Glaubenslehre: Der evangelische Glaube und seine Weltanschauung 9783111396231, 9783111033655


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German Pages 413 [424] Year 1928

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Table of contents :
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur zweiten Auflage
Inhalt
Einleitung
Erster Teil: Der evangelische Glaube
Zweiter Teil: Die evangelische Glaubenserkenntnis
Dritter Teil: Die Weltanschauung des evangelischen Glaubens
Schluß
Personenverzeichnis
Schlagwortverzeichnir
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Glaubenslehre: Der evangelische Glaube und seine Weltanschauung
 9783111396231, 9783111033655

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Glaubenslehre

(Ein Anhang enthält ein Verzeichnis der weiteren vände der

Theologie tm Sbritz

Sammlung Ws Töpelmann Vie Theologie im Sbritz: van- 3

Glaubenslehre Der evangelische Glaube und seine Weltanschauung von

D. horst Stephan o. Professor in reipzig

Zweite Auslage völlig neu bearbeitet

1928

Verlag von Slsreb Löpelmann in Sietze«

RUe Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten COPYRIGHT 1928 BYALFRBD TÖPELMANN

Printed in Germany Druck Dow L. G. Röder L. m. b. H., Leipzig. 829628

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Mit einer Monographie über Aufgabe und Methode der systematischen Theologie beschäftigt, erhielt ich die Aufforderung, den Abriß der Glaubens­ lehre für die Sammlung Töpelmann zu schreiben. Ich nahm sie an, weil die praktische Erprobung mir für die Bedürfnisse der schmerzlich veränderten Zeit notwendiger zu sein schien als die grundsätzlich« Erörterung. Denn so viele gute Lehrbücher und Grundrisse wir auch besitzen, es bleibt nach bestimmter Richtung eine Lücke; und sie kam angesichts der heimkehrenden Kämpfet besonders deutlich zum Bewußtsein. Es fehlt ein Bud}, das die geschichtliche Art unsers Glaubens und der dogmatischen Arbeit noch kräftiger als ältere mit dem religiösen Erleben und den Fragestellungen der Gegenwart verwebt, das dadurch zugleich mit der Eigenart die Welt­ weite und die Fruchtbarkeit des evangelischen Glaubens noch deutlicher zeigt. Ein solches Buch muß einerseits, alle äußere Bindung durch die innere, die in dem stets erneuten Rückgang auf den lebendigen, obschon geschichtserfüllten Glauben liegt, anderseits die bloße theorettsche Beschäftigung mit modernen Gedanken durch die innere Auseinandersetzung mit den Stoffen und Bedürfnisien der Gegenwart ersetzen, und muß durch eine bessere Grup­ pierung den organischen Zusammenhang der Stoffe schärfer hervortreten lasten. Erst so kann eine wirkliche Glaubenslehre entstehen... Um dieses 3iel ringt das vorliegende Buch, indem es ohne Rücksicht auf das übliche Schema einfach Wesen, Erkenntnis- und Weltanschauungsgehalt des evangelischen Glaubens herauszuarbeiten sucht. Eine wirkliche Glaubenslehre vermag auch am ehesten die Schranken der theologischen Richtungen ohne künstliche .Vermittelung" zu überwinden. Man wird an dem Buche spüren, daß sein verfaster im Hauptpunkt, dem steten Rückgang auf den lebendigen Glauben, vor allem durch die Linie Schleiermacher-Kitschl-Herrmann *) bestimmt ist; aber hoffentlich ebenso klar, daß er sich ernstlich bemüht, auch von anderen Richtungen zu lernen und der besonderen Bedeutung einer jeden gerecht zu werden. Je tiefer und kräftiger die Glaubenslehre wirklich den Glauben erfaßt, desto leichter wird sie auf allen Seiten das erlauschen, was des Glaubens Art besitzt. *) Wie die Verbindung dieser sehr verschiedenen Männer zeigt, bann es sich dabei nicht um direkte Weilerführung ihrer Ansätze handeln. Meine Austastung Schleiermachers habe ich in Auseinandersetzung mit Brunner (3Ihll 1925, 159 ff., 378 ff.) angedeutet. 3u Ritlchl vgl. klbtb, 4. B., und neuerdings S- Traub in 3THÜ 1927, S. 269ff.; zu Herrmann die im Buche genannten Erörterungen von $. W. Schmidt und de Boor.

VI

Vorwort

3n diesem Sinn durfte ich es wagen, das Luch der theologischen Fakultät Leipzig zu widmen, der ich für unendlich vieles von meiner Studienzeit bis zur Verleihung der Doktorwürde zu hohem Dank verpflichtet bin. (Ein abgeschlossenes System zu geben, kann von Haus aus nicht die Absicht eines solchen Luches sein. Sie kann es auch deshalb nicht sein, weil der verfafler sich selbst noch in lebendiger Entwicklung begriffen weiß. Vas gilt sogar für die ungemein viel verhandelten Stoffe des 2. Teils, der eigentlichen Glaubenserkenntnis... Erst recht entbehrt naturgemätz der 3. Teil der vollen Abgeschlossenheit. Bei der Erörterung der Weltanschauungsfragen hat die Theologie der letzten Jahrzehnte sich in falscher Deutung der Eigenart der Religion so stark zurückgehalten, daß verhängnisvolle Lücken entstanden sind; aber auch die Aufgabe selbst, in der Glaubenslehre die Stoffe der Religionsgeschichte und Philosophie zu behandeln, sowie die starken Wandlungen, in denen diese Gebiete gegenwärtig wiederum begriffen sind, machen Neuansätze nötig, die oft mehr ein leises Tasten, als einen sichern Schritt bedeuten. Sollten die Spuren des Ringens mit dem Stoff an manchen Stellen allzu sichtbar sein, so können sie vielleicht gerade dadurch die Wahrheit deutlich machen: die Glaubenslehre will kein fertiges System zur Aneignung bieten, sondern reizen und anleiten, den geschichtserfüllten lebendigen Glauben nach seiner Tiefe wie nach seiner weite selbständig systematisch zu durchdenken. von Nitzschs Lehrbuch der Dogmatik, das ich in 3. Auflage 1911 f. neu herausgegeben habe, unterscheidet sich die vorliegende Glaubenslehre so stark, daß sie neben ihm wie neben andern grohen Lehrbüchern Raum hat. Sie ist mehr auf die Gegenwart eingestellt, ist im einzelnen knapper und umfatzt doch einen gröheren Kreis von Problemen; sie will nicht Nachschlage» und objektives Drientierungsbuch sein, sondern den Leser zur persönlichen Auseinandersetzung zwingen, ihm innerlich vertraut werden. Aus dieser Zielsetzung erklärt sich manches in der Einrichtung des Buches. Ls möchte erstens lesbar sein, ohne in (vberfiächlichkeit und geistreiches Schlagwort-Spiel zu verfallen; daher verzichtet es auch auf die naheliegende Raumersparnis durch Kürzungen (abgesehen von so leicht erklärlichen wie ntlich und atlich). Es möchte zweitens die wichtigsten historischen Stoffe zum systematischen Verständnis bringen, ohne mit Ballast zu überschütten; neben der Bibel und der altprotestantischen Kirchenlehre soll vor allem eine ungewöhnlich starke Heranziehung Luthers und Schleiermachers das für die theologische Bildung notwendige feste Gerüst gewinnen helfen, weggelaffen ist, was den Vorlesungen vorbehalten bleiben oder leicht aus den verbreiteten theologischen Lexicis und größeren Lehrbüchern beigebracht werden kann (z. B. die bibliographischen Angaben, vor allem bei den landläufigen Gegen» ständen, sowie die objektiven Überblicke über die Geschichte und den heutigen Stand der Probleme); vublettenwirtschaft ist überall von Übel... Marburg, herbst 1920.

horst Stephan

Vorwort zur zweiten Auflage Zunächst habe ich für die freundliche Beurteilung des Buches zu danken. Ls ist mir eine herzliche Freude, daß es nicht nur Studierenden in ihrer Aus­ bildung, sondern auch Pfarrern und Lehrern in ihrer Fortbildung helfen, ja in Arbeitsgemeinschaften als Grundlage des gegenseitigen Austauschs dienen durfte. Aber so freundlich es ausgenommen worden ist, die neue Auflage legte doch eine weitreichende Neubearbeitung nahe. Sie bezieht sich zu­ nächst auf die $orm: zahlreiche Änderungen sprachlicher Art und vor allem eine schärfere Durchgliederung der Gedanken sollen das Ganze in noch höherem Grade durchsichtig machen, wichtiger aber sind die inhaltlichen Veränderungen, die teils die Gesamthaltung, teils allerhand Einzelheiten betreffen, wenigstens einiges davon sei hier angedeutet. Vie geistige Lage selbst hat sich seit dem Erscheinen der ersten Auflage zwar nicht wesentlich gewandelt, aber ihre Besonderheit in der systematischen Theologie weit deutlicher zum Ausdruck gebracht: die neuen Problem­ stellungen sind in den Mittelpunkt der wisienschastlichen Erörterung getreten. So drängt heute vieles auf eine vollständige Neugestaltung der Glaubenslehre. Der Sinn dieses Buches kann es nun nicht sein, selbst eine solche zu versuchen. Dafür müßte der Stoff in viel höherem Matze bereits monographisch durchgearbeitet, d. h. das Neue auf seine Richtigkeit und Fruchtbarkeit geprüft sein. Die systematische Theologie tastet in Kritik und verheitzung noch so unsicher, so gegensätzlich vorwärts, datz eine zusammenfaffende Glaubenslehre vielmehr gut tut, nicht dar Neue, sondern die Kontinuität der Arbeit in den Vordergrund zu stellen. Darin bleibt die zweite Auflage der ersten treu1). Immerhin bemüht sie sich auch hier um einen Fortschritt. Sie will noch stärker als die erste helfen, die Über­ lieferung durch Eintauchung in das Feuer des lebendigen Glaubens flüssig zu machen, ihre gegenwartsmächtigen Inhalte aufzuweisen und so eine umfaffende, rein evangelische Neugestaltung der Glaubenslehre vorzubereiten. 3m Dienste dieses Zieles weist sie überall, soweit er in der Kürze möglich und mit dem Zweck des Buches verträglich ist, auf die gegenwärtige Erörterung und ihre neue Problematik hin; sie gibt an solchen Punkten - nur da - auch dem oft geäußerten Wunsch vermehrter Literatur-Angaben nach. Eine veränderte Grundeinstellung bedeutet dieses Eingehen auf die laufende Erörterung nicht. Wohl aber bekenne ich, datz ich mich in der reinlichen Durchführung meiner Grundeinstellung vielfach durch sie, auch durch die .Randbemerkung" der .dialektischen" Theologie, gefördert weiß. Unter den einzelnen Veränderungen fällt am stärksten die Einfügung von zwei neuen Paragraphen aus. Sie will Absichten, die schon in der *) Die Luther-Zitate wurden noch erheblich vermehrt. — Gegenüber einem an sich berechtigten Purismus sei ausdrücklich bemerkt, datz die Zitate, auch wo ihr Text nicht sicher lutherisch ist, doch echte Gedanken Luthers enthalten.

VIII

Vorwort

ersten Auflage lebendig waren, besser und kräftiger in die Tat umsetzen. Dor allem erhält die .Alleinwirklichkeit Gottes" als der zwar selbstver­ ständliche, aber trotzdem einer besonderen Betonung bedürfende Grundinhalt der gesamten (Blaubenserhenntnis einen eigenen Paragraphen (11). Ferner ist meine Darstellung der Eschatologie so falsch verstanden worden, daß ich diesmal vorziehe, die beiden Funktionen der überlieferten Eschatologie, d. h. die Beziehung einerseits auf das sachlich .Letzte" (§ 15), anderseits auf das zeitlich „Letzte" (§ 23), getrennt zu behandeln; nur so tritt deutlich zutage, daß der Sinn der „Hoffnung" durchaus nicht erschöpft wird, wenn man ihre Darstellungen lediglich als Symbole des sachlich „Letzten" versteht. Doll befriedigt bin ich durch all die vorgenommenen Derbesserungen nicht. Dor allem das Derhältnis der (Offenbarung sowohl zum Glauben wie zur Erlösung und neuen Schöpfung wird noch nicht so klar, wie es nötig wäre. Daß die (Offenbarung - abgesehen von ihrer ausdrücklichen Erörterung in § 6, 5 - an allen Hauptpunkten betont wird, bringt ihre alles begründende und durchstrahlende Bedeutung doch nur notdürftig zum Ausdruck; gerade wer die (Offenbarung nicht einfach mit der Bibel gleich­ setzen kann, wird alle Kraft daran wenden müssen, es unentrinnbar deutlich zu machen, daß eine Glaubenstheologie als solche in eminentem Sinne zugleich (Offenbarungstheologie ist. 3n den neuen theologischen Ansätzen finde ich nur eine stärkere Bewußtheit, nicht eine Klärung des hier ent­ stehenden dogmatischen Problems. Unbefriedigend ist auch —um wenigstens ein weiteres Beispiel zu nennen - der häufige Gebrauch von Schlagworten wie Spannung, Paradoxie und Dynamik. Die Gefahr, durch sie mehr zu verdunkeln als zu erhellen, ist groß. Und doch erwiesen ste sich als unentbehrlich, sofern sie dem Leser in der hier nötigen knappsten Form zwar nicht die Wege, aber wenigstens die Richtung andeuten, in der seine Gedanken Klärung suchen müssen. - Ich tröste mich (wenn es ein Trost ist) in diesen und ähnlichen Schwierigkeiten einigermaßen damit, daß ein Buch wie das vorliegende nicht den Ehrgeiz haben kann, das zu leisten, was die gesamte systematische Theologie der Gegenwart noch nicht leistet. (Es muß und will in aller Bescheidenheit das Ringen spiegeln, in dem diese sich befindet, und damit seinerseits bezeugen, daß auch die heutige Theologie nicht im Wordensein, sondern im werden steht. Möchte es dem Buche wiederum beschieden sein, zahlreiche Leser in das Derständnis der heutigen dogmatischen Arbeit einzuführen, dieser die innere Mitarbeit breiterer theologischer Kreise zu gewinnen (ohne ste ist eine fruchtbare Entwicklung unmöglich) und so auch zu der Erhaltung der notwendigen, aber heute gefährdeten Kontinuität zwischen alter und neuer Problematik beizutragen. Herrn Kollegen D. Karl Thieme in Leipzig danke ich auch diesmal herzlich für seine große sachliche und formale Hilfe. Ebenso Herrn cand. theol. Karl Hennig für Mitlesen der Korrektur und Herstellung der Register. Leipzig, (Oktober 1927.

Horst Stephan

Inhalt Stift

(Einleitung § 1: Die systematische

>-« Theologie

i-u

1 Vie enzyklopädische Stellung der systematischen Theologie.. a) Innerhalb der Theologie 1 sophie 2

1— 3

b) Var Verhältnis zur Philo­

r Vie beiden Wege der systematisch«« Religlonrwistenschast..

3— 5

a) Vie Religionrphilosophie 3 b) Vie Glaubenrlehre 4

r Vo» verhältni* der Glaubenrlehre zur Rellglourphilosophle

S— 8

a) Die Besonderheit der Religionrphilosophi« 5 b) Die Be­ sonderheit der Glaubenrlehre 6 c) Die gegenseitige Ergänzung beider Wege 7 d) Die Unmöglichkeit ihrer Verbindung 7

4 Geschichtliche* a) Altere Ansätze 8

§ 2:

8-11

b) Die Scheidung der Wege 10

Die Glaubenslehre

11—21 11—13

1 Ihre Aufgabe a) Umfang und heutiger Sinn 11

b) Name 12

2 Ihr normativer Charakter

13—16

a) Die Notwendigkeit der Normbildung 13 b) Die Mittel und Schwierigkeiten der Normierung 14 c) Geschichtlicher 16

§ 3:

3 Der Anfban 4 Da* verhillttti* der Glaubenrlehre zu den systematischen Uachbarwstsenschasten......................................................................

16—19

Die (Quellen der Glaubenslehre

21—29

1 Dos objektivistische Verfahren (Bibel und Dogma) 2 Da* snbjektivlstische Verfahren svewutztsein, Erfahrung, Erletal*) ................................................................................................ 3 Crgetal*..............................................................

21—23

19—21

23—26 26—29

a) Die Verbindung beider Motive 26 b) Die Stufenordnung der (Quellen 27 c) Die Heranziehung der (Quellen 29

§ 4:

wichtige Literatur

29—33

1 Au* dem Altprotestantismu* und feiner AnfiSfnng 2 An* der durch Schielermacher begründeten Cnttolckinng de* 19. Jahrhundert*............................................................................ 3 An* der Gegenwart 4 Werke von wesentlich historisch-znsammenfafsender Art ....

29—30

30—31 31—32 33

X

Inhalt

Erster Teil: Der evangelische Glaube................ § 5:

Der Glaubensbegriff................................................................

m-m 34—46

1 Luthers -laude............................................................................ 34—37 a) Sein Werben 34 b) Die Zeugnisse Luthers 35 c) Die Hauptzüge des Glaubens 36 2 Der ctltprotestantirmur............................................................... 37—40 a) Die Reformationszeit 37 b) Die orthodoxe Dogmatik 38 3 Vas evangelische Verständnis des Glaubens.......................... 40—46 a) Die neue geschichtliche Dorbereitung 40 b) Die seelische ctrt des Glaubens 42 c) Die sachliche ctrt des Glaubens 43

§ 6:

§ 7:

§ 8:

Die Begründung des Glaubens ..........................................

46—65

1 Die ctrt der vegründnng........................................................... a) Die ctufgabe 46 b) Die Rolle der Philosophie 48 2 falsche Wege der religiösen Vegründnng................................ a) Subjektivistische Stützen 50 b) Objektivistische Stützen 51 c) (Vbjektiv-subjektioe Begründung auf innere Wunder 51 3 Die vegründnng der Glaubens auf die Gemeinde................ a) Die Gegenwartsgemeinde 53 b) Die biblischen Zeugen 54 4 Die vegründnng des Glaubens auf Jesus Christus ............ a) Die Tatsache 55 b) Die Verbindung von Objektivität und Subjektivität 57 5 Der Gffenbarungsgedanke......................................................... a) Sein religiöser Charakter 59 b) Die überlieferte Behand­ lung des Dffenbarungsgedankens 60 c) Besondere und all­ gemeine Offenbarung 63

46—50 50- 53

53—55 55—59

59—65

Die Lebendigkeit des Glaubens..........................................

65—77

1 Ver Wesensarnnd der Lebendigkeit.......................................... a) Geschichtlicher 65 b) Das evangelische Verständnis der Lebendigkeit 66 2 vle ftMWirfamf h* natürlichen Leben.................................. a) Dos Spannungrverhältnis des Glaubens zur Natur 68 b) Die gegensätzlichen Mißverständnisse 69 5 vle fliswlrfcaia im geistigen Leben...................................... a) Das sittlich« Gebiet 72 b) Das ästhetisch« Gebiet 73 c) Das erkennend« Bewußtsein 74 4 vle Mannigfaltigkeit der -landens........................................

65—68

68—72

72—75

75—77

Die Erkenntnis des Glaubens..............................................

77—84

1 ver Anspruch der Glaubens auf Erkenntnis ........................ a) Der ursprüngliche Anspruch und seine Preisgabe 77 b) Die Neuentdeckung der Glaubenserkenntnis 78 2 vle unmittelbare persönliche Art der -lanbenserkenntni» - ■ 3 Vie symbolische Art der -lanbenserkeantais........................

77—80

80-81 82—84

Inhalt

XI

Zweiter Teil: Die evangelische Glaubens­ §

erkenntnis .................................................................................

85-260

9: Die Anordnung............................................................................

85— 89

1 hißarischer Uderdlick.................................................................... a) Die ältesten Ansätze 85 b) Straffere Sqjtembilöungen 86 c) Neue Dersuche 87 2 Die de» wese« der Glaubens entsprechende Gruppierung

85— 87

87— 89

A. Die Gotteserkenntnis des Glaubens.................... 89—irr § 10: Methodisches.....................................................................................

89— 96

1 Dar chrißaze«1rifche Verfahren................................................... 2 Kritik der überlieferten natürliche« Gattererkenutnis .... a) Die articuli mixti 91 b) Die Lehre von den tres viae 91 c) Die Gotterbeweife 91 d) Wesen und Eigenschaften Gotter 93 3 Die Gruppier««- der Aussage«...................................... .... a) Grundsätzlicher und Kritischer 94 b) Die positive An­ wendung 95

89— 91 91— 94

§ 11: Die Alleinwirklichkeit Gottes.................................................

