichen, und Größenangaben oder geometrisch dargestellte Lichtwege fehlen vollständig. Ge-

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nau das aber ist der Unterschied zu Maupertuis. Dieser gibt eine physikalische Größe an, und er bezieht sein Variationsprinzip direkt auf Lichtwege. Für Maupertuis ist der Weg des Lichtstrahls daher Ausdruck des Wirkens von Finalursachen, während er bei Leibniz mechanisch aus Kausalursachen rekonstruiert werden muss, die sich in prästabilierter Harmonie zu den metaphysischen Finalursachen befinden. Bei Maupertuis und auch bei Euler sind im Unterschied zu Leibniz sowohl die Kausal- als auch die Finalprinzipien physikalisch interpretierbar. Für diese Ansicht hätte Leibniz sein gesamtes System umstellen müssen, denn den Finalursachen entsprechen bei ihm keine unmittelbar physikalisch quantifizierbaren Größen. Herbert Breger hat in einer Analyse des von Samuel König Leibniz zugeschriebenen Briefes gezeigt, dass Details dieses Briefes weder zur wissenschaftlichen Situation der Zeit passen, noch Leibniz’schen Gedanken entsprechen, obgleich der Brief im Sprachduktus Leibniz’ Stil gut trifft. Er hat die Authentizität dieses Briefes nicht gänzlich ausgeschlossen, wohl aber infrage gestellt (Breger 1999). Ich betrachte meine Überlegungen zur methodologischen Bedeutung des Tentamen Anagogicum als Ergänzung zu diesem Befund aus einer eher philosophisch-erkenntnistheoretischen Perspektive. Die von Leibniz im Tentamen Anagogicum explizierte Art der Begründung der Gesetze der geometrischen Optik hat in der Forschung nicht nur hinsichtlich der Geschichte des Prinzips der kleinsten Wirkung Widerhall gefunden. Sie ist auch in den aktuellen Debatten der Wissenschaftstheorie zum Teleologieproblem, immer wieder Gegenstand der Diskussion. So hat Jeffrey McDonough in einer Abhandlung mit dem Titel Leibniz on Natural Teleology and the Laws of Optics den zentralen Gedanken der höchsten Bestimmtheit zum „Most Determined Path Principle“ erhoben (McDonough 2009, 506), und auf dieser Grundlage sowohl die historischen als auch die gegenwärtigen Debatten durchmustert. Um den Status des Leibniz’schen Finalitätskonzepts zu bestimmen, stellt McDonough zunächst fest, dass es schwächer sei als das Aristotelische. Es sei „grounded immediately only in the structure of the laws of nature.“ Und er setzt fort: On Leibniz’s view, however, it is not necessary to suppose that rays of light take optimal paths for the sake of their own good; it is suffient that they reliably act in such a way as to consistently bring about a particular end state (McDonough 2009, 521).

Diese Argumentation strebt eine Legitimation der Finalprinzipien als geeignete Forschungsinstrumente auch in der Physik an. Dafür werden die traditionellen Konzepte entschärft, und deren Verwendung in den Naturwissenschaften von den Bedürfnissen der praktischen Philosophie unterschieden. Zwar gebe es den übergreifenden Gesichtspunkt bei Leibniz auch, doch habe er sich mit dem Most Determined Path Principle eine Möglichkeit geschaffen, den Gegensatz von Kausalund Finalerklärungen in den Naturwissenschaften hinter sich zu lassen. Mit dieser Interpretation hebelt McDonough den Vorwurf der Cartesianer gegenüber Fermat aus, dass dieser ein moralisches Prinzip in die Physik eingeführt habe. Denselben

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Anspruch erhebt er hinsichtlich der konträren Positionen in den aktuellen Debatten. Die Idee, den Gedanken der höchsten Bestimmtheit als Prinzip zu formulieren, ist zweifellos durch Leibniz inspiriert, und sie fügt den Auslegungsmöglichkeiten Leibniz’scher Maximen und Reflexionen eine neue Facette hinzu. Hält man sich allerdings an den Wortlaut des Tentamen Anagogicum, so gibt es darin weder ein solches Prinzip, noch ist die Formel „le plus determiné“ im physikalischen Kontext angesiedelt. Das hat Leibniz gerade vermieden, indem er die Finalursachen der Welt der Monaden und die Kausalursachen der Körperwelt zuordnete. So können sie zwei Reiche bilden, die sich wechselseitig durchdringen, ohne sich gegenseitig zu behindern. McDonoughs naturalistische Interpretation nimmt hier eine spätere Diskussionslage auf und versucht, mit dem Gewicht des Historischen für mehr Ausgeglichenheit in den Debatten zu werben, wenn er notiert, dass philosophers have been overly hasty in their dismissal of Leibniz’s account of natural teleology, and indeed that their own generally thin conceptions of teleology have left them with few well-motivated resources for resisting Leibniz’s elegant position“ (McDonough 2009, 507).

Gibt McDonough dem Leibniz’schen Gedanken der höchsten Bestimmtheit eine Bedeutung, die es ihm ermöglicht, sich in den historischen wie aktuellen Diskussionslagen zum Teleologieproblem in den Wissenschaften zu orientieren, so setzt Michael Stöltzner für dasselbe Vorhaben andere Akzente. Er fragt im Anschluss an Kant, welchen Sinn formale Teleologie in den Wissenschaften heute noch macht, wobei ihm formale Teleologie nicht als ein eigenständiger Erklärungstyp, sondern als Komplement zur Kausalerklärung gilt. Theorien der Kausalität macht er am Paradigma der Differentialgleichungsphysik fest und teleologische Erklärungen am Prinzip der kleinsten Wirkung. Stöltzner will damit seine Position zu der in der modernen Teleologiedebatte prominenten Ansicht fixieren, dass teleologische Erklärungen nur ein anderer sprachlicher Ausdruck für Kausalerklärungen seien, und in diesem Zusammenhang diskutiert auch er die relevanten Passagen in Leibniz’ Tentamen Anagogicum. Bei der Lektüre der Stöltzner’schen Arbeiten fällt auf, dass er (anders als McDonough) in der Unterscheidung von mechanischen und architektonischen Bestimmungen Leibniz folgt, und dessen Vollkommenheitspostulat in der Auslegung von der höchsten Bestimmtheit aller Ereignisse der Metaphysik zuordnet. Stöltzner untersucht dann, ob Leibniz’ Rückbindung des maximalen und des minimalen Lichtweges an den einfachsten Weg tatsächlich zielführend ist. Als Gegenbeispiel führt er das Problem der Reflexion an einem ellipsoidalen Spiegel an, bei dem sich Lichtquelle und Beobachtungspunkt in jeweils einem der Brennpunkte befinden und schreibt: „Da die Gleichheit der Strecke Fokus-SpiegelFokus just die Definition der Ellipse darstellt, ist der optische Lichtweg eben für alle Spiegelpunkte gleich“ (Stöltzner 2005, 210). Das ist eine Beobachtung, die Leibniz vermutlich mit einem Hinweis auf seine Theodizee beantwortet hätte, wo es in dem berühmten Abschlussmythos eine Stelle gibt, in der ein Ähnliches Problem verhandelt wird. Es ist die Stelle, an der die Göttin Pallas den Hohepriester Theodorus auf den Besuch im Palast der

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Schicksalsbestimmungen vorbereitet. Sie erinnert ihn in dem Zusammenhang daran, dass er als junger Grieche Unterricht in der Geometrie erhalten habe und daher wisse, dass im Falle die Bedingungen für einen gesuchten geometrischen Punkt nicht hinreichend genau bestimmt sind, eine Unendlichkeit von Punkten resultiert, die alle in den von den Geometern sogenannten geometrischen Ort fallen. Und dieser Ort, der sich oft als Linie erweist, sei zumindest bestimmt (GP VI, 362 f.). Das von Stöltzner erwähnte vollständig entartete Problem eines ellipsoidalen Spiegels wäre nach Leibniz also nicht hinreichend bestimmt. In Stöltzners Kontext ergibt sich freilich ein anderer Befund. Er interpretiert das Ergebnis in dem Sinne, dass auch Leibniz’ Ansichten das Teleologieproblem in den Naturwissenschaften nicht lösen, d. h. sich im Ordnungssystem der formalen Teleologie nur schwer unterbringen lassen. 3.1.6. Drittes Resümee Lässt man die soeben vorgestellten Leibniz’schen Schriften zu besonderen Problemen der Physik noch einmal Revue passieren, indem man sie in ihren Entstehungszusammenhängen und Wirkungen zur Kenntnis nimmt, so fällt auf, dass es kaum einen Gegenstand gibt, der nicht in irgendeiner Weise von Prioritätsansprüchen tangiert wurde. Sei es, dass dieser Anspruch von einem der gelehrten Konkurrenten erhoben wurde, oder spätere Wahrnehmungen zu einer solchen Einschätzung führten. Und es fällt darüber hinaus auf, dass sich Mutmaßungen dieser Art oft durch die Verfügbarkeit einer sicheren Textgrundlage aus der Welt schaffen ließen. Beispiele dafür liefern die Veröffentlichung des Briefwechsels mit Mariotte und Schelhammer in der Reihe III der Akademie-Ausgabe sowie die im zweiten Band der Reihe VIII gedruckten Handschriften zur Bewegung in widerstehenden Medien. Für andere, wie Bertoloni Melis Annahme, dass Leibniz’ Tentamen de Motuum Coelestium causis die Kenntnis von Newtons Principia voraussetzt, oder den für die Kontroverse Maupertuis-König schicksalhaften (vermeintlichen) Leibniz-Brief, ist eine solche Lösung kurzfristig nicht in Sicht. Immerhin lässt die bisherige Aufklärungsrate einige Schlussfolgerungen zu. Es zeigte sich ja, dass im Falle der widerstehenden Medien Leibniz und Newton trotz unterschiedlicher Grundannahmen zu denselben Ergebnissen gelangten. Umgekehrt erwiesen sich Leibniz’ Arbeiten zur Akustik und zur Balkenbiegungstheorie als auf denselben Voraussetzungen dynamischer Elastizität beruhend. Und es sind solche Zusammenhänge, die erst durch Vorhaben wie die AkademieAusgabe deutlich machen, dass es ein allgemein verbindliches Paradigma ist, in dem sich das Denken der Scietific community oder wie es im 17. Jahrhundert heißt, der République des Lettres bewegt. Es handelte sich um ein Projekt, das die Gelehrtenwelt gemeinsam ausarbeitete, über dessen subtile Unterschiede sie sich aber oft nicht im klaren war, so dass Prioritätsansprüche erhoben wurden, die sich einem Selbstmissverständnis verdankten, weil als gleich unterstellt wurde, was doch auf einem Unterschied beruhte. „Controversies are particularly instructive for the historian because the protagonists are often induced to spell out assumtions

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which otherwise remain tacit“ (McDonough 2009, 14), schreibt Bertoloni Meli. Und in der Tat sind sowohl die großen Grundlagendebatten in den Wissenschaften als auch die Diskussionen der besonderen physikalischen Probleme von dieser Art, wobei es nicht selten vorkommt, dass erst die historische Forschung aus dem tacit knowledge eine distinkte Erkenntnis macht. 3.2. Raum und Zeit In der Physik von heute ist es üblich, von Raum-Zeit-Theorien zu reden, wenn es um die Relativitätstheorie geht. Diesen Terminus kennt das 17. Jahrhundert noch nicht, und die Begriffe des Raumes und der Zeit sind hinsichtlich ihrer physikalischen Bedeutung auf die jeweiligen Dynamiken bezogen. Das bedeutet im Falle von Leibniz, dass sie jene doppelte Bestimmtheit aufweisen, die für seine Dynamik charakteristisch ist, so dass mit dem philosophischen zugleich ein physikalischer Aspekt assoziiert wird. Einen guten Eindruck davon vermittelt die Lektüre des Leibniz-Clarke-Briefwechsels, in dem Leibniz gegen eine absolute Bedeutung dieser Begriffe und das heißt, gegen deren Dasein als eigenständige Existenzen argumentiert. Da nämlich der gegenwärtige Zustand einer solchen einfachen Substanz die Folge eines vorausgehenden Zustands ist, geht die Gegenwart darin mit der Zukunft schwanger, heißt es in der Monadologie (Leibniz 1998, § 22). Die Perzeptionsfolgen der Monaden zeitigen auf diese Weise eine Ordnung und zwar eine räumliche und zeitliche Ordnung, wodurch u. a. der Unterschied von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft festgelegt wird. Raum und Zeit sind als Ordnungen der Dinge im Beisammensein bzw. im Nacheinander für Leibniz etwas Ideales, eine Beziehung, die Dinge in ihrem Verhältnis zueinander eingehen. Sie sind folglich keine für sich bestehenden Entitäten. Und an diesem Punkt entfaltet sich die Kontroverse mit Clarke, in der Raum und Zeit als Ordnung bzw. Größe die gegensätzlichen Grundannahmen bezeichnen. Diese Differenz ist Ausgangspunkt aller Erörterungen der Leibniz’schen Begriffe von Raum und Zeit bis heute. Sie verknüpft den Newtonschen Standpunkt der Größe mit Messbarkeit, und Leibniz’ Gesichtspunkt der Ordnung mit Zeitfolgen bzw. Lagerungsmöglichkeiten von Körpern. Nun hat aber auch Leibniz die Auszeichnung von Maßen an den Anfang seiner Dynamik gestellt, d. h. er hat die Möglichkeit des Messens zum Kriterium der modernen Naturforschung gemacht, und es ist deshalb zu fragen, wie bzw. ob das in seinem Ordnungskonzept überhaupt möglich ist. In Nr. 54 seines 5. Schreibens an Clarke gibt er darauf eine klare Antwort, die, so weit ich sehe, in der Literatur kaum Beachtung gefunden hat (auf eine der wenigen Ausnahmen werde ich gleich eingehen). Sie lautet: Was den Einwand angeht, daß der Raum und die Zeit Größen seien, oder besser Dinge, die eine Größe besitzen, aber Lage und Ordnung nicht, so antworte ich hierauf, daß die Ordnung auch ihre Größe hat. Es gibt das, was vorhergeht, und das, was nachfolgt. Es gibt Abstand und Entfernung. Relative Dinge haben ebenso wie absolute Dinge ihre Größe. Beispielsweise haben die Verhältnisse bzw. Proportionen in der Mathematik ihre Größe und werden mit Hil-

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fe der Logarithmen gemessen, aber trotzdem sind sie Beziehungen. Obwohl die Zeit und der Raum aus Beziehungen bestehen, haben sie dennoch ihre Größe (Leibniz 1991, 99).

Für Leibniz gibt es daher keine Ordnung ohne Größe, keine Lage ohne Ort und keine primitiven ohne derivative Kräfte. Schon die Einführung des Maßes der lebendigen Kraft, wie sie Leibniz in der Brevis demonstratio vornimmt, wäre ohne diese Einsicht unmöglich, weil dafür der Raum als Messgrundlage vorausgesetzt werden muss. Und bei einem Ortswechsel, den ein Körper relativ zu einer Gesamtheit anderer ausführt, ändert sich der Ort relativ zu allen anderen Orten nicht, wohl aber die Lagebeziehung des Körpers (Leibniz 1991, 93). Wie ist es dann aber zu erklären, dass dieser Gesichtspunkt in der Rezeptionsgeschichte so wenig Beachtung gefunden hat? Um darauf eine Antwort zu finden, werde ich im Folgenden die oben analysierten Positionen von Leonhard Euler und Emilie du Châtelet zur Dynamik durch ihre Raum-Zeitkonzepte komplettieren. 3.2.1. Kraft und Raum bei Leonhard Euler Euler hatte die Dynamikdebatte u. a. um eine neues Prinzip bereichert, das heute als Newton’sche Bewegungsgleichung bekannt ist, und er hat seine Ansichten über Raum und Zeit in einer Arbeit dargelegt, die etwa zeitgleich mit der Einführung seines neuen Prinzips der Mechanik entstanden ist. Ihr Titel lautet: Réflexions sur l’espace et le tems (Überlegungen zu Raum und Zeit). Darin setzt er sich mit den Raum-Zeitbegriffen auseinander, wie sie namentlich in der metaphysischen Tradition der heute so genannten Leibniz-Wolff’schen Schule vertreten wurden, deren herausragendes Merkmal er in der Idealität des Raumes und der Zeit erblickt. Im vierten Paragraphen seiner Untersuchung stellt er dazu fest, dass die „idées imaginaires“ von Raum und Zeit, wie sie das Denken der Metaphysik beherrschen, durch „idées réelles“ ersetzt werden müssen (Euler 1942b). Euler attackiert also gleich zu Anfang einen der zentralen Punkte des Leibniz’schen Raum- bzw. Zeitkonzepts. Um dies plausibel zu machen, geht er von der Feststellung aus, dass ein Körper, der sich im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung befindet, diesen beibehält, falls er nicht durch eine äußere Kraft gezwungen wird, ihn zu verändern. So hatte es auch Newton in seinem 1. Gesetz der Bewegung postuliert. Euler untersucht dann, ob dieses, wie er unterstellt, in der Metaphysik ebenfalls unstrittige Gesetz mit einem Raumbegriff kompatibel ist, der Räumlichkeit allein durch Ordnungsbeziehungen definiert. Zu diesem Zweck analysiert er den Begriff des Ortes und zeigt, dass die Vorstellung, der Raum sei durch die Gesamtheit der Beziehungen zu definieren, die ein Körper zu den anderen ihn umgebenden Körpern eingeht, für die Formulierung der grundlegenden Gesetze der Mechanik nicht genügt. Euler konzentriert sich dafür auf die Geltungsbedingungen des 1. newtonschen Gesetzes in der oben angegebenen Formulierung, die, wie er nachweist, an die Existenz eines absoluten Raumes gebunden ist, relativ zu dem sich Ruhe und gleichförmige Bewegung bestimmen lassen. Und er geht noch einen

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Schritt weiter, denn die Erhaltung des Bewegungszustands eines Körpers, sei es nun der Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung ist, dynamisch betrachtet, eine Folge seiner Trägheit, von der nur mit Bezug auf den absoluten Raum gesprochen werden könne. Einstein hat das Verhältnis des absoluten Raumes zu der in ihm befindlichen Materie später so charakterisiert, dass jener auf die Materie wirke, nichts aber auf ihn zurück. In diesem Sinne, meinte Einstein, sei der Raum absolut (Einstein 1960, xiv). Das ist wohl auch der Punkt, auf den Euler hinaus will, und er führt mit dem Hinweis auf die Erhaltung der Richtung der gleichförmigen Bewegung noch einen zweiten Gesichtspunkt mit klarem Votum für die Realität des Raumes ins Feld. Im § 17 der Réflexions sur l’espace et le tems hält er fest: „La réalité de l’espace se trouvera encore établie par l’autre principe de la Mécanique, qui renferme la conservation du mouvement uniforme selon la même direction“ (Euler 1942b, 381). Euler fordert also nicht nur die Gleichförmigkeit der Bewegung, sondern auch deren Richtungserhaltung. Da es sich sowohl bei der Trägheit als auch der Richtungserhaltung um dynamische Charakteristika der Bewegung handelt, ist klar, dass für die Dynamik als physikalischer Bewegungstheorie der sie prägende Kraftbegriff in einem wohlbestimmten Verhältnis zu den Raum-Zeit-Vorstellungen stehen muss. Das ist das Geheimnis des newtonschen absoluten Raumes, über den in der Philosophieund Wissenschaftsgeschichte bis heute debattiert wird, ein Geheimnis, das Euler als Bedingung seines eigenen Kraftbegriffs, d. h. des von ihm eingeführten neuen Prinzips der Mechanik durchschaut hat. Euler benötigt den absoluten Raum, weil die Kraft bei ihm eine Änderung des Bewegungszustands bewirkt, der auf der Trägheit der Körper beruht, die relativ zum absoluten Raum definiert ist, und auf diese Weise die Kraft messbar wird. Um die Möglichkeit des Messens geht es auch bei Emilie du Châtelet, allerdings in einer anderen Perspektive. 3.2.2. Emilie du Châtelet über Augenblick und Dauer Gleich am Beginn des V., mit „De l’Espace“ (Du Châtelet 1988, 94) überschriebenen Kapitels ihrer Institutions physiques spricht sie diesen Sachverhalt an. Sie setzt sich dort mit der These der Existenz eines leeren Raumes auseinander und weist diese mit dem Leibniz’schen Argument zurück, dass man in einem solchen Falle keinen Grund dafür angeben könne, weshalb nicht die Welt an einem anderen als dem tatsächlichen Ort geschaffen worden sei. Der Raum, argumentiert sie, sei nicht einem leeren Gefäß vergleichbar, in dem man nach Belieben ganze Welten unterbringen könne, sondern die Ordnung des Koexistierenden, und dies bedeute, dass er nicht als real, sondern als etwas Ideales zu bestimmen sei. Den Raum gibt es für sie nur in Relation zu den wirklichen Dingen. Und was die Realität des vermeintlich leeren Raumes angeht, so handele es sich bestenfalls um die einer Abstraktion. Genau wie Euler, analysiert Emilie du Châtelet in einem zweiten Schritt den Begriff des Ortes (le lieu), den sie durch die Position eines Körpers relativ zu anderen Körpern bestimmt. Als Beispiel verweist sie auf die Position eines Tisches

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innerhalb eines Zimmers. Wird dieser Tisch verrückt, so ändert er seine Position innerhalb des ihn umgebenen Raumes. Er verändert also seinen Ort relativ zu den Wänden des Zimmers, d. h. er vollzieht eine Bewegung, deren Beschreibung allerdings nicht vollständig ist, weil man sich dieselbe Bewegung auch durch die Bewegung eines Zimmers, in dem ein Tisch ruht, erzeugt denken kann. Solange man nicht explizit angibt, in welchem der beiden Körper sich der Grund für die Bewegung befindet, im Tisch oder im Zimmer, solange wird man aufgrund der Relativität der Ortsbewegung ganz nach Belieben über Ruhe und Bewegung der beteiligten Körper verfügen können. Eine Darstellung der Bewegung allein als Ortsveränderung ist daher defizitär, d. h. sie bedarf der Ergänzung durch die Angabe von Kräften.18 Du Châtelet kommt also sehr schnell an denselben Punkt wie Euler. Allerdings belässt sie es nicht bei der Ortsdefinition, vielmehr unterscheidet sie mit dem Platz (la place) und der Lage (la situation) weitere Lagerungsmöglichkeiten von Körpern relativ zueinander. Unter dem Platz eines Körpers versteht sie mehrere Orte, die zusammen genommen, eine Gesamtheit ausmachen, wie sie durch die Teile eines Körpers vorgestellt werden kann, und in der Lage drückt sich die Ordnung einer Vielzahl koexistierender Körper aus, die gerade keine Gesamtheit in dem vorausgehend bestimmten Sinne bilden. Du Châtelet erläutert den Begriff an der Definition des Kreises, der geometrisch dadurch ausgezeichnet ist, dass alle Punkte der Peripherie den gleichen Abstand vom Mittelpunkt haben, „c’est par cette raison que l’on dit que tous les points d’une circonférence ont la même situation à l’égard du centre, entant qu’on peut mettre la même étendue entre-deux“, schreibt sie (Du Châtelet 1988, 117). Die Lage der Punkte auf der Peripherie des Kreises definiert damit eine Ordnung, d. h. einen spezifischen Zusammenhang, der zugleich eine Messaussage ermöglicht, denn alle Punkte haben den gleichen Abstand vom Zentrum. Das ist eine Feststellung, die im Kapitel über die Zeit noch genauer ausgeführt wird. Analog zum Raum wird die Zeit zunächst als Ordnungsrelation bestimmt, und zwar als die Ordnung der Dinge im Nacheinander. Um dieses Nacheinander nun vergleichbar und folglich zu einem Gegenstand der Erfahrung zu machen, um also Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in Bezug auf ihre Dauer zu unterscheiden, dafür bedarf es eines Maßes. „Les mesures du Tems prises des Corps extétireurs nous étoients nécessaires pour mettre de l’ordre dans les faits passés, présens, & même à venir, & pour pouvoir donner aux autres une idée de ce que nous entendons par une telle portion de Tems“,

schreibt du Châtelet (Du Châtelet 1988, 131). Und sie hebt hervor, dass diese Maße niemals vollkommen exakt sein können, weil es nicht möglich ist, einen Zeitabschnitt unmittelbar mit dem folgenden zu vergleichen. Auch unterscheiden die verschiedenen Völker und Nationen sich hinsichtlich ihrer Arten der Zeitmessung, indem sie die Maßeinheiten unterschiedlich definieren. Das Einzige, was dies  18 Vgl. hierzu Leibnizʼ Argumente für die Einführung eines Kraftbegriffs weiter oben.

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bezüglich universell ist, sagt du Châtelet, „c’est celle que l’on appelle un instant, car tous les hommes connaissent nécessairement cette portion de Tems, qui s’écoule pendant qu’une seule idée reste dans notre esprit“ (Du Châtelet 1988, 133). Der Augenblick als Teil der Zeit ist also bei allen gleich, denn er wird von allen gleich erlebt. Der Augenblick ist etwas, das uns nicht äußerlich ist. Jeder erlebt ihn auf seine Weise und doch gleich, weil jeder seine Eigenzeit besitzt, und das gilt keineswegs allein für Lebewesen. Jedes Ding hat seine Zeit und zwar nicht nur als Zeitpunkt im Rahmen eines äußeren Geschehens. Die Zeit charakterisiert es vielmehr als ein Individuum, das zugleich quantifizierbare Eigenschaften besitzt. Das ist eine Entdeckung, die im 18. Jahrhundert weitgehend singulär ist. Und sie wird unter dem Gesichtspunkt von Ordnung und Größe, d. h. komplementärer Eigenschaften des Raumes und der Zeit, erst mit der Relativitätstheorie physikalisch zum Tragen kommen. Wie sich zeigt, sind die Begriffe des Raumes und der Zeit bei Euler und Madame du Châtelet dadurch unterschieden, dass diese ein philosophisches Angebot für eine Dynamik unterbreitet, das sich nicht allein auf physikalische Prinzipien beruft, also genau den Leibniz’schen Standpunkt vertritt, während jener die Physik aus ihren eigenen Prinzipien entwickelt. Und die Antwort auf die weiter oben gestellte Frage, weshalb die von Leibniz thematisierte Verknüpfung von Ordnung und Größe in der physikalischen Diskussion kaum eine Rolle gespielt hat, lautet, dass die Physik sich in der Entwicklung der Dynamik als Theorie etablierte, die auf eigenen physikalischen Prinzipien beruht, für deren Formulierung Leibniz’ subtile Unterscheidung, wie es sich nun herausstellte, eine unstatthafte Einmischung der Metaphysik in physikalische Belange darstellt. Damit hat sich eine Konstellation etabliert, die bis heute als grundlegend angesehen wird. Raum und Zeit sind hinsichtlich ihrer philosophischen bzw. physikalischen Bedeutung nicht mehr unterscheidbare Momente eines Zusammenhangs, sondern Gegenstände verschiedener Disziplinen, die freilich, wie ich im Folgenden anhand der Positionen von Hans Reichenbach und Heinrich Schepers zeigen werde, doch wechselseitig Anknüpfungsmöglichkeiten bieten. 3.2.3. Hans Reichenbachs Kausaltheorie der Zeit Ich hatte bereits erwähnt, dass die Unterscheidung von Ordnung und Größe in Bezug auf Raum und Zeit von der Relativitätstheorie neu zur Disposition gestellt wurde. Sie wird dort in den Begriffen Topologie und Metrik interpretiert, die beide zu unverzichtbaren Eigenschaften des Raumes und der Zeit avancieren. Diese Einsicht ist von Hans Reichenbach als einem der ersten ausgesprochen worden, der sich dafür ausdrücklich auf Leibniz bezieht, bei dem er bereits alle Merkmale der modernen Raum-Zeittheorien in statu nascendi vorfindet. Und als signifikante Quellen dafür nennt er nicht nur den Leibniz-Clarke-Briefwechsel, sondern vor allem die Initia rerum mathematicarum metaphysica (Metaphysische Anfangsgründe der Mathematik).

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Reichenbach stimmt vollkommen mit dem Ausgangspunkt dieser Schrift überein, wonach es in der Welt nur Dinge und deren Zustände gibt. Er betont, dass diese Zustände entweder auseinander hervorgehen oder zugleich existieren, und er bestimmt mit Leibniz die Zeit als Ordnung des nacheinander Existierenden, während der Raum die Ordnung des zugleich Existierenden erfasst. Nach Leibniz muss es einen Grund dafür geben, dass die nicht zugleich existierenden Dinge auseinander hervorgehen, und auch diese Ansicht wird von Reichenbach geteilt, der dafür die Kausalität ins Feld führt und postuliert: „Die Zeitfolge ist also die Ordnung der kausalen Abläufe; die Kausalität ist das logisch primäre, die Zeit das sekundäre“ (Reichenbach 1979, 411). Damit hat er den Grundgedanken seiner Kausaltheorie der Zeit formuliert, in der er ein Procedere entwickelt, das die Ableitung der Zeitordnung aus der Kausalordnung zum Programm erhebt, und wie Leibniz Raum und Zeit als relative Begriffe bestimmt. Dies geschieht, indem er zwei Ereignisse E1 und E2 betrachtet, die sich topologisch ordnen lassen, sobald man nur ein Zwischenglied E’ einführt. Setzt man nämlich voraus, dass E1 kleiner ist als E’ (E1 < E’) und E’ < E2, so muss auch E1 < E2 sein. Und genau diesen Gedanken findet Reichenbach in dem von ihm analysierten Leibniz-Text. Dort freilich in der Fassung, dass sich zwei Punkte näher oder weiter entfernt von einander befinden können, so dass man mehr oder weniger Punkte zwischen ihnen zu erwarten hat. Dabei werden diejenigen zwei Punkte als näher beieinanderliegend betrachtet, für die gilt, dass sich die zwischen ihnen liegenden Punkte im Verhältnis der höchsten Bestimmtheit zueinander befinden. Das nämlich gibt ihnen im Verhältnis zu anderen Punkten den Charakter von etwas Einfacherem (GM VII, 18). Um deutlicher zu machen, in welchem Sinne hier von Einfachheit gesprochen wird, gibt Leibniz ein Beispiel an. Er erläutert, dass die einfachste Verbindung zwischen zwei Punkten die Gerade ist, weil es sich um die kürzeste und zugleich gleichförmigste Verbindung zwischen zwei Punkten handelt (GM VII, 18). Einfachheit wird somit durch geometrische Eigenschaften bestimmt. Allerdings, und das ist das Entscheidende, handelt es sich nicht um metrische Eigenschaften, die Leibniz im Blick hat. Er will auf ein Kriterium hinaus, das es ermöglicht, alle denkbaren Kurven zu ordnen und einen singulären Fall auszuzeichnen. Dieses Kriterium ist die Geradheit. Es zeichnet die Gerade gegenüber allen anderen Kurven aus und macht sie zum Modell für Punkte, die sich im Verhältnis der maximalen Bestimmtheit (le plus déterminé) zueinander befinden. Von dieser Denkfigur, die auch für das Tentamen Anagogicum zentral ist,19 geht eine enorme Faszination für Reichenbach aus. „So unvollkommen Leibniz auch diese Bestimmung geglückt ist – der Versuch, die Topologie von Raum und Zeit definitorisch festzulegen, ist von allergrößter Bedeutung“, schreibt er (Reichenbach 1979, 413). Nach Reichenbach wollte Leibniz das Richtige, ihm fehlten jedoch die technischen Mittel, um sein Ziel, die Ordnung des Raumes und der Zeit   19 Vgl. dazu den Abschnitt über die Optik.

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unter der Voraussetzung allein von Dingen und deren Zuständen stringent einzuführen. Dies drückt sich für Reichenbach insbesondere in der Verwendung von Begriffen wie höchste Bestimmtheit und Einfachheit aus. Und er führt mit seiner Kausaltheorie der Zeit ein Instrumentarium ein, das die Ableitung der RaumZeitbegriffe aus der Kausalität als zeitgemäße Lösung der Leibniz’schen Problemstellung ansieht. Reichenbach demonstriert die Leistungsfähigkeit seiner Methodologie u. a. an der von der speziellen Relativitätstheorie postulierten Relativität der Gleichzeitigkeit. Um diese zentrale Aussage der speziellen Relativitätstheorie wissenschaftstheoretisch korrekt einzuführen, aktiviert er die Leibniz’sche Unterscheidung von Ordnung und Größe, und zwar in der Form von Zuordnungsdefinitionen, von denen er zwei topologische und drei metrische Zuordnungsdefinitionen benötigt. Die 1. topologische Zuordnungsdefinition bestimmt die Zeitfolge in einem Punkt. Sie bestimmt mithin den zeitlichen Ablauf auf einer Kausalkette, während die 2. topologische Zuordnungsdefinition eine Ordnung zwischen Ereignissen herstellt, die nicht auf derselben Kausalkette liegen und zu der Gleichung: Ausschluss des Wirkungszusammenhangs = Zeitfolgeunbestimmtheit = Gleichzeitigkeit

führen. Was damit gemeint ist, macht man sich am besten an Abb. 9 klar, in der die senkrechten Linien zwei Kausalketten bezeichnen, die durch ein Lichtsignal derart miteinander verbunden werden, dass der zum Zeitpunkt t1 von der linken Kausalkette im Punkt E1 ausgesandte Lichtstrahl in E’ reflektiert wird, und aufgrund der inzwischen vergangenen Zeit nicht am Ausgangspunkt E1, sondern in E2 ankommt.

Abb. 9: Verknüpfung von Ereignissen auf unterschiedlichen Kausalketten

Fingiert man nun ein beliebiges Ereignis E, das zwischen E1 und E2 liegen möge und fragt nach dessen Lage in Bezug auf E’, so lässt sich die Antwort aus Abb. 9 ablesen. Sie lautet: In diesem Falle versagt die Definition der Zeitfolge, da sich E und E’ durch kein Signal verbinden lassen, denn die Lichtgeschwindigkeit als oberste Signalgeschwindigkeit schließt eine solche Verknüpfung aus. Es besteht

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folglich kein Wirkungszusammenhang zwischen diesen Ereignissen, und genau das ist gemeint, wenn von Zeitfolgeunbestimmtheit die Rede ist. Sie bewirkt, dass alle Ereignisse, die wie E, zwischen den Ereignissen E1 und E2 liegen, als gleichzeitig mit E’ angesehen werden müssen. In dieser durch die Natur der Dinge vorgegebenen und durch die Kausalstruktur der Welt explizierbaren Sachlage besteht nach Reichenbach der eigentliche Kern der Relativität der Gleichzeitigkeit, der einzig und allein aus der Existenz einer obersten Signalgeschwindigkeit folgt. An dieser Stelle kommen die drei metrischen Zuordnungsdefinitionen ins Spiel, die Reichenbach in seiner Philosophie der Raum-Zeit-Lehre folgendermaßen einführt: Die erste gilt der Zeiteinheit und verfügt nur über die entstehenden Zahlwerte der Zeitstrekken. Die zweite gilt der Gleichförmigkeit und bezieht sich auf den Vergleich einander folgender Zeitstrecken. Die dritte gilt der Gleichzeitigkeit und bezieht sich auf den Vergleich von Zeitstrecken, die in verschiedenen Raumpunkten parallel nebeneinander herlaufen. Erst nach diesen drei Festsetzungen gibt es eine Messung von Zeiten; ohne sie ist die Zeitmessung ein logisch unbestimmtes Problem (Reichenbach 1928, 160).

Topologische und metrische Zuordnungsdefinitionen bedingen sich damit wechselseitig, wobei die topologischen sich als grundlegender erweisen, weil sie eine Ordnung festlegen, in die hinein eine Metrik definiert wird. Die Analogie zu Leibniz ist leicht zu erkennen, ja anschaulich zu erfahren, wenn man sich noch einmal Abb. 8 vor Augen führt. Darin hatte Leibniz einer metaphysisch legitimierten Ordnung als Voraussetzung für die Geltung gemessener Lichtwege sichtbaren Ausdruck gegeben. Er hatte, wie Reichenbach Ordnungsbeziehungen als conditio sine qua non für die Formulierung von Messaussagen erklärt. Und der entscheidende Punkt dabei war die vollständige Bestimmtheit aller Ordnungsbeziehungen, eine Konsequenz, die Reichenbach nicht teilen kann, da für ihn gerade eine ursprüngliche Unbestimmtheit der Schlüssel zum Erfolg ist.

Abb. 10: Einsteinscher Lichtkegel

Stellt man sich nun die Frage, worauf bei aller grundlegenden Übereinstimmung diese Dissonanz zwischen Leibniz und Reichenbach zurückzuführen ist, so wird man die Antwort in den Voraussetzungen der Einführung der Raum-Zeit-Ordnung suchen müssen, die bei Leibniz in der Tätigkeit der Monaden zu finden sind und

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bei Reichenbach in seinem Konzept von Kausalität. Reichenbach kann mit seinem Problemzugang zeigen, dass Raum und Zeit strukturell mit der Kausalität übereinstimmen, und er liefert mit seiner Entdeckung einer grundlegenden Unbestimmtheit eine Interpretation des berühmten einsteinschen Lichtkegels, der die Zeitordnung der speziellen Relativitätstheorie, d. h. den Unterschied von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft veranschaulicht. In dieser Figur (Abb. 10) wird zum Ausdruck gebracht, dass aufgrund der Existenz der Lichtgeschwindigkeit als oberster Signalgeschwindigkeit nicht mehr alle Prozesse im Raum kausal möglich sind. Bis Einstein war sich die gesamte Physik darin einig, dass sich kausale Wirkungen ohne Einschränkung im gesamten Raum ausbreiten können. Seit Einstein aber gilt, dass nur innerhalb des Lichtkegels Ereignisse kausal verbunden sind. Nur innerhalb des Lichtkegels lässt sich daher eine Physik etablieren, deren Messaussagen einen wohlbestimmten Sinn haben, und es tritt ein Unterschied zwischen Ordnung und Größe in den Blick, den es so bei Leibniz nicht gibt. Dieser hatte entdeckt, dass die Ordnung der Zeit den Unterschied von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft festlegt, und er hatte erkannt, dass in dieser Ordnung Zeitpunkte mehr oder weniger weit von einander entfernt seine können. Beide Momente aber erstrecken sich auf den ganzen Raum und die ganze Zeit. 3.2.4. Leibniz’ Begriffe von Raum und Zeit in historischer Perspektive: Heinrich Schepers In einer Arbeit aus dem Jahre 2007 hat Heinrich Schepers dargestellt, in welchen Etappen sich bei Leibniz die Einsicht in den Ordnungscharakter von Raum und Zeit ausprägte, wobei die entscheidenden Weichenstellungen sich über einen Prozess erstreckten, den man mit der Arbeit an seiner Dynamik parallelisieren kann. Diese Entwicklung setzt interessanterweise da an, wo Reichenbach aufhört, beim Problem der Gleichzeitigkeit. Schepers wertet für seine Entwicklungsgeschichte der Leibniz’schen RaumZeitbegriffe die in der Akademie-Ausgabe zugänglichen Texte aus und stellt gleich am Beginn fest: „In der Definition des »Zugleich«, im simul ist der Angelpunkt von Leibniz’ Zeittheorie zu sehen.“ (Schepers 2006/2007, 7) Er hebt folglich die Feststellung von Gleichzeitigkeiten durch elementare Vergleichsoperationen als entscheidend für die Formulierung des Leibniz’schen Zeitbegriffs hervor, weil diese eine Unterscheidung von früher, später und zugleich Existierendem ermöglichen. Dennoch liege darin nicht der Zeitbegriff schon selbst beschlossen, schreibt Schepers mit Bezug auf Leibniz, weil nämlich Uhren nichts bewirken, sondern nur anzeigen, dass etwas früher oder später ist, „nam horologia non efficiunt, sed indicant tantum prioritatem et posterioritatem“ (A VI,4A, 629). In der Akademie-Ausgabe wird diese Bemerkung mit einer gewissen Unsicherheit auf das Jahr 1685 datiert. Das ist die Zeit, in der Leibniz mit der Brevis demonstratio sein Kraftmaß öffentlich bekannt macht, und jene Diskussion auslöst, in der seitens der Cartesianer die Berücksichtigung der Zeit als äußerer Parameter für die Bestimmung eines Bewegungsmaßes eingeklagt wurde. Leibniz war daher ge-

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zwungen, seine eigene Position umfassender darzulegen, und er stellte der messbaren, d. h. nur auf den Aspekt der Größe fixierten Zeit der Cartesianer ein Konzept entgegen, das die Angabe von Gründen dafür verlangt, dass ein Ereignis früher oder später ist als ein anders (A VI,4A, 390). Das geschieht, indem er die Voraussetzungen der Cartesianer hinterfragt und in der Brevis demonstratio die Forderung aufstellt, dass die Kräfte nach den Wirkungen zu schätzen seien, die sie hervorbringen. Es handelt sich nach Leibniz um Wirkungen, die als Grund für das Früher und Später von Ereignissen namhaft zu machen sind, oder, um genauer zu sein, um kausale Wirkungen. Wie Schepers ausführt, ist es diese Periode des Leibniz’schen Denkens, in der erstmals der Begriff der Ordnung für die Definition des Raumes und der Zeit herangezogen wird, und zwar in der Form: „Locus ordo coexistendi, Tempus ordo mutationum“ (A VI,4A, 632). Die Notiz erscheint als Fußnote zum Stichwort Locus und bezeichnet einen weiter zu verfolgenden Gedanken. Den nämlich, dass es sich bei Veränderungen um Aggregate kontradiktorischer Zustände handelt, die der Berücksichtigung des Früher oder Später, d. h. der Berücksichtigung der Zeit bedürfen. Und mit dieser Feststellung rückt der Begriff der Veränderung in den Fokus, dessen Analyse über eine bloß kausale Betrachtungsweise hinaus führt zur Entdeckung der innersten Natur der Schätzung der Kraft und der Tätigkeit (GP II, 158). Die Subjekte dieser Tätigkeiten sind die einfachen Substanzen oder Monaden, und Raum und Zeit als Ordnungen bezeichnen etwas Grundlegendes, etwas, das, wie Schepers demonstriert, nicht allein für Existierendes gilt, sondern auch für Mögliches (Schepers 2006/2007, 13). Raum und Zeit sind daher nicht nur für die Physik gültig, sondern für alles, was Realität beanspruchen kann. Und wenn Schepers in seinem Beitrag Neues über Raum und Zeit ankündigt, so ist damit gemeint, dass Leibniz’ Begriffe des Raumes und der Zeit konsequent aus der Tätigkeit der sich selbst konstituierenden einfachen Substanzen entwickelt werden müssen, dass sie also philosophisch entwickelt werden müssen. Er beendet seine Reflexionen mit der Feststellung, dass Raum und Zeit zwar auch für den Physiker Leibniz ihre Bedeutung haben, dies jedoch nur bezogen auf die Welt der Phänomene, in denen die Messung dominiert. Die Botschaft ist klar: Die eigentlichen wahren Begriffe von Raum und Zeit formuliert die Metaphysik, während das physikalische Hantieren mit Maßstäben und Uhren lediglich den gemessenen Raum und die gemessene Zeit betrifft. Aber ist das nicht eine Neuauflage der Kontroverse zwischen Leibniz und Clarke, die Leibniz doch mit der Bemerkung entschieden hatte, dass jede Ordnung ihre Größe einschließt, also die Ordnung der Zeit deren Messbarkeit impliziert? Und ist es nicht auch eine philosophische Leistung, wenn man zeigen kann, dass die spezielle Relativitätstheorie auf der strukturellen Übereinstimmung von Raum-Zeit und Kausalität beruht? Physikalische und philosophische Aspekte des Raumes und der Zeit, müssen, wie es scheint, klar unterschieden werden, indessen sind sie nicht zu trennen, und das nicht nur in Bezug auf Raum und Zeit, wie in dem folgenden Kapitel an einem exponierten Leibniz-Thema deutlich werden wird.