94— 96

96—105

1 Der Shm der Auslage.................................................................. 96—100 Die d»g«atifche« Dezeichmmge«................................................. 100—105 a) Aussagen über Gotter Wesen 100 b) Die Schöpfung 102 c) Die Erhaltung und ihr Verhältnis zur Schöpfung 103

2

§ 12: Die Heiligkeit Gottes.................................................................... 105—115

1 D»r Begriff der Heiligkeit ............................................................ 105—108 2 Die «lttnacht Gatter.........................................................................108-109 3 Die AR-e-en»art n«d Ewigkeit Gotter..................................... 109—112 a) Die Allgegenwart 109 b) Die Ewigkeit 110 4 Die Urgeißigkeit Gatter................................................................ 112—115 a) Auf dem Gebiete der Erkenntnis 113 b) Auf dem ästhe­ tischen Gebiet 113 c) Auf dem sittlichen Gebiet 114 § 13: Die Nähe Gottes............................................................................. 115—126

1 Der Begriff der Hüffe Gatter........................................................115—117 Gatt als die Liede...........................................................................117—121 a) Der paradoxe Lkarakter der göttlichen Liebe 118 b) Ihr Inhalt 118 c) Die Biiber für die Liede Gotter 120 3 Die Dorfeffang «nd Güte Gatter................................................. 121—125 a) Der Sinn der Vorsehungrglaubenr l21 b) Anwendungen 122 4 Die Engel............................................................................................125-126

2

§ 14: Die Persönlichkeit Gottes........................................................... 126—133 1 Der Sinn der Aussage.................................................................... 126—129 a) Das persönliche in der Heiligkeit Gotter 126 b) Das persönliche in der göttlichen Liebe 128 c) Das persönliche in der Verbindung von Heiligkeit und Nähe Gotter 129 2 Einwendungen................................................................................... 129—133 a) Der Sprachgebrauch 129 b) Der sachliche Gegensatz 130 c) Aus der Geschichte der Lehre 132

XII

Inhalt

B. Vie Heilserkenntnis des evangelischen Glaubens...

133- 238

§ 15: Das Christentum als die Heilsreligion

134—144

1 51t Bedeutung des Heils im evangelischen Christentum •.. 134—138 a) Der (Bedanke der (Erlösung 134 b) Der (Bedanke der neuen Schöpfung 136 c) Die geschichtliche strt des christ­ lichen Heils 137

2

Das ßellsjiel

138-144

a) Der überlieferte Nahmen der Heilsgeschichte (Urständ und Eschatologie) 139 b) Die Nussage des Glaubens 141

I. Das heil unter dem Gesichtspunkt der Erlösung

144—199

§ 16: Die menschliche Not

144—16O

1 Die altprotestantische Uircheniehre

144-148

a) Der Urstand als Maßstab 144 b) Die eigentliche Sünden­ lehre 146 c) Kritik der altprotestantischen Lehre 146

2 Die natürliche Not des Menschen 3 Die religiSs-stttllche Not des Menschen

148—150 150—155

a) Unsere Not als Sünde 150 b) Erklärungen der Sünde 151 c) Die überindividuelle Macht der Sünde 153 d) Sünde, Schuld, Gericht 154

4 Die natürliche im Lichte der religiös-sittlichen Not

156—158

a) Die evangelisch - christliche Auffafiung 156 b) vergleich mit anderen Religionen und Konsessionen 157

5 Der Ursprung der Sünde

158—160

§17: Der heilsmittler. Grundsätzliches

160—167

1 Die geschichtilch-persSnUche Art der heiisverrnitlinng

160—163

a) Die Bedeutung des persönlichen 160 b) Die Bedeutung des Mittlertums Jesu sür das Christentum 162

2 Die historischen Schwierigkeiten 3 Person und Werk Jes« § 18: Die

Entwicklung

der

Lehre

163—166 166—167

vom

heilsmittler

im

Protestantismus

167—179

1 Die aitprotestantische Uircheniehre a) De persona Christi 167

2 tteue Ansätze a) Lhristologie 174

167—174

b) De munere triplici 171 174-179

b) Das Werk Jesu 177

§19: Der evangelische Glaube an den heilsmittler

1 Das Werk Jesu

180—193 180-189

a) Sinn und Verhältnis der drei Ämter 180 b) Das pro­ phetische Amt 181 c) Das priesterliche Amt 183 d) Das königliche Amt 187 e) (Ergebnis 188

2 Die Person Jes« a) Die persönliche (Einheit seines Werkes 189 b) Gott in Jesus 190 c) Dogmatische Zormulierungsversuche 192

189—193

XIII

Inhalt

§ 20: Der übergeschichtliche Mittlertums

Rahmen

der

geschichtlichen

194—199

1 Der Ursprung Zes« a) Die präexiftenz Jesu 194 Zesu 195

194—196 b) Die jungfräuliche Geburt

196—199

2 Der Anrgang Zes« a) Die Höllen- und Himmelfahrt 196 b) Die Auferstehung 196 c) Die Erhöhung zur Rechten Gotter 198

II. Das heil unter dem Gesichtspunkt der neuen Schöpfung 199—238

§ 21: Das walten des heiligen Geistes 1 Der Begriff de» heiligen Geißer

199—213 200—204

a) Die Überlieferung 200 b) Die ntlen Auslagen 201 c) Der Sinn des Begriffs 202 d) Geist und Mystik 203

2 Die Surmttknngen der heiligen Geißer in der Gemeinde (Uirche)............................................................................ 205—208 a) Geist und Gemeinde 205 b) Gemeinde und Kirche 206 3 Die individuelle Auswirkung des Geißer 209—213 a) Allgemeines 209 b) Der ordo salutis (Heilsordnung) 209 c) Die Heiligung 211

§ 22: Die Gnadenmittel der Heilsgemeinde

1 Der Sian der Gnadenmittel

213—227

213—215

2 Des Watt Gotter 215—219 a) Aus der Geschichte der Lehre 215 b) Die Mannigfaltig­ keit des Wortes 216 c) Gotteswort und Bibel 217 3 Die Sakramente 219—223 a) Die oorprotestantische Entwicklung 219 b) Die protestan­ tische Überlieferung 220 c) Die evangelische Deutung 222

4 Die ßanse 5 Dar Sdendmahi § 23: Die christliche Hoffnung

1 Sinn nnd Methode einer evangelischen Eschatologie 2 Die protestantische Überlieferung (de novlsslmls) 3 Die hoffnnngrgedanken des evangeli chen Glanbens a) Das universale 3iel 231 b) Das ewige Leben 234

223-225 225—227

227—238 227—229 229—231 231—238

G Die innere Einheit der evangelischen Glaubens­ erkenntnis 238-260 § 24: Die Trinitätslehre

1 Die Uirchenlehre 2 Uritische Würdigung 3 neuere Umbüdnngsversuche

239—246 239—241 241—243 243—246

XIV

Inhalt

246—252

§ 25: Die Prädestinationslehre

1 Der Doppelsinn de» prSdestinationrgedankenr (Panin») • - 246—247 2 Sngnffin nnd die Beformatoren 248—251 3 Heuere Umdildnngen 251—252

§ 26: Die Rechtfertigungslehre

252—260

1 Der Shm der Bechtfertignngriehr« 2 Die Schwierigkeit nnd Derengnng der Lehre 3 Die Serfetznng nnd UendegrÜndnng der Lehre

252—255

255—257 257—260

Dritter Teil: Die Weltanschauung des evan­ gelischen Glaubens .............. § 27: Die Aufgabe

261—378

261—271

1 Ihre Notwendigkeit 2 Der Begriff der weit 3 Da» wissenschaftliche Weltbild

261—262 262—264 264—269

a) Seine Unentbehrlichkeit 264 b) Die Selbständigkeit der Weltbilds 265 c) Die Schranken des Weltbilds 267

4 Die weitonschonnng a) Ihr Sinn 269

269—271

b) Die Schwierigkeit 270

A. Die tDelt der Religion

271—307

§ 28:

271—278

Das Problem der Fremdreligion

1 Der Eindruck der Tatsachen 271—273 2 Die früheren Auffassungen der grembreligion Im Lhriffentnm 273—275 3 Snr TinffeRnng der Slanben»lehre 276—278 a) Methodische Grundsätze 276 wissenschaft 277

b) Die Hilfe der Religions­

§ 29: Vie Stellung des (Klaubens zu den fremden Religionen 278—293

278—283

1 Die Prophetie a) 3n Israel; Muhammed, Zarathustra 279 Gesamtwürdigung 281

b) Religiöse

2 Die natürliche Religion 283—291 a) Die philosophische vildungsreligion 283 b) Die Mystik 285 c) Die (Offenbarung in der natürlichen Religion 290

5 Die primitive Religion

291—293

§ 30: Das Christentum als die Weltreligion

1 Einheit und RLgemeindegriff der Religion a) Ihre Allgemeinheit 293 ligion 295

293—307 293—297

b) Der Rllgemeinbegrifs der Re­

2 Der Sang der Religionrgefchichte

297—301

a) Entwicklung und Aufstieg 297 b) Maßstäbe und Siel 300

3 Die Rdfolrrtheit des Christentums a) Rational-statische Auffassungen 301 dynamische Auffassung 303

301-307 b) Die geschichtlich­

XV

Inhalt

B. Die Welt des Geistes

307—344

§ 31: Vas Problem des außerreligiösen Geistesleben

307—315

1 Vie Lage

307—308

2 Vie Schmierigkeiten

308—315

a) Allgemeine Voraussetzungen 308 b) Die Entscheidung zwischen den philosophischen Richtungen 310 c) Der kritische Realismus und der kritische Idealismus 312 § 32: Vie Stellung des Glaubens zu den Hauptgebieten des allgemeinen Geisteslebens 315—330

1 Var Gebiet der Logischen

315—319

a) Logik und (Offenbarung 315 neue Schöpfung 318

b) Logik, Erlösung und

2 va« Gebiet der Ästhetischen

319—323

3 Var Gebiet der rittNchen

323—326

4 «inseitige Verbindungen der Religion mit anderen Geister­ gebieten ........................................................................................... 326—330 § 33: Die Universalität und das Wesen der Religion

1 ver vegriff der Geister

330—332

2 Vie Siel»«- der Religion im Geisterleb«»

a) Die verschiedene Einstellung der Religionen 332 evangelisch-christliche Deutung 334

332—336

b) Die

3 Var Wesen der Religion

a) Der Normbegriff 337

330—344

337—340

b) Das Problem des Rpriori 340

4 Var Problem der christlich«» Zdeallrmnr

341—344

a) Die Fragestellung 341 b) Die idealistischen (bottesberoeife 342

C. Das Weltganze

344—378

§ 34: Vie christliche Naturanschauung

344—352

1 Vie Problematik der Natnrbe-rifir

344—345

2 Vie christliche Naturanschauun- in der Vergangenheit .... 345—348

3 Vie evangelisch« Wertung der Natur § 35: Christlicher

Gottesglaube

und

348—352

Naturzusammenhang 352—364

1 ver EntmiLlungrgedank« und seine Grenzen

352—355

2 Vie evangelisch« Deutung der «ntwiLlung

355—359

3 Var Wunder

359—364

a) Geschichtliches 359 b) Grundsätzliches 361 c) Entwicklung und Wunder 362

XVI

Inhalt

§ 36: Die Einheit der Welt

364-378

1 Der christliche Gedanke der Welteinheit a) Die empirische Welt 365 reich 367

364-371

b) Neuschäpfung und (bottes­

2 Immanenz nnd Transzendenz (Panentheismus) 371—374 L Sndere philosophisch-religiöse Varstellungen der lvelteinkeit 374—378 a) Kosmische Gottesbeweise, Trinitätslehre 374 b) Philo­ sophische Systeme 375 c) Der letzte Sinn des weltanschauungrringenr 377

Schluß

379-390

§ 37: Die Wahrheit des Christentums

379-390

1 ver Sinn bet wahrheitsfra-e

379-383

a) Der allgemeine Begriff der Wahrheit 379 b) Die Knwendung des Begriffs auf He.igion und Christentum 381 c) Die bleibende Aufgabe 382

383—387

2 Vie formale vewöhrung a) Die Bewährung im Geistesleben 383 geschichtliche Bewährung 386

3 Vie inhaltliche Bewährung

b) Die religions­ 387—390

personenverzeichnis

391—393

Zchlagworwerzeichnis

394—397

(Einleitung

§1

1

Einleitung § 1. Die systematische Theologie 1. Vie enzyklopädische Stellung -er systematischen Theologie. Vie Glau­ benslehre ist systematische Theologie. Sie zeigt also nicht den empirisch-ge­ schichtlichen Zusammenhang, der die Welt des Christentums unter den Ge­ sichtspunkten der Aeitfolge und der genetischen Entwicklung verbindet, sondern den sachlichen Zusammenhang, der alle Einzelformen und Einzelinhalte als besondere Glieder eines einheitlichen Ganzen der christlichen Religion ver­ stehen lehrt; dieses „verstehen" aber bedeutet nicht nur ein Erklären und Ableiten, sondern vor allem eine Normierung unter dem Gesichtspunkt der Sache, um die es sich im christlichen Glauben handelt, d. h. der Offenbarung des lebendigen Gottes. Damit ist die enzyklopädische Stellung der systematischen Theologie gegeben,

a) Innerhalb der Theologie. Sie setzt einen Überblick über die Tatsachenwelt des Christentums voraus, den ihr nur die geschichtliche Wissenschaft, einschließlich ihrer psychologischen Arbeit, schaffen kann. Sie erbaut sich also auf dem Grunde der historischen Theologie und würde ohne diese Gründung im Bodenlosen schweben. Ja sie wird von der historischen Theologie als Fortsetzung ihrer Arbeit gefordert. Venn sie sucht die Fragen zu beantworten, die von der historischen Theologie auf­ geworfen, aber nicht gelöst werden, untersucht ihre Begriffe, prüft ihre Methoden, beurteilt und klärt ihre Ergebniffe unter grundsätzlichen Gesichts­ punkten und steigt so zu einheitlichen Anschauungen und Begriffen vom Wesen des Protestantismus, des Christentums, der Religion auf. Sie ist vlso nicht die Wurzel, sondern die Krone der Theologie'). Eine Zwischenstellung zwischen historischer und systematischer Theologie nimmt die Religionspsychologie ein. Doch hat sie noch kein scharf umrissenes, festes Gepräge. Sofern sie dazu neigt, eine besondere Disziplin zu werden, die durch Fremd- und Selbstbeobachtung, durch statisttsche und *) vorausgesetzt ist hier di« Auffassung der Theologie als selbständiger, der christlichen Gemeinde zugeordneter Wissenschaft. So hat schon Schleiermacher den Begriff neu verstanden, und die gegenwärtig«, freilich oft unevangelisch zu­ gespitzt« Erörterung bewegt sich, im Gegensatz zur religionswissenschaftlichen Auf­ fassung, auf derselben Bahn; vgl. Barth, Peterson, Pfennigsdorf, Piper u. a. SU 3: Stephan, Glaubenslehre.

2. stuft

j

2

Einleitung

§1

experimentelle Untersuchungen unsere Kenntnis der Tatsachen bereichert*), tritt sie enzyklopädisch neben die historische Theologie, gehört also mit zur Grundlage der systematischen. Sofern sie aus der Fülle der tatsächlichen Erscheinungen bestimmte Typen herausarbeitet und vergleicht, beginnt sie bereits die systematische vurchdenkung des Stoffes, bedeutet also eine Art Übergang von der historischen zur systematischen Theologie. Ihre um« faffendste Bedeutung aber hat sie als Methode, sofern sie überall von den Lutzeren Formen, auch den Vorstellungen und Gedanken, auf das innere Leben einerseits der Religion selbst, anderseits der empirischen religiösen Individuen zurückführt, also die organischen Zusammenhänge des religiösen Lebens aufgrabt, in diesem Sinn gehört die Religionspsychologie zum

Rüstzeug wie aller, so besonders auch der systematischen Theologie. b) Vas Verhältnis zur Philosophie. Es ist sehr viel schwieriger zu bestimmen. Natürlich laufen, wie zwischen allen Gebieten der Wissenschaft*), so zwischen systematischer Theologie und Philosophie zahlreiche Verbindungs­ fäden. Insofern ist auch die systematische Theologie abhängig von der Philosophie,- ihr Betrieb setzt eine gründliche philosophische Bildung voraus. Aber das gilt nur in dem allgemeinen Sinn der gegenseitigen Verflechtung aller Wissenschaften und in dem besonderen formalen, datz die Logik gewiffe Voraussetzungen aller Wissenschaft bearbeitet; nicht in dem anderen Sinn, der vielfach die systematische Theologie verdorben hat, nämlich in dem eines inhaltlichen Aufbaus auf philosophische Sätze. 3m Gegenteil, soll die Be­ ziehung beider Gebiete über formale Fragen der Logik, Psychologie usw. hinaus inhaltlich fruchtbar werden, dann mutz die Philosophie ihrerseits wie auf andere systematische Einzelwiffenschasten, so auch auf die systematische Theologie ausbauen, wie sie an die grundsätzliche Durcharbeitung anknüpfen mutz, welche die Ethik an den geschichtlich-psychologisch gefundenen Tatsachen des sittlichen Lebens und die Ästhetik an denen des ästhetischen Lebens vollzieht, und nicht ihrerseits diese beherrschen darf, so auch auf dem l) So die Amerikaner (am fruchtbarsten für die Theologie ist W. James, Die rcL Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, übersetzt von Wobbermin, 41925; neuer­ dings Leuba, Die psych. der rel. Mystik, deutsch 1927); das „Archiv für Religions­ psychologie", Hrsg. v. W. Stählin I 1914 II f. 1921; Girgensohn, Der seel. Aufbau des rel. Erlebens, 1921. Dgl. zur Rps. überhaupt: die „Einführungen" von K. Österreich, 1917, und w. Koepp, 1920; wobbermin, Syst. Theologie nach rel.psych. Methode (§ 4,3), und „Methoden der rel.-psych. Arbeit" 1921 (in Abder­ haldens Handbuch d. biolog. Arbeitsmethoden); Gruehn, Religionspsychologie, 1926; Religionspsychologie, Veröffentlichungen des Wiener rel.-psych. Forschungsinstituts, Hrsg, von K. Beth, seit 1926. *) (Vb und inwiefern Philosophie (und systematische Theologie) als eigentliche , Wissenschaft" im strengen Sinne des Wortes gelten darf, kann hier nicht erörtert werden. Wir brauchen den Begriff in dem weiteren Sinne, der neben der eigentlichen Tatsachenforschung auch alle normativ-systematische Verarbeitung der Tatsachen und ihrer Erforschung mit einschlietzt. Je mehr freilich die Philosophie wieder beginnt, der persönlichen Entscheidung, dem Lebensgehalt und der Gefinnungstat Raum zu geben, desto stärker wachst sie aus dem Rahmen der „exakten" Wissenschaft heraus, verliert die Allgemeingültigkeit im gewöhnlichen Sinne des Wortes und wird entweder selbst religiös oder rückt doch in die Rahe der Religion („prophetische Philosophie").

§1

Die systematische Theologie

3

Gebiet« der Religion. Was jenen recht, ist diesem billig. Entweder die Philosophie verzichtet ihrerseits auf die Behandlung des religiösen Gebietes, dann schränken sich die Beziehungen der systematischen Theologie zu ihr auf formale Linien ein; oder sie zieht mit dem ganzen Bestand des mensch­ lichen Daseins, der „Werte", der Kultur usw. auch die Religion in ihr Bereich, dann mutz sie, um nicht in einen mehr oder weniger geistvollen Dilettantismus zu fallen, mit allem Ernst von der Arbeit der systematischen Theologie zu lernen suchen; nur in diesem Fall wird sie auch der systema­ tischen Theologie reichere Gaben schenken können. Demnach ist bas Ver­ hältnis der systematischen Theologie zur Philosophie erheblich unbestimmter und verwickelter als das zur geschichtlichen Theologie. freilich baut die Philosophie nur ungern (Ergebnisse der systematischen Theologie in ihre Grundlagen ein. Das ist die Folge der eigentümlichen Schwierigkeiten, die dieser nach Seite der Methode wie der Gebietsab­ grenzung noch immer anhaften. Denn die systematische Theologie leidet erstens unter der Spannung, die sich aus dem Gegensatz zwischen dem Streben der Wisienschast nach Allgemeingültigkeit und der geschichtlichen, darum auch partikularen Art aller lebendigen Religion ergibt; sie ist zweitens mehr als die historische Theologie oder die Philosophie gedrückt durch die Nach­ wirkung veralteter wissenschaftlicher Methoden.

2. Vie beiden Wege der systematischen ReN-ionrwiffenschaft. Um wenigstens nach einer wichtigen Seite die Lage entwirren zu helfen, unter­ scheiden wir zwei verschiedene Arbeitsweisen in der systematischen Durch» denkung des religiösen Gebiets, die der Religionsphilosophie und di« der Glaubenslehre. Bei dem Verständnis ihrer gegenseitigen Abgrenzung kommt alles auf den Ausgangspunkt an. s) Die Religionsphilosophie. Sie geht von der Aussonderung eines besonderen religiösen Gebietes im Rahmen des Geisteslebens aus und denkt von vornherein die ganze Fülle der religionsgeschichtlich.psycho. logisch beschafften Stoffe als ihre Grundlage. Sie ist also Glied der all­ gemeinen Religionswissenschaft, die alle Religionen gleichmätzig bearbeiten und würdigen möchte. Sie mützte zunächst die einzelnen Religionen systema­ tisch durchforschen, dann über der Systematik der einzelnen Religionen be­ stimmte Typen, gemeinsame Züge, Sach- und genetische Zusammenhänge, den inneren Grund der Verschiedenheiten und zuletzt einen Religionsbegriff herausarbeiten, der wiederum die Verbindung mit dem allgemeinen System des Geistes erstreben mühte. Der religionsgeschichtliche und religionspsychologische Stoff schreit nach einer solchen Religionsphilosophie. Darum waren und sind bedeutende Vertreter der systematischen Theologie (Troeltsch) bestrebt, ihre Wisienschast nach dieser Richtung auszuweiten. Das systematische Ver­ ständnis des Christentums als solchen, die eigentliche Hauptaufgabe der systematischen Theologie, sinkt dann zu einer logisch untergeordneten Teil­ aufgabe herab. Wenn man ihr besonders viel Zeit und Kraft, Überhaupt eine Vorzugsstellung widmet, so kann das in diesem Zusammenhang nur praktisch begründet werden: das Thristentum zählt die meisten Interessenten einer solchen Wisienschast, und es ist ein besonders reiches, schon viel be-

1*

4

(Einleitung

§1

arbeitete Exemplar der Gattung Religion. Vie neutrale Haltung gegenüber den verschiedenen Religionen, die Rbzweckung auf allgemeine Satze über die Religion und über ihre Stellung im allgemeinen System öes Geistes­ lebens wird dadurch grundsätzlich in keiner weise beeinträchtigt*). b) Die Glaubenslehre*), allein die ursprüngliche absicht der systematischen Theologie ist eine andere. Sie entspringt wie jede wirkliche Wissenschaft nicht einem vorbedachten, rational-konstruktiven, gegenüber den einzelnen Lebensinteressen neutralen System, sondern dem Druck und Reiz be­ stimmter Rufgaben, die das Leben beständig emporwirbelt. Der christliche Glaube selbst verlangt für die Pflege seines Lebens ein zusammenhängendes Verständnis und damit eine systematische Durchdenkung seines Bestandes, eine Glaubenslehre, auch für die fremden Religionen und Geistesfunktionen interessiert er sich dabei, aber nur insofern, als sie seinen Weg kreuzen oder sein Selbswerständnis irgendwie erleichtern, und insofern, als sie von seinem universal ausgespannten Gottesglauben Deutung fordern. Rnsätze einer solchen Glaubenslehre finden sich schon bei Paulus. Die Tatsachen der erlebten (Offenbarung und eigenen inneren Geschichte sowie die der atlichen und heidnischen Welt reizen ihn zur Durchdenkung im Dienste seines Glaubens; je weiter sein Gesichtskreis im Verhältnis zu dem der Urapostel ist, desto kräftiger wirkt der Zwang dazu. Er mutz den ihm verliehenen Glauben, mutz seine Sendung vor sich selber klären und andern erklären, mutz an allem, was in sein religiöses Blickfeld tritt, die Gedanken seines Glaubens erproben und weiten (f. § 28,2). Sein wirken zwingt ihn immer tiefer in diese Denkentfaltung hinein, predigt und Mission fordern eine Entscheidung über die Frage nach dem wesentlichen des Christentums und nach der Möglichkeit einer Übersetzung vom jüdischen auf den heidnischen Boden. So wird ihm das Denken zum äuge des Glaubens und der Glaube zur Seele des Denkens. was aber bei Paulus hervortritt, das bleibt auch weiter bezeichnend für die aufgabe der systematischen Theologie als Glaubenslehre. Gewiß entwickelt sie sich später mächtig. Die systematischen Gedanken, die anfangs einzeln hervorgetrieben wurden, verbinden sich zu einem Ganzen ; sie erzeugen eine zusammenhängende Wissenschaft und bestimmte Methoden, allein diese Wissenschaft will nach wie vor dem Glauben durch wissenschaftliche Klärung seines Gebietes dienen und erweitert ihr Gesichtsfeld nur insofern, als dieser Dienst es fordert, auch wo er sich über die ganze Welt der Religion und Bildung ausdehnt, ist doch die Rbzweckung und Stimmung der arbeit eine andere als bei der Religionsphilosophie: sie ist nicht neutral, sondern christlich; sie will weniger das Christentum durch die allgemeine Religions­ geschichte, als die allgemeine Religionsgeschichte durch das Christentum Der') Eine Religionsphilosophie, die sich von der in der vorigen Anmerkung er­ wähnten „prophetischen" Philosophie tragen läßt, müßte die neutrale Haltung aufgeben und ein enges Verhältnis zur Glaubenslehre gewinnen. Da aber vor­ läufig noch keine ausgeführten proben einer solchen keligionsphilosophie vorliegen, kann sie hier noch nicht herangezogen werden; doch s. S. 8 über Brunner. *) Zum Sprachgebrauch {. § 2,1.

§1

Die systematische Theologie

5

stehen lehren, sie will dem Christen zeigen, worin die „Wahrheit" seines Glaubens besteht und welchen Sinn von da aus alle Wirklichkeit, alle Bildung empfängt. Vie Religionsphilosophie kann dem Glauben diesen Dienst nicht leisten, also gehört die Glaubenslehre zu seinen Lebensnotwendigkeiten. r. Var Verhältnis der Glaubenslehre zur Religionsphilosophie. Zunächst sahen wir, daß beide mit innerer Notwendigkeit aus bestimmten Tatsachen und Bedürfnissen erwachsen, die eine aus denen der allgemeinen Religionsgeschichte und Religionspsqchologie, die andere aus denen der christlichen Religion und Theologie, also mit aller wirklichen Theologie aus dem Leben der Gemeinde. Daher besitzt jede von beiden eine unverwischbare Besonderheit. a) Die Besonderheit der Religionsphilosophie. Sie ver­ spricht, aus der Durcharbeitung des ganzen geschichtlichen Stoffes einen Begriff der Religion und ihrer wichtigsten Typen zu schaffen, der ein kritisches Licht über alle Einzelerscheinungen sowie über das Verhältnis der Religionen zu­ einander und der Religion zum allgemeinen Geistesleben wirft. (Eine Be­ arbeitung des Christentums in diesem Rahmen kann sicherlich überaus frucht­ bar werden. Nicht nur datz der durchgeführte vergleich mit den übrigen Reli­ gionen jede Einzelheit neu beleuchtet, die in dem einseitigen Ausgangspunkt der Glaubenslehre liegenden Fehlerquellen stopfen Hilst und als heuristisches Prinzip vernachlässigte Züge herausfinden lehrt - auch im ganzen mutz die Be­ sonderheit und damit das Wesen des Christentums selbst dabei noch deuüicher werden. Insofern lebt die Glaubenslehre inhaltlich mit von der fruchtbaren Arbeit der Religionsphilosophie und mutz diese als vundesgenossin begrützen. Etwas anders steht es mit dem formalen Vorzug der wissenschaftlichen (Vbjektivität und Kllg em ein gültig keit, den die Religionsphilosophie beanspruchen zu dürfen glaubt, hier ist die gröhte Vorsicht geboten. Denn jede genauere Betrachtung entdeckt auch in ihr den subjektiven Einschlag. 3a dieser Einschlag ist notwendig. Der Religionsphilosoph vermag die vor seinem Auge liegende religiöse Welt nur dann zu verstehen, wenn er aus eigenem Erleben weih, was lebendige Religion ist; sonst verwechselt er beständig Kern und Schale, wesenhaftes und Zufälliges, Ursprüngliches und Abgeleitetes. Besitzt er aber eigenes religiöses Leben, dann trägt er es unwillkürlich auch in seine Forschung hinein, und zwar gerade an den wichtigsten Punkten. Trotz seinem Streben nach (Vbjektivität schafft er entweder eine christliche oder eine buddhistische oder eine ganz individuell-religiöse oder auch eine anti­ religiöse Religionsphilosophie. Mag er seine persönliche Stellung noch so geschickt vor sich und anderen verstecken, über die tiefsten Fragen entscheidet er nur Kraft seiner eigenen, durch seine Umwelt mitbestimmten Frömmigkeit. Streng methodisch denkende und klar sehende Religionsphilosophen, die theologisch geschult sind, erkennen heute diesen subjektiven Einschlag durchaus an'). So bleibt denn unter dem Gesichtspunkt der Subjektivität nur ein ') So vor allem Troeltsch (f. unten § 1, 4 b). Scholz läßt sich durch diese Einsicht verführen, sogar di« historische Grundlegung seiner Religionsphilosophie (• 1922) auf einen bestimmten .hochwertigen" Ausschnitt der Religionrgeschichte, die .ponderable" Religion, zu beschränken — d. h. die Religionsphilosophie von vorn­ herein zu verengen.

6

Einleitung

§1

gradueller Unterschied von der Glaubenslehre übrig. Vie Religionsphilosophie erstrebt immerhin meist eine wirkliche (Objektivität, während die Glaubens­ lehre sich bewußt ist, von einer bestimmten religiösen Macht getragen zu sein und gerade in dieser Subjektivität das wahrhaft (Objektive in unvergleichlicher liefe zu erfassen. Durch einseitige Betonung ihrer (Objektivität gerät die Religions­ philosophie sogar in schwere Gefahren. Sie verliert dabei die Aufmerk­ samkeit auf ihren notwendigen subjektiven Einschlag, d. h. aber auch auf die in diesem liegende Fehlerquelle, versäumt es, sie beständig im Auge zu haben, und fällt ihr daher desto sicherer zum (Opfer. (Es entsteht eine scheinbare (Objektivität, die trügerischer und unwissenschaftlicher ist als die bewußte und darum selbstkritische .Subjektivität" der Glaubenslehre. Gesteigert wird diese Gefahr durch den jetzigen Zustand der Religions­ wissenschaft. Sie steht der unendlichen Fülle ihres Stoffes und seinen fachlichen Schwierigkeiten außerhalb des christlichen Gebietes zumeist noch als Anfängerin gegenüber; es fehlt ihr vielfach nicht nur die genügende Kenntnis, sondern auch die methodische Sicherheit. Darum wird sie noch weithin von Dilettantismus, Willkür und abenteuernder Phantastik beeinflußt und zwar gemeiniglich da, wo sie mehr geben möchte als Feststellung der Tatsachen, d. h. wo sie die größten wissenschaftlichen Ansprüche gegenüber der Glaubenslehre erhebt. So hat die Religionsphilosophie alle Ursache, ihre notwendige und verdienstvolle Arbeit in strenger Zurückhaltung zu tun. Sie darf beständige Berücksichtigung fordern, sofern sie der Glaubenslehre das Blickfeld er­ weitert, Stoffe und Gesichtspunkte schenkt, darf aber weder die Alleinherr­ schaft in der systematischen vurchdenkung des religiösen Gebietes überhaupt, noch im besonderen die Herrschaft über die Glaubenslehre beanspruchen, b) Vie Besonderheit der Glaubenslehre. Ihr Vorzug be­ steht zunächst in der größeren Sicherheit ihrer historisch-psychologischen Grund­ lage, die durch die Arbeit von Jahrhunderten und die gegenseitige Ergän­ zung von ebenso verschiedenen wie zahlreichen Forschern allmählich gewonnen worden ist, und in der Durcharbeitung ihres begrenzten Stoffes bis in seine Tiefen wie in seine Einzellinien hinein; in der Möglichkeit einer strengeren Methodik auf dem beschränkten, übersichtlichen und verhältnis­ mäßig sicheren Gebiet; in der bewußt kritischen Achtung auf die eigene „Subjektivität" und die in ihr liegenden Fehlerquellen; in ihrer starken Fühlung mit der Entwicklung des religiösen Lebens selbst; in der kritisch­ normativen Kraft, die aus dem unbedingten Geltungsanspruch ihres InHalts fließt. Alleinherrschaft in der vurchdenkung des religiösen Gebietes beansprucht die Glaubenslehre nicht. Sie hat weder Zeit noch Raum, die übrigen Re­ ligionen nach den mannigfachen Seiten ihres Wesens genauer zu durch­ forschen und alles religiöse Leben der Menschheit systematisch zu durchleuchten, muß also diese Aufgabe der Religionsphilosophie überlasten. Sogar auf ihrem eigenen Gebiet bedarf sie eines Warners. Dieselbe wistenschaftliche Überlieferung nämlich, die ihr eine gewiste Sicherheit des Bodens und der

§1

Vie systematisch« Ideologie

7

Methode verleiht, kann ihr zum Fallstrick werden und ihre beständig not­ wendige Erneuerung hindern; derselbe Geltungsanspruch der (Offenbarung, der ihr kritisch-normative Kraft gibt, kann sich auf die wissenschaftliche Formung werfen und damit einen üblen Dogmatismus erzeugen. 3n Ver­ bindung mit der stofflichen Beschränkung machen solche Entgleisungen dann die Glaubenslehre nur allzuleicht zu einer Winkelwissenschaft, die weder die Forderungen des wissenschaftlichen noch die des religiösen Lebens be­ friedigt und eine unfruchtbare Last für die theologische wie für die kirch­ liche Entwicklung wird. c) Die gegenseitige Ergänzung beider Wege. Bei dieser Sachlage wäre es falsch, Keligionsphilosophie und Glaubenslehre wider­ einander auszuspielen. Die wissenschaftliche Entwicklung schreitet niemals nur auf Einem Wege vorwärts, sondern sie bedarf stets verschiedener Wege zugleich. 3n der systematischen Theologie zeigt sich die Möglichkeit und das innere Recht der gegenseitigen Ergänzung durch eine sehr einfache Er­ wägung. Will nämlich die Religionsphilosophie ihre Aufgabe erfüllen, so mutz sie an die Glaubenslehre der verschiedenen geschichtlichen Religionen, vor allem an die der wichtigsten und bestdurchforschten Religion anknüpfen, also selbst eine christliche Glaubenslehre fordern; sofern sie ihr nicht dar­ geboten würde, mützte sie selbst eine solche als Vorarbeit erzeugen. Um­ gekehrt bedarf die Glaubenslehre, wenn sie das christliche Urteil über die fremden Religionen und die Gesamterscheinung der Religion darstellen will, der genauen systematischen Durchdenkung dieses gewaltigen Gebietes; sie mützte sie selbst zu leisten versuchen, wenn sie ihr nicht von anderer Seite geschenkt würde. Demnach ist in gewissem Sinn jede der beiden Wissen­ schaften die Voraussetzung der anderen. Auch ihr Verfahren greift inein­ ander; was in der einen Wissenschaft Grundzug ist, bleibt in der anderen wenigstens ein unentbehrliches Erkenntnismittel: auf der einen Seite die eigene religiöse Beteiligung, auf der anderen die möglichst objektive Ver­ gleichung der Religionen. Die Religionsphilosophie ist dabei überzeugt, datz ihr Streben nach (Objektivität auch dem Thristentum gerecht werden wird; und die Glaubenslehre hegt die ebenso feste Zuversicht, datz ihre „Subjektivität", well von Gott getragen, nicht endgültig in Widerspruch ge­ raten kann zu einer auftichtig suchenden und dabei (Objektivität erstrebenden Erforschung der Religion. Die beiden Wissenschaften ergänzen sich so stark, datz man vom Religionsphilosophen eine vorbereitende Schulung in der Glaubenslehre und vom Glaubenslehrer eine solche in der Religionsphilo­ sophie verlangen mutz. d) Die Unmöglichkeit ihrer Verbindung. Dieser Tatbestand hat zu dem versuche geführt, in der systematischen Theologie die beiden Wege miteinander zu verbinden, und zwar durch religionsphilosophische Unterbauung der Glaubenslehre. Man beginnt dann die Glaubenslehre mit einem grundsätzlichen Teil über das Wesen der Religion und des Thristentums sowie über ihr Verhältnis zu dem übrigen Geistesleben. Er soll eine wissenschaftliche Anknüpfung und Rechtfertigung geben für die eigentliche Aufgabe, die Darstellung des christlichen Glaubens selbst aus seinem eigenen

Bestand heraus. Allein man erreicht damit nur eine gegenseitige Schä­ digung der beiden Teile. Der vorgebaute Auszug aus der Religions­ philosophie - um mehr kann es sich nicht handeln — steht von vornherein im Dienste der Glaubenslehre, übersetzt jeden Gedankengang aus der reib gionsphilosophischen in die besondere dogmatische Orientierung und wird daher niemals als rein wissenschaftlich anerkannt werden. Der eigentlichen Glaubenslehre aber sind durch diesen Vorbau peinliche Schranken gesetzt: wertvolle Stoffe, wie das Verhältnis zu anderen Religionen, zum allgemeinen Geistesleben und zur Naturwelt, die sie unter den Gesichtspunkten des Glaubens behandeln mützte, find vorweggenommen und an ihrer falschen Stelle durch religionsphilosophische Gesichtspunkte gelähmt,- die eigentliche («spezielle") Glaubenslehre erscheint nun als bloßer Anhang des ersten Teils, der die großen Probleme behandelt; sie dreht sich im aüerengften Kreise, ohne die Möglichkeit, ihre Fruchtbarkeit weitstrahlig und trieb­ kräftig zu beweisen, vgl. § 1,4 (Schleiermacher) und 2,4 (Apologetik). (Es bleibt nichts anderes übrig, als jeden der beiden Wege folgerecht für sich auszubauen. Der Systematiker muß sich entscheiden, auf welchem er mithelfen will, und bei allem Bemühen, auch der anderen Seite gerecht zu werden, doch seinen Weg bewußt und kräftig wandern. Da das von der allgemeinen Religionsgeschichte oder dem philosophischen System aus­ gehende rein wissenschaftliche Interesse der Religionsphilosophie weniger Geister in Bewegung setzt als das mit der lebendigen (Entwicklung des Christentums, d. h. mit der Gemeinde verknüpfte Interesse der Selbstklärung und richtigen Verkündigung des Christentums, so dürfte die Glaubenslehre die normale Art der systematischen Theologie bleiben. Aber sie hat alle Ursache, zu wünschen, daß auch die Religionsphilosophie von christlichen Theologen kräftig und unbeirrt gepflegt wird; denn weder sie selbst noch irgendeine andere theologische Wissenschaft kann deren mittelbaren und doch überaus wichtigen Dienst ersetzen ^). 4. Geschichtlicher, a) Altere Ansätze. Schon Melanchthon machte einen Anfang mit der Herausarbeitung einer Glaubenslehre. Nach­ dem die Scholastik die Behandlung der christlichen Lehre auf dem breiten Boden einer kirchlich zugestutzten Philosophie durchgeführt hatte, suchte er in der 1. Auflage der Loci (1521) die Glaubenserkenntnis, die für ihn *) Innerhalb der heutigen religionsphilosophischen Literatur sieht P. Tillich die Schwierigkeit des Verhältnisses am deutlichsten (Religionsphilosophie, in Dessoirs Lehrbuch der Philosophie, 1925). Er glaubt es so entwirren zu können, daß er die Religionsphilosophie als Lehre von der religiösen Funktion und ihren Katego­ rien, die „Theologie" (d. h. Glaubenslehre) als normative und systematische „Dar­ stellung der konkreten Erfüllung des Religionsbegriffs" versteht, also beide in der Einheit eines wissenschaftlichen Systems schaut. Das ist in der Zwangs-Einheit eines konstruktiven Systems der Wissenschaften möglich, versagt aber gegenüber der wirk­ lichen wissenschaftlichen Bearbeitung des religiösen Gebiets. Will man dieser und ihrer inneren Notwendigkeit gerecht werden, so kommt man über die oben gegebene Verhältnisbestimmung nicht hinaus. — E. Brunners Religionsphilosophie evan­ gelischer Theologie, 1926 (in Baeumler-Schröters Handbuch der Philosophie), ge­ hört inhaltlich vielmehr zur Glaubenslehre.

§1

Die systematische Theologie

9

mit der biblischen Heilsoffenbarung zusammenfiel, selbständig darzustellen; und Calvins Institutio religionis christianae folgte ihm. Freilich, die Schwungkraft dazu erlahmte bald; nur wo der viblizismus herrschte, blieb vom Pietismus bis in unsere Zeit hinein der Zug zu einer reineren Glaubenslehre. 3m übrigen kehrte man zur scholastischen Be­ handlung des Glaubens zurück; besonders der Ausbau der „prolegomena zur Dogmatik", der seit Johann Gerhard kräftig einsetzte, bot dabei auch Raum für die Aufnahme von religionsphilosophischen Gedanken. Und die Aufklärung nutzte ihn für die Ausbildung ihrer „natürlichen Theologie" gründlich aus. Um eine wirkliche Religionsphilosophie handelt es sich dabei hier so wenig, wie im Viblizismus um eine eigentliche Glaubenslehre. Beide konnten erst in der freien Luft der modernen wiffenschast zur Verwirk­ lichung kommen. Venn erst in ihr verfliegt der Zauber der dogmatischen Grundlegung, die man auf biblizistischer und orthodoxer Seite aus der in­ spirierten Bibel, auf rationalistischer aus der menschlichen Vernunft ge­ winnen zu können meinte; und die Tatsachenwelt hier der ganzen Religions­ geschichte, dort der christlichen Glaubensgeschichte wird zur Ausgangsfläche der systematischen Arbeit. Demnach sind beide systematische Wissenschaften in ihrem reineren Sinn Rinder der Neuzeit, sind noch im werden begriffen und entbehren vorläufig der klassischen Formung. Zuerst treten sie bei Schleiermacher deutlich hervor. Nachdem die Aufklärung und Herder die historische Theologie auf den Boden der mo­ dernen wiffenschast gestellt hatten, leistete er der systematischen Theologie denselben Dienst. Aber in seinem Bemühen, alle wissenschaftlichen wie re­ ligiösen Errungenschaften und Ansätze ftuchtbar zu verwerten, kommt er nicht zur klaren Entscheidung zwischen den wegen der Religionsphilosophie und der Glaubenslehre. Er möchte wirklich eine christliche Glaubenslehre geben, aber er versucht, sie in enge Verbindung mit seinem aus anderen 3nteresien erwachsenen philosophisch-wiffenschaftlichen Gesamtsystem zu setzen, und verquickt sie daher mit religionsphilosophischen Zügen. Auf der einen Seite will seine Glaubenslehre „die richtige Aussage des christlichen Selbst­ bewußtseins" werden; ihre Darstellung soll schon ihre Begründung sein, also keiner religionsphilosophischen Begründung bedürfen (2. Sendschreiben an Lücke, Werke I 2, S. 638). Anderseits aber schickt er der Darstellung in §§ 3 - 14 die berühmten „Lehnsätze" aus der Ethik, Religionsphilosophie, Apologetik voraus, die das Wesen der Religion und des Christentums all­ gemeingültig aufweisen und damit der Glaubenslehre den Anschluß an das allgemeine System der Wiffenschast geben sollen. Allein der Wert solchen Anschluffes an ein allgemeines System, der dem spekulativen Idealismus jener Jahre selbstverständlich war, ist heute zweifelhaft genug. Und wir sehen gerade bei Schleiermacher die Gefahr der Verbindung: die ohne Heranziehung der Glaubenslehre aufgestellten Sätze über Religion und Christentum enthalten einen fremden, philosophisch bedingten Zug und tragen diesen, da sie Kraft ihrer Voranstellung die Glaubenslehre beherrschen, un­ willkürlich in deren Darstellung hinein, vgl. § 2, 4.

10

Einleitung

§1

Erreichte Schleiermacher trotz all seinen Verdiensten sowohl um die Religionsphilosophie wie um die Glaubenslehre keine methodische Klarheit, so blieb dies erst recht seinen Nachfolgern versagt, Wieder stützte man mit Vorliebe di« systematische Theologie entweder auf philosophische oder auf kirchliche Dogmen oder auf ein Gemisch von beiden, statt auf den lebendigen Glauben. Vie Reaktion des biblischen Christentums dagegen führte erst dann zu einer wirklichen Fortbildung, als einerseits Hofmann die Theologie auf den Boden der christlichen Erfahrung zurückries (§ 3,2) und st. Ritsch! im Anschluß an Luther den Gott-bezogenen evangelischen Glauben als tragenden Grund der Glaubenslehre neu entdeckte, anderseits aber die verstärkte geschichtliche Forschung eindrücklich den Blick von vorgefaßten philosophischen und kirchlichen Konstruktionen auf die Welt der religiösen Tatsachen lenkte und die religionspsychologische strbeit diese in ihrer irra­ tionalen Tatsächlichkeit verstehen lehrte. Freilich, die Mehrheit der Dar­ stellungen bleibt noch heute dem 3d angedeuteten Rlischtypus treu, b) Die Scheidung der Wege. Unter den neuen stnsätzen zu einer methodisch klaren systematischen Theologie sind vor allem drei für uns wichtig. Die von Ritschl, Luther und Schleiermacher befruchtete Lebens­ arbeit Herrmanns ist der kräftigste versuch, die Darstellung des christ­ lichen Glaubens von allem dogmatischen Ballast zu befreien und auf den lebendigen Glauben zu gründen. Die prophetische Strenge seiner Gedanken hat allmählich tiefen Einfluß in allen Lagern der evangelischen Theologie gewonnen. Freilich erkaufte er die innere Erneuerung um einen hohen Preis: er schränkte den Umfang der systematisch-theologischen Interessen auf bestimmte, eben die innerlichsten Fragen ein und reizte dadurch anders­ geartete, überall die Weite suchende Forscher erst recht zu religionsphilosophischen versuchen, hier war es vor allem Troeltsch, der die Geister anzog und sammelte. Seine Religionsphilosophie ist durchaus von der neuen wissenschaftlichen Strömung getragen, die überall auf die Religion selbst und ihre Tatsachenwelt statt auf rationale Sätze zurückgeht. Daher vermag sie dem Thristentum besser gerecht zu werden als meist die frühere Religionsphilosophie; ja sie trägt selbst bewußt und unbewußt gewiße evan­ gelisch-christliche Züge. Die Glaubenslehre aber schwindet ihm, da er alle Strahlen der Wissenschaft auf die Religionsphilosophie sammelt, zu einer wesent­ lich praktischen strbeit zusammen, zu einer Anwendung der religionsphilosophischen Ergebnisse auf die überlieferten Stoffe, die zwar viele Anregungen spendet, aber eher der praktischen Theologie als der Wiflenschaft angehört. So treten in Herrmann und Troeltsch die beiden Wege der syste­ matischen Theologie erstmals rein auseinander. Wenn dabei jener die Religionsphilosophie, dieser die Glaubenslehre entwertet, so erwies sich das bald als individuell und zeitgeschichtlich bedingte Verengung. Über sie hinaus führte schon Julius Kaftan. Zwar sein versuch, der Dogmatik durch religionsgeschichtliche und religionsphilosophische Vorbauten wiederum wiflenschastliche Anknüpfung und universale Beziehung zu geben, ist nicht fruchtbarer als jeder ähnliche versuch. Wegweisend aber wurde seine For­ derung, die überlieferten Stoffe der Dogmatik durch eine christliche Natur»

§2

Die Glaubenslehre

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und Geschichtsphilofophie zu bereichern, und so die »Einheit des geistigen Lebens von der Religion aus“, d. h. vom Glauben aus, neu zu begründen; seine „Philosophie des Protestantismus“ (1917) gab nach einer bestimmten Richtung das Beispiel, hier liegt — ganz abgesehen von der angreifbaren Auffassung und Durchführung im einzelnen — ein Verdienst Kaftans, das von hoher Bedeutung ist für die Fortbildung der systematischen Theologie. Es ist ein besonders deutlicher Ausdruck des Sehnens, das heute immer stärker empfunden wird: auf religionsphilosophischer Seite Neubefruchtung durch echte Theologie, auf Seite der Glaubenslehre Überwindung der über­ lieferten Problembeschränkung, um die in der Selbstbesinnung gesammelte Kraft überall da zur Geltung zu bringen, wo Gottes (Offenbarung in der Welt des Wirklichen den Glauben schafft *). In dieser Ausweitung der Glaubenslehre gilt es aufs neue, den Beweis des Geistes und der Zukunfts­ kraft für den evangelischen Glauben zu führen, wie ihn einst di« altchrist­ lichen und die scholastischen Theologen für ihr Christentum geführt haben (vgl. 8 37).

§ 2. Die Glaubenslehre b Ihre Aufgabe, a) Umfang und heutiger Sinn. Da es sich bisher um das Gesamtverständnis der systematischen Theologie handelte, mutzte der Begriff der Glaubenslehre im weiteren Sinn verstanden werden: als Lehre von der Gesamterscheinung des Glaubens, seinem Wesen, Gegen­ stand und Inhalt, seinen Kräften und seiner Auswirkung nach den ver­ schiedenen Seiten des Lebens. Diesem weiteren Sinn des Begriffes aber widerspricht der übliche Sprachgebrauch, dem wir hier des weiteren folgen. Er beschränkt vielmehr die Glaubenslehre (wie die Dogmatik) auf eine bestimmte Seite des Glaubens, und zwar stellt er ihr die Aufgabe, Wesen und Erkenntnis des Glaubens wissenschaftlich darzustellen. Damit ist bereits eine wichtige Frage entschieden. Die ältere Dog­ matik war nicht Darstellung der Glaubenserkenntnis in unserem Sinn. Sie wollte die objektiv richtige Lehre über Gott und Welt, Sünde und heil geben und fahle dafür die Erkenntnisquellen zusammen, die ihr am sichersten schienen: biblische (Offenbarung, kirchliches Dogma, Vernunft (natürliche (Offenbarung). Den lebendigen Glauben als Erkenntnisquelle zu verwerten, schien ihr Schwärmerei und subjektive Willkür. So war die Dogmatik Wiffen von Gott und den göttlichen Dingen, begrenzt durch die Schranken des menschlichen vewutztseins, aber innerhalb dieser Grenzen ein für allemal fertig, gegründet auf bestimmte objektive Autoritäten — ent*) Die neueste systematisch-theologische Literatur zeigt hier mannigfache Fort­ schritte. Theologen wie vornhausen, Bruhn, (Otto, Tillich, bereiten eine neue Religionrphilosophie vor, die nicht Herrin, sondern Helferin der Glaubenslehre sein will, ja teilweise in Glaubenslehre übergeht. Freilich die zahlreichen neuen Dogmatiken beweisen die Ausweitung der Glaubensinteresies mehr in ihrem konkreten Inhalt (besonders Seeberg, Troeltsch, Wendt und wobbermin), als in Methode und Ausbau; immerhin scheint die von Althaur angedeutete „Theologie des Glaubens" (3 syst Th II, 1925, 281 ff.) ähnliche, wie die vorliegende Glaubenslehre zu erstreben.