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3.3. Mögliche Welten Ich hatte ganz am Anfang Ernst Mach zitiert, für den die Problematik der besten Welt, wie er schreibt, geradezu den Gipfel metaphysischer Verwirrungen darstellte. Und doch sind es die möglichen Welten, die das Leibniz’sche Erbe in der Physik auf besondere Weise zum Ausdruck bringen. Das Problem selbst hat Leibniz im Briefwechsel mit Antoine Arnauld formuliert, in dem es u. a. um die notio completa (vollständiger Begriff), d. h. um Leibniz’ neuen Individuumsbegriff geht.20 Gemeint ist ein Begriff, der Individuen nicht durch äußere Merkmale charakterisiert. Sie also logisch nicht als Elemente von Klassen ansieht, sondern die Gesamtheit all dessen, was ihnen in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft geschehen ist bzw. geschehen wird, zum Inhalt des Begriffs macht. Individuen werden auf diese Weise als einzigartig bestimmt und zwar nicht so sehr in Bezug auf sich selbst, als vielmehr bezogen auf eine mögliche Welt. Ein und dasselbe Individuum kann in unterschiedlichen möglichen Welten eine unterschiedliche Biografie besitzen, und doch ist es dasselbe, nur eben auf eine andere mögliche Welt bezogene Individuum. Durch sein Verhältnis zur Welt ist das Individuum daher vollständig bestimmt, und jede Veränderung nur eines seiner Merkmale würde bedeuten, dass es sich nicht mehr um dasselbe Individuum handelt oder eben um ein Individuum einer anderen möglichen Welt. Aus allen logisch möglichen Welten hat Leibniz zufolge Gott diejenige gewählt, die im Sinne eines optimalen Ganzen die beste ist. Und durch diese Wahl wird aus der zuvor logisch möglichen, die wirkliche Welt, eine Welt, die im Unterschied zu der logischen kontingent ist. Eben diese Kontingenz ist das grundlegende Kennzeichen der Welt, in der wir leben. Sie besagt, dass die wirkliche Welt aus einer Wahl hervorgegangen ist, die einem Zweck genügt, dem Zweck, die beste aller möglichen Welten zu sein. Das Problem dieser Wahl wird traditionell im Rahmen der Theologie und der praktischen Philosophie diskutiert. Es ist aufgrund seiner Bedeutung für das Verständnis der wirklichen Welt aber auch für die Physik fundamental. Davon ist weiter oben schon im Zusammenhang mit der Ableitung der Gesetze der linearen Optik die Rede gewesen. Denn was für die Welt als Ganzes gilt, muss auch für ihr geringstes Detail gelten, heißt es im Tentamen Anagogicum (GP VII, 272 f.). Das betrifft insbesondere die Bedeutung der Finalursachen für die Erkenntnis, und – prominent in diesem Text –, das Gebot eines Optimums, das sich in der vollständigen Bestimmtheit (le plus déterminé) allen Seins äußert. Auch das Prinzip der kleinsten Wirkung, wie es im 18. Jahrhundert Gestalt annimmt, besitzt in dem Problem der Wahl der besten aller möglichen Welten seinen Realitätsbezug, d. h. es erhält dadurch letztlich seine physikalische Bedeutung. Denn jede der zu vergleichenden möglichen Bahnen eines Körpers liefert die Lösung des Bewegungsproblems für eine andere mögliche Welt. Allerdings ist   20 Vgl. hierzu den Beitrag von V. Peckhaus in diesem Band.

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das Auswahlkriterium hier nicht mehr im Sinne des Leibniz’schen Optimums bestimmt. Es handelt sich um ein Extremum, das Größencharakter besitzt, und die verschiedenen möglichen Welten nun zu physikalischen Welten im Sinne physikalischer Systeme werden lässt. Diese Tendenz der Physikentwicklung, ein bei Leibniz im logisch-metaphysischen Kontext eingeführtes Problem physikalisch zu interpretieren, erfährt in der Quantenmechanik eine weitere Verfeinerung, die in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts von Hugh Everett in die Debatte gebracht wurde. Das dafür im Mittelpunkt stehende Problem ist das des quantenmechanischen Messprozesses, dessen Verständnis bis heute weitgehend durch die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik bestimmt wird. Charakteristisch für diese Auffassung ist die statistische Interpretation der Wellenfunktion Ψ, die alle Informationen über ein physikalisches System enthält, d. h. alle möglichen Konfigurationen des Quantensystems umfasst. Und obwohl alles, was wir über ein solches System wissen, wir nur durch die Ψ-Funktion wissen, ist es nicht die Wellenfunktion selbst, die physikalische Bedeutung besitzt, sondern deren Betragsquadrat, und zwar in dem Sinne, dass es eine Aussage darüber ermöglicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir die jeweiligen Konfigurationen des Systems bei einer Messung ermitteln können. Die Entwicklung eines quantenmechanischen Systems wird durch die Schrödingergleichung ,

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beschrieben, die – analog zur klassischen Physik – eine deterministische Entwicklung der Zustandsfunktion Ψ liefert. Während jedoch die klassischen physikalischen Gleichungen Ausdruck der Veränderung von Größen sind, die den Zustand eines Systems unmittelbar in Messwerten angeben, bricht in der Quantenmechanik – wie man sich ausdrückt –, die Wellenfunktion bei jeder Messung zusammen, und es wird aus der Gesamtheit der möglichen, durch die Wellenfunktion repräsentierten Zustände, ein einziger ausgewählt. Diese Darstellung des Messprozesses hat Hugh Everett in seiner Dissertation problematisiert. Und es waren insbesondere zwei Punkte, die er für inkonsistent hielt: (1) Die Unterbrechung der kontinuierlichen Entwicklung der Wellenfunktion durch den abrupten diskontinuierlichen Akt der Messung und (2) die Rolle des Beobachters, d. h. die Ansicht, dass es ein äußerer Beobachter ist, der den Kollaps der Wellenfunktion bewirkt. Nach seiner Ansicht wird auf diese Weise die Quantenmechanik in das Prokrustesbett der klassischen Physik gepresst, statt umgekehrt die klassische Physik von der Quantenmechanik her zu verstehen. Denn die Annahme eines äußeren Beobachters, der eine Messung an einem autarken physikalischen System vornimmt, sei der klassische Normalfall, während in der Quantenmechanik Überlagerungen von möglichen Zuständen oder Konfigurationen bestimmend seien. Die Konsequenzen dieser Einsicht hat Everett durch die Einführung einer universellen Wellenfunktion gezogen, die das Quantensystem, die

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Messapparatur und den Beobachter umfasst, wobei deren Zustände im Sinne der Quantenmechanik überlagert bzw. verschränkt sind.21 Damit wird die Quantenmechanik auch für den Beobachter als geltend angenommen, der nun anders als im klassischen Fall zu einem integralen Bestandteil des Gesamtsystems wird. Und es wird möglich, die kontinuierliche Entwicklung der Wellenfunktion auch im Falle einer Messung aufrecht zu erhalten. Das gelingt, wenn man annimmt, dass bei jeder Messung, d. h. nach jeder Auswahl eines der möglichen Zustände der universellen Wellenfunktion diese sich in so viele Wellenfunktionen verzweigt denkt, wie es mögliche Zustände oder Konfigurationen gibt. Die Verzweigungen heißen bei Everett Welten, und in jedem der Zweige setzt sich die Entwicklung der Wellenfunktion kontinuierlich fort. John Wheeler hat diese Interpretation der Quantenmechanik später die Viele Welten Interpretation genannt. Und noch eine Annahme muss man akzeptieren; denn um die Kontinuität der Entwicklung des Gesamtsystems aufrecht zu erhalten, muss die Verschränkung jeder einzelnen Wellenfunktion mit dem Beobachter aufrecht erhalten werden, und das funktioniert nur, wenn man postuliert, dass sich mit der Verzweigung auch der Beobachter vervielfacht, so dass es in jedem der Zweige eine Kopie des Beobachters gibt, der die Einheit von System, Messgerät und Beobachter garantiert. Auf diese Weise vermeidet Hugh Everett den Kollaps der Wellenfunktion in der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik. Das war freilich eine Auflösung, die für das tradierte Denken in der Physik mindestens so viele Probleme schuf wie beseitigte. Everett hatte seine Deutung des Messproblems im Rahmen einer Dissertation entwickelt und bei John Wheeler, seinem Doktorvater, zur Diskussion gestellt. Dabei wiederholte sich, was schon im Zusammenhang mit dem Energieerhaltungssatz und dem Wirkungsprinzip geschah. Die Arbeit wurde zunächst überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, und da, wo sie diskutiert wurde, hat man sie in der Regel abgelehnt. Eine Darstellung dieser Odyssee findet sich in der Biografie von Peter Byrne über Hugh Everett (Byrne 2012). Heute freilich bezeichnen die möglichen Welten in der Physik eines der fruchtbarsten Forschungsfelder. Dennoch werden vor allem die erkenntnistheoretischen Probleme weiterhin intensiv diskutiert, und eine der bis heute im Zusammenhang mit der Viele Welten Interpretation kontrovers verhandelten Fragestellungen ist die, nach der Realität der Kopien des Beobachters in den einzelnen Verzweigungen. Die zur Erklärung ins Feld geführten Argumente schwanken zwischen der Annahme von bloß möglichen bis hin zu physikalisch realen Welten. Sie lassen sich besser verstehen, wenn man dafür ein bereits vorliegendes Deutungsschema benutzt, d. h. die von Leibniz eigeführten möglichen Welten. Denn wie sich bei ihm ein und dasselbe Individuum in jeder der möglichen Welten mit einer eigenen Biografie präsentiert, so lassen sich die vermeintlichen Kopien der Beobachter bei Everett als ein und   21 Zum Problem der Verschränkung vgl. man das Verhalten von Schrödingers Katze, in (Schrödinger 1935).

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derselbe Beobachter in verschiedenen Verzweigungen auffassen. Allerdings muss man dafür den Begriff der Realität anders bestimmen als es Everett und seine Kritiker tun. Beide sind sich nämlich darin einig, dass real ist, was man messen kann, während Leibniz unter Realität die Gesamtheit der Möglichkeiten versteht, wie sie der individuelle Begriff eines Dings repräsentiert. Gemessen wird aus dieser Gesamtheit bei Leibniz immer ein besonderer Zustand, und der ist dann real im physikalischen Sinne. Führt man diesen Unterschied ein, so gewinnt man darüber hinaus noch eine elegante Möglichkeit, den erkenntnistheoretischen Status der Wellenfunktion zu bestimmen. Diese würde dann eine Darstellung des individuellen Begriffs bei Leibniz liefern, und die Messung wäre als Auswahl eines seiner Merkmale aufzufassen. Der eigentliche Gewinn einer solchen Interpretation aber bestände darin, dass auf diese Weise der Gegensatz zwischen Kopenhagener Deutung und Everetts Welten verschwindet. Denn was letzterer darstellt, ist nur eine andere Sicht auf das Verhältnis von Beobachter und physikalischem System oder allgemeiner von Subjekt und Objekt. Sie lässt sich so charakterisieren, dass Everett den Messprozess unter dem Gesichtspunkt der Einheit beschreibt, während die Kopenhagener Deutung eine Beschreibung vom Standpunkt des Subjekt-Objekt-Gegensatzes aus vornimmt. Beides aber gehört zusammen und erscheint als eine Ausdifferenzierung des Realitätsbegriffs in einen philosophischen, die Einheit betreffenden, und einen physikalischen Realitätsbegriff, der den Gegensatz von Beobachter und System unterstellt. Es besteht kein Zweifel, dass Leibniz’ Problem der Wahl der besten aller möglichen Welten für Everetts Idee, die Kontinuität der Entwicklung der Wellenfunktion durch Verzweigungen einer universellen Wellenfunktion zu erklären, unmittelbar keine Rolle spielte. Dennoch gibt es diesen Zusammenhang, denn wie im Falle des Energieerhaltungssatzes und des Wirkungsprinzips bei Helmholtz und Planck bieten die möglichen Welten ein begriffliches Koordinatensystem, in dem sich das Messproblem der Quantenmechanik interpretieren lässt (Hecht 2010). Und wie bei Helmholtz und Planck hebt diese Interpretation auf eine Kontinuitätsform in der Physikentwicklung ab, indem sie zugleich neue Denkhorizonte öffnet. Zu denen gehört auch, dass der Gegensatz zwischen dem Messprozess in der klassischen Physik und der Quantenmechanik so grundsätzlich nicht ist, wie in der Regel unterstellt wird. 4. EXPERIMENTE Dass sich dafür eine Leibniz’sche Problemformulierung anbietet, steht allerdings in einem auffallenden Gegensatz zu der Bedeutung, die der experimentellen Methode in 300 Jahren Leibniz-Rezeption und -Forschung entgegengebracht wurde. Denn erst in neuerer Zeit gibt es ein ernsthafteres Bemühen, die Entstehung der modernen Erfahrungswissenschaften auch durch die Optik von Leibniz zur Kenntnis zu nehmen. Repräsentativ dafür sind der Internationale Kongress Leibniz

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y las ciencias empíricas 2009 in Orotava (Nicolás 2011) und die Internationale Tagung Leibniz and Experience 2012 in Hannover. In diesem Rahmen und mit dem Erscheinen des ersten Bandes der Reihe VIII der Akademie-Ausgabe ist auch das Experiment zunehmend in den Fokus der Forschung gerückt. 4.1. Drei Arten des Experimentierens Wenn heute vom Experimentieren im wissenschaftshistorischen oder physikgeschichtlichen Kontext die Rede ist, so hat man in der Regel zwei Arten des Experiments im Blick, das theorieorientierte Experiment und das explorative Experiment. Ersteres hat eine lange Geschichte und geht bis auf Francis Bacon zurück. Als Experimentum crucis hat es die Funktion, über die Geltung von Theorien und Gesetzen zu befinden. Im Unterschied dazu geht es beim explorativen Experimentieren darum, ein Phänomen sukzessive hinsichtlich seiner verschiedenen Facetten auszutasten, es also umfassend zu beschreiben. Der Terminus ist von Friedrich Steinle im Zusammenhang mit seinen Forschungen über Michael Faraday eingeführt worden. Steinle hat den Unterschied zwischen diesen beiden Formen des Experimentierens u. a. an Newtons und Goethes Arbeiten zur Farbenlehre dargestellt (Steinle 2002). Was nun Leibniz angeht, so sind ihm beide Experimentierpraxen wohlvertraut. Man kann sich darüber in den Texten des Bandes VIII, 1 der Akademie-Ausgabe informieren, und es sind vor allem die Pneumatica, die Auskunft über den Stellenwert dieser beiden Methoden empirischer Forschung in Leibniz’ naturwissenschaftlichen Studien geben. Ich werde im Folgenden je ein Beispiel dafür vorstellen. Im 17. Jahrhundert bildeten die Vakuumphänomene eines der bevorzugten Interessengebiete der Naturforschung. Namen wie Otto von Guericke, Robert Boyle und Blaise Pascal standen für spektakuläre Experimente und bahnbrechende Einsichten. Und obwohl man im Vakuumrezipienten reproduzierbare Ergebnisse erzeugen konnte, war doch nicht klar, worin letztlich die Ursachen für die unter Vakuumbedingungen zu beobachtenden Veränderungen der Phänomene zu sehen waren, und welchen Gesetzmäßigkeiten diese Veränderungen genügten. Um hinsichtlich der konkurrierenden Theorien eine Entscheidung herbeiführen zu können, hat Leibniz ein geniales Experiment entworfen. Er denkt sich dafür eine Röhre, in der, wenn sie senkrecht steht, ein Quecksilberpfropfen auf einer Luftsäule aufruht. Danach wird die Röhre geschlossen.Verändert man nun die Neigung der Röhre, so wird der Druck, den der Quecksilberpfropfen auf die Luftsäule ausübt, geringer, und der Quecksilberpfropfen wird seine Lage innerhalb der Röhre verändern. Was Leibniz in diesem Zusammenhang interessiert, ist die Frage, ob die beobachtbaren Veränderungen allein von der Kompression der Luft unterhalb des Pfropfens abhängen, von einer Dehnung der oberhalb des Pfropfens befindlichen Luft, oder von beiden.

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Abb. 11: Leibniz’ Instrumentum inclinationum

Die Entscheidung lässt sich mit diesem von Leibniz als Instrumentum inclinationum bezeichneten Instrument herbeiführen, wenn man die Versuchsbedingungen durch die Neigung der Röhre verändert, und die Abweichungen notiert, die sich für die Höhe des Quecksilberpfropfens über der Auflagefläche ergeben. Leibniz berechnet diese Werte für die Varianten, dass entweder nur der Druck, nur die Dehnung oder beide zusammen wirksam sind und erwartet Aufschluss über die Kräfte die in der Röhre zur Wirkung kommen, wenn man die berechneten Werte als Skala an dem Inklinationsinstrument anbringt; denn dann muss sich durch bloßes Ablesen von der Skala ermitteln lassen, wodurch die Veränderungen generiert werden. Ein Musterbeispiel für ein Experimentum crucis, das Leibniz mit den Worten kommentiert: „[…] veritas hoc Experimento comprobari aut falsitas revinci potest“ (A VIII,1 372). Dieses Experiment gilt heute als Nachweis des Boyle-Mariotteschen Gesetzes und führt zu dem Ergebnis, dass der Abstand des Pfropfens von der Unterlage für alle Neigungen gleich bleibt (Hecht 2008). In physikalischer Sprechweise erfolgt der Nachweis durch Variation der Parameter Druck und Volumen, die sich je nach Neigung des Instruments gesetzmäßig ändern. So lässt sich zeigen, dass das Produkt aus Druck und Volumen bei isothermen Prozessen konstant bleibt. Das explorative Experimentieren verfolgt im Vergleich dazu ein anderes Procedere, denn es gilt in diesem Falle, ein Phänomen in möglichst allen seinen Erscheinungsformen kennenzulernen, und dafür genügt es nicht, nur einige der Versuchsparameter zu variieren. Man muss das Phänomen unter verschiedenen Bedingungen beobachten und folglich die Versuchsapparatur selbst ändern. Das ist ein Feld, auf dem sich Leibniz zuhause weiß, wie die Pneumatica des Bandes

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VIII, 1 der Akademie-Ausgabe belegen, denn hier kann er im Erfinden von Versuchsanordnungen und Experimentalsystemen schöpferische Intuition mit imaginativem Geist verbinden. Abb. 12 skizziert eine solche Versuchsanordnung, bei der es darum geht, die Phänomene des Absinkens der Quecksilbersäule in einer Torricelli’schen Röhre bei Änderung des Luftdrucks zu studieren, und insbesondere die sogenannte Funiculus-Hypothese zu testen, die nicht den Luftdruck für das zu beobachtende Phänomen als Erklärungsgrund annimmt, sondern eine innere Spannung subtiler Materie. Denn wie an einem Faden (funiculus) soll die Quecksilbersäule durch die subtile Materie gehalten werden, die sich Franciscus Linus, der Erfinder dieser Hypothese, zwischen dem oberen Ende der Röhre und der Quecksilbersäule lokalisiert denkt.

Abb. 12: Apparatur zur Prüfung der Funiculus-Hypothese

Dafür wird eine Torricelli’sche Röhre in einem abgeschlossenen Gefäß D so platziert, dass der obere Teil der Röhre, an dem sich ein Ventil zum Öffnen und Schließen befindet, herausragt. Öffnet man nun das Ventil, so muss, akzeptiert man die Funiculus-Hypothese, die Quecksilbersäule in der Torricelli’schen Röhre absinken, denn die Spannung, die das Quecksilber hält, wäre dann beseitigt. Tritt die Wirkung jedoch nicht ein, so hat man allen Grund, an der Geltung der Hypothese zu zweifeln. Freilich, bemerkte Leibniz, die Gegenargumente seiner fiktiven Diskussionspartner vorwegnehmend, gibt es noch einen Ausweg. Es könnte ja sein, dass der Druck innerhalb des Gefäßes das Absinken des Quecksilbers verhindert. Dann bliebe die Funiculus-Hypothese unangefochten. Um darüber Klarheit zu gewinnen, wurde die Versuchsanordnung abgewandelt. Wie an dem gestrichelten Teil

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der Skizze Abb. 12 ersichtlich, wird das Gefäß D als Gefäß DD nun so installiert, dass sich die Röhre außerhalb, das Ventil aber innerhalb des Gefäßes befindet. Öffnet man nun das Ventil und sinkt die Quecksilbersäule erneut ab, so fällt das Argument des Luftdrucks innerhalb des Gefäßes D weg. Die Funiculus-Hypothese ist dann widerlegt, und zwar nicht aufgrund eines messtheoretischen Nachweises, sondern dadurch dass ein und dasselbe Phänomen unterschiedlichen Beobachtungsbedingungen unterworfen wird. Das ist, zugegebenermaßen ein einfaches Beispiel, das an dieser Stelle genügen mag, da ein Blick in den Bd. VIII, 1 der Akademie-Ausgabe über weitere solcher Versuchsanordnungen Auskunft gibt. Theoriegebundenes und exploratives Experimentieren sind heute Standardinstrumentarien der Forschung. Es findet sich bei Leibniz indessen noch eine dritte Art, die sich ebenfalls mithilfe einer Skizze vorstellen lässt. Im Unterschied zu den ersten beiden Typen von Experimenten will Leibniz damit weder die Geltung eines Gesetzes überprüfen, noch ein Phänomen in allen seinen Facetten beschreiben. Bei dieser Art von Experiment geht es um die Legitimation von Prinzipien. Von Prinzipien, die für mehr als nur ein Phänomen die Erklärungsgrundlage bilden.

Abb. 13: Kombination von Vakuumexperimenten

Ein solches Experiment ist in Abb. 13 zu sehen. Es besteht aus einem Vakuumrezipienten, in dem sich eine Torricelli’sche Röhre ab, eine Vakuumpumpe gi und Adhäsionsplatten ml befinden. Der Vakuumrezipient wird als selbstverständlich für Experimente unter Vakuumbedingungen weggelassen. Beginnt man nun, die Luft aus dem Rezipienten auszupumpen, so wird man ein Absinken der in der Röhre befindlichen Flüssigkeit beobachten, die in dem Gefäß c aufgefangen werden soll. Der in diesem Gefäß befindliche Schwimmkörper d wird dadurch angehoben und in die Lage versetzt, durch eine von ihm bewirkte Drehung des Hebels

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f das Gewicht e aus seiner Arretierung zu befreien. Das Gewicht wird dann herabfallen und dabei den Pumpenkolben gh nach oben ziehen. Dadurch entsteht ein Sog, der bewirkt, dass die Flüssigkeit im Kolben ansteigt, und zwar unabhängig davon, ob der Rezipient evakuiert wurde oder nicht. Nach Leibniz ein klarer Beweis dafür, dass die Pumpe unter Vakuumbedingungen genau so sicher arbeitet wie unter Normalbedingungen. Ergo, schließt er, kann der Luftdruck nicht die Ursache für das Ansaugen der Flüssigkeit in der Pumpe sein. Dasselbe ergibt sich mutatis mutandis, wenn man das Procedere nicht mit einer Vakuumpumpe, sondern mit den Adhäsionsplatten ml ausführt. Auch hier ist die Torricelli’sche Röhre der Auslöser für eine Wirkung, die nun nicht einen Kolben ansaugt, wohl aber die Platten zu trennen versucht. In beiden Fällen, hält Leibniz fest, ist der Luftdruck als erklärende Ursache für die beobachtbaren Phänomene auszuschließen. Die Skizze in Abb. 13 ist Teil eines Textes, in dem 19 Experimente beschrieben werden (A VIII,1 N. 41). Drei davon beziehen sich auf diese Skizze. Leibniz unterscheidet in seinen Erläuterungen die torricellische Röhre von den Adhäsionsplatten und der Vakuumpumpe als eigenständige Untersuchungsgegenstände, präsentiert sie in der Zeichnung aber als Ausdruck einer Versuchsanordnung. Damit bringt er zum Ausdruck, dass die fiktive Experimentalanordnung nicht die Analyse der zu den Einzelexperimenten gehörenden Phänomene zum Ziel hat, sondern das Auffinden einer gemeinsamen Ursache für alle auftretenden Phänomene. 4.2. Experimente im Praxistest Der Terminus experimentum, wie er im 17. Jahrhundert verwendet wird, weist eine doppelte Semantik auf. Er meint das Experiment in dem soeben vorgestellten Sinne, hat darüber hinaus aber auch die allgemeinere Bedeutung, geregelte Erfahrung von bloßer Empirie zu unterschieden, die sich als solche selbst genügt. Für Verfahren methodisch organisierter Erfahrung sind prospektive Strategien charakteristisch, die Erfahrung als einen konstruktiven Akt generieren, dessen allgemeine Momente sie ins Bewusstsein heben, und sie treffen sich an dieser Stelle mit den Prozeduren aus Technologie und Technik, in denen umgekehrt allgemeine Zusammenhänge durch besondere Gegenstände oder Abläufe realisiert werden. Dieser Zusammenhang ist für Leibniz grundlegend. Er beruht auf der Bedeutung, die Maschinen in seinem Weltbild besitzen. Ein gutes Beispiel dafür ist das soeben beschriebene Inklinationsinsturment. Es liefert als Experimentum crucis die Bestätigung für einen allgemeinen Zusammenhang in der Natur, der sich bei Leibniz aber sofort in verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten niederschlägt. Da sich mit diesem Instrument die horizontale sowie die vertikale Lage eindeutig auszeichnen lassen, sieht er Bewährungsfelder in Geographie, Nautik, Hydrographie und Architektur, aber auch in Mechanik und Geometrie. Nicht zu vergessen die Möglichkeit, mit diesem Instrument auf elegante Weise Fernrohre zu justieren. Hier tritt eine Funktion des Experiments in

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den Blick, die seine praktische Bedeutung über den Rahmen der Wissenschaften hinaus betrifft. Eine Funktion, die für Leibniz so grundlegend ist, dass sie in allen seinen Akademie- und Sozietätsplänen einen festen Platz hat. Die Erfindung neuer wissenschaftlicher Instrumente ist eines dieser Praxisfelder, und bereits in seiner Pariser Zeit schlägt Leibniz im Anschluss an Guericke die Konstruktion eines inversen Barometers vor. Gerland erwähnt Leibniz als Erfinder des Aneroidbarometers (Gerland 1913, 667), und im Zusammenhang mit der Untersuchung der Funktionsweise eines Siphons entwickelt Leibniz die Idee einer genau gehenden Clepsydra (A VIII,1 N. 63). Letztere illustriert zudem eine der grundlegenden Maximen des Leibniz’schen Denkens, die sich repräsentativ in seinen technologischen Entwürfen für den Harzer Bergbau finden: die Einrichtung selbstregulierender Systeme und Verfahren der Selbstoptimierung.22 Im Falle der Clepsydra ist es ein Zählwerk, mit dem die Messwerte automatisch aufgezeichnet werden. Und indem Leibniz auf diese Weise den Beobachter ersetzt, erschließt er sich neue technische Möglichkeiten, wie etwa die Idee zu einer Maschine, die automatisch den Kurs eines Schiffes aufzeichnet, diesen auf eine Seekarte überträgt, die Abweichungen berechnet, und so das Schiff wieder auf Kurs bringt (A VIII,1 30-32). Dieses von Leibniz als Instrumentum longitudinum bezeichnete Gerät ist Teil seiner frühen Überlegungen zur Längengradbestimmung, und auch hier ist der Anwendungsaspekt dominierend, denn er hat damit nicht nur ein Instrument zur Orientierung auf See im Blick, sondern beabsichtigt, zugleich die Tafeln der Loxodrome von Stevin und Hérigone zu verbessern. Ein Anliegen, das nur eine der von ihm verfolgten Strategien beschreibt, die Navigation zu verbessern. Auch für die Clepsydra trug sich Leibniz mit dem Gedanken, sie als genau gehende Schiffsuhr zu verwenden. Und eine andere der von Leibniz zur Orientierung auf See erwogenen Strategien betrifft die Möglichkeit, das Magnetfeld der Erde zu nutzen. Dieses Vorhaben führt auf einen weiteren Aspekt der im Zusammenhang mit Experimenten zu erwähnenden Aktivitäten, die wissenschaftlichen Expeditionen. In einem Festvortrag aus dem Jahre 2003 hat Herbert Breger über einen zur damaligen Zeit noch unveröffentlichten Brief Leibniz’ an Jean-Paul Bignon berichtet (Breger 2004). In diesem Brief ist u. a. von „un des Grands desiderata de la Navigation“ (A I,19 463) die Rede, worunter Leibniz das Fehlen einer magnetischen Weltkarte als Navigationshilfe für die Seefahrt verstand. Um es kurz zu machen: Leibniz regte an, diese Lücke zu schließen, und den Seefahrern damit ein Mittel in die Hand zu geben, einerseits ihre Orientierung zu verbessern, umgekehrt aber auch zur Vervollkommnung der Karten beizutragen, indem sie die von ihnen beobachteten Abweichungen notieren. Man bemerkt den praktischen Sinn des Autors, der in diesem Zusammenhang auch eine Expedition der Akademie in Erwägung zieht, deren Ziel das Erstellen einer Karte sein sollte, auf der an den   22 Vgl. hierzu den Beitrag von F.-W. Wellmer und J. Gottschalk in diesem Band.

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geografischen Orten die magnetischen Deklinationen eingetragen sind. Und da sich diese zeitlich ändern, war Sorge dafür zu tragen, dass die Karten periodisch neu aufgelegt wurden. Vor allem aber sollte als Schlüssel zu alldem, das Naturgesetz dieser Veränderungen entdeckt werden. Breger stellt die Leibniz’schen Vorschläge als Teil der Deklinationsforschung im 17. und 18. Jahrhundert vor. Er betont die lebenslange Bedeutung dieses wissenschaftlichen Problems für Leibniz, dessen frühester in der Reihe der naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Schriften der Akademie-Ausgabe gedruckter Text, der Nautik gewidmet ist, und er verweist auf den Stellenwert dieses Problems in der Kommunikation mit dem russischen Zaren. Insbesondere erwähnt er den magnetischen Globus, der als Geschenk für Zar Peter I, Leibniz’ Idee einer magnetischen Weltkarte als Navigationsgerät für die Schifffahrt präsentierte. Dass Leibniz mit seinen Vorschlägen die wissenschaftliche Erforschung Russlands mit auf den Weg gebracht hat, haben Karin Reich und Elena Roussanova dargestellt. Die beiden Autorinnen konzentrieren sich dafür vor allem auf die Projekte, die er im Zusammenhang mit der Berliner Akademiegründung favorisierte sowie auf die entsprechenden Denkschriften für Zar Peter I. Auch hier ist es Leibniz’ praktische Begabung, die sofort auffällt. Es ist ein internationales Projekt, das ihm vorschwebt, und er findet mit der von Edmund Halley veröffentlichten Tabula Nautica auch einen geeigneten Anknüpfungspunkt. In Halleys Karte waren die magnetischen Linien nur auf See gezogen, für Leibniz ein klarer Auftrag, das begonnene Werk zu vervollständigen, denn wie er meinte, wäre es hochst nuzlich, und dieses Arcanum vollends zu entdecken dienlich daß in Konigl. Mt Landen vom Rhein biß an die Pregel, und denn ferner durch das Muscovische Reich biß nach Persien, Indien und China, die observationes Magneticae fortgesetzt und damit die Linien durch den Septentrionalischen Orient, allwo man am wenigsten dieser Sach observationes hat, fortgezogen würden (Brather 1993, 166).

Ein Anliegen, bei dem er auf die Kooperation der Berliner Akademie mit dem russischen Zaren und Großbritannien besonderen Wert legte. Und noch ein Gesichtspunkt darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben; Expeditionen dieser Art wurden von Leibniz als wissenschaftliche Entdeckungsreisen in einem übergreifenden Sinne konzipiert. In dem Concept einer Denkschrift über Untersuchung der Sprachen und Beobachtung der Variation des Magnets im Russischen Reiche fehlen daher weder Erwägungen, die sich auf die Ursachen der Veränderung der Deklination, die Dokumentation der Bewegung der magnetischen Pole sowie auf die Untersuchung der Inklination beziehen, noch Aufgabenstellungen zur Erforschung von Verbindungen magnetischer Wirkungen mit astronomischen, botanischen, zoologischen, ethnografischen und anderen Phänomenen (Reich/Roussanova 2013, 169 f.). Die Erhebung solcher Daten ist freilich die eine Seite. Eine andere ist es, sie auch in adäquater Weise zu dokumentieren. Deshalb soll abschließend noch auf die anschauliche Repräsentation des Experiments in Leibniz’ Handschriften ein-

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gegangen werden, und das betrifft insbesondere die Vielzahl der darin vorhandenen Zeichnungen. 4.3. Anschauung und Experiment Nicht sonderlich häufig und zumeist in einem eher technischen oder technologischen Kontext findet man Konstruktionszeichnungen, die im Detail gut ausgearbeitet sind, und auch in Bezug auf die Dimensionen der einzelnen Teile einigermaßen harmonieren. Ein Beispiel dafür ist die in Abb. 4 wiedergegebene Konstruktionszeichnung des Horologium ventaneum perpetuum. Weitere Details zu dieser Konstruktion werden im Schriftbefund mitgeteilt und von Vladimir Kirsanov in Zeichnungen übersetzt (Kirsanov 2008, 145). Das sich darin offenbarende Verhältnis von Text und Bild ist typisch für Leibniz’ Arbeitsweise. Er beginnt seine Überlegungen oft mit einem anschaulichen Gesamteindruck, den er dann im Text analytisch ausarbeitet. Auf diese Weise lässt sich ein Problem auf verschiedenen Ebenen, die sich wechselseitig ergänzen, zu einer Lösung führen. Besonders eindrucksvoll kommt das Ineinandergreifen von Bild und Text in denjenigen Zeichnungen zum Ausdruck, die von eher sinnbildhafter Bedeutung sind. Schaut man sich dafür Abb. 13 an, dann ist auf den ersten Blick ersichtlich, dass die Apparatur so gar nicht funktionieren kann. Der Schwimmkörper d befindet sich unterhalb des Gewichts e und kann folglich durch d nicht aus seiner Arretierung befreit werden. Man könnte nun aus dem Original der Abb. 13 herauslesen, dass diese Inkonsistenz ein Ergebnis nachträglicher nicht korrekt ausgeführter Modifikationen ist. Doch dem stehen andere Zeichnungen entgegen, die sich, wie Abb. 14 zeigt, noch entschiedener dem Versuch widersetzen, sie als praktikable Konstruktionsanleitung aufzufassen. Worin besteht dann aber die Funktion solcher Zeichnungen? Meiner Ansicht nach darin, dass sie einen ersten Gesamteindruck des zu lösenden Problems vermitteln, bei dem es auf eine Beziehung der zusammenwirkenden Teile ankommt, für die nicht die Mechanik entscheidend ist, sondern die Ordnung des Systems. Die Details werden dann im Text auseinandergesetzt. Der Ausgangspunkt aber ist, wie aus der Zeichnung hervorgeht, immer ein sinnlicher. Für den sezierenden Verstand bildet (jedenfalls in den naturwissenschaftlichen und technischen Schriften) die Sinnlichkeit den Ausgangspunkt des Erkennens. Nichts ist im Verstande, was nicht vorher in den Sinnen war, heißt es bei Leibniz, außer dem Verstande selbst (A VI,6 111). Dieser Grundsatz der Leibniz’schen Erkenntnislehre ist in den Handschriften unmittelbar ablesbar, und er offenbart sich in der Art und Weise, wie sich Text und Bild in den Manuskripten wechselseitig bedingen.

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Abb. 14: Kugelketten

Neben den in erster Linie auf Versuchsanordnungen bezogenen figürlichen Darstellungen, finden sich bei Leibniz selbstverständlich auch Grafiken, die dem Auffinden gesetzmäßiger Zusammenhänge dienen. Das sind Skizzen, wie sie Abb. 6 oder Abb. 8 zeigen. Sie ermöglichen geometrische Ableitungen, die, wie in Abb. 5 gut erkennbar ist, inhaltliche Deutungen einschließen können. Im Rahmen dieser Grafiken fallen solche auf, die in Blindtechnik erstellt wurden. Das hat technische Gründe von der Art, dass Konstruktionshilfen für geometrische Figuren auf diese Weise in den Hintergrund treten. Schaut man sich jedoch Abb. 15 genauer an, so kommt ein weiterer, eher inhaltlicher Gesichtspunkt zum Tragen. Leibniz modelliert in dieser Zeichnung das Verhalten eines Holzstabs in unterschiedlichen

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Flüssigkeiten, wobei die Oberfläche der Flüssigkeiten durch die Linie ab repräsentiert wird. Führt man den Stab zunächst in Wasser ein und dreht ihn um den Punkt c (Fall cd), so wird er bei der Bewegung einen bestimmten Widerstand erfahren. Dieselbe Prozedur in Quecksilber wiederholt (Fall cdd) liefert das Ergebnis, dass sich die Bewegung im Quecksilber nur mit erheblichem Mehraufwand an Kraft ausführen lässt, und die Drehbewegung des Stabes mit einer geringeren Geschwindigkeit als im Wasser erfolgt. Leibniz macht sich an diesem Modell die Problematik klar, die in der Annahme der cartesischen Optik steckt, wonach die Lichtgeschwindigkeit im dichteren Medium größer sein soll als im dünneren.