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sprechend dem mittelalterlichen und auch noch altprotestanttschen Begriff der Wissenschaft, Ob man dabei mehr die Bibel oder das Dogma oder die Vernunft in den Vordergrund stellte, das bedeutete keinen grundsätzlichen Unterschied. Diese Auffassung der Dogmatik ist durch die neuzeitliche Entwicklung, vor allem durch Kant und Schleiermacher entwurzelt (§ 8,1; 10,1). Wie Kant gezeigt hat, ist eine Wissenschaft von Gott aus erkenntnistheoretischen Gründen unmöglich; und wie Schleiermacher gezeigt hat, widerspricht sie dem christlichen Glauben. Der Glaube der Bibel und Luthers beansprucht selbst, Erkenntnis Gottes und des Göttlichen zu sein. So verändert sich die Aufgabe der Dogmatik: sie wird Glaubenslehre in dem Sinn, daß sie den christlichen Glauben, sein wesen und seinen Lrkenntnisgehalt wissenschaftlich darstellt. Sie soll also nicht durch wissenschaftliche Mittel die Erkenntnis des Glaubens zum wissen erheben; sondern sie hat die viel bescheidenere Aufgabe, dem Glauben zu zeigen, was ihm selbst durch Gottes Offenbarung an Erkenntnisfülle geschenkt wird. Sie verfügt über keine neuen Erkenntnisquellen neben dem Glauben; sie will nur dem Glauben zur Klarheit über sich und seine Stellung in der Welt verhelfen. Diese Auf­ fassung darf heute als überwiegend gelten, obwohl noch nicht von allen Systematikern die Folgerungen daraus gezogen werden. S. auch § 6,1; 7,3; 8,3. b) Name. Der Name Dogmatik wird meist auch von solchen beibehalten, die dem Wandel des Inhalts grundsätzlich zusttmmen. Sie folgen Schleiermacher, der Glaubenslehre und Dogmatik als Wechselbegriffe brauchte'). wer den Namen Dogmatik geradezu bekämpft, legt eine bestimmte Bedeutung von „Dogma" zugrunde. Dogma sei autori­ tative Lehrsatzung, gestützt auf unfehlbare Buch-Gffenbarung oder kirchliche Beschlüsse, also auf äußere Autorität, es sei demnach grundsätzlich katholisch (vgl. Lk2i Akt 164 Col2u). Daher sei auch der von Dogma abgeleitete Name Dogmatik aus der evangelischen Theologie zu entfernen. Allein dieser seit Alexander Schweizer, einem Hauptschüler Schleiermachers, häufig vorgettagene Gedankengang ist angreifbar. Zunächst vom alten Sprach­ gebrauch aus: das Adjektiv „dogmatikos", das doch zunächst der „Dog­ matik" zugrunde liegt, hat den autoritativen Sinn des Hauptworts nicht übernommen; es bedeutet einfach Lehrsätze aufstellend, Normen ersttebend (nicht auf Normen beruhend), und schließt weder äußere Autorität noch gar Unfehlbarkeit ein. Der heutige Sprachgebrauch aber versucht sogar dem Substantivum „Dogma" einen für uns fruchtbaren Sinn zu geben; die meisten Historiker verstehen darunter (im Gegensatz zu harnack) die Er­ kenntnis und Lehrbildung überhaupt, sofern sie zu breiterer kirchlicher *) Schon PH. 3- Spcner schrieb eine „Evangelische Glaubenslehre", 1688. vgl. zum Sprachgebrauch (D. Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus, I. B. 1908, S. 14ff.; Literarhistorische Beobachtungen über die Nomenklatur der theol. Disziplinen im 17. Jahrh., in „Studien z. syst. Theologie", Hrsg. v. Fr. Traub, 1918, S. 76ff.; Das Wort dogmaticus, Festgabe für 3- Kaftan, 1920; System u. syst. Methode in der Geschichte des wiss. Sprachgebrauchs u. der philos. Methodologie, 1906.

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Geltung gelangt ist. Dann konnte man den Namen Dogmatik beibehalten: er würde die wissenschaftliche Darstellung dessen bedeuten, was sich als Glaubenserkenntnis in der evangelischen Lhristenheit durchgesetzt hat und weiterhin durchsetzen wird. Doch liegt nicht viel an der Beibehaltung des Namens. Er hat nicht einmal den Reiz des hohen Alters. Venn er entstammt erst dem 17.Ihd. und wurde erst durch vuddeus (t 1729) und Pfaff (t 1760) allgemein. Melanchthon und seine Nachfolger hatten vielmehr von Loci der Theologie oder schlechthin von Theologie gesprochen. AIs man aber infolge der ge­ naueren Ausbildung des Lehrsystems nach Sondernamen für die einzelnen Gebiete zu suchen begann, gab man unserem Gebiet der theologia zunächst die Bestimmung positiva (gegenüber der Exegese) oder thetica (gegenüber der damals so wichtigen antithetischen Polemik). Als dann die Ethik sich ubzweigte, die als theologia practica erschien, unterschied man die Dog­ matik gern von ihr als theologia theoretica. Erst nach und neben diesen Ausdrücken setzte der Name Dogmatik sich durch. Mag man ihn bei­ behalten und evangelisch deuten, treffender ist zweifellos der neue Name „Glaubenslehre", der mit Schleiermachers grundlegendem Werke einsetzt.

2. Ihr normattverCharakter, a) Vie Notwendigkeit der Norm­ bildung. hat alles, was sich im Christentum als Erkenntnis gibt, gleiches Recht innerhalb der Glaubenslehre? wäre das der Fall, so könnte die Glaubenslehre nichts anderes tun, als alle die behaupteten Lrkenntniffe scharf formuliert und geordnet nebeneinander stellen und durch ihre Ver­ gleichung allerhand wichtige Einblicke gewinnen, wir kämen dabei zu einer religionspsychologischen Typenlehre (§ 1, la), die im Relativismus t)cr{anbetex). Alle systematische Arbeit aber drängt zur Normenbildung, zur Herausarbeitung des wesentlichen und eines organischen Gedanken­ gefüges. Als Glaubenslehre beginnt die systematische Theologie ihre normierende Tätigkeit innerhalb des Christentums. Sie begegnet hier zunächst der konfessionellen Mannigfaltigkeit, vor allem dem Anspruch der Katholizismus auf den Vollbesitz der Wahrheit. Allein die fremden Kon­ fessionen stehen uns innerlich zu fern, als daß eine vollständige Ausein­ andersetzung mit ihnen in der Glaubenslehre fruchtbar sein könnte. Die Auseinandersetzung mutz sich auf den Hauptpunkt beschränken, welcher das ist, zeigt gerade der Blick auf das scheinbare Gemeingut. Zahlreiche Gedanken und Vorstellungen, etwa die des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, scheinen beinahe allgemeinchristlich zu sein. Allein tatsächlich erhalten sie erst durch das vorangestellte „ich glaube" ihre reli') Dieser Weg könnte nahe liegen, wenn man mit Schleiermacher die Glaubens­ lehre zur historischen Theologie rechnen wollte (Kurze Darstellung des theologischen Studiums, 2. Ausl. § 196 f.). Allein Schleiermacher selbst vermag den historischen Charakter der Glaubenslehre nicht durchzuführen-, 6te starke systematische Begrün­ dung, die er ihr gibt, der kirchliche, d. h. antihäretische und protestantische, sowie anderseits der starke persönlich-religiöse Zug sprengen die Fesseln einer Klotzen ge­ schichtlichen Darstellung. Der Weg hat sich als nicht gangbar erwiesen.

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giöse Bedeutung. Da nun das katholische „Glauben" vom evangelischen sehr verschieden ist, so haben sie gleichsam einen anderen Nenner, sind also in Wirklichkeit nicht Gemeingut. Darnach gehört es zur Aufgabe der Glaubenslehre, den richtigen evangelischen Glaubensbegriff herauszuarbeiten und als Norm gegenüber jedem anderen, zunächst dem katholischen, geltend zu machen, von da aus ergibt sich der kritische Maßstab für alle Einzel­ fragen; seine Einzelanwendung aber kann, soweit sie nicht aus besonderen Gründen für das Verständnis des evangelischen Gedankens notwendig scheint, der Konfessionskunde überlassen bleiben. Desto notwendiger ist es, daß die Glaubenslehre innerhalb des evangelischen Christentums ihre normierende Funktion zur Anwen­ dung bringt. Die Individualisierung des Glaubens und der Lehrbildung, daher auch die reichste Mannigfaltigkeit gehört nach Aussage der Geschichte zu den wichtigsten Merkmalen des evangelischen Christentums. Daraus er­ gibt sich der atomiftische Individualismus als eine seiner hauptgefahren, die durch den relativistischen Pspchologismus der Neuzeit aufs höchste ge­ steigert ist. Tatsächlich dürfen die zahllosen Sonderbildungen der protestantischen Gedankenwelt keinesfalls von vornherein als notwendige und gleichberechtigte Erkenntnisse des Glaubens gelten. Die individuelle Ge­ wißheit, die hinter der Erkenntnis steht, gibt für die Glaubenslehre nicht den Ausschlag (§ 6, la); wie auf anderen Gebieten, so kann die Erkenntnisgewißheit auch auf dem religiösen trügen. Damit ist die Notwendigkeit einer kraftvollen Normierung erwiesen. Und da eine äußere Normierung durch Staat oder Kirchenregiment auf evangelischem Boden grundsätzlich unzulässig ist, ja bei jedem versuche verhängnisvolle Folgen gezeitigt hat, so kann sie nur auf rein geistigem Wege, d. h. durch die rastlose Arbeit der Glaubenslehre, erfolgen (§ 7,4; 8,3). b) Die Mittel und Schwierigkeiten der Normierung. Die verschiedenen Ausprägungen des Glaubens müssen an einer Größe gemessen werden, die dem individuellen Erleben überlegen, von dessen Zufälligkeiten und Selbsttäuschungen frei ist. Diese Größe kann niemals in religionsftemden Mächten gesucht werden; also weder in der Logik noch in sitt­ lichen oder ästhetischen Maßstäben noch überhaupt in der Philosophie. Dem Spruche solcher Mächte kann eine religiöse Überzeugung nicht weichen, ohne daß eine Kni&ung des religiösen Lebens selbst eintritt. Nur an einem reli­ giösen Maßstab läßt eine religiöse Überzeugung und Erkenntnis sich prüfen. Darum warf die Reformation nicht die Wissenschaft der Renaissance, sondern die Bibel zur Richterin über den Katholizismus auf; und darum verteidigten die Kirchen ihr Dogma wider alle Kritik der Vernunft. Denn Bibel und Dogma erschienen ihnen, da sie den zeitgeschichtlichen Einschlag beider Größen verkannten, als reiner Ausdruck des Glaubens. Unser historisch-kritisch erzogenes Geschlecht hat zwar grundsätzlich denselben weg zu gehen, muß aber feinere Methoden und Maßstäbe suchen. Keine fertige Schrift oder Formel kann ihm als solche genügen; es muß die einzelnen Urkunden des Glaubenslebens in ihre geschichtlichen Zusammenhänge stellen und doch von diesen wieder zu den Durchbruchsstellen der Gottbezogenheit

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zurückkehren; es mutz in den Vordergründen des historisch Gegebenen die Hintergründe der letzten Wirklichkeit erfassen und hier in demütigem Lauschen die Frage nach der Offenbarung stellen. Alle Hilfsmittel gilt es zu verbinden, psychologische und kritische, solche der Einfühlung und solche der durch die Gegenstandsbezogenheit („Erlebnis"; s. 8 3,2f.) geforderten persönlichen Entscheidung. So ergibt sich ein höchster Matzstab; er kann nur in dem Wesen des Glaubens selber liegen, wie es im Verständnis seiner funktionalen Form und seiner inhaltlichen Erkenntnis sich erschlieht. Er schenkt uns die Kategorien der kritischen Sichtung: vor allem wahr und falsch, aber auch echt und unecht, zentral und peripherisch, wesenhaft und zufällig *). Auch dann noch sind die Schwierigkeiten der Normierung grotz. Manche Glaubensvorstellungen werden sich rasch als pietätvolle, aber leer gewordene Überlieferung, als Gewohnheit oder doch nur nacherlebt erweisen, andere als Einmischung sittlicher, rationaler und ästhetischer Züge oder als Niederschlag eigener wünsche. Dann ist die Kritik einfach und klar. 3n anderen Fällen aber ist die Frage verwickelter. Es ergeben sich Ver­ schiedenheiten, ja unvereinbare Gegensätze innerhalb der wirklichen christ­ lichen Gedankenwelt selbst, und zwar so, datz nicht der eine Gedanke als richtig oder echt oder zentral, der andere als falsch oder unecht oder peri­ pherisch erwiesen werden kann, wie steht es dann? Soll die Glaubenslehre doch irgendwie einen Ausgleich versuchen, oder soll sie sich auf die relative Irrationalität des Lebens und der Geschichte zurückziehen, oder soll sie sich zu der Einsicht führen lasien, datz die transzendente Welt kraft ihrer absoluten überrationalität auch auf dem Boten der Offenbarung dem menschlichen Bewutztsein höchstens in der Form von Widersprüchen, Spannungen, An­ tinomien zugänglich ist? So stotzen wir zuletzt auf die Frage, welche Folgen die Überweltlichkeit Gottes für die religiöse Erkenntnis und damit für die Glaubenslehre hat. Sie ist im einzelnen oft desto schwerer zu lösen, weil sie sich mit der anderen verschlingt, ob die weitere Entwicklung des Ehristentums vielleicht durch neue zwingende Gottesberührungen, durch ausschlag­ gebende Erlebnisie manche Unklarheit überwinden und neue Erkenntnisse schenken wird (vgl. 8,3: die symbolische Art der Glaubenserkenntnis). Sind die Schwierigkeiten so grotz, dann wird die Glaubenslehre an vielen Punkten Zurückhaltung üben müssen. Sie darf sich durch ihren systematischen Charakter, im besonderen durch das Bewutztsein ihrer norma­ tiven Aufgabe nicht verführen lassen, immer und überall Entscheidungen treffen zu wollen. In der Einsicht, datz die Glaubenslehre die Erkenntnis des Glaubens wisienschastlich darstellen, aber nicht den Glauben zum wisien erheben will, mutz sie es über sich gewinnen, ebenso auf jeden gewaltsamen Abstrich wie auf alle künstliche Harmonisierung und Ausfüllung von Lücken wie auf jeden versuch einer Gott-gemätzen (etwa „dialektischen") Methode zu verzichten, vielmehr die Widersprüche und Spannungen, die Unfertigkeiten *) Genauerer über den Begriff und die Herausarbeitung der .Wesens' vgl. bei der Erörterung über das Wesen der Religion (§ 30,1; 33,3); denn auf dieses, nicht auf das Wesen der Glaubens oder des evangelischen Christentums bezieht sich der Hauptteil der bisherigen Literatur.

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und Trübungen, die verschiedenen Grade des Erkenntniswertes in unserem Glauben deutlich aufzuweisen und aus seinem Wesen oder seinem heutigen Zustande zu begründen. Dos ist nicht müde Resignation, sondern die Ein­ sicht, daß zwar in der Erkenntnis des Glaubens selbst die Offenbarung, in der Lehre vom Glauben aber der Mensch am Werke ist. c) Geschichtliches. Schon der Altprotestantismus mutzte sich mit diesen Schwierigkeiten beschäftigen. In den irenischen und synkretistischen Bestrebungen offenbarte sich gegenüber der herrschenden Dogmatik das Bewutztsein eines Gemeinbesitzes, wenigstens innerhalb des Protestantismus. Um darüber Klarheit zu gewinnen (und zugleich das für die Seligkeit notige Lrkenntnisminimum herauszuarbeiten), unterschied man articuli fundamentales und non fundamentales. Freilich kam man dabei zu keinem brauchbaren Ergebnis, wenn nämlich die Jreniker und Synkretisten gern das Apostolikum als Zusammenfassung des christlichen Gemeinbesitzes betonten, so war dieser Rückgang auf altkirchliche Formulierungen zu äutzerlich; er wurde den im Rechtfertigungsgedanken ausgedrückten Glaubenserkenntniffen zu wenig gerecht. Tiefer blickte die Orthodoxie. Joh. Gerhard und seine Nachfolger sahen, datz nur solche Erkenntniffe unerlätzlich sein könnten, die notwendige Bedingungen und Teile des Rechtsertigungsglaubens seien; bei allen übrigen glaubten sie, auf Kenntnis oder Richtigkeit ver­ zichten und der lNannigfaltigkeit Raum geben zu dürfen. Aber auch dieser weg konnte auf dem Boden der altprotestantischen Scholastik nicht zum Ziele führen; er regte nur zu neuen unftuchtbaren Distinktionen an. Erst die bewutzte und scharfe Aufwerfung der Frage nach dem Wesen des Thristentums und des Protestantismus, wie wir sie bei Schleiermacher finden, half wirklich vorwärts - auch sie nicht sofort durchgreifend, aber doch in fortschreitender Entwicklung. Schon Schleiermacher fand trotz der Einordnung der Dogmatik in die historische Theologie (s. oben 5. 13 Anm.). einen weg, von seiner Wesensbestimmung des Christentums aus „häretische" und katholische Entgleisungen zu bekämpfen (Glaubenslehre, 2. Aufl. § 21 ff.). Ebenso hat die neuere Glaubenslehre von vornherein gegenüber der im Zeitalter des Psychologismus naheliegenden Versuchung, in einer befchreibenden Religionspsychologie unterzugehen, den normativen Zug fest­ gehalten; auch in Vertretern, die einen besonders starken religionspsycho­ logischen Einschlag in ihre Methodik aufnahmen, wie Troeltsch und wobbermin. heute löst der Gegenschlag wider den Historismus und Psychologismus allenthalben eine starke Betonung des Normativen aus. 5. Der Aufbau. Man wird diesen Schwierigkeiten und der ganzen inneren Logik des Glaubens am besten durch eine Dreiteilung der Glau­ benslehre Rechnung tragen. a) Vas erste Notwendige ist die Behandlung des evangelischen Glaubens felbst, die Herausarbeitung seines Wesens. Seine Wiederentdeckung war die grotze Tat der Reformation und ist der Hauptgewinn des evangelischen Thristentums auch da geblieben, wo der eigentliche Glaubensbegriff hinter anderen zurücktrat (Schleiermacher). An diesem Punkte mutz die Glaubens­ lehre gegenüber jeder grundsätzlichen Abweichung, sei es nach der Seite

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des Katholizismus ober der modernen Verflachungen, ihren normativen Charakter mit ausschlietzender Kraft zur Geltung bringen. b) Auf der Grundlage des rechten Glaubensverständnifles erhebt sich dann der Bau der Glaubenslehre in zwei Stockwerken. Zunächst handelt es sich um die Erkenntnis des Überweltlichen, das unentrinnbar in unser Leben hineingreift. Sie ist verhältnismätzig unabhängig vom Wandel der Zeiten und von den Verschiedenheiten der geschichtlichen wie der individuellen Umstände; denn sie entstammt unmittelbar dem zeitüber­ legenen (Vffenbarungs-Wirken Gottes und damit jener innersten Art des Erlebens, in der die Menschen trotz allen schicksalsmätzigen Verschieden­ heiten wesentlich gleich sind; sie richtet sich nicht auf die Verflechtungen mit der irdischen Welt, sondern allein auf die Zusammenhänge mit Gott. Wohl spielt auch die Welt dabei eine Rolle, aber immer nur mittelbar als Transparent, sofern das Verhältnis zu ihr eingreift in das Verhältnis zu Gott. Darum kennt schon das Apostolikum keine besonderen Sätze über die Welt. Diese Zurückhaltung gegenüber dem Reiche des wandel­ baren und Relativen gibt nun der Erkenntnis ihren besonderen Vorzug. Wohl kann sie von allerhand Verwirrungen befreit und reiner heraus­ gearbeitet werden, auch ihre Form verändern und neue Anwendungen erzeugen, vor allem sich mehr um das wesentliche sammeln, als die über­ lieferten Hauptbegriffe gestatten; daher wird ihr theologischer Ausdruck sich mannigfach weiter entwickeln, wie er es stets getan hat. Aber im ganzen hat und behält die hier obwaltende zentrale Erkenntnis und mit ihr die theologische Bearbeitung etwas Erprobtes, Bleibendes, Festes. So werden wir hier in besonderem, genauem Sinn von Glaubenserkenntnisien reden dürfen. c) Vas nächste Stockwerk öffnet uns einen breiteren Umblick: der evangelische Glaube, der in der wirklichen Welt lebt, mutz versuchen, diese ihn bedingende und umfangende Welt von seiner Erkenntnis des Über­ weltlichen aus zu verstehen, d. h. den Spuren Gottes in ihr nachzugehen. Er stützt dabei auf drei Kreise von Tatsachen, mit denen er sich aus­ einandersetzen mutz: auf die fremde Religion, die ebenfalls Anspruch auf Gotteserkenntnis erhebt; auf das allgemeine Geistesleben, mit dem er selbst noch enger als jede andere Religion verwoben ist; auf das welt­ ganze, das unser geistiges Leben nach allen Seiten vom Natürlichen umflosien und getragen zeigt. Vie innere Auseinandersetzung mit diesen Kreisen der Wirklichkeit ergibt die eigentümliche Weltanschauung des evangelischen Christentums, und so wird die Glaubenslehre auf ihrer Autzenlinie zur Weltanschauungslehre. hier ist das Gebiet, auf dem die Glaubenslehre sich besonders eng mit der Religionsphilosophie berührt und besonders viel von ihr empfangen mutz. Ihre Urteile sind hier mitbedingt durch das Bild, das ihre Ver­ treter sich als denkende Menschen ihrer Zeit von der Welt des Empirisch­ wirklichen machen. Und da jene wirklichkeitskreise in ihrer widerspruchs­ vollen Vielgestaltigkeit und unendlichen Fülle sich keineswegs ohne weiteres dem beobachtenden Blick entschleiern, so braucht sie die Hilfe der wisienschast vom wirklichen. Zwar der naive Glaube urteilt oft nur allzu rasch auf StT 3: Stephan. Glaubenslehre. 2. flufl.

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Grund oberflächlicher Eindrücke; allein die Glaubenslehre muß prüfen, wie tief begründet in den einzelnen Zöllen die Kenntnis der Wirklichkeit war, und welches Schwergewicht daher dem Urteil innewohnt. Ja, sie mutz ihrerseits dem ringenden Glauben helfen, durch Heranziehung der Weltwifsenschasten auch eine Vorbedingung für das rechte Ernstnehmen der Weltinhalte zu schaffen. 3n solcher Befragung der Wissenschaft nun kann sie das als beste Vorbereitung nutzen, was die Religionsphilosophie über das Verhältnis von Religion und Christentum, von christlicher Religion und Geistesleben zu sagen weiß. Aber mag dabei die Religionsphilosophie noch so gute Dienste leisten, die Anlage beider wiflenschasten bleibt doch durchaus verschieden. Die Religionsphilosophie ist auch bei der Darstellung dieser Gegenstände beherrscht von dem Streben nach religiöser Neutralität und (Objektivität, die Glaubenslehre dagegen wendet das, was sich ihr in ihren ersten beiden Teilen erschlaffen hat, nun auf das größere Gebiet der Weltanschauung an und gibt dabei der persönlichen religiösen Ent­ scheidung eine immer wachsende Tragweite. Die starke Bedingtheit der christlichen Weltanschauung läßt leicht er­ messen, wie tastend und unsicher, wie verschieden in den verschiedenen Kulturperioden, wie widerspruchsvoll, fließend und bunt die Urteile des Glaubens hier sein müssen. Mögen oft Schwäche, Erkrankung und Ein­ seitigkeit des Glaubens, oder auch die Gegensätze und Spannungen mit­ schuldig sein, die jeder Auswirkung des Überweltlichen im menschlichen Be­ wußtsein anhasten müffen, die eigentliche Ursache liegt tiefer, in der Schwierigkeit der Weltanschauungsbildung selbst, wir werden dem am besten Rechnung tragen, wenn wir für dieses ganze Gebiet, auf dem die (Offenbarung nur mittelbar wirkt, sogar auf den Begriff der Glaubens­ erkenntnis verzichten, wir können es desto leichter, weil wir einen Begriff besitzen, der durch seine weite vorzüglich dazu geeignet ist: den der Glaubensgedanken. Freilich wird er gern, vor allem von Herrmann, gerade auch auf zentrale Glaubenserkenntnis bezogen, wenn wir aber diese für sich behandeln, so bleibt der Begriff der Glaubensgedanken für das Reich der Weltanschauung verfügbar, das soviel weniger sicher ist und mehr auf Deutung als auf unmittelbare Gewißheit sich gründet. Falsch wäre es freilich, diesen Glaubensgedanken wegen ihres Abstands von der eigentlichen Glaubenserkenntnis geringe Bedeutung für die Glau­ benslehre beizulegen. Gewiß, sie sind teilweise nur für den Glauben der „Gebildeten" von unmittelbarem Belang. Aber es kommt auch auf den wert an, den sie für die geschichtliche Gesamtbewegung des Christentums besitzen. Und so betrachtet, stehen die Glaubensgedanken an Schwergewicht der Glaubenserkenntnis nicht nach. Sie sind in ihren tastenden Anfängen die Fühler, die der lebendige Glaube ausstreckt in die weite der Wirk­ lichkeit; sie sind die Mittel, mit denen er sich durch Eroberung der ihm noch fremden Wirklichkeit der eigenen Fülle bewußt wird; sie gehören zu den Waffen, mit denen er ftemde Religionen und Weltanschauungen verdrängt und überwindet. Es handelt sich auch in ihnen um die Kusdehnungskraft und damit die Zukunstsfähigkeit, um die immer neue Jugendfrische und

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öie Zähigkeit des Christentums, die Religion auch der intellektuell Ge­ bildeten zu bleiben oder zu werden. Nur wo die Hochspannung der eschatologischen Erwartung ein inneres Interesse an der empirischen Welt nicht aufkommen läßt, oder die theologische Absolutierung der Grenzlinie zwischen Religion und Welterkennen den Begriff der christlichen Weltan­ schauung verneint, ist eine Täuschung darüber möglich (vgl. § 27). d) So ist der Rufbau der Glaubenslehre in sich geschlossen. Vie Darstellung des Glaubens selbst, der Glaubenserkenntnis vom Überweltlichen und der die Weltanschauung erzeugenden Glaubensgedanken kann alles umfassen, was für das Selbstverständnis, die Selbstklärung und die Selbst­ behauptung des evangelischen Christentums an systematischem Rüstzeug nötig ist.

4. Var Verhältnis der Glaubenslehre zu de» systematische» Rachbarwissenschasten. a) Erwähnt wurde bereits das Verhältnis zur Symbolik oder vergleichenden Ronfesstonskunde (§ 2,2): die Glaubenslehre überweist ihr wichtige Stoffe in der Voraussetzung, daß sie das Wesen und die Er­ kenntnis des evangelischen Glaubens kritisch gegenüber den fremden Zormen des Christentums zur Geltung bringt, also ihren an sich historischen Stoff nach systematisch-normativen Grundsätzen gestaltet. b) Am engsten verbindet sich in der Regel die Glaubenslehre mit der

sog. Apologetik. Zreilich gilt es hier zu unterscheiden. Dft bezeichnet das übel belastete Wort die praktische Auseinandersetzung des Christentums mit feindlichen Weltanschauungen (Apologie) oder die Anleitung zur richtigen Führung dieses Rampfes. Jn letzterem Sinn ist die Apologetik offenbar ein Teil der praktischen Theologie, gleicher Art mit der Homiletik, Ratechetik u. a. Zwar setzt sie in besonderem Matze eine systematische Schulung in Theologie und Philosophie voraus, aber ste ist nicht selbst eine systematische Wissen­ schaft und hat insofern auch kein wissenschastliches Rachbarverhältnis zur Glaubenslehre. Allein man spricht von Apologetik auch im Rahmen der systematischen Theologie selbst. Schleiermacher nennt Apologetik die Untersuchung über das Wesen der Christentums und des Protestantismus: er gliedert sie, da sie mit Hilfe der Ethik (als der „spekulativen Geschichtsphilosophie") und der Religionsphilosophie geführt werden müsse, der „philosophischen Theologie" ein und stützt dann die (der historischen Theologie zugewiesene) Glaubenslehre durch Lehnsätze wie auf Ethik und Religionsphilosophie so auch auf ihre Ergebnisse (f. § 1,4). Zreilich konnte Schleiermachers Gesamtaufritz der systematischen Arbeit in der Theologie sich nicht durchsetzen; aber gerade seine gefährlichste Linie, die Überleitung des philosophischen Einflusses durch das Ranalsystem der Lehnsätze auf die Glaubenslehre, die sich weithin auf das Verfahren der (vrthodoxie („prolegomena") und

der Aufklärung berufen konnte, wurde in die dogmatische Erbweisheit ausgenommen, wo die angedeutete religionsphilosophische Unterbauung der Glaubenslehre vollzogen wird (§ l,3d), da erörtert man vielfach noch heute unter dem Titel Apologetik irgendwie das Wesen der Religion, dar Wesen und die Wahrheit des Christentums, d. h. die Stellung des Christen2*

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Einleitung

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tums unter den Religionen, der Religion im Geistesleben. Aber gerade der Titel dieser Wissenschaft zeigt den inneren Fehler ihrer Anlage. In­ dem man den religionsphilosophischen Unterbau der systematischen Theologie als „Apologetik" zugleich mit der Aufgabe betraut, irgendwie im Ganzen des geistigen Lebens und der Religion die Wahrheit des Christentums zu vertreten, ordnet man sie den beherrschenden Gesichtspunkten der Glaubens­ lehre unter. Dadurch scheint ein harmonisches Ganzes zu entstehen. Allein, auch wenn wir von dem in der wisienschast besonders unglücklichen Namen Apologetik absehen: „wisienschastliche Grundlage" der Darstellung des Glaubens konnte diese Erörterung doch nur dann sein, wenn sie nicht selbst schon von den Gesichtspunkten der Religion oder des Glaubens, sondern wesentlich von rein wisienschaftlichen, allgemeingültigen Gedanken getragen würde. Vas aber ist bei der Apologetik weder wirklich der Fall noch überhaupt möglich. Sie stützt sich auf den lebendigen Glauben und bedarf also ihrerseits schon einer wisienschaftlichen Grundlage in der kritischen Untersuchung des Glaubens, wie die Glaubenslehre sie versucht. Also wird auch in der besonderen Abwandlung zur Apologetik jenes Misch­ verfahren zwischen Glaubenslehre und Religionsphilosophie nicht glücklicher, soviel seine Vertreter im einzelnen dabei Verdienste erworben haben. Es erklärt sich wohl nur aus der schwierigen Lage der Theologie im neueren Geistesleben, daß so viele Theologen es übernommen haben *). c) Einfacher läßt sich das Verhältnis der Glaubenslehre zur Ethik oder Sittenlehre kennzeichnen. Der Glaube des Christen ist schon in seinem werden stark mit sittlichen Vorgängen verschlungen, und in ihm erwächst eine Fülle von sittlichen Zielsetzungen, Trieben und Kräften. Da diese von der Erkenntnis des Glaubens und seinen Urteilen über Mensch und Welt getragen sind, ist es möglich, sie nach dem Vorgang der Confessio Augustana und der Loci Melanchthons im Rahmen der Glaubenserkenntnis und Glaubensgedanken klarzustellen; für das einheitliche Verständnis des Christentums und seines praktisch-religiösen Charakters ist es sogar wertvoll, daß dieser versuch immer von neuem wiederholt wird. Aber es war doch keine bloße Willkür oder Künstelei, wenn die Entwicklung des theologischen Systems vor allem seit dem 17. Ihrh. dazu führte, die vorher mit in den Loci theologici gepflegten ethischen Abschnitte auszusondern und als be­ sonderes Gebiet auszugestalten, vor allem zwei Gründe wirken dabei dauernd mit. Der eine liegt in der Aufgabe der Sittenlehre selbst; eine Erörterung der christlichen Sittlichkeit muß so stark auf die praktischen Bedingungen ihrer Entfaltung, auf die Wirklichkeiten des Einzel- und Gemeinschaftslebens eingehen, daß der Rahmen der Glaubenslehre gesprengt wird. Der andere Grund erwächst aus dem Verhältnis zur philosophischen Bearbeitung der Ethik. Diese ist so tiefgrabend und umfasiend, sowohl auf dem allgemeinen kulturhistorischen Gebiet wie besonders seit Kant in

’) Doch weisen z. B. Wernle (Einführung in bas theologische Studium • S. 300) und Lemme (RE * 1, 685 f.; Glaubenslehre 1, § 5) auf die hier liegenden Schwierig­ keiten hin. - vgl. auch meinen Artikel „Apologetik" RGG21, 421 ff.

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Vir Quellen der Glaubenslehre

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bet Untersuchung über das Wesen des Sittlichen, daß die theologische Ethik sich beständig prüfend und empfangend mit ihr auseinandersetzen mutz, ganz ähnlich wie die Glaubenslehre mit der Religionsphilosophie. Ruch das könnte im Rahmen der Glaubenslehre nicht zureichend geschehen. So erwächst mit Notwendigkeit die Ethik als besonderes Einzelgebiet der systematischen Theologie — wiederum ein handgreiflicher Beleg für die Wahrheit, daß die wirkliche Wissenschaft nicht aus einem vorgefaßten systematischen Plan, sondern in kämpfereicher Geschichte aus bestimmten ge­ gebenen Lagen heraus erzeugt wird.

§ 3. Die Duellen der Glaubenslehre b Var objektivistische Verfahren (Bibel und Dogma). Lange Zeit hat man versucht, den Stoff der Glaubenslehre wesentlich aus der für die ganze Entwicklung des Ehristentums grundlegenden Bibel und aus dem für die Entstehung unserer Rirchen so wichtigen altprotestanttschen Dogma zu entnehmen. Dabei bezeichnete man bald beide als Quellen, bald die eine als Quelle, die andere als Norm der Glaubenslehre. Daß sie als Norm nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar dienen können, wurde § 2,2 b gezeigt. Jetzt handelt es sich um die Frage, ob sie die unmittelbaren und einzigen (höchstens durch gewiße Vernunftsätze zu ergänzenden) Quellen der Glaubenslehre sind, wie die ältere biblizistische und konfesstonalistische Dogmatik meinte. heute ist es entschieden, daß die Frage verneint werden muß. Und zwar aus mehreren Gründen. Der erste liegt in dem widerspruchsvollen Inhalt beider Größen: sie stimmen, wie uns die historische Theologie zeigt, weder in sich noch miteinander genügend überein. Die Bekenntnisschriften sogar jeder einzelnen protestantischen Konfession enthalten in wichtigen Punkten erheb­ liche Gegensätze, z. B. die lutherischen bei der Rechtfertigung, die refor­ mierten bei der Prädestination (s. § 25 f.). Sie stehen ferner im Wider­ spruch zur Bibel bei der Trinität, Christologie, Eschatologie u. a., fordern also gerade nach altprotestantischen Grundsätzen eine kritische Prüfung an der Bibel heraus. Aber auch die Bibel selbst, sogar ihr ntlicher Kern, birgt für ein wissenschaftlich geschärftes Rüge so viele Gegensätze, daß wir erst einen Maßstab aufstellen müßten, nach dem wir die richftgen, die als Stoff der Glaubenslehre geeigneten Inhalte erheben könnten. Dafür nach konfessionalistischer Art das Dogma als Maßstab zu verwenden, ist aus den genannten Gründen unmöglich, und so suchen wir unwillkürlich nach einer anderen Größe, sei es als Quelle, sei es als Norm der Glaubenslehre. Ebensowenig genügen Bibel und Dogma nach der Seite ihres Pro­ blemumfangs. Gewiß zeigen sie uns die zentrale Glaubenserkenntnis des Ehristentums in unvergleichlicher Tiefe, aber doch sogar diese in eigen­ tümlicher zeitgeschichtlicher Einbettung und daher nur mit Hilfe starker historisch-systematischer Durcharbeitung. Daher enthalten sie einerseits Kus-

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Einleitung

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sagen (z. B. geschichts- und naturwissenschaftlicher oder dämonologischer und eschatologischer Art), die wir nicht ohne weiteres als Glaubenserkenntnisse aufnehmen können; anderseits antworten sie nicht unmittelbar auf Fragen, die in der Neuzeit aufgewacht sind, wie die nach dem Wesen der Glaubens oder nach der Stellung des Glaubens zu den staatlichen, völkischen, sozialen, wirtschaftlichen Problemen, zum Weltbild und zur ästhetischen Kultur der Gegenwart. Mittelbar können uns Bibel und Dogma auch da überall wichtig werden, aber ihre unmittelbare Verwertung hat sich immer nur um den Preis einer naiven Modernisierung durchführen lassen. Diese naive Mo­ dernisierung mutz, da sie eine der gefährlichsten wissenschaftlichen Fehler­ quellen ist, heute durch eine bewußte kritisch-systematische Bearbeitung und Ergänzung ersetzt werden, di« notwendig aus dem Nahmen des Biblizismus und Konfessionalismus hinausführt. Endlich und vor allem aber sind Biblizismus und Konfessionalismus in der Glaubenslehre grundsätzlich falsch. Eine Darstellung des lebendigen Glaubens aus den Bekenntnisschriften des 16. und 17. Ihd.s zu erheben, wäre übler Historizismus. Vie Glaubenslehre mutz ja erst klären, welche Bedeutung sie für den Glauben besitzen! Anders war er bei der Bibel, solange man sie über den Wandel der Zeiten als Werk des heiligen Geistes erhaben glaubte. Und doch fühlten bereits die altprotestanttfchen vogmattker das Bedürfnis, die Autorität der Bibel erst zu begründen, ehe man sie als Duelle für die Lehre benutzte: mit deshalb schufen sie die prolegomena zur vogmattk. vollends seit die unbestrittene Herrschaft des Jnspirationsdogmas (8 6,5; 22,2) dahingefallen ist, muß die Geltung der Bibel erwiesen und ihre Bedeutung genau bestimmt werden, bevor man sie systematisch verwertet. Und zwar genügt dabei nicht der Hinweis auf Altertum, Augenzeugenschaft, Glaubwürdigkeit u. ä.. also auf historisch-ratio­ nale Gründe, sondern es bedarf einer religiösen Begründung. Nun haben schon die altprotestantischen Dogmatiker, meist in bunter Mischung mit jenen rationalen Gedanken, als religiöse Stütze das testimonium Spiritus sancti herangezogen. Und Luther meinte Ähnliches, wenn er das für kanonisch erklärte, was Ehristum tteibet. Aber gerade diese religiöse Be­ gründung ist nicht so einfach und klar (§ 6; 22), daß sie ohne weiteres an die Spitze der Glaubenslehre gestellt werden könnt«. Sie bedarf der genaueren Bestimmung im Rahmen der gesamten Glaubenserkenntnis, ehe sie als ttagender Balken verwandt werden kann. Vie Lehre von der „heiligen Schrift" und dem Kanon hat wie die von der Kirche erst im (Organismus der Glaubenslehre selbst ihre Stätte. Demnach darf die Bibel nicht von Anfang an aus dem Gefamtstoff des evangelischen Glaubens herausgehoben und isoliert zur alleinigen Duelle der Glaubenslehre ge­ macht werden. Sonst verfällt auch dieses Verfahren wie das konfessionalistische dem Vorwurf des naiven Historizismus oder des gewaltsamen Dogmatismus. Man hat versucht, die biblizistische Art dadurch zu modernisieren, daß man nicht den gegebenen biblischen Bestand heranzog, sondern das Ergebnis der historisch-kritischen Bibelforschung, vor allem was die

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Bibelforschung als wirkliche Lehre Jesu oder als »historischen Jesus" heraus­ arbeitet, soll teils unmittelbare (Quelle, teils dem allgemeinen Geiste nach die Norm der Glaubenslehre sein. Nun ist zweifellos wie die Bibel über­ haupt, so auch die historische Arbeit an ihr von höchster Bedeutung für die Glaubenslehre (§ 6,4; 17,2; 22,2). Aber auch ihre Ergebnisse sind unter dem Gesichtspunkte des Problemumfangs unzulänglich, überdies durch ihren raschen Wechsel ungeeignet; und ihre unmittelbare Verwertung als (Quelle unterliegt grundsätzlich denselben Bedenken wie der ältere Biblizismus. Entweder sie verstrickt uns schon zu Anfang in systematische Er­ örterungen, die doch erst später fruchtbar geführt werden können, oder sie endet im Historizismus, d. h. im unbegründeten Aufbau der Glaubenslehre auf einzelne Tatsachen der Vergangenheit. Vas alles hindert freilich nur, Bibel und Bekenntnis als die un­ mittelbaren und einzigen (Quellen der Glaubenslehre zu betrachten; es weist darüber hinaus in die Tiefe und Weite, wenn die Theologie sich trotz­ dem so stark zum Biblizismus und Ronfesstonalismus gedrängt fühlte, so geht daraus hervor, daß jene objektiven Größen doch irgendwie eine besonders bedeutsame Rolle für die Erhebung der Glaubenserkenntnis

spielen müsien.

2. Bos subjektivistische Verfahren (Bewußtsein, Erfahr««-, Lrlebnk). Var Gewicht des testimonium Spiritus sancti intemum und der Eindruck der mystisch-pietistischen Selbstbeobachtung legten den versuch nahe, die Glaubenslehre statt auf jene objektiven vielmehr auf subjektive (Quellen zu begründen. Die systematische Theologie nahm in Schleiermacher dies Verfahren auf: »Die christlichen Glaubenssätze sind Auffassungen der christlich frommen Gemütszustände in der Rede dargestellt" (Glaubenslehre § 15; s. unten § 9,1); in der ganzen Breite des Stoffes ging er auf das fromme Bewußtsein zurück und wurde so der Vater der Bewußseinstheologie. Am bekanntesten ist diese in der Form der Erlanger Theologie ge­ worden (Hofmann: 3d) der Christ bin mir dem Theologen eigenster Stoff meiner Wissenschaft). Freilich verdichtete sie sich hier aus einer allgemeinen Methode der systematischen Theologie zu dem Sonderfach der »Gewißheitslehre" (Frank); diese sollte nun statt der »Apologetik" (s. § 2,4) die Grund­

lage der eigentlichen Dogmatik bilden, die dann ihrerseits nicht wieder das christliche Bewußtsein, sondern Dogma, Bibel und vernunstspekulation zu (Quellen nimmt. Zweifellos lag in der Betonung des christlichen Bewußtseins ein hohes Verdienst. Sie bedeutete eine innere Verbindung der mannigfachen Glaubensinhalte mit dem persönlichen Leben, die eine systematische Durch­ dringung und selbständige Formung des Stoffes erleichterte. Sie stellte ferner eine Art Gleichzeitigkeit zwischen den Tatsachen der vergangenhett und unserem gegenwärtigen Leben her, die allen Historizismus ausschaltete. Sie ermöglicht eben dadurch drittens, daß die Beziehung auf vergangenes zum Transparent und Träger wird für unsere Bezogenheit auf den über­ zeitlichen Gott. Diese Fortschritte führten einen neuen Abschnitt der dog­ matischen Arbeit herauf.