Abb. 15: Bewegung eines Stabs in Flüssigkeiten

Für das Verständnis der Funktion von Blindzeichnungen, d. h. der nicht in Tinte überlieferten, sondern nur eingravierten Figurenelemente in Leibniz’ Handschriften, ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den genannten Fällen um zwei Varianten eines Experiments handelt, die beliebig vermehrt werden können. Und genau das wird durch die in c beginnende Strecke ausgedrückt, die auf der Kreisperipherie keine Bezeichnung besitzt, im Unterschied zu den beiden anderen Strecken aber in Blindtechnik ausgeführt wurde. Sie unterscheidet sich also signifikant von den beiden in Tinte gezeichneten Strecken und zwar auf zweierlei Weise, durch die fehlende Bezeichnung und den Verzicht auf eine irgendwie geartete farbliche Repräsentation. Die dritte Strecke wird somit nicht herausgehoben, sondern verbleibt in der Anonymität. In der Reinzeichnung des Drucks (Abb. 15) wird sie dadurch von den anderen unterschieden, dass sie in einem grauen Farbton wiedergegeben wird. Diese Strecke steht für die Gesamtheit derjenigen Möglichkeiten, die alle wie cd und cdd sukzessive realisiert werden können, wobei die Gesamtheit von Möglichkeiten unbestimmt ist, und eine Bezeichnung folglich nicht sinnvoll erscheint. Erst durch Auswahl kommt ein wohlbestimmter und bezeichenbarer Teil derselben zu sichtbarer Bestimmtheit, nie aber alle Möglichkeiten auf einmal. Durch Elemente von Blindzeichnungen werden somit in der Grafik Mögliches und Wirkliches, Endliches und Unendliches oder Bestimmtes und Unbestimmtes auf einander bezogen. In N. 212 von A VIII 1 wird dies für den Fall der Ableitung des optischen Brechungsgesetzes in einer sehr aufwendigen Grafik zur Anschauung gebracht.

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5. EINE ABSCHLIESSENDE BEMERKUNG Versucht man, die Ergebnisse dieser Tour d’horizon in wenigen Punkten zusammenzufassen, so wird man zunächst sagen müssen, dass das Interesse an diesem Teil des Leibniz’schen Erbes vor allem auf Grundlagenfragen gerichtet war und ist. Aus dieser Perspektive ist Leibniz die gesamten 300 Jahre über präsent gewesen. Freilich nicht in der Art, dass man stets von dessen unmittelbarer Wirkung auszugehen hätte, sondern eher als beständiger Quell, auf den die Forschung zur Selbstvergewisserung immer wieder zurückgreifen konnte. Das betrifft die intensiven noch von selbst Leibniz initiierten Diskussionen des frühen 18. Jahrhunderts ebenso wie die spätere Entdeckung grundlegender physikalischer Prinzipien im 19. Jahrhundert. In beiden Fällen aber gilt, dass die im eigentlichen Sinne innovativen Ideen nicht so sehr aus Leibniz’ Physik stammen, sondern aus der für ihn so typischen Verflechtung von Physik und Metaphysik. Das Erhaltungsprinzip der lebendigen Kraft, die möglichen Welten und in ihrem Zusammenhang die Wahl des Besten als eine Optimierungsstrategie mit Interpretationsmöglichkeiten im Prinzip der kleinsten Aktion, sind in den Grundlagen seines Systems verankerte Maximen, die zur Formulierung von Prinzipien Anlass gaben, die heute aus der Physik nicht mehr wegzudenken sind. Und genau diese Differenz zwischen den Leibniz’schen Maximen und den heute geltenden physikalischen Prinzipien macht einen erheblichen Teil des gegenwärtigen Interesses an Leibniz aus, weil daraus nicht nur die Entstehung und Entwicklung dieser Prinzipien selbst verständlich wird, sondern das Bedürfnis ihrer immer wieder neuen Legitimation, wie es sich beispielhaft beim Übergang zur Relativitätstheorie und Quantenmechanik zeigte, eine geeignete Reflexionsbasis findet. BIBLIOGRAPHIE Aiton 1972 – Eric J. Aiton: Leibniz on Motion in a Resisting Medium, in: Archive for the history of exact sciences 9 (1972), 257–274. Aiton 1991 – Eric J. Aiton: Gottfried Wilhelm Leibniz. Eine Biographie, Frankfurt/M., Leipzig 1991. Böhme 1976 – Gernot Böhme (Hg.): Protophysik – Für und wider eine konstruktive Wissenschaftstheorie der Physik, Frankfurt/M. 1976. Beeley 1996 – Philip Beeley: Kontinuität und Mechanismus. Zur Philosophie des jungen Leibniz in ihrem ideengeschichtlichen Kontext (= Stl-Su. 30), Stuttgart 1996. Bertoloni Meli 1993 – Dominico Bertoloni Meli: Equivalence and priority. Newton versus Leibniz. Including Leibniz’s Unpublished Manuscripts on the „Principia“, Oxford 1993. Brather 1993 – Hans-Stephan Brather (Hg.): Leibniz und seine Akademie. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Berliner Sozietät der Wissenschaften 1697–1716, Berlin 1993. Breger 1984 – Herbert Breger: Elastizität als Strukturprinzip der Materie, in: Albert Heinekamp (Hg.): Leibniz’ Dynamica (= Stl-Sh. 13), Stuttgart 1984, 112–121. Breger 1990 – Herbert Breger: Die Prinzipien der Naturforschung bei Leibniz, in: Erwin Stein/Albert Heinekamp (Hg.): Gottfried Wilhelm Leibniz. Das Wirken des großen Philosophen und Universalgelehrten als Mathematiker, Physiker, Techniker. Vorträge und Katalog der Erstausstellung an der Universität Hannover anläßlich der Jahrestagung der Gesellschaft

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LEBENSWISSENSCHAFTEN Justin E. H. Smith Bis zu seinem Lebensende bestand Leibniz darauf, dass er in seiner Philosophie den Kernaussagen der mechanischen Philosophie treu geblieben sei. Aber seine Philosophie war eine sehr spezielle Ausprägung des Mechanismus. Insbesondere glaubte Leibniz, dass sich alles in der Natur im Sinne von Größe, Gestalt und Bewegung eines Körpers erklären ließe. Doch anders als Descartes und andere eher traditionelle mechanistische Denker nahm Leibniz zum einen an, dass der Körper nicht so verstanden werden könnte, wie Descartes die Substanz verstanden hatte, nämlich als einfache Ausdehnung, sondern im Sinne von Kraft erklärt werden müsste. Denn für Leibniz ist ein Körper fundamental dynamisch. Zum anderen sind, nach Leibniz, alle natürlichen Körper nicht nur mechanisch; sie sind auch organisch. Hier muss letzterer Begriff als eine besondere Variante des ersteren verstanden werden. Der Organismus ist eine echte Teilmenge des Mechanismus (Cheung 2006). Er ist charakteristisch für einen jeglichen Körper, der ad infinitum organisiert ist, mit anderen Worten für jeglichen Körper, in dem es keine untere Grenze zur mechanischen Organisation der Teile gibt. Leibniz glaubte tatsächlich, dass nur der Organismus die mechanistische Philosophie retten könne, d.h. nur indem man die unendliche Struktur eines natürlichen Körpers heranzieht, können wir sein Wachstum und seine Bewegung erklären, ohne uns auf ein innewohnendes, vitales Prinzip oder auf eine physisch wirksame, substantielle Form beziehen zu müssen (Smith 2011, 97-136; Garber 2009). Welche Rolle der Organismus in der Leibniz’schen Philosophie genau gespielt hat, stand über die Jahrhunderte im Zentrum vieler Debatten und ebenso auch dessen Beziehung zu Leibniz’ praktischer und bis zu einem gewissen Grade empirischer Beschäftigung mit Forschungen in der Medizin, Physiologie und in anderen Gebieten der Lebenswissenschaften. Wie ich in Divine Machines: Leibniz and the Sciences of Life (Smith 2011) argumentiert habe, muss man besonders aufmerksam die Entwicklung von Leibniz’ medizinischem und physiologischem Denken beobachten. Zu diesem Zweck möchte ich mich in diesem Abschnitt zuerst der Geschichte der Forschung über Leibniz’ verschiedene Beiträge zur Medizin widmen, um mich dann der Geschichte der Forschung über Leibniz’ Begriff des Organismus, der göttlichen Maschinen und über verwandte Ideen zuzuwenden.

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1. LEIBNIZ UND DIE MEDIZIN Leibniz war bekanntlich ein universal denkender Mensch, doch werden die Medizin und die Physiologie meistens nicht in die lange Liste der Disziplinen aufgenommen, in denen seine Beiträge gefeiert werden. Dieses Fehlen hätte Leibniz selbst enttäuscht, da er im Laufe seiner langen Karriere eine Reihe wichtiger Projekte mit Bezug zur Medizin, zum öffentlichen Gesundheitswesen und zu anderen, eng mit diesen verwandten Gebieten entwickelt hatte und oft explizit von seinem Wunsch sprach, auf diesen Gebieten auch Einfluss auszuüben. Die Forschung hat jüngst jedoch begonnen, auch von diesem Aspekt seines Wirkens Notiz zu nehmen. Besonders wichtig und viel sprechend ist die Arbeit der Reihe VIII der Akademie-Ausgabe von Leibniz’ Sämtlichen Schriften und Briefen. Diese Reihe ist unter anderem den medizinischen und naturwissenschaftlichen Schriften gewidmet und soll durch historisch-kritische Edition die bisher weitgehend unbekannten Handschriften, wie sie in der Abteilung III (Medizin) des Bodemann-Katalogs (1895) verzeichnet sind. Die medizinischen Schriften von politischer Bedeutung werden in der Reihe IV ediert. Leibniz war nicht Mediziner, dennoch hat er sich mit ernsthaften, intellektuellen Anstrengungen dem Studium und der Förderung der Medizin gewidmet. So gesehen war er Vertreter einer allgemeinen Tendenz in der frühneuzeitlichen Philosophie, die vielleicht „medizinischer Eudaimonismus“ genannt werden könnte: der Vorstellung, dass Fortschritt in der Medizin einen zentralen Aspekt auch der Philosophie darstelle und gar grundlegend für diese sei, in dem Maße, dass Gesundheit, Wohlergehen und ein langes Leben für die Ausübung und Förderung der Tugend notwendig seien. Neuere Forscher haben in Descartes nicht so sehr einen Philosophen gesehen, der sich für Medizin interessierte, sondern einen medizinischen Philosophen, d.h. einen Denker, der die Medizin als weitgehend bestimmend für sein philosophisches Gesamtprojekt betrachtete (Aucante 2006). Die medizinische Ausrichtung, die wir in der cartesianischen Philosophie finden, war tatsächlich eher die Regel als die Ausnahme unter den Philosophen des 17. Jahrhunderts. Leibniz stimmte weitgehend mit dieser allgemeinen Tendenz überein, auch wenn er der Medizin nicht ganz die Bedeutung zuschrieb, wie sein französischer Vorgänger es getan hatte. Descartes hatte Medizin als die Kunst, die Gesundheit zu erhalten, verstanden, und 1636, im Discours de la Méthode, beschrieb er die Gesundheit wiederum als „ohne Zweifel das erste Gut und das Fundament aller anderen Güter in diesem Leben“ (Descartes 1897-1909, VI, 62; Descartes 2013, 107-109). Leibniz neigt dazu, die Rolle der Medizin in nur wenig moderateren Tönen zu charakterisieren, indem er etwa die Meinung äußert, dass Gesundheit gleich nach der Tugend kommt und dass daher Medizin die zweitwichtigste menschliche Kunst sei, nach der philosophischen Theologie (Leibniz 1718, 115; A I,14, 831). Dieser Punkt, in dem sich die beiden Philosophen unterscheiden, kann vielleicht letztendlich als eine Widerspiegelung der Divergenz zwischen Descartes’ reinem Mechanismus auf der einen Seite und Leibniz’ modifizierter bzw. ergänzter Version der mechanischen Philosophie auf der anderen verstanden werden. In Leibniz’ Philosophie

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verläuft die Ordnung der mechanischen Ursachen parallel zur Ordnung der Teleologie, und schließlich sind Körper lediglich die phänomenale Entfaltung der Wahrnehmungen („perceptions“) immaterieller Substanzen. Wo ein frühneuzeitlicher Philosoph die Medizin in die Hierarchie menschlicher Bestrebungen einordnet, ist kein nachträglicher Einfall, sondern vielmehr zugleich die Positionierung seiner eigenen philosophischer Ansichten. Leibniz’ Zurückstufung der Medizin vom höchsten Rang, den Descartes und die cartesianische Schule der medizinischen Philosophie ihr gern verliehen hätte, ist zugleich eine Ankündigung, dass nicht alles im Sinne von Bewegung und Stoß von Körpern erklärt werden kann und dass in dieser Hinsicht Descartes im Vorzimmer der Philosophie stehen geblieben sei, wie Leibniz es in einem anderen Kontext ausdrückt. Es ist bemerkenswert, dass in Bezug auf Bildung und Karriere Leibniz, im Unterschied zu so vielen anderen Philosophen seiner Epoche, selbst kein Arzt war, sondern Jurist und fürstlicher Ratgeber. Wir können annehmen, dass seine Einstufung der Medizin nach der Morallehre auch eine Widerspiegelung seiner professionellen Tätigkeiten ist, die ihn zwang, auf Intentionen und Pläne zu achten, statt einfach auf körperliche Auswirkungen körperlicher Ursachen, auf die die cartesianische Schule die Medizin reduziert hatte. In der Tat glaubte Leibniz, dass sein Status als Nichtmediziner und Laie in der Medizin ihn gut positioniere, diese Disziplin zu fördern und ihren Fortschritt zu beurteilen. Leibniz prahlte oft mit seinen einzigartig klarsichtigen – da nichtprofessionellen – Einsichten in medizinische Angelegenheiten. So schrieb er kühn in seiner Relatio ad inclytam societatem Leopoldinam (De novo antidysenterico americano) von 1695/96, dass „nichts den Menschen wertvoller sei als die Gesundheit“, und wich von seiner normalen Einstufung der Gesundheit an zweiter Stelle offenbar ab. Dann fügt er hinzu: „Dies darf umso entschiedener von mir, der ich kein Arzt bin, gesagt werden, da ich weniger unter Verdacht stehen werde, meine eigene Nützlichkeit fördern zu wollen" (A IV,6 586). Leibniz wird diese Behauptung seiner Unparteilichkeit während der ganzen Debatte mit dem Mediziner Georg Ernst Stahl 1709–1710 wiederholen, in der es um die tief philosophische Frage der Rolle der Seele (falls überhaupt) in den vitalen Bewegungen des Körpers ging. Letzten Endes ist es für Leibniz genau seine eigene Art der Uneigennützigkeit, die idealerweise als der maßgebende Geist auch unter praktizierenden Medizinern herrschen sollte, so dass es paradoxerweise seine eigene Position als Nichtmediziner ist, die seiner Meinung nach als Modell für Mediziner dienen müsste. Noch genauer, es ist die Organisation der religiösen Orden und somit einer Profession, die sich der Moral und der Gottesliebe widmet, die am besten als Model für die Organisation der Medizin dienen sollte, so Leibniz, „denn“, wie er in Directiones ad rem medicam pertinentes von 1671 schreibt, „ordens personen sind disinteressirt“ (A VIII,2 658; Smith 2011, Appendix 1, 284). Erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts begannen deutsche Gelehrte, die Inhalte der von Bodemann katalogisierten medizinischen Manuskripte zusammenzufassen und zu analysieren. So musste Gernot Rath 1951 sie noch als ‚unbekannt‘ bezeichnen (Rath 1951). Bald nach Rath jedoch konnten Steudel (1960),

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Rothschuh (1969), Hartmann und Krüger (1973), Weimann (1978), und Mahrenholtz (1990) diese Dimension des Leibniz’schen Corpus immer klarer fokussieren. In einer medizinischen Dissertation von 1987 lieferte Ekkehard Görlich ein meisterhaftes Bild von der engen Beziehung zwischen der Leibniz’schen Biographie als dem ‚verkörperten‘ Philosophen und seinen intellektuellen Interessen an der Medizin und der Naturphilosophie (Görlich 1987). Der frühen Führung durch deutsche Gelehrte folgten die französische und schließlich die anglophone Forschung. Genannt seien nicht zuletzt Grmek (1968), Roger (1969), Dumas (1976), Duchesneau (1982, 1998, 2010a, 2010b), Coutard (2007), Andrault (2007) und Rey (2014). Leibniz’ Beiträge zur Medizin im engeren Sinne fallen grundsätzlich in drei verschiedene Gebiete. 1) Beiträge auf dem Feld des öffentlichen Gesundheitswesens und der medizinischer Statistik; 2) Beiträge zur pharmazeutischen Forschung; und 3) Beiträge zur Methodologie der medizinischen Forschung und zur Förderung der medizinischen Empirie. Es ist unsere Absicht, die Rezeption und Auslegung der Beiträge von Leibniz auf diesen drei Gebieten zu umreißen, aber zuerst wird es notwendig sein, das, was diese Beiträge selbst beinhalteten, knapp zu beschreiben. 1.1. Öffentliches Gesundheitswesen und medizinische Statistik Leibniz legt großen Wert auf eine systematische Datensammlung zwecks der Förderung der Medizin und gedenkt die Ärzte zur Preisgabe der Daten zu verpflichten. Wie sein spirituelles Gegenstück, der geistliche Beichtvater, ist der Arzt, als medizinischer Beichtvater, allerdings ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichtet. Es gibt aber Möglichkeiten, diesen Mangel zu kompensieren. Leibniz glaubt nämlich, dass insbesondere Pharmazeuten, eher als Mediziner, mit der Aufgabe betraut werden sollen, die Gesundheitsakten der Bevölkerung, der sie dienlich seien, zusammenzustellen (A VIII,2 662; Smith 2011, Appendix 1, 285–286). Die wichtigste Form der medizinischen Akten ist nach der Auffassung von Leibniz das Sammeln der Todesstatistik, und in den Directiones erwähnt Leibniz zum ersten Mal die „bills of mortality“ (Totenzettel bzw. Sterberegister), wobei er argumentiert: „Man mus die schedulas mortalitatis in hochste mugliche perfection bringen; und nicht nur in großen stadten sondern uberall aufen lande machen [...]” (A VIII,2 653-654; Smith 2011, Appendix 1, 278). In dem Projet d’une histoire annale de médecine von 1694 wird Leibniz sein Interesse an der Förderung solcher Register wiederholen, wobei er diesmal die Quelle seiner Idee mehr oder wenig explizit ausspricht, indem er den Ausdruck „bills of mortality“ auf Englisch zitiert. „Ich weiß nicht, ob man in Paris noch die Jahresübersichten oder –listen der Taufen und Sterbefälle dieser großen Stadt fortführt, die damals, als ich dort war, herausgegeben wurden. Dieses Vorhaben erschien sehr nützlich, ebenso nützlich wie die Bills of mortality von London, aus denen fähige Leute wichtige Beobachtungen geschöpft haben.” (A IV,5 660; dt. Übersetzung LeibnizFaksimiles 1971, 43).

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Die Quelle dieses Ausdrucks ist mit ziemlicher Sicherheit die Arbeit von John Graunt und William Petty, die neue Methoden in der demographischen Studie der Ausbreitung der Pest in England in den 1660ern zusammen entwickelten und daher als Schlüsselfiguren in der Entwicklung der modernen Epidemiologie betrachtet werden (Petty 1899). Obwohl Leibniz zur Zeit der Directiones sicherlich unbekannt, wird der italienische Mediziner Bernardino Ramazzini, der oft als Gründer der Arbeitsmedizin bezeichnet wird, spätestens in den 1690ern eine wichtige Rolle in Leibniz’ Denken über Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens spielen (Di Pietro 1965). Leibniz lobt Ramazzini oft dafür, dass er über Astrologie und andere wahrsagerische Künste hinaus gehe oder, vielleicht besser, dass er eine Art Astrologie im umgekehrten Sinne anbiete, da er keine vorhersagende Lesung aus den Zeichen befürworte, sondern eine umfassende zurückblickende Lesung der Zeichen: „[...] und sagt er wolle der gestalt Medicinalische Calender machen, aber nicht, wie die Astrologi vor hehr, sondern wenn das jahr umb” (A I,6 67; Leibniz 1838, II, 458). Solch eine umfassende Rückschau ist es, die, so glaubt Leibniz, schließlich eine wahre vorhersagende Wissenschaft der menschlichen Gesundheit ermöglichen wird. Die Statistik wird die Wahrsagerei als Führer für den künftigen Verlauf der Dinge ersetzen. Aus Sicht von Leibniz waren diese Beiträge auf dem Gebiet des öffentliches Gesundheitswesens und der medizinischen Statistik Teile eines enorm viel größeren Interesses an öffentlichen Großprojekten wie der Gründung von wissenschaftlichen Akademien (siehe den Beitrag von Stefan Luckscheiter im vorliegenden Band), der Vermessung der globalen magnetischen Deklination und der künstlichen Beleuchtung von städtischen Straßen. Dennoch ist die medizinische Dimension von Leibniz’ Tätigkeit in öffentlichen Projekten in der Forschung ziemlich vernachlässigt worden. Einige bemerkenswerte Ausnahmen in neuerer Zeit sind u.a. Rohrbasser und Véron (2001), Smith (2011), und Giampietri (2014; 2015). 1.2. Pharmazeutik Leibniz’ bedeutendster Beitrag zur exakten Forschung der Pharmazeutik war ohne Zweifel die oben bereits erwähnte Relatio ad inclytam Societatem Leopoldinam Naturae curiosorum de novo antidysenterico americano magnis succsessibus comprobato von 1695/1696 (A IV,6 N 84, vgl. N 80-83), verfasst nachdem er vieles zum Thema der Ipecacuanha-Wurzel aus Brasilien gelesen und offensichtlich seine eigenen Experimente dazu durchgeführt hatte. Die Wurzel war durch den niederländischen Mediziner Wilhelm Piso 1641 nach Europa gebracht und von ihm in seiner Historia naturalis et medica Brasiliae, die er mit Georg Markgraf 1648 gemeinsam verfasste, ausführlich besprochen worden. Die Wurzel wurde 1672 in Paris eingeführt und wurde berühmt, als der Mediziner Helvétius sie bei der Heilung der Dysenterie von Ludwig XIV. erfolgreich anwandte. Aus Leibniz’ Studie wird klar, dass er detaillierte Kenntnisse der Arbeit von Piso und Markgraf besaß.

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Wie kam es, dass Leibniz sich dafür besonders interessierte? Leider lässt sich nicht die ganze Geschichte vollständig rekonstruieren. Wir wissen, dass Leibniz am 19. April 1695 berichtet, an jenem Tag „ein kleines Grimmen” erfahren zu haben, „gleich wie nach einer eingenommenen Purgation” (Pertz, IV, 177; Müller/Krönert 1969, 132). Zwei Wochen später bittet Leibniz die Gräfin Maria Aurora von Königsmarck für die Ausbreitung der Ipecacuanha-Wurzel in Sachsen zu sorgen (Müller/Krönert 1969, 132). Innerhalb eines Jahres wird er seine umfangreiche Abhandlung über die abführende Kraft dieser Wurzel geschrieben haben. Diese Abhandlung wurde einer der umfangreichsten und einflussreichsten unter Leibniz’ Beiträgen zur Medizin und Pharmazeutik. Als Leibniz für die Leopoldina darüber schrieb und die deutsche Öffentlichkeit darauf aufmerksam machte, war die Wurzel in Frankreich bereits seit etlichen Jahren bekannt und wahrscheinlich hatte Leibniz selbst von ihrer Verwendung erfahren, während er sich ein Vierteljahrhundert früher in Paris aufhielt. Er war sich ihres weitverbreiteten Einsatzes bei den brasilianischen Einheimischen und ihrer jüngsten Erfolge in Frankreich bewusst, aber er war nichtsdestoweniger der erste, der erschöpfend über ihre vielen Verwendungen berichtete, nicht nur gegen Dysenterie, sondern auch als Brechmittel, als Diaphoretikum oder schweißtreibendes Mittel und als Expektorans oder schleimlösendes Mittel. In diesen letzten drei Anwendungen wirkt sie praktisch als „Gift“, und darf daher nur sehr behutsam eingesetzt werden. Leibniz’ Interesse an simplicia bzw. botanischen Heilmitteln liefert uns auch einen nützlichen Zugang zu seinem Interesse an Weltgeographie und an dem, was Londa Schiebinger passend als „Bioprospektion“ bezeichnet hat (Schiebinger 2004). In seinem De novo antidysenterico americano zitiert Leibniz Kapitel 49 und 65 von Pisos Historia naturalis Brasiliae in gesamter Länge (A IV,6 591– 593). Hier beschreibt der niederländische Forschungsreisende einheimische brasilianische Verwendungen sowohl von Caa-apia als auch den IpecacuanhaWurzeln. Piso berichtet über letztere Wurzel (und Leibniz zitiert): „Sie lindert Blähungen und andere Krankheiten, wirkt der Wirkung von Giften sowie von Schlangengiften, ob versteckt oder offenkundig, entgegen, indem sie sie mittels Erbrechen heraustreibt. Weshalb sie von den Brasilianern, die als erste uns ihre [= der Wurzel] Wirkungen offenbarten, sorgfältig (religiose) [die Übersetzung hängt davon ab, ob die Brasilianer eine bestimmte Art von „religiösem“ Kult um diese Wurzel pflegten/pflegen] gehütet wird.“ (A IV,6 591) Leibniz beklagt in seiner Abhandlung: „Es sind nicht wenige, die sich weigern, im Krankheitsfall Medikamente zu geben von so erprobter Wirkung, dass sie für jedes Temperament und jede Konstitution passen. Andere verdammen alles Exotische als für unsere Körper ungeeignet.“ (A IV,6 594). Ferner scheinen Leibniz’ Beschwerden über die Stagnation und Wirkungslosigkeit der europäischen Medizin Pisos eigenen spöttischen Bericht über manche Reaktionen eingeborener Brasilianer zu Krankheiten wiederzugeben. Leibniz kritisiert die „fatale Meinung“, dass „Medizin eine ungewisse Kunst sei, die ganz wie der Stein der Philosophen die Leichtgläubigkeit der Menschen durch große Hoffnung erhöhe“ (A IV,6 586), und fährt fort, indem er darauf hinweist, dass die Kraft der Wurzel nicht auf die Region beschränkt sein

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kann, in der sie gefunden wird. Schließlich ist koloniale Biosprospektion nur ein lohnenswertes Unterfangen in dem Maße, in dem die entdeckten Pflanzen auch in Europa eine Anwendung haben. In dieser Hinsicht war Leibniz’ Interesse an Medizin, darunter auch an den Zweigen wie Pharmazeutik und öffentlichem Gesundheitswesen, in der Tat eine Widerspiegelung seines weitgefassten und facettenreichen Ansatzes bei der Erforschung der natürlichen Welt und der Förderung menschlichen Wissens. Leibniz war, methodisch gesehen, ein Empirist. Er glaubte, dass die Wissenschaft durch eine enorme, gemeinsame Anstrengung beim Sammeln einzelner Fakten fortschreiten würde. Er war jedoch Rationalist in dem Maße, dass er stets glaubte, das, was diese einzelnen Fakten schließlich helfen werden zu enthüllen, sei die rationale Ordnung der Natur als Widerspiegelung göttlicher Weisheit. Für eine sehr lange Zeit ist die empirische Dimension in der Leibniz-Forschung weitgehend übersehen worden. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch, als Forscher auf Werke wie die Directiones von 1671 aufmerksam wurden, ist es unmöglich, den „rationalen Empirismus“ des Philosophen zu ignorieren, nicht zuletzt auf dem Gebiet der Medizin. 1.3. Medizinischer Empirismus Wie weithin bekannt, fand im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts langsam aber sicher eine Revolution in der medizinischen Forschung statt, dank einer größeren Anzahl kultureller Änderungen und wissenschaftlicher Entdeckungen. Die Ursachen von Krankheiten wurden klarer, Methoden der Diagnose wurden verbessert und Heilmethoden wurden zunehmend wirksam (Porter 2003; Webster 1976). Diese Entwicklungen waren bedeutsam genug, um in dieser Ära den allgemeinen Eindruck entstehen zu lassen, dass die Medizin eine „neue“ Wissenschaft sei, dass es eine Art Bruch zwischen den „Alten“ und den „Modernen“ gegeben habe, der das medizinische Wissen Ersterer weitgehend irrelevant machte. In seinen Responsiones ad Stahlianas observationes schreibt Leibniz daher von der Medizin, sie sei in ihrer „Adoleszenz“ („ad adolescentiam“?) (Dutens II,2, 148; Carvallo 2004, 112-113). Wir haben bereits gesehen, dass für Leibniz die medizinische Pflege des Körpers eine Aktivität ist, die parallel zur spirituellen Seelsorge abläuft. So gesehen verwundert es nicht zu erfahren, dass er sich vorstellt, die ideale Organisation der Medizin solle nach dem Vorbild der organisierten Religion, und insbesondere der religiösen Orden, gestaltet sein. In einem bemerkenswerten Abschnitt in den Directiones von 1671, der zu den längsten des gesamten Textes gehört, umreißt Leibniz einen Vorschlag für eine komplette Umgestaltung der Art und Weise, wie der Patient sich zum Arzt begibt. Im Zentrum dieses Vorschlags steht der Hinweis, dass medizinische Beratungen so einfach sein sollten wie der Gang zur Beichte bei einem Priester, und Leibniz bezeichnet die Ärzte sogar als „Medicinalisch[e] beichtvater“ (A VIII,2 659; Smith 2011, Appendix 1, 285). Er schlägt

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vor, dass solche „Beichten“ verpflichtend sein sollten, stellt sich jedoch vor, dass, falls richtig organisiert, die Bürger dort gern hingehen würden. Exakte Messungen von so vielen vitalen Funktionen des Patienten, wie ermittelt werden können, sollen diese Beichten begleiten. Um nur ein Beispiel zu zitieren, Leibniz schlägt 1671 vor, dass „Proben mit dem Menschen angesellt werden [könnten] durch bad, in dem, das von ihm abgespuhlte anatomirt und examinirt würde“ (A VIII,2 650; Smith 2011, Appendix 1, 276). Bislang haben wir Leibniz’ Vorschläge für den Patienten betrachtet; nicht weniger radikal sind seine Ideen darüber, wie die Haltung des Arztes zu seiner Aufgabe im „Beichtstuhl“ umgestaltet werden sollten. So wie Priester nicht nur Buße für begangene Sünden auferlegen, sondern auch Ratschläge erteilen, um in Zukunft das Leben besser führen zu können, sollen Ärzte, so argumentiert Leibniz, nicht nur Krankheiten heilen, sondern auch Patienten zu einer gesunden Lebensführung anleiten. Hierin folgt er offensichtlich nicht so sehr den vorherrschenden Ansichten praktizierender Ärzte, sondern vielmehr dem Geist seiner philosophischen Vorgänger, zum Ausdruck gebracht etwa in Bacons und Descartes’ Beschäftigung mit der gesunden Lebensweise, dem Wohlergehen und der Langlebigkeit. Bis vor kurzem waren Leibniz’ frühe Beiträge auf dem Gebiet der medizinischen Methodologie noch wenig erforscht. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Forscher, die frühen medizinischen Manuskripte zu analysieren, insbesondere die Directiones ad rem medicam pertinentes von 1671. So lieferte Rath (1951) eine Beschreibung der Inhalte, und Hartmann und Krüger (1976) brachten ihrerseits die erste Textausgabe heraus (jetzt A VIII,2 N 70). Zur jüngeren Forschung zählen die Arbeiten von Mahrenholtz (1990) und Smith (2011). Wenn wir die Schriften von Leibniz zur Anatomie und seine Vorschläge für die richtige Erforschung der Anatomie unter seine Beiträge zur Medizin rechnen, dann ist diesen kontinuierlich über die Jahrhunderte größere Aufmerksamkeit gewidmet worden. Spätestens in den 1690er Jahren hatte sich Leibniz von einer Position weg bewegt, die die Bedeutung der Vivisektion und des Studiums der makroskopischen Anatomie der großen Tiere hervorhob (Smith 2011), hin zu der Ansicht, dass die wertvollsten anatomischen Untersuchungen jene sind, die sich auf die Mikroanatomie fokussieren bzw. auf das, was meistens „subtile Anatomie“ genannt wurde (Duchesneau 1998; 2010a; 2010b). Durch diese Verlagerung nähert sich Leibniz stark dem italienischen Anatomen Marcello Malpighi an bzw. folgt ihm (Bernardi 1986; Bertoloni Meli 1997; Duchesneau 2010). In den späten 1690er Jahren wird Leibniz zum Thema der anatomischen Forschung in Austausch mit dem halleschen Arzt Friedrich Hoffmann treten. Schließlich führt diese Verbindung wiederum zur Kontroverse von 1708-1709 zwischen Leibniz und Hoffmanns Kontrahenten Georg Ernst Stahl über mehrere Fragen der organischen Funktion, der Ursachen von Krankheiten und ihrer entsprechenden Heilung (Stahl 1720; Rather/Frerichs 1968, 1970; Stahl 1859-1864; Carvallo 2004; Nunziante 2011; Duchesneau/Smith 2016). Einige Jahrzehnte nach dem Tod von Leibniz führte Hoffmann weiterhin Leibniz’sche Ansichten zur Unterstützung seines eigenen mikromechanistischen und antivitalistischen Ansatzes in der Physiologie an

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(Hoffmann 1749). Nicht zuletzt dank Hoffmann wurde Leibniz während des ganzen 18. Jahrhunderts als aktiv Mitwirkender in den Medizin- und Lebenswissenschaften angesehen, wenngleich diese Einschätzung spätestens im 19. Jahrhundert geringer geworden war, als die Vermutung entstand, dass die vielen Anspielungen des Philosophen auf Fische, Pflanzen und so weiter bloße Analogien im Dienste abstrakter philosophischen Fragen seien. Erst im späten 20. Jahrhundert, größtenteils dank der Arbeit von François Duchesneau (1998, 2010a, 2010b), wurde die zentrale Bedeutung der Lebens- und medizinischen Wissenschaften im Denken von Leibniz wieder sichtbar. 2. ORGANISMUS UND LEBEN Wir können zwei Hauptphasen in der Rezeption des biologischen Denkens von Leibniz erkennen. Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass während des gesamten 18. Jahrhunderts und bis weit ins 19. Jahrhundert Leibniz in erster Linie als biomedizinischer Denker betrachtet wurde, als ein Denker, dessen stärkstes philosophisches Engagement in dem Bemühen gründete, die Natur und Struktur lebender Körper zu verstehen und zu erklären. Ein früher Schüler von Leibniz beim Studium der organischen Struktur von Körpern war Louis Bourguet, der 1729 eine Abhandlung veröffentlichte, die nicht nur die organische Entwicklung von Pflanzen und Tieren untersuchte, sondern auch das Wachsen von Kristallen und Salzen (Bourguet 1729). In Italien machte sich der Lebenswissenschaftler Antonio Vallisneri in seiner Erforschung der Mikroanatomie und der organischen Struktur einen explizit Leibniz’schen Ansatz zu eigen (Vallisneri 1721; siehe auch Cheung 2006; Duchesneau 1998, 2010). Wie Georges Canguilhem in einem Aufsatz von 1965 über die Beziehung zwischen Leibniz’ Monadentheorie und der Zellulartheorie richtigerweise anmerkt: „Es ist gewiss, dass am Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Begriff ‚Monade‘ häufig verwendet wird, um sich auf das angenommene Grundelement des ‚Organismus‘ zu beziehen“ (Canguilhem 2003, 240). Ein sehr anschauliches Beispiel dieser Annahme finden wir in der Arbeit des Naturforschers Charles Bonnet, besonders dort, wo er sein Augenmerk auf die organische Struktur und parthenogenetische Fortpflanzung des Frischwasserpolyps richtet. Gemäß seiner eigenen Aussage war Bonnets intellektuelle Bahn stark von seiner Entdeckung der Leibniz’schen Philosophie beeinflusst. So schreibt er, dass „die Theodicee für meinen Geist eine Art Teleskop war, der mir ein anderes Universum eröffnete, dessen Anblick mir wie eine verzauberte, ich würde fast sagen magische, Perspektive vorkam“ (Bonnet 1948, 100). Wahrscheinlich ist der Einfluss von Leibniz am deutlichsten in Bonnets Palingénésie philosophique zu spüren, „wovon ein Siebtel einer Zusammenfassung der Ideen des Philosophen Leibniz gewidmet ist“ (Bonnet 1948, 19). Auch Canguilhem erkennt eine Entwicklungsbahn für das Konzept der Monade in der französischen Wissenschaft, die viel weiter als das eng gefasste Gebiet der Biologie und Medizin reicht. So, zum Beispiel, wenn der positivistische Sozialwissenschaftler Auguste Comte „die Zellulartheorie und die Vorstel-

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lung der Zelle kritisiert, dann geschieht dies unter dem Namen der ‚organischen Monade‘ in der 41. Lektion des Cours de philosophie positive. Im Jahr 1868 übernimmt [Arthur] Gobineau sowohl ‚Zelle‘ als auch ‚Monade‘“ (Canguilhem 2003, 240–41). Diese besondere Entwicklungsbahn für das Konzept der Monade war im Großen und Ganzen eine speziell französische (Roger 1963). In Deutschland verwendete Lorenz Oken in seinem Lehrbuch der Naturphilosophie von 1809 die Vorstellung der Monade in großem Maße. Dietrich Mahnke (1937) identifiziert diese Anwendung als die Einführung des Monadenkonzeptes in die deutsche Biologie (Mahnke 1937, 13-17; Canguilhem, 2003, 241). Während das Lehrbuch tatsächlich unter anderem ein Handbuch der Biologie ist, hat der Kontext von Okens Besprechung der Monaden wenig mit den empirischen Lebenswissenschaften zu tun, wie wir sie verstehen. So schreibt Oken, der ein Schüler Schellings war, in einer faszinierenden, proto-Hegelschen Tonart: “Das Nichts an sich ist die Monas indeterminata, das ponirte Nichts ist die Monas determinata. Das Nichts ist also mit dem Absoluten identisch, das Absolute ist das mathematische Nichts.” (Oken 1809, 11) Dies ist eine sehr interessante Spekulation, aber sie liegt weit ab von Leibniz’ Beiträgen zu den Lebenswissenschaften, geschweige denn zur Medizin im engeren Sinne. Nicht zuletzt als Resultat von Bertrand Russells blasser Darstellung von Leibniz’ Philosophie (Russell 1900), wonach Leibniz im Wesentlichen ein Logiker sei, der sich für die natürliche Welt nur als Nebenprojekt bzw. als divertissement für seine Gesprächspartner an den Fürstenhöfen interessierte, schenkte man während eines Großteils des 20. Jahrhunderts Leibniz’ organischem Modell der Natur sehr wenig Beachtung. Diese Fehleinschätzung wurde ab den 1970er und 1980er Jahren korrigiert, offensichtlich zum Teil als Ergebnis der Arbeit von Wissenschaftsund Medizinhistorikern, allen voran Jacques Roger (Roger 1963, 1969), der die Aufmerksamkeit auf die Rezeptionsgeschichte von Leibniz’ organischer Philosophie im 18. Jahrhundert lenkte, und dann letztendlich Philosophiehistoriker dazu anregte, der philosophischen Bedeutung des Organismus für Leibniz selbst Beachtung zu schenken. Ein frühes, bereits oben zitiertes Beispiel dieses Interesses war Marie-Noëlle Dumas (1976). Später brachten Daniel Garber (1985) und André Robinet (1986) mehr oder weniger gleichzeitig verhältnismäßig revisionistische Darstellungen der Leibniz’schen Metaphysik zur Sprache, die die Philosophie der körperlichen Substanz als zentral betrachten, statt als eine Abschweifung oder als Ausreißer in der Entwicklung von Leibniz’ reifem Denken. Garber beschränkt den körperliche Substanz-„Realismus“ auf Leibniz’ mittlere Jahre und charakterisiert ihn einfach im Sinne eines kaum modifizierten aristotelischen Hylomorphismus. Robinet untersucht Leibniz’ Modell der körperlichen Substanz eingehender und betont die entscheidende Rolle, die Leibniz’ ausgeprägte, technische Vorstellung des Organismus hier spielt – d.h. nochmals der Mechanismus ohne eine untere Grenze zur mechanischen Organisation. In den darauffolgenden Jahrzehnten und zusätzlich zu den bereits zitierten Werken von Duchesneau und Smith, lieferte Donald Rutherfords Buch (1995) einen bedeutenden Beitrag zu unserem Verständnis der

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Leibniz’schen Philosophie der natürlichen Ordnung. Allerdings neigt der Autor leider dazu, wichtige technische Begriffe in der Leibniz’schen Philosophie zu vermengen, besonders „Organismus“ und „körperliche Substanz“ (wobei wieder der Hauptunterschied darin besteht, dass Ersterer die unendliche Struktur der mechanischen natürlichen Körper beschreibt, während Letzterer das aktive, individuelle, substantielle Wesen beschreibt, zu dem der organische Körper gehört). Michel Fichant (2003) unterscheidet diese Begriffe geschickt, während Ohad Nachtomy (2008) zeigt, wie unentbehrlich die Anwendung der Unendlichkeit in Leibniz’ Modell von Lebewesen für ein Verständnis der Einheit seiner mathematischen und biologischen Vorhaben ist. Sehr wenige Forscher haben den entscheidenden Unterschied in der Leibniz’schen Philosophie zwischen dem Organischen und dem Leben genau verstanden bzw. klar zur Sprache gebracht (Fichant 2003; Duchesneau 2010a, 2010b; Smith 2011 sind bemerkenswerte Ausnahmen). In der Tat lag die Schwierigkeit im Begreifen dieses subtilen, aber wichtigen Unterschieds im Kern der Kontroverse zwischen Leibniz und Stahl (Stahl 1720), und nur wenige Kommentatoren sind in den drei Jahrhunderten seitdem geistig klarer als Stahl gewesen. Für Leibniz sei ein organischer Körper kein lebendiger Körper. Wie er Stahl erklärt, lassen sich alle physiologische Funktionen, die normalerweise für „lebenswichtig“ gehalten werden, tatsächlich nur als die vegetative und organische Struktur der Körper erklären, ohne die Notwendigkeit, irgendein besonderes, unabhängiges Lebensprinzip heranzuziehen. Was ist dann „Leben“ für Leibniz? Es ist nichts anderes als die wahrnehmbare Tätigkeit der immateriellen Monade. In dieser Hinsicht also, nach dem Verständnis von Leibniz, ist das Leben nicht der richtige Brennpunkt für die Forschungsrichtung, die später zur „Biologie“ wurde. Für ihn ist das Leben eine streng metaphysische Vorstellung, während die „Biologie“ (die dem Namen nach oder als klar abgegrenzte Disziplin noch nicht existierte) nur die Funktionen und Strukturen der natürlichen Körper erforscht, die selbst eine eingehende Erklärung erlauben, ohne dass irgendwelche metaphysische Prinzipien herangezogen werden müssen, die den Körpern zugrunde liegen oder sie unterstützen. So gesehen, sollte Leibniz’ Unterscheidung zwischen dem Organismus und dem Leben, wie Loptson (2006) und Arthur (2006) erkannt haben, eine entscheidende Rolle in der Entstehung der wissenschaftlichen Biologie im 18. und 19. Jahrhundert spielen und Leibniz auf die triumphierende Seite im schließlichen Sieg der wissenschaftlichen Darstellung der Lebensphänomene über den obskurantischen Vitalismus stellen. Im Gegensatz zu dem, was manche Autoren vorgeschlagen haben (z.B. Nicolás 2013), war Leibniz kein Vitalist. Als er in die Debatte mit Stahl eintrat, bestand tatsächlich sein Hauptzweck genau darin, Stahls Vitalismus zu widerlegen. Wir dürfen auch die Kontroverse mit Stahl als die reifste und umfassendste Darstellung ansehen, die Leibniz von seiner reifen Theorie des organischen Körpers liefert. Mit der kritischen Ausgabe dieses wichtigen Werks (Duchesneau/Smith 2016), dürfen wir hoffen, dass die wahre Rolle der Theorie des Organismus in Leibniz’ Philosophie endlich klar dargestellt wird.