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Allein die Bewußtseinstheologie war nur ein fruchtbarer Anfang dafür. Denn sie war mit unüberwindlichen Schwierigkeiten belastet. Sie setzte voraus, daß das individuelle Bewußtsein des Dogmatikers typisch sei für das allgemeine evangelisch-christliche Bewußtsein, und daß seine Aus­ schöpfung zu denselben Ergebnissen führe, die in Bibel und Dogma aus» gesprochen sind. Unerträgliche subjektive Abweichungen davon suchte man unmöglich zu machen, indem man wiederum die Normierung der Glaubens­ sätze an Dogma und Bibel forderte. Schon Schleiermacher hatte das getan (Glaubenslehre § 27), Hofmann selbst hatte einen „Schriftbeweis" hinzu­ gefügt, und die Bewußtseinstheologie folgte beiden in mannigfacher Weise. Allein damit nahm man der dogmatischen Methode die Einheitlichkeit; man kam im Grunde auf die biblizistische und Konfessionalistische Dogmatik zurück, nur daß sie durch den neuen psychologischen Untergrund wärmer und lebendiger wurde, — oder man modernisierte, wie vielfach schon Schleier­ macher, Bibel und Dogma, um doch das eigene fromme Bewußtsein zu seinem Rechte kommen zu lasten. Das letzte aber ist vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus an sich unerträglich; und das erste weckt alle die Be­ denken aufs neue, die bereits §2,2; 3,1 angedeutet worden sind. wo man den Ausweg der biblizistischen oder Konfessionalistischen Nor­ mierung verschmäht und eine reine Bewußtseinstheologie erstrebt, erheben sich neue Schwierigkeiten. Soll wirklich das individuelle Bewußtsein des Systematikers die (Quelle der Glaubenslehre sein? Das würde nicht nur zufällige Individualismen, sondern auch eine starke Verarmung des Ge­ halts zur Folge haben. (Ober soll die Hilfslinie eines Gesamtbewußtseins gezogen und so etwa das christlich-evangelische Bewußtsein des jeweiligen Geschlechts und ganzer großer Gruppen zur Grundlage der Glaubenslehre gemacht werden? Auch das müßte stark zufällig bedingte Einseitigkeiten, Zerreißungen der geschichtlichen Kontinuität, Nivellierungen des Überragenden und daher Verarmungen mit sich bringen. Außerdem hat die philosophische Entwicklung den Begriff des Bewußt­ seins für das religiöse Gebiet verdächtig gemacht, vor allem die kritische Philosophie betont die synthetische, schaffende Art des Bewußtseins, wendet man das auf unser frommes Bewußtsein an, so könnten seine Inhalte, d. h. dann auch die religiösen Erkenntniste, als Schöpfungen des menschlichen Bewußtseins, etwa der „religiösen Vernunft", erscheinen. Das aber wäre wider das Selbstzeugnis des Glaubens, der sich auf (Offenbarung beruft (§ 5 und 6,5) und von allem Menschenwerk, sei es auch den tiefsten Schöpfungen der Menschenvernunft, grundsätzlich unterscheidet. Das testimonium Spiritus internum und das fromme Bewußsein haben, religiös betrachtet, die entgegengesetzte Struktur. Die Fäden, die trotzdem herüber­ und hinüberlaufen (§ 31 -33), sind nicht von vornherein im Begriff des Be­ wußtseins gegeben und können darum vorläufig das Mißtrauen der Frömmig­ keit gegen diesen Begriff nicht zerstreuen. Setzt man den Begriff der Erfahrung an die Stelle des Bewußt­ seins, so tritt allerdings der Gegenstand und das unmittelbare Verhältnis zu ihm, ja die Ergriffenheit durch ihn, stärker in den Vordergrund. Allein

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tiefer Vorzug bessert die Lage nicht nach jeder Richtung. Auf dem Beben der kritischen Philosophie ist der Begriff der Erfahrung dem des Bewußt­ seins ähnlich: die formende Kraft der Vernunft ist dabei so wichtig, daß auch seine Übertragung auf das religiöse Gebiet im Gegensatz zum Selbstzeugnis bet Religion treten müßte. Nun wird „Erfahrung" freilich von den Theologen meist im Sinne des Empirismus gebraucht, und dieser betont ihre rezep­ tive Seite; damit verliert jenes Bedenken fein Recht. Allein auch bei der empiristischen Fassung erheben sich Schwierigkeiten. Denn sie setzt eine Kontinuität und Korrelativität aller Erfahrung voraus, die eine Isolierung und Sonderbehandlung bestimmter Gebiete ihrem Wesen nach ausschließt; die Glaubenslehre aber lebt geradezu von der Aussonderung eines be­ stimmten Erfahrens aus aller sonstigen Erfahrung. Der innere Gegensatz von Empirismus und christlichem Glauben erschwert die Begründung der Glaubens­ lehre auch auf die empiristisch verstandene Erfahrung aufs schärfste, wo­ her das Recht jener Sonderbehandlung eines bestimmten Gebiets? Es könnte doch nur aus seinem Inhalt abgeleitet werden; und dieser Inhalt entstammt der Begegnung mit bestimmten Tatsachen der Geschichte. Damit weist die Erfahrung über sich selbst hinaus auf die (Quellen, aus denen sie selber gespeist wird. Neuerdings hat sich, begünstigt durch philosophische IHobeftrömungen1), die Neigung verbreitet, an die Stelle von Bewußtsein und Erfahrung das Erlebnis zu setzen. Darin kann ein weiterer Fortschritt liegen, sofern der Begriff - nicht sttmmungshaft, impressionistisch, sondern streng verstan­ den - die unmittelbare Gbjektbezogenheit noch kräftiger betont. Das Schöpferische und wertvolle kommt hier zweifellos nicht vom Erlebenden, sondern vom Gegenstand her. Allein der Sprachgebrauch schwankt hier noch so stark, daß die Verwendung des Begriffs gefährlich werden kirn». Entweder meint er nur, daß aller Sinnes» und Geistestätigkeit die Be­ rührung durch das (Dbjekt zugrunde liegt (so in Psychologie und Er­ kenntnistheorie): dann sagt er zu wenig, um als (Quellenbezeichnung zu genügen. (Ober er gewinnt Prägnanz: dann hebt er gereifte gefühlsstarke Gbjektberührungen als bestimmend heraus. Aber welchem Maßstab ver­ danken sie ihre Geltung? Der Stärke oder der Gleichmäßigkeit oder der Art des individuellen Eindrucks? Das wären sehr undeutliche, wider­ spruchsvolle Maßstäbe. Und führt die Betonung der starken Einzelerleb­ nisse nicht doch zu einer religiös unmöglichen Subjektivierung zurück, zu einer Art lyrischer Glaubenslehre? Nach alledem eignet auch das fromme Erlebnis sich nicht als (Quellenbezeichnung. Die „dialektische Theologie" hat recht, wenn sie so stark dawider kämpft wie einst Ritschl wider die Be» wußtseinstheologie (vgl. § 5,1 c Knm.). Nur übersteht sie im Eifer des Kampfes, daß eine so starke theologische Arbeitsrichtung kaum nur von Irrtum, sondern zutiefst von einer fruchtbaren Wahrheit leben wird. Und zwar besteht ihre Wahrheit in der Erkenntnis, daß der weg zu den (Quellen und ihrer Ausschöpfung durch Bewußtsein, Erfahrung, Erlebnis ') vgl. Rickert: Die Philosophie des Lebens, *1922.

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hindurchführt; diese Begriffe - am besten der des Erlebens - bezeichnen das persönliche, ohne das die Glaubenslehre (eben als Glaubens-Lehre) nicht arbeiten kann, das also ein unentbehrlicher Einschlag ihrer Methodik ist und bei den Dialektikern selbst aufs stärkste hervortritt. 5. Ergebnis, a) Vie Verbindung beider Motive, weder Bibel und Dogma, noch Bewußtsein, Erfahrung und Erlebnis sind nach alledem die eigentlichen (Quellen der Glaubenslehre. Wohl aber haben all diese Größen wegweisende Bedeutung für die (QueOenfrage. Biblizismus und Konfessionalismus betonen mit Recht, daß die Inhalte, um die es sich in der Glaubenslehre handelt, objektiv sind, aus Geschichte und (Offen­ barung in unser Leben hineintreten. Nur daß Bibel und Dogma nicht unmittelbar als Inbegriff von formuliertem Wissen und nicht als selbständige Größen in Betracht kommen, sondern den Blick auf die inneren Geschehniffe lenken, aus denen sie erwachsen sind, und damit auf die Tiefe der Geschichte, in der sie zugleich Ausdruck schöpferischer (Bottestat und als solcher - freilich in sehr abgestuster weise - Träger schöpferischer Gottestat an uns selbst sind. Und zwar lenken sie, da jene inneren Geschehnisse sich im persönlichen Leben abspielen, den Blick auf die lebendigen Gestalten, di« durch Wort und Tat die bewegenden Mächte der Seelengeschichte sind, hier ist das wirkliche, das am wesenhastesten Träger der göttlichen Letztwirk­ lichkeit wird, und das (Objektive, das die Glaubenslehre braucht, um über die bloße individuelle und zeitbedingte Subjektivität ihrer jeweiligen Ver­ treter hinausgehoben zu werden. Damit erfüllt sich die letzte Absicht der bibliziftischen und konfesstonalistischen (Quellenbestimmung. Aber sie erfüllt sich, indem sie die Wahrheit der subjektivistischen Lntwicklungslinie aufnimmt. Da die Geschichte, auf die wir verwiesen werden, als unendliche Fülle vor uns steht, muß die Bestimmung der (Quellen zu­ gleich einen Hinweis auf ihre Sichtung enthalten. Der normative 3ug, den wir der Glaubenslehre zusprechen mußten, setzt also schon in ihrem ersten Anfang ein. Zugleich klärt sich das Moment der persönlichen Entscheidung, das dort (§ 2,2 b) als Einschlag der Normierung angedeutet wurde. Es bedeutet nicht, daß der Systematiker in seiner armseligen Rleinmenschlichkeit bestimmen soll, was in der Glaubenslehre Geltung heischen darf, sondern daß Gottes Tun, in lebendig-persönlichen Gestalten verwirklicht, in der Anrufung und Entzündung neuen persönlichen Lebens sich kundmachen will. Nicht was uns gefällt und mit unserm empirischen Menschentum ohne weiteres zusammenklingt, ist christliches „Erlebnis", sondern was den aufrichtig mit Gott Ringenden wider sein menschliches Wohlgefallen bezwingt, überzeugt und in seinen Dienst stellt. 3n der Bereitschaft dazu erweist die Subjektivität sich offen für geschichtliche und in dieser für höchste, göttliche Objektivität. Danach ist virtuelle (Quelle der Glaubenslehre die gesamte Geschichte des Glaubens; aber diese Geschichte nicht als geschloffene, äußerlich uns als Vergangenheit gegenüberstehende oder als blind im Strom des Geschehens uns umschlingende Macht, sondern in Wirklichkeit nur dasjenige in der Geschichte des Glaubens, das sich dem persönlichen Glauben, seiner Frage

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Die Quellen der Glaubenslehre

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und Entscheidungsbereitschaft als „Wort" Gottes erschließt. Das ist Leben­ digkeit und Gehorsam zugleich: jede Glaubenslehre gewinnt schon in der Sichtung der Quellen diese doppelte Haltung. Jn gewissem Sinne darf sie sich dabei sogar auf das Beispiel aller „Wertwissenschaften" berufen. Wie die Ethik, die Ästhetik, die Religionsphilosophie die gesamte geschichtliche Auswirkung der sittlichen, ästhetischen, religiösen Funktionen auf dem ihr zugrunde liegenden Gebiet als ihre Quelle benutzt, aber nur in der Wechselbezogenheit der objektiven Stoffe und der subjektiven Empfänglichkeit zur Herausarbeitung der überzeitlichen „Werte" und damit zu normativen Sätzen kommt, so die christliche Glaubenslehre, hier besteht, wenigstens für die allgemeinste Grundlegung, kein wirklicher Gegensatz der reiftenschaftlichen Methode. Die Gefahr der Verarmung und Verflachung des Inhalts, die von jeder persönlichen Mitbeteiligung des Systematikers zweifellos droht, kann nicht durch Ausschaltung, sondern allein durch bewußte Qffenheit gegenüber der Geschichte und dem in ihr redenden Worte Gottes überwunden werden: indem der persönliche Glaube die Quellen sichtet, empfängt er seinen Inhalt; vertieft und bereichert erschließt er immer voller die Quellen, hört er immer deutlicher das ihn fordernde und begnadende lebendige Wort, und so er­ wächst aus dem fruchtbaren Wechselverhältnis von Subjekt und Qbjekt, von Vergangenheit und Gegenwart die „Geschichte", die in der Glaubens­ lehre ihre wissenschaftliche Darstellung sucht. Dabei ist das individuelle Moment durchaus nicht nur Schranke, sondern auch Hebel und Träger der lebendigen Bewegung *). b) Die Stufenordnung der Quellen. Die Sichtung des Stoffes

führt einerseits zur Ausscheidung weiter, als unterchristlich erfundener Ge­ biete, anderseits zu einer stufenweisen Bewertung der übrigbleibenden Quellen. Kraft planmäßiger angestrengter Anwendung aller Mittel der kritisch-psychologischen Methodik unterscheiden wir z. B. schöpferische und epigonenhafte Zeiten oder Personen; tief im Wesen des Glaubens wurzelnde Erscheinungen und solche, die mehr von außen her die Entwicklungskraft des Glaubens reizen; Erscheinungen, die wesentlich dem Glauben ihrer Zeit beredten Ausdruck geben, und solche, die erst in einer näheren oder ferneren, kleineren oder größeren Zukunft sich auswirken; solche, die nur für bestimmte Seiten des Glaubens, und solche, die für seinen ganzen Umfang wichtig sind. So entsteht eine Rangordnung, die zur wirklichen Beherrschung und Ausschöpfung der Quellen verhilft und die auch alles das berücksichtigen kann, was zur Heraushebung von Bibel und Bekenntnis­ schriften Richtiges gesagt worden ist. Freilich hat sie stets nur relatioe, nur vorläufige Bedeutung: das lebendige „Reden" Gottes und damit die *) Das wechseloerhSItnis hat besonders wobbermin zum Bewußtsein gebracht; der Begriff des .religionspsychologischen Zirkels" fteilich, den er dafür geprägt hat, genügt nur, wenn man wie Wobbermin das kritische Moment in die Religions­ psychologie aufnimmt und zugleich stärker als er betont, daß es sich dabei nicht nur um das Verhältnis zur Vergangenheit, sondern vor allem um das zu Gott handelt, nicht nur um eine horizontal«, sondern vor allem um eine vertikale.

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eigentliche Lebendigkeit der Geschichte spottet zuletzt doch aller menschlichen Schemata. Trotz dem subjektiven Einschlag gelangt die Bewertung der Duellen dabei zu Ergebnissen, die innerhalb der systematischen Theologie weithin anerkannt sind. Geben wir Jesus die ihm gebührende Sonderstellung, so nehmen die erste Rangstufe die gottgesandten Gestalten ein, die wir Propheten nennen. Sie führen von den großen Zeiten Israels über Paulus bis herab in die Begründung des Protestantismus; wir werden vorläufig Luther als letzten Propheten bezeichnen dürfens. Schon diese Reihe der Propheten fordert im einzelnen eine genauere Unterscheidung ihrer Art und Bedeutung. Weit mehr noch aber bedarf die zweite Rangstufe der Sonderung und Linzelgruppierung. Sie umfaßt die Fülle der Frommen, die für bestimmte Zeiten maßgebend geworden sind, vor allem solche, die dem christlichen Glauben innerhalb bestimmter Rulturperioden zur klassischen Formung verholfen haben: Gestalten wie Drigenes und Rugustin in der Spätantike; der heilige Thomas oder Meister Eckart im Mittelalter; Melanchthon, Zwingli und Talvin im Rltprotestantismus (neben Luther, der sich mit den Hauptmotiven seines wirkens in die hohe der Prophetie erhebt, mit anderen hierher gehört); Herder und Schleiermacher im deutschen Neuprotestantismus. Rn dritter Stelle könnte man solche nennen, die in ihrem Thristentum Rinder ihrer Zeit sind, aber auf gewissen Seiten des Glaubens über sie hinaus führen: etwa der heilige Franz im Mittel­ alter, in der Neuzeit ein Zinzendorf oder John Wesley oder auch (in erheblichem Rbstand) ein wichern und Rierkegaard. Erst um die Gestalten der zweiten und dritten Reihe kreist dann die Fülle der übrigen Geister, die mehr Vorbereitung oder Rleinarbeit leisten, aber zuweilen doch gewisse Erkenntnisie besonders klar und eindrucksvoll formulieren; so zahlreiche religiöse Dichter oder große Theologen. Im einzelnen sind vor allen Lehr- und Bekenntnisschriften möglichst solche Duellen heranzuziehen, die unmittelbar von religiösem Leben zeugen. Leider sind dabei die des öffentlichen Kultus nur mit Vorsicht zu gebrauchen, weil sie überwiegend unter dem Druck der Überlieferung und Gewohnheit stehen, also das wirkliche jeweilige Leben des Glaubens schlecht zum Aus­ druck bringen. Desto wichtiger sind Lieder, freie Gebete, predigten, Briefe, überhaupt alle Zeugniffe persönlichen Glaubens. Ruch bei einem Luther und Schleiermacher z. B. sind neben, ja vor ihren theologischen Äußerungen die rein persönlichen bedeutsam. Im Rltprotestantismus ist Paul Gerhardt mindestens so wichtig wie Talov oder Duenstedt, in der Aufklärung Gellert *) Karl Barth (Zwischen Öen Seiten III 2, 1925, S. 128) hat dieser Zuordnung Luthers zu den Propheten scharf widersprochen. Ich halte sie aufrecht, im verein nicht nur mit dem altprotestantischen Luthertum, sondern mit Luther selbst, der die Bezeichnung gelegentlich aufnahm und keinen Raub an den biblischen Propheten darin erblickte. Über Öen Sinn, in öem sie gemeint ist, vgl. §§19, lb Schluß; 28,3; 29,1. Die besonöere Kategorie des Reformators, die manche einführen wollen, ist nicht von spezifisch religiöser Art; soweit sie es doch ist, ist sie von der des Propheten kaum zu trennen. Reformator im vollsinn ist nur der Prophet, und der Prophet ist irgendwie auch Reformator.

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Wichtige Literatur

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ober Spaltung so wichtig wie die theologische Schule Chr. Wolffs. Die theologischen, lehrhaften Quellen beginnen erst Kraft der Derbindung mit solchen unmittelbaren Äußerungen religiösen Lebens wirklich zu fließen, c) Die Heranziehung der Quellen. $ür die Anlage der Glau­ benslehre müßte, wenn man bei dem überlieferten Schema bleiben wollte, die Folge dieser ganzen Quellenbestimmung sein, daß die biblischen und dogmengeschichtlichen Abschnitte zu geschichtlichen überhaupt erweitert werden. Dann aber würde auch die Doppelbehandlung des Stoffes, die bisher das Verhältnis von Dogmatik und biblischer Theologie kennzeichnete, auf die ganze geschichtliche Grundlage der Glaubenslehre übergehen — eine un­ nötige Belastung für unsere Wissenschaft. Da die Glaubenslehre nicht isoliert arbeitet, sondern sich grundsätzlich auf die historische Theologie aufbaut (§ 1,1a), so braucht sie ihre geschichtlichen Quellen nicht in besonderen Abschnitten aufzuweisen, sondern kann voraussetzen, daß der Leser mit den Quellen vertraut ist oder sich im Linzelfall aus der historischen Theologie die nötige Kenntnis verschafft. Nur soweit das Verständnis der systematischen Gedankengänge und die gegenwärtige Lage es dringend nahelegen, ober wo kein genügendes Eingehen der historischen Theologie auf den Gegenstand erwartet werden darf, soll auch hier geschichtlicher Quellenstoff eingefügt werden, vor allem die Bibel, Luther, das altprotestantische Dogma und Schleiermacher werden ausführlich und häufig zu Worte kommen; denn die beiden ersten find für den Inhalt des Glaubens, die beiden letzten für die kritisch-systematische Schulung des Theologen von unvergleichlicher Bedeutung.

§ 4. Wichtige Literatur Für die Kenntnis der altchristlichen, mittelalterlichen und symbolischen Literatur kann auf die Kirchengeschichte, Dogmengeschichte und Symbolik verwiesen werden. Für Zitate und für das Verständnis der heutigen Lage kommmen vorzüglich folgende Werke in Betracht:

Aus dem flltproteftantirmur und seiner Auslösung: Luthers Werke, möglichst zitiert in der Weimarer Ausgabe (IDfl) oder der Erlanger Ausgabe (LA), gelegentlich auch in der Bonner (Llemen) und der des Bibliographischen Instituts (Verger). Vie sqmbol. Bücher der ev.-luth. Kirche, Stereotyp-Ausg. vonJ.T. Müller. Dazu die Einleitung von Kolde (seit 101907; auch separat). Die vekenntnisschriften der ref. Kirche, flusg. von L. F. K. Müller, 1903. Melanchthon, Loci communes rerum theologicarum, 1521; beste Aus­ gabe dieser Urform von Kolde, 31900. Die völlig veränderten spä­ teren Ausgaben sind im Corpus Reformatorum Bb. 21 abgedruckt. Calvin, Institutio christianae religionis, 1536. Die sehr verschiedenen Ausgaben (1559 die letzte von Calvin selbst besorgte) stehen im Corpus Reformatorum Bb. 1-4; die 1. auch in Calvin! opera selecta, ed..

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(Einleitung

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Pt Barth, I 1926; die 1. A. ist verdeutscht von Spieß 1885, die letzte in stark verkürzter Bearbeitung von E. Z. X. Müller 1909. Leonhard Hutter, Compendium locorum theologicorum ex scriptura sacra et libro concordiae collectum, 1609. Neu Hrsg, von Twesten *1863. Bezeichnet den Zustand der altprotestantischen Dogmatik vor Entstehung der großen Lehrsysteme. Johann Gerhard, Loci theologici, 9 Bde., 1610-22; neu Hrsg, mit Rnmerkungen und Ergänzungen von Cotta 1762, dazu wertvollen Registern von Müller 1787ff.; wieder von preuß * 1865; deutsch in 3 Bdn. (gekürzt) von K. $. 1898- 1907. Durch systematische Kraft und Rnleihen bei der mittelalterlichen Scholastik von bestimmendem Einfluß auf die Weiterbildung der lutherischen Dogmatik. R. Huenstedt, Theologia didactico - polemica sive systema theologicum, 1685. Höhepunkt der altprotestantischen Scholastik. V. hollaz, Examen theologicum acroamaticum, 1707, 81763. Typisch für die gemilderte Spätscholastik des Luthertums. R. G. Spangenberg, Idea fidei fratrum, 1779. Typisch für die pietistisch* Herrnhutische Erweichung des altprotestantischen Systems. 3. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793. Zeigt seine eigene rationalistische Religionsphilosophie, während die großen schöpferischen Wirkungen seiner Philosophie, auch für die Ent­ wicklung der Theologie im 19. Jhrh., vielmehr von seinen drei kriti­ schen Hauptwerken ausgehen. 1. A. QWegscheider, Institutiones theologiae dogmaticae, 1815,81844. Normaldogmatik der zum Rationalismus entwickelten Rufklärung.

2.

Rur der durch Schleiermacher begründeten Entwicklung der 19. Zhdr.:

Z. Schleiermacher, Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799. Diese Urform neu Hrsg, von (Dtto, 62 1926, * 4 * auch in der Deutschen Bibliothek (von Rade) und bei Braun (Sch.s Werke, 4. Bb.; auch gesondert zu haben). Vie Ausgaben von 1806 und 21 sehr verändert (die vierte, auch in Sch.s Sämtlichen werken I 1. Bb., wenig verändert). Kritisch - vergleichende Ausgabe von pünjer, 1879. Kurze Darstellung des theol. Studiums, 1811, 8 stark erweitert 1830; Kritische Ausgabe von h. Scholz 1910. Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evang. Kirche im Zusammenhang dargestellt, 1821s., 9 1830 s. Vie letztere Auflage ist in den Sämtlichen werken I 3f., bei Hendel und in der Bibliothek theologischer Klassiker abgedruckt. Die Leitsätze beider Auflagen sind übersichtlich zusammengestellt von Rade 1904. Eine kritisch vergleichende Ausgabe hat Stange begonnen, 1. Bb. 1910 (Einleitung). Vie Zitate beziehen sich auf die 2. Auflage. Sendschreiben über die Glaubenslehre an Lücke, Theol. Studien und Kritiken 1829; in den Sämtlichen Werken I, Bb. 2; neu Hrsg. m. (Er* läutergn. u. Wissenschaft!. Apparat von Mulert 1908 (2. Huellenheft d.

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Wichtig« Literatur

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„Stub. z. Gesch. b. neueren prot."). Eine Art erhlärenbes Vorwort zur 2. Rufi, bei Glaubenslehre, für bas Verständnis nötig. v. Fr. Strauß, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Ent­ wicklung unb im Kampfe mit bet mobernen Wissenschaft, 1840 s. Kritisch auflösend. R. E. Liebermann, Christliche Dogmatik, 8 1884s. von spekulativer Philosophie beeinflußt: „liberal". . Herrmann, Dogmatik, in Kultur der Gegenwart 14,21909; Der Ver­ kehr des Christen mit Gott, 6- e 1908, Neudruck 1921; Gesammelte Aufsätze, Hrsg, von §. ID. Schmidt, 1923; Dogmatik, Hrsg, von Rabe, 1925. Dgl. auch §. W. Schmidt, ID. Herrmann. Ein Bekenntnis zu seiner Theologie, 1922; K. Barth, Die dogmat. Prinzipienlehre bei ID. Herrmann, 3wd3 III 1925. Dl. Rabe, Glaubenslehre, 2 Bde. 1924-27. h. Wendt, System der christlichen Lehre, 21920. h. Lüdemann, Christliche Dogmatik, 2 Bde. 1924 - 26. E. Troeltsch, 3ur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik, Ge­ sammelte Schriften, 2. Bb. 1913; Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswisienschast, 1905; Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, 21912; Artikel in „Religion in Geschichte und Gegenwart" (RGG), 11909ff.; Glaubenslehre, 1925 (Hrsg, von Dl. Troeltsch). G. wobbermin, Systematische Theologie nach religionspsychologischer Methode, 1. Bb. (methodologisch) 1913, 2. Bb. (Wesen der Religion) 1921, 3. Bb. (Wesen des Christentums) 1925,21 3 26; 3um Streit um die Religionspsychologie, 1913. M. Kähler, Die wisienschast der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus, 81905; Dogmatische 3eitfragen, 1. und 2. Bb. 2 1907s., 3. Bb. 1913. A. Schlatter, Das christliche Dogma, 2 1923; Briefe über das christliche Dogma, 1912. K. heim, Leitfaden der Dogmatik, T. 81925; Glaubensgewihheit, 8 1923; Wesen des Protestantismus, 1925; Glaube und Leben (Gesammelte Aufsätze und Dorträge), 1926. £. Lemme, Christliche Glaubenslehre, 2 Bde. 1918s. R. Seeberg, Christliche Dogmatik, 2 Bde. 1924s.; Grundwahrheiten der christlichen Religion, 71921; 3ur systematischen Theologie, 1909. L. Jhmels, 3entralfragen der Dogmatik in der Gegenwart, 4 1921; Die christliche Wahrheitsgewißheit, 8 1914. C. Stange, Dogmatik, 1. B. 1927; Moderne Probleme des christlichen Glaubens, 1910; Christentum und moderne Weltanschauung, l.T. 21913, 2. T. 1914; Die Wahrheit des Christusglaubens, 1915; Die Religion als Erfahrung, 1919.