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BERGBAU UND GEOLOGIE Friedrich-Wilhelm Wellmer und Jürgen Gottschalk 1. LEIBNIZ UND DER HARZER BERGBAU Bald nachdem Gottfried Wilhelm Leibniz seinen Dienst 1676 in Hannover antrat, fiel sein Blick auf den Harzer Silberbergbau um das Bergbauzentrum Clausthal, das einzige Industriegebiet im hannoverschen Welfenherzogtum und wesentlicher Steuerzahler für den Hof in Hannover. Fettweis (2004) hält den Harz im 17. Jahrhundert für eines der vier wichtigsten Bergbaugebiete Europas neben Tirol (mit Schwaz), das slowakische Erzgebirge (mit Schemnitz, heute Banska Stávnica) und das böhmische und sächsische Erzgebirge( mit Joachimsthal und Freiberg). „Theoria cum praxi“ meinte Leibniz bereits hier umsetzen zu können. Für die Erkundung von Erkenntnisgewinnen in der Forschung kann Leibniz’ Beschäftigung mit dem Bergbau und Hüttenwesen durchaus als typisch für den Bereich Technik genommen werden.1 Leibniz engagierte sich mit großem persönlichem Einsatz im Harz, zeitlich und mit eigenem Geld. In den Jahren von 1680 bis 1686 verbrachte er 165 Arbeitswochen dort. In einer zweiten 1692–1695 Phase war er nur acht Wochen im Oberharz und ließ sich meist durch einen Gehilfen vertreten. Aber während seiner ganzen Hannoveraner Zeit hielt ihn der Bergbau gefangen. Auf seinen Reisen gab es immer wieder Abstecher in Bergbaureviere. Noch kurz vor seinem Tode in den Jahren 1712 bis 1715 arbeitete er mit dem Clausthaler Markscheider (Vermesser untertage) Bernhard Ripking und dem Generalsuperintendenten Caspar Calvör daran, barometrische Höhenmessungen als Basis für ein UntertageVermessungsinstrument zu entwickeln. Somit ist also der Bergbau, damals mit dem Hüttenwesen die Hightech-Industrie, von dem Leibniz zur Geologie kam, ein wichtiges Gebiet für seine Ingenieuraktivitäten. Das ganze Wissensgebiet ein  1

Außer dem Bergbau sind eigentlich nur zwei weitere Technikgebiete, mit denen Leibniz sich beschäftigt hat, wissenschaftlich intensiver untersucht worden: das der Rechenmaschine (s. z. B. Walsdorf et al. 2014) und der Herrenhäuser Wasserkünste (z. B. Gottschalk 1998). Auch der von Michael Wolff publizierte Leibnizʼsche Text über den Impetus (Wolff 1978, 349– 355) beschäftigt sich mit einem bergbaurelevantem Problem (s. auch Hecht, dieser Band). Erst jetzt mit verbesserter Quellenlage durch das Fortschreiten der Akademie-Ausgabe kommen weitere Technikgebiete in den Fokus, z. B. durch Kempe (2015).

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schließlich der dazu gehörenden Naturwissenschaften Mineralogie und Geologie bezeichnete Leibniz allerdings als Physik und Mechanik (z.B. A I,2 130). In den Jahren 1680–1685/86 lag Leibniz’ Schwerpunkt im Harzer Silberbergbau bei dem Versuch, die Windkraft alternativ zur Wasserkraft zum Herauspumpen des Wassers aus den Gruben einzusetzen und in den Jahren 1692–1695 bei Versuchen zur Verbesserung der Schachtförderung und Pumpen für die Wasserhaltung. Mit allen seinen Ideen und Erfindungen für den Harzer Bergbau ist Leibniz gescheitert. Er war seiner Zeit zu weit voraus. Es ist interessant, dass bereits 1845 davon die Rede war, Leibniz eile im Bergbau seiner Zeit voraus (Bergmann 1854, 60, Fußnote 20). Die meisten von Leibniz’ Ideen sind heute jedoch Stand der Technik: das Endlosseil zum Gewichtsausgleich, die konische Trommel und die Wickeltrommel (Bobine) zum Momentenausgleich und letzten Endes das Konzept der Sparteiche als Energiespeicher. Leibniz entwickelte es im Zusammenhang mit der Planung von Wasserkreisläufen durch den Einsatz der Horizontal- und Vertikalwindmühle zum Rezyklieren des Aufschlagwassers für den Antrieb der Pumpen zum Trockenhalten der Gruben. Es ist das Konzept der heutigen Pumpspeicherkraftwerke, von großer Bedeutung für die Speicherung der unregelmäßig anfallenden erneuerbaren Energien, das Leibniz vorweg nahm. Leibniz’ Problem, wie fädelt man eine neue „unkonventionelle“ Energie, die Windkraft, in ein traditionelles, gut funktionierendes Energiesystem (früher Wasserkraft, heutzutage fossile Energien) ein, ist heute wieder eine aktuelle Fragestellung. Welche erkenntnistheoretischen, psychologischen und Managementfehler aus heutiger Sicht bei der praktischen Einführung von Leibniz’ Verbesserungsvorschlägen im Oberharz gemacht wurden, untersuchte Wellmer (2019). Vom Einfluss von Lernkurven wusste man z. B. damals noch nichts. 2. FORTSCHRITTE BEIM ERKENNTNISGEWINN IN DER FORSCHUNG Im 18. Jahrhundert beschäftigten sich im Wesentlichen der Clausthaler Pfarrer, Lehrer und Montanwissenschaftler Henning Calvör (1686–1766) sowie der Clausthaler und später Freiberger Berghauptmann bzw. Oberberghauptmann (1740–1819) Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra mit Leibniz’ Bergbauexperimenten. Sie gehen auch schon der Frage nach, warum Leibniz gescheitert ist. Während Calvör einen positiven Ausgang der Windmühlenversuche für möglich hält, vorausgesetzt man hätte ihm die richtige kompetente fachliche Unterstützung gegeben, sieht von Trebra in Leibniz doch mehr einen Theoretiker als einen Praktiker (Calvör 1763, Teil 1, 108, von Trebra 1789, 305–324; 1790, 299–315). Der allgemeinen technischen Fachwelt leichter zugänglich wurden die Leibniz’schen Ideen für den Bergbau zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Arbeiten von Gerland, Bergbauprofessor an der damaligen Bergakademie, heute Technischen Universität Clausthal, (z. B. Gerland von 1898 bis 1906) und dann später mit der Bearbeitung und Transkription von Leibniz’ relevantem Schriftwechsel in der historisch-kritischen Akademie-Ausgabe der Leibnizedition: Reihe I, Bd. 2, der die Zeit von 1676 bis Ende 1679 umfasst, bezieht sich auf die Zeit der Vorbe-

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reitungen für Leibniz’ Experimente im Harz. Bd. 3 für den Zeitraum 1680–1683 und Band 4 für den Zeitraum 1684–1687 beschäftigen sich überwiegend mit der 1. Phase von Leibniz’ Wirken im Oberharzer Bergbau. Ein weiterer Teil des Leibniz’schen Schriftwechsels hinsichtlich des Windmühlenprojektes befindet sich in der Reihe III, Bd. 3 für die Zeit 1680 bis Juni 1683. Die 2. Phase von Leibniz’ Wirken im Harz wird durch den Supplementband Harzbergbau 1692– 1696 abgedeckt. Gerland schließt direkt an Henning Calvör und von Trebra (100 bzw. 135 Jahre vorher) an, erweitert die Erkenntnis aber durch weiteres direktes Studium von Leibniz’ Schriften. Ein Sprung im Erkenntnisgewinn ergab sich aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) von 1974–76 und 1978–80 geförderten Projekt „Leibniz’sche Technik – Leibniz’ Verbesserungsvorschläge, Pläne und Inventionen für den Oberharzer Bergbau mit besonderer Berücksichtigung seiner Wasserwirtschaftspläne unter Einsatz (Ausnutzung) der Windenergie“. Bearbeiter waren U. Horst und J. Gottschalk. Die Forschungsarbeiten einschließlich der Vorarbeiten schlugen sich in etlichen Publikationen nieder (z.B. Horst/Gottschalk 1973, Gottschalk 2000). Es wurden nach Skizzen und Beschreibungen von Leibniz Rekonstruktionszeichnungen und Modelle von den Windmühlen im Maßstab 1: 15 angefertigt und im Windkanal in Göttingen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit getestet (Stäger 1979). Diese Versuche bestätigten frühere Überlegungen, dass eine Horizontalwindmühle, wie von Leibniz konzipiert, in der Lage wäre, bis zu 36 m³ Wasser pro Stunde in einen 8 m höher gelegenen Teich zu fördern, wenn Leibniz die Materialprobleme, Belastungen und Leistungsmöglichkeiten bei der von ihm vorgesehenen archimedischen Schraube gelöst hätte. Das heißt also, die prinzipielle Richtigkeit des Konzeptes: Rezyklieren von Aufschlagwassers über Sparteiche mit Hilfe der Horizontalwindmühle bzw. der Vertikalwindmühle (heutiges Pumpspeicherkonzept) wurde erbracht. Auch mit der Vertikalwindmühle wurden im Göttinger Windkanal Versuche durchgeführt (Stäger 1980). Eine besondere Bedeutung hatte das Bauen von Modellen für den Erkenntnisgewinn über Leibniz’ „Neues Treibwerck“. Leibniz wollte die für den Harzer Bergbau notwendigen zwei Fördergänge (Herauspumpen des Wassers und Herausfördern des Erzes) 1685/86 mit nur einem Wasserrad durchführen, und zwar mit dem kontinuierlich laufenden Kunstrad für den Antrieb der Pumpen. Für das Herausfördern des Erzes benutzte man in der Regel die Muskelkraft von Pferden. Wollte man Wasserkraft einsetzen, benötigte man ein weiteres, ein umschaltbares Wasserrad, das Kehrrad. Um das immer nur in einer Richtung laufende Kunstrad auch für den zweiten Fördergang, das Herauf- und Herunterlassen der Fördertonnen, einsetzen zu können, war ein umsteuerbares Getriebe erforderlich. Bei der Erprobung ergab sich durch den Umschaltmechanismus meist ein ruckartiger Ablauf, der letztlich zur Einstellung des Betriebes mit dem „Neuen Treibwerck“ führte. An diese Versuche schlossen sich im 21. Jahrhundert Arbeiten an, die unter transdisziplinären Gesichtspunkten (Zusammenwirken verschiedener Lernprozesse aus Praxis und Wissenschaft) Leibniz’ Scheitern im Harzer Silberbergbau untersuchten, aus der Praxis des Bergbaus wie aus paläoklimatischen Gesichtspunk-

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ten (Fettweis 2004, Wellmer/Gottschalk 2010). Fettweis, Leobener Bergbauprofessor und Doyen der deutschsprachigen Bergbauwissenschaften und vormaliger Bergwerksdirektor einer deutschen Steinkohlenzeche, betont u. a. negative Auswirkungen durch die klimatische Ungunst und die Schwierigkeiten mit Bergleuten, die Neuerungen gegenüber häufig kritisch eingestellt seien. Wellmer und Gottschalk (2010) untermauern die klimatisch ungünstigen Bedingungen für Leibniz mit paläoklimatischen Daten and arbeiten u.a. heraus, in welche Interessenkonflikte Leibniz im Oberharz geriet. In diesem Zusammenhang müssen auch die Untersuchungen von H. Dennert, einem intimen Kenner der Oberharzer Bergbaugeschichte, aus dem Jahre 1966 erwähnt werden, die erst posthum 2008 veröffentlicht wurden. Dennert analysiert, auf welche fachliche Bergbaukompetenz Leibniz als Bergbaufremder in der Clausthaler Bergbauorganisation stieß (Dennert 1966/2008). Zum Abschluss soll noch darauf eingegangen werden, ob sich die Erkenntnisgewinne dank Leibniz’ Ideen und Erfindungen selbst weiterentwickelt haben, und zwar für das Unterseil (Endloskette) zum Gewichtsausgleich und die konische Trommel und die Wickeltrommel (Bobine) zum Momentenausgleich. Manche Erfindungen, wie das Unterseil „lagen sicherlich in der Luft“. Man kann das sehr schön an der von Leibniz vorgeschlagenen Saug-Druck-Pumpe erkennen. Leibniz wollte damit größere Wasserförderhöhen erzielen und die vom atmosphärischen Druck begrenzte Saughöhe von 10 m überwinden. Bereits vor ihm – höchstwahrscheinlich aber Leibniz unbekannt – hatte in England 1675 Samuel Morland ein derartiges Pumpensystem, die heutige Plunger-Pumpe, vorgeschlagen. Das Problem beim Einsatz der Endloskette zu Leibniz’ Zeiten bestand darin, dass es im Oberharz keine senkrechten Schächte gab. Somit hing bzw. legte sich der Kettenteil, die Unterkette, die unter der Tonne zum Gewichtsausgleich befestigt war, immer wieder auf, verwickelte sich und es kam laufend zu Störungen. Die heute übliche Methode, senkrechte Schächte neben dem Gang abzuteufen, d.h. eine große Vorinvestition vor dem eigentlichen Abbau selbst zu leisten, wurde im Oberharz erst Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt. Allerdings war es schon vorher etwa 150 Jahre nach Leibniz im Harz durch Oberbergrat Albert, den Erfinder des Drahtseiles, auch in nicht senkrechten Schächten gelungen, mit der Endloskette, dem späteren Unterseil, zu arbeiten (Lampe 2009). Der Einsatz der heute üblichen Förderung mit der Koepescheibe, die das Seil über Reibung mitnimmt, wäre ohne Unterseil zum Gewichtsausgleich gar nicht denkbar. Die Endloskette ist auch ein schönes Beispiel dafür, dass manche technische Lösungen sich zwanglos ergeben. Albert (1837) erwähnt, dass er nicht wusste, dass Leibniz sich hiermit schon beschäftigt hatte und erst durch nachträgliches Studium des Calvörschen Berichtes (Calvör, 1763) darauf aufmerksam wurde (Albert 1837, 219). Auch das spätere Bergbaulehrbuch von Köhler, einem Clausthaler Bergbauprofessor, nennt Leibniz in diesem Zusammenhang (Köhler 1887). Allerdings heißt das nicht, dass sie sich detaillierter mit Leibniz beschäftigt hätten. Die falsche zeitliche Einordnung von Leibniz’ Aktivitäten mit der Endloskette bei Köhler legt diesen Schluss nahe.

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Ganz anders bei Leibniz’ Erfindungen der konischen Trommel und der Wickeltrommel, der Bobine, zum kontinuierlichen Momentenausgleich. Die konische Trommel wurde tatsächlich gebaut und kam auf einem der Clausthaler Schächte (Johannißer Schacht) zum Einsatz. Die Trommeln waren aus Holz. Allerdings war der Nutzen für die Bergleute wohl nicht so augenfällig, denn die konische Seiltrommel wurde nicht erneuert, als sie verschlissen war. Dies ist der einzige Verbesserungsvorschlag von Leibniz, der zu seiner Zeit praktische Relevanz erreichte. Die konische Trommel wurde gegen Ende des 19. und im 20. Jahrhundert insbesondere im Erzbergbau eingesetzt. In der letzten Metallerzgrube im Harz, der 1992 geschlossenen Erzgrube Bad Grund, kam die konische Trommel bis 1975 zum Einsatz und wurde dann durch eine Koepe-Förderung ersetzt. Dieser moderne Schacht ist übrigens nur 6 km Luftlinie entfernt von dem Johannißer Schacht, auf dem Leibniz’ Trommel damals zum Einsatz kam. Konische Trommeln werden heute noch u.a. in Weißrussland, Russland und Kasachstan verwendet. Die Wikkeltrommel (Bobine) ist das Standardinstrument beim Schachtabteufen. Da sich die Schachtteufe kontinuierlich vergrößert, kann natürlich nicht mit einem Unterseil zum Gewichtsausgleich gearbeitet werden. Um Probleme beim Aufwickeln bei der Bobine zu vermeiden, arbeitet man heute mit einem Flachseil, auch zur Vermeidung einer Verdrillung z.B. bei einem Rundseil. Bei keiner dieser Schachtförderverfahren ist bekannt, ob die Leibniz’schen Vorstellungen bei der Entwicklung eine Rolle spielten oder ob sie sich allein aus der bergmännischen Praxis entwickelten. Bei konischer Trommel und Wickeltrommel (Bobine) erwähnt Köhler (1887) Leibniz nicht. Die anderen ersten „modernen“ Bergbaukundelehrbücher nach der Entwicklung moderner Zechen in der 2. Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, z. B. Serlo (1873, Bd. 2) oder von Hauer (1885), der ein spezielles Lehrbuch nur über Fördermaschinen schrieb, kennen Leibniz überhaupt nicht. Für Serlo beginnt die Geschichte der neueren Schachtförderung erst mit der Erfindung des Drahtseils durch Oberbergrat Albert 1834 im Harz. Zwischen von Trebra und Henning Calvör einerseits und Oberbergrat Albert, dann Köhler und schließlich Gerland als Clausthaler Bergingenieure andererseits steht der französische Bergingenieur Héron de Villefosse (1810), der während der napoleonischen Besetzung 1803 zum Kommissar für den Harz und später zum Generalinspekteur der Bergwerke zwischen Rhein und Weichsel ernannt wurde. Er schrieb ein umfassendes Werk über den Bergbau im Harz im Speziellen und den Bergbau generell (Villefosse 1810). De Villefosse erwähnt Leibniz, allerdings nicht im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen, sondern nur im Zusammenhang mit der Leibniz’schen Welfengeschichte, und zwar der Übertragung von Regalien (königlichen Rechten am Bergbau) an die Welfen, z.B. des Zehnten des Rammelsberges in Goslar (Dettmer 2015). 3. LEIBNIZ’ GEOWISSENSCHAFTLICHE STUDIEN Zwar hat sich Leibniz schon sehr früh mit theoretischen Fragen der Entstehung der Erde in seiner Publikation 1671 „Hypothesis physica nova“ befasst, die aber

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kaum als Ausgangspunkt für seine Beschäftigung mit geologischen Phänomenen der Erdoberfläche und insbesondere den praktischen Aspekten der Rohstoffe dienen konnte (Garber 2011). Hierzu kam er über den Bergbau im Harz (Wellmer 2014). Der erste Hinweis von Leibniz auf eine geowissenschaftliche Studie enthält ein Brief 1681 an Otto Mencke, den Herausgeber der Acta Eruditorum, in dem er einen Aufsatz über „Mineralia und Bergwercksachen“ in Aussicht stellt, oder 1682 in einem Brief an den Sekretär der Académie des Sciences in Paris Jean Gallois, in dem Leibniz u. a. vorschlug, auch Descartes’ Principia von 1644, in dem Descartes sich ebenfalls mit der Entstehung der Erde befasste, fortzusetzen (A I,3 N. 437; A III,3 N. 407). Die Beschäftigung mit der Geologie intensivierte sich allerdings erst nach Beendigung der Arbeiten am Harzer Windmühlenprojekt 1685. Herzog Ernst August war sehr ehrgeizig und wollte Kurfürst werden. Dafür brauchte er u.a. eine sorgfältig dokumentierte Geschichte von Größe und Alter des Welfenhauses. Den Auftrag hierzu erhielt Leibniz am 10. August 1685. Vermutlich angeregt durch seine Arbeiten im Harz (s. o.), entschied er sich später, der Geschichte des Welfenhauses eine Erd- und Naturgeschichte des niedersächsischen Raumes voranzustellen, die Protogaea (Urerde). Nach Waschkies (2001) fiel die konkrete Entscheidung hierzu wahrscheinlich jedoch erst im Jahre 1689 auf einer Reise nach Italien (Brief an Melchisédech Thévenot, 13. März 1691; A I,6 N. 229). Die Protogaea weist eine eigenartige inhaltliche Dreiteilung auf, ohne dass sie in drei Kapitel gegliedert wäre. Die ersten beiden Teile beschäftigen sich mit der Entstehung der Erde, der dritte und umfangreichste Teil ist ein „umfassendes Sammelsurium von Leibniz’ Wissen und Denken über geologische Dinge“ (Hölder 1969, 113), soweit sie nicht schon in den ersten beiden Teilen berücksichtigt wurden. Hölder vermutet in dem Charakter einer noch recht ungegliederten Notizensammlung den Grund dafür, dass Leibniz von einer Gesamtveröffentlichung der Protogaea zu seinen Lebzeiten absah. Die 1693 veröffentlichte Kurzfassung enthält auch nur die Quintessenz der beiden ersten Teile (Acta Eruditorum, Jan. 1693, 40-42). Die Protogaea, im Gegensatz zur Welfengeschichte selbst, die nie fertig wurde, beendete Leibniz 1694. Veröffentlicht wurde die ganze Protogaea allerdings erst posthum 1749 von Christian Ludwig Scheidt (Leibniz 1749). Außer der oben genannten Kurzfassung in den Acta Eruditorum finden sich Ausschnitte in seinen Essais de Theodicée (Leibniz 1710, etwa III. Teil, §§ 244, 245). Nach C. Cohen und A. Wakefield (Leibniz 2008) verteilte Leibniz auch viele Auszüge an Wissenschaftler seiner Zeit, die sie wiederum zirkulieren ließen, so dass seine ProtogaeaThesen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich bekannt waren, lange bevor die Veröffentlichung 1749 erfolgte. Cohen und Wakefield nehmen auch an, dass sie eine wesentliche Quelle für Georges Louis Leclerc Buffon waren, als er seine Theorie de la terre verfasste. Der Zeit gemäß schrieb Leibniz die Protogaea in der „lingua franca“ der damaligen Zeit Latein. Schon Scheidt fertigte eine deutsche Übersetzung an: „Protogaea Oder Abhandlung Von der ersten Gestalt der Erde und den Spuren der Historie in den Denkmaalen der Natur“, die aber sprachliche Ungenauigkeiten und

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Flüchtigkeiten enthält. So übersetzte 1949 der Geologe Wolf von Engelhardt die Protogaea neu ins Deutsche (Leibniz 1949). Eine französische Übersetzung lieferte Bertrand de Saint Germain schon 1859, die mit Kommentaren und Abdrukken relevanter Briefe von und an Leibniz sowie anderer Schriftstücke 1993 von Jean-Marie Barrande erneut herausgegeben wurde (Leibniz 1993). Eine spanische Übersetzung liegt seit 2006 durch Evaristo Alvarez Muñoz vor. Die englische Übersetzung mit einer ausführlichen wissenschaftshistorischen Einführung stammt von Claudine Cohen und Andre Wakefield aus dem Jahre 2008. Die Wissenschaftshistorie der Protogaea ist sehr genau recherchiert worden z.B. von Barrande (Leibniz 1993), Waschkies (z. B. 1999; 2001) oder Cohen und Wakefield (Leibniz 2008). In diesem Zusammenhang müssen auch die Untersuchungen von Reich und Gehler erwähnt werden, die sich mit Leibniz’ geowissenschaftlicher Sammlung beschäftigen (Leibniz 2014, LIX–LXVIII), die sich heute in der Sammlung der Universität Göttingen befindet. Aus der Sicht der heutigen Geologie und Bergbauwissenschaften beschäftigt sich Wellmer in seiner Einleitung zum Nachdruck der Protogaea mit Leibniz’ Geologiewerk (Leibniz 2014, VII–LVIII). Nach diesen Erkenntnisgewinnen in der Leibnizforschung soll auf die Erkenntnisgewinne von Leibniz selbst in den Geowissenschaften eingegangen und gefragt werden, ob sie heute noch relevant sind. Leibniz beschäftigte sich mit der Geologie über 100 Jahre vor der Entwicklung moderner geowissenschaftlicher Konzeptionen, sozusagen in der geowissenschaftlichen Vorzeit. Die Zeit von 1790 bis 1820 ist als das „Heroische Zeitalter der Geologie“ bezeichnet worden (Zittel 1899, 868). In dieser Zeit wurde die Basis für die heutigen Geowissenschaften gelegt: die Systematik der Gesteine, Entwicklung des Konzeptes der geologischen Kartierung für eine Ordnung in Raum und Zeit, der Kreislauf der Gesteine und das Modell der „tiefen Zeit“ (Hutton 1788). Obwohl 100 Jahre vor dem „Heroischen Zeitalter der Geologie“ kam Leibniz zu bemerkenswerten, auch heute noch gültigen Einsichten und war oft seiner Zeit wie im Bergbau voraus. Das eindrucksvollste Beispiel hierfür findet sich in Leibniz’ Beschreibung der Genese der Gesteine. 100 Jahre nach ihm gab es den großen Streit zwischen den Neptunisten und den Plutonisten. Die Neptunisten, deren herausragender Vertreter Abraham Gottlob Werner in Freiberg war, nahmen an, dass alle Gesteine einschließlich des kristallinen Grund- und Urgebirges aus dem Wasser abgesetzt waren, während die Plutonisten mit James Hutton in Edinburgh als wesentlichem Vertreter davon ausgingen, dass die Erde sich aus einer Kugel mit glühendem Fluidum entwickelt hatte (Hölder 1989, 36). Auch Goethe beteiligt sich an diesem Streit (Riedel et al. 2009). Leibniz war in dieser Frage der Gesteinsgenese deutlich weiter als die späteren Neptunisten und Plutonisten und erkannte ganz klar, dass es beide Gesteinsursprünge gibt, den sedimentären und den magmatisch/vulkanischen (Leibniz 1949, 127). Nach Oldroyd (2007, 127) war Leibniz wahrscheinlich der erste, der zwischen „Urgestein“ und „Sekundärgestein“ unterschied. Auch war Leibniz wohl der Erste, der den Einsatz der Wünschelrute als unwissenschaftliche Methode abtat. In dem zu Leibniz’ Zeiten immer noch klassi-

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schen Werk von Agricola „De re metallica“ (in der Protogaea wird dieses Werk häufig zitiert) wird die Wünschelrute als ein anerkanntes geophysikalisches Prospektionsinstrument beschrieben, um neue Gänge oder Fortsetzungen von Gangstrukturen aufzuspüren (Agricola 1556, 2. Buch, 32). Erfolgreiche Wünschelrutengänger standen in hohem Ansehen. Der Freiberger Berghauptmann Christoph von Schönberg (1554–1608) lässt sich in seinem offiziellen Porträt mit einer Wünschelrute darstellen (Schmidt 2004). Leibniz dagegen tut sie ab als ein Instrument, mit dem Leichtgläubige getäuscht werden (Leibniz 1949, 42-43). Weitere Beispiele für seinen Weitblick in der Protogaea aber auch in weiteren Schriften wären der Einsatz des Mikroskopes in Geologie, Bergbau und Hüttenwesen, die Genese des Kupferschiefers (Wellmer in Leibniz 2014, VII-LVIII) oder die hydrologischen Kreisläufe (Strickland/Church 2015). Im Sinne der Rezeption von Leibniz in den Geowissenschaften heutzutage, sei noch erwähnt, dass verschiedene Teildisziplinen immer wieder versuchen, Leibniz als Ahnvater zu bemühen. So wurde er, bzw. die Protogaea von den Paläontologen mal in Verbindung gebracht mit der ersten Rekonstruktion eines vollständigen Skelettes aus Wirbeltierknochen (Abel 1925), oder als Ahnvater der Höhlenforscher angesehen. Ohne Leibniz Leistungen in Abrede stellen zu wollen, muss festgestellt werden, dass in diesen Fällen Leibniz meist nicht der Erste war. Leibniz besuchte zwar die längst bekannte Einhornhöhle bei Scharzfeld und die Baumannhöhle in Rübeland Ende Oktober/Anfang November 1685 (Baumannhöhle bekannt seit 1536, Einhornhöhle seit mindestens 1541) und verarbeitete seine Beobachtungen in der Protogaea. Vor ihm besuchten aber bereits andere Wissenschaftler die Höhlen. So berichtete der Kieler Arzt Johann Daniel Horst 1656 von einem Besuch in der Einhornhöhle und erkannte im Gegensatz zu Leibniz richtig, dass es sich bei den Knochen in der Höhle nicht um die eines Einhorns oder von Meerestieren handelte, sondern um die von Höhlenbären (Nielbock 2010). Die Rekonstruktion eines Wirbeltierskeletts bezieht sich auf die Zeichnung eines Einhorns in der Protogaea (von Engelhardt 1949, Tafel XII nach S. 205). Hierfür gab es aber schon vor der Protogaea ältere Vorlagen. Welche Vorlage von Leibniz benutzt wurde, wird kontrovers diskutiert. Nach Krafft (2013) könnte auf Leibniz (und seinen Kupferstecher Seeländer (1716)) allerhöchstens das Element der hypothetischen, in der Zeichnung gestrichelt dargestellten Wirbel zurückgehen, um ein ausgeglicheneres Skelett zu rekonstruieren. Im Gegensatz zu zeitlosen Entdeckungen oder Erfindungen wie die Methode der Infinitesimalrechnung sind technische Erfindungen oder geowissenschaftliche Erkenntnisse oft nur Bausteine, auf denen aufgebaut wird. Wenn auch die meisten von Leibniz’ technischen Verbesserungsvorschlägen im Bergbau heute Stand der Technik sind, ist nicht erkennbar, dass nicht auch ohne Leibniz die technische Entwicklung, wie wir sie heute kennen, so erfolgt wären. „Die Erfindungen lagen in der Luft“, nur war Leibniz seiner Zeit voraus. Aus der zeitgenössischen Sicht der Technikentwicklung sei hierzu zum Abschluss Oberbergrat Albert, der Erfinder des Drahtseils, zitiert, als er, wie oben dargelegt, gewahr wurde, dass 150 Jahre vor ihm Leibniz schon mit der Unterkette zum Gewichtsausgleich experimentiert hatte (Albert 1837):

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Ganz offen gestehe ich, dass ich diesen Gedanken damals für neu hielt, und auch von vielen Offizianten am Harze, welchen Calvörs2 Beschreibung des Maschinenwesens so wie mir hinlänglich bekannt ist, damals sich Niemand erinnerte, dass schon vor 100 Jahren ein wenigstens in der Hauptsache ähnlicher Gedanke, am Harze, namentlich durch Leibnitz, mit vieler Mühe versucht und gänzlich gescheitert war. Aehnliche Erfahrungen hat gewiss schon Mancher gemacht, denn nicht leicht wird etwas ganz durchaus Neues erdacht.

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Gemeint ist hier Calvör 1763.

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Friedrich-Wilhelm Wellmer und Jürgen Gottschalk

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Bergbau und Geologie

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Grundlage Leibnizscher Skizzen im Rahmen des DFG-Forschungsvorhaben „Leibniz’sche Erfindungen“ im 3m Windkanal der DFVLR (Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V.), DFVLR-Bericht IB157–80 C 02, Göttingen 6. 11. 1979; DFVLRBericht IB 157–80 C 12, Göttingen 10. 4. 1980. Strickland/Church 2015 – Lloyd Strickland/Michael Church: Leibniz’ Observation on Hydrology: An Unpublished Letter on the Great Lombardy Flood of 1705, in: Annals of Science 72,4 (2015), 517–532. von Trebra 1789/1790 – Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra: Des Hofraths von Leibniz mißlungene Versuche an Bergwerksmaschinen des Harzes, in: Ignaz Edler von Born/Ders. (Hg.): Bergbaukunde, Bd. 1, Leipzig 1789, Bd. 2, 1790. Villefosse 1810 – Antoine-Marie Héron de Villefosse: De la richesse minérale, Paris 1810. Dt. v. Carl Friedrich Alexander Hartmann, Sondershausen 1822. Walsdorf/Badur/Stein/Kopp 2014 – Ariane Walsdorf/Klaus Badur/Erwin Stein/Franz Otto Kopp: Das letzte Original. Die Leibniz-Rechenmaschine der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek (Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Schatzkammer 1), Hannover 2014. Waschkies 1999 – Hans-Joachim Waschkies: Leibniz’ geologische Forschungen im Harz, in: Herbert Breger/Friedrich Niewöhner (Hg.): Leibniz und Niedersachsen, Tagung anlässlich des 350. Geburtstages von G.W. Leibniz (= Stl-Sh. 28), Stuttgart 1999, 187–210. Waschkies 2001 – Hans-Jürgen Waschkies: Erdgeschichte, Geschichte und Paläontologie im Spiegel des Briefwechsels von G. W. Leibniz. Zur Entstehungsgeschichte der Protogaea, in: Hans Poser/Christoph Asmuth/Ursula Goldenbaum/Wenchao Li (Hg.): VII. Internationaler Leibniz-Kongreß. Nihil sine ratione, Vorträge 3. Teil, Berlin 2001, 1327–1333. Wellmer 2019 – Friedrich-Wilhelm Wellmer: Oberharzer Bergbauinnovationen: manche erfolgreich, manche vergessen – warum?, in: C. Juranek/F. Knolle (Hg.): Bilanz und Perspektiven der Harz-Forschung. 150 Jahre Harz-Verein für Geschichte und Altertumskunde e.V. (= Harz Forschungen. Forschungen und Quellen zur Geschichte des Harzgebietes 33), Berlin, Wernigerode 2019 (erscheint demnächst). Wellmer/Gottschalk 2010 – Friedrich-Wilhelm Wellmer/Jürgen Gottschalk: Leibniz’ Scheitern im Oberharzer Silberbergbau – neu betrachtet insbesondere unter klimatischen Gesichtspunkten, in: Stl. 42,2 (2010), 186–207. Wolff 1978 – Michael Wolff: Geschichte der Impetustheorie, Frankfurt a.M. 1978. Zittel 1899 – Karl Alfred Zittel: Geschichte der Geologie und Paläontologie bis Ende des 19. Jahrhunderts (= Geschichte der Wissenschaft in Deutschland, Neuere Zeit 23) Münche, Leipzig 1899.

DER WANDEL DES LEIBNIZ-BILDES

DER WANDEL DES LEIBNIZ-BILDES Wenchao Li Wie anderen historischen Geistesgrößen ist es auch Gottfried Wilhelm Leibniz nicht erspart geblieben, nach seinem Tod als zeitgemäße kulturelle und nationale Identitätsfigur vereinnahmt und dabei nicht selten manipuliert zu werden. Mit der Metapher ‚Leibniz-Bild‘ soll im vorliegenden Zusammenhang diese oft wechselvolle und nicht selten öffentliche Inszenierung Leibniz’ im deutschsprachigen Raum1 eingefangen werden; als ‚Bild‘ war es oft eine Abbildung gewisser zeitgemäßer Denkströmungen und prägte diese andererseits mit. Es kam exemplarisch zum Vorschein, wenn Jubiläen wie Geburts- und Todestag zu begehen anstanden und wenn die Zeitepoche, die es für sich in Anspruch nahm, durch epochale Veränderungen gekennzeichnet war. Es besagt wenig über Leibniz’ Person und Werk und lässt sich vielmehr als Indiz der jeweiligen Zeit beobachten. Das so verstandene Leibniz-Bild ist selten Gegenstand traditioneller LeibnizForschung; übersichtlich sind dementsprechend die Publikationen, die zu nennen wären: Detlef Döring nahm, anlässlich der von ihm maßgebend konzipierten Ausstellung zum 350. Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz in Leipzig, Leibnizens Beziehung zu seiner Heimatstadt im Spiegel der Nachwelt in den Blick (Döring 1996) und erweiterte dadurch seine verdienstvolle Forschung zu Leibnizfeiern, Leibnizdenkmälern und Leibnizeditionen bis in die vierziger Jahre des 18. Jahrhunderts (Döring 1999). Wohl ebenfalls anlässlich des 350. Geburtstages von Leibniz und auf Grundlage von rund 120 deutschsprachigen Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften, die aus Anlass der runden Wiederkehr von Leibniz’ Geburts- oder Todesjahr erschienen sind, geht Gerd van den Heuvel, kenntniswie materialreich, dem Leibniz-Bild des 19. und 20. Jahrhunderts im Spiegel von Gedenktagen von 1846 bis 1946 kritisch nach (van den Heuvel 1997, 2006). Eines der Hauptforschungsgebiete von Jens Thiel ist das Leibniz-Bild der auf Initiative Leibniz’ gegründeten Preußischen Akademie der Wissenschaften am Ende der Kaiserzeit und im „Dritten Reich“ (Thiel 2012; 2013; 2014; 2016a; 2016b; 2018). Eine von Nora Gädeke initiierte Tagung stellte schließlich die lebendige, volatile und noch in der öffentlichen Fama stehende Erinnerung von Leibniz’ Korrespondenten und Gesprächspartnern fruchtbar in den Fokus (Gädeke/Li 2017). In erster Linie auf die genannten Forschungen zurückgreifend und vielerorts verweisend, versucht der vorliegende Beitrag, eine Gesamtskizze des Leibniz  1

Zu den außerdeutschen Leibniz-Deutungen in der Zwischenkriegszeit in Frankreich, Italien, Spanien und Japan siehe diesbezügliche Beiträge in Li/Rudolph 2013.

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Bildes von der Zeit kurz nach dessen Tod bis zur Gegenwart zu entwerfen, indem er einige Schlaglichter in den Vordergrund rückt, die in ihrer chronologischen Reihung den Wandel, die Kontinuität wie Diskontinuität veranschaulichen mögen. Die Beziehung des ‚Bildes‘ zu den Personen, die das Bild entwerfen und von denen nicht wenige Leibniz-Forscher einschließlich Editoren waren, soll und kann hier nicht thematisiert werden (siehe etwa Heinekamp 1986; Lewendowsky 2004; Li/Rudolph 2013; Gädeke/Li 2017). Sie finden nur insofern Erwähnung, dass sie in ihren populären und an die breite Öffentlichkeit gerichteten Festreden, Vorträgen und kleineren Publikationen den jeweiligen Zeitgeist verkörpern bzw. diesem entgegenstehen (Arthur Schopenhauer, Louis Couturat). Auch die Institutionen, einschließlich der Leibniz-Ausgaben, sollen nur am Rande erwähnt werden, sofern sie auf der einen Seite Produkte des Zeitgeistes waren und auf der anderen Seite durch ihre Veranstaltungen und Projekte zu dessen Verbreitung exemplarisch beigetragt haben. Quellen sind vor allem Nachrufe, Jubiläumsschriften, öffentliche Reden und an die Öffentlichkeit gerichtete Publikationen, Berichte und Ausstellungen. 1. „ZUM HÖCHSTEN LEID-WESEN DER GELEHRTEN WELT“ Gottfried Wilhelm Leibniz starb am 14. November 1716. Am Morgen des 15. November kam der Leichenwagen, der den Verstorbenen in einem Tannensarg in die Neustädtische Hofkirche brachte. Einen Monat später, am 14. Dezember, fand das Begräbnis statt (Ritter 1916b). Die Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen würdigten den Verstorbenen in ihrer Ausgabe von 1717 mit 17 Druckseiten und beklagten dessen Ableben als Verlust „zum höchsten Leid-Wesen der gelehrten Welt“ (Krause 1717, 369; vgl. Éloge 1721, 1361). Nachrufe auf den „grand Homme“ und „l’illustre Mr. Leibnitz“ mit „l’image des grandes qualitez et des travaux immenses“ finden sich ferner in den Acta Eruditorum (Elogium 1717), in den Nouvelles litteraires (Éloge 1717), in dem ebenfalls in Den Haag erscheinenden L’Europe savante (Éloge 1718, 124-154) und im Journal de Trevoux (Éloge 1721). Mit seinem berühmten, ein Jahr nach Leibniz’ Tod verfassten und mehrmals nachgedruckten Éloge de Mr. de Leibnitz beeinflusst Bernard Le Bovier de Fontenelle (Fontenelle 1718), Generalsekretär der französischen Académie des sciences in Paris, bis heute das Bild von Leibniz als einem der größten und berühmtesten Polyhistoren europäischen Ranges. Dass die Royal Society in London dazu schwieg und die Berliner Akademie „stumm“ blieb, scheint in der Zeit kaum ins Gewicht gefallen zu sein und wurde ihnen erst mehr als 100 Jahre später zum Vorwurf gemacht (Guhrauer 1846, II, 333; Bodemann 1876, 17; Hofmann 2017, 199). Die Reaktion von Liselotte von der Pfalz, Nichte der Kurfürstin Sophie, Herzogin von Orléans und Leibniz-Korrespondentin, auf die Trauernachricht aus Hannover (durch den hannoverschen Oberstallmeister Christian Friedrich von Harling) mag die Stimmung unter den Leibniz-Bekannten und vielleicht gar in den höfischen Gesellschaften wiedergeben: In ihrem am 26. November 1716 aus

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St. Cloud geschickten Brief an von Harling gesteht die Herzogin, dass sie der „schleunige tod von dem armen herrn von Leibniz surpreniert [überrascht]“ habe, und bedauert, dass „ein solcher gelehrter mann es nicht hat weiter bringen [können]“ - wobei die Herzogin davon ausging, Leibniz sei im Alter von 80 Jahren verstorben. Aber einen sanften Tod müsse er gehabt haben, „weilen es so geschwind hergangen“. Dass Leibniz keinen „priester“ bei sich haben wollte, findet sie nur allzu verständlich: „Wenn die leute gelebt haben wie dieser mann, […] kann ich nicht glauben, dass er von nöten gehabt hat, priester bey sich zu haben, denn sie konnten ihm nichts lehren, er wußte mehr als sie alle“. Der wohl schnelle Tod wird eher als ein glückliches Ende empfunden: „Ich zweyfle gar nicht an des herrn Leibniz seligkeit und finde, daß er ein glück gehabt, nicht lang zu leyden. Gott verley uns allen ein seeliges end!“ (Liselotte von der Pfalz 1981, 206).2 Den Zeitraum, in dem Leibniz’ Bild noch von seinen Zeitgenossen mitbestimmt wurde, beschreibt Gädeke, zutreffend wie pointiert, als Leibniz in Latenz! Prosopographische und bibliotheksgeschichtliche Bemühungen um Sammeln und Publizieren der zerstreuten Leibnitiana, Briefe wie Schriften des Verstorbenen, kennzeichnen diese Zeit unmittelbar nach Leibniz’ Tod (Gädeke/Li, 10). Auch wenn nicht alle Projekte gelingen sollten, gelegt wurde ein erster Textkorpus, auf den die Forschung in der Frühphase zurückgreifen konnte; nicht wenige Texte sind nur durch diese ersten Sammel- und Editionstätigkeiten überliefert und der gelehrten Republik zugänglich gemacht worden. Noch Louis Dutens, der später, etwa von Guhrauer, zu den „Fremde[n]“ gezählt werden sollte (Guhrauer 1846, II, 132),3 wird Leibniz als Mann der „Literaria respublica“ (Leibniz 1768, Einleitung zu Band 1) würdigen; mit seiner sechsbändigen Ausgabe gedenkt Dutens ausdrücklich „der Republik der Wissenschaften einen wichtigen Diensten zu leisten“ (Dutens 1807, Bd. 1, Kap. 27, 235; Heinekamp 1986b).

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Verwiesen sei ferner auf Goldbachs In obitum G. G. Leibnitii und auf Eckharts deutsche Verse: „Der grosse Leibnitz stirbt, und läst die kluge Welt,/ Ruhm, Ehre, Freund und Feind, und ungenoßnes Geld;/ Doch nimmt er, o Verlust! viel löbliches Beginnen,/ Fleiß, Wissenschafft, Verstand und Kunst mit sich von hinnen.“ (Krause 1717, 69–70; Ludovici 1737, I. 251–253). Die weder von Krause noch von Ludovici publik gemachte „greuliche Satyre“ (Krause 1717, 69) und „Schmäh-Schrifft“ (Ludovici 1737, I. 253) des ʻSonderlingsʼ Bucquoy (Buquoit) auf den Tod von Leibniz wurde 1880 von Theodor Distel in den Korrespondenzen zwischen Jacob Heinrich von Flemming und Ernst Christoph von Manteufel entdeckt und veröffentlicht (Distel 1880, 343 f.). In einem Brief an Leibniz charachterisiert Kürfürstin Sophie Bucquoy als „sehr geistvoll und gelehrt und gutgesinnt und dazu ziemlich verrückt“ (Leibniz 2017, 700). Für Klopp war Dutensʼ Arbeit „nicht erhebend für das deutsche Nationalgefühl“ (Leibniz 1864 I, XVII).

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2. „EWIGE ZIERDE VON DEUTSCHLAND UND SACHSEN“ Mit der in den 1730er Jahren einsetzenden Rehabilitierung Wolffs, aber vor allem mit der Herausbildung eines nationalen Geistes in Europa scheinen sich jedoch die Bedingungen für Leibniz’ öffentliche Wahrnehmung und Akzeptanz geändert zu haben. Ein willkommener Anlass bietet die Wiederkehr seines Geburtstages zum 100. Mal im Jahre 1746. Und es waren zuerst die Leipziger, die den „jung verlorenen[en] Sohne“ (Gottsched 1968, 1, 195) für sich entdeckten und eine offizielle Feier veranstalteten (Döring 1999, 9). Dem wohl zuerst in England aufkommenden Trend der Schaffung bürgerlich-öffentlicher Denkmäler zur „Auszeichnung öffentlicher Tugend“ (Waldhoff 2000, 52; Weibezahn 1972) folgend, wurde bereits im Jahre 1743 nach einem „Denkmal“ 4 – wie in England für Newton, für Leibniz in seiner Geburtsstadt gerufen (Döring 1999, 16) 5 – denn Deutschland sei „mit der Hochachtung gegen seinen Leibniz weit von derjenigen entfernt […], welche England gegen seinen Newton bezeiget.“ Und „[w]o findet man ein so prächtiges Ehrenmal für unsern Leibniz aufgebaut, als uns England für seinen Newton sehen lässt“ (Breitkopf, in Döring 1999, 134 ff). Das den Besitz beanspruchende Possessivpronomen „unser“ wird seitdem öfter auftauchen. Neben den wissenschaftlichen Verdiensten wurde besonders die Vorbildfunktion hervorgehoben; Leibniz sei eine „hohe, verständige und tugendhafte Person“ (Breitkopf 139) gewesen. So wurde Leibniz zugleich zur „ewige[n] Zierde von   4

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Ein ständiger Topos ist die Herausgabe der Leibnitiana als „unzerstörbares Denkmal“. Breitkopf, wohl auch als Verleger, fordert zugleich „ein schriftliches Denkmaal, das dem gleich käme, welches wir von Newton lesen können?“ (Breitkopf 1743, 134). Guhrauer sieht in der Sammlung des „Auslandes“ „die Grundlage einer künftigen, wahren Gesamtausgabe“, „um Europa zu beweisen, daß auch unser Land auf seine Großen stolz und eifersüchtig“ sei (Leibniz 1838, I, IX-X), und wünscht, dass angesichts bevorstehender Säkularfeier „an ein des großen Mannes und der Nation würdiges Monument gedacht würde: jenes monumentum aere perennius aber, eine kritische Ausgabe seiner sämtlichen Werke“ (Leibniz 1838, II, VII). Von Rommel (1847, 1, 162) würdigt die im Königreich Hannover unternommenen und vorbereiteten Ausgaben, namentlich die Unternehmen Guhrauers als „großes unzerstörbares Monument“. Guerrier (1873, IV u. VI) versteht sein „nun vollendete[s] Werk“ als ein „Denkmal“ Leibnizʼ und wünscht eine „Gesammt-Ausgabe der Leibnizʼschen Werke“, ein „Nationalwerk“, „[j]etzt, wo das deutsche Volk […] politisch vereint dasteht“. Bodemann wie Ritter (1916a) appellierten, neben dem „Denkmal am Waterlooplatz“, die „Ehrenschuld“ durch Leibniz-Ausgaben abzutragen (Bodemann 1876, 17; Pfleiderer 1870, XII); „Hannover hat seinem Leibniz den Rundtempel am Waterlooplatz errichtet. Eine Statue hat ihm seine Vaterstadt Leipzig gesetzt. Seine Büsten und Bilder empfangen uns an den Stätten, die durch ihn geweiht sind, hier im Leibnizhause, Bibliothek draußen in Herrenhausen, in der Bibliothek von Wolfenbüttel, in der Akademie von Berlin. Ein Denkmal fehlt, das Denkmal: eine vollständige, wissenschaftliche Ausgabe seiner Schriften. Dieses Werk ist in den 200 Jahren, die heute vergangen sind, mehr denn einmal versucht, und immer wieder, nach einigen Bänden, aufgegeben worden: weil es Zeit und Kraft eines einzelnen Menschen schlechterdings übersteigt. […] Wir Deutsche setzen dann das Denkmal einem Deutschen, unserem Leibniz“ (Ritter 1916a, 200-201). Realisiert erst 1883.

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Deutschland und Sachsen“ erklärt (Gottsched 1968, 1, 188; Döring 1999, 11), gereiht in den patriotischen Zeitgeist und in die Entdeckung der Nation als eines zentralen Wertes für die Entwicklung eines jeden Individuums. Die Erklärung Leibnizens zum „Eigentum“ (Gottsched 1968, 1, 195) führt allerdings einen Schritt weiter zum nationalen Stolz mit gleichzeitiger Ab- und Ausgrenzung, bis gegen „Völker! Deren letzten Strand / Das Japonesermeer durch seine Fluth benetzet“ (Gottsched 1968, 1, 198). Angesichts der Versuche der Leipziger Gelehrten, einschließlich der Aktivitäten ihres Mannes, Leibniz zur „Zierde Deutschlands zum Neide der Ausländer“ (Gottsched, 1968, 188) zu erheben und Leipzig als „beglückt und selig“ hochzujubeln, merkt Luise Adelgunde Victorie Gottsched bereits 1742 an: „Zwar Leibniz war groß; doch nicht die Vaterstadt, Er selbst, er war es selbst, was ihn erhoben hat“ (nach Döring 1999, 8, Anm.). Nicht weniger geistreich war Leibniz’ „Landsmann“ (Herder 1795, 213), der nach Göttingen verschlagene Mathematiker und Leibniz-Editor Abraham Gotthelf Kästner. Über den Eifer in seiner und Leibniz’ Heimatstadt spöttelt Kästner in seinem Sinngedicht „Leibnitz“: Von mir ward Leibnitz dir gegeben! Warf Sachsen einst Hannover vor; Dir, sprach Cheruscien, hieß ihn der Zufall leben, Mir, sein erkannter Werth, nach dem ich ihn erkohr; Das Glück gab dir ihn erst, du ließest dir ihn nehmen. Ist das zum Prahlen Grund? Ist’s einer, sich zu schämen? (Kästner 1782, 68).

In Hannover wurde ein Vierteljahrhundert später der Ruf laut, Leibniz ein Denkmal zu setzen. Die Initiative ging auf „einige Freunde der Wissenschaften und Verehrer“ Leibnizens aus der höheren Beamtenschaft zurück (Rehberg 1787, 1477/1478). Lokalpatriotismus und die Förderung des Allgemeinwohls durch Wissenschaft, Kultur, Bildung und Aufklärung sind dabei wohl die Hauptmotive gewesen. „Große Talente“ hätten allezeit Bewunderung erweckt, allein nicht allezeit hätten sie ein Recht auf unsere Kenntlichkeit. Nur dann, wenn sie von der Liebe zur Wahrheit, von dem Eifer für das allgemeine Beste begleitet werden, wenn sie die Sache der Tugend und der Vernunft befördern, nur dann erfüllen sie uns mit den süßen Empfindungen, die ein Gemisch von Bewunderung, von Hochachtung und Liebe sind (Lobschrift 1768, 1521/1522).

Nun habe nie jemand die Aufnahme der Wissenschaften und die Ausbreitung einer vernünftigen „Denkungsart mit so vielem Eifer“ zu befördern gesucht wie Leibniz. Mit dem Ruf nach einem Leibniz-Denkmal scheint sich auch die Einstellung der hannoverschen Bürger zu dem „Genie“ (Lobschrift 1768, 1521/1522) aus ihrer Mitte und seinem Vermächtnis grundlegend geändert zu haben. Leibnizens Grab bekam (1790) die steinerne Namensplatte Ossa Leibnitii. Nach Aufruf und Eröffnung einer Subskription im Hannoverrschen Magazin (1787, 29. Aug.), der die Annalen der Brauschweig-Lüneburgischen Churlande sich anschlossen, (1788, 2. Jg., 1. St. 173–175) wurde 1790 ein von 10 Säulen getragener Rundtempel errichtet (Rehberg 1791; Meckseper 2018), der in seiner Mitte die von

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Chr. Hewetson angefertigte Marmorbüste birgt (Graeven 1916, S. 79, Nr. 61). Die Begeisterung der hannoverschen Bürger lässt sich ablesen an einem Brief von Charlotte Kestner vom 8. Dezember 1789 an ihren auf einer Dienstreise weilenden Ehemann Johann Christian Kestner über ihre Besichtigung des kurz zuvor aus Rom angekommenen Kunstwerkes im Hause des Geheimen Kanzleisekretärs August Wilhelm Rehberg: „Ach lieber Kestner(,) ich habe Leibnitz gesehen. Was ähnliches von Schönheit habe ich in meinem Leben nicht gesehn!“ (nach Scheel 1966, 88). 3. „VATERLÄNDISCHE GESINNUNG“ 1846 jährte sich Leibniz’ Geburtstag zum 200. Mal. Die Säkularfeiern in Hannover wie in Leipzig fanden weitgehend im Zeichen einer „Erhaltung, Befestigung und Erweiterung des gesamten deutschen Vaterlands“ und im Geist „einer gesamteuropäischen bürgerlichen Kulturtradition“ (van den Heuvel 2006, 24; siehe 22–25) statt. Nach von Rommel hätten die Säkularfeiern zu Leipzig, Hannover und Berlin „es deutlich der deutschen Nation verkündet, dass vor zweihundert Jahren ein Mann geboren ward, welcher seit Luther unter allen deutschen Denkern am frühesten und am weitesten den Ruhm deutscher Wissenschaft und Weisheit unter die ausländischen Nationen (bis nach Russland und China) brachte“ (von Rommel 1847, 1, 161). Die Einreihung Luther – Leibniz wird ein bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein immer wieder aufgegriffener Topos bleiben – auch wenn Leibniz selbst nicht „lutherisch“ genannt werden mochte.6 Dem Zeitgeist einer „vaterländische[n] Gesinnung“ (Haupt 1866) nach dem Auseinanderbrechen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dem wachsenden Patriotismus und Nationalismus entsprechend, wurden, wie exemplarisch im Fall von Onno Klopp (Leibniz 1864; Utermöhlen 1986; bereits Lévy-Bruhl 1890, 9), die historisch-politischen und staatswissenschaftlichen Schriften und Briefe Leibnizens bevorzugt aus dem Archiv gehoben und herausgegeben. An Dutens’ „mit Liebe, ja mit Begeisterung für Leibniz“ vorgelegter Ausgabe, setzt Klopp zweierlei aus. Erstens sei es „im deutschen Interesse“ zu beklagen, dass „ein französischer Schweizer diese Aufgabe durchführte“, und zweitens habe Dutens „uns nicht den Politiker, den deutschen Patrioten Leibniz“ gegeben (Leibniz 1864, I, XIII) – Guerrier hat 1873 darauf hinweisen, dass die seit Guhrauers LeibnizBiographie in Angriff genommenen neuen Ausgaben, „obgleich sie leider allzu bald ins Stocken geriehten“, dennoch „so viel neues, bedeutendes Material zu Tage gefördert“ hätten, „dass eine bisher weniger beachtete Seite der mannigfaltigen   6

„Gleichwie die Reformirten nicht gern Zwinglianer oder Calvinisten heißen wollen; so sind auch viele Evangelischen die nicht gern höhren daß man sie lutherisch von einem Menschen nenne von dem ihre lehre nicht hehr rühret, dem sie auch in verschiedenen stücken nicht anhengen“ (A IV,7 329).

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Thätigkeit Leibniz’s – seine politischen Bestrebungen – in hellem Lichte erschien“ (Guerrier 1873, III–IV). Erst vor dem Hintergrund zunehmender Vereinnahmung des Namens Leibniz für (lokalen) Patriotismus zum einen und des nationalen Anspruchs auf „unseren“ Leibniz im Zuge der deutschen Nationsbildung zum anderen wurden sein Leben als ungerecht und sein Begräbnis als unwürdig empfunden: Die Ablehnung seines jugendlichen Promotionsgesuches durch die Heimatuniversität wurde bereits von Breitkopf für „unbillig“ erklärt (Breitkopf 1743, 136); um 1781 musste der junge Johann Heinrich Voss feststellen, dass man in Hannover nicht wusste, wo Leibniz begraben lag (Voss 1785, 356; 1802, 6, 129–130; Li 2012, 9–10). Das Ende 1786 erschienene erste Heft des „Annalen der Brauchweig-Lüneburgischen Churlandes“ (Vorrede, VI–VII) merkt bissig an, dass man es bisher für richtiger gehalten habe, „Eulenspiegels Grabmal der Nachwelt kenntlich zu machen als den Stein zu bezeichnen, worunter Leibnizens Asche ruhet“. Guhrauer beklagte, dass die Leipziger nicht mehr wüssten, wo Leibniz’ Geburtshaus einmal stand: „Die Erinnerung an ihn ist in seiner Vaterstadt wie eine Mythe, wir haben vergebens das Haus, ja die Straße gesucht, wo der große Leibniz das Licht der Welt erblickt hat; niemand wisse es dort“ (Guhrauer 1846, I, 40). Guhrauer war wahrscheinlich auch der Erste, der sich über das einsame Begräbnis beklagte (Guhrauer 1846, II 333). Und das Klagelied sollte seitdem immer wieder und bis in die Gegenwart hinein kolportiert werden (von Rommel 1847, 1, 162; vgl. Andreä 1863, II, 270; Bodemann 1876; Lange 1947, 71; Colerus 1934, 627). Gleichwohl hat schon Rehberg Leibniz ein „schöne[s] Leben“ bescheinigt (Lobschrift 1768, 1521), spätestens 1916 hat Paul Ritter, der Leibniz, „eine[r] naive[n] Natur“ und „ein[em] gute[n] Deutsche[n]“, welcher keinen Menschen gehasst „wie er auch keinen ganz geliebt“ habe, ein „glücklich[es]“ Leben bescheinigte (Ritter 1916a, 187, 169, 191), durch Veröffentlichung der Briefe von Joh. Hermann Vogler „ein[en] gute[n] Teil der Legenden“ um Leibnizens Tod und Begräbnis „zerstört“ (Ritter 1916b, 247; 1914; Sonar 2007). Indessen: Guhrauer war frei von jeglichem „nationalistischen Unterton“ (van den Heuvel, 2006, 22). Leibniz soll, so hebt der konvertierte Jude hervor, nur dazu dienen, dass auch die Deutschen rechte und gute Gründe haben, stolz zu sein. Guhrauer spricht daher vom „Familienfeste der Menschheit“, vom „Geist der Humanität, Einheit und Verbrüderung“, von Leibniz als „Patriot und Weltbürger“ und von „Patriotismus und Kosmopolitismus“ (Guhrauer, 1846, 1, I und XII; van den Heuvel 2006, 22–23). Ausdrücklich appelliert er an seine „festlustige Generation“, die Jubiläen nicht in „Partei-Signale ausarten“ zu lassen, und warnt, im Interesse der Nation, vor dem kirchlichen „Zwiespalt“: Schließlich habe man schon angefangen, „die Dichter, Philosophie und Geschichtsschreiber nach ihrem Taufschein zu fragen, katholische und protestantische Philosophie, Geschichte u.s.w. werden Stichwörter“ (Guhrauer 1846, II, III).

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4. „EIN SCHMUTZIGER GESELLE“ Diese Welt sei „die schlechteste unter den möglichen, le pire des mondes possibles“; bei der Frage nach der Freiheit des Willens „laviere“ auch Leibniz hin und her; wenn ein Leibnitianer sich in den Klauen eines Tigers befände, würde er aufs deutlichste merken, welchen Unterschied der Tiger „zwischen seinem Ich und seinem Nicht-Ich“ mache (Schopenhauer 2015, 99; 2016, 407, 392). Ohne Zweifel, Arthur Schopenhauer zählt zu den vehementesten Gegnern der Leibniz’schen Philosophie. Gerade diesem war die zeitgenössische Hinwendung zu Leibniz aus patriotischen Motiven suspekt geworden: "Ich weiß nicht“, so Schopenhauer im Jahr 1848, warum mir eben einfällt daß der Patriotismus, wenn er im Reiche der Wissenschaft auftreten will, ein schmutziger Geselle ist, den man beim Kragen packen und hinauswerfen soll. Was kann impertinenter seyn, als da, wo das rein Menschliche, wo Wahrheit, Klarheit und Schönheit allein gelten sollen, seine Vorliebe für die Nation, der die eigene werthe Person angehört, gelten machen zu wollen.7

Wie er der Berliner Akademie, die (seit 1812) alljährlich den Geburtstag „des Erfinders der Monaden, der prästabilirten Harmonie und der identitas indiscernibilium“ „celebrirt“, rät, diese „Gegenstände“ durch einen geschickten Maler abbilden zu lassen und ihre Säle damit zu verzieren, „um die Verdienste ihres großen Stifters immer vor Augen zu haben“ (Schopenhauer 2015, 523), schlägt Schopenhauer, wohl in Anspielung auf Platons Höhlengleichnis, als Strafmaßnahmen vor: Also hinaus mit solchem Kerl! Er ist ein gemeiner Hund: am wenigsten aber soll man sich von ihm etwas aufbinden lassen. Es giebt inzwischen Leute, welche aus lauter Patriotismus sogar die Leibnitzsche Philosophie verehren: sie verdienen unter lauter Monaden eingesperrt zu werden, um dort die prästabilirte Harmonie anhören und dem Schauspiel der identitas indiscernibilium zusehn zu müssen (Schopenhauer 2015, 544–545). 8

Wen Schopenhauer hier mit den Leibniz verehrenden „Leute[n]“ konkret im Blick hatte, soll hier nicht weiter verfolgt werden; verwiesen sei aber auf seine erst in der dritten, verbesserten und beträchtlich vermehrten Auflage der Kritik der Kantischen Philosophie (1859) zu findende Lamentation: Die „Spaßphilosophie der Universitäten“ werde „Leutchen, wie ich bin, vierzig Jahre hindurch gar nicht gewahr“ und wäre den „alten Kant“ „auch herzlich gern los“, „um den Leibniz aus voller Brust hochleben zu lassen“ (Schopenhauer 1986, I, 684). Tatsache ist, dass etwa mit Ludwig Feuerbach (1837), J. E. Erdmann (1839/40), Adolf Trendelenburg (1855) und Kuno Fischer (1867) „eine neue Phase des Leibnizverständnisses“ eingeleitet worden war, die schließlich mit Couturat „ihren entscheidenden Durchbruch“ erreichen sollte (Müller 1966, 3). Bereits 1847 vermerkt Robert Zimmermann, dass man noch vor ganz kurzer Zeit beinahe ausschließlich   7 8

Diese Stelle findet später ihre Anwendung, leicht geändert, in Paralipomena (1851), Kap. 21, § 255 (Schopenhauer 1986, V, 574). Den Hinweis auf diese Stelle Schopenhauers verdanke ich Stefan Lorenz (Münster).

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an Kant und seine Nachfolger dachte, wenn von deutscher Philosophie die Rede war. „Dies hat sich im letzten Decennium mit Einemmale geändert“ (Leibniz 1847b, 1). Eine der wenigen Ausnahmen dürfte Eugen Dühring mit seiner Kritischen Geschichte der Philosophie gewesen sein (Dühring 1869, 327–357). 5. „VORKÄMPFER FÜR DAS DEUTSCHE REICHE“ Mit der Reichsgründung im Jahre 1871 musste Leibniz öffentlich wieder zur Verfügung stehen: als „Kronzeuge“ gegen den Katholizismus, „für die Bismarckische Position im Kulturkampf“ (Van den Heuvel 2006, 25), als „Vorkämpfer für das Deutsche Reiche“ (Diels 1918), „Ahnherr des deutschen Nationalismus“ (Van den Heuvel 2006, 26) und, in der „oberflächlichen Forschung“ (Behrend 1916, 52) von Pfleiderer, als „Vorkämpfer für seine deutsche Heimat“ (Pfleiderer9 1870, VI). Denn „[d]ies ist die Seele seines ganzen Lebens, […] und der offen daliegende Brennpunkt, in welchem sich mittelbar und unmittelbar Alles bei ihm vereinigt“ (Pfleiderer 1870, VI–VII). Die öffentliche Sitzung der Preußischen Akademie der Wissenschaften vom 6. Juli 1871 widmete sich Leibniz als „deutsche[m] Gelehrten und als deutsche[m] Mann“ und rückt Leibniz als Protestanten mit der „Innerlichkeit des deutschen Geistes“ und des „religiösen Bewusstseins“ im Gegensatz zum „äusseren Formalismus“ der „übrigen christlichen Welt“, der „romanischen oder slavischen Völker“ in den Fokus. So habe Leibniz in seinem ganzen Leben, im Denken und Handeln, „die vaterländische deutsche Artung und Gesinnung bewährt“, und das „patriotische Streben dem deutschen Vaterlande Einheit, Macht und Stärke wiederzugewinnen seine praktische und politische Thätigkeit geleitet“. Spätestens hier wird der „vaterländischen deutschen Wissenschaft“ einschließlich Leibniz’ „mathematischen Schöpfungen“ ein „eingenthümliche[r] Charakter“ zugesprochen (Kummer 1871, 352, 353). Exemplarisch für die gesteigerte Vereinnahmung Leibniz’ im sogenannten „Kulturkampf“ sei noch auf die Rede Bodemanns am 4. Dezember 1876 in Hannover auf einem etwas seltsamen Festakt zu Leibniz’ Ehren anlässlich dessen „Übersiedlung“ nach Hannover 200 Jahre zuvor im November 1676 hingewiesen, denn „das deutsche Volks“ habe „nie einen entschiedenen Feind des Ultramontanismus erzeugt […], als unsern Leibniz“, der als „Zierde des Vaterlandes“ „ein Patriot in der ganzen und vollen Wahrheit des Worts“ sei und für „deutsche Ehre, deutsche Sitte, deutsche Wissenschaft und deutsche Kirche“ stehe (Bodemann 1876, 23). „Durch und durch deutsch“ sei Leibniz auch nach Dafert in seinem Pfleiderer gewidmeten Aufsatz Leibniz als Deutscher. „Ein Kernnationaler, ein Patriot, dem es religiöse Pflicht ist, für die deutsche Größe und Wohlfahrt zu wirken“, ein „Heeresreformer“, „Vertreter des Bismarck’schen Ausspruchs Durch   9

„Von einer wissenschaftlichen Darstellung der staatstheoretischen Probleme ist hier nicht die Rede; das ist kein Vorwurf gegenüber einem für „das gebildete deutsche Volk“ geschriebenen Buche […]“ Ruck 1909, 2.

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Einheit zur Freiheit“, und der „Fichte seiner Zeit“; für die Jugend sei es „deutlich besser, wenn sie statt des Studiums obscurer fremdsprachiger Philosophen mehr ihre eigenen, geistesverwandten Denker, Leibniz voran, cultivieren“ (Dafert 1883, 13, 13, 26, 30). 6. „LEIBNIZ … GEGEN LEIBNIZ SELBST ALS ECHTEN DEUTSCHEN“ VERTEIDIGEN „Der Name Leibniz oder Lubeniecz ist slavisch, die Familie in Polen, Boh…“.10 Leibniz’ Notiz aus dem (titellosen) Fragment einer autobiographischen Aufzeichnung (Breger 2015) bringt Pertz, dank Hinweisen von Grotefend, erstmals und ohne Kommentar (Leibniz 1847a, VII, 165). Foucher de Careil, ohne Pertz zu erwähnen, sieht in der angeblichen slawischen Herkunft eines der drei Elemente, die Leibniz’ politisches Denken beeinflusst hätten (die anderen zwei sind „l’élément germanique et l’élément chrétien“, Leibniz 1862, LXVIII–LXX), und stößt bei Klopp auf heftigste Kritik, der „nach festen urkundlichen Zügen“ (Leibniz 1864, I, XXVI–XLVIII) nachgewiesen haben will, dass die Genealogie der Leibniz-Familie „vier Folgen hinaus rein deutsch“ sei (ebd., L). Pfleiderer poltert, dass „der Genfer Dutens […] (wie wohl Herr Careil)“ nicht „im Stande oder […] gar nicht Willens“ seien, „Leibniz als Deutschen zu erkennen und zu ehren“ (Pfleiderer 1870, 28). Schon vorher nennt Kuno Fischer Careils drei Elemente „ein seltsames Beispiel logischer Nebenordnung“ und kritisiert dessen Schluss, Leibniz’ Vater sei „aus Polen nach Sachsen eingewandert“ als „voreilig“. Fischer folgt wohl Klopp, wenn er schreibt, Careil wolle „den deutschen Philosophen entgermanisiren und zum Slaven machen, da er ihn zum Franzosen nicht machen kann“. „Unser Leibniz ist seiner Abstammung nach grunddeutsch; er war auch in seiner Gesinnung“ (Fischer 1867, 42, 43). Bezugnehmend auf die Stelle bei Pertz, geht Ernst Kroker, ein in Waldenburg geborener und 1927 in Leipzig verstorbener Historiker und Bibliothekar, der unsicheren Familiengeschichte Leibniz’ nach. Die Ergebnisse veröffentlichte er 1898 unter dem Titel Leibniz’ Vorfahren. Als Motiv seiner Untersuchung nennt der Autor, „Leibniz gewissermaßen gegen Leibniz selbst als echten Deutschen“ (Kroker 1898, 315) zu verteidigen. Nach seitenlangen Rekonstruktionen kommt Kroker zum Ergebnis: „Beides ist nachweislich falsch“. „Aus dem Bauernstande, diesem festen Grunde deutscher Kraft und Gesundheit, sind auch unsere Leibniz hervorgewachsen; ein sächsisches Dorf war ihre Heimat“ (ebenda 335). Bei der Suche nach einem Orte Leibniz oder „Leubnitz“ brauche man aber auch gar nicht bis nach Polen zu gehen, denn „in dem Gebiete zwischen Elbe und Saale giebt es mehrere Ortschaften des Namens“ (Kroker 1898, 320–321); Auffällig ist ferner wieder der Bezug zu Luther und zur Reformation. Kroker wollte   10 „Leibniziorum sive Lubeniecziorum nomen slavonicum; familia in Polonia, Boh…“.

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nachgewiesen haben, dass Christoph Leibniz, geboren um das Jahr 1510, ein Ratsherr und Geleitsmann zu Rochlitz, 1535 Veronika Jöppel geheiratet habe, deren Vater Balthasar Jöppel ein Anhänger Luthers war: „Noch ist uns ein Brief erhalten, den Luther selbst am 10. Mai 1534 an Balthasar Jöppel geschrieben hat.“ (WA Br. 7, Nr. 2112). Leibniz’ Familiengeschichte sei daher eine deutsche Biographie von Bauern zu Bürgern und schließlich zu Beamten: „Aus dem Bauernstande, diesem festen Grunde deutscher Kraft und Gesundheit, sind auch unsere Leibnize hervorgewachsen; ein sächsisches Dorf war ihre Heimat“ (Kroker 1898, 334–335). In Anschluss an Korker wird von Arnswaldt nochmals zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, „daß das Universalgenie des Philosophen Leibniz nicht aus einer germanisch-slawischen Blutmischung11 zu erklären ist, sondern das es offenbar einer besonders günstigen Blutzusammensetzung von Leuten aus den verschiedensten Gegenden und den verschiedensten Berufskreisen bedurft hat, dieses Universalgenie hervorzubringen“ (von Arnswaldt 1910, 66). Im Rahmen eines Umbaus der Neustädter Hof- und Stadtkirche wurde im Juli 1902 das die Platte mit der Aufschrift „Ossa Leibnitii“ tragende Grab aufgedeckt. Wohl im Auftrag von Wilhelm von Waldeyer unterzog Wilhelm Krause die im Grab liegenden Gebeine einer sogenannten anthropologischen Untersuchung. In seinem Bericht hält Krause fest, es gebe keinen Zweifel, dass es sich um Leibnizens Knochenrest handelte, und dass die Merkmale des Toten den gewöhnlichen oder doch häufigen Befunden bei Slawen, speziell Polen und Slowenen entsprächen. So „betrug das Gehirngewicht des Toten etwa 1257 Gramm, die Gehirnmasse eines erwachsenen Deutschen sei durchschnittlich 1696 Gramm, eines Polen 1591“ (Krause 1902a, 4–5, 10; Krause 1902b). Der Befund wird Hermann Peters genügen, um zu Beginn seiner Untersuchung über Leibniz in Naturwissenschaft und Heilkunde festzuhalten, dass „Geistesgröße und vielseitiges Denkvermögen nicht von dem Gewichte und dem Umfange des Gehirn abhängig ist.“ Indirekt widerspricht er Kroker und von Arnswaldt und lässt Leibniz zu Wort kommen, dass „seine Familie ursprünglich aus Polen nach Deutschland eingewandert“ sei (Peters 1916, 203). Krauses Befund folgten, „ohne ein Wort des Widerspruchs“ (Kroker 1925, 97) auch Hans Graeven und Carl Schuchhardt in ihren Leibnizens Bildnisse (Graeven 1916), was Jahre später Kroker zu einer Rekapitulation seiner „Namen- oder Wortforschung“ veranlasste (Kroker 1925, 98). 7. „SEINE LANDSLEUTE HABEN GUTES RECHT …“ Die politisch-ideologische Vereinnahmung, ja der blanke Missbrauch des Namens ist im europäischen Ausland nicht verborgen geblieben (Vgl. Lévy-Bruhl 1890). Dem nicht nur in Deutschland zu beobachtenden Nationalismus, welcher bald   11 Diese Meinung vertrat nämlich Reibmayr, 1908, 56.

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auch zum „Krieg der Geister“ (Thiel 2016a, 228) führen sollte, stehen um 1900 paradoxerweise Initiativen gegenüber, Leibniz’ Ideen einer Gelehrtenrepublik aufzugreifen und eine Association Internationale des Académies ins Leben zu rufen: Auf Anregung des Zaren Nikolaus II. fand von Mai bis Juli die erste Friedenskonferenz in Den Haag statt; im Oktober des Jahres traten auf Einladung der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zehn Akademien der Welt mit dem Ziel eines gemeinsamen Bundes in Wiesbaden zusammen. Auf der ersten Gesamtsitzung der Association Internationale des Académies im April 1901 in Paris wurde die Gründung der Leibniz-Akademie-Ausgabe unter Beteiligung der Académie des sciences, der Académie des sciences morales et politiques und der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin beschlossen. Victor Brochard sprach in seiner Rede die deutschen „Brüder“ direkt an und wies darauf hin, dass der große Denker – „nos confrères allemands nous permettront de le dire“ – nicht allen Deutschland gehöre, sondern der ganzen Menschheit (Association 1901, 32). In diesen Zusammenhang ist wohl Louis Couturats La logique de Leibniz (1901) angehängte Abhandlung Sur Leibniz fondateur d’académies einzuordnen, deren genaue Entstehungszeit und Anlass (noch) nicht ermittelt werden konnte. Couturat hebt die Akademien als eine Art internationale Vereinigung der Gelehrten mit dem Ziel eines universellen Friedens und Wohl der gesamten Menschheit hervor und weist ausdrücklich darauf hin, dass Leibniz „trotz des Unglücks seines Vaterlandes dem großzügigen und humanitären Ideal treu geblieben“ und schon immer weltoffener Bürger des Universums im wahrsten Sinne des Wortes gewesen sei: Seine Landsleute haben gutes Recht, seinen scharfblickenden Patriotismus zu zelebrieren und mit ihm die Größe und Einheit der deutschen Nation zu feiern; aber sie sollen nicht vergessen: sein Patriotismus war weder eifersüchtig noch leicht verletzbar noch ausschließend noch hasserfüllt. Philosophen und Wissenschaftler aller Länder müssen ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, und sehen, dass bei ihm humanistischer Kosmopolitismus auf eine vollkommene Weise kompatibel ist. (Couturat 1901, 527–528).