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wichtig« Literatur

Ebenso wichtig aber sind heute kürzere oder längere Monographien und Programmschristen, sowie manche „religionsphilosophische" Schriften *); vor allem seien folgend« genannt: Z. Rattenbusch, Vie deutsche evang.Theologie seit Schleiermacher,61926; Gott erleben und an Gott glauben, 3THR 1923, 75 — 167; Vas Un­ bedingte und der Unbegreifbare, 1927. R. Otto, Vas heilige, 151926; Rufsätze das Numinose betreffend, * 1925; west-östliche Mystik, 1926; Rantisch-Zriessche Religionsphilosophie und ihre Anwendung auf die Theologie, 1909 (Neudruck 1921). K Börnhausen, Der Erlöser, 1927; Der Protestantismus als Tatglaube, 1919; vom christlichen Sinn des deutschen Idealismus, 1925. E. Schaeder, Theozentrische Theologie, l.T. 81925, 2. T. *1927; Streif­ lichter zum Entwurf der theozentrischen Theologie, 1916; Religion und Vernunft, 1917; Das Geistproblem der Theologie, 1924. p. Althaus, Theologie des Glaubens, ZsystTH 1925, 281 -322, u. a. in dieser Zeitschrift; Die letzten Dinge, 81926. K. Barth, Der Römerbrief, 61926; Das Wort Gottes und die Theo­ logie, 1924; Die Auferstehung der Toten, 1924. $. Gogarten, Die religiöse Entscheidung, 21924; Illusionen, 1925; Ich glaube an den dreieinigen Gott, 1926. E. Brunner, Erlebnis, Erkenntnis und Glaube, 21923; Die Grenzen der Humanität, 1922; Die Mystik und das wort, 1924; Philosophie und «Offenbarung, 1925; Religionsphilosophie evangelischer Theologie, 1926 (im Handbuch der Philosophie von vaeumler und Schröter). Genaueres Verständnis der heutigen Entwicklung ist nur an der Hand von Zeitschriften möglich. Besonders wichttg sind die beiden Zachorgane: Zeitschrift für Theologie und Rirche (3THU) und Zeitschrift für syste­ matische Theologie (ZsystTH), sowie als Organ der „ dialektischen Theo­ logie" : Zwischen den Zeiten (ZwdZ).

4. Werke von wesentlich hiftorisch-zusammenfaffender Art: Zür den ganzen theologiegeschichtlichen Stoff bis in die Gegenwart herein: Zr. Ritzsch, Lehrbuch der evang. Dogmatik, 8 neu bearbeitet von h. Stephan, 1911s. - Auswahl von (puellenstücken: R. Grützmacher, Textbuch zur systemattschen Theologie und ihrer Geschichte vom 16.-20. Zhd., 21923. vornehmlich für die altprotestanftsche Dogmatik: h. Schmid, Dogmatik der evang.-luth. Rirche, 7 1893; E. Luthardt, Rompenbium der Dogmatik, 11 Hrsg, von Winter, 1914; K. Hase, Hutterus redivivus, Dogmatik der evang.-luth. Rirche, 121883; speziell für den refor­ mierten Protestantismus: Alex. Schweizer, Die Glaubenslehre der evang.-reformierten Rirche, 1844. 47. *) Auf di« eigentlichen Religionsphilosophien kann hier nur kurz oerwiesen werden: A. Dörner (1903; Metaphysik des Thristentums, 13), K. Dunkmann (1917), Lucken (Wahrheitsgehalt der Religion,41920), h. Schwarz (Das Ungegebene, 1921), C. Stang« (• 1922), heinr. Scholz (* 1922), S- vrunftäd (Die Idee der Religion, 1922), A. Görland (1923), p. Tillich (1925, in Desioirs Lehrbuch der Philosophie), R. Z«lke(1927). ST 3: Stephan, Llaubrnslehr«. 2. stuft.

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1. Teil.

Der evangelische Glaube

§5

(Erster Teil

Der evangelische Glaube § 5.

Der Glaubensbegriff

1. Luther» Klaube, a) Sein werden, wenn das evangelische Christentum seine Frömmigkeit am liebsten im Begriff des Glaubens zusammenfaßt, so steht es dabei unter dem Einfluß Luthers. Vas mittel­ alterliche Christentum war synkretistisch; es besaß keine einheitliche Gesamtauffaffung oder Gesamtbezeichnung seiner Frömmigkeit. Es gehorchte den Kirchlichen Geboten, empfing in den Sakramenten die göttlichen Gnaden nnd rang durch Häufung guter Werke um das ewige heil; das war eine unendliche Vielheit von einzelnen Stücken. Auch der Glaube gehörte hinzu, aber doch ebenfalls nur als ein Teilstück, und zwar als ein gehorsames Fürwahr­ halten dessen, was die Uirche an übernatürlich mitgeteiltem Gffenbarungs» besttz zu haben meinte (cum assensu cogitare). Luther hatte nun auf den kirchlich vorgeschriebenen wegen keinen inneren Frieden gefunden. Dann aber war im Studium der Bibel Gottes Dffenbarung über ihn ge­ kommen und hatte ihn zu einem neuen, trotz allem fortdauernden Ringen doch ewigkeitsgewissen Menschen gemacht. So baute sich eine neue Geistes­ haltung in ihm aus, hinausgehoben über das Geflecht des natürlichen Lebens wie über die Vielheit der katholisch-frommen, das „heil" auf menschlichen wegen beschaffenden Akte. Er nannte das Neue, das ihn erfüllte, den Glaubens. Dabei konnte er fich auf wichttge Stellen der Bibel berufen, die in ihrem wirklichen Inhalt dem katholischen Christentum entgangen waren. Abgesehen von der starken Betonung des Glaubens bei Jesus kommt vor allem Paulus in vettacht. Zwar eine eigentliche Definition im Sinne Luthers *) Freilich verwendet Luther das Wort Glaub« häufig auch anders, zur Be­ zeichnung nicht der neuen Gesamthaltung der Christen, sondern der ihm aus dieser Gesamthaltung folgenden Annahme der Bibel und ihrer Inhalt«, besonders wo sie der Vernunft zu Widerstreiten scheinen. Dabei nähert er sich wieder dem katho­ lischen Glaubensbrgriff. Zwar auch da ist di« Grundlage echt evangelisch: gehor­ sam« Bejahung des göttlichen Willens und Wortes, des Evangelium; (vgl. dar „Fürwahrhalten" EA * 12,221). Aber indem nun leicht als Dbjekt der Schrift­ inhalt als Lehre eintritt, ändert sich doch die Grundeinstellung. vgl. etwa EA 32, 415: „Rund und rein, ganz und aller geglaubt oder nichts geglaubt." Derselbe Gegensatz wird uns in Luthers Auffassung von Dffenbarung, Wort Gottes, Christo­ logie, Trinität u. a. begegnen.

§5

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Der Glaubensbegriff

gibt Paulus nicht. Aber im Anschluß an atliche Stellen wie hab 2« (Hörn In) und Gen 15e (Röm 4s Gal 3s) — vor allem hätte er Jes 7» 2816 heranziehen können — braucht er doch überall da mit Vorliebe das Wort Glaube, wo er die religiöse Gesamthaltung des Christen bezeichnen will, Besonders wichtig sind außer jenen an das AT anknüpfenden Stellen noch Röm 328 Gal 325.25, wo der Glaube als das Merkmal des Christen­ tums im Gegensatz zur jüdischen Gesetzesreligion bezeichnet wird, sowie Gal 220 32.5 2Kot 5t 13s Röm 1423. Darum wird Paulus für dar evangelische Christentum der „Apostel des Glaubens". Obwohl auch er den Begriff gar manchmal enger saßt (1 Kor 132 nach Mt l?20u.a. Röm 10 ist.), rückt ihm doch deutlicher als den übrigen Aposteln (Jak 2) der Glaube in den Mittelpunkt des Christentums, vor andere Hauptbegriffe, die zuweilen ebenfalls den Inhalt der christlichen Frömmigkeit zusammenfasien, sogar vor die Liebe. Aber auch bei Joh (629) begegnet der Glaube als das eigentliche Werk Gottes an den Christen, hebt 111 versucht eine Art Defi­ nition, im ganzen auf richttger Bahn, aber ohne die Tiefe und umfassende weite des paulinischen Gedankens zu erreichen. Nach alledem hat Luther ein Recht, sich auf die Bibel zu berufen; aber er schließt sich in seiner Be­ tonung und Fassung des Glaubens nicht äußerlich, sondern mit selbständiger kritischer Sichtung an sie an. b) Die Zeugnisse Luthers. Da der Glaubensbegrisf auch im Protestantismus mannigfach verkümmert ist, gilt es gerade hier, sich immer aufs neue an Luther und der von ihm herausgehobenen paulinischen Linie des NT s zu orientieren, von den Sätzen Luthers aus, die den evange­ lischen Sinn des Glaubens beschreiben wollen, werden wir am sichersten sein Wesen ersassen. Die besten Dienste leistet dabei die „Freiheit eines Christenmenschen", die auch „vom evangelischen Glauben" heißen könnte'), und die Reihe der persönliche Zeugnisse, wie sie etwa in den Briefen aus Borna oder von der Feste Koburg und in den Tischreden vorliegen. Dazu tritt eine Fülle von einzelnen gelegentlichen Sätzen. „Der Glaube ist das Hauptstück christlichen Wesens" (CA 8282, WA 17, II117); „in den Glauben ist alles gefastet, was wir haben an geistlichen Gütern und dies, daß wir Gottes Kinder sind" (CA 151, 152); „ich hab' kürzlich in den Glauben gestellet alle Ding, daß, wer ihn hat, soll alle Ding haben und selig sein, wer ihn nit hat, soll nichts haben" (WA 7,24; Heroen 2,14). Non pauci nullo experimento eam [fidem] probaverunt, nec quantae sit virtutis unquam gustaverunt, cum fieri non possit, ut bene de ea scribat, aut recte scripta bene intelligat, qui non spiritum eiusdetn urgentibus tribulationibus aliquando gustarit. Qui autem vel paululum gustavit, non potest unquam satis de eadem scribere, dicere, cogitare, audire: Ions enim vivus est saliens in vitam aeternam (Jot) 4h; WA 7,49 CA lat. 4,219). „Der Glaube ist ein Ding im herzen, das sein Wesen für sich selbs hat, von Gott gegeben, als sein eigen Werk" (CA 57,62; WA Tischreden 5, Rr. 5245; vgl. 4,5082 b). Er „schafft geistliche Erlösung" (LA 7290). *) vgl. den Anfang der lateinischen Ausgabe.

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Der evangelische Glaube

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Fides conscientias nostras redimit, rectificat et servat (Wfl 7,70). Er „ist ein göttlich IDerft in uns, das uns wandelt und neu gebiert aus (Bott, Ioh 1, und tötet den alten Adam, macht uns ganz ander Menschen von herz, Mut, Sinn und allen Kräften und bringet den heiligen Geist mit sich. D es ist ein lebendig, schästig, tätig, mächtig Ving um den Glauben, daß unmöglich ist, daß er nicht ohn' Unterlaß sollt Guts wirken"... Er „ist ein lebendige, erwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal drüber stürbe. Und solch Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, welches der heilig Geist tut im Glauben" (r). Demnach genügt auch die Begründung des Glaubens auf das selbsterlebte Wunder nicht: wir brauchen eine Begrün­ dung, auf die wir uns jederzeit zurückziehen können, d. h. eine Begründung auf Geschichte und Offenbarung. c) Objektiv-subjektive Begründung auf innere Wunder, vielleicht lasten nun beide Bestrebungen sich vereinen, wenn wir nicht das •) über das Wunder der Bibel |. unten S. 55 f. § 35,3.

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1. teil.

Der evangelische Glaube

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Wunder schlechthin, sondern das innere Wunder betonen. Schon Luther hat als die rechten hohen Wunder die gepriesen, die Christus ohne Unterlaß in der Christenheit tut, vorzüglich indem er den Glauben weckt (CK 12, 1235ff.; 19,1169, IDfl41,19). Um den geheimnisvollen, rational nicht faß­ baren Charakter des Vorgangs zu zeigen, wandte er das biblische (Joh 33n.), auch in der Mystik viel gebrauchte Bild der Wiedergeburt auf die donatio fidei an. Indem der Christ sein neues Menschentum auf die Wiedergeburt zurückführt, gründet er es auf das direkte hineinwirken Gottes in den Ablauf feines inneren Lebens, d. h. auf ein inneres Wunder, das eine geschichtliche lvffenbarungstat Gottes an ihm bedeutet. Vas war an sich ein wertvoller Ansatz, der in die Fülle der Geschichte und Dffenbarung hineinführen Konnte. Allein der Altprotestantismus hat ihn da­ durch verdorben, daß er die Wiedergeburt aus der Verleihung des Glaubens zu einem besonderen Akte der Heilsordnung neben dem Glauben machte eine notwendige Folge der Verkümmerung des Glaubensbegriffs (§ 5,2). Damit trat das innere Wunder selbst für die Begründung des Glaubens in den Hintergrund, obwohl die Übernahme der vocatio, der Berufung, unter die Hauptbegriffe der Heilsordnung ihm wieder hätte Raum geben können. Der Pietismus betonte zwar die Wiedergeburt, aber nicht so, daß von da aus eine Rückkehr zu Luthers Stellung möglich geworden wäre. Selbst dem Erlanger Frank gelang eine solche nicht; er stellte zwar die Erfahrung der Wiedergeburt in den Vordergrund seiner Gewißheitslehre (Nr. 1 a), gab ihr aber nicht die rechte Verbindung mit dem Wunder der Glaubensentstehung. Catsächlich bringt die überlieferte Ver­ bindung mit der Rindertaufe und mit allerhand Spekulationen über das geistleibliche wirken Gottes (§ 22,4) für das Verständnis der Wieder­ geburt so starke Schwierigkeiten, daß die Begründung des Glaubens bester auf die Anknüpfung an dieses Bild verzichtet. Der Rückgang auf das innere Wunder selbst bliebe trotzdem möglich, zumal Schleiermacher es in den „Reben“ wieder stark betont hat und heute die Behandlung der Wunderfrage in der Regel von ihm aus­ geht. Sonst sehr verschiedene Richtungen treffen sich hier: wie die einen in Wiedergeburt und Bekehrung die Wirkung göttlichen Eingreifens sehen, so erkennen die anderen allgemeiner im sittlich-religiösen Geiste, vor allem in dem unableitbaren Erlebnis der unbedingten sittlichen Forderung das unmittelbare göttliche Walten im Menschen. Für die Begründung des Glaubens ist dabei vor allem das eine wichttg, daß die inneren Wunder in ihren Wirkungen erhalten bleiben. Venn indem sie die innere Er­ neuerung und Entwicklung leiten, bleiben sie mit dieser organisch verbunden. Solange die Wirkung anhält, behalten sie danach ihre innere begründende Kraft: in der Rückbesinnung auf sie hat der Glaube unmittelbare Ge­ wißheit. Und doch fordert auch die Stützung auf das innere wunder die Kritik heraus. Gerade an dem wunderhaften Charakter nagt das Mißtrauen: vielleicht läßt der als wunder empfundene Vorgang sich doch einmal aus Voraussetzungen und Bedingungen des natürlichen Lebens,

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Die Begründung der Glaubens

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etwa des „Unterbewußtseins", erklären! Und schon der Zweifel, auch der unbewiesene, macht die Berufung auf das innere Wunder kraftlos. Über­

dies erlebt nicht jeder Christ seine innere Erneuerung als einmalige Tat des göttlichen waltens; die meisten sehen darin vielmehr das Ergebnis zahlreicher Führungen und Wirkungen, die erst in ihrer organischen Ver­ bindung den Lharakter einer Tat Gottes gewinnen, wenn ttotzdem der Begriff des Wunders daraus angewandt wird, so hat er einen ganz anderen Sinn als den üblichen, der eher aus plötzliche, genau feststellbare Bekehrungen zu paffen scheint. Aber auf das richtige Gebiet werden wir bei diesen Erörterungen geführt: auf das Gebiet der inneren Geschichte, in der die Tat Gottes an uns sich vollzieht. Nur darf der Vorgang, in dem wir die Begründung suchen, nicht vou dem Gesamtleben losgelöst werden, wie gerade der wunderbegriff es zu tun versucht, weder von dem des Einzelnen, noch von dem der Christenheit. Vas Innenleben ist zwar persönlich und individuell geartet, aber wenn die Begründung des Glaubens ganz in dieser Sphäre bleibt, wird sie unkontrollierbar nicht nur für andere, sondern auch für den Glaubenden selbst und damit völlig wehrlos gegen den verdacht der Selbsttäuschung. Soll es eine Begründung des Glaubens geben, so müssen wir sie dort finden, wo der Glaube mit den mächtigsten Regungen des persönlichen Innenlebens überhaupt und dieses mit den Höhepunkten des Gesamtlebens zusammenhängt. Vas aber ist nicht nur in einzelnen vorübergehenden Erlebnissen der Fall, sondern in dem Gesamtbau unseres evangelischen Glaubens; er ist durchaus geschichtlich geartet, hat also eine stete organische Verbindung mit dem Stoorn der persönlichen wie der allgemeinen Geschichte, unbeschadet feiner Gewißheit, von Gott selbst getragen und von Gott her empfangen zu fein. 3n jedem Augenblick des Glaubens schneidet die Senkrechte, die uns von Gott her trifft, die wagerechten der bloßen Menschengeschichte. 3n diesen Schnitt­ punkten erschließt sich eine Begründung, die nicht nur in der Erinnerung lebt, sondern im 3nhalt unsers Glaubens selbst lebendig wirkt. s. Vie Begründung de« Glaubens auf die Gemeinde, a) Vie Gegenwartsgemeinde, wer seine innere Geschichte aufmerksam und aufrichttg prüft, findet sie beeinflußt von Menschen, die er als überragend erlebt, die seine Ehrfurcht, sein vertrauen, seine Nachfolge im ganzen oder im einzelnen wecken. 3n der Rindheit beginnend, setzt dieser Einfluß sich fort, solange die Lebendigkeit des Menschen dauert. Er ist es, der das Leben des Menschen bestimmt und über seine Naturanlagen hinausträgt; er schafft auch den inneren Zusammenhang der Menschen, den wir auf allen Gebieten Gemeinde nennen. Lr kann durch Einrichtungen wie Familie, Schule, Beruf, Staat und Rirche angebahnt werden, lebt sich aber frei davon aus und behält einen geistig-charismattschen Lharakter. Je fester der Mensch in solchen Zusammenhängen steht, desto gereifter wird seine individuelle Haltung, sein persönliches Lebensgefühl. Vas gilt wie von allen anderen Gebieten des menschlichen Daseins, so auch von der Religion. Darum führt Ursprung und Begründung des

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Der evangelische Glaube

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individuellen Glaubens zunächst in die Gemeinde. AIs Wirkungsstätte des Geistes (§ 21 f.) wird sie der dauernde Huellort der christlichen Erfahrung und Gewißheit, schafft sie das persönliche Leben, in dem die Subjekttvität emporgehoben wird zum Erlebnis und zur Wirkungsform des höchsten Objektiven. Diese Einsicht lebt schon in den ntlichen Hinweisen auf die Bedeutung der lebendigen Kirche. Sie ist der Wahrheitskern in der katholischen Betonung der Kirchenbewußtseins und der Heiligenverehrung. Luther hat sie sogar in der Leidenschaft des Kampfes bewahrt, als er beider zerschlug; er nennt auch weiterhin die Gemeinde die Mutter, die den Lhristen trägt, und wagt in seiner Liebe zur communio sanctorum gelegentlich den Satz, daß einer des anderen Ehristus Jei1). Erst Mystik, Pietismus und Auf­ klärung haben den gemeinschaftswidrigen Individualismus im evangelischen Ehristentum (vor allem Deutschlands) großgezogen, damit den Sinn für den geschichtlichen Eharakter wie alles geisttgen so des religiösen Lebens weithin erstickt und die Begründung des Glaubens unsäglich erschwert. Seit Schleiermacher ringt die Glaubenslehre aufs neue um das rechte Verständnis für die glaubenbegründende Kraft der Gemeinde. Tatsächlich wirkt die lebendige Gemeinde mit einem unendlichen Reichtum von Motiven und Gestalten auf das jeweils reifende Geschlecht der Ehristen. Sie zählt allenthalben unbekannte schlichte Lhristen, aber auch zeitüberragende Persönlichkeiten, deren Glaube begründende Kraft besitzt. So ergibt sich eine Vielgestaltigkeit und eine stets lebendige Gegenwart der Gemeinde, die jedes Linzelleben zu erfassen vermag. Tat­ sächlich gründet sich der Glaube auch der Protestanten, obschon ost un­ bewußt, zunächst auf fremden Glauben, d. h. auf die besondere Ausgestaltung, die Gottes geschichtliche Offenbarung in den uns nahestehenden Frommen gefunden hat: von den schlichten Eltern und Lehrern bis zu den „Vätern" überhaupt, zu Neueren wie Schleiermacher oder Bodelschwingh, darüber hinaus zu unseren Liederdichtern und Reformatoren, zu mittelalterlichen und altchristlichen Gestalten (§ 3,3; 22,2b). wo ein echter Ehrist wirklich die Welt überwindet, wirklich unerbittlichen Ernst gegen sich selbst und zugleich ttagende Liebe gegen die anderen beweist, wirklich in Sprache oder Tat sein inneres Leben für andere eindrücklich macht, da schafft er eine Grundlage, die unwillkürlich den Glauben anderer stützt, hier liegt die Wahrheit, die religiöse Kraft der Kirchenfrömmigkeit und Heiligen­ verehrung; nur wer sie erkennt, vermag die katholische Verzerrung des richttgen Grundmotivs erfolgreich zu bekämpfen. b) Die biblischen Zeugen. Freilich ein großer Unterschied bleibt auch bei solcher Würdigung der Heiligenverehrung: die Träger der leben­ digen Gemeinde, die dem Protestanten in der Begründung seines Glau­ bens die nächste Hilfe bedeuten, sind weder durch legendäre Aus­ schmückung, noch irgendwie durch Wundertaten aus der Gemeinde heraus*) Gr. Katechismus z. 3. Artikel; De libertate Christiana, WA 7,66-69. 3u Kirche und Gemeinde s. unten § 21,2.