8. „FRIEDENSAPOSTEL“ UND „RECHT AUF EIGENE ENTWICKLUNG“ Dass Leibniz’ 200. Todestag mitten in den Krieg fiel, führte bei aller Vereinnahmung seines Namens zu einer gewissen Verlegenheit. Die Aufforderung des Kunstwartes, zu Leibnizens Todestag einiges zu schreiben, traf Friedrich Kuntze an der Stochodfront „unter äußeren Umständen, deren Schilderung nicht in einen Festaufsatz gehört“ (Kuntze 1916, 125).12 Seinen Beitrag für die von der hanno  12 Nachdem der Autor sich gegen den „schwarzen Vogel“ vor seiner Seele („Du musst ablehnen“) und für den „weißen Vogel“ („was hat ein großer Mann dir zu sagen, wenn du mit ihm allein gelassen wirst?“ entschieden hat, behandelt er zwei Punkte aus „dem geistigen Kosmos ,Leibnitzʼ“ – den „kosmische[n] Optimismus“ und die „Organisation der geistigen Arbeit“ (125) und folgert zum Schluss, eher plakativ als konsequent, dass „zu den großen Hannovera 

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verschen Bahlsen Keksfabrik für ihren Betrieb seit 1912 herausgegebenen Zeitschrift Leibniz-Post (nach 1939 Leibniz-Feldpost genannt) (Heise 2000), Leibniz als Deutscher, verfasste Paul Ritter in vollem Bewusstsein, dass die europäischen Völker „diesen Tag in gemeinsamer Erinnerung begehen“ würden, stünden sie nicht „in einem Kampf auf Leben und Tod miteinander“ (Ritter 1916c). Benno Erdmann stellte zu Beginn seiner Rede zur Begehung des Leibniztages der Preußischen Akademie der Wissenschaften am 29. Juni 1916 fest, dass die Akademie den 200. Todestag „ihres Urhebers“ „zu einer Feier im Sinne aller derer gestaltet“ hätte, „[w]äre Friede auf Erde“ (Erdmann 1916, 742; Thiel 2016a, 244; Thiel 2018, 37); Hermann Diels begann 1918 seine Ansprache zur Eröffnung der öffentlichen Sitzung zur Feier des Leibniz’schen Jahrestages mit einem Rückblick auf das Jahr 1899, in dem es „zeitgemäß“ erschien, Leibniz „als den großen Friedensfreund, als den Organisator der völkerverbindenden Wissenschaft, als den Vater des Gedankens einer Universalsprache und eines Bundes aller gelehrten Körperschaften Europas zu feiern! (Diels 1918, 68; vgl. Diels 1899; Thiel 2016b). Es war bekanntlich ganz anders gekommen, und „[h]at es in solchen Zeiten noch Sinn, den Friedensapostel Leibniz zu feiern“? (Diels 1918, 69; Hoffmann 2017, 201). Die rhetorische Frage Diels’ zielt auf den Ersten Weltkrieg – aus deutscher Sicht –, als Verteidigung des Deutschen Reiches für sein „Recht auf eigene Entwicklung“ (Ritter 1916b) in Analogie zum Dreißigjährigen Krieg. Durch Leibniz, „[m]it den Tiefen deutschen Gewissens, deutschen Gemühtes, deutscher Religiosität“, sei der „Zusammenhang unserer Kulturgeschichte“ gewahrt geblieben – „Luther und Melanchthon führen zu Leibniz, Leibniz führt zur deutschen Aufklärung und zu Kant“ (Ritter 1916a, 171). Als „ein guter Deutscher“ habe Leibniz „in der Idee der gemeinsamen christlichen Kultur des Abendlandes“ gelebt, als „Symbol“ und „Wahrzeichen deutscher Wissenschaft“ stehe Leibniz „für unseren Anteil an dem gemeinsamen Gedankengut des Abendlandes“ (Ritter 1916a, 171, 172, 189, 178) und mit Leibniz steige „der deutsche Geist wieder zu ebenbürtigen Mitkämpfer für den Fortschritt des menschlichen Denkens“. „[G]anz gewiß“ sei Leibniz „ein Mann des Friedens gewesen“, welcher aber nie daran gezweifelt habe, dass „ein Verteidigungskrieg gerecht“ sei; vielmehr habe er verlangt, dass man dem sicheren Angriff zuvorkommen solle, „ohne Zeremonien, so daß Knall und Fall eins sei“ (Ritter 1916c). Rar und ungehört dürfte Erdmanns Appell an Leibnizens „Vermächtnis“ gewesen sein, „daß nicht der Streit und Haß, sondern das wechselseitige Verständnis und die Versöhnung der unvermeidlichen Gegensätze der Einzelnen wie der Völker der Vater aller Dinge“ (Erdmann 1916; Thiel 2016a, 246; 2018, 41) sei. Ganz im Zeichen des „Zeitgeistes“ von Leibniz’ „Liebe und Hingebung an Deutschland und deutscher Art“ (Planck 1915; Thiel 2016a, 239; vgl. Hoffmann 2017, 207–210) steht das von Walther Schmied-Kowarzik 1916 in Leipzig beim Meiner Verlag avisierte Projekt der „Deutschen Schriften“ von Leibniz (Leibniz   nern, die unser Volk in diesem Krieg zu seinen Siegen geführt haben, […] auch Leibnitz“ gehöre (130).

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1916; van den Heuvel 1997, 327–328). Im Unterschied zu der von Ritter geforderten „vollständigen wissenschaftlichen Ausgabe“ (Ritter 1916a, 201) sollten hier von Leibniz’ umfangreichen, mehrheitlich auf Latein und Französisch verfassten Briefen und Schriften die Schriften zur deutschen Sprache, seine Pamphlete gegen Frankreich und seine Überlegungen zur Stärkung der Reichsverfassung und zum Aufbau eines schlagkräftigen Reichsheeres gesammelt und veröffentlicht werden. Die Deutschen Schriften, wohl zur Unterscheidung von Guhrauers gleichlautender Textsammlung in der Verlagsankündigung auch die „Neuausgabe von Leibniz’ deutschen Schriften genannt, sollten insgesamt acht Bände ergeben (nur die ersten zwei erschienen). Diese sind 1) Muttersprache und völkische Gesinnung, 2) Vaterland und Reichspolitik, 3) Fürsten und fürstliche Frauen, 4) Zur deutschen Geschichte, 5) Volkswirtschaft und Technik, 6) Gelehrte Einrichtungen und Gesellschaften, 7) Weltanschauung, 8) Religion und Duldsamkeit.13 In der Einleitung zum ersten Band betont Schmied-Kowarzik, dass Leibniz „durch und durch völkisch gesinnt“ sei, und spricht vom Kampf für „nationalkulturelle Arbeit.“ (Leibniz 1916, IX) „Deutsche Sprache und die in ihr umschlossene deutsche Bildung, deutsche Wissenschaft, Dichtung und Sitte – das waren die völkischen Werte, die Leibnizens nationale Gesinnung mit inniger Liebe umfasste.“ (Leibniz 1916, XXV; vgl. Schmied-Kowarzik 1916); Über Leibnizens Unvorgreiflichen Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache (A IV,6 Nr. 79) heißt es etwa: „Diesen wie indes auch den minder reinen Arbeiten ist eine gewisse sinnliche Wärme und Anschaulichkeit, eine Kraft und Lebendigkeit eigen, welche mit Recht an Luther erinnert“, „einen der größten Meister der deutschen Sprache“ (XXXV). Nun muss auch Schmied-Kowarzik zugeben, dass die in Deutsch geschrieben Schriften „nur einen winzig kleinen Raum […] im Ganzen“ einnehmen; in der von Onno Klopp zwischen 1864 und 1884 besorgten elfbändigen Ausgabe stehen 3880 Seiten Latein/Französisch gerademal 920 Seiten in deutscher Sprache gegenüber“. Nach Schmied-Kowarzik seien aber die Zeit und die Umstände schuld: Die „Ausländer“, mit denen Leibniz kommunizierte, hätten nur Latein und/oder Französisch gekonnt. Was wäre ihm übriggeblieben als auf Latein und Französisch zu schreiben? Hätte er deutsch geschrieben, hätten ihn die „Ausländer“ nicht verstanden; ferner hätten im Buchhandel und auf dem Buchmarkt auf Deutsch verfasste Schriften keinen Absatz finden können. Dass Leibniz oft fremdsprachige Wörter in deutschen Texten benutzte und daher im Widerspruch mit der von ihm verlangten Reinheit der (deutschen) Sprache stehe, erklärt der Herausgeber dadurch, dass Leibniz ja oftmals in solcher Eile schreibe, dass er keine Zeit hätte, die eingestreuten Fremdwörter auszumerzen. (Leibniz 1916, I, XXXI, XXXII). Das heutige Gedächtnisfest fällt in eine Zeit, die Geist ist von seinem Geist: sie wird des Philosophen Weck- und Mahnreden an die deutsche Nation, die wie jene Fichtes ein Hausbuch

  13 Hier nach der Verlagsankündigung in Bd. 2; mitangekündigt sind die vierbändigen Philosophischen Werke von Cassirer und Kirchmann (Bd. 4, Theodicee).

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des deutschen Volks zu werden verdienen, mit dankbaren Herzen aufnehmen als ein Denkmal aus deutscher Vergangenheit, als ein gläubiges Bekenntnis zu deutscher Art in einer Zeit schwerster Bedrängnis, und wird zweihundert Jahre nach des Denkers Tod erwerben, was sie ererbt hat von unserem Vater deutscher Weltanschauung und Bildung, von unserem Vater des Vaterlandes (XXXVII).

In der Einleitung zum zweiten Band „Vaterland und Reichspolitik“ mit Leibnizens Schrift „Geschwinde Kriegsverfassung“ geht Schmied-Kowarzik noch weiter: Leibniz habe schon früh an „militärische Jugenderziehung und körperliche Ertüchtigung durch Wandern und abhärtende Arbeiten“ gedacht, „der große deutsche Philosoph“ sei auch „Begründer des deutschen Militarismus“ und „der allgemeinen und gleichen Wehrverfassung des deutschen Volks“, „neben oder wie“ – nun der gewagte Vergleich – „[Gerhard Johann David von] Scharnhorst und [Ludwig Leopold Gottlieb Hermann von] Boyen.“ (Leibniz 1916, II, XXIII). Erwähnt sei noch der im Jahre 1920 erschienene fünfte Band von Moeller von den Brucks Die Deutschen, unsere Menschengeschichte. Der Band trägt den Titel Gestaltende Deutsche und war „der deutschen Jugend gewidmet“. 14 Hier wird Leibniz nochmals zum Nachfolger Luthers als Vertreter des „deutschen“ Protestantismus erklärt. Als typisch deutsches Denken nennt der Verfasser Zukunftsbejahung und Optimismus „, und sein erster Zusammenfasser im Sinne eines Systems war Leibniz“ (Moeller van den Bruck 1920, 173). Wie „die Germanen“ einst als Optimisten „in die Weltgeschichte eingestiegen“, sei Luther selbst „ein fester, freudiger Mann und Bekenner“ gewesen. Nun habe im Sinne Luthers Leibniz „den Protestantismus in die Metaphysik“ übergelenkt, „Humor und Heldentum sollten jetzt auch das Denken der Deutschen der Zukunft sein“ (Moeller van den Bruck 1920, 174), um „auf Erden mit unserem Willen Gottes Willen zu verwirklichen“: Mit Leibniz habe das Denken diese Wendung genommen, „die Luther vorbereitet hatte und die schließlich zu Kant führte“ (ebd.,, 177), so sei Leibniz „ein echter Deutscher“ gewesen. Und die Deutschen seien „das einzige Volk“, dessen Sprache „Gott“ und „gut“ gleichsetze (ebd., 186). Wenige Jahre später wird Leibniz in das Ehrenbuch des deutschen Volks“ eingereiht zwischen „Held namenlos“ und „Bismarck“ (Helmolt 1924, 135–141). 1938 erfolgt schließlich eine Aufnahme in Deutsche Männer mit einem Beitrag von Paul Ritter: „Zur Ehre und zum Schutze“ „seines deutschen Volks“ seien Leibniz „seine besten Schriften gelungen“ (Schüssler 1938, 88).15 9. „IRGENDWIE DENKT ER SCHON AN DEN …“ Die Instrumentalisierung und der Missbrauch des Namens Leibniz erreichte mit der deutschen Wiederaufrüstung, der Heim-ins-Reich-Politik und der Lebens  14 Bd. I: Verirrte Deutsche, II: Führende Deutsche, III: Verschwärmte Deutsche, IV: Entscheidende Deutsche, VI: Goethe. 15 Den Hinweis auf Ritters Beitrag verdanke ich Stefan Luckscheiter (Potsdam).

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raum-Ideologie (van den Heuvel 1997, 328–331) wohl ihren Höhepunkt. Öffentliche Vorträge, Zeitungsbeiträge und Ausstellungen rückten allerhand militärische Gedanken Leibnizens (Kempe 2016) in den Vordergrund und stellten diese in den Dienst des Krieges: Kriegsverfassung, Heeresreform (Ebel 1933), Jugendertüchtigung (Heymann 1936; Hoffmann 2017, 203), Soldatenerziehung (Eichstädt 1936), Arbeitsdienst, Wehrpflicht (von Olshausen 1936, 199), Kriegsindustrie, Volkswirtschaft, Mobilmachung, Fabriken für Heeresbedarf in Hinterland, Vorratswirtschaft, Nährmittel, Konserven, Extrakte aus Fleisch, Obstsäfte, Kriegsseelsorge, Lazarettbaracken, Mehrladevorrichtungen, Handgranaten, Flammen- und Minenwerfer, „irgendwie denkt er schon an den Gaskrieg, denn er rät zur Vergasung feindlicher Stellungen durch Stinkpott, dessen Rauch sich unglaublich ausbreitet und unerleidlich’“ sei (May 1940, 6; van den Heuvel 1997, 330; 2006, 33). Die bereits im Kaiserreich und besonders während des Ersten Weltkrieges gelegten „ideologischen Grundmuster“ (van den Heuvel 2014, 449) für das LeibnizBild setzten sich gesteigert fort. Leibniz wurde nun zum „Vorkämpfer gesamtdeutscher Gesinnung“ (von Ficker 1934, LXXXIX; Thiel 2013, 45), „Kämpfer für die Einheit des Deutschen Reiches“ (Stille 1938, LXXXIV), Vertreter typischen „deutschen Gemüts“ (Metzke 1943, 21), „Gestalter deutscher Geschichte und Former deutschen Wesens“, Leuchtturm der auf „Meister Eckart und Albertus de[n] Deutsche[n], Nicolaus von Cues, Paracelsus und Jakob Böhme“ zurückgehenden und gegen „des jüdischen Philosophen Spinoza Lehre“ gerichteten deutschen Philosophie (Metzke 1943, 3, 4), und nicht zuletzt Vertreter der antisemitischen „Deutschen Mathematik“ (van den Heuvel 2014, 448; Folkerts 2008; Thiel 2013, 60–63) und „vermeintlicher Vordenker des Nationalsozialismus“ (Thiel 2013, 44).Ein prominentes Forum war dabei die auf Leibniz zurückgehende Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften mit ihrem traditionellen jährlichen Leibniz-Tag (Hoffmann 2017). Eine Radikalisierung der Vereinnahmung und des Missbrauchs des eigenen Gründers zum „Gewährsmann konkreter nationalsozialistischer Politik“ (Thiel 2013, 49) erfuhr die Akademie nach der Einführung des sogenannten „Führerprinzips“ 1938/39, wie Thiel in seiner grundlegenden Untersuchung kenntnisreich wie differenziert und detailliert darstellt (Thiel 2013, 2012). Zurückgegriffen wurde am meisten auf Leibniz’ Schrift des „SecuritasBedencken“ (1670),16 die 1943 unter dem Titel „Denkschrift über die Festigung des Reichs“ in die von Erik Wolf herausgegebenen Lesestücke für „Rechtswahrer bei der Wehrmacht“ als Heft neun aufgenommen wurde (Leibniz 1943), sowie die „Allerhand Gedancken so zum Entwurf der Teutschen Kriegsverfassung gehören“ (1681, A IV,2 N. 24; Leibniz 1890, 1181–1184; Leibniz 1936, 97–99) – die Handschrift davon (LH 36, Bl. 1–10) zierte die im Jahre 1936 zur deutschen Wiederbewaffnung in der preußischen Staatsbibliothek gezeigte Ausstellung (von   16 „Bedenken welchergestalt Securitas publica interna et externa und Status praesens im Reich auf festen Fuß zu stellen“. Leibniz 1838, 1, 26–255; 1864, 1, 262–327; 1865, 6, 145–252; 1916, 2, 63–105; A IV,1 N. 5.

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Olshausen 1936, 199). Bereits 1916 übersetzte Paul Ritter den Mars Christianissimus in die deutsche Sprache (Leibniz 1916b). In diesen Zusammenhang passt wohl auch der in der Mitte der 30er Jahre vom Preußischen Kultusministerium angeregte und von der Akademie der Wissenschaften durchgeführte Plan einer „wohlfeile[n] populäre[n]“ 17 „Volkstümliche[n] Ausgabe“, die anfangs die wissenschaftliche Edition ersetzen sollte und später doch eher als Ergänzung behandelt wurde.18 Um 1936 herum (Müller 1997, 8)19 und bis zu Beginn der 40er Jahre müsste es in Hannover eine Initiative zur Gründung einer Leibniz-Gesellschaft20 gegeben haben. Es sollte, mit einem Parteigenossen der NSDAP an der Spitze, eine Arbeitsgemeinschaft mit Sitz im Leibnizhaus in Hannover zur Bearbeitung nationalsozialistischer Themen geschaffen werden, (Müller 1997, 14). Ausdrücklich wurde gewünscht, dass in die Leitung der Leibniz-Gesellschaft nur Personen aufgenommen werden, die „keine persönliche Beziehung zu Technik haben“, denn es sei „das zu fördern, was nach unserer aller Empfinden in der Vergangenheit allzu sehr vernachlässigt wurde: Die Beseelung der Technik“. Auf einer Arbeitstagung am 10. Juli 1941 in Göttingen wurde verlangt, dass in einer solchen Gesellschaft (bzw. Akademie) „ganz andere Arbeitskreise geschaffen werden [müssten], z. B. Blut und Boden, Kultur und Technik und dgl.“ Der Anspruch nach „Freiheit der wissenschaftlichen Forschung“ könne und müsse unbedenklich erhoben werden, „weil alle Mitglieder durch die Prüfung der Partei vor ihrer Berufung als parteimäßig zuverlässig erklärt worden“ (Müller 1997, 9) seien. Die Initiative führte letzten Endes, auch wegen der Animosität zwischen Hannover und Braunschweig, zur Gründung der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft am 9. Dezember 1943.

  17 Berlin Archiv der BBAW Bestand PAW II–VIII–176 Nr. 137: Entwurf der Zusatzvereinbarung zur Auswahlausgabe, 22./24. Oktober 1935 Vertrag mit Koehler. 18 Nach Stefan Luckscheiter, dem die Informationen zu Ritter weitgehend zu verdanken sind, hat Ritter im November 1936 eine Inhaltübersicht über das erste Heft einer solchen „Deutschen Leibniz-Ausgabe in Auswahl“ erstellt. Die Manuskripte dazu befinden sich, mit von Sigrid von der Schulenburg erstellten Übersetzungen der fremdsprachigen Texte, mit Erläuterungen und einer Einleitung, im Archiv der BBAW. Das erste Heft trägt den Titel: „Erste deutsche Pläne. 1668–1671“ und sollte Texte aus den Bänden I,1 und IV,1 über die „Reform der Reichsverfassung“, die „Organisation der deutschen Wissenschaft und Kultur“ mit „Eingaben an den Kaiser und Kurmainz“ sowie „Entwürfe zu Societäten und Academien“ enthalten. Das zweite Heft sollte Leibnizʼ Ägyptischem Plan gewidmet sein. 19 Den Hinweis auf die Forschung und Publikation von Georg Müller verdanke ich Herbert Breger (Hannover). 20 En passant sei hier die auf eine Initiative von Otto Reichel zurückgehende, am 1. Juli 1926 gegründete Leibniz-Gesellschaft mit Heinrich Maier als Vorsitz und Paul Ritter als Schriftführer und Herausgeber der Schriftenreihen „Leibniz-Archiv“ und „Leibniz-Bibliothek“ an der Preußischen Akademie der Wissenschaften erwähnt. Siehe Seng 1994, 290–293.

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10. „LEHRER UND ERZIEHER“ 1946: Leibniz wäre 300 Jahre alt geworden; „ringsum liegt eine Welt in Trümmern; und allzu viel davon ist Schutt, aus dem sich nichts Ganzes mehr aufbauen lässt“ (Behn 1946, 132). Es war eine Zeit, in der man „nach einem neuen Weg“ suchen musste und es galt, „den festgefahrenen deutschen Karren wieder flott zu machen“; und es war eine Zeit, in der nicht wenige Menschen in Deutschland sich darüber klar wurden, „dass man nicht da wieder anknüpfen kann, wo die Fäden im Jahres des Unheils 1933 abgerissen wurden“ (Heitmüller 1947, 10). Im Fokus landesweiter Gedenkveranstaltungen und Gedenkpublikationen – die von Kurt Müller zusammengestellte Leibniz-Bibliographie verzeichnet für das Jahr allein in Deutschland knapp 20 Gedenkreden (Heinekamp 1984, 600–601 und passim) – standen der „Schmerz über das Darniederliegen des Vaterlandes“ und der Wunsch, „aus dem Labyrinth einer kaum zu bemeisternden Bedrängnis“ (Litt 1946, 8) herauszufinden. Man hat allerdings mehr Fragen als beantwortet werden könnten. Wie konnte es dazu kommen, eine auf Verfolgung und Vernichtung bedachte Macht „von vorne herein bei dem Erwerb des Wissens mitreden zu lassen und ihr die Gestaltung der Wissensergebnisse anheimzugeben?“ (Litt 1946, 13) Und wie konnte es dazu kommen, dass Wissenschaftler, die nach der Wahrheit suchen, „der Wahrheit in der Realität eines beschränkten Menschenkreises, etwa eines Volks oder einer Rasse, ihre Rechtsgrundlage […] geben?“ Als für die Arbeit der Forschung die Parole „Wahr ist, was meinem Volk nützt“ ausgegeben wurde – hätten nicht gerade die Wahrheit suchenden Wissenschaftler, statt Willfährigkeit und zuvorkommenden Gehorsam zu demonstrieren, entgegenhalten müssen, dass „unserem Volk nützt, was wahr ist“? Hat nicht Leibniz, im Gegensatz zu fast allen seinen Zeitgenossen, geradezu hellseherisch darauf bestanden, „dass als Wahrheit nur das gelten“ dürfe, (Litt 1946, 14) was einzig und allein in sich selbst gegründet, aus sich selbst begründet sei, was aus keinem anderen, nicht einmal dem göttlichen Willen hergeleitet werden könne und auf nichts anderes hinziele als auf sich selbst? Wie konnte es dazu kommen, dass eine despotische Macht alles „Sonderleben, das sich das Recht zu seiner besonderen Weltsicht nicht nehmen lassen wollte, als freventlichen Abfall vom Rechten und Guten verdammte“ und es „mit fanatischem Verfolgungseifer auszutilgen bedacht war“ (Litt 1946, 42). Hat nicht Leibniz gerade die Vielfalt der Welt, der Menschen, der Sprachen, Kulturen und Zivilisationen als „eine mit Dankbarkeit zu begrüßende Gnade“ (Litt 1946, 33) und Bereicherung betont und uns aufgefordert, stets nach dem Prinzip eines Maximums an Ordnung bei einem gleichzeitigen Maximum an Mannigfaltigkeit zu handeln? Und „[w]arum fällt es dem Menschen so schwer, in der Gestaltung seiner Angelegenheiten diesem Prinzip zur Durchführung zu verhelfen?“ (Litt 1946, 41). Wie konnte es dazu kommen, dass ein Land mitten in Europa seine Zukunft und seinen Ausweg in den Vernichtungskriegen gegen andere Nationen und Menschen suchte und seine Intelligenz ihm dabei blindlings folgte? Hat sich nicht

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Leibniz, ein „deutscher Europäer“, ständig bemüht, „die Grenzen der Nationen nicht zu trennenden Wänden werden zu lassen“, und seine Landsleute immer wieder daran erinnert, dass „die deutsche Stimme nur dann gültig zu Wort kommen k[önne], wenn sie sich in das Gespräch einl[asse]; der Raum dieses Gesprächs aber […] Europa“ heiße? (Weischedel 1946). So ist es kein Zufall gewesen, dass gerade Leibniz „nach der Vollendung des deutschen Absturzes“, (Litt 1946, 5) „in der Wende der Zeiten“, (Litt 1946, 8) dem Nachkriegsdeutschland „ein gewaltiger Ankläger sinnlosen Kriegswütens“ (Böhm 1946, 29) wurde, und dass das Nachkriegsdeutschland gerade in ihm „einen Lichtstrahl“ „in d[er] dunkle[n] Nacht“ sah (Litt 1946, 6) und dass Leibniz, der große Wissenschaftler, gerade für das Gebiet der Wissenschaft und des wissenschaftlichen Lebens, nicht als Universalgelehrter, sondern als ein außerordentlicher „Lehrer und Erzieher“ (Schlechta 1946) berufen wurde, der den Deutschen und vor allem ihren Intellektuellen die Augen öffnen sollte, um den Katastrophen ins Gesicht zu sehen und zu sehen „was für eine Art von Wissenschaft herauskommt“, (Litt 1946, 13) was für ein menschlicher Abgrund sich auftut, wenn die Wissenschaft ihren Wahrheitsmaßstab preisgibt und der politischen Macht blindlings folgt und wenn, statt Frieden, Krieg als Mittel der Konfliktlösung eingesetzt wird! „[B]ei keinem Geiste ist der Genuss schöpferischer Fähigkeit so stark mit dem Gefühl der Verantwortung für die Menschheit verbunden gewesen, wie bei ihm [Leibniz]“ (Böhm 1946, 24). In der Entwicklung des Leibniz-Bildes stellt das Jahr 1946 ohne Zweifel eine einschneidende „Zäsur“ (van den Heuvel 1997, 332) dar. Was aus diesem über die Fachwelt weit hinausgehenden, landesweiten Rekurs auf Leibniz’ Gedankengut in den Nachkriegsjahren geworden war, ob er überhaupt etwas bewirkt hatte, inwieweit sich Kontinuität und Diskontinuität mit der Zeit des Nationalsozialismus dabei vermischten, und was für eine Rolle die Besatzungsmächte und ihre Zensurbehörden dabei spielten, Untersuchungen dazu sind bis dato ausgeblieben. Van den Heuvel attestiert zutreffend, dass „diese Zäsur nicht in jedem Fall mit einer kritischen Aufarbeitung der geistigen Traditionen verbunden“ sei, „in deren Kontext auch ein Universalgelehrter des 17. Jahrhunderts schrittweise vom Kosmopoliten zum Ahnherrn des Nationalismus und schließlich zum LebensraumIdeologen gemacht worden war“ (van den Heuvel 1997, 332). Und der Kalte Krieg wirft seinen Schatten voraus: Während auf einer Seite „[a]ngesichts der Situation, dass die deutschen Menschen in einem gespaltenen Vaterlande leben“, unter dem Motto „Dem Heimatland sind wir alles schuldig“21 Leibniz als „eines großen Patrioten“ gedacht wird (Dunken 1955), verweist man auf der anderen Seite auf „Leibniz als politischer Denker“, der bereits die „aus dem Osten“ drohende „Gefahr“ für „ganz Europa“ erkannt habe (May 1956; van den Heuvel 1997, 333).   21 „Patriae omnia fateor debemus“ (Leibniz an Martin Geier, 1678?; A I,2 N. 385, 399; bereits Leibniz 1864, IV, XXV; Pfleiderer 1870, 9).

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Wenchao Li

Metzke 1943 – Erwin Metzke: Leibniz, von Prof. Dr. Erwin Metzke (z. Zt. Bei der Wehrmacht) (= Kölner Universitätsreden, Gestalter deutscher Geschichte und Former deutschen Wesens 48), Köln 1943. Müller 1966 – Kurt Müller: Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Wilhelm Totok/Carl Haase (Hg.): Leibniz. Sein Leben – sein Wirken – seine Welt, Hannover 1966, 1–64. Müller 1997 – Georg Müller: Zur Gründung der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft, in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 1997, 7– 34. von Olshausen 1936 – Waldemar von Olshausen: Leibniz und Niedersachsen. Nach einer doch relativ sachlichen Darstellung von Leben und Werk, in: Niedersachsen 41 (1936), 194–199, 292–298. Peters 1916 – Hermann Peters: Leibniz in Naturwissenschaft und Heilkunde, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen, 81,3 (1916), 203–246. Pfleiderer 1870 – Edmund Pfleiderer: Gottfried Wilhelm Leibniz als Patriot, Staatsmann und Bildungsträger. Ein Lichtpunkt aus Deutschlands trübster Zeit, Leipzig 1870. Planck 1915 – Max Planck: Ansprache, in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1915, XXXIV, 1. Juli 1915, 481–484; Max Planck in seinen AkademieAnsprachen. Erinnerungsschrift der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1948, 27–28; Thiel 2018, 29–31. Rehberg 1787 – August Wilhelm Rehberg: Leben des Herrn von Leibnitz, in: Hannoverisches Magazin, 94. Stück, 23. Nov. 1787, Sp. 1477–1492; Fortsetzung 95. Stück, 26. Nov. 1787, Sp. 1493–1498. Rehberg 1791 – R[ehberg?]: Der Werth des Andenkens großer Männer (Rede zur Einweihung des Leibniz-Tempels), in: Hannoverisches Magazin, 1. Stück, 1. Jan. 1790, 28. Jg. (1791), Sp. 1– 10. Reibmayr 1908 – Albert Reibmayr: Die Entwicklungsgeschichte des Talents und Genies, Bd. II, München 1908. Ritter 1914 – Paul Ritter: Wie Leibniz gestorben und begraben ist, in: Preußische Jahrbücher 157 (1914), 437–449. Ritter 1916a – Paul Ritter: Leibniz und die deutsche Kultur, Rede auf der Feier des Historischen Vereins für Niedersachsen am 15. Nov. 1916, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen, 81,3 (1916), 165–201. Ritter 1916b – Paul Ritter: Bericht eines Augenzeugen über Leibnizens Tod und Begräbnis, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen, 81,3 (1916), 247–252. Ritter 1916c – Paul Ritter: Leibniz als Deutscher, in: Leibniz-Post, Nr. 47, 14. Nov. 1916. von Rommel 1846 – Christoph von Rommel (Hg.): Leibniz und Landgraf Ernst von HessenRheinfels. Ein ungedruckter Briefwechsel über religiöse und politische Gegenstände. Mit einer ausführlichen Einleitung mit Anmerkungen, 2 Bde., Frankfurt/M. 1847. Ruck 1909 – Erwin Ruck: Die Leibniz’sche Staatsidee, aus den Quellen dargestellt, Tübingen 1909. Scheel 1966 – Günter Scheel: Hannovers politisches, gesellschaftliches und geistiges Leben zur Leibnizzeit, in: Wilhelm Totok/Carl Haase (Hg.): Leibniz. Sein Leben – sein Wirken – seine Welt, Hannover 1966, 83–116. Schlechta 1946 – Paul Schlechta: Leibniz als Lehrer und Erzieher. Ansprache, gehalten am 4. Juli 1946 in der Aula der Universität [Mainz] zum Gedächtnis von Leibniz’ dreihundertstem Geburtstag (= Mainzer Universitäts-Reden 2), Mainz 1946. Schmied-Kowarzik 1916 – Leibniz und der völkische Gedanke, in: Bühne und Welt 18 (1916), 481–490. Schopenhauer 1986 – Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke, textkritisch bearbeitet und herausgegeben von Wolfgang Frhr. Von Löhneysen, 5 Bde., Frankfurt 1986. Schopenhauer 2015 – Arthur Schopenhauer: Spicilegia. Philosophische Notizen aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler, München 2015.

Der Wandel des Leibniz-Bildes

815

Schopenhauer 2016 – Arthur Schopenhauer: Pandectae. Philosophische Notizen aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler, München 2016. Schüssler 1938 – Wilhelm Schüssler: Deutsche Männer. 200 Bildnisse und Lebensbeschreibungen. Mit einer Einführung von Wilhelm Schüssler, Berlin 1938. Seng 1994 – Thomas Seng: Weltanschauung als verlegerische Aufgabe. Der Otto Reichl Verlag 1909–1945, St. Goar 1994. Sonar 2007 – Thomas Sonar: Der Tod des Gottfried Wilhelm Leibniz. Wahrheit und Legende im Lichte der Quellen, in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 59 (2007), 161–201. Stille 1938 – Hans Stille: Ansprache, Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1938, LXXXIV–CXVIII. Thiel 2012 – Jens Thiel: In der Grauzone des Kulturgutraubs – Die Leibniz-Edition und die Akquise von Leibnitiana im Zweiten Weltkrieg, in: Wenchao Li (Hg.): Komma und Kathedrale. Tradition, Bedeutung und Herausforderung der Leibniz-Edition, Berlin 2012, 37–57. Thiel 2013 – Jens Thiel: Leibniz-Tag, Leibniz-Medaille, Leibniz-Kommission, Leibniz-Ausgabe – Die Preußische Akademie der Wissenschaften und ihr Ahnherr im „Dritten Reich“, in: Li/Rudolph 2013, 41–73. Thiel 2014 – Jens Thiel: Vom Sekretarsprinzip zur Präsidialstruktur des „Führerprinzips“ an der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in: Rüdiger von Bruch/Sybille Gerstengarbe/Jens Thiel/Simon Renkert (Hg.): Wissenschaftsakademien im Zeitalter der Ideologien. Politische Umbrüche – wissenschaftliche Herausforderungen – institutionelle Anpassungen (= Acta Historica Leopoldina 64), Halle 2014, 291–311. Thiel 2016a – Jens Thiel: Versöhnung als „Vater aller Dinge“: Benno Erdmann und das LeibnizJubiläum 1916 an der Preußischen Akademie der Wissenschaften, in: Wenchao Li [et. al.] (Hg.): „– Für unser Glück oder das Glück anderer“. Vorträge des X. Internationalen LeibnizKongresses, Bd. 2, Hildesheim 2016, 237–249. Thiel 2016b – Jens Thiel: Leibniz, Friedrich und die Akademietraditionen im „Krieg der Geister“. Positionierungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften im Ersten Weltkrieg, in: Wolfgang U. Eckart/Rainer Godel (Hg.): „Krieg der Gelehrten“ und die Welt der Akademien 1914–1924 (= Acta Historica Leopoldina 68), Halle 2016, 97–117. Thiel 2018 – Jens Thiel: Preußische Akademie der Wissenschaften, in: Matthias Berg/Jens Thiel (Hg.): Europäische Wissenschaftsakademien im „Krieg der Geister“. Reden und Dokumente 1914 bis 1920 (= Acta Historica Leopoldina 72), Halle 2018, 21–50. Utermöhlen 1986 – Gerda Utermöhlen: Leibniz’ Schriften im politischen Spannungsfeld von Reichsgründung und Kulturkampf: die Edition von Onno Klopp, in: Heinekamp 1986, 65–78. Moeller van den Bruck 1920 – Arthur Moeller von den Bruck: Die Deutschen. Unsere Menschengeschichte, Bd. 5, Minden i. W. um 1920. Voss 1785 – Johann Heinrich Voss: Leibnizens Grab, in: Ders.: Gedichte, Bd. 1, Hamburg 1785. Voss 1802 – Johann Heinrich Voss: Sämtliche Werke, Bd. 6, Königsberg 1802. WA Br. – Dr. Martin Luthers Werke, Weimarer Ausgabe, Abt. Briefwechsel, Bd. 7 (1534–1536). Waldhoff 2000 – Stephan Waldhoff: „… wodurch diese Bauwerke den Character der öffentlichen Denkmähler erhalten“. Die ästhetische Aufwertung des Ökonomiebaues in Schinkels Projekt einer Ausschmückung des Friedrich-Wilhelm-Kanals, in: Mathematisches Calcul und Sinn für Ästhetik. Die preußische Bauverwaltung 1770–1848, Berlin 2000, 49–67. Weibezahn 1972 – Ingrid Weibezahn: Das Leibnizedenkmal in Hannover. Geschichte, Herkunft und Wirkung, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 11 (1972), 191–248. Weischedel 1946 – Wilhelm Weischedel: Versöhnung im Streit. Zum 300. Geburtstag des Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Die Wochenpost, Stuttgart, 1,6.1 (1946). Wolff 1717 – Christian Wolff: Elogium Godofredi Guilielmi Leibnitii, in: Acta eruditorum (Juli 1717), 322–336.