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Die Begründung der (Klaubens

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gehoben; sie besitzen keine so selbständige religiöse Stellung wie die Helligen des Katholizismus und fordern daher keine Art von Kultus heraus. Sie weisen den zum Bewußtsein seines Glaubens Kommenden über sich hinaus zu einem noch festeren Grund«: zur Bibel, die ja für -en Protestantismus nicht als Buch heilig ist, sondern als Sammlung von Zeugnisten der apoi (vgl. § 22,2). Der Rückgang von der Kirche auf die Bibel war für den Protestan­ tismus von Anfang an ein Rückgang vom organisierten Kirchentum zur lebendigen Gemeinde, deren maßgebende Träger eben in der Bibel gefunden wurden. Daß man in ihr ( Der Wesensgrund der Lebendigkeit, a) Geschichtliches. Bei der Begründung des Glaubens handelte es sich um Fragen der Geltung, daher zutiefst um (Vffenbarung. Nunmehr wenden wir uns den empirischen Gestaltungen zu, in denen der Glaube sein Leben gewinnt und entfaltet. Schon die bisherige Betrachtung lenkte den Blick auf dieses Reich der Empirie. Wir sahen, daß die Vffenbarung sich trotz ihrer Unmittelbarkeit an Vermittelungen bindet, die irgendwie zu den Inhalten der empirischen Wirklichkeit gehören; wir sahen auch, daß der Glaube Erlösung und Neu­ schöpfung ist, d. h. seinen Träger einerseits über die empirische Wirklich­ keit erhebt, anderseits Neues innerhalb der empirischen Wirklichkeit setzt. So ergibt sich eine doppelseitige Beziehung zum Reiche des Empirischen, die alle Aussagen des Glaubens durchdringt: sie umfaßt stets zugleich ein Ja und ein Nein. Daß der Glaube die immer neue Negation der Welt in immer neue Bejahung aufheben mutz, daß er in dieser Spannung leben und sie doch in Gott gelöst glauben muß, das kennzeichnet ihn gegen­ über der folgerechten Mystik wie der selbstzufriedenen Rirchlichkeit, der Schwärmerei wie der Abscheidung eines „heiligen" Bezirks von der sündigen Welt. Es bestimmt seine eigentümliche Lebendigkeit, seine empirische Ent­ faltung und Mannigfaltigkeit. Daß der Glaube als Geschenk des Gottes-Geistes ein „lebendig schäftig tätig mächtig Ving" sei, wutzte schon Luther (§ 5,1b). Nach der Seite der sittlichen Betätigung und der Nächstenliebe hat er es oft und scharf betont. Aber die altprotestantische Versteifung des Glaubensbegriffs brachte es mit sich, daß sogar diese bedeutsamste Seite an der Lebendigkeit des Glaubens zurücktrat. Der Glaube war wesentlich gerichtet auf die rechte Lehre und, sofern er tiefer ging, auf die gnädige Heilszusage Gottes - alles andere blieb, wenigstens in seiner Beziehung zum Glaubensbegriff, dunkel. Diese Vernachlässigung wäre nicht möglich gewesen, wenn die reformatorische Theologie grundsätzlich die Lebendigkeit des Glaubens herausgearbeitet hätte. Alle späteren Ergänzungen, besonders durch die Betonung der Wiedergeburt, Bekehrung, Erneuerung und Heiligung im Rahmen des ordo salutis, konnten diese grundsätzliche Versäumnis nicht gutmachen; und die moralistische Reaktion der Aufklärungsfrömmigkeit entfernte sich zu weit vom Mittelpunkt des Glaubens, um wirklich helfen zu können. Erst die psychologische und erkenntnistheoretische Arbeit des endenden 18. und des 19. Ihds. ermöglichte auch hier den Fortschritt. Schleiermacher versuchte in der Glaubenslehre (§ 3 ff.) durch eine bestimmte psychologische 5T 3 : Stephan, Glaubenslehre. 2. Ausl.

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Theorie einen tragfähigen Unterbau für die lebendige Auswirkung des Glaubens zu schaffen: wie alle Religion, so wurzelt der Glaube im un­ mittelbaren Selbstbewußtsein, im Gefühl. Vas Gefühl aber geht beständig über in ruhendes und bewegtes Selbstbewußtsein, d. h. in Erkenntnis und Dillen, und so muß der Glaube sich beständig in diesen beiden Formen des Selbstbewußtseins äußern. Damit war wenigstens die Aufgabe neu gestellt, der lebendigen Auswirkung des Glaubens genauer und bewußter nachzudenken. Aber sie wurde von Schleiermacher trotz vielen sachlichen Tiefblicken im ganzen doch nicht sachlich, vom Inhalt des Glaubens her gelöst, sondern rein formal durch Heranziehung eines angreifbaren psycho­ logischen Schemas. Erst Ritschl ging dazu über, vom Wesen und vom Inhalt des Glaubens aus seine Lebendigkeit zu zeigen. Er schuf den Be­ griff der Funktionen des (versöhnungs-)Glaubens; dabei unterscheidet er die religiösen Funktionen, d. h. Gotteskindschaft und Herrschaft über die Welt, geübt in Vorsehungsglauben, Demut, Geduld, Gebet, und die sittlichen Funktionen, d. h. Mitarbeit am Reiche Gottes in der Gemeinschaft, besonders im Beruf, und Bildung christlicher Tugenden (Unterricht § 46 ff.; Recht­ fertigung und Versöhnung 3 D). Vas ist zweifellos ein sachlich fruchtbarerer Ansatz als der Schleiermachers. Doch werden wir zweifeln müssen, ob die genannten Züge wirklich in ausschließlicher funkttoneller Verbindung gerade mit dem Versöhnungsglauben stehen und ob sie die Lebendigkeit des Glaubens wirklich aus ihrer letzten Tiefe heraus begründen. b) Das evangelische Verständnis der Lebendigkeit. Schleier­ macher hatte recht, wenn er zeigte, daß schon nach den Regeln -er Psycho­ logie das vorhandene fromme Bewußtsein eine bestimmte Lebendigkeit ent­ falten muß. Diese Notwendigkeit ist sogar zwiefach. Wo der Glaube einmal aufleuchtet, da gleicht er einer Sonne, die unablässig Leben schafft, in Licht und Wärme sich auswirkt. Dazu ein zweites: er waltet im tiefsten Grunde des Menschenwesens, in'herz oder Seele oder der Innen­ seite des Bewußtseins (§ 5,3 b), nimmt also an dessen natürlicher Leben­ digkeit teil. Das von unmündiger Kindheit an sich beständig erweiternde, in stetem leiblichen wie geistigen Stoffwechsel sich vollziehende Leben des Menschen verträgt keine starren Inhalte, er zieht jeden seiner Inhalte in seine Bewegung hinein und teilt ihnen etwas von seinem eigenen Leben mit. Diese doppelte Lebendigkeit aber schließt einerseits Komps und Entscheidung, anderseits positive Wechselwirkung zwischen der religiösen Funktion des Bewußtseins und allen übrigen ein. Vie Röte und Fragen des natürlichen wie des geistigen Lebens geben ihr beständig Stoffe und Reize; sie führen sie immer mehr in die Konkretheit und Weite, steigern also ihr eigenes Leben, während sie ihrerseits an der Welt des Empirischen sich auszuwirken, diese durch Buße und Liebe, durch Tat und Erkenntnis umzugestalten versucht. Doch bedarf auch diese Bettachtung einer Vertiefung. Vas Leben des Glaubens ist mehr als die Auswirkung einer bestimmten Funktion des Bewußtseins oder die Wechselwirkung mit andern Funktionen: es ist An­ teil am Leben Gottes, daher nur von der christlichen Gotteserkenntnis

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Die Lebendigkeit des Glaubens

her verständlich (s. besonders §11).

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(Es ist einerseits Gehorsam des Menschen

gegen Gottes Willen, anderseits das Werk des lebendigen Gottes an der Welt, erzeugt in seiner Einheit von Bejahung und Verneinung (s. S. 65) eine unendliche Fülle von Wirkung und Wechselwirkung; es ist eine Schöpfung, die wohl revolutionierend Neues schasst, aber dabei die „natürliche" Schöpfung auf­ nimmt und ihre geheimnisvollen Tiefen an den Tag bringt, Biblische Bilder, wie das von der Wiedergeburt oder dem neuen Menschen oder dem Leben Jesu in uns oder der Ausgießung des heiligen Geistes und die Verwendung des Lebensbegriffs im vierten Evangelium zeigen, wie früh diese Erkenntnis dem Thristentum erwuchs. Darum sind die innersten Rennzeichen für die Lebendigkeit des Glaubens einerseits Andacht und Gebet, d. h. die Mittel, in denen der Glaube die Verbindung mit Gott aufrechthält und beständig neue Kroft aus ihm empfängt; anderseits die Spannungen, die uns überall im Glauben begegnen: so zwischen Abhängigkeits» und Freiheitserlebnis, zwischen Schöpfung und Erlösung, zwischen Heiligkeit und Nähe Gottes, zwischen Ewigkeit und Geschichte, zwischen dem individuellen und dem sozialen Momente des Glaubens *). Empirische Verwirklichung erhält das Leben des Glaubens sowohl im Seelenleben des Einzelnen wie in der Gesamtbewegung der Geschichte. Der Einzelne erlebt sie als Erhebung über das natürliche Geflecht der Triebe und vedürfniffe empor zu der Wirklichkeit Gottes, die das wahre Leben einschließt; er gewinnt im Gegensatz zu den auseinanderreißenden natürlichen v^iehungen die innere Einheit, im Gegensatz zu allem Bewegt­ werden von außen her die freie Auswirkung des inneren Besitzes, also eine Bewegung von innen her aus dem neuen Wesensgrund« heraus, eine eigene Teleologie im Zusammenhang der göttlichen, endlich im Gegensatz zu der Vergänglichkeit des natürlichen Lebens einen unverlierbaren Ewigkeits­ gehalt, der doch dem Leben des Menschen erst seine innere Möglichkeit gibt - das alles aber als Leben, d. h. in jenem steten Werden, das schon nach Luther zu den Merkmalen des Thristen gehört. Ihren Rahmen erhält die persönliche Lebendigkeit des Glaubens in der Gesamtbewegung der Geschichte. Auch die geschichtliche Weltentwicklung, die der Ehristenglaube als gottgetragen versteht und dem ihm offenbaren Gotteswillen unterwerfen will, ist niemals eine fettige, in sich gleiche Größe. Sie war jeweils besonders geartet in der urchristlichen Zeit, in der griechischrömischen Spätantike, im Mittelalter, in den altprotestantischen Jahrhunderten, und sie ist es wieder in der Neuzeit. Daraus ergeben sich wichtige Fol­ gerungen für den Glauben. Mag die Menschenseele mit ihrem Sehnen, Ringen und Erlösungserlebnis in gewiffem Sinne gleichgeblieben sein, die geschichtliche Entwicklung der Glaubensgemeinschast muß wie die Welt­ wirklichkeit, in der st« sich vollzieht, in beständigen Wandlungen verlaufen. *) vgl. zu diesem Absatz die treffenden Ausführungen von Althaus, Zsqst llh 1925, S. 301 f.; auch Herrmann, Der Widerspruch im religiösen Denken und seine Be­ deutung für dar Leben der Religion, 3THR 1911, S. 1 ff. und Diniert, ebenda 1917, S. 190ff. Dazu 8 N,l, auch 8.

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Sobald man die Gestaltungen bestimmter Glaubenszeiten zum Gesetz für andere machen, also auf den Errungenschaften großer Zeiten ausruhen will, wird man dem Ruhebedürfnis und der Ängstlichkeit des natürlichen Menschen­ tums zuliebe ungehorsam gegen den lebendigen Gott. Vas wirken Gottes in dem werden der gläubigen Gemeinschaft ist dasselbe wie im gläubigen Linzelmenschen: aus dem Leben erzeugt, muß es unbeschadet der ruhigen Ewigkeitsgewißheit, die es verleiht, doch immer und überall Lebendigkeit beweisen und wecken. Ist diese Ruftassung richtig, dann beschränkt sich die Lebendigkeit des Glaubens nicht auf das sittliche Gebiet, wie es in der altproteftanttschen Erörterung oft scheinen will, sondern sie erfaßt den ganzen Lebensbestand des Menschen wie der Menschheit. Venn dieser Lebensbestand hängt ein­ heitlich und fest in sich zusammen; er kennt keine abgesonderten Gebiete wie die abstrahierende wisienschast. Als zusammenhängende Einheit aber ist er zunächst „altes" Menschentum, bedarf also der Erneuerung durch den Glauben. Ist schon das grundlegende Erlebnis des Glaubens nicht einfach „Gefühl" im Sinne einer besonderen seelischen Funktion (§ 5, 3), sondern ein das ganze Bewußtsein ergreifender Vorgang, so muß auch seine lebendige Auswirkung das gesamte alte Menschentum erobern, all die verschiedenen Funktionen des Bewußtseins und die verschiedenen Gebiete der Arbeit er­ füllen. wir betrachten sie zunächst nach der Seite des natürlichen, dann nach der des geistigen Lebens. 2. Vie Auswirkung im natürlichen Leben, a) Vas Spannungs­ verhältnis des Glaubens zur Natur, vatz der Glaube den Stoff seines Lebens zunächst im natürlichen Leben findet, beweist die Geschichte der christlichen Frömmigkeit. Mitten im natürlichen Leben, in seinen individuellen, volklichen und allgemein-irdischen vaseinskreisen bewegt sich ausgesprochenerweise die Religion des AT.s; aber auch Jesus Hilst den Rranken, lehrt die Jünger, von herzen um das tägliche Brot zu bitten, und betet selbst in Gethsemane um Befreiung von dem Reich des Leidens; und Paulus scheut sich nicht, Erlösung von schlimmer Rrankheit zu erflehen (2 Kor 12s; s. auch § 15,2). Ganz entsprechend umgekehrt: Dank für dar tägliche Brot, Dank für Rettung aus leiblicher Not gehört zu den häufigsten Inhalten des atlichen und urchristlichen Gebets. Gerade da also, wo der Glaube unmittelbar bei sich selber ist und sich am innigsten aus­ spricht, im Gebet und Lied, da verschlingt er sich untrennbar mit allen frohen und trüben Erfahrungen des natürlichen Lebens. Ja er breitet sein Erleben aus von der eigenen Verflochtenheit in das natürliche Dasein auf das Geschick der ganzen Kreatur: wie der Psalmist den Lobgesang der Natur auf ihren Schöpfer in sich nacherlebt, so Paulus das Seufzen der ganzen Kreatur unter ihrer Vergänglichkeit und Sünde (Röm 8). hier erprobt sich am besten, daß des Christen Stellung zur Welt nicht die des Gefangenen zu seinem Kerker ist: er muß nicht frei von ihr werden, um Gott anzugehören, sondern er fühlt sich als Kreatur wie die Welt selbst, teilt deren Schicksal, weiß sich durch seine Sünde auch als Schuldner an ihr und tritt trotz all seinen Gegensätzen zu ihr doch auch in ihrem Zusammenhang vor Gott.

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Die Lebendigkeit der Glaubens

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Freilich ist das nur die eine Seite der Sach«. Ebenso kennt die christliche Frömmigkeit die Erfahrung, daß der Glaube den Menschen un­ abhängig macht von allem natürlichen Leben. Der urchristliche Märtyrer steht den Himmel offen, indem er körperliche (Qualen leidet; die Bitte um das tägliche Brot ist nur eine Bitte im Vaterunser; Jesus betet in Gethse­ mane mit tiefster Ergebung auch in das Leidensschicksal, und Paulus empfängt statt Erfüllung seines Flehens vielmehr die Antwort: laß dir an meiner Gnade genügen (2 Kot 12 9). Die Welt mit ihrer Not und ihrem Glück wird, gemessen an der überschwänglichen Herrlichkeit Gottes, gleich­ gültig für den neutestamentlichen Frommen; er lebt dank seiner Verbunden­ heit mit Gott durch Ehristus bereits in einer andern Welt (Phil 3 m). Diese Spannung bleibt, wie die ganze Geschichte des Gebets und des Liedes bezeugt, als Merkmal der empirischen Lebendigkeit allenthalben in der Geschichte des Glaubens, nie restlos in volle logische Einheit aufgelöst1) und nie das eine oder andere völlig verleugnend. Der Christ lebt nicht nur in der Welt, er erlebt wirklich ihre höhen und Tiefen, leidet mit ihr und jubelt mit ihr; das Schicksal der eigenen Person, der Familie, des Vaterlandes und eigenen Volkes, der Menschheit und der Welt überhaupt ragt überall hinein in sein Verhältnis zu Gott; und doch wird der Christ in seinem Glauben zugleich frei von der Gewalt dieser Mächte. Indem er sein Ver­ hältnis zu ihnen vor Gott bringt, sein Erleben der Welt in sein Erleben Gottes verschlingt, gewinnt er die innere Herrschaft über sie. Die Freiheit von der Welt, die er im Glauben erlangt, ist also keine negative Freiheit, sondern ein neues positives Verhältnis zu ihr: eine Relativierung der na­ türlichen Größen als solcher, aber zugleich eine Vertiefung, sofern sie mit ausgenommen werden in das Verhältnis zu Gott. Diese Aufnahme des Natürlichen in das Verhältnis zu Gott ist ein Gewinn, den der lebendige Glaube aus seiner Entfaltung in der Welt empfängt, eine Frucht der Zeit für die Ewigkeit; der Glaube wäre vor Gott ein leeres Gefäh, ein Nichts ohne seine Verbindung mit der Welt. b) Die gegensätzlichen Mißverständnisse. Aus dieser Lage erklären sich gewisie entgegengesetzte Mißverständnisse des Glaubens. Das eine Mißverständnis überspannt die Gleichgültigkeit des Glaubens gegen­ über dem natürlichen Leben. Es kann in der christlichen Frömmigkeit selbst entspringen. Das Urchristentum z. B. ist grundsätzlich gleichgültig gegenüber der bestehenden Welt, weil seine Erwartung des baldigen Welt­ endes und der Wiederkunft Christi alle innere Teilnahme am weltlichen erdrückt. Wo der eschatologische Einschlag des Glaubens überstark wird, da wiederholt sich notwendig diese Einseitigkeit; die Geschichte des Pietismus und der Gemeinschastsbewegung beweist es auch im Protestantismus1). Immer­ hin handelt es sich hier um Verschiebungen innerhalb der christlichen Motive *) praktisch-religiös wird die Spannung in der Handlung der Gebetes selber in gewissem Maße gelöst, nämlich sofern das Gebet wirklich den Menschen zu Gott emporhebt. Darum endet das mit der Bitte beginnende Gebet notwendig mit der Ergebung in den Willen Gottes. Dgl. Heilers werk über das Gebet. *) 3ur wirklichen Bedeutung der Eschatologie vgl. § 15,2 und 23.

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1. Teil.

Der evangelische Glaube

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selbst; daher gleichen sie sich rasch aus - wo der eschatologische Charakter sich ermäßigt, da tritt, wie die Geschichte der Frömmigkeit zeigt, sehr bald das positive religiöse Verhältnis zum natürlichen Leben wieder hervor. Verhängnisvoller stören die eindringenden nichtchristlichen Züge das Verhältnis zum natürlichen Leben. Besonders häufig treffen wir Spuren eines heidnischen Dualismus. Dualistisch ist es, wenn die Vorstellung von weltbeherrschenden Dämonen den Christen in grundsätzlichen Gegensatz zum natürlichen Leben stellt; aber ebenso wenn von neuplatonisch-philosophischen Gedanken aus der Leib als Kerber der Seele, die Natur als Kerker des Geistes erlebt wird. Etwas von dem Dualismus bleibt auch in der Sublimierung dieser Motive, die das Reich der natürlichen empirischen Wirklichkeit als bloße Erscheinung versteht und darum als im Grunde un­ wert der tieferen Teilnahme erscheinen läßt. Solche und ähnliche Gedanken beherrschten die Spätantike auf allen Gebieten und drangen, vorbereitet durch die eschatologische Einseitigkeit, auch in das Christentum ein; sie sind es, die z. B. vielfach im Mönchtum das christliche Lebensideal unter­ christlich verfärbten ufrb dadurch das christliche Verhältnis zum natürlichen Leben in ein falsches Licht stellten. Selbst im neuzeitlichen Protestantismus wiederholt sich der trübende Einschlag der Spätantike: vielen Pietisten und Aufklärern erscheint das Natürliche als unwürdig der Verbindung mit der Frömmigkeit; die christliche Weltbeherrschung verflacht sich dann gern zur stoischen Apathie, zum Gleichmut; ja es entsteht jenes falsch-idealistische Christentum, das die Frömmigkeit eng mit rationalem Denken oder ästhe­ tischem Genießen verbindet, aber losreißt von den natürlichen (Quellen des Lebens und daher ohne praktische Fruchtbarkeit, Volkstümlichkeit und volks­ erzieherische Kraft bleiben muß. Das entgegengesetzte Mißverständnis erwächst aus der richtigen Einsicht, daß, wie alle Religion, so auch die christliche mit den natürlichen Trieben und Seelenbewegungen eng verbunden ist. Schon das Altertum kennt ihre naturalistische Verkehrung: seine irreligiösen Denker laffen die Religion bald aus dankbarer Vergötterung nützlicher Dinge, bald aus der Furcht vor den Mächten der Natur entspringen. In der Neuzeit war es David hume, der als die eigentliche Wurzel der Religion betonte: die ängstliche Unruhe im Glück, die Angst vor künftigem Unglück, die Furcht vor dem Tode, das verlangen nach Genugtuung, das Bedürfnis nach Nahrung und anderen Dingen. Ludwig Feuerbach hat solche Ansätze gründlich und systematisch zu einer die Religionsgeschichte umfassenden Theorie erhoben. Alle Religion ist danach eine Illusion des Menschen, der sein eigenes Wohl sucht; Gott ist der durch die Phantasie in die scheinbare (Vbjektivität des Jenseits projizierte Wunsch des Menschen, von der Abhängigkeit, von den Schranken der Natur und vom Übel frei zu werden. Das Christentum fügt diesem allgemeinen Zuge der Religion etwas Besonderes hinzu: es projiziert vor allem das geistige Wesen der Menschheit als Gott in das Jenseits; das Bedürfnis nach einem anschaulichen Ideal der Sittlichkeit und nach Beschwichtigung des Gewiffens gewinnt den Vorrang unter den vielen Linien, in denen das menschliche Glücksverlangen sich äußert.

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Es ist bezeichnend, daß die Gesamtauffassung von Religion und Christentum gerade am Ausgang der deistischen (hume) und dann der hegelschen Rationalisierung der Religion (Feuerbach) ihre höhe erreicht: sie ist, sofern sie einen berechtigten Kern hat, der Gegenschlag wider jene falsche Vergeistigung des christlichen Glaubens, die Rückkehr zu der Ein­ sicht in die Verwobenheit der Religion mit dem natürlichen Leben. Daß sie sich zuerst bei Gegnern zeigt, ist nicht verwunderlich; auch Skepsis und Hatz schärfen das Kuge. In der Vertretung des Christentums selbst zeigt stch derselbe Gegenschlag in und noch deutlicher nach dem Kuftreten A. Ritschls. hatte Ritschl vom Christentum aus die sittliche Selbstbehaup­ tung der Persönlichkeit gegenüber der Natur zum eigentlichen Wesen der Religion gemacht, so trat bei Jul. Rastan und anderen ganz allgemein das Streben nach Gütern in den Vordergrund; es bildete sich ein „eudämonistisches" Verständnis der Religion. Danach ist in aller Religion wohl und wehe des Menschen der beherrschende Gesichtspunkt: Gott ist die Macht, die unsern Anspruch auf Leben gegenüber den natürlichen und sozialen Hemmungen verwirklichen hilft. Freilich wandelt sich inner­ halb der Religionsgeschichte die Auffassung der Lebensgüter: sie steigt vom Irdisch-Sinnlichen zum Überirdisch-Sittlichen empor; im Christentum ist das höchste Gut überweltlich und sittlich zugleich. Damit wird die Sittlichkeit in die Religion ausgenommen, aber der Unterschied bleibt: was in der reinen Sittlichkeit absolute Forderung oder höchstes Ideal ist, das ist, religiös betrachtet, Gegenstand der Neigung, höchstes Gut, Element der Seligkeit. Und so bleibt ein eudämonistischer 3ug, der auch im Christen­ tum ttotz seinem sittlichen Wesen überall den menschlichen Lebensdrang, also den Naturgrund hindurchblicken lätzt. Allein so eindrucksvoll diese Theorie ist und soviel Wahrheit sie vertritt, sie bedeutet doch eine falsche Unterordnung des Christentums unter Gesichtspunkte, die in der allgemeinen Religionsgeschichte gewonnen sind.