ABBILDUNGSVERZEICHNIS S. 71 S. 668 S. 701 S. 716 S. 718 S. 720 S. 723 S. 725 S. 730 S. 740 S. 741 S. 749 S. 750 S. 751 S. 756 S. 757

NLA Hannover Cal. Br. 24 Nr. 6440 GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXV 10, 12 Bl. 31r Zeichnung des Autors GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXV 9, 11 Bl. 2r (Ausschnitt) Zeichnung von Vladimir Kirsanov Acta Eruditorum 1684 GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXVII 1 Bl. 8r (Ausschnitt) Acta Eruditorum 1689 GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXV 7, 5 Bl. 4r Zeichnung des Autors Zeichnung des Autors GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXVII 3 Bl. 109v GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXVII 3 Bl. 97v GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXVII 3 Bl. 102r und Zeichnung Autor Zeichnung des Autors und GWLB Leibniz-Nachlass, LH XXXV 14, 2 Bl. 115r (Ausschnitt) Zeichnung des Autors

PERSONENREGISTER Aarsleff, Hans 373 Abel, Caspar 48 Abel, Othenio 784 Adam (bibl.) 383 Adams, Robert 525 Adelung, Johann Christoph 409 Adler, Hans 470, 471, 472, 473 Adunka, Evelyn 618 Agricola 784 Aiton, Eric J. 200, 372, 715, 716, 725, 726 Albert, Julius 784 Albert, Wilhelm August Julius 780, 781 Albertus Magnus 806 Albrecht, Michael 95 Albus, Vanesa 422 Alewyn, Richard 418 Alvarez Muñoz, Evaristo 783 Amalie, römisch-deutsche Kaiserin 121 Amort, Eusebius 600 Andersen, Kirsti 656 Andrault, Raphaële 766 Andre, Wilhelm 797 Aner, Karl 559, 560, 561, 563 Anna, Königin von England 324 Antognazza, Maria Rosa 200, 372, 560, 596, 598 Antoine, Annette 39, 290, 367 Anton Ulrich, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 78, 123, 180, 256, 258, 259, 266, 267, 404, 420 Arana, Juan 519 Aristoteles 300, 326, 543, 580, 581, 592, 600, 616, 621, 649, 677, 731 Armgardt, Matthias 274, 275, 279 Arndt, Hans Werner 372, 466 Arnold, Antoine 503 Arnold, Günter 290, 309, 565 Arnswald, Werner Constantin von 801 Arthur, Richard 649, 650, 655, 656, 773 Arthur, Robert 513, 526, 527, 528

Artosi, Alberto 275 Asbach, Olaf 291 Assel, Heinrich 581 Aubert, François 475 Aubin, Hermann 296, 303, 329 Aucante, Vincent 764 Aufgebauer, Peter 234 August II., König vomn Polen (Friedrich August I. von Sachsen) 213 August II., König von Polen 70, 74, 289, 321 August, Karl 93 Augustinus von Hippo, 561, 574 Babin, Malte-Ludolf 40, 41, 87, 96, 97, 110, 111, 114, 318, 343, 346, 347, 357, 358, 369, 370, 382, 383, 384, 385 Bach, Joseph 613 Backus, Irena 597 Bacon, Francis 229, 541, 748, 770 Bader, Karl 260 Bähr, Andreas 311 Bär, Benjamin Ursinus von 80 Bar, Georg Ludwig von 408 Bär, Max 58, 74 Barber, William H. 95, 290, 372 Barclay, John 416 Bardehle, Peter 74, 75 Baring, Daniel Eberhard 116, 257 Barone, Francesco 374 Barrande, Jean-Marie 783 Barrow, Isaac 643, 647 Barth, Christian 433, 444, 480, 481 Barth, Karl 556, 564, 568, 572, 573, 579, 584, 586, 587, 588, 589, 622 Bartholmèss, Christian 217, 219, 220 Baruzi, Jean 304, 311, 618 Bashmakova, Izabella 646 Bassler, O. Bradley 649 Basso, Luca 278, 279, 300, 301, 387 Bauer, Emmanuel J. 568, 600 Bauer, Volker 234 Baumeister, Friedrich Christian 450, 553

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Personenregister Baumgarten, Alexander Gottlieb 451, 466, 467, 470, 471, 472, 473 Baumgarten, Siegmund Jakob 455, 550, 553, 554 Baumgarten, Siegmung Jakob 554, 561 Baur, Ferdinand Christian 566, 567, 568 Bayer, Gottlieb Siegfried 368, 372 Bayle, Pierre 105, 503, 574 Baynes, Thomas Spencer 445, 457 Bayuk, Dimitri A. 33 Becco, Anne 506 Becher, Johann Joachim 325 Beck, Lewis White 372 Becker, Ulrich 117, 570, 597 Becker, Winfried 37 Beeley, Philip 37, 135, 526, 649, 655, 656 Behn, Siegfried 808 Behrend, Fritz 416, 417, 418, 799 Behrens, Conrad Barthold 82, 122 Behrens, Rudolf 420 Beiderbeck, Friedrich 171, 178, 202, 295, 297, 303, 306, 310, 313, 314, 320, 328, 332, 469 Belaval, Yvon 367, 377, 419, 430, 441, 473, 478, 480 Bellucci, Francesco 448, 455, 463, 464 Belyi, Andrej 422 Benoit, Georg von 431 Benz, Ernst 226, 228, 317, 596 Berchielli, Laura 480 Berg, Richard 228 Bergmann, Joseph 225, 227, 778 Bergson, Henri 618 Berlioz, Dominique 373, 376 Bernardi, Walter 770 Bernoulli, Daniel 667, 707 Bernoulli, Jakob 642, 647, 648, 650 Bernoulli, Johann I. 103, 104, 111, 642, 648, 666, 680, 727 Bernoulli, Johann II. 103 Bernoulli, Johann III. 64, 111, 114 Bernsau, Heinrich Wilhelm 554 Bernstorff, Andreas Gottlieb von 188, 191, 192, 344, 350 Bertoloni Meli, Domenico 726, 727, 733, 734, 770 Besold, Christoph 305 Besser, Johann von 413 Bessy, Frénicle de 652

Betulius, Ianus Gregorius siehe Burckhard Beugnot, Bernard 101 Bianco, Bruno 599, 600 Biermann, Kurt-Reinhard 644, 653 Bignon, Jean-Pauö 753 Bilfinger, Georg Bernhard 450, 552, 553, 614 Binder, Paul 109 Birkner, Hans-Joachim 555 Bischof, Franz Xaver 608 Bismarck, Otto von 799, 805 Blank, Andreas 481 Blanke, Horst Walter 352, 353 Blondel, Maurice 614, 619 Blum, Heinrich Julius von 97 Bobro, Marc Elliott 444, 481 Bocheński, Joseph Maria 543 Böckler, Johann Heinrich 285 Böckmann, Paul 418, 419 Bodemann, Eduard 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 85, 86, 96, 111, 112, 123, 129, 134, 146, 149, 192, 225, 226, 230, 259, 293, 343, 365, 391, 414, 418, 764, 765, 792, 794, 797, 799 Bodin, Jean 132, 301, 305 Bodmer, Martin 58 Boehm, Andreas 450 Böger, Ines 198, 221, 226, 227, 229, 233, 241 Böhm, Wilhelm 809 Böhme, Jakob 383, 806 Böhmer, Georg Ludwig 96, 112 Böhmer, Georg Wilhelm 114 Boineburg, Johann Christian von 60, 96, 259, 260, 285, 286, 307 Bois-Reymond, Emil du 242, 574 Bök, August Friedrich 539 Bolton, Martha Brandt 431, 443, 444, 480 Bolzano, Bernard 460, 461 Bolzano, Bernhard 601, 602 Bombelli, Rafael 648 Bonaparte, Jerôme 116, 605 Bonaparte, Joseph 116 Bongie, Laurence L. 519 Bonk, Sigmund 507 Bonnet, Charles 771 Boole, George 540, 541, 542 Boole, Mary Everst 541 Borst, Arno 373

Personenregister Bortkiewicz, Ladilaus de 655 Bos, Henk 648, 649, 650, 656 Bose, Johann Andreas 92, 347 Bossuet, Jacques-Bénigne 92, 551, 596, 600, 602, 603, 606, 608, 609, 610, 612, 614, 615, 616, 621, 623 Bots, Hans 170, 171, 204 Böttger, Johann Friedrich 74 Boucher, Pol 274, 275 Boullier, David Renaud 474 Bourguet, Louis 103, 105, 109, 111, 771 Bousquet, Marc-Michel 103 Boutroux, Émile 131, 133 Bouveresse, Jacques 543 Bouvet, Joachim 383, 385, 652 Bovet, Pierre 105, 109 Boyen, Ludwig Leopold Gottlieb von 805 Boyle, Robert 748, 749 Braig, Carl 614 Brambach, Wilhelm 598 Brand, Henning 405 Brandom, Robert B. 377, 433, 434, 480 Brather, Hans-Stephan 47, 63, 65, 124, 215, 221, 224, 225, 234, 237, 241, 263, 292, 710, 754 Braun, Guido 313 Brechenmacher, Thomas 349 Bredekamp, Horst 30, 227, 239 Breger, Herbert 58, 138, 647, 648, 649, 655, 657, 665, 721, 722, 723, 724, 731, 753, 754, 800, 807 Breidert, Wolfang 656 Breithaupt, Joachim Justus 557 Breitkopf, Bernhard Christoph 106 Breitkopf, Johann Gottlob Immanuel 794, 797 Brentano, Franz 461 Bresslau, Harry 296 Brochard, Victor 802 Broman, Thomas 519, 521 Bronisch, Johannes 178, 180, 183, 519 Brown, Richard C. 647 Brown, Stuart 229, 538 Brucker, Johann Jakob 185, 366, 367, 371, 445, 516 Brunner, Emil 586 Bruno, Giordano 580 Buchhaim, Franz Anton Graf von 596

819 Bucquoy (Buquoit), Jean Albert dʼArchambaud Comte de, Abbé 793 Budde, Johann Franz 555, 556 Budil, Ivo 331 Buffon, Georges Louis Leclerc 782 Bugossi, Tommaso 613 Bultmann, Rudolf 586 Bunau, Heinrich von 346 Burckhard, Jakob 78, 79, 258 Burckhard, Johann Georg (Ianus Gregorius Betulius) 255, 262 Burckhardt, Hans 431, 437 Burckhardt, Jakob 352 Burgdorf, Wolfgang 38, 307 Buridanus, Johannes 698 Burke, Peter 382 Burkhardt, Hans 376, 377, 542 Burnet of Kemney, Thomas 474 Burnet, Gilbert 324 Busch, Heinrich Julius Friedrich 44, 94, 98, 99 Busche, Hubertus 276, 277, 372, 477, 501 Buzon, Frédéric de 480 Byrne, Peter 746 Bythemeister, Heinrich Johann 257 Calvin, Johannes 550, 551, 554, 586, 596, 597 Calvör, Caspar 777 Calvör, Henning 778, 780, 781 Campanella, Tommaso 229 Candor, Gui Leremite dit 92 Canguilhem, Georges 771, 772 Canone, Eugenio 387, 390 Canz, Israel Gottlieb 552, 553 Capesius, Joseph 479 Cardano, Gerolamo 654 Cardoso, Adelino 368 Carlin, Laurence 481, 482 Caroline von Brandenburg-Ansbach 103, 107, 121, 170, 176, 179, 181, 193 Carpov, Jakob 552, 553 Carruccio, Ettore 643 Carvallo, Sarah 770 Cassirer, Ernst 374, 430, 431, 437, 443, 448, 465, 477, 479, 526, 538, 541, 804 Catelan, François 666, 670, 671, 674, 678, 694, 706 Centrone, Stefania 601

820

Personenregister Cetelan, Abbé 671 Chamberlayne, John 369 Charlotte Felicitas von BraunschweigLüneburg 319 Châtelet, Emilie du 674, 676, 677, 678, 679, 682, 683, 735, 736, 737, 738 Cheung, Tobias 763, 771 Child, James Marc 643, 647 Chin-Drian, Yannick 538 Chladenius, Johann Martin 467, 468, 469, 471 Chomsky, Noam 542 Christiani, David 98 Chuno, Johann J. J. 242, 244 Church, Michael 784 Clark, William 520 Clarke, Archibald L. 260 Clarke, Samuel 102, 103, 104, 106, 117, 121, 510, 549, 667, 734, 738, 743 Cohen, Claudine 782 Cohen, Hermann 477 Colbert, Jean-Baptiste 311 Colerus, Egmont 797 Collani, Claudia von 595 Colmar, Joseph Ludwig 604, 606 Comenius, Johann Amos 422 Condillac, Étienne Bonnot de 477 Conrad, Ruth 594 Conring, Hermann 96 Considine, John 373, 390 Conze, Werner 356 Cook, Allan 229 Cook, Daniel 383, 385, 598 Corti, Settimo 431 Coseriu, Eugenio 376 Costa, Andrea 389 Costabel, Pierre 648, 655 Coste, Pierre 443 Coudert, Allison P. 385 Cournot, Antoine-Augustin 449 Courtine, Jean-François 383 Cousin, Victor 479 Coutard, Jean-Pierre 766 Couturat, Louis 121, 134, 135, 136, 140, 141, 144, 156, 226, 230, 374, 430, 446, 479, 501, 537, 538, 542, 792, 798, 802 Crafft, Johann Daniel 325 Cramer, Gabriel 103, 644, 652, 654 Cramer, Johann Friedrich 217 Crépon, Marc 294, 369

Crippa, Davide 656 Crusius, Christian August 453, 454, 469, 571 Cuper, Gisbert 92, 109, 114 Cyprian, Ernst Salomon 91, 92, 114 Czyński, Jan 285 D’Alembert, Jean Le Ronde 475, 683, 706 d’Argens, Jean-Baptiste de Boyer, Marquis 408 Dafert, Franz Wilhelm 799, 800 Dalgarno, George 379, 446 Dante 417 Darjes, Joachim Georg 450 Dascal, Marcelo 364, 367, 379, 381, 382, 388, 390, 430, 436, 439, 542 Dattler, Karl 479 Davillé, Louis 344, 353, 356, 384 De Iuliis, Carmelo Massimo 279 De Mauro, Tullio 372 Debuiche, Valérie 437 Deleuze, Gilles 377, 381, 420, 497, 531 Delius, Walter 596 Dellsperger, Rudolf 552 Dennert, Herbert 780 Des Bosses, Bartholomäus 433, 435, 510, 530, 598 Des Maizeaux, Pierre 103, 104, 290, 291, 468, 510 Desaguliers, Jean Théophile 666 Descartes, René 186, 409, 436, 437, 438, 440, 441, 444, 446, 449, 452, 463, 474, 502, 504, 505, 506, 513, 570, 576, 580, 588, 589, 606, 613, 648, 656, 666, 667, 668, 669, 670, 671, 674, 675, 676, 678, 680, 682, 686, 687, 692, 694, 696, 706, 710, 711, 712, 724, 728, 730,731, 742, 743, 757, 763, 764, 765, 770, 782 Desing, Anselm 600 Dettmer, Hans-Georg 781 Dewey, John 443 Dewey, Melvil 261 Di Pietro, Pericle 767 Dibon, Paul 170 Diderot, Denis 181, 288, 290, 309, 331, 445, 473, 475 Diels, Hermann 799, 803 Dillmann, Eduard 526 Dilthey, Wilhelm 43, 83, 223, 224, 232, 240, 354, 355, 415, 564

Personenregister Dippel, Johann Konrad 558 Distel, Theodor 225, 793 Doebner, Richard 83, 123, 190, 191, 192, 259, 344 Doering, Heinrich 606 Dohna, Graf von 519 Doller, Johann Lorenz 605, 606, 607 Döllinger, Ignaz von 607, 608, 609, 610, 612, 613, 614, 622 Domandl, Sepp 506 Donat, Joseph 612 Döring, Detlef 36, 39, 90, 105, 106, 198, 228, 233, 242, 553, 555, 791, 794, 795 Downs, Robert Bingham 264 Dransfeld, Justus von 67, 114 Dreitzel, Horst 305, 326 Driesch, Gerhard Cornelis van den 104 Driesch, Gerhard Cornelius van den 104, 404 Droixhe, Daniel 373, 384 Droysen, Johann Gustav 351, 352 Duarte, Shane 480 Duchesneau, François 443, 649, 665, 712, 766, 770, 771, 772, 773 Duchhardt, Heinz 597 Dühring, Eugen 799 Dülmen, Richard van 202 Dumas, Marie-Noëlle 766, 772 Dumouchel, Daniel 445, 473 Duncan, Stewart 481 Dunken, Gerhard 809 Dupont, Pascal 643 Dutens, Louis 32, 106, 112, 113, 116, 118, 124, 126, 155, 175, 185, 189, 279, 285, 291, 309, 478, 516, 537, 551, 641, 793, 796, 800 Dutz, Klaus 364, 368, 372, 373, 384, 437 Duve, Friedrich Wilhelm 114 Ebel, Wilhelm 349 Eberhard, Johann August 185, 409, 449, 451, 461, 551, 562, 563 Eberstein, Wilhelm Ludwig Gottlob von 538 Echeverría, Javier 644, 648, 651, 654 Eckart, Meister 806 Eckert, Horst 356 Eckhart, Johann Georg 38, 41, 42, 45, 53, 54, 56, 61, 77, 78, 85, 86, 87, 94, 95, 96, 99, 100, 108, 119, 174, 175, 176, 177, 180, 182, 183, 191,

821 192, 213, 214, 217, 227, 228, 264, 285, 290, 344, 351, 368, 404, 405, 406, 416, 793 Edel, Susanne 585 Ehrenpreis, Stefan 328 Eichstädt, Volkmar 806 Eisenkopf, Paul 620, 622 Eleonore von Braunschweig-Lüneburg 323, 324 Elers, Martin 325 Elert, Werner 582 Elisabeth Charlotte von Orléans 174, 181, 183, 190, 193, 403, 405, 506, 792 Ellis, Robert Leslie 541 Eltz, Philipp Adam von 41 Émery, Jacques André 116, 117, 605 Engelhardt, Wolf von 97, 783 Ennenbach, Wilhelm 230, 239 Epikur 409 Erdmann, Benno 48, 49, 133, 803 Erdmann, Johann Eduard 115, 126, 127, 133, 134, 457, 479, 508, 511, 538, 539, 541, 593, 798 Erdner, Sven 344 Erhard, Heinrich August 350 Erman, Jean Pierre 186 Ernst August I., König von Hannover 291, 411 Ernst August, Kurfürst 187 Ernst August, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg 196, 198, 289, 320, 321, 322, 404, 782 Ernst August, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg von Braunschweig-Lüneburg 177, 180, 183, 188, 191, 195 Ernst von Hessen-Rheinfels 180, 308 Esch, Arnold 43, 83 Esch, Daniel 614 Esebeck, Frieda Freiin von 320 Esquisabel, Oscar M. 437, 448, 469 Esser, Andrea Marlen 31 Euathalos 275 Eucken, Rudolf 593, 594 Eugen von Savoyen 40, 105, 106, 213, 500, 508, 509 Eulenspiegel (literarische Figur) 797 Euler, Leonhard 58, 110, 519, 520, 521, 522, 651, 652, 653, 667, 679, 681, 682, 683, 684, 686, 687, 690,

822

Personenregister 692, 708, 710, 727, 728, 731, 735, 736, 737, 738 Everett, Hugh 745, 746, 747 Exner, Franz 539 Faak, Margot 138, 293, 305, 316, 644, 653 Fabri, Honoré 647 Fabricius, Johann 107, 108, 256 Fabricius, Rudolf Anton 258 Faraday, Michael 748 Fardella, Michelangelo 504 Fauvergue, Claire 445 Favaretti Camposampiero, Matteo 448 Favaretti, Camposampiero 378 Feder, Johann Georg Heinrich 117, 118, 122, 187 Fedorova, Olga B. 33 Feingold, Morchedai 647 Felden, Johannes, Quintín 300 Feller, Joachim Friedrich 86, 87, 94, 100, 101, 156, 256, 257, 261, 265, 345, 368, 370, 372, 550 Fellmann, Emil 58 Fermat, Pierre de 652, 654, 728, 731 Fernández, Francisco 382 Fesch, Joseph 116, 606 Fettweis, Günter B. L. 777, 780 Feuerbach, Ludwig 291, 479, 573, 595, 596, 798 Fichant, Michel 33, 116, 130, 131, 134, 135, 292, 477, 499, 501, 504, 511, 648, 665, 694, 714, 773 Fichte, Johann Gottlieb 800 Ficker, Heinrich von 806 Ficker, Julius 349 Finster, Reinhard 129, 201, 503 Finsterhötzl, Johann 608 Fisch, Max H. 463 Fischer, Kuno 193, 196, 371, 417, 798, 800 Fischl, Johann 617 Fleck, Anja 29, 41, 59, 96, 97 Fleckenstein, Joachim Otto 226, 231, 232, 647 Fleischer, Manfred P. 596 Fleischer, Tobias 257 Fleming, Paul 411, 416 Flemming, Jacob Heinrich von 793 Fogel, Martin 55, 56, 58, 257, 258, 259 Folkerts, Menso 137, 138, 145, 147, 148, 806

Fontenelle, Bernard Le Bovier de 172, 174, 175, 176, 179, 188, 214, 256, 290, 295, 405, 406, 407, 408, 409, 410, 411, 414, 416, 418, 420, 422, 792 Formey, Jean Henri Samuel 181, 182, 183, 217, 218, 219, 226 Forster, Frobenius 509 Foucher de Careil, Louis Alexandre 32, 88, 120, 125, 129, 130, 131, 155, 215, 225, 226, 227, 259, 285, 287, 290, 291, 292, 371, 386, 800 Foucher, Simon 666 Francke, August Hermann 570 Franke, Ursula 470, 472 Fransen, Petronella 196, 289, 296, 315, 316 Frege, Gottlob 540, 541, 542, 543 Frerichs, J. B. 770 Freudenthal, Gideon 674, 703, 704, 705, 708, 709 Freudenthal, Hans 651 Freytag, Willy 431 Fricke, Waltraut 197, 322 Friederike Charlotte von BrandenburgSchwedt 519 Friedrich Heinrich Ludwig von Preußen 63 Friedrich I. Barbarossa, r.-dt. Kaiser 322 Friedrich I., König von Preussen 549 Friedrich II., König von Preussen 181, 182, 183, 184, 185, 187, 220, 237, 409 Friedrich II., König von Preussen, König von Preussen 557 Friedrich III. (I.), Kurfürst und König in Preussen 80, 184, 213, 217, 232, 233, 237 Friedrich Wilhelm I., König in Preussen 80, 132, 182, 184, 213 Friedrich Wilhelm II., König von Preussen 186 Friedrich Wilhelm III., König von Preussen 554 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 219 Friedrich, Markus 318, 595 Fries, Heinrich 619 Friese, Detlev Markus 86 Frisch, Johann Leonhard 220, 222, 237, 239

Personenregister Fritsch, Mattias J. 601 Frobes (Frobese, Frobesius), Johann Nicolaus 86, 89 Fuchs, Thomas 59 Fueter, Eduard 355 Fuhrmann, Horst 351, 352 Fumaroli, Marc 380 Fürstenberg, Ferdinand von 419 Furth, Montgemory 526, 528 Füssel, Marian 170 Gabbay, Dov M. 544 Gabriel, Gottfried 419, 473 Gädeke, Nora 29, 30, 40, 62, 82, 83, 85, 86, 87, 88, 89, 95, 102, 103, 108, 118, 123, 142, 170, 171, 173, 178, 184, 198, 199, 202, 203, 204, 291, 297, 314, 316, 323, 324, 343, 369, 791, 792, 793 Galilei, Galileo 648, 669, 675, 676, 697, 698, 699, 704, 706, 715, 719, 720, 721 Galland-Szymkowiak, Mildred 448, 455 Galli, Antonio Andrea 600 Gallois, Jean 442, 446, 642, 782 Gambetti, Fabio 613 Gantet, Claire 233, 312 Garber, Daniel 33, 117, 498, 500, 501, 502, 504, 506, 513, 525, 526, 527, 529, 649, 763, 772, 782 Garnier, Antoine 606 Gassendi, Pierre 186 Gatterer, Johann Christoph 347 Gaudemar, Martine de 388, 444, 469 Gebhardi, Ludwig Albrecht 117, 350 Gehler, Alexander 783 Geldsetzer, Lutz 30 Genett, Gérard 420 Gennaro, Rocco J. 481, 482 Gensini, Stefano 364, 368, 369, 373, 376, 380, 382, 383, 387, 479 Georg I., König von Großbritanien 42, 43, 45, 58, 70, 82, 171, 174, 176, 177, 179, 183, 184, 185, 188, 190, 191, 192, 193, 194, 196, 198, 200, 201, 203, 257, 266, 295, 319, 323, 345 Georg II., König von Gorßbritanien 345 Georg V. 292, 350 Georg V. König von Großbritanien 120

823 Georg Wilhelm, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 266, 322 Gerber, Georg 198, 199 Geretto, Matteo 598 Gerhardt, Carl Immanuel 32, 51, 103, 120, 125, 127, 128, 129, 130, 134, 141, 155, 225, 226, 259, 509, 511, 641, 642, 643, 644, 646, 648, 651, 691, 728 Gerlach, Ludwig von 568 Gerland, Ernst 131, 133, 225, 712, 722, 724, 753, 778, 781 Gessinger, Joachim 373 Gestrich, Andreas 169 Ghio, Michelangelo 377 Giampietri, Francesco 767 Gierke, Otto 305 Gierl, Martin 202 Giesebrecht, Wilhelm von 351 Gil, Fernando 388 Gilman, Benjamin Ives 464 Giordano, Vitale 642 Giusti, Enrico 648, 655 Glauser, Richard 480 Glockner, Hermann 479 Göbel, Christian 601 Gobineau, Arthur 772 Godart, Guillaume-Lambert 475 Goedeke, Karl 414 Goethe, Johann Wolfgang von 355, 748, 783, 805 Goethe, Norma 656 Goeze, Michael 554 Gogarten, Friedrich 586 Goldbach, Chrisitan 793 Goldenbaum, Ursula 60, 105, 471, 520, 521, 553, 560, 563, 649 Golling, Johann Wilhelm 450, 451 Gollwitzer, Heinz 310, 319 Görlich, Ekkehard 766 Gottschalk, Jürgen 699, 777, 779, 780 Gottsched, Johann Christoph 106, 178, 180, 183, 185, 290, 368, 407, 408, 410, 414, 422, 451, 794, 795 Gottsched, Luise Adelgrunde Victorie 180, 405, 407, 795 Goubet, Jean-François 473 Graeven, Hans 796, 801 Grandi, Guido 642 Granger, Gilles-Gaston 389, 656 Grassmann, Hermann 651

824

Personenregister Grau, Conrad 221, 222, 225, 229, 230, 232, 233, 241, 242, 243 Graunt, John 238, 767 Griard, Jérémie 443 Grieser, Rudolf 328 Grimaldi, Claudio Fillipo 385 Grmek, Mirko D. 766 Groenewald, Gerald 384 Grosholz, Emily 644, 649 Grote, Ludwig 189, 190 Grote, Otto 295, 321 Grotefend, Carl Ludwig 116, 119, 290, 367, 411, 412, 418, 800 Grothe, Ewald 304 Grotius, Hugo 279 Grua, Gaston 135, 136, 156, 276, 294, 301 Gruber, Frau von Johann Daniel 96 Gruber, Johann Daniel 41, 54, 92, 94, 96, 97, 98, 99, 112, 345 Grucker, Émile 414 Grundmann, Christian 172, 173, 177, 256 Gryphius, Andreas 411, 416 Gude, Marquard 258, 259 Guericke, Otto von 748 Guerrier, Woldemar 131, 226, 260, 317, 794, 796 Guhrauer, Gottschalk Eduard 31, 36, 38, 124, 125, 126, 187, 188, 190, 191, 218, 219, 227, 259, 260, 286, 291, 295, 302, 370, 372, 406, 410, 411, 479, 539, 585, 593, 595, 792, 793, 794, 796, 797, 804 Guitton, Jean 619 Günther, Horst 355 Gutberlet, Konstantin 612 Guyon du Chesnoy, Jeanne Marie 581 Gwynne, Rowland 78, 324 Haarparanta, Leila 544 Haas, Carl 116 Haase, Carl 197, 198, 296, 322, 327 Haaß, Robert 600 Hahn, Karl-Heinz 33 Hahn, Simon Friedrich 45, 46, 53, 54, 61, 345 Haimerl, Franz Xaver 601 Hakemayer, Uta 259, 261 Hall, Alfred Rupert 647 Hall, Marie Boas 229 Haller, Albrecht von 416 Halley, Edmund 754

Hamann, Ernst 74, 75 Hamann, Günther 227, 228 Hamborg, Otto 645 Hamel, Jürgen 234, 235 Hamilton, William 436, 445, 449, 457, 458, 459, 475 Hammerstein, Notker 305, 348 Hamou, Philippe 444 Händel, Georg Friedrich 196 Hanisius, David 78 Hankamer, Paul 373 Hankins, Olan Brent 419 Hannésen, Johann Andreas 98 Hansch, Michael Gottlieb 104, 112, 466, 516 Hardin, James 420 Hardt, Anton Julius von der 85 Hardt, Hermann von der 49, 79, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 90, 370 Hardtwig, Wolfgang 227 Harley, Robert 541, 542 Harling, Christian Friedrich von 792 Harnack, Adolf 131, 132, 133, 192, 215, 217, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 236, 237, 240, 241, 243, 260, 520, 521, 559, 573, 574, 575, 578, 582, 584 Harnack, Theodosius 581 Harris, John 444, 480 Hartbecke, Karin 264 Hartmann, Fritz 238, 766, 770 Hartmann, Martina 119, 351 Hartsoeker, Nikolaus 666 Hartz, Glenn 526, 527, 529 Häseler, Jens 62 Haßler, Gerda 383 Hattler, Johannes 503 Hauer, Julius von 781 Haupt, Moritz 413, 414, 416, 796 Hausberger, Karl 604, 615, 616 Hauskeller, Michael 471 Hechberger, Werner 357 Hecht, Hartmut 422, 475, 511, 521, 777 Heer, Friedrich 618 Heeren, Arnold Hermann Ludwig 347, 350 Hefele, Carl Joseph 614 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 220, 230, 291, 522, 538, 540, 566, 587 Heinekamp, Albert 31, 72, 113, 138, 175, 178, 264, 291, 309, 356, 364,

Personenregister 365, 367, 371, 373, 376, 377, 419, 447, 479, 542, 644, 656, 694, 792, 793, 808 Heinemann, Otto von 262 Heinrich der Löwe 320, 322 Heintz, Günter 376 Heise, Joachim S. 803 Heitmüller, Wilhelm 808 Heizmann, Einfried 601 Helmholtz, Hermann von 684, 685, 686, 687, 688, 692, 693, 703, 707, 708, 747 Helmolt, Hans F. 805 Helvétius, Jean Adrien 767 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 568 Henkel, Anne-Katrin 119 Henne, Helmut 239 Hennings 41 Henrich, Jörn 542 Henrici, Peter 614, 619 Hense, Wolfgang 238 Henzi, Rudolf Samuel 110, 111 Henzi, Samuel 111 Herbart, Johann Heinrich 539 Herbertz, Richard 479 Herbst, Klaus-Dieter 234, 235, 242 Herder, Johann Gottfried 290, 309, 409, 411, 412, 414, 422, 452, 622, 795 Hering, Carl Wilhelm 595 Herkules 177 Hermann, Jacob 105, 642, 680, 681, 691, 727 Hermes Trismegistos 173 Herrmann, Karl 303, 329 Hertel, Lorenz 78, 258, 266 Hertz, Heinrich 437 Hertzberg, Ewald Friedrich von 243 Herzfeld, Erika 237 Herzog, Eduard 612 Hesenthaler, Magnus 422 Heß, Heinz-Jürgen 40, 127, 128, 129, 264, 642, 643, 648, 656 Hess, Ursula 87 Hettner, Hermann 414 Heuvel, Christine van den 75 Hewetson, Christian 796 Heymann, Ernst 236, 806 Hick, John 590 Hieber, Gelasius 600 Hilbert, David 543 Hildebrandt, Kurt 417

825 Hilgenberg, Otto Christoph 261 Hindenburg, Karl Friedrich 652 Hintze, Otto 237 Hippokrates 506 Hirsch, Eike Christian 200, 203, 205, 372, 597 Hirsch, Emanuel 552, 554, 556, 557, 561, 582, 583, 584, 586 Hitler, Adolf 137 Hobbes, Thomas 279, 300, 327, 436, 437, 446 Hochedlinger, Michael 33 Hochsteller, Erich 139, 430 Hochstrasser, Tim J. 278, 279 Hodann, Johann Friedrich 84, 86, 87 Hoffmann von Fallersleben, Heinrich 412, 413, 416 Hoffmann, Adolf Friedrich 571 Hoffmann, Christian 29 Hoffmann, Dieter 803, 806 Hoffmann, Friedrich 770 Hoffmann, Friedrich-Joachim 238 Hoffmann, Heinrich 578, 579, 594 Hoffmann, Johann Heinrich 45, 55 Hofmann, Joseph Ehrenfried 128, 129, 138, 144, 171, 198, 293, 647, 648, 653, 654, 655, 657, 792, 803 Hohenemser, Ernst 479 Hohlfeld, Rainer 233 Hölder, Helmut 782, 783 Hölderlin, Friedrich 417, 522 Holl, Karl 581, 582, 584 Hollmann, Samuel Christian 449, 451, 557 Holten, Albert von 67 Holtzhausen, Friedrich Schütz von 93 Holz, Hans Heinz 227, 231, 232, 294, 327 Holze, Erhard 597 Holzhey, Helmut 478 Horaz 410, 416 Hornig, Gottfried 561, 599 Hörnigk, Philipp Wilhelm von 325 Horst, Johann Daniel 784 Horst, Ulrich 779 Hübener, Wolfgang 436, 596 Huber, Ernst Rudolph 304 Huber, Kurt 195, 196, 296, 302, 303, 304, 372 Hugo, Ludolf 70, 306, 322 Hugony, Charles 507 Humboldt, Wilhelm von 384, 452

826

Personenregister Hume, David 458 Hunter, Graeme 129 Hunter, Michael 43, 47 Hunzinger, August Wilhelm 577 Husserl, Edmund 449, 461, 462, 463 Huth, Volkhard 357 Hutton, James 783 Huygens, Christiaan 264, 642, 647, 648, 651, 657, 676, 697, 704, 706, 708, 710, 712, 713, 715, 726 Ilgen, Heinrich Rüdiger von 82 Ilten, Jobst Hermann von 75 Imaguire, Guido 542 Immel, Hans 109 Ishiguro, Hidé 375, 376, 542, 649 Jablonski, Daniel Ernst 62, 68, 80, 132, 220, 221, 235, 237, 239, 240, 241, 244, 550, 596, 621 Jablonski, Johann Theodor 220, 221, 237, 239, 240, 242, 244 Jaffro, Laurent 33 Jalabert, Huguette 377, 432 Jalabert, Jacques 501 Janich, Peter 702 Jankowski, Bettine 275 Jansen, Bernhard 617 Jansen, Cornelius 551 Jauch, Ursula Pia 171 Jaucourt, Louis de 178, 179, 183, 214, 372 Jauernig, Anja 456, 477 Jenisch, Daniel 478 Jerusalem, Friedrich Wilhelm 561 Jesseph, Douglas 649, 650, 656 Jevons, William Stanley 449, 457 Joachim von Fiore 562, 577 Jochum, Uwe 265 Johann Friedrich, Herzog 187 Johann Friedrich, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 176, 179, 180, 183, 192, 195, 196, 201, 256, 260, 266, 267, 286, 289, 320, 404, 405, 411, 419 Johann Friedrich, Herzog von Braunschweig-Lüneburg von Braunschweig-Lüneburg 55, 171 Johanna, angebliche Päpstin 97, 346 Jolley, Nicholas 443, 480, 481, 525 Joos, Katrin 221, 232, 233, 241, 242 Jöppel, Balthasar 801 Jöppel, Veronika 801 Jorati, Julia 481

Jordan, Charles Etienne 62, 63, 66, 68, 69, 94, 105, 108 Jordann, George Jefferis 596 Jorgensen, Larry M. 481 Joseph I., römisch-deutscher Kaiser 320 Jung, Johann Heinrich 55, 109, 110, 114, 117, 118, 346, 347, 350 Junge, Walter 322 Jüngel, Eberhard 589 Jung-Stilling, Johann Heinrich 558 Jurin, James 666 Justi, Johann Heinrich Gottlob 349, 519, 521, 522 Justianus 275 Kaasch, Joachim 243 Kaasch, Michael 243 Kabitz, Willy 111, 147, 193, 691, 693 Kaegi, Dominic 304, 583 Kaehler, Klaus Erich 466, 477, 542 Kahnis, Karl Friedrich August 580 Kaltenbäck, Johann Paul 225, 227 Kändler, Agnellus 600 Kangro, Hans 56 Kant, Immanuel 230, 430, 431, 449, 452, 454, 455, 456, 457, 459, 476, 477, 478, 479, 539, 573, 579, 585, 601, 607, 613, 614, 622, 680, 704, 706, 732, 798, 799, 803 Kanthak, Gerhard 232 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 601 Kapp, Johann Erhard 66, 68, 69, 94, 108, 113, 114, 132, 156, 215, 218, 219, 550 Karl der Große 349 Karl II., König von Spanien 315 Karl V., römisch-deutscher Kaiser 316 Karl VI,, römisch-deutscher Kaiser 315 Karl VI., römisch-deutscher Kaiser 185, 213, 289, 315 Karten, Walter 655 Kästner, Abraham Gotthelf 46, 47, 99, 109, 111, 112, 795 Katz, Mikhail 650 Kauppi, Raili 542 Keblusek, Marika 203 Keifl, Franz Xaver 372 Keller, Ludwig 230, 239 Kempe, Michael 313, 319, 777, 806 Kepler, Johannes 697, 724, 725, 726 Kern, Hermann 539

Personenregister Kestner, Charlotte 796 Kestner, Johann Christian 796 Kiefl, Franz Xaver 606, 607, 614, 615, 616, 623 Kierkegaard, Søren 584 Kiesel, Karl 617 Kirch, Christfried 62 Kirch, Gottfried 62, 66, 235, 241, 244 Kirchmann, Julius Hermann 804 Kirsanov, Vladimir 227, 716, 717, 718, 719, 755 Klauke, Hans-Joachim 238 Kleutgen, Joseph 613 Kliege-Biller, Herma 137, 140 Kline, Morris 646 Klopp, Onno 32, 96, 117, 120, 121, 122, 125, 140, 155, 189, 191, 192, 194, 215, 226, 227, 230, 259, 286, 287, 291, 292, 295, 302, 309, 316, 350, 413, 793, 796, 800, 804 Klopstock, Friedrich Gottlieb 417 Knabe, Lotte 138, 226, 287, 293 Kneale, Martha 543 Kneale, William 375, 543 Knecht, Herbert H. 648 Knobloch, Eberhard 134, 148, 227, 228, 232, 234, 240, 241, 644, 648, 649, 650, 652, 653, 654, 655, 656, 657 Knobloch, Wolfgang 66, 67, 229, 520 Knöpfler, Alois 613, 614 Knuuttila, Simo 542 Koberstein, August 413 Koch, Cornelius Dietrich 89 Koch, Georg Friedrich 82 Koch, Heinrich Andreas 346 Kocka, Jürgen 221, 233 Kodis, Joseph 479 Köhler, Gustav 780, 781 Köhler, Heinrich 105, 106, 509, 510, 511, 553 Köhler, Paul 432 König, Samuel 30, 109, 110, 114, 681, 690, 691, 728, 731, 733 Königsmarck, Maria Aurora von 768 Königsmarck, Philipp Christoph von 188, 190 Kopernikus, Nikolaus 421 Kopp-Oberstebrink, Herbert 478 Kortholt, Christian 87, 103, 104, 107, 108, 171, 177, 178, 180, 181, 182, 291, 369, 371, 476

827 Kortholt, Heinrich Christian 407 Kortholt, Sebastian 42, 95, 107, 108 Koselleck, Reinhard 355 Koselleck, Reinhardt 469 Köther, Felix 234, 235 Kottwitz, Hans Ernst von 568 Kowalewski, Gerhard 643, 646 Krafft, Fritz 784 Krämer, Sybille 447, 448 Krause, Johann Gottlieb 172, 173, 792, 793 Krause, Wilhelm 801 Krienke, Markus 613 Kroener, Bernhard R. 312 Kroker, Ernst 800, 801 Krömer, Ralf 538 Krönert, Gisela 48, 199, 290, 372, 403, 768 Krug, Wilhelm Traugott 607 Krüger, Gerhard 329, 580 Krüger, Lorenz 653 Krüger, Matthias 327, 766, 770 Kühn, Sebastian 233, 242 Kulpis, Johann Georg von 288 Kulstad, Mark A. 377, 437, 480, 481, 482 Kummer, Ernst Eduard 799 Kuntze, Friedrich 802 Kvačala, Jan 48, 62, 68, 131, 132, 133, 137, 149, 215, 220 Květ, František Bolemír 539 L’Hospital, Guillaume François Antoine, marquis de 502, 642, 647, 701 L’Hospital, Guillaume François Antoine, Marquis de 646 La Croze, Maturin Veyssière de 66, 242, 370 La Rocca, Claudio 471, 472, 473 Laberge, Pierre 291 Lackmann, Heinrich 43, 48, 261, 262, 264 Lacroix, Pierre Paul 116 Lærke, Mogens 390 Laeven, Augustinus Hubertus 39 Lagrange, Joseph Louis 683, 684, 685, 690 Laitko, Hubert 233 Lamacchia, Ada 448, 455 Lamarra, Antonio 37, 39, 40, 105, 366, 390, 504, 509, 510, 511

828

Personenregister Lambert, Johann Heinrich 448, 451, 453, 454, 456, 460, 539 Lamey, Ferdinand 85 Lampe, Wolfgang 780 Lamprecht, Jacob Friedrich 182, 184 Lamprecht, Karl 355 Lamy, François 598 Landersdorfer, Anton 609 Lange, Hans Friedrich 797 Lange, Joachim 553, 557 Latour, Bruno 497 Latta, Robert 479 Laugwitz, Detlef 656 Le Coz, Claude 551 Le Fort, Gertrud von 576 Le Roi, Charles-François 550 Le Tellier, Michel 312 Lea, Elisabeth 226 Leduc, Christian 430, 432, 437, 445, 447, 448, 479, 480 Leeuwenhoek, Antoni van 104 Leibniz, Christoph 801 Leibniz, Johann Friedrich 108 Leinkauf, Thomas 431, 437, 498, 502, 503 Lenders, Winfried 448 Lenzen, Wolfgang 542, 544 Leo XIII., Papst 623 Leopold I., römisch-deutscher Kaiser 288, 295, 298, 308, 312, 316, 319, 325 Lepschys, Giulio 373 Lequien, Michel 79 Leroy, Maurice 364 Lessing, Gotthold Ephraim 291, 327, 407, 408, 409, 414, 421, 554, 559, 560, 561, 562, 563, 596 Levey, Samuel 525, 526, 648, 649, 650, 656 Levine, James M. 170 Lévy-Bruhl, Lucien 796, 801 Leyh, Georg 260 Li, Wenchao 95, 137, 138, 169, 203, 278, 293, 305, 309, 318, 369, 373, 385, 403, 469, 597, 791, 792, 793 Libri, Guglielmo 89 Lieberkühn, Philipp Julius 472 Liebermann, Bruno Leopold 604 Liebing, Heinz 552 Lifschitz, Avi 372 Lilje, Hanns 596 Link, Christoph 597

Liselotte von der Pfalz siehe Elisabeth Charlotte Litt, Theodor 808, 809 Locke, John 186, 431, 435, 436, 443, 444, 446, 458, 473, 474, 477, 504, 505 Lodge, Paul 480, 481, 504 Loeffler, Klaus 260 Loemker, Leroy E. 480 Löffler, Friedrich Simon 41, 42, 108 Löffler, Simon 108 Lohff, Brigitte 327 Loisy, Alfred 618 Look, Brandon 526, 528, 530 Loos, Waltraud 418 Loptson, Peter 526, 527, 528, 773 Lorenz, Stefan 32, 36, 37, 90, 94, 104, 105, 106, 124, 125, 127, 134, 137, 343, 365, 466, 515, 553, 554, 555, 556, 558, 566, 571, 798 Lorenzen, Paul 703 Löscher, Valentin Ernst 555, 556 Losonsky, Michael 377 Lossius, Johann Christian 462 Louvois, François Michel Le Tellier de 312 Luckscheiter, Stefan 100, 101, 229, 236, 278, 293, 300, 365, 550, 767, 805, 807 Ludolf, Hiob 98, 368, 370, 384 Ludovici, Carl Günther 36, 38, 94, 106, 113, 171, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 185, 214, 257, 288, 290, 295, 372, 405, 406, 407, 410, 509, 550, 552, 793 Ludwig Rudolph, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel 78 Ludwig XIII., Kaiser von Frankreich 288 Ludwig XIII., König von Frankreich 312 Ludwig XIV., König von Frankreich 286, 287, 290, 301, 309, 310, 311, 312, 313, 314, 315, 321, 322, 325, 332, 404, 421, 767 Luig, Klaus 274, 275, 276, 277, 655 Luitpold von Bayern 610 Lukrez 421 Luthardt, Christoph Ernst 577 Luther, Martin 223, 414, 550, 553, 554, 555, 556, 558, 562, 580, 581,

Personenregister 582, 584, 586, 591, 596, 597, 606, 796, 800, 803, 804, 805 Lütkens, Franz Julius 550 Maat, Jacob 372, 373, 379 Mabillon, Jean 355 Macclesfield, Charles Gerard, 2nd earl of 324 Mach, Ernst 665, 693 MacLaurin, Colin 666, 674, 675, 676 Magnier, Sébastien 274 Mahnke, Dietrich 138, 144, 497, 526, 542, 643, 646, 647, 652, 656, 772 Mahoney, Michael 647 Mahrenholtz, Marion 766, 770 Maier, Hans 599 Maier, Heinrich 807 Maimon, Salomon 449, 457 Malebranche, Nicolas 186, 431, 502, 576, 598 Malpighi, Marcello 770 Mansel, Henry Longueville 449, 458, 459 Mansion, Paul 642 Manteufel, Ernst Christoph von 793 Manteuffel, Ernst Christoph von 178, 179, 183 Marcolongo, Ferdinando Luigi 613 Marcuse, J. Chr. 610 Maria Anna von Österreich 601 Maria Theresia, Infantin von Spanien 315 Mariotte, Edme 720, 721, 722, 733, 749 Markgraf, Georg 767 Marras, Cristina 364, 379, 382, 383, 387, 388, 390, 437, 440, 445 Marten, Maria 55, 56, 58, 59 Martin, Dennis Joseph 646 Martin, Gottfried 542 Mascov, Johann Jacob 346 Masham, Damaris 180 Mates, Benson 377, 480 Matter, Jacques 219 Matteuzzi, Maurizio 377 Matzat, Heinz L. 446 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 110, 519, 667, 679, 680, 681, 682, 683, 685, 690, 692, 696, 708, 728, 731, 733 May, Gerhard 597 May, Otto Heinrich 806, 809 Mayer, Julius Robert 688

829 McDonough, Jeffrey 731, 732, 734 McRae, Robert 431, 477, 480, 481 McRae, Robert F. 129 Meckseper, Cord 795 Meibom, Heinrich 89 Meier, Georg Friedrich 447, 451, 455, 466, 467, 470, 471, 472, 473 Meier, Gerhard 368 Meier-Oeser, Stephan 103, 137, 379, 432, 433, 446, 447, 448, 455 Meinecke, Friedrich 354 Meisch, Christian Albert 410, 415, 416, 421 Meisner, Heinrich Otto 33, 83 Melanchthon, Philipp 596, 803 Melo Araújo, André de 347 Mencke, Otto 39, 715, 716, 782 Mendelssohn, Moses 408 Mengoli, Pietro 647 Menle, Karl-Heinz 613 Mercer, Christia 498, 500, 501, 525 Merchant, Carolyn 506 Merian, Johann Bernhard 475, 477 Mertens, Marlen 32, 644 Metzke, Erwin 806 Metzler, Regine 153 Meyer, Wilhelm 97, 112 Michaelis, August Benedikt 98, 370 Michelotti, Pier Angelo 171 Miles, Murray 129, 481 Milet, Jean 497 Milkau, Fritz 260, 262 Mill, John Stuart 449, 457, 458, 459, 460 Mincer, Wieslaw 227 Minkowski, Helmut 229 Miquel, Beate von 189 Mittelstraß, Jürgen 182, 419, 431, 477 Moeller van den Bruck, Arthur 805 Moivre, Abraham de 654 Molanus, Gerhard Wolter 48, 49, 550, 551, 596, 597, 602, 603, 609, 621 Moll, Konrad 538 Moltmann, Jürgen 588 Mommsen, Theodor 222, 573, 575 Montano, Aniello 507 Mora Charles, Maria Sol de 644, 645, 653 More, Henry 588 Morus, Thomas 229 Moser, Friedrich Karl von 348 Möser, Justus 346

830

Personenregister Mosheim, Johann Lorenz von 217, 550, 553, 555 Mudroch, Vilem 201 Mugnai, Massimo 372, 375, 377, 378, 431, 437, 439, 447, 542 Müller, Friedrich Max 460 Müller, Georg 807 Müller, Julius 571, 572, 573 Müller, Kurt 31, 33, 138, 139, 197, 199, 290, 293, 363, 372, 403, 419, 768, 798, 808 Müller, Philipp 92 Müller, Rainer A. 169 Mulsow, Martin 519 Münst, Matthäus 617 Münzenmayer, Hans Peter 651 Murr, Christoph Gottlieb von 64, 67, 91, 94, 95, 113, 114, 116, 285 Naaman Zauderer, Noa 388 Nachtomy, Ohad 444, 773 Naert, Émilienne 296, 297, 329 Nagel, Fritz 103, 104, 105, 648, 649 Napoleon Bonaparte 286, 311 Natorp, Paul 477 Naudé der Ältere, Philippe 558 Nef, Frédéric 373, 376 Neff, Landolin 371 Neis, Cordula 383 Neuburger, Edgar 655 Neuenberg, Michael 647 Neufville, L. siehe Jaucourt Neukirch, Benjamin 217 Neumann, Caspar 238 Neumann, Hanns-Peter 106, 497, 552, 592, 672, 714 Neuner, Peter 609 Newton, Isaac 58, 59, 103, 109, 175, 176, 179, 188, 510, 549, 588, 606, 642, 643, 646, 647, 656, 667, 674, 675, 676, 678, 679, 680, 682, 684, 688, 690, 692, 693, 696, 697, 698, 699, 700, 702, 703, 706, 707, 715, 716, 717, 722, 724, 726, 727, 733, 734, 735, 736, 748, 794 Nicaise, Claude 382, 386 Niceron, Jean-Pierre 176 Nickelsen, Kärin 233, 244 Nicolai, Friedrich 560, 563 Nicolás, Juan Antonio 33, 773 Niderbudde, Anke 422 Nieden, Friedrich Johannes 479 Nielbock, Ralf 784

Nikolaus II., Zar 802 Nikolaus von Kues 806 Nitschke, Peter 278, 298, 299 Nizzoli, Mario 367, 380, 387, 436 Noreik, Simone 203 Normore, Calvin 477 North, Michael 325 Nowak, Kurt 220, 223, 243, 564 Nunziante, Antonio 382, 770 O’Hara, James G. 33, 36, 43, 47 O’Neal, John C. 474 Oberschelp, Reinhard 76 Obst, Godehard 215, 238 Oelrich, Carl Conrad 86 Oelven, Christian Heinrich 242 Oesterreicher, Wulf 373 Oexle, Otto Gerhard 222, 357, 575 Ohnsorge, Werner 53, 117, 197, 261 Oken, Lorenz 772 Oldenburg, Heinrich 102, 114, 447, 642 Oldroyd, David R. 783 Oliveri, Lucia 378, 443, 444, 480, 481 Olshausen, Waldemar von 806 Opitz, Martin 404, 408, 411, 412, 414, 415, 416, 420 Orio de Miguel, Bernardino 506 Otabe, Tanehisa 471, 472, 473 Ott, Walter 480 Otte, Hans 597 Otto, Karl F. 373 Otto, Rüdiger 40, 60, 106, 173, 178, 226, 232, 288, 290, 322, 349, 422 Otto, Rudolf 584 Otto, Walter 431 Ovid 410, 416 Ozanam, Jacques 653 Paasch, Kathrin 259 Pacian von Barcelona 604 Palaia, Roberto 37, 38, 39, 40, 100, 224, 366, 390, 509, 510, 519 Pallas Athene (Göttin) 732 Palumbo, Margherita 42, 58, 59, 77, 258, 259, 264, 265, 267, 365 Pannenberg, Wolfhart 589, 590, 591, 619 Papin, Denis 670, 689, 694, 706 Paracelsus (Theophrastus Bombast von Hohenheim) 806 Parkinson, George H. R. 375, 477, 542 Parmentier, Marc 443, 480, 644, 645 Parthier, Benno 228

Personenregister Pascal, Blaise 647, 648, 748 Pasini, Enrico 375, 480 Pečar, Andreas 203 Pecharman, Martine 480 Pécharman, Martine 444 Peckhaus, Volker 445, 448, 479, 540, 541, 692, 744 Peirce, Charles Sanders 449, 463, 464 Pektas, Virginie 383 Pelletier, Arnaud 265, 328, 329, 332 Pellisson-Fontanier, Paul 93, 102, 550 Pelt, Friedrich Ludwig 593 Pepe, Luigi 656 Peres, Constanze 440 Perkins, Franklin 480 Pertz, Georg Heinrich 117, 118, 119, 120, 127, 140, 143, 189, 292, 350, 351, 352, 412, 413, 414, 417, 479, 593, 768, 800 Peter I., Zar 172, 174, 179, 185, 214, 227, 228, 315, 317, 318, 596, 754 Peters, Hermann 801 Petry, Michael 656 Petty, William 767 Pfaff, Christoph Matthäus 549, 550 Pfaff, Johann Friedrich 86, 89 Pfanner, Tobias 91 Pfeil, Hans 618 Pfennigsdorf, Emil 577 Pfleiderer, Edmund 295, 794, 799, 800, 809 Phemister, Pauline 526, 528, 538 Philipp V., König von Spanien 315 Philipp Wilhelm von Neuburg 285 Philipp, Wolfgang 595 Phillipps, Thomas 67, 88 Piat, Clodius 372 Pichler, Aloys 594, 609, 610, 611, 615, 616, 617, 622 Picon, Marine 431, 436, 437, 439, 441 Piepenbring-Thomas, Carola 56, 58 Pieri, Barnardo 275 Pietsch, Paul 387 Pimpinella, Pietro 390, 509, 510 Piro, Francesco 278, 379, 431, 507 Piso, Wilhelm 767, 768 Pitz, Ernst 74 Pius IX., Papst 622 Pius V., Papst 609 Pius X., Papst 618 Placcius, Vincent 37, 641

831 Planck, Max 687, 688, 689, 690, 691, 692, 693, 707, 747, 803 Plank, Gottlieb Jakob 551 Plank, Rudolf 227 Platen, August Graf von 417 Platen, Franz Ernst von 70 Plath, Carl Heinrich Christian 595 Platner, Ernst 478 Platon 279, 383, 502, 503, 507, 518, 592 Ploucquet, Gottfried 522, 523, 524, 525, 527, 539 Pohle, Joseph 617 Poley, Heinrich Engelhard 473 Poma, Andrea 382 Pombo, Olga 369, 376, 383 Pope, Alexander 408, 421, 570 Porter, Roy 769 Poser, Hans 141, 150, 241, 243, 293, 318, 372, 383, 419, 432, 437, 444, 480, 542, 543, 594, 597, 599, 617 Powitz, Gerhardt-Joachim 239 Prechtl, Maximilian 602, 603, 621 Precht-Nußbaum, Karin 600, 601 Probst, Siegmund 647, 648, 649, 655, 656 Prometheus 409 Protagoras 275 Ptolemäus 421 Pufelska, Agnieszka 317 Pufendorf, Samuel von 39, 82, 279, 286, 300, 306 Pulte, Helmut 686 Puryear, Stephen M. 480 Pütter, Johann Stephan 349 Pythagoras 503, 516 Raab, Heribert 599 Rabaut le jeune (Pierre Antoine Rabaut-Depuis) 551 Rabener, Johann Gebhard 244 Rabouin, David 421, 649, 655, 656 Racionero, Quintín 300, 307, 331 Rahden, Wolfert von 373 Rahman, Shahid 274, 275 Raiser, Konrad 597 Ramazzini, Bernardino 238, 767 Ranke, Leopold von 352, 353 Raspe, Rudolf Erich 99, 100, 113, 116, 117, 126, 127, 134, 368, 444, 473, 474, 478, 537 Räß, Andreas 117, 604, 605, 607 Rateau, Paul 389

832

Personenregister Rath, Gernot 765, 770 Rather, L. J. 770 Ratschow, Carl Heinz 566, 579, 580, 591, 592, 622 Ravier, Émile 32, 36, 37, 38, 39, 62, 68, 82, 88, 95, 98, 100, 101, 102, 103, 104, 106, 109, 113, 114, 116, 117, 118, 121, 122, 124, 125, 126, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 135, 289, 365, 642, 643, 646 Rebenich, Stefan 222 Reese, Armin 197, 356 Rehberg, August Wilhelm 795, 796, 797 Rehtmeyer, Philipp Julius 346 Reibmayr, Albert 801 Reich, Karin 754 Reich, Mike 783 Reiche, Jobst Christoph 70 Reichel, Otto 807 Reichenbach, Hans 695, 698, 738, 739, 741, 742 Reinbeck, Johann Gustav 552, 553 Reinerding, Johann Thiele 92, 255 Reinhard, Adolf Friedrich 408 Reinhardt, Rudolf 614 Reinhold, Ernst 431 Remond, Nicolas 468, 474 Remond, Nicolas-François 500, 507, 508 Rendtorff, Trutz 575 Renouvier, Charles Bernhard 497 Rescher, Nicholas 379, 498, 499, 507, 511 Reusch, Johann Peter 451, 460 Rex, Joachim 240 Rey, Anne-Lise 766 Reyneau, Charles 652 Ribov (Riebow), Georg Heinrich 553 Richter, Georg Friedrich 106, 510 Richter, Liselotte 226, 317 Riedel, Gerd-Rainer 783 Riemann, Bernhard 650 Riley, Patrick 137, 278, 279, 294 Rinaldo III., Herzog von Modena 320 Ringleben, Joachim 565 Ripking, Bernhard (Berend) 112, 777 Risi, Vincenzo de 503, 645, 651, 654 Risse, Wilhelm 447, 543 Ritschl, Albrecht 552, 573, 575 Ritter, Paul 41, 72, 73, 86, 89, 115, 137, 138, 139, 142, 145, 149, 150,

223, 286, 287, 293, 296, 302, 309, 311, 354, 365, 415, 416, 417, 792, 794, 797, 803, 804, 805, 807 Rivaud, Albert 150 Röber, Johann Joachim 78 Robinet, André 171, 198, 294, 312, 313, 314, 315, 388, 390, 419, 443, 511, 772 Robins, Robert Henry 373 Robinson, Abraham 648 Rockar, Hans-Joachim 91, 110 Roeck, Bernd 305 Roero, Clara Silvia 643, 648 Roger, Jacques 766, 772 Rohls, Jan 579, 597 Rohrbasser, Jean-Marc 655, 767 Roinila, Markku 366 Rojas y Spinola, Cristobal de 55, 56, 57, 98, 308, 309, 596, 597, 616 Roll, Christine 204, 317 Rommel, Christoph von 796, 797 Rosenkranz, Karl 414 Rösler-LeVan, Claire 549, 598 Rosmini, Antonio 613 Ross, George M. 228 Rossi, Paolo 379 Rössler, Hellmuth 329 Roussanova, Elena 754 Rousseau, Jean-Jacques 290 Rozemond, Marleen 481 Ruck, Erwin 799 Rüdiger, Andreas 571 Rudolf August, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 105, 180, 652 Rudolph, Hartmut 117, 133, 227, 229, 241, 278, 293, 307, 309, 330, 385, 551, 562, 585, 586, 595, 597, 791, 792 Rülf, Jakob 479 Ruppelt, Georg 45 Russell, Bertrand 374, 430, 479, 499, 501, 541, 772 Rutherford, Donald 372, 499, 500, 501, 512, 514, 525, 526, 527, 528, 649, 772 s’ Gravesande, Willem Jacob 666 s’Gravesande, Willem Jacob 675 Saame, Otto 418 Saeger, William E. 129 Sailer, Johann Michael 601 Saine, Thomas P. 372

Personenregister Saint Germain, Bertrand de 783 Saint-Pierre, Charles Irénèe Castel de 289, 291, 294, 313, 314 Sakai, Kiyoshi 327, 333 Salas, Jaime de 278, 294, 333, 618 Salomon, Lewin 479 Salomon-Bayet, Claire 229 Šamurin, Ivanovič 261 Sartor, Giovanni 275 Saville, Anthony 444 Schäfer, Philipp 599 Scharnhorst, Gerhard Johann David von 805 Schäufele, Wolf-Friedrich 549, 550, 552 Schaumann, Adolf 120 Scheel, Günter 70, 73, 74, 76, 262, 263, 288, 297, 325, 344, 345, 350, 356, 384, 796 Scheel, Otto 594 Scheidt, Christian Ludwig 92, 97, 98, 99, 100, 109, 110, 114, 117, 118, 218, 344, 346, 782 Schelhammer, Günther Christoph 722, 723, 733 Schell, Herman 616 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 522, 772 Schenk, Richard 597 Schepers, Heinrich 201, 329, 430, 432, 434, 436, 443, 447, 480, 500, 588, 595, 729, 738, 742, 743 Schering, Ernst 596 Schiebinger, Londa 768 Schieblich, Walter 349 Schier, Xystus 600 Schiewer, Gesine Lenore 448 Schiller, Friedrich 355, 416 Schilling, Susanne 45 Schirren, Carl 226 Schläger, Julius Karl 92, 109, 114 Schlatter, Adolf 588 Schlaudt, Oliver 689, 700, 701, 702, 703, 705 Schlechta, Karl 329 Schlechta, Paul 809 Schlegel, August Wilhelm 565 Schlegel, Friedrich 565 Schlegel, Johann Rudolph 550, 553 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 564, 565, 566, 568, 573, 575, 579, 587, 622

833 Schlobinski, Peter 376, 542 Schlözer, August Ludwig 347 Schmarsow, August 373 Schmid, Alois 357 Schmid, Johann Philipp 87 Schmidt, Horst-Michael 471 Schmidt, Johann Andreas 84, 88, 89, 90, 92 Schmidt, Johann Andreas, Sohn 89 Schmidt, Julian 413, 414 Schmidt, Martin 567, 568, 580, 596 Schmidt, Reinhard 784 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 185, 500, 501, 598 Schmied-Kowarzi, Wolfdietrich 100 Schmied-Kowarzik, Walther 415, 803, 804, 805 Schmitz, H. Walter 378 Schnath, Georg 188, 196, 197, 198, 296, 320, 323, 356 Schneider, Hans-Peter 277, 278, 299, 300, 301, 304, 305, 325, 326, 332, 349 Schneider, Ivo 653, 654, 655 Schneider, Martin 375, 436, 447 Schneider, Rolf 390 Schneider, Ulrich Johannes 170 Schneiders, Werner 231, 296, 299, 326 Schnelle, Helmut 446 Schnettger, Matthias 308, 309 Scholtz, Lucie 643, 646, 656 Scholz, Franz 601 Scholz, Heinrich 538, 543, 574, 584, 585 Schönberg, Christoph von 784 Schönborn, Johann Philipp von 286, 289, 308, 320 Schopenhauer, Arthur 792, 798 Schrecker, Paul 32, 63, 68, 69, 108, 137, 138, 304 Schröcker, Alfred 357 Schröder, Ernst 449, 540, 541 Schrödinger, Erwin 746 Schubert, Ernst 348 Schuchhardt, Carl 801 Schulenburg, Sigird von der 239, 366, 367, 372, 417, 418, 807 Schulte, Christoph 385 Schulthess, Peter 430, 436, 480 Schulze, Gottlob Ernst 607 Schunka, Alexander 309 Schupp, Franz 542

834

Personenregister Schüssler, Werner 430 Schüssler, Wilhelm 805 Schütz von Holtzhausen, Johann Friedrich 93 Schwaiger, Clemens 104, 448 Schwalbach, Helmut 604, 605 Schwedt, Hermann H. 609 Schweigger, Johann Salomo Christoph 243 Scriba, Christoph J. 128 Scudéry, Madeleine de 180, 421 Seeländer, Nikolaus 784 Segle, Kurt-Victor 596 Selig, Maria 373 Sellschopp, Sabine 38, 39, 62, 90, 112, 285, 288, 312 Semler, Johann Salomo 554, 561 Seneca 410, 416 Seng, Thomas 807 Serlo, Albert 781 Serres, Michel 374, 381, 430, 503, 656 Sève, René 232 Sexl, Hannelore 226, 227 Sextro, Theodor Heinrich 46, 47, 51, 53, 60 Sherry, David 650 Siegert, Reinhart 234 Sieverds, Johann Georg 79, 255 Silbernagel, Isidor 613 Silva, Juliana Cecci 369 Simmons, Alison 480, 481 Simon, Ralf 471 Simone, Raffaele 373, 374 Sina, Kai 44 Siqueira Piavi, William de 369 Sleigh, Robert 498, 500, 503, 525 Smirnova, Galina 646 Smith, Justin E. H. 480, 523, 763, 765, 766, 767, 769, 770, 772, 773 Sokrates 186 Solomon, Graham 646 Sonar, Thomas 647, 797 Sophie Charlotte, Königin in Preussen 30, 63, 121, 170, 174, 176, 178, 179, 181, 182, 184, 186, 187, 192, 193, 202, 213, 241, 364, 404, 410, 415, 416, 417, 419, 420 Sophie Dorothea, Königin in Preussen 80, 324, 519 Sophie, Herzogin, Kurfürstin 793 Sophie, Herzogin, Kurfürstin von Braunschweig-Lüneburg 61, 63,

75, 118, 121, 170, 174, 176, 178, 181, 186, 187, 191, 192, 193, 195, 196, 200, 203, 289, 322, 323, 324, 403, 404, 504, 506 Soto Bruna, Maria Jesús 377 Sowa, Rochus 462 Sparn, Walter 554, 555, 557, 563, 574, 577, 583, 584, 586, 588, 589, 590, 591, 592, 593, 597 Sparwenfeld, Johann Gabriel 369 Spee, Friedrich 415 Spehr, Christoper 551, 599 Spener, Philipp Jakob 570 Spilcker, Burchard Christian von 348 Spinoza, Baruch (Benedikt) de 279, 390, 409, 565, 570, 576, 581, 617, 806 Spittler, Ludwig Timotheus 347, 348 Spoerhase, Carlos 44 St. Vincent, Grégoire de 647 Stäger, W. 779 Stahl, Georg Ernst 104, 765, 770, 773 Stambke, Heinrich Julius 41 Stammel, Hans 694, 695, 696, 712, 726 Stapfer, Johann Friedrich 554 Stattler, Benedikt 601, 613 Staudenmeier, Franz Anton 610 Steck, Karl Gerhard 567 Stegeman, Saskia 170, 204 Stehle, Hansjakob 304 Steiger, Heinhard 306, 307 Stein, Claudio 610 Stein, Ludwig 89, 90 Steiner, Uwe 420, 421 Steinhofer, Johann Ulrich 553 Stein-Karnbach, Annegret 234, 263 Steinle, Friedrich 748 Stellwag, Georg Christoph 445 Stephan, Horst 567, 568, 573, 576, 580 Stepling, Joseph 601 Sterzinger, Ferdinand 601 Steudel, Johannes 228, 765 Stewart, Dugald 449, 458 Sticker, Anton 479 Stiebritz, Johann Friedrich 520 Stille, Hans 806 Stolle, Gottlieb 256 Stolleis, Michael 305, 306, 348 Stölzner, Michael 732, 733 Storchenau, Sigismund von 601 Storost, Jürgen 239

Personenregister Strack, Clara 105, 131, 133, 499, 507, 508, 511 Strasser, Gerhard F. 384 Strecker 594 Strickland, Lloyd 34, 562, 598, 784 Strimesius, Samuel 550 Stroux, Leonhard 241, 242 Struik, Dirk 643 Stuart, Jakob 323 Stuber, Regina 95, 318 Stübner, Georg Albrecht 408 Suarez, Francisco 279 Suisky, Dieter 521 Sully, Maximilien de Béthune, Herzog von 311 Sulzer, Johann Georg 473, 475 Süßmilch, Johann Peter 64 Święczkowska, Halina 387 Swoyer, Chris 437 Sybel, Heinrich von 349 Szabó, István 705, 706, 707, 708, 721 Tarde, Gabriel 497, 531 Taylor, Rodney 423 Tentzel, Wilhelm Ernst 91, 114 Tetens, Johann Nicolas 454, 456 Theodorus (literatische Figur) 732 Thévenot, Melchisédech 782 Thiel, Jens 138, 243, 542, 791, 802, 803, 806 Thielicke, Helmut 588 Thiercelin, Alexandre 274 Thilly, Frank 479 Tholuck, August Gottreu 568, 569, 570, 571, 595, 622 Thomas von Aquin 622 Thomasius, Christian 570 Thomasius, Jakob 108, 279, 391 Thomson, William 460 Thümmig, Ludwig Philipp 106 Thurneysen, Eduard 586 Till, Dietmar 105, 106 Tillich, Paul 579, 582, 596 Toellner, Richard 228, 229 Toland, John 202, 596 Tonelli, Giorgio 473, 474, 475, 476, 477, 478 Torricelli, Evangelista 715 Totok, Wilhelm 139, 197, 198, 226, 234, 261, 262, 366 Trabant, Jürgen 384 Trebra, Friedrich Wilhelm Heinrich von 778, 781

835 Treitschke, Heinrich von 352 Trendelenburg, Adolf 446, 449, 539, 540, 541, 542, 798 Troeltsch, Ernst 575, 576, 577, 578, 582, 583, 584, 594, 622 Tschackert, Paul 595 Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von 226, 642, 647, 648, 652, 653, 657 Twardowski, Kazmierz 449, 461 Ueberweg, Friedrich 29, 32, 95, 106, 372 Uffenbach, Zacharias Conrad von 256 Uhl, Johann Ludwig 98 Ulrich, Johann Heinrich 474 Ulrich, Johann Heinrich Friderich 444 Ulrich, Johann Heinrich Friedrich 100 Ulrich, Otto 226 Ungeheuer, Gerold 448, 451 Unterburger, Klaus 117, 551, 613 Utermöhlen, Gerda 57, 98, 120, 121, 171, 180, 189, 192, 199, 201, 264, 292, 419, 796 Vacca, Giovanni 652 Vahlen, Johannes 415 Vahlen, Theodor 138 Vallisneri, Antonio 771 van den Heuvel, Christine 74 van den Heuvel, Gerd 30, 46, 75, 76, 97, 169, 171, 201, 203, 224, 227, 297, 322, 323, 324, 343, 345, 346, 347, 350, 355, 356, 357, 358, 369, 384, 403, 410, 415, 791, 796, 797, 799, 804, 806, 809 van Helmholtz, Hermann 684 van Helmont, Franciscus Mercurius 410, 506 Van Peursen, Cornelis Anthonie 448 Varani, Giovanna 379, 388, 598 Varignon, Pierre 642, 666, 691, 727 Varnhagen von Ense, Karl 187, 410 Varnhagen von Ense, Rahel 93 Veesenmeyer, Georg 88, 89, 90, 94, 95 Venturini, Karl 346 Vergil 405, 409 Vermeulen, Han F. 373 Véron, Jacques 655, 767 Vesper, Achim 422 Vierhaus, Rudolf 232, 233, 243 Villefosse, Héron de 781 Viviani, Vincenzo 648 Vogel, August 600 Vogl, Joseph 326

836

Personenregister Vogler, Johann Hermann 41, 797 Voisé, Waldemar 227, 285, 300 Volder, Burchard de 434, 504, 506 Voltaire 290, 347, 408, 419, 420 Volz, Lothar 431 Vonessen, Franz 585 Voss, Johann Heinrich 797 Vossius, Isaac 728 Vossler, Otto 329 Vota, Carlo Maurizio 70 Wagner, Astrid 473 Wagner, Gabriel 422 Wagner, Rudolf Christian 89 Wahl, Charlotte 46, 58, 92, 98, 109, 110, 111, 112, 647 Wakefield, Andre 782 Walch, Johann Georg 558 Waldeyer, Wilhelm von 801 Waldhoff, Stephan 54, 69, 137, 140, 146, 170, 256, 265, 266, 267, 345, 358, 365, 384, 403, 469, 691, 794 Walker, Daniel Pickering 376 Wallis, John 102, 447, 642, 648 Wallmann, Johannes 595, 597 Wallnig, Thomas 344 Walsdorf, Ariane 111, 777 Walter, Peter 604 Walther, Peter Th. 233 Waquet, Françoise 170, 171 Waschkies, Albert 783 Waschkies, Hans-Jürgen 782 Watermann, John Thomas 370 Wattenbach, Wilhelm 351 Webster, Charles 769 Wegele, Franz Xaver von 227, 353 Wegener, Richard 421 Wehinger, Brunhilde 184 Wehry, Mathias 257 Weibezahn, Ingrid 794 Weierstraß, Karl 649, 650 Weigel, Erhard 234, 538, 539 Weimann, Karl-Heinz 48, 57, 372, 383, 766 Weis, Nikolaus 117, 604, 605, 607 Weischedel, Wilhelm 809 Weishaupt, Adam 613 Weitlauff, Manfred 604 Weitzel, Karl Ludwig 419 Wellmer, Friedrich-Wilhelm 97, 699, 778, 782 Werber, Niels 419 Werling, Hans Friedrich 619

Wermuth, Christian 91 Werner, Abraham Gottlob 783 Weselow, Christoph 255 Wessel, Katri 384 Westenholz, Melchior Ludwig 258 Widmaier, Rita 318, 382, 383, 385, 388 Wiedeburg, Paul 304 Wieland, Martin 419 Wieleitner, Heinrich 647, 648 Wiemers, Gerald 226 Wieselgren, Harald 369 Wietzke, Joachim 595 Wilhelm III., König von England 322, 323, 324 Wilhelm, Herzog von Gloucester 324 Wilhelmine Amalie von BraunschweigLüneburg 320 Wilke, Mattias 582, 583, 584 Wilkins, John 379, 446 Wilson, Catherine 295, 372, 473, 477, 479, 480, 525, 526, 529 Wilson, Margaret Dauler 444 Winckler, Johann Dietrich 98 Winckler, Johann Joseph 550 Windelband, Wilhelm 193 Windheim, Christian Ernst 503, 504, 521 Winkler, Markus 275 Winter, Eduard 226, 241, 520, 599, 600, 601 Wintersig, Athanasius (Ludwig) 618 Witte, Leopold 568, 569 Wittgenstein, Ludwig 499 Witzel, Wiebke 29 Woellner, Johann Christoph 554 Wolf, Erik 304, 806 Wolf, Gerhard Philipp 602 Wolf, Hubert 612 Wolf, Johann Christoph 87 Wolff, Christian 92, 93, 97, 104, 105, 106, 172, 173, 175, 178, 180, 181, 183, 185, 214, 279, 378, 407, 410, 445, 448, 449, 450, 451, 453, 455, 456, 466, 467, 468, 471, 473, 477, 499, 509, 510, 511, 516, 520, 521, 522, 538, 539, 549, 552, 553, 554, 556, 557, 560, 570, 571, 590, 592, 598, 599, 600, 601, 610, 621, 642, 666, 680, 683, 735, 794 Wolff, Michael 697, 698, 699, 700, 777

Personenregister Wollgast, Siegfried 226 Woltereck, Christoph 79 Woods, John 544 Wrede, Martin 311 Wundt, Max 466, 478 Wundt, Wilhelm 296 Wyttenbach, Daniel 554 Zacher, Hans J. 644, 652 Zahn, Agnes von 220, 222 Zaluski, Joseph Andreas 69 Zander, Helmut 506 Zangger, Christian D. 595 Zedler, Johann Heinrich 179, 181, 347

837 Zeller, Carl Günther 372 Zeller, Eduard 479 Zendrini, Bernardino 642 Zimmermann, Robert 226, 227, 436, 798 Zingari, Guido 539 Zittel, Karl Alfred 783 Zocher, Rudolf 431 Zscharnack, Leopold 594, 596 Zulaika Hernández, Josu M. 384 Zunner, Johann David 48 Zwierlein, Cornel 325 Zwingli, Huldrych 223, 796

Maria Seidl

Pierre Gassendi und die Probleme des Empirismus studIA leIbnItIAnA – sOndeRheft 55 225 Seiten mit 2 s/w-Abbildungen 978-3-515-12341-9 kARtOnIeRt 978-3-515-12344-0 e-bOOk

Pierre Gassendi (1592–1655) ist Philosophen meist für seine Einwände gegen Descartes’ Meditationen bekannt und wird für seine Argumentation in dieser Schrift häufig eher belächelt. Dem außergewöhnlichen Denker Gassendi – der auch Professor für Mathematik war und mit Galileo korrespondierte – wird das in keiner Weise gerecht. Dennoch sind seine weiteren Schriften, einschließlich des Hauptwerks Syntagma philosophicum, bis auf einige ausgewählte Stellen bisher unübersetzt und werden sowohl im englischwie auch im deutschsprachigen Raum gerade erst erschlossen. Maria Seidl stellt nicht nur Gassendis philosophische Grundüberzeugungen dar, sondern untersucht diese auch im Hinblick auf ihre Argumentationskraft. Erstmals legt Seidl damit eine deutschsprachige Studie über das System vor, das Gassendi im Syntagma

philosophicum entwickelt – und zeigt, dass seine Argumentation weit vielschichtiger ist, als ihm üblicherweise zugeschrieben wird. Aus dem InhAlt Epikureische und stoische Erkenntnistheorie | Erkenntnistheoretische Grundlagen bei Gassendi | Universalien, Ähnlichkeit und Begriffsbildung | Rechtfertigung, Skeptizismus und Atomismus | Eine empiristische Philosophie der Mathematik | Gassendis Argumentation für die Immaterialität des Geistes | Literaturverzeichnis dIe AutORIn Maria Seidl hat in Berlin, München und St Andrews Philosophie und Logik und Wissenschaftstheorie studiert. Sie lebt in Berlin und ist dort als Übersetzerin, Lektorin und Schlussredakteurin tätig.

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Luca Basso (Hg.)

Leibniz und das Naturrecht studia Leibnitiana – sonderheft 54 201 Seiten 978-3-515-12288-7 kartoniert 978-3-515-12289-4 e-book

Das Naturrecht ist sowohl für die theoretische Grundlegung der Jurisprudenz im Allgemeinen als auch für den politischen und verfassungsrechtlichen Bereich von großer Relevanz – in seiner Begründung und Anwendung gibt es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Denkern. Im Fokus dieses Bandes stehen die politische Philosophie und die politischen Ideen Leibniz’, weisen sie doch einige besondere Kennzeichen innerhalb des modernen politischen Denkens auf. Metaphysik, Recht und Politik können bei Leibniz nicht voneinander losgelöst betrachtet werden, sein Denken lässt sich nicht auf eine empirische Ebene reduzieren. In vielen Ausführungen geht er über das politische Gebiet im engeren Sinne hinaus und schafft eine strukturelle, aber nicht unmittelbare Verbindung zwischen Metaphysik und Politik. Dennoch sind Politik und Recht bei ihm nicht sic et simpliciter von Metaphysik und Theologie ableitbar.

Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes erörtern Leibniz’ Naturrechts-Konzept im Zusammenhang mit Denkern unterschiedlicher Epochen und Kontexte, darunter Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin, Machiavelli, Besold, Grotius, Hobbes, Spinoza, Locke, Pufendorf und Barbeyrac. mit beiträgen von Luca Basso, Jaime de Salas, Roberto Palaia, Margherita Palumbo, Francesco Piro, Hartmut Rudolph, Brigitte Saouma, Concha Roldán, Andreas Blank, Peter Nitschke, Matthias Armgardt, Mogens Lærke, Cristina Marras, Paul Rateau der herausgeber Luca Basso ist Professor für Politische Philosophie am Institut für Politische, Juristische und Internationale Studien der Universität Padua.

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Michel Serfati

Leibniz and the Invention of Mathematical Transcendence Studia Leibnitiana – Sonderheft 53 XIX, 225 pages with numerous illustrations 978-3-515-12082-1 Softcover 978-3-515-12083-8 e-book

The invention of mathematical transcendence in the seventeenth century is linked to Leibniz, who always claimed it to be his own creation. However, Descartes had created a completely new symbolic frame in which one considers plane curves, which was a real upheaval. Leibniz initially appreciated this Cartesian frame. Although, as we see in the book, during his research he was confronted with inexpressible contexts he then called ‘transcendent’. The development of a concept of mathematical transcendence is at the core of this book. The description follows a pragmatic path by highlighting how and why aspects of the concept were developed and which obstacles were encountered by mathematicians.

Also, there were some dead ends which are described here. Leibniz exceeded Descartes’ ideas on a symbolical level (transcendent expressions), a geometrical level (transcendent curves) as well as a numerical level (transcendent numbers) those are also examined in detail. the author Michel Serfati is Professor of the Higher Chair of Mathematics (Emeritus); for twenty-five years he runs the seminar of Epistemology and History of Mathematical Ideas of the IREM at Paris VII University, which is held at the Institut Henri Poincaré.

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darüber hinaus die umfangreich überlieferten Bestände des Leibniz’schen Schaffens und ihre wechselvolle Publikationsgeschichte zugänglich. Auch die Bedingungen und Bereiche von Leibniz vielseitigen Tätigkeiten für den Fürstenhof und die Gelehrtenrepublik, Akademien und Bibliotheken finden Berücksichtigung. Erst davon ausgehend werden sein universales Profil und dessen Wirkung in die sich differenzierende neuzeitliche Wissenschaftslandschaft erkennbar, die, sei es in der Philosophie, Mathematik, Geschichte, Politik, Sprachwissenschaft, Physik oder im Rechtswesen, bis in die Gegenwart erkennbar ist.

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Nach 300 Jahren der Leibniz-Forschung leistet dieser Band eine Bilanz: Handbuchartig werden Rezeption und Erforschung von Leibniz’ Beiträgen zu den Geistes-, Natur- und Technikwissenschaften dargestellt, um ein Arbeitsinstrument für alle Wissenschaftler und Fachrichtungen zu schaffen, die sich mit Leibniz beschäftigen. Der interdisziplinäre Überblick macht die historischen Kontexte sichtbar, die das Bild des Universalgelehrten und die Konjunkturen der Forschung in den letzten drei Jahrhunderten geprägt haben. Ergänzt wird er durch einen Ausblick auf vorhandene Forschungsdesiderate. Eine Quellenkunde macht

ISBN ISBN 978-3-515-11962-7

9 783515 119627

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